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Full text of "Jahrbuch der Astronomie und Geophysik"

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JAHRBUCH 


der 


Astronomie  und  Geophysik. 

Enthaltend  die  wichtigsten  Fortschritte  auf  den  Gebieten 

der 

ÄstropliyBik,  Meteorologie  und  pliysikaliselien  Erdkunde. 


Unter  Mitwirkung  von  Fachmännern 
herausgegeben 

von 

Prof.  Dr.  Hermann  J.  Klein. 


xm.  Jalirgang  1902. 

Mit  5  Tafeln. 


EDUARD  HEINRICH  MAYER 

Verlagsbuchhandlung 
Uiinifim. 


Inhaltsübersicht 

Seite 
Inhaltsübersicht III— Vm 

Astrophysik. 
Sonne 1—89 

SomieDstatistik  1901 1 

Beobachtnngen  über  die  grosse  Sonnenfleckengrappe  1901  Mai  19. 

bis  Juni  28.,  von  P.  A.  Z.  Ck>rti8 3 

Die  SonneDflecken  und  Fackeln  nach  den  photographischen  Auf- 
nahmen zu  Greenwioh,  Dehra  Dun  (Indien)  und  auf  Mauritius       8 

Die  Sonnenthatigkeit  von  1888  bis  1900,  von  William  J.  S.  Lockyer 

studiert 5 

Die  Wölfischen  Tafehi  der  Sonnenfleckenhäufigkeit,  neu  berechnet 

von  Prof.  A.  Wolfer 18 

Die  Sonnenphänomene  als  Folgen  anomaler  Dispersion  des  Lichtes      20 

Die  Doppelfinien  im  Spektrum  der  Ghromosphare,  von  W.  H.  Julius      24 

Protaberanzen,  beobachtet  1888—1890  am  Haynaldobservatorium, 

▼on  P.  Fenyi 28 

Die  Sonnenfinsternis  vom  28.  Mai  1900  in  ihrer  Einwirkung  auf 
die  meteorologischen  Verhältnisse  in  Nordamerika,  von  Prof. 
Frank  H.  Bigelow 81 

Die  letzten  und  ersten  Strahlen  der  Sonne  bei  totalen  Sonnen- 
finsternissen   82 

Eine  merkwürdige  Erscheinung  in  der  Sonnenkorona  während  der 

totalen  Finsternis  am  18.  Mai  1901,  von  G.  D.  Perrine     .    .      88 

Das  Wesen  der  Sonnenkorona,  von  Prof.  Frank  H.  Bigelow     .    .      84 

Aussendung  Hertzscher  Strahlen  durch  die  Sonne,  von  H.  Des- 

landrä  und  Dto)mbe 86 

Die  Temperatur  der  Sonne 88 

Zodlakalllcht 89-44 

Das  Zodiakallicht,  von  Prof.  Seeliger 89 

Planeten 44-58 

Planetoidenentdeckungen  im  Jahre  1901 44 

Messungen  der  Planetendurchmesser,  von  Prof.  Bamard  .    ,    .    .  46 

BeobaStonsen  des  Jupiter,  von  J.  Gleshill 49 

Saturn  durch  die  Gassmische  Spalte  sichtbar 49 

Der  Schatten  der  Satumkugel  auf  den  Ringen  des  Saturn  ...  49 
Die  Durchmesser  der  Satumsmonde  Titan  und  Japetus,  von  Dr. 

J.J.See 52 

Spdctrographische  Aufnahmen  des  Planeten  Uranus,  von  H.  Des- 

*^  laiSSs 52 

Mond 58-62 

Untersochungen  über  die  westlichen  Randgegenden  der  Mond- 

sobeibe,  von  Prol  Dr.  Franz 58 


363016 


IV  Inhaltsübersicht. 

Ober  den  Bau  und  die  Bildungsgesohiohte  der  Mondrinde,  von 

Loewy  und  Poiseux 60 

Bestimmungen  der  Grössen  von  130  Eraterdurchmessem  auf  der 

Mondobeifläche,  von  E.  Graff 61 

Kometen 68—67 

Die  Kometenerscheinungen  des  Jahres  1901 68 

Definitive  Bahnelemente  des  Kometen  1898  I,  von  H.  D.  Curtis  .  66 

Die  Arrheniussche  Theorie  der  Kometenschweife 67 

Sternschnuppen  und  Meteoriten 67—78 

Die  ^osse  Feuerkugel  vom  3.  Oktober  1901 67 

Die  Perseiden  des  August  1901 68 

Die  Bewegung  des  Badiationspanktes   der  Perseusmeteore,   von 

W.P.  Denning 68 

Creschichtliches  über  das  Auftreten  der  Perseusmeteore,  v.  H.  Bomitz  71 

Das  Meteoreisen  von  Mukerop 76 

Der  Meteorit  von  Felix 78 

Fixsterne 78-129 

Der  Stemkatalog  der  Astronomischen  Gesellschaft 78 

Die  photometrischen  Grossen  von  928  Fixsternen,  deren  Hellig- 
keitsfolgen John  Herschel  1886—1838  bestimmt  hat,  von 

W.  Doberck  untersucht 78 

Der  gegenwärtige  Stand  der  Erforschung  der  farbigen  Sterne  mit 

Berücksichtigung  des  Spektraltypus,  von  Friedrich  Krüger  .  79 

Temperaturbestimmung  der  Fixsterne  auf  photometrischem  Wege  84 
Die  photographischen  Spektra  der  heilern  Sterne  des  südlichen 

Himmels 8B 

Der  Veränderliche  o  Ceti  (Mira) 92 

Der  Veränderliche  C  Geminorum,  von  E.  P.  McDermott  ^r.  beobachtet  97 

Die  Lichtkurve  von  ß  Persei  (Algol),  von  Prof.  G.  Muller     ...  97 

Neue  Veränderliche  der  Algolklasse 100 

Der  Lichtwechsel  des  Veränderlichen  ^  Carinae,  v.  Alex.W.  Roberts 

untersucht 101 

Der  Lichtwechsel   des  Veränderlichen  ü  Cephei,  von  H.  Bohlin 

beobachtet 101 

Der  Veränderhche  Y  Lyrae,  von  A.  Stanley  Williams  beobachtet  101 

Beobachtungen  über  die  Helligkeit  von  v  Argus,  von  R.  T.  v.  Innes  102 

Zwei  veränderliche  Sterne  in  dem  Nebelflecke  N.  G.  K.  7028    .    .  102 

Beobachtung  einer  wahrscheinlichen  Nova  im  Bootes  1877      .    .  102 

Die  Nova  Cygni  1876,  von  Prof.  E.  E.  Bamard  beobachtet  ...  108 

Die  Nova  Persei  1901 108 

Das  Spektrum  der  Nova  Persei 112 

Die  Parallaxe  von  /i  Cassiopejae  und  das  Vorhandensein  eines 

engern  FixBternsystemes  in  diesem  Sternbilde 112 

Untersuchungen  über  die  Parallaxe  des  Zentralstems  im  Ring- 

nebel  der  Leyer  von  Burt  L.  Newkirk 114 

Kosmische  gemeinsame  Bewegung  der  Fixsterne H^ 

Neue  Doppelsteme 11^ 

Die  Neumessungen  der.  Pulkowaer  Doppelsteme  auf  dem  Lick- 

observatorium UÖ 

Der  Doppelstem  68  Comae  Berenicis  (2  1689) H^ 

Ein  neuer  Doppelstem  mit  rascher  ümlaufsbewegung  des  Begleiters  H^ 

Der  Stern  88  Aquaiii  als  Doppelstem H^ 

Die  Bewegungsverhältnisse  im  Sterasysteme  70  Ophiuchi     .    .    .  1^ 

Die  Bahn  des  Doppelstems  ß  Delphini 1^ 


Inhaltsübersicht.  V 

Nene  spektroskopische  Doppelsteme 128 

Das  spektroskopische  Doppelstemsystem  Mizar 125 

Der  spektroskopische  Doppelstem  ß  Gephei 127 

Die  Bewegung  von  %  Cygni  in  der  Gresichtslinie  znr  Erde   .    .    .  128 

Sternhaufen  und  Nebelflecke 129—147 

Der  allgemeine  Helligkeitseindruck  von  Sternhaufen,  von  Dr.  J.  Holet- 

schek  behandät 129 

Triangulation  der  Hyadengnippe,  von  Carl  W.  Wirtz 196 

Die  Bewegung  des  Orionnebels  in  der  Gesichtslinie  zur  Erde,  neue 

Untersuchungen  über  diese  Bewegung  auf  dem  astrophysi- 

kalischen  Observatorium  zu  Potsdam 140 

Spektrographische  Geschwindigkeitsmessungen  an  Gasnebeln,  von 

Dr.  Hartmann 142 

Beobachtungen  über  das  Aussehen  der  Milchstrasse  mit  blossem 

Auge,  von  T.  W.  Backhouse 147 

Geophysik. 

Allgemeine  Eisrenschaften  der  Erde 148—158 

Über  das  Alter  der  Erde  seit  der  Bildung  ihrer  festen  Oberfläche, 

von  Lord  Kelvin 148 

Die  Variation  der  geosraphischen  Breiten,   zwei  neue  Abhand- 
lungen, von  Dr.  Gnandler 150 

Die  Lot^lenkun^en  und  das  Geoid  in  der  Schweiz,  von  Dr.  B. 

Messerschmitt 150 

Die  Ablenkung  des  Lotes  in  Indien 155 

Die  Reduktion  der  auf  der  physischen  Erdoberfläche  beobachteten 
Schwerebeschleunigung  auf  ein  gemeinsames  Niveau,  von 

F.R.Hehnert 157 

Bestimmung  der  Schwerkraft  auf  dem  Atlantischen  Ozeane     .    .  157 

Oberflächengeetaltung 158—185 

Das  Siebengebirge  am  Rhein 158 

Das  Antlitz  der  Alpen,  von  Prof.  Penck 163 

Das  Karwendelgebirge,  von  Dr.  0.  Ampferer 164 

Cber  die  Verbreitung  der  Karren  und  karrenähnlicher  Gebilde,  von 

Dr.  M.  Eckert 165 

Die  Gebirgssysteme  der  Balkanhalbinsel,  von  Prof.  Dr.  OTijic  .    .  170 

Der  Aufbau  Eurasiens,  von  E.  Suess 178 

Die  Bewegungsgesetze  des  Flugsandes,  von  Eugen  v.  Chohdoky   .  177 

Die  Erosionserscheinnngen  in  der  Wüste  Gobi,  von  Prof.  Futterer  181 

Die  Rias  der  Westküste  Galiciens,  von  H.  Schurtz 182 

Erdmasmetlsmus 185—190 

Die  magnetischen  Beobachtungen  der  norwegischen  Polarezpedi- 

tion  1899-1900 185 

Erdmagnetische  Polsationen,  von  Dr.  W.  van  Bemmelen  ....  188 

Erdbeben 190^198 

Das  Eärdbeben  von  Sini  am  2.  Juli  1896 190 

Geschichtliches  über  EHbeben  in  Schlesien 192 

Die  vogüändischen  Erderschütterungen  vom  September  1900  bis 

Mitte  März  1902,  von  H.  Credner 194 

Brdbebenstorungen  zu  Triest,  von  E.  MazeUe 195 

Das  Erdbeben  in  Guatemala  am  18.  April  1902,  von  Prof.  K.  Sapper  195 

Erdbebenbeobachtungen  in  Japan,  von  Prof.  Omori 196 

Ober  das  behauptete  regelmässige  Fortschreiten  des  Epizentrums 
bei  Erdbeben  mit  zahlreichen  Nachbeben,  von  Montessus 

deBallore 197 


VI  Inhaltsübersicht 

Vulkanismus 196—229 

Die  Insel  Martiniaae  und  ihr  Vulkanismus 196 

Die  vulkanischen  Vorgänge  auf  der  Insel  St.  ^^cent 206 

Die  Zusammensetzung  des  bei  den  Ausbrüchen  auf  den  Antillen 

ausgeworfenen  Staubes 212 

Die  geographische  Bedeutung  der  mittelamerikanischen  Vulkane, 

von  Prof.  Karl  Sapper 218 

Der  Cotopaxi  und  die  umgebenden  Vulkanberge 214 

Die  Verbreitung  der  hauptsachlichsten  Eruptionszentren  in  Süd- 
amerika, von  Dr.  A.  Stübel 223 

Ein  porphyrischer  Stratovulkan  in  Südwestafrika,  von  Dr.  Schenck  227 

Der  Ausbruch  des  Vulkans  Keloet  auf  Java 228 

Über  den  Sitz  der  vulkanischen  Kraft,  von  G.  de  Lorenzo   .    .    .  229 

Inseln 230-245 

Die  Insel  Veglia,  von  Dr.  L.  Waagen 230 

Die  Insel  Syra  (Syros) 232 

Die  Insel  Portorico 233 

Die  Erforschung  der  Malediven-Insehi,  von  Prof.  A.  Agassiz    .    .  235 

Die  Insel  Sumatra,  von  Dr.  B.  Hagen 236 

Die  Crozetinseln 238 

Die  Insel  Rota,  von  H.  Fritz 240 

Die  Insel  Nauru  im  Stillen  Ozeane,  von  Prager 241 

Die  Samoainseln,  von  Dr.  G.  Wegener 242 

Eine  neu  entstandene  und  wieder  verschwundene  Insel  ....  245 

Das  Meer 245—261 

Die   Verteilung    des    Salzgehaltes    im    Oberflächenwasser     des 

Ozeans,  von  Dr  G.  Schott 245 

Neue  Tiefsedotungen  im  Atlantischen  und  Indischen  Ozeane  von 

Dr.  G.  Schott 249 

Die   ozeanischen   Ergebnisse   der   deutschen  Südpolarexpedition 

von  Kiel  bis  Kapstadt 251 

Grundproben  aus  dem  Atlantischen  Ozeane 254 

Die  Grenzlinien  der  Sichtbarkeit  des  Landes  im  Mittelländischen 

Meere 254 

Die  Wärmeverteilung  in  dem  Wasser  der  südpolaren  Meere  auf 

Grund  der  Beobachtungen  der  »Valdiviac,  von  Dr.  G.  Schott  255 

Quellen  und  Höhlen 262—266 

Die  Quellen  des  Kantons  Aargau,  von  F.  Mühlberg 262 

Unterirdische  Wasser  in  Westaustralien 262 

Über  das  Wesen  der  heissen  Quellen,  von  Prof.  B.  Suess    .    .    .  262 

Höhlenforschungen  in  der  Nähe  von  Mentone 266 

Flüsse 266-274 

Die  Wasserverhältnisse  der  Zwickauer  Mulde  bis  Zwickau,  von 

Prof.  Dr.  Schreiber 266 

Veränderung  im  Laufe  des  blauen  NU 269 

Das  Flussgeoiet  des  Lukuledi,  von  A.  Adams  geschildert  .  .  .  269 
Der  obere  Yangtsekiang,  befahren  von  Archibald  Little  im  Jahre 

1901 271 

Seen 274-288 

Der  Pleskauer  (Pskower)  See  und  seine  Inseln,  von  P.  v.  Stenin  274 

Seiches  im  Madüsee  in  Pommern,  von  Dr.  W.  Halbfass   ....  275 

Der  Iseosee,  von  A.  Baltzer  untersucht 276 

Die  warmen  Salzseen  von  Szoväta 276 

Das  Bodenrelief  des  Skutarisees,  von  Prof.  Gvijiö  erforscht     .    .  282 


Inhaltsilbenloht  Vn 

Der  See  von  Ohrida  und  der  Prespa  in  Makedonien,  von  Dr. 

EL  Oestreich 282 

Die  abflnsslosen  Seen  auf  dem  Annenischen  Hochlande,  von  Dr. 

Rohrbach 283 

Die  Kästenbildunjg  des  Aralsees,  von  L.  S.  Berg 285 

Der  See  Telezkoje  im  Altai,  von  P.  Ignatow  besucht      ....  286 

Der  fffOBse  Bärensee 286 

Die  Callabonna-Salzpfanne  in  Südaustralien,   von  B.  C.  Stirling 

und  H.  Zietz 287 

Gletscher  und  Glazialphysik 288—305 

Die  Schneegrenze  in   den   Gletschergebieten   der  Schweiz,   von 

Dr.  J.  Jegerlehner 288 

Moränen  und  Diluvialterrassen  in  Khanat  Bochara,  von  A.  v.  Kraff t  292 
Die  Moränen,  von  Dr.  August  Böhm  von  Böhmersheim  ....  2d2 
Die  Ursache  der  Eiszeit,  von  Prof.  F.  Frech 301 

Die  LufthQlle  im  allgremeinen 305—312 

Die  Mengen  der  neuentdeckten  Gase  in  der  Atmosphäre  .  .  .  305 
Über  die  Höhe  der  homogenen  Atmosphäre  und  die  Masse  derselben, 

von  Dr.  Nils  Ekhohn 306 

Labile   Gleichgewichtszustände   in   der   Atmosphäre,    von   Prof. 

A.  Schmidt 300 

Die  Verteilung  der  atmosphärischen  Ionen  in  den  hohem  Luft- 
schichten   310 

Lufttemperatur 312—821 

Die  normalen  Morgen-  und  Nachmittagstemperaturen  der  deutschen 
Stationen  in  den  täglichen  Wetterberichten  der  deutschen 

Seewarte 312 

Die  Abnahme  der  Lufttemperatur  mit  zunehmender  Höhe,  von 

L.  Teisserenc  de  Bort 813 

Eine  wärmere  Luftströmung  in  10—15  hm  Höhe,  von  Prof.  Ass- 

314 


Luftdrucic 321—322 

Ober  den  täglichen  Gang  des  Luftdruckes  in  Moskau,  von  Prof. 

Dr.  Ernst  Leyst 321 

Die  Veränderlichkeit  der  täglichen  Baromeierbewegung  «auf  dem 
hohen  Sonnblick,  von  A.  v.  Obermayer 322 

Woiicen 323-330 

Die  Wolkenbeobachtungen  zu  Toronto  während  des  internatio- 
nalen Wolkenjahres 323 

Über  Bildung  und  Konstitution  der  Wolken,  von  Prof.  W.  Trabert  328 
Untersuchungen   über   die  Nebelverhältnisse   der   Schweiz,   von 

G.  Streun 325 

Beobachtongen  über  Nebelbildung 380 

Nlederschl&fire 880-838 

Untersuchungen  über  die  Verdunstung,  von  Prof.  G.  Schwalbe     .    380 
Die  Häofigkeit  des  Regens  in  Paris  nach  den  Beobachtungen  von 

1878—1900  im  Parc  S.  Maur 881 

Der  Wolkenbruch  in  Berlin  am  14.  April  1902,  von  Prof.  G.  Hell- 


Die  85 jähxige  Periode  der  Regenschwankung,  von  Prof.  E.  Brückner    833 
Der  grosse  StanbfaU  vom  9.-12.  März  im 884 


Vni  InhaKaäbmlohlt. 

Winde  und  StOrme 888—848 

Ober  die  Beziehung  zwischen  Temperatur  und  Luftbewegung  in  der 

Atmosphäre  unter  stationären  Verhältnissen,  y .  J.W.  Sandström  888 
Die  tägliche  Bewegung  der  Luft  über  Hamburg,  von  Professor 

Dr.  J.  Schneider 842 

Die  Geschwindigkeit  und  Richtung  des  Windes,  von  A.  Berson  .  345 
Über  die  tägliche  Drehung  der  mittleren  Windrichtung  und  über 

eine  Osdllation  der  Luftmassen  von  halbta^dger  reriode  auf 

Berggipfeln  von  2—4  km  Seehöhe,  von  J.  Uum  ....  347 
Stunntage  an  der  deutschen  Küste  im  Jahre  1901,  von  Dr.E.  Hermann    848 

Elektrische  Lufterscheinungren    . 849—368 

Die  Bedeutung  vertikaler  Luftströme  für  die  atmosphärische  Elek- 
trizität, von  F.  Linke 349 

Beobachtungen  über  die  Zerstreuung  der  Elektrizität  in  der  Luft, 

von  K.  V.  Wesendonk 349 

Messungen  der  Elektrizitätszerstreuung  in  freier  Luft,  von  J.  Elster 

und  Geitel 860 

Über  die  tätliche  Periode  der  Luftelektrizität,  von  F.  Exner  .  .  861 
Cber  die  Richtung  der  elektrischen  Strömung  in  Blitzen,   von 

Max  Toepler 352 

Das  Spektrum  des  Nordlichtes 866 

Das  Nordlicht  vom  9.  September  1898,  von  W.  Schaper  ....  366 

Katalog  der  in  Norwegen  bis  Juni  1878  beobachteten  Nordlichter  867 

Optische  Erscheinungren  der  Atmosphäre  ....    368—861 

Kimmtiefenbeobachtungen,  von  Karl  Koss 868 

Die   tägliche  Variation  der   atmosphärischen   Strahlenbrechung, 

von  V.  E.  Boccara 368 

Der  Regenbogen  in  Russland,  von  Ernst  Leyst 369 

Kllmatolosie 361-866 

Ober  klimatologische  Mittelwerte  für  ganze  Breitenkreise,    von 

W.v.Bezold 361 


Verzeichnis  der  Tafeln. 

Tafel  I:  Strahlungen  in  der  Sonnenkorona  am  18.  Mai  1901. 
„    U:  Typische  Stemspektra  nach  den  photogr.  Aufnahmen  in  Arequipa. 
,  ni:  Isonypsen  des  Geoids  der  Schweiz  entw.  von  Dr.  B.  Messerschmitt. 
„  IV:  Flugsandformationen  nach  E.  v.  Chobioky. 

„    V:  Pyramidenförmige  Nebelkuppe.    Aufgenommen  vom  Mount  Tamal- 
pais  in  Califomien. 


Astrophysik. 


Sonne. 

Sonnenstaüstik  1901.  Die  RelativzaMen  der  Sonnenflecke 
sind  auch  für  dieses  Jahr  von  A.  Woller  festgestellt  worden.^)  Die 
nachstehende  Tabelle  enthalt  die  Ergebnisse  auf  Grund  der  in  Zürich 
und  an  fünfzehn  andern  Orten  angestellten  Beobachtungen.  Es  be- 
zeichnet darin  n  die  Zahl  der  Beobachtungstage,  m  die  Zahl  der 
fleckenfreien  Tage,  und  r  die  mittlere  Relativzahl. 


1901 

n 

m 

r 

Januar     

31 

30 

0.2 

Februar  

28 

20 

2.4 

März 

31 

23 

4.5 

April 

80 
31 

30 
18 

0.0 

mL 

102 

Juni 

30 

15 

5.8 

JuJi 

81 
31 

28 

27 

0.7 

August 

1.0 

September 

30 

28 

0.6 

Oktober 

31 

21 

3.7 

November 

80 

16 

3.8 

Dezember 

31 

31 

0.0 

Jahr 

365 

287 

2.7 

Das  Jahresmittel  r  =  2.7  ist  gegenüber  dem  Voijahre  (r  =  9.5) 
noch  etwas  starker  gesunken  als  von  1899  auf  1900,  und  die  Ab- 
nahme erstreckt  sich  auf  alle  einzelnen  Monate.  Nicht  weniger  be- 
zeichnend für  die  ungewöhnlich  geringe  Thätigkeit  ist  die  auf  voUe 
287  angestiegene  Zahl  der  fleckenfreien  Tage,  und  eine  Vergleichung 
mit  frühem  Minimaljahren  ist  in  beiden  Richtungen  nicht  ohne 
Interesse. 

„Es  steht  das  Jahr  1901  sowohl  nach  Massgabe  der  Relativzahl 
als  aach  des  Verhältnisses  der  fleckenfreien  Tage  zu  den  vorhandenen 


^  Astron.  Mitteilungen  von  A.  Wolfer,  No.  93.    Vierteljahrsschrift  der 
Naturforsch.  Gesellachaft  in  Zürich  1902,  p.  58. 

Klein,  Jahrbuch  Xm.  1 


Sonne. 


Beobachtungstagen  noch  unter  dem  Minimum  von  1878,  das  doch 
ein  sehr  ausgeprägtes  war,  und  man  muss  bis  auf  1823  zurück- 
gehen, bevor  man  zu  einem  ebenso  niedem  wie  das  gegenwärtige 
gelangt  Übrigens  scheint  es,  soweit  die  bis  jetzt  vorliegenden 
Beobachtungen  von  1902  zeigen,  durch  seine  lange  Dauer  nicht 
weniger  als  durch  seine  Tiefe  sich  bemerkbar  zu  machen«  Da&s  die 
Minimumepoche  in  das  Jahr  1901  fällt,  ist  wohl  ziemlich  sicher; 
gegenüber  dem  normalen  11 -jährigen  Periodenwechsel  ist  sie  aber 
auch  so  schon  stark  verspätet;  denn  nach  normalem  Verlaufe  hätte  sie, 
wenn  man  vom  letzten  Minimum  aus  rechnet,  auf  1889,6  -|-  11,1  = 
1900,7,  und  wenn  man  vom  letzten  Maximum  ausgeht,  d.  h.  diesem 
das  mittlere  Zeitintervall  zwischen  einem  Maximum  und  dem  folgen- 
den Minimum  (6.0  Jahre)  hinzufügt,  auf  1894,1  -f  6,0  =  1900,1 
also  im  Mittel  noch  etwas  vor  Mitte  1900,  fallen  müssen.  Dass  dies 
nicht  zutrifft,  steht  ausser  Frage  und  wird  am  besten  durch  die 
nachstehenden  ausgeglichenen  Relativzahlen,  soweit  sie  zur  Zeit  sich 
berechnen  lassen,  bewiesen: 


Jahr 

.J_ 

n 

in 

rv 

V 

Moi 
VI 

Qat 

vn 

vin 

IX 

X 

XI 

XU 

1900 
1901 

10.7 
4.8 

10.5 
4.4 

10.6 
3.9 

10.6 
8.2 

10.4 
2.8 

9.9 
2.8 

9.1 

8.2 

7.6 

6.8 

6.9 

5.4 

Hiemach  ist  in  der  Abnahme  der  Zahlen  erst  gegen  Mitte  1901 
ein  Stillstand  eingetreten;  es  liegt  somit  eine  Verspätung  von  min- 
destens einem  Jahre  gegenüber  der  normalen  Epochenfolge  vor.  Dass 
anderseits  die  Minimumepoche  nicht  ausserhalb  1901,  also  nicht 
erst  1902  zu  erwarten  ist,  scheint  daraus  hervorzugehen,  dass  die 
Flecke  hoher  Breite,  als  erste  Anzeichen  der  neuen  Thäügkeitsperiode, 
sich  merklich  zahlreicher  als  1900  —  8  gegenüber  2  —  eingestellt 
haben.  Es  ist  also  anzunehmen,  dass  mit  dem  Jahre  1901  auch  die 
Minimumepoche  überschritten  wurde;  ihre  definitive  Festsetzung  wird 
jedoch  vor  Ablauf  von  1902  nicht  möglich  sein. 

Die  Fleckenkurve  zeigt  1901  einen  äusserst  wenig  bewegten 
Verlauf.  Drei  kleinen  Erhebungen  am  Anfange  des  Jahres,  die  je  auf 
den  Anfang  der  Rotationspenoden  540,  541  und  542  fallen,  also 
derselben  Rotationsphase  entsprechen,  folgt  eine  Periode  gänzlicher 
Ruhe  vom  11.  März  bis  18.  Mai,  also  während  vollen  68  Tagen. 
Die  nächste,  zugleich  grösste  Erhebung  in  der  zweiten  Hälfte  des 
Mai  ist  durch  die  damals  vorhandene,  vom  19. —  31.  Mai  sichtbare 
ziemlich  grosse  Fleckengruppe  verursacht,  und  es  folgt  ihr  in  Rotation 
546  eine  nochmalige,  der  Rückkehr  der  gleichen  Gruppe  entsprechende, 
aber  schon  bedeutend  verminderte  Wiederholung;  in  Rot  547  war 
die  betreffende  Stelle  wieder  fleckenleer.  Es  begann  damit  eine 
zweite    lange    Periode    der    Ruhe,     die    nur    von    einigen    kleinen 


Sonne.  3 

sporadischen  Flecken  von  kurzer  Dauer  unterbrochen  wurde;  die 
Mehrzahl  von  diesen  gehörte  aber  bereits  den  hohen  Breiten,  also 
der  neu  beginnenden  Thätigkeitsperiode  an.  Gegen  Ende  des  Jahres 
traten  nochmals  einige  etwas  grössere  Gruppen  von  mehrtägiger 
Dauer,  namentlich  ein  Hoffleck  in  der  zweiten  Hälfte  November  auf, 
denen  die  3  Erhebungen  der  Kurve  in  Rot.  550  und  551  entsprechen, 
und  denen  sodann  von  Ende  November  bis  zum  Jahresschlüsse  wieder 
eine  ganzlich  fleckenfreie  Zeit  folgte.  Die  fleckenbildende  Thätigkeit 
der  Sonne  hat  sonach  im  Jahre  1901  nur  noch  dreimal  während  je 
ungefähr  2  Monaten  einen  nennenswerten  Grad  erreicht,  einmal 
im  Februar  und  März,  das  zweite  Mal  im  Mai  und  Juni,  das  dritte 
Mal  im  Oktober  und  November;  diese  3  Thätigkeitsperioden  sind 
durch  Zeiträume  getrennt«  in  denen  die  Thätigkeit  entweder  gänzlich 
erloschen  war  oder  doch  nur  noch  zu  einigen  sporadischen,  minimen 
Fleckenbildungen  führte,  die  zum  Teil  bereits  als  vorläufige  Symptome 
der  neu  beginnenden  11 -jährigen  Thätigkeitsperiode  zu  betrachten  sind. 
Die  geringe  Zahl  der  Fleckengruppen  lässt  keine  stark  hervor- 
tretenden Anhäufungen  an  bestimmten  Stellen  erkennen;  immerhin 
bemerkt  man,  dass  die  Flecken  der  Rotationen  540 — 542  alle  auf 
demselben  Gebiete  entstanden  sind,  dass  femer  in  den  Rotationen 
545 — 548  zwei  solche  Gebiete  in  annähernder  Diametralstellung  vor- 
handen waren,  und  auch  für  die  Rotationen  549 — 551  eine  ähnliche 
Verteilung  wenigstens  angedeutet  ist.'' 

Beobaehtungen  fiber  die  grrosse  Sonnenfleckengruppe  1901 
Mai  19.  bis  Juni  26.  hat  P.  A.  Z.  Cortis  S.  J.  am  New-York  College 
Observatorium  angestellt.^)  Die  grösste  von  der  Gruppe  eingenommene 
Flache  zeigte  sich  Mai  22.  und  betrug  0.00152  der  sichtbaren  Sonnen- 
scheibe. Die  Gruppe  war  dem  blossen  Auge  sichtbar,  ein  seltener 
Fall  zur  Zeit  eines  Sonnenfleckminimums.  Aus  den  Beobachtungen 
ergiebt  sich,  dass  die  gestörte  Region  der  Sonnenkorona  1901  am 
18.  Mai  dem  Auftreten  der  Flecke  entspricht  Der  Aufbruch  derselben 
geschah  von  einer  Stelle  der  Sonne,  welche  schon  zur  Zeit  einer 
Rotationsperiode  früher  gestört  war.  Eine  Beziehiing  des  Auf- 
tretens dieser  Gruppe  zu  magnetischen  Störungen  fand  nicht  statt. 
Im  Spektrum  der  Flecken  zeigten  sich  gegen  das  rote  Ende  hin  die 
meist  verbreiteten  Linien  fein,  sie  gehörten  meist  dem  Vanadium  und 
Titanium  an.  Endlich  kommt  der  Beobachter  noch  zu  dem  Schlüsse, 
dass  das  Niveau  der  Flecken  dem  Niveau  der  hohem,  mehr  diffusen 
Gase  entspricht,  wie  das  Flashspektrum  bei  totalen  Sonnenfinster- 
nissen liefert 

Die  Sonnenfleeken  und  Fackeln  nach  den  photogpaphlschen 
Aufnahmen  zu  Greenwich,  Dehra  Dün  (Indien)  und  auf  Hau- 


*)  Monthly  Notices  7.  Mai  1902.  62.  p.  516. 


Sonne. 


ritius.  Die  Sternwarte  zu  Greenwich  veröffentlichte^)  eine  Zusammen- 
stellung der  Flächen,  welche  die  Flecken,  Gruppen  und  Fackeln  auf 
der  Sonne  im  Jahre  1901  bedeckten.  Zunächst  werden  diese  Flächen 
für  jede  Rotationsdauer  der  Sonne  während  des  genannten  Jahres 
mitgeteilt,  wobei  die  Zahl  der  Rotationen  von  1853  Nov.  9  ab  ge- 
rechnet wird,  als  R.  G.  Garrington  seine  berühmten  Sonnenbeobachtungen 
zu  Redhill  begann.  Als  erster  Meridian  ist  derjenige  angenommen,  der 
1854  Januar  1.  mittags  den  aufsteigenden  Knoten  passierte,  und  als 
Rotationsdauer  der  Sonne  ist  der  Wert  von  25.38  Tagen  angesetzt. 
Hiernach  war  der  Anfang  der  Rotation  No.  633  1901  Januar  20.98 
mittlerer  Zeit  von  Greenwich.  Im  folgenden  wird  die  gleichfalls 
angegebene  mittlere  tägliche  Fläche  (in  Millionstel  der  Sonnenober- 
fläche) mitgeteilt,  welche  die  Flecken,  Gruppen  und  Fackeln  in  den 
Jahren  1889 — 1901  umfassten,  korrigiert  für  die  Projektion: 


J&hr 

Zahl  der  Tage, 
an  denen  photogr. 

MitÜere  tägUche  Flächen  der 

«IWll 

Aufnahmen 
gemacht  wurden. 

Flecken 

Gruppen 

Fackeln 

1889 

360 

13.1 

78.0 

131 

1890 

861 

15.5 

99.4 

304 

1891 

868 

86.2 

569 

1412 

1892 

362 

186 

1214 

8270 

1893 

362 

234 

1464 

2404 

1894 

364 

231 

12R2 

1877 

1895 

364 

169 

974 

2278 

1896 

364 

90 

543 

1410 

1897 

364 

88 

514 

1149 

1898 

363 

64 

875 

891 

1899 

364 

18 

111 

337 

1900 

360 

17 

75 

180 

1901 

359 

8.6 

29 

29 

Die  folgende  Tabelle  giebt  für  die  nämlichen  Jahre  die  Flecken- 
verteilung mit  Rücksicht  auf  nördliche  und  südliche  Hemisphäre  und 
die  heliographische  Breite.  Die  einzelnen  Kolonnen  bezeichnen: 
a  das  Jahr,  b  die  Zahl  der  Tage,  an  denen  die  Sonne  photographiert 


1)  Monthly  Notices  1902.    62.  No.  5.  p.  378. 


Sonne. 


wurde,  c  das  mittlere  tagliche  Areal,  d  die  mittlere  heliographische 
Breite  der  Flecken,  e  die  mittlere  heliographische  Breite  des  ganzen 
mit  Flecken  besetzten  Güxtels  der  Sonne,  f  den  mittlem  Abstand  aller 
Flecken  vom  Sonnenäqnator. 


Flecken  nördlich 

Flecken  südlich 

vom  Sonnenäqaator 

vom  Sonnenäquator 

a 

b 

c 

d 

c 

d 

e 

t 

1889 

360 

6.0 

726 

78.0 

11.90 

—10.68 

0 

11.61 

1890 

361 

53.1 

22.20 

46.8 

21.76 

+  1.78 

21.99 

1891 

363 

401 

20.49 

169 

19.91 

+  8.52 

20.81 

1892 

362 

607 

15.09 

607 

21.69 

-8.29 

18.89 

1893 

360 

617 

14.91 

941 

14.26 

-8.93 

14.49 

1894 

364 

548 

12.31 

739 

15.66 

—  8.75 

14.18 

1896 

864 

565 

14.26 

409 

12.54 

+  8.01 

18.54 

1896 

364 

208 

18.60 

840 

1477 

—  4.15 

14.38 

1897 

864 

196 

8.82 

318 

7.78 

—  1.62 

7.96 

1896 

368 

110 

9.82 

266 

10.77 

—  4.75 

10.49 

1899 

364 

23 

6.18 

88 

10.48 

-6.95 

9.54 

1900 

360 

26 

6.61 

49 

8.84 

—  8.12 

7.74 

1901 

359 

22 

8.59 

6.6 

16.27 

+  2.82 

10.87 

Die  Sonnenthätlgrkeit  von  1888—1900  ist  von  William  J. 
8.  Lockyer  studiert  worden.  ^)  Folgendes  giebt  den  hauptsächlichsten 
Inhalt  dieser  Abhandlung  wieder. 

Die  genaue  Untersuchung  der  Kurven,  welche  die  verschiedene  Grösse 
des  durch  Flecken  bedeckten  Teiles  der  Sonnenoberfläche  darstellen,  ergiebt, 
dass  zwei  aufeinanderfolgende  Cyklen  der  Sonnenflecke  weder  in  Bezug  auf 
die  Form,  noch  in  Bezug  auf  die  Grösse  der  bedeckten  Fläche  einander 
^totch  sind.  Die  Individualität  der  Cyklen  scheint  bei  fernerer  Untersuchung 
aber  nach  einer  bestimmten  Zeit  wiederzukehren,  und  diese  Eigentümlichkeit, 
welche  sich  in  gleicher  Weise  bei  der  Variation  der  magnetischen  Elemente 
zeigt  und  auch  bei  verschiedenen  andern  terrestrischen  Erscheinungen  ver- 
mutet wird,  gab  die  Veranlassung  zu  einer  neuen  Untersuchung,  deren  erste 
Resultate  hier  vorgelegt  werden. 

Prof.  Rudolf  Wou")  in  Zürich  machte  in  einer  frühem  Untersuchung 
aufmerksam,  dass  die  Häufigkeit  der  Sonnenflecken  seit  ihrer  Entdeckung 
im  Jahre  1610  sich  fortwährend  periodisch  ändert;  dass  die  mittlere  Länge 

')  Proceed.  Royal  Society  68.  No.  446.    Sirius  1902.    Heft  6  u.  7. 
*)  Mem  R.  Astron.  Soc.  48.  p.  200. 


6  Sonne. 

einer  Periode  11  ^/^  Jahre  beträgt,  und  dass  dieselbe  Periode  den  Änderungen 
der  magnetischen  Variationen  und  selbst  der  Häufigkeit  der  Nordlichter 
entspricht.  Er  bemerkte  vorsichtig,  dass  nur  die  mittlere  Länge  der  Periode 
11  ^/^  Jahre  beträgt,  während  die  wirkliche  Länge  jeder  Periode  von  diesem 
Werte  bis  zu  einem  Betrage  von  2  Jahren  abweichen  kann. 

Er  bemerkte  femer,  dass  die  Eintrittszeiten  des  Maximums  nicht  in 
einer  festen  Anzahl  Jahren  nach  dem  vorausgehenden  Minimum  eintrifft, 
und  bestimmte  die  mittlere  Dauer  vom  Minimum  zum  nachfolgenden  Maxi- 
mum zu  4.6  und  von  diesem  wieder  zum  darauffolgenden  Minimum  zu 
6.6  Jahren. 

Auch  war  er  anfangs  der  Ansicht,  dass  die  ganze  von  Flecken  be- 
deckte Fläche  für  jede  Periode  konstant  sei,  doch  konnte  er  später^)  diese 
Ansicht  nicht  aufrechterhalten,  weil  die  Grösse  der  bedeckten  Fläche  sich 
nicht  nur  änderte,  sondern  »eine  bestimmte  Gesetzmässigkeit«  zeigte.  Die 
Länge  der  Periode  dieser  Variation  bestimmte  er  zu  ungefähr  178  Jahren; 
sieumfasst  also  sechzehn  gewöhnliche  Sonnenfleckenperioden  zu  11.1  Jahren. 

Später  kam  Prof.  Wolf  dazu,  eine  kürzere  Periode  von  66.6  Jahren 
anzunehmen,  welche  also  fünf  gewöhnliche  Perioden  zu  11  Jahren  umfasst. 

In  einer  kürzlich  erschienenen  Abhandlung  hat  Prof.  Simon  Newcomb  ') 
die  Resultate  seiner  Untersuchung  über  die  Unregelmässigkeiten  in  den  auf- 
einanderfolgenden Sonnenfleckenperioden  mitgeteilt,  wobei  er  Wolfs  Zahlen 
bis  Ende  1872  und  die  Fleckenflächen,  wie  sie  nach  den  Greenwicher 
Sonnenphotographien  sich  ergaben,  benutzt. 

Er  gelangte  schliesslich  zu  folgendem  Satze :  »Die  periodischen  Ände- 
rungen der  Sonnenfleckenthätigkeit  sind  überlagert  von  einem  gleichförmigen 
Cyklus,  welcher  in  der  Zeit  (innerhalb  der  gewöhnlichen  Sonnenflecken- 
Perioden)  unverändert  bleibt  und  nur  das  allgemeine  Mittel  der  Sonnen- 
thätigkeit  beeinflusst.« 

Indessen  hat  Prof.  Newcomb  nicht  die  Länge  der  Perioden  für  diesen 
Cyklus  im  Auge,  sondern  indem  er  über  dessen  Ursprung  schreibt,  macht 
er  die  Bemerkung :  »Wir  haben  gegenwärtig  keine  Mittel,  um  zu  entscheiden» 
ob  die  Ursache  dieses  Cyklus  ausserhalb  oder  innerhalb  der  Sonne  zu  suchen 
ist,  ob  sie  thatsächlich  in  der  Natur  eines  Cyklus  von  Änderungen  in  der 
Sonne  liegt  < 

In  den  Untersuchungen  über  Perioden  der  Sonnenthätigkeit  haben  sich 
die  meisten  Forscher  einfach  auf  die  Zahlen  von  Wolf  gestützt,  die  von 
ihm  bis  zum  Jahre  1749  zurück,  ermittelt  worden  sind.  Indessen  weiss  man» 
dass  diese  Zahlen  erst  seit  der  Zeit,  als  systematische  Beobachtungen  der 
Sonnenfläche  durch  Schwabe  (1833)  begonnen  wurden,  mit  den  wirklichen 
Thatsachen  genau  übereinstimmen;  vor  dieser  Zeit  jedoch  sind  sie  nicht 
auf  Beobachtungen  allein  gestützt,  sondern  beruhen  auf  gewissen  An- 
nahmen,") welche  aus  den  Resultaten  der  Beobachtungen  von  1888— 187& 
gewonnen  wurden.  Obwohl  also  Prof.  Wolf  eine  Kurve  lieferte,  welche  die 
von  Flecken  bedeckten  Flächen  seit  dem  Jahre  1749  darstellt,  habe  ich 
doch  für  die  vorliegende  Abhandlung  die  Diskussion  nur  auf  jene  Relativ- 
zahlen beschränkt,  welche  wirkliche  systematische  Beobachtungen  seit  1888 
zur  Grundlage  haben.  Dadurch  wurde  die  Untersuchung  allerdings  auf  eine 
verhältnismässig  kurze  Zeit  beschränkt,  nämlich  auf  66  Jahre  (1888 — 1899)» 
doch  lag  die  Meinung  zu  Grunde,  dass  die  Auffindung  von  Änderungen, 
wenn  sie  grösser  wären  als  solche,  welche  als  Beobachtungsfehler  betrachtet 
werden  könnten,  nur  auf  richtige  Beobachtungen  gestützt  werden  müsste 
und  nicht  auf  thatsächlich  etwas  unsichere  Angaben. 


^)  Astron.  Mitteü.  1876.  p.  47  ff. 

T  The  Astro-Physical  Journal  1901.  18.  No.  1.  p.  1. 

»)  Astron.  MitteiL  von  Rudolf  Wolf,  Zürich,  1876.  p.  39  ff. 


Sonne.  7 

Die  wichtigen  Resultate,  welche  WiUiam  ElUs^)  aus  einer  Diskussion 
der  magnetischen  Beobachtungen  von  Greenwich  ableitete,  gaben  mir  sehr 
wertvolle  Daten  an  die  Hand  bei  der  Forschung  nach  Änderungen,  welche 
aus  den  Sonnenfleckenkurven  sich  möglicherweise  ergeben  könnten,  denn 
Elfis  hat  gezeigt,  dass  die  Kurven  für  die  magnetischen  Elemente  in  sehr 
genauer  Obereinstimmung  stehen  mit  jenen,  welche  Wolf  für  die  Sonnen- 
flecken erhalten  hat. 

EUis  bemerkt  darüber:  »Erwägt  man,  dass  die  Unregehnässigkeiten 
in  der  Länge  der  Sonnenfleckenperiode  durchaus  mit  ähnlichen  Unregel- 
mässigkeiten der  magnetischen  Periode  übereinstimmen,  und  dass  auch  die 
Erhebungen  und  Senkungen  der  Extreme  der  Sonnenfleckenkurve  von  ähn- 
lichen Hebungen  und  Senkungen  in  den  magnetischen  Kurven  begleitet  sind, 
so  dürfte  es  scheinen,  dass  die  Voraussetzung,  dieses  sei  nur  ein  zufälliges 
Zusammentreffen,  kaum  aufrecht  erhalten  werden  kann,  und  man  notwendig 
den  Schluss  ziehen  muss,  dass  eine  solche  Übereinstimmung,  sowohl  der 
Dauer  wie  der  Amplitude  der  Schwankungen,  auf  eine  unmittelbare  Beziehung 
zwischen  den  beiden  Erscheinungen  hinweist  oder  wenigstens  auf  das  Vor^ 
handensein  einer  gemeinsamen  Ursache,  welche  beide  hervorbringt.  Das 
rasche  Ansteigen  vom  Minimum  zum  Maximum  und  das  mehr  stufenweiBe 
Abfallen  vom  Maximum  zum  Minimum  ist  für  alle  3  Kurven  charakteristisch.« 

Die  benutzten  Sonnenflecken-  und  magnetischen  Epochen. 
Da  diese  Ahandlung  hauptsächlich  von  den  Eintrittszeiten  der  Maxima  und 
Minima  sowohl  für  die  Sonnenflecken-  wie  für  die  magnetischen  Kurven 
handelt,  war  es  notwendig,  die  Resultate  der  ausgeglichenen  Kurven  zu 
benutzen,  weil  die  Originalkurven  sekundäre  Schwanlningen,  insbesondere  zur 
Z^  des  Maximums,  aufweisen. 

Bis  zum  Sonnenfleckenmaximum  von  1870.6  hat  Dr.  Wolf  die  Daten 
dieser  Epochen  publiziert ;  ^)  diese  wurden  hier  benutzt.  Die  neueren  Epochen 
sind  durch  Ellis')  zusammengestellt  worden,  und  sie  vervollständigen  die 
brauchbaren  Daten  bis  zur  letzten  Epoche,  insbesondere  geben  sie  das 
Maximum  von  1894.0. 

Die  hier  benutzten  magnetischen  Epochen  sind  jene,  welche  Ellis  publi- 
ziert hat;  sie  sind  in  ähnlicher  Weise  aus  ausgeglichenen  Kurven  abgeleitet, 
wie  die  der  Sonnenfleckenkurven.  Doch  beginnen  die  Beobachtungen, 
welche  er  diskutiert,  erst  mit  Anfang  1841,  so  dass  ein  Vergleich  nur  bis  zu 
diesem  Datum  gemacht  werden  kann. 

Die  Sonnenfleckenkurven.  Vom  Minimum  bis  zum  Maximum. 
In  folgender  Tabelle  sind  die  Epochen  der  Maxima  und  Minima  dargestellt : 

Sonnenfleckenepochen  (Wolf)  Anzahl  der  Jahre 

Maximum — Minimum 
3.3 
4.6 
4.1 
3.4 
6.0 
3.8 


Maximum 

1. 

1833.9 

1837.2 

2. 

43.5 

48.1 

3. 

56.0 

60.1 

4. 

67.2 

706 

5. 

79.0 

84.0 

6. 

90.2 

94.0 

Mittel  4.03 

Wenn  die  Zahlen  der  letzten  Kolumne  als  Ordinaten  und  die  Zeiten 
als  Abedssen  aufgetragen  werden,  so  erhält  man  die  Kurve  der  Verände- 
rangen.  Charakteristisch  für  diese  Kurve  ist  das  schnelle  Aufsteigen  zum 
Maximnm   im  Jahre  1843  und  das  langsame  Abfallen  zum  Minimum  im 


Proc.  Roy.  Soc.  63.  p.  64. 
Mem.  Roy.  Soc.  43.  p.  2Ü2. 
Proc.  Roy.  Soc.  63.  p.  67. 


1. 

2. 

Minimum 

Mazunum 

18^66 

1848!55 

8, 

56.15 

60.40 

4. 

67.55 

70.85 

5. 

78.85 

88.90 

6. 

89.75 

93.75 

8  Sonne. 

Jahre  1867.  Dem  letztern  folgt  ein  ähnliches  rasches  Ansteigen  zum 
nächsten  Maximum  im  Jahre  1879  und  ein  langsames  Abfallen,  soweit  die 
gegenwärtigen  Beobachtungen  reichen.  Die  Kurve  weist  also  darauf  hin, 
dass  irgend  eine  Ursache  thätig  sein  muss,  welche  eine  Säkularvariation 
veranlag  indem  die  Sonnenfleckenmaxima  in  Bezug  auf  die  vorausgehenden 
Minima  verzögert  werden. 

Die  Periode  dieser  Verzögerung  lässt  sich  ermittehd,  indem  man  das 
Intervall  zwischen  den  Zeiten  der  Maxima  oder  Minima  der  Kurve  dieser 
säkularen  Variation  nimmt.  Zieht  man  die  Minima  in  Rücksicht,  d.  h.  die 
Zeit  von  1883.9—1867.2,  so  hat  man  eine  Periode  von  88.8  Jahren,  und 
wenn  man  die  Maxima  um  1848.5  und  1879.0  nimmt,  so  erhält  man  35.5  Jahre. 
Das  Mittel  dieser  2  Werte  giebt  eine  Periode  von  84.4  Jahren. 

Die  magnetischen  Kurven.  Vom  Minimum  bis  zum  Maximum.  Die 
von  Ellis  erhaltenen  Werte  für  die  magnetischen  Epochen  wurden  in  der- 
selben Weise  wie  die  Sonnenfleckenepochen  untersucht.  Bildet  man  wie 
oben  die  Tabelle  Maximum-Minimum  und  setzt  in  der  letzten  Kolumne  die 
Werte  Maximum-Minimum  der  Sonnenfleckenkurve  aus  der  vorausgehenden 
Tabelle  zum  Vergleiche,  so  ergiebt  sich: 

Magnetische  Epochen  (Ellis)  Maximum-Minimum 

''^EJJln^'      Sonnenflecken 
—  8.3 

4.95  4.6 

4.25  4.1 

3.30  8.4 

5.05  5.0 

4.00  8.8 

Der  fast  vollständige  Parallelismus  der  Zahlen  in  den  letzten  zwei 
Kolumnen  zeigt  ihre  genaue  Übereinstimmung  untereinander. 

Der  Wert  für  die  Länge  der  Periode,  der  sich  aus  dem  Intervall  zwischen 
den  beiden  Maximis  dieser  Periode  um  1848.60  und  1878.85  ergiebt,  ist  35.25 
Jahre,  was  nicht  viel  von  dem  Werte  abweicht,  welcher  aus  den  Maximis 
der  korrespondierenden  Sonnenfleckenkurve  abgeleitet  wurde,  nämlich 
85.5  Jahre. 

Die  Sonnenflecken-  und  magnetischen  Kurven  vom  Maxi- 
mum bis  zum  Minimum.  Stellt  man  die  Werte  der  Intervalle  vom  Minimum 
bis  zum  Maximum  aus  den  beiden  Sonnenflecken-  und  magnetischen  Kurven 
zusammen,  so  kann  ihr  Mittelwert  gebildet  werden,  welcher  in  der  letzten 
Kolumne  der  folgenden  Tabelle  gegeben  ist,  wo  auch  noch  das  Gesamt- 
mittel für  die  ganze  Periode  unten  beigefügt  ist: 

bis  zum  nächsten  Maximum: 
Mittel  der  Sonnenflecken-  und 
magnetischen  Intervalle  in 
Jahren 
3.8 
4.77 
4.17 
8.35 
5.02 
3.90 
Mittel  4.08 
Da  diese  Zahlen  mehr  als  einen  vollständigen  Gyklus  umfassen,  so 
können  sie  so   kombiniert  werden,   dass  man  Mittelwerte  der  Intervalle 
Minimum«Mayimum  für  jene  Epochen  erhält,  für  welche  die  Intervalle  ihre 
grössten,  mittlem  und  Kleinsten  Werte  haben.    So  folgten  in  den  Jahren 
1848  und  1879  die  Maxima  den  Minimis  in  4.77,  bezw.  5.02  Jahren,  das 


Vom  Minimum, 

welches    eintraf 

um  das  Jahr 

1. 

1833 

2. 

43 

8. 

56 

4. 

67 

5. 

79 

6. 

90 

Sonne.  1) 

mitüero  Intervall  ist  also  489  Jahre.  Für  die  Mittelstufe,  durch  Zusammen- 
fasBiing  von  3.  und  6.  ergiebt  sich  der  Wert  von  4.03  Jahren,  während  für 
das  kleinste  Intervall  durch  Zusammenfassung  von  1.  und  4.  der  Wert  3.32 
Jahre  resultiert 

Die  wirkliche  Epoche  des  Maximums  in  Bezug  auf  das  vorausgehende 
Minimum  schwankt  um  den  Mittelwert,  die  grösste  ^plitude  der  Schwankung 
beträgt  im  Mittel  0.8  Jahre. 

Die  totale  Sonnenfleckenfläche.  Vom  Minimum  zum  Mini- 
ma m.  Der  grosse  unterschied  in  der  Grösse  der  von  Sonnenflecken  bedeckten 
Fläehe  während  aufeinander  folgender  Perioden  von  11  Jiüiren  liess  vermuten, 
dass  dieperiodische  Verzögerung  der  Majüma  in  Bezug  auf  das  unmittelbar 
vorausgehende  Minimum  von  Variationen  begleitet  sei,  welche  deiselben 
Gesetzmässigkeit  folgen  würden.  Man  bemerkte,  dass,  wenn  ein  Maximum 
verhältnismässig  früh  nach  einem  Minimum  auftrat,  die  Tendenz  vorhanden 
war,  dass  die  ganze  von  Sonnenflecken  bedeckte  Fläche  für  diese  Sonnen- 
fleckenperiode  vergrössert  wird. 

Zu  dieser  Untersuchung  konnte  ich  die  Werte  benützen,  welche  am 
>Solar  Physics  0bservatoi7<  aus  einer  neuen  Reduktion  der  Kurven,  welche 
die  von  Flecken  bedeckte  Sonnenoberfläche  darstellen,  erhalten  wurden. 
Diese  Werte  sind  in  der  letzten  Kolumne  der  folgenden  kleinen  Tabelle 
wiedergegeben,  und  zwar  geben  sie  die  von  Flecken  bedeckte  Fläche  in 
millionsten  Teilen  der  sichtbaren  Sonnenhemisphäre  von  einem  Minimum 
bis  zum  darauffolgenden: 

Sonnenfleckenperiode 

Ganze  von  Flecken 
bedeckte  Fl&ohe 

86003 
85201 
111514 
126188 
78853 
96734+ 

Die  Zahlen  der  letzten  Kolumne  zeigen  eine  ähnliche,  jedoch  um- 
gdiehrte  Reihenfolge  wie  jene  der  vorhergehenden  Tabellen.  So  hat  man 
vom  MLinimum  1867.2  bis  zum  folgenden  Maximum  1870.6  ein  kurzes  Zeit- 
intervall; die  von  Flecken  bedeckte  Fläche  für  diese  Periode  ist  aber  sehr 
gross.  Werden  obige  Werte  der  letzten  Kolunme  graphisch  dargestellt  und 
die  Kurve  umgekehrt,  so  zeigt  sich  eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit  den 
Kurven,  von  denen  oben  die  Rede  war.  Besonders  bemerkenswert  ist  das 
langsame  Abfallen  von  1843  bis  zum  Minimum  im  Jahre  1867.2  und  das 
schnelle  Ansteigen  bis  1879.0. 

Es  muss  bemerkt  werden,  dass  der  Wert  für  die  Grösse  der  von  Sonnen- 
flecken  bedeckten  Fläche  für  die  Periode  1833.9 — 1843.5,  der  zeitlich  erste 
Wert,  welcher  in  Betracht  gezogen  wurde,  nicht  ganz  in  Obereinstimmung 
ist  mit  den  andern  Werten.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass,  obwohl  bei  dieser 
Periode  die  Zeit  des  Maximums  und  Minimums  genau  bestimmt  werden 
konnte,  die  Werte  zu  klein  sind,  weil  die  Beobachtungen  von  Schwabe  in 
dieser  Periode  nicht  ganz  nach  einem  einheitlichen  Plane  angestellt  worden 
suuL 

Bezüglich  des  in  der  letzten  Zeile  der  letzten  Kolumne  der  Tabelle 
ang^ebenen  Wertes  ist  zu  bemerken,  dass  er  zwar  wahrscheinlich  sehr  nahe 
der  Wrklichkeit  liegt,  jedoch  ist  es  noch  unmöglich,  das  Datum  des  gegen- 
wärtigen Minimums  genau  festzustellen.  Alle  seit  dem  Minimum  von  1890 
bis  zum  Anfange  des  Jahres  1900  registrierten  Sonnenflecken  wurden  zur 
Bestimmung  desselben  benutzt;  doch  ist  dieser  Wert  nur  wenig  kleiner  als 
der  wirkliche,  deshalb  wurde  das  ±  Zeichen  beigefügt. 


vom  Minimnm 

bis  zum  Minimnm 

1833.9 

1843.5 

43.5 

56.0 

56.6 

67.2 

67.2 

79.0 

79.0 

90.2 

90.2 

1901.+ 

10 


Sonne. 


Wenn  man  diese  beiden  Umstände  berücksichtigt,  erkennt  man,  dass 
die  umgekehrte  Kurve  für  die  ganze  von  Sonnenilecken  bedeckte  Fläche 
thatsächlich  als  genaues  Gegenbild  der  andern  2  Kurven  betrachtet 
werden  kann. 

Der  vollständige  Verlauf  der  magnetischen  Kurven.  Vom 
Minimum  zum  Minimum.  Die  auffallende  Ähnlichkeit  zwischen  den 
magnetischen  Kurven  und  der  Sonnenfleckenkurve,  besonders  in  den  letzten 
Jahren,  wo  diese  Beobachtungen  natürlich  genauer  waren,  liess  es  überflüssig 
erscheinen,  die  Variation  in  Bezug  auf  die  ganze  Ausdehnung  der  Kurven 
von  einem  Minimum  zum  folgenden  zu  untersuchen  (wie  bei  der  Ausbreitung 
der  Sonnenflecken).  Diese  Variation  erscheint  mehr  ausgesprochen  bei  der 
Kurve,  welche  die  Horizontalintensität  darstellt,  als  bei  jener  für  die  Dekli- 
nation. Stellt  man  die  Werte  zusammen,  welche  für  die  Länge  der  Säkular- 
periode der  untersuchten  Variation  gefunden  wurden,  so  ergiebt  sich  die 
lolgende  Tabelle: 

Maximum 

zum  Maximum 

Jahre 

Sonnenfleckenkurve 35.5 

Magnetische  Kurve 35.25 

Totalfläche  der  Sonnenflecken  als  Periode  35.5 

Mittel 35.41 


Minimum 

zum  Minimum 

Jahre 

33.3 


33.2 


Gesamtmittel 


34.89 


Die  Thatsachen  führen  uns  also  zum  Schlüsse,  dass  die  gewöhnliche 
Sonnenfleckenperiode  von  ungefähr  11  Jahren  von  einem  Cyklus  grosserer 
Länge,  nämlich  von  ungefähr  35  Jahren,  überlagert  wird.  Dieser  Cyklus 
beeinflusst  nicht  nur  die  Eintrittszeit  der  Maxima  in  Bezug  auf  die  vor- 
ausgehenden Minima,  sondern  bringt  auch  Änderungen  der  Totalfläche  der 
Sonnenflecken  von  einer  elfjährigen  Periode  zur  andern  hervor. 

Änderung  der  Längedes  Intervalls  vom  Minimum  zu  Mini- 
mum. Neben  der  verschiedenen  Variation  der  Länge  des  Intervalls  vom 
Minimum  bis  zum  Maximum  zeigen  die  Kurven  eine  weitere  Variation,  wenn 
man  das  Intervall  vom  Minimum  zum  Minimum  betrachtet  Deshalb  wurde 
der  Versuch  gemacht,  eine  Gesetzmässigkeit  hierin  zu  entdecken,  doch 
führte  die  Untersuchung  zu  einem  negativen  Resultate. 


Minimum, 
beginnend 
im  Jahre 


18381 
43 
56 
67 
79 
90 

Mittel 


Sonnenflecken 
Minimum     Abweiohg. 


Bum 

Minimum 

Jahre 

9.6 
12.5 
11.2 
11.8 
11.2 


vom 
Mittel 
Jahre 

—1.7 
4-1.2 
-0.1 
+0.5 
-0.1 


Magnetismus 
Minimum     Abweiohg. 

2um  vom 

Minimum         Mittel 

Jahre  Jahre 


Kombination 
Minimum      Abweichg. 


11.8  — 


12.55 
11.40 
11,30 
10.90 

11.54 


+L0 
-0.14 
0.24 
-0.64 


Minimum 
Jahre 

9.6 
12.52 
11.80 
11.55 
11.05 

11.20 


vom 
Mittel 
Jahre 

—1.7 

+1.32 

+0.10 

+0.35 

-0.15 


Es  scheint  also  sowohl  bei  der  magnetischen,  wie  bei  der  Sonnen* 
fleckenperiode  eine  Variation  der  Länge  vorhanden  zu  sein  (wenn  man  von 
einem  Minimum  zum  folgenden  rechnet),  welche  in  einer  Vergrösserun^  und 
Verkleinerung  des  Mittelwertes  in  den  abwechselnden  elfjährigen  Penoden 
besteht,  doch  erstrecken  sich  die  Beobachtungen  nicht  über  ein  hinreichend 
grosses  ZeitintervaJl,  um  einen  sichern  Schluss  zu  ermöglichen. 

Beziehung  zwischen  der  Sonnenfleckenkurve  und  der 
Lichtkurve  von  ^  Aquilae.  Es  wird  meist  angenommen,  dass  die 
Flecken  an  der  Oberfläche  der  Sonne  das  Resultat  grösserer  Aktivität  in  der 


Sonne.  1 1 

Girindation  der  Sonnenatmosphäre  sind,  daher  grössere  Hitze  und  deshalb 
iQch  mehr  Licht  anzeigen.  Wenn  es  sich  thatsächlich  so  verhält,  kann  die 
Kurve,  welche  die  von  Flecken  bedeckte  Fläche  darstellt,  auch  als  eine 
Lichtkurve  der  Sonne  angesehen  werden. 

Die  Sonne  darf  also  als  ein  veränderlicher  Stern  betrachtet  werden, 
dessen  Licht  (von  einem  Minimum  zum  folgenden  gerechnet)  veränderlich  ist 
ond  eine  Periode  von  ungefähr  11.1  Jahren  hat;  das  Maximum  tritt  nicht 
eine  konstante  Zahl  von  Jahren  nach  dem  vorausgehenden  Minimum  ein, 
sondern  die  Eintrittszeit  desselben  ändert  sich  regelmässig,  wobei  der  Cyklus 
dieser  Variationen  ungefähr  35  Jahre  umfasst. 

Es  ist  deshalb  von  Interesse,  zu  untersuchen,  ob  es  Sterne  giebt,  welche 
ähnliche  Variationen  wie  die  oben  angegebenen  zeigen. 

Im  Jahre  1897  unternahm  ich  eine  Bearbeitung  aller  Beobachtungen 
über  den  veränderlichen  Stern  ij  Aquüae,*)  welche  zwischen  den  Jahren 
1840  und  18d4  angestellt  worden  sind. 

Für  die  gegenwärtige  Untersuchung  ist  die  Lichtkurve  dieses  Sternes 
von  grossem  Interesse,  da  die  Haupteigentümlichkeiten  derselben  ähnlich 
deojeni^n  der  Sonnenfleckenkurve  sind. 

Nicht  nur  das  raschere  Ansteigen  zum  Maximum  und  das  langsame 
Abfallen  zum  Minimum  sind  ausgesprochene  Eigentümlichkeiten  der  Kurve, 
sondern  die  Perioden  ändern  sich  (vom  Minimum  ab  gerechnet)  etwas  in 
ihrer  Dauer  während  vieler  mittlem  Perioden.  Noch  wichtiger  ist,  dass 
die  Eintrittszeit  des  Maximums  in  Bezug  auf  das  vorausgehende  Minimum 
verhältnismässig  grosse  Schwankungen  im  Verlaufe  von  einigen  mittlem 
Perioden  erleidet.  Diese  Eigentümlichkeiten  der  Sonnenfleckenkurve  und 
der  Lichtkurve  von  17  Aquilae  zeigt  die  nachstehende  Zusammenstellung. 
In  derselben  sind  die  verschiedenen  Zeitintervalle  in  Teilen  und  Vielfachen 
der  Sonnenfleckenperiode  (Q)  und  der  von  ^  Aquilae  (P)  in  besondern 
Kolumnen  wiedergegeben. 

Lichtkurve 

der  Sonne  von  rj  Aquilae 

Jahre 

MitÜere  Dauer  .    .  11.20  Q  7d4ii  14.4m        P 

Periode  der  Varia- 
tion     unbekannt  ?  —  2400  P 

Variation  des  Maxi- 
mums vom  Mittel        ±>1.4  ±>0.12Q  ±8h         0.017P 

MitÜere  Dauer   .    .    4.12  (ungefähr)      0.37  Q  2.5^         0.81  P 

Periode  der  Varia- 
tion      34.8        ,  3.10Q  —  400P 

Variation  des  Maxi- 
mums vom  Mittel  ±0.8  ±0.07  Q  ±5b         ±0.03  P 

Stellt  man  gegebene  Variationen  der  Eintrittszeiten  der  Maxima  und 
Sfinima  ^aphisch  dar,  so  fällt  die  regelmässige  Variation  der  Eintrittszeit 
des  Maximums  gegenüber  der  Konstanz  der  Eintrittszeit  des  Minimums  auf; 
ebenso  ist  das  rasche  Ansteigen  der  Kurven  der  verschiedenen  Grappen  zum 
Maximum,  sovrie  das  langsame,  stufenweise  Abfallen  zum  Minimum  sehr 
deutlich  ausgeprägt. 

Andere  Gy klen  von  ungefähr  85  Jahren.  Nachdem  wir  gefunden 
haboi,  dass  ausser  der  bekannten  elfjährigen  Periode  der  Häufigkeit  der 
Sonnenflecken  noch  ein  anderer  Cyklus  vorhanden  ist,  welcher  ungefähr 
85  Jahre  umfasst,  und  welcher,  wie  gezeigt,  sowohl  in  der  Änderung  der 


""3 
i  9 

i  § 

SSB 

531 

95    » 


^)  «Resultate  aus  den  Beobachtungen  des  veränderlichen  Sternes 
^  Aquilae*,  Inaogural-Dissertation,  Universität  Göttingen,  1897  (Dulau  and 
Co.,  London). 


12  Sonne. 

Eintrittszeiten  der  Maxima  wie  in  den  Variationen  der  Fläche,  welche  in  auf- 
einanderfolgenden Perioden  von  den  Sonnenilecken-  und  magnetischen  Kurven 
eingeschlossen  wird,  deutlich  hervortritt,  ist  es  natürlich,  anzunehmen,  dass 
diese  langperiodische  Variation  die  Wirkung  eines  Cyklus  von  Störungen  in  der 
Sonnenatmosphäre  selbst  ist.  Gin  solcher  Cyklus  müsste,  bei  genügender  Inten- 
sität, eine  Änderung  der  normalen  Cirkulation  der  Erdatmosphäre  hervorbringen 
und  in  allen  meteorologischen  und  ähnlichen  Phänomenen  zum  Vorscheme 
kommen.  Es  ist  indessen  nicht  meine  Absicht,  in  dieser  Beziehung  auf 
Details  einzugehen,  doch  möge  an  die  Arbeiten  Prof.  Eduard  Brückners^) 
erinnert  werden.  Prof.  Brückner  beschränkte  seine  Untersuchung  nicht  auf 
Beobachtungen,  welche  auf  einer  kleinen  Fläche  oder  nur  während  eines 
kurzen  Zeitintervalles  gemacht  wurden,  sondern  benutzte  möglichst  aus- 
gedehnte Beobachtungen  aus  fast  jedem  Teile  der  zivilisierten  Welt.  Auch 
beschränkte  er  die  Diskussion  der  Beobachtungen  nicht  auf  eine  oder  zwei 
meteorologische  Erscheinungen,  sondern  untersuchte  in  kritischer  Weise 
alle  möglichen  Beziehungen;  so  suchte  er  Variationen  in  den  Wasserständen 
der  Landseen  und  Flüsse,  des  Niederschlages,  Luftdruckes  und  der  Temperatur, 
der  Bewegung  der  Gletscher,  der  Häufigkeit  kalter  Winter,  die  Erträgnisse 
der  Weinkultur  u.  s.  w.  Die  Untersuchung  führte  ihn  zu  dem  Schlüsse, 
dass  auf  der  ganzen  Erde  eine  periodische  Variation  der  Klimate  existiert, 
deren  mittlere  Periodenlänge  34.8+0.7  Jahre  beträgt. 

Es  ist  wichtig  zu  bemerken,  dass  Prof.  Brückner  so  sehr  von  der 
Existenz  dieser  Klimaschwankung  überzeugt  und  so  sicher  war,  dass  solche 
Änderungen  nur  durch  einen  äussern  Einfluss  hervorgebracht  sein  können, 
dass  er  £e  WoUschen  Sonnenfleckzahlen  einer  Untersuchung  unterzog,  um 
zu  sehen,  ob  ein  solcher  Cyklus  in  dcDselben  ebenfalls  zu  fmden  sei. 

Er  kam  aber  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Klimaschwankungen  unabhängig 
seien  von  der  Häufigkeit  der  Sonnenflecken,  und  fasste  das  Resultat  seiner 
Untersuchungen  in  folgenden  Worten  zusammen:*) 

,Die  Klimaschwankungen  vollziehen  sich  unabhängig  von  den  Schwan- 
kungen der  Sonnenfleckenhäufigkeit;  eine  55  jährige  Periode  der  Witterung, 
wie  sie  der  letztern  entsprechen  würde,  ist  in  unsern  Zusammenstellungen 
nicht  zu  erkennen.'' 

Indessen  stellte  er  die  kühne  Behauptung  auf,  dass  eine  derartige 
Variation  doch  thatsächlich  in  der  Sonne  vorhanden  sein  müsse,  aber 
mö^cherweise  von  den  Sonnenflecken  unabhängig  sein  könne.  Er  kam 
schliesslich  zu  der  Oberzeu^ng,  dass  die  Klimaschwankungen  das  erste 
Anzeichen  einer  langperiodischen  Veränderung  auf  der  Sonne  sei,  welche 
wahrscheinlich  später  entdeckt  würde.  In  Bezug  auf  vorliegende  Abhandlung 
sind  Prof.  Brückners  Ergebnisse  von  grösstem  Interesse,  weil  nicht  nur  die 
Periodenlänge,  sondern  auch  die  kritischen  Epochen  seines  Cyklus  vollständig 
mit  denjenigen  übereinstimmen,  welche  in  der  vorliegenden  Untersuchung 
der  Sonnenflecken-  und  magnetischen  Kurven  gefunden  wurden. 

Eine  graphische  Vergleichung  der  meteorologischen  Kurven  mit  jenen, 
welche  die  Sonnenflecken-  und  magnetischen  Beobachtungen  ergaben,  zeigt, 
dass  die  langperiodische  Kurve  des  Regenfalles  in  ihrem  Maximum  ist,  oder 
dass  wir  einen  Cyklus  nasser  Witterung  haben,  wenn  der  Eintritt  des 
Maximums  der  von  der  Sonnenfläche  bedeckten  Fläche  verhältnismässig 
spät  nach  dem  vorangehenden  Minimum  foljgt  (1843,  1878),  oder  wenn  die 
von  Flecken  bedeckte  Fläche  von  einem  Minimum  bis  zum  nachfolgenden 
Minimum  am  geringsten  ist. 

Wenn  anderseits  das  Maximum  bald  nach  dem  vorausgehenden  Minimum 
(1867)  folgt,  und  die  von  Flecken  bedeckte  Fläche  für  diesen  Cyklus  ihr 

^)  Geogr.  Abhandlungen,  Wien.    4»   Heft  2,  1890.    Klimaschwankungen 
seit  1700  nebst  Bemerkungen  über  die  Klimaschwankungen  der  Diluvialzeit. 
*)  Brückner,  ,  Klimaschwankungen "  p.  242. 


Sonne.  1 3 

Mairiinnin  hat,  zeigt  die  Regenfallkurve  ihr  Minimum,  oder  es  herrscht  ein 
Cyklus  trockener  Witterung. 

Beachtenswert  ist  auch,  dass  Prof.  Ed.  Richter  in  seiner  eingehenden 
Untersuchung  über  die  Gletscherbewegungen  eine  Periode  von  35  Jahren 
findet.  In  seiner  „Geschichte  der  Änderungen  der  Alpengletscher*' ^)  fasst 
&  8»ne  Ergebnisse  in  folgende  Worte  zusammen:  »Die  Gletschervorstösse 
wiederholen  sich  in  Perioden,  deren  Länge  zwischen  20  und  45  Jahren 
schwankt  und  im  Mittel  der  drei  letzten  Jahrhunderte  genau  35  Jahre  betrug.« 
Pemor  hob  er  hervor,  dass  diese  Veränderungen  im  allgemeinen  mit  Brückners 
Elimaschwankungen  übereinstimmen,  indem  die  Bewegung  der  Gletscher 
während  der  nassen  und  kalten  Perioden  beschleunigt  wird. 

Charles  Egesons  hat  Untersuchungen  über  solare  und  terrestrische 
Meteorologie  *)  nur  wenige  Monate  vor  dem  Erscheinen  der  Arbeit  von 
Prof.  Brückner  publiziert.  Er  findet  nicht  nur  eine  Säkularperiode  von 
nngefähr  88 — 34  Jahren  bei  mRegenfalle,  den  Grewittem  und  den  westlichen 
^^^den  im  Monate  April  für  Sydüae^,  sondern  auch  der  Eintritt  der  Mazima 
der  letzten  beiden  Erscheinungen  stimmt  gut  mit  den  Epochen  der  35  jährigen 
Periode,  welche  in  der  vorliegenden  Abhandlung  für  die  Sonnenflecken  ab- 
gelötet wurden.  So  findet  er,  dass  die  jährliche  Zahl  der  Tage  mit  Gewittern 
1839  und  1873  ihre  grössten  Werte  erreichte,  die  der  Tage  mit  W- Winden 
im  April  in  den  Jahren  1837  und  1869.  Da  die  Säkularvariation  der 
Sonnenflecken  in  den  Jahren  1837.2  und  1870.8  Maxima  aufweist,  so  ist 
die  Übereinstimmung  gut.  Es  scheint  kaum  zweifelhaft,  dass  die  meteoro- 
logischen Erscheinungen,  die  Zahl  der  Polarlichter  und  magnetischen  Stürme 
während  des  Zeitintervalles,  welches  vorUegende  Untersuchung  umfasst,  eine 
Säkulaiändenmg  in  einer  Periode  von  ungefähr  35  Jahren  zeigen,  deren 
Phasenzeiten  mit  jenen  der  Säkularvariation  der  Sonnenflecken  über- 
einstimmen. 

Da  wir  uns  gegenwärtig  einem  Minimum  der  Sonnenflecken  nähern, 
welches  jenem  von  1870.8  entsprechen  sollte,  so  wird  es  von  Interesse  sein, 
darauf  zu  achten,  ob  alle  solaren,  meteorologischen  und  magnetischen  Er- 
scheinungen jener  Periode  sich  wiederholen  werden. 

Schlussfolgerungen:  1.  Es  giebt  eine  abwechselnde  Zunahme  und 
Abnahme  in  der  Länge  der  Sonnenflec^enperiode,  von  einem  Minimum  zum 
folgenden  gerechnet. 

2.  Die  Eintrittszdt  des  Maximums  ändert  sich  regelmässig  in  Bezug 
auf  das  vorausgehende  Minimum.  Die  Amplitude  dieser  Schwankung  um 
den  Mittelwert  beträgt  ungefähr  +0.8  Jahre.  Der  Cyklus  dieser  Änderung 
betragt  ungefähr  35  Jahre. 

8.  Die  Gesamtfläche  der  Sonnenflecken  zwischen  zwei  aufeinander 
folgenden  Minimis  ändert  sich  regelmässig.  Der  Gyklas  dieser  Variation 
beträgt  unwahr  85  Jahre. 

4.  Kern  Anzeichen  einer  55  jährigen  Periode  ist  vorhanden,  wie  solche 
von  Prof.  Wolf  angenommen  wurde. 

5.  Die  von  Prof.  Brückner  angeführten  Klimaschwankungen  stehen  im 
allgemeinen  in  Überemstinmiung  mit  der  35  jährigen  Periode. 

6.  Die  Häufigkeit  der  Polarlichter  und  magnetischen  Stünne  seit  1833 
enthält  Anzeichen  ^er  säkularen  Periode  von  35  Jahren. 

Die  Wolfsohen  Tafeln  der  Sonnenfleckenhäuflgkeit.  Ver- 
gleichiuigen,  welche  Prof.  A.  Wolf  er  zwischen  mehrem  der  gedruckten 
Tabellen  und  den  auf  der  Züricher  Sternwarte  aufbewahrten  Manu- 
skripten Wolfs  bezüglich  der  Tafeln  der  Sonnenfleckenhäufigkeit  angestellt 


^)  Zeit  d.  Deatsch-Osterr.  Alpen-Vereines  1891.   12. 

*)  Egesons,  »Weather-System  of  Sunspot  Causality«.  Sydney  1889. 


14  Sonne. 

hat,  ergaben  eine  nicht  geringe  Zahl  von  Abweichungen  (Druckfehlem). 
Dieses  und  der  Umstand,  dass  das  seit  1877  bekannt  gewordene 
Material  aus  älterer  Zeit,  namentlich  die  Beobachtungsreihen  von 
Kremsmünster  1802 — 1830,  noch  nicht  für  die  definitiven  Relativ- 
zahlen dieser  Jahre  verwertet  waren,  bestimmte  Prof.  Wolfer  zu  einer 
neuen  berichtigten  und  bis  zum  Jahre  1901  fortgeführten  Ausgabe 
der  Wolfschen  Tabellen,  die  nunmehr  an  Stelle  der  letzten  tritt. ^) 
Diese  Tabellen  sind  drei  an  der  Zahl.  In  Tafel  I  sind  die  beobachteten 
Relativzahlen  enthalten,  die  in  Klammern  gegebenen  Werte  sind 
solche,  die  zum  Teil  auf  Interpolation  beruhen.  Tafel  II  enthält  die 
ausgeglichenen  Relativzahlen  nach  folgender  Methode:  je  zwölf  zeitlich 
aufeinanderfolgende  Monatsmittel  der  beobachteten  Relativzahlen 
werden  zu  einem  Mittel  zusammengefasst  und  aus  je  zwei  auf- 
einanderfolgenden dieser  Gesamtmittel  abermals  das  Mittel  gezogen, 
welches  dann  für  die  Mitte  des  mittlem  der  dreizehn  so  vereinigten 
Monate  gilt,  z.  B. 

1-  (ffl-hiv+v4-vi+vn+vin+ix+x+xi-fxn  +  i-hii)  =  mi 

12 

gültig  für  Anfang  IX, 

-L  (iv+v+vi-hvn+vm+ix+x-hxi+xn-hi  +  ii  +  ra)  =  iis 

12 

gültig  für  Anfang  X, 

i-  («1  +  »H) =  m 

gültig  für  Mitte  IX. 

U.   8.  W. 

Diese  Ausgleichung  hat  den  Zweck,  die  kurzperiodischen 
Schwankungen  des  Fleckenphänomens,  die  innerhalb  der  elfjährigen 
Hauptperiode  auftreten,  zum  Verschwinden  zu  bringen  und  den 
mittlem  Verlauf  allein  hervortreten  zu  lassen;  den  Untersuchungen 
über  säkulare  Schwankungen  und  Perioden  höherer  Ordnung  des 
Phänomens  wird  man  also  mit  Vorteil  die  Zahlen  der  Tabelle  n  zu 
Grunde  legen. 

Auf  ihr  beruht  auch  die  Tafel  m  der  Maximum-  und  Minimum- 
epochen, welche  somit  die  Wendepunkte  des  mittlem  Verlaufes  der 
Fleckenhäufigkeit  giebt.  Sie  enthält  gegenüber  derjenigen,  die  Wolf 
1882  publizierte,  nur  eine  wirkliche  Abänderung,  nämlich  die  Ver- 
legung des  Maximums  von  1804.2  auf  1805.2,  die  durch  die 
Beobachtungen  von  Kremsmünster  bewirkt  worden  ist;  alle  übrigen 
Abweichungen,  durch  welche  die  anderweitig  publizierten  Reproduk- 
tionen dieser  Tafel  von  der  hier  gegebenen  neuen  sich  unterscheiden, 
haben  ihren  Grund  in  Dmckfehlem.  Den  einzelnen  Epochen  sind 
sodann  Gewichte  beigeschrieben,  nach  denen  sich  ihre  Zuverlässigkeit 
und  also  ihre  Brauchbarkeit  für  bestimmte  Zwecke  wird  beurteilen 
lassen.  Die  Epochen  seit  den  zwanziger  Jahren  des  XIX.  Jahrhunderts, 


>)  MeteoroL  Zeitschr.  1902.  p.  193. 


15 


'^^^K iW^^^H"^ y leichnungen    begann, 
|^S^^Si|l^ttjH''ii  täglichen   Beobach- 

" " # 


ht    10    erhalten;    es 
Monaten, 
des   mittlem 
sekundären 
Für     alle     frühem 
^UlTenden  Beobachtungs- 
ansteigen mag,  sind 


tisfiAllje^  die   jenen  je  weilen 


ip^pt  und  verglichen  und 
^^b^]^|chätzt  worden. 

und  unter  Berück- 
der    Hauptperiode, 

li)rmalmaximums  neu 

ijft^  H'ill||  i^ii  Wolf  und  Spörer  *), 
liPB^B  jBrflfcwP  modifizierter  Form 
-f^  .^  - J*  •^  ,^,  .^.  -^. 

«77»  *3%*  "ää*  *3>5&*    D  Ö    ^3%*  ^äTfe* 

l--tl^*^^i'#-i*i^HpE^S^       X      XI      Xn  Mittel 

|l>l|^l-m||^*^Ä^M--i.e:;i^  75.6  158.6     (86.2)       80, 

it.-Ä5S^^,^^i,^^.^^^S2»*iy4i:f*0#-^r.2}     (63.7)     (63.3)     (75.4)    88. 

l*Mi^^W*lV^^'^^.'*^f^MJ^^*^4      23.2      (28.6)     (44.0)       47 

* '^^^^'^'^:^^'>^SP?1::»^'S^  (».0)   (2o.oi     (6.7)     - 


80.9 
88.4 

47.7 

S,    ,^      .;^       .^     ^       v:^  .          ,  ,       -,  47.8 

>T.Qoeag:«^o|D«p^  o|2.2  24.1  13.2  4.2  12.2 

.SgISS.-Pai'?*-Wi»'a7.8  28.7  6.8  20.0  •.• 

^^'«♦•S*SSg»«S-^S;15^-fflP-7  32.5  64.7  33.5  32.4 

.p,i^.^4.||£^.^.$9Sgir«^  (37.7)  (43.0)  (43.0)  47.6 

-^flR''^'V-3n''l6'"^"4-iW-S--2  (59.7)  ^6.3  67.0  64.0 

>*'-^»«!Sö.7      88.7     (89.7)      46.0     85.9 
"*-C^^-^.5       69.3      77.8       77.2        61.2 
I^TSi^^«^.!)     (46.3)     60.9       (61.4) 


8.1)     (46.3)     60.9 


45.1 


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Ä?a.4  90.0  90.7  96.7  81.6 
-'^.6  78.6  61.3  (64.0)  66.6 
:fD.3  28.3  40.9  43.2  34.8 
-^•Vft  14.0  17.7  12.2  30.6 
6.6  15.1  7.9  y.O 
30.0)  (35.0)  (40.0)  19.8 
Sti  (i06.5)  (146.0)  (157.3)  92.5 
;t.7)  (156.3)  150.3)  (106.0^154.4 
1.0)  (124.0)  (114.0)  (110.0)  125.9 
»rf.TJ  (77.0)  (60.0)  (58.7)  84.8 
(27.31  (67.0^  (35.2  68.1 
l.ß)  (30.0  38.5 


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Astrophys.  Joura. 


IX 

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ll.Ü 
(6.9) 
1.5 
(4.6) 

(11.6)  12.3 

(38.5)  (32.6) 

51.8  38.5 

(45.3)  (54.3) 

(53.0)  («».S) 

44.4  (29.41 

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(57.01     |GG/> 


XI      XU  Mittel 

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117.01     (U,tl    lO.» 

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"""       *  .01       89.9 

08.6 

60.0 

j44.0^     (45.7)       46.9 

(074)      LM         41.0 

f36/i|     {lö.O)       21.3 

{8.4J       (ü.li       10.0 

{5,6^       (3.0)         6.4 

1^.5        9^9        4.1 

(2.7i       (]&.fl)        6.8 

10.5  40.1  14.5 
(39.8)  (48.2)  34.0 
34.5  (50.0)  45.0 
^1.0)  (48.0)  43.1 
(61.0)  (60.0)  47^ 
^.3|  42.2 

oio 


27.5  27.5 

9.9  8.5 

34.5  13.2 

77.5  Ö6.9 
120.9  SOe.»  121.5 
107.0      129.8 188^ 

79.8  108.2 

63.6  85.8 

53.7  63.2 

38.8  86.8 

17.6  24.2 

12.7  lo.y 

21.6  15.0 

50.7  40.1 
65.5  61.5 

138.9      109.6  96.5 

114.6      109.9 15M.S 

97.0  96.9 

eo.o 

71.4 
45.4 

3.4 
21.4 

].l 

7.2 


0.7 
54.8 
50.9 
64.3 
28.8 
28.2 

4.2 


66.5 
64.5 
54.2 
39.0 
20.6 
6.7 
4^ 


K 


XI 


42.4 

40.6 

31.4 

80.1 

91.2 

519 

105.8 

114.6 

972 

92.2 

90.1 

97.9 

79.9 

87.2 

53.7 

66.6 

42.0 

606 

22.0 

39.9 

37.7 

28.5 

33.9 

57.6 

21.6 

171 

24.6 

7.3 

14.1 

9.0 

9.8 

13.5 

9.3 

43.8 

61.7 

59.1 

80.6 

50.4 

77.4 

136.0 

146.4 

147.5 

80.3 

89.0 

105.4 

114.6 

103.5 

112.0 

47.5 

47.4 

65.4 

28.0 

34.3 

28.9 

2.4 

12.7 

17.7 

9.9 

14.3 

9.9 

16.4 

6.7 

14.5 

5.3 

1.1 

4.1 

6.1 

12.3 

12.9 

G8.0 

43.0 

30.7 

63.2 

64.0 

54.8 

57.7 

69.2 

84.4 

52.6 

83.8 

84.5 

61.9 

47.8 

36.6 

39.6 

38.7 

33.3 

21.4 

8.6 

0.3 

7.4 

6.6 

6.9 

8.8 

2.1 

10.7 

6.5 

2.1 

0.2 

17.2 

11.2 

9.6 

53.8 

51.5 

41.9 

62.8 

70.5 

65.4 

77.9 

79.7 

75.1 

65.0 

75.5 

56.6 

57.7 

67.9 

47.2 

61.3 

28.4 

38.0 

48.1 

145 

8.4 

34.8 

34.4 

30.9 

8.4 

13.0 

7.8 

8.3 

12.9 

4.5 

0.6 

3.7 

3.8 

•»• 


i^  -1 


l^eliene  Relativzahlen. 

vn  vni    IX     X     xi    i 


'¥^1.4 


81.6 
83.3 
46.2 
48.2 
28.8 
12.6 
9.7 
10.3 
33.4 
48.0 
54.8 
63.0 
84.8 
61.7 
45.3 
34.9 
20.4 
12.1 
38.9 
70.7 
1073 
98.0 
84.3 


82.8 
81.8 
45.0 
47.8 
25.8 
13.4 
9.6 
10.9 
35.7 
48.2 
66.2 
64.4 
82.9 
60.5 
46.5 
32.0 
19.3 
13.5 
41.5 
71.5 


84.1 
78.6 
46.4 
46.0 
22.8 
14.0 
9.4 
12.4 
37.9 
47.7 
58.0 
66.0 
80.7 
58.3 
48.0 
29.9 
19.1 
14.5 
43.1 
72.1 


111.9  11S.8 
91.1  85.7 
88.9      90.1 


86.3 
75.4 
47.5 
44.1 
19.9 
13.9 
9.4 
14.1 
40.6 
46.6 
60.6 
66.8 
78.8 
56.7 
48.3 
28.8 
19.0 
15.9 
43.7 
75.1 
114.5 
84.9 
90.5 


2p»  ,^,  *S*  'S»  'S*  'S* 


87.8 
72.9 
47.6 
42.2 
18.3 
12.7 
10.1 
Iff.O 
42.7 
45.6 
61.1 
66.8 
755 
55.3 
48.8 
27.3 
18.6 
17.2 
46.1 
775 
112.5 
88.9 
86.9 

2 


18  Sonne. 

lumivvvivuvmixxxixn  Mittel 


1772 

77.3 

773 

76.4 

723 

70.7 

673 

643 

60.1 

583 

56.7 

543 

533 

66.7 

78 

60.0 

46.1 

433 

40.4 

87.4 

853 

343 

353 

373 

383 

383 

393 

39.7 

74 

38.9 

383 

37.1 

353 

343 

313 

283 

24.4 

193 

163 

133 

103 

273 

75 

9.3 

83 

83 

73 

73 

7.9 

7.7 

83 

9.2 

9.4 

103 

10.7 

8^ 

76 

11.0 

11.7 

123 

143 

163 

183 

203 

223 

253 

283 

353 

413 

21.7 

77 

47.5 

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623 

703 

78.1 

873 

983 

1063 

1133 

1193 

1283 

1383 

923 

78 

144.8 

148.4 

1513 

1563  1584!^ 

1663 

1513 

1513 

1533 

152.5 

148.4 

1413  161«8 

79 

139.0 

137.5 

1333 

1203 

1273 

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1003 

683 

953 

013 

863 

863 

863 

83.4 

80.4 

793 

793 

803 

81 

79.4 

783 

76.4 

713 

603 

80.1 

663 

623 

603 

583 

553 

513 

663 

82 

47.0 

443 

423 

423 

4U.4 

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37.4 

383 

363 

363 

383 

313 

38.7 

83 

30.6 

29.4 

27.7 

2S.4 

25.1 

233 

222 

203 

183 

163 

153 

14.1 

223 

84 

12.3 

103 

103 

9.7 

03 

103 

93 

03 

9.5 

9.7 

103 

113 

10*8 

8B 

13.9 

153 

163 

19.4 

223 

233 

25.4 

283 

313 

36.1 

423 

463 

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48.6 

543 

60.7 

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723 

703 

863 

98.4 

973 

1003 

104.4 

1073 

813 

87 

111.4 

1153 

1193 

1233 

1263 

1293 

1323 

1333 

1363 

1383 

130.4 

1373 

1283 

8B 

140.7  141*9 

140.4 

139.1 

1363 

1323 

1203 

128.7 

1273 

1273 

1283 

1273  18841 

80 

124.9 

1223 

1193 

1163 

1163 

1173 

117.7 

1173 

116.4 

1143 

111.7 

1093 

1173 

90 

106.0 

108.4 

1013 

993 

073 

923 

883 

843 

813 

79.4 

773 

753 

903 

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73.1 

703 

60.4 

673 

663 

063 

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643 

643 

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673 

92 

62.2 

613 

623 

613 

613 

803 

003 

603 

663 

573 

563 

55.4 

593 

98 

55.1 

543 

513 

403 

483 

473 

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443 

423 

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41.4 

473 

94 

40.7 

40.7 

40.7 

303 

303 

403 

403 

383 

373 

36.2 

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383 

95 

30.5 

2B.7 

283 

283 

253 

22.7 

213 

203 

20.1 

203 

203 

20.1 

243 

96 

20  JS 

193 

103 

183 

173 

163 

15.7 

143 

133 

113 

93 

93 

153 

97 

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83 

7.7 

73 

6.7 

63 

53 

5.4 

5.7 

53 

53 

4.7 

63 

98 

4.1 

33 

33 

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33 

33 

4.1 

4.4 

5.1 

53 

63 

73 

4.6 

90 

7.8 

73 

73 

73 

73 

63 

73 

7.1 

63 

53 

5.4 

53 

63 

1800 

7.2 

83 

10.1 

103 

113 

133 

153 

173 

183 

20.4 

223 

243 

153 

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25.2 

263 

283 

303 

32.1 

33.7 

343 

383 

37.7 

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303 

40.7 

33.7 

02 

41.8 

423 

44.1 

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45.1 

463 

45.1 

45.4 

45.1 

433 

433 

423 

44.1 

OB 

42.4 

41.7 

403 

413 

423 

43.1 

423 

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45.7 

453 

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04 

44^ 

443 

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453 

48.1 

473 

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483 

48.2 

473 

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05 

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483 

47.1 

443 

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413 

393 

38.4 

373 

363 

353 

423 

06 

34.2 

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303 

28.7 

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223 

213 

203 

273 

07 

18.9 

173 

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93 

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83 

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73 

113 

08 

6.8 

6.4 

63 

63 

63 

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83 

93 

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73 

73 

73 

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6.7 

6.1 

53 

43 

43 

33 

23 

13 

1.1 

13 

03 

0.4 

3.1 

10 

0.1 

03 

03 

03 

03 

03 

03 

03 

03 

03 

03 

03 

03 

11 

03 

03 

0.7 

13 

13 

1.4 

13 

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23 

23 

23 

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1.7 

12 

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23 

3.7 

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33 

43 

43 

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6.4 

73 

43 

13 

8.1 

83 

8.7 

10.1 

113 

123 

13.1 

14.1 

143 

143 

15.1 

153 

12.1 

14 

15.4 

153 

143 

143 

133 

13.7 

133 

143 

163 

17.4 

173 

193 

153 

15 

222 

243 

273 

203 

30.7 

333 

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473 

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16 

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48.7 

473 

463 

463 

46.7 

463 

443 

423 

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17 

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443 

453 

433 

413 

41.1 

413 

303 

353 

323 

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353 

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18 

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303 

303 

30.1 

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273 

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233 

303 

19 

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233 

233 

223 

233 

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23.4 

23.4 

23.7 

23.1 

23.4 

20 

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203 

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14.1 

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103 

163 

21 

0.5 

73 

63 

73 

73 

73 

5.7 

4.7 

53 

53 

5.7 

53 

63 

22 

6.3 

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6.1 

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43 

43 

43 

33 

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13 

43 

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0.1 

0.1 

03 

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43 

43 

53 

63 

63 

9.8 

24 

63 

63 

73 

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0.4 

73 

7.4 

83 

83 

83 

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83 

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143 

143 

143 

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17.7 

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363 

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463 

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503 

513 

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503 

513 

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583 

553 

503 

51.6 

28 

613 

623 

633 

623 

62.1 

623 

62.1 

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80.7 

623 

633 

61.1 

62.1 

2B 

613 

633 

63.4 

64.4 

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663 

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703 

713 

71.7 

713 

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30 

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653 

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31 

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60.4 

503 

573 

533 

503 

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46.7 

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413 

41.4 

603 

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383 

38.4 

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273 

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20.7 

173 

15.7 

133 

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33 

12.1 

11.7 

11.7 

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93 

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73 

73 

7.8 

7.4 

9.4 

34 

73 

73 

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123 

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173 

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243 

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373 

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1003 

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1323 

1363 

1383 

1383 

130.4 

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37 

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146.4 

1453 

1413 

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1273 

1273 

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38 

1213 

116.7 

1133 

1113 

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1053 

1013 

1003 

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983 

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823 

103.4 

39 

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803 

85.4 

873 

873 

883 

84.7 

833 

813 

80.7 

813 

813 

83.4 

40 

80.7 

763 

71.1 

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643 

633 

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523 

503 

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48.7 

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413 

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25.1 

25.1 

233 

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193 

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43 

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14.2 

12.0 

10.9 

10.S 

103 

113 

123 

123 

11.7 

18Ji 

44 

113 

123 

133 

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143 

15.7 

173 

203 

22.7 

25.7 

2B.4 

17.7 

45 

203 

30.7 

313 

33.7 

35.7 

883 

403 

413 

423 

443 

453 

463 

38.4 

Sonne. 


19 


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63.8 

63.4 

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693 

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83.1 

91.5 

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1003 

118.0 

1163 

1203 

1283 

973 

«  1283  ISl.« 

128.7 

1243 

121.1 

1223 

1243 

1243 

1253 

1243 

123.5 

1203  iM*e 

#  116.6 

110.9 

107.7 

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101.7 

96.5 

923 

87.5 

863 

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95.4 

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73.4 

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1393 

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135.4 

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1163 

1123 

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1103 

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983 

96.0 

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96.3 

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101.0 

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1013 

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1013 

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90.7 

13    873 

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71.5 

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66.4 

64.4 

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12.7 

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733 

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663 

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653 

683 

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613 

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16.7 

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133 

25.1 

87    13.1 

13.0 

123 

113 

12.1 

12.7 

133 

13.0 

123 

133 

12.4 

11.5 

123 

88    10.3 

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73 

73 

73 

73 

63 

53 

63 

63 

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7.1 

6.7 

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6.5 

63 

53 

5.7 

5.7 

63 

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2     53 

5.0 

5.0 

5.8 

63 

7.0 

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93 

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18.1 

163 

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733 

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783 

77.0 

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48.0 

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383 

37.1 

353 

43.1 

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30.1 

283 

263 

253 

25.7 

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28.0 

253 

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25.6 

25.4 

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263 

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22.7 

213 

21.1 

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243 

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19.4 

17.1 

15.1 

13.2 

123 

11.7 

11.5 

113 

103 

113 

113 

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103 

103 

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53 

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83 

MOl      43 

4.4 

33 

33 

23 

23 

— 

— 

Tabelle  HL  Epoehen  der  Sonnenfleekenmaxima  und  -minima. 

lümma      Gewicht       Maadma 

Gewicht 

Minima 

Gewicht 

Maxima      Gewicht 

16103 

5 

1615.5 

2 

17563 

9 

17613 

7 

S'^ 

1 

16263 

5 

1766.5 

5 

1789.7 

8 

5^ 

2 

1639.5 

2 

1776.5 

7 

1778.4 

5 

KftD 

5 

1649.0 

1 

1787.7 

4 

1788.1 

4 

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1 

1680.0 

1 

17983 

9 

18053 

6 

25j^ 

2 

1075.0 

2 

18103 

8 

1816.4 

8 

m3 

2 

1665.0 

2 

18233 

10 

18293 

10 

s^ 

2 

1668.0 

1 

18333 

10 

1837.2 

10 

Ä^ 

l 

1706.5 

4 

1843.5 

10 

1848.1 

10 

ES^ 

3 

17183 

6 

18663 

10 

1860.1 

10 

S?Ä 

2 

1727.6 

4 

18873 

10 

18703 

10 

ra43 

2 

1738.7 

2 

18783 

10 

18833 

10 

17463 

2 

17503 

7 

1869.6 

10 

1894.1 

10 

20  Sonne. 

a 

Normalepoche  des  Minimums     1744.21  ±  0.30, 

>  »    Maximums    1749.37  +  0.43. 

a  a 

Periodenlänge  aus  den  Minima  =  11.141  +  0.036,  Gewicht  2, 

>  >       >    Maxima=  11.091 +  0.053,         »        1, 
im  Mittel  =  11.124  +  0.030. 

a 

Mittleres  Intervall  vom  Minimum  zum  Maximum  =5.16, 
»  »  >     Maximum  zum  Minimum  ==  5.96. 

Die  Sonnenphänomene  als  Folsren  anomaler  Dispersion 
-des  Lichtes.  Die  Oesetze  der  gekrümmten  Strahlen  waren,  nament- 
lich durch  das  Studium  der  Brechung  in  der  Erdatmosphäre,  schon 
längst  bekannt;  den  ersten  wichtigen  Versuch  aber,  den  Einfluss  zu 
untersuchen,  den  die  Strahlenbrechung  in  der  Sonne  selbst  auf  den 
Lauf  der  Strahlen,  die  unser  Auge  erreichen,  also  auf  das  von  uns 
empfangene  optische  Bild,  ausgeübt  haben  muss,  verdanken  wir 
Prof.  A.  Schmidt.  Dessen  bemerkenswerte  Abhandlung:  »Die  Strahlen- 
brechung auf  der  Sonne,  ein  geometrischer  Beitrag  zur  Sonnenphysik c,^) 
hat  jedoch  die  gebührende  Beachtung  bis  jetzt  kaum  gefunden,  was 
vielleicht  darin  begründet  sein  dürfte,  dass  die  Schmidtsche  Theorie 
einerseits  den  herrschenden  Anschauungen  über  Gestalt  und  Natur 
des  Sonnenkörpers  kühn  entgegentritt,  anderseits  aber  gerade  von 
denjenigen  speziellem  Sonnenphänomenen,  welche  die  Aufmerksam- 
keit der  Beobachter  immer  am  meisten  in  Anspruch  genommen  haben, 
eine  genügende  Erklärung  nicht  giebt. 

Bekanntlich  hat  Schmidt  dargelegt,  dass  die  scharfe  Begrenzung^ 
der  Sonnenscheibe  eine  optische  Täuschung  sein  kann.  Wäre  die 
Sonne  eine  unbegrenzte  leuchtende  Grasmasse  von  nach  aussen  hin 
stetig  abnehmender  Dichte,  so  würde  nach  dem  einfachen  Gesetze 
der  regelmässigen  Strahlenbrechung  einem  entfernten  Beobachter  ein 
Bild  erscheinen,  wie  es  uns  die  Sonne  thatsächlich  zeigt:  ein  heller» 
scharf  begrenzter  Kern,  von  einer  schwach  leuchtenden  Hülle  um- 
geben. Gegen  die  Behauptung  Schmidts,  die  Sonne  sei  nun  in  der 
That  ein  unbegrenzter  Himmelskörper,  lässt  sich  also  nicht  einwenden, 
dass  man  doch  deutlich  eine  begrenzte  Photosphäre  sieht. 

Wenn  es  aber  keine  Photosphäre  gäbe,  so  wäre  den  herrschendea 
Vorstellungen  über  das  Wesen  der  Packeln,  der  Flecken,  der 
Protuberanzen  zugleich  die  Grundlage  genommen.  Man  muss  also< 
von  der  Schmidtschen  Theorie  fordern,  dass  sie  auch  diese  viel- 
bekannten  verwickelten  Erscheinungen  auf  einfache  und  plausible 
Weise  in  ihr  Schema  hineinpasse.  Der  darauf  gerichtete  Versuch 
bildet  nun  die  schwächere  Seite   der  oben  angeführten  Abhandlung,. 


')  Stuttgart,  J.  B.  Metzlerscher  Verlag.  1891. 


Sonne.  21 

und  dieser  Lücke  wird  es  wohl  hauptsächlich  zugeschrieben  werden 
müssen,  dass  der  von  Schmidt  hervorgehobene  grosse  Einfluss  der 
Strahleobrechmig  auf  den  Anblick  des  Sonnenkörpers  nicht  sofort 
allgemein  anerkannt  wurde. 

Ohne  sich  auf  die  Schmidtsche  Ansicht,  betreffend  das  Zustande- 
kommen des  Sonnenrandes,  zu  stützen,  zeigt  nun  Prof.  W.  H.  Julius, 
dass  die  meisten  Eigentümlichkeiten  des  Protuberanzen-  und  des 
Chromosphärenlichtes  sich  in  ganz  ungezwungener  Weise  als  Folgen 
der  Strahlenbrechung  deuten  lassen,  wenn  man  die  Gesetze  der 
anomalen  Dispersion  in  Betracht  zieht  Indem  er  nachher  diese 
Gesetze  mit  der  Schmidtschen  Theorie  in  Verbindung  bringt,  gelangt 
er  auch  hinsichtlich  vieler  Fleckenphänomene  und  anderer  Erschei- 
nungen innerhalb  des  scheinbaren  Sonneniandes  auf  Erklärungen, 
die  sich  durch  Einfachheit  des  Zusammenhanges  empfehlen. 

Im  Anschlüsse  und  durch  weitere  Ausführung  eines  von  Becquerel 
zuerst  angestellten  Versuches  gelang  es  Prof.  Julius,  beim  glühenden 
Natrium  zu  zeigen,  dass  das  Absorptionsspektrum  eines  Dampfes 
breite  dunkle  Bänder  enthält,  welche  nicht  als  Absorptionsbänder 
zu  betrachten  sind,  sondern  dadurch  entstehen,  dass  Strahlenarten 
viel  weiter  als  die  übrigen  von  dem  geraden  Wege  abgelenkt  wurden. 
Daraus  geht  hervor:  Wenn  Licht,  von  einer  Quelle  mit  kontinuierlichem 
Spektrum  herrührend,  einen  Raum  durchsetzt,  in  dem  Natriumdampf 
ungleichmässig  verteilt  ist,  so  werden  die  Strahlen  in  der  Umgebung 
der  D-Linien  in  weit  stärkerem  Masse  als  alle  übrigen  ihre  Richtung 
ändern.  Vor  allem  bezieht  sich  das  auf  solche  Lichtarteu,  deren 
Wellenlänge  denjenigen  von  D^  und  D,  so  nahe  ist,  dass  dieselben 
von  dem  Natriumlichte  kaum  zu  unterscheiden  sind.  Dem  schwach 
leuchtenden,  vom  weissen  Lichte  einer  starken  Quelle  durchstrahlten 
Natnumdampf  kann  also  in  schiefer  Richtung  (d.  h.  unter  einem 
gewissen  Winkel  mit  der  Richtung  der  einfallenden  Strahlen)  ein 
ziemlich  intensives  Licht  zu  entspringen  scheinen,  das  dem  Natrium- 
licht täuschend  ähnlich  ist  und  dennoch  in  einer  fremden  Quelle 
seinen  Ursprung  hat  Untersucht  man  das  Licht,  das  den  mit  Natrium- 
dampf  erfüllten  Raum  nahezu  geradlinig  durchsetzt,  spektroskopisch, 
so  kann  der  Fall  eintreten,  dass  die  Absorptionslinien  stark  ver- 
breitert erscheinen  infolge  des  Umstandes,  dass  das  dahin  gehörige 
Licht  zum  grössten  Teile  seitwärts  abgelenkt  wird  und  also  den 
Spalt  des  Spektroskops  nicht  erreicht 

Prof.  Julius  wendet  die  erste  dieser  Folgerungen  auf  Erscheinungen 
in  der  Umgebung  der  Sonnenscheibe,  die  zweite  auf  Eigentümlichkeiten 
der  Fleckenphänomene  an  und  zeigt  weiter,  dass  die  Ghromosphären- 
linien  thatsächlich  die  aus  den  Gesetzen  der  anomalen  Dispersion 
folgende  Gestalt  besitzen.  Die  Linien  sitzen  gewöhnlich  breit  auf  und 
laufen  pfeUförmig  zu.  Namentlich  bei  den  Wasserstofflinien  im  Ghromo- 
spbärenspektrum  fällt  diese  charakteristische  Gestalt  gleich  auf.    »Es 


22  Sonne. 

liegt  kein  Grund  vor,  den  Betrachtungen  anlässlich  des  Natriumdampfes 
jede  Gültigkeit  in  Bezug  auf  andere  Gase  und  Dämpfe  abzusprechen. 
Für  einige  wurde  die  anomale  Dispersion  schon  dargethan^)  für 
andere  gelang  dies  noch  nicht;  die  Dispersionstheorien  aber  deuten 
auf  das  Vorkommen  derselben  in  höherem  oder  geringerem  Masse  bei 
allen  Substanzen  hin. 

Die  eigentümliche  Gestalt  der  Chromosphärenllnien  lässt  sich 
freilich  auch,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  erklären  aus  der  Annahme, 
dass  sich  in  der  Ghromosphäre  intensiv  strahlende  Gase  und  Metall- 
dämpfe befinden,  deren  Dichte  nahe  an  der  Photosphäre  sehr  be- 
deutend ist  und  nach  aussen  hin  schnell  abnimmt  Das  beobachtete 
Licht  würde  nach  dieser  Anschauung  ausschliesslich  von  den  leuch- 
tenden Dämpfen  herrühren.  € 

Das  neue  Erklärungsprinzip  des  Chromosphärenlichtes  schliesst 
die  Annahme,  dasselbe  entspringe  thatsächlich  teilweise  der  Eigen- 
strahlung glühender  Gase,  keinesfalls  aus;  Verfasser  behauptet  nur, 
dass  es  sich  in  den  meisten  Fällen  als  abgelenktes  Photosphären- 
licht auffassen  lässt,  und  man  also  eine  intensive  Eigenstrahlung 
nicht  anzunehmen  braucht.  Eine  nähere  Zusammenstellung  der  ver- 
schiedenen Sonnenphänomene  muss  entscheiden,  welche  Erklärung 
uns  das  beste  Gesamtbild  gewährt. 

öfters  erscheinen  die  Chromosphärenllnien  in  sonderbarer  Gestalt, 
mit  Verdickungen,  Ästen,  Büscheln,  abgelösten  Teilen  u.  s.  w.  Bis 
jetzt  hat  man  dies  nur  nach  dem  Dopplerschen  Prinzip  erklärt,  also 
durch  die  Vorausetzung,  die  stralilenden  Gase  näheri^n  oder  ent- 
fernten sich  mit  ungeheuren  Schnelligkeiten,  bis  über  200  Jcm  in  der 
Sekunde.  Wie  von  den  Astronomen  allgemein  anerkannt  wird,  stösst 
man  mit  dieser  Erklärung  indessen  auf  viele  und  grosse  Schwierig- 
keiten, auf  die  wir  hier  nicht  näher  einzugehen  brauchen. 

Neben  dem  Dopplerschen  Prinzip  können  wir  jetzt,  sagt  ProL 
Julius,  in  dem  der  anomalen  Dispersion  ein  anderes  anführen,  das 
gleichfalls  einem  Gase  die  Fähigkeit  beilegt,  uns  unter  gewissen  Um- 
ständen Licht  zugehen  zu  lassen,  das  von  den  für  diesen  Stoff 
charakteristischen  Strahlenarten  in  der  Wellenlänge  abweicht. 

In  einiger  Entfernung  über  dem  Sonnenrande  befinde  sich  z.  B. 
Wasserstoff  von  an  verschiedenen  Stellen  sehr  ungleicher  Dichtigkeit. 
Derselbe  wird  alsdann  nicht  bloss  sein  eigenes  Licht  ausstrahlen^ 
sondern  auch  stellenweise  Photosphärenlicht  von  benachbarten  Wellen- 
längen nach  der  Erde  hinbiegen.  Im  Spektrum  zeigt  sich  dies  selbst- 
verständlich als  Auswüchse  oder  Verzweigungen  der  Wasserstoff- 
linien oder  als  isolierte  Lichtflecken  in  deren  Nähe.  Diese  Erschei- 
nungen wird  man  insonderheit  erwarten  können,  wenn  der  Spalt  auf 
Protuberanzen,  wo  heftige  Bewegungen  stattfinden  und  also  auch  wohl 
bedeutende  Dichtigkeitsdifferenzen  vorkommen,  eingestellt  worden  ist. 


^)  Winkelmann,  Wied.  Ann.  32.  489. 


Sonne.  23 

Obgleich  nun  diese  neue  Erklärung  dieser  Unregelmässigkeiten 
im  Spektrum  gleichiims  auf  der  Voraussetzung  beruht,  dass  mit 
demselben  heftige  Bewegungen  in  der  Sonnenatmosphäre  verbunden 
seien,  so  brauchen  wir  dennoch  offenbar  die  ungeheuren  Geschwin- 
digkeiten, welche  die  Erklärung  nach  Dopplers  Prinzip  erfordern 
würde,  keineswegs  anzunehmen. 

Von  all  dem  Lichte,  das  Chromosphäre  und  Protuberanzen  uns 
zusenden,  mag  also  ein  Teil  von  der  Eigenstrahlung  der  daselbst 
befindlichen  Gase  herrühren  —  ein  anderer,  wahrscheinlich  sehr 
bedeutender  Teil  ist  als  gebrochenes  Photosphärenlicht  zu  deuten, 
das  auf  eine  Weise  zu  uns  kommt,  welche  uns  an  Toplers  bekannte 
»Schlierenmethode«  erinnert  Es  giebt  aber  einen  Unterschied.  In 
der  Schlierenmethode  trägt  jede  der  Quelle  entsprungene  Strahlenart 
dazu  bei,  die  Ungleichmässigkeiten  des  Mediums  hervortreten  zu 
lassen;  man  sieht  fast  nie  Farbenerscheinungen,  da  im  Vergleiche  zu 
der  mittlem  Abweichung  der  Strahlen  die  Dispersion  bei  den  meisten 
Medien  gering  ist  Die  Ghromosphärengase  dagegen  sind  in  eigen- 
tömlicheii  Farben  sichtbar,  weil  sie  für  spezielle  Lichtarten  einen 
besonders  grossen  oder  einen  besonders  kleinen  Brechungsindex 
haben;  in  diesem  Falle  ist  eben  die  Dispersion  gross  gegen  die  mittlere 
Abweichung  der  Strahlen. 

Lassen  wir  momentan  die  eigene  Strahlimg  der  Gase  in  der 
Sonnenatmosphäre  ausser  Betracht,  so  werden  bei  radialer  Lage  des 
Spaltes  diejenigen  Chromosphärenlinien  am  längsten  und  am  hellsten 
sein,  die  den  Absorptionslinien,  für  welche  die  Erscheinung  der 
anomalen  Dispersion  am  kräftigsten  hervortritt,  entsprechen.  Wir 
erwähnen,  dass  die  beiden  Natriumlinien  die  Fähigkeit,  diese  Phäno- 
mene hervorzurufen,  in  sehr  verschiedenem  Grade  besitzen.  Setzen 
wir  voraus,  was  gewiss  nicht  zu  kühn  ist,  dass  auch  die  Linien 
des  Wasserstoffes  und  der  andern  Ghromosphärengase  ähnliche 
individuelle  Unterschiede  darbieten,  so  wissen  wir  gleich,  weshalb 
im  Chromosphärenspektrum  einige  Linien  eines  Elementes  lang,  andere 
kurz  sind,  und  weshalb  daselbst  die  Intensitäten  der  Linien  eines 
nämlichen  Elementes  sich  oft  so  durchaus  anders  zu  einander  ver- 
halten als  im  Emissionsspektrum  oder  im  Fraunhoferschen  Absorp- 
tionsspektrum. Freilich  wird  man  die  anomale  Dispersion  einer 
grossen  Anzahl  Substanzen  vorerst  gründlich  untersuchen  müssen, 
um  bestimmen  zu  können,  inwiefern  unsere  Betrachtung  im  stände  ist, 
die  schon  bekannten  oder  noch  aufzufindenden  Einzelheiten  im 
Chromosphärenspektrum  zu  deuten.  Es  wird  sich  z.  B.  zeigen  müssen, 
ob  jene  Elemente,  deren  Linien  im  Ghromosphärenlichte  am  meisten 
hervortreten,  auch  in  der  That  besonders  starke  anomale  Dispersion 
veranlassen,  was  bis  jetzt  noch  unerforscht  ist.€ 

Bezüglich  der  Erklärung  der  Sonnenflecke,  wobei  sich  Verf.  zum 
Tea  auf  die  Schmidtsche  Sonnentheorie  stützt,  ist  auf  das  Original 
XU  verweisen. 


24  Sonne. 

Doppellinien  im  Spektrum  der  Chromosphäre.    Die  von 

W.  H.  Julius  entwickelte  Theorie,^)  nach  welcher  eine  grosse  Anzahl 
Sonnenphänomene  als  Folgen  anomaler  Dispersion  des  Lichtes  zu  be- 
trachten sind,  hat  durch  ein  sehr  merkwürdiges  Ergebnis  der  am 
18.  Mai  1901  von  der  holländischen  Expedition  in  Sumatra  ange- 
stellten Sonnenfinstemisbeobachtungen,  eine  ungemein  kräftige  Stütze 
erhallen. 

In  der  erwähnten  Arbeit  hat  er  die  Überlegungen  mitgeteilt, 
welche  ihn  zu  der  Annahme  führen,  dass  das  Lacht  der  Ghromo- 
sphäre^  zum  grossen  Teil  von  Photosphärenlicht  herrührt,  das 
anomale  Dispersion  in  den  absorbierenden  Dämpfen  der  Sonne  er- 
litten hat.  Die  Wellenlängen  der  hellen  Linien  im  Spektrum  der 
Protuberanzen,  der  Ghromosphäre  und  der  sogen,  umkehrenden  Schicht 
können  nach  dieser  Hypothese  nicht  genau  identisch  sein  mit  den 
Wellenlängen  der  korrespondierenden  Absorptionslinien  des  gewöhn- 
lichen Sonnenspektrums.  Denn  von  jeder  hellen  Linie,  welche  einer 
Absorpüonslinie  von  der  Wellenlänge  X  entspricht,  muss  man  an- 
nehmen, dass  sie  von  2  Gruppen  von  Strahlen  herrühre,  deren 
Wellenlängen  alle  beziehungsweise  kleiner  oder  grösser  als  l  sind. 
Das  Licht  auf  der  roten  Seite  der  Absorptionslinien  wird  vielleicht 
in  den  meisten  Fällen  ein  klein  wenig  intensiver  sein  als  das  auf 
der  violetten  Seite,  da,  so  verschieden,  was  Ort  und  Raum  an- 
betrifft, die  Dichte  der  Sonnengase  sein  mag,  es  immer  ein  klein 
wenig  wahrscheinlicher  ist,  dass  die  mittlere  Dichte  der  Schichten, 
welche  von  dem  zu  uns  gelangenden  Lichte  durchdrungen  werden, 
nach  dem  Sonnenmittelpunkte  zunimmt,  als  dass  das  Umgekehrte 
der  Fall  ist.  Wo  starke  »Schlieren«  auftreten,  da  können  aber 
stellenweise  die  Wellengruppen  auf  der  violetten  Seite  die  inten- 
sivem sein. 

Femer  leuchtet  ein,  dass  die  Strahlen  von  jeder  Gruppe,  deren 
Wellenlängen  sehr  von  k  abweichen,  nur  in  nächster  Nähe  des 
Sonnenrandes  gesehen  werden  können,  denn  nur  dort  genügt  eine 
kleine  Abnormität  im  Brechungsindex,  um  Photosphärenstrahlen 
nach  unserem  Auge  gelangen  zu  lassen.  Licht,  dessen  Wellenlänge 
weniger  von  X  abweicht,  kann  zu  uns  von  einem  breitem  Streifen 
der  Ghromosphäre  gelangen;  weit  vom  Sonnenrande  werden  wir  im 
allgemeinen  nur  Strahlen  zu  sehen  bekommen,  deren  Wellenlängen 
nur  sehr  wenig  von  X  abweichen. 


^)  Sitzungsberichte  der  Eon.  Akad.  v.  Wetensch.  Amsterdam  VIII,  510 
—528  (24.  Febr.  1900).    Vgl.  den  vorhergehenden  Artikel. 

')  Verf.  bemerkt,  dass  er  häufig  die  Ausdrücke  Photosphäre  und  Ghromo- 
sphäre gebrauche,  möchte  aber  ausdrücklich  betonen,  dass  er  hienmter  nur 
die  weisse  Scheibe  der  Sonne  und  den  mehr  oder  weniger  gefärbten  Rand, 
wie  er  unserem  Auge  erscheint,  meine.  Eine  scharf  begrenzte  Kugel, 
welche  weisses  Licht  aussendet,  und  welche  von  einer  durchsichtigen 
Schale,  die  ihrerseits  farbiges  Licht  aussendet,  umgeben  ist,  brauche  er 
sich  dabei  nicht  vorzustellen. 


Sonne.  25 

Auch  Ton  dieser  Regel  können  Abweichungen  dort  auftreten, 
wo  gewaltige  Protuberanzen  uns  das  Vorhandensein  von  grossen 
Unregelmässigkeiten  in  der  Verteilung  der  Dichte  der  Sonnengase 
anzeigen. 

Dr.  Julius  zeigt  nun,  dass  die  Verteilung  der  Helligkeit  in  den 
Chromosphärenlinien  eine  solche  sein  muss,  nach  welcher  sich  eine 
solche  Linie  als  Doppellinie  darstellt,  deren  Komponenten  eine  nach 
beiden  Seiten  hin  abnehmende  Intensität  zeigen,  so  dass  noch  Licht 
von  beträchtlicher  Helligkeit  in  dem  Zwischenräume  vorhanden  ist. 
Er  fahrt  dann  fort: 

»Einen  zwingenden  Beweis  für  die  Richtigkeit  unserer  Erklärung 
würden  wir  erhalten,  wenn  wir  nachweisen  könnten,  dass  alle 
Chromosphärenlinien  wiridich  Doppellinien  von  der  oben  beschriebenen 
Art  sind. 

Ich  habe  deswegen  schon  öfters  nach  dunklen  Kernen  in  den 
Chromosphärenlinien  auf  Photographien  gesucht,  die  während  früherer 
Sonnenfinsternisse  aufgenommen  wurden,  und  habe  in  der  That  ver- 
schiedene iVnzeichen  derselben  gefunden.  Eine  Platte  aber,  auf  der 
diese  Eigentümlichkeit  die  Regel  war,  wo  alle  Chromosphärenlinien 
doppelt  waren,  ist  sicherlich  noch  nicht  erhalten  worden,  da  sonst 
die  Erscheinung  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  gelenkt  hätte. 

Die  niederländische  Expedition  hatte  das  Glück,  die  ersten 
Platten  zu  erhalten,  welche  deutlich  zeigen,  dass  alle  Chromosphären- 
linien doppelt  sind! 

Dies  wichtige  Resultat  verdanken  wir  zunächst  der  grossen 
Sorgfalt,  mit  der  Prof.  Nyland  den  ganzen  Plan  zur  Beobachtung 
mit  der  schönen  Prismenkamera  von  Cooke  entworfen  und  aus- 
gearbeitet hat,  und  femer  der  aussergewöhnlichen  Exaktheit,  mit 
der  alle  Handgriffe  und  Beobachtungen  von  ihm  ausgeführt  wurden. 
Möglicherweise  wurde  das  Resultat  ausserdem  auch  durch  den  in 
jeder  andern  Hinsicht  so  ungünstigen  nebligen  Himmel  günstig  be- 
einflusst  Denn  wäre  das  Licht  nicht  geschwächt  worden,  so  wären 
auf  der  Platte  breitere  und  zahlreichere  Linien  aufgetreten,  und  die 
Verdoppelung  wäre  vielleicht  nicht  ausgeprägter  hervorgetreten  als 
bei  den  frühem  Gelegenheiten. 

Kurz  nach  der  zweiten  Berührung  wurden  5  Aufnahmen  auf 
einer  Platte,  und  zwar  eine  jede  während  ^/^  Sekunde  gemacht. 
Eine  jede  zeigt  nur  9  Linien,  aber  alle  doppelt.  Auf  den  vier  für 
das  KoTonaspektrum  bestimmten  Platten  werden  einige  der  starkem 
Chromosphärenlinien  durch  oft  unterbrochene  Bogen  dargestellt  Das 
licht  derselben  rührt  offenbar  von  Protuberanzen  her,  welche  ziemlich 
weit  über  die  Photosphäre  reichen.  Hier  ist,  wie  wir  nach  unserer 
Theorie  erwarten  durften,  die  Verdoppelung  nicht  so  augenscheinlich ; 
an  fast  allen  SteUen  ist  sie  aber  doch  sichtbar. 


26  Sonne. 

Auf  der  sechsten  Platte  wurde  eine  andere  Reihe  von  fünf 
Aufnahmen  von  je  ^/^  Sekunde  kurze  Zeit  nach  dem  dritten  Kontakte 
gemacht  Auf  dem  ersten  der  so  erhaltenen  Spektra,  welches  von 
i,  3880 — l  5000  reicht,  konnten  150  Doppellinien  zwischen  Ji  3889 
und  X  4600  gezählt  werden;  diese  sind  auch  auf  den  andern  vier 
Spektren  sichthar,  soweit  als  das  zunehmende  zerstreute  Licht  die 
Zählung  erlaubt^) 

In  dieser  ersten  Aufnahme  zeigen  sich  die  Doppellinien  am 
deutlichsten  in  einiger  Entfernung  von  dem  kontinuierlichen  Spektrum 
des  soeben  erschienenen  Sonnenrandes.  Wir  finden  dort,  parallel 
zum  Spektrum,  einen  hellen  schmalen  Streif,  welcher  auf  den  fol- 
genden Aufnahmen  breiter  wird,  und  welcher  wahrscheinlich  von 
einer  kleinen  Einbuchtung  des  Mondrandes  oder  einer  kleinen  Aus- 
buchtung des  Sonnenrandes  herrührt.  Auf  der  fünften  Aufnahme 
erscheint  unter  der  so  erhaltenen  Lichtbande  wiederiun  ein  ähnlicher 
Streifen.  Diese  Banden  geben  sozusagen  Wiederholungen  des  >Flash<- 
Spektrums  (ein  glücklicher  Umstand,  denn  die  Totalität  war  früher 
vorbei,  wie  man  berechnet  hatte,  und  die  Aufnahme  wurde  daher 
etwas  später  gemacht,  als  ursprünglich  beabsichtigt  war),  so  dass 
wir  auf  einer  und  derselben  Aufnahme  sowohl  das  reine  Flash- 
Spektrum,  als  auch  das  kontinuierliche  Spektrum  der  Sonne  erhalten. 

Mit  Prof.  Nyland  habe  ich  ausführlich  die  Frage  diskutiert,  ob 
es  möglich  sei,  den  Ursprung  der  Doppellinien  auf  Fehler  der  In- 
strumente, wie  ungleichmässige  Bewegung  des  Siderostaten ,  Er- 
schütterungen der  Prismenkamera,  Lichtreflexe  u.  s.  w.  zurückzuführen^ 
aber  wir  vermochten  keine  solche  Fehlerquelle  zu  entdecken,  und 
wir  müssen  daher  schliessen,  dass  wir  es  hier  mit  einer  Eigenschaft 
der  chromosphärischen  Linien  zu  thun  haben. 

Die  Fraunhoferschen  Linien  sind  im  kontinuierlichen  Spektrum 
nur  schwach.  Dies  mag  zum  Teil  von  der  Diffusion  des  Lichtes 
an  den  Wolken  herrühren.  Die  Wolken  können  jedoch  nicht  die 
einzige  Ursache  für  die  Schwäche  der  Absorptionslinien  in  dem 
ersten  Stadium  nach  der  Totalität  sein,  da  diese  Erscheinung  auch 
bei  klarem  Himmel^  beobachtet  worden  ist  Es  muss  daher  noch 
ein  anderer  Grund  für  das  teilweise  Fehlen  der  Linien  vorliegen. 
Aus  unserer  Theorie  folgt  der  Grund  unmittelbar.  Denn  das  Spektrum 
der  Ghromosphäre  wird  am  Ende  der  Totalität  mehr  und  mehr  wie 
ein  kontinuierliches  Spektrum  erscheinen,  da  immer  mehr  helle 
Linien  auftreten,  in  denen  eine  jede  nach  unserer  Hypothese  eine 
doppelte   Bande    bildet,    in   welcher    das  Fehlen    der    absorbierten 


^)  Auf  den  ursprünglichen  Negativen  kann  man  die  Verdoppelung  nur 
mit  der  Lupe  beobachten.  Vergrösserungen  werden  demnächst  veröffentlicht 
werden. 

')  Campbell,  Astrophys.  Joum.  11.  p.  228. 


Sonne.  27 

Wellen  nicht  so  leicht  beobachtet  wird.  Sobald  aber  ein  Teil  der 
Photosphäre  erscheint,  wird  das  schon  vorhandene,  scheinbar  kon- 
tinuierliche Spektrum  beherrscht  durch  das  mehr  wesentlich  kon- 
tinuierliche Photosphärenspektrum,  dessen  »Spalt«  durch  zwei  bei- 
nahe scharfe  Kanten  (die  der  Photosphäre  und  des  Mondes)  be- 
grenzt wird. 

In  diesem  Spektrum  muss  sich  das  Fehlen  der  absorbierten 
Wellen  in  der  gewöhnlichen  Form  als  Fraunhofersche  Linien  zeigen. 
Das  Licht  der  Ghromosphäre  wird  natürlich  diese  Linien  zum  Teil 
verdecken,  aber  im  Vergleiche  mit  dem  direkten  photosphärischen 
Lichte  ist  es  schwach  genug,  um  die  Linien  dunkel  erscheinen  zu 
lassen.  Unabhängig  von  der  Gegenwart  der  Wolken  müssen  also  die 
Absorptionslinien  beim  Übergange  vom  »Flash «-Spektrum  zum  Fraun- 
hoferschen  Spektrum  anfangs  schwach  sein  und  abnorme  relative 
Intensitäten  zeigen,  dann  stärker  werden,  wobei  die  Intensitäten  normal 
werden. 

Da  die  Doppellinien  nicht  scharf  definierte  Objekte  sind,  so 
lässt  sich  die  Breite  dieser  Systeme  nur  schwer  angeben.  Aber 
wir  können  auf  die  hellsten  Teile  der  Komponenten  einstellen  und 
ihre  Entfernung  mit  einem  Mikrometer  bestimmen.  Dieselbe  weicht 
für  die  verschiedenen  Doppelhnien  ab,  sie  liegt  jedoch  ^in  dem  unter- 
suchten Teile  des  Spektrums  zwischen  0.7  und  1.6  Angströmschen 
Einheiten  (oder  Zehnmillionteln  des  Millimeters).  Breitere  imd 
schmälere  Systeme  folgen  aufeinander  in  unregelmässiger  Reihen- 
folge, aber  im  Durchschnitte  scheint  die  Entfernung  zwischen  den 
Komponenten  abzunehmen,  wenn  wir  vom  Grün  zum  Violett  weiter- 
schreiten. 

Bei  einigen  Linien  ist  die  intensivere  Komponente  diejenige  mit 
der  grossem  Wellenlänge,  in  andern  die  mit  der  kürzern.  Manchmal 
treten  sogar  in  einer  Linie  beide  Fälle  dicht  bei  einander  auf 
(z.  B.  bei  den  Linien  H  d  und  H  y  auf  unserer  Platte).  Dies  be- 
deutet, dass  in  benachbarten  Stellen  der  Sonnenatmosphäre  die 
Dichteverteilung  im  absorbierenden  Gase  eine  verschiedene  ist,  dass 
nämlich  die  mittlere  Dichte  längs  des  Strahlenganges  an  der  einen 
Stelle  nach  dem  Sonnenzentrum  hin  zunimmt,  an  der  andern  Stelle 
nach  dorthin  abnimmt. 

Campbell^)  giebt  an,  dass  in  manchen  Fällen,  wo  dimkle  und 
helle  Linien  zusammen  auftreten,  sie  voneinander  um  0.4 — 0.5  Ang- 
strömsche  Einheiten  entfernt  sind.  Dies  ist  ungefähr  die  Hälfte 
der  Entfernung  der  Komponenten  unserer  Doppellinien.  Wahr- 
scheinlich hat  es  Campbell  mit  Fällen  zu  thun  gehabt,  wo  eine  der 
Komponenten  stark  markiert  war.  Ein  ähnlicher  Fall  tritt  auf 
unserer   Photographie    in   Hß   auf,    wo    die    Komponente    mit    der 


^)  Campbell,  Astrophys.  Jouni.  U«  229. 


28  Sonne. 

grossem  Wellenlange  beinahe  auf  ihrer  ganzen  Länge  starker  ist, 
als  die  mit  der  kleinem  Wellenlange,  und  dies  ist  der  Fall  nicht 
nur  bei  der  dritten  Berührung,  sondem  auch  bei  der  zweiten  und 
ebenso  auf  den  4  Platten,  welche  für  das  Eoronaspektmm  bestimmt 
waren,  und  die  bez.  5,  20,  190  und  60  Sekunden  exponiert  wurden. c 
Dr.  Julius  hat  in  keiner  Ghromosphärenlinie  eine  Eigentümlichkeit 
entdeckt,  die  zwingen  könnte,  auch  nur  einen  Teil  des  Lichtes 
Strahlungen  zuzuschreiben,  welche  von  selbstleuchtenden  Chromo- 
sphärengasen  herrühren  sollten.  Nun  können  wir  freilich  kaum  an- 
nehmen, dass  diese  Gase  thatsächlich  kein  Licht  aussenden.  Es 
fragt  sich  daher  nur,  in  welchen  Fällen  und  inwieweit  die  Intensität 
der  wahren  chromosphärischen  Emission  gegen  die  viel  grössere 
Intensität  des  anomal  gebrochenen  Lichtes  der  Photosphäre  in 
Betracht  kommt.  Vielleicht  sind  die  oben  erwähnten  Photographien 
nur  zufälligerweise  so  ausserordentlich  geeignet,  um  die  durch 
anomale  Dispersion  bei  der  Erzeugung  des  Lichtes  der  Ghromosphäre 
gespielte  Rolle  zu  zeigen,  dass  sie  dadurch  veranlassen,  den  Einfluss 
der  anomalen  Dispersion  zu  überschätzen.  Es  wäre  daher  sehr 
interessant,  wenn  die  Platten  anderer  Expedition  von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  untersucht  würden. 

Protuberanzen,  beobachtet  1888—1890  am  Haynald- 
observatorloiIL^)  P.  Fenyi,  S.  J.,  hat  in  dieser  Publikation  in 
Tabellen  alle  Protuberanzen  registriert,  die  mindestens  20''  Höhe  er- 
reichten, und  deren  Position  am  Sonnenrande,  sowie  die  daraus 
berechnete  heliographische  Breite  angegeben.  In  Heliogravüre  aus- 
geführte Zeichnungen  geben  das  Aussehen  des  Sonnenrandes  mit  den 
darauf  befindlichen  Protuberanzen  wieder,  so  wie  dieselben  unmittel- 
bar am  Okular  gezeichnet  wurden.  Die  kostspielige  Reproduktion 
in  Heliogravüre  geschah  zu  dem  Zwecke,  die  Beobachtungen  möglichst 
getreu  und  vollständig  wiederzugeben,  damit  die  Tafeln  selbst  für 
die  verschiedensten  Untersuchungen  betreffs  der  Formen,  Verteilung, 
Dauer  u.  s.  w.  der  Protuberanzen  dienen  können.  Es  sind  deshalb 
auch  die  kleinen  Gebilde  eingezeichnet  worden,  welche  zwar  notiert, 
aber  nicht  in  das  Verzeichnis  der  Protuberanzen  aufgenommen  wurden. 
In  Hinsicht  auf  diesen  Zweck  bemerkt  indessen  der  Herausgeber, 
dass  es  nicht  möglich  ist,  all  das  feine  Detail  zeichnend  wiederzu- 
geben, das  bei  vorzüglichem  Luftzustande  sichtbar  ist  Manches 
ging  wiederam  durch  die  bedeutend  verkleinerte  Umzeichnung  auf 
etwa  ^/j  Grösse  verloren.  Ein  weiterer  Verlust  ist  der  Verkleinerung 
durch  die  Photographie  auf  etwa  '/^  zuzuschreiben  und  endlich  noch 
der  Mangelhaftigkeit  des  Abdmckes.  Speziell  hebt  P.  Fenyi  folgendes 
hervor:  »Im  einzelnen  ist  zu  beachten,  dass  die  so  vielfach  zer- 
rissenen  Formen,   welche  hier  die  Protuberanzen  zeigen,   durchaus 


^)  Publ.  des  Haynaldobseryatoriums  Heft  8.  Kalocsa  1902. 


Sonne.  29 

nicht  durch  UnvoUkommenheit  des  Abdruckes  entstanden  sind.  Die 
Protuberanzen  haben  genau  so  zerrissene  Formen,  ja  noch  kleiner 
urstückelte,  da  kleineres  Detail  durch  die  Darstellung  verloren  ging. 
Die  Abtrennung  von  der  Ghromosphare,  das  Schweben  der  Protuberanz, 
ist  ebenfalls,  wo  immer  es  noch  zum  Ausdrucke  gelangte,  keines- 
wegs als  Fehler  der  Darstellung  aufzufaßsen.  Die  Erscheinung  des 
Schwebens  ist  überhaupt  eine  so  häufige,  dass  man  darin  eine  all- 
gemeine Eigenschaft  ruhender  Protuberanzen  erblicken  könnte,  in  der 
Weise  wie  beim  Nordlichte,  da  das  in  der  Regel  beobachtete  Auf- 
sitzen derselben  am  Sonnenrande  ohne  Zwang  dahin  gedeutet  werden 
könnte,  dass  das  beobachtete  Gebilde  nicht  genau  am  Sonnenrande 
steht  und  so  der  untere  Teil  durch  Projektion  unsichtbar,  nicht 
wahrnehmbar  ist,  oder  durch  die  langgestreckte  Ausdehnung  im 
Parallel  verdeckt  wird.  Die  Struktur  der  Protuberanzen  ist,  obwohl 
nicht  immer,  doch  fast  immer,  eine  aus  Streifen,  Bändern,  Fäden 
bestehende.  Die  gestreiften  Formen  sind  durchaus  nicht  als  Erzeug- 
nisse der  Zeichnungsschablone  anzusehen;  es  ist  damit  die  Struktur 
der  beobachteten  Protuberanz  getreu  wiedergegeben.  Wo  diese  nicht 
derartig  war,  ist  auch  die  Darstellung  verschwommen,  wolkig. 

Um  die  Beziehung  zwischen  Fackeln  und  Flecken  übersichtlich 
zu  zeigen,  wurden  jene  Stellen,  wo  eine  Fackel  über  den  Rand  trat 
oder  von  demselben  zur  Zeit  der  Beobachtung  ungefähr  bis  13  Grade 
entfernt  stand,  durch  eine  punktierte  Linie  unter  dem  Sonnenrande 
bezeichnet;  in  derselben  Weise  wurden  auch  die  Obergänge  der 
Flecken  durch  ein  Strichlein  angezeigt  Bei  13^  Entfernung  müsste 
eine  Protuberanz  von  30"  Höhe  am  Rande  schon  sichtbar  werden. 
Wenn  man  die  Tafeln  in  dieser  Hinsicht  durchmustert,  so  sieht  man 
so^ich,  dass  Fackeln  und  Flecken  zu  den  Protuberanzen  in  keines- 
wegs so  enger  Beziehung  stehen,  als  man  aus  der  üblichen  Betonung 
derselben  schliessen  möchte.  Es  ist  gar  nicht  ungewöhnlich,  dass 
ein  solcher  Obergang  ganz  ohne  irgend  eine  Protuberanzerscheinung 
vor  sich  geht  namentlich  sind  jene  Fackeln,  welche  ausserhalb  der 
thätigen  Fleckenzone  vorkommen,  eben  nur  zufällig  bisweilen  von 
Protnberanzen  begleitet.« 

Eine  Beziehung  der  magnetischen  Störungen  zu  den  Protube- 
ranzen lässt  sich  nicht  wahrnehmen.  Oberhaupt  bemerkt  Pater  Fenyi, 
dass  gel^e  die  grossartigsten  Protuberanzen,  die  er  im  Laufe  von 
16  Jahren  beobachtete,  wenn  es  nicht  eben  metallische  Eruptionen 
bei  grossen  Flecken  waren,  mit  keinerlei  magnetischen  Störungen  zu- 
sanunentrafen. 

Was  die  Verteilung  der  Protuberanzen  über  die  verschiedenen 
Breiten  der  Sonne  anbelangt,  so  ergab  die  Beobachtung  ein  Minimum 
der  Häufigkeit  am  Sonnenäquator  und  ein  Maximum  derselben  auf 
40 — 50*  nördlicher  wie  südlicher  heliographischer  Breite.  Der  Ver- 
gleich mit  den  zu  Kalocsa  angestellten  Beobachtungen  1884 — 1887 
zeigt,   dass  sich  von  1884  an  ein  Minimum  der  Protuberanzhäufig- 


80  Sonne. 

keit  am  Sonnenäquator  ausbildete,  das  1887  schon  scharf  ausgeprägt 
war.  Im  letztem  Jahre  trat  das  Maximum  in  50^  Breite  zuerst  her- 
vor. Dieses  wuchs  in  den  Jahren  1888,  1889,  1890  zu  enormer 
Grösse  an,  ohne  dass  das  Minimum  am  Äquator  sich  weiter  vertiefte, 
und  ohne  ersichtlichen  Unterschied  auf  der  Polarkalotte  von  60  bis 
90^  Man  erkennt  auch  ein  schwaches  sekundäres  Maximum,  welches 
dem  Hauptmaximum  gegen  die  Pole  nachfolgte  und  im  Jahre  1890 
auf  der  nördlichen  Halbkugel  mit  dem  enorm  grossen  Hauptmaximum 
zusammenfb'esst. 

Besondere  Tabellen  zeigen  die  Verteilung  der  Protuberanzen  in 
Länge  und  Breite  über  der  ganzen  Sonnenoberfläche.  Daraus  ergiebt 
sich,  dass  nicht  so  sehr  die  Anhäufungen,  als  vielmehr  ein  Fehlen 
der  Protuberanzen  an  gewissen  Stellen  der  Sonne  eine  auffallende 
Beständigkeit  zeigt.  So  finden  wir  ein  Gebiet  um  180^  Länge  herum 
in  allen  3  Jahren  ziemlich  frei  von  Protuberanzen.  In  den  Breiten 
zeigen  die  Protuberanzen  im  Jahre  1890,  zwischen  -|-  40^  und  -f-  45^ 
eine  ganz  abnorme  Anhäufung.  Betreffs  der  Flecken  ist  zu  bemerken, 
dass  ihre  Häufigkeit  sich  keineswegs  an  die  der  Protuberanzen 
anschliesst,  auch  wenn  wir  nur  die  Fleckenzone  beachten.  Ihre 
Wanderung  gegen  die  Pole  tritt  offenbar  hervor. 

Über  besondere  Bewegungen  der  Protuberanzengebilde  bemerkt 
Pater  Fenyiu.  a.:  >Ein  Herabfallen,  ein  Sinken  einer  Protuberanz, 
wird  nicht  beobachtet,  wenn  wir  die  grossen  Gebilde  im  Auge  haben; 
namentlich  wird  ein  Herabsinken  bei  sehr  grossen  Protuberanzen, 
die  rasch  emporsteigen,  niemals  beobachtet.  Bei  gewöhnlichen 
Gebilden  scheint  es  bisweilen  vorzukommen,  bei  sehr  kleinen  ist  es 
aber  nicht  mehr  selten.  Wenn  man  die  über  der  Chromosphäre 
schwebenden  Flämmchen  oder  Streifen  etwas  länger  beobachtet,  so 
wird  man  häufig  nach  ein  paar  Minuten  merken,  dass  das  Gebilde 
der  Chromosphäre  sich  nähert  und  alsbald  auch  damit  zusammen- 
fliesst  und  verschwindet  Am  20.  August  1889  konnte  ich  eine  im 
Gesichtsfelde  seitwärts  gerichtete  Bewegung  konstatieren,  das  ist 
eine  in  die  Richtung  des  Meridians  fallende.  Solche  Bewegungen 
müssen  wohl  auch  gewöhnlich  vorkonmien,  werden  aber  nicht  be- 
obachtet, weil  die  Messung  nicht  darauf  gerichtet  wird.  Im  vor- 
liegenden Falle  erhob  sich  ein  Stück,  trennte  sich  von  der  Chromo- 
sphäre und  bewegte  sich  gegen  eine  grössere  Protuberanz,  um  mit 
derselben  scheinbar  zusammenzufliessen.  Soweit  sich  die  Geschwindig- 
keit aus  den  Dimensionen  der  Zeichnung  entnehmen  lässt,  betrug 
sie  25  km  in  der  Sekunde ;  ebenso  gross  war  die  Erhebung.  Würde 
sich  eine  Protuberanz  mit  der  zehnfachen  Geschwindigkeit,  d.  i.  mit 
250  km,  seitwärts  bewegen,  so  würde  sie  in  6  Minuten  7^  am 
Sonnenrande  durchlaufen;  eine  solche  Bewegung  müsste  auffallen. 
Es  ist  nun  beachtenswert,  dass  solche  Fälle  nicht  verzeichnet  werden, 
während  doch  derartige  Geschwindigkeiten  von  250  km  in  der 
Gesichtslinie,   wie   sie  aus  den  Verschiebungen  der  Linien  bestimmt 


Sonne.  31 

werden,  zur  Zeit  des  Fleckenmaximums  vielmal  in  einem  Jahre  be* 
obaehtet  werden.  Es  ist  dies  ein  Umstand,  der  bei  der  Interpretation 
der  linienyerschiebungen  schwer  ins  Gewicht  fallt;  denn  es  lässt 
sich  kein  Grund  angeben,  warum  horizontale  Bewegungen  im  Meridian 
und  im  Parallelkreise  solche  Verschiedenheit  zeigen  sollten.  Man 
wird  daher  gedrängt  zu  vermuten,  dass  nicht  jede  Linienverschiebung 
anf  eine  entsprechende  Geschwindigkeit  der  Lichtquelle  zurück- 
zuführen ist.c 

In  neuester  Zeit  hat  H.  Michelson  gezeigt,^)  dass  durch  das 
blosse  Dazwischentreten  einer  Masse  in  den  Lauf  eines  Lichtstrahles, 
infolge  der  verschiedenen  Brechbarkeit  des  dazwischentretenden  Gases 
eine  Linienverschiebung  eintreten  muss.  »Es  ist  sehr  bemerkenswert,  c 
sagt  Pater  Fenji,  »dass  diese  Erklarungsweise  gerade  in  den  Be- 
obachtungen, welche  sich  gegen  die  andern  Erklärungen  so  ab- 
lehnend verhalten,  in  frappanter  Weise  Bestätigung  findet.  Schon 
seit  Jahren  habe  ich  bemerkt,  dass  helle  hervortretende  Punkte  in 
der  Ghromosphäre ,  welche  eine  kleine  Verschiebung  gegen  blau 
zeigen,  der  Ort  sind,  wo  alsogleich  der  Aufstieg  einer  Flamme  oder 
einer  kleinen  Protuberanz  erfolgt  Das  ist  es  aber  gerade,  was  zu 
erwarten  steht,  wenn  die  Erklärung  H.  Michelsons  richtig  ist  Die 
frappanteste  Erscheinung  dieser  Art  gelangte  am  20.  September  1893 
zur  Beobachtung.  Eine  höchst  auffallende  Verschiebung  in  der 
Gbromospliare  fesselte  meine  Aufmerksamkeit,  und  so  war  ich  Zeuge 
des  Aufstieges  einer  Protuberanz  bis  zu  11'  30",  das  ist  bis  zu 
500000  km  Höhe,  vom  ersten  Anfange  an.  Eine  eingehende  Unter- 
sachung  der  zum  Zustandekommen  der  beobachteten  Erscheinungen 
notwendigen  Bedingungen  führt  aber  auch  bei  dieser  Erklärungs- 
weise auf  bedeutende  Schwierigkeiten,  deren  besondere  Behandlung 
ich  auf  spätere  Gelegenheit  verschieben  muss.  Es  genüge  hier  zu 
bemerken,  dass,  wenn  auch  manche  Linienverschiebungen  auf  andere 
Weise  erklärt  werden  können  oder  müssen,  die  Erklärung  nach  dem 
Dopplerschen  Prinzip  nicht  abgeschafft  werden  kann,  da  die  Be- 
obachtung selbst  Beweise  liefert,  dass  ganz  bedeutende  Linien- 
Verschiebungen  solcher  Art  zur  Beobachtung  gelangen  müssen. 

Die  SoimeilflnsterniS  vom  28.  Hai  1900  in  ihrer  Einwirkung 
auf  die  meteorologischen  Verhältnisse  in  Nordamerika  ist  von  Prof. 
Frank  H.  Bigelow  eingehend  studiert  worden.^)  Der  Mondschatten 
durchzog  damals  in  den  Vereinigten  Staaten  eine  Zone,  in  welcher 
sich  zahlreiche  meteorologische  Stationen  befinden,  und  Prof.  Bigelow 
hat  sämtliche  Beobachtungen  derselben  innerhalb  500  Miles  von  der 
ZenU'allinie   der  Verfinsterung   gesammelt  und  untersucht     Zur  Zeit 


^)  Astroph.  Journal  1901.  p.  63. 

^  Eclipse  Meteorology  V.  5.    Departement    of   agriculture  Weather 
Bureau,  BoUetin  I,  Washington  1902. 


32  Sonne. 

der  Mitte  der  Finsternis  war  auf  den  Grenzen  dieser  Zone  die  Sonnen- 
scheibe bis  zu  0.9  ihrer  Fläche  verdeckt.  Die  Beobachtung  wurde 
durch  die  Witterung  begünstigt,  so  dass  es  leichter  ward,  den  Ein- 
fluss  der  Verfinsterung,  von  lokalen  Störungen  frei,  zu  erkennen« 
Das  Barometer  stieg  um  die  Zeit  der  Finsternis  meist,  und  an  mehrem 
Stationen  stieg  es  um  die  Mitte  der  Totalitat  am  schnellsten,  doch 
ist  dieser  Gang  nicht  ausgesprochen  genug,  um  ihn  in  Beziehung 
zur  Finsternis  zu  bringen.  Deutlicher  trat  der  Einfluss  der  letztem 
auf  das  Thermometer  hervor.  Es  begann  durchschnittlich  45™  vor 
der  Totalitat  merklich  zu  sinken  und  erreichte  den  tiefsten  Stand 
etwa  15°^  nach  der  Totalität  Die  Differenz  betrug  auf  der  Zentral- 
linie etwa  4^  F.  und  war  ebenso  gross  150  Miles  rechts  und 
links  davon,  dagegen  in  500  Miles  Distanz  von  dieser  erreichte  sie 
nur  2^  F.  Nach  Verlauf  von  ungefähr  2  Stunden  war  der  Einfluss 
der  Finsternis  völlig  verschwunden  und  die  normale  Tageswärme 
der  Temperatur  wieder  aufgekommen.  Der  Dampfdruck  verminderte 
sich,  als  die  Temperatur  im  Minimum  war,  um  O.Ol  Zoll,  was  etwa 
^/g  des  theoretischen  Wertes  beträgt.  Prof.  Bigelow  vermutet,  dass 
der  Schatten  zu  rasch  vorüberzog,  um  ein  vollständiges  Gleichgewicht 
herzustellen;  es  entstand  vielmehr  eine  rasche  Folge  von  kleinen 
Luftströmen,  und  diese  turbulente  Wirkung  längs  dem  Rande  des 
Schattenkegels  verursachte  nach  seiner  Meinung  jene  rasch  auf  einander 
folgenden  Schattenbänder,  welche  man  bei  mancher  Sonnenfinsternis, 
und  auch  diesmal  gesehen  hat  Sie  waren  bei  der  behandelten  Finsternis 
übrigens  nicht  sehr  augenfällig;  ihre  Geschwindigkeit  betrug  6.5  Fuss 
in  der  Sekunde,  ihre  Breite  P/^  Zoll  und  ihr  Abstand  voneinander 
2.2  Zoll.  Sie  wurden  ^/^  Minute  vor  und  nach  der  Totalität  gesehen. 
Die  meisten  Beobachter  geben  an,  ihre  Bewegung  sei  in  beiden  Fällen 
nordöstlich  gewesen,  andere  geben  genau  die  entgegengesetzte  Richtung 
an.  Die  Erklärung  dieser  Erscheinung,  welche  Bigelow  giebt,  und 
die  vorstehend  erwähnt  wird,  ist  sehr  wahrscheinlich,  jedenfalls 
hat  die  Erscheinung  nichts  mit  Diffraktion  am  Mondrande  zu  thun, 
denn  dafür  ist  ihre  Bewegung  weitaus  zu  langsam. 

Die  letzten  und  ersten  Strahlen  der  Sonne  bei  totalen 

Sonnenfinsternissen  zeigen  eine  von  den  Astronomen  mit  dem 
englischen  Worte  Flash  (Aufleuchten)  bezeichnete  Erscheinung.  Über 
dieselbe  bemerkt  Prof.  A.  Schmidt  (Stuttgart)  in  Anknüpfung  an  die 
Untersuchungen  von  Prof.  Julius  (Utrecht):  »Der  äusserste  Rand  der 
Sonnenscheibe,  genauer  der  tiefste  Teil  der  die  Sonnenscheibe  um- 
rahmenden Chromosphäre,  erstrahlt  in  purpurrotem  Lichte,  einem 
Lichte,  dessen  Spektrum  aus  vielen  hellen  Einzellinien  besteht  und 
sich  wie  eine  Umkehrung  des  vom  richtigen  Sonnenlichte  erzeugten 
Spektrums  darstellt,  das  von  den  Fraunhoferschen  dunkeln  Linien 
durchsetzt  ist,  den  Produkten  der  Absorption,  die  das  weisse  Sonnen- 
licht in   den  Gasen   der  Sonnenhülle  erleidet.     Nach  Prof.  Julius  ist 


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Sonne.  33 

dieses  Licht  des  Flash  nicht,  wie  nach  Kirchhoffscher  Vorstellung, 
das  direkte  Licht  glühender  Gase,  das,  zerlegt,  ein  Linienspektrum 
bildet,  als  genaue  Umkehrung  der  Absorptionslinien  des  Sonnen- 
spektruins;  sondern  seine  Linien  sind  nur  das  Nachbarlicht  dunkler 
Fraunhöferscher  Linien.  Von  Prof.  Ebert  und  R  Wood  wurde  der 
Juliusschen  Theorie  eine  experimentelle  Stütze  geliefert  So  wie 
Kirchhoff  am  Natriumdampfe  die  helle  gelbe  Doppellinie  als  Eigen- 
licht, die  dunkle  Doppellinie  des  durch  Natriumdampf  gegangenen 
weissen  Lichtes  als  Absorptionswirkung  desselben  Dampfes  nach- 
gewiesen hat,  so  haben  diese  Physiker  das  vom  Nathumdampfe  durch 
anomale  Dispersion  abgelenkte  Licht  dargestellt,  das  einer  weissen 
Lichtquelle  entstammte.  Sie  haben  Erscheinungen  hervorgebracht, 
die  ganz  den  Eindruck  von  Nachbildungen  der  Sonnenphanomene 
machen,  des  Flash,  der  Protuberanzen,  der  verzerrten  und  verschobenen 
Spektrallinien  der  Sonnenflecke,  aus  denen  man  bisher  glaubte,  auf 
ungeheure  Bewegungsgeschwindigkeiten  der  Sonnengase  schliessen  zu 
müssen.  Da  eine  Farbenzerstreuung  durch  Gase  nur  auftritt  als 
Begleiterscheinung  der  Strahlenbrechung,  der  Erzeugung  krummliniger 
Strahlen,  so  führt  die  Voraussetzung  der  neuen  Theorie  der  Sonnen- 
phänomene von  selbst  auf  diejenige  Erklärung  des  Sonnenrandes,  die 
der  Verfasser  dieses  Berichtes  zuerst  vor  nun  10  Jahren  gegeben 
hat  Zweifellos  ist  die  Juliussche  Theorie  berufen,  dessen  Gedanken 
zu  vervollständigen  und  zu  verbessern,  aber  für  die  Erklärung  des 
Flash  neigt  Schmidt  doch  lieber  zur  Kirchhoffschen  Anschauung.  Sollte 
das  licht  des  ersten  und  letzten  Sonnenstrahles  bei  Finsternissen 
durch  anormale  Dispersion  erzeugt  sein,  so  müsste  es  doch  durch 
Gasmassen  passiert  sein,  welche  die  Dämpfe  all  der  Metalle  enthalten, 
die  sich  in  den  Fraunhoferschen  Linien  verraten.  Gasmassen,  in 
denen  Eisendampf  aufgelöst  ist,  kann  er  sich  nur  lebhaft  selbst- 
leachtend  vorstellen.  Dazu  kommt,  dass  nach  seiner  Theorie  das 
dem  Sonnenrande  nächste  Licht  durch  alle  Wirkungen  der  Schlieren 
in  den  lichtbrechenden  Gasen  eine  Sichtung  erfährt,  bei  welcher 
gerade  seine  stärkst  brechbaren  Bestandteile  mehr  nach  dem  Innern 
der  Sonne,  die  schwächer  brechbaren  nach  aussen  abgelenkt  werden 
and  also  nicht  Grünblau,  sondern  Rot  erzeugen.  Das  ist  der  Unter- 
schied zwischen  Flash  und  grünem  Strahle. 

Eine  merkwürdige  Epschelnangr  in  der  Sonnenkorona 
während  der  totalen  Finsternis  am  18.  Hai  1901  behandelt 
G.  D.  Perrine.^)  Die  Erscheinung  glich  einem  Kegel,  dessen  Spitze  im 
oder  am  Sonnenrande  lag.  Dem  Anscheine  nach  bestand  sie  aus  einer 
wolkenförmigen  Materie,  die  so  angeordnet  war,  als  wenn  sie  durch 
eine  Eniption  von  der   Sonne  emporgeschleudert  würde.     Nahe   der 


')  Publ  Astr.  Soc.  of  the  Pacific  No.  83. 
Klein,  Jahrbuch  XIU 


34  Sonne« 

Spitze  des  Kegels  zeigte  sich  eine  lange  dünne  Protuberanz,  tangen- 
tial zum  Sonnenrande,  die  ihren  Ursprung  anscheinend  an  der  näm- 
lichen Stelle  wie  der  Kegel  hatte.  Vor  Beginn  der  Finsternis  waren 
weder  Sonnenflecke,  noch  ungewöhnliche  Sonnenfackeln  gesehen  worden. 
Zu  Dehrar-Dun  in  Indien  sind  BCai  17.  bis  22.,  26.  und  28.  Photo- 
graphien der  Sonne  aufgenommen  worden,  welche  den  Sonnendurch- 
messer in  Grösse  von  7.5  Zoll  zeigen.  Auf  den  Qlasnegativen  dieser 
Aufnahmen  fand  Perrine  für  den  17.  und  18.  Mai  weder  Sonnenflecke, 
noch  sonstige  Anzeichen  ungewöhnlicher  Sonnenthätigkeit,  dagegen 
zeigt  die  Photographie  vom  19.  Mai  einen  Fleck  von  mittlerer  Grösse, 
der  eben  am  Ostrande  der  Sonne  auftaucht  und  infolge  der  perspek- 
tivischen Verkürzung  als  Strich  von  0.5'  Länge,  von  Fackeln  umgeben 
sich  darstellt.  Am  20.  Mai  erscheint  er  0.75'  lang  und  in  einem 
Abstände  von  0.5'  gefolgt  von  verschiedenen  kleinen  Flecken,  die  eine 
geschlossene  Gruppe  bilden.  Der  Hauptfleck  zeigt  sich  als  kompaktes 
Ganzes,  von  einer  deutlichen  Penumbra  umgeben,  und  wies  während 
der  folgenden  Tage  keine  Veränderung  auf,  während  die  nachfolgenden 
kleinen  Flecken  sich  beträchtlich  vergrösserten.  Die  auf  Grund  der 
Photographie  ausgeführte  Berechnung  ergab,  dass  der  Hauptfleck  am 
17.  Mai  17^  40.6°^  mittL  Zt  v.  Greenwich  4<^  vom  Baude  auf  der 
abgewandten  Seite  der  Sonne  stand  im  Positionswinkel  von  60.2® 
des  Sonnenrandes.  Die  Spitze  der  kegelförmigen  Erscheinung  der 
Sonnenkorona  lag  ihrerseits  im  60®  Positionswinkel  des  nämlichen 
Sonnenrandes.  Hieraus  ergiebt  sich  ein  Zusammenfallen  dieses 
Phänomens  mit  dem  Ort  des  Fleckens  auf  der  Sonne,  und  dies  wird 
durch  die  Abbildung  (Tafel  I)  noch  deutlicher.  Die  Flecken  auf  der 
Sonne  sind  hier  in  ihrem  Fortschreiten  über  die  Scheibe  so  dargestellt, 
wie  sie  die  Photographien  ergeben,  und  die  Strahlung  in  der  Korona 
ist  nach  der  photographischen  Au&iahme  mit  der  40füssigen  Kamera 
eingezeichnet  Es  kann  hiemach  wohl  kaum  einem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  die  Erscheinung  in  der  Korona  wirklich  unmittelbar  über 
der  in  Rede  stehenden  Gruppe  von  Flecken  und  Fackeln  stand  und 
ihren  Ursprung  derselben  Störung  auf  der  Sonnenoberfläche  verdankte. 
Die  lange  fadenartige  Protuberanz  deutet  in  gleicher  Weise  ihren 
Ursprung  aus  dem  nämlichen  Vorgange  an.  Diese  Beobachtungen 
zeigen  also  in  sehr  augenfälliger  Weise  den  intimen  Zusammenhang 
dieser  Erscheinungen  an  und  bezeugen,  dass  Flecken,  Fackeln, 
Protuberanzen  und  Koronastrahlen  wenigstens  in  gewisser  Beziehung 
einen  gemeinsamen  Ursprung  haben. 

Das  Wesen  der  Sonnenkorona.  Prof.  Frank  H.  Bigelow 
betont,^)  dass  die  Polarstrahlen  der  Sonnenkorona  in  Wirklichkeit 
magnetische  Kraftlinien  sind,  die  wir  von  der  Erde  aus  in  Projektion 
sehen.     Die  Fläche  auf  der  Sonne,  von  der  diese  Linien  aufsteigen, 


1)  Eclipse   Meteorologie    and    allied    Problems.      Washington    1902. 
Weather  Bureau,  Bnlletin  I. 


Sonne.  35 

ist  auf  eine  Zone  von  10^  Breite  beschränkt,  deren  Zentrallinie  32^ 
von  den  Polen  der  Sonne  entfernt  ist.  Nach  Bigelow  rotiert  die 
Korona  in  26.68  Tagen,  was  er  aus  dem  Aussehen  verschiedener 
Koronen  und  zum  TeU  aus  der  magnetischen  Variation  schliesst.  In 
letzter  Beziehung  ist  dagegen  Prof.  A.  Schuster  zu  dem  Ergebnisse 
gekommen,  dass  ein  Einfluss  der  Sonnenrotation  auf  die  erdmagne- 
tische Variation  nicht  besteht^) 

Aussendungr   Hertzscher   Strahlen    dureh    die   Sonne. 

E  Deslandres  und  Decombe  haben  sich  hierüber  verbreitet.*)  Die 
Frage,  ob  die  neue  Art  von  Strahlung,  welche  von  der  gleichen 
Natur  ist  wie  die  Wärme-  und  Lichtstrahlung,  von  der  Sonne  der 
Erde  ebenfalls  zugesandt  werde,  wurde  schon  bald  nach  der  Hertzschen 
Entdeckung  (1889)  aufgeworfen.  Eine  Antwort  darauf  gaben  die 
Untersuchungen  über  die  drahtlose  Telegraphie  mittels  Hertzscher 
Wellen.  Auf  die  Stange  der  Empfangsstation  wirkt  während  des 
Tages  fortwäiirend  die  Sonnenstrahlung,  trotzdem  zeigt  sich  beim 
Rezeptor  keine  dauernde  Einwirkung,  und  die  Beobachtungen  unter 
den  verschiedensten  Verhältnissen  berechtigen  zu  dem  Schluss:  Die 
Erde  empfängt  nicht  kontinuierlich  messbare  Hertzsche  Wellen  von 
der  Länge  der  WeUen  der  Telegraphie  ohne  Draht  (zwischen  10  und 
1000  m).  Dieses  negative  Resultat  ist  nicht  auffallend,  wenn  man 
erwägt,  dass  die  weissglühenden  Körper  auf  der  Erde  in  der  Regel 
mit  Licht  und  Wärme  nicht  zugleich  auch  Hertzsche  Wellen  aus- 
senden. Bei  der  Sonne  sind  zwei  verschiedene  Strahlungsquellen  zu 
onterscheiden :  die  Oberfläche  und  die  Atmosphäre  über  derselben. 
Erstere,  welche  den  grössten  Teil  der  Wärme  xrnd  des  Lichtes  liefert, 
besteht  aus  weissglühenden  Teilchen,  kann  mit  den  irdischen  Strahlungs- 
quellen  verglichen  werden  und  sendet  unter  normalen  Verhältnissen 
sehr  wahrscheinlich  keine  elektromagnetischen  Wellen  aus.  Für  die 
Sonnenatmosphäre,  deren  Licht  elektrischen  Ursprunges  sein  muss, 
besteht  aber  die  entgegengesetzte  Wahrscheinlichkeit.  Es  ist  auch 
wahrscheinlich,  dass  die  obersten  Schichten  der  Sonnenatmosphäre 
Kathodenstrahlen  aussenden.  Arrhenius  hat  bekanntlich  diese  Hypo- 
these ausgearbeitet,  um  alle  Einzelheiten  der  Kometen,  Polarlichter 
und  erdmagnetischen  Stürme  zu  erklären.  Man  kann  also  ähnlich 
wie  bei  den  elektrischen  Entladungen  in  unserer  Atmosphäre 
annehmen,  dass  die  Ghromosphäre  und  die  Protuberanzen  Hertzsche 
Wellen  aussenden.  Die  obern  verdünnten  Schichten  der  Sonnen-  uud 
Erdatmosphäre  (auf  der  Erde  von  100 — O.Ol  mm  Druck)  absorbieren 
stark  diese  besondere  Art  von  Wellen,  und  deshalb  ist  es  unter 
normalen  Verhältnissen  wenig  wahrscheinlich,  dass  ein  messbarer 
Teil  dieser  Energie  den  Erdboden    erreicht     Bei  den  grossen  erup- 


^  Obeervatory  1902.    No.  828.    p.  858. 
^  Compt.  rend.   1902.  1B4.  No.  9,  p.  527. 


36  Sonne. 

tiven  Protaberanzen  aber,  welche  sich  manchmal  bis  zu  mehr  als 
^/g  des  Sonnendurchmessers  erheben  und  wahrend  kurzer  Zeit  eine 
intensive  Beleuchtung  grosser  Massen  weit  ausserhalb  der  Grenzea 
der  Ghromosphäre  zeigen  (?),  müssen  die  elektromagnetischen  Wellen, 
eine  grössere  Rolle  übernehmen  als  die  auf  der  Erde  untersuchten 
Wellen.  In  diesem  aussergewöhnlichen  Falle  könnten  sie  teils  wegea 
der  grossen  Länge,  teils  wegen  ihrer  Intensität  das  Hindernis, 
welches  unsere  Atmosphäre  bietet,  überwinden  und  bis  zum  Erd- 
boden dringen;  sie  würden  dann  auf  die  Empfangsapparate  der 
Telegraphie  ohne  Draht  oder  auf  geeignete  Apparate  einwirken,  sich 
jedoch  hierbei  mit  den  Wellen  vermischen,  welche  den  irdischen 
Gewittern  zugeschrieben  werden.  Die  Unterscheidung  zwischen 
irdischen  und  kosmischen  Wellen  ist  jedenfalls  schwierig;  das 
sicherste  Mittel  zu  diesem  Zwecke  wäre  es,  an  mehrem  Punkten 
der  Erde  Empfang-  oder  Registrierapparate  für  die  Wellen  aufzustellen 
und  die  Einwirkungen  herauszusuchen,  welche  simultan  sind,  und 
denen  daher  eine  allgemeine  Ursache  für  die  ganze  Erde  zugeschrieben 
werden  kann.  Nach  dieser  Methode  wurde  der  Zusammenhang  der 
Sonnenflecken  mit  gewissen    erdmagnetischen  Störungen  festgestellte 

An  der  gleichen  Stelle^)  verbreitet  sich  auch  Charles  Nordmann 
über  denselben  Q^genstand.  Wenn,  sagt  er,  die  elektromagnetische 
Liichttheorie  richtig  ist,  erscheint  es  äusserst  wahrscheinlich,  dass 
die  Sonne  elektrische  Wellen  aussendet.  Die  Oberfläche  der  Photo- 
sphäre muss  eine  Quelle  elektromagnetischer  Strahlung  sein,  ebensa 
wie  sie  Licht-  und  Wärmestrahlen  aussendet  Die  Spektralunter- 
suchungen der  Ghromosphäre  und  der  eruptiven  Protuberanzen  haben 
dagegen  gezeigt,  dass  der  untere  Teil  der  Sonnenatmosphäre  Sitz 
ungemein  heftiger  elektrischer  Entladungen  ist,  welche  besonders  im 
Gebiete  der  Flecken  und  Fackeln  stattfinden,  wo  unter  dem  Einflüsse 
heftiger  Bewegungen  der  Sonnenoberfläche  eine  Scheidung  positiver 
und  negativer  Elektrizität  eintritt  Bei  diesen  Entladungen  müssen 
häufig  Hertzsche  Wellen  entstehen  wie  bei  den  Entladungen  eines 
Erregers  unter  Einwirkungen  einer  elektrostatischen  Maschine. 
Daraus  folgt,  dass  die  Sonnenfläche  Hertzsche  Wellen  aussendet, 
und  diese  Strahlung  besonders  intensiv  in  den  Gebieten  ist,  wo  an 
der  Oberfläche  heftige  Eruptionen  stattfinden,  und  zu  den  Epochen, 
wo  die  Intensität  dieser  Eruptionen  ihr  Maximum  erreicht,  d.  h.  in 
dem  Gebiete  der  Sonnenflecken  und  -fackeln  und  zur  Zeit  des 
Maximums  der  Sonnenthätigkeit 

Hierin  findet  Nordmann  die  Erklärung  einer  Anzahl  bisher 
rätselhafter  Himmelserscheinungen  bis  in  die  kleinsten  Details. 

»Man  weiss  nach  den  Beobachtungen  von  Sonnenfinsternissen, 
sagt  er,  dass  die  Sonnenkorona  zum  Teil  aus  glänzenden  Strahlen 
von   veränderlicher  Form  besteht,    welche   sich  bis  auf  grosse  Ent^ 

»)  c.  1.  p.  580. 


Sonne.  37 

femungen    von    der    Sonne    erstrecken,    und    deren    kontinuierliches 
Spektnim  zeigt,  dass  sie  aus  weissglühenden ,  festen  oder  flüssigen 
Teilchen  bestehen  —  zum  Teil   aus    einer    Atmosphäre    leuchtender, 
um  die  Sonne  sehr  gleichmässig  verteilter  Oase,   welche  im  Spektro- 
skope die  hellen  Linien  des  Wasserstoffes  und  die   charakteristische 
^^e  Linie  des  Eoroniums  zeigen,  welche  man  bis  zu  einer  bedeutend 
grossem  Entfernung   von   der   Sonne   als   die   andern   Linien  wahr- 
nehmen kann.     Diese  Gasatmosphäre   scheint   von  den  Lichtstrahlen 
unabhängig  zu  sein,    denn   die   Linien,    welche  sie   zeigt,    sind   im 
dunkeln   Zwischenräume   zwischen    2  Strahlen   ebenso   intensiv    wie 
in  der  Mitte  derselben.     Die  Phasen   dieser    beiden  Bestandteile  der 
Korona  sind  übrigens  einander  gerade  entgegengesetzt;   die  Sonnen- 
finstemisbeobachtungen  der  Jahre  1867,  1878,   1888,    1900,  welche 
zur    Zeit    eines    Sonnenfleckenminimums    gemacht    wurden,    haben 
dentlich  gezeigt,  dass  der  Gasbestandteil  der  Korona  zur  Zeit  eines 
Maximums  viel  intensivere  Linien  zeigt,    welche  auf  eine  bedeutend 
grössere  Entfernung  von  der  Sonnenscheibe    sichtbar   sind,    als   zur 
Zeit  eines  Sonnenfleckenminimums.     Die  Strahlen  der  weissglühenden 
Teilchen  der  Korona  dagegen  erstrecken  sich  zur  Zeit  eines  Sonnen- 
fleckenminimums auf  eine  viel   grössere   Entfernung  von   der  Sonne 
als  zur  Zeit  eines  Maximums.     Young  hat  diese  Thatsache  aus  den 
Sonnenfinstemisbeobachtungen   von  1867  und  1878  abgeleitet,  jene 
von  1889  und  1900  haben  sie  vollständig  bestätigt     Endlich  weiss 
man,  dass  die  Sonnenstrahlung  (nicht  die  elektromagnetische  Strahlung) 
zur  Zeit  eines  Sonnenfleckenmaximums  weniger   intensiv  ist  als  zur 
Zeit   eines    Minimums.      Dies   geht    hervor   aus    der    bolometrischen 
Untersuchung   der  Flecken    durch    Langley,    aus    den    Arbeiten    von 
Stone,  Grould,  Piazzi  Smith  und  in  letzter  Zeit  von  Koppen,  welche 
festgestellt  haben,    dass  die   mittlere    Erdtemperatur   in  den  Jahren 
der  Sonnenfleckenminima  ein  wenig  höher  ist  als  zur  Zeit  der  Maxima. 
Alle  diese  Einzelheiten  der  Korona  erklären  sich  nun  leicht: 

a)  Der  Druck  der  Strahlung  oder  Kraft  von  Maxwell  -  Bartoli 
muss  die  Hauptursache  dafür  sein,  dass  die  Strahlen  weissglühender 
Teilchen  der  Korona  von  der  Sonne  auf  grosse  Entfernungen  hinaus- 
gestossen  werden;  da  die  Energie  der  Sonnenstrahlung  zur  Zeit 
eines  Sonnenfleckenmaximums  vermindert  ist,  muss  es  ebenso  der 
Strahlungsdruck  sein,  welcher  ihr  proportional  ist,  und  die  Strahlen 
sind  weniger  lang,  was  mit  den  Beobachtungen  gut  übereinstimmt. 

b)  Anderseits  zeigt  der  eben  bewiesene  Satz,  dass  die  elektro- 
magnetische Strahlung  der  Sonne  zur  Zeit  des  Sonnenflecken- 
maximums  vergrössert  sein  muss.  Das  Leuchten  des  Gasbestand- 
teiles der  Korona  kann  nicht  der  Sonnenwärme  zugeschrieben  werden, 
denn  dieses  Leuchten  hat  die  grösste  Ausdehnung  und  Intensität 
gerade  zur  Zeit,  wenn  die  Sonne  am  wenigsten  Wärme  ausstrahlt, 
tbiigens  haben  die  neuesten  Versuche  über  die  Emission  von  Gasen 
gezeigt,  dass  die  Wärme  allein  bei  den  höchsten  erreichten  Tempe- 


38  Sonne. 

raturen  nicht  im  stände  ist,  Gase  zum  Leuchten  zu  bringen.  Die 
Ursache,  welche  die  Gase  der  Korona  leuchtend  macht,  muss  die 
Elektrizität  sein :  diese  Gase  werden  von  der  Sonne  durch  Hertzsche 
WeUen  nach  der  bekannten  Eigenschaft  dieser  Wellen  beleuchtet, 
und  diese  Beleuchtung  muss  zur  Zeit  des  Sonnenfleckenmaximums 
am  intensivsten  sein,  weil  diese  Wellen  zu  dieser  Zeit  ihre  grösste 
Intensität  haben.  Dadurch  werden  die  beobachteten  Erscheinungen 
vollkommen  erklärt. 

Übrigens  ist  der  Strahlungsdruck  infolge  der  Hertzschen  Wellen 
zu  vernachlässigen,  da  die  kürzesten  Hertzschen  WeUen,  welche  man 
kennt,  eine  bedeutend  grössere  Wellenlänge  haben,  als  dem  Durch- 
messer der  weissglühenden  Teilchen  der  Korona  nach  der  Rechnung 
zugeschrieben  werden  kann. 

Das  Spektrum  der  Kometen  war  Gegenstand  eingehender  Arbeiten 
verschiedener  Astronomen,  insbesondere  von  Vogel  und  Hasselberg. 
Diese  Arbeiten  haben  folgende  Thatsachen  sicher  festgestellt: 

1.  Ausser  dem  kontinuierlichen  Spektrum,  welches  der  Kern  der 
Kometen  zeigt,  und  welches  zum  Teil  auf  reflektiertes  Sonnenlicht 
zurückzuführen  ist,  zum  Teil  dem  Eigenlichte  des  Kernes,  zeigen  alle 
Kometen  ein  Bandenspektrum,  welche  von  einem  leuchtenden  Gas- 
gemische von  Kohlenoxydgas  und  Kohlenwasserstoffgas  herrührt 

2.  Die  Laboratoriumversuche,  um  künstlich  ein  dem  Kometen- 
spektrum identisches  hervorzubringen,  haben  gezeigt,  -dass  die 
leuchtenden  Gase  der  Kometen  eine  relativ  niedrige  Temperatur 
besitzen,  und  dass  das  Gasspektrum  identisch  ist  mit  jenem,  welches 
eine  disruptive  Entladung  bei  tiefer  Temperatur  zeigt,  und  ver- 
schieden von  jenen  Spektren,  welche  durch  eine  kontinuierliche  Ent- 
ladung oder  einen  Verbrennungsprozess  hervorgebracht  werden. 

3.  Das  Gasspektrum  ändert  sich  bei  Annäherung  des  Kometen 
an  die  Sonne,  wie  das  unter  obengenannten  Verhältnissen  erzeugte 
künstliche  Spektrum  sich  ändert,  wenn  man  die  Intensität  der 
disruptiven  Entladung  vermehrt  (dies  zeigt,  dass  die  Ursache  des 
Leuchtens  des  Gasgemisches  des  Kometen  in  der  Sonne  liegt). 

Nun  haben  die  Arbeiten  von  Ebert  und  Wiedemann  festgestellt, 
dass  die  Lichterscheinungen  von  Gasen  infolge  Hertzscher  Wellen 
stets  den  Charakter  jener  Erscheinungen  haben,  welche  disruptive 
Entladungen  bei  tiefen  Temperaturen  hervorbringen. 

Man  sieht  also,  dass  durch  obigen  Satz  auch  alle  Details  des 
Kometenspektrums  erklärt  werden  können.  Dieser  Satz  hat  zwar 
den  Charakter  einer  Hypothese,  doch  ist  er  logisch  von  der  elektro- 
magnetischen Lichttheorie  und  den  Spektraluntersuchungen  der 
Sonne  abgeleitet;  keine  Thatsache  widerspricht  ihm,  und  er  erklärt 
eine  ganze  Reihe  von  bis  jetzt  unerklärten  Erscheinungen.« 

Die  TemperatUF  der  Sonne.  In  einer  frühem,  mit  Gray 
ausgeführten  Untersuchung  über  die  Temperatur  der  Sonne  hatte 
W.  E.  Wilson   sich   des   Boysschen  Radiomikrometers   bedient,    das 


Sonne.  89 

einerseits  durch  ein  Bündel  Sonnenstrahlen,   anderseits  durch  einen 
gjnheoden  Platinstreifen  von  bekannter  Temperatur  bestrahlt  wurde. 
Die   Öffnung    für    die    künstliche   Wärmequelle    war    so    reguliert, 
dass  sie  die  Erwärmung    durch    die    Sonnenstrahlen   kompensierte; 
als  Resultat  fand   sich  die   effektive  Temperatur   der   Sonne  gleich 
6200^      In    diesen    Versuchen    bildete    die    Möglichkeit    störender 
Reflexionen  von  selten  des  den  glühenden  Platinstreifen  umgebenden 
Schutskastens  und  von  Änderungen  der  Platinoberfläche  eine  Ursache, 
welche   die  Wiederholung  der  Messungen   mit  einer   andern   künst- 
lichen Wärmequelle  wünschenswert  erscheinen  liess.   Wilson  berichtet 
jetzt  über  eine  derartige,  am  19.  und  am  30.  September  1901  aus- 
geführte Untersuchung,   bei  welcher   als  Vergleichswärme   die   eines 
»absolut  schwarzen  Körpers«    zur   Verwendung   kam,    zuerst   eine 
Porzellan-,    sodann    eine   Eisenröhre,    die    einseitig    geschlossen  in 
einem   Fletcherofen    erhitzt,     aus    ihrem    Innern    die    Strahlen   des 
schwarzen    Körpers   in   die  Öffnung    des    Radiomikrometers    sandte, 
unter  Zugrundelegung  des  Rosettischen  Koeffizienten  für  die  Durch- 
gangigkeit  der  Atmosphäre    ergaben  die  an   den   beiden  Tagen  aus- 
geführten Messungen  im  Mittel  die   effektive    Sonnentemperatur   zu 
5773^  abs.    Ninmit  man  Langleys   Transmissionskoeffizienten   statt 
des  Rosettischen   an,    so    erhöht   sich   der    Wert   auf   6085^  abs. 
Pur  die  Mitte  der  Sonnenscheibe  berechnet  sich  die  Temperatur  zu 
6201®  abs.,    und  wenn    man  die  Absorption   in  der  Sonnenatmo- 
sphäre   berücksichtigt,    erhält    man   die    effektive    Temperatur    des 
Sonnenkörpers  =  6863<*  abs.  oder  6590<>G.^) 

Zodiakallicht. 

Das  ZodlakalUcht.  Prof.  Seeliger  verbreitete  sich  über  kosmische 
Staubmassen  und  das  Zodiakallicht. ")  Schon  früher  hat  er  die 
Theorie  der  Beleuchtung  staubförmiger  Massen  in  zwei  Abhandlungen^) 
entwickelt.  Veranlasst  wurden  diese  Untersuchungen  durch  den 
Wunsch,  über  die  Verhältnisse,  welche  der  Saturnring  darbietet,  ins 
einzelne  gehende  Aufschlüsse  zu  erhalten.  Hierzu  waren  ziemlich 
weitgehende  Entwickelungen  nötig,  die  Prof.  Seeliger  in  solcher  All- 
gemeinheit durchgeführt  hat,  dass  in  der  Hauptsache  die  betreffenden 
Ph>bleme  als  gelöst  betrachtet  werden  können. 

»Unter  staubförmigen  kosmischen  Massen  oder  kosmischen 
Staubwolken  hat  man«,  sagt  Prof.  Seeliger,  »Aggregate  von  Massen 
zu  verstehen,  deren  gegenseitige  Entfernungen  im  Vergleiche  zu  ihren 
Dimensionen  gross   sind.     Dabei  wird  man  in   den  meisten  FäUen 

^  Prooeedings  of  the  Royal  Society  1902.  e».  p.  312—320. 

<)  Sitznngsber.  d.  math.-phys.  Klasse  d.  Kgl.  bayr.  Akad.  1901. 81.  fleft3. 
p.  286  ff. 

^  L  Zar  Theorie  der  Beleuchtung  der  grossen  Planeten,  insbesondere 
des  Satoniringes.  Abhdl.  der  baVr.  Akademie  der  W.,  16.  München  1887. 
B.  Theorie  der  Beleuchtung  staubförmiger  kosmischer  Massen  etc.  Ebenda, 
la    München  1893. 


40  Zo(|iakallicht. 

die  Theorie  nur  unter  der  Voraussetzung  zu  entwickeln  haben,  dass 
das  genannte  Verhältnis  sehr  gross  ist,  da  es  sich  um  ganz  genaue 
Formeln  nicht  handeln  kann.  Nichts  hindert  indessen,  dass  man, 
ähnlich  wie  in  der  kinetischen  Gastheorie,  einen  Schritt  weiter  geht. 
Ganz  genaue  Formeln,  die  also  auch  auf  Ansammlungen  dicht  ge- 
drängter Teilchen  anwendbar  sind,  aufzustellen,'  dürfte  indessen  be- 
deutende Schwierigkeiten  darbieten.  Solche  weitergeführte  Ent- 
wickelungen  verlangt  die  Astronomie  zunächst  nicht,  denn  die  bisher 
bekannt  gewordenen  kosmischen  Staubwolken  enthalten  nur  sehr 
dünn  verteilte  Materie. 

Die  Theorie  erfordert  nicht  die  Annahme  kugelförmiger  Gestalt 
der  einzelnen  die  Staubwolke  zusammensetzenden  Teilchen,  man  darf 
aber  diese  Annahme  machen,  ohne  die  Allgemeinheit  zu  gefährden. 
Bei  der  obigen  Definition  der  Staubwolken  umfassen  diese  sehr 
verschiedene  kosmische  Gebilde,  z.  B.  den  Satumring  und  das  Zodiakal- 
licht,  aber  auch,  gewissermassen  als  Spezialfälle,  selbstleuchtende 
oder  teilweise  selbstleuchtende  Massen,  wie  die  Sternhaufen,  wahr- 
scheinlich auch  die  sogenannten  Spirakebel,  und  schliesslich  gehört 
der  ganze  sichtbare  Fixsternkomplex  dazu«.  In  der  vorliegenden 
Abhandlung  führt  Prof.  Seeliger  zunächst  einige  Punkte  der  frühern 
Entwickelungen  in  Betreff  der  Beleuchtung  an  sich  dunkler  Staub- 
wolken weiter  aus.  Aus  den  von  ihm  entwickelten  Formeln  ergeben 
sich  Werte  für  die  Flächenhelligkeit  der  sich  als  Nebelmassen  in 
der  Nähe  von  Sternen  darstellenden  Staubwolken,  speziell  einer 
solchen,  welche  eine  Parallaxe  von  höchstens  nur  O.Ol"  besitzt  Es 
handelt  sich  nun  um  die  Frage,  ob  Nebelmassen  von  der  gefundenen 
Flächenhelligkeit,  welche  10 — 7  der  mittlem  Flächenhelligkeit  des 
Vollmondes  gleich  ist,  überhaupt  bemerkbare  Objekte  sind.  In  dieser 
Beziehung  bemerkt  Prof.  Seeliger  folgendes:  »Die  Bestimmung  der 
Flächenhelligkeit  von  ausgedehnten  lichtschwachen  Gebilden  am 
Himmel  ist  nur  in  wenigen  Einzelfällen  und  auch  hier  nur  mit  ge- 
ringer Zuverlässigkeit  durchgeführt  worden.  Namentlich  ist  man 
nur  sehr  selten  über  relative  Helligkeitsschätzungen  von  Gebilden 
unter  sich  hinausgekommen,  und  Beziehungen  auf  bestimmte,  also 
gewissermassen  absolute  Einheiten  sind  fast  gar  nicht  vorhanden. 
Als  eine  solche  Einheit  empfiehlt  sich  die  oben  benutzte,  nämlich 
die  mittlere  Flächenhelligkeit  der  Vollmondscheibe  oder  diese  Helligkeit 
mit  einer  negativen  ganzen  Potenz  von  10  multipliziert  Behält 
man  die  erstere  als  Einheit  bei,  so  werden  die  reziproken  Flächen- 
helligkeiten, die  ich  mit  A  bezeichnen  will,  selbst  der  hellsten  Nebel- 
flecke und  noch  mehr  minder  heller  Objekte,  wie  der  Milchstrasse, 
allerdings  durch  grosse  Zahlen  dargestellt,  was  indessen  wohl  kaum 
bedenklich  sein  dürfte. 

Es  mag  nun  das  Wenige,  was  in  dieser  Beziehung  bekannt  ist, 
hier  erwähnt  werden.  Es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  man  kaum 
über  sehr  vage  und  unsichere  Angaben  hinaus  gelangen  kann,  denn 


Zodiakallicht  41 

die  obigen  Bemerkungen   dürften,    abgesehen    von    andern   Fragen, 
darauf  hinweisen,    dass   mit   besser  begründeten  Feststellungen  von 
solchen  Flächenhelligkeiten  ein  recht  erhebliches  Interesse  verbunden  ist. 
Der  Hinunelsgrund   ist   durch   die  Sonne   oder  durch  den  Voll- 
mond nicht  gieichmässig  erhellt,  vielmehr  hangt,  wie  selbstverständlich, 
die  Flächenhelligkeit  der  einzelnen  Teile  des  Himmels  von  ihrer  Lage 
som  erleachtenden  Gbstime  und  von  der  Höhe  des  letztem  über  dem 
Horiionte  ab.     Einen  genauem  Nachweis  hierüber  hat  Prof.  Wild  ^) 
g^ben.    Danach  ist  z.  B.  im  Azimuthe  90®  von  der  Sonne  entfernt 
das  Verhältnis  der  Flächenhelligkeit  der  Sonnenscheibe  zur  Flächen- 
heDigkeit  des  Himmelsgrundes  =  ^  .  10^  wo  y  eine  nicht  sehr  von 
der  Einheit    verschiedene    Zahl    bedeutet.      Ungefähr    dieselbe   Zahl 
wurde  hieraus  für  die  in  den  obigen  Einheiten  ausgedrückte  reziproke 
HeOi^eit   des   Himmelsgrundes   bei  Vollmond  folgen,    da  Vollmond 
nnd  Sonne  nahe  von  gleicher  scheinbarer  Grösse  sind. 

Statt  dessen  führt  aber  Olbers^  —  wohl  eine  der  frühesten 
Angaben  in  diesem  Oebiete  —  für  A  die  Zahl  10*^  an.  Da  indessen 
diese  Angabe  ohne  nähere  Begründung  gemacht  ist,  dürfte  wohl  die 
«wähnte  Wildsche  zuverlässiger  sein.  Bei  Vollmond  verschwindet 
nun  für  das  freie  Auge  die  Milchstrasse  überall,  vielleicht  mit  Aus- 
nahme der  allerhellsten  Partien.  Hier  ist  die  Helligkeit  des  Himmels- 
gnmdes  um  die  der  Milchstrasse  vermehrt  Bleibt  diese  Helligkeit 
unbemerkt,  so  muss  der  Quotient  aus  der  genannten  Vermehrung 
dividiert  durch  die  Helligkeit  des  Himmelsgrundes  kleiner  als  e  sein, 
wo  c  eine  Zahl  ist,  die  man  wohl  kleiner  als  etwa  ^io  fi^miehmen 
kann.     Danach  würde   also   für   die   Milchstrasse   für   A   der  Wert 

—  •10*,  bezw. —  10^  folgen,    also  werden  voraussichtlich  auch  die 
t  e 

hellen  Partien  der  Milchstrasse  ein  A  aufweisen,  das  vom  Range  10^  ist. 

Die  hellen,  besonders  einige  kleine  planetarische  Nebel,  scheinen 
eine  viel  grössere  Helligkeit  zu  besitzen,  doch  lassen  sich  nur  ganz 
unsichere  Angaben  in  dieser  Richtung  machen.  Die  wenigen  hierher 
gehörenden  Angaben,  deren  Nachprüfung  und  Vermehrung  dringend 
erwünscht  wäre,  hat  Prof.  G.  Müller  in  seiner  Photometrie  der  Ge- 
stirne zusammengestellt. 

Nach  E.  Pickering  sendet  der  helle  planetarische  Nebel  G.  G.  4964 
80  viel  Licht  aus,  wie  ein  Stern  von  der  Grösse  8.6.  Die  Lichtmenge, 
welche  der  mittlere  Vollmond  der  Erde  zusendet,  ist  gleich  derjenigen, 
welche  ein  Stern  von  der  Grösse  —  11.77  besitzen  würde.  Der 
genannte  planetarische  Nebel  ist  ungefähr  kreisrund  und  hat  nach 
onier  von  Dr.  Villiger  angestellten  Messungeinen  Durchmesser  von 
2\".    Hiermit  ergiebt  sich  A  für  diesen  Nebel  zu  rund  18000. 


*)  Bulletin  der  Akademie  in  Petersburg  1876  u.  1877. 
")  Olbera'  Werke  L  p.  189. 


42  Zodiakallicht. 

Die  genauere  Bestimmung  der  relativen  Flächenhelligkeiten 
nebeliger  Objekte  bereitet  bekanntlich  praktische  Schwierigkeiten,  die 
noch  nicht  überwunden  sind.  Aber  man  kann  doch  mit  verhältnis- 
mässig einfachen  Hilfsmitteln  zu  einer  rohen  zahlenmässigen  Ab- 
schätzung gelangen.  Will  man  dann  die  Zahlen  A  gewinnen,  so  wird 
man  gegenwärtig  noch  am  besten  den  Wert  von  A  für  den  von 
Prof.  Pickering  bestimmten  Nebel  G.  C.  4964  zu  Grunde  legen,  da 
dieser  Wert  verhältnismässig  nicht  so  grossen  Unsicherheiten  aus- 
gesetzt zu  sein  scheint.  Die  Abschätzung  der  relativen  Flächen- 
helligkeit anderer  Nebel  im  Vergleiche  zu  dem  genannten  kann  in 
der  zunächst  geforderten  Annäherung  mit  Hilfe  eines  Eeilphotometers 
erfolgen.  Ich  habe  nun  Dr.  Villiger  ersucht,  mit  dem  schönen 
Töpferschen  Keilphotometer  «welches  mit  dem  lO^/^-zölligen  Refraktor 
der  Münchener  Sternwarte  in  Verbindung  gebracht  werden  kann, 
einige  passend  ausgewählte  Nebelobjekte  zu  vergleichen,  was  auch 
im  Dezember  1900  und  Mai  1901  geschehen  ist.  Auf  die  Detaüs 
dieser  Messungen  soll  hier  nicht  eingegangen  werden.  Ich  führe 
nur  die  resultierenden  Mittelwerte  von  A  an,  wobei  für  den  Nebel 
G.  C.  4964  der  obige  Wert  A  =  18000  angenommen  wurde. 

G.  C.  4628 A  =    18900 

Ringnebel  in  der  Leyer.    .  61800 

DumbbeUnebel 138000 

G.G.  4964 18000 

G.G.  6826 82100 

Andromedanebel     ....  16100 

Sternhaufen  im  Herkules  I  45700 
Messier  18  f 

Zu  Gunsten  der  oben  angeführten  Zahlen  dürfte  der  für  den 
Sternhaufen  im  Herkules  gefundene  Wert  von  A  sprechen.  Nach 
dem  von  Prof.  Scheiner  gegebenen  Katalog  ergiebt  sich,  dass  in 
dem  innersten  und  dichtesten  Teile  des  Sternhaufens  (80  Bogen- 
sekunden  im  Quadrate)  im  Mittel  0.1067  Sterne  von  der  Grösse  12.7 
auf  dem  Areale  oiner  Quadratsekunde  stehen.  Hieraus  ergiebt  sich 
A  zu  22000.  Bei  der  Unsicherheit,  die  immerhin  der  Grössen- 
schätzung  anhaftet,  dürfte  die  Übereinstimmung  der  beiderlei  Zahlen 
befriedigend  sein,  immer  vorausgesetzt,  dass  man  nur  die  Grössen- 
ordnung  von  A  zu  bestimmen  versucht.« 

Auch  auf  Grund  der  von  Prof.  Seeliger  früher  veröffentlichten 
Betrachtungen  über  die  räumliche  Verteilung  der  Fixsterne  kann  man 
die  mittlere  Flächenhelligkeit  nicht  zu  kleiner  Teile  der  Milchstrasse 
bestimmen,  allerdings  nicht  ohne  Zuhilfenahme  hypothetischer  An- 
nahmen. Alle  diese  Erwägungen  lassen  nun  kaum  bezweifeln,  dass 
kosmischer  Staub  in  der  Nähe  leuchtender  Massen  sich  als  auf  nicht 
unbeträchtliche  Strecken  ausgebreitete  schwach  leuchtende  Nebel- 
materie darstellen  kann.  >Sind  die  einzelnen  Staubteilchen  überaus 
klein,  vom  Range  der  Wellenlänge  des  Lichtes,  so  werden  bekanntlich 


Zodiakallicht.  43 

die  kurzwelligen  Strahlen  in  stärkerem  Masse  reflektiert  als  die 
langweiligen,  und  die  Staubwolke  wird  sich  dann  leichter  auf  der 
photographischen  Platte  zeigen  als  dem  Auge  direkt  bemerkbar 
machen,  c 

>Es  scheint,«  bemerkt  schliesslich  Prof.  Seeliger,  »nicht  un- 
wahrscheinlich, dass  gewisse  Teile  der  Spiralnebel  auf  solche  er- 
leuchtete Staubwolken  zurückzuführen  sind.  Unsere  Sonne  ist, 
worauf  das  Zodiakallicht  hindeutet,  von  einer  dünnen  Staubwolke 
umgeben,  welche  über  die  Erdbahn  hinausreicht.  Sie  wird  den 
nächsten  Fixsternen  deshalb  als  ein  nebliger  Stern  erscheinen.  Die 
Nebelhülle  ist  freilich  wenig  ausgedehnt,  hat  aber,  wie  leicht  zu 
sehen,  für  ausserhalb  des  Sonnensystemes  gelegene  Beobachter  durch- 
aus noch  merkliche  HeUigkeit,  insoweit  sie  natürlich  nicht  durch  den 
in  ihrer  Nähe  stehenden  Stern  überstrahlt  wird.«  — 

Wie  erwähnt,  zählt  Prof.  Seeliger  das  Zodiakallicht  zu  den 
staubförmigen  kosmischen  Massen.  Unter  den  mancherlei  Hypothesen, 
welche  zur  Erklärung  dieses  Phänomens  aufgestellt  worden  sind, 
scheint  ihm  die  einfachste  folgende  zu  sein :  >Der  Raum  des  Sonnen- 
systemes in  der  Nähe  der  Sonne  bis  zu  Gegenden,  welche  die  Erd- 
bahn jedenfalls  noch  umschliessen ,  ist  ausgefüllt  mit  Teilchen  kos- 
mischen Staubes,  welche  das  Sonnenlicht  zurückwerfen.  Diese 
Staubwolke  wird  sich  um  eine  Ebene,  in  welcher  die  Axe  des 
Zodiakallichtes  liegt,  gruppieren,  so  dass  sie  in  einer  auf  die  Ebene 
senkrechten  Richtung  eine  relativ  geringe  Ausdehnung  besitzt  In 
der  genannten  Ebene  selbst  wird  sie,  da  das  Zodiakallicht  ständige 
Unterschiede  im  Aussehen,  die  von  der  Jahreszeit  abhängen,  nicht 
zu  zeigen  scheint,  nach  allen  Richtungen  gleich  ausgebreitet  sein. 
In  der  Hauptsache  wird  also  diese  Staubwolke  die  Form  einer 
Rotationsscheibe  aufweisen,  deren  Mitte  in  der  Sonne  liegt,  und  die 
über  die  Erdbahn  hinausreicht.  Die  Dichtigkeit  der  Massenverteilung 
wird  wahrscheinlich  von  der  Sonne  nach  aussen  zu  abnehmen,  und 
es  wäre  möglich,  dass  sich  die  staubförmige  Materie  bis  zu  grossen 
Entfernungen  von  der  Sonne  nachweisen  liesse,  aber  in  viel  grösserer 
Sonnenentfemung  als  die  der  Erde  wird  sie  jedenfalls  überaus  dünn 
und  ihr  Einfluss  also  sehr  gering  sein  müssen. 

Ob  die  Axe  des  Zodiakallichtes  wirklich  in  der  Ekliptik  liegt, 
und  also  die  Rotaüonsaxe  der  Scheibe  senkrecht  darauf  steht, 
bleibt  dahingestellt  Früher  hat  man  daran  nicht  gezweifelt,  neuer- 
dings aber  haben  zuverlässige  Beobachter  dies  gethan.  So  hat 
Marchand  ^)  und  ganz  neuerdings  Prof.  M.  Wolf^  gefunden,  dass  die 
Axe  des  2^diakallichtes  eher  in  der  Ebene  des  Sonnenäquators  als 
in  der  Ekliptik  liegend  anzunehmen  sei. 


')  Compt  rend.  1896.  121.  p.  1134. 

*)  Über  die  Bestimmung  der  Lage  des  Zodiakallicbtes  und  den  O^en- 
schein.    Sitzber.  d.  Münchener  Akademie  d.  Wissensch.  1900.  p.  197—207. 


44 


Zodiakallicht. 


Die  oben  erwähnte  Ansicht  über  das  Zodiakallicht  drängt  sich 
von  selbst  auf,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  auch  sonst  verschiedene 
astronomische  Erfahrungen  auf  die  Anwesenheit  kosmischen  Staubes 
namentlich  in  der  Umgebung  der  Sonne  unzweideutig  hinweisen. 
Vor  9  Jahren^)  habe  ich  mich  ausdrücklich  zu  dieser  Ansicht  be- 
kannt, die  auch  von  anderer  Seite,  so  von  dem  um  die  Erforschung 
des  ZodiakaJlichtes  hochverdienten  A.  Searle  verfochten  worden  ist, 
und  eine  nähere  Begründung  in  Aussicht  gestellt  Dass  eine  solche 
bisher  nicht  erfolgt  ist,  lag  einmal  dann,  dass  ein  Jahr  später  Prof. 
Searle^  die  Sachlage  eingehend  beleuchtet  hat,  und  femer  darin, 
dass  zuverlässige  photometrische  Angaben  über  die  Helligkeitsver- 
teilung im  Zodiakallichte  nicht  zu  beschaffen  waren,  und  meine 
eigenen  dahin  gerichteten  Versuche  einen  Erfolg  nicht  hatten. 

Eine  Änderung  dieser  Sachlage  ist  zwar  bisher  nicht  eingetreten, 
aber  es  ist  durch  die  neuesten  Arbeiten  von  M.Wolf  die  Aussicht 
eröffnet  worden,  eine  solche  erwarten  zu  können.  Prof.  Wolf  ist 
es  in  der  That  gelungen,  eine  photographische  Methode  zu  finden, 
welche  die  Helligkeitsverteilung  im  Zodiakallicht  zu  erforschen  erlaubt, 
und  diese  scheint  mir  demnach  einen  höchst  bedeutungsvollen  Fort- 
schritt auf  diesem  Gebiete  anzubahnen.  Man  darf  also  hoffen,  in 
nicht  zu  femer  Zeit  die  erforderlichen  photometrischen  Daten  zu  er- 
halten, welche  über  die  Zulässigkeit  oder  Unzulässigkeit  der  einzelnen 
Ansichten  über  das  Wesen  des  Zodiakallichtes  im  grossen  und  ganzen 
zu  entscheiden  gestatten  werden,  c 

Planeten. 

Planetoldenentdeckungren  Im  Jahre  1901.     Nach  der  Zu- 
sammenstellung von  Paul  Lehmann^  sind  folgende   kloine  Planeten 
seit  dem  letzten  Berichte  als  neu  entdeckte  eingereiht  worden: 
(464)  FV    1901    Jan.        9  von  Wolf 


465)  FW 

Jan. 

13 

), 

II 

466)  FX 

Jan. 

17 

ti 

Wolf-Camera 

467^  FY 

Jan. 

9 

ti 

Wolf 

468  FZ 

Jan. 

13 

if 

11 

469  GB 

Febr. 

18 

II 

Wolf-Carnera 

Heid( 

470  KiUa 

r 

21 

II 

Camera 

471)  GN 

18 

II 

11 

472   GP 

JuU 

11 

II 

II 

478)  GC 

Febr. 

18 

11 

Wolf 

474)  GD 

Febr. 

13 

II 

11 

47B   HN 

Aug. 

14 

,. 

Stewart,  Arequipa 

476  Hedwig 

Aug. 

17 

11 

i477)  GR 
478)  Gü 

Aug. 
Sept. 

28 
21 

II 
«1 

Camera,  Heidelberg. 

479)  HJ 

Nov. 

12 

11 

^)  über  allffemeine  Probleme  der  Mechanik  des  Himmels.  München  1892. 
*)  Researcnes  on  the  Zodiacal  Light.   Annales  of  the  Harvard  College 
Observatory    19.  H.   1898. 

*)  Vierteljahrsschrift  der  Astron.  Gesellschaft  1902.  37.  1.  Heft.  p.  65. 


ß 

* 

9 

a 

(464) 

103»  443 

100  5r8 

14*400 

2.84 

(465) 

305  M2 

4  37.8 

13  45.8 

3.19 

466) 

291  45.0 

19  22.4 

3  37.9 

8.34 

467) 

323  48.5 

6  24.4 

6  20.3 

2.94 

|468) 

22  28.8 

0  29.7 

11  47.2 

3.14 

469) 

88  47.6 

12  49.1 

8  28.9 

3.38 

470) 

182  56.0 

10  34.6 

20    9.8 

2.72 

471) 

84     9.8 

17  52.7 

19  56.2 

2.96 

472) 

127    4.5 

15  87.8 

5  54.8 

2.55 

478) 

333  27.6 

27  46.5 

14  48.7 

2.96 

474) 

475) 

162  47.8 

7  32.4 

8  27.4 

2.46 

35  48 

18  38 

22  8 

2.57 

476) 

286  38.7 

10  567 

4  17.0 

2.65 

477) 
478) 

10  58.5 

5  12.4 

10  56.2 

2.40 

235    0.8 

13     3.7 

4  45.1 

3.01 

479) 

136  28.6 

8  39.5 

12  42.7 

2.78 

Planeten.  45 

P.  Lehmann  bemerkt  ferner:  Ausser  diesen  sind  noch  etwa 
21  scheinbar  neue  Planeten  aufgefunden  worden,  doch  ist  das  über 
dieselben  vorhandene  Beobachtungsmaterial  nicht  ausreichend,  um 
einigermassen  sichere  Bahnen  daraus  abzuleiten.  Die  Hauptelemente 
der  für  die  oben  genannten  16  Planeten  berechneten  Bahnen  lauten: 

Berechner 
Berberich 
Bauschinger 
Winther 
Berberich 
Bauschmger 
Bauschinger 
Möller 
Bauschinger 
Paetsch 
Berberich 
Berberich 
Miss  Winlock 
Berberich 
Maubant 
Mello  e  Simas 
Bauschinger 
Bemerkenswert  sind  hierunter  die  Planeten  (470)  und  besonders 
(475)  durch  ihre  grosse  Exzentrizität     Beide  können  auch  der  Erde 
▼eriiältnismässig  nahe  kommen: 

(470)  mit  J  =  0.88  zur  Oppositionszeit  Jan.    14 
(475)    „    ^=0.69    „  „  Aug.  31 

ausserdem  auch  noch 

(477)  mit  ^  =  0.98    „  „  Aug.  28. 

Der  Planet  (475)  zeichnet  sich  femer  dadurch  aus,  dass  er  zur 
Oppositionszeit  in  hohe  Deklinationen  gelangen  kann,   und  zwar  in: 
^=^48^7  zur  Oppositionszeit  Jan.  7 
—  60.2    „  „  Juli  8. 

Ihm  schliessen  sich  in  dieser  Beziehung  an  die  Planeten: 
(466)  mit  ^=+41<>l  zur  Oppositionszeit  Nov.  28 
-42.1     „  „  Mai    22 

und: 

(478)  mit  ^=  +  66.5    „  „  Dez.     8 

—  60.8    „  „  Juni    7. 

Annähernde  Ähnlichkeit  zeigen  die  Bahnelemente  der  Planeten: 
(467)    Ä  =  32808    *  =  6»4    9>  =  6»8    a  =  2094 
(188)  821.3  7.2  8.0  8.06. 

Von  den  10  Planeten,  welche  seit  dem  letzten  Berichte  zum 
erstenmal  seit  der  Entdeckung  wieder  in  Opposition  getreten  sind, 
wurden  nur  die  Planeten  (449),  (458),  (454),  (455)  und  (456)  be- 
obachtet; von  altem  bisher  nur  in  einer  Opposition  beobachteten 
und  seitdem  vergeblich  gesuchten  Planeten  wurden  wiedergefunden: 
(443^  in  der  dritten  Erscheinung 
(429)  „  „  vierten 
fünften 
sechsten 
achten 
neunten 


46  Pianoten. 

Die  Zahl  der  bisher  nur  in  einer  Erscheinung  beobachteten 
Planeten,  mit  Einschluss  der  neu  entdeckten,  beträgt  daher  gegen- 
wärtig (Anfang  Februar  1902)  79. 

Von  den  in  frühern  Berichten  noch  nicht  mit  Namen  ver- 
sehenen Planeten  sind  nunmehr  die  folgenden  benannt  worden: 
(353)  Ruperto-Carola,  (355)  Gabriella,  (356)  Liguria,  (358)  Apollonia, 
(361)  Bononia,  (362)  Havnia,  (363)  Padua,  (364)  Isara,  (365)  Corduba, 
(366)  Vincentina,  (367)  Amicitia,  (370)  Modestia,  (371)  Bohemia, 
(372)  Palma,  (373)  Melusina,  (374)  Burgundia,  (375)  Ursula,  (376) 
Geometria,  (377)  Gampania,  (378)  Holmia,  (379)  Huenna,  (380)  Fiducia, 
(381)  Myrrha,  (382)  Dodona,  (386)  Siegena,  (387)  Aquitania,  (388) 
Charybdis,  (389)  Industria,  (390)  Alma,  (393)  Lampetia,  (397)  Vienna, 
(399)  Persephone,  (402)  Chloe,  (403)  Cyane,  (404)  Arsinoe,  (405) 
Thia,  (407)  Arachne,  (408)  Fama,  (409)  Aspasia,  (415)  Palatla, 
(417)  Suevia,  (418)  Alemannia,  (419)  Aurelia,  (423)  Diotima,  (424) 
Gratia,  (425)  Cornelia,  (432)  Pythia,  (435)  Ella,  (436)  Patricia, 
(442)  Eichsfeldia,  (443)  Photographica,  (446)  Aeternitas,  (447)  Valen- 
tine, (448)  Natalie,  (449)  Hamburga,  (450)  Brigitta,  (451)  Patientia, 
(454)  Mathesis,  (455)  Bruchsalia,  (457)  Alleghenia. 

Hessungren  der  Planetendurehmesser.  Sowohl  auf  der 
Licksternwarte  als  auf  dem  Yerkesobservatorium  hat  Prof.  Barnard 
zahlreiche  Messungen  der  scheinbaren  Durchmesser  der  Hauptplaneten, 
sowie  der  grössern  Planetoiden  und  Trabanten  des  Sonnensystemes 
ausgeführt.  Diese  Messungen  dürften  sowohl  in  anbetracht  der 
ausserordentlichen  teleskopischen  und  mikrometrischen  Hilfsmittel  als 
der  Erfahrungen  des  ausgezeichneten  Beobachters  und  ebenso  infolge 
ihrer  Anzahl,  den  meisten  andern  Bestimmungen  dieser  Grössen  an 
Genauigkeit  überlegen  sein.  Prof.  Barnard  hat  nunmehr  diese  sämt- 
lichen Messungen  zusammengestellt  und  Mittelwerte  daraus  ab- 
geleitet,^) welche  wohl  bis  auf  weiteres  als  Normalwerte  bettachtet 
werden  können. 

Merkur.  Die  Beobachtungen  wurden  im  Juli  1898  und  im 
August  1900  am  40-zolligen  Refraktor  bei  Tage  ausgeführt,  wenn 
der  Planet  gut  sichtbar  war,  so  dass  sie  als  nahezu  frei  von  Irra- 
diation betrachtet  werden  dürfen.  Auf  die  mittlere  Distanz  der  Erde 
von  der  Sonne  reduziert,  ergeben  sie  als  definitiven  Wert  für  den 
Durchmesser  des  Merkur  6.591"  oder  2965  englische  Miles 
=  4780  km.  Am  40-zolligen  Refraktor  zeigte  sich  auch  unter  den 
besten  Luftverhältnissen  keine  Spur  von  jenen  eigentümlichen  Linien, 
welche  andere  Beobachter  auf  der  Scheibe  des  Merkur  gesehen  haben 
wollen.  Am  31.  August  1900,  als  die  Luft  ausgezeichnet  war,  wurden 
drei  oder  vier  dunkle  Flecken  auf  der  Merkurscheibe  erkannt,  ahn- 
lich  den   Flecken,    welche   der  Mond   darbieten  würde,    wenn   er  so 


^)  Astron.  Nachr.  No.  3760. 


Planeten.  47 

weit  entfernt  wäre,  dass  er  den  nämlichen  Winkeldurchmesser  wie 
Merkur  zeigte,  und  er  durch  den  40-zolligen  Refraktor  betrachtet 
worde.  Einer  der  dunklen  Flecken,  welcher  dem  Zentrum  der  Merkur- 
scheibe südlich  vorauf  stand,  war  besonders  augenfällig;  ein  Versuch, 
ihn  zu  zeichnen,  gelang  nicht,  da  die  Luft  schlecht  wurde. 

Venus.  Messungen  an  8  Tagen,  bei  Sonnenschein,  ergaben  als 
scheinbaren  Durchmesser  1 7. 1 43"  ==  77 1 8  Miles  =  12  400  km.  Flecken 
anf  der  Venusscheibe  waren  stets  angedeutet,  aber  immer  so  schwach 
und  unbestimmt,  dass  eine  befriedigende  zeichnerische  Wiedergabe 
derselben  nicht  möglich  war.  Diese  dunklen  Flecken  waren  ähnlich 
denjenigen  des  Merkur,  aber  weit  schwächer,  keine  Spur  dagegen 
von  schmalen  dunklen  Linien,  wie  solche  einige  Beobachter  in  den 
letzten  Jahren  gesehen  haben  wollen.  Vergeblich  war  auch  jeder 
Versuch,  durch  teilweise  Bedeckung  des  Objektivglases,  Benutzung 
von  farbigen  Schirmen  und  Veränderung  der  Vergrösserung  ein  deut- 
licheres Sehen  solcher  dunklen  Flecken  zu  erzielen.  Auch  am 
4*zolligen  Sucher  des  grossen  Refraktors  war  mit  den  verschiedensten 
Vergrösserungen  nichts  auf  der  Venusoberfläche  zu  erkennen,  genau 
so  wie  auch  die  frühem  Versuche  Bamards  am  12-zolligen  Refraktor 
vergeblich  wraren.  Die  Meinung,  dass  in  kleinen  Instrumenten  die 
Venusflecken  besser  sichtbar  seien,  eine  Ansicht,  die  von  mehrern 
Beobachtern  ausgesprochen  worden  ist,  muss  also  aufgegeben  werden. 
Mars.  Im  Mittel  aus  9  Beobachtungsabenden  ergiebt  sich  für 
den  Äquatorialdurchmesser:  9.673"  =  4852  Miles  =  7004  km;  aus 
11  Beobachtungsabenden  für  den  Polardurchmesser  9.581"  =  4812 
Miles  =  6940  km. 

Für  die  vier  grössten  Planetoiden  giebt  Prof.  Barnard  folgende 
Durchmesser; 

Geres:  1.060"  =  477  Mües  ==  770jbm 
PaUas:  0.675  =804  >  =  490  > 
Juno:  0.266  =120  >  =  190  » 
Vesta:  0581    =289      »      =  880    > 

Setzt  man  die  lichtreflektierende  Kraft  (Albedo)  der  Marsober- 
fläche =  1,  so  erhält  man  für  diejenige  der  vorgenannten  Planetoiden 
nach  Prof.  Bamard  folgende  Werte:  Ceres  0.67,  Pallas  0.88,  Juno 
1.67,  Vesta  2.77.  Hiemach  findet  sich,  worauf  Prof.  Bamard  schon 
früher  hinwies,  für  Vesta  eine  äusserst  starke  Lichtreflexion,  während 
diese  für  Ceres  relativ  gering  ist,  auch  erklärt  sich  weshalb  Pallas 
immer  als  der  grösste  der  kleinen  Planeten  betrachtet  wurde,  während 
in  Wirklichkeit  Ceres  erheblich  grösser  ist.  Diese  Verschiedenheit  in 
der  Stärke  der  Lichtreflexion  steht  nicht  ohne  Analogie  da,  denn 
bei  den  vier  hellen  Jupitermonden  finden  sich  ähnliche  grosse  Unter- 
schiede. 

Jupiter.  Äquatorialdurchmesser:  38.522''  =  90190  Miles 
=  146100  km\  Polardurchmesser:  86.122"  =  84570  Miles  = 
136100  Jbn. 


=  160480  > 

>     =242600 

»  148260  > 

>     —288600 

=  145990  : 

>     —288900 

—  110070  . 

►  =  177100 

-»  88190  > 

>     =  142000 

=   2220  > 

^  —   8600 

—   2720  1 

>     =   4400 

48  Planeten. 

1.  Japitermond:  1.048''  =  2462  HUes  »  8960  km 

2.  >  0.847    =  2045     >     =  3290  > 

3.  >  1.512    =  3658     >     =  5720  > 

4.  >  1.430    =  3345     >     =  5380  > 

Wenn  der  5.  Jupitermond,  wie  angenommen  wird,  einen  Durch- 
messer von  100  Miles  (161  km)  besitzt,  so  würde  sein  scheinbarer 
Durchmesser  0.04''  betragen,  viel  zu  klein,  um  in  unsem  heutigen 
Teleskopen  messbar  zu  sein. 

Das  Saturnsystem.  Äquatorialdurchmesser  des  Saturn:  17.798" 
=  76470  Mües  =  123000  km;  Polardurchmesser:  16.246"  =  69780 
Mües=  112800  A:m. 

Ring  des  Saturn 
Äusserer  Durchmesser  des  äussern 

Ringes 40.186'' =  172610 Mües— 277800  Jbm 

Innerer  Durchm.  d.  äussern  Ringes  35.034 
Mitte  von  Cassinis  Trennungslinie  .  34.517 
Äusserer  Durchm.  d.  innem  Ringes  34.000 
Innerer         >        >       >  >       25.626 

>  >         >  Crapringes  .    .  20.528 

Breite  der  Cassinischen  Trennung  0.715 
Satummond  Titan:  Durchmesser   .    0.633 

Bei  allen  Beobachtungen  des  Crapringes  am  36-Zoller  erschien 
der  innere  Rand  desselben  bestimmt  und  scharf  abgegrenzt;  ebenso 
zeigte  er  sich  am  40-Zoller.  In  der  Nacht  des  7.  Juli  1898  bei 
ungewöhnlich  guten  Luftverhältnissen  sah  Prof.  Bamard  am  40-Zoller 
auf  der  Nordhemisphäre  des  Saturn  und  diese  kreuzend  zwei  feine, 
schmale  dunkle  Streifen,  die  gegen  die  Ränder  des  Saturn  in  stärkerem 
Kontraste  hervortraten.  Der  Nordpol  des  Planeten  zeigte  eine  kleine 
dunkle  Kappe,  die  aber  nicht  so  dunkel  erschien  als  im  März  und 
April  1895  am  36-Zoller.  Von  der  Enckeschen  Trennungslinie  war 
keine  Spur  zu  sehen. 

Uranus.  Äquatorialdurchmesser:  4.150"  =  35  820  Miles  = 
57  600  km;  Polardurchmesser:  3.930''  =  33921  Miles  =  54600  km. 
Der  Planet  erschien  auch  ohne  Messung  deutlich  abgeplattet 

Neptun.  Durchmesser:  2.433"  =  32 900  Miles  =  52 900  Am. 
Auf  der  Scheibe  dieses  Planeten  wurden  keinerlei  Flecken  gesehen, 
auch  erschien  sie  stets  völlig  rund. 

Bezüglich  des  Aussehens  der  kleinen  Planeten,  welche  messbare 
Scheiben  in  dem  grossen  Femrohre  zeigen,  bemerkt  Prof.  Bamajrd: 
»Dieselben  erschienen  bei  guter  Luft  stets  gut  begrenzt  und  rund 
ohne  Spur  von  fragmentarischer  Form,  wie  solche  beim  Eros  infolge 
von  dessen  Helligkeitsschwankungen  vermutet  wurde.  Auf  ihren 
Scheiben  zeigte  sich  keine  Spur  von  Flecken.  Bei  der  grossen  An- 
näherung des  Eros  an  die  Erde  im  Jahre  1924  muss  dieser  in  Tele- 
skopen, wie  der  36-Zoller  der  Lickstemwarte  oder  der  40-Zoller  des 
Yerkesobservatoriums ,  deutlich  erkennen  lassen,  ob  er  ein  runder 
Körper  ist  oder  ein  Fragment  aus  solchem  oder  aus  zwei  Körpern 
besteht,  wie  vermutet  worden  ist 


Planeten.  49 

Beobaehtungen  des  Jupiter  während  des  Juli  bis  Sept.  1901 
wurden  von  J.  Gleehill  auf   E.  Grossleys    Observatorium,    Bermesidd, 
Halifax,  angestellt.    Als  Instrument  diente  ein   9-zolliger  Cookescher 
Refraktor  mit  150-  bis  240faGher  Vergrosserung.    Der  tiefe  Stand  des 
Planeten  und  ungünstiges  Wetter  beeinträchtigten  die  Beobachtungen 
sehr.    Die    einzige    in    die    Augen    springende  Formation    auf    der 
Jnpiterscheibe    war  ein  breiter,    dunkler  Doppelstreifen   südlich  vom 
Äquator.     Der  Raum  zwischen  diesem  Streifen  war  nicht    hell,  und 
die   Trennung    überhaupt    schwer   wahrzunehmen.     Der    rote    Fleck 
wurde  nicht  gesehen,  wohl  aber  an  seinem  Orte  einige  Male  ein  graues 
Fleckchen,    das  wahrscheinlich  dem  östlichen  Ende  des  Fleckes  ent- 
spracL    In  der  äquatorialen  Zone  konnte  auch  kein  bestimmtes  Detail 
wahrgenommen   werden.     Die   nördliche  Komponente   des   oben   ge- 
nannten Doppelstreifens  war  gewöhnlich  dunkler  als  die  andere  und 
zeigte  mehrere  dunkle  Fleckchen,  von  denen  eins  etwas  in  die  hellere 
Zentralzone  hineinragte. 

Saturn  durch  die  Cassinlsche  Spalte  sichtbar.    G.  T. 

Whitmell  hat  darauf  hingewiesen,  dass  um  die  Zeit  des  17.  Juli  1902 
der  Ring  des  Saturn  eine  solche  Lage  gegen  die  Erde  besitzen 
werde,  dass  man  von  dieser  aus  durch  die  Cassinische  Trennungs- 
linie auf  den  Planeten  herabsehen  könne.  Demnach  werde  diese 
Trennungsspalte  vor  der  Satumscheibe  nicht  wie  sonst  (wegen  des 
Schattens,  den  sie  auf  Saturn  wirft)  schwarz  erscheinen.  Diese 
Vorausbestimmung  hat  sich  bestätigt.  Der  Präsident  der  Astron. 
Gesellschaft  zu  Leeds,  Mr.  Townshend,  hatte  Gelegenheit,  bei  gün- 
stiger Witterung  den  Saturn  und  seinen  Ring  am  15.  Juli  1902  zu 
beobachten  und  sah  die  Cassinische  Linie  über  die  ganze  Ringober- 
fläche,  auch  vor  der  Scheibe  des  Saturn.  Am  17.  Juli  war  sie 
dagegen  vor  der  letztem  unsichtbar.  Auch  Mr.  Whitmell  hat  am 
17.  Juli  mit  einem  9-zolligen  Refraktor  vergeblich  nach  der  Fort- 
setzung dieser  schwarzen  Linie  auf  der  Strecke  vor  der  Scheibe  des 
Saturn  gesucht. 

Der  Schatten  der  Saturnkugrel  auf  den  Ringen  des 
Satonu  Seit  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  haben  verschiedene 
Beobachter  die  Wahrnehmung  gemacht,  dass  der  Schatten,  welchen 
Saturn  auf  seinen  Ring  wirft,  nicht  selten  eine  Begrenzung  zeigt, 
die  mit  der  Voraussetzung  einer  ebenen  Ringfläche  perspektivisch 
nicht  zu  vereinigen  ist  Einzelheiten  hierüber  sind  in  zahlreichen 
Bänden  des  »Sirius«  enthalten.  Auch  die  dort  gelegentlich  gegebenen 
Abbildungen  des  Saturn  und  seiner  Ringe  zeigen  fast  alle  eine 
anormale  Begrenzung  des  Schattens  der  Saturnkugel,  die  haupt- 
sächlich darin  besteht,  dass  dieser  Schatten  auf  der  Ringfläche 
konkav  gegen  den  Saturn  hin  gekrümmt  erscheint ;  zu  andern  Zeiten 
5Eeigt  er   sich  entschieden  dreieckig.     In  neuerer  Zeit  hat   sich   nun 

Klein,  Jahrbuch  XTU.  4 


50  Planeten. 

Dr.  Wonaszek  auf  der  Sternwarte  Kis-Kartal  in  Ungarn  eingehend 
mit  Beobachtungen  dieser  Schattengestalt  beschäftigt  und  ist  nun- 
mehr zu  dem  Ergebnisse  gekommen,  dass  diese  anormale  Schatten- 
form  periodisch  wiederkehrt^)  Aus  seiner  Abhandlung  sei  folgendes 
hier  hervorgehoben:  Den  Beobachtungen  gemäss  ist  die  Erscheinung 
vor  und  nach  der  Quadratur,  wenn  Saturn  und  Sonne  90®  in  Länge 
voneinander  abstehen,  möglich.  Die  anormale  Schattenerscheinung 
zeigt  sich  frühestens,  wenn  Saturn  noch  um  einen  Bogen  von  56® 
10.6'  von  der  Quadratur  entfernt  steht,  und  spätestens  wenn  er  34® 
16.6'  über  die  Quadratur  hinaus  ist  Der  konkave  Schatten  erscheint 
also  vor  der  Quadratur  bei  grösserer  Elongation  als  nach  derselben. 

Die  Beobachtungen  zeigen,  dass  die  Schattenerscheinung  zwischen 
den  Grenzen  der  grössten  Elongationen  um  die  Quadraturen  herum 
in  jeder  Lage  vorkommen  kann. 

Es  fand  sich  aber  auch,  dass  der  konkave  Schatten  in  einer 
Reihe  von  Jahren  nicht  regelmässig  bei  derselben  relativen  Lage  des 
Planeten  vorkommt;  vielmehr  zeigen  die  Beobachtungen,  dass  der 
konkave  Schatten  einige  Jahre  nacheinander  vor  der  Quadratur, 
dann  aber  einige  Jahre  nacheinander  nach  der  Quadratur  auf- 
getreten ist 

Dieser  Wechsel  um  die  Quadratur  herum  weist  eine  Regel- 
mässigkeit auf,  die  auf  eine  weitere  Periodizität  der  Erscheinung  deutet 

Der  konkave  Schatten  erschien  im  Jahre 

1895  nach  der  Quadratur    2  Tage 

1896  >        >  >  28     > 

1897  vor  der  Quadratur       4     > 
1896    >      >  >  27     » 

1899  >      >  >  56     » 

1900  nach  der  Quadratur    4     > 

Eine  hiemach  gezeichnete  Kurve  zeigt  also  einen  minimalen 
Wert  im  Jahre  1896  und  einen  maximalen  Wert  im  Jahre  1899. 
Demnach  deutet  sie  auf  eine  fünfjährige  Periode  der  Erscheinung, 
wobei  der  konkave  Schatten  3  Jahre  nacheinander  vor  der  Quad- 
ratur bei  stetig  wachsender  Elongation,  2  Jahre  nacheinander  aber 
nach  der  Quadratur  zu  beobachten  wäre. 

Im  Jahre  1901  war  demnach  ein  Minimum  der  Kurve  zu  er- 
warten, das  heisst,  die  Schattenerscheinung  musste  nach  der  Quad- 
ratur um  28 — 30  Tage  zu  beobachten  sein,  bei  einer  maximalen 
Elongation  von  34®  16.6'. 

Die  Erscheinung  besitzt  nicht  eine  blosse  optische  Bedeutung, 
sondern  hängt  mit  der  Frage  der  Oberflächengestalt  der  Ringe  eng 
zusammen,  worüber  Dr.  Wonaszek  sich  wie  folgt  äussert: 


^)  A  Kis-Kartalu  Csillaquizsgälo-Intizet  Tevekenysege  m.  Buda-Pest  1901. 


Planeten.  51 

Wäre  die  Oberfläche  des  Ringsystemes  beständig  eine  Ebene 
oder  beständig  cylindrisch,  so  müsste  der  Schatten  der  Kugel  auf 
den  Ringen  auch  beständig  dieselbe  Form  zeigen  gegen  die  Erde  um 
die  Quadraturen  herum« 

Die  Projektion  einer  Kugel  auf  die  Ebene  kann  nur  eine  zu 
der  Kugel  gekrümmte  Begrenzung  haben,  deren  Ejummung  je  nach 
der  Lage  der  Ebene  und  nach  der  Richtung  der  Projektion  wechselt. 

Wäre  also  die  Flächengestaltung  des  Ringsystemes  beständig 
eine  Ebene,  dann  hätte  der  Schatten  der  Kugel  auf  der  Ebene 
beständig  eine  zu  der  Kugel  gewendete  krumme  Begrenzung,  deren 
Krümmung  sich  je  nach  der  Lage  der  Ebene  und  nach  der  Richtung 
der  Sonnenstrahlen  ändern  müsste. 

Die  konkave  Schattenerscheinung  deutet  eine  konische  Flächen- 
gestaltung des  Ringsystemes  an;  es  scheint  auch,  dass  die  Ebenen 
der  einzelnen  Ringe  zeitweise  gegeneinander  Neigungen  haben,  die 
sich  bisweilen  bilden  und  wieder  verschwinden. 

Das  Bingsystem  des  Saturn  würde  dann  als  ein  Gardanisches 
System  einer  Bussole  aufzufassen  sein,  wobei  die  einzelnen  Ringe, 
wie  an  Axen  befestigt,  kleine  Schwingungen  ausüben.  Die  Axen 
der  einzelnen  Ringe  können  miteinander  einen  rechten  oder  einen 
nach  Umstanden  wechselnden  Winkel  bilden,  der  durch  wahrscheinlich 
periodisch  wirkende  Attraktionen  periodische  Schwankungen  aufweist. 

Die  verschiedene  Beleuchtung  der  einzelnen  Ringe  würde  auch 
ganz  ungezwungen  zu  deuten  sein  durch  die  Annahme  einer  konischen 
Flächengestaltung  des  Ringsystemes. 

Wenn  die  Ebenen  der  Ringe  gegeneinander  veränderliche 
Neigungen  haben,  werden  auch  die  einzelnen  Flächen  entsprechend 
wechselnde  Beleuchtung  von  der  Sonne  empfangen;  es  entsteht  also 
eine  verschiedene  Belichtung  der  Flächen,  wodurch  wir  die  einzelnen 
Ringe  in  verschiedener  Beleuchtung  sehen,  was  die  Beobachtungen 
bestätigt  haben. 

Das  Ringsystem  besteht  nach  der  Maxwellschen  Theorie  aus 
onermesslich  vielen  kleinen  Körperchen,  es  ist  eine  Art  leuchtende 
Wolke. 

Die  Verteilung  der  Partikelchen  in  den  Ringen  hängt  teils  von 
Attraktionen,  die  dem  Systeme  innewohnen,  teils  von  solchen  ab,  die 
in  den  kosmischen  Verhältnissen  ihren  Ursprung  haben.  Da  sich 
die  Attraktionsverhältnisse  des  Systemes  und  auch  der  Umgebung  — 
durch  Veränderung  der  Lage  der  Massen  —  mit  der  Zeit  um- 
gestalten, wird  sich  auch  die  Verteilung  der  Partikelchen  in  den 
Ringen  zeitweise  ändern.  Demzufolge  unterliegt  die  ganze  Oberfläche 
des  Ringsystemes  gewissen  Veränderungen,  die  durch  die  Verteilung 
der  kosmischen  Massen  bedingt  sind. 

Der  verschiedenen  Beleuchtung  der  einzelnen  Ringe  gemäss 
würde  der  dunkle  Ring  aus  weniger  dicht  zusammengedrängten  Par- 

4» 


52  Planeten. 

ükelchen  bestehend  anzunehmen  sein,  dagegen  enthalten  die  hellen 
Ringe  die  Partikelchen  mehr  gedrängt. 

Das  Auftreten  und  Verschwinden  der  Teilungen  in  den  Ringen 
ist  durch  die  wechselnden  Neigungen  der  Ringebenen  leicht  ver- 
ständlich. Wenn  die  Attraktionsverhältnisse  die  Verteilung  der 
Partikelchen  und  die  Neigungen  der  Ringebenen  günstig  gestalten, 
wird  sich  eine  Zweiteilung  der  Ringe  bilden;  sobald  sich  aber  die 
Attraktionsverhältnisse  ändern,  schliessen  sich  die  Ringe  wieder  zu- 
sammen. 

Die  Theorie  über  die  Flächengestaltung  des  Ringsystemes  wäre 
also  in  den  folgenden  Punkten  zu  ergänzen: 

1.  Die  Flächengestalt  der  Saturnringe  besitzt  eine  konische 
Krümmung. 

2.  Die  konische  Krümmung  der  Ringfläche  ist  veränderlich, 
wegen  der  Veränderungen  der  innern  und  äussern  Attraktions- 
verhältnisse. 

3.  Die  Ebenen  der  einzelnen  Ringe  haben  zeitweise  wechselnde 
Neigungen  zu  einander,  wodurch  sich  die  Ebenen  auch  teilweise 
decken  können. 

4.  Die  Verteilung  der  Partikelchen  in  den  einzelnen  Ringen 
kann  sich  auch  derart  ändern,  dass  in  den  Ringen  Trennungen  ent- 
stehen, die  wieder  verschwinden,  wenn  sich  die  günstigen  Attraktions- 
verhältnisse geändert  haben. 

Die  Durchmesser  der  Saturnsmonde  Titan  und  Japetus 

sind  von  Dr.  J.  J.  See  am  26-zolligen  Refraktor  zu  Washington 
untersucht  worden.^)  Er  findet,  dass  beide  in  dem  grossen  Refraktor 
messbare  Scheiben  zeigen,  und  giebt  als  definitiven  Mittelwert  für 
Titan  0.73"  entsprechend  einem  wahren  Durchmesser  von  5049  km. 
Der  Durchmesser  des  Japetus  ist  erheblich  kleiner  und  steht  ziem- 
lich an  der  Grenze  der  Wahmehmbarkeit,  doch  hält  Dr.  See  für 
sicher,  dass  dieser  Mond  im  Washingtoner  Refraktor  eine  kleine 
Scheibe  zeigt  Den  Scheibendurchmesser  desselben  schätzt  er  auf 
0.19",  was  auf  einen  wahren  von  1300  km  führen  würde. 

Spektrogrraphische  Aufnahmen   des  Planeten  Uranus 

hat  H.  Deslandres  in  Meudon  bei  Paris  ausgeführt  zu  dem  Zwecke, 
aus  der  etwaigen  Verschiebung  von  Spektrallinien  Auskunft  über 
die  Rotation  dieses  Planeten  zu  gewinnen.^  Diese  Aufnahmen  er- 
gaben, dass  der  nordöstliche  Rand  der  Uranusscheibe  eine  von  der 
Erde  abgewandte,  der  südwestliche  eine  auf  diese  hin  gerichtete  Be- 
wegung besitzt  Hieraus  folgt,  dass  Uranus  in  der  Richtung  von 
Ost  nach  West  rotiert,  und  der  Äquator  desselben  sehr  stark  gegen 


')  Astron.  Nachr.  No.  3764. 
«)  Compt.  rend.  135.  p.  472. 


Mond.  53 

die  Bahnebene  geneigt  ist.  Es  findet  also  Übereinstimmung  der  Ro- 
tationsrichtnng  des  Planeten  mit  der  Umlaufsrichtung  seiner  Trabanten 
statt  Auch  den  Planeten  Neptun  hat  Deslandres  in  der  nämlichen 
Absicht  untersucht,  ohne  jedoch  zu  sichern  Ergebnissen  bis  jetzt 
gelangt  zu  sein. 


Mond. 

Unterauchungren  über  die  westlichen  Randgregenden  der 
Mondscheibe«  Die  starken  optischen  Verzerrungen,  in  denen  sich 
für  uns  die  Randpartien  des  Mondes  darstellen,  geben  natürlich  auf 
der  Mondkarte  ein  ganz  unrichtiges  Bild  der  wirklichen  Gestalten 
der  randlichen  Gebirgseriiebungen.  Wie  sehr  dieses  der  Fall  sein 
muss,  erkennt  man  sofort,  wenn  man  etwa  die  östliche  Halbkugel 
der  Erde  in  orthographischer  Projektion  mit  derjenigen  in  stereo- 
graphischer Projektion,  welche  sich  in  den  Erdatlanten  findet,  ver* 
gleicht  Diese  letztere  giebt  eine  richtige  perspektivische  Darstellung, 
welche  in  den  kleinsten  Teilen  ähnlich  und  ohne  Verzerrung  erscheint 
Es  ist  nun  aus  selenographischen  wie  selenologischen  Gründen  sehr 
wichtig,  wenigstens  die  uns  noch  sichtbaren  Randpartien  des  Mondes 
so  weit  aufzudecken,  dass  sie  in  stereographischer  Projektion  neben 
den  mehr  zentralen  Teilen  dargestellt  und  mit  diesen  verglichen 
werden  können.  Wollte  man  dies  auf  dem  Wege  der  unmittelbaren 
Messung  und  Zeichnung  an  der  Mondscheibe  selbst  erreichen,  so 
würde  die  Arbeit  sehr  weitschweifig  und  auch  wesentlich  ungenau 
werden,  was  auch  einer  der  Gründe  war,  welche  die  bisherigen 
Selenographen  bestimmte,  ihre  Karten  in  orthographischer  Projektion 
zn  entwerfen.  Die  photographischen  Aufnahmen  des  Mondes,  welche 
in  neuester  Zeit  erhalten  wurden,  haben  jedoch  nach  dieser  Richtung 
hin  bessere  Aussichten  eröffnet  Prof.  Dr.  Julius  Franz  in  Breslau 
ontemahm  es  nun,  die  Randgegenden  des  Mondes  in  stereographischer 
Projektion  darzustellen.  Den  bis  jetzt  ausgeführten  Teil  seiner 
Arbeit  hat  er  in  der  Pestschrift  veröffentlicht,  welche  die  Universitats- 
Stemwarte  in  Breslau  zum  90.  Geburtstag  des  Prof.  Galle  diesem  ge- 
widmet hat 

Um  das  angedeutete  Ziel  zu  erreichen,  sind  Messungen  der  Rand- 
gegenden bei  günstigen  Librationen  erforderlich,  und  von  solchen  ist 
in  der  erwähnten  Arbeit  ein  Anfang  gemacht  worden.  Zugleich 
worden  die  Lücken  ausgefüllt  in  der  erwähnten  Arbeit,  welche  die 
früher  von  Prof.  Dr.  Franz  bestimmten  150  Krater  besonders  in  der 
Umgebung  von  Tycho  zeigen,  weil  auf  den  dort  angewandten  photo- 
graphischen Vollmondplatten  wegen  Dberstrahlung  kaum  Objekte 
anbofinden  waren.  Nachdem  nämlich  durch  jene  150  Krater  jetzt 
genügende  Fixpunkte  gewonnen  sind,  ist  es  möglich»  sie  als  Normal- 


54  Mond. 

punkte  zur  Ausmessung  von  Mondbildem  anzuwenden,  die  nur  einen 
Teil  der  Oberfläche  beleuchtet  zeigen. 

Die  neue  Arbeit  von  Prof.  Dr.  Franz  soll  nur  als  Anfang  der 
auf  das  genannte  Ziel  gerichteten  Untersuchungen  dienen,  da  sie  nur 
den  südwestlichen  Teil  des  Mondrandes  behandelt  Auch  sollen  die 
in  ihr  gemessenen  160  Mondobjekte  durch  weitere  Messungen  an 
andern  Platten  wiederholt  bestimmt  werden«  Wenn  also  die  Arbeit 
das  gesteckte  Ziel  noch  nicht  ganz  erreicht,  so  ist  es  doch  wichtig, 
die  Ausmessung  eines  Mondbildes  in  sich  abzuschliessen ,  um  aus 
derselben  für  die  weitem  Untersuchungen  Erfahrung  und  Lehre  zu 
ziehen.  Ober  die  den  Messungen  zu  Grunde  liegenden  photographischen 
Platten  bemerkt  Prof.  Franz  folgendes: 

»Als  ich  im  Oktober  1901  die  neuen  grossen  Repsoldschen 
Meridianinstrumente  der  Breslauer  Sternwarte,  für  die  leider  der 
Platz  zur  Aufstellung  noch  fehlt,  besichtigt  hatte,  übergab  mir  auf 
der  Rückreise  in  Potsdam  der  Direktor  der  dortigen  Sternwarte,  Prof. 
Dr.  H.  C.  Vogel,  zwei  von  seinem  Assistenten  I^rof.  Dr.  J.  Hartmann 
am  grossen  Refraktor  von  80  cm  Öffnung  aufgenommene  schöne  Mond- 
bilder, Originalnegative  auf  Glasplatten  vom  9.  und  13.  Januar  1900. 
Sie  sind  scharf  auf  Kontrast  entwickelt  und  mit  äusserst  feinem 
Korne  in  der  Gtelatineschicht,  so  fein,  dass  es  schwierig  ist,  das  Mikro- 
skop auf  das  Korn  zu  fokusieren.  Freilich  waren  die  Platten 
hauptsächlich  mit  Rücksicht  auf  die  Deutlichkeit  der  Gegenden  bei 
der  Lichtgrenze  entwickelt,  und  es  mussten  die  lichtreichen  und  im 
Negativ  zu  dunklen  Gegenden  des  Westrandes  durch  Anwendung  von 
Gasglühlicht  aufgehellt  werden.  Von  diesen  beiden  Bildern  liegt  das 
erstere,  weil  es  eine  stärkere  Libration  zeigt,  der  folgenden  Aus- 
messung allein  zu  Grunde.  Es  wird  hier  als  Platte  VI  bezeichnet, 
weil  es  die  sechste  in  Breslau  ausgemessene  Mondphotographie  ist. 
Die  Konstanten  der  Platten  VI  sind  u.  a. :  Aufnahmezeit  =  1900 
Jan.  9.,  b^  40>»  M.  E.  Z.  Alter  des  Mondes  —  8.12  Tage.  Durch- 
messer =  113132  mm.  Positionswinkel  des  Mondnordpols  an  der 
Mitte  der  Mondscheibe  =  —  20^  24'.57.  Selenographische  Koordinaten 
der  Mitte  der  Mondscheibe  A0-f-5<>57'.06./J«—3<>56Ml,  welche  auch 
Libration  in  Länge  und  Breite  genannt  werden.  Gesamtlibration  == 
7^  8'.07  nach  dem  Positionswinkel  123^  28'.5,  so  dass  am  günstigsten 
der  Punkt  des  Westrandes  aufgedeckt  wurde,  der  die  Breite  —  33^ 
28'.5  hatte,  und  bei  welchem  der  Mondfleck  Marinus  E  liegt  Hier- 
nach war  das  Mare  Australe,  besonders  sein  nördlicher  Teil,  in  ziem- 
lich günstiger  Libration;  auch  das  Marc  Smythii  hatte  fast  eine 
ähnlich  günstige  Lage.  Oberhaupt  konnte  der  Westrand  luid  besonders 
der  Südwestrand  des  Mondes  durchforscht  und  hier  mancherlei  Neues 
gefunden  werden.  Dagegen  musste  im  Nordwesten  vermieden  werden, 
zu  nahe  an  den  Rand  zu  gehen,  weil  bei  dieser  Platte  VI  hier  die 
Messungen  wegen  ungünstiger  Libration  keine  befriedigenden  Resultate 
hätte  liefern  können,  c 


Mond.  55 

Der  Abhandlung  ist  ein  Lichtdrack  der  ausgemessenen  Platte  VI 
beigefügt  Er  giebt,  durch  ein  Vergrösserungsglas  betrachtet,  Aus- 
konft  über  die  Qualitäten  der  gemessenen  Objekte. 

Ferner  hat  Prof.  Franz  ein  Bild  des  Mondes  und  der  gemessenen 
FiHrmationen  in   stereographischer  Projektion   gezeichnet.     Dies   soll 
keine  Mondkarte   sein,    sondern    als  Schlüssel    zum    Kataloge,    als 
Legende   oder  Indexmap    dienen  und  enthält  deshalb  hauptsächlich 
die  gemessenen  Gebilde.     Zur  Orientierung  sind  auch  die  Meere  mit 
ausgezeichnet,   und  zwar  die  der  Westseite  genauer  nach  Platte  VI, 
während   die  Meere   der   Ostseite   nur  ungefähr   angedeutet  werden 
konnten,  da  er  diese   später  bei  Durchforschung  des  Ostrandes  ge- 
nauer darausteilen  gedenkt    Am  Ostrande  sind  auch  zwischen  —  15® 
und  —  30^  einige  neue  Meere  angedeutet,  die  Prof.  Franz  mit  dem 
Fernrohre   aufgefunden  hat     Die  jetzt  gemessenen  Objekte  sind  im 
Kataloge  mit  No.  151 — 808  numeri^,  und  kommen  unter  ihnen  auch 
von  den  früher  gemessenen    160   Kratern   59   Hansen  A  und   126 
Seneca  A  vor,  so  dass  im  ganzen  160  Objekte  für  diese  Abhandlung 
gemessen  sind. 

Es  zeigte  sich  notwendig,  einige  neue  Namen  und  Buchstaben 
einzuführen,  weil  ohne  solche  die  gemessenen  Gebilde  nicht  zu  be- 
zeichnen waren.  Oberhaupt  hat  Prot  Franz  das  Fehlen  von  Namen 
oft  als  Hindernis  empfunden  und  öfter  schöne  Objekte  nur  deshalb 
nicht  in  das  Messungsprogramm  aufgenommen,  weil  ihnen  Namen 
fehlten,  und  er  sie  nicht  gleich  zu  bezeichnen  wusste. 

Für  4  Meere,  welche  von  den  frühem  Zeichnern  der  Mond- 
oberfläche teils  nicht  gesehen,  teils  unbeachtet  gelassen  wurden,  weil 
diese  meist  in  der  Nähe  der  Lichtgrenze  zeichneten,  und  dort  die  Meere 
kaum  sichtbar  bleiben,  mussten  neue  Namen  eingeführt  werden.  Die- 
sdben  sind  mit  *  bezeichnet,  neue  Buchstaben  ebenfalls  mit*.  Diese  sind: 

1.  Marc  Spumans  *  in  A  -}-  63®  ß  -|-  1®,  ein  am  Rande  des 
M.  Foecunditatis  liegendes,  sehr  dunkles  Meer.  Sein  Hauptkörper  a*, 
b^,  c*,  d*  gleicht  einer  Blume  (Gampanula)  oder  einem  vierblättrigen 
Kleeblatte,  mit  Stengel  nordwärts  bis  e*,  und  ist  von  vielen  Krater- 
meeren, zu  denen  man  auch  264  Apollonis  und  vielleicht  271  Firmicus 
mit  seiner  nordöstlichen  dunklen  Nachbarfläche  rechnen  kann,  wie 
von  brandenden  Schaumtropfen  tungeben.  Man  könnte  dies  Meer 
freilich  auch  als  einen  Ausläufer  des  Marc  Foecunditatis  betrachten, 
doch  hebt  es  sich  so  charakteristisch  von  diesem  ab,  dass  es  und 
seine  einzelnen  Teile  zur  Bezeichnung  Namen  erfordern.  Prof.  Franz 
hat  es  auf  allen  ihm  zugänglichen  Mondkarten  vermisst  und  nur  auf 
Schmidts  Karte  die  »Blume«  angedeutet  gefunden. 

2.  Mare  Undarum  *  in  Jl  -|-  68^  /S  -|"  7®.  Auch  dieses  ist  sehr 
dunkel  und  schön  ausgeprägt  und  besteht  der  Hauptsache  nach  aus 
vier  von  Nord  nach  Süd  sich  erstreckenden  wellenähnlichen  Streifen, 
nttnUch  1.  h*  und  i*,  2.  a*,  3.  b*  mit  f*  und  g*,  4.  c*  und  e*,  von 
öeaen  sich  die  drei  letzten  wellenförmigen  Streifen  in  der  Nordspitze  d* 


56  Mond. 

vereinigen.  Der  Anblick  im  Femrohre  bei  günstiger  Libration  zeigt,  dass 
das  Mare  Undarum  eine  homogene  dunkle  Fläche  ist,  die  nur  durch 
einzelne  helle  Gebirge  in  vier  streifenförmige  Wellen  zerteilt  ist. 

3.  Mare  Marginis  *  von  l  -\-  76®  bis  über  90®  hinaus,  und  von 
ß  -{-9^  bis  -f-  24®,  das  umfangreichste  der  vier  neuen  Meere.  Die 
Ostseite  zeigt  wegen  ihrer  günstigen  Sichtbarkeit  interessante  Einzel- 
heiten, so  die  Figur  a*  b*,  zwei  flügeiförmige  nach  West  konvexe 
Bogen,  dem  Abbilde  eines  fliegenden  Vogels  vergleichbar  (Taube  mit 
Olblatt  d*).  Besonders  dunkel  sind  an  der  Nordseite  die  Nuss 
A  +  83®,  /8  -f-  18®  im  Rachen  und  die  ähnliche  Nuss  X  +  87®, 
/}-|-  17®  am  Halse  unter  der  Kinnlade,  auch  die  Nase  von  g*  bis 
in  die  Mitte  der  Ostküste.  Der  Schopf  bei  f  *  erschien  im  Fernrohre 
mehr  rund  als  auf  der  Figur.  Auch  273  Neper  ist  zu  den  Aus- 
läufern dieses  Meeres  zu  rechnen,  obgleich  dies  Gebilde  von  dem 
Hauptkörper  des  Meeres  deutlich  getrennt  ist.  Denn  Neper  ist  eine 
isolierte,  unregelmässige  dunkle  Fläche,  deren  helles  Zentralgebilde 
als  273  gemessen  ist.  Es  ergab  sich  Platte  VI:  A  -|-  84®  12'.0, 
/8  +  80®  40'.0,  Platte  ffl  (bisher  unveröffentücht) :  i  -|-  84®  6',30, 
^4-8^  42'.56. 

4.  Mare  Anguis  *  in  A  +  67^  ß  +  23®.  Es  besteht  aus  drei  nach 
West  konvexen  Windungen,  von  denen  die  beiden  südlichen  die 
grössten  und  dunkelsten  sind.  Die  südliche  Windung  biegt  an  ihrem 
Südende  ganz  nach  Nordwest  um.  östlich  von  dieser  Umbiegung  ist 
in  einem  dunklen  Kopfe  ein  heller  Augenpunkt,  als  280  gemessen. 
284  ist  das  Nordende  der  dritten  nördlichsten  und  weniger  dunklen 
Windung.  Das  Meer  hätte,  wie  sich  später  bei  günstiger  Libration 
im  Femrohre  zeigte,  in  stereographischer  Projektion  doppelt  so  breit 
gezeichnet  werden  sollen,  als  es  geschehen  ist.  Man  kann  es  als  Ausläufer 
des  Mare  Grisium  betrachten.    Es  verdient  aber  besondere  Bezeichnung. 

Über  die  andern  Westmeere  bemerkt  Prof.  Franz  folgendos: 
Mare  Smythii  ist  heller  als  die  vier  oben  genannten  Meere  und  enthält 
eine  grosse  Anzahl  heller  Punkte.  Schmidt  nennt  es  Kästner  und 
sagt  Erläuterungsband  pag.  208:  »Das  Mare  Smythii  der  englischen 
Selenographen  ist  nur  bei  günstiger  Libration  des  Mondes  sichtbar 
westlich  vom  Mädlerschen  Kästner.  Mir  scheint  aber  Schröter  das 
Mare  selbst  mit  Kästner  zu  bezeichnen.«  Mädler  zeichnet  Kästner 
von  —  9®  bis  —  4®  Breite,  Schmidt  von  —  8®  bis  +  6®  Breite,  und 
bei  ihm  hebt  sich  ein  Kratermeer  (vielleicht  Mädlers  Kästner)  von 
—  8®  bis  —  5®  Breite  deutlich  von  dem  schmalen  gleichmässigen 
Randstreifen  des  Hauptmeeres  ab. 

Mare  Humboldtianum  hat  Prof.  Franz  nach  dem  Fernrohre  ge- 
zeichnet imd  bei  abnehmendem  Monde  gesehen,  dass  es  in  einem 
grossen  Ringgebirge  liegt.  Dies  zeichnet  Mädler  auf  der  letzten 
Tafel  am  Schlüsse  seines  Werkes:  »Der  Mond«,  und  eine  von  ihm 
dort  hell  gezeichnete  Bergader  giebt  ziemlich  genau  den  Ostrand  des 
dunklen  Mare  an. 


Mond.  57 

Mare  Australe   konnte  wegen  ziemlich  günstiger   Libration   der 
Platte  VI  detailliert  gezeichnet  werden,    doch  hofft   Prof.  Franz,    die 
sudwestlichen  Teile  bei  günstigerer  Libration  später  noch  vermessen 
und  besser  darstellen   zu   können.      Die   Namen  c,   d,   e,    sind  von 
Stadler,  der  diese  zu  Vega  rechnet,  e  wird  von  Gaudibert  und  Schmidt 
Brisbane  genannt,  d  von  Schmidt  Peirescius.    Schmidt  zeichnet  aber 
beide  hell,  während  sie  dunkel  sind,   f*  ist  sehr  klein,   h*  und  be- 
sonders g*  sind   sehr   schöne   neue   gefundene  Meeresteile.     An   der 
Ostseite  von   g   befindet   sich   ein   Einschnitt  (Kap  oder  Landzunge) 
186  s*.      Dieser   Einschnitt  ist   vielleicht   nur   scheinbar   und   kann 
vielleicht  die  Verdeckung  des  Randes  durch  einen  hellen  Gipfel  sein. 
A*  und  D*  sind  helle  Punkte  in  dunkler  Umgebung.    Die  gleichfalls 
kellen  ß  und  y  fand  Prof.  Franz  auf  Nelsons  Karte.     Zu  den  Aus- 
läufern des  Mare  Australe  kann  man  ausser  dem  runden  Hanno  und 
dem   unregelmässig   geformten  Oken   noch  Marinus  d  und  das  neue 
runde   Meer   Abel*   rechnen,    südwestlich   von   Legendre.      Dies   hat 
ProL  Franz   zum  Andenken  an  den  norwegischen  Mathematiker  be- 
nannt   der    die   Ei-weiterung   der   von   Legendre   zuerst   behandelten 
elliptischen    Integrale    und    ihre  Umkehrungen,     jetzt    als    Abelsche 
Funktionen  bezeichnet,  gegeben  hat.    Nordwestlich  von  Abel*  befindet 
sich  noch  ein  noch  unbenanntes  Meer,    im  Innern   und   am  Südost- 
rande heller.    Endlich  hat  der  Innenrand  von  W.  Humboldt  in  Jl  -f"  Ö^^» 
ß  —  28®  stellenweise  auffallend  dunkle  Meeresfarbe.     Diese  7  West- 
meere haben  neue  Gebilde  in  unerwartet  reicher  Fülle  enthüllt. 

Auch  einige  Krater  mussten  wegen  Fehlens  der  Namen  hier  neu 
bezeichnet  werden.  So  liegt  jenseits  Boguslawski  ein  grosser 
Krater,  den  auch  Schmidt  auf  seiner  Mondkarte  ausführlich  zeichnet. 
Sein  Mittelpunkt  berechnet  sich  mit  Hilfe  sphärischer  Dreiecke  aus 
den  gemessenen  Scheiteln  der  Projektionsellipse  zu  A  -|-  59®  5'.3, 
ß — 78®50'.2.  Prof.  Franz  wollte  diesen  Krater  ursprünglich  Galle 
nennen,  weil  Galle  Nachfolger  von  Boguslawski  als  Direktor  der 
Breslauer  Sternwarte  ist;  doch  bemerkte  er  darauf,  dass  Schmidt  für 
Lohrmanns  Mondkarte  den  Krater  Aristoteles  B  in  A  = -{- 22®  14'.9 
und  ^=-|-55®43'.6  schon  >Gallec  benannt  hatte  und  im  Erläuterungs- 
band Seite  228  hervorhebt,  dass  er  auf  diesen  Namen  nicht  ver- 
zichten kann.  Deshalb  wurde  für  294  Schmidts  Name  Galle  bei- 
behalten und  der  Krater  am  Südpole  jenseits  Boguslawski  mit  Jungnitz 
benannt,  zum  Andenken  an  den  Vorgänger  von  Boguslawski  und 
ersten  Direktor  der  Breslauer  Sternwarte,  über  dessen  Leben  und 
Thätigkeit  Galle  in  seinen  Mitteilungen  der  Breslauer  Sternwarte  von 
1879  Bericht  erstattet  hat 

Der  durchweg  sehr  helle  Krater  212  westlich  von  Oken  wurde 
Kelvin*  genannt,  weil  Lord  Kelvin  (früher  W.  Thomson)  auch  über 
Naturphilosophie  geschrieben  hat,  wenn  auch  in  ganz  anderer  Richtung 
als  Oken. 


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20  16 

69  20 


88  16 
32  16 


62  12 
66  15 

28  17 


88  32 

47  16 

81  16 

78  80 

88  24 

83  14 

93  24 

30  18 

18  18 

56  27 

18  18 

34  18 

16  16 


31  18 
30  15 


89  24 

20  16 

19  16 

32  21 

36  21 

60  18 

32  22 

33  21 
43  16 
78  26 
16  16 

34  21 
39  26 
63  16 
38  27 
22  19 
42  27 


109  37 

40  29 

23  18 

34  33 

126  38 


29  17 

39  44 

S  27 

42  27 

26  18 

82  27 

21  20 

29  21 

15  16 

28  25 

23  23 

18  18 

62  33 

38  32 


8.7  in  7.0 

8.7  7.0 
9u.0  0u.5 

8.6  0 

0.7  8.0 

0  7.8 

7  1 

7  1 

9u.l  6.2 

9.6  7.0 

8.8  6.5 
8.0  7.6 
83  7.7 

7.5  6.8 

1.7  7.7 
6.2  2.2 
8.0  6.0 
0.5  6.5 

8.6  6.6 

8.8  6.8 
5.8  5.0 
8.2  5.8 
7.8  35 
7.8  6J5 
1.5  6.5 
5.0  3.2 
55  dB 
7.8  5.0 
4.0  3.0 
7.2  4.0 
5.2  3.8 
3.0  5.3 
3.0  5.2 
5.2  3.5 

3.2  5.0 
4.0  5.0 

3.0  5.2 
2.8  5.8 

7.5  5.5 

9.6  7.2 

6.1  4.0 

6.5  3.8 

3.3  5.3 
2.8  5.2 

5.6  3.8 

9.2  7.0 
6.8  5.8 
4.0  5.0 
5.0  3.6 

7.3  63 
8.2  5.5 
5.0  3.0 
8.2  bH 

8.4  6.6 
8.2  5.5 


1.7  6.3 
8.2  5.7 
7.2  5.2 
5.0  3.8 

8.8  7.8 
7.2  3.8 

sli  6.2 

8.8  5.2 

6.0  3.8 

8.2  6.2 

8.6  6JS 

3.8  7.6 

7.6  4.2 

8.2  6.2 

4.5  8.6 
10.0  9,0 

4.6  8.5 

6.8  3.8 
6.0  4.2 

9.9  8.9 
9.2  7.4 
6.0  4.5 


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59 


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S.3in6.6 

Ö.&  4.0 

4.0  2.2 

ö.a  4.0 

ae  5.5 

7.5  4.0 

0,0  7.8 

8.7  5.7 
T.B  6.8 
ÜB  5.Ü 
8.0  4.2 

7.8  6.8 
9,0  7,0 
3.5  6,5 
2.8  5,7 
6.5  4B 
3.8  S.& 
3.0  5.0 
3.S  5.5 
2.5  5.0 
4.y  2.7 
3.B  5.0 
3.0  4.5 
23  Q.a 
2.8  4.S 
2.B  2.0 
2.8  5.5 
8.0  5.0 

3.2  5.2 
8.8  7.2 
3.0  4.8 
3.5  5.0 
3.0  5.0 
2.8  7.0 
3.0  6.0 

3.3  6.3 

3.5  5.5 
3.8  5.0 
3.0  6.8 
3.0  6.0 

2.3  7.0 
8.0  5.0 
0.0  6.7 
3.0  5.0 
8.0  6.0 
4.0  6.3 
8.0  5.0 
9.0  7.5 

3.6  7.0 

4.0  6.3 

6.7  3.3 

7.5  4.5 

3.1  2.8 
9.0  7.5 
4.0  6.0 

6.2  4.7 

9.6  8.8 
7.2  4.8 
7.5  5.0 
6.2  4.8 
7.5  bJÜ 
3.0  6.0 

9.6  2.8  6.0 

8.5  6.6 

8.8  3.0 
6.0  4.2 
4.5  3.0 
6.2  4.2 
6.5  6.0 
7.5  6.0 

6.5  3j2 

7.6  4.5 
7.6  6.0 

7.6  6.2 
8.0  6.8 

6.7  4.7 

si  65 

9.0  8.0 

9.4  9.0 


60  Mond. 

Der  Krater  Gauss  in  A  =  +  73^  ^  =  +  34®  ist  von  Mädler 
und  Neison  zu  lang  und  zu  weit  nördlich  gezeichnet.  Randwärts 
von  ihm  und  etwas  nördlicher  liegt  ein  mindestens  ebenso  langer, 
aber  schmalerer  Krater,  den  man  nach  dem  gleichfalls  Göttinger 
Mathematiker  mit  Riemann*  bezeichnen  könnte.  Letzterer  fehlt  bei 
Lohrmann,  Mädler  und  Neison;  beide  Krater  werden  aber  von  Schmidt 
und  Gaudibert  richtig  gezeichnet.  Beide  sind  nur  in  der  Nähe 
der  Lichtgrenze  sichtbar,  verschwinden  daher  vollständig  auf  der 
Photographie.  Prof.  Franz  hat  am  23.  April  1902  Riemann*  bei 
Sonnenuntergang,  am  24.  April  Gauss  auch  bei  Sonnenuntergang  und 
am  10.  Mai  letztern  bei  Sonnenaufgang  im  Femrohre  gesehen.  Der 
Name  Neumayer  ist  von  Schmidt  für  den  Krater  jl  ==  -j-  77®, 
/8  =  — 7P  eingeführt 

Prof.  Franz  giebt  alles  nötige  Detail  über  seine  Ausmessungen 
der  Platten  und  einen  Katalog  der  neu  bestimmten  Krater  und  Rand- 
punkte, welcher  deren  selenographische  Länge,  Breite  und  Durch- 
messer, sowie  die  geschätzte  Helligkeit  der  Umgebung  enthält 

Im  Anschlüsse  an  den  ersten  Katalog  von  150  neu  bestimmten 
Objekten  ^)  folgt  auf  S.  58  und  59  auch  dieses  2.  Verzeichnis. 

Ober  den  Bau  und  die  Bildungrsgresehiehte  der  Hond- 
rinde  stellten  Loewy  und  Puiseux  gelegentlich  der  Ausgabe  des  5. 
und  6.  Heftes  des  Pariser  photographischen  Mondatlas  einige  Be- 
trachtungen an.^  Sie  finden,  dass  die  Oberflächenfaltungen,  die  so 
ausgedehnt  und  so  mannigfaltig  auf  der  Erdkugel  angetroffen  werden, 
auf  dem  Monde  nur  eine  verschwindende  Rolle  spielen.  Von  einem 
Pole  zum  andern  sind  es  vielmehr  die  Streckungen  (etirements)  und 
die  Dislokationen,  welche  vorherrschen. 

Der  Grund  für  diesen  Unterschied  kann  erkannt  werden,  wenn 
man  von  einer  bemerkenswerten  Abhandlung  ausgeht,  die  G.  Davison 
vor  einigen  Jahren  veröffentlicht  hat,  und  deren  Schlüsse  die  Billigung 
der  Mehrzahl  der  Geologen  gefunden  haben.  Man  nimmt  nämlich 
nach  diesen  an,  dass  für  eine  Kugel,  deren  Oberflächenabkühlung 
beendet  ist,  die  Neigung  zur  Faltung  auf  eine  verhältnismässig  dünne 
Rinde  lokalisiert  ist,  die  unten  durch  eine  Schicht  von  der  Spannung 
Null  begrenzt  wird.  Darunter  zeigt  sich  die  Tendenz  zur  Streckung, 
sie  erreicht  ein  Maximum  und  erlischt  darauf  nach  dem  Zentrum 
hin.  Die  thermischen  Angaben,  die  man  bisher  für  die  Erdkugel 
gesammelt  hat,  gestatten,  die  Tiefe  der  Schicht  mit  der  Spannung 
Null  auf  S  km  zvL  schätzen  und  auf  110  At»  diejenige  der  Schicht 
grösster  Streckung.  Diese  Zahlen  müssen,  wenn  keine  Störung  von 
aussen  eingreift,  wachsen  wie  die  Quadratwurzel  der  Zeit,  die  seit 
dem  Erstarren  der  Oberfläche  verflossen  ist.  Dass  Temperatur- 
messungen  der  Mondkugel,    wenn  sie  möglich  wären,   zu  ähnlichen 


1)  Dieses  Jahrbuch  12.  p.  42. 
■)  Compt.  rend.  185.  p.  73. 


Mond.  61 

Zaiilen  führen  "wnirden,  hat  man  Grund  zu  bezweifeln.     Wenn   man 
nämlich   annimmt,    dass   eine  Ursache   zu  stärkerer  Abkühlung  sich 
aussen   bemerkbar   macht,    dann   wird   die  Schicht,    in   welcher  der 
grösste  Wärmeverlust  stattfindet,  an  die  Oberfläche  verlegt,  und  die 
Tendenz  zur  Faltung  wird  gehindert   sein.     Damit   sie   wieder   auf- 
trete,   muss   die   Oberfläche   einen  neuen  Gleichgewichtszustand  an- 
nehmen.    Aber  noch  für  lange  Zeit  werden  die  Faltungen  auf   eine 
sehr  dünne  Schicht  lokalisiert  und  durch  das  Strecken  der  darunter 
liegenden  Schichten  vollkommen  unterdrückt  sein.     Es  scheint  nun, 
dass    das   Relief   des  Mondes    eine    schnellere  Oberflächenabkühlung 
andeutet  als  die,   welche  durch  den  Verlust   der   Innern  Wärme  be- 
dingt   sein    würde.      Gewisse    Anzeichen    haben    zu    der    Annahme 
geführt,  dass  in  einer  entlegenen  Zeit,    die   aber  der  Erstarrung  der 
Oberfläche  folgte,    der  Mond  eine  Atmosphäre   von    sehr   merklicher 
Dichte  besessen  hat,  und  dass  diese  Atmosphäre  in  der  Folge   ver- 
schwunden ist     Dieses  Verschwinden  hatte  zur   notwendigen  Folge 
ein  allgemeines  und  von    der  Sonnenstrahlung   unabhängiges  Sinken 
der  mittlem  Temperatur.     Man  kann  sich  von  dieser  Wärmeabnahme 
eine  Vorstellung   machen   aus   derjenigen,    welche   auf  unserer  Erde 
zwischen  dem  Meeresniveau   und   den   Gipfeln    der    höchsten   Berge 
stattfindet.      Die    Folgen    des   Verschwindens    der    Mondatmosphäre 
sind  nun  sehr  merkwürdig.     Zunächst  wird  sich  die  Wärmeabnahme 
auf  die  ganze  Kugel  erstrecken,  aber  nach  den  Breiten  sehr  ungleich 
verteilt  sein;  die  Äquatorialzone  des  Mondes  wird  sich  unvergleichlich 
mehr  abkühlen  als  die  Polarkalotten,  welche  bereits  nur  noch  wenig 
Wärme  in  den  Raum  zu  senden  hatten.  Sie  wird  also  eine  Streckung  er- 
leiden, welche  strebt,  ihre  Krümmung  zu  verringern,   und    eine  ein- 
gesunkene Zone  bilden.     Hieraus  resultiert  ein  Strömen  der  flüssigen 
Massen,    die   noch   in   hohem   Breiten    existieren    könnten,    in    der 
Richtung  gegen  den  Äquator. 

Das  Vorherrschen  der  Meere  in  den  niedem  Breiten,  das  teil- 
weise Untertauchen  der  Gebirgsmassive  in  der  Gegend  des  Äquators 
sind  seit  lange  bekannte  und  leicht  zu  verifizierende  Thatsachen. 
Anderseits  weisen  die  Blätter  des  Atlas  in  grosser  Zahl  Spuren  von 
Oberflächenströmungen  nach,  welche  auf  beiden  Hemisphären  von  den 
Polen  nach  dem  Äquator  gerichtet  sind.  Die  Peristenz  und  die  All- 
gemeinheit dieser  Züge  müssen  dazu  beitragen,  dass  wir  die  Verdünnung 
der  Mondatmosphäre  als  eine  verhältnismässig  rezente  Erscheinung 
betrachten,  die  vielleicht  noch  nicht  ihr  letztes  Ende  erreicht  hat 

Bestimmungren  der  Grössen  von  ISOKraterdurchmessern 
auf  der  Hondoberfläche  hat  K.  Graff  in  Berlin  ausgeführt^)  Der 
Monddurchmesser  wurde  bei  der  Berechnung  zu  3482  km  angenommen, 
ond  die  Messungen  beziehen  sich  durchschnittlich  auf  die  Offnungen 
der  Krater.     Folgendes  sind  die  erhaltenen  Resultate. 


»)  Aßtron.  Nachr.  No.  8780. 


Formatiau 


.$?■ 


Duroh- 


26.1 
76.5 
47.6 
38.6 
45.2 
137 
39.7 
27 
80.8 
14.9 
60.7 
24.8 
27.8 
29.4 
86.7 
50.3 
42.8 
73.0 


Kometen.  63 

Kometen. 
Die  Kometenersehelnungren  des  Jahres  1901.    Professor 
IL  Kreutz  hat  wie  in  frühem  Jahren  so  auch  für  1901  eine  Zusammen- 
stellung der  Eometenentdeckungen  und  Beobachtungen  gegeben,^)  der 
das  folgende  entnommen  ist 

Komet  1900  III  (Giacobini).  Die  letzte  Beobachtung  des  licht- 
schwachen Kometen  ist  am  15.  Februar  1901  von  Aitken  auf  der 
lickstemwarte  angestellt  worden.  Als  derselbe  Beobachter  am 
8.  liän  mit  dem  36-Zoller  abermals  nach  dem  Kometen  ausschauen 
wollte,  war  keine  Spur  mehr  von  ihm  vorhanden. 

Giacobini   hat  aus  drei,    sich   über  den  ganzen  Beobachtungs- 
zeitraum  erstreckenden  Normalörtem  die  folgenden  Elemente  abgeleitet: 
Epoche  1901  Jan.  14.5  M.  Z.  Berlin 

lf=,     e»  63' 48.1« 

»»171    19  27.1) 

i2==196   36   12.3}  1901.0 

»=:  29  52   16.5 

9=  47   38  21.5 

^  =  525.007- 
log  a  — 0.553227 

T=  1900  Nov.  28.210  11  Z.  BerUn. 

17=6.758  Jahre. 
Die  Umlaufszeit  scheint  sich  bei  diesem  Kometen,  wie  die  gute 
Obereinstimmung  mit  den  im  vorigen  Berichte  mitgeteilten  vorläufigen 
dementen   zeigt,   trotz   der  kurzen   Beobachtungszeit  relativ   sicher 
zu  bestimmen. 

Komet  1901  I.  Die  erste  Nachricht  über  diesen  hellen  Süd- 
kometen erhielt  die  Zentralstelle  am  25.,  resp.  26.  April  durch  zwei 
Telegramme  von  den  Sternwarten  Gapetown  und  Melbourne,  welche 
die  Entdeckung  am  23.  Aprü  durch  A.  Hill  in  Queenstown,  Cape- 
colony,  und  den  Leuchtturmswärter  Tattersall  in  Gap  Leeuwin  an 
der  Südwestküste  Australiens  meldeten.  Erst  2^/,  Monate  später 
wurde  durch  ein  Schreiben  von  Kropp  in  Paysandü  bekannt,  dass 
der  Komet  im  Staate  Uruguay  schon  am  12.  April  durch  Viscara, 
den  Verwalter  eines  Landgutes  in  der  Nähe  von  Paysandü,  entdeckt 
worden  sei,  dass  aber  in  Paysandü  selbst  erst  vom  20.  April  an 
Beobachtungen  möglich  gewesen  wären.  EndUch  sollen  Eingeborene 
in  Südaustralien  den  Kometen  am  21.  April  gesehen  und  dem 
Telegraphenbeamten  in  Belladonia  am  22.  d.  Mts.  davon  Mitteilung 
gemacht  haben,  ohne  dass  aber  der  letztere  die  Nachricht  weiter 
verbreitet  hätte. 

Der  Komet  war  zur  Zeit  der  Entdeckung  nur  in  der  hellen 
Morgendämmerung  kurz  vor  Aufgang  der  Sonne  am  Osthorizonte 
sichtbar.  Innes  am  Kap  schildert  ihn  am  24.  April  als  ein  helles 
Objekt  mit  deutlichem  Kerne  und  einem  10^  langen  Schweife.  Der 
Kern  war  noch  nach  Sonnenaufgang  einige  Zeit  sichtbar,  konnte  aber 

1)  Viert^jahraschrift  d.  astron.  Ges.  1903.  87.  p.  61. 


(54  Kometen. 

nicht  bis  zum  Meridiandurchgange  verfolgt  werden.  Da  keine  Vergleichs- 
steme  zugleich  mit  dem  Kometen  zu  sehen  waren,  mussten  sich  die 
Ortsbestimmungen  auf  die  Ablesung  der  Kreise  der  benutzten 
Instrumente  beschranken.  Am  27.  April  kam  der  Komet  in  Konjunktion 
mit  der  Sonne  und  wurde  für  einige  Tage  ganz  unsichtbar,  bis  er 
Anfang  Mai  am  Abendhimmel  wieder  auftauchte  und  für  die  Bewohner 
der  Südhalbkugel  längere  Zeit  hindurch  ein  glänzendes  Objekt 
am  Westhimmel  wurde.  Die  Gesamthelligkeit  war  vom  3. — 5.  Mai 
1. — 2.  Grösse;  der  scharfe  Kern  hatte  die  Helligkeit  eines  Sternes  3. — 4. 
Grösse.  Neben  einem  glänzenden  Hauptschweife  von  6^  Länge  besass 
der  Komet,  zuerst  am  3.  Mai,  einen  viel  schwachem,  20 — 30^ 
langen  Nebenschweif,  der  einen  Winkel  von  40^  mit  dem  Hauptschweife 
bildete.  Im  Laufe  der  nächsten  Woche  wurde  der  Nebenschweif 
heller  und  kürzer,  bis  er  am  16.  Mai  die  Helligkeit  und  Kürze  des 
Hauptschweifes  erlangt  hatte.  Auch  der  Winkel  beider  Schweife 
zeigte  eine  allmähliche  Abnahme,  bis  auf  16^  am  18.  Mai.  Eine 
am  6.  Mai  auf  der  Kapstemwarte  aufgenommene  Photographie  zeigt 
zwischen  beiden  Schweifen  noch  zwei  schwächere  Lichtstrahlen,  welche 
mit  dem  Auge  nur  mit  Anstrengung  zu  sehen  waren.  Zeichnungen 
von  wissenschaftlichem  Werte  sind  in  A.N.  3763  (Nijland,  Sumatra), 
M.N.  61  p.  509  (Kapstemwarte)  und  Bull.  Soc.  astr.  de  France  1902 
p.  75  (Morize,  Rio  de  Janeiro)  veröffentlicht  worden. 

Das  Spektrum  des  Kometen  war  nach  den  Beobachtungen  am 
Kap,  die  aber  nur  mit  einem  kleinen  Spektroskop  angestellt  werden 
konnten,  kontinuierlich  ohne  helle  Linien. 

Mit  zunehmender  Entfemung  des  Kometen  von  Sonne  und  Erde 
verminderte  sich  rasch  seine  Helligkeit.  Anfang  Juni  war  der  Komet 
nur  noch  von  der  9.  Grösse  mit  einem  Kerne  10. — 11.  Grösse  und 
einem  2 — 3^  langen  Schweife.  Zudem  näherte  er  sich,  nachdem 
er  gegen  den  20.  Mai  mit  2^^^  seine  grösste  Elongation  in  RA.  von 
der  Sonne  erlangt  hatte,  wieder  den  Sonnenstrahlen,  so  dass  aus  beiden 
Gründen  schon  Mitte  Juni  die  Beobachtungen  ihr  Ende  finden  mussten. 
Am  14.  Juni  wurde  von  Innes  am  Kap  die  letzte  Beobachtung  an- 
gestellt, einen  Tag  früher  schliessen  die  Beobachtungen  von  Tebbutt 
in  Windsor. 

Auf  der  Nordhalbkugel  war  es  selbst  zu  der  günstigsten  Zeit, 
Mitte  Mai,  nur  einigen  wenigen,  südlicher  gelegenen  Sternwarten 
vergönnt,  des  Kometen  auf  kurze  Zeit  ansichtig  zu  werden.  Er  er- 
schien hier,  wegen  des  tiefen  Standes  am  Abendhimmel,  nur  als 
ein  Objekt  8.  Grösse;  ein  Schweif  war  nicht  zu  erkennen.  Orts- 
bestimmungen sind  auf  der  Nordhalbkugel  nur  an  der  Licksternwarte 
am  15.  und  16.  Mai,  und  an  der  Sternwarte  Algier  von  Mai  17  bis 
Mai  20  in  einer  Höhe  von  3^  über  dem  Horizonte  angestellt  worden. 

Die  folgenden  Elemente  sind  von  H.  Thiele  aus  3  Normal- 
örtern,  die  die  meisten  Beobachtungen  am  Abendhimmel  bis  Juni  12 
umfassen,    abgeleitet   worden.     Sie    stellen    die    Beobachtungen    so 


Kometen.  65 

nahe  dar,   dass   sie  kaum  mehr  einer   grossem  Korrektion  bedürfen 
werden. 

T=  1901  April  24.28845  M.  Z.  Berlin 
ai=:203«    2*  16.  rj 
i?  =  109   38  53.1   }1901.0 
t=13l     4  49.8  I 
log  9  =»9.388  827 

Enckescher  Komet  1901  II.  Nach  der  Vorausberechnung 
von  Tbonberg  wurde  der  Komet  am  5.  August  von  Wilson  in  North- 
field  am  Morgenhimmel  aufgefunden.  Wie  die  analoge  Erscheinung 
1868  ni  (Periheldurchgang  Sept.  14.6)  zeigt,  hätten  die  Beobachtungen 
beträchtlich  früher  beginnen  können,  wenn  die  Ephemeride  zeitiger 
veröffentlicht  worden  wäre.  Der  Komet  wurde,  allmählich  heller 
werdend,  bis  zum  Verschwinden  in  den  Sonnenstrahlen,  Anfang 
September,  beobachtet.  Die  letzte  Beobachtung  ist  von  Postelmann 
in  Königsberg  am  4.  September  angestellt  worden. 

Beobachtungen  des  Kometen  nach  dem  Periheldurchgange  auf 
der  Südhalbkugel  sind  auch  diesmal,  wie  1868,  nicht  möglich  gewesen. 

Nach  Holetschek  betrug  die  (xesamthelligkeit  am  18.  August 
8"^  1  und  wuchs  bis  zur  6. — 7.  Grösse  am  2.  September.  Der  Kern 
hatte  während  dieser  Zeit  von  9™  5 — 8°*  zugenommen.  Der  Durch- 
messer der  Koma  betrug  1'.  Spuren  eines  Schweif ansatzes  schienen 
besonders  in  den  letzten  Tagen  der  Sichtbarkeit  vorhanden  zu  sein. 

Die  Elemente,  welche  Thonberg  der  Vorausberechnung  zu  Grunde 
gel^  hat,  sind  die  von  Iwanow  für  die  Erscheinungen  1898  11 
berechneten,  mit  Hinzufügung  der  Jupitersstörungen  1.  Ordnung. 
Sie  lauten: 

Epoche  und  Oskulation  1901  Juli  8.0  M.  Z.  Berlin. 

3f=339»  20'  39.4" 
»=188   68  59.4  | 
i2  =  884  48  58.1    1901.0 
«=   12   58  38.5 
9=  57   46  44.8— 2.394t'' 
ii*=   1073.87571''+0.0e9299T'' 
log  a»  0.846085 

T:=  1901  Sept  15.245  M.  Z.  Berlin 
JJz^  3.304  Jahre. 

Zur  Darstellung  der  Beobachtungen  war  eine  Korrektion  der 
mittleni  Anomalie  von  — 4' 24"  erforderlich. 

Im  Jahre  1891  war  die  Wiederkehr  des  periodischen  Kometen 
1894  I  (Denning)  zu  erwarten.  Die  Erscheinung  gestaltete  sich  sehr 
nngünstig;  nur  wenn  der  Periheldurchgang  wesentlich  früher  als 
nach  den  Schulhofschen  Elementen  stattgefunden  hätte,  wäre  der 
Komet  überhaupt  sichtbar  gewesen.  Unter  dieser  Annahme  hatte 
P.  V.  Neugebauer  einige  Ephemeriden  gerechnet,  die  aber  zur  Auf- 
fi&dung  nicht  geführt  haben. 

Klein,  Jahrbuch  Xm.  5 


66  Kometen. 

Zu  der  »Zusammenstellung  der  Kometenerscheinungen  des  Jahres 
1900  c  (dieses  Jahrbuch  p.  12.)  sind  nach  den  Angaben  von  Prof.  Kreutz 
folgende  Nachtrage  zu  machen. 

Komet  1900  I.  Perrine  auf  Mount  Hamilton  hat  den  Kometen 
noch  länger,  als  wie  im  vorigen  Berichte  angegeben,  nämlich  bis  zum 
17.  August  1900,  verfolgen  können. 

Komet  1900  II.  Eingehende  Helligkeitsbestimmungen  des 
Kometen  sind  nachträglich  von  Holetschek  und  Qraff  veröffentlicht 
worden.  Nach  denselben  hat  Anfang  August  keine  so  rapide  Hellig- 
keitsabnahme stattgefunden,  wie  Prof.  Kreutz  im  vorigen  Berichte  auf 
Grund  anderweitiger  Notizen  angenommen  hatte.  Die  Abnahme  ist 
im  Gegenteile  ziemlich  regehnässig  gewesen,  indem  nach  Holetschek 
die  Helligkeit  Juli  25  6.7°",  Aug.  27  8.2'°,  Sept.  27  9.5>»,  Okt  28 
11*/^™  betragen  hat. 

Die  letzte  Ortsbestimmung  des  Kometen  ist  Okt.  27  von  Chofardet 
in  Besannen  angestellt  worden.  Die  Beobachtungen  auf  Mount 
Hamilton  schliessen  schon  mit  dem  21.  Oktober;  am  22.  Dezember 
konnte  der  Komet  von  Aitken  im  36-Zöller  als  ein  Objekt  15.  Grösse 
noch  erkannt,  aber  wegen  aufsteigenden  Nebels  nicht  beobachtet 
werden.  Die  Beobachtungen  des  Kometen  sind  also  mindestens  zwei 
Monate  früher  geschlossen  worden,  als  die  Sichtbarkeit  in  den  Riesen- 
femrohren  ihr  Ende  erreicht  hat;  im  Interesse  der  genauen  Bestimmung 
des  Charakters  der  Bahn  ist  dies  sehr  zu  bedauern. 

Sechs  Photographien  des  Kometen,  die  Palmer  auf  der  Lickstem- 
warte  von  Juli  25 — ^Aug.  3  aufgenommen  hat,  finden  sich  in  Publ. 
A.S.P.  13.  p.  48. 

Über  den  Holmesschen  Kometen  1899  II  ist  nichts  Neues  zu 
bemerken;  der  Komet  1900  HI  (Giacobini)  ist  schon  weiter  oben 
besprochen  worden. 

Endlich  wäre  noch  dem  vorigen  Berichte  hinzuzufügen,  dass 
Dr.  Delisle  Stewart  in  Arequipa  am  23.  und  24.  Okt  1900  nach 
dem  de  Vico-E.  Swiftschen  Kometen,  von  Nov.  9 — 19  nach  dem 
periodischen  Kometen  1884  II  (Bamard),  endlich  von  Dez.  828 
nach  dem  Brorsenschen  Kometen  auf  photographischem  Wege,  leider 
ohne  Erfolg,  gesucht  hat. 

Deflnitive  Bahnelemente  des  Kometen  1808 1  hat  H.  D.  Curtis 
abgeleitet.  ^)  Dieser  Komet  blieb  im  ganzen  9  Monate  lang  sichtbar 
und  beschrieb  währenddessen  heliocentrisch  einen  Bogen  von  110^;  seine 
Helligkeit  wechselte  von  der  eines  Sternes  6.5  bis  zu  16.7  Grösse, 
ohne  dass  das  Gesetz,  dem  die  Helligkeitsveränderung  folgt,  sich 
aus  dem  Abstände  des  Kometen  von  Sonne  und  Erde  ableiten  liess. 
Nur  eine  empirische  Formel  konnte  Curtis  der  beobachteten  Helligkeit 


')  Astron.  Abhdlgn.  No.  3. 


Kometen.  67 

anpassen,  die  aber  auch  noch  beträchtliche  Abweichungen  übrig  lässt. 
Jhe  unter  Berücksichtigung  der  Planetenstörungen  abgeleiteten  end- 
gültigen Bahnelemente  des  Kometen  sind  folgende : 

T  =  1896  März  17.19078  M.  Z.  Gr. 
«7  =    470  19*  11^// 
12  =  262   26    19.06 
t  =    72   31    47.01 
log  q  =  0.0395112 
e  =  0.9603862 
ümlaufszeit  417.2  +  2,2  Jahre. 

Eine  Ähnlichkeit  dieser  Bahn  mit  der  eines  andern  bekannten 
Kometen  besteht  nicht 

Die  Arrhenlussche  TheoFie  der  Kometensehweife.  Prof. 
Anhenius  hat  darauf  hingewiesen,  dass  die  abstossenden  Wirkungen 
der  Sonne  auf  die  Schweife  der  Kometen  von  dem  Drucke  herrühren 
könnten,  welchen  gemäss  der  Maxwellschen  Lichttheorie  die  Sonnen- 
strahlen auf  alle  reflektierenden  und  absorbierenden  Körper  ausüben 
müssen.  K.  Schwarzschild  hat  eine  genauere  Untersuchung  von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  angestellt^)  Er  kommt  zu  dem  Ergebnisse,  dass 
eine  Zurückführung  der  grössten  beobachteten  Abstossungskräfte  auf 
den  Druck  der  Sonnenstrahlung  eben  noch  möglich  erscheint  Noch 
grossere  derartige  Kräfte,  welche  die  Schwere  um  mehr  als  das 
20-  oder  30  fache  übertreffen,  würde  man  aber  nicht  erklären  können, 
ohne  unwahrscheinlich  kleine  spezifische  Gewichte  für  die  Schweif- 
tauchen  anzunehmen. 

Sternschnuppen  und  Meteoriten. 

Die  grosse  Feuerkugel  vom  8.  Oktober  1901.  Über  die 
Bahn  dieses  Meteors  hat  Hofrat  G.  v.  Niessl  in  Brunn  eine  genaue 
Untersuchung  ausgeführt  Infolge  eines  in  mehrern  Wiener  Tages- 
blättem  veröffentlichten  Aufrufes  des  Direktors  der  Wiener  Sternwarte 
Hofrat  Prof.  Dr.  Edmund  Weiss,  sowie  auch  von  andern  Seiten  her, 
kamen  über  200,  allerdings  nicht  durchaus  brauchbare  Nachrichten 
über  das  Meteor  zusammen.  Dasselbe  ist  in  besonderer  Grösse  und 
Aufsehen  erregender  Lichtstärke  am  3.  Oktober  1901,  7^27.5°*  mittl. 
Wiener  Zeit  oder  6^*22"*  mittl.  Greenwicher  Zeit  auf  einer  Fläche 
von  bedeutender  Ausdehnung  (etwa  800  km  und  630  km  nach  den 
ittssersten  Erstreckungen)  sowohl  auf  dem  Adriatischen  Meere  unweit 
Abbazia,  als  in  der  Gegend  von  Magdeburg,  von  Bayern  bis  Galizien 
ond  Ungarn  beobachtet  worden. 

Die  geographische  Lage  des  Hemmungspunktes,  welcher  sich 
AZA  km  hoch  über  der  Gegend  von  32«  7.6'  östl.  v.  F.  und  49^ 
36.5'  n.  Br.,  d.  i.  südlich  von  Prag  nahe  über  dem  Dorfe  Jessenitz 


^  Sitzgb.  d.  KgL  Ak.  München  31.  p.  293. 


68  Sternschnuppen  und  Meteoriten. 

zwischen  Seitschan   und   Sedletz   befand,    konnte   aus   58  Angaben 
ermittelt  werden. 

Der  Radiant,  zu  dessen  Bestimmung  42  scheinbare  Bahnbogea 
benutzt  werden  konnten,  lag  in  327.6^  Rektaszension  und  33.8®  nördL 
Dekl.  im  Pegasus,  nahe  an  der  Grenze  gegen  den  Schwan.  Di& 
Bahn  war  gegen  die  Erde,  insbesondere  gegen  den  Horizont  des 
Endpunktes,  aus  300.4®  Azimut,  also  ungefähr  aus  Ostsüdost  her 
gerichtet  und  65.3®  gegen  den  Horizont  geneigt. 

Das  erste  Aufleuchten  wurde  wie  gewöhnlich  an  verschiedenen 
Orten  sehr  ungleich  wahrgenommen,  durchschnittlich  als  das  Meteor 
sich  in  lß4:  km  oder  rund  22  g.  M.  Höhe  befand.  Dabei  erschien 
die  Feuerkugel  noch  sehr  klein.  In  120 — 130  km  Höhe  wurde 
sie  hinsichtlich  ihrer  scheinbaren  Grösse  schon  vielfach  mit  dem 
Vollmonde  verglichen,  woraus,  im  Mittel  weit  auseinandergehender 
Schätzungen,  ein  wahrer  Durchmesser  der  Lichtsphäre  von  1250  99» 
folgen  würde.  An  einigen  Orten  erschien  das  Meteor  schon  in  300  km 
Höhe  wie  eine  gewöhnliche  Sternschnuppe  oder  wie  ein  Stern  zweiter 
Grösse. 

Dem  Beobachtungsmateriale  konnten  64  Schätzungen  der  Dauer 
(von  1 — 10^)  entnommen  werden.  Die  relative  oder  geozentrische 
Geschwindigkeit  ergab  sich  zu  36  km,  die  heliozentrische  zu  51.7  km. 
Unter  Voraussetzung  dieser  Geschwindigkeit  erhält  man  folgende- 
Elemente  der  hyperbolischen  Bahn: 

a  =  —0.98  q  =  5.850 

e  =      1.87  ß  =  189.5» 

n  ==      4ß^  »  =  30.5«;  rechtläufig. 

Nach  diesen  Ergebnissen  wäre  das  Meteor  aus  dem  Welträume 
in  einer  heliozentrischen  Bewegungsrichtung  gekommen,  welche  durch 
die  Koordinaten:  288®  Länge  und  30®  nördl.  Breite  bestimmt  ist 

Alle  Nachrichten  über  Fundstücke  aus  diesem  Falle  erwiesen 
sich  als  irrtümlich. 

Die  Perseiden  des  Augrust  1901  sind  auf  dem  astrophysika- 
lischen  Observatorium  zu  Heidelberg  am  8.,  9.  imd  10.  August  be- 
obachtet worden.*)  Trotz  der  unvollständigen  Reihen,  bemerkt  Prof. 
Max  Wolf,  lassen  sich  ganz  sicher  wieder  die  merkwürdigen  Maxima 
und  Minima  der  Häufigkeit  erkennen,  auf  die  derselbe  1899  auf- 
merksam gemacht  hat.*)  Die  beiden  Minima  fallen  auf  IIV4  ^^^ 
13^/j  Uhr,  die  Maxima  etwas  nach  12  Uhr  und  besonders  auf  14  Uhr. 
Auch  sonst  scheinen  sich  noch  Gesetzmässigkeiten  zu  ergeben,  doch 
hält  Prof.  Wolf  es  für  verfrüht,  bei  dem  spärlichen  Materiale  darauf 
einzugehen. 

Die  Bewegung*  des  Radiationspunktes  der  Perseus- 
meteore«     Schon  vor  Jahren  hat   W.  F.  Denning   aus   seinen  Be- 

»)  Astron.  Nachr.  No.  3806. 
')  Astron.  Nachr.  No.  3604. 


Stenisohnuppen  und  Meteoriten.  69 

obachtoBg  nachgewiesen,  dass  diese  Bewegung  in  den  Nächten  vom 
25.  Juli  bis  zum  19.  August  mehr  oder  weniger  deutlich  erkennbar 
ist,  und  der  Punkt  im  Stembilde  des  Perseus»  von  dem  sie  aus- 
zustrahlen scheinen,  wahrend  dieser  Zeit  seinen  Ort  am  Himmel  um 
mehr  als  40^  verändert  Er  hat  zuerst  diese  Bewegung  im  August 
1877  erkannt  und  sie  1878,  1880,  1885,  1886,  1887  und  in  ver- 
schiedenen darauf  folgenden  Jahren  abermals  konstatieren  können. 
Die  von  ihm  in  Bristol  erhaltenen  Ergebnisse  wurden  1888  und 
1891  durch  Beobachtungen  und  Untersuchungen  von  D.  Booth  zu 
Leeds  bestätigt,  ^)  indessen  galt  dieses  Resultat  noch  immer  als 
zweifelhaft,  um  so  mehr,  als  in  einem  bestimmten  andern  Falle  Prof. 
von  Niessl  nachweisen  konnte,  dass  die  lange  Thätigkeitsdauer 
eines  Radiationspunktes  nur  scheinbar  sei,  indem  2  Ausstrahlungs- 
punkie  von  Meteoren  nahe  bei  einander  liegen,  und  der  eine  davon 
im  November,  der  andere  im  Dezember  Sternschnuppen  aussendet. 
Bei  weniger  zahlreichen  iind  sorgfältigen  Beobachtungen  hätte  man 
in  diesem  Falle  also  glauben  können,  es  sei  nur  ein  Radiationspunkt 
vorhanden  und  dieser  während  der  Monate  November  und  Dezember 
anhaltend  thätig.  W.  F.  Denning  hat  nunmehr,  um  die  Frage  bezüglich 
der  aus  dem  Perseus  kommenden  Sternschnuppen  zu  entscheiden, 
die  zahlreichen  in  den  letzten  Jahren  von  erfahrenen  Beobachtern 
gemachten  Aufzeichnungen  der  im  Juli  und  August  wahrgenommenen 
Perseiden  einer  neuen  und  eingehenden  Untersuchung  unterzogen.^) 
Hierbei  ist  es,  wie  er  hervorhebt,  notwendig,  die  Beobachtungen 
jeder  Nacht  getrennt  zu  bearbeiten,  während  man  sonst  im  all- 
gemeinen aus  den  Aufzeichniuigen  über  Meteore  in  verschiedenen 
aufeinander  folgenden  Nächten  ein  Durchschnittsergebnis  für  die  Position 
des  Radianten  abzuleiten  pflegt  Für  die  Perseusmeteore  hat  Denning 
diese  Beschränkung  auf  die  Beobachtungen  einer  und  derselben 
Nacht  zur  Ableitung  des  Radianten  seit  dem  sehr  günstigen  Jahre 
1893  als  nützlich  erkannt,  und  gleichzeitig  ergab  sich  auf  diesem 
Wege  eine  gegen  Ostnordost  gerichtete  Bewegung  des  Radiations- 
pankies. Während  der  verflossenen  10  Jahre  hat  eine  Anzahl  er- 
fahrener Beobachter  diese  Bewegung  aus  ihren  Beobachtungen  eben- 
falls erkannt,  so  dass  dieselbe  als  Thatsache  betrachtet  werden 
rnnss.  Ja  es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  die  Bewegung  des 
Radianten  keineswegs  auf  die  Perseusmeteore  beschränkt  ist,  sie 
findet  nach  Denning  auch  für  die  Meteore,  die  aus  dem  Sternbilde 
der  Leyer  kommen  (die  Lyriden),  statt  und  wahrscheinlich  bei  ge- 
wissen andern  Meteorschauem;  indessen  entwickeln  sich  diese  ge- 
wohnlich so  wenig,  dass  es  schwer  hält,  Nacht  für  Nacht  eine 
hinreichend  genaue  Position  des  Radiationspunktes  aus  den  Be- 
obachtungen festzustellen.     Anderseits   ist  aber   eine  Bewegung  des 


')  Obsenratonr  IL  p.  380. 
*)  Monthly  Notices  «S.  p.  161. 


70  Sternschnuppen  und  Meteoriten. 

Radiationspunktes  keineswegs  für  alle  Meteorschauer  allgemein 
anzunehmen,  denn  gewisse  gut  bestimmte  RadianteUi  wie  z.  B.  der 
der  Orionmeteore,  sind  stationär.  Es  handelt  sich  hier  um  eine 
Eigentümlichkeit,  die  durch  spätere  Untersuchungen  genauer  erforscht 
werden  muss,  vor  allem  scheint  es  wünschenswert,  dass  die  im 
Januar  erscheinenden  Meteore  (die  Quadrantiden  und  die  Sternschnuppen 
aus  dem  Bootes),  die  Lyriden  des  April,  die  Aquariden  des  Mai  und 
Juni,  die  Orioniden  des  Oktober,  die  Leoniden  und  Andromediden 
des  November  und  die  Geminiden  des  Dezember  zukünftig  mit  grösster 
Sorgfalt  überwacht  werden,  um  festzustellen,  wie  lange  sie  auftreten, 
und  ob  sie  feste  oder  bewegliche  Radianten  zeigen. 

Bei  seiner  vorliegenden  Untersuchung  benutzte  Denning  nicht 
nur  seine  eigenen  Beobachtungen  in  den  Nächten  des  11.  Juli  bis 
22.  August  während  der  Jahre  1869 — 1901,  welche  2856  Perseus- 
meteore  betreffen,  sondern  auch  die  Ableitungen  der  Radianten 
durch  zahlreiche  fremde  Beobachter,  wie  Antoniadi  (Juvisy),  Booth 
(Leeds),  Doberck  (Hongkong),  A.  S.  Herschel  (Slough),  Perrine  (Mount 
Hamilton)  und  andere. 

Bezüglich  der  theoretischen  Schlussfolgerungen  über  die  Orts- 
Veränderung  scheinbarer  Radianten  verweist  er  auf  eine  Untersuchung 
von  Josef  Kleiber,^)  welcher  für  den  Radianten  der  Persei'den  fol- 
gende Positionen  ableitete: 


AR 

D 

Juli         8. 

9« 

+  46» 

August    8. 

41.5 

57.3 

August    9. 

42.9 

57.6 

August  10. 

44.2 

67.9 

August  16. 

54 

59 

Le  Verrier  hat  zuerst  theoretisch  nachgewiesen,  dass  eine  solche 
Ortsveränderung  des  Radiationspunktes  stattfinden  muss  und  1859 
wurden  Anzeichen  derselben  auch  von  Prof.  A.  C.  Twining  in  Amerika 
vermutet,  doch  waren  die  Beobachtungen  nicht  zahlreich  genug,  um 
sichere  Schlüsse  zu  ziehen. 

Denning  giebt  nun  zunächst  ein  Verzeichnis  der  aus  seinen  eigenen 
Beobachtungen  abgeleiteten  Radiationspunkte  der  Perseiden  für  di& 
Zeit  vom  8.  Juli  bis  23.  August.  Aus  demselben  ist  eine  fort- 
schreitende Änderung  der  Lage  des  Radianten  von  etwa  AR  11^  und 
D  +  48®  Mitte  Juli  bis  AR6OO  und  D  +  59«  im  2.  Drittel  des 
August  sogleich  erkennbar.  In  einem  2.  Verzeichnisse  giebt  er 
dann  eine  Zusammenstellung  der  von  den  andern  Beobachtern  in 
^em  nämlichen  Zeiträume  bestimmten  Radianten,  welche  die  gleich» 
Ortsveränderung  dieses  Punktes  erkennen  lassen.  Indem  er  alle 
Beobachtungen  in  fünftägigem  Mittelwerte  zusammenzieht,  erhält  er 
folgende  Positionen  des  Radiationspunktes  der  Perseiden  für  die 
beigesetzte  Zeit: 


')  Monthly  Notioes  52.  p.  341. 


AR 

D 

20.5« 

+  51.0 

24.7 

53.8 

31.6 

54.1 

88.1 

55.7 

43^ 

56.5 

50.9 

57.4 

56.2 

59.4 

Sternschnuppen  und  Meteoriten.  71 


Juli  la— 22. 
Juli  23.-27. 
Juli  28.— Aug.  1. 
August  2.-6. 
August  11. 
Ai^ust  12.— 16. 
August  22. 

GefiGhichtUehes  fiber  das  Auftreten  der  Perseosmeteore. 
H.  Bomitz  giebt  eine  sehr  reichhaltige  Zusammenstellung  und  Kritik 
der  sämtlichen  Aufzeichnungen  über  Beobachtungen  der  Persei'den.^) 

Nach  den  uns  überlieferten  Berichten  muss  der  Perseidenstrom 
schon  im  hohen  Altertume  eine  sehr  bemerkenswerte  Himmelserscheinung 
gewesen  sein.  Freilich  lassen  die  allerältesten  Berichte,  im  Zweifel 
darüber,  ob  diese  Beobachtungen  sich  wirklich  auf  den  Auguststrom 
beziehen,  da  sie  genauerer  Zeitbestimmung,  Monat  und  Tag,  fast 
gänzlich  entbehren. 

Die  am  weitesten  (bis  1808  vor  Chr.)  zurückgehenden  Be- 
obachtungen über  Meteorfälle,  Steinfalle  und  Feuerkugeln  stammen 
grösstenteils  aus  chinesischen  Quellen.  Höchst  wahrscheinlich  sind 
manche  der  in  jenen  Berichten  aufgezeichneten  Phänomene  mit  denen 
des  Pers^denstromes  identisch.  Wenigstens  lassen  mehrere  brauch- 
bare Angaben  aus  späterer  Zeit  vorchristlicher  Zählung  annähernd 
diesen  Schluss  zu.  Ebenso  wenig  wissenschaftlichen  Wert  bieten 
die  Berichte  der  alten  griechischen  und  römischen  Chronisten.  So 
fehlen  bei  erstem  nicht  allein  die  Angaben  des  Monats  und  der  Tage, 
sondern  oft  ist  bei  ihnen  sogar  das  Jahr  der  hinterlassenen  Be- 
obachtungen zweifelhaft.  Auch  die  Aufzeichnungen  aus  den  bis  844 
vor  Chr.  hinaufreichenden  römischen  Quellen  (Ldvius  und  andere 
Schriftsteller)  ermangeln  meist  der  Genauigkeit,  so  dass  man  in  ein- 
zelnen Fällen  kaum  erkennen  kann,  ob  sich  die  beschriebenen  Natur- 
ereignisse nicht  auf  Hagelfälle  beziehen.  Mit  grosser  Mühe  und 
Sorgfalt  hat  Dr.  Faust  durch  Kombination^)  in  4  Fällen  das  genaue 
Datum  ermittelt,  so  für  einen  Strom,  vom  Jahre  188  vor  Chr.,  der 
mit  dem  Auguststemschnuppenfalle  identisch  zu  sein  scheint 

Das  in  Bezug  auf  die  Ungenauigkeit  der  Berichterstattung  im 
AHertume^  Gesagte  trifft  auch  auf  die  zahlreichen  im  Mittelalter  in 
Deutschland  beobachteten  Fälle  zu.  Besonders  dürftig  sind  in  den 
Jahren  1600 — 1799  nach  Chr.  die  Nachrichten  über  einzelne  grosse 
Feuerkugeln  des  Laurentiusstromes. 

Im  grossen  und  ganzen  kann  man  aus  dem  vorhandenen  Ma- 
teriale  die  Erscheinung  des  Perseidenstemschnuppenfälles  mit  einiger 
Sicherheit  nicht  viel  über  1000  Jahre  zurückverfolgen.     Verf.  giebt 


M  Gaea  1902.  p.  267. 

*)  Astron.  Wochenschrift  1890.  p.  261. 


72  Sternschnuppen  und  Meteoriten. 

das  von  Quetelet  ^)  aufgestellte  Verzeichnis  der  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  mit  dem  Augaststrome  identischen  Fällen,  denen  er  das 
Datum  unserer  Zeitrechnung,  sowie  beschreibende  Einzelheiten  aus 
Quetelets  und  seinem  Kataloge  beifugt 

nach  Christus: 

811,  25.  Juli  »  8.  August. 

820,  25.— 80.  Juli  =  8.— 13.  August 

824,  26.-28.  Juli  =  9.— 11.  August,  nach  Quetelet:  Erscheinung  in  China. 

880,  26.  Juli,  korrigiert  für  August  9.2.  Viele  grosse  und  kleine  Stern- 
schnuppen in  China  von  Beginn  der  Dunkelheit  bis  4  Uhr 
nachts.  Man  konnte  die  Anzahl  der  Sternschnuppen,  die  er- 
schienen waren,  nicht  zählen. 

888,  27.  Juli,  korrigiert  für  August  10.4.  Grosser  StemschnuppenfaU  vom 
Anfange  des  Abends  bis  zum  Morgen.  Die  Sternschnuppen 
liefen  in  geraden  und  in  schiefen  Reihen  mehr  als  100. 

885,  26.  Juli,  korrigiert  für  August  8.9.  Grosser  StemschnuppenfaU  in 
China.  Es  erschienen  mehr  als  50  Sternschnuppen  m  gerader 
und  in  schiefer  Richtung,  auch  quer  laufend.  Viele  Hessen 
Schweife  von  20—80  Grad  zurück. 

841,  25.  Juli,  korrigiert  für  August  8.4.  Viele  kleine  Sternschnuppen  in 
China  von  Beginn  der  Dunkelheit  bis  zur  5.  Stunde  der  Nacht. 

924,  27.— 30.  Juli   nach   Quetelet,   dagegen  nach   Newton  26.-28.  Juli, 

(Julianisches  Jahr,  Juli  21.— 29.),  korrigiert  für  August  8.1—10.1. 
Vom  21.— 23.  nachts  eine  Menge  Sternschnuppen  in  China. 

925,  27.  und  28.  Juli,  korrigiert  für  August  8.8  und  9.8.     Am  22.  Juli, 

Julianische  Zeitrechnung,  während  der  Nacht  viele  Stern- 
schnuppen in  China  mit  leuchtenden  Schweifen  —  den  28.  Juli. 
Julian.  Zeitrechnung,  grosse  Zahl  von  Sternschnuppen,  liefen 
von  Südost  aus. 

926,  27.  Juli,  korrigiert  für  August  8.6.    Eine  grosse  Zahl  Sternschnuppen 

in  China. 

naoh  Christus: 

938,  25. — 30.  Juli,  korrigiert  für  August  5.8 — 10.8.  In  meinem  Kataloge 
nur  20.  und  25.  Juli,  Julian.  Zeitrechnung,  angegeben.  Den 
20.  Juli  grosse  Anzahl  kleiner  Sternschnuppen,  den  25.  Juli, 
eine  Zahl  Sternschnuppen  »im  selben  Augenblicke.« 

1248,  2.  August,  korrigiert  für  August  10.6.  StemschnuppenfaU  wahrschein- 
lich in  Italien.  »In  demselben  Jahre  nämlich  am  7.^  des 
Monates  war  eine  sehr  helle  Nacht,  die  Luft  ganz  klar,  der 
Mond  schien  um  die  achte  Stunde,  wie  es  in  klaren  Winter- 
nächten zu  geschehen  pflegt,  milchweiss.  Da  wurde  beobachtet, 
wie  Sterne  vom  Himmel  herab  durcheinander  wirbelten,  hier- 
hin und  dorthin.  Jedoch  stürzten  sie  nicht,  wie  es  gewöhn- 
lich geschieht,  wie  Fackeln  herab,  sondern  sie  sprangen  oder 
vielmehr  fielen,  gar  nicht  wie  sonst  beobachtet^  m  einem  fort 
zu  80  oder  40,  so  nämlich,  dass  zwei  oder  drei  in  einer  Flug- 
bahn zusammen  sich  zu  bewegen  schienen.  Es  wax  so,  dass 
wedn  dies  alles  wirklich  Sterne  gewesen  wären  (was  kein  ver- 
ständiger Mensch  anzunehmen  geneigt  ist),  kein  einziger  mehr 
am  Hmimel  hätte  verbleiben  können.c 


*)  Sirius  1888.  p.  271. 


.  Die  Zahlen  scheinen  nicht  zu  stimmen,  ich  habe  es  nicht  aufklären 
können,  wo  der  Fehler  liogt  Silliman  sagt  1248,  Juli  26.,  was  jedenfalls 
alter  Stil  ist,  auch  Prof.  Newton  war  das  unklare  Datum  aufgefallen. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten.  73 

1461,  5.  August,  korrigiert  für  August  10.0.  Stemschnuppenfali  in  China. 
Man  sah  mehr  als  80  Sternschnuppen. 

1709,  8.  August.  Nach  Scheuchzer  und  nach  Wolf  bemerkte  man  in  Zürich 
von  11— 12Vt  nachts  viele  fallende  Sterne. 

1779,  9.  und  10.  August.  Nach  Hamilton  in  England  viele  glänzende,  schnell 
verschwindende  Meteore  mit  leuchtenden  Schweifen. 

1781,  8.  August  Nach  Herrick  in  Boston  eine  grosse  Zahl  von  Meteoren, 
welche  meistens  in  Nordost  erschienen  und  nach  Südwest  sich 
bewegten. 

1781,  6.  und  9.  August.  Am  6.  Fall  in  grösserer  Menge  allenthalben  ge- 
sehen. Den  9.  Sternschnuppen  häufig  beobachtet  Nach 
Dr.  Herm.  J.  Klein  vom  6.-9.  August  zahlreiche  Sternschnuppen. 

1789,  10.  August.  Nach  Dr.  Henn.  J.  Klein  zahlreiche  Sternschnuppen  von 
Spallazani  auf  dem  Mt.  Gimone  gesehen.  Nach  Quetelet  in 
den  Morgenstunden  des  10.  imd  11.  August  fliegende  Flammen 
beobachtet  mit  nicht  grosser  Geschwindigkeit.  Der  grosste 
Teil  zeigte  sich  im  Zenith. 

VerL  führt  aus  seinem  Kataloge  die  folgenden  hierher  gehörigen 
Fälle  an: 

911  nach  Chr.  zur  Zeit  des  Paulus,  vor  dem  Tode  des  Sergius  (Tod  August  911) 
wurden    schinmiemde    und    durcheinander    laufende    Stern- 
schnuppen in  ganz  ungewöhnlichem  Masse  beobachtet 
1029,  Ehde  Juli  in  Ambien,  Ranzende  Sternschnuppen  mit  grossem  Geräusche. 

(Nach  Soyuti.) 
1192,  August.  Feuererscheinung  von  grossem  Umfange  am  Westhimmel. 
Wo? 
Hiermit  ist  die  Reihe  der  bis  nahe  an  die  Wende  des  19.  Jahr- 
hunderts dem  genauen  Datum  nach  bekannten  Fälle  des  August- 
Phänomens  erschöpft  Diesen  Stemschnuppenfällen  fügt  Verf.  folgende 
an  2^ahl  und  Glanz  hervorragende  neuern  Fälle  zu: 


1798,  den  9.  August, 

1799,  den  9.  August, 

1800,  den  10.  und  11.  August, 

1801,  den  9.  August, 

1806,  den  10.  und  11.  August, 
1811,  den  10.  August, 
1813,  den  11.  August, 
1815,  den  10.  August, 

1819,  den  6.  und  18.  August, 

1820,  den  9.  Auffust, 

1822,  den  9.  und  10.  August, 


1823,  den  10.  August, 

1824,  den  12.  August, 
1826,  den  10.  August, 
1831,  den  10.  August, 
1833,  den  10.  August, 

1884,  den  9.  und  10.  August, 
1836,  den  8.  und  10.  August, 

1836,  den  8.,  9.  und  10.  August, 

1837,  den  9.,  10.  u.  11.  August, 

1838,  den  10.  und  11.  August, 
1889,  den  9.^11.  August 


Unter  den  altem  Fällen  macht  sich  die  zwei  und  ein  halbes 
Jahrhundert  umfassende  Lücke  von  1451 — 1709  auffällig  bemerkbar, 
MS  der  folgende  Berichte  vorliegen,  ohne  Bezeichnung  von  Monat 
und  Tag,    in    einem  Falle    sogar    mit    zvireifelhaften  Jahresangaben: 

Nach  Lycostenes  1478  Meteore  mit  Spuren,  auch  Kreuze  in  der  Schweiz. 

Nach  demselben  1531  zu  Lissabon.  Feurige  und  blutrote  Gestirne  wurden 
sichtbar. 

Kadi  demselben  und  Quetelet  1635  oder  1636,  im  Sommer.  Ein  grosses 
Gewirr  von  Sternen  wurde  sichtbar,  die  aufloderten  und  am 
Himmel  hin  und  her  irrten. 

Nach  Biot  1642,  im  Sommer:  Stemschnuppenfali  in  China. 
Nach  Schnurrer  1675,  im  Sonmier:  Fall  m  Frankreich,  kann  auch  ein  ein- 
zelnes Meteor  gewesen  sein. 


74  Sternschnuppen  und  Meteoriten. 

Auffallend  erscheint  es,  dass  die  sonst  so  aufmerksamen 
Chinesen  bei  den  Meteorfällen  von  838,  885  und  1451  jedesmal 
nur  eine  so  geringe  Anzahl  von  Sternschnuppen  gesehen  haben 
wollen,  eine  Zahl,  die  in  jetziger  Zeit  schon  in  gewöhnlichen  Augusi- 
nächten  beobachtet  wird. 

Bomitz  giebt  endlich  folgendes  von  ihm  gesammelte  Verzeichnis  von 
Feuerkugeln,  die  in  den  Tagen  des  9. — 12.  August  gesehen  wurden. 
Die  Daten  entsprechen  dem  julianischen  Kalenderjahre. 

Nach  Christas : 

81,  Juli  20.    Gross  wie  eine  Faust 
268,  Juli«    Zwei  grosse  Sternschnuppen,  jede  wie  ein  Scheffelmass.    Sie 

teilten  sich  beide,    die  eine  flog  nach  Süd,    die  andere   nach 

Nord.    Ihr  Licht  erleuchtete  die  Erde,  und  man  vernahm  ein 

wiederholtes  Geräusch. 
362,  Juli  21.    Morgens  zwischen  9—11  Uhr,  gross  wie  ein  Drittelscheffel. 
578,  Juli  21.    Gross  wie  ein  Ei,  mit  einem  etwa  10  Grad  langen  Schweife, 

erlosch  gegen  den  Mond  hin. 
585,  Juli  — .    Ein  Lichtschein  durchzog  den  Himmel. 
642,  Juli  22.     Gross  wie  der  Mond,  lief  eine  Strecke  von  80  Grad  und 

verschwand  dann. 
718,  Juli.    Eine  Sternschnuppe  fiel. 
841,  Juh  23.    Erleuchtete  (üe  Erde  und  fiel  mit  Donner. 
852,  Juli  oder  August    Ein  Meteorstein  fiel  in  Persien,  Provinz  Tobarestam 

oder  Mansemdaran  am  Kaspischen  Meere,   der  dem  Kalifen 

gesandt  wurde.    Getöse  wurde  weithin  gehört 
896,  Juli.    In  einer  finstem  Nacht  fiel  unter  Blitz  und  Donnerschlag  ein 

Stern,  gross  wie  eine  Schale,  war  von  Farbe  wie  Strohfeuer, 

mit  Geräusch  wie  ein  Schwärm  fliegender  Enten. 
960,  Juli  23.    Gross  und  rot 

992,  Juli  29.    Blauweisslich,  von  10  Grad  Länge,   teilte  sich  in  8  Sterne. 
998,  Juli.    Bei  einem  grossen  Erdbeben  durch  ganz  Sachsen  fielen  zwei 

Steine  unter  Donner  herab,  der  eine  in  die  Stadt  Magdeburg, 

der  andere  jenseits  der  Elbe. 
1006,  Juli  24.    Teilte  sich  in  mehrere  Sterne,  sein  Licht  erleuchtete  die  Erde. 
1006,  Juli  24.    Von  gelbrötlicher  Farbe  mit  Ranzendem  Schweife,  lief  schnell 

und  teilte  sich  zuletzt  in  mehrere  Sterne. 

1010,  Juli  28.    Lief  bis  zum  Stier. 

1011,  Juli  23.    Gross  wie  ein  Zehntelscheffel. 
1016,  Juli.    Teilte  sich  in  mehrere  Sterne. 

1019,  Juli  24.    Gross  wie  eine  Tasse,  lief  sehr  schnell. 

1082,  Juli  28.    In   Italien;    ein    zweites   Meteor   nachts   in    Deutschland, 

glänzend,  erleuchtete  die  Erde. 
1087,  Juli  23.    Ein  Stern  erschien. 
1042,  Juli  28.    Gross  wie  Venus,  blauweisslich  mit  Schweif,  lief  langsam, 

Licht  erleuchtete  die  Erde. 
1045,  Juli  28.    Gross  wie  Venus,  mit  Schweif,  lief  sehr  schnell,  erleuchtete 

die  Erde. 
1045,  Juli  24.    Gross  wie  Venus,  mit  Schweif  und  ausserordentlich  schnellem 

Laufe,  war  von  rotgelblicher  Farbe,  Licht  erleuchtete  die  Erde. 
1048,  Juli  24.    Lief  sehr  schnell. 

1048,  Juli  25.    Mit  Schweif,  Licht  erleuchtete  die  Erde. 
1052,  Juli  25.    Von  Venusgrosse,  lief  sehr  schnell. 

1052,  Juli  27.    Von  Venusgrösse. 

1053,  Juli  23.    Stern  erschien. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten.  75 

Naeb  Christai: 

1063|  Juli  24.    Von  Vennsgrosse,  mit  sehr  schnellem  Laufe.  —  In  derselben 

Nacht  ein  anderer  rotgelblicher  Stern  mit  Schweif,  lief  sehr 

schnell  und  erleuchtete  die  Erde. 

1068,  Juli  25.    Stern  erschien. 

1069,  Juli  24.    Zwei  in  derselben  Nacht,  wovon  der  eine  sehr  schnell  lief. 
1060,  Juli  24.    Zwei  in  einer  Nacht 

1060,  Juli  26.    Gross  wie  eine  Tasse. 

1061,  Juli  28.    2  Sterne  in  derselben  Nacht.    Der  zweite  war  so  gross  wie 

ein  Becher,  von  raschem  Laufe  und  rotgelber  Farbe. 
1061,  Juli  24.    Stern  erschien  von  rotgelber  Farbe  mit  glänzendem  Schweife. 

1061,  Juli  28.    Stern  erschien  und  verschwand  schnell  in  den  Dünsten  des 

Horizontes. 
1063,  JuU  27.    Von  rotgelber  Farbe. 
1066,  Juli  28.    3  Meteore    in    einer  Nacht:    Das    erste  von  der   Grösse 

Jupiters  mit  glänzendem  Schweife,  rotgelb,  das  zweite  rotgelb 

mit  Schweif,  das  dritte,  von  Yenusgrösse  von  rotgelber  Farbe, 

bewegte  sich  sehr  schnell. 
1068,  Juli  25.    Gross  wie  die  Öffnung  einer  Tasse,   von  rotgelber  Farbe, 

mit  glänzendem  Schweife,  lief  langsam. 

1068,  Juli  27.    Jupitergrösse,  lief  sehr  schnell,   war  von  rotgelber  Farbe. 

1069,  Juli  28.    Yenusgrösse,  von  blauweisser  Farbe,  lief  sehr  schnell. 

1069,  Juli  27.    Yenusgrösse,  rotgelb,  mit  glänzendem  Schweife,  bewegte 

sich  sehr  schnell. 

1070,  Juli  28.    Mit  langsamem  Laufe. 

1071,  Juli  28.    Stern  erschien. 

1071,  Juli  27.    Yenusgrösse,  blauweisslich,   mit  glänzendem  Schweife  und 

langsamem  Laufe. 

1072,  Juli  29.    Stern  erschien. 

1075,  Juli  28.    8  Meteore    in    einer    Nacht:    Das   erste  von  Yenusgrösse 

mit  glänzendem  Schweife,  das  zweite  genau  wie  das  erste,  das 
dritte  ebenso,  sein  Licht  erleuchtete  die  Erde. 

1076,  Juü  28.    Gross  wie  eine  Tasse,  rotgelblich,  mit  glänzendem  Schweife, 

erleuchtete  die  Erde. 
1076,  Juli  24.    Yenusgrösse,  ro^elblich,  mit  briUantem  Schweife. 
1076,  Juli  25.    Gross  wie  eine  Tasse,  rotgelbhch  mit  Schweif. 
1076,  Juli  28.    Yon  Yenusgrösse,  rotgelblich  mit  glänzendem  Schweife. 

1076,  Juli  80.    8  Meteore  in   einer  Nacht:   1.  rotgelblich  mit  glänzendem 

Schweife;  2.  von  Yenusgrösse,  rotgelblich  mit  leuchtendem 
Schweife;  8.  gross  wie  Yenus  mit  glänzendem  Schweife,  er- 
leuchtete die  Erde. 

1077,  Juli  22.    Yenusgrösse,    rotgelblich,  mit  glänzendem   Schweife,    lief 

sehr  schnell. 

1077,  Juli  24.  Yenusgrösse,  durchschoss  schnell  die  Wolken  und  verschwand 
am  südlichen  Himmel,  war  von  rotgelblicher  Farbe  mit  glän- 
zendem Schweife.  Ein  anderes  Meteor  war  von  Yenusgrösse 
mit  glänzendem  Schweife  und  rotgelblicher  Farbe,  lief  sehr  schnell. 

1077,  Juli  28.    Genau  wie  das  vorhergehende. 

1080,  Juli  24.  Gross  wie  eine  Tasse,  rotgelblich,  mit  glänzendem  Schweife, 
erleuchtete  die  Erde. 

1082,  Juli  27.  Yenusgrösse,  rotgelblich  mit  glänzendem  Schweife,  erleuchtete 
die  Erde. 

1062,  Juli  29.    Genau  wie  vorbeschriebene  Feuerkujgel. 

1084,  Juü  25.    Grross  wie  eine  Tasse,  rotgelblich,  mit  glänzendem  Schweife, 

erleuchtete  die  Erde. 
1067,  Juli  24.  Wie  vorhergehend. 
1090,  Juli  26.    Yenusgrösse,  blauweisslich. 


76  Sternschnuppen  und  Meteoriten. 

1090,  Juli  27.    Venusgrösse,  blauweisslich  mit  glänzendem  Schweife,  ein  2. 

Meteor  von  Venusgrösse.  rotgelblich,  mit  glänzendem  Sch'freif e, 
erleuchtete  die  Erde. 

1091,  Juli  24.    2  Sterne,  jeder  von  Venusgrösse,  rotff eiblicher  Farbe  und 

glänzendem  Schweife.    Beide  verschwanden  zu  gleicher  Zeit. 

1092,  Juli  26.    Von  Venusgrösse,  rotgelblich,  mit  glänzendem  Schweife,  er- 

leuchtete die  Erde. 

1097,  Juli  24.    Von  Venusgrösse,  rotgelblich,  mit  glänzendem  Schweife,  er- 

leuchtete die  Erde. 

1098,  Juli  25.  Wie  vorhergehend. 
1096,  Juli  26.  Wie  vorhergehend. 
1106,  Juli  27.  Stern  erschien. 
1181,  Juli  26.  Stern  erschien. 
1205,  Juli  25.  Von  Venusgrösse,  rot. 
1212,  Juli  80.  Erschien  im  Zenith. 
1285,  Juli  26.  Erschien  am  Tage. 
1241,  Juli  26.  Von  Venusgrösse. 

1248,  Juli  26.    Stern. 

1249,  Juli  26.    Wahrscheinlicher  Meteoritenfall  mit  Donnergetose  bei  Qued- 

linburg. 
1268,  Juli  25.    Stern  fiel. 
1264,  Juli  8L    Stern  fiel. 

1267,  Juli  27.    Venusgrösse,  rotgelblich,  mit  glänzendem  Schweife. 
1866,  Juli  29.    Gross  wie  eine  Tasse,  blauweiss,  mit  langem  Schweife. 
1581,  Juli  26.    Steinfall  zu  Niederreisen  mit  Detonation  und  Beben  der  Erde. 
1585,  Juli  28.    Gross  wie  eine  Faust.'   Der  Tambour  des  Himmels  Hess  sich 

vernehmen. 
1708,  Juli  81.    Meteor  in  Scheemess. 
1762,  Juli  29.    Wo?    (Kämtz). 

1778,  August  8.    In  England,  Detonation  mit  Erschütterung. 

1779,  August  5.    Zu  Pecking  von  Mondgrösse,  zersprang  mit  grossem  Ge- 

töse und  nachiolgender  Erschütterung. 

Nach  dieser  Zeit,  selbst  bis  weit  ins  19.  Jahrhundert  hinein, 
werden  die  Beobachtungen  von  Feuerkugeln  während  des  Laurentius- 
stromes  immer  seltener  und  beginnen  eigentlich  erst  seit  1832 
wieder  sorgfältiger  zu  werden. 

Auch  in  dem  vorstehenden  Verzeichnisse  sind  wie  bei  den  Stern- 
Schnuppenströmen  die  grossen  Lücken  von  1866 — 1581  und  1585 
bis  1708  auffallend. 

DaB  Heteoreisen  von  Hukerop.  Die  Kaiserl.  Meteoriten- 
sammlung im  naturhistorischen  Hofmuseum  zu  Wien  gelangte  in  den 
Besitz  eines  61  kg  schweren  Stückes  eines  ursprünglich  etwa  160  kg 
wiegenden  Meteoreisenblockes,  der  in  Mukerop  bei  Tsess  im  Bezirke 
Gibeon  in  Deutsch-Südwestafrika  (187^  «  östl.  L.  und  257^  ^  südl.  Br.) 
gefunden  wurde.  Aussen  ist  der  Block  abgerundet  und  zeigt  an 
seiner  Oberfläche  nichts  Bemerkenswertes.  Dagegen  bietet  die  dem 
grössten  Querschnitte  parallel  geführte  und  präparierte  Aufschluss- 
fläche, mit  Durchmessern  von  48  und  81  cm,  nach  den  Unter- 
suchungen von  F.  Berwerth  zweierlei  neue  Erscheinungen,  die  man 
an  meteorischen  Eisenmassen  bisher  nicht  beobachtet  hat  Eine  der 
neuen    Beobachtungen    bezieht    sich    auf    die    Krystallstruktur    des 


Sternschnuppen  und  Meteoriten.  77 

Eisenblockes  und  die  zweite  auf  eine  eigentümliche  Umwandlungs- 
erscheinung  sekundärer  Natur.  Das  Krystallgefüge  des  Eisens  ent- 
spricht wohl  dem  bekannten  schaligen  Baue  nach  den  Oktaederflächen, 
neu  ist  aber  die  Beobachtung,  dass  der  Block  nicht,  wie  dies 
gewöhnlich  der  Fall  ist,  aus  einem  einzigen  Individuum,  sondern 
aus  deren  vier  besteht.  Diese  vier  Individuen  stossen  in  Ebenen 
zusammen,  die  den  Block  quer  der  grössten  Breite  in  ungleiche  und 
krystallographisch  selbständige  Teile  trennen.  Die  Gegenwart  von 
vier  Individuen  bezeugen  die  in-  2  Schichten  verschieden  orien- 
tierten Ätzfiguren  und  ausserdem  die  scharfen  Grenzlinien  zwischen 
den  Individuen,  die  durch  den  Wechsel  der  Lamellensysteme  an  den 
Berührungsebenen  hervorgerufen  erscheinen. 

Von  den  gewöhnlichen  Begleitern  des  Meteoreisens  wurde 
Troilit  nur  in  zwei  kleinen  Kugeln  beobachtet,  und  auch  der 
Schreibersit  ist  nur  in  untergeordneter  Menge  vorhanden. 

Die  2.  Besonderheit  des  Blockes  besteht  in  dem  Erscheinen 
einer  vom  Rande  nach  innen  sich  ausbreitenden  Veränderungszone, 
die  sich  nur  in  den  Individuen  III  und  IV  über  deren  ganze  Fläche 
ausdehnt  und  gegen  den  unveränderten  Teil  des  Individuums  II 
durch  die  quer  verlaufende,  scharfe  Kluft,  die  wir  oben  kennen  gelernt 
haben,  abgedämmt  ist  und  selbe  nur  am  Rande  des  Blockes  über- 
schreitet. Diese  veränderte  Zone  erscheint  im  geätzten  Zustande 
ganz  matt  mit  schwachem  Schimmer,  der  sich  schleierartig  über 'die 
Lamellensysteme  legt,  die  man  am  Rande  nur  ganz  wenig,  im  Kerne 
noch  deutiich  wahrnimmt. 

Das  Erscheinen  dieser  schleierigen  Schicht  und  der  Randzone 
ist  zweifellos  die  Folge  einer  Erhitzung  des  Blockes,  der  er  nach 
seiner  Entstehung  auf  irgend  eine  Art  ausgesetzt  wurde.  Ganz 
ähnlich  sind  die  Veränderungszonen  der  im  Falle  beobachteten 
Meteoreisen  beschaffen.  Beide  Male  wird  das  Balkeneisen  beim  Ätzen 
flittrig,  und  die  Ätzgruben  sind  unregelmässig.  Das  Ätzbild  deutet 
auf  Änderung  des  Molekularzustandes  des  Eisens,  die  durch  eine 
unter  dem  Schmelzgrade  bleibende  Erhitzung  veranlasst  wurde.  Beim 
künstlichen  Eisen  ist  bekannt,  dass  es  bei  einem  bestimmten  Hitze- 
grade, »dem  kritischen  Punkte«,  seine  Struktur  ändert  und  in  einen 
andern  Molekularzustand  übergeht  Hier  im  Meteoreisen  liegt  dessen 
molekularer  Veränderung  wohl  ein  ähnlicher  Vorgang  zugrunde. 
Diese  durch  einen  sekundären  kosmologischen  Prozess  eingeleitete 
Erhitzung  und  Umänderung  des  Meteoreisens  bietet  im  vorliegenden 
Beispiele  das  erste  bekanntgewordene  Gegenstück  zu  dem  bei  den 
Meteorsteinen  durch  Umschmelzung  des  Tuffes  entstandenen  Ghon- 
driten.  Auf  diese  Erkenntnis  darf  man-  auch  die  Ansicht  stützen^ 
dass  manche  sogenannte  »dichte  Eisen«  durch  Erhitzung,  resp.  Um- 
schmelzung umgewandelte  Meteorsteine  sind.  ^) 

^  Anzeiger  der  Kais.  Ak.  d.  Wiss.  in  Wien  1902.  No.  6. 


78 


Fixsterne. 


Der  Meteorit  von  Felix.  Am  15.  Mai  1900  gßgen  IIV,  Ubr 
vonnittags  fiel  nahe  bei  dem  Orte  Felix  (Alabama)  unter  Detonivtionen 
ein  Meteorit  zur  Erde.  Das  Hauptstück  desselben  wiegt  7  Pfand 
and  war  bis  zu  einer  Tiefe  von  6  Zoll  in  den  Boden  gedrungen.^) 
Die  mineralische  Zusammensetzung  wird  wie  folgt  angegeben: 

Olivin 73»/o 

Aagit  und  Enstatit     18 

Troilit  .....      5 

Eisen  und  Nickel  .      8 

Gr^bit     ....      0.4 
Die  Farbe  des  Meteoriten  ist  infolge  des  Graphitgehaltes  dunkel ; 
unter  dem  Mikroskop  zeigt  es  tuffähnliche  Struktur. 


Zone. 


76»  - 

80»  . 

70  — 

75  . 

65  — 

70  . 

55  — 

65  . 

60  - 

55  . 

40  - 

60  . 

85  — 

40  . 

30   - 

86  . 

24V4- 

81   . 

20  - 

25  . 

15  - 

20  . 

10  — 

15  . 

5  - 

10  . 

1   — 

5  . 

_2  -■ 

fl   . 

Geliefert  toh  der         PabU- 
Stemwarte.  dert 

Ka«an 1896    .    .       4,281 

Dorpat restiert  noch 


Fixsterne. 

Der  Stemkatalogr  der  Astronomisehen  Gesellsehaft.   Der 

gegenwärtige  Stand  dieses  grossen  Unternehmens  wird  durch  die  nach- 
stehende Obersicht  der  bis  heute  erschienenen  Publikationen  dargestellt. 

Zahl 

der 

Sterne. 

4,281 
loch 

3,949 
14,680 

8,627 
18,457 
11,446 
10,289 
14,464 

9,206 
10,161 

9,547 
12,786 

8,241 

5,954 

Sobald  die  Zone  70  —  75^  nördl.  Deklination,  welche  die  Stern- 
warte Dorpat  liefern  wird,  publiziert  ist,  werden  die  genauen  Posi- 
tionen von  130  000  Sternen  vorliegen.  Die  Fläche  des  Himmels  zwischen 
80^  nördl.  Deklination  und  dem  Nordpole  ist  durch  Carringtons  Katalog 
von  3735  Circumpolarstemen(1857)  so  gut  dargestellt,  dass  von  Anfang 
an  davon  abgesehen  war,  sie  nochmals  aufzunehmen.  Eine  südliche 
Fortsetzung  des  Katalogs  über  —  2^  Deklination  hinaus  ist  in  Arbeit. 

Die  photometrischen  Grössen  von  928  Fixsternen,  deren 
Helligrkeitsfolgren  John  Herschel  1885—1888  bestimmt  hat, 

wurden  von  W.  Doberck  mit  Benutzung  der  Messungen  der  Harvard- 
Photometrie  abgeleitet^  Die  Sterne  sind  1. — 6.  Grösse,  und  die  ge- 
fundene photometrische  Helligkeit  dürfte  bei  den  Sternen  1. — 4.  Grösse 


Chnstiania 1890 

Helsingfors  und  Gotha  1890 

Harvard 1892 

Bonn 1894 

Lund 1902 

Leiden 1902 

Cambridge,  Eng. .    .    .  1897 

Berlin 1895 

Berlin 1896 

Leipzig 1900 

Leipzig 1899 

Albany 1890 

Nicolajew 1900 


Ball.  Societe  a«tron.  de  France  1902.   p.  508. 
Annais  Harvard  CoU.  Obs.  1902.  4L  No.  Vm.  p.  213. 


Fiiffiteme.  79 

bis  auf  wenige  Hundertstel  eiuer  Grössenklasse  genau  sein,  bei  denen 
5.  Grösse  bis  auf  0.1,  bei  denen  6.  Grösse  bis  auf  0.15  Grössenklasse. 

Den  gegenwärtigen  Stand  der  Erforschung  der  farbigen 
Sterne  mit  Berficksichtigung  des  Spektraltypus  hat  Friedrich 
Kroger  dargestellt.^)  Er  hebt  zunächst  hervor,  wie  der  Umstand, 
dass  ausgesprochen  grüne  oder  blaue  isolierte  Sterne  bisher  nicht 
aufgefunden  worden  sind,  dass  es  rein  weisse  und  rote  Sterne  nicht 
giebt,  und  die  Grundfarbe  des  Kemlichtes  bei  allen  Sternen  stets 
gelb  ist,  allerdings  nur  die  Deutung  zulasse,  dass  im  allgemeinen 
die  Farbenfolge  der  Sterne  von  Weiss  über  Gelb  zu  Rot  einer 
stetigen  Folge  im  Sinne  einer  successiven  Verminderung  der  Eigen« 
temperatur  entspreche.  Im  besondern  seien  aber  in  den  Spektren 
so  viele  verschiedene  und  auffällige  Unterschiede  vorhanden,  dass 
diese  Deutung  allein  für  die  Genesis  der  Fixsterne  nicht  ausreiche, 
und  man  noch  innere  Gründe  für  diese  Wesenverschiedenheiten  wird 
heranziehen  müssen ;  mit  andern  Worten:  der  genetische  Zusammen- 
hang der  einzelnen  Sterntypen  ist  aus  den  bis  jetzt  gewonnenen 
Beobachtungen  nicht  zuverlässig  abzuleiten,  ein  systematischer  Zu- 
sammenhang der  Typen  aber  als  sicher  vorhanden  anzunehmen. 

Bei  dem  noch  herrschenden  Widerstreite  der  Meinungen  hat  Krüger 
sich  bei  seinen  Arbeiten  über  farbige  Sterne  der  historisch  ältesten 
Einteilung  der  Stemspektra  in  Klassen,  nämlich  der  Secchischen  Ein- 
teilung bedient  Bei  den  farbigen  Sternen,  sagt  Krüger,  handelt  es 
sich  fast  ausschliesslich  um  den  III.  und  IV.  Spektraltypus,  und 
gerade  für  diese  ist  die  Frage  noch  unentschieden,  ob  die  Klasse  IV 
der  Klasse  III  nebenzuordnen  ist,  oder  ob  sie  bloss  eine  Weiterent- 
wickelung von  in  ist  Während  man  zwischen  dem  I.  und  II.  Typus 
und  dem  n.  und  m.  Typus  sich  alle  Zwischenstufen  eines  kontinuier- 
lichen Überganges  leicht  zurechtlegen  kann,  so  dass  es  oft  schwer 
zu  entscheiden  ist,  zu  welchem  Typus  ein  Stern  zu  zählen  ist,  sind 
solche  Übergangsglieder  zum  IV.  Typus  noch  nicht  aufgefunden,^ 
Die  völlig  abweichende  Form  des  Spektralbildes,  das  bei  manchen  Sternen 
dieser  Art  nur  noch  aus  drei  bis  vier  hellen  Streifen  in  Gelb  und 
Grün  zu  bestehen  scheint,  die  entgegengesetzte  Schattierung  und  die 
abweichende  Lage  der  dunklen  Banden  von  denen  des  III.  Typus 
lost  diese  Sterne  gewissermassen  aus  dem  Verbände  der  andern  heraus. 

Über  die  Farben  der  Fixsterne  und  ihre  Beobachtung  sind 
in  neuester  Zeit  zwei  ausführliche  Abhandlungen  von  H.  Osthoff') 
veröffentlicht  Derselbekommtindiesen  Abhandlungen  auf  Grund  seiner 
langjährigen  und  zahlreichen  Beobachtungen  zu  dem  Schlüsse,  dass  sich 
ZOT  Beschreibung  der  Stemf  arben  am  besten  die  Schmidtsche  Skala  eignet, 
in  der  die  Farben  durch  Zahlen  bezeichnet  sind.  Dieser  Skala  hat  Krüger 
sich  bereits  in  seinem  Kataloge  der  farbigen  Sterne  zwischen  dem  Nord- 

^)  Farbiffe  Sterne,  Mitteilungen  der  Sternwarte  zu  Altenburg,  S.-A.  1902. 
*)  J.  Scheiner,  SpektralanaTvse  der  Gestirne  p.  321. 
•j  Astron.  Nachr.  No.  3667—3658. 


80  Fixstenie. 

pole  und  23.  Grade  südlicher  Deklination  (Kiel  1893)  bedient  Die  von  ihm 
gebrauchten  Zahlen  für  die  Farbenstulen  hatten  die  folgende  Bedeutung: 
Oc=  rein  weiss,  ^)  6  =  orange, 

1  =  bläulich  weissgelb,  7  =  goldgelb 

2  =  gelblich  weiss,  8  =  rötlich, 

3  s=  gelblich,  9  =  kupferrot, 

4  =  reingelb,  10  «=  reinrot. 

5  «-  strohgelb, 

Die  Wortbeschreibung  ist  vieldeutig,  Krüger  hat  sie  nach  Ver- 
gleichung  seiner  Beobachtungen  in  Zahlen  mit  den  Anmerkungen 
über  die  Farben  einer  Anzahl  auffälliger  Sterne  von  Eduard  Schönfeld, 
A.  Krueger  und  A.  Auwers  aufgestellt  Osthoff  definiert  die  Farben- 
stufen folgendermassen: 
Oc  BS  weiss, 

1  =3  gelblich  weiss, 

2  B.  weissgelb  (weiss  und  gelb  zu  gleichen  Teilen), 

3  =  hell-  oder  blassgelb, 

4  a=  reingelb, 

5  =3  dunkelgelb, 

6  a=>  rötlich  gelb  (gelb  überwiegt), 

7  s»  rotgelb  (gelb  tmd  rot  zu  gleichen  Teflen;  orange), 

8  a>  gelblich  rot  (rot  überwiegt), 

9  BS  rot  mit  geringer  Spur  gelb, 
10  »  rot. 

Eine  von  Osthoff  durchgeführte  Vergleichung  seiner  Beob- 
achtungen mit  169  von  Krüger  und  84  von  Duner  nach  der  Schmidtschen 
Skala  beobachteten  Sternen  ergiebt,  dass  Krüger  die  Farben  im 
Mittel  um  1  ^^  3  und  Duner  um  0,83^  heller  als  Osthoff  geschätzt  hat. 

Die  umfangreichsten  Farbenschätzungen  liegen  bis  jetzt  von 
Müller  und  Kempf  in  der  Potsdamer  Photometrischen  Durchmusterung 
vor.  Die  Potsdamer  Farbenskala  umfasste  ursprünglich  die  sieben 
Stufen  Weiss  (W),  Gelblich-Weiss  (GW),  Weisslich-Gelb  (WG),  Gelb  (G), 
Rötlich-Gelb  (RG),  Gelblich-Rot  (GR)  und  Rot  (R),  und  wurde  für 
den  n.  Teil  der  Potsdamer  Photometrischen  Durchmusterung,  welche 
alle  Sterne  bis  zu  7,5  Grösse  zwischen  20  und  40  Grad  nördl.  Dekl. 
enthält,  in  der  Weise  vervollkommnet,  dass  diesen  Stufen  ein  -|-  oder  — 
angehängt  und  die  Skala  als  von  Weiss  nach  Rot  hin  ansteigend 
aufgefasst  wurde,  so  dass  die  neuen  Intervalle  durchweg  einem  Drittel 
der  alten  Stufen  entsprechen. 

Um  eine  leichte  rechnerische  Vergleichung  der  Resultate  der 
Farbenbeobachtungen  zu  ermöglichen,  wäre  sehr  erwünscht,  dass 
sich  alle  Beobachter  der  jetzt  mehrfach  als  zuverlässig  erprobten 
Schmidtschen  Skala  nach  der  Osthoffschen  Definition  der  Farben 
bedienen  wollten.  In  der  Definition  1®  =  gelblich -weiss  vermag 
Krüger  sich  der  Osthoffschen  Bezeichnung  allerdings  nicht  anzu- 
schliessen,  denn  viele  Sterne  des  I.  Spektraltypus,  die  auch  einen  bläu- 


^)  Mit  dem  kleinen  c  (<-»  color)  oben  rechts  neben  der  Zahl  ist  die 
Farbe  bezeichnet,  ähnlich  wie  durch  m  (^  magnitudo)  die  scheinbare  Grösse 
bezeichnet  wird. 


Fixsterne. 


81 


liehen  Farbenschein  mitbesitzen,  scheinenihm  besserdurch  1  ^  =  bläulich- 
weissgelb  als  bloss  durch  gelblich-weiss  beschrieben  zu  sein. 

Das  Studium  der  Sternfarben  ist,  wie  Krüger  betont,  nicht  bloss 
um  ihrer  selbst  willen  wünschenswert,  sondern  auch  als  Hilfsmittel 
zur  Aufklärung  mancher  noch  nicht  hinreichend  erforschter  Gebiete 
der  Astronomie  erforderlich;  so  ist  z.  B.  die  Farbe  eines  Sternes  von 
wichtigem  Einflüsse  auf  die  photometrischen  Beobachtungen,^)  bei  den 
mehr  oder  minder  rötlichen  Sternen  besteht  zwischen  dem  photo- 
graphischen und  dem  visuellen  Bilde  ein  grosser  Unterschied  u.  s.  w. 
Untersuchungen  über  die  Verteilung  der  Sterne  auf  die  einzelnen  Farben- 
stufen und  über  den  Himmel  konnten  bisher  aus  Mangel  an  zuverlässigen 
Beobachtungen  nur  in  geringem  Umfange  gemacht  werden,  dagegen  liegen 
schon  umfangreiche  spektroskopische  Beobachtungen  vor.  Aus  diesen  Be- 
obachtungen ergiebt  sich,  dass  der  Zusammenhang  zwischen  der  Farbe 
und  dem  Spektraltypus  eines  Sternes  viel  geringer  ist,  als  man  unter 
Amiahme  des  entwickelungsgeschichtlichen  Gesichtspunktes  zu  erwarten 
geneigt  ist.  Es  zeigt  dies  deutlich  die  folgende  Tabelle,  welche  eine 
Übersicht  über  den  Umfang  der  Farbengrenzen  nach  Krügers  Beob- 
achtiingen  für  die  einzelnen  Secchischen  Spektraltypen  giebt: 


Typ.  I 

Diff. 

Typ.  n 

Diff. 

Typ.  in 

Diff. 

Typ.  IV 

Diff. 

Oc.6-6c^ 

5C.6 

20.0-80.0 

60.0 

4c.6-^c.6 

4C.1 

70.2—90.4 

20. 

Ans  den  Arbeiten  über  die  Verteilung  der  Sterne  auf  die  Spektral- 
typen lässt  sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  entnehmen,  dass  etwa  die 
Hälfte  aller  Sterne  dem  I.  T3rpus  angehört,  und  dass  von  dem  Reste 
etwa  */^  auf  den  H.  und  ^/^  auf  den  HL  Typus  entfallen.  Auf  den 
IV.  Typus  kommen  nur  sehr  wenige  lichtschwache  Sterne;  keiner 
überschreitet  die  5.5  Grösse.  Ober  die  Verteilung  der  roten,  bezw. 
der  veränderlichen  und  der  IV.  Typus -Sterne  haben  bisher  Unter- 
suchungen angestellt:  C.  F.  Pechüle^  N.  C.  Duner ^)  und  T.  E.  Espin ^) 

Beim  Tode  d' Arrests  (1878)  waren  150  Sterne  vom  ÜI.  und 
28  Sterne  vom  IV.  Typus  bekannt,  beim  Erscheinen  von  Duners 
Untersuchungen  (1885)  kannte  man  475  Sterne  vom  III.  und  etwa 
56  vom  rV.  Typus.  Bei  der  Herausgabe  seines  Kataloges  der  farbigen 
Sterne  (1893)  konnte  Krüger  950  Sterne  des  IE.  Typus  und  103  des 
rV.  Typus  zwischen  dem  Nordpole  und  dem  28.  Grade  südl.  Deklination 
an&Eählen.  In  der  Zwischenzeit  sind,  besonders  diirch  die  eifrigen 
Nachforschungen  von  T.  E.  Espin,  die  Zahlen  wieder  bedeutend  ge- 
stiegen. In  einem  neuen  Kataloge  der  Sterne  vom  III.  und  IV.  Typus 
zwischen  dem  Nordpole  und  dem  28.  Grade  südl.  Deklination,  den  Krüger 


^)  G.  Müller,  Die  Photometrie  der  Gestirne  p.  463. 
*)  Expedition  Danoise  pour  rObservation  du  Passage  de  Venus  1882. 
p.dlff.,  Copenhague  1888. 

1  Sor  les  etoiles  a  spectres  de  la  in.  dasse  p.  126  ff.    Stockhoün  1885. 
*)  Astroph.  Joum.  10.  p.  168. 
Klein,  JalirlroohXni.  6 


82  Fixsterne. 

soeben  vollendet  hat,  konnte  er  8773  Sterne  vom  III.  Typus  und 
186  vom  IV.  Typus  verzeichnen.^)  Vergleicht  man  diese  Zahlen  mit- 
einander, so  sieht  man,  dass  seit  1878  sich  die  Zahl  der  bekannten 
m.  Typus-Sterne  veifünfundzwanzigfacht  hat,  während  die  Zahl  der 
IV.  Typus-Sterne  sich  nur  verachtfachte.  Es  kam  1878  ein  FV.  Typus- 
Stern  auf  etwa  6.5  III.  Typus-Sterne,  1885  war  das  Verhältnis 
1:8,6,  1892  1:9,  und  gegenwärtig  ist  es  1:20.2.  Durch  weitere 
Beobachtungen  wird  sich  dies  Verhältnis  noch  mehr  verringern,  so 
dass  die  von  Duner  ausgesprochene  Annahme,  dass  die  FV.  Typus- 
Sterne  mindestens  50 mal  seltener  sind  als  die  des  III.  Typus,  der 
Wirklichkeit  nahe  kommen  dürfte. 

Die  in  seinem  neuen  Kataloge  bearbeiteten  Beobachtungen 
schienen  Krüger  genügend,  einen  Beitrag  zur  Frage  nach  der 
Verteilung  der  farbigen  Sterne  zu  geben.  Bei  der  Herstellung  der 
erforderlichen  Tabellen  hat  er  dieselben  Einteilungsprinzipien  walten 
lassen,  wie  sie  H.  Seeliger  in  seinen  beiden  Abhandlungen :  Über  die 
Verteilung  der  Sterne  auf  der  nördlichen  und  südlichen  Halbkugel 
nach  der  Bonner  Durchmusterung^)  angewandt  hat.  Dies  Verfahren 
rechtfertigt  sich  von  selbst  dadurch,  dass  es  eine  leichte  und  über- 
sichtliche Vergleichung  seiner  Abzahlungen  mit  denen  von  Seeliger 
ermöglicht.  Krüger  hat  zunächst  eine  Abzahlung  nach  folgenden 
Orössenklassen  vorgenommen: 

1.  Klasse  1.0m  bis  6.5m  4.  Klasse  7.6m  bis  8.0m 

2.  „       6.6m    „    7.0m  5.        „       8.1  m    „    8.5m 

3.  „       7.1m    „    7.5m  6.       „       8.6m    „   9.0m 

7.  Klasse  9.1m  und  schwächer. 

Die  Anzahl  der  Sterne  jeder  dieser  Grössenklassen  wurde  von 
20  zu  20  Zeitminuten  in  Rektaszension  und  von  Grad  zu  Grad  in 
Deklination  aufgesucht  und  dann  in  Tabellen  auf  Intervalle  von  40 
zu  40  Zeitminuten  in  Rektaszension  und  von  5  ^  zu  5  ^  in  Deklination 
zusammengezogen.  Als  Grösse  wurde  überall  die  Angabe  der  Bonner 
Durchmusterung  angesetzt  Ausser  den  Durchmusterungsstemen  sind 
in  diesen  Tabellen  noch  104  Anonyma  enthalten,  die  in  die  6.  und 
7.  Klasse  nach  Krügers  eigenen  mit  seinem  Heeleschen  Refraktor  von 
172  mm  Objektivöffnung  vorgenommenen  Stufenschätzungen  ein- 
gereiht sind.  Die  Veränderlichen  wurden  über  die  Klassen  nach 
ihrem  grössten  Lichte  verteilt.  Im  ganzen  enthalten  diese  Tabellen 
Krügers  für  den  nördlichen  Himmel  3509  farbige  Sterne  mit  Banden- 
spektrum, darunter  123  vom  IV.  Typus  und  147  veränderliche,  von 
denen  21  dem  FV.  Typus  angehören. 

Eine  oberflächliche  Betrachtung  der  Tabellen  zeigt  schon  das 
grosse  Anwachsen  der  Stemzahl  mit  der  Annäherung  an  die  Milch- 
strasse. Nach  dem  Vorgange  von  Seeliger  hat  Krüger  zur  Ent- 
scheidung der  Frage,  wie  sich  der  Verlauf  der  Milchstrasse   in   den 


M  Dieser  Katalog  wird  in  kurzer  Zeit  publiziert  werden. 


München  1884  und  1886. 


Fixsterne» 


83 


Zahlen  aoaspricht,  den  nördlichen  Himmel  in  8  Zonen  geteilt  Die 
erste  Zone  liegt  lun  den  Nordpol  der  Milchstrasse  (a  =»  12^49™, 
^  =  -l-  27^30')  nnd  ist  begrenzt  von  dem  um  20  Grad  von  diesem 
abstehenden  Parailelkreise.  Die  2.  Zone  liegt  zwischen  20  und 
40  Grad  gallaktischer  Poldistanz  u.  s.  f.  Die  8.  Zone  enthält  die 
Sterne,  welche  um  mehr  als  140  Grad  vom  Pole  der  Milchstrasse 
abstehen.  Die  5.  Zone  ist  also  diejenige,  welche  die  Milchstrasse 
enthält  Die  folgenden  Tabellen  enthalten  das  Ergebnis  dieser  Ein- 
teilung: Tabelle  a  umfasst  alle  Sterne  mit  Bandenspektren  und 
Tabelle  b  die  IV.  Typus-Sterne  gesondert 

SL 


Klasse 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

Summe 

Zone        I 

9 

3 

2 

1 

5 

4 

_ 

24 

Veränderliche 





1 



1 

Zone       II 

35 

24 

37 

50 

41 

22 

7 

216 

Verändeiüche 

4 

2 

2 

2 



1 

1 

12 

Zone     m 

45 

32 

66 

53 

78 

40 

18 

382 

Veränderiiche 

— 

4 

2 

3 

2 

2 

3 

16 

Zone     IV 

54 

69 

65 

117 

167 

178 

107 

757 

Veränderliche 

6 

8 

2 

5 

4 

8 

33 

Zone     T 

52 

61 

86 

174 

272 

389 

453 

1487 

TertaderUebe 

8 

7 

3 

6 

6 

11 

4 

45 

Zone     VI 

22 

27 

63 

93 

114 

135 

69 

523 

Veränderliche 

9 



2 

2 

4 

6 

2 

25 

Zone    VII 

23 

18 

36 

14 

19 

22 

9 

141 

Veränderliche 

5 

1 

2 

2 

2 

2 

14 

Zone  VIII 

5 

4 

5 

2 

3 

6 

4 

29 

Veränderliche 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

Summe 

245 

238 

360 

504 

699 

796 

667 

3509 

Veränderliche 

32 

22 

14 

20 

19 

30 

10 

147 

Klasse 

1 

2 

8 

4 

5 

6 

7 

Summe 

Zone        I 
Veränderliche 

Zone       II 
Veränderiiche 

Zone     III 
Veränderliche 

Zone     rV 
Veränderliche 

Zone      V 
Terlnderliehe 

Zone     VI 
Veränderiiche 

Zone    vn 
Veränderliche 

Zone  vm 
Veränderiiche 

1 

~2 

1 
1 

1 

1 

1 
2 

1 

1 

1 

1 
1 
1 

1 

1 

3 
3 
2 

1 

4 

4 
1 

3 

2 

4 

3 

11 

1 

1 

1 

1 

5 

64 
2 

7 

2 

1 

3 

2 

17 

9 

84 
10 
12 

2 

2 

Summe 
Veränderliche 

6 

3 
6 

3 
2 

3 
6 

12 

1 

19 
4 

77 
2 

123 
21 

84  Fixsterne. 

Man  sieht,  dass  sowohl  die  m.  Typus-Sterne,  als  auch  die 
IV.  Typus-Sterne  und  die  Veränderlichen  von  langer  Periode  sich  in 
derselben  Weise  über  den  Himmel  verteilen,  wie  dies  die  Sterne  der 
Bonner  Durchmusterung  thun.  Krüger  stellt  deshalb  den  Satz  auf: 
Es  findet  eine  Anhäufung  der  Sterne  mit  Bandenspektren  nach  der 
Milchstrasse  zu  statt,  die  selbst  an  Sternfülle  die  andern  gallak- 
tischen  Zonen  bedeutend  übertrifft  An  diesem  allgemeinen  Ergebnisse 
dürfte  durch  die  Auffindung  weiterer  Sterne  mit  Bandenspektren  nichts 
mehr  geändert  werden. 

Einige  scheinbar  vorhandene  eigentümliche  Unregelmässigkeiten 
und  Abweichungen  in  der  Verteilung  der  Sterne  mit  Bandenspektren 
von  der  allgemeinen  Verteilung,  wie  diese  sich  aus  der  Bonner  Durch- 
musterung ergiebt,  z.  B.  die  Armut  in  den  Klassen  5 — 7  zwischen 
0 — 20®  Deklination  und  das  Anschwellen  zwischen  25 — 60®  Dekli- 
nation, lassen  sich  zwanglos  erklären  aus  der  Art,  wie  die  farbigen 
Sterne  aufgesucht  wurden,  und  aus  den  Beobachtungszeiten,  die 
hauptsächlich  in  den  Herbstmonaten  liegen. 

Eine  Eigentümlichkeit  der  Sterne  mit  Bandenspektren  aber,  die 
aus  den  Tabellen  nur  sehr  schwer  und  zum  Teil  gar  nicht  ersichtlich 
ist,  und  die  auf  innem  Gründen  zu  beruhen  scheint,  erwähnt  Krüger 
noch  kurz.  Es  ist  die  auffällige  Erscheinung,  dass  sie  häufig  zu 
Ansammlungen  zusammentreten,  und  dass  in  diesen  Anhäufungen 
nicht  selten  auch  ein  bis  zwei  IV.  Typus-Sterne  je  nach  der  Anzahl 
der  m.  Typus-Sterne  mit  enthalten  sind.  Solche  Gruppen  können 
direkt  zum  Aufsuchen  der  IV.  Typus-Sterne  dienen.  Oft  ist  die  An- 
ordnung dieser  Gruppen  eine  reihenförmige  und  stimmt  überein  mit 
der  von  M.  Wolf  beobachteten  und  als  Schnüre-  oder  Kettenbildung 
beschriebenen  Anordnung.  ^)  Es  handelt  sich  bei  diesen  Reihen  vor- 
wiegend um  schwache  Sterne,  die  in  enggliedrigen  Ketten  stehen. 
An  ein  paar  Stellen  finden  sich  starke  lokale  Anhäufungen  von 
farbigen  Sternen,  so  z.  B.  zwischen  10 — 12^  Rektaszension  und 
51 — 58®  Deklination  und  zwischen  10 — 13^  20°*  und  52—58®,  wo- 
rauf schon  T.  E.  Espin*)  hingewiesen  hat;  anderseits  aber  fehlen  auch 
ganz  arme  Partien  nicht.  Eine  Katalogisierung  und  Beschreibung^ 
der  Ketten  und  Gruppen  von  Sternen  mit  Bandenspektren  hat 
Fr.  Krüger  auf  seiner  Sternwarte  in  Vorbereitung. 

Tempepaturbestimmung:  der  Fixsterne  auf  photo- 
metrischem Wege.  Baron  B.  Harkänyi  hat  hierüber  eine  wichtige 
Arbeit  veröffentlicht.')  Er  stützt  sich  dabei  auf  die  vor  kurzem  von 
Prof.  Lummer  und  Dr.  Pringsheim  veröffentlichten  Untersuchungen,^) 


^)  Astron.  Nachr.  185* 
*)  Astron.  Nachr.  134.  p.  127. 
«)  Astron.  Nachr.  No.  8770. 

*)  Verhdl.  d.  Dtsch.  Phys.  Ges.  HI.  No.  4.  Verhdl.  des  internat.  Physiker- 
kongresses zu  Paris  1900.  p.  95. 


Fixsterne.  85 

^mäss  denen  sich  die  Temperatur  hoch  erhitzter  Körper  aus  der 
Energieverteilung  ihrer  Spektra  hestimmen  lasst.  Die  dort  gegebenen 
Bechnungsvorschriften  hat  er  dann  auf  die  von  Prof.  Vogel  ausge- 
führten spektralphotometrischen  Messungen  ^)  angewandt.  Auf  diesem 
Wege  sind  Näherungswerte  für  die  Fixstemtemperaturen  zu  erhalten 
unter  der  Voraussetzung,  dass  sich  deren  Spektra  durch  die  von 
Wien  gegebene  Spektralgleichung  ebenso  darstellen  lassen,  wie  dies 
bei  den  bis  jetzt  untersuchten  irdischen  Lichtquellen  der  Fall  ge- 
wesen ist.  Spezieller  bezeichnet,  ergeben  sich  Grenzwerte,  zwischen 
denen  die  absoluten  Temperaturen  enthalten  sind,  wenn  die  Strahl- 
Imgseigenschaften  des  Körpers  zwischen  denen  des  blanken  Platins 
and  eines  absolut  schwarzen  Körpers  liegen,  was  in  der  That  an- 
genommen werden  darf.  Bezeichnet  man  die  Wellenlänge  des  Maxi- 
mums der  Energie  im  Spektrum  eines  Sternes  mit  y,  die  absolute 
Temperatur  desselben  mit  T,  so  ist  nach  Wien  das  Produkt  y  .  T 
eine  konstante  Grösse,  die  für  blankes  Platin  durch  die  Zahl  2630, 
für  einen  absolut  schwarzen  Körper  durch  die  Zahl  2940  angegeben 
wird.  Schwierig  ist  nur  die  genauere  Ermittelung  der  Wellenlänge 
des  Maximums  der  Spektralintensität.  Baron  Harkänyi  hat  dieselbe 
auf  rechnerischem  Wege  abgeleitet  und  ferner  auf  ältere  Messungen 
von  Mouton^  gestützt  für  die  Wellenlänge  dieses  Maximums  im 
Sonnenspektrum  den  Wert  0.54  /i  (540  Milliontelmillimeter)  abge- 
leitet Berechnet  man  hiermit  die  Sonnentemperatur  nach  dem  oben 
angegebenen  Verfahren  von  Wien,  so  findet  man  als  Maximum  der- 
selben rund  5450,  als  Minimum  4850^.  Dies  ist  merklich  weniger 
als  der  von  Prof.  Scheiner  früher  auf  einem  andern  Wege  gefundene 
Wert  7000^,  aber  anderseits  genügend,  um  zu  erweisen,  dass  auf 
dem  neuen  Wege  annähernd  richtige  Werte  zu  erhalten  sind.  Mit 
HUfe  des  für  das  Sonnenspektrum  angenommenen  Wertes  der  Wellen- 
länge der  maximalen  Energie  (0.54  /i)  berechnet  Baron  Harkänyi  die 
Temperaturen  für  Sirius  im  Maximum  zu  7950,  im  Minimum  zu 
5700«,  für  Wega  6400—5700,  Arktur  2700—2450,  Aldebaran 
2850—2560,  Beteigeuze  3150— 2800  <>.  Für  das  elektrische  Bogen- 
licfat  ergaben  sich  auf  demselben  Wege  Temperaturen  zwischen  3500 
ond  2850®. 

Die  photographisehen  Spektra  der  heilern  Sterne  des 
Bfidliehen  Himmels.  Der  erste  Versuch  einer  Klassifikation  der 
photographischen  Spektra  der  Fixsterne  wurde  von  Mrs.  Fleming  im 
27.  Bande  der  Annalen  der  Harvardsternwarte  veröffentlicht.  Dann 
pQbUzierte  Miss  Antonia  Maury  eine  detaillierte  Studie  über  die 
photographischen  Spektra  der  zu  Cambridge  (N.-A.)  am  nördlichen 
Himmel  sichtbaren  Sterne  im  1.  Teile  des  28.  Bandes  der  genannten 

')  Monatsber.  der  Kgl.  Prenss.  Akad.  der  Wiss.  1880.  p.  801.     Diese 
^ntMsQchg.  Vogels  finden  sich  mitgeteilt  im  Sirius  1881.  p.  76. 
*)  Comp.  rend.  1879.  89.  p.  2d5. 


86  Fixsterne. 

Annalen.  Jetzt  hat  nun  Miss  Annie  J.  Cannön  im  2.  Teile  des 
nämlichen  Bandes  der  Harvard-Annalen  eine  ähnliche  Untersuchung 
bezüglich  der  Sterne  des  südlichen  Himmels  veröffentlicht.  In  diesen 
3  Untersuchungen  wurde  das  Prinzip  festgehalten,  die  Sterne 
nach  dem  Grade  der  Übereinstimmung  oder  Ähnlichkeit  ihrer  Spektra 
aneinander  zu  reihen,  ohne  Berücksichtigung  theoretischer  Vor- 
stellungen oder  früherer  Studien  der  sichtbaren  Spektra  derselben 
von  Seiten  anderer  Astronomen.  Die  Arbeit  von  Mrs.  Fleming 
konnte  sich  nur  auf  photographische  Aufoahmen  stützen,  die  mit 
geringer  Grösse  der  Spektra  erhalten  waren,  folglich  konnten 
geringe  Unterschiede  im  Aussehen  der  Spektra  nicht  wahrgenommen 
werden;  die  beiden  andern  Untersuchungen  verfügten  dagegen  über 
ein  Material  an  photographierten  Spektren,  die  mit  starker  Disper- 
sion erhalten  waren,  und  folglich  wurden  nun  auch  geringere  Unter- 
schiede bemerkbar.  Miss  Maury  unterschied  im  ganzen  22  Spektral- 
klassen, welche  sich  eng  aneinanderschliessen ,  so  dass  fast  alle 
Sterne  mit  fast  unmerklichen  Übergängen  ihrer  Spektra  aneinander 
gereiht  werden  konnten.  Miss  Cannon  ist  dagegen  bei  ihrer  Unter- 
suchung der  Spektra  südlicher  Sterne  wieder  zu  der  Klassifizierung 
von  Mrs.  Fleming  zurückgekehrt,  hat  aber  zwischen  die  Klassen 
desselben  noch  eine  Anzahl  von  Zwischenklassen  eingeschoben.  Ehe 
wir  hierauf  eingehen,  mögen  zunächst  die  von  ihr  angewandten 
allgemeinen  Bezeichnungen  der  Spektrallinien  hervorgehoben  werden. 
Sie  bezeichnet  als  Wasserstofflinien  die  bekannten  Spektrallinien, 
welche  gewöhnlich  die  Buchstaben  Ha,  H)3  bis  Ht;  haben,  als 
additionale  Wasserstofflinien  dagegen  die  2.  Reihe  der  Wasser- 
stofflinien (H  /?'  bis  H  <5'),  welche  zuerst  im  Spektrum  von  f  Puppis 
identifiziert  worden  ist.  Mit  dem  Namen  Orionlinien  werden  alle 
dunklen  Linien  (mit  Ausnahme  der  des  Wasserstoffs  und  Calciums) 
bezeichnet,  die  in  den  Spektren  von  Sternen  der  (weiter  unten 
beschriebenen)  Spektralklassen  Oe,  Oe5B,  B,  BIA,  B2A,  B3A 
und  B5A  auftreten.  Diese  Orionlinien  können  allgemein  in  zwei 
Klassen  geschieden  werden,  nämlich  diejenigen,  welche  dem  Helium 
und  Parhelium  angehören,  und  solche,  welche  durch  andere  Gase 
und  Substanzen  hervorgerufen  werden.  Einige  von  den  Orionlinien 
sind  jüngst  mit  solchen  des  Sauerstoffs  und  Stickstoffs  identifiziert 
worden,  so  die  dreifache  Linie  (A  =  4069.4,  4072.0  und  4075.9) 
in  den  photographischen  Stemspektren  mit  Sauerstofflinien,  die 
Linien  >t  =  3994.9  und  4630.5  mit  solchen  des  Stickstoffs.  Die 
intensivsten  Orionlinien,  welche  nicht  dem  Helium  und  Parhelium 
angehören,  sind  bis  jetzt  noch  nicht  sicher  mit  Linien  bekannter 
irdischer  Stoffe  identifiziert  worden.  Die  Bezeichnung  Sonnenlinien 
wurde  gebraucht  für  alle  Linien  des  Sonnenspektrums  mit  Ausnahme 
der  Wasserstoff-  und  Galciumlinien.  Die  Bezeichnung  Calciumlinien 
bezieht  sich  auf  die  Linien  oder  Banden  der  Wellenlängen  X  = 
3933.8  und  3968.6,  die   erstere  wird  oft   durch   den  Buchstaben  K 


Fixsterne. 


87 


die  andere  mit  H  bezeichnet.     Die  Bande  G  bezeichnet  die  Sonnen- 
linien zwischen  ;i  =  4299.2  und  4315.2. 

In  der  frühesten  Arbeit  von  Mrs.  Fleming  über  die  photo- 
graphischen Spektra  der  Sterne  wurden  diese  in  Klassen  eingeteilt» 
welche  mit  grossen  lateinischen  Buchstaben  bezeichnet  waren.  Es 
ist  zunächst  ¥richtig,  die  Beziehung  dieser  Klassen  zu  den  fünf  von 
Prof.  £.  Pickering  aufgestellten  Fizstemtypen ,  welche  lediglich  auf 
das  Aussehen  der  direkt  sichtbaren  Spektra  der  Sterne  (nicht  aber 
der  photographischen  Spektra)  begründet  sind,  kennen  zu  lernen. 
Es  entspricht 

Flemings  Klasse  A  u.  B.  dem  Typus  I 


F 
G 
K 
M 

N 
0 


I— II 

n 

n— ui 
in 

IV 
V 
identisch 


Die  Pickeringschen  Typen  I,  11,  III  aber  sind  identisch  mit  Vogels 
Spektralklassen  I,  II,  III,  der  Typus  IV  entspricht  der  Vogelschen 
^asse  Illb,  und  Pickerings  Typus  V  enthält  nur  die  wenigen  Sterne, 
deren  Spektrum  allein  aus  hellen  Linien  besteht. 

Miss  Gannon  macht  nun  zwischen  den  Klassen  A,  B.  u.  s.  w. 
eine  Anzahl  Unterabteilungen.  So  gehören  z.  B.  in  Klasse  B  Sterne, 
deren  Spektra  die  dunklen  Wasserstofflinien  zusammen  mit  Linien 
des  Oriontypus  von  gleicher  Intensität  enthalten;  die  Klasse  B  1  A 
umfasst  nur  solche  Spektra,  die  sehr  nahe  derjenigen  der  Klasse  B 
sindy  während  in  die  Klasse  B  9  A  diejenigen  Spektra  gehören ,  die 
nur  wenig  von  denjenigen  der  Klasse  A  verschieden  sind.  Die 
Spektra  der  Klasse  B5A  fallen  in  ihrem  Aussehen  und  den  Inten- 
sitäten ihrer  Linien  nahezu  in  die  Mitte  zwischen  die  Spektren  der 
Klassen  A  und  B.  Die  stufenweise  Abnahme  der  Intensitäten  der 
Orionlinien  fällt  zusammen  mit  der  stufenweisen  Zunahme  der 
Intensität  der  Wasserstofflinien  und  dem  Auftreten  feiner  Sonnen- 
linien, so  dass  in  den  Spektren  der  Klassen  B  8  A  und  B  9  A  Sonnen- 
und  Orionlinien  vermischt  auftreten. 

Der  Buchstabe  A  in  dieser  Klassifikation  bezeichnet  Spektra 
des  Siriustypus,  wovon  a  Canis  majoris  und  a  Lyrae  Beispiele 
bflden.  Diese  Spektra  kann  man  definieren  als  solche,  in  welchen 
die  Orionlinien  im  allgemeinen  fehlen,  die  Linie  K  und  die  Sonnenlinien 
schwach,  dagegen  die  Wasserstofflinien  von  grosser  Intensität  erscheinen. 

Der  Buchstabe  F  bezeichnet  die  Spektra,  in  welchen  die  breiten 
Banden  K  und  H  des  Calciums  die  augenfälligsten  Streifen  sind, 
während  die  Wasserstofflinien  gleichzeitig  noch  immer  intensiver  als 
die  Sonnenlinien  erscheinen.  Die  stufenweisen  Übergänge  der  Klassen 
A  und  F  werden  durch  die  Kombinationen  A2F,  ASF  und  A5F 
angezeigt 


88  Fixsterne. 

Der  Buchstabe  Q  bezeichnet  Spektra  des  charakteristischen 
Sonnentypus  I  wovon  das  Spektrum  von  aAurigae  als  bestes  Bei- 
spiel hervorgehoben  werden  kann.  Es  ist  bis  in  die  kleinsten 
Eigentümlichkeiten  mit  dem  Sonnenspektrum  übereinstimmend.  Diese 
Spektra  können  definiert  werden  als  solche,  in  denen  die  Linien  K 
und  H  des  Calciums  und  die  Bande  G  die  augenfälligsten  Linien 
bilden,  während  die  Wasserstofflinien  noch  ebenso  intensiv  als 
irgend  eine  der  Sonnenlinien  sind.  Spektra,  welche  Zwischenstufen 
von  F  bis  G  entsprechen,  sind  als  F  2  G,  F5G  und  F8G  unter- 
schieden worden. 

Der  Buchstabe  K  repräsentiert  Spektra,  die  zwischen  dem  II. 
und  m.  Typus  liegen,  und  die  kurz  definiert  werden  können  als 
solche,  in  welchen  die  Banden  K  und  H,  die  Bande  G  und  die 
Linie  von  der  Wellenlänge  /  =  4227.0  die  augenfälligsten  sind,  und 
in  welchen  das  gegen  die  kürzern  Wellenlängen  hin  liegende  End- 
teil des  Spektrums  schwach  ist,  ausserdem  die  Verteilung  der 
Helligkeit  in  den  verschiedenen  Teilen  des  Spektrums  ungleich  ist. 
Die  Wasserstofflinien  in  dieser  Spektralklasse  sind  schwächer  als 
zahlreiche  Sonnenlinien.  Spektra  zwischen  der  Klasse  G  und  K 
Wurden  mit  G  5  K  bezeichnet. 

Der  Buchstabe  M  bezeichnet  im  allgemeinen  Spektra,  die  sich 
von  denjenigen  der  Klasse  K  hauptsächlich  durch  plötzliche  Ver- 
minderungen der  Intensität  mit  zunehmender  Wellenlänge ,  bei  Jl  = 
4762,  4954,  5168  und  5445  auszeichnen.  Spektra  zwischen  K  und 
M  sind  mit  K  2  M  und  K  5  M  bezeichnet  Da  keine  Spektra  gefunden 
wurden,  welche  auf  diejenigen  der  Klasse  M  folgen,  in  welche 
dieser  Spektraltypus  weiterhin  übergeht,  so  wurden  die  hierher 
gehörigen  Spek^a  nur  in  2  Unterklassen  Ma  und  Mb  unter- 
schieden, so  dass  mit  Mb  die  Reihe  der  verschiedenen,  unmerklich 
ineinander  übergehenden  Spekra  schliesst.  Die  Buchstaben  Md 
repräsentieren  Spektra  des  HI.  Typus,  welche  eine  oder  mehrere 
hellen  Wasserstofflinien  zeigen.  Spektra  des  IV.  Typus,  für  welche 
im  Draper-Kataloge  der  Buchstabe  N  gewählt  worden  ist,  kommen 
auf  den  von  Miss  Gannon  untersuchten  Platten  nicht  vor. 

Sterne  des  V.  Typus  sind  solche ,  deren  Spektra  hauptsächlich 
aus  hellen  Linien  bestehen;  sie  sind  vorzugsweise  charakterisiert 
durch  helle  Banden  der  Wellenlängen  X  =  4633  und  4688,  auch  ist 
die  Linie  bei  X  =  5007 ,  welche  für  die  Gasnebel  charakteristisch 
ist,  bisweilen  vorhanden.  Die  Sterne  dieses  Typus  sind  im  Draper- 
Kataloge  mit  0  bezeichnet  worden.  In  der  von  Miss  Gannon 
gewählten  Klassifikation  hat  dieser  Typus  5  Unterabteilungen, 
die  nüt  Oa,  Ob  bis  Oe  bezeichnet  sind.  Einige  wenige  Spektra 
zwischen  der  Klasse  Oe  und  B  wurden  durch  das  Symbol  Oe5B 
bezeichnel  Sie  unterscheiden  sich  von  denjenigen  der  Klasse  Oe 
hauptsächlich  dadurch,  dass  die  Linie  >l  =  4685.4  dunkel  ist,  und 
durch   die   Anwesenheit    der    dunklen    Linie   Jl:»»  4649.2    statt    des 


Fixsterne.  89 

hellen  Bandes  Jl  =  4633;  von  den  Spektren  der  Klasse  B  sind  sie 
durch  die  grossem  Intensitäten  der  additionalen  Wasserstofflinien 
und  der  Linie  4685.4  unterschieden.  Der  Buchstabe  P  bezeichnet 
die  Spektra  planetarischer  Nebel,  Q  dagegen  eigentümliche  Spektra 
mit  hellen  Linien.  Endlich  blieben  noch  einige  Spektra  übrig, 
welche  dem  Oriontypus  angehören,  aber  gleichzeitig  eine  oder 
mehrere  helle  Wasserstofflinien  zeigen;  dieselben  zeigen  keine  deut- 
liche Beziehung  zu  andern.  Zuletzt  wurden  dann  noch  einige 
wenige  Spektra  gefunden,  die  deutlich  eine  Übereinanderlagerung 
zweier  verschiedener  Spektraltypen  zeigen,  so  dass  sie  als  kombi- 
nierte Spektra  bezeichnet  wurden.  Darunter  fanden  sich  fünf 
Spektra,  welche  eine  periodische  Verdoppelung  ihrer  Linien  zeigen, 
deren  Sterne  also  spektroskopische  Doppelsteme  sind.  Es  sind 
folgende: 

a)  kombinierte  Spektra: 
Rektasz.  (1900.0)       Dekl.  Grösse  Spektrum 

«Garinae.     .    .      8^  a0.4m  — 69M1'  1.74  K 

lyCentauri     .    .    14     29.2  —41   43  2.54  BSA 

Idrdm   ...    15     15.4  —58  58  4.41  B5A 

« Scorpü  ...    16     28.2  —26   13  1.06  Ma 

c*Aquarii      .    .    28       4.5  —23    0  4.89       A2F  oder  A3F 

b)  spektroskopische   Doppelsterne: 

-Poppis      -    .      71»   55.3m  —48« 58'  4.50  BSA 

(Centanri     .    .    13     49.3  —46   47  2.81  B2A 

«Scorpü       .    .    15     52.8  —25   49  3.08  B2B 

/»»Scorpü       .    .    16     45.1  -37  53  3.26  B3A 

Die  Periode  des  Sternes  in  Puppis  beträgt  1.454  Tag,  diejenige 
von  CCentauri  8.024  Tage,  jene  von  tt  Scorpü  1.571  Tag  und  die- 
jenige von  /i^  Scorpü  1.446  Tag. 

Die  Gesamtzahl  der  von  Miss  Cannon  bezügUch  ihrer  photo- 
graphischen Spektra  untersuchten  Sterne  beträgt  1122,  von  denen 
zu  Areqnipa  5961  Platten  aufgenommen  wurden,  sämtlich  mit  dem 
ISzoUigen  Boydenteleskop,  Die  erste  Platte  wurde  am  29.  Novbr. 
1891,  die  letzte  am  6.  Dezember  1899  exponiert  Die  untersuchten 
Sterne  stehen  auf  dem  Räume  des  Himmels  südUch  von  30^  südl. 
Deklination  und  sind  5.  Grösse  oder  heller,  auch  sind  lichtschwächero 
danmter  und  endlich  auch  einige,  die  nördlich  von  jener  Grenzlinie 
stehen.  Die  photographischen  Aufnahmen  wurden  gemacht,  nachdem 
entweder  1,  2  oder  3  Prismen  vor  dem  Objektive  des  Refraktors 
angebracht  waren.  Die  Dispersion  dieser  Prismen  ist  eine  solche, 
dass  die  Spektra  in  jedem  der  3  Fälle  zwischen  den  Linien  Ue 
ond  Rß  eine  Länge  von  resp.  2.24,  4.86  und  7.43  cm  besitzen,  bei 
einer  Höhe  von  nicht  unter  0.5  cm  je  nach  der  Helligkeit  des  Sternes. 
Ue  Zeitdauer   der  Exponierung  betrug  im  allgemeinen  eine  Stunde. 

Die  Klassifizierung  der  1122  Spektra  ergab  nun,  dass  die 
meisten  in  einer  Reihenfolge  mit  mehr  oder  weniger  allmählichen 
Übergängen  untergebracht  werden  können,    so  dass  die  Spektra  der 


90  Fixsterne. 

Klasse  Oe  am  einen  und  diejenigen  der  Klasse  Mb  am  andern 
Ende  der  Reihe  zn  stehen  kommen,  wobei  jedoch  die  physische 
Aufeinanderfolge  der  Entwickelung  auch  umgekehrt  sein  kann.  Nimmt 
man  aber  diejenige  von  Oe  bis  zu  Mb,  als  wahrscheinlich  mit 
Laplaces  Entwickelungstheorie  übereinstimmend,  an,  so  hat  man 
kurz  folgende  Aufeinanderfolge:  Breite,  verwaschene,  helle  Banden, 
welche  mit  beiden  Reihen  der  Wasserstoffiinien  korrespondieren,  und 
zwei  helle  Banden  bei  den  Wellenlängen  >l  =  4606  und  4688  sind 
vorhanden.  Die  Wasserstofflinien  und  Band  X  =  4638  werden 
schmaler.  Band  4606  wird  ersetzt  durch  ein  Band  mit  der  Wellen- 
länge 4633.  Demnächst  werden  die  beiden  Reihen  der  Wasserstoff- 
linien dunkel,  während  die  Banden  4688  und  4688  noch  hell  bleiben, 
wenngleich  weniger  breit  und  intensiv.  Während  diese  Banden  ab- 
nehmen, beginnen  die  Helium-  und  andere  Orionlinien  sichtbar  zu 
werden.  Zwei  wohl  markierte  dunkle  Linien  bei  Jl  =  4649.2  und 
4685.4  sind  sichtbar,  während  die  hellen  Banden  verschwinden.  Die 
Linie  4685.4  scheint  mindestens  die  Umkehrung  eines  Teiles  der 
hellen  Bande  4688  zu  sein.  Die  Linien  4649.2  und  4685.4,  zu- 
sammen mit  4089.2  und  4116.2,  von  denen  keine  dem  Helium  oder 
Parhelium  zuzuschreiben  ist,  werden  jetzt  die  am  meisten  charakte- 
ristischen Orionlinien,  da  sie  im  ganzen  augenfälliger  erscheinen  als 
die  Heliumlinien.  Die  additionalen  Wasserstofflinien  nehmen  an 
Intensität  ab,  bis  sie  unsichtbar  werden,  während  die  Heliumlinien 
das  Maximum  ihrer  Intensität  erreichen.  Die  Linien  4089.2,  4116.2 
und  4649.2  nehmen  rapid  ab,  so  dass  sie  unsichtbar  sind,  während 
die  Heliumlinien  am  intensivsten  erscheinen.  Diese  letztem  bleiben 
länger  sichtbar  als  die  übrigen  Orionlinien,  und  einige  von  ihnen 
zeigen  sich  noch  in  Spektren,  welche  bereits  schwache  Sonnenlinien 
besitzen.  Das  Eingehen  der  Heliumlinien  tritt  ein,  wenn  die  Wasser- 
stofflinien das  Maximum  ihrer  Intensität  erreichen.  Jetzt  nehmen  die 
Sonnen-  und  Galciumlinien  rapid  an  Intensität  zu,  während  gleich- 
zeitig eine  korrespondierende  Abnahme  der  Wasserstofflinien  eintritt 
Die  Bande  G  wird  sichtbar.  Die  Lichtverteilung  in  verschiedenen 
Teilen  des  Spektrums  ist  jetzt  ungleichmässig.  Zwei  bestimmte  helle 
Banden  erscheinen  zwischen  H^^  und  H/S,  und  das  Spektrum  wird 
gegen  das  Ende  der  kurzem  Wellenlängen  so  schwach,  dass  die 
Banden  K  und  H  kaum  noch  auf  Platten  von  normaler  Exponierung 
gesehen  werden  können.  Die  Galciumlinie  4227.0  wird  augenfälliger 
als  die  Bande  G.  Das  Spektrum  wird  gegen  das  Ende  der  grossem 
Wellenlängen  hin  bandenreich,  plötzliche  Änderungen  der  Intensität 
entstehen  bei  den  Wellenlängen  4762,  4954,  5168  und  5445.  Diese 
Änderungen  sind  zuerst  kaum  merklich,  aber  später  werden  sie 
immer  deutlicher,  bis  sie  zuletzt  die  augenfälligsten  Züge  des 
Spektrums  bilden. 

Miss  Cannon  giebt  für   die   einzelnen   von   ihr  unterschiedenen 
Spektralklassen  die  folgenden  Sterne  als  typisch  an: 


Fixsterne. 

91 

typischer  Stem 

Klaase 

typischer  Stern 

.    Garinae  AGC  15806, 

A2F  . 

.    »  Gentauri, 

.    Ganis  mal.  AGC  8631, 

A8F  . 

.    T^Eridani, 

.    Scorpü  AGC  22768, 

A5F  . 

.    a  Pictoris, 

.    CPuppis, 

P    .    . 

.    a  Garinae, 

.    29  Ganis  majoris, 

F2G  . 

.    ^rSagittarii, 

.      T             >                   > 

F5G  . 

.    a  Ganis  minoris, 

.    9  Orionis, 

F8G  . 

.    a  Foraacis, 

.    ß  Gentanri, 

G   .    . 

.    a  Aurigae, 

.    y  Orionis  und  a  Lupi, 

G5K  . 

.    « Reticuli, 

.    a  Pavonis, 

K   .    . 

.    a  Phoenicis  und  «  Scorpü, 

.    yVelomm, 

K2M  . 

.    V  Librae, 

.    yGruis, 

K5M  . 

.    a  Tauri, 

.    1  Gentauri, 

Ma     . 

.    rHydri, 

.    a  Ganis  majoris, 

Mb     . 

.    y  Grucis. 

Oa  . 
Ob  . 
Oc  . 
Od  . 
Oe  . 
0e5B 
B  .  . 
BIA  . 
B2A  . 
BdA  . 
B5A  . 
B8A  . 
B9A  . 
A  .    . 

Um  die  verschiedenen  Typen  der  Stemspektren  vorzuführen, 
wurden  Vergrösserungen  verschiedener  Originalnegative  von  Edward 
S.  King  hergestellt  und  Lichtdrucke  derselben  der  Abhandlung  von 
Miss  Gannon  beigefügt.  Man  findet  auf  Tafel  11  einen  Teil  der- 
selben in  Reproduktion.  Die  Orientierung  der  Spektra  ist  derart 
getroffen,  dass  in  allen  untereinander  dargestellten  Spektren  die 
Endpunkte  der  H;^- Linien  aufeinander  treffen.  Es  ist  nur  der  Teil 
des  Spektrums  zwischen  den  Wellenlängen  X  =  8800  und  5000 
dargestellt.  Links  neben  den  Spektren  ist  die  Bezeichnung  der 
Klasse,  zu  welcher  sie  gehören,  angegeben;  rechts  am  Rande  der 
Name  jedes  der  6  Sterne;  die  Bezeichnungen  der  Wasserstoff- 
linien H«,  d,  7,  ß  sind  oben  über  dem  ersten  Spektrum  den  be- 
treffenden Linien  beigefügt  Im  Spektrum  von  £  Orionis  ist  nahe 
der  Mitte  zwischen  H«  und  Hd  die  Heliumlinie  A  =  4026.4  stärker 
als  auf  dem  Originalnegative.  Von  den  drei  stärksten  Linien  zwischen 
y  und  ß  ist  die  erste  und  letzte  eine  Heliumlinie. 

Das  Spektrum  von  a  Garinae  zeigt  die  Wasserstofflinien  weniger 
intensiv  als  dasjenige  von  a  Ganis  majoris.  Die  breite  dunkle  Linie 
links  neben  e  ist  eine  Galciumlinie. 

Im  Spektrum  von  a  Aungae,  welches  völlig  dem  Sonnenspektrum 
entspricht,  sind  die  Linien  K  und  H  des  Calciums  und  die  Bande 
6  links  neben  y  am  meisten  hervortretend. 

Im  Spektrum  von  a  Bootis  erreichen  die  Banden  K  und  H  das 
MaTJmum  ihrer  Intensität,  während  die  Wasserstofflinien  sehr  schwach 
sind.  Der  Teil  des  Spektrums  zwischen  Ry  und  ß  ist  heller  als 
derjenige  von  kurzem  Wellenlängen. 

Im  Spektrum  von  a  Orionis  ist  der  Teil  mit  kürzern  Wellen- 
Hmgen  schwach  infolge  der  roten  Farbe  dieses  Sternes;  auch  enthält 
dasselbe  zahlreiche,  schmale,  helle  Linien,  von  denen  schwer  zu 
entscheiden  ist,  ob  sie  infolge  von  wirklicher  Lichtzunahme  oder 
zonehmender  Absorption  der  benachbarten  dunklen  Linien  so  er- 
scheinen. Die  Helligkeit  des  Spektrums  zeigt  eine  plötzliche  Vei- 
nmdenmg  zwischen  den  Wellenlängen  4762  und  4954. 


92  Fixsterne. 

Der  Veränderllehe  o  Ceti  (Mira)«  Eine  möglichst  voll- 
standige  Bearbeitung  aller  über  diesen  Stern  vorhandenen  Be* 
obachtungen  hat  Dr.  GKithnick  unternommen  und  durchgeführt^) 

Die  meisten  Beobachtungen  über  die  Helligkeit  von  Mira  sind 
nach  der  von  Argelander  eingeführten  Methode  der  Stufenschätzungen 
angestellt  worden.  Im  ganzen  ist  Mira  etwa  4  Monate  lang  dem 
blossen  Auge  sichtbar,  dann  sinkt  der  Stern  an  Helligkeit  bis  unter  9.5 
Grösse  herab.  Indessen  sind  die  Beobachtungen  aus  dieser  Phase 
seines  Lichtwechsels  nur  spärlich;  die  meisten  Beobachtungen  be- 
ziehen sich  auf  die  Zeit,  wenn  der  Stern  dem  blossen  Auge  sichtbar 
ist.  Um  die  einzelnen  Helligkeitsschätzungen  der  Beobachter  unter- 
einander vergleichbar  zu  machen,  musste  Dr.  Quthnick  zuerst  eine 
Normalskala  für  die  durch  Stufen  ausgedrückten  Helligkeiten  der 
Vergleichsteme  aus  allen  Beobachtungsreihen  ableiten. 

Nachdem  auf  diese  Weise  die  Möglichkeit  gegeben  war,  die  je- 
weilige Helligkeit  von  Mira  nach  einem  fortlaufenden  einheitlichen 
Systeme  von  Stufen  auszudrücken,  wurden  alle  vorhandenen  Be- 
obachtungen auf  dieses  System  reduziert  und  dadurch  eine  umfassende 
Tabelle  der  in  Stufen  ausgedrückten  Helligkeit  dieses  Veränderlichen 
erhalten,  so  weit  darüber  Beobachtungen  von  1596  bis  zum  März 
1900  vorhanden  sind.  Daraus  wurden  weiter  die  Zeiten  bestimmt, 
wann  der  Stern  in  seinem  grössten  Lichte  (Maximum)  und  in  seiner 
geringsten  Helligkeit  (Minimum)  war,  und  Kiuren  gezeichnet,  welche 
den  Gang  des  Lichtwechsels  im  einzelnen  darstellen.  Es  fand  sich, 
dass  manche  dieser  Lichtkurven  einander  sehr  ähnlich  sind,  und 
nach  vielen  Versuchen  kam  Dr.  Guthnick  auf  folgende  4  Gattungen 
oder  Klassen  dieser  Lichtkurven. 

1.  Gattung:  1660,  1779,  1839,  1898.  Helle  Erscheinungen 
mit  schneller  Lichtänderung  auch  im  Maximum.  Aufstieg  der  Kurve 
sehr  schnell,  Abfall  langsamer;  sekundäre  Erscheinungen  bei  allen 
Vertretern  angedeutet,  am  schwächsten  bei  1779.  Die  Helligkeit 
im  Maximum  schwankt  zwischen  rund  35  und  45  Stufen.  Die  Dauer 
der  Erscheinung  für  das  blosse  Auge  ist  immer  sehr  gross;  bei  1898 
beträgt  sie  sogar  150  Tage,  gerechnet  von  6.0  zu  6.0  Grösse.  Vier 
beobachtete  Maxima  dieser  Gattung  zeigen,  dass  die  diesem  Kurven- 
typus zu  Grunde  liegende  Ursache  eine  Periode  von  ungefähr  65 Yt 
Einzelperioden  hat,  und  das  Maximum  ihres  Einflusses  traf  zeitlich 
am  nächsten  mit  dem  Maximum  von  1779  zusammen.  Die  nächste 
Erscheinung  dieser  Gattung  wird  voraussichtlich  im  Jahre  1958,  resp. 
1957  eintreten;  da  dieselbe  auf  einen  der  3  Monate  September, 
Oktober  oder  November  fallen  dürfte,  so  wird  sie  gut  zu  be- 
obachten sein. 


^)  Nova  Acta.  Abhandl.  d.  Kais.  Leop.-Carol.    Dtsch.  Akad.  d.  Natur- 
forscher 79.  No.  2.  HaUe  1901. 


Fixsterne.  9  3 

2.  Gattung:  Sehr  schwache  Erscheinungen,  1867,  1868,  1886 
nnd  1887.  Die  Helligkeit  im  Maximum  ist  sehr  gering;  am  kleinsten 
1868  mit  -j-  8.5  Stufen;  die  obere  Grenze  wird  man  etwa  bei  15 
Stufen  zu  setzen  haben.  Die  Zunahme  des  Lichtes  ist  schneller  bis 
gleich  schnell  wie  die  Abnahme.  Die  Dauer  der  ganzen  Erscheinung 
mit  blossen  Augen  von  6.0  bis  6.0  Grösse  ist  sehr  kurz,  in  1867 
kaum  70  Tage.  Das  paarweise  Auftreten,  durch  je  eine  hellere  Er- 
scheinung voneinander  getrennt,  ist  möglicherweise  charakteristisch. 
Leider  scheint  dieser  Typus  ausserdem  noch  nicht  beobachtet  worden 
zu  sein,  wenigstens  kann  man  keine  der  altern  Beobachtungen  mit 
Sicherheit  dazu  rechnen.  Das  Gesetz  derselben  wird  deshalb  vor- 
laufig noch  nicht  ermittelt  werden  können.  Sehr  schwache  Maxima 
waren  ausser  diesen  noch  in  den  Jahren  1884  (?),  1880,  1780, 
1729,  es  ist  aber  zweifelhaft,  ob  sie  zu  den  obigen  zu  rechnen 
sind.  Wahrscheinlich  sind  sie  nur  extreme  Glieder  des  folgenden 
Typus,  am  ehesten  gehört  1729  noch  zur  Gattung  2. 

3.  Gattung:  Erscheinungen  von  mittlerer  bis  ziemlich  geringer 
Helligkeit  im  Maximum.  Der  Unterschied  zwischen  der  Geschwindig- 
keit von  Zunahme  nnd  Abnahme  ist  gross,  erstere  viel  schneller  als 
die  letztere,  das  Verweilen  im  Maximum  kurz,  die  Dauer  der  ganzen 
Erscheinung  infolge  der  langsamen  Lichtabnahme  zuweilen  sehr  lang. 
Die  Helligkeit  ist  zuweilen  so  gering,  dass  ein  Übergang  zur 
2.  Gattung  einzutreten  scheint,  da  auch  die  Eurvenformen  einander 
sehr  ähnlich  sind;  bei  keiner  Erscheinung  wurde  die  Helligkeit  30 
Stufen  erreicht  Der  Typus  ist  sehr  rein  in  dem  Maximum  1886  b 
erhalten.  Die  Vertreter  dieser  Gruppe  sind:  1819,  1869,  1877a, 
1879,  1880  (?)  (unvollständig)  1889.  Die  Erscheinungen  1702,  1847, 
1849  mögen  ebenfalls  hierhin  als  eine  Untergruppe  gehören.  Ausser- 
dem gehört  vielleicht  noch  eine  Anzahl  der  übrigen  Erscheinungen 
dazu,  die  nicht  so  vollständig  beobachtet  sind,  dass  man  mit  Sicher- 
heit darüber  entscheiden  könnte. 

4.  Gattung:  Die  Zunahme  des  Lichtes  ist  meist  sehr  schnell, 
dann  aber  tritt  eine  mehrere  Monate  dauernde  Konstanz  des  Lichtes 
ein;  darauf  beginnt  die  Abnahme,  die  um  so  schneller  ist,  je  länger 
die  Konstanz  gedauert  hat.  Die  Helligkeit  ist  sehr  verschieden, 
geht  jedoch  nicht  unter  20  Stufen  herunter.  Manchmal  ist  eine 
scharfe  Unterscheidung  von  der  vorigen  Gattung  schwierig.  Dieser 
Typus  scheint  am  meisten  sekundären  Abweichungen  unterworfen 
zu  sein.  Sehr  rein  erhalten  ist  er  z.  B.  in  den  Erscheinungen  1848 
und  1897. 

Die  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  lässt  diese  Kurvenform  als  die 
für  den  Veränderlichen  typische  erscheinen,  woraus  alle  andern 
Formen  durch  irgend  welche  störenden  Einflüsse  entstehen.  Wenn 
dem  so  ist,  so  wird  man  nur  aus  der  Untersuchung  der  drei  ersten 
^SHUungen  und  der  sekundären  Erscheinungen  für  die  Zukunft  neue 
Aufschlüsse  über  den  Stern  erhalten  können. 


94  Fixsterne. 

Die  beiden  letzten  Kurvenfonnen  scheinen  gruppenweise  aufzu- 
treten. Ausser  diesen  Formen  sind  jedoch  noch  zwei  vorhanden, 
auf  die  besonders  hingewiesen  werden  muss,  weil  sie  ebenfalls 
möglicherweise  für  eine  dereinstige  Erklärung  des  Lichtwechsels 
wichtig  sind.  Die  Erscheinungen  1866  und  1867  b  weisen  beide 
eine  sehr  merkwürdige  Eigentümlichkeit  auf,  die  sonst  nicht  wieder 
beobachtet  ist  Nach  schneller  Zunahme  ward  die  Helligkeit  plötzlich 
eine  Zeitlang  konstant,  noch  lange  ehe  das  Maximum  erreicht  ist, 
um  dann  nach  einiger  Zeit  wieder  merklich  zuzunehmen.  Auf  1866 
folgte  mit  60  Tagen  Verspätung  ein  ausserordentlich  schwaches 
Minimum  und  auf  dieses  das  schwache  Maximum  1867  a  von  der 
Gattung  2.  Dem  Maximum  1867  b  ging  ein  sehr  schwaches  Minimum 
voraus,  und  es  folgte  das  Maximum  1868  ebenfalls  von  der  Gattung  2. 
Dagegen  zeigen  die  Maxima  in  der  Nachbarschaft  von  1886  a  und 
1887  nichts  Besonderes. 

Schliesslich  macht  Dr.  Guthiück  noch  auf  die  kontinuierliche 
Änderung  der  Schnelligkeit  der  Lichtzunahme  in  den  Maximis  1857  a 
bis  1861,  deren  grösster  Wert  1858  stattfand,  aufmerksam.  Man 
habe  es  hier  möglicherweise  mit  einer  Erscheinung  zu  thun,  die  für 
die  Erklärung  des  Sternes  von  grosser  Wichtigkeit  ist  Auch  bei 
den  Minimumkurven  ist  sie  angedeutet 

Was  die  Periode  des  Lichtwechsels  anbelangt,  so  ist  sie,  wie 
schon  bemerkt,  sehr  schwankend,  als  Mittelwert  für  ihre  Dauer 
findet  Dr.  Guthnick  331.7018  Tage.  Teilt  man  die  Beobachtungen 
in  3  Zeitabschnitte,  so  ergiebt  sich  als  mittlere  Dauer  der  Periode 
des  Lichtwechsels: 

Von  1660  bis  1720 :  382.188  Tage 
1720    «    1839:331.569      « 
1839    «    1898:331.471      < 

Aus  dieser  Zusammenstellung  ist  die  Abnahme  der  mittlem 
Periode  sehr  deutlich  zu  erkennen,  man  sieht  aber  auch,  dass  die 
Abnahme  in  der  Gegenwart  beträchtlich  langsamer  geworden  ist 
Die  mittlere  Periodendauer  erleidet  nun  beträchtliche  Störungen,  mit 
denen  sich  Dr.  Guthnick  eingehend  beschäftigte.  Er  findet,  dass  eine 
Störung  während  79  Lichtwechseln  ihren  Cyklus  durchläuft  und 
eine  andere  während  93  Perioden  des  Sternes.  Femer  fand  sich 
eine  Stömng,  deren  Cyklus  während  200  Einzelperioden  des  Licht- 
wechsels abläuft  Die  mittlere  Helligkeit  des  Sternes  im  Maximum 
beträgt  26.2  Stufen  der  oben  erwähnten  Normalskala,  jedoch  finden 
starke  Schwankungen  statt,  die  sehr  komplizierten  Gesetzen  ge- 
horchen. Es  scheint  Dr.  Guthnick  nicht  unwahrscheinlich,  dass  diese 
Schwankungen  in  Gyklen  von  langer  Dauer  wiederkehren,  eine 
Ungleichheit  vielleicht  auch  nach  je  2  Lichtwechselperioden,  doch 
bleibt  diese  zweifelhaft  Schliesslich  verbreitet  er  sich  über  das 
Spektrum  von  Mira  und  über  die  Ursache  des  Lichtwechsels.  >  Be- 
kanntlich treten  in  dem  Spektrum  der  Mira,  wahrscheinlich  nur  zur 


Fixsterne.  95 

Zeit  der  Maxima,  die  WasserstoffUnien  H  y  und  H  <),  sowie  vielleicht 
noch  einige  andere  Linien  hell  auf  (die  Linie  He  dagegen  scheint 
nie  hell  zu  sein);  dies  ist  wahrscheinlich  zuerst  von  Duner  bemerkt 
worden«  Femer  ist  sehr  wichtig  eine  Beobachtung,  die  Campbell 
während  des  Maximums  der  ersten  Gattung  von  1898  gemacht  hat.^) 
Er  sah  während  der  betreffenden  Erscheinung  die  Linien  H  y  und  H  i 
in  drei  ungleiche  Komponenten  zerlegt.  Die  dunklen  Linien  des 
Miraspektrums  waren  1898  gegen  das  rote  Ende  verschoben  und 
ergaben  eine  Geschwindigkeit  in  der  Gesichtslinie  zu  der  Erde  von 
-|-  62.3  hm.  Dagegen  waren  die  hellen  Linien  gegen  das  violette 
Ende  verschoben.  Im  Gegensatze  hierzu  haben  Vogel  und  Wilsing  ^ 
bei  der  Untersuchung  von  11  Spektrogrammen ,  die  während  des 
Maximums  1896  a  aufgenommen  wurden,  gefunden,  dass  die  hellen 
Wasserstofflinien  wahrscheinlich  gegen  Rot  verschoben  waren.  Eine 
Verdoppelung  derselben  ist  nicht  angedeutet  gewesen.  Ausser  den 
hellen  Wasserstofflinien  (He  dunkel,  resp.  von  der  Sonnenlinie  H 
überdeckt?)  wurden  1896  a  keine  andern  hellen  Linien  gesehen.  Es 
ist  allerdings  im  Auge  zu  behalten,  dass  die  Kraft  der  angewandten 
Instrumente  bei  diesen  Untersuchungen  sehr  ins  Gewicht  fällt  und 
daher  nicht  notwendig  alle  angeführten  Veränderungen  im  Spektrum 
der  Mira  reell  sein  müssen.« 

Zur  Erklärung  der  Lichtschwankungen  veränderlicher  Sterne  wie 
Mira  hat  Klinkerfues  im  Jahre  1865  folgende  Hypothese  aufgestellt. 
Diese  Sterne  sind  Doppelsteme,  bei  denen  der  Hauptstem  von  einer 
sehr  dichten  Atmosphäre  umhüllt  wird.  Der  umlaufende  Begleiter 
erzeugt  in  dieser  Atmosphäre  gewaltige  Flutwellen,  und  wenn  er  dem 
Hauptsteme  am  nächsten  ist  und  dabei  auf  der  von  der  Erde  abge- 
wendeten Seite  desselben  steht,  so  muss  die  lichtabsorbierende  Atmo- 
sphäre des  I^uptstemes  zum  grossen  Teile  von  der  uns  zugewandten 
Seite  fortgezogen  werden.  Wir  sehen  dann  die  leuchtende  Photo- 
sphäre  des  Sternes  ungehinderter,  und  dieser  muss  dadurch  heller 
»scheinen.  Natürlich  müssen  die  auf  solche  Weise  entstehenden 
Deformationen  in  der  Atmosphäre  eines  veränderlichen  Sternes  sehr 
bedeutend  sein,  um  grosse  HeUigkeitsschwankungen  zu  erklären.  Was 
Mira  anbelangt,  so  hält  Dr.  Guthnick  dafür,  dass  die  Klinkerfuessche 
Hypothese  geeignet  ist,  die  Beobachtungen  zu  erklären.  Bezüglich 
des  merkwürdigen  Verhaltens  der  hellen  und  dunklen  Linien  zu  ein- 
ander müsse  man  sich  fragen,  ob  dieselben  nicht  zwei  verschiedenen 
übereinander  gelagerten  Spektren  angehören.  Die  regelmässige  Wieder- 
kehr der  Maxima  der  ersten  Gattung,  sowie  die  anscheinend  diesen 
eig^tümiiche  Spaltung  der  Wasserstofflinien  wird  nach  Guthnick 
am  zwanglosesten   durch   die  Annahme   eines  ausser  dem  gleich  zu 


^)  Astroph.  Journal  9.  p.  81. 

*)  Vogel :   Ober  das  Spektrum  von  Mira  Ceti ,  Sitzungsber.  der  Berl. 


96  Fixsterne. 

besprechenden  Hauptbegleiter  existierenden  Trabanten  erklärt,  dessen 
Umlauf szeit  etwa  59  Y^  Jahre  beträgt,  und  dessen  Bahn  so  elliptisch 
ist,  dass  in  der  Nähe  des  Periastrums  merkliche  Deformationen  der 
Atmosphäre  hervorgerufen  werden.  »Zu  dieser  speziellen  Annahme,« 
sagt  er,  >zwingt  die  Thatsache,  dass  der  Einfluss,  welcher  die 
Maxima  erster  Gattung  hervorbringt,  nur  an  diesen  selbst  sich  zeigt. 
Bezüglich  der  Lage  der  Bahn  kann  man  natürlich  nichts  Bestimmtes 
sagen.  In  letzterem  Punkte  hat  man  etwas  mehr  Anhalt  bei  dem 
Hauptbegleiter,  dessen  Einfluss  der  Lichtwechsel  in  der  Hauptsache 
zugeschrieben  werden  muss.  Da  einerseits  nämlich  eine  Ungleichheit 
von  2  Perioden  in  der  Periode  nicht,  oder  nur  sehr  schwach,  an- 
gedeutet ist,  anderseits  aber  die  Minima  nicht  die  Mitte  halten 
zwischen  den  benachbarten  Maximis,  indem  nach  den  vorliegenden 
Beobachtungen  der  Zeitraum  von  einem  Maximum  zum  folgenden 
Minimum  im  Mittel  211.55^,  derjenige  zwischen  einem  Minimum  und 
dem  folgenden  Maximum  aber  118.94^  beträgt,  so  ist  man  zuerst 
gezwungen,  die  Umlaufszeit  des  Begleiters  gleich  der  einfachen 
mittlem  Periode  anzunehmen;  ferner  lassen  sich  die  Erscheinungen 
nur  dann  erklären,  wenn  man  annimmt,  dass  wir  unter  einem  etwas 
spitzen  Winkel  auf  die  Bahnebene  sehen,  und  die  Apsidenlinie  eben- 
falls unter  einem  massig  spitzen  Winkel  gegen  die  Absehenslinie 
geneigt  ist.  Die  Bahn  müsste  wiederum  so  exzentrisch  angenommen 
werden,  dass  in  der  grössten  Entfernung  des  Begleiters  kein  be- 
deutender oder  vielmehr  gar  kein  Einfluss  auf  die  Atmosphäre  des 
Hauptstemes  ausgeübt  wird.« 

»Man  kann  sich  nicht  verhehlen,«  schliesst  Dr.  Guthnick,  »dass 
die  Annahme  dieser  2  Begleiter  wohl  nicht  ausreichen  wird,  alle 
Erscheinungen  des  Lichtwechsels  unseres  Sternes  zu  erklären,  und 
dass  sie  auch  sonst  noch  manche  Schwierigkeiten  in  sich  birgt,  die 
nur  durch  neue  Hypothesen  beseitigt  werden  können.  Eine  Folge 
der  oben  angedeuteten  Konstitution  des  Systemes  wird  z.  B.  sein, 
dass  der  Stern  im  Minimum  längere  Zeit  absolut  konstant  sein 
müsste.  Da  dies  aber  in  Wirklichkeit  nicht  oder  doch  nur  selten 
der  Fall  ist,  so  müsste  man  weiter  annehmen,  dass  jedes  Maximum 
auch  noch  von  besondem  Wärme-  (und  Licht-)erscheinungen  (Erup- 
tionen von  Gasen  aus  dem  Innern  und  dergl.)  begleitet  ist,  was 
allerdings  angesichts  der  jedenfalls  gewaltigen  Druckdifferenzen, 
welche  ein  Ort  auf  der  Oberfläche  des  Sternes  in  kurzer  Zeit  durch 
die  Höhenänderung  der  Atmosphäre  erleidet,  und  angesichts  des  Um- 
standes,  dass  die  Anziehung  auch  auf  die  im  Innern  des  Sternes 
gelegenen  Massen  wirkt,  sehr  plausibel  scheint  Solche  Wärme- 
erscheinungen würden  einerseits  die  schnelle  Zu-  und  langsame  Ab- 
nahme des  Lichtes,  anderseits  die  unsymmetrische  Lage  der  Minima 
zwischen  den  Maximis  mit  erklären.  Man  sieht  aus  diesen  letzten 
Bemerkungen,  wie  wichtig  und  wahrscheinlich  auch  erfolgreich  es 
sein  würde,  den  Stern  einmal  konsequent  durch  eine  Reihe  von  Er- 


Fixsterne.  97 

scheinuDgen  mit  dem  Spektrographen  zu  verfolgen,  jedoch  sind  zu 
solchen  Untersuchungen  die  allerstarksten  Instrumente  unbedingt 
notwendig.« 

Der  Veränderliche  C  Gemlnorum  ist  von  März  10  bis 
Mai  23  1902  nach  Argelanders  Methode  durch  E.  P.  McDermott  jr. 
beobachtet  worden.^)  Diese  Beobachtungen  machen  wahrscheinlich, 
dass  3  Tage  vor  dem  Hauptmaximum  ein  sekundäres  Maximum  ein- 
tritt, in  welchem  der  Stern  3.88  Grösse  ist,  sowie  ein  sekundäres 
Minimum  1.6  Tage  vor  dem  Hauptmaximum  mit  einer  Helligkeit 
3.93  Grösse.  Der  Vergleich  mit  den  nach  Ghandlers  Elementen 
berechneten  Minimis  ergiebt,  dass  die  beobachteten  Minima  im  Mittel 
1.04  Tage  früher  eintrafen. 

Die  Lichtknrve  von  ß  Persei  (Algol).  Eine  möglichst  ge- 
naue Darstellung  des  Verlaufes  der  Lichtkurve,  welche  dieser  Ver- 
änderliche zeigt,  ist  besonders  seit  der  Entdeckung  der  wahren  Ur- 
sache seiner  Lichtanderungen  von  hoher  Wichtigkeit ,  weil  auf  diese 
Weise  die  Dimensionen  Algols  und  seines  dunklen  Begleiters  abge- 
leitet werden  können.  Die  bisherigen  Angaben  über  den  Verlauf 
des  Lichtwechsels  beruhen  hauptsächlich  auf  Schätzungen  der  Hellig- 
keit nach  Argelanders  Methode,  wobei  der  Veränderliche  mit  be- 
nachbarten Sternen  verglichen  wird. 

Zwar  haben  Lindemann  und  Pickering  auch  photometrische 
Messungen  dieses  Veränderlichen  ausgeführt,  doch  sind  dieselben 
mcht  zahlreich  genug,  um  die  Lichtkurve  genauer  darzustellen.  Nun 
ist  aber  im  vorliegenden  Falle  die  genaue  Ermittelung  der  Form  der 
lichtkurve  von  grösster  Wichtigkeit,  und  diese  kann  nur  durch 
photometrische  Messungen  mit  grösserer  Schärfe  ermittelt  werden. 
Deshalb  hat  Pro!  G.  Müller  vom  Astrophysikalischen  Observatorium 
Kii  Potsdam  schon  1878  regelmässige  Messungen  des  Algol  in  den 
verschiedenen  Phasen  seiner  Lichtänderung  angestellt,  über  die  er 
nunmehr  berichtet.^  Sein  Plan  war,  während  einer  langem  Reihe 
von  Jahren  eine  sehr  grosse  Zahl  von  Algolminimis  so  vollständig 
als  möglich  zu  beobachten,  ausserdem  die  Helligkeit  ausserhalb  des 
eigentlichen  Lichtwechsels  im  Hinblicke  auf  etwaige  sekundäre  Minima 
andauernd  zu  verfolgen.  Auch  beabsichtigte  er,  ähnlich  wie  Linde- 
mann, gelegentlich  eine  Anzahl  von  Minimis  gleichzeitig  mit  dem 
Photometer  und  nach  der  Stufenschätzungsmethode  zu  beobachten, 
um  weiteres  Bfaterial  zur  Vergleichung  der  beiden  Methoden  zu 
sammeln.  Doch  hat  er  dieses  Programm  nur  bis  zum  Jahre  1881 
einigermassen  konsequent  durchführen  können.  Die  genaue  Be- 
arbeitung hat  indessen  gezeigt,  dass  das  Material  durchaus  aus- 
reichend  ist   zu   einer  sichern  Bestimmung   der  Liphtkurve   für  den 


>)  Astrophys.  Journal.  1&  p.  117. 
<)  Artron.  Nachr.  No.  8782. 
Klein,  Jahrbuch  XIU. 


98  Fixsterne. 

Zeitraum  von  1878 — 1881,  und  da  eine  Neubestimmung  dieser 
Lichtkurve,  zumal  auf  Grund  von  photometrischen  Messungen,  immer 
von  Interesse  ist,  so  hat  er  sich  zur  Veröffentlichung  des  gesamten 
Materiales  entschlossen. 

Die  Messungen  sind  mit  dem  ZöUnerschen  Photometer  der 
Berliner  Sternwarte  angestellt  worden.  Als  Vergleichstem  wurde 
stets  6  Persei  benutzt,  dessen  Helligkeit,  bezogen  auf  das  System 
der  Potsdamer  Durchmusterung,  als  3,27  Qrössenklasse  angenommen 
wurde.  Im  Maximum  ist  Algol  um  0.8  Gr.  heller,  im  Minimum  um 
0,3  Gr.  schwächer  als  d  Persei. 

G.  Müller  giebt  in  Tabellen  eine  Zusammenstellung  seiner 
sämtlichen  Helligkeitsbestimmungen  des  Algol,  welche  im  ganzen 
16  Minima  umfassen.  Da  es  ihm  in  erster  Linie  auf  eine  genaue 
Ermittelung  der  Form  der  Lichtkurve  und  insbesondere  auch  auf 
die  Feststellung  der  Dauer  der  eigentlichen  Lichtänderung  ankam, 
80  wurde  von  vornherein  darauf  geachtet,  entweder  den  aufsteigenden 
oder  den  absteigenden  Zweig  der  Lichtkurve  möglichst  weit  zu 
verfolgen.  Natürlich  ist  dies  nur  in  einzelnen  Fällen  geglückt,  und 
die  Beobachtungen  sind  in  der  Nähe  des  Minimums  am  dichtesten 
zusanunengedrängt.  Immerhin  zeigen  seine  Messungen  mit  einiger 
Sicherheit,  dass  die  ganze  Zeitdauer  vom  Beginne  der  Lichtabnahme 
bis  zur  Wiedererreichung  des  vollen  Lichtes  nicht,  wie  man  bisher 
gewöhnlich  angiebt,  9 — 10  Stunden  beträgt,  sondern  merklich  länger, 
und  zwar  zu  12 — 13  Stunden,  angenommen  werden  muss. 

Zur  definitiven  Entscheidung  der  Frage  nach  etwaigen  Unregel- 
mässigkeiten während  der  Dauer  des  vollen  Lichtes  oder  nach  einem 
sekundären  Minimum  ist  die  Zahl  der  Müllerschen  Messungen  bei 
weitem  nicht  ausreichend,  aber  so  viel  geht  doch  mit  einiger  Sicher- 
heit aus  denselben  hervor,  dass,  wenn  wirkliche  Lichtschwankungen 
ausserhalb  der  Minima  vorkommen  sollten,  dieselben  den  Betrag  von 
0.1  Gr,  schwerlich  überschreiten  können,  also  selbst  durch  die  sorg- 
fältigsten Messungen  nicht  mit  Gewissheit  nachzuweisen  sind. 

Aus  den  mitgeteilten  Beobachtungen  lassen  sich  durchweg 
regelmässige  Kurven  des  Lichtwechsels  darstellen  und  aus  diesen 
die  Zeiten  des  kleinsten  Lichtes  bis  auf  6  oder  8  Minuten  abschätzen. 
Früher  hat  Chandler  aus  allen  von  1782 — 1887  beobachteten 
Algolminimis  eine  Formel  abgeleitet,  um  die  Zeitpunkte  der  Minima 
zu  berechnen.  Diese  berechneten  Minima  stimmen  indessen  mit  den 
aus  Müllers  Beobachtungen  abgeleiteten  nicht  überein,  und  zwar  ist 
die  Abweichung  zu  gross,  um  sie  durch  Unsicherheit  der  Be- 
obachtungen des  letztem  zu  erklären.  Müller  sagt:  »Wie  Chandler 
in  seiner  ausführlichen  Bearbeitung  einer  ausserordentlich  grossen 
Zahl  von  Algolminimis  aus  den  Jahren  1782 — 1887  nachgewiesen 
hat,  lassen  sich  die  Änderungen  der  Periodenlänge  durch  seine 
Formel  in  grossen  Zügen  ausreichend  darstellen;  aber  damit  ist 
nicht    gesagt,    dass    nicht    in    kurzem    Zeiträumen    unregelmässige 


Fixsterne.  99 

Schwankungen  der  Periodendauer  vorkommen  können,  die  sich  durch 
keine  allgemeine  Formel  ausdrücken  lassen.  Es  ist  schon  mehrfach 
darauf  hingewiesen  worden,  dass  die  Periodenläage  bisweilen  für 
einige  Zeit  konstant  zu  bleiben  scheint,  und  dass  die  Änderungen 
mehr  sprungweise  vor  sich  gehen.  Auch  meine  Beobachtungen,  die 
sich  der  Ghandlerschen  Formel  nicht  recht  anpassen  wollen,  lassen 
sich  durch  Annahme  einer  innerhalb  mehrerer  Jahre  konstanten 
Periode  sehr  gut  darstellen.  < 

Müller  findet  aus  seinen  Beobachtungen  eine  für  1878  März  9 
berechnete  Periodendauer  des  Algol  von  2^  20'»  48"*  56.853«,  mit 
der  er  seine  sämtlichen  Messungen  1878 — 1881  genügend  darstellen 
kami.  Eine  Messung  aus  dem  Jahre  1887  zeigt  dagegen  so  grosse 
Abweichungen,  dass  man  auf  eine  seit  1881  eingetretene  Verkürzung 
der  Periode  schliessen  muss. 

Aus  seinen  sämtlichen  355  Einzelbestimmungen  hat  Dr.  Müller 
eine  Tabelle  der  Helligkeitsänderungen  des  Algol  zusammengestellt, 
welche  diese  Änderungen  für  die  Zeit  von  8^  vor  bis  8^  nach  dem 
Minimum  enthält  Mit  Hilfe  dieser  Normalwerte  ist  die  Lichtkurve 
Algols  konstniiert  worden.     Es  hat  sich  dabei  folgendes  ergeben: 

1.  Die  Helligkeitswerte  schliessen  sich  sowohl  für  den  ab* 
steigenden  als  für  den  aufsteigenden  Zweig  überall  bis  auf  wenige 
Hmidertstel  einer  Grössenklasse  ungezwungen  einem  gleichmässigen 
Eurvenzuge  an.  Es  werden  also  Einbiegungen  der  Lichtkurve,  wie 
sie  von  verschiedenen  Beobachtern  aus  Stufenschätzungen  vermutet 
worden  sind,  durch  die  photometrischen  Messungen,  wenigstens  für 
das  in  Betracht  konmiende  Zeitintervall,  nicht  bestätigt 

2.  Die  beiden  Zweige  der  Lichtkurve  sind  bis  zu  einer  Ent- 
fernung von  2  Stunden  vom  Minimum  vollkommen  symmetrisch.  Von 
da  an  scheint  die  Helligkeit  im  aufsteigenden  Aste  etwas  schneller 
anzuwachsen  als  im  absteigenden.  Etwa  3^/,  Stunden  vom  Minimum 
entfernt  ist  die  Helligkeit  im  aufsteigenden  Zweige  um  0.07  Gr. 
grosser  als  im  absteigenden;  dann  vermindert  sich  die  Differenz,  und 
6  Stunden  vom  Minimum  entfernt  ist  die  Helligkeit  in  beiden  Zweigen 
wieder  die  gleiche.  Der  ganze  Unterschied  ist  so  geringfügig,  dass 
er  kaum  als  sicher  verbürgt  anzusehen  ist;  man  wird  jedenfalls 
keinen  merklichen  Fehler  begehen,  wenn  man  vollständige  Symmetrie 
annimmt 

3.  Der  Zeitpunkt  des  Überganges  vom  vollen  Lichte  zu  dem 
eigentlichen  Lichtwechsel  lässt  sich  natürlich  nicht  auf  einige  Minuten 
genau  angeben;  indessen  kann  man  aus  der  photometrischen  Licht- 
kurve  so  viel  entnehmen,  dass  die  ganze  Dauer  der  Lichtänderung 
etwa  18  Stunden  umfasst,  jedenfalls  grösser  ist,  als  man  bisher 
gewöhnlich  angenommen  hat 

4.  Für  die  Minimalhelligkeit  Algols  ergiebt  sich  aus  der  Kurve 
der  Wert  3.55  Gr.  (im  Systeme  der  Potsdamer  Durchmusterung).    Die 


100  Fixsterne. 

Werte,  welche  sich  für  die  16  beoba4;hteten  Minima  direkt  aus  den 
zugehörigen  Kurven  ablesen  lassen,  schwanken  nur  zwischen  3.36' 
und  3.64  Gr.  Im  Minimum  scheint  also  Algol  während  der  Jahre 
1878 — 1881  stets  dieselbe  Helligkeit  gehabt  zu  haben. 

5.  Für  das  voUe  Licht  Algols  folgt  aus  den  Messungen  der 
Wert  2.43  Gr.  Bemerkenswert  dürfte  sein,  dass  die  Beobachtungen 
für  die  Zeit  von  etwa  11 — 12  Stiinden  vor  und  nach  dem  Minimum 
auf  etwas  grössere  Helligkeit  (2.38  Gr.),  dagegen  für  die  Zeit  nah» 
in  der  Mitte  zwischen  zwei  aufeinander  folgenden  Minimis  auf  etwas 
geringere  Helligkeit  (2.48  Gr.)  schliessen  lassen.  Es  dürfte  aber  bei 
dem  geringen  Betrage  des  Unterschiedes  und  mit  Rücksicht  auf  di& 
unzureichende  Zahl  der  Messungen  gewagt  sein,  daraus  ein  schwaches 
sekundäres  Minimum  ableiten  zu  wollen.  Sorgfältige  Helligkeits- 
messimgen,  speziell  zu  den  angeführten  Zeiten,  sind  aber  in  hohem 
Grade  erwünscht. 

Neue  Veränderliehe  der  Algrolklasse.  Aus  der  Vergleichung: 
photographischer  Aufnahmen  an  der  Harvardstemwarte  hat  Mrs. 
Fleming  gefunden,  dass  ein  Stern  im  Schwan,  dessen  Position  (für 
1900)  ist:  R  A.  21^  55.2"^  DekL  =  +  48»  52',  zu  den  Veränder- 
lichen des  Algoltypus  gehört  Er  steht  nicht  weit  von  dem  merk- 
würdigen Veränderlichen  SS  Gygni,  der  ähnliche  unregelmässige  Licht- 
änderungen zeigt  wie  U  Geminorum.  Die  Gegend  um  SS  Gygni  ist 
auf  der  Harvardstemwarte  sehr  oft  photographiert  worden,  um  den 
Lichtwechsel  dieses  Veränderlichen  zu  untersuchen;  diese  Aufnahmen 
sind  nun  verwertbar,  um  auch  die  Lichtänderungen  des  neuen 
Veränderlichen  festzustellen.  Im  ganzen  finden  sich  seit  1880  388 
Platten,  auf  denen  der  Stern  in  vollem  Lichte  (8.9  Gr.)  erscheint, 
sowie  19,  auf  denen  er  9.3  Gr.  oder  schwächer  ist  Die  Periode^ 
des  Lichtwechsels  findet  sich  zu  31.304  Tagen.  Während  28  Tagen 
verharrt  der  Stern  in  seiner  vollen  Helligkeit,  8.9  Grösse  (photo- 
graphisch); aber  1  Tag  vor  dem  kleinsten  Lichte  beginnt  er  abzu- 
nehmen, erreicht  1.05  Tag  vor  dem  Minimum  die  Grösse  9.0,  0.94 
Tag  vor  demselben  die  Grösse  9.5,  0.84  Tag  vor  diesem  die  Grösse 
10.0  und  bleibt  über  einen  halben  Tag  lang  konstant  in  dem  kleinsten 
Lichte  von  11.6  Gr.  Die  Zeitdauer  der  Lichtzunahme  ist  anscheinend 
die  gleiche  wie  die  der  Abnahme. 

A.  Stanley  Williams  hat  im  Perseus  einen  neuen  veränderlichen 
Stern  der  Algolklasse  entdeckt,  der  die  provisorische  Bezeichnung 
14,  1902  Persei  erhält  Der  Ort  desselben  am  Himmel  ist:  A.  R. 
=  2*>  30"^  50»  D.  =  4-  41^  34.3'  (1855).  In  seiner  normalen  Hellig- 
keit ist  der  Stern  9.4  Grösse,  im  Minimum  sinkt  er  dagegen  bis  zur 
12.  Grösse.  Die  Veränderlichkeit  wurde  durch  photographische  Auf- 
nahmen der  betreffenden  Himmelsgegend  entdeckt.  Die  Dauer  der 
Penode  des  Lichtwechsels  ist  3  Tage  1^  21°^  32.23«. 


Fixsterne.  101 

Der  Liehtweohsel  des  Veränderlichen  6  Carlnae  ist  von 
Alex.  W.  Roberts  zu  Lovedale  untersucht  worden.^)  Es  ist  einer  der 
von  D.  Gould  zu  Ck>rdoba  entdeckten  und  bereits  untersuchten  Veränder- 
lichen. Die  Beobachtungen  von  Roberts  erstrecken  sich  über  den 
Zeitraum  von  1896 — 1902  und  umfassten  20  volle  Lichtperioden 
des  Sternes.  Aus  ihnen  ergiebt  sich  als  mittlere  Periodendauer  148.72^ 
und  unter  Hinzunahme  der  Gouldschen  Bestimmungen  der  Maximum- 
und  Minimumphase  1872,  der  nahe  damit  übereinstimmende  Wert  von 
148.9^.  Die  Dauer  der  Ab-  und  Zunahme  des  Lichtes  ist  nahezu 
^eieh,  ein  unbestimmtes  sekundäres  Maximum  zeigt  sich  etwa  40  Tage 
vor  dem  Hauptmaximum.  Im  Maximum  ist  der  Stern  etwa  6.,  im 
Minimum  9.  Grösse. 

Der  Liehtweehsel  des  Veränderliehen  U  Cephei  ist  von 

K.  Bohlin  in  Stockholm  im  Frühling  und  Herbst  1896  beobachtet 
worden.  Aus  der  Untersuchung  dieser  BeobachtungeUi  die  er  unlängst 
veröffentlichte,^  zieht  Bohlin  als  Ergebnis,  dass  die  Periode  der 
Lichtänderung  2  Tage  11^  49°^  44.5^  beträgt.  Im  Maximum  ist  der 
Stern  etwa  7.7  Gr.,  im  Minimum  9.1.  Kurz  nach  dem  Minimum 
wird  der  Stern  ein  wenig  heller,  bleibt  dann  etwa  80  Minuten  un- 
verändert, sinkt  wieder  etwas  und  steigt  dann  rasch  zu  seiner 
grössten  Helligkeit  an. 

Der  Veränderliche  Y  Lyrae  ist  von  A.  Stanley  Williams 
während  des  Jahres  1901  beobachtet  worden.^  Sein  Ort  am  Himmel 
ist  (1900,0)  a  \&^  34™  12»  d  +  43<>  51.8'.  Die  Beobachtungen 
wurden  angestellt  mit  einem  6 -zolligen  Spiegelteleskop  und 
110-facher,  selten  225-facher  Vergrösserung  und  bestanden  in 
Schätzungen  des  Helligkeitsunterschiedes  gegen  benachbarte  Sterne, 
geschahen  also  nach  der  alten  Argelanderschen  Methode.  Bei  der 
Diskussion  hat  St.  Williams  auch  mehrere  frühere  Beobachtungen 
von  Prof.  Hartwig  in  Bamberg  benutzt  Er  findet  als  Periode  des 
Lichtwechsels  12^  8°^  52.21 ";  Epoche  des  Maximums:  1901  Septbr.  4. 
13^  20°^  m.  Zt.  V.  Gr.  Im  Maximum  der  Helligkeit  ist  der  Stern 
11.32,  im  Minimum  12.35  Grösse.  Die  Zeit  vom  Minimum  zum 
Maximum  beträgt  1"*  40™,  vom  Maximum  zum  Minimum  10^  2™, 
das  Verhältnis  der  Zeitdauer  der  Zunahme  zu  dem  der  Abnahme  ist 
0.16.  Zeichnet  man  die  Kurve  des  Lichtwechsels,  so  fällt  das 
rasche  Ansteigen  der  Helligkeit  vom  Minimum  zum  Maximum  auf, 
während  der  Stern  geraume  Zeit  unter  12.  Grösse  bleibt  Die  Licht- 
korve  hat  ungemeine  Ähnlichkeit  mit  derjenigen,  welche  gewisse 
veränderliche  Sterne  im  Sternhaufen  Messier  No.  5  nach  den  Unter- 
suchungen von  Prof.  V.  J.  Bailey  zeigen. 


>)  Monthly  Notices  02.  p.  419. 
^  Astron.  Nachr.  No.  8762. 
*)  Monthly  Notices  62.  p.  200. 


102  FixBterne. 

Beobaehtungen  über   die  Helligkeit  von  y  Argus  hat 

R.  T.  y.  Innes  in  den  Jahren  1900 — 1902  angestellt^)  Er  giebt 
folgende  Mittelwerte: 

1900.8  :  7.68  Grösse       Farbe:  6.3 
1901.8  :  7.78       „  „      6.8 

1902.1  :  7.72       „  „      6.5      ' 

Demnach  ist  der  Stern  während  der  angegebenen  Zeit  praktisch 
ziemlich  unverändert  geblieben. 

Zwei  veränderliche  Sterne  in  dem  Nebelfleeke  N.  G.  K. 

7028.  Dieser  Nebel  steht  im  Stembilde  des  Gepheus  in  a  21^  0.4°> 
^  _|_  670  4ßf  (^  1900)  und  zeigt  eine  unregelmässige  Gestalt  von 
1 5 '  Durchmesser.  Er  steht  nahe  bei  einem  Sterne  7.  Grösse,  aber  sonst 
in  einer  auffallend  stemarmen  Gegend  des  Himmels.  Auf  der  Lick- 
stemwarte  wurde  am  Grossleyreflektor  mit  dreistündigem  Exponieren 
1901  Nov.  7  eine  Aufnahme  des  Nebels  gemacht;  die  Sterne  erschienen 
jedoch  darauf  nicht  gut,  und  es  wurde  eine  neue  Aufnahme  1902 
August  27  ausgeführt  mit  5  stündigem  Exponieren.  Eine  Vergleichung 
beider  Negative  führte  Prof.  C.  D.  Perrine  zur  Entdeckung  zweier 
Veränderlichen  in  diesem  Nebel.')  Von  dem  zentral  in  dem  Nebel 
stehenden  Sterne   aus  haben   beide  Veränderliche    folgende  Position: 

A    p  =  6.2«    d  =  107.1" 
B  188.C  87.4 

Eine  am  1.  Sept  aufgenommene  3.  Photographie  lässt  ver- 
muten, dass  die  Periode  des  Lichtwechsels  dieser  beiden  Sterne 
vergleichsweise  kurz  ist.  Mit  dem  Auge  konnte  am  Grossley- 
reflektor der  Stern  A  am  1.  Sept.  noch  eben  erkannt  werden,  und 
wurde  seine  Helligkeit  auf  16.5  Grösse  geschätzt  Folgende  Helligkeiten 
sind  aus  den  photographischen  Aufnahmen  abgeleitet: 

1901  Nov.  7.  A.:  14Vb  Grösse    B:  I6V4  Grösse 

1902  August  27.  I6V4       »  IB»/*       n 
1902  Sept.  1.                16Va       „  15V,        » 

Beobachtung:  einer  wahrscheinlichen  Nova  Im  Bootes 
1877.  In  mehrem  Schreiben  an  Prof.  H.  Kreutz  hat  F.  Schwab  in 
Ilmenau  Mitteihmgen  über  einen  1877  von  ihm  beobachteten  Stern 
gemacht.  Prof.  Kreutz  teilt  ^)  einen  Auszug  daraus  mit.  Hiernach 
hatte  F.  Schwab  im  Januar  1877  den  Stern  d  Bootis  im  Verdachte 
der  Veränderlichkeit,  und  um  diese  zu  prüfen,  zeichnete  er,  da  ihm 
keine  bessere  Himmelskarte  zur  Verfügung  stand,  in  den  kleinen 
Littrowschen  Atlas  einen  nahe  bei  d  stehenden  Stern  von  gleicher 
Helligkeit  ein,  dem  er  die  Bezeichnung  d'  gab.  Dieser  Stern  stand 
nicht   auf   der  Littrowschen   Karte,   was   aber   auch   nicht  auffallen 


Monthly  Notices  62.  p.  425. 
Lickobs.,  BuUetin  No.  24. 
AstroD.  Nachr.  No  8742. 


Fixsterne.  103 

kann,  da  diese  Karte  nicht  den  Anspruch  erhebt,  alle  Sterne  5.5  Gr. 
zu  enthalten.  Die  Beobachtungen  geschahen  vom  30.  Mai  bis  14.  Juli 
mit  blossem  Auge,  dann  mit  einem  kleinen  gewöhnlichen  Fernglase 
von  etwa  1  Zoll  Objektivöffnung.  Von  Mai  bis  Juli  blieb  der  Stern 
d'  zwischen  5,  und  5.4  Gr.  Am  9.  Januar  1878  fiel  dem  Beobachter 
das  Verschwinden  von  d'  auf,  und  er  sah  eifrig  mit  seinem  Taschen- 
fernrohre  nach  ihm  aus,  ohne  ihn  indessen  wieder  zu  sehen.  Ebenso 
vergebHch  waren  1879,  1882  und  1883  Nachforschungen  mit  dem 
4  zolligen  Refraktor  der  Marburger  Sternwarte.  Unter  Zugrundelegung 
der  Karte  der  Bonner  Durchmusterung  hat  F.  Schwab  dann  die  Um- 
gebung des  ehemaligen  Sternes  d'  eingezeichnet,  ohne  diesen  zu 
finden.  Der  Ort  desselben  fällt  innerhalb  der  Grenze  der  Unsicherheit 
der  Zeichnung  mit  dem  Sterne  9.8  Gr.  der  Bonner  Durchmusterung 
(B  D)  -|-  21^  2606  zusammen.  Prof.  Kreutz  findet  nach  diesen  An- 
gaben für  unzweifelhaft,  dass  1877  im  Bootes  ein  Stern  5.  Gr. 
sichtbar  -war,  der  später  in  dieser  Helligkeit  nicht  mehr  gesehen 
worden  isl  Prof.  Deichmüller  in  Bonn  hat  die  Originalaufzeichnungen 
der  B.  D.  geprüft  und  findet,  dass  in  der  Gegend  von  Schwabs  Stern 
kein  anderes  Objekt  als  B  D  -f-  21^  2606  beobachtet  worden  ist,  so- 
wie dass  die  Beobachtungen  des  letztem  1853,  1854  und  1858 
durch  Schoenfeld,  Argelander  und  Krüger  der  Vermutung,  dieser 
Stern  sei  veränderlich,  einigen  Raum  geben. 

Die  Nova  Cy gtd  1876  ist  im  Dezember  1901  und  im  Januar 
1902  von  Professor  E.  E.  Bamard  am  40-zolligen  Yerkesrefraktor 
beobachtet  worden.^)  Sie  war  vordem  zuletzt  von  Prof.  Bumham 
am  Lickrefraktor,  und  zwar  1891  Juli  31.  gesehen  und  13.5  Gr. 
geschätzt  worden.  Nach  den  Beobachtungen  von  Prot  Bamard  ist 
der  Stern  jetzt  15.7  Gr.  und  zeigt  keine  Abweichung  vom  Aussehen 
anderer  Sterne  derselben  Helligkeit. 

Die  Nova  Persel  1901.  Eine  photographische  Aufnahme 
der  Gegend  um  die  Nova  Persei  kurz  vor  deren  Aufleuch- 
ten ist  am  20.  Februar  1901  von  A.  Stanley  Williams  gemacht 
worden.^  Er  benutzte  dabei  eine  44-zollige  Grubbsche  PortraiÜinse 
und  exponierte  47™  lang.  Die  Aufnahme  geschah  1901  Febr.  20. 
10  h  40™— 11^*  27™  m.  Zt.  v.  Greenwich.  Auf  der  Platte  sind 
Sterne  12.5  Grosse  nach  der  photographischen  Skala  sichtbar;  wenn 
die  Nova  nicht  rötlich  war,  musste  sie  damals  also  schwächer  als 
12.5  Gr.  gewesen  sein.  Die  Entdeckung  derselben  durch  Dr.  Anderson 
geschah  Febr.  21.  14^  40™  m.  Zt.  v.  Greenwich.  Ähnliche  Auf- 
nahmen machte  Stanley  Williams  am  15.  und  25.  Januar,  sowie  am 
11.  Febr.  1901^  und  auch  auf  diesen  ist  keine  Spur  der  Nova  ange- 


')  Monthly  Notices  62.  p.  405. 

^  Monthley  Notices  61.  p.  387;  02.  p.  534. 


104  Fixsterne. 

deutet.  Prof.  Geraski  macht  ^)  auf  ein  Sternchen  12.  Gr.  aufmerksam, 
welches  auf  einer  zu  Moskau  1899  Januar  30.  erhaltenen  Photo- 
graphie der  Umgebung  der  Nova  sichtbar  ist,  aber  1901  im  Dezember 
an  dem  dortigen  15-zolligen  Refraktor  nicht  wahrgenommen  wurde. 
Dieses  Sternchen  erscheint  auch  auf  der  Photographie  von  Stanley 
Williams.  Am  36 -Zoller  der  Lickstemwarte  ist  es  im  Frühjahre 
1901  von  Aitken  nicht  wahrgenommen  worden,  dagegen  hat  es 
Bamard  am  40-Zoller  der  Yerkesstemwarte  1901  Febr.  20.  gesehen 
und  seinen  Ort  bestimmt  Am  40-zolligen  Refraktor  der  Yerkes- 
stemwarte hat  Bamard  das  teleskopische  Aussehen  der  Nova  unter- 
sucht. ^)  In  diesem  Refraktor  zeigt  sich  zwischen  einem  kleinen 
Steme  und  einem  kleinen  planetarischen  Nebelflecke  sofort  der  Unter- 
schied, dass,  wenn  das  Okular  scharf  auf  den  Fixstern  eingestellt 
ist,  der  sonst  von  einem  Sterne  nicht  zu  unterscheidende  Nebel  erst 
dann  am  schärfsten  erscheint,  nachdem  das  Okular  noch  tun 
0.25  Zoll  herausgezogen  worden  ist.  Die  Ursache  hiervon  liegt, 
wie  Prof.  Haie  gezeigt  hat,  in  der  Verschiedenheit  des  Spektmms 
eines  Fixsternes  und  eines  planetarischen  Nebels.  So  zeigte  sich 
der  neue  Stern  im  Fuhrmann,  der  im  November  1900  etwa  13.  Gr. 
war,  erst  dann  am  40-zolligen  Refraktor  am  schärfsten,  wenn  das 
Okular  um  0.27  Zoll  weiter  herausgezogen  wurde  als  für  gewöhnliche 
Fixsterne ,  ein  Beweis ,  dass  jene  Nova  in  Wirklichkeit  ein  planeta- 
rischer Nebel  ist,  dessen  Scheibe  aber  unmerklich  klein  erscheint. 
Das  Spektroskop  bestätigt  diese  Schlussfolgemng.  Prof.  Bamard 
hat  nun  auch  im  August  und  September  1901  den  neuen  Stern  im 
Perseus  nach  dieser  Richtung  hin  am  40-Zoller  untersucht,  konnte 
aber  keinen  Unterschied  von  gewöhnlichen  Fixsternen  finden.  Seit 
Ende  August  1902  zeigt  dagegen  die  Nova  das  gleiche  Verhalten 
wie  ein  planetarischer  Nebel.  Als  Prof.  Bamard  sehr  starke  Ver- 
grösserungen  anwandte,  erschien  die  Nova  auch  nicht  mit  dem 
stechenden  Lichte  eines  Fixsternes,  sondem  verwaschen  und  ähnlich 
einem  planetarischen  Nebel,  so  dass  sie  sich  sogleich  von  andern 
Stemen  unterschied.  In  ihrer  Umgebung  zeigte  der  grosse  Refraktor 
5  Steme  13.  Gr.  und  einen  Stem  15.  Gr.  Von  einer  nebeligen 
Hülle  um  die  Nova  war  mit  Sicherheit  nichts  zu  sehen,  obschon 
Prof.  Barnard  die  Photographie  dieses  Nebels,  welche  Dr.  Ritchey 
erhalten,  zur  Hand  hatte.  Dagegen  sah  er  etwa  1^  südlich  von 
der  Nova  einen  Nebel  von  30"  Durchmesser  nicht  heller  als  ein 
Stemchen  13.5  Gr.  und  bestimmte  dessen  Ort  am  Himmel  zu  a  =  3^ 
21«  50.5»,  <5  =  -|-42«  18.7'  (1860.0). 

Die  Ortsbestimmungen  der  Nova  gegen  eine  Anzahl  benach- 
barter Steme,  welche  von  Prof.  Bamard  ausgeführt  wurden,  zeigen 
in  Obereinstimmung  mit  den  Messungen  auf  der  Lickstemwarte  mit 
Sicherheit  keine  Spur  von  Eigenbewegung  des  neuen  Sternes  an. 

*)  Astron.  Nachr.  No.  3755. 

^  Astrophys.  Journal  14  No.  3  p.  149. 


PixBterne.  105 

Schätzungen    der   Helligkeit    der   Nova    wurden   am   4-zolligen 
Sucher  des  grossen  Refraktors    bei   50facher  Vergrösserung    durch 
Veigleich  mit  benachbarten    Sternen    angestellt.     Sie  ergaben,  dass 
die  Nova  Mitte  April  1902  bis  zur  Grösse  9.0   herabgesunken  war. 
Das  Aussehen  des  neuen  Sternes  bei  guter  Luft  und    starker  Ver- 
grösserung war  sehr  verschieden  von  demjenigen  eines  gewöhnlichen 
Fixsternes,  sein  Licht  war  matt  und  planetarisch  im  Oegensatze  zum 
stechenden  Lichte  der  andern  Fixsterne.    Bei  verschiedenen  günstigen 
Gelegenheiten  hat  Prof.  Bamard  während   des   vergangenen  Winters 
sehr  aufmerksam  nach  der  Nebelhülle   um  die  Nova   gesucht,   aber 
nichts  davon  mit  Sicherheit  wahrnehmen  können,  was  nicht  auffällig 
ist,  da  dieser  Nebel  überaus  schwach  und  sein  Licht  hauptsächlich 
photographisch  wirksam  ist    Ein  von  Geraski  auf  einer  Photographie 
vom  30.  Januar  1899  bemerkter  Stern  12.  Gr.,  der  in  Rektaszension 
0.31'    dem    heutigen    Orte   der  Nova   folgt  und  7"   südlich   davon 
steht,  ist  von  Prof.  Bamard  trotz   sorgsamster  Nachforschung  nicht 
gesehen   worden;   derselbe  hält  es  nicht  für    ausgeschlossen,    dass 
dieser  angebliche  Stern   bloss   ein  photographischer   Defekt  auf  der 
betreffenden  Platte  sein  könnte.  Prof.  Kreutz  hält  zwar  diese  Stemspur 
for  wiridich  vorhanden,  bezweifelt  aber,  dass  das  Sternchen  mit  der 
heutigen  Nova  identisch  sei.     Von  anderer  Seite  wird  dagegen  diese 
Identität  für  sehr  wahrscheinlich  gehalten. 

Über  die  Farbe  der  Nova  sind  zahlreiche  Angaben  gemacht 
worden.  W.  Osthoff  hat^)  dieselben  geprüft  und  verglichen.  Indem 
er,  vom  reinen  Weiss  ausgehend,  den  Farben  Zahlenwerte  beilegt, 
so  dass  gelb  mit  4,  schwachrot  oder  goldgelb  mit  6,  rot  mit  8 
bezeichnet  wurde,  ergab  sich,  dass  die  Farbe  der  Nova  am 
23.  Februar  =  1  war  und  dann  zuerst  langsam ,  vom  25.  Februar 
ab  dagegen  bis  zum  1.  März  rasch  auf  6,8  sank,  während  die 
Abnahme  der  Helligkeit  nur  eine  Grössenklasse  betrug.  Mehrere 
Beobachter  glaubten,  einen  periodischen  Farbenwechsel  der  Nova  zu 
erkennen,  und  vom  22.  März  ab  zeigen  nach  dem  Urteile  Osthoffs 
die  Schätzungen  mehr  oder  weniger  deutlich  die  Periodizität  des 
Farfoenwechsels  parallel  mit  den  Änderungen  der  Helligkeit 

PhotogTFaphlsehe  Aufnahmen  der  Nebelflecke  um  die 
Iloya.  Am  17.  November  1901  gelang  Prof.  Wolf  in  Heidelberg  wieder 
eine  vorzügliche  Aufiiahme  der  Nebel  um  den  neuen  Stern.  Sie  zeigt 
abermals  grosse  Veränderungen,  die  dort  seit  der  Aufnahme  auf  der 
Yerkesstemwarte  am  20.  September  stattgefunden  haben.  Der 
Nebel,  bemerkt  Prof.  Wolf,  bestand  im  wesentlichen  aus  einzelnen 
konzentrischen  Hüllen  von  ziemlich  ovaler,  aber  unregelmässiger 
Form    und    aus   mehr  oder  weniger   dicken  Wolken,  die  besonders 


1)  Astron.  Nachr.  No.  3751. 


106  Fixsterne. 

südlich  und  südöstlich  von  dem  neuen  Sterne  heu  ausgebildet  sind. 
An  verschiedenen  Stellen  sind  hier  die  Wolkenknoten  besonders 
dicht  Alle  die  Gebilde  haben  sich  seit  dem  23.  August,  wo  Prof. 
Wolf  zuerst  eine  photographische  Aufnahme  erhielt,  mehr  oder 
weniger  verändert.  Besonders  auffallend  war  nach  Prof.  Wolf  von 
Anfang  an  die  äusserste  Hülle,  die  wohl  am  hellsten  ist  und  eine 
ziemlich  zusammenhängende  ovale  Schale  von  etwa  6  Bogenminuten 
Abstand  von  der  Nova  zu  bilden  scheint.  Dieser  Abstand  ist  gemäss 
der  Photographie  vom  23.  August  bis  zum  20.  September  und  von 
da  bis  zum  17.  November  fortwährend  gewachsen.  »Sie  besteht 
aus  hellen  und  dunklen  Wölkchen,  und  man  kann  die  Bahn  ver- 
folgen, die  diese  beschrieben  haben.  Die  Wölkchen  standen  am 
20.  September  fast  genau  auf  der  Mitte  des  Weges,  den  sie  vom 
23.  August  bis  zum  17.  November  durchlaufen  haben.  Daraus 
scheint  zu  folgen ,  dass  ihre  Geschwindigkeit  im  Abnehmen  begriffen 
ist  Interessant  ist  femer  zu  bemerken,  dass  die  Wölkchen  sich 
nicht  senkrecht  zu  der  Fläche  der  ovalen  Schale  bewegt  haben, 
sondern  dass  sie  .fast  genau  radial  von  der  Nova  aus  fortgeeilt 
sind.c  Prof.  Wolf  bemerkt,  dass  während  dessen  natürlich  nicht 
nur  die  Form  der  äussern  Hülle,  sondern  auch  die  Gestalten  der 
einzelnen  Wölkchen  ziemlich  starke  Veränderungen  erlitten.  Die 
Bewegung  des  fast  genau  südlich  von  der  Nova  liegenden  Schalen- 
teiles betrug  in  der  Zeit  vom  23.  August  bis  zum  17.  November 
etwas  mehr  als  eine  Bogenminute,  der  besonders  stark  entwickelte 
Teil  genau  südöstlich  von  der  Nova  hat  sich  dagegen,  in  radialer 
Richtung  gemessen,  etwas  über  1^/,  Bogenminuten  fortbewegt. 

Auf  dem  Yerkesobservatorium  wurde  am  Abende  des  9.  No- 
vember 1891  eine  zweite  photographische  Aufnahme  des  Nebeis  bei 
der  Nova  Persei  erhalten  ^)  am  zweifüssigen  Reflektor  mit  90  Minuten 
Exposition  der  Platte.  Das  erhaltene  Negativ  ist  schwach,  allein  die 
hauptsächlichsten  Kondensationen  des  Nebels  sind  deutlich,  und  auf 
den  ersten  Blick,  ohne  Vergrösserungsglas,  zeigte  sich,  dass  seit  der 
ersten  Aufnahme  (am  20.  September)  merkliche  Veränderungen  in  der 
Form  der  Nebelgestaltungen  eingetreten  waren.  Am  13.  November 
wurde  nach  siebenstündiger  Exponierung  ein  drittes,  vortreffliches 
Negativ  gewonnen,  welches  die  Schlüsse  aus  der  Aufnahme  vom 
9.  Nov.  völlig  bestätigt.  Von  Wichtigkeit  ist  auch,  dass  damit  direkt 
der  Beweis  geliefert  wurde,  dass  Verstärkungen  eines  schwachen  Nega- 
tivs durchaus  statthaft  sind,  indem  die  Details  de  sverstärkten  Nega- 
tivs von  jenem  Tage  mit  demjenigen  vom  13.  November  durchaus 
harmonieren.  Die  beiden  Negative  vom  20.  Sept  und  13.  Nov.  wurden 
nun  in  achtfacher  Vergrösserung  und  dreifach  reproduziert,  um  sicher 
zu  gehen,  dass  keine  falschen  Details  eingeführt  wurden.  Dann 
wurden   daran  vorläufige  Messungen   der  Positionen   von  6  Haupte 


^)  Astroph.  Journal  1901.  p.  293. 


Fixsterne.  107 

kondensationen  des  Nebels  ausgeführt  Die  Vergleichung  der  Inten- 
sitäten der  Kondensationen  auf  den  Negativen  No.  1  und  3  ergiebt, 
dass  die  äussern  Teile  des  Nebels  rapide  abgeblasst  sind,  während 
die  Nebelzunge,  welche  anscheinend  von  der  südlichen  (obem)  Seite 
der  Nova  ausgeht  und  sich  nach  Westen  (nach  links)  krümmt,  auf 
dem  Negativ  No.  2  stärker  herauskommt  als  auf  No.  1,  obgleich 
letzteres  viel  länger  exponiert  war;  auf  den  Negativen  No.  2  und  3 
ist  dieser  Zweig  der  intensivste  der  ganzen  Nebelpartie.  Diese 
beträchtliche  Veränderung  der  Intensität  macht  es  nach  Ritchey  sehr 
schwer,  zu  einem  endgültigen  Schlüsse  zu  gelangen  darüber,  ob 
dieser  Nebelzweig  seine  Gestalt  und  Position  geändert  hat. 

Eine  genaue  Untersuchung  der  auf  der  Lickstemwarte  am 
Crossleyreflektor  in  den  Monaten  Februar  und  März  1901  auf- 
genommenen Photographien  der  Nova  durch  H.  P.  Pahner  und 
C.  G.  Dell  hat  ergeben,^)  dass  auf  einer  am  29.  März  1901  er- 
haltenen Platte  von  nur  10  Minuten  Expositionsdauer  die  Nova  von 
zwei  feinen  Nebelringen  umgeben  erscheint,  und  dass  ausserdem 
verschiedene  Nebelmassen  in  der  Nähe  erkennbar  sind.  Dies  ist 
eine  wichtige  und  erfreuliche  Thatsache,  denn  sie  konstatiert  die 
Anwesenheit  der  Nebel  6  Monate  früher  als  die  früheste  Wahr- 
nehmung derselben  von  Prof.  Wolf  auf  der  Heidelberger  Photographie 
vom  23.  August  Seitdem  sind  auf  der  Lickstemwarte  in  der  Zeit 
vom  November  1901  bis  1902  Januar  11  verschiedene  Aufnahmen 
der  Nova  und  ihrer  Umgebung  erhalten  worden,  über  welche  G.  D. 
Perrine  in  dem  bezeichneten  Bulletin  berichtet  Er  konmit  zu  dem 
Ergebnisse,  dass  die  sämtlichen  während  des  letztgenannten  Zeit- 
raumes erhaltenen  Photographien  eine  allgemeine  Ausbreitung  des 
Nebels  nach  aUen  Nichtungen  hin  beweisen.  Die  Bewegungen  ver- 
schiedener der  am  deutlichsten  dargestellten  Nebelmassen  südlich  von 
der  Nova  geschehen  in  der  Bewegungsrichtung  des  Uhrzeigers,  im 
Westen  der  Nova  scheint  wenigstens  eine  Nebelmasse  eine  entgegen- 
gesetzte Bewegungsrichtung  zu  besitzen.  Es  ist  wahrscheinlich,  das 
die  beiden  am  29.  März  1901  vorhandenen  Nebelringe  sich  ausdehnten 
und  in  Stücke  zerfielen,  von  denen  zwei,  die  dem  äussern  Ringe 
angehörten,  auf  den  Photographien  des  Dezember  und  Januar  nach- 
weisbar sind.  Eine  einfache  Rückrechnung  auf  Grund  ihrer  schein- 
baren Bewegungen  lehrt,  dass  dieselben  gegen  den  16.  oder  17.  Februar 
die  Nova  verlassen  haben  müssen.  Perrine  fügt  seiner  Mitteilung 
noch  hinzu,  dass,  wenn  die  Nebelfragmente  sich  ununterbrochen  mit 
der  gleichen  Geschwindigkeit  nach  allen  Richtungen  ausdehnen  würden, 
einige  derselben  das  Sonnensystem  in  250  Jahren  erreichen  müssten. 

Eine  lichtvolle  Zusammenstellung  und  kritische  Untersuchung 
aller  bisherigen  Wahrnehmungen  über  die  veränderlichen  Nebel  bei 
der  Nova  Persei  hat  Dn  A.  Berberich  gegeben.^ 


^)  Ldckobsenratory,  Bulletin  No.  14. 

*)  Natorwiss.  Rundschau  1902.  No.  38.  39. 


108  Fixsterne. 

Er  weist  zunächst  darauf  hin,  dass  nach  der  Theorie  von  Prof. 
Seeliger  über  das  Aufleuchten  neuer  Sterne  man  eigentlich  hätte  er- 
warten können,  um  die  Nova  Persei  Spuren  von  Nebel  zu  entdecken, 
besonders  da  die  Aufnahmen  an  photographischen  Apparaten  mit 
Doppelobjektiven,  die  bei  kurzer  Brennweite  eine  sehr  grosse  Flächen- 
helligkeit liefern,  schon  seit  Jahren  den  Beweis  erbracht  hatten,  dass 
langdauemde  Aufnahmen  mit  ihnen  überaus  schwache,  sonst  unwahr- 
nehmbare Nebel  an  das  Licht  bringen.  Die  Photographie  vom  20.  Sept. 
1901  durch  Ritchey  verrät  schon  beim  blossen  Anblick  eine  direkte 
Beziehung  der  Nebelmassen  zur  Nova,  die  man  freilich  nach  der 
Seeligerschen  Theorie  nicht  vermuten  sollte.  Denn  hiemach  wäre 
die  Begegnung  von  Stern  und  Nebel  ein  reiner  Zufall;  thatsächlich 
zeigt  jedoch  das  photographische  Bild  ein  System  von  konzentrischen 
Nebelbogen  oder  spiralig  gewundenen  Streifen  und  im  ungefähren 
Mittelpunkte  dieses  Systemes  die  Nova  selbst  Die  Bogen  scheinen 
drei  oder  vier  einander  umschliessenden  Kreisen  anzugehören,  die 
vielfach  unterbrochen  und  unregelmässig  verzerrt  sind.  Mehrere 
hellere  Stellen  oder  Lichtknoten  fallen  namentlich  im  Süden  und  Süd- 
osten auf. 

Die  in  der  Himmelskunde  völlig  überraschende,  im  November 
aus  Amerika  von  der  Lick-  und  der  Yerkesstemwarte  anlangende 
Kunde,  dass  die  Nebelknoten  in  rascher  Bewegung  begriffen  seien, 
und  die  Dimensionen  des  ganzen  Nebelsystemes  sich  erweitem,  spricht 
sich  deutlich  in  fortgesetzten  Aufnahmen  in  Heidelberg  und  am 
Yerkesreflektor  an  einer  Nebelzunge  aus,  die  südöstlich  von  der 
Nova  stand  und  scheinbar  eiue  Vereinigungsstelle  mehrerer  Nebel- 
stretfen  war.  Wolf  und  Ritchey  fanden  übereinstimmend,  dass  der 
Abstand  von  der  Nova  vom  August  bis  November  täglich  um  1.2'' 
wuchs.  Einige  andere  Lichtknoten  im  äussersten  südlichen  Nebel- 
bogen entfemten  sich  etwas  langsamer  von  dem  Sterne,  dafür  war 
ihr  Abstand  auch  selbst  schon  geringer.  Diese  Verschiedenheiten 
der  Distanz  und  Bewegung  konnten  allerdings  durch  die  Perspektive 
bedingt  sein,  da  die  einzelnen  Nebelgebilde  nicht  in  einer  Ebene, 
Sondern  diesseits  und  jenseits  der  Nova  sich  befinden;  sie  sind  als 
Stücke  mehrerer  die  Nova  einhüllender  Kugelschalen  zu  betrachten. 
Eine  ganze  Reihe  weiterer  Aufnahmen  Ritcheys  zeigt  mit  Sicherheit 
die  Existenz  einiger  sehr  schwacher  und  unregelmässiger  Nebel  in 
unveränderter  Lage  und  Form  vom  September  1901  bis  Februar  1902. 
Diese  Nebel,  sagt  Berberich,  gehören  also  wohl  zu  den  überall  ver- 
breiteten kosmischen  Staub-  oder  Dunstmassen,  nur  lässt  sich  nicht 
erkennen,  ob  sie  in  gleicher  Raumgegend  wie  die  Nova  stehen  oder 
nicht  Namentlich  ist  hier  ein  16 — 20  Minuten  südlich  der  Nova 
befindliches  (Gebilde  gemeint,  dessen  Form  auch  keinerlei  Beziehung 
zu  diesem  Sterne  vermuten  lässt  In  ähnlicher  Entfernung  von  dem 
Sterne  stand  im  gleichen  Zeiträume  gegen  Südosten  ein  sehr  matter 
Nebel,    der  allerdings  später  sein  Aussehen  verändert  hat,  vielleicht 


Fixsterne.  109 

nur  infolge  Vermischung  mit  den  von  der  Nova  herkommenden  Licht- 
gebilden. Direkt  neben  dem  Sterne  im  Südwesten  verharrte  in  kaum 
einer  Minute  Entfernung  ein  sehr  heller  Nebel,  dessen  Form  starke 
Veränderungen  erfuhr;  er  vergrösserte  sich  etwas  durch  Entwickelung 
mehrerer  Ausläufer,  namentlich  nach  Süden  zu.  Sehr  wichtig  ist 
anch  die  Thatsache,  dass  zugleich  mit  dem  Verblassen  des  äussern 
Nebelringes  vom  September  in  weit  grösserer  Entfernung  und  durch 
beträchtlichen  Zwischenraum  getrennt  Nebelstreifen  aufleuchteten.  So 
war  seit  Januar  1902  an  einer  zuvor  ganz  leeren  Stelle  14'  süd- 
westlich der  Nova  ein  Nebelstreifen  aufgetaucht,  der  im  Februar 
heller  als  alle  andern  Nachbarnebel  der  Nova  geworden  war,  aus- 
genommen den  vorhin  erwähnten,  dicht  an  die  Nova  angrenzenden 
Nebel  und  die  noch  immer  im  Südosten  vorhandene  Nebelzunge,  deren 
Ort  sich  zuletzt  kaum  noch  verschoben  hat  In  der  Richtung  ihrer 
ursprünglich  so  raschen  Bewegung  hatte  sich  der  bereits  im  Septeipber 
photographierte  sehr  schwache  Aussennebel,  wie  schon  bemerkt,  in- 
zwischen in  der  Form  verändert  Die  Gegend  nördlich  von  der  Nova 
enthielt  im  September  ebenfalls  mehrere  Nebelbogen,  die  sich  im 
November  erheblich  weiter  vom  Sterne  entfernt  hatten.  Im  Dezember 
war  von  den  äussern  dieser  Bogen  nichts  vorhanden,  im  Januar 
imd  Februar  1902  standen  dagegen  in  doppelt  so  grosser  Distanz 
als  im  Anfang  mehrere  Nebelstreifen,  die  deutliche  Bewegungen  er- 
kennen liessen ;  auch  war  ihr  Licht  in  Zunahme  begriffen.  Berberich 
fasst  die  Thatsachen  wie  folgt  zusammen:  »Um  den  neuen  Perseus- 
stem  breiteten  sich  nebelartige,  leuchtende  Erscheinungen  aus,  mit 
ungleichen  Greschwindigkeiten  in  den  verschiedenen  Richtungen  und 
wiederholt  sprungweise  auf  grössere  Distanzen  übergreifend.  Die 
Bewegungen  einzelner  Nebelknoten  geschahen  nicht  streng  in  der  Rich- 
tung vom  Sterne  her,  sondern  auch  mehr  oder  weniger  seitlich. 
Eine  Erklärung  dieser  Vorgänge  würde  natürlich  auch  für  die  Deutung 
des  Aufleuchtens  der  Nova  von  grossem  Werte  sein.  Ob  jedoch  ein 
einziges  derartiges  Ereignis  schon  eine  eindeutige  Erklärung  ge- 
statten und  ermöglichen  wird,  ist  zweifelhaft.  Zwar  sind  auch  bei 
der  Nova  Aurigae  Nachbamebel  nachgewiesen,  aber  ihr  Verhalten 
scheint  nicht  näher  untersucht  worden  zu  sein,  und  sonstiger  Be- 
obachtungen über  Veränderungen  an  Nebeln  giebt  es  nur  wenige, 
die  einer  strengen  Kritik  standhalten.  Zur  Lösung  einer  so  inter- 
essanten wie  schwierigen  Frage  nach  der  Natur  der  Novanebel  dürfte 
aber  eine  Zusammenstellung  verwandter  Beobachtungen  nicht  ohne 
Wert  sein. 

Die  nächstliegende  Folgerung  aus  der  Entfemungszunahme  der 
Novanebel  ist  die,  dass  bei  einem  gewaltigen  Ausbruche  heisser  Massen 
«IS  dem  Innern  eines  äusserlich  ganz  oder  fast  ganz  erkalteten 
Sternes  grosse  Mengen  von  Dämpfen  oder  Staubteilchen  nach  allen 
Seiten  in  den  Raum  ausgestossen  worden  seien.  Die  Eruptions- 
theorie hat  zur  Erklärung  der  neuen  Sterne  vieles  für  sich,  wenigstens 


110  Fixsterne. 

aus  Analogiegründen;  sie  wurde  auch  beim  Aufleuchten  der  Nova 
Persei  wieder  von  namhaften  Forschem  zur  Deutung  der  Einzel- 
erscheinungen herangezogen.  Will  man  hiemach  die  Ortsändemngen 
der  Novanebel  für  wirkliche  Bewegungen  von  Stoffmassen  ansehen, 
so  kommt  man  zu  ganz  riesigen  Geschwindigkeiten,  es  sei  denn,  dass 
der  neue  Stern  nur  in  sehr  geringer  Entfernung  vom  Sonnensysteme 
sich  befände.  Allein  die  Heliometermessungen  zu  Bamberg  und 
New-Haven  haben  dargethan,  dass  die  Nova  weit  jenseits  der  durch- 
schnittlichen Region  der  Steme  erster  Grösse  stehen  muss.  Daraus 
ergiebt  sich  für  jene  Nebelgebilde  eine  Geschwindigkeit  von  wenigstens 
20  000  hm  in  der  Sekunde.  Wilsing  in  Potsdam  hat^)  diese  Schwierig- 
keit durch  eine  Ergänzungshypothese  zu  beseitigen  versucht.  Er 
nimmt  an,  dass  von  dem  neuen  Steme  ähnliche  Repulsivwirkungen 
auf  sehr  dünne  Nebelmassen  in  seiner  Nachbarschaft  ausgeübt  werden, 
wie  von  der  Sonne  auf  die  feinen  Schweifteilchen  der  Kometen.  Es 
bedürfe  nur  massiger  elektrischer  Ladungen  der  Nebelteilchen,  um 
ihnen  im  leeren  Räume  Geschwindigkeiten  ähnlich  der  des  Lichtes 
zu  erteilen.  Für  ein  Wasserstoffteilchen  würde  diese  Ladung  nicht 
mehr  als  ^lo  derjenigen  des  geriebenen  Siegellacks  zu  betragen 
brauchen.  »Man  wird  sich  vorstellen  können,  dass  die  unter  starkem 
Drucke,  doch  mit  verhältnismässig  geringer  Geschwindigkeit  empor- 
gepressten,  gasförmigen  Massen  sich  im  leeren  Räume  bald  aus- 
dehnen und  an  Dichtigkeit  verlieren  werden.  Erst  in  stark  ver- 
dünntem Zustande  unterliegen  sie  dann  den  vom  Steme  ausgeübten 
Repulsivkräften  und  erlangen  schnell  die  ausserordentliche  Geschwin- 
digkeit, mit  der  sie  sich  im  leeren  Räume  merklich  gleichförmig  fort- 
bewegen. Die  bereits  sehr  geringe  Leuchtkraft  der  fein  verteilten 
Materie  nimmt  mit  der  weitem  Ausbreitung  ab,  so  dass  der  Nebel 
schliesslich  in  seiner  äussern  Begrenzung  verblasst,  während  er  in 
den  tiefern  Schichten  durch  die  vom  Steme  nachströmende  Materie 
einige  Zeit  lang  ergänzt  wird.« 

Dr.  Berberich  ist  der  Meinung,  es  sei  am  einfachsten,  die 
Bewegung  der  Novanebel  als  nur  scheinbar  und  durch  die  Ausbreitung 
und  Wanderung  des  Novalichtes  im  Räume  erzeugt  anzusehen.  Das 
Licht  des  aufleuchtenden  Sternes  kommt  uns  nach  seiner  Reflexion  an 
den  unregelmässig  um  die  Nova  zerstreuten  Dunst-  und  Staub- 
wolken indirekt  zu  Gesicht.  Diese  von  Kapteyn  und  Wolf  ausge- 
sprochene Ansicht  muss  als  sehr  wohl  zulässig  erachtet  werden, 
nachdem  Seeliger  den  Nachweis  erbracht  hat,  dass  sich  kosmische 
Staubmassen  allerdings  durch  den  Reflex  des  Lichtes  benachbarter 
Sterne  dem  Auge  und  noch  mehr  der  die  schwachen  Lichteindrücke 
bei  langer  Exposition  summierenden  photographischen  Platte  be- 
merkbar machen  können.  Von  dieser  Anschauung  ausgehend,  be- 
trachtet Dr.  Berberich  die  Erscheinungen  um  die  Nova  näher.     »Der 


")  Astron.  Nachr.  157.  p.  349. 


Pxsteme.  111 

Stern  war  am  Abende  des    21.  Februar  1901    sicher   nicht   bis  zur 
4.  Gr.   gelangt,    da   er   sonst  Hartwig,    F.  Schwab  und   andern   bei 
ihren  Algolbeobachtungen  aufgefallen  wäre.    Nach  Mittemacht,  gegen 
3  Uhr  früh  des  22.  Februar  fand  ihn  Th.  Anderson  (Edinburgh)  als 
Stern   2.7   Grösse.      Die   Helligkeit    erreichte   am   23.  Februar   mit 
0.1  Gr.   (etwas  heller  als  Gapella)  ihr  Maximum.     Heller  als   1.  Gr. 
war    die   Nova    vom   22. — 25.  Februar,    also    3  Tage   lang,   über 
2.  Gr.  blieb  sie  bis  zum  1.  März,  über  3.  Gr.  bis  zum  6.  März  und 
über  4.  Gr.  bis  etwa  zum  24.  März.    Inzwischen  hatten  die  periodischen 
Lichtschwankungen   begonnen,    bei   denen   der  Stern  anfänglich  nur 
ausnahmsweise  kurze  Minima  unter  4.  Gr.  zeigte,  während  er  später 
nur  noch  ausnahmsweise  zu  einem  kurzen  Maximum  4. — 5.  Gr.  anwuchs. 
Schichtenweise  breitete   sich  das  Licht  verschiedener  Helligkeit 
um  den   Stern   aus.     Die   3  Tage   dauernde,   intensivste  Strahlung 
erfüllte  eine  Kugelschale  von  75  Milliarden  km  Dicke;  die  Strahlungen 
1.— 2.,    2. — 3.   und   3. — 4.  Gr.   folgten   in  Schichten   von  105,    130 
und  470  Milliarden  km.     Insgesamt  mass   die   Eugelschale,    welche 
ständig   sich  mit  Lichtgeschwindigkeit  ausbreitend,    die    Strahlungen 
der  Nova  im  ersten  Monate  ihres  Leuchtens  in  den  Raum  trug,  kaum 
0,8  Billioaen  km  in  Dicke,    was   ungefähr  O.Ol   der  Entfernung  des 
Sirius  von  uns  ausmacht.    Die  spätem  Strahlungen  waren  schwerlich 
noch  ausreichend,    um   nach  ihrer  Reflexion   an  entferntem   Nebel- 
massen    uns    noch    sichtbar    zu   sein.      Was    wir    auf   den   photo- 
graphischen  Platten  wahmehmen,  wäre  daher  der  Widerschein  jenes 
hellem  Teiles   des  Novalichtes   an  den  dunklen  Staubwolken  in  der 
Umgebung    der  Nova.     Im  Febmar  1902   hatte   die   äussere  Grenze 
der  hellsten  Lichtschicht  Gebiete  in  der  Entfernung  vom  achten  Teile 
einer   Siriusweite   erreicht.     Innerhalb   dieses   Raumes    müssen   jene 
sich  scheinbar  fortbewegenden  und  ihre  Formen  verändemden  Nebel 
sich  befinden,  und  zwar  in  Gestalt  mehr  oder  weniger  ausgedehnter, 
durch  grosse,   leere   Zwischenräume    getrennter  Wolken.     Die   Ent- 
fernung der  Nova  und  der  sie  umgebenden  Nebel  von  uns  berechnet 
Bidi  zu  etwa  30  Siriusweiten.     Denn   das  Licht,    das   täglich  einen 
Weg  von  175  Erdbahnradien  zurücklegt,  hatte  im  Herbste  1901  von 
der  Nova  bis  zu  den  äussersten  Novanebeln  eine  Strecke  von  etwa 
420"  in  rund  200  Tagen  durchmessen.     Einem  Erdbahnradius  ent- 
spricht daher  der  kleine  Winkel  0,012",  und  dies   wäre   die  Nova- 
parallaxe,   während   die  Siriusparallaxe   nach   Gill   und  Elkin  0,38" 
beträgt.      Diese    Beleuchtungstheorie    ist    vielleicht    nicht    ganz    zu- 
reichend,   um   alle  Erscheinungen   an   den  Novanebeln   zu   erklären. 
So  scheint  die  oben  erwähnte,  südöstlich  der  Nova  befindliche  Nebel- 
zonge  den  letzten  Winter  hindurch  nur  eine  geringe,  jedoch  zweifel- 
los« Ortsänderung   erfahren   zu   haben.     Der  hellere  Teil  des  Nova- 
tidites    musste    inzwischen    längst    weiter  fortgeschritten   sein   und 
sdieint  sich  auch,  wie  schon  gesagt  wurde,  im  Februar  1902  durch 
Veränderungen  im  Aussehen  doppelt   so   weit  als  die  >  Zunge  c  ent- 


112  Fixsterne» 

femter  Nebel  geltend  gemacht  zu  haben.  Nun  dürfte  aber  kein 
triftiger  Einwand  gegen  die  Annahme  zu  erheben  sein  —  im  Gegen- 
teil, es  sprechen  viele  Erfahrungen  der  Experimentalphysik  dafür, 
dass  infolge  der  intensiven  Bestrahlung  durch  das  Novalicht  in  den 
Nebeln  innere,  mit  Entwickelung  von  Eigenlicht  verbundene  Be- 
wegungen oder  Molekulanimänderungen  ausgelöst  wurden,  die  an 
einzehien  Stellen  begannen  und  von  da  sich  verhältnismässig  langsam 
ausbreiteten.  Für  die  südöstliche  Nebelzunge  glänzte  die  Nova  im 
Maximum  etwa  in  der  Starke  des  Vollmondlichtes,  wozu  vermutlich 
eine  hohe  Wärmestrahlung  kam.  Noch  energischer  mag  die  violette 
Strahlung  der  Nova  gewirkt  haben.  Der  Nebel  dicht  neben  der 
Nova  im  Südwesten  dürfte  einer  noch  ungefähr  hundertmal  kräftigem 
Strahlung  ausgesetzt  gewesen  sein.  Entsprechend  längeres  und 
intensiveres  >Nachleuchten<  wäre  somit  bei  diesem  Objekte  leicht 
zu  erklären.  Vielleicht  hängt  das  Auftreten  der  Hauptnebellinien 
in  den  Spektren  neuer  Sterne  damit  zusammen,  dass  in  der  nächsten 
Nachbarschaft  dieser  Weltkörper  befindliche  Nebel  zu  hellem  Auf- 
leuchten gebracht  worden  sind.c  Die  Vorstellung,  dass  ein  Welt- 
nebel zu  einem  vorübergehenden  Aufleuchten  veranlasst  werden 
könnte,  ist  freilich  eine  ungewohnte.  Indessen  macht  Dr.  Berberich 
auf  gewisse  Wahrnehmungen  an  Nebelflecken  aufmerksam,  die  kaum 
eine  andere  Deutung  zulassen,  so  besonders  die  Wahrnehmungen 
von  Nebeln  in  der  Nähe  des  Veränderlichen  T  Tauri.  In  diesem 
Beispiel,  sagt  er,  ist  vielleicht  eine  gewisse  Analogie  zu  dem  neuen 
Sterne  im  Perseus  und  zu  den  Veränderungen  in  der  Helligkeit  und 
scheinbaren  Lage  der  Novanebel  zu  finden,  sei  es,  dass  es  sich 
nur  um  einfache  Lichtreflexe  oder  aber  um  Leuchtvorgänge  handelt, 
die  angeregt  oder  ausgelöst  werden  durch  die  Bestrahlung  von  Seiten 
des  nahen,  lichtschwankenden  Sternes.  Vielleicht  werden  durch 
exakte  Messungen  von  Nebelhelligkeiten  mit  geeigneten  Instrumenten, 
z.  B.  mit  Prof.  Deichmüllers  Photometer,  weitere  Beispiele  von  licht- 
änderungen  an  Nebeln  bekannt  werden.  Zweifellos  werden  die  an 
der  Nova  Persei  gemachten  unerwarteten  Entdeckungen  Anlass  geben, 
beim  etwaigen  Aufleuchten  eines  andern  neuen  Sternes  sofort  die 
Umgebung  nach  schwachen  Nebelmassen  zu  durchforschen. 

Das  Spektrum  des  Nova  Persei  ist  seit  Sept  1901  bis 
Februar  1902  von  P.  W.  Sidgreaves  vielfach  photographiert  worden.^) 
Die  sämtlichen  (40)  Platten  zeigen  das  Spektrum  in  seinen  all* 
gemeinen  Zügen  unverändert;  die  Linien  erscheinen  breit  und  in 
ihren  relativen  Intensitäten  nicht  geändert 

Die  Parallaxe  von  fx  Cassiopejae  und  das  Vorhanden- 
sein eines  entern  Fixsternsystemes  in  diesem  Sternbilde. 


^)  Monthly  Notices  62.  p.  521. 


Fixsterne.  113 

Die  von  L.  M.  Rutherfurd  in  Cambridge  u.  a.  hinterlassenen  zahlreichen 
photographischen  Aufnahmen  von  Stemgruppen  bieten  ein  überaus 
wichtiges  Material,  mit  dessen  Auswertung  die  Golumbiastemwarte 
in  New- York  seit  mehrem  Jahren  beschäftigt  ist  So  sind  auf 
diesen  Aufnahmen  Vermessungen  der  Plejaden,  der  Hyaden  u.  s.  w. 
ausgeführt  worden,  und  es  hat  sich  dabei  die  Verwendbarkeit  dieser 
schon  altem  Aufnahmen  im  günstigsten  Lichte  gezeigt.  In  den 
neunziger  Jahren  hat  H.  Jacoby  auch  die  von  Rutherfurd  gemachten 
Aufnahmen  des  Sternes  fi  Gassiopejae  und  seiner  Umgebung  bearbeitet 
und  dabei  die  Distanzen  dieses  Sternes  von  acht  benachbarten 
Sternen  ausgemessen.  ^)  Er  fand  dabei  als  Parallaxe  von  /i  den  Wert 
0.275"  4:  0.024''.  Von  den  angeschlossenen  Sternen  zeigte  d  Gassio- 
pejae ein  abweichendes  Verhalten,  welches  auf  eine  merkliche  Parallaxe 
desselben  schliessen  liess,  die  sich  zu  0.23"  -^  0.007"  ergab.  Nun- 
mehr hat  G^org  N.  Bauer  eine  neue  Vermessung  von  22  Rutherfurdschen 
Aufnahmen  aus  den  Jahren  1870 — 1872  ausgeführt^  Seine  Messungen 
erstrecken  sich  auf  die  Bestimmung  der  Positionswinkel  von  /i 
gegen  elf  benachbarte  Fixsterne,  wodurch  ebensoviele  unabhängige 
Bestimmungen  des  Parallaxenwertes  und  eine  sehr  erwünschte  Ver- 
^eichung  mit  den  Ergebnissen  von  Prot  Jacoby  gewonnen  wird.  Die 
elf  erhaltenen  Werte  für  die  Parallaxe  von  fi  stimmen  mit  Ausnahme 
eines  einzigen  gut  miteinander  überein,  und  dieser  abweichende  Wert 
hat  kein  grosses  Gewicht.  Lässt  man  ihn  unberücksichtigt,  so  schwanken 
die  übrigen  zehn  Werte  zwischen  0.332"  und  0.134",  und  als  wahr- 
scheinlichster Wert  wird  von  Bauer  angegeben  n  =  0.247"  ±  0.014". 
Dies  steht  in  guter  Cbereinstimmung  mit  der  von  Jacoby  gefundenen 
Parallaxe  für  /(,  und  wir  dürfen  daraus  schliessen,  dass  die  wirkliche 
Parallaxe  dieses  Sternes  nur  wenig  von  ^/J'  entfernt  sein  wird.  Es 
ist  interessant,  dieses  Ergebnis  mit  den  frühern  durch  direkte 
Uessung  erhaltenen  zu  vergleichen.  0.  Struve  fand  für  die  Parallaxe 
von  ßi  Gassiopejae  aus  Messungen  der  Distanz  von  zwei  benachbarten 
Sternchen  n  =  0.251",  aus  den  Positionswinkeln  n  =  0.425",  Peter 
in  Leipzig  aus  Heliometermessungen  jr  =  0.12";  die  sonstigen  Be- 
stimmungen weichen  völlig  ab  und  mögen  unberücksichtigt  bleiben. 
Die  Bestimmung  der  Parallaxe  liefert  auch  einen  Wert  für  die  Grösse 
der  jährlichen  Eigenbewegung;  der  Zeitraum,  über  welchen  sich  die 
photographischen  Aufnahmen  Rutherfurds  erstrecken,  ist  aber  zu  kurz, 
lUD  daraus  diese  Eigenbewegung  mit  genügender  Schäxfe  abzuleiten. 
Indessen  hat  Bauer  die  Rechnung  doch  ausgeführt  und  findet  eis 
jährliche  scheinbare  Eigenbewegung  des  Sternes  in  Rektaszension 
+  0.3845»,  in  Deklination  —  1.519".  Dies  stimmt  mit  den  auf 
direkten  Ortsbestimmungen  in  der  Zeit  von  Bradley  bis  zur  Gegen- 
wart beruhenden  Ergebnissen  sehr  gut  überein,   und  man  kann  an- 


*)  Gontrib.  from  the  Observ.  of  Golumbia  üniversity  New-York  No.  5. 
•)  ibid.  No.  18. 
Klein,  Jahrbacb  xm.  8 


1 14  FixBteme. 

nehmen,  dass  die  scheinbare  jährliche  Eigenbewegong  von  fi  Gassio- 
pejae  am  Himmelsgewölbe  ZJW'  beträgt  Unter  Annahme  der  obigen 
Parallaxe  entspricht  dies  einer  linearen  (Geschwindigkeit  von  70  hm 
in  der  Sekunde.  Dies  ist  aber  nicht  die  wahre  Geschwindigkeit  des 
Sternes,  sondern  nur  der  senkrecht  zur  Gesichtslinie  nach  der  Erde 
hin  entfallende  Teil  derselben.  Durch  die  spektralphotographischen 
Messungen  von  Campbell  auf  der  lickstemwarte  ist  der  in  die  Richtung 
der  Gesichtslinie  zur  Erde  fallende  Teil  der  Eigenbewegung  von  fA 
Gassiopejae  zu  —  97  Ärni  in  der  Sekunde  ermittelt  worden.  Die 
Kombinierung  beider  Werte  ergiebt  daher  für  die  wahre  Geschwin- 
digkeit dieses  Sternes  im  Welträume  120  A:m  in  der  Sekunde,  was  die 
Geschwindigkeit  der  Erde  um  die  Sonne  vierfach  übertrifft  Wie 
oben  bemerkt,  zeigt  einer  der  11  Vergleichssteme  für  die  Parallaxe 
ein  abweichendes  Verhalten,  was  darauf  hindeutet,  dass  derselbe 
ebenfalls  eine  merkliche  Parallaxe  besitzt;  das  Gleiche  fand  Jacoby 
bei  dem  als  Vergleichsstem  benutzten  Sterne  6  Gassiopejae.  Hiemach 
ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  diese  Sterne  mit  fi  zusammen 
ein  gemeinsames  System  bilden,  und  man  kann  zu  diesen  auch  noch 
den  Stern  i;  Gassiopejae  hinzufügen,  da  dessen  Parallaxe  nach  den 
photographischen  Messungen  von  H.  S.  Davis,  die  ebenfalls  an 
Rutherfurdschen  Photographien  ausgeführt  wurden,  0.44''  beträgt. 
Sonach  befindet  sich  also  in  der  Gassiopeja  in  einer  Entfernung  von 
uns,  die  etwa  8 — 12  Billionen  Meilen  betragen  mag,  ein  engeres 
Stemsystem,  bestehend  aus  mindestens  3  oder  4  Fixsternen. 

Untersuehungren  ttber  die  Parallaxe  des  ZentFalstemes 
Im  Ungnebel  der  Leyer  hat  Burt  L.  Newkirk  angestellt^)  Die- 
selben beruhen  auf  Ausmessungen  von  fünfzehn  photographischen  Auf- 
nahmen mit  dem  10  7t -zolligen  Refraktor  der  Sternwarte  der  Universität 
von  Minnesota  (Vereinigte  Staaten  von  Amerika).  Das  Bild  des 
Zentralstemes  ist  auf  allen  Platten  leicht  sichtbar  und  ist  nicht  von 
dem  irgend  eines  andern  schwachen  Sternes  zu  unterscheiden.  Es 
wurden  16  Vergleichssteme,  in  8  Paaren  verteilt,  benutzt 

Die  Platten  wurden  mit  dem  Repsoldschen  Messapparate  der 
Sternwarte  der  Universität  von  Minnesota  ausgemessen.  Als  End- 
resultat ergab  sich  für  die  Parallaxe  der  Wert  0.104''  +  0.017. 
Im  Jahre  1891  wurden  Distanz  und  Positionswinkel  des  Nebelstemes 
von  einem  (mit  a  bezeichneten)  benachbarten  Sterne  durch  Burnham 
mit  dem  86-zolligen  Refraktor  der  Lickstemwarte  gemessen.  Diese 
Messungen  wurden  von  Bamard')  mit  dem  40-zolligen  Refraktor 
der  Yerkesstemwarte  in  den  Jahren  1898  und  1899  wiederholt 
Es  schien  eine  Änderung  in  Distanz  und  Positionswinkel  sich  zu 
zeigen,  und  nachher  wurden  ebensolche  Messungen  auf  photographischen 


^)  Inaugoral-Dissertation,  München  1902. 
>)  Monthly  Notices  eo.  p.  848. 


Fixsterne.  115 

Platten  von  Prof.  Leavenworth  ^)  in  lünneapolis  und  Prof.  Scheiner. 
in  Potsdam  veröffentlicht  Die  Möglichkeit  ist  also  vorhanden,  die 
ESgenbewegung  des  Nebels  zu  bestimmen,  sobald  die  Eigenbewegung 
des  Sternes  a  bekannt  ist  Diese  Bestimmung  wird  möglich  durch 
Vergleichung  einer  Reihe  von  Hall  ^  in  Washington  gemachter  mikro- 
metrischer Messungen  dieser  und  benachbarter  Sterne  mit  später 
wiederholten  Messungen  derselben. 

Daraus  ergiebt  sich  nach  der  Rechnung  von  Newkirk,  dass  der 
Stern  a  keine  beträchtliche  Eigenbewegung  besitzt  Auf  diesen  Stern 
bezogen,  liegen  nun  Messungen  der  Distanz  und  des  Positions- 
winkels des  Nebelstemes  in  der  Leyer  aus  den  Jahren  1891 — 1899 
vor  von  Bumham,  Scheiner  und  Leavenworth.  Die  Berechnung 
dieser  Daten  durch  Newkirk  lieferte  für  die  Eigenbewegung  des 
Nebelstemes  folgenden  Wert:  in  Rektaszension  —  0.012"  +  0.0012", 
in  Deklination  +  0.10"  +  0.029''.  Ferner  bemerkt  Newkirk,  dass 
der  Zentralstem  des  Ringnebels  in  der  Leyer  mit  dem  Nebel  physisch 
verbunden  ist,  werde  dadurch  einigermassen  wahrscheinlich  gemacht, 
dass  fast  alle  ähnlichen  Objekte  »Zentralsteme«  besitzen.  Bei  ge- 
nauer Fokusiemng  hat  sich  herausgestellt,  dass  die  Einstellungen 
für  den  Zentralstem  etwa  in  der  Mitte  liegen  zwischen  denen  für 
den  Nebel  und  denen  für  einen  gewöhnlichen  Fixstern,  was  beim 
Vorherrschen  kurzwelliger  Strahlen  im  Nebellichte  für  die  Annahme 
einer  nebeligen  Struktur  des  Zentralstemes  spricht. 

Kosmisehe  (femeinsame  Bewegung  der  Fixsterne.  Aus 
der  sehr  sorgfältigen  Vergleichung  des  Kapkataloges  von  8560 
Sternen,  der  demnächst  erscheinen  wird  mit  einigen  andern  Stem- 
katalogen,  hat  Sir  David  Qill,  der  als  einer  der  genauesten  Beobachter 
und  in  seinen  Schlussfolgerungen  vorsichtigster  Astronom  bekannt 
ist,  eine  überaus  merkwürdige  und  weittragende  Schlussfolgerung 
gesogen.^  Er  kommt  nämlich  zu  dem  Ergebnisse,  dass  wahrscheinlich 
die  heUem  und  uns  im  allgemeinen  nähern  Sterne  des  Himmels, 
hoaptsädilich  diejenigen,  die  man  mit  blossem  Auge  sehen  kann, 
solche  Eigenbewegungen  zeigen,  als  wenn  sie  als  Ganzes  eine  Drehung 
um  ein  gemeinsames  Zentmm  vollführten.  Die  entfemtem  licht- 
schwächem  Steme  zeigen  Bewegungen,  die  hiermit  nicht  überein- 
stimmen, und  die  sie  als  diesem  Stemsysteme  fremd  charakterisieren« 

Neue  Doppelsterne.  William  J.  Hussey  hat  auf  der  Lick- 
stemwarte  am  36-Zoller  eine  systematische  Durchforschung  des 
Himmels  nach  neuen  Doppelstemen  begonnen.  Als  Grundlage  der- 
selben dienen  Karten,  in  welche  alle  Steme  der  Bonner  Durchmusterung 
eingetragen  sind.    Sobald  der  in  einer  dieser  Karten  dargestellte  Teil 


')  Monthly  Notices  $L  p.  2ß, 
^  Astron.  Nachr.  No.  2186. 
>)  Astron.  Nachr.  No.  8800. 


116 


Fixsterne. 


des  Himmels  durchbeobachtet  ist,  wird  das  Datum  der  Untersuchung 
und  alles  sonst  Nötige  der  Karte  beigeschrieben,  so  dass  eine  genaue 
Kontrolle  und  Identifizierung  der  Sterne  möglich  ist  Prof.  Hussey 
macht  darauf  aufmerksam,  dass,  nachdem  nimmehr  schon  eine  grosse 
Anzahl  Sterne  unter  starken  Vergrösserungen  und  guten  atmo- 
sphärischen Verhältnissen  in  verschiedenen  Regionen  des  Himmels 
untersucht  worden  ist,  sich  bei  ihm  der  Eindruck  befestigt  habe, 
als  wenn  die  engem  Doppelsteme,  beispielsweise  diejenigen  mit 
Distanzen  unter  5",  über  die  ganze  Himmelssphäre  nicht  proportional 
der  Anzahl  der  Sterne  bis  zu  einer  gegebenen  Grössenklasse  (hier 
bis  zu  9,1  Gr.)  verteilt  seien.^)  An  gewissen  Stellen  des  HimmelB 
könne  man  alle  Sterne  bis  zu  dieser  Grösse  auf  einer  beträchtlichen 
Anzahl  von  Quadratgraden  des  Himmels  untersuchen,  ohne  einen 
neuen  Doppelstem  zu  finden,  und  auch  von  bekannten  fänden  sich 
dort  nur  wenige,  während  in  andern  Regionen  des  Himmels  die 
Zahl  der  Doppelsteme  beträchtlich  ist.  Das  ist  nach  Hussey  wahr- 
scheinlich nicht  zufällig,  sondern  hat  eine  kosmische  Bedeutung,  indem 
vermutlich  die  Ursachen,  welche  die  Existenz  von  Doppelsternen  be- 
dingen oder  nicht  gestatten,  in  enormen  Räumen  des  Himmels  gleich- 
massig  walten. 

Im  ganzen  hat  Hussey  500  neue  Doppelsteme  entdeckt  und  in 
5  Verzeichnissen  veröffentlicht.  Verteilt  man  dieselben  nach  der 
Distanz  ihrer  Begleiter  in  Klassen,  so  ergiebt  sich  folgendes: 


Distanz  des 

1.  Ver- 

2. Ver- 

3. Ver- 

4. Ver- 

6. Ver- 

Zu- 

Begleiters  vom  Haupt- 

zeich- 

zeich- 

zeich- 

zeich- 

zeich- 

sam- 

steme  in  Bogensekonden 

nis 

nis 

nis 

nis 

nis 

men 

0.25"  oder  weniger 

8 

9 

5 

18 

8 

38 

0.26"  bis  0.50" 

12 

16 

12 

80 

23 

93 

0.61"  bis  1.0Ü" 

24 

22 

20 

24 

24 

114 

1.01"  bis  2.00" 

29 

26 

25 

18 

22 

120 

2.01"  bis  5.00" 

31 

27 

88 

15 

28 

139 

über  5.00" 

1 

— 

— 

l 

Neumessungren  der  Pulkowaer  Doppelsterne  auf  dem 
Llckobservatorlum.  Wahrend  des  19.  Jahrhunderts  bildete  die 
Messung  der  Doppelsteme  und  die  Untersuchung  ihrer  Bewegungen 
einen  wichtigen  Teil  der  astronomischen  Arbeiten,  aber  ein  halbes 
Jahrhundert  hindurch  war  die  Zahl  derjenigen,  die  auf  diesem  Gebiete 
thätig  waren,  nur  gering.  Bis  1848  war  ziemlich  alles,  was  von 
Doppelsternbeobachtungen  Wert  hatte,  von  den  beiden  Herschel,  dea 
beiden  Struve,  South  und  Dawes  geliefert  worden,  und  das  meiste, 
was  bis  1873  weiter  auf  diesem  Gebiete  geschah,  bewegte  sich  in 
der  Richtung,  welche  von  den  genannten  Astronomen  vorgezeichnet 
war.     Dagegen  wurde  während  der   letztverflossenen    8   Jahrzehnte 


^)  Lickobservatory  Bulletin  No.  12. 


Fixsterne.  117 

das  Grebiet  der  Doppelstembeobachtung  durch  Entdeckung  von  fast 
4000  neuen  Objekten  ausserordentlich  erweitert,  und  unter  diesen 
finden  sich  gerade  die  interessantesten  Doppelsterne,  nämlich  solche 
mit  sehr  kurzen  Umlaufsperioden.  Mit  der  Zahl  der  Beobachter  ist 
auch  die  Anzahl  der  Publikationen  über  Doppelstemmessungen  ge- 
wachsen, und  es  ist  keineswegs  leicht,  bezüglich  der  einzelnen  hierhin 
gehörigen  Objekte  festzustellen,  was  an  Messungen  darüber  überhaupt 
vorliegt.  Eine  Folge  davon  ist,  dass  manche  Doppelsteme  Jahr  für 
Jahr  ziemlich  überflüssigerweise  gemessen  werden,  während  andere, 
bei  denen  Messungen  höchst  erwünscht  sind,  unbeachtet  bleiben. 
Unter  diesen  Umständen  wäre  es  von  grösster  Wichtigkeit,  dass  die 
einzelnen  Messungen  von  Doppelstemen,  die  jetzt  in  Hunderten  von 
Poblikationen  zerstreut  sind,  gesammelt  und  in  geeigneter  Form  zum 
Zwecke  praktischer  Benutzung  gedruckt  würden.  Ein  wichtiger  Bei- 
trag nach  dieser  Richtung  hin  ist  von  der  Lickstemwarte  geliefert, 
indem  dort  die  Beobachtungen  der  meist  1841  und  1842  zu  Pulkowa 
entdeckten  Doppelsterne  gesammelt  und  neue  Messungen  aller  im 
9.  Bande  der  Pulkowaer  Beobachtungen  aufgeführten  Doppelsteme 
angestellt  wurden.  Seit  diese  Sterne  zuerst  von  Otto  Struve  und 
Mädler  gemessen  wurden,  ist  ein  Zeitraum  von  mehr  als  50  Jahren 
verflossen  und  etwa  30  Jahre  seit  den  Beobachtungen  Dembowskis. 
Während  W.  J.  Hussey  auf  der  Lickstemwarte  mit  den  Vorarbeiten 
zu  dieser  neuen  Arbeit  beschäftigt  war,  trat  immer  deutlicher  hervor, 
dass  dieselbe  erheblich  an  Wert  gewinnen  würde,  wenn  sie  alle 
überhaupt  in  Pulkowa  entdeckten  Steme  umfasse.  Die  ursprüngliche 
Arbeit  würde  etwa  1200  neue  Beobachtungen  erfordert  haben,  die 
in  etwa  einem  Jahre  zu  gewinnen  waren;  durch  die  Ausdehnung 
des  ursprünglichen  Programmes  wurde  diese  Zahl  erheblich  ver- 
grössert  In  der  vorliegenden  Publikation^)  beträgt  die  Zahl  der 
Messungen  Husseys  2109,  ungerechnet  65  Untersuchungen,  in  denen 
die  Steme  nur  als  einfache  konstatiert  wurden.  Die  Veröffentlichung 
dieser  Beobachtungen  ist  in  einer  Form  geschehen,  die  sich  genau 
an  diejenige  anschliesst,  welche  Prof.  Bumham  für  die  Gesamt- 
paUikation  seiner  Doppelstemmessungen  gewählt  hat,  und  die  im 
1.  Band  der  Publikationen  der  Lickstemwarte  erschienen  ist.  Als 
Instramente  für  die  Beobachtungen  dienten  der  36-zollige  und  der 
12-aoüige  Refraktor  der  Lickstemwarte,  ersterer  mit  Vergrössemngen 
von  270-  bis  2600fach,  letzterer  mit  solchen  von  175-  bis  600fach. 
Mdstens  wurden  Vergrösserungen  von  500-  bis  löOOfach  angewandt. 
Prof.  Hussey  giebt  im  Vorberichte  eine  genaue  Darstellung  des  Verlaufes 
der  alten  Pulkowaer  Arbeiten  über  Doppelsteme,  der  wir  Nach- 
stehendes entnehmen. 

Die  Sternwarte   zu  Pulkowa   war  1839   vollendet  worden  und 
mit  den  ausgezeichnetsten  Instrumenten  der  damaligen  Zeit,  darunter 


^)  Poblications  of  the  Lickobservatory  1901.  b. 


118  Fixsterne. 

einem  15-zolligen  Refraktor  von  Merz  &  Maiüer  und  einem  Rep- 
soldschen  Meridiankreise  mit  5.8  zolligem  Femrohre  versehen.  Wilhelm 
Struve,  der  neue  Direktor  der  Sternwarte,  stellte  als  Arbeitsplan 
auf:  die  Ortsbestimmung  aUer  Sterne  1. — 7.  Gr.  einschliesslich^ 
vom  Nordpole  des  Himmels  bis  zu  15^  südlicher  Deklination  am 
Meridiankreise.  Als  Vorarbeit  hierzu  war  bei  dem  damaligen  Mangel 
genügend  vollständiger  Himmelskarten  eine  sog.  »Revision«  der  nörd- 
lichen Himmelssphäre  erforderlich,  und  diese  wurde  vom  26.  August 
1841  bis  zum  7.  Dezember  1842  in  109  Beobachtungsnächten  durch- 
geführt. Es  wurde  dabei  jeder  Stern  der  oben  angegebenen  Grössen- 
klassen  am  Sucher  des  15-zolligen  Refraktors  eingestellt,  seine 
näherungsweise  Position  an  den  Kreisen  des  Instrumentes  abgelesen 
und  im  Refraktor  selbst  der  Stern  an  412facher  Vergrösserung  genau 
daraufhin  angesehen,  ob  er  einfach,  doppelt  oder  mehrfach  sei. 
Struve  ging  dabei  von  der  Ansicht  aus,  es  würde  infolge  der  starken 
Vergrösserung  des  mächtigen  neuen  Refraktors  mancher  Stern,  der 
im  9-zolligen  Dorpater  Refraktor  früher  nicht  als  Doppelstem  er- 
kannt worden  war,  sich  als  solcher  erweisen.  Diese  Hoffnung  er- 
füllte sich  in  der  That.  Als  die  Arbeit  durchgeführt  war,  lieferte 
sie  eine  Liste  von  514  Objekten,  die  nicht  im  Dorpater  Kataloge 
enthalten  waren,  und  ebenso  eine  Liste  von  256  hellen  Sternen  mit 
entfernter  stehenden  Begleitern,  von  denen  die  meisten  früher  von 
andern  Beobachtern  notiert  worden  waren.  Im  Jahre  184S  erschien 
der  Pulkowaer  Katalog,^)  und  derselbe  zerfällt  in  2  Teile.  Der  erste 
umfasst  alle  engen  Doppelsteme,  der  zweite  die  Sterne  mit  weiter 
abstehenden  Begleitern,  von  denen  manche  so  weit  abstehen,  dass 
sie  kaum  zu  den  Doppelstemen  zählen  können.  Bei  den  neuen 
Untersuchungen  auf  der  licksternwarte  sind  deshalb  auch  nur  die 
(engen)  Doppelsteme  des  ersten  Teiles  des  Pulkowaer  Kataloges 
Iderücksichtigt  worden.  Im  Jahre  1850  erschien  eine  neue  Ausgabe 
dieses  ersten  Teiles,^  welche  noch  16  zwischen  1848  und  185(> 
entdeckte  Doppelsteme  enthält  Ausserdem  waren  noch  17  ander- 
weitige angezeigt,  so  dass  die  Gesamtzahl  der  Objekte  547  beträgt» 
Bei  Zusammenstellung  der  2.  Ausgabe  des  Pulkowaer  Kataloges 
hat  jedoch  Otto  Strave  106  Steme  zurückgestellt,  nämlich  alle  die- 
jenigen, deren  Distanz  vom  Hauptsteme  32"  überstieg,  und  diejenigen, 
welche  bei  einer  Distanz  von  mehr  als  16"  Begleiter  von  unter 
9.  Gr.  zeigten;  endlich  wurden  mehrere  Steme  als  sicher  irrtümlich 
aufgeführt  ausgeschlossen.  Prof.  Hussey  hat  durch  genaue  Ver- 
gleichung  alles  vorhandenen  Materiales  gefunden,  dass  eine  Anzahl 
der  in  Pulkowa  entdeckten  Doppelsteme  schon  früher  von  andern 
Beobachtern   gefunden  worden  war,    und  giebt  ein  Verzeichnis   der- 


^)  Catalogue  de  514  fitoiles  Doubles  et  Multiples  decouvert  sur  Themis- 
phere  Celeste  boreal  par  la  grand  lunette  de  TObserv.  Central  de  Poulkowa* 

')  Catalogue  revu  et  corrige  des  fltoiles  Doubles  et  Multiples  döcouv. 
a  rObserv.   Centr.  de  Poalkowa. 


Fixsterne.  119 

selben.  Femer  verbreitet  er  sich  eingehend  über  die  systematischen 
Messungsfehler  bei  0.  Strave  und  die  Untersuchungen,  durch  welche 
letzterer  zu  den  Korrektionen  gelangte,  die  er  an  seinen  unmittel- 
baren Messungen  anbrachte.  In  dem  nun  folgenden  Verzeichnisse 
führt  er  die  einzelnen  Sterne  nach  der  Ordnung,  wie  sie  im  Pulkowaer 
Kataloge  stehen,  auf  und  teilt  für  jeden  zunächst  seine  auf  der 
lickstemwarte  ausgeführten  Messungen  mit,  sowie  alles  zur  Be- 
urteilung derselben  erforderliche  Detail.  Daran  schliessen  sich  die 
Messungen  Stnives,  sowie  etwaiger  anderer  Beobachter,  so  dass  das 
gesamte  über  jeden  einzelnen  Stern  vorhandene  Material  übersichtlich 
zur  Hand  ist 

Der  Doppelstern  68  Comae  Bereniels  (2*  1689).  Dieser 
Stern,  dessen  Position  am  Himmel  (für  1900,0)  ist:  a  12^  19°^  25 » 
i-}-  63®  52',  wurde  von  F.  W.  Struve  1827  zuerst  beobachtet  Der 
Hauptstem  ist  6.7,  der  Begleiter  7.9  Qr.  Damals  betrug  die  Distanz 
des  Begleiters  von  seinem  Hauptsteme  1.3",  sie  nahm  aber  fortwährend 
ab  und  betrug  1889  nach  H.  Struve  nur  noch  0.2'',  in  den  folgenden 
Jahren  war  der  Stern  selbst  am  36 -Zoller  nur  völlig  einfach  und 
nmd.  Er^  1895  konnte  der  Begleiter  wieder  gesehen  werden,  und 
1901  betrug  die  Distanz  nach  Aitken  etwa  0.3".  Thomas  Lewis 
hat  alle  brauchbaren  Messungen  gesammelt  und  daraus  die  Bahn  des 
Begleiters  berechnet^)  Er  findet  als  Zeit  des  Periastrons  1892.0, 
als  Umlaufsdauer  180  Jahre,  als  Exzentrizität  der  Bahn  0.70  und 
als  scheinbare  halbe  grosse  Axe  derselben  0.71". 

Ein  neuer  Doppelstern  mit  raseher  Umlaufsbewegrungr 
des  Begleiters  wurde  am  36-zolligen  Refraktor  der  Lickstemwarte 
entdeckt.  Er  steht  im  Sobieskischen  Schild  in  a  18^»  33"»  9» 
a_30  i7#  (für  1900)  und  besteht  aus  2  Sternen  6.9  und  7.1  Grösse. 
Nach  den  Messungen  von  Aitken  beträgt  die  Distanz  nur  0.13";  der 
Positionswinkel  des  Begleiters  ändert  sich  rasch,  wie  folgende 
Messungen  des  genannten  Astronomen  zeigen: 

1900.46  p  =  8580.2 
1901.56  838.8 

1902.66  818.1. 

Der  Stern  88  Aquarii  als  Doppelstern.  Dieser  Stern 
6.  Grösse,  dessen  Ort  am  Himmel  ist  a  22^*  59"^  57»  d  —  S^W 
(für  1900),  erschien  bei  der  Untersuchung  durch  den  12-zolligen  Re- 
fraktor der  Lickstemwarte  in  der  Nacht  des  29.  Juli  1902  augenschein- 
lich länglich.  Am  16.  August  imtersuchte  ihn  deshalb  R.  G.  Aitken 
not  dem  36-zoUigen  Refraktor  und  erkannte  ihn  jetzt  deutlich  als 
Doppelstem.  Diese  beiden  Komponenten  sind  nahezu  gleich  hell  und 
6.  Grösse,  ihre  Distanz  voneinander  beträgt  nur  0.19''. 


')  Monthly  Notices  62.  p.  200. 


120  Fixsterne. 

Die  Bewegttngsverliältiilsse  im  Steragysteme  70  Ophiachi. 

Dieser  Doppelsiem  wurde  als  solcher  schon  von  Christian  Mayej 
erkannt  Sein  Ort  am  Himmel  ist  (für  1900.0)  a:  18^  0' 
d:  -{-  2^  SB'.  Der  Hauptstem  ist  4.  Grösse  und  gelblich,  der  Be- 
gleiter 6.  Grösse  und  rot.  Dieses  Doppelsystem  hat  den  Ver- 
suchen einer  Bahnbestimmung  des  Begleiters  stets  grosse  Schwierig- 
keiten bereitet  Die  bedeutende  Helligkeit  der  beiden  Komponenten, 
sowie  die  rasche  Eigenbewegung  von  1.2''  im  Jahre  liessen  auf  eine 
geringe  Entfernung  des  Systemes  schliessen,  was  auch  durch  die 
Parallaxenmessungen  bestätigt  wurde,  und  so  hatte  man  die  Hoffnung 
gehegt,  gerade  bei  diesem  Systeme  eine  besonders  genaue  Bahn- 
bestimmung durchfuhren  zu  können.  Diese  Hoffnung  wurde  aber 
getauscht,  und  keine  der  vielen  berechneten  Bahnen  reichte  hin,  die 
Bewegungsverhältnisse  dieses  interessanten  Stempaares  darzustellen. 
Als  Schur  seine  ersten  Untersuchungen  darüber  durchführte,  konnte 
er  bereits  ein  Verzeichnis  von  vierzehn  frühem  Bahnbestimmungen  zu- 
sammenstellen.^)  Seither  hat  sich  diese  Zahl  noch  bedeutend  vermehrt. 

Der  Vergleich  der  einzelnen  Elemente  lässt  sofort  erkennen, 
welche  bedeutenden  Unterschiede  sich  namentlich  bei  den  früher 
berechneten  Bahnen  finden.  Die  Beobachtungen  der  Jahre  1818  —1823 
und  1823 — 1827  zeigen  ein  so  verschiedenes  Verhalten,  dass,  je 
nachdem  auf  die  erstem  oder  die  letztem  das  grössere  Gewicht 
gelegt  wird,  die  Bahn  sehr  verschieden  ausfällt  Mit  dem  Hinzu- 
kommen der  spätem  Beobachtungen  tritt  natürlich  das  Gewicht 
der  frühern  mehr  und  mehr  zurück,  und  die  Elementensysteme  werden 
ähnlicher.    In   den  Umlaufszeiten   aber  bleibt  ein  auffallender  Gang. 

Da  infolge  dieser  merkwürdigen  Erscheinungen  70  Ophiuchi  ein 
Gegenstand  der  aufmerksamsten  ununterbrochenen  Beobachtung  war, 
so  konnte  Schur,  als  er  seine  2.  Untersuchung  begann,  über  eine 
stattliche  Anzahl  von  Beobachtungen  verfügen.  Unter  diesen  Um- 
ständen musste  es  natürlich  Wunder  nehmen,  dass  auch  diese  Bahn- 
bestimmung, welche  auf  ein  so  umfassendes  Material  gegründet  war, 
schon  nach  wenigen  Jahren  bedeutende  und  unerklärliche  Abweichungen 
im  Positionswinkel  zeigte.  Es  war  daher  sehr  naheliegend,  hier  den 
störenden  Einfluss  einer  dritten  unsichtbaren  Masse  zu  vermuten, 
worüber  sich  schon  bei  Mädler  eine  Äusserung  findet^  Wenn 
es  auch  nicht  bezweifelt  werden  kann,  dass  eine  Bahnbestimmung 
nach  den  Keplerschen  Gesetzen  wieder  die  grossen  Differenzen  ver- 
schwinden lassen  wurde,  so  ist  doch  damit  nicht  erklärt,  warum 
die  frühem  Bestimmungen,  speziell  die  Schursche,  dies  nicht  auch 
leisten,  nachdem  doch  das  Beobachtungsmaterial  nach  gewöhnlichem 
Massstabe  weitaus  ausreichend  wäre. 

Der  erste,  der  den  Versuch  machte,  die  Bewegungsverhältnisse 


*)  Afitron.  Nachr.  7L 
^  Astron.  Nachr.  19. 


Fixsterne.  121 

einer  dritien  Masse  in  diesem  Systeme  festzustellen,  war  Jacob, ^) 
doch  wurde  damals  wenig  Gewicht  darauf  gelegt  Erst  in  neuester 
Zeit,  als  sich  die  Abweichungen  von  der  Schurschen  Bahn  gezeigt 
hatten,  griff  See  wieder  auf  diese  Hypothese  zurück.  Danach  soll 
die  3.  Masse  in  einer  engen  Bahn  um  den  Hauptstem  kreisen  mit 
einer  Umlaufszeit  von  36  Jahren. 

Die  Elemente,  von  denen  See  ausging,  waren  durch  einen  An* 
schluss  an  die  Distanzen  allein  gewonnen  worden.^  Doolitüe,  der 
die  nötigen  numerischen  Rechnungen  durchführte,  machte  einen  zweiten 
Versuch,  indem  er  die  Elemente  aus  Distanzen  und  Positions- 
winkelngleichmässig  herleitete.  Er  fand  so  für  den  3.  Körper  eine 
etwas  längere  Periode.  Nach  den  Untersuchungen  von  Moulton*) 
ist  aber  die  Stabilität  dieses  Systemes  stark  in  Frage  gestellt,  da  sich 
die  lange  Umlaufszeit  mit  der  grossen  Masse,  die  der  3.  Körper 
haben  muss,  nicht  vereinbaren  lässl 

Bumham  hat  auch  bei  seinen  Nachforschungen  mit  dem  18-zolligen 
Dearborn-  und  dem  grossen  Lickrefraktor  von  einem  3.  Sterne  in  der 
Nähe  der  beiden  andern  nichts  entdecken  können. 

Dr.  Adalbert  Prey  hat  nun  abermals  versucht,^)  die  Anomalien  der 
Bewegung  in  diesem  Stemsysteme  durch  die  anziehende  Wirkung 
einer  dritten,  unsichtbaren  Masse  zu  erklären,  jedoch  macht  er  dabei 
die  Annahme,  dass  diese  3.  Masse  sich  nicht  um  eine  der  sicht- 
baren Komponeoten  des  Doppelstemes  bewegt,  sondern  um  den  Schwer- 
punkt beider  eine  Bahn  von  sehr  grossem  Halbmesser  beschreibt. 
Er  nimmt  diesen  Halbmesser  sogar  so  gross  an,  dass  die  Umlaufs- 
dauer des  3.  Körpers,  also  seine  Ortsveränderung,  überhaupt  nicht 
in  Betracht  kommt  Diese,  die  Rechnung  vereinfachende  Annahme 
lässt  die  Untersuchung  eigentlich  in  dem  Lichte  einer  Prüfung  der  Zu- 
lässigkeit  dieser  Hypothese  überhaupt  erscheinen,  führt  aber  schliesslich 
zu  einer  Bejahung  derselben.  In  späterer  Zeit  müssen  die  Rechnungen 
unter  den  jetzt  gewonnenen  Gesichtspunkten  wiederholt  werden. 

Nach  Aufstellung  der  zur  Berechnung  nötigen  Formeln  giebt 
Dr.  Prey  zunächst  eine  Zusammenstellung  der  bisher  vorliegenden 
Beobachtungen,  wobei  er  das  von  Schur  zusammengestellte  Material 
benutzt  und  es  durch  die  seitdem  gewonnenen  Beobachtungen  ver- 
mehrt Auch  für  die  Bahnelemente  wurde  das  von  Schur  berechnete 
System  als  Ausgangspunkt  gewählt  und  für  die  fernem  Rechnungen 
27  Normalpositionen  des  Begleiters  gebildet,  die  den  Zeitraum  von 
1790 — 1898  umfassen.  Nach  wiederholten  Ausgleichsrechnungen 
kommt  Dr.  Prey  zuletzt  zu  folgenden  Bahnelementen,  die  er  als 
definitive  bezeichnet: 


>)  Monthly  Noticee  15. 
*)  Astron.  Journal  16. 
*)  Astron.  Journal  20. 

«)  Denkschriften  d.  mathem.-naturwiss.  Klasse  d.  Kaiserl.  Akad.  d. 
Wies,  in  T^en  72.  p.  77  ff. 


122  Fixsterne. 

Halbe  grosse  Axe  der  Bahn a  =  4.4879" 

Exzentrizitätswinkel 9  =  29.372^ 

Neigung  der  Bahn  gegen  Himmelskugel »>o:  56.788* 

Positionswinkel  der  Knotenlinie i2=120.867<^ 

Winkel  zwischen  der  Apsiden-  und  der  Knotenlinie  .  w  =  169.771® 

Mittlere  jährliche  Bewegung  des  Begleiters    ....  /»«« 4.18568® 

Die  Umlaufszeit  des  Begleiters  beträgt  hiemach  87.1  Jahre. 
Dr.  Frey  giebt  nun  weiter  die  bei  Berechnung  der  Darstellung  ver- 
wendeten Werte  der  Störungen,  die  sich  aus  diesen  Elementen  ergeben, 
und  zeigt,  dass  die  Positionswinkel  genügend  dargestellt  werden, 
selbst  die  bedeutende  Abnahme  derselben  von  1897  auf  1900  spiegelt 
sich  in  der  Rechnung  wieder.  Weniger  gut  werden  die  Distanzen 
dargestellt,  und  es  muss  unentschieden  bleiben,  ob  diese  Abweichungen 
reell  sind  oder  nicht.  Was  die  3.  Komponente  des  Systemes  an- 
belangt, so  findet  Dr.  Prey  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  ein  von 
Secchi  und  DoolitÜe  beobachteter  Stern,  dessen  Eigenbewegung 
nahezu  gleich  der  des  Hauptstemes  von  70  Ophiuchi  erscheint,  diese 
3.  Komponente  sein  könnte.  Die  nächste  Aufgabe  wird  also  darin 
bestehen,  durch  Eigenbewegungs-  oder  Parallaxenbestimmungen  fest- 
zustellen, ob  dieser  Stern  wirklich  zum  Systeme  von  70  Ophiuchi  gehört 

Die  Bahn  des  Doppelsternes  ß  Delphini.  Dieser  von  Bum- 
ham  1873  entdeckte  sehr  enge  Doppelstem  hat  den  Beobachtungen 
zufolge  seit  jener  Zeit  bereits  einen  vollen  Umlauf  um  den  Schwer- 
punkt der  beiden  Komponenten  ausgeführt  Die  grösste  gemessene 
Distanz  beider  voneinander  ist  etwa  0.7",  die  geringste  0.2'',  so  dass 
für  die  stärksten  Femrohre  das  System  inuner  messbar  blieb.  Auch 
ist  dieser  Doppelstem  sehr  fleissig  beobachtet  worden,  und  selbst 
eine  Anzahl  von  Bahnberechnungen  darüber  liegt  vor.  Die  beiden  letzten 
derselben,  von  See  1895  und  von  Bumham  1898  veröffentlicht, 
stimmen  gut  überein  mit  Ausnahme  der  halben  grossen  Axe  der 
Bahn.  R.  G.  Aitken  hat  jetzt  eine  neue  Bahnberechnung  veröffentlicht,^) 
bei  der  er  sich  auf  neuere  Beobachtungen  besonders  von  Bumham 
und  Schiaparelli  stützen  konnte.  Indem  er  von  den  durch  See  be- 
rechneten Bahnelementen  ausging  und  alle  bessern  Beobachtungen 
mit  denselben  verglich,  leitete  er  6  Normalwerte  für  die  Positions- 
winkel des  Begleiters  in  dem  Zeiträume  von  1876 — 1899  ab  und 
fand  daraus  rechnerisch  folgende  Bahnelemente  desselben: 

Zeit  des  Periastrums 1888.10 

Umlaufsdauer 27.66  Jahre 

Exzentrizität 0.868 

Halbe  grosse  Bahnaxe 0.475 

Knoten 178.90«  . 

Neigung 60.90 

Winkel  der  grossen  Axe  mit  der  Knotenlinie      851.96. 

Der  Wert  für  die  scheinbare  Grösse  der  halben  grossen  Axe  der 
Bahn  wurde   aus   verschiedenen   Normalwerten  von  durch  Bunham, 

')  Astron.  Society  of  Pacific  1902.  No.  86.  p,  158. 


Fizgteme. 


128 


Bamard,  Schiaparelli,  Comatocki  Hussey  und  Aitken  gemessenen 
Distanzen  des  Begleiters  abgeleitet  Gemäss  diesen  Bahnelementen 
mnss  die  Distanz  des  Begleiters  vom  Hauptsteme  anfangs  1903  etwa 
0.48''  betragen,  dann  aber  bis  1907  auf  0.19"  abnehmen. 


Neue  spektposkopisehe  DoppelBterne.  Auf  der  Lickstem- 
warie  sind  mit  Hilfe  des  Millsschen  Spektrographen  weitere  6  Sterne 
mit  veränderlicher  Eigenbewegung  in  der  Gesichtslinie  zur  Erde  ent- 
deckt worden.  Dieselben  sind  also  spektroskopische  Doppelsteme, 
und  Prof.  W.W.  Campbell  macht  darüber  folgende  Mitteilungen.^)  Es 
bedeutet  dabei  —  Annäherung  an  die  Erde,  -|-  Entfernung  von  der- 
selben in  der  Sekunde. 

9  Persei  (a  =  Ih  37»,  8  =  +  W^  W) 

Die  veränderliche  Greschwindigkeit  dieses  Sternes  wurde  bei  der 
2.  Aufnahme  entdeckt 

Datum  Geschwindigkeit 

1898  September  5.  .  .       —  2  km 

1900  Dezember  16.  .  .       4-24    < 

1900  Dezember  16.  .  .       +2S    € 

1901  Oktober  15.  .  .       — 10   < 
1901  November  11.  .  .       -  12    < 

Das  Spektrum  des  Sternes  zeigt  helle  Wasserstofflinien,  von 
denen  Hß  von  Espin  zuerst  gesehen  worden  ist  Die  Linie  H^  kann 
vielleicht  am  treffendsten  beschrieben  werden  als  schmale  Absorptions- 
linie  mit  sehr  hellen  Rändern.  Die  Messungen  bezogen  sich  auf  die 
Mitten  der  dunklen  Linien. 

^  Geminonim  (a  =  6^  9».  ^  = -}- 22»  830 

Hierüber  liegen  folgende  Aufnahmen  und  Messungen  vor: 


Datum 

Geschwindigkeit 

1900  Januar  15.    ...    -f 

15.8  Am 

-         <       15.    . 

-. 

•14.0    ^ 

-         «       21.    . 

.. 

15.0    < 

1901  Oktober  13.  .    . 

-- 

-22.1    < 

—    November  6. 

■20.3    i 

—    Dezember  4. 

■22.8    < 

1902  Februar  2.    . 

,     -  - 

■25      < 

-            €         2.     . 

-. 

-28      < 

Die  veränderliche  Geschwindigkeit  wurde  auf  der  3.  Platte  ent- 

deckt 

r  Canis  minoris  (o  =  1^  28™,  ^  =  +  9«  80 

Folgende  Aufnahmen  und  Messungen  über  diesen  Stern  liegen  vor: 

Datum                        Geschwindigkeit 

1900  Oktober  29.  .    .    . 

-  -  44  ICM 

-          «29.. 

--44    < 

1901  November  6. 

--41    < 

—           1         6. 

--40   « 

—    Dezember  22. 

--54   . 

-           «         22. 

--68    « 

-           «         80. 

-^50 

K 

f)  Lickobservatory  Bulletin  No.  20. 


124  Fixsterne. 

C  Herculis  (a  =  Ißh  38m,  S  =  4.310  47)/ 
Im  Mai  und  Juni  1893  haben  Belopolslr)r  zu  Pulkowa,  Campbell 
auf  der  lickstemwarte  und  Newall  zu  Cambridge  die  radiale  Ge- 
schwindigkeit dieses  Sternes  spektrographisch  bestimmt  Die  Messungen 
Belopolskys  in  den  Monaten  Mai  und  Juni  1893  ergaben  im  Mittel: 
—  70.4  km.  Diejenigen  von  Campbell  im  April  1897,  sowie  im  Mai 
und  August  1898  lieferten  den  Wert  —  70.1,  endlich  die  von  Newall 
im  Juni  1897,  Mai  1898  und  April  1899  ergaben  im  Mittel  —  71.4  km. 
Diese  sämtlichen  Aufnahmen  zeigen  keine  Spur  von  Veränder- 
lichkeit der  Geschwindigkeit  des  Sternes.  Die  jüngsten  Beobachtungen 
auf  der  Lickstemwarte  ergaben  dagegen  folgendes: 

Datum  Geschwindigkeit 

1901  Juü  1 —74     km 

—  «     1 —73.9    « 

—  August  6.     ...    —  75.8    € 

1902  April  13 —74.2    c 

Mittel  —  74.6ÄW 
Demnach   hat  sich  die  Geschwindigkeit   des  Sternes   seit    1898 
um  4  km  geändert.    Dieser  Stern  ist  auch  ein  optischer  Doppelstem, 
dessen  Begleiter  etwa  33  Jahre  Umlaufsdauer  hat. 
o  Equulei  (a  =  211»  lim.  ^  =  +  4»  5O0 
Die  veränderliche  Geschwindigkeit  dieses  Sternes  wurde  gemäss 
der  dritten  der  nachstehend  erwähnten  Beobachtungen  erkannt: 

Datum  Geschwindigkeit 


1900  Juni  25.   .    .    . 

—  26  fem 

—    Juli  18.     .    .    . 

—  22    « 

1901  Juni  25.   .    .    . 

—    2     € 

—    September  1.     . 

—  14       € 

—    Oktober  15.  .    . 

—  12    c 

1902  Juni  2 

-26    € 

Der  Stern  hat,  wie  zuerst  Miss  Maury  gefunden,  ein  zusammen- 

gesetztes Spektrum. 

0  Andromedae  (a  =  22ii  57ni,  ^  =  +  41«  471 

Die  folgenden  Aufnahmen  undMessun 

gen  über  diesen  Stern  liegen  vor : 

Datum 

GeBohwindigkeit 

1900  Oktober  9.    .    .    . 

—  11  km 

—    Dezember  17.    . 

-15    « 

—            €          17.    .     . 

—  17       € 

1901  Juni  25.    .    .    . 

—  20   < 

—    August  12.   .    . 

—  12    « 

Die  Messungen  beziehen  sich  auf  die  ausgezeichnet  hervortretende 
Uy-Linie,  Wie  Miss  Maury  zuerst  gefunden,  hat  auch  dieser  Stern 
ein  zusammengesetztes  Spektrum.  Schliesslich  bemerkt  Prof.  Campbell: 
Vor  Entdeckung  von  38  spektroskopischen  Doppelsternen  mit  Hilfe 
des  Millsschen  Spektrographen  sind  drei  andere  von  Belopolsky  in  der 
nämlichen  Liste  von  Sternen  gefunden  worden,  im  ganzen  41  unter 
350  untersuchten  Fixsternen.  Das  Verhältnis  ist  also  ein  spektro- 
skopischer Doppelstern  auf  etwa  8  Sterne,  eingerechnet  die  vermutlich 
doppelten,  aber  noch  nicht  bestätigten  Sterne.  Hieraus  darf  man 
schliessen,  dass  möglicherweise  Sterne,  welche  keine  spektroskopischen 
Doppelsterne  sind,  zu  den  Ausnahmen  gehören. 


Fixsterne.  125 

Das  spektroskopische  Doppelsternsystem  Hizar.  Im 
Jahre  1901  hatte  Prof.  Vogel  der  Königl.  Preuss.  Akademie  der  Wissen- 
schaften eine  Abhandlung  vorgelegt,  in  welcher  aus  den  Messungen 
der  sich  zeitweise  verdoppelnden  Linien  im  Spektrum  des  Hauptstemes 
des  Doppelstemes  C  Ursae  majoris  (Mizar)  unter  der  Voraussetzung, 
dass  diese  Erscheinung  durch  einen  periodischen  Umlauf  zweier 
Sterne  mit  nahezu  gleichen  Spektren  gedeutet  werden  kann,  vorläufige 
Bahnelemente  dieser  Sterne  abgeleitet  worden  waren.  ^)  Die  früher 
aus  Beobachtungen  auf  der  Sternwarte  des  Harvard  College  ge- 
wonnenen Anschauungen  über  dieses  schon  längere  Zeit  bekannte 
spektroskopische  Doppelstemsystem  sind  durch  jene  zu  Anfang  1901 
am  Astrophysikalischen  Observatorium  zu  Potsdam  angestellten  Be- 
obachtungen wesentlich  umgestaltet  worden. 

Die  von  Prof.  Vogel  ausgeführten  Messungen  bezogen  sich  auf 
25  Spektrogramme,  die  zwischen  März  24.  und  Mai  1.  an  22  Abenden 
von  Dr.  Eberhard  und  Dr.  Ludendorff  mit  einem  neuen,  von  Vogel 
konstruierten  Spektrographen,  der  in  Verbindung  mit  dem  photo- 
graphischen Refraktor  des  Observatoriums  von  33  cm  Objektivöffnung 
gebracht  worden  war,  angefertigt  worden  sind.  Bei  den  ausser- 
ordentlich günstigen  Witterungsverhältnissen  im  Frühjahre  1901  konnten 
aber  bis  zum  23.  Juni  noch  weitere  30  Spektrogramme  an  eben- 
sovielen  Abenden  von  den  genannten  Astronomen  zu  Potsdam  auf- 
genommen werden,  deren  Ausmessung  dann  Geh.-Rat  Vogel  vor- 
genommen hat  Die  Resultate  dieser  Messungen,  über  die  er  nunmehr 
berichtet,  ^  geben  eine  schöne  Bestätigung  der  früher  erhaltenen, 
und  damit  haben  die  Beobachtungen  über  diesen  interessanten  Doppel- 
stem  einen  gewissen  Abschluss  erlangt  Erst  nach  Verlauf  grösserer 
Zeiträume  werden  genauere  Werte  über  die  Periodendauer  und  über 
etwaige  Veränderungen  im  Elementensysteme  erlangt  werden  können. 

Über  die  Aufnahmen  bemerkt  Prof.  Vogel,  dass  es  recht  schwierig 
gewesen  sei,  die  richtige  Expositionszeit  einzuhalten,  und  dass  nur 
bei  besonders  vorsichtiger  Entwickelung  schöne,  zur  Messung  ge- 
eignete Platten  erhalten  werden  konnten.  Die  mit  Ausnahme  der 
Wasserstofflinien  äusserst  zarten  Linien  im  Spektrum  würden  bei 
kraftiger  Entwickelung  leicht  überdeckt  Am  stärksten  sei  die 
Magnesiumlinie  3i  4481.  Wenn  die  Linien  doppelt  erscheinen,  pro- 
jizieren sie  sich  auf  dem  hellen  Spektralgrunde  des  Spektrums  des 
andern  Sternes  und  würden  dadurch  meist  so  schwach,  dass  die 
Messungen  grosse  Schwierigkeiten  bereiten.  Ausser  bei  den  Magnesium- 
linien sei  es  nur  noch  in  einzelnen  Fällen  bei  einigen  Eisenlinien 
gelungen,  Messungen  der  Linienabstände  auszuführen.  Wenn  die 
Spektra  nahezu  zusammenfallen,  so  treten  die  Linien  deutlicher  hervor, 
sind  aber  immer  etwas  verwaschen  und  bei  der  Messung  sehr  schwer 


*)  Vergl.  über  diese  Abhandlung  dieses  Jahrbuch  12.  ^.  97. 
*)  Societe  Hollandaise   du  Sciences  ä  Harlem  Extrait   des  Archives 
Keeriuidaises  des  sciences  exactes  et  naturelles  1901.  p.  661. 


126 


Fixsterne. 


aufzofaBsen.  Derartige  Aufnahmen  sind  nach  Vogel  zoi  Bestimmnng 
der  Bewegung  des  Systemes  in  der  Gesichtslinie  am  geeignetsten; 
die  zu  erlangende  Messungsgenauigkeit  sei  jedoch  im  Vergleiche  mit 
Messimgen  an  Platten  von  den  Spektren  anderer  Sterne,  die  mit  dem 
vorzüg^chen  Apparate  aufgenommen  worden  waren,  wenig  befriedigend. 
Prof.  Vogel  kann  nur  die  in  seiner  ersten  Publikation  über  Mizar 
über  diesen  Punkt  gemachte  Bemerkung  wiederholen:  >es  mag  das 
darin  begründet  sein,  dass  bei  der  nicht  vollkommenen  Deckung  der 
Spektra  die  Komponenten  verschiedener  Linienpaare  nicht  dieselben 
Intensitatsunterschiede  besassen,  dass  also  bei  einer  der  einfach 
erscheinenden  Linien  die  mehr  nach  Rot  gelegene  Komponente  die 
stärkere,  bei  einer  andern  Linie  die  mehr  nach  Violett  gelegene 
Komponente  die  stärkere  war  und  dadurch  eine  verschiedene  Auf- 
fassung der  Linienmitte  verursacht  wird.c 

Für   die   Bewegung  des  Systemes   in  der   Sekunde   relativ  zur 
Sonne  erhielt  Prof.  Vogel  folgende  Werte  aus  seinen  Messungen. 


Bewegnng 

Bewegung 

Datum 

relative 

Datum 

relatiTe 

1901 

ZOT  Sonne 

1901 

zur  Sonne 

km 

km 

April    5 
•       5 

—  15.5 

—  17.2 

April  27 
Mai    17 

—  12.7 

—  11.7 

.      16 

-16.9 

.       18 

—  11,5 

.      17 

—  18.0 

.      29 

—  16.8 

.      18 

—  17.9 

Juni     5 

—  12.7 

.     20 

-19.6 

.        6 

-12.6 

.     21 

—  14.7 

,        7 

-11.6 

.     23 

-16.1 

.        8 

—  10.8 

.     26 

-16.1 

.        9 
Mit 

—  11.4 

tel  -  14.2 

Über  die  Verschiedenheit  des  Aussehens  der  Komponenten  der 
Magnesiumlinie  auf  verschiedenen  Aufnahmen  hat  Prof.  Vogel  auch 
schon  in  dem  ersten  Berichte  über  die  Beobachtungen  von  Mizar 
gesprochen.  Die  weitem  Beobachtungen  haben  keine  Entscheidung 
darüber  bringen  können,  dass  die  Veränderungen  mit  der  Periode  in 
Zusammenhang  ständen. 

»Seltene,  sagt  Prof.  Vogel,  »sind  die  Komponenten  der  Magnesium- 
linie in  Bezug  auf  Intensität  und  Breite  gleich,  gewöhnlich  ist  die 
brechbarere  der  Komponenten  die  breitere;  nach  einer  Deckung  der 
Spektra  hat  mit  Bestimmtheit  kein  Wechsel  im  Aussehen  nach- 
gewiesen werden  können.  Unter  den  neuern  Beobachtungen  sind 
einige,  bei  denen  beide  Komponenten  wieder  doppelt  sind.  Die 
Linien  der  2  Linienpaare  sind  dann  sehr  scharf  und  schmal  Die 
Ungleichheiten  als  zufällige  Veränderungen  im  Korne  der  photo- 
graphischen Schicht  anzusehen,  scheint  wohl  ausgeschlossen,  da  die 


Fixsterne.  127 

Ungleichheiten  im  Aussehen  der  Magnesiumlinien  sich  auch  zuweilen 
in  demselben  Sinne  bei  einigen  Eisenlinien  zeigen,  freilich»  wegen 
der  Schwäche  derselben,  nur  mit  geringer  Sicherheit.  Es  scheint 
mir  aber  die  Annahme  nicht  ausgeschlossen,  dass  bei  den  stark 
▼ariierenden  Abständen  der  beiden  Körper  bei  ihrer  Bewegung  um 
einander  (16 — 51  Millionen  km)  gegenseitige  Störungen  in  den 
Atmosphären  der  Weltkörper  entstehen,  die  zeitweilig  Umkehrungs- 
erscheinungen oder  Verbreiterungen  zur  Folge  haben,  c 

Aus  dem  Vorstehenden  geht  zur  Genüge  hervor,  dass  die 
Messungen  aussergewöhnlich  schwierig  sind,  und  Prot  Vogel  schätzt 
ans  der  Übereinstimmung  der  einzelnen  Beobachtungen  deren  Sicher- 
heit auf  J^  5  km, 

»Die  Periode  ergiebt  sich  aus  sämtlichen  Beobachtungen  0.1  Tag 
kleiner,  als  nach  den  ersten  Beobachtungen  angenommen  worden  war. 
Sie  wird  wahrscheinlich  zwischen  20.5^  und  20.6^  gelegen  sein, 
und  unter  dieser  Annahme  und  der  Voraussetzung,  dass  die  auf 
dem  Astrophysikalischen  Observatorium  zu  Potsdam  1889  Mai  25.49 
und  1890  Juli  9.45  erhaltenen  Spektrogramme  von  Mizar,^)  auf  denen 
die  Magnesiumlinie  X  4481  scharf  erscheint  und  noch  mehrere 
schmale  Linien  zu  erkennen  sind,  nicht  weit  von  der  Zeit  der  Deckung 
der  Spektra  erhalten  wurden,  lässt  sich  ein  Anschluss  an  die  frühern 
Beobachtungen  machen.  Die  9  Beobachtungen  aus  den  Jahren  1889 
mid  1890  stinmien  unter  sich  und  im  Anschlüsse  an  die  Zeit  der 
Deckung  der  Spektra  1901  Aprü  7.7  mit  der  Periode  20.55*  gut 
überein.  c 

Mit  Benutzung  der  sämtlichen  Beobachtungen  und  unter  An- 
nahme der  Periodendauer  zu  20.5*  ergiebt  sich  nach  der  Methode 
von  Lehmann-Filhes  nachstehendes,  von  Dr.  Eberhard  berechnetes 
Elementensystem,  das  nur  wenig  von  dem  früher  abgeleiteten  abweicht: 

T«  »  1901  März  28.82  m.  Zt.  Potsd.  (Relat.  Bew.  im  Visionsradius  =  0). 

T  ==  1901  März  29.01. 

Exzentrizität  der  Bahn  =  0.521. 

Halbe  grosse  Aze  der  Bahn  =  83  Millionen  km. 

Gesamtmasse  beider  Sterne  =  3.6  Sonnenmassen. 

Ist  die  Bahnebene  gegen  die  Gesichtslinie  geneigt,  so  sind  die 
wahren  Dimensionen  entsprechend  grösser. 

Der  spektroskopische  Doppelstern  ß  Cephei.     Auf  der 

Terkesstemwarte  wurden  während  des  letzten  Winters  von  W.  S. 
Adams  am  Brucespektrographen  Photogramme  von  ß  Cephei  er- 
halten, über  deren  Ausmessung  durch  Adams  und  Edwin  B.  Frost 
letzterer  berichtet*) 

Das  Spektrum  ist  im  allgemeinen  ein  solches  des  Oriontypus 
Vogels  Klasse  Ib  oder  Miss  Maurys  Klasse  III  a,  von  welcher  Gruppe 

^)  PubL  des  Astrophys.  Obs.  7  I.  Teil  p.  144. 

*)  Astrophys.  Journal  1902  June.  15.  No.  5  p.  340. 


128  Fixsterne. 

das  Spektrum  des  Sternes  ß  Ganis  minoris  als  typisch  betrachtet 
werden  kann.  Die  HaupÜinien  des  Spektrums  auf  den  obigen  Platten 
gehören  dem  Sauerstoff,  Silicium,  Helium  und  Magnesium  an  und 
sind  ziemlich  breit,  obgleich  schärfer  als  in  manchen  Untergruppen 
dieses  Sterntypus.  Die  Messungen  von  6  Platten,  die  in  der  Zeit 
vom  18.  Dezbr.  1901  bis  zum  16.  April  1902  aufgenommen  wurden, 
lieferten  für  die  Geschwindigkeit  des  Sternes  in  der  Gesichtslinie 
zur  Erde  Werte,  die  zwischen  —  4  und  +  20Ä»i  pro  Stunde  schwanken. 
Es  kann  also  kein  Zweifel  bestehen,  dass  diese  Geschwindigkeit  ver- 
änderlich ist,  d.  h.  dass  der  Stern  sich  in  kurzer  Periode  um  einen  ihm 
benachbarten  Punkt  bewegt,  also  ein  spektroskopischer  Doppelstern  ist. 
Um  die  Dauer  seiner  Umlaufsbewegung  zu  ermitteln,  hat  Prof.  Frost 
noch  5  Platten  ausgemessen,  die  in  der  Zeit  vom  23.  April  bis 
23.  Mai  erhalten  worden  sind.  Dieselben  ergaben  das  merkwürdige 
Resultat,  dass  am  14.  Mai  innerhalb  5.5  Stunden  die  sekundliche 
Geschwindigkeit  des  Sternes  sich  von  —  2.2  bis  —  16.3  km  änderte, 
so  dass  die  Umlaufsperiode  nur  kurz  sein  kann,  doch  müssen  neue 
Aufnahmen  gemacht  werden,  um  für  die  Dauer  derselben  einen  be- 
stimmten Wert  angeben  zu  können. 

Die  Bewegrung  von  %  Cygrnl  in  der  Gesichtslinie  zur 
Erde.  Auf  dem  Astrophysikalischen  Observatorium  zu  Potsdam  hat 
Dr.  G.  Eberhard  am  dortigen  32.5  zentimetrigen  photographischen 
Refraktor  diese  Bewegung  mit  einem  vorzüglichen  Spektrographen 
untersucht^)  Dieser  veränderliche  Stern  hat  ein  recht  schwaches  Ab- 
sorptionsspektrum, über  welches  ein  Emissionsspektrum  aus  den  sehr 
hellen  Wasserstoff-  und  einigen  schwachem  Eisenlinien  gelagert  ist. 
Es  wurden  die  hellen  H}/-Linien  und  die  Eisenlinien  X  4308  gemessen. 
Auf  Grund  dieser  kommt  Dr.  Eberhard  zu  dem  Ergebnisse,  dass  die 
Bewegung  desjenigen  Teiles  von  %  Cygni,  welcher  helle  Linien  besitzt, 
konstant  gleich  — 20  /;m  in  der  Sekunde  relativ  zur  Sonne  ist.  Die 
Bewegung  des  Teiles,  welcher  das  kontinuierliche  Spektrum  mit  dunklen 
Linien  besitzt,  ergab  sich  zu  -|-  2.4  km.  Dr.  Eberhard  fügt  noch 
hinzu:  »Sehr  bemerkenswert  ist,  dass  %  Cygni  das  gleiche  Verhalten 
wie  o  Ceti  zeigt,  nämlich  dass  bei  beiden  Sternen  das  Emissions- 
spektrum eine  Verschiebung  nach  Violett  gegen  das  Absorptions- 
spektrum hat,  während  es  bei  den  neuen  Sternen  umgekehrt  zu  sein 
pflegt  Von  X  Cygni  sind  1899  Juni  1  (90  m  Exposition)  und  Juni  9 
(150  m  Exposition)  von  Dr.  Ludendorff  und  mir  2  Aufnahmen  ge- 
macht worden,  die  Hy,  H<J,  Hf,  H#,  H*  hell  zeigen,  Hc  fehlt  in- 
folge der  starken  Calciumabsorption.  Hd  ist  bei  weitem  die  stärkste 
Linie.  Zu  diesen  kommt  noch  eine  helle  Linie  mit  der  Wellenlänge 
3905.8  hinzu,  welche  also  mit  der  Hauptlinie  des  Bogenspektrums 
von   Silicium  3905.7  (Rowland)   koinzidiert     Ich   habe   diese  inter- 


M  Astron.  Nachr.  No.  3769. 


Fixsterne.  129 

essante  Thatsache  weiter  verfolgt  und  gefunden,  dass  auch  in  einer 
von  Dr.  Ludendorff  und  mir  gefertigten  Spektralaufnahme  von  Mira 
Ceti  aus  dem  Jahre  1899  diese  Linie  vorkami  wie  sie  auch  zweifellos 
in  altem  Aufnahmen  dieses  Sterns  von  Vogel  gemessen  worden  ist 
(1  3906).  Dass  die  helle  H^-Ldnie  nicht  vorhanden  war,  obwohl 
Miss  Maury  dieselbe  konstatiert  hat,  ist  darauf  zurückzuführen,  dass 
sowohl  für  den  photographischen  Refraktor,  als  auch  für  den  eben 
erwähnten  Spektrographen  Licht  dieser  Wellenlänge  zu  weit  ab  vom 
Fokus  der  sonst  benutzten  Spektralgegend  (Ry  bis  H^)  vereinigt  wird. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  anführen,  dass  die  hellen  Linien 
Uy^  Hd  und  Fe  X  4308  ihre  Intensitäten  in  verschiedener  Weise 
änderten.  Von  August  2  bis  September  19  ist  Hd  beträchtlich 
heller  als  Hy,  von  Oktober  3  bis  Oktober  15  sind  H^  und  Rd  wenig 
voneinander  verschieden,  Oktober  26  sind  sie  einander  gleich,  No- 
vember 9  und  23  ist  Ey  heller  als  US. 

Die  Fe-Linie  X  4308  nimmt  dagegen  an  Helligkeit  zu,  je  schwächer 
der  Stern  wird.  Während  sie  August  24  und  31  bei  einer  Exposition 
von  60  Minuten  noch  nicht  vorhanden  war,  tritt  sie  von  September  7 
an  bei  gleich  langer  Belichtung  schon  hervor,  und  in  dieser  Stärke 
etwa  blieb  sie  bis  zur  letzten  Platte,  auf  welcher  sie  mit  Uy  gleich 
hell  ist.  Die  andern  hellen  Fe -Linien,  z.  B.  X  4202,  waren  bei  den 
gewählten  Belichtungszeiten  nur  äussert  schwach  sichtbar,  jedenfalls 
nicht  messbar.«  Die  bisher  erhaltenen  Resultate  veranlasste  Dr.  Eber- 
hard, die  spektrographischen  Untersuchungen  über  x  ^Yff^  auch  in 
der  nächsten  Erscheinung  fortzusetzen. 


Sternhaufen  und  Nebelflecke. 
Der  allsremelne  HelligkeltselndFuck  von  Sternhattfen. 

Die  Frage,  wie  weit  die  beobachtete  Gesamthelligkeit  eines  Stemhaofens 
(Comiiliis)  durch  Summierung  der  Helligkeiten  der  einzehien  Sterne,  welche 
denselben  bilden  daigestellt  werden  kann,  ist  von  Dr.  J.  Holetschek  ein- 
g^end  behandelt  worden.^) 

Zar  Bestimmung  des  Helligkeitseindrackes  eines  Sternhaufens  bietet 
sieb,  wie  Dr.  Holetschek  einleitend  hervorhebt,  die  bekannte  Wahrnehmung 
dar,  dass  mehrere  Sterne,  falls  sie  einander  hinreichend  nahestehen,  für  das 
Auge  als  ein  einziges  Objekt  erschemen  können,  zu  welcher  noch  die  andere 
hinsalritt,  dass  auch  schwächere,  einzeln  nicht  sichtbare  Sterne  wenijgstens 
in  ihrer  Yereinigung  gesehen  werden  können,  falls  sie  nicht  nur  hinreichend 
nahe  aneinander  stehen,  sondern  auch  genügend  zahlreich  sind.  Diese  Er- 
Hcheinung  lässt  sich  zur  Bestimmung  des  Helligkeitseindruckes  in  der  Weise 
benutzen,  dass  man  den  Cumulus  mit  dem  schwächsten  optischen  Instru- 
mente, in  welchem  er  noch  sichtbar  ist,  eventuell  auch  mit  blossen  Augen 


>)  Mathem.-  natnrw.  Klasse  der  Kais.  Akad.  der  Wissensch.  in  Wien 
Dezember  1901.  110.  Abt  Ha. 

Klein,  JahrbaehXm.  9 


130  Sternhaufen  und  Nebelflecke. 

betrachtet  und  diejenigen  Fixsterne  angiebt,  welche  so  leicht  oder  so  schwer 
wie  der  Cumulus  gesehen  werden  können.  Auch  die  Verschiedenheit  der 
Schärfe  der  Augen  liefert  noch  eine  Fortsetzung  der  Skala,  denn  was  vom 
Femrohre,  gilt  in  dieser  Beziehung  auch  vom  Auge:  Ein  schärferes  unter- 
scheidet oder  trennt,  ein  schwächeres  unterscheidet  nicht,  sondern  vermengt, 
trennt  nicht,  sondern  vereinigt  Infolgedessen  ist  ein  schwächeres  Auge 
im  Stande,  auch  von  relativ  weit  ausgebreiteten  Sternhaufen,  z.  B.  von  der 
Plejadengruppe,  ja  sogar  von  der  Coma  Berenices  oder  von  den  Sternen  im 
Kopfe  der  Hydra,  den  GesamtheUigkeitseindruck  wenigstens  angenähert  zu 
bestimmen.  Es  brauche,  fährt  er  fort,  aus  diesem  Grunde  aucn  gar  nicht 
zu  überraschen,  dass  ein  schwächeres  Auge  einen  Sternhaufen  im  allgemeinen 

grösser  sehe,  allerdings  minder  deutlich,  als  ein  schärferes;  es  zeifft  sich, 
ier  dasselbe,  was  bei  der  Betrachtung  eines  Kometenkemes  mit  Instru- 
menten von  verschiedener  optischer  Kraft  beobachtet  wird.  Mit  stärkerem 
Instrumente  und  starkem  Vergrösserungen  lassen  sich  von  dem  Keme  mehr 
Hüllen  trennen,  und  man  sieht  ihn  deshalb  kleiner  als  mit  einem  schwachem, 
das  die  Hüllen  mit  dem  Keme  zu  einem  einzigen,  viel  ansehnlichem  Körper 
vereinigt 

Beim  Beobachten  eines  Sternhaufens  mit  successive  schwachem  In- 
strumenten rücken  die  Sterne  optisch  immer  näher  zusammen  und  ver- 
einigen sich  schliesslich  zu  einem  einzigen  Gestime.  Doch  werden  solche, 
die  zu  weit  abstehen,  zu  lichtschwach  oder  zu  wenig  zahlreich  sind,  in 
schwachem  Instmmenten  unsichtbar,  ohne  sich  früher  untereinander  oder 
mit  andem  Stemen  zu  einem  einzigen  Objekte  vereinigt  zu  haben;  diese 
Steme  dürfen  also  bei  der  Berechnung  der  Gesamthelligkeit  eines  Cumulus 
aus  den  einzelnen  Stemen  nicht  mitgezählt  werden,  sondem  nur  diejenigen, 
welche  zum  Gesamthelligkeitseindrucke  thatsächlich  beitragen. 

Wie  weit  zwei  oder  mehrere  Steme  voneinander  abstehen  dürfen,  da- 
mit sie  noch  als  ein  einziges  Objekt  erscheinen  können,  hängt  von  ihrer 
Helligkeit,  von  der  Schärfe  der  Augen  oder  des  optischen  Instramentes  und 
schliesslich  auch  vom  Luftzustande  ab.  So  z.  B.  sind  die  Steme  a^  und  a, 
Gapricomi,  welche  die  Helligkeiten  4.7 1^  und  8.8  m  besitzen,  von  Heis,  dessen 
Auge  von  besonderer  Schärfe  war,  stets  getrennt,  von  Argelander  dagegen, 
dessen  Auge  nur  von  mittlerer  Schärfe  war,  als  ein  einziges  Gestirn  3.  bis 
4.  Gr.  gesehen  worden.  Die  2  Steme  4  und  5  Lyrae  sind  von  Heis  nur 
bei  reiner  Luft  getrennt  gesehen  worden.  Es  können  aber  auch  Steme,  die 
weiter  voneinander  abstehen,  als  ein  einziges,  zusammenhängendes  Objekt 
erscheinen,  wenn  ein  zwischenliegender  Stern  von  hinreichender  Helligkeit 
gewissermassen  eine  verbindende  Brücke  bildet.  So  ist  in  der  von  Houzeau 
imter  den  mit  blossen  Augen  nicht  auflösbaren  Sternhaufen  u.  a.  auch  die 
Yereinigunff  der  Steme  4  und  5  Vulpeculae  angeführt,  die  mehr  als  20^  von- 
einander aibstehen  und  in  der  Uranometria  nova  von  Argelander  und  im 
Atlas  coelestis  novus  von  Heis  einzeln  angegeben  sind;  es  scheint  hier, 
dass  die  Vereinigung,  also  eigentlich  das  undeuüiche  Sehen,  durch  einen 
etwas  seitlich  von  der  Verbindungslinie  stehenden  Stem  6.  bis  7.  Gr.  ver- 
ursacht worden  ist 

Zur  Berechnung  der  Helligkeiten  der  Steme  verschiedener  Grössen- 
klassen  geht  Dr.  Holetschek  von  der  gegenwärtig  allgemein  angenommenen 
Voraussetzung  aus,  dass  jede  folgende,  schwächere  Klasse  der  Stemgrössen  V4 

(genau  ^  ^  \  der  Intensität  der  vorhergehenden  hat  Er  setzt  die  Inten- 
sität eines  Stemes  O.Qm  Mer  also  eine  Grössenklasse  heller  ist  als  ein  Stern 
1 .  Gr.)  gleich  1  und  berecnnet  nun  zunächst  die  verhältnismässigen  Inten- 
sitäten der  Steme  bis  zur  12.6  Grössenklasse.  Aus  der  von  ihm  gegebenen 
ausführlichen  Tabelle  mögen  hier  folgende  Helligkeiten  für  einige  Grössen- 
klassen  der  Steme  hervorgehoben  werden. 


Sternhaufen  und  Nebelflecke.  131 


0.  Grösse: 

Intensitäl 

,  =  1 

1.   » 

=  0.89811 

2.   » 

=  0.15849 

8.   » 

^  0.06810 

4.   » 

=  0.02512 

5.   » 

«.  0.01000 

6.   » 

»»0.00698 

7.   » 

»  0.00158 

8.   » 

»0.00068 

9.   » 

=  0.00026 

10.   » 

=  0.00010 

11.   » 

=  0.00004 

12.5  > 

=  0.00001 

Man  ersieht,  beiläufig  bemerkt,  aus  dieser  Tabelle,  dass  ein  Stern  der 
noimaien  1.  Gr.  hundertmal  mehr  Lichtintensität  besitzt  als  ein  solcher 
6.  Gr.,  und  dieser  hundertmal  mehr  als  ein  Stern  11.  Gr. 

Dr.  Holetschek  betrachtet  nun  zunächst  einige  Gruppen,  welche  in  den 
Karten  von  Argelander  und  Heis  als  Sternhaufen  (Cumulus)  verzeichnet  sind, 
die  aber  in  Wirklichkeit  nur  Gruppen  von  sehr  wenigen  und  wahrscheinlich 
physisch  gar  nicht  zusammengehörenden  Sternen  sind.  Hierzu  gehört  die 
Gruppe  im  Einhorn  (o  =  6*»  17™, ^  =  4- 11.1"),  die  Gruppen  in  den  Jagd- 
hunden a  =  12li  28m ,  9  =4-  87.2»  und  a  =  12^  8  m ,  J  =  -i-  47.9»  in  der 
Schlange  (a  =  151^  48» ,S  =  +  9.7»). 

^^h  diesen  stemarmen,  vielleicht  nur  zufäUigen  Gruppen  untersucht 
er  nun  einige  von  den  eigentlichen  Sternhaufen  bezüjy;lich  aer  Berechenbar- 
keit ihrer  Helligkeit,  darunter  hauptsächlich  die  bei  Argelander  und  Heis 
vorkommenden,  also  schon  für  das  blosse  Ange,  wenn  auch  zum  Teile  nur 
unter  besonders  günstigen  umständen  sichtbaren  Sternhaufen. 

Dem  Zuge  der  Milchstrasse  in  der  Richtung  von  Nord  nach  Süd 
folgend,  beginnt  Holetschek  mit  dem  nördlichsten  der  bei  Argelander  und 
Heis  vorkommenden  Sternhaufen,  nämlich  mit  dem  im  Camelopard,  General- 
katalog No.  802  (a  =  8li  50m ,d  =  +  €2.1%  Seine  Helligkeit  ist  nach  den 
Messungen  der  Harvard  Photometry  6.15  m,  nach  den  Schätzungen  5.5  m. 
Was  die  einzelnen  Sterne  anbelangt,  so  ist  der  hellste  derselben  der  Doppel- 
8teni^485,  dessen  GesamtheUigkeit  6.27  m  ist.  Dieser  giebt  in  Verbindung 
mit  seiner  nähern  Umgebung,  zu  welcher  nebst  mindestens  12  Sternen  9. 
bis  10.  Gr.  noch  ein  5'  abstehender  Stern  8.8m  und  ein  T  abstehender 
8.0m  gerechnet  werden  kann,  als  Helligkeitssumme  5.9  m  und  noch  mehr,  also 
schon  eine  zur  Erkennbarkeit  für  das  blosse  Auge  hinreichende  Helligkeit. 
Unter  Zuziehung  eines  20'  abstehenden  Sternes  (7.um)  erhält  man  5.6m ,  nnd 
damit  ist  die  aus  Schätzungen  abgeleitete,  grössere  Helligkeit  schon  so 
weit  eireicht,  dass  es  nicht  mehr  nötig  erscheint,  auch  noch  andere  Sterne 
in  Betracht  zu  ziehen. 

Eine  ausgedehntere  Untersuchung  widmet  Dr.  Holetschek  dem  grossen 
Doppelcumolus  im  Perseus  h  und  z  Persei.    Position  für  1900 : 
a  =  2h  12m,  ^  =  4- 56.7« 
und  a  =  2li  15m,  ^  =  4-  56.7* 
Distanz  der  beiden  Sternhaufen  von  Mitte  zu  Mitte  ungefähr  25'. 

Nach  Houzeau  liegt  die  Helligkeit  emes  jeden  dieser  beiden  Stern- 
haufen zwischen  5.  und  6.  Gr.,  so  dass  also  in  dieser  Beziehung  zwischen 
ihnen  kein  erheblicher  Unterschied  wäre.  Nach  den  Schätzungen  in  der 
Harvardphotometry  ist  die  Helligkeit  des  vorangehenden  h  5.0m ,  <iie  des 
nachfolgenden  %  5.dm ,  also  der  vorangehende  auffallender  als  der  nach- 
folgende. Diese  Differenz,  sagt  Holetschek,  zeigt  sich  besonders  bei  ungün- 
stigen Sichtbarkeitsverhältnidsen,  also  z.  B.  bei  tiefem  Stande,  indem  hier 
der  nachfolgende  mehr  geschwächt  erscheint  als  der  vorangehende,  und  man 
kann  für  jede  der  beiden  Komponenten,  namentlich  wenn  die  Randpartien 

9» 


182  Sternhaufen  und  Nebelflecke. 

mitgerechnet  werden,  so  dass  jeder  Gumulus  unter  einem  Durchmesser  vod 
etwa  20'  erscheint,  auch  eine  bedeutendere  Helligkeit  ansetzen,  und  di» 
beiden  Sternhaufen  erscheinen,  insbesondere  bei  klarer  Luft  und  grosser 
Höhe,  durch  die  Angaben  4.3m  und  4J7^  noch  immer  nicht  zu  hell  geschätzt. 

Dr.  Holetschek  untersucht  nun,  durch  welche  Sterne  und  durch  welche» 
Areal  diese  Helligkeitsangaben  dargestellt  werden  können. 

Zu  dieser  Untersuchung  hat  er  für  h  Persei  hauptsächlich  die  Arbeit 
von  Oertel,^)  für  %  Persei  die  von  Vogel ^  benutzt.  Die  erstere  erstreckt 
sich  auf  126  Sterne,  unter  denen  2  Sterne  6.5m,  1  Stern  6.6m,  3  Sterne 
von  7.1nL_7.7m,  8  Sterne  von  8.1m— 8.9m,  51  Sterne  von  9.0m— 9.9m, 

41  Sterne  von  10.0m— 10.8m  und  20  Sterne  von  11.0m— 12.5m  sind,  die 
letztere  auf  176  Sterne,  unter  denen  man  1  Stern  6.6  m,  1  Stern  7.7  m,  9  Stern» 
von  8.0m— 8.9m,  24  Sterne  von  9.0m— 9.9m,  59  Sterne  von  10.0m— 109m, 

42  Sterne  von  11.0m  bis  11.9m  und  40  Sterne  von  12.0m— I3.2m  findet. 
Addiert  man  die  Helligkeiten  dieser  Sterne,  so  erhält  man  als  Helligkeits- 
summe für  h  Persei  4.(5m,  für  x  Persei  4.4m,  und  damit  erscheint  zunächst 
bestätigt,  dass  der  letztere  Sternhaufen  weniger  hell  ist  als  der  erstere. 

Holetschek  führt  nun  die  Untersuchung  unter  Ausschluss  der  Sterne, 
die  wegen  ihrer  grossem  Distanz  oder  isolierten  Stellung  bei  der  Sichtbar- 
keit des  Gumulus  für  das  blosse  Auge  nicht  mitwirken,  nochmals  durch. 

Bei  h  Persei,  sagt  er,  bietet  sich  als  eine  inniger  zusammenhängende 
Gruppe  diejenige  dar,  welche  von  der  anscheinend  dichtesten  Stelle  einer- 
seits bis  6',  anderseits  bis  zu  8'  absteht.  Sie  hat  einen  Durchmesser  von 
10—14',  und  zwar  findet  man  hier  78  Sterne  mit  Helligkeiten  von  6.5™» 
bis  12.5  m,  und  die  Summe  dieser  Helligkeiten  ist  nach  der  Rechnung  4.6  m^ 
Berücksichtigt  man  nur  die  88  Sterne  von  6.5  m— 9.8m,  so  erhalt  man 
4.85m  und,  wenn  man  nur  die  28  Sterne  von  6.5 m~  9.5m  in  Rechnung, 
zieht,  den  noch  immer  beträchtlichen  Wert  5.0m.  Durch  diese  Zahl  er- 
scheint die  in  der  Harvardphotometry  für  h  Persei  angegebene  Helligkeit 
vollständig  dargestellt. 

Anders  ist  es  in  dieser  Beziehung  bei  %  Persei.  Hier  sind  die  Sterne 
der  dichtem  Partie  wesenüich  schwächer,  indem  selbst  der  ansehnlichste 
nur  die  Helligkeit  8.8  m  hat,  und  die  Sununierang  der  11  heUsten  (8.8  m  bis 
9.6  m)  bloss  6.3  m  giebt.  Man  muss  daher,  um  die  Auffälligkeit  dieses  Gumulus 
für  das  blosse  Auge  darstellen  zu  können,  auch  nocn  weiter  entlegene 
Steme,  insbesondere  den  mehr  als  6'  nördlich  stehenden  hellsten  Stem  6.6  m 
und  die  nordöstlich  stehenden  Steme  7.7  m  und  8.0m  üi  Rechnung  ziehen 
und  wird  dadurch  auf  ein  Gebiet  von  12' — 15'  Durchmesser  geführt. 
Nimmt  man  die  genauere  Abgrenzung  des  in  Rechnung  zu  ziehenden  Ge- 
bietes in  der  Weise  vor,  dass  an  den  Rändern  entweder  nur  helle  Steme 
oder  Grappen  von  schwächern  Sternen,  also  in  keinem  Falle  vereinzelte 
schwächere  Steme  stehen,  so  fallen  von  den  auf  der  Elarte  von  Vogel  dar- 
gestellten 176  Stemen  73  weg,  und  die  übrigbleibenden  108  Steme  geben 
als  Helligkeitssumme  4.8  m.  Scbliesst  man  unter  diesen  die  80  schwachem 
aus,  so  geben  die  jetzt  noch  übrigbleibenden  28,  nämlich  die  Steme  von 
7.7m— 9.6m  in  Verbindung  mit  dem  hellsten  Steme  6.6m  als  Helligkeits- 
summe 5.1m.  Um  die  in  der  Harvardphotometry  für  %  Persei  angegebene 
Helligkeit  5.8  m  zu  erhalten,  braucht  man  nur  die  14  Steme  von  6.6m  bis 
9.0m  in  Rechnung  zu  ziehen.  Damit  erscheint  auch  die  allgemeine  Angabe, 
dass  die  Helligkeit  von  %  Persei  zwischen  der  5.  und  6.  Gr.  hegt,  dargestellt. 


^)  Neue  Beobachtung  und  Ausmessung  des  Stemhaufens  88^  Persei 
am  Münchener  grossen  Refraktor  von  K.  Oertel.  Neue  Annalen  der  k.  Stern- 
warte in  Bogenhausen  bei  München,  2. 

*)  Der  Stemhaufen  %  Persei,  beobachtet  am  8-zolligen  Refraktor  der 
Leipziger  Stemwarte  von  H.  C.  Vogel.    Leipzig  1878. 


Sternhaufen  und  Nebelflecke.  133 

Nahe  zu  demselben  Resultate  führt  auch  die  Beobachtung  dieses 
Steinhaufens  von  Pihl.^) 

Wenn  nun,  fährt  Dr.  Holetschek  fort,  so  wie  bei  h  Persei  auch  hier 
bei  X  Persei  untersucht  wird,  durch  welche  Sterne  der  Haupthelligkeits- 
eindrack  des  Cumulus  bewirkt  wird,  so  zeigt  sich,  dass  dies  durch  die 
Vereinifi;ung  des  Lichtes  der  dichtem  Partie  (6.8  m)  mit  dem  des  Sternes  6.6  m 
geschieht.  Die  Helligkeitssumme  dieser  ein  Gebiet  von  etwa  8'  umfassenden 
Vereinigung  ist  demnach  5.7  m,  und  auch  von  dieser  Zahl  kann  man  sagen, 
dass  sie  die  Angabe,  die  Helligkeit  des  Cumulus  liege  zwischen  der  6.  und 
6.  Gr.,  darstellt.  Die  andern  Sterne  tragen  zum  Hem^keitseindrucke  haupt- 
sächlich nur  in  der  Weise  bei,  dass  sie  den  Cumulus  für  das  Auge  zu  einem 
verschlungenen  Stemgewebe  machen. 

Nach  diesen  Darlegungen  erschemt  die  hellste  Partie  bei  %  Persei  auf 
«ine  grössere  Fläche  verteilt  als  bei  h  Persei,  hat  aber  eine  geringere 
Fiächenhelli^eit 

Südlich  von  dem  grossen  Doppelcumulus  steht  im  Perseus  noch  ein 
anderer,  dem  blossen  Auge  erkennbarer  Sternhaufen,  nämlich  G.  K.  584 
(M.  34).    Position  für  1900: 

a  =  2Ii86m.  ^=  +  42.3«, 
dessen  Helligkeitseindruck  nicht  weit  von  5.7  m  ist.  In  diesem  Cumulus 
sind  von  Pinl')  85  Sterne  beobachtet  worden.  Diese  würden  den  ange- 
gebenen Grössen  zufolge  (7.2m— 10.7  m),  zusammen  einen  Stern  von  der 
Helligkeit  4.4m  Uefem.  Da  diese  Helligkeit  im  Vergleiche  mit  der  be- 
obachteten viel  zu  gross  ist,  so  können  bei  der  Sichtbarkeit  des  Cumulus 
für  das  freie  Auge  nicht  alle  diese  Sterne  mitwirken,  und  es  zeigt  sich  in 
der  That,  dass  das  in  Rechnung  zu  ziehende  Gebiet  bis  auf  etwa  7*  Durch- 
messer eingeengt  werden  darf.  Man  findet  hier  13  Sterne  mit  Helligkeiten 
von  7.7m — 10.3m,  und  die  Summierung  derselben  giebt  5.6m.  Die 
schwachem  Sterne  sind  aber  hier  so  wenig  und  stehen  so  isoliert,  dass 
sie  zum  Gesamthelligkeitseindmcke  so  gut  wie  gar  nichts  mehr  beitragen 
and  daher  von  der  Rechnung  ausgeschlossen  werden  können.  Werden 
demgemass  nur  die  neun  heUem  Sterne,  nämlich  2  Sterne  7.7  m,  2  Sterne 
8X)m,  3  Sterne  8.3m,  je  ein  Stern  8.4m  und  8.7m  in  Rechnung  gezogen, 
so  cffgiebt  sich  die  HeUigkeit  5.7  m,  und  damit  erscheint  der  beobachtete 
Hellij^eitseindruck  völlig  dargestellt. 

Im  Fuhrmann  trifft  man  auf  den  auffallendsten  Cumulus,  G.  K.  1451. 
Position  für  1900: 

a«61i40m,  ^«.  +  41.2« 

welcher  zwar  nicht  bei  Argelander,  wohl  aber  bei  Heis  vorkommt  und 
somit  für  schärfere  Augen  ohne  Femrohr  zu  erkennen  ist.  Diese  bedeutende 
Anffäliigkeit  können  aber  nicht  ausschUessUch  die  Sterne  des  eigentlichen 
Cnmolus  —  etwa  6  Sterne  9.  Gr.  nebst  einigen  noch  schwachem  — 
bewirken,  da  dieselben  eine  zur  Erkennbarkeit  für  das  blosse  Auge  unzu- 
reichende Helli^eitssumme  geben,  sondem  es  müssen  noch  entferntere  helle 
Sterne  in  Betracht  kommen,  und  zwar  insbesondere  der  vorangehende  8.5  m, 
der  südlich  stehende  8,5m  und  der  nördlich  stehende  8.0m,  der  letztere 
sdion  deshalb,  weil  Heis  die  Position  dieses  Sternes  als  Position  des  Cumulus 
angesetzt  hat  Es  ergiebt  sich  durch  diese  Erweitemng  der  Grenzen  ein 
<iwiet  von  ungefähr  20'  Durchmesser,  welches  neun  hellere  Steme  enthält, 
nämlich  einen  Stern  8.0m,  2  Steme  8.5m,  einen  Stern  8.9m,  3  Steme 
9X)in  und  2  Steme  9.1m,  ausserdem  als  schwächere  Steme  einen  Stem 
^•3ia,  4  Steme  9.4m   und   6  Sterne  9.5m.     Addiert   man    diese  Helhg- 

^  *)  The  stellar  Cluster  %  Persei,  micrometrically  surveyed  by  0.  A.  L. 
^    Chri8tiania.l891. 

*)  Micrometnc  ezamination  of  stellar  Cluster  in  Perseus  by  0.  A.  L. 
^l    Christiania  1869. 


134  Sternhaufen  und  Nebelflecke. 

keiten,  so  erhält  man  als  Summe  6.8m  und,  wenn  man  die  schwächers 
Sterne  nicht  berücksichtigt,  6.8  m.  Durch  dieses  Resultat  erscheint  nicht 
nur  der  Umstand  dargestdlt,  dass  der  Cumulus  zwar  bei  Heis,  aber  nicht 
bei  Argelander  vorkommt,  sondern  auch  die  in  der  Harvardphotometry 
angegebene,  aus  Schätzungen  abgeleitete  Helligkeit  6.4m.  Dagegen  kann 
die  andere,  In  der  Harvardphotometry  angegebene,  aus  Messungen  abge- 
leitete wesentlich  ffrössere  Helligkeit  5.84  m  durch  diese  Sterne  in  keiner 
Weise  erklärt  werden,  und  man  müsste,  um  diese  bedeutende  Helligkeit 
darzustellen,  noch  vid  weiter  südlich  stehende  helle  mitrechnen.  Das  ist 
übrigens  der  einzige  Fall,  dass  in  der  Harvardphotometry  die  durch 
Messungen  gefundene  Helligkeit  eines  Sternhaufens  grösser  ist  als  die  durch 
Schätzungen  gefundene. 

Der  ebenfalls  im  Fuhrmann  stehende  Cumulus  G.  K.  1119  (M.  88)  Posi- 
tion für  1000:  a  — 5li22m,^»^35.7^  ist  ein  Beispiel  dafür,  dass  nicht 
jeder  Sternhaufen  bei  Betrachtung  mit  schwachem  optischen  Mitteln  eine 
einzige  Gruppe  bleibt,  die  schliessüch  als  Ganzes  unsichtbar  wird,  sondern 
dass  es  auch  Sternhaufen  giebt,  welche  bei  Betrachtung  mit  schwachem 
Instarumenten  in  mehrere  Gmppen  zerfallen,  die  einzela  schwächer  und 
unabhängig  voneinander  unsichtoar  werden. 

Dieser  Cumulus  nimmt  zwischen  den  dicht  gedrängten  und  den  weit 
zerstreuten  Sternhaufen  eine  Mittelstellung  ein;  während  die  erstem  bei 
Betrachtung  mit  schwachem  optischen  Mitteln  als  Ganzes  unsichtbar  werden 
und  bei  den  letztem  die  Sterne  einzeln  verschwinden,  werden  sie  hier 
grappenweise  unsichtbar. 

In  ähnlicher  Weise  verbreitet  sich  Dr.  Holetschek  eingehend  über  eine 
Anzahl  noch  anderer  Sternhaufen.  Er  zeigt,  dass  es  bei  allen  mögUch  ist, 
die  beobachtete  Gesamthelligkeit  durch  die  Summiemng  der  Hemgkeiten 
der  einzeben  Steme  darzustellen,  ohne  dass  es  nötig  wäre,  die  Frage  zu 
entscheiden,  ob  durch  Verteilung  einer  Helligkeit  auf  eine  grössere  Fläche 
der  Gesamthelligkeitseindmck  derselbe  bleibt  oder  andernfalls  vei^grössert 
oder  verkleinert  wird. 

Fechner  ist  in  seiner  bekannten  Abhandlung:  »Cber  ein  psychophy- 
sisches  Gmndgesetz  und  dessen  Beziehung  zur  Schätzung  der  Stemgrössen« 
zu  der  Folgerung  gelangt,  dass  die  Helligkeitssumme  einer  starken  Intensität 
durch  Verteilung,  wenn  solche  nicht  zu  weit  geht,  wächst,  anderseits  aber, 
wenn  eine  schwache  Intensität  von  einem  Funkte  auf  mehrere  Punkte 
verteilt  wird,  oder  die  Verteilung  einer  starken  Intensität  zu  weit  getrieben 
wird,  eine  Abnahme  der  Helligkeit  im  ganzen  erfolgt  Wo  aber  die  Grenze 
zwischen  diesen  beiden  Fällen,  d.  h.  zwischen  starker  und  schwacher  Inten- 
sität liegt,  lässt  sich  nicht  ziffermässig  feststellen,  und  überhaupt  kann  von 
vornherein  auch  ein  Gleichbleiben  des  Helligkeitseindrackes  ebensowenig 
in  Abrede  gestellt  werden,  wie  ein  Zu-  oder  Abnehmen  desselben.  Wer 
behauptet:  Grösseres  fällt  mehr  in  die  Augen,  auch  wenn  es  weniger  hell 
ist,  kann  ebenso  recht  haben,  wie  der,  welcher  sagt:  Helleres  fällt  mehr  in 
die  Augen,  auch  wenn  es  kleiner  ist,  oder  wie  der,  welcher  meint,  für  ihn 
sei  der  Helligkeitseindmck  in  beiden  Fällen  derselbe. 

Wenn  man  nun  aber  doch,  fährt  Dr.  Holetschek  fort,  die  hier  unter- 
suchten Sternhaufen  auf  die  beiden  Fälle  verteilen  soU,  so  wird  man  die 
meisten  derselben  als  Beispiele  für  den  zweiten  Fall  bezeichnen  können, 
indem  bei  ihnen  der  durcn  direkte  Beobachtung  bestimmte  Helligkeits- 
eindmck geringer  ist,  als  die  durch  Addition  der  Helligkeiten  sämtlicher 
Steme  erhaltene  Helligkeitssumme.  Als  Beispiel  für  den  ersten  Fall  drän^ 
sich  der  Doppelcumulus  im  Perseus  auf,  und  ebenso  wird  man  hier  die 
Pleiaden^ppe  nennen  dürfen,  bei  welcher  die  berechnete  GesamtheUigkeit 
nicnt  weit  von  2.0m,  die  beobachtete  dagegen  zwischen  Im  und  2m,  also 
etwas  bedeutender  ist. 

Die  Krippe  im  Krebs,  deren  Steme  nach  der  Rechnung  sehr  nahe  die 
4.  Gr.  geben,  kann    nach  Houzean  (4m — 5m)   zum    zweiten  Falle,    nach 


Sternhaufen  and  Nebelflecke.  185 

Holetschek  {S^j^^ — 4m)  zum  ersten  gerechnet  werden,  zeigt  also,  dass 
eine  solche  Unterscheidung  zwischen  den  beiden  Fällen  in  einem  hohen  i 

Grade  durch  die  verschiedene  Auffassung  der  Beobachter  bedingt  ist.  Sicher 
ist,  dass  diese  Unentschiedenheit  umsoweniger  auftreten  kann,  je  gedrängter 
ein  Sternhaufen  ist,  und  in  demselben  Grade  zei^  sich  aucn  che  Wider- 
standsfähigkeit eines  Sternhaufens  gegen  das  ünsichtbarwerden.  Ein  ge- 
dingter, fast  wie  ein  einziger  heller  Fixstern  erscheinender  Sternhaufen, 
der  genau  so  viele  und  so  helle  Sterne  enthält  wie  ein  anderer,  aber  zer- 
streuter Sternhaufen,  kann  viel  länger  sichtbar  bleiben  als  der  zerstreute, 
und  dieser  Unterschied  macht  sich  nicht  nur  dann  bemerkbar,  wenn  ein 
Sternhaufen  mit  schwachem  optischen  Mitteln  betrachtet  wird,  sondern 
auch  bei  irgendeiner  andern  Schwächung  seines  Lichtes,  so  durch  Trübung 
der  Atmosphäre  oder  durch  Mondschein,  oder  auch  dann,  wenn  ein  Stern- 
haufen in  der  Morgendämmerung  immer  mehr  vom  Tageslichte  überstrahlt  wird. 

Es  zeigen  sich  hier  Eigentümlichkeiten,  die  auch  an  Kometen  beob- 
achtet werden.  Sowie  in  einem  Sternhaufen,  der  gegen  die  Mitte  reichlich, 
gegen  die  Ränder  zu  aber  nur  spärlich  mit  Sternen  besetzt  ist,  bei  Erhellung 
des  Himmelsgrandes,  z.  B.  in  der  Morgendämmerung,  zuerst  die  Sterne  an 
den  Rändern  unsichtbar  werden  und  die  mittlere,  dichtere  Partie  am  läng- 
sten sichtbar  bleibt,  so  wird  auch  ein  Komet  unter  denselben  Umständen 
zuerst  an  den  Rändern  unkenntlich,  während  die  am  hellsten  erscheinende, 
den  Kern  bildende  Partie  am  längsten  der  Extinktion  widersteht,  und  zwar  j 

ist  diese  Widerstandsfähigkeit  gegen  die  Auslöschung  durch  das  Tageslicht  | 

umso  grösser,  je  konzentrierter,  je  fixstemartiger  der  Kern  erscheint.  ! 

Uurch  den  Umstand,  dass  in  einem  zerstreuten,  verhältnismässig  spar-  i 

lieh  mit  Sternen  besetzten  Cumulus,  z.  B.  M.  88  oder  25,  die  Sterne  gruppen- 
weise oder  gar  einzeln,  ihren  Helli^eiten  entsprechend,  verschwinden  und 
daher  der  Cumulus  viel  früher  unsichtbar  wird,  als  nach  der  berechneten  I 

Helligkeitssumme  zu  erwarten  wäre,  wird  man  an  die  häufig  beobachtete  j 

Th&tsache  erinnert,  dass  ein  Komet,  der  im  Nachtdunkel  auffallender  er- 
scheint, als  ein  in  seiner  Nähe  stehender  Fixstern,  bei  Tagesanbruch  eher 
unkenntlich  wird  als  der  Stern. 

Sternhaufen  dieser  Art  bilden  einen  Übergang  zu  denjenigen,  welche 
wie  der  im  Bootes  a==  14^  Im,  ^=^29.0^  der  grosse  Nebel  im  Triangel 
M.  83  a  =  lh2Bni,  ^=+30.1*  oder  der  planetarische  Nebel  im  Grossen 
Bären  M.  97  a=  llbSm  ^=-|.55.6o  ziemlich  gleichförmig  erhellt,  aber  im 
Verhältnisse  zu  ihrer  Grösse  so  lichtschwach  sind,  dass  die  Bestimmung  ! 

der  Gesamthetligkeit  unthunUch  wird,  indem  die  FlächenheUigkeit  mehr  zur  i 

Geltung  gelangt,  und  die  Sichtbarkeit  hauptsächlich  davon  abhängt,  in 
welchem  Grade  sich  das  GebUde  vom  Himmelsgrunde  abheben  kann.    Auch  j 

diese  Sichtbarkeitsverhältnisse  können  an  Kometen  beobachtet  werden, 
wenn  dieselben  das  hier  angedeutete  Aussehen  zeigen. 

Wenn  wir  nun  die  hier  dargelegten  Untersuchungen  von  Sternhaufen  j 

nochmals  überblicken,  so  zeigt  sich,  dass  das  Verhältnis,  in  welchem  die 
hellem  und  die  schwachem  Sterne  zum  Totaleindracke  eines  Sternhaufens 
beitragen,  im  Grunde  genommen  überall  dasselbe  ist:  Die  schwachem 
Sterne  kommen  neben  und  zwischen  den  hellem  so  wenig  zur  Wirksam- 
keit, dass  der  beobachtete  Helligkeitseindmck  schon  durch  die  hellem 
Sterne  allein  dargestellt  wird,  und  zwar  genügt  es  im  allgemeinen,  nur  die 
Sterne  in  Rechnung  zu  ziehen,  welche  von  dem  hellsten  Steme  des  Cumulus 
an  auf  ein  Helligkeitsintervall  von  1 — 2  Grössenklassen  verteilt  sind.« 

SchliessUch  behandelt  Dr.  Holetschek  noch  die  drei  dichtgedrängten, 
reichen  Stemhaufen  M.  18  Herculis,  ot  Centauri  und  41  Tucanae.  Für  den 
eisien  ergiebt  sich  die  GesamtheUigkeit  =  5.7  Gr.,  was  mit  den  Angaben 
der  Harvardphotometiy  5.9  Gr.  nahe  übereinstimmt  Als  durchschnittliche 
Helligkeit  aller  (888)  inBetracht  gezogenen  Steme  findet  Dr.  Holetschek  18.0Gr. 

Auf  Photographien  des  Cumulus  w  Centauri  a  =  18*1 20.7™,  ^  =  +  46.8<>, 
und  zwar  auf  einer  quadratischen  Fläche  von  dCV  Seitenlänge,  sind  von 


136  Sternhaufen  und  Nebelfiecke. 

S.  J.  Bailey  gegen  6400  Sterne  gezählt  worden.^)  Ober  die  Grossen  der- 
selben sind  keine  Angaben  gemacht,  und  man  ist  daher  nicht  in  der  Lage, 
aus  den  Helligkeiten  der  einzehien  Sterne  die  Gesamthelligkeit  zu  berechnen. 
Dr.  Holetschek  hat  dafür  umgekehrt  versucht,  aus  der  Anzahl  der  Sterne 
und  der  Gesamthelligkeit  des  Cumulus  die  durchschnittliche  Grössenklasse 
dieser  Sterne  zu  berechnen.  Nach  J.  Herschel  erscheint  der  Culumus  für 
das  blosse  Auge  wie  ein  nebeliger  Stern  4.  oder  5.  Gr.,  nach  der  üranometria 
Argentina  wie  ein  Stern  4.  Gr.  Man  findet  nun,  dass  6400  Sterne,  wenn 
sie  zusammen  die  Helligkeit  eines  Sternes  4.  oder  5.  Gr.  geben,  durch- 
schnittlich von  der  Helligkeit  13.5 1»,  beziehungsweise  14.5 1^  sein  müssen. 
»Da  aber  von  den  zusammengezählten  Sternen  oei  der  Sichtbarkeit  für  das 
blosse  Auge,  also  beim  GesamthelUgkeitseindrucke,  gewiss  nicht  alle  zur 
Wirksamkeit  gelangen,  indem  die  photo^aphischen  Aufnahmen  weit  über 
die  Grenzen  des  eigentlichen  Cumulus  hmausgehen,  so  müssen  viele  und 
insbesondere  die  von  der  Mitte  weiter  abstehenden  Sterne  ausgeschlossen 
werden.  Diese  dürften  den  3.  Teil  aller  Sterne  betragen,  so  dass  nur 
etwa  4000  in  Rechnung  zu  ziehen  wären.  Für  diese  findet  man,  wenn  sie 
zusammen  die  Helligkeit  eines  Sternes  4.  oder  5.  Gr.  geben  sollen,  als 
durchschnittliche  Helligkeit  13.0m,  beziehungsweise  14.0^. 

Eine  ähnliche  Rechnung  lässt  sich  für  den  Cumulus  47  Tucanae 
a  =  0b20m,  St=  —  72.6®  machen,  dessen  Helligkeit  nach  der  Üranometria 
Argentina  14  ^/^m  ist  Man  findet  im  26.  Bande  der  Annalen  des  Harvard 
College  Observatory  die  Resultate  einer  Abzahlung,  nach  welcher  sich  auf 
einer  quadratischen  Fläche  von  30'  Seitenlänge  2673  Sterne  und  unter 
diesen  1715  >helle«  befinden.  Dabei  sind  aber  die  Sterne  in  der  Mitte  des 
Cumulus,  nämlich  auf  einem  quadratischen  Felde  von  3'  Seitenlänge,  weg- 
gelassen, weil  sie  wegen  ihrer  zu  grossen  Gedrängtheit  nicht  mehr  mit 
genügender  Sicherheit  gezählt  werden  konnten.  Unter  der  Annahme,  dass 
die  hier  fehlenden  Sterne  durch  die  weiter  abstehenden,  bei  der  Sichtbar- 
keit für  das  blosse  Auge  nicht  mehr  in  Betracht  kommenden  Sterne  an 
Helli^eit  aufgewogen  werden,  können  die  angegebenen  Summen  gleich  so, 
wie  sie  sind,  zur  Rechnung  benutzt  werden.«  Dr.  Holetschek  findet  nun, 
dass  die  1715  als  hell  bezeichneten  Sterne,  wenn  sie  zusammen  die  Hellig- 
keit eines  Sternes  4.5°^  geben  sollen,  durchschnittlich  von  der  Helligkeit 
12.6m  und  sämtliche  2673  Sterne  bei  derselben  Forderung  von  der  Hellig- 
keit 13.1m  sein  müssen. 

J.  Herschel  hat  in  seinen  Kapbeobachtungen  die  Sterne  dieses  Cumulus 
einmal  als  Sterne  14. — 16.  Gr.,  einmal  als  Sterne  14.  Gr.  und  einmal  als 
Sterne  12.— 14.  Gr.  bezeichnet. 

Für  jeden  der  3  Sternhaufen  M.  13  Herculis,  o^Centauri  und  14  Tucanae 
ergiebt  sich,  wie  Dr.  Holetschek  betont,  ungefähr  dieselbe  durchschnittliche 
Stemhelligkeit,  doch  darf  diese  angenäherte  Übereinstimmung  nicht  über- 
raschen, weil  die  Rechnungsgrundla^en,  nämlich  GesamtheUigkeit  und  An- 
zahl der  Sterne,  nicht  so  weit  voneinander  verschieden  sind,  dass  eine 
wesentliche  Verschiedenheit  der  durchschnittlichen  SternheUigkeit  zu  er- 
warten wäre. 

Triangrulation  der  Hyadengruppe.  Die  über  ein  an- 
sehnliches Areal  grob  zerstreute  Sterngruppe  der  Hyaden  ist  von 
Carl  W.  Wirtz  am  6-zolligen  Heliometer  der  Bonner  Sternwarte  in  den 
Jahren  1898  und  1899  trigonometrisch  vermessen  worden.*)  Diese 
Gruppe  wurde  zu  einer  genauen  Vermessung  gewählt,  weil  sowohl  die 
bemerkenswerte  Obereinstimmung  der  Eigenbewegungen  ihrer  meisten 


^)  Astronomy  and  Astrophysics  1893.   12.   p.  689  und  Annais  of  the 
astronomical  observatory  of  Harvard  College  26.  p.  213. 
8)  Astron.  Nachr.  No.  3818—4819. 


Sternhaufen  und  Nebelflecke.  137 

Glieder  lehrt,  dass  diese  ein  kosmisches  System  höherer  Ordnung  bilden, 
als  auch,  weil  die  Helligkeit  und  grosse  Winkelentfemung  der  Sterne 
es  wahrscheinlich  macht,  dass  jenes  System  von  unserem  Standpunkte 
im  Räume  nicht  weit  abliegt,  so  dass  es  eine  besondere  Aufmerksamkeit 
wohl  verdient. 

Die  in  Bonn  ausgeführte  Triangulation  bedeckt  etwa  20  Quadrat- 
grad mit  Durchmessern  von  6®,  also  ein  Stück  der  Sphäre,  das  zu 
den  grössten  bisher  heliometrisch  durchbeobachteten  gehört;  die  Durch- 
schnittsgrösse  der  gemessenen  Abstände  liegt  bei  4000'',  ist  also  recht 
erheblich,  und  eben  darum  war  es  auch  von  vorherein  nicht  zweifel- 
haft, dass  der  Lösung  der  Aufgabe  aus  der  Art  des  alten  Instrumentes 
Schwierigkeiten  erwachsen  wurden,  deren  völlige  Überwindung  sich 
nicht  verbürgen  liesse. 

Der  Plan  der  Arbeit  wurde,  gemäss  der  beschränkten  Bedeutung, 
die  dem  Heliometer  heute  noch  am  Fixstemhimmel  zukommt,  so  ab- 
gegrenzt, dass  in  ein  von  achtzehn  am  Repsoldschen  Meridiankreise  zu 
Bonn  scharf  bestimmten  Hauptstemen  gebildetes  Netz  erster  Ordnung 
nur  so  viele  weitere  Sterne  eingemessen  wurden,  dass  auf  einem  Felde 
von  je  80  Bogenminuten  im  Quadrate  mindestens  drei  günstig  ver- 
teilte Sterne  unterhalb  der  5.  Qrössenklasse  vorkamen.  Hierbei  lag 
der  Gedanke  zu  Grunde,  dass  am  neuen  Bonner  photographischen 
Refraktor,  der  die  angegebene  Plattengrösse  besitzt,  später  einmal 
eine  Detailvermessung  vorgenommen  werden  könnte,  deren  Skelett 
dann  wieder  die  Triangulation  am  Heliometer  bilden  würde. 

Der  Beobachter  teilt  in  seiner  Abhandlung  als  nötige  Details 
über  das  Instrument  und  die  Untersuchung  desselben  zum  Zwecke 
der  vorgesetzten  Messungen,  sowie  über  Genauigkeit  der  Messungen 
selbst,  die  Triangulation,  die  Ableitung  der  Distanzen  u.  s.  w.  mit. 
Die  Arbeitsliste  erstreckt  sich  über  69  Sterne,  nämlich  alle  Sterne 
der  BD.  bis  zur  Grösse  8.0  und  einige  schwächere,  die  teils  dem 
Zwecke  der  vorteilhaftem  Gestaltung  des  Netzes  dienen,  teils  auf- 
genommen sind,  um  für  eine  photographische  Detailvermessung  die 
Zahl  der  Anhaltssteme  zu  vervollständigen.  Die  angenommenen 
Grenzen  der  Gruppe  umschliessen  das  bekannte  V  und  ausserdem 
einen  1  ^/j®  breiten  Streifen  südlich  davon.  Nach  ihrem  Range 
innerhalb  der  Vermessung  zerfallen  die  Sterne  in  2  Klassen,  deren 
erste  repräsentiert  wird  durch  die  achtzehn  am  Repsoldschen  Meridian- 
kreise der  Bonner  Sternwarte  festgelegten  Hauptsteme,  die  ihrerseits 
durch  sämtliche  80  dem  Heliometer  erreichbaren  Abstände  verbunden 
sind.  Die  Hauptsteme  bilden  das  Netz  erster  Ordnung.  Die  51  übrigen 
Sterne  gehören  dem  aus  160  Distanzen  bestehenden  Netze  zweiter 
Ordnung  an  und  sind  durch  Anschluss  an  drei  oder  seltener  vier 
Hauptsteme  bestimmt.  Das  Ergebnis  der  umfassenden  Arbeit  von 
^irtz  gipfelt  in  dem  nachfolgenden  Kataloge,  über  dessen  Begründung 
^^ooglich  der  Eigenbewegungen,  der  Präzessionen  und  ihrer  Säkular- 
variation die  Originalabhandlung  zu  vergleichen  ist. 


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Sternhaufen  und  Nebelflecke.  139 

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140  Sternhaufen  und  Nebelflecke. 

Die  Bewegrung  des  Orionnebels  in  der  Gesichtslinie 
zur  Erde.  Neue  Untersuchungen  über  diese  Bewegung  sind  auf  dem 
astrophysikalischen  Observatorium  zu  Potsdam  angestellt  worden,  und 
Prof.  H.  G.  Vogel  hat  darüber  der  Preuss.  Akad.  der  Wiss.  in  Berlin 
berichtet     Diesem  Bericht  ^)  ist  folgendes  entnommen : 

>Mit  Hilfe  des  grossen  Doppelrefraktors  des  Astrophysikalischen 
Observatoriums  zu  Potsdam  hat  Dr.  Hartmann  Aufnahmen  der 
Spektra  von  einigen  planetarischen  Nebeln  unter  Anwendung  stärkerer 
Zerstreuung  gemacht^)  Angeregt  durch  diese  Beobachtungen,  ver- 
suchte Dr.  Eberhard  mit  unserem  photographischen  Refraktor  von 
32.5  cm  Öffnung  und  3.4  m  Brennweite,  der  ihm  seit  mehr  als  einem 
Jahre  zur  Ausführung  spektrographischer  Beobachtungen  behufs  Be- 
wegungsbestimmungen an  Sternen  überwiesen  worden  ist,  auch  das 
Spektrum  des  Orionnebels  aufzunehmen.  Für  ausgedehntere  Objekte, 
wie  der  Orionnebel,  ist  das  Instrument  infolge  des  grossem  Ver- 
hältnisses zwischen  Öffnung  und  Brennweite  und  der  damit  in  Ver- 
bindung stehenden  grössern  Intensität  der  Flächeneinheit  des  Brenn- 
punktbildes dem  grossen  Refraktor  überlegen.  Da  das  für  chemische 
Strahlen  achromatisierte  Objektiv  dieses  Instrumentes  aber  keine 
Korrektionslinse  besitzt  wie  das  Objektiv  des  grossen  Refraktors 
von  80  cm  Öffnung ,  durch  die  dasselbe  in  ein  Objektiv  verwandelt 
wird,  welches  die  optischen  Strahlen  gut  vereinigt,  musste  allerdings 
von  vornherein  darauf  verzichtet  werden,  die  beiden  im  Grün  gelegenen 
hellsten  Linien  des  Nebelspektrums  (l  5007  und  l  4959),  sowie  die 
Wasserstofflinie  H  ^  zu  erhalten,  durch  die  Spektralaufnahme  konnte 
vielmehr  nur  die  4.  Linie  des  Nebelspektrums,  die  Wasserstoff- 
linie Hy  fixiert  werden. 

Der  erste  Versuch  gelang  Dr.  Eberhard  am  23.  November  des 
vorigen  Jahres.  Mit  dem  Spektrographen  IV  mit  3  Prismen  hatte 
sich  bei  einer  Expositionszeit  von  180  Minuten  die  H}^-Linie  des 
Nebelspektrums  sehr  deutlich  abgebildet.  Beiläufig  erwähne  ich 
hierbei,  dass  die  bei  so  langen  Expositionen  unausbleiblichen  Tem- 
peraturänderungen keinen  schädlichen  Einfluss  ausüben  können,  da 
es  durch  die  elektrische  Heizvorrichtung,  die  der  Apparat  besitzt, 
ohne  Mühe  gelingt,  die  Temperatur  im  Prismengehäuse  mehrere 
Stunden  hindurch  innerhalb  eines  Zehntelgrades  konstant  zu  erhalten. 

Leider  war  es  durch  die  Ungunst  der  Witterung  erst  am 
31.  Januar  1902  möglich,  eine  2.  Aufnahme  zu  erhalten,  und 
bisher  konnten  im  ganzen  nur  an  9  Abenden  Beobachtungen  aus- 
geführt werden,   von   denen  sechs  als  gelungen  zu  bezeichnen   sind. 

Prof.  Vogel  teilt  zunächst  die  Resultate  der  Messungen  mit, 
welche  von  ihm  und  Dr.  Eberhard  unabhängig  voneinander  mit 
verschiedenen  Messapparaten  ausgeführt  worden  sind.     Sie  beziehen 


>)  Sitzungsber.  d.  K.  Preuss.  Akad.  der  Wiss.    Berlin  1902.   p.  259. 
*)  a.  a.  0.  1902.  p.  237  ff. 


Sternhaufen  und  Nebelflecke.  141 

sich  auf  ein  Stück  der  H^-Linie,  das  von  dem  Lichte  herrührt, 
welches  von  einer  in  der  Nähe  des  bekannten  Trapezes  gelegenen 
Stelle  des  Nebels  ausgeht.  Es  ist  das  ungefähr  dieselbe  Stelle,  auf 
welche  sich  die  in  den  Jahren  1890  und  1891  von  Prof.  J.  E. 
Keeler^)  mit  dem  grossen  Refraktor  des  Lickobservatoriums  am  Orion- 
nebel ausgeführten  direkten  spektroskopischen  Geschwindigkeits- 
messungen bezogen.  Die  Potsdamer  Aufnahmen  ergeben  nun  als 
Geschwindigkeit  des  Nebels  relativ  zur  Sonne  nach  Vogel  im  Mittel 
-{-  17.5,  nach  Eberhard  im  Mittel  -{- 17. S  km  pro  Sekunde. 

Die  Beobachtungen  sind  wie  bei  den  Stemspektren  so  angestellt 
worden,  dass  vor  und  nach  der  Exposition  auf  den  Nebel  zwei  ^/^^  mm 
breite  Vergleichsspektra  (Fe)  in  einem  Abstände  von  ^/^  mm  auf- 
kopiert wurden.  Die  Nebellinie  H^  wurde  aber  durch  Wegklappen 
der  vor  dem  Spalte  des  Spektrographen  befindlichen  Blende,  durch 
welche  die  Vergleichsspektra  abgegrenzt  werden,  in  ihrer  ganzen 
Lange  erhalten.  Sie  erschien  also  nicht  nur  in  dem  ^/^  mm  breiten 
Zwischenräume  zwischen  den  Vergleichsspektren,  sondern  durchsetzte 
sie  und  erstreckte  sich  zu  beiden  Seiten  derselben.  Dr.  Eberhard 
hatte  diese  Anordnung  getroffen,  um  etwaige  Ungleichmässigkeiten 
in  Bezug  auf  Lage  oder  Intensität  der  H^^-Linie  gleichzeitig  zu 
erhalten.  Die  Linie  erschien  bei  guten  Aufnahmen  2 — 2.5  mm  lang 
entsprechend  2'.  Prof.  Vogel  wähnt,  dass  der  Nebel  bei  der  Expo- 
sition so  genau  gehalten  wurde,  dass  eine  Obereinanderlagerung 
verschiedener  Teile  möglichst  ausgeschlossen  war,  und  dass  die  auf 
2  Platten  befindlichen  Spektra  von  Sternen  im  Nebel  linienartig  er- 
scheinen. Die  Messungen  bezogen  sich  aber  für  die  obenstehenden 
Beobachtungen  nur  auf  das  kleine  Stück  der  Linie  zwischen  den 
Vei^eichsspektren;  es  entspricht  dasselbe  einer  dem  Sterne  &^  Orionis 
etwas  vorausgehenden  Stelle  im  Nebel. 

>Die  oben  mitgeteilten  Beobachtungen«,  sagt  Prof.  Vogel,  »geben 
eine  recht  schöne  Bestätigung  der  Eeelerschen  Geschwindigkeits- 
messungen am  Orionnebel  und  sind  deshalb  von  grösserer  Bedeutung, 
weil  gerade  die  Messungen  am  Orionnebel  die  Grundlage  für  die 
klassischen  Untersuchungen  Eeelers  über  die  Bewegung  von  vierzehn 
hellern  Nebeln  bilden.  Die  Beobachtungen  an  der  Wasserstofflinie 
H/?  im  Orionnebel  setzten  Eeeler  in  den  Stand,  die  Wellenlängen 
der  bis  dahin  nur  angenähert  bekannten  hellsten  Linien  im  Nebel- 
spektrum  (l  5007  und  X  4959)  sehr  sicher  zu  bestimmen  und  auf 
diese,  besonders  auf  die  erste  (l  5007),  dann  alle  weitem  Messungen 
zu  begründen.  € 

Die  Keelerschen  Beobachtungen  über  die  Bewegung  des  Orion- 
nebels, basiert  auf  die  Verschiebung  der  H/S-Linie,  ergaben  im 
Mittel  als  Geschwindigkeit  relativ  zur  Sonne:   -{-17.7  ±  1.28  km. 


*)  Publication  of  the  Lickobservatoiy  S.  1894. 


142  Sternhaufen  und  Nebelflecke. 

Die  H  y-JÄaie  des  Nebelspekirums  war  bei  einigen  Aufnahmen 
von  ungleicher  Intensität;  sie  erschien  dort,  wo  sie  die  Vergleichs- 
spektra durchsetzte,  etwas  intensiver  und  breiter  als  zwischen  den 
Vergleichsspektren,  was  nach  Prof.  Vogel  seinen  Grund  in  einer 
geringen  Vorbelichtung  der  Schicht  durch  die  Spuren  kontinuier- 
lichen Spektrums  im  Vergleichsspektrum  hat  »Die  Linie  war  im 
untern  Spektrum  (wenn  das  Violett  rechts  war)  jedoch  ausge- 
sprochen intensiver  als  im  obem,  auch  ausserhalb  des  Vergleichs- 
spektrums weiter  nach  unten.  Die  grösste  Intensität  der  Wasser- 
stofflinie, also  wohl  auch  des  von  dem  Spalte  ausgeschnittenen 
Streifens  des  Nebels,  lag  0.6'  von  dem  Sterne  ^  ^  entfernt,  und  zwar 
im  Parallel  vorausgehend  oder  im  Positionswinkel  270  ^.  Die  Linie 
H  y  macht  nun  auf  diesen  Platten  den  Eindruck ,  als  wenn  sie  schief 
gegen  die  Längsausdehnung  der  Vergleichsspektra  stände,  oder  als 
wenn  ihr  Scheitelpunkt  (die  Spektrallinien  sind  sehr  merklich  ge- 
krümmt) nicht  zwischen  den  Vergleichsspektren,  sondern  im  obem 
Spektrum  gelegen  wäre.  Eine  optische  Täuschungc,  fährt  Prof.  Vogel 
fort,  »ist  ausgeschlossen;  die  Verschiebungsmessungen  im  untern 
Vergleichsspektrum  und  im  obem  Spektmm,  die  zahlreich  von  mir 
und  Dr.  Eberhard  unabhängig  ausgeführt  wurden,  weichen  um  einen 
Betrag  ab,  der  einem  Bewegungsunterschiede  von  etwa  6  km  ent- 
spricht. Es  wurde  aus  den  Beobachtungen  zu  folgern  sein,  dass 
die  Nebelmaterie  an  der  intensivsten  Stelle,  dem  Steme  d  ^  0.6'  vor- 
aus, relativ  gegen  die  Nebelpartien  in  nächster  Nähe  des  Stemes^^ 
sich  um  5 — 6  An»  auf  den  Beobachter  zu  bewegte  Spätere  Auf- 
nahmen haben  diesen  Schluss  bestätigt 

Eeeler  hatte  schon  Versuche  gemacht,  relative  Bewegungen  in 
verschiedenen  Teilen  des  Orionnebels  aufzufinden.  Er  kam  zu  dem 
Resultate,  dass  Verschiebungen  durch  relative  Bewegungen  im  Nebel, 
die  18  miles  (21  km)  in  der  Sekunde  entsprächen,  deutlich  hätten 
erkannt  werden  müssen,  und  dass  in  den  hellem  Partien  des 
Nebels  sogar  Verschiebungen  von  einem  Drittel  dieses  Betrages  wohl 
entdeckt  worden  wären.  Femer  hat  er  versucht,  eine  Rotation  des 
Nebels  G.  G.  2102  aufzufinden,  hält  es  aber  für  zweifelhaft,  ob 
eine  kleinere  Geschwindigkeit  als  7 — 8  miles  (11 — 16  Ann)  mit  seinen 
Hilfsmitteln  hätte  gefunden  werden  können,  ganz  abgesehen  davon, 
dass  es  wohl  unwahrscheinlich  sei,  dass  ein  Nebel  so  starke  rota- 
torische Bewegung  haben  sollte. 

Die  von  Prof.  Vogel  gegebene  Deutung  der  oben  beschriebenen, 
in  Potsdam  beobachteten  Deformationen  und  Anomalien  der  H  ^-Linie 
im  Spektrum  des  Orionnebels  als  Folge  relativer  Bewegung  der 
Nebelmaterie  wird  durch  die  Bemerkungen  Keelers  nicht  ausge- 
schlossen, da  die  in  Potsdam  gefundenen  Bewegungsänderungen  meist 
unter  der  für  Keeler    erreichbaren  Grenze   der  Wahrnehmung  liegen. 

SpektFographisehe  Geschwindigkeitsinessunffen  an  Gas- 
nebeln hat  Dr.  Hartmann  auf  dem  Astrophysikalischen  Observatorium 


Sternhaufen  und  Nebelflecke.  143 

in  Potsdam  ausgeführt^)  Die  Linienspektra  von  Gasnebeln  sind  schon 
häufig  photographisch  aufgenommen  worden,  jedoch  hat  man  bisher 
noch  nicht  den  Versuch  gemacht,  diese  Aufnahmen  zur  exakten 
Messung  der  Bewegung  in  der  Gesichtslinie  zu  verwenden.  Es 
mag  dies  seinen  Grund  darin  haben,  dass  die  betreffenden  Spektro- 
gramme  entweder  ohne  nebengelagertes  Vergleichsspektrum  aufge- 
nommen wurden,  oder  dass  der  Massstab  der  Aufnahmen  für  die  Ge- 
winnung genauer  Resultate  zu  klein  war.  Die  epochemachende  Arbeit 
Keelers^  hat  zwar  für  vierzehn  hellere  Nebel,  die  ein  Gasspektrum 
zeigen,  schon  verhältnismassig  genaue  Werte  der  Geschwindigkeiten 
festgelegt;  allein  wer  die  Schwierigkeit  dieser  auf  optischem  Wege 
ausgeführten  Messungen  kennt,  wird  zugeben  müssen,  dass  durch 
Anwendung  der  modernen  spektrographischen  Methoden  auch  hier 
eine  ganz  wesentliche  Steigerung  der  Genauigkeit  zu  erreichen  sein 
muss.  Dies  hält  Dr.  Hartmann  mit  Recht  für  ausserordentlich 
wichtig;  >denn,c  sagt  er,  > gelingt  es,  an  Nebeln  Geschwindigkeits- 
messungen mit  einer  Fehlergrenze  von  wenigen  Zehntelkilometern 
auszuführen ,  so  ist  mit  Bestimmtheit  zu  erwarten,  dass  man  inner- 
halb jedes  einzelnen  dieser  Objekte  relative  Bewegungen  auffinden 
wird,  deren  eingehendes  Studium  von  grundlegender  Bedeutung  für 
die  Kenntnis  dieser  Systeme,  sowie  für  unsere  kosmogonischen  Vor- 
stellungen ist« 

Eine  gelegentUche  Aufnahme  des  planetarischen  Nebels  G.  G. 
4390,  ^  die  Dr.  Hartmann  mit  dem  photographischen  80  cm-Refraktor 
machte ,  ergab  bereits  bei  einer  Belichtung  von  15  Minuten  ein  sehr 
kräftiges  Bild  dieses  Objektes,  und  dies  brachte  ihn  auf  den  Gedanken, 
dass  es  schon  mit  den  vorhandenen  Stemspektrographen  möglich 
sein  müsse,  wenigstens  von  den  hellsten  Nebeln  Spektralaufnahmen 
zu  erhalten. 

Zu  seinen  Versuchen  hat  Dr.  Hartmann  die  beiden  für  den 
80  cm-Refraktor  konstruierten  Spektrographen  No.  I  und  No.  UI 
benutzt  Der  Apparat  I  ist  wegen  der  geringen  Dispersion  und  der 
langen  Kamera  für  die  Nebelaufnahmen  ungeeignet,  derselbe  hat 
jedoch  den  Vorzug,  dass  er  die  ganze  Strecke  des  Spektrums 
zwischen  den  Wellenlängen  X  3600 — X  5900  scharf  abbildet,  und 
hat  daher  die  gleichzeitige  Aufnahme  der  Linie  Uy  mit  den  grünen 
Nebellinien  ermöglicht  Der  Apparat  IH  ist  in  der  Form,  wie 
Dr.  Hartmann  ihn  benutzt  hat,  zur  Aufnahme  der  Nebelspektra 
schon  besser  geeignet  Die  Kamera,  deren  Objektiv  immer  nur  eine 
kurze  Strecke  des  Spektrums  scharf  zeichnet,  hat  Dr.  Hartmann  so 
eingestellt,   dass   die   Gruppe   der  Eisenlinieu  von  X  4860—  X  5006, 


^)  Sitzungsber.  d.  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wiss.  1902.   p.  237. 

*)  J.  E.  Eeeler,  Spectroscopic  Observations  of  Nebulae.  Publications 
of  the  Lickobservatory  3.  1894.  (Wiedergegeben  im  Sirius  1895.  p.  10 
and  37.) 

>)  im  Ophiachus,  N.  G.  K.  6672. 


144 


Sternhaufen  und  Nebelflecke. 


die  aJs  Vergleichsspektrum  für  die  drei  hellsten  Nebellinien  sehr 
geeignet  ist,  in  der  Mitte  der  Platte  völlig  scharf  abgebildet  wurde. 
Mit  diesen  beiden  Apparaten  hat  Dr.  Hartmann  unter  Mitwirkung 
von  Dr.  Ludendorff  an  4  Gasnebeln  Aufnahmen  ausgeführt,  nämlich 
3  Aufnahmen  des  Nebels  G.C,  4390,  2  Aufnahmen  des  Nebels  G.  C. 
4373  (im  Drachen)  und  eine  Aufnahme  des  Nebels  N.  G.  G.  7027 
(im  Schwan). 

Als  Vergleichsspektrum  diente  das  Bogenspektrum  des  Eisens 
unter  Zwischenschaltung  einer  Mattscheibe,  und  es  wurden  folgende 
Wellenlängen  (nach  Rowlands  Sonnenspektrum)  angenommen: 
4294.30,  4315.26,  4337.22,  4352.91,  4376.11,  4736.96,  4859.93, 
4878.41,  4903.50,  4920.68,  4957.67  (Doppellinie),  5006.12. 

Jede  Platte  wurde  viermal  ausgemessen.  Um  die  beste  Platte 
(III  392)  gehörig  auszuwerten ,  hat  Dr.  Hartmann  für  dieselbe  eine 
achtmalige  Ausmessung  des  Spektrums  durchgeführt.  Diese  beiden 
Messungsreihen  wurden  im  folgenden  als  HI  392  a  und  III  392  b 
bezeichnet.  Es  ergaben  sich  folgende  Wellenlängen  der  auf  jeder 
Platte  gemessenen  Linien  N^,  N,,  Uß  und  Hy: 


Platte 

N, 

N. 

Uß 

Hy 

I  120 

5007.86 

I  128 

5007.25 

4959.84 

4861.71 

4340.86 

I  127 

5006.10 

4958.26 

4860.58 

4889.65 

I  144 

5007.44 

4959.58 

m  889 

5005.89 

m  390 

5007.30 

4959.46 

4861.79 

m  392a 

5007.81 

4959.42 

4861.79 

111392b 

5007.27 

4959.48 

4861.76 

Diese  Wellenlängen  hat  Dr.  Hartmann  in  folgender  Weise  benutzt: 
Zuerst  wurde  aus  den  Messungen  der  Wasserstofflinien  H/?  und  Ry 
auf  den  Platten  I  123,  III  390,  m  392  a  und  m  392  b  die 
Geschwindigkeit  des  Nebels  G.  C.  4390  abgeleitet.  Mit  der  so 
gefundenen  Geschwindigkeit  wurden  dann  die  Wellenlängen  der 
Linien  N^  und  N,  bestimmt,  und  mit  diesen  Wellenlängen  ergaben 
sich  dann  endlich  die  Geschwindigkeiten  aus  sämtlichen  Zahlen. 

Aus  den  Wasserstofflinien  erhält  Dr.  Hartmann  als  Geschwindig- 
keit in  der  Gesichtslinie  für  den  Nebel  G.  G.  4390  den  Endwert 
V=  —  10.75  km  mit  dem  wahrscheinlichen  Fehler  ^  0.56  Am, 
während  der  auf  13  Beobachtungstagen  beruhende  Endwert,  welchen 
Keeler  für  die  Geschwindigkeit  des  Orionnebels  aus  den  optischen 
Messungen  der  Linie  H/3  ableitete,  noch  einen  wahrscheinlichen 
Fehler  von  ±  1.29  Amt  besitzt.  Man  darf  daher  wohl  behaupten, 
sagt  Dr.  Hartmann,  dass  selbst  mit  den  bei  diesen  vorläufigen  Ver- 
suchen von  mir  benutzten,  durchaus  nicht  gerade  zweckmässigen 
Apparaten. schon   die  Genauigkeit  der  Keelerschen   Messungen  über- 


Sternhaufen  und  Nebelflecke. 


145 


trotten  worden  ist  In  Verbindung  mit  einem  für  diesen  besondem 
Zweck  konstruierten  Apparate  würde  daher  das  photographische 
Verfahren  zu  noch  ganz  wesentlich  genauem  Resultaten  führen. 
Für  die  relative  Bewegung  des  in  Rede  stehenden  Nebels  gegen 
den  Beobachter  hat  man  nunmehr,  gemäss  den  3  Platten: 

I  123 
Bewegung  des  Nebels  gegen         km 

die  Sonne — 10.75 

Bahnbewegung  der  Erde   .    .     +25.66 
Brdrotation +  0.16 


m  390 

m  393 

km 

km 

—10.75 

—10.75 

+25.53 

+25.43 
+  0.20 

+  0.18 

V  +15.07  +14.96  +14.88 

Das  Vorzeichen  +  bedeutet,  dass  der  Nebel  sich  von  der  Erde 
entfernt,  während  durch  —  eine  Annäherung  bezeichnet  wird.  Für 
diese  8  Geschwindigkeiten  ergiebt  sich  die  Korrektion  der  Wellen- 
länge der  beiden  Nebellinien  N^  und  N^  zu  —  0.25;  aus  den  in  obiger 
Tabelle  aufgeführten  scheinbaren  WeUenlängen  erhält  man  daher  die 
folgenden  wahren,  vom  Einflüsse  der  Bewegung  befreiten  Werte: 


Platte 

Nx 

N. 

I  128 
m  890 
in  892a 
m892b 

5007.00  (VJ 
6007.06 
6007.06 
5007.02 

4959.09  (V,) 

4959.21 

4869.17 

Mittel 

5007.04 

4959.17 

Auch  hier  ist  die  Obereinstimmung  der  unabhängig  voneinander 
gefundenen  Zahlen  so  gut,  dass  die  Mittelwerte  trotz  des  geringen 
Beobachtungsmateriales  Vertrauen  verdienen. 

»Die  von  mir  gefundene  Wellenlänge  der  Hauptnebellinie  N^,€ 
fahrt  Dr.  Hartmann  fort,  »stimmt  fast  vollkommen  mit  dem  von 
Keeler  aus  seinen  Beobachtungen  des  Orionnebels  abgeleiteten  Werte 
l  =  5007.05  +  0.03  überein.  Dagegen  finde  ich  die  Wellenlänge 
der  2.  Linie  merklich  grösser  als  Keeler,  der  dafür  den  Wert 
4959.02  +  0.04  giebt  Dieser  Wert  beruht  auf  5  Vergleichungen 
der  Nebellinie  mit  der  Doppellinie  l  4957.480  und  l  4957.785  des 
EiBenspektrums.  Keeler  sah  bei  seinen  Beobachtungen  dieses  Linien- 
paar nicht  getrennt,  und  er  benutzte  daher  als  Wellenlänge  für  seine 
Vo^eichslinie  das  arithmetische  Mittel  4957.63.  In  Rowlands  Sonnen- 
spektnim  haben  die  beiden  Linien  die  Intensitäten  5  und  8;  bildet 
man  mit  Benutzung  dieser  Intensitäten  als  (Gewichten  das  Mittel,  so 
erlialt  man  für  die  Wellenlänge  der  durch  Verschmelzung  beider 
entstandenen  Linie  den  Wert  4957.67,  welchen  ich  bei  meiner 
Rechnung  angenommen  habe.  Durch  Benutzung  dieses  Wertes  würde 
Keelers  Wellenlänge  der  2.  Nebellinie  übergehen  in  4959.06,  ein 
Wert,   der  immer  noch  0.11    von  meinem  Resultate  abweichte 

Da  Keeler  nicht  das  Spektrum  des  Bogens,  sondern  das  des 
Funkens  angewandt  hat,  so  vermutete  Dr.  Hartmann,  dass  der  Inten- 

Klein,  Jahrbuch  XIII.  10 


146 


Sternhaufen  und  Nebelflecke. 


sitatsunterschied  der  Linien  im  Funkenspektrom  ein  anderer  sein 
könne.  Dies  hat  sich  in  Versuchen,  die  er  anstellte,  völlig  bestätigt. 
Im  Funken,  der  durch  einen  grossen  Induktionsapparat  und  zwei 
Leidener  Flaschen  erzeugt  wurde,  war  die  Linie  4957.480  so  schwach, 
dass  sie  neben  der  Hauptlinie  kaum  zu  sehen  war.  Bei  dem  weniger 
hellen  Funken,  den  Keeler  für  sein  Vergleichsspektrum  benutzt  hat, 
ist  es  darnach  sehr  wahrscheinlich,  dass  er  überhaupt  nur  die  Linie 
4957.785  gesehen  und  an  diese  die  Nebellinie  angeschlossen  hat. 
Nimmt  man  aber  für  Keelers  Vergleichslinie  die  Wellenlänge  4957.78 
statt  4957.63  an,  so  erhält  man  für  die  2.  Nebellinie  nach  Eeelers 
Messungen  die  Wellenlänge  4959.17;  dieser  Wert  stimmt  genau  mit 
Dr.  Hartmanns  Residtat  überein. 

Unter  Benutzung  der  von  ihm  abgeleiteten  Wellenlängen  von  N^ 
und  N,  erhält  nun  Dr.  Hartmann  für  die  Geschwindigkeiten  (V)  der 
Nebel  G.  C.  4390,  4373  und  N.  G.  C  7027  folgende  Mittelwerte: 


V 

V 

Nebel 

Platte 

nach 

nach 

Hartmann 

Keeler 

km 

G.G. 4390  Rand 

I  120 

—  6.7 

MiUe 

I  123 

-l3.3(Vi) 

ra390 

-  9.3 

m  392a 

-9.8 

in  892b 
Mittel 

-11.0 

km 

-10.5 

-9.7 

G.G. 4373  Mitte 

I  127 

-59.5  (V.) 

Rand 

in389 
Mittel 

—69.0 

-66.8 

-64.7 

N.  G.G.  7027  Mitte 

l  144 

+  4.9 

+10.1 

>0b,€  sagt  Dr.  Hartmann,  >der  geringe  Unterschied,  den  ich 
für  den  Rand  und  die  Mitte  der  Nebel  G.  G.  4390  und  G.  G.  4373 
gefunden  habe,  auf  relative  Bewegungen  in  diesen  Nebeln  zurück- 
zuführen ist,  möchte  ich  nach  den  über  die  Genauigkeitsgrenze  der 
mit  Apparat  I  gemachten  Aufnahmen  noch  nicht  mit  Sicherheit  be- 
haupten. Wichtiger  erscheint  mir  der  Umstand,  dass  auf  fast  allen 
Aufnahmen  des  Nebels  G.  G.  4390  die  Linien  eine  schwache  Krümmung, 
sowie  eine  geringe  Neigung  gegen  die  Richtung  der  Linien  des  Ver- 
gleichsspektrums besitzen,  wodurch  mir  das  Vorhandensein  relativer 
Bewegungen  in  diesem  Nebel  sehr  wahrscheinlich  geworden  ist 
Wegen  des  Verschwindens  des  Objektes  in  der  Abenddämmerung  war 
es  mir  bis  jetzt  nicht  möglich.  Gewissheit  über  diese  Frage  zu  er- 
langen. Ich  hoffe  jedoch,  dass  es  mir  mit  speziell  für  diesen  Zweck 
konstruierten  Spektrographen  gelingen  wird,  die  hier  angedeuteten 
Untersuchungen  mit  Erfolg  weiter  zu  führen.  Auf  Veranlassung 
des  GeL-Rat  Vogel,  der  den  kleinem  photographischen  Refraktor 
des  Observatoriums  wegen  des  grössern  Verhältnisses  von  Öffnung 


Sternhaufen  und  Nebelflecke«  147 

zu  Brennweite  für  geeigneter  zur  Untersuchung  der  Spektra  aus- 
gedehnter Nebel  hielt,  hat  im  November  vorigen  Jahres  Dr.  Eber- 
hard mit  diesem  Instrumente  Au&ahmen  des  Spektrums  des  Orion- 
nebels begonnen,  die  in  Bezug  auf  die  Nachweisung  relativer  Be- 
wegungen im  Nebel  zu  Resultaten  von  grösserer  Sicherheit  geführt  haben. 

Beobaehtungren  fiber  das  Aussehen  der  Hilchstrasse 
bei  Betrachtung  mit  blossem  Auge  hat  T.  W.  Backhouse  angestellt^) 
Er  bestimmte  dabei  hauptsächlich  die  Lage  der  hellem  Flecke  und 
Striche  im  Zuge  der  Milchstrasse  tmter  den  Sternen.  Dass  auch 
dunkle  Stellen  in  der  Milchstrasse  nördlich  vom  Äquator  vorkommen, 
bezeugt  die  Region  zwischen  a  Cygni  und  Gepheus,  sowie  die  dunkle 
SteUe  zwischen  ß  und  i  Tauri.  Der  Beobachter  glaubt,  dass  die 
Annahme,  diese  dunklen  Stellen  seien  durch  eine  nicht  leuchtende 
oder  schwach  schimmernde  Nebelmatrie  hervorgerufen,  nicht  gerade 
zu  verwerfen  sei. 


M  Publications  of  the  West  Hendon  House  Observatory,  Sunderland 
1902.  No.  2. 


10» 


Geophysik. 


Allgemeine  Eigrenschaften  der  Erde. 

Ober  das  Alter  der  Erde  seit  der  Bildung  Ihrer  festen 
Oberfläche  verbreitete  sich  neuerdings  wieder  Lord  Kelvin.^)  Als 
Minimum  hatte  er  20  Millionen  Jahre  angenommen,  da  bei  einem 
geringem  Alter  die  Erdwärme  jetzt  grösser  sein  müsste,  als  es  der 
Fall  ist  Das  früher  gefundene  Maximum  von  400  Millionen  Jahren 
ist  infolge  der  jetzt  auf  experimentellem  Wege  gefundenen  Ergeb- 
nisse über  das  thermische  Verhalten  der  Gesteine  auf  40  Millionen 
reduziert,  so  dass  man  guten  Grund  zu  der  Behauptung  hat,  dass 
das  Alter  der  Erde  zwischen  20  und  40  Millionen  Jahren  liegt  Be- 
rücksichtigt man  die  Resultate,  zu  denen  G.  Barus  bei  seinen  Ex- 
perimenten über  das  physikalische  Verhalten  der  Gesteine  bei  hohen 
Temperaturen  gekommen  ist,  so  kann  man  sagen,  dass  das  Erdalter 
nicht  über  24  Millionen  Jahre  reicht  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
war  unmittelbar  vor  dem  Erstarren  der  Oberfläche  das  Innere  bis 
fast  an  die  Oberfläche  schon  fest  Nimmt  man  an,  dass  der  Erd- 
kern mit  flüssiger  Lava  bis  zu  40  hm  tief  bedeckt  war,  und  betrug 
der  Druck  10000  Atmosphären  in  dieser  Tiefe,  so  kann  die  Tem- 
peratur dieses  Lavaozeans  nur  wenig  niedriger  als  1420^  gewesen 
sein.  Durch  Ausstrahlung  in  den  Raum  würde  nach  den  Berech- 
nungen des  Verfassers  der  40  km  tiefe  Lavasee  in  12  Jahren  er- 
starrt sein.  Nach  einer  kurzen  Darlegung  der  Art,  wie  sich  wahr- 
scheinlich die  Granite  und  Basalte  gebildet  haben,  folgt  eine 
Auseinandersetzung  über  den  Vorgang  bei  der  Differenzierung  der 
Erdoberfläche  in  Kontinente  und  Ozeane.  Die  Entstehung  von 
Unregelmässigkeiten  ist  in  erster  Linie  durch  die  Heterogenität  in 
verschiedenen  Teilen  der  Flüssigkeit  bedingt  gewesen,  welche  die 
Erde  vor  der  Erstarrung  bildete.  War  aber  einmal  über  grosse 
Flächen  die  Lava  erstarrt,  während  an  andern  Stellen  noch  ein 
ca.  40  km  tiefes  Lavameer  lag,  so  war  auch  dieses  nach  den  obigen 
Annahmen  in  etwa  12  Jahren  ausgefüllt  Die  mit  dem  Erstarren 
verbundene  Kontraktion  muss  die  Niveauunterschiede  weiterhin  ver- 


^)  Phil.  Mag.  47.  p.  66,  Auszug  daraus  Petermanns  Mitt.,  litteratur- 
bericht  von  Rudolph  1^92.  No.  16,  woraus  oben  der  Text 


Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde.  149 

stärkt  haben.  Die  Dicke  der  ganz  festen  Rinde  nahm  anfangs  mit 
grosser  Geschwindigkeit  zu,  so  dass  sie  im  Laufe  von  3 — 4  Tagen 
etwa  1  m  dick  war.  Nach  einem  Jahre  betrug  die  Dicke  10  ifti  nach 
100  Jahren  war  sie  zehnmal,  nach  25  Millionen  Jahren  5000  mal 
so  dick  als  nach  einem  Jahre.  Wenn  diese  Zahlen  auch  nur  eine 
Vorstellung  von  dem  Verlaufe  des  Erstarrens  vermitteln  sollen,  so 
weichen  sie  doch  nach  dem  Verfasser  nicht  sehr  von  der  Wahrheit 
ab.  Die  Temperatur,  bis  auf  welche  die  Erdoberfläche  in  wenigen 
Jahren,  nachdem  die  Erstarrung  sie  erreicht  hatte,  abkühlte,  muss 
eine  solche  gewesen  sein,  dass  die  Temperatur,  bei  welcher  in  der 
Nacht  Wärme  in  den  Raum  ausstrahlte,  diejenige,  welche  während 
des  Tages  von  der  Sonne  empfangen  wurde,  um  die  kleine  Differenz 
übertrifft,  welche  von  der  von  innen  nach  aussen  geleiteten  Wärme 
herrührt  Ohne  auf  die  Frage  nach  der  Beschaffenheit  der  Ur- 
atmosphäre  näher  einzugehen,  sucht  der  Verfasser  nachzuweisen, 
woher  der  Stickstoff,  Sauerstoff  und  die  Kohlensäure  der  Atmosphäre 
stammen.  Es  ist  ganz  sicher,  dass  Stickstoff,  Kohlensäure  und 
Dampf  vor  der  anfänglichen  Erstarrung  aus  der  granitischen  Mutter- 
flüssigkeit in  Blasen  entwichen  sind  und  ebenso  später  bei  Erup- 
tionen basaltischer  Laven;  denn  alle  bisher  untersuchten  Oranite  und 
Basalte  haben  in  kleinen  Hohlräumen  grosse  Mengen  von  Stickstoff, 
Kohlensäure  und  Wasser  kondensiert  enthalten,  dagegen  keinen  freien 
Sauerstoff.  Wenn  auch  nicht  wahrscheinlich,  so  ist  es  doch  möglich, 
dass  in  der  Uratmosphäre  freier  Sauerstoff  vorhanden  war.  Aber, 
ob  mit  oder  ohne  Sauerstoff,  sobald  das  Sonnenlicht  vorhanden  war, 
können  wir  die  Erde  als  geeignet  für  ein  Pflanzenleben,  wie  es  jetzt 
in  einigen  Arten  bekannt  ist,  betrachten  überall  da,  wo  Wasser  die 
Rinde  befeuchtete,  ein  oder  2  Jahre,  nachdem  die  Erstarrung  der 
ursprünglichen  Lava  die  Oberfläche  erreicht  hatte.  Der  dicke,  zähe, 
samtartige  Überzug  lebender  Pflanzen,  welcher  unter  warmem  Wasser 
ohne  Zuthun  der  Atmosphäre  gedeiht,  bezieht  aus  dem  Wasser  und 
der  Kohlensaure  oder  den  im  Wasser  gelöst  vorhandenen  Karbonaten 
den  Wasserstoff  und  Kohlenstoff  zum  Wachstume;  den  freien  Sauer- 
stoff überlässt  er  dem  Wasser,  aus  dem  er  schliesslich  in  die 
Atmosphäre  übergeht.  Solche  Vegetation  findet  sich  in  Banff  (Canada) 
und  im  Yellowstone  National  Park.  Vor  dem  Ende  des  Jahrhunderts 
musste  bei  hinreichendem  Sonnenscheine,  Sonnenwärme  und  Regen 
die  ganze  Erde,  soweit  sie  nicht  unter  Wasser  stand,  für  alle  Arten 
von  Landpflanzen,  welche  nicht  viel  Sauerstoff  in  der  Luft  verlangen, 
geeignet  gewesen  sein.  Wenn  hingegen  in  der  Uratmosphäre  oder 
dem  Urozeane  kein  freier  Sauerstoff  war,  dann  mussten  Tausende 
und  Hunderttausende  von  Jahren  verstreichen,  bis  genug  Sauerstoff 
für  das  Tierleben  vorhanden  war.  Eine  andere  Frage  ist,  ob  die 
Sonne  schon  genügend  Wärme  spendete.  War  die  Erstarrung  der 
&de  vor  20 — 25  Millionen  Jahren  beendet,  so  war  die  Sonne 
wahrscheinlich  bereit,  doch  vielleicht  nicht  so  warm  wie  jetzt,  aber 


150  Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde. 

warm  genug,  um  einiges  Pflanzen-  und  Tieiieben  auf  der  Erde  zu 
unterhalten. 

Die  Variation  der  greographischen  Breiten.  Hierüber  sind 
zwei  neue  Abhandlungen  von  Dr.  Ghandler  erschienen.  In  der  ersten^) 
behandelt  er  die  Bewegung  des  Poles  während  des  Zeitraumes  von 
1890 — 1901  und  kommt  zu  dem  Ergebnisse,  dass  dieselbe  aus 
drei  voneinander  unabhängigen  Bewegungen  zusammengesetzt  ist, 
nämlich:  1.  einer  Kreisbewegung  mit  einer  Periode  von  14  Monaten» 
2.  einer  Jahresbewegung  in  einer  flachen  Ellipse  und  3.  einer  Be- 
wegung in  einer  wenig  exzentrischen  Ellipse  mit  einer  Periode  von 
etwa  13  Monaten.  In  der  zweiten  Abhandlung  erörtert  Ghandler 
die  Möglichkeit  noch  eines  weitem  Gliedes  in  der  Bewegung  des 
Poles,  das  eine  Periode  von  15  Monaten  besitzt,  aber  äusserst  klein 
ist,  indem  es  im  Maximum  nur  0.025^  erreicht.  Prof.  IQmora  sucht 
dagegen  zu  zeigen,  dass  eine  Variation  der  Breiten  in  jährlicher 
Periode  mit  einer  halben  Amplitude  von  nur  0.03"  bestehe,  von  der 
alle  Radien  in  ähnlicher  oder  gleicher  Weise  betroffen  werden  ohne 
Unterschied  der  geographischen  Länge.  Diese  Wirkung  müsste  ein- 
treten, wenn  der  Schwerpunkt  der  Erde  längs  der  Rotationsaxe  eine 
jährliche  Verschiebung  erlitte. 

Die  Lotablenkungen  und  das  Geoid  in  der  Schweiz. 

Dr.  B.  Messerschmitt  giebt  im  9.  Bande  des  grossen  Werkes:  »Das 
Schweizerische  Dreiecknetz,  herausgegeben  von  der  schweizerischen 
geodätischen  Kommission,«  die  Zusammenstellung  der  Polhöhen  und 
Azimutmessungen  und  diskutiert  die  Ergebnisse  der  Ortsbestimmungen. 
Aus  der  Zusammenstellung  der  Lotablenkungen  ergiebt  sich  wiederum 
auf  das  deutlichste,  dass  die  Stellung  des  Lotes  in  dem  hier  be- 
handelten Gebiete  der  Alpen,  welches  die  gesamte  Schweiz  umfasst, 
stets  nahe  senkrecht  zum  Striche  des  Gebirges  ist.  »Würde  man 
daher  auf  einer  Karte  alle  Punkte  mit  gleich  grosser  Lotablenkung 
verbinden,  so  ergeben  diese  Linien  ein  Bild,  das  der  orographischen 
Karte  sehr  ähnlich  wäre.  Verbindet  man  alle  die  Punkte,  welche 
gleich  grosse  Störung  in  Breite  aufweisen,  so  erhält  man  Linien,  die 
nahe  parallel  zur  Richtung  des  Gebirges  verlaufen.  Sie  lassen  be- 
sonders auffälUg  den  verschiedenen  Einfluss  der  beiden  Gebirgsketten 
der  Alpen  und  des  Jura  erkennen,  indem,  wie  es  ja  angesichts  der 
grössern  Massen  der  Fall  sein  muss,  die  Anziehung  der  Alpen  bis 
nahe  an  den  Fuss  des  weniger  mächtigen  Jura  reicht  Nimmt  man 
als  den  wahrscheinlichsten  Wert  der  Lotabweichung  in  Bern  (dem 
Ausgangspunkte  der  geodätischen  Vermessung)  -f-  4".0  in  Breite  und 
•^  B'\0  in  Länge  an,  so  verläuft  die  Nulllinie,  längs  welcher  sich  die 
Anziehung  beider  Gebirge  das  Gleichgewicht  hält,  vom  Genfersee 
aus  etwas  südlich  von  Moudon,  über  Payeme,  Murten  gegen  Zürich 


')  Astron.  Journal  No.  522. 


Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde.  151 

hin,  und  zwar  in  einer  Entfernung  von  etwa  12  km  vom  Fusse  des 
Jura,  dem  sie  nahe  parallel  geht.  Sowohl  nach  Norden  als  nach 
Süden  zu  nimmt  die  Anziehung  rasch  zu  und  erreicht  am  Jura  ihr 
Maximum  auf  der  ersten  Kette»  bevor  sie  dessen  Gipfel  erreicht  hat, 
wie  sich  besonders  aus  den  Beobachtungen  am  Chaumont  ergiebt, 
wo  die  astronomische  Station  nicht  ganz  am  Gipfel  liegt.  Für 
letztem  ergiebt  die  entsprechende  aus  den  Massen  berechnete  relative 
Lotablenkung  bereits  einen  kleinern  Wert. 

Nach  Süden,  gegen  die  Alpen  hin,  nimmt  die  Anziehung  ähnlich 
wie  der  Anstieg  des  Gebirges  zunächst  langsam  zu;  mit  der  grossem 
Annäherung  an  das  Massiv  wachsen  die  Zahlen  rascher.  So  beträgt 
sie  z.  B.  auf  Naye  und  Berra  14",  während  in  einer  Entfernung  von 
noch  nicht  80  km  gegen  den  Jura  zu,  auf  den  Stationen  Chalet  und 
Moudon  nur  5''  und  4"  gefunden  wird.  In  der  Gegend  der  Bemer 
Alpen  findet  man  wenig  nördlich  von  Bem,  im  sog.  Seelande,  fast 
keine  Anziehung,  infolge  der  beiden  Gebirge,  Alpen  und  Jura;  in 
Bem  beträgt  sie  etwa  4" ;  30 — 40  km  südlicher,  im  Thale  ebenso 
wie  auf  der  Höhe  wächst  die  Anziehung  mehr  und  mehr.  In  Spiez 
ergab  sich  in  Breite  18",  am  Gumigel  21"  (Gesamtanziehung),  noch 
südlicher,  am  Männlichen,  in  Breite  allein  18";  während  sie  wieder 
nördlicher  davon,  also  entfemter  vom  Zentralgebirge,  am  Brienzer 
Rothhome  nur  8"  im  ganzen  ist.  Noch  tiefer  im  Gebirge  nimmt  sie 
rasch  ab  und  geht  durch  Null  hindurch,  um  dann  wieder  stetig  auf 
der  andern  Seite  des  Gebirges  entsprechend  der  Entfernung  von  der 
Mitte  desselben  wieder  zuzunehmen.  Dies  lässt  sich  am  besten  längs 
der  Gotthardlinie  verfolgen. 

In  der  Gegend  von  Zürich  herrscht  nur  eine  geringe  Anziehung,  in 
Luzem  ist  sie  bereits  6";  am  Zugerberg  in  Breite  allein  schon  fast  9"; 
am  Rigi,  auf  Hammetschwand,  also  nur  86  km  südlicher,  dagegen  schon 
17" — 18".  Wieder  näher  dem  Alpenzentrum  nimmt  die  Anziehung 
ab  und  ist  wenig  südlich  vom  St.  Gotthard  etwa  Null  (Göschenen 
+  1 1",  Andermatt  +  9",  Gotthard  +  4",  Airolo  +  2",  Biasca  —  2".) 
ßdtsprechend  zeigt  sich  der  gleiche  Vorgang  auf  der  Südseite  der 
Alpen.  In  Biasca  ist  die  Anziehung  noch  ganz  gering,  südlicher  in 
Lugano  z.  B.  beträgt  sie  in  Breite  schon  gegen  17",  auf  dem  frei 
gelegenen  Ausläufer  der  Alpen,  dem  Monte  Generoso,  beläuft  sich 
der  Gesamtbetrag  immer  noch  auf  fast  19";  am  Fusse  desselben,  in 
Capolago  14"  in  Breite  allein;  in  Mailand  18"  in  Breite.  Weiter 
entfernt  nimmt  sie  dann  rasch  ab. 

Im  Innem  des  Gebirges  ist  im  einzelnen  die  Stellung  des  Lotes 
nicht  so  ausgesprochen,  da  dort  die  lokalen  Verhältnisse  sehr  herein- 
spielen, was  namentlich  in  den  tief  eingeschnittenen  Thälem  hervor- 
tritt Anders  dagegen  ist  es  auf  den  frei  gelegenen  Stationen,  be- 
sonders den  Gipfeln.  So  findet  man  am  Simplon  eine  Anziehung 
von  12",  welche  hauptsächlich  ihren  Gmnd  in  der  südlicher  gelegenen 
Monte  Rosa-Grappe   hat;   im   Rhonethaie  und   in  den   südlich   aus- 


1 52  Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde. 

laufenden  Thalem  dagegen  wird  je  nach  der  Lage  Anzieh^ung  nach 
Norden  oder  Süden  beobachtet 

Mehr  im  Osten  wiederholt  sich  das  gleiche  Spiel.  In  der 
Gegend  des  Bodensees  findet  man  an  der  Ostseite,  auf  dem  Pfänder, 
eine  starke  Anziehung  der  Tyroler  Alpen  (13''),  etwas  entfernter 
davon  auf  Hohentannen,  nördlich  von  St.  Gallen,  und  Gäbris  nur 
noch  6" — 7";  noch  entfernter  auf  Hömli  2" — 3".  Am  nördlichen 
Ufer  des  Sees  dagegen  dominieren  die,  wenn  auch  wenig  mächtigen 
Massen  des  Allgäus,  des  Hegaus  und  der  südlichen  Ausläufer  der 
Rauhen  Alp,  wie  unter  anderem  die  Anziehung  von  fast  7"  in  Hersberg, 
9''  auf  Hohentwiel  zeigt 

Weiter  westlich  ist  der  Schwarzwald  massgebend,  wie  die  Lot- 
abweichungen auf  Egg  (14")  und  Achenberg  (11'')  zeigen,  da  dieses 
Gebirge  mächtiger  ist  als  die  etwas  südlicher  liegenden  Juraketten. 
In  Basel,  das  sich  in  einem  Thalkessel  befindet,  wird  entsprechend 
seiner  Lage  nur  eine  geringe  Anziehung  des  Jura  (3")  erhalten. 

Südlich  von  den  oben  genannten  Punkten  Gäbris  und  Hörnli 
treten  wieder  die  Alpen  in  ihre  Rechte  ein,  so  zeigt  sich  am  Säntis, 
dem  vorgeschobenen,  fast  isolierten  Bergmassive,  schon  eine  Anziehung 
von  9".  Wieder  tiefer  im  Gebirge  selbst  sind  die  gefundenen  Zahlen 
im  allgemeinen  klein,  wie  die  oben  mitgeteilten  Werte  im  Engadin 
ergeben. 

Die  geschilderten  Verhältnisse  beschränken  sich  jedoch  nicht  nur 
auf  die  Schweiz,  sie  gelten  für  das  ganze  Alpenmassiv,  wie  die 
Beobachtungen  in  den  österreichischen,  italienischen  und  französischen 
Teilen  der  Alpen  ergaben,  deren  Anzahl  allerdings  bis  jetzt  noch 
nicht  zahlreich  genug  ist,  um  dies  ebenso  im  einzelnen,  wie  für  die 
Schweiz,  nachweisen  zu  können.  Immer  steht  das  Lot  nahe  senk- 
recht zum  Gebirge;  die  Anziehung  nimmt  rasch  mit  der  Annäherung 
an  die  Alpen  zu,  wobei  Lotablenkungen  bis  zu  etwa  30"  im  Maximum 
beobachtet  werden;  in  der  Schweiz  selbst  ist  nur  wenig  mehr  als 
20"  gefunden  worden.  Rechnet  man  gleichviel  auf  beiden  Seiten 
der  Alpen,  so  erhält  man  etwa  50"  Lotablenkung  bei  einer  Ent- 
fernung von  100  km.  Wenn  man  berücksichtigt,  dass  1"  in  Breite 
rund  31  m  auf  der  Erde  entsprechen,  so  würde  aus  den  astronomischen 
Bestimmungen  die  Entfernung  zweier  nördlich  und  südlich  gelegenen 
Punkte  um  ca.  1.5  km,  das  ist  mehr  als  1^/^  anders  gefunden  wer- 
den, als  es  die  direkte,  geodätische  Messung  ergiebt« 

Die  Diskussion  von  5  Geoidschnitten  ergiebt  genügendes  Ma- 
terial, um  ein  Bild  der  Isohypsen  des  Geoids  in  der  Schweiz  mit 
Höhenunterschieden  von  0.5  m  zu  entwerfen. 

»Damach  stellt  das  Geoid  in  der  Schweiz  in  dem  Gebiete 
zwischen  Bodensee,  Zürichsee  bis  westlich  vom  Sempachersee  eine 
grosse  Ebene  von  fast  gleicher  Höhe  dar,  welche  nur  im  westlichen 
Teile  eine  kleine  wannenartige  Vertiefung  aufweist,  im  Maximum 
0,3  m  tief.     Verfolgt  man  das  Geoid  auf  der  schweizerischen  Hoch- 


Allgemeine  Bigenschafien  der  Erde.  153 

ebene  weiter  gegen  den  Neuenburger-  und  Qenfersee  hin,  so  steigt 
die  oben  genannte  Gegend  allmählich  an  und  bildet  ein  ziemlich 
breites  Thal,  welches  in  der  Gegend  des  Neuenburgersees  etwa 
1.5  m  höher  ist  als  am  Bodensee.  Nach  der  nördlichen  Seite  hin, 
gegen  den  Jura  und  Schwarzwald,  steigt  das  Geoid  langsam  an  und 
erreicht  eine  Höhe,  die  2  m  nicht  viel  übersteigt  Etwas  schneller 
ist  die  Steigung  nach  Süden,  gegen  die  Alpen  zu.  In  der  Mitte  der- 
selben bildet  sie  einen  etwa  40 — 50  km  breiten  Rücken,  dessen 
Höhe  4 — 5  m  über  dem  angenommenen  Nullpunkte  liegt.  Im  Westen, 
bei  der  Monte  Rosa-Gruppe,  ist  die  Erhebung  etwas  grösser  (5  m) 
als  mehr  östlich  am  Gotthard  (Maximum  4.8  m).  Nach  der  Südseite 
der  Alpen  hin  findet  dann  ein  rascher  Abfall  statt,  der  auch  in  der 
Poebene  noch  anhält.  In  der  Gegend  zwischen  Mailand  und  Gomo 
erreicht  das  Geoid  wieder  dieselbe  Höhe,  welche  als  Ausgangspunkt 
genommen  wurde,  und  sinkt  dann  zunächst  noch  mehr  und  erreicht 
mindestens  in  seinem  tiefsten  Punkte  3  m  Tiefe  unter  dem  Ausgangs- 
punkt Man  erkennt  daraus,  dass  das  Geoid  in  der  Schweiz  ein 
schwaches  Spiegelbild  der  sichtbaren  gewaltigen  Bergmassen  ist  unter 
AusserachÜassung  des  aufgeschwemmten  Pothales.  Soweit  aus  den 
anderweitigen  Angaben  über  Lotablenkungen  entnommen  werden  kann, 
gilt  dies  für  das  ganze  Alpengebiet 

Das  Geoid  der  Alpen  bildet  eine  grosse  bogenförmige  Welle, 
welche  sich  nach  Norden  zu  langsam  abflacht,  während  sie  nach 
Süden  verhältnismässig  steil  abfällt  Dass  der  Abfall  in  der  Poebene 
zunächst  noch  in  gleichem  Masse  fortbesteht,  ist  leicht  dadurch  zu 
erklären,  dass  gerade  diese  Ebene  nur  ein  aufgeschwemmtes  Land 
ist,  während  in  Wahrheit  das  Gebirge  hier  noch  tief  hinabreicht. 
Erst  mit  der  Annäherung  an  die  Apenninen  ist  wieder  ein  Steigen 
des  Geoids  zu  erwarten. 

Wenn  hier  die  geometrischen  Verhältnisse  der  mathematischen 
Gestalt  der  Erdoberfläche  so  deutlich  dargestellt  werden  können,  so 
hat  dies  seinen  Grund  in  dem  einfachen  BUdungsgesetze  des  ganzen 
Alpenmassivs.  Durch  gewaltige  Schubkräfte,  welche  von  der  Süd- 
seite her  die  Erdkruste  zusammenpressten,  ist  der  steilere  Absturz 
der  Südseite  der  Alpen  bedingt;  analog  verläuft  hier  das  Geoid  steiler 
als  im  Norden.  Vergleicht  man  damit  die  Resultate,  welche  aus 
den  Beobachtungen  der  Intensität  der  Schwere  folgen,  so  findet  man 
manche  interessante  Übereinstimmung,  aber  auch  ganz  charakteristische 
Abweichungen.  Betrachtet  man  die  im  Original  gegebenen  Linien 
gleicher  Schwereabweichung  (Isogammen),  so  ist  auf  der  Südseite 
der  Alpen  eine  rasche  Änderung  der  Schwere  vorhanden,  weshalb 
die  Unterschiede  zwischen  der  beobachteten,  auf  Meereshöhe  redu- 
zierten Schwere  gegenüber  der  theoretischen  rasch  kleiner  werden, 
also  ganz  analog  dem  Verlaufe  des  Geoids.  Ebenso  bleibt  im 
Innern  der  Alpen  weithin  der  Unterschied  nahe  gleich,  und  zwar 
ist   die   beobachtete   Schwere   geringer   als   die   theoretische.     Ganz 


154  Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde. 

abweichend  aber  vom  Geoid  verhält  sich  die  Schwere  in  den  öst- 
lichen Schweizer  Alpen  gegen  Tirol  zu,  im  Engadin,  wo  die  Be- 
obachtungen beider  Länder  zusammenstossen.  In  Martinsbnick  ist 
von  Oberst  von  Stemeck  und  vom  Verf.  unabhängig  beobachtet  und 
das  gleiche  Resultat  erhalten  worden;  zwei  weitere  Beobachtungs- 
punkte, St  Maria  im  Münsterthale  und  Mals,  sind  nur  in  geringer 
Entfernung  voneinander  und  können  daher  leicht  aufeinander  reduziert 
werden.  Auch  sie  stimmen  gut  miteinander  überein.  Die  Verbindung 
der  beiderseitigen  Messungen  ist  daher  vollständig  gesichert.  Während 
die  Schwere  in  dem  übrigen  Teile  der  Alpen  nur  etwa  1,20  mm 
kleiner  als  die  normale  gefunden  wird,  kommt  die  Differenz  in  diesem 
Gebiete  auf  1,6 — 1,7  mm. 

Im  nördlichen  Teile  der  Alpen  und  auf  der  schweizerischen 
Hochebene  bis  zum  Bodensee  wird  durchgehends  eine  mittlere  Ab- 
weichung von  nahe  der  gleichen  Grösse  gefunden;  im  östlichen  Teile 
der  Schweiz  gehen  dabei  die  grossem  Abweichungen  mehr  nördlicher 
als  im  Westen,  ja  hier,  in  der  Gegend  des  Genfersees,  findet  sich 
eine  grössere  Stelle,  wo  die  Unterschiede  zwischen  beobachteter  und 
berechneter  Schwere  am  kleinsten  werden.  Der  Jura  tritt  bei  der 
Intensität  der  Schwere  gar  nicht  hervor,  indem  dort  nahe  die 
gleichen  Werte  wie  in  der  schweizerischen  Hochebene  gefunden 
werden.     Dies  ist  sehr  charakteristisch  im  Vergleiche  zum  Geoid. 

Die  geringsten  Unterschiede  werden  am  Rhein  in  der  Gegend 
von  Basel  bis  Schaffhausen  gefunden,  ebenso  am  Hohentwiel,  während 
wieder  im  Schwarzwald  die  Unterschiede  zunehmen.  Bezeichnet  man 
die  Abweichungen  als  Defekte,  wenn  die  Schwere  kleiner  beobachtet 
wird,  als  es  die  Theorie  erfordert,  so  erscheint  der  schweizerische 
Jura  im  Vergleiche  mit  dem  schweizerischen  Mittellande,  der  sog. 
Hochebene,  gar  nicht  kompensiert,  indem  hier  überall  nahe  der 
gleiche  Massendefekt,  entsprechend  einer  Mächtigkeit  von  800  bis 
400  m  Höhe  bei  einer  Dichte  von  etwa  2,3  gefunden  wird.  Es 
hängt  dies  mit  der  Natur  des  Jura  und  seiner  Entstehung  innig  zu- 
sammen. Der  Jura  ist  kein  Faltengebirge,  welches  durch  Auslösen 
gewaltiger  Spannungen  entstanden  ist,  sondern  mehr  ein  einfaches 
Hebungsgebiet.  Es  sinkt  daher,  trotz  der  kolossalen  Mächtigkeit  der 
Kalkablagerungen,  das  Gebirge  nicht  tief  in  die  Erdrinde  ein,  sondern 
es  ist  in  verhältnismässig  geringer  Tiefe  eine  normale  Schichtung  des 
Gesteins  zu  erwarten.  Anders  bei  den  Alpen  und  auch  dem  Schwarz- 
wald, welche,  Dank  ihrer  Entstehungsgeschichte,  noch  tief  hinab  ihre 
Wirkung  hinterlassen  haben  und  so  durch  die  verminderte  Stärke 
der  Schwerkraft  nachgewiesen  und  gewissermassen  abgewogen  wer- 
den können.  Es  dringen  die  weniger  dichten  Gesteine  hier  noch  in 
Tiefen  hinab,  die  sie  bei  normaler  Lagerung  nicht  haben,  und  des- 
halb erscheinen  in  ihrer  Wirkung  auf  die  Schwingungszeiten  des 
Pendels  die  oberirdischen  Massen  unterhalb  kompensiert.  Die  stärkere 
Abweichung  im  Engadin  wäre  dann  dadurch  zu  erklären,  dass  dort 


Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde.  155 

die  Falten  des  Gebirges  noch  tiefer  hinabreichen  als  in  andern 
Teilen  der  Alpen,  speziell  der  Bemer  und  Freiburger  Alpen.  Es  ist 
ja  nun  auch  in  der  That  der  geologische  Aufbau  des  Gesteins  in 
dieser  Gegend  komplizierter  als  in  den  eben  angeführten  andern 
Teilen  der  Schweiz.  Wahrend  die  Zentralalpen  aus  Gneiss  und 
Glimmerschiefer  aufgebaut  sind,  treten  hier  neben  dem  Bündnerschiefer 
und  andern  Gesteinsformationen  besonders  noch  die  krystallinischen 
tiefen  Gesteine,  Granite  und  verwandte  Arten  auf.  Ein  Eindringen 
derselben  in  noch  grössere  Tiefen  erscheint  aber  sehr  gut  möglich 
und  giebt  sich  eben  bei  den  Pendelmessungen  durch  eine  schwächere 
Intensität  der  Schwere  zu  erkennen. 

Auf  die  Richtung  des  Lotes  jedoch  sind  diese  tiefer  gelegenen 
Schichten  nur  von  untergeordneter  Bedeutung.  Wie  Dr.  Messerschmitts 
Berechnungen  der  Lotabweichungen  in  der  Schweiz  ergeben  haben,^) 
erhält  man  aus  den  sichtbaren  Massen  im  Umkreise  von  etwa  35  km 
nahe  die  richtige  Lotablenkung.  Das  nämliche  Ergebnis  fand  sich 
auch  für  die  bayerischen  Alpen  aus  den  Rechnungen  C.  von  Orffs 
und  für  die  Tiroler  Alpen  nach  den  Rechnungen  von  Pechmann,  es 
gilt  also  wohl  für  die  ganzen  Alpen.  Auch  für  den  Harz')  erhält 
man  ähnliche  Resultate,  während  ein  solch  einfaches  Gesetz  für 
andere  Gegenden,  ganz  abgesehen  von  den  unsichtbaren  Störungs- 
gebieten, wie  denjenigen  bei  Berlin  und  Moskau,  nicht  nachgewiesen 
werden  konnte.  So  geben  die  Berechnungen  in  England^)  eine 
weniger  gute  Übereinstimmung.  Es  hängt  eben  ein  solches  ein- 
faches Verhalten  von  der  geologischen  Struktur  der  betreffenden 
Gegend  ab.  Sobald  in  kürzerer  Entfernung  die  Dichtigkeitsverhält- 
nisse namentlich  in  geringerer  Tiefe  sich  rasch  ändern,  kommt  dies 
auch  in  der  Lotstellung  zum  Ausdrucke,  und  es  kann  ein  verhältnis- 
mässig kleiner  Störungskörper,  wenn  man  sich  so  ausdrücken  darf, 
durch  das  Lot  erkannt  werden,  w^ährend  er  wegen  seiner  Gering- 
fügigkeit auf  die  Intensität  der  Schwere  zu  wenig  einwirkt,  um  dort 
noch  messbare  Wirkungen  zu  hinterlassen.  Im  Gegensatze  hierzu 
fällt  der  grosse  Massendefekt  in  den  Alpen  bei  der  Lotstellung  ganz 
ausser  Betracht,  da  er  eben  überall  nahe   gleich   stark  hereinspielt 

Die  Ablenkung  des  Lotes  in  Indien.  Diese  Frage  ist  noch 
keineswegs  genügend  beantwortet,  doch  hat  Major  S.  G.  Burrard  in 
einem  unlängst  erschienenen  Werke  ^)  den  Gegenstand  so  weit  geklärt, 
dass  fernere  Arbeiten  in  zielbewusster  Weise  darauf  begründet  werden 
können.      E.  A.  Reeves   giebt  von   diesem  Werke   und   dem   ganzen 


^  Astron.  Nachr.  1896  14L  No.  3865.  p.  75. 

*)  Über  den  Einfluss  der  sichtbaren  Massen  des  Harz  auf  die  Stellung 
des  Lotes.    Zeitschiift  für  Vermessungswesen  1899.  28.  p.  634. 

*)  Helmert,  Die  math.  und  physik.  Theorien  der  hohem  Geodäsie. 
Leipzig  1884.  2.  p.  376. 

*)  The  Attraction  of  the  Himalaya  Mountains  1901. 


156  Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde. 

Problem  eine  äusserst  fesselnde  Darstellung,^)  der  folgendes  ent- 
nommen ist.  Ehe  es  möglich  wird,  festzustellen,  um  welchen  Betrag 
der  Himalaya  die  Lotlinie  durch  Indien  ablenkt,  ist  es  notwendig, 
die  Beobachtungsstation  von  dem  Einflüsse  der  Lokalattraktion  zu 
befreien,  und  um  dieses  auszuführen,  schlug  General  Walker  ein 
System  der  Gruppierung  vor,  d.  h..  dass  jede  Station  von  andern 
in  geringer  Entfernung  liegenden  Stationen  umgeben  werden  soll,  und 
dass  Beobachtungen  an  allen  diesen  Stationen  zu  machen  sind, 
aus  denen  die  Lokalattraktion  abgeleitet  werden  könnte.  In  der- 
selben Abhandlung  versuchte  er  das  Überwiegen  von  nördlichen  Ab- 
lenkungen durch  Indien  zu  erklären,  indem  er  annimmt,  dass  Lokal- 
attraktion eine  südliche  Ablenkung  in  Ealiänpur  hervorbringt,  welche 
Station  als  Reverenzstation  für  die  indische  Vermessung  ange- 
nommen wird. 

Durch  die  indische  Landesvermessung  wurde  beschlossen,  die 
Vorschläge  Walkers  in  Ausführung  zu  bringen  und  eine  »Gruppierungc 
von  Beobachtungsstationen  einzurichten  rund  um  Kaliänpur,  um  die 
Lokalattraktion  an  diesem  Platze  festzustellen.  Das  Resultat  der 
an  diesen  Stationen  gemachten  Beobachtungen  ist  in  Major  Burrards 
Bericht  enthalten,  der  die  nachfolgenden  Werte  der  Breite  von 
Kaliänpur  mitteilt: 

In  der  Berechnung  der  Triangulation  angenommener  Wert    24^7'  11.20'' 
Mittlerer  beobachteter  Wert  von  sechs  verschiedenen  Be- 
obachtungen in  Kaliänpur  selbst  ausgeführt  von  verschie- 
denen Beobachtern  zwischen   1824  und   18d9  (die  grösste 

Differenz  zwischen  diesen  ist  O.85'0 24«7'  10.97" 

Von  der  >Gruppierung€  abgeleiteter  Wert 24*7'  11.57" 

Unter  der  Annahme,  dass  der  durch  die  »Gruppierungc  abgeleitete 
Wert  von  Lokaleinfluss  befreit  ist,  wird  gefolgert,  dass  das  astro- 
nomische Zenit  von  Kaliänpur  um  0.60''  nach  Norden  verschoben 
ist.  Dieses  Resultat  ist  überraschend,  denn  statt  der  südlichen  Lokal- 
ablenkung in  Kaliänpur,  wie  sie  Walker  annahm,  findet  sich  eine 
nördliche.  Danach  musste  der  ganze  Gegenstand  wieder  aufgenommen 
werden,  und  es  giebt  der  Bericht  Major  Burrards  das  Endergebnis 
dieser  neuen  Arbeit,  so  dass  der  Bericht  eine  grosse  Masse  der 
peinlichsten  Arbeit  darstellt. 

Die  Hauptergebnisse,  zu  denen  Burrard  gekommen,  fasst  er  in 
folgender  Weise  zusammen: 

Die  Umkehr  der  Lotablenkung  längs  des  Parallels  von  24^  n.  B. 
(der  Breite  von  Kaliänpur)  ist  einer  grossen  unterirdischen  Kette  oder 
Masse  von  ausserordentlicher  Dichte  zuzuschreiben,  die  sich  quer 
durch  Indien  von  Ost  nach  West  über  1000  englische  Meilen  weit 
erstreckt;  die  Einflüsse  der  Anziehung  sind  von  Breite  10^  bis 
Breite  30^  bemerkbar. 


^)  Geograph.  Journal  1902.   No.  615,   deutsch  in  Annaien  der  Hydro« 
graphie  1902.  p.  284. 


Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde.  157 

Diese  Gebirgskette  ist  die  waJbrscheinliche  Ursache  der  positiven 
Ablenkung  im  Norden  von  24^  Breite  und  der  negativen  Ablenkung 
südlich  davon. 

Sie  bezeichnet  den  wirklichen  Einfluss  der  Himalaya- Anziehung: 
Der  Himalay-Einfluss  leidet  auf  diese  Weise  sowohl  durch  Kompen- 
sation wie  durch  Verdeckung. 

Die  Langenbogen  des  Punjab  lassen  vermuten,  dass  der  unter- 
irdische Gebirgszug  in  Rajputana  nach  NW.  sich  erstreckt  und  einen 
Parallelverlauf  mit  dem  Himalaya  innehält. 

Die  Einflüsse  der  Gebirgskette  sind  überlagert  über  jenen  der 
weit  sich  erstreckenden  Himalaya- Attraktion;  der  letztere  verursacht 
wahrscheinlich  eine  Ablenkung  der  Lotlinie  in  Kap  Oomorin  um  den 
Betrag  von  1  oder  2  Bogensekunden. 

Südlich  von  der  Gebirgskette,  von  der  Breite  20  ®  bis  zu  der  Breite  8  ^ 
wurde  beobachtet,  dass  die  nördliche  Ablenkung  der  Lotlinie  nach 
und  nach  abnimmt  auf  eine  Entfernung  von  800  Meilen,  indessen 
die  Totalabnahme  sich  auf  10"  von — 8"  in  der  Breite  20^  zu  2" 
in  der  Breite  8^  erhält  Diese  Abnahme  ist  möglicherweise  ein 
Himalaya-Einfluss. 

Die  Reduktion  der  auf  der  physischen  Erdoberfläche 
beobachteten  Schwerebeschleunigrungr  auf  ein  gemeinsames 
Niveau  behandelte  F.  R.  Helmert  ^)  Er  stellt  darin  fest,  dass  die 
Bouguersche,  eigentlich  erst  von  Young  eingeführte  Methode  bei 
gehöriger  Änderung  der  Auffassung  ein  sehr  genaues  Verfahren  vor- 
stellt und  nebenbei  auch  Werte  liefert,  die  die  Grundlage  für  mathe- 
matische Betrachtungen  über  die  Erdfigur  bilden  können.  Der  Ver- 
such, das  Meeresniveau  als  äusseres  Potentialniveau  innerhalb  des 
Festlandes  fortzusetzen,  zeigt,  dass  dies  nur  in  ziemlich  roher  An- 
näherung möglich  ist. 

Bestlmmungr  der  Schwerkraft  auf  dem  Atlantischen 
Ozeane.  Nachdem  H.  Mohn  in  Ghrisüania  kürzlich  gezeigt  hatte, 
dass  man  die  Schwerekorrektion  des  Quecksilberbarometers  auf  Land- 
stationen bis  auf  einige  Hundertstelmillimeter  genau  mittels  des 
Siedethermometers  bestimmen  könne,  ^  fasste  Prof.  Helmert  den  Ent- 
schluss,  aus  vergleichenden  Beobachtungen  an  Quecksilberbarometern 
und  Siedethermometem  die  Grösse  der  Schwerloraft  auf  dem  Ozeane 
bestimmen  zu  lassen,  falls  Vorstudien  dieser  Absicht  günstig  aus- 
fielen. Mit  diesen  betraute  er  den  ständigen  Mitarbeiter  Dr.  Hecker 
im  Geodätischen  Institute  zu  Potsdam,  welcher  zunächst  im  Labora- 
torium für  ruhende  Instrumente  noch  wesentlich  günstigere  Ergebnisse 
erzielte,  über  die  in   der  Meteorologischen  Zeitschrift  und   der  Zeit- 


1)  Sitzungsber.  d.  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wissensch.  Berlin  1902.  p.  848. 
^  Das  Hypsometer  als  Luftdruckmesser  und  seine  Anwendung  zur 
Bestimmung  der  Schwerekorrektion.    Christiania  1899. 


1 58  Allgememe  Eigenschaften  der  Erde. 

Schrift  für  Instromentenkunde  von  1901  berichtet  ist  Nach  weitem 
Erkundigungen  und  Studien  über  die  instrumenteilen  Bewegungen 
auf  den  fahrenden  grossen  Dampfern,  sowie  nach  Auswahl  einer 
Linie  mit  möglichst  ruhiger  Fahrig,  unternahm  Dr.  Hecker  eine  Be- 
obachtungsreise nach  Südamerika  im  Juli  und  August  1901. 

Er  benutzte  4  Barometer  und  6  Siedethermometer.  Diese  Instru- 
mente, besonders  die  Barometer,  wurden  gemäss  Vorversuchen  gegen- 
über den  üblichen  wesentlich  verändert  Zwei  der  Barometer  re- 
gistrierten photographisch.  Die  Ergebnisse  aller  Instrumente  zeigen 
eine  befriedigende  Übereinstimmung.  Die  Hinreise  erfolgte  bei  besserer 
Witterung  als  die  Herreise;  auf  diese  Hinreise  erstrecken  sich  daher 
die  bis  jetzt  ausgeführten  Reduktionen  allein.  Die  Ergebnisse  wurden 
von  Dr.  Hecker  mit  Helmerts  Formel  für  die  normale  Schwere  ver- 
glichen, welche  Formel  bekanntlich  der  kontinentalen  Schwere  entspricht 

Das  Ergebnis  der  Heckerschen  Arbeit  ist  folgendes :  Die  Schwer- 
kraft auf  dem  tiefen  Wasser  des  Atlantischen  Ozeans  zwischen 
Lissabon  und  Bahia  ist  nahezu  normal  (entsprechend  Helmerts  kon- 
tinentaler Schwereformel  von  1901). 

Hierdurch  wird  also  die  Hypothese  von  Pratt  über  die  Lagerung 
der  Massen  der  Erdkruste  glänzend  bestätigt  Nansen  hatte  gelegent- 
lich seiner  Polarfahrt  auf  dem  tiefen  Polarmeere  bei  festgefrorenem 
Schiffe  relative  Sohweremessungen  mit  einem  Pendelapparate  aus- 
führen lassen.  Nach  0.  E.  Schiötz  zeigte  sich  auch  hierbei  die  Schwer- 
kraft der  Hypothese  von  Pratt  entsprechend  nahezu  normal^) 

Die  beiden  Erfahrungen  zusammengenommen  geben  dieser  Hypo- 
these, für  die  auch  andere  Anzeichen  sprechen,  eine  kräftige  Stütze, 
und  man  wird  von  nun  ab  mit  derselben  (wenn  auch  nur  im  Sinne 
einer  allgemeinen  Regel)  als  einer  Thatsache  rechnen  dürfen.  Die 
radialen  Abweichungen  der  wirklichen  Erdfigur  im  Vergleiche  zu  der 
rechnungsmässigen  mittiem  (Gestalt  des  Erdellipsoides  werden  sich 
daher  innerhalb  der  von  Helmert  schon  früher  vermuteten  Grenzen 
von  +  100  m  bewegen. 


Oberflächengrestaltunff. 

Das  Siebengebirge  am  Rhein.  Der  erste  Versuch  einer 
wissenschaftlichen  Beschreibung  des  Siebengebirges  wurde  von 
C.W.  Nose  vor  112  Jahren  gemacht,  die  eigentliche  Erforschung  be- 
ginnt indessen  mit  Heinrich  v.  Dechen,  der  1829  ein  geologisch 
koloriertes  Modell  desselben  anfertigte  und  1852  seine  »geognostische 
Beschreibung  des  Siebengebirges  am  Rheine  zuerst  veröffenüichte. 
Auf  dieser  Grundlage  haben  G.  vom  Rath,  v.  Lasaulx,  Laspeyres, 
Pohlig,    Grosser  und   andere  weiter  gebaut  und   an  der  Hand  der 


^)  Physikalische  Zeitschrift  1901.  p.  567. 


Oberflächengestaltung.  159 

fortgeschrittenen  Gesteinskunde  den  Aufbau  dieses  Gebirges  immer 
weiter  ins  einzelne  hinein  festgestellt  Die  zahhreichen  Untersuchungen 
dieser  Forscher  sind  in  der  umfangreichen  Fachlitteratur  zerstreut/ 
und  seit  der  letzten  Ausgabe  des  v.  Oechenschen  Werkes,  also  seit 
40  Jahren,  wurde  eine  zusammenfassende  Beschreibung  des  Sieben- 
gebirges nicht  mehr  versucht  Zum  Teil  lag  dies  daran,  dass  es  an 
zuverlässigen,  ins  einzelne  eingehenden  Karten  dieses  Gebietes  fehlte, 
ein  Mangel,  dem  erst  1895  abgeholfen  war,  als  das  Blatt  »Eönigs- 
winterc  der  Messtischblätter  der  königl.  preuss.  Landesaufnahme 
erschien.  Jetzt  konnte  an  eine  Verwertung  des  durch  so  viele 
Geologen  und  Mineralogen  angesammelten  Beobachtungsmateriales  ge- 
dacht werden,  und  diese  Arbeit  nahm  ein  Mann  in  die  Hand,  der  ein 
Dritteljahrhundert  früher  schon  durch  v.  Dechen  selbst  in  die  geo- 
logische und  mineralogische  Durchforschung  des  Siebengebirges  ein- 
geführt worden  war.  Prof.  Hugo  Laspeyres  in  Bonn  hat  diese  seine 
erschöpfende  Bearbeitung  des  gesamten  über  das  Siebengebirge  vor- 
liegenden Materiales  daher  auch  pietätvoll  der  Erinnerung  an  v.  Dechens 
hundertsten  Geburtstag  gewidmet  und  in  diesem  Werke  (»Das  Sieben- 
gebiige  am  Rheine,  Bonn  1901.)  den  gegenwärtigen  Standpunkt  der 
Wissenschaft  über  den  geologischen  Bau  und  die  Bildungsgeschichte 
desselben  dargelegt 

Die  massigen  Gesteine,  aus  denen  das  Siebengebirge  im  wesent- 
lichen besteht,  sind  Trachyt,  Andesit,  Dolerit  und  Basalt  in  zahlreichen 
Übergängen,  Gesteine,  die  voreinst  in  glühendflüssigem  Zustande  dem 
Erdinnem  entquollen.  Unermessliche  Zeiträume  hindurch,  bevor  dieses 
geschah,  bedeckten  mächtige,  horizontal  gelagerte  Schichten  uralter 
Meeresabsätze  die  ganze  Gegend  und  einen  grossen  Teil  Westdeutsch- 
lands. Diese  Schichten  gehören  der  devonischen  Formation  an,  und 
an  der  Westseite  des  jetzigen  Siebengebirges  zeigen  sie  sich  heute 
als  breite  Sockel  mit  steilen  Weinbergsgehängen  nach  dem  Rhein  hin 
und  ebener,  terrassenförmiger  Stufe,  über  der  sich,  etwas  abgerückt 
vom  Rhein,  die  vulkanischen  Kegel  erheben.  Cber  den  Schichten- 
köpfen des  Devon  liegen  tertiäre  Ablagerungen,  und  zwar  auf  beiden 
Rheinseiten  in  gleicher  Höhe  und  Ausbildung,  da  das  Rheinthal  erst 
später  entstand  und  sich  in  sie  eingeschnitten  hat.  Diese  ältesten 
tertiären  Schichten  sind  vor  den  vulkanischen  Ausbrüchen,  welche 
das  Siebengebirge  schufen,  zur  Ablagerung  gekommen,  denn  sie  ent- 
halten kein  vulkanisches  Bildungsmaterial,  sondern  sind  fast  ganz  aus 
der  mechanischen  und  chemischen  Zerstörung  des  Devongesteins  her- 
vorgegangen. Während  dieser  Epoche  kamen  dann  die  Trachyttuffe, 
das  mächtigste  und  verbreitetste  Gebirgsglied  des  Siebengebirges,  zur 
Ablagerung.  Es  sind  vulkanische  Trümmergesteine,  die  aus  der  Tiefe 
stammen,  und  Einschlüsse  des  von  ihnen  durchbrochenen  devonischen 
Grandgebirges,  des  tertiären  Gesteins,  und  sogenannte  vulkanische 
Brocken,  aus  Trachyttrümnunern  und  Bimsstein  bestehend,  enthalten. 
Diese  Tuffe  sind  durchweg  geschichtet,  die  tiefsten,  unmittelbar  auf 


160  Oberflächengestaltung. 

dem  Devon  liegenden  sind  grob  im  Materiale  und  unregelmässig  ge- 
lagert; diese  befinden  sich  dem  Eruptionsschlunde,  dem  sie  entstiegen, 
offenbar  am  nächsten,  während  in  grösserer  Entfernung  mit  der 
Verfeinerung  des  Trümmermateriales  die  Schichten  an  Regelmässigkeit, 
Ausdehnung  und  Ebenflächigkeit  zunehmen.  Die  Verfestigung  des 
ursprünglich  schüttigen  Trümmermateriales  zu  den  heutigen  Tuffen 
ist  nach  Laspeyres  wohl  weniger  durch  den  Druck  der  überliegenden 
Massen  als  infolge  einer  überall  eingetretenen  und  oft  sehr  weit  vor- 
angeschrittenen chemischen  Änderung  ihrer  Feldspatbestandteile  vor 
sich  gegangen.  Diese  Trachyttuffe  haben  ihre  grösste  Mächtigkeit 
und  Höhenlage  im  Siebengebirge  selbst,  erstrecken  sich  aber  weit 
über  dasselbe  hinaus,  besonders  auch  auf  die  linke  Rheinseite,  und 
es  ist  wahrscheinlich,  dass  es  ein  oder  mehrere  Ausbruchsschlünde 
im  Siebengebirge  waren,  welche  diese  Auswürflinge  lieferten.  Von 
diesen  frühesten  Kratern  aber  hat  sich  keiner  erhalten;  nur  eine 
trichterförmige  Einsenkung  zwischen  Petersburg  und  Drachenfels,  am 
Austritte  des  Nachtigallenthales,  die  bis  unter  die  Sohle  des  gegen- 
wärtigen Reinthaies  niedersetzt,  und  wo  der  Tuff  unmittelbar  auf  dem 
devonischen  Grundgebirge  abgelagert  ist,  leitet  auf  die  Vermutung, 
dass  dort  ein  alter  Tuffkrater  zu  suchen  ist  Am  besten  aufgeschlossen 
ist  der  Tuff  daselbst  in  dem  tiefen  Hohlwege,  welcher  den  Namen 
die  Hölle  führt.  Der  Wanderer  betritt  dort,  links  neben  dem  Ein- 
gange in  das  Nachtigallenthal,  eine  300  m  lange  bis  20  m  tiefe, 
von  fast  senkrechten  Tuffwänden  gebildete  Schlucht,  deren  Entstehung 
nicht  leicht  zu  begreifen  ist,  und  die  schon  dem  Laien  auffällt  In 
jener  uralten  Zeit,  als  diese  Tuffe  ausgeworfen  wurden,  befand  sich 
an  Stelle  des  heutigen  Rheinthaies  eine  Meeresbucht,  deren  Wasser- 
spiegel in  180  nt  Höhe  lag.  Soweit  die  Tuffschichten  unterhalb  dieser 
Höhe  liegen,  sind  sie  also  in  Wasser  zum  Absätze  gekommen.  Doch 
so  tief  liegende  Tuffe  finden  sich,  und  zwar  auf  beschränktem  Gebiete, 
fast  nur  ausserhalb  des  Siebengebirges;  die  meisten  vulkanischen 
Trümmermassen  sind  mithin  auf  dem  Lande  abgesetzt  worden,  und 
durch  sie  wurden  die  stehenden  Gewässer  immer  weiter  nach  Nord 
und  West  zurückgedrängt  Von  jener  Zeit  an  ist,  wie  Laspeyres  aus-> 
drücklich  hervorhebt,  das  Siebengebirge  Land  geblieben.  Seine  Ober- 
flächengestaltung unmittelbar  nach  dem  Tuffausbruche  war  nach  der 
Darstellung  von  Laspeyres  die  einer  vulkanischen  Hügellandschaft, 
deren  Höhen  bis  250  m  über  die  Küste  der  Tertiärbucht  sich  erheben 
mochten,  und  mehrere  kleine  Tuffkrater  zeigten  das  Ganze  vielleicht 
ähnlich  den  phlegräischen  Feldern  bei  Neapel,  aber  mit  geringem 
Abmessungen.  Wie  lange  dieser  Zustand  gedauert  hat,  ist  unbekannt; 
jedenfalls  aber  war  es  in  der  tertiären  Epoche,  als  infolge  unbekannter 
Vorgänge  aus  dem  Erdinnern  vulkanische-  Massengesteine  als  Lava 
hervorquollen,  am  frühesten  Trach3rte,  dann  Andesite  und  zuletzt 
Basalte.  Sie  durchbrachen  dabei  die  Schichtgesteine  und  bildeten 
darin   Gänge  oder  Kuppen,    die  Basalte  vielleicht  auch  Ströme  oder 


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OberflächeDgestaltiing.  161 

Decken  auf  den  Tuffen.  Die  Lavagänge  zeigen  in  den  meisten  Fallen 
Richtungen  ihres  Streichens,  welche  eine  Abhängigkeit  der  Ausbrüche 
von  den  im  Grundgebirge  vorhandenen  tektonischen  Spalten  hervor- 
treten lassen,  und  auch  in  der  Reihe  der  Lavakuppen  scheinen  diese 
Richtungen  sich  bemerkbar  zu  machen.  Die  Kuppen  bilden  kegel- 
oder  glockenförmige  Massen,  welche  innerhalb  des  durchbrochenen 
Gesteins,  also  mit  der  Tiefe,  an  Umfang  abnehmen,  wie  aus  den 
Steinbruchbetrieben  sich  ergiebt,  Sie  haben  also  die  Gestalt  eines 
Pilzes,  dessen  Stiel  der  mit  Lavamasse  ausgefüllte  Ausbruchskanal 
bildet,  doch  ist  bis  jetzt  ein  solcher  Eruptionskanal  noch  an  keiner 
Kuppe  durch  Steinbruchbetrieb  wirklich  freigelegt  worden.  Indessen 
macht  Prof.  Laspeyres  auf  einzehie  Punkte,  z.  B.  beim  Dechendenkmal 
an  der  Wolkenburg,  aufmerksam,  woselbst  mit  basaltischem  Tuffe 
und  auch  mit  Basalt  ausgefüllte,  weder  gang-,  noch  kuppenförmige, 
sondern  mehr  schlotartige  Gebilde  sich  finden,  die  er  nur  als 
Eniptionsprodukte  deuten  kann,  bei  denen  die  Lava  oben  über  dem 
Stiele  durch  Erosion  im  Laufe  der  Zeit  verschwunden  ist.  Aus  Trachyt 
bestehen  folgende  Kuppen:  der  Drachenfels,  der  Schallen-  und  Geisberg, 
der  Lohrberg,  Eugenienruhe,  der  Remscheid;  aus  Andesit:  die  Wolken- 
burg, der  Hirschberg,  der  Stenzelberg,  von  dem  sich  ein  mächtiger 
Andesitgang  über  die  grosse  Rosenau  und  den  Wasserfallberg  bis 
an  die  Strasse  des  Mittelbachthales  verfolgen  lässt;  endlich  der  grosse 
und  kleine  Breiberg  und  der  ölender.  Basaltkuppen  sind:  der 
Petersberg,  der  Nonnenstromberg,  der  Gipfel  des  grossen  Olberges; 
die  basaltische  Kuppe  der  Löwenburg  hat  einen  Kern  von  Dolerit, 
den  man  anstehend  nur  auf  der  Spitze  dieses  Berges  findet,  ausser- 
dem so  im  ganzen  Siebengebirge  nur  an  einem  kleinen  Küppchen 
am  Nordabhange  des  Brüngelsberges. 

Was  den  Vorgang  bei  der  Entstehung  dieser  Lavakuppen  im 
allgemeinen  anbelangt,  so  stellt  diesen  Prof.  Laspeyres  an  einer 
Basaltkuppe  in  Trachyttuff  —  solche  sind  beispielsweise  der  Peters- 
berg, der  Nonnenstromberg,  der  grosse  Weilberg  —  in  folgender 
Weise  dar:  »Zuerst  bildete  sich  um  die  Ausbruchsstelle  über  den 
Trachyttuffen  ein  mehr  oder  minder  deutlich  geschichteter  Vulkan- 
k^l  mit  eingesenktem  Krater.  Die  tiefsten  dieser  vulkanischen 
Schichten  werden  vorwaltend  aus  den  ausgeblasenen  Trümmern 
des  Trachyttuffes  bestehen,  untermischt  mit  vereinzelten  Schlacken, 
Bomben  vl  s.  w.  des  basaltischen  Ausbruches,  sowie  mit  Brocken 
von  den  durchsetzten  Tertiär-  und  Devonschichten.  Nach  oben  hin 
werden  sie  aber  immer  mehr  Basaltmaterial  neben  dem  trachytischen 
führen  und  schliesslich  fast  ganz  aus  basaltischen  Trümmern  bestehen. 
Zum  Schlüsse  der  Eruption  wird  der  Krater  und  Kraterschlund  von 
der  ruhiger  aufsteigenden  Basaltlava  mehr  oder  weniger  hoch  erfüllt 
worden  sein.  Diese  erstarrte  im  Krater,  bevor  ein  Lavastrom  sich 
durch  den  Kraterwall  Bahn  brechen  oder  über  den  Kraterrand  sich 
ergiessen  konnte.     Damit  war  der  vulkanische  Ausbruch  an  dieser 

Klein,  Jahrbuch  Xin.  11 


162  Oberflächengestaltang. 

Stelle  beendete  Die  alten  Vulkankegel  sind  wahrscheinlich  ursprünglich 
nicht  viel  höher  gewesen  als  die  der  jetzigen  Kuppen,  weil  an  dem 
Gipfel  der  Berge  die  Lava  lediglich  durch  den  Schlagregen  nur  wenig 
zerstört  und  abgetragen  worden  sein  kann.  Was  die  Veränderungen 
dieses  Landschaftsbildes  durch  die  Thätigkeit  des  Wassers,  die  Erosion, 
anbelangt,  so  stellt  Prof.  Laspeyres  diese  in  etwas  anderer  und 
wahrscheinlicherer  Weise  dar,  als  meist  angenommen  wird.  »Die 
Herausschalung  des  jetzigen  Siebengebirges, c  sagt  er,  »aus  dem 
frühem  Zustande  erfolgte  zunächst  nicht  mittels  grosser  tertiärer 
oder  nachtertiärer  Wasserfluten,  sondern  durch  den  auffallenden  und 
abfliessenden  Regen,  denn  das  Gebiet  über  180  m  Höhe  war  seit 
dem  Beginne  der  Tuffbildung  bis  heute  Land.  Die  lockern  Tuff- 
schichten wurden  zunächst  von  der  Erosion  betroffen,  in  sie  schnitten 
sich  die  Thaler  bis  zu  180  m  Höhe  ihrer  Sohle  ein.  Eine  weitere 
Vertiefung  der  Thäler  in  und  durch  die  Tuff-  und  Tertiärschichten, 
sowie  in  die  Devonschichten  konnte  erst  beginnen,  als  zur  Diluvial- 
zeit der  Rhein  sich  tiefer  und  tiefer  unter  die  180  m- Sohle  ein- 
schnitt. Die  Kuppen,  soweit  sie  über  180  m  emporragen,  erhielten 
ihre  jetzige  GestsJt  mithin  in  der  Weise,  dass  zuerst  die  an  der 
Aussenböschung  der  Vulkankegel  ausgehenden  Grenztuffe  mehr  und 
mehr  fortgewaschen  wurden,  bis  dadurch  die  den  Krater  erfüllende 
Lavamasse  so  stark  unterwaschen  war,  dass  sie  von  den  Rändern 
zu  Bruche  ging  und  an  den  Abhängen  der  sich  so  bildenden  glocken- 
und  domförmigen  Erosionskegel  die  Blockhalden  lieferte.  Die  die 
Lava  früher  bedeckenden  Stromschlacken,  die  an  der  DoUendorfer 
Hardt  noch  jetzt  teilweise  erhalten  geblieben  zu  sein  scheinen,  sind 
an  allen  übrigen  Kuppen  fortgewaschen  worden.  Die  grossen  Basalt- 
kugeln, welche  den  Gipfel  des  Petersberges  bedecken  und  sich,  nur 
kleiner,  in  den  vermeintlichen  Stromschlacken  der  DoUendorfer  Hardt 
finden,  sind  vielleicht  Überreste  jener  Stromschlackenbedeckung. c 
Während  der  Diluvialzeit  hat  der  Rhein  sein  Bett  nach  und  nach 
beträchtlich  unter  die  heutige  65  m  hoch  liegende  Thalsohle  ein- 
geschnitten und  dadurch  die  beiderseits  von  ihm  liegenden  Züge  von 
plateauartigen  Vorbergen  gebildet,  die  wir  heute  dort  sehen.«  Aus 
jener  Periode  stammt  auch  die  Ablagerung  des  Rheinlöss,  dessen 
Auftreten  in  den  diluvialen  und  jetzigen  Thälem  an  eine  bestimmte 
Höhenlage  zwischen  65  und  etwa  240  m  gebunden  ist  Dadurch  verrät 
sich,  wie  Prof.  Laspeyres  ausführt,  diese  Lössbildung  als  der  Absatz 
äusserst  feiner  Sinkstoffe  des  Rheinwassers,  und  zwar  des  auf- 
gestauten Rheines.  »Der  Absatz  begann  nach  Eintritt  einer  Thal- 
sperre im  Unterlaufe  des  Rheines  in  den  Thälem,  nach  Vollendung 
der  gesamten  diluvialen  Erosion  in  allen  diluvialen  Schotter- 
ablagerungen und  stieg  mit  den  gestauten  Fluten  allmählich  immer 
höher  bis  gegen  240  m  hoch.«  Nachdem  die  Stauwasser  100  bis 
120  m  hoch  standen,  und  die  ersten  Lössabsätze  schon  erfolgt  waren, 
fand   nach   Laspeyres   der   Ausbruch   des   Rodderberges   statt.     Als 


Oberflächengestaltong.  163 

Ursache  der  Thalsperre  des  Rheines  ist  die  letzte  Vereisung  Nord- 
deutschlands zu  betrachten,  während  deren  das  nordische  Inlandeis 
eine  machtige  Barriere  bildete;  auch  bezeichnet  von  Schlesien  bis 
nach  Belgien  hin  überall  Löss  das  Abzugsthal  der  mit  den  Gletscher- 
strömen vereinigten  aus  dem  mittlem  Deutschland  kommenden  Flüsse. 
Welche  Jahresreihe  verflossen  ist,  seit  die  norddeutsche  Eisbedeckung 
geschwunden,  und  der  Rhein  wieder  seinen  Ablauf  finden  konnte, 
weiss  man  nicht;  wahrscheinlich  fällt  diese  Epoche  zusammen  mit 
dem  frühesten  Auftreten  des  Menschen  in  dieser  Gegend.  Aber  so 
weit  liegt  diese  Zeit  hinter  der  Gegenwart,  dass  seitdem  die  Bäche 
aus  dem  Siebengebirge  am  Austritte  ihrer  Thaler  die  breiten  in  die 
Rheinthalsohle  auslaufenden  Schuttkegel  absetzen  konnten,  auf  denen 
sich  Honnef,  Rhöndorf,  Ramersdorf  und  andere  Orte  erheben. 

Das  Antlitz  der  Alpen  bildete  den  Gegenstand  von  Aus- 
führungen Prof.  Pencks  (Wien)  in  der  geographischen  Abteilung  der 
Naturforscherversammlung  zu  Eieurlsbad  (1 902).  Obgleich  geologisch  jung, 
bemerkte  Penck,  könnten  die  Alpen  im  Sinne  der  neuem  Geomorpho- 
logie doch  nur  als  reifes  Gebirge  gelten;  denn  ihre  Oberflächen- 
gestaltung werde  nicht  mehr  beherrscht  von  der  Regel:  was  am 
höchsten  gehoben,  ist  am  jüngsten,  sondern  von  der  andern  Regel: 
was  fest  ist,  ist  hoch.  Einzelne  Teile  des  Gebirges  trügen  sogar 
morphologisch  Züge  hohen  Alters,  wie  z.  B.  das  Rumpfvorland  in 
Oberbayem;  vereinzelt  nur  seien  wirklich  junge  Erhebungen,  die 
bisher  nur  im  Yorlande  nachgewiesen  werden  konnten  und  bemerkens- 
werterweise dort  fehlten,  wo  eine  Stauung  des  Gebirges  an  vor- 
gelagerten Erhebungen  angenommen  wird.  Wenn  die  Alpen  gewisse 
Züge  der  Jugendlichkeit  tragen,  so  hänge  dies  nicht  mit  ihrer  jungen 
Entstehung,  sondern  mit  der  Vergletscherung  zusammen,  die  sie  be- 
troffen hat  Deutlich  könne  man  erkennen,  dass  in  den  Alpen  der 
glaziale  Formenschatz  jünger  ist  als  der  für  den  Reifezustand  einer 
Landschaft  charakteristische,  welch*  letzterer  in  den  nicht  ver- 
gletscherten Teilen  des  Gebirges  herrscht  und  sich  in  Spuren  weit- 
hin in  das  ältere  Gletschergebiet  verfolgen  lä.sst.  Aus  diesen  reifen 
Formen  mit  gleichsinnigen  Böschungen  sind  die  glazialen  durch  eine 
grossartige  Erosion  herausgescimitten,  welche  die  Böschungen  abstufte 
und  gelegentlich  verkehrte,  so  dass  in  den  Thalem  und  an  den  Ge- 
hängen Seen  entstanden.  Dabei  ist  aber  der  Grundriss  vom  Ge- 
wässernetze der  Alpen  nur  wenig  verändert  worden.  Er  spiegelt 
direkt  oder  indirekt  den  Gbbirgsbau;  was  aber  reizvoll  ist  im  Antlitze 
der  Alpen ,  der  Spiegel  ihrer  Seen,  die  Pracht  ihrer  Wasserfälle,  die 
Kühnheit  ihrer  Gipfel,  das  alles  ist  der  Eiszeit  zu  danken.  Penck 
kommt  auf  Grund  neuester  Forschungen  zu  dem  Ergebnisse,  dass 
in  den  Alpen  wenigstens  vier  verschiedene  Kälteperioden  statt- 
gefonden  hätten,  die  durch  wärmere  Epochen,  interglaziale  Perioden, 
voneinander  geschieden  waren.    Die  Hauptkälteperiode  sei  die  zweite 

II» 


164  Qberflächengestaltung. 

gewesen,  während  ihrer  Dauer  habe  die  Eisbedeckimg  Europas  ihr 
Maximum  erreicht  Was  den  Urmenschen  anbelangt,  so  stellt  Penck 
die  Funde  aus  der  ältesten  Steinzeit  in  die  früheste  Interglazial- 
epoche,  die  Funde,  welche  man  der  sogenannten  neolithischen  Peripde 
zugeteilt  hat,  entstammen  dagegen  nach  seiner  Ansicht  der  ^st- 
glazialen  Epoche.  Letztere  umfasst,  im  Vergleiche  zur  paläolithischen 
Periode ,  nur  einen  relativ  kurzen  Zeitraum ;  das  erste  Auftreten  des 
Menschen  in  Europa  verlegt  Penck  dagegen  um  40 — 50  Jahrtausende 
hinter  die  Gegenwart. 

Das  KarwendelgeblrgrO.  Über  den  Bau  desselben,  auf  Grund 
der  geologischen  Neuaufnahmen,  gab  Dr.  0.  Ampferer  eine  Übersicht^) 
Der  südlichste  Kamm  der  Innthalkette  ist  sehr  steil  aufgerichtet,  der 
nächste,  der  Gleierschkamm,  steht  saiger,  ja  ist  auf  grosse  Strecken 
überkippt  und  überschoben,  was  im  folgenden  Suntigergrat  noch 
deutlicher  ausgedrückt  ist.  Der  gewaltige  Hinterauthalkamm  aber 
ist  in  seiner  ganzen  Erstreckung  von  Schwaz  bis  zum  Scharnitzerpass& 
stellenweise  bis  4  km  weit  über  das  nördliche  Gebirge  vorgeschoben^ 
so  dass  auf  einer  langen  Strecke  zumeist  sein  Muschelkalk  auf 
ganz  zerknetete  Juraschichten  zu  liegen  kommt.  Der  nun  folgende 
Karwendelkanun,  der  grösstenteils  in  einzelne  Stöcke  aufgelöst  ist, 
besteht  fast  durchwegs  aus  3  Schollen,  die  alle  überkippt  und 
ausserdem  schuppenartig  übereinander  hinaufgedrängt  sind.  Aus 
dieser  Überkippung  und  Schuppenstruktur  folgt  die  ausserordentlich 
zerstückelte  und  verworrene  Lagerung.  Es  stellt  somit  das  Kar- 
Wendelgebirge  im  wesentlichen  das  Gebiet  einer  Überschiebung  dar» 
deren  Intensität  in  der  Mitte  am  grössten  ist  und  sowohl  nach 
Norden  als  Süden  rasch  abnimmt.  Die  Überschiebung  ist  an  zahl- 
reichen Stellen  aufs  klarste  erschlossen,  wurde  aber  trotzdem,  selbst 
bei  der  unter  Leitung  Prof.  Rothpletz  in  den  Jahren  1886 — 1887 
erfolgten  Aufnahme,  vollständig  übersehen,  was  nur  zu  verstehen 
ist,  wenn  man  bedenkt,  dass  viele  entscheidende  Stellen  teils 
schwierig,  teils  mühsam  zugänglich  sind.  Ebenso  wiu^en  bisher 
die  interessanten  glazialen  Bildungen  nicht  recht  beachtet,  die  fast 
in  allen  Karwendelthälern  zu  finden  sind  und  von  einer  ganz  selb- 
ständigen Vereisung  Zeugnis  ablegen,  die  erst  an  den  Pforten  des 
Gebirges  mit  den  grossen  inneralpinen  Eisströmen  zusammensUess. 
Die  grossen  Längsthäler  bilden  hier  im  Vergleiche  zu  den  in  sie 
mündenden  Querthälem  übertiefte  Thalfurchen,  in  welche  dieselben 
mit  engen  Felsklammen  niederbrechen.  Das  ist  besonders  schön 
auf  der  Nordseite  des  Hinterauthales  und  auf  der  Südseite  des 
Rissthaies  entwickelt.  An  der  Innthalfurche  und  an  der  Tiefenzone 
des  Seefeld-Schamitzer  Passes  haben  die  grossen,  aus  dem  Innern 
der  Alpen  kommenden  Eismassen  die  Karwendelgletscher  überwältigt, 
und  zwar  scheinen  die  letztern  keilförmig  unter  die  erstem  hinein- 


')  Verhdlg.  d.  k.  k.  geol.  Reichsanstalt  1902.  p.  274. 


Oberflächengestaltung.  165 

gedrungen  zu  sein.  Grossartige  TrogthäJer  sind  besonders  die  Quer- 
thäler  im  Norden,  die  fast  eben  zu  den  gewaltigen  Wänden  der 
Hinterauthalkette  hinführen  und  in  der  Tiefe  von  mächtigen  glazialen 
Schuttmassen  ganz  bedeckt  sind.  Die  meisten  Thäler  dieses  Ge- 
birges sind  so  mit  Schutt  und  Blockwerk  ausgefüllt,  dass  die  Bäche 
häufig  nur  an  den  äussersten  Enden  der  Thalungen  in  den  Felsgnmd 
nagen,  sonst  aber  von  den  Quellen  an  auf  glazialem  Schutte  hinlaufen. 
Dabei  sind  oft  im  Innern  der  Thaler  nahe  an  den  Jöchern,  wie  am 
Hochalpsattel,  am  Spielistjoch  oder  bei  der  Stallen-  und  Ladizalpe 
hoch  aufgestaute  Schuttstufen  vorhanden,  die  sich  fast  eben  weit 
zurückdehnen,  gegen  vom  aber  mit  jähen  Runsen  abstürzen,  aus 
denen  starke  Quellen  hervorbrechen.  Diese  Stauböden  aus  Schutt 
in  den  hohen  Thalgegenden  sind  ebenfalls  ohne  Hilfe  der  Gletscher 
in  ihrem  Entstehen  nicht  zu  begreifen.  An  den  Südrändem  des 
Kstfwendels  gelang  es,  an  einigen  Stellen  in  sehr  hohen  Lagen  noch 
erratische  Gesteine  zu  entdecken,  so  das  höchste  Vorkommen  in 
diesem  Gebirge  überhaupt  am  Südhange  des  Brandjochkreuzes  bei  1980  m. 

Ober  die  Verbreitungr  der  Karren  und  karrenähnlieher 

Gebilde  handelt  Dr.  M.  Eckert  in  einer  grossen  Studie  über  das  Gottes- 
ackerplateau, ein  Karrenfeld  im  All^äu.^)  »Die  Karrenc,  sagt  er,  »sind  Detail- 
formen  der  Erdoberfläche,  die  bei  einer  Ästhetik  des  Gebirges  nicht  ver- 
nachlässigt werden  dürfen.  Der  mannigfaltige  Reichtum  und  die  grosse 
Vergesellschaftung  dieser  Formen  eines  Karrenfeldes  sind  für  die  ganze 
landschaftliche  Scenerie  der  Kalkalpen  so  typisch,  dass  man  von  einer 
»Karrenlandschaft«  rpden  kann.  In  einer  Landschaft,  in  der  die  Karren 
weithin  gebreitet  auf&eten,  bestimmen  sie  den  geographischen  Gesamttypus. 
Zu  den  Formen  gesellen  sich  die  Farben ;  und  wo  beide  wiederkehren, 
werden  sie  oft  von  merkwürdigen  Eigenschaften  des  Bodens  begleitet,  für 
die  sie  wahrhaft  »leitend«  werden  können.  Der  vorherrschende  Farbeton 
ist  das  charakteristische,  in  verschiedenen  Helligkeitsstufen  wechselnde 
Grau  des  Kalksteins.  Dieser  Ton  ist  wieder  mannigfach  modifiziert  durch 
die  Teilnahme  des  Humusbodens  mit  seiner  Pflanzenwelt  als  Staffage  einer 
Earrenlandschaft  Wohl  tritt  die  Vegetation  nicht  zu  üppig  in  einem 
Karrenterrain  auf,  und  dennoch  giebt  sie  dem  hellen  Kaikiels  an  vielen 
Stellen  einen  dunkeln  braungrünen  Hauch,  der  der  Stimmung  des  ganzen 
Landschaftsbildes  unter  Umständen  einen  eigentümlich  trüben  Charakter 
verleiht.  Der  Ausdruck  der  Karrenlandschaft  ist  dann  düster,  »kirchhofs- 
artig«. 

Wenn  die  Karrenlandschaft  wesentlich  an  dem  charakteristisch  grauen 
Tone  des  Kalkfelsens  partizipiert,  der  nicht  bloss  in  den  Alpen,  sondern 
auch  im  Apennin,  Jura  una  Karst  wiederkehrt,  und  ihr  dadurch  einen 
eigenen  Typus  aufzuprägen  sucht,  so  wird  sie  durch  ihren  Formenreichtum 
von  allen  den  Gebilden,  die  Ergebnisse  irgend  einer  Verwitterung  sind, 
bestimmt  als  Individuum  hervorgehoben.  Diese  äussere  Gestaltung  findet 
aber  viele  Analoga;  und  so  führt  die  äussere  Ähnlichkeit  auf  die  tiefere 
Übereinstimmung  seltsamer  Formen  der  Erdoberfläche. 

Die  Eigentümlichkeit  eines  Karrenfeldes  als  Individuum  spricht  sich 
flchon  darin  aus,  dass  das  Volk  dieser  Oberflächenerscheinung  einen  be- 
sondem  Namen  beigelegt  hat.    Das  Karrenphänomen  trägt  wohl  bei  den 

^)  Wissenschaftl.  Ergänzungsheft  zur  Zeitschrift  des  deutschen  und 
österreichischen  Alpenvereins    1.  3.  Heft.  Innsbruck  1902. 


166  Oberflachengestaltang. 

verschiedenen  Völkern  verschiedene  Namen,  aber  im  Grunde  genommen 
kommt  in  allen  fast  derselbe  Gedanke  zum  Ausdrucke.  Etymologische 
Schwier^keit  verursacht  die  Bezeichnung  > Karren«.  Manche  ^uben,  dass 
sie  mit  Darren,  Schubkarren,  zusammenhänge,  insofern  den  Geleisen,  Furchen 
des  Karrens,  die  Karren  der  Felsoberfläche  ähnlich  seien.  Verf.  hält  das 
Wort  Karren  für  eine  figürliche  Ausdehnung  des  Wortes  >Kar<  =  Gefäss, 
Geschirr,  bei  ülfilas  >ka8«,  ahd.  »char«,  mhd.  »kar«,  mit  welchem  Worte 
auch  das  Kar  der  Hochgebirge  zusammenhängt.  Bei  C.  Escher  von  der 
Linth  tritt  der  Ausdruck  >Karren«  zuerst  in  der  Wissenschaft  auf,  nicht 
bei  Agassiz,  wie  Simony  angiebt  und  viele  andere,  die  sich  an  diesen  an- 
lehnen. 

Das  Wort  »Schratten«  kann  ebenso  zweierlei  Urrorung  haben;  ent- 
weder hängt  es  zusammen  mit  »Schratt«,  »Schrättel«  =  Kobold,  Poltergeist, 
—  die  Scnrättel  sind  sagenhafte,  struppige,  zwergähnHche  Geister,  die  die 
Felsen  durchbohren,  durchwühlen;  »Schrattenberg«  in  Niederösterreich, 
1298  schon  urkundlich  —  oder  mit  »schroten«  =  schneiden,  hauen,  zer- 
schneiden. Schneider  (Schnyder)  von  Wartensee  anno  1733:  »Schratten« 
=  was  zerschrunden  ist.  Grimm  weiss  keine  genügende  Wurzel  für  »Schratt« 
(Deutsche  Mythologie).  Verf.  vermutet,  dass  »Schratte«  durch  eine  Ver- 
setzung des  »r«  aus  dem  schriftdeutschen  Wort  »Scharte«  sich  gebildet  hat. 

Wichtig  ist  es,  für  die  Auffassimg  des  Karrenphänomens,  sein  Ver- 
breitungsgebiet festzulegen.  Dabei  kann  nicht  untersucht  werden,  ob  auch 
all  die  beschriebenen  Erscheinungen  die  Bezeichnung  »Karren«  verdienen. 
Die  ersten  und  meisten  Beobachtungen  über  die  itarren  liegen  aus  den 
Alpen,  den  Schweizer  Alpen  insbesondere,  vor.  In  den  östlichen  Schweizer 
Alpen  beobachtete  man  Karren  auf  dem  Säntis,  dem  Kurfirsten,  dem 
Kerenzerberg,  dem  Rieseltstock,  der  Karrenalp,  der  Silbern,  den  Muottatbaler- 
bergen,  der  Schächenthaler  WindgäUe,  den  Waggithalerbergen,  dem  Fluhbrig, 
der  Fronalp,  dem  Bauen,  dem  Sättelistock ,  Rigidalstock ,  Wellenstock, 
Zindelnstock,  dem  Brünig,  dem  Kaiserstock,  der  Lidemen  (Keller,  Tschudi). 
Einzelbeschreibungen  wurden  der  Schrattenfluh  und  deft  Karren  am  Räderten- 
stock  und  auf  der  Höhe  der  Silbern  durch  Schnyder  von  Wartensee,  Hirzel, 
Heim  und  Becker  zu  teil.  Heim  berichtet  femer  von  Karren  zwischen  der 
Seewelialp  und  dem  Hohen  Faulen,  des  Belmistockes,  der  Jägemstöcke  des 
Glatten,  der  Kammlialp,  des  Kistenpasses,  des  Gran-  und  Mattstockes. 
Karren  schmücken  die  Sulzfluh.  0.  Heer  erzählt  von  Schratten  am  Axen- 
stein  bei  Brunnen.  Die  Karren  des  Glämisch  finden  wir  auch  bei  Heim 
erwähnt,  dann  bei  Baltzer.  Wir  finden  eben  die  Karren  in  der  ganzen 
Kette  von  Unterwaiden  bis  Glarus,  wie  Christ  bemerkt  —  Beobachtungen 
aus  den  westlichen  Alpen  liegen  vor  von  dem  Raviel,  dem  Sanetsch,  der 
Tour  d'Ay,  der  Tour  de  Mayen  durch  Keller,  der  Gemmi  durch  Scheuchzer, 
De  la  Borde,  Ebel,  Keller,  der  Saleve  durch  De  Saussure.  Die  Schratten 
des  Faulhoms  erwähnt  Keller,  Studer  die  auf  der  Bättenalp  am  Faulhom. 
Agassiz  machte  seine  Karrenstudien  auf  der  Scheideck  zwischen  Mevringen 
und  Grindelwald,  auf  dem  Kirchet  bei  Mevringen,  vor  dem  Gletscher  am 
Rosenlaui,  nahe  am  Gletscher  von  Grindelwald.  Karrenfelder  vor  den 
Gletschergebieten:  Miet,  Zanfleuron,  Verlorenerberg,  Cheville,  Audannes« 
Wildhom  sah  Renevier.  Charpentier  beschreibt  Karrenbildungen  unter  dem 
Gletscher  der  Diablerets.  Mousson  nimmt  Karrenrinnen  in  den  altrömischen 
Steinbrüchen  zu  Aix  in  Savoyen  an.  Der  zerfurchten  Oberfläche  der 
Felsen  im  Thale  Ollivules  und  bei  den  Städtchen  Cujes  und  Gemones  in 
Südfrankreich  gedenkt  De  Saussure. 

Eine  ausführliche  Monographie  über  das  Karrengebiet  des  »Desert  de 
Plate«  (Hochsavoyen)  bringt  E.  Chaix.  Er  hat  auch  das  des  Parmelan  be- 
obachtet. J.  Briquet,  der  Savoyen  betreffs  botanischer  Untersuchungen 
kreuz  und  quer  durchstreift  hat,  teilt  Chaix  Orte  und  Höhenlagen  von 
Karren  mit. 


Oberflächengestaltang.  167 

Fr.  Mader  berichtete  von  E^arrengebilden  auf  den  Hocbfläehen  der 
östlichen  Provence  bei  Grasse,  bei  Coursegoulee,  um  den  Cheiron,  am  Ab- 
hänge des  Calern ;  im  kleinem  Massstabe  treten  solche  bereits  um  Tourrettes 
bei  Vence  auf.  Er  sa^,  dass  die  westfranzösischen  Alpen  reich  an  Karren- 
feldem  seien,  namentlich  die  Gebiete  Vercors,  Devolu^,  Vauduse,  dagegen 
die  südlichen  Kalkalpen  Liguriens  nur  an  sehr  wenigen  Stellen  die  Be- 
dingung zur  Karrenf eldentwickelung  besitzen.  Rothpletz  hatte  1895  Gelegen- 
heit, auf  dem  Gipfelkamme  von  Ste.  Beaume  in  der  Provence  (1035  m  hoch), 
der  aus  nach  Süden  geneigten  Bänken  des  cretaceischen  Schrattenkalkes 
gebildet  ist,  Karren  zu  beobachten. 

Ober  Karren  und  Karrenfelder  der  deutschen  Alpen  liegen  mancherlei 
Bemerkungen  und  Untersuchungen  vor.  Die  Karren  des  Hohen  Ifengebiets 
werden  bereits  geschildert  von  Gümbel,  später  von  Waltenberger  und  Katzel. 
Das  Gottesackerplateau  ist  nicht  der  einzige  Träger  von  Karren  auf  dem 
Ifenstocke.  Am  Thorkopfe,  an  den  Untern  Wänden,  1840  m,  an  der  Kepler- 
wand,  am  Gatterkopfe,  1670  m,  Musberge,  Kühberge,  1530  m,  Engenkopfe, 
1480  m,  an  den  Kackenköpfen,  1580  m,  lassen  sich  Karrenbildungen  be- 
obachten. Im  Mahdthale  ziehen  sich  die  Karren  von  einer  Höhe  von  1700  m 
herab  bis  1140  m.  In  der  mittlem  Erstreckung  1450 — 1500  m,  sind  be- 
sonders Karren  mit  abgerundeten  Firsten  anzuixeffen.  Noch  schöner  ab- 
gerundet sind  die  Karren,  denen  man  oberhalb  der  obem  Kepleralpe  be- 
gegnet, im  Norden  der  Ifennuppe.  Wo  nur  der  Schrattenkalk  zu  Tage 
tritt,  stösst  man  auch  auf  Karren.  Von  diesen  Erhebungen  ziehen  sich 
die  Karren  in  die  Thäler  hinab.  Der  ganze  Ostabhang  der  Ifengruppe  zei^ 
Karrengebilde  bis  zur  Isohypse  von  1100  m;  die  tiefste  Stelle  erreichen  sie 
im  Norden  des  Engenkopfes  (920  m).  Im  Kürenwalde  sind  sie  fast  ganz 
durch  Humus  und  Wald  bedeckt.  Ebenso  finden  sich  vereinzelte  Karren 
im  Norden  der  Kengruppe  bis  in  die  Nähe  der  Starzla<ih  und  des  Hirsch- 
gunderbaches.  Auf  dem  Wege  von  Rohrmoos  nach  Sibratsgfäll  stehen 
Karren.  Ihre  grösste  Tiefeneratreckung  ist  da  ungefähr  durch  die  Isohvpse 
1000  m  gegeben.  Im  Süden  lassen  sie  sich  noch  im  Ifertsgundthale  bei  1840  m 
Höhe  beobachten.  Der  Westabfall  der  Ifengruppe  ist  auf  seiner  Südhälfte 
ein  sehr  steiler  und  zeigt  gar  keine  Karren,  nur  hie  und  da  einen  verlorenen 
Karrenstein  oder  Schrattenkalkblock,  der  von  dem  in  der  Höhe  lagernden 
Schrattenkalke  abgewittert  ist.  Bei  den  Rubachalpen  finden  sich  Karren 
bis  zu  einer  Tiefe  von  1150  m. 

Gümbel  berichtet  von  Karrenf eldem  im  WettersteinA:ebirge ,  in  den 
Schwangauer  Gebirgen  und  in  den  Vilser  Bergen.  Ratzel  bringt  den  Namen 
der  Rifiel  im  Wettersteingebirge  mit  der  Riefelung  und  Karrenrinnenbildung, 
die  sich  auf  dem  dem  HöUenthale  zugekehrten  östlichen  und  nördlichen 
Abhänge  der  Riffel  zeigt,  in  Zusammenhang.  Gruber  konstatiert  Karren- 
bfldungen  im  Karwendel,  im  Riss-  und  Dürrachgebiete.  Chr.  März,  der  die 
Kare  des  Karwendeis  studierte,  fand  in  allen  Karen  karrige  Bildungen,  so 
dass  er  von  einer  Karrenzone  der  Karwendelkare  spricht,  die  sich  am 
typischsten  von  2000— 2200  m  ausbreitet  Bis  2000  m  geht  das  Krumm- 
holz mit  Karrensteinen.  Mehr  zufällige  Beobachtungen  über  Karren  machte 
Schwaiger  ausser  am  Hochglück  noch  im  Gruben-  und  Lamsenkar.  Barg- 
mann  sah  hin  und  wieder  karrenähnliche  Bildungen  im  Samer-  und  Gleiersch- 
gebiete.  Klengel  berichtete  mir  mündlich  von  Karren  auf  den  Höhen,  die 
den  Achensee  umgrenzen. 

Die  Karren  des  Kaisergebirges  untersuchte  Verf.  im  Jahre  18d3,  sodann 
m  den  Jahren  1894  und  1900.  Hier  findet  sich  das  grösste  Karrenterrain 
auf  dem  linken  Flügel,  dem  Westflügel  des  Zahmen  Kaisers;  es  breitet 
ach  plateauartig  aus,  besitzt  eine  Grösse  von  0,7—0,8  qkm  und  eine 
mittlere  Erhebung  von  1780  m.  Wichtige  Karrenpartien  reichen  bis  1500  m 
hinab,  so  in  der  Nähe  der  Naunspitze. 


1 68  Oberflachengestaltang. 

In  der  Nähe  der  Feldalpen  (westlich  vom  Feldberge)  breiten  sich  Kairen 
aus,  die  wegen  ihres  grossem  und  reichem  Auftretens  den  Namen  Karren- 
feld verdienen.  Dies  Karrenf eld  hat  eine  Ausdehnung  von  96 — 100  m  und 
eine  Breite  von  20 — 40  m:  Es  senkt  sich  nach  Norden  und  hat  eine  durch- 
schnittliche Meereshöhe  von  1360 1».  Ausser  diesen  orössem  zusammen- 
hängenden Karrengebieten  kann  man  einzelne  Karreniormen  allenthalben 
an  den  verschiedenen  Orten  und  Höhen  beobachten. 

Von  den  klassischen  Karrentypen  des  Steinemen  Meeres  berichten 
Gümbel  und  Penck,  R.  Keil  und  besonders  anziehend  G.  v.  Bezold,  Richard 
von  Frey  von  denjenigen  auf  der  üntem  Wildalm  am  Steinemen  Meere. 
Herm.  v.  Barth  schildert  sehr  gut  das  Eigentümliche  des  Karrenterrains 
des  Steinernen  Meeres,  ohne  den  Ausdruck  Karren  zu  gebrauchen.  Aus 
dem  Gebiete  der  Übergossenen  Alm  liegen  auch  Beobachtungen  von 
H.  Grammer  vor.  Das  weitgedehnte  Karrengebiet  des  Steinernen  Meeres 
ist  von  elliptischer  Gestalt  mit  einer  mittlem  Erhebung  zu  2100  m. 

Fugger,  Karsten  u.  a.  berichten  von  den  Karren  auf  dem  Plateau 
des  Unterberges  zwischen  der  Schweigmülleralpe  und  dem  Muckenbründl 
und  auf  andern  Stellen  desselben  Gebietes.  Die  ausgedehnten  Vorkomm- 
nisse von  Karren  auf  dem  Dachsteinmassive  und  Toten  Gebirge  und  Priel- 
stocke haben  eine  eingehende  Erörtemng  durch  Simony  gefunden.  Die 
Karrenplateaus  des  Tennengebirges  werden  schon  1861  von  Lipoid  ge- 
schildert, wenn  dabei  auch  die  Bezeichnung  »Karren«  vermieden  wird. 
Von  den  Südtiroler  Alpen  liegen  in  Bezug  auf  Karrenfelder  nur  spärliche 
Beobachtungen  vor.  Penck  hebt  in  den  Mitteilungen  der  k.  k.  geographischen 
Gesellschaft  zu  Wien  die  karrengleichen  Gebilde  der  Slavini  di  San  Marco 
bei  Roverto  hervor.  Karl  Schulz,  ein  bekannter  Alpinist,  erzählte  dem  Verf. 
von  prachtvoll  entwickelten  Karrentvpen  in  der  Brentagrappe. 

Martonne  berichtet  von  den  Karrenfeldem  und  klemen  DoUnen  im 
Cipollinmarmor,  der  mit  die  bedeutenden  Zirken  von  Gauri  et  Galcescu 
(etwa  2200  m)  in  dem  Massive  von  Paringu  der  romanischen  Karpathen 
aufbaut. 

Ein  bestrittenes  Ausbreitungsgebiet  haben  die  Karren  im  Jura  gefunden. 
Von  altem  Forschem  erwähnt  Agassiz  zuerst  die  Karren  im  Jura  bei 
Chatillon  oberhalb  Bevaix,  an  dem  Abhänge  von  Bötzingen,  neben  der 
Strasse  von  Biel  nach  Sonceboz,  und  auf  Gipfeln  im  waadtländischen  Jura. 
Dieselben  Orte  werden  von  Tschudi  und  Berlepsch  wiederholt.  In  neuerer 
Zeit  haben  Ratzel  und  Schardt  die  vergessenen  Karren  des  Jura  wieder 
ans  Tageslicht  gebracht.  —  Kurz  nach  einer  Wanderang  im  Karste  kam 
Ratzel  nach  dem  Westjura  zwischen  der  Dolo  und  dem  Noirmont;  ihn 
überraschte  die  Obereinstimmung  der  Natur  mit  dem  Karste.  Besonders 
fielen  ihm  die  Karren  auf,  die  im  Jura  wohl  nicht  so  ausgedehnt  wie  in 
den  Alpen  als  Karrenfelder  zu  finden,  aber  wohl  an  jeder  über  1000  m  sich 
erhebenden  Höhe  nachzuweisen  sind.  Ganz  typische  Karren  sah  Ratzel 
am  Westabhange  der  Dole  gegen  Poiechaud  zu,  am  Col  de  Marcheiruz, 
am  Mortmont  ^460—600  m)  bei  Eclepends  zwischen  Yverdon  und  Lausanne 
und  auf  dem  scnwach  nach  Südosten  einfallenden  ürgon  des  sub jurassischen 
Neocomplateaus  (550—700  m)  zwischen  Orbe  und  Cuamens.  —  Schardt 
beobachtete  gut  entwickelte  Karren  im  Bois  de  la  RoUaz  bei  1841  m  Höhe 
südlich  von  der  Strasse  zwischen  Les  grands  Pres  de  Biere  und  La  Mey- 
lande,  femer  im  Thale  von  Les  Ambumex  und  Les  Seches.  Karren  von 
echt  alpiner  Beschaffenheit  zeigen  sich  im  Gebiete  zwischen  Lons-le-Saulnier 
und  Valfin  im  französischen  Jura.  Dieser  hat  einen  ausgesprochenen 
Plateaubau  und  ist  daher  besser  für  zusammenhängende  Karrenfelder  ge- 
schaffen als  der  schweizerische  Jura. 

In  deutschen  Juragebieten  sind  bis  jetzt  noch  keine  Karren  beobachtet 
worden,  trotzdem  Ammon  bei  seinen  Untersuchungen  über  dieselben  auf 
Karrengebilde  achtete.  Die  Möglichkeit  von  karrenfeldähnlichen  Bildungen 
im  Frankenjura  leugnet  Ammon  nicht. 


Oberflächengestaltungt  169 

In  neuerer  Zeit  hat  man  vor  allem  von  selten  der  Karstgeologen  die 
Karren  als  ein  wesentliches  Karstphänomen  beansprucht  Fast  auf  der 
ganzen  Erstreckung  des  Karstes  lassen  sich  Karren  oder  besser  karrige  Ge- 
bilde beobachten.  Philippson  berichtet  von  den  Karren  der  Kalkplateaus 
des  Peloponnes,  Partsch  von  denjenigen  auf  dem  Aenos,  dem  höchsten 
Gipfel  der  Insel  Kephallenia.  Auf  dem  Karste  zwischen  Blagai  und  Nevesinje 
OBoue),  im  Velebit  (Zittel),  im  Karste  von  Krain  (Zippe)  sind  Karren- 
bildungennichts Seltenes,  ebenso  im  Kuöaj^ebirge  Ostserbiens,  im'Rauchthale 
und  Bragser^ebiete,  in  den  Kalkgebirgen  bis  zur  Linie  Kljuc-Petrovac-Kuien- 
Vakuf  (MojsisoTics).  Cvijic  beschreibt  die  Karren  in  der  Herzesovina  in 
der  Gegend  Ljut,  im  Südwesten  des  Gacko  Polje  (930  m);  nach  demselben 
Beobacnter  konunen  sie  im  nordwestlichen  Montenegro  in  einer  Höhe  von 
600 — 1500  m  vor.  Hassert  erzählt  von  den  Karren  in  Montenegro,  so  von 
denen  am  Durmitor  in  2114  m  Meereshöhe.  Nördlich  von  Fiume  liegt  das 
Bisnjakgebirge,  das  Karrenbüdungen  verstreut  aufweist  (Hirz).  Überhaupt 
lassen  sich  auf  den  mittlem  und  grossem  Höhen  des  ganzen  adriatischen 
Karstes  Karren  finden,  am  schönsten  entwickelt  bei  Osli  Dol  (560  m),  unweit 
Bersek  in  Istrien  und  bei  Duare  (=  Zadvarje)  im  Karstboden  (240  m),  links 
von  der  Getina  (GvijiÖ). 

Aus  dem  Karstgebiete  liegen  noch  Beobachtungen  vor  von  Karren 
an  der  Meeresküste.  Wir  wollen  diese  Oberflächenerscheinungen  »Litorale 
Karrenformen«  nennen,  Boblaye  spricht  von  einer  kontinuierlichen  Karren- 
zone an  der  Kalkküste  des  Peloponnes.  An  der  Küste  der  jonischen  Inseln 
zeigen  sich  Karren,  so  z.  B.  im  Meeresniveau  der  Kalkfelsen  von  Ithaka 
(Partsch).  HUber  schreibt  von  Karren  in  der  Bucht  zwischen  Punta  Pizzale 
und  Punta  Maturaga  im  Norden  von  Parenzo;  Stäche  schreibt  über  die 
an  der  Westküste  von  Istrien  zwischen  Stignano  und  Fasano. 

Wir  kennen  nicht  bloss  den  Karst  als  einen  nächsten  Verwandten  der 
Alpen,  sondern  auch  die  Pyrenäen.  Dass  hier  Karren  vorkommen,  wissen 
wir  von  Penck,  der  femer  auch  von  solchen  auf  Gibraltar  berichtet.  Von 
andern  europäischen  Gebieten  scheinen  einige  Stellen  in  Sizilien  durch 
karrenähnliche  Bildungen  ausgezeichnet  zu  sein  (Heim).  In  die  neueste 
Zeit  gehören  die  Beobachtungen  über  norwegische  Karren  durch  J.  H.  L. 
Vogt  Karrige  Gebilde  reinen  Kalkes  kommen  im  Erzgebirge  vor  (Sauer 
und  Beck).  Von  ksurenähnlichen  Erscheinungen  im  Sandsteme  der  Säch- 
sischen Schweiz  reden  Gutbier  und  Hettner,  und  von  gleichen  Grebilden  in 
den  Gres  cretaces  des  Massivs  von  Bucegiu  in  Rumänien  spricht  E.  de 
Martonne. 

Es  liegen  auch  Angaben  über  Karrengebilde  ausserhalb  Europas  vor. 
Im  Libanongebirge  konnte  Diener  Karren  konstatieren,  und  zwar  die  entr 
wickeltsten  Karren  in  einer  Höhe  zwischen  1000  und  1600  m;  auch  im 
Antilibanon  treten  sie  zwischen  Rahleh  und  Raschäja  auf.  Karrenähnliche 
Grebilde  werden  auf  alle  Fälle  noch  im  Sinaigebiete  gefunden  werden;  denn 
die  Kreideverwitterungen  bei  Ras  Abu  Jenüne  zeigen  so  ganz  etwas  den 
Karren  Verwandtes,  wenn  diese  Grebilde  auch  in  wesentlich  grossem 
Dimensionen  vor  unser  Auge  treten  (L.  Rütimeyer).  Karrenähnliche  BUdungen 
wurden  in  den  Kalksteinen  von  Mexiko  beobachtet  (Felix,  Lenk).  Dass 
auf  den  regenreichen  Kalkplateaus  der  Staaten  Kentucky  und  Tennessee 
ebenfalls  Karrenfelder  vorkommen,  hält  Ratzel  für  wahrscheinlich,  er  spricht 
von  Karrenfeldem  und  Karrenbildungen,  die  in  allen  geologischen  Forma- 
tionen vom  Silur  bis  zum  jungen  Korallenkalke  verbreitet  sind  und  im 
Xordland  sowohl,  wie  in  IncUen,  Jamaika,  Kuba  und  Yukatan  vorkommen. 

Ein  Überblick  über  die  gesamten  jetzt  vorliegenden  Beobachtungen 
lehrt,  dass  die  Verbreitung  von  Karren  und  karrenähnlichen  Gebilden  sehr 
aoflgedehnt  ist,  sowohl  im  horizontalen  wie  im  vertikalen  Sinne  — ;  er 
drangt  vorderhand  zu  den  Schlüssen,  dass  die  Karren  weder  ein  spezielles 
Alpen-,  noch  ein  spezielles  Karstphänomen  sind,  dass  sie  in  verschiedenen 


170  Obcrflächengestaltimg. 

Klimaten  yorkommen,  dass  de  auch  nicht  an  bestinunte  Höhenlagen  ge- 
bunden sind,  dafis  aber  ihr  typisches  und  zaMreichstes  Auftreten  an  die 
Nahe  der  untern  Schneegrenze  geknüpft  und  in  der  Gestalt  von  Karren- 
feldem  am  besten  auf  der  nördlichen  Kalkzone  der  Alpen  entwickelt  istc 

Die  Gebirgrssysteme  der  BalkanhalblnseL  Prof.  Dr.  Cvijia 
hat  sich  über  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  der  tektonischen 
und  geomorphologischen  Verhaltnisse  der  Balkanhalbinsel  verbreitet 
Was  die  tektonischen  Probleme  anbelangt,  so  äusserte  er  sich  im 
wesentlichen  wie  folgt  :^) 

Es  kommen  auf  der  Balkanhalbinsel  vier  selbständige  Falten-  und 
Gebvossysteme  vor:  das  dinarische,  das  griechiBch-albaniscne,  der  Balkan 
und  die  Transsylvanischen  Alpen;  zwiscnen  denselben  befindet  sich  die 
Rhodopemasse. 

Die  Falten  des  dinarischen  Systemes  zeigen  zahlreiche,  gleichsinnige 
Abweichungen  von  der  Nordwest- Südostrichtung,  welche  bisher  als  die 
Leitlinie  des  ganzen  Systemes  galt,  und  sie  setzen  sich  von  der  Ebene  von 
Skutari  nicht  weiter  nach  Süden  fort. 

Die  dinarischen  Falten  biegen  oft,  selbst  im  Norden  des  Systemes, 
nach  Osten  und  Nordosten  um,  und  diese  Erscheinung  wiederholt  sich 
immer  häufiger,  je  weiter  man  nach  Süden  fortschreitet.  Einzelne  Gruppen 
der  Falten  verhalten  sich  dabei  selbständig:  die  einen  biegen  nach  Osten 
und  Nordosten  um,  die  andern  ^ehen  weiter  in  der  Nordwest-Südostrichtung 
vorbei  Dadurch  erhalten  die  dinarischen  Falten  eine  kulissenförmige  Auf- 
einanderfolge. Der  Faltungsvorgang  hat  sich  also  wesentlich  anders  gestaltet 
als  im  Juragebirge  oder  in  den  AUeghanies,  deren  Falten  eine  und  dieselbe 
Richtung  konstant  behalten. 

Der  Umbiegungsvorgang  hat  die  ganze  Schichtserie  vom  Paläozoicum 
bis  zum  Neogen  ergriffen,  dasselbe  zeigen  selbst  die  sarmatischen  Schichten 
an  der  Drina.  Weiter  sieht  man,  wie  die  Schichten  einer  und  derselben 
Formation  aus  der  Nordwest- Südost-  in  die  Nordostrichtung  übergehen. 
Die  2  FaltenrichtuDgen  können  also  nicht  auf  zwei,  dem  Alter  nach 
verschiedene  Faltungsvor^ange  zurückgeführt  werden,  sondern  auf  einen. 
Dieselbe  Umbic^ng  in  die  östliche  und  nordöstliche  Richtung  zeigen  auch 
die  Brüche  und  Oberschiebungen.  Es  ist^  wahrscheinlich,  dass  einige  als 
transversal  bezeichnete  Brüche  des  dinarischen  Systemes  zu  dieser  Kategorie 
gehören. 

Beinahe  alle  äussern  östlichen  Falten  des  dinarischen  Systemes  biegen 
in  eine  östliche  oder  nordöstliche  Richtung  um  und  treffen  in  Westserbien 
mit  der  alten  Masse  zusammen.  Die  jungen  Falten  stossen  aber  quer,  in 
der  Richtung  ihrer  Längsaxe,  auf  die  alte  Masse.  Durch  die  Aufstauung, 
die  sie  dabei  erfuhren,  wurde  ihr  Verlauf  in  der  Horizontalen  zickzackförmig, 
ihre  Leitlinie  bekam  also  einen  gewundenen  Verlauf.  Wir  nennen  sie  ge- 
wundene Falten.  Sie  sind  vorzugsweise  in  den  paläozoischen  Schiefem,  in 
den  Werfener  Schiefem  und  Sandsteinen,  dann  im  Flysch  entwickelt, 
kommen  aber  auch  in  den  Kreidekalken  vor.  Beim  Zusammentreffen  der 
2  Systeme  von  jungen  Falten,  wie  bei  Alessio,  entstehen  keine  gewundenen 
Falten.  An  das  erwähnte  bestimmte  Zusammentreffen  gebunden,  sind  diese 
Falten  eine  neue  tektonische  Form;  man  beobachtete  bisher  nur  jene 
Störangen,  welche  beim  Zusammentreffen  einer  alten  Masse  und  jener  jungen 
Falten  entstehen,  die  parallel  ihrer  Längsaxe  an  eine  alte  Massestossen. 

An  der  Grenze  zwischen  dem  dinanschen  Systeme  und  der  alten  Masse 
finden  sich  oft  Brüche,  welche  eine  Nordwest-Südost-  oder  Nord-Süd- 
richtung haben,  wie  jene  von  Afitrovica,   dann  die  im  Ibarthale  und  im 

^)  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Berlin  1902.  p.  210ff. 


OberflächengestaltuDg.  171 

Westen  vom  Rudnikgebirge.  Längs  derselben  fanden  Ergüsse  von  jung- 
eruptiven  Gesteinen  statt,  so  dass  die  dinarischen  Falten  von  der  alten 
Masse  oft  durch  solche  Zonen  von  eruptiven  Gesteinen  getrennt  sind.  Diese 
Thatsache  ist  auch  dadurch  auffaJlend,  dass  jungeruptive  Gesteine  inner- 
halb des  dinarischen  Systemes  beinahe  vollständig  fehlen. 

Die  Störung  der  normalen  dinanschen  Leitlinien,  welche  durch  die 
Umbiegungen  entsteht,  kommt  auch  im  Gebirgsstreichen  zum  Ausdrucke. 
Sie  hat  eine  Bedeutung  für  die  Plastik  des  dinarischen  Gebirgssystemes.  In 
Westserbien  haben  a^Ue  östlichen  dinarischen  Gebirge  ein  westostliches 
Streichen.  In  Bosnien,  in  der  Herzegovina,  insbesondere  in  der  südöstlichen 
Hälfte  von  Montenegro,  kommen  kleine  Gebirge  vor,  deren  Gebirgskämme 
ein  Nordoststreichen  zeigen,  und  die  als  eingeschaltet  zwischen  den  Graten 
mit  dinarischer  Richtung  erscheinen.  Es  scheint  femer,  als  würde  durch 
dieses  abweichende  Schichtstreichen  die  Plateaubildung  gefördert;  die 
Plateaus  sind  im  Gebiete  der  umgebogenen  Falten  besonders  häufig.  Man 
bemerkt  auch  eine,  freilich  nicht  bedeutende  Wirkung  dieses  Schichtstreichens 
auf  die  Thalbildung,  eine  weit  grössere  dagegen  auf  die  Karstformen. 

Die  Erscheinung  des  Umbiegens  der  Falten  verstärkt  sich  gegen  Süd- 
ost Von  Getinje  und  Tarabos  an  biegen  alle  Falten  nach  Nordosten  um, 
nicht  aber  alle  unter  derselben  geographischen  Breite;  bei  einer  Gruppe 
vollzog  sich  dieser  Vorgang  nördficher,  bei  der  andern  weiter  im  Süden, 
so  dass  auch  diese  FsJten  eine  kulissenförmige  Aufeinanderfolge  zeigen.  Es 
verstärkt  sich  also  der  Vorgang,  und  es  verdichten  sich  die  umgebogenen 
Falten  in  solcher  Weise,  dass  sie  jene  grosse  Scharung  zustandebringen, 
welche  in  den  Prokletije  auftritt  Die  Höhe  der  Gebirgsketten  des  dinariscnen 
Systemes  steigt  in  der  Südostrichtung,  und  es  ist  merkwürdig,  dass  die 
gescharten  Ketten  die  grössten  Höhen  erreichen.  Mit  diesen  endet  das 
dinarische  System,  weil  es  weiter  im  Süden  keine  andere  orographische 
noch  geologische  Fortsetzung  hat. 

Im  Süden  kommen  zuerst  die  3  Scharungsbecken  von  Medua,  von 
Scatari  und  von  Metohija,  dann  ein  einheitliches  Falten-  und  Gebirgs- 
system,  welches  sich  durch  ganz  Albanien  nach  Griechenland  fortsetzt  Wir 
nennen  es  das  griechisch-albanesische  System.  Seine  Falten  und  Gebirgs- 
züge haben  in  der  Regel  eine  NS-  oder  NNW— SSO-Richtung,  zeigen  aber 
3  Abweichungen  von  dieser  normalen  Richtung.  In  Mitteigriechenland 
bieg^  die  Falten  nach  Osten  und  in  den  akrokeraunischen  Gebirgen  nach 
WnW  um.  Viel  wichtiger  aber  ist  die  dritte  Umbiegung;  sie  vollzieht 
sich  im  Flussgebiets  der  vereinigten  Drim.  Alle  albanesischen  Falten  von 
Valona  im  Süden  bis  an  den  Drim  im  Norden  streichen  normal.  Hier  biegen 
sie  nach  Nordosten  um  und  bilden  die  hohen  Gebirge:  den  Pastrik,  den 
Koritrik,  vielleicht  auch  das  Sar-Gebirge,  dann  die  weit  niedrigem  Känmie 
von  Haimelit,  Kalmetit  und  Selbumi.  Das  sind  die  gescharten  albanesischen 
und  altserbischen  Gebirge,  welche  zu  den  höchsten  des  albanesisch-griechischen 
Systemes  gehören.  Sie  erheben  sich  als  ein  Pendant  gegenüber  den  ge- 
scharten cünarischen  Ketten,  sind  aber  weniger  hoch  als  diese. 

Prof.  Cvijiö  weist  weiter  auf  einige  geologische  Unterschiede  zwischen 
dem  dinarischen  und  dem  griechisch-albanesischen  Systeme  hin.  »Das  erstere 
ist  im  grossen  und  ganzen  symmetrisch  gebaut.  Durch  die  Mitte  desselben 
ziehen  die  höchsten  Gebirgszüge,  in  ihnen  treten  die  paläozoischen  und 
Triasffesteine  zu  Tage;  beiderseits  folgen  die  jurassischen  und  tertiären 
Schichten.  Die  vollständige  Symmetrie  wird  durch  die  verschiedenartige 
Ausbildung  der  Flysch-  und  Neogenablagerungen  gestört  Der  eigen- 
tümliche bosnische  Flysch  mit  zahlreichen  Serpentinmassen  tritt  im  Süd- 
westen des  dinarischen  Systemes  nicht  auf,  erscheint  aber  merkwürdigerweise 
jenseits  des  Adriatischen  Meeres,  in  Italien.  Weiter  fehlt  im  Südwesten 
der  dinarischen  Zentralaufwölbung  das  marine  Neogen,  es  erscheint  aber 
ebenfalls  wieder  auf  dem  andem  Gestade  der  Adria.  —  Im  Gegensatze  dazu 


172  Oberfläohengestaltung. 

hat  das  albanesische  Gebirge,  soweit  es  bis  jetzt  bekaant  ist,  einen 
asymmetrischen  geologischen  Bau.  Die  ältesten,  die  paläozoischen  und 
triadischen  Gesteine,  treten  im  äussersten  Osten  des  Gebirgssystemes,  in  der 
(jaliöica,  dann  im  Pastrik,  Koritrik  und  Sar  auf.  An  diese  Zone  lehnt  sich 
im  Westen  zuerst  eine  breite  Flyschzone,  dann  ein  schmaler  Streifen  des 
marinen  Neogen.  Dieser  Flysch  mit  Serpentinen  zeigt  den  Charakter  des 
bosnischen  Flysches  und  unterscheidet  sich  wesentlich  von  den  als  Flysch 
bezeichneten  Gesteinen  im  Südwesten  der  dinarischen  zentralen  Auf- 
wölbungszone, also  von  den  Flyschvorkonmmissen  in  Montenegro,  Dal- 
matien  u.  s.  w.  Das  marine  Neogen,  das  im  Westen  des  albanesischen 
Systemes  auftritt,  steht  ebenso  im  Gegensatze  zu  den  neogenen  Süsswasser- 
Ablagerunffen,  die  in  den  Becken  der  südwestlichen  Hälfte  des  dinarischen 
Systemes  hier  und  da  zum  Vorscheine  kommen. 

Der  am  meisten  auffallende  Unterschied  aber  zwischen  diesen  beiden 
Gebirgssystemen  liegt  in  der  Kaikentwickelung.  Die  triadischen,  jurassischen, 
cretacischen  und  eocänen  Kalke  und  Dolomite  erreichen  im  dinarischen 
Systeme  eine  solche  Verbreitung  und  Mächtigkeit,  wie  in  keinem  andern  Ge- 
birgssysteme  Europas.  An  sie  ist  jene  reiche  und  ausgeprägte  Entwickelung 
des  ^arstphänomens  geknüpft,  das  den  wesentlichsten  Charakterzug  der 
Formen  des  dinarischen  Systemes  bildet.  Im  albanesischen  Systeme  treten 
Schiefer,  Sandsteine,  Konglomerate,  mergelige  Kalke,  selten  und  in  geringer 
Mächtigkeit  die  reinen  Kalke  auf;  eine  Ausnahme  bilden  die  bekannten 
mächtigen  Kalkinseln  vom  Sar,  Korab  und  von  der  Galicica.  Der  geringen 
Kalkverbreitung  entsprechend,  tritt  das  Karstphänomen  hier  nur  sporadisch 
auf;  seine  Formen  und  Erscheinungen  bleiben  auch  an  Grösse  weit  hinter 
jenen  des  dinarischen  Systemes  zurück.  Dasselbe  gilt  für  die  Karstgebiete 
m  Epiros,  von  denen  ich  einige  aus  eigener  Anschauung  kenne,  selbst  für 
die  Karsi^ebiete  Griechenlands.« 

Eine  merkwürdige  Erscheinung  sind  jene,  aus  Radiolitenkalk  auf- 
gebauten Känmie,  die  sich  aus  der  Ebene  von  Scutari  erheben,  und  die 
zwischen  dem  dinarischen  und  griechisch-albanesischen  Faltensysteme  ein- 
geschaltet sind.  Prof.  Cvijic  bezeichnet  sie  als  resistente  dinarische  Kämme. 
»Sie  stimmen  in  der  Richtung  der  Falten,  in  ihrem  geologischen  Aufbaue 
und  in  der  Plastik  mit  den  dinarischen  Gebirgen  überein,  stehen  aber  im 
grössten  Gegensätze  zu  den  albanesischen  Gebirgen,  mit  welchen  sie  bei 
Alessio  unmittelbar  zusammentreffen. 

Der  Balkan  und  die  Transsylvanischen  Alpen  gehen  nicht  durch  Torsion 
ineinander  über.  Der  westliche  Balkan  stellt  eine  selbständige  Faltenzone 
gegenüber  dem  zentralen  und  dem  östlichen  dar;  überdies  bildet  er  nicht 
eine  Kette,  sondern  wird  in  zahlreiche  Virgationsketten  zerlegt.  Seine  Leit- 
linien biegen  in  Ostserbien  nach  Westen  um  und  stossen  unter  merk- 
würdigen Erscheinungen  auf  die  alte  Masse.  Die  Transsylvanischen  Alpen, 
die  sich  tektonisch  vom  westlichen  Balkan  wesentlich  unterscheiden,  ins- 
besondere einen  unbedeutenden  Faltungsvorgang  aufweisen,  biegen  in  Ost- 
serbien nach  Osten  um  und  tönen  in  den  ungestörten  sarmatischen  Schichten 
der  bulgarischen  Donauplatte  aus.  Zwischen  diesen  beiden  Faltensystemen 
befmdet  sich  das  geräumige,  mit  zahlreichen  Andesiteruptionen  ausgefüllte 
Becken  der  Cma-Reka  (mit  der  Stadt  Zajeöar). 

Die  Rhodopemasse  zeichnet  sich  durch  zwei  tektonische  Vorgänge 
aus;  durch  die  Faltung  und  durch  die  Senkungen.  Die  erstere  hat  alle 
Schichten  bis  zum  Oligocän,  stellenweise  auch  das  untere  Oligocän  ergriffen. 
Der  Senkungsvorgang  begann  im  Oligocän  und  setzt  sich  auch  heute  fort. 
Es  scheint,  dass  seine  Intensität  von  Norden  nach  Süden  zunahm.  Die 
Oberflächengestaltung  des  Rhodopesystemes  ist  von  der  Faltung  unabhängig, 
die  Brüche  und  Senkungen  schufen  die  heutige  Plastik,  das  Gtebirgs-  und 
das  Schichtstreichen  stimmen  nur  ausnahmsweise  überein ;  durch  den  letztem 
tektonischen  Vorgang  sind  die  zahlreichen  Becken   entstanden,   und  ins- 


Oberflächengestaltung.  178 

besondere  durch  diese  unterscheidet  sich  die  Rhodopemasse  morphologisch 
von  den  junggefalteU^n  Gebirgssystemen  der  BaUcaDhalbinsel.  Die  Rand- 
partien der  l^odopemasse  im  Osten  der  griechisch-albanischen  und  im 
Süden  des  balkaniscnen  Svstemes  verhalten  sich  in  solcher  Weise,  dass  man 
sie  als  ein  Zwischenglied  oder  als  eine  Cbersangszone  zwischen  den  ge- 
falteten Gebirgen  und  der  echten  alten  Masse  oetrachten  muss.  Durch  die 
erwähnten  Eigenschaften  unterscheidet  sich  die  Rhodopemasse  wesentlich 
von  der  böhmischen  Masse  und  von  der  Meseta.« 

Der  Aufbau  EuraBlens.  Die  erste  Hälfte  des  3.  Bandes  des 
grossen  Werkes:  »Das  Antlitz  der  Erde«  von  E.  Suess,  beschäftigt 
sich  mit  dem  Aufbaue  der  grossen  nordöstlichen  Festlandmasse  der 
Erde,  welche  man  als  Eurasien  bezeichnet  Es  ist  zwar  auch  in 
diesem  Bande  viel  Hypothetisches,  über  das  man  sich  durch  die 
Form  der  Darstellung  nicht  täuschen  lassen  darf,  allein  das  Werk 
selbst  hat  doch  eine  grosse  Bedeutung. 

Suess  teilt  die  Dislokationen  der  Erde  in  2  Gruppen,  in  solche, 
die  aiis  Faltung,  und  jene,  die  aus  Senkung  hervorgehen;  in  seinen 
hier  besprochenen  Studien  behandelt  er  zwar  nicht  ausschliesslich, 
aber  doch  der  Hauptsache  nach  die  Faltung,  während  die  nähere 
Betrachtung  von  Bruch,  Riss,  Senkung,  sowie  der  Beziehungen  der 
geschmolzeneu  Felsarten  zur  Stratosphäre  spätem  Abschnitten  vor- 
behalten bleibt. 

Er  bezeichnet  es  als  Aufgabe  der  heutigen  Geologie ,  die  in  der 
Gestaltung  der  Erdoberfläche  erkannten  Faltenzüge  zu  grössern 
Einheiten  zu  vereinigen,  auf  dem  Wege  dieser  Synthese  fortzu- 
schreiten und  den  von  der  Natur  auf  das  Antlitz  der  Erde  ge- 
schriebenen Plan  der  Leitlinien  zu  ermitteln.  Das  hat  seine  grossen 
Schwierigkeiten  und  ist  bezüglich  der  von  einem  zusammenhängenden 
Ozeane  bedeckten  südlichen  Hälfte  der  Erde  zur  Zeit  überhaupt 
unausführbar.  Der  Versuch,  den  Suess  unternimmt,  beschränkt  sich 
deshalb  auf  den  Norden,  nämlich  auf  die  nördlich  von  der  Süd- 
grenze Eurasiens  und  vom  karaibischen  Golfe  gelegenen  Teile  der 
Erde.  Auch  hier  sind  die  Schwierigkeiten  noch  sehr  gross  und  die 
Ergebnisse  mehr  oder  minder  hypothetisch.  Als  Grundthatsache 
betont  Suess,  dass  alle  ältesten  Felsarten  der  Erde  Faltung  oder 
eine  der  Faltung  gleichwertige  Pressung  erfahren  haben.  An  manchen 
Stellen,  z.  B.  bei  St  Petersburg,  wo  kambrische  Sedimente  flach 
auflagern,  schlummert  die  faltende  Kraft  der  Erde  seit  uralten  Zeiten, 
während  wieder  in  andern  Gegenden  selbst  junge  Sedimente  an  der 
Faltung  teilnehmen.  Das  beweist,  dass  die  faltende  Kraft  einst 
über  den  ganzen  Erdball  thätig  war,  heute  aber  örtlich  beschränkt 
ist,  oder  auch,  wie  man  sagen  kann,  dass  sie  mit  dem  zunehmenden 
Alter  der  Erde  an  Ausdehnung  abgenommen  hat  In  seinen  frühem 
Arbeiten  konnte  Prof.  Suess  nur  Bruchstücke  der  von  ihm  soge- 
nannten Leitlinien  ohne  Zusammenhang  darbieten;  eine  Verbindung 
und  eine  synthetische  Zusammenfassung  derselben  war  aber  damals 
unmöglich,   weil    die    mittlem    Teile   Asiens,    in    welchen    der    Zu- 


174  Oberflächengestaltuiig. 

sammenscMuss  der  Bogen  gesucht  werden  müsste,  Sibirien  und  die 
Mongolei,  geologisch  noch  undurchforscht  waren.  Das  hat  sich  seit- 
dem durch  die  unermüdliche  Thätigkeit  russischer  Forscher  geändert, 
und  auf  deren  Arbeiten  baut  nun  Suess  seine  weitern  Schlüsse  auf, 
aber  unter  dem  ausdrücklichen  Vorbehalte  vielfacher  späterer  Richtig- 
stellung derselben.  An  solcher  wird  es  auch  zweifellos  nicht  fehlen, 
denn  man  darf  keinen  Augenblick  vergessen,  dass  die  Schluss- 
folgerungen, welche  Prof.  Suess  zieht,  zum  Teil  doch  nur  auf  hypo- 
thetischen Unterlagen  beruhen.  Die  Annahme,  dass  alle  Dislokationen 
der  Erde  lediglich  aus  Faltung  und  Senkung  hervorgehen,  mag  ja 
sehr  vieles  für  sich  haben,  aber  in  dieser  Beschränkung  bleibt  sie 
immerhin  hypothetisch,  weil  kein  Beweis  beigebracht  werden  kann, 
dass  Bewegungen  anderer  Natur  notwendig  ausgeschlossen  werden 
müssen.  Eine  fernere  Grundlage  der  Schlüsse  bilden  die  geographi- 
schen Karten  der  Bodengestaltung  Asiens,  und  sie  sprechen  so  beredt, 
dass  ohne  sie  Schlüsse  über  die  bogenförmige  Aneinanderreihung 
der  vertikalen  Erhebungen  nicht  zu  ziehen  wären,  allein  ihre  Sprache 
ist  keineswegs  eindeutig,  sondern  lässt  verschiedene  Auffassungen 
zu ;  endlich  bildet  die  Erforschung  der  Beschaffenheit  und  Natur  der 
Felsmassen,  die  eigentliche  geognostische  Durchforschung  der  be- 
handelten Gebiete,  die  zweite  notwendige  Unterlage,  und  diese  ist 
noch  weit  davon  entfernt,  genügend  durchgeführt  zu  sein.  Diese 
Umstände  darf  man  keinen  Augenblick  ausser  acht  lassen,  wenn 
man  die  richtigen  Gesichtspunkte  für  eine  kritische  Würdigung  der 
grossen  Arbeit  von  Suess  festhalten  will. 

»Legt  man  eine  Karte  Asiens  vor  sich ,  so  erblickt  man  in  der 
vertikalen  Konfiguration  dieses  Erdteiles  im  Osten  überall  Bogen- 
stücke,  am  Meeresufer  wie  in  den  Kränzen  von  Inseln,  Bogenstücke 
im  Süden,  dann  am  Ganges,  am  Indus,  weiter  im  Innern  auch  in 
Iran,  im  westlichen  Kuenlun;  dann  folgen  die  ausstrahlenden  Äste 
des  Tian-shan.  »Bald  sind  die  Bogen  stärker,  bald  minder  stark 
gekrümmt,  bald  gegenseitig  sich  hemmend,  bald  abgelenkt  an 
zwischenliegenden  Schollen,  aber  doch  sichtlich  harmonisch,  d.  i. 
nach  einem  einheitlich  die  Gesamtheit  beherrschenden  Plane  gelagert, 
welcher  das  Vorhandensein  eines  gemeinsamen  Scheitels  im  Innern 
des  ganzen  Aufbaues  vermuten  lässt  Dieser  einheitliche  Scheitel 
liegt  in  der  Nähe  eines  bogenförmig  geordneten  Bruches,  welcher 
wie  ein  Amphitheater  die  Gegend  von  Irkutsk  umgiebt.  Nahe  dem 
östlichen  Rande  dieses  Amphitheaters  liegt  der  Baikalsee.c  Diese 
bogenförmige  Anordnung  der  Gebirgsmassen  Asiens  spielt  in  der 
Suessschen  Auffassung  die  grösste  Rolle.  »Könnte  man,c  sagt  er, 
»das  Meer  entfernen,  so  würden  diese  aus  grossen  Tiefen  auf- 
steigenden Inselbogen  alle  als  gewaltige  Gebirgsketten  erscheinen. 
Bogen  reiht  sich  an  Bogen.  Man  kennt  gegen  den  Ozean  hin  keine 
Grenze  der  wunderbaren  bogen  -  gebärenden  Macht,  welche  vom 
eurasiatischen  Scheitel  ausgeht,  c 


.  Oberflächengestaltung.  175 

Von  den  gefalteten  Bogen  der  Peripherie  gegen  das  Amphitheater 
von  Irkutsk  vordringend,  erkennt  man,  wie  nach  innen  hin  die 
typischen  Grestalten  der  Berge  sich  verändern.  Draussen  am  Rande 
des  grossen  Aufbaues  sehen  wir  in  der  Nähe  des  Meeres  zahlreiche 
Vulkane,  dann  gegen  die  Mitte  hin  folgen  »die  weiss  erglänzenden 
Riesen  der  Hochgebirge,  behängt  mit  Gletschern,  Gauri  sänkar, 
Mustag  Ata,  die  tibetanischen  Ketten.  Dann  die  nackten  langen 
Felsmauern  der  Gobi,  sich  erhebend  über  ihren  Bei,  d.  h.  über  einen 
horizontal  geschichteten  Sockel,  welcher  unter  scharfem  Gegensatze 
der  Umrisse  jede  einzelne  dieser  Felsmauem  umgiebt  Dann,  wenn 
wir  in  die  nördliche  Mongolei  gelangt  sind,  begegnen  wir  Gegenden, 
welchen  das  Alter  die  Reize  genommen  hat  Von  den  hohem  Re- 
gionen des  Altai  bis  in  den  Süden  des  Baikal  und  bis  gegen  den 
obem  Amur  und  das  Ochotskische  Ufer  sieht  man  entweder  völlig 
abgetragenes  oder  in  stumpfe  Horste  aufgelöstes  Gebirgsland  oder 
endlich  die  bezeichnenden  »monomorphen  Gestalten <,  wie  sie  Radde 
nennt.  Es  sind  mehr  oder  minder  vereinzelte  oder  gruppenweise 
nebeneinander  stehende  stumpfe,  gerundete  Kegel,  von  einer  breiten 
Grundfläche  hoch  aufragend  über  die  Grenze  des  Waldwuchses. 
Schutt  und  Blöcke,  dazwischen  Striemen  und  Flecken  von  Schnee 
bedecken  ihre  Abhänge.  »Goletzc,  d.h.  Glatzkopf,  nennt  man  sie 
in  Sibirien.  Die  Gipfel  der  Bjelucha  im  Altai,  Munku  Sardyk  am 
See  Kossogol,  Sochondo  und  viele  höhere  Gipfel  dieser  alten  Ge- 
birge nehmen  mehr  oder  minder  diese  Gestalt  an.  Dann,  jenseits 
der  Quellen  des  Wilui,  weit  draussen  in  der  nordischen  Einöde, 
werden  wir  ausgedehnte  Tafelberge  kennen  lernen,  deren  Fuss  und 
Abhänge  aus  flachgelagerten  altpaläozoischen  Sedimenten  bestehen, 
während  das  Dach  von  einer  Decke  von  basischem  Effusivgesteine 
gebildet  wird.  Oft  ist  dieses  Dach  eben  wie  ein  Brett,  oft  auch 
durch  Klüftung  und  Ausspülung  aufgelöst  in  eine  Krone  von  wilden 
und  gespensterhaften  Zacken,  an  welchen  der  Aberglaube  der  Tun- 
gusen  haftet  Endlich  ist  die  Tundra  erreicht  mit  den  flachen  meso- 
zoischen Transgressionen  und  das  Gestade  des  Eismeeres.« 

Die  Felsarten  und  Faltungen  des  Scheitels  sind  von  sehr  hohem 
Alter;  Granit,  Gneis  und  Homblendegneis  bilden  den  grössten  Teil 
seiner  langen  Rücken,  und  die  Falten  selbst  sind  ohne  Zweifel  älter 
als  die  ältesten  (cambrischen)  Sedimente  in  dem  uralten  Erosionsthale 
der  Lena  Neben  den  archäischen  Felsarten  finden  sich  dort  ver- 
einzelt eruptive  mit  wenigen  Schollen  jüngerer  Süsswasserbildungen, 
ohne  jede  fossilführende  Meeresablagerung  mit  Ausnahme  von 
devonischen  Schichten  in  der  äussersten  Peripherie  des  Südostens. 
Der  Osten  des  Scheitels  ist  durch  sehr  lange  Gräben  in  lange,  mehr 
oder  minder  parallele  Horste  zerteilt  Diese  Gräben  folgen  bald  auf 
lange  Strecken  den  baikalschen  Falten,  bald  durchschneiden  sie  die- 
selben. Es  ist,  als  wäre  der  alten  Faltung  eine  Spannung  oder 
Zerrung  in  annähernd  ähnlicher  Richtung  nachgefolgt.     Junge  Laven 


1 76  OberflächengestaltuDg. 

in  Kratern  deuten  an,  dass  dieser  Vorgang,  welchen  die  neuem 
russischen  Forscher,  und  ihnen  sich  anschliessend  Suess,  als  »dis- 
junktive Dislokation  €  bezeichnen,  noch  nicht  abgeschlossen  ist 
Der  Baikalsee  dürfte  nach  Suess  durch  einen  solchen  disjunktiven 
Vorgang  während  der  mitüern  Tertiärzeit  entstanden  sein.  Ein 
grosser  Teil  der  westlichen  Hälfte  des  Scheitels  wurde  in  früher 
Zeit  versenkt,  und  dadurch  wurde  das  Amphitheater  von  Irkutsk 
gebildet.  Suess  behandelt  eingehend  das  grosse  Gebiet  von  der 
untern  Schilka  bis  zum  Ostufer  Sachalins  und  vom  Thale  der  Ochota 
bis  zum  Fusiyama.  Über  die  fruchtbaren  Ebenen  des  Amur  hin  bis 
zu  den  Einöden  Sachalins  und  den  grossen  Meerestiefen  der  japa- 
nischen Küste  findet  er  eine  gemeinsame  Anordnung  der  LeiÜüiien, 
welche^  indem  die  Richtung  sich  mehr  und  mehr  gegen  Norden 
wendet,  in  der  Konvergenz  aller  Ketten  gegen  den  Norden  des 
Ochotskischen  Meeres  Ausdruck  gewinnt.  Das  Bild  erweitert  sich 
noch  wesentlich  durch  Einbeziehung  der  Bonininseln,  die  wahr- 
scheinlich einen  ähnlichen  Bau  besitzen  wie  Liukiuinseln  und  die 
Marianen. 

Auf  Grund  älterer  Forschungen  ist  anzunehmen,  dass  ein  Teil 
des  mittlem  Afrika,  Madagaskar  und  das  Inselland  der  Indischen 
Halbinsel,  seit  dem  Schlüsse  der  Karbonzeit  ein  Festland  bildeten, 
das  Suess  Godwänaland  nennt  Es  war  im  Norden  begrenzt  durch 
eine  breite  Zone  von  Meeresbüdungen  der  mesozoischen  Epoche,  die 
sich  von  Sumatra  und  Timor  über  Tonkin,  Yünnan  zum  Himalaya 
und  Pamir,  Hindukusch  und  nach  Kleinasien  erstreckte.  Sie  ist  in 
ihrer  Gesamtheit  als  der  Rest  eines  Meeres  anzusehen,  welches  quer 
über  dem  heutigen  Asien  lag.  Dasselbe  wurde  von  dem  berühmten 
österreichischen  Geologen  Neumayr  als  das  zentrale  Mittelmeer  be- 
zeichnet Suess  giebt  ihm  den  Namen  Tethys.  Das  heutige  Mittel- 
ländische Meer  ist  noch  ein  Rest  dieser  Tethys.  Die  pflanzen- 
führenden Schichten  Chinas,  der  Mongolei  und  Sibiriens  beweisen  die 
voreinstige  Existenz  eines  zweiten  grossen  Festlandes  der  mesozoischen 
Zeit ,  nördlich  von  der  Tethys ;  nach  dem  nahe  seiner  Mitte  gelegenen 
Flusse  Angara  nennt  Suess  dasselbe  Angarafestland.  Das  heutige 
Asien  ist  nun  durch  das  Verschwinden  des  Tethysmeeres  und  durch 
die  Vereinigung  des  alten  Angarafestlandes  mit  dem  indischen  Bruch- 
stücke des  Godwäna-Konünents  entstanden. 

Folgende  Einzelheiten  unterscheidet  Suess  im  Baue  und  der  Ge- 
schichte Asiens :  zuerst  den  alten  Scheitel  mit  der  cambrischen  Insel, 
die  sinische  Scholle  von  Ordos  bis  Korea  und  das  indische  Bmch- 
stück  des  Godwänalandes,  hierauf  den  Jarkendbogen ,  dann  den 
jungem  Scheitel  mit  den  Altaiden,  im  Osten  ausströmend  bis  zu 
den  Philippinen  und  der  Bandasee,  im  Westen  sich  öffnend  in  den 
Tian-schan  und  eintretend  nach  Europa,  im  Südwesten  sich  ziemlich 
nahe  verbindend  mit  dem  iranischen  Bogen.  Zwischen  beiden  durch 
den    indischen    Horst    getrennten    Teilen    wird    in    Fortsetzung   des 


Oberflacheiigestaltung.  I77 

Jarkendbogens  der  Himalaya  aufgebaut  Die  schichtförmigen  Decken, 
welche  an  diesem  Baue  teilnahmen,  sind,  abgesehen  von  den  archäi^ 
sehen  Felsarten  und  den  vulkanischen  Produkten,  normale  Meeres- 
bildungen,  Bildungen  in  abgetrennten  und  verdampfenden  Meeres- 
teilen, limnische  Transgressionen ,  dargestellt  durch  grosse  Flächen 
von  süssem  Wasser  und  Wüstenbildungen.  Die  pflanzenführenden 
Schichten  lehren,  dass  der  östliche  Teil  des  Angaralandes  seit 
ausserordentlich  langer  Zeit ,  in  gewissen  Gebieten  seit  der  Karbon- 
epoche, als  weites  Festland  bestand,  allerdings  oftmals  bedeckt  von 
ausgedehnten  Flächen  süssen  Wassers.  Im  Laufe  der  Zeiten  hat 
sich  dieses  Gebiet  trockenen  Landes  schrittweise  ostwärts  hin 
erweitert,  wie  die  mesozoischen  Meeresablagerungen  gegen  den 
Stillen  Ozean  hin  erweisen.  Hier  also  ist  es  ausnahmsweise  möglich, 
mit  etwas  mehr  Bestimmtheit  die  Stetigkeit  des  Festlandes  zu 
ermitteln,  und  jene  Region  der  Erdoberfläche  war  demnach  ziemlich 
während  des  ganzen  Ungeheuern  Zeitraumes,  welchen  die  fossil- 
ftthrenden  Sedimentärformationen  umfassen,  eine  Zufluchtsstätte  der 
Landtiere  und  der  Bewohner  des  Süsswassers,  wenn  auch,  wie  Suess 
betont,  nicht  die  einzige  Region,  von  der,  je  nach  Gunst  der  Ver- 
hältnisse, neue  Besiedelungen  ausgehen  konnten. 

Vom  Eismeere  bis  zum  Mittelmeere  besteht  keine  natürliche 
Grenze  zwischen  dem  östlichen  und  westlichen  Eurasien,  tektonisch 
sind  beide  Teile  untrennbar.  Der  Ural  ist  eine  Gruppe  posthumer 
Schuttfalten.  So  wie  in  Ostasien  die  faltende  Bewegung  gegen 
Ost,  in  den  Grenzbogen  gegen  Süd,  so  richtet  sie  sich  im  Ural  gegen 
West,  aber  er  ist  kaum  als  peripherische  Bildung  zu  betrachten, 
weil  die  grosse  russische  Tafel,  daher  ein  beträchtliches  vorcambri- 
sches  Stück,  noch  westwärts  von  ihm  liegt  Sie  aber  ist,  wie 
Suess  findet,  ein  Teil  des  alten  vorcambrischen  Scheitels,  der  sich 
ostwärts  bis  ins  pazifische  Meer  ausdehnt  Der  Kaukasus  gehört 
za  den  Asten  des  Thian-schan. 

Die  Bewegnngsgesetze  des  Flugsandes.  Auf  Grund  ein- 
gehender Untersuchungen  in  Asien  und  Ungarn  hat  Eugen  v.  Gholnoky 
in  der  ungarischen  geologischen  Gesellschaft  eine  Darstellung  der 
Bewegungen  und  Formen  des  freien  Flugsandes  gegeben,  die  die 
bisherigen  bekannten  Thatsachen  und  Folgerungen  in  wesentlichen 
Stücken  ergänzt  und  berichtigt^)  Er  hebt  zunächst  hervor,  dass  die 
vollkommen  gleichmässige  Färbung  des  Sandes  und  seine  weichen 
Formen  Anlass  geben  zu  den  grössten  perspektivischen  Täuschungen. 
Die  überaus  flachen,  kaum  mit  2—3®  geneigten  Böschungen,  die 
auf  dem  grössten  Teile  der  Flugsandhügel  beobachtet  werden  können, 
nimmt  das  ungeübte  Auge  kaum  war.  Bei  hochstehendem,  strahlendem 
Sonnenlichte  sieht  man  keinerlei  Unebenheiten  auf  den  Sandböschungen, 


<)  Foldtani  Közlöny  1902.  82.  p.  106ff. 
Kletn,  Jalurlmoh  Xm.  12 


178  Oberflächengestaltang. 

nur  jene  verhältnismässig  steilen,  etwa  33 — 34^  geneigten  Böschungen 
bemerkt  man,  die  sich  von  den  überaus  flachen  Abhängen  der  Hügel 
scharf  abheben.  Wenn  aber  die  Sonne  sinkt,  so  dass  die  sanft  ge- 
böschten  Hügel  eine  stärkere  Seitenbeleuchtung  erhalten,  belebt  sich 
mit  einem  Male  der  vorher  flach  erschienene  Abhang  der  Hügel,  und 
man  erhält  ein  Bild,  das  dem  wogenden  Wasser  verglichen  werden 
kann,  umsomehr,  da  sich  diese  Hügel  mit  dem  Winde  fortwährend 
vorwärts  bewegen,  ihren  Ort,  ihre  Form  und  Grösse  verändernd. 
Schon  die  feine  Rippelmarkung  erinnert  lebhaft  an  die  auf  der  Ober- 
fläche des  Wassers  entstehenden  Ereiselungen ;  die  wunderbare 
Gleichmässigkeit  der  Rippelmarken  lässt  aber  diesen  Vergleich 
ziemlich  oberflächlich  erscheinen. 

Die  Barkhane  (d.  i.  die  langgezogenen  Sandhaufen)  und  Dünen 
werden  im  allgemeinen  so  gezeichnet,  dass  ihr  höchster  Punkt  dort 
liegt,  wo  die  dem  Winde  zugekehrte,  sanft  geböschte  Seite  sich  mit 
der  steilen  Sturzhalde  berührt.  Nennen  wir  diese  Ldnie  der  Kürze 
halber  Gesimslinie.  Den  höchstgelegenen  Teil  dieser  Gesimslinie 
pflegt  man  als  den  höchsten  Punkt  des  Sandhügels  zu  bezeichnen 
und  darzustellen.  Wo  aber  von  sorgfältigerer  Beschreibung  oder 
Messung  die  Rede  ist,  zeigt  sich  sofort  der  Irrtum ;  nur  in  Ausnahms- 
fällen ist  dem  so. 

Auch  Sven  Hedin  bestätigt  dies,  der  über  die  Sandhügel  in  der 
Wüste  Takla-makan  folgendes  schreibt:  >  Gegen  die  vorherrschende 
Windrichtung  ist  der  Abhang  sehr  langsam,  oben  +0®  oder  sogar 
—  3^  und  mehr,  d.  h.  die  Düne  fällt  ein  wenig  nach  der  Leeseite 
über,  sonst  fallt  der  Abhang  der  Luvseite  allmählich  zum  Fusse  des 
steilen  Abhanges  der  nächsten  Düne.c  Täuschungen  dieser  Art  ist 
auch  die  Entstehung  der  stark  halbmondförmigen  Zeichnung  von 
Barkhanen  zuzuschreiben.  Je  vollkommener  ein  Beobachter  ist,  desto 
gestreckter  zeichnet  er  die  Barkhane,  jedoch  nur  die  Photographie 
ist  im  Stande,  die  Form  derselben  naturgetreu  wiederzugeben. 

Bei  Betrachtung  der  schönen  Barkhane  in  der  mongolischen 
Steppe  und  der  über  die  riesigen  Schuttkegel  des  Hoang-ho  und 
Pei-ho  ziehenden  Sandhügel  überzeugte  sich  E.  v.  Gholnoky  davon, 
dass  der  Barkhan  die  Grundform  oder  vielmehr  die  endgültige  Form 
der  Sandhügel  ist  und  während  seines  Vorrückens  ohne  ausser- 
gewöhnliche  Einflüsse  diese  Form  nicht  mehr  ändert.  Dies  war  eine 
Erfahrung,  die  den  bisherigen  schnurstracks  zu\%äder  scheint,  da 
bisher  jeder  Naturforscher  die  auf  die  Windrichtung  vertikal  stehenden 
langen  Wälle,  die  sogenannten  Dünen,  für  die  Grundform  hielt 

E.  V.  Gholnoky  untersucht  nun  genauer  die  Sandformen  und 
gelangt  dazu,  jede  einzelne  Form  genetisch  zu  klassifizieren.  »Wenn 
sich.c  sagt  er,  »auf  einem  ganz  freien,  flachen  Terrain  ein  Sandhügel 
erhebt  und  denselben  ein  Wind  von  konstanter  Stärke  und  Richtung 
angreift,  beginnt  der  Hügel  sofort  seine  Form  zu  verändern.  Jede 
Unebenheit    wird    geglättet,    auf    der  Luvseite    dadurch,    dass    der 


Oberflächengestaltung.  179 

Wind  die  unregelmässigen  Erhebungen  wegfegt,  auf  der  Leeseite 
hingegen  die  Unregelmässigkeiten  mit  dem  von  der  andern  Seite 
gebrachten  Sande  verschüttet.  Dabei  wird  der  Hügel,  wenn  er  zu 
hoch  war,  niedriger;  etwas  Sand  aber  fegt  der  Wind  ganz  fort. 
Sehr  grosse  Stürme  reissen  auch  vom  Gipfel  des  Hügels  Sand  fort 
und  tragen  denselben  in  der  Luft  über  weite  Strecken;  die  grösste 
Menge  des  Sandes  aber  wird  am  Fusse  zu  beiden  Seiten  des  Hügels 
weggetragen.  Schliesslich  nimmt  der  Hügel  eine  Form  an,  an  welcher 
der  Wind  nichts  mehr  ändert;  er  verringert  höchstens  nur  die 
Dimensionen  desselben,  indem  er  ihm  Sand  entführt,  oder  aber  er 
vergrössert  ihn,  wenn  in  der  Umgebung  andere  Hügel  vorhanden 
sind,  dadurch,  dass  er  von  denselben  mehr  Sand  bringt,  als  er  von 
dem  untersuchten  Hügel  fortträgt.  Von  der  Luvseite  führt  der  Wind 
den  Sand  immerwährend  fort  und  lagert  ihn  auf  der  andern  Seite 
ab.  Dadurch  bewegt  sich  der  Hügel  beständig  vorwärts,  verändert 
aber  seine  Form  nicht.  Diese  Form  ist  der  Typus  der  Sandhügel, 
der  jede  Form  zustrebt.  Nennen  wir  dieselbe  typischen  Barkhan. 
Wir  finden  sie  in  der  Wüste  selten,  da  verschiedene  andere  Umstände 
mitwirken,  wie:  die  Unebenheiten  des  Bodens,  die  überdichte  An- 
ordnung der  Barkhane,  die  Feuchtigkeit  des  Bodens  und  des  Sandes, 
die  Vegetation  u.  s.  w. ;  typische  Barkhane  finden  sich  hauptsächlich 
an  solchen  Stellen,  wo  sie  die  eigentliche  Wüste  bereits  verlassen 
haben,  an  den  Rand  derselben  gelangten  und  noch  nicht  gebunden 
wurden.  Kleinere  sind  weniger  selten,  wir  treffen  sie  als  sekundäre 
Bildungen  auf  den  Rücken  grosser  Dünen  oder  aus  dem  Sande  der 
Flüsse  aufgetrieben;  die  grossen  aber  sind  nicht  häufig. c 

Den  Gegensatz  zum  Barkhan  bildet  eine  Formation,  für  welche 
£.  V.  Cholnoky  den  Namen  Garmaden  vorschlägt,  nach  dem  ungarischen 
Worte  Gannada,  welches  Fruchthaufen  bedeutet.  >Wenn,c  sagt  er, 
>auf  dem  Sandgebiete  sich  aus  reinem  und  freiem  Flugsande  ein  Hügel 
erhebt,  so  wird  ihn  der  Wind  zu  einem  Barkhan  formen.  Befindet 
sich  nun  lungekehrt  auf  dem  Sandterrain  eine  Senke,  in  die  der 
Wind  einzudringen  vermag,  so  wird  eine  ganz  andere,  gewisser- 
massen  umgekehrte  Form  entstehen.  Während  der  Barkhan  nämlich 
die  Luftströmung  zu  einer  Zerteilung  und  abermaligen  Vereinigung 
zwingt,  treibt  die  grabenartige  Vertiefung  den  Luftstrom  quasi  zu- 
sammen, wodurch  sich  der  dynamische  Druck  desselben  erhöht, 
so  dass  er  dazu  befähigt  ist,  eine,  nach  einer  gewissen  Gesetzmässig- 
keit erfolgende  Ausweitung  des  Grabens  zu  verursachen. 

Eine  solche  grabenartige  Vertiefung  entsteht  z.  B.  zwischen  zwei 
einander  nahestehenden  Barkhanen  oder  aber  auf  einer  langen  Düne 
infolge  ihrer  sattelförmigen  Ausbildung.  Besonders  die  Sättel  der 
Dünen  geben  Anlass  zur  Entstehung  solcher  grabenförmigen  Ein- 
senkungen  und  der  damit  verbundenen  Erscheinungen.  Ähnliche 
Bildungen  treten  auf  gebundenen  Sandhügeln  auf,  wenn  der  Wind  die 
bindende  Decke  aufbricht  und  eine  grabenartige  Vertiefung  hervorbringt. 

12» 


180  Oberflächengestaltimg. 

Die  Aasbildung  eines  solchen  Grabens  ist  bei  weitem  nicht  so 
einfach  wie  die  Barkhanbildung,  So  viel  ist  sicher,  dass  am  Ende 
desselben  eine  Erhebung  ist,  die  an  die  sanft  ansteigende  hintere 
Böschung  des  Barkhans  erinnert 

Eine  3.  Grundform  bildet  die  Düne,  als  welche  v.  Gholnoky 
alle  gegen  die  Windrichtung  quer  gestellten,  in  die  Lange  gezogenen, 
vom  Winde  aufgebauten  Sandwalle  bezeichnet  Er  betont,  dass  die 
Dünen  mit  der  Küste  immer  parallel  laufen.  Es  könne  demnach 
nicht  behauptet  werden,  dass  diese  Dünenreihen  gegen  die  Wind- 
richtung vertikal  ständen,  da  der  herrschende  Wind  nicht  überall 
senkrecht  zur  Küste  ist 

»Die  mit  der  Küste  parallele  Richtung  der  Dünen  wird  nicht 
von  dem  Winde,  sondern  von  der  Verteilung  der  Ursprungsorte  des 
-Sandes  bedingt  Der  Sand  taucht  am  Küstenrande  auf,  die  Auf- 
häufung desselben  durch  den  Wind  geschieht  in  Form  eines  der 
Küste  parallelen  Walles,  der  Vordüne,  welcher  der  Wind  den  Sand 
zum  Baue  der  wirklichen  Düne  entnimmt  Wenn  der  Sand  nicht  an 
der  Küste,  sondern  an  dem  Ufer  eines  Flusses  erscheint,  so  wird 
die  Vordüne  und  auch  die  erste  Dünenkette  eine  mit  der  Richtung 
des  Flusses  parallele  Lage  einnehmen. 

Fasst  man  alles  zusammen,  so  hat  man  nach  v.  Cholnoky 
folgende  3  Grundformen  (mit  Ausnahme  der  Rippelmarkung): 

1.  Den  Barkhan,  der  das  Endresultat  jedes  auf  vollkommen 
freiem  Sandgebiete  entstandenen  Gebildes  ist; 

2.  den  Garmaden,  der  mit  den  Windgraben  Hand  in  Hand  geht 
und  eine  sehr  charakteristische  Form  halb  gefestigter  Sandgebiete  ist; 

3.  die  Düne,  die.  sich  als  kein  bestandiges  Gebilde,  sondern 
nur  als  erste  Anhäufung  erwies,  die  sich  zu  Gannaden  und  Barkhanen 
umgestaltet  und  schliesslich  ganz  zerstückelt  wird. 

Ausser  denselben  kommen  durch  Bindung  zustande: 

1.  Die  Anhäufungen  um  Hindemisse; 

2.  die  feingeschichteten  Formen  des  ausgewehten  feuchten  Sandes; 

3.  die  Windgraben  und  ihre  Gannaden,  die  das  Relief  des  ge- 
festigten Sandgebietes  verwandeln  und  in  der  Richtung  des  Windea 
langgestreckte  Rücken  ergeben. 

Die  freien  Flugsandgebiete  zeigen  demnach  folgende  Umwandlung: 

1.  Am  Ursprungsorte  des  Sandes  sehen  wir  Dünen  in  mehr 
oder  minder  parallele  Reihen  angeordnet 

2.  Diese  Dünen  zerfallen  während  ihres  Vorrückens  in  Barkhano 
und  wandern  als  solche  weiter,  und  zwar  bis  dahin,  so  weit  sie 
seit  ihrer  Entstehung  überhaupt  gelangen  konnten  (z.  B.  bei  Dolon-nor 
oder  auf  dem  Alluvialplateau  des  Hoang-ho),  in  welchem  Falle  wir 
die  regelmässigsten  Formen  zwischen  den  am  weitest  gewanderten 
finden.  Derartiges  sehen  wir  auf  der  hohen  Hügellandschaft  zwischen 
den  Flüssen  Donau  und  Tisza,  die  sich  erst  heute  im  Stadium  einer 
neuen  Umwandlung  befindet     Oder  aber: 


Oberflächengestaltung.  181 

3.  Die  Barkhane  erreichen  eine  Stelle,  wo  sie  sich  festigen 
können,  und  in  diesem  Falle  werden  sie  durch  Windgraben  in  die 
Form  langgestreckter  Rücken  überführt  Ein  Beispiel  dafür  ist  die 
Pnszta  von  Deliblat 

4.  Wenn  sich  das  Klima  auf  dem  ganzen  Flugsandgebiete  mit 
einem  Male  ändert,  so  dass  dieses  sich  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  zu 
festigen  vermag,  dann  entstehen  auf  demselben  in  der  Richtung  des 
leistungsfähigsten  Windes  langgestreckte  Rücken. 

Die  EFosionserschelnungren  in  der  Wttste  Gobi  hat  ProL 
Futterer  gelegentlich  einer  Forschungsreise  nach  Zentralasien  studiert 
und  darüber  in  der  geologischen  Abteilung  der  deutschen  Natur- 
forscherversammlung  zu  Hamburg  berichtet  Seine  Untersuchungen 
erstrecken  sich  auf  die  Teile  der  Wüste  zwischen  dem  östlichen 
Auslauf  er  des  Thian-schan,  dem  E[arlük-tag  und  dem  Nan-schan, 
also  über  den  mittlem  Teil  der  Gk)bi.  Dieses  Gebiet  ist  ein  be- 
sonders interessantes  Stück  der  zentralasiatischen  Depression,  das 
durch  Naturkrafte ,  wie  sie  auch  sonst  in  der  Wüste  wirksam  sind, 
ein  eigenartiges  Gepräge  erhalten  hat  Zu  diesen  Agenzien  gehören 
extreme  Schwankungen  der  täglichen  und  jährlichen  Temperatur  der 
Luft,  Trockenheit  der  Luft,  starke  Wirkung  der  strahlenden  Sonne, 
wodurch  die  kahlen  Felsoberflächen  bis  zu  80^  erhitzt  werden,  das 
bedeutende  Überwiegen  der  Verdunstung  über  die  äusserst  geringen 
und  nur  sporadisch  auftretenden  Niederschläge,  endlich  die  Abfluss- 
losigkeit  des  Gebietes,  dessen  Gewässer  austrocknende,  immer  stärker 
salzig  werdende  Seen  in  der  Mitte  der  Depression  bilden  und  nach 
gänzlichem  Verschwinden  salzdurchtränkte  Lehm-  und  Sandflächen 
hinterlassen.  Als  Folge  des  Mangels  an  Wasser  fehlt  die  Vegetation, 
und  die  kahlen  Oberflächen  des  Wüstenbodens  werden  von  den 
Winden,  die  den  Sand  wie  ein  Schleifmittel  am  Boden  dahintreiben, 
auf  das  mannigfaltigste  umgebildet  Höhlungen  und  bizarre  Gestal- 
tangen werden  durch  den  Windschliff  und  durch  die  Winderosion 
an  weichem  und  hartem  Gesteine  hervorgebracht,  doch  sind  diese 
Crebilde  je  nach  der  Natur  der  Felsart  sehr  verschieden.  Aber  auch 
auf  chemischem  Wege  entstehen  in  granitenen  Gesteinen  sowie  in 
krystallinen  Schiefem  tiefe  Löcher.  Zunächst  werden  durch  die 
Sonne  an  der  Gesteinsoberfläche  dünne  Plättchen  abgesondert,  der 
Wind  treibt  in  die  Risse  und  Sprünge  feinen  Lössstaub,  und  dieser 
bewirkt  eine  chemische  Umsetzung.  Es  bildet  sich  ein  Loch,  und 
die  chemische  Wirkung  geht  immer  weiter.  Die  grossen  Höhlungen, 
welche  schliesslich  entstehen,  sind  mit  Salzen  und  andern  Ver- 
witterungsprodukten  ausgekleidet  Die  Analysen  derselben  ergaben, 
dass  hier  hauptsächlich  Kochsalz  (im  Mittel  88.20  ^o)  ^^^  ^^  ^ 
geringer  Menge  Glaubersalz  (6.22  7o)  ^^^  ^^ps  (6-3  7o)  neben  Kalk 
(mit  2.31%)  gebildet  werden.  Bei  den  Salzen  dagegen,  die  sich 
auf  dem  Lehmboden  ausscheiden  oder  in  Tümpeln  und  Seen  Salz- 


1 82  OberflächeDgestaltang. 

laugen  bilden ,  überwiegt  das  Glaubersalz  (38.36  ^o)»  Kochsalz  tritt 
zurück  (7.57  %),  Gips  noch  mehr  (2.3  ^1^),  ebenso  Bittersalz  (1.83%), 
und  von  Kalk  sind  nur  Spuren  vorhanden.  Es  sind  das  funda- 
mentale Unterschiede,  die  auf  der  Verschiedenheit  der  Gesteinsarten, 
welche  den  chemischen  Prozessen  unterliegen,  beruhen.  Die  schwarzen 
Überzüge  oder  » Schutzrinden  c  bei  Gesteinen  entstehen  dadurch,  dass 
der  Wind  mittels  feinen  Staubes  die  Gesteinsoberfläche  poliert. 

Die  Rias  der  Westküste  Galieiens  schilderte  H.  Schurtz.  ^) 
Die  Westküste  Galieiens  steht  der  galicischen  und  asturischen  Nord- 
küste wie  eine  andere  Welt  gegenüber.  »Einen  Übergang  zwischen 
beiden  Küstenformen  bildet  die  südwestlich  gerichtete  Eüstenstrecke 
zwischen  Kap  Ortegal  und  Kap  Finisterre  mit  den  Rias  von  Coruna, 
Betanzosi  Ares  und  Ferrol,  die  ein  zusammengehöriges  System  dar- 
stellen und  von  den  Landbewohnern  als  die  Rias  altas,  die  obem 
Rias,  den  Rias  bajas  der  Westküste  gegenübergestellt  werden. 
Gerade  dieses  Übergangsgebiet  ist  der  Aufmerksamkeit  besonders  wert. 
Die  Art  des  Gebirges  ist  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Küstenbildung. 
Es  sind  Urgesteine,  in  der  Hauptsache  Granit,  die  hier  an  das 
Meer  herantreten,  und  daraus  ergiebt  sich  schon,  dass  phantastische 
Uferbildungen  fast  ganz  fehlen.  Wie  Galicien  überhaupt  den  Charakter 
eines  deutschen  Mittelgebirgslandes  mit  abgerundeten  Höhenzügen 
und  bald  breiten,  bald  schluchtartig  verengten  Thälern  zeigt,  so 
auch  die  Küste,  der  die  Nähe  der  Salzflut  wohl  das  grüne  Kleid 
der  Wälder  und  Wiesen  zu  rauben  vermag,  bis  nur  eine  kümmer- 
liche Vegetation  zurückbleibt,  oder  der  nackte  Fels  hervorstarrt,  aus 
dessen  Granitklippen  aber  die  Brandung  doch  nur  sanftgerundete 
Blöcke  formen  kann.  Nur  wo  der  Wogenprall  des  Biskayischen 
Meeres  am  ungehemmtesten  gegen  die  Küste  schlägt,  entstehen  steilere 
Uferbildungen,  die  aber  nie  die  gewaltige  Höhe  und  den  fast  senk- 
rechten Absturz  der  Kreideklippen  Rügens  oder  Südenglands  erreichen. 
Der  Granit  trotzt  dem  Meere  ganz  anders  als  die  weichem  Gesteine 
und  weicht  nur  Zoll  für  Zoll  dem  Nagen  der  Brandung.  In  den 
stillem  Buchten  der  Rias  hat  man  thatsächlich  noch  ganz  den 
Eindmck  eines  überschwemmten  Thaies,  dessen  sanftgeneigte  Hänge 
fast  ohne  Übergang  in  den  seeartigen  Fluten  verschwinden.  Das9 
auch  die  Felsenrippen  des  innem  Landes  nicht  allzu  trotzig  zum 
Himmel  starren,  dafür  sorgt  die  Feuchtigkeit  des  Klimas,  der  sich 
der  Granit  weniger  gewachsen  zeigt  als  dem  Anpralle  der  Wogen. 
Wie  rasch  er  verwittert  und  dann  allerlei  Flechten  und  Gräsern 
einen  gedeihlichen  Nährboden  gewährt,  zeigen  die  alten  Granitkirchen 
Corunas.  So  führen  denn  auch  die  Flüsse  reichlich  Sand  und  Schlick 
dem  Meere  zu  und  füllen  allmählich  die  vom  Meere  wenig  bewegten 
Hintergründe  der  Rias  aus,  während  sie  dort,  wo  die  Brandung 
sich  ihnen  entgegenstellt,  zu  charakteristischen  Strandbildungen  ge- 
zwungen werden. 

^)  Deutsche  geographische  Blätter  1902.  2&.  p.  50. 


OberflachengestaltüDg.  183 

An  den  Buchten,  die  nach  dem  Meere  hin  geöffnet  sind  und 
von  der  meist  aus  Westen  oder  Nordwesten  heranrollenden  Dünung 
des  Ozeanes  getroffen  werden,  hat  der  Kampf  zwischen  Fluss  und 
Meer  zu  Bildungen  geführt ,  die  man  wohl  am  richtigsten  als  kleine 
Haffe  und  Nehrungen  bezeichnet.  Vielleicht  nirgends  so  klar  und 
schön  wie  an  diesen  Miniaturausgaben  kann  man  das  Wesen  und 
Entstehen  dieser  wichtigen  geographischen  Gebilde  studieren.  Sie 
sind  hier  stets  Ergebnisse  der  Wirkungen,  die  einerseits  der  schutt- 
beladene  Gebirgsfluss  in  seinem  Streben  nach  dem  Meere  hin  und 
anderseits  die  ihm  entgegenarbeitende  Brandung  hervorbringen, 
entstehen  also  aus  einer  Art  Parallelogramm  der  Kräfte.  Die  Ein- 
flüsse der  Dünung  werden  hier  dadurch  vereinfacht,  dass  die  Buch- 
ten immer  nur  ganz  bestimmten  Richtungen  der  Meeresbewegung 
Einlass  gewähren,  andere  dagegen  abhalten,  so  dass  alle  starken 
Wellen,  die  die  Küste  und  die  Flussmündungen  überhaupt  erreichen, 
stets  aus  der  gleichen  Richtung  kommen.  Je  nach  der  Kraft  der 
Meereswogen  sind  die  Nehrungen  am  Ausgange  des  Flüsse  mehr  oder 
weniger  stark  entwickelt^) 

In  den  Hintergrund  der  Ria  von  Ares  mündet  der  Eume.  Dort, 
wo  es  den  Wellen  des  Meeres  gerade  noch  möglich  ist,  zu  wirken, 
hat  sich  quer  vor  die  Mündung  vom  Nordufer  her  eine  breite,  drei- 
eckige Sandbank  geschoben,  die  im  Laufe  der  Zeit  eine  ganz  feste 
und  dauernde  Bildung  geworden  ist 

Eine  klassische  kleine  Haffbildung  hat  der  Bannnobrefluss  her- 
vorgerufen, der  am  Ostufer  der  Ria  von  Betanzos  mündet  Beim 
Austritte  aus  den  Bergen  ist  er  noch  ein  lustiges  Gewässer,  wenige 
Schritte  breit  und  ein  paar  Fuss  tief.  Dann  aber  bildet  er,  sobald 
er  das  Bereich  der  Ebbe  und  Flut  betritt,  ein  breites,  morastiges 
Thal,  durch  dessen  Moderbänke  er  bei  niedrigem  Wasser  in  mehrem 
Armen  dahinschleicht  Vor  der  Mündung  liegt  eine  starke  Sandbarre, 
eine  echte  Nehrung,  und  hinter  ihr  ist  der  Fluss  zu  einem  kleinen 
Haffe  aufgestaut,  das  je  nach  der  Höhe  des  Meeresspiegels  bald 
breiter,  bald  schmäler  erscheint.  Hart  am  rechten  oder  nördlichen 
Ufer  liegt  die  schmale  Stelle ,  durch  die  das  Flusswasser  in  die  Ria 
hinausströmt 

In  den  Hintergrund  der  Ria  von  Betan  zosmünden  zwei  Wasser- 
läufe, der  kleine  Rio  von  Oporco  und  der  Mandeo  oder  Rio  von 
Betanzos.  Der  erstere  wird  noch  stärker  von  den  Dünungswellen 
erreicht,  und  so  hat  sich  denn  auch  eine  kleine  Nehrung  gebildet, 
die  diesmal  vom  rechten  Ufer  her  etwa  die  Hälfte  des  Mündungs- 
trichters abschliesst  Am  Mandeo  tritt  die  Erscheinung  schon 
schwächer   auf;   vom   linken   Ufer  her   schiebt   sich   eine   dreieckige 


*)  In  Ratzeis:  >Die  Erde  und  das  Lebent,  befindet  sich  (1.  p.  480)  eine 
Karte  der  Rias  altas,  die  ganz  leidlich  die  zu  schildernden  Verhältnisse 
zeigt. 


i84  Oberflächeiigestaltong. 

Sandbank  in  die  Ria  vor,  der  von  der  andern  Seite  ein  felsiger 
Vorsprung  des  Landes  entgegenkommt;  so  wird  auch  hier  eine  Art 
Haff  abgeschlossen,  das  Schlickbänke  enthält,  aber  nicht  als  besonders 
typisch  gelten  kann.  Dafür  wirken  Ebbe  und  Flut  ungewöhnlich 
weit  das  Mandeothal  hinauf. 

Der  Rio  del  Burgo  endlich,  der  in  den  Hintergrund  der  Ria  von 
Goruna  eintritt,  hat  wieder  eine  echte  Nehrung  vor  seiner  Mündung. 
Die  Richtung  des  Flusses  ist  genau  südnördlich,  und  die  Nehrung 
geht  vom  rechten  Ufer  aus,  um  bis  nahe  an  den  Felsenhang  des 
linken  vorzustossen.  So  bleibt  für  den  Fluss  nur  ein  schmaler 
Durchgang,  den  das  Wasser  mit  merklicher  Gewalt  durchströmt, 
während  es  hinter  der  Nehrung  seeartig  aufgestaut  ist. 

So  zeigt  sich  auch  an  den  Flussmündungen  die  charakteristische 
Eigenart  der  Rias  altas:  sie  sind  dem  Meere  weit  geöffnet,  und 
zwar  einem  unruhigen,  von  starker  Dünung  und  häufigen  Stürmen 
bewegten  Meere,  das  gegen  die  einströmenden  Flüsse  ankämpft. 
Diesem  Charakter  der  Rias  entspricht  der  ernste  Zug  der  Landschaft, 
das  Fehlen  der  Wälder  und  freundlicher  Dörfer  an  dem  felsigen,  von 
der  Brandung  benagten  Gestade.  Nur  an  den  geschützten  Stellen 
entfaltet  sich  reicheres  Leben,  aber  nirgends  so  bunt  und  fröhlich, 
wie  es  die  südliche  Lage  des  Landes  erwarten  liesse.  Einzig  die 
Ria  von  Ferrol  bietet  ein  mehr  heiteres  Bild  und  ähnelt  auch  darin, 
wie  in  ihrer  Richtung  und  sonstigen  Beschaffenheit,  den  Rias  bajas 
der  galicischen  Westküste. 

Die  Rias  bajas  unterscheiden  sich  von  den  Rias  altas  durch 
ihr  südwestlich  gerichtetes  Streichen.  Schon  diese  Eigenart  hat  ihre 
bedeutsamen  Folgen:  Die  Buchten  stehen  infolgedessen  der  aus 
Nordwesten  oder  Westen  heranbrausenden  Dünung  nicht  offen,  sondern 
nur  der  seltenern  südwestlichen,  und  sie  sind  durch  die  zwischen 
ihnen  in  gleicher  Richtung  hinziehenden  gebirgigen  Halbinseln  auch 
gegen  die  Nord-  und  Westwinde  gut  geschützt  Dazu  kommt  noch, 
dass  der  Eingang  der  meisten  Rias  bajas  durch  vorgelagerte  Klippen- 
inseln  gegen  den  Andrang  der  Wellen  noch  mehr  gesperrt  ist, 
während  in  den  Rias  altas  höchstens  dürftige  Felsenbrocken,  wie 
die  bei  Goruna,  auf  denen  das  Fort  St.  Antonio  erbaut  ist,  in  das 
Meer  vorspringen.  Nur  die  Ria  von  Noya  ist  ohne  Inselschutz ;  vor 
der  voa  Arosa  liegt  dagegen  die  Insel  Salvora  und  weiter  im 
Innern  Doch  die  Insel  Arosa,  die  von  Pontevedra  ist  durch  die  Ons- 
insel  gedeckt,  tmd  die  von  Vigo  vollends  ist  durch  eine  Kette 
felsiger  Eilande,  die  Gies-  oder  Bayonainseln,  vor  den  Stürmen  des 
Meeres  geschützt 

Dass  alle  diese  Vorzüge  auf  den  Gharakter  der  Landschaft 
günstig  wirken  müssen,  ist  leicht  zu  ermessen.  Wer  die  Rias  altas 
besucht  und  dann  auf  der  Hochebene  von  Santiago  die  Rauheit  des 
galicischen  Binnenlandes  mit  seinen  Heide-  und  Moorflächen,  seinen 
kahlen  Bergen  und   sumpfigen   Thälem  kennen  gelernt   hat,   betritt 


Oberflächengestaltang.  185 

beim  Hinabsteigen  zu  den  Rias  bajas  eine  neue,  schönere  Welt; 
ähnlich  den  norditalienischen  Seen  breiten  sich  die  stillen  blauen 
Fluten  der  Rias  im  Sonnenscheine  vor  ihm  aus,  fröhliche  Fischer- 
dörfer haben  sich  dicht  an  den  freundlichen  Gestaden  angebaut, 
Wein  und  Obst  wachsen  in  Fülle  an  den  Hängen  der  Berge,  und 
weisse  Landhäuser,  die  allenthalben  aus  dem  Grün  hervorlugen, 
lassen  ericennen,  dass  sich  die  Spanier  der  heissen  Hochebene  im 
Sommer  gern  nach  diesen  lachenden  Buchten  retten,  wo  der  kühle 
Seewind  die  Glut  der  Sonne  mildert,  und  die  lauen  Wogen  zum 
Bade  einladen. 

Dem  Charakter  der  Rias  bajas  entsprechend,  zeigen  die  in  sie 
einmündenden  Flüsse  keine  eigentliche  Haffbildung,  wenn  auch  An- 
sätze dazu  vorhanden  sind.  In  die  nördlichste  der  Rias,  die  Ria  de 
Huros  7  Noya,  wie  sie  auf  den  Karten  heisst,  ergiesst  sich  der 
Tambre;  die  südliche  Hälfte  der  ursprünglich  wohl  trichterförmigen 
Mündung  ist  hier  durch  eine  Sandbank  ausgefüllt,  die  noch  zungen- 
förmig  ein  wenig  in  die  Ria  vorspringt 

Die  Ulla,  die  in  die  Ria  von  Arosa  fliesst,  durchströmt  in 
ihrem  Unterlaufe  eine  sumpfige  Thalebene,  die  offenbar  ^rst  aus 
Anschwemmungen  des  Flusses  entstanden  ist.  Der  Fluss  hält  sich 
meist  an  der  rechten  Seite  dieses  versumpften  Bettes,  das  bei  Flut 
vom  Stauwasser  überströmt  wird.  Im  ganzen  hintern  Teüe  der  Ria 
treten  bei  Ebbe  an  den  Ufern  Streifen  von  Schlick  und  Sand  hervor. 
Die  Ria  selbst  ist  in  ihrer  Mitte  verhältnismässig  tief;  noch  hinter 
der  Insel  Arosa  finden  sich  Tiefen  von  fast  89  m,  unmittelbar  vor 
ihr  solche  von  55  m» 

In  die  landschaftlich  wunderbar  schöne  Ria  von  Pontevedra 
ergiesst  sich  der  kleine  Fluss  Lerez,  dem  sich  in  seinem  untersten 
Laufe  noch  die  Alba  und  die  Tomeza  zugesellten.  Auch  er  fliesst 
schon  oberhalb  der  Mündung  durch  ein  versumpftes  Thal,  eine  be- 
stimmte Mündung  ist  überhaupt  kaum  nachweisbar,  da  die  Ria  in 
ihrem  hintersten  Teile  einen  ganz  flussartigen  Charakter  hat  und  von 
Sandbänken  erfüllt  ist* 


Erdmagnetismus. 

Die  magrnetischen  Beobachtangren  der  norwegrischen 
PolarUehtexpeditlon  1899—1900.  Während  des  Winters  1899 
bis  1900  hat  diese  Expedition  zwei  Observatorien  mit  vorzüglichen 
Registrierapparaten  in  1000  m  Höhe  bei  Bossekop  im  nördlichen 
Norwegen  etabliert  Die  Aufzeichnungen  derselben  ergaben,^)  dass 
während  bestimmter  Tagesstunden  viele  sehr  kleine  Schwank- 
ungen der  Deklination  und  der  Horizontalintensitat  auftreten,  die 
einzehi  nur  einige  Sekunden   währten  und  gleichzeitig  in  Bossekop 


^)  Archives  des  sciences  physiques  et  naturelles  (4)  12.  p.  566. 


186  Erdmagneftismus. 

und  in  Potsdam  aufgezeichnet  wurden.  Diese  Schwankungen  er- 
scheinen in  den  Polargegenden  mit  überraschender  Regehnässigkeit 
und  als  reine,  pendelartige  Schwingungen;  ihr  genaueres  Studium 
zeigt,  dass  ihre  Ursache  an  beiden  Stationen  die  gleiche  sein  muss, 
die  Zeitunterschiede  sind  trotz  der  grossen  Entfernung  zwischen 
Bossekop  und  Potsdam  zu  klein,  um  gemessen  werden  zu  können. 
Sie  müssen  die  Wirkung  variabler  elektrischer  Ströme  sein,  da  ein 
anderes  Agens  sich  nicht  so  schnell  fortpflanzt. 

Diese  bezüglich  der  sehr  kleinen  Schwankungen  des  Erdmagnetis- 
mus erzielten  Resultate  gestatten  eine  Anwendung  auf  die  Erforschung 
der  Ursache  der  grossen  magnetischen  Störungen,  welche  mehrere 
Stunden  anhaltende  Wellen  bilden.  Wie  die  kleinen  machen  sie  sich 
über  weite  Strecken  der  Erde  bemerkbar,  wenn  sie  auch  nicht  überall 
gleichzeitig  auftreten,  und  die  entsprechenden  Ausschläge  der  Magnet- 
nadel oft  um  mehr  als  20  Minuten  differieren  können.  Die  Ver- 
gleichung  der  täglichen,  registrierten  Photogramme  der  Observatorien 
von  Pawlowsk,  Kopenhagen,  Potsdam,  Paris  und  Toronto,  sowie  der 
Beobachtungen  an  den  Termintagen  während  der  Polarexpeditionen 
1882 — 1883  mit  den  Kurven  von  Bossekop  hat  ganz  ähnliche 
Schwankungen  von  allen  möglichen  Amplituden  ergeben,  die  eine 
Tendenz  zur  Gleichzeitigkeit  aufweisen,  ebenso  sehr  bezüglich  der 
grossen  Störungen  wie  der  kleinsten  Schwankungen.  Wenn  man 
daher  als  Ursache  für  letztere  variable  elektrische  Ströme  annimmt, 
so  darf  man  für  die  grossen  Störungen  im  wesentlichen  die  gleiche 
Ursache  annehmen,  sofern  eine  solche  Annahme  die  beobachteten 
Erscheinungen  erklärt.  Weiter  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  die 
Richtung  des  störenden  Stromes  wenigstens  annähernd  durch  das 
Amperesche  Gesetz  bestimmt  wird. 

Aus  den  Aufzeichnungen  der  magnetischen  Beobachtungen  in 
Bossekop  und  Jan  Mayen  an  den  Termintagen  von  1882 — 1883  er- 
giebt  sich,  dass  die  Ströme  in  der  Atmosphäre  existiert  haben  müssen. 

Mittels  der  graphischen  Methode  hat  Prof.  Birkeland  die  Richtung 
dieser  in  den  hohem  Luftschichten  fliessenden  Ströme  aus  den  Auf- 
zeichnungen der  magnetischen  Elemente  an  den  genannten  Stationen 
abgeleitet.  Jedes  Diagramm  für  sich  betrachtet  zeigt,  dass  im  allge- 
meinen die  des  Morgens  aufgenommenen  Ströme  sich  in  der  Richtung 
des  Uhrzeigers  drehen,  wenn  man  sie  mit  denen  vergleicht,  die  zu 
einer  spätem  Stunde  entstehen,  während  jede  Gmppe  entsprechender 
Vektoren  für  die  6  Stationen  ergiebt,  dass  die  Ströme  sich  im 
Sinne  des  Uhrzeigers  drehen,  wenn  man  von  einer  östlichen  zu 
einer  westlichen  Station  übergeht.  Die  für  Mittemacht  (Greenwicher 
Zeit)  auf  einer  Karte  verzeichneten  Richtungen  der  Sü*öme  lassen 
erkennen,  dass  sie  zunächst  in  einem  engen  Bündel  nach  Südwesten 
längs  der  Küste  des  nördlichen  Norwegens  hinziehen;  später  zerstreuen 
sie  sich  stark,  die  östlichsten  Stromlinien  biegen  sehr  scharf  nach 
Osten   ab,    die    westlichen  Linien   weniger   stark  nach    Westen;   es 


Erdmagnetismus.  187 

scheint  eine  Neigung  zur  Bildung  von  Wirbeln,  eines  östlichen  und 
eines  westlichen,  vorhanden  zu  sein.  Die  Thatsache,  dass  die  Ströme 
sich  stark  zerstreuen,  wenn  sie  von  dea  Polargegenden  nach  Süden 
ziehen,  stimmt  vollkommen  mit  der  relativen  Abnahme  der  Störungen 
der  Vertikalintensitat.  Auch  eine  Reihe  besonderer  Erscheinungen, 
welche  die  magnetischen  Ströme  darbieten,  findet  bei  dieser  Auf- 
fassung eine  leichte  Erklärung.  Wenn  nun  die  magnetischen 
Störungen  auf  ein  weites  System  von  elektrischen  Strömen  in  den 
obem  Regionen  der  Atmosphäre  bezogen  werden  können,  so  liegt 
es  nahe,  zu  vermuten,  dass  die  Polarlichter  gleichfalls  mit  diesen 
Strömen  in  Beziehung  stehen.  In  der  That  gelingt  es,  das  Polarlicht 
künstlich  nachzubilden  in  einer  Röhre  mit  verdünntem  Gase,  die  von 
einer  elektrischen  Entladung  durchsetzt  und  einem  kräftigen  Magneten 
ausgesetzt  wird.  Von  den  vielen  Versuchen,  die  Birkeland  in  dieser 
Richtung  angestellt  hat,  beschreibt  er  einen.  Die  Kathode  befand 
sich  in  einer  zweimal  rechtwinklig  gebogenen  Glasröhre  von  3  cm 
Durchmesser,  die  in  eine  Glaskugel  von  15  cm  Durchmesser  endete, 
in  welche  die  Kathodenstrahlen  nicht  dringen  konnten.  Die  Anode 
befand  sich  in  einer  kleinen  Kugel  von  4  cm  Durchmesser,  an  welche 
eine  enge  Röhre  von  5  mm  Durchmesser  angeschmolzen  war,  die  in 
der  Mitte  der  grossen  Kugel  endete.  Unter  der  grossen  Kugel  lag 
der  Pol  eines  kräftigen  Elektromagneten,  den  Entladungsstrom  lieferte 
eine  Holtzsche  Maschine.  Unter  der  Einwirkung  starker  magnetischer 
Kräfte  nahm  der  positive  Entladungsstrom  die  Gestalt  einer  Bande 
an,  die  von  oben  gesehen  sich  in  eine  normale  Spirale  aufrollte. 
Kehrte  man  die  Magnetpole  um,  so  kehrte  sich  auch  die  Spirale 
um.  Von  dem  Lichtbande  strahlten  leuchtende  Nadeln  längs  der 
magnetischen  Kraftlinien.  Wurde  der  Entladungsstrom  stärker,  dann 
sah  man  oft  eine  Reihe  von  zu  Spiralen  aufgerollten  Lichtbanden 
nebeneinander.  Diese  künstlichen  Polarlichtbanden  waren  sehr  be- 
weglich und  sehr  wechselnd;  die  Strahlen,  die  sich  bildeten,  hatten 
verschiedene  Längen  und  »tanzten«,  so  dass  die  Analogie  mit  wirk- 
lichen Polarlichtem  vollkommen  wurde.  Verf.  schliesst  diesen  Ab- 
schnitt seiner  Mitteilung,  indem  er  sagt:  »Alle  elektrischen  Theorien 
der  Polarlichter,  welche  seit  den  fundamentalen  Untersuchungen  von 
Auguste  de  la  Rive  aufgestellt  [worden,  nehmen  an,  dass  die 
elektrischen  Ströme,  welche  diese  Erscheinungen  in  den  Polargegenden 
erzeugen,  senkrecht  von  der  Erde  nach  der  Atmosphäre  oder  um- 
gekehrt fliessen;  die  Theorie,  welche  ich  auseinandergesetzt  habe, 
nimmt  hingegen  an,  dass  diese  Ströme  in  den  obern  Luftschichten 
horizontal  gerichtet  sind.  Um  zu  zeigen,  dass  die  neue  Theorie  den 
frühem  Theorien  vorzuziehen  ist,  muss  daran  erinnert  werden: 
1.  dass  die  Existenz  der  angenommenen  Ströme  erwiesen  ist  durch 
die  magnetische  Wirkung,  die  sie  ausüben;  2.  dass  es  experimentell 
erwiesen  worden,  dass  unter  dem  Einflüsse  magnetischer  Kräfte  ein 
in  verdünnter   Luft  fliessender   positiver  Strom   zu   einem  schmalen 


188  firdmagnetismiLs. 

Bande  verdichtet  bleiben  kann,  dass  er  folglich  sich  nicht  immer  in 
dem  ganzen,  ihm  zur  Verfügung  stehenden  Räume  ausbreitet;  8.  dass 
der  Versuch  ebenso  erwiesen  hat,  dass  ahnliche  Ströme  parallel  zur 
Erdoberfläche  sekundäre  Eathodenstrahlen  aussenden  müssen,  welche, 
durch  magnetische  Kräfte  gezwungen,  Lichtstrahlungserscheinungen 
geben  müssen,  welche  den  Polarlichtem  mit  strahliger  Struktur 
gleichen.« 

EFdmagrnetische  Pulsationen.  Schon  1899  hat  Dr.  w.  van 
Bemmelen  seine  Wahrnehmung  regelmässiger  kleiner  Pulsationen 
der  magnetischen  Horizontalkraft  zu  Batavia  in  einer  Mitteilung 
an  die  Amsterdamer  Akademie  der  Wissenschaften  erwähnt,  jetzt 
teilt  er  weitere  Beobachtungen  für  die  Periode  1899  Dezember  bis 
1900  Dezember  mit.^)  Eine  jährliche  Periode  der  Häufigkeit  dieser 
Pulsationen  ergiebt  sich  nicht,  wohl  aber  weist  die  Schwingungs- 
dauer eine  solche  auf,  nämlich  ein  Minimum  für  Ende  Dezember  und 
ein  Maximum  Ende  Juni.  Auch  eine  tägliche  Periode  existiert:  die 
Schwingungsdauer  ist  am  kürzesten  gegen  1  Uhr  nachts,  während 
2  Maxima,  gegen  8 — 4  Uhr  a.  m.  und  10 — 11  Uhr  p.  m.  eintreten.  Eine 
Vergleichimg  der  Beobachtungen  in  Zikawai  zeigt  einige  Ähnlichkeit 
mit  denjenigen  in  Batavia.  Die  Untersuchung  der  Registrierungen  zu 
Eew  während  des  Jahres  1890  ergab  bezüglich  der  täglichen  Un- 
gleichheit der  Frequenz  fast  das  Entgegengesetzte  von  der  zu  Batavia 
beobachteten.  Was  Potsdam  anbelangt,  so  beschreibt  Dr.  Arendt 
(1896)  eine  Art  »m-strichförmige  Bewegung,  welche  mitunter  durch 
einen  glatten  Verlauf  der  Kurve  unterbrochen  wird  und  in  den  meisten 
Fällen  von  einer  nicht  unbeträchtlichen  Standänderung  des  magne- 
tischen Elementes  begleitet  ist  Dieselbe  äussert  sich  bei  der 
Horizontalkomponente  als  Vergrösserung,  bei  der  VertikalkompQuente 
und  der  Deklination  durch  eine  Verkleinerung  des  ursprünglichen 
Wertes.  Die  Dauer  der  magnetischen  Unruhe  schwankt  zwischen 
einer  halben  Stunde  und  ungefähr  2  Stunden;  gewöhnlich  spielt 
sich  die  Störung  in  dem  Zeiträume  einer  Stunde  ab.  Die  grössten 
Abweichungen  vom  ruhigen  Verlaufe  der  Kurve  betrugen  nicht  selten 
in  den  einzelnen  Fällen:  bei  der  Deklination:  über  3^  bei  der 
Horizontalintensität:  0.0003  C.  G.  S.,  bei  der  Verükaüntensität:  0.00005 
C.  G.  S.€ 

Arendt  findet  eine  ausgeprägte  jährliche  und  tagliche  Periodizität 
in  der  Häufigkeit  Die  erste  mit  Maximum  im  Dezember  und  Minimum 
im  Juli  (857o  ^^^  2l7o);  di©  zweite  mit  Max.  um  10^  p.  m.  und 
Min.  um  Mittag  (8.87^  und  0.07^). 

Die  Beschreibung  dieser  Bewegungsform  deckt  sich  mit  der  der 
Pulsationen  zu  Batavia*  nur  teilweise;   besonders  die  Standänderung 


^)  Natuurkundig   Tijdschrift   voor   Nederlandsch- Indien.     Deel  LXII. 
Weltenyreden  1902. 


Erdmagnetismus.  189 

und  die  jährliche  Periodizität  fehlt  in  Batavia  gänzlich;  trotzdem  hat 
man  wohl  hier  mit  verwandten  Erscheinungen  zu  thun. 

Die  Registrierung  der  Y-Eomponente  zu  Batavia  auf  stark  ver* 
grösserter  Skala  hat  die  Pulsationen  in  dieser  Komponente  (d.  h.  in 
Batavia  in  Deklination,  weil  der  absolute  Betrag  der  Deklination  nur 
1^  ist)  in  grosser  Menge  ans  Tageslicht  gebracht  Dagegen  haben 
die  Versuche  für  die  Vertikalintensität  zu  negativen  Resultaten  geführt. 

Während  des  Auftretens  natürlicher  Pulsationen  in  X  und  Y 
hat  die  Vertikalkomponente  (Z)  sich  vollständig  ruhig  verhalten.  Aus 
der  Registrierung  der  beiden  Komponenten  X  und  Y  auf  derselben 
Rolle  ergab  sich  das  Vorkommen  aller  möglicher  Kombinationen.  Bei 
regelmässigen  Pulsationen  in  X  zeigte  zuweilen  die  Y- Komponente 
ein  vollständig  ruhiges  Verhalten,  das  Umgekehrte  war  z.  B.  in  der 
Nacht  vom  30. — 81.  August  1901  sehr  auffallend,  öfters  waren  schön 
ausgebildete  Pulsationen  in  einer  Komponente  von  unregelmässigen 
Bewegungen  in  der  andern  Komponente  begleitet;  und  waren  auch 
regelmässige  Pulsationen,  gleichzeitig  für  die  beiden  Komponenten, 
zahlreich,  so  zeigten  sie  jedoch  alle  möglichen  Unterschiede  in  Phase. 

Was  die  Ursache  dieser  Pulsationen  anbelangt,  so  bemerkt 
Verfasser:  Die  simultane  Registrierung  der  Pulsationen  in  Batavia  und 
Karang  Sago  wie  auch  in  Batavia  und  Zikawai  lässt  für  zwei 
Hypothesen  Raum.  Die  erste  ist:  Das  Phänomen,  welches  die  Pulsa- 
tionen verursacht,  wandert  rasch  an  der  Erdoberfläche  entlang;  die 
zweite:  Sein  Einfluss  gilt  simultan  für  die  ganze  Erde,  jedoch  wegen 
Verschiedenheit  dieses  Einflusses  an  verschiedenen  Orten  korrespondieren 
die  Umkehrpunkte  der  Pulsationen  nicht  und  sind  deshalb  nicht 
simultan.  Die  Ruhe  der  Vertikalkomponente  möchte  sich  mit  der 
ersten  Hypothese  vereinigen  lassen  durch  die  Annahme  vertikaler, 
elektrischer  Stromsäulen,  welche  einander  mit  abwechselnder  Strom- 
richtung durch  die  Atmosphäre  folgen,  und  es  ist  nicht  schwierig, 
für  jeden  Fall  einer  Pulsaüonsreihe  den  Durchschnitt  der  Stromsäulen 
zu  konstruieren.  Bei  den  gefundenen  Unterschieden  der  Anfangs- 
zeiten darf  man  einen  Durchmesser  dieser  Ströme  von  einigen 
Hunderten  von  Kilometem  annehmen.  Für  den  Fall  eines  Pulsations- 
vektors  von  2  y  und  eines  Durchmessers  von  500  Amt  findet  man 
eine  mittlere  Stromstärke  von  der  Ordnung:  1  X 10"^  Ampere  pro  ^Amt. 

Es  ist  diese  Stromstärke  sehr  gering  den  Zahlen  gegenüber, 
welche  z.  B.  Bauer  für  die  vertikalen  elektrischen  atmosphärischen 
Ströme  findet:  —740  bis  +  1640  X  lO-*  Amp.*) 

Das  ruhige  Verhalten  der  Vertikalkomponente  lässt  sich  jedoch 
mit  der  zweiten  Hypothese  in  Einklang  bringen  durch  die  Annahme, 
dass  die  Pulsationen  von  rhythmischen  Änderungen  in  elektrischen 
Strömen,  welche  in  sehr  breiten  Flächen  über  dem  Beobachtungsorte 


^)  L.  A.  Bauer.  Vertical  earth-air  electric  currents.  Terrestr.  Blagnetism 
1897.  TL  n. 


190  Erdbeben. 

fUessen,  herrühren.  Untersuchungen  der  Stönmgsphanomene  führten 
Verf.  schon  langst  zu  der  Annahme  eines  Systemes  zirkularer  elektrischer 
Ströme,  die  parallel  den  Isochasmen,  den  Erdkörper,  umkreisen,  und 
konnte  er  zeigen,  wie  diese  Annahme  das  Anwachsen  und  Abnehmen 
.  der  Horizontalintensitat  und  Deklination  bei  magnetischen  Störungen^ 
ein  Phänomen,  von  ihm  Nachstörung  genannt,  am  besten  erklärt^) 

Erdbeben. 

Das  Erdbeben  von  Sinj  am  2.  Juli  1898.  Auf  Veranlassung 
der  kais.  Akademie  zu  Wien  und  der  k.  k.  geologischen  Reichs- 
anstalt haben  Fajdiga  vom  Triester  Observatorium  und  v.  Kerner, 
eine  eingehende  Untersuchung  über  die  Wirkungen  und  die  wahr- 
scheinliche Ursache  des  genannten  Erdbebens  angestellt  und  ver- 
öffentlicht. Dr.  Binder  giebt  von  den  Ergebnissen  dieser  Arbeit  einen 
kurzen  übersichtlichen  Bericht,  dem  wir  folgendes  entnehmen.*)  Die 
Wirkungen  des  Erdbebens  zeigten  sich  an  den  Oebäuden  und  auf 
dem  Boden,  welch  letztere  sich  teils  in  Lagenveränderungen  von 
Gesteinsstücken,  teils  als  Formveränderungen  der  Oberfläche  infolge 
von  Spaltenbüdung  und  lokaler  Senkung  darstellten.  Lagenverän- 
derungen von  Oesteinen  wurden  besonders  am  Vojnicki  brig,  am 
südöstlichen  Rande  des  Sinjer  Beckens,  beobachtet  Spalten  und 
Risse  bildeten  sich  an  verschiedenen  Stellen  im  Umkreise  von  Voj- 
nicki, welche  aber  in  der  Mehrzahl  infolge  der  Durchweichung  des 
Bodens  verschwanden,  den  das  auf  das  Erdbeben  folgende  Regen- 
wetter bedingte.  Die  Wirkungen  auf  Wasserläufe  zeigten  sich  in 
der  milchigen  Trübung  zahlreicher  Quellen  und  Brunnen.  Aus  der 
Betrachtung  der  geologischen  und  morphologischen  Verhältnisse  ergiebt 
sich,  dass  das  Schüttergebiet  in  den  Bereich  eines  Erdkrustenstückes 
fällt,  das  durch  ein  Netz  von  Längs-  und  Querbrüchen  in  zahlreiche 
Schollen  zerteilt  ist,  die  gegeneinander  in  horizontaler  und  vertikaler 
Richtung  verschoben  sind.  Ein  das  ganze  Gebiet  durchsetzender 
Querbruch  ist  durch  den  Lauf  der  Cetina  gegeben.  Die  durch  seit 
Jahren  währenden  Vorbeben  eingeleitete  jetzige  Schütterperiode  ist 
als  eine  neue  Phase  der  in  die  Neogenzeit  zurückreichenden  Be- 
wegungen im  Schollengebiete  der  Umgebung  am  Trilj  zu  betrachten. 
Die  Ursache  des  Bebens  vom  2.  Juli  ist  in  einer  Bewegung  der 
zwischen  zwei  Radialklüften  gelegenen  Gebirgsmasse  zu  suchen.  Es 
liegt  dort  eine  jener  Schollen,  die  schon  in  der  jungem  Neogenzeit 
tiefer  als  ihre  Umgebung  lagen  und  seit  jener  Zeit  wahrscheinlich 
weitere  Senkungen  erfahren  haben.  Es  ist  möglich,  dass  wieder 
eine  geringe  Abwärtsbewegung  stattgefunden  hat,  welche  sich  den 
umgebenden    Schollen    mitteilte.      Dass    sich    diese    Veränderungen 


^)  Meteorologische  Zeitschrift  1896;  Terr.  Magn.  V.  p.  123;  Observations 
22.  Batavia  1900.  Appendix  II. 

*)  Die  Erdbebenwarte  1902.  p.  31  ff. 


Erdbeben.  191 

nicht  bis  auf  die  Oberfläche  fortsetzten,  mag  seinen  Grund  darin 
haben,  dass  das  bewegte  Gelände  von  weichen,  bildsamen  (plastischen) 
Bildungen  bedeckt  ist,  in  denen  eine  von  der  unterliegenden  Felsen- 
flache  etwa  gebildete  Stufe  ausgeglichen  wurde.  Das  Beben  hatte 
überwiegend  wellenförmigen  Charakter.  Die  zahllosen  Nachbeben 
erscheinen  durch  die  zur  allmählichen  Herbeiführung  eines  neuen 
Gleichgewichtszustandes  notwendigen  weitem  Lagenveränderungen 
der  Massen  bedingt.  Der  Untersuchung  v.  Kemers  über  die  Be- 
ziehungen des  Erdbebens  zur  Tektonik  seines  Gebietes  geht  eine 
genaue  geologische  Beschreibung  der  südlichen  Umrandung  des  Sinjer 
Feldes  voran,  dann  folgt  auf  Grund  dieser  geschilderten  Verhältnisse 
die  Darstellung  des  Aufbaues,  in  welcher  auf  das  Vorhandensein 
von  Längs-  und  Querbrüchen  hingewiesen  wird,  die  dieses  Gebiet 
durchsetzen,  und  es  wird  geschlossen,  dass  diesem  Beben  ein  tek- 
tonischer  Vorgang  zu  gründe  liegt,  welcher  mit  der  sich  langsam 
vollziehenden  Erweiterung  des  Einbruchsfeldes  von  Sinj  zusammen- 
hängt. Diese  Vorgänge  haben  sich  im  Innern  abgespielt  zu  beiden 
Seiten  des  Horstes  des  Vojnißki  brig.  Aus  den  verschiedenen  Be- 
obachtungsaussagen, welche  der  Verfasser  an  Ort  und  Stelle  ge- 
sammelt hat,  geht  hervor,  dass  die  Richtung  der  Schwingungen 
meist  meridional  war,  dass  sich  die  Schwingung  als  eine  transversale, 
d.  h.  als  Wellenschwingung,  bemerkbar  machte.  Der  Verfasser  fasst 
die  Ergebnisse  zusammen  dahin:  1.  dass  sich  das  am  heftigsten 
erschütterte  Gelände  im  Bereiche  der  südlichen  Randzone  des  Senkungs- 
feldes von  Sinj  über  einen  schmalen  Horst  (dem  von  Vojniöki  brig) 
und  die  NachbarschoUen  erstreckte;  2.  dass  es  in  einer  quer  zur 
Streichungsrichtung  der  Schichten  erfolgten  Schwingung  des  Bodens 
bestand,  und  3.  dass  eine  merkliche  Senkung  des  Geländegebietes 
nicht  erfolgte.  Man  hat  sich  demnach  vorzustellen,  dass  die  Ge- 
birgsmasse  am  Südrande  der  Sinjer  oder  Getina-Ebene  längs  einer 
der  beiden  dort  verlaufenden  alten  Störungslinien  einen  neuen  plötz- 
lichen Riss  bekam,  und  dass  die  in  diesem  Augenblicke  aus  ihrer 
Ruhelage  gebrachten  Gebirgsteile  zu  beiden  Seiten  des  Risses  in 
elastische  Schwingung  gerieten,  die  sich  an  der  Oberfläche  zu  einer 
transversalen  Wellenbewegung  gestaltete.  An  welcher  von  den  beiden 
Seiten  des  Vojniöki  brig  der  Riss  erfolgte,  ist  kaum  zu  entscheiden. 
Schollensenkungen  haben  jedenfalls,  wenn  auch  in  beschränktem 
Masse,  stattgefunden,  aber  ein  merkbarer  Fortschritt  in  der  Er- 
weiterung des  Senkungsfeldes  von  Sinj  ist  durch  diese  Vorgänge 
nicht  erzielt  worden.  Schliesslich  macht  Dr.  Binder  folgende  An- 
merkung, bezüglich  deren  wir  ihm  völlig  beipflichten:  »Je  trefflicher 
solche  Darstellungen  sind,  desto  peinlicher  wird  man  berührt,  wenn 
man  beobachten  muss,  wie  in  neuerer  Zeit  die  gelehrte  Zunftsprache 
wieder  anfängt  sich  bemerkbar  zu  machen,  und  zwar  gerade  in  dem 
jüngsten  Zweige  der  Wissenschaft,  dem  der  Erdbebenkunde,  indem 
sie  aus   altklassischen   Sprachwurzeln  Worte   knetet,    welche   unser 


192  Erdbeben. 

»geliebtes  Deutsche  unootigerweise  entstellen.  Ein  solches  Wort- 
gebilde ist  das  Wort  »pleistoseistische  Region« ;  könnte  es  nicht 
ebensogut  »Hauptschüttergebiet«  heissen?  —  Wie  trefflich  hat  da- 
gegen Prof.  Suess  in  dem  Wörtchen  »Blattbeben«  5=  tektonisches 
Beben,  als  Wortschöpfer  sich  erwiesen.  —  Hoffentlich  wird  sein 
Beispiel  auch  in  dieser  Richtung  bahnbrechend  sein.«^) 

Geschlehtliches  fiber  Erdbeben  in  Schlesien.  Das  älteste 
bekannte  schlesische  Erdbeben  fand  im  Jahre  1011  statt  und  setzte 
die  am  Saume  des  Riesengebirges  gelegenen  Ortschaften  in  Schrecken, 
richtete  jedoch  keinen  grossen  Schaden  an.  Im  14.  Jahrhunderte  wurde 
die  Stadt  Breslau  zweimal  erschüttert,  am  1.  Juni  1872  und  1364 
zu  Weihnachten,  ebenfalls  ohne  irgend  welchen  Nachteil  davon- 
zutragen. Bedeutender  scheinen  drei  Beben  gewesen  zu  sein,  die  aus 
dem  15.  Jahrhunderte  überliefert  sind.  Vom  Jahre  1488  berichtet 
der  Breslauer  Geschichtsschreiber  Nikolaus  Pol:  »Vor  dem  Fest 
Maria  Reinigung  entstand  ein  grosser  Komet,  brannte  fast  bei 
8  Monat,  streckte  den  Schwanz  nach  Mittemacht  Darauf  entstand 
in  Schlesien  ein  grosses  Erdbeben,  dadurch  dem  Lande  grosser 
Schaden  ist  zugefügt  worden«.  9  Jahre  später  erfolgte  in  Brieg 
—  wahrscheinlich  auch  an  andern  Orten  —  ein  so  heftiger  Erd- 
stoss,  dass  ein  Teil  des  Gewölbes  über  dem  Hochaltar  der  Pfarr- 
kirche einstürzte.  Schon  im  nächsten  Jahre  bewegte  sich  von  neuem 
der  schlesische  Boden.  Am  5.  Juni  1448  trat  in  Böhmen,  der  Graf- 
schaft Glatz  und  Schlesien  ein  so  starkes  Beben  ein,  »dass  alles 
stark  bewegt  wurde,  jedermann  sich  darob  entsetzte«. 

Nunmehr  verstrichen  über  hundert  Jahre,  bis  am  10.  Febr.  1562 
die  Grafschaft  wieder  von  einem  Erdstosse  betrotten  wurde« 
Sturm  und  Gewitter  begleiteten  angeblich  den  Eintritt  dieser  Er- 
schütterung, die  viele  Häuser  beschädigt  und  zu  Glatz  den  Knopf 
vom  Rathause  herabgeworfen  haben  soll  Das  erste  Beben,  über 
das  eingehendere  Nachrichten  vorliegen,  fand  am  15.  September  1590 
statt  Sein  Verbreitungsbezirk  muss  sehr  ausgedehnt  gewesen  sein, 
denn  es  wurde  ausser  in  Schlesien  auch  in  ganz  Böhmen  wahr- 
genommen und  richtete  in  Wien,  wo  es  insbesondere  den  Stephans- 
turm beschädigte,  arge  Verheerungen  an.  In  der  Grafschaft  er- 
folgten an  diesem  Tage  zwei  so  heftige  Stösse,  dass  sich  angeblich 
die  Menschen  nicht  aufrecht  erhalten  konnten,  die  Häuser  wankten, 
und  geschlossene  Thüren  aufsprangen.  Der  Laubaner  Ratsturm 
wurde  durch  den  ersten  Stoss  derart  erschüttert,  dass  die  Glocke 
um  5  Uhr  nachmittags  dreimal  laut  anschlug,  und  die  Bürger  in  dem 
Glauben,  es  sei  plötzlich  Feuer  ausgebrochen,  erschreckt  zusammen- 
liefen. Der  zweite  Stoss  war  schwächer;  in  der  darauffolgenden 
Nacht  aber,  gegen  1  Uhr,  trat  eine  neue   heftige  Erschütterung  ein, 


^)  Jahrbuch  der  k.  k.  geolog.  Reiohsanstalt  M.  Heft  1. 


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Erdbeben.  198 

durch  die  viele  Leute  aus  dem  Schlafe  geweckt  wurden  und  die 
Wohnhäuser»  sowie  die  Pfarrkirche  in  schwankende  Bewegung  ge* 
rieten.  Nach  5  Stunden  schloss  ein  vierter  Stoss,  durch  den  von  neuem 
die  Gebäude  der  ganzen  Stadt  erschüttert  wurden,  das  Erd- 
beben. In  Breslau  scheint  dasselbe  viel  schwächer  gewesen  zu  sein, 
denn  Pol  berichtet  nur  ganz  kurz:  >Ist  das  Erdbeben  auch  zu 
Breslau  um  12  Uhr  des  Nachts  von  etlichen  vermerket  worden«. 
Genau  4  Jahre  später  wurde  in  Goldberg  ein  Stoss  gefühlt»  dem 
ein  heftiger  Sturmwind  vorausging. 

Einen  ähnlichen  Verbreitungsbezirk  wie  die  Erschütterungen 
von  1590  hatten  die  heftigen  Erdstösse,  die  100  Jahre  darauf,  am 
4.  Dezember  1690,  in  Steiermark,  Niederösterreich,  in  der  Grafschaft, 
welche  inzwischen  schon  1615  wieder  einmal  bewegt  worden  war, 
und  in  vielen  Ortschaften  Schlesiens,  wie  Neisse,  Brieg,  Breslau  u.  a., 
bis  in  die  Oberlausitz  hin  überall  die  Bewohner  in  Schnecken  ver- 
setzten. Während  die  erste  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  eine  Periode 
grösserer  Ruhe  gewesen  zu  sein  scheint,  finden  wir  in  seiner  zweiten 
Hälfte,  besonders  in  den  drei  letzten  Jahrzehnten,  Nachrichten  über 
eine  ganze  Reihe  von  Beben.  Am  31.  Juli  1751  bewegte  sich  der 
Boden  des  Hirschberger  Kessels;  24  Jahre  darauf,  am  24.  Januar 
1775,  nahm  der  Professor  Zeplichal  auf  seinem  Zimmer  im  Breslauer 
Universitätsgebäude  eine  schwache  Erschütterung  wahr.  Einen  stich- 
haltigem Grund  vermochte  man  für  die  Erschütterungen  zu  finden, 
die  am  10.  Mai  1778  das  im  Eatzbachgebirge,  in  der  Nähe  des 
Hogulje  gelegene  Tiefhartmannsdorf  betrafen.  Ein  Beobachter,  der 
sich  gerade  auf  dem  Gipfel  eines  benachbarten  Berges  befand,  hörte 
plötzlich  gegen  1  Uhr  mittags  bei  heiterem  Himmel  unter  sich  ein 
starkes  Krachen  und  bemerkte,  wie  auf  einmal  ein  heftiger  Wirbel- 
wind losbrach,  welcher  jedoch  keine  Beschädigungen  an  Gebäuden 
oder  im  Freien  anrichtete.  Dieses  Beben  brachte  man,  vielleicht  mit 
Recht,  in  Zusammenhang  mit  dem  Einstürze  unterirdischer  Höhlen, 
an  denen  die  dortige  Gegend  reich  ist 

Weit  stärker  als  diese  Stösse  und  ein  Beben,  das  im  Februar 
1786  die  Grafschaft  bewegte,  waren  die  Erschütterungen,  die  am 
3.  Dezember  1786  Schlesien  heimsuchten  und  zugleich  in  einem  Teile 
von  Polen  und  Ungarn  wahrgenommen  wurden.  In  Breslau,  ins- 
besondere in  der  Ohlauer  Vorstadt,  auf  dem  Dome  und  auf  dem  Sande, 
fühlten  gegen  5  Uhr  nachmittags  verschiedene  Personen  ein  merkliches 
Schwanken  des  Erdbodens.  Dasselbe  war  in  Tarnowitz  und  Pless 
so  stark,  dass  einzelne  Häuser  Risse  bekamen,  und  die  Stubenöfen 
beschädigt  wurden.  Besonders  heftige  Stösse  erfolgten  auch  in  Brieg, 
Neisse,  Leobschütz  und  Münsterberg.  In  Ratibor  soll  eine  2  Fuss 
dicke  Mauer  gesprungen  sein,  und  in  Namslau  der  Klöppel  der  Schlag- 
glocke des  Rathauses  sechs«  bis  siebenmal  von  selbst  angeschlagen 
haben.  Das  letzte  Beben  des  18.  Jahrhunderts  fand  am  11.  Dezember 
1799   statt  und   erstreckte   sich   längs    des   Sudetenzuges    von   der 

Klein,  Jahrbuch  XIQ.  .       18 


194  Erdbeben. 

Grafschafti  wo  man  mehrere  Stosse  beobachtete,  über  die  Gegend 
um  das  stark  erschütterte  Kloster  Grüssau  bis  in  den  Hirschberger 
Thalkessel,  den  schon  im  Oktober  desselben  Jahres  ein  Erdbeben 
betroffen  hatte. 

Im  letzten  Jahrhunderte  sind  die  Jahre  1885,  1637,  1858,  1872, 
1878,  1888  und  1895  durch  Erdbewegungen  ausgezeichnet,  von 
denen  sich  aber  nur  die  von  1858  und  1888  über  die  Ghrenzen  der 
Provinz  Schlesien  erstreckten. 

Die  Yogrüändlsehen  Erdersehtttterungren  vom  September 
1900  bis  Mitte  Harz  1902  behandelte  H.  Gredner.^)  Den  folgenden 
Auszug  aus  dieser  grossen  Abhandlung  giebt  D.  Binder.^  Seit  1875 
kennzeichnet  sich  das  sächsische  Vogtland  und  das  ihm  benachbarte 
und  geologisch  verwandte  böhmische  Nachbargelände  als  »chronisches 
Schüttergebiet«.  Als  solches  bewährte  es  sich  von  1900 — 1902. 
Der  Verfasser  betont  ferner,  dass  er  den  augenblicklichen  Zeitpunkt 
zur  Berichterstattung  deshalb  wähle,  weil  einerseits  die  Periode  der 
makroseismischen  Beobachtungen  (durch  die  Bewohnerschaft)  ab- 
schliesst,  anderseits  die  Reihe  der  mikroseismischen  (durch  Beben- 
messer) beginnt,  nachdem  nun  ein  selbstregistrierendes  Wiechertsches 
Pendelseismometer  in  Leipzig  zur  Aufstellung  gelangt  ist,  infolge- 
dessen eine  Zeit  genauerer  Bebenforschung  für  Sachsen  zu  erhoffen 
sei.  Es  folgen  dann  die  Beobachtiingen  vom  19.  September  1900 
bis  18.  Februar  1901.  Dann  setzt  der  südvogtländische  Erdbeben- 
schwarm  ein,  der  vom  8.  Mai  bis  26.  Juni  dauert;  auf  einem  sorg- 
fältig ausgeführten  Kärtchen  ist  das  Schüttergebiet  besonders  kenntlich 
gemacht  Schliesslich  fasst  er  das  Ergebnis  seiner  Beobachtungen 
in  4  Sätzen  zusammen:  1.  Bezeichnend  ist  für  das  südvogtländische 
Gebiet  das  Auftreten  von  Schwärmen,  in  denen  Hunderte  von  Stössen 
sich  aneinanderreihten,  und  zwar  im  Herbste  1897  in  87tägiger, 
im  Sommer  1900  in  52tägiger  und  im  Mai- Juni  1901  in  58tägiger 
Periode;  2.  die  Epizentren  sind  im  südlichen  Vogtlande  zu  suchen; 
8.  dieses  birgt  aber  zwei  Erdbebenherde,  einen  in  der  Gegend 
von  Brambach-Schönberg,  den  andern  in  der  Gegend  von  Graslitz- 
Untersachsenburg;  4.  die  Mittelpunkte  (Epizentren)  beider  Herde  liegen 
auf  Granit  oder  auf  dessen  Grenze  gegen  die  an  ihn  abstossenden 
Schiefer.  Der  Erdbebenschwarm  von  1901  ging  von  dem  erstem 
Herde  aus  imd  berührte  einen  Kreis  im  Durchmesser  von  17  km. 
Die  Stösse  werden  weniger  heftig  als  1897  und  1900  und  dürften 
nur  den  4. — 5.  Grad  der  Erdbebenskala  erreicht  haben.  Auffällig 
ist  die  exzentrische  Lage  des  Epizentrums  innerhalb  der  Schütter- 
fläche, in  welcher  es  fast  an  die  südliche  Grenze  gerückt  erscheint. 
Auch  die  Erscheinung  wurde  bemerkt,  dass  sich  an  zerstreuten 
Orten  innerhalb  des  Schüttergebietes  der  Hauptstösse  lokal  beschränkte 

^)  Ber.  d.  mathem.-phys.  Klasse  d.  Kgl.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.    1902. 
*}  Erdbebenwarte  2.  p.  84. 


Erdbeben«  196 

stossförmige  Erhebungen  bemerkbar  machten,  welche  zeitlich  ganz 
mial>hängig  von  jenen  andern  auftreten,  und  die  man  nach  Uhlig 
^Seismische  Ereignisse  des  Jahres  1900  in  Deutschböhmen)  »lokale 
Distalbeben«  nennen  könnte.  An  8.  Stelle  endlich  behandelt  der 
Verfasser  die  vogtländisch-egerlandische  Erdbebenperiode  vom  25.  Juli 
bis  31.  August,  wobei  ein  zweites  Kärtchen  des  Schüttergebietes  dem 
Leser  eine  leichte  Übersicht  bietet  Das  Schüttergebiet  erstreckt 
sich  elliptisch  in  einer  Länge  von  46  und  einer  Breite  von  17  km. 
Der  Ausgangsort  dieses  Bebens  dürfte  in  einer  dem  erzgebirgischen 
Abstürze  parallelen  Diskontinuität  zu  suchen  sein,,  die  sich  freilich 
in  dem  Aussehen  des  Geländes  oberflächlich  nicht  verrät;  sie  ent- 
spräche einer  jener  Erdbebenlinien,  wie  sie  Becke  bei  Erörterung 
des  böhmisch -sächsischen  Bebens  von  1897  zu  erkennen  glaubte, 
und  welche  das  Ostende  des  Fichtelgebirgsgranits  mit  dem  Südwest- 
rande des  Neudecker  Granitstockes  verbinden.  Auf  den  Hauptstoss 
vom  25.  Juli  folgte  dann  im  Laufe  der  nächsten  Wochen  ein  weit- 
läufiger Schwann  meist  schwacher  Erschütterungen,  bis  mit  Ende 
August  allmählich  Ruhe  eintritt.  Nur  im  Dezember  (8.  und  9.) 
machte  sich  noch  ein  kräftiger,  mit  Donnerrollen  verbundener  Stoss, 
und  zwar  bei  Markneukirchen,  fühlbar. 

Erdbebenstörungen  zu  Trlest.  Ober  diese,  am  Rebeur- 
Ehlertschen  Horizontalpendel  im  Jahre  1901  beobachteten  Störungen 
berichtet  E.  Mazelle.^)  Es  gelangten  in  diesem  Jahre  187  Störungen 
nach  Zeit  und  Grösse  zur  Aufzeichnung. 

Aus  sämtlichen  bisher  veröffentlichten  Beobachtimgen  —  602 
Seismogramme  seit  31.  August  1898  —  lässt  sich  vorerst  ent- 
,  nehmen,  dass  im  Mittel  jeden  zweiten  Tag  eine  seismische  Störung  am 
Horizontalpendel  zu  erwarten  ist 

Die  Beobachtungen  lassen  ausserdem  nicht  nur  eine  regelmässige 
jährliche  Verteilung  ihrer  Häufigkeit  entnehmen,  sondern  auch  eine 
auffallende  tägliche  Periode. 

Der  jährliche  Gang  zeigt  eine  doppelte  Schwankung  mit  den 
Frequenzmaxima  im  Februar  (14.2  Störungen)  und  im  September 
(18.1)  und  den  Minima  im  April  (12.5)  und  Dezember  (13.3). 

Die  Trennung  nach  den  einzelnen  Tagesstunden  ergiebt  recht 
deutlich  eine  regelmässige  doppelte  tägliche  Periode  mit  der  grössten 
Häufigkeit  der  Störungen  um  6^  und  22^  (51.2  und  54.0)  und  der 
kleinsten  um  2^  und  14^  (49.0  und  46.9),  wozu  erwähnt  werden 
soll,  dass  bei  der  täglichen  Periode  des  Luftdruckes  in  Triest  die 
Maxima  auf  10^  und  23^,  die  Minima  auf  5^  und  16^  fallen. 

Das  Brdbeben  in  Guatemala  am  18.Aprill902.  Über 
dasselbe  macht  Prot  E.  Sapper  einige  MitteUimgen,*)  die  zwar  nur 
auf  Zeitungsberichten  beruhen,  aber  in  der  kritischen  Beleuchtung 
des  erfahrenen  Kenners  von  Mittelamerika,  Beachtung  verdienen.    Die 

M  6«r.  d.  Kais.  Akad.  d.  Wiss.  m  Wien  1902.  No.  18. 
^  Petermamis  Mitteilungen  1902.  p.  198. 


196  Erdbeben, 

Zeit  des  Hauptstosses  war  8^20™ — 30"*  abends.  Die  entferntesten 
Orte,  von  denen  dem  Verf.  Nachrichten  über  die  Wirkungen  des  Erd- 
bebens zukamen,  sind  Managua  (Nicaragua),  Gomayagua  (Honduras) 
und  Mapastepek  (Chiapas),  die  wirkliche  Ausdehnung  des  Bebens 
war  aber  sicherlich  grösser.  Die  Verluste  an  Menschenleben  sind 
bei  weitem  nicht  so  gross,  als  man  nach  dem  enormen  Material- 
schaden (die  Städte  Quezaltenango  und  S.  Marcos,  sowie  viele  Dörfer 
wurden  fast  ganz  zerstört)  erwarten  konnte.  Die  Grösse  dieser 
Verwüstungen  wird  vielfach  von  der  Bauart  der  Häuser  bedingt, 
doch  glaubt  Verf.,  dass  auch  lokale  Verschiedenheiten  der  Intensität 
des  Bebens  angenommen  werden  müssen.  Eine  nacli  den  vorliegenden 
Nachrichten  von  ihm  entworfene  Erdbebenkarte  zeigt  »die  Zone  des 
grössten  Schadens  fast  ganz  auf  die  Nähe  der  guatemaltekischen 
Vulkanreihe  beschränkt,  während  die  salvadorenische  Vulkangegend 
verhältnismässig  ruhig  blieb.  Der  Schluss  der  Guatemalteken,  dass 
das  Beben  ein  vulkanisches  wäre,  ist  wohl  verständlich;  aber  es 
fällt  auf,  dass  ein  zweiter  schmaler  Streifen  grösster  Intensität  auch 
am  pazifischen  Meeresstrande  sich  ausdehnt,  und  die  Schilderung,  die 
Karl  List  von  den  Erscheinungen  bei  Ocos  giebt,  lässt  darauf  schliessen, 
dass  in  der  Nähe  jenes  Platzes  der  Sitz  des  Erdbebens  gewesen 
sein  muss.  Das  Erdbeben  äusserte  sich  hier  als  ein  einziger  heftiger 
Stoss  aus  SSW  nach  NNO,  der  alles  in  lebhafte  Schwingungen  ver- 
setzte, die  Holzgebäude,  je  nach  ihrer  Schwere,  um  wenige  Zoll  bis 
zu  2  Fuss  verschob,  die  Eisenbahngeleise  verbog,  die  Brücke  über 
den  Estero  ins  Wasser  warf  und  den  348  m  langen,  auf  Stahl- 
pfeilern stehenden  Landungssteg  nach  allen  Richtungen  so  verbog, 
dass  sein  >  Profil  nicht  mehr  eine  gerade  Linie  wie  vorher  ist,  sondern 
eine  Wellenlinie,  genau  angepasst  der  Form  und  Länge  der  (Erd- 
beben-) Welle«.  Das  Merkwürdigste  ist  aber,  dass  diese  Erdbeben- 
welle sich  in  dem  Sandboden  sogar  plastisch  ausprägte.  Karl  List 
schreibt  darüber:  »Ocos  liegt  auf  einer  langgestreckten,  ca.  300  bis 
400  m  breiten  Sanddüne,  oder  besser  gesagt  Insel  Jenseits  des 
Esteros  besteht  das  Gelände  aus  hartem  Lehme,  Gerolle  etc.,  während 
der  Untergrund  von  Ocos  leichter  vulkanischer  Sand  ist.  Gleichwie 
die  Meeresbrandung  auf  sanft  abfallendem  Strande  sich  bricht,  so 
brach  sich  die  Flutwelle  (Erdbebenwelle)  beim  Übergänge  vom 
Sandboden  zum  harten  Lehme,  und  zwar  das  1.  Mal  in  I,  ein  2. 
und  3.  Mal  in  II  und  III,  rollte  dann  weiter  inland,  überall  Spuren 
ihrer  Bewegung  hinterlassend,  bis  die  Bewegung  vollständig  und 
gleichmässig  in  den  harten  Untergrund  des  festen  Landes  über- 
gegangen war  (ca.  300  m  jenseits  des  Esteros),  wo  sie  dann  in  der 
Küstenebene  ohne  weiter  sichtbaren  Schaden  sich  fortpflanzte.« 

Erdbebenbeobachtungen  in  Japan.^)  Professor  Omori  unter-^ 

zog  18.279  Erdbebenbeobachtungen,   die  in  Japan    auf  26  Erdbeben- 


^)  Die  Erdbebenwarte  2«  p.  85. 


Erdbeben.  197 

warten  innerhalb  eines  Zeiti*aumes  von  27  Jahren  gemacht  worden 
sind,  einer  kritischen  Untersuchung  in  Bezug  auf  deren  Auftreten 
in  Hinsicht  auf  die  Jahres-  und  Tageszeiten.  Er  findet,  dass  eine 
Anzahl  von  Erdbebenwarten  das  Maximum  der  Beobachtungen  in 
den  Sommermonaten,  eine  Anzahl  von  Erdbebenwarten  das  Maximum 
der  Beobachtungen  in  den  Wintermonaten  aufweist.  Die  Stationen 
der  erstem  Qruppe  liegen  in  dem  östlichen,  dem  Stillen  Ozeane  zuge- 
kehrten Teile  des  Inselreiches,  jene  der  letztern  Gruppe  an  der  West- 
küste, gegenüber  dem  asiatischen  Kontinente.  Vergleiche  mit  den 
Barometerstanden  ergaben,  dass  bei  hohem  Luftdrucke  häufiger  Erd- 
beben auftreten  als  bei  niederem.  Da  in  Japan  im  Sommer  niederer, 
im  Winter  hoher  Luftdruck  herrscht,  sind  die  in  den  Wintermonaten 
beobachteten  Erdbeben  auf  den  Einfluss  des  Luftdruckes  zurückzu- 
führen und  haben  ihren  Herd  auf  dem  Festlande.  Die  Erdbeben  der 
Sommermonate  sind  hingegen  Folgeerscheinungen  submariner  Vor- 
gänge. Was  die  Tageszeit  des  Auftretens  anbelangt,  so  konnte 
Professor  Omori  keine  bestimmten  Gesetze  aufdecken. 

Ober  das  behauptete  regrelmässigre  Fortsehreiten  des 
Epizentrums  bei  Erdbeben  mit  zahlreichen  Nachbeben  hat 
Montessus  de  Ballore  eine  Untersuchung  ausgeführt^)  Hervorragende 
Seismologen,  wie  Perrey  und  Suess,  haben  die  Vermutung  aus- 
gesprochen, dass  in  sehr  unruhigen  Gegenden  das  Epizentrum  die 
Tendenz  zeigt,  in  einer  ganz  bestimmten  Richtung  fortzuschreiten. 
Man  hat  diese  interessante  Erscheinung  dahin  erklärt,  dass  es  sich 
so  verhalt  wie  bei  einem  Felssprunge,  der  gegen  sein  Ende  zu  sich 
immer  weiter  fortsetzt,  wie  man  dies  auch  oft  bei  Sprüngen  der 
Fensterscheiben  beobachten  kann.  Wie  weit  ist  nun  diese  Ver- 
mutung richtig,  die  bisher  keiner  exakten  Untersuchung  unterworfen 
worden  ist  und  daher  jeder  nähern  Begründung  entbehrt?  Das  grosse 
Beben  im  nordöstlichen  Indien  vom  12.  Juni  1897  kam  gerade  recht, 
um  diese  Frage  ziffermässig  behandeln  zu  können. 

Dieser  Erschütterung  folgte  eine  ausserordentlich  grosse  Anzahl 
von  Nachbeben,  und  zwar  mehr  als  5200,  d.  i.  bis  31.  Dezember  1898. 
Nach  der  Abhandlung  Oldhams  (Liste  der  dem  Erdbeben  vom  12.  Jimi 
1897  nachfolgenden  Erdstösse)  hat  Verf.  für  5238  dieser  Stösse  bei- 
läufig 243  verschiedene  Epizentren  bestimmen  können.  Aus  ihren 
geographischen  Koordinaten  war  es  möglich,  für  jeden  der  19  Monate 
dieser  Schütterperiode  das  »Zentrum  der  mittlem  Abstände«  der 
thätigen  Erdbebenherde  herauszufinden,  und  zwar  nach  Massgabe  der 
Zahl  der  Stösse,  welche  in  jedem  Monate  von  ihm  ausgegangen 
sind.  Dieses  monatliche  Zentrum  der  mittlem  Abstände  kann  streng 
genommen  als  das  Zentrum  der  monatlichen  Bodenunruhe  angesehen 
werden,  obgleich  in  Wirklichkeit  dieser  Punkt  nur  eine  rein  geo- 
metrische Bedeutung  besitzt     Man  muss  jedoch  zugeben,  dass,  wenn 


^)  Belar,  Die  Erdbebenwarte  2.  p.  15. 


198  Vulkanismus. 

die  oben  angeführte  Vermutung  richtig  ist,  das  Zentrum  einen  regel- 
mässigen und  in  einem  bestimmten  Sinne  systematischen  Gang  bei- 
behalten wird.  Das  Ergebnis  der  Berechnung  zeigt  nun,  dass  die 
Vermutung  nicht  zutrifft  Die  monatliche  Lage  der  Zentren  ergiebt 
kein  Gesetz.  Das  beweist  übrigens  noch  nicht,  dass  dem  immer  so 
sein  müsse,  aber  diese  Feststellung  stellt  ein  vermeintliches  regel- 
mässiges Fortschreiten  jedenfalls  ernstlich  in  ZweifeL 

Vulkanismus. 
Die  Insel  Hartinique  und  ihr  Vulkanismus.  E.  Deckert 
giebt^)  eine  Beschreibung  dieser  Insel  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  vulkanischen  Verhältnisse.  Der  Norden  der  Insel  wird  vom 
Mont  Pele  (im  Lande  Montagne  Pelee,  kahler  Berg  genannt)  beherrscht, 
der  1360  m  hoch  ist  und  den  jüngsten  Vulkanherd  der  Insel  bildet. 
Die  Aufechüttungen  aus  den  Eraterschlünden  dieser  Bergmasse  (meist 
Bimsstein,  vulkanische  Konglomerate,  trachytische  und  doleritische 
Lava),  stammen  teils  aus  der  Quartärzeit,  teils  aus  Epochen,  die 
offenbar  der  historischen  Zeit  der  westlichen  Erdhemisphäre  ent- 
sprechen. Während  der  historischen  Epoche  Westindiens,  war 
der  Berg  ziemlich  träge  und  wurde  einer  grossem  Aktion  kaum  noch 
für  fähig  gehalten.  Er  trug  auf  seiner  Höhe  einen  kleinen  Kratersee 
(Lac  des  Palmistes),  auch  existierten  mehrere  heisse  Schwefelquellen 
an  einem  Quellflüsschen  der  Riviere  Blanche,  sonst  war  von  einer 
Solfatarenthätigkeit  des  Berges  nichts  zu  spüren.  »In  sehr  auffälliger 
Weise  durchsetzten  die  Gipfelregion  des  Berges  aber  (vorwiegend 
in  der  Richtung  von  SW  nach  NO)  tiefe  und  mehr  oder  minder 
breite  Spalten,  aus  denen  an  verschiedenen  Stellen  stechende,  den 
Atem  versetzende  Dünste  emporstiegen,  und  daraus  konnte  man 
schliessen,  dass  der  Vulkanismus  des  Mont  Pele  unter  der  Ober- 
fläche noch  keineswegs  vollkommen  tot  war.  Dicht  neben  den  er- 
wähnten Schwefelquellen  im  Quellgebiete  der  Riviere  Blanche  aber 
lagen  die  zwei  kleinen  Krater,  aus  denen  im  Jahre  1851  der  letzte 
unbedeutende  und  wenig  beachtete  Aschenausbruch  stattgefunden 
hatte,  und  unterhalb  derselben  befand  sich  eine  ganze  Reihe  weiterer 
Krater,  die  weniger  gut  erhalten  war,  und  deren  unterste  unter  dem 
Namen  des  £tang  See  zusammengefasst  wurden.  Wann  die  letztem 
Krater  entstanden  und  thätig  gewesen  sind,  ist  schwer  zu  sagen» 
jedenfalls  waren  sie  aber  kaum  viel  älter  als  wenige  Jahrhunderte» 
und  der  eine  oder  andere  stammte  vielleicht  aus  dem  Jahre  1792, 
wo  der  Vulkan  in  ähnlicher  Weise  wie  1859  eine  kleine  Eruption 
gehabt  haben  soll;  denn  die  westindischen  Atmosphärilien  zerstören 
und  maskieren  solche  Spuren  vulkanischer  Thätigkeit  im  Vereine  mit 
der  üppig  wuchernden  Vegetation  und  den  zahlreichen  Erdbeben 
immer  sehr  rasch.« 


^)  Petermanns  Mitteilungen  1902  p.  138. 


Vulkanismus.  199 

Diese  Eratergegend  scheint  nach  Deckerts  Annahme  bei  der 
grossen  Eruption  am  8.  Mai  der  Hauptausgangspunkt  der  Aktion 
gewesen  zu  sein.  Dort  stiegen  am  24.  April  die  ersten  auffälligen 
Dampfsäulen  empor,  nachdem  man  am  Abende  vorher  mehrere  starke 
Detonationen  aus  dieser  Richtung  in  Precheur  und  St.-Pierre  ver- 
nommen hatte.  Am  26.  April  fand  Leon  Sully  bei  einer  Expedition 
in  diese  Gegend  in  600  m  Seehöhe  umfangreiche  neue  Krater-  und 
Spaltenbildungen  und  in  einem  langgestreckten  neuen  Krater  an  Stelle 
des  £tang  See  Kochen,  Brodeln  und  Qasaufsteigen  aus  4  Schlünden. 
Aus  dieser  Gegend  kam  auch  die  Ascheneruption  vom  3.  und  4.  Mai 
und  am  6.  Mai  der  erste  heisse  Schlammstrom,  der  sich  in  der 
Riviere  Blanche  pfeilschnell  zur  Küste  herabwälzte.  Die  Explosion 
vom  8.  Mai  hatte  dagegen  nach  Deckert  ihren  Ursprung  in  der 
nächsten  Nachbarschaft  der  alten  Kratergegend. 

Folgende  Berichte  von  Augenzeugen  der  Katastrophe,  durch  die  am 
8.  Mai  St.  Pierre  samt  seinen  Bewohnern  vernichtet  wurde,  sind  geeignet, 
über  den  Vorgang  Klarheit  zu  geben. 

Roger  Arnaux,  Mitglied  der  französischen  astronomischen  Gesellschaft, 
schreibt :  Am  Pfingstmontage  1900  besuchten  mi  den  Gipfel  der  Montagne 
und  konnten  das  Vorhandensein  von  zwei  kleinen  Solfataren  im  Krater  kon- 
statieren. Die  Vegetation,  welche  an  dieser  Stelle  ein  Jahr  vorher  sehr 
reich  gewesen,  war  zum  grossen  Teile  verbrannt,  und  auf  dem  Boden  zeif^e 
sich  hm  und  wieder  eine  gelbliche  Materie,  die  wir  für  Schwefel  hielten.  Kerne 
^ur  von  Dampf  war  zu  erkennen.  Im  Jahre  1901  machten  mehrere  Freunde 
eine  neue  Besteigung  des  Berges  und  fanden  fünf  oder  sechs  kleine  Fu- 
marolen,  welche  grünliche  Dämpfe  ausstiessen.  Indessen  zeigten  sich  erst 
im  März  des  gegenwärtigen  Jahres  Erscheinungen,  durch  die  man  in 
St.  Pierre  aufmerksam  wurde.  Gegen  Ende  dieses  Monates  sah  ein  zu- 
verlässiger Beobachter  nachts  ein  recht  lebhaftes  Licht  von  der  Kraterhöhle 
ausstrahlen.  Erst  am  25.  April  aber  war  man  überzeugt,  dass  der  Vulkan 
wieder  erwacht  seL  In  der  Nacht  vom  25.  zum  26.  April  bemerkte  der 
Berichterstatter  eine  starke  Detonation  und  sah  aus  dem  Krater  eine  immense 
Rauchsäule  aufsteigen,  und  in  den  folgenden  Tagen  lagote  über  dem  Berge 
eine  gewaltige  Wolke  gleich  einer  Gewitterwolke,  ohne  dass  aber  sonstige 
Anzeichen  auf  die  Thätigkeit  des  Vulkanes  deuteten.  Am  Morgen  des  2.  Mai 
gegen  9  Uhr  erschollen  Detonationen,  und  fiel  Asche;  dem  Berichterstatter 
Semen  es,  als  wenn  neue  Schlünde  in  dem  Krater  sich  geöffnet  hätten; 
aber  erst  am  5.  Mai  floss  schwärzlicher  Schlamm,  von  dichtem  Dampfe 
überdeckt,  von  der  Höhe  durch  das  Thal  der  Riviere  Blanche  herab  und 
vernichtete  nachmittags  die  Fabrik  Guerin.  Am  Morgen  des  6.  Mai  schien 
die  Eruption  sich  zu  beruhigen,  aber  am  Morgen  des  7.  vernahm  der 
Berichterstatter,  dass  die  Telegraphenverbindung  mit  den  benachbarten 
Inseln  unterbrochen  sei,  nach  Aiächt  des  Telegraphendirektors  infolge  sub- 
mariner Bodensenkungen.  Nachmittags  vernahm  man  zu  St.  Pierre  Deto- 
nationen in  kurzen  Intervallen,  aber  aus  südlicher  Richtung,  und  glaubte 
an  eine  Schiffsübung  bei  Fort  de  France.  Der  Berichterstatter  fand  indessen 
die  Luftvibrationen  befremdlich  stark.  Gegen  5  Uhr  abends  verliess  er 
St.  Pierre  und  sah,  wie  aus  dem  Krater  enorme  Felsmassen  emporgeschleudert 
wurden,  die  etwa  V«  Minute  gebrauchten,  um  wieder  zurückzufaUen.  Gegen 
8  Uhr  abends  erblickte  er  zum  erstenmal  auf  dem  Gipfel  des  Berges  zwei 
fixe  Feuer  von  weisser  Farbe.  Am  Morgen  des  8.  gegen  7^/^  Uhr  sah  der 
Krater  ziemlich  ruhig  aus,  die  Dämpfe  wurden  von  östUchem  Winde  fort- 

fetrieben.     Gegen  8  Uhr  erblickte  der  Beobachter   aus  dem  Krater  eine 
leine  Wolke  aufsteigen,   die  2  Sekunden  später  von  einer  grossen  Masse 


200  .  Vulkanismus. 

(Nappe)  gefolgt  wurde,  die  in  weniger  als  3  Sekunden  alles  bis  Pointe 
de  Garbet  bedeckte,  gleichzeitig  aber  auch  bis  zum  Zenith  des  Beobachters 
anstieg.  Es  waren  Dämpfe,  ganz  ähnlich  denjenigen,  die  während  der 
ganzen  Zeit  aus  dem  Krater  aufgestiegen  waren.  Sie  schienen  sehr  dicht 
zu  sein,  denn  sie  behielten  bis  zum  Scheitel  ihre  rundlichen  Gipfel.  Aus 
diesem  Dampfchaos  heraus  strahlten  zahllose  elektrische  Funken,  und  gleich- 
zeitig erscholl  entsetzliches  Getöse.  Als  die  Erscheinung  sich  näherte, 
erhob  sich  plötzlich  ein  heftiger  Wind,  der  die  Äste  der  Bäume  brach,  und 
unmittelbar  darauf  wurde  die  Sonne  verhüllt,  es  entstand  eine  fast  völlige 
Finsternis.  Steine  von  2  em  Durchmesser  fielen  aus  der  Luft.  In  der 
Richtung  von  St.  Pierre  sah  man  eine  Feuersäule,  die  sich  fortbewegte 
und  gleichzeitig  rotierte,  deren  Höhe  der  Beobachter  auf  400  m  schätzte. 
Diese  Erscheinung  dauerte  2—3  Minuten.  Bald  nach  dem  Steinfalle  er- 
goss  sich  ein  Schlammregen  während  etwa  einer  halben  Stunde.  Die 
ganze  Erscheinung  hatte  ungefähr  6  Stunden  gedauert ,  als  die  Sonne 
wieder  hervorkam.  *  Die  Wolke,  welche  der  Beobachter  über  St  Pierre  sich 
niedersenken  sah,  musste  aus  einer  flüssigen  Materie  von  sehr  hoher  Tem- 
peratur bestanden  haben,  welche  Flüssigkeit  in  der  Luft  aber  verdampfte. 
Auch  der  Bhtz  wird  zur  Entzündung  der  Feuersbrunst  in  der  Stadt  bei- 
getragen haben.  Von  einem  Feuerregen  über  der  Stadt  hat  der  Beobachter 
nichts  bemerkt.  Was  die  vulkanische  Materie  (Asche,  Schlamm  und  Steine) 
anbelangt,  die  in  Fort  de  France  und  fast  aui  der  ganzen  Insel  niederfiel, 
so  muss  sie  raketenförmig  vom  Vulkane  ausgeworfen  worden  sein,  wenige 
Sekunden  nach  der  Zerstörung  von  St.  Pierre,  denn  der  Beobachter  hat 
zu  keiner  Zeit  eine  vertikale  Eruption  wahrgenommen.  Die  Gase,  die  sich 
auf  St.  Pierre  stürzten,  haben  nach  wenigen  Sekunden  die  ganze  Insel 
überdeckt;  der  Beobachter  hält  sie  für  erhitzte  Wasserdämpfe. 

Ein  anderer  Augenzeuge,  M.  Molinar,  giebt  folgende  Schilderung  des 
Vorganges:    Am  7.  Mai  gegen  7  Uhr  abends,  als   der  Berg  schrecklich 

§  rollte,  begab  ich  mich  ans  Fenster  und  sah  glühende  Lava  in  der  Richtung 
er  drei  Brücken  herabfliessen.  Sofort  machte  sich  alles  auf  die  Flucht 
nach  dem  Pamasse,  einer  Besitzung  in  200  oder  300m  Höhe,  200m  höher 
als  die  drei  Brücken.  Um  Mittemacht  kamen  wir  daselbst  an.  Zu  dieser 
Zeit  war  der  Berg  in  voller  Eruption  und  warf  Lava,  Rauch  und  brennen- 
des Gestein  aus.  Am  8.  Mai  6  iJhr  morgens  hatte  er  sich  beruhigt,  und 
wir  betrachteten  die  Flagge  von  Rauch  und  Dampf,  welche  er  gegen  das 
Meer  hin  entsandte.  Gegen  8  Uhr,  ohne  dass  irgend  etwas  Besonderes 
sich  vorher  zeigte,  öffnete  sich  der  Berg  von  oben  bis  unten  und  sandte 
wie  ein  ungeheurer  Blitz  einen  Flanmienstrahl  in  der  Richtung  auf  St.  Pierre 
hin.  Während  etwa  einer  Viertelstunde  schickte  er  seine  Flammen  stets 
successive  in  der  Richtung  auf  diese  Stadt  und  ihre  Umgebung.  Wir,  die 
vom  Pamasse  aus  das  Schauspiel  betrachteten,  befanden  uns  nicht  in  der 
Flanmienzone,  dank  einem  Winde,  der  ihr  entgegenblies  und  unsere 
Rettung  gestattete.  Nach  dem  Aussenden  dieser  Flammen  beruhigte  sich 
der  Berg  vollständig,  entsandte  weder  Flanmien,  noch  Lava,  aber  gegen 
11  Uhr  fing  er  von  neuem  an,  Rauch  und  Lava  auszuwerfen.  Ich  habe 
seitdem  gehört,  dass  auf  der  Seite  gegen  Macouba  und  der  Grand  Riviere 
(der  Noraseite  der  Montagne  Pelee)  sich  Spalten  gebildet  haben,  die 
glühende  Lava  aussandten.  Er  gab  schlanmiige  Lava,  welche  sogleich  er- 
härtete, und  feine  flüssige,  die  bis  zum  Meere  herabfloss.  Beide  Lavamassen 
haben  die  Wege  dort  völlig  unpassierbar  gemacht,  und  die  Bevölkerung 
musste  übers  Meer  sich  nach  Dominica  retten. 

Th.  Gelestin  hatte  sich  am  7.  Mai  nach  Bourg  de  Garbet  geflüchtet 
und  sah  von  dort  aus  den  Vorgang  am  nächsten  Tage.    Er  berichtet: 

Am  7.  schienen  sich  neue  Krater  zu  bilden,  und  der  Rauch  wurde 
stärker.  Um  3  Uhr  abends  vemahm  man  dumpfe  Detonationen  wie  regel- 
rechte ArtiUeriesalven.  Die  einzelnen  Schläge  folgten  in  Intervallen  von 
otwa  6  Sekunden  aufeinander.    Die  Bewohner  von   St.  Pierre  waren  be- 


Vulkanismus.  201 

stürzt,  aber  niemand  wollte  an  unmittelbare  Gefahr  glauben;  eine  wissen- 
schaftliche Kommission,  die  die  Situation  studieren  sollte,  war  am  6.  zu 
der  Überzeugung  gekommen,  dass  keine  Gefahr  drohe,  und  dieses  Gut- 
achten wurde  am  7.  veröffentlicht.  Die  Nacht  vom  7.  zum  8.  Mai  war 
stürmischer  als  die  vorhergehenden,  und  intensive  Flammen  schienen  aus 
dem  Krater  aufzusteigen.  Der  Berichterstatter  war  tags  vorher  nach  dem 
Städtchen  Carbet  geflohen,  bkm  südlich  von  St.  Pierre,  von  wo  aus  er 
das  Schauspiel  beobachtete.  Am  Morgen  des  8.  ist  der  Vulkan  schrecklich 
anzusehen,  er  ist  vollkommen  schwarz,  und  allenthalben  erheben  sich  von 
ihm  ungeheure  Dampfsäulen.  Der  Himmel  ist  grau  und  die  Sonne  ver- 
schleiert. Kein  Lufthauch,  alles  ruhig,  die  Natur  scheint  zu  trauern.  Es 
ist  8  Uhr.  Aller  Bhcke  sind  gegen  St.  Pierre  hingewandt,  und  man  ist 
voll  tiefer  Angst.  Während  man  gegenseitig  seine  mehr  oder  minder 
irrigen  Meinungen  austauscht,  verändert  sich  plötzlich  das  Aussehen  des 
Vulkanes.  Man  konnte  sagen,  er  sei  ganz  in  Bewegung  geraten ;  überall  Rauch ; 
Tausende  von  Rauchstreifen  erheben  sich  in  die  Luft.  Plötzlich  durch- 
leuchtet ein  Blitz  diese  Damnfmassen.  Was  geht  vor  sich?  Eine,  zwei 
Sekunden  verfliessen  ....  >Wir  sind  verloren,  der  Berg  stürzt  zusammen«, 
ertönt  es  von  allen  Seiten,  »fliehen,  fliehen!«  Der  Beobachter  bringt  seine 
Familie  gegen  Süden  hin  an  einen  sichern  Platz  und  kehrt  zurück,  um 
zn  sehen,  was  vor  sich  geht.  Der  Berg  als  solcher  ist  nicht  mehr  zu 
sehen,  statt  seiner  erblickt  man  eine  Lawine,  einen  Wall  schwarzen 
Dampfes,  erhellt  durch  Tausende  von  Blitzen,  und  das  Ganze  stürzt  auf  den 
Beobachter  zu  mit  erstaunlicher  Geschwindigkeit.  »Der  ganze  Himmel  ist 
in  Mitleidenschaft  gezogen,  wir  befinden  uns  unter  einem  in  Feuer  stehenden 
Gewölbe.  Schreckliches  Rollen  begleitet  den  Marsch  der  Erscheinung. 
Das  Meer  ist  schwarz  und  nach  allen  Richtungen  in  Aufruhr,  lange  Wogen 
in  das  Land  hinein  entsendend,  die  den  Weg  überschwenmien.  Wir  sind 
verloren;  es  bleibt  nur,  resigniert  den  Tod  zu  erwarten.  Plötzlich  aber 
macht  sich  eine  lebhaite  Reaktion  in  der  Luft  bemerkbar,  ein  heftiger 
Wind  setzt  von  Süden  ein ,  so  stark,  dass  die  Bäume  unter  seiner  Wirkung 
zur  Erde  geneigt  werden,  der  Fortschritt  des  Verderbens  wird  gehemmt, 
dOOm  von  uns  entfernt.  Wir  sind  gerettet  I  Der  Sturm  verminderte  sich 
allmählich  und  höi*te  nach  2  oder  3  Minuten  auf.  St.  Pierre  war  während 
dessen  am  Brennen,  man  sah  dort  eine  ungeheure  Feuerwand.  Ein  schreck- 
liches Gewitter  entlud  sich  nun  über  uns,  Tausende  von  Blitzen  durch- 
zuckten die  Luft,  und  während  einer  halben  Stunde  ergoss  sich  über  uns 
ein  Regen  von  Steinen  und  Schlamm.« 

Bin  Beobachter,  mit  Namen  Fernand  Gleve,  hatte  sich  aus  St.  Pierre 
auf  ein  Landgut  geflüchtet,  welches  zwischen  dieser  Stadt  und  dem  Mome 
Rouge  auf  einem  Berge,  der  den  Namen  Pamass  führt,  liegt.  Am  Donnerstag 
morgens  gegen  8  Uhr  befand  er  sich  dort  an  einem  Fenster  und  beob- 
achtete die  Montagne  Pelee,  welche  jetzt  viel  mehr  als  früher  donnerte. 
Plötzlich,  nach  zwei  furchtbaren  Detonationen  sah  er,  wie  sich  von  oben 
herab  längs  dem  Vulkane  eine  Spalte  bildete,  aus  der  mit  schrecklichem 
Geräusche  ein  ungeheurer  Feuerstrahl  entwich.  Der  Beobachter  floh  von 
dannen,  kam  aber  nicht  weit,  sondern  wurde,  er  weiss  nicht  wie,  zu  Boden 
geworfen.  Als  er  sich  wieder  erhob ,  war  die  Stadt  St.  Pierre  vernichtet ; 
etwa  25  m  hinter  ihm  lagen  die  ersten  Leichen.  Weiter  vordringend  bis 
zur  Bannmeile  der  Stadt,  zeigte  sich  weder  ein  Baum,  noch  irgend  ein  Ge- 
bäude. Das  Terrain  schien  wie  mit  der  Walze  geebnet,  keine  Trümmer, 
kein  Schutt,  nur  etwas  Asche  war  zu  erblicken.  Leichen  fanden  sich  nur 
an  der  Grenze  der  Feuergarbe,  auf  der  von  ihr  bestrichenen  Fläche  blieb 
nichts  mehr,  und  hier  herrschte  das  völlige  Schweigen  des  Todes.  Bei 
ihrem  Austritte  aus  dem  Vulkane  hatte  die  Feuergarbe  die  Gestalt  eines 
Fächers. 

Dr.  Masurel,  Arzt  auf  dem  französischen  Kreuzer  »Suchet«,  dessen 
Kommandant  den  ersten  telegraphischen  Bericht  über  das  Unglück  von 


202  Yulkaiiismus. 

St  Pieire  an  den  französischen  Minister  sandte,  berichtet:  Es  fanden  bei 
dem  Vorgange  mehrere  Erscheinungen  statt;  eine  furchtbare  elektrische 
Entladung,  welche  den  nördlichen  Teil  der  Stadt  vollständig  wegfegen 
musste,  und  ein  von  dem  Gipfel  des  Vulkanes  herabkommendes  Aufblitzen, 
hervorgebracht  durch  ein  detonierendes  Gtemenge,  welches  die  ganze  Be- 
völkerung getötet  hat.  Nach  einer  Wolke  von  Dampf  und  Schlamm  erhob 
ddi  aus  dem  Krater  eine  Garbe  geschmolzener  Materie  in  Gestalt  eines 
Fächers,  die  sich  über  die  Stadt  niedersenkte. 

Ainadee  Enight,  Senator  von  Martinique,  befand  sich  zu  Lorrain  am 
Ostgestade  der  Insel  zur  Zeit  der  Katastrophe.  Er  hörte  dort  dumpfes, 
schreckliches  Grollen  des  Berges  und  Detonationen  gleich  Kanonenschüssen. 
Gleichzeitig  sah  man  über  dem  Vulkane  eine  ungeheure  Garbe  von  schwarzem 
Rauche  aufsteigen,  während  der  Horizont  sich  in  hässUcher  Beleuchtung 
dagegen  abhob.  Es  waren  wie  Lichtbanden,  welche  ihn  in  jedem  Augen- 
blicke erhellten,  und  von  welchen  sich  an  mehrem  Punkten  und  gleich- 
zeitig Blitze  in  Form  eines  doppelten  Z  ablösten.  »Mein  erster  Gedanke 
war  an  die  armen  Bewohner  des  Ortes  Precheur.  Ich  hatte  denselben  am 
29.  April  und  am  4.  Mai  besucht  und  schon  damals  dort  auf  den  Feldern 
eine  Aschenschicht  von  80  om  Dicke  gefunden.  Auch  waren  von  den 
Höhen  der  Montagne  Pelee  seit  mehrern  Tagen  2000  Schwarze  herab- 
gekommen, deren  Eigentum  zerstört  war.  In  aller  Eile  begab  ich  mich 
nach  Fort  de  France,  wo  ich  den  Untergang  von  St.  Pierre  vernahm.  Die 
Leichen  fanden  sich  vielfach  in  Lagen,  welche  bewiesen,  dass  die  Personen 
plötzlich  getötet  sein  mussten;  so  eine  Gruppe  von  5  Personen,  die  auf 
der  Strasse  geplaudert  haben  mussten,  als  das  verderben  über  sie  kam.  In 
einer  Wohnung  fand  sich  die  Leiche  eines  Mannes  vor  seinem  Schreibtische 
sitzend,  eine  junge  Frau,  wohl  seine  Tochter,  hat  den  Arm  um  seinen  Hals 
geschlungen,  wahrend  ein  junger  Mensch  knieend  ihn  wie  gleichsam  um 
Schutz  anflehte.  Alle  müssen  im  gleichen  Momente  vom  Tode  dahin- 
gerafft worden  sein.  In  den  Strassen  wurden  2000  Leichen  gefunden,  die 
meisten  mit  dem  Gesichte  gegen  die  Erde  liegend.  In  einem  Berichte  heisst 
es,  dass  heisse  oder  giftige  Gase  dem  Vulkane  entströmt  sein  mussten,  denn 
fast  alle  Opfer  des  Ausbruches  in  St.  Pierre  hatten  die  Hände  vor  dem 
Munde,  wie  um  Erstickung  zu  verhindern,  c 

Der  zweite  Befehlshaber  der  Goelette  >Gabriell<,  G.  M.  Sainte  schreibt 
über  seine  Wahrnehmungen  folgendes :  Um  7  Uhr  50  Minuten  machte  sich 
ein  heftiges  Grollen  im  Berge  wahrnehmbar,  und  es  zeigte  sich  vom  Gipfel 
bis  zum  Fusse  gleichsam  wie  ein  gewaltiger  Riss.  Dann  sah  man  inmitten 
schwarzen,  dem  Auge  undurchdringlichen  Rauches  eine  ungeheure,  un- 
förmliche Masse,  die  sich  mit  gewaltiger  Schnelligkeit  thalabwärts  bewegte 
und  in  ihrem  Wirbel  alles  verschlang,  ganz  St.  Pierre.  Auf  der  Rhode 
verloren  2  Drittel  der  Schiffe  ihre  Masten  und  versanken,  die  einen  mit 
dem  Vorder-,  die  andern  mit  dem  Hinterteile.  Nur  3  Schiffe,  worunter 
2  Dampfer,  vermochten  dem  Choc  zu  widerstehen,  aber  ihre  Bemannung 
kam  bis  auf  ein  paar  Köpfe  um.  Der  Berichterstatter  verdankt  sein  Leben 
nur  dem  Umstände,  dass  er  sofort  untertauchte,  indessen  war  das  Wasser 
um  ihn  herum  so  heiss,  dass  er  stark  verbrüht  wurde,  ebenso  wie  noch 
vier  andere  von  der  Bemannung  des  Schiffes,  die  sich  auch  retteten.  Wieder 
auftauchend,  sah  er  vor  sich  ein  Glutmeer,  das  die  Ruinen  der  schon  ein- 
gestürzten Stadt  verschlang.  Ein  furchtbarer  Regen  glühender  Lava,  ein 
unnennbares  Gemisch  von  Schlamm  und  vulkanischen  Bomben  senkte  sich 
auf  die  brennende  Stadt  und  ihre  Umgebung,  zischend  und  prasselnd  fuhren 
diese  Geschosse  bis  auf  das  Meer  hinaus.  Bei  einer  kurzen  Erhellung 
gegen  9  Uhr  nachmittags  sah  der  Berichterstatter,  dass  der  Gipfel  des 
Vulkanes  wie  ausgezackt  und  die  Abhänge  tief  ausgefurcht  waren. 

H.  Thomson  befand  sich  auf  der  >Ronuma<  und  betrachtete  die 
grossartige  Erscheinung  des  Ausbruches,  während  der  dritte  Ingenieur  eben 


Vulkanismiis.  208 

dabei  war,  eine  Photographie  des  raachenden  Berges  aufzunehmen.  Es 
war  einige  Minuten  vor  8  Uhr.  Plötzlich  machte  sich  ein  furchtbares 
Brüllen  bemerkbar,  gefolgt  von  einer  gewaltigen  Explosion.  Der  Donner 
dieser  letztem  kann  nur  vergtichen  werden  mit  der  gleichzeitigen  Ent- 
ladung Yon  tausend  Kanonen  des  grössten  Kalibers.  Der  ganze  Himmel 
war  wie  eine  einzige  Flanune.  Als  der  Donner  einen  Moment  schwieg, 
stürzte  sich  der  Kapitän  auf  die  Brücke  und  schrie  der  Bemannung  zu, 
die  Anker  zu  lichten.  Allem  es  war  zu  spät  Ein  Wirbelsturm  von  Dampf 
fiel  auf  die  Schiffe,  und  eine  Lawine  von  Feuer  fegte  über  Stadt  und  Rhede 
mit  der  Greschwindigkeit  eines  Orkanes.  Der  Dampfer  stiess  mit  dem  Hinter- 
teile auf  den  Grund,  und  Masten  und  Kamine  gingen  über  Bord.  Augen, 
Ohren,  Mund  und  Kleider  der  Bemannung  waren  mit  Asche  und  Lava 
bedeckt,  die  Finsternis  so  gross,  und  der  Donner  so  stark,  dass  niemand 
sehen  oder  hören  konnte,  was  einige  Fuss  von  ihm  entfernt  vorging,  und 
man  wörtlich  dem  Ersticken  nahe  war.  Der  Feuerorkan  dauerte  nur 
einige  Minuten. 

Ein  Kaufmann  aus  Fort  de  France  schrieb  nach  Paris:  In  St.  Pierre 
hat  das  Feuer  alles  vernichtet,  aber  nicht  ein  gewöhnliches  Feuer,  sondern 
gewissermassen  ein  Strahl  glühenden  Gases  von  ungeheurer  Temperatur. 

Einer  der  wenigen  Überlebenden  aus  St.  Pierre,  ein  88  Jahre  alter 
Neger,  hat  folgendes  dem  Korrespondenten  des  »Temps«  erzählt :  > Am  8.  Mai 
gegen  8  Uhr  morgens  befand  icn  mich  auf  der  Schwelle  meiner  Wohnung 
im  Südosten  der  Stadt  an  der  Strasse  de  la  Trace.  Plötzlich  hörte  ich  das 
Pfeifen  eines  furchtbaren  Windes,  die  Erde  begann  zu  zittern,  und  der 
Himmel  verdunkelte  sich.  Ich  wollte  ins  Haus  zurück  und  machte  mit 
grösster  Schwierigkeit  die  3  oder  4  Schritte,  welche  mich  von  meinem 
Zimmer  trennten,  ich  fühlte  meine  Arme,  meine  Beine  und  mein  Gesicht 
brennen.  Ich  liess  mich  unter  einen  Tisch  fallen,  und  in  diesem  Momente 
sachten  vier  Personen  in  meinem  Zimmer  Zuflucht,  welche  vor  Schmerz 
schrieen,  ohne  dass  aber  ihre  Kleider  die  Wirkung  von  Feuer  zeigten.  Nach 
10  Minuten  fiel  eine  davon,  ein  10 jähriger  Knabe,  tot  nieder,  die  [andern 
verliessen  den  Raum.  Ich  erhob  mich  und  trat  in  ein  Zimmer,  wo  ich 
den  Vater  Delavaud  ganz  angekleidet  tot  auf  seinem  Bette  fand;  er 
war  blau  und  aufgeschwollen,  aber  seine  Kleider  waren  unverletzt.  Ich 
wollte  heraus,  aber  im  Hofe  stiess  ich  auf  zwei  Leichen,  die  einander  um- 
schlungen hatten,  es  waren  die  der  beiden  jungen  Leute,  die  vorher  in 
mein  Zimmer  gekommen  waren.  Ich  kehrte  nunmehr  ins  Haus  zurück;  in 
einem  Räume  traf  ich  auf  2  Leichen  von  Leuten,  die  sich  im  Garten 
befanden  hatten,  als  ich  am  Beginne  der  Katastrophe  ins  Haus  ging.  Er- 
schöpft und  ohne  Besinnung  Hess  ich  mich  auf  mein  Bett  fallen  und 
erwartete  den  Tod.  Nach  einer  Stunde  kam  ich  wieder  zu  mir  und  sah 
das  Dach  brennen,  fand  aber  Kn^  davon  zu  eilen  und  Fond-Saint-Denis, 
6  hm  von  St  Pierre,  zu  erreichen.  Gegen  11  Uhr  morgens  war  ich  gerettet. 
Ich  kann  behaupten,  dass  ich,  mit  Ausnahme  der  oben  genannten  Personen, 
niemand  schreien  gehört  habe;  ich  habe  auch  keinen  Erstickungsanfall  ge- 
habt, noch  fehlte  mir  die  Luft,  nur  war  sie  brennend  heiss.  Es  gab  weder 
Asche,  noch  Schlamm.    Die  ganze  Stadt  brannte.« 

Man  kann  nach  allem  Deckert  wohl  beistimmen,  wo  er  sagt: 
»Dass  die  Stadt  St.-Pierre  den  allergrössten  Betrag  von  dem  mit 
der  Eruption  verbundenen  Unheil  über  sich  ausgeschüttet  erhielt,  ist 
zum  Teil  wohl  aus  dem  von  dem  Mont  Pele  auf  die  Stadt  zu 
wehenden  Passatwind  zu  erklären,  zum  viel  grossem  Teile  aber  ohne 
Zweifel  aus  der  der  Stadt  zugewendeten  Lage  des  eigentlichen 
Bnipiionsherdes.« 


204  Vulkanismus. 

Ein  neuer  heftiger  Ausbruch  des  Vulkanes  fand  am  20.  Mai 
statt,  wodurch  auch  der  Ort  Garbet  zum  Teil  zerstört  wurde,  und 
Lavamassen  auf  Precheur  zu  flössen.  Den  Nachrichten  zufolge 
erhob  sich  eine  Wolke  glühender  Asche  aus  dem  Krater  und  erregte 
durch  ihr  Aussehen  selbst  in  Fort  de  France  Schrecken.  Gleichzeitig 
wurden  in  Florida  Erdstösse  wahrgenommen,  die  in  St.  Augustine 
von  unterirdischen  Detonationen  begleitet  waren.  Die  düstere  Wolke, 
die  über  dem  Mont  Pele  sichtbar  war,  entsandte  auf  Fort  de  France 
dichten  Aschenregen,  während  Lavaergüsse  aus  dem  Berge  west- 
wärts das  Meer  erreichten,  iind  angeblich  eine  Flutwelle  vom  Meere 
her  kam. 

Am  22.  Mai  war  der  Mont  Feie  wieder  ruhig,  und  der  amerika- 
nische Geologe  Hill  besuchte  die  nördliche  Küste  der  Insel  auf 
einem  Dampfer.  Es  fand  sich,  dass  die  Umrisse  der  Ufer  sich  nicht 
wesentlich  geändert  haben,  und  der  nordöstliche  Teil  der  Insel  prangte 
im  Schmucke  seiner  Vegetation,  auch  waren  die  Ansiedlungen  daselbst 
nicht  von  den  Bewohnern  verlassen  worden.  Die  beiden  Ausbrüche 
sind  eben  relativ  nicht  bedeutend  gewesen  und  durchaus  nicht  mit 
dem  grossartigen  Krakatauausbruche  in  Vergleich  zu  stellen.  Am 
26.  Mai  fand  wiederum  ein  Ausbruch  des  Mont  Feie  statt,  der  einen 
starken  Aschenfall  nordwärts  bis  nach  Lorrain  hervorrief;  auch  in 
der  folgenden  Woche  zeigte  der  Berg  zeitweise  lebhafte  Thätigkeit. 
Am  7.  Juni  erfolgte  eine  sehr  starke  Eruption,  durch  welche  selbst 
in  Fort  de  France  4  Stunden  lang  fast  nächtliche  Dunkelheit  er- 
zeugt wurde. 

Nach  Dr.  Heilprin  ist  das  Lac  des  Palmistes  verschwunden, 
dagegen  nördlich  von  ihm  ein  neuer  Krater  von  150  m  Länge  und 
50  m  Breite  entstanden,  und  ein  ähnlicher  neuer  Krater  hat  sich  im 
Quellgebiete  des  Riviere  Falasse  in  der  Gegend  von  Ajoupa-Bovillon 
gebildet  Die  von  der  Kgl.  Ges.  d.  Wissenschaften  in  London  nach 
Westindien  entsandten  Geologen  J.  Anderson  und  John  S.  Flett  kommen 
zu  dem  Ergebnisse,  ^)  dass  bei  der  Eruption  vom  8.  Mai  eine  Lawine 
glühenden  Sandes  gegen  die  Stadt  St  Pierre  geschleudert  wurde.  Im 
nördlichen  Teile  der  Stadt,  der  in  der  Richtung  auf  den  Vulkan  hin 
liegt,  wurden  die  Bewohner  augenblicklich  getötet,  die  Wände  der 
Häuser  wurden  dem  Boden  gleich  gemacht,  und  die  Stadt  war  in 
einem  Momente  weggeblasen.  Am  Südende  der  Stadt  war  die  Zer- 
störung geringer.  Die  Wände  der  Häuser,  die  dem  Krater  zugewandt 
waren,  waren  demoliert,  die,  welche  nordsüdlich  orientiert  waren, 
standen  noch,  selbst  nach  der  zweiten  Eruption.  ,,In  diesem  Viertel 
waren  gleichfalls  alle  Menschen  getötet,  ausser  einem  Gefangenen, 
der  in  einer  schlecht  ventilierten  Zelle  im  Gefängnisse  eingesperrt  war; 
aber  man  sagte  uns,  dass  man  einige  Minuten.,  nachdem  die  Glut- 
wolke vorübergegangen  war,  Menschen  in  den  Strassen  herumlaufen 


')  Proceedings  of  the  Royal  Society  1902.   70.  p.  423  ff. 


Vulkanismus.  205 

sah,  die  laut  vor  Schmerzen  schrieen,  und  viele  warfen  sich  ins 
Meer,  um  den  Todesqualen  ihrer  Verbrennungen  zu  entgehen.  Es 
muss  daran  erinnert  werden,  dass  ein  schrecklicher  Brand  der  Erup- 
tion folgte,  und  dass  36  Stunden  lang  die  Stadt  ein  brennender 
Haufen  gewesen.  Eine  andere  Eruption  folgte  am  18.  Mai  und  warf 
viele  Gebäude  nieder,  die  stehen  geblieben  waren.  Es  ist  daher 
schwer,  genau  festzustellen,  welches  die  Wirkungen  der  vulkanischen 
Glutwolke  gewesen,  und  was  dem  Brande  zugeschrieben  werden  muss. 
Aber  wir  sahen  genug,  um  uns  zu  überzeugen,  dass  die  heisse  Wolke 
hier  wahrscheinlich  nicht  minder  heftig  gewesen  als  auf  St.  Vincent 
Eine  eiserne  Statue  der  Jungfrau,  die  auf  einem  Steinpiedestal  auf 
der  bewaldeten  Klippe  gestanden,  welche  die  Stadt  überragt,  wurde 
abgebrochen  und  40  Fuss  weggeführt.  Sie  liegt  mit  dem  Kopfe  nach 
dem  Berge  zu,  und  die  Richtung  der  Statue  zeigt,  dass  die  Wolke 
geradenwegs  vom  Krater  über  die  Stadt  zog.  Die  Bäume,  die  in  den 
Strassen  wuchsen,  waren  entwurzelt  und  niedergebrochen.  Viele 
von  ihnen  zeigten  Verkohlung  und  Erosion  an  der  dem  Krater  zuge- 
kehrten Seite,  während  die  Leeseite  noch  mit  der  ursprünglichen 
Rinde  bedeckt  ist.  Während  der  einen  oder  zwei  Minuten,  die  der 
Glutsturm  gedauert,  ist  so  viel  Staub  auf  den  »Roddam«  gefallen, 
dass  der  Hafenmeister  zu  St.  Lucia  angab,  es  seien  120  Tonnen  vom 
Decke  entfernt  worden,  als  das  Schiff  dahin  gekommen  war." 

Vulkanische  Wovg&nge  auf  der  Insel  St.  Vincent  fanden 
nahe  gleichzeitig  mit  den  Eruptionen  auf  Martinique  statt.  Zunächst 
wird  über  St  Vincent  folgendes  berichtet: 

Am  6.  Mai  wurde  der  See  im  alten  Krater  der  Soufriere  unruhig,  und 
am  6.  Mai  gegen  2  Uhr  nachmittags  verspürte  man  heftige  Bodenerschütte- 
ningen  und  vernahm  unterirdisches  Getöse.  Gegen  7  Uhr  abends  entstieg 
dem  Krater  eine  ungeheure  Dampfwolke  bis  Mittemacht.  Am  7.  Mai 
wiederholten  sich  die  Erdstösse  und  Dampfausbrüche.  Gegen  Mittag 
schienen  sich  3  Krater  zu  öffnen,  die  Lava  ausspieen:  6  Lavaströme 
flössen  gleichzeitig  an  den  Hängen  des  Berges  nemnter.  Nach  dem 
ersten  Erscheinen  der  Lava  arbeitete  der  Berg  eine  haJbe  Stunde  lang 
heftig,  während  Blitze  um  die  Ränder  des  Kraters  zuckten.  Die  schnell 
aufeinander  folgenden  Knalle  gingen  bald  in  ein  ununterbrochenes  Getöse 
über.  Dieser  Zustand  dauerte  bis  Freitag  Morgen  an.  Den  Donner  hörte 
man  im  ganzen  karibischen  Meere.  Der  eigentliche  Ausbrach  begann  am 
Mittwoch.  Eine  gewaltige  Wolke  stieg  in  dunklen  Säulen,  mit  vulkanischer 
Materie  geladen,  iSkm  hoch  von  der  Bergspitze  auf  und  verbreitete  eine 
Dunkelheit,  als  wäre  es  Mittemacht.  Die  nüt  Schwefel  (?  ?)  angefüllte 
Luft  war  mit  feinem  Staube  geschwängert.  Einem  schwarzen  Regen  folgte 
ein  weiterer  Regen  von  Schlacken,  Felsstücken  und  Steinen.  Zahlreiche 
furchtbar  helle  Blitze  wurden  beobachtet  und  erhöhten  das  Entsetzen,  das 
durch  das  Erdbeben,  das  Getöse,  die  Lava  und  die  fallenden  Steine  her- 
vorgerufen wurde.  Grosse  Strecken  bebauten  Landes  wurden  begraben. 
Die  Pflanzungen  von  Valibou  und  Richmond  wiurden  mit  den  Dörfem  voll- 
ständig zerstört,  die  erstem  zum  Teil  von  der  See  überflutet.  Alles 
Land  m  diesen  Bezirken  wurde  durchgehend  1  m  hoch  mit  Asche  und  Lava 
bedeckt.  Es  war  nichts  Grünes  mehr  zu  sehen.  Mit  dem  Pflanzenwuchse 
ist  der  ganze  Viehbestand  vemichtet  Die  Gebäude  wurden  zerstört,  die 
Wasserläufe  und  die  Flüsse  versiegten. 


206  Vulkanismus. 

Am  10.  Mai  war  der  Vulkan  wieder  in  Thätigkeit,  Asche  und  Steine 
üelen  bis  in  das  19  Jan  entfernte  Eangstown  nieder.  Der  Annahme  nach 
ist  der  frühere  See  auf  dem  Vulkane  verschwunden.  Am  12.  Mai  war  die 
ganze  Insel  in  Rauch,  Dampf  und  Nebel  gehüllt. 

Ein  Zeitungskorrespondent,  der  sich  an  Bord  des  Dampfers  »Wearc 
befand,  meldet:  »Der  »Wearc  verliess  Santa  Lucia  am  8.  Mai  abends. 
Während  der  ganzen  Reise  waren  die  furchtbaren  Flammen  auf  St  Vincent 
sichtbar.  Nach  Mittemacht  geriet  der  »Wearc  in  heftige  Regen  von  grauer 
Asche,  um  5  Uhr  morgens  erreichte  der  Dampfer  Kingstown.  Man  sah 
jetzt,  dass  sich  der  Vulkan  im  Zustande  andauernder  Eruption  befand. 
Unaufhörlich  erscholl  fürchterlicher  Donner,  und  Blitze  zuckten  ohne  Unter- 
lass  über  die  Stätte  der  Verwüstung.  Die  Zahl  der  Blitzschläge  belief  sich 
auf  60—100  in  der  Minute.  Kingstown,  das  zwölf  englische  Meilen  von 
dem  Vulkane  entfernt  liegt,  war  am  Donnerstag  3  ZoU  hoch  mit  Asche 
und  Steinen  bedeckt;  das  Thal  vor  dem  Vulkane  bildete  zu  dieser  Zeit  einen 
drei  englische  Meilen  breiten  See.  Der  Ausbruch  wurde  zuerst  am  Montag 
beobachtet,  wobei  grosse  Wassermassen  emporschössen.  Die  Bevölkerung 
in  der  nächsten  Umgebung  des  Vulkanes  floh.  Seither  ertönte  das  Donnern 
unaufhörlich  weiter.  Die  Lavaströme  machen  es  unmöglich,  nach  Norden 
zu  eine  Linie  zu  überschreiten,  die  Chateau  Beiair  und  Georgetown  ver- 
bindet. Wo  vorher  ein  Thal  war,  sieht  man  jetzt  einen  riesigen  Hügel. 
Der  ganze  nördliche  Teil  von  St.  Vincent  steht  in  Rauch.  50  Menschen 
wurden,  wie  berichtet  wird,  bei  dem  Versuche,  sich  zu  retten,  vom  Blitze 
erschlagen.  Am  Dienstag  und  Mittwoch  war  die  Insel  völlig  mit  Asche 
überschwemmt.  Am  Donnerstag  ging  ein  anhaltender  Regen  von  heissem 
Sande  und  Wasser  nieder.  Eäne  grosse  Anzahl  Menschen  wurde  längs  der 
Küste  von  Booten  aus  Kingstown  aufgenommen.  Zahlreiche  Flüchtlinge 
waren  bei  ihrer  Ankunft  an  der  Küste  dem  Verschmachten  nahe.  Viele 
von  ihnen  waren  seit  36  Stunden  ohne  einen  Tropfen  Wasser.  Infolge 
des  Wassermangels  ist  alles  Vieh  umgekommen.  Wieviel  Menschenleben 
verloren  sind,  lasst  sich  vorläufig  noch  nicht  mit  Sicherheit  angeben; 
ihre  Anzahl  dürfte  wahrscheinlich  mehrere  Hundert  betragen.  Der  » Wear« 
verliess  Kingstown  um  8  Uhr  morgens  mit  dem  Auftrage,  ein  Hilfsschiff 
von  Beiair  nach  Owia  Carib  zu  schleppen.  Auf  der  Höhe  von  Barroulie 
erhielten  wir  von  der  Küste  die  Meldung,  dass  die  Passage  unmöglich  sei. 
Wir  setzten  trotzdem  unsere  Fahrt  fort  und  hatten  dann  gegenüber  Beiair 
einen  grossartigen  Ausblick  auf  die  Westseite  des  Kraters.  Lavaströme 
flössen  in  allen  Richtungen  den  Berg  herunter  in  die  See.  Der  ungeheure 
Krater  warf  ohne  Unterlass  riesige  Aschenmengen  aus,  die,  von  ihm  hoch 
in  die  Luft  geschleudert,  in  die  See  niederfielen.  Dann  bemerkten  wir 
einen  neuen  We^,  der  sich  eine  halbe  Meile  breit  zur  See  hinabzoj^.  Es 
war  wahrscheinhch  vom  Wasser  abgekühlte  Lava.  Es  war  unmöglich, 
nahe  an  die  Stadt  heranzukommen.  Die  See  war  dicht  mit  Bäumen  und 
Trümmern  bedeckt.  Wir  versuchten,  durch  den  Aschenregen  hindurch  nach 
der  Stadt  Santa  Lucia  vorzudringen,  fanden  es  aber  unmöglich,  da  wir 
Oefahr  liefen,  zu  ersticken.  Am  Horizonte  war  nichts  weiter  als  ein  dichter 
Guss  von  Asche,  Schlamm  und  andern  Dingen  zu  sehen,  der  wie  eine 
riesige  Mauer  aussah.  Wir  machten  Kehrt  und  dampften  luvwärts  um  die 
Insel.  Gegenüber  Georgetown  gerieten  wir  in  einen  Sturmwind,  der  Rauch 
und  Trümmer  nordwärts  trieb  und  uns  einen  klaren  Überblick  über  den 
heimgesuchten  Bezirk  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  gestattete.  Ausser  dem 
grossen  Krater  waren  noch  viele  kleine  in  Thätigkeit  Eine  Anzahl  Lava- 
ströme sah  man  in  einer  Breite  von  einer  halben  Meile  der  See  zufliessen. 
Wir  fuhren  dicht  bei  Georgetown  vorbei  die  Küste  entlang  nach  Santa 
Lucia,  entdeekten  aber  kein  Lebenszeichen. c 

Der  Vulkan  auf  St.  Vincent  warf  bei  dieser  Gelegenheit  eine  unge- 
heure Menffe  Asche  aus,  so  dass  auf  Barbados  Strassen,  Häuser  und 
Bäume  zollhoch  mit  vulkanischem  Staube  bedeckt  wurden. 


Valkanismus.  207 

Um  3  Vi  Uhr  nachmittags  am  7.  Mai  begann  auf  Barbados  ein  dichter 
Aschenregen  zu  fallen,  der  den  Tag  in  Nacht  verwandelte  und  ununter- 
brochen bis  zimi  Mittage  des  8.  anhielt.  Am  Nachmittage  des  7.  Mai  hatte 
man  in  Barbados  entfernten  Donner  gehört,  und  dann  brachte  der  Telegraph 
die  Nachricht  von  dem  um  Vi  2  Uhr  erfolgten  Ausbruche  der  Soufriere  auf 
St  Vincent.  Der  aus  pulverförmiger  Lava  bestehende  Staub  muss  von  dem 
Vulkane  bis  über  den  Passatwind  hinaus  in  eine  höhere  Luftströmung  ge- 
schleudert worden  sein,  die  sie  dann  entgegen  der  Richtung  des  untern 
Passats  100  Meilen  weit  nach  Barbados  getragen  hat  Der  Staub  drang 
überall  ein,  selbst  in  festverschlossene  Wohnräume,  und  draussen  bedeckte 
er  alles  mit  einer  2  Zoll  hohen  gjrauen  Schicht.  Zeitweise  erfolgten  auch 
elektrische  Entladungen.  Ein  gleicher  Aschenregen  entlud  sich  über  Bar- 
bados am  1.  Mai  1812,  ebenfalls  nach  einem  Ausbruche  der  Soufriere. 

Am  18.  und  19.  Mai  war  die  Soufriere  von  neuem  thäüff,  der  Boden 
der  Insel  zitterte,  und  Aschenmassen  sowie  Lava  entstiegen  dem  Schlünde 
und  ungeheure  Steinmassen  wurden  ausgeworfen.  Seitdem  ist  der  Berg 
von  mehrem  Personen  bestiegen  worden,  die  den  See  auf  seinem  Gipfel 
nicht  mehr  vorfanden,  sondern  an  seiner  Stelle  eine  600 f»  tiefe  Höhlung. 
Auch  bemerkten  sie  einen  neuen  Krater,  der  Dampf  ausströmte. 

Im  Auftrage  der  Egl.  Ges.  der  Wissenschaften  zu  London  haben 
Tempest  Anderson  und  John  S.  Flett  die  Insel  St.  Vincent  besucht 
und  einen  wissenschaftlichen  Bericht  über  die  Vorgänge  daselbst 
erstattet,  ^)  dessen  wesentlicher  Inhalt  nachstehend  wiedergegeben  ist 

Das  Rückgrat  der  Insel  St  Vincent  bildet  einen  bis  zu  1300  m 
Höhe  aufsteigenden  Gebirgszug,  der  aus  vulkanischem  Gesteine  be- 
steht, doch  ist  die  unterirdische  Thätigkeit  im  Süden  der  Insel  an- 
scheinend völlig  erloschen.  Im  Norden  erhebt  sich  dagegen  der 
Vulkan  Soufriere  bis  zu  1230  m  Höhe  und  tragt  in  seinem  Gipfel 
einen  nahezu  kreisförmigen  Krater  von  etwa  1600  m  im  Durchmesser. 
Auf  dem  Nordostwalle  dieses  Kraters  befindet  sich  ein  zweiter, 
kleinerer,  von  etwa  500  m  Durchmesser,  und  es  wird  behauptet, 
dass  dieser  .neue*^  Krater  bei  einer  Eruption  im  Jahre  1812  ent- 
standen sei.  Den  Ausbrüchen  des  gegenwärtigen  Jahres  gingen 
wiederholte  Erderschütterungen  vorauf.  Am  6.  Mai  bemerkten  die 
Anwohner  auf  der  Leeseite  des  Vulkanes  die  ersten  Zeichen  der 
Thätigkeit  desselben  in  Gestalt  von  Dampf ausströmungen ;  an  der 
entgegengesetzten  Seite  aber  war  der  Berg  in  seinen  obem  Teilen 
von  Wolken  verhüllt  Auf  dieser  Seite  hatte  man  deshalb  keine 
Ahnung  von  der  bevorstehenden  Gefahr,  und  als  man  diese  am  fol- 
genden Tage  erkannte,  waren  die  sonst  gewöhnlich  trocken  liegenden 
Schluchten  und  Rinnsale  bereits  mit  heissem  Wasser  gefüllt,  das 
vom  Vulkane  herabgekommen  war.  So  wurde  vielen  Menschen  der 
Weg  zur  Rettung  abgeschnitten,  und  die  folgende  Katastrophe  ver- 
ursachte den  Tod  von  über  2000  Personen.  Nach  dem  Zeugnisse 
der  an  der  Südwestseite  des  Vulkanes  wohnenden  Ansiedler  vernahm 
man  am  6.  Mai  2  Uhr  40  Min.  nachmittags  eine  heftige  Explosion, 
nach    der   mächtige   Dampfwolken    aus    dem    grossen   Krater   sich 

^)  Prooeedings  of  the  Royal  Society  1902.  7a  p.  428—446. 


208  Vulkanismus. 

in  die  Luft  erhoben.  Zwei  Stunden  später  leuchtete  der  untere  Teil 
dieser  Wolken  in  rotem  Feuer,  und  um  Mittemacht  erblickte  man 
Flammen  am  Rande  des  Kraters.  Als  der  Morgen  des  7.  Mai  an- 
brach, zeigten  sich  über  dem  Vulkane  ungeheure  pilzförmig  gestaltete 
Rauchmassen,  die  bis  zu  gewaltigen  Höhen  emporstiegen  und  vom 
Nordostpassate  fortgetragen  wurden.  Mit  zunehmender  Tagesstunde 
wurde  der  Ausbruch  heftiger,  und  die  Dampfwolken  erschienen  von 
Blitzen  durchzuckt,  gleichzeitig  sah  man,  dass  dunkle  Materien  und 
Steine  aus  dem  Hauptkrater  geschleudert  wurden.  Um  Mittag  stürzten 
durch  mehrere  Schluchten  grosse  Mengen  siedenden  Wassers  herab, 
jedoch  weder  Schlammmassen,  noch  Laven.  So  blieb  unter  furchte 
barem  Getöse  die  Thätigkeit  des  Vulkanes  bis  2  Uhr  nachmittags, 
dann  aber  ereignete  sich  ein  Vorgang,  der  noch  niemals  beobachtet 
worden  war.  Man  hörte,  so  berichtete  den  beiden  Forschern  ein 
Augenzeuge,  heftiges  Poltern  und  sah  dann  eine  schwarze  Masse, 
die  einen  Hagel  von  Steinen  ostwärts  hin  entsandte  und  gleich  einem 
unermesslichen,  rötlichen  Vorhange  gegen  Richmond  Estate  heran- 
rückte. Es  war  ein  Strom  heisser  Luft,  beladen  mit  glühendem 
Sande,  der  verderbenbringend  mit  ungeheurer  Geschwindigkeit  vom 
Berge  herabkam,  alle  lebendigen  Wesen,  die  in  seiner  Bahn  waren, 
erstickend  oder  verbrennend  und  die  Vegetation  vernichtend.  Auf 
der  Leeseite  der  Küste  waren  die  Anwohner  schon  vorher  geflohen, 
aber  wer  noch  in  den  Bereich  des  heissen  Luftstromes  kam,  musste 
sterben.  Bei  Richmond  lag  ein  Boot  am  Ufer;  als  die  Wolke  kam, 
regnete  sie  Sand  in  dasselbe,  der  glühend  heiss  war,  und  wo  er 
in  die  See  fiel,  das  Wasser  zum  Aufzischen  brachte.  Es  herrschte 
währenddessen  vollständig  nächtliches  Dunkel,  und  die  Insassen  des 
Bootes  vermochten  sich  nur  dadurch  vor  der  Hitze  der  Luft  zu  retten, 
dass  sie  im  Wasser  untertauchten  und  dies  so  lange  wiederholten, 
bis  die  Luft  wieder  atembar  wurde.  Sie  gaben  diesen  Zeitraum  auf 
2  Minuten  an,  höchstwahrscheinlich  aber  war  er  selu*  viel  kürzer. 
Auf  der  Windseite  der  Insel  hatte  man  noch  am  Morgen  des  7.  Mai 
die  Wolken  um  den  Gipfel  des  Vulkanes  für  gewöhnliche  Gewitter- 
wolken gehalten,  aber  mittags  war  diese  Täuschung  geschwunden, 
und  die  noch  anwesenden  Arbeiter  in  den  Pflanzungen  flohen  auf 
Georgetown  zu.  Um  2  Uhr  begann  feine  Asche  zu  fallen,  dann 
kamen  auch  grössere  Steine,  zuletzt  aber  sah  man  die  schwarze 
Wolke  mit  rasender  Schnelligkeit  den  Berg  hinabstürzen,  und  nun 
flüchtete  alles  in  die  nächst  gelegenen  Häuser  und  Schutzstätten, 
wo  die  Menschen  sich  so  zusammendrängten,  dass  später  in  einem 
einzigen  kleinen  Zimmer  87  Leichen  gefunden  wurden.  Augenzeugen 
versicherten,  die  schwarze  Wolke  sei,  von  Blitzen  durchzuckt,  ins 
Meer  hinabgerollt,  und  während  ihres  Vorüberganges  war  auch  in 
gewisser  Entfernung  von  ihr  der  vorbeifegende  Luftstrom  tödlich 
heiss  und  mit  heissem  Sande  beladen.  Manche  überdauerten  den 
nur  wenige  Minuten    anhaltenden    Vorgang,    um   doch   nach   kurzer 


Vulkanismus.  209 

Zeit  zu  sterben;  viele,  besonders  solche,  welche  sich  in  die  Keller 
geflüchtet  oder  Thüren  und  Fenster  verschlossen  hatten,  kamen  mit 
dem  Leben  davon,  offenbar  weil  sie  die  glühend  heisse  Luft  nicht 
eingeatmet  hatten.  Der  ganze  nördliche  Teil  der  Insel  war  in  dichte 
Finsternis  gehüllt,  und  aus  der  Luft  regneten  Sand,  Asche  und  Steine, 
letztere  so  heiss,  dass  sie  die  Dächer  einzelner  Hütten  bei  George- 
town in  Brand  setzten.  Ununterbrochen  zitterte  die  Erde.  Die  vom 
Vulkane  ausgeworfene  Asche  wurde  zum  Teile  bis  in  die  Region  des 
obem  Passats  geschleudert  und  von  diesem  ostwärts  getragen,  so 
dass  sie  gegen  5^/^  Uhr  nachmittags  die  Insel  Barbados  erreichte, 
wo  am  andern  Morgen  der  Boden  damit  bedeckt  erschien.  Während 
dieser  ganzen  Zeit  stiess  der  Vulkan  schiefergraue  Dampfwolken  aus, 
und  selbst  aus  den  Schluchten  auf  seiner  Südseite  stieg  Dampf  auf. 
Man  glaubte  anfangs,  dort  hätten  sich  Spalten  gebildet,  denen  Lava 
entstiegen  sei,  allein  der  Dampf  entstand  lediglich  aus  dem  Wasser, 
welches  den  heissen  Sand  durchströmte,  der  die  Abläufe  verstopfte. 
Am  15.  Mai  war  der  Berg  ruhig  und  wolkenfrei,  nur  in  den  Schluchten 
machten  sich  noch  Dampf explosionen  bemerkbar,  aber  am  18.  geriet 
er  wieder  in  Aufruhr.  Heftige  Detonationen  erschollen,  Finsternis 
herrschte  an  der  Leeseite  des  Vulkanes,  und  Aiehrere  Stunden  lang 
fielen  Sand  und  Asche  in  reichlicher  Menge.  Am  8.  Juni  langten 
die  beiden  von  der  Königlichen  Gesellschaft  abgesandten  Geologen 
auf  der  Insel  an  und  nahmen  zunächst  ihren  Aufenthalt  in  Ghateau- 
belair,  wo  ihnen  für  ihre  Arbeiten  ein  Haus  zur  Verfügung  gestellt 
wurde.  Sie  fanden  die  Umgebung  des  Vulkanes  mit  feinem  dunkeln 
Sande  bedeckt,  der  viele  vulkanische  Bomben  und  Blöcke  aus  den 
Gesteinen  des  Berges  umschloss.  Das  gröbere  Material  bestand  aus 
Andesit,  und  die  ausgeworfenen  Blöcke  waren  verwitterte  Andesite 
oder  Andesittuffe ,  wie  sie  an  den  Kraterwänden  zutage  treten;  die 
grössern  Bomben  erschienen  stark  glänzend  und  auf  dem  Bruche 
glasig.  Bimsstein  wurde  nur  wenig  gefunden,  dagegen  vielfach  fein- 
kömiges,  erhärtetes  Sediment,  das  wahrscheinlich  dem  Schlamme  am 
Boden  des  frühem  Kratersees  oder  Schichten,  die  in  altern  vul- 
kanischen Bänken  eingelagert  waren,  entstammt.  An  andern  Stellen 
fanden  sich  Blöcke,  die  ein  grobkörniges  Aggregat  von  Feldspat 
und  Hornblende  bilden,  sehr  brüchig  sind  und  den  Saniditen  der 
Eifel  und  anderer  vulkanischer  Gegenden  ähneln.  Die  Aschen- 
ablagerungen erreichten  in  der  Nähe  von  Georgetown  eine  Mächtig- 
keit von  0,3 — 1  w,  an  den  höhern  Gehängen  des  Berges  aber  das 
Vier-  oder  Fünffache.  Ein  breites,  tiefes  Thal  auf  der  Südseite  der 
Soufriere  hat  den  grössten  Teil  der  Auswürflinge  des  Vulkanes  auf- 
genommen und  erschien  mit  Sand,  Bomben  und  Blöcken  angefüllt, 
ebenso  eine  früher  65  m  tiefe  Schlucht  auf  der  Westseite  und  an 
den  Thälem.  Die  beiden  Forscher  kommen  zu  dem  Schlüsse,  dass 
unter  heftigen  Windstössen  eine  ungeheure  Menge  glühend  heissen 
Sandes  dort  lawinengleich  herabgestürzt  sei,  die  Schluchten  ausge- 
Klein,  Jahrbuch  Xm.  14 


210  Vulkanismus. 

füllt  und  auf  dem  trennenden  Bergrücken  alles  fortgefegt  habe, 
worauf  ein  stundenlanger  Regen  vulkanischen  Materiales  folgte,  der 
die  ganze  Gegend  mit  Staub  und  Schlacken  bedeckte.  Als  die  beiden 
Geologen  den  Vulkan  bestiegen,  fanden  sie  zunächst  in  den  Zucker- 
rohrfeldem  von  Rabaca  den  Boden  über  1  m  hoch  mit  Sand  und 
Schlacken  bedeckt  und  die  Bäume  durch  die  gefallene  Asche  der 
Blätter  beraubt,  aber  sonst  nur  wenig  beschädigt.  Das  Holz  der 
dort  stehenden  Häuser  erschien  nicht  verbrannt,  aber  manche  Dächer 
waren  infolge  des  Gewichtes  der  darauf  gefallenen  Aschenmassen 
eingedrückt.  Zahlreiche  Menschen  waren  in  diesem  Gebiete  umge- 
kommen, und  die  Überlebenden  schilderten  die  grauenhafte  schwarze 
Wolke,  welche  das  Verderben  brachte.  Höher  hinauf  fanden  sich 
an  vielen  Bäumen  die  Äste  gebrochen,  auch  die  Negerhütten  ver- 
brannt; offenbar  war  dort  der  Luftstrom  heisser  gewesen,  doch 
nicht  so  sehr,  dass  er  das  grüne  Holz  der  Bäume  verkohlen  konnte. 
In  noch  grossem  Höhen,  von  etwa  350  m,  waren  dagegen  die  Bäume 
niedergebrochen  und  die  Äste  fortgefegt;  schwarzer  Sand  bedeckte 
den  Boden  der  Zuckerfelder,  und  es  zeigte  sich  deutlich,  dass  hier 
die  heisse  Luft  mit  Sturmesstärke  aufgetreten  sein  musste.  Weiter 
aufwärts  fanden  sich  die  grössten  Bäume  entwurzelt,  selbst  solche 
mit  Stämmen  von  3  m  und  darüber  im  Durchmesser ;  alle  wiesen  mit 
den  Kronen  thaJwärts,  während  die  Wurzeln  dem  Berggipfel  zuge- 
kehrt waren.  Die  meisten  Stämme  erschienen  oberflächlich  verkohlt, 
manche  aber  auch  bis  tief  ins  Innere.  Wo  an  der  untern  Grenze 
dieser  Region  hin  und  wieder  Stämme  oder  Äste  stehen  geblieben 
waren,  zeigten  sich  diese  ausnahmslos  an  der  dem  Krater  zuge- 
wandten Seite  verbrannt  und  verkohlt,  an  der  andern  war  dagegen 
die  Rinde  nur  abgeschält  und  trocken.  In  der  Höhe  von  500  m 
waren  von  der  üppigen  tropischen  Vegetation,  die  ehedem  den  Berg 
bis  zum  Gipfel  bedeckte,  nur  noch  Reste  abgebrochener  und  im 
schwarzen  Sande  vergrabener  Baumstämme  zu  finden.  Die  obersten 
Teile  des  Berges  endlich  stellten  eine  völlige  Wüste  dar,  bedeckt 
von  2 — 4  m  mächtigen  Schichten  feinen  vulkanischen  Sandes,  in 
dem  sich  Bomben  und  Blöcke  zeigen,  hier  und  da  auch  die  in  Kohle 
verwandelten  Reste  verbrannter  Baumstämme,  aber  nichts,  was  einen 
Anhalt  bieten  konnte  zur  Beurteilung  der  Geschwindigkeit  des  Stromes 
glühender  Luft,  der  über  diese  Region  hinweggefegt  war.  In  einer 
Entfernung  von  vier  englischen  Meilen  vom  Krater  wurde  diese  Ge- 
schwindigkeit zu  30 — 60  Am  in  der  Stunde  geschätzt,  tiefer  unten 
verlangsamte  sie  sich.  Die  beiden  Forscher  betonen,  dass  dieser 
Schwall  bei  seinem  Hinabsausen  von  den  Unregelmässigkeiten  des 
Bodens  beeinflusst  wurde.  Der  Kraterwall  ist  im  Norden  höher  als 
auf  der  südlichen  Seite;  infolgedessen  hat  sich  die  Lawine  heissen 
Sandes  fast  wie  eine  Flüssigkeit  über  diesen  Teil  des  Kraterrandes 
ergossen  und  stürzte,  dem  steilsten  Gefälle  folgend,  durch  das  tiefe 
offene  Thal  zwischen  der  Soufriere  und  dem  Morne  Garu  abwärts, 
stets  am  Thalboden  klebend,    wie    ein   reissender  Strom.     Derselbe 


Vulkanismus.  211 

folgte  weiter  den  Thälem  der  Flüsse,  die  von  dem  Berge  herab- 
kommen,  und  füllte  sie  aus,  aber  ein  Teil  der  Sandmassen  stieg  in 
seinem  rasenden  Laufe  an  den  Flanken  des  Morne  Garu  wieder 
empor  und  verheerte  dort  die  Waldungen.  Aus  den  Richtungen  der 
gefällten  Stamme  lässt  sich  schliessen,  dass  der  heisse  Sand-  und 
Luftstrom  sich  hier  spaltete,  ein  Teil  drang  ostwärts,  der  andere 
westwärts  nach  oben.  Der  Berg  aber  schützte  die  hinter  ihm 
liegende  Gegend :  auf  der  Nordseite  ist  alles  verbrannt  und  vernichtet, 
die  südlichen  Abhänge  aber  prangen  im  Glänze  der  tropischen  Vege- 
tation. Die  Bewegung  der  vulkanischen  Sandmassen  zeigte  in  diesem 
Falle  die  vollständigste  Übereinstimmung  mit  den  Bewegungen ,  die 
man  in  der  Schweiz  gelegentlich  mancher  Bergstürze  beobachtet  hat, 
bei  denen  ebenfalls  die  zu  Thale  donnernden  Massen  an  entgegen- 
stehenden Höhen  emporbrandeten.  Auch  die  stürmischen  Luftstösse 
sind  in  diesen  Fällen  wesentlich  auf  die  gleichen  Ursachen  zurück- 
zuführen, nur  war  beim  Ausbruche  der  Soufriere  die  Luft  sehr  heiss, 
weil  sie  durch  die  glühenden  Sandteilchen  erhitzt  wurde.  Der 
Vulkan  selbst  hat  seine  Gestalt  infolge  der  Eruption  nur  äusserst 
v^enig  geändert.  Selbst  der  grosse  und  der  kleine  Krater  haben  ihre 
frühere  Form  und  Grösse  bewahrt,  und  von  der  Insel  ist  nur  an 
einer  Stelle  der  Küste  ein  schmaler  Streifen  verschwunden. 

Anderson  und  Flett  finden,  dass  der  Vulkan  Soufriere  und  der 
Mont  Pelee  dem  gleichen  Typus  angehören;  es  sind  einfache  Kegel 
mit  einer  grossen  Esse  nahe  dem  Gipfel  und  ohne  parasitische 
Krater.  Sie  sind  beide  tief  eingekerbt  durch  Schluchten,  und  an 
ihren  Südwestseiten  liegt  ein  breites  Thal,  das  auf  Martinique  von  der 
Stadt  St.  Pierre,  auf  St.  Vincent  von  dem  Wallibuthale  eingenommen 
wird.  In  diesen  Thälem  war  die  Zerstöning  am  umfangreichsten. 
Auf  beiden  Inseln  waren  die  jüngsten  Eruptionen  charakterisiert  durch 
paroxysmenartige  Entladungen  von  heissen  Aschen  und  ein  voll- 
ständiges Fehlen  von  Lavaströmen.  In  St  Vincent  aber  war  die  Masse 
des  ausgeworfenen  Materiales  viel  grösser,  und  ein  beträchtlich  grösseres 
Areal  des  Landes  ist  zerstört  worden  als  auf  Martinique.  Dass  der  Ver- 
lust an  Leben  nicht  so  gross  gewesen,  kann  erklärt  werden  durch  das 
Fehlen  einer  volkreichen  Stadt  am  Fusse  des  Berges.  Wäre  St.  Pierre  an 
der  Mündung  des  Wallibuthales  angelegt,  es  wäre  zweifellos  nicht  minder 
vollständig  zerstört  worden.  Auf  dem  Mont  Pelee  hat  sich  ein  Spalt  an 
der  Südseite  des  Berges  geöffnet  zwischen  dem  Gipfel  und  St.  Pierre,  aus 
dem  die  Glutwolke  ausgestossen  wurde,  die  die  Stadt  erdrückte,  während 
auf  der  Soufriere  die  alten  Offnungen  verwendet  wurden.  Die  Eruption 
des  Pelee  begann  mit  dem  Fliessen  von  Schlammlaven,  in  St  Vincent 
hingegen  wurden  keine  solchen  gesehen.  Anderseits  war  die  Glut- 
wolke, die  über  die  dem  Verderben  geweihte  Stadt  niederfegte,  im 
wesentlichen  derjenigen  der  Soufriere  ähnlich.  Beide  Eruptionen  er- 
zeugten hauptsächlich  heissen  Sand  unil  Staub,  mit  einer  kleinen 
Menge  von  Bomben  und  ausgeworfenen  Blöcken. 

14* 


212 


Vulkanismus. 


Der  eigentümlichste  Charakterzug  dieser  Eruption  ist  aber  die 
Lawine  glühenden  Sandes  und  die  grosse,  schwarze  Wolke,  die  sio 
begleitete.  ,yDie  Vorstadien  der  Eruption,  welche  einige  Tage  oder 
nur  einige  Stunden  einnehmen  können,  bestehen  in  Ausbrüchen  von 
Dampf,  feinem  Staube  und  Steinen  und  in  der  Entladung  der  Krater- 
seen als  Ströme  von  Wasser  oder  Schlamm.  Hierin  ist  nichts  Un- 
gewöhnliches, aber  sobald  der  Kraterschlund  vollständig  entleert 
und  der  Höhepunkt  der  Eruption  erreicht  ist,  hebt  sich  eine  Masse 
glühender  Lava  und  quillt  über  den  Kraterrand  in  Form  einer  Lawine 
von  rotglühendem  Staube.  Es  ist  eine  Lava,  die  in  Stücke  geblasen 
ist  durch  die  Ausdehnung  der  Gase,  die  sie  enthält.  Sie  stürzt  an 
den  Gehängen  des  Hügels  nieder  und  führt  mit  sich  einen  schrecken- 
verbreitenden  Blast,  der  alles  auf  seinem  Wege  niedermäht.  Das 
Gemisch  von  Staub  und  Gas  verhält  sich  in  vielen  Beziehungen  wie 
eine  Flüssigkeit.  Die  genaue  chemische  Zusammensetzung  dieser 
Gase  ist  noch  unbestimmt.  Sie  bestehen  scheinbar  hauptsächlich 
aus  Dampf  und  schwefliger  Säure.  Viele  Gründe  machen  es  un- 
wahrscheinlich, dass  sie  viel  Sauerstoff  enthalten  hat,  und  das  Atmen 
war  daher  in  ihnen  ganz  unmöglich.'* 

Die  Zusammensetzung   des   bei  den   Ausbrüchen   auf 

den  Antillen  ausgeworfenen  Staubes«  Eine  Zusammenstellung 
der  in  englischen  und  französischen  Berichten  gegebenen  Daten  über 
diese  Auswurfserzeugnisse  giebt  folgende  Tabelle.^) 


Staub  von 

St.  Vincent 

Staub  Ton 

Asche  vom 

Mont  Pel6 

Andesit 

vom  7.  Mal  iwsi 
nach  L.  Smith. 

Barbados 

von  1902 

von  1851 

(Hypersth.) 
vom  Mount 

insgesamt 

hierv.  ISsl. 

vom  12.  Mai 

nach 

Shasta  in 

i.  Salzsäure 

1902 

A.  Lacroix 

Kalifornien 

Kiesel- 

Reat 

51.523 

erde 

be- 
stimmt 

11 

— 

0.108 

53.00 

59.40 

60.15 

62.00 

Titanoxyd 

1.000 

8.  Thonerde 

— 

0.30 

0.39 

0.17 

Eisenoxyd 

6.372 

2.890 

2.95 

0.77 

2.79 
3.33 

4.40 

Eisenoxvdul 
Thonerde 

— 

1.630 

4.45 

4.59 

21.648 

12.460 

20.75 

18.51 

18.31 

17.84 

Magnesia 

4.716 

0.778 

3.50 

2.45 

2.88 

2.64 

10.000 

5.940 

10.00 

6.87 

5.75 

5.37 

Ka.1i 

0.675 

0.085«) 

1.10 

0.86 

1.61 

1.47 

Natron 

3.551 

1,155 

3.10 

3.77 

3.11 

4.29 

Phosphor- 

0.141 

0.038«) 

Spuren 

— 

— 

0.29 

säureanhydrid 

Schwefel- 

0.124 

0.124 

— 

— 

— 

— 

Bäureanhydrid 

G]ühverlu8t 

0.060 





3.12 

3.00 

1.66 

Wasser 
Sui 

0.190 

— 

— 

— 

— 

— 

nme 

100.000 

25.208 

99.35 

100.64 

101.32 

100.13 

»)  Potonies  Wochenschrift  1902.  p.  621. 

«)  Hiervon  0.028  in  l^/^iger  Citronensäure  löslich. 

«)  Hiervon  0.022  in  l^^/^iger  Citronensäare  löslich. 


Vulkanismus.  213 

Über  die  am  7.  Mai  vom  Vulkan  Soufriere  ausgeworfene  vul- 
kanische Asche  macht  auch  G.  Klein  einige  Mitteilungen.  ^)  Hiernach 
ist  dieselbe  in  Bezug  auf  ihre  mineralogische  Zusammensetzung  nicht 
wesentlich  verschieden  von  der  des  Gesteins  vom  Fort  de  France 
und  der  Soufriere  (Guadeloupe). 

Die  geographische  Bedeutung  der  mlttelamerlkanlschen 
Vulkane.  Die  Erdbeben  und  Vulkanausbrüche,  die  im  Jahre  1892 
auf  den  Antillen  und  in  Mexiko  so  grosse  Verheerungen  angerichtet, 
haben  die  Aufmerksamkeit  weiterer  Kreise  auf  die  zahlreichen  Vulkane 
gelenkt,  die  das  östliche  und  vor  allem  das  westliche  Gestade  des 
Karibischen  Meeres  umsäumen.  Die  schlimmen  Wirkungen  dieser 
Feuerberge  wurden  dabei  so  gut  wie  ausschliesslich  in  Betracht  ge- 
nommen. Inzwischen  hat  sich  einer  der  besten  Kenner  der  mittel- 
amerikanischen Vulkane,  Professor  Karl  Sapper  in  Tübingen,  in 
einer  Fachsitzung  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin  über  die 
Bedeutung  verbreitet,  welche  die  mittelamerikanischen  Vulkane  als 
gewaltige  Oberflächengebilde  auf  das  Klima  und  die  biologischen 
Verhältnisse  ihrer  Umgebung  ausüben,  sowie  über  die  wirtschaftlichen 
Folgen,  die  unmittelbar  oder  mittelbar  durch  die  vulkanische  Thätig- 
keit  veranlasst  werden.  Unter  diesen  bisher  wenig  beachteten,  rein 
geographischen  Gesichtspunkten  erscheinen  die  mittelamerikanischen 
Vulkane  trotz  ihrer  gelegentlichen  Verheerungen  geradezu  als  Wohl- 
thäter  dieser  Gebiete.  Ihre  Entstehung  hat  zunächst  einen  bedeutenden 
Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Küstenlinie  ausgeübt  und  nennens- 
werte klimatische  Differenzierungen  zustandegebracht  Die  höchsten 
Vulkangipfel  Mittelamerikas  reichen  bis  in  die  Region  gelegentlichen 
Schneefalles,  und  die  Besiedlung  ihrer  Abhänge  durch  Pflanzen 
brachte  eine  bunte  Mannigfaltigkeit  in  die  streckenweise  recht  ein- 
förmigen biologischen  Verhältnisse  der  benachbarten  pazifischen  Ge- 
biete. Die  reihenförmige  Anordnung  und  enge  Zusammendrängung 
der  mittelamerikanischen  Vulkane  bewirkt  weiter,  dass  diese  an 
vielen  Stellen  geradezu  als  Klimascheiden  auftreten,  und  dass  die 
natürliche  Klimagrenze  zum  Teil  wesentlich  verschoben  ist.  Auf 
die  Entwickelung  des  Verkehrswesens  wirken  die  Vulkanberge  meistens 
hindernd  ein,  zwingen,  besonders  wo  sie  eng  gedrängt  stehen,  den 
Verkehr  zu  beträchtlichen  Umwegen  und  veranlassen  auch  bedeutende 
Steigungen.  In  einzelnen  Fällen  kommt  es  sogar  vor,  dass  ein  Weg 
leichter  über  den  Vulkanberg  hinweg  als  an  ihm  vorbeigeführt 
werden  kann,  und  Professor  Sapper  weist  als  Beispiel  auf  die 
Hauptverkehrsstrasse  von  Cartago  nach  dem  Tieflande  von  St  Clara 
in  Costarika  hin,  die  über  den  Gipfel  des  Irazu  hinwegführt.  Lava- 
ströme verursachen  in  frischem  Zustande  oft  beträchtliche  Er- 
schwerungen des  Verkehrs,    auf  der  andern  Seite   bilden  alte  Laven 


^)  Sitzber.  der  K^.  Preuäs.  Akad.  der  ^iss.  1902.   4L   p.  998. 


214  Vulkanismus. 

aber  auch  sehr  geschätzte  Materialien  für  die  verschiedensten  Bauten. 
Die  Verwüstungen,  welche  die  noch  thätigen  Vulkane  gelegentlich 
anrichten,  sind  in  Bezug  auf  Verluste  von  Menschenleben  oft  recht 
traurig,  aber  Professor  Sapper  betont,  dass  die  nachhaltige  Wirkung 
dieser  Ereignisse  geringfügig  ist,  indem  rasch  neue  Lebewesen  an 
Stelle  der  umgekommenen  treten,  eine  neue  Pflanzendecke  sich  wieder 
einstellt  und  oft  sogar  mit  erhöhter  Üppigkeit  gedeiht,  weil  die  an 
Nährsalzen  reichen  Aschen  bei  genügender  Feuchtigkeit  als  Düngung 
wirken.  In  dem  wirtschaftlichen  Leben  und  den  Siedlungsverhältnissen 
der  Bevölkerung  zeigt  die  vulkanische  Thätigkeit  die  deutlichste 
Einwirkung.  Erdbeben  im  Gefolge  der  Ausbrüche  haben  wiederholt 
zur  Verlegung  von  Städten  geführt,  und  ganz  allgemein  beeinflusst 
die  stete  Gefahr  plötzlicher  und  grosser  Erderschütterungen  die  Bau- 
weise der  Häuser.  Die  meisten  Wohngebäude  sind  einstöckig,  und 
für  grössere  Gebäude  werden  vielfach  besondere  Konstruktionen 
gewählt,  um  den  Erdbeben  bessern  Widerstand  zu  leisten.  Ungleich 
bedeutender  als  die  Thätigkeit  der  Vulkane  in  historischer  Zeit  ist 
der  Einfluss,  den  die  lockern  vulkanischen  Auswürflinge  auf  Verkehrs- 
wesen, Wirtschaftsweise  und  Bevölkerungsdichtigkeit  ausgeübt  haben, 
sowohl  infolge  ihrer  ungemeinen  Verbreitung  als  auch  wegen  ihrer 
Eigentümlichkeiten.  Die  starke  Wasserdurchlässigkeit  dieser  Ab- 
lagerungen hindert  da,  wo  sie  in  grosser  Mächtigkeit  auftreten,  den 
Baumwuchs,  und  Ackerbau  ist  dort  nur  in  feuchten  Klimaten,  oder 
wo  künstliche  Bewässerung  angewandt  werden  kann,  ertragreich. 
Aber  selbst,  wo  in  jenen  Gebieten  starke  Niederschläge  fallen,  herrscht 
Wasserarmut,  und  manchmal  muss  das  Trinkwasser  meilenweit  durch 
Lasttiere  herbeigeschafft  werden.  Wegen  ihres  Reichtums  an  Nähr- 
salzen wirken  indessen  leichte  Lagen  feiner  vulkanischer  Aschen, 
wo  sie  den  Pflanzen  den  Zugang  zu  minder  durchlässigem  feuchten 
Boden  gestatten,  höchst  günstig.  Es  ist,  wie  Professor  Sapper 
hervorhebt,  bezeichnend,  dass  der  wichtigste  Ausfuhrartikel  Mittel- 
amerikas (Kaffee)  vorzugsweise  von  vulkanischem  Boden  herstammt 
Diese  Bodenart  ist  unter  sonst  günstigen  physikalischen  Bedingungen 
und  bei  hinreichender  Feuchtigkeit  geeignet,  viele  Jahre  hindurch 
immer  wieder  mit  gutem  Erfolge  den  Anbau  von  Feldfrüchten  zu  ge- 
statten, während  der  nicht  vulkanische  Boden  vielfach  nach  ein- 
maligem Anbaue  beim  Fehlen  der  Düngung  eine  mehrjährige  Brachzeit 
verlangt.  Deshalb  übt  der  vulkanische  Boden  einen  stark  verdichtenden 
Einfluss  auf  die  Bevölkerung  aus.  In  der  Nähe  der  Vulkanreihe 
zieht  sich  weithin  durch  Mittelamerika  eine  ziemlich  breite  Zone 
dichtester  Bevölkerung,  und  selbst  in  vulkanfemen  Gegenden  ruft 
das  Auftreten  vulkanischen  Bodens  gleichzeitig  auch  Inseln  grösserer 
Bevölkerungsdichtigkeit  hervor. 

Der  Gotopaxi  und  die  umgrebenden  Vulkanberge.    Eine 
geologisch-topographische  Beschreibung  des  Gotopaxi  und  seiner  Um- 


Vulkanismus.  215 

gebung  gab  W.  Reiss,  ^)  der  Begleiter  A.  Stübeis  auf  der  so  ergebnis- 
reichen Forschungsreise  beider  in  Südamerika. 

Der  Cotopaxi  (5943  m  hoch)  gehört  seiner  Grösse  und  schönen 
Form  wegen  zu  den  bedeutendsten  vulkanischen  Gebilden  Ecuadors 
und  bietet  sich  als  grossartiger,  schneebedeckter  Kegel,  von  allen 
Seiten  freistehend,  den  Blicken  dar.  Wie  Trabanten  sind  ihm  gegen 
Norden  und  Nordwesten  die  vulkanischen  Berge:  Sincholagua  (4988 m), 
Ruminahui  (4757  nt)  und  Pasochoa  (4255  fn)  vorgelagert,  Berge, 
welche  in  anderer  Umgebung  sowohl  ihrer  Höhe,  als  ihrer  Gestaltung 
wegen  eine  hervorragende  Stellung  einnehmen  wurden.  Gegen  Osten 
schliesst  sich  an  den  Cotopaxi  noch  ein  schneebedeckter  Vulkanberg, 
der  Quilindana  (4919  m),  au,  ringsum  freistehend,  aber  für  den  be- 
wohnten Teil  des  Landes  durch  den  gewaltigen  Ck)topaxi  -  Kegel 
völlig  verdeckt. 

Die  gleichmässig  vollendete  Form  des  Berges  wird  nur  durch 
den  auf  der  Südseite  hervortretenden  Picacho  unterbrochen.  Es  ist 
schwer,  den  eigentlichen  Fuss  des  Berges  zu  bestimmen.  An  der 
Nordseite  ruht  derselbe  auf  einem  Plateau  alter  Gesteine  in  etwa 
3700  m  Höhe.  Hier  wird  durch  die  Nordabhänge  des  Cotopaxi  und 
die  Süd-  und  Ostgehänge  des  Sincholagua  und  Ruminahui  ein  ge- 
waltiger interkolliner  Raum  umschlossen,  in  welchem  von  Osten, 
von  Riuni-urcu  her,  der  Rio  Pita,  von  Süden,  von  Limpio-pungu 
her,  der  Rio  Pedregal  gegen  Norden  sich  wendend  herabfliessen, 
um,  zum  Rio  Pita  vereinigt,  durch  den  Engpass  zwischen  Sincholagua 
und  Pasochoa  nach  der  Mulde  von  Quito,  nach  dem  Chillo  -  Lande 
abzufliessen.  Der  ganze  Raum  zwischen  den  drei  mächtigen  Vulkan- 
bergen ist  mit  den  neuen  Ausbruchsmassen  des  Cotopaxi,  namentlich 
mit  den  durch  die  Schlammströme  herabgeführten  Schuttmassen  erfüllt, 
alles  bedeckt  von  der  einförmigen,  fast  schwarzen  Aschenschicht 
der  letzten  Ausbrüche :  eine  grossaxtige  Einöde  von  ernstem,  düsterem 
Charakter.  Aus  der  hier  bis  etwa  4700  m  herabreichenden  Schnee- 
hülle des  obem  Kegelteiles  treten  schwarze  Lavaströme  hervor,  die, 
meist  dem  Laufe  alter  Wasserrisse  folgend,  nach  dem  interkoUinen 
Räume  zwischen  Cotopaxi,  Ruminahui  und  Sincholagua  sich  ergossen 
haben.  Manche  der  Ströme  erscheinen  wie  schwarze  Leisten;  sie 
lassen  sich  als  dunkle  Streifen  oder  kammartige  Rücken  oft  noch 
weit  in  die  Schneeregion  verfolgen.  Enge,  von  steilen  Wänden  be- 
grenzte Wasserrisse,  welche  gegen  den  Fuss  des  Kegels  hin  sich 
rasch  erweitem  und  verflachen,  ziehen  an  den  Abhängen  herab. 
Der  Cotopaxi  ist  kein  vollkommener  Kegel,  er  ist  von  Nord  nach  Süd 
etwas  gestreckt,  so  dass  in  der  Nordansicht  die  schmale  Seite  des 
Kraterrandes  dem  Beschauer  zugewendet  ist. 

Qbsxz  anders  stellt  sich  die  Westseite  des  Cotopaxi  dar:  hier 
sind  keine  Vulkanberge  vorgelagert     Aus  dem  bebauten,  ca.  3000  m 

^)  W.  Reiss  und  A.  Stübel,  Reisen  in  Südamerika.  Das  Hochgebirge 
der  Republik  Ecuador  42.  p.  68—189.   Berlm  1902. 


216  Vulkanismus. 

hohen  Grunde  des  interandinen  Hochlandes  steigt  in  mächtiger  Breite 
der  gewaltige  Berg  vor  dem  Beschauer  auf.  Weite  Aschenfelder 
dehnen  sich  unterhalb  der  Schneegrenze  aus,  und  auf  begrünten,  dem 
Fussgebirge  des  Cotopaxi  angehörigen  Vorhügeln  ruht  der  Fuss  des 
verderbenbringenden  Vulkankegels.  Grüne  Felder,  Haciendas,  kleine 
Ortschaften  ziehen  sich  am  Fuss  des  Berges  hin,  sie  bilden  den  be- 
lebten Vordergrund  zu  einer  der  grossartigsten  und  schönsten  Vulkan- 
landschaften der  Erde.  Von  keiner  andern  Seite  erscheint  der  Berg 
so  breit,  so  mächtig,  mit  so  gleichmässigem ,  weit  herabreichendem 
Schneemantel,  von  keiner  andern  Seite  zeigt  sich  so  schön  die 
regelmässige  Form  des  Kegels,  dessen  abgestumpftem  Gipfel  fast 
stets  eine  Dampfwolke  entsteigt. 

Man  darf  dabei  nicht  an  einen  Kegel  denken,  wie  Humboldts 
Abbildung  ihn  darstellt,  ein  Bild,  welches  ein  halbes  Jahrhundert  lang 
in  allen  Lehrbüchern  der  Geologie  reproduziert  und  in  den  Wieder- 
holungen noch  an  Steilheit  übertrieben  wurde.  In  sanft  geschwungener 
Linie  zieht  von  Süden  her  der  Abhang  des  Cotopaxi  ganz  allmählich 
in  die  Höhe,  geht  aufwärts  in  steilere  Gehänge  über,  die  in  dem 
mit  Schnee  bedeckten  Teile  30,  dann  32  und  35  ^  Neigung  erreichen. 
An  diesem  scheinbar  ganz  gleichmässigen  Gehänge  ragt  unvermittelt 
die  schwarze  Felsmasse  des  Picacho  empor,  der  von  Westen  gesehen 
in  seiner  ganzen  Breite  zur  Ansicht  gelangt.  Der  Gipfel  des  Cotopaxi 
wird  durch  den  fast  horizontalen  Kraterrand  gebildet,  an  dessen 
Süd-  und  Nordseite  als  kleine  Erhöhungen  die  beiden  höchsten 
Gipfel  (6922  m  und  5943  m)  des  Berges  aufragen.  Das  Eigentüm- 
liche in  dem  Bilde,  welches  der  Cotopaxi  von  der  Westseite  bietet, 
liegt  darin  dass,  während  sonst  die  Profillinien  in  Höhen  von 
3900 — 4000  m  Höhe  endigen,  der  dem  Beschauer  hier  gerade  gegen- 
überliegende Westabhang  des  Berges  sich  bis  zu  nahe  3000  m  herab- 
zieht So  glatt  sich  nun  auch  die  Konturen  des  Kegels  zeigen,  so 
ist  doch,  ebenso  wie  die  Nordseite,  auch  der  ganze  Westabhang 
durch  tiefe  Wasserrisse  zerschnitten,  in  welchen  weithin  sichtbar 
schwarze  Lavaströme  die  Schneemassen  durchbrechen  und  bis  tief 
am  Abhänge  herabsinken.  Der  Fuss  des  Berges  ruht  hier  im  Westen 
mit  seinen  Aschenfeldern  auf  flachen,  durch  Quebradas  getrennten 
Rücken,  unter  welchen  namentlich  der  »Las  Planchasc  (3547m) 
gensüinte  Teil  mit  dem  darüber  hervorragenden  Cerro  de  Ami  in  die 
Augen  fallen.  Diese  Vorhügel  sind  steil  gegen  Westen,  gegen  den 
Rio  Cutuchi  zu,  abgeschnitten.  Es  dürften  dieselben  Überreste  des 
Cotopaxi  -  Fussgebirges  sein,  das  hier  noch  nicht  ganz  unter  den 
neuem  Ausbruchsmassen  begraben  ist. 

Gegen  die  Südseite  des  Berges  nehmen  die  alten  Vorhügel 
anHöhe  zu,  Schluchten,  200 — 300  m  tief  eingeschnitten,  durch- 
furchen die  Abhänge.  An  ihren  Wänden  sieht  man  gewaltige  Tuff- 
und  Schuttmassen,  im  Grunde  der  Thäler  Schutt  und  Schlamm  der 
Avenidas ,  während  der  Bach  selbst  meist  in  einem  engen,  in  Lava- 


Vulkanismus.  217 

felsen  eingeschnittenen  Kanal  verläuft.  Weiter  gegen  Osten  treten 
grosse  Bimssteinablagerungen  in  den  Thälem  auf  und  in  der  Nähe 
des  Picacho  rote  Aschen-  und  Schlackenschichten,  sowie  auch  feste 
Lavabänke.  Wie  eine  Insel  der  alten  Formation  erhebt  sich  der 
Picacho  aus  dem  gleichmässigen  Abhänge  des  neuen  Kegels.  Der 
Südabhang  des  Kegels  ist  sehr  steil  und  mit  einer  vielfach  zer- 
rissenen Eismasse  bedeckt,  deren  rauhe,  zackige  Oberfläche  einer 
Besteigung  von  dieser  Seite  unüberwindliche  Hindemisse  bereiten 
dürfte.  So  gleichmässig  ist  der  Eismantel,  dass  nur  vereinzelte 
schwarze  Felszacken  daraus  hervorragen.  Hier  fehlen  die  tiefen 
Rinnen  und  Risse,  welche  an  den  übrigen  Seiten  des  Kegels  den 
Abhang  durchfurchen,  denn  nach  dieser  Seite  haben  sich  seit  langen 
Zeiten  keine  Lavaströme  ergossen. 

Die  Ostseite  ist  dagegen  wieder  wild  zerrissen.  Eine  ganze 
Reihe  frischer  Lavaströme  ziehen  aus  der  Schneebedeckung  herab, 
erfüllen  die  Schluchten  und  liegen  wie  schwarze  Dämme  auf  den 
gegen  Osten  steil  abgeschnittenen,  wohl  dem  Fussgebirge  zugehörigen 
Rücken.  Es  ist  wohl  die  steilste  und  am  wenigsten  ausgedehnte 
Seite  des  Berges.  In  den  Schluchten  lassen  sich  deutlich  die  Laven 
und  Aschenschichten  erkennen,  aus  welchen  der  ganze  Ausbruchs- 
kegel aufgebaut  ist  Die  durch  die  Schlamm-  und  Wasserströme 
erzeugten  Wasserrisse  vertiefen  sich  am  Fusse  des  Kegels  zu  Schluch- 
ten und  Thälem,  in  welchen  flachliegende  Laven,  oft  70 — 80m 
mächtig,  aufgeschlossen  sind.  Es  muss  aber  zweifelhaft  bleiben,  ob 
diese  mächtigen  Lavenbänke  dem  eigentlichen  Gotopaxi  oder  dem 
Fussgebirge  zuzurechnen  sind. 

Der  auf  dem  Gipfel  des  Berges  eingesenkte  Krater  ist,  wie  der 
ganze  Berg,  von  Süd  nach  Nord  langgestreckt  Seine  Innenwände 
begrenzen  in  steilen,  hier  und  da  wohl  senkrechten  Abstürzen  die 
trichterförmige  Vertiefung.  Feste  Lavabänke  herrschen  unbedingt 
vor,  Schutthalden  bedecken  zum  Teil  die  Felswände  und  ziehen  sich 
nach  dem  engen,  von  grossen  Blöcken  erfüllten  Grunde.  Gänge  sind 
in  der  Kraterwandung  nicht  beobachtet  worden.  Während  Gestalt 
und  Grösse  des  Kraters  durch  die  Eruptionen  der  letzten  Jahrzehnte 
nur  wenig  verändert  erscheinen,  wechselt  das  Aussehen  des  Innern 
und  selbst  der  Kraterränder  mit  den  einzelnen  Ausbrüchen.  Bei 
dem  Besuche  von  Reiss  im  Jahre  1872  (28.  November)  zeigte  der 
Krater  nur  geringe  Fumarolenthätigkeit  Der  Krater  erschien  von 
elliptischer  Form,  breiter  von  Nord  nach  Süd,  als  von  Ost  nach  West. 
Von  seiner  ganzen  Umfassung  senkten  sich  sehr  steile  Felswände 
und  vereinigten  sich  am  Gmnde  beinahe  in  einem  Punkte,  so  dass 
dort  keine  Fläche  gebildet  wurde.  Den  Nordostteil  bedeckte,  beinahe 
von  oben  bis  unten,  eine  grosse  Schneemasse,  während  ausserdem 
in  dem  Krater  nur  einige  wenige,  unbedeutende  Eismassen  sichtbar 
waren.  Die  vielen,  auf  allen  Seiten  erfolgten  Bergstürze  Hessen  den 
eigentlichen  Bau  der  Wände  nicht  unterscheiden.     Ungemein   häufig 


218  Vulkanismus. 

sind  solche  Loslösimgen  besonders  im  westlichen  Teile ;  fortwährend 
hörte  man  das  Getöse  der  herabrollenden  Steine.  Die  am  wenigsten 
steile  Wand,  an  welcher  man  vielleicht  in  den  Krater  hätte  gelangen 
können,  war  die  südwestliche;  dort  gewahrte  man  auch  einige 
ziemlich  ansehnliche  Fumarolen,  die  ohne  irgend  welches  Geräusch 
dicke  Wolken  eines  weissen  Dampfes,  der  stark  nach  schwefliger 
Säure  roch,  ausströmten,  wäiirend  sich  über  den  Fumarolen  ein 
kleiner  Schwefelherd  (homillo  de  azufre)  gebildet  hatte.  Übrigens 
entwichen  an  diesem  Abhänge  an  mehrem  Stellen  heisse  Dämpfe; 
doch  konnte  man  weder  Ablagerungen  von  Sublimationen,  noch 
jene  vielfach  in  Kratern  beobachtete  starke  Färbung  wahrnehmen. c 

Nach  der  trigonometrischen  Messung  von  W.  Reiss  hatte  der 
Krater  1872  einen  Durchmesser  von  776  m,  die  Tiefe  schätzt  er 
auf  500  m.  Der  Eis-  und  Schneemantel  spielt  im  Aussehen  des 
Berges  eine  grosse  Rolle,  er  trägt  dazu  bei,  diesem  seine  oft  be- 
wunderte Gestalt  zu  geben.  Es  handelt  sich  aber,  sagt  Reiss,  auch 
hier  nicht  um  mehr  oder  weniger  mächtige  Schneelager,  es  ziehen 
vielmehr  gewaltige  Gletscher  von  unbekannter  Mächtigkeit  an  den 
Abhängen  herab.  Freilich  sind  sie  nur  an  wenigen  Stellen  der  Be- 
obachtung zugänglich,  da  sie  durch  die  sich  oft  wiederholenden 
Ausbrüche  stets  mit  Aschenablagerungen  bedeckt  sind,  die  oft  eine 
Mächtigkeit  von  mehrem  Metern  erreichen  können.  Nun  schneit 
es  fast  zu  allen  Jahreszeiten  am  Gotopaxi;  die  warmen,  aus  den 
Tiefebenen  des  Amazonas  -  Beckens  aufsteigenden  Luftströmungen 
setzen  ihre  Feuchtigkeit  in  Form  von  Schnee  an  den  in  die  kaltem 
Luftschichten  aufragenden  Kegel  ab.  Aber  auch  die  Ausbrüche  des 
Gotopaxi  wiederholen  sich  in  steter  Wiederkehr,  so  dass  bald  der 
Schnee  unter  Asche,  bald  die  Asche  unter  frisch  gefallenem  Schnee 
begraben  wird.  So  bilden  sich  mächtige  Schichtenfolgen  von  weissem 
Schnee  oder  blauem  Eise  mit  schwarzen  Zwischenlagem  von  mehr 
oder  minder  dicken  Aschenstreifen.  .  .  • 

Oft  wird,  selbst  bei  ganz  geringfügigen  Ausbrüchen,  die  sonst 
die  Aufmerksamkeit  der  Anwohner  in  keiner  Weise  erregen  würden, 
eine  ganze  Seite  des  Berges  mit  Asche  überschüttet.  Dann  heisst 
es  in  Ecuador:  Der  Gotopaxi  hat  in  einer  Nacht  all  seinen  Schnee 
verloren.  So  mag  es  sich  auch  im  Jahre  1803  bei  dem  am  4.  Januar 
erfolgten  Ausbrache,  von  welchem  A.  v.  Humboldt  nach  Hörensagen 
berichtet,  verhalten  haben.  Eine  solche  Aschenbedeckung  scheint 
sehr  bald  wieder  zu  verschwinden,  da  entweder  die  dunklen  Aschen- 
und  Schlackenteile  durch  die  Sonne  in  die  alte  Schneedecke  einge- 
schmolzen oder,  bei  frischem  Schneefalle,  unter  einer  neuen  Schnee- 
schicht begraben  werden.  Bei  frischem  Schneefalle  überzieht  sich  der 
ganze  Berg  mit  einer  gleichmässigen  weissen  Decke,  deren  unteres 
Ende  in  3700 — 3800  m  Höhe  ohne  jede  Ausbuchtung  oder  £in- 
zackung  verläuft,  aus  der  nur  die  durchwärmten  Kraterteile  und 
die  an  den  Gehängen  herabziehenden  neuen  Lavaströme  dunkel  her- 


Vulkanismus.  219 

YOiragen.  Der  Schnee  kaom  auf  der  Oberfläche  der  neuen  Laven 
nicht  alle  Rauheiten  ausfüllen,  und  manche  der  Ströme  sind  noch 
in  ihren  innem  Teilen  so  warm,  dass  der  Schnee  rasch  wieder 
weggeschmolzen  wird.  Bei  solch  einem  frischen  Schneefalle  kann 
man  den  Verlauf  der  neuen  Ströme  gut  verfolgen  und  auch  den 
Verlauf  der  Lavaströme  an  der  Westseite  entwirren,  was  sonst  bei 
der  gleichmässigen,  dunklen  Farbe  dieses  Teiles  des  Abhanges  recht 
schwierig  ist. 

Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen,  d.  h.  wenn  kein  frisch  ge- 
fallener Schnee  die  Abhänge  bedeckt,  zeigt  sich  die  untere  Schnee- 
grenze als  eine  vielfach  auf-  und  absteigende  Linie.  Die  Schnee- 
und  Eisbedeckung  reicht  auf  den  Höhen  zwischen  den  Schluchten, 
sowie  auf  den  langgestreckten,  von  nahe  dem  Kraterrande  herab- 
ziehenden Rücken  weiter  herab  als  in  den  Thälem  und  Schluchten. 
Das  hat  darin  seinen  Grund,  dass  bei  den  in  verhältnismässig 
kurzen  Zwischenräumen  sich  wiederholenden  Ausbrüchen  die  Schnee- 
ablagerungen in  den  Thälem  und  Schluchten  durch  die  vom  Krater 
kommenden  Lavaströme  oder  durch  die  bei  den  Ausbrüchen  erzeug- 
ten Schlammströme  immer  wieder  zerstört  und  weggeführt  werden 
und  es  so  zu  keiner  Eisbildung  kommen  kann.  Auf  den  Rücken 
und  Höhen  zwischen  den  Thälem  ist  oft  der  untere  Teil  der  Glet- 
scher und  Schneebildung  mit  Asche  überschüttet,  so  dass  alsdann  die 
richtige  Bestimmung  der  untern  Schneegrenze  mit  Schwierigkeiten 
verknüpft  ist,  da  es  sich  nicht  immer  feststellen  lässt,  ob  man  es 
mit  einem  vorgeschobenen  Gletscher  oder  mit  Firnschnee  zu  thun  hat, 
imd  oft  mögen  die  Gletscherenden  unter  der  alles  bedeckenden 
Asche  noch  weiter  herabreichen,  als  die  Messungen  angeben.  Am 
klarsten  liegen  die  Verhältnisse  auf  der  Ost-  und  Südseite,  da  der 
herrschende  Wind  die  Ausbruchsmaterialien  gegen  Westen  und  Nord- 
westen treibt. 

Nach  den  (wenigen)  Messungen  von  Reiss  liegt  die  Schneegrenze 
an  der  Ostseite  des  Berges  100 — 200  m  tiefer  als  an  den  übrigen 
Abhängen,  offenbar  infolge  der  aus  der  feuchtwarmen  Tiefebene 
des  Amazonenbeckens  aufsteigenden  Luftströmungen,  deren  Wasser- 
dampf dort  niedergeschlagen  wird.  Das  Volum  der  Eis-  und  Schnee- 
kalotte des  Gotopaxi  kann  man  nach  Reiss  auf  0.5  bis  höchstens 
0.75  Kubikkilometer  veranschlagen. 

Die  der  geschichtlichen  Zeit  angehörigen  Lavaströme  reichen  an 
den  Abhängen  des  steilen  Kegels  herab  bis  zu  4365  und  4071  m, 
ja,  nach  Dr.  Stübels  Messung,  im  Minas-Volcan  sogar  bis  3762, 
weisen  also  zwischen  ihrem  Ursprungspunkte  und  ihrem  Fussende 
Höhendifferenzen  von  1534 — 2030  m  auf,  Differenzen,  welche  mehr 
als  die  anderthalbfache  Höhe  des  Vesuvs  erreichen,  und  dabei  haben 
die  Laven  doch  nur  eine  horizontale  Entfernung  von  6 — 8  hn  durch- 
messen. Alle  die  neuem  Lavaströme  nehmen,  wie  Dr.  Stübel 
zuerst  richtig  erkannt  hat,   und  wie  dies  durch  die  Ausbrüche   von 


220  Vulkanismus, 

1868  und  1877  bestätigt  wird,  ihren  Ursprung  vom  Gipfelkrater  aus» 
auch  dann,  wenn  ihr  oberes  Ende,  also  ihr  Anfang,  500  oder  mehr 
Meter  tiefer  zu  liegen  scheint:  Der  oberste  Teil  der  Ströme  ist  an 
dem  steilen  Abhänge  abgeflossen  oder  abgerutscht  Daraus  kann 
man  aber  wohl  nicht  schliessen,  dass  seitliche  Eruptionen  über- 
haupt nicht  vorgekommen  seien  oder  nicht  vorkommen  können;  denn 
fehlen  auch  seitliche  Schlackenkegel  am  Cotopaxi,  so  lehren  doch 
die  Lavaausbrüche  des  Antisana  zur  Genüge,  dass  solche  zähflüssige 
Laven  an  den  Gehängen  der  Gebirge  auftreten  können,  ohne  dass 
Schlackenanhäufungen  am  Ausbruchspunkte  aufgeworfen  werden. 
Dann  liegen  aber  auch  2  Beobachtungen  über  die  Bildung  seit- 
licher Boccen  vor:  Bouguer  sagt  ausdrücklich,  dass  1742  »bei  dem 
Ausbruche,  der  in  unserer  Gegenwart  stattfand«,  eine  seitliche  Aus- 
bruchsöffnung etwa  in  halber  Höhe  des  schneebedeckten  Teiles  des 
Berges  sich  geöffnet  habe,  während  die  Flammen  noch  immer  dem 
Gipfelkrater  entstiegen.  La  Condamine  und  Ulloa  bestätigen  diese 
Angabe,  und  Wagner  hat  ebenfalls  die  einer  seitlichen  Ausbruchs- 
öffnung, etwa  500  m  unter  dem  Gipfel,  entsteigende  Dampfsäule  auf 
der  von   ihm    veröffentlichten    Abbildung    des    Cotopaxi    angegeben. 

Aus  dem  von  Reiss  gegebenen  Verzeichnisse  der  Ausbrüche  des 
Cotopaxi  geht  unzweifelhaft  hervor,  dass  dieser  Berg  seit  den 
vierziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  in  einer  Phase  erhöhter 
Thätigkeit  sich  befindet.  »Es  wechseln  Zeiten  grösserer  Ruhe  mit 
gewaltigen  Ausbrüchen  ab,  ohne  dass  irgend  eine  Gesetzmässigkeit 
in  den  zwischen  den  grössern  Ausbrüchen  liegenden  Intervallen  zu 
erkennen  wäre.  So  folgten  auf  die  Eruptionen  in  den  Jahren 
1742 — 1744  die  Ausbrüche  der  Jahre  1766 — 1768  nach  einer  Ruhe- 
pause von  24  Jahren,  dann  35  Jahre  später  der  Ausbruch  vom 
Jahre  1803.  50  Jahre  ruhte  nun  der  Vulkan  oder  beschränkte 
seine  Thätigkeit  auf  Aschenauswürfe,  zwischen  welchen  1853  ein 
Ausbruch  von  mittlerer  Stärke  stattfand,  auf  welchen  dann  1877 
eine  der  gewaltigsten  Eruptionen  folgte,  welche  die  Geschichte  des 
Cotopaxi  zu  verzeichnen  hat.  Seitdem  verhält  der  Berg  sich  ruhig, 
und  nur  kleinere  Eruptionen  scheinen  stattgefunden  zu  haben.  Doch 
darf  dabei  nicht  übersehen  werden,  dass  es  glückliche  Zufälle  sind, 
wenn  wir  überhaupt  Nachrichten  über  Ausbrüche  erhalten,  welche 
keine  Verwüstungen  in  den  bewohnten  Gegenden  verursachen.  Die 
grossen  Cotopaxi  -  Ausbrüche  erfolgten,  nach  einer  Ruhezeit  von 
mindestens  218  Jahren,  in  Intervallen  von  24,  35,  50  und  24  Jahren. 

Es  ist  nicht  bekannt,  ob  zwischen  dem  Aschenregen  im  Jahre 
1534  und  den  Ausbrüchen  von  1742  kleinere  Eruptionen  stattge- 
funden haben,  oder  ob  der  Berg  in  vollkommener  Ruhe  verharrte; 
denn  eigentlich  beginnt  für  den  Cotopaxi  die  historische  Zeit  erst 
mit  der  französischen  Gradmessung,  t 

Die  grossen  Ausbrüche  des  Cotopaxi  zeigen  mehrere  Eigen- 
tümlichkeiten, und  Reiss  giebt  davon  folgende  allgemeine  Schilderung: 


Vulkamsmus.  22 1 

»Gewöhnlich  wird  die  Katastrophe  durch  gewaltige  Dampf-  und 
Aschenausbrüche  eingeleitet,  die  oft  mit  heftigen  Detonationen  aus 
dem  Krater  sich  entwickeln ;  dann  fliesst  die  Lava  entweder  an  einer 
oder  zu  gleicher  Zeit  an  mehrern  Stellen  über  den  Rand  des  Kraters 
aus,  stürzt  mit  Blitzesschnelle  die  steile  Wand  am  obersten  Teile 
des  Berges  hinab,  staut  sich  beim  Beginne  des  sanftem  Gehänges 
an  und  bewegt  sich  auf  den  noch  über  30^  geneigten  Abhängen 
rasch  abwärts.  Die  Lavaströme  bilden  die  Bausteine,  aus  welchen, 
im  Vereine  mit  den  zu  Schichten  vereinigten  losen  Auswurfsmassen, 
der  ganze,  gewaltige  Cotopaxi -  Kegel  aufgebaut  ist,  das  sind  die 
Laven,  welche  wir  als  pseudo- parallele  Lagen  in  den  Wänden  der 
Schluchten,  der  Huaicos  oder  Quebradas,  aufgeschlossen  gesehen 
haben,  deren  neueste  Ströme  sich  als  mächtige,  aus  der  Schnee- 
und  Eisdecke  hervortretende  Wülste  an  den  Abhängen  verfolgen 
lassen.  An  andern  Vulkanen,  am  Vesuv,  am  Ätna,  sind  es  die 
Lavaströme,  welche,  über  das  bebaute  Land  sich  ergiessend,  Städte 
und  Dörfer  begrabend^  Schrecken  und  Verwüstung  verbreiten.  Hier 
am  Cotopaxi  erreichen  die  Laven  kaum  den  Fuss  des  steilen  Kegels, 
sie  erstarren  an  den  kahlen,  öden  Abhängen,  ohne  die  bewohnten 
Teile  des  Landes  zu  erreichen;  doch  aber  sind  die  Verwüstungen, 
welche  sie  verursachen,  furchtbar,  denn  die  glühendflüssigen  Ge- 
steinsmassen müssen  sich  einen  Weg  bahnen  durch  den  Schnee- 
und  Eismantel,  welcher  den  obem  Teil  des  Berges  in  einer  verti- 
kalen Höhe  von  ungefähr  1400  m  umhüllt.  Schnee  und  Eis  müssen 
in  Berührung  mit  der  Lava  schmelzen,  Dampfmassen,  gewaltige 
Wasserfluten  werden  erzeugt.  Die  an  den  steilen  Gehängen  herab- 
stürzenden Wasser  reissen  alles  mit  sich  fort,  unterwühlen  sowohl 
die  mit  Aschenschichten  durchzogenen  Eismassen,  als  auch  die  parallel 
dem  Abhänge  lagernden  alten  Lavenströme  und  wälzen  sich  als  alles 
vernichtende  Schlammströme  dem  Fusse  des  Berges  zu,  Eisblöcke, 
Blöcke  glühender  Lava  und  grosse  Gesteinsstücke  mit  sich  führend. 
Die  Schluchten  in  den  untern  Teilen  des  Berges  können  die  Menge 
der  mit  ungeheurer  Geschwindigkeit  sich  bewegenden  Schlammströme 
nicht  fassen,  ihre  Seitenwände  werden  überschritten,  die  Schlamm- 
massen ergiessen  sich  in  die  benachbarten  Schluchten  und  breiten 
sich  in  den  flachem  Landesteilen  am  Fusse  des  Berges  aus.  Rings 
um  den  Cotopaxi  lassen  sich  die  Schuttmassen  beobachten,  welche 
den  Schlammströmen  ihre  Entstehung  verdanken.  Von  jeder  der 
neuen  Laven  geht  eine  solche  Avenida  aus ;  die  ganzen  interkollinen 
Räume  zwischen  Cotopaxi,  Sincholagua  und  Ruminahui  sind  damit 
erfüllt;  die  Weideländereien  in  Valle-viocoso  sind  durch  sie  zerstört; 
am  ausgedehntesten  aber  finden  sich  die  Ablagerungen  westlich  und 
südlich  vom  Berge  in  der  Thalfläche  des  Rio  Cutuchi,  in  der  Um- 
gebung von  Mulalo  und  Latacunga.  Die  grossen ,  3  «n  im  Durch- 
messer haltenden,  durch  die  Avenidas  herabgeführten  Blöcke  in 
Valle-vicioso   werden    noch    übertroffen  von  einem   Blocke  gleichen 


222  Vulkanismus. 

Ursprunges  an  der  Westseite  des  Berges,  von  welchem  Dr.  Stübel 
eine  Abbildung,  sowie  die  Masse  veröffentlicht  hat  Danach  betragt 
der  Umfang  des  Blockes  45  m,  seine  Höhe  8,5  m.  Wenn  man  be- 
denkt, dass  solche  Blöcke  durch  die  Schlammströme  fortbewegt 
wurden,  kann  man  sich  ungefähr  einen  Begriff  von  der  Wucht  und 
Gewalt  machen,  mit  welcher  die  mit  grossem  und  kleinem  Gesteins- 
materiale  beladenen  Gewässer  an  den  Abhängen  des  Berges  nieder- 
gehen, c 

Über  die  Höhe  der  Aschen-  und  Dampfsäule  bei  Ausbrüchen 
liegen  uns  Schätzungen  vor,  unter  denen  die  zuverlässigste  wohl 
jene  von  Whymper  ist  (bis  12  000 1»  absolute  Höhe  beim  Ausbruche 
am  3.  Juli  1880).  Was  die  Detonationen  des  Vulkanes  anbelangt,  so 
hält  Reiss  dafür,  dass  die  grosse  Mehrzahl  der  in  Ecuador  gehörten 
»Bramidosc  Getöse  sind,  deren  Schallwellen  durch  die  Luft  und 
nicht  unterirdisch  sich  verbreiteten.  Selbst  bei  den  Erdbeben,  welche 
man  do  gerne  von  unterirdischem  rollenden  Donner  begleitet  dar- 
stellt, hat  er  stets  die  Empfindung  gehabt,  dass  es  sich  um  Schall- 
erzeugung handelt,  hervorgerufen  durch  die  durch  das  Erdbeben 
verursachte  Bewegung  der  an  der  Erdoberfläche  befindlichen  Gegen- 
stände. Die  Erdoberfläche  spielt  eben  hier  die  Rolle  des  letzten 
Billardballes  in  dem  bekannten  physikalischen  Versuche :  ihre  letzten 
Teile,  seien  es  Häuser,  Steine,  Felsen  oder  Bäume,  werden  gegen- 
einander bewegt;  es  sind  unzählige  kleine  Geräusche,  welche  in 
ihrer  Summierung  donnerähnliches  Rollen  und  Brausen  erzeugen. 
Am  stärksten  empfand  Reiss  diesen  Eindruck  bei  einem  nächtlichen 
Erdbeben,  inmitten  des  Urwaldes,  an  dem  dem  Stillen  Ozeane  zuge- 
wandten Gehänge  der  Westcordillere.  Auch  die  Bramidos  der 
Vulkane,  sagt  er,  sind  keine  unterirdischen  Geräusche.  Wie  bei  dem 
Abschiessen  eines  Gewehres  der  Schall  an  der  Mündung  des  Laufes, 
also  an  der  Stelle  erzeugt  wird ,  an  welcher  die  bis  dahin  zusammen- 
gepressten  Gase  sich  plötzlich  ausdehnen  und  mit  gewaltsamem 
Stosse  die  umgebende  Luft  erschüttern,  so  erfolgen  auch  bei  den 
Vulkanen  die  Detonationen  an  der  Mündung  des  vulkanischen 
Schlotes,  am  obem  Ende  der  Lavasäule,  also  am  Ausbruchspunkte, 
in  dem  hier  vorliegenden  Falle  im  Gipfelkrater  des  Berges.  Von 
dort  aus  werden  sich  die  Schallwellen  nach  allen  Richtungen  hin 
ausbreiten,  die  Entfernungen,  bis  zu  welchen  sie  gelangen,  werden 
abhängen  von  dem  Zustande  der  Atmosphäre,  von  den  Widerständen, 
welche  sie  auf  ihren  Wegen  antreffen.  Unter  normalen  Verhältnissen 
dürfte  der  Schall  den  Weg  vom  Gipfel  des  Gotopaxi  bis  nach  Guaya- 
quil  in  etwa  10 — 12  Minuten  zurücklegen,  also  eine  so  kurze  Zeit 
gebrauchen,  dass  für  ecuadorianische  Verhältnisse  die  Detonation  in 
Guayaquil  in  demselben  Momente  gehört  wird,  in  welchem  der  Aus- 
bruch stattfindet. 

Erdbeben  werden  bei  Gelegenheit  von  Gotopaxi-Ausbrüchen  nur 
selten   erwähnt,   und   zerstörende  Wirkungen    haben   sie   nie  geübt. 


Vulkanismus.  223 

All^  zusammenfassend,  was  wir  bis  jetzt  über  den  Verlauf  eines 
Cotopaxi-Ausbruches  wissen ,  so  wiederholt  Reiss  im  allgemeinen 
das  Bild,  welches  er  bereits  im  Jahre  1874^)  entworfen  hat: 

»Nach  einer  Zeit  der  Ruhe  wird  die  wiedererwachende  vul- 
kanische Thätigkeit  durch  das  häufige  Auftreten  von  Dampfsaulen 
sich  bemerkbar  machen.  Aschenauswürfe  verwandeln  bald  die  weisse 
Dampfsäule  in  dunkle  schwarze  Wolken,  die,  hoch  in  die  Atmo- 
sphäre sich  erhebend,  vom  Winde  weithin  verführt  werden.  Die  Lava 
steigt  bald  langsamer,  bald  rascher  im  Schlote  auf,  erfüllt  den  Krater 
und  beleuchtet  mit  ihrem  Widerscheine  die  über  dem  Krater  schwebende 
Dampfsäule.  An  der  Oberfläche  der  den  Krater  mehr  und  mehr  er- 
füllenden Lava  werden  Schlacken  sich  bilden,  die  zusammen  mit 
^übenden  Lavafetzen  als  Auswürflinge  und  Bomben  von  den  durch- 
brechenden Dämpfen  ausgeschleudert  werden.  Unter  heftigen  Detona- 
tionen erfolgen  die  einzelnen  Dampf-  und  Aschenausbrüche,  bis  end- 
lich die  Lava,  an  den  niedersten  Stellen  des  Kraterrandes  über- 
fliessend,  sich  als  gewaltige  Lavaströme  am  äussern  Abhänge  herab- 
stürzt oder ,  wie  dies  1877  der  Fall  gewesen  zu  sein  scheint,  durch 
einen  aussergewöhnlichen  Dampfausbruch  in  grossen  Massen  auf  ein- 
mal ausgeschleudert  wird.  In  beiden  Fällen  kommt  nun  die  glühende 
Gesteinsmasse  mit  dem  Eis  und  Schnee,  welche  den  obem  Teil  des 
Berges  umgeben,  in  Berührung  und  giebt  dadurch  Veranlassung  zu 
den  gewaltigen  Schlamm-  und  Wasserfluten,  die  vernichtend  und 
zerstörend  nach  den  bewohnten  Teilen  des  Landes  am  Fusse  des 
Vulkanes  sich  ergiessen.  Gewöhnlich  endet  damit  der  ganze  Aus- 
bruch, und  nur  in  seltenen  Fällen  dauert  der  Lavaerguss  tage-  oder 
wochenlang.  Darin  und  in  dem  auf  den  Gipfelkrater  beschränkten 
Austritte  der  Lava  unterscheiden  sich  die  Gotopaxi  -  Eruptionen  von 
den  so  bekannten  und  vielfach  beschriebenen  Ausbrüchen  des  Vesuv 
und  der  Hawaii- Vulkane,  in  allen  andern  Einzelheiten  ist  der  Mecha- 
nismus der  Ausbrüche  genau  derselbe;  denn  die  so  gefürchteten 
Schlammströme  sind  kein  vulkanisches  Phänomen,  sie  sind  einzig 
und  allein  bedingt  durch  die  hohe  Lage  des  Gotopaxi  und  finden 
sich  an  allen  Vulkanen,  deren  Abhänge  mit  Eis  und  Schnee  bedeckt 
sind,  in  Ecuador  sowohl,  wie  auf  Island  und  im  Süden  Chiles. 

In  Zeiten  der  Ruhe  entsteigen  den  Spalten  des  Kraters  schweflige 
Säure  und  Schwefelwasserstoff,  bei  erhöhter  Thätigkeit  werden 
salzsaure  Dämpfe  in  grosser  Menge  zugleich  mit  gewaltigen  Massen 
von  Wasserdampf  ausgestossen,  ganz  wie  dies  bei  den  europäischen 
Vulkanen  der  Fall  ist.  Kohlensäure  wird  in  den  Exhalationen  des 
Cotopaxi  sicherlich  nicht  fehlen ,  ist  aber  bis  jetzt  noch  nicht  direkt 
nachgewiesen  worden,  c 

Die  Verbreitung:  der  hauptsächlichsten  Eruptions- 
zentren in  Südamerika.     Dr.  A.  Stübel  giebt  eine  Karte  und  Er- 


*)  Reiss,  Zeitschrift  d.  Dtsch.  geoL  Gesellsch.  1874.  26.  p.  912—918. 


224  Vulkanismus. 

läuterungen  über  diese  Zentren  und  die  sie  kennzeichnenden  Vulkan- 
berge, ^)  die  natürlich  bei  der  gegenwärtig  noch  sehr  mangelhaften 
Kenntnis  der  geologischen  und  topographischen  Beschaffenheit  Süd- 
amerikas nicht  vollständig  sein  können.  Die  genauere  Durchforschung 
dieser  Vulkangebiete  hat  ergeben,  dass  die  scheinbar  der  Gordillere 
parallele  und  lineare  Anordnung  ihrer  einzelnen  Vulkanberge  verloren 
geht  infolge  der  grossen  Zahl  wirklich  vorhandener,  auf  Karten  aber 
bis  zum  heutigen  Tage  nicht  eingetragener  Berge  und  eine  ganz 
unregelmässige  Verteilung  der  vulkanischen  Schöpfungen  auf  scharf 
umgrenzten  Eruptionsgebieten  an  ihre  Stelle  tritt,  die  Stübel  als 
Vulkanbezirke  bezeichnet,  und  von  denen  er  vier  grosse,  durch  breite, 
vulkanfreie  Zwischenräume  getrennte  unterscheidet. 

»Das  erste  dieser  Gebiete  —  das  colombianisch-ecuadorianische — , 
mit  dem  Päramo  de  Ruiz,  in  ungefähr  5^  n.  Br.  wenig  nördlich 
von  Bogota  beginnend,  erstreckt  sich  in  west-nordwestlicher  Richtung 
900  km  lang  bis  zum  Gebirgsstocke  des  Azuay  bei  Cuenca  (5^  s.  Br.). 
—  Nun  folgt  auf  eine  fast  doppelt  so  grosse  Erstreckung  hin  — 
auf  etwa  1600  km  —  ein  von  vulkanischen  Schöpfungen  gänzlich 
freier  Zwischenraum. 

Das  zweite  Vulkangebiet  —  das  peruanisch-bolivianische  —  be- 
ginnt in  der  Gegend  von  Arequipa  und  Puno  (ca.  16^  s.  Br.)  und 
verläuft  in  südöstlicher  Richtung,  das  nördliche  Chile  mit  erfassend, 
etwa  1300  km  lang  bis  zum  Südende  der  Wüste  Atacama  in  26^ 
s.  Br.  —  Der  nun  folgende  vulkanfreie  Zwischenraum  von  ungefähr 
800  km  Länge  endigt  in  der  Gegend  von  Santiago  unter  dem 
34.  Breitengrade. 

Es  folgt  das  dritte,  von  N  nach  S  gerichtete  Vulkangebiet  — 
das  mittel-chilenische  —  in  einer  Längenausdehnung  von  1100  km. 
Es  scheint  in  der  Breite  des  Südendes  der  Insel  Chiloe  (43^/,^  s.  Br.) 
abzuschliessen. 

Das  vierte  Vulkangebiet  —  das  patagonische  —  lässt  sich  eigent- 
lich nur  anhangsweise  erwähnen,  da  wir  über  dessen  Ausdehnung 
derzeit  auch  nicht  annähernd  unterrichtet  sind.  Zwischen  dem 
49.^  und  55.^  s.  Br.  wurden  grosse  Ablagerungen  jung-vulkanischer 
Gesteine  nachgewiesen,  aber  als  »Vulkane«  werden  auch  auf  den 
neuesten  Karten  nur  ein  paar  verzeichnet,  der  letzte  an  der  Nord- 
seite des  Beagel-Kanales  im  südlichen  Feuerlande.  Für  allgemeine 
Betrachtungen  über  die  Verteilung  der  Vulkanberge  Südamerikas  kann 
daher  dieses  4.  Gebiet  noch  nicht  herangezogen  werden. 

Es  darf  aber  ferner  nicht  unbeachtet  bleiben,  dass  auch  inner- 
halb der  genannten  grossen  Vulkangebiete  die  Gebilde  der  eruptiven 
Thätigkeit  häufig  nur  vereinzelt  liegen,  durch  weite  Flächen  und 
hochgebirgiges  Terrain  nicht-vulkanischer  Entstehung  voneinander 
getrennt  werden.    Dieses  inselartige,  in  genetischer  Hinsicht  überaus 


^)  Fetermanns  Mittl.  1902.  p.  L 


Vulkanismus.  225 

beachtenswerte  Auftreten  der  vulkanischen  Baue  inmitten  älterer  und 
ältester  Formationen  war  es,  das  die  weitere  Einteilung  der  Vulkan- 
gebiete in  Vulkanbezirke  vorschrieb. 

Die  Vulkanbezirke  ihrerseits  zerfallen  in  solche,  in  denen  nur 
ein  Ausbruchszentrum  vorhanden  ist,  und  in  solche,  in  denen  ver- 
schiedene, mehr  oder  weniger  benachbarte  Ausbruchszentren  die  Auf- 
schichtung vulkanischer  Berge  bewirkt  haben.«  Stübel  betont,  dass 
aus  dem  Vorhandensein  benachbarter  Ausbruchszentren  wir  jedoch 
noch  nicht  berechtigt  sind,  darauf  zu  schliessen,  dass  jedes  Aus- 
bruchszentrum,  das  durch  einen  vulkanischen  Bau  als  solches  ge- 
kennzeichnet wird,  auch  einen  eigenen  Herd  besitzt.  In  vielen  Fällen 
dürfte  dies  allerdings  der  Fall  sein,  in  andern  lässt  sich  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  annehmen,  dass  mehrere  Ausbruchszentren  einem 
gemeinschaftlichen  Herde  angehören. 

Das  colombianisch-ecuadorianische  Vulkangebiet  zerfällt  nach 
Stübel  in  2  Hälften,  eine  nordöstliche,  colombianische,  und  eine 
südwestliche,  ecuadorianische.  In  jener  unterscheidet  er  folgende 
Vulkanbezirke: 

1.  Herveo-Tolima-Bezirk  mit  4 — 5  Eruptionszentren  (Herveo, 
Santa  Isabel,  Quindiu,  Tolima  u.  s.  w.) 

2.  Huila-Bezirk  mit  1  Eruptionszentrum. 

3.  Purace-Bezirk  mit  4 — 5  Eruptionszentren  (Purace,  Pan  de 
Azücar,  Silvia-  und  Coquiyö-Gebirge,  Sotarä). 

4.  Tajumbina-Bezirk  mit  4 — 6  Eruptionszentren  (Tajumbina,  Cerro 
de  las  Petacas,  Paramo  de  las  Animas,  Juanoi  u.  s.  w.) 

5.  Pasto-Bezirk  mit  3  Eruptionszentren  (Vulkan  von  Pasto, 
Bordoncülo,  Paramo  el  Frailejon  u.  s.  w.). 

6.  Azufral-Cumbal-Bezirk  mit  6 — 8  Eruptionszentren  (Azufral, 
Gumbal,  Chiles,  Cerro  Negro,  Cerros  de  Contrayerba,  Paramo  de  Quan, 
Paramo  del  Anjel  u.  s.  w.) 

'Für  die  ecuadorianische  Hälfte  des  Gebietes  scheint  es  topo- 
graphisch nicht  unbegründet,  wenigstens  drei  Bezirke  anzunehmen, 
einen  nördlichen,  einen  mittlem  und  einen  südlichen.  Auf  diese 
verteilen  sich  30 — 40  Eruptionszentren  in  der  Art,  dass  sich  die 
über  ihnen  aufgeführten  vulkanischen  Baue  gegenseitig  begrenzen 
und  nur  an  wenigen  Stellen  Teüe  des  Grundgebirges  als  hohe  Scheide- 
wände zu  Tage  treten  lassen.  Quilotoa,  Sangay  und  Azuay  können 
aber  als  solche  Berge  gelten,  bei  denen  es  am  deutlichsten  hervor- 
tritt, dass  sie  sich  über  gesonderten  Ausbruchszentren  erheben. 

In  dem  peruanisch-bolivianischen  Gebiete  sehen  wir  das  Auf- 
treten der  Vulkanberge  in  einzelnen  Bezirken,  die  von  Gebietsteilen 
nichtvulkanischer  Entstehung  unterbrochen  sind,  ebenso  scharf  aus- 
geprägt, wie  in  dem  colombianischen  Gebiete,  jedoch  mit  dem  Unter- 
schiede, dass  sich  die  Bezirke  hier,  nicht  wie  es  in  Colombia  der 
Fall  war,  nur  in  einer  Längenrichtung  aneinander  reihen,  sondern 
sich   auch   nach   der  Breite  hin  verteilen.     Es  giebt  Vulkangruppen, 

Klein,  Jahrbuch  XITI.  15 


226  Vulkanismus. 

die  senkrecht  zu  dem  Verlaufe    der  Küstenlinie   an  200  km  ausein- 
ander liegen. 

Im  nördlichen  Teile  dieses  Gebietes,  soweit  wir  von  demselben 
Kenntnis  erlangt  haben,  unterscheiden  sich  8  Vulkanbezirke: 

1.  Arequipa-Bezirk  (Misti,  Pichupichu,  Charchani,  Ubinas  u.  s.  w.). 

2.  Goropuna-Bezirk  (Goropuna,  Solomani  u.  s.  w.). 

3.  Puno-Bezirk  (Cerro  Lurine,  ausgebreitetes  vulkanisches  Gebiet). 

4.  Yunguyo-Bezirk  (Gerro  Gapira  und  andere  kleine  Berge). 

5.  Oruro-Bezirk  (Gerro  Sillota,  Quimsachata  u.  s.  w.). 

6.  Sajama-Bezirk  (Sajama,  Gerros  Pachachata,  Anallajache. 
Hinchuascota,  Gerros  de  Gunturere,  Antacollo  u.  s.  w.). 

7.  Guallatiri-Bezirk  (Berggruppe  des  Guallatiri). 

8.  Tacora-Bezirk  (Ghipicani,  Quenuata,  Gacarani,  Guarguarini, 
Huarahuara  [Pallagua?],  Gerros  de  Ancara  u.  s.  w.). 

Der  südliche  Teil  des  Gebietes,  an  den  sich  die  Wüste  Atacama 
mit  ihren  zahlreichen  Vulkanbergen  anschliesst,  dürfte  sich  in.  nicht 
weniger  Bezirke  gliedern  lassen,  doch  ist  Stübel  nicht  in  der  Lage, 
dieselben  auf  Grund  eigener  Forschung  feststellen  zu  können. 

Während  in  den  zuletzt  erwähnten  Gebieten  die  Vulkanberge 
bis  weit  in  das  Innere  des  Landes,  bis  auf  eine  Entfernung  von 
über  300  km  von  der  Küste  auftreten,  reihen  sich  in  dem  mittel- 
chilenischen Gebiete  die  Berge  kettenförmig  auf  eine  Länge  von  etwa 
1100  Am  aneinander.  Aber  auch  hier  dürfte  sich  nach  Stübels  ge- 
nauerer vulkanologischer  Durchforschung  des  Landes  herausstellen, 
dass  die  Vulkanreihe  durchaus  nicht  so  einfach  ist,  wie  sie  sich 
jetzt  auf  einer  Karte  kleinen  Massstabes  zeigt,  sondern  sich  in 
meridianal  aufeinander  folgende  Gruppen  auflösen  lässt,  ähnlich  wie 
in  Ecuador,  Peru,  Bolivien  und  dem  nördlichen  Ghile. 

Die  einzelnen  Vulkanbezirke,  die  sich  nicht  allein  aus  grossen, 
sondern  oft  auch  aus  sehr  kleinen  Bauen  der  vulkanischen  Kräfte 
zusammensetzen,  sprechen  nach  Stübel  in  Verbindung  mit  dem  Um- 
stände, dass  ihre  Entstehung  nur  einer  ephemeren  Thätigkeit  zu- 
geschrieben werden  kann,  ganz  unverkennbar  für  lokalisierte  und 
zugleich  erschöpfliche  Ursprungsorte  der  Gesteinsmassen,  aus  denen 
sie  aufgeworfen  worden  sind. 

Indem  Dr.  Stübel  sich  über  und  gegen  die  Hypothese  aus- 
spricht, dass  die  Vulkane  auf  langen,  tief  in  das  Erdinnere 
hinabreichenden  Spalten  aufsitzen,  sagt  er:  »Rein  topographisch  ge- 
sprochen, bilden  die  südamerikanischen  Vulkangebiete  einzelne,  kürzere 
und  längere  Stücke  in  dem  Rande,  der  das  grosse  Becken  des 
Stillen  Ozeanes  gegen  SO  begrenzt.  Die  Bildung  dieses  Beckens  — 
der  umfänglichste  Schauplatz  des  irdischen  Vulkanismus  —  reicht 
aber  unzweifelhaft  in  eine  Zeit  zurück,  in  der  atmosphärische  Nieder- 
schläge noch  nicht  eintreten  konnten,  Meere  noch  nicht  vorhanden 
waren.  Und  ebensowenig,  wie  wir  die  Ursache  für  die  Lage  der 
Hunderten  von  vulkanischen  Bildungen  zu  ergründen  vermögen,  deren 


Vulkanismus.  227 

höchste  Teile  als  Inselgruppen  über  den  Wasserspiegel  des  Stillen 
Ozeans  emporragen,  dürfen  wir  hoffen,  die  Anordnung  der  süd- 
amerikanischen Eruptionszentren  mit  erforschbaren  Ursachen  in  Ver- 
bindung bringen  zu  können,  Dass  auch  der  Atlantische  Ozean,  gleich 
dem  Stillen,  in  seiner  ganzen  Erstreckung  von  den  nördlichsten  Breiten 
bis  zu  den  südlichsten,  in  einem  Becken  mit  vulkanischem  Untergrunde 
flutet,  dafür  geben  zahlreiche  Insehi  sichern  Beleg.  Welcher  Geolog 
aber  möchte,  voll  eingedenk  der  ursprünglichen  Glutflüssigkeit  des 
Erdkörpers,  wohl  noch  der  Ansicht  sein,  dass  das  Meer  die  Lage 
der  Vulkane  bestimme,  und  nicht  vielmehr  die  Überzeugung  hegen, 
dass  die  vulkanischen  £[räfte  durch  ihre  gewaltigen  Schöpfungen  in 
onermesslicher  Vorzeit  auch  den  Meeresbecken  ihre  Grenzen  gezogen 
hatten,  noch  lange  bevor  das  Wasser  vorhanden  war,  das  diese 
Becken  füllen  konnte  Ic 

Ein  porphyrischer  Stratovulkan  in  Südwestafrika  ist 

von  Dr.  Schenck  nachgewiesen  worden.^)  Sein  Name  wird  ge- 
schrieben Geitse  1  gubib.  Dieser  isolierte  Berg  erhebt  sich  aus  der 
Ebene  des  Fischflussthaies,  welches  tektonisch  einem  Graben  entspricht, 
etwa  15  km  nördlich  von  der  Missionsstation  Bersaba  zu  einer  Höhe 
von  etwa  1740  m  oder  680  m  über  jener  Ebene.  Er  wurde  vom 
Verf.  am  7.  Februar  1886  bestiegen  und  in  frühern  Veröffentlichungen 
als  Porphyrstock  bezeichnet.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der 
mitgebrachten  Gesteine  ergab  indessen,  dass  diese  sich  nicht  als 
massige  Porphyre,  sondern  als  klastische  Gesteine  vom  Charakter 
der  Porphyrtuffe  erweisen.  In  einer  Grundmasse,  die  hauptsächlich 
aus  einem  kieseligen  Cemente  zu  bestehen  scheint,  sind  enthalten 
staubartige  Partien,  unter  denen  besonders  Eisenoxyd  durch  seine 
rötliche  Färbung  hervortritt,  femer  Bruchstücke  von  Orthoklas, 
Plagioklas,  Quarz,  Magnetit  u.  s.  w.  In  den  dichten,  sehr  harten 
und  muschelig  brechenden  Gesteinen,  welche  eine  Schichtung  erkennen 
lassen,  treten  die  letztem  zurück,  und  die  Grundmasse  mit  ihren 
staubartigen  Ausscheidungen  überwiegt,  in  den  grobkörnigem  Ge- 
steinen von  arkoseartigem  Typus  dagegen  sind  sie  zahlreicher  vor- 
handen. Manche  Tuffe  enthalten  auch  Bruchstücke  anderer  Gesteine, 
darunter  von  Granit,  der  in  den  benachbarten  Tafelbergen  des  Ami- 
plateaus nicht  vorkommt  und  daher  wohl  aus  der  Tiefe  hervor- 
gebracht wurde.  Berücksichtigt  man  nun  ausser  der  Gesteins- 
beschaffenheit auch  die  Form  des  Berges,  der  sich  im  Gegensatze  zu 
den  ihn  umgebenden,  aus  Schichten  der  Kapformation  aufgebauten 
Tafellandmassen  als  kegelförmiger  Einzelberg  aus  der  Ebene  des 
Fischflussthaies  erhebt  und  in  seinem  Innem  eine  kesseiförmige  Ein- 
senkung  besitzt,  gegen  welche  der  äussere  Wall  in  steilen  Wänden 
abfällt,  und  die  in  einem  tief  einschneidenden  Erosionsthale  einen 
Ausgang  nach   aussen  (und   zwar   nach  Süden)   besitzt,    so   gelangt 


Zeitschr.  d.  Dtsch.  geol.  Gesellsch.  1902.  58.  p.  64. 

15* 


228  Vulkanismus. 

man  zu  der  Überzeugung,  dass  der  Geitse !  gubib  einen  porphyrischen 
Stratovulkan  mit  noch  wohl  erhaltenem  Krater  darstellt,  der  seine 
Form  bewahren  konnte,  weil  seit  seiner  Entstehung  die  Oberfläche 
des  Landes  grössere  Veränderungen  nicht  mehr  erfuhr,  und  weil  die 
durch  kieseliges  Cement  in  harte  Gresteine  umgewandelten  Tuffe  der 
Denudation  kräftig  zu  widerstehen  vermochten.  Es  dürfte  daher 
der  Geitse! gubib  der  älteste  noch  wohl  erhaltene  Stratovulkan 
sein,  dessen  Alter  sich  zwar  nicht  genau  feststellen  lässt  (nur  so 
viel  lässt  sich  sagen,  dass  er  postcarbonisch  ist),  dem  aber,  wie 
aus  der  Gesteinsbeschaffenheit  sich  schliessen  lässt,  ein  höheres 
Alter  zuzuschreiben  sein  wird,  als  den  bekannten  tertiären  und 
quartären  Vulkanen. 

Ausbruch  des  Vulkanes  Keloet  auf  Java.  Dieser  1731  nt 
hohe  Vulkan  liegt  im  östlichen  Teile  von  Java  und  gehört  zu  den 
Vulkanen  von  reger  Thätigkeit,  denn  während  des  19.  Jahrhunderts 
hatte  er  6  Ausbrüche.  Am  23.  Mai  1901  fand  wiederum  eine  Eruption 
desselben  statt,  wobei  auf  dem  SO- Abhänge  ein  Lavaerguss  stattfand, 
während  bei  den  frühem  Ergüssen  lauwarmes,  mit  Sand  und  Stein 
vermengtes  Wasser  von  der  Flanke  des  Berges  herabkam.  Derselbe 
begann  in  der  Nacht  vom  22.  zum  23.  Mai  1901  gegen  3  Uhr  früh 
mit  einem  gewaltigen  Regen  glühender  Steine,  während  dunkle  Aschen- 
wolken in  westnordwestlicher  Richtung  zogen.  Lava  wurde  nicht  zu 
Tage  gefördert  Das  gesamte  ausgeworfene  Gestein  und  Aschen- 
material berechnet  L.  Houwink  auf  200  Millionen  Kubikmeter,  wovon 
120  Millionen  auf  eine  quadratische  Fläche  von  Ib  km  um  den  Vulkan 
herum  niederfielen.  Aus  dem  Herabkommen  der  vulkanischen  Asche 
zu  Samarang,  Pekalongun  und  anderer  Punkte  berechnet  sich  die  Ge- 
schwindigkeit mit  der  die  Aschenwolken  westwärts  zogen  auf  30  bis 
40  km  pro  Stunde;  beim  Krakatauausbruche  betrug  sie  nach  Archibald 
Douglas  im  Mittel  55  km^  wahrscheinlich  weil  bei  diesem  die  Aschen- 
teile in  höhere  Regionen  der  Atmosphäre  geschleudert  worden  waren.^) 
G.  Du  Bois  hat  den  Keloet  kurz  nach  der  Eruption  besucht  und  macht 
darüber  Mitteilungen.^  Der  Keloet  besass  bisher  im  tiefsten  Kegel 
einen  ca.  1  km  breiten,  nahezu  runden  See.  Aus  seinem  dunklen 
Wasser  stiegen  von  Zeit  zu  Zeit  kleine  Rauchwolken  auf,  das  Wasser 
war  jedoch  nicht  warm,  etwa  30®  G.  Nach  diesem  letzten  Ausbruche 
ist  das  Niveau  des  Sees  um  ungefähr  50  m  gesunken;  auch  im 
Durchmesser  ist  der  See  zurückgegangen,  er  dürfte  jetzt  etwa  350  m 
betragen.  Das  Wasser  sieht  dunkelbraun,  ja  in  der  Nähe  der  ein- 
gestürzten westlichen  Kegelwand  sogar  schwarz  aus. 

Den  Vorgang  dieser  Eruption  könne  man  sich  etwa  folgender- 
massen  vorstellen :  Durch  Erweiterung  von  Spalten  und  Rissen  infolge 
der    fortwährenden   Gasexhalationen   und   Ergüsse    von    kochendem 


1)  Natuurkundig  Tijdschrift  voor  Ned.  Indie  1902.  Deel  XVII  afl.  2  S.  17U 
^  Petermanns  Mittl.  1902.  p.  44. 


Vulkanismus.  229 

Wasser  wurde  eine  Verbindung  zwischen  dem  glutflüssigen  Innern 
des  Berges  und  dem  grossen  Wasserreservoir  auf  demselben  bewerk- 
stelligt Diese  nach  dem  heissflüssigen  Magma  führenden  Spalten 
und  Risse  dürften  sich  im  Laufe  der  Jahre  so  sehr  erweitert  und 
eine  so  grosse  Wasserzufuhr  gestattet  haben,  dass  die  Spannung 
des  sonst  ruhig  verlaufenden  Verdampfungsprozesses  überschritten 
wurde,  und  ein  explosionsartiger  Ausbruch  stattfand.  Der  Einsturz 
der  einen  westlichen  Kegelwand  in  den  See  und  der  vermutlich 
plötzliche  Einbruch  grosser  Wasserquantitaten  in  den  Krater  dürften 
vielleicht  der  letzte  direkte  Anstoss  zu  dieser  Explosion  gewesen 
sein.  Nach  Ansicht  von  Du  Bois  hat,  abgesehen  von  dem  un- 
bedeutenden Lavaausbruche,  ein  Aufwerfen  von  warmem  Wasser  und 
von  Schlammanhäufungen  im  See  stattgefimden. 

Ober  den  Sitz  der  vulkanischen  Kraft  verbreitet  sich 

G.  de  Lorenzo.^)  Er  verlegt  diesen  in  oberflächliche  Schichten  der 
Erdrinde  und  versucht,  die  Tiefe  dieses  Grundes  zu  berechnen. 
Er  unterscheidet  dabei  3  Haupttypen  von  Vulkanen:  Explosions- 
krater (Maare),  Tuffvulkane  (Puy-Typus)  und  Lavavulkane  (Massen- 
ergüsse). Die  Mehrzahl  der  Vulkane  stellt  jedoch  nicht  einen  dieser 
Typen  rein  dar,  sondern  ist,  wie  etwa  der  Vesuv,  aus  Tuffen 
(Schlacken)  und  Lava  aufgebaut,  entsprechend  einer  Mischung  des 
2.  und  3.  Typus.  Die  Berechnung  der  Tiefenlage  des  Herdes  ge- 
staltet sich  nun  für  die  verschiedenen  Typen  verschieden,  führt  aber 
zu  wesentlich  übereinstimmenden  Ergebnissen. 

Am  einfachsten  und  direktesten  ist  das  Verfahren  bei  den  reinen 
Explosionskratem,  die  lediglich  von  einem  Kranze  der  aus  dem 
Eruptionskanale  ausgeschleuderten  Gesteinsfragmente  umgeben  sind. 
Das  Volum  dieses  ausgeworfenen  Materiales  muss  den  Dimensionen 
des  Schlotes  entsprechen,  und  da  dessen  Durchmesser  bekannt  ist, 
kann  darnach  seine  Tiefe  berechnet  werden.  In  Wirklichkeit  be- 
stehen die  Auswurfsmassen  allerdings  wohl  niemals  ausschliesslich 
aus  dem  früher  den  Eruptionskanal  erfüllenden  Materiale,  sondern  es 
sind  diesem  in  grösserer  oder  geringerer  Menge  Teile  des  Magmas 
beigemengt.  Es  wird  demnach  die  in  der  angedeuteten  Weise  be- 
rechnete Tiefe  stets  grösser  sein  als  die  wirkliche:  der  berechnete 
Wert  stellt  ein  Maximum  dar.  Der  Umstand,  dass  bei  dieser  Methode 
das  in  den  Schlund  zurückgefallene  Material  nicht  in  Anrechnung 
kommt,  soll  nach  dem  Verfasser  ni^  den  durch  die  Einberechnung 
des  ausgeworfenen  Magmas  sich  ergebenden  Überschuss  kompensieren; 
das  kann  natürlich  in  einzelnen  Fällen  zutreffen,  in  andern  wird 
bald  der  eine,  bald  der  andere  Fehler  überwiegen,  so  dass  die  Tiefe 
bald  zu  gross,  bald  zu  gering  gefunden  wird. 


*)  Atti  delle  Sc.  tia.  et  mat  di  Napoli  (2)  IL  auszügUch  mit  Kritik  in 
Petermanns  Mitteilungen  1902.  Litteraturbericht  No.  572,  von  A.  Dannen- 
berg,  wonach  oben  der  Text. 


230  Insdn. 


Inseln. 


Die  Insel  Veglia.  Auf  Grund  seiner  (geologischen)  Unter- 
suchungen veröffentlicht  Dr.  L.  Waagen  mehrere  Mitteilungen  über 
diese  Insel.^)  Durch  die  ganze  Insel  zieht  sich  von  Nordwest  nach 
Südost  ein  Eocängebiet,  welches  dieselbe  in  zwei  ungleiche  Teile 
nicht  nur  dem  Räume,  sondern  auch  der  topographischen  Beschaffenheit 
nach  teilt  Im  Osten  breitet  sich  eine  typische  Karstlandschaft  aus; 
soweit  man  blickt,  nichts  als  der  kahle  Fels,  kein  Baum,  kein 
Strauch,  nur  in  den  grossem  Dolinen  versteckt,  gleichsam  ver- 
schämt, etwas  Feldkultur.  Dagegen  im  Westen  in  der  Niederung 
Weingärten  und  Maisfelder,  dazwischen  Feigen-  und  Olivenbäume  und 
auch  auf  dem  Kreiderücken  ein  spärlicher  Buchenwald,  untermischt 
mit  magern  Wiesen.  Der  eben  genannte  Eocänzug  birgt  an  seinen 
beiden  Enden  zwei  der  besten  Hafenplätze  der  Insel,  jenen  von 
Gastelmuschio  und  den  südlichen  von  Besca  nuova. 

Das  Thalgebiet  von  Gastelmuschio  wird  nach  den  orographischen 
Verhältnissen  wieder  in  4  Teile  geteilt;  den  ersten  Abschnitt  bildet 
das  VaUone  di  Gastelmuschio,  bis  zu  der  Anhöhe,  auf  welcher 
der  Ort  liegt,  und  dem  Hügel  Forticin,  südlich  schliesst  sich  daran 
das  »Thal  von  Nogherac,  welches  bei  Regenzeit  gegen  West  in  das 
Querthal  Valle  Noghera  von  einem  Bächlein  entwässert  wird.  Die 
3.  und  4.  Einsenkung  sind  eigentlich  t3rpi8che  Poljen;  die  west- 
liche, der  Jezero,  eine  Seepolje,  und  die  östlich  davon  gelegene 
wenigstens  zum  Teil  eine  periodisch  inundierte  Polje. 

Das  VaUone  di  Gastelmuschio  ist  ganz  vom  Meere  erfüllt,  es 
ist  ein  Längsthal  und  wird  im  Südwesten  von  der  zungenförmigen 
Halbinsel  Ert  begrenzt,  die  sehr  steil  und  ziemlich  geradlinig  unter 
das  Wasser  taucht.  Die  nordöstliche  Begrenzung  steigt  zu  viel 
grossem  Höhen  an,  doch  verläuft  hier  die  Uferlinie  nicht  so  gerad- 
linig, sondem  bildet,  buchtartig  zurücktretend,  den  Porto  Lucica, 
wahrscheinlich  durch  Auswaschung  der  weichen  eocänen  Mergel- 
gesteine. Das  Vallone  lässt  an  seinem  Abschlüsse  eine  kleine  Auf- 
wölbung hervortreten,  den  Hügel  Forticin,  dessen  Höhe  einst  von 
einem  römischen  Tempel  gekrönt  worden  sein  soll,  und  der  die  Ab- 
grenzung gegen  das  Thal  von  Noghera  bildet.  Dieses  wird  infolge 
der  allgemeinen  Abdachung  der  Insel  nicht  nach  Nordwest,  sondem 
nach  West  in  der  Regenzeit  von  einem  Bächlein  entwässert,  das, 
die  eocäne  Einsenkung  durchquerend,  auch  die  angrenzende  Kreide 
durchbricht  und  in  der  Ebene  Dobrovica  alles  Anstehende  mit  Allu- 
vien  bedeckt.  Die  beiden  südlich  anschliessenden  Einsenkungen  sind 
echte  Poljen.  Die  Seepolje  > Jezero  c  ist  eine  Isoklinalpolje  an  der 
Grenze  zwischen  Eocän  und  Kreide.  Die  Wassermenge  stammt  aus 
dem  Zusammenflusse  einiger  Quellen  und  weniger  Regenbäche.     Ein 


1)  Verhdlg.  der  k.  k.  geoL  Reichsanstalt.  Wien  1902.  p.  68. 


Inseln.  231 

oberirdischer  Abfiuas  ist  nicht  vorhanden,  und  nach  Lorenz^)  werde 
die  Schwankung  des  Spiegels  nur  durch  Verdampfung  herbeigeführt 
Die  Bevölkerung  allerdings  glaubt  an  einen  unterirdischen  Abfluss. 
den  sie  bald  mit  den  Quellen  von  Malinska,  bald  mit  jenen  von 
Dobrigno  in  Verbindung  bringt.  Die  östliche  Polje  wird  durch  einen 
Rücken  fast  vollständig  geteilt  Sie  gehört  zu  den  typischen  Mulden- 
oder Grabenpoljen.  Der  Boden,  der  sich  bald  nach  dieser,  bald  nach 
jener  Richtung  etwas  senkt,  ist  von  Rasen  überzogen,  wahrend  die 
Randpartien  von  Maisfeldem  eingenommen  werden.  In  dem  Teile 
südlich  von  dem  erwähnten  Höhenrücken  sammelt  sich  in  der  Regen- 
zeit das  Wasser  zu  einem  kleinen  See,  der  erst  im  Sommer  wieder 
verschwindet. 

Im  Osten,  wo  der  Anprall  der  Bora  am  stärksten  ist,  zieht 
sich  fortgesetzt  eine  vollkommen  kahle  Steinwüste  der  Küste  ent- 
lang, und  nur  zwischen  Porto  Sulinj  und  der  Gegend  von  Verbenico 
findet  sich  vereinzelt  kümmerlicher  Eichenwald  und  spärlicher  Feld- 
bau auch  etwas  näher  dem  östlichen  Eüstensaume. 

Eine  Viertelstunde  nördlich  von  Rudin  befindet  sich  eine  Höhle, 
die  beim  Volke  die  Bezeichnung  »Slivainska  jamac  führt.  Ein 
Schacht  von  etwa  3  m  Tiefe,  der  dem  Fusse  nur  wenige  Tritte 
bietet,  bildet  den  Zugang.  Durch  ein  niedriges  Felsthor  beginnt 
man  sodann  die  unterirdische  Wanderung,  und  mittels  eines  engen 
Schlufes,  der  auf  allen  Vieren  passiert  werden  muss,  gelangt  man 
in  einen  herrlichen  Saal.  Von  der  Decke  hängt  ein  reicher  Spitzen- 
voiiiang  von  Tropf steingebilden,  und  Säulen  von  1  m  Mächtigkeit 
und  mehr  tragen  das  Gewölbe  dieses  ansehnlichen  Raumes,  der  10  m 
im  Durchmesser  besitzen  mag.  Bedeutender  jedoch  ist  noch  die 
Höhe  dieser  Grotte.  Sehr  steil  senkt  sich  der  Boden  gegen  die 
Mitte  hinab,  welche  von  einem  Bachbette  eingenommen  wird,  und 
nur  mit  grösster  Vorsicht  ist  die  Fortbewegung  möglich,  da  ein 
zäher  roter  Lehm  den  Tritt  noch  unsicherer  macht  Zweimal  muss 
im  Sprunge  der  Wasserriss  passiert  werden,  dann  erreicht  man  eine 
Galerie,  die  nach  NW  gerichtet  längs  der  Schlucht  sich  hinzieht. 
Entlang  der  Felswand  bewegt  man  sich  dort  iort,  während  auf  der 
Seite  des  Abgrundes  zarte  Pfeiler,  oft  mehrere  Meter  hoch,  den  Pfad 
begrenzen,  welche  das  Licht  der  Laternen  durchscheinen  lassen 
und  den  Zauber  der  unterirdischen  Architektur  noch  erhöhen.  Es 
folgen  dann  in  nordwestlicher  Richtung  noch  Grotten  und  Galerien, 
so  dass  der  zugängliche  Teil  des  unterirdischen  Höhlenzuges  eine 
Länge  von  etwa  800  m  besitzen  mag.  Am  Ende  trifft  man  in  der 
gleichen  Richtung  auf  eine  etwa  ^/^  m  im  Durchmesser  haltende  Öffnung, 
und  die  hineingehaltene  Laterne  lässt  eine  fernere  Grotte  ahnen.  Schliess- 
lich sei  noch  bemerkt,  dass  die  Richtung  des  Höhlenzuges  an  der  Ober- 
fläche durch  eine  Anzahl  kleiner  Dolinen  markiert  erscheint 


M  Dr.  J.  R.  Lorenz:    Die  Quellen  des  hbum.  Karstes  und  der  vor- 
liegenden Inseln.   Mitteil,  der  k.  k.  geogr.  Ges.  Wien  1859.  &   p  107. 


232  Inseln. 

Die  Wasserverhältnisse  Veglias  sind,  wie  in  einer  Karstgegend 
begreiflieb,  örtlicb  sehr  verschieden  und  vielfach  ungünstig.  Regen- 
wasser wird  häufig  in  Gistemen  aufgefangen.  In  Dobrigno  ist  keiu 
Wasser  zu  finden,  doch  sprudelt  1  km  südlich  davon  in  200  m  Höhe 
eine  starke  Quelle,  die  durch  Wasserleitung  ilemnächst  nach  dem 
Orte  geführt  werden  soll.  Verbenico  hat  am  Hafen  zwei  gute  Quellen, 
die  vom  Meere  gar  nicht  beeinflusst  werden,  doch  liegt  der  Ort 
50  m  höher.  Die  Inner-  und  Plateaugebiete  von  Veglia  sind  stets 
wasserlos,  ja  selbst  Gistemen  sind  nur  äusserst  selten  anzutreffen. 
So  ist  denn  auch  der  ganze  Westen  der  Insel  vollkommen  quellenlos. 
Erst  bei  Veglia  ist  am  Hafen  ein  Süsswasserbrunnen,  der  jedoch 
zur  Zeit  der  Flut  brackisches  Wasser  giebt  und  daher  ungesund  ist. 
Eine  zweite ,  sehr  starke  Quelle  ergiesst  sich  unter  der  Südwestecke 
des  bischöflichen  Palais  ins  Meer,  und  diese  könnte  eventuell  zu 
einer  Wasserversorgung  der  Stadt  herangezogen  werden.  Weitere 
kleine  Quellen  finden  sich  am  Ostufer  der  Bucht  von  Ponte,  wie 
auch  bei  Ponte  selbst,  jedoch  sind  diese  alle  von  mehr  unterge- 
ordneter Bedeutung.  Überaus  wasserreich  ist  das  Thal  der  Piumera. 
Hier  entströmen  links  und  rechts  die  Wässer  den  Thalgehängen  und 
eilen  in  kleinen  Kaskaden  dem  Bache  zu,  der  bald  kräftig  genug  ist, 
um  Mühlen  zu  treiben ;  ein  eigentümlicher  Anblick  in  dieser  wasser- 
armen Gegend.  Das  Plateau  im  Osten  weist  wieder  gar  keine  Quellen 
auf,  und  erst  nahe  dem  Kanäle  della  Morlacca,  bei  Vinca,  an  der 
Grenze  von  oberer  und  mittlerer  Kreide,  findet  sich  wieder  eine  Quelle. 

Die  Insel  Syra  (Syros).  Auf  Grund  der  neuesten  Ermittelungen 
bringen  die  Annalen  der  Hydrographie^)  Mitteilungen  über  die  geo- 
graphischen und  nautischen  Verhältnisse  dieser  Insel.  Sie  ist  die 
wichtigste  Insel  der  Kykladengruppe  im  Ägäischen  Meere.  Infolge 
ihrer  zentralen  Lage  wird  sie  von  Schiffen  aller  Flaggen  sehr  häufig 
angelaufen.  Die  grösste  Länge  der  Insel  zwischen  den  Hukeu 
Strimessos  im  Norden  und  Vinglostasi  im  Südwesten  beträgt  9^/^  See- 
meilen, die  grösste  Breite  im  südlichen  Teile  5Ys  Seemeilen,  im 
nördlichen  Teile  2^^  Seemeilen.  Die  Küsten  der  Insel  sind  stark 
gezackt,  wodurch  viele  kleinere  und  die  beiden  grössten  Buchten 
Hermupolis  und  Phönix  (Palmenbucht,  in  der  englischen  Karte 
Krasibucht  genannt)  gebildet  werden,  die  jedoch  gegen  Wind  und 
Seegang  ungeschützt  sind.  Die  Küste  ist  meist  steil  und  mit  wenigen 
Ausnahmen  rein  von  Untiefen.  Das  Land  ist  hügelig.  Die  höchsten 
Punkte  sind  der  Nites-Berg  an  der  Südküste  und  der  432  m  hohe 
Pyrgos-Berg  nordwestlich  von  der  Stadt  Syra.  Die  Insel  ist  wohl 
bebaut  und  bringt  Gerste,  Baumwolle,  Südfrüchte,  Weizen,  Wein, 
Reis  und  dergl.  hervor.  Grosse  Mengen  Gemüse  werden  frühzeitig 
nach  Athen  und  Konstantinopel  verschifft.  Nach  der  Zählung  von 
1896  betrug  die  Anzahl  der  Bewohner  der  Insel  27  774. 


^)  Ann.  d.  Hydrogr.  1902.  1.  p.  1. 


Inseln.  233 

Der  Hauptort  Hermopolis  hat  etwa  22  000  Einwohner,  grössten- 
teils Kaufleute.  Schöne  Häuser  aus  weissem  Marmor  und  Landungs- 
anlagen mit  zahlreichen  Lagerhäusern  geben  Zeugnis  von  dem 
herrschenden  Wohlstande.  Inmitten  der  Stadt,  auf  einem  freien 
Platze,  liegen  das  Rathaus  und  mehrere  andere  öffentliche  Bauten. 
Die  Strassen  der  Stadt  sind  eng  und  gewunden,  jedoch  gut  ge- 
pflastert, erleuchtet  und  reingehalten.  Das  Klima  ist  auffällig  gesund, 
Frost  giebt  es  nicht,  Schnee  fällt  äusserst  selten  und  schmilzt  dann 
sofort  wieder.  Ausser  im  Winter  regnet  es  nur  selten;  man  fängt 
daher,  da  die  Quellen  nicht  genug  Wasser  liefern,  das  Trinkwasser 
in  Cistemen.  Die  alte  griechische  Stadt  Syra  stand  an  der  Stelle 
des  heutigen  Hermopolis.  Im  Mittelalter  zogen  sich  die  Bewohner 
der  Stadt  weiter  ins  Innere  der  Insel  zurück,  um  den  Angriffen  der 
Seeräuber  zu  entgehen,  und  gründeten  auf  einem  auffälligen  kegel- 
förmigen Hügel  eine  neue  Stadt,  die  heute  Ober-Syra  genannt  wird. 
Während  der  Revolution  fanden  hier  viele  Flüchtlinge  ein  Asyl  und 
gründeten  die  Stadt  Hermopolis.  In  neuerer  Zeit  hat  sich  die  Stadt 
auch  noch  über  einen  zweiten  Hügel  ausgedehnt. 

Die  Insel  PortOPico.  Über  dieselbe  verbreitet  sich  Korv.- 
Kapitän  Jachmann.  ^)  Die  Insel  gehört  zu  den  tropischen  west- 
indischen Insehi.  Sie  liegt  zwischen  17^  50'  und  18®  30'  nörd- 
licher Breite  und  65®  30'  und  67®  15'  w.  L.  v.  G.;  sie  wurde  am 
16.  November  1493  von  Golumbus  auf  seiner  zweiten  Reise  nach  der 
westlichen  Hemisphäre  entdeckt  und  von  ihm  San  Juan  Baptista 
genannt,  die  Eingeborenen  nannten  sie  Borinquen.  Die  Insel  hat 
eine  rechteckige  Gestalt  und  einen  Flächeninhalt  von  3600  Quadrat- 
meilen. Eine  unregelmässige  Kette  von  niedrigen  Bergen  und  Hügeln 
durchzieht  sie  von  Ost  nach  West  etwas  südlich  in  ihrer  Mitte, 
dehnt  sich  nordöstlich  über  den  östlichen  Teil  aus  und  endet  nahe 
der  nordöstlichen  Ecke  in  der  Spitze  von  El  Yunque  (Avoil),  welche 
die  Insel  in  einer  Höhe  von  1100  m  überragt.  Im  allgemeinen  sind 
diese  Berge  600 — 900  m  hoch.  Diese  Bergkette  bildet  die  Wasser- 
scheide von  Portorico  und  ist  in  den  verschiedenen  Teilen  der 
Insel  unter  verschiedenen  Namen  bekannt:  Gordillera  central,  Sierra 
de  Cayey  und  im  Nordosten  der  Insel  Sierra  de  Luquilla.  Nördlich 
and  südlich  von  dieser  Gebirgskette  fällt  das  Land  wellenförmig  ab, 
von  tiefen  Schluchten  und  Gebirgsbächen  durchbrochen,  von  denen 
einige  nach  den  schweren  tropischen  Regengüssen  zu  unpassierbaren 
Strömen  anschwellen.  Die  grössten  Flüsse  sind  der  Rios  Loiza, 
Bayamon,  Morovis,  Arecibo  und  Blanco,  von  denen  einige  mit 
kleinen  Booten  auf  eine  kurze  Strecke  von  der  Mündung  schiffbar 
sind.  Das  Innere  der  Insel  wird  im  allgemeinen  von  steilen  Hügeln 
ausgefüllt,  welche  sich  nach  der  Küste  hin  abflachen.  Die  Küste 
selbst  ist  niedrig  und  hat  wenige  gute  Häfen,  der  beste  ist  der  von 

')  Deutsche  geogr.  Blätter  1902.  Heft  1.  Nach  Montbly  Weather  Review 
1901.  August 


234  Inseln. 

San  Juan.  Ostlich  von  Portorico  liegen  die  kleinen  Inseln  Vieques 
und  Gulebra,  westlich  in  der  Monastrasse  die  Insel  Mona  mit  einigen 
andern  kleinen  Inseln,  welche  alle  derselben  Regierung  unterstehen. 

Das  Klima  ist  nicht  so  drückend,  wie  man  es  in  den  Tropen 
erwarten  sollte.  Eine  kühle,  sehr  angenehme  und  höchst  gesunde 
Brise  weht  gewöhnlich  über  die  Insel,  besonders  am  Nachmittage  und 
in  der  Nacht,  welche  sehr  viel  zu  dem  Wohlbehagen  der  Einwohner 
beiträgt.  Wolkiger  Himmel  mit  gelegentlichem  Nebel  in  den  Bergen 
ist  vorherrschend.  San  Juan  hat  eine  durchschnittliche  Jahres- 
temperatur von  25.8^  C.  Die  wärmsten  Monate  sind  der  Juni  bis 
Oktober;  während  dieser  Zeit  schwankt  die  normale  Temperatur 
zwischen  26.9  und  27.4^  C.  mit  der  höchsten  Temperatur  im  August; 
in  den  Bergen  ist  ein  etwas  kühleres  Wetter  vorherrschend.  Die 
kühlsten  Monate  sind  der  Dezember,  Januar  und  Februar,  während 
derselben  beträgt  die  normale  Temperatur  zwischen  24  und  24.7^, 
die  niedrigste  ist  im  Februar.  Wenn  die  tagliche  Temperatur  zwischen 
12.7  und  18.3^0.  beträgt,  wird  das  Wetter  als  kalt  bezeichnet, 
und  solche  Temperaturen  sind  den  Eingeborenen  sehr  unangenehm. 
In  den  Gebirgsgegenden  der  Insel  sind  Temperaturen  von  10^  C.  und 
etwas  darunter  beobachtet  worden,  auch  wird  berichtet,  dass  auf 
einigen  der  höchsten  Punkte  leichter  Frost  bemerkt  worden  ist,  die 
meteorologischen  Aufzeichnungen  jedoch  geben  keine  Angaben  darüber. 
Die  höchste  Temperatur  in  San  Juan  während  der  letzten  2  Jahre 
seit  der  Besitzergreifung  der  Insel  durch  die  Vereinigten  Staaten 
war  34^0.  am  2.  Mai  1901  und  33.9^0.  am  25.  April  1900;  die 
niedrigste  war  18.3^  G.  am  26.  Dezember  1899.  Die  Temperaturen 
in  San  Juan,  der  einzigen  Station  mit  fortlaufenden,  selbstregistrierenden 
Temperaturmessungen,  liegen  im  allgemeinen  zwischen  18.3^  und 
31.7^  G.  während  des  Januar,  Februar,  März,  November  und  Dezember 
und   von  18.9 — 33.9®  G.  während   der  übrigen   Monate   des  Jahres. 

Januar,  Februar  und  März  sind  die  trockensten  Monate,  und 
während  dieser  Zeit  ist  die  monatliche  Niederschlagsmenge  geringer 
als  76  mm.  Der  grösste  monatliche  Niederschlag  tritt  im  Oktober 
und  November  ein,  aber  die  sogenannte  nasse  Jahreszeit  beginnt 
gewöhnlich  im  April  und  dauert  bis  zum  Dezember.  In  einigen 
Jahren  sind  Dürren  vorgekommen,  welche  der  Vegetation  sehr 
schädlich  waren.  Die  mittlere  jährliche  Niederschlagsmenge  in  San 
Juan  beträgt  1384  mm,  während  sie  auf  »Hacienda  Perla«,  einer 
Station  im  nordöstlichen  Teile  der  Insel  auf  dem  El  Yunque,  die 
Höhe  von  2402  mm  erreicht.  Die  grösste  jährliche  Niederschlags- 
höhe in  San  Juan  während  einer  Beobachtungsperiode  von  25  Jahren 
war  2100  mm  im  Jahre  1878  und  die  niedrigste  930  mm  im  Jahre  1893. 
Die  grösste  monaÜiche  Niederschlagshöhe  hatte  der  Dezember  1893 
mit  449  mm  und  die  niedrigste  (6,1  mnC)  der  Februar  1896. 

Die  Waldgebiete  der  Insel  sind  klein  und  fast  gänzlich  auf 
die  höchsten  Berge  beschränkt   mit   wenigen   zerstreuten  Oberresten 


Inseln.  235 

ans  den  Urwäldern.  Bauholz  ist  sehr  spärlich  vorhanden,  das  zum 
Häuserbaue  notwendige  wird  grösstenteils  eingeführt.  Mehr  als  der 
fünfte  Teil  der  Insel  ist  bebaut,  und  die  Ernten  sind  sehr  einträglich, 
wenn  man  in  Betracht  zieht,  wie  die  Felder  bestellt  werden.  Die 
Berge  werden  bis  zum  Gipfel  bebaut.  Auf  der  Insel  wä.chst  viel 
Kaffee,  und  die  Pflanzer  suchen  die  Kaffeebäume  durch  Schutz- 
schirme vor  schädlichen  klimatischen  Einwirkungen  zu  bewahren. 
Der  ausgewählte  und  berühmte  Kaffee  wird  in  Landstrichen  gebaut, 
welche  zwischen  200  und  800  m  über  dem  Meeresspiegel  liegen. 
Der  Kaffeebau  nimmt  ungefähr  41  Prozent  des  gesamten  bebauten 
Flächenareals  in  Anspruch,  Zuckerrohr  15,  Bananen  14  Prozent,  und 
der  Rest  wird  von  fast  allen  tropischen  Früchten  und  Pflanzen,  darunter 
Tamarinde  und  Baumwolle,  ausgefüllt,  unter  denen  sich  auch  einige 
subtropische  wie  die  Melone,  Kastanie,  Feige,  Weintraube,  Tomate  und 
Orange  befinden,  aber  auch  mehrere  unserer  heimischen  Früchte,  wie 
Bohnen,  Kohl,  Rüben,  Sellerie,  Radieschen,  Karotten,  Wasserkresse, 
Pflaume,  Johannisbeeren,  Kirschen  und  Erdbeeren.  Die  Baumwollen- 
pflanze wächst  zu  einem  Baume  von  beträchtlicher  Grösse,  von  der 
Faser  wird  jedoch  nur  wenig  Gebrauch  gemacht.  Auch  Kakao,  Indigo 
und  viele  Pflanzen,  die  zum  ärztlichen  Gebrauche  dienen,  gedeihen 
auf  Portorico,   letztere  finden  jedoch  keine  ausgedehnte  Verwendung. 

Eine  Erforschung:  der  Malediven-Inseln  hat  Prof.  A.Agassiz 
ausgeführt.  Einige  vorläufige  Ergebnisse  derselben  sind  bis  jetzt 
bekannt  gew^orden.^)  Die  Hauptatolle  sind  durch  verhältnismässig 
seichtes  Wasser  in  dem  Zentralteile  der  Gruppe  voneinander  getrennt, 
während  nach  Süden  zwischen  Hadumati,  Suadiva  und  Addu  die 
Tiefen  viel  grösser  sind,  nahezu  1000  Faden.  Ein  Lot  wurde 
westlich  vom  An- Atoll  bis  zu  1500  Faden  herabgelassen,  und  eine 
südlich  von  South  Male  bis  1200  Faden;  hieraus  folgt,  dass  das 
Plateau  der  Malediven  an  der  Westseite  viel  steiler  ist  als  an  der 
Ostseite.  Sondierungen  wurden  auch  zwischen  den  nördlichen  Male- 
diven und  Golombo  vorgenommen  und  zeigen,  dass  die  Malediven  von 
dem  Indischen  Kontinente  durch  eine  tiefe  Rinne  des  Ozeans  von 
mehr  als  1500  Faden  Tiefe  getrennt  sind.  Die  Atolle  der  Malediven 
sollen  nach  Agassiz  die  einfachsten  und  primitivsten  Bedingungen 
für  die  Bildung  der  Atolle  zeigen,  die  man  überhaupt  finde,  ausser 
in  einigen  Teilen  des  Yucatan-Plateaus  in  Westindien.  Atolle  können 
in  allen  Wachstumsstadien  angetroffen  werden,  von  einer  blossen  Bank, 
die  sich  wenige  Fuss  über  das  Plateau  erhebt,  bis  zu  Bänken,  die  bis 
5  und  6  Faden  unter  die  Oberfläche  reichen,  oder  Bänken,  die  soeben 
die  Oberfläche  erreicht  haben,  und  auf  denen  Sandbänke  und  Inselchen 
sich  zu  bilden  anfangen.  Prof.  Agassiz  schreibt  den  Erfolg  seiner 
Expedition  dem  Umstände  zu,  dass  die  vor  mehr  als  70  Jahren  ver- 
öffentlichten Karten  heute  noch  so  genau  sind,  als  sie  damals  waren. 


')  Nature  1902.  <&.  p.  896. 


236  Inseln. 

Die  Insel  Sumatra.  Auf  Gnmd  eigener  Reisen  verbreitete  sich 
Dr.  B.  Hagen  in  der  geographischen  Gesellschaft  zu  Hamburg  über 
Sumatra,  besonders  die  nördlichen  Batak-Länder.^)  Sie  ist  mit 
14000  qkm  Areal  die  viertgrösste  Insel  der  Erde.  Geologisch  besteht 
sie  aus  zwei  gänzlich  verschiedenen  Längshälften,  die  sowohl  in  ihrem 
Aufbaue  wie  in  ihrer  Pflanzen-  und  Tierwelt  voneinander  abweichen. 
Während  die  Osthälfte  eine  grosse,  weit  ausgedehnte,  flache  und 
sumpfige  Alluvialebene  darstellt,  welche  sich  nur  wenig  über  das 
Niveau  des  Meeresspiegels  erhebt  und  mit  dem  dichten,  üppigen 
Universalkleide  der  tropischen  Monsunflora  bedeckt  ist,  zwischen  der 
eine  Tierwelt  haust,  welche  an  Reichhaltigkeit  der  Arten  kaum  von 
irgend  einem  Teile  der  Erde  übertroffen  wird  (die  Insel  Sumatra  be- 
sitzt die  meisten  und  grössten  wilden  Tiere),  tritt  uns  in  der  West- 
hälfte der  Insel  ein  hohes,  wildromantisches  Bergland  mit  Hoch- 
gebirgszügen und  Gipfeln  bis  zu  3800  m  entgegen,  die  grosse,  weit- 
ausgedehnte Hochebenen  und  Hochthäler  umfassen,  mit  einer  ganz 
andern  Vegetation  und  einer  gegenüber  der  Tiefebene  bedeutend 
veränderten  Tierwelt  Die  Ursache  dieser  Verschiedenheit  ist,  dass 
die  Westküste  Sumatras  fast  schutzlos  dem  Wogenpralle  des  Indischen 
Ozeans  ausgesetzt  ist,  welcher  sich  bis  dicht  an  den  Fuss  des  Zentral- 
gebirges herangenagt  hat  Die  Osthälfte  dagegen  ist  der  stillen, 
ruhigen,  seichten  Strasse  von  Malakka  zugekehrt,  und  so  war  es 
möglich,  dass  sich  hier  die  grossen,  ausgedehnten  Alluvialebenen 
bilden  konnten,  welche  in  den  letzten  30  Jahren  einen  Weltruf  als 
Produktionsland  des  berühmten  Sumatra-Tabaks  erlangt  haben.  Hier 
auf  der  Ostseite  konnten  sich  denn  auch  die  grossen  Stromsysteme 
entwickeln,  welche  der  Westküste  vollständig  abgehen,  und  welche 
wieder  das  ihrige  dazu  beitragen,  diese  Anschwemmungsebenen  zu 
vergrössem  und  zu  verbreitern.  Wie  schnell  dies  vor  sich  geht,  mag 
1  man  daraus   entnehmen,    dass   die  Stadt  Palembang,    welche  nach- 

1  weislich  vor  etwa  400  Jahren  dicht  am  Ufer  des  Meeres  gegründet 

I  wurde,    heute  80  km  landeinwärts  liegt.     Man   sollte   meinen,    dass 

I  bei  solchen  Verhältnissen  die  Strasse  von  Malakka  immer  mehr  sich 

I  verschmälem  und  verseichten  würde,  so  dass  in  absehbarer  Zeit  Sumatra 

I  und   die  Halbinsel  Malakka   ein  zusammenhängendes  Ganzes  bilden; 

I  aber  es  existieren  wieder  andere  Faktoren  (z.  B.  gewisse  Strömungen), 

welche  einen  derartigen  gänzlichen  Zusammenschluss  verhindern. 

Wenn  man  die  Karte  betrachtet,  erscheint  nichts  natürlicher, 
als  dass  Sumatra  und  Malakka  früher  einmal  wirklich  ein  solches 
zusammenhängendes  Ganzes  gebildet  haben;  und  doch  ist  dieser  Schluss 
falsch.  Natürlich  stehen  beide  auf  ein  und  demselben  Granit-  und 
Schiefersockel  und  haben  in  den  allerfrühesten  Perioden  unserer 
Erdgeschichte  auch  wirklich  einen  zusammenhängenden  Bestandteil 
des  alten  südhemisphärischen  Godwana-Landes  bis  in  die  mesolithische 


^)  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Berlm  1902.  p.  460. 


Inseln.  237 

Zeit  hinein  gebildet;  aber  seit  dem  Beginne  der  Tertiärperiode  ist  die 
geologische  Geschichte  eine  ganze  andere  als  diejenige  von  Malakka. 
Während  die  Entwickelung  von  Malakka  bis  heute  ziemlich 
ruhig  und  ungestört  verlief,  wurde  Sumatra  der  Schauplatz  gross- 
artiger vulkanischer  Veränderungen.  Es  brach  im  Eocän  die  ungeheuere 
Erdspalte  auf,  welche  von  Sumatra  an  den  ganzen  Malayischen 
Archipel  umschlang  und  sich  einesteils  über  die  Philippinen  bis  hin- 
auf nach  Japan  und  andernteils  über  Neu-Guinea  bis  tief  in  die 
Südsee  hinein  fortsetzte.  Diese  Spalte  durchzog  die  Westhälfte 
Sumatras  in  ihrer  ganzen  Länge,  und  aus  ihr  quollen  grosse  Massen 
trachytischer  Gesteine  empor,  welche  das  Urgestein,  Granit  und 
ältere  Schiefer  teils  überdeckten,  teils  hoch  emporpressten,  hohe 
Eruptionskegel  darauf  aufschütteten  und  so  das  Rückgrat  Sumatras 
bildeten,  das  Bansangebirge.  Nun  folgte  eine  Zeit  der  Ruhe,  bis 
zu  Anfang  unserer  jetzigen  Erdperiode  (der  quartären)  neben  dieser 
ersten  altem  Spalte  eine  zweite  jüngere  Parallelspalte  aufbrach,  die 
von  zahlreichen  Querspalten  unterbrochen  und  durchkreuzt  wurde. 
Auch  auf  dieser  zweiten  Spalte  schütteten  sich  zahlreiche,  heute 
noch  thätige  Vulkane  auf,  und  ihre  Eruptionsprodukte,  vulkanische 
Asche  und  Sand,  füllten  allmählich  die  zwischen  den  beiden  Gebirgs- 
systemen  befindliche  Vertiefung  aus,  so  dass  dieselbe  heute  ein  grosses, 
fast  über  die  ganze  Länge  Sumatras  ausgedehntes,  von  zahlreichen 
Quergängen  durchbrochenes  und  abgeteiltes,  flaches  Hochthal  darstellt 
Da  wo  die  Querspalten  sich  mit  den  Hauptspalten  kreuzten,  fanden 
Einbrüche  und  Einsenkungen  in  grösserem  Masse  statt;  dieselben  füllten 
sich  mit  Wasser,  und  auf  diese  Weise  entstand  auf  dieser  Hochfläche 
eine  Kette  von  Seen,  zum  Teil  von  bedeutendem  Umfange,  wie  der 
Danausee,  die  Seen  von  Singhara,  Manindjo,  der  Tobasee  u.  a. 

Der  Tobasee  ist  der  grösste,  aber  auch  noch  am  wenigsten 
bekannte  dieser  Seen,  wenn  man  von  einem  nur  durch  Hörensagen 
bekannten  gleichnamigen  See,  welcher  weiter  im  Gajugebiete  an  der 
Südgrenze  von  Atjeh  liegen  soll,  absieht. 

In  etwa  600  m  Höhe  trifft  man  die  Vegetationsgrenze,  wo  die 
Flora  der  tropischen  Tiefebene  sich  mit  der  Flora  des  Hochgebirges 
berührt 

Die  Hochebene  von  Toba,  welche  bei  1200 — 1400  m  erreicht 
wird,  bietet  einen  eigentümlichen  Anblick.  Es  ist  eine  anscheinend 
völlig  flach,  weit  ausgedehnte  Ebene,  nur  mit  kurzem,  hartem  Grase 
bestanden,  über  welche  der  Blick  frei  und  ungehindert  hinschweift, 
eine  endlose  Balanggrassavane.  Diese  sterile  Grassteppe  sagt 
deutlicher  als  Worte,  dass  wir  es  hier  mit  einem  alten,  durch  viel- 
leicht Jahrtausende  langen  Ackerbau  ausgemergelten  Kulturboden  zu 
thun  haben;  die  Bewohner,  die  Bataks,  sind  ein  altes  Ackerbauer- 
volk, das  aber  keine  Ahnung  von  Düngung  oder  Bodenmelioration  hat. 
Der  ganze,  nur  aus  lockerer  Asche  und  vulkanischen  Sand  auf- 
geschüttete Boden   ist  durch  tiefe,   senkrecht  abstürzende  Erosions- 


238  Inseln. 

spalten  die  Kreuz  und  Quer  durchzogen,  und  hier  hat  sich  die  ur- 
sprüngliche Vegetation  vor  dem  alles  überwuchernden  Balanggras 
hinabgeflüchtet  Mit  freudiger  Verwunderung  findet  man  hier  blühende 
Veilchenbeete,  Erdbeeren,  Vergissmeinnicht,  Geissblatt,  Immortellen, 
Alpenrosen  und  dergl,  uns  aus  Europa  wohlbekannte  Pflanzen.  Der 
Gharakterbaum  der  Hochebene  ist  aber  die  düstere  Areng-  oder 
Zuckerpalme,  welche  für  den  Batak  geradezu  Lebensbedingung  ist; 
sie  liefert  ihm  Holz,  Umzäunungsmaterial,  Wein,  Zucker,  Zunder, 
Dachbedeckung,  Stricke  u.  s.  w. 

Auf  den  Savanen  sieht  man  grosse  Rinder-,  Büffel-  und  Pferde- 
herden weiden,  deren  Besitz  das  Batakvolk  zu  einem  reichen  und 
glücklichen  machen  würde,  wenn  der  ganze  Gewinn  hieraus  nicht 
wieder  durch  die  drei  Hauptlaster  dieses  Volkes  in  die  Brüche  ginge, 
nämlich  durch  das  Opium,  die  Spielwut  und  den  Kriegsport 

Die  Crozetlnseln.  Diese  im  südlichen  Indischen  Ozeane 
liegenden  Inseln  wurden  1772  durch  Marion  und  Crozet  entdeckt 
und  die  Possessioninsel  von  ersterem  auch  betreten;  Cook  ist  1773 
südlich  von  ihnen  vorübergefahren,  J.  G.  Ross  hat  später  trotz  fünf- 
tägiger Versuche  eine  Landung  nicht  bewerkstelligen  können.  Die 
deutsche  Südpolarexpedition  hat  dagegen  am  25.  Dezember  1900  die 
Possessioninsel  betreten  können.  In  dem  Berichte^)  heisst  es:  >Am 
25.  Dezember  gleich  nach  5^  morgens  kamen  in  etwa  20  Seemeilen 
Abstand  Possession -Island  und  East-Island  in  Sicht  Bei  der  An- 
segelung  von  Süd  unterschieden  wir  auf  Possession-Island  zwei 
Kuppen  von  stumpfer  Kegelfonn,  eine  höhere  im  Westen  und  eine 
niedrigere  von  rötlicher  Farbe  im  Osten,  und  zwischen  beiden  über 
einer  weiten  und  flachen  Scharte,  die  sie  trennt,  einen  hohem,  tafel- 
förmigen Berg,  der  in  Stufen  nach  Süden  abfiel,  und  in  dessen  vielen 
Rinnen  sich  Schneestreifen  zur  Tiefe  zogen.  Nach  Osten  wie  nach 
Westen  senkten  sich  die  Abhänge  der  Berge  in  massiger  Neigung 
und  wurden  im  Westen  im  Meere  von  zwei  Klippen  fortgesetzt  Bei 
der  wachsenden  Annäherung  löste  sich  der  erste  Anblick  in  einen 
NO  und  einen  zweiten  WzuN  rechtweisend  streichenden  Teil  auf, 
welcher  an  einem  flach  verlaufenden,  im  Meere  wiederum  durch  eine 
ganz  nahe  dem  Lande  gelegene  Klippe  fortgesetzten  Kap  aneinander 
stiessen.  WzuN  von  dieser  lagen  vor  der  Küste  noch  verschiedene 
andere  Klippen.  Auch  East-Island  trat  mittlerweile  klarer  aus  dem 
Nebel  hervor,  und  man  erkannte  darin  einen  hohen,  steilen,  aber 
nicht  angegliederten  Felsklotz,  an  dessen  Westseite  sich  mindestens 
zwei  tief  und  steilwandig  die  Felsen  durchschneidende  Thäler  er- 
kennen Hessen.  Im  Westen  und  Südwesten  der  Insel  waren  vor  der 
Küste  Klippen  sichtbar.  Jenseits  des  östlichen  Endes  dieser  NO 
streichenden  Küstenstrecke,  wo  diese  Küste  bereits  einen  nördlichen 
Verlauf  angenommen  hat,  fand  sich  eine  Bucht,  auf  welche  wir  zu- 


^)  Veröff .  d.  Instituts  f.  Meereskunde  v.  Richthofen  1902.  Heft  2. 


Inseln.  239 

hielten.  Dieselbe  hat  im  Hintergrunde  flache  Ufer,  an  welchen  ein 
breites  Thal  endigt,  das  sich  in  massiger  Neigung  von  der  oben 
erwähnten,  niedrigem  rötlichen  Kuppe  herabzieht.  Die  Ufer  waren 
von  Pinguinen  und  Seeelefanten  reich  bevölkert;  zahlreiche  Kormo- 
rane,  die  auf  den  Felsen  dort  nisten,  umschwärmten  das  Schiff.  Die 
Landung  im  Boote  gelang  in  einer  Bucht,  welche  >  Weihnachtsbucht  < 
genannt  wurde.  Die  Insel  baut  sich  dort  nach  dem  Berichte  des 
Geologen  der  Expedition  der  an  der  Landung  teilnahm,  aus  flach- 
gelagerten Strömen  von  basaltischer  Lava  auf,  welche  mit  Bänken 
von  grobem,  vulkanischem  Agglomerat  wechsellagern.  Feinere  Tuffe 
konnte  man  nirgends  beobachten.  Die  Lava-  und  Agglomeratbänke 
fallen  mit  5—7^  nach  dem  Meere  zu  ein,  ihr  Neigungswinkel  ent- 
spricht also  ungefäkhr  dem  Böschungswinkel  der  Hochfläche.  Daraus 
ergiebt  sich  mit  Wahrscheinlichkeit,  dass  ein  Lavastrom  von  geringer 
Mächtigkeit  oft  über  weite  Flächen  den  Untergrund  der  Hochfläche 
bildet.  Die  Aufeinanderfolge  der  einzelnen  Ströme  und  Agglomerate 
ist  vorzüglich  an  der  steilen  Abrasionsmauer  zu  beobachten,  welche 
4ie  Brandung  überall  geschaffen  hat.  Bei  der  Einfahrt  in  die  »Weih- 
nachtsbucht«  zählte  Dr.  Philippi  8  Lavaströme,  welche  mauerartig 
aus  den  leichter  verwitternden  Agglomeraten  herausragen.  Ein 
rötlicher  Kegel  einige  Kilometer  in  NO  wurde  als  Krater  erkannt. 
Allerdings  ist  nur  der  östliche  Teil  des  Kraterrandes  zu  erkennen, 
welcher  schliessen  lässt,  dass  der  Krater  die  bekannte  Lehnstuhlform 
besass.  Das  Innere  des  Kraters  und  die  Aussenfläche  des  Kegels 
sind  jedoch  so  dick  mit  losen  Auswürflingen  überdeckt,  dass  weiteres 
über  seine  einstige  Gestalt  nicht  zu  erkennen  ist.  Die  Auswürflinge 
bestehen  meist  aus  Fetzen  einer  ziegelroten,  grossblasigen,  seltener 
^us  solchen  einer  dunklen,  dichten  Lava.  Daneben  sind  echte  Bomben 
von  ellipsoidaler  Gestalt  nicht  selten.  Am  Fusse  des  rötlichen  Vulkan- 
kegels tritt  ein  eigentümliches,  dichtes,  graugeflecktes  Gestein  auf; 
Verf.  konnte  aber  nicht  entscheiden,  ob  es  sich  um  Brocken  eines 
dort  anstehenden  Gesteines  oder  um  lose  Auswurfsmaterialien  handelt. 

Spuren  einer  Gletscherwirkung  konnte  Verf.  nirgends  wahrnehmen, 
ebensowenig  Flussschotter.  Die  losen  Gesteinsblöcke,  welche  das  Pla- 
teau und  seine  Abhänge  bedecken,  entstammen  der  unmittelbaren  Nach- 
barschaft und  sind  höchstens  durch  Verwitterung  kantengerändert. 

Die  Gesteine  der  Possessioninsel  sind  durchweg  noch  sehr 
frisch.  Der  leicht  zersetzbare  Olivin  der  Dolerite  ist  meist  noch 
intakt,  die  Hohlräume  der  blasigen  Lava  sind  noch  nicht  mit  Zeolithen, 
Kalkspat  oder  Kieselsäure  ausgefüllt.  Dies  lässt  auf  ein  sehr 
jugendliches  Alter  der  Laven  schliessen.  Verf.  vermutet,  dass  die 
geschichteten  Laven  und  Agglomerate  nicht  älter  als  diluvial,  liöchstens 
pliocän  sind,  dass  die  Ausbrüche  des  roten  Vulkankegels  aber  dem 
Alluvium  zufallen,  vielleicht  sogar  nur  wenige  Jahrhunderte  zurück- 
liegen. Dass  die  Laven  subaerisch  abgelagert  wurden,  schliesst  er 
4hU8  den   fladenförmigen  Oberflächenzeichnimgen   der  untersten  Lava, 


240  Inseln. 

die  z.  B.   von  den  Vesuvströmen  so  wohl  bekannt  sind;   sie  wären 
für  submarine  Laven  nicht  zu  erklaren. 

In  Übereinstimmung  mit  der  Frische  der  Laven,  die  auf  ihr 
jugendliches  Alter  schliessen  lässt,  steht  die  gesamte  Oberflächen- 
gestaltung der  Insel.  Der  flache  Kegel  des  Hauptgipfels  stellt  wohl 
zweifellos  die  ursprüngliche  Oberfläche  des  Stratovulkanes  dar.  Die 
Thäler  sind,  trotz  des  grossen  Wasserreichtumes  der  Insel,  meist  noch 
flach,  die  Thalbildung  befindet  sich  überall  noch  im  Anfangsstadium. 
Sehr  bezeichnend  ist,  dass  Fjordbildungen,  durch  die  Kerguelen  so 
ausgezeichnet  ist,  dem  von  der  Expedition  gesehenen  Teile  der  Posses- 
sioninsel gänzlich  fehlen,  und  dass  der  Haupünsel  keine  kleinern  Inseln, 
sondern  nur  Riffe  in  unmittelbarer  Nähe  der  Küste  vorgelagert  sind. 

Die  Insel  Rota.  H.  Fritz  macht  Mitteilungen^)  über  diese 
südlichste  der  deutschen  Marianeninseln.  Sie  liegt  unter  14^  7'  30" 
nördl.  Br.  und  145®  18'  östl.  L.  v.  Gr.  und  ist  nach  der  Seekarte 
etwa  12  500^  gross.  Sie  besteht  im  wesentlichen  aus  einem  wohl 
300  m  hohen  Berge,  der  nach  W,  S,  0  in  scharf  abgesetzten  Terrassen, 
nach  N  sich  allmählich  zum  Meere  senkt.  Im  SW  ist  eine  kleinere 
Insel  Taipingot  vorgelagert,  die  sich  gleichfalls  in  steilen,  konzen- 
trischen Terrassen  aufgebaut  und  durch  eine  Düne  mit  der  Hauptr 
insel  verbunden  ist.  Taipingot  bietet  von  weitem  den  Anblick  eines 
liegenden  Rades  und  hat  vielleicht  dem  Portugiesen  Magalhaes  den 
Anlass  zu  der  Bezeichnung  >roda<  gegeben.  In  der  Sprache  der 
Eingeborenen  (welche  keiner  kennt)  heisst  die  Insel  Luta,  und  es  ist 
nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Spanier  wie  bei  vielen  Ortsbezeichnungen 
dieses  1  in  r  verwandelten.  Der  Pater  Sanvitores  (1668)  führt 
Zärpana  (Satpana)  als  ihren  —  heute  vergessenen  —  Eingeborenen- 
namen an,  während  spätere  Reisende  von  einer  Insel  »Botahac  reden. 

Der  einzige  bewohnte  Ort  liegt  auf  der  Düne  zwischen  der 
Hauptinsel  und  Taipingot.  In  0  und  W  ist  dieselbe  von  Riffen 
umsäumt,  welche  bis  dicht  an  die  Küste  herantreten  und  Booten 
eine  enge,  zuweilen  schwierige  Einfahrt  gewähren,  die  indessen  un- 
schwer durch  Sprengung  erweitert  werden  kann.  Auch  grosse 
Schiffe  können  bei  allerdings  wenig  günstigem  Ankergrunde  nahe  der 
Küste  vor  Anker  gehen.  Die  grosse  Bucht  im  SSW,  Sasanh&ia, 
bietet  Schutz  gegen  den  herrschenden  Nordostwind. 

Der  vulkanische  Kern  der  Insel  ist  bis  in  den  Gipfel  mit  ver- 
witternden Korallen  bedeckt,  deren  oft  glasharte,  schlackenähnliche 
Beschaffenheit  die  Vermutung  unterstützt,  dass  sie  von  den  Lava- 
strömen späterer  Vulkanausbrüche  ausgeglüht  seien.  Das  Ver- 
witterungsprodukt der  Lava  bedeckt  als  ein  tiefgründiger  roter  Thon 
die  Terrassen;  die  handgrossen  Korallensteine  sind  in  ihm  eingelagert 
oder  bedecken  als  GeröUe  die  Hänge,  nachdem  die  Regengüsse  den 
Thon  abgeschwemmt  haben.     Dieses  oberflächliche  Gerolle  bietet  in- 


^)  Mitteil,  aus  den  deutschen  Schutzgebieten  1901.  No.  3. 


Inseln.  241 

dessen  dem  Eindringen  der  Wurzeln  keinen  Widerstand,  die  Vegetation 
seheint  sogar  reicher  und  kräftiger  zu  sein  als  auf  den  übrigen 
Inseln,  die  Bäume  erreichen  hier  durchweg  eine  grössere  Höhe.  Auf 
der  Süd-  und  Ostküste,  wo  der  Korallenmantel  durchbrochen  ist,  und 
das  Urgestein  zu  Tage  tritt,  bilden  sich  Flüsse,  welche  das  ganze 
Jahr  hindurch  Wasser  führen. 

Auf  dem  übrigen  Teile  der  Insel  versickern  die  reichlichen  Regen- 
güsse durch  den  porösen  Untergrund  der  Koralle.  Auf  der  Süd- 
westseite sind  zwei  geräumige  Höhlen  mit  grossen  Tropfsteinbildungen, 
verborgenen  Gängen  und  Hallen.  Sie  dienen  den  Eingeborenen  vor 
Not,  früher  vor  der  spanischen  Verfolgung,  heute  bei  grossen  Stürmen, 
als  Zuflucht.  Die  eine  derselben  ist  von  einer  kleinen  Fledermaus 
bewohnt,  und  die  Reste  ihrer  Nahrung  und  Verdauung  bedecken  in 
mehr  als  meterhoher  Schicht  den  Boden. 

Das  Klima  ist  wie  auf  den  übrigen  Marianen  heiss  und  feucht, 
Regen  fällt  das  ganze  Jahr  hindurch,  in  grösserer  Menge  etwa  von 
Juli  bis  November,  aber  auch  während  des  übrigen  Jahres  genügend, 
um  eine  tiefe  Austrocknung  des  Bodens  und  ein  Absterben  selbst 
der  flachwurzelnden  Vegetation  zu  verhindern  (Tinian  in  seiner 
nördlichen  Hälfte  bildet  hierin  eine  Ausnahme). 

Der  Pflanzenwuchs  ist  im  allgemeinen  derselbe  wie  auf  den 
übrigen  Inseln;  doch  sind,  wie  erwähnt,  die  Bäume  höher,  die  Steppe 
ist  von  geringerer  Ausdehnung.  Rota  macht  daher  den  Eindruck  einer 
jungfräulichem  Erde  als  etwa  Saipan. 

Die  Insel  Nauru  im  Stillen  Ozeane.  Über  dieselbe  macht 
Prager  einige  Mitteilungen.^)  Diese  Insel  wurde  von  mehrem  Ent- 
deckern mit  verschiedenen  Namen  belegt  als  Nawodo,  Shank-Island 
und  Pleasant-Island,  von  denen  sich  die  letzte  Bezeichnung  lange 
Zeit  behauptet  hat.  » Nauru  c  ist  der  Name,  mit  welchem  die  Ein- 
geborenen ihr  Heimatland  bezeichnen,  welcher  der  gültige  bleiben 
wird,  nachdem  die  Insel  deutscher  Besitz  geworden  ist.  Entdeckt 
wurde  Nauru  zuerst  im  Jahre  1798  von  Kapt  Feam,  der  ihr  auch 
den  Namen  Pleasant-Island  beilegte. 

Nauru,  auf  0^  25'  s.  Br.,  167^  2'  ö.  L.  gelegen,  erscheint  jedem 
dort  anlaufenden  Seefahrer  als  ein  mit  voller  Tropenpracht  ge- 
schmücktes Fleckchen  Erde,  was  um  so  auffallender  ist,  als  gleich 
einsam,  ebenfalls  nahe  dem  Äquator  gelegene  Inseln,  wie  Baker- 
Island  0«  ir  n.  Br.,  1580  40'  w.  L.  und  Jarvis-Island  0»  22'  s.  Br. 
1590  58'  w.  L.  wenig  oder  keine  Vegetation  aufweisen.  Der  Grund 
dafür,  dass  auf  Nauru  sich  eine  so  blühende  Flora  entfalten  konnte, 
liegt  in  der  Beschaffenheit  des  Bodens,  der  vulkanischen  Ursprunges 
ist.  Dazu  tritt  der  für  Nauru  charakteristische  Umstand,  dass,  so 
klein  diese  Landfläche  auch  ist,  daselbst  ausreichender  Regen  fällt 
Die    beiden    inmitten    der  Insel   befindlichen  150  Fuss  hohen  Hügel 


*)  Ann.  der  Hydrographie  1902.  p.  906. 
Klein,  J&hrbuch  Xm.  16 


242  Inseln. 

sind  ehemalige  Krater,  in  deren  Vertiefungen  heute  sich  kleine  Krater- 
seen befinden.  Die  etwa  15  Seemeilen  im  Umfange  grosse  Insel 
mngiebt  ein  200  m  breites  Korallenriff,  das  steil  zu  grosser  Tiefe 
abfällt  und  einem  Schiffe  nirgendwo  Ankergrund  darbietet.  Steile, 
5 — 7  m  hohe  Korallenklippen  geben  Zeugnis  davon,  dass  vulkanische 
Kraft  die  früher  viel  kleinere  Landfläche  gehoben  hat. 

Die  Bevölkerung  der  Insel  Nauru  hat  sich  aus  vor  langer  Zeit 
auf  See  vertriebenen  Gilbert-Insulanern  entwickelt;  namentlich  waren 
es  Bewohner  der  unter  dem  Äquator  gelegenen  Inseln  dieser  Qruppe, 
die  einstmals  in  leichten  Kanus,  durch  die  starke  Äquatorialströmung 
abgetrieben,  dem  Zufalle  danken  konnten,  dass  sie  diese  kleine  Insel 
erblickten  und  dort  Rettung  fanden. 

Dementsprechend  sind  Sprache,  Sitten  und  (Gebräuche  der  Be- 
wohner Naurus  die  gleichen  wie  die  der  Gilbert-Insulaner,  ebenso 
ist  die  Kampf-  und  Rauflust  der  in  11  Stämme  geteilten  1200  Ein- 
geborenen eine  vererbte  Eigenschaft,  wodurch,  ehe  die  deutsche 
Herrschaft  auf  Nauru  zur  Geltung  kam,  viel  Unheil  und  grosser 
Schaden  am  Bestände  der  Kokosnusskultur  angerichtet  wurde. 

Aber  nicht  allein  den  Eingeborenen  jener  Gegend  wird  die 
äquatoriale  Meeresströmung  verhängnisvoll,  sondern  fast  alle  Segel- 
schiffe, die  nach  Nauru  bestimmt  sind  und  an  der  Westseite  dieser 
Insel  mehrere  Tage  sich  aufhalten  müssen,  treiben  ab.  Gelingt  es 
dann  nicht,  schnell  auf  3 — 4^  n.  Br.  zu  gelangen  und  mit  dem 
äquatorialen  Gegenstrome  gegen  den  oft  leichten  Nordostwind  auf- 
zukreuzen, dann  können  Wochen  vergehen,  ehe  Nauru  wieder  er- 
reicht wird. 

Vorherrschend  in  der  Nähe  Naurus  ist  der  Nordost-  bis  Ost- 
nordostwind, dessen  durchschnittliche  Stärke  selten  4 — 5  übersteigt. 
Bemerkenswert  aber  ist,  dass  die  kleine  Insel  auf  die  Luftströmung 
gewissen  Einfluss  ausübt,  denn  in  bestimmter  Jahreszeit,  Mai  bis 
August,  sind  in  der  Äquatorialgegend  Windstillen  oder  sehr  leichte 
Winde  vorherrschend;  in  der  nähern  Umgebung  der  Insel  findet  man 
jedoch  fast  immer  eine  stärkere  Luftströmung  vor.  Auch  des  Nachts 
ist  eine  Windstärke  bis  3  meistens  zu  erwarten,  seltener  sind 
plötzlich  eintretende  Windstillen. 

Die  Samoalnseln.  Über  dieselben  verbreitete  sich  Dr.  G. 
Wegener.^)  Dieser  Archipel  liegt  annähernd  in  der  Mitte  der  Insel- 
wolke, die  den  Europa  am  meisten  abgewandten  Teil  der  Erde 
überdeckt 

Die  Inseln  liegen  in  sehr  flachem,  leicht  nach  Norden  konkavem 
Bogen,  der  von  OSO  nach  WNW  zieht  und  rund  500  km  lang  ist. 
Er  besteht  aus  5  Inseln  oder  Inselgruppen.  Ihr  Gtesamtflächeninhalt 
steht  in  der  Mitte  zwischen  demjenigen  von  Mecklenburg-Strelitz 
und  Luxemburg. 

^)  Zeitschr.  der  Ges.  für  Erdkunde  zu  Berlin  1902.  p.  411. 


Inseln.  248 

Die  Entstehung  der  Samoainseln  ist  aufs  innigste  mit  dem 
Problem  der  Entstehung  der  ganzen  Inselwelt  des  Grossen  Ozeans 
verknüpft.  Gewisse  Grundzüge  in  letzterer  lassen  auf  die  Wirk- 
samkeit grosser  Gesetzmässigkeiten  schliessen.  Die  Inselschwärme 
lassen  sich  in  drei  grosse  Linienzüge  ordnen.  Eine  Richtung  geht,  die 
Umrisse  Australiens  nachahmend,  von  Neu-Guinea  über  die  Salo- 
monen bis  nach  Neu-Seeland,  eine  zweite  folgt  der  Ostküste  dieses 
Landes  und  zieht  geradlinig  über  die  Kermadek-  zu  den  Tongainseln. 
Die  dritte  besteht  aus  losen  Zügen  von  vorwiegend  OSO — 
WNW-Richtung,  die  in  breitem  Bande  über  den  Ozean  dahinziehen. 
Letzterer  Gruppe  gehören  die  Samoainseln  an. 

Für  die  besonders  von  der  Darwinschen  Eorallenrifftheorie 
ausgehende  Hypothese,  dass  wir  in  den  Inseln  Ozeaniens  es  mit  den 
Resten  eines  versunkenen  Kontinentes  zu  thun  haben,  leistet  die 
Beobachtung  der  Meerestiefen  gewissen  Vorschub.  Im  grossen  und 
ganzen  sinkt  der  Boden  von  Australien  aus  nach  Osten  und  Norden. 
Die  grossen  Inseln  des  Gebirgsbogens,  der  von  Neu-Guinea  bis  nach 
Samoa  zieht,  liegen  im  allgemeinen  auf  einer  flachern  Stufe,  die 
2000 — 3000  fff  tief  ist,  und  die  Zusammensetzung  ihrer  mannigfaltigen 
archäischen  und  sedimentären  Gesteine  macht  es  ziemlich  wahr- 
scheinlich, dass  hier  ehedem  ein  Kontinent  gewesen  ist.  Jenseits 
davon  liegt  der  Bereich,  wo  so  gut  wie  gar  kein  anstehender  sedi- 
mentärer Fels  mehr  bekannt  ist,  sondern  fast  nur  noch  jüngere  Vulkane 
und  Korallenbauten  die  Inseln  zusammensetzen.  Aber  auch  hier 
lässt  sich  noch  eine  zweite,  etwas  tiefere  Stufe  erkennen,  deren 
Rand  von  den  Kermadek-  und  Tongainseln  über  die  Karolinen  zieht, 
und  die  mit  einigen  Unterbrechungen  oberhalb  von  3000  m  liegt 
Erst  jenseits  von  ihr  beginnen  die  ganz  grossen  Meerestiefen  von  4000, 
6000,  6000  m.  Ja  hart  neben  dieser  Grenzlinie  kommen  an  einzelnen 
Stellen  die  gewaltigsten  Tiefen  vor,  die  wir  überhaupt  kennen  — 
^^wischen  Karolinen  und  Marianen  von  mehr  als  8000  m,  und  dicht 
neben  den  Tongainseln  liegt  sogar  die  tiefste  bisher  überhaupt  be- 
obachtete Stelle,  wo  bei  ungefähr  9  km  Tiefe  noch  kein  Grund  ge- 
funden worden  ist.  Diese  Erscheinung  giebt  dieser  unterseeischen 
Stufe  eine  besondere  Ähnlichkeit  mit  Kontinentalrändem,  wo  wir 
ähnliche  Höhenunterschiede  beobachten. 

Auch  zu  der  zweiten  Stufe  sind  die  Samoainseln  anscheinend 
nicht  mehr  zu  rechnen,  sondern  zu  dem  ganz  ozeanischen  Reste, 
dessen  Inseln  aus  Tiefen  von  4000  m  und  mehr  aufsteigen.  Auch 
hier  aber  zeigt  die  Tiefenlotung,  dass  jede  dieser  Inselgruppen  auf 
einer  gemeinsamen  Erhebung  aufsitzt,  die  oft,  wie  z.  B.  bei  den 
Paumotu,  bis  auf  weniger  als  1000  m  dem  Meeresspiegel  sich  nähert 
So  erscheint  es  fast,  als  ob  der  Meeresboden  in  dem  Gebiete,  dem 
Samoa  angehört,  in  grosse  parallele  Wellen  gelegt  ist,  wie  wir  es 
.ähnlich  in  dem  uralten  Faltungsgebiete  des  innem  Asien  finden. 

Der  gemeinsame  Rücken  der  Samoainseln  steigt  aus  Tiefen  von 

16^ 


244  Inseln. 

4000,  auf  der  Südseite  5000  m  an  und  bildet  einen  unterseeischen 
Plateaustreifen  von  2000 — 8000  m  Tiefe.  Da  die  Inseln  sich  in  Sawaii 
bis  zu  etwa  1700  m  Höhe  über  See  erheben,  so  hätten  wir,  wenn 
wir  den  Ozean  von  Wasser  entblössen  könnten,  eine  in  westostlicher 
Richtung  ziehende  Gebirgskette  vor  uns  mit  Höhen  von  5000 — 7000  m^ 
d.  h.  gleich  den  gewaltigsten  Gebirgen  der  Erde. 

Von  den  Schichten  der  Erdrinde,  die  den  Sockel  dieses  Gebirges 
zusammensetzen,  sehen  wir  nichts  mehr;  nur*  noch  die  Gipfel  voa 
Vulkanen  schauen  über  die  Meeresfläche  empor,  die  dem  unterseeischen 
Gebirgsrücken  in  ähnlicher  Weise  aufgesetzt  erscheinen,  wie  die 
Vulkane  der  Andes  den  Plateaus  der  Kordilleren. 

Das  Gestein  besteht  vorwiegend  aus  einem  Basalt,  dessen 
Entstehung  grösstenteils  bis  in  die  Tertiärzeit  zurückzureichen 
scheint,  doch  lässt  sich  erkennen,  dass  die  vulkanische  Thätigkeit 
noch  bis  in  die  jüngste  Zeit  fortgedauert  hat.  Sie  ist  augenschein- 
lich successive  von  Osten  nach  Westen  erloschen.  Je  weiter  wir  in 
dieser  Richtung  wandern,  um  so  besser  sind  die  Kraterformen  noch 
erhalten.  In  Manua  und  Tutuila  erkennt  man  kaum  noch  solche,, 
und  das  Gestein  ist  tiefgründig  zersetzt.  Auch  die  Ostseite  von 
Upolu  ist  noch  ein  meist  bis  zur  Unkenntlichkeit  zerstörtes  Trümmer- 
werk alter  Krater.  In  der  Mitte  der  Insel  treten  sie  uns  aber  noch 
wohlerhalten  entgegen,  und  der  westliche  Eckpfeiler  der  Insel,  ^der 
Tofua,  ist  ein  Vulkanberg  von  grösster  Regelmässigkeit.  Ebenso- 
nimmt  die  Zersetzung  der  Basaltmassen  des  Bodens  von  Westen 
nach  Osten  sichtlich  ab.  Sawaii  vollends  ist  eine  der  typischsten 
Vulkaninseln,  die  es  giebt.  Hier  ist  überdies  der  Boden  noch  fast 
durchweg  mit  einem  wenig  zersetzten  Blockgerölle  überdeckt.  Ja  an 
mehrem  Stellen  sind  noch  frische  Lavaergüsse  zu  erkennen.  Einen 
solchen  gewahrt  man  hier  auf  der  Nordseite  schon  von  weitem,  vom 
Schiffe  aus,  sehr  deutlich.  In  das  dichte  grüne  Waldkleid,  das  die 
sanftgeneigten  Gehänge  der  Insel  überzieht,  ist  eine  lichtere  Fläche 
eingebettet,  die  in  Dreiecksform  sich  aufwärts  nach  dem  Krater  des 
Mua  zieht.  Hier  liegt  die  Spitze.  Das  Ganze  ist  ein  noch  sehr 
wenig  zersetzter  Lavastrom,  welcher  den  Wald  zerstört  hat,  und 
den  eben  erst  eine  niedrige  Vegetation  zu  erobern  beginnt  Die  Ein- 
geborenen haben  dafür  den  merkwürdigen  Namen  0  le  Mu,  das 
Glühende,  so  dass  ihre  Vorfahren  den  Fluss  der  Lava  noch  mit  an- 
gesehen zu  haben  scheinen.  Ein  zweiter,  etwas  älterer  Erguss  ähn- 
licher Art  und  gleichen  Namens  existiert  auf  der  Südseite. 

Auch  ein  anderer  Umstand  ist  Zeugnis  dafür,  dass  der  Vulkanis-^ 
mus  von  Osten  nach  W^esten  erloschen  ist,  nämlich  die  Entwickelung 
der  Korallenbauten;  diese  können  sich  natürlich  immer  erst  eine 
geraume  Zeit  nach  der  Beruhigung  des  Gebietes  bilden.  Und  nun 
zeigt  es  sich,  dass  Sawaii  erst  nur  Ansätze  zur  Korallenriffbildung 
besitzt.  Upolu  hat  ein  weit  reicher  ausgebildetes  Riff,  das  aber 
streckenweise  fehlt  Die  folgenden  Insehi  haben  noch  intensivere  Korallen- 
bildung, und  Rosa  ist  vollends  eine  fast  ganz  reine  Koralleninsel. 


Inseln.  245 

Erdbeben  werden  in  Samoa  noch  sehr  häufig  beobachtet,  die 
Erschütterungen  kommen  meist  aus  Südwest,  sind  aber  durchgängig 
gering.  Immerhin  sind  sie  als  Zeugen  dafür  interessant,  dass  die 
unterirdischen  Kräfte,  welche  die  Inseln  aufgetürmt  haben,  noch 
immer  nicht  zur  Ruhe  gekommen  sind. 

Wenn  hier  wirklich  das  Versinken  eines  Kontinentes  stattgefunden 
hat,  so  lässt  sich  aus  dem  rein  kolonialen  Charakter  der  Lebewelt 
schliessen,  dass  derselbe  bereits  völlig  untergetaucht  gewesen  sein  muss, 
ehe  die  Vulkane  der  heutigen  Inseln  auf  ihrer  Unterlage  entstanden;  denn 
sonst  müssten  sich  auf  den  Inseln  wohl  Reste  der  originalen ,  von  der 
westlichen  abweichenden  Lebewelt  dieses  Erdteiles  erhalten  haben. 

Eine  neu  entstandene  und  wieder  versehwundene  Insel. 

In  der  Nähe  von  Pelican  Point,  etwa  6^/,  Meilen  westlich  von  der 
Walfischbai-Niederlassung,  entdeckte  die  Tochter  des  englischen  Resi- 
denten mit  dem  Femglase  am  1.  Juni  1900  einen  Gregenstand  im 
Meere,  der  einem  Schiffsrumpfe  glich.  Man  begab  sich  mit  einer 
Dampf pinasse  an  Ort  und  Stelle  und  fand  dort  eine  etwa  150  Fuss 
lange,  30  Fuss  breite  Insel,  die,  sich  15  Fuss  über  den  Meeres- 
spiegel erhebend,  so  steilen  Absturz  zeigte,  dass  eine  Landung  un- 
möglich war.  Indessen  schwamm  ein  Offizier  bis  an  das  Eiland 
heran  und  brachte  eine  Probe  des  Materiales,  aus  dem  dasselbe 
bestand,  mit  zurück.  Diese  Probe  erwies  sich  als  Schlamm,  auch 
schienen  an  einigen  Punkten  Dämpfe  von  der  Insel  aufzusteigen, 
und  ein  Geruch  nach  Schwefelwasserstoff  machte  sich  bemerkbar. 
Als  man  am  7.  Juli  die  Insel  näher  untersuchen  wollte,  war  sie 
verschvninden.  Nach  Waldron  und  Schenck  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  sich  in  der  Walfischbai  nahe  bei  Pelican  Point  ein  unter- 
meerisches  Schlammvulkangebiet  befindet,  dem  hauptsächlich  Schwefel- 
wasserstoffgas entströmt.  Mit  eigentlichen  Vulkanen,  die  glühende 
Massen  aussenden,  haben  solche  Schlammvulkane  nichts  zu  thun. 
Der  Wasserstoff  verdankt  vielmehr  seinen  Ursprung  wahrscheinlich 
organischen  Stoffen,  die  auf  dem  Meeresboden  unter  einer  Schlamm- 
schicht begraben  liegen.  Jedenfalls  aber  ist  die  Thatsache,  dass 
auf  diese  Weise  eine  Insel  gebildet  worden  ist,  bis  dahin  noch  nicht 
beobachtet  worden,  falls  nicht  die  vor  mehr  als  40  Jahren  im 
Kaspischen  Meere  aufgetauchte  und  später  wieder  verschwundene 
Insel  den  gleichen  Ursprung  gehabt  hat. 

Das  Meer. 

Die  Vertellungr  des  Salzg^ehaltes  Im  Oberflächenwasser 
des  Ozeans  ist  von  Dr.  G.  Schott  kartographisch  dargestellt  und 
erläutert  worden.^)  Es  wurden  dabei  alle  zuverlässigen  Beobachtungen 
benutzt,   und  die  Obersichtskarte  muss  als  sehr  wertvoll  bezeichnet 

^)  Petermanns  Mittl.  1902.  p.  217. 


246  Das  Meer. 

werden.  Maxima  des  Salzgehaltes  (mit  über  36^/^)  zeigen  sich  im 
Grossen  Ozeane  zwischen  10  und  30^  s.  Br.  und  80 — 165^  w.  L. 
V.  Gr.,  zwei  kleinere  Gebiete  ausserdem  östlich  von  Australien  und 
östlich  von  Neu-Guinea  zwischen  160  und  170^  w.  L.  Nördlich 
vom  Äquator  zwischen  20  und  30®  n.  B.  und  155*  w.  L.  bis  145*'  ö.  L. 
V.  Gr.  liegt  eine  Fläche  mit  Salzgehalt  bis  zu  35.9®/^.  Im  Indischen 
Ozeane  findet  sich  ein  Maximum  von  über  36^00  westlich  von  Australien 
zwischen  75  und  110*^  ö.  L.,  dann  im  Arabischen  Meere  vom  Äquator 
nordwärts  die  ganze  Küste  Arabiens  umsäumend.  Im  Atlantischen 
Ozeane  findet  sich  das  Maximum  des  Salzgehaltes  über  37%^  ostwärt» 
von  der  Küste  Brasiliens  zwischen  10  und  25®  s.  Br.  bis  10®  w.  L. 
V.  Gr.,  nordwärts  vom  Äquator  eine  andere  elliptische  Fläche  mit 
37— 37.9®/^j^j  zwischen  20  und  30®  n.  Br  .und  20—55®  w.  L.;  endlich 
ist  das  Mittelländische  Meer  (mit  Ausnahme  der  Nordwestecke  des 
Adriatischen  Meeres)  ein  Gebiet  maximalen  Salzgehaltes.  Der  an  sich 
bestechende  Gedanke,  sagt  Verf.,  dass  bestimmten  Stromgebieten 
des  Meeres  unter  allen  Umständen  ein  ganz  bestimmter  »imma- 
nentere Salzgehalt  als  solcher  zuzuweisen  sei,  hat  keine  Geltung» 
und  lediglich  die  ausserhalb  des  Meeres  liegenden  meteorologischen 
Einflüsse  werden  den  Schlüssel  sowohl  für  die  schwachsalzigen 
wie  starksalzigen  Gebiete  abgeben.  Wenn  wir  die  Karten  der  Wind- 
verhältnisse in  den  bekannten  Atlanten  zu  Rate  ziehen,  so  finden 
wir,  dass  im  äquatorialen  Stillen  Ozeane,  zumal  im  nördlichen  Hoch- 
sommer, unter  etwa  10®  n.  Br.,  eine  bandförmige,  breite  Zone  vor- 
wiegender Windstillen  gerade  dort  lagert,  wo  das  Minimum  des 
Salzgehaltes  mitunter  34.5,  ja  34.0  ®/^q  Salzgehalt  beobachtet  wird^ 
dass  femer  im  äquatorialen  Indischen  Ozeane  zu  allen  Jahres- 
zeiten in  breiter,  nach  W  keilförmig  abschneidender  Zone  vorwiegend 
auf  südlichen  Breiten,  und  zwar  auf  der  hinterindischen  Ozeanseite^ 
Windstillen  über  gewaltigen  Flächen  äusserst  häufig  sind,  wiederum 
in  Deckung  mit  der  Lage  des  äquatorialen  indischen  Minimums  des 
Salzgehaltes ;  wir  finden  schliesslich,  dass  im  äquatorialen  Atlantischen 
Ozeane  auf  nördlicher  Breite  der  Windstillengürtel  die  relativ  geringste 
Ausdehnung  hat,  und  demgemäss  auch  die  äquatoriale  Salzgehalts- 
verminderung nur  nach  der  afrikanischen  Seite  unter  35®/^^  in  vielen 
Fällen  herabgeht,  dagegen  im  übrigen  mit  35.5  und  35.0®/^  vergleichs- 
weise am  wenigsten  bemerkbar  wird,  weil  in  einem  nach  W,  nach 
den  Antillen  hin,  sich  immer  steigernden  Masse  zur  Zeit  des  nördlichen 
Winters  an  die  Stelle  von  Windstillen  ein  kräftiger  Nordostpassat 
tritt,  der  die  Konzentration  vermehrt.  Was  dann  die  Flächen  höchsten 
Salzgehaltes  anbelangt,  so  lassen  sich  auch  da  die  absoluten  Beträge 
in  ziemlich  klarer  Weise  in  ein  direktes  Abhängigkeitsverhältnis  von 
der  Windstärke  bringen.  Im  Nord-  und  im  Südatlantischen  Ozeane 
steigt  der  Maximalwert  des  Oberflächensalzgehaltes  bis  auf  37. 5®/^^  und 
etwas  darüber,  und  zwar  findet  sich  die  Maximalzone  nicht  etwa 
im   Rossbreitengürtel,  d.  h.  in   den  Gegenden   höchsten   Luftdruckes 


Das  Meer.  247 

und  leichter  Winde,  sondern  da,  wo  der  Nordost-,  bezw.  Südost- 
passat am  frischesten  ist;  besonders  aber  möge  man  beachten,  dass 
in  beiden  Ozeanhälften  jahraus  jahrein  der  Passat  in  der  fraglichen 
Meeresgegend  (unter  dem  nördlichen  Wendekreise,  bezw.  20 —  10®  s.  Br.) 
als  durchstehende  Brise  vorhanden  ist:  daher  hier  das  absolute 
Maximum  des  Salzgehaltes  der  Hochsee. 

Dass  die  Maximalwerte  der  übrigen  Ozeane  nicht  so  hoch  an- 
steigen, wird  auch  erklärlich.  Im  südlichen  Stillen  Ozeane  kann  man 
unter  20®  s.  Br.  bis  auf  36.5  ^/^^^  Salzgehalt  und  etwas  darüber 
rechnen,  im  südlichen  Indischen  Ozeane  zwischen  30  und  25®  s.  Br. 
auf  nur  36.0  bis  höchstens  36.5 %g,  ganz  begreiflicherweise;  denn  die 
Südostpassate  sind  in  diesen  Gegenden  entweder  nur  von  massiger  Starke, 
oder  es  herrschen  gar  in  einem  Teile  des  Jahres  daselbst  Windstillen. 

Man  sieht,  dass  in  der  Hauptsache  die  wichtigsten  Qrundzüge 
der  Salzgehaltsverteilung  allein  durch  die  von  den  Windstärken 
regulierte  Verdunstung  erklärt  werden  können. 

Der  Einfluss  der  durch  Festlandsströme  dem  Meer  zugeführten 
Süsswa.ssermengen  lässt  sich  an  vielen  Stellen  nachweisen,  so  z.  B. 
im  Gelben  Meere  (unter  32®/^^^),  in  der  Bai  von  Bengalen  in  be- 
sonders hohem  Grade;  im  Arabischen  Meere  ist  die  in  der  Nähe  der 
Indusmündungen  bis  auf  unter  34®/^^  gehende  Herabsetzung  gegen- 
über der  in  der  westlichen  Hälfte  dieses  Meeresteiles  besonders 
grossen  Salinität  von  über  36®/^^  beachtenswert  Genauer  fest- 
gelegt ist  die  horizontale  Ausbreitung  des  Kongowassers,  welche 
in  der  Richtung  der  Benguelaströmung  vorwiegend  nach  W  und  NW 
hin  erfolgt  Aus  der  dem  Auge  sichtbaren  Verfärbung  des  Ozean- 
wassers  ist  auf  eine  Ausdehnung  von  etwa  550  Ļn  in  Westost- 
richtung und  von  180  km  in  Nordsüdrichtung  zu  schliessen,  was 
eine  Fläche  von  rund  100  000  qkm  oder  einem  Fünftel  des  Areales 
von  Deutschland  bedeutet;  das  Aräometer  als  Messinstrument  für  den 
Salzgehalt  beobachtet  aber  noch  bedeutend  schärfer,  und  man  kann, 
wemi  man  alle  Süsswasserzuflüsse  vom  Niger  bis  zum  Kongo  zu- 
sammenf  asst,  aus  den  unter  den  normalen  Wert  herabgehenden  Beträgen 
der  Konzentration  einen  Einfluss  dieser  Süsswassermengen  für  ein  dem 
Flächeninhalte  Deutschlands  gleichkommendes  Areal  feststellen. 

Die  Herabsetzung  der  Salinität  durch  schmelzendes  Eis  wird  in 
der  Neufundlandgegend,  an  der  ostgrönländischen  Küste,  auch  im 
nördlichen  Beringmeere  und  im  Ochotskischen  Meere  bemerkbar.  Im 
hohen  Süden  sind  die  seitens  der  »Valdivia« -Expedition  zwischen 
Bouvetinsel  und  Enderbyland  gemessenen  Konzentrationswerte  von 
unter  84,  ja  unter  33.5®/^,^  zum  Teil  durch  Schmelzwasser  zu  er- 
klären, wennschon  in  der  Hauptsache  die  bei  dem  stark  bedeckten 
Himmel  wohl  geringe  Verdunstung  und  die  Häufigkeit  des  atmo^ 
sphärischen  Niederschlages  massgebend  sind;  jedenfalls  sind  die  Salz- 
gehalte recht  niedrig,  man  bedenke,  dass  die  Nordsee  einen  erheblich 
grossem  Salzgehalt  aufweist 


248  I^as  Meer. 

Dort,  wo  grosse  Süsswasserzuflüsse  mit  grossen  Eismassen 
sich  vereinigen,  findet  man  eine  für  die  offene  See  beispiellose  Ver- 
minderung des  Salzgehaltes.  Das  grossartigste  Beispiel  hierfür  sind 
die  Gewässer  des  nördlichen  Eismeeres  im  N  von  den  sibirischen 
Strommündungen.  Offenbar  wird  dort  durch  die  ausgedehnte  Be- 
deckung mit  Eisschollen  der  Seegang  in  den  meisten  Fällen  sehr 
vermindert;  niemandem,  der  im  Eismeere  gefahren  ist,  wird  die  auf- 
fällige Beruhigung  der  Wasseroberfläche  zu  einem  glatten,  wenn 
auch  vielleicht  von  Dünungen  durchzogenen  Spiegel  entgangen  sein. 
Eine  notwendige  Folge  dieser  Wellenberuhigung  ist,  dass  das  Süss- 
wasser  zwar  in  äusserst  dünner  Schicht,  aber  auf  sehr  grosse  Ent- 
fernungen hin  wie  ein  feines  Häutchen  über  dem  schweren  See- 
wasser sich  ausbreitet,  und  zwar  wird  nur  schwer  und  langsam 
eine  Vermischung  beider  Wasserarten  stattfinden. 

Dr.  Schott  führt  dann  auch  Beispiele  an,  in  denen  das  Ober- 
flächenwasser bestimmten  Salzgehaltes  über  die  ihm  normalerweise 
gesteckten  Grenzen  hinaus  durch  Meeresströmungen  fortgeführt  wird. 
»Das  grossartigste  und  bekannteste  Beispiel  ist  der  im  Gefolge  der 
Golf  Stromtrift  bis  zum  europäischen  Nordmeere,  ja  bis  nach  Spitz- 
bergen und  weiterhin  vorhandene  hohe  Salzgehalt,  welcher  auf  34.5, 
35^/qq  und  darüber  zu  beziffern  ist.  Auch  weit  nach  0,  nämlich 
bis  zur  Westküste  Nowaja-Semljas,  gelangt  manchmal  Golfstrom- 
wasser von  84 — 35®/^. 

Sehr  deutlich  wird  femer  das  Eindringen  von  ozeanischem  Salz- 
gehalte mit  der  an  der  Westküste  Grönlands  nordwärts  setzenden 
Triftbewegung;  Salzgehaltswerte  von  über  33  ^/^^  noch  auf  der 
Höhe  von  Umanak  würden  sonst  unerklärbar  sein.  Im  nördlichen 
Stillen  Ozeane  Hegt  infolge  der  Salzgehaltsverteilung  die  Vermutung 
nahe,  dass  ein  Eindringen  von  Kuro-siwo-Wasser  in  das  Beringmeer 
doch  stattfindet,  obschon  man  sonst  dafür  wenig  Anzeichen  hat; 
man  beachte  auch  die  auffällige  Ausbuchtung  der  Isohalinen  im 
Bereiche  der  kalifornischen  Küstenströmung.  Auf  südlichen  Breiten 
ist  der  Einfluss  der  Brasilienströmung  bis  etwa  zum  50.  Breiten- 
parallele offenbar.  Merkwürdig  gering  erscheint  dagegen  im  Karten- 
bilde der  entsprechende  Einfluss  des  mächtigen  und  salzreichen 
Agulhasstromes.  Es  hängt  dies  offenbar  mit  seiner  durch  die  schweren 
Westwinde  und  die  Benguelaströmung  bewirkten  vollkommenen 
Zersplitterung  in  einzelne  Fäden  zusammen,  mit  einem  Vorgange  also, 
welcher  das  gewaltige  Bilischwassergebiet  hervorbringt.  Dagegen  ist 
sehr  auffällig  und  deutlich  die  im  SO  von  Kerguelen  bis  nach 
Terminationland  hin  sich  erstreckende  Ausbuchtung  der  847oo- 
Isohaline,  welche  nur  durch  eine  von  NW  kommende,  vergleichs- 
weise salzreiche  (und  warme)  Trift  erklärt  werden  kann.c 

Die  Orundproben  aus  der  Tiefsee,  welche  die  deutsche 
»Valdivla« -Expedition  gfesammelt  hat^  sind  von  John  Murray 
und  E.  Philippi  in  Edinburgh  untersucht  worden.   Es  sind  166  Proben 


Das  Meer.  249 

von  155  Stationen.  Sie  verteilen  sich^)  wie  folgt:  Globigerinen- 
schlämm  55  Stationen,  blauer  Schlick  20  Si,  Diatomeenschlamm 
17  St,  Pteropodenschlamm  12  St,  vulkanischer  Schlick  9  Sl,  roter 
Thon  7  St,  Grünsand  5  St,  vulkanischer  Sand  4  St,  grüner  Schlick 
4  St,  Korallenschlick  3  St.,  Radiolarienschlamm  2  St,  grober  Kalksand, 
grober  Quarzsand  und  Korallensand  je  1  Station.  Die  Grundproben 
aus  dem  Atlantischen  und  Indischen  Ozeane  bieten  wenig  Neues;  hin- 
gegen sind  die  Lotproben  aus  den  antarktischen  Gewässern  zwischen 
dem  Kap  und  Kerguelen  höchst  interessant  Neu  erscheint  hier  der 
ganz  kaikfreie  Diatomeenschlamm,  der  in  grosser  Ausdehnung  die 
Tiefe  von  5000  m  bedeckt;  femer  ein  Radiolarienschlamm  aus  ver- 
hältnismässig riesigen  Radiolarien.  Auffallend  ist  ein  isoliertes  Anf- 
ügten eines  kalkreichen  Globigerinenschlammes  zwischen  gänzlich 
kalkfreien  Schlicken  und  Schlammen. 

Neue  Tiefseelotungren  Im  Atlantischen  und  Indischen 

Ozeane  behandelte  Dr.  G.  Schott^  Zunächst  weist  er  dabei  auf  die 
grosse  Wichtigkeit  der  Tausende  von  Messungen  der  Kabeldampfer  für 
unsere  Kenntnis  der  Tiefe  der  Weltmeere  hin.  Neuerdings  sind 
es  die  Tiefseemessungen  für  das  rund  um  die  Erde  zu  ziehende 
englische  Kabel,  welche  wichtige  neue  Aufschlüsse  brachten.  Sie  sind 
unlängst  vom  Londoner  Hydrographischen  Amte  veröffentlicht  worden.^) 
Das  neue  Kabel  geht  von  St  Vincent  (Kap  Verden)  über  Ascension 
und  St  Helena  nach  dem  Kaplande,  von  dort  über  Mauritius  und 
Rodriguez  nach  den  Kokos-  (Keeling-)  Inseln,  von  hier  nach  Fremantle 
an  der  Westküste  Australiens;  bis  hierher  ist  das  Kabel  seit  dem 
1.  März  d.  J.  in  Betrieb.  Der  Abgangsort  in  Australien  ist  Brisbane; 
über  Norfolk,  die  Fidjünseln  und  Fanninginsel  soll  Vancouver  erreicht 
werden.  Im  Stillen  Ozeane  hat  die  notwendigen  Vermessungen  der  grosse 
Kabelleger  »Britannia«  ausgeführt,  im  Indischen  Ozeane  der  Kabelleger 
»Sherard  Osbom«,  im  Atlantischen  Ozeane  waren  »John  Pender c  und 
»Anglia«  thätig;  die  Vorarbeiten  fallen  in  die  Jahre  1898 — 1901. 
Dr.  Schott  stellt  zunächst  die  Messungen  im  Atlantischen  Ozeane 
zusammen  und  bemerkt  dazu:  »Diese  Messungen  berühren  zwei  von 
den  deutschen  Geographen  seit  vielen  Jahren  mit  besonderer  Auf- 
merksamkeit betrachtete  Meeresgegenden,  einmal  den  halbwegs  zwischen 
Kapstadt  und  St  Helena  gelegenen  sogenannten  >  Walfischrücken  c, 
auf  welchem  s.  Zt.  die  deutsche  Tiefseeexpedition  (D.  S.  »Valdivia«) 
im  Oktober  1898  gearbeitet  hat,  und  sodann  die  Gegend  der  »Ro- 
manchetiefe«  nahe  dem  Äquator,  da,  wo  jüngst  die  deutsche  Süd- 
polarexpedition auf  der  » Gauss  c  ebenfalls  gelotet  hat.  Es  stellt 
sich  heraus,  dass  mit  936  m  die  flachste  Stelle  in  diesem  Teile  des 
»Walfischrückens«    von    der    »Valdivia«    wahrscheinlich    angelotet 

^)  Gentralblatt  für  Mineralogie  1901.  p.  525. 
*)  Ann.  der  Hydrographie  1902.  p.  487. 

*)  List  of  oceanic  depths  received  at  the  Admiralitv  during  the  vear 
1901.    (H.  D.  No.  188.)  London  1902. 


250  ^^  Meer. 

worden  ist,  da  sowohl  im  SW  wie  im  NO  dieser  Stelle  die  Tiefen 
nach  den  englischen  Lotungen  zunehmen.  Mit  Recht  wird  man 
daher  denjenigen  Teil,  der  geringere  Tiefen  als  1000  m  aufweist, 
»Valdiviabankc  benennen  dürfen,  wie  es  in  dem  wissenschaftlichen 
Werke  über  die  Tiefseeexpedition  vorgeschlagen  worden  ist«  Eine 
Skizze  von  Dr.  Schott  lässt  erkennen,  dass  der  Walfischrücken  eine 
NO  bis  SW-Richtung  verfolgt,  sowie  dass  der  gesamten  Anschwellung 
innerhalb  der  4000  m-Isobathen  eine  Breite  von  rund  140  Seemeilen 
oder  250  km  zukommt. 

>Was  die  »Romanchetiefe«  (7370  m)  nahe  bei  dem  atlantischen 
Äquator  anlangt,  so  ist  ihre  Existenz  durch  zwei  Lotungen  des 
Südpolarschiffes  »Gauss«  bestätigt  worden;  anderseits  führen  aber 
die  neuen  Tiefenmessungen  von  >J.  Pender«  und  »Anglia«  so  nahe 
an  den  tiefsten  Stellen  vorbei,  mit  Ergebnissen  von  nur  rund  3800  m, 
dass  es  lohnend  schien,  das  Bodenrelief  der  gesamten  kritischen 
Gegend  kartographisch  unter  Heranziehung  aller  verfügbaren  Tiefen- 
messungen abzubilden.  Die  Gegend  ist  von  besonderem  Interesse, 
da  sie  das  Grenzgebiet  zwischen  den  tiefen  nordatlantischen  und 
südatlantischen  Becken  bildet  (Zentrale  Schwelle);  sie  ist  von  zahl- 
reichen wissenschaftlichen  Expeditionen  gekreuzt  worden,  vom 
»Ghalienger«  zweimal,  von  der  »Gazelle«,  dem  »Buccaneer«  u.  a.  m. 
Es  wird  immer  deutlicher,  dass  eine  wahrscheinlich  ganz  lokale 
Einsenkung,  ein  tiefer  Kessel  vorliegt,  durch  Absenkung  an  der 
centralatlantischen  Schwelle  entstanden.  Die  Grundprobe  aus  7230  m 
(Station  IV  der  »Gauss«)  deutet  auch  auf  starke  Dislokationen  und 
vulkanische  Ausbrüche  daselbst  hin.  Bisher  dürften  allerdings  solche 
Kessel  mitten  im  Ozeane  weitab  von  jedem  Lande  kaum  anderwärts 
aufgefunden  sein.  Nur  28  Seemeilen  oder  41.4  km  entfernt  von  der 
tiefsten  Stelle  sind  3824  m  gelotet  worden ;  es  ergiebt  dies  eine  mitüere 
Böschimg  von  1:11  oder  einen  Neigungswinkel  von  reichlich  5®. 
Die  atlantische  Bodenschwelle  wird  durch  die  »Romanchetiefe« 
zwischen  18  und  19®  w.  L.  so  stark  eingeschnürt,  dass  ihre  Breite  nur 
20  Seemeilen  oder  etwa  35  km  daselbst  betragen  dürfte  —  die  Tiefen 
mit  weniger  als  4000  m  gerechnet  — ;  ja  man  hätte,  wenn  nicht 
die  neue  Lotung  des  »John  Pender«  in  0®  25'  n.  Br.  und  18®  14' 
w.  L.  mit  8758  m  vorliegen  würde ,  Berechtigung  zur  Annahme 
gehabt,  dass  der  zentrale  Rücken  hier  vollkommen  unterbrochen, 
durch  eine  tiefe  Absenkung  abgeschnürt  sei,  was  aber  offenbar  doch 
nicht  der  Fall  und  für  die  Auffassung  der  Morphologie  des  gesamten 
Atiantischen  Ozeans  von  erheblicher  Bedeutung  ist.« 

Von  den  im  Indischen  Ozeane  ausgeführten  Tief seelotungen 
der  oben  genannten  Kabeldampfer  im  Mai  und  Juni  1900  zwischen 
Fremanüe,  den  Kokosinseln  (Keeling)  und  Rodriguez  giebt  Dr.  Schott 
auch  eine  tabellarische  Zusammenstellung  und  eine  kartographische 
Skizze.  Er  hebt  hervor,  dass  diese  neuen  Lotungen  eine  seit  Jahren 
nicht  dagewesene  bedeutende  Förderung  der  Erforschung  der  indischen 


Das  Meer.  251 

Tiefen  darstellen,  die  Lotungsreihe  der  »Sherard  Osbom«  sei  (von 
Spezialuntersuchungen  natürlich  abgesehen)  sogar  unerreicht  in  der 
Hinsicht,  da  bisher  auf  keiner  Durchquerung  des  Indischen  Ozeanes 
die  Tiefenmessungen  so  dicht  aneinander  gereiht  worden  sind  wie 
hier.  Dazu  komme,  dass  die  Reiseroute  gerade  über  die  unbekanntesten 
Regionen  hinwegführte,  und  endlich,  dass  auch  häufig  die  Temperatur 
des  Meerwassers  am  Grunde  bestimmt  worden  ist. 

»Die  gangbaren  Tiefenkarten,  sagt  Dr.  Schott,  mussten  natürlich 
irgend  eine  Auffassung  des  unterseeischen  Reliefs  im  allgemeinen 
bekunden,  um  so  mehr,  als  man  eine  sehr  grosse  Eintönigkeit  der 
Bodengestaltung  annehmen  zu  dürfen  meinte.  Die  Lotungen  der 
»Sherard  Osbom  c  haben  von  neuem  den  Beweis  geliefert,  wie  ge- 
waltige Täuschungen  dabei  vorkommen  können.  Auch  im  zentralen 
Indischen  Ozeane  zwischen  den  Maskarenen  und  der  W-Küste  Australiens 
wechseln  Berg  und  Thal  in  bunter  Reihenfolge,  imd  man  muss 
durchaus  weitere  Lotungen  abwarten,  ehe  man  mit  einiger  Zuversicht 
wagen  kann,  die  neu  zu  Tage  getretenen  Tiefenlinien  mit  denen  der 
übrigen  Teile  dieses  Ozeanes  in  Zusammenhang  zu  bringen. 

Bis  1900  kannte  man  aus  dem  Bereiche  des  Indischen  Ozeanes 
nur  eine  Tiefe  von  mehr  als  6000  m;  es  war  die  vom  Kabeldampfer 
»Recorder«  im  Jahre  1888  mit  6205  m  150  Seemeilen  im  S  von  Lombok 
gemessene  Tiefe.  Nunmehr  tritt  als  grösste  Tiefe  an  ihre  Stelle  die 
Station  82  der  >Sherard  Osbom«  :  6459  m  in  18<>  6'  s.  Br.  und  101^ 
54'  ö.  L. ;  die  Position  liegt  etwa  850  Seemeilen  östlich  von  der  durch 
die  »Valdivia« -Expedition  gefundenen  grössten  Tiefe  von  5911  m  in 
18<*  18'  s.  Br.  und  9ß^  20'  ö.  L.,  so  dass  eine  recht  ausgedehnte 
maximale  Einsenkung  zwischen  den  Kokosinseln  imd  Westaustralien 
vorhanden  zu  sein  scheint.  Übrigens  kommen  auch  im  W  von  den 
Kokosinseln  Tiefen  von  über  6000  m  vor.  Damit  vergesellschaftet 
ist  eine  ganze  Reihe  von  auffälligen  mehr  oder  weniger  lokalen  Er- 
hebungen, wo  man  nur  2000 — 3000  m  Tiefe,  ja  sogar  nur  1700  m 
mitten  im  Ozeane  antrifft;  meist  wurde  an  diesen  relativ  flachen 
Gegenden  feiner  weisser  Sand  als  Grundmaterial  festgestellt,  auch 
>Mud«  in  einzelnen  Fällen. 

Die  Bodentemperaturen  liegen  nach  den  Beobachtungen  an  Bord 
der  »Sherard  Osbom«,  soweit  wir  Tiefen  von  mindestens  4000  m 
in  Betracht  ziehen,  fast  ohne  Ausnahme  zwischen  1  und  2^  Im 
Mittel  dürfte  1.6^  C.  sich  ergeben;  geographische  Besonderheiten  in 
der  Verteilung  der  Bodenwärme  werden  nicht  erkennbar.  Grosse 
Ansprüche  an  die  Genauigkeit  dieser  Messungen  darf  man  nicht 
stellen,  wie  ja  überhaupt  vielfach  die  meist  geringfügigen  Unter- 
schiede in  der  Bodentemperatur  der  tiefsten  Meeresbecken  nur  durch 
Messungsfehler   entstehen   und   nicht  thatsächlich   vorhanden   sind.« 

Ober  die  ozeanischen  Ergrebnisse  der  deutsehen  Süd- 
polarexpedition von  Kiel  bis  Kapstadt,  soweit  sie  zur  Zeit 


252  Das  Meer. 

bekannt  gemacht  sind,  macht  Prof.  Dr.  Krümmel  einige  Bemerkungen.^) 
Was  zunächst  die  Beobachtungen  an  der  Meeresoberfläche  anbetrifft, 
so  sind  die  beiden  Salzgehaltsmaxima  des  Atlantischen  Ozeanes  bei 
80<>  n.  Br.  (=^B7.1^U  und  20«  s.  Br.  (=36.80/J  angeschnitten,  das 
der  äquatorialen  KaJmenzone  eigene  Minimum  tritt  zwischen  8«  und 
5«  n.  Br.  mit  weniger  als  36^00  cL^utlich  hervor.  Auch  die  Thatsache, 
dass  südlich  von  30«  s.  Br.  der  Salzgehalt  knapp  35«/^^,  stellenweise 
auch  etwas  weniger  beträgt,  findet  von  neuem  (immer  noch  ganz 
erwünschte)  Bestätigung.  Die  absoluten  Dichten  (S^)  zeigen  einen 
regelmässigen  Abfall  von  1.0255  in  der  spanischen  See  bis  1.022 
in  der  äquatorialen  Kalmenregion  bei  7«  n.  Br.  und  erneutes  Ansteigen 
bis  1.026  in30«s.  Br.,  worauf  entlang  35«s.Br.  die  gleiche  Dichte 
mit  geringen  Schwankungen  bis  Kapstadt  festgehalten  wird.  Mit 
dem  Minimum  der  absoluten  Dichte  fällt  das  Maximum  der  Ober- 
fiächentemperatur  zusammen:  28.7«  in  7«  n.  Br.  Entlang  35«  s.  Br. 
werden  beträchtliche  Schwankungen  der  Wasserwärme  (zwischen  13 
und  18.5«)  beobachtet;  in  10«  ö.  L.  hebt  sich  diese  von  14  auf 
18.5«  innerhalb  weniger  Stunden. 

Auch  die  Wasserfarbe  und  Durchsichtigkeit  wurden  in  der  jetzt 
üblichen  Weise  beobachtet;  eine  einfache  Forelsche  Skala  ergab,  wie 
auch  sonst  bekannt,  nur  geringe  Abweichungen  vom  reinen  Blau, 
mit  nur  1 — 3«/^^  Gelb,  in  den  tropischen  und  subtropischen  Gebieten, 
bei  den  Kapverden  kamen  einmal  6«/^  Gelb,  auch  noch  in  36«  s.  Br., 
5«  ö.  L.  nur  1«/^^  Gelb  zur  Beobachtung. 

Die  Tiefiotungen,  bemerkt  Prof.  Krümmel,  bringen  eine  sehr  er- 
wünschte Vervollständigung  des  vorhandenen  Materiales  und  füllen 
in  den  Stationen  VIII—  XV  (zwischen  1.3«  s.  Br.  und  16.9«  w.  L.  und 
25.9«  s.  Br.  und  20«  w.  L.)  eine  sehr  empfindliche  Lücke  in  dankens- 
wertester Weise  aus.  Die  eigentliche  Schwelle  des  Walfischrückens 
ist  zufällig  nicht  angelotet,  aber  wahrscheinlich  zwischen  Station 
XXIV  und  XXV  (33.6«  s.  Br.,  5.1«  w.  L.  und  34.1«  s.  Br.,  3«  w.  L.)  über- 
schritten worden,  was  aus  dem  Temperaturabfalle  bei  nahezu  gleicher 
Bodentiefe  geschlossen  werden  könnte. 

Besonders  wichtig  sind  die  Lotungen  IV  und  XXIX.  (0«  iV  s.Br., 
18«  15'  w.  L.  und  35«  52'  s.  Br.,  13«  8'  w.  L.).  Die  erstere  bestätigt 
die  mit  7370  m  angegebene  Tiefenlotung  der  »Romanchec.  »Ist  an 
der  Thatsache  nicht  mehr  zu  zweifeln,  dass  mitten  im  Atlantischen 
Ozeane  nur  11  Seemeilen  südlich  vom  Äquator  die  gewaltige  Tiefe 
von  7200 — 7400  m  existiert,  so  bleibt  doch,  bemerkt  Prof.  Krümmel, 
immerhin  sehr  bemerkenswert,  dass  diese  Tiefe  keine  übermässig 
grosse  Fläche  beherrschen  dürfte,  nach  Norden  und  Osten  vielmehr 
sehr  rasch  in  den  relativ  sehr  schmalen  zentralen  Äquatorialrücken 
von  stellenweise  noch  nicht  halb  so  grosser  Tiefe  übergeht  Das 
Bodenrelief  sieht  danach  aus,  als  wenn  im  Süden  von  diesem  Rücken 


^)  Ann.  der  Hydrographie  1902.  p.  391. 


Das  Meer.  253 

ein  Bruchrand  läge.  Schon  die  Thatsache,  dass  gerade  diese  Gegend 
längst  durch  ihre  Seebeben  wohl  bekannt  und  selbst  vulkanischer 
Eruptionsthätigkeit  verdächtig  ist,  würde  mit  der  eben  ausgesprochenen 
Deutung  in  Einklang  sein.  Nun  aber  berichtet  Dr.  Philippi  über  die 
aus  7230  m  Tiefe  heraufgeholte  Grundprobe,  dass  sie,  eine  Säule 
von  etwa  46  cm  Höhe,  in  fünf  deutlich  abzugrenzende  verschiedene 
Schichten  zerfiel:  zu  oberst  13  cm  gewöhnlicher  roter  Tiefseethon 
mit  ziemlich  groben  Fragmenten  vulkanischer  Auswürflinge;  dann 
12  cm  bräunlichgraue  und  fast  8  cm  graubraune,  deutlich  gebänderte 
Schlickschichten;  endlich  12  cm  einer  dunkelgrauen  und  zuletzt  fast 
2  cm  einer  hellgrauen  Schicht,  die  allein  etwas  Kalk  enthielt,  während 
alle  andern  kalkfrei  waren.  Die  mittlem  Schlicksschichten  er- 
innerten Dr.  Philippi  an  küstennahe  Sedimente,  insbesondere  an  den 
sogenannten  blauen  Schlick  der  westafrikanischen  Tropenküste;  er 
schliesst  aus  der  ganzen  Probe,  dass  diese  Bodenregion  »in  junger 
Zeit  tiefgreifende  Änderungen  erfahrene,  d.  h.  der  Meeresboden  unter 
vulkanischen  Ausbrüchen  eine  starke  Absenkung  erlitten  hat  Sind 
die  untersten  kalkhaltigen  Schichten  etwa  ein  Derivat  des  Globige- 
rinenschlammes,  so  ist  dieser  Senkung  eine  Hebung  vorangegangen. 
Die  Grundprobe  der  Lotung  XXIX  bestand  in  ihrer  ganzen  Säule 
von  69  cm  Höhe  überwiegend  aus  feinem  Quarzsande  mit  nur  spärlich 
beigemengtem  vulkanischen  Materiale  oder  Kalk,  in  den  tiefem  Teilen 
mit  etwas  mehr  thonigen  Beimengungen.« 

Bezüglich  der  Temperatur-  und  Salzgehaltsbestimmungen  in  der 
Tiefe  bemerkt  Dr.Krümmel:  >Die  Beobachtungen  bestätigen  von  neuem 
die  lange  bekannten  Gmndzüge  in  der  Wärmeschichtung  der  Tropen- 
und  Subtropenmeere.  Nach  den  mitgeteilten  Proben  ist,  wenn  man 
von  den  Temperaturen  der  obersten  überall  klimatisch  stark  beein- 
flussten  Schicht  absieht,  diese  Schichtung  im  Brasilianischen  Becken 
und  im  Nordteile  der  Kapmulde  in  den  Grundzügen  ganz  gleich: 
erst  rascher  Abfall  der  Temperatur  bis  in  800  oder  900  m  Tiefe, 
wo  3 — 4^  herrschen,  dann  ganz  ausserordentlich  verlangsamte 
w^eitere  Abnahme  bis  zum  Grunde  in  4000  oder  5000  m.  Das  sind 
Zustande,  wie  sie  G.  Schott  kürzlich  noch  in  besonders  klarer  Weise 
in  seinem  Berichte  über  die  »Valdivia« -Expedition  dargestellt  hat 
Neu  aber,  und  bisher  allen  Tiefseeexpeditionen  entgangen,  ist  der 
Grundzug  in  der  Salzgehaltsschichtung  des  Südatlantischen  Ozeanes. 
Das  südatlantische  Salzgehaltsmaximum  von  mehr  als  36^/^^  be- 
herrscht nur  die  obersten  100  m,  was  schon  J.  Y.  Buchanan  als  ein 
Ergebnis  der  >Challenger« -Expedition  gefunden  hat;  der  Salzgehalt 
nimmt  aber  noch  weiter  ab,  sinkt  in  300 — 400  m  Tiefe  unter  den 
normal  ozeanischen  von  35^/^^,  bis  er  in  800  m  sein  Minimum  mit 
34.3— 34.4 ®/^^j  erreicht;  dann  folgt  wieder  eine  Vermehmng  des 
Salzgehaltes  bis  1500  m  Tiefe,  wo  ein  zweites  Maximum  von  etwa 
34,75^/q^  liegt,  und  endlich  erneute  ganz  langsame  Abnahme  oder 
Konstanz   bis   zum  Boden   mit  34.70^00*     ^^   ^^^  Hauptsache  liegt 


254  Das  Meer. 

also  eine  dichohaline  Salzgehaltsschichtung  vor.  Diese  durchaus 
neue  Thatsache,  die  übrigens  einstweilen  nur  für  den  Südatlantischen 
Ozean  erwiesen  ist,  giebt  dem  Ozeanographen,  der  sie  erklären  will, 
eine  harte  Nuss  zu  knacken.  Der  niedrigste  Salzgehalt  von  34.35^/^ 
ist  kombiniert  mit  einer  Temperatur  von  etwa  4^;  beide  Merkmale 
zusammen  dürften  nur  in  den  höhern  südatlantischen  Breiten  jen- 
seits 45^  Süd  an  der  Oberfläche  vorkommen.  Zu  einer  annehmbaren 
Erklärung  fehlt  uns  übrigens  zur  Zeit  noch  die  Kenntnis  vom  Stick- 
stoffgehalte der  in  diesen  tiefen  Wasserschichten  absorbierten  Luft; 
Proben  davon  sind  jedenfalls  an  Bord  der  >  Gauss  c  gesanunelt  und 
werden  es  später  ermöglichen,  die  Temperatur,  bei  der  diese  Luft 
vom  .Wasser  absorbiert  wurde,  namhaft  zu  machen,  wodurch  dann 
ein  ziemlich  exakter  Anhaltspunkt  für  die  Abkunft  dieser  interessanten 
Wasserschicht  zu  erhalten  sein  wird.  Diese  Thatsache  enthüllt  zu 
haben,  ist  aber  bereits  eine  der  wesentlichsten  Leistungen,  auf  welche 
die  deutsche  Südpolarexpedition  als  Ergebnis  ihrer  ozeanographischen 
Thätigkeit  hinweisen  darf.« 

Orundproben  aus  dem  Atlantischen  Ozeane  hat  die  deutsche 
Südpolarexpedition  auf  ihrer  Ausreise  bis  Kapstadt  wiederholt  ge- 
wonnen.^) Dieselben  entstammen  Tiefen  von  3165 — 7230  m.  Von 
ihnen  gehören  elf  dem  Globigerinenschlamme  und  fünf  dem  roten  Thone 
an,  zwei  stellen  einen  Übergang  zwischen  beiden  Ablagerungen  dar,  und 
eine  musste  als  thoniger  Sand  bezeichnet  werden.  Die  Durchschnitts- 
tiefe  des  Globigerinenschlammes  betrug  3850  m,  die  des  roten  Thones 
6000  m,  die  beiden  Obergangssedimente  stammten  aus  Tiefen  von  4630 
und  5281  m,  und  endlich  der  thonige  Sand  aus  4957  m  Tiefe. 

Diese  Lotungen  der  »Gauss«  im  Südatlantik  sind  geeignet,  die 
Darstellung  in  den  »Deep  Sea  Deposits«  des  Challenger  Reports  in 
einigen  Punkten  zu  ergänzen.  Als  neu  erscheint  der  »rote  Thon« 
der  unter  dem  Äquator  gefundenen  Tiefe ,  ob  er  mit  dem  Bezirke  des 
roten  Thones  im  Brasilianischen  Becken  in  Verbindung  steht,  bleibt 
noch  nachzuweisen.  Völlig  neu  ist  femer  das  sandige  Sediment  am 
Ostrande  der  Kapmulde.  Im  Brasilianischen  Becken  scheint  die  nach 
Osten  geöffnete  Einbuchtung  des  roten  Thones  zwischen  8  und  18® 
s.  Br.,  die  J.  Murray  an  giebt,  nicht  zu  existieren.  In  allen  übrigen 
Punkten  lassen  sich  die  Resultate  der  bisherigen  »Gauss «-Lotungen, 
soweit  sie  die  Grundproben  betreffen,  gut  mit  den  Angaben  des 
Challenger  Reports  in  Einklang  setzen. 

Die  Grenzlinien  der  Sichtbarkeit  des  Landes  im  Mittel- 
ländischen Meere.  Wenn  man  auf  dem  Meere  sich  vom  Fest- 
lande entfernt,  so  sinken  die  Gestade  des  letztern  infolge  der 
Kugelgestalt  der  Erde  allmählich  unter  den  Horizont,  nur  die  obem 
Teile  etwaiger  Gebirge  bleiben  vom  Schiffe  aus  sichtbar,  und  zuletzt 
verschwinden  auch  die  höchsten  Gipfel  hinter  der  Trennungslinie  von 
Himmel  und  Meer.     Erst  von   diesem  Punkte  an   beginnt  die  offene 

^)  Veröff.  des  Inst,  für  Meereskunde  v.  Richthofen  1902.  Heft  1.  p.  50. 


Das  Meer.  255 

See,  der  ungehinderte  Meereshorizont.  Abgesehen  von  den  Sicht- 
barkeitskreisen um  Leuchttürme,  die  man  auf  Seekarten  findet,  ist 
eine  kartographische  Darstellung  des  Verlaufes  der  Linie  auf  dem 
Meere,  welche  die  Grenze  der  Sichtbarkeit  der  höchsten  Landmarken 
bezeichnet,  nicht  vorhanden.  Dr.  L.  Henkel  hat  indessen  jüngst  den 
Verlauf  dieser  Linie  für  das  Mittelländische  Meer  berechnet  und  auf 
einer  Karte  dargestellt,  die  in  Petermanns  Mitteilungen  erschienen  ist. 
Diese  Karte  ist  von  aussergewöhnlichem  Interesse,  besonders,  wenn 
man  sie  in  Beziehung  bringt  zur  Entwickelung  der  Schiffahrt  von  den 
ersten  Anfängen  im  Altertume  an.  Die  Gebiete,  in  denen  auf  dem 
Mittelländischen  Meere  kein  Land  gesehen  wird,  sind  sehr  erheblich. 
Eine  zusammenhängende  Fläche  dieser  Art  erstreckt  sich  von  der 
Levantischen  See  bis  zur  kleinen  Syrte,  und  sie  hat  ihre  grösste 
Breite  zwischen  der  grossen  Syrte  und  dem  Jonischen  Meere.  Eine 
kleine  Fläche  mit  völligem  Wasserhorizonte  befindet  sich  auch  im 
Zentrum  des  Tyrrhenischen  Meeres  und  eine  zweite  grössere  zwischen 
der  Insel  Sardinien  und  den  Balearen.  Bei  diesen  Bestimmungen 
hat  Dr.  Henkel  freilich  nur  die  geometrischen  Verhältnisse,  welche 
aus  der  Kugelgestalt  der  Erde  und  der  Höhe  der  Festlandspitzen 
hervorgehen,  berücksichtigt;  in  Wirklichkeit  kommt  auch  noch  die 
Strahlenbrechung  hinzu,  infolge  deren  Teile  der  Erdoberfläche,  die 
wirklich  unter  dem  Horizonte  liegen,  optisch  über  denselben  gehoben, 
d.  h.  einem  Auge  auf  dem  Meere  selbst  sichtbar  gemacht  werden. 
Dadurch  werden  die  Flächen  der  völligen  Unsichtbarkeit  des  Landes 
natürlich  kleiner.  Im  ganzen  Adriatischen  Meere  giebt  es  keinen 
Punkt,  von  welchem  aus  man  nicht  wenigstens  eine  Landspitze 
sähe,  und  in  noch  höherem  Grade  ist  dies  bei  dem  Ägsdschen 
Meere  der  Fall,  dem  klassischen  Gebiete  der  Küstenschiffahrt.  >Der 
karthagische  Schiffer  verlor  bei  der  Fahrt  nach  Sardinien  wie  nach 
Sicilien  das  Land  nicht  aus  dem  Gesichte.  Auch  die  römischen 
Konsuln,  die  im  Jahre  253  v.  Chr.  gegen  den  Rat  ihrer  Piloten  die 
verhängnisvolle  Fahrt  von  Panormos  durch  das  offene  Meer  nach 
der  italienischen  Küste  machten,  blieben  dabei  wohl  innerhalb  der 
Sichtweite  des  Landes,  c  Auf  dem  Schwarzen  Meere  verursachen  die 
hohen  Gebirge  im  Osten  und  Südosten,  dass  dort  weithin  Land 
sichtbar  bleibt,  dagegen  hat  ein  grosser  Teil  der  westlichen  Hälfte 
des  Pontus  vollen  Wasserhorizont,  ebenso  das  kleine  Asowsche  Meer 
wegen  seiner  flachen  Umgebung. 

Die  WäFmeyerteilungr  in  dem  Wasser  der  sfidpolaren 
Heere  auf  Grund  der  Beobachtungen  der  »Valdiviac  behandelte 
Dr.  Gerhard  Schott^) 

1.  Oberflächentemperaturen  im  Südatlantischen  und 
Indischen  Ozeane.  Schon  südwärts  von  50^  ja  von  45^  s.  Br.  sind  im 
Indischen  Ozeane  nicht  mehr  aus  allen  Monaten  des  Jahres  Bestimmungen 
der  Temperatur  des  Oberflächenwassers  vorhanden ;  es  lässt  sich  eben  noch 

>)  Ann.  d.  Hydrographie  1902.  p.  215. 


256  Das  Meer. 

sagen,  dass  auf  ungefähr  48^  s.  Br.  die  Jahresisotherme  von  5®  zu  liegen 
scheint.  Je  weiter  nach  Süden,  desto  mehr  beschränken  sich  die  Be- 
obachtungen auf  solche  im  südlichen  Frühjahre  und  Sommer.  Die  Einzel- 
beobachtungen der  >yaldivia<  und  diejemgen  der  > Ghalienger«  sind  die 
einzigen  langem  und  zuverlässigen  Reihen  von  Messungen  in  den  letzten 
Jahrzehnten  aus  dem  antarktischen  Meere  des  Indischen  Ozeanes.  —  Die 
>Valdivia«-Beobachtungen  ergeben  folgendes  Bild  von  den  Wassertempera- 
turen im  antarktischen  Frühlmge  (November  und  Dezember)  1898. 

Von  46®  8.  Br.  ab  fiel  der  Salzgehalt  zum  erstenmal  auf  B4®/eo  ^^^ 
weniger,  somit  auf  den  Betrag,  der  für  die  ganze  Eismeerfahrt  im  Afittel 
gilt  (38.6— 83.8*/oo).  Es  ist  dieser  Grenzwert  von  34.0*/oo  auch  von  Pettersson 
und  andern  Ozeanographen  im  arktischen  Meere  zur  Trennung  des  nord- 
polaren Stromwassers  vom  nordatlantischen  Mischwasser  benutzt;  dort 
liegen  in  dieser  Beziehung  die  Verhältnisse  also  ganz  ähnlich.  Man  kann 
daher  sagen,  dass,  da  zugleich  die  Wasserwärme  ziemlich  gleichmässig,  aber 
stark  sank,  unter  mindestens  50®  s.  Br.  am  22.  November  mit  2.5  ®,  wenn 
nicht  schon  unter  47<^s.  Br.  am  20.  November  mit  etwa  5.5®  rein  polares 
Wasser  unter  den  Längen  der  Bouvetgegend  an  der  Oberfläche  vorhanden 
war.  Im  Osten,  bei  der  Fahrt  nordwärts  nach  Kerguelen,  war  die  Grenze 
deutlicher  markiert,  sie  wurde  am  81.  Dezember  unter  46®  s.  Br.  überschritten, 
als  die  Temperatur  innerhalb  8  Stunden  von  4.5  auf  9.4®  und  der  Salz- 
gehalt von  33.7  auf  d4.3®/pp  stieg. 

Unter  58®  s.  Br.  war  in  der  Bouvetgegend  die  Temperatur  bereits  auf 
0®  herabgegangen,  eine  Temperatur,  die  im  Osten  auf  der  Kerguelenseite 
erst  unter  60®  s.  Br.  herrschte,  so  dass  schon  hierdurch  auf  die  thermische 
Begünstigung  des  letztgenannten  Eismeergebietes  und  die  Benachteiligung 
des  erstgenannten  ein  Licht  fällt.  Als  die  >Va]diviac  in  der  Nähe  der 
Bouvetinsel  dem  ersten  Bise  begegnete,  fand  sich  zeitweise  nur  noch  —  1®; 
das  am  1.,  2.,  3.  und  16.  Dezember  erreichte  Minimum  ist  — 1.8®,  ein 
Temperaturwert,  der  sowohl  kurz  nach  dem  Verlassen  der  Bouvetgegend 
unter  56®  s.  Br.  als  auch  8  Breitengrade  südlicher,  in  64®  s.  Br.  vor  Enderby- 
land.  gemessen  wurde;  es  fiel  ungefähr  mit  dem  jeweiligen,  besonders 
starken  Auftreten  von  Treibeis  und  Eisbergen  zusammen,  was  nach  den 
nundlegenden  Untersuchungen  und  Beobachtungen  von  Pettersson  und 
Buchanan  über  die  bei  dem  Schmelzen  von  Eis  in  Seewasser  auftretenden 
Temperaturen  und  Salzlösungen  durchaus  erklärlich  ist.  Während  der  Zeit, 
in  welcher  die  »Valdivia«  im  Eismeere  fuhr,  zeigte  die  Oberfläche  des  Meeres 
im  grossen  Durchschnitte  —  1.0®  Wasserwärme,  und  die  Temperatur  nahm 
deutlich  zu  bis  auf  — 0.5®,  ja  0.0®,  wenn  das  Schiff  aus  dem  Eise  ganz 
oder  fast  ganz  heraus  war. 

Eine  regelmässige  tägliche  Periode  der  Oberflächentemperaturen  des 
Wassers  im  Eismeere  iät  daher  nicht  bemerkbar,  bei  dem  ewig  bedeckten, 
mit  schweren  Schneewolken  erfüllten  Himmel  ist  eine  solche  auch  um  so 
weniger  zu  erwarten,  als  die  Sonne  tief  steht,  und  die  Nacht  kurz  ist. 

Wenn  man  die  von  der  »Valdiviac  gemessenen  Temperaturen  des 
antarktischen  Oberflächenwassers  überblickt,  so  muss  mit  Kücksicht  auf 
die  in  Frs^ge  konmienden  geographischen  Breiten  das  Wasser  der  gesamten 
Bouvetregion  abnorm  kalt  erscnemen :  Temperaturen  von  0®  und  beträchtlich 
darunter  auf  einer  der  geographischen  Lage  von  Hamburg  entsprechenden 
Breite  im  südlichen  Frühlinge  oder  Sommer!  Gewiss  findet  man  zur  Zeit 
des  nördlichen  Frühlings  an  der  Küste  von  Neufundland  unter  gleicher 
Breite  auch  Wassertemperaturen  von  0®,  aber  doch  nur  in  ganz  schmaler 
Zone  von  etwa  100— 150  Am  Breite,  und  im  Sommer  herrschen  daselbst 
Wärmegrade  von  über  5®.  In  der  Bouvetgegend  handelt  es  sich  aber  nicht 
um  eine  lokale,  durch  einen  kalten  Triftstrom  oder  Eisstrom  genügend 
erklärbare  Erscheinung,  sondern  um  den  klimatischen  Charakterzug  einer 
über  Tausende  von  Kilometern  sich  erstreckenden  Meeresgegend,  und  es  kann 
kaum  ein  Zweifel  bestehen,  dass  man  zur  Erklärung  dieses  Verhältnisses 


Das  Meer.  257 

die  Erforschung    der   noch   unbekannten    Verteilung   des  Festlandes  und 
Meeres,  sowie  der  Wind-  und  Wasserbewogun^en  abwarten  muss. 

Gerade  bei  der  Bouvetinsel  ist  die  negative  Anomalie  der  Temperatur 
sehr  gross.  Denn  östlich  von  der  Bouvetregion  kann  bereits  für  die  Längen 
von  Kerguelen  (im  Dezember)  eine  Wassert^peratur  von  2fi  für  die  Bouvet- 
breite  angesetzt  werden,  und  südlich  von  Australien  fehlen  zwar  direkte 
Schiffsbeobachtungen  von  dieser  Breite,  doch  darf  aus  den  Isothermen 
des  50.  ParalleUoreises  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  4®  Wasser- 
wärme geschlossen  werden.  Westlich  von  der  Bouvetregion  ist  die  Zunahme 
der  Wasserwärme  im  Vergleiche  zur  Bouvetinsel  noch  beträchtlicher.  Das 
Novembermittel  der  Wassertemperatur  an  der  Küste  von  Südgeorg^en 
beträgt,  wie  wir  durch  die  sorgfältigen  Messungen  der  deutschen  Expedition 
im  internationalen  Polarjahre  1882/88  wissen,  2.2  ^  und  von  der  Gegend  des 
Kap  Hörn  stehen  uns  zahlreiche  Schiffsbeobachtungen  zur  Verfügung, 
welche  für  November,  den  Monat  der  »Valdivia«-Reise,  auf  der  Breite  der 
Bouvetinsel  über  5®,  bei  Stateninsel  5®  und  auf  60<>  s.  Br.  noch  3.3  <>  ergeben. 

2.  Antarktische  Tief  seetemperaturen.  Dr.  Schott  giebt  um- 
stehende Tabelle  (S.258)  über  Temperatur,  Salzgehalt  und  Dichtigkeit  des 
Tl^seewassers  des  südpolaren  Meeres,  der  zum  Vergleiche  auch  ein  Beispiel 
aus  dem  nördlichen  Eismeere  beigefügt  ist. 

Lässt  man,  sagt  Dr.  Schott,  die  Wärmeverhältnisse  in  der  Nähe  des 
Meeresgrundes  ausser  Acht,  so  erkennt  man,  dass  die  vertikale  Temperatur- 
verteilung  in  den  Reihen  I  und  FV  einander  ähnlich  ist,  sie  ist  dichothermen 
Charakters,  indem  oben  relativ  warmes  Wasser  sich  befindet,  dann  eine 
kalte  Schicht  folgt,  welche  wieder  von  wärmerem  Wasser  unterlagert  wird ; 
andererseits  sind  die  Reihen  U,  III,  V  und  VI  untereinander  ver^eichbar, 
sie  zeigen  eine  kathotherme  Schichtung,  da  die  obersten  Wassermassen 
vergleichsweise  kalt,  die  darunter  befindlichen  warm  sind.  Die  Reihen  I — IV 
sina  sämtlich  in  der  Nähe  des  60.  südlichen  Breitengrades  gewonnen,  sie 
sind  in  der  Aufeinanderfolge  von  Westen  nach  Osten  angeordnet  und  geben 
unmittelbar  die  geographischen  Verschiedenheiten  dieses  Meeresstriches 
unter  den  verschiedenen  Längen  an;  Reihe  V  mit  rund  70^  s.  Br.  und  VI 
mit  über  80  ®  n.  Br.  liegen  wesentlich  weiter  polwärts. 

Unter  diesen  Umstanden  wird  die  vergleichsweise  ausserordentliche  Kälte 
der  gesamten  Wassermassen  in  der  Bouvetregion  deutlich.  Die  grosse  negative 
Temperaturanomalie  der  Oberfläche  wurde  bereits  nachdrücklich  hervorge- 
hoben. Aus  der  >Valdivia«-Reihe  (No.  II)  lernen  wir  nun,  dass  die  abnorm 
niedrigen  Wassertemperaturen  derBouvetgegend  bis  zum  Meeresgrunde  in  ihren 
Wirkungen  verfolgbar  bleiben ;  unter  den  4  Temperaturserien  auf  rund  60<^  s.  Br. 
ist  innerhalb  der  Reihe  11  in  fast  jedem  Niveau  das  Wasser  am  kältesten, 
dies  gilt  sowohl  von  dem  Wasser  über  0®,  wie  von  demjenigen  unter  0®. 

Südlich  vom  Kap  Hom  ist  warmes  Wasser  bis  50  m  Tiefe  vorhanden, 
und  die  kalte  Zwischenschicht  ist  nur  rund  75  m  mächtig,  bei  Termination- 
land  ist  die  oberste  warme  Schicht  25  tn  mächtig,  die  kalte  gar  nur  50  m; 
in  der  Nähe  der  Bouvetinsel  aber  bis  nach  Enderbyland  fehlt  die  oberste 
wanne  Schicht  gänzlich,  und  das  kalte  Oberwasser  erreicht  eine  Mächtigkeit 
von  150,  bezw.  100  m;  endlich  steigt  in  dem  warmen  Unterstrome  die  Wasser- 
erwärme in  den  Reihen  I,  III  und  IV  mindestens  bis  auf  -f- 1.7^  nur  in  dem  Pro- 
file der  Bouvetgegend  ist  -|-  0.8**  das  Maximum  innerhalb  dieser  wannen  Unter- 
strömung. Dazu  muss  noch  bedacht  werden,  dass  gerade  die  Bouvetstation 
unt«r  den  vier  ersten  Stationen  die  am  weitesten  zum  Äquator  vorgeschobene 
ist,  wodurch  die  augenfälligen  Gegensätze  noch  weiter  verschänt  werden. 

So  kommt  es,  dass  die  Temperaturreihe  der  Bouvetgegend  auf  56^  s.  Br. 
ähnlich  ist  der  Reihe  V  auf  70°  s.  Br.  im  Stillen  Ozeane,  ja  sogar  der 
Nansenschen  Reihe  von  82 <^  n.  Br.  vergleichbar  bleibt!  Diese  Angaben  lassen 
einen  ungefähren  Rückschluss  auf  die  Grösse  und  die  Ausdehnung  der 
enorm  mächtigen,  abkühlenden  Einflüsse  zu,  die  in  der  Bouvetgegend  und 
polwärts  davon  eine  Rolle  spielen  müssen. 

Klein,  Jahrbuch  XIII.  17  . 


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Das  Meer.  259 

Die  Station  der  »Valdivia«  vor  Enderbyland  nimmt  eine  vermittelnde 
SteUnitg  zwischen  der  Bouvetstation  und  der  Terminationstation  ein ;  Reihe  in 
«rmangelt  zwar  noch  der  wannen  Oberschicht,  aber  die  nntere  Grrenze  des 
kalten  Oberwassers  ist  etwa  50  m  der  Oberfläche  näher  als  bei  der  Bouvet- 
ffegend,  auch  zeigt  hier  der  warme  Unterstrom  höhere  Temperaturen  als 
deijenige  der  Bouvetgegend. 

Betrachtet  man  dagegen  Reihe  I  und  IV,  so  stellt  die  hier  auftretende 
oberste,  25 — 50  m  mächtige  Schicht  mit  Wärmegraden  über  0®  ganz  zweifellos 
«in  Element  vor,  das  mit  den  eigentlichen  antarktischen  oder  überhaupt 
polaren  Verhältnissen  nichts  zu  thun  hat,  im  Gregenteil,  hierin  sind  oie 
Reste  oder  letzten  Ausläufer  von  Oberfläohenströmungen  zu  erblicken,  deren 
Verlauf  im  einzelnen  nicht  näher  bekannt  ist,  die  aber  jedenfalls  von 
niedrigem  Breiten  polwärts,  in  unserem  Falle  nach  Süden  vordringen.  Der 
vergleichsweise  genngere  Salzgehalt  der  »Challengerc -Stationen  ist  aller- 
dings durch  die  Beimengungen  von  Schmelzwasser  des  Treibeises  und  Pack- 
eises zu  erklären,  aber  dass  das  Wasser  trotzdem  nicht  lokal  oder  zeitlich 
vorübergehend  erwänntes  Polarwasser  sein  kann,  dafür  ist  die  bis  auf 
50,  bezw.  25  m  Tiefe  sich  ausdehnende  Erwärmung  ein  Beweis,  die  in  diesen 
Breiten  nur  in  wirklichen  Oberflächenströmungen  ihren  Ursprung  haben 
kann;  und  wie  sich  die  Insolationswirkung  an  der  Oberfläche  in  polaren 
Meeren  äussert,  zeigt  die  Reihe  VI  der  »FVam«.  Ausserdem  ist  ja  auch, 
was  Reihe  IV  bei  Terminationland  betrifft,  bekannt,  dass  man  hier  seit 
Neumayers  Arbeiten  aus  der  relativen  Eisfreiheit  der  Gegend  und  aus  andern 
Oründen  eine  südöstlich  setzende  Oberflächentrift  vermutet;  am  Kap  Hörn 
mag  Wasser  aus  niedrigem  Breiten  des  Stillen  Ozeanes  südwärts  gelangen. 
Kurzum,  man  ist  wohl  berechtigt,  bei  der  Reihe  I  und  IV  den  obersten, 
.anothermen  Teil  in  Oedanken  zu  streichen;  man  erhält  dann  für  die  Be- 
sprechung der  Wärmeverteilung  in  der  antarktischen  Tiefsee  fünf  unter- 
einander generell  ähnliche  Reihen  ^-^y)  mit  katothermer  Schichtung:  für 
diese  Schichtung  eine  eingehende  Erklärung  aber  zu  geben,  ist  nach  den 
Arbeiten  Buchanans  und  zumal  Petterssons  unnötig;  dieses  Thema  ist  All- 
gemeingut bis  m  unsere  Lehrbücher  hinein  geworden.  Es  sei  nur  gestattet, 
auf  folgende  Punkte  kurz  hinzuweisen. 

..Wenn  man  in  der  Tabelle  mit  den  Temperaturreihen  auch  die  neben 
stehenden  Reihen  der  Salzgehalte  vergleicht,  so  wird  man  finden,  dass 
auf  den  Stationen  der  »Valdivia«  und  des  »Chalienger«  an  der  südpolaren 
Eisgrenze  der  grosse  Sprung  der  Salinität,  welcher  den  Unterschied 
gegenüber  den  Oberflächenverhältnissen  herbeiführt,  beide  Male  in  rund 
100  m  Tiefe  liegt;  wennschon  das  Maximum  des  Salzgehaltes  erst  in  400  m 
Tiefe,  stellenweise  vielleicht  sogar  erst  in  1500  —  was  aber  zweifelhait 
ist  —  erreicht  wird,  so  ist  doch  eine  Salinität  von  über  34.25<^/oo  bei  der 
geographischen  Verteilung  der  Salzgehalte  der  Oberfläche  ein  unverkenn- 
bares Zeichen  dafür,  dass  bedeutende  Wassermengen  von  dem  salzreichen 
Unterstrome  in  dem  betreffenden  Niveau  von  100  m  vorhanden  sein  müssen, 
selbst  wenn  die  Temperatur  noch  unter  0^  liegen  sollte.  Es  ist  verständlich, 
dass  bei  dem  Prozesse  der  Eisschmelze  sowohl  wie  bei  den  konvektiven 
Bewegungen,  von  welchen  gleich  die  Rede  sein  soll,  eine  weitgehende 
Durchmischung  von  OberQächenwasser  und  Tiefenwasser  die  Folge  sein 
muss,  dass  daher  weder  die  Temperatur,  noch  der  Salzgehalt  eine  klare, 
eindeutige  Scheide^enze  beider  Wasserarten  werden  zu  erkennen  geben. 
Interessant  sind  dabei  die  Zahlen  der  »Fram« -Station  vom  nordpolaren 
fiismeerbecken.  Den  obersten  50  m  ist  eine  beträchtiich  ^össere  Ansüssung 
des  Meerwassers  eigentümlich,  aber  bereits  in  75  m  Tiefe  ist  mit  genau 
34.00^  die  Übereinstimmung  mit  den  südpolaren  Werten  eine  vollkommene, 
eine  Übereinstimmung,  welche  in  grossem  Tiefen  von  800— 1500  m  sogar 
von  einem  kleinen,  aber  sehr  charakteristischen  Cberschuss  an  Salzgehalt 
zu  Gunsten  des  nordpolaren  Meeres  abgelöst  wird.  Dieser  grössere  Salz- 
gehalt der  warmen  Mittelschicht,  bei  dessen  Abschätzung  man  auch  die 

IT 


260  Das  Meer, 

beträchtlich  höhere  geographische  Breite  der  »Frame-Station  nicht  vergessen 
wolle,  darf  als  ein  neuer  Beweis  für  die  oft  konstatierte  Thatsache  gelten» 
dass  im  Nordatlantischen  Ozeane  fast  alle  Vorgänge,  zumal  auch  diejenigen 
der  Vertikalzirkulationen ,  der  Strömungen  u.  s.  w.,  immer  ihre  jeweiSge 
grösste  Intensität  erreichen.  Im  vorliegenden  Falle  ist  das  warme  Tiefen- 
wasser der  Golfstromtrift  in  besonders  kräftigem  Vordringen  von  niedern 
Breiten  her  begriffen ;  der  Umstand,  dass  auf  gleicher  Breite  der  Salzgehalt 
des  Wassers  der  Nordhalbkugel  schon  an  der  Oberfläche  meist  etwas  höher 
ist  als  derjenige  auf  der  südlichen  Halbkugel,  kommt  hinzu. 

In  den  Reihen  der  Tabelle,  welche  der  Dichte  des  Meerwassers  gewidmet 
sind,  ist  zwar  eine  Korrektion  für  den  Tiefendruck  nicht  angebracht,  aber  es 
ist  gleichwohl  aus  ihnen  ersichtlich,  dass  nicht  durchweg  ein  stabiles  Gleich- 
gewicht zwischen  den  einzelnen  Schichten  besteht;  der  Satz  gilt  auch  von  der 
nordpolaren  Reihe.  Es  wird  hierdurch  die  Neigimg  zu  konvektiven  Ausgleichs- 
bewegungen antjedeutet.  Ich  möchte  nämlich  annehmen,  dass  das  Vorhanden- 
sein des  Eises  allein  die  katotherme  Temperaturverteilung  nicht  zur  Folge  hat. 

Gewiss  veranlasst  der  an  der  Grenze  der  Eismeere  vor  sich  gehende 
Schmelzprozess  ein  Sinken  der  Temperatur  zunächst  des  Tiefenwassers, 
dann  auch  desjenigen  der  Oberfläche;  ich  glaube  jedoch  nicht,  dass  man 
lediglich  durch  diese  mit  dem  Eise  zusanmienhängenden  Vorgänge  in  ge- 
nügender Weise  die  vertikale  Temperaturverteilung  der  antarktischen  Tiefsee 
erklärt.  Auch  der  Einfluss  der  direkten  Wärmeleitung,  sowie  der  Konvektions* 
bewegungen,  ähnlich  denen,  die  die  Entstehung  der  Sprungschicht  in  den  ' 
Binnenseen  herbeiführen,  muss  herangezogen  werden;  die  Kältegrade  der 
Luft  in  den  polaren  Gegenden  müssen  als  primärer  Faktor  abkühlend 
wirken,  und  cßese  Abkühlung  kann,  entsprechend  dem  Gefrierpunkte  des 
Seewassers,  bis  auf  —  1^  und  darunter  vorschreiten,  ohne  dass  Eisbildung 
eintritt ;  zugleich  werden  die  abgekühlten  Partikelchen  vermöge  ihrer  Schweiz 
untersinken  und  andere,  etwas  wärmere,  leichtere  Teilchen  zum  Aufsteigen 
veranlassen,  ein  Vorgang,  der  hier  in  Seewasser  auch  bei  Temperaturen 
unter  4^  und  unter  0^  möglich  ist,  da  ja  das  Dichtigkeitsmaximum  von 
Seewasser  mit  rund  35^/oo  Salzgehalt  noch  tiefer  liegt  als  der  Gefrierpunkt. 
Dies  Absinken  der  kalten  Wasserteilchen  würde  bis  zum  Meeresboden  sich 
erstrecken  können,  wenn  nicht  die  Zwischenschicht  des  salzreichen,  extra- 
polaren Stromes  vorhanden  wäre,  es  wird  daher  nur  bis  in  diejenige  Tiefe 
reichen,  in  welcher  das  spezifische  Gewicht  gleich  demjenigen  des  zwar 
warmen,  aber  relativ  sehr  salzreichen  Unterstromwassers  wird:  so  wird  die 
kalte,  obere  Wasserschicht  oft  unmittelbar  auf  der  warmen  auflagern  wie 
auf  einer  festen  Unterlage,  und  es  w^ird  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zur 
Ausbildung  einer  Sprungschicht  kommen  können. 

Dass  die  Eisschmelze  allein  für  die  Temperaturen  der  obem  eiskalten 
Wasserschicht  nicht  ausschlaggebend  sein  kann,  wird  auch  aus  einem 
Vergleiche  der  untern  Grenze  des  kalten  Wassers  an  den  verschiedenen 
Stationen  ersichtlich.  Offenbar  spielen  doch  im  Südlichen  Eismeere  die 
Eisberge  eine  vorherrschende  Rolle,  der  gegenüber  das  Meerwassereis 
zurücktritt,  während  in  dem  Nördlichen  Eismeere  das  Packeis  oder  Meer- 
wassereis überwiegt.  Die  Eisriesen  des  Südpolarmeeres  reichen  wohl  bis 
400,  ja  500  m  Tiefe  mit  ihrem  Fusse  hinab,  während  das  Packeis  im 
Durchschnitte  nur  7— lOm  Tiefe  gewinnen  dürfte.  Hiemach  müsste  man 
schliessen,  dass,  wenn  das  Eis  allein  massgebend  wäre,  in  der  Antarktis  die  unter 
0®  liegenden  Wassertemperaturen  beträchtlich  tiefer  hinab  sich  erstrecken 
als  in  der  Arktis ;  in  Wirklichkeit  ist  aber  die  Mcu:htigkeit  des  obern  kalten 
Wassers  in  beiden  Meeren  ungefähr  gleich,  sie  beträgt  nämlich  100—150  w. 

Diese  Tiefe  von  rund  150  w  giebt  ungefähr  die  Grenze  an,  bis  zu 
welcher  die  eben  geschilderten  Konvektiousbewegungen  hinabreichen. 

Ferner  hat  die  »Valdi via« -Expedition  bei  der  Bouvetinsel  nicht  diejenige 
Menge  und  diejenige  Grösse  der  Eisberge  beobachtet,  die  vor  Enderbyland 
reichlich  8  Breitengrade  südlicher  zur  Beobachtung  kamen :  gleichwohl  lag 


Das  Meer.  261 

vor  Enderbyland  die  untere  Grenze  der  Kaltwasserschicht  schon  in  100  m, 
bei  der  Bouvetinsel  erst  in  150  m  Tiefe.  Man  wird  aus  allen  diesen  Einzel- 
heiten entnehmen  müssen,  dass  man  nicht  mit  den  kurzgefassten  Worten: 
>die  Eisschmelze  verursacht  die  katotherme  Schichtung«,  den  ganzen  Komplex 
der  Erscheinungen  Dach  Ursache  und  Wirkung  fasst,  dass  vielmehr  auch 
im  Eismeere,  vom  Eise  abgesehen,  die  Wärmeleitung  und  damit  zusammen- 
hängende konvektive  Bewegungen  bei  der  Ausgestaltung  der  Temperatur- 
verteilung  in  hervorragendem  Masse  mitwirken. 

Die  Wirkung,  welche  das  treibende  Eis  auf  die  Temperatur  speziell 
der  Meeresoberfläche  ausübt,  wird  je  nach  der  Anfangstemperatur  und  dem 
Salzgehalte  des  Meerwassers,  sowie  je  nach  der  Natur  des  Eises  (Meereis, 
Süsswassereis)  verschieden  sein  müssen.  Dass  da,  wo  das  bei  —  2.5^ 
schmelzende  Meerwassereis,  im  besondem  also  das  wirkliche  Packeis  beider 
polarer  Zonen,  in  gewaltigen  Feldern  auftritt,  die  Wassertemperatur  bis 
auf  —  1®  und  darunter  herabgedrückt  werden  kann,  ist  nur  natürlich. 
Dass  aber  auch  durch  Süsswassereis,  also  durch  Gletscherreste  oder  Eis- 
berge, die  Temperatur  von  Seewasser  auf  Grade  unter  Null,  den  sonstigen 
Schmelzpunkt  des  Süsswassereises,  abgekühlt  werden  kann,  wäre  nicht  an- 
zunehmen, wenn  es  nicht  durch  experimentelle  Beobachtungen  über  allem 
Zweifel  sicher  wäre,  und  zwar  ist  die  Temperatur,  welche  bei  dem  Schmelzen 
von  Süsswassereis  in  Seewasser  entsteht,  für  ozeanischen  Salzgehalt  nahezu 
konstant  — 1.8  ^  Natürlich  gilt  dies  nur  für  Meeresgegenden,  denen  der 
Charakter  eines  wirklichen  Eismeeres  zukommt.  Aber  auch  da  darf  man 
£ich  den  thermischen  Wirkungsbereich  eines  noch  so   gewaltigen  Schmelz- 

Srozesses  nicht  zu  gross  vorstellen.  Das  Mischungsprodukt,  welches  aus 
em  warmem,  salzreichen  Seewasser  und  dem  kaltem,  leichten  Schmelz- 
wasser des  Eisberges  rund  um  dessen  Fuss  in  der  Tiefe  entsteht,  unterliegt 
seinerseits  bei  dem  Aufsteigen  zur  Oberfläche  noch  wieder  einer  weit- 
gehenden Vermischuug  mit  Oberflächenwasser,  welches  an  sich  schon  Teim)e- 
raturen  unter  0^  aufweisen  kann,  so  dass  es  schwer  ist,  den  Einfluss  der  Eis- 
schmelze an  solcher  zu  begrenzen.  Ist  es  doch  auch  in  den  Gewässem,  die 
von  der  SeeschiffsJirt  regelmässig  befahren  werden,  bisher  nicht  gelungen, 
eine  messbare  abkühlende  Wirkung  der  Eisberge  auf  nur  massig  grosse  Ent- 
fernungen selbst  in  vergleichsweise  hohen  Temperaturen  festzustellen,  so  dass 
sich  aus  fleissigen  Messungen  der  Wasserwärme  für  die  Navigierung  in  diesen 
Gewässem  eine  Warnung  vor  Eisgefahr  leider  nicht  erhoffen  lässt. 

Wenn  man  sich  die  ausserordentlich  grosse  Wärmekapazität  des 
Wassers  vergegenwärtigt,  die  grösser  ist  als  diejenige  der  festen  Körper, 
und  man  sich  klar  macht,  welche  ganz  gewaltigen  Wärmemengen  dem 
Meerwasser  bei  seinem  geringen  Leitun^vermögen  entzogen  werden  müssen, 
um  die  Temperatur  nur  um  ^/^o^  auf  weite  Strecken  hin  m  direkter  Wirkung 
zu  erniedrigen,  so  erkennt  man,  dass  in  der  Wirklichkeit  der  thermische 
Einfluss  des  Schmelzprozesses  auf  das  Meerwasser  der  Oberfläche  in  un- 
gemein engen  Grenzen  sich  halten  muss.  Pettersson,  welcher  die  rein 
mechanischen  Vorgänge  bei  dem  Schmelzprozesse  von  Meereis  im  atlantischen 
Wasser  mit  Hinsicht  auf  die  dabei  entwickelten  Energiemengen  untersucht 
hat,  nimmt  schätzungsweise  an,  da.ss  das  Wasser  des  isländischen  Polar^ 
Stromes  zu  "li^  aus  atlantischem  Wasser  und  nur  zu  Vis  ^^^  Schmelz- 
wasser bestehe.  Diese  Überlegungen  bildeten  auch  eine  Ursache,  weshalb 
vom  Verf.  bei  der  Erklärang  der  antarktischen,  unmittelbar  unter  der  Ober- 
fläche herrschenden  Wasseitemperaturen  die  Einwirkung  der  polaren  Luft- 
temperaturen nachdrücklich  betont  wurde.  Derselbe  Gesichtspunkt  ver- 
bietet es  auch  schliesslich,  anzunehmen,  dass  Schmelzwasser,  welches 
von  der  Oberfläche  der  Eisberge  selbst,  an  den  Gehängen  derselben,  oft 
in  vergleichsweise  grossen  Mengen  herabstürzt,  einen  nennenswerten  er- 
wärmenden Einfluss  auf  die  Temperaturen  der  Meeresoberfläche  gewinnt, 
wenn  letztere  an  sich  unter  0^  liegt.  Es  ist  nur  die  theoretische  Möglich- 
keit einer  Erwärmung  zuzugeben." 


262  Quellen  und  Höhlen* 

Quellen  und  Höhlen. 
Die  Quellen  des  Kantons  Aargrau.  F.  Mühlberg  hat  auf 
Grund  sehr  umfassender,  mit  Hilfe  zahlreicher  Einwohner  durchge- 
führter Aufnahmen  das  Material  zur  Herstellung  einer  Quellenkarte 
des  Kantons  Aargau  zusammengebracht,  über  das  er  vorlaufig  be- 
richtet. ^)  Hiernach  besitzt  der  1404  qkm  grosse  Kanton  Aargau  in 
248  Gemeinden  2977  ungefasste  Quellen  mit  einer  Minimai-Wasser- 
führung von  186  527  Min.-Liter,  5484  gefasste  Quellen  mit  minimal 
68797  Min.-Liter,  und  3974  Sodbrunnen. 

Unterirdische  Wasser  in  Westaustralien.  In  dem  Bezirke 
von  Eukla  sind  viele  unterirdische  Wasserbecken  in  9 — 10  w  Tiefe 
entdeckt  worden.  Zahlreiche  Flüsse  dieses  Landgebietes  verlieren 
sich  im  Boden,  und  es  ist  daher  wahrscheinlich,  dass  sie  das  Wasser 
für  jene  unterirdische  Becken  liefern.*) 

Ober  das  Wesen  der  heissen  Quellen  hat  Prof.  E.  Suess 
auf  der  Naturforscherversammlung  zu  Karlsbad  (1902)  seine  An- 
schauungen entwickelt,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Karlsbader 
Thermen.  Er  betonte  wie  nach  den  altem  Vorstellungen  die  Thermen 
durch  einsickernde  Tagwasser,  die  in  der  Tiefe  die  Temperatur  des 
Erdinnem  annehmen,  gespeist  werden  und  dem  Gesteine  durch  Lösung 
ihre  festen  Bestandteile  entnehmen.  Indessen  erklärten  F.  v.  Hauer, 
F.  V.  Hochstetter  und  H.  Wolf,  dass  sie  auch  nicht  einmal  an- 
nähernd das  Infiltrationsgebiet  der  Karlsbader  Thermen  in  dem  aus- 
gedehnten vorherrschend  granitischen  Grundgebirge  anzugeben  ver- 
möchten. G.  Laube  erklärte  es  für  rätselhaft,  woher  die  Menge  des 
kohlensauren  Kalkes  in  der  Sprudelschale  und  die  Wassermasse  des 
Sprudels  überhaupt  stamme;  Ludwig  und  Mautner  sprachen  in 
Rücksicht  auf  die  grosse  Menge  Natrium  ihre  Meinung  dahin  aus^ 
dass  die  Karlsbader  Thermen  ihre  festen  Bestandteile  aus  tiefem 
Erdregionen  unterhalb  des  Granits  heraufbrächten.  Auch  bezüglich 
der  Herkunft  der  Kohlensäure  glaubte  man,  auf  das  Magma  des 
Erdinnem  zurückgreifen  zu  müssen.  Prof.  Suess  unterscheidet  zu- 
nächst nach  älterem  Vorgange  zwei  Klassen  von  Wasserquellen: 
vadose  und  juvenile;  zur  erstem  rechnet  er  nicht  nur  die  infiltrieren- 
den Wasser,  sondem  geradezu  alle  Teile  der  Hydrosphäre,  zu  den 
juvenilen  dagegen  solche,  welche,  als  Wirkungen  vulkanischer  Thätig- 
keit  aus  dem  Erdinnern  kommend,  an  das  Tageslicht  treten.  Es  giebt 
vadose  Wasser,  die  erwärmt  in  artesischen  Brunnen  aufsteigen,  andere 
vadose  Wasser  dringen  mit  Kohlensäure  beladen  von  Tag  aus  in  die 
oberen  Horizonte  der  Erzgänge  und  veranlassen  durch  Lösung  und 
Niederschlag  dort  Umlagerung  der  mineralischen  Substanzen.  Es 
giebt  femer  vadose  Chlor-,    Schwefel-,    Brom-   und  Jodverbindungen 


^)  Mittl.  d.  Aargauischen  Naturforsch.  Gesellschaft  1901.  9» 
*)  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  in  Berlin  1902.   2.  p.  175. 


Quellen  und  Höhlen.  263 

in  dem  Ozeane  und  den  Salzablagerungen;  vados  endlich  ist  der 
Schwefelwasserstoff,  der  unter  dem  Einflüsse  von  Bakterien  ab- 
geschieden in  den  Tiefen  des  Schwarzen  Meeres  vorhanden  ist.  Die 
heissen,  unter  dem  Namen  Geysire  bekannten  Quellen  pulsieren  in 
ihrer  Thatigkeit,  indem  Explosionen  heissen  Wassers  mit  Ruhe- 
zustanden abwechseln.  Auch  die  Quellen  von  Karlsbad  pulsieren,  aber 
dieses  Pulsieren  ist  weniger  regelmässig,  erfolgt  in  kurzem  Zeit- 
räumen, und  seine  Ursache  ist  eine  andere  als  die  der  Geysire.  Über 
dem  Karlsbader  Quellgebiete  liegt  die  von  zahlreichen  Hohlräumen 
unterbrochene  Sprudelschale.  In  diesen  Hohlräumen  sanmielt  sich  das 
kohlensaure  Gas  an,  bis  es  durch  seinen  Druck  das  heisse  Wasser 
aufwärts  treibt;  so  entstehen  die  Sprudelquellen.  Artesische  Wasser 
stehen  unter  konstantem  hydrostatischem  Drucke,  sie  fliessen  daher 
gleichförmig;  Siedequellen  stehen  nicht  unter  solchem  Drucke,  wenigstens 
würde  man  einen  solchen  für  Karlsbad  nicht  zugeben  können,  hier 
ist  der  Druck  der  Kohlensäure  die  treibende  Kraft  Die  Wasser 
des  Karlsbader  Sprudels  sind  juvenile  Wasser,  und  es  ist  völlig 
aussichtslos  für  diese  Quellen  an  der  Oberfläche  ein  Infiltrations- 
gebiet abgrenzen  zu  wollen,  ebenso  unzulässig  ist  es,  die  Tiefe 
ihres  Ursprunges  aus  ihrer  Temperatur  abzuleiten;  endlich  ist  es 
auch  vergeblich,  ihre  Bestandteile  aus  der  Beschaffenheit  des  Granites 
zu  deuten.  Das  Erzgebirge,  welchem  seinem  Baue  nach  auch  der 
Granit  von  Karlsbad  angehört,  wird  von  zahlreichen  Gängen  oder 
Spalten  durchschnitten,  welche  mit  Quarz  oder  Homstein,  zum  Teile 
auch  mit  den  verschiedenen  Erzen  ausgefüllt  sind,  denen  das  Gebirge 
einst  seinen  Reichtum  und  heute  noch  seinen  Namen  verdankt. 
Bezüglich  der  Vulkane  liegen  zahlreiche  Thatsachen  vor,  die  be- 
weisen, dass  das  eigentliche  Agens  der  Eruption  in  dem  Drucke  des 
Wasserdampfes  zu  erblicken  ist  Neben  andern  Thatsachen  deuten 
die  ausgeworfenen  Schlammmassen,  sowie  die  gleichzeitig  mit  der 
Lava  ausgestossenen  Wasserdämpfe  hierauf  hin.  Wie  bei  den  Quellen 
hat  man  auch  in  der  Thätigkeit  der  Vulkane  ganz  regelmässige 
rhythmische  Pulsationen  beobachtet  Solche  in  regelmässigen  Zeitab- 
ständen sich  wiederholenden  Ausstossungen  von  Gasen,  Asche  u.  dergl. 
hatte  Prof.  Suess  Gelegenheit,  am  Hauptkrater  des  Vesuv  und  an 
einem  kleinen  Nebenkrater,  dem  cratero  parasitico,  dieses  Vulkanes 
im  Jahre  1871  zu  beobachten.  Indessen  ist  es  nicht  das  Eindringen 
des  Meerwassers  in  die  Tiefen,  welches  den  Anlass  zum  Zustande- 
kommen der  Eruption  giebt,  sondern  das  Wasser,  welches  durch 
Cberführung  in  Wasserdampf  die  Eruption  herbeiführt,  stammt  nach 
Suess  aus  tiefen  Schichten  des  Erdinnem  und  hat  noch  niemals  die 
Oberfläche  erreicht  Entgegen  den  altern  Anschauungen  sind  unsere 
heutigen  Vulkanausbrüche  als  der  Rest  eines  mächtigen  Prozesses 
der  Entgasung  des  Erdkörpers  aufzufassen*  eines  Prozesses,  der  schon 
seit  Jahrtausenden  vor  sich  geht,  ohne  doch  bis  heute  seinen  Abschluss 
gefunden  zu  haben. 


264  Quellen  and  Höhlen. 

Schon  vor  40  Jahren  hat  Hermann  Müller  in  Freiburg  mit 
genialem  Blicke  gewisse  Beziehungen  erkannt,  welche  zwischen  den 
Erzgängen  des  sächsischen  Erzgebirges  und  den  heissen  Quellen  in 
Böhmen  bestehen.  Zur  Aullösung  der  in  den  Erzgängen  enthaltenen 
mineralischen  Substanzen  ist  Wasser  oder  Wasserdampf  von  überaus 
hoher  Temperatur  notwendig,  wie  man  sie  nur  in  grossen  Tiefen 
unter  der  Erdoberfläche  annehmen  kann.  Die  Zinnerzlagerstätten 
bezeichnen  die  heissesten  Phasen  der  Gangbildungen;  im  Gegensatze 
zu  ihnen  sind  als  Vertreter  der  jüngsten  Phasen  in  den  zahlreichen 
Vorgängen,  welche  die  heutigen  Erzgänge  schufen,  die  Thermen  zu 
betrachten,  die  hier  und  da  auf  den  Gängen  erschrotet  wurden.  Die 
meisten  dieser  Quellen  sind  alkalisch  und  manchmal  auffallend  reich 
an  Ghlornatrium,  ja,  wir  wundem  uns  über  den  Gehalt  an  Kochsalz, 
den  die  Karlsbader  Quellen  aus  dem  Granit  zu  Tage  fördern.  Die 
Alkalien  sind  aber  in  den  Erzgängen  nicht  zur  Ablagerung  gelangt, 
nicht  weil  sie  während  der  Bildung  der  Gänge  gefehlt  hätten,  sondern 
wegen  der  grössern  Löslichkeit  So  zeigen  uns  die  Erzgänge  als 
Extreme  auf  einer  Seite  den  zinnernen  Hut  und  auf  der  andern 
Seite  die  von  freier  Kohlensäure  begleiteten  alkalinischen  Thermen. 
Vadose  Einflüsse  fehlen  in  den  obem  Horizonten  nicht,  aber  sie 
sind  Nebenerscheinungen,  und  die  alkalinischen  Thermen  der  Gruben 
sind  nur  das  Endglied  einer  Reihe  von  Vorgängen,  welche  ihre 
Ursache  in  der  Tiefe  des  Erdkörpers  haben.  Karlsbad  liegt  auf  dem 
Ausgehenden  eines  Ganges.  Könnten  wir  alle  Verhüllungen,  alle 
Zu-  und  Überbauten  entfernen  und  das  Quellsystem  samt  seinen 
eigenen  Absätzen  nackt  vor  uns  sehen,  so  würden  wir  wahrnehmen, 
dass  es  zweierlei  Varietäten  von  Granit  in  gerader  Linie  durch- 
schneidet. Auf  einer  gewissen  Strecke  ist  es  von  eigenen  Kalk- 
absätzen, der  Sprudelschale,  bedeckt,  und  Lagen  der  Sprudelschale 
sind  auf  dem  Turmplatze  noch  17  m  über  dem  heutigen  Sprudel  von 
Knett  beobachtet  worden.  In  der  Tiefe  der  ganzen  Strecke  aber 
sieht  man  einen  altern  Absatz  der  Quelle,  nämlich  Hornstein,  welclier 
zahlreiche  Blöcke  von  Granit  zu  einer  Breccie  verbindet,  ganz  wie 
an  den  auch  sonst  trotz  ihrer  Armut  an  gelösten  Stoffen  vielfach 
verwandten  Quellen  von  Plombieres  in  den  Vogesen.  Die  Beziehungen 
der  Thermen  zu  den  Erzgängen  sind  zugleich  massgebend  für  die 
Beurteilung  der  chemischen  Zusammensetzung.  In  neuerer  Zeit  ist 
von  sachkundiger  Seite  der  Versuch  wiederholt  worden,  die  Füllung 
der  Erzgänge  durch  Auslaugung  der  Nachbargesteiiie  zu  erklären; 
indessen  haben  genaue  Prüfungen  gezeigt,  dass  die  Füllung  auf  diesem 
Wege  und  ohne  Zutrag  aus  der  Tiefe  nicht  erklärt  werden  kann. 
Ahnlich  verhält  es  sich  mit  den  Thermen  von  Karlsbad.  Am  Vesuv 
konnte,  als  die  heissen  Auswürflinge  sich  mit  sublimiertem  Kochsalz 
bedeckten,  Redner  wegen  der  Nähe  des  Meeres  anfänglich  im  Zweifel 
bleiben,  ob  das  Kochsalz  nicht  aus  einer  marinen  Infiltration  stamme, 
aber   hier,    mitten   im   Festlande,    findet  man   das  Kochsalz  wieder, 


Quelleoi  und  Höhlen.  265 

sowohl  in  Thermen,  welche  der  Bergbau  auf  Erzgängen  erschlossen 
hat,  als  auch  in  Karlsbad.  Die  aus  der  Tiefe  stammefaden  Stoffe 
erscheinen  in  der  Form  der  am  leichtesten  löslichen  Verbindungen, 
während  andere,  leichter  sich  abscheidende,  namentlich  metallische 
Verbindungen,  in  der  Tiefe  zurückbleiben.  Dieses  ist  die  Bedeutung 
der  Mengen  von  Glaubersalz,  Soda  und  Kochsalz,  welchen  die  Heil- 
kraft unserer  Quellen  in  erster  Linie  zugeschrieben  wird.  Die  grosse 
Menge  halbgebundener  und  freier  Kohlensäure  ist  ohne  Zweifel 
juvenilen  Ursprunges,  und  wir  wissen,  dass  sie  einer  späten  Phase 
vulkanischer  Emanation  entspricht  Betrachtet  man  aber  nicht  die 
Verbindungen,  sondern  die  Elemente,  die  in  den  Karlsbader  Thermen 
vertreten  sind,  so  zeigen  sich  auch  die  Anzeichen  der  andern  Phasen. 
Chlor,  Fluor,  Bor  und  Phosphor  sind  aus  der  heissesten  Phase 
anwesend,  während  die  Metalle  dieser  Phase  (Zinn,  Wismut, 
Molybdän  u.  a.)  fehlen.  Schwefel  ist  vorhanden,  daneben  Selen  und 
Thallium,  Rubidium  und  Cäsium,  die  Begleiter  der  sulfidischen  Vor- 
kommnisse in  verschiedenen  Vulkanen,  ebenso  Arsen  und  Antimon, 
die  gewöhnlichen  Begleiter  der  sulfidischen  Erze,  und  auch  Zink  als 
eine  Spur  der  Erze  selbst.  Nun  bleiben  noch  Natrium,  Kalium  und 
Lithium,  Calcium,  Magnesium  und  Strontium,  Eisen  und  Mangan, 
Aluminium  und  Silicium,  aber  darunter  ist  kein  Element,  das  nicht 
aus  den  Erzgängen  ,und  kaum  eines,  das  nicht  auch  aus  den  Vulkanen 
bekannt  wäre.  Prof.  Suess  giebt  nun  eine  Zusammenfassung.  Die 
Temperatur  der  Gase,  welche  in  den  Vulkanen  aufsteigen,  steht 
dem  Schmelzpunkte  der  meisten  irdischen  Gesteine  nahe  oder  über- 
steigt ihn,  diese  Gase  können  daher  nicht  aus  vadoser  Infiltration 
hervorgehen.  Die  heissesten  Fumarolen  sind  trocken;  Wasserdampf 
und  thermale  Lösungen  gehören  nachfolgenden  Phasen  an.  Der 
zinnerne  Hut  über  sulfidischen  Gängen  des  Erzgebirges  entspricht  der 
heissesten  sublimierenden  Phase  solcher  Thätigkeit;  die  andern 
Gangausfüllungen,  namentlich  auch  die  sulfidischen  Erze,  entsprechen 
spätem  Phasen.  Die  Thermen,  welche  heute  auf  den  Erzgängen 
erschrotet  werden,  sind  ein  Nachklang.  Ein  Nachklang  vulkanischer 
Thätigkeit  sind  auch,  wenigstens  hier,  die  zahlreichen  Ausströmungen 
freier  Kohlensäure,  wie  sich  bis  nach  Schlesien  aus  ihrer  räumlichen 
Verbindung  mit  der  grossen  nordböhmischen  Basaltzone  ergiebt 

Im  allgemeinen  unterscheidet  Prof.  Suess  fünf  Gruppen  von 
Quellen,  nämlich  1.  süsse  Trinkquellen,  gleichgültig  ob  Hoch-  oder 
Tiefquellen,  mit  Temperatur  des  Bodens,  wo  sie  zu  Tage  treten,  Kalk 
und  Magnesia  als  Hauptbestandteile  enthaltend;  sie  werden  zur 
Bewässerung  unserer  Städte  benutzt  2.  Quellen  mit  ähnlicher 
Temperatur,  aber  von  besonderem  Mineralgehalte,  so  die  Jodwasser 
von  Hall,  die  Bitterwasser  von  Saidschütz  und  Püllna.  3.  Wildbäder, 
mit  wenigen  gelösten  Bestandteilen,  sogenannte  indifferente  Thermen. 
4.  Juvenile  Quellen  mit  den  verschiedensten,  aber  von  der  Jahres- 
zeit unabhängigen  Temperaturen.     5.  Siedequellen,  den  Übergang  zu 


266  Flüsse. 

der  sogenannten  strombolischen  Phase  der  Vulkane  bezeichnend.  Das 
Wasser  des  Karlsbader  Sprudels  ist  juveniles  Wasser  und  bringt 
jährlich  mehr  als  eine  Million  Kilogramm  juvenilen  Kochsalzes  herauf. 
Der  Ozean  ist  nicht  mehr  allein  der  abgebende,  sondern  auch  der 
empfangende  Teil,  und  auch  die  Atmosphäre  empfängt  juvenile  Be- 
reicherung durch  die  aus  dem  Boden  entweichende  Kohlensäure. 

Höhlenforschungen  in  der  Nähe  von  Hentone.    In  der 

Nachbarschaft  dieser  Stadt  liegen  mehrere  Höhlen,  die  bereits  früher 
interessante  paläontologische  und  urgeschichtliche  Ausbeute  geliefert 
haben.  Neuerdings  sind  dort  die  Nachgrabungen  auf  Anlass  des 
Prinzen  von  Monaco  durch  den  Abbe  von  Villeneuve  wieder  auf- 
genommen worden.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurde  eine  als  Grotte 
der  Kinder  bezeichnete  und  schon  1874 — 1875  oberflächlich  erforschte 
Höhle  bis  auf  den  felsigen  Boden  blossgelegt  Damals  hatte  man 
dort  die  Skelette  zweier  jugendlichen  Personen  gefunden,  jetzt  ent- 
deckte man  in  1.9  m  Tiefe  ein  drittes  Skelett,  dann  in  7.05  tn  Tiefe 
ein  riesenhaftes  Skelett  und  zuletzt  in  7.8  m  Tiefe  ein  Grab  mit 
zwei  kleinen  Skeletten.  Von  Tierknochen  wurden  solche  des  Hirsches, 
des  Ochsen,  des  Pferdes  und  der  Höhlenhyäne  angetroffen.  Das 
grosse  Skelett  gehört  ohne  Zweifel  einem  Menschen  der  vorgeschicht- 
lichen Gro-Magnon-Rasse  an,  die  beiden  andern  Skelette  aber  weichen 
davon  typisch  ab.  Sie  zeigen  eine  kleine  Rasse,  deren  Typus  bis 
jetzt  in  der  Quartärformation  noch  nicht  angetroffen  worden  ist,  von 
1.5 — 1.6  m  Grösse,  mit  unsymmetrischem  Kopfe,  sehr  langschädelig, 
mit  negerähnlicher>  sehr  prognather  unterer  Gesichtsbildung  und  mit 
stark  entwickelten  obem  Gliedmassen.  Dieser  offenbare  Negertypus 
ist  bis  dahin  noch  niemals  bei  den  vorgeschichtlichen  Menschen  des 
westlichen  Europas  angetroffen  worden  und  steht  zunächst  völlig 
vereinzelt  und  rätselhaft  da. 

Flüsse. 
Die  Wasserverhältnisse  der  Zwickauer  Mulde  bis  Zwickau 

sind  von  Prof.  Dr.  Schreiber  untersucht  worden,^)  doch  hebt  der- 
selbe hervor,  dass  die  von  ihm  mitgeteilten  Resultate  nur  als  vorläufige 
anzusehen  sind,  und  er  mit  der  Publikation  derselben  nur  bezweckt,  seine 
Absichten  bei  diesen  Arbeiten  darzulegen. 

Bereits  1896  waren  zu  Zwickau  die  Vorrichtungen  angebracht,  um  an 
der  Mulde  (bei  der  Bierbrücke)  ohne  weiteres  das  GefsUle  des  Wasser- 
spiegels und  die  Oberflächengeschwindigkeit  des  Flusses  zu  bestinunen. 
Die  um  das  Ende  des  Jahres  1899  sich  darbietenden  starken  Änderungen 
in  der  Wasserführung  der  Mulde  gaben  die  Möglichkeit,  eine  Anzahl  von 
Messungen  zwischen  +  18  und  -f  104  cm  Stand  des  Pegels  auszuführen. 

Hierbei  wurden  alle  die  Arbeiten  verwendet,  welche  von  der  königl. 
Wasserbaudirektion  an  dieser  Stelle  ausgeführt  worden  sind  und  sich  in 
den  >Hvdrologischen  Jahresberichten  für  die  Elbec  pubUziert  vorfinden. 
Gs  wurden  Tabellen  und  graphische  Darstellungen  hergestellt,  aus  denen 
man  für  jeden  Pegelstand  die  in  gegebener  Zeit  abfliessenden  Wassermengen 


^)  Jahrbuch  des  kgl.  sächs.  meteorol.  Instituts  17«  3.  Abtl.  Chemnitz  1902. 


Flüsse.  267 

und  die  sonstigen  hierbei  in  Frage  kommenden  Zahlen  entnehmen  kann. 
Darnach  wurden  dann  nach  den  Pegelbeobachtungen  vom  Jahre  1872  an 
die  täglich  abgeflossenen  und  in  Millimetern  Abflusshöhe  auggedrückten 
Wassermengen  bestimmt. 

Das  Niederschlagsgebiet  umfasst  bis  zur  Bierbrücke  1019  qkm,  Fliesst 
also  im  Laufe  des  Tages  eine  Wassermenge  ab,  welche  einem  täglichen 
Niederschlage  von  1  mm  oder  1  Liter  auf  1  qJan  entspricht,  so  werden 
dies  1019  X  1000000  =  1019000  Liter  =  10190C00  cbm,  oder  1,019  cbkm 
(l  d>hm  =  1  Million  cbm)  sein.  Im  allgemeinen  werden  8  mm  Niederschlag 
beim  vollen  Abflüsse  in  der  Mulde  bei  Zwickau  1.019  8  cbhm  Wasser 
hefem,  oder  umgekehrt  werden  w  c^Am*  täglicher  Abfluss:  «^^  0.981  wmm 
täglichem  Niederschlage  entsprechen.  Weiter  findet  man,  dass  jeder  Kubik- 
meter, welcher  in  einer  Sekunde  abfliesst,  0.0848  mm  täglichem  Nieder- 
schlage entspricht,  also  q  chmlsec  auch  0.0848  q  mm.  Umgekehrt  wird  der 
Abfluss  von  1  mm  täglicher  Niederschlagsmenge  eine  Wasserführung  von 
11.79  (^milsec  erzeugen.  Aus  den  täglichen  Abflusshöhen  lassen  sich  durch 
einfache  Addition  die  monatlichen  und  aus  diesen  die  jährlichen  Abfluss- 
höhen ableiten.  Alle  diese  Zahlen  kann  man  direkt  mit  den  Niederschlags- 
messungen vergleichen.  Um'  auch  hierüber  einen  Überblick  zu  erhalten, 
wurden  die  Beobachtungen  der  sämtlichen  im  Gebiete  der  Mulde  bis  Zwickau 
liegenden  Stationen  zusammengestellt  und  vorläuflg  nur  deren  einfache  Mittel 
als  ein  Mass  der  über  dieses  Gebiet  gefallenen  Wassermengen  betrachtet. 

Zunächst  giebt  Verf.  eine  Tabelle,  welche  die  Tiefe  des  Wassers  in 
Zentimetern,  bei  den  verschiedenen  Pegelständen  über  dem  tiefsten  Sohlen- 
punkte enthält.  Bei  dem  tiefsten  Wasserstande  sind  dies  nur  40  cm,  bei 
dem  höchsten  der  beobachteten  Stände  aber  nahezu  5  m.  Die  Breite  des 
Wasserspiegels  schwankt  zwischen  36 — 90  m,  ergiebt  also  f ür  1  Äcm  Länge 
des  Flusses  Flächen  zwischen  3.6—9  ha.  Die  Grösse  des  Querschnittes 
des  Wasserkörpers  liegt  zwischen  11  und  291  gm,  das  Volum,  des  Wassers 
im  Flusse  auf  1  km  Länge  mithin  zwischen  0.011  und  0.291  cbhm.  Die 
grösste  dieser  Menden  entspricht  ungefähr  einer  Niederschlagsmenge  von 
3  Zehnteln  eines  Millimeters  über  dem  ganzen  Niederschlagsgebiete. 

Die  Senkung  des  Wasserspiegels  auf  l  km  Länge  beträgt,  je  nach 
dem  Wasserstande,  0.12— 2.94  m;  diese  Zahlen  beruhen  aber  mehr  auf 
Schätzung  als  auf  direkter  Messung.  Die  mittlere  Geschwindigkeit  der 
Strömung  des  Wassers  ist  bei  tiefem  Stande  desselben  sehr  klein.  Die 
grösste  Geschwindigkeit  von  nahe  2.4  m/sec  tritt  bei  250  cm  Pegelstand 
auf,  bei  hohem  Standen  geht  diese  Geschwindigkeit  wieder  zurück.  Dann 
treten  wahrscheinlich  grössere  Widerstände  durch  die  Brücke  etc.  in  Thätig- 
keit.  —  Das  Niederschlagsgebiet  hat  eine  zwischen  etwa  650—700  m  li^ende 
mittlere  Höhe,  während  der  Spiegel  des  Flusses  bei  Zwickau  bei  ca.  260  m 
liegt  Das  Niederschlags wasser  wird  demnach  durchschnittlich  etwa  400  m 
niederfallen,  ehe  es  bei  Zwickau  im  Flusse  abströmt.  Würde  diese  Abwärts- 
bewegung aller  Wasserteilchen  auf  ihren  verschiedenen  Wegen  ohne  einen 
jeden  noch  so  kleinen  Widerstand  vor  sich  gehen,  so  würden  sie  in  der 
Mulde  bei  Zwickau  mit  einer  Geschwindigkeit  von  circa  90  m/»ec  ankommen. 
Jeder  Kubikmeter  Wasser  würde  dann  eine  Arbeitsgrösse  von  ca.  5000  Pferde- 
kräften verrichten  können.  Die  thatsächlichen  Geschwindigkeiten  sind 
dieser  Grösse,  welche  die  freie  Bewegung  erreichen  könnte,  gegenüber  fast 
verschwindend  klein,  es  wird  dem  sich  dem  Flusse  zu  niederbewegenden 
Wasser  also  fast  der  ganze  Arbeitsinhalt  durch  die  Widerstände  geraubt, 
die  es  auf  seinen  Wegen  zu  überwinden  hat,  wobei  es  teils  mechanische 
Arbeit  durch  Zerstörungen  der  Ufer,  Bewegen  von  Steinen  und  Erdmassen 
etc.  verrichtet,  teils  Wärme  erzeugt 

Die  in  1  Sekunde  abfliessende  Wassermenge  beginnt  bei  dem  tiefsten 
Wasserstande  mit  dem  wahrscheinlich  etwas  zu  grossen  Werte  1  cbm  und 
steigt  bis  zu  nahe  500  cbml8ec  bei  400  cm  Pegelstand.  Der  Arbeitsinhalt 
des  fliessenden  Wassers  als  das  Produkt  der  halben  Masse  und  dem  Quadrate 


268  -Flüsse. 

der  Gaschwindigkeit  in  Pferdekräften  berechnet,  würde  bei  250  cm  Pegel- 
stand am  grössten  sein  und  über  1400  PS.  betragen,  während  bei  voll- 
ständig widerstandslosem  Zuflüsse  diese  Grösse  nahezu  2  Millionen  PS.  er- 
reichen würde. 

Im  Laufe  eines  Jahres  fallen  über  dem  1019  qkm  grossen,  in  einer 
mittlem  Höhe  von  650—700  m  über  dem  Meeresspiegel  liegenden  Fluss- 
gebiete 910  mm  oder  Liter  pro  Quadratmeter  Niederschlag.  Die  kleinste 
Niederschlagssumme  kommt  auf  den  Februar  mit  56.8  mm,  die  grösste, 
106.4  mm  auf  den  Juli.  Von  dem  Niederschlagswasser  fliessen  im  Laufe 
eines  Jahres  375.5  mm  oder  41®/o  in  der  Mulde  bei  Zwickau  vorüber.  Die 
grössten  Abflusshöhen  haben  die  Monate  März  und  April,  die  kleinsten  die 
Monate  Oktober  und  November. 

Die  Abflusskoeffizienten,  oder  das  prozentische  Verhältnis  des  Abflusses 
zum  Niederschlage  sind  in  den  Monaten  März  und  April,  wahrscheinlich 
wegen  der  Schneeschmelze,  am  grössten,  im  Juni  und  Juli  am  kleinsten. 
Es  stehen  sich  hier  2d^/o  und  86^/^  gegenüber,  während  das  Jahresmittel 
41<>/o  beträgt. 

Nach  den  mitgeteilten  Beziehungen  zwischen  den  Niederschlags-  und 
Abflusshöhen  einerseits  und  den  diesen  entsprechenden  Wassermengen 
anderseits  findet  sich,  dass  ein  Millimeter  Abflusshöhe  in  einem  Durch- 
schnittsmonate 0.886  c2m»/8ec.  und  1.019  c&^  monatliche  Abflussmenge  erzeugt 

Damach  beträgt  die  Wasserführang  im  April  durchschnittlich  21.0  c&m/sec, 
im  November  aber  nur  8.3  cbm.  Das  Jahresmittel  stellt  sich  auf  12.1  cbmjsec. 
Man  erkennt  aus  der  Tabelle,  dass  nur  in  den  Monaten  März  bis  mit  Mai 
die  Wasserführung  den  Durchschnittsbetrag  übersteigt,  in  allen  andem 
Monaten  aber  kleiner  ist. 

Die  im  Laufe  eines  Monates  abfliessenden  Wassermassen  betragen 
durchschnittlich  nahe  32  cbhm  oder  Millionen  d>m.  Im  November  sind  £es 
nur  22,  im  April  aber  nahe  56  cblwiu 

Besondere  Tabellen  enthalten  etwas  eingehendere  Angaben  über  den 
Niederschlag  und  Abfluss.  Zuerst  erscheinen  die  Lustren-  oder  fünfjährigen 
Mittel  für  die  Monate  und  Jahre. 

Die  Zahlen  für  die  einzelnen  Monate  zeigen  bedeutende  Unterschiede, 
trotzdem  es  sich  um  fünfjährige  Mittel  handelt.  Die  grössten  dieser  Mittel 
erreichen  bei  einigen  Monaten  oft  das  2 — 3  fache  der  kleinsten  zu  gleichen 
Monaten  gehörigen  Werte.  Irgendwelche  Gesetzmässigkeit  in  der  Folge 
der  Mittel  für  die  Monate  lässt  sich  nicht  ersehen.  Wohl  aber  ist  dies 
bei  den  Jahresmitteln  der  Fall.  Während  der  ersten  3  Lustren  nahmen 
dieselben  zu,  zeigten  während  des  nächsten  Decenniums  einen  schwachen 
Rückgang  und  stiegen  dann  wieder  stark.  Das  Lustrum  1896—1900  zeichnet 
sich  durch  ganz  hervorragende  Niederschlagsmengen  aus.  Ähnlich  ist  der 
Verlauf  der  Abflusshöhen.  Auffallend  klein  waren  dieselben  im  ersten  und 
auffallend  gross,  fast  das  Doppelte  betragend,  im  letzten  Lustrum.  Der 
Anstieg  vom  Beginne  der  Beobachtungsperiode  an  wird  hier  nur  durch  das 
Lustmm  1891 — ^1895  unterbrochen.  Die  Lustren,  in  denen  die  Monats- 
abflüsse Maxima  oder  Minima  zeigten,  stimmen  oft,  aber  durchaus  nicht 
stets,  mit  den  entsprechenden  Erscheinungen  beim  Niederschlage  zusammen. 
Die  Unterschiede  dieser  Extreme  der  Monatsmittel  sind  noch  bedeutender 
als  beim  Niederschlage,  die  Maxima  haben  hier  vielfach  die  3 — 4  fachen 
Werte  der  Minima. 

Recht  gross  sind  auch  die  Schwankungen  in  den  Abflusskoeffizienten 
gewesen.  Im  allgemeinen  scheinen  diese  Zahlen  anzudeuten,  dass  der  von 
dem  Niederschlage  in  der  Mulde  abfliessende  Bruchteil  um  so  grösser  ist, 
je  stärker  der  Niederschlag  fällt.  Das  tritt  wenigstens  aus  den  Jahres- 
mitteln hervor,  die  eine  ähnliche  Schwankung  wie  die  Grundursachen  zeigen 
und  zwischen  87  und  48 ^/o  liegen. 


Flüsse. 

Zuletzt  giebt  Verf.  eine  Obersicht  der  während  der  einzehien  Monate 
und  Jahre  der  Beobachtungszeit  von  29  Jahren  beobachteten  kleinsten  und 
grössten  Niederschlags-  und  Abflusshöhon,  sowie  der  Abflusskoeffizienten, 
Als  kleinste  selbst  über  einem  Gebiete  von  über  1000  gXcm  gefallene  Monats- 
menge des  Niederschlages  erscheinen  darnach  4  mm.  Diese  Höhe  entspricht 
einem  Wasserzuwachs  von  über  4  Millionen  cbm  und  einer  Wasserfimrung 
von  nur  1.5  cbmlsec.  Dagegen  fielen  im  Mai  1899  als  eine  der  grössten 
Monatsmengen  229  mm  oder  über  230  Millionen  cbm  auf  dem  Niederschlags* 
gebiete  und  hätten  beim  vollen  gleichmässigen  Abflüsse  eine  Wasserführung 
von  8B  cbmlsec  bei  110  cm  Pegelstand  erzeugen  können.  Noch  grösser, 
236  mm  betragend,  war  die  Niederschlagshöhe  im  Juli  1897. 

Als  kleinste  monatliche  Abflusshöhe  erscheinen  9  mm,  die  einer  durch- 
schnittlichen Wasserführung  von  3.5  cbmlsec  entsprechen.  Die  grösste 
Abflusshöhe  hatte  der  Mai  1899  mit  160  mm,  die  mittlere  Wasserführung 
war  in  diesem  Monate  also  61.8  cbmlsec.  Abgeflossen  sind  mehr  als 
160  Millionen  cbm  Wasser  in  diesem  Monate.  Bei  vollständig  gleichmässigem 
Abflüsse  hätte  der  Pegel  88  cm  über  Null  zeigen  müssen.  Der  mitüere 
Pegelstand  war  aber  nur  79  cm,  was  einer  durchschnittlichen  Wasserführung 
von  58  cbmlsec  entspricht. 

Die  Rechnimg  mit  Pegelständen  einerseits  und  mit  Abflusshöhen 
anderseits  kann  sonach  bei  starker  Schwankung  in  der  Wasserführung 
recht  verschiedene  Resultate  bezüglich  der  abgeflossenen  Wassermenge 
ergeben.  Diese  Schwankungen  waren  im  Mai  1899  wirklich  auch  recht 
gross ,  dem  Pegelstande  82  cm  am  24.  des  Monates  stehen  203  cm  am  7.  und 
175  cm  am  26.  gegenüber.  Die  Abflusshöhen  waren  demnach  am  7.  Mai 
20.9  und  am  26.  Mai  16.2  mm.  Abgeflossen  sind  während  dieser  2  Tage 
21,  resp.  17  Millionen  dmt,  und  dleWasserf ührungen  waren  244,  resp.  192  cbmlsec. 

Auch  die  Abflusskoeffizienten  zeigen  rechte  Verschiedenheiten.  Die 
kleinsten  Werte  gehen  im  Juh  auf  lO^/o,  im  April  aber  nur  auf  35%  zurück. 
Als  grösster  Wert  erscheinen  1075  ^/o  in  dem  niederschlagsarmen  April  1893. 
In  diesem  Monate  wird  zweifeUos  fast  alles  Wasser  aus  dem  Schneevorrate 
der  frühern  Monate  hergerührt  haben. 

Bezüglich  der  Jahresresultate  stehen  sich  beim  Niederschlage  630  mm 
im  Jahre  1874  und  1148  mm  im  Jahre  1899  als  Extremwerte  gegenüber. 
Der  gesamte  Abfluss  war  im  Js^re  1872  am  kleinsten,  1899  am  grössten» 
die  Mengen  waren  entsprechend  230  und  619  mm.  Der  erstere  Wert 
entspricht  7.3,  der  letztere  aber  20.1  cbmlsec  durchschnittlicher  Wasser- 
führung. Die  jährlichen  Abflusskoeffizienten  schwankten  zwischen  31  ^/g 
11877—1893)  und  54%  (1899).  Diese  Ergebnisse  können,  wie  dies  schon 
lervorgehoben  wurde,  nur  als  vorläufige  gelten. 

Veränderung  Im  Laufe  des  blauen  NIL  Der  französische 
Reisende  Hugues  Le  Roux  hat  ^)  die  von  0.  J.  Grosby  auf  der  Reise 
von  Zeila  bis  Chartum  entdeckte  Verschiebung  des  blauen  Nil  gegen 
Süden  auf  einem  Teile  seines  Laufes  durch  das  abessinische  Hoch- 
land bestätigt  Le  Roux  zog  südlicher  als  Grosby  und  fand  die 
Verschiebung  des  Flusslaufes  noch  grösser  als  dieser,  der  südlichste 
Punkt  liegt  in  9  <»  58 '  n.  Br. 

Das  Flussgebiet  des  Lukuledi  in  Deutsch-Ostafrika  ist  vom 
Missionar  P.  A.  Adams  geschildert  worden.^  Den  Fluss  begleiten 
Terrassen,  die  von  Plateauvorstufen  überhöht  werden,  gegen  welche^ 


^)  La  Geographie  1901.  Oktober. 

*)  Mittl.  aus  dem  deutschen  Schutzgebiete  1902.  Heft  3. 


270  Flüsse. 

die  Hauptplateaumassen  wieder  scharf  abgesetzt  sind.  Die  ursprünglich 
zusammenhängenden  Terrassen-  und  Vorstufenflächen  sind  jetzt  durch 
Bachthäler  mannigfach  zerschnitten,  und  das  Gelände  hat  dadurch 
stellenweise  einen  sehr  unregelmä^sig  hügeligen  Charakter  gewonnen. 
Die  grösste  Mannigfaltigkeit  in  der  Abstufung  herrscht  im  mittlem 
Flussgebiete  des  Lukuledi.  Am  deutlichsten  sind  die  Terrassen  und 
Plateauvorstufen  in  ihrem  ursprünglichen  Zusammenhange  erhalten  in 
geringen  Resten  südlich  des  Lukuledi  bei  Nawelewele  Mbemba,  nörd- 
lich des  Lukuledi,  am  rechten  Ufer  des  Nyangaobaches  aufwärts. 
Hier  steigt  von  der  Flussterrasse,  auf  welcher  die  Mission  in  200  w 
Seehöhe  liegt,  das  Gelände  allmälilich  bis  zur  deutlich  aufgesetzten 
Plateauvorstufe  Nakadi-Mpeme  in  etwa  400  m  Seehöhe,  dann  immer 
mehr  nordwärts  bis  zum  Ansätze  des  Muera-Ilondo- Plateaus  im 
Mioliberg  zu  700  m  Seehöhe.  Selbst  von  hier  aus  nimmt  die 
Steigerung  des  Plateaus  unausgesetzt  zu,  bis  zu  einer  Seehöhe  von 
etwa  850  m.  Gegen  Südwest  tritt  mit  dem  allmählichen  Anstiege 
der  oft  6 — 10  hm  breiten  Thalsenke  auf  200 — 300  w  Seehöhe  eine 
Vereinfachung  der  Geländeformen  ein;  es  treten  die  Plateaumassen 
nach  Norden  und  Süden  zurück  und  verflachen  sich  teilweise  in 
westlicher  Richtung  in  die  wellige,  mit  Inselbergen  besetzte  Hoch- 
ebene des  Hinterlandes.  Sehr  interessant  sind  die  weiten,  schroffen 
Auswaschungen  der  Bachthäler,  die  oben  meist  in  einem  steil- 
wandigen Kessel  endigen.  Steht  der  Laie  am  Rande  solcher  senk- 
rechten Thalkessel,  so  ist  er  sehr  geneigt,  diese  mächtigen  Zer- 
störungen der  Plateauvorstufen  und  der  obersten  Plateauränder 
lediglich  auf  Rechnung  der  Erosion  zu  setzen.  Infolge  dieser  Ero- 
sionen bilden  die  Plateaulandschaften  kein  so  geschlossenes  Ganzes, 
wie  das  aus  der  Ferne  erscheinen  mag.  Wie  der  Nordrand  des 
Makonde-Mpatila- Plateaus  durch  gewaltige  Einbuchtungen,  welche 
wiederum  ihre  eigene  kleinere  Gebirgs-  und  Hügelwelt  in  sich  bergen, 
eine  linienreiche  Form  erhält,  so  wird  der  Südrand  des  Muera-Üondo- 
Plateaus  durch  tief  einschneidende  Bachthäler  sehr  stark  zerrissen 
und  bildet  eine  Anzahl  massiver,  halbinselförmiger  Plateauvorsprünge. 
Die  Beobachtung,  dass  die  beiden  in  Süd-Nordrichtung  sich  gegen- 
überliegenden Plateauränder  Ilondo  und  Ungulue-Makonde  genau  die- 
selbe Seehöhe  aufweisen,  dass  ferner  die  beiden  Plateaumassen  einen 
einheitlichen  Schichtenaufbau  besitzen,  lässt  auf  die  Möglichkeit  eines 
vorzeitlichen  Zusammenhanges  der  beiden  jetzt  durch  die  Thalsenke 
getrennten  Hochlandschaften  schliessen. 

Die  unterste  Terrasse  der  grossen  Thalsenke  besteht  grossenteils 
nur  aus  lockern  Bodenarten,  aus  mehr  oder  weniger  lehmigen  Sauden 
und  sandigen  Lehmen,  zu  denen  sich  in  nächster  Nähe  der  Plateau- 
vorstufen mächtige  Gerölllagen  hinzugesellen.  Zwischen  Lukuledi 
und  Ungulue  kommt  eine  feste  Gesteinsunterlage  sowohl  in  den 
Terrassenbildungen  wie  auch  selbst  in  den  zerstörten  Plateauvor- 
stufen  zum   Vorscheine.     Msbchtige   Gneissfelsen   liegen   hier   oft  so 


Flüsse.  271 

wild  und  romantisch  aufeinander  und  getürmt  umhergeworfen,  wie 
w^enn  vorzeitliche  Riesen  ihr  Spiel  getrieben.  Nicht  nur  die  Erden 
der  Terrassen,  die  Sandsteinschichten  der  Vorstufen,  sondern  auch  die 
der  obem  Kreide  augehörigen  »Makondeschichtenc  liegen  unmittelbar 
auf  Gneiss.  An  Mineralien  finden  sich  in  diesem  Qebiete  schwarze 
Turmaline,  Bergkrystalle,  Granaten,  Graphit,  eisenhaltige  Thone  und 
Glimmer. 

Der  obere  Yangtsekiangr  ist  bei  hohem  Wasserstande  von 
Archibald  Little  im  Jahre  1901  befahren  worden,^)  auf  einer  Dschunke. 
Der  Fluss  bietet  zur  Winterszeit,  wenn  der  Dschunkenverkehr  am 
regsten  ist,  ein  ganz  anderes  Bild  als  im  Sommer,  wenn  die  zahl- 
reichen kleinen  Nebenflüsse  infolge  des  Regens  angeschwoUen  sind. 
Wahrend  er  im  Winter  wie  ein  klarer  Gebirgsstrom  dahinfliesst, 
dessen  ruhige  Flussstrecken  hier  und  da  durch  Wasserfälle  unter- 
brochen werden,  ist  er  im  Sommer  ein  äusserst  reissender  Strom, 
dessen  braune  Wasser  das  allenthalben  tiefe  Bett  ganz  ausfüllen 
und  über  Klippen  oder  zwischen  steilen  Felsabhängen  dahinbrausen, 
Klippen,  die  dann  mehr  als  10  m  unter  Wasser  liegen.  Die  un- 
zähligen Stromschnellen  des  Winters  sind  entweder  ganz  verschwunden 
oder  zu  reissenden  Strömen  geworden.  Meist  liegt  der  Fluss  jedoch 
tot  da,  das  rege  Leben  bei  den  Stromschnellen  des  Winters  ist 
völlig  verschwunden,  auch  die  zerstreut  liegenden  Dörfer  und  Städte 
erscheinen  wie  ausgestorben.  Der  Verkehr  im  Sommer  ruht  weniger 
der  Gefahren  halber,  die  eine  solche  Fahrt  mit  sich  bringt  —  die 
Engpässe  sind  in  der  That  äusserst  gefährlich  — ,  als  der  erhöhten 
Unkosten  halber.  Mehr  Mannschaft  ist  erforderlich  und  muss  statt 
eines,  zwei  oder  zeitweise  drei  Monate  lang  bezahlt  und  beköstigt 
werden;  infolgedessen  steigen  auch  die  Frachten,  was  wiederum  den 
Frachtverkehr  ungünstig  beeinflusst.  Während  von  November  bis 
April  grosse  Dschunken  beim  Nordostpassat  die  sonst  unpassierbaren 
Engpässe  passieren  können,  müssen  sie  im  Sommer  oft  tagelang  auf 
günstigen  Wind  warten.  Kurz,  wenn  der  obere  Yangtse  von  Dampfern 
passiert  werden  kann,  ist  er  für  Dschunken  unbefahrbar,  und  umgekehrt. 

Die  Fahrt  mit  der  Dschunke  flussaufwärts  durch  die  Strom- 
schnellen begann  am  14.  Juni  1901.  Archibald  Littie  erreichte  die 
starke  Stromschnelle  Yehtan,  etwa  60  Seemeilen  oberhalb  Itschang, 
in  sechs  Tagen.  Am  dritten  Tage  nach  der  Abfahrt  erreichte  man 
die  Tunglingstromschnelle,  35  Seemeilen  von  Itschang;  diese  Strom- 
schnelle ist  der  Ausfluss  des  Grand  Mitan-Engpasses,  der  hier  über 
zahlreiche  Klippen  hinwegfliesst,  durch  die  der  Strom  im  Winter  in 
vielen  Windungen  seine  Bahn  sucht  Im  Juni  sind  diese  Klippen 
tief  unter  Wasser  und  nur  an  den  durch  den  mit  7  Seemeilen 
Geschwindigkeit  darüber  hinwegsetzenden  Strom  erzeugten  Strom- 
kabbelungen  kenntlich.     Die   beschwerliche   Fahrt   in   dem   15  See- 


^)  Ann.  der  Hydrographie  1902.  p.  11. 


272  Flüsse. 

meilen  langen,  gewundenen  Yaotsahostriche,  der  die  Itschang-  und 
Mitanstromengen  verbindet,  trug  die  Hauptschuld  an  der  Länge  der 
Reise.  Das  Flussthal  erweitert  sich  hier.  Während  der  Strom  sich 
in  den  Engen  ein  Bett  durch  die  300 — 600  m  hohen  Kalkstein- 
gebirge gegraben  hat,  muss  er  sich  in  dem  zwischenliegenden  Striche 
durch  gigantische  Granitfelsen  seinen  Weg  suchen.  Der  Yaotsaho- 
strich  ist  infolgedessen  eine  ununterbrochene  Stromschnelle.  Gleich 
oberhalb  des  Mitanengpasses  erweitert  sich  das  Flussthal  wieder, 
obgleich  es  noch  von  steilen,  900 — 1200  tn  hohen  Bergen  begrenzt 
wird.  Auf  dem  Ufer  zu  beiden  Seiten  ist  die  rege  Stadt  Hsintan 
erbaut,  deren  wohlhabende  Farmer  und  Rheder  von  Dschunken  hier 
malerische  Häuser  angelegt  haben.  Frau  Bishop,  die  Hsintan  im 
Januar  besuchte,  schreibt  darüber:  »Der  Lärm  Hsintans  spottet  aller 
Beschreibung.  Mein  Gehör  war  noch  tagelang  davon  erfüllt  Das 
Rauschen  und  Tosen  des  Wasserfalles,  die  Rufe  der  die  Dschunken 
ziehenden  Männer,  sowie  das  unaufhörliche  Schlagen  von  Pauken  und 
Gongs,  das  teils  als  Signal,  teils  zum  Vertreiben  der  bösen  Geister 
dienen  soll,  machen  einen  nie  zu  vergessenden  Höllenlärm.«  Im 
Sommer  ist  das  Landschaftsbild  ganz  verändert.  Die  Klippen  liegen 
unter  Wasser,  die  im  Winter  darauf  stehenden  Hütten  sind  ver- 
schwunden, die  Dschunkenleute  treiben  Ackerbau.  Das  Wasser  des 
^/^  Seemeile  und  mehr  breiten  Flusses  ist  schlicht,  und  nur  selten 
wird  eine  Dschunke  sichtbar. 

Die  Dschunke,  die  nur  geringen  Tiefgang  hatte,  wurde  ohne 
Schwierigkeit  über  den  etwa  2^/,  m  hohen,  steilen,  kurzen,  ruhigen 
Yehtan-Wasserfall  hinweggezogen.  Die  22  Seemeilen  lange  Fahrt 
flussaufwärts  durch  den  grossen  Engpass  von  Wuschan  nahm  drei 
volle  Tage  in  Anspruch  und  war  sehr  beschwerlich.  Der  dann 
folgende  Flussstrich,  der  diese  Enge  mit  der  letzten  der  vier  Engen, 
dem  Hello wsengpass,  verbindet,  der  3  Seemeilen  unterhalb  der  be- 
rühmten Stadt  Kweifu  liegt,  war  verhältnismässig  frei.  Unterhalb 
der  untern  Einfahrt  in  den  Bellowsengpass  und  gegenüber  von 
Hoangtsangpei  befindet  sich  eine  sehr  merkwürdige  Schlucht  in  den 
900  m  hohen  Bergen  am  rechten  Ufer.  Diese  etwa  ^/^  Seemeilen 
breite  Schlucht  führt  bei  den  Eingeborenen  den  Namen  Tsokia  Hsia 
oder  Falscher  Pass,  da  der  Sage  nach  der  Kaiser  Yü,  als  er  die 
Engpässe  aus  den  Bergen  aushauen  liess,  die  Setschuan  vom  übrigen 
China  trennen,  diese  Schlucht  zuerst  in  Angriff  nehmen  liess.  Diese 
Durchfahrt  bildete  jetzt  einen  reissenden  Strom,  den  Ausfluss  des 
seearügen  obern  Flusses. 

Der  Bellowsengpass  ist  durchschnittlich  P/,  Kabellängen  breit, 
wird  jedoch  durch  felsige  Untiefen  bis  auf  ^/^  Kabellängen  an  drei 
Stellen  versperrt,  auch  ist  er  zu  dieser  Jahreszeit  voll  von  Strom- 
wirbeln. Der  Felsen,  hinter  dem  die  Dschunke  eine  Nacht  über  lag, 
besteht  aus  sehr  hartem  Kalksteine  und  Feuersteine  und  hatte  das 
Aussehen   von   Essenschlacken.     Zur  Zeit   war  die  Spitze  9 — 15  m 


Flüsse.  273 

über  Wasser,  im  Spätsommer  ist  sie  jedoch  ganz  unter  Wasser,  so 
dass  die  ganze  Oberfläche  vom  Wasser  allmählich  weggewaschen 
wird.  Der  Felsen  ist  aber  zu  hart,  um  ihn  zu  zerbröckeln,  wie  es 
bei  unzähligen  andern  Klippen  im  Strome  der  Fall  ist.  An  der 
engsten  Stelle  dieses  Passes,  nahe  bei  seiner  obem  Einfahrt,  sind 
bei  niedrigem  Wasserstande  die  Pfeiler  und  Löcher  in  den  Felsen 
noch  sichtbar,  von  denen  aus  Ketten  über  den  Yangtse  gezogen 
waren  während  des  sagenhaften  Krieges  der  »drei  Königreiche«,  der 
im  dritten  Jahrhunderte  mit  dem  Falle  der  grossen  Han-Dynastie 
endigte.  Diese  ganze  Gegend  ist  an  Sagen  reich.  Unterhalb  dieser 
Stelle  sind  40  cm  breite  und  60  cm  tiefe  viereckige  Löcher  aus  dem 
etwa  150  ffi  hohen  Kalksteinfelsen  geschlagen,  die  als  Mengliangs- 
leiter  bekannt  sind.  Liupeh,  der  letzte  Kaiser  der  Han-Dynastie, 
erbaute  hier  den  prachtvollen  Tempel  Pehtitscheng  oder  die  Stadt 
des  Weissen  Kaisers,  so  genannt  nach  dem  himmlischen  Qründer 
und  Schutzheiligen.  Von  den  mit  Holz  belegten  Terrassen  gewinnt 
man  eine  herrliche  Aussicht  über  den  Engpass,  dessen  höchster 
Felsabhang  etwa  900  m  hoch  ist,  und  über  die  malerische  Stadt 
Kweifu,  3  Seemeilen  flussaufwärts,  am  linken  Ufer  des  seeartigen 
Flussstriches. 

Da  der  Fluss  in  der  Nacht  um  3  m  stieg,  mussten  die  Ver- 
täuungen des  Bootes  beständig  verlegt  werden.  Bei  Tagesanbruch 
fuhr  Archibald  Little  im  Rettungsboote  nach  dem  linken  Ufer  hinüber 
und  erklomm  es  bis  zur  Neuen  Strasse.  Die  Strasse  wurde  im  Jahre 
1888  durch  einen  Vizekönig  von  Kweifu  westwärts  nach  der  etwa 
50  Seemeilen  entfernten  Grenze  Hupehs  angelegt,  wo  sie  beim 
Passieren  der  Engpässe  aus  den  Kreidefelsen  ausgehauen  ist  und 
durch  eine  niedrige  Steinwehr  begrenzt  wird.  Diese  Strasse  ist  jetzt 
wertlos ;  sie  endigt  plötzlich  in  der  Mitte  des  Wuschan-Engpasses  und 
beginnt  bereits  zu  zerfallen.  Sie  würde,  wenn  sie  bis  zu  dem  80  See- 
meilen entfernten  Itschang  fortgeführt  würde,  einen  unschätzbaren 
Wert  für  die  Verbindung  mit  Setschuan  dargestellt  haben,  für  die 
jetzt  nur  der  Wasserweg  auf  dem  Yangtse  besteht. 

Die  Stadt  des  Weissen  Kaisers,  das  westliche  Ende  der  Neuen 
Strasse,  ist  nur  noch  ein  kleines  Dorf.  Ein  Teil  der  alten  konkreten 
Mauer  besteht  noch,  durchbrochen  durch  ein  altes  Thor,  durch  das 
der  Weg  nach  der  3  Seemeilen  entfernten,  mit  einer  hohen  Mauer 
umgebenen  Stadt  von  Kweifu  führt.  Eigentümlich  berührt  den  Be- 
schauer der  Anblick,  wenn  er  zu  dieser  Jahreszeit  den  60  m  zu 
seinen  Füssen  liegenden  ruhigen  See  sieht  und  nichts  darin  von 
einer  fleissigen  Stadt  bemerkt,  die  jeden  Sommer  unter  Wasser  ist 
und  im  Winter,  wenn  der  Flusswasserstand  niedriger  ist,  wieder 
aufgebaut  wird. 

Von  Kweifu  nach  Wan  Hien  wurden  Stromschnellen  nicht  be- 
merkt Die  flaschenhalsförmige  Bellowsenge  hatte  das  Wasser  hier 
au^estaut,  der   reissende  Miaochi   und   der   gefürchtete  Hsinlungtan 

Klein,  Jahrbuch  Xm.  18 


274  Seen. 

waren  nicht  vorhanden.  Der  Wasserstand  im  Flusse  betrug  jetzt 
30  m  über  dem  im  Winter.  Der  */, — '/^  Seemeilen  breite  Fluss 
lief  ruhig  zwischen  grünen  Abhängen  hin,  keine  Klippe  war  sichtbar. 
Der  Farbenunterschied  zwischen  dem  Dunkelgrün  des  Mais,  der  die 
niedrigem  Abhänge  bedeckte,  und  dem  schokoladebraunen  Wasser 
an  deren  Fusse  war  sehr  aulfallend,  sowie  auch  das  Fehlen  jeglichen 
Lebens  an  der  Stelle  der  neuen  grossen  Stromschnelle,  die  durch 
den  Erdrutsch  im  Jahre  1Q96  entstand.  Von  einer  Stadt  war  keine 
Spur  zu  finden,  die  Häuser  waren  meist  fortgeschafft,  die  Stelle 
war  ganz  unter  Wasser.  Auf  dem  hohen  Lande  darüber  steht  je- 
doch ein  schöner,  grosser  Buddhistentempel,  der  dem  Wangse,  dem 
Schutzheiligen  der  Bootsleute,  geweiht  ist,  und  zu  dessen  Unter- 
haltung von  den  Besatzungen  der  Dschunken  beigesteuert  wird. 
Im  Winter  ist  diese  Stromschnelle  eine  ständige  Gefahr  und  könnte 
doch  durch  einige  Tonnen  Dynamit  leicht  beseitigt  werden. 


Seen. 

Der  Pleskauer  (Pskower)  See  und  seine  Inseln  wurden  von 
P.  V.  Stenin  geschildert^)  Der  3513  qkm  grosse  Peipussee  bildet  in 
seinem  südlichen  Teile  den  kleinen  (etwa  750  qkm  grossen)  Pleskauer 
(Pskower)  oder  Talabskischen  See,  welcher  mit  seinem  grossem 
Nachbarn  durch  eine  4  km  breite  und  circa  15  Ami  lange  Strasse 
verbunden  ist.  Während  der  Peipussee  einen  steinigen,  unebenen 
Grund  und  eine  Tiefe  von  40  m  besitzt,  hat  der  Pleskauer  See 
einen  schlammigen,  mit  Wasserpflanzen  reichlich  bewachsenen  Grund, 
und  seine  Tiefe  übersteigt  nicht  10  m.  Das  Wasser  des  Peipussees 
ist  rein  und  durchsichtig,  das  Wasser  des  Pleskauer  Sees  dagegen 
trübe  und  von  zahllosen  Organismen  belebt;  der  letzte  Umstand  und 
namentlich  die  reiche  Wasserflora  des  Pleskauer  Sees  und  die  von 
ihr  sich  ernährenden  Weichtiere  erklären  die  Anwesenheit  einer 
Masse  von  Fischen  im  kleinen  See.  Auch  sind  die  Fische,  von  bei 
weitem  bessern  Geschmacke  als  diejenigen  im  grossen  See.  Die 
Ufer  des  Pleskauer  Sees  sind  flach,  sumpfig  und  wenig  bewaldet; 
lange  Uferstrecken  liegen  brach,  unbewohnt  und  unbebaut.  Die  Be- 
völkerung gruppiert  sich  an  den  Mündungen  der  Flüsse  und  auf 
den  Inseln.  Von  Süden  ergiesst  sich  in  den  See  der  Fluss  Welikaja; 
18  Arm  im  Nordosten  von  seiner  Mündung  liegen  die  Talabskischen 
Inseln,  während  nahe  dem  Westufer  des  Sees  einige,  teils  nur 
spärlich  bevölkerte,  teils  unbewohnte  Inseln  (Ssemsk,  Issad,  Kortschma, 
Waranje  etc.)  aus  dem  Wasser  hervorragen.  Die  Talabskischen 
Inseln  sind  stark  bevölkert  und  bilden  das  Zentrum  der  Fischerei 
auf  dem  Pleskauer  See.  Drei  Inseln:  Talabsk,  Talawenez  und  Werchny 
(die  obere  Insel)  bilden  diese,   von   circa   4000  Menschen   bewohnte 


^)  Umlaiifts  geograph.  Rundschau  2L  p.  70. 


Seen.  275 

Crnippe.  Die  Strassen,  welche  die  ganze  Gruppe  vom  Festlande 
imd  die  Inseln  voneinander  trennen,  tragen  folgende  Bezeichnungen: 
der  8  km  breite  Sund  zwischen  dem  Festlande  und  Talabsk  heisst 
4er  »Bolschoi  (Grosse)  Esutc,  der  1^^  km  messende  Sund,  welcher 
Talawenez  und  Talabsk  trennt,  heisst  der  »Maly  (Kleine)  Ksutc, 
•derjenige  zwischen  Talawenez  und  der  obem  Insel,  welcher  ebenso 
breit  ist,  tragt  den  Namen  >Maly]a  Worotac  (das  kleine  Thor)  und 
deijenige  zwischen  der  obem  Insel  und  dem  Festlande,  welcher 
eine  Breite  von  7  hm  misst,  >Bolschija  Worotac  (das  grosse  Thor). 
Die  beiden  erstem  Strassen  trocknen  in  manchen  Jahren  aus,  und 
dann  kann  man  trockenen  Fusses  von  Talabsk  nach  Talawenez  und 
zum  östlichen  Ufer  des  Sees  gelangen. 

Die  grösste  Insel  —  die  obere  —  Werchny  —  besitzt  einen 
grossen  Fichten-  und  Tannenwald  von  98.4  Morgen;  alle  Talabski- 
schen  Inseln  zusammen  umfassen  ein  Areal  von  526  Morgen.  Alle 
drei  Inseln  sind  im  Süden  niedriger  und  im  Norden  höher,  wobei  sie 
eine  Höhe  von  20  m  über  dem  Seespiegel  erreichen.  Der  sandige 
Boden  mit  dem  lehmigen  Untergründe  wirkt  hemmend  auf  die  Pflanzen ; 
der  Strand  ist  mit  erratischen  Blöcken  übersäet.  Das  Wort  Talabsk 
«oll  vom  esthnischen  »Talluc,  d.  i.  Bauernhof,  Wohnung,  abstammen. 

Selehes  im  Hadfisee  in  Pommern.  Der  grosse  südöstlich 
von  Stettin  gelegene  Madüsee  ist  von  Dr.  W.  Halbfass  mit  einem 
Sarasinschen  registrierenden  Limnimeter  während  der  Monate  Oktober 
1901  bis  Febraar  1902  auf  stehende  Schwankungen  seines  Wasser- 
spiegels untersucht  worden.^)  Es  konnten  sehr  deutlich  ausgeprägte 
Schwingungsformen  von  durchschnittlich  85.5,  resp.  20.1  Minuten 
Schvnngungsdauer  konstatiert  werden.  Erstere  stimmt  mit  der 
mittels  der  P.  du  Boysschen  Formel  berechneten  theoretischen 
Schvnngungsdauer  einer  Längsschwingung  des  ganzen  Sees  einiger- 
massen  überein,  letztere  muss  als  erste  Oberschwingung  angenommen 
werden,  obgleich  sie  nicht  unerheblich  länger  als  die  halbe  Dauer 
der  ersten  Schwingungsform  ist  Neben  diesen  Schwingungen  treten 
noch  Oberschwingungen  von  kürzerer  Dauer  auf,  die  als  Trinodal- 
allgemein  als  Plurinodalschwingungen  zu  bezeichnen  sind.  Das 
Maximum  des  Ausschlages  der  Grundschwingung  erreicht  60  mm,  das 
der  ersten  Oberschwingung  20  mm^  bei  steigendem  Luftdmcke  nehmen 
die  Amplituden  der  Schwingungen  im  allgemeinen  ab,  bei  abnehmendem 
zu.  Länger  andauernder  Stillstand  aller  Schwingungen  kam  nur  bei 
sehr  konstantem  Luftdmcke  vor.  Die  Stärke  des  Windes  übt  auf 
die  Dauer  weder  der  einzelnen  Schwingung,  noch  ganzer  Schwingungs- 
reihen irgendwelchen  nennenswerten  Einfluss,  und  es  scheint,  dass 
die  Periodendauer  der  Grundschwingung,  und  seiner  ersten  Ober* 
Schwingung  eine  nur  von  der  Natur  des  betreffenden  Sees  abhängige 


')  Zeitschrift  für  Gewässerkunde  &  p.  1. 

18» 


276  Seen. 

feste   Zahl,   ihre   Form   und   Art   dagegen   von   Veränderungen   des 
Luftdruckes  und  der  Windstärke  abhängig  zu  sein. 

Der  Iseosee  ist  von  A.  Baltzer  untersucht  worden.^)  Dieser 
See  hat  in  der  Mittellinie  eine  Länge  von  24.8  und  eine  grösste  Breite 
von  4.5  km;  seine  maximale  Tiefe  beträgt  250.7,  die  mittlere  nahezu 
123  m.  Die  Hauptversenkung  stellt  eine  237 — 250  m  unter  dem 
Seespiegel  befindliche  Ebene  dar,  von  der  auf  beiden  Seiten  die 
Felsen  wandartig  aufsteigen.  Den  Ursprung  dieses  von  Wasser 
erfüllten  Felsentroges  dürfte  ein  Flussthal  gebildet  haben.  Dass  er 
von  Gletschern  ausgekolkt  wurde,  bestreitet  Verf.;  tektonische 
Hebungen,  noch  wahrscheinlicher  Senkungen,  haben  nach  seiner 
Ansicht  den  bestimmenden  EinfLuss  geäussert.  Heim  hat  hypothetisch 
ein  Zurücksinken  der  Alpen  angenommen,  welches  die  Büdung  der 
Randseen  zur  Folge  hätte.  Baltzer  bietet  dazu  mit  seiner  Arbeit 
einen  Beleg  für  die  Südseite  der  Alpen.  Die  Bildung  des  Iseosees 
ist  ein  komplexes  Phänomen«  Das  vorliegende  Becken  ist  eine  alte 
Thalfurche  mit  vielen  Umwandlimgen,  auf  welche  Gesteinsart,  Tektonik^ 
Eisdenudation  und  Dislokationen  ihre  Wirkungen  geübt  haben. 
Letztere  drei  haben  die  Trogform  geschaffen,  und  in  der  Ausbildung 
derselben  steht  Baltzer  die  dritte  Art  obenan.  Es  ist  eine  selb- 
ständige, äussere  Zone  von  Moränenbögen  vorhanden,  die  durch 
verwaschene,  mehr  oder  weniger  abgetragene  Wallmoränen,  sowie  durch 
Ferrettisierung  der  Gesteine  ziemlich   wahrscheinlich  gemacht  wird» 

Es  wurden  drei  übereinander  liegende  Terrassenniveaus  festgestellt» 
von  denen  Verf.  zwei  als  selbständig,  eine  als  erodiert  ansieht. 
Jene  zwei  werden  den  Hoch-  und  Niederterrassen  verglichen;  für 
noch  ältere  Schotter,  im  Sinne  einer  besondern  Eiszeit,  sind  nur 
schwache  Anhalte.  Die  Niederterrasse  ist,  wie  auf  der  Nordseite 
der  Alpen,  schön  ebenflächig  ausgebildet  und  lässt  sich  Iß  km  weit 
verfolgen.  Die  Hochterrasse  konnte  nur  teilweise  nachgewiesen 
werden,  ihre  Geschiebe  sind  kräftig  ferrettisiert.  Deckenschotter 
sind  nur  fragwürdig  entwickelt,  an  einigen  Stellen  finden  sich  feste 
Konglomerate  mit  Anzeichen  hohem  glazialen  Alters. 

Die  warmen  Salzseen  von  Szoväta.  Etwa  eine  Stunde  ent- 
fernt von  der  Ortschaft  Szoväta  im  Eomitate  Udvarhely  in  Siebenbürgen 
befindet  sich  eine  der  interessantesten  Naturerscheinungen,  die  ausser- 
halb des  Landes  allerdings  noch  wenig  bekannt  ist.  Nordöstlich 
von  jenem  Orte  erhebt  sich  ein  Salzrücken  (Söhät),  nämlich  ein  etwa 
2  Stunden  im  Umfange  haltendes  Salzgebiet  mit  30 — 50  m  hohen, 
teils  freistehenden,  teils  mit  dünnen  thonigen  Erdschichten  bedeckten 
Salzfelsen,  zwischen  denen  an  vielen  Punkten  starke  Salzquellen  zu 
Tage  treten.  Die  freistehenden  Salzfelsen  sind  im  Laufe  unzähliger 
Jahre  von  den  Regenmassen  erodiert  und  geklüftet  worden,  so  dass- 


^)  Koken,  Geolog,  u.  paläontol.  Abhandig.  N.  F.  &  Heft  2. 


Seen.  277 

sie  in  den  verschiedensten  Formen  sich  zeigen.  Während  der  trockenen 
Jahreszeit  stellen  sich  viele  dieser  Felsen  in  der  thonigen,  mit  Salz 
imprägnierten  Umgebong  als  weisse  Flächen  dar,  so  dass  man  auf  einem 
eisbedeckten,  gefrorenen  Gebiet  zu  sein  glauben  könnte.  An  gewissen 
Stellen  zeigen  sich  kleine  Weiher  oder  Seen,  die  nicht  nur  rück- 
sichtlich der  Konzentration  des  Salzes,  sondern  mehr  noch  wegen 
ihrer  abnorm  hohen  Temperatur  überaus  merkwürdig  sind.  Der 
Ohef-Ghemiker  der  kgL  ungar.  geologischen  Anstalt,  A.  v.  Kalecsinsky, 
hat  in  der  Fachsitzung  der  ungarischen  geologischen  Gesellschaft 
(am  6.  November  1901)  über  seine  Untersuchungen  dieser  warmen 
und  heissen  Eochsalzseen  und  über  die  Ursachen  ihrer  Temperatur 
berichtet.^) 

Hiemach  ist  die  Erdschicht,  welche  das  Salz  bedeckt,  da,  wo 
sie  überhaupt  vorhanden,  oft  kaum  über  1  m  mächtig ;  dieser  Boden 
aber  trägt  eine  prächtig  gedeihende  Vegetation,  insbesondere  Eichen- 
bäume, deren  Wurzeln  stellenweise  beinahe  bis  zum  Salze  hinab- 
reichen. Einige  kleine,  den  Salzrücken  durchschneidende  Wasserläufe 
verschwinden  unter  der  Oberfläche,  um  aber  alsbald  wieder  als  Salz- 
quellen zu  Tage  zu  treten  und  sich  in  den  Szovätabach  zu  ergiessen. 
Diese  Wasser  kommen  nun  mit  dem  unterirdischen  Salze  in  Be- 
rührung, lösen  sich  auf  und  geben  dadurch  Anlass  ziir  Bildung  von 
unterirdischen  Kanälen  und  Hohlräumen,  ja  selbst  von  unterirdischen 
Teichen. 

Haben  die  Hohlräume  endlich  einen  solchen  Umfang  erreicht, 
dass  die  ihnen  aufgelagerte  thonige  Erde,  besonders  in  durchnässtem 
Zustande,  ihren  Halt  verliert,  so  stürzt  diese  Oberdecke  ein.  Man 
kann  dies  aUjährlich  im  Frühlinge,  nach  der  Schneeschmelze  oder  nach 
längerem  Regen  beobachten.  Auf  solche  Art  entstanden  nun  zahl- 
reiche trichterförmige  Dolinen  des  Salzrückens  und  die  Salzseen,  so 
bereits  in  uralter  Zeit  der  Schwarze  See,  der  Mogyoröser  See  und 
am  Schlüsse  der  siebziger  Jahre  der  ansehnliche  und  tiefe  Medve- 
oder  Illyessee  mit  zwei  Verzweigungen :  dem  Roten  See  und  dem  Grünen 
See.     Andere  Seen  verschwanden  dagegen  nach  längerem  Regen. 

Diese  Salzseen,  sagt  v.  Kalecsinsky  mit  Recht,  suchen  auf  dem 
ganzen  Kontinente  ihresgleichen  nicht  nur  bezüglich  ihrer  Ausdehnung 
und  Konzentration  der  Salzlösung,  sondern  auch  femer  durch  jene 
spezieUe  Eigenschaft,  dass  sie  zwischen  zwei  kaltem  Wasserschichten 
warmes  bis  heisses  Wasser  einschliessen. 

Dies  veranlasste  ihn,  die  Salzseen  einem  genauen  Studium  zu 
unterwerfen  und  der  Ursache  nachzugehen,  woher  das  warmheisse 
Wasser  stamme,  da  die  bisherigen  Erklärungen  in  dieser  Hinsicht  keine 
befriedigenden  Beweise  geliefert  haben. 

Im  Sommer  1901  hatte  er  Gelegenheit,  einige  Wochen  hindurch 
4ie  Salzquellen   und  Salzseen   von   Szoväta  gründlich   zu   studieren 


1)  Földtani  Közlöny  80.  Badi4>est  1901. 


278  Seen. 

tmd  Messungen,  sowie  andere  Beobachtungen  anzustellen,  die  ihn  zu 
bestimmten  Folgerungen  führten. 

Der  höchstgelegene,  grösste,  tiefste  und  zugleich  wärmste  See 
ist  nach  seinen  Angaben  in  Szovata  der  sogenannte  Medvesee,  so- 
wie die  mit  ihm,  wenigstens  während  der  nassen  Jahreszeit,  durch 
ein  schmales  Rinnsal  verbundenen,  gleichfaUs  sehr  warmen  und  tiefen 
Seen:  der  Rote  und  der  Grüne  See.  »Der  Medvesee  —  dessen 
Form  die  Ortsbewohner  mit  einem  ausgebreiteten  Bärenfell  vergleichen 
—  ist  von  einem  schönen  Eichenwalde  (eine  Seltenheit  auf  Salz- 
gebieten) umgeben.  Gegen  Norden  erhebt  sich  der  Gseresnyes  Berg, 
aus  dessen  Umgebung  zwei  kleine  Süsswasserbäche  sich  in  den  See 
ergiessen.  Ostlich  vom  See  befindet  sich  ein  kleines  altes  Badehaus^ 
unweit  einer  aus  Andesitbreccie  bestehenden  Felswand;  südlich  vom 
See  wurden  in  diesem  Jahre  (1901)  9 — 10  Wannenbäder  gebaut,  zu 
deren  Speisung  man  das  warme  Wasser  aus  der  Tiefe  des  Sees 
pumpt;  daneben  befindet  sich  eine  mit  20  Kabinen  ausgestattete 
Schwimmschule.  Südwestlich  erhebt  sich  der  höchste  Teil  des  Salz- 
rückens, 563  m,  und  an  einigen  Stellen  sind  Salzfelsen  sichtbar. 
Im  Westen  befindet  sich  der  Ausfluss  des  Medvesees,  der  neuestens 
mittels  einer  Schleuse  regulierbar  ist 

Sämtliche  oben  erwähnten  Seen  liegen  in  einer  kleinen,  vor 
Winden  geschützten  Vertiefung,  etwa  520  m  über  dem  Meere. 

Die  Fauna  und  Flora  dieser  Seen  ist  sehr  arm.  Bloss  an  ihrer 
Oberfläche  leben  einige  kleine  Wanzen-  und  Krebsarten,  sowie  einige 
Algen,  längs  der  Bäche,  deren  Wasser  weniger  salzig  ist  (4 — 57o^&C^)> 
rote  und  grüne  Formen  von  Salicornia  herbacea.  Die  mit  dem  Salz- 
wasser begossenen  Rasenplätze  oder  Bäume  welken  und  sehen  schon 
nach  einigen  Tagen  wie  abgebrüht  aus. 

Der  Flächeninhalt  des  Medvesees  beträgt  etwa  39  000— 42  000  gm, 
die  Tiefe  ist  in  der  Nähe  des  neuen  Badehauses  3.5  m,  in  der  Mitte 
des  Sees  20  ifi,  20 — 30  m  weit  von  der  Andesitbreccien  -Wand  da- 
gegen 34  m  als  tiefster  Punkt  des  Sees.  In  der  Nähe  des  Roten 
Sees  beträgt  die  Tiefe  mehr  als  15  m  und  ebenso  unweit  des  Aus- 
flusses.    Die  mittlere  Tiefe  kann  man  auf  10  m  veranschlagen. 

Den  Roten  und  den  Grünen  See  umgeben  fast  von  allen  Seiten 
freistehende,  10 — 40  m  hohe  Salzfelsen,  welche  in  der  Nähe  des 
Roten  Sees  vordem  eine  rötliche  Färbung  besassen  und  dem  See 
seinen  Namen  gaben.  Die  Tiefen-  und  Temperaturverhältnisse  waren 
bisher  noch  nicht  genau  bekannt  Man  wusste  bloss,  dass  unter 
der  kalten  oberflächlichen  Wasserschicht  sich  eine  Schicht  heissen 
Wassers  befindet 

Am  obem  Ende  des  Roten  Sees  fand  Verf.  in  einer  Tiefe  von 
ungefähr  einem  halben  Meter  das  spezifische  Gewicht  von  1.068,  das 
in  der  Mitte  des  Sees  in  gleicher  Tiefe  1.062  betrug,  also  beides 
ungefähr  9^0  Ghlomatrium  entsprechend. 


•Seen.  279 

Unterhalb  des  Ausflusses  des  Medvesees  befindet  sich  in  einer 
schluchtenartigen  Vertiefung  der  Mogyoröser  See,  durch  welchen  der 
Abfluss  des  Medvesees  erfolgt.  Das  Salzwasser  ist  in  diesem  See 
in  der  Tiefe  viel  weniger  warm. 

Die  Tiefe  dieses,  ca.  ein  Joch  grossen  Mogyoröser  Sees  ist 
unmittelbar  neben  dem  Badehause  1.3  m,  in  der  Mitte  über  6  m; 
im  Mittel  daher  4 — 5  m.  Der  Überschuss  des  Wassers  fliesst  in 
einem  Salzgraben  an  jener  Stelle  vorbei,  wo  sich  in  frühem  Zeiten 
der  Weisse  See  befunden  hat  In  seinem  weitem  Verlaufe  wird 
dieser  Salzbach  durch  einige  Salzquellen  gespeist,  wodurch  das 
Wasser  des  Baches  an  Konzentration  und  Salzgehalt  bedeutend  zu- 
nimmt 

Südlich  vom  höchsten  Punkte  des  Salzrückens  und  unweit  des 
im  Jahre  1901  erbauten  Gasthauses  liegt  in  einer  beträchtlichen 
Vertiefung  der  Schwarze  See,  der  keinen  standigen  Wasserzufluss 
besitzt,  sondem  bloss  durch  Schmelze  und  Regenwasser  gespeist  wird. 
Die  WasseroberflsLche  ist  weniger  salzig ,  die  Tiefe  5 — 6  m,  der 
Flächenraum  ungefähr  1  Joch. 

Verf.  hat  nun  genaue  Messungen  der  Temperatur  und  des 
spezifischen  Gewichtes  des  Medve-,  Mogyoröser  und  Schwarzen  Sees 
ausgeführt  und  spricht  sich  über  die  Ergebnisse  wie  folgt  aus: 

»Die  Temperatur  des  Wassers  an  der  Oberfläche  ist  nach  der 
Jahres-  und  Tageszeit  veränderlich,  sie  stimmt  beinahe  mit  der 
Lufttemperatur  überein  (im  Sommer  20 — 30^  C),  dann  steigt  sie 
(obere  warme  Sprungschicht)  mit  der  Tiefe  gradatim  und  erreicht 
beim  Medvesee  in  einer  Tiefe  von  1.32  m  ihr  Maximum  (55—70^  C, 
—  heisse  Sprungschicht) ;  von  hier  an  sinkt  dann  die  Temperatur 
wieder  stufenweise  (untere  warme  Sprungschicht)  bis  zur  untersten 
kalten  Schicht  (kalte  Sprungschicht). 

Die  heisseste  Schicht  liegt,  schwimmt,  also  zwischen  zwei 
kalten  Flüssigkeitsschichten.  Die  Mächtigkeit  derjenigen  Salzsolen- 
schicht, deren  Temperatur  wärmer  als  40^  C.  ist,  beträgt  bei- 
läufig 2  m. 

Was  das  spezifische  Gewicht  anbelangt,  so  ist  dasselbe  an  der 
Oberfläche,  nahe  am  Einflüsse  des  kleinen  Baches  =  1.00,  beim 
Ausflusse  wegen  der  Diffusion  und  kleinerer  Wellenschläge  =1.016 
=  2  ^/^  Chlomatrium ;  es  ist  dies  also  beinahe  Süsswasser.  Mit 
der  Tiefe  nimmt  das  spezifische  Gewicht  gradatim  zu  und  demzufolge 
auch  der  prozentuelle  Gehalt  an  Chlomatrium. 

In  der  Tiefe  von  1.32  m  ist  nicht  nur  das  spezifische  Gewicht 
und  der  Salzgehalt  am  höchsten,  sondem  dort  befindet  sich  auch 
die  grösste  Temperatur.  Nach  dem  Erreichen  des  Maximums  ändert 
sich  das  spezifische  Gewicht  und  die  Konzentration  kaum,  sie  sind 
nur  um  ein  Geringes  höher. 

Der  wärmste  See  ist  der  Medvesee,  weniger  warm  der  Mogyo- 
röser See;  der  Schwarze  See  hingegen  ist  kalt 


280  Seen« 

Auf  der  Oberfläche  des  Mogyoroser  Sees  liegt  eine  dickere 
Schicht  einer  2 — 3^/^ igen  Salzlösung,  in  einer  Tiefe  von  0.5  m 
enthält  das  Wasser  schon  6  7^,  bei  1  w  9  ^/^  und  bei  1.5  m  23  7^ 
Chlomatrium.  Die  höchste  Temperatur  ist  in  1,82  m  zu  beobachten 
und  ist  daselbst  bedeutend  niedriger  (38  ^  C),  als  im  Medvesee. 

Im  Schwarzen  See  endlich  enthält  das  Wasser  bis  2  m  2 — 3^0 
Chlornatrium,  und  erst  bei  3 — 4  m  Tiefe  erreicht  die  Lösung  ihre 
Konzentration.  Bei  diesem  See  findet  man  oben  keinen  warmen 
Sprung  der  Temperaturen,  die  mittlere  warme  Schicht  fehlt  voll- 
ständig, und  das  Wasser  erwärmt  sich  im  Sommer  beinahe  ebenso, 
wie  das  eines  jeden  andern  homogenen  Sees;  die  Oberfläche  ist  am 
wärmsten,  und  von  da  ab  sinkt  die  Temperatur  mit  der  Tiefe. 

Es  sind  über  diese  warmen  Salzseen  nur  zwei  Arbeiten  bekannt, 
die  vom  wissenschaftlichen  Standpunkte  in  Betracht  kommen.  Die 
eine  stammt  aus  der  Feder  des  Prof.  Dr.  A.  v.  Lengyel  und  behandelt 
hauptsächlich  die  chemische  Analyse  des  Wassers,^)  die  andere  hat 
den  Chefgeologen,  Oberbergrat  L.  Roth  v.  Telegd  zum  Verfasser,  der 
sich  mit  der  Geologie  dieser  Seen  befasste.^  Überdies  sind  noch 
einige  kleine  Mitteilungen  vorhanden,  deren  Temperaturmessungen 
jedoch  nicht  immer  zuverlässig  sind. 

Die  Ansichten  und  Vermutungen  über  die  Entstehungsursache 
der  zwischen  zwei  relativ  kalten  Flüssigkeitsschichten  schwebenden 
warmen  oder  heissen  Schichten  waren  bisher  sehr  verschieden.  Die 
einfachste  und  allgemein  verbreitetste  Ansicht  war  die,  dass  die 
warme  Salzwasserschicht  einen  thermalen  Ursprung  habe.  Andere 
dachten  später  —  nachdem  es  bereits  bekannt  wurde,  dass  die 
Temperatur  mit  der  Tiefe  wieder  sinke  —  an  einen  chemischen 
Prozess,  an  eine  Oxydation  von  Pflanzenresten,  Bitumen,  Pyrit  u.  s.  w. 

Alle  diese  Erklärungen  sind  irrig,  vielmehr  fand  Verf.,  dass  sich 
konzentriertes  Salzwasser,  wenn  es  von  einer  spezifisch  leichtem 
Süsswasserschicht  bedeckt  und  von  der  Sonne  längere  Zeit  beschienen 
wird,  erwärmt  Daraus  lässt  sich  mit  Sicherheit  schliessen,  dass 
die  mittlere  warmheisse  Schicht  des  Medve-  und  Mogyoroser  Sees 
weder  thermalen  Ursprunges,  noch  die  Folge  eines  Oxydationsprozesses 
ist,  sondern  ihre  Wärme  ebenfalls  nur  von  der  Sonne  erhält.  Femer 
folgt,  dass  mit  dem  Verdunsten  des  auf  der  Oberfläche  schwimmenden 
Wassers  die  Temperaturunterschiede  der  obern  und  untern  Flüssig- 
keitsschichten geringer  werden,  und  dass  nach  dem  vollständigen 
Verdunsten  des  Süsswassers  die  Differenz  (wie  Verf.  an  einem  an- 
dem  kleinen  Teiche  beobachtete)  nach  einigen  Tagen  überhaupt 
verschwindet. 


^)  Der  Illyes-Teich  bei  Szoväta  und  seine  Umgebung  vom  geologischen 
Gesichtspunkte.    Földtani  Közlöny  1899.  29.  Heft  1—4.  p.  130. 

*)  Der  myes-(Bären-)See  bei  Szoväta.  Földtani  Közlöny  1898.  Supplbd.  28. 
Heft  7-9.  p.  280. 


Seen.  281 

»Zur  ErwärmuDg  der  Salzseen  ist  somit,  ausser  der  Sonne,  eine 
auf  der  konzentrierten  Salzlösung  schwimmende  Süsswasser-  oder 
schwach  salzige  Wasserschicht  eine  wesentliche  Bedingung,  sie  ist 
die  Vermittlerin  und  dient  gleichzeitig  als  Schutz. 

Die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  Temperatur  unten  um  so  höher 
steigt,  je  grösser  die  spezifische  Gewichtsdifferenz  der  beiden  Flüssig- 
keiten ist;  mit  der  Differenz  verringert  sich  auch  die  Temperatur. 
Nimmt  das  obere  Süsswasser,  eventuell  die  sehr  verdünnte  Salz- 
wasserschicht an  Mächtigkeit  zu,  so  ist  dementsprechend  die  Maximal- 
temperatur der  mittlem  Schicht  niedriger,  wie  dies  der  Mogyoroser 
See  zeigt  Ist  jedoch  die  spezifisch  leichte  Schicht  über  dem  kon- 
zentrierten Salzwasser  sehr  mächtig,  übersteigt  sie  2  m,  wie  beim 
Schwarzen  See,  so  unterbleibt  die  Erwärmung  der  mittlem  Schicht 
beinahe  vollständig,  und  das  Wasser  des  Sees  erwärmt  sich  annähernd 
so  wie  in  den  bisher  bekannten  Seen.  Unsere  Seen,  fahrt  Verf. 
fort,  sind  ein  schönes  Beispiel  dafür,  wie  geringfügig  die  Wärme- 
leitung in  Flüssigkeiten  ist;  kann  Wärme  in  einer  Flüssigkeit  nicht 
durch  Strömung  sich  ausbreiten  (wie  z.  B.  wenn  man  Wasser  in 
«inem  Becherglase  über  der  Flamme  erwärmt,  wo  dann  die  unten 
beiss  gewordene  Flüssigkeit  sofort  aufsteigt  —  da  sie  leichter  ge- 
worden —  und  so  die  Wärme  durch  das  ganze  Volum  der  Flüssigkeit 
mitteilt),  so  kann  sie  überhaupt  nicht  von  der  Stelle,  und  es  können 
dann  an  dem  Orte,  wo  die  Wärme  in  die  Flüssigkeit  hineingebracht 
wird,  sehr  hohe  Temperaturen  entstehen. 

Diese  Salzseen  werden  durch  die  Strahlung  der  Sonne  erwärmt, 
die  von  oben  ins  Wasser  dringt  Die  Sonnenstrahlen,  sichtbare  und 
auch  ultrarote  zusammengenommen,  werden  von  Wasser  und  Koch- 
salzlösung absorbiert,  besonders  die  ultraroten  Teile,  aber  nicht  so 
staric,  dass  das  Eindringen  der  Strahlen  nicht  bis  zu  einer  gewissen 
Tiefe  stattfinden  könnte.  Die  Hauptsache  ist,  dass  die  Sonnenstrahlen 
nicht  die  äusserste  Oberfläche  der  Seen  allein  erwärmen,  sondern 
eine  ganze  grosse,  dicke  Schicht  an  der  Oberfläche.  Wäre  nun  die 
Flüssigkeit  homogen,  so  würde  die  Wärme  nach  oben  steigen  und 
sich  dort  immer  ansammeln.  Die  Oberfläche  ist  aber  ein  Ort  starken 
Wärmeverlustes  durch  Verdunstung,  wobei  ja  Wärme  verbraucht 
wird.  Jedoch  auch  ohne  Verdunstung  wird  Wärme  an  die  Luft 
abgegeben  und  durch  die  Luftströmung  gleich  fortgeführt.  Dies  ist 
der  Grund,  warum  in  gewöhnlichen  Seen  und  im  Meere  keine  so 
starke  Erhitzung  des  Wassers  resultiert,  wie  in  jenen  Salzseen.  In 
diesen  Seen  ist  nun  das  Salzwasser,  welches  durch  die  Verschluckung 
der  Sonnenstrahlen  warm  wird,  durch  sein  hohes  spezifisches  Ge- 
wicht verhindert,  aufzusteigen  und  an  den  Ort  des  Wärmeverlustes, 
d.h.  die  Oberfläche,  zu  konunen;  es  kann  die  tagsüber  ihm  fort- 
während zugeführte  Wärme  nur  durch  Leitung  nach  oben  und  unten 
hin  weitergeben.  Eben  die  wässerigen  Flüssigkeiten  leiten  jedoch 
die  Wärme  schlecht,   fast  so  viel   wie  gar  nicht,  und  daher  ergiebt 


282  Seen. 

sich  die  grosse  Anfispeichening  der  Wärme  in  der  obersten  Salz- 
solenschicht. 

Das  Bodenrelief  des  Skutarlsees  ist  von  Prol  Cvijiö  im 
Sommer  1901  erforscht  worden.  Im  ganzen  wurden  240  Tiefsee- 
messungen  ausgeführt  Es  ergab  sich,  dass  dicht  an  dem  steilen 
südwestlichen  Ufer  zahlreiche  Locher  vorhanden  sind,  ähnlich  den- 
jenigen, welche  früher  A.  Delebecque  im  See  von  Annecy  nachgewiesen 
hat.  Die  grösste  dieser  Vertiefungen  findet  sich  nahe  dem  Dorfe 
Radus  gegenüber  und  beträgt  44  m.  Die  Höhe  des  Seespiegels  über 
dem  Meere  ist  6  m.  Der  Verf.  glaubt,  dass  der  See  aus  der  diluvialen 
Periode  stammt  und  eine  beständig  überschwemmte  Earstpolje  vorstellt 

Der  See  von  Ohrida  und  der  Prespa  in  Makedonien. 

In  einer  zum  Teile  auf  eigenen  Studien  an  Ort  und  Stelle  beruhenden 
Arbeit  über  die  Geomorphologie  Makedoniens  behandelt  Dr.  K.  Oestreich 
auch  die  oben  genannten  Seen.^)  Der  See  von  Ohrida  hat  in  der 
grössten  Länge  30  km,  im  mittlem  Teile  ist  er  10  km  breit,  und 
sein  Flächeninhalt  umfasst  275  qkm.  Er  gabelt  sich  in  die  Buchten 
von  Ohrida  und  von  Struga,  die  durch  ein  auf  der  Qen.-Karte 
Kopamica  genanntes,  1200  m  hohes  Gebirge  getrennt  werden.  Die 
Bucht  von  Struga  setzt  die  allerdings  verringerte  Breite  des  Sees 
als  Flachland  des  Drin  noch  einige  Kilometer  weit  in  das  Innere 
des  Landes  fort;  von  der  Bucht  von  Ohrida  ist  nur  noch  der  flach 
halbkreisförmige  Ansatz  einer  Bai  erhalten,  die  eigentliche  Bucht  ist 
bis  Kozel,  wo  die  Opandka  reka  aus  dem  Gebirge  heraustritt,  zu 
einem  breiten  Flachboden  geworden. 

Was  bei  einem  Überblicke  der  Karte  des  Ohridasees  am  meisten 
auffallen  muss,  ist  der  fast  vollständige  Mangel  an  Zuflüssen, 
wenigstens  solcher,  die  der  Grösse  und  Tiefe  des  Sees  entsprechen. 
Doch  strömt  ihm,  gewissermassen  aus  allen  Poren  des  Gebirges, 
das  Wasser  in  reichem  Masse  zu.  Im  Kalkgebirge  des  Mali  Thot, 
dem  »Trockenen  Gebirgec ,  sinkt  das  Wasser  auf  Klüften  und 
Sprüngen  in  die  Tiefe.  Unbekümmert  um  das  Einfallen  der  Schichten, 
durchsinkt  es  den  einheitlichen  Schichtkomplex  der  mesozoischen 
Kalke.  Die  Basis  dieser  unterirdischen  Erosion  auf  der  West- 
abdachung der  Galiöica  ist  der  Ohridasee,  und  so  bildet  das  Steil- 
ufer der  Ostküste  einen  wahren  Quellenhorizont.  Bereits  südwestlich 
von  Ohrida,  wo  jenseits  der  zum  Teile  verschilften  Bucht  die  Kalk- 
hügel an  den  See  herantreten,  fliesst  bei  Studenadista  unter  mächtigen 
Platanen  kaltes,  klares  Wasser  in  starken  Quellen  aus  den  Kalk- 
felsen hervor. 

Das  eigentliche  Wunder  des  Ohridasees  sind  aber  die  Quellen 
von  Sveti  Naum.  Sie  bilden  einen  wahren  See  von  etwa  1  qkm 
Flächeninhalt,    den   in    seinem   obem   Teile   flussartig  gewundenen, 

^)  Abhandig.  der  K.  K.  geogr.  Gesellsch.  in  Wien  1902.  4.  No.  1. 


.  Seen.  288 

im  Unterlaufe  seeartig  erweiterten  Abfiuss  eines  weitausgedehnten 
Quellenhorizontes. 

Der  Spiegel  des  Ohridasees  liegt  in  687  m  Seehöhe,  und  seine 
Tiefe  beträgt  bis  zu  200  m.  Er  scheint  der  langsamen  Austrocknung 
und  Verlandung  zu  verfallen. 

Der  Prespasee  bedeckt  eine  Fläche  von  etwa  300  qhm.  Seine 
Küstenlinie  ist  entwickelter  als  die  des  Ohrida;  auch  enthält  er  vier 
kleine  Inseln.  Kleine  Zuflüsse  empfängt  er  von  allen  Seiten,  be- 
sonders wasserreiche  auf  der  Ostseite  vom  Peristerigebirge  herab. 
Die  längste  und  am  meisten  verzweigte  Wasserader  strömt  ihm 
jedoch  von  Norden  zu,  also  von  der  Seite  her,  nach  welcher  hin 
der  Nachbarsee  entwässert  wird.  Er  empfängt  hier  die  Lareka, 
welche  die  Gewässer  der  die  Ebene  von  Resna  umgebenden  Berg- 
länder sammelt.  Mit  der  reichem  Küstengliederung  geht  auch  eine 
grössere  Mannigfaltigkeit  der  vertikalen  Küstenformation  Hand  in 
Hand.  Ursache  für  beides  ist,  dass  im  Gegensätze  zu  der  ein- 
förmigen geologischen  Lage  des  Ohridasees  der  Prespasee  auf  einer 
Formationsgrenze  liegt 

>Er  stellt  in  seiner  Gesamtheit  ein  von  Wasser  erfülltes  Becken 
dar,  das  zwei  Ausgänge  hat:  einen  thalartigen,  nur  zeitweise  vom 
Wasser  benutzten  oberirdischen  und  einen  perennierenden  tmter- 
irdischen  Abfiuss.  Wir  haben  hier  den  Fall  einer  Seebifurkation 
durch  unterirdische  Anzapfung,  eine  typische  Karsterscheinung. 

In  alter  Zeit  mag  der  Prespasee  seinen  Ausfluss  durch  die 
Wolfsschlucht  von  Tren  in  das  Devolthal  genommen  haben,  ein  fast 
stehendes,  kanalartiges  Gewässer.  Erst  als  die  Perioden  der  Trocken- 
heit häufiger  und  länger  wurden,  und  dieser  flussartige  Ausgang 
allzuoft  aussetzen  musste,  suchten  die  Wasser  des  Sees  unter  dem 
Drucke,  den  sie  auf  die  Wände  desselben  ausübten,  einen  Ausgang 
und  fanden  ihn  in  dem  unterirdischen  Abflüsse  der  Bucht  von 
Gorica  in  das  Gebirge. 

Wohin  der  Prespasee  abfliesst,  ist  freilich  noch  nicht  mit 
Bestimmtheit  zu  sagen.  Allerdings  liegt  der  Ohridasee  200  m  tiefer, 
und  gerade  15  /nn  in  der  Richtung  des  Seeabflusses  nach  Westen 
befinden  sich  die  Quellen  von  Sveü  Naum.  Es  hat  viele  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich,  dass  der  Ohridasee  die  Erosionsbasis  auch 
für  den  Abfiuss  des  Prespasees  darstellt  Seine  grössere  Wasser- 
masse und  seine  tiefere  Lage  mögen  ihm  den  Vorzug  gegeben  haben 
vor  dem  von  der  Bucht  von  Pustec  nur  6  km  e&tfemten  Maliksee. 
Aber  die  Art  und  Weise  und  die  Anordnung  dieser  unterirdischen 
Entwässerung  ist  ims  begreiflicherweise  verborgen.  Die  Meeres- 
höhe des  Seespiegels  hat  sich  aus  den  Ablesungen  des  Verfassers 
zu  906  m  ergeben. 

Die  abflusslosen  Seen  auf  dem  Armenischen  Hochlande 
schilderte  Dr.  Rohrbach. ^) 

^)  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  in  Berlin  1902.  No.  4. 


284  Seen. 

Es  giebt  dieser  Seen  drei,  die  sich  gewissermassen  um  den 
Ararat  gruppieren,  nämlich  der  Urmia-  und  Wansee,  sowie  der 
Gok-Tschai. 

Der  Urmiasee  ist  ausserordentlich  seicht,  im  Mittel  nur  etwa 
5  m  tief  und  eine  jener  flachen  Depressionen,  die  sich  auf  dem 
Iranischen  Hochlande  nicht  selten  finden.  »Die  Wasserläufe  streben 
von  allen  Seiten  dem  Boden  dieser  abflusslosen  Becken  zu  und  bilden 
dort  Seen  oder  Sümpfe,  deren  Salzreichtum  wegen  fehlenden  Abflusses 
des  Wassers  in  steter  Zunahme  begriffen  ist.  Gleichzeitig  erfolgt 
der  ununterbrochene  Transport  des  Verwitterungsschuttes  der  um- 
gebenden Gebirge  nach  dem  Boden  der  Senke  zu,  wodurch  eine 
allmähliche  Ausgleichung  der  vertikalen  Unterschiede  stattfindet  Die 
Folge  dieser  Verhältnisse  ist,  dass  sich  rings  um  die  Gewässer  im 
Zentrum  der  Becken  ausgedehnte  Sumpfstrecken  bilden,  und  dass  der 
Stand  des  Wassers  je  nach  den  Jahreszeiten  ausserordentlich  ver- 
schieden ist  Alle  iranischen  Binnenseen  überschwemmen  im  Früh- 
jahre weithin  ihre  flachen  Ufer  und  ziehen  sich  dann  bis  zum  Ein- 
tritte der  herbstlichen  Regenzeit  wieder  zusammen.  So  auch  der  See 
von  Urmia,  über  dessen  Salzgehalt  die  Angaben  zwischen  14  und 
28^/q  schwanken. 

Der  See  von  Wan  entstand  wahrscheinlich  infolge  einer  grossen 
vulkanischen  Neubildung  an  seinem  jetzigen  Westufer,  dem  Nimrud- 
Dagh.  Früher  bildeten  sein  jetziges  Becken  und  die  westlich,  jenseits 
des  Nimrud-Dagh,  gelegene  grosse  Ebene  von  Musch  einen  zusammen- 
hängenden weiten  Thalboden  inmitten  der  umgebenden  Gebirge,  ähnlich 
mehrem  andern  Hochebenen  innerhalb  der  armenischen  Gebirgs- 
systeme.  In  das  äusserste  Westende  dieser  grossen  Ebene  trat  der 
Murad,  der  linke  Quellfluss  des  Euphrat,  ein  und  verliess  sie  alsbald 
wie  noch  heute  durch  eine  tief  eingerissene  und  enge,  unzugängliche 
Felsenkluft  Der  heutige  Kara-Su,  der  die  Ebene  von  Musch  be- 
wässert, entsprang  damals  weit  ostwärts  in  den  Bergen,  die  das 
alte  Thal  von  Wan  umgeben.  Jener  Ausbruch,  welcher  den  Krater- 
berg des  Nimrud-Dagh  aufschüttete,  teilte  die  Ebene  in  zwei  ungleiche 
Teile  und  verwandelte  die  grössere  östliche  Hälfte  in  ein  ringsum 
geschlossenes  Becken.  Die  von  den  umliegenden  Bergen  herab- 
kommenden Flüsse  und  Bäche  füllten  dieses  Becken  mit  Wasser, 
bis  Gleichgewicht  zwischen  Wasserzufluss  und  Verdunstung  eintrat 
Es  hätte,  wie  Dr.  Rohrbach  bemerkt,  nur  noch  des  Steigens  des 
Seespiegels  um  15 — 20  m  bedurft,  um  dem  See  von  Wan  einen 
Abfluss  nach  Süden  zu  eröffnen.  Nach  Dr.  Beck  ^)  hat  der  Bohtan-Su 
(der  östliche  Tigris)  einen  Zufluss,  der  südlich  vom  See  von  Wan 
nur  15 — 20  m  über  dessen  heutigem  Niveau  entspringt  und  durch 
die  Tauruskette  den  Weg  zum  Tigrissysteme  hin  findet  Diese 
bedeutsame   Thatsache   ist  lange   unbemerkt  geblieben.     Möglicher- 


^)  Beiträge  zur  alten  Geographie  und  (beschichte  Vorderasiens  2.  p.  81. 


Seen,  285 

weise  haben  Nachrichten  aus  dem  Altertume  Recht,  die  behaupten» 
der  eine  Quellarm  des  Tigris  fliesse  durch  den  See  von  Wan.  Da 
sämtliche  Hochlandseen  dieser  Gegend  starke  Niveauschwankungen 
aufweisen,  so  wäre  es  denkbar,  dass  der  See  von  Wan  zeitweise  ein 
Niveau  gehabt  hat,  das  ihm  einen  Abfluss  an  dieser  Stelle  ermöglichte. 
Der  Salzgehalt  des  Wansees  ist  bisher  noch  sehr  gering  und  beträgt 
etwa  die  Hälfte  von  dem  des  offenen  Meeres. 

Der  Gök-Tschai  (See  von  Sewan)  ist  wie  der  See  von  Wan 
durch  Abdämmung  entstanden.  An  seiner  Stelle  breitete  sich  früher 
ein  zum  Araxes  hin  entwässertes  Hochthal  aus,  dessen  Abdämmung 
durch  ausfliessende  vulkanische  Massen  am  Westende  des  heutigen 
Sees  erfolgt.  Bei  der  geringern  Grösse  des  Beckens  hat  der  Wasser- 
zufluss  hingereicht,  es  so  weit  zu  füllen,  dass  der  See  heute  noch 
bei  Hochwasser  einen  Abfluss  über  jenen  vulkanischen  Damm  findet, 
und  dieser  intermittierende  Abfluss  hat  hingereicht,  das  Wasser  des 
Gök-Tschai  süss  zu  erhalten.  Der  Urmiasee  ist  fischlos,  und  im  See 
von  Wan  lebt  nur  eine  einzige  kleine  Fischart,  während  der  Gök- 
Tschai  noch  einen  Überfluss  an  prachtvollen  Forellen  hat. 

Die  KÜStenbildung  des  Aralsees.  L.  S.  Berg  machte  hier- 
über auf  der  11.  Versammlung  der  russischen  Naturforscher  (1902) 
interessante  Mitteilungen.^)  Die  äolische  Denudation  dort  wird 
durch  die  Trockenheit  des  Klimas,  die  Abwesenheit  einer  Vege- 
tation und  die  lockere  Natur  des  die  Oberfläche  bildenden  Gesteins- 
materiales  begünstigt.  Durch  die  Thätigkeit  des  Windes  entstehen, 
besonders  an  den  Nordufem  des  Aralsees,  Reliefformen  ganz  ähnlich 
denen,  die  Walther  in  den  Wüsten  von  Ägypten  und  Arabien  beob- 
achtet hat:  Tafelberge  (Kara-Sandyk  und  Perowskybucht),  Nischen, 
Amphitheater,  Säulen.  Durch  Einwirkung  der  Insolation  zerfallen  die 
Sandsteinblöcke  in  zahlreiche  scharfkantige  Stücke,  die  allmählich 
zerstört  werden  und  in  Sand  zerfallen.  Weniger  zugänglich  einer 
derartigen  Zerstörung  sind  jene  Blöcke,  die  von  einer  braunen  Schutz^ 
rinde  bedeckt  sind.  Mitten  in  den  Sauden  bläst  der  Wind  häufig 
Mulden  aus,  die  sich  mit  Grundwasser  füllen  und  zu  äolischen 
Seen  werden. 

Was  die  Arbeit  des  Wassers  anlangt,  so  üben  die  beiden  Flüsse 
Amu-Daija  und  Syr-Darja  infolge  der  ungeheuren  Menge  der  von 
ihnen  transportierten  Sedimente  einen  merklichen  Einfluss  auf  die 
Morphologie  der  Küsten  aus.  Der  Syr-Daija  vergrösserte  in  den 
letzten  53  Jahren  sein  Delta  um  36  qkm,  d.  h.  um  0,7  qkm  jährlich, 
wobei  es  jährlich  um  97  m  vorrückt.  Wir  können  am  Aral  folgende 
Küstenformen  unterscheiden:  1.  im  Osten  gebuchtete,  die  stark  ein- 
geschnitten, sandig  und  flach  und  von  zahlreichen  Inseln  begleitet 
sind ;   2.  im  Westen  glatte,  nur  wenig  durch  die  Thätigkeit  der  Ab-* 


>)  Geogr.  Zeitschrift  1902.  p.  596. 


286  Seen« 

rasion  modifiziert;  3.  im  Norden  gelappte,  durch  grössere  Buchten 
in  eine  Reihe  von  Halbinseln  zerlegt;  4.  an  den  Flussmündungen 
potamogene,  stark  entwickelt  infolge  der  intensiven  AUuvion  durch 
die  Flüsse.  Die  heutige  Morphologie  ist  im  hohen  Masse  durch  die 
von  Berg  festgestellte  positive  Strandverschiebung  mitbedingt  Die 
Zunahme  des  Wasserstandes  betragt  20,5  cm  im  Jahre,  nach  einer 
Vergleichung  des  Seeniveaus  von  1901  mit  den  Aufnahmen  Tillos 
aus  dem  Jahre  1874.  Durch  das  Ansteigen  des  Seeniveaus  bilden 
sich  lange  schmale  Kanäle,  die  zu  den  weiten,  fast  ganz  abge- 
schlossenen Buchten  und  Seen  führen;  einer  dieser  Kanäle  erreicht 
eine  Länge  von  20  Werst  Auch  die  ausserordentliche  Gliederung 
der  Ostküste  ist  ein  Ergebnis  der  Meeresingression  in  ein  von 
äolischen  Agenzien  modelliertes  hügeliges  Land.  Sehr  stark  ist  die 
Abrasion  an  den  Nordufem.  Trotz  ihrer  lehmigen  Natur  sind  die 
Ufer  hier  ausserordentlich  steil,  und  ihre  jährliche  Abtragung  betragt 
mehrere  Meter.  Endlich  ist  noch  die  starke  Abrasionsthätigkeit  der 
Eisdecke  zu  erwähnen,    die  etwa  drei  Monate  lang  den  See  fesselt. 

Der  See  Telezkoje  im  Altai  ist  im  Sommer  1901  von 
P.  Ignatow  besucht  worden.^)  Er  ist  eine  der  Hauptquellen  des  Ob 
und  liegt  etwa  460  m  über  dem  Meere.  Seine  Länge  beträgt  78.5, 
seine  Breite  zwischen  0.3  und  5  km^  seine  grösste  Tiefe  318  m. 
Die  Ufer  sind  sehr  steil  imd  bis  zu  2000  m  ansteigend.  Die  Wasser- 
temperatur betrug  Ende  Juli  nur  4^  C.  Das  Wasser  ist  sehr  klar.  Seinen 
Hauptzufluss  erhält  der  See  durch  einen  in  der  Nähe  der  chinesischen 
Grenze  aus  einem  Bergsee  kommenden  Strome. 

Der  grosse  Bärensee  zeigt  bisher  auf  unsem  Karten  eine 
Gestalt,  die  im  wesentlichen  auf  die  Aufnahmen  John  Franklins 
zurückgeht  Franklin  ging  auf  seiner  zweiten  Reise  den  Mackenzie 
hinunter,  überwinterte  an  der  Südwestküste  des  Sees  und  kreuzte 
ihn  dann  in  nordöstlicher  Richtung.  Einige  weitere  Beiträge  lieferten 
später  noch  Simpson  und  Dease  und  Dr.  Rae  und  Richardson,  welche 
letztere  1851  auf  ihrer  Suche  nach  Franklin  an  der  Nordostecke  des 
Sees  ihr  Fort  Gonfidence  genanntes  Winterlager  aufschlugen.  Dieser 
also  in  gewissem  Sinne  klassische  Boden  um  den  Grossen  Bärensee 
ist  erst  im  vorigen  Frühjahre  und  Sommer  wieder  von  einem  wissen- 
schaftlichen Reisenden  betreten  worden,  und  zwar  von  einem  Mit- 
gliede  der  Geological  Survey  von  Canada,  J.  M.  Bell,  der  über  seine 
Reise  im  Septemberhefte  des  »Geographical  Journale  einen  Bericht 
und  eine  Karte  (in  1  :  200  000)  veröffentlicht  hat  Bell  verliess 
Anfang  April  Fort  Resolution  am  Grossen  Sklavensee,  ging  den 
Mackenzie  abwärts  und  erreichte  Ende  Juni  den  Grossen  Bärensee, 
dessen  Eis  bis  Anfang  Juli  noch  fest  liegen  blieb.  Hierauf  umzog 
Bell  das  West-  und  Nordufer  des  Sees  bis  Fort  Gonfidence,  wanderte 


')  Petermanns  Mittl.  1902.  p.  19. 


Seen.  287 

Ton  da  zum  Kupferminenflusse  und  diesen  abwärts  bis  zur  Küste» 
kehrte  wieder  nach  Fort  Gonfidence  zurück  und  erforschte  das  bisher 
nur  ungenügend  bekannte  Ostufer  des  Grossen  Barensees.  Schliesslich 
erreichte  Bell,  die  zwischen  dem  Grossen  Bären-  und  Grossen  Sklaven- 
see liegende  Seenreihe  verfolgend,  Anfang  September  wieder  Fort 
Resolution.  Sowohl  am  Grossen  Bärenflusse,  welcher  den  Grossen 
Bärensee  zum  Mackenzie  entwässert,  wie  im  Grossen  Bärensee  selber 
fand  Bell  alte  Hochwassermarken,  bezw.  Strandlinien,  die  auf  einen 
Rückgang  des  Sees  schliessen  lassen;  so  liegen  die  Strandlinien  am 
Nord-  und  Ostufer  des  Sees  bis  zu  2^/,  km  von  der  heutigen  Wasser- 
fläche entfernt  und  bis  zu  90  m  höher  als  sie.  Das  Ufer  im  Süd- 
osten fällt  oft  fast  senkrecht  300  m  tief  zum  See  hinab.  Die  von 
Rae  errichteten  Holzhäuser  am  Fort  Gonfidence  fand  Bell  noch  ziemlich 
unversehrt  vor;  sie  enthielten  keine  Eisenteile  und  hatten  daher  die 
Eskimos  zur  Plünderung  nicht  reizen  können.  In  der  Nähe  des  Forts 
traf  Bell  auf  ein  Eskimodorf,  dessen  Bewohner  beim  Nahen  der 
Weissen  schleunigst  das  Weite  suchten;  man  betrat  ihre  Hütten  und 
fand  keinerlei  Geräte,  die  auf  Beziehungen  mit  den  Weissen  hin- 
deuteten. Südlich  vom  Grossen  Bärensee  wohnen  die  Dogrib-Indianer, 
die  dort  grosse  Verheerungen  unter  dem  Garibou,  dem  amerikanischen 
Rentiere,  anrichteten,  weshalb  sich  dieses  schöne  und  dem  Aussterben 
nahe  Wild  immer  mehr  nach  Norden  zurückzieht.  Das  Tierleben  ist 
dort  überhaupt  sehr  reich,  und  die  Bären,  nach  denen  der  See  seinen 
Namen  führt,  kommen  überall  vor.^) 

Die  Callabonna- Salzpfanne  In  Südaustralien  schilderten 
£.  G.  Stirling  und  H.  Zietz  *)  auf  Grund  der  Erlebnisse  der  dorthin 
entsandten  Expedition.  Die  Pfannen  bilden  in  der  Kolonie  Südaustralien, 
im  Norden  von  Adelaide,  ein  System  von  der  Form  eines  nach  N 
konvexen  Bogens,  welcher  den  nördlichen  Teil  der  meridionalen 
Flinderskette  einschliesst  Eine  der  kleinem  östlichen  Pfannen  dieses 
Systems  ist  die  früher  Lake  Mulligan,  jetzt  Lake  Gallabonna  genannte, 
auf  welche  sich  die  vorliegende  Arbeit  bezieht.  Mehrere  gewöhnlich 
ganz  trockene,  stellenweise  deutlich  als  intermittierende  Wasserläufe 
erkennbare  Gräben  imd  flachere  Senkungen  führen  von  der  Flinders- 
kette im  W  und  dem  gewöhnlich  ganz  wasserlosen  Barcooflusse  im 
N  in  die  GaUabonna-Pfanne  hinein,  ausserdem  steht  sie  durch  eine 
Depression  mit  der  weiter  südlich  gelegenen  Pfanne  des  Lake  Frome 
in  Verbindung.  Die  Gallabonna-Pfanne  dürfte  etwas  unter  dem 
Meeresniveau  liegen,  sie  ist  meridional  in  die  Länge  gestreckt,  etwa 
80  km  lang,  im  N  16  und  im  S  5 — 8  km  breit.  Ihr  Boden  liegt 
nur  wenig  tiefer  als   die  Umgebung.     In    dieser   Pfanne   findet   sich 


')  Globus  80.  p.  248. 

*)  Mem.  R.  S.  South  Australia  1.  p.  41.  Kurzer  Auszug  in  Petennanns 
Mitteilungen  1902  von  R.  v.  Lendenfeld,  Litteraturberioht  p.  197,  woraus 
oben  der  Text. 


288  Seen. 

ein  System  von  meridional  verlaufenden  Sanddünen,  die  eine  Höhe 
von  10  m  erreichen.  Der  Boden  der  Pfanne  besteht  aus  einer  ober-- 
flächlichen,  etwa  30  cm  dicken  Schicht  von  rotem,  sandhaltigem 
Lehme.  Darunter  folgt  eine  etwa  60  cm  mächtige  Schicht  von  blauem, 
sandfreiem  Lehme,  dann  eine  dünne  Flugsandschicht  und  dann  wieder 
blauer  Lehm.  Die  Oberfläche  ist  mit  weissen  Salzeffloreszenzen  be- 
deckt Nach  den  seltenen,  ausgiebigem  Regenfällen  ist  der  Boden 
der  Pfanne  vielerorts  ein  äusserst  klebriger,  schwer  zu  passierender 
Morast.  Die  Kamele,  welche  die  Gallabonnaexpedition  begleiteten, 
versanken  in  diesem  Moraste  zuweilen  derart,  dass  sie  sich  nicht 
selbst  befreien  konnten  und  ausgegraben  werden  mussten.  Während 
des  Aufenthaltes  der  Expedition  in  der  Callabonna-Pfanne  trieb  die 
Trockenheit  grosse  Scharen  von  Kaninchen  nach  den  tiefem,  feuchtem 
Stellen,  wo  sie  die  in  kleinen  Tümpeln  und  Bodenspalten  zurück* 
bleibende  Salzlake  aufsuchten,  um  ihren  Durst  zu  stillen.  Viele 
starben,  ohne  dieses  Wasser  zu  finden,  die  andem  infolge  des  Gre- 
nusses  desselben.  Die  massenhaft  in  der  Umgebung  des  Lagers  ver- 
endeten Kaninchen,  deren  Leichen  dort  faulten,  verpesteten  die  Luft 
derart,  dass  die  Mitglieder  der  Expedition  sie  fortwährend  begraben 
mussten,  um  sich  einigermassen  vor  dem  Gestanke  zu  schützen.  Es 
wurden  täglich  ungefähr  50  in  der  nächsten  Nähe  des  Lagers  ver- 
storbene Kaninchen  beerdigt  Und  so  wie  jetzt  die  Gallabonna- 
Pfanne  eine  böse  TierfaUe  ist,  ist  sie  es  auch  in  der  Pliocänzeit 
gewesen:  ungeheure  Mengen  der  damals  lebenden  Tiere  sind  in  ihrem 
zähen  Lehme  stecken  geblieben  oder  durch  die  trügerische  Hoffnung, 
dort  ihren  Durst  stillen  zu  können,  dahin  gelockt  worden  und  dort 
verendet  Allenthalben  erfüllen  die  Knochen  solcher  ausgestorbener 
Tiere,  des  Diprotodon  australis.  des  Grenyornls  Newtoni  u.  a.  in 
grossen  Massen  die  über  dem  Flugsande  gelegene  Lehmschicht,  und 
vielerorts  findet  man  mehr  oder  weniger  metamorphosierte  Skelette 
von  solchen  Tieren,  welche  frei  zu  Tage  liegen.  Der  unter  dem  Flug- 
sande befindliche  Lehm  ist  frei  von  Knochen.  Um  solche  Knochen 
zu  sammeln,  entsandte  das  Adelaider  Museum  eine  Expedition  nach 
der  Callabonna-Pfanne,  welche  längere  Zeit  dort  verweilte  und  eine 
reiche  paläontologische  Ernte  einheimste. 

Gletscher  und  Glazialphysik. 

Die  Schneegrenze  in  den  Gletschergrebieten  der  Schweiz. 

Während  für  die  Ostalpen  Eduard  Richter  schon  1888^)  die  Lage 
der  Schneegrenze  eingehend  verfolgt  hat  (Rhätische  Alpen  2900  m, 
Stubaier  Alpen  und  Tauem  2800  t»,  Zugspitze,  übergossene  Alp, 
Dachstein  2500  m),  fehlt  eine  ähnliche  Darstellung  der  Schneegrenze 
in  der  Schweiz.     Diese  Arbeit  hat  nun  Dr.  J.  Jegerlehner  in  muster- 


*)  in  seinem  Werke:  „Die  Gletscher  der  Ostalpen". 


Gletscher  und  Glazialphysik.  289 

hafter  Weise  durchgeführt^)  Das  von  ihm  in  Betracht  gezogene 
Gebiet  erstreckt  sich  von  der  Dent  de  Midi  im  Westen  bis  zu  den 
Spöllalpen  im  Osten,  und  auf  diesem  bedecken  die  gesamten  Gletscher 
einen  Flächenraum  von  2029  qkm.  Davon  fallen  188  qkm  auf  ita- 
lienischen Boden,  indem  namentlich  die  Matterhom-,  Monte  Rosa-, 
Blindenhom-,  Disgrazia-  und  Beminagruppe  über  die  Landesgrenze 
hinübergreifen.  Zieht  man  diesen  Betrag  von  der  Gesamtsumme  ab, 
so  verbleiben  für  die  Vergletscherung  der  Schweiz  1841  qfcm.  Diese 
Zahl  weicht  fast  gar  nicht  von  derjenigen  ab,  die  im  Jahre  1877 
vom  schweizerisch-statistischen  Bureau  durch  Messung  auf  den 
Blättern  des  Sigfriedatlas  erhalten  wurde  (1838,8  qkm)%  Man  hätte 
eine  weit  grossere  Differenz,  und  zwar  in  anderem  Sinne  erwarten 
können,  da  die  Gletscher  nach  1877  zurückgegangen  sind.  Allein 
dieser  Rückgang  konnte  in  des  Verf.  Zahlen  nicht  zur  Geltung 
kommen,  da  die  Gletscherenden  nur  auf  einigen  Blättern  nach  1877 
neu  aufgenommen,  resp.  korrigiert  wurden.  Die  Gleichheit  des  Re- 
sultates führt  sich  also  darauf  zurück,  dass  des  Verf.  Messung  zum 
allergrössten  Teile  auf  den  gleichen  Kartenblättem  erfolgte,  wie  die 
des  statistischen  Bureaus.  Die  Zahl  der  Gletscher  in  den  Schweizer- 
alpen beläuft  sich  auf  1077;  dabei  sind  auch  die  Firnflecken,  die 
keinen  Namen  tragen,  mit  einbegriffen.  Thalgletscher  zählten  wir  174. 
Auf  italienisches  Gebiet  fallen  im  ganzen  104  Gletscher. 

Bei  Feststellung  der  Lage  der  Schneegrenze  müssen  die  Begriffe 
lokale  und  klimatische  Schneegrenze  scharf  auseinander  gehalten 
werden.  Auf  erstere  wirkt  zunächst  die  Bodengestalt,  dann  die 
Exposition  des  Gletschers,  so  dass  z.  B.  auf  der  Südseite  der  Alpen 
infolge  der  Insolation  die  Fimmassen  bis  weit  hinauf  abgezehrt 
werden,  und  Kämme,  deren  nördliche  Abdachung  völlig  unter  Eis  liegt, 
auf  der  Südseite  mit  Vegetation  bedeckt  sind.  Im  südlichen  Alpen- 
zuge tritt  die  Differenz  viel  kräftiger  und  auffallender  hervor  als  im 
nördlichen,  in  beiden  Zügen  am  schärfsten  in  den  höchst  gelegenen 
Gebirgsmassiven  des  Finsteraarhorns,  des  Monte  Rosa  und  des 
Bemina.  Die  Ursache  hierfür  liegt  darin,  dass  mit  wachsender  Höhe 
sowie  mit  dem  Vorschreiten  nach  Süden  die  Insolation  zunimmt  und 
damit  die  Differenz  zwischen  Schattentemperatur  und  Temperatur  in 
der  Sonne.  Diese  lokalen  Einflüsse  bestimmen  die  Höhe  der  lokalen 
Schneegrenze.  Dieselben  kann  man  eliminieren,  indem  man  für  ganze 
Gruppen  das  Mittel  bildet  und  auf  diese  Weise  zur  klimatischen 
Schneegrenze  gelangt  Über  die  Lage  der  klimatischen  Schneegrenze 
orientiert  eine  vom  Verf.  gegebene  Tabelle.  Zur  Veranschaulichung 
und  raschen  Obersicht  hat  er  jedoch  auch  eine  Karte  der  Schnee- 
isohypsen (Pencks-Isochionen)  entworfen,   indem   er  die  Gebiete   mit 


^)  Gerlands  Beiträge  zur  Geophysik  b*  p.  486. 

*)  Statist.  Jahrbuch  d.  Schweiz  1891.  1.  p.  3  und  Heim,  Handbuch  der 
Gletscherkunde,  Stuttgart  1885.  p.  76. 

Klein,  Jahrbuch  Xni.  19 


290  Gletscher  und  Glazialphysik. 

gleichhoher  Schneegrenze  durch  Linien  verband,  also  Linien  gleicher 
Höhe  der  Schneegrenze  zog,  und  zwar  von  100  zu  100  m.  Hierbei 
wurden  kleine  Unregelmässigkeiten  der  Kurven  ausgeglichen. 

Auf  der  Karte  macht  sich  nun  sofort  eine  Reihe  von  Thatsachen 
geltend:  einmal  die  durch  die  Isohypsen  scharf  ausgeprägten  riesigen 
Unterschiede  in  der  Höhe  der  Schneegrenze  von  Ort  zu  Ort  auf  dem 
Boden  der  Schweiz.  Während  die  Schneegrenze  am  Säntis  bei 
2400 — 2450  m  liegt,  befindet  sie  sich  in  der  Monterosagruppe  in 
3260  m.  Es  ergiebt  sich  also  die  Thatsache,  dass  im  Gebiete  der 
Schweizeralpen  der  tiefste  und  der  höchste  Stand  der  Schneegrenze 
um  800  m  auseinander  liegt 

Es  ändert  sich  die  Höhe  der  Schneegrenze  deutlich  in  der  Längs- 
richtung des  Gebirges.  Sieht  man  von  den  nördlich  vorgelagerten 
Gruppen  ab,  so  bewegt  sich  im  nördlichen  Zuge  der  schweizerischen 
Alpen  die  klimatische  Schneegrenze  innerhalb  einer  Höhenzone  von 
350  m  Mächtigkeit  auf  und  ab,  d.  h.  zwischen  2950  und  2600  m. 
Von  der  Dent  de  Morcles-Moeverangruppe  im  Westen  steigt  sie  über 
das  Wildhom-,  WildstrubeU  und  Balmhorngebiet  immer  höher  empor, 
bis  sie  im  Finsteraarhom  kulminiert  Von  hier  senkt  sie  sich  plötzlich 
um  200  m  ins  Triftgebiet  herab,  um  weiter  östlich  mit  dem  Niedriger- 
werden der  Gebirgsmassive  noch  weiter  hinunter  zu  steigen.  Am 
Ostende  des  Zuges,  in  der  Sardonagruppe,  liegt  sie  in  2630  m.  Sie 
fällt  also  von  der  Zentralmasse  des  Finsteraarhoms  nach  W  und  0, 
doch  ungleichmässig.  Sie  folgt  daher  durchaus  der  Massenerhebung 
der  Gruppen,  steigt  und  fällt  mit  dieser. 

Im  südlichen  Alpenzuge  beginnt  die  Schneegrenze  auf  der  Schweizer- 
seite der  Dent  du  Midi  gleich  in  2900  m  Höhe,  steigt  dann  über  die 
Montblanc-,  Gombin-,  AroUa-,  Matterhorngruppe  an  und  kulminiert  in 
der  erstaunlichen  Höhe  von  3260  m  im  Monte  Rosamassiv;  dann  fällt 
sie  über  die  Fletschhom-,  Monte  Leone-  und  Blindenhomgruppe  ab 
und  erreicht  im  Gotthard-Basodinogebiete  den  tiefsten  Stand  (2700  m), 
hebt  sich  über  der  Camadra-,  Rheinwaldhorn-  zur  Tambohomgruppe 
etwas  und  senkt  sich  über  die  Suretta-  zur  F^^  Stellagruppe  noch 
einmal  auf  denselben  Stand  wie  im  Gotthardmassiv;  dann  folgt  noch 
einmal  eine  Hebung,  indem  die  Schneelinie  sowohl  nördlich  der  Inn- 
thalfurche  über  Piz  d'Err,  Piz  Kesch  und  Piz  Vadred  zur  Silvretta- 
gruppe,  als  auch  südlich  derselben  über  die  Disgrazia  zum  Bemina- 
massiv  ansteigt.  Die  Penninischen  Alpen  einerseits,  die  Rhätischen 
Alpen  anderseits  sind  Gebiete  der  höchstgelegenen  Schneegrenze. 
Sie  bewegt  sich  hier  im  südlichen  Alpenzuge  um  einen  grossem 
Betrag  auf-  und  abwärts  wie  im  nördlichen,  nämlich  um  560  m. 

Die  Schneelinie  sinkt  aber  auch  in  der  Richtung  senkrecht  dazu 
von  den  zentral  gelegenen  Gebirgskomplexen  gegen  den  nördlichen 
Alpenrand  hin.  Die  Höhenzahlen  2950  (Finsteraarhom),  2750  (Trift), 
2610  (Titüs),  2560  (ürirothstock),  2500  (Glämisch)  und  2400—2450 
(Säntis)   bezeichnen   den    starken   Abfall.     Die  Differenz  macht  sich 


Gletscher  und  Glazialphysik.  291 

hier  starker  geltend,  weil  der  Unterschied  der  Massenerhebung  grösser 
ist  Im  Triftgebiete  erheben  sich  noch  Gipfel  von  3500  und  8600  m, 
im  TiUis  ragt  ein  einziger  bis  zu  3200  m  auf,  im  Urirothstock  giebt 
es  schon  keinen  3000er  mehr.  Im  Glämisch  erreicht  die  höchste 
Spitze  kaum  2900  m  und  im  Säntis  sogar  nur  2500  m.  Vom  Säntis 
gegen  den  Gotthard  und  von  hier  nach  Süden  beträgt  der  Anstieg 
der  Schneegrenze  viel  weniger,  nämlich  250 — 800  in. 

Die  Gebiete  stärkster  Massenerhebung,  die  Walliser  Berge  wie  das 
£ngadin,  haben  die  höchste  Schneegrenze,  das  viel  niedrigere  Gebirge 
am  den  Gotthard  herum  eine  viel  tiefere,  ebenso  die  niedrigen  Berg- 
züge am  Nordsaume  der  Alpen.  Man  kann  geradezu  aussprechen: 
je  grösser  die  Massenerhebung,  desto  höher  die  Schneegrenze,  ein 
Resultat,  das  Imhof  auch  für  die  Waldgrenze  gefunden  hat 

Die  Ursache  der  Differenzen  in  der  Höhe  der  Schneegrenze  von 
Gruppe  zu  Gruppe  entsprechend  der  Massenerhebung,  findet  Verf.  in 
der  Abhängigkeit  von  Niederschlag  und  Temperatur.  Bisher  nahm 
man  besonders  nach  dem  Vorgange  von  A.  Woeikoff  an,  dass  die 
absolute  Niederschlagsmenge  unter  den  die  Schneegrenze  bestimmen- 
den Faktoren  der  wichtigste  sei.  Wenn  man  auch  der  Temperatur 
einen  gewissen  Einfluss  zuerkannte,  so  wurde  dieser  in  seiner  Be- 
deutung doch  geringer  geschätzt  Dem  Verf.  scheint  eher,  dass 
gerade  die  Temperatur  der  ausschlaggebende  Faktor  ist  Ein  Ver- 
gleich der  Karte  der  Schneeisohypsen  mit  der  Regenkarte  der  Schweiz 
von  Billwiller,  zeigt  die  relative  Unabhängigkeit  der  Höhe  der  Schnee- 
linie von  der  Niederschlagsmenge.^)  Maxima  der  Regenmenge  von 
ungefähr  gleichem  Betrage  finden  sich  im  Finsteraarhorn-  (über  200  cm)^ 
Rheinwaldhom-  (220  cm)  und  Säntisgebiet  (200  cm),  also  in  Gebirgs- 
massiven,  wo  die  Schneegrenze  sehr  verschieden  hoch  steht  In  der 
Finsteraarhorngruppe  liegt  sie  hoch  (2950  m),  am  Rhein waldhorn 
mittelhoch  (2760  m)  und  am  Säntis  ganz  tief  (2450  tu).  Das  beweist, 
dass  die  Niederschlagsmenge  wenigstens  in  den  Alpen  für  die  Lage 
der  Schneegrenze  von  geringerem  Einflüsse  ist  als  die  Temperatur. 
Wir  dürften  in  den  Alpen  dieselben  Erscheinungen  finden  wie  in  den 
Plateaulandschaften,  wo  in  gleicher  Seehöhe  die  Temperatur  grösser 
ist  als  in  der  freien  Atmosphäre.  Es  findet  im  Bereiche  der  hoch- 
gelegenen Gebirgsgruppen  eine  Hebung  der  isothermischen  Flächen 
statt,  speziell  in  den  Sommermonaten.  Das  bewirkt  für  gleiche  Höhe 
erstens  eine  Abnahme  des  Anteiles  des  Schnees  am  gesamten  Nieder- 
schlage, d.  h.  auch  bei  gleich  grossem  Niederschlage  eine  Minderung 
des  SchneefaUes.  Zweitens  aber  nimmt  die  zur  Schneeschmelze 
disponible  Wärmemenge  zu.  Es  wird  daher  in  gleicher  Höhe,  in 
welcher  in  hohen  Gebirgsteilen  der  Schnee  noch  geschmolzen  werden 


^)  La  repartition  des  ploies  en  Suisse  par  R.  Billwiller,  Archives  des 
^.  phys.  et  nat  Gteneve  1897.  Allerdings  kennen  wir  die  Regenmenge  der 
flocbgebirgsregion  nm*  schätzungsweise,  wie  Billwiller  selbst  betont,  weil 
Beobachtungstationen  hier  sehr  spärlich  sind. 

19» 


292  Gletscher  und  Glazialphysik. 

kann,    in  Gruppen  mit  geringer  Massenerhebung  bei  ebenso  grossem 
Schneefalle  noch  Schnee  liegen  bleiben. 

Moränen  und  DiluYlalterrassen  In  Khanat  Bochara  schildert 
A.  V.  Krafft.^)  Reste  alter  Moränen  wurden  beobachtet  am  Pandsch, 
wo  von  Dschorf  an  eine  breite,  etwa  100  m  über  dem  Flusse  gelegene 
Terrasse  den  Pandsch  auf  seinem  rechten  Ufer  in  der  Richtung  gegen 
den  Eaiwanpass  begleitet.  Eine  aufliegende  Moräne  ist  durch  einen 
Seitenbach  angeschnitten.  Moränenreste  kommen  vor  auf  einem  Passe 
zwischen  Reswai  und  Chevron,  1400  m,  femer  bei  Kala-i-Ghumb  auf 
dem  rechten  Ufer  in  etwa  1500  m,  ebenso  auf  dem  linken  Ufer  gegen- 
über Kala-i-Chumb  am  Knie  des  Pandsch  eine  etwa  1  m  breite  Terrasse. 
Der  Pandsch  fliesst  heute  etwa  100 — 200  m  unter  dem  Niveau  des 
alten  Pandschgletschers.  Die  bisher  erwähnten  Moränenreste  sind 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  Grundmoränen.  In  das  Thal  des 
Karatagh-Darja  reicht  bei  Labi-Dschai  aus  einem  westlichen  Seiten- 
thale  eine  bedeutende  Moräne  herab,  welche  vom  Flusse  durchsägt 
ist  Der  See  Timur-dera-Eul  nordöstlich  von  Chakimi  in  einem  linken 
SeitenthaJe  des  Karatagh-Darja  wird  durch  eine  Endmoräne  gedämmt. 
Am  Iskander-Daija  beobachtete  der  Verfasser  zwei  durch  Endmoränen 
hergestellte,  steil  abfallende  Querstufen.  Rings  um  den  See  ziehen 
etwa  50  m  über  dessen  Wasserspiegel  deutlich  ausgeprägte  alte 
Uferlinien.  Im  Thale  Passrut-Su  liegen  analoge  Querstufen  in  2100  m 
und  2300  m.  Ein  östlicher  Nebenfluss  des  Woru  zeigt  eine  seen- 
bedeckte Querstufe  westlich  unterhalb  des  Lailakpasses  in  2890  m. 

Die  Moränen«  Schon  längst  war  es  Bedürfnis,  alles,  was  über 
Moränenkunde  geschrieben  worden  ist,  in  einer  historisch-zusammen- 
fassenden  und  wissenschaftlich-kritischen  Form  darzustellen.  Diese 
grosse  und  schwierige  Arbeit  hat  Dr.  August  Böhm  von  Böhmersheim 
durchgeführt.  Seine  umfassende  Darstellung  wird  auf  lange  Zeit 
hinaus  für  alle  speziellen  Fragen  ein  unentbehrliches  Quellenwerk 
bilden.  Folgendes  ist  eine  kurze  Analyse  desselben.^)  Bekanntlich 
wird  der  Gesteinsschutt  am  Ende  vorstossender  Gletscher  mit  dem 
Namen  End-  oder  Stimmoräne  bezeichnet,  während  die  Schuttwälle, 
die  infolge  der  Bewegung  des  Eises  sich  an  den  Rändern  desselben 
in  lange  Reihen  ordnen,  Seitenmoränen  genannt  werden.  Wo  aber 
zwei  Gletscher  sich  vereinigen  und  die  innem  Seitenmoränen  mitten 
auf  dem  nun  gemeinsamen  Gletscher  als  eine  einzige  Schuttlinie  er- 
scheinen, führt  diese  den  Namen  Mittelmoräne.  Auch  am  Boden, 
unter  einem  sich  abwärts  bewegenden  Gletscher,  finden  sich  Trümmer 
und   Geschiebe,    die   meist   durch   den   Druck   des   Eises   zu   feinem 


^)  Denkschrift  d.  Wiener  Akademie.  Mathematisch-Natuni«'.  Klasse  70. 
Durch   Globus  81.    und  Gesellsch.   f.    Erdkunde    zu  Berlin   1902.  p.  553. 

^  Das  Werk  ist  in  den  Abhandlungen  der  K.  K.  Geogr.  Ges.  in  Wien 
erschienen  als  4.  Stück  des  III.  Bandes  unter  dem  Titel  Geschichte  der 
Moränenkunde  von  Dir.  August  Böhm  Edlen  von  Böhmersheim.  Wien  1901. 


Gletscher  und  Glazialph^ik. 


298 


Sande  oder  Schlamme  zermalmt  sind;  sie  führen  den  Namen  Grund- 
morane.  Auf  der  im  August  1899  in  der  Schweiz  abgehaltenen 
Oletscherkonferenz  ist  bezüglich  der  Einteilung  und  speziellen  Be- 
nennung der  Moränen  eine  bestimmte  Normenklatur  angenommen 
worden,    die   sich   in   das   folgende   Schema  zusammenfassen   lässt: 


Moränen 


Die  früheste  Andeutung  der  Moränenbildung  findet  sich  1606  in 
Hans  Rudolph  Räbmanns  Gedicht  »Gespräch  zweyer  Bergen c,  wo  es 
▼om  Untern  Grindelwaldgletscher  heisst: 


bewegte  Mor. 

Obermor. 

Innermor. 
Untermor. 

Seitenmor. 
Mittehnor. 

Längsmor. 

abgelagerte  Mor. 

Wallmor. 
Gnmdmor. 

Rand-  oder  |  Ufermor. 
Endmor.     {  Stimmor. 
Grundmor.- 

Decke 
Dnimlins 

»Bey  Petronell  am  berg  fürwar 
Ein  grosser  Glettscher  hanget  dar  / 
Hat  gantz  bedeckt  dasselbig  ort 


Mit  Heusren  muss  man  rucken  fort 
Stosst  vor  im  weg  das  Erderich 
Böum  /  Heuser  /  Felsen  /  wunderlich.« 

J.  A.  De  Luc  erwähnt  die  Mittelmoränen  und  gesteht,  dass  er 
nicht  wisse,  wie  sie  entstanden  sein  mögen,  Grüner  dagegen  meinte, 
dass  sie  durch  Zusammenschwemmung  des  beiderseits  im  Sommer 
oder  bei  Föhnwind  auf  den  Gletscher  strömenden  Wassers  zu  erklären 
seien.  Die  wichtigste  Bereicherung  des  Wissens  über  die  Moränen 
findet  sich  in  Saussures  berühmtem  Werke  (1779).  Die  heute  ganz 
allgemein  verbreitete  Benennung  dieser  Erscheinung  findet  sich  hier 
zum  ersten  Male  richtig  in  der  Litteratur  verzeichnet.  Von  wesent- 
licher Bedeutung  ist  dabei,  dass  sich  die  Beschreibung  Saussures 
einzig  und  allein  auf  jene  Moränenarten  bezieht,  die  man  heute 
Ufermoränen  und  Stimmoränen  nennt,  also  auf  die  von  dem  Glet- 
scher wallartig  abgelagerten  Moränen,  nicht  aber  auf  die  auf  dem 
Gletscher  von  diesem  mitgeführten  Oberflächenmoränen;  und  dasselbe 
gilt  daher  auch  von  dem  Worte  Moräne  in  seiner  ursprünglichen 
Bedeutung. 

F.  J.  Hugi  unterscheidet  in  seinem  1830  erschienenen  Buche: 
> Naturhistorische  Alpenreise,«:  »Gufferlinen«  und  » Gletscherwälle c« 
Unter  den  ersten  versteht  er  die  Oberflächenmoränen  (Mittel-  und 
Seitenmoränen),  unter  den  zweiten  die  Umwallungsmoränen  (Stim- 
und  Ufermoränen).  Er  sagt:  »die  Gufferlinien  sind  zusammenhängende, 
über  die  Gletscher  auslaufende  Schuttlinien.«  Bei  vielen  Gletschern, 
»welche  jederseits  eine  Gufferlinie,  aber  mehr  am  Rande  als  auf  der 
Mitte  tragen,  wird  der  Schutt  bald  beiderseits  über  die  Ränder  ge- 
schoben und  zu  sogenannten  Gletscherwällen  aufgehäuft«  Hier  ist 
abo  deutlich  zwischen  Seitenmoränen  (»Gufferlinien«)  und  Ufermoränen 
(»Gletscherwällen«)  unterschieden.    Von  den  Gufierlinien  bemerkt  er 


294  Gletscher  und  Glazialphysik. 

lerneri  dass  sie  in  der  Fimregion)  wo  sie  von  Jahr  zu  Jahr  mit 
neuem  Firn  bedeckt  werden,  noch  nicht  über  die  Fimfläche  erhaben 
sind,  sich  tiefer  unten  aber  mehr  und  mehr  über  die  Oberfläche  des 
Gletschers  erheben.  »Gegen  den  Ausgang  der  Gletscher <  aber  »sinkt 
die  oft  gegen  80  Fuss  hohe  Gufferlinie  wieder  ganz  zur  Gletscher* 
fläche  herab.  <  Die  Erhebung  der  Gufferlinien  erklärt  er  durch. 
»Ausdünsten  der  Gletscher,  wenn  man  es  so  nennen  will,«  und  ihr 
Auftauchen  an  der  Fimlinie  dadurch,  dass  eben  dort  die  Umbildung 
des  Firnes  in  ausstossendes  Gletschereis  die  Oberfläche  erreiche.  Hugi 
leugnete,  dass  die  Gletscher  an  der  Oberfläche  schmelzen;  er  glaubt 
auch  an  eine  ausstossende  Kraft  des  Eises. 

Die  Erscheinungen  bei  einem  Gletschervorstosse  hatte  Hugi  im 
Jahre  1828  am  Oberaargletscher  Gelegenheit  zu  beobachten.  Er  be- 
richtet: »Wohl  eine  Viertelstunde  dem  Zinkenstock  nach  hat  er  bereits 
zwei  alte  Gletscherwälle  zurückgeschoben,  zerstört  und  über  ihre 
alte  Basis  sich  hinausgedrängt.  Nun  aber  hat  er  den  Berg  erreicht, 
an  dessen  Fusse  er  mit  solcher  Kraft  sich  drängt,  dass  er  im  Andränge 
selben  kräftig  aufwühlt.  Der  ganzen  Länge  nach,  da  der  Zinkenstock 
entgegen  sich  stemmt,  treibt  er  nun  die  Erdmasse  und  gewaltige 
Felslasten  wellenförmig  auf.  Wall  über  Wälle  hebt  sich  empor,  und 
die  letzten  so  frisch,  dass  man  glauben  sollte,  erst  diese  Nacht  wären 
sie  emporgestiegen.  Felsen  werden  dabei  abgebrochen  oder  zerrieben 
oder  übereinander  aufgestossen.  Die  Gewalt,  welche  hier  die  sich 
ausdehnende  Gletschermasse  ausübt,  übersteigt  wirklich  alle  Begriffe.« 

Böhm  y.  Böhmersheim  bemerkt,  dass  Hugi  wohl  der  erste  Gletscher- 
forscher gewesen  sei,  der  Beobachtungen  halber  eine  grössere  Strecke 
unter  einem  Gletscher  vorgedrungen  ist.  Er  that  dies  Mitte  September 
1828  am  Urazgletscher  unter  dem  Titlis. 

Im  Jahre  1837  hat  L.  Agassiz  zuerst  mit  Nachdruck  hervor- 
gehoben, dass  die  Gletscher  auch  an  ihrer  Unterfläche  Schutt  trans- 
portieren und  ihn  dabei  in  Geschiebe  umwandeln;  er  beschreibt  ganz 
zutreffend  eine  alte,  eiszeitliche  Gnindmoräne.  »Dass  die  »Entdeckung« 
der  Grundmoräne  gegenwärtig  so  häuflg  Charles  Martins  zugeschrieben 
wird,  sagt  Böhm  v.  Böhmersheim,  kommt  daher,  weil  dieser  erst 
jene  Bezeichnung  hierfür  ersonnen  hat  In  Wirklichkeit  ist  Martins 
nicht  der  wissenschaftliche  Vater,  sondern  nur  der  Pate  der  Grund- 
moräne. Sind  wir  auch  schon  bei  mehrern  altem  Forschem  auf 
Äussemngen  gestossen,  die  den  Gedanken  an  etwas  wie  an  eine 
Grundmoräne  notwendig  in  sich  schliessen,  so  hat  doch  Agassiz  deren 
wesentlichen  Erscheinungen  zuerst  näher  erfasst  und  gekennzeichnet« 
Louis  Agassiz  ist  überhaupt  derjenige  Forscher,  welcher  eigentlich 
die  modeme  Gletscherkunde  begründet  hat,  und  durch  ihn  wurde 
auch  die  Bezeichnung  Mittelmoräne  in  die  Wissenschaft  eingeführt 
Er  betonte  (1838),  dass  die  beiden  sich  vereinigenden  Gletscher  nicht 
miteinander  verschmelzen,  sondem  dass  jeder  Gletscher  seine  eigene 
Bewegung  behält,    und   dass   sie  durch  die  aus  den  beiden  Seiten- 


Gletscher  und  Glazialphysik.  295 

moränen  entstandene  Mittelmoräne  voneinander  getrennt  erscheinen. 
Wenn  aber  die  Geschwindigkeit  der  beiden  Gletscher  zu  ungleich  ist, 
»il  en  resulte  comme  un  dedoublement  de  la  moraine,  et  on  aperpoit 
alors  deux  ou  trois  trainees  paralleles,  comme  dans  le  glacier  de 
TAar.«  Auch  beschreibt  er  genau  die  Erscheinungen  der  Grund- 
moräne, die  Charles  Martins  1842  benannt  und  1847  näher  geschildert 
hat.  Femer  bemerkt  Agassiz,  dass  kleine  Steine  infolge  der  Er- 
wärmung durch  die  Sonne  in  das  Eis  einsinken.  Als  Frucht  fünf- 
jähriger Forschungen  erschien  1840  das  viel  bewährte  Werk  von 
L.  Agassiz  »Studien  über  die  Gletscher c  und  ein  Jahr  später  Jean 
de  Gharpentiers  »Versuch  über  die  Gletscher«,  ein  Buch,  das  nach  dem 
Urteile  B.  v.  Böhmersheims  in  mancher  Hinsicht  gehaltvoller  und  tiefer 
durchgearbeitet  ist  als  die  Schrift  von  Agassiz.  Gharpentier  leitet  die 
Mittelmoränen  nicht  notwendig  aus  der  Vereinigung  zweier  Seiten- 
moränen ab;  es  genügt  ihm  die  Vereinigung  zweier  Gletscherarme, 
von  denen  nur  der  eine  schutttragend  ist.  Ist  es  der  andere  auch: 
desto  besser.  J.  de  Gharpentier  meinte  auch,  dass  sich  die  Mittel- 
moränen nur  auf  seitlich  eingeengten  Gletschern  als  solche  erhalten 
können;  breitet  sich  der  Gletscher  aus,  so  thun  die  Mittelmoränen 
desgleichen  und  überdecken  fächerförmig  mit  Schutt  des  Gletschers  Ende. 

Das  Erscheinen  von  vordem  in  der  Gletschermasse  eingeschlossen 
gewesenen  Steinen  an  der  Oberfläche  erklärte  J.  de  Gharpentier  durch 
die  vereinigte  Wirkung  der  durch  die  vermeintliche  Dilatation  be- 
wirkten stetigen  Aufquellung  des  Gletschers,  der  Abschmelzung  und 
der  thalabwärts  gerichteten  Bewegung.  Dass  die  Fimmassen  in  ihrem 
Innern  häufig  Erde,  Sand  und  kleinere  oder  grössere  Steine  enthalten, 
giebt  J.  de  Gharpentier  zu,  meint  aber,  dass  dies  alles  später  an  die 
Gletscheroberfläche  gelange.  Die  Sandschichten,  die  man  oft  ganz 
unten  am  Gletscherende  im  Eise  bemerke,  hätten  einen  andern  Ur- 
sprung und  rührten  von  dem  Sande  und  Schlamme  her,  den  die 
Gletscherbäche  mit  sich  geführt  und  in  wenig  geneigten  Sprüngen 
oder  Klüften  abgesetzt  hätten. 

J.  de  Gharpentier  weist  auch  darauf  hin,  dass  vor  einem  zurück- 
weichenden Gletscher  keine  Moränendämme  entstehen,  da  der  vom 
Gletscher  aiif  seiner  Oberfläche  herabgetragene  Schutt  entsprechend 
dem  Schwinden  auf  einer  sich  rückwärts  immer  weiter  ausdehnenden 
Fläche  abgelagert  wird.  Ferner  sagt  er,  dass  bei  Gletschern,  die  auf 
einem  steilen  Abhänge  enden,  die  Stimmoräne  nicht  am  Gletscherende, 
sondern  erst  am  Fusse  des  Abhanges  zur  Ablagerung  gelange.  Auf 
die  Erscheinung  der  Grundmoräne  ist  von  J.  de  Gharpentier  nur 
wenig  eingegangen  worden. 

Arnold  Escher  von  der  Linth  hat  sich  1842  über  die  Verhältnisse 
am  Untergrunde  der  Gletscher  geäussert  Nach  seinen  Beobachtungen 
sind  es  besonders  die  am  Rande  und  an  den  untern  Flächen  des 
Gletschers  in  das  Eis  eingefrorenen  Gesteinsstücke,  welche  die  Ab- 
rundung  und  Ausfurchung  des  Gesteins  bewirken. 


296  Gletscher  und  Glazialphysik. 

Im  Jahre  1843  erschien  die  wichtige  Arbeit  von  J.  D.  Forbes 
über  die  Savoyer  Alpen  und  1847  das  letzte  Werk  von  Agassiz  über 
die  Gletscher,  dann  1854  Albert  Moussons  Buch  »Die  Gletscher  der 
Jetztzeit«,  welches  das  damalige  Wissen  über  dieselben  zusammen- 
fasst.  Er  unterscheidet:  »Seitenmoranen  oder  Gandecken,  Endmoränen, 
Mittelmoränen  oder  Guffermoränen,  endlich  Grundmoränen.  Den  Ur- 
sprung der  Grundmoränen«,  sagt  Mousson,  »muss  man  übrigens 
mehr  in  den  Schuttanhäufungen  der  Oberfläche  als  in  einer  Zer- 
trümmerung der  Felsen  unter  dem  Gletscher  suchen,  welche  durch 
die  lange  Wirkung  des  Eises  längst  zu  einem  regelmässigen  Bette 
ausgeglichen  worden  sind.«  Er  verweist  aber  darauf,  dass  von  den 
Gufferlinien  nur  wenig  Schutt  auf  den  Grund  des  Gletschers  gelangen 
könne,  da  die  Spalten  gleichzeitig  mit  dem  trümmerbeladenen  Eise 
fortrücken  und  zudem  nur  selten  bis  auf  den  Grund  hinabreichen; 
er  schliesst  sich  der  Ansicht  von  Agassiz  an,  dass  die  Grundmoräne 
hauptsächlich  von  den  »Randmoränen«  stamme.  An  eine  auch  nur 
einigermassen  beträchtlichere,  erosive  Wirkung  des  Gletschers  glaubt 
Mousson  nicht  Friedrich  Simony  schilderte  1872  den  Vorgang  der 
Moränenbildung  eingehend.  Wie  v.  Böhm  zusammenfassend  darstellt, 
betont  Simony,  dass  das  Material  der  Seitenmoränen  dreierlei  Ursprung 
habe.  Es  bestehe  zunächst  aus  dem  Schutte,  der  unmittelbar  auf 
die  Gletscherzunge  falle;  dazu  geselle  sich  der  Schutt,  der  höher 
oben  auf  den  Firn  gefallen,  durch  Ablagerung  neuer  Firnschichten  in 
das  Innere  des  Gletschers  gelangt  sei  und  erst  unterhalb  der  Fim- 
linie  nach  und  nach  wieder  ausschmelze.  Ein  weiterer  Zuwachs 
bestehe  aus  dem  Schutte,  den  der  Gletscher  selbst  von  den  Wan- 
dungen seines  Bettes  losbricht,  sowie  aus  all  jenem  Detritus,  den 
der  Gletscher  bei  seinem  Vordringen  bereits  an  Ort  und  Stelle  an- 
trifft. Daher  komme  es  auch,  dass  in  den  Seitenmoränen  eckiges 
und  gerundetes  Material  gemengt  sei.  Besonders  hervorgehoben  wird 
der  Umstand,  dass  in  dem  Falle,  wenn  sich  zwei  Gletscherarme  noch 
über  der  Firnlinie  vereinigen,  die  Mittelmoräne  zwar  erst  weiter  unten 
auf  der  Gletscherzunge  zu  Tage  tritt,  dass  aber  nichtsdestoweniger 
ihr  Material  »in  den  übereinander  lagernden  Firn-  und  Eisschichten 
der  zusammenstossenden  Flanken  der  beiden  Gletscherzuflüsse  bereits 
von  deren  erster  Vereinigungsstelle  an  bewahrt  liegt«  Wenn  sich 
die  beiden  Gletscher  nach  ihrer  Vereinigung  nicht  mit  derselben 
Geschwindigkeit  bewegen,  so  können  auch  die  an  der  Berührungs- 
fläche noch  im  Eise  eingeschlossenen  Teile  der  Mittelmoräne  durch 
Reibung  abgenutzt  und  mehr  oder   minder   geglättet  werden. 

Ober  die  Grundmoräne  bemerkt  Simony^  dass  darin  »grosse 
Blöcke  nur  verhältnismässig  spärlich  auftreten,  dass  dagegen  die 
weitaus  vorwiegende  Masse  aus  Schlamm,  Sand  und  kleinen  Stein- 
splittem,  dem  Zermalmungs-  und  Schleifprodukt  des  hier  mit  voller 
Kraft  operierenden  Gletschers  besteht.«  Das  Material  der  Grund- 
moräne stammt  nach  Simony  zum  Teile  von  dem  auf  dem  Grunde 


Gletscher  und  Glazialphyaik.  297 

des  Gletschers  schon  ursprünglich  vorhanden  gewesenen  Schutt,  zum 
Teile  von  der  erodierenden  Thätigkeit  des  Gletschers;  femer  daher, 
»dass  durch  das  auch  von  unten  stattfindende  Abschmelzen  der 
Gletschermasse  immer  neue,  in  der  letztern  eingeschlossen  gewesene 
Schuttpartikel  frei  werden  c,  sowie  endlich  von  dem  Schutt,  der  von 
der  Oberfläche  des    Gletschers   durch   Klüfte  auf  den   Grund   gerät. 

Albert  Heim  in  seinem  »Handbuch  der  Gletscherkunde <  (1884) 
unterscheidet:  A.  Moränen  auf  der  Oberfläche  der  Gletscher  (1.  Seiten- 
moränen, 2.  Mittelmoränen);  B.  die  Grundmoräne,  deren  Material  nach 
seiner  Ansicht  bei  sehr  vielen  Gletschern  (Alpen,  Himalaya,  Neusee- 
land) zum  grössten  Teile  von  den  >  Obermoränen  c  stammt,  sodann  aus 
dem  »schon  vor  der  Vergletscherung  abgewitterten  und  im  nun  ver- 
gletscherten Thale  in  loco  oder  auf  Umladungsplätzen  angehäuften 
Schutte;  ein  »Abarbeiten  des  anstehenden  Untergrundes c  lässt  Heim 
»fast  nur  in  Form  von  Schleif  schlämm  und  Schleif  sand«  gelten. 

Bezüglich  der  Frage,  ob  Grundmoräne  zur  Oberflächenmoräne 
werden  könne,  neigt  Heim  zur  Bejahung.  Die  Ansicht,  dass  manche 
Mittelmoränen  durch  Empordrängen  von  Grundmoränenmaterial  zwischen 
den  zusammenfliessenden  Gletscherarmen  entstehen,  scheint  ihm  »um 
80  eher  denkbar,  als  es  sich  dabei  nicht  stets  um  Trümmer  des 
tiefsten  Gletscherbettes,  sondern  auch  um  solche  handeln  kann,  welche 
an  den  Seitenwänden  der  Gletscherarme  eingeschlossen  lagen.  <  Er 
berichtet  femer,  dass  das  Auftreten  von  Sand,  Schlamm  und  auch 
kleinern  Steinen  mitten  auf  der  Zunge  des  Rhönegletschers  auf 
Ingenieur  Held  »den  Eindruck  machte,  als  seien  diese  Materialien 
vom  Grunde  angenommen.«  G.  Endmoräne.  Diese  entsteht  nach 
Heim  am  Gletscherende  durch  Ausfegung  der  Grundmoräne  und  durch 
Ablagerung  des  Oberflächenmoränenschuttes.  »Bei  den  Endmoränen 
jetziger  alpiner  Gletscher  übertrifft  in  der  Regel  das  Obermoränen- 
material dem  Quantum  nach  sehr  bedeutend  dasjenige  der  Grund- 
moräne; der  umgekehrte  Fall  kommt  indessen  in  den  Alpen  eben- 
falls vor.«  Bei  vielen  eiszeitlichen  Endmoränen  »herrschen  meistens 
die  Grundmoränentrümmer,  worunter  viel  ausgeschürfter  Kies,   vor.« 

Eduard  Brückner  beschrieb  1886  die  Grundmoräne  alpiner 
Gletscher  als  eine  »Eisschicht,  die  ganz  und  gar  mit  Gesteins- 
fragmenten und  Schlamm  imprägniert  ist;  sie  erscheint  als  ein 
Konglomerat  mit  eisigem  Bindemittel.  Die  Geschiebe  sind  bald  grosse 
Blöcke,  bald  nur  kleine  Brocken.  Die  Mächtigkeit  der  Gmndmoräne 
ist  sehr  verschieden;  sie  betmg  am  Stampflkees,  einem  Hängegletscher 
des  Olperer  im  Zillerthale,  4 — 5  m,  eine  Mächtigkeit,  die  wohl  nicht 
allzuoft  erreicht  werden  dürfte.«  »Diese  mit  dem  Gletscher  fest 
zusammengefrorene  Grundmoräne  wird,  eigentlich  selbst  einen  Teil 
des  Gletschers  bildend,  vom  Gletscher  unter  dem  Drucke  der  auf  ihr 
lastenden  Eismassen  über  den  Untergrund  hinweggeschleift.«  »Schmilzt 
die  Grundmoräne  aus  dem  Eise  heraus,  in  einer  Lage,  in  der  sie  von 
fliessendem  Wasser   nicht  erreicht  und  gewaschen  werden  kann,    so 


298  Gletscher  und  Glazialphysik. 

stellt  sie  sich  als  ein  angeschichtetes  Schlammlager  dar,  in  dem 
unregelmässig  die  Gletschergeschiebe  eingelagert  sind.  In  dieser 
Form  hat  sie  sich  uns  aus  der  Diluvialzeit  erhalten,  c  Brückner  ist 
der  Ansicht,  dass  die  Grundmoräne  ihr  Material  »nicht  ausschliesslich 
aus  der  Oberfiächenmoränec  bezieht,  vielmehr  solches  »aus  dem 
Gletscherbette  empfängt,  teils  indem  sie  bereits  vorhandenen  Schutt 
sich  einverleibt,  teils  indem  sie  selbst  Fragmente  des  Gletscherbodens 
losbricht,  c 

Von  den  zahlreichen  sonstigen  Beiträgen  zur  Moränenkunde  sind 
diejenigen  Finsterwalders,  Eduard  Richters  und  besonders  die  Be- 
obachtungen von  E.  V.  Drygalski  an  den  grönländischen  Gletschern 
von  Wichtigkeit. 

Eine  besondere  Art  von  Moränenbildung  sind  die  Drumlins  (oder 
Drums),  parallele  Hügelreihen,  die  zuerst  James  Bryce  im  Jahre  1833 
im  nördlichen  Irland  beachtete  und  beschrieb.  Man  hielt  sie  anfangs 
für  Erzeugnisse  grosser  Fluten,  aber  1864  sprach  Maxwell  H.  Close 
entschieden  aus,  dass  sie  direkt  dem  Eise  zugeschrieben  werden 
müssten,  nämlich  voreinstigen  Gletschern,  deren  longitudinale  Grund- 
moränen sie  seien.  Später  fand  man  ähnliche  Bildungen  auch  in 
Nordamerika,  und  dort  hat  zuerst  Louis  Agassiz  sie  nachgewiesen. 
Close  hat  die  Drumlins  mit  den  Sand-  und  Schotterbänken  von 
Flüssen  verglichen,  andere  Forscher  wollen  sie  auf  die  Erosion  alter 
Grundmoränenmassen  durch  Gletscher  zurückführen.  A.  v.  Böhm 
hält  beide  Entstehungsweisen  für  möglieb,  also  sowohl  Ablagerung 
als  Abtragung.  Er  vermutet,  dass  die  Drumlins  eine  bestimmte 
Ablagerungsform  der  Grundmoräne  darstellen:  »einerseits  deshalb, 
weil  Geschiebemassen  denn  doch  zunächst  imimer  auf  Anhäufung 
beruhen,  anderseits  aber  auch  darum,  weil  die  gegenteilige  Vermutung 
die  nach  dem  heutigen  Stande  der  Forschung  nicht  nur  unbewiesene, 
sondern  auch  durch  gar  keine  Anzeichen  begründete,  daher  voll- 
kommen überflüssige  Annahme  in  sich  schliesst,  dass  sich  an  der 
Zustandebringung  der  Drumlins  zwei  Vergletscherungen  beteiligt  hätten, 
die  sich  zu  einander  wie  »Handlangere  zu  »Baumeister«  verhielten. 
Dem  Vergleiche  der  Gletscher  mit  Flüssen  entspricht  der  Vergleich 
der  Drumlins  mit  Schotterbänken;  daran  wird  am  besten  festgehalten, 
so  lange  nicht  triftige  Gründe  für  das  Gegenteil  vorliegen.  Freilich 
ist  dabei  nicht  zu  übersehen,  dass  auch  die  Schotterbänke  nicht 
durchaus  reine  Ablagerungsformen  darstellen.  Es  ist  bekannt,  dass 
die  Schotterbänke  wandern:  an  ihrem  obem  Ende  wird  Material 
weggenommen  und  am  untern  wieder  abgelagert.  Etwas  ähnliches 
möchte  vielleicht  auch  bei  den  Drumlins  vor  sich  gehen.« 

Den  Gebieten  ehemaliger  Gletscher  geben  die  Endmoränen  einen 
eigentümlichen  landschaftlichen  Charakter,  auf  den  H.  Bach  1869 
beschreibend  hinwies.  Er  betont,  »dass  der  eigentliche  Gletscher- 
boden oder  das  Terrain,  welches  vom  Gletscher  bedeckt  war,  die 
sogenannte  »Grundmoräne«,    aus   lauter   kleinen  Hügeln  oder  Häuf- 


Gletscher  und  Glazialphysik.  299 

werken  besteht,  die  alle  in  ihrem  Innern  nur  schuttigen  Kies,  Gerolle, 
geritzte  Steine  und  Irrblöcke  bergen;  während  zwischen  den  Hügeln 
selbst  teils  kleinere,  teils  grössere  Moorgründe  und  Torflager  sich 
gebildet  haben.  Überall  bekommt  man  schon  äusserlich  den  Eindruck 
eines  Schuttgebirges,  nirgends  trifft  man  Merkmale  einer  durch  Nieder- 
schlag im  Wasser  entstandenen  Formation.«  Auch  betont  Bach  den 
Mangel  eines  regelmässig  verzweigten  Flussnetzes.  >  Dieses  Hügel- 
land«, sagt  er  weiter,  »wird  nach  aussen  durch  den  Zug  der  End- 
moräne begrenzt.  Die  Endmoräne,  eine  doppelte  Hufeisen-  und  Halb- 
mondform  bildend,  erhebt  sich  wesentlich  über  das  übrige  Land, 
das  zur  Grundmoräne  des  Gletschers  gehört;«  aus  ihrer  Anhäufung 
folgert  er,  >dass  der  Gletscher  eine  lange  Reihe  von  Jahren  hier 
gelagert  und  sich  gleich  geblieben  sein  muss.«  Er  macht  ferner  auf 
den  »verschiedenartigen  Charakter  der  äussern  Oberfläche  der  Terrain- 
bildungen« inner-  und  ausserhalb  des  Endmoränenzuges  aufmerksam, 
wobei  er  sich  dahin  äussert,  dass  in  der  äussern  Zone  die  Moränen 
durch  Fluten  »abgewaschen«  wurden. 

E.  Desor  führte  nun  1873  zuerst  die  Bezeichnung  Moränen- 
landschaft ein.  Die  hierbei  zunächst  ins  Auge  gefassten  Landschafts- 
formen entstammten  sämtlich  dem  Gebiete  alpiner  Vereisung.  Dagegen 
unterschied  K.  Keilhack  1897  in  den  durch  Grundmoränenablagerung 
entstandenen  Landschaftsformen  in  Norddeutschland  drei  Typen: 
1.  »ausgedehnte  Ebenen«,  wofür  er  die  Bezeichnung  »Grundmoränen- 
ebene« vorschlägt;  2.  die  «Drumlinlandschaft;«  3.  die  »Moränen- 
landschaft« im  engem  Sinne.  »Alle  drei  Typen,  die  durch  Über- 
gänge miteinander  verbunden  sind,  gehören  nach  ihrer  Entstehung 
unter  den  gemeinsamen  Begriff  »Grundmoränenlandschaft«.  Die  Be- 
zeichnung »Moränenlandschaft  für  den  Typus  3<,  sagt  er  fortfahrend, 
»hat  sich  so  eingebürgert,  dass  sie  bestehen  bleiben  muss.« 

A.  V.  Böhm  betont  schliesslich,  dass  auf  die  allgemeine  Bezeich- 
nung »Moränenlandschalt«  alle  Landschaften  Anspruch  haben,  die 
aus  irgendwelchen  Moränen  gebildet  werden,  denn,  was  den  Moränen 
recht  ist,  sei  der  Landschaft  billig. 

Er  giebt  im  letzten  Abschnitte  seiner  grossen  Arbeit  eine  neue 
Einteilung  und  Benennung  der  Moränen.  Die  eingehende  Begründung 
seiner  Klassifizierung  muss  der  Fachmann  in  dem  Werke  selbst  nach- 
lesen, hier  kann  nur  kurz  auf  dieselbe  eingegangen  werden. 

A.  V.  Böhm  unterscheidet  drei  Hauptgruppen:  Moränenbildungen 
durch  die  fortschreitende  Bewegung  des  Eises,  durch  die  Aufstapelung 
von  Moränenwellen  rings  um  die  an  Ort  und  Stelle  verharrende  Zunge, 
und  endlich  die  Ausbreitung  von  Moränendecken  bei  dem  Zurück- 
weichen, dem  Schwinden  des  Gletschers. 

Die  Bildungen  der  ersten  Art,  welche  vom  Gletscher  fortbewegt 
werden,  nennt  er  Wandermoränen.  Die  beiden  andern  Arten  der 
Moräne  sind  vom  Gletscher   abgelagert,   die  einen  werden  teils  auf- 


300 


Gletscher  und  Glazialphysik. 


geschüttet,  teils  ausgeschürft,  und  sie  erhalten  deshalb  den  Namen 
Stapelmoranen;  die  andern  bleiben  nach  dem  Schwinden  der  Gletscher 
zurück  und  heissen  deshalb  Schwundmoränen.  »Diese  Unterscheidung c , 
sagt  A.  V.  Böhm  mit  Recht,  »ist  um  so  schärfer,  als  sie  auch  mit 
einer  örtlichen  und  zeitlichen  übereinstimmt.  Das  Vorhandensein  der 
Wandermoränen  ist  an  das  Dasein  des  Gletschers  gebunden;  die 
Stapelmoränen  bezeichnen  den  Ort,  wo  die  Grenze  des  Gletschers 
verweilte;  die  Schwundmoränen  bedecken  den  Weg,  den  der  ge- 
schwundene Gletscher  genommen.  Hiermit  ist  für  die  Einteilung  der 
Moränen  ihre  Entstehungsweise  erschöpft 

Die  Wandermoränen  sind  nach  dem  Orte  ihres  Auftretens  entweder 
Oberflächenmoränen  oder  Grundmoränen  oder  Innenmoränen.  Zu  den 
letztem  gehört,  »was  in  dem  Gletscher  steckt«,  also  gehen  diese 
oft  in  die  Grundmoränen  über.  Für  die  zu  den  Innenmoränen  gehörigen 
Schutt-  und  Geschiebemassen  führt  er  die  Bezeichnung  Sohlen- 
moränen ein,  für  andere  Formen  die  Namen  Einscharungsmoränen 
und  Adermoränen,  letztere  beziehen  sich  auf  die  Schuttadem  im  Firn. 

Die  Stapelmoränen  erscheinen  als  Ufermoränen  und  Stirnmoränen. 

Die  Schwundmoränen  werden  in  Halden-  und  Feldmoränen  unter- 
schieden; erstere  entstehen  meist,  wenn  der  Gletscher  seitlich  am 
Gehänge  schwindet,  letztere  stellt  das  Trümmerfeld  dar,  welches  nach 
dem  Schwinden  der  Gletscherzüge  auf  dem  Gletscherboden  zurück- 
bleibt. Aus  dieser  Darstellung  ergiebt  sich  folgende  Übersicht  der 
Moränen  unserer  heutigen  Gletscher: 


Wandermoränen 


Oberflächenmoränen 


Innenmoränen 


Grundmoranen 

Stapelmoränen  oderUmwallungsmoranen 

Haldenmoränen 
Feldmoränen 


Seitenmoränen 
Mittelmoränen 
Deckmoränen 
Siebmoränen 

I  Adermoränen 
Einscharungsmoränen 
Sohlenmoränen 


Ufermoränen 
Stirnmoränen 


Schwundmoränen 


Es  entsteht  nun  die  Frage,  wie  weit  die  der  Einteilung  der 
Gletschermoränen  entsprungenen  Begriffe  auch  eiszeitlichen  Verhält- 
nissen entsprechen.  Die  Wandermoränen  kommen  naturgemäss  hier 
mchi  in  Betracht,  sondern  nur  die  Stapelmoränen  und  die  Schwund- 
moränen. V.  Böhm  zeigt,  dass  den  Ufer-  und  Stirnmoränen  der 
Gletscher  die  Rand-  und  Endmoränen  der  Eiszeit  entsprechen.  Den 
Feldmoränen  aber  entsprechen  aus  der  Eiszeit  die  Grundmoränendecke, 
die  Schwundmittelmoräne  und  die  Drumlins. 


Gletscher  und  Glazialphysik.  801 

Die  Ursache  der  Eiszeit.  In  seinen  »Studien  über  das  Klima 
der  geologischen  Vergangenheit  c  ^)  kommt  Prof.  F.  Frech  eingehend 
auf  die  Eiszeit  zurück.  Gleichförmiges  Klima  der  gesamten  Erdober- 
fläche ist  nach  seiner  Ansicht  die  Regel  für  die  Vergangenheit  unseres 
Planeten;  Eiszeiten  und  die  Ausbildung  von  Klimazonen  wie  die 
heutigen  bilden  die  Ausnahmen. 

»Die  Eiszeit  am  Schlüsse  des  Paläozoicum  folgt,  sagt  er,  wie 
es  scheint,  ziemlich  unvermittelt  auf  das  gleichmässige,  bis  zur  Stein- 
kohlenzeit andauernde  Klima.     (Lethaea  palaeozoica.) 

Nachwirkungen  der  Eiszeit,  d.  h.  starke  Verschiedenheit  in  der 
Verteilung  der  Meerestiere  und  der  Landflora,  machen  sich  noch  bis 
in  den  Anfang  der  mesozoischen  Zeit  (untere  Trias)  bemerkbar. 

Im  wesentlichen  sind  die  ersten  zwei  Drittel  der  folgenden  meso- 
zoischen Ära  durch  gleichmässiges  Klima  ausgezeichnet.  Etwa  dem 
letzten  Drittel  des  Mittelalters  der  Erde  entspricht  die  Herausbildung 
von  Klimazonen,  die  jedoch  nicht  in  einer  Eiszeit  gipfelt,  sondern 
vielmehr  am  Beginne  des  Tertiär  durch  den  Wiedereintritt  einer  all- 
gemeinen verbreiteten  warmem  Temperatur  beendet  wird. 

Von  der  Mitte  des  Tertiär  (d.  h.  von  dem  Miocän  der  Geologie) 
an  lässt  sich  eine  Wiederherausbildung  und  immer  schärfer  werdende 
Herausprägung  von  Klimazonen  verfolgen:  1.  In  der  Mitte  der  Tertiär- 
zeit herrscht  tropisches  Klima  in  unsern  Breiten,  warme  gemässigte 
Temperatur  bis  über  80  ^  n.  Br.  2.  Dann  erfolgt  eine  allmähliche 
Abkühlung  bis  zu  einer  mit  der  Gegenwart  übereinstimmenden  Aus- 
bildung der  Klimazonen. 

Eine  in  beiden  Hemisphären  sowie  in  den  Gebirgen  der  Tropen 
nachgewiesene  Eiszeit  bildet  das  Ereignis,  welches  die  geologische 
Vergangenheit  von  der  Gegenwart  scheidet.  Das  heutige  Klima  ent- 
spricht, wie  die  Vergleichung  der  Tier-  und  Pflanzenwelt  lehi*t,  etwa 
demjenigen,  welches  unmittelbar  vor  dem  Beginne  der  Eiszeit  herrschte. 
Wir  leben  also  im  Schatten  der  Eiszeit  c 

Bei  Nachforschung  nach  den  Ursachen  dieser  merkwürdigen  Klima- 
schwankungen bezieht  sich  Prot  Frech  auf  die  von  S.  Arrhenius  auf- 
gestellte Theorie,  gemäss  welcher  der  wechselnde  Gehalt  der  Atmo- 
sphäre an  Kohlensäui'e  die  Wärmeleitungsfähigkeit  der  Luft  bedingt. 

»Die  jetzige,  in  der  Luft  enthaltene  Kohlensäuremenge  beträgt 
nur  0,03  Volumprozente  der  Atmosphäre.  Eine  Abnahme  derselben 
von  0,62 — 0,35  (im  Mittel  auf  0,6)  des  heutigen  Betrages  würde 
nach  den  Berechnungen  von  S.  Arrhenius  Temperaturverhältnisse 
schaffen,  die  zu  einer  neuen  Vereisung  Nordamerikas  und  Mittel- 
europas führten ;  d.  h.  es  würde  zwischen  dem  40.  und  60.  Breiten- 
grad eine  Temperaturemiedrigung  von  4 — 5^  C.  eintreten.  Die  tropische 
Temperatur  einer  Eocänzeit,  in  der  die  polaren  Gegenden  um  8 — 9^ 
wärmer  waren  als  jetzt,  würde  eine  Vermehrung  des  Kohlensäuregehalts 


')  Z«itschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde,  Berlin  1902.  p.  611.  617. 


302  Gletscher  und  Glazialphysik. 

um  das  2,  2^/, — 3  fache  des  jetzigen  Betrages  voraussetzen.  Diese 
Veränderung  des  Eohlensäuregehalts  geht  nicht  über  die  Grenzen  der 
Wahrscheinlichkeit  hinaus  und  beeinträchtigt  das  Gedeihen  höherer 
Tiere  in  keiner  Weise. 

Die  Quellen  der  atmosphärischen  Kohlensäure  sind  die  vul- 
kanischen Ausbrüche  und  Exhalationen ,  während  anderseits  durch 
chemische  wie  biologische  Vorgänge  im  wesentlichen  ein  Kohlen- 
säureverbrauch stattfindet« 

Für  eine  geologische  Prüfung  dieser  Theorie  handelt  es  sich  in 
der  Hauptsache  um  die  Frage,  ob  die  Wärme-  und  Kälteperioden 
der  Erdgeschichte  in  Zusammenhang  mit  Eruptionen  stehen.  Prof. 
Frech  giebt  zu  diesem  Behufe  zunächst  eine  Übersicht  der  zeitlichen 
Verteilung  der  altem  vulkanischen  Ausbrüche  und  Wärmeerscheinungen 
und  zeigt  des  nähern,  dass  hier  wenigstens  keine  prinzipielle  Schwierig- 
keiten der  Bejahung  obiger  Frage  entgegenstehen.  Das  Nämliche 
ergiebt  sich  für  die  mesozoische  Ära.  Am  eingehendsten  behandelt 
Verf.  die  klimatischen  Änderungen  der  Tertiärzeit,  die  gleichfalls  mit 
der  These  übereinstimmen. 

Eine  ausgesprochene  Wärmeabnahme  kennzeichnet  den  letzten 
Abschnitt  des  europäischen  Tertiär  (das  Pliocän)  und  bedingt  vor 
dem  Eintritte  der  Eiszeit  ein  dem  gegenwärtigen  entsprechendes  Klima 
in  unsem  Breiten.  Die  Flora  und  die  Tierwelt  der  Küstengewässer 
zeigen  keine  wesentlichen  Unterschiede  von  der  heutigen.  Diese 
Temperaturverminderung  geht  parallel  der  Abnahme  der  Eruptiv- 
thätigkeit,  die  überall  in  Deutschland,  in  Frankreich,  Ungarn  und 
Nordamerika  ganz  unverkennbar  ist.  Oberall  in  Hoch-  und  in  Mittel- 
gebirgen, wo  die  Eiszeit  als  solche  unterscheidbar  ist,  lässt  sich  ein 
gleichzeitiges  Aufhören  der  Eruptionen  nachweisen;  allerdings  fehlen  in 
arktischen  (Island)  wie  in  tropischen  Vulkangebieten  (z.  B.  Java)  meist 
die  Handhaben,  um  die  Eiszeit  abzugrenzen.  Angesichts  der  raschen 
Zerstörung,  welcher  die  Vulkangebirge  infolge  von  Verwitterung  und 
Erosion  ausgesetzt  sind,  sollte  man  eine  Verminderung  der  altern 
tertiären  Eruptiva  für  wahrscheinlich  halten.  Trotzdem  hält  die  Ver- 
breitung und  Mächtigkeit  der  Vulkanprodukte  aus  dem  jüngsten 
Tertiär  nirgends  einen  Vergleich  mit  der  der  miocänen  Ergüsse  aus. 
Die  einzige  Ausnahme  bildet  Zentralfrankreich,  dessen  Haupterup- 
tionen pliocän  sind.  Jedoch  ist  die  Bedeutung  der  jungtertiären  Vul- 
kane Frankreichs  verschwindend  im  Vergleiche  zu  den  100  000  qkmy 
welche  die  mitteltertiären  Eruptivmassen  auf  den  nordeuropäischen 
Inseln  noch  jetzt  bedecken,  und  noch  verschwindender  im  Vergleiche 
zu  der  gewaltigen,  von  Mitteldeutschland  bis  Transkaukasien  — 
wie  es  scheint  ohne  wesentliche  Unterbrechung  —  ausgedehnten 
Eruptivzone.  Die  pleistocäne  Eiszeit  selbst  ist  eine  Periode  des 
ausgesprochenen  Rückganges  der  Eruptivthätigkeit  —  auch  gegen- 
über dem  Tertiär  —  und  stimmt  in  dieser  Hinsicht  mit  der  paläo- 
zoischen Kälteperiode  vollkommen  überein.     Zwei  ganz  verschieden- 


Gletscher  und  Glazialphysik.  B03 

artige  Beobachtungsreihen,  das  Fehlen  eruptiven  Materiales  in  den 
Grundmoränen  und  sonstigen  Ablagerungen  der  Eiszeit  einerseits, 
die  landschaftlichen  Formen  der  jungem  Vulkanberge  anderseits, 
berechtigen  zu  diesem  Schlüsse. 

Das  Fehlen  vulkanischer  Ausbrüche  lässt  sich  für  den  Löss 
Mitteleuropas  und  für  die  nordische  Grundmoräne  unmittelbar  nach- 
weisen. Vulkanische  Asche  und  Bimssteine  sind  chemisch  und 
petrographisch  leicht  kenntlich,  fehlen  aber  in  den  zahlreichen  vor- 
liegenden Analysen  von  Loss  und  vor  allem  von  den  Geschiebelehm- 
böden überall  gänzlich.  Hätte  in  der  mitteleuropäischen  Vulkanzone, 
auf  den  Faröer  oder  auf  Island,  eine  nennenswerte  Thätigkeit  ge- 
herrscht, 80  wäre  irgend  etwas  von  dem  leicht  wahrnehmbaren 
Eruptivmateriale  erhalten  geblieben. 

Wenn  nun  auch  die  Wichtigkeit  des  allgemein  wirkenden  Faktors 
verminderter  Vulkanausbrüche  für  die  Entstehung  der  Eiszeit  unleug- 
bar ist,  so  verweist  Verfasser  doch  auch  und  mit  Recht  auf  die 
Bedeutung  rein  geographischer  Einflüsse.  »Vielleicht,  sagt  er,  lässt 
sich  sogar  die  verschiedenartige  Wirkung  beider  Faktoren  näher  dahin 
bestimmen,  dass  die  Temperaturverminderung  durch  die  allgemeine 
Abnahme  der  Kohlensäure,  die  besonders  in  Europa  und  im  öst- 
lichen Nordamerika  weitausgedehnte  Vergletscherung  durch  lokale  Ver- 
mehrung der  Niederschläge  bedingt  ist;  der  Grund  dieser  letztem 
ist  wieder  in  »auffallenden  Veränderungen  in  der  Verteilung  von 
Festland  und  Meere  zu  suchen.  Der  schroffe  Gegensatz,  den  im 
Pleistocän  die  vollkommene  Vereisung  Nord-  und  Mitteleuropas  und 
das  Fehlen  des  Eises  in  Nordasien  darstellt,  ist  noch  auffallender 
als  die  Temperaturverschiedenheit  zwischen  der  Nord-  und  Süd- 
hemisphäre der  Gegenwart  (Rügen  —  Bouvetinsel).  In  beiden  Fällen 
kann  der  Einfluss  geographischer  Veränderungen  nicht  hoch  genug 
angeschlagen  werden.  Die  bedeutendsten  Veränderungen  in  der 
Verteilung  von  Festland  und  Meer  weist  das  nördliche  und  östliche 
Europa  auf,  und  zwar  entspricht  im  allgemeinen  ein  Rückzug  des 
Meeres  dem  Vordringen  der  Gletscher  und  umgekehrt 

Während  der  letzten  interglazialen  Episode  (d.  h.  in  der  Zeit 
zwischen  der  letzten  und  vorletzten  Vereisung)  nahm  das  Meer  in 
Schottland,  Skandinavien,  vor  allem  aber  im  nordöstlichen  Russland 
und  dem  angrenzenden  Teile  von  Sibirien  wesentlich  grössere  Flächen 
ein  als  in  der  Gegenwart  Diese  bedeutendere  Ausdehnung  des 
Ozeanes  ist  wohl  auf  Bewegungen  der  Erdrinde,  auf  »kontinentale 
Hebungen  und  Senkungen«  zurückzuführen.  Der  Betrag  derselben 
ist  in  den  Fjorden  von  Skandinavien  und  Schottland  schwerer  fest- 
zustellen als  in  Russland  und  Nordwestsibirien.  Hier  beträgt  die 
positive  Niveauverschiebung  nach  Tschernyschew  150  ti».  Im  Timan- 
gebirge  lagern  nach  demselben  Forscher  die  Ablagerungen  des  vor- 
dringenden nördlichen  Meeres  auf  eisgeschliffenen  und  geschrammten 
Felsen.     Am  Timan  ist  also  eine  Vereisung  älter  als  die    arktische 


304  Gletficher  und  Glazialphysik. 

Transgression.  Für  Nordsibirien  nimmt  v.  Toll  ein  unterpleistocanes 
Alter  des  Vordringens  des  Eismeeres  an,  und  da  in  Mitteleuropa  ein 
gewisser  Wechsel  in  der  Ausdehnung  der  Vereisung  bekannt  ist, 
brauchen  diese  Angaben  keinen  Widerspruch  zu  enthalten. 

Eine  Gruppe  weiterer  geographischer  oder  klimatischer  Ände- 
rungen ist  in  ihrer  Ursache  weniger  klar,  muss  aber  die  gleiche 
Wirkung  besitzen  wie  die  Ausdehnung  des  Ozeanes  in  Nordeuropa; 
ein  Feuchterwerden  des  Klimas  und  somit  ein  Wachstum  der 
Gletscher  in  den  Nachbargebieten  zeigen  an:  1.  die  kaspische  Trans- 
gression in  Südostrussland  und  die  Verbindung  des  Kaspi-  und  des 
Aralsees  während  der  letzten  interglazialen  Episode;  2.  die  Ausdehnung 
von  Binnenseen  im  Gouvernement  Wjatka,  welche  eine  Art  von 
Verbindung  zwischen  der  arktischen  und  kaspischen  Transgression 
herstellen;  <).  die  Ausdehnung  ähnlicher  Binnenseen  im  Westen  der 
Vereinigten  Staaten  (Lake  Bonneville,  Lake  Lahontan  u.  a.),  von  denen 
die  jetzigen  Salzseen  und  -sümpfe  (Utah-  und  Monosee)  nur  die  letzten 
Überbleibsel  sind;  4.  das  feuchtere  Klima  der  Sahara.  Das  Auftreten 
von  Krokodilen  in  den  Sümpfen  des  Irhahargebirges  im  Zentrum  der 
Sahara,  das  Vorkommen  der  mediterranen  Steineiche  (Hex)  in  jungen 
Kalktuffen  der  Oase  Dachel  (Südostsahara)  wäre  bei  der  heutigen 
Verteilung  der  Niederschläge  unerklärlich;  nehmen  wir  jedoch  eine 
der  europäischen  Eiszeit  entsprechende  feuchte  Zwischenperiode  in 
Nordafrika  an,  so  sind  diese  klimatischen  Paradoxa  erklärt 

Viel  schwieriger  —  ja  bei  der  geringen  Ausdehnung  der  geo- 
logischen Forschungen  fast  unmöglich  —  ist  die  Erklärung  der  wieder- 
holten Interglazialzeiten.  In  einer  etwa  gleichzeitig  mit  der  vor- 
liegenden Arbeit  erscheinenden  Studie  weist  E.  Geinitz  auf  strati- 
graphischem  Wege  nach,  dass  interglaziale  » Zeiten  €  von  allgemeiner 
Bedeutung,  während  deren  ein  der  Gegenwart  entsprechendes  Klima 
herrscht,  bisher  nicht  sicher  festgestellt  sind.  Vielmehr  haben  klima» 
tische  Oszillationen  von  weniger  einschneidender  Wichtigkeit  ent- 
sprechende Schwankungen  der  Gletscherausdehnung  bedingt.  Es  be- 
darf keines  weitem  Hinweises,  wie  gut  diese  auf  Grund  eines 
genauen  vergleichenden  Studiums  der  nordischen  >  Interglazial  < -Profile 
erwachsene  Ansicht  mit  der  hier  auf  ganz  anderem  Wege  entwickel- 
ten Theorie  übereinstimmt.« 

Schliesslich  fasst  Verfasser  seine  Ergebnisse  in  folgenden  Sätzen 
zusammen : 

1.  Die  Frage  nach  der  Entstehung  des  vorherrschend  warmem 
Klimas  in  geologischer  Vorzeit  kann  nicht  von  dem  Probleme  der 
Eiszeiten  getrennt  werden. 

2.  Die  Verschiedenheit  des  Kohlensäuregehaltes  der  Atmosphäre 
bildet  die  physikalische  Erklärung  für  die  Verschiedenheiten  wärmerer 
und  kälterer  Klimate  in  der  geologischen  Vergangenheit;  höherer 
Kohlensäuregehalt  entspricht  höherer  Wärme. 


4jrletscher  und  Glazialphysik.  305 

3.  Da  durch  organische  und  chemische  Prozesse  vorwiegend 
Kohlensäure  verbraucht  wird,  bilden  vulkanische  Exhalationen  die 
einzige  Ersatzquelle  für  diesen  Verlust. 

4.  Infolgedessen  entspricht  in  allen  geologischen  Zeiten  die  Ab- 
nahme der  eruptiven  Thätigkeit  einem  Sinken  der  Temperatur,  welche 
sich  zweimal,  am  Schlüsse  der  paläozoischen  Ära  und  am  Beginne  der 
geologischen  Gegenwart,  bis  zu  einer  Eiszeit  herabbewegt.  Jedem 
Maximum  der  Eruptionen  entspricht  eine  deutlich  wahrnehmbare 
Temperaturerhöhung. 

5.  Abgesehen  von  diesem  das  Klima  der  ganzen  Erde  beein- 
flussenden Faktor  ist  die  Verteilung  von  Festland  und  Meer,  sowie 
die  hierdurch  bedingte  Richtung  der  Winde  und  Meeresströmungen 
von   ausserordentlicher   Bedeutung   für  die   Gestaltung   des    Klimas. 

6.  Doch  ist  anderseits  das  gleichmässige  warme  Klima,  das 
während  der  überwiegenden  Zahl  geologischer  Perioden  geherrscht 
hat,  lediglich  durch  eine  andere  Verteilung  der  gegenwärtig  vor- 
handenen Wärmemenge  nicht  zu  erklären. 

7.  Die  gesamten  altern  Perioden  der  Erdgeschichte  —  bis  gegen 
das  Ende  der  Steinkohlenzeit  —  sahen  ein  warmes,  ziemlich  gleich- 
massig  über  die  Erde  verteiltes  Klima. 

8.  Nach  dem  Schlüsse  der  Steinkohlenperiode  trat  eine,  vor- 
nehmlich auf  der  Südhemisphäre  ausgebildete,  aber  auch  im  Norden 
angedeutete  Eiszeit  ein,  die  bald  wieder  verschwand. 

9.  Nachdem  die  Folgen  der  Eiszeit  (in  der  mittlem  und  obem 
Dyas)  allmählich  überwunden  waren,  herrscht  in  den  ersten  zwei 
Dritteln  des  Mittelalters  der  Erde  wieder  gleichmässiges  tropisches 
bis  subtropisches  Elima.  Vom  obem  Jura  an,  besonders  aber  in  der 
Kreidezeit,  bildet  sich  eine  Gliederung  in   klimatische  Zonen  aus. 

10.  Den  beiden  Höhepunkten  der  Eruptionen  am  Beginne  und  in 
der  Mitte  des  Tertiär  entsprechen  wiederum  Höhepunkte  der  Tem- 
peraturen. 

11.  Der  Abnahme  der  Eruptionen  im  letzten  Abschnitte  des 
Tertiär  geht  eine  Wärmeverminderung  parallel;  die  Eiszeit  ist  — 
ganz  wie  die  paläozoische  Kälteperiode  —  durch  ein  fast  voll- 
kommenes Aufhören,  die  Gegenwart  durch  ein  Wiedererwachen  der 
Eruptivthätigkeit  gekennzeichnet.« 

Die  Lufthülle  im  allgremeinen. 

Die  Mensren  der  neuentdeckten  Gase  in  der  Atmosphäre. 

Die  in  den  letzten  Jahren  mit  Hilfe  überaus  verfeinerter  Methoden 
in  unserer  Luft  neuentdeckten  Bestandteile  sind  nur  in  geringen 
Mengen  darin  vorhanden.  Am  reichlichsten  tritt  Argon  auf,  und 
zwar  enthält  die  Luft  in  100  Volumteilen  0,937  Argon.  Nach  den 
neuesten  Mitteilungen  W.  Ramsays  finden  sich  dagegen  in  100000 
Teilen  Luft  nur  1 — 2  Teile  Neon,  0,1  oder  0,2  Teile  Helium,  unge- 
Klein,  Jahrbucb  Xm.  20 


306  Die  Lufthülle  im  aUgemeinen« 

fähr  0,1  Teil  Krypton  und  endlich  in  20000000  Volumteilen  Luft 
nur  1  Teil  Xenon.  Ramsay  halt  für  nicht  ausgeschlossen,  dass 
Xenon  noch  ein  schwereres  Gas  umschliesst,  doch  ist  dies  nicht 
gerade  wahrscheinlich. 

Ober  die  Höhe  der  homogenen  Atmosphäre  und  die 
Hasse  derselben  hat  Dr.  Nils  Ekholm  eine  Untersuchung  ver- 
öffentlicht. ^)  Als  solche  Höhe  bezeichnet  man  diejenige,  welche  die 
Atmosphäre  besitzen  würde,  wenn  sie  überall  die  gleiche  Dichtigkeit, 
und  zwar  die  Dichte  an  der  Meeresoberfläche  besässe.  Nennt  man 
diese  Höhe  K,  so  denkt  man  sich,  um  sie  zu  berechnen,  die  Luftmasse, 
welche  in  einem  sphärischen  Erdsektor  enthalten  ist,  der  von  der 
Meeresoberfläche  1  qcm  abschneidet,  in  der  Weise  zusammengedrückt, 
dass  diese  Luft  den  Erdsektor  von  der  Meeresoberfläche  bis  zu  der 
Höhe  K  genau  ausfüllt  und  dabei  überall  die  gleiche  mittlere  Dichte 
annimmt  Multipliziert  man  das  so  ermittelte  K  mit  der  der  ange- 
nommenen Dichte  entsprechenden  Masse  1  ccm  Luft  in  Grammen  und 
das  Produkt  mit  der  Erdoberfläche  in  Quadratcentimetem,  so  be- 
kommt man  nach  Berichtigung  für  die  Erhöhungen  der  Kontinente 
die  Gesamtmasse  der  Atmosphäre.  Bei  dieser  Berechnungsweise 
nimmt  man  also  Rücksicht  auf  die  Vergrösserung  der  geozentrischen 
Kugelflächen  nach  oben,  was  natürlich  bei  der  Ermittlung  der  Masse 
der  Atmosphäre  ganz  richtig  ist.  Wenn  es  sich  aber  darum  handelt, 
die  von  Licht-  oder  Wärmestrahlen  durchgelaufene  Luftmasse  zu 
berechnen,  so  ist  die  obige  Berechnungsweise  der  Höhe  der  homogenen 
Atmosphäre  nicht  zulässig.  In  diesem  Falle  müssen  wir  uns  um 
den  Strahl  eine  cylindrische  Röhre  gelegt  und  die  in  dieser  Röhre 
eingeschlossene  Luftmasse  zusammengedrückt  denken,  bis  dieselbe 
überall  die  gleiche  mittlere  Dichte  annimmt.  Steht  der  Strahl  senk- 
recht auf  der  Meeresoberfläche,  so  bekommen  wir  in  dieser  Weise 
eine  Höhe  der  homogenen  Atmosphäre,  die  ein  wenig  kleiner  als  K 
ist,  und  die  wir  mit  Q  bezeichnen  wollen. 

Anderseits  nennt  man  reduzierte  Höhe  H  der  Atmosphäre  die- 
jenige Höhe,  welche  man  dadurch  berechnet,  dass  man  die  Höhe 
des  Quecksilberbarometers  an  der  Meeresoberfläche  mit  dem  Ver- 
hältnisse der  Quecksilberdichte  zur  Dichte  der  Luft  an  der  Meeres- 
oberfläche multipliziert.  Für  eine  Lufttemperatur  von  0^  und  einen 
Luftdruck  gleich  760  mm  bei  0^  und  normaler  Schwere  ist  bekannt- 
lich H^  =  7991.0  m.  Oberhaupt  ist  H  dem  Luftdrucke  im  Meeres- 
niveau direkt  und  der  absoluten  Temperatur  der  Luft  in  diesem 
Niveau  umgekehrt  proportional,  und  dasselbe  gilt,  wenigstens  mit 
grosser  Annäherung,  von  K  und  Q.  Man  sieht  ohne  Schwierigkeit 
ein,  dass  die  zwei  Höhen  H  und  Q  nicht  genau  gleich  sind,  weil 
wir  H  unter  der   stillschweigenden  Annahme   einer  für  alle  Höhen 


^)  Meteorol.  Zeitschrift  1902.    p.  249. 


Die  Lufthülle  im  aUgemeinen.  307 

konstanten  Schwere  berechnen,  wogegen  Q  mit  Berücksichtigung  der 
Veränderlichkeit  der  Schwere  mit  der  Höhe  berechnet  werden  muss. 
Deshalb  ist  Q  unzweifelhaft  ein  wenig  grösser  als  H,  eben  wie  E 
«in  wenig  grösser  als  Q  ist  Für  die  genaue  Berechnung  von  E 
und  Q  wäre  es  erforderlich,  die  Verteilung  der  Atmosphäre  um  die 
Erdkugel  zu  kennen,  was  indessen  nicht  der  Fall  ist,  da  die  Tem- 
peratur der  obem  Luftschichten  nur  unvollkommen  bekannt  ist 
Gewöhnlich  aber  nimmt  man  an,  dass  E  und  Q  nur  wenig  von  H 
verschieden  sind.  Indessen  ist  Hr.  E.  Mascart^)  zu  einem  ent- 
gegengesetzten Resultate  gekommen.  Er  findet  nämlich  für  die  Ge- 
samtmasse der  Atmosphäre  einen  Wert,  der  um  ^/^  grösser  ist,  als 
nach  der  angenäherten  Berechnung  sich  ergiebt  und  für  die  Dichte 
der  Luft  in  64  Am  Höhe  den  verhältnismässig  enormen  Wert  0.0018 
von  derjenigen  an  der  Meeresoberfläche. 

Ekholm  geht  nun  näher  auf  die  Ableitung  von  Mascart  ein  und 
zeigt,  dass  dieselbe  auf  hypothetischer  Annahme  beruht,  welcher  die 
Beobachtungen  nicht  entsprechen.  Ekholm  berechnet  unter  der  An- 
nahme, dass  die  Temperatur  nach  oben  innerhalb  0 — 20  Amt  Höhe 
pro  100  «1  um  OAO^C.  und  innerhalb  20 — 70  Am  Höhe  um  0.16®  C. 
abnimmt,  ferner  die  Temperatur  der  Luft  an  der  Meeresoberfläche 
15^0.  und  der  Luftdruck  daselbst  760  mn»  Quecksilberdruck  bei 
O®  und  normaler  Schwere  beträgt,  die  Masse  der  Luft  Werden 
diese  Zahlen  durch  0.001298,  d.  h.  die  Masse  in  Grammen  eines 
Eubikcentimeters  Luft  bei  0  ®  und  760  mm  dividiert,  so  ergiebt  sich 
<J^>  =  8011,  Ho  =  7992  und  Eo  =  8029  m. 

Für  die  genaue  Berechnung  der  mittlem  Werte  von  H,  Q  und 
E  im  Meeresniveau  müssen  wir  den  Luftdruck  am  Meeresniveau  im 
Mittel  für  die  ganze  Erdoberfläche  kennen.  Diese  hat  Ekholm  aus 
den  von  W.  Ferrel^  gegebenen  Daten  berechnet.  Diese  Daten  sind 
in  der  folgenden  Tabelle  angeführt  worden.  Die  zwischen  Elammem 
gesetzten  Zahlen  sind  extrapoliert 

Mittlerer  jährlicher  Luftdruck  p  der  Breitengrade  99,  auf  0^, 
normale  Schwere  und  Meeresniveau  reduziert.     Nach  W.  Ferrel. 

N.  Halbkugel  S.  Halbkugel  Differenz 
9             pNinmm         psinmm  pN—ps  in  mm 
90*             (761.0)               (737.0)  (+24.0) 
~7.1)  (4-! 


86  (760.8)  (787.1 

80  60.5  (737.3)                 (- 

75  60.0  (737.6                 (- 

70  58.6  38.0 

65  58.2  39.7 

60  58.7  43.4 


■23.7) 
23.2) 
•22.4) 
•20.6 
-18.5 
15.3 


^)  Mascart,  Compt  rend.  hebd.  des  sceancee  de  TAc.  des  Sei.  Tome 
114  Janv.-Juin  1892.  p.  93.  Paris  1892. 

*)  W.  Ferrel:  »Meteorologioal  Researches  for  the  use  of  the  ooast 
pilot«,  part  I,  Washington  1877;  A.  Sprung:  >Lehrbuch  der  Meteorologie«, 
Hamburg  1885.  p.  193. 

20» 


808  I)ie  Lufthülle  im  allgemeinen. 


N. 

Halbkugel 

S.  Halbkugel 

Differenz 

9 

PN  in  ffm 

ps  in  mm 

PN— ps  in 

55 

59.7 

48.2 

+11.5 

60 

60.7 

53.2 

--  7.6 

45 

61.5 

67.3 

--  4.2 

40 

62.0 

60.5 

+  1.5 

35 

62.4 

62.4 

0.0 

30 

61.7 

63.5 

—  1.8 

25 

60.4 

63.2 

—  2.8 

20 

59.2 

61.7 

-  2.5 

15 

58.8 

60.2 

-  1.9 

10 

57.9 

59.1 

-  1.2 

5 

58.0 

58.3 

-  0.3 

0 

58.0 

58.0 

0.0 

Ekholm  findet  hieraus  den  mittlem  Luftdruck  der  nördlichen 
Halbkugel  =759.8  und  denjenigen  der  südlichen  Halbkugel  =756.2, 
folglich  das  Gesamtmittel  ==758.0  mm.  Der  entsprechende  Wert 
des  Kq  ist  gleich 

-^||-X802900  =  800800  cm 
760 

und  folglich  die  in  Grammen  ausgedrückte  Masse  einer  Luftsäule, 
deren  Grundfläche  1  qcm  beträgt  =800800x0.001293  =  1035.4. 
Die  mittlere  Höhe  der  Kontinente  kann  zu  500  m  geschätzt 
werden  und  die  Oberfläche  derselben  zu  136  Millionen  Quadrat- 
kilometern oder  0.267  der  Oberfläche  der  Erde.  Um  die  Gesamtmasse 
der  Atmosphäre  zu  haben,  muss  man  also  0.267x59.7  =  16.0 
von  der  ZaJil  1035.4  abziehen  und  die  Differenz  mit  510xlO^^ 
was  der  Oberflächeninhalt  der  Erde  in  Quadratcentimetem  ist,  multip- 
lizieren.    Es  ergiebt  sich  so  für  die  Masse  der  Atmosphäre 

520  X  10  *«  Tonnen  =  5200  Billionen  Tonnen  =  104000  Billionen  Ztr. 

Da  die  Gesamtmasse  der  Erde  =  609x10^*  Tonnen  ist,  so  be- 
trägt also  die  Masse   der  Atmosphäre  0.000000854  oder        1 
von  derjenigen  der  Erde.  1171000 

Wenn  man  die  Berechnung  mit  dem  Werte  H  ausführt,  d.  h. 
ohne  die  Abnahme  der  Schwere  und  die  Vergrösserung  der  geozentri- 
schen Kugelflächen  nach  oben  zu  berücksichtigen,  so  erhält  man  als 
die  Masse  der  Atmosphäre  517x10^*  Tonnen  oder  0.000000849 
von  derjenigen  der  Erde,  folglich  nahezu  das  gleiche  Resultat  Nach 
den  neuesten  Schätzungen  soll  die  mittlere  Höhe  der  Kontinente  etwa 
750  m  betragen.  Demnach  müssen  wir  0.267  X  88.3  =:  23.6  von  der 
Zahl  1035.4  abziehen  und  die  Differenz  durch  510X10^*  multipli- 
zieren, wodurch  für  die  Masse  der  Atmosphäre  sich  ergiebt 

616x10"  Tonnen,  d.  h.  0.000000847  oder  von  derjenigen 

der  Erde. 


Pie  Lufthülle  im  allgemeinen.  30^ 

Labile  Glelehgrewlehtszustände  In  der  Atmosphäre.  Prof. 
A.  Schmidt  verbreitete  sich,^)  anknüpfend  an  seine  frühere  Abhandlung: 
>Das  Wärmegleichgewicht  der  Atmosphäre«,^  über  die  heutige  thermo- 
dynamische  Theorie  der  atmosphärischen  Zustände  als  unzureichend, 
um  die  Thatsache  labiler  Zustände  in  der  Atmosphäre  zu  erklären. 
»Das  Endziel  aller  Strömungen  in  der  Atmosphäre  ist  die  stabile, 
nicht  die  indifferente  Lagerung.  Alle  horizontalen  sowohl  als  vertikalen 
Strömungen  dienen  der  Herbeiführung  stabiler  Gleichgewichtszustände. 
Wo  man  in  der  Atmosphäre  indifferenten  oder  gar  labilen  Lagerungen 
der  Schichten  begegnet,  kann  deren  Ursache  nimmermehr  in  den 
Luftströmungen  gesucht  werden,  sondern  umgekehrt  sind  die  Strömungen 
die  Polgen  teils  vorausgehender  Gleichgewichtsstörungen,  teils  vor- 
ausgehend erzeugter  labiler  Lagerungen,  und  ihre  Tendenz  ist  die 
Vernichtung  der  indifferenten  und  der  labilen  Lsvgerungen. 

Die  ganze  Hülle  des  Planeten  gleicht  einer  flüssigen  moles  iners, 
stets  bereit,  in  den  Tod  der  stabilen  isothermen  Lagerung  zu  ver- 
sinken, wenn  nicht  die  Sonne  durch  Erwärmung  der  Erdoberfläche 
und  durch  Erzeugung  von  Temperaturdifferenzen  sie  aufrüttelte.  So 
strömt  sie  oben  und  unten  zwischen  höhern  und  niedem  Breiten 
hin  und  her,  überall,  wo  sie  mit  der  Kruste  in  Berührung  kommt, 
als  ein  unelastisches,  der  Reibung  unterworfenes  flüssiges  System, 
die  Geschwindigkeit  des  Ortes  annehmend.  Die  ganze  grosse  Ökonomie 
der  doppelten  Wirbelbewegung,  der  antirotatorischen,  d.  h.  der  Rotation 
des  Planeten  entgegen  gerichteten  untern  Passatströmung  und  der 
Anticyklonen  und  anderseits  der  rotatorischen,  d.  h.  der  Erdrotation 
vorauseilenden  Polarströmungen  und  Cyklonen,  bildet  keine  konser- 
vative Ökonomie.  Bei  jeder  Berührung  mit  der  festen  oder  flüssigen 
Erdoberfläche  findet  eine  Hemmung  der  Bewegung  unter  Verbrauch 
von  Bewegungsenergie  statt,  die  einer  stetigen  Erneuerung  durch  die 
die  Bewegung  neu  anspornende  Sonnenwärme  bedarf.  Nur  für  den 
Planeten  selbst  entspringt  aus  dem  Kreislaufe  der  Luftströmungen 
kein  seine  Rotation  hemmendes  Moment,  weil  das  Moment  der  Be- 
schleunigungen der  hohem  Breiten  dem  Moment  der  Verzögerungen 
der  niedem  Breiten  das  Gleichgewicht  hält. 

Einen  Beweis  für  die  Richtigkeit  seiner  Behauptung,  dass  unter 
dem  Einflüsse  der  Schwere  die  Molekularbewegung  der  Luft  eine 
Temperaturabnahme  nach  oben  bewirke,  mit  der  Tendenz  zur  Er- 
zeugung eines  Temperaturgefälles  von  1.4^  pro  100  wi,  aus  Beob- 
achtungen, hatte  Prof.  Schmidt  kaum  erwartet,  da  es  zweifelhaft,  war, 
ob  es  je  möglich  sein  werde,  durch  meteorologische  Beobachtungen 
labile  Lagemngen  der  Luft  zu  entdecken,  ohne  dass  für  deren  Ent- 
stehung andere  Ursachen  wie  erhöhte  Temperatur  des  Erdbodens 
oder  durch  Kondensation  des  Wasserdampfes  erzeugte  Unregelmässig- 


^)  Gerlands  Beiträge  zur  Geophysik  5.  Heft  3.  p.  889. 
')  ebenda  4«  p.  1.  ^ 


SIC  Die  Lufthülle  im  allgemeinen. 

keiten  angenommen  werden  könnten.  Möglichste  Entfernung  der 
Beobachtungsstelle  vom  Erdboden  und  von  den  wolkenführenden 
Schichten  erschien  als  Hauptbedingung;  kaum  konnte  aber  gehofft 
werden,  dass  in  solchen  Höhen  die  herrschenden  horizontalen 
Strömungen  eine  genügend  grosse  Überschreitung  des  indifferenten 
Lagerungszustandes  zustande  kommen  lassen  werden,  um  sie  zu 
beobachten. 

Jetzt  berichtet  nun  Berson  (in  den  »Wissenschaftlichen  Luft- 
fahrtent  3.  p.  128)  über  Fälle  von  beobachtetem  labilen  Gleich- 
gewichte in  grosser  vertikaler  Erstreckung,  welche  für  die  theoretische 
Deduktion  von  Prof.  Schmidt  höchst  wichtig  und  bestätigend  erscheinen 
und  von  diesem  diskutiert  werden.  Besonders  gehören  hierzu  Fälle 
adiabatisch  rascher  Temperaturabnahme,  welche  bei  einer  Anzahl 
hoher  Fahrten  in  dem  allerobersten  Teile  der  durchmessenen  Luft- 
säule angetroffen  wurde.  Unter  sechzehn  derartigen  Aufstiegen  mit 
mindestens  5000  m  Höhe  zeigen  nicht  weniger  als  neun  in  dem 
obersten  250 — 500  m  Schichtenmittel  eine  Abnahme  der  potentieUen 
Temperatur,  d.  h.  eine  Überschreitung  des  Gleichgewichtsgrenzwertes 
des  Temperaturgefälles  von  0.99^  pro  100  m.  Von  diesen  neun 
Fällen  rapider  Temperaturabnahme  in  Höhen  von  5000 — 9000  m 
wurden  sechs  in  Anticyklonen,  einer  im  Übergangsgebiete,  auch  noch 
bei  schönem  ruhigen  Wetter,  eher  von  Hochdruckcharakter,  und  nur 
zwei  bei  cyklonischer  Wetterlage  beobachtet. 

DieVertelluDgr  der  atmosphärischen  Ionen  in  den  höhern 
Luftschichten*  Die  Untersuchungen  von  Lenard  führten  darauf,  die 
höchsten  Schichten  der  Atmosphäre  als  möglichen  Ursprungsort  der 
Ionen  anzusehen.  Beobachtungen^)  im  Gebirge  zeigen  in  der  That  ein 
Zunehmen  der  Entladungsgeschwindigkeiten.  Auf  Bergspitzen  über- 
wiegt die  Entladungsgeschwindigkeit  für  negative  Ladungen  des 
Zerstreuungskörpers  a.  bedeutend  diejenige  der  positiven  Ladungen 
84.;  das  Verhältnis  q  =  a_/ac{-  nimmt  sehr  grosse  Werte  an,  während 
es  in  der  Ebene  nur  wenig  mehr  als  1  beträgt.  Dieses  >  unipolare  c 
Leitvermögen  der  Luft  über  Berggipfeln  muss  aber  auf  die  Thatsache 
zurückgeführt  werden,  dass  der  Erdkörper  im  Vergleiche  zum  Luft- 
räume dauernd  elektrisch  geladen,  und  zwar  vorwiegend  negativ 
geladen  ist.  Die  Berge  wirken  dann  wie  Spitzen;  die  negative 
Erdelektrizität  wird  sich  auf  ihnen  besonders  dicht  anhäufen;  aus 
der  umgebenden  Luft  werden  daher  die  -|-  Ionen  herangezogen,  und 
ein  —  geladener  Zerstreuungskörper  wird  rascher  entladen  als  ein 
-f*  geladener,  für  den  die  zur  Neutralisation  seiner  Elektrizität 
nötigen  —  Ionen  von  der  Erdladung  aus  der  Umgebung  der  Berg- 
spitze fortgetrieben  werden.  Eine  Entscheidung  der  Frage,  ob  und 
in   welchem  Sinne   sich   das   elektrische  Leitvermögen   der  Luft  mit 


^)  vgl.  dieses  Jahrbuch  12.  p«  407. 


Die  Lufthülle  im  allgemeinen.  311 

der  Höhe  ändere,  kann  nur  durch  Messungen  der  Zerstreuung  bei 
Ballonfahrten  herbeigeführt  werden,  wie  dies  Elster  und  Gheitel  schon 
in  einer  ihrer  ersten  Arbeiten  hervorhoben.  Zu  diesem  Zwecke  hat 
Prof.  Ebert  von  München  aus  3  Freifahrten  unternommen,  und  zwar 
bei  möglichst  verschiedenen  Witterungslagen,  um  womöglich  sogleich 
darüber  ein  Urteil  zu  gewinnen,  inwieweit  der  lonengehalt  von 
den  meteorologischen  Bedingungen  abhangt,  und  insbesondere  inwie- 
weit die  Ionen  in  die  Zirkulationsprozesse  des  Luftmeeres  mit  hinein- 
gezogen werden. 

Die  Resultate  dieser  3  Ballonfahrten  fasst  Prof.  Ebert  in  folgender 
Weise  zusammen:^) 

1.  Luftelektrische  Messungen  nach  der  neuen  von  Elster  und 
Geitel  ausgearbeiteten  Methode  sind  im  Freiballon  mit  genügender 
Sicherheit  und  mit  verhältnismässig  geringer  Mühe  neben  den  sonst 
üblichen  meteorologischen  Beobachtungen  ausführbar. 

2.  Mit  zunehmender  Höhe  ergiebt  sich  auch  unabhängig  von  der 
unipolaren  Einwirkung  des  Erdkörpers,  wie  sie  sich  besonders  bei 
Bergbeobachtungen  störend  bemerklich  macht,  eine  unzweifelhafte  Zu- 
nahme der  Zerstreuungsgeschwindigkeit 

3.  Die  untern  Luftschichten  können  sich  bis  hinauf  zu  3000  m 
Höhe  qualitativ  insofern  den  dem  Boden  unmittelbar  anliegenden 
ähnlich  verhalten,  als  auch  in  ihnen  im  freien  Lufträume  die 
—  Ladungen  schneller  als  die  -f"  zerstreut  werden. 

4.  In  grössern  Höhen  scheint  sich  mit  der  Zunahme  der  ab- 
soluten lonenzahl  diese  unipolare  Leitfähigkeit  mehr  und  mehr  dahin 
auszugleichen,  dass  beide  Ladungsarten  etwa  gleich  schnell  zerstreut 
werden. 

5.  In  trockener  klarer  Luft  ist  das  Zerstreuungsvermögen  in  der 
Höhe  gerade  so  wie  am  Erdboden  gross;  in  dem  Grade,  wie  der 
Wasserdampfgehalt  zunimmt,  und  ganz  besonders,  wenn  dieser  sich 
dem  Kondensationspunkte  nähert  oder  gar  in  Form  feiner  Nebel- 
bläschen ausfällt,  wird  die  Entladungsgeschwindigkeit  für  beide 
Zeichen  erheblich  herabgesetzt. 

6.  Durch  Einbauen  des  Zerstreuungsapparates  in  einen  gleich- 
namig geladenen  Fangkäfig  lässt  sich  die  Zerstreuungsgeschwindigkeit 
für  beide  Vorzeichen  erheblich  steigern;  so  wurde  in  2375  m  Höhe 
eine  23  mal  so  grosse  Entladungsgeschwindigkeit  für  -f-  beobachtet, 
als  dasselbe  Instrument  am  Boden  (nach  Ausweis  eines  Vergleichs- 
instrumentes) mit  Käfig  ergeben  haben  würde.  Dabei  dürfte  die 
Genauigkeit  nur  unbeträchtlich  vermindert  sein;  dagegen  wird  der 
Vorteil    erreicht,    dass    die    Zahl    der  Einzelbestimmungen   erheblich 

I  gesteigert  werden  kann. 

7.  Bei   der   dritten   Fahrt  haben   sich   sehr  grosse  Beträge  der 
I                  Zerstreuung  in  der  Höhe  ergeben,   offenbar  unter  der  Wirkung  einer 


^)  Gerland,  Beiträge  zur  Geophysik  &•  8.  Heft  p.  887. 


101  ipitriitiiifyi;^ 


Luftklarheit  und  ab- 
Höhenluft  dem  In- 

nicht  nachweisbar. 


,^ 


iQ#!  SttifiittasTStemperaturen 
w^  tt|§ben  Wetterberichten 

M'<#^Vl|itlichen  Berichten,    deren 
Siirlich  von  den  grossem 

^^^P^H^flt^^   j^^^^^^®^  Tempera- 

llJPpl^l^l^on  2  Uhr  nachmittags. 

Liüii  IQ:  iiL  fi§treffenden  Temperaturen 

^     '  desselben  Tages  sind, 

emperaturen   zur  Hand 

^on    der  Seewsgrte   ver- 

Ifl^ihtungen  um  8  Uhr  nach 

--    -^M''.:-rw  .^^  mß'J9^^^   taglichen   Berichten 

|^^^"^^^i^^lC^ll^  Zeit  an- 

|Sb^;d^^pi^i^ig«£wIelle  einer  Neuberechnung 

C^I€C?gäi£r:^^ß{^ürt,^)  und   zwar   gestützt 

^,. .. -^-..    J6:i:^1890.     Sie   folgt  hier: 

O»-»  qO^  «OD  •  •  OO  •  •  OO  •  «^B  «Ig-  «^*  «^*  «^* 

'*:i|i^i:isi:ibciBtiB|tÄätiB5iGH  8*  v.  m.  lz. 

^•J^'.i^m       Uu/       ,^^>^         ^^^         U^         SJ^         \*it         SJ^ 


Ksa^g 


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X^.tE 


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Ä'i'*:^^ ■^'*  -"*' i.'T>'-  /j^v u^-  J1^,u  *^^  <;77* 

^iiili*  -S^;  ■  =  g\  ^        "  ™*  '^■J,'^  *>-:>  Aj^fr 
1!^      .  ^     «Hl      ^      09     ea     ßff     e* 


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If'grÄ^Äihe  40  jährige  Periode 

S^öc^S^-^JM^pat^temperatur  abgeleitet, 

...»«..^«pyt— ff^ ^^„w-^ ^-^ISsJiiffigaS^fcfii'rä.uch  hier  folgen  möge. 

•S»;'*^  •Igf'y  •i?»;'^  •i?S?i*  «aSt*  •3S£*  •  «» •  «i^:*  2  Ä I     ^    •  «U9  •  «^W;»  "i^i* 
«ir»»    ■    «iC^^vir»-^    S«.   ■      00      S      »a      4»      oo      f|    «ifS«» 

Bfl^  ^^^  JSSJi-Jta£/^^^^^  t  oo  •  -S»  «äifc»  •'äv»  •«&•  "S*   ^ 


lie  Periode  1851-1890. 


'i^*--.^*  V^,*^S-  :?:r^^i&''  -C?-  -^-    'i^^  ßo  '^(ä>    .«.^    K 


16.5 
16.6 
16.8 
16.1 
16.7 
16.9 
16.5 
16.6 
16.7 
16.5 
16.3 
16.8 
16.9 
16.5 
17.2 
17.6 
16.2 
18.2 
16.3 
17.4 
18.2 
18.1 
18.3 
18.5 
17.4 
17.3 
16.4 
10.2 


13.1 
13.1 
13.7 
13.4 
13.9 
14.0 
13.6 
13.6 
14.2 
14.5 
13.6 
14.3 
14.4 
L3.7 
14.3 
14.5 
13.2 
14.8 
13.3 
14.2 
14.2 
15.0 
14.7 
14.9 
14.1 
13.7 
12.8 
8.1 


7.9 
7.6 
8.0 
8.4 
8.7 
9.3 
9.3 
9.0 
9.9 

10.4 
9.3 

10.1 
9.9 
8.8 
9.5 
9.0 
8.5 
9.5 
8.1 
9.0 
8.8 
9.3 
9.4 
9.5 
9.2 
8.3 
7.6 
4.0 


2.3 
1.8 
2.4 
2.9 
3.0 
3.8 
4.3 
3.6 
4.4 
5.7 
4.1 
4.8 
4.8 
4.0 
4.4 
3.6 
3.0 
3.8 
2.4 
2.9 
4.6 
4.9 
4.7 
4.3 
3.6 
2.5 
1.6 
-1.0 


-1.5 

-1.9 

-0.7 

-0.1 

0.0 

1.1 

1.8 

0.9 

2.1 

3.2 

1.5 

2.3 

2.3 

1.0 

1.7 

0.4 

—0.1 

0.8 

—1.3 

-0.9 

1.4 

1.0 

1.0 

0.9 

-0.3 

-1.0 

—2.1 

-3.8 


814  Lufttemperatur. 

seit  mehrem  Jahren  eifrig  studiert  worden.  Von  diesen  Ballons 
haben  nicht  weniger  als  236  Höhen  von  11  km  und  darüber  erreicht, 
74  sogar  Höhen  bis  zu  14  km.  Als  Hauptergebnisse  dieser  Unter- 
suchungen teilt  der  französische  Forscher  nach  der  Meteorologischen 
Zeitschrift^)  folgendes  mit: 

1.  Die  mittlere  Wärmeabnahme  nimmt  von  den  tiefem  zu  den 
hohem  Schichten  zu,  wie  schon  bekannt,  und  erreicht  nahe  die- 
jenige bei  der  adiabatischen  Ausdehnung  der  Luft  (d.  i.  0.8  und 
darüber).  Hierauf  aber,  und  das  ist  das  Neue,  nin^mt  sie  wieder 
rasch  ab,  um  in  einer  mittlem  Höhe  von  circa  11  km  nahezu 
Null  zu  werden. 

2.  Oberhalb  einer  mit  den  atmosphärischen  Zustanden  schwanken- 
den Höhe  von  8 — 12  km  beginnt  eine  Zone,  welche  durch  sehr 
langsame  Wärmeabnahme  charakterisiert  wird,  ja,  es  kommen  selbst 
geringe  Temperaturumkehrungen  vor.  Die  Mächtigkeit  dieser  Zone 
hat  sich  noch  nicht  konstatieren  lassen,  nach  den  jetzt  vorliegenden 
Beobachtungen  erreicht  selbe  mindestens  mehrere  Kilometer. 

Nach  den  jetzigen  Beobachtungen  erreicht  die  Höhe  der  Zone, 
wo  die  Inflexion  der  Kurve  der  Temperaturabnahme  beginnt,  ihren 
grössten  Wert  von  8 — 9  km  oberhalb  der  Barometerdepressionen 
(an  der  Erdoberfläche),  während  in  den  Gebieten  der  Barometer- 
maxima  diese  Zone  erst  in  grossem  Höhen  zu  finden  ist.^) 

Es  ist  den  fortgesetzten  Bemühungen  Teisserenc  de  Borts  ge- 
lungen, Papierballons  mit  Registrierinstrumenten  selbst  bei  schlechtem 
Wetter  bis  zu  Höhen  von  13 — 14  km  aufsteigen  zu  lassen  und  zu- 
gleich die  Registrierthermometer  äusserst  empfindlich  zu  machen. 

Einer  Tabelle,  die  er  zum  Schlüsse  seiner  kurzen  Mitteilung 
giebt,  entnimmt  Prof.  J.  Hann  (durch  Zusammenfassung  in  Mittel- 
werte) die  folgenden  Daten: 

Barometer-      ßarometer- 

Höhe  der  isothermen  Zone 11.9  10.8  km 

Höhe  der  Zone  mit  einer  Temperatur- 
abnahme unter  0.4®  pro  100  m     .    .  11.1  9.6  Am 

Höhe  der  Zone  des  Maximums  der  Wärme- 
abnahme       8.3  7.9  Xcm 

Temperaturabnahme  daselbst  (pro  100  m)  0.91  0.90  km 

Eine  wärmere  Luftströmung  in  10 — 15  km  Hölie.  Durch 
die   Beobachtungen   in   LuftbaUons.  ist  seit   längerer   Zeit  erwiesen, 


^)  Compt  rend.  134.  1902.  April  28.  Meteorologische  Zeitschr.  1902. 
p.  278. 

*)  In  einer  Seehöhe  von  12  km  etwa,  wo  der  Luftdruck  nur  noch 
154  mm  circa  ist,  wird  die  thermometrische  Wärmeleitungsfähigkeit  der 
Luft  schon  rund  fünfmal  grösser  als  bei  760m,  beträgt  demnach  0.173X5=0.865, 
kommt  also  jener  des  Kupfers  schon  sehr  nahe.  Wenn  sich  deshalb  in 
solchen  Höhen  stagnierende  Luftmassen  finden,  oder  nur  Strömungen  im 
gleichen  Niveau  vorkommen,  so  müssen  dieselben  in  vertikaler  Richtung 
bald  nahezu  isotherm  werden. 


Lufttemperatur.  315; 

dass  die  Temperatur  der  Luft  durchschnittlich  mit  der  Höhe  über 
dem  Boden  abnimmt,  und  zwar  bis  zu  Kältegraden,  die  so  be- 
trächtlich oder  noch  bedeutender  sind  als  die  niedrigste  Temperatur 
im  nordöstlichsten  Sibirien.  Indessen  fand  sich  auch,  dass  die 
Wärmeabnahme  der  Luft  nach  oben  hin  keineswegs  regelmässig 
erfolgt,  sondern  mehr  oder  weniger  rasch,  und  endlich  ergaben  die 
direkten  Beobachtungen  in  Ballons  bis  zu  9000  m  Höhe  nach  den 
Untersuchungen  von  Berson  und  Süring  das  Vorhandensein  von  vier 
Luftschichten,  die  sich  durch  Eigentümlichkeiten  der  Temperatur,  der 
Feuchtigkeit  und  der  Bewegung  unterscheiden,  und  deren  oberste 
durch  nahezu  adiabatisches  Temperaturgefälle,  geringen  Qehalt  an 
Wasserdampf  und  beträchtliche  Windgeschwindigkeit  charakterisiert 
ist  Berson  machte  indessen  darauf  aufmerksam,  dass  die  Temperatur- 
abnahme der  hohem  Atmosphärenschichten  von  nahezu  PC.  auf 
100  m  Höhenzunahme  schon  in  80  Am  Höhe  auf  —  278^  C,  d.  h. 
auf  den  absoluten  Nullpunkt  der  Temperatur  führen  würde,  was  un- 
annehmbar sei,  daher  müsse  man  annehmen,  dass  die  Wärmeabnahme 
nach  oben  später  langsamer  werde.  Auch  weisen  Berson  imd 
V.  Bezold  darauf  hin,  dass  der  Begriff  » Lufttemperatur c  bei  einer 
weitem  Entfernung  von  der  Erde  überhaupt  hinfällig  werde,  und 
dass  schon  bei  den  alleräussersten  Verdünnungen  nur  die  Wärme- 
absorption und  -Omission  des  thermometrischen  Körpers  in  Frage 
komme,  während  die  Wärmeleitung  ausserordentlich  zurücktrete. 
Anderseits  legt  aber  das  vielfach  festgestellte  Vorkommen  von 
Cirraswolken  in  Höhen  von  10 — 15  km  den  Schluss  nahe,  dass  in 
diesen  Regionen  jener  Verdünnungszustand  noch  keineswegs  erreicht 
ist,  zumal  dort  noch  Wasserdampf  und  Staubkörperchen  genug  vor- 
handen sind,  um  diese  Wolkengebilde  zu  erzeugen.  Nun  hatte  man 
nach  dem  Vorgange  von  Hermite  und  Besan^on  in  Paris  gelernt, 
kleinere  Ballons,  die  nur  Registrierapparate  tragen,  in  die  fraglichen 
Höhen  emporzuschicken,  und  musste  von  deren  Aufzeichnungen  eine 
Lösung  dieser  wichtigen  Frage  erwarten.  In  der  That  liessen  schon 
die  ersten  Versuche  dieser  Art  nicht  nur  eine  Verminderung  der 
Temperaturabnahme  in  den  grössten  Höhen,  sondern  sogar  eine  ganz 
ausserordentliche  Zunahme  wahrnehmen,  die  bei  manchen  Aufstiegen 
30^  und  mehr  betrag.  Bald  aber  wurde  sie  als  ein  Produkt  der 
Sonnenstrahlung  und  deshalb  als  irrtümlich  erkannt. 

Die  Bemühungen,  diese  Wirkung  der  Sonnenstrahlen  auf  die 
Thermometer  der  Ballons  zu  verhindem,  haben  Prof.  Assmann  in 
Berlin  zur  Konstruktion  des  Aspirationspsychrometers  geführt,  bei 
welchem  eine  auch  in  grossen  Höhen  genügende  künstliche  Aspiration 
von  Luft  hergestellt  wird.  Allein  unter  den  aussergewöhnlichen 
Verhältnissen  sehr  grosser  Höhen  funktionierten  diese  sinnreichen 
Apparate  nicht  ununterbrochen  und  ausreichend.  Prof.  Assmann 
versuchte  deshalb,  auf  einem  andern  Wege  zum  Ziele  zu  gelangeUf 
und  hat  darüber,    sowie   über   die   erhaltenen  Resultate  der  Königl. 


816  Lufttemperatur. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin  berichtet^)  Prof.  Assmann 
geht  davon  aus,  dass  ein  abgeschlossener  Ballon,  der  ein  veränder- 
liches Volumen  besitzt,  wie  z.  B.  ein  aus  elastischem  Paragummi 
hergestellter,  mit  dem  ihm  gegebenen  Anfangsauftriebe  so  lange  weiter 
steigt,  bis  er  zerplatzt,  er  findet  also  keine  Gleichgewichtslage.  Bei 
genauerer  Überlegung  sieht  man  femer,  dass  seine  Aufstiegsgeschwindig- 
keit mit  zunehmender  Höhe  sogar  nicht  unbeträchtlich  wachsen  muss, 
indem  die  Dichte  der  Luft  schneller  abnimmt,  als  seine  Oberfläche 
zunimmt:  der  Luftwiderstand,  den  er  erfährt,  muss  deshalb  kleiner 
werden,  und  zwar  ergiebt  eine  Rechnung,  dass  die  Aufstiegsge- 
schwindigkeit etwa  proportional  dem  Durchmesser  des  Ballons  wächst. 
Bei  einem  Luftdrucke  von  95  mm,  entsprechend  einem  Achtel  des 
Atmosphärendruckes  und  gegen  15  000  m  Höhe  über  dem  Boden,  ist 
der  Durchmesser  eines  Gummiballons  doppelt  so  gross  als  beim 
Verlassen  der  Erde,  und  seine  Vertikalgeschwindigkeit  ebenfalls  nahezu 
die  doppelte.  Giebt  man  ihm  durch  Einfüllen  einer  entsprechenden 
Gasmenge  an  der  Erdoberfläche  eine  Anfangsgeschwindigkeit  von 
I  5  m   per   Sekunde,    so   beträgt   dieselbe   in   15  /cm  Höhe  10  m  per 

Sekunde.  Trifft  man  ferner  eine  solche  Einrichtung,  dass  das 
Thermometer  gegen  die  direkte  Sonnenstrahlung  durch  ein  hoch- 
glanzpoliertes Doppelrohr  geschützt  ist,  analog  wie  bei  dem  Aspirations- 
thermometer, und  giebt  dem  Ballon  eine  solche  Aufstiegsgeschwindig- 
keit, dass  ein  kräftiger  Luftstrom  durch  das  oben  und  unten  offene 
und  trichterförmig  erweiterte  Strahlungsschutzrohr  und  an  dem  von 
ihm  umschlossenen  Thermometer  vorüberführt,  der  stark  genug  ist, 
um  jeden  Strahlungseinfluss  zu  beseitigen,  so  hat  man  eine  »natürliche 
Ventilation  c,  die  während  des  ganzen  Aufstieges  und  bis  zur  grössten 
Höhe  in  zunehmendem  Betrage  wirksam  ist 

Sobald  der  Ballon  platzt,  beginnt  natürlich  sofort  der  Absturz, 
den  man  durch  einen  kleinen  Fallschirm  so  weit  ermässigen  kann, 
dass  der  Apparat  ohne  ernstliche  Beschädigung  an  der  Erdoberfläche 
ankommt.  Während  des  Falles  tritt  der  umgekehrte  Vorgang  ein, 
indem  in  den  hohem  Schichten  ein  schnelles,  mit  der  zunehmenden 
Luftdichte  sich  verlangsamendes  Fallen  erfolgt. 

Man  erkennt  leicht,  sagt  Assmann,  die  wesentlichen  Vorteile 
dieser  Methode,  wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  dass  bei  ihr  eine 
im  gleichen  Sinne  mit  der  Strahlungsintensität  wachsende  Ventilation, 
sowohl  bei  dem  Auf-  wie  dem  Abstiege,  stattfindet,  während  sich 
bei  einem  Ballon  mit  unveränderlichem  Volumen  umgekehrt  die 
Ventilation  verringert  und  schliesslich  dort  gleich  Null  wird,  wo  die 
Strahlungsintensität  ihr  der  erreichten  Höhe  entsprechendes  Maximum  hat. 

Als  Prof.  Assmann  die  von  solchen  Gummiballons  herabge- 
brachten Aufzeichnungen  untersuchte,  Hessen  sich  in  allen  denjenigen 
Fällen,    in   denen   die   Ballons   eine   Höhe   von  10  Äwi  überschritten 


^)  Sitzber.  d.  Preuas.  Akademie  der  Wiss.  1902.  28.  24.  p  495. 


Lufttemperatur.  317 

hatten,  un2weif elhafte  Zeichen  für  das  Vorhandensein  einer  Temperatur- 
umkehr  oberhalb  dieser  Grenze  erkennen. 

Prof.  Assmann  hat  genauer  die  Aufzeichnungen  von  6  Registrier- 
ballons, die  im  Jahre  1901  emporgesandt  wurden  und  12  km  Höhe 
erreichten  oder  überschritten,  untersucht.  Die  Aufstiege  fanden  statt 
am  10.  April  bis  zu  13  km  Höhe,  am  4.  und  11.  Juli  bis  zu  12.5, 
am  31.  Juli  bis  zu  17.5,  am  1.  August  bis  zu  13.5  und  am  7.  No- 
vember bis  zu  12  Am  Höhe.  Die  Auswertung  der  aufgezeichneten 
Temperaturen  nach  Stufen  von  je  500  m  Höhenzunahme  ergab  nun 
sehr  interessante  Resultate.  »Man  bemerkt  zunächst,  c  sagt  Prof. 
Assmann,  »dass  bei  den  Aufstiegen  vom  4.  Juli  und  1.  August  in 
den  untersten  Schichten  eine  Zunahme  der  Temperatur  mit  der  Höhe 
stattgefunden  hat,  und  ersieht  aus  den  Aufstiegszeiten,  dass  diese 
Erscheinung  ausschliesslich  den  frühen  Morgenstunden  vor  Sonnen- 
aufgang eigentümlich  ist:  sie  stellt  sich  als  ein  Produkt  der  nächt- 
lichen Bodenausstrahlung  bei  heiterem  Himmel  dar. 

In  den  Schichten  über  1000  m  Höhe  findet  man  diese  Temperatur- 
inversion nicht  mehr,  wohl  aber  wiederholt  sehr  kleine  Gradienten, 
die  einer  Isothermie  nahe  kommen,  zwischen  erheblich  grossem:  sie 
bezeichnen  die  thermischen  Schichtungen  der  Atmosphäre  und  fallen 
meist  mit  der  obem  Grenze  von  Wolkendecken  zusammen.  Sie  sind 
den  untern  und  mittlem  Regionen  eigentümlich. 

In  den  beträchtlichem  Erhebungen,  und  zwar  oberhalb  von 
5 — 7  kmt  werden  allgemein  die  Gradienten  gleichmässiger  und  er- 
heblich grösser,  in  einigen  FäUen  wird  der  adiabatische  Grenzwert 
für  trockene  Luft,  1^  per  100  m,  überschritten,  und  zwar  findet  dies 
ausschliesslich   in   den  grossen  Höhen  zwischen  6  und  10  km  statt. 

Oberhalb  dieser  Zone  ausserordentlich  starken  thermischen  Ge- 
fälles beginnt,  schon  auf  den  ersten  Blick  erkennbar,  ein  neues 
Regime,  das  sich  entweder  in  einer  schnellen  Verminderung  der 
Gradienten  bis  zur  Isothermie  oder  in  dem  Auftreten  einer  mehr  oder 
weniger  intensiven  Temperaturinversion  verrät 

Betrachten  wir  nun  unter  diesem  Gesichtspunkte  die  einzelnen 
Aufstiege  etwas  nähen 

Am  10.  Aprü  begann  oberhalb  verhältnismässig  geringer  Gradienten 
ziemlich  unvermittelt  bei  10  km  Höhe  eine  Temperaturumkehrung; 
bei  10500  m  Höhe  war  ihr  Betrag  am  grössten  und  nahm  bis  zu 
13  km  Höhe  völlig  gleichmässig  ab.  Die  hier  gefundene  Temperatur 
von  —  35^  war  derjenigen  gleich,  die  vorher  bei  7800  m  aufgezeichnet 
worden  war,  und  sie  war  um  9.4^  höher  als  die  bei  9500  m  registrierte. 
Aus  der  sehr  gleichmässigen  Verminderung  des  positiven  Gefälles 
könnte  man  schliessen,  dass  bei  15  km  volle  Isothermie  und  viel- 
leicht bei  18 — 19  km  wieder  die  Temperatur  der  Höhe  9500  m  an- 
getroffen sein  würde,  wenn  der  Ballon  weiter  emporgedrungen  wäre. 
«  Im  vorliegenden  Falle  ist  aber,  gegensätzlich  zu  allen  den 
folgenden,  der  Gummiballon,  der  nur  einen  Durchmesser  von  1200  mm 


318  Lufttemperatur. 

besass,  nicht  geplatzt;  er  hat  viebnehr  eine,  wenn  auch  nur  kurz- 
währende Gleichgewichtslage  gefunden,  in  welcher  er  mit  einer 
Geschwindigkeit  von  etwa  40  m  per  Sekunde  nach  Nordost  getrieben 
ist.  In  lehrreicher  Weise  lässt  die  hierbei  gezeichnete  Eunre  den 
mächtigen  Einfluss  der  Sonnenstrahlung  darin  erkennen,  dass  die 
Temperatur  während  der  Zeit  der  mangelnden  Vertikalbewegung  und 
Ventilation  bis  auf  —  24^  gestiegen,  aber  bei  dem  infolge  von  Gas- 
verlust allmählich  schneller  werdenden  Fallen  genau  wieder  der  Spur 
der  Aufstiegsregistrierung  gefolgt  ist 

Am  4.  Juli  setzte  nach  einer  ganz  ausserordentlich  schnellen 
Abnahme  zwischen  9000  und  10500  m  Höhe  eine  Temperaturumkehr 
bei  11  Am  Höhe  ein;  dieselbe  stieg  dann  und  ging  bis  zu  12  km 
Höhe  wieder  zurück.  Auch  in  diesem  Falle  wird  man  eine  isotherme 
Schicht  bei  etwa  14  km  und  die  Wiederkehr  der  ungewöhnlich  tiefen 
Temperatur  der  untern  Grenze  der  Umkehr  (fast  —  60*^)  bei  16 — 17  km 
vermuten  können.  Die  höchste  registrierte  Temperatur  lag  um  7.7^ 
über  der  darunter  gefundenen  tiefsten. 

In  diesem  Falle  ist  der  Ballon,  der  einen  Durchmesser  von 
1500  mm  hatte,  unzweifelhaft  in  der  grössten  Höhe  geplatzt,  wie 
aus  den  die  Abstiegkurve  durchkreuzenden  Federspuren  mit  Sicher- 
heit zu  erkennen  ist;  dieselben  rühren,  wie  experimentell  festgestellt 
worden  ist,  von  dem  Flattern  des  Ballonstoffes  her,  der  nach  dem 
Platzen  als  ein  formloser  Lappen  an  dem  Fallschirme  hängt  und, 
dessen  gleichmässige  Entfaltung  hindernd,  starke  Pendelungen  des 
Apparates  hervorruft. 

Am  11.  Juli  wurde  ein  Gummiballon  von  1800  «im  Durchmesser 
verwandt,  der  mit  4  dnn  Wasserstoffgas  gefüllt  war;  da  sich  aber 
sein  Aufstieg  längere  Zeit  verzögerte,  war  wohl  sein  Gas  durch 
Diffusion  so  verschlechtert,  dass  er  nur  mit  einem  massigen  Auf- 
triebe stieg.  Nachdem  er  in  7 — 8  km  Höhe  eine  ausserordentlich 
grosse  Temperaturabnahme  angetroffen  hatte,  verminderte  sich  diese 
mit  einigen  Schwankungen  von  10  A:m  Höhe  an  beträchtlich  und 
ging  zwischen  11  und  12  Arm  in  volle  Isothermie  über;  da  er  hier 
schon  platzte,  erreichte  er  die  wahrscheinlich  in  grösserer  Höhe 
liegende  Inversionsschicht  nicht 

Am  31.  Juli,  dem  Tage  der  grossen  Hochfahrt  der  Herren 
Berson  und  Süring,  die  nahezu  bis  zur  Höhe  von  1 1  000  m,  d.  h. 
bis  zu  unserer  kritischen  Temperaturumkehrsschicht,  reichte  (leider 
waren  in  dieser  Höhe  beide  Forscher  bewusstlos,  so  dass  keine  Be- 
obachtungen vorliegen),  stieg  abermals  ein  Gummiballon  von  1800  mm 
Durchmesser  auf.  An  dem  ungewöhnlich  warmen  Tage  reichten  die 
Schichtungen  in  sehr  grosse  Höhen  hinauf,  was  auch  von  den  Be- 
obachtern im  Freiballon  festgestellt  wurde.  Der  thermische  Gradient 
überschritt  bei  10  und  11  ^  nicht  den  adiabatischen  Grenzwert, 
sank  aber  darüber  schnell  bis  zur  Isothermie  in  12  A»»  Höhe  herab^ 
um  nun  in  eine  äusserst  gleichmässige  Temperaturzunahme  um  5.2^ 


Lufttemperatur«  319 

überzogehen,  die  bis  zur  Höhe  von  15000tii  reichte.  Leider  verlieas 
hier  die  Registrierfeder  das  Papier  an  seinem  obem  Rande.  Da 
indes  bei  dem  Wiedereintritte  der  Kurve  auf  das  Registrierpapier 
nach  dem  unzweifelhaft  erfolgten  Platzen  des  Ballons  eine  um  2.5^ 
niedrigere  Temperatur  aufgezeichnet  wurde,  kann  man  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  schliessen,  dass  sich  der  Ballon  thatsächlich  der 
obem  Grenze  des  wärmern  Luftstromes  genähert  hat,  an  der  eine 
um  2.5^  niedrigere  Temperatur  den  Obergang  zu  einem  abermaligen 
negativen  Gradienten  verriet. 

Am  nächstfolgenden  Tage,  dem  1.  August,  wurde  abermals  ein 
Gummiballon  von  gleicher  Grösse  aufgelassen,  der  indes  schon  bei 
13  km  Höhe  platzte.  Er  fand  zwischen  9  und  \l  hn  Höhe  ein  die 
Adiabate  überschreitendes  Temperaturgefälle,  das  sich  bis  12  Am 
schnell  verminderte  und  darüber  unvermittelt  in  eine  starke  Temperatur- 
umkehr überging,  deren  Betrag  nur  zu  5.2^  gefunden  wurde,  da  der 
Ballon  keine  grössere  Höhe  erreichte. 

Am  7.  November  endlich  fand  ein  Gummiballon  von  1800  mm 
Durchmesser  eine  verhältnismässig  geringfügige  Schichtung  in  den 
untern  und  mittlem  Höhen,  aber  schon  bei  6  km  eine  sehr  starke 
Temperaturabnahme,  die  mit  geringen  Schwankungen  bis  zu  8500  m 
reichte,  sich  dort  aber  schnell  verringerte,  um  bei  10  ^  einer  vollen 
Isothermie  Platz  zu  machen.  Bei  1 1  500  m  schien  dieselbe  in  eine 
geringfügige  Temperaturzunahme  übergehen  zu  wollen,  die  jedoch, 
da  der  Ballon  bei  12  ^  platzte,  nicht  weiter  erforscht  wurde«. 

Das  sind  die  Thatsachen.  Li  einer  besondern  Tabelle  stellt 
Prof.  Assmann  die  einzelnen  Werte  zusammen  und  schliesst  daraus 
imter  Voraussetzung,  dass  die  Aufzeichnungen  der  Apparate  unbe- 
einflusst  von  der  Sonnenstrahlung  waren,  auf  die  Existenz  eines 
erheblich  höher  temperierten  Luftstromes  oberhalb  der  Zone  von 
10— 12  fem. 

Es  darf,  sagt  Prof.  Assmann,  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass 
auch  Herr  Teisserenc  de  Bort  in  Paris,  der  an  seinem  Observatoire 
in  Trappes  bereits  gegen  500  Registrierballons  (dort  Ballons-sondes 
genannt)  emporgeschickt  hat,  schon  vor  einigen  Monaten  Beweise  für 
eine  Verminderung  des  thermischen  Gradienten  oberhalb  10  km  bei- 
gebracht hat.  In  einer  kürzlich^)  erschienenen  Mitteilung  berechnet 
er  den  thermischen  Gradienten  dieser  Höhe  auf  —  0.3^  pro  100  m 
und  stellt  fest,  dass  dieses  Regime  bei  cyklonalem  Wettertypus  in 
10  km,  bei  anticyklonalem  in  13  /nn  Höhe  seinen  Anfang  nehme. 

Da  seine  Ballons  (er  benutzt  ausschliesslich  solche  aus  Papier 
von  50 — 60  dym  Inhalt)  die  oben  genannten  Missstände  des  mit  zu- 
nehmender Höhe  verlangsamten  Aufsteigens  besitzen  und  demnach 
auch  eine  Gleichgewichtslage  finden,  lasst  sich  ein  Beweis  des 
fehlenden  Strahlungseinflusses  nur  bei  denjenigen  Aufstiegen  erbringen, 


^)  Annuaire  de  la  societe  meteorologique  de  France  1902.  60.  p.  49. 


320  Lufttemperatur. 

die  während  der  Nachtzeit  ihre  grösste  Höhe  erreicht  haben.  Wegen 
der  erheblich  langem  Zeit  aber,  die  ein  allmählich  seiner  Gleich- 
gewichtslage zustrebender  Ballon  gebraucht,  um  seine  grösste  Höhe 
zu  erreichen,  kann  diese  Bedingung  nur  dann  als  erfüllt  gelten, 
wenn  der  Aufstieg  schon  3 — 4  Stunden  vor  Sonnenaufgang  vor  sich 
gegangen  ist,  oder  wenn  maji,  wie  dies  nach  dem  Vorschlage  des 
Verfassers  mittels  einer  Weckeruhr  geschehen  kann,  den  Aufstieg 
erheblich  unterhalb  der  Maximalhöhe  abbricht. 

So  erfreulich  nun  auch  diese  Bestätigung  der  von  Assmann  mit 
seiner  unzweifelhaft  vorteilhaftem  Methode  gefundenen  Ergebnisse 
ist,  so  ist  doch  darauf  hinzuweisen,  dass  dessen  Resultate  einen 
erheblichen  Schritt  weiter  gehen,  indem  er  nicht  nur  eine  Wieder- 
abnahme des  Temperaturgefälles,  sondern  eine  beträchtliche  Zunahme 
der  Temperatur  selbst,  also  einen  wärmern  Luftstrom,  feststeUen 
und  auch  in  einigen  FäUen  dessen  obere  Grenzschicht  erforschen 
konnte. 

Teisserenc  de  Bort  fügte  den  oben  erwähnten  vier  thermischen 
Schichten  Bersons  eine  fünfte  hinzu;  diese  ist  durch  Assmanns 
Experimente  nicht  nur  bestätigt,  sondern  in  ihrer  Wesenheit  als  ein 
absolut  wärmerer  Strom  erkannt;  ferner  ist  aber  auch  über  dieser 
eine  sechste  Schicht  der  Wiederabnahme  der  Temperatur  festgestellt 
worden. 

»Die  Ursachen  dieser  warmen  Strömung  zu  erörtern,«  sagt  Prof. 
Assmann,  »dürfte  verfrüht  sein:  es  liegt  nahe,  dieselbe  als  einen 
Teil  der  unzweifelhaft  vorhandenen  grossen  atmosphärischen  Zirku- 
lation anzusprechen,  die  den  obern  Zweig  des  Luftaustausches 
zwischen  dem  Äquator  und  den  Polen  vermittelt  Wenn  die  über 
den  tropischen  Meeren  unter  steter  Kondensation  ihres  Wasserdampfes 
zu  grossen  Höhen  aufgestiegenen  und  deshalb  relativ  warmen  Luft- 
massen auf  einer  nach  den  Polen  zu  schräg  abwärts  geneigten  Bahn 
fliessen,  so  würden  sie  ihren  durch  Leitung  und  Strahlung  erfolgen- 
den Wärmeverlust  durch  den  dynamischen  Vorgang  beim  Niedersinken 
wohl  ersetzen  und  auch  noch  in  höhere  Breiten  als  relativ  hoch- 
temperierte Strömung  vordringen  können. 

Durch  die  noch  nicht  erwähnte  Thatsache  aber,  dass  bei  mehrem 
unserer  Aufstiege  das  Vorhandensein  einer  hohen  Girrusdecke  in  an* 
genähert  gleicher  Höhe  festgestellt  werden  konnte,  wird  der  femere 
Schluss  nahegelegt,  dieselbe  in  einen  ursächlichen  Zusammenhang  mit 
unserer  Diskontinuitätsschicht  zu  bringen.  Die  neuem  Forschungen 
haben  unzweifelhaft  festgestellt,  dass  wohl  alle  geschlossenen  Wolken- 
decken in  den  verschiedenen  Höhen  mit  Diskontinuitäten  zusammen- 
fallen, mögen  dieselben  nach  der  geistvollen  Theorie  Hermann 
V.  Helmholtz*  unter  Wogenbildung  ein  Produkt  des  von  der 
Diskontinuität  erzeugten  labilen  Gleichgewichtes  sein,  oder  mögen, 
wie  Berson  und  Süring  nachgewiesen  haben,  die  Zonen  höherer 
Temperatur  den  aufsteigenden  Luftmassen  eine  Eondensationsgrenze 


Luftdruck.  821 

ziehen.  Wendet  man  diese  Erfahrungsresultate  auch  auf  die  hier 
nachgewiesene  sehr  beträchtliche  Diskontinuität  in  grosser  Höhe  an, 
so  liegt  kein  Grund  vor,  an  der  Möglichkeit  eines  derartigen  Zu- 
sammenhanges zu  zweifeln. 

Vielleicht  liefert  der  aus  den  tropischen  Meeren  stammende 
warme  Luftstrom  einen  Beitrag  von  Wasserdampf  zur  Kondensation, 
deren  Produkt  die  hohen  Girruswolken  sind.  Bei  der  Unsicherheit, 
die  zur  Zeit  noch  über  die  Entstehungsursachen  dieser  Wolken- 
gebilde herrscht,  dürfte  ein  jeder  Beitrag  zu  deren  näherer  Erforschung 
als  willkommen  anzusehen  sein.  Man  wird  dann  vielleicht  zu  einer 
scharfem  Unterscheidung  zwischen  hohen  Girren,  die  ein  Produkt 
der  obem  Allgemeinzirkulation  sind  und  mit  dieser  vorwiegend  aus 
westlicher  Richtung  ziehen,  und  tiefem  kommen,  die  mit  den  Drack- 
zentren  der  untem  und  mittlem  Regionen  in  ursächlichem  Zu- 
sammenhange stehen.  Der  Ausdruck  »falsche  Girren c,  den  man  häufig 
anwendet,  deutet  an  sich  schon  auf  eine  grundsätzliche  Unterscheidung 
der  Form  nach  hin.« 


Luftdruck. 

Ober  den  tägliehen  Gang  des  Luftdruckes  in  Moskau 

hat  Prof.  Dr.  Ernst  Leyst  an  der  Hand  der  Lamhert-Besselschen  Formel 
eine  genaue  Untersuchung  angestellt,  und  zwar  auf  Gmnd  stündlicher 
direkter  Beobachtungen.  Die  Vergleichung  der  neuen  Beobachtungs- 
reihe 1893—1899  mit  der  alten  1863—1867  führt  zu  dem  Ergebnisse, 
dass  der  tägliche  Luftdruckgang  in  Moskau  sekulären  Änderungen 
unterliegt,  und  zwar  treten  die  einzelnen  Teile  der  Tageskurve 
gegenwärtig  früher  ein  als  vor  30 — 35  Jahren.  Vor  7  Jahren  hat 
Verfasser  einen  ebensolchen  Schluss  aus  den  Petersburger  Beobach- 
tungen gezogen.  In  seiner  Arbeit:^)  »Untersuchungen  über  den  täg- 
lichen und  jährlichen  Gang  der  meteorologischen  Elemente  an  den 
Cyklonen-  und  Anticyklonentagen, «  hat  er  nachgewiesen,  dass  für 
Petersburg  in  der  Periode  um  1866  herum  die  spätesten  Eintritts- 
zeiten der  Extreme  waren,  die  vorher  und  nachher  auf  frühere  Stunden 
fielen,  und  zwar  betmg  der  Unterschied  durchschnittlich  1.2  Stunden. 
Von  derselben  Ordnung  ist  auch  die  Moskauer  Verschiebung,  die 
auch  in  demselben  Sinne  stattgefunden  hat.  Femer  zeigte  es  sich 
für  Petersburg,  dass  zur  Zeit  des  späten  Eintrittes  der  Tageskurve 
1)  niedriger  Luftdmck  herrschte,  was  für  Moskau  auch  gilt,  indem 
der  gegenwärtige  mittlere  Luftdmck  um  0,3  mm  höher  ist  als  der 
der  alten  Serie;  2)  dass  zur  Zeit  des  späten  Eintrittes  der  Tageskurve 
nicht  nur  der  Luftdruck  etwas  niedriger  war  als  jetzt,  sondem  auch 
die  Jahresamplitude  kleiner. 


^)  Repertorium  für  Meteorologie  16^  No.  8.  St.  Petersburg  1898. 
Klein,  Jahrbuch  XIIL  21 


322  Luftdruck. 

Bei  Berechnung  der  Konstanten  der  Besselschen  Formel  hat 
Verfasser  sämtliche  24  Koeffizienten,  die  man  nach  stündlicher  Be- 
obachtung überhaupt  berechnen  kann,  berechnet,  doch  muss  bezüglich 
dieses   ausführlichen  Teiles   auf  die  Arbeit  selbst  verwiesen  werden. 

Die  Veränderlichkeit  der  täglichen  Barometerbewesrungr 
auf  dem  hohen  Sonnblick  ist  von  A.  v.  Obermayer  an  der 
Hand  14  Jahre  umfassender  Untersuchungen  dargestellt  worden.^) 
Der  tagliche  Gang  des  Barometers  auf  hohen  Berggipfeln  ist  charak- 
terisiert durch  ein  Morgenminimum,  welches  sich  mit  der  Erhebung 
des  Gipfels  über  den  Meeresspiegel  vertieft,  während  das  tiefe  Nach- 
mittagsminimum der  Niederung  sich  mit  der  Höhe  verflacht  Das 
Abendmaximum,  welches  in  der  Niederung  unbedeutend  ist,  erhöht 
sich  mit  der  Erhebung  über  den  Meeresspiegel.  Für  den  Sonnblick 
speziell  ergeben  sich  nun  folgende  Thatsachen: 

Das  Morgenminimum  des  taglichen  Barometerganges,  welches 
im  Flachlande  um  4^  a  eintritt,  verspätet  sich  auf  dem  Sonnblick  in 
den  Monaten  Dezember  und  Januar  auf  15 — 20  Minuten  nach 
6^a,  es  weicht  in  den  Monaten  März  und  April  auf  6^a,  in  den 
Monaten  Mai  und  Juni  auf  5^  a  zurück.  In  den  Monaten  Juli,  August 
September  fällt  es  in  die  Zeit  zwischen  5^a  und  6^a,  im  Oktober 
und  November  auf  6^a.  Dieses  Morgenminimum,  im  Thale  wenig 
ausgeprägt,  wird  auf  den  Gipfelstationen  zum  Hauptminimum.  Das 
Vormittagsmaximum,  welches  im  Flachlande  um  10^  a  eintritt,  er- 
scheint auf  dem  Sonnblick  ebenfalls  verspätet,  und  zwar  schwankt 
es  je  nach  der  Jahreszeit  zwischen  ll^a  und  2^p.  Das  Nach- 
mittagsminimum, welches  im  Flachlande  als  Hauptminimum  um  4^p 
eintritt,  weist  auf  dem  Sonnblick  nur  sekundären  Charakter  auf.  Das 
Abendmaximum,  welches  im  Flachlande  als  sekundäres  Maximum  um 
10^  p  auftritt,  erlangt  mit  der  Erhebung  des  Beobachtungsortes  über 
dem  Meeresspiegel  den  Charakter  eines  Hauptmaximums,  eine  Er- 
scheinung, welche  sich  auf  dem  Sonnblick  recht  deutlich  ausspricht. 

Der  Verfasser  hat  im  weitern  Verlaufe  der  Arbeit  den  täglichen 
Gang  des  Barometers  auf  dem  hohen  Sonnblick  nach  der  Besselschen 
Formel  harmonisch  analysiert.  Einen  sehr  interessanten  Teil  der 
Arbeit  bildet  femer  die  Untersuchung  über  die  tägliche  Schwankung 
des  Barometers  an  heitern  und  trüben  Tagen.  Es  haben  sich  hier- 
bei folgende  Gesetzmässigkeiten  ergeben:  Das  Morgonminimum  tritt 
an  heitern  Tagen  früher  ein  als  an  trüben.  Im  Winter  ist  es  an 
trüben,  im  Sommer  an  heitern  Tagen  mehr  vertieft.  Das  Vormittags- 
maximum und  Nachmittagsminimum  zeigen  an  heitern  und  trübeh 
Tagen  ebenfalls  charakteristische  Unterschiede.  Das  Abendmaximum 
tritt  an  heitern  Tagen  etwas  verfrüht,  sehr  nahe  um  9^p  ein,  an 
trüben  Tagen  zur  normalen  Zeit  um  10^  p. 


^)  Sitzber.  d.  k.  k.  Akademie  d.  Wiss.  in  Wien  110.  Abt  Ha  p.  45. 


Wolken.  32S 

Wolken. 

Die  Wolkenbeobaehtungen  zu  Toronto  während  des 
Internationalen  Wolkenjahres  sind  in  ihren  Ergebnissen  nun- 
mehr veröffentlicht^)  Einen  das  Wesentliche  einschliessenden  kritischen 
Auszug  daraus  giebt  R.  Süring.^  Hiemach  wurden  vom  21.  September 
1896  bis  4.  Nov.  1897  rund  500  Einzelmessungen  gemacht,  welche  zu 
122  Mittelwerten  der  Höhe,  Richtung  und  Geschwindigkeit  der  Wolken 
zusammengefasst  sind.  Süring  giebt  folgenden  Auszug  aus  der  Tabelle: 

HShen  in  km 


Mittel 
Sommer  Winter 
Ol                10.90        9.98 
Oi-S              8.94        8.53 
a-Ca            8.88        8.25 
A-S               4.24        4.18 
A-Cu            8.62        2.50 
S-Ca             2.00        1.54 
Ca                 1.70        1.33 

Max.     Min. 
11.78       8.22 
10.63        7.08 
11.50       5.42 
5.14        2.47 
4.40        2.30 
2.99        1.06 
3.88        0.76 

Mittel* 
Som.  Wint.  M&x. 
40        23       61 
24        16       40 
20        30       53 
17        29       32 
15        27       36 
13        11       20 
8        11       25 

Min. 
14 

8 

1 

10 

4 
4 
3 

Zugriohtunff 
Sonmier      Winter 
W47»N      Wll'N 
W49N        S68W 
W24N      W12N 
W23N        S70W 
W  6N        S56W 
S68W     W  9N 
W44  N      W  6N 

Als  mittlere  Zugrichtungen  ergeb 

en 

sich  für  Toronto: 

Sommer    .... 
Winter 

O-IOOO 

NNW 

se8»w 

1-3000 

W97»N 

W 

3-5000 
W2y>N 
S71W 

5—7000 

W58«»N 

W 

7—10000       flb.  10000  m 

W45PN               NW 
WH  N             W18»N 

Hiemach  ist  im  Sommer  die  Zugrichtung  der  obem  Wolken 
«rheblich  nördlicher  als  über  Blue  Hill. 

Nach  Höhenschichten  von  je  400  m  geordnet,  ergiebt  sieb  eine 
bemerkenswert  gute  Übereinstimmung  der  vertikalen  Häufigkeits- 
verteilung  der  Wolken  über  Toronto  mit  der  über  Washington  und 
Blue  Hill.  Im  Jahresdurchschnitte  sind  für  Toronto  Zonen  maximaler 
Häufigkeit:  1200—1600  m,  4000—4400  w,  8400—8800  m  und 
10000 — 10400  m.  Fast  wolkenleer  (6  Messungen  im  Jahre)  ist  die 
Schicht  von  5000 — 7600  m.  Gruppiert  man,  sagt  Süring,  die  Wolken- 
geschwindigkeiten nach  Schichten  von  je  2000  m,  so  sieht  man  recht 
gut,  wie  im  Winter  die  Geschwindigkeit  grösser  und  die  Zunahme 
nach  oben  schneller  ist  als  im  Sommer. 

Gesohwindigkeit 

Schicht  Sommer  Winter 

O-2000ffi  8.0  10.7 

2000-  4000  15.2  20.9 

4000-  6000  15.3  24.7 

600O-.  8000  21.2  42.7 

8000-10000  28^  31.6 

10000^12000  32.3  (18.4) 

Ober  Blldungr  und  Konstitution  der  Wolken  verbreitet  sich 
Prof.  W.  Trabert ')  Er  hebt  zunächst  hervor,  dass  der  Wasserdampf 
seine  wichtige  Rolle  in  der  Atmosphäre  dem  Umstände  verdankt,  dass 
er  als  Dampf  nur  in  beschränktem  Masse  einen  gegebenen  Raum  zu 
erfüllen  vermag.  Während  wir  in  einen  abgeschlossenen  Raum  von 
den  übrigen  gasförmigen  Bestandteilen  der  Atmosphäre  so  viel  hin- 


H&afigkeit 

Sommer 

Winter 

19 

28 

13 

7 

7 

3 

4 

3 

6 

15 

18 

5 

^)  Meteorol.  Service  of  the  Dominion  of  Ganada.  Ottawa  1901. 
<)  Meteorol.  Zeitschrift  1902.  p.  142. 
^  Emden,  AeronautLsche  Mittl.   1902.  2. 

21» 


324  Wolken. 

einpressen  können,  als  wir  wollen,  ist  der  Einfuhr  von  Wasser- 
dampf  sehr  bald  eine  Grenze  gesetzt.  Haben  wir  einen  abge- 
schlossenen Raum  über  Wasser,  so  wird  von  letzterem  ein  Teil  in 
Dampfform  in  den  darüber  befindlichen  Raum  übergehen,  bei  einer 
gewissen  Dampf erfüllung  des  Raumes  hört  aber  jede  weitere  Ver- 
dampfung auf,  wir  nennen  dann  diesen  Raum  »gesättigt«,  und  es 
lehrt  die  Erfahrung,  dass  dieser  Maximalbetrag  des  aufgenommenea 
Dampfes  allein  abhängt  von  der  Temperatur  des  Raumes,  von  der 
Anwesenheit  anderer  Gase  aber  völlig  unabhängig  ist. 

Nicht  bloss  das  flüssige  Wasser,  auch  das  Eis  verdampft,  und 
auch  über  einer  Eisfläche  können  wir  einen  Dampfdruck  der  Sättigung 
herstellen ;  wie  die  Erfahrung  lehrt,  ist  derselbe  aber  kleiner  als  bei 
Wasser  von  derselben  Temperatur.  Bringen  wir  somit  ein  Eisstück 
von  0^  in  einen  Raum,  der  über  Wasser  von  0^  gesättigt  war,  so 
werden  auf  die  Flächeneinheit  des  Eisstückes  mehr  Moleküle  auf- 
prallen, als  sich  von  ihr  losrissen,  es  findet  Massenvermehrung, 
Kondensation  auf  dem  Eisstücke  statt ;  es  ist  für  das  Eis  der  Raum 
mit  Dampf  »übersättigt«.  Die  grossen,  stets  dem  Winde  entgegen 
wachsenden  Rauchreifbildungen,  wie  man  sie  auf  den  Gipfelstationen 
so  vielfach  beobachtet  hat,  bilden  eine  schöne  Illustration  dieser 
Thatsache.  Wir  sehen  schon  hier  den  Begriff  der  »Sättigung«  als 
einen  relativen,  je  nachdem  wir  Wia.sser  in  fester  oder  flüssiger  Form 
verwenden.  Aber  auch  bei  flüssigem  Wasser  vermögen  wir  den 
Dampfdruck  der  Sättigung  durch  Beimengungen  (z.  B.  gelöste  Salze) 
zu  modifizieren,  und  selbst  bei  reinem  Wasser  ist  er  abhängig  von 
der  Oberfiächengestalt,  welche  wir  der  Flüssigkeit  geben.  Je  stärker 
die  Krümmung  der  Wasseroberfläche,  um  so  leichter  vermögen  die 
Wasserteilchen  die  Oberfläche  zu  verlassen,  um  so  mehr  werden 
aus  derselben  heraustreten,  und  um  so  grösser  wird  der  Dampfdruck 
der  Sättigung  sein  müssen.  Lord  Kelvin  hat  zuerst  für  diese  Ab- 
hängigkeit einen  analytischen  Ausdruck  abgeleitet 

Wir  haben  in  der  freien  Atmosphäre  thatsächlich  dampferfüllte 
Luft  und  stark  gekrümmte  Wasserflächen  nebeneinander  und  sehen 
so  bei  den  Wolken  den  Fall  praktisch  realisiert.  Auch  hier  sprechen 
wir  dann  von  »Übersättigung«  der  Luft,  können  dies  aber  nur,  so- 
lange wir  als  »gesättigt«  einen  von  ebenen  Wasserflächen  begrenzten 
Raum  definieren,  welcher  bei  der  gegebenen  Temperatur  keinen 
Wasserdampf  mehr  aufzunehmen  vermag.  In  Wahrheit  hängt  ja  der 
maximale  Dampfgehalt  eines  bestimmten  Raumes  ganz  von  seiner 
Begrenzung,  von  der  Krümmung  der  vorhandenen  Wasserflächen  ab» 
In  der  That  sehen  wir  auch  die  Kondensation  bei  Überschreitung 
des  Sättigungspunktes  an  den  ebenen  Begrenzungen  des  gesättigten 
Raumes  oder  an  den  in  ihm  schwebenden  Staubteilchen  vor  sich 
gehen,  und  Wilson  hat  experimentell  gezeigt,  dass  in  völlig  staub- 
freier Luft,  also  bei  Fehlen  von  Kondensationskemen,  auch  noch 
nach  beträchtlichem  Überschreiten  des  Sättigungspunktes  keine  Kon- 


Wolken.  325 

densation  eintritt.  In  der  freien  Atmosphäre  können  es  daher  auch 
nur  die  Staubteilchen  sein,  an  denen  Kondensation  des  Dampfes 
möglich  ist.  Je  grösser  die  Teilchen,  um  so  früher  wird  Konden- 
sation eintreten,  je  kleiner  sie  sind,  um  so  später,  um  so  mehr  wird 
die  Luft  »übersättigte  werden.  Inder  freien  Atmosphäre  wird  somit 
zuerst  an  den  grössten  in  der  Luft  vorhandenen  Staubteilchen  Kon- 
densation eintreten,  es  werden  sich  um  diese  Kerne  Tröpfchen  bilden, 
und  es  wird  diese  Kondensation  in  dem  Momente  erfolgen,  in  dem 
die  Luft  für  diese  gegebene  Tröpfchengrösse  gesättigt  ist  Für  eine 
«bene  Wasserfläche  würde  solche  Luft  stets  »übersättigte  erscheinen, 
und  wenn  wir  als  relative  Feuchtigkeit  das  Verhältnis  des  that- 
sächlichen  Dampfdruckes  zum  maximalen  Dampfdruck  über  einer 
ebenen  Wasserfläche  definieren,  dann  sehen  wir,  dass  relative  Feuch- 
tigkeiten, die  100^ Iq  um  einen  gewissen  Betrag  überschreiten,  nicht 
bloss  möglich,  sondern  unmittelbar  vor  der  Kondensation  in  der 
ireien   Atmosphäre   theoretisch    sogar  stets   vorhanden   sein  sollten. 

Wir  haben  uns  den  Prozess  der  Wolkenbildung  nun  folgender- 
massen  vorzustellen:  zunächst  Zunahme  der  relativen  Feuchtigkeit,  Er- 
reichung eines  Wertes  von  über  100  ^/q,  hierauf  erstes  Entstehen 
kleinster  Tröpfchen,  die  nun  aber  rasch  anwachsen,  wobei  die  Feuch- 
tigkeit auf  100  ^/q  zurücksinkt  Bei  eventueller  weiterer  Fortdauer 
der  Ursache  für  die  Kondensation  wird  dann  ein  langsames  weiteres 
Wachstum  der  Tröpfchen  inmitten  gesättigter  Luft  stattfinden. 

Leider  ist  das  Beobachtungsmaterial,  das  wir  zur  Prüfung  der 
Theorie  zur  Verfügung  haben,  recht  dürftig.  Ob  es  thatsächlich  Über- 
sättigung in  der  Atmosphäre  giebt,  vermögen  wir  gegenwärtig  aus 
Beobachtungen  nicht  zu  schliessen,  da  unsere  Instrumente  zur  Messung 
der  Feuchtigkeit  wenig  verlässlich  sind,  dass  die  Beantwortung  der 
Frage  nur  sehr  schwer  möglich  wäre. 

Untersuchungren  über  die  Nebelverhältnisse  der  Schweiz 

hat  G.  Streun  angestellt.  Das  Material  lieferten  die  Annalen  der 
schweizerischen  meteorologischen  Zentralanstalt  in  Zürich  und  die 
von  der  gleichen  Stelle  ausgegebenen  Wetterberichte.  Ursprünglich 
beabsichtigte  Streun,  seinen  Ausführungen  die  Beobachtungen  der 
10  Jahre  1884 — 1893  zu  Qrunde  zu  legen.  Bei  der  Aufstellung  der 
zehnjährigen  Mittelwerte  stellte  sich  aber  heraus,  dass  die  Nebel- 
häufigkeit mit  dem  Jahre  1891  fast  überall  auffallend  abnahm,  in 
Zürich  z.  B.  von  132  jährlichen  Nebeltagen  (1884 — 1890)  auf  43 
(1891 — 1893)  sank.  Die  Ursache  liegt  darin,  dass  mit  dem  Jahre 
1891  eine  Änderung  im  Modus  des  Zählens  der  Nebeltage  eingetreten 
ist  Vorher  wurden  auch  Tage,  an  welchen  entweder  bei  den  Termin- 
beobachtungen oder  in  der  Rubrik  » Bemerkungen  c  i  neblig«  notiert 
war,  als  Nebeltage  gerechnet,  seit  1891  hingegen  nicht  mehr,  wenigstens 
da  nicht,  wo  die  Beobachter  starken  Nebel,  Nebel,  leichten  oder 
schwachen  Nebel   und  neblig  genau  auseinander  halten.     Der  durch 


826  Wolken. 

diese  Änderung  im  Zählen  der  Nebeltage  in  den  Beobachtongsreihen 
vieler  Stationen  entstandene  Sprung  von  1890  auf  1891,  sowie  auch 
der  Umstand,  dass  zur  Bildung  der  zehnjährigen  Mittel  1884 — 189B 
nur  für  ca.  50  Stationen  das  Material  voUständig  erhältlich  war, 
veranlassten  Streun,  die  Untersuchungen  über  die  Nebelverhältnisse 
der  Schweiz  ausschliesslich  auf  Grund  der  Beobachtungen  im  Lustnim 
1891 — 1895  vorzunehmen.  Soweit  keine  andern  Zeitangaben  gemacht 
sind,  beziehen  sich  denn  auch  alle  Daten  seiner  Erörterungen  auf 
diesen  Zeitraum.  Derselbe  ist  zu  einem  ins  einzelne  gehenden 
Studium  aller  Verhältnisse  etwas  kurz,  und  es  schien  anfangs  zweifel- 
haft, ob  sich  vergleichbare  Resultate  ergeben  würden.  Im  Laufe  der 
Arbeit  zeigte  sich  aber,  dass  die  Angaben  über  Nebel  für  die  Jahre 
1891 — 1895  bei  unter  ungefähr  *  gleichen  Bedingungen  stehenden 
Stationen  recht  gut  miteinander  übereinstimmen,  und  sich  auf  ihnen 
eine  zuverlässige  Untersuchung  wohl  aufbauen  lässt.  Im  ganzen 
wurden  die  Aufzeichnungen  von  98  Stationen  der  Schweiz  benutzt 
und  als  Nebeltag  jeder  Tag  gezählt,  an  welchem  die  Station  selbst 
im  Nebel  lag.  Über  die  zeitliche  und  räumliche  Verteilung  des  Nebels 
ergab  sich  nun  folgendes: 

In  den  tiefen  Lagen,  also  beim  Thalnebel,  zeigte  sich  ein  stark 
ausgesprochenes  Maximum  der  Nebelhäufigkeit  am  Morgen;  Mittag 
und  Abend  sind  bedeutend  ärmer  an  Nebel.  Besonders  scharf  treten 
diese  Morgenmaxima  im  September  und  Oktober  hervor.  Die  weit- 
aus grösste  Zahl  der  im  Herbst  so  häufigen  Nebeltage  ist  mithin 
auf  Morgennebel  zurückzuführen.  Dieses  Maximum  ist  durch  die 
tägliche  Temperaturschwankung  bedingt  Während  der  Nacht  kühlt 
sich  die  Erdoberfläche  durch  Wärmeausstrahlung  ab  und  teilt  ihre 
niedrige  Temperatur  den  untersten  Luftschichten  mit  Sinkt  diese 
hier  unter  den  Taupunkt,  so  muss  Kondensation  und  damit  Nebel- 
bildung eintreten. 

Anders  gestaltet  sich  die  tägliche  Periode  der  Nebelhäufigkeit  in 
hohem  Lagen,  also  bei  Bergnebel.  Die  Qipfelstationen  Rigi-Kuhn 
und  Säntis  zeigen  eine  nur  schwach  ausgesprochene  tägliche  Periode 
der  Nebelhäufigkeit  Auf  dem  Rigi  verläuft  dieselbe  während  9  Monaten 
und  im  Jahresdurchschnitte  wie  in  der  Niederung.  Die  andern  Monate 
zeigen  andere  Verhältnisse. 

Stärker  verwischt  ist  die  tägliche  Periode  der  Nebelhäufigkeit 
auf  dem  Säntis,  dessen  Nebelbeobachtungen  sich  durch  Genauigkeit 
auszeichnen.  Am  häufigsten  tritt  hier  der  Nebel,  besonders  in  der 
warmen  Jahreszeit,  am  Abende  auf.  Die  Nebelhäufigkeit  nimmt  meist 
vom  Morgen  zum  Abende  oder  richtiger  zum  Nachmittage  zu.  Letzteres 
zeigen  die  Beobachtungen,  die  1888 — 1893  (dem  Zeitpunkte  der 
Installierung  selbstregistrierender  Instrumente)  an  8  Terminen  an- 
gestellt wurden. 

Das  häufigere  Auftreten  des  Nebels  auf  Gipfeln  am  Nachmittage 
hängt  damit  zusammen,  dass  Nebel  am  Gipfel  seiner  Entstehung  nach. 


Wolken.  327 

etwas  ganz  anderes,  als  Nebel  im  Thale  ist.  Er  wird  notiert,  wenn 
Wolken  den  Gipfel  einhüllen.  Die  tagliche  Periode  der  Nebelhäufig- 
keit entspricht  daher  hier  der  Periode  der  Bewölkung  mit  ihrem  Nach- 
mittagsmaximum. 

Die  Resultate  kurz  zusammenfassend  resümiert  Streun:  Die 
Nordabdachung  des  Jura,  das  MitteUand  und  die  tiefen  Alpenthäler 
dies-  und  jenseits  der  Wasserscheide,  also  das  Qebiet  der  Thalnebel, 
haben  infolge  der  nächtlichen  Abkühlung  des  Bodens  und  der  an- 
lagernden Luftschichten  ausgesprochene  Morgennebel.  Auf  den  Gipfeln, 
die  Bergnebel  haben,  ist  die  Häufigkeit  des  Nebels  ziemlich  gleich- 
massig  auf  die  einzelnen  Tagesstunden  verteilt.  Ein  nur  schwach 
hervortretendes  Maximimi  stellt  sich  in  den  Nachmittagsstunden  ein. 
Dasselbe  wird  hervorgerufen  durch  die  Gumuli  der  im  Thalwinde  auf- 
steigenden Luftmassen. 

Es  ergiebt  sich  femer,  dass  die  Nebelhäufigkeit  je  nach  der 
Jahreszeit  und  der  geographischen  Lage  ausserordentlich  verschieden 
ist.  Doch  weisen  ähnlich  gelegene  Stationen  in  den  meisten  Fällen 
eine  mehr  oder  minder  grosse  Übereinstimmung  auf. 

Eine  genauere  Zusammenstellung  über  den  jährlichen  Gang  der 
Nebelhäufigkeit  lässt  dann  die  in  den  Niederungen  deutlich  aus- 
gesprochene, mit  zunehmender  Höhe  aber  immer  mehr  verwischte 
jährliche  Periode  erkennen.  Im  Jura  nimmt  die  Nebelhäufigkeit  im 
Januar  und  Februar  immer  ab,  erreicht  im  April  ein  erstes  und  im 
Juni  ein  zweites  Minimum,  um  im  Herbste  zuerst  rasch,  dann  lang- 
samer zum  Novembermaximum  anzusteigen.  Im  schweizerischen 
Mittellande  fällt  das  Minimum  auf  den  Sommer;  im  Herbste  steigt 
die  Häufigkeit  des  Nebels  ziemlich  gleichmässig  und  erreicht  im 
November  ihr  Maximum;  dasselbe  ist  hier  schärfer  ausgesprochen 
als  im  Jura  und  etwas  gegen  den  Winter  verschoben.  In  den  tiefen 
nördlichen  Alpenthälem  fällt  die  Nebelhäufigkeit  in  den  ersten  zwei 
Monaten  des  Jahres  rasch  und  gleichmässig  ab,  bleibt  im  Frühlingc 
und  auch  im  Sommer  sehr  klein,  um  im  Herbste  zuerst  langsam  und 
dann  rasch  anzusteigen  und  im  Dezember  ihren  scharf  hervortretenden 
höchsten  Stand  zu  erreichen.  Eine  weit  weniger  deutliche  jährliche 
Periode  trifft  man  bereits  in  einer  Höhe  von  ca.  1000  m,  wo  Thal- 
und  Bergnebel  nebeneinander  auftreten.  Die  Häufigkeit  des  Nebels 
nimmt  hier  vom  Dezember  bis  zum  August  zuerst  rascher,  dann  sehr 
langsam  ab  und  steigt  bis  zum  November  wieder  gleichmässig  an. 
Unregelmässig  ist  der  Gang  der  Nebelhäufigkeit  in  den  Hochthälem. 
Doch  zeigt  sich  ein  Minimum  im  Winter  und  ein  Maximum  im  Oktober. 
Auf  den  Gipfeln  mit  ihren  Bergnebeln  ist  die  jährliche  Periode  der 
Nebelhäufigkeit  fast  ganz  verwischt  Zwei  ganz  schwache  Maxima 
entfallen  auf  Mai  und  Oktober.  Das  Winterminimum  tritt  etwas 
deutlicher  hervor  als  dasjenige  vom  August.  Auf  dem  Säntis  steigt 
die  Nebelhäufigkeit  vom  März  bis  Juni  langsam  an  und  fallt  dann 
ebenso   langsam   bis   zum  November  wieder   ab.     Ein  Maximum  im 


328  Wolken. 

Sommer  und  ein  Minimum  im  Winter  lassen  sich  hier,  allerdings  nur 
wenig  ausgesprochen,  erkennen. 

Die  dem  Boden  aufruhenden  Nebel  verdanken,  wie  Streun  hervor- 
hebt, ihre  Entstehung  wohl  stets  der  Berührung  der  Luft  mit  dem 
durch  Ausstrahlung  abgekühlten  Boden.  Bergnebel,  d.  h.  die  Wolken, 
die  die  Berge  einhüllen,  sind  dagegen  meist  das  Resultat  eines  Auf- 
steigens  der  Luft.  Eine  intensive  Abkühlung  durch  Berührung  mit 
dem  durch  Ausstrahlung  erkalteten  Boden  kann  nur  bei  Abwesenheit 
von  Luftbewegung,  also  bei  stiUem  Wetter,  stattfinden,  wie  es  unter 
dem  Einflüsse  einer  Anticyklone  sich  einstellt  Thalnebel  sind  daher 
an  anticyklonales  Wetter  geknüpft.  Anders  die  Bergnebel.  Ein  Auf- 
steigen der  Luft,  wie  es  zu  Wolkenbildung  führt,  findet  besonders 
unter  dem  Einfluss  von  Gyklonen  statt.  Bergnebel  sind  daher  be- 
sonders an  cyklonales  Wetter  geknüpft 

Die  speziellen  Untersuchungen  von  Streun  bestätigen  diese 
Schlussfolgerungen  durchaus,  und  die  erhaltenen  Resultate  zusammen- 
fassend, giebt  er  für  Nebel  in  tiefen  Lagen  einerseits  und  Nebel  auf 
hohen  Bergen  anderseits  folgende  Charakteristik  der  allgemeinen 
Wetterlage: 

Im  Winterhalbjahre  ist  bei  Nebel  unten  der  Luftdruck  sowohl  in 
Zürich  als  auch  auf  dem  Säntis  übemormal.  Die  Temperatur  ist 
unten  etwas  zu  niedrig,  oben  beträchtlich  zu  hoch.  Chaumont  und 
noch  Rigi  sind  namentlich  in  den  Wintermonaten  wärmer  als  Zürich, 
und  Säntis  ist  nur  wenig  kälter.  Die  Temperatur  der  Luftsäule  er- 
giebt  sich  sowohl  aus  direkten  Beobachtungen,  als  auch  aus  den 
Abweichungen  des  Luftdruckes  berechnet  als  viel  zu  hoch  verglichen 
mit  der  normalen.  Die  Temperatur  nimmt  mit  zunehmender  Höhe 
zuerst  zu,  später  etwas  ab,  die  relative  Feuchtigkeit  dagegen  sinkt 
rasch.  Die  Windstärke  ist  oben  und  unten  zu  klein.  Es  existiert 
ausgesprochen  anticyklonales  Wetter. 

Bei  Nebel  in  der  Höhe  ist  der  Luftdruck  unten  und  oben  unter- 
normal; die  Temperatur  ist  bis  wenig  über  die  Höhe  des  Chaumont 
zu  hoch,  weiter  oben  zu  tief.  Die  beobachteten  und  noch  mehr  die 
berechneten  Abweichungen  der  Temperatur  der  Luftsäule  sind  negativ. 
Die  Temperatur  nimmt  nach  oben  rasch  ab,  die  relative  Feuchtigkeit 
langsam  zu.  Die  Windstärke  ist  oben  etwa  normal,  unten  erheblich 
zu  gross.     Das  Wetter  ist  cyklonal. 

Im  Sommerhalbjahre  hatte  Zürich  im  Lustrum  1891 — 1895  sehr 
wenig  Nebel;  die  Anzahl  der  Morgentermine  mit  Nebel  ist  zur  Bildung 
zuverlässiger  Mittelwerte  zu  klein.  Eine  im  Mittel  zutreffende 
Charakteristik  der  Wetterlage  bei  Nebel  in  der  Tiefe  im  Sommer 
müsste  sich  über  einen  viel  grössern  Zeitraum  erstrecken. 

Bei  Nebel  in  der  Höhe  ist  das  Wetter  im  allgemeinen  von  dem- 
jenigen des  Winterhalbjahres  wenigstens  dem  Sinne  nach  nicht 
wesentlich  verschieden.  Der  Luftdruck  ist  unten  und  oben  zu  niedrig. 
Die   Abweichungen   oben  sind  im  Verhältnisse  zu    denjenigen    unten 


Wolken.  329 

grösser  als  im  Winterhalbjahre.  Die  Temperatur  ist  in  allen  Höhen- 
lagen unter  dem  Mittel  und  weicht  infolgedessen  erheblich  mehr  von 
der  normalen  ab  als  im  Winter.  Dies  gilt  auch  von  den  berechneten 
Temperaturen.  Die  Temperatur  nimmt  nach  oben  rascher  ab,  die 
relative  Feuchtigkeit  langsamer  zu  als  im  Winter.  Die  Windstarke, 
die  bei  Nebel  auf  dem  Säntis  unten  das  ganze  Jahr  hindurch  zu 
gross  ist,  ist  gleichzeitig  oben  ziemlich  normal.  Alle  Momente,  die 
cyklonales  Wetter  charakterisieren,  treten  in  der  warmen  Jahreszeit 
noch  schärfer  hervor  als  in  der  kalten.  Nebel  in  der  Höhe  ist  also 
während  des  ganzen  Jahres  durch  cyklonales  Wetter  bedingt 

Streun  hat  auch  Untersuchungen  über  die  obere  Grenze  des 
Nebelmeeres  angestellt,  auf  Grund  der  Angaben  der  drei  Gipfel- 
stationen Säntis,  Pilatus  und  Rochers  de  Naye.  Dieselben  erscheinen 
gleichsam  als  Pegelstationen  im  Nebelmeer,  indem  sie  dessen  Stand 
an  den  Beobachtungsterminen  numerisch  angeben. 

Aus  den  direkten  Zahlenangaben  dieser  Stationen  berechnet  er 
die  mittlere  Höhe  des  Nebelmeeres  zu  rund  900  m,  bemerkt  aber, 
dass  das  wahre  Mittel  etwas  tiefer  liegen  dürfte  als  das  berechnete. 

Die  obere  Grenze  des  Nebelmeeres  weicht  von  einer  Niveau- 
fläche erheblich  ab.  In  der  Zentralschweiz  liegt  sie  100 — 200  m 
höher  als  am  Bodensee  und  am  Genfersee.  Dieses  Gefälle  nach 
Nordosten  und  Südwesten,  sagt  Streun,  wird  nicht  etwa  durch  einige 
extreme,  die  Mittel  stark  beeinflussende  Einzelangaben  hervorgebracht, 
sondern  zeigt  sich  —  und  das  ist  wesentlich  —  ohne  Ausnahme  in 
allen  zusammengehörigen  Einzelwerten,  ist  also  immer  vorhanden. 
Die  Abnahme  der  Höhe  des  Nebelmeeres  nach  Nordosten  dürfte 
durch  topographische  Verhältnisse  bedingt  sein.  Der  Nordrand  des 
Beckens,  welches  die  kalten,  stagnierenden  Luftmassen,  die  aus  der 
allgemeinen  anticyklonalen  Zirkulation  ausgeschlossen  sind,  enthält, 
wird  in  der  Nordschweiz  nach  Osten  hin  immer  niedriger.  Es  ist 
infolgedessen  ein  Abfliessen  der  kalten  Luft  in  geringem  Höhen 
möglich.     Nach  Südwesten  hin  trifft  dies  allerdings  nicht  zu. 

Auch  in  die  Thaler  am  Nordfusse  der  Alpen  senkt  sich  die 
obere  Grenze  des  Nebelmeeres  herab.  Ghur  und  Meiringen  mit 
600  m  Seehöhe  waren  im  November  1897  meistens  nebelfrei.  Nach 
MitteUungen  R.  Billwillers  in  Zürich  an  J.  Hann  in  Wien  ist  diese 
Nebelfreiheit  der  Alpenthäler  einfach  auf  eine  Föhnwirkung  zurück- 
zuführen. 

Sehr  häufig  stand  das  Nebelmeer  am  Säntis  in  einer  Höhe  von 
700 — 800  m,  am  Pilatus  dagegen  in  einer  solchen  von  900  m.  Ferner 
lag  an  beiden  Bergen  der  Nebelmeerspiegel  oft  bei  1100  nt,  merk- 
würdigerweise aber  relativ  selten  bei  1000  m. 

Die  obere  Grenze  der  Nebelschicht  erleidet  im  Verlaufe  eines 
Tages  Schwankungen.  Am  besten  können  diese  Veränderungen  im 
Stande  des  Nebelmeeres  an  der  Hand  der  täglich  fünfmaligen  An- 
gaben der  Station  Säntis  verfolgt  werden.     Vormittags  scheint  eine 


330  WolkeiL 

typische  Änderang  in  der  Höhenlage  der  obein  Grenze  des  Nebel- 
meeres nicht  stattzufinden.  Der  Spiegel  desselben  behalt  vielfach 
(besonders  in  der  Gegend  vom  Säntis)  den  ganzen  Vormittag  hin- 
durch die  gleiche  Höhenlage  beL  Steigen  und  Sinken  treten  unregel- 
massig,  aber  mit  ziemlich  gleicher  Häufigkeit  und  auch  nahezu 
gleichen  ahsoluten  Betragen  auf.  Anders  sind  die  Verhältnisse  am 
Nachmittage.  Zwischen  1  und  4  Uhr  zeigt  in  der  Umgebung  des 
Säntis  die  obere  Grenze  der  Nebelschicht  eine  entschiedene  Tendenz 
zum  Steigen.  Auf  dieses  AnschweUen  folgt  von  4 — 9  Uhr  ein  ebenso 
deutlich  ausgesprochenes  Sinken  des  Nebelspiegels.  Ob  dieses  Steigen 
und  FaUen  auch  am  Pilatus  sich  einstellt,  kann  aus  den  vorhandenen 
Angaben  nicht  ermittelt  werden.  Während  der  Nacht  überwiegt  am 
Säntis  sowohl  als  auch  am  Pilatus  in  der  Häufigkeit  und  auch  den 
absoluten  Beträgen  nach  das  Steigen  der  obem  Grenze  des  Nebel- 
meeres etwas  weniges  über  das  FaUen  derselben.  Am  tiefsten 
steht  der  Spiegel  des  Nebelmeeres  am  Säntis  um  Mittag,  am  Pilatus 
am  Abende. 

Beobachtungren  über  Nebelbildung*  und  photographische 
Aufnahmen  der  obem  Flächen  ausgedehnter  Nebel  und  Dunstmassen 
hat  Prof.  Mc.  Adie  vom  meteorologischen  Observatorium  Mount  Tamalpais 
in  Galifomien  in  2500  Fuss  Höhe,  gegenüber  der  Bai  von  San 
Franzisko  ausgeführt^)  Von  den  interessanten  Aufnahmen  ist  auf 
Tafel  V  eine  reproduziert  Dieselbe  wurde  1900  Juli  30  7^  15™ 
nachmittags  aufgenommen,  bei  Westwind  in  San  Franzisko  und 
Südwind  auf  Mount  Tamalpais.  Im  Vordergrunde  liegt  die  Stadt 
Mill  Valey.  Die  Oberfläche  des  Nebels  steigt  an  einer  Stelle  in 
Gestalt  einer  Pyramide  empor,  während  der  Nebel  des  Hintergrundes 
über  dem  Golden  Gate  und  der  Bucht  von  San  Franzisko  liegt  Diese 
Formation  ist  höchst  eigentümlich,  und  es  mag  noch  bemerkt  werden, 
dass  der  Boden  unter  der  Nebelpyramide  horizontal  ist,  und  di& 
Aufwölbung  des  Nebels  durchaus  nicht  durch  darüber  liegende  Höhen 
bedingt  wird. 

Niederschläge. 

Untersuchungen  über  die  Verdunstung  hat  Prof.  G.  Schwalbe 
ausgeführt.^)  Zunächst  weist  er  darauf  hin,  dass  es  sich  bei  allen 
Verdunstungsmessungen  nur  um  relative  Werte  handeln  kann,  d.  h. 
man  kann  bei  möglichst  gleichmässiger  Aufstellung  der  Instrumente 
an  den  einzelnen  Stationen  nur  erzielen,  dass  die  Beobachtungen 
untereinander  vergleichbar  sind.  Die  absolute  Grösse  der  Ver- 
dunstung vermögen  wir  bislang  nicht  zu  messen. 


^)  Proceedlnffs  of  the  second  Convention  of  Weather  Bureau  Officiale. 
U.  St  Departm.  of  Agricultur  BuUetin  No.  81.  Washington  1902. 
*)  Meteorol.  Zeitschr.  1902.  p.  49. 


Niederschläge.  331 

Zur  Erlangung  guter  Relativzahlen  dient  bekanntlich  das  Eva- 
porimeter,  wie  es  besonders  von  Wild  beschrieben  worden  ist.  Da 
jedoch  nur  eine  verhältnismässig  kleine  Anzahl  von  Stationen  mit 
diesem  Instrumente  ausgerüstet  werden  kann,  so  erschien  es  wünschens- 
wert, eine  neue  Grundlage  zu  schaffen. 

Schwalbe  hat  nun  den  jährlichen  Gang  der  Verdunstung  einer 
grossen  Anzahl  von  Stationen  untersucht,  an  welchen  gleichzeitige 
Beobachtungen  am  Evaporimeter  und  am  Psychrometer  vorhanden 
sind,  nämlich  Potsdam,  Gordoba  in  Argentinien,  Madrid,  sowie 
neunzehn  gleichmässig  über  das  Russische  Reich  verteilte  Stationen. 
Für  alle  Stationen  wurde  zunächst  festgestellt,  ob  der  jährliche 
Gang  der  Verdunstung  dem  jährlichen  Gange  der  psychrometrischen 
Differenz  proportional  war,  d.  h.  ob  bei  Multiplikation  der  erstem 
Werte  mit  einem  geeigneten  Proportionalitätsfaktor  die  so  erhaltenen 
Werte  annähernd  denen  der  psychrometrischen  Differenz  entsprachen. 
Dieser  Faktor  muss  natürlich  für  jeden  Monat  einer  einzelnen  Station 
der  gleiche  sein.  Bei  der  Verschiedenheit,  welche  der  anzuwendende 
Proportionalitätsfaktor  für  die  einzelnen  Stationen  zeigt,  war  es 
wichtig,  zu  untersuchen,  inwieweit  trotz  dieser  Verschiedenheit  die 
Stationen  unter  sich  vergleichbar  bleiben.  Das  Schlussergebnis  lässt 
sich  in  folgende  Sätze  zusammenfassen: 

1.  Die  psychrometrische  Differenz  ist  ein  relatives  Mass  der 
Verdunstung.  An  Orten,  an  welchen  letztere  gross  ist,  ist  auch 
erstere  gross  und  umgekehrt. 

2.  Der  jährliche  Gang  der  psychrometrischen  Differenz  hängt 
in  derselben  Weise  vom  Sonnenstande  ab  wie  derjenige  der  Ver- 
dunstung. 

Hiernach  gewinnt  es  den  Anschein,  als  ob  man  sich  mit  Erfolg 
bei  Verdunstungsuntersuchungen  der  psychrometrischen  Differenz  be- 
dienen kann,  was  besonders  in  der  Frage  nach  der  geographischen 
Verteilung  der  Verdunstung,  sowie  bei  Untersuchungen  über  den 
täglichen  und  jährlichen  Gang  dieser  Grösse  von  Wichtigkeit  sein  wird. 

Die  Häufigkeit  des  Regens  in  Paris  nach  den  Beobach- 
tungen von  1873 — 1900  zu  Parc  S.  Maur  ist  von  Angot  unter- 
sucht worden.^)  Die  folgende  Tabelle  enthält  die  Ergebnisse  dieser 
Untersuchung.  Die  erste  Kolumne  giebt  die  Zahl  der  Niederschläge 
überhaupt,  ohne  Rücksicht  auf  die  Quantität  der  Niederschlagsmengen. 
Man  sieht  später  die  Unterschiede  im  jährlichen  Gange  je  nach  dem 
Schwellenwerte  der  Niederschlagstage. 

Die  Tage,  an  welchen  die  Niederschlagsmenge  30  mm  erreicht 
oder  überschritten  hat,  sind  gering,  man  zählt  deren  nur  sechzehn 
in  28  Jahren.  Die  Tage,  an  denen  mehr  als  35  mm  gefallen  sind, 
waren: 


1)  Meteorol.  Zeitachr.  1902.  p.  428. 


832 


Niederschlage. 


Datum:     Mai 


Juni 


Juli        August      August 


Oktober 


Menge 


i.J^1881    (20J^1898    (8.JJ873    (20.j  1900    (1901875    (22.)  1890    (16.)  1896    (25.J|  1892 


47.6 


ä8.4 


96.0 


Hftillokelt  der  Regentage  vereoh.  Intensität  zn 

Paris  i873 

-1900  (Paro  8.  Maar). 

Nieder- 
schlags- 
tage 
Überhaupt 

Regexunasse  gleich  oder  über 

Wahrscheinüchkeit 

0.6 

Imm 

5 

10 

15 

20 

25 

über- 
haupt 

1mm 

5mm 

10  mm 

Jan. 

18.8 

10.8 

8.1 

2.1 

0.6 

0.2 

0.0 

0.0 

0.45 

.26 

.07 

.02 

Febr. 

13.0 

10.7 

8.3 

2.0 

0.4 

0.2 

0.0 

0.0 

.46 

.29 

.07 

.02 

Mftn 

13.0 

10.6 

8.9 

2.6 

0.7 

0.8 

0.1 

0.0 

.42 

.29 

.09 

.02 

ÄSf 

12.5 

10.2 

8.9 

2.9 

0.6 

0.2 

0.1 

0.0 

.42 

.30 

.10 

.02 

12.7 

10.2 

8.5 

2.9 

1.1 

0.3 

0.2 

0.1 

.41 

.27 

.09 

.04 

Juni 

13.2 

10.6 

9.1 

3.9 

1.7 

0.9 

0.5 

0.2 

.44 

.30 

.13 

.06 

Juli 

12.9 

10.6 

9.1 

3.9 

1.4 

0.7 

0.2 

0.1 

.42 

.29 

.13 

.05 

August 

12.2 

10.1 

8.3 

3.2 

1.6 

0.8 

0.5 

0.2 

.39 

.27 

.11 

.06 

Sept. 

12.0 

9.7 

8.5 

3.3 

1.3 

0.7 

0.3 

0.0 

.40 

.28 

.11 

.04 

01^. 

16.1 

11.9 

10.4 

4.0 

1.6 

0.7 

0.4 

0.2 

.49 

.33 

.13 

.05 

Nov. 

15.5 

11.9 

9.9 

3.0 

0.9 

0.3 

0.1 

0.1 

.52 

.33 

.10 

.03 

Dez. 

15.8 

12.5 

9.9 

3.2 

0.8 

0.2 

0.1 

0.0 

.51 

.32 

.10 

.08 

JahT 

161.7 

129.7 

107.9 

37.0 

12.7 

5.3 

2.3 

0.9 

.44 

.29 

.10 

.04 

Der  Wolkenbrueh  In  Berlin  am  14.  April  1902.  Prof.  G. 
Hellmann  macht  über  die  UDgleiche  Regendichtigkeit  während  dieses 
Wolkenbruches  in  Berlin  und  der  Umgebung  interessante  Mitteilungen.^) 
In  Berlin  selbst  schwanken  die  gemessenen  Regenhöhen  zwischen 
166.0  und  42.1  mm,  nördlich  bis  9  km  Entfernung  von  Berlin  zwischen 
98.0  und  14.3  wwn,  östlich  in  7.5  km  wurden  4.0,  westwärts  bis 
9  km  Entfernung  54.0  mm  gemessen.  »Am  grössten  sind  die  Unter- 
schiede im  Regenfalle  in  der  Richtung  von  W  nach  E.  Am  Ost- 
rande der  Stadt  beträgt  die  Menge  10 — 20  mm,  in  1  km  Entfernung 
nur  4  mm  und  östlich  einer  Linie,  die  etwa  in  der  Richtung  Jüter- 
bog— Zossen — Wriezen,  also  nur  28  km  östlich  von  Berlin,  verläuft, 
regnete  es  überhaupt  nicht.  Das  Gebiet  des  Maximalregenfalles 
mit  beiläufig  150 — 170  mm  liegt  im  nordwestlichen  Teile  der  innern 
Stadt  und  dürfte   kaum   einen   halben  Quadratkilometer   gross   sein. 

Aber  auch  nach  W  hin  ist  der  Abfall  der  Regenmenge  gross; 
denn  nur  11km  westlich  vom  Maximalgebiete,  in  Ruhleben  bei 
Spandau,  werden  bloss  29  mm  gemessen.  Am  geringsten  sind  natürlich 
die  Unterschiede  in  der  Richtung  von  NNE  nach  SSW,  in  der  das 
Unwetter  fortgeschritten  ist.  Während  des  stundenlangen  heftigen 
Gewitters  konnte  man  ein  Fortschreiten  desselben  allerdings  kaum 
bemerken,  es  zeigt  sich  ein  solches  aber  deutlich  aus  dem  Ver- 
hältnisse der  vor  und  nach  7**  gemessenen  Regenmengen. 

Der  Regenfall  scheint  zwischen  5  und  6"-  am  ergiebigsten  ge- 
wesen zu  sein.  Bald  nach  6  Uhr  (6*** — 6^*  wird  notiert)  fiel  in 
einem  Teile  der  innern  Stadt  auch  starker  Hagel,  der  bis  gegen  6^ 


^)  Meteorol.  Zeitschr.  1902.  p.  463. 


Niederschläge.  883 

anhielt  Er  wurde  von  den  Wasserströmen,  die  sich  auf  den  Strassen 
gebildet  hatten,  nach  tiefer  gelegenen  Orten  und  in  die  Häuser  fort- 
geschwemmt,  wo  er  bis  gegen  Mittag,  ja  stellenweise  bis  zum 
nächsten  Tage  noch  liegen  blieb  und  in  Dutzenden  von  Eimern 
weggeschafft  werden  musste.  Dieser  Hagel  hat  durch  Verstopfung 
der  Röhren  etc.  sicherlich  auch  dazu  beigetragen,  dass  die  enormen 
Wassermassen  langsamer  abflössen  und  der  durch  sie  angerichtete 
Schaden,  den  man  nach  vielen  Hunderttausenden  von  Mark  bemessen 
darf,  noch  grösser  wurde,  als  er  bei  blossem  Regenfalle  gewesen 
wäre.  Der  Strassenverkehr  erlitt  am  Vormittage  erhebliche  Störungen, 
und  sogar  der  Schulimterricht  musste  ausfallen,  was  in  Berlin  wohl 
noch  nie  dagewesen  ist.« 

Die  hier  dargelegten  Verhältnisse  bestätigen  durchaus  die  bereits 
früher  von  Prof.  Hellmann  wahrgenommene  Thatsache ,  dass  ein 
Wolkenbruch  räumlich  wie  zeitlich  von  sehr  beschränkter  Aus- 
dehnung ist 

Die  85  jährige  Perlode    der   Regensehwankung.     Vor 

Jahren  hat  bekanntlich  Prof.  E.  Brückner  (Bern)  den  Nachweis  ge- 
liefert, dass  die  Landflächen  der  Erde  um  das  Jahr  1880  herum 
ein  Maximum  des  Regenfalles  aufwiesen,  ebenso  wie  sie  vorher  um 
1860  ein  Minimum  und  um  1850  ein  Maximum  gezeigt  hatten. 
Später  hat  Brückner  auch  die  Änderung  des  Regenfalles  für  Preussen 
bis  1893  und  für  das  europäische  Russland  bis  1890  untersucht 
und  gegen  1880  eine  geringe  Abnahme  des  Regenfalles  gefunden. 
Jetzt  weist  er  nun^)  an  der  Hand  des  zahlreichen,  in  Amerika 
zusammengebrachten  Beobachtungsmateriales  nach,  dass  auch  in  den 
Vereinigten  Staaten  in  den  Jahren  1877 — 1886  die  Regenfälle  am 
ausgiebigsten  waren,  und  dass  darauf  eine  bedeutende  Abnahme  bis 
1899  erfolgte.  Im  obem  Ohio-  und  im  mittlem  Mississippi-Thale 
herrschte  um  die  Mitte  der  30  er  Jahre  Trockenheit,  dann  nahm  der 
Regenfall  zu  und  erreichte  Ende  der  40  er  Jahre  ein  Maximum ; 
hierauf  nahm  er  wieder  ab  und  sank  nach  längerem  Schwanken 
anfangs  der  70  er  Jahre  auf  das  Minimum  herab,  dann  begann  eine 
Zunahme  bis  anfangs  der  80  er  Jahre,  und  bis  zum  Schlüsse  des 
Jahrhunderts  nahm  er  abermals  bedeutend  ab.  Als  Dauer  einer 
vollen  Schwankung  ergiebt  sich  ein  Zeitraum  von  34 — 35  Jahren. 
Die  Beobachtungen  zu  Bremen  und  Brüssel  ergaben  ein  Minimum 
des  Regenfalles  um  1833 — 1836,  ein  Maximum  um  1850,  dann  ein 
Minimum  um  1872,  worauf  1882  wiederum  ein  Maximum  folgte. 
Die  Beobachtungen  zu  Köln  zeigen,  dass  in  den  Jahren  1848 — 1854 
der  Mittelwert  der  Niederschläge  erheblich  überschritten  ward,  dann 
folgte  Abnahme  in  den  Jahren  1855 — 1859,  hierauf  bis  1862  Zu- 
nahme, der  wieder  einige  Jahre  verminderter  Niederschläge  folgen, 
worauf   abermals   eine   Reihe   regenreicher  Jahre   von    1875 — 1884 


*)  Petermanns  Mitteil.  1902.  p.  178. 


884  Niederschlage. 

folgt  Prof.  Brückner  zeigt,  dass  auch  in  Ostsibirien  und  am  Amur 
die  35  jährige  Periode  der  Klimaschwankungen  hervortritt  Die 
Epochen  der  grössten  Regenhäufigkeit  und  Trockenheit  stellen  sich 
in  den  einzelnen  Fällen  etwas  unregelmässig  ein,  sie  verfnihen  oder 
verspäten  sich.  Diese  Verfrühung  oder  Verspätung  wird  dann  von 
der  nächsten  Epoche  der  betreffenden  Reihe  wieder  eingeholt  Auch 
die  Grenzen  der  feuchten  und  der  trockenen  Perioden  zeigen  derartige 
Unregelmässigkeiten.  Die  Klimaschwankungen  haben,  wie  Brückner 
betont,  eben  eine  meteorologische  und  keine  mathematische  Periode. 

Der  srrosse  Staubfall  vom  9.— 12.  März  1901.  Eine  ein- 
gehende Untersuchung  dieser  grossartigen  und  für  Norddeutschland  immer- 
hin seltenen  Naturerscneinung  haben  Q.  Hellmann  und  W.  Meinardus  in  ein- 
gehendster Weise  durchgeführt  Sie  erschien  um  so  lohnender,  weil  das  Be- 
stehen eines  wohlgeordneten  Netzes  meteorologischer  Stationen  in  Nord- 
deutschland, insbesondere  eines  dichten  Netzes  von  mehr  als  2000  Regen- 
stationen, von  vornherein  die  Möglichkeit  in  Aussicht  stellte,  die  be- 
sondem  Eigentümlichkeiten  eines  solchen  StaubfaUes,  weni^ens  für  das 
eben  genannte  Gebiet,  des  Niliem  aufzudecken.  Die  mmeralogischen 
Bestandteile  des  Staubes  hat  Prof.  Dr.  C.  Klein  an  einer  Auswahl  von  52 
Staubproben  untersucht  und  Prof.  Dr.  J.  Früh  vom  Polytechnikum  in 
Zürich  hat  seine  diesbezüglichen  Analysen  zur  Verfügung  gestellt  Femer  liess 
sich  eine  Reihe  von  Analysen  dieses  Staubfalles  verwerten,  die  in  Bremen, 
Budapest,  Fiume,  Graz,  Hamburg,  München,  Paris,  St  Petersburg,  Tunis 
und  Wien  gemacht  worden  sind. 

Die  Einzelheiten  ihrer  sehr  umfassenden  Arbeit  haben  Hellmann  und 
Meinardus  in  einer  grössern  Schrift  veröffentlicht  ^)  in  der  die  Hauptergeb- 
nisse von  den  beiden  Bearbeitern  formuliert  sind  wie  folgt: 

A)  Räumliche  Verbreitung  des  Staubfalles.  1.  Das  Gebiet 
des  Staubfalles  vom  9.— 12.  März  1901  erstreckt  sich  in  meridionaler  Rich- 
tung vom  südalgerischen  Wüstengebiete  nordwärts  bis  zu  den  süddänischen 
Inseln,  d.  i.  über  mehr  als  26  Breitengrade  oder  2800  km. 

Versprengte  Staubvorkommnisse  sind  noch  in  den  russischen  Gouverne- 
ments Kostroma  und  Perm  festgestellt,  die,  in  der  Luftlinie  gemessen,  mehr 
als  4000  Am»  vom  südlichen  Algier  entfernt  liefen. 

2.  Das  vom  Staubfalle  betroffene  Gebiet  ist  keine  geschlossene  Fläche, 
es  wird  vielmehr  von  staubfreien  Strecken  durchsetzt;  zu  diesen  gehört 
der  grösste  Teil  Süddeutschlands  und  der  nordösterreichischen  Kronländer, 
Russisch-Polen  u.  s.  w. 

8.  Der  Flächeninhalt  des  vom  Staube  betroffenen  Ländergebietes  lässt 
sich  auf  mindestens  800000  qkm  schätzen.  Dazu  kommen  noch  annähernd 
460000  gXcm  Meeresfläche  im  Mittelmeergebiete. 

B)  Zeitliches  Auftreten  und  Art  des  Staubfalles.  4.  Der 
erste  Eintritt  des  Staubfalles  verspätet  sich  von  Süden  nach  Norden  (1.  Be- 
weis für  die  afrikanische  Herkunft  des  Staubes). 

Im  südal^erischen  Wüstengebiete  herrschten  Staubstürme  am  8.,  9. 
und  10.  März,  in  Sicilien  und  Italien  fiel  Staub  am  10.,  in  den  Ostalpen  in 
der  Nacht  auf  den  11.,  im  mitliem  Norddeutschland  am  Vormittage  des 
11.,  in  Nordwestdeutschland  am  Nachmittage  und  Abende  des  11.,  im  süd- 
lichen Dänemark  in  der  Nacht  zum  12. 


^)  Abhandlungen  des  Königl.  Preuss.  Meteorologischen  Instituts  2.  No.  1. 
Der  grosse  Staubfall  vom  9.— 12.  März  1901.  Von  G.  Hellmann  und 
W.  Meinardus.    Mit  6  Tafehi,  Berlin  1901. 


Niederschläge.  385 

Weiter  östlich  traten  die  Staubfälle  später  auf:  in  Ungarn  am  11.  vor- 
mittags, in  Galizien,  Posen,  Westpreussen  am  Nachmittage,  in  Ostpreussen 
am  späten  Abende  des  11.  März,  in  den  schon  erwähnten  russischen  Gou- 
yemements  am  Nachmittage  und  Abende  des  12.  März. 

5.  Der  Staub  fiel  in  Algier  und  Tunis  trocken  aus  der  stürmisch  be- 
wegen Luft,  in  Italien  trat  ausser  trockenem  StaubfaUe  bei  stürmischem 
Scirocco  auch  von  Staub  durchsetzter  wässeriger  Niederschlag  auf.  In 
Österreich-Ungam  und  nördlich  davon  war  das  Phänomen  an  atmosphärische 
Niederschläge  (Regen,   Schnee,   Graupel,   Hagel   und  Eiskömer)  gebunden. 

C)  Menge  des  Staubes.  6.  Die  Quantität  des  auf  die  Flächen- 
einheit gefallenen  Staubes  (Staubfallintensität)  nimmt  im  allgemeinen  von 
Süden  nach  Norden  ab.  (2.  Beweis  des  afrikanischen  Ursprunges.)  Doch 
treten  infolge  von  Staubwirkung  lokale  Verdichtungen  auf,  wie  auf  der 
Südseite  der  Ostalpen  und  in  Holstein. 

Die  auf  europäischem  Boden  niedergefallenen  Staubmengen  haben 
schätzungsweise  ein  Gewicht  von  rund  1800  (XX)  Tonnen.  Zwei  Drittel 
davon  fielen  südlich  der  Alpen. 

D)  Beschaffenheit  des  Staubes.  7.  Die  Farbe  des  Staubes  war 
im  allgemeinen  rötlich  -  gelb  -  bräunlich.  Durch  lokale  Verunreinigungen 
haben  einige  Staubproben  eine  mehr  ins  Graue  spielende  Farbe  bekommen. 
Durch  Befeuchten  wird  der  Farbenton  dunkelrostbraun. 

8.  Die  mineralogischen  Bestandteile  des  Staubes  sind:  Hauptbestand- 
teil überall  Quarz,  femer  Thon  (Glimmer  und  Feldspat),  Galcit  und  Eisen- 
ozyde,  letztere  als  färbende  Substanz  (Limonitüberzug).  Seltenere  accesso- 
lische  Bestandteile  sind:  Gips,  Hornblende,  Biotit,  Turmalin,  Granat,  Magnetit, 
Epidot,  Titanit,  Rutil  und  Zirkon.  In  keiner  genauer  untersuchten  Probe 
fehlt  es  femer  an  geringen  organischen  Bestandteilen,  deren  Charakter  aber 
von  Ort  zu  Ort  wechsell 

Vulkanische  Gemengteile  fehlen  durchaus. 

9.  Der  Staub  ist  terrestrischen  Ursprunges,  stellt  ein  äolisches  Sedi- 
ment dar  und  wird  von  den  meisten  Sachverständigen  nach  seiner  mikro- 
skopischen Straktur  und  seiner  Zusammensetzung  als  trockenes  Verwitterungs- 
produkt,  als  feinste  Abwehung  von  Wüstensand,  als  Löss  bezeichnet.  (8.  Be- 
weis des  afrikanischen  Ursprunges.) 

Die  auch  vertretene  Annahme,  es  handle  sich  um  Laterit  aus  den 
tropischen  Teilen  Afrikas,  ist  aus  meteorologischen  Gründen  abzuweisen. 

10.  Es  war  aus  Mangel  an  genauen  Analysen  von  Wüstensand  nicht 
möglich,  die  Ursprungsstätte  des  Staubes  im  afrikanischen  Wüstengebiete 
genauer  zu  bezeichnen. 

11.  Von  Süden  nach  Norden  hat  eine  Saigerung  der  Staubmassen 
nach  dem  spezifischen  Gewichte  und  der  Komgrösse  ihrer  Bestandteile  statt- 
gefunden.   (4.  Beweis  des  afrikanischen  Urspmnges.) 

Die  prozentische  chemische  Zusammensetzung  des  Staubes  zeigt  von 
Süden  nach  Norden  eine  Abnahme  des  Quarzgehaltes,  eine  Zunahme  des 
Thongehaltes.  Die  Grösse  der  Bestandteile  nimmt  in  gleicher  Richtung  ab. 
Der  Staub  wird  nach  Norden  hin  feiner,  die  grossem  Quarzsplitter  und 
Glimmerblättchen  fallen  heraus.  In  Palermo  hatte  die  Mehrzahl  der  Staub- 
teilchen eine  Grösse  von  0.011— 0.013  mm,  in  Bergedorf  bei  Hamburg  von 
0.0088— 0.(X)9  mm.    Ein  Quarzkömchen  des  in  Norddeutschland  gefaUenen 

Staubes  hatte  durchschnittlich  ein  Gewicht  von——-------—-  g 

3200000000  ^ 

E)  Witterungs  Verhältnisse  während  des  Staubfalles. 
12.  Gleichzeitig  mit  der  Ausbreitung  des  Staubfalles  nach  Norden  zog  vom 
10. — 12.  März  eine  Depression  von  Tunis  nach  der  südlichen  Ostseeküste 
in  nahezu  nordnordöstiicher  Richtung. 

13.  Die  Ursprungsstätte  dieser  Depression  lässt  sich  nicht  ermitteln. 
Die  Wind-  und   Wetterverhältnisse  am  9.  März  deuten  aber  darauf  hm. 


336  Niederschläge. 

dass  schon  um  diese  Zeit  eine  Depression  im  südalgerischen  Wüstengebiete 
vorhanden  war,  die  vielleicht  bei  ihrer  Nordwärtsbewegung  nach  der  Bai 
von  Tunis  durch  das  Hinzukommen  einer  aus  Nordwesteuropa  stammenden 
flachen  Depression  verstärkt  wurde. 

14.  Die  Lage  einer  Depression  über  Tunis  scheint  überhaupt  für  die 
Entwickelung  von  Staubstürmen  und  eine  nachhaltige  Trübung  der  Luft 
in  der  Wüste  El  Erg  besonders  günstig  zu  sein,  da  bei  dieser  Wetterlage 
das  Wüstengebiet  in  Lee  des  algerischen  Hochlandes  liegt  und  von  fohn* 
artigen  trockenen  Winden  getreuen  wird,  so  dass  der  dort  aufgewirbelte 
Staub  von  Niedersdtdägen  nicht  wieder  zu  Boden  gebracht,  sondern  durch 
die  Winde  in  den  östlichen  Quadranten  der  Depression  getragen  wird. 

15.  Die  Bewegung  der  Depression  von  Süden  nach  Norden  lasst 
erfahrungsgemäss  auf  die  Ebdstenz  einer  allgemeinen,  sie  forttragenden  süd- 
lichen Luftströmung  in  den  untern  und  mittlem  Luftschichten  schliessen. 

16.  Die  Luftdnickverteilung  in  2500  m  Höhe  deutet  ebenfalls  auf  eine 
Südströmung  von  Tunis  nach  dem  mittlem  Norddeutschland  hin. 

17.  Die  Beobachtungen  bestätigen,  dass  am  10.  und  11.  März  ein 
breiter  Luftstrom  von  Süden  nach  Norden  Sicilien,  Italien  und  Mitteleuropa 
überweht  hat. 

In  Sicilien  und  Italien  herrschte  am  10.  März  überall  stürmischer 
Scirocco  aus  Süd  und  Südost.  Weiter  nach  Norden  lässt  sich  der  südliche 
Luftstrom  nur  in  den  obem  Schichten  aus  den  Beobachtungen  auf  den 
Gipfeln  der  Ostalpen  und  des  Riesengebirges  erkennen.  In  den  untem 
Schichten  wehten  schwache  cyklonische  östliche  Winde.  Stellenweise 
durchbrach  in  Norddeutschland  die  obere  Südströmung  böenartig  die  seichte, 
fast  rahende  untere  Luftschicht  und  drang  bis  zur  Erdobemache  durch. 

18.  Das  gleichzeitige  Auftreten  des  starken  Südstromes  mit  dem  Staub- 
falle  von  Algier  nordw^ts  beweist  die  afrikanische  Herkunft  des  Staubes. 
(5.  Beweis  für  den  afrikanischen  Ursprung  des  Staubes.) 

19.  Mit  dem  Scirocco,  bezw.  der  obem  südlichen  Luftströmung  drang 
eine  an  Intensität  abnehmende  Wärmewelle  yon  Nordafrika  bis  nach  Nord- 
deutschland vor.  Die  Wirkung  des  Scirocco  reichte  also  fast  bis  an  die 
deutsche  Ostseeküste. 

20.  Die  Geschwindigkeit  der  obem  südlichen  Luftströmung  ist  auf 
den  Alpengipfeln  und  auf  der  Schneekoppe  zwischen  6  und  10  der  Beaufort- 
skala  geschätzt  worden.  Aus  der  Fortbewegung  von  Regenschauem  in 
Norddeutschland  ergiebt  sich  eine  mit  jenen  Windstärken  übereinstimmende 
Geschwindigkeit  von  70  km  in  der  Stunde  oder  rund  20  m  pro  Sekunde. 

21.  Durch  die  Kombination  mehrerer  genauer  Zeitangaben  über  den 
ersten  Eintritt  des  Staubfalles  oder  der  ersten  Trübung  der  Atmosphäre 
ergiebt  sich,  dass  der  Staub  von  Sicilien  nach  Norddeutschland  sich  eben- 
faUs  mit  einer  Geschwindigkeit  von  mindestens  70  Am  verbreitet  hat.  Die 
Geschwindigkeit  der  obem  Südströmung  und  der  Staubverfrachtung  sind 
demnach  dieselben.    (6.  Beweis  für  den  afrikanischen  Ursprang  des  Staubes.) 

22.  Unabhängig  von  dieser  Staubverbreitung  in  rein  meridionaler 
Richtung  nach  dem  mittlem  Norddeutschland  trat  weiter  östlich  zu  einer 
spätem  Stunde  eine  Staubwolke  auf,  die  in  der  Nacht  vom  10.  auf  den 
11.  März  die  dalmatinische  Küste  bei  Curzola  berührte,  über  Bosnien  und 
Ungarn  mit  einer  Geschwindigkeit  von  70— 80  Am  (20— 22  m  pro  Sekunde) 
offenbar  von  einem  östlichem  Zweige  der  allgemeinen  Südströmung  fort- 
getragen wurde.  Auch  der  späte  Staubfall  in  West-  und  Ostpreussen  darf 
als  eine  Fortsetzung  des  ungarischen  angesehen  werden. 

23.  Die  Verbreitung  des  Staubfalles  ist  südlich  der  Alpen  auf  die 
östliche  Seite  der  Depressionsbahn  beschränkt  geblieben,  nördlich  davon 
erstreckt  sich  aber  das  Gebiet  mit  Staubfall  je  nördlicher  desto  weiter 
westlich  von  jener  Bahn.  Diese  Erscheinung  lässt  sich  durch  eine  von 
Süden  nach  Norden  zunehmende  Verlangsamung  der  Depressionsbewegung 


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Niederschläge.  337 

in  dar  Weise  erklären,  dass  der  stauberfüllte  südliche  Lnltstrom,  vermöge 
seiner  nössem  Geschwindigkeit  voraufieiiend,  von  der  Ostseite  der  Depression 
allmähBch  in  den  nördlichen  und  westlichen  Quadranten  der  letztem  über* 
greifen  konnte. 

24.  Im  übrigen  wurde  das  Phänomen  in  Deutschland  nur  dort  wahr- 
gedommen,  wo  es  zur  Zeit  der  Stauberfüllung  zu  atmosphärischen  Nieder- 
schlägen kam. 

Zwischen  dem  Nordfusse  der  Alpen  und  Mitteldeutschland,  sowie 
nördlich  der  Sudeten  in  Schlesien  erfolgte  kein  Staubfall,  weil  hier  im  Lee 
des  Gebirges  am  Vormittage  des  11.  März  keine  Niederschläge  fielen.  Im 
mittlem  und  ösüichen  Deutschland  ist  Staub  bei  schwachen  Regenschauern 
gefallen,  die  am  Vormittage,  bezw.  Nachmittage  des  11.  März  mit  der  obem 
stauberfüllten  Luftströmung  aus  Süden  zogen.  Im  lUieinstromgebiete  sind 
trotz  reichlicher  Niederschlage  nur  sporadische  Staubvorkommnisse  zu  ver- 
zeichnen, weil  dies  Gebiet  von  der  Hauptmasse  des  stauberfüllten  Luft- 
stromes unberührt  blieb.  Letzterer  war  gegen  das  nordwestliche  Deutschland 
(Hannover,  Holstein)  gerichtet,  wo  mit  reichlichen  Schneefällen  auch  grosse 
Staubmassen  zu  Boden  kamen. 

25.  Die  mehrfache  Unterbrechung  des  Staubfalles  weist  darauf  hin, 
dass  der  obere  Luftstrom  nicht  gleichmässig  mit  Staub  erfüllt  war. 

26.  Der  Staubfall  vom  19.— 21.  März  war  von  viel  geringerer  Aus- 
dehnung und  Intensität  als  der  vom  9.— 12.  März.  Auch  bei  ihm  ist  der 
afrikanische  Ursprung  erwiesen. 

F)  Meteorologische  Ergebnisse.  27.  Weder  beim  ersten,  noch 
beim  zweiten  Staubfalle  war  die  Luf tdruckverteüung  im  Meeresniveau  mass- 
gebend für  die  Verteilung  der  Niederschlagsmengen.  Das  von  den  be- 
treffenden Depressionen  am  11.  und  21.  März  durchzogene  Gebiet  blieb  in 
beiden  Fällen  fast  niederschlagslos. 

Für  die  Niederschlagsverteilung  war  vielmehr  die  Luftdrackverteilung 
in  einem  obem  Niveau  massgebend,  denn  das  Grebiet  grössten  Nieder- 
schlages lag  nordwestlich  von  dem  untern  Luftdmckminimum,  d.  h.  nach 
der  Richtung  hin,  nach  welcher  die  Achse  der  Depression  geneigt  war. 

28.  Das  Niederschlagsgebiet  an  der  Nordwestseite  der  Depression  war 
in  beiden  Fällen  streifenförmig  lang  gestreckt  und  scharf  nach  Nordwesten 
hin  g^en  ein  vollkommen  niederschlagsloses  Gebiet  abgegrenzt.  Der 
Niederschla^sgradient  betrug  hier  stellenweise  nahezu  2  mm  auf  1  km, 

29.  Die  südliche  Herkunft  der  Luftmassen,  aus  denen  die  Niedei^ 
schlage  am  11.  und  21.  März  in  Norddeutschland  herabfielen,  ist  durch  die 
Staubbeimengung  erwiesen. 

80.  Die   scharfe   Nordwestgrenze    des   Niederschlags-  und  Staubfall- 

gebietes  beweist  den  heterogenen  Ursprang  der  Luftmassen  zu  beiden  Seiten 
ieser  Grenze.  Die  Luftdrackverteilung  im  obem  und  untem  Niveau  lässt 
keinen  Zweifel  darüber,  dass  die  L|iftmassen  nordwestlich  der  genannten 
Grenze  aus  einem  Hochdrackgebiete  im  Nordwesten  stammten  und  daher 
trocken  waren. 

81.  Eine  ähnliche  Erscheinung  zeigt  sich  auch  beim  zweiten  Staubfalle, 
nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  das  Hochdruckgebiet  im  Norden  lag,  und 
die  dadurch  verursachten  kalten,  trockenen  Nordostwinde  in  Norddeutschland 
stürmisch  waren. 

82.  Die  ungewöhnlich  grosse  und  scharf  begrenzte  Anhäufung  von 
Schnee-  und  Staubmassen  am  11.  März  im  nordwestlichen  Deutschland 
legt  die  Vermutung  nahe,  dass  hier  die  südliche  obere  Luftströmung,  die 
am  Vormittage  des  11.  März  Mitteldeutschland  überwehte,  ohne  an  Staub- 
und Wasserdampfgehalt  nennenswerte  Mengen  zu  verlieren,  eine  Hemmung 
ihrer  horizontalen  Bewegung  zu  Gunsten  einer  vertikalen  erfahren  hat, 
wodurch  die  Kondensation  des  Wasserdampfes  und  dannt  zugleich  reich- 
licher StaubfaU  veranlasst  wurde. 

Klein,  Jahrbuch  XHI.  22 


338  Winde  und  Stürme. 

83.  Die  Ursache  dieser  Bewegunffsändemng  bestand  entweder  in  einem 
Aufstaue  jenes  Luftstromes  an  dem  heterogenen,  aus  dem  nordwestlichen 
HochdrucKgebiete  kommenden  oder  in  einem  Hinaufschieben  der  wasserdampf- 
reichem  Luftmassen  des  Südstromes  auf  die  trockenen  kaltem,  aus 
Norden  stammenden.  Letztere  Anschauung  wird  durch  die  Beobachtung 
eines  Eiskömerfalles  im  nordwestlichen  Deutschland  besonders  begünstigt 
Beim  zweiten  Staubfalle  ist  eine  ähnliche  Argumentation  möglich. 

Oberhaupt  dürften  ähnliche  Vorgange  häufig  als  die  Ursache  reich- 
licher Niederschlagsbildung  in  Mitteleuropa,  namenthch  in  der  kalten  Jahres- 
hälfte, anzunehmen  sein. 

34.  Die  vorliegende  Untersuchung  lasst  es  wünschenswert  erscheinen, 
in  Zukunft  alle  Staubfälle  in  meteorologischer  Hinsicht  genauer  zu  er- 
forschen, da  sie  ein  vorzügliches  Mittel  darbieten,  den  Weg  der  obem 
Luftströmungen  zu  verfolgen. 


Winde  und  Stürme. 

Ober  die  Beziehung  zwischen  Temperatur  und  Luft- 
bewegungr  In  der  Atmosphäre  unter  stationären  Verhält- 
nissen hat  J.  W.  Sandström  eine  bemerkenswerte  mathematische 
Untersuchung  veröffentlicht,  wobei  er  von  einer  von  Prot  V.  Bjerknes 
gegebenen  hydrodynamischen  Formel  ausgeht^)  Wegen  des  mathe- 
matischen Teiles  muss  auf  das  Original  verwiesen  werden,  dagegen 
seien  hier  die  hauptsächlichsten  Sätze  mitgeteilt,  zu  denen  Verf.  gelangt: 

L  Wenn  sich  die  Wolken  schneller  als  der  Wind  an  der  Erd- 
oberfläche bewegen,  und  man  sich  in  die  Richtung  der  Wolken- 
bewegung stellt,  so  hat  man  die  höhere  Temperatur  rechts  und  die 
niedrigere  links. 

II.  Wenn  sich  die  Wolken  langsamer  als  der  Wind  an  der 
Erdoberfläche  bewegen,  und  man  sich  gegen  die  Richtung  des  Windes 
stellt,  so  hat  man  ebenfalls  die  höhere  Temperatur  rechts  und  die 
niedrigere  links. 

Bewegen  sich  die  Wolken  in  derselben  Richtung  und  mit  der- 
selben Geschwindigkeit  wie  der  Wind  an  der  Erdoberfläche,  so  treten 
keine  Temperaturdifferenzen  ein. 

Wir  haben  in  unsem  Breiten  eine  starke  westliche  Trift  in  den 
höhern  Luftschichten.  Wenn  wir  uns  in  die  Richtung  dieser  Trift 
stellen,  d.  h.  ostwärts  blicken,  so  haben  wir  den  Äquator  rechts 
und  den  Pol  links,  d.  h.  eine  höhere  Temperatur  rechts  und  eine 
niedrigere  links.  Dies  stimmt  mit  dem  ersten  der  eben  angeführten 
Gesetze. 

Als  Beispiel  für  die  Anwendung  dieses  Gesetzes  betrachten 
wir  eine  Cyklone,  in  der  die  Wolken  sich  schneller  als  der  Wind 
bewegen.     Wenn   man   sich   nun  irgendwo  im  cyklonischen  Gebiete 


^)  Meteorol.  Zeitschr.  1902.  p.  161. 


Winde  und  Stürme.  339 

in  die  Bewegungsrichtung  der  Wolken  stellt,  so  hat  man  immer  das 
Zentrum  der  Cyklone  links  und  den  Aussenrand  der  Gyklone  rechts, 
also  nach  der  Regel  I)  eine  niedrigere  Temperatur  im  Zentrum  als 
4im  Aussenrande  der  Cyklone. 

Schliesslich  betrachten  wir  eine  Anticyklone,  in  der  die  Wolken 
sich  schneller  als  der  Wind  bewegen.  Stellt  man  sich  nun  irgendwo 
im  anticyklonischen  Gebiete  in  die  Bewegungsrichtung  der  Wolken, 
so  hat  man  immer  das  Zentrum  der  Anticyklone  rechts,  d.  h.  es  ist 
nach  der  Regel  I)  wärmer  im  Zentrum  der  Anticyklone  als  an  der 
Peripherie  derselben. 

m.  Wenn  die  Wolken  sich  schneller  als  der  Wind  an  der  Erd- 
oberfläche bewegen,  so  haben  die  Gyklonen  kalte  Zentra  und  die 
Anticyklonen  warme  Zentra;  bewegen  sich  dagegen  die  Wolken  lang- 
samer als  der  Wind,  so  haben  die  Gyklonen  warme  Zentra  und  die 
Anticyklonen  kalte  Zentra. 

IV.  Bewegen  sich  die  Wolken  schneller  als  der  Wind  an  der 
Erdoberfläche,  so  findet  in  den  Gyklonen  ein  dynamisches  Empor- 
saugen, in  den  Anticyklonen  ein  dynamisches  Herunterpressen  der 
Luft  statt;  bewegen  sich  dagegen  die  Wolken  langsamer  als  der 
Wind,  so  findet  in  den  Gyklonen  ein  dynamisches  Herunterpressen 
und  in  den  Anticyklonen  ein  dynamisches  Emporsaugen  der  Luft  statt 

Über  die  Entstehung  und  Entwickelung  der  Gyklonen 
bemerkt  Sandström  folgendes:  »Die  Gyklonen,  welche  über  Mitteleuropa 
ziehen,  kommen  grösstenteils  von  dem  Atlantischen  Ozeane,  wo  sie  sich 
ausgebildet  zu  haben  scheinen.  Ihr  Anfans  beruht  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  auf  der  Anhäufung  wanner,  feuchter  Luftmassen  über  dem  Golfstrome. 
Diese  Luftmassen  fangen  an,  in  die  Höhe  zu  steigen,  und  es  strömt  dabei 
längs  der  Meeresoberfläche  warme,  feuchte  Luft  von  allen  Seiten  herzu, 
um  die  aufsteigende  Luft  zu  ersetzen,  wobei  die  cyklonische  Drehung  um 
das  Zentrum  in   bekannter  Weise   entsteht.    Die  Gyklone  hat  noch  keine 

g-osse  Höhe  in  der  Atmosphäre  erreicht,  und  die  stärkste  cyklonische 
rehung  um  das  Zentrum  befindet  sich  in  der  Nähe  der  Meeresoberfläche. 
Wir  haben  somit,  infolge  des  Gesetzes  (EI),  eine  Gyklone  mit  warmem 
Zentrum.  Nach  dem  Gamotschen  Prinzipe  wird  in  diesem  Anfangszustaude 
immer  Wärme  in  Bewegungsenergie  umgesetzt. 

Je  mehr  Bewegungsenergie  der  Wirbel  bekommt,  desto  unabhängiger 
wird  er  vom  Golfstromgebiete,  und  bald  macht  er  sich  los,  um  in  bekannter 
Weise  ostwärts  zu  wandern.  Wegen  der  Reibung  gegen  die  Meeresober- 
fläche und  später*  gegen  die  Erdoberfläche  wird  die  unterste  Luftschicht 
retardiert,  und  die  Luftschicht,  wo  die  kräftigste  cyklonische  Drehung  statt- 
findet, steigt  in  die  Höhe.  Nach  der  Regel  HI  ist  nun  das  Gyklonenzentrum 
unterhalb  cueser  Schicht  kalt  und  oberhalb  derselben  warm.  Die  Reibung 
bewirkt  also,  dass  eine  Gyklone  mit  kaltem  Zentrum  entsteht.  Diese 
2  Gyklonen  werden  durch  (üe  Schicht  der  stärksten  Drehung  voneinander 
getrennt. 

Bei  den  wissenschaftlichen  Ballonfahrten  in  Berlin  hat  man  bis  in  die 
erreichten  Höhen  eine  immer  mit  der  Höhe  zunehmende  Luftgesohwindig- 
keit  gefunden.  Die  Schicht  der  stärksten  cyklonischen  Drehung  scheint 
also  noch  nicht  erreicht  worden  zu  sein.  Bei  diesen  Ballonfahrten  hat 
man  sich  aLso  immer  in  der  untern  Gyklone  mit  kaltem  Zentrum  be- 
funden. Es  ist  indes  klar,  dass  die  cyklonische  Drehung  nicht  bis  an  die 
Grenze  der  Atmosphäre   zunehmen   kann,    sondern  einmal  mit  der  Höhe 

22» 


340  Winde  und  Stfirme. 

almehmen  muaa.  Daselbst  wird  man  dann  notwendig  eine  Oykloae  mit 
wannem  Zentrum  finden. 

Die  amerikanischen  Cykionen  befinden  sich  offenbar  in  einem  viel 
frühem  Entwickelungszustande  als  die  europäischen.  In  den  Cykionen,. 
welche  auf  der  Drachenstation  Blue  Hill  untersucht  worden  sind,  ist  die 
cyklonische  Drehung  meistens  in  9000— 4000  m  Höhe  verschwunden.^)  Di» 
iLTäftigste  cyklonische  Drehung  muss  sich  demnach  nicht  weit  oberhalb  der 
Erdoberfläche  befinden.  Man  hat  auch  in  Amerika  in  der  Regel  Cykionen 
mit  warmem  Zentrum.  Das  wärmste  Gebiet  befindet  sich  aber  nicht  in  un- 
mittelbarer N&he  der  Erdoberfläche,  sondern  in  etwa  1000  m  Höhe  über 
derselben.  Es  hat  mithin  schon  eine  Abkühlung  in  den  untersten  Schichten 
begonnen,  welche  wahrscheinlich  der  Bildung  des  kalten  Kernes  daselbst 
Yorausläuft. 

Es  wird  aus  dem  hier  Angeführten  klar,  wie  wichtig  es  ist,  die  Cykionen 
in  allen  Phasen  ihrer  Entwicklung  zu  studieren.  Von  besonderem  Interesse^ 
dürfte  es  dabei  sein,  die  Höhe  der  Schicht  der  stärksten  cykionischen 
Drehung,  sowie  die  Temperaturverteilung  relativ  zu  dieser  Schicht  za 
beobachten. 

Um  zuletzt  die  Frage  von  den  Energieumsetzungen  in  den  CjrkloneD 
zu  berühren,  so  sei  bemerkt,  dass  die  Luft,  wie  man  leicht  findet,  im  An- 
fangsstadium der  Cyklone  einen  direkten,  im  Bndstadium  desselben  einen 
umgekehrten  Camotschen  Kreisprozess  durchläuft.  Während  der  1.  Periode^ 
wird  Wärme  in  Bewegungsenergie  umgesetzt,  während  der  2.  erhält  sich 
die  Cyklone  aus  diesem  Vorrate  von  Bewegungsenergie,  bis  alles  wieder  ia 
Wärme  verwandelt  worden  ist. 

Man  kann  sich  auch- die  erste  Entstehung  der  Cykionen  in  anderer  Weis» 
denken  als  durch  Erwärmung  an  der  Oberfläche  der  Erde.  Es  finde  sich 
z.  B.  in  der  Höhe  ein  kräftiger  Luftstrom  und  auf  der  linken  Seite  des^ 
selben  ein  anderer,  welcher  sich  in  entgegengesetzter  Richtung  bewegt 
Nach  der  Regel  IV  wird  dann  im  Gebiete  zwischen  den  2  Strömen  die 
darunterliegende  Luft  emporgesaugt  und  die  darüberliegende  herabgCMsaugt, 
und  wenn  sich  dieses  an  einer  Stelle  stärker  lokalisiert,  so  sind  die  Be- 
dingunffen  für  das  Zustandekommen  einer  regulären  Cyklone  gegeben.  Auch 
eine  solche  Cyklone  hat  ein  kaltes  Zentrum  unterhalb  und  ein  wanne» 
oberhalb  der  Schicht  der  kraftigsten  cykionischen  Drehung.  In  einer  solchen 
Cyklone  läuft  die  Luft  immer  in  umgekehrtem  Camotschen  Kreisprozesse, 
d.  h.  es  wird  immer  Bewegungsenergie  in  Wanne  umgesetzt.  Wenn  also 
die  Luftströme,  welche  die  Cyklone  erzeugt  hat,  nicht  fortwähren,  so  wird 
die  Intensität  der  Cvklone  nach  und  nach  abnehmen.  Die  SchwächuQj^ 
kann  indessen  durch  die  bei  der  Kondensation  des  Wasserdampfes  frei- 
gewordene Wärme  beträchtlich  verzögert  werden. 

Wenn  dagegen  auf  der  rechten  Seite  eines  Luftstromes  in  der  Höhe 
ein  anderer  in  entgegengesetzter  Richtung  zieht,  so  wird  nach  der  Regel  IV 
in  der  Schicht  zwischen  den  2  Strömen  die  darunterliegende  Luft  herunter- 
gepresst  und  die  darüberliegende  in  die  Höhe  getrieben,  und  wo  sich  dieses 
am  stärksten  lokalisiert,  bildet  sich  eine  Anticyklone.  Diese  hat  nach  der 
Regel  ni  ein  warmes  Zentrum  unterhalb  und  ein  kaltes  Zentrum  oberhalb 
der  Schicht  der  stärksten  anticyklonischen  Drehung.  Die  Luft  durchläuft 
in  einer  solchen  Anticyklone  immer  einen  umgekehrten  Camotschen  Kreis- 
prozess, d.  h.  es  wird  immer  Bewegungsenergie  in  Wärme  umgesetzt  Die 
Sommerantioyklonen  in  unsem  Breiten  dürften  in  dieser  Weise  entstehen. 

Prof.  V.  Bjerknes  bemerkt  in  Anknüpfung  an  die  Sandströmsche 
Abhandlung,  dass,  nachdem  hier  gezeigt  ist,  wie  man  mit  Hilfe  der  Zirku- 
lationstheorie die  Mechanik   der  Cyklone  mit  kaltem  und  die  Anticyklone 


^)  H.  Helm  Clayton:  »Studien  cyklonaler  und  anticyklonaler  Erschei- 
nungen mittels  Drachen.«   lUustr.  Aeron.  Mittl.  1900.  No.  8. 


Winde  und  Stonne.  841 

jDii  wannem  Zentnim  erklären  kann,  ee  auch  keine  Schwierigkeit  hat,  die 
Erklärung  in  elementare  Form  zu  kleiden,  natürlich  unter  der  Voraussetzung, 
dass  man  sie  nur  in  qualitativer  und  nicht  in  quantitativer  Form  sucht. 
»Sandströms  Entwickehingen  zeigen,  dass  die  Erscheinung  in  beiden  Fällen 
aol  den  schon  vorhandenen  horizontalen  Bewegungen  beruht,  und  zwar 
«uf  Unterschieden  in  der  Intensität  der  horizontsden  Bewegungen  unten  an 
der  Erde  und  in  den  hohem  Luftschichten.  Durch  diese  Bemerkung  wird 
man  leicht  auf  die  folgende  Überlegung  geführt. 

Ein  materieller  Punkt,  welcher  sich  in  horizontaler  Richtung  bewegt, 
vvird  von  der  ablenkenden  Kraft  der  Erdrotation  nach  rechts  getrieben. 
Die  Bahn  des  Punktes  sei  nun  kreisförmig;  durchläuft  der  Puiüd;  diese 
Bahn  in  cyklonischer  Richtung,  so  wird  die  Ablenkung  nach  rechts  den 
Radius  des  Kreises  zu  vergrössem  suchen.  Die  ablenkende  Kraft  tritt  als 
«ine  »zentrifugale«  Kraft  auf.  Wenn  dagegen  der  Punkt  die  kreisförmige 
Bahn  in  anticyklonischer  Richtung  durchläuft,  so  wird  die  nach  rechts 
gerichtete  Ablenkung  den  Radius  des  Kreises  zu  verkleinem  suchen.  Die 
-ablenkende  Kraft  tritt  als  eine  »zentripetale«  Kraft  auf. 

in  einer  cyklonisch  rotierenden  Luftmasse  wird  die  zentrifugale  Kraft 
unten  an  der  Erde  dem  Zuströmen  zum  Cyklonenzentrum  entgegenwirken, 
in  der  Höhe  dagegen  das  Abströmen  von  diesem  Zentrum  befördern.  Ist 
nun  die  Bewegung  unten  an  der  Erde  intensiver  als  in  der  Höhe,  so  wird 
die  zentrifugale  Kraft  unten  dem  Zuströmen  stärker  entgegenwirken,  als 
«e  in  der  Höhe  das  Abströmen  befördern  kann;  unter  solchen  Umständen 
kann  ein  Aufsteigen  im  Zentrum  nur  Zustandekommen  unter  der  Bedingung, 
•dass  die  dort  befindliche  Luft  hinlänglichen  Auftrieb  hat,  um  den  dyna- 
mischen Widerstand  zu  überwinden,  d.  h.  die  Luft  im  Cyklonenzentrum 
muss  wärmer  als  in  den  Umgebungen  sein.  Wenn  dagegen  die  Rotation 
in  der  Höhe  stärker  ist  als  unten  an  der  Erde,  so  wird  die  zentrifugale 
Kraft  das  Abströmen  in  der  Höhe  stärker  befördem,  als  sie  dem  Zuströmen 
unten  an  der  Erde  entgegenwirken  kann.  Die  Luftmassen  im  Cyklonen- 
zentrum werden  dann  in  die  Höhe  getrieben,  selbst  wenn  sie  schwerer  als 
die  umgebenden  sind;  und  wenn  sie  nicht  schon  von  Anfang  an  schwerer 
«ind,  so  müssen  sie  es  zuletzt  infolge  der  adiabatischen  Abkühlung  werden, 
denn  wenn  man  nicht  ganz  unmögliche  Werte  des  Reibun^swiderstandes 
annehmen  will,  so  folgt,  dass  sich  der  stationäre  Zustand  erst  einstellen  kann, 
nachdem  die  Cyklone  ein  kaltes  Zentmm  erhalten  hat. 

Wenn  die  Luftmassen  anticyklonisch  rotieren,  so  hat  man  die  genau 
«ntsprechende  Überlegung  mit  der  zentripetalen  Kraft  anzustellen.  Ist  die 
anticyklonische  Rotation  der  untem  Schichten  die  stärkere,  so  wird  die 
centripetale  Kraft  unten  an  der  Erde  dem  Abströmen  der  Luft  stärker  ent- 
gegenwirken, als  sie  in  der  Höhe  das  Zuströmen  befördern  kann.  Wenn 
ledoch  die  Luftmassen  im  Zentram  heruntersinken,  so  kann  es  nur  darauf 
beruhen,  dass  sie  hinlänglich  schwer  sind,  um  den  dynamischen  Widerstand 
zu  überwinden.  Die  Anticyklone  hat  dann  ein  kaltes  Zentram.  Wenn  da- 
gegen die  hohem  Luftschichten  stärker  rotieren,  so  kehrt  sich  das  Ver- 
hältnis um.  Die  zentripetale  Kraft  befördert  das  Zuströmen  der  Luft  in 
der  Höhe  stärker,  als  sie  unten  dem  Abströmen  entgegenarbeiten  kann,  und 
2war  kann  wieder  der  stationäre  Bewegungszustand  erst  eintreten,  nachdem 
die  abwärtsgetriebene  Luft  durch  adiabatische  Kompression  hinlänglich  «^ 
wärmt  worden  ist,  um  höhere  Temperatur  als  die  Umgebungen  zu  haben. 
Die  Anticyklone  muss  also  schliesslich  ein  warmes  Zentrum  erhalten. 

Man  kann  natürlich  auch  die  Erklärang  des  kalten  Zentrams  der 
€^vkIonen  und  des  warmen  der  Anticyklonen  auf  die  absolute,  anstatt  auf 
die  relative  Bewegung  der  Luftmassen  beziehen.  Man  löst  dann  die  Rotation 
der  Erde  in  2  Komponenten  auf,  eine  längs  und  eine  senkrecht  zu  der 
Oyklonen-  oder  Anticyklonenaxe,  und  der  wichtigste  Punkt  ist,  dass  in  der 
absoluten  Bewegung  alle  Rotationen  um  die  CyUonen-  oder  Anticyklonen- 


342  Winde  und  Stürme. 

aze  in  derselben  Richtung  stattfinden.  Der  Unterschied  zwischen  der 
Gyklone  und  der  Anticyklone  ist  nur,  dass  die  Rotation  der  (>klone 
schneller,  die  der  Anticvklone  langsamer  als  die  der  Erde  ist.  Hieraus 
folgt  auch,  dass  die  absolute  Rotation  in  den  Anticyklonen  dort  am  stärksten 
ist,  wo  sie,  von  der  rotierenden  Erde  aus  gesehen,  am  langsamsten  erscheint. 
Hält  man  dieses  fest,  so  findet  man  die  oben  entwickelten  Resultate  als 
einfache  Wirkungen  der  Zentrifugalkraft  wieder.  Es  hat  auch  Interesse, 
hervorzuheben,  dass,  wenn  man  der  Erklärung  der  Cyklonen  mit  kaltem 
und  der  Anticyklonen  mit  warmem  Zentrum  diese  Form  giebt,  man  der 
Hauptsache  nach  auf  die  Eridärung  zurückkommt,  welche  James  Thomson 
schon  im  Jahre  1857  von  den  über  den  Polargebieten  lagernden  Cyklonen 
mit  kaltem  Zentrum  gab. 

Die  tägliche  Bewegung  der  Luft  über  Hamburg  ist  yod 
Prof.  Dr.  J.  Schneider  untersucht  worden  auf  Grund  der  anemo- 
metrischen  Aufzeichnungen  auf  der  Deutschen  Seewarte. ^)  Infolge 
des  Einflusses  der  Sonne  suchen  die  verschiedenen  Schichten  der 
Erdatmosphäre  taglich  ihr  Volum  zu  ändern.  Diejenigen  Luftteile^ 
die  von  den  Sonnenstrahlen  getroffen  werden,  streben,  solange  ihre 
Erwärmung  zunimmt,  und  solange  ihr  Wasserdampfgehalt  wächst, 
nach  den  verschiedensten  Richtungen  hin  sich  auszudehnen.  Die- 
jenigen Teile  dagegen,  welche  dem  Sonneneinflusse  entzogen  sind, 
▼erkleinem  wegen  der  eintretenden  Abkühlung  und  Wasserdampf- 
kondensation wieder  ihren  Rauminhalt.  Im  Zusammenhange  damit 
sind  an  einem  gegebenen  Erdorte,  ganz  unabhängig  von  der  jeweiligen 
Luftdruckverteilung,  tägliche  Verschiebungen  der  Luftmassen  von  W 
nach  E,  sowie  von  S  nach  N  und  in  den  umgekehrten  Richtungen 
zu  erwarten.  Diese  regelmässigen,  horizontalen  Bewegungen  der 
Luftteilchen  in  dem  Chaos  der  veränderlichen  Winde  nachzuweisen 
und  ihrer  Grösse  nach  zu  ermitteln,  ist  der  Zweck  der  bezeichneten 
Arbeit. 

Die  Gesamtzahl  der  Registrierungen  beträgt  85000,  und  bei  der 
Bearbeitung  kam  zunächst  der  Satz  vom  Parallelogramm  der  Ge- 
schwindigkeiten zur  Anwendung.  Mit  seiner  Hilfe  liess  sich  jede 
für  eine  Nebenhimmelsrichtung  verzeichnete  Windgeschwindigkeit  in 
zwei  neue  Geschwindigkeiten  zerlegen,  bezogen  auf  2  der  4  Haupt- 
himmelsrichtungen. Es  waren  zu  diesem  Zwecke  die  vorkommenden 
Geschwindigkeiten,  je  nach  der  zugehörigen  Windrichtung  mit  dem 
Sinus  der  Winkel  von  22^/,,  46  oder  67^/g®  zu  multiplizieren.  Dies 
geschah  mit  allen  für  den  Zeitraum  von  10  Jahren  angegebenen 
stündlichen  Werten.  Die  so  erhaltenen  Geschwindigkeiten  wurden 
dann  in  vier  verschiedenen  Rubriken  für  W-,  E-,  S-  und  N-Wind  ge- 
sammelt, für  jeden  Monat  einzeln  addiert  und  aus  diesen  Summen 
durch  Division  mit  der  Zahl  der  Beobachtungstage  das  Mittel  ge- 
nommen. Aus  den  Monatsmitteln  sind  dann  die  Jahresmittel  für 
jede  Tagesstunde  gewonnen  worden. 


1)  Meteorol.  Zeitschr.  1902.  p.  883. 


Winde  und  Stürme.  343 

Die  in  4  Rubriken  verteilten  Jahresmittel  der  stündlichen  Wind- 
geschwindigkeiten liessen  noch  eine  weitere  Kürzung  zu.  Wurde 
nämlich,  weil  die  vorherrschende  Windrichtung  WSW  ist,  die  Richtung 
des  W- Windes  und  die  des  S-Windes  als  positiv  angenommen,  so 
war  den  E-  und  N- Windgeschwindigkeiten  das  negative  Vorzeichen 
zuzuschreiben.  Alsdann  aber  konnten  je  zwei  entgegengesetzt  gerichtete 
Geschwindigkeiten,  algebraisch  summiert,  wieder  zu  einer  einzigen 
vereinigt  werden.  In  dieser  Weise  haben  sich  für  die  Grösse  der 
W-  und  S- Windkomponenten  in  den  einzelnen  Tagesstunden  der 
verschiedenen  Jahre  Durchschnittswerte  ergeben,  die  Aufnahme  fanden 
in  2  Tabellen. 

Die  Folgerungen,  die  aus  ihnen  gezogen  wurden,  sind: 

1.  Der  W-Wind  erreicht  etwa  1  Stunde  nach,  der  S-Wind 
1  Stunde  vor  Mittag  seinen  grössten  Wert  Das  Minimum  der  Ge- 
schwindigkeit tritt  für  den  W-Wind  ungefähr  um  SP,  das  für  den 
Südwind  um  6P  ein. 

2.  Die  mittlem  taglichen  Geschwindigkeiten  können  bei  W-Wind 
auf  das  Doppelte  (1.16min  1889  und  2.34 min  1893),  bei  S-Wind 
sogar  auf  das  Zehnfache  (0.14  m  in  1887  und  1.36  m  in  1894) 
steigen« 

3.  Die  Differenzen  zwischen  den  eben  angegebenen  grössten  und 
kleinsten  taglichen  Mittelwerten  der  Windgeschwindigkeiten  sind  da- 
gegen nahezu  gleich,  nämlich  für  den  W-Wind  1.18  m,  für  den 
S-Wind  1.22  m.  Dem  absoluten  Betrage  nach  ist  also  die  eine  Kompo- 
nente ebenso  veränderungsfähig  wie  die  andere. 

Ausserdem  zeigten  die  Tabellen  für  alle  Jahre  eine  deutliche 
tagliche  Änderung  der  Windgeschwindigkeiten.  Um  diese  noch  besser 
hervortreten  zu  lassen,  sind  aus  ihnen  Tabellen  hergeleitet  worden, 
in  denen  die  Abweichungen  der  stündlichen  Geschwindigkeits- 
komponenten von  den  täglichen  Mittelwerten  der  einzelnen  Jahre 
verzeichnet  sind.  Diese  geben  gewissermassen  die  stündlichen  Ge- 
schwindigkeiten wieder,  welche  vorhanden  gewesen  wären,  wenn 
jede  der  mittlem  täglichen  Geschwindigkeitskomponenten  den  Wert 
Null  gehabt,  wenn  also  tagsüber  im  allgemeinen  Windstille  ge- 
herrscht hätte. 

Uns  belehren  noch  nachstehende  Punkte: 

1.  Die  mittlem  täglichen  Änderungen  der  Windgeschwindig- 
keiten zeigen  sich  in  den  verschiedenen  Jahren  mit  der  gleichen 
Deutlichkeit.  Sowohl  bei  der  Geschwindigkeit  des  W-Windes  wie 
auch  bei  der  des  S- Windes  tritt  im  Laufe  des  Tages  ein  zweimaliger 
Vorzeichenwechsel  ein.  Die  Luftteilchen  führen  also  in  der  Richtung 
WE  und  SN  vollständige  Schwingungen  aus. 

2.  Diese  Schwingungen  erfolgen  ungleichmässig,  das  heisst  das 
Schwingen  von  einer  äussersten  Lage  zur  andem  und  wieder  zurück 
geht  in  ungleichen  Zeiten  vor  sich.     Während  ein  Luftteilchen  etwa 


844  Winde  und  Stönne. 

10  Stunden  lang  nach  £  oder  S  schwingt,  erfolgt  die  Bewegung  in 
den  entgegengesetzten  Richtungen  im  Verlaufe  von  14  Stunden. 

3.  Die  Mittelwerte  der  gesamten  taglichen  Änderungen  beider 
Windgeschwindigkeiten  sind  nahezu  gleich;  sie  betragen  in  der 
Richtung  W£  1.20  m,  in  der  Richtung  SN  1.26  m. 

4.  Die  grössten  Unterschiede  in  der  taglichen  Gesamtanderung 
zeigen  bei  W-Wind  die  Jahre  1889  und  1895  mit  0.53  m,  bei  S-Wind 
die  Jahre  1891  und  1892  mit  0.56  m  Differenz. 

5.  Die  weitesten  Verschiebungen  der  Luftteilchen  nach  den  4 
Haupthimmelsrichtungen  treten  in  denjenigen  Stunden  ein,  in  welchen 
sich  die  Geschwindigkeitsvorzeichen  umkehren.  Demnach  eireichen 
die  Luftteilchen  ihren  westlichsten  Ort  um  7^  den  östlichsten  um  5p, 
den  südlichsten  um  Mittemacht  und  den  nördlichsten  um  2P. 

Eine  bestimmte  Vorstellung  von  der  Gestalt  der  ganzen  Schwingungs- 
bahn eines  Luftteüchens  ist  in  folgender  Weise  zu  gewinnen.  Durch 
Multiplikation  mit  der  Sekundenzahl  einer  Stunde  lassen  sich  aus  den 
Geschwindigkeiten,  welche  in  den  Tabellen  vermerkt  sind,  leicht  die 
Verschiebungen  ermitteln,  die  ein  Luftteüchen  während  einer  jeden 
Tagesstunde  nach  E  oder  N  hin  erfährt  Wie  weit  sich  dabei  ein 
Teilchen  von  seinem  westlichsten,  bezw.  südlichsten  Standorte  zu 
einer  beliebigen  Stunde  entfernt  hat,  ergiebt  sich  durch  A'ddition 
der  stündlichen  Verschiebungen.  Trägt  man  die  hieraus  gewoimenen 
Abstände  in  ein  Koordinatensystem  ein,  so  erhält  man  ein  Bild  von 
der  Lage  der  einzelnen  Punkte,  welche  ein  Luftteilchen  im  Laufe 
eines  Tages  durcheilt,  und  damit  auch  von  dem  Wege,  welchen  es 
während  einer  vollständigen  Schwingung  zurücklegt. 

Hiemach  strebt  ein  Luftteilchen  über  Hamburg  unter  dem  Ein- 
flüsse der  Sonne  bei  windstiller  Witterung  täglich  eine  in  sich  ge- 
schlossene Bahn  zu  beschreiben. 

Diese  ist  von  ziemlich  einfacher  Form.  Sie  zeigt  ungefähr  die 
Gestalt  der  Axenschnittfigur  eines  Eies.  Die  Spitze  dieser  eiförmigen 
Kurve  ist  nach  NE,  das  stumpfe  Ende  nach  SW  gewandt.  Der 
ganze  Weg,  den  ein  Luftteilchen  täglich  zurückzulegen  bestrebt  ist, 
beträgt  durchschnittlich  45  km.  Beim  Durchlaufen  dieser  Bahn  wird 
ein  Gebiet  von  etwa  1 54  qkm  Flächeninhalt  umkreist  Die  Richtungen 
des  grossen  oder  des  kleinen  Durchmessers  der  Bahnlinie  stimmen 
mit  der  mittlem  Windrichtung  von  Hamburg  nicht  überein.  Während 
diese  nach  10jährigen  Beobachtungen  nahezu  mit  der  Richtung  WSW 
zusammenfällt  (ihr  Winkel  mit  der  WE-Richtung  beträgt  21^/,^), 
liegt  der  grosse  Durchmesser  der  Luftbahn  fast  genau  in  der  Richtung 
von  SW  nach  NE  und  hat  eine  Länge  von  Iß  km;  der  kleine  Durch- 
messer, senkrecht  dazu,  misst  12  km.  Aus  den  Abstanden  der 
einzelnen  Orter  ersieht  man,  dass  die  Bahn  mit  ungleicher  Ge- 
schwindigkeit durchlaufen  wird. 

Die  grössten  Geschwindigkeiten  der  Luftteilchen  sind  bei  sonst 
\vindstillem  Wetter   um    12P  und   7P,    die   kleinsten   um  4^  und  3P 


Winde  und  Stürme.  845 

vorhanden.  Das  Oeschwindigkeitsminimum  am  Tage  ist  weniger 
deutlieh  ausgeprägt  wie  das  in  der  Nacht  Namentlich  frühmorgens 
sind  die  Geschwindigkeitsänderungen  gering. 

Die  Richtung  der  Bewegung  ändert  sich  (abgesehen  von  einem 
einzigen  Werte  um  4^)  im  Laufe  eines  Tages  stets  in  demselben 
Sinne,  und  zwar  gemäss  der  Winddrehungsregel  von  Dove.  Die 
Grösse  der  Bichtungsänderung  ist  allerdings  während  eines  Tages 
ziemlich  ungleich.  Am  geringsten  ist  sie  nach  Mitternacht  Die 
durchschnittliche  Drehung  während  einer  Stunde  beträgt  von  12^ — 6^ 
etwa  10^  von  12*^—6?  dagegen  227^«.  Von  6*— 12*»  und  von  6P 
bis  zur  Mittemacht  sind  die  stündlichen  Drehungen  im  Mittel  ungefähr 
dieselben,  nämlich  gleich  14®.  Es  darf  wohl  angenommen  werden, 
dass  auch  an  andern  Orten  solche  regelmässige  Bewegungen  der 
Luittdichen,  wie  sie  hier  für  Hamburg  nachgewiesen  wurden,  sieh 
ti^ch  vollziehen. 

Die  Geschwlndigrkeit   und   Richtung    des  Windes  auf 

Grund  der  Beobachtungen  bei  den  Berliner  wissenschaftlichen  Luft- 
fahrten ist  von  A.  Berson  dargestellt  worden,  ^)  und  Hergesell  giebt 
davon  folgende  kurze  Darstellung.*)  Folgende  Fragen  wurden  bei  der 
Geschwindigkeit  erörtert: 

1.  Die  vertikale  Änderung  der  Windgeschwindigkeit  im  allge- 
meinen Durchschnitte. 

2.  Betrachtung  nach  den  Hauptwetterlagen  (Cyklone  und  Anti- 
cyklone). 

3.  Eine  Einleitung  auf  Grund  der  vorherrschenden  untern 
Richtungen  nach  den  2  Hauptwindsystemen:  westliche  und  östliche 
Winde. 

Die  mittlere  vertikale  Änderung  giebt  die  folgende  kleine  Tabelle 
wieder,  die  sich  im  wesentlichen  auf  1000  m-Zonen  beschränkt: 

Mittlere  Höhe Erde  500  1500  2500  8500  4500  5500m  und  höher. 

Geschwindigkeit 1     1.75  1.95  2.15    2.5     8.1     45 

Dieselbe  möge  noch  durch  folgende  Bemerkungen  ergänzt  werden: 

1.  Die  Windgeschwindigkeit  nimmt  alsbald  nach  dem  Verlassen 
der  Erde  in  den  untersten  500  m  erheblich  zu. 

2.  Das  weitere  Wachstum  scheint  besonders  zwischen  500  und 
1600  ein  sehr  geringes  zu  sein;  doch  ist  auch  darüber  hinaus  bis 
mindestens  8000  m  die  Zunahme  sehr  gering.  Demgemäss  ist  das 
Wachstum  der  Windgeschwindigkeit  nicht  bloss  innerhalb  der  ganzen 
Zone,  in  welcher  die  früher  beschriebenen  Störungsschichten  liegen, 
also  der  Zone  der  hauptsächlichen  Kondensation  überraschend  langsam. 

3.  Von  3000 — 4000  m  an  beginnt  eine  sehr  schnelle  Zunahme, 
indem  der  Gradient  ungefähr  den  dreifachen  Wert  verglichen  mit  dem 
der  darunter  liegenden  Schichten  erhält 

0  Wissenschaftliche  Luftfahrten  etc. 
<)  Meteorol.  Zeitschr.  1901.  p.  452. 


346  Winde  und  Stürme. 

»Die  fortschreitende  Abnahme  der  Reibung  und  Dichte  der  be- 
wegten Massen,  welche  vor  allem  die  Ursache  bildet  für  das  sprung- 
hafte Anwachsen  unter  500  m  und  über  3500  m,  wird  demnach  in 
der  etwa  3000  m  mächtigen  Zwischenschicht  durch  Diskontinuitäten, 
die  in  Eondensationserscheinungen  und  deren  Begrenzung  ihren 
Hauptgrund  haben,  zum  grossen  Teile  paralysiert  € 

Von  besonderem  Interesse  ist  das  Studium  der  vertikalen  Ge- 
schwindigkeitsverteilung bei  einer  Gruppierung  der  Winde  in  Ost- 
und  Westströme.  Hier  erscheint  ein  gegensätzlicher  Gang  in  der 
schärfsten  Form  ausgeprägt.  Bei  den  westlichen  Richtungen  findet 
ein  stetiges  Wachstum  mit  steigender  Höhe  statt;  während  bei  den 
Ostrichtungen  nur  in  den  untern  Schichten  ein  erhebliches  Anschwellen, 
von  da  an  ein  Stillstand,  ja  überwiegend  ein  Abflauen  zu  konstatieren 
ist.  Dieser  Gegensatz  ist  ungezwungen  durch  die  allgemeine  Zirku- 
lation zu  erklären,  bei  der  in  unsern  Breiten  in  den  hohem  Regionen 
die  W- Winde  die  vorwiegenden  sind. 

Bei  der  Erörterung  der  vertikalen  Änderung  der  Windrichtung 
giebt  Berson  zunächst  die  Gründe,  warum  bei  der  Bearbeitung  die 
Windrichtungen  sämtlicher  Höhen  auf  die  Isobaren  des  untern 
Niveaus  bezogen  sind,  und  warum  nicht  ein  etwa  bestehender 
Zusammenhang  mit  der  obern  Druckverteilung  aufgesucht  wurde. 
Hergesell  glaubt,  dass  eine  noch  schärfere  Gesetzmässigkeit  zu  Tag» 
getreten  wäre,  wenn  die  Druckverteilung  in  den  höhern  Niveaus  ins 
Auge  gefasst  worden  wäre.  Anderseits  will  er  aber  die  Schwierig- 
keit gerade  dieser  letzten  Behandlungsart  durchaus  nicht  verkennen, 
und  immerhin  sind  die  Resultate,  die  Berson  durch  seine  Behandlungs- 
weise  findet,  äusserst  bemerkenswert. 

Hergesell  geht  sogleich  auf  die  Unterschiede  ein,  die  sich  für 
die  Winddrehung  mit  der  Höhe  bei  der  Betrachtung  des  anticyklonalea 
und  cyklonalen  Regimes  gezeigt  haben.  Bei  der  ersterwähnten 
Druckverteilung  (der  Anticyklone)  herrscht  anhaltende  starke  Drehung^ 
des  Windes  nach  rechts,  die  nur  in  mittelhohen  Schichten  vorüber- 
gehend aufzuhören  scheint  Auf  diese  Weise  erreichen  die  Strom- 
bahnen die  untere  Isobarenrichtung  schon  in  verhältnismässig  geringer 
Höhe,  und  schon  über  diesem  Niveau  schlagen  dieselben  eine  Richtung 
ein,  die  den  zum  Maximum  zurückkehrenden  Strom  bildet 

Die  Drehung  erfolgt  in  der  Anticyklone  im  allgemeinen  nicht 
stetig  mit  wachsender  Höhe,  sondern  ruckweise,  und  scheint  an  be- 
stimmte Störungszonen,  die  sie  hervorrufen,  gebunden  zu  sein. 

Dieses  Resultat  stimmt  durchaus  mit  der  Lage  der  besondem 
Zonen,  der  Temperatur-  und  Feuchtigkeitsverteilung  überein. 

Bei  den  Cyklonen  ergab  sich  ebenfalls  im  allgemeinen  eine 
Drehung  nach  rechts,  jedoch  von  beträchtlich  geringerem  Ausmasse» 
Diese  Drehung  nahm  mit  der  Höhe  nur  wenig  zu  und  erreicht 
höchstens  die  Richtung  der  untern  Isobaren,  während  der  aus  dem 
Minimum   ausströmende,  zur  Anticyklone   hinführende  Strom  nie  er- 


Winde  und  Sturme.  347 

reicht  wurde.     Im  Gegensatze  zur  Anticyklone  kam  eine  sprungweise 
Änderung  der  Windrichtung  im  cyklonischen  Regime   fast  nie  vor. 

Ober  die  tägUehe  Drehung:  der  mitüern  Windrlehtung: 
und  über  eine  Osclllatlon  der  Luftmassen  von  halbtäsriger 
Periode  auf  BergrSTipfeln  von  2—4  T&m  Seehöhe  hat  J.  Hann 
Untersuchungen  angestellt.^) 

Er  ermittelt  aus  den  anemometrischen  Aufzeichnungen  die  stündlichen 
Werte  der  Windkraft  nach  den  vier  rechtwinkligen  Richtungen  N,  E,  S 
und  W  für  den  Sonnblick,  Süitis  und  Pikes  Peak  und  berechnet  deren 
täglichen  Gang  mit  Hilfe  von  trigonometrischen  Reihen.  Die  Abweichungen 
der  Stundenmittel  vom  Tagesmittel,  die  auf  diese  Weise  erhalten  werden, 
stellen  die  von  der  yorherrschenden  Windrichtung  befreite,  nur  vom  Sonnen- 
stande abhängige  täghche  Variation  der  Windkraft  nach  Richtung  und 
Stärke  vor.  Die  Berechnung  der  Resultierenden  aus  diesen  Daten  ergiebt 
die  nur  von  dem  Gange  der  Sonne  abhängige  täghche  Drehung  des  Windes 
auf  den  Berggipfeln. 

Der  Wind  dreht  sich  hiernach  im  Laufe  des  Tages  regelmässig  mit 
der  Sonne ;  er  ist  vormittags  östUch,  mittags  südlich,  nachmittags  westlich 
und  nordwestlich,  nachts  nördUch.  Er  weht  stets  beiläufig  von  dem  Orte 
her,  wo  die  Sonne  steht  rbleibt  aber  etwas  zurück).  Die  Tendenz  zu  Ost- 
winden am  Vormittage  erklärt  das  häufigere  Zurückgehen  des  Windes  am 
Vormittage  in  den  Gebieten  der  vorherrschenden  Westwinde,  während 
dagegen  nachmittags  die  direkten  Drehungen  überwiegen  müssen  (Regel 
von  Sprung).  Das  bemerkenswerteste  Ergebnis  ist  dabei,  dass  in  fünf  von  den 
6  Reihen  die  stündlichen  Azimute  des  Windes  (Sonnblick  1887—1889  und 
1891,  Säntis  1883—1886  und  1887—1889,  Obir  1887—1889)  so  genau  überein- 
stimmen, dass  sie  fast  als  Konstante  betrachtet  werden  dürfen.  Nur  Pikes 
Peak  hat  eine  Phasendifferenz  von  4  Stunden,  der  Gang  ist  aber  derselbe. 

Die  anemometrischen  Aufzeichnungen  auf  dem  Eiffeltürme  (302  m) 
ergeben,  wie  Angot  schon  früher  gezeigt  hat,  gleichfalls  eine  Drehung  der 
mittlem  Windrichtung  mit  der  Sonne.  Es  besteht  aber  gegenüber  den 
Berggipfeln  vormittags  eine  Phasendifferenz  von  6  Stunden  und  darüber 
(es  herrscht  auf  dem  Eiffeltürme  schon  NE  und  ENE,  wenn  auf  den  Berg- 
gipfeln noch  WNW  und  NW  weht),  nachmittaffs  ist  der  Unterschied  gering. 

Verfasser  untersucht  dann  näher  die  tätlichen  Änderungen  der  Wind- 
komponenten, welche  durch  harmonische  Reihen  dargestellt  werden.  Das 
wichtigste  Ergebnis  ist,  dass  bei  allen  4  Komponenten,  namentlich  aber 
bei  der  N-  und  S-Komponente,  eine  grosse  halbtägige  Periode  vorhanden 
ist,  welche  der  ganztägigen  gleichkommt  oder  sie  selbst  an  Grösse  über- 
trifft. Die  Winkelkonstanten  der  harmonischen  Reihen  stimmen  für  die 
einzelnen  Beobachtungsperioden,  sowie  für  die  verschiedenen  Stationen  in 
auffallender  Weise  überein.  NamentUch  gilt  dies  von  den  zusammengesetzten 
Komponenten  S— N  und  W— E.  Die  Mittelwerte  aus  diesen  Konstanten 
können  daher  eine  volle  reale  Bedeutung  in  Anspruch  nehmen.  Eine  Tabelle 
zeigt  speziell,  dass  die  doppelten  Maxima  und  Minima  der  obigen  Kompo- 
nenten in  jeder  der  6  Reinen  von  Werten  fast  genau  auf  die  gleichen 
Tagesstunden  fallen. 

Die  Konstanz  der  Phasenzeiten  und  die  Grösse  der  halbtägigen  Periode 
macht  es  wahrscheinhch,  dass  diese  regelmässige  tägliche  Oscillation  der 
Luftmassen  in  2 — 4  km  Seehöhe  mit  der  regelmässigen  täglichen  Barometer- 
schwankung in  Beziehung  stehe.  Der  Autor  vergleicht  deshalb  seine  Re- 
sultate mit  den  Forderungen  der  mathematischen   Theorie  der  täglichen 

^)  Anzeiger  der  Wiener  Akad.  1902.  p.  840. 


348 


Winde  und  Stünne. 


Barometeroflcillation  auf  thennischer  Gnmdlage  von  M.  Margales  und  findet 
eine  sehr  gute  Obereinstimmung. 

Verfasser  untersucht  auch  die  jahreszeitlichen  Änderungen  in  dem 
täglichen  Gange  der  Windkomponenten,  indem  er  denselben  im  Winter  und 
Sommer  auf  dem  Säntisgipfel  vergleicht  Die  S— N-Komponente  hat  Winter 
und  Sommer  den  gleichen  Gang,  die  W— E-Komponente  kehrt  denselben 
jaber  nur  bei  Tag)  gradezu  um:  im  Winter  Maximum  um  2^  nachmittags, 
im  Sommer  Minimum  um  Mittag;  die  nächtlichen  Extreme  bleiben  dabei 
unverändert.  Hierbei  ist  wieder  bemerkenswert,  dass  die  halbtägige  Periode 
auch  bei  der  Westkomponente  Winter  und  Sommer  recht  nahe  die  gleiche 
ist  (Phasenunterschied  l^t  Standen  Verspätung  im  Sommer). 

Verfasser  berechnet  dann  noch  den  täglichen  Ganff  der  mittlem 
Windstärke  bei  den  verschiedenen  Windrichtungen.  Es  steUt  sich  im  allge- 
meinen heraus,  dass  die  Regel,  welche  für  den  täglichen  Gang  der  Wind- 
stärke an  der  Erdoberfläche  gilt,  und  die  dahin  lautet,  dass  alle  Richtungen 
nahe  zur  selben  Zeit  das  Maximum  ihrer  Stärke  erreichen,  auch  für  die 
Berggipfel  Geltung  behält,  auf  welchen  aber  die  Maxima  bei  Nacht  eintreten 
(in  der  Niederung  bald  nach  Mittag).  Der  Verfasser  macht  nebenbei  aaf 
die  merkwürdige  Thatsache  aufmerksam,  dass  auf  dem  Dodabetta  Peak 
(2648  m)  in  Sümndien  zur  Zeit  der  Herrschaft  der  Ostwinde,  November  bis 
Mai,  das  Bfaximum  der  Windstärke  kurz  vor  Mittag  eintritt,  zur  Zeit  der 
Westwinde  aber,  Juni  bis  Oktober,  gerade  um  diese  Tageszeit  das  Minimum 
sich  einstellt.  Das  Maximum  fällt  bei  den  Westwinden  auf  die  Nacht- 
stunden, wie  bei  uns. 

Sturmtage  an  der  deutschen  Küste  im  Jahre  1901.    In 

einer  Arbeit  über  das  Wetter  in  Deutschland  giebt  Dr.  £.  Herrmann  ^) 
folgende  Übersicht  der  Sturmtage  des  Jahres  1901  an  der  deutschen 
Küste: 


Monat 


Nordsee 


Westliche  Ostsee 
(einschl.  Rflgen) 


östliohe  Ostsee 


Januar  . 
Febmar  . 
M&n   .    . 

April  .  . 
Mai  .  . 
Juni    .    . 

Juli  .  . 
August  . 
September 

Oktober  . 
November 


iber 


20,  SWt  26, 8W,  27.  SW 

-NW 


20.  NO 

4.  8W/NW 


27.  SW 
18.  NW 

6.  NW  7.  NW,  9.  NW 
19.  SW/NW,  28.  NW 


a  SW,  9.  NW 


20.  8Wj21.  JfW,  27.  SW 

—NW,  28.  NW 
24.  NW 

20.  NO,  21.  NO 

4.  SW/NW,  5.  NW 


27.  SW 


7.  SW-NW,  8.  SW-NW 

8.  NW,  14.  SW,  17.  SW, 
19.  S-vlr/NW,  jrf7.  NW, 

28.  NW,  30.  NW 

1.  NW,  &  SW,  16.  NO 


ai.^Tr,22.SW,23.NW, 

27.  SW 

9J3W,  10.NW^.SW/NW, 

24.  NW 

20.  NO,  21.  NO 

4.  SW/NW,  5.  NW 
12.'SW 

20.  SWr».  NW 


7.  SW-NW,  8.  SW 

6.  SW—NW^,  NW. 

a  SW/NW,  9.  NW,  1Ö.SW, 

17.SW,19.SW.20.NW, 

27.  SW,  28.  NW.  ÄÖ.  NW, 

ao.NÜr 

l.NW,8.SW,9.SW— NW 


Es  berichtet  an  den  kurs 
der  Signalstellen  der  Seewarte 
stärke  8  der  Beaufortskala  und 
die  Hälfte. 


i  y  gedruckten  Tagen  wenigstens  ein  Drittel 
auf  den  einzelnen  Küstenstrecken  Wind- 
darüber,  an  den  andern  Tagen  wenigstens 


^)  Ann.  d.  Hydrographie  1902  p.  2D1. 


Elektrische  Lufteisoheiniingen.  349 


Elektrische  Lufterscheinunsren. 

Die  Bedeutung  vertikaler  Luftströme  fUr  die  atmo- 
sphärische Elektriätät  erörterte  F.  Linke.  ^)  Die  Atmosphäre  stellt 
ein  elektrisches  Feld  dar,  das  von  einer  unendlichen,  geladenen  Fläche 
(Erdoberfläche)  ausgeht.  Wenn  keine  Störungen  vorhanden  sind,  ist 
das  Gefälle  positiv  und  nimmt  mit  der  Höhe  ab.  Die  positiven 
Massen,  die  entsprechend  der  negativen  Ladung  des  Erdballes  in  der 
Luft  anzunehmen  sind,  haben  Elster  und  Qeitel  auf  Grund  der  lonen- 
theorie  nachweisen  können.  In  dem  elektrischen  Feld  der  Erde 
befinden  sich  nun  Leiter,  wie  Wassertropfen,  Staub  u.  s.  w.  Wenn 
sich  diese  Leiter  aus  irgend  einer  Ursache  vertikal  bewegen,  so  wird 
sich  freie  Elektrizität  auf  ihnen  bemerkbar  machen  müssen,  auch 
wenn  alle  andern  Elektrizitätsquellen  ausgeschlossen  werden.  Da 
die  Niveauflächen  nach  oben  hin  positivere  Werte  zeigen,  werden 
die  leitenden  Teilchen,  wenn  man  von  Zerstreuungsverlusten  absieht, 
bei  Aufwärtsbewegung  negative  Ladung  annehmen,  positive  dagegen 
beim  Sinken.  Gewisse  Beobachtungen  vom  Ballon  aus,  die  über 
die  Ladung  von  Dunstschichten  gemacht  wurden,  deren  Höhe  sich 
in  der  Zwischenzeit  zweier  Beobachtungen  geändert  hatte,  bestätigen 
diese  Annahme.  Linke  meint,  dass  sich  auf  solche  Art  das  Zustande- 
kommen viel  grösserer  Spannungen  erklären  lasse,  als  durch  die 
Reibung  von  Wasser  an  Eis  (Sohncke)  und  auch  durch  Kondensationen 
an  Ionen  (Wilson).  Bei  schnellem  Aufsteigen  eines  Luftstromes  könnten 
nach  Linke  sehr  wohl  Blitzspannungen  auftreten,  die  sich  in  der 
Höbe  ausgleichen  mögen,  so  dass  die  Wolken  die  Spannung  der  hohem 
Schichten  annehmen  und  nun  beim  Herabsinken  im  absteigenden 
Luftstrome  der  Böen  gegen  die  Erde  von  neuem  eine  so  hohe  Spannung 
zeigen,  dass  wiederum  Blitzentladungen  erfolgen. 

Beobaehtungen  ttber  die  Zerstreuung:  der  Elektrizität 
In  der  Luft  hat  K.  v.  Wesendonk  von  Ende  Oktober  1901  bis  Ende 
April  1902  zu  Berlin  mit  einem  nach  Angabe  von  Elster  und  Geitel 
gefertigten  Elektrometer  angestellt  ^  Es  fand  sich,  dass  Sonnenschein 
in  keiner  Weise  schnellen  Verlust  der  Ladung  zur  Folge  hat,  obwohl 
man  von  vornherein  geneigt  wäre,  anzunehmen,  die  Sonnenstrahlen 
möchten  ionisierend,  resp.  aktivierend  auf  die  Luft  einwirken.  Von 
grossem  Einfluss  ist  sidier  die  Trübung  der  Atmosphäre,  sie  kommt 
in  erster  Linie  in  Betracht,  aber  es  will  Verf.  doch  scheinen,  als  ob 
man  von  Seiten  einiger  Beobachter  diesen  Einfluss  vielleicht  etwas 
überschätze.  Der  Unterschied  zwischen  entschieden  dunstigen  und 
relativ  klaren  Tagen  ist  doch  häufig  zu  klein,  um  fast  allein  der 
genannten  UrsachiB  die  Variationen  in  der  Elektrizitätszerstreuung  zu- 


Annalen  der  Physik  1902.  7.  p.  281. 
Naturw.  Rnndsohaa  1902.  24.  p.  801. 


350  Elektrische  LufterscheinnDgen. 

schreiben  zu  können.  Allerdings  ist  man  bei  Angaben  über  Dunste 
gehalt,  da  strenge  Messungen  leider  häufig  fehlen,  leicht  Täuschungen 
ausgesetzt  Besonders  will  es  Verf.  scheinen,  dass  man  an  hellen, 
sonnigen  Tagen  die  Klarheit  der  Luft  leicht  überschätzt  Auch  der 
Einfluss  der  Dunstmenge  auf  die  Aktivität  der  Luft  ist  bisher  noch 
nicht  genauer  bestimmt  Verf.  will  daher  mit  diesen  Bemerkungen 
auch  wesentlich  nur  auf  die  betreffenden  Fragen  hinweisen. 

Sehr  wenig  bestimmten  Einfluss  scheint  der  Barometerstand  zu 
besitzen.  Bei  etwa  denselben  mittlem  oder  tiefem  Werten  des- 
selben traten  die  verschiedensten  Grössen  der  Elektrizitätszerstreuung 
ein,  bei  hohem  Luftdracke  allerdings  fast  nur  kleine  Abnahmen  und 
nur  zweimal  grosse,  auch  trat  trotz  recht  hohen  Barometerstandes 
einmal  eine  weit  über  mittlere  Abnahme  auf.  Dies  Verhalten  ent- 
spricht dem  Befunde,  dass  sogenanntes  Aprilwetter  der  Aktivität  der 
Luft  günstig  ist,  dabei  herrscht  ja  bekanntlich  vorwiegend  niederer 
Luftdruck.  Mit  einiger  Bestimmtheit  ist  aber  wohl  zu  schliessen, 
dass  anticyklonales  Wetter,  obwohl  dabei  anscheinend  hoch  aktivierte 
Luft  aus  den  Höhen  dem  Erdboden  zuströmt,  in  keiner  Weise  die 
Elektrizitätszerstreuung  stark  vermehrt  Auch  relativ  hohe  Luft- 
temperatur allein  genügt  nicht  dazu ;  bei  relativ  warmem  Wetter  kann 
die  Abnahme  der  Ladung  doch  nur  klein  sein. 

Wind  befördert  wohl  im  allgemeinen  die  Zerstreuung,  sehr  kleine 
Abnahmen  fanden  sich  nicht  bei  stark  windigem  Wetter,  aber  anderer- 
seits ist  sein  Einfluss  auch  nicht  gut  bestimmt  zu  definieren.  Ost- 
und  Nordwinde  scheinen  wenigstens  bei  Winterwetter  relativ  wenig 
die  Aktivität  der  Luft  zu  befördern,  dagegen  thim  für  gewöhnlich 
solches  in  reichlichem  Masse  die  West-  und  Südwinde. 

Feuchtigkeit  begünstigt  an  sich  nicht  die  Zerstreuung,  hoher 
Wassergehalt  der  Atmosphäre  scheint  eher  der  Aktivität  ungünstig, 
aber  es  ist  doch  anderseits  zu  beachten,  dass  bei  trübem  und 
regnerischem,  ja  selbst  nebeligem  Wetter  gerade  grössere  Abnahmen 
nicht  zu  selten  sind. 

Messungren  der  Elektrizitätszerstreuungr  In  freier  Luft 

haben  J.  Elster  und  Geitel  ausgeführt  ^)  Die  Beobachtungen  geschahen 
in  Wolfenbüttel  täglich  von  Ende  1898  bis  Mai  1900  und  wird  das 
Verfahren  die  Messungen  der  Elektrizitätszerstreuung  von  den  aus 
mangelhafter  Isolierung  des  Versuchskörpers  entspringenden  Fehlem, 
freizuhalten,  beschrieben. 

Es  wird  versucht,  einen  Zusammenhang  zwischen  der  Elektri- 
zitätszerstreuung und  den  meteorologischen  Bedingungen  zur  Zeit  der 
Beobachtung  zu  erkennen. 

Es  ergiebt  sich  keine  einfache  Beziehung  zur  Temperatur,  ab- 
soluten  Feuchtigkeit   und   Windstärke.     Dagegen   tritt   deutlich    die 


^)  Sitzber.  d.  k.  k.  Akademie  d.  Wiss.  in  Wien  1902.  18. 


Elektrische  Lufterscheinungen.  351 

Abnahme  der  Zerstreuung  mit  wachsender  relativer  Feuchtigkeit,  wie 
mit  zunehmender  Trübung  der  Luft  hervor.  Winde  aus  nördlicher 
Richtung  bewirken  in  Wolfenbüttel  im  allgemeinen  eine  Steigerung 
der  Zerstreuung.  Das  Tagesmaximum  liegt  gegen  Mittag,  das  des 
Jahres  fiel  für  den  angegebenen  Zeitraum  in  den  ApriL 

Es  folgt  dann  die  Besprechung  zahlreicher  auf  Reisen  ausge- 
führter Messungen.  Regelmässig  zeigte  sich  der  Einfluss  des  elek- 
trischen Feldes  der  Erde  auf  Berggipfeln  in  der  Weise,  dass  die  Zer- 
streuung der  negativen  Elektrizität  gegen  die  der  positiven  vermehrt 
erscheint  Sehr  hohe  Zerstreuungskoeffizienten  sind  in  Gapri  und  in 
Spitzbergen  beobachtet. 

Die  Voraussetzung  der  Gegenwart  freier  Ionen  in  der  atmo- 
sphärischen Luft  bildet  durchwegs  die  Grundlage,  von  der  aus  die 
verschiedenen  Eigenschaften  des  Zerstreuungsvorganges  aufgefasst 
werden. 

Ober  die  tägllehe  Periode  der  Luftelektrizität  hat  F.  Exner 
Untersuchungen  angestellt  ^)  Die  Luftelektrizität  zeigt :  1.  eine  doppelte 
täg^che  Periode  mit  zwei  Maxima,  etwa  um  8^  und  8  p  Orts- 
zeit, die  durch  eine  starke  Mittagsdepression  getrennt  sind;  2.  eine 
einmalige  tägliche  Periode  mit  einem  flachen  über  alle  Tagesstunden 
sich  erstreckenden  Maximum  und  einem  Nachtmaximum;  3.  Fehlen 
jeder  wesentlichen  Änderung  des  Potentialgefälles  während  24  Stunden. 
Ein  Zusammenhang  dieser  Typen  mit  der  geographischen  Lage  hat 
sich  bisher  nicht  ergeben;  dagegen  hatte  sich  gezeigt,  dass  der  Typus 
der  täglichen  Periode  an  manchen  Orten  mit  der  Jahreszeit  wechselt, 
so  dass  1.  im  Sommer  und  2.  im  Winter  auftritt  Eine  Beziehung 
zu  dem  einen  ähnlichen  täglichen  Verlauf  zeigenden  Luftdrucke  konnte 
nicht  angenommen  werden,  weil  vielfach  Orte  mit  gleichem  Luftdrucke 
verschiedene  Typen  der  Luftelektrizität  aufweisen  und  umgekehrt 

Die  Frage,  ob  ein  anderes  meteorologisches  Element  zur  Er- 
klärung der  täglichen  Periode  der  Luftelektrizität  heranzuziehen  sei, 
lenkte  die  Aufmerksamkeit  des  Verf.  auf  eine  Erfahrung,  die  er  bei 
elektrischen  Messungen  in  Luxor  gemacht.  Dort  hatte  sich  eine 
besonders  stark  ausgeprägte,  doppelte  tägliche  Periode  ergeben,  die 
überraschend  zusammenfiel  mit  einer  mittägigen  Depression  der  ultra- 
violetten Sonnenstrahlung;  mit  der  früher  noch  nie  so  deutlich  be- 
obachteten Strahlungsdepression  fiel  auch  ein  Minimum  des  Potential- 
gefälles zusammen.  Ähnliches  fand  Verf.  auch  für  Ceylon,  Delhi, 
Luxor,  Wolfenbüttel  und  einige  andere  Orte. 

Da  die  Mittagsdepression  der  Strahlung  wohl  nur  der  Bildung 
irgend  einer  absorbierenden  Schicht  zugeschrieben  werden  kann,  die 
gleichzeitige  Depression  des  Potentialgefälles  aber  das  Vorhandensein 
negativer  Ladungen  über  dem  Beobachtungsorte  vorausgesetzt,  so  muss 
an  Orten  mit   doppelter   täglicher  Periode   eine   solche    Schicht   zur 


^)  Sitzber.  d.  k.  k.  Akademie  d.  Wiss.  in  Wien  110«   Abt  Ha.  p.  571. 


362  Elektrische  LuftersdiemiingeiL 

Mittsugazeii  sich  bilden  und  nach  der  Eulmination  der  Sonne  wieder 
Terschwinden.  Beachtet  man,  dass  diese  Depression  in  den  besonders 
trockenen  (Gebieten  von  Liixor  und  Delhi  besonders  auffallend  ist,  in 
den  yegetationsreichen  und  feuchten  von  Ceylon  und  St.  Gilgen  hin- 
gegen fehlt,  so  liegt  es  nahe,  als  Ursache  der  Erscheinung  den  Staub 
anzunehmen,  der  mittags  vom  trockenen  Erdboden  durch  die  Luft- 
strömungen emporgeführt  wird.  Erklärt  diese  Vermutung  auch  das 
verschiedene  Verhalten  während  des  Sommers  und  des  Winters  in 
unsem  Breiten,  so  muss  sich  die  weitere  Eonsequenz  anreihen,  dass 
die  absorbierende  Schidit  und  die  durch  sie  bedingte  Folgeerscheinung 
nur  zu  einer  geringen  Höhe  aufsteigen  kann.  In  der  That  haben 
Messungen  bei  Luxer,  in  Südindien,  bei  Rom  und  auf  dem  Eiffel- 
türme eine  bedeutende  Verflachung  der  täglichen  Periode  des  Potential- 
gefälles in  hohem  Luftschichten  ergeben. 

Prof.  Exner  schliesst  aus  diesen  Beobachtungen:  »Gkinz  ohne 
über  die  Natur  der  absorbierenden  Schicht  iigend  eine  spezielle  Aus- 
nahme zu  machen,  was  gegenwärtig  wohl  verfrüht  wäre,  kann  man 
die  doppelte  tägliche  Periode  als  eine  Störungserscheinung  auffassen, 
die  aus  der  normalen,  einfachen  Periode  durch  das  Auftreten  einer 
lokalen  Mittagsdepression  entsteht  Der  gleichen  Ursache  wäre  auch 
der  Übeigang  vom  Winter-  zum  Sommertypus  an  ein  und  dems^ben 
Beobachtungsorte,  sowie  die  Änderung  des  täglichen  Ganges  mit  der 
Höhe  zuzuschreiben.  Die  ungestörte,  normale  tägliche  Periode  der 
Luftelektrizität  wäre  somit  überall  die  einmalige,  mit  einem  flachen 
Tagesmaximum  und  einem  flachen  Nachtminimum.« 

Ober  die  Richtung:  der  elektFischen  Strömung  in  Blitzen 

verbreitet  sich  Max  Toepler.^)  >Wie  jeder  elektrische  Strom,  so 
erzeugt  auch  ein  Blitz  ein  magnetisches  Feld  um  seine  Bahn;  Körper, 
welche  sich  in  der  Nähe  der  Blitzbahn  befinden,  können  dauernd 
magnetisiert  werden.  Aus  der  Art  dieser  remanenten  Magnetisierung 
lässt  sich  unter  Umständen  die  Strömungsrichtung  der  Elektrizität 
im  Blitze  nachträglich  feststellen.  Ein  günstiger  Umstand  für  diese 
Untersuchung  von  Blitzen  ist  es,  dass  Basalt,  Phonolith,  Dolerit  und 
andere  häufig  vorkommende  (Gesteine  durch  Blitzschläge  magnetisiert 
werden  können.  Zur  Aufsuchung  von  Blitzspuren  werden  daher  in 
erster  Linie  solche  Landstriche  in  Frage  kommen,  in  denen  an  zahl- 
reichen und  ausgedehnten  Gebieten  Basalt,  Phonolith  oder  andere 
dauernd  magnetisierbare  (Gesteine  in  Qeröllform  oder  anstehend  den 
Erdboden  bedecken.  Auf  wrldbedeckten  (Gebieten  konnten  in  einigen 
Fällen  die  manchmal  sehr  deutlichen  Spuren  von  Blitzschäden  an 
alten  Bäumen  als  Wegweiser  dienen;  leider  werden  bei  rationeller 
Forstkultur  stark  beschädigte  Bäume  rasch  beseitigt  öfters  war  es 
auch  noch  möglich,   durch  Ausfragen  von  Waldhütern  oder  dgl.  die 


')  Meteorol.  Ztschr.  1901.  p.  481. 


Elektrische  Lufterscheinungen.  358 

Orte,  an  denen  früher  Blitze  eingeschlagen  haben,  festzustellen.  Als 
Beispiel  führt  Toepler  folgenden  Fall  an.  Auf  einer  Schonung  am 
Osthange  des  Geisingberges  wurde  ein  Baumstumpf  als  der  eines 
früher  vom  Blitze  beschädigten  Baumes  gezeigt  Die  Untersuchung 
des  magnetischen  Verhaltens  der  umliegenden  Basaltblöcke  ergab,  dass 
die  um  den  Stumpf  gelegenen  Blöcke  fast  unmagnetisch  waren,  und 
dass  dagegen  ein  benachbarter  Baumstumpf  von  einem  magnetischen 
Ringfelde  umgeben  war;  an  letzterem  Stumpfe  war  also  der  Blitz 
entlang  gefahren,  und  zwar  in  der  Richtung  von  Erde  zu  Wolken. 
Da  sich  der  remanente  Magnetismus  in  Basalt  oder  dgl.  sehr  lange 
erhalt,  so  wird  man  manchmal  auch  bei  Fehlen  unmittelbar  sicht- 
barer Blitzspuren  durch  einfaches  Absuchen  einer  von  Geröll  bedeckten 
Fläche  mit  einem  Kompasse  die  Ringfelder  von  Blitzschlägen  auf- 
finden können.  Meist  finden  sich  jedoch  bei  derartigem  Absuchen 
zwar  zahlreiche,  auch  stark  magnetische  Blöcke,  jedoch  mit  unregel- 
mässiger  gegenseitiger  Lage  der  Magnetfeldrichtung;  durch  Witterung 
und  Menschenhand  (beim  Roden  u.  s.  w.)  sind  die  meisten  Blöcke  aus 
ihrer  ursprünglichen  Lage  gebracht.  Felskuppen  oder  Klippen  auf 
Anhöhen  werden  besonders  leicht  eine  Blitzbildung  veranlassen  oder 
doch  auf  sich  hinziehen.  Ist  der  Enüadungsprozess  einmal  eingeleitet, 
so  findet  dann  die  eigentliche  Blitzentladung  überwiegend  nicht  durch 
das  Gestein  hindurch  statt  (auch  wenn  dieses  selbst,  wie  z.  B.  Basalt, 
relativ  gut  leitet),  sondern  längs  der  Oberfläche  des  blitzbetroffenen 
Felsens ;  der  Blitz  gleitet  an  der  Gesteinsoberfläche  entlang,  um  sich 
dann  in  feuchten  Felsspalten  etc.  zu  verteilen.  An  grossem,  expo- 
nierten, magnetisierbaren  Gesteinsblöcken  beobachtet  man  dement- 
sprechend in  der  That  häufig,  dass  nord-  und  südmagnetische  Gesteins- 
gebiete längs  einer  oft  sehr  scharf  ausgeprä^n  Linie,  der  »Blitzspur c, 
unmittelbar  aneinanderstossen. 

Bezüglich  der  Auffindung  und  Beurteilung  von  Blitzspuren  der 
letztgenannten  Art  längs  Gesteinsoberflächen  kann  man  zwei  Haupt- 
fälle unterscheiden.  Liegt  die  mehr  oder  weniger  senkrechte  Gleit- 
fläche parallel  dem  magnetischen  Meridiane,  so  giebt  die  einfache 
Beobachtung  der  Ablenkung  der  Magnetnadel  vom  Steine  fort  und 
auf  ihn  hin  die  Lage  der  Blitzspur  und  den  Strömungssinn.  Etwas 
schwieriger  dagegen  ist  die  Bestimmung  beider,  wenn  die  Gesteins- 
fläche, an  welcher  der  Blitz  entlang  fuhr,  westöstliche  Stellung  besitzt. 
In  diesem  Falle  beobachtet  man  längs  eines  mehr  oder  minder  breiten 
Oberflächenstreifens  eine  Umkehr  der  Magnetnadel  um  180^.  Beider- 
seits dieses  Streifens  ist  zwar  die  ursprüngliche  Richtung  des  magne- 
tischen Feldes  durch  den  Einfluss  des*  Cbsteinsmagnetismus  in  der 
Regel  nicht  wesentlich  geändert,  dagegen  aber  seine  Stärke.  Die 
Blitzbahn  liegt  auf  derjenigen  Seite  des  umkehrenden  Streifens,  welche 
an  dasjenige  Oberflächengebiet  grenzt,  an  welchem  die  nicht  umge- 
kehrte Kompassnadel  die  kürzere  Schwingungsdauer  besitzt,  wie  leicht 
aus  einer  nähern  Betrachtung   der  Intensitätsverhältnisse  des  resul- 

K l«ixi ,  Jfthrbuoh  Xm.  23 


354  Elektrische  Lufierschemungen. 

tierenden  magnetischen  Feldes  hervorgeht.  Besonders  exponierte  Punkte 
werden  im  Laufe  der  Zeit  wiederholt  von  Blitzen  getroffen.  Liegen 
die  Blitzspuren  zu  nahe  bei  einander,  oder  kreuzen  sich  dieselben  gar, 
so  ist  ein  Auseinanderkennen  der  einzelnen  Spuren  nicht  mehr  mög- 
lich. Die  Gesteinsoberfiäche  zeigt  wirr  durcheinanderliegende  süd- 
und  nordpolare  Gebiete.  Der  ganze  Fels  wirkt  dabei  doch  manch- 
mal in  grösserer  Feme  (bis  zu  3  m  Abstand  und  mehr)  als  einheit- 
liches Gebilde;  vermutlich  sind  in  letzterem  Falle  unter  den  stattge- 
habten Schlägen  solche  eines  bestimmten  Zeichens  vorwiegend  gewesen. 
Schliesslich  sei  noch  auf  die  Beobachtung  aufmerksam  gemacht, 
dass  manchmal  bestimmte  Felskuppen  von  wiederholten  Blitzschlägen 
getroffen  erscheinen,  während  benachbarte,  oft  günstiger  gelegene,  ja 
sogar  höhere  Klippen  ohne  Blitzspuren  sind;  erklären  dürfte  sich 
dies  aus  der  freilich  unkontrollierbaren  Feuchtigkeitsverteilung  (Quellen 
u.  dgL)  im  Erdboden.« 

'  Toepler  führt  92  von  ihm  aufgefundene  Blitzspuren  an,  bei 
denen  sich  mit  Sicherheit  der  Sinn  des  Elektrizitätsflusses  im  Blitze 
feststellen  liess.  Diejenigen  Blitzspuren,  welche  auf  eine  Strömung 
von  Erde  zu  Wolke  schliessen  liessen,  bezeichnet  er  als  positive 
(Erde-Anode),  die  Blitzschläge  von  Wolke  zur  Erde  als  negative  (Erde- 
Kathode).  Es  ergab  sich  hierbei  die  höchst  auffallende  Thatsache, 
dass  die  positiven  Spuren  erheblich  überwiegen,  nämlich  59  gegen 
33  negative.  Eine  Erklärung  dieser  Erscheinung  liess  sich  in  ver- 
schiedener Weise  geben.  »Wie  man  sich  leicht  überzeugt«,  sagt  Toepler, 
»finden  bei  Gewittern  die  weitaus  meisten  Entladungen  zwischen 
den  Wolkon  statt ;  nur  ein  kleiner  Teil  der  Blitze  trifft  den  Erdboden. 
Negativ  geladene  Wolkengebiete  und  positiv  geladene  werden  hier- 
nach vermutlich  in  nahezu  gleicher  Menge  vorhanden  sein.  Zur  Er- 
klärung des  auffallenden  Überwiegens  der  Blitzspuren  Erde — Wolken 
könnte  man  annehmen,  dass  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die  negativen 
Wolken  tiefer  schweben  als  die  positiven.  Diese  Annahme  erscheint 
aber  recht  unwahrscheinlich.  Eine  andere,  wahrscheinlichere  Er- 
klärung lässt  sich  aus  der  Art  und  Weise  der  Blitzbildung  geben. 
Blitze  bilden  sich  wohl  meist  derart,  dass  an  irgend  einer  Stelle 
einer  Wolke  bei  genügendem  Spannungsgefälle  ein  Doppelbüschel 
(einerseits  positiv,  anderseits  negativ)  entsteht.  Beide  Büschel 
wachsen  dann  nach  entgegengesetzten  Richtungen  gegen  und  mit  dem 
Gefälle  weiter;  der  Entladungskanal  zwischen  den  rasch  vorwärts- 
wachsenden Büscheln  erscheint  uns  als  (Linien-)  Blitz.  Überträgt 
man  nun  die  bekannten  Eigentümlichkeiten  der  Büschelbildung,  wie 
wir  sie  bei  Entladungen  grosser  Induktorien  oder  Influenzmaschinen 
beobachten,  auf  die  geschilderte  Blitzbildung,  so  haben  wir  anzu- 
nehmen, dass  die  Blitze  die  Tendenz  zeigen  werden,  sich  vorwiegend 
leicht  nach  ihrer  positiven  Seite  hin  zu  verästeln.  Ein  Blitz  von 
Wolke  zur  Erde  wird  hiemach  letztere  zumeist  id  zahlreichen,  aber 
relativ  schwachen  Ästen  treffen,  welche  dann  keine  oder  nur  schwache 


Elektrische  Lufterscheiniingeii.  355 

und  daher  schwer  nachweisbare  Spuren  hinterlassen.  Umgekehrtes 
^t  für  die  Blitze  von  Erde  zu  Wolke.  Bei  gleicher  Häufigkeit 
beider  Strömungsrichtungen  wird  man  hiemach  doch  eine  überwiegende 
Anzahl  von  Blitzspuren  mit  Strömungssinn  Erde — Wolken  auffinden.  < 

Das  Spektram  des  Nordlichtes.  Schon  früher  hat  A.  Paulsen 
auf  die  Obereinstimmung  des  Nordlichtspektrums  mit  dem  Kathoden- 
lichtspektrum  einer  Mischung  von  Sauerstoff  und  Stickstoff  auf- 
merksam gemacht  Sowohl  das  Nordlichtspektrum  als  das  Eathoden- 
lichtspektrum  sind  photographisch  aufgenommen.  Das  Spektrum  des 
Nordlichtes  umfasst,  ausser  der  sogenannten  Hauptlinie  (ü  s=  557  fifA)^ 
doch  nur  Linien,  deren  Wellenlängen  zwischen  470  fx/x  und  337  fifA 
liegen.     In  diesem  Teile  des  Spektrums  sind  21  Linien  photographiert 

Spätere  in  Kopenhagen  gemachte  Untersuchungen  erwiesen,  dass 
die  Linien  im  brechbarsten  Teile  des  in  Island  photographierten 
Kathodenlichtspektrums  dem  Stickstoffe  angehörig  sind.  Die  Ver- 
teilung der  Linien  ist  in  diesem  Teile  des  Spektrums  sehr  charak- 
teristisch, sowohl  in  Bezug  auf  die  Gruppierung,  als  auf  die  Intensität, 
so  dass  man  nicht  umhin  kann,  dem  blossen  Anblicke  nach  diese 
Teile  der  beiden  Spektren  als  identisch  anzusehen.  Auch  die  in 
Island  ausgeführten  Bestimmungen  der  Wellenlängen  deuten  auf  eine 
vollständige  Identität  dieser  Teile  der  beiden  Spektra  hin.  Prof. 
Scheiner  in  Potsdam  hat  die  beiden  genannten  Spektra  nun  durch 
Messungen  verglichen.  Die  Spektra  sind  mit  demselben  Spektro- 
graph  (Linsen  von  Quarz  und  Prisma  von  Kalkspat)  aufgenommen 
und  umfassen  die  Wellenlängen  zwischen  426  fifi  und  337  /i/i,  also 
^entsprechend  dem  Teile  des  Sonnenspektrums  ungefähr  von  der  Linie 
G  bis  P.  In  diesem  Teile  des  Nordlichtspektrums  sind  15  Linien  photo- 
^aphisch  aufgenommen.  Prof.  Scheiner  hat  die  Messungen  nur  aus- 
geführt, um  die  Identität  der  zwei  genannten  Spektra  zu  konstatieren. 
Die  Messungen  sind  daher  nur  komparativ. 

Die  Übereinstimmung  der  Linien  ist  eine  sehr  gute,  und  da 
überdies  die  relativen  Intensitäten  der  beiden  Spektren,  so  weit  sich 
das  beurteilen  lässt,  vollkommen  übereinstimmen,  so  unterliegt  es, 
sagt  Scheiner,  keinem  Zweifel,  dass  das  Nordlichtspektrum  das 
Kathodenlichtspektrum  des  Stickstoffes  enthält. 

Die  verglichenen  Partien  der  beiden  Spektren  umfassen  nur  die 
Strahlen  von  einer  Wellenlänge  von  426  fifi  und  darunter ;  es  ist 
nicht  gelungen,  Strahlen  von  grösserer  Wellenlänge  als  470  fjifi  auf- 
zunehmen, mit  Ausnahme  der  sogenannten  Hauptlinie  {X  =  557  fifi). 

Das  photographische  Spektrum  des  Kathodenlichtes  des  Sauer- 
stoffes zeigt  ein  starkes  Band,  das  Strahlen  von  der  Wellenlänge 
557  fifjL  enthält  Die  Breite  dieses  Bandes  ist  aber  bedeutend  grösser 
als  die  der  Nordlichtlinie. 

In  der  oben  citierten  Abhandlung,  sowie  aiich  in  seinem  für 
den  internationalen   physikalischen  Kongress  in  Paris  geschriebenen 


356  Elektrische  Lufterscheinungen. 

Berichte  der  Ergebnisse  der  dänisdien  Nordlichtexpedition  ^)  (Rapport» 
presentes  au  CSongres  international  de  Physique,  T.  m,  pag.  488) 
hat  Paulsen  bemerid,  dass  alle  die  photograpfaischen  Spektra  de» 
Nordlichtes,  die  in  Island  aufgenommen  sind,  ein  schwaches  kon- 
tinuierliches Spektrum  zwischen  den  Linien  von  den  Wellenlangen 
470  fAfx  und  407  fifA  zeigen.  Spatere  in  Kopenhagen  gemacht» 
Untersuchungen  erwiesen,  dass  dieses  scheinbar  kontinuierliche  Spektnua 
nicht  dem  Nordlichte  angehörig  ist  Es  rührt  her  von  dem  diffusen 
Himmelslichte  der  Dämmerung  oder  des  Mondes,  das  nicht  aus- 
geschlossen werden  konnte  während  einer  Expositionszeit,  die  sich 
bisweilen  über  einen  Zeitraum  von  mehrem  Wochen  erstreckte. 

Das  Nordlicht  vom  9«  September  1898  ist  bezüglich  seiner 
geometrischen  Verhältnisse  von  W.  Schaper  untersucht  worden.^  Dies» 
Untersuchung  wurde  veranlasst  durch  den  Umstand,  dass  der  Nordlicht- 
bogen an  mehrem  ziemlich  weit  voneinander  liegenden  Orten  durch 
eine  gut  definierte  Linie  bezeichnet  war,  die  als  Unterlage  für  zu- 
verlässige Höhenschätzung  dienen  konnte.  Aus  den  Höhenwinkel- 
messungen  zu  Göttingen  und  Meldorf  ergab  sich,  dass  ein  Punkt 
des  lichtringes  60  km  vertikal  von  dem  Erdorte,  der  11®  östL  L. 
nnd  54®  20'  nördl.  Br.  hat,  entfernt  war.  Andere  Beobachtungen 
ergaben  einen  Mittelwert  von  72  hm. 

In  Göttingen  wurde  von  verschiedenen  Fachmännern  konstatiert^ 
dass  die  Enden  des  Lichtbogens  auf  dem  Horizonte  lagen,  und  dass 
diese  Endpunkte  eine  Azimutaldistanz  von  125®  besassen.  Giebt 
man  diesen  beiden  scheinbaren  Grenzpunkten  die  Höhe  von  70  km, 
so  kann  man  die  wirkliche  Lage  der  betreffenden  Punkte  im  Räume 
ermitteln.  Hiemach  lag  das  Westende  ungefähr  im  Zeniih  von 
Liverpool,  das  Ostende  ungefähr  im  Zenith  von  Libau  (Kurland). 
Aus  12  Punkten  für  die  Südgrenze  des  Nordlichtringes  findet  sidi 
eine  krumme  Linie,  die  nicht  mit  einem  Hauptkreise  der  Erdkugel 
übereinstimmt;  wohl  aber  bildet  sie  eine  orthogonale  Trajektorie 
zu  den  Richtungen  der  Deklinationsnadel  an  den  bezeichneten  Plätzen. 

Strahlenrichtungen  sind  am  9.  September  nur  ausnahmsweise 
synchron  aufgezeichnet  worden;  so  zu  Lübeck  und  zu  Hirschberg 
L  Schi,  für  rote  Strahlenbänder,  welche  sich  deutlich  von  den  übrigen 
abhoben.  Durch  diese  Eorrespondenzbeobachtimgen  konnte  ein  weiterer 
Punkt  des  Polarlichtes  festgelegt  werden,  nämlich  derjenige,  dessen 
Projektion  auf  die  Erde  in  18®  42'  ö.  L.  und  56®  n.  Br.  Uegt  Ein 
Punkt  des  roten  Strahles,  der,  von  Lübeck  aus  gesehen,  durch  den 
Stem  Q  Persei  ging,  würde  eine  Höhe  von  424  km  besitzen.  Eben- 
derselbe erstreckte  sich  aber  noch  bis  zu  einer  viel  grossem,  nahezu 
20®  mehr  betragenden  Höhe,  entsprechend  einer  äussersten  Erhebung 
des  Strahles  über  die  Erde   von   rund  800  km.     Entsprechend   lässt 


1)  Meteorol.  Zeitschr.  1901.  p.  414. 

^  Schriften  des  naturw.  Vereins  für  Schleswig-Holstein  1901.  12. 


Elektrische  Luftersoheinongen.  357 

sich  zeigen,  dass  ein  zweiter  StraM,  der  in  Lübeck  und  Wame-^ 
münde  gleichzeitig  gesehen  werden  konnte,  bis  zu  einer  Höhe  von 
670  km  stiog.  Das  Licht  war,  wie  gewöhnlich,  nicht  ruhig,  sondern 
flackerte  stark;  die  Bewegung  des  roten  Strahles  würde  sich  dar*- 
stellen  lassen  durch  die  Annahme,  dass  ein  Punkt  derselben  in  einer 
Sekunde  70  m  zurücklegte. 

Katalogr  der  in  Norwegen  bis  Juni  1878  beobachteten 
Nordlichter«  Sophus  Tromholt  hat  1879  eine  Sammlung  alles 
dessen  begonnen,  was  je  über  norwegische,  mit  Zeitangaben  ver- 
bimdene  Nordlichter  geschrieben,  publiziert  imd  aufbewahrt  worden. 
Diese  mühevolle  Sammelarbeit  hat  er  auch  glücklich  vollendet,  aber 
der  Tod  überraschte  ihn  (am  17.  April  1896),  ehe  er  dieselbe  ver- 
öffentlichen konnte.  Dies  ist  jetzt  durch  J.  Schroeter  geschehen,  in 
einem  stattlichen  Bande  auf  Kosten  zweier  Institutionen.^)  Das 
Gebiet  Norwegens,  über  welches  sich  die  Beobachtungsorte  verteilen, 
ist  dabei  in  4  Unterabteilungen  geteilt,  nämlich:  1.  nördlich  von 
68<>  30'  n.  Br.  2.  zwischen  68^  30'  und  65^  n.  Br.  3.  zwischen 
65®  und  61  ö  30'  n.  Br.     4.  südüch  von  61®  30'  n.  Br. 

Das  Werk  enthält  thatsächlich  sämtliche  existierenden  norwegischen 
Nordüchtbeobachtungen  mit  allen  ihren  Einzelheiten,  auch  ist  für 
jeden  Nordlichttag  die  Zahl  der  Tage  angegeben,  welche  an  dem- 
selben seit  dem  letzten  Neumonde  verflossen  war.  Die  früheste  Be- 
obachtung ist  aus  dem  Gebiete  4  und  datiert  vom  22.  September  1594. 

Reduziert  man  die  Summe  der  Nordlichttage  auf  1000,  so  erhält 
man  folgende  Verteilung  derselben  auf  die  einzelnen  Monate  sowohl 
für  das  ganze  Land  T,  als  für  jedes  der  oben  erwähnten  Gebiete  1 — 4. 

T  1  2  8  4 

JuU 

August 

Septbr. 

Oktober 

November 

Dezember 

Januar 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Diese  Tabelle  zeigt  denselben  Charakter  der  jährlichen  Ver- 
teilung des  Nordlichtes,  den  man  bereits  kennt,  wenn  man  das  ganze 
Land  (T)  in  Betracht  zieht;  man  hat  ein  Maximum  um  die  Nacht- 
gleichen (Oktober  und  März)  herum,  getrennt  durch  ein  Minimum 
mitten  im  Winter.     Für   die   nördlichsten  Teile  (1)    des  Landes   hat 

^)  Katalog  der  in  Norwegen  bis  Juni  1878  beobacht.  Nordlichter,  za- 
sammengeet.  von  S.  Tromholt.  Heraosgeg.  von  J.  Schröter,  Kristiania  1902. 


1 

0 

0 

0 

8 

88 

4 

8 

27 

52 

112 

74 

83 

185 

125 

138 

146 

117 

181 

184 

126 

145 

188 

128 

110 

128 

163. 

150 

112 

96 

128 

166 

164 

120 

100 

129 

140 

159 

185 

124 

189 

146 

156 

148 

148 

71 

16 

86 

67 

106 

5 

0 

0 

2 

8 

0 

0 

0 

0 

0 

358  Optische  Erscheiniingen  der  Atmosphäre. 

die  Periode  dagegen  einen  völlig  arktischen  Charakter  mit  einem 
Maximum  um  die  Wintersonnenwende.  In  dem  Gebiete  (2)  findet 
dasselbe  Verhältnis  noch  statt,  während  im  Gebiete  (3)  und  noch 
starker  in  (4)  die  Periode  denselben  Verlauf  hat  wie  in  mittlem 
Breiten.  Zieht  man  den  Rubensonschen  Katalog  der  in  Schweden 
beobachteten  Nordlichter  noch  hinzu,  so  erhält  man  sehr  nahe  das 
gleiche  Resultat  bezüglich  der  jährlichen  Periode,  sowohl  für  das 
ganze  Land  als  für  die  einzehien  Gebiete,  so  dass  diese  Verteilung 
also  für  ganz  Skandinavien  gilt 

Optische  Erscheinungen  der  Atmosphäre. 

Kimmtiefenbeobachtungen  sind  von  Karl  Koss  auf  der  »Polac- 
Expedition  im  Roten  Meer  und  später  von  Verudella  bei  Pola  aus 
angestellt  worden.  Die  Hauptergebnisse  welche  aus  diesen  Beobach- 
tungen abgeleitet  wurden  sind  folgende:^)  Die  Kimmtiefe  ändert  sich 
mit  dem  Unterschiede  zwischen  der  Luft-  und  der  Wassertemperatur, 
ohne  dass  Luftdruck,  Feuchtfgkeit  oder  Bewölkung  merklich  darauf 
einwirken.  Die  Hebung  (Senkung)  wird  durch  die  Abnahme  der  Tem- 
peratur mit  der  Höhe  bewirkt;  dieses  Temperaturgefälle  macht,  wenn 
Luft  und  Wasser  gleich  warm  sind,  eine  Abnahme  von  0.016®  pro  nt 
aus  (1  ®  auf  60  m)  und  wird  durch  einen  Unterschied  zwischen  Luft- 
und  Wassertemperatur  geändert;  ist  das  Wasser  wärmer  (kälter)  als 
die  Luft,  so  wird  durch  den  Wärmeaustausch,  den  der  Wind  fort- 
während unterhält,  die  dem  Wasser  nächste  Schicht  erwärmt  (ab- 
gekühlt) und  hierbei  immer  gewechselt,  wodurch  auch  die  Temperatur- 
abnahme mit  der  Höhe  vergrössert  (verkleinert)  wird.  Diese  Änderung 
ist  in  den  untern  Luftschichten  stärker  als  in  den  obem.  Verf. 
giebt  Formeln  und  Tabellen,  aus  denen  man  gegebenenfalls  den  Be- 
trag,   um  den  die  Kimm  gehoben  oder  gesenkt  ist,  ableiten  kann. 

Die  tägliche  Variation  der  atmosphärischen  Strahlen- 
brechung ist  von  V.  E.  Boccara  studiert  worden.^)  Schon  1890  hat 
Prof.  Riccö  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  Linie  des  Meeres- 
horizontes merklich  in  ihrer  Lage  schwankt  im  Vergleiche  zu  den 
Gipfeln  der  Häuser.  Da  diese  Änderungen  von  der  atmosphärischen 
Refraktion  abhängen,  so  kann  man  deren  Schwankungen  bestimmen^ 
wenn  man  jene  kennt  Dieses  einfache  Verfahren  bietet  ein  Mittel^ 
die  tägliche  Variation  der  Refraktion  zu  studieren.  Der  Winkel,  den 
die  Qesichtslinie  in  einem  bestimmten  Punkte  des  Meereshorizontes 
mit  derjenigen  eines  festen  Punktes  von  einem  dem  Beobachter  nahen 
Objekte  bildet,  wurde  möglichst  oft  gemessen  und  unter  Berück- 
sichtigung der  auf  dem  Observatorium  zu  Gatania  verzeichneten  Un- 
ruhe der  Luft  aus  diesen  Winkeln  die  jedesmalige  Refraktion  berechnet. 

M  Meteorol.  Zeitschr.  1902.  j>.  458. 

^  n  nuovo  Gimento  1901.  (5)  2.  p.  204. 


Optische  Ersoheinungen  der  Atmosphäre.  359 

Zunächst  wurde  allgeinein  die  bereits  bekannte  Thateache  bestätigt, 
dass  in  Sicilien  die  Refraktion  kleiner  ist  als  in  andern  Gegenden. 
Eine  genauere  Beziehung  der  Refraktion  zu  den  meteorologischen 
Elementen  liess  sich  aus  den  taglichen  Beobachtungen  nicht  ableiten, 
nur  so  viel  ergab  sich,  dass  die  Refraktion  abnimmt  mit  Zunahme 
des  Luftdruckes  und  mit  der  Abnahme  des  Temperaturunterschiedes 
zwischen  den  Orten  der  Beobachtung  und  dem  Meereshorizonte,  und 
zwar  nimmt  sie  zu  mit  abnehmendem  Drucke  und  zunehmendem  Tem- 
peraturunterschiede. Dieses  Ergebnis  stimmt  mit  der  Hypothese,  die 
allgemein  zur  Erklärung  der  atmosphärischen  Refraktion  aufgestellt 
wird.  Sind  Druck-  und  Temperaturunterschiede  konstant,  so  ändert 
sich  die  Refraktion  mit  der  Luftunruhe,  und  zwar  in  umgekehrtem 
Verhältnisse  zu  dieser.  Die  Feuchtigkeit  übt  nur  geringen  Einfluss  und 
strebt  bei  Zunahme  die  Refraktion  zu  steigern. 

Über  den  täglichen  Gang  der  Refraktion  geben  Aufschluss  eine 
Tabelle  halbstündiger  Werte  von  7 — 18^  und  die  nach  derselben  ge- 
zeichneten Kurven.  Sie  lehren,  dass  die  Refraktion  am  grössten  ist 
gegen  8^,  sodann  sinkt  sie  schnell  bis  gegen  llVs^  sie  bleibt  von 
da  konstant  bis  15^  und  beginnt  dann  langsam  abzunehmen.  (Vor 
7^  und  nach  18^  konnten  keine  Beobachtungen  gemacht  werden.) 
Eine  andere  Zusamjnenstellung  der  Beobachtungen,  in  welcher  für 
die  Tage  11. — 21.  April  die  Refraktion  der  Vormittagsstunden  mit 
dem  Mittel  der  Nachmittagsbeobachtungen  verglichen  sind,  zeigt  deut- 
lich, dass  die  Depression  des  Horizontes  an  den  Vormittagsstunden 
kleiner  ist  als  in  den  Nachmittagsstunden;  die  Refraktion  war  also 
vormittags  grösser  als  nachmittags.  Das  Mittel  der  Refraktionen,  das 
bei  heiterem  Himmel  gewonnen  wurde,  war  kleiner  als  das  Mittel  bei 
bedecktem  Himmel.  Wenn  dieses  letztere  Ergebnis  sich  durch  weitere 
Beobachtungen  bestätigen  würde,  hätte  man  einen  Grund  für  die  ge- 
ringere Refraktion  Siciliens  im  Vergleiche  zu  andern  Gegenden.  Es 
ist  nämlich  bekannt,  dass  im  ganzen  Mittelmeere  und  besonders  in 
Sicilien  der  Himmel  klarer  und  heiterer  ist  als  anderswo,  und  daher 
muss  die  Refraktion  hier  kleiner  sein. 

Der  Regenbogen  in  RuSSland.  Ernst  Leyst  hat  eine  inter- 
essante statistische  Untersuchung  über  diese  optische  Erscheinung 
an  der  Hand  vieljähriger  Beobachtungen  an  69  Stationen  Russlands 
ausgeführt^)  Diese  Stationen  umfassen  zusammen  1111  Jahrgänge 
und  berichten  über  4826  Wahrnehmungen  von  Regenbogen.  Die  Ver- 
teilung dieser  auf  die  einzelnen  Jahre  und  das  Zusammenlegen  der- 
selben zu  fünfjährigen  Gruppen  für  die  einzelnen  Stationen  sowie  die 
Bildung  vierjähriger  Mittel  zeigten,  dass  im  Lustrum  1885 — 1889  und 
insbesondere  um  die  Jahre  1887  und  1888  viele  Regenbogen  zur 
Beobachtung  kamen,  während  vorher  und  nachher  etwa  um  die  Jahre 


^)  BulL  de  la  Soc  imper.  des  Naturalistes  de  Moscou  1901.  p.  102. 


360  Optische  Erscheinnngeik  der  Atmosphäre. 

1882 — 1888  und  1896 — 1897  ein  Minimum  war.  Zur  Prüfung  dieses 
ans  dem  Gesamtmateriale  abgeleiteten  ersten  Schlusses  diskutiert  Leyst 
die  Beobachtungen  einiger  besonderes  Vertrauen  verdienender  Stationen^ 
mit  vollständigen  25  jährigen  Beobachtungen,  in  denen  1350  Regen- 
bogen angeführt  sind.  Diese  8  Stationen  zeigen  in  den  Jahren  1880 
und  1887  starke  Maxima  und  in  den  Jahren  1884  und  1897  BCinima; 
femer  ergeben  sie  fast  zweimal  so  viel  Regenbogen  pro  Jahr  und 
Station  als  die  kurzem  Beobachtungsreihen.  Aber  auch  die  übrigen 
61  Stationen  bieten  allein  noch  für  das  Lustrum  1885 — 1889  ein 
Maximum.  Neben  diesen  diskutiert  Verl  einige  vieljährige,  aber  nicht  den 
ganzen  Zeitraum  umfassende  Beobachtungen,  und  zwar  16  Stationen  mit 
siebzehnjährigen  Beobachtungen  und  neiin  Stationen  mit  elfjährigen 
Beobachtungen.  Alle  drei  Reihen  ergaben  ein  Maximum  in  den  Jähen 
1887 — 1888  und  ein  Minimum  1897 — 1898;  ebenso  zeigten  alle  drei 
ein  sekundäres  Maximum  in  den  Jahren  1892 — 1893.  Da  selbst 
Stationen,  die  nicht  zu  den  bessern  gehören,  einen  ähnlichen  Gang  der 
Regenbogenhäufigkeit  erkennen  Hessen,  so  kann  aus  der  Gesamtheit  der 
4326  Regenbogenbeobachtungen  als  Ergebnis  hingestellt  werden,  dass 
Maxima  der  Häufigkeit  in  den  Jahren  1876—1877  und  1887—1888, 
hingegen  Minima  in  den   Jahren  1881   und    1897    eingetreten   sind. 

Eine  Zusammenstellung  lehrt  femer,  dass  die  meisten  Regen- 
bogen im  Innern  des  Kontinents  beobachtet  werden,  und  zwar  er- 
geben sie  mehr  als  dreimal  so  viel  Regenbogen  als  die  Küsten- 
stationen; am  häufigsten  sind  sie  in  den  zentralen  Gouvernements, 
im  Ural  und  in  Westsibirien  beobachtet  worden;  von  da  nimmt  ihre 
Zahl  nach  den  Meeren  hin  sowie  zum  Gebiete  der  trockenen  Sommer 
und  wahrscheinlich  mit  der  Seehöhe  ab. 

Eine  eingehende  Diskussion  des  jährlichen  Ganges  zeigt,  dass 
das  früheste  Maximum  in  der  jährlichen  Häufigkeit  in  der  kaspischen 
und  transkaspischen  Gmppe  auftritt,  nämlich  am  5.  Juni;  und  dass 
von  dort  die  Verspätung  desselben  nach  Norden,  zum  Ozeane  und 
sehr  wahrscheinlich  mit  der  Seehöhe  geht. 

Der  tägliche  Gang  der  Häufigkeit  des  Regenbogens  ergiebt,  dass 
das  Minimum  der  Anzahl  der  Regenbogen  auf  den  Vormittag  und 
Mittag  fällt  und  das  Maximum  auf  den  Nachmittag  und  auf  den 
Abend.  Die  Vergleichung  der  einzelnen  geographischen  Gmppen  er- 
giebt, dass  alle  Gruppen  in  der  Nähe  grosser  Meere  verhältnismässig 
mehr  Vormittagsregenbogen  haben  als  die  Binnenstationen.  Die  Be- 
rücksichtigung der  verschiedenen  Jahreszeiten  bei  der  Ermittelung 
des  täglichen  Ganges  lehrt,  dass  die  Vormittagsregenbogen  in  den 
3  Wintermonaten  die  häufigsten  sind ;  in  den  übrigen  9  Monaten  des 
Jahres  liegt  das  Maximum  des  täglichen  Ganges  im  Nachmittage. 
Die  Nacht-  und  die  Morgenregenbogen  sind  relativ  häufig  im  Herbste 
und  im  Frühjahre.  Das  Jahresmaximum  tritt  bei  den  verschiedenen 
Tageszeiten  zu  verschiedener  Zeit  ein,  und  zwar  treten  die  Mittags- 
regenbogen fast  nur  in  der  zweiten  Jahreshälfte  ein,  mit  einem  Maxi- 


Klimatologie.  861 

nmrn  Ende  September,  während  die  Abend-  und  Nachtregenbogen  ihr 
Maximum  am  3.  Juli  haben. 

Als  Endresultat  ergiebt  sich,  dass  der  Regenbogen  in  seiner 
Häufigkeit  einen  säkularen  Gang,  einen  jährlichen  Gang  und  einen 
täglichen  Gang  hat,  und  ausserdem  seine  Häufigkeit  von  der  geo- 
graphischen Lage  des  Beobachtungsortes  abhängig  ist,  besonders  von 
4er  geographischen  Breite  und  von  der  Verteilung  von  Land  und 
Wasser,  wie  auch  der  Niederschlag. 


Klimatolosrie. 

Ober  klimatologrische  Hittelwerte  für  ganze  Breiten- 
kreise hat  W.  y.  Bezold  eine  bemerkenswerte  Arbeit  veröffentlicht^) 
Schon  früher  *)  hat  er  auf  das  Unzweckmässige  hingewiesen,  das  bei 
tabellarischer  oder  graphischer  Zusammenstellung  von  Mittelwerten 
iÜT  ganze  Parallelkreise  in  der  Anwendung  der  geographischen  Breite 
liegt,  weil  dabei  die  polaren  Gegenden  unverhältnismässig  bevorzugt 
werden.  Eine  nach  Stufen  von  10®  angeordnete  Tabelle  räumt  der 
Zone  von  0 — 10®  nur  ebensoviel  Platz  ein,  wie  der  Polarkappe  von 
SO — 90®,  während  doch  die  erstere  eine  mehr  als  elfmal  so  grosse 
OberQäche  besitzt.  In  entsprechender  Weise  liefert  auch  eine  graphische 
Darstellung,  bei  welcher  man  die  geographischen  Breiten  als  Ab- 
scissen  wählt,  ein  gänzlich  verzerrtes  Bild,  aus  dem  man  erst  nach 
tieferer  Überlegung  richtige  Vorstellungen  gewinnen  kann.  Ganz 
anders  gestaltet  sich  die  Sache,  wenn  man  den  Sinus  der  geo- 
graphischen Breite  als  Argument  oder  als  Abscisse  einfuhrt 

Thut  man  dies,  dann  entsprechen  gleichen  Stufen  der  Tabelle, 
d.  h.  gleichen  Differenzen  des  Argumentes  oder  gleichen  Längen  auf 
der  Abscissenaxe ,  auch  gleich  grosse  Zonen,  und  die  einzelnen 
Werte,  bez.  die  Ordinaten  erscheinen  alsdann,  abgesehen  von  der 
ihnen  sonst  anhaftenden  Unsicherheit,  mit  dem  Gewichte,  das  ihnen 
naturgemäss  zukommt 

Dieser  Gedanke  ist  nun  durch  v.  Bezold  weiter  verfolgt,  auf 
verschiedene  meteorologische  Elemente  angewendet  und  gezeigt  worden, 
in  wie  einfacher  Weise  sich  der  Zusammenhang  zwischen  den  be- 
treffenden Mittelwerten  übersehen  lässt,  und  welche  eigenartigen  Be- 
trachtungen sich  dabei  nahezu  von  selbst  aufdrängen. 

V.  Bezold  giebt  die  Mittelwerte  von  Sonnenstrahlung,  Luft- 
temperatur. Luftdruck,  Bewölkung  und  Niederschlag  für  das  Jahr, 
zuerst  in  tabellarischer  Form  und  dann  in  graphischer  Darstellung, 
nach  Sinussen  der  geographischen  Breite  geordnet,  an. 

Als  Grundlagen  benutzte  er  die  in  gewöhnlicher  Weise  an- 
gegebenen Mittelwerte,   und  zwar  für  die  Sonnenstrahlung  die  von 


^)  Sitznngsber.  d.  Preuss.  Akad.  d.  Wissensch.  1891.  p.  1880. 
«)  a.  a.  0.  1900.  p.  356. 


362  Klimatologie. 

Meech^)  berechneten,  für  Lufttemperatur  jene  von  Spitaler  und 
Batchelder,^)  für  Luftdruck  die  Zahlen  von  W.  Ferrel,  für  die  Nieder- 
schlagsmengen jene  von  John  Murray  und  endlich  für  Bewölkung 
die  von  Svante  Arrhenius  aus  der  Karte  von  Teisserenc  de  Bort 
abgeleiteten,  die  man  sämtlich  in  Hanns  Klimatologie  abgedruckt 
findet.») 

Aus  diesen  Zahlen  wurden  alsdann  durch  eine  sehr  sorgfältige 
graphische  Interpolation  die  Werte  abgeleitet,  wie  sie  den  Sinussen 
0.05,  0.10  u.  s.  w.  bis  0.95  entsprechen. 

Man  findet  die  so  erhaltenen  Werte  in  Tabelle  I  zusammen- 
gestern  (S.  363). 

Dabei  wurden  die  auf  die  einzelnen  Elemente  bezüglichen  Zahlen 
so  angeordnet,  dass  die  Beziehungen  im  Gange  derselben  möglichst 
klar  hervortreten.  Um  dies  auch  in  der  Tabelle  leicht  erkenntlich 
zu  machen,  sind  die  wichtigem  Extremwerte  durch  den  Druck 
hervorgehoben. 

D  bezeichnet  die  Strahlensmnme  des  mittlem  Äquatorialtages, 
b  den  Barometerstand  in  Millimetern,  t  die  Lufttemperatur,  n  die 
Bewölkung  in  Prozenten  und  p  die  Niederschlagshöhe. 

»Betrachtet  man  die  nach  diesen  Zahlen  entworfenen  Kurven, 
so  gewinnt  man  vor  allem  den  sehr  bemhigenden  Eindruck,  dass 
unsere  Kenntnis  von  der  Verteilung  der  wichtigsten  meteorologischen 
Elemente  doch  eine  weit  vollständigere  ist,  als  man  nach  den  ge- 
wöhnlichen Zusammenstellungen  schlechtweg  vermuten  möchte. 

Der  Teil  der  Polargegenden,  für  welchen  man  durch  kühne 
Extrapolationen  die  Mittelwerte  für  ganze  Parallelkreise  bilden  könnte, 
beträgt  bei  Temperatur  und  Luftdruck  kaum  0.1  der  ganzen  Erd- 
oberfläche, und  auch  für  Bewölkung  und  Niederschläge  dürfte  das 
Bild  wenigstens  nach  den  Hauptzügen  nahezu  in  dem  gleichen  Umfange 
zutreffend  sein. 

Femer  aber  ersieht  man,  und  das  ist  die  Hauptsache,  sowohl 
aus  der  Tabelle  als  aus  der  graphischen  Darstellung  vorzüglich,  wie 
die  Verteilung  der  wichtigsten  meteorologischen  Elemente,  die  selbst- 
verständlich in  erster  Linie  durch  die  Sonnenstrahlung  bedingt  ist, 
durch  jene  des  Luftdmckes  modifiziert  wird. 

Die  Kurve  der  Mitteltemperaturen  besitzt  bei  richtig  gewähltem 
Massstabe  für  die  Ordinaten  die  grösste  Ähnlichkeit  mit  jener  der 
theoretisch  gewonnenen  Strahlungssummen. 

Aber  während  die  letztere  der  Natur  der  Sache  nach  vom  Äquator 
nach  beiden  Seiten  hin  genau  symmetrisch  verläuft,  mit  einem 
Maximum  am  Äquator,  so  ist  das  Maximum  bei  der  Temperatur- 
kurve nach  der  nördlichen  Hemisphäre  verschoben.  Zugleich  ist  auf 
der  südlichen  Halbkugel  ein  zweites    symmetrisch  gelegenes,    freilich 

M  Hann,  Klimatologie  2.  Aufl.  1.  p.  108. 
')  Ebenda  p.  200. 
*)  Ebenda  p.  217. 


■^mt'^' 


363 


k«feVi||iflm$^iftuig  des  AbfaUes,   d.h. 

fflISv  II^^fM'''^  Mitteltemperaturen  für 
>.^piffi|L.ÜcMB«1^9J5i|Üf^  hervor,  wenn  man 
^^ii^  Wasser   und   Fesüand 

Im. ^^-^^  '^  ♦^Ä.^eipgsweise    zu    eliminieren 

gleicher  nördlicher  und 
Ischen  Mittel  vereinigt.« 


......  ilf'?t|f?*^ 

^1@l||]@^^rgM|H||g(il|^iien  Brettenkreise.^] 

I^ft '«e»' ■ '#e»' >  ÜA  «'<8e»'i  ^0    OO    Ott  «'«e#'» 


1 


SfMl^ill»!  758-7    — 
?"mkimr&   58.4  —  0.3 
a  fliilV     58.8  +  0.4 
l>  -5t3#'S     50.9- -1.1 


I    b      Ah 


eo.9--i.o 

61.6- -0.7 
62.0- -0.4 
62.0  0.0 
61.9  —  0.1 
61.7  —  0.2 
61.1—0.6 
60.3-0.8 
60.3-1.0 
58.7  —  0.6 
58.1—0.6 
57.9  —  0.2 
&7.9  0.0 
67.9  0.0 
58.0-1-0.1 
58.0  0.0 
58.3-1-0.3 
58.5- -0.2 
58.8- -0.3 
50.5 --0.7 
60.2- -0.7 
61.0- -0.8 
61.8- -0.8 
62.6- -0.8 
63.2- -0.6 
63.6 -t- 0.3 
63.0  —  0.5 
61.7  —  1.3 
59.9  —  1.8 

67.2  —  2.7 
64.0  -  3.2 
50.0  —  4.0 
44.5  —  5.6 

40.3  —  4.2 


Nieder- 

COT 

P    Ap 


86  — 
6 
10 
8 

58  '  0 
56—  8 
53—  2 
53  0 
56+  2 
60--  6 
64--  4 
69--  6 
80--11 
109--29 
150--5O 
185--26 
196--10 
196  4-1 
196  0 
196—  1 
191—  4 
186—  6 
178—8 
162  —  16 
130  —  32 
97  —  33 
71-26 
66+  6 
66  0 
66+  1 
72--  6 
83--11 
97--14 
110 -J- 13 
116+  6 
113—  3 
106-  8 
96  —  10 


kling 
% 

nAu 


60  — 

61  +  1 
80 --1 

57  —  3 

58  —  4 
60  —  3 

47  —  3 
44-3 
42  —  2 
39  —  3 
38-1 
89+1 
42--3 
46--3 
48--3 
62.-4 
64--2 
57--3 
58--1 
60 -f  2 

60  0 
58  —  2 
56  —  2 
53  —  3 

61  —  2 

48  —  3 
46  —  2 
45  —  1 
46+1 
40--3 
53--4 
67--4 
61 --4 
65--4 
69--4 
74--5 


'^'^^'^^-^^^^''^^'f^m  weichen  vielfach  von 

.^^ik^li.Srö^-i^afiäi^c^tgeteilten  etwas  ah.    Der 

.    .^^^f^^S*^^* ''l'l*  ^ll^'^'^S'^^^^  ^^^  sorgfältiger  vor- 
'M'^^^Wf^W^S^'^S^W^^f^ZViW^  ®io  angenähertes  Bild 


©9        ©9         ^r 


864 


Klimatologie. 


Man  erhält  durch  dieses  Verfahren  liütielwerte,  weiche  im  Gtegen* 
satze  zu  den  gewöhnlichen  nur  für  die  Breitenkreise  einer  Hemisphäre 
gültigen  » hemisphärischen  €  von  Bezold  als  »holosphärische«  bezeichnet 
werden.  Die  nach  diesen  letztem  gezeichneten  Kurven  zeigen  noch 
weit  deutlicher,  wie  das  eine  Maximum  der  Strahlungskurye  bei  der 
Temperatur  wenigstens  andeutungsweise  in  zwei  getrennte  zerfällt. 
»Diese  Trennung  wurde  noch  schlagender  hervortreten,  wenn  man 
die  Temperaturkurve  durch  Übereinanderlagerung  zweier  Systeme 
entstanden  dächte,  von  denen  das  eine,  in  seinem  Verlaufe  einfachere, 
nur  ein  einziges  Maximum  am  Äquator  besässe.  Das  zweite  darüber 
gelagerte  System  würde  alsdann  zwei  deutlich  getrennte  Maxima 
zeigen.  Qtehi  man  zu  der  Kurve  des  Luftdruckes  über,  so  sieht 
man  die  beiden  bekannten  Maxima,  auf  die  zuerst  W,  Ferrel  hin- 
gewiesen hat  Der  Unterschied  zwischen  dieser  Art  der  Darstellung 
und  der  gewöhnlichen,  wie  man  sie  z.  B.  in  dem  Lehrbuche  von 
Sprung  findet,  besteht  nur  darin,  dass  die  Maxima  weiter  aus- 
einander gerückt,  und  dass  die  Gebiete  niedrigen  Druckes  auf  engere 
Räume  zusammengedrängt  erscheinen  als  dort. 

Diese  Art  der  Zusammenstellung  der  verschiedenen  Elemente 
enthüllt  den  zwischen  ihnen  bestehenden  Zusammenhang  in  wahrhaft 
überraschender  Weise  und  beleuchtet  klar  die  hohe  Bedeutung  der 
Ferrelschen  Luftdruckzonen.« 

V.  Bezold  giebt  auch  eine  Tabelle  der  holosphärischen  Mittel- 
werte, welche  zeigt,  dass  sogar  die  auf  ziemlich  schwankender  Grund- 
lage ruhenden  Mittel  für  Niederschlag  und  Bewölkung  bei  Zusammen- 
fassung zu  holosphärischen  Mitteln  einen  auffallend  regelmässigen 
Verlauf  zeigen. 

Holosphftrisohe  Mittelwerte. 


sin  9 

Strahlung 

Luftdruck 

Temperatur 
S.         B. 

Niederschlag 

Bewölkung 

0.9 

189.8 

749.8 

—         — 

67 

__ 

0.86 

215.8 

52.6 

0.8        0.1 

77 

67 

0.8 

287.0 

54.9 

8.8       8.8 

85 

68 

0.75 

255.6 

57.4 

6.7       6.7 

87 

61 

0.7 

272.2 

59.4 

9.9       9.9 

82 

57 

0.65 

286.7 

60.9 

12.6      12.6 

75 

58 

0.6 

299.4 

61.8 

15.0      15.1 

68 

50 

0.55 

811.0 

62.4 

17.2      17.7 

68 

46 

0.5 

821.0 

62.8 

19.4      19.5 

68 

44 

0.45 

830.1 

62.1 

21.4      21.0 

64 

42 

0.4 

837.6 

61.4 

22.7      22.6 

67 

42 

0.85 

844.8 

60.5 

24.0      28.9 

75 

44 

0.8 

849.8 

59.8 

24.7      25.0 

98 

46 

0.25 

854.8 

59.2 

25.2      25.8 

144 

49 

0.2 

858.6 

58.9 

25.6      26.2 

178 

52 

0.15 

861.9 

58.4 

25.7      26.5 

186 

55 

0.1 

868.6 

58.2 

25.9      26.6 

191 

57 

0.06 

864.8 

58.1 

25.9      26.6 

198 

58 

0.0 

365.2 

758.0 

25.9      26.6 

195 

58 

KUmatologie.  365 

Die  Zahlen  für  die  SonnenstraMung  (D)  und  die  Müteltemperatur  t 
xeigen  einen  solchen  Verlauf,  daes  sie  sich  durch  eine  empirische 
Formel  verknüpfen  lassen«  und  v.  Besold  findet  als  letztere: 

t  =  —  —  42.5. 
5.2 

Diese  Formel  zeigt  für  die  Zone  von  20 — 50^,  d.  h.  für  0.6 
der  ganzen  Erdoberfläche  eine  sehr  befriedigende  Darstellung.  »In 
der  Aquatorialzone  sind  die  berechneten  Temperaturen  höher  als  die 
beobachteten.  Dies  ist  unzweifelhaft  die  Folge  der  hohen  Bewölkung,* 
die  ja  in  niedrigen  Breiten  die  Temperaturen  herabdrückt,  sowie  des 
früher  angedeuteten  Einflusses  ^)  der  zusammengesetzten  Konvektion, 
wodurch  Wärme  aus  dieser  Zone  auf  die  beiden  sie  einsddiessenden 
Gürtel  übertragen  wird,  so  dass  die  Temperaturen  in  der  eigentlichen 
Aquatorialzone  tiefer,  in  den  beiden  benachbarten  Zonen  aber  höher 
sein  müssen,  als  man  nach  den  Strahlungsverhältnissen  vermuten 
sollte.  Da  die  Bewölkung  in  hohem  Breiten  die  Ausstrahlung  hindert, 
80  wird  man  es  diesem  Umstände  zuzuschreiben  haben,  wenn  die 
Temperaturen  jenseits  des  50.  Grades  höher  sind,  als  man  es  nach 
der  Formel  erwarten  sollte.« 

Die  Formel  giebt  mithin  die  wirklich  stattfindenden  Verhältnisse 
mit  geradezu  überraschender  Genauigkeit  wieder. 

Das  Ergebnis  lässt  sich   demnach   zusammenfassen   wie  folgt: 

»Einer  Änderung  von  5.2  Thermaltagen  beim  Obergange  von 
einem  Parallelkreise  zu  einem  andern  entspricht  eine  Änderung  der 
Mitteltemperatur  um  1^  G.« 

Ein  grosser  Vorzug  der  v.  Bezoldschen  Art  der  Darstellung 
liegt  auch  darin,  dass  die  Gesamtstrahlung,  welche  einer  beliebig 
ausgewählten  Zone  an  dem  betreffenden  Tage  zukommt,  jederzeit 
durch  die  Fläche  dargestellt  wird,  welche  von  dem  zugehörigen 
Stücke  der  Kurve,  der  Anfangs-  und  Endordinate  und  dem  dazwischen 
liegenden  Stücke  der  Abscissenaxe  begrenzt  wird. 

»Verwandelt  man  nun  diese  Flächen,  sei  es  mit  Hilfe  eines 
Planimeters  oder  an  der  Hand  der  nach  Sinusargumenten  fort- 
schreitenden Tabellen,  durch  mechanische  Quadratur  in  Rechtecke, 
so  geben  die  Vertikalseiten  dieser  Rechtecke  die  mittlem  Strahlungs- 
summen  für  die  ganze  Erde,  und  ähnlich  verhält  es  sich  natürlich 
mit  allen  Elementen,  die  sich  in  entsprechender  Weise  darstellen 
lassen. 

Durch  Anwendung  dieses  Verfahrens  auf  die  unter  D  stehenden 
Zahlen  der  Tabelle  I  erhält  man  als  mittlere  Strahlungssumme  im 
Jahre  den  Wert  299.3  oder  rund  300  Thermaltage.  Denkt  man  sich 
mithin  die  im  Laufe   eines  Jahres   der   gesamten  Erdoberfläche   von 


^)  Sitzungsber.  d.  Preuss.  Akad.  d.  Wissensch.  1900.  p.  871. 


866  Klimatologie. 

der  Sonne  gelieferte  Energie  gleichförmig  über  diese  Flache  verteilt, 
so  trifft  auf  jedes  Flächenelement  so  viel,  wie  auf  ein  gleich  grosses 
Flächenelement  am  Äquator  in  800  mittlem  Äquatorialtagen.  Man 
kann  mithin  auch  ungemein  leicht  jene  Breiten  angeben,  welche  im 
Jahre  gerade  jene  mittlem  Strahlungssummen  erhalten.  Man  hat 
nämlich  nur  in  den  Tabellen  jene  Stellen  aufzusuchen,  an  denen 
D  =  300  ist.  Diesen  Wert  findet  man  bei  sin  9?  =  0.6,  oder 
wenn  man  interpoliert ,  noch  genauer  bei  sin  9  =  0.604 ,  d.  h. 
hei  (p=  ±  37»  9'. 

Die  zwischen  den  ParaUelkreisen  87»  9'  Nord  und  Süd  gelegenen 
Punkte  der  Erdoberfläche,  bezw.  der  obem  Grenze  der  Atmosphäre 
erhalten  demnach  mehr  als  die  mittlere  Strahlensumme,  die  polwärts 
von  ihnen  gelegenen  weniger. 

Aus  diesem  Orunde  kann  man  die  beiden  Parallelen  passend 
als  die  > Strahlungsnormalen <  oder  auch  als  »Mittellinien  der  Sonnen- 
strahlung« bezeichnen. 

Da  nun  überdies  die  Sinusse  den  Oberflächen  der  zugehörigen 
Zonen  proportional  sind,  so  folgt  unmittelbar,  dass  0.604,  d.  h. 
rund  »/j^j  oder  '/^  der  Erdoberfläche  »mehr«  und  '/^  »weniger«  als 
die  mittlere  Strahlensumme  im  Jahre  von  der  Sonne  erhalten. 

In  ähnlicher  Weise  kann  man  aus  der  nämlichen  Tabelle  die 
»Temperatumormalen«  oder  die  »Mittellinien  der  Temperaturen«  ent- 
nehmen, indem  man  jene  Breitenkreise  aufsucht,  die  gerade  die 
Mitteltemperatur  der  ganzen  Erde,  nämlich  15»,  aufweisen. 

Man  findet  diese  auf  der  nördlichen  Halbkugel  bei  sin  97  =  0.62, 
d.  h.  bei  <p  =  38»  18'  und  auf  der  südlichen  bei  sin  9?  =  0.57, 
d.  h.  bei  9?  =  35»  0^  so  dass  also  auch  wieder  innerhalb  eines 
Ringes,  der  0.6  der  ganzen  Erdoberfläche  bedeckt,  Temperaturen 
herrschen,  die  über  dem  Durchschnitte  liegen,  während  sie  ausserhalb 
desselben,  also  auf  den  zusammen  0.4  der  Gesamtoberfläche  ein- 
nehmenden polaren  Segmenten  unterhalb   des  Mittelwertes   bleiben.« 


Druck  von  Robert  Noske,  Borna -Leipzig. 


JAHRBUCH 


der 


Astronomie  und  Geophysik. 

Enthaitend  die  wichtigsten  Fortschritte  auf  den  (Gebieten 

der 

Astrophysik,  Meteorologie  nnd  pliysikalischen  Erdkunde. 


Unter  Mitwirkung  von  Fachmännern 

herausgegeben 

yon 

Prof.  Dr.  Hermann  J.  Klein. 


XIT.  Jahrgang  1903. 

Mit  sechs  Tafeln. 


EDUARD  HEINRICH  MAYER 

|K  Verlagsbuchhandlung 

Ldpzif  1904. 


Inhaltsübersicht 


Seite 
Inhaltsübersicht III— Vm 

Astrophysik. 
Sonne 1—21 

Die  Fleckentätigkeit  der  Sonne  im  Jahre  1902,  von  Prof.  Wolf  er       1 

Die  Verteilung  der  Flecken,  Fackeln  und  Protaberanzen  in  den 

Jahren  1893  bis  1896,  von  Prof.  Wolfer 3 

Die  mittlem  täglichen  Flächengrößen  der  Sonnenflecke,  für  jeden 
Grad  heliographischer  Breite  in  den  Jahren  1874  bis  1902, 
nach  photographischen  Aufnahmen  auf  der  Sternwarte  zu 
Greenwich 7 

Die  Sonnenflecke  und  die  magnetischen  Schwankungen,  beobachtet 

zu  Kew  in  den  Jahren  1890—1900,  von  Ch.  Ghree ....       9 

Über  den   Zusammenhang   der  elfjährigen  Sonnenfleckenperiode 

mit  der  Bewegung  des  Jupiter,  von  H.  Kloht 9 

Über  die  etwaige  Beziehung  der  Sonnenfackeln  zu  den  Protu- 
beranzen, von  A.  Mascari 11 

Vennutete  Identität  von  Fackeln  u.  Protuberanzen,  von  E.  Tringali      12 

Über  eine  Beziehung  zwischen  den  Sonnenprotuberanzen  und  dem 

Erdmagnetismus,  von  Lockyer 18 

Die  spektroskopischen  Ergebnisse  der  Beobachtungen  der  Sonnen- 

nnstemis  vom  28.  Mai  1900,  zusammengestellt  von  J.  Evershed      17 

Die  neuen  Gase,  Neon,  Argon,  Krypton  und  Xenon,  in  der  Chromo- 
sphäre  bei  Gelegenheit  der  totalen  Sonnenfinsternis  vom 
18.  Mai  1901  auf  Sumatra,  von  S.  A.  Mitchell 18 

Die  periodischen  Veränderungen  der  Sonnenkorona 19 

Über  den  wahrscheinlichsten  Wert  der  Sonnenparallaxe,  von  Boris 

Weinberg 21 

Planeten 21-42 

Planetoidenentdeckungen  im  Jahre  1902,  von  Paul  Lehmann  .  .  21 
Die  Neiffungen   der  Hotationsachsen   der  Planeten   gegen   ihre 

Babnebenen,  von  Prof.  W.  H.  Pickering 23 

Die  Rotationsdauer  der  Venus,  von  Prof.  Schiaparelli  ....  24 
Die  Beobachtungen  des  Mars  in  den  Jahren  1896  und  1897  auf 

der  Lowellstemwarte  zu  Flagstaff  und  zu  Tacubaya  ...  24 

Die  südliche  Polarkalotte  des  Mars,  von  Prof.  Bamard    ....  33 

Eme  Wolke  auf  dem  Mars 83 

Die  Marskanäle  als  optische  Täuschungen 83 

Der  Lichtwechsel  der  Jupitermonde  beim  Vorübergange  vor  der 

Jupitersoheibe,  von  H.  Kloht 36 

Heller  Fleck  auf  der  Satumkugel 41 

Der  Durchmesser  des  Satummondes  Titan,  von  W.  J.  Hussey  .    .  41 

Der  transaeptonsche  Planet,  von  W.  Lau dl 


rv  Inhaltsübersicht. 

Seite 

Der  Mond 42-44 

Der  Dorohmesser  des  hellen  Fleckes  um  den  Krater  Linne.  .  .  42 
Heller  Punkt  in   der  Nachtseite   des  Mondes,   von  Prof.  William 

H.  Pickering 43 

Die  Mondfinstenu^  am  11.— 12.  April  1903 43 

Kometen 45—60 

Die  Kometenerscheinungen  des  Jahres  1902,  von  Prof.  H.  Kreutz  45 
Die    scheinbaren   Besaehnngen    zwischen    den    heliozentrischen 

Perihelbreiten  und  den  Periheldistanzen  der  Kometen,  von 

Dr.  J.  Holetschek 47 

Photographische  Aufnahmen  des  Kometen  b  1902  auf  der  Lick- 

stemwarte,  von  R  H.  Curtiß 48 

Transparenz  des  Kometen  b  1902 49 

Komet  c  1908  (Borrelly) 49 

Die  mechanische  Theorie  der  Kometenerscheinungen,  von  Prof. 

Th.  Bredichin 50 

Sternsohnuppen  und  Meteoriten 60—85 

Stemschnuppenhäufigkeit,  von  ProL  Wolf 60 

Bahnbestimmung  des  Meteors  vom  27.  Februar  1901 61 

Die  große  Feuerkugel  vom  16.  November  1902,  von  Dr.  F.  Koerber  61 

Das  Meteoreisen  von  N'Goureyma  im  Sudan,  von  E.  Cohen  .  .  63 
Die  Meteoritenfälle  in  Europa,  Kleinasien  und  den  afrikanischen 

Küstengebieten  des  Mittelmeeres,  von  H.  Boinitz    ....  64 

Fixsterne 86-148 

Statistik  der  Sterne  in  der  Zone  von  -j-  65  bis  +  70®  nördl.  Dekli- 
nation, nach  den  Aufnahmen  für  die  photographische  Himmels- 
karte auf  der  Sternwarte  zu  Greenwich 85 

Bestimmungen  der  Parallaxen  von  10  Sternen  1.  Größe  an  der 

nördlichen  Himmelshälfte,  von  W.  L.  EUdn 86 

Die  Parallaxe  des  Doppelstems  ^  Equulei 86 

Untersuchunffen  über  den  Lichtwechsel  des  Algol  von  A.  Pannekoek  88 

Über  die  Lichtkurve  von  fi  hytaj&t  von  W.  Stratonow 94 

Das  Spektrum  des  Veränderlichen  o  Ceti  (Mira),  von  J.  Stebbins  .  96 

DerVeränderüche  10. 1903  Lyrae 99 

Der  Veränderliche  SS  Cygni,  von  E.  Hartwig 100 

Veränderlichkeit  von  a  Orionis,  von  W.  H.  Robinson 101 

Der  Begleiter  des  Polarsternes  als  veränderlicher  Stern  ....  101 

Ein  neuer  Veränderlicher  von  außergewöhnlich  kurzer  Periode     .  108 

Die  veränderlichen  Sterne  des  Orionnebels,  von  Prof.  M.Wolf     .  106 

Die  veränderlichen  Sterne  im  Sternhaufen  <o  Gentauri     ....  107 

Bin  neuer  Katalog  der  veränderlichen  Sterne 112 

Der  Farbenwechsel  von  a  Ursae,  von  H.  E.  Lau 125 

Die  Helligkeitsbeobachtungen  über  die  Nova  Persei  1901      ...  127 

Das  Spektrum  des  Nebels  um  die  Nova  Persei 129 

Die  Nova  Geminorum  1903 129 

Ein  Verzeichnis  von  100  neu  entdeckten  und  vermessenen  Doppel- 

stemen,  von  W.  J.  Hussey 133 

Messungen  von  117  neuen  Doppelstemen,  von  B.  G.  Aitken     .    .  134 

Die  Bahn  von  £  Bootis,  von  vv.  Doberck 134 

Die  Bahn  des  Donpelstemes  •  Hydrae,  von  Aitken 134 

Die  radialen  G^eschwindigkeiten  von  20  Sternen  mit  Spektren  des 

Oriont]rpus 135 

Ein  Stern  mit  großer  Radialbewegung,  von  H.  M.  Reese  ....  136 

Fundamentalsteme  zur  Bestimmung  der  radialen  Geschwindigkeiten  135 


Inhaltsübersicht  V 

Seite 

Spektroskopisohe  Doppelsteitie 186 

Die  Bahnverhältnisse  des  spektroskopischen  Doppelstemes  17  Orionis  145 
Die  HelligkeitsYerteiiuBg  in  der  Milcnstraße  verglichen  mit  der  Ver- 
teilung der  in  der  nördlichen  Milchstraße  stehenden  Sterne 

der  Bonner  Durchmusterung,  von  C.  Baston 146 

Nebelflecke 148-159 

Photographische  Aulnahmen  kosmischer  Nebelflecke,  von  I.  Roberts  148 

Eine  Eigentümlichkeit  der  großen  Nebelflecke,  von  Prof.  Dr.  M.  Wolf  149 
Untersuchungen  über  die  Gruppierung  der  Nebelflecke,  von  Prof. 

M.Wolf 152 

Geophysik. 

Allfiremeine  Eigenschaften  der  Erde 160--164 

Ober  die  Polhöhenschwankung,  von  Dr.  R.  Schumann  ....  160 
Die  Messung  des  Erdbogens  zwischen  der  Fundy-Bai  und  dem  Golfe 

von  Mexiko 161 

Schwerebestimmungen  in  Württemberg 163 

Bestimmung  der  Schwerkraft  auf  dem  Atlantischen  Ozeane,  von 

Prof.  Dr.  Hecker 164 

Über    die    Reduktion    der   auf    der    physischen    Erdoberfläche 

beobachteten  Schwerebeschleunigungen  auf  ein  gemeinsames 

Niveau,  von  Prof.  Hehnert 164 

Oberfläohengestaltunff 165—182 

Gesetzmäßig  wiederkehrende  Hohenverschiebungen  von  Nivelle- 

mentsfestpunkten,  von  W.  Seiht 165 

Die  Felsbildungen  der  sächsischen  Schweiz,  von  A.  Hettner    .    .  165 

Ober  Bergstürze  im  norddeutschen  Flachlande,  von  Prof.  Jentzsch  168 

Ober  die  Entstehung  und  Wanderung  der  Dünen,  von  0.  Basohin  169 

Der  Untergrund  von  Venedig,  von  Dr.  Ochsenius 169 

Ein  merkwürdiger  Fall  von  Erosion  durch  Stauhocbwasser  bei 

Schmarden  in  Kurland,  von  Dr.  B.  Doß 171 

Ober  das  Relief  von  Norwegen,  von  H.  Reusch 173 

Die  geomorphologischen  Verhältnisse  Ostasiens 174 

Boden-  und  Erdtemperatur 188 

Ober  die  Beeinflussung  der  geothermischen  Tiefenstufe,  von  J.  F.  Hoff- 


Erdmacmetlsmus 188—193 

Ein  Atlas  des  Erdmagnetismus  für  die  Epochen  1600,  1700»  1780, 

1842  und  1915,  von  Dr.  H.  Pritsche 183 

Die  Bedeutung  der  magnetischen  Vermessung  eines  ganzen  Parallel- 

kreises  zur  Prüfung  der  Grundlagen  der  Gkiussschen  Theorie 

des  Erdmagnetismus,  von  W.  v.  Bezold  und  A.  Schmidt  .  .  186 
Die  Lehre  von  dem  Wesen  und  Wandern  der  magnetischen  Pole 

der  Erde,  von  Dr.  E.  H.  Schütz 188 

Die  erdmagnetischenVerhältnisse  auf  Bomholm,  von  Prof.  A.  Paulsen  191 
Die  magnetische  Inklination  in  vorgeschichtlicher  Zeit    ....    193 

Erdbeben 194-226 

Die  Erdbebenforschung  im  deutschen  Reiche 194 

Messungen  der  Bodenbewegungen  bei  einer  Sprengung  auf  dem 

Sehießplatze  Cummersdon,  von  Prof.  0.  Hecker 195 


VI  Inhaltsübersicht 

S«lt6 

Das  Erdbeben  von  Ceram  am  80.  September  1899,  von  Prof.  E.  Radolph  196 

Das  Erdbeben  von  Schemacha  am  18.  Febr.  1902,  von  F.  Anderssonn  200 

Das  Erdbeben  von  Saloniki  am  5.  Juli  1902,  von  Prof.  R.  Hoemes  201 
über  die  Erdbeben  an  der  Küste  Guatemalas  im  Jahre  1902  und 

deren  Folgeerscheinungen 208 

Das  Erdbeben  im  Vogtlande  und  dem  nordwestlichen  Böhmen  im 

Jahre  1908,  von  Prof.  Dr.  Diener 206 

Über  die  Natur  der  Bodenbewegungen  in  großen  Entfernungen  von 

dem  Erdbebenherde,  von  Prof.  Milne 209 

Erdbebenherdlinien,  von  E.  G.  Harboe 210 

Die  ersten  Resultate  der  Beobachtungen  am  Pendelseismographen 

im  Pribramer  Bergwerke,  von  Dr.  H.  Benndorf 218 

Die  mikroseismische  Pendelunruhe  und  ihr  Zusammenhang  mit 

Wind  und  Luftdruck,  von  E.  Mazelle 216 

Ober  die  Ursachen  der  Erdbeben,  von  Prof.  Branco 218 

Vulkanismus 226-269 

Der  Ausbruch  des  Vesuv  im  Frühjahre  1908,  von  Prof.  G.  Mercalli  226 

Besuch  des  Mont  Pele,  von  Dr.  K.  Sapper 228 

Die  vulkanischen  Vorgänge  auf  Martim^ue  nach  dem  Ergebnis  der 

französischen  geologischen  Expedition,  von  A.  Lacroiz    .    .  281 
Die  Wirkungsweise  und  das  Wesen  der  vulkanischen  Vorgänge  des 

Jahres  1902  auf  den  westindischen  Inseln,  von  Dr.  A.  Stübel  284 

Ersteigung  des  Puy  de  Dome,  von  Dr.  P.  Verbeek 246 

DieViukane  bei  Karabunar  im  südöstlichen  Kleinasien,  von  F.  Schafler  246 
Die  vulkanischen  und  seismischen  Vorgänge  im  Ostindischen  Ar- 
chipel während  des  Jahres  1901 247 

Ausbruch  eines  Inselvulkans  im  Golfe  von  Tomini 248 

Die  tätigen  Vulkane  auf  den  Philippinen 262 

Der  vulkanische  Ausbruch  auf  Sawaji 262 

Die  Eruption  des  Vulkans  auf  Toroshima  in  Japan  im  August  1902  268 

Der  Vulkan  Izaico,  von  Dr.  K.  Sapper 266 

Die  Vulkangebiete  in  Chile  und  Araentinien,  von  Prof.  R.  Hauthal  266 

Ober  die  Vuuane  des  nordwestlichen  Patagoniens,  von  Dr.  H.  Steffens  267 

Vulkanische  Aschenfälle  im  Nordatlantischen  Ozeane 868 

Inseln 260—271 

Die  Insel  Grimsey,  von  Th.  Thoroddsen 260 

Die  geographische  Stellung  der  Azorengruppe,  von  Prof.  R.  Sieger  260 

Die  Gilbertmsebi,  von  M.  Präger 262 

Cber  die  Marianen,  von  H.  Seidelberg 264 

Die  Insel  Ponape  der  Karolinengruppe,  von  K£4>itän  M.  Prager   .  286 

Die  Insel  Nauru  der  Marshalk^ppe,  von  Fr.  Hemsheim      .    .    .  267 

Danunriffe  und  Atolle,  von  Alex.  Agassiz 269 

Das  Meer 271-279 

Eine  Terminologie  der  wichtigsten  tmterseeischen  Bodenfonnen  .  271 

Die  Beobachtung  der  Meereswellen 278 

Die  Stromversetzungen    auf  den  internationalen  Dampferwegen 

zwischen  dem  Englischen  Kanäle  und  New-York,  von  Prof. 

Dr.  Schott 274 

Der  Landverlust  an  der  mecklenburgischen  Küste,  von  E.  Geinitz  276 

Quellen  und  Höhlen 279-292 

Quellen  am  Meeresgrunde,  von  Dr.  F.  J.  Fischer 279 

Die  intermittierende  Ldndwurmquelle  bei  Laibach,  von  W.  Putiok  266 


lahaltsaberaioht  VII 

Seite 
ünterauchunffen   über  die  Abnahme  der  Qnelleiitemperatiir  mitS| 
der  Hone  im  Gebiete  der  mittlem  Donau  und  des  Inn,  yon)B 

Dr.  P.  V.  Kemer 5287 

Die  Änderungen  des  Grundwasserstandes  in  Brunn,  von  J.  Ldznar    288 
Eine  Theorie  der  Kohlensäure  führenden  Quellen,  von  Professor  ^; 

F.  Henrich 289 

Über  die  Entstehung  und  die  Rolle  des  Erdöles,  von  H.  Hofer    .    290 
Die  Höhle  von  Padirac,  von  B.  A.  Martel  und  E.  Fugger   ...    291 

Flüsse 292--816 

Die  Flußdichte  im  Eibsandsteingebirge  und  dessen  nordöstlichen 

Nachbargebieten,  von  Dr.  G.  Feldner 292 

Weser  und  Ems,  ihre  Stromgebiete  und  ihre  wichtigsten  Neben- 
flüsse, von  G.  Keller 295 

Die  Beziehungen   zwischen  Niederschlag  und  Abfluß  in  Mittel- 
europa, von  Prof.  W.  üle 810 

Die  Ausbildung  des  Rheintales  zwischen  dem  Neuwieder  Becken 

und  der  Köhi-Bonner  Bucht,  von  Dr.  Kaiser 811 

Die  Entstehungsgeschichte  des  Rheines,  von  Schulz-Briesen     .    .  818 

Die  Veränderungen  des  Afississippideltas  von  Warren  Upham  .    .  814 

Das  Mündungsgebiet  des  Orinoco 814 

Veränderungen  im  Laufe  des  Hilmend,  von  P.  M.  Sykes     .    .    .  815 

Seen  und  Moore 816—885 

Ober  den  Untergrund  norddeutscher  Binnenseen,  yon  Dr.  Jentzsch  816 

Der  Schillingsee  im  Preußischen  Oberlande,  von  G.  Braun  .    .    .  819 

Das  Seengebiet  des  nordwestlichen  Rußland,  von  S.  Tschulok     .  819 

Der  Karaboghazbusen  des  Kaspisees,  von  A.  Woeikof     ....  822 

Der  Aralsee,  von  L.  Berg 824 

Der  Tsohadsee,  von  Destenave 826 

Die  Seen  in  Tibet,  von  Dr.  Sven  v.  Hedin 827 

Die  Moorgebiete  Österreichs,  von  Dr.  W.  Bersch 881 

Gletscher-  und  Glazialphysik 886—840 

Die  periodischen  Schwankungen  der  Alpengletscher,  von  F.  A.  Forel    886 
Die  Bewegungen  des  Pasterzegletschers  in  den  Jahren  1900,  1901 

und  190^,  von  Dr.  H.  Angerer 

Über  den  Schuttinhalt  von  Innenmoränen,  von  H.  Heß   .... 
Die  Gletscherbildungen   in  den  Anden  von  Ecuador,   von  Prof. 

Dr.  H.  Meyer 887 

Die  antarktische  Eismauer 888 

Die  Beziehungen  des  alten  Rheinlaufes  zum  Inlandeise,  von  J.Lori6    889 

Die  Lufthülle  Im  allgemeinen 840—860 

Die  Mengen  der  neuentdeckten  Gase  in  der  Atmosphäre,  von 

Ramsay 840 

Die  Zusammensetzung  der  atmosphärischen  Luft  in  verschiedenen 

Höhen 840 

Die  Schwankungen  der  mittlem  Lufttemperatur  der  Erde,  von 

Charles  Nordmann 841 

Lufttemperatur 841—848 

Der  antarktische  Kältepol 841 

Die  Wärmeabnahme  mit  der  Höhe  an  der  schottischen  Westküste, 

von  W.  N.  Shaw  und  W.  H.  Dines 842 

Temperaturumkehrungen   in   der   Höhe    der  Atmosphäre,    von 

Prof.  R.  Assmann 848 

Die  vertikale  Wärmeleitung  m  der  Atmosphäre,  von  A.  Schmidt  847 


Vin  Inhaltsabenioht. 

Seite 

Luftdraok 349—660 

Der  hohe  Luftdraok  über  Sibirien,  von  L.  G.  Danilow  ....    848 

Wolken 350-851 

Morphologie  der  Wolken  des  aufsteigenden  Luftstromes,  vonK.  Mack    860 

Niedersohlägre  und  Verdunstungr 852—858 

Die  Periodizität  der  Niederschläge,  von  William  J.  S.  Lookyer    852 

Luftbewegrunff,  Winde  und  Stürme 854—862 

Untersuchungen  über  die  allgemeine  Bewegung  in  der  Erdatmo- 
sphäre auf  Grund  der  Cirrusbeobachtungen ,   von  H.  Hilde- 

brandsson 853 

Über  die  Bewegungen  der  Zyklone  und  Antizyklone,  von  John 

Aitken 880 

Die  Luftströmungen  auf  dem  Gipfel  des  Säntis  und  ihre  jahr- 
liche Periode,  von  Prof.  Hann 861 

Elelctrlsche  Lufterscheinunfiren 862—864 

Die  Elektrizitätszerstreuung  in  der  Atmosphäre,  von  Professor 

Dr.  Czermak 862 

Untersuchungen  über  die  Schadenblitze  in  Ungarn,  von  L.  v.  Szalay    868 

Optische  Ersohelnunfiren  der  Atmosphäre  ....    864—866 
Außergewöhnliche   Dämmerungserscheinungen    im   Jahre    1902, 

von  Prof.  M.  Wolf 864 

Ober  Luftspiegelungen  in  Ungarn,  von  P.  J.  F6nyi 865 

laimatolofirie 866-868 

Eine  kartographische    Darstellung    der  Sonnenscheindauer    in 

Deutscmand,  von  Dr.  A.  Eichhorn 866 


Verzeichnis  der  Tafeln« 

Tafel  I:  Der  Komet  b,  1902  (Perrine)  nach  photographischen  Aufnahmen  auf 
der  Lick-Stemwarte. 

.  n:  Der  Veränderliche  10  1908  in  der  Leyer.  Photographische  Auf- 
nahme von  Prof.  M.  Wolf. 

.  IQ:  Lichtkurve  der  Nova  Persei  Nr.  2. 

„  IV:  Magnetische  Karte  der  Erde.  Linien  gleicher  magnetischer  Dekli- 
nation (Isogonen)  für  das  Jahr  1915.  Entworfen  von  Dr.  H.  Pritsche. 

.  V:  Linien  gleichen  mittlem  Luftdruckes  in  4000  m  Höhe  im  Januar 
und  Juli  1891  nach  Teisserence  de  Bort. 

.  VI:  Die  geographische  Verteilung  der  tödlichen  Blitzschläge  in  Ungarn 
1897—1901,  zusammengestellt  von  Ladislaus  von  Szalay. 


Astrophysik. 


Sonne. 

Die  Fleekentätigrkelt  der  Sonne  im  Jalire  1902.  Wie 
seit  Jahren  so  hat  Prof.  Wolfer  in  Zürich  die  Verfolgung  der  Flecken- 
tatigkeit  auf  der  Sonne  im  Jahre  1902  znm  Oegenstand  seiner  be- 
sondem  Aufmerksamkeit  gemacht.  Die  Ergebnisse  derselben  hat  er 
unlängst  veröffentlicht  Sie  beruhen  in  der  Hauptsache  auf  den  an 
der  Züricher  Sternwarte  von  Prof.  Wolf  er  und  dem  Assistenten  Broger 
gemachten  Beobachtungen,  die  sich  zusammen  auf  263  Tage  des 
Jahres  1902  erstrecken.  Dazu  kommen  achtzehn  fremde  Beobach- 
tungsreihen, welche  die  Züricher  Beobachtungen  ergänzen  und  die 
Statistik  zu  einer  alle  Tage  des  Jahres  umfassenden,  lückenlosen 
machen.  In  der  nachfolgenden  Tabelle  sind  die  Resultate,  welche  Prof. 
Wolf  er  gefunden,  zusammengestellt,  und  zwar  für  die  einzelnen  Monate. 
Es  bezeichnet  darin  n  die  Zahl  der  Beobachtungstage,  m  die  Zahl 
der  fleckenfreien  Tage,  r  die  berechneten  Relativzahlen  der  Sonnen- 
flecken. 


1902 

n 

m 

r 

Januar     

81 

20 

5.2 

Februar 

28 

28 

0.0 

März 

81 

17 

12.4 

April 

80 
31 

80 
20 

0.0 

mL :  .  . 

2.8 

Juni 

30 

25 

1.4 

Juli 

31 
31 

28 

22 

0.9 

August 

2.8 

September 

30 

18 

7.6 

Oktober 

81 

4 

16.8 

November 

80 

17 

10.3 

Dezember 

31 

28 

1.1 

Jahr 

865 

267 

5.0 

Das  Jahresmittel  r  =^  5.0  weist  zwar  gegenüber  1901   (r  »s  2.7)  nur 

eme  geringe  Zunahme  auf,  und  auch  die  Zahl  der  fleckenfreien  Ta^e  ist 

nur  um  80  gesunken,  indessen  ist  doch  aus  beiden,  in  Verbindung  mit  den 

in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  beträchtlich  angewachsenen  Monatsmitteln 

Klein,  Jahrbaoh  XIV.  1 


2  Sonne. 

zu  schließen,  daß  die  Tätigkeit  im  Jahre  1902  entschieden  gestiegen,  das 
Minimum  also  sicher  überschritten  ist;  die  seitherigen  Beobachtungen  ans 
der  ersten  Hälfte  von  1908  bestätigen  dies.  Die  genaue  Berechnung  Prof. 
Wolfers  läßt  darin  keinen  Zweifel  mehr  übrig;  jedoch  tritt  nicht  bloß 
ein  Minimum  auf,  sondern  es  sind  deren  zwei  vorhanden,  »das  eine  mit  der 
Relativzahl  2.8  um  Mitte  1901,  das  andere  mit  2.6  Anfang  1902,  beide  durch 
ein  leichtes,  aber  entschiedenes  Ansteigen  und  Wiederabfallen  der  Zahlen 
in  der  2.  Hälfte  1901  voneinander  getrennt.  Diese  vorübergehende  Zunahme 
ist  nun,  yvie  die  Durchsicht  der  in  Zürich  beobachteten  Fleckenpositionen 
aus  dem  Jahre  1901  ergibt,  zum  Teil  schon  durch  Flecken  hoher  Breite 
bewirkt,  die  also  bereits  der  neu  beginnenden  Tätigkeitsperiode  angehören. 
Es  hat  somit  die  abgelaufene  Periode  nicht  erst  nach  dieser  kleinen  Zunahme 
ihr  Ende  erreicht,  sondern  es  würde  das  der  letztem  vorangehende  erste 
Minimum  mit  ebensoviel  Grund  wie  das  nachfolgende  als  eigentliche  Minimal- 
epoche betrachtet  werden  dürfen;  der  Unterschied  von  0.2  Einheiten  in  den 
beiderseitigen  Relativzahlen  ist  selbstverständlich  viel  zu  gering,  um  irgend- 
welche Bedeutung  für  eine  Wahl  zwischen  den  beiden  Teiäainima  zu  haben, 
da  er  durch  bloße  ZufiUjgkeiten  in  den.  Beol^aobtungen  ebenso  leicht  in 
sein  Gegenteil  verkehrt  werden  konnte.  Sonach  wird  es  das  Richtige  sein, 
beiden  Reiches  Gewicht  zu  geben  und  ihr  Mittel  als  mittlere  Mimmums- 
epoche  anzusehen.  Da  das  ei^te  Minimum  auf  Anfang  Juni  1901  —  die 
ausgeglichenen  Relativzablen  gelten  je  für  die  Mitte  des  Monats  —  d.  h.  auf 
1901.41,  das  zweite  auf  Mitte  Januar  1902,  also  auf  1902.04  fäUt,  so  folgt 
als  Epoche  des  Hauptminimums  1901.7.  Sie  stimmt  genau  mit  derjenigen 
überem,  welche  kürzlich  Prof.  Mascari  aus  seinen  Fleckenbeobachtungen  in 
Gatania  abgeleitet  hat.  Mit  der  ihr  vorangehenden  von  1889.6  ergibt  sie 
eine  Länge  der  eben  abgelaufenen  Periode  von  12.1  Jahren«  d;  h.  ein  volles 
Jahr  mehr  als  den  Mittielwert  11.12  Jahre., 

Die  Schwankungen  der  Fleckenkürven  während  des  Jahres  zeigten 
sich  auch  jetzt  wieder  weni|^ns  teilweiiie  abhängig  vH^n  der  Verteilung 
der  Fleckengebiete  nach  heliogranhiscbßr ,  Län^e  in  Verbindung  mit  der 
Rotation  der  Sonne.  >Die  beiden  kleihen  Maxima  im  Januar  und  März  haben 
innerhalb  der  zugehörigen  Rotationsperioden  ähnliche  Lage,  d.  h.  entsprechen 
ungefähr  der  gleichen  Kotationsphase,  steheA  aber  dennoch  in  keiner  direkten 
Verbindung,  da  das  erste  in  der  Hauptsache  von  einer  großem  Flecken- 
gruppe der  südlichen,  das  zweite  von  einer  ebensolchen  der  nördlichen 
Halbkugel,  aber  in  der  Nähe  des  gleichen  Meridians  liegenden  herrührt 
Auch  die  niedere  Anschwellung  im  Mai  fällt  wieder  nahe  auf  die  gleiche 
Rotationsphase  wie  die  beiden  ersten  und  stammt  von  einer  Fleckengruppe 
der  südlichen  Halbkugel  von  nahe  derselben  heliographischen  Länge  wie 
die  vorerwähnten.  Es  ergibt  sich,  daß  in  dei*  Tat  m  der  1.  Haute  des 
Jahres  alle  Fleckenbiklu4gehi  sich  auf  die  eine  Halbkugel  der  Sonne  zwischen 
0  und  180  ^  Länge  verteilten,  währeud  die  gegenüberliegende  gänzlich  frei 
blieb.  Vom  Juli  ab  begann  dagegen  die  Tätigkeit  auch  in  cueser  zu  er- 
wachen und  entwickelte  sioh  insbesondere  in  dem  Gebiete  zwischen  260  und 
900*  Länge,  dem  die  4  Erhebungen  der  Fleckenkurve  je  in  der  2.  Hälfte  der 
Monate  September,  Oktober^  November  und  Dezember  entsprechen ;  sie  sind 
durch  eine  Anzahl  Bleckengruppen  hervorgebraohtt  die  sich  annähernd  um 
den  gleichen  Meridian  herum,  teils  in  der  Nord-,  teils  in  der  Südhalbkugel 
gruppiert  hatten;  diejenige  von  Mitte  Oktober  dagegen  entspricht  einer 
Fleckengruppe  auf  der  entgegengesetztMi  Seite  der  Sonne.  Von  der  in 
frühem  Jahren  mehrfach  erwähnten  Verteilung  der  Tätigkeitsgebiete  auf 
diametral  gegenüberliegende  Meridiane  der  Sonnö  scheinen  auch  diesmal, 
wenigstens  für  die  2.  Hälfte  des  Jahres  Andeutungen  enthalten  zu  sein ; 
indessen  gibt  das  Fleckenphänomen  allein,  ohne  die  Hinzuziehung  der 
Fackelgebiete,  ein  zu  unvollständiges  Bild  von  dcir  Verteilung  der  gesamten 
Tätigkeit,  als  daß  diese  sich  mit  genügender  Sioberbe^t  daraus  feststellen üeße.« 


Sonne.  3 

Die  Vertellungr  der  Flecken,  Fackeln  und  Protuberanzen 
In  den  Jahren  1898  bis  1895.  Auf  der  Züricher  Sternwarte  hat  Prof. 
Wolfer  die  dort  seit  Jahrzehnten  gepflegten  Beobachtungen  der  Oe- 
bilde  auf  der  Sonnenoberfläche  fortgesetzt.  Über  diese  Beobachtungen 
und  Untersuchungen  liegen  zur  Zeit  8  Bände  vor,  in  welchen  die 
Verteilung  der  Sonnenfleckphänomene  in  den  Jahren  1887  bis  1895 
im  einzehien  dargestellt  ist.  Der  jüngste  Band  ^)  behandelt  die  Jahre 
1898  bis  1895,  welche  das  letzte  Tätigkeitsmaximum  der  Sonne  ein- 
schließen. Prof.  Wolfer  hat  demselben  eine  Einleitung  voraufgeschickt, 
^welche  die  Ergebnisse  der  Beobachtungen  gemäß  seinen  Unter- 
suchungen darlegt,  und  der  das  folgende  entnommen  ist 

Die  Angaben  beruhen  größtenteils  auf  den  Beobachtungen  zu 
Zürich;  zur  Vervollständigung  der  durch  bewölkten  Himmel  aus- 
^fallenen  Aufzeichnungen  wurden  solche  aus  Rom,  Gatania  und 
Odessa  benutzt.  Im  ganzen  wurden  1898  an  828,  1894  an  840, 
1895  an  336  Tagen  Beobachtungen  erhalten,  so  daß  man  wohl  von 
erschöpfender  Vollständigkeit  derselben  sprechen  kann.  Die  Ergeb- 
nisse der  Beobachtungen  sind  in  einem  Verzeichnis  der  berechneten 
Positionen  der  Flecken,  Fackeln  und  Protuberanzen  auf  der  Sonnen- 
oberfläche mitgeteilt,  dann  in  heliographischen  Karten  niedergelegt, 
von  denen  jede  eine  Rotationsperiode  der  Sonne  umfaßt. 

»Wie  gewöhnlich,«  bemerkt  Prof.  Wolf  er,  »sind  unter  den  drei 
Tätigkeitssymptomen  die  Fackeln  das  auffälligste ;  keines  der  übrigen 
kommt  ihnen  an  Intensität,  Beständigkeit  und  umfangreicher  Aus- 
"breitong  gleich.  In  manchen  Rotationsperioden  bilden  sie  zu  beiden 
'Seiten  des  Äquators  fast  ununterbrochene  Zonen;  immerhin  ist  ihre 
gruppenweise  Anordnung  auch  hier,  im  Maximalstadium  der  Tätig- 
keit, überall  unverkennbar,  und  es  macht  in  den  meisten  Fällen  keine 
'Schwierigkeiten,  in  den  aufeinanderfolgenden  Rotationsperioden  die- 
jenigen Fackelgruppen  zu  bezeichnen,  die  der  Wiederkehr  desselben 
Tätigkeitsgebietes  zuzuschreiben  sind.  Im  aUgemeinen  richtet  sich 
diese  Gruppierung,  wie  bekannt,  nach  derjenigen  der  Fleckengruppen, 
die  von  den  Fackeln  begleitet  werden;  ein  charakteristischer  Unter- 
schied liegt  aber  in  der  sehr  viel  großem  Ausdehnung,  welche  die 
Fackelgruppen  durchweg  im  Vergleiche  zu  den  zugehörigen  Flecken- 
gruppen erreichen,  und  in  der  gleichmäßigem  Entwicklung  der  ein- 
zelnen Fackeln  innerhalb  jeder  Gruppe.  Manche  von  diesen  erscheint 
als  ein  umfangreicher  zusammenhängender  Komplex  von  gleichmäßiger 
Dichte,  über  den  eine  ganze  Anzahl  von  unter  sich  scharf  getrennten 
Fleckengruppen  ohne  irgendwelche  Verbindung  zerstreut  sind.  Da- 
neben trifft  man  auch  hier  wieder  zahlreiche  Fackelgruppen,  die  zeit- 
weise gar  keine  Flecken  enthalten  und  dennoch  durch  mehrere 
Rotationen  hindurch  in  nahe  unveränderter  Stärke  bestehen  bleiben, 
also  neue  Belege  für  die  weit  größere  Beständigkeit  der  Fackeln  im 


*)  Publikation  der  Sternwarte  des  Bidgen.  Polytechnikums  8.  Zur.  1902. 


4  Sonne. 

Vergleiche  zu  den  Flecken  liefern.  Fälle,  in  denen  die  nnunterbrochene 
Eidstenz  einer  solchen  Fackelgmppe  sich  durch  sechs,  acht  und  mehr 
Rotationen  hindurch  mit  Sicherheit  nachweisen  läßt,  gehören  keines- 
wegs zu  den  Seltenheiten. 

Es  ist  bekannt,  daß  Fleckengruppen  von  hinreichend  starker 
Entwicklung  sich  gewöhnlich  längs  eines  Parallelkreises  auf  der 
Sonne  anordnen  und  senkrecht  zu  diesem  eine  verhältnismäßig  geringe 
Ausdehnung  haben.  Ähnliches  zeigt  sich  zwar  auch  bei  den  Fackel- 
gruppen, aber  die  Entwicklung  in  der  Richtung  der  heliographischen 
Breite  ist  hier  im  Vergleiche  zu  derjenigen  in  Länge  eine  viel  stärkere 
als  dort  und  erreicht  in  vielen  Fällen  20,  30  und  mehr  Grade.  Ver- 
mutlich steht  hiermit  die  häufig  wahrzunehmende  Eigentümlichkeit 
in  Verbindung,  daß  bei  manchen  Fackelgruppen  die  größte  Längen- 
ausdehnung  nicht,  wie  eben  bemerkt,  in  die  Richtung  des  Parallels 
fällt,  sondern  gegen  diesen  geneigt  ist,  und  zwar  in  der  nördlichen 
Halbkugel  von  Südwest  gegen  Nordost,  in  der  südlichen  dagegen 
von  Nordwest  gegen  Südost.  Es  liegt  darin  wohl  nur  eine  einfache 
Konsequenz  des  Rotationsgesetzes  der  Sonnenoberfläche.  Die  Unter- 
suchungen von  Stratonoff  ^)  über  die  Bewegungen  der  einzelnen 
Fackeln  selbst,  ebenso  die  von  mir^  gefundenen  Resultate  hinsicht- 
lich der  Bewegung  der  Fackelgruppen,  und  die  Anschauungen,  zu 
denen  P.  Sidgreaves  ")  auf  Orund  der  Sonnenbeobachtungen  in  Stony- 
hurst  über  die  gleiche  Frage  gelangt  ist,  stimmen  darin  überein,  daß 
das  Rotationsgesetz  sich  mit  geringen  Abweichungen  ebensowohl  in 
den  Bewegungen  der  Fackeln,  wie  in  denen  der  Flecken  zu  erkennen 
gibt.  Alsdann  ist  die  obige  Erscheinung  leicht  zu  erklären.  Die 
Objekte  in  den  hohem  Breiten  haben  einen  kleinem  Rotations- 
winkel als  jene  in  der  Nähe  des  Äquators;  sie  bleiben  also  nach 
und  nach  gegenüber  den  letztem  in  heliographischer  Länge  zurück. 
Eine  Fackelgruppe,  die  im  Anfange  ihrer  Existenz  gewöhnlich  einen 
mehr  oder  weniger  abgemndeten  Komplex  von  annähemd  gleicher 
Ausdehnung  in  allen  Richtungen  bildet,  wird  im  Laufe  der  Zeit 
vermöge  der  verschiedenen,  in  hohem  Breiten  kleinem,  in  niedem 
Breiten  großem  Rotationsgeschwindigkeit  ihrer  Bestandteile  in  die 
Länge  gezogen,  und  die  Richtung  ihrer  größten  Ausdehnung  neigt 
sich  hierbei  mehr  und  mehr  vom  Meridian  weg  gegen  den  Parallel- 
kreis hin,  —  in  der  Nordhalbkugel  in  nordöstlichem,  in  der  Südhalb- 
kttgel  in  südöstlichem  Sinne  —  desto  stärker,  Je  länger  die  Fackel- 
gmppe fortbesteht.  Die  Erscheinung  wird  um  so  auffallender  hervor- 
treten, je  größer  die  Breitenausdehnung  der  Qmppe,  und  je  höher 
die  mittlere  heliographische  Breite  der  Gruppe  als  Ganzes  ist. 


*)  Astrou.  Nachr.  Nr.  327B  und  3344. 
')  Diese  Publikationen  Bd.  I  und  II. 
•)  Monthly  Notices  55.  p.  6. 


Sonne.  5 

Was  die  Protuberanzen  betrifft,  so  bestätigen  die  heliographischen 
Karten  auch  hier  wieder,  wenigstens  soweit  es  sich  um  die  gewöhn- 
lichen Wasserstoffprotuberanzen  handelt,  deren  gruppenweises  Auf- 
treten, nämlich  ihre  Anhäufung  an  gewissen  Stellen  in  Gestalt  von 
mehr  oder  weniger  langen  Reihen,  die  sich  meist  dem  Parallelkreise 
entlang  ordnen.  Daß  letzteres  zum  Teil  auf  die  Art  der  Berechnung 
<ier  heliographischen  Längen  der  Protuberanzen  und  die  dadurch  be- 
<iingte  Unbestimmtheit  dieser  Längen  zurückzuführen  ist,  wurde 
schon  in  der  Einleitung  zu  Band  I  der  »Publikationen«  bemerkt 
Die  Ortsberechnung  versetzt  eine  Protuberanz  jederzeit  an  den  schein- 
baren Sonnenrand,  obschon  sie  je  nach  ihrer  Höhe  auch  vor  und 
nach  dieser  besondern  Stellung  sichtbar  sein  kann,  ohne  daß  der 
Beobachter  zu  erkennen  vermag,  wo  sie  wirklich  steht.  Die  Rech- 
nungsmethode  aber  schreibt  ihr  Tag  für  Tag  die  Länge  des  schein- 
baren Sonnenrandes  zu,  die  wegen  der  Rotation  der  Sonne  veränder- 
lich ist.  In  den  Karten  stellt  sich  deshalb  auch  eine  einzelne  isolierte 
Protuberanz  als  eine  Reihe  von  solchen  dar,  die  annähernd  gleiche 
Breiten,  aber  sukzessive  abnehmende  Längen  haben.  Indessen  steht 
die  Längenausdehnung  solcher  Gruppen  in  den  meisten  Fällen  nicht 
im  Verhältnis  zu  den  Höhen  der  betreffenden  Protuberanzen,  sondern 
sie  ist  größer,  als  man  nach  diesen  zu  erwarten  hätte,  und  es  ist 
also  das  Auftreten  dieser  Gruppen  in  der  Hauptsache  der  Existenz 
von  wirklichen  Protuberanzenzügen  zuzuschreiben,  die  sich  vorwiegend 
den  Parallelkreisen  entlang  anzuordnen  scheinen,  ähnlich  wie  es  bei 
den  Flecken  und  Fackeln  wahrgenommen  wird.  Es  zeigt  sich  nun, 
daß  manche  dieser  Protuberanzengruppen  von  größerer  Beständigkeit 
sind,  als  man  nach  dem  sonstigen  Verhalten  dieser  Gebilde,  nament- 
lich in  Anbetracht  der  auch  bei  einfachen  Wasserstoffprotuberanzen 
manchmal  sehr  großen  Veränderlichkeit  ihrer  Formen,  annehmen 
möchte,  und  es  gibt  Fälle,  wo  solche  Gruppen  sich  durch  mehrere 
Rotationen  hindurch  als  fortbestehend  nachweisen  lassen.  Der  hier 
behandelte  Zeitraum  enthält  zwei  merkwürdige  Beispiele  dieser 
Art,  nämlich  2  Gruppen  von  Wasserstoffprotuberanzen,  die  in  sehr 
hohen  südlichen  Breiten  von  ca.  — 60  bis  — 70^  in  den  Jahren 
1893  und  1894  aufgetreten  sind,  und  deren  jede  fast  einJalir  lang 
ununterbrochen  fortbestanden  zu  haben  scheint.  Die  erste  von  ihnen, 
in  ca. — 60^  Breite,  fiel  in  das  Jahr  1898,  und  ihre  Existenz  läßt 
sich  in  sämtlichen  Rotationsperioden  nachweisen.  Die  zweite  lag 
noch  etwas  naher  am  Südpol,  ihre  mittlere  Breite  betrug  ca.  — 70  ^ 
und  sie  wurde  während  10  Rotationen  beobachtet  Die  beiden 
Gruppen  stellen  eine  ganz  isolierte  Tätigkeitsäußerung  dieser  Art  vor, 
wie  sie  in  so  polarer  Lage  und  zugleich  solcher  Stärke  und  Dauer 
nur  selten  aufzutreten  scheint  Von  den  Hauptzonen,  in  denen  die 
Protuberanzen  sich  sonst  dichter  anzusammeln  pflegen,  sind  sie  durch- 
aus scharf  geschieden,  denn  es  liegt  zwischen  ihnen  und  diesen 
Hauptzonen  ein  etwa  20  ^  breiter  Raum,  der  von  Protuberanzen  fast 


6  Sonne. 

gänzlich  frei  ist.  Man  hat  es  vielleicht  nicht  als  einen  Zufall  an- 
zusehen, daß  sie  sich  zeitlich  gerade  um  das  Tätigkeitsmaximum  von 
1894  herum  gruppieren;  wenigstens  findet  sich  unter  dem  seit  1887 
hier  bearbeiteten  Material  kein  ähnliches  Beispiel.  Beide  stellen  sich 
als  ungewöhnlich  lange  Reihen  von  Protuberanzen  dar,  die  2u  Zeitäh. 
fast  den  ganzen  Umfang  der  zugehörigen  Parallelkreise  bedeckte^. 
In  Wirklichkeit  ist  aber  ihre  Ausdehnung  jedenfalls  beträchtlich  ge- 
ringer gewesen;  denn  wegen  der  hohen  Breite  kommt  hier  die  bereits 
erwähnte  Unbestimmtheit  der  heliographischen  Längen  viel  mehr  zuir 
Oeltung,  indem  eine  Protuberanz  in  der  Nähe  der  Pole  bei  einiger- 
maßen bedeutender  Höhe  —  sie  betrug  in  den  vorliegenden  PälleA 
im  Maximum  2^^'  —  lange  vor  und  nach  der  Zeit  ihres  Überganges 
über  den  scheinbaren  Sonnenrand  sichtbar  bleiben,  und  also  ihre 
wahre  heliographische  Länge  von  jener  des  Sonnenrandes,  die  dem 
Orte  in  der  Karte  zugrunde  liegt,  weit  verschieden  sein  kann.  f)a 
die  vorhandenen  Beobachtungen  keine  großen  Lücken  aufweisen,  und 
also  in  jeder  Rotation  so  ziemlich  die  ganze  Sicbtbarkeitsdauer  def 
Protuberanzen  beim  Eintritte  und  Austritte  am  Ost-,  bezw.  Westrand^ 
der  Sonne  umfassen,  so  wird  als  der  wirkliche  Ort  des  Mittelpunkte^^ 
jeder  der  beiden  Gruppen  etwa  diejenige  heliographische  Länge  ab- 
zunehmen sein,  die  der  Mitte  der  Protuberanzreihe  in  der  Karte  ent- 
spricht Beide  Gruppen  lassen  nun  eine  Veränderung  ihres  Ortes  ^iä 
den  aufeinanderfolgenden  Rotationsperioden  erkennen,  die  mit  einer 
gewissen  Regelmäßigkeit  stattgefunden  hat  und  auf  eine  Art  eigener 
Bewegung  hindeutet.  Sie  tritt  besonders  bei  der  1.  Gruppe,  i^oiji 
Jahre  1893,  sehr  deutlich  zutage;  es  ist  deshalb  nur  diese  hier  nälief 
untersucht  Die  ganze  Gruppe  zeigt  eine  starke  rückläufige  Be- 
wegung, nämlich  eine  sukzessive  Abnahme  der  heliographischen 
Länge,  ähnlich  wie  sie  für  Flecken-  und  Fackelgruppen  an  zahl- 
reichen Beispielen  in  den  Beobachtungen  von  1887  bis  1898  kon- 
statiert worden  ist.« 

Diese  Gruppe  war  übrigens  schon  1892  auf  der  Sonne  vor- 
handen. Prof.  Wolfer  hat  genauer  die  Beziehung  der  Protubei^zen 
zu  den  Flecken-  und  Fackelgruppen  während  des  in  Rede  stehenden 
Zeitraumes  von  1893 — 1895  untersucht.  Er  findet,  daß  von  zu- 
sammen 815  metallischen  Protuberanzen,  die  in  den  vorliegenden 
39  Rotationsperioden  beobachtet  waren,  274  d.  h.  fast  90^0  ^^ 
Fleckengruppen  oder  doch  deren  nächster  Nahe  lagen,  27  oder  10^/^ 
in  Fackelgruppen,  die  keine  Flecken  enthielten,  und  nur  14  oder 
ca.  5^/^  erscheinen  gänzlich  unabhängig  von  Flecken-  und  Fackel- 
bildungen. »Die  wohlbekannte  Erscheinung,  daß  metallische  Pro- 
tuberanzen fast  immer  nur  an  solchen  Stellen  des  Sonnenrandes,  wo 
gerade  Fleckengruppen  ein-  oder  austreten,  gesehen  werden,  erhält 
damit  auf  der  Grundlage  vollständiger  heliographischer  Ortsbestim- 
mung beider  Arten  von  Objekten  ihre  volle  Bestätigung;  an  der 
Richtigkeit   der   längst   bestehenden  Annahme,    daß    diese   besondere 


Sonne.  7 

Art  von  Protuberanzen  ihre  Entstehung  den  bei  der  Fleckenbilduug 
stattfindenden  Prozessen  verdanke,  ist  offenbar  nicht  zu  zweifeln. 

>Was  die  gewohnlichen,  der  Zahl  nach  weit  überwiegenden 
Wasserstoffprotuberänzen  betrifft,  so  ist  bei  diesen  eine  ausschließ- 
liche Beschrankung  auf  gewisse  Zonen  der  Sonnenoberfläche,  wie  sie 
fär  die  übrigen  Tätigkeitsprodukt^  )^t,  nicht  vorhanden;  man  findet 
sie  wie  immer  gleichzeitig  an  allen  möglichen  Stellen  bis  in  die  un- 
mittelbare Nähe  der  Pole,  allerdings  in  sehr  verschiedener  Dichtig- 
keit. Zu  den  beiden  andern  Tätigkeitsformen,  Flecken  und  Fackeln, 
stehen  sie  entschieden  nicht  in  direkter  örtlicher  Beziehung.  Wenn 
auch  in  manchen  Fackelgruppen  zugleich  Wiebsserstoffprotuberanzen 
vorhanden  sind,  so  liegen  doch  weitaus  die  meisten  von  diesen 
außerhalb  jener,  und  selbst  da,  wo  Fackeln  und  Protuberanzen  zu- 
sammen auftreten,  erhält  man  aus  den  Karten  den  Eindruck^  daß  die 
letztem  meist  in  der  Umgebung  der  erstem,  an  den  Rändem  der 
Fackelgmppen,  und  nicht  in  diesen  selbst  stehen.  Gerade  die  um- 
fangreichsten und  dichtesten  Fackelgruppen  sind  meist  ganz  frei  von 
Protuberanzen,  und  Umgekehrt  findet  man  sehr  starke  Ansammlungen 
großer  Protuberanzen,  in  denen  nicht  die  geringsten  Fftckelspuren 
zu  bemerken  sind.  Ganz  besonders  entscheidend  sind  in  dieser  Hin- 
sicht die  oben  schon  erwähnten  Protuberanzengmppen  in  hohen  Breiten, 
wo  Fackelbildung  nur  in  Spuren  vorkommt,  Fleckenbildung  aber 
jederzeit  gänzlich  fehlt.  Es  kann  also  nur  wiederholt  werden,  daß 
eine  direkte  nahe  Beziehung  der  Wasserstoffprotuberänzen  zu  den 
Flecken  und  Fackeln  nicht  existiert;  noch  viei^  weniger  kann  an  eine 
Identität  von  Fackeln  und  Wasserstoffprotubeftozen  gedacht  werden, 
obiBchon  sie  mehrfach  behauptet  worden  ist  und  auch  jetzt  noch 
nicht  aufgegeben  zu  sein  scheint  Wasserstoffprotuberänzen  sind  allem 
Anscheine  nach  eine  selbständige  Klasse  von  Sonnenphänomenen,  die 
nur  dem  aUgemeinen  periodischen  Häufigkeitswechsel  wie  alle  andern 
unterliegen,   im  übrigen  aber  von  diesen  ganz  unabhängig  auftreten.« 

Die  Beobachtungen  von  1887  bis  1893  haben  hinsichtlich  der 
Verteilung  der  Flecken  und  Fackeln  nach  heliögra^hischer  Länge  zu 
dem  Resultate  geführt,  daß  diese  beiden  Tätigkeitsformen  während 
des  genannten  Zeitraumes  sich  liii  großen  und  ganzen  dauernd  um 
2  Meridiane  der  Sonne  herum  anhäuften,  die  einander  annähernd 
diametral  gegenüberlagen,  jedoch  im  Laufe  der  Zeit  gemeinsame  Ver- 
schiebungen in  heliographischer  Länge  erfuhren. 

Eine  ähnliche  vorläufige  Untersuchung  für  die  Zeit  von  1893 
bis  1895  ergab  keine  so  deutliche  Anhäufung  wie  gewisse  Punkte, 
wenngleich  doch  einige  Andeutung  zu  solchen. 

Die  mltüera  täglichen  Fläehengrrößen  der  Soimenfleeket 
für  Jeden  Grad  heliographlscher  Breite  in  den  Jahren 
1874 — 1902»  nach  photographischen  Aufnahmen   auf  der 


8  Sonne. 

Sternwarte  zu  Greenwlch.^)  Die  Flächen  werden  in  Müliont6ln 
der  sichtbaren  Hemisphäre  der  Sonne  angegeben,  und  zwar  so,  daß 
für  jeden  Grad  heliographischer  Breite  die  während  des  Jahres  ge- 
messenen Flächengrofien  addiert  und  durch  die  Zahl  der  Tage  dividiert 
wurden;  dies  ergab  das  mittlere  tägliche  Areal.  Zunächst  fand  sichi 
daß  während  der  genannten  Periode  von  29  Jahren,  von  1874  bis 
1902,  Flecken  in  einer  hohem  Breite  als  33^  selten,  und  sehr  selten 
groß  oder  langdauernd  waren.  Faßt  man  sie  als  besondere  Klasse 
auf,  so  waren  sie  unregelmäßig  und  erschienen  zuzeiten,  welche 
keine  bestimmte  Beziehung  zu  irgend  einem  der  4  Hauptstadien 
des  elQährigen  Sonnenfleckenzyklus  (Minimum,  Zunahme,  Maximum, 
Abnahme)  zu  haben  schienen.  Läßt  man  diese  Flecken  in  hohen 
Breiten  (welche  auf  jeder  Hemisphäre  eine  10^  breite  Zone  von  33^ 
bis  42^  umfassen,  da  in  höhern  Breiten  als  42^  keine  Flecken  be- 
obachtet worden)  unberücksichtigt,  so  zeigten  die  Maximumjahre  1883 
und  1893  Flecken  in  jeder  Breite  zwischen  BO^  N  und  30®  S,  und 
sie  waren  zwischen  etwa  8  bis  24®  auf  beiden  Hemisphären  zahlreich. 
In  den  dem  Maximum  folgenden  Jahren  zeigten  die  Flecken  eine 
ausgesprochene  Tendenz,  in  niedem  Breiten  zu  erscheinen.  So  war 
in  den  Perioden  der  Abnahme,  1885 — 1888  und  1898  und  1899,  und 
in  der  entsprechenden  Periode  1874 — 1876  des  vorangegangenen 
Zyklus  22®  gewöhnlich  die  höchste  Breite.  In  den  Jahren  1876, 
1888  und  1899,  also  etwa  ein  oder  2  Jahre  vor  dem  Minimum, 
wurden  keine  flecke  jenseits  18®  vom  Äquator  gesehen.  Aber  un- 
mittelbar nachdem  das  Minimum  erreicht  war,  erstreckten  sich  die 
Flecke  in  der  Breite  weiter  infolge  des  Auftretens  solcher  in  hohen 
Breiten.  So  zeigte  im  Minimum  jede  Hemisphäre  zwei  scharf  be- 
grenzte Fleckenzonen,  die  voneinander  durch  einen  breiten  Gürtel 
ohne  Flecken  geschieden  waren.  Dies  war  besonders  ausgesprochen 
in  den  Jahren  1889  und  1890,  wo  die  Gegend,  deren  Mitte  etwa 
15®  Breite  ist,  und  die  dem  ganzen  Zyklus  die  fruchtbarste  der  ganzen 
Sonnenoberfäche  ist,  vollkommen  frei  von  Flecken  war.  Von  diesen 
2  Fleckenzonen  auf  jeder  Hemisphäre  erscheint  die  niedrigere  der 
Reihe  von  Flecken  des  zu  Ende  gehenden  Zyklus  zu  entsprechen. 
Diese  Reihe  war  2  Jahre  vor  dem  Minimum  beschränkt  innerhalb 
der  18®-Grenze  und  scheint  beim  Minimum  selten  eine  größere  Breite 
zu  erreichen  als  10  oder  12®.  Die  Flecken  mit  einer  Breite  von 
18  bis  30®  oder  mehr  scheinen  die  ersten  Glieder  des  neuen  Zyklus 
zu  sein. 

Während  der  Perioden  der  Zunahme,  1879 — 1881  und  1890  bis 
1892,  war  der  Äquatorialgürtel  fast  ganz  frei  von  Flecken,  was  viel- 
leicht das  vollkommene  Verschwinden  der  letzten  Glieder  des  alten 
Zyklus  andeutet  Im  Maximum  jedoch  waren  die  Flecken  am  weitesten 
verbreitet,  und   sie   wurden   sogar  in  nächster  Nähe   des  Äquators 


')  Monthly  Notices  1908.  63.  p.  452. 


Sonne.  9 

gesehen,  so  daß  im  Maximum  und  in  dem  ersten  Stadium  der  Ab- 
nahme, vyie  in  1874,  1882—1886,  1893—1897,  die  Äquatorial- 
gegend ihre  größte  Lebhaftigkeit  zeigte.  Eine  Vergleichung  der  beiden 
Hemisphären  zeigt,  daß  im  ganzen  die  südliche  die  fruchtbarere  ge- 
wesen, daß  aber  die  kritischen  Punkte  des  Fortsohreitens  des  Zyklus 
früher  durch  die  nördlichen  Flecken  ausgesprochen  waren  als  durch 
die  südlichen.  So  hatte  in  den  beiden  Perioden  der  Zunahme  1881 
und  1891  die  nördliche  Hemisphäre  einen  entschiedencA  Vorsprung 
vor  der  südlichen,  und  ähnlich  war  in  den  Perioden  der  Abnahme 
das  Sinken  der  Fleckenausdehnung  1885  und  1896  bedeutend  stärker 
sichtbar  in  der  nördlichen  Hemisphäre. 

Die  Sonnenfleoke  und  die  masrneüschen  Sohwankungen. 

€h.  Ghree  hat  die  zu  Eew  in  den  Jahren  1890 — 1900  gewonnenen 
magnetischen  Registrierungen  benutzt,  um  einen  Vergleich  derselben 
mit  den  Relativzahlen  der  Sonnenflecken  durchzuführen.^)  Er  fand, 
daß  die  Sonnenfleckenhäufigkeit  an  einem  bestimmten  Tage  kein  Maß- 
stab ist  für  den  magnetisch  stillen  oder  gestörten  Charakter  des  Tages, 
und  daß  selbst  die  Monatsmittel  der  Sonnenfleckenhäufigkeit  und  der 
magnetischen  Schwankung  nur  in  losem  Zusammenhange  stehen.  Ghree 
meint,  daß  die  beobachteten  Erscheinungen  mit  der  Anschauung  sich 
Teitragen,  daß  die  gesteigerte  Sonnenfleckentätigkeit  und  die  erhöhte 
magnetische  Aktivität  auf  der  Erde  von  einer  gemeinsamen  aber  der 
Sonne  fremden  Ursache  herrühren,  deren  Wirkung  im  ganzen  Sonnen- 
systeme in  demselben  Augenblicke  merklich  variiert.  Wenn  aber  die 
i^uelle  in  der  Sonne  selbst  liegt,  muß  man  entweder  schließen,  daß 
die  Sonnenflecke  keine  befriedigende  quantitative  Messung  derselben 
geben,  oder  daß  die  Wirkung  auf  die  Erde  beeinflußt  werde  durch 
das,  was  auf  der  Sonne  während  einer  beträchtlichen  Zeit  vor  sich 
geht  Wenn  jedoch  die  Quelle  der  täglichen  magnetischen  Ungleich- 
heit elektrische  Ströme  sind,  die  durch  die  Tätigkeit  der  Sonne  in 
der  obem  Atmosphäre  erzeugt  werden,  so  kömite  die  Ursache  für 
die  Zunahme  der  Amplitude  der  Ungleichheit  zur  Zeit  großer  Sonnen- 
fleckenhäufigkeit irgend  eine  Strahlungsform  sein,  welche  den  Wider- 
stand der  Atmosphäre  gegen  die  von  der  Sonne  erzeugten  Ströme 
vermindert 

Ober  den  Zusammenhangr  der  elf  jährigren  Sonnenflecken- 
periode  mit  der  Bewegrungr  des  Jnpiter  hat  H.  Eloht  einige  inter- 
essante Rechnungen  angestellt.^  Man  hat  bis  jetzt  angenommen,  daß  die 
Fleckenbildung  durch  Einwirkung  der  planetarischen  Anziehung  auf 
die  Sonne  beeinflußt  werde.  Danach  müßte,  da  Jupiter  der  Masse 
nach  nahezu  '/,  mal  größer  ist,  als  alle  übrigen  Planeten  zusammen, 

1)  Proceed.  Roy.  Soc.  1908.  72.  p.  22.) 
<)  Sirius  1903  p.  123. 


10  Sonne. 

das  Maximum  einer  Sonnenfleckeiiperiode  im  allgemeinen  mit  deiQ 
Perihel,  und  das  Minimum  derselben  mit  dem  Aphel  dieses  Planeten 
zusammenfallen.  Die  annäkemde  Übereinstimmung  der  Dauer  einer 
Periode  mit  einem  Umlaufe  Jupiters  sprieht  auch  anscheinend  für 
die  Richtigkeit  dieser  Annahme,  aber  bei  näherer  Untersuchung  findet 
dieselbe,  was  die  abziehende  Wirkung  betrifft,  doch  keine  Bestätigung. 
Dagegen  ist,  wie  die  nachstehende  von  Kloht  berechnete  Tabelle  zeigt, 
hinsichtlich  der  Stellung  Jupiters  eine  gewisse  Obereinstimmung  Vor- 
handen, aber  in  einem  der  Annahme  entgegengesetzten  Sinne,  d.  h. 
das  Maximum  einer  Periode  fällt  statt  mit  dem  Perihel  annähernd 
mit  dem  Aphel,  und  das  Minimum  statt  mit  dem  Aphel  im  allgemeinen 
mit  dem  Perihel  Jupiters  zusammen. 

In  der  1.  Abteilung  der  Tabelle,  welche  die  Maxima  und  Minima 
der  Jahre  1610  — 1766  umfaOt,  ist  diese  Obereinstimmung  zwar 
nur  unvollkommen,  aber  in  der  2.  Abteilung  über  den  Zeitraum 
von  1770 — 1902  tritt  dieselbe  schon  mehr  hervor,  obwohl  auch 
hier,  und  zwar  besonders  für  einige  Maxima,  noch  größere  Abwei- 
ehungeü  bestehen.  Bei  Beurteilung  derselben  ist  jedoch  zu  be- 
achten, idafi  die  altem  Beobachtungen  der  Sonnenflecke  lückenhaft 
und  unge&au  sind,  und  den  aus  denselben  abgeleiteten  Epochen  der 
Maxima  und  Minima  daher  kein  entscheidender  Wert  beigemessen 
werden  kann;  auch  darf  anderseits  die  Wirkung  der  übrigen  Planeten 
nicht  außer  Betracht  bleiben.  In  Ansehung  der  für  eine  größere 
Anzahl  Maxima  und  Minima  bestehenden  annähernden  Obereinstimmung 
wkd  daher  auch  trotz  der  vereinzelten  großem  Abweichungen  das 
Vorhandensein  eines  parallelen  Ganges  zwischen  den  beiden  Reihen 
nicht  von  der  Hand  gewiesen  werden  können. 

Aus  der  Tabelle  geht  demnach  hervor,  daß  das  periodische  Auf- 
treten der  Sonnenflecke  hauptsächlich  von  der  Stellung  Jupiters  in 
seiner  Bahn  abhängig  ist,  aber  nicht  direkt  durch  seine  Anziehungs- 
kraft, sondern,  wie  Kloht  glaubt,  durch  seinen  überwiegenden  Einflud 
auf  die  Bewegung  der  Sonne  um  den  gemeinsamen  Schwerpunkt  des 
Sonnensystems  bedingt  wird,  und  daß  die  Stomngen  m  der  Sonnen- 
masse  bei  den  Perihel-  und  Aphelstellungen  dieses  Planeten  im  all- 
gemeinen ihren  geringsten,  resp.  größten  Umfang  erreichen,  wenn  sich 
also  der  Mittelpunkt  der  Sonne  annähernd  in  den  gleichen  Punkten 
seiner  Bahn  befindet. 

Das  Maximum  einer  Periode  ist  demnach  allgemein  zu  erwarten, 
wenn  der  körperliche  Mittelpunkt  der  Sonne  bei  seinem  Umlaufe  den 
größten  Abstand  vom  Schwerpunkte  des  Sonnensystems  erreicht  hat» 
während  das  Minimum  un'gefähc  mit  der  größten  Annäherung  dieser 
beiden  Punkte  zusammenfallen  wird. 

Die  Länge  einer  Periode  müßte  wegen  der  überwiegenden  Masse 
Jupiters  zwar  annähernd  mit  einem  Umlaufe  dieses  Planeten  zusammen- 
fallen, aber  bei  der  geringen  Exzentrizität  seiner  Bahn  werden  an- 
scheinend  durch  die  Einwirkung  der  übrigen  Planeten  Verfrühungen 


Sonne. 


11 


und  Vel;zogeningen  'det  Mäxihial^  und  HinfnCialEfonnentatigkeit  herbei- 
gdFührt,  welche  je  nach  der  Stellung  der  Planeten  einen  großem  nnd 
geringem  Umfang  erreichen,  so  ^daß  die  wirkliche  Lange  der  einzelnen 
t'erioden  doch  ihehr  oder  weniger  von  einem  Uihlaufe  Jupiters  abweidht. 
Es  ist  indessen  nicht  zu  übirdehen,  daß  die  Einwirkung  Jupiters  auf 
dfe  Sonnentätigkeit  nur  indirekt!  zur  Geltung  kommt,  und  daß  auöh 
aUs  diesem  Grunde  Ungleichmäßigkeiten  in  der  Länge  der  Perioden 
entstehen  können. 


Bpoehen  der 


der  Sonnen- 
/leoke 


Jupiter 
im  iphel 


Abweichung 


Epochen  der 


der  Sonnen- 
flecke 


Jupiter 
im  Perthel 


Abweichung 


•  .  1615.0 

16143 

«. 

-0.7 

1610.8 

1606.3 

-2.5 

.    1626.0 

1626.1 

+0.1 

1619.0 

1620.2 

+1.2 

.    1639.6 

1637.9 

-1.6 

1634.0 

1632.0 

-2.0 

'.  1656.0 

1649.8 

-5.2 

1645.0 

1643.9 

-1.1 

;•   j_ 

1661.6 



—   * 

1655.7 

—1 . 

..    1*76.0 

1673.5 

-1.5 

•1666.0 

1667.6 

+1.6 

-.1680.5 

1685.8 

-0.2 

1679J5 

1679.4 

-0.1 

.    J^.0 
t7D5.ü 

1697.2 

_ 

Ht.2 

1689,5 

,  1691.2 

- 

1-1.7 

1709.0 

- 

^.8 

lÄS'O 

^     1703.1 

+6:1 

•     m7.5 

1720.8 

'   - 

-3.3 

1712!o 

1714.9 

-2.9 

i     1727.51 

,     1738.51 

1732.7 

•  _ 

^5.2 

1723.0 

1726.8 

+3.8 

■  -~5.5 
^5.1 

1733.0 

1745;pl 

1755.7] 

1738.6 

+6.p 

..  1750.9 
I  .1761.5 

1744.5 
1756.4 

1750.5 

-5.2 

V- 

1766.5     - 

'   1762.3 

-4.« 

"  Hpo.o 

-   1779.5 

1 
1768.2            —1.8 

1775.8 

1774.1 

—1.7 

1780.1 

+0,6 
--8.4 

1784.8 

1786.0 

+1.2 

'     )f788.5 

1791.9 

1798.5 

179'/.8 

-0.7 

;»8p4.0 

1803.7 

-0.3 

1810^ 

1809.7 

-0.8 

.     1816.3 

1815.6 

-1.2 

1823.2 

1821.5 

-1.7 

.1629.5 

1827.4 

-2.1 

1833.8 

1833.4 

-0.4 

'•    1837.2 

1839.3 

_ 

h2.l 

1814.0 

1845.2 

1-1.2 

r-   .1848.9 

1851.1 

_ 

-2.5    : 

'    1856.2 

1857.0 

-OÄ 

.   J860.2 

1863.0 

_ 

-2.8 

,  1867.2 

1868.9 

-1.7 

1870.6 

1874.8 

_ 

-42 

1879.0 

1880.7 

-1.7 

*    1084.0 

1886.6 

- 

-2.6 

1890.2 

1892.6 

-2.4 

1894.0 

1889.5 

- 

-4.5 

1901.5 

1904.4 

'     - 

-2.9 

Über  die  etwaige  Beziehung  der  Sonnenfackeln  zu  den 
Protuberanzen  ha^t  A.  Mascaij  Uotersuchungeir  .singestellt.^)  Die- 
selben beruhen  auf  den-Aufzeichliun^en  über  Prohifiefanzen '  und  Von 
ti'ackeln  umgebene  Fleckgruppen  zu  Catania,  Rom  iind  Zürich  während 
der  Jahre  1900  und  1901.    Es  ergab  sich  keine  detctliche  Beziehung 


^)  Memorie  della  Societä  degli  Spettroscopisti  Italiani  82.  p.  223.    Natur- 
wiss.  Rundschau  1908  p.  161. 


12  Sonne. 

zwischen  beiden  Sonnenphanomenen,  ja  die  Anwesenheit  von  Pro- 
tuberanzen auf  Fackelgebieten  ist  ein  sehr  seltener  Fall.  Die  Beobach- 
tungen der  beiden  genannten  Jahre  lehrten,  daß  unter  642  Fackel- 
grappen,  die  in  der  Nähe  des  Sonnenrandes  beobachtet  wurden,  und 
von  denen  jede  Gruppe  mit  den  Beobachtungen  der  Chromosphare 
an  mindestens  zwei  folgenden  Tagen  verglichen  wurde,  nur  34  mit 
Protuberanzen  von  mehr  als  30"  Höhe  bemerkt  wurden,  während 
die  Protuberanzen,  die  an  den  Tagen  der  Fleckenbeobachtungen  über- 
haupt gesehen  wurden,  die  Zahl  282  erreichen.  Das  heißt,  daß 
unter  282  Protuberanzen  34  sich  über  Fleckengruppen  erhoben,  und 
248  von  diesen  unabhängig  waren.  Ferner  wurde  in  215  Fällen, 
also  in  einem  Drittel  der  Fackelgruppen,  eine  unruhige  oder  über- 
mäßig hohe,  oder  mit  Strahlen  besetzte  Chromosphare  angetroffen, 
aber  die  Ausdehnung  der  Grundflächen  der  Protuberanzen  oder  ge- 
störten Chromosphare  war  stets  um  vieles  kleiner  als  die  der  ent- 
sprechenden Fackelgruppe.  Aus  seiner  Untersuchung  des  Oesamt- 
materials  der  Beobachtungen  in  den  Jahren  1900  und  1901  schließt 
Mascari:  »Daß  ebenso  in  den  Gebieten  der  lebhaften  Fackeln  wie 
in  andern  Fackelgebieten  die  Falle  der  Koinzidenz  der  Protuberanzen 
mit  den  Fackeln  selten  sind.  Daß  in  diesem  seltenen  Falle  des  Zu- 
sammenfallens  die  Ausdehnung  der  Grundflächen  der  Protuberanzen 
oder  die  der  unruhigen  Chromosphare  längs  des  Sonnenrandes  fast 
immer  kleiner  ist  als  die  der  entsprechenden  Fackelgruppe.  Daß  in 
dem  Falle,  wo  die  Fackeln  die  Flecken  begleiten  oder  umgeben,  wenn 
eine  Störung  in  der  Chromosphare  existiert,  gewöhnlich  niedrige  Pro- 
tuberanzen oder  einfache  Strahlen,  die  aber  einen  eruptiven  Charakter 
haben,  auftreten.  Daß  die  Tätigkeit  der  beiden  Erscheinungen, 
Fackeln  und  Protuberanzen,  sich  in  verschiedener  Weise  in  den  ver- 
schiedenen Sonnenbreiten  kundgibt  und  ein  ganz  verschiedenes  Ver- 
halten hat.  Daß  Fälle  von  anhaltenden  Protuberanzerscheinungen 
angetroffen  werden  ohne  eine  entsprechende  Bildung  von  Fackeln  und 
umgekehrt.  Alle  diese  Tatsachen  zusammen  können  in  keiner  Weise 
in  Harmonie  sein  mit  der  Hypothese,  welche  behauptet,  daß  die 
Fackeln  Wasserstoffprotuberanzen  sind,  die  man  gewöhnlich  am 
Rande  beobachtet,  die  aber  nun  auf  die  Scheibe  projiziert  sind;  hin- 
gegen scheinen  sie  zu  beweisen,  daß  die  Fackeln  und  jene  Pro- 
tuberanzen zwei  getrennte  und  vollkommen  unabhängige  Erschei- 
nungen sind.< 

Vermutete  Identität  von  Fackeln  und  Protuberanzen. 

Im  Mai  1901  beobachtete  E.  Tringali  eine  Gruppe  von  Sonnenflecken 
und  Fackeln  fast  von  ihrem  ersten  Auftreten  am  Ostrande  bis  zu 
ihrem  Verschwinden  am  Westrande  der  Sonnenscheibe.  Die  Rück- 
kehr dieser  Gruppe  wurde  vom  Beobachter  um  den  13.  Juni  erwartet 
und  überwacht.  An  diesem  Tage  zeigten  sich  da,  wo  am  Rande  der 
Sonnenscheibe  die  Fleckengruppe   auftauchen  mußte,    drei  helle  Pro- 


Sonne.  13 

taberanzen  und  am  nächsten  Tage  die  jetzt  etwas  kleiner  gewordene 
Pleckengmppe.  Hierdurch  wurde  der  Beobachter  veranlaßt,  nach- 
zuforschen, ob  die  Protuberanzen  nicht  vielleicht  bloße  Fackehi  sind, 
welche  den  Ostrand  der  Sonnenscheibe  noch  nicht  erreicht,  oder  den 
Westrand  eben  verlassen  haben.  Er  untersuchte,  ob  alle  am  Ost- 
rande der  Sonne  sichtbaren  Protuberanzen  von  Fackeln  gefolgt  wurden, 
und  ob  diese  ihrerseits  allen  am  Westrande  verschwindenden  Fackeln 
folgten.  Eine  Reihe  von  Beobachtungen  aus  der  Zeit  vom  30.  De- 
zember bis  27.  August  1902  bestätigte  im  allgemeinen  diese  H3rpo- 
these;  doch  kamen  hin  und  wieder  Ausnahmen  vor,  es  erschienen 
und  verschwanden  Fackeln  ohne  die  entsprechenden  Protuberanzen 
und  umgekehrt.  Diese  vereinzelten  negativen  Befunde  widerlegen 
aber  die  Hypothese  von  der  Identität  der  beiden  Phänomene  nicht, 
da  sowohl  ein  Verlöschen  oder  eine  Neubildung  der  Fackeln  oder 
Protuberanzen  zwischen  den  beiden  korrespondierenden  Beobachtungen, 
als  auch  ein  Verschwinden  der  Fackehi  am  Ostrande  oder  der  Pro- 
tuberanzen am  Westrande  eintreten  kann.  Tringali  glaubt,  durch 
seine  auf  dem  Observatorium  des  CoUegio  Romano  ausgeführten 
Beobachtungen  die  vermutete  Identität  zwischen  Fackeln  und  Pro- 
tuberanzen, welche  sich  somit  nur  durch  ihre  verschiedene  Stellung 
unterscheiden,  erwiesen  zu  haben. ^)  Dieser  Zusammenhang  ist 
übrigens  so  naheliegend,  daß  jeder,  der  sich  mit  Sonnenbeobachtungen 
befaßt,  wohl  von  selbst  darauf  verfällt.  In  der  Tat  haben  schon 
frühere  Beobachter  wiederholt  darauf  hingewiesen  xmd  die  Identität 
der  Fackeln  und  Protuberanzen  behauptet.  Am  nachdrücklichsten 
ist  dies  bereits  vor  30  Jahren  von  Prof.  Spörer  geschehen,  der  direkt 
aussprach,  die  flammigen  Protuberanzen  und  die  Sonnenfackeln  seien 
identische  Erscheinungen.^  Tringali  hat  also  durch  seine  oben  er- 
wähnte Untersuchung  nur  eine  Bestätigung  der  Spörerschen  Entp- 
deckung  geliefert. 

Ober  eine  Beziehung:  zwischen  den  Sonnenprotuberanzen 
und  dem  Erdma^rnetlsmus  verbreiteten  sich  die  beiden  Lockyer. 
In  einer  frühern  Abhandlung*)  wurde  konstatiert,  daß  bei  einer 
vorläufigen  Reduktion  der  Beobachtungen  der  Sonnenprotuberanzen 
von  Tacchini  in  Rom  sich  herausstellt,  daß  außer  den  großen  Epochen 
der  Maxima  und  Minima  der  Protuberanzen,  welche  der  Zeit  nach 
mit  den  Maximis  und  Mi^imis  der  totalen  von  Sonnenflecken  bedeckten 
Fläche  übereinstimmen,  iioch  deutliche  sekundäre  Maxima  und  Minima 
vorhanden  sind. 


^)  Memorie  della  Societa degli Spettroscopisti  Italiani  1902. 8Lp.  184—190. 
*)  Monatsberichte  der  Kgl.  Preuß.  Akad.  d.  Wiss.  1871  p.  666;  Astron. 
Nachr.  Nr.  1870. 

*)  MeteoroL  Zeitschr.,  Sept  1902  p.  428. 


14  Sonne. 

Einer  von  uns  (sagen  die  Verfasser)  hat  in  einer  vor  kurzem 
erschienenen  Mitteilung  an  die  Academie  des  Sciences^)  darauf  hin- 
gewiesen, dafi  ein  Ve^rgleiph  der  Häufigkeit  wahrnehmbarer  Protu- 
beranzen in  jeder  Sonnenbreite  mit  der  Häufigkeit  sehr  heftiger  mag- 
netischer Stürme  besagt:  1.  daß  magnetische  Stürme,  welche  nach 
Ellis  als  >groß<  bezeichnet  werden ,  gleichzeitig  mit  der  größten 
I  Protuberanzentatigkeit  an  den  Polen  der  Sonne,   auftreten;  2.  daß  die 

Kurve  allgemeiner  magnetisc}ier  Tätigkeit  nahezu  gleich  ist  jener  der 
Protuberanzen,  welche  in  der  Nähe  des  Sonnenäquators  beobachtet 
werden. 

In  der  vorliegenden  Mitteilung  sollen  die  detaillierten  Angaben 
der  Untersuchung,  soweit  sie  vorgeschritten  ist,  wiedergegeben  werden. 

Die  Beobachtungen  der  Protuberanzen.  Die  gute  Beobach- 
tungsreihe von  Tacchini,  *)  bezüglich  der  Zahl  und  Breite  der  Protube- 
ranzen auf  der  Sonnenscheibe  diente  als  Grundlage  für  die  Untersuchung 
der  Kurven.  Diese  Beobachtungen  begannen  im  Jahre  1872  und  sind 
bis  heute  fortgeführt  worden,  so  daß  wir  wertvolle  kontinuierliche 
Aufzeichnungen  haben.  Sie  wurden  von  Zeit  zu  Zeit  in  allen  Details 
publiziert,  wodurch  es  möglich  geworden  ist,  dieselben  in  jeder  ge- 
wünschten Weise  zu  verwerten.  Bei  der  Reduktion  der  Beobachtungen 
wurde  jede  Zone  von  10^  untersucht  und  für  sich  diskutiert  Die 
Beobachtungen  wurden  zuerst  in  Gruppen  von  8  Monaten  geteilt  und 
die  Häufigkeit  der  Protuberanzen  dadurch  bestimmt,  daß  die  beob- 
achtete Anzahl  derselben  durch  die  Anzahl  der  Tage  dividiert  wurde, 
an  welchen  während  dieser  Periode  Beobachtungen  gemacht  worden 
waren. 

Auf  diese  Weise  wurde  eine  Reihe  von  18  Kurven  konstruiert, 
neun  für  jede  Hemisphäre,  welche  Jahr  iür  Jahr  die  Variation  der 
Häufigkeit  der  Protuberanzentatigkeit  in  jeder  10^  umfassenden  Zone 
zeigen. 

Die  Untersuchung  dieser  Kurven  zeigt,  daß  sie  sich  sehr  bedeutend 
voneinander  unterscheiden,  wenn  man  von  den  Äquatorial-  zu  den 
Polarzonen  übergeht.  Im  allgemeinen  stimmt  die  Variation  für  jede 
Zone  von  0 — 20®  nördl.  und  südl.  Br.  mit  der  Sonnenfleckenkurve 
überein,  d.  h.  die  Maxima  und  Minima  treten  ungefähr  zu  denselben 
Zeiten  auf  wie  die  Sonnenfleckenmaxima  und  -minima.  Jene  für  die 
2  Zonen  von  20 — 40®  in  beiden  Hemisphären  stimmen  im  großen 
und  ganzen  ebenfalls  mit  der  allgemeinen  Sonnenfleckenkurve  überein, 
außerdem  zeigen  sie  jedoch  sekundäre  Maxima  oder  Änderungen  der 
Krümmung,  welche  die  Hauptkurve  überlagern. 

Die  Kurven  für  die  beiden  Zonen  von  40 — 60®  nördL  und 
südl.  Br.  haben  dagegen  kaum  eine  Ähnlichkeit  mit  der  Sonnenflecken- 
kurve, sondern  sind  aus  Reihen  hervorragender  Blaxima  zusammen- 


')  Ck»mpt.  rend.  18&.  Nr.  8  26.  August  1902. 

*)  Sodetä  degli  Spettroscopisti  Italiani  1872.  L  1900.  9k 


Sonne.  1 5 

gesetzt,  welche  ein  besonders  starkes  Auftreten  der  Protuberanzen- 
tätigkeit darstellen. 

Die  Kurven  für  die  beiden  2ionen  von  60 — 80^  nördl.  und 
südl.  Br.  zeigen  für  kurze  Zeit  zwei  hervorragende  Ausbruchsperioden, 
diese  Region  der  Sonne  ist.  also  im  allgemeinen  nahezu  frei  von 
der  Protuberanzentätigkeit;  in  den  übrigbleibenden  Zonen  von  80  bis 
90®  nördl.  und  südl.  Br.  ist  die  Variation  gering  und  ein  schwaches 
Abbild  des  Zustaades  in  der  benaehbapien  Zone  von  60 — 80®. 

Die  magnetischen  Kurven.  Die  Daten  bezüglich  der  mag- 
netischen Phänomene,  welche  bei  diesem  Vergleiche  herangezogen 
wurden,  sind  von  EUis  zusammengestellt  und  in  2  Abhandlungen  über 
magnetische  Phänomene  publiziert  worden.^) 

Es  werden  dort  2  Klassen  von  magnetischen  Phänomenen  be- 
handelt: die  Variation  des  täglichen  Ganges  der  Deklination  und 
Horizontalintensität  von  Jahr  zu  Jahr  und  die  magnetischen  Störungen. 

Was  erstere  betrifft,  so  hat  EUis  gezeigt,^  daß  die  Kurven,  welche 
diese  Änderungen  darstellen,  sehr  ähnlich  sind  der  allgemeinen  Kurve 
der  Sonnenflecken;  in  der  Tat  ergab  sich,  daß. die  Kurven  Ia  all  ihren 
kleinen  Unregelmäßigkeiten  nahezu  identiaoh:  sind. 

Die  2.  Kladse  von  Phwomenen,  die  magüeüschen  Störungen, 
welche  in  ihrem  Auftreten  unregelmäßiger  sind,  wurde  von  Ellis  in 
5  Gruppen  geteilt  und  von  ihm  in  fünf  getrennte  Abteilungen  ein- 
gereiht In  der  vorliegenden  Arbeit  soll  nur  die  eine  dieser  Klassen 
in  Betracht  gezogen  werden,  nämlich  jene,  welche  mit  »große  be- 
zeichnet ist  und  die  größten  Störungen  enthält  Die  Kurve,  welche 
die  Variation  m  der  Zahl  dieser  Störungen  angibt,  zeigt  kurze,  inter- 
mittierende ZsU^ken^  wirkliche  Ausbrüche,  mit  raschem  Anstiege  zum 
Maximum  und  Abfall  zum  Minimum  und  verhältnismäßig,  langen  Inter- 
vallen von  Ruhe. 

Vergleich  der  Kurven  der  Häufigkeit  der  Protuberanzen  und  der 
Variation  der  täglichen  Schwankung  des  Erdmagnetismus.  Ellis  hat, 
wie  bereits  bemerkt  wurde,  auf  die  große  Ähnlichkeit  zwischen  der 
Sonnenfleckenkurve  und  jener,  welche  die  Variation  der  magnetischen 
Elemente  darstellt,  aufmerksam  gemacht;  oben  ist  gezeigt  worden, 
daß  die  Kurven,  welche  die  Häufigkeit  der  Protuberanzen  in  der  Nähe 
des  Sonnenäquators  wiedergeben,  im  allgemeinen  mit  der  Sonnen- 
fleckenkurve übereinstimmen. 

Also  besteht  offenbar  ein  Zusanunenhang  zwischen  den  Phäno- 
menen, welche  in  den  Äquatorialregionen  der  Sonne  auftreten  (welche 


^)  Phil.  Trans..  1846.  Part  IL  »On  the  Relation  between  the  Diumal 
Range  of  Magnetip  Declination  and  Horizontal  Force,  as  observed  at  the 
Royal  Observatbry,'  Greenwich,  during  the  Jrears  1841  to  1877,  and  the 
Period  of  Solar  Spot  Freqii^ncy«;  Mdhthly  Notices,  R.  A.  S.,  Dezember  1899, 
Wb  Nr.  2.  >0n  the  Relation  between  Magnetic  Disturbanoe  and  the  Period 
of  Solar  Spot  Freqnency«. 

«)  Phü.  Trans.  1880.  Part.  H. 


16  Sonne. 

durch  die  Protuberanzenzonen  in  der  Nähe  des  Äquators  tind  durch 
die  Sonnenflecken  charakterisiert  sind,  weiche  im  allgemeinen  auf  diese 
Zonen  beschränkt  sind)  und  der  gewöhnlichen  täglichen  Schwankung^ 
der  magnetischen  Elemente. 

Vergleich  der  Kurven  für  die  Protuberanzen  mit  jenen  der  mag- 
netischen Störungen.  Wenn  man  die  Kurve,  welche  die  Anzahl  der 
Tage  mit  »großen c  magnetischen  Störungen  darstellt,  mit  jenen  für 
die  Häufigkeit  der  Protuberanzen  vergleicht,  so  sieht  man,  daß  erstere 
ebenso  unähnlich  ist  den  Kurven,  welche  die  Häufigkeit  der  Pro- 
tuberanzen in  der  Nähe  des  Sonnenäquators  darstellen,  wie  sie  jenen 
in  der  Nähe  der  Pole  ähnlich  ist.  In  der  Tat  treten  Protuberanzen- 
ausbrüche an  den  Polen  fast  gleichzeitig  mit  großen  magnetischen 
Störungen  auf. 

Das  gleichzeitige  Auftreten  der  Maxima  deutet  darauf  hin,  daft 
eine  Einwirkung  auf  die  Erde  darin  besteht,  daß  sehr  große  magnetische 
Störungen  auftreten,  wenn  das  Auftreten  der  Protuberanzen  in  den 
Polarregionen  der  Sonne  stattfindet 

Femer  sind  nach  Ellis^)  »ungewöhnliche  magnetische  Störungen 
zur  Zeit  der  Sonnenfleckenmaxima  häufig,  während  sie  zur  Zeit  der 
Sonnenfleckenminima  nahezu  ganz  fehlen.« 

Wir  finden,  daß  nicht  nur  diese  »großen«  Störungen  zu  derselben 
Zeit  auftreten  wie  die  Protuberanzen  am  Pol,  die  spektroskopischen 
Beobachtungen  der  Sonnenflecken  zeigen  auch,  daß  sie  nicht  nur  zur 
Zeit  des  Fleckenmaximums  auftreten,  wie  EUis  festgestellt,  sondern 
auch  wenn  die  Sonnenfleckenknrve  sich  einem  Maximum  nähert  und 
zur  Zeit  der  {[reuzung  der  »verbreiterten«  Linien,*)  wenn  die  Kurve 
für  die  »unbekannten«  Ldnien  im  Ansteigen  begriffen  ist  und  die  ab- 
steigende für  die  »bekannten«  Linien  kreuzt.  Bei  der  andern  Epoche 
der  Kreuzung,  d.  i.  wenn  die  Kurve  für  die  »bekannten«  Linien  an- 
steigt, und  jene  für  die  »unbekannten«  fällt,  sind  nahezu  keine 
magnetischen  Störungen  vorhanden.  Es  wird  die  Aufmerksamkeit 
wieder  auf  diese  Kreuzungen  gerichtet,  um  zu  zeigen,  daß  diese 
Störungen  nur  zu  jenen  Zeiten  auftreten,  wenn  die  Temperatur  der 
Sonne  in  Zunahme  begriffen  ist 

Die  erwähnten  Umstände  geben  eine  Erklärung,  warum  manchmal 
magnetische  Stürme  auftreten,  wenn  keine  oder  nicht  sehr  große 
Flecken  auf  der  Sonnenoberfläche  vorhanden  sind.  Da  das  Auftreten 
von  magnetischen  Stürmen  in  engem  Zusammenhange  steht  mit  den 
Sonnenprotuberanzen,  können  Protuberanzen  und  magnetische  Stürme 
vorhanden  sein,  wenn  auch  keine  Sonnenflecken  vorhanden  sind. 
Protuberanzen  können  auch  manchmal  gleichzeitig  mit  großen  Sonnen- 
flecken auftreten,  und  da  die  letztem  beobachtet  werden  können, 
während   dies   bei   den   erstem   nicht  der  Fall   ist,   wird  der  davon 


')  Monthly  Noüces.  00.  p.  148. 
•)  Proceed.  Roy.  Soc.  67.  p.  412. 


Sonne.  17 

herrührende  magnetische  Sturm  im  allgemeinen  den  Flecken  zuge- 
schrieben. 

Femer  scheint  die  Intensität  der  magnetischen  Stürme  mit  der 
Breite  der  Protuberanzen  auf  der  Sonnenscheibe  sich  zu  ändern.  Je 
näher  dem  Pol  die  Protuberanz  auftritt,  umso  heftiger  ist  der  mag- 
netische Sturm;  dies  sind  jedoch  die  Regionen,  in  welchen  Flecken 
nicht  vorhanden  sind. 

Wir  haben  im  vorausgehenden  gezeigt,  daß  die  Variationen  der 
allgemeinen  magnetischen  Erscheinungen,  wie  sie  durch  EUis  gegeben 
werden,  mit  dem  Auftreten  von  Protuberanzen  am  Sonnenäquator 
zusammenfallen,  während  die  »großenc  magnetischen  Störungen  der 
Zeit  nach  mit  dem  Auftreten  von  Protuberanzen  in  den  Polarregionen 
der  Sonne  zusammenfallen. 

Prof.  Bigelow  hat  vor  kurzem  ^)  die  Variationen  der  magnetischen 
Horizontalintensität  untersucht  und  findet,  daß  die  Kurve,  welche 
diese  Änderungen  darstellt,  sekundäre  Maxima  zeigt,  welche  zusammen- 
fallen mit  jenen,  welche  in  der  Kurve  auftreten,  welche  die  mittlere 
Variation  der  Protuberanzen  für  alle  Breiten  wiedergibt.  So  kann, 
nach  seinen  Worten,  ^der  auffallende  Synchronismus  zwischen  den 
Kurven  nicht  verborgen  bleiben,  außer  nach  dem  Jahre  1894,  wo 
ein  besonders  kleines  Maximum  in  der  Horizontalintensität  aus- 
gebildet istc. 

Die  spektroskoplsehen  Ergebnisse  der  Beobachtunsren 
der  Sonnenfinsternis  vom  28.  Hai  1900  sind  von  J.  Evershed 
zusammengesteUt  worden.^ 

Im  allgemeinen  wurden  die  aus  den  Beobachtungen  1898  ab- 
geleiteten Schlüsse  bestätigt  Es  ergab  sich,  daß  während  J  der  Tota- 
sität  jede  starke  Linie  des  normalen  Sonnenspektrums,  welche  die 
Intensität  sieben  von  Rowland  übersteigt,  als  helle  Linie  erscheint; 
ferner  fällt  die  große  Mehrzahl  der  hellen  Linien  des  Flashspektrums, 
mit  Ausnahme  der  Wasserstoff-  und  Heliumlinien  mit  dunklen  Linien 
von  der  Intensität  nicht  unter  drei  zusammen.  Die  meisten  hellen 
Bogen  des  Flashspektrums  sind  scharfe,  schmale  Linien,  die  be- 
trächtliche Genauigkeit  der  Messungen  gestatten,  und  die  jetzigen 
Bestimmungen  der  Wellenlängen  deuten  an,  daß  das  Zusammenfallen 
der  hellen  Linien  mit  den  dunklen  für  alle  gut  bestinunten  Linien  bis 
auf  0,5  /i  (Zehnmilliontel  Millimeter)  genau  ist.  Bezüglich  der 
relativen  Intensitäten  der  Linien  eines  Elements  in  den  Flash-  und 
Fraunhoferschen  Spektren  müssen  die  frühem  Resultate  wie  folgt 
modifiziert  und  erweitert  werden :  Die  relativen  Intensitäten  einzelner 
Linien  eines  Elements  im  Flashspektrum  sind  allgemein,  aber  nicht 
ganz  genau,   in  Übereinstimmung  mit  denen   desselben  Elements   im 


*)  Monthly  Weather  Review  90.  Nr.  7.  p.  852. 
«)  Proceed.  Roy.  See.  1908.  71.  p.  228. 
Klein,  J&hrbuch  XIV. 


18  Sonne. 

Sonnenspektrum,  xmd  diejenigen  Linien,  welche  im  Flash  ausnahms- 
weise stark  sind,  sind  meist  Linien,  welche  im  Funkenspektrum  des 
Elements  verstärkt  auftreten.  Alle  hervoiragenden,  verstärkten  Linien 
des  Eisens  und  Titans,  die  Norman  Lockyer  bestimmt  hatte,  findet 
man  mit  starken  Linien  im  Flash  zusammenfallend,  aber  wegen  der 
susammengesetzten  Natur  einiger  dieser  Linien  ist  es  nicht  sicher, 
daß  alle  abnorme  Intensitäten  im  Flash  haben.  Es  ist  kein  Beweis 
dafür  vorhanden,  daß  die  relativen  Intensitäten  eines  Elementes  in 
den  hohem  und  niedrigem  Gebieten  der  umkehrenden  Schicht  ver- 
schieden sind.  Die  verstärkten  Linien  scheinen  in  der  ganzen  Tiefe 
der  strahlenden  Schicht  vorzuherrschen ,  sie  sind  gleich  ausgeprägt 
in  den  Polargegenden  wie  in  niedem  Breiten,  und  das  Flashspektrum 
erweist  sich  als  dasselbe  in  allen  Breiten,  es  zeigt  keine  wesentliche 
Änderung  nach  einem  Intervall  von  5  Jahren. 

Die  ganze  Ghromosphäre  besteht  nach  der  Annahme  von  Evershed 
aus  zahllosen  kleinen  Emptionen  oder  Strahlen  von  hoch  erhitzten 
Gkisen,  ähnlich  den  sogenannten  metallischen  Protuberanzen,  welche 
nur  die  ausgesprochenem  Bestätigungen  derselben  eraptiven  Agen- 
zien sind. 

Als  Beweis  hierfür  weist  er  auf  die  charakteristischen  Eigenschaften 
der  Ghromosphäre  und  die  detaillierte  Stmktur  vieler  Fraunhofer- 
schen  Linien  hin,  welche  breite  Emissionslinien  zeigen,  die  unter  den 
schmalen  Absorptionslinien  liegen.  Diese  schlecht  begrenzten,  hellen 
Linien  des  normalen  Sonnenspektrums  sind  nach  Violett  verschoben 
und  deuten  ein  heftiges  Aufsteigen  der  heißem  Gase  an,  während 
die  schmalen  Absorptionslinien  fast  in  ihren  normalen  Stellungen 
sind  und  ein  langsames  und  gleichmäßiges  Niedersinken  der  ab- 
sorbierenden Gase  anzuzeigen  scheinen. 

Evershed  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  das  Flashspektrum  die 
Emission  der  aufsteigenden  und  niedersinkenden  Gase  repräsentiert, 
während  das  Fraunhofersche  Spektrum  nur  die  Absorption  der  ab- 
steigenden Gase  darstellt. 

Die  neuen  Gase,  Neon,  Argron,  Krypton  und  Xenon,  in 
der  Ghromosphäre.  S.  A.  Mitchell  hat^)  bei  Gelegenheit  der  totalen 
Sonnenfinsternis  vom  18.  Mai  1901  auf  Sumatra  das  Spektrum  der 
umkehrenden  Schicht  der  Sonnenatmosphäre  (das  sogenannte  Flash- 
spektmm)  mit  einem  Apparat,  der  ein  Rowlandsches  Gitter  und  eine 
Quarzlinse  besitzt,  photographiert  Das  Spektrum,  welches  erhalten 
wurde,  zählt  nicht  weniger  als  374  Linien,  die  gemessen  wurden 
zwischen  F  und  H.  Die  Vergleichung  der  Intensitäten  und  der  Zahl 
der  den  verschiedenen  Elementen  zugehörigen  Linien  im  Flash-  und 
im  normalen  Sonnenspektram  führt  Prof.  Mitchell  zu  einer  Dreiteilung 
derselben  in  1.  Linien,  die  in  beiden  Spektren  stark  sind,  2.  die  stark 

^)  Astrophysioal  Journal  1908.  17.  Nr.  8  p.  224. 


Sonne.  19 

im  Flash-  und  schwach  im  Sonnenspektrum  sind,  und  8.  solche,  die 
schwach  im  Flash-  und  stark  im  Sonnenspektrum  erscheinen.  Zur 
2.  Gruppe  gehören  die  Elemente:  Wasserstoff,  Helium,  Skandium, 
Titan,  Vanadin,  Chrom,  Mangan,  Strontium,  Yttrium  und  Zirkonium. 
Infolge  seiner  geringen  Dichtigkeit  steigt  das  Helium  bis  zu  be- 
trachtlicher Höhe  über  die  Sonnenoberfläche,  und  infolgedessen 
sind  weiterhin  die  Heliumlinien  im  Flashspektrum  sehr  hervortretend. 
Man  kann  nun  die  Linien  des  Neon  und  Argon  im  Flashspektrum 
ebeufalls  erwarten,  aber  diejenigen  der  weniger  fluchtigen  Gase  Krypton 
und  Xenon  wahrscheinlich  nicht.  Im  gewöhnlichen  Sonnenspektrum  ist 
keines  dieser  Gase  durch  seine  Linien  nachweisbar,  aber  die  genaue 
Vergleichung  ihrer  Spektra  mit  den  Aufnahmen  des  Flashspektrums 
der  Sumatra- Expedition  hat  Prof.  Mitchell  zu  der  Oberzeugung  ge- 
führt, daß  gewisse  Linien  dieser  neuen  Gase  tatsächlich  in  der 
Sonnenatmosphäre  sichtbar  werden.  Bezüglich  des  Neon  und  Argon 
kommt  er  zu  dem  Ergebnis,  dafi  sie  unzweifelhaft  in  der  Chromo- 
sphäre  vorhanden  sind,  für  Krypton  und  Argon  halt  er  solches  noch 
nicht  sicher  erwiesen.  Der  Nachweis  dieser  Gase  auf  der  Sonne 
und  die  unzweifelhafte  Gegenwart  von  freiem  Wasserstoff  in  der  Erd- 
atmosphäre hat  eine  überaus  große  Wichtigkeit  für  die  kosmische 
Physik.  Nach  liveing  in  Dewar  kann  die  Erde  weder  Wasserstoff 
zurückbehalten,  noch  erzeugen,  daher  muß  ein  fortwährendes  Zu- 
strömen desselben  aus  dem  Welträume  in  die  Atmosphäre  stattfinden, 
«nd  ein  ähnlicher  Zufluß  bezüglich  der  andern  Gase  ist  nicht  abzu- 
weisen.^) Sie  spielen  eine  bedeutende  Rolle  in  den  Polarlichtem, 
den  kosmischen  Nebelflecken  und  der  Korona,  doch  hält  Mitchell  dies 
bezüglich  der  Polarlichter  für  Krypton  und  Xenon  noch  nicht  er- 
wiesen. Helium  und  Neon  können  nach  seiner  Meinung  ihren  Ursprung 
auf  der  Erde  haben,  allein  für  den  freien  Wasserstoff  unserer  Atmo- 
sphäre ist  solches  nicht  annehmbar,  vielmehr  meint  Mitchell,  in  Über- 
einstimmung mit  Arrhenius,  daß  dieser  mit  kleinen  ionisierten  Par^ 
Ukelchen  von  der  Sonne  zur  Erde  herabkommt. 

Die  periodischen  VerändeFun^en  der  Sonnenkorona. 

Das  Aussehen  der  Korona  zeigte  sich  bei  den  verschiedenen  Sonnen- 
finsternissen sehr  verschieden,  doch  ist  auf  die  altem  Zeichnungen 
etwa  aus  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  nur  wenig  oder 
kein  Gewicht  zu  legen,  da  man  damals  der  Korona  nicht  diejenige 
Aufmerksamkeit  schenkte,  welche  sie  beanspruchen  darl  Ranyard 
hat  zuerst  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  das  Aussehen  der 
Korona  um  die  Epochen  der  größten  Fleckentätigkeit  der  Sonne 
typisch  von  demjenigen  verschieden  sei,  welches  sie  zeigt,  wenn  die 
Sonnenflecke  nahe  dem  Minimum  ihrer  Anzahl  sind,  ^   und  begrün- 


^)  Proceed.  Roy.  See.  1900.  67.  p.  468. 
*)  Memoirs  of  the  Roy.  Astron.  Soc.    41. 


20  Sonne. 

dete  diesen  Schluß  auf  die  Beobachtungen  und  Zeichnungen  der 
Korona  während  der  Finsternisse  von  1715 — 1878.  Zu  ähnlichen 
Ergebnissen  kam  Hansky  in  seinem  Berichte  über  die  Ergebnisse  der 
russischen  Sonnenfinsternis  -  Expedition  1896  nach  Nowaja  Semlja^ 
Jetzt  hat  E.  D.  Naegamvala,  Direktor  der  Sternwarte  zu  Poona  in 
Indien,  die  Frage  behandelt^)  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  daß  es 
verschiedene  Typen  der  Sonnenkorona  gibt,  und  daß  deren  Aussehen 
nicht  lediglich  mit  der  Epoche  der  Maxima  und  Minima  der  Sonnen- 
fiecke  wechsele,  sondern  mehr  noch  den  dazwischen  liegenden  Zeiten 
entspreche,  in  denen  die  Fleckenkurve  ihre  mittlere  Höhe  hat  und 
von  dieser  entweder  steigt  oder  fallt  Der  Astronom  von  Poona 
hat  das  Aussehen  der  Korona  bei  21  totalen  Sonnenfinsternissen 
von  1860 — 1898,  wie  es  in  Zeichnungen  und  Photographien  ent- 
halten ist,  zusammengestellt  Auf  mehrem  Tafeln  zeigt  er  di& 
Korona  geordnet  nach  der  Häufigkeit  der  Sonnenflecke  gemäß  den 
Tabellen  von  Wolf  und  den  mittlem  jährlichen  und  monatlichen 
Häufigkeitszahlen.  Die  regelmäßigste  Entwicklung  des  Aussehens 
der  Korona  zeigt  die  Aneinanderreihung  der  Zeichnungen  derselben 
von  der  größten  absoluten  monatlichen  Fleckenhäufigkeit  bis  zur 
geringsten.  Man  erkennt  in  dieser  systematischen  Nebeneinander- 
reihung  der  Gestalten  der  Sonnenkorona  tatsächlich  typische  Ver- 
schiedenheiten. Vor  allem  sind  die  Koronen  bei  sehr  niedrigem 
Fleckenstande,  1889.97,  1867.66,  1889.00  und  1878.57  unterein- 
ander sehr  ähnlich,  aber  durchaus  verschieden  von  den  übrigen  mit 
Ausnahme  der  Korona  von  1880.03,  bei  der  aber  auch  der  Flecken- 
stand der  Sonne  gering  war.  Um  die  Zeit  der  geringsten  Flecken- 
häufigkeit zeigt  die  Korona  hauptsächlich  zwei  breite  Lichtstrahlen 
parallel  zur  Ebene  ihres  Äquators,  aber  keine  Strahlen  an  den  Polen» 
während  um  die  Epoche  der  Fleckenmaxima  herum  am  ganzen  Um- 
kreise der  Sonnenscheibe  Lichtstrahlen  emporschießen.  Die  auffäl- 
ligsten Formen  aber  zeigen  sich  in  den  Zeiten  eines  gewissen  mitt- 
lem Fleckenstandes.  Freilich  darf  man  nicht  allzuviel  Gewicht  auf 
die  Einzelheiten  legen,  denn  die  frühem  Photographien  der  Korona 
sind  zum  Teil  mangelhaft,  und  erst  mit  Einfühmng  der  Trocken- 
platten ist  ein  wirklicher  Vorzug  der  photographischen  vor  der  zeich- 
nerischen Reproduktion  der  Sonnenkorona  zuzugeben.  Dazu  kommt, 
daß  in  der  Nähe  der  Sonne  Kometen  zirkulieren  können,  deren 
Schweife  sich  mit  den  Koronastrahlen  im  Bilde  vermischen,  wie  es 
wahrscheinlich  bei  der  Sonnenfinsternis  am  21.  Dezbr.  1889  wirklich 
der  Fall  gewesen  ist.  Immerhin  muß  man  zugeben,  daß  die  Tätig- 
keit der  Sonne,  welche  sich  in  dem  eUQährigen  Fleckenzyklus  offen- 
bart, auch  im  Aussehen  der  Korona  zutage  tritt,  wenngleich  die* 
Ursache  dieser  Verschiedenheiten  noch  völlig  dunkel  ist. 


^)  Publications   of   the   Maharaja  Takhtasingji   Observatorv,    Poona« 
1.  p.  67. 


Sonne. 


21 


ObeF  den  wahrschelnlichBten  Wert  der  Sonnenparallaxe 

auf  Grund  der  bis  jetzt  bekannten  Bestimmungen  derselben  hat  Boris 
Weinberg  in  Odessa  eine  bemerkenswerte  Studie  veröffentlicht.^)  Er 
stellt  117  Bestimmungen  der  verschiedensten  Art  zusammen  und  leitet 
deren  Gewicht  im  einzelnen  nach  einem  besondem  Rechnungsver- 
fahren ab.  Auf  diesem  Wege  erhielt  er  für  die  verschiedenen  Methoden, 
die  Sonnenparallaxe  zu  berechnen,  folgende  Mittelwerte: 


Methode 

Parallaxe 

Oppositionsbeobachtungen  des  Mars 

Meridianbeobachtungen  der  Venus 

8:8589 
8.d48B 

Durchgangsbeobachtungen  der  Venus 

Bestimmungen  der  Distanzen  der  Centra  der  Sonne  und  der 

Venus  bei  ihren  Durchgängen 

Oppositionsbeobachtongen  von  Asteroiden 

0000       00 

Masse  der  Erde 

8.7591 

Koeffizient  der  lunaren  Ungleichheit  der  Erdbewegung     . 

Koeffizient  der  parallaktischen  Ungleichheit  der  Mondbe- 

wegnnff   .    -    .    t    ............    . 

8.8469 
8.8026 

Dichte  der  Venus 

9.68 

Generaimittel 

8.8022 

Der  Verfasser   stellt  nun   dieses  Generaimittel  mit  den  Mittel- 
werten anderer  Forscher  zusammen,  wie  folgende  Tabelle  zeigt 


Autoren  und  Literaturangaben 


Newcomb,  1867 

Powalky.  1872;  Astr.  Nachr.,  80,  97—112     .    .    . 
Stone,  1878;  Menth.  Not,  38,  279—295   .... 

Faye,  1881 

Harkness,  1881;  Amer.  Joum.  of  Sc,  22,  375—894 

Harkness,  1891 

Newcomb,  1895 

Gill,  1897 

Weinberg,  1901 


Parallaxe 


8:848 

8.77 

8.897 

8.825 

8.85 

8.8185 

8.7959 

8.8021 

8.8003 


Als  Endresultat  seiner  Untersuchung  findet  er   schließlich   als 
wahrscheinlichstenWert  der  Sonnenparallaxe  n  =  8.8004"  +  0.002  48". 


Planeten. 

Planetoidenentdeekungen  im  Jahre  1902.  Nach  der  Zu- 
sammenstellung von  Paul  Lehmann  ^  sind  folgende  kleine  Planeten  seit 
dem  letzten  Berichte  als  neu  entdeckt  eingereiht  worden: 


')  Astron.  Nachr.  Nr.  8866. 

^  Vierteljahrsschrift  d.  Astron.  Ges.  1906.  88.  p. 


w  .^•^.  w  .,^— .  Ol 


g  M'll'fB  Heidelberg 

iii:: 

^iiaAl^^^^erechneten  Bahnen  sind: 


Berechner 

\4t  Bauschinger 

74  Osten 

X)  P.  V.  Neugebauer 

13  Paetsch 

]8  Berberich 

r3  Bauschinger 

B6  Berberich 

B7  Millosevich. 

ji^  «wenig  Bemerkenswertes. 


P:§?^«^£.'.ilM€^1Jl^t  (483)  sich  bis  auf  den 

S'^S^^'^^iW^^^^^^^'     ^iö  höchste  Deklina- 

■^'*^|tC^S§^^r5^i^e^pposition  erreichen  kann, 

g^:#C!Wiilii§I^<tt^^^ahn  und  der  ungünstigen 

^^^CÜKiiJ^^iiSoßen  Neigung   gegen   die 

^if^i-#f^^ber)  und— 250  6  (gegen 

1^»  «ja«  M'^m  •^»  a^»  «^»  **«£* 


WW^¥'M^m''^:!:WW'^^^^^^^^  (463)  — (480),    welche 

i^^^^^mi^^'^lW^*^^^'^®^'^'^^^  d^^  Entdeckung  wieder 

"^i^-II^Sl^^^        Pl^««^^  (45Ö),  (476) 

P^^l^l'^S'^^^^^''^.^»^^^   in   einer   Opposition 


lichten    Planeten    wurden 
i'ii:l£liiihfliung 

eo     00     00     00        ^ 


"•^ri-fflE-  -'S»  mvam  ^jfa.t 


>     09       00       00 

II-S--S--S- 

*I  "Ä*  •&•  «M-» 

oo  ,   --      *^ 

09 


:i: 

00 

w 

eo 


^  .  J50    -^-.  -®-  ISl 

p*ii^#  •ffl-  -s-  jffl^ 
*32i  Qv     00     ooJQJwL         «CST» 

«^|k  9^^ja^%  mixm  «^»  '  ^    «W»  »jgj»  *^»  mixm  •  OMB  • 

v*-Sl^Ä?!^4l*^!SI3^^^  w»r  schon  im  Jahre 

:Jrl^t»^i;^.i&«Nssfti;:^if^.o^  ^  "^S^i^gKi^'s  von  Ebell  in  Kiel  auf 

'^'Ii4gl?g/!s3^an^ich  für  einen  neuen 


PlaneteD.  23 

gehaltenen  Planeten  mit  (156)  hingewiesen  worden,  doch  führten  jene 
ersten  Untersuchungen  noch  zu  keinem  sichern  Abschluß,  wie  er 
seitdem  nach  der  erneuten  Beobachtung  im  Jahre  1902  ermöglicht 
wurde. 

In  der  3  Opposition  wurden  die  seit  11,  bezw.  8  Jahren  nicht 
wiedergefundenen  Planeten  (289)  und  (300)  beobachtet. 

Die  Zahl  der  bisher  nur  in  einer  Erscheinung  beobachteten 
Planeten,  mit  Einschluß  der  bis  zum  Ende  des  Jahres  1902  neu 
entdeckten,  betragt  gegenwärtig  (Ende  Februar  1903)  72. 

Von  den  in  frühern  Berichten  noch  nicht  mit  Namen  versehenen 
Planeten  sind  nunmehr  die  folgenden  benannt  worden:  (472)  Roma, 
(475)  OcUo,  (477)  Italia  und  (478)  Tergeste. 

Die  Neigrungren  der  Rotationsachsen  der  Planeten  gegen 
ihre  Bahnebenen  spielen  in  der  Eosmogonie  bekanntlich  eine  große 
RoUe,  und  ihre  Erklärung  bietet  Schwierigkeiten.  Prof.  W.  H.  Pickering 
gibt  neuerdings  in  letzterer  Beziehung  einige  interessante  Erörterungen, 
welche  eine  Erklärung  der  Erscheinung  bieten.  ^)  Man  denke  sich 
einen  abgeplatteten  Rotationskörper,  ein  Sphäroid,  das  eine  Bahn 
um  die  Sonne  beschreibt  und  stets  einem  Sterne  die  gleiche  Seite 
zuwendet.  Wenn  dieses  Sphäroid  mit  einer  tiefen  Flüssigkeitsschicht 
bedeckt  ist,  so  wird  eine  jährliche  Flut  entstehen,  und  diese  mit  der 
Zeit  das  Sphäroid  zwingen,  sich  um  seine  Achse  so  zu  drehen,  daß 
es  stets  der  Sonne  die  nämliche  Seite  zuwendet.  Nehmen  wir  jetzt 
an,  dieses  Sphäroid  habe  ursprünglich  eine  Rotation  um  seine  kleine 
Achse  besessen,  und  diese  liege  in  der  Ebene  seiner  Bahn,  wie 
solches  nahezu  beim  Planeten  Uranus  der  Fall  ist.  In  diesem  Falle 
finden  2  Rotationen  statt,  unabhängig  voneinander  und  um  die 
beiden  senkrecht  zueinander  stehenden  Achsen.  Daraus  resultiert, 
wie  man  am  Gyroskop  zeigen  kann,  eine  Tendenz  der  kleinen  Achse, 
aus  der  Bahnebene  herauszutreten^  und  zwar  derart,  daß  die  Ebene 
des  Äquators  des  Planeten  sich  seiner  Bahnebene  nähert,  so  daß 
Rotation  und  Umlauf  sich  in  derselben  Richtung  vollziehen.  Als  ge- 
mäß der  Laplaceschen  Weltbildungstheorie  sich  von  dem  Urnebel 
Ringe  ablösten  und  die  Planeten  bildeten,  mußten  diese  in  retro- 
gradem Sinne  rotieren.  Infolge  der  oben  erwähnten  Flutwirkung 
mußte  aber  die  Ebene,  in  der  ihre  Rotation  stattfand,  sich  stufen- 
weise drehen,  derart,  daß  sie  ursprünglich  der  Ebene  der  Ringe 
parallel,  später  senkrecht  dazu  stand  und  schließlich  wiederum  parallel 
zu  derselben  wurde,  aber  jetzt  mit  Rotation  in  rechtläufiger  Rich- 
tung. Man  findet  eine  fortschreitende  Änderung  dieser  Ebenen  bei 
den  Bahnen  der  Monde  der  vier  großen  Planeten.  So  ist  beim 
Neptun  der  Winkel,  den  beide  Bahnebenen  miteinander  machen, 
etwa  145  ®,   für  Uranus  beträgt  er  98  ^   für  Saturn  (bei  den  innern 


^)  AstroB.  Joum.  1902. 


24  Planeten« 

SatelUteD)  27®  und  für  Jupiter  2®.  Auch  bei  den  innem  Planeten 
findet  dasselbe  statt  Für  Mars  ist  der  besagte  Winkel  25  ^  für 
die  Erde  23  ®,  für  Venus  ist  er  unbekannt,  und  bezüglich  des  Merkur 
darf  man  nach  den  Zeichnungen  seiner  Oberfläche  zu  Mailand,  Are- 
quipa  und  Flagstaff  annehmen,   daß  er  kleiner  ist 

Die  Rotationsdaaer  der  Venus.  Prof.  Schiaparelli  hat  im 
Jahre  1890  als  Ergebnis  seiner  eigenen  Beobachtungen  und  auf 
Grund  einer  eingehenden  Diskussion  des  bis  dahin  vorliegenden 
fremden  Materials  die  Oberzeugung  ausgesprochen,  daß  der  Planet 
Venus  sich  wahrscheinlich  in  der  gleichen  Zeitdauer  um  seine  Achse 
dreht,  in  welcher  er  seinen  siderischen  Umlauf  um  die  Sonne  voll- 
führt, also  in  224.7  Tagen«  Bis  dahin  galt  als  wahrscheinlich,  daß 
die  Umdrehungsdauer  der  Venus  nahe  24  Stunden  betrage.  Das 
Resultat  von  Schiaparelli  entspricht  auch  den  Beobachtungen,  welche 
Perrotin  in  Nizza  an  dem  dortigen  großen  Refraktor  angestellt  hat, 
aber  andere  Beobachter  wollten  Flecke  auf  der  Venusscheibe  ge- 
sehen haben,  deren  Bewegung  auf  24  stündige  Rotation  deutete. 
Belopolsky  hat  vor  einigen  Jahren  versucht,  die  Frage  spektro- 
skopisch durch  Feststellung  der  Linienverschiebimg  im  Spektrum  der 
Venus  zu  beantworten,  und  kam  zu  dem  Ergebnis,  daß  eine  24  stün- 
dige Rotation  am  wahrscheinlichsten  sei.  Denselben  Weg  hat  im 
Jahre  1902  A.  Lowell  auf  seinem  Observatorium  in  Flagstaff  be- 
schritten. Er  bediente  sich  dabei  eines  neuen  Spektrographen,  der 
mit  dem  24-zolligen  Refraktor  verbunden  wurde,  und  dessen  Dis- 
persion sogar  die  des  Millsspektrographen  der  Licksternwarte  über- 
trifft. Nach  einer  Anzahl  von  Vorversuchen  an  Fixsternen,  um  deren 
Eigenbewegung  in  der  Qesichtslinie  und  damit  auch  die  Leistungen 
des  Spektographen  zu  ermitteln,  begannen  die  Aufnahmen  der  Venus 
im  November  1902.  Von  da  bis  Ende  März  1903  wurden  65  Spek- 
trogramme  des  Planeten  erhalten.  Die  Vermessung  der  darin  sicht- 
baren Linien  ergab  keine  Andeutung  zugunsten  einer  24  stündigen 
Rotationsdauer  der  Venus,  wohl  aber  für  die  Annahme  der  Ober- 
einstimmuug  von  Rotation  und  Umlaufsdauer  dieses  Planeten. 
Im  Mittel  fand  sich,  wenn  der  Spalt  des  Spektroskops  parallel  der 
Lichtlinie  auf  der  Venus  stand,  als  Rotationsgeschwindigkeit  -\- 0,0  ib  km 
pro  Sekunde.  Würde  die  Rotationsdauer  24  Stunden  betragen,  so 
würde  die  Geschwindigkeit  0.45  Ann  in  der  Sekunde  sein,  bei  einer 
Umdrehungsdauer  von  225  Tagen  dagegen  0.02  km. 

Die  Beobachtungren  des  Mars  in  den  Jahren  1896  und 
1897  auf  der  Lowellsternwarte  zu  Flagrstaff  und  zu  Tacu- 
baya.  im  Winter  1893  faßte  Percival  LoweU  den  Entschluß, 
während  der  nächsten  Oppositionen  des  Mars  diesen  Planeten  an 
einem  sehr  mächtigen  Femrohre  unter  möglichst  günstigen  atmo- 
sphärischen Verhältnissen  ausdauernd  zu  beobachten.    In  Ausführung 


Planeten.  26 

des  Planes  wurde  bei  Flagstaff  in  Arizona  (36^  11'  nördl.  Br., 
111^  40'  westl.  L.  V.  Gr.)  2200  m  über  dem  Meeresspiegel  ein 
provisorisches  Observatorium  errichtet  und  mit  einem  Refraktor  von 
18  Zoll  Objektivdurchmesser  ausgestattet  Diese  Beobachtungen  über 
den  Mars  während  der  Opposition  1894  bis  1896,  an  welchen  sich 
Prof.  W.  H.  Pickering  und  A.  E.  Douglass  beteiligten,  lieferten  eine 
große  Menge  wichtiger  und  interessanter  Tatsachen,  welche  P.  Lowell 
im  1.  Bande  der  Annalen  des  Lowellobservatory  mitteilte,  und  über 
die  früher  an  dieser  Stelle  näheres  berichtet  ist  Die  Opposition  des 
Mars  1896  bis  1897  bot  Gelegenheit  die  Beobachtungen  der  vorher- 
gehenden zn  vertiefen  und  in  manchem  Punkte  zu  erweitem;  auch 
hatte  Lowell  mittlerweile  ein  noch  größeres  Femrohr  beschafft,  das 
mit  einem  Objektiv  von  24  Zoll  Durchmesser  und  32  Fuß  Brenn- 
weite zu  den  mächtigsten  und  gleichzeitig  zu  den  vorzüglichsten 
Refraktoren  der  Gegenwart  zählt.  Dazu  kommt,  daß  in  Tacubaya 
(19<»  24'  nördl.  Br.,  99  <>  12'  westl.  L.  v.  Gr.),  4  Meilen  westHch  von 
der  Stadt  Mexiko  in  einer  Höhe  von  2600  m  über  dem  Meere  eine 
Lokalität  aufgefunden  und  vom  Januar  bis  Ende  März  1897  benutzt 
wurde,  die  in  mancher  Beziehung  für  die  Beobachtungen  größere  Vor- 
teile gewährte  als  die  Station  Flagstaff.  Die  Beobachtungen  wurden 
hauptsächlich  ausgeführt  von  Percival  Lowell  und  A.  E.  Douglass, 
einige  Zeichnungen  auch  von  Dr.  J.  J.  See  und  W.  A.  Cogshall  sowie 
von  gelegentlichen  Beobachtern.  Sämtliche  Beobachtungen  und  Zeich- 
nungen sind  im  2.  Bande  der  Annalen  des  Lowellobservatory  ver- 
öffentlicht, und  aus  diesem  sollen  die  wichtigen  Ergebnisse  derselben 
hier  vorgeführt  und  besprochen  werden. 

Der  scheinbare  Durchmesser  des  Mars  betrug  1896  Anfang 
August  8",  er  nahm  im  Dezember  bis  17"  zu  und  ging  bis  März  1897 
wieder  auf  8"  zurück.  Im  August  1896  war  der  Südpol  des  Mars 
der  Erde  zugekehrt,  doch  wandte  sich  dieser  mehr  und  mehr  ab, 
und  beide  Pole  lagen  vom  September  bis  zum  ersten  Drittel  des 
Dezember  1896  ziemlich  genau  im  Rande  der  Marsscheibe.  Dann 
neigte  sich  der  Südpol  des  Planeten  bis  Ende  Februar  wieder  gegen 
die  Erde,  rückte  also  etwas  in  die  Scheibe  hinein,  aber  im  März 
lag  er  wieder  im  Rande  derselben  und  wandte  sich  dann  bis  zum 
Schlüsse  der  Beobachtungen  mehr  und  mehr  auf  die  abgewandte 
Seite,  so  daß  also  nun  der  Nordpol  des  Mars  zunehmend  gegen  die 
Erde  geneigt  wurde  und  mehr  und  mehr  in  die  Scheibe  trat  Zu 
Anfang  der  Beobachtungen  zeigte  Mars  noch  eine  sehr  merkliche 
Phase,  und  der  dunkle  Teil,  welcher  im  Femrohre  an  der  linken  (vor- 
aufgehenden) Seite  lag,  markierte  eine  starke  Abweichung  des  Planeten 
von  der  genauen  Ereisform.  Diese  Abweichung  wurde  natürlich 
immer  kleiner,  bis  der  Planet  in  der  Opposition  völlig  rund  erschien, 
und  später  die  Phase  an  der  südlichen  voraufgehenden  Seite  all- 
mählich sichtbar  ward.  Das  Wintersolstitium  der  nördlichen  Hemi- 
sphäre des  Mars  trat  ein  am  17.  Juli  1896,   das  Frühlingsäquinok- 


26  Planeten. 

üam  am  24.  Dezember  und  das  Sommersolstitium  am  12.  Juli  1897. 
Die  nördliche  Hemisphäre  des  Mars  hatte  also  an  diesen  3  Tagen 
astronomische  Jahreszeiten,  welche  dem  20.  Dezember,  20.  März  und 
19.  Juni  der  nördlichen  Erdhälfte  entsprechen. 

Was  die  dunklen  Flecke  anbelangt,  so  wurden  die  hervor- 
tretenderen  durch  Mikrometermessungen  festgelegt  und  dazwischen 
das  Detail  nach  dem  Augenmaße  eingetragen.  Zu  diesem  Ende  ist 
die  sorgfältigste  Prüfung  und  Vergleichung  der  Zeichnungen  unter- 
einander und  mit  der  Skelettkarte,  welche  die  festgelegten  Positionen 
enthält,  nötig.  Prüfungen  ergaben,  daß  Personen,  welche  mit  Mars- 
beobachtungen nicht  durchaus  vertraut  sind,  die  größten  Irrtümer  in 
bezug  auf  Identifizierung  der  Details  begehen.  Betrachtet  man  über- 
haupt die  getreue  Wiedergabe  der  unmittelbar  am  Fernrohre  gezeich- 
neten Skizzen  der  Marsdetails,  welche  Lowell  mitteilt,  so  begreift 
man  gegenüber  der  Feinheit  und  dem  schattenhaften  Charakter  der 
meisten  davon,  weshalb  Femrohre  wie  der  große  Refraktor  zu 
Washington  oder  der  18-Zoller  zu  Straßburg,  die  unter  ungünstigen 
klimatischen  Verhältnissen  benutzt  wurden,  nichts  von  dem  feinen 
Eanalnetze  des  Mars  gezeigt  haben. 

Man  kann  hiemach  aber  auch  beurteilen,  was  es  mit  manchen 
Beobachtungen  über  den  Mars  auf  sich  hat,  die  von  gelegentlichen 
Beobachtern  an  kleinen  Femrohren  beiläufig  angestellt  werden,  und 
woraus  diese  flugs  auf  neue  Formationen  oder  auf  Änderungen  der 
Marsoberfläche  mit  jener  Sicherheit  schließen,  welche  lediglich  in 
der  Unkenntnis  und  Unverantwortlichkeit  solcher  Beobachter  ihren 
Grund  hat 

Andernteils  ist  aber  auch  augenscheinlich,  daß  die  Deutung  der 
wahrgenommenen  Flecke  und  Striche  und  die  Zusammenfassung  des 
einzelnen  unter  generelle  Gesichtspunkte,  wie  sie  Lowell  unternommen, 
ein  höchst  schwieriges  Beginnen  ist,  bei  dem  Irrtümer  unvermeidlich 
sind.  Wenn  der  Laie  glaubt,  daß  der  Anblick  des  Mars  an  einem 
großen  Femrohre  unmittelbar  über  die  Beschaffenheit  oder  Organi- 
sation der  Oberfläche  dieses  Planeten  etwas  Wesentliches  lehren 
könne,  so  dürfte  ihn  die  Betrachtung  der  Lowellschen  Zeichnungen 
sehr  bald  von  seinem  Irrtume  heilen.  Es  ist  nicht  möglich,  anders 
in  dieser  Beziehung  weiter  zu  kommen,  als  durch  vergleichendes» 
systematisches  Studium  einer  sehr  großen  Anzahl  solcher  Zeich- 
nungen, wobei  eine  provisorische  Hypothese  zum  Ausgangspunkte 
gewählt  werden  muß.  Im  vorliegenden  Falle  wird  die  Hypothese 
durch  die  Annahme  gebildet,  daß  das  Aussehen  der  Marsflecke  und 
die  Veränderungen  derselben  in  einer  engen  Beziehung  zur  Umlaufs- 
zeit des  Planeten  um  die  Sonne,  genauer:  zu  den  Wärmeverhält- 
nissen der  beiden  Hemisphären  im  Verlaufe  ihres  Jahres,  stehen. 
Diese  Hypothese  findet  kräftige  Stütze  für  ihre  Berechtigung  im  V^- 
halten  der  beiden  weißen  Flecke  in  der  Nähe  der  Rotationspole  des 
Mars.     Von  diesem  ausgehend,  hat  schon  Mädler  auf  den  Gang  der 


Planeten.  27 

kfimatischen  Verhältnisse  in  den  beiden  Marshälften  geschlossen, 
Schiaparelli  ist  ihm  gefolgt,  und  jetzt  gibt  Lowell  einen  systematischen 
Ausbau  derselben,  der  sich  auf  die  von  Schiaparelli  betonte  Un- 
gleichheit der  Verteilung  des  flüssigen  Elementes  auf  der  nördlichen 
und  südlichen  Marshemisphäre  und  auf  die  relativ  geringe  Menge 
desselben  auf  diesem  Planeten  überhaupt  stützt.  Die  speziellen 
Ausführungen  Lowells  nach  dieser  Richtung  hin  sind  im  höchsten 
Grade  interessant  und  anregend,  aber  freilich  auch  am  meisten  hypo- 
thetisch. Mancher  wird  diese  letztere  Tatsache  vor  allem  betonen, 
und  sicherlich  gibt  es  Astronomen,  die  diesen  Ausführungen  nicht 
gerade  sympathisch  gegenüber  stehen,  weil  sie  eben  ein  Novum  auf 
dem  Gebiete  der  Himmelskunde  darstellen.  Wir  stehen  auf  diesem 
letztem  Standpunkte  nicht,  sondern  sehen  in  den  spekulativen 
Forschungen,  welche  Lowell  an  seine  unmittelbaren  Wahrnehmungen, 
Messungen  und  Zeichnungen  knüpft,  eine  wichtige  Ergänzung, 
ja  die  eigentliche  Fruktifizierung  derselben,  gleichgültig  ob  er  im 
einzelnen  überall  das  Richtige  getroffen  hat  oder  nicht. 

Die  beiden  weißen  Flecke,  welche  zur  Winterzeit  jeder  Mars- 
hemisphäre um  deren  Pol  seit  200  Jahren  beobachtet  worden 
sind,  und  die  schon  W.  Herschel  für  Schneezonen  erklärte,  hält  auch 
Lowell  für  Gefrierungsprodukte  des  Wassers  und  andere,  schneller 
veränderliche  helle  Flecke  für  Wolken,  die  aus  Wasserdampf  be- 
stehen. 

Die  südliche  Eiskappe  fand  Lowell  bei  dieser  Opposition,  als 
sie  in  der  Mitte  ihres  Sommers  stand,  klein  und  unveränderlich  in 
ihrer  Größe,  besonders  in  den  Meridianen  von  0^  bis  60^  und  270^ 
zwischen  70®  und  90®  südl.  Br.,  in  Gegenden,  wo  von  ihm  1894 
große  Polarbuchten  konstatiert  worden  waren.  Mit  dem  Überschreiten 
des  Frühlingsäquinoktiums  der  nördlichen  Hemisphäre  beginnt  für 
den  Südpol  die  lange  Nacht  Der  südlichste  Punkt  an  der  Licht- 
grenze zeigte  sich  gelegentlich  weißlich,  wie  schneebedekt  oderwolken- 
beladen,  und  in  Mitte  des  Winters  ist  die  Oberfläche  bis  25®  vom 
Südpol  begraben  in  Schnee  oder  Gewölk.  Die  nördliche  Schneekappe 
wurde  als  kleines,  glänzendes  Fleckchen  zuerst  am  21.  August  von 
Lowell  bemerkt,  und  die  Beobachtungen  der  nächsten  Tage  zeigten, 
daß  sie  nicht  überall  gleichweit  ab  vom  Pole  reichte.  Was  die  wahr- 
genommenen Veränderungen  an  der  nördlichen  Polarkalotte  anbelangt, 
80  gibt  Lowell  davon  eine  übersichtliche  Zusammenstellung.  Im 
Januar  (hier  wie  im  folgenden  ist  immer  der  dem  unserigen  ent- 
sprechende Monat  auf  dem  Mars  gemeint),  als  der  Nordpol  24®  bis 
16  ®  jenseits  der  Lichtgrenze  lag,  erschien  der  nördlichste  Teil  der 
letztem  weiß,  bläulichweiß  oder  grünlichweiß  in  den  Regionen  Aci- 
dalius  Lacus,  Sirenius  und  Äthiops,  und  die  Polarkappe  war  bis- 
weilen breit  und  weiß  mit  dunkelgrünem  Rande  unter  den  Meridianen 
durch  Syrtis  major,  Aurorae  Sinus  und  Titan.  Dieses  Aussehen 
schreibt  Lowell  Wolken  und  vielleicht  einer  Vegetation  zu.    Im  Februar 


28  Planeten. 

dehnte  sich  die  weiße  Kalotte  bis  50^  oder  60^  nördL  Br.  aus 
mit  verschwommenen  Grenzen,  die  als  Bewölkung  gedeutet  werden, 
doch  auch  mit  hellen  Stellen  in  70  ^  nördl.  Br.,  die  Lowell  für  wirk- 
lichen Schnee  hält  Von  blauer  oder  grüner  Färbung  war  nichts  zu 
sehen,  wohl  aber  zwischen  den  Meridianen  von  Trivium  Gharontis 
bis  Margaritifer  Sinus  zeigte  sich  ein  grauer  oder  dunkler  Rand. 
Im  März,  nachdem  das  Frühlingsäquinoktium  vorüber,  und  der  Nord- 
pol in  das  Sonnenlicht  getreten  war,  zeigte  sich  die  Eiskappe  breit 
und  unveränderlich,  umgeben  von  einem  farbigen  Saume  und  einge- 
schnitten von  dunklen  Spalten.  »Unzweifelhaft  begann  sich  unter 
dem  Einfluß  der  vom  Sclünelzen  des  Schnees  herrührenden  Feuchtig- 
keit eine  dichte  Vegetation  längs  der  Ränder  der  Schneezone  und  in 
den  tiefen  Flächen  zu  entwickeln,  c  Während  des  April  verhielt  sich 
die  Polarkappe  weiterhin  wie  schmelzender  Schnee,  sie  wurde  von 
permanenten  Spalten  durchsetzt,  langsam  zog  sie  sich  zusammen,  und 
ihr  Rand  lag  etwa  in  60  ^  nördl.  Br.  Ihr  breitester  Teil  war  in  der 
Richtung  der  Syrtis  Major,  einem  Reservoir  der  Feuchtigkeit,  und 
am  schmälsten  war  sie  bei  Issedon  und  Amystis.  Eine  merkwürdige 
Tatsache  ist,  daß  die  großen  dunklen  Flecke  unter  dem  Meridian 
dieses  schmälsten  Teiles,  namentlich  Aurorae  Sinus,  um  diese  Zeit 
fast  völlig  verschwanden  und  sich  verhielten  wie  ein  Vegetations- 
gebiet, das  aller  Feuchtigkeit  beraubt  wird.  Die  Verminderung  der 
Ausdehnung  der  Polarkappe  zu  dieser  Zeit  und  unter  diesem  Meridian 
scheint  in  Beziehung  zu  diesem  merkwürdigen  Phänomen  zu  stehen. 
Anfangs  Juni  war  die  Polarkappe  auf  einen  sehr  kleinen  Fleck  in 
der  Nähe  des  Nordpols  reduziert,  der  umgeben  wurde  von  einer  be- 
trächtlichen Wolkenzone,  die  vermutlich  dem  raschen  Schmelzen  des 
Eises  entsprang.  Einige  der  nördlichsten  Kanäle,  welche  im  frühem 
Stadium  als  Spalten  in  der  Eiskalotte  sich  dargestellt  hatten,  er- 
schienen jetzt  gut  entwickelt. 

Ein  Vergleich  des  Verhaltens  der  beiden  Polarregionen  des  Mars 
während  des  Jahreslaufes  ist  für  das  Verständnis  seiner  Klima- 
tologie  von  besonderem  Interesse.  Die  südliche  Schneezone  schmilzt 
in  der  2.  Hälfte  ihres  Sommers  fast  ganz  zusammen  und  wird  erst 
mit  dem  Marsmonate  April,  wenn  sie  in  ihren  Winter  rückt,  be- 
trächtlich größer;  die  nördliche  dagegen  zeigt  sich  erst  um  die  Mitte 
des  Winters  und  bleibt  dann  ziemlich  permanent  Dies  deutet  darauf, 
daß  im  Herbste  des  Mars  an  seinem  Nordpole  die  Wassermenge  er- 
heblich geringer  ist,  als  in  den  südlichen  Polargegenden,  was  in  dem 
Vorhandensein  ausgedehnter,  heller,  kontinentaler  Regionen  auf  der 
nördlichen  Marshemisphäre  volle  Bestätigung  findet  Wenn  aber  der 
Nordpol  des  Mars  mit  den  kontinentalen  Flächen  in  seiner  Um- 
gebung für  uns  sichtbar  wird,  liegt  der  Wärmeäquator  tief  auf  der 
südlichen  Hemisphäre,  und  infolgedessen  muß  ein  mächtiger  Strom 
feuchter  Luft  nordwärts  gerichtet  sein.  Zunächst  wird  sich  deren 
Feuchtigkeit   auf   den   höher   gelegenen  Flächen  verdichten   und  erst 


Planeten.  29 

nach  und  nach  in  die  tiefem  Gegenden  gelangen,  die  als  Reservoir 
dienen.  Dies  wird  durch  die  Beobachtungen  tatsächlich  durchaus 
bestätigt  Die  Tatsache,  daß  im  Januar  grüne  oder  blaue  Flächen 
nahe  der  Polarkalotte  der  nördlichen  Marshemisphäre  gesehen  werden, 
zeigt  nach  Lowell  an,  daß  die  Temperatur  dort  in  40  bis  70^ 
nördL  Br.  um  diese  Zeit  nicht  zu  niedrig  ist,  um  die  Existenz  von 
flüssigem  Wasser  und  von  Vegetation  zu  hindern;  im  Februar  dagegen 
zeigte  sich  nur  einmal  ein  dunkler  Fleck  am  südlichen  Rande  der 
Kalotte  in  etwa  40  ®  nördl.  Br.  Hieraus  schließt  der  Beobachter,  daß 
der  Monat  Februar  der  kälteste  war.  In  diesen  beiden  Monaten  er- 
schien die  Eiskappe  häufig  besonders  breit  zwischen  Trivium  Charontis 
und  Aurorae  Sinus  und  behielt  diese  größere  Ausdehnung  bis  zum  April. 

Eine  große  Rolle  unter  den  Eigentümlichkeiten  der  Marsober« 
fläche,  welche  seit  Schiaparellis  Untersuchungen  bekannt  wurden, 
spielen  die  sogenannten  Kanäle.  Mit  ihnen  beschäftigt  sich  Lowell 
eingehend,  und  zwar  vom  Standpunkte  seiner  meteorologischen  Grund-« 
hypothese  aus.  Die  Kanäle  zeigten  sich  am  deutlichsten  in  den  hellen 
(kontinentalen)  Regionen  der  nördlichen  Marshälfte.  Auf  der  südlichen 
Hemisphäre  sind  sie  etwa  um  die  Hälfte  weniger  zahlreich  und  dort 
in  abgedunkelten  Regionen  am  besten  erkennbar.  Die  Sichtbarkeit 
der  Kanäle  auf  der  südlichen  Marshälfte ,  etwa  von  40  ®  südl.  Br. 
an,  nimmt  von  Januar  bis  April  des  Marsjahres,  also  während 
der  2.  Hälfte  ihres  Sommers,  ab.  In  den  äquatorialen  Oegenden 
zwischen  30^  südl.  und  10  ^  nördl.  Br.  ist  dagegen  keine  auffallende 
Verschiedenheit  in  dieser  Hinsicht  wahrzunehmen.  In  den  Gegenden 
der  nördlichen  Marshemisphäre  von  10  bis  40^  nördl.  Br.  nimmt  die 
Sichtbarkeit  der  Kanäle  in  den  dunklen  Regionen  etwas,  dagegen  in 
den  hellen  Flächen  stark  zu,  und  zwischen  40  und  60  ^  nördl.  Br. 
ist  diese  Zunahme  der  Deutlichkeit  und  Dunkelheit  der  KanäJe  über 
der  ganzen  Breitenzone  des  Planeten  zu  erkennen.  Alles  dieses  be- 
stätigt die  frühem  Schlußfolgerungen,  daß  diese  Kanäle  ihre  Sicht« 
barkeit  für  uns  durch  Feuchtigkeit  und  Vegetation  erlangen.  In  dem 
Maße  als  für  die  dunklen  Flecken  der  südlichen  Marshemisphäre  die 
Mitte  des  Sommers  naht  (vom  Oktober  bis  zum  Januar),  verändert 
sich  ihre  Farbe  aus  Grün  in  Bräunlich  und  zuletzt  in  Gelb.  Die 
hellen  Regionen  dieser  Hemisphäre  sind  dunkelorange  oder  gelblich, 
wozu  sich  im  November,  zur  Zeit  der  Eisschmelze,  oft  etwas  Grün 
gesellt,  im  Dezember  etwas  Braun,  im  Februar  Rötlich  und  im  März 
weiß.  Dieser  Übergang  von  Grün  zu  Braun  und  Gelb  ähnelt  dem- 
jenigen unserer  Vegetation  während  trockener  Sommer  und  im  Herbste. 
Die  großen  dunklen  Flächen  der  heißen  südlichen  Zone  sind  während 
des  ganzen  Sommers  bläulichgrün  und  werden  im  April  gelblich,  die 
nördlichen  dunklen  Flecke  sind  grün  oder  bläulichgrün  im  Dezember 
und  Januar. 

Eine  große  Rolle  spielt  die  Verdoppelung  der  Kanäle  in  allen 
Fragen  über  die  wahrscheinliche  Beschaffenheit  der  Marsoberfläche. 


30  Planeten. 

Prof.  W.  H.  Pickering  hat  wichtige  Grunde  angegeben ,  wonach  diese 
Duplizität  eine  optische  Täuschung  ist,  und  Lowell  ist  geneigt,  diesem 
Schlüsse  beizustimmen.  Jedesmal,  wenn  er  einen  Doppelkanal  wahr- 
zunehmen glaubte,  hat  er  sich  genötigt,  gesehen  im  Beobachtimgs- 
buche  beizufügen,  daß  ihm  die  Wahrnehmung  nicht  ganz  sicher  scheine, 
nur  ein  einziges  Mal  schien  ihm  die  Duplizität  positiv  sicher,  aber 
auch  nicht  während  der  ganzen  Beobachtungsdauer.  Auf  eine  un- 
scharfe Einstellung  des  Fernrohres  möchte  Lowell  die  vorgetäuschte 
Duplizität  der  feinen  Marskanäle  indessen  nicht  zurückführen,  sondern 
auf  die  falsche  Auffassung  des  Beobachters,  daB  zwei  sehr  nahe  bei- 
einander befindliche,  aber  in  ihrem  Verlaufe  etwas  divergierende  Kanäle 
für  einen  Doppelkanal  gehalten  werden.  Erwägt  man,  um  welche 
überaus  feine  Wahrnehmungen  auf  einem  kleinen  Flächenraume  es 
sich  handelt,  so  wird  man  diese  Erklärung  sehr  annehmbar  finden 
und  auch  begreifen,  weshalb  die  Doppelkanäle  immer  an  der  Grenze 
der  Wahmehmbarkeit  stehen,  mag  nun  das  Fernrohr  oder  die  Mars- 
scheibe größer  oder  kleiner  sein.  Diese  letztere  Tatsache  wird  durch 
eine  Zusammenstellung  der  mittlem  Entfernung  für  beide  Kom- 
ponenten der  Marskanäle  bei  verschiedenen  Durchmessern  der  Mars- 
scheibe gut  illustriert  Douglass  gibt  nämlich  an,  daß  nach  den  Be- 
obachtungen im  August  1896,  als  die  Marsscheibe  8.9"  im  Durch- 
messer erschien,  der  Abstand  der  Komponenten  der  Doppelkanäle 
durchschnittlich  auf  0.304"  oder  in  Graden  der  Marskugel  auf  4.11^ 
geschätzt  wurde,  im  Oktober  und  Januar  1897,  als  der  Marsdurdi- 
messer  auf  13.5"  gestiegen  war,  zu  0.35"  entsprechend  einem  Bogen 
von  2.9  ^.  Mit  dem  Nachweise,  daß  die  Verdoppelung  der  Marskanäle 
lediglich  optische  Täuschung  ist,  verschwindet  die  größte  Schwierig- 
keit für  die  Deutung  dieser  Gebilde.  Ein  weiterer  und  wichtiger 
Schritt  in  bezug  auf  letztere  ist  die  Wahrnehmung,  daß  die  Kanäle 
sich  auch  in  die  dunklen  Regionen  hinein  fortsetzen  und  dort  über 
lange  Strecken  hin  verfolgt  werden  können.  Dies  war  zu  Flagstaff 
in  der  Opposition  des  Mars  1894 — 1895  gelungen,  und  die  Beobach- 
tungen 1896 — 1897  haben  weitere  Bestätigungen  dieser  wichtigen 
Tatsache  geliefert  Im  Margaritif er  und  Aurorae  Sinus  und  im  Sirenum 
Marc  waren  die  Fortsetzungen  der  Kanäle  in  den  dunklen  Regionen 
während  der  beiden  Oppositionen  im  ganzen  unverändert  die  näm- 
lichen. Doch  wurden  im  Sirenum  Mare  sowie  in  Atlantis  und  Cim- 
merium  Mare  noch  einige  bis  dahin  unbekannte  Kanäle  wahrgenommen. 
Von  besonderem  Interesse  sind  die  Beobachtungen  über  Syrtis  Major, 
welche  Lowell  mitteilt  und  diskutiert.  Diese  dunkle  Fläche  ist  eine 
der  größten  und  deutlichsten  auf  dem  Mars,  und  sie  hat  schon  1659 
Huyghens  dazu  gedient,  die  Rotation  dieses  Planeten  zu  erkennen. 
Man  hat  sie  als  wirkliche  See  betrachtet,  und  in  der  Tat  zeigt  sie 
sich  in  großen  Ferngläsern  unter  sonst  günstigen  Bedingungen  von 
dunkel  blaugrünlicher  Farbe.  Der  wahre  Charakter  dieser  Fläche 
zeigte  sich  in  den  Beobachtungen  zu  Flagstaff  während  der  Opposi- 


Planeten.  81 

tion  von  1894.  Zunächst  ergaben  die  Untersuchungen  von  Prof. 
W.  H.  Pickering  keine  Polarisation  des  Lichtes  ihrer  Oberflache, 
während  die  südliche  Polarsee  des  Mars  solche  zeigte,  also  hier  das 
Vorhandensein  von  Wasser  erkennen  ließ,  das  man  auch  aus  andern 
Gründen  annehmen  möchte.  Dann  erschienen,  als  die  Jahreszeit  auf 
dem  Mars  f ortschritt,  in  der  Fläche  der  Syrtis  hellere  und  dunklere 
Flecke  ohne  Veränderung  der  Position,  und  schließlich  begann  das 
ganze  blaugrünliche  Areal  zusammenzuschwinden ,  ohne  daß  dafür 
in  der  Nähe  oder  anderwärts  entsprechende  dunkle  Flächen  sichtbar 
wurden.  Diese  Umstände  beweisen  in  ihrer  Gesamtheit»  daß  die  Syrte 
kein  Wasserozean  sein  kann,  sondern  wahrscheinlich  eine  mit  Vegeta- 
tion bedeckte  Fläche  ist,  deren  Aussehen  sich  der  Jahreszeit  ent- 
sprechend ändert  Lowell  zeigt  dies  im  einzelnen  und  behandelt  dabei 
auch  die  Wahrnehmungen  von  rhomboidalen,  heilern  Flächen  und 
langen,  dammähnlichen  Verbindungen,  von  denen  er  vier  besonders 
benennt:  Solls  Pons,  Lunae  Pons,  Pons  Gometarum  und  Pons  Stellaxum. 
Die  Aufhellungen  dieser  Flächen  schreibt  Lowell  der  Auftrocknung 
derselben  zu  und  die  reguläre  Form  der  Umfassung  durch  Kanäle. 
In  den  dunklen  Regionen  wurden  letztere  1894  zuerst  von  Douglass 
gesehen,  und  der  deutlichste  derselben  ist  der  Dosaron,  welcher  die 
große  Syrte  in  gerader  Linie  durchschneidet  und  sich  weithin  zwischen 
Hellas  und  Noachis  fortsetzt.  Er  ist  absolut  geradlinig  und  überall 
gleichförmig  breit,  mit  andern  Worten:  sein  Aussehen  spricht  durch- 
aus für  künstlichen  Ursprung.  In  einer  frühem  Saison  des  Mars- 
jahres sah  man  an  dieser  Stelle  eine  Art  Band  von  dunklerer  Farbe 
als  seine  Umgebung,  welches  die  Syrte  mit  der  südlichen  Polarsee 
verband.  Es  war  nicht  gerade,  noch  gleichförmig  breit,  zeigte  viel- 
mehr zufällige  Krümmungen,  kurz  es  bot  keinerlei  Ähnlichkeit  mit 
einer  künstlichen  Anlage.  Später  verblich  es  mehr  und  mehr,  und 
nachdem  die  Polarsee  verschwunden  war,  wurde  es  in  seinem  süd- 
lichen Teile  unsichtbar.  Als  es  ziemlich  abgebleicht  war,  zeigte  sich 
in  seiner  Mitte,  dieser  folgend,  der  Strich  des  Dosaron,  vom  untersten 
Ende  der  Syrte  beginnend  und  sich  über  das  ganze  Band  als  schnur- 
gerade Linie  forterstreckend  und  so  seinen  künstlichen  Ursprung 
deutlich  zur  Schau  tragend  (?).  Wenn  man  sich  vorstellt,  daß  zur  Zeit 
der  Oberschwemmung  Wasser  von  der  Polarsee  durch  die  mittlem  und 
daher  wohl  tiefem  Teile  der  Syrte  strömt  und  hier  Vegetationen  hervor- 
ruft, so  läßt  sich  nach  Lowell  der  feine  Strich  des  Dosaron  erklären  als 
künstlich  angelegter  Kanal,  der  diesem  Gebiete  noch  Wasser  aus  den 
Polgegenden  zuführt,  wenn  die  natürliche  Bewässerung  versagt  Eine 
zweite  Linie,  welche  von  dem  nämlichen  Punkte  wie  Dosaron  aus- 
geht, aber  sich  südwärts  nach  dem  mittlem  Hellas  hin  wendet  ist 
der  Orosines.  Wie  jener  ist  er  vollkommen  gerade,  genau  ebenso 
breit  (etwa  34  englische  Meilen),  und  gleichmäßig  und  ebenfalls 
offenbar  künstlichen  Ursprungs  (?).  Lowell  bemerkt  übrigens,  daß  die 
^anze  scheinbare  Breite  nicht  die  wahre  der  Kanäle  zu  sein  braucht, 


82  Planeten. 

diese  letztem  sind  weit  schmaler,  was  wir  sehen,  ist  eine  breite 
von  Vegetation  bedeckte  Fläche  rechts  und  links  von  dem  eigent- 
lichen Kanal.  In  seiner  Verlängerung  nach  Süden  trifft  der  Orosines 
übrigens  auf  den  großen  breiten  Kanal  Alpheus,  der  Hellas  in  süd- 
licher Richtung  ganz  durchquert  und  direkt  mit  der  südlichen  Polar- 
region in  Verbindung  tritt.  Noch  andere  Kanäle  zeigen  sich  im  Oe- 
biete  der  Syrte,  so  der  Hippus,  Erymanthus,  in  der  Syrtis  minor  der 
Galaesus,  femer  Hylias  und  Aeolus.  Wo  solche  Kanäle  zusammen- 
treffen, zeigen  sich,  wie  Douglass  gefunden,  rundliche  dunkle  Flecke^ 
ähnlich  den  von  Lowell  als  Oasen  bezeichneten  in  den  hellen 
Regionen  des  Planeten.  Es  ist  nach  dem  Beobachter  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  es  in  der  Tat  Regionen  sind,  wo  Vegetation  vorzugs- 
weise gedeiht,  weil  sich  Wasser  genug  findet.  Oberhaupt  spielt  das 
Vorhandensein  oder  Fehlen  des  Wassers  auf  dem  Mars  eine  augen- 
fälligere Rolle  in  bezug  auf  Vegetation  als  bei  uns ,  einerseits  weil 
es  dort  in  geringerer  Menge  vorhanden  ist  als  auf  der  Erde,  dann 
auch  weil  wahrscheinlich  die  mittlere  Lufttemperatur  nahe  der  Mars- 
oberfläche höher  ist  als  bei  uns.  Der  äquatoriale  Teil  des  Mars  ist 
eine  Wüste,  der  aber,  wie  Lowell  betont,  zur  Fruchtbarkeit  nichts 
fehlt  als  Wasser. 

Sehr  zahlreich  sind  auch  die  Beobachtungen  über  das  Aussehen 
der  Lichtgrenze  in  den  Randgegenden  des  Mars.  Es  wurden  frei- 
schwebende Wolken  wiederholt  wahrgenommen. 

Im  Monat  Febraar  des  Mars  wurden  in  20  bis  30  ^  südL  Br» 
auf  diesem  Planeten  ungeheure  Wolkenzüge  beobachtet,  die  sich  von 
S  nach  N  bewegten,  in  einer  Höhe  von  13  bis  24  km  über  der  Ober- 
fläche und  mit  einer  Geschwindigkeit  von  30  km  in  der  Stunde. 
Wad  man  auf  der  Erde  die  Kalmenregion  nennt,  die  Region  der 
stärksten  Auflockerung  der  Luft  infolge  der  Erwärmung,  lag  also 
damals  auf  dem  Mars  in  20  bis  30  ^  südl.  Br.  Freie  Wasserober- 
flächen sind  auf  diesem  Planeten  nur  vereinzelt  vorhanden;  bildeten 
sie  einen  großem,  zusammenhängenden  Ozean,  so  müßte  sich  die 
Sonne  darin  abspiegeln,  und  deren  Spiegelbild  würde  im  Femrohre 
sehr  deutlich  sichtbar  sein.  Solches  ist  jedoch  niemals  beobachtet 
worden.  Die  größte  Menge  von  Feuchtigkeit  findet  sich  in  den  Polar- 
regionen, vor  allem  der  südlichen;  auch  über  der  wärmsten  Zone  des 
Mars  muß,  wie  die  Wolken  ausweisen,  die  Luft  sehr  feucht  sein; 
die  geringste  Menge  derselben  enthalten  die  gemäßigten  Zonen.  Der 
Kreislauf  des  flüssigen  Elementes  auf  dem  Mars  wird  durch  die  Luft- 
ströme in  der  Atmosphäre  und  die  Kanäle  an  die  Oberfläche  unter- 
halten, die  treibende  Kraft  ist  natürlich  wie  bei  uns  die  Sonnen- 
wärme. Was  die  vertikale  Oberflächengestaltung  des  Mars  anbelangt, 
so  ist  dieser  Planet  weit  weniger  bergreich  als  die  Erde;  es  finden 
sich  auf  ihm  sehr  ausgedehnte  Ebenen,  ohne  welche  das  dortige  weit 
verzweigte  Kanalnetz  gar  nicht  möglich  wäre;  auch  umfangreiche 
Hochflächen  kommen  vor,  besonders  in  den  Polarregionen,   daneben 


Planeten.  83 

aber  nicht  minder  Einsenkimgen  von  beträchtlicher  Ausdehnung.  Lowell 
hat  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  eine  große  Karte  des  Mars  in 
Merkatorprojektion  entworfen,  welche  die  sämtlichen  wahrgenommenen 
Oberflächenteile  des  Planeten  und  die  ihnen  beigelegten  (335)  Namen 
enthält. 

Die  südliche  Polarkalotte  des  Mars.  Prof.  Barnard  machte^) 
einige  Mitteilungen  über  seine  Beobachtungen  der  südlichen  Eiszone 
des  Mars  während  der  Erdnähe  dieses  Planeten  in  den  Jahren  1892 
und  1894.  Neben  den  gewöhnlichen  Zeichnungen  des  Aussehens 
des  Planeten  hat  Prof.  Bamard  sorgfältige  Mikrometermessungen  des 
Durchmessers  der  Eiszone  während  beider  Oppositionen  ausgeführt 
Die  Berechnung  dieser  Messungen  ergab,  daß  während  beider  Oppo- 
sitionen die  Ausdehnung  der  Eiszone  sich  in  überraschend  gleicher 
Weise  verminderte,  und  zwar  bis  etwas  über  einen  Monat  nach  Be- 
ginn des  Sommers  auf  der  südlichen  Marshemisphäre.  Daraus  folgt, 
daß  die  Zeit  der  höchsten  Temperatur  auf  dem  Mars,  ähnlich  wie 
auf  der  Erde,  einen  oder  mehrere  Monate  nach  dem  höchsten  Sonnen- 
stande eintritt.  Prof.  Barnard  ist  femer  der  Meinung,  daß  die  weiße 
Farbe  der  Polarzone  tatsächlich  von  Schneemassen  herrührt. 

Eine  Wolke  auf  dem  Mars.  Auf  dem  Lowellobservatorium 
zu  Flagstaff  in  Arizona  hat  Slipher  am  26.  Mai  8  ^  35  "^  (Mountainzeit) 
eine  große  Projektion  auf  dem  Mars  gesehen  im  Positionswinkel  von 
200 ^  sie  war  35  Minuten  lang  sichtbar,  ihre  Position  auf  der 
Marskugel  war  in  22^  nördl.  Br.  und  37^  westl.  L.  P.  Lowell 
erklärte  die  Erscheinung  für  eine  ungeheure  Wolke,  die  sich  nord- 
wärts bewegte  und  dabei  auflöste.  Höchst  wahrscheinlich  damit  in 
einem  gewissen  Zusammenhange  steht  eine  von  W.  F.  Denning  zu 
Bristol  gemachte  Wahrnehmung.^  Derselbe  fand  am  19.  und  21.  Mai 
die  Syrtis  major  auf  dem  Mars  abnorm  dunkel,  fast  schwarz.  In 
der  letztem  Nacht  erschien  die  Region  unmittelbar  südlich  davon 
überaus  hell  und  wie  bedeckt  mit  kleinen  lichten  Wölkchen.  Am 
23.  und  24.  Mai  schien  Syrtis  major  eine  merkliche  Veränderung  er- 
litten zu  haben,  sie  war  ungewöhnlich  schwach  sichtbar,  anscheinend 
überzogen  mit  einem  stark  reflektierenden  Material.  Ihre  Umrisse 
waren  nicht  leicht  zu  erkennen,  obgleich  andere  Details  wie  Nilo- 
syrtis,  Euphrates  usw.  leicht  sichtbar  waren. 

Die  Harskanäle  ais  optische  Täuschungren.  J.  E.  Evans 
und  E.  W.  Maunder  haben  Versuche  angestellt,  aus  denen  sie  schließen, 
daß  die  als  Kanäle  bezeichneten  feinen  Linien  der  Marsscheibe  in 
Wirklichkeit  gar  nicht  vorhanden,  sondern  nur  Augentäuschungen  sind.^) 


*)  Astrophys.  Journal  17.  Nr.  4. 

^  Astron.  Nachr.  Nr.  8874. 

•)  Monthly  Noüces  1908.  6S.  Nr.  8.  p.  488.  Sirius  1908  p.  200. 

Klein,  Jahrbuch  XIV.  8 


84  Planeten. 

Die  von  den  beiden  genannten  Astronomen  yeranstalteten  Versuche 
wurden  in  folgender  Weise  ausgeführt:  Eine  kreisrunde  Scheibe,  die  je  nach 
den  Umständen  zwischen  8.1  bis  6.8  Zoll  Durchmesser  hatte,  wurde  vor 
einer  Klasse  von  Schulknaben  zum  Abzeichnen  aufgestellt.  Die  Knaben 
waren  in  verschieden  abgemessenen  Entfernungen  von  der  Scheibe  postiert. 
Jeder  erhielt  ein  Stück  Zeichenpapier,  auf  welchem  ein  Kreis  gezeichnet 
war,  und  sie  wurden  dahin  unterrichtet,  in  diesen  Kreis  alle  Einzdheiten 
einzuzeichnen,  die  sie  auf  der  Scheibe  wahrnehmen  könnten.  Keinerlei  An- 
deutung war  ihnen  gegeben,  ob  auf  dieser  Scheibe  Punkte,  Fledce  oder 
Streifen  zu  sehen  seien,  auch  wurden  sie  beim  Zeichnen  sorgfältig  überwacht, 
so  daß  niemand  von  seinen  Nachbarn  beeinflußt  werden  konnte.  Alle  waren 
völlig  unbekannt  mit  den  Abbildungen  des  Mars,  wie  solche  an  den  großen 
Femrohren  erhalten  worden  sind,  und  wußten  überhaupt  nicht,  um  was  es 
sich  eigentlich  handelte ;  sie  sollten  lediglich  nur  das  zeichnen,  was  sie  auf 
der  entfernten  Scheibe  sahen.  Auf  dieser  Scheibe  war  vorzugsweise  der- 
ienige  Teil  der  Marsoberfläche  gezeichnet,  den  Green  auf  seine  Karte  als 
Beer-Kontinent  eingetragen,  und  welcher  die  sehr  charakteristischen  dunklen 
Flecken  enthält,  welche  als  Syrtis  Major  und  Dawes  Forked  Bay  bekannt 
sind.  Letztere  entspricht  dem  in  2  Spitzen  auslaufenden  südlichen  Ende 
des  von  Schiaparelli  als  Sinus  Sabaeus  bezeichneten  dunklen  Fleckes.  Die 
Zeichnung  dieser  Flecken  war  dunkel  auf  hellem  Grunde  mit  matten,  unregel- 
mäßig zerstreuten  Punkten,  aber  alles  bestimmt  und  hart  gezeichnet,  ohne 
die  leiseste  Spur  von  dem,  was  man  als  Kanal  zu  bezeichnen  pflegjk.  Es 
wurden  übrigens  zu  den  verschiedenen  Versuchen  auch  verschiedene 
Zeichnungen  auf  der  Scheibe  benutzt,  nach  Originalen  von  Schiaparelli  und 
Lowell  aber  mit  Fortlassung  der  Kanallinien.  Die  Knaben  zeichneten  in 
fast  allen  Fällen  feine,  geradlinige  Kanäle,  die  durchaus  mit  deinenigen  in 
den  Zeichnungen  der  Marskarte  übereinstimmen.  So  zeichneten  20  iSiaben 
in  dem  1.  Versuche  folgende  Kanäle :  Argaeus,  Amon,  Deuteronilus,  Kison, 
Pierius,  Protonilus,  Pyramus. 

Die  sämtlichen  Knaben,  mit  Ausnahme  eines  einzigen,  zeichneten  Dawes 
Forked  Bay  als  zweispitzig,  während  die  Zeichnung  der  beiden  Zweige  ihnen 
unter  Sehwinkel  von  280"  bis  140^'  erschien.  Von  kleinen  runden  Flecken 
wurde  keiner  unter  84"  isoliert  erkannt,  obgleich  sie  dunkelschwarz  auf 
hellem  Grunde  standen.  In  einem  andern  Versuche  wurden  die  Knaben  in 
8  Reihen  geordnet,  die  in  verschiedenen  Distanzen  von  der  Scheibe  sich 
befanden. 

Die  nachstehende  kleine  Tabelle  enthält  unter  I  die  Bezeichnungen  der 
8  Reihen,  unter  n  die  Zahl  der  Knaben  in  jeder  derselben,  unter  m  den 
Abstand  der  Reihen  von  der  Scheibe  in  englischen  Fuß  und  unter  IV  den 
Winkel,  unter  welchem  die  Scheibe  in  jeder  Reihe  erschien. 

I  u       m  rv 

a 2  17  lOB' 

b 3  19  94 

c 4  22V9  80 

d 8  24  75 

e 8  28Vji  63 

f 4  32V,  55 

g 4  84Vfl  52 

h 11  37V«  48 

Die  Ergebnisse  aus  diesen  Versuchen  sind  höchst  instruktiv.  Die  Knaben 
in  der  Reihe  a  waren  gerade  in  derjenigen  Entfernung,  in  welcher  das  feine 
Detail  der  Scheibe  begann,  das  Aussehen  von  Linien  (resp.  Kanälen)  an- 
zunehmen. In  der  Reihe  b  sah  ein  Schüler  das  Detail  in  seiner  wahren 
Gestalt,  einem  andern  erschien  es  kanalfönnig,  dem  dritten  unvollkommen 
als  Kanallinien.  In  den  Reihen  c  und  d  sahen  alle  einige  Kanäle,  mehrere 
Knaben  aber  nur  teilweise.    In  Reihe  e  waren  die  Kanäle  nicht  völlig  so 


Planeten.  85 

gat  dohtbar,  ob|deioh  jeder  Schüler  etwas  davon  sah.  Die  Reihe  I  sah  sehr 
wenige  Kanäle,  Reihe  g  eine  ziemliche  Anzahl  derselb.en,  die  meisten  in  der 
Reihe  h  sahen  dagegen  nichts  von  Kanälen  oder  diesen  ähnlichen  Figaren. 
Die  Zeichnungen  der  Knaben  in  den  Reihen  a  und  b  waren  besonders  in- 
struktiv, denn  sie  zeigten,  daß  die  wirklichen  Details,  nämlich  sewundene, 
fiußähnliche  Streifen  und  die  zerstreuten  Punkte  als  solche  eben  in  die 
Grenze  der  Wahmehmbarkeit  traten  oder  sich  in  kanalähnliche  Linien  zu 
verschmelzen  begannen.  Im  ganzen  wurden  auf  der  vorgezeichneten  Scheibe 
12  Kanäle  von  den  Schülern  vermeintlich  gesehen  und  nachgezeichnet,  und 
der  Vergleich  mit  den  Karten  von  Schiaparelli  usw.  ergab  hinterher,  daß 
diese  imaginären  Kanäle  sich  tatsächlich  auch  meist  auf  diesen  Karten 
fanden. 

Eine  charakteristische  Tatsache  ist,  daß  11  Schüler  die  abgetonte  Land- 
schaft Meroe  durch  eine  Linie  abschlössen,  welche  genau  dem  Laufe  des 
Kanals  Astusapes  entspricht.  Die  ganze  Landschaft  trat  nicht  klar  genug 
hervor,  um  in  den  entferntem  Reihen  deutlich  e^annt  zu  werden,  nur 
ein  Knabe  in  g,  einer  in  h  (aber  keiner  in  f)  erkannten  den  Kanal  Astusapes 
d.  h.  zeichneten  einen  solchen,  erkannten  aber  nicht,  daß  Meroe  eine  ab- 
geschattete Landschaft  ist  Von  den  näher  sitzenden  Knaben  zeichneten 
im  ffanzen  50^/o  den  Astusapes  und  nur  15%  die  abgeschattete  Fläche  als 
solcne.  Eine  Anzahl  Knaben,  die  aus  der  Reihe  b  in  die  Reihe  h  versetzt 
wurden,  waren  in  dieser,  sei  es  nach  der  Erinnerung  oder  durch  die  gewonnene 
Praxis,  besser  imstande,  Kanäle  zu  sehen,  als  die  Knaben,  die  von  Anfang 
an  in  Reihe  h  gesessen  hatten.  Von  einer  Verdopplung  der  Kanäle  war 
im  allgemeinen  auf  den  Zeichnungen  der  Knaben  mchts  zu  finden,  nur  in 
2  Fällen  hatte  ein  Knabe  aus  91  ^j^  und  ein  andrer  aus  25Vt  Fuß  Ent- 
fernung einen  Kanal  doppelt  gezeichnet,  und  zwar  merkwürdigerweise  in 
beiden  FäUen  den  Hiddekel.  In  einem  Versuche,  bei  welchem  eine  Lowellsche 
Maiszeichnung  mit  den  Oasen  aber  ohne  Kanäle  vorgehalten  wurde,  sahen 
und  zeichneten  die  Knaben  statt  der  Oasenfleckchen  Kanäle,  und  zwar 
sehr  deutlich  und  scharf  ausgesprochen.  Nur  ausnahmsweise,  aus  Ent- 
fernungen von  28%  und  37 V«  Fuß,  wurden  auch  Oasen  gezeichnet.  Auf 
die  Einzelheiten  von  vielen  andern  Versuchen,  welche  Evans  und  Maunder 
mitteilen,  braucht  hier  nicht  weiter  eingegangen  zu  werden.  Diese  Astronomen 
sagen,  daß,  indem  sie  die  sämtlichen  von  ihnen  veranlaßten  Reihen  von 
Experimenten  nochmals  überschauen,  es  unmö^ch  sei,  der  Schlußfolgerung 
zu  entgehen,  daß  Linien,  welche  alle  charakteristischen  Merkmale  der  Mars- 
kanäle besitzen,  von  vollständig  unbefangenen,  scharfsichtigen  Beobachtern 
auf  Objekten  gesehen  werden  können,  die  tatsächlich  durchaus  keine  solchen 
Linien  aufweisen.  Es  sind  diese  Wahrnehmungen  dann  keinesw^s  Ein- 
bildungen, sondern  durch  das  Auge  veranlaßte  Verbindungen  von  Formen, 
die  tatsächlich  einen  ganz  andern  Charakter  besitzen.  Die  Vermutung  von 
Green,  daß  die  Kanäle  durch  die  Aneinandergrenzung  verschiedener  ab- 
geschatteter Flächen  vorgetäuscht  würden,  gewinnt  durch  die  Versuche  von 
Evans  und  Maunder  eine  Stütze.  Die  ergiebigste  Quelle,  aus  der  die  kanal- 
ähnlichen Eindrücke  hervorgehen,  ist  aber  die  Tendenz  der  Wahrnehmung, 
sehr  kleine  Punkte  miteinander  zu  verbinden.  Noch  ist  hervorzuheben,  daß 
bei  Wiederholung  der  Versuche  mit  den  nämlichen  Knaben  sich  eine  Tendenz 
der  letztem  offenbarte,  mehr  Kanäle  als  früher  zu  zeichnen,  obgleich  sie 
nicht  wußten,  worauf  es  ankam,  und  ihnen  stets  eingeschärft  wurde,  nur  das 
EU  zeichnen,  was  sie  deutlich  sähen.  Mehrere  Knaben  sahen  später  aus 
größerer  Entfernung  mehr  Kanäle  als  früher  aus  geringerer. 

In  Übereinstimmung  mit  mehrem  andern  Versuchen  über  die  Grenzen 
der  Wahmehmbarkeit  kommen  Evans  und  Maunder  zu  dem  Ergebnisse,  daß 
Objekte  nahe  dieser  Grenze  in  2  Klassen  zu  trennen  sind,  nämlich  in 
Punkte  und  Linien.  Was  die  Sichtbarkeit  einer  geraden  Linie  anbelangt, 
so  ist  dieselbe  vorhanden,  wenn  bei  einer  genügenden  Länge  die  Breite 

8» 


36  Planeten. 

^/j.  vom  Durchmesser  des  kleinsten  noch  sichtbaren  Punktes  beträgt.  Eine 
solche  Linie  kann  also  noch  wahrgenommen  werden,  wenn  ihre  Breite  weit 
unter  der  Sichtbarkeitsgrenze  für  jede  andere  Gestalt  liegt.  Wenn  daher  die 
Oberfläche  des  Mars  in  Wirklichkeit  mit  einer  Reihe  gerader  Linien  bedeckt 
ist,  wie  sie  die  Karten  von  Schiaparelli  und  Lowell  zeigen,  so  könnte  über 
ihre  Existenz  als  solche  kein  Zweifel  sein,  jeder  Beobachter  würde  sie  er- 
kennen. Die  Schlußfolgerung  von  Evans  und  Maunder  iist  aber,  daß  die 
Marskanäle  in  einigeu  Fällen,  wie  Green  vermutete,  durch  die  Grenze  von 
ungleich  abgeschatteten  Flächenteilen  vorgetäuscht  werden,  in  den  meisten 
Fallen  aber  einfach  durch  optische  Aneinanderreihung  (»Integration«)  von 
Details  entstehen,  welche  zu  klein  sind,  um  einzeln  wahrgenommen  zu  werden. 
>Die  Beobachter  des  Mars,  welche  während  der  letzten  25  Jahre  dessen 
Kanäle  zeichneten,  haben  gezeichnet,  was  sie  sahen,  aber  die  Kanäle,  welche 
sie  sahen,  haben  keine  realere  Existenz  als  die,  welche  die  Greenwicher 
Schulknaben  sich  einbildeten  auf  den  Vorlagen  zu  sehen,  und  die  sie  dem- 
gemäß zeichneten.«  Das  ist  der  Schluß,  zu  dem  Evans  und  Maunder  durch 
ihre  Experimente  geführt  worden  sind. 

Der  Llehtwechsel  der  Jupitermonde  beim  Vorfibergangre 
VOF  der  Jupiterscheibe  ist  von  H.  Kloht  an  Modellen  studiert 
worden.^)  Die  Jupitermonde  sind  beim  Vorübergange  vor  der  Jupiter- 
soheibe  bekanntlich  zuerst  als  helle  Scheibchen  sichtbar,  nehmen 
dann  schnell  an  Helligkeit  ab,  bis  sie  etwa  bei  Y15  ^^^  Durch- 
messers der  scheinbaren  Jupiterscheibe  unsichtbar  werden  und  darauf 
in  der  Mitte  derselben  als  dunkle  runde  Flecke  wieder  erscheinen; 
worauf  im  weitern  Verlaufe  des  Vorüberganges  der  Lichtwechsel 
in  umgekehrter  Reihenfolge  auftritt. 

Durch  irgendwelche  zeitweisen  Veränderungen  an  den  Monden 
selbst,  wie  Fleckenbildung  usw.,  kann  dieser  regelmäßige  Wechsel 
in  der  Helligkeit  und  Sichtbarkeit  derselben  nicht  erklärt  werden. 
Das  Zusammenfallen  der  ganzen  Erscheinung  mit  der  Dauer  eines 
Vorüberganges,  und  die  umgekehrte  Reihenfolge  des  Lichtwechsels 
in  der  2.  Hälfte  des  Vorüberganges  deuten  vielmehr  darauf  hin,  daß 
der  Lichtwechsel  der  Monde  eine  optische  Täuschung  ist,  welche  durch 
die  Kugeloberfläche  Jupiters  hervorgerufen  wird. 

Die  Beleuchtung  einer  Fläche  ist  bekanntlich  am  stärksten, 
wenn  die  Lichtstrahlen  senkrecht  auf  dieselbe  auffallen,  während 
bei  schräg  einfallendem  Lichte  die  Beleuchtung  sich  verhält  wie 
der  Sinus  des  Neigungswinkels,  den  die  einfallenden  Strahlen  mit 
der  beleuchteten  Fläche  bilden. 

Dementsprechend  ist  die  Beleuchtung  einer  Kugel  im  Ober- 
flächenmittelpunkte der  der  Lichtquelle  zugewendeten  Halbkugel,  wo 
die  Lichtstrahlen  senkrecht  auffallen,  am  stärksten  und  wird  nach 
dem  Rande  derselben  wegen  der  kontinuierlichen  Abnahme  des 
Neigungswinkels,  den  die  einfallenden  Lichtstrahlen  mit  der  Kugel- 
oberfläche bilden,  beständig  schwächer,  bis  sie  am  Rande  selbst, 
wo  die  Oberfläche  nur  noch  tangential  von  den  Lichtstrahlen  berührt 
wird,  gänzlich  aufhört 


1)  Sirius  1908,  p.  26. 


Planeten.  87 

Für  die  Erklärung  der  in  Rede  stehenden  Erscheinung  kommt 
jedoch  nicht  das  auffallende,  sondern  das  reflektierte  Licht  in  Be- 
tracht. Wenn  nun  auch  für  die  Beurteilung  der  von  einer  beleuch- 
teten Eugeloberfläche  reflektierten  Lichtmenge  kein  ebenso  einfacher 
Satz  zu  Gebote  steht,  wie  dies  hinsichtlich  der  Beleuchtung  der  Fall 
ist,  80  muß  doch  immerhin  die  Annahme  als  zutreffend  angesehen 
werden,  daß  von  den  einzelnen  Punkten  einer  einseitig  beleuchteten 
total  reflektierenden  Eugeloberfläche  nicht  mehr  Licht  reflektiert 
werden  kann,  als  auffällt,  und  daß  deshalb  die  Randzone  der  der 
Lichtquelle  und  dem  Beobachter  zugewendeten  Halbkugel,  der  schrägen 
Beleuchtung  entsprechend,  weniger  hell  erscheinen  muß,  als  die  senk- 
recht beleuchtete  Zentralgegend  derselben.  Infolge  seitlicher  Reflexion 
gelangt  zwar  nur  ein  Teil  des  auffallenden  Lichtes  in  das  Auge  des 
Beobachters,  aber  das  Verhältnis  dieser  reflektierten  Lichtmenge  zur 
gesamten  auffallenden  Lichtmenge  muß  bei  einer  gleichmäßig  be- 
schaffenen total  reflektierenden  Kugeloberfläche  an  allen  Stellen  der- 
selben das  gleiche  sein,  und  die  Helligkeit  der  beleuchteten  Hemi- 
sphäre deshalb  nach  ihrem  Rande  zu  in  demselben  Verhältnis  ab- 
nehmen wie  die  Beleuchtung» 

Diese  Folgerung  befindet  sich  zwar  nicht  in  Übereinstimmimg 
mit  dem  photometrischen  Satze,  nach  welchem  eine  leuchtende  Kugel 
als  gleichmäßig  helle  Scheibe  erscheinen  muß;  aber  für  eine  mit 
reflektiertem  Lichte  leuchtende  Kugel  trifft  dieser  Satz  nur  dann  zu, 
wenn  die  beleuchtete  Oberfläche  derselben  mit  zahlreichen  erheblichen 
Unebenheiten  besetzt  ist  Bei  einer  regelmäßig  gekrümmten  total 
reflektierenden  Eugeloberfläche  ist  der  Lichtabfall  nach  dem  Rande 
der  beleuchteten  Halbkugel  deutlich  sichtbar.  Um  aber  den  ganzen 
Umfang  desselben  wahrzunehmen,  ist  es  notwendig,  daß  die  Kugel 
vor  weißem  und  nicht  vor  schwarzem  Hintergrunde  aufgestellt  wird. 
Wird  dieser  Bedingung  genügt,  so  tritt  der  Lichtabfall  schon  bei 
gewöhnlichem  Tageslichte  deutlich  hervor. 

Wenn  demnach  ein  Jupitermond  vor  der  Mitte  der  scheinbaren 
Jupiterscheibe  vorübergeht,  muß  vermöge  des  hellen  Untergrundes  der 
Lichtabfall  an  demselben  sichtbar  werden.  Eine  Lichtabnahme  nach 
dem  Rande  der  scheinbaren  Scheibe  ist  zwar  auch  bei  Jupiter  vor- 
handen, obwohl  dieselbe  wegen  des  dunklen  Untergrundes  nur 
schwach  wahrnehmbar  ist,  aber  bei  einem  Jupitermonde  ist  dieser 
Lichtabfall  wegen  der  starkem  Oberflächenkrümmung  weit  größer, 
als  bei  der  dem  Durchmesser  desselben  entsprechenden  Scheibe  der 
zentralen  Jupiteroberfläche;  indem  bei  dem  kleinem  Monde  der  an 
einer  Halbkugel  auftretende  Lichtabfall  in  seinem  vollen  Umfange 
zur  Geltung  kommt,  während  bei  der  zentralen  Jupiteroberfläche, 
auf  welche  der  Mond  projiziert  erscheint,  ein  Lichtabfall  nicht  vor- 
handen, oder  wenigstens  nicht  wahrnehmbar  ist. 

Wegen  des  verhältnismäßig  geringen  Durchmessers  des  Jupiter- 
mondes  vermag   aber   das  Auge   den   hellen   zentralen  Teil  und  die 


38  Planeten. 

dunkle  Randzone  des  scheinbaren  Scheibchens  desselben  nicht  aus- 
einander zu  halten  und  sieht  letzteres  deshalb  mit  einer  mittlem 
Helligkeit,  welche  geringer  sein  muß,  als  die  der  zentralen  Jupiter- 
oberfläche. Der  Mond  muß  daher  vor  der  Bfitte  der  scheinbaren 
Jupiterscheibe  als  dunkler  runder  Fleck  erscheinen.  Es  sei  denn, 
daß  der  Vorübergang  vor  einem  dunklen  Streifen  der  Jupiterober- 
fläche erfolgt,  und  hierdurch  eine  Modifikation  der  Erscheinung  be- 
dingt wird. 

Wenn  der  Mond  dagegen  auf  den  Rand  der  scheinbaren 
Jupiterscheibe  projiziert  gesehen  wird,  so  tritt  die  umgekehrte  Er- 
scheinung ein.  Die  Beleuchtung  des  Mondes  ist  in  dieser  Stellung 
dieselbe,  wie  in  seiner  Zentralstellung.  Es  muß  daher  auch  seine 
Helligkeit  dieselbe  geblieben  sein.  Dagegen  ist  die  Helligkeit  der 
Jupiteroberfläche  am  Rande  der  sichtbaren  Halbkugel  wegen  der 
sehr  schrägen  Beleuchtung  erheblich  geringer,  als  im  Oberflächen- 
mittelpunkte derselben,  und  da  femer  der  Mond  in  seinem  Oberflächen- 
mittelpunkte die  gleiche  Helligkeit  hat,  wie  die  Mitte  der  scheinbaren 
Jupiterscheibe,  so  muß  die  aus  Rand-  und  Zentralgegend  der  sicht- 
baren Mondoberfläche  resultierende  mittlere  Helligkeit  des  Mondes 
die  Helligkeit  der  Jupiteroberfläche  am  Rande  der  sichtbaren  Halb- 
kugel übertreffen.  Der  Mond  muß  demnach  sowohl  unmittelbar  nach 
seinem  Eintritte  in  die  scheinbare  Jupiterscheibe,  als  auch  unmittel- 
bar vor  seinem  Austritte  aus  derselben  als  helles  Scheibchen  sicht- 
bar sein. 

Der  Lichtabfall  an  der  sichtbaren  Jupiterhalbkugel  ist  wegen 
des  dunklen  Hintergrundes  zwar  nur  in  geringem  Grade  wahrnehm- 
bar, aber  der  zwischen  dem  Monde  und  dem  Rande  der  scheinbaren 
Jupiterscheibe  in  Wirklichkeit  bestehende  Helligkeitsunterschied  wird 
durch  diese  optische  Täuschung  nicht  aufgehoben. 

Zwischen  Mitte  und  Rand  der  scheinbaren  Jupiterscheibe  muß 
die  Helligkeit  der  Jupiteroberfläche  infolge  der  schrägen  Beleuchtung 
an  einer  bestimmten  Stelle  aber  gerade  so  weit  abgenommen  haben, 
daß  dieselbe  weder  größer,  noch  geringer  ist,  als  die  mittlere  Hellig- 
keit des  vorübergehenden  Mondes.  Letzterer  kann  daher  an  dieser 
Stelle  weder  als  dimkles,  noch  als  helles  Scheibchen  erscheinen, 
sondern  muß  unsichtbar  bleiben. 

Findet  der  Vorübergang  lediglich  vor  hellem  Untergrunde,  also 
nicht  vor  einem  dunklen  Streifen  der  Jupiteroberfläche  statt,  und 
wird  angenommen,  daß  letztere  an  allen  bei  dem  Vorübergange  in 
Frage  kommenden  Stellen  gleichmäßig  gekrümmt  ist  und  gleiche 
Reflexionsfähigkeit  besitzt,  so  ist  sowohl  die  Lage  der  Stelle  der 
Jupiteroberfläche,  an  der  das  Unsichtbarwerden  des  Mondes  eintritt, 
als  auch  der  Helligkeitsunterschied  zwischen  dem  Monde  und  der 
Jupiteroberfläche  bei  der  Zentral-  und  Randstellung  des  erstem  an- 
nähernd bestimml 


Planeten.  39 

Die  Oberfläche  einer  Kugel  ist  bekanntlich  viermal  so  groß, 
als  die  Flache  eines  größten  Kreises  derselben  Kugel.  Mithin  ist 
die  Oberfläche  der  beleuchteten  Halbkugel  des  Mondes  zweimal  so 
groß,  als  der  von  demselben  verdeckte  kreisförmige  Teil  der  zen- 
tralen Jupiteroberfläche,  wenn  man  letztem  als  eben  betrachtet,  was 
ohne  großen  Fehler  geschehen  kann.  Das  den  Jupitermond  treffende 
Sonnenlicht  ist  mithin  auf  eine  doppelt  so  große  Fläche  verteilt,  als 
wie  dies  bei  der  dem  Durchmesser  desselben  entsprechenden  Scheibe 
der  zentralen  Jupiteroberfläche  der  Fall  ist  Die  aus  Rand-  und 
Zentralgegend  der  beleuchteten  Mondoberfläche  resultierende  mittlere 
Helligkeit  des  Jupitermondes  kann  demnach  auch  nur  gleich  ^/,  der- 
jenigen der  zentralen  Jupiteroberfläche  sein,  wenn  man  für  die  Ober- 
flächen beider  Himmelskörper  regelmäßige  Krümmung  und  gleiche 
Reflexionsfähigkeit  anninmit 

Bezeichnet  man  nun  die  Helligkeit  der  Jupiteroberfläche  in  der 
Mitte  mit  1  und  am  Rande  der  sichtbaren  Halbkugel  mit  0,  so  wird 
die  dazwischen  liegende  Oberfläche  an  derjenigen  Stelle  gleiche 
Helligkeit  mit  dem  Monde  haben,  an  der  die  Beleuchtung  wegen  der 
schräge  auffallenden  Lichtstrahlen  bis  zu  ^/,  der  senkrechten  Be- 
leuchtung in   der  Mitte   der  sichtbaren  Oberfläche  abgenommen  hat 

Da  aber  die  Beleuchtung  einer  Fläche  bei  schräge  auffallendem 
Lichte  dem  Sinus  des  Neigungswinkels  proportional  abnimmt,  und  der 
Sinus  von  30®  gleich  ^/^  ist,  so  muß  die  Beleuchtung,  resp.  Hellig- 
keit der  Jupiteroberfläche  an  deijenigen  Stelle  gleich  ^/,  der  zen- 
tralen Oberflächenhelligkeit  des  Planeten  sein,  an  der  die  einfallenden 
Lichtstrahlen  die  Oberfläche  desselben  unter  einem  Winkel  von  30® 
treffen.  Die  Orte  der  Jupiteroberfläche  aber,  welche  unter  einem 
Neigungswinkel  von  30®  beleuchtet  werden,  liegen  in  einem  Ab- 
stände von  60®  um  den  Oberflächenmittelpunkt  der  beleuchteten 
Halbkugel 

Den  an  dieser  Stelle  von  dem  Monde  verdeckten  Teile  der 
Jupiteroberfläche  kann  man  ohne  großen  Fehler  als  eben  und  als 
Ellipse  ansehen,  deren  kleine  Achse  gleich  dem  Durchmesser  des 
Mondes,  und  deren  große  Achse  gleich  dem  doppelten  Durch- 
messer desselben  ist.  Die  Fläche  dieser  Ellipse  ist  demnach  gleich 
der  Oberfläche  der  beleuchteten  Halbkugel  des  Mondes.  Die  gleiche 
Lichtmenge  ist  somit  an  dieser  Stelle  bei  beiden  Himmelskörpern 
auf  gleiche  Flächen  verteilt,  und  nimmt  man  für  beide  Oberflächen 
regelmäßige  Krümmung  und  gleiche  Reflexionsfähigkeit  an,  so  müssen 
die  gleich  großen  Flächen  auch  gleich  hell  erscheinen.  Der  Mond 
kann  an  dieser  Stelle  mithin  nicht  wahrgenommen  werden. 

Für  die  Randstellung  des  Mondes,  wenn  derselbe  eben  voll  in 
die  scheinbare  Jupiterscheibe  eingetreten  ist  oder  unmittelbar  vor 
dem  Austritte  den  innem  Rand  derselben  berührt,  ist  die  mittlere 
Helligkeit  der  von  dem  Monde  verdeckten  Jupiteroberfläche  ebenfalls 
annähernd  bestimmt 


40  Planeten. 

Nimmt  man  den  Äquatorialdurchmesser  Jupiters  zu  145  100  km 
und  den  Durchmesser  des  1.  Mondes  zu  3950  km  an,  so  ergibt  sich 
bei  der  Randstellung  des  letztem  für  diejenigen  die  Oberfläche 
Jupiters  treffenden  Lichtstrahlen,  welche  den  Mond  an  der  der  Mitte 
der  scheinbaren  Jupiterscheibe  zugewendeten  Seite  tangieren,  ein 
Neigungswinkel  von  rund  19^,  dessen  Sinus  abgerundet  gleich  0.32 
ist.  Die  mittlere  Helligkeit  des  vom  Monde  verdeckten  Teiles  der 
Jupiteroberfläche  beträgt  demnach  0.16  der  zentralen  Helligkeit  der- 
selben, und  da  femer  die  Helligkeit  des  Mondes  gleich  0.5  der  zen- 
tralen Helligkeit  Jupiters  ist,  so  erscheint  uns  der  1.  Mond  in 
seiner  Randstellung  ungefähr  dreimal  so  hell  als  die  mittlere  Hellig- 
keit der  dem  Durchmesser  des  Mondes  entsprechenden  Randzone  der 
scheinbaren  Jupiterscheibe,  auf  welche  wir  den  Mond  projiziert 
sehen. 

Die  dieser  Betrachtung  zugrunde  gelegte  ideale  Gestalt  und 
Beschaffenheit  der  Jupiteroberfläche  kann  zwar  nicht  als  in  Wirk- 
lichkeit vorhanden  angenommen  werden,  aber  aus  der  Tatsache,  daß 
die  Erscheinung  des  Lichtwechsels  der  Monde  bei  den  Vorübergängen 
—  sofem  letztere  nicht  vor  einem  dunklen  Streifen  der  Jupiterober- 
fläche stattfinden  —  im  allgemeinen  mit  der  vorstehenden  Betrach- 
tung übereinstimmt,  muß  doch  entnommen  werden,  daß  die  Ungleich- 
mäßigkeiten  der  Jupiteroberfläche  im  Verhältnis  zur  Größe  und 
Entfernung  dieses  Planeten  in  der  Regel  klein  sind  und  deshalb 
keinen  erheblichen  störenden  Einfluß  auf  den  Lichtabfall  an  der  be- 
leuchteten Jupiterhemisphäre  haben. 

Kann  der  zahlenmäßigen  Erörterung  über  den  zwischen  Mond- 
und  Jupiteroberfläche  an  den  verschiedenen  Stellen  des  Vorüber- 
ganges bestehenden  Helligkeitsunterschied,  wegen  der  in  Wirklichkeit 
vorhandenen  Ungleichmäßigkeiten  und  Verändemngen  der  Jupiter- 
oberfläche auch  kein  absoluter  Wert  beigemessen  werden,  so  geht 
aus  der  Betrachtung  doch  hervor,  daß  ein  Lichtwechsel  der  Jupiter- 
monde während  ihres  Vorüberganges  vor  der  scheinbaren  Jupiter- 
scheibe in  Wirklichkeit  nicht  besteht,  sondern  eine  optische  Täuschung 
ist,  welche  dadurch  hervorgerufen  wird,  daß  der  mit  der  Kugel- 
gestalt verbundene  Lichtabfall  an  den  Monden  so  lange  nicht  wahr- 
nehmbar ist,  als  selbige  auf  dunklem  Untergrunde  neben  Jupiter, 
oder  vor  dem  dunklen  Rande  desselben  gesehen  werden,  und  während 
des  Vorüberganges  um  so  mehr  hervortritt,  je  mehr  sich  die  Monde 
der  Mitte  der  scheinbaren  Jupiterscheibe  nähern,  d.  h.  je  mehr  die 
Helligkeit  der  letztem  zunimmt. 

Um  die  Richtigkeit  dieser  Erklärong  zu  prüfen,  hat  Kloht  einige 
Kugeln  mit  total  reflektierender  Oberfläche  fertigen  lassen,  welche 
in  demselben  Größenverhältnis  zueinander  stehen,  wie  Jupiter  und 
seine  Monde,  und  hat  an  und  mit  denselben  sowohl  den  Lichtabfall 
von  der  Mitte  nach  dem  Rande  der  scheinbaren  Scheiben,  als  auch 
die  gleichen  Helligkeitsschwankungen  festgestellt,  welche  man  bei  den 


Planeten.  41 

Yorübergängen  der  Jupitermonde  vor  der  scheinbaren  Jupiterscheibe 
wahmimnit. 

Heller  Fleck  auf  der  SaturnkusreL  Am  23.  Juni  sah 
Prof.  Barnard  auf  der  Lickstemwarte,  nördlich  von  der  Mitte  der 
Saturnscheibe  einen  hellen  Fleck,  den  nach  telegraphischer  Benach- 
richtigung auch  Dr.  Hartwig  auf  der  Remeissternwaite  zu  Bamberg 
sah.  Am  27.  Juni  moiigens  2  Uhr  20  Minuten  mittlerer  Zeit  von 
Bamberg  stand  dieser  Fleck  oder  weiße  Streifen  mitten  auf  der 
Satumscheibe. 

Der  Durchmesser  des  Saturnmondes  Titan.  In  astrono- 
mischen Schriften  wird  gewöhnlich  angegeben,  der  Durchmesser  dieses 
Trabanten  betrage  wahrscheinlich  3-  bis  4000  Miles  (ä  1609.3  w). 
Dieser  Wert  ist  jedoch,  wie  W.  J.  Hussey  bemerkt,^)  viel  zu  groß. 
Wenn  am  36-Zoller  der  Lickstemwarte  die  Mikrometerfäden  so  weit 
voneinander  entfernt  werden  als  dem  Winkel  entspricht,  der  am 
Saturn  4000  Miles  umspannt,  und  dann  der  Trabant  Titan  zwischen 
die  Fäden  gebracht  wird,  so  reicht  bei  guter  Luft  und  sehr  starker 
Vergrößerung  die  Scheibe  beiderseits  nicht  bis  zu  den  Fäden.  Selbst 
wenn  die  Fädendistanz  auf  3000  Miles  eingestellt  wird,  ist  der 
Durchmesser  des  Trabanten  noch  etwas  geringer.  Direkte  Messungen 
bei  guter  Luft  ergaben  für  den  Durchmesser  des  Titan 

1902  Juni        19:0.60"  oder  2473  Miles 
Oktober    2:0.53      „    2332      „ 

Die  1.  Messung  wurde  imter  sehr  guten  Verhältnissen  er- 
halten; die  Vergrößerung  war  2400  fach,  und  Titan  zeigte  eine  scharfe 
Scheibe.  Es  ist  selten,  sagt  Hussey,  daß  für  derartige  Beobachtungen 
eine  so  starke  Vergrößerung  benutzt  werden  kann.  Die  2.  Mes- 
sung wurde  an  1 000  f acher  Vergrößerung  erhalten,  die  geringste, 
welche  vorteilhaft  bei  einem  so  kleinen  Durchmesser  benutzt  werden 
kann.  In  den  Jahren  1894  und  1895  hat  Professor  Baruard  in 
5  Nächten  den  Durchmesser  des  Titan  am  36-Zoller  gemessen.  Seine 
Ergebnisse  schwanken  zwischen  2100  und  3200  Miles,  sie  ergeben 
als  Mittelwert  2720  Miles.  Nimmt  man  den  Durchmesser  des  Titan 
rund  zu  2500  Miles  an,  so  wird  man  wahrscheinlich  wenig  von  der 
Wahrheit  abweichen. 

Der  transneptunsche  Planet«  Die  Frage  nach  der  Existenz 
eines  solchen  ist  häufig  von  Laien  diskutiert  worden ;  jetzt  hat  nun 
W.  Lau  das  Problem  wissenschaftlich  behandelt.^  Er  weist  zu- 
nächst auf  die  bekannte  Tatsache  hin,  daß  die  Tafeln  der  Bewegung 
des  Uranus  und  Neptun,  welche  Le  Verrier  berechnet  hat,  nicht  mehr 
genau  sind.    Deshalb  hat  Lau  schon  vor  einigen  Jahren  diese  Tafeln 


1)  Publ.  Astr.  Soc.  of  Pacific  Nr.  88. 

^  Bulletin  Astronomique  1903.  90.  p.  251. 


42  Mond. 

zu  verbessern  unternommen,  wobei  er  sich  bezüglich  der  Positionen 
beider  Planeten  auf  3425  Meridianbeobachtungen  zu  Greenwich,  Paris 
und  Königsberg  stützte,  welche  die  Jahre  1781  bis  1895  umftissen. 
Die  Untersuchung  bezüglich  des  Uranus  ergab,  daß  die  Beobach- 
tungen von  1836  bis  1895  vollständig  der  Theorie  entsprechen  und 
keine  Spur  einer  während  dieser  60  Jahre  von  unbekannter  Seite 
auf  die  Bewegung  dieses  Planeten  ausgeübten  Störung  andeuten. 
Für  den  Neptun  lagen  Beobachtungen  von  1846  bis  1895  vor,  und 
auch  sie  ergeben  eine  vollständige  Obereinstimmung  der  Theorie  mit 
der  wirklichen  Bewegung  des  Planeten.  Lau  kommt  zu  dem  Ergeb- 
nis: 1.  daß  die  Theorie  Le  Verriers  vollständig  die  Bewegungen 
des  Uranus  und  Neptun  darstellt;  2.  daß  die  Hypothese  eines  ein- 
zigen transneptunschen  Planeten  unzulässig  ist ;  3.  daß  die  Annahme 
mehrerer  unbekannter  störender  Planeten  überflüssig  ist,  um  die  Be- 
wegungen des  Uranus  und  Neptun  darzustellen,  und  4.  daß  diese 
Hypothese  auch  deshalb  sehr  unwahrscheinlich  ist,  weil  in  der  Bahn 
des  Neptun  keinerlei  Störungen  des  Radiusvektors  vorkommen. 

Der  Mond. 
Der  DurchmesseF  des  hellen  Fleckes  um  den  Krater 
Linnö  ist  1898,  1899  und  1902  auf  der  Harvardstemwarte  gemessen 
worden.^)  Die  Messungen  1902  wurden  am  16.  Oktober  vor  und 
nach  der  Beschattung  des  Linne  während  der  totalen  Mondfinsternis 
von  Prof.  W.  G.  Pickering  am  15-zolligen  Refraktor  bei  550facher 
Vergrößerung  ausgeführt.  Die  Luftverhältnisse  waren  leidlich  gut, 
nach  dem  Vorübergange  des  Schattens  vielleicht  etwas  weniger.  Am 
15.  Oktober  hatte  die  Sonne  den  Krater  seit  7.4,  am  16.  bis  zu 
8.7  Tage  beschienen.  Die  Messungen  Oktober  15  von  11h  19  m  bis 
16h ,  als  Linne  noch  im  vollen  Sonnenscheine  lag,  ergaben  im  Mittel 
einen  scheinbaren  Durchmesser  des  hellen  Fleckes  von  2.69";  während 
der  Halbschatten  den  Fleck  bedeckte,  nahm  dessen  Durchmesser  bis 
3.22''  zu;  als  der  Fleck  nach  Ende  der  totalen  Finsternis  wieder  im 
Halbschatten  sichtbar  wurde,  hatte  sein  Durchmesser  bis  auf  5.73'' 
zugenommen  und  schwand  dann  während  39  Minuten  auf  5.43" 
zusammen.  Leider  verhinderten  Wolken  weitere  Messungen.  Die 
Gesamtzunahme  des  Durchmessers  betrug  etwa  2^/3".  Dies  übertrifft 
erheblich  die  Größenzunahme  während  der  Finsternis  von  1898,  die 
gemäß  den  Messungen  von  Douglass  nach  drei  verschiedenen  Methoden 
0.82,  0.73  und  0.15"  betrug,  während  nach  W.  H.  Pickerings 
Messimgen  während  der  Finsternis  von  1899  die  Vergrößerung  nur 
0.14"  erreichte.  Die  beträchtliche  Zunahme  am  16.  Oktober  1902 
ist  aber  nicht  etwa  ungünstigen  Luftverhältnissen  zuzuschreiben,  denn 
solche  würden  nach  Prol  Pickering  die  umgekehrte  Wirlnuig  aus- 
üben. Die  richtige  Erklärung  der  ungewöhnlichen  Vergrößerung  sucht 
derselbe  in   der  Annahme,    daß   der  Krater  Linne   am    15.  Oktober 


1)  Harvard  Coli.  Obs.  Gircular  Nr.  67. 


Mond.  43 

letztem  Jahres  tatiger  war  als  früher  und  daher  mehr  Feuchtigkeit 
in  seiner  Umgebung  kondensiert  wurde.  Eine  Reihe  von  Messungen, 
die  Prot  Pickering  am  20.  Oktober,  12.6  Tage  nach  Sonnenaufgang 
über  Lkme,  vornahm,  ergaben  als  scheinbaren  Durchmesser  des 
weißen  Fleckes  4.61''.  4  Messungen  im  Jahre  1898  zwischen  12.4 
und  13.7  Tagen  nach  Sonnenaufgang  über  Linne  ergaben  für  dessen 
Durchmesser:  8.52",  8.24",  8.42"  und  8.46".  Die  Messung  am 
20.  Oktober  1902  zeigt  also  in  Obereinstimmung  mit  derjenigen  am 
15.  und  16.,  daß  der  Durchmesser  des  Fleckes  in  den  drei  letzten 
Jahren  größer  geworden  ist.  »Bei  zukünftigen  Beobachtungen«,  bemerkt 
Prof.  W.  Pickering,  »muß  man  darauf  achten,  vor  der  totalen  Ver- 
finsterung die  genaue  Position  des  Linne  mit  Bezug  auf  ostwärts 
von  ihm  liegende  Punkte  festzustellen,  damit  bei  seinem  Wiederauf- 
tauchen aus  dem  Schatten  kein  Augenblick  mit  Identifizierung  des 
Objektes  verloren  geht«  Diese  bei  Ldnne  nachgewiesene  Vergrößerung 
des  weißen  ihn  umgebenden  Fleckes  ist  die  erste  dieser  Art  und  daher 
von  besondrer  Wichtigkeit. 

Heller  Punkt  in  der  Nachtseite  des  Mondes.  Prof.  William 
H.  Pickering  veröffentlichte  eine  Mitteilung,  welche  ihm  von  einem 
Herrn  G.  S.  Jones  in  Philadelphia  über  einen  hellen  Punkt  in  der 
Nachtseite  des  Mondes  gemacht  wurde.  Am  12.  August  7.5^  E.  S.Z. 
sah  der  Beobachter  mit  einem  6^/^- zolligen  Reflektor  und  250facher 
Vergrößerung  ein  vollständig  rundes  helles  Scheibchen  in  der  Nacht- 
seite des  Mondes,  das  im  Verlauf e  von  ein  paar  Stunden,  in  dem 
Maße,  als  die  Lichtgrenze  vorrückte,  sich  zu  einem  sehr  glänzenden 
Flecke  entwickelte.  Seiner  Lage  nach  schien  es  mit  dem  kleinen  Krater 
Lambert  zusammenzufallen,  doch  war  eine  ganz  genaue  Identifizierung 
wegen  eintretender  Bewölkung  nicht  möglich.  In  der  Nähe  des  Kraters 
Lambert,  zwischen  diesem  und  Timocharis,  liegt  ein  isolierter  Berg, 
der  ungemein  stark  leuchtet;  mit  diesem  fällt  der  von  Jones  gesehene 
helle  Punkt  nicht  zusammen,  denn  er  zeichnete  beide  als  verschiedene 
Objekte;  anderseits  liegt  nordöstlich  von  Lambert  der  ebenfalls  äußerst 
helle  Berg  Lahire,  der  bisweilen  gleich  einem  Sterne  strahlt.  Es  scheint 
nicht  unmöglich,  daß  es  dieser  Berg  Lahire  war,  den  der  Beobachter 
Jones  als  hellen  Punkt  in  der  Nachtseite  des  Mondes  sah;  das  Ring- 
gebirge Lambert  konnte  ihm  unmöglich  als  Punkt  erscheinen,  höchstens 
könnte  der  unansehnliche  Zentralberg  desselben  sich  in  dieser  Weise 
darstellen,  doch  hat  diesen  bis  jetzt  noch  niemand  in  der  Nachtseite 
des  Mondes  wahrgenommen. 

Die  Mondfinsternis  am  11. — 12.  April  1908.  Diese  nahezu 
totale  Finsternis  hat  eine  Reihe  von  Erscheinungen  dargeboten,  welche 
von  dem  normalen  Verlaufe  der  Beschattung  bei  Mondfinsternissen 
abweichen.  Die  am  3.  August  1887  von  Dr.  Klein  zum  ersten  Male 
wahrgenommene  Ausdehnung  des  Erdschattens  über  die  Mondscheibe 
hinaus  hat  sich  wieder  gezeigt  und  ist  von  Prof.  Deichmüller  auf  der 
Bonner  Sternwarte  gesehen  worden.     In  Frankreich  war  der  Hinunel 


44  Mond. 

bis  nach  Mitternacht  meist  wolkenlos,  aber  weniger  heiter  als  ge- 
wöhnlich. Einige  zu  Paris  auf  dem  Eifelturme  stationierte  Beobachter 
konnten  während  der  1.  Hälfte  der  Finsternis  den  im  Schatten 
der  Erde  befindlichen  Teil  des  Mondes  nicht  wahrnehmen.  In  Bordeaux 
war  um  die  Mitte  der  Finsternis  nur  ein  schwacher  rötlicher  Schimmer 
sichtbar;  in  Madrid  verschwand  der  verfinsterte  Mond  völlig,  und 
keine  Spur  von  Rot  konnte  wahrgenommen  werden.  Der  Beobachter 
in  Algier  war  erstaunt  über  die  Schwärze  des  Erdschattens.  In 
Bayonne,  wo  der  Himmel  sehr  heiter  war,  verschwand  gleichwohl 
der  verfinsterte  Teil  des  Mondes  vollständig,  ebenso  in  Montpellier. 
In  Marseille  konnten  nur  einzelne  Punkte  der  Mondscheibe  wahr- 
genommen werden.  Denning  in  Bristol  war  von  der  tiefen  Schwärze 
des  Erdschattens  auf  dem  Monde  überrascht  Auch  die  Beobachter 
in  Rußland  konnten  diese  Tatsache  feststellen,  und  zu  Orel  war  der 
verfinsterte  Mond  im  Femrohre  völlig  unsichtbar.  Durch  diese  und 
andre  Beobachtungen  ist  festgestellt,  daß  bei  der  Mondfinsternis  in 
der  Nacht  vom  11. — 12.  April  der  Erdschatten  ungewöhnlich  dunkel 
war,  so  daß  nicht  nur  die  sonst  bei  Mondfinsternissen  auftretende 
tiefrote  Färbung  der  Mondscheibe  fast  völlig  ausblieb,  sondern  sogar 
der  verfinsterte  Teil  des  Mondes  unsichtbar  wurde.  Etwas  Ähnliches 
ist  früher  nur  1642,  1764  und  1816  eingetreten,  aber  damals  bei 
totalen  Mondfinsternissen,  während  die  April -Finsternis  des  gegen- 
wärtigen Jahres  nicht  total  war.  Die  Ursache  der  Erscheinung  kann 
nur  in  unserer  Erdatmosphäre  zu  suchen  sein,  und  zwar  in  einer 
sehr  dichten  Bewölkung  derselben  oder  in  Staubmassen,  die  die 
höhern  Regionen  derselben  außergewöhnlich  undurchsichtig  machten. 
Der  Astronom  Backhouse  schreibt  die  Erscheinung  direkt  der  An- 
häufung vulkanischer  Rauch-  oder  Staubmassen  in  unserer  Atmo- 
sphäre zu  und  denkt  dabei  an  die  vulkanischen  Vorgänge  des  Jahres 
1902.  Daß  letztere  höchst  fein  verteilte  Auswurfsprodukte  bis  in 
sehr  hohe  Luftregionen  emporgeschleudert  haben,  ist  durch  die  starken 
roten  Färbungen  des  Abendhimmels  hinreichend  erwiesen.  Auch  ist 
merkwürdig,  daß  die  oben  erwähnte  Sichtbarkeit  des  Erdschattens 
außerhalb  der  Mondscheibe  im  Jahre  1887  zusammenfiel  mit  dem 
Auftreten  von  Lichterscheinungen  (leuchtenden  Nachtwolken)  in  den 
höchsten  Luftregionen,  deren  Ursache  in  dem  Emporschleudem  von 
Staub-  und  Qasmassen  durch  den  Krakatau-Ausbruch  gesucht  wird. 
Sonach  ist  es  in  der  Tat  wahrscheinlich,  daß  die  abnormen  Er- 
scheinungen während  der  letzten  Mondfinsternis  dadurch  hervor- 
gerufen wurden,  daß  in  den  hohem  Luftregionen  sehr  fein  verteilte 
Materie  vorhanden  war,  die  dort  gewöhnlich  nicht  anzutreffen  ist. 
Schließlich  wird  diese  Ansicht  bestätigt  durch  die  Tatsache,  daß 
dem  Verschwinden  des  Mondes  bei  der  Finsternis  von  1816  die  un- 
geheure vulkanische  Katastrophe  vom  5.  April  1815  vorherging,  bei 
welcher  der  Vulkan  Tambora  so  viel  Material  auswarf,  daß  in  einer 
Entfernung  von  50  Meilen  der  Tag  völlig  zur  Nacht  wurde. 


Kometen.  45 

Kometen. 

Die  Kometenerocheinangren  des  Jahres  1902.  Prof.  H.  Kreutz 
gab^)  eine  Zusammenstellung  der  Kometenentdeckungen  und  Be- 
obachtungen des  Jahres  1902,  der  folgendes  entnommen  ist: 

Komet  1902  I  (1902a),  wurde  am  14.  April  1902  in  den 
Morgenstunden  von  Brooks  in  Qeneva  N.  Y.  entdeckt  Der  Komet, 
der  schon  längere  Zeit,  ohne  aufgefunden  worden  zu  sein,  am  Himmel 
gestanden  hatte,  verschwand  bald  in  den  Sonnenstrahlen,  so  daß  er 
nicht  über  den  19.  April  hinaus  beobachtet  werden  konnte.  In  den 
wenigen  Tagen  seiner  Sichtbarkeit  war  der  Komet  hell  8.  Größe,  mit 
einer  kemartigen  Verdichtung  9.  Größe.  Die  Koma  hatte  einen  Durch- 
messer von  3',  ein  kurzer  Schweif  von  25'  Länge  war  vorbanden. 

Die  folgenden  Elemente  sind  von  Kreutz  und  Strömgren  aus 
April  16 — 18  abgeleitet  worden. 

r=1902  Mai  7.159  M.Z.Berlin,  co  =  22B^  22'7  1902.0, 
fl=52<>  15'.  4  1902.0,  t  =  66<^  30'.  4  1902.0,  log  g  =  9.66436. 

Komet  1902  II  (1902c),  entdeckt  als  schwacher  Nebel  am 
28.  Juli  1902  von  John  Grigg  in  Thames,  Neuseeland,  und  aus- 
schließlich vom  Entdecker  nur  an  wenigen  Tagen  bis  August  3  be- 
obachtet. Die  1.  Nachricht  von  der  Entdeckung  gelangte  erst  am 
6.  August  in  die  Hände  der  Astronomen  des  australischen  Kontinents ; 
die  Bemühungen,  den  Kometen  dann  noch  aufzufinden,  sind  zunächst 
infolge  des  Mondscheins  und  später  wegen  zunehmender  Lichtschwäche 
leider  erfolglos  geblieben.  Die  Beobachtungen  von  Grigg  sind  nur 
genäherte  Einstellungen  an  den  Kreisen  eines  3  ^/^  zolligen  Refraktors 
und  dürften  beträchtlichen  Unsicherheiten  unterliegen.  Demgemäß 
werden  auch  die  folgenden,  vom  Entdecker  selbst  abgeleiteten  Ele- 
mente nur  eine  rohe  Näherung  darstellen. 

r=1902  Juni  20.37  M.  Z.Berlin,  a>  =  301^  46'1  1902.0, 
fl  =  217«  30'.8  1902.0,  i=16^  42'.9,  log  g=9.76618. 

Komet  1902  III  1 1902b),  wurde  am  31.  August  1902  von 
Perrine  auf  Mount  Hamilton  und  am  2.  September  von  Borrelly  in 
Marseille  ent4eckt.  Der  Komet  hatte  die  Helligkeit  eines  Sternes 
9.  Größe;  der  Durchmesser  betrug  4';  eine  Verdichtung  11.  Größe 
und  ein  kurzer  Schweif  waren  zu  erkennen.  Mit  abnehmender  Ent- 
fernung von  Sonne  und  Erde  nahm  die  Helligkeit  des  Kometen 
beträchtlich  zu;  gegen  Ende  September  wurde  er  dem  bloßen  Auge 
sichtbar  und  erreichte  Mitte  Oktober  mit  der  Helligkeit  eines  Sternes 
4.  Größe  das  Maximum  seines  Glanzes.  Das  Aussehen  des  Kometen 
änderte  sich  mit  zunehmender  Helligkeit  nur  unwesentlich.  Auch  der 
Schweif  blieb  stets  unansehnlich ;  nur  auf  den  photographischen  Auf- 
nahmen erschien  er  in  mehrere,  bis  zu  sieben,  Teile  geteilt  und 
konnte  bis  zu  einer  Länge  von  3^  verfolgt  werden. 


*)  Vierteljahisschrift  d.  astron.  Ges.  1908.  88.  p.  64. 


46  Kometen. 

Zufolge  der  Helligkeit  und  der  günstigen  Stellung  am  Himmel  — 
Anfang  Oktober  erreichte  der  Komet  mit  57  ^  die  nördlichste  Deklina- 
tion —  sind  die  Beobachtungen  außerordentlich  zahlreich  gewesen. 
Mitte  November  mußten  sie  wegen  Hineinrückens  des  Kometen  ins 
Tageslicht  zunächst  ihr  Ende  finden;  die  letzte  Ortsbestimmung  ist 
November  17  auf  der  lickstemwarte  angestellt  worden.  Cber  die 
weitem  Beobachtungen  auf  der  Südhalbkugel  sowie  das  Wieder- 
sichtbarwerden auf  der  nördlichen  Hemisphäre  Mitte  Februar  1903 
wird  im  nächsten  Jahre  berichtet  werden. 

Die  folgenden  von  Strömgren  aus  8  Beobachtungen  September  1, 
20  und  Oktober  8  abgeleiteten  Elemente  schließen  sich  dem  ganzen, 
bisher  beobachteten  Laufe  nahe  an,  so  daß  jedenfalls  eine  bedeutende 
Abweichung  von  der  Parabel  nicht  vorhanden  sein  wird. 

T=  1902  Nov.  23.88925  M.  Z.  Berlin,  co  =  152<^  57'  28.2" 
1902.0,  fl  =  49»  21'  7.5"  1902.0,  t=156«  21'  9.8"  1902.0.  log 
q  =  9.603246. 

Bemerkenswert  ist  noch  eine  große  Annäherung  des  Kometen  an 
Merkur;  die  kleinste  Entfernung,  November  29,  betrug  nur  0.0233  Erd- 
bahnhalbmesser. Eine  beträchtliche  Störung  der  Bahn  des  Kometen, 
welche  eine  Bestimmung  der  Merkursmasse  hätte  herbeiführen  können, 
hat  aber  trotzdem  wegen  der  Kleinheit  der  letztern  nicht  statt- 
gefunden. 

Komet  1903  .  .  .  (1902 d),  entdeckt  1902  Dezember  2  in  7^ AR., 
—  2^  Deklination  von  Qiacobini  in  Nizza  als  kleiner  runder  Nebel 
11.  Größe  mit  deutlichem  Kerne,  aber  ohne  Schweif.  Wie  die  unten  mit- 
geteilten Elemente  zeigen,  besitzt  der  Komet  die  außergewöhnlich 
große  Periheldistanz  2.8,  die  nur  von  der  des  Kometen  1729  über- 
troffen wird.  Demzufolge  blieb  derselbe  auch  stets  ziemlich  weit  von 
der  Erde  entfernt  und  hat  bis  jetzt  keine  bemerkenswerte  Erscheinung 
dargeboten.  Dagegen  wird  die  Sichtbarkeitsdauer,  zumal  er  fast 
4  Monate  vor  dem  Perihel  entdeckt  wurde,  voraussichtlich  eine  un- 
gewöhnlich lange  sein;  zurzeit  ist  ein  Abbruch  der  Beobachtungen 
noch  nicht  vorauszusehen. 

Die  folgenden  Elemente  von  Ristenpart  beruhen  auf  Beob- 
achtungen von  1902  Dezember  3 — 1903  Januar  15  und  werden  vor- 
aussichtlich nur  mehr  geringen  Änderungen  unterliegen. 

r=1903  März  22.86660  M.  Z.  Berlin,  a}  =  5«  36'  17.7" 
1903.0,  0=117»  27'  36.5"  1903.0,  t  =  43»  55'  26.9"  1903.0,  log 
g  =  0.443683. 

Im  Sommer  1902  war  der  Komet  1895  U  (Swift)  nach  der 
Vorausberechnung  von  Schulhof  wieder  zu  erwarten.  Eine  Auffindung 
hat  nicht  stattgefunden,  was  wohl  der  Lichtschwäche  des  Kometen 
in  dieser  Erscheinung  zuzuschreiben  ist. 

Ein  gleiches  Schicksal  erlitt  der  3.  Tempelsche  Komet, 
für  den  Bossert  Aufsuchungsephemeriden  gegeben  hatte.  Leider  hat 
Bossert  über  die  Grundlagen  seiner  Ephemeride  bis  jetzt  nichts  mit- 


Kometen.  47 

geteilt,  doch  ist  so  viel  aus  den  Werten  von  log  r  zu  ersehen, 
daß  das  Perihel  in  die  Zeit  des  24.  Januar  1908  gefallen  sein  muß, 
während  man  nach  den  für  1897  oskulierenden  Elementen  hierfür  den 
21.  Dezember  1902  hätte  erwarten  sollen.  Die  Störungen  haben  also 
offenbar  das  Perihel  um  mehr  als  einen  Monat  verschoben  und  damit 
den  Kometen  aus  seiner  günstigen  Stellung  zur  Erde,  die  er  bisher 
in  jeder  2.  Erscheinung,  nämlich  1869,  1880  und  1891  inne  hatte, 
herausgerückt  Diesem  Umstände  ist  es  wohl  auch  zuzuschreiben, 
daß  der  Komet  im  Winter  1902 — 1903  nicht  aufgefunden  worden  ist; 
das  Maximum  der  Helligkeit  betrug  nur  0.40  (Einheit  der  Helligkeit 
r=A  =  l)y  blieb  also  sehr  beträchtlich  hinter  den  für  die  oben  ge- 
nannten Erscheinungen  geltenden  Werten,  die  stets  die  Einheit  über- 
schreiten, zurück.  Es  hat  hiemach  fast  den  Anschein,  als  ob  wir 
auch  diesen  Kometen,  wenigstens  für  eine  längere  Reihe  von  Um- 
läufen, zu  den  verlorenen  zu  rechnen  haben  werden. 

Die  seheinbaren  Beziehungen  zwischen  den  heliozen- 
trischen Perihelbreiten  und  denPeriheldistanzen  der  Kometen. 

Dr.  J.  Holetschek  hat  an  den  bis  1900  beobachteten  und  berechneten 
355  Kometen  imtersucht,  wie  sich  die  heliozentrischen  Breiten  der 
Perihelpunkte  und  die  Periheldistanzen  dieser  Kometen  bezüglich  ihrer 
Qröfle  zueinander  verhalten.^)  Dabei  zeigt  sich,  daß  sehr  kleine 
Periheldistanzen  (kleiner  als  etwa  0.3)  fast  ausschließlich  mit  stark 
südlichen  Perihelbreiten  (von  etwa  — 30  bis  — 90^,  etwas  größere 
Periheldistanzen  (imgefähr  von  0.3  bis  0.8)  hauptsächlich  mit  nörd- 
lichen Perihelbreiten  (und  zwar  nicht  nur  von  0  bis  -|-  30  ^  sondern 
insbesondere  auch  von  -f-  ^^  ^^  4"  ^^^)  ^^^  ^^^^  größere  Perihel- 
distanzen (gegen  1.0  und  größere  als  1.0)  am  häufigsten  mit  niedrigen, 
sei  es  nördlichen  oder  südlichen  Perihelbreiten  (0  bis  -4"  ^^  ^  und 
0  bis  — 30^  verbunden  vorkommen. 

Die  zwei  1.  Beziehungen  lassen  sich  in  folgender  Weise  noch 
allgemeiner  ausdrücken.  Wir  sehen  auf  der  nördlichen  Erdhemisphäre 
von  den  Kometen  mit  stark  nördlichen  Perihelbreiten  hauptsächlich 
diejenigen,  welche  mit  großem  Periheldistanzen,  und  am  wenigsten 
die,  welche  mit  ganz  kleinen  Periheldistanzen  verbunden  sind,  von 
den  Kometen  mit  stark  südlichen  Perihelbreiten  hauptsächlich  die- 
jenigen, welche  mit  ganz  kleinen,  und  am  wenigsten  die,  welche  mit 
großem  Periheldistanzen  verbunden  sind.  Auf  der  südlichen  Erd- 
hemisphäre ist  für  südliche,  beziehungsweise  nördliche  Perihelpunkte 
dasselbe  zu  erwarten. 

Es  sind  also  die  zwei  1.  Beziehungen  eine  Folge  des  Stand- 
punktes der  meisten  Kometenentdecker  unter  hohem,  und  zwar 
zumeist  nördlichen  geographischen  Breiten,  während  die  dritte  von 
der  Erdhemisphäre  unabhängig  ist  und  auch  bei  Kometenentdeckungen 
in  Aquatorgegenden  zu  erwarten  wäre. 


^)  Anzeiger  der  Wiener  Akademie  1902.  p.  320. 


48  Kometen. 

Die  zweite  und  dritte  dieser  Beziehungen  können  als  eine  Folge 
des  Satzes  erklärt  werden,  daß  die  Kometen  desto  leichter  sichtbar 
werden,  je  größer  die  Helligkeit  ist,  die  sie  für  uns  erlangen,  und 
daß  diese  Helligkeit  desto  größer  wird,  je  mehr  die  Zeit  der  Erdnähe 
mit  der  Perihelzeit  zusammentrifft,  während  die  erste,  sich  entgegen- 
gesetzt verhaltende  Beziehung  dadurch  entsteht,  daß  dieser  Hellig- 
keitssatz in  seiner  2.  Hälfte  auf  Kometen  mit  kleinen  Periheldistanzen 
keine  Anwendung  hat,  indem  diese  Kometen  nicht  im  Perihel,  sondern 
nur  weit  vom  Perihel  in  die  Erdnähe  kommen  und  daher  auch 
meistens  nur  weit  vom  Perihel  beobachtet  werden  können. 

Pbotosrraphische  Aufhahmen  des  Kometen  b  1902  auf 
der  LickSternwarte.  ^)  Über  diese  Aufnahmen  gibt  R.  H.  Curtiß 
Nachbildungen  und  Beschreibungen,  von  jenen  sind  einige  auf  Tafel 
I  wiedergegeben. 

Auf  der  1.  Platte  mit  langer  Exponierung  (September  3)  zeigt 
der  Komet  einen  sekundären  Schweif. 

Am  4.  Oktober  wurde  6  Stunden  hindurch  exponiert,  während 
deren  der  Schweif  seine  Position  um  2.5^  änderte,  und  dement- 
sprechend ist  nur  wenig  Detail  in  dem  Kometenbilde  zu  erwarten. 
Der  Hauptschweif  erscheint  schmal  und  gerade,  der  andere  fast 
ebenso  hell,  aber  halb  so  lang  und  gekrümmt.  Der  Kern  erscheint 
umgeben  von  Nebel. 

Oktober  26.  Von  dem  sekundären  Schweife  ist  mit  Gewißheit 
nichts  zu  erkennen,  der  Hauptschweif  zeigt  dagegen  interessante 
Formen.  Der  Kern  ist  groß,  die  Koma  hat  sich  wenig  geändert 
Die  Nebelmaterie  erstreckt  sich  auf  der  der  Sonne  abgewandten  Seite 
weiter  wie  auf  dieser. 

Oktober  26.  Während  der  letzten  24  Stunden  hat  der  Schweif 
seine  Gestalt  völlig  geändert,  er  ist  am  Kopfe  schmal,  erbreitert  sich 
aber  weiterhin  plötzlich,  und  mitten  in  dieser  Erbreiterung  zeigt  sich 
ein  dunkler  Spalt. 

Oktober  29.  Der  Schweif  ist  am  Kopfe  breit,  wird  darauf 
schmäler  und  dann  wieder  breiter  und  umschließt  einen  schmalen 
dunklen  Strich. 

Oktober  81.  Diese  Aufnahme  lieferte  das  interessanteste  Bild 
des  Kometen  von  allen.  Der  Hauptschweif  zeigt  nicht  weniger  als 
acht  feine  Striche,  die  sich  von  ihm  nach  auswärts  verlieren. 

November  1.  Die  feinen  Striche  von  gestern  scheinen  zu  ver- 
schwinden, doch  sind  noch  vier  oder  fünf  vorhanden,  sonst  hat  sich 
das  Aussehen  des  Schweifes  wenig  geändert.  Die  Nebelmaterie  um 
den  Kern  ist  in  merklichem  Maße  geschwunden. 

November  2.  Der  Schweif  erscheint  am  Kopfe  des  Kometen 
sehr  scharf  und  schmal  mit  einem  sehr  schwachen,  kurzen  Ausläufer 
an  jeder  Seite.     Weiterhin   zeigt   sich   ein  schmaler  Ausläufer  vom 


^)  Lick-Observatory  Bulletin  Nr.  42. 


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Kometen.  49 

Hauptschweile  getrennt,  welch  letzterer  breiter  wird,  dann  wieder 
schmaler  erscheint  und  sich  in  wechselnder  Breite  bis  zum  Ende  der 
Platte  fortsetzt  In  einem  gewissen  Abstände  hinter  dem  Kopfe 
des  Kometen  zeigt  sich  eine  ansehnliche  Nebeligkeit  rings  um  den 
Schweif. 

Transparenz  des  Kometen  b  1902.    Am  14.  Oktober  ging 

dieser  Komet  in  einer  Entfernung  von  etwa  1'  an  einem  Sterne 
7.12  Größe  vorüber,  während  die  Koma  einen  Durchmesser  von  5 
oder  6 '  besaß.  Prof.  Wendeil  hat  gelegentlich  des  Vorüberganges 
diesen  Stern  am  15-zolligen  Refraktor,  der  mit  einem  Polarisations- 
photometer versehen  war,  mit  einem  Sterne  8.19  Größe  verglichen. 
Im  ganzen  wurden  8  Reihen  von  Messungen  ausgeführt,  welche 
übereinstimmend  zeigten,  daß  eine  Helligkeitsverminderung  durch  Ab- 
sorption des  Stemenlichtes  in  der  Koma  des  Kometen  nicht  stattfand 
oder  höchstens  nur  O.Ol  bis  0.02  Stemgröße  betragen  haben  kann.^) 

Komet  C  1903  (Borrelly).  Von  diesem  Kometen  sind  auf  der 
Licksternwarte  photographische  und  spektroskopische  Aufnahmen 
gemacht  worden.^  Die  photographischen  Aufnahmen  daselbst  begannen 
gleich  in  der  auf  die  Entdeckung  folgenden  Nacht,  und  bis  zum 
15.  Juli  waren  9  Exponierungen  von  38  Minuten  bis  4  Stunden 
Dauer  ausgeführt  mit  einer  Dallmeyercamera  von  15  cm  Öffnung 
und  82.6  cm  Brennweite,  sowie  drei  mit  einer  Floydcamera  von 
13  cm  Öffnung  und  178  cm  Brennweite.  Auf  diesen  Platten  zeigt 
der  Komet  2  Schweife,  von  denen  der  eine  nahezu  gerade,  der 
andere  gekrümmt  erscheint  Der  letztere  ist  kurz  und  sehr  hell, 
der  andere  dagegen  länger,  aber  schwächer.  Eine  5^  lang  exponierte 
Platte  vom  23.  Juni  zeigt  beide  Schweife  weit  getrennt,  der  gerade 
ist  am  Kopfe  des  Kometen  schmal,  erbreitert  sich  aber  später  und 
hat  eine  Länge  von  1.5^.  Auf  der  Platte  vom  29.  Juni  erscheint 
er  in  2  Arme  getrennt,  die  schon  am  Kometeukopfe  getrennt  sind  und 
etwas  divergieren.  Der  sekundäre  Schweif  war  am  30.  Juni  1.5^ 
lang,  der  andere  5^  und  wie  in  der  vorhergehenden  Nacht  geteilt. 
Ein  Arm  davon  erschien  gerade,  der  andere  wellig  gekrümmt  und 
breiter.  In  der  darauffolgenden  Nacht  erschien  dieser  Schweif  scharf 
und  einfach.  Die  Platten  vom  12.  und  13.  Juli  zeigen  2  Schweife, 
den  Hauptschweif  schmal  und  gerade,  den  sekundären  Schweif  da- 
gegen noch  erheblich  gekrümmt.  Auf  der  Platte  vom  12.  Juli  (mit 
38°^  Expositionsdauer)  ist  der  Hauptschweif  4^.  der  andre  1.5^^ 
lang.  Die  Platte  vom  14.  Juli  (1*^48™  Expositionsdauer)  zeigt 
einen  geraden ,  schmalen  Schweif  von  8.5  ^  Länge »  der  sich  vom 
Kopfe  des  Kometen  ab  ein  wenig  ausbreitet.  Auf  allen  Platten  ist 
der  Kern  des  Kometen  scharf  und  zentral  in  der  Nebelhülle  (Koma) 


>)  Harvard-Observatory  Bulletin  Nr.  68. 
■)  Lick-ObBorvatory  Bulletin  Nr.  47. 
Klein,  Jahrbuch  XIV. 


50  Kometen. 

des  Kopfes.  Während  dieser  Aufnahmen  näherte  sich  die  Erde  rasch 
der  Ebene  der  Bahn  des  Kometen,  und  gleichzeitig  nahm  der  Winkel 
zwischen  den  beiden  Schweifen  scheinbar  ab,  bis  beide  auf  der  Platte 
vom  14.  Juli  zusammenfallen.  Das  Spektrum  des  Kometen  ist  am 
15.  Juli  auf  der  Lickstemwarte  am  Großleyreflektor  mit  fünfstün- 
digem Exponieren  aufgenommen  worden.^)  Es  zeigt  die  gleichen 
5  Banden,  welche  bei  den  Aufnahmen  der  frühem  Kometen  1893 
(Rordame)  und  b  1894  (Gale)  von  Campbell  erhalten  wurden.  Auch 
die  relativen  Helligkeiten  dieser  Banden  sind  die  gleichen  wie  früher, 
mit  Ausnahme  der  Bande  von  der  Wellenlänge  ß  420,  die  diesesmal 
überaus  schwach  erscheint  Außer  diesen  Banden  zeigt  sich  ein 
sehr  kleines  kontinuierliches  Spektrum.  Am  36-zolligen  Refraktor 
war  am  14.  und  15.  Juli  ein  relativ  helles  kontinuierliches  Spek- 
trum des  Kometen  mit  den  drei  charakteristischen  Banden  zu  sehen, 
die  hellste  der  letztem  bei  der  Wellenlänge  X  4700.  Ein  Versuch, 
an  diesem  Refraktor  das  Spektrum  zu  photographieren,  gelang  nicht, 
denn  selbst  nach  sechsstündigem  Exponieren  waren  auf  der  Platte 
nur  Spuren  der  Linie  X  4700  zu  sehen. 

BFedlchlns  mechanische  Theorie  der  Kometenerschei- 
nungren.  Prof.  Th.  Bredichin  hat  vor  einigen  Jahren  die  Haupt- 
ergebnisse seiner  Untersuchungen  über  die  Kometenerscheinungen  in 
einer  Abhandlung  veröffentlicht,  die  in  russischer  Sprache  geschrieben 
und  deshalb  der  wissenschaftlichen  Welt  außerhalb  Rußlands  kaum 
zugänglich  ist.  Von  derselben  gab  ein  R.  Jaegermann  eine  vom  Ver- 
fasser gebilligte  deutsche  Übersetzung,^  welche  im  wesentlichen  fol- 
gendes enthält: 

Die  mechanische  Theorie  der  Kometenerscheinungen  nimmt  an, 
daß  die  Kometenausströmungen  und  die  Schweife  aus  Teilchen  von 
wägbarem  Stoffe  bestehen,  deren  Verdünnung  bis  zu  Atomen  oder 
Molekeln  vorgeschritten  ist  Alle  die  Formen  der  Schweife,  ihre  Lage 
und  Veränderungen  bedingenden  Bewegungen  dieser  Teilchen  im 
Räume,  sind  dem  Newtonschen  Gesetze  bei  einer  von  der  chemischen 
Eigenschaft  der  Teilchen  abhängigen  Größe  der  Sonnenrepulsions- 
kraft,  unterworfen.  Diese  Repulsion  erzeugt,  zusammen  mit  der 
Newtonsclien  Sonnenattraktion,  die  effektive  Kraft.  Indem  in  die 
Bewegungsformeln  ein  Impuls  eingeführt  wird,  welchen  die  Kometen- 
teilchen in  Form  einer  Anfangsgeschwindigkeit  in  der  Richtung  zur 
Sonne  erhalten,  konstruiert  die  Theorie  völlig  einfach  alle  durch  die 
Beobachtungen  gegebenen  Kometenformen.  Sie  setzt  die  physische 
Natur  der  Sonnenrepulsion  als  unbekannt  voraus  und  stellt  sich 
lediglich   die  Aufgabe,    die  Bewegung   der   ponderablen  Teilchen   der 


^)  Lick-Observatory  Bulletin  Nr.  47. 

*)  Naturwiss.  Rundschau,  Braunschweig  1906  Nr.  26  u.  27. 


Kometen.  51 

Materie  zu  verfolgen,  welche  den  nach  ein  und  dem^*elben  Newton- 
sehen  (besetz  wirkenden  attraktiven  und  repulsiven  Kräften  unter- 
worfen sind. 

Die  beobachteten  komplizierten  Formen  der  Kometen  erhalten 
eine  einfache  Erklärung  und  die  Möglichkeit  einer  geometrischen 
Konstruktion  durch  die  aus  den  Beobachtungen  festgestellte  Tatsache, 
daß  verschiedenartige,  vom  Kometen  sich  loslösende  Stoffe  einer 
verschiedenen  Repulsionskraft  unterworfen  sind,  wobei  diese  Ver- 
schiedenheit sich  sogar  in  einer  verschiedenen  Anfangsgeschwindigkeit 
äußert  Eine  Komplikation  der  Form  entsteht  noch  dadurch,  daß  die 
Kometenausströmungen,  gemäß  den  direkten  Beobachtungen,  ihre 
Dichtigkeit  entweder  periodisch  oder  stoßweise  ändern  und  dadurch 
Unterbrechungen  in  der  Ausströmung  selbst  und  folglich  auch  im 
Schweife  hervorrufen.  Endlich  ist  der  Ausströmungssektor,  den  un- 
mittelbaren Beobachtungen  zufolge,  periodischen  Schwingungen  um 
den  Radiusvektor  sowie  einer  Verbreiterung  unterworfen,  welcher 
Umstand  großen  Einfluß  auf  die  Schweifform  besitzt 

Die  Stofflichkeit  der  vom  Kerne  in  der  Richtung  zur  Sonne  aus- 
gehenden und  darauf  in  den  Schweif  zurückbiegenden  Ausströmung 
ist  auch  durch  die  Spektralbeobachtungen  erwiesen;  die  Spektarallinien 
der  Ausströmung  und  der  durch  dieselben  gebildeten  Anfangsform  des 
Schweifes,  welche  überhaupt  der  Kopf  des  Kometen  genannt  werden 
kann,  beweisen  die  Gegenwart  bestimmter  chemischer  Elemente  und 
ihrer  Verbindungen.  Die  Spektrallinien  werden  durch  die  im  elek- 
trischen Glühzustande  sich  befindenden  Dämpfe  und  Gase  hervor- 
gerufen, wie  in  den  Geißlerschen  Röhren  die  Spektrallinien  von  den 
chemischen  Eigenschaften  des  das  Rohr  erfüllenden,  verdünnten  Gases 
abhängen.  Bei  größerer  Entfernung  der  Gase  vom  Kopfe,  d.  h.  im 
Schweife,  verringert  sich  schnell  der  Zustand  des  Selbstglühens,  und 
das  Polariskop  weist  im  Schweife  die  Gegenwart  von  Sonnenlicht 
nach,  welches  natürlich  nur  von  irgend  einer  Materie  reflektiert 
sein  kann. 

Bredichin  verweist  bezüglich  der  neuem  Kometen  auf  die  Photo- 
graphien der  Kometen  189311  und  1893  FV  und  in  betreff  der  altern 
auf  die  Zeichnungen  des  großen  Kometen  188211.  Letzterer  besaß 
am  Schweifende  zwei  ungeheure  Verdichtungen,  welche  als  Schmidtsche 
Wolken  bezeichnet  werden,  da  dieser  Beobachter  am  genauesten  fast 
jeden  Tag  im  Laufe  eines  ganzen  Monats  ihre  Lage  zwischen  den 
Sternen  bestimmte.  Bredichin  hat  an  mehrem  Abenden  ihre  Form 
gezeichnet  und  erkannt,  daß  ihre  Struktur  mit  voller  Deutlichkeit 
sich  als  faserig  erwies,  so  wie  dieses  oft  bei  unsem  Federwolken 
zu  sehen  ist  Die  gegenseitige  Lage  dieser  zarten  Fasern  änderte 
sich  allmählich  von  Tag  zu  Tag  infolge  der  ungleichen  Geschwindig- 
keit in  den  verschiedenen  Teilen  der  Wolken.  Die  mittlere  Ge- 
schwindigkeit dieser  letztem  im  Räume  betmg  ungefähr  sechs  geo- 
graphische Meilen  in  der  Sekunde. 


52  Kometen. 

Diese  Wolken  gehörten  der  Substanz  und  der  Kraft  nach  dem 
2.  Bredichinschen  Kometenschweiftypus  an;  wenn  sie  vom  1.  Typus 
gewesen  wären,  so  würde  die  mittlere  Geschwindigkeit  auch  nur 
ungefähr  dreizehn  geographische  Meilen  in  der  Sekunde  betrafen 
haben. 

Die  von  Prof.  Hussey  erhaltenen  Aufnahmen  des  Kometen  189311 
zeigen  an  einem  Tage  drei  knotenförmige,  unregelmäßige  Verdichtungen; 
am  folgenden  Tage  ist  auf  der  ganzen  Schweiflänge  keine  einzige 
Verdichtung  mehr  sichtbar,  und  der  Schweif  stellt  sich  als  ein  gleich- 
mäßiger Streifen,  als  helles  Strahlenbüschel  dar.  Auf  den  Photo- 
graphien der  Verdichtungen,  welche  nach  je  einer  Stunde  auf- 
genommen sind,  ist  die  Bewegung  der  Verdichtungen  schon  bemerkbar, 
und  Hussey  bestimmte  mikrometrisch  die  Größe  dieser  Bewegung. 
Es  ergab  sich  im  Mittel  aus  den  3  Verdichtungen  eine  Geschwindig- 
keit im  Räume  12,8  geographische  Meilen  in  der  Sekunde. 

Der  Schweif  des  Kometen  war  überhaupt  schwach  und  ziemlich 
kurz,  so  daß  die  auf  der  Platte  erhaltene  Länge  nur  etwas  mehr  als 
6  ^  betrug.  Zieht  man  die  lineare  Länge  des  Schweifes  und  die  oben 
angeführte  Schnelligkeit  (12,8  geographische  Meilen)  in  Betracht,  so 
ist  sogleich  ersichtlich,  daß  am  andern  Tage  die  Stoffverdichtungen 
sich  schon  weit  hinter  dem  Schweifende  befinden  mußten;  aus  diesem 
Grunde  konnten  sie  nicht  mehr  in  den  Grenzen  der  Platte,  welche 
den  Kopf  des  Kometen  enthielt,  fixiert  werden.  Es  ist  klar,  daß  zu 
einer  solchen  Metamorphose  in  der  Schweiffigur  durchaus  nicht  Licht- 
geschwindigkeiten erforderlich  sind. 

Auf  einer  Reihe  photographischer  Aufnahmen  vom  Kometen 
1893 IV  wurden  die  ersichtlichen  Formen  und  Lagen  von  Bredichin 
mit  der  Theorie  verglichen;  es  ergab  sich,  daß  die  wolkenartigen 
Verdichtungen,  welche  sich  von  Tag  zu  Tag  den  Schweif  entlang 
bewegten,  eine  Bewegungsgeschwindigkeit  im  Räume  besaßen,  welche 
der  oben  angeführten  sehr  nahe  kommt.  Natürlich  können  die  Ge- 
schwindigkeiten der  Kometenteilchen  unter  Umständen  erheblich  größer 
werden,  als  die  angeführten.  Dies  kann  dann  stattfinden,  wenn  die 
Periheldistanz  des  Kometen  sehr  gering  ist;  die  Teilchen,  welche  den 
Kometen  auf  sehr  kleinen  Entfernungen  desselben  von  der  Sonne 
verlassen,  erreichen  alsdann  sehr  große  Geschwindigkeiten.  Es  kann 
z.B.  für  Kometen,  deren  Bahnen  der  Bahn  des  Kometen  1882 II 
sehr  ähnlich  sind,  leicht  gefunden  werden,  daß  die  Teilchen  des 
1.  Typus,  welche  den  Kern  bei  einer  Entfernung  von  der  Sonne 
gleich  0,005  verlassen  haben,  in  einer  Entfernung  0,2  vom  Kerne 
eine  Geschwindigkeit  von  360  geographischen  Meilen  in  der  Sekunde 
erhalten  können.  Diese  Größe  unterscheidet  sich  nur  sehr  wenig  von 
der  maximalen,  möglichen  Geschwindigkeitsgrenze,  welche  die  Be- 
wegung der  Schweifteilchen  erreichen  kann. 

Für  das  Maximum  der  Kraft  des  2.  Typus  beträgt  die  Ge- 
schwindigkeit   der   Schweifteilchen    unter    den    obigen    Bedingungen 


Kometen.  58 

115  geographische  Meilen  in  der  Sekunde;  der  Kern  selbst  besitzt 
in  der  Entfernung  0,005  von  der  Sonne  eine  Geschwindigkeit  von 
82  geographischen  Meilen  in  der  Sekunde. 

Es  sei  bemerkt,  daß  Schweife  mit  solchen  Geschwindigkeiten 
der  Teilchen  niemals  beobachtet  wurden.  In  der  Tat  durchlaufen 
in  einer  solchen  Nähe  bei  der  Sonne  die  Kometenkerne  einen  Bogen 
von  300^  in  etwas  mehr  als  24  Stunden;  die  Teilchen  reißen  sich 
also  vom  Kerne  los  mit  einer  ungeheuren  Geschwindigkeit  und  in 
äußerst  schnell  sich  ändernden  Richtungen.  Es  ist  völlig  begreiflich, 
daß  unter  solchen  Bedingungen  die  gewöhnlich  sehr  verdünnte  Schweif- 
materie im  wahren  Sinne  des  Wortes  bis  zur  Unsichtbarkeit  im 
Räume  zerstreut  wird. 

Eine  andere  Art  schneller,  sichtbarer  Veränderungen  der  Lage 
und  zugleich  der  Form  der  Schweifbildungen  finden  wir  eben- 
falls bei  frühem  Kometen,  und  einfache  Berechnungen  erklären  ihre 
Ursache. 

Der  große  Komet  1861  II  besaß  vor  und  nach  Mittemacht  am 
30.  Juni  zwei  regelmäßige  Konoide  des  1.  und  3.  Typus  mit  der 
gewöhnlichen  Verbreiterung  zum  Ende  hin.  Gegen  12^  30°^  M.  Z. 
Greenwich  bot  der  Komet  nach  den  Beobachtungen  und  der  Zeich- 
nung von  Williams  in  Liverpool,  welche  durch  Webb  in  London  be- 
stätigt wurden,  eine  ungewöhnliche  Erscheinung  dar:  sein  Schweif 
bildete  eine  Art  Fächer,  welcher  in  einem  Winkel  von  80^  geöffnet 
war;  in  demselben  befanden  sich  fünf  einzelne,  fast  gleichmäßig 
verteilte  Strahlen  oder  Büschel  von  45®  Länge;  der  Raum  zwischen 
den  Strahlen  war  namentlich  in  der  Nähe  des  Kopfes  von  einem 
weniger  hellen  Stoffe  angefüllt.  Die  Strahlen  änderten  sehr  schnell 
ihre  Lage  am  Himmel.  Secchi  in  Rom  beobachtete  um  11^  30°^ 
und  Schmidt  in  Athen  um  1 1  ^  43°^  zwei  dem  äußern  Ansehen  nach 
gewöhnliche  Konoide.  In  Moskau  beobachteten  am  80.  Juni  bei 
hellem  Nordhimmel  Schweizer  und  Bredichin  eine  Ausströmung 
des  Kernes,  die  aus  fünf  hellem,  einzehien  Strömen  oder  Strahlen 
bestand.  Ein  Vergleich  der  5  Büschel  des  Schweiffächers  mit  den 
5  Ausströmungsstrahlen  führte  zur  Oberzeugung,  daß  die  Strahlen 
der  Ausströmung  den  Büscheln  im  Schweifkonoide  entsprachen. 

Während  dieser  ungewöhnlichen  Erscheinung  befand  sich  der 
Kometenkem  zwischen  der  Erde  und  der  Sonne,  in  einer  Entfernung 
von  der  Erde,  welche  etwas  mehr  als  0,1  der  Entfernung  zwischen 
der  Erde  und  der  Sonne  betrug.  Der  lange  Schweif  zog  sich  nach 
Norden  derart  über  die  Erde  hin,  daß  seine  nächsten  Teile  von  der 
Erde  weniger  als  0,02  Erdbahnradien,  d.  h.  etwa  0,4  Million  geogra- 
phische Meilen  abstanden.  Eine  einfache  geometrische  Zeichnung 
genügt  völlig,  um  zu  zeigen,  welchen  Einfluß  auf  die  Schweifrichtung 
die  Perspektive  hervorrief.  Bei  der  bedeutenden  gegenseitigen  Be- 
wegung des  Kometen  und  der  Erde  konnte  eine  solche  Perspektive- 
wirkung nicht  lange  anhalten,    und  in  wenigen  Stunden   mußte    der 


54  Kometen. 

Fächer  sich  so  bedeutend  zusammenfalten,  daß  der  Schweif  wieder 
seine  normale  Figur  annahm,  welche  vor  dem  Eintritte  der  durch  die 
Perspektive  hervorgerufenen  Eigentümlichkeiten  beobachtet  wurde. 

Zugunsten  der  Materialität  der  Schweifteilchen  spricht  deutlich 
die  Notwendigkeit  der  Annahme  einer  Verschiedenheit  der  Molekular- 
gewichte oder  der  Dichtigkeit,  woraus  umgekehrt  die  Verschiedenheit 
der  repulsiven  Kraft  und  der  Anfangsgeschwindigkeit  der  Ausströmung 
aus  dem  Kerne  sich  ergibt  Eine  ungeheure  Verschiedenheit  äußert 
sich,  wie  viele  Beispiele  zeigen,  in  den  Schweifen  verschiedener 
Typen  bei  einem  und  demselben  Kometen.  Der  große  Komet  1861  11 
besaß  2  Schweife  (1.  und  3.  Typus),  welche  sich  scharf  von- 
einander unterschieden,  sowohl  durch  ihre  Krümmung  und  Ablenkung 
vom  verlängerten  Radiusvektor,  als  auch  durch  ihre  Länge,  ihr  Licht 
und  ihre  paraboloidförmigen  Hüllen  auf  der  Sonnenseite.  Auf- 
merksame Beobachtungen  und  genaue  Zeichnungen  zeigen,  daß  der 
Radius  der  Hülle  des  8.  Typus  zweimal  größer  war  als  der  Radius 
der  Hülle  des  1.  Typus,  so  daß  das  Konoid  des  3.  Typus  beim 
Kopfe  und  auch  weiterhin  breiter  war,  als  das  des  1.  Typus.  Bei 
einem  bestimmten  Verhältnis  der  Kräfte  einerseits  und  der  Anfangs- 
geschwindigkeit anderseits  ist  auch  die  theoretische  Möglichkeit 
einer  solchen  gegenseitigen  Lage  der  Stoffhüllen  von  verschiedener 
Dichtigkeit  gegeben.  Als  Illustration  zu  allem  diesen  sind  die  Zeich- 
nungen des  Kometen  sehr  wertvoll,  welche  J.  Schmidt  unter  dem 
klaren  Himmel  von  Athen  entworfen  hat. 

Auf  einer  gewissen  Entfernung  vom  Kopfe  brach  das  Konoid 
des  1.  Typus  sich  sozusagen  seine  Bahn  durch  das  Konoid  des 
8.  Typus  und  ließ  letzteres  im  Sinne  der  Bewegung  des  Kometen 
im  Räume  hinter  sich  zurück. 

Äußert  sich  der  Dichteunterschied  der  Teilchen  in  den  repulsiven 
Kräften  und  in  den  Anfangsgeschwindigkeiten  nicht  so  stark  und  so 
scharf,  wie  bei  dem  1.  und  3.  Typus,  sondern  bildet  sie  vielmehr 
eine  gewisse  Aufeinanderfolge  nicht  bedeutend  voneinander  sich  unter- 
scheidender Größen  (verschiedene  Kohlenwasserstoffe,  leichte  Metalle 
usw.),  so  werden  die  entsprechenden  Konoide  auch  nicht  so  stark 
wie  die  Typen  1  und  3  auseinandergehen,  sondern  sich  unbedeutend 
voneinander  trennen  und  wenig  abgelenkt  sein.  In  diesem  Falle  bildet 
sich  ein  Konoidensystem,  welches  im  ganzen  mehr  gegen  sein  Ende 
hin  ausgebreitet  ist,  als  ein  jedes  einzelne  Konoid  des  einen  oder 
andern  Stoffes.  Eine  solche  Form  besaß  im  allgemeinen  der  Haupt- 
schweif des  großen  Donatischen  Kometen  (1858  VI). 

Wenn  die  Ausströmung  aus  irgend  einem  Grunde  eine  gewisse 
Zeit  hindurch  unterbrochen  wird,  so  muß  im  Schweife  ebenfalls  eine 
Unterbrechung  auftreten.  Die  Zeichnungen  früherer  Kometen  geben 
uns  mehr  ab  ein  Beispiel  einer  solchen  Unterbrechung,  ja  sogar 
mehrerer.  Es  ist  unter  anderem  beim  Kometen  1878  V  auf  den 
prachtvollen   Zeichnungen  von  Tempel   in    Florenz   ein   Schweif   zu 


Kometen.  55 

sehen,  welcher  auf  diese  Weise  vom  Kometen  abgerissen  ist  und 
im  Räume  seine  eigene  Bahn  —  oder  besser  gesagt  —  ein  System 
von  Bahnen  beschreibt,  nämlich  jedes  Teilchen  eine  andre.  Die 
Ausströmung  ist  allmählich  versiegt,  indem  sie  immer  schmaler  wurde, 
weshalb  auch  der  Schweif  bis  zur  Trennungsstelle  an  Breite  be- 
ständig abnahm. 

Unter  den  in  den  letzten  Jahren  sorgfältig  photographierten 
Kometen  hat  der  Komet  1898  IV  Wolkenbildungen  aufzuweisen, 
welche  sich  in  der  Schweifrichtung  von  ihm  losgelöst  haben.  Diese 
Wolken  verbleiben  aber  innerhalb  des  theoretischen  Konoids  und 
bewegen  sich  von  Tag  zu  Tag  auf  ihren  Bahnen  mit  Qeschwindig- 
keiten,  welche  im  Mittel  zwölf  geographische  Meilen  in  der  Sekunde 
betragen. 

Unter  den  alten  Kometen  gibt  es  ebenfalls  Fälle  der  Trennung 
des  Schweifes  in  mehrere  einzelne  Stücke.  Die  Kurven,  welche 
letztere  mit  dem  Kopfe  des  Kometen  verbinden,  geben  die  durch  die 
Theorie  angezeigte  Figur  des  Konoids. 

Das  Ausströmungsbüschel  behält  nicht  immer  eine  unveränder- 
liche Richtung  in  bezug  auf  den  Radiusvektor;  es  können  viele 
Beispiele  angeführt  werden,  wo  es  Schwingungen  vollzieht,  welche 
in  einigen  Fällen  eine  gewisse  Zeit  hindurch  unzweifelhaft  periodisch 
waren. 

Wollte  man  annehmen,  daß  die  Ausströmung  und  der  Schweif  Licht- 
erscheinungen seien,  d.  h.  daß  sie  aus  Lichtstrahlen  mit  deren  (Ge- 
schwindigkeiten bestehen,  so  könnte  man  gegen  die  Schwingungen, 
die  wahrscheinlich  von  den  Schwingungen  des  Kerns  abhängen,  nichts 
Besonderes  einwenden ;  im  Schweife  könnte  man  aber  bei  der  großen 
Geschwindigkeit  der  Lichtstrahlen  niemals  diejenigen  Formen  kon- 
statieren, deren  Auftreten  nur  dank  der  mäßigen,  im  Vergleiche  mit 
der  Lichtgeschwindigkeit  sogar  sehr  kleinen  Geschwindigkeit  der  vom 
Kerne  in  den  Raum  sich  fortbewegenden  Schweifteilcheu  sich  als 
möglich  erweist. 

Beim  Kometen  1893  IV  ist  auf  der  Photographie  vom  21.  Oktober 
der  in  der  Nähe  des  Kerns  befindliche  Teil  des  Schweifes  konkav, 
und  diese  Konkavität  ist  im  Sinne  der  Bahnbewegung  nach  vorn 
gekehrt;  in  der  Mitte  des  Schweifes  ist  die  Krümmung  der  Figur 
nach  der  entgegengesetzten  Seite  gewendet,  und  der  Schweif  liegt 
zugleich  an  dieser  Stelle  vor  dem  verlängerten  Radiusvektor ;  gegen 
das  Ende  hin  ist  der  Schweif  wieder  hinter  den  Radius  abgelenkt 
Diese  Krümmungen  beweisen  schon,  daß  im  sichtbaren  Teile  des 
Schweifes  (auf  der  Photographie  vom  21.  Oktober)  die  Spuren  dreier 
Schwingungen,  welche  in  den  vorhergehenden  Tagen  stattgefunden 
haben,  nachgeblieben  sind. 

Beim  Kometen  1862  in  ist  eine  solche  Welle  auf  der  pracht- 
vollen Zeichnung  von  Schmidt  zu  sehen.  Dasselbe  wurde  beim 
Kometen  1894  n  (Gale)  beobachtet.    Bei  diesen  beiden  letzten  Kometen 


56  Kometen. 

wurde  die  Figur  noch  durch  eine  äußerst  interessante  Erscheinung 
kompliziert,  von  der  weiter  unten  die  Rede  sein  wird,  und  welche 
noch  besser  diese  Betrachtungen  bestätigt. 

In  alten  Kometenzeichnungen  finden  sich  Schweife,  welche  ihrer 
ganzen  Länge  nach  wellenförmig  sind.  Nach  dem  zu  urteilen,  was 
uns  über  die  Kometenerscheinungen  des  19.  Jahrhunderts  bekannt  ist, 
muß  man  diesen  Zeichnungen  gegenüber  mit  wissenschaftlicher  Kritik 
verfahren  und  darf  sie  nicht  grundlos  verwerfen. 

Schmidt  in  Athen  beobachtete  einige  Male  mit  größter  Deutlichkeit 
die  Knotenbildung  beim  Kometen  1862  lü.  Der  Schweif  war  nicht 
lang,  und  seine  Zweige  kreuzten  sich  hinter  dem  Kerne  derartig, 
daß  sie  zusammen  mit  dem  Kopfe  die  Form  des  griechischen  Buch- 
stabens Gamma  (y)  bildeten.  Infolge  der  einige  Male  sich  wieder- 
holenden Ausströmungsschwingungen  bewegten  sich  die  Zweige  bald 
gegeneinander,  einen  Knoten  bildend,  bald  wieder  auseinander,  so 
daß  der  Knoten  schweifabwärts  sich  bewegte.  Es  wiederholte  sich 
somit  die  Qammaform  einige  Male  nach  einer  bestimmten  Anzahl  von 
Tagen.  In  einer  speziellen  Abhandlung  über  diesen  Kometen  hat 
Prof.  Bredichin  mit  Hilfe  der  aus  den  Beobachtungen  abgeleiteten 
Schwingungsdauer,  Anfangsgeschwindigkeit  und  Repulsionsgröße  durch 
Berechnung  und  graphische  Konstruktion  die  Entstehung  dieser  sonder- 
baren Schweiffigur  erläutert. 

In  dem  kleinen  Schweife  des  Kometen  1894  II  wurde  ebenfalls, 
und  zwar  von  M.  Wolf,  die  Gammaform  beobachtet  Es  sind  dieses 
die  Komplikationen,  von  denen  bei  Erwähnung  der  wellenförmigen 
Struktur  in  diesem  Kometen  die  Rede  war.  Die  neue  Theorie  muß 
ähnliche  Formen  im  Auge  behalten,  da  in  ihnen  die  ponderable  Aus- 
strömungsmaterie sich  sowohl  durch  ein  verschiedenes  Gewicht  der 
Teilchen,  als  auch  durch  verschiedene  Anfangsgeschwindigkeiten 
kundgibt. 

Stellen  wir  uns  noch  eine  Komplikation  vor.  Es  möge  die  Aus- 
strömungsmasse aus  Stoffen  von  verschiedenem  Molekulargewichte 
bestehen;  letztere  mögen  noch  eine  Reihe  sich  wenig  voneinander 
unterscheidender  Größen,  wie  es  sehr  oft  bei  den  Schweifen  des 
2.  Typus  der  Fall  ist,  bilden.  Teilchen  von  verschiedenem  Gewichte 
besitzen,  wie  schon  oben  bemerkt,  auch  verschiedene  Anfangs- 
geschwindigkeit und  sind  verschiedener  Repulsionskraft  unterworfen. 
Es  möge  ferner  die  Materie  aus  dem  Kerne  nicht  in  kontinuierlichem 
Strome  entweichen,  sondern  stoßweise  mit  Unterbrechungen  in  Form 
einzelner  Wolken,  welche  aufeinander  nach  solchen  Zeitintervallen 
folgen,  daß  im  Schweife  selbst  die  Teilchen  jeder  Ausströmungswolke 
sich  nicht  mit  den  Teilchen  der  vorausgehenden  und  nachfolgenden 
Wolke  mischen.  Eine  dem  Kerne  entströmte  Wolke  bildet  um  ihn 
eine  runde  Nebelhülle,  welche  darauf  in  den  Schweif  übergeht.  In 
letzterem  werden  die  Teilchen  jeder  Wolke  von  bestimmtem  Gewichte, 
einen  entsprechenden  Stoffring  geben;    die  Ringe   leichterer  Teilchen 


Kometen.  57 

werden  während  eines  bestimmten  Zeitintei*valls  sich  am  meisten 
vom  Kerne  entfernen,  werden  sich  aber  zugleich  näher  beim  ver- 
längerten Radiusvektor  befinden;  je  schwerer  die  Teilchen  sind, 
desto  weniger  werden  sie  sich  in  demselben  Zeitintei-vall  vom  Kerne 
entfernen,  und  desto  weiter  werden  sie  hinter  der  Verlängerung  des 
Radiusvektors  des  Kometen  zurückbleiben.  Das  ganze  System  aller 
voneinander  wenig  abstehenden  Stoffringe  einer  und  derselben  Aus- 
strömuugswolke  bildet  im  Räume  ein  hoiües  Konoid,  welches  sich  in 
einer  zur  Achse  der  allgemeinen  Schweiffigur  etwas  geneigten  Richtung 
befindet,  und  diese  allgemeine  Schweiffigur  würde  im  Falle  einer 
kontinuierlichen  Ausströmung  auftreten.  Eine  2.  Ausströmungs- 
wolke bildet  ein  zweites  ähnliches  Konoid  usw.  Die  vordere  und 
(im  Sinne  der  Bewegung  im  Räume)  nachfolgende  Begrenzungslinie 
des  ganzen  Schweifes  werden  durch  die  vordem  und  nachfolgenden 
Enden  der  auf  diese  Weise  gebildeten  hohlen  Konoide  gehen.  Ein 
jedes  Konoid  besteht  aus  Stoffen,  welche  den  Kern  zu  gleicher  Zeit 
verlassen  haben;  aus  diesem  Grunde  kann  es  als  ein  Isochronen- 
gebilde bezeichnet  werden.  Die  in  einer  bestimmten  Richtung  in 
demselben  gezogenen  Linien,  unter  anderem  auch  seine  Achse,  können 
»Isochronen«  genannt  werden,  zum  Unterschiede  von  den  Kurven, 
welche  durch  Teilchen  gehen,  die  den  Kern  in  verschiedenen  Momenten 
verlassen  haben,  jedoch  von  ein  und  derselben  Kraft  in  Bewegung 
gesetzt  werden,  und  welche  deshalb  »Isodynamen«  genannt  werden 
können. 

Sind  die  Zeitintervalle  zwischen  den  Auswürfen  der  einzelnen 
Wolken  nicht  groß  genug,  daß  die  Bildung  einzelner,  isochroner 
Konoide  ermöglicht  ist,  so  werden  diese  Konoide  in  größerem  oder 
geringerem  Maße  miteinander  zusammenfallen,  und  anstatt  getrennter, 
hohler  Konoide  werden  im  Schweife  je  nach  der  Lichthelligkeit  mehr 
oder  weniger  deutliche  und  mehr  oder  weniger  verdichtete  Isochronen- 
streifen  auftreten. 

Bei  ein  und  demselben  Kometen  kann  die  Ausströmung  eine 
Zeit  kontinuierlich  sein  und  darauf  in  Form  mehr  oder  weniger  ge- 
trennter, wolkenförmiger  Gebilde  auftreten  usw.  Es  ist  klar,  daß 
auf  Grund  der  Anzahl  der  einzelnen  Isochronenkonoide  im  Kometen 
ein  Schluß  auf  die  Zahl  der  einzelnen,  d.  h.  nach  genügenden  Zeit- 
intervallen ausgeströmten  Wolken  gezogen  werden  kann. 

Ein  schönes  Beispiel  der  Entwicklung  einzelner,  isochroner 
Konoide  bietet  der  große  Komet  vom  Jahre  1744.  Er  wurde  von 
De  Cbeseaux,  Kirch,  De  Tlsle  und  Heinsius  sehr  sorgfältig  beob- 
achtet und  beschrieben,  und  diese  Beobachtungen  zeigen  im  Schweife 
dieses  Kometen  fünf  völlig  getrennte,  hohle  Konoide.  Als  Ergänzung 
zu  diesem  sind  auf  den  Zeichnungen  von  Heinsius  im  Kometen- 
kopfe 5  Ausströmungshüllen  zu  sehen,  welche  sich  nacheinander 
in  bestimmten  Zeitintervallen  bildeten,  sich  immer  mehr  und  mehr 
vom  Kerne  entfernten  und  darauf  in  den  Schweif  übergingen. 


58  Kometen« 

Die  isodynamen  Konoide  können  ebenfalls  bei  einem  bedeutenden 
Unterschiede  zwischen  den  Gewichten  der  Teilchen,  welche  auf- 
einander sprungweise  folgen,  im  Falle  kontinuierlicher  Ausströmung 
in  einer  gewissen  Entfernung  vom  Kerne  als  einzelne,  getrennte  Konoide 
sich  darstellen.  Ihrer  Lage  in  bezug  auf  den  verlängerten  Radius- 
vektor und  ihrer  Form  nach  unterscheiden  sie  sich  jedoch  von  den 
isochronen  Konoiden.  Die  Berechnung  zeigt  gleich,  zu  welcher  Art 
Erscheinung  eine  beobachtete  Bildung  zu  zählen  ist 

Beim  großen  Kometen  Donati  (1858  VI)  folgten  die  einzelnen 
Hüllen  im  Kopfe,  d.  h.  die  einzelnen  wolkenartigen  Ausströmungen 
der  Materie,  nach  kleinem  Zeitintervallen  aufeinander,  und  die  Folge 
davon  war,  daß  auf  einer  bestimmten  Ausdehnung  des  Schweifes 
Isochrouenstreifen  auftraten,  deren  Enden  dem  vordem,  hellem 
Schweifrande  einen  etwas  gezahnten  Anblick  verliehen.  Man  kann 
sich  leicht  die  Möglichkeit  noch  größerer  sichtbarer  Komplikationen 
in  der  beobachteten  oder  photographierten  Schweifstruktur  vorstellen, 
wenn  die  oben  einzeln  betrachteten  Bedingungen  entweder  gleich- 
zeitig oder  in  einer  gewissen  Reihenfolge  auftreten  werden.  Auch 
muß  hier  nochmals  wiederholt  werden,  daß  eine  jede  neue  Theorie 
die  beschriebenen  charakteristischen  Bildungen,  welche  eben  auf  die 
Verschiedenartigkeit  der  ponderablen  Materie  und  auf  maßige  Ge- 
schwindigkeiten im  Räume  hinweisen,  nicht  außer  acht  lassen  darf. 

Es  könnten  noch  einige  verhältnismäßig  geringe  Eigentümlichkeiten 
angeführt  werden,  welche  sich  direkt  aus  den  Grundprinzipien  der 
Bredichinschen  Theorie  ergeben. 

Diese  Theorie  ist,  wie  im  Anfange  bemerkt,  hauptsächlich  eine 
mechanische,  die  unter  gewissen  Annahmen  über  die  Kräfte  und  die 
Anfangsumstände  der  Bewegung,  die  Fortpflanzung  ponderabler 
Teilchen  im  Räume  und  die  hierdurch  entstehenden  Formen  und  die  Lage 
des  ganzen  Ausströmungsbildes  konstraiert  Die  physische  Ergänzung 
derselben  gründet  sich  auf  bekannte  Analogien  mit  den  elektrischen 
Erscheinungen,  wie  sie  sich  in  den  verdünnten  Gasen  und  Dämpfen 
äußem.  Es  muß  aufrichtig  gewünscht  werden,  daß  es  der  einen 
oder  andern  aus  physikalischen  Experimenten  oder  Betrachtungen  hervor- 
gehenden Theorie  gelingen  möge,  die  in  Rede  stehende  physische 
Ergänzung  genügend  zu  begründen  und  klar  auseinanderzusetzen. 

Da  ferner  aus  den  zahlreichen  Beobachtungen  eine  lange  Reihe 
von  Zahlenwerten  für  die  Repulsionskraft  erhalten  worden  ist,  so 
konnte  die  Theorie  den  Umstand  nicht  außer  acht  lassen,  daß  diese 
Werte  von  selbst  sich  in  einige  Gruppen  einteilen  ließen,  welche 
durch  die  sie  trennenden  Zahlenlücken  interessant  sind.  Gleichzeitig 
wies  das  Spektroskop  in  den  Ausströmungen  vom  2.  Typus,  bei  dem 
die  Repulsionskraft  zahlenmäßig  den  weitesten  Spielraum  umfaßt, 
die  Gegenwart  bekannter  chemischer  Verbindungen  —  der  Kohlen- 
wasserstoffe, leichter  Metalle  usw.  —  nach.  Der  Analogie  gemäß 
hat  Prof.  Bredichin  eine  Beziehung  zwischen  den   maximalen  Kraft- 


Kometen.  59 

großen  und  den  kleinsten  Gewichten  der  Molekeln  bekannter  Elemente 
angenommen. 

Auf  diese  Weise  mußte  die  größte  Repulsivkraft  des  1.  Typus 
den  Wasserstoffmolekeln  zugeschrieben  werden.  Die  Bildungen  dieses 
Typus  sind  von  so  geringer  Dichtigkeit,  daß  es  als  ganz  natürlich 
ist,  daß  das  Spektroskop  bis  jetzt  nicht  mit  Genauigkeit  die  che- 
mische Eigenschaft  seines  Stoffes  feststellen  konnte.  Hieraus  ist  zu 
ersehen,  daß  die  untere  Grenze  der  Molekulargewichte  und  der  Kraft- 
größen viel  genauer  als  die  obere  festgestellt  ist  Die  Analogie  gibt 
hier  nur  einen  Fingerzeig:  für  die  maximale,  durch  die  Berechnung 
der  Beobachtungen  gefundene  Kraftgröße  muß  das  minimale  Atom- 
oder Molekulargewicht  angenommen  werden. 

Wird  die  Voraussetzung  gemacht,  daß  die  Kometen  in  unser 
System  kein  unbekanntes  Element  mitbringen,  so  kann  die  Hoffnung 
geäußert  werden,  daß  die  Frage  über  die  obere  Stufe  der  erwähnten 
Skala  in  nicht  sehr  femer  Zukunft  eine  Lösung  erlangen  wird. 

Die  Frage,  ob  die  Kometen  zu  uns  aus  den  Stemenräumen  oder 
aus  den  entfernten  Gegenden  unseres  Systems  kommen,  oder  Gruppen 
von  ihnen  an  den  Grenzen  dieses  Systems  existieren,  ist  noch  lange 
nicht  gelöst,  wenigstens  nicht  für  alle  Kometen.  Können  wir  aber 
verbürgen,  daß  jenseits  der  Grenzen  unseres  Systems  sich  keine 
Elemente  befinden,  welche  auf  der  Erde  unbekannt  sind  ?  Die  Spektral- 
linien der  planetarischen  Nebelflecke,  d.  h.  der  gasförmigen  Nebel- 
flecke erlauben  es  nicht,  in  dieser  Hinsicht  eine  bestimmte  Antwort 
zu  geben. 

Zuweilen  wurde  die  Meinung  geäußert,  bei  einer  Stoffausströmung 
müsse  der  Komet  an  Größe  abnehmen,  was  aber  durch  die  Beob- 
achtungen nicht  bestätigt  werde.  Hier  liegt  jedoch  ein  bloßes  Miß- 
verständnis vor.  In  bezug  auf  jene  Kometen  mit  großen  Umlaufs- 
zeiten, bei  denen  die  Ausströmung  und  die  Schweifbildung  sehr  be- 
deutend waren,  besitzen  wir  gar  keine  Anhaltspunkte,  um  über  die 
Un Veränderlichkeit  ihrer  Masse  ein  Urteil  fällen  zu  können;  es  kann 
eher  angenommen  werden,  daß  sie  mit  der  Zeit  schwächer  werden, 
wenn  nicht  an  Masse,  so  jedenfalls  doch  in  der  Intensität  der 
Schweifbildungen;  aber  auch  die  Masse  muß  um  die  in  den  Schweif 
ausgeströmte  Materie  geringer  werden.  Über  die  Kometen  mit  Umlaufs- 
zeiten von  hundert  und  mehr  Jahren  muß  dasselbe  bemerkt  werden. 
Für  die  kurzperiodischen  Kometen  endlich  äußert  sich  der  Massen- 
verlust unter  dem  Einfluß  verschiedener  Umstände  unzweifelhaft  schon 
in  ihrem  Zerfallen  in  Meteore. 

Femer  wird  zuweilen  noch  darauf  hingewiesen,  daß  die  Aus- 
strömung einer  ponderablen  Materie,  welche  vom  Kometenkeme  heraus- 
geschleudert wird,  von  einer  Reaktion  auf  den  Kem  begleitet  sein 
muß,  welche  wiedemm  eine  Änderung  in  der  Bahn  hervormfen  kann, 
daß  aber  eine  ähnliche  Reaktion  sich  in  den  Beobachtungen  nicht 
erkennen  lasse.    Aus  diesem  Grunde  hauptsächlich  müsse  die  Theorie, 


60  Kometen. 

in  der  die  Ausströmung  einer  ponderablen  Materie  eine  Rolle  spielt, 
durch  eine  Theorie  der  Lichterscheiniingen  ersetzt  werden. 

Bessel  hat  bekanntlich  Formeln  abgeleitet,  welche  die  thoretische 
Wirkung  der  Ausströmungsreaktion  auf  die  Elemente  der  Kometen- 
bahn darstellt.  Die  Zahlengröße  solcher  Perturbationen  der  Elemente 
hängt  natürlich  von  dem  Verhältnis  der  ausgeworfenen  Masse  zur 
ganzen  Masse  des  Kometen  ab,  welches  jedenfalls  infolge  der  äußersten 
Verdünnung  der  Schweifmaterie  sehr  gering  sein  muß. 

Um  derartige  äußerst  geringe  Störungen  mit  Hilfe  der  Beob- 
achtung nachweisen  zu  können,  ist  eine  sehr  genaue  Kenntnis  der 
Kometenbahn  erforderlich,  wobei  alle  störenden  Wirkungen  der 
Planeten  streng  berücksichtigt  werden  müssen.  Nun  ist  aber  für 
Kometen  mit  sehr  langen  Umlaufszeiten,  deren  Bahnen  aus  einem 
kleinen  Bogen  und  für  einen  Umlauf  bestimmt  sind,  und  unter  denen 
sich  gerade  Exemplare  mit  glänzenden  Schweifentwicklungen  befinden, 
und  sogar  auch  für  die  langperiodischen  Kometen  die  Bahn  nicht 
mit  der  hierzu  erforderlichen  Genauigkeit  bekannt.  Besser  sind  die 
Bahnen  der  kurzperiodischen  Kometen  bekannt;  leider  ist  aber  bei 
diesen  Kometen  die  Kraft,  welche  die  Ausströmung  und  die  Schweife 
erzeugt,  verhältnismäßig  fast  gänzlich  versiegt,  wenn  sie  überhaupt 
in  bedeutendem  Grade  jemals  existiert  hat.  Das  scheinbare  Fehlen 
der  erwähnten  Reaktion  läßt  sich  daher  nicht  als  ein  Beweis  für 
oder  gegen  irgend  eine  Theorie  der  Schweifbildung  ausnutzen. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 

Sternsehnuppenhäuflgrkeit.  Auf  Veranlassung  von  Prof.Elkins 
hat  Prof.  Wolf  in  Heidelberg  alle  dortigen  Platten,  die  in  den  Monaten 
August  und  September  gemacht  sind,  auf  Sternschnuppen  hin  absuchen 
lassen.  Es  wurden  in  den  13  Jahren  von  1890 — 1902  im  ganzen 
mit  den  verschiedenen  kurzbrennweitigen  Linsen  369  Aufnahmen  mit 
625.5  Stunden  Belichtung  gemacht.  Auf  allen  diesen  vielen  Auf- 
nahmen fanden  sich  nur  neunzehn  verschiedene  Sternschnuppen  photo- 
graphiert.  Im  Durchschnitte  kann  man  nach  Wolfs  Erfahrungen  an- 
nehmen, daß  jede  Sternschnuppe  4.  Größe  noch  photographiert  wird. 
Das  Gesichtsfeld  der  Platten  beträgt  im  Durchschnitte  100  Quadrat- 
grad. Der  ganze  Himmel  hat  41  253  Quadratgrad  Oberfläche;  100 
Quadratgrad  bilden  also  rund  den  413.  Teil  des  Himmels.  Der 
413.  Teil  des  Himmels  ist  in  Heidelberg  625  Stunden  lang  photo- 
graphiert worden,  und  dabei  wurden  19  Sternschnuppen  erhalten. 
Auf  eine  Stunde  und  den  ganzen  Himmel  kämen  daher  rund  13  Stern- 
schnuppen und  auf  den  Tag  301.  Diese  Abzahlung  hätte  demnach 
erwiesen,  daß  an  einem  Tage  an  dem  ganzen  Himmel  301  Stern- 
schnuppen vierter  oder  hellerer  Größe  (im  August  und  September)  zu 
fallen  pflegen. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten.  61 

Bahnbestlmmungr  des  Meteors  vom  27.  Februar  1901. 

Die  Bahn  dieses  um  7^  18.5"^  mittlerer  Wiener  Zeit  besonders  in 
den  östlichen  Alpenländern  und  benachbarten  Gebieten  bis  nach 
Ungarn  und  Galizien  wahrgenommenen  Meteors  hat  Prof.  Dr.  G.  v.  Nießl 
mit  Benutzung  der  Angaben  aus  22  Beobachtungsorten  abgeleitet. 
Die  betreffenden  Nachrichten  gelangten  zumeist  infolge  eines  Aufrufes 
an  die  k.  k.  Wiener  Sternwarte  und  wurden  dann  durch  weitere  An- 
fragen und  Messungen  tunlichst  ergänzt. 

Der  Radiationspunkt  der  geozentrischen  scheinbaren  Bahn  befand 
sich  im  Stembilde  des  Kleinen  Löwen,  in  157.2®  +  2.3®  Rekt- 
aszension  und  2B,ß^^  1.6®  nördl.  Deklination.  Die  Bahn  war  gegen 
den  Horizont  des  Endpunktes  aus  dem  Azimut  265.3®,  also  sehr 
nahe  von  0  her  gerichtet  und  28.2  ®  geneigt.  Das  Aufleuchten  wurde 
frühestens  in  einer  Höhe  von  110.7  km  über  der  Gegend  südlich  von 
Birkfeld  in  Steiermark  nachgewiesen.  Von  hier  ging  die  Bahn  11  km 
südlich  an  Brück  a.  d.  M.  vorbei,  über  Möderbruck  im  Pölstale,  über 
die  Ober-Zeiringer  und  Sölker  Alpen  bis  zum  Hocheck,  südwestlich 
vom  HochgoUing,  wo  das  Meteor  in  31.7  km  Höhe  erlosch.  Detona- 
tionen wurden  nicht  gemeldet,  die  Lichtstärke  war  jedoch  ziemlich 
bedeutend. 

Aus  26  Dauerschätzungen  konnte  mit  Sicherheit  festgestellt 
werden,  daß  die  geozentrische  Geschwindigkeit  nicht  unter  38  km 
betragen  hatte,  woraus  auch  für  diese  Erscheinung  wieder  eine  helio- 
zentrische Bahn  hervorgeht,  welche  ausgeprägt  hyperbolischen  Cha- 
rakter zeigt  Der  nachgewiesene  Radiationspunkt  stimmt  mit  dem 
aus  Sternschnuppenbeobachtungen  in  nahe  gelegenen  Epochen  ab- 
geleiteten ungefähr  überein. 

Die   große   Feuerkugel    vom   16.  November   1902    ist 

Gegenstand  spezieller  Untersuchungen  durch  Dr.  F.  Koerber  ge- 
worden. 

Hiemach  war  dieselbe  sichtbar  auf  einem  Areal,  das  durch  das 
Fünfeck  Groningen  —  Naugard  i.  Pr.  —  Starkenbach  (Böhmen)  — 
Frankfurt  a.  M.  —  Nimwegen  begrenzt  ist.  Wie  die  meisten  hellen 
Meteore  hat  auch  diese  Erscheinung  bei  vielen  Beobachtern  die 
Illusion  unmittelbarer  Nähe  der  Flugbahn  und  des  Niedergangspunktes 
zur  Folge  gehabt.  Vermeintliche  Oberreste  des  Meteors  wurden  nicht 
nur  aus  Steglitz  eingesandt,  während  gleichzc^itig  ein  Beobachter  in 
Earlshafen  a.  Weser  die  Feuerkugel  vor  den  Wipfeln  dortiger  Bäume 
und  ein  anderer  in  Zellerfeld  a.  H.  vor  einem  Bergzuge  gesehen  zu 
haben  meinte.  Diese  mit  großer  Bestimmtheit  ausgesprochenen  Be- 
hauptungen wurden  nach  Eintragung  sämtlicher  beobachteter  Azi- 
mute des  Hemmungspunktes  in  eine  Landkarte  durchweg  als  auf 
Täuschung  beruhend  erkannt.  Die  Richtungslinien  konvergierten  nach 
der  Gegend  von  Marburg  a.  L.,  und  Dr.  Koerber  legte  deshalb  der 
weitem    Bahnbestimmung    als   Koordinaten     des    Hemmungspunktes 


62  Sternschnuppen  und  Meteoriten. 

die  Werte  A  ==  26®  14'  östL  v.  Ferro,  ^  =  50«  48'  zurunde,  die 
etwa  dem  Dorfe  Gladenbach  bei  Bifarburg  entsprechen.  Leider 
waren  aus  Marburg  selbst  keine  zuverlässigen  Angaben  zu  erlangen, 
die  das  angegebene  Resultat  hätten  bestätigen  können. 

Zur  Ermittlung  der  Höhe  des  Hemmungspunktes  konnten  Höhen- 
schätzungen und  Beziehungen  auf  einige,  bereits  sichtbare  Sterne 
(namentlich  Jupiter  und  Saturn)  aus  sechzehn  verschiedenen  Orten 
verwendet  werden.  Es  ergab  sich  für  die  Höhe  des  Hemmungspunktes 
der  Wert:  =  60.1   ±  7.9  km. 

Zeigt  sich  schon  hier  ein  ungewöhnlich  großer,  wahrscheinlicher 
Fehler,  so  konnte  die  Genauigkeit  bei  der  Ermittlung  des  Radiations- 
punktes   ebenfalls    nur    eine    sehr   geringe  sein.     Es  ergab  sich  als 
definitives  Resultat  für  den  scheinbaren  Radiationspunkt: 
a  =  89.30  j.   5.60^  ^  =  +  32.2»  +   0.8« 

Dieser  Punkt  hatte  zur  Zeit  des  Meteorfalles  vom  Hemmungsort 
aus  das  Azimut  247«  und  die  Höhe  24«,  so  dafi  danach  in  Ober- 
einstimmung mit  vielen,  sonst  nicht  zur  Ermittlung  des  Radiations- 
punktes benutzten  Berichten  der  Flug  der  Feuerkugel  etwa  in  der 
Linie  Wittenberg — Marburg  bei  einer  Neigung  von  24«  nach  abwärts 
erfolgte. 

Der  oben  gefundene  Radiationspunkt  liegt  nur  15«  von  dem- 
jenigen der  früher  am  27.  November  mehrmals  in  großer  Zahl  er- 
schienenen Sternschnuppen  entfernt,  welche  die  Überreste  des  Biela- 
Bchen  Kometen  darstellen.  Deren  Radiant  würde  sogar  der  Berliner 
Beobachtung  (senkrechte  scheinbare  Bahn)  noch  besser  genügen,  als 
der  oben  angegebene.  Dr.  Koerber  hält  es  daher  bei  der  Unsicher- 
heit aller  übrigen  Einzelbeobachtungen  für  sehr  wahrscheinlich,  daß 
die  Feuerkugel  vom  16.  November  mit  dem  Bielaschen  Kometen  zu- 
sammenhängt, zumal  das  Zusammentreffen  der  Bieliden  mit  der  Erde 
sich  nach  neuem  Berechnungen  von  Berberich,  Abelmann  u.  a.  infolge 
von  Störungen  seitens  des  Jupiter  auf  den  17.  November  verschoben 
haben  sqll. 

Die  Dauer  der  Sichtbarkeit  der  Feuerkugel  wird  fast  in  allen 
Berichten  auf  8 — 4  Sekunden  geschätzt;  Koerber  nahm  aus  23  ver- 
schiedenen Angaben  den  Mittelwert  von  8.8  Sekunden  an.  Die 
lineare  Länge  der  Flugbahn  fand  sich  im  Mittel  zu  18S  km  und  dem- 
nach die  Geschwindigkeit  zu  55.5  km. 

Für  die  Höhe,  in  welcher  die  Feuerkugel  vom  16.  November 
sichtbar  geworden  ist,  fand  sich  unter  Zugrundelegung  der  Bahn- 
länge von  828  km  der  Wert  von  200  km.  Eine  Detonation  ist  an 
den  meisten,  in  der  Nähe  des  Hemmungspunktes  gelegenen  Beobach- 
tungsorten nicht  bemerkt  worden,  was  bei  der  verhältnismäßig 
großen  Höhe  des  Hemmungspunktes  nicht  verwunderlich  ist  Die  ein- 
zigen, in  dieser  Hinsicht  ernstlich  in  Betracht  zu  ziehenden  Angaben 
sind:   in  Brilon  »nach  5 — 10  Minutenc  ein  femer  Knall,   in  Höxter 


Sternschnuppen  und  Meteoriten.  63 

>nach  ungefähr  5  Minutenc  zwei  kanonenschußartige  Geräusche.  Da 
der  Hemmungspunkt  rechnungsmäßig  von  Brilon  109  /nn  und  von 
Höxter  157  /m»  entfernt  war,  so  müßte  der  Schall  Brilon  nach  etwa 
5Yj  Minuten,  Höxter  nach  etwa  8  Minuten  erreicht  haben,  was  mit 
den  obigen  Angaben  hinreichend  stimmt 

Was  die  äußere  Erscheinung  der  Feuerkugel  betrifft,  so  ist 
zunächst  deren  außerordentliche  Helligkeit  bemerkenswert  Dieselbe 
rief  trotz  der  noch  intensiven  Dämmerung  Schattenwirkungen  hervor. 
—  Die  Farbe  der  Lachterscheinung  wird  meist  als  grünlich-weiß, 
mitunter  auch  als  blau-weiß  bezeichnet  Die  Gestalt  des  Licht- 
körpers war  birnförmig,  sein  Durchmesser  wurde  in  Hamburg  auf 
etwa  15  Minuten  geschätzt  Femer  wird  von  den  meisten  Beobach- 
tern übereinstimmend  und  mit  Nachdruck  ein  zweimaliges  Aufleuchten, 
resp.  zweimalige  Explosion  konstatiert  Nach  Zurücklegung  von 
*/,  ihres  ganzen  Weges  stand  die  Kugel  scheinbar  einen  Moment  still, 
und  es  lösten  sich  zahlreiche  grüne  Teile  explosionsartig  ab,  der 
Hauptkörper  flog  nun  noch  weiter  und  zeigte  schließlich  beim  Ver- 
löschen eine  nochmalige  Auflösung  in  viele  kleine  Teile.  Der  Schweif 
wurde  in  der  Regel  noch  3 — 4  Sekunden  lang  gesehen. 

Zum  Schluß  erwähnt  Dr.  Koerber,  daß  an  demselben  Abend 
um  7h  2^1^1X1  bei  Hämerten  in  Hannover  noch  ein  zweites,  sehr 
helles  Meteor  beobachtet  worden  ist,  über  dessen  Bewegung  jedoch 
nichts  ermittelt  werden  konnte. 

Das  Heteorelsen  von  N'Ooureyma  im  Sudan.  Über  das- 
selbe macht  £.  Cohen  nähere  Mitteilungen:^)  Dieser  am  15.  Juni  1900 
im  Sudan  bei  N*Goureyma  niedergefallene  Meteorit  im  Gewichte  von 
377s  ^9  besitzt  ungefähr  die  Gestalt  eines  Tropfens  oder  einer  flachen 
keilförmigen  Masse  von  57^9  <^  Länge  und  28  cm  größter  Breite. 
Der  Keil  spitzt  sich  nach  beiden  Enden  zu,  so  daß  das  scharfe 
3'/^  cm  und  das  stumpfe  14  cm  breit  ist.  Zwischen  1  und  9  cm 
Dicke  variierend,  wird  die  Masse  so  dünn,  daß  sie  faktisch  nur  von 
2  Flächen  begrenzt  ist,  die  sich  an  einer  ziemlich  scharfen  Kante 
treffen;  die  eine  Fläche  ist  bedeutend  konvexer  als  die  andere.  Aus 
ihren  Besonderheiten  erkennt  man,  daß  der  Meteorit  deutlich  orientiert 
gewesen,  und  zwar  bildet  die  flachere  Seite  die  Rücken-,  die  ge- 
krümmtere die  Stirnseite.  Auf  der  erstem  sind  die  Eindrücke  flacher, 
größer  und  meist  in  die  Länge  gezogen,  die  Kanten  abgerundet,  die 
Oberflächen  glatter,  die  Rinde  weniger  uneben  und  etwas  heller  mit 
schärfer  zugespitzten  Hervorragungen,  als  auf  der  Stirnseite,  welche 
ihrerseits  feinere  und  zahlreichere  Driftwirkungen  aufweist  und  eine 
isolierte,  tiefe  Höhlung  an  dem  schildförmigen  Teile  besitzt. 

Diese  Unterschiede  sind  durch  die  Orientierung  während  des 
Fluges  durch  die  Luft   bedingt  und   verständlich;   die   schildförmige 


^)  American  Journal  of  Science  1908  p.  254.  Naturwiss.  Rundschau  1908 
p.  381. 


54  Kometen. 

Fächer  sich  so  bedeutend  zusammenfalten,  daß  der  Schweif  wieder 
seine  normale  Figur  annahm,  welche  vor  dem  Eintritte  der  durch  die 
Perspektive  hervorgerufenen  Eigentümlichkeiten  beobachtet  wurde. 

Zugunsten  der  Materialität  der  Schweifteilchen  spricht  deutlich 
die  Notwendigkeit  der  Annahme  einer  Verschiedenheit  der  Molekular- 
gewichte oder  der  Dichtigkeit,  woraus  umgekehrt  die  Verschiedenheit 
der  repulsiven  Kraft  und  der  Anfangsgeschwindigkeit  der  Ausströmung 
aus  dem  Kerne  sich  ergibt.  Eine  ungeheure  Verschiedenheit  äußert 
sich,  wie  viele  Beispiele  zeigen,  in  den  Schweifen  verschiedener 
Typen  bei  einem  und  demselben  Kometen.  Der  große  Komet  1861  11 
besaß  2  Schweife  (1.  und  3.  Typus),  welche  sich  scharf  von- 
einander unterschieden,  sowohl  durch  ihre  Krümmung  und  Ablenkung 
vom  verlängerten  Radiusvektor,  als  auch  durch  ihre  Länge,  ihr  licht 
und  ihre  paraboloidförmigen  Hüllen  auf  der  Sonnenseite.  Auf- 
merksame Beobachtungen  und  genaue  Zeichnungen  zeigen,  daß  der 
Radius  der  Hülle  des  3.  Typus  zweimal  größer  war  als  der  Radios 
der  Hülle  des  1.  Typus,  so  daß  das  Konoid  des  3.  Typus  beim 
Kopfe  und  auch  weiterhin  breiter  war,  als  das  des  1.  Typus.  Bei 
einem  bestimmten  Verhältnis  der  Kräfte  einerseits  und  der  Anfangs- 
geschwindigkeit anderseits  ist  auch  die  theoretische  Möglichkeit 
einer  solchen  gegenseitigen  Lage  der  Stoffhüllen  von  verschiedener 
Dichtigkeit  gegeben.  Als  Illustration  zu  allem  diesen  sind  die  Zeich- 
nungen des  Kometen  sehr  wertvoll,  welche  J.  Schmidt  unter  dem 
klaren  Himmel  von  Athen  entworfen  hat. 

Auf  einer  gewissen  Entfernung  vom  Kopfe  brach  das  Konoid 
des  1.  Typus  sich  sozusagen  seine  Bahn  durch  das  Konoid  des 
8.  Typus  und  ließ  letzteres  im  Sinne  der  Bewegung  des  Kometen 
im  Räume  hinter  sich  zurück. 

Äußert  sich  der  Dichteunterschied  der  Teilchen  in  den  repulsiven 
Kräften  und  in  den  Anfangsgeschwindigkeiten  nicht  so  stark  und  so 
scharf,  wie  bei  dem  1.  und  3.  Typus,  sondern  büdet  sie  vielmehr 
eine  gewisse  Aufeinanderfolge  nicht  bedeutend  voneinander  sich  unter- 
scheidender Größen  (verschiedene  Kohlenwasserstoffe,  leichte  Metalle 
usw.),  so  werden  die  entsprechenden  Konoide  auch  nicht  so  staric 
wie  die  Typen  1  und  3  auseinandergehen,  sondern  sich  unbedeutend 
voneinander  trennen  und  wenig  abgelenkt  sein.  In  diesem  Falle  bildet 
sich  ein  Konoidensystem,  welches  im  ganzen  mehr  gegen  sein  Ende 
hin  ausgebreitet  ist,  als  ein  jedes  einzelne  Konoid  des  einen  oder 
andern  Stoffes.  Eine  solche  Form  besaß  im  allgemeinen  der  Haupt- 
schweif des  großen  Donatischen  Kometen  (1858  VI). 

Wenn  die  Ausströmung  aus  irgend  einem  Grunde  eine  gewisse 
Zeit  hindurch  unterbrochen  wird,  so  muß  im  Schweife  ebenfalls  eine 
Unterbrechung  auftreten.  Die  Zeichnungen  früherer  Kometen  geben 
uns  mehr  als  ein  Beispiel  einer  solchen  Unterbrechung,  ja  sogar 
mehrerer.  Es  ist  unter  anderem  beim  Kometen  1873  V  auf  den 
prachtvollen   Zeichnungen  von  Tempel   in    Florenz   ein   Schweif   zu 


Kometen.  55 

sehen,  welcher  auf  diese  Weise  vom  Kometen  abgerissen  ist  und 
im  Räume  seine  eigene  Bahn  —  oder  besser  gesagt  —  ein  System 
von  Bahnen  beschreibt,  nämlich  jedes  Teilchen  eine  andre.  Die 
Ausströmung  ist  allmählich  versiegt,  indem  sie  immer  schmäler  wurde, 
weshalb  auch  der  Schweif  bis  zur  Trennungsstelle  an  Breite  be- 
ständig abnahm. 

Unter  den  in  den  letzten  Jahren  sorgfältig  photographierten 
Kometen  hat  der  Komet  1893  IV  Wolkenbildungen  aufzuweisen, 
welche  sich  in  der  Schweifrichtung  von  ihm  losgelöst  haben.  Diese 
Wolken  verbleiben  aber  innerhalb  des  theoretischen  Konoids  und 
bewegen  sich  von  Tag  zu  Tag  auf  ihren  Bahnen  mit  Geschwindig- 
keiten, welche  im  Mittel  zwölf  geographische  Meilen  in  der  Sekunde 
betragen. 

Unter  den  alten  Kometen  gibt  es  ebenfalls  Falle  der  Trennung 
des  Schweifes  in  mehrere  einzelne  Stücke.  Die  Kurven,  welche 
letztere  mit  dem  Kopfe  des  Kometen  verbinden,  geben  die  durch  die 
Theorie  angezeigte  Figur  des  Konoids. 

Das  Ausströmungsbüschel  behält  nicht  immer  eine  unveränder- 
liche Richtung  in  bezug  auf  den  Radiusvektor;  es  können  viele 
Beispiele  angeführt  werden,  wo  es  Schwingungen  vollzieht,  welche 
in  einigen  Fällen  eine  gewisse  Zeit  hindurch  unzweifelhaft  periodisch 
waren. 

Wollte  man  annehmen,  daß  die  Ausströmung  und  der  Schweif  Licht- 
erscheinungen seien,  d.  h.  daß  sie  aus  Lichtstrahlen  mit  deren  Ge- 
schwindigkeiten bestehen,  so  könnte  man  gegen  die  Schwingungen, 
die  wahrscheinlich  von  den  Schwingungen  des  Kerns  abhängen,  nichts 
Besonderes  einwenden ;  im  Schweife  könnte  man  aber  bei  der  großen 
Geschwindigkeit  der  Lichtstrahlen  niemals  diejenigen  Formen  kon- 
statieren, deren  Auftreten  nur  dank  der  mäßigen,  im  Vergleiche  mit 
der  Lichtgeschwindigkeit  sogar  sehr  kleinen  Geschwindigkeit  der  vom 
Kerne  in  den  Raum  sich  fortbewegenden  Schweifteilchen  sich  als 
möglich  erweist. 

Beim  Kometen  1698  FV  ist  auf  der  Photographie  vom  21.  Oktober 
der  in  der  Nähe  des  Kerns  befindliche  Teil  des  Schweifes  konkav, 
und  diese  Konkavität  ist  im  Sinne  der  Bahnbewegung  nach  vorn 
gekehrt;  in  der  Mitte  des  Schweifes  ist  die  Krümmung  der  Figur 
nach  der  entgegengesetzten  Seite  gewendet,  und  der  Schweif  liegt 
zugleich  an  dieser  Stelle  vor  dem  verlängerten  Radiusvektor ;  gegen 
das  Ende  hin  ist  der  Schweif  wieder  hinter  den  Radius  abgelenkt 
Diese  Krümmungen  beweisen  schon,  daß  im  sichtbaren  Teile  des 
Schweifes  (auf  der  Photographie  vom  21.  Oktober)  die  Spuren  dreier 
Schwingungen,  welche  in  den  vorhergehenden  Tagen  stattgefunden 
haben,  nachgeblieben  sind. 

Beim  Kometen  1862  m  ist  eine  solche  Welle  auf  der  pracht- 
vollen Zeichnung  von  Schmidt  zu  sehen.  Dasselbe  wurde  beim 
Kometen  1894  n  (Gale)  beobachtet.    Bei  diesen  beiden  letzten  Kometen 


66 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


& 

Zelt  des  FaUes, 

resp.  Auffindung 
der  herabgefallenen 

Tageszeit 

Fallort  oder  Fundort 

A 

4 

1011 

_ 

In  Burgund^) 

5 

1094  April  4 

— 

Frankreich,  wo?*) 

6 

1190 

— 

Clermont,  Oise  u.  Compiegne  bei  Beauvais  *) 

7 

1198  Juni  (Juli  8) 

— 

Zwischen  Chelles  und  St  Georgas  de 
Levejac,  Seine  et  Oise*) 

8 

1540  April  28 

— 

Les  Eglises,  Haute  Vienne 

9 

1560  Dezember 

(November)  24 

11— 121^  vorm. 

Lillebonne  bei  H&vre,  Seine  inferieure^) 

10 

1600  gefunden 

— 

La  Caille,  Grasse,  Alpe  maritimes*) 

11 

1618  März  7 

Ih  vorm. 

Paris  T 

12 

1634  Oktober  27 

8ii  vorm. 

Charollais,  Saone  et  Loire 

18 

1637  November  27 

10  ii  vorm. 

Mont  Vaisien,  unweit  Nizza 

14 

1721  Juni  3 

— 

Lessay,  Contance,  La  Manche 

16 

1738  Oktober  18 

4h  50m  nachm. 

Carpentras  bei  Avignon,  Vaucluse 

16 

1740  Febr.  23  (29) 

31»  vorm. 

Bei  Toulon  in  das  Meer 

17 

1750  Oktober  11  (1) 

12 — \^  nachm. 

mittags 
1^  nachm. 

Nicor  bei  Gontances,  La  Manche 

18 

1753  September  7 
1755  (1756)  Nov.  4 

Luponnas  bei  Pont  de  Vesle,  de  TAin 

19 

8—4  h  nachm. 

Bourbonnais  ^) 

Captieuz  bei  Bazas,  Gironde*) 

20 

1759  Juni  13 

91^  nachm. 

21 

1761  Nov.  11—12 

4  h  45  m  vorm. 

Chamblons,  Gote  d'or 

22 

1768  September  13 

4h  30™  nachm. 

Luce  en  Maine,  Sarthe 

23 

1768 

— 

24 

1790  Juli  24 

8h  30m  nachm. 

(9h  nachm.) 

Barbotan  u.  a.  Orten,  Landes 

25 

1798  März  8  (12) 

6h  30m  nachm. 

Salles  bei  Lyon,  Rhone 

26 

1803  April  26 

1— 2  h  nachm. 

L'Aigle,  Evreux,  Orne*«) 

27 

1803  Oktober  8 

10  h  vorm. 

Saurette,  Apt,  vaucluse 

28 

1805  November  1 

Am  Tage 

Asco  auf  Korsika 

29 

1806  März  15 

5h  30m  nachm. 

Alais  bei  St.  Etienne  de  Lohn  und  Va- 
lence,  Gard 

30 

1810  September 

— 

Ghartres,  Eure  et  Loir 

31 

1810  November  23 

Ih  80  m  nachm. 

Gharsonville,  Boisf ontaine ,  Meung,  La 
Touanne  Loiret 

32 

1812  April  10 

8h  15m  nachm. 

Burgau  bei  Toulousse  und  Prodere,  Haute 
Garonne 

33 

1812  August  5 

2— 3h  vorm. 

Ghantonnay  bei  Nantes,  Vendee 

34 

1814  September  5 

kurz  vor  12  h 

mittags 

Mouchar  bei  Agen  und  Le  Temple,  Lot 
et  Garonne 

35 

1815  Oktober  3 

8  h  vorm. 

Chassigny,  Haute-Mame 

36 

1816 

— 

Gonfolenz  a.  d.  Vienne,  Gharente 

37 

1817  November  17 

— 

Provence 

38 

1818  Februar  15 

5h  26m  nachm. 

Limoges,  Haute- Vienne 

89 

1819  Juni  13 

ßh  15  m  vorm. 

Jonzac  u.  Barbezieux,  Gharante-Inferieure 

40 

1821  Juni  15 

3— 4  h  nachm. 

Juvinas  bei  Aubenas,  Ardeche^^) 

41 

1822  Juni  3 

8  h  20  m  nachm. 

Angers,  Maine  et  Loire 

*)  Fielen  Steine  nach  Schnurrer.  —  *)  unter  vielen  Sternschnuppen  fiel  eine  su  Boden, 
begossen  zischte  sie.  —  *)  Entstand  Brand.  Raben  mit  glühenden  Steinen.  —  *)  Steine  gefallen 
nach  Lycosthenes.  —  *)  Angeblich  ein  Pulvermagazin  anzündend.  —  *)  cfr.  1828.  —  "O  Verursachte 
Brand  im  Justizpalast.  —  ^  Angeblich  ein  Stein,  welcher  mit  Getöse  in  einen  Sumpf  fiel.  — 
^  Brand.  —  ^  2000—3000  Steine,  an  einzelnen  Stellen  hageldicht  mit  furchtbarer  Detonation. 
~  >*)  Nach  Buchner:  weniger  richtig  Juvenas. 


Steroflchnuppen  und  Meteoriten. 


67 


Zeit  des  Falles, 

resp.  Auffindung 

der  herabgefallenen 

Meteormassen 


Tagesseit 


Fallort  oder  Fundort 


42 
48 
44 
45 

46 

47 

48 
49 
60 

51 
52 
53 
54 
55 
56 

57 
58 
59 
60 

61 
62 

68 
64 

65 
66 
67 

68 


70 
71 
72 
73 
74 


1822  Juni  21 
1822  September  13 

1825  gefunden 

1826  Mai  25. 
1828  gefunden 

1831  Mai  13  (JuU  18) 
1885  (1836)  Jan.  31 
1836  November  18 
1836  Februar  12 

1836  September  14 

1837  März  28 

1837  August 

1838  Juli  22 

1840  August  8 

1841  Februar  26 

1841  Juni  12 
1841  September  6 
1841  November  5 

1841  November  18 

1842  Juni  8  (4) 
1842  November  18 

1842  Dezember  5 

1844  Oktober  21 

1845  Januar  25 

1845  Juli  14 

1846  Januar  16 

;i846  März  22 

1848  Juli  4 

1849  Juni  16 
1851  Sommer 
1853  Mai  4 
1857  Oktober  1 
1857  November  2 


7  h  vorm. 


geg.Mittemacht 
Ih  nachm. 
9^  nachm. 

6  h  30  m  nachm. 

8  h  nachm. 


Am  Tage 

8  h  nachm. 

Ih  80m  nachm. 

9h  5 m  nachm. 


5  h  80m  vorm. 
Zwisch.6h80m 
und  7  h  vorm. 

8h  nachm. 

3h  nachm. 
5  h  45  m  nachm. 

(3  h  nachm.) 

8  h  nachm. 


6— 7  h  nachm. 


4h  45m  nachm. 
4  h  45  m  nachm. 


Glohars,  Touesnant 
La  Baffe  bei  Epinal,  Vogesen 
Bois-de-Fontaine,  Meung,  Loiret 
Monte  Galapian,  Agen,  Lot   et  Garonne 
La  Gaille,  NW  von  Grasse,  Alpes  mari- 
times ^) 
Voinlle  bei  Poitiers,  de  la  Vienne") 
Mascombes,  Correze 
Belmont,  Simonod,  Ain") 
In  einem  Sumpfe  bei  Orval,  Constance, 

Mance 
Aubres,  Nyons,  Dröme 
Lons-le-Saunier,  Jura^) 
Esnandes,  Gharente  inferieure 
Momtilivault,  Loire  et  Gher 
Tamaville  bei  Volognes,  La  Manche 
Les  Bois-aux-Rouz  b.  Ghanteloup,  de  la 

Manche  ^) 
Trigu^res,  Ghäteau-Renard,  Loiret 
St  Ghristophe  la  Ghartreuse,  Vendee  ^ 
Roche-Serviere  bei  Bourbon,  Vendee^ 
Von   Bethuns  aus   gesehen,   stürzte  ein 

Meteor  in  den  Pas-de-Gsdais  ^ 
Aumi^res,  Lozere*) 
Montierender     bei    Vendome,     Loir    et 

Gher«) 
Eaufromont  bei  Epinal,  Vogesen  ^®) 

Favars,  Laissac,  Dep.  Aveyron 
Le  Pressoir,  Louans,  Indre  et  Loir 
La  Vivionniere,  Teüleul,  de  la  Manche 

Bei  Ghalons  sur  Saone,  Saone  et  Lois^^) 
St.  Paul  bei  Bagneres-de-Luchon,  Haute 

Garonne  *■) 
Montignac,  Aveyron,  Marmande,  Lot  et 

Garonne  ^ 
Paris  ") 

Quinpay,  Poitiers,  Vienne 
Geanges,  Marne '^) 
Les  Osmes,  Joigny,  Yonne^*) 
Ghamy,  Tonne*') 


')  cfr.  leOO.  —  ■)  Nach  Keeselmeyer  Juli  18,  ebenso  nach  Bachner  mit  Zusatz,  nach  dem 
Kataloge  des  Pariser  Museums,  Meunier.  Nach  Brezina  Mai  13.  —  *)  Verursachte  Brand  eines 
Strohdaches.  2  Steine  gefunden.  —  *)  Angeblicher  Fall.  —  *)  Verursachte  Brand.  —  *)  Nach 
Bresina:  September  6  Nr.  68.  Beide  wohl  identisch,  trotz  des  verschiedenen  Datums.  Nach 
WÜlfing  November  5  Nr.  SO.  —  "*)  Eine  ungeheure  Feuerkugel  fiel  mit  Getöse  in  das  Meer. 
Büchner  und  Kesselmeyer  1841,  Qreg  1842.  —  *)  Buchner:  Juni  4,  Brezina  und  v.  Boguslawki: 
3.  Juni.  —  ^  Verursachte  Brand.  —  '<*)  Das  Meteoreisen  wurde  erst  im  Sommer  1851  gefunden. 
Nach  Buchner.  —  ^)  Feuersbronst.  —  ^  Brand.  —  ^)  Nach  Buchner  befinden  sich  Bruchstücke 
im  Britischen  Museum.  —  ^^j  Angeblicher  SteinfaU,  soll  in  ein  Haus  eingeschlagen  haben.  — 
**)  Nach  Webers  illustr.  Kalender.  Nirgend  wo  anders  gefunden.  —  ^  Nach  Brezina,  Kessel- 
meyer u.  Buchner.  Heis  Wochensohr.  1857  fahrt  einen  Fall  1857  Aug.  5  bei  Ormes,  Bez.  Oharle- 
sant,  Vienne  auf.  —  ")  Vielleicht  mit  obigem  Falle  identisch. 

5» 


68 


Stern8chnupp«n  und  Meteoriten. 


£' 

Zeit  des  Falles, 

«N 
0 

resp.  Auffindung 
der  herabgefallenen 

Tageszeit 

FaUort  oder  Fundort 

J. 

Meteormassen 

75 

18B8  Dezember  9 

7h  5m  vorm. 

Aussun,  Montrejean  a.  d.  Oaronne,  Haute 
Garonne  ^) 

76 

1859  Maxz  12 

— 

Castillion,  Gironde 

77 

1859  Mai 

3*1  nachm. 

Bueste,  Fau,  Pyrenees 

78 

1861  Februar  14 

6iia0m  nachm. 

Tocane,  St.  Apre,  Dordogne") 

79 

1864  Januar  10 

91^  nachm. 

Bei  Brest») 

80 

1864  Mai  14 

S^  nachm. 

Orgueil,  Tarn  et  Garonne 

81 

1864  September  9 

12t  12m  mit- 

tags, nachm. 
9*»  30m  nachm. 

Tarbes,  Pyrennees  Hautes«) 

82 

1866  Mai  4 

Vernicourt  bei  Nolay,  Cote  d'or») 

88 

1866  Mai  80 

3h  45m  vorm. 

St.  Mesmin,  Troyes,  Aube 

84 

1868  JuU  11 

11h  nachm.  (?) 

Zwischen  Omans  und  Salins,  Doabs 

86 

1868  Septbr.  7  (6) 

2h  80m  vorm. 

Sanguis-St  Etienne,  Basses  PyrenSes 

86 

1869  Mai  22 

9  h  15  m  nachm. 

Kemouve,  Cleguerec,  Bretagne 

87 

1871  Juni  14 

8.h  nachm. 

Laborel,  Dröme,  Isere 

88 

1871  November 



Bei  Montereau,  Seine  et  Marne«) 

89 

1872  Juli  28 

5 -6h  nachm. 

Lamie  b.  Vendome,  Loire  et  Cher^ 

Lanc6,  Authon,  Orleans«) 

Nachher  gefunden:  de  Saint  Armand^ 

90 

1874  November  26 

10h  30m  vorm. 

Kerilis,  Callas,  CÖtes  du  Nord 

91 

1875  Februar  10 

5  h  45  m  nachm. 

Insel  Oleron,  Vendöe 

92 

1875  März  9 

8  h  nachm. 

Orleans,  Loiret 

98 

1875  September 

— 

Mornans,  Bordeaux,  Dröme 

94 

1877  Juni  14 

8h  46m  nachm. 

Chlermont,  Enjouleme,  Bordeaux") 

95 

1879  Januar  81 

12  h  80m  mit- 

tags, nachm. 

La  Becasse,  Dun  le  Poelier 

96 

1888  Januar  28 

2h  45m  nachm. 

Saint  Caprais  deQuinsac,  C.  Greon,  Gironde 
Grazac  b.  Issingeaux,  Haute  Loire  ^^) 

97 

1885  August  10 

4  h  vorm. 

96 

1892  Februar  29 

Grazac  und  Montpelegry,  Tarn*«) 

oder  März  1 

— 

Grande-Metaire  b.  Bourgos^) 

99 

1897  April  14 

118h  nachm. 

Plaimpied  b.  Bourgos**) 
Viervüle,  Caen,  Mdaros«) 

100 

1897  Juni  20 

— 

Lanpon,  Bouches,  du  Rhone 

101 

gefunden 

1900  September  7 

— 

Luchon  in  den  Pyrenäen") 

102 

11h  nachm. 

Calvi  auf  Korsika 

108 

1901  Mw-z  17 

— 

Kerbriand,  Bretagne 

1111360 
2 II  gefunden 


Grofibritannien  und  Irland 

—  I  Yorkshire 

—  I  Dunsinnan,  Schottland  ") 


>)  2  Steine,  von  denen  der  eine  auf  das  Strohdach  eines  Hauses  fiel.  —  ")  Nach 
Waifing  wohl  Pseudometeorlt.  —  *)  Detonierende  Feuerkugel  mit  angeblichem  Meteoritenfalle. 
«)  Sehr  heftig  detonierendes  Meteor,  das  über  Pau  Pyrönöes  platzte  mit  wahrscheinlichem 
Niederfalle  von  Meteoriten.  —  *)  Feuersbrunst.  —  *)  Nach  Flight  Steinfall,  nach  »Comptes  rendns« 
angeblich  Meteoritenfall.  —  ^  Nach  Buchner  1873  Juli  13.  —  ")  Nach  Brestna.  —  *)  Fortschritte 
der  Physik.  (4,  5  und  6  gehören  wohl  zusammen,  wohl  verschiedene  Lokalitäten?)  —  ^  Qrofie 
detonierende  Feuerkugel,  von  Nießl.  etc.  »Siriusc  1878:  Viele  Steine  fielen  im  Osten  Frankr.  — 
")  20  Steine  gesammelt,  ein  Getreideschober  wurde  in  Brand  gesteckt.  —  >*)  Nach  Meunier.  — 
>*)  Nach  »Matinc.  Verursachte  Brand  einer  Scheune.  —  ^)  Nach  »Soleil«.  Verursachte  Brand 
einer  Scheune.  —  ^)  Nach  der  Vossisohen  Zeitung  und  »Fortschritte  der  Physik«.  Unter  starker 
Detonation  fiel  ein  792  ^  schwerer  Stein  in  einen  Wassertrog,  war  so  heiA,  dafi  er  das  Wasser 
zum  Verdunsten  brachte.  Fensterscheiben  zersprangen.  —  *^  Nach  E.  Cohen  eine  harzige 
Masse,  die  L.  Meunier  ftbr  meteorischer  Natur  hält.  —  ^^  Stein,  der  in  den  Ruinen  von  Mac- 
beths Schloß  gefunden  sein  soll. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


69 


Zeit  des  FaUes, 

1 

resp.  Auttindang 
der  hetabgerallenen 

Tageszeit 

FaUort  oder  Fundort 

A 

8 

1622  Januar  10 

3b  nachm. 

Tregony,  Comwall 

4 

1628  Apnl  9    März) 
1642  August  4 

5b  nachm. 

Vlat-ford  bei  Farington,  Berkshire 

6 

4  b  80  IQ  nachm. 

Bei  Woodbridge,  Suffolk 

Bei  der  Insel  Copinska,  Orkaden*) 

6 

zwisch.  1675  u.  1677 

— 

7 

1680  Mai  18 

— 

Bei  Gresham,  London') 

8 

1723  gefunden 



Comwall") 

Mixbury,  Bicester,  Ozfordshire 

9 

1725  Juli  8 

— 

10 

1731  März  12 

l-.2b  mittags 

nachm. 

Halstead,  Colchester,  Essex 

11 

1782  August  15 

11— 12b  mitr 

tags,  vorm. 

Springfield  b.  Ghehnsford,  Essex 

12 

1755  (1756)  Jan.  2 
1755  Mai  19 

4  b  nachm. 

Tuam,  Galway,  Irland 

13 



Malow,  Cork,  Irland*) 

14 

1755  Oktober  20 

3—4  b  nachm. 

Insel  Jetlow 

15 

1779 

— 

Hügel  Pettiswood,  Mullinger,  Westmeath, 

Beeston,  Notünghamshire 
Shetland  Inseln^^) 

16 

1780  April  11 

9b  nachm. 

17 

1788  August  18 

9h  iBm  vorm. 

18 

1791  Oktober  20 

— 

Monabilly  bei  Lauceston,  Comwall^ 

19 

1795  Dezember  13 

3h  50m  nachm. 

Wold-Cottage,  Yorkshire 

20 

1800  April  1 

1801  Oktober  28 

VorMittemacht 

Steeple-Bumstead,  Ipswich,  Essex  ^) 
Burv  St.  Edmunds,  Colchester,  Essex») 
Loch-Tay,  Schottland 

21 

7  b  nachm. 

22 

1802  Septbr.  Mitte 
18U3  Jui  4 

— 

28 

— 

East-Norton,  Leicestershire  *•) 

24 

1804  April  5 
1806  Mai  17 

11— 12b  vorm. 

High-Possil,  Glasgow,  Schottland 

26 

— 

Basingstoke,  Hantshire 

26 

1810  August  10 

IIb  30m  vorm. 

Mooresfort,  Tipperary,  Irland 

27 

1813  Juli  bis  August 

Ib  nachm. 

Malpas  bei  Chester,  Chestershire 

28 

1813  September  10 

8— 9b  vorm. 

(6  b  vorm.) 

An  verschied.  Orten  d.  Grafschaft  Ldmerick, 
wie  Adare,  Faha  Scouph,  Brasky  Irland 

29 

1813 

— 

Pulrose,  Insel  Man 

80 

1816  Juli  bis  Anfang 

August 

— 

Glastlebuiy,  Somerset,  Südschottland 
(Glastonbury) ") 

81 

1820  gefunden 

1821  Juni  21 

— 

Lead-Hills,  Glasgow 

82 

— 

Mayo,  Irland") 

88 

1825  Mai  12 

— 

Bayden,  Hungerfort.  Hiltshire 

84 

1827  gefunden 

1828  Ende  August 
1880  Februar  15 

— 

Newstead,  Boxburgshire,  Schottland 

86 

3b  nachm. 

Allport  bei  Castleton,  Derby  ^*) 

86 

7b  80m  vorm. 

Launton,  Bicester,  Oxfordshire 

37 

1830  Mai  17 

12b30m  nachm. 

mittags 

Perth,  Nord-Inch  of  Perth,  Schottland 

88 

1832  Juni  29 



Zwischen  Plymouth  und  Brest**) 
Aldsworth,  Cirencester 

39 

1835  August  4 

4b  30m  nachm. 

>)  An  Bord  eines  Schiffes.  —  *)  Angeblich.  Nach  Kesselmeyer  nur  Hagel.  —  ')  Wohl 
mit  Tregony  1682  identisch.  —  *)  Nach  Kesselmeyer  Regen  von  Schwefel,  der  in  Masse  ge- 
sammelt wurde.  —  *)  Ein  Stein  zerschlug  das  Joch  der  Pferde.  —  *)  Angeblicher  Steinregen. 
—  '0  Nach  Ghreg,  Keusch  etc.  Steinfall.  ^  *)  Chladny,  Arago:  eine  Feuerkugel  schlug  unter 
Detonation  dicht  bei  der  Kirche  in  die  JSrde.  —  *)  Verursachte  Brand.  —  '°)  Stein  aus  einer 
Feuerkugel  zerstörte  Teile  eines  Hauses.  —  ")  Zerschlug  ein  Fenster  eines  Hauses  und  fiel  auf 
die  Hausflur.  Als  er  aufgehoben  wurde,  war  er  noch  heiß.  —  ^  Hagel  mit  Metallkemen.  — 
^  Nach  Buchner  zweifelhafter  Fall.  —  ^)  In  das  Meer. 


70 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


Zeit  des  Falles, 

resp.  Aulfinduiig 

der  herabgefallenen 

Meteormassen 


Tageszeit 


Fallort  oder  Fundort 


40 
41 
42 

43 
44 
46 
46 
47 

48 
49 
50 
51 
52 

58 
54 
55 
56 
57 


1838  (1846)  gefund. 
1842  August  5 
1844  April  29 

1846  August  10 

1847  März  19  (2) 
1860  Juni  9 

1865  August  12 

1866  gefunden 

1869  November  6 
1872  November  18 
1874  August  1 
1876  April  20 

1881  März  14 

1882  gefunden 
1884  Februar  12 
gefunden 

1900  Juni  10 

(?) 
1902  September  13 


5I1  nachm. 
8—41^  nachm. 

5  h  nachm. 

2^  nachm. 
7^  nachm. 


8^  80m  nachm. 

2  h  vorm. 
11  h50m  nachm. 
8  h  40 11^  nachm. 
3h45iii  nachm. 


IQh  vorm. 


Am  Tage 


Battersea  Fiells  bei  London^) 
Harrowgate  bei  Sheffield,  Yorkshire 
Kllleter  bei   Casüedery,   Omagh,   North- 

Tyronne,  Irland 
Grafschaft  Down,  Irland^ 
Ostküste  von  Aberdeen*) 
Raphoe,  Denegal,  Irland 
Dundrum,  Tipperary,  Irland 
Ben-Baigh,  Berg  bei  Dalmellington,  Ayi^ 

shire,  Schottland^) 
Tamley  bei  Southampton^) 
Scilly-lsland«) 
Hexham,  Northumberland 
Rowton,  Wellington,  Shropshire^ 
Pennymann's  Siding,  Middlesbrough, 

Yorkshire 
SeUdrk,  Schottland 

Im  Atlantischen  Ozean  49»  80'— 15  w.  L.<^ 
Leadhills,  Schottland 
Stoke  Doyla  bei  Oundle,  England^ 
Tyree,  Hebriden,  Schottland 
Grosshill-farm  bei  Crumlin,  20^  v.  Belfast 


Mederlande,  Holland  und  Belgien 


Grave,  Nordbrabant,  Holland'^) 

Bergen  (Mons),  Hagenau,  Belgien 

Bei  BrüsseP') 

Zwischen  Brüssel  und  Mecheln,  Belgien. 

Dortrecht,  Holland^«) 

Dortrecht 

Staartie,Uden  Herzogenbusch,  N.-Brabant^ 

Holland 
Blaauw-Kapel,  Utrecht,  Holland 
Wedde  bei  Groningen,  Nord-Holland 
Saint-Denis-Westrem  bei  Gent,  Belgien 
Bei  Bergeik,  Herzogenbusch,  Holland^) 
Touriennes-la-Grosse,  Tirlemont,  Belgien 
Namur,  Belgien  ^^) 
Lesves  bei  Namur  ^^) 
In  einem  Haferfelde  bei  Namur  ^') 
Gemeinde  Bois  de  Villers  bei  Namur  ^^ 

*)  In  einem  Weidenbaiune.  —  *)  Zweifelhaft.  —  *)  In  das  Meer.  -^  *)  Durch  die  Güte  des 
Kaiserl.  deutschen  Konsulats  zu  Leith  und  des  Herrn  Prof.  Eggeling  an  der  Universit&t  su  Edin- 
bürg  habe  ich  diesen  Fall  lieber  feststellen  können.  —  *)  Naoh  Flight:  Feuerkugel  mit 
Meteoritenfall.  —  *)  Nach  Flight:  Detonierende  Feuerkugel  mit  mutmaßlichem  Meteoritenfalle. 
—  ^  Eisen.  —  ^  Feuerkugel,  welche  über  einem  Fahrseuge  platzte,  mit  mutmaßlichem  Meteoriten- 
fall. —  ^  Entzündete  ein  Haas  und  zerstörte  im  ganzen  14  Häuser  durch  Feuer.  —  ^  Ein  an- 
geblich vom  Himmel  gefallener,  im  Chor  der  Kirche  eingemauerter  Stein.  —  ^)  Ein  vom  Himmel 
gefallener  Stein,  welchen  Albrecht  Dürer  noch  gesehen  hat.  —  ")  Stein  schlug  durch  ein  Fenster 
und  sank  in  den  Fußboden  eines  Hauses.  —  ^  Ein  von  Professor  Heis  berechneter  mutmaß- 
licher Meteoritenfall.  —  ")  In  der  Straße  Saint  Laup,  Neues  Jahrbuch  der  Physik,  Wochenschrift 
für  Astronomie  1886  usw.  —  »)  Ein  Stein  nach  »Nature«.  18Q7  April  13  naoh  Meunier.  —  >•)  Nach 
der  Vossischen  Zeitung  12Vt  kg  schwerer  Stein,  warf  einen  Arbeiter  zu  Boden  und  zertrümmerte 
den  Rechen,  den  jener  in  der  Hand  hielt.  —  ^^  Nach  Meldung  der  Vossschen  Zeitung  und 
anderer  Tagesblätter  ein  9.200  kg  schwerer  Stein. 


1 

11^  Juli  8 

— 

2 

— 

8 

1500  (1520) 

— 

4 

1564  März  1 

— 

5 

1650  August  6 

— 

6 

Zwisch.]  804  u.  1807 

— 

7 

1840  Juni  12 

10—11*1  vorm. 

8 

1843  Juni  2 

S^  nachm. 

9 

1852  Jnli  8 

9I1  vorm. 

10 

1855  Juni  7 

7h45>^  nachm. 

11 

1863  März  4 

6—7  h  nachm. 

12 

1863  Dezember  7 

11h  30m  vorm. 

18 

1868  Juü  5—6 

Ilh45m  nachm. 

14 

1896  April  13  (1897) 

71150  m  nachm. 

15 

1896  vor  23.  Septbr. 

Am  Tage 

16 

1899  September  28 

11*1  vorm. 

Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


71 


Zeit  des  FaUes, 

resp.  Auffindung 

der  herabgefallenen 

Meteormassen 


Tageszeit 


Fallort  oder  Fundort 


Schweiz 


1 

1478 



Schweiz  *) 

2 
3 

1499Aprill9(Mai21) 
1526  Oktober  19 

4b  nachm. 

Luzem*) 
Bei  Basel*) 

4 

1674  Oktober  6 

— 

Kanton  Glarus^) 

5 

1674  Dezember  6 

— 

Näfels,  Glanis«) 

6 

1608  Mai  18 

7  h  15  m  nachm. 

Hinterschwendi  bei  Waltringen,  Bern 

7 

1826  März  15 

8  h  nachm. 

8 

1886  Dezember  8 

8  h  nachm. 

Zuz,  Graubünden 

9 

1886  gefunden,  soll 
1856  gefallen  sein 

— 

Auf  dem  untern  Rafrüü,  im  Quellenge- 

biete im  Emmentale,  Bem'^) 

10 

1879  Juni  7 

9h  45m  nachm. 

Luganer-See  bei  Mehdi 

Deatsohland 

1 

P) 

— 

Frauen-Breitungen  *) 

2 

823  (822) 

— 

Gau  von  Frisatz,  auch  Frisazi,  Visoedi^ 

8 

951  (952) 

— 

Augsburg«) 

4 

998  JuU 

— 

Magdeburg 

6 

HOB 

— 

Würzburg*) 

6 

1185   1136) 

— 

Oldisleben,  Thüringen^) 

7 

1164  Mai  11 

— 

Meißen '1) 

8 

1191 

— 

Thüringen 

9 

1229 

— 

Johannes-Kloster  bei  Hamburg ^•) 

10 

Mittelalter 

— 

HaUe") 

11 

1249  JuU  26 

— 

Zwischen  Quedlinburg,  Blankenburg  und 

Ballenstädt 
Würzburg 
Friedland  in  der  Mark'«) 

12 

1257 

Am  Tage 

13 

1804 



14 

1304  Oktober  1 



Friedland  a.  Saale  bei  Halle '<») 

15 

1339  Juli  13 



Schlesien  ") 

16 

1361 

— 

Bei  Zweti»«) 

17 

1368 

— 

Bei  Blexen,  Ausfluß  der  Weser,  NNO  von 
Oldenburg 

18 

1879  Mai  26 

— 

Münden,  Hannover 

19 

1480 

— 

Sachsen  oder  Böhmen'^ 

20 

1492  November  16 

11— 12h  vorm. 

(0.30h  nachm.) 

Rnsisheim,  Elsaß 

^)  Nach  Lycosthenes :  Feurige  Kugeln  fielen  auf  die  Erde  und  hinterließen  Spuren  ilires 
Brandes.  —  ■)  Ein  von  einem  fliegenden  Drachen  herabgeworfener  Stein.  —  *)  Brand.  —  ^)  Viel- 
leicht Identisch.  —  *)  Eisenmeteorit.  —  *)  Nach  einer  Sage  (Bechstein)  ist  daselbst  ein  groSer 
schwerer  Stein  Tom  Himmel  gefallen.  —  "^  Durch  glühende  Steine  wurden  mehrere  Gehöfte 
angezündet.  —  ")  Unter  Donnergetöse  ein  glühender  Stein.  —  ^  Nach  Schnurrer.  —  ^^  Fiel  ein 
Stein  aus  der  Luft  herab,  der  lange  Zeit  glühend  blieb.  —  ^)  Eine  vom  Himmel  gefallene 
Bisenmasse.  Vielleicht  fielen  zu  derselben  Zeit  auch  die  Eisenmassen  bei  Rittersgrün  und 
Steinbach.  -^  ^  Vor  der  Tür  des  Klosters  fiel  1  Stein  mit  furchtbarem  Geräusch.  Er  hatte 
schwane  Kinde,  inwendig  weiß  mit  goldgl&nzendem  Strich  durchzogen.  Mecklenburg.  Archiv. 
—  >*)  Das  frühere  Kloster  Neumark  soll  auf  der  Stelle  erbaut  sein,  wo  man  eine  goldene  Egge 
vom  Himmel  fallen  tmd  wieder  aufsteigen  sah.  ~  ^)  Brand,  viele  Steine;  Kesselmeyer  hält 
beide  Fälle  nicht  für  identisch,  ich  möchte  dem  beipflichten.  —  ^)  Nach  Kesselmeyer: 
800  Donnerkeile  bei  einem  Gewitter  gefallen.  —  *^  Es  sollen  10  Ochsen  erschlagen  sein.  — 
>^  AngebUch  1  Stein. 


72 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


£ 

Zeit  des  FaUes, 

1 

resp.  Atitfindung 

Tagesseit 

Fallort  oder  Fundort 

Meteormassen 

21 

1496  Juü  18 

Münchberg,  Hof,  Bayern^) 

22 

1496  Am  Jacobi 

(25.  Juli) 
1509 

_ 

Schweizenbach  a.  d.  Saale 

28 

— 

Schwaben«) 

24 

1528  Juni  (1529) 
1580  Juni  28 

-» 

Augsburg») 

25 

— 

Elrfurt 

26 

1540  (1550) 

— 

Naunhof,  Neuhobn,  zwischen  Grimma  und 
Leipzig*) 

27 

1548  Mai  4 

— 

Bayern*) 

28 

1548  November  6 

2  b  vorm. 

29 

1552  Mai  19 

8 — 51^  nachm. 

Schleusingen,  Thüringen*) 

80 

Vor  1556 



Holzsatz  in  Holstein 

81 

1561  Mai  17 

— 

Torgau,  Siptiz  und  Eilenburg,  Provinz 
Sachsen') 

82 

1572  Januar  9 

9^  nachm. 

Thom,  Westpreußen 

Nörten,  zwischen  Nordheim  und  Göttingen 

88 

1580  Mai  27 

2^  nachm. 

84 

1580  August  18 

— 

Wiche,  Thüringen 

85 

1581  JuU  26 

II18O111  nachm. 

Niederreißen  bei  ßuttstädt,  Thüringen 

86 

1596  Dez.  15  (8) 

nachts 

Werden  a.  Ruhr,  Kreis  Düsseldorf 

87 

1591  Juni  9 

— 

Kunersdorf») 

88 

1686  März  16  (6) 

6^  vorm. 

Zwischen  Sagan  und  Dubrow*) 

89 

1647  Februar  18 

ll-12h  nachm. 

nachts 

Pölau,  Zwickau 

40 

1647  August 

11— I2I1  vorm. 

mittags 
B^  nachm. 

Zwischen  Wermsen  u.  Schameele,  Westf . 

41 

1649  Mai  11 

Zwischen  Dombach,  Ebersheim  u.  Münster, 

Elsaß 

42 

1671  Februar  27 

12h  vorm. 

kurz  vor  Mittag 

Oberkirch  und  Zusenhof en,-  Ortenau,  Baden 

43 

1678 

— 

Dietling,  Ettlingen,  Baden 
Ermendorf,  Dresden 

44 

1677  Mai  28  (26) 

abends 

45 

1678  Februar  6 

— 

Frankfurt  a.  M.'«) 

46 

1690  Januar  2 

10h  45m  nachm. 

Jena^') 

47 

1715  April  11 

4h  nachm. 

Schellm,  Stargard,  Pommern 

48 

1722  Juni  5 

8h  80m  nachm. 

49 

1724 

— 

Grimma,  Sachsen 

50 

1750  Februar  9 

— 

Schlesien^*) 

51 

1751  gefunden 
1775  September  19 
1783  (17y8)  gefunden 



Steinbach,  Johanngeorgenstadt,  Sachsen 
Rodach,  Koburg,  Thüringen 

52 

10h  vorm. 

58 

— 

Aachen*») 

54 

1785  Februar  19  (2) 

12h  15»  nachm. 

mittags 

Wittmers,  Eichstädt,  Bayern 

55 

1785  August  18 

11h  vorm. 

Frankfurt  a.M.'«) 

56 

1796  März  8 

10h  15m  nachm. 

Oberiausitz  bei  dem  Dorfe  Storcha>») 

')  Dreieckige  und  hOhnereiartige  Steine.  Wohl  nur  Hagel.  —  *)  Hagel  mit  grofien 
Steinen.  —  *)  Nach  Qreg.  —  «)  Bisenmasse.  —  *)  Nach  Oreg,  Kesselmeyer.  —  ^  Gewaltiger  Stein- 
regen nach  Ghladni,  wobei  das  Lieblingspferd  des  Fflrsten  Georg  Ernst  verwundet  wurde.  — 
^  2  Steine,  der  eine  fiel  auf  eine  WindmQhle.  —  >)  Unter  Detonation,  Hagel  mit  Steinen. 
—  *)  2  Zentner  schwerer  Meteorstein.  —  ")  Nach  Ghladni:  SteinfaU,  nach  Greg  und  Kessel- 
meyer: Feuerkugel.  —  »)  Zweifelhaft  ob  SteinfaU.  —  »)  MulmaAlicher  MeteorfaU.  —  »)  Unter 
dem  Pflaster  eine  Bisenmasse  gefunden ;  wird  beaweif elt,  ob  meteorischer  Ursprung.  —  ^)  Gleich- 
seitiger Brand  zweier  H&user.  —  **)  Substanz. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


78 


& 

Zeit  des  FaUea, 

1 

resp.  Auffindung 
der  herabgefailenen 

Tageszeit 

Fallort  oder  Fundort 

s 

Meteormassen 

57 

58 

18ü2  gefunden 
18(»  Januar  21 

11— 12li  nachts 

Albacher  Mühle,  Bitburg,  Niederrhem') 

nachm. 

Bojanowo,  Schlesien*) 

59 

IHÜB  Dezember  18 
(1815  ein  zweiter 
Stein  gefunden) 

10— 11h  vorm. 

St.   Nicolas,    Mäßing    bei    Eggenfelden, 

Niederbayem") 

60 

? 

— 

Aus  Sachsen?«) 

61 

1804  gefunden 
1809  Juni 

— 

Bei  Darmstadt 

62 

— 

Oberpfalz 

68 

1811  Juni 

Heidelberg») 

64 

1812  AprU  15  (18) 

4h  nachm. 

Erxleben,  Magdeburg 

65 

1816  Juli  19 



Starenberg  bei  Bonn 
RottweU,  Württemberg 

66 

1819  August  20 

8  h  vorm. 

67 

1819  Oktober  18 

7 — 8  h  vorm. 

Politz  bei  Gera 

68 

1820  August  6 

— 

Ovelgönne,  Oldenburg^ 

68 

1821  März  5 

— 

Im  Greifswalder  Kreise,  Pommern 

70 

1822  Juni  19  (Juli) 

11— I2h  nachm. 

nachts 

Allerhöhe  bei  Hamburg^ 

71 

1826  gefunden 

— 

Neuheim  bei  Frankfurt  a.  M. 

72 

1831  gefunden 

— 

Bei  Magdeburg 

78 

1833  gefunden 

1834  Januar  1 

— 

Rittersgrün  bei  Schwarzenberg,  Sachsen 

74 

5  h  vorm. 

Zeitz 

75 

1835  Januar  18 

4— 5  h  nachm. 

Löbau,  Lausitz 

76 

1888  Januar  2 

7h  nachm. 

Bei  Breslau») 

77 

1841  März  22 

3h  50m  nachm. 

Seiferholz  und  Heinrichsau  bei  Grünberg, 
Schlesien 

78 

1843  August  7 

1— 2  h  vorm. 

Reine,  Westf. 

79 

1843  September  16 

4  h  45  m  nachm. 

Klein  Wenden,  Erfurt 

80 

1845  Januar  20 

5h  aOm  bis  6h 

nachm. 

Grünberg,  Schlesien«) 

81 

1846  gefunden 
1846  Dezember  25 

— 

Darmstadt*«) 

82 

2  h  45  m  nachm. 

Schöneberg,  Schwaben,  Bayern 

83 

1847  gefunden 

— 

Seeläßchen,  Schwiebus,  Frankfurt  a.  0., 

Brandenburg 
Meinberg,  Pyrmont,  Lippe-Detmold 

84 

1850  Februar  28 



85 

1850  ( 1852)  gefunden 
1850  gefunden 

— 

Mainz 

86 

— 

Schwetz  a.  Weichsel,  Marienwerder 

87 

1851  AprU  17 

8  h  nachm. 

Gütersloh,  Minden,  Westfalen 

88 

1854  JuU  4   (2) 



Strehla  a.  d.  Elbe'') 

89 

1854  JuH  29 

11— 12h  nachm. 

Gera 

90 

1854  Septbr.  4  (5) 

kurz  vor  8  h 

vorm. 

Linum  bei  Ferbellin 

91 

1854  gefunden 

1855  Mai  13 

— 

Tabarz  am  Inselberge,  Thüringen 

92 

5  h  nachm. 

Gnarrenberg,  Bremervörde,  Hannover 

98 

1856  gefunden 

~ 

Hainholz  bei  Borgholz,  Paderborn,  West» 
falen 

>)  Eesaelmeyer  vermutet  den  Fall  zwiechen  1600  und  1700.  —  ^  SubBtans.  —  *)  1  Stein 
•ehlug  dnroh  das  Dach  eines  Sehappens  und  wurde  noch  heiß  aufgenommen.  1815  ist  daselbst 
nooh  ein  zweiter  Stein  gefunden.  —  *)  Im  Naturalienkabinet  au  Qotha.  —  *)  Materie.  —  ^  Setste 
einsn  Heuschober  In  Brand.  —  "O  Brand.  —  ^  Nach  v.  Boguslawski :  Mutmafilloher  Meteorlten- 
fhll  eines  groAen  leuchtenden  Meteors.  —  ")  Mulmafilicher  Meteoritenfall.  —  ^  Nach  v.  Bogus- 
lawski, ohne  nähere  Angaben.  —  *^)  Nach  Wolf;  Kesselmeyer  h&lt  den  Fall  für  zweifelhaft. 


74 


Sternschnappen  und  Meteoriten. 


& 

Zeit  des  Falles, 

i 

resp.  AuffiDdung 
der  nerabgefallenen 

Tagesaeit 

Fallort  oder  Fundort 

s 

Meteormassen 

94 

1859  Aagust  7 

ShdOmnacbm. 

Egersdorf  bei  Celle,  Lüneburger -Hei  de*) 

95 

1861  gefunden 

1862  Januar  1 

— 

Heidelberg,  Großherz.  Baden 

96 

l^  voruL 

Breslau 

97 

1862  Oktober  7 

12h  80m  nachm. 

mittags 

Mehow,  Mecklenbuiff-Strelitz 
Bückeburg  bei  Oberkirchen,  Schaumbui^ 

96 

1868  gefunden 

— 

99 

1867  gefunden 



Nöderitz  bei  Altenbur^ 

Krähenberg,  Zweibrücken,  Bayr.  Pfalz 

100 

1869  Mai  5 

61^  80m  nachm. 

101 

1869  Juni  7 

91^  nachm. 

Bei  Borkum  über  der  Nordsee  geplatzt") 

102 

1870  Januar  1 

5  h  55  m  nachm. 

Marienhofe,  N.  von  Emden') 

103 

1870  Juni  17 

2  h  nachm. 

Ibbenbühren,  Westfalen 

104 

1870  September  27 

6  h  nachm. 

In  das  Meer  zwischen  Femem  und  Laar 

land*) 
Nenntmannsdorf  b.  Berggießhübel,  Pirna, 

105 

1872  gefunden 



Königr.  Sachsen 

106 

1878  gefunden 
1877  Mai  17 

— 

Eisenberg,  Sachsen-Altenburg 

107 

7  h  vorm. 

Zwischen   Steinheim   und  Borsdorf,    bei 

Hunffen  in  Hessen 
Ermensdorf  bei  Dresden 

106 

1877  Mai  26 

— 

109 

1877  August  21 

6  h  nachm. 

Hanau,  Hessen 

110 

1877  August  28 

lüh  30m  vorm. 

Köln 

111 

1877  Dezember  26 

8  h  vorm. 

Höhr,  Nassau 

112 

1879  Mai  17 

4h  nachm. 

Gnadenfrei  und  Schöbergrund,  Sohlea. 
Wylcacowa,  Kreis  Schroda 

118 

1880  JuU  10 

114 

1881  September  8 

10h  24m  nachm. 

Zwischen  Bomholm  und  Rügen  in  das 
Meer«^) 

115 

1882  August 

8— 4  h  vorm. 

Von  der  Metter  a.  d.  Enz,  Württemberg 

116 

1884  gefunden 

— 

Braunfels,  Hessen-Nassau 

117 

1885 

— 

Pützchen  bei  Bonn,  Rheinprov. 

118 

1886  Mai  28 

2h  SOm  nachm. 

Krähenholz,  Bamtrup,  Lippe-Detmold 

119 

1888Mäjrz  4 

11h  vorm. 

Schwachenwalde,  Kms  Arenswalde 

120 

1888  Dez.  18/14 

nachts 

Niederplais,  Kreis  Sieg,  Rheinprov. 

121 

1889  Dezember  18 

6h  80m  nachm. 

Zwischen  Boldenhagen  und  Kröpelin 
Bei  Freiburg  a.  U.,  Thüringen«) 

122 

1889  Oktober  15 

6h  7m  nachm. 

128 

1890  August  12 

11h  17m  nachm. 

Plauen,  Kreis  Zwickau,  Sachsen 

124 

1891  gefunden 
1891  Januar  27 

— 

Neustadt,  Mecklenburg-Strelitz 
Holzkirch,  Reg.-Bez.  Liegnitz 

125 

— 

126 

1891  August  81 

8  h  nachm. 

Renncher  Mühle  b.  Jagstzelt,  Württemb. 

127 

1892  März  81 

8h  45m  vorm. 

Worms,  Hessen-Dannstadt') 

128 

1892  Mai  26 

Kurz  nach  12h 

vorm.  mittags 

Berlin-Schöneberg«) 

129 

1892  November  10 

10h  45m  nachm. 

Altenburg,  Sachsen«) 
Rhündorf  b.  Lichtenfels 

180 

1894  Januar  6 

7  h  58  m  nachm. 

181 

1895  Juli  8 

11h  40m  nachm. 

Neu  Glienitz  b.  Freienwalde*«) 

182 

189b  September   14 

9  h  nachm. 

Waidenburg,  Schlesien 

i)  Mutmaßlicher  Meteorltenfall.  —  *)  Große  detonierende  Feuerkugel  mit  mutmaßlichem 
Meteoritenfall.  —  *)  Mutmaßlicher  Meteoritenfall  eines  großen  Meteors.  —  *)  Große  detonierende 
Feuerkugel  mit  mutmaßlichem  Meteorltenfall.  ~  *)  Von  vielen  verschiedenen  Orten  Dänemarks 
beobachtetes  Meteor,  platzte  in  21  kleine  Kugeln.  —  <)  Ungeheuer  große,  platsende  und  deto- 
nierende Feuerkugel  mit  mutmaßlichem  Meteoritenfall.  —  ^  Stein  traf  den  Daohstuhl  eine« 
Hauses.  —  ^  Fiel  mitten  auf  das  Straßenpflaster  in  Stücke.  Von  der  Schuljugend  nach  allen 
Richtungen  zerstreut.  Mir  mitgeteilt.  —  ')  Vossische  Zeitung:  Auf  einem  Felde  vor  einem 
Dienstknecht  ein  glühender  Stein  gefallen.  —  ^)  Zeitungsnachricht:  In  das  Wasser  fallend. 


Steni8ohnapp«n  nnd  Meteoriten. 


75 


£ 

Zeit  des  FaUes, 

1 

resp.  Auffindung 

Tageszeit 

Fallort  oder  Fundort 

J^ 

183 

1896  gefuDden 
1896  Febmar  29 

Bei  Zwickau,  Königr.  Sachsen 
Socham,  Halle  undDöbau,  Greiz*) 

IM 

6h  48m  nachm. 

186 

1896  gefunden 

— 

Weißen  Hirsch,  Dresdener  Heide  am  H.  G. 
Wege 

186 

1896  September  15 

— 

Tuttlingen,    bei    dem    Bahnwärterhause 
Stuttgarter-Straße 

137 

1896  Dezember  26 

Sil  Im  naohm. 

Agnesruh  bei  Bad  Elster") 

138 

1896  Dezember  80 

9  h  nachm. 

Deggendorf,  Bayern 

139 

1897  Januar  (Febr.) 

10h  30m  vorm. 

Liemiitz  (Brieg)») 

Berün,    in    einem  Garten   Matthaikirch- 

140 

1897  Mai  18 

4h  6m  nachm. 

Str.  16*) 

141 

1897  Mai  19 

7h 45m  nachm. 

Katzhütte ,    Meuselbach ,     Schwarzburg- 
Rudolstadt 

142 

1897  September  18 

12  h  vorm. 

Engelsberg,  Nordhausen*) 

143 

1898  August  9  (10) 

8  h  vorm. 

Bei  Kiel«) 

144 

1899  Februar  19 

7  h  45m  nachm. 

Friedeberg  a.  Qu.,  auf  dem  Klötzenp]ane 
der  Bretscheide 

145 

1900  Oktober  19 

4h  40m  nachm. 

Unweit  Heidelberg') 

146 

1902  April  gefund. 



Osterfeld  bei  Zeitz 

147 

1902  August  20 

10h  15m  nachm. 

Lennep,  Rhemprovinz 

Italien') 

Rom«) 

Albaner  Gebirge  (Mens  Albanus) 

östl.  von  Rom  in  Latium^^ 

Eretum  in  Sabinien^^) 

Veii,  nördl.  von  Rom,  Etrurien 

Italien  wo?^*) 

Ancona 

Mars-See  bei  Crustumarium,  Etrurien  ^) 

Italien  wo?*<) 

Lucanien  (Neapel) 

Italien  wo?") 

Nami,  nördl.  von  Rom  *«) 
Italien  wo?^') 
Lombardei 
Cremona  *•) 
Viterbo  ") 

^)  Nach  der  Lelpz.  Dl.  Zeitung.  —  *)  Angeblich  ein  16  Pfund  schwerer  Stein.  —  *)  Mir  mit- 
geteilt. —  *)  Angeblich  ein  630  g  wiegender  Stein.  —  *)  Zersprang  noch  heilt  in  viele  Stücke. 

—  ^  32  Pfund-Stein.  —  "^  Gewaltige  Sxplosion :  Wahrscheinlicher  Niedergang  eines  Meteoriten. 

—  ^  Von  den  Tor  Christo  stattgefundenen  Meteoritenf&llen  sind  nur  die  bemerkenswertesten 
aufgeführt  worden,  andere  sind  wohl  nur  Sternschnuppenfalle  gewesen.  —  ")  Herabfallen  eines 
ehernen  Schildes  (wohl  Eisenmasse)  mit  heftiger  Detonation.  —  ^  Brennende  Steine  fielen  vom 
Himmel,  wenn  nicht  Sternschnuppen.  —  ^)  Es  regnete  Steine.  —  ^*)  Es  fielen  feurige  Steine 
(Stemsoimuppen).  Nach  Greg.  —  ^)  Livius :  Ein  Vogel  ließ  aus  seinem  Schnabel  einen  heiligen 
Stein  fallen.  —  **)  Qet5se  in  der  Luft.  Man  sah  eine  Keule  vom  Himmel  fallen.  —  >*)  Bisen 
nach  Kesselmeyer.  —  ^  Viele  Steine,  von  denen  der  eine  in  den  FluA  fiel  und  eine  Elle  über 
dem  Wasserspiegel  hervorragte.  Nach  Buchner.  —  ^^  Unter  Sturm  und  Donner  fiel  ein  großer 
Stein  vom  Himmel.  —  ^  Nach  Schnurrer  ein  großer  Stein.  ~  ^  Zwei  große  Steine. 


Vor  Christo 

1 

2 

707  (705,  704) 
654  (644,  642) 

8 

216 

4 

210 

5 

207 

6 

206 

7 

204 

8 

176 

9 

106 

10 

56 

11 

52  (51) 

Nach  Christo 

12 

921 

18 

956 

14 

1151 

15 

1286  (1240) 

16 

1474 

76 


Sternschnappen  nnd  Meteoriten. 


£ 

Zeit  des  PaUes, 

resp.  Auffindung 

Tageszeit 

Fallort  oder  Fundort 

Meteormassen 

17 

1491  März  22 

Bei  heiterem 

Himmel 

Rivolta  de  Bassi,  Grema,  Lombardei 

18 

1496  Jan.  26  (28) 

^  vorm. 

Valdinore,  zwischen  Gesena  und  Bertinoro 
Porli 

19 

1511  September  4 

8h  nachm. 

Grema  *) 

20 

1525  Juni  28  (29) 



Mailand 

21 

1545 

— 

Piemont 

22 

Zwisch.  1550  u.  1570 

— 

An  mehrem  Orten  Piemonts*) 

28 

1557  November  25 

— 

Italien  wo? 

24 

1569  Sept.  14  (15) 

— 

Venedig») 

25 

1588  Januar  9 

Bei  heiterem 

Himmel 

Gastrovillari,  Kalabrien 

26 

1588  März  2 

— 

Piemont*) 

27 

1596  März  1 

5^80»  nachm. 

Grevaicore,  Perrara 

26 

1685  Juli  7 

— 

Galce,  Vicenca 

29 

1650  (1660)  Sept  4 
1668  Juni  19  ^1) 

— 

Bei  Mailand  *) 

80 

12— Ib  vorm. 

Vago,  Galdiero,  Verona*) 

(nachts) 

81 

1672 

nachts 

Verona«) 

82 

1676  März 

7  b  vorm. 

Livomo  aus  gesehen  mit  der  Richtung 
nach  Korsika^) 

88 

1697  Januar  18 

4 — 5  b  nachm. 

Pantolino  und  andern  Orten  bei  Siena, 
Toskana 

U 

1787  Mai  21 

— 

Zwischen  Lissa  imd  Monopolii  in  das 
Adriatische  Meer  fallend 

86 

1755  Juü 

— 

86 

1755  Oktober  14 

8b  vorm. 

Lucarno  *) 

87 

1766  Mitte  Juü 

5  b  nachm. 

Aborretto,  Modena*) 

88 

1766  August  16 
Zwisch.  1769  u.  1779 

— 

Novellora  bei  Modena*) 

89 

gefunden 

— 

GoUina  di  Brianza,  Mailand 

40 

1776  (1777)  Ende  Jan. 

2— 4b  nachm. 

Sanatoglia  bei  Fabriano,  Ancona 

41 

1782  Juli 

nachts 

Tata  und  Tamoretti  bei  Turin 

42 

1791  Mai  17 

5b  vorm. 

Kastel-Berardenga  bei  Siena,  Toskana 

43 

1794  Juni  16 

7  b  nachm. 

Zu  Pienza.  Gosona  u.  zu  Lucignan  bei  Siena 

44 

1808  April  19 

12— Ib  nachm. 

(mittags) 

Borge -San -Domino  und  Pieve  di  Gasig- 
nova, Parma 

45 

1818  März  14  (4) 

8 — 4  b  nachm. 

Gutro,  zwischen  Grotone  und  Ganton-Zera, 
Kalabrien  '<^ 

46 

1819  Ende  AprU 

— 

Massa  Lubrense,  Neapel 

47 

1820  November  29 

7  b  nachm. 

Gosenza,  Kalabrien  ") 

48 

1822  Juni  17 

— 

Gastania,  Sicilien  ^"j 

^)  WiLbrend  einer  Sonnenfinsternis  fielen  viele  Steine;  auob  soll  ein  Mönob  ersoblagen, 
VOgel  und  Sobaf e  getötet  sein.  Der  Fall  des  Meteors  wurde  von  Raffael  auf  einem  Bilde  ver- 
ewigt. —  *)  Eisen  naob  Kesselmeyer.  —  *)  Es  fielen  Sterne  und  Feuer  vom  Himmel  und  soblugen 
in  2  Pttlyertürme  und  in  einen  Scbwefelturm.  Säcbsisohe  Chronik.  —  *)  Aus  einer  donnernden 
Wolke  fiel  nacb  Kesselmeyer  ein  Stein,  der  dem  Herzog  von  Savoyen  gebracht  wurde.  —  ■)  Ein 
Stein  fiel  in  das  Kloster  St.  Maria  della  Face  und  tötete  einen  Fransiskanermönob.  —  ^  Viel- 
leiobt  identisch.  Nacb  Büchner  wird  in  der  Akademie  su  Verona  ein  Stück  des  Steines  auf- 
bewahrt. Kesselmeyer  sagt:  Januar  19.  ~  "^  Mutmafilicher  MeteoritenfaU  in  das  Meer  und  mit 
grofier  Brschatterung  einer  serspringenden  Feuerkugel.  —  *)  Meteorstaub  nach  Gbladni.  —  ")  Viel- 
leicht identisch.  Arago  führt  beide  jedoch  selbständig  auf.  —  ^  Unter  Donnersobl&gen :  roter 
Regen,  Staub  und  mehrere  Steine.  —  ")  Nacb  Greg:  Casenza,  Jonische  Inseln.  —  ")  Brand. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


77 


Zeit  des  Falles, 

resp.  Auffindung 

der  nerabgefallenen 

Meteonnassen 


Tagesseit 


Fallort  oder  Fundort 


49 

60 
51 
62 
63 
54 
66 
66 
67 

68 
59 
60 
61 
62 
63 

64 
65 
66 
67 

68 
69 
70 
71 


1824  Jan.  13  (15) 


1834 
1834 
1836 
1886 
1839 
1840 
1841 
1846 


August  26 
Dezember  15 
Februar  8 
September  18 
November  29 
Juli  17 
Juü  17 
Mai  8 


1863  Februar  10 
1855  Mai  24  (25) 
1866  November  12 
1860  Februar  2 
1868  Januar  30 
1868  März  1 

1871  März  24 

1872  August  31 
1875  September  14 
1880  März  29—30 

1883  Februar  16 

1885  Dezember  6 

1886  Mai  24 
1890  Februar  3 


8h  80m  nachm. 


mitternachts 
7  h  nachm. 
10  h  vorm. 

3 — 4  h  nachm. 

7h  30m  vorm. 

9  h  15  m  vorm. 

1  h  nachm. 
10h  20m  vorm. 

4  h  nachm. 
11 Ä  45m  vorm. 

7  h  nachm. 
Zwisch.l0h30m 
u.  10h  45m  vorm. 
8  h  15  m  nachm. 
5  h  15  m  vorm. 

4h  nachm. 
11— 12hnachm. 

nachts 
2h  80m  nachm. 
10h  25m  nachm. 

Ih  30  m  nachm. 


Renazzo  (Arenazza)  nördl.  von  Genta  bei 
Ferrara  « 

Padua 

Marsala,  Sicilien 

Rivoli,  Piemont^) 

Florenz  «) 

Neapel 

Cereseto  aei  Ottiglio,  Piemont 

Mailand 

Monte-Milone  a.  d.  Potenza,  Macerata, 
Ancona 

Girgenti,  Sicilien 

Bei  Civita-Vechia  •) 

Trenzano,  Brescia,  Lombardei 

Alessandria,  San  Giul.  vechio,  Piemont 

Larioi,  im  Golf  von  Spezia 

Motta  di  Conti,  Casale 

Urbino,  Pesaro*) 

Orvinio,  ümbrien*) 

Supino  bei  Frosione,  ehemal.  Kirchenstaat 

Catania,  Sicilien^) 
Alfianello  bei  Brescia 
Neapel,  in  der  Straße  Florentino 
Torre,  Assisi,  Perugia 
Antifona,  Oollescipoli,  Temi 


Dänemark 


1 
2 
3 
4 
5 
6 
7 
8 
9 
10 


1076 

1646  Mai  16 

1647  zu  Pfingsten 
1665  März  30(AprU6) 
1817  März  2 

1878  März  25 
1876  September  7 
1878  August  29 
1881  September  8 


8  h  vorm. 

12— Ih  vorm. 

8h  20m  nachm. 

1  h  30  m  nachm. 

2  h  30  m  nachm. 
10h  24m  nachm. 


Island^ 

Dänemark  wo  ?  ^ 
Kopenhagen  *) 
Insel  Falster  ^^ 
örsted  auf  Fünen  ") 
Baltisches  Meer^*) 
Bei  der  Insel  Samroe^) 
Ringkjöbing  ^) 
Mem,  Prästö  auf  Seeland 
In   die  Ostsee   zwischen   Bomholm 
Rügen  gefallen^) 


und 


*)  Detonierende  Feuerkugel  mit  Meteorstaub.  —  *)  Substanx.  —  ")  Nach  Büchner  fiel 
eine  große  Feuerkugel  mit  langem  Schweif  und  unter  heftigem  Ger&usoh  nur  16  Schritt  von 
einem  Schiffe  in  dae  Meer.  Nach  Kesselmeyer  am  17.  September  1866:  42^7'  tmd  11*  46'  westl.  Br. 
—  *)  Nach  Flight:  detonierende  Feuerkugel  mit  Meteoritenfällen.  —  *)  Brand.  —  *)  Meteorischer 
Staubregen.  —  "^  Nach  Kesselmeyer:  angeblich  ein  aus  der  Luft  gefallener  Anker,  der  angeblich 
in  der  Kirche  «i  Klöna  auf  Island  aufbewahrt  worden  war.  —  ^  Nach  Greg  und  andern.  — 
*)  Nach  Kesselmeyer:  ein  vom  Himmel  gefallener  Stein.  —  ^^  Steine  zur  Zeit  eines  Hagelfalles, 
u)  Nach  Terwald  Kohl  hat  der  Steinfall  bei  örsted,  NO  von  Assens  stattgefunden.  Der  Stein 
wurde  längere  Zeit  aufbewahrt,  nachher  aber  fortgeworfen.  —  ^*)  Von  Qothenburg  in  Schweden 
und  Odense  auf  Fünen  sah  man  einen  Feuerregen  zwischen  Bomholm  und  RQgen  in  das  Meer 
stOrzen.  —  **)  Feuerkugel  Deton.  platzende  Vt  Mondgrofie  mit  vermutlichem  Meteoritenfalle.  -— 
**)  Stein  nicht  gefunden.  —  *»)  Nach  T.  Kohl  von  Kopenhagen  und  andern  Orten  Dänemarks 
geaichtet. 


78 


Steni8ohnapp«n  und  Meteoriten. 


vi 

Zeit  des  FaUes, 

resp.  Auffindung 

der  Herabgefallenen 

Meteonnassen 

Tageszeit 

FaUort  oder  Fundort 

n 

12 

1888  gefunden 
1895  gefunden 

— 

Nökjobing ') 

Lysabilds  bei  Düppelburg*) 

1 

2 

3 
4 

5 
6 
7 
8 
9 
10 
11 

12 

18 
14 
16 
16 
17 


1 
2 
8 

4 
6 
6 
7 
8 
9 
10 

11 
12 
18 


1822  Juni  13 
1822  September  10 

1848  Dezember  27 
1869  Januar  1 

1873  Mai  14 

1876  Juni  28 

1877  März  18 
1877  April  29 
1882 

1883  Juli  4 

1884  Mai  20 

1885  April  22 

1886  März  11 
1889  April  8 
1889  April  26 
?  gefallen 
1892  gefunden 


1112  nach  Chr. 
1805  (1804)  Okt.  1 
Zwischen  1340  und 

1520 
1861 
1559 
1618 

1618  Ende  August 
1642  Dezember  12 
1728  Juni  22 
1727  Juü  22 

1751  Mai  26 
1768  Juni  8  (JuU) 
1768  November  20 


Norwegen  und  Schweden 


4^  nachm. 

10h  80m 

bis  11  h  nachm. 

6  h  nachm. 

12h  30m  nachm. 

mittags 

10  h  nacnm. 
11h  80m  vorm. 
7h  52m  nachm. 
8h  37m  nachm. 

am  Tage 
8h  9m  nachm. 


6  h  15  m  nachm. 
7h  40m  nachm. 


Ghristiania') 

Carlstadt*) 

Schieshi,  Akerhuus  b.  Kregstedt,  Norwegen 

Hessle,  üpsala,  Schweden 
Norrbärke  in  Dalarma,  Schweden*) 
Ställdalen,  nördl.  y.  FUipstadt,  Schweden 
Nordufer  des  Wenem-Sees,  Schweden^ 
Zwischen  Lulea  und  Pitea,  Schweden^) 
Högsby^) 

Brodby,  Westermanland,  Schweden  •) 
Mildt  V  aage  im  östl.  Teil  der  Tysnes-Inael, 

Norwegen 
Ostergötlaud,  Eisenbahn-Station  zu 

Fogelsta,  Schweden 
Aastoedt,  Bergen,  Norwegen  ^<J) 
Lundgard,  Kellena,  Schonen,  Schweden 
Südliche  Schweden 
Ostra  Ljemgby  i.  Sköne^^) 
Morradal  Grjotlien,  zwisch.  Skiakel  u.  Stryn 


Österreich-Ungarn 


10 — 11h  vorm. 
2h  nachm. 

Qh  50  m  nachm. 
8  h  nachm. 
4  h  nachm. 


Aquileja,  Aglar,  Dlyrien^^ 
Vandals,  Südösterreich'*) 

Elbogen,  Böhmen  ^^) 

Zwettl.  In  Nieder-  od.  Oberösterreich 

Miskolcz,  Borschod,  Ungarn 

Böhmen^) 

Musacöz,  Mur-Insel,  Ungarn 

Zwischen  Ofen  und  Gran,  Ungarn^*) 

Pleschkowitz,  Reichstadt,  Böhmen") 

Liboschitz,  Reichstadt,  Kreis  Bunzlau, 

Böhmen  ") 
Hraschina,  Agram,  Kroatien 
Hqf-Krawin  b.  Strkow,  Plan,  Böhmen**) 
Mauerkirchen,  Braunau,  Osterr.  ob.  der  Enns 


')  500  kg  nach  der  Zeitschrift  >Natare<  und  anderen  Autoren.  —  *)  Stein  in  einer  Weide 
gefunden;  soll  nach  T.  K5hl  kein  Meteorstein  sein.  Angeblich  1843,  August  12.  gefallen.  — 
^  Bituminöse  Masse.  —  *)  Mutmaßlicher  MeteoritenfaU.  —  *)  Sirius  1873:  Ebcplosion  mit  starker 
Detonation.  Meteoriten  fielen  in  einem  Walde  nieder.  —  *)  Vermutlicher  MeteoritenfaU  nach 
Nordenskjöld.  —  "0  NordenskjSld :  Meteoriten  nicht  gefunden.  —  ")  >Fort8chritte  der  Physikc : 
schlug  Locher  in  das  Eis.  Weitere  Angaben  fehlen.  —  *)  Steine  und  HageL  —  ^  Nach  >Natttre« : 
unter  Detonation  Löcher  in  das  Eis.  —  ")  Nach  Cohen.  —  ^«)  OlQhende  Steine.  —  >*)  Nach  Kessel- 
meyer, Greg  sagt  Lusatia,  Saxony,  wahrscheinlich  1304,  Oktober  1.  —  ^)  Bisenmeteor,  unter 
dem  Namen:  »Der  verwunschne  Burggraf c  bekannt.  —  >*)  Niederfall  einer  metallischen  Masse. 

—  »)  Weiches  Bisen  wahrscheinlich?  —  ^^  8  Steine.  —  ^  25  Steine.  Jedenfalls  beide  identisch. 

—  ^  BreBina  und  WOlting:  3.  Juni,  Buchner  und  andre  8.  Juli. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


79 


Zeit  des  Falles, 

resp.  Auffindung 

der  herabgefallenen 

Meteormassen 


Tageszeit 


Fallort  oder  Fundort 


14 

15 

16 
17 

18 

19 

201 

21 

22 

28 

» 

26 

26 

27 

28 

29 

dO 

31 
82 
88 
84 
85 
86 

87 
88 

89 
40 
41 

42 
48 


44 
45 
46 
47 


49 


1808  Mai  22 

1808  September  8 

1813  März  8 

1814  (1815)  gefund. 
1819  September  5 


1820 
1824 
1824 
1829 
1829 
1881 
1883 
1838 
1884 
1886 
1887 
1837 


Mai  22 
Oktober  14 
Dezember  17 
November  19 
gefunden 
September  9 
November  20 
November  25 
November  29 

Januar  15 
Juli  24 


1840  gefunden 

1841  August  10 

1842  April  26 
1848  November  10 
1845  gefallen  (gef.) 
1847  Juli  14 

1851  gefunden 

1852  September  4 

(?) 
1852  Oktober  13 
1854  Mai  10 
1857  April  15 
1857  Okt.  10  (11) 


1858  Mai  19 

1859  Juli  31 

1861  gefunden 

1862  gefunden 
1866  Juni  9 

1866  September  13 


b^  30m 

bis  6^  vorm. 

8  h  30m  nachm. 

2  b  nachm. 

11— 12h  vorm. 

mittags 
11— 12t  nachm. 

&^  vorm. 
6h  30m  nachm. 
10h  5m  nachm. 

3 — 4  h  nachm. 
7  h  80m  vorm. 
ßh  80m  nachm. 


5  h  nachm. 
llhSOm  vorm. 


10  h  nachm. 
8  h  nachm. 
5  h  nachm. 

3h  45  m  vorm. 


4  h  30  m  nachm. 


3  h  nachm. 

10h  80m  nachm. 
12— Ih  vorm. 
(mitternachts) 

8  h  vorm. 
9  h  30  m  nachm. 


4  h  30  m  nachm. 

(6  Uhr) 

In  vorm. 


Stannem,  Iglau,  Mähren 

Wustra  und  Stratow,  Lissa,  Böhmen 

Brunn*) 

Lenarto,  Saroher-Komitat,  Ungarn 

Studein,  Teltsch,  Mähren*) 

Odenburg,  Ungarn 

Praskoles,  Zebrak,  Böhmen 

Neuhaus,  Böhmen^ 

Prag*) 

Bohumilitz  bei  Winterberg,  Böhmen 

Znorow,  Wessely,  Mähren 

Bei  Preßburg*) 

Blansko,  Brunn,  Mähren*) 

Szala,  Raffaden,  Gespann  Salad 

Am  Plattensee'') 

Mikolowa  am  Plattensee,  Grespann  Salad  ^ 

Groß-Divina  bei  Budetin,  Gespann  Trent- 

schin,  Ungarn 
Magura,  Szlanicza,  Arva,  Ungarn 
Iwan,  odenburg  •) 
Pusinsko-Selo,  Milena,  Kroatien 
Auf  der  Donau,  Osterreich 
Siebenbürgen 
Hauptmann sdorf,    Braunau,    Königgrätz, 

Böhmen») 
Alt-Belä,  Mähren 
Fekete  u.  Teich  Istento,  Mezö  Madarasz 

Siebenbürgen 
Deeresheim  bei  Hallerstadt  *^) 
Borkut,  Szigeth,  Marmaros,  Ungarn 
Iwan,  Odenburg,  Ungarn**) 
Kaba,  Debreczin,  Nord-Bihar,  Ungarn. 

Veresegyhäza,  Ghaba,  Carlsburg.  Sieben« 

bürgen 
Kakowa,  Oravitza,  Temeser  Banat,  Ungarn 
Montpreis,  Steyermark 
Breitenbach,  Bez.  Platten,  Kreis  Elbogen 
Rok3rtzau,  Pilsen,  Böhmen 

Knyehinya,  Ungarn*^ 
Tuschkau,  Pilsen,  Böhmen*') 


*)  Unter  Detonation  eines  Meteors  fiel  Materie.  —  *)  Erdregen  und  kleine  Steinchen.  -^ 
')  Feuerkugel  mit  harziger  Masse.  —  *)  Nach  Schwefel  riechende  kristallinische  Masse.  — 
*)  Kzplodierende  Feuerkugel  mit  mutmaßlichem  Meteoritenfalle.  —  *)  Anfangs  3  Steine.  Baron 
Reichenbach  ließ  die  Gegend  planmäßig  absuchen  und  fand  noch  8  Steine.  —  "*)  Jedenfalls 
Identisch.  Ein  noch  gldhender  Stein.  —  ")  Ein  viel  umstrittener  Meteorstein.  —  ")  2  Eisen- 
massen.—  *^  Nach  dem  Jahrbuche  der  k.  k.  Geologischen  Reichsanstalt:  eweifelhafter  Meteoriten- 
fall. —  ")  Nach  Charl  Upan  Shepard  angezweifelt.  Sollte  der  von  1841,  August  10.  mit  diesem 
Falle  identisch  sein  ?  —  **)  Nach  Schätzung  mehr  als  1000  Steine.  —  ^)  Feuerkugel  von  Sonnen* 
große,  detonierend  mit  Erschütterung  und  mutmaßlichem  Meteoritenfalle. 


80 


Sternschnupp«!  und  Meteoriten. 


i 

Zeit  des  FaUes, 

*o 

resp.  Auffindung 
der  herabgefallenen 

Tageszeit 

FaUort  oder  Fundort 

A 

Meteoimassen 

50 

1868  Mai  22 

10h  80ni  nachm. 

Stavetic,  Agram,  Kroatien 

51 

1878  Mai  (8) 

— 

Proschwitz  1) 

52 

1874  April  10 

1875  M!arz  81 

7^57''^  nachm. 

Bei  Majelevic,  Tetschen,  Böhmen«) 

58 

8— 4  h  nachm. 

Zsadany,  Ungarn 

54 

1877  gefunden 

— 

Zwischen  Mühlau  und  Weihenberg,  Mechei^ 
bürg,  Innsbruck 

55 

1878  Juli  15 

Ih  46  m  nachm. 

Tieschitz  und  Tischtin,  Prenao,  Mähren 

56 

1882  Februar  8 

8— 4h  nachm. 

Mocs  und  Umgebung,  Ungarn 

57 

1883  Januar  17 

Glogovacz  bei  Arad*) 

58 

1888  März  28 

5  h  vorm. 

Smidar,  Kreis  Bildschow,  Böhmen 

59 

1887  April  21 

9— 10  h  nachm. 

In  die  Braunau,  unweitWaidhof  en  a.  Thaya, 
Niederösterreich*) 

60 

1887  Oktober  28 

4h  15m  nachm. 

Im  Außenhafen  von  Pola*) 

61 

gefunden 

— 

Pniow,  Böhmen 

62 

gefunden 

— 

Chotzeu  bei  Hohenmauth,  und  Chmdin, 
Böhmen 

63 

1890  gefunden 

— 

Nagy-Üazsony,  Veszprimo,  Ungarn 

64 

1895  Mai  9 

— 

Nagy-Borove,  Ungarn 
Velika-Solina  bei  Agram«) 

65 

1896  April  18 

7  h  30m  vorm. 

66 

1898  gefunden 

— 

Wiener  Prater^ 

67 

1897  August  1 

11h  6m  vorm. 

mittags 

Zavid  bei  Rozany,  Zvomik,  Bosnien 

68 

1899  April  80 

— 

Außig,  Böhmen 
Kaschau,  Ungarn 

69 

1901  September  14 

— 

Staaten  der  Balkan-Halbiiisel  und  grieehische  Inseln 

Vor  Christo 

1 

1478 

— 

Cybellische  Berge  auf  der  Insel  Kreta 
Berg  Ida,  Insel  Kreta 

2 

1408 

— 

8 

? 

— 

Delphi «) 

Orchomenes,  Griechenland 

4 

1200 

— 

5 

1168 

— . 

Berff  Ida  auf  Kreta«) 
Insel  Kreta 

6 

670  (520) 

— 

7 

476 

— 

Agos  Potamos,  Thracien^«) 

8 

? 

— 

Kassandria  (Posidäa)  Macedonien 

9 

465 

— 

Theben,  Böotien  ") 

10 

Anfang  der  80  Jahre 
Nach  Christo 

~~' 

Athen  nahe  bei  dem  Jupiters-Tempel. 

11 

452 

— 

Thracien") 

12 

648 

— 

Konstantinopel 

18 

1472  November  8 

— 

KonstantinopeP*) 

14 

1514  September  7 

— 

SugoUe  Grenze  von  Ungarn**) 

15 

1637  Dezember  6 

— 

Meerbusen  v.  Volo,  Pelagas  Sinus^Thessalien 

>)  MeteorkOgelchen.  —  ^  Qrofie  detonierende  Feuerkugel  von  Sonnengröße  mit  mutmaft- 
lichem  Meteoritenfalle.  —  *)  Meteorit  sohlug  durch  das  Eis  eines  Sumpfes.  —  •)  Fall  wird  be- 
zweifelt. —  *)  Eine  glühende  Kugel  bei  hellem  Sonnenscheine  20O  m  vom  Soliulsohitf  Venebech. 
— *  ^  Brand.  —  f)  Harzige  Substanz,  welche  Stanislaus  Meunier  fOr  meteorischer  Natur  hUt.  — 
*)  Nach  Kesselmeyer:  Angeblich  ein  vom  Saturn  auf  die  Erde  geschleuderter  Stein,  der  im 
Appollotempel  aufbewahrt  worden  war.  —  ")  Nach  Arago :  Eisenmasse.  —  ^)  Der  berOhmteste 
Steinfall  des  Altertums.  Plinius  bemerkt,  daß  der  Stein  die  Qröße  eines  Wagens  gehabt  habe 
und  eine  Farbe,  als  ob  er  ausgebrannt  wäre.  —  ")  Unter  Feuer  und  Getose  vom  Himmel  ge- 
fallener als  Mutter  der  Götter  bewahrter  Stein.  —  ^^  Nach  Ghladni:  drei  große  vom  Himmel 
gefallene  Steine.  —  ")  Dunkle  Staubwolke.  —  ^)  Nach  S.  Meunier. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


81 


Zeit  des  Falles, 

resp.  Auffindung 

der  nerabgefaUene] 

Meteormassen 


Tagesseit 


Fallort  oder  Fundort 


16 
17 

18 
19 

20 

21 
22 
28 
24 
25 
26 

27 
28 

29 

80 

dl 
82 
88 


1706  Juni  7 
1740  Oktober  25 

1774 
1805  Juni 

1810  November  28 

1818  Juni 

1818  Oktober  81 

1828  Mai 

1850  August  29 

1864  April  10 

1878  gefunden 


1874  Mai  20 
1877  Oktober 
1888  Juni  2 


18 


1889  Dezember  1 

1891  Oktober  10 

1894  Juli  19 

1895  Juli  10 


2— 8h  nachm. 

12^  Yorm. 

mittags 

am  Tage 

9— 10l>  nachm. 

am  Tage 
811  80m  nachm. 

10  h  nachm. 
6h  40m  nachm. 


2h  nachm. 
2h  80m  nachm. 

9  h  nachm. 


Larissa,  Thessalien 

Hasarsrad  oder  Rasgrad,  zwischen  Schumla 
und  Rustschuk^) 

Tirgowiste,  Rumänien*) 

Konstantinopel,  mitten  in  der  Stadt  auf 
dem  Fischplatz') 

Zwischen  der  Insel  Cerigo  und  Kap  Ma- 
tapan 

Seres,  Macedonien 

Bei  Bukarest^) 

Tscheroi,  zwischen  Weddin  u.  Krojowa 

Nauplia*) 

Griechische  Insel  Polinos^ 

Wlaschka,  Timowa,  Rustschuck,  Nord- 
Rumelien 

THrba,  Weddin,  Walachei,  Rumänien. 

Sarbanovac,  Sokobanja,  Alexinac,  Serbien. 

Im  Walde  bei  dem  Dorfe  Urba  bei  Kon- 
stantinopel 

Kasak,  Mittelpunkt  des  Falles  im  Zeliza- 
Gebirge,  Serbien 

Guca,  Cacat,  Serbien 

Surakina  Gregonana  auf  Kreta 

Szakal  bei  Temeswar 


Rußland  ohne  Sibirien 


Nowgorod 

Wilikoi-Usting,  Wologda 

Nowgorod 

Warschau  7) 

Räuden,  Kurland') 

Simbirsk 

Meteoritenfall  in  den  Ostsee-Provinzen. 

Riga«0 

Obruteza,  Volbypien 
Jigalowka,  Bobrik,  Charkow 
Bjelaja  Zerkow,  Kiew,  Ukraine 
Tunoschin,  Smolensk 
Kiking,  Wiasemsk,  Smolensk 
Rokicky,  Brahin,  Minsk 
Kuleschowska,  Poltawa 
Borodino,  Moskau 

Luotolaks  (Lontalaz)  Wiborg,  Finnland 
Scholakoff,  Ekateriooslaw 


^)  2  steine,  5  Tage  nach  dem  Tode  Karls  VI.  —  *)  Eine  Notiz,  die  1805  in  Urkunden 
gefunden.  —  *)  Mehrere  Steine.  —  *)  Zweifelhafter  Meteoritenfall.  —  *)  Steine  sind  zwar  auf- 
gefunden, aber  wieder  verloren  gegangen.  —  *)  Angeblich  2  AeroUten.  J.  Schmidt  gibt  an, 
daA  ee  die  gröAte  detonierende  Feuerkugel  gewesen,  die  er  Je  gesehen.  Massen,  wie  Sohnüdt 
sie  Termutet  hatte,  sind  jedoch  nicht  gefunden.  —  '>)  Stein,  welcher  den  Turm  eines  Gefäng- 
nisses serstorte.  —  *)  Meteorpapier.  —  *)  Brand  in  der  Peterskirche. 

Klein,  Jahrbuch  XIV.  6 


1 

1212  Febraar  2 



2 

Zwisch.  1251  u.  1860 

am  Tage 

8 

1421  Mai  19 

— 

4 

1600 



6 

1686  Januar  81 

10h45mnachm 

6 

Fallzeit  anbekannt 

— 

7 

1704  Juli  19 



8 

1721 

— 

9 
10 

1776  (1776)  Herbst 
1787  Oktober  13 

8  h  nachm. 

11 

1796  Jan.  16  (1797) 

— 

12 

1807  März  25 

8  h  nachm. 

18 

1809  gefallen 



14 

1810  gefunden 

1811  März  12 

— 

15 

11h  vorm. 

16 

1812  September  5 

12— Ih  vorm. 

17 

1818  Dezember  18 

(1814  März) 

2— 8h  nachm. 

18 

1814  Januar  28 

— 

82 


Stornsohnuppen  und  Meteoriten. 


£ 

Zeit  dds  FaUes, 

1 

resp.  Auffindung 
der  herabgefallenen 

Tagesseit 

Fallort  oder  Fundort 

3_ 

Meteormassen 

19 

1814  Februar  15 

0—1*1  nachm. 

mittags 

Alezejewska,  Bachmut,  Ekaterinoslaw 

20 

1818  April  10  (11) 
1818  August  10 

— 

Zaborzyka,  Volhynien 
Slobodka,  Smolensk 

21 

— 

22 

1819  Mai  26  (19) 

— 

Paulowgrod 

28 

1820  Juü  12 

Lasdany,  Lizna,  Witebsk 

24 

1820  November  12 

4  h  nachm. 

Chotmischsk,  Sterlitamansk 

25 

1822  gefunden 
1828  Ende  Dezbr. 



Rokicky  bei  Brahin,  Minsk') 

26 



Botechetschki,  Kursk 

27 

1824  Oktober  20 

— 

Staütamank,  Orenburg«) 

28 

1825  Juli  28 

— 

Chirokij  unweit  Gherson') 

29 

gefunden? 

— 

Gzartoya,  Volhynien 

80 

— 

Im  €k)uvernement  Poltawa 

31 

1826  Mai  19 

— 

Mordvinowska,  Paulowgrod,  Ekaterinoslaw 

82 

1827  Oktober  17 

9—1011  vorm. 

Bialystock,  Kuasti-Knasti,  Jasly 

83 

Vor  1828  Mai 

— 

Simbirsk 

34 

1829  September  9 

2  b  nachm. 

Krasnoy-Ugol,  Rjäsan 

Okniny,  Okaninah  bei  Kremenetz,  Volhy- 

86 

1884  Januar  8 

9— 10h  vorm. 

86 

Vor  1838 



nien 
Slobodka,  Rußland 

87 

1840  Mai  9 

11— 12  h  vorm. 

mittags 

Karakol,  Kirgisensteppe 

88 

1848  gefunden 

gefunden 

1848  November  12 

— 

Bei  Badjansk  am  Asowschen  Meere^) 

89 

— 

Im  Gouvernement  Kursk 

40 

11— 12h  vorm. 

mittags 

Werchne  Tschirskaja,  Stanitza  am  Don 

41 

1846  gefunden 
1846  (?)  gefunden 



Im  Kreise  Romy,  Poltawa 

42 

— 

Im  Gouvernement  Kursk*) 

48 

1846  gefunden 

— 

Netschaewo,  Tula 

44 

1860  gefunden 

— 

Bei  Abo,  Finnland 

46 

1864  gefunden 
1866  Mai  6 

1865  Mai  11 

— 

Sarepta  a.  d.  Wolga,  Sarato. 

46 
47 

5  h  nachm. 
8— 4  h  nachm. 

Igast,  Livland*) 
Kaande,  Insel  Osel 

48 

1867  März  24 

5  h  nachm. 

Stawropol,  Kaukasus 

49 

1858  August 

— 

Zmeny,  Stolin,  Pinsk,  Minsk 

60 

1869  gefunden 
1861  Juni  28 

— 

Czartorysk  am  Styr,  Volhynien 

51 

7  h  nachm. 

Mikenskoi,  Grosnaja,  Kaukasus 

52 

1868  Juni  2 

7  h  30m  vorm. 

Buschhof,  Jakobstadt,  Kurland 

68 

1868  August  8 

Oh  80m  nachm. 

mittags 

Aukoma  u.  a.  Ort  Pillistfer,  Livland^ 

64 

1864  AprU  12 
1864  (1862)  Juni  26 

4  h  45n»  vorm. 

Nerft,  Kurland 

66 

7  h  vorm. 

Dolgowoli,  Volhynien 
Pultusk,  Sielce  Nowy,  Polen«) 
Werchnedjeprowsk,  Ekaterinoslaw 

56 

1868  Januar  80 

6  h  45  m  nachm. 

57 

1869  gefunden 

— 

58 

Fallzeit  unbekannt 

— 

Mohilew 

69 

Fallzeit  unbekannt 



Grodno 

60 

1871  gefunden 

— 

Oczeretna,  Lipowitz  (Lipowez),  Kiew 

>)  Man  vergleiche  Nr.  14.  —  <)  Bezweifelter  Meteoritenfall.  —  *)  Zweifelhaft  nach  Chladni. 
—  «)  Nach  Büchner.  —  »)  Vielleicht  identisch  nüt  Nr.  39.  —  «)  Besweifelter  Meteorstein.  ~  ^  Ein 
sehr  reicher  Fall.  Ein  Stein  schlug  in  einen  Schweinestall.  —  ^  Viele  Tausend  Steine,  welohe 
eine  Strecke  von  10  deutschen  Meilen  bedeckten.  Nach  Brezina  soll  dieser  FaU  mit  dem  an  dem- 
selben Tage,  7h  naohm.  erfolgten  Steinfallebei  Larioi  im  Golfe  von  Speoia,  Italien,  identisch  sein. 


Stecnachiiuppeii  and  Meteoriten. 


88 


J 


Zeit  des  Falles, 

resjp.  Attfündang 

der  herabgefallenen 

Meteormassen 


Tageszeit 


FaUort  oder  Fundort 


61 

62 
68 
64 
65 
66 
67 
68 
69 
70 
71 
72 
73 
74 
75 
76 
77 
78 
79 
80 
81 
82 
88 
84 
85 
86 


1872  Juni  28 

1878  Januar  9 
1874  Mai  11 
1876  Juni  17  (19) 

1876  ffefunden 

1877  Juni  17 

1878  November  20 

1881  November  19 

1882  August  2 

1886  September  16 

1887  Januar  1 
1887  Juli  8 

1887  August  80 

1888  gefunden 

1889  Juni  18 

1890  April  16  (10) 

1891  April  9  (7) 

1892  gefunden 

? 

1893  September  22 

1894  Juli  27 

1894  Dezember  7 
?  gefunden 

1895  Mitte  August 
1899  März  12 
1901  September  9 


Vor  Gbristo 
Vor  1460 
Vor  1180 
Fallzett  unbekannt 

desgleichen 


desgleichen 
desgleichen 
desgleichen 


Qh  80™  nachm. 
mittags 

11  h45m  nachm. 


6  h  80m  vorm. 
4 — 5*»  nachm. 

7  h  18m  vorm. 

111»  vorm. 
Ih  nachm. 


41»  nachm. 


101»  nachm. 
9I1  47m  nachm. 


Sikkensaare,  Tennasilm,  Estland 

Bei  Abo  in  das  Meer  fallend 

Sevrukof  (Sewrjukowo)  Belgorad,  Kursk 

Vanilowska,  Cherson 

Werchne  Drieprowak,  Ekaterinoslaw 

Yodz6,  Poneviej  Kosno 

Rakowka,  Tula,  Galun 

Großliebenthal  und  Sitschawskab.  Odessa^) 

Pawlowka,  Karai,  Balaschew,  Saratow 

Nowy  Urej,  Krasnoslobadck,  Pensa 

Bielokrysnitchie,  Zasland,  Volhynien 

Niederbartau,  Kurland 

Ochansk  und  Taborg,  Perm 

Bischtrübe  (Bisch-T^ube)  Nicolaew.Tourgais 

Mighea,  Elisawetpol,  Transkaukasien 

Mißhofi  Kurland 

Indarck,  Elisabeth,  Transkaukasien 

Augustinowka,  Ekaterinoslaw 

Romy,  Poltava 

Zabordie,  Wihia*) 

Sawtschenskoje,  Gherson 

Buschany,  Stonim,  Grodno 

Netschaewo,  Tula 

Kljutsch,  Krassnowtimski,  Perm 

Stensbölle-Fjörde  b.Bjjurbdle,Bor^a,  Finnl. 

Soll  in  einem  russischen  Dorfe  em  orofler 

Brand  durch  einen  fallenden  A^teor- 

stein  entstanden  sein') 


Kleiii-Asien 


Gibeon,  nördl.  von  Jerusalem^) 

Troja*) 

Troja«) 

Ephesus^) 

Laodicea  bei  Ephesus") 

Tyrus,  Phönizien*) 

Hierapolis,  Syrien*®) 

Babylon") 

Paphos,  Insel  Kypem*") 


*)  An  letzterem  Orte  wurde  ein  Postillion  von  einem  fallenden  Steine  verwundet.  —  *)  Ein 
Stein  fiel  auf  ein  Bauemhaue.  —  *)  Wisselinus,  m.  Band.  —  *)  Nach  Lyoosthenes:  Hagel  von 
Steinen.  —  *)  Nach  Homers  Dias  h&ngte  Jupiter  der  Juno  zwei  große  Amboße  an  die  Füße  und 
band  mit  goldenen  Fesseln  die  H&nde  der  Gattin;  sp&ter  loste  er  aber  die  Fesseln  und  warf 
die  Klumpen  nach  Troja  herab.  Nach  Bustathius  wurden  später  2  Klumpen  von  den  Perle- 
gaten in  Troja  gezeigt.  —  ^  Nach  von  Dalberg  gab  Apollo  einen  schwarzen  Stein  dem  Trojaner 
Helenes.  —  "*)  Nach  v.  Hammer  ein  vom  Himmel  gefallenes  Bild  der  Diana.  —  ")  Nach 
V.  Dalberg:  »B&tylos-Stein«,  welcher  am  Eingange  des  Dianatempels  zu  Laodicea  stand.  — 
*)  Nach  von  Dalberg:  der  als  Stern  vom  Himmel  gefallene  Stein,  welchen  die  OSttin  Astarte  der 
Stadt  Tyros  relohte.  —  ^  Nach  von  Hammer  und  andern:  Angeblich  vom  Himmel  gefallenes 
Bild  der  Syrischen  Liebeegöttin  Derkato.  —  ^)  Kesselmeyer:  der  in  den  Ruinen  von  Babylon 
mit  Keilschrift  versehene  Stein,  welcher  vielleicht  ein  Meteorstein  gewesen  ist.  --  >^  Von 
Hammer:  angeblich  vom  Himmel  gefallenes  Bild  der  Aphrodite. 

6» 


84 


Sternschnuppen  nnd  Meteoriten. 


& 

Zelt  des  FaUes, 

1 

resp.  Auffindung 
der  herabgefallenen 

Tageszelt 

Fallort  oder  Fundort 

s^ 

Meteozmassen 

10 

Fallzeit  unbekannt 

Cyricns,  Mysion^) 

Pessinus,  Phiygien*) 

Abydos  am  Hellespont,  Myrnen 

11 

des^eiohen 

— 

12 

desgleichen 

— 

18 

76  bis  78 

Nach  Christo 

— 

Oti^al  (Otryae)  Phrygien 

14 

55 

— 

Libanongebirge 

15 

500 

— 

Emesa 

16 

898  (897) 

— 

Ahmed-Jad  bei  Kufah,  Bagdad 

17 

1110  Winter 

— 

See  Van 

18 

1180  März  8 

— 

Mosul  am  Tigris 

19 
20 

1840 
Um  1451 

— 

Birki  (Birgeh),  OSO  von  Smyma 
Beth-Horon,  SW  von  Jerusalem* 

21 

?  gefunden 

— 

22 
28 

?  gefunden 

1888  Dezember  10 

— 

Berg  Athos 

oder  14 

dh  vorm. 

Jagy  bei  Trapezunt 

24 

1870  gefunden 

— 

Nördl.  von  Renkioi  am  Hellespont 

25 

1878  gefallen 

— 

Aleppo  (Haleb) 

26 

1881 

— 

Thymbra  in  der  Ebene  von  Troja 

27 

1888  gefunden 
1886  Februar  4 

— 

Adalia,  Konia 

28 

61^  nachm. 

29 

1886  Februar  5 

9l^20mnAohm. 

Etwas  südlicher  als  Thanax-Kalea^ 

Nord-Afrika 


46  v.  Chr. 
481  n.  Chr. 
856  Dezember 
1021  zwisch.  Juli  24 

und  August  21 
1280 

1828  (1828)  Jan.  9 
1849  November  18 
1860  Januar  25 


1865  gefunden 
1865  August  25 
1867  Juni  9 
1875  August  16 

1888  gefunden 
1892  gefunden 
1892  Mitte  März 
?  gefallen 


6h  80"»  nachm. 


Acilla  (Acilia)  bei  Thapsus,  südl.  v.  Carthago 

Afrika  wo?') 

Sawaida  (Savadi)  südl.  von  Kairo 

Afrika  wo?*) 

Alexandria 

Mortahiab  und  Dakhaliak,  Egypten 

Tripolis 

Tripolis 


Algerien 


11h  vorm. 

10h80ninachm. 

11—12^  vorm. 

mittags 


am  Tage 


DeUys») 

Senhadja,  Aumale*) 

Tadjera,  Setif  Konstantine 

Feid-Chair,  La  Calle,  Konstantine 
Haniet-el-Beguel,  Ghardaia  M*Zab 
Hessi  Jekner 
Stadt  Algier^«) 
Zu  D'El  Golea 


1111868  Mai  29 


Marokko 

1 111^  26m  nachm.  |  Kap  Spartel 


*)  Stein,  welcher  nach  ApnlejuB  daaelbst  aufbewahrt  worden.  ->  ^  Dieser  Stein  wurde 
•p&ter  nach  Rom  gebracht.  —  ")  Hagel  von  Steinen.  —  *)  Nach  Buchner  fraglich,  ob  ein  Meteorit. 
—  *)  Nach  Galvert.  —  ^  Nach  demselben.  —  "*)  Vom  Himmel  gefallene  feurige  Steine.  —  ^  Viele 
Steine  bis  5  Pfund  schwer  aus  einer  mit  Blitz  und  Donner  geladenen  Wolke.  —  *)  Gehörem 
vielleicht  beide  einem  Falle  an.  —  ^)  Stein  tötete  einen  Neger. 


Sternschnuppen  und  Meteoriten. 


85 


Die  Verteilung  dieser  Fälle  auf  die  Monate  ergibt  folgendes: 

Jüü 47  PäUe 

August 49     „ 

September 45     „ 

Oktober 81     „ 

November 86     „ 

Dezember 81      ,, 


Januar 89  Fälle 

Februar 29     „ 

März 48     „ 

April 84     ,, 

Mai 60     ,, 

Juni 52     ,, 


257  Fälle 


241  Fälle 


Mehrfache  Meteoritenfälle  fanden  statt: 


Im  Jan.  am  1.  »  5Fälle 
II     ji     1»  ^»  ^^  ^    »» 
tf     I»     I»  *'•  ^^  ^    »> 
««     II     ii81.  =  8    ,, 


Im  April  am  10.=4Fä]le 
it     >>     !♦  26. =8    „ 


Im  Juli  am  4.  =  5  FäUe 

Q 

•  *'         »I 

I«  JI       11  *•'•  ■""  Ö         II 


ImOktbr.am  1. =4Fälle 
II      II      II  ■**'*^^^    II 
II      II      ,,tÄJ.^=ö    f, 


ImFebr.amlO.=8Fälle 
„  16. =8    „ 
„  19. =8    „ 


II     1» 
II     II 


11     11 
II     11 


Im  Mai  am  4.  =  8  Fälle 
„11.  =  4    „ 
,il4.  =  8    „ 
II 17.  =  6    ., 

11 18«  —  8  11 

1,19.  =  5  ,, 

„22.  =  4  „ 

„26.  =  5  „ 

Im  Aug.  am  1.  =  8  Fälle 

II       II       II    Ö.  =  o      ,1 

II        II       11  *"•  *~"  O      ft 


ImNov.  am  12.  =  8  Fälle 

II  11  II  lo.^^^^«  I« 
II  II  II  2ü.  =  ö  „ 
II     1»     II  29.  =  3     „ 


Im  März  am  1 .  =  8Fälle 

II    II   1»  ö«  ^=  4  ,1 
II    11   ,|l«.  =  4  fi 

11   11  II 15.  =  2  „ 

11    11    Ii22.  =  8   n 

Im  Juni  am  8.  =  4FäUe 
7  =4 

n    II    1»  •  •    ^   II 
11    11    II  "•  ^^^  ^   II 

II  II   ,|13.  =  8  „ 

I»   11   II  ''  '•  ^^^  o   ,f 
11    11    11  *ö.  ^=  4   }, 


Im  Sept.  am  5.  =  8  Fälle 

11     II     11   •  •  "^  ^     II 
II     11     11  «•^^4    11 

II       11       II  Aö.  =  4      „ 
II       11       11  *-^'  ^^  Ö      ,1 

Im  Dez.  am  6.  =  4Fälle 

11        11       II  *ö.  =  D       I, 

II      II     „24.^8     „ 


Fixsterne. 

Statistik  der  Sterne  in  der  Zone  von  +  65  bis  4-  70^ 
nördL  Deklination,  nach  den  Aufhahmen  für  die  photo- 
graphisohe  Himmelskarte  auf  der  Sternwarte  zu  Greenwich.^) 

Diese  Aufnahmen  geschahen  mit  dem  photographischen  Refraktor  von 
88  cm  Öffnung  und  8.48  m  Brennweite,  nane  dem  Meridian.  Die  Platten 
für  die  Karten  haben  E^roonierung  von  40  Minuten,  jene  für  die  StemkataLoge, 
solche  von  6  Minuten,  3  Minuten  und  20  Sekunden.  Die  Zählungen  wurden 
auf  Flächen  von  je  46<^  in  Rektaszension  und  1^  Deklination  vorgenommen. 
Jede  solche  Fläche  hat  in  der  Zone  von  65^  Dekl.  ein  Areal  von  4.dy  Quadrat- 
ffrad,  in  66*  DekL  von  4.48,  in  67»  von  4.31,  in  68»  von  4.12,  in  6d»  von 
8,94  Quadratgprad.  Aus  den  Tabellen  der  Abhandlung  möge  hier  folgende 
Übersicht  hervorgehoben  werden: 


')  Monthly  Notices  1908.  68.  p.  120. 


86 


Fixsterne. 


Bei  einer 

ExpoBitionsdauer  von 

20  Sek. 

3tt.6Min. 

40  Min. 

Zahl  der  Sterne 

1    9.0  Größe 

dieser  Zone  in  der 

u.  heller 

8094 

Bonner  Durch- 
musterung 

überhaupt 

8162 

Zahl  der  Sterne 
auf  den  photo- 

auf wenigstens 
2  Platten 

6663 

6663 

38262 

199776 

graphischen 
Platten 

überhaupt  auf 
allen  Platten 

11018 

49014 

229426 

Bestimmungen  der  Parallaxen  von  10  Sternen  1.  Größe 
an  der  nördlichen  Himmelshälfte.  Diese  Untersuchungen  hat 
William  L.  Elkin  am  Heliometer  der  Yalestemwarte  ausgeführt,  ^)  und 
sie  bilden  gewissermaßen  eine  Ergänzung  zu  den  Gillschen  Messungen 
der  Parallaxen  von  Sternen  1.  Größe  des  südlichen  Himmels. 

Die  Untersuchung  zeigt,  daß  die  Elkinschen  Messungen  mit 
großem  zufälligen  und  systematischen  Fehlern  behaftet  sind  als  die- 
jenigen von  Gill,  doch  verleiht  ihre  große  Anzahl  den  definitiven 
Werten  für  die  Parallaxen  ein  beträchtliches  Gewicht.  Diese  Werte 
samt  ihren  berechneten  wahrscheinlichen  Fehlem  sind: 


a  Tauri 
a  Aurigae 
a  Orionis 
a  Can.  min. 
ß  Gemin. 
a  Leonis 
a  Bootis 
a  Lyrae 
a  Aquilae 
a  Cygni 


n  = 

TT  = 

n  = 

n  =  ■ 
n  =  • 
TT  =  ■ 
n  = 


0/'109 
0."079 
0."024 
0."334 
0."066 
0."024 
0."026 
0."082 
0."232 
0."012 


±  0."014 
±  0."02l 
±  0."024 
±  0/^15 

±0."020 
±  0.''017 
±  0.'^16 
±  0."019 
±  0.'"023 


Von  einigen  dieser  Steme  liegen  ältere  Parallaxenbestimmungen 
vor,  unter  denen  aber  nur  bei  a  Ganis  minoris  einige  Übereinstimmung 
mit  den  neuen  Gillschen  Angaben  gefunden  wird.  Man  erkennt  daraus, 
wie  gering  unsere  heutigen  Kenntnisse  der  Fixstemparallaxen  überhaupt 
noch  sind,  und  daß  wir  im  Grunde  genommen  sicher  nur  wissen,  daß 
sie  in  einigen  Fällen  an  der  Grenze  der  Wahrnehmbarkeit  für  unsere 
Instrumente  stehen,    in  den  meisten  andern  aber  jenseits  derselben. 

Die  Parallaxe  des  Doppelsterns  d  EquuleL    Dieser  Stern 

4.  Gr.,  dessen  Position   am  Himmel  (für  1900.0)  ist:   AR  21^  10™ 
D  +  9^  36',   wurde   von  W.  Herschel   im   Jahre    1781    als   doppelt 


^)  Transaotions  of  the  Astr.  Obs.   of  Yale  University    1.  Part.  VL 
New-Haven  1902. 


Fixsterne.  87 

erkannt,  indem  er  einen  Begleiter  10.  Gr.  in  etwa  30 "Distanz  sah. 
Im  Jahre  1852  erkannte  0.  Struve  am  15  zolligen  Refraktor  zu 
Pulkowo,  daß  der  Hauptstem  für  sich  doppelt  ist  und  aus  zwei 
Sternen  4.5  und  5.  Gr.  besteht,  die  nur  ^/g"  voneinander  entfernt 
waren.  In  den  Jahren  1854  und  1855  konnten  beide  Sterne  nicht 
mehr  getrennt  werden,  und  erst  1880  sah  Bumham  die  Trennung 
deutlich;  1901  war  sie  auch  am  36 -Zoller  der  Licksternwarte  zeit- 
weise nicht  zu  sehen.  Die  Beobachtungen  lehrten,  daß  die  Umlaufs- 
zeit des  Begleiters  sehr  kurz  ist,  und  W.  J.  Hussey  hat  gezeigt,  daß 
sie  von  5.7  Jahren  nicht  sehr  verschieden  sein  kann.  Die  andern 
Bahnelemente,  welche  derselbe  für  den  Begleiter  berechnete,  sind 
folgende: 

Zeit  des  Periastrons T  »  1901.5 

Knotenlänge i?»24.1o  (für  1900.0) 

Winkel  zwischen  Knotenlinie  und  der  großen  Achse  l  =  179.0^ 

Neigung  der  Bahnebene i  =  82^  oder  83^ 

Exzentrizität  der  Bahn e»s0.46 

Scheinbare  halbe  große  Achse  der  Bahn     ....  8.^*0.28" 

Diese  Bahnelemente  sind  nicht  sehr  genau,  indessen  werden 
sorgfältige  Beobachtungen  während  der  nächsten  3  Jahre  hinreichen, 
die  Genauigkeit  derselben  wesentlich  zu  erhöhen.  Auf  der  Lick- 
sternwarte sind  während  der  Epoche  des  letzten  Periastrons  mit  dem 
MiDsspektographen  Bestimmungen  der  relativen  Geschwindigkeit  der 
beiden  Komponenten  des  Hauptstemes  in  der  Richtung  der  Gesichts- 
linie zur  Erde  erhalten  worden,  und  es  ergab  sich  dafür  der  Betrag 
von  20,5  km  pro  Sekunde.  Dieser  Wert  zusammen  mit  den  Bahn- 
elementen des  Doppelstemes  genügt,  um  daraus  zunächst  die  in 
Bogensekunden  ausgedrückte  halbe  große  Achse  der  Bahn  in  Kilo- 
metern auszudrücken  und  weiterhin  die  Parallaxe  des  Doppelstem- 
systems,  also  seine  Entfernung  von  der  Erde,  zu  berechnen.  Prof. 
William  J.  Hussey  hat  diese  Rechnungen  ausgeführt.^)  Er  findet  für 
die  Parallaxe  den  Werter  =  0.071",  und  diesem  entspricht  eine  wahre 
Entfernung  von  der  Erde,  welche  2  905  000 mal  größer  ist  als  die 
Entfernung  der  Sonne  oder  61  Billionen  Meilen  beträgt.  Prof.  Hussey 
zeigt  des  nähern,  daß  der  gefundene  Wert  für  die  Parallaxe  schwer- 
lich um  0.012"  irrig  sein  kann.  Die  Gesamtmasse  beider  Sterne  des 
Systems  ergibt  sich  weiterhin  zu  1.89  Sonnenmassen,  und  wahr- 
scheinlich ist  der  hellere  an  Masse  unserer  Sonne  gleich.  Der  mittlere 
Abstand,  in  welchem  beide  Sterne  während  ihres  Umlaufs  sich  von- 
einander befinden,  ist  etwa  viermal  so  groß  als  die  mittlere  Ent- 
fernung der  Erde  von  der  Sonne,  beträgt  also  rund  80  Millionen 
Meilen;  da  die  Bahn  beider  Sterne  indessen  sehr  exzentrisch  ist,  so 
können  sie  sich  bis  auf  40  Millionen  Meilen  einander  nähern,  aber 
bis  zu  120  Millionen  Meilen  voneinander  entfernen.  Beide  Sterne 
zeigen  Spektren,   welche   mit  dem  Sonnenspektrum  typisch  überein- 

^)  Lick-Observatoty  Bulletin  Nr.  82. 


88  Fixsterne. 

stimmen,  und  man  kann  annehmen,  daß  auch  ihre  mittlem  Dichten 
derjenigen  der  Sonne  näherungsweise  gleich  sind.  Der  vorliegende 
Fall  ist  der  erste,  in  welchem  die  Entfernung  eines  (Doppel-)Stern8 
von  der  Erde  unter  Zuhilfenahme  seiner  spektrographisch  ermittelten 
Bewegung  bestimmt  wurde,  und  diese  Bestimmung  erscheint  mindestens 
ebenso  zuverlässig  als  die  besten  direkten  Messungen  von  Fixstern- 
parallaxen,  die  zurzeit  vorhanden  sind. 

Untersuchungen  über  den  LlehtwechseldesAlgt>L  Dieser 
Veränderliche  ist  nicht  nur  dadurch  interessant,  daß  er  der  erste 
Stern  gewesen,  an  dem  man  einen  auf  wenige  Stunden  beschränkten 
Lichtwechsel,  der  durch  eine  mehrere  Tage  dauernde  Periode  unver- 
änderter Helligkeit  von  der  nächsten  Lichtabnahme  getrennt  ist,  ent- 
deckte, sondern  auch  gleichzeitig  derjenige  Stern,  bei  dem  später 
zuerst  die  Ursache  seines  periodischen  Lichtwechsels  mit  Sicherheit 
nachgewiesen  werden  konnte.  Heute  wissen  wir,  durch  die  spektro- 
graphischen  Aufnahmen  und  Untersuchungen  von  Prof.  H.  G.  Vogel, 
daß  dieser  Lichtwechsel  lediglich  die  Folge  einer  periodischen  Ver- 
deckung  des  Algol  durch  einen  Begleiter  ist,  der  mit  ihm  um  den 
gemeinsamen  Schwerpunkt  kreist;  wir  wissen  femer,  daß  dieser 
relativ  dunkle  Begleiter  im  Durchmesser  etwas  kleiner  sein  muß  als 
der  helle  Hauptstem,  daß  beider  Mittelpunkte  nur  etwa  um  das  Vier- 
fache ihres  Durchmessers  voneinander  entfernt  sind,  und  es  ist  wahr- 
scheinlich, daß  beide  Weltkörper  von  mächtigen  Atmosphären  um- 
hüllt werden.  Die  Periodendauer,  also  die  Zeit  von  einem  Licht- 
minimum zum  nächsten,  beträgt  im  Durchschnitte  nach  Chandler 
2  Tage  20^  48°^  55  b,  allein  sie  ist  veränderlich  und  schwankt 
innerhalb  eines  Zeitraumes  von  141  Jahren  um  etwa  3  Stunden; 
1773  war  sie  nahezu  3  Stunden  kürzer,  1843  um  ebensoviel  länger 
als  die  mittiere  Dauer,  und  gegenwärtig  nimmt  sie  wieder  ab,  vor- 
aussichüich  bis  zum  Jahre  1914.  Zur  Erklärung  dieser  Erscheinung 
nahm  Chandler  an,  daß  Algol  samt  seinem  Begleiter  um  einen  dritten 
dunklen  Körper  in  141  Jahren  eine  kreisförmige  Bahn  beschreibt, 
wodurch  er  der  Erde  während  jedes  Umlaufes  bald  näher,  bald  ent- 
fernter steht.  Der  Durchmesser  dieser  Bahn  würde  der  doppelten 
Schwankung  der  Periodendauer  entsprechen,  d.  h.  so  lang  sein,  als 
die  Strecke  ist,  welche  der  Lichtstrahl  in  5  Stunden  46  Minuten 
durchläuft  Dies  gibt  eine  Länge,  welche  etwa  dem  Durchmesser 
der  Uranusbahn  gleichkommt  Der  französische  Astronom  und  Mathe- 
matiker Tisserand  führte  dagegen  die  Veränderlichkeit  der  Perioden- 
dauer des  Algol  auf  eine  Abplattung  desselben  zurück,  wodurch  eine 
Drehung  der  großen  Achse  der  Bahn  des  Begleiters  hervorgerufen 
werden  muß.  Je  nachdem  die  Achse  in  der  einen  Richtung  oder  in 
der  andern  zur  Qesichtslinie  liegt,  ist  der  Begleiter  um  einen  ge- 
wissen Betrag  vorangerückt  oder  zurückgeblieben,  und  kommt  die 
Verfinsterung  entsprechend   früher  oder   später.     Der   Betrag   dieser 


Fixsterne.  89 

Veifrühung  oder  Verspätung  von  173  Minuten  führt  auf  eine  Ex- 
zentrizität der  Bahn  von  0.132.  In  einer  spätem  Untersuchung  hat 
Chandler  die  Periode  der  großen  Ungleichheit  zu  118  Jahren  be- 
rechnet und  ihren  Betrag  zu  147^^,  dieses  führt  auf  eine  Exzentrizität 
▼on  0.112. 

Für  alle  diese  Schlüsse  ist  eine  möglichst  genaue  Kenntnis  des 
Verlaufes  des  Lichtwechsels  von  Algol  von  entscheidender  Wichtigkeit. 
Eine  dahin  zielende  neue  Untersuchung  hat  unlängst  A.  Pannekoek 
in  Leiden  ausgeführt  und  darüber  berichtet^)  Er  verbreitet  sich  zu- 
nächst kurz  über  die  Tisserandsche  Erklärung.  Die  von  diesem  an- 
genommene Drehung  der  Apsidenlinie  als  Folge  der  Abplattung  des 
Haupstemes  wird  als  zutreffend  vorausgesetzt  Die  Abplattung  des 
Hauptsteroes  hängt  aber  von  der  Rotationsdauer,  der  Dichtigkeit  etc. 
ab,  und  daneben  wird  die  weitere  Deformation,  besonders  die  Ver- 
längerung der  beiden  Sterne  in  der  Richtung  ihrer  Verbindungslinie, 
-me  sie  durch  die  gegenseitige  Anziehung  bewirkt  wird,  auch  eine 
Drehung  der  Apsidenlinie  verursachen.  Pannekoek  hat  den  Versuch 
gemacht,  die  Gestalt  der  beiden  Sterne,  besonders  die  des  leuchtenden 
Hauptstemes,  und  die  daraus  daraus  hervorgehenden  Störungen  der 
Bewegung  genauer  zu  berechnen,  wobei  die  Rechnungen  mit  ver- 
schiedenen Werten  für  die  mittlere  Entfernung  und  das  Verhältnis  der 
Durchmesser  durchgeführt  wurden.  Bei  den  Werten,  die  der  Wahr- 
heit ziemlich  nahe  kommen  werden,  nämlich:  mittlere  Entfernung  4.5, 
Halbmesser  des  dunkeln  Trabanten  0.44,  den  Halbmesser  des  Haupt- 
stemes als  Einheit  gesetzt,  findet  sich  die  Abplattung  ^Z^^,  die  Ver- 
längerung ^Ij^^  ;  die  drei  Halbachsen,  welche  nach  dem  dunkeln  Körper 
und  senkrecht  dazu  gerichtet  sind,  und  die  Rotationsachse  ver- 
halten sich  wie  1.0187:1.0005:0.9808.  Diese  Zahlen  gelten  für 
homogene  Stoffverteilung ;  wenn  die  Oberflächenschicht  eine  geringere 
Dichtigkeit  hat  als  die  mittlere,  so  ändern  sie  sich  um  einen  be- 
stimmten Wert  Die  Drehung  der  Apsidenlinie,  welche  sich  aus 
diesem  bedeutenden  Betrage  der  Deformation  ergibt,  ist  viel  großer, 
als  durch  die  Beobachtung  angezeigt  wird;  es  findet  sich  eine 
Drehung  von  360®  in  7  statt  in  140  Jahren,  und  nur  wenn  die 
Oberflächendichte  nicht  größer  als  V^  ist,  wird  Übereinstimmung 
zwischen  Theorie  und  Beobachtung  hergestellt. 

Tisserand  untersuchte  in  der  oben  genannten  Arbeit,  welchen 
Änderungen  dabei  die  übrigen  Verhältnisse  des  Lichtwechsels  unter- 
worfen sein  müssen.  Von  größter  Bedeutung  war  sein  Resultat, 
daß  eine  mäßige  Exzentrizität  von  ein  paar  Zehnteln  keine  Asym- 
metrie der  Lichtkurve  vor  und  nach  dem  Minimum  verursachen  kann, 
Die  Asymmetrie,  die  sich  aus  den  Beobachtungen  von  Schönfeld  er- 
geben hatte,  war  vielfach  als  Wirkung  einer  Exzentrizität  der  Bahn 
gedeutet  worden,    obgleich  schon  die  Rechnungen  von  Prof.  Pickering 


')  Astron.  Nachr.  Nr.  3862. 


90  Fixsterne. 

ergeben  hatten,  daß  nur  eine  sehr  große  Exzentrizität  (von  0.5), 
welche  aus  andern  Gründen  unmöglich  war,  imstande  ist,  eine 
merkliche  Asymmetrie  zu  geben.  Namentlich  waren  es  die  von 
J.  Harting  in  seiner  Dissertation  und  von  J.  Wilsing  im  7.  Bande 
der  Potsd.  Publik,  ausgeführten  Berechnungen  der  Exzentrizität  aus 
der  Asymmetrie,  deren  Fehlerhaftigkeit  im  allgemeinen  durch  diesen 
Tisserandschen  Aufsatz  gezeigt  wurde  und  jetzt  in  Einzelheiten  in 
der  vorliegenden  neuen  Arbeit  nachgewiesen  wird.  Für  die  beobachtete 
Asymmetrie  der  Lichtkurve  wird  jetzt  eine  andre  Erklärung  gesucht 
werden  müssen. 

Daneben  berechnete  Tisserand,  ob  in  der  140-  (oder  118  jährigen-) 
Periode  eine  Schwankung  in  dem  Betrage  der  Lichtschwächung,  also 
in  der  Helligkeit  des  Minimums  und  in  der  Dauer  der  Verfinsterung 
vorkommen  müßte.  Erstere  Schwankung  übergeht  er  als  »assez 
faible«;  Pannekoeks  Rechnung  ergab  jedoch,  daß  sie  einige  Zehntel 
Größenklasse  betragen  müßte,  also  für  die  jetzigen  Messungen  und 
Schätzungen  wohl  merklich  sei.  Die  berechnete  Schwankung  in  der 
Dauer  der  Verfinsterung  glaubte  Tisserand  durch  die  Differenz 
zwischen  den  Angaben  für  die  ganze  Dauer  bei  Wurm  (6.5^)  und 
Schönfeld  (9^)  bestätigt  zu  finden.  Der  Wert  dieser  Bestätigung  ist 
aber  zweifelhaft,  da  Wurm  zweifelsohne  nicht  die  ganze  Dauer  be- 
obachtet hat  und  die  äußersten  Phasen,  wo  die  Lichtstärke  sich  nur 
wenig  ändert,    nicht  beachtete. 

Es  war  daher  der  erste  Zweck  von  Pannekoeks  Arbeit  über 
Algol,  an  dem  zugänglichen  Beobachtungsmateriale  zu  untersuchen, 
ob  Schwankungen  in  der  Helligkeit  des  Minimums  und  in  der  Dauer 
der  Verfinsterung,  wie  sie  die  Theorie  Tisserands  fordert,  nach- 
zuweisen sind  oder  vielleicht  durch  die  Beobachtungen  widerlegt 
werden ;  daran  wird  man  die  Richtigkeit  der  Tisserandschen  Theorie 
prüfen  können.  Daneben  war  es  seine  Absiebt,  den  Betrag  und  den 
Verlauf  der  Asymmetrie  zu  verschiedenen  Zeitpunkten  an  verschiedenen 
Beobachtungsreihen  zu  untersuchen,  wodurch  voraussichtlich  ein 
Beitrag  zu  ihrer  Erklärung  zu  leisten  war. 

Für  diese  Untersuchung  hat  Pannekoek  alle  vorhandenen  bessern 
Beobachtungen,  sowohl  die  Helligkeitsschätzungen  nach  Argelanders 
Methode  als  die  auf  der  Harvardstemwarte  und  in  Potsdam  ange- 
stellten photometrischen  Messungen  benutzt.  Es  ergab  sich,  daß  be- 
züglich des  Verlaufes  der  Lichtkurven  große  Verschiedenheiten  unter 
den  Beobachtungsergebnissen  stattfinden;  selbst  die  Ergebnisse  der 
photometrischen  Messungen  weichen  voneinander  ab  insofern,  als  bei 
den  Potsdamer  Messungen  die  Abnahme,  bei  den  Cambridger  die  Zunahme 
des  Lichtes  langsamer  ist  Schließlich  kommt  Pannekoek  zu  der  An- 
nahme, daß  die  Ab-  und  Zunahme  des  Lichtes  um  das  Minimum  herum 
vöUig  gleichförmig  erfolgt,  die  Lichtkurve  also  symmetrisch  ist 

Sehr  schwierig  gestaltet  sich  die  Feststellung  der  Helligkeit  des 
Algol  im  Minimum.     Die  Resultate  jedes  einzelnen  Beobachters,    sagt 


Fixsterne.  91 

Pannekoek,  sind  in  einer  individuellen  Skala  von  Stemhelligkeiten 
ausgedrückt;  um  sie  mit  andern  vergleichen  zu  können,  hat  man 
die  Skalen  aufeinander  zu  reduzieren,  und  dazu  muß  man  wissen, 
aus  welchen  Ursachen  die  gegenseitige  Helligkeit  der  Sterne  von 
verschiedenen  Beobachtern  verschieden  geschätzt  wird.  Es  ist  be- 
kannt, daß  die  Farbe  dabei  einen  bedeutenden  Einfluß  hat;  um 
ihn  genau  feststellen  zu  können,  ist  aber  eine  genaue  Kenntnis 
der  Stemfarben  nötig,  welche  wir  seit  kurzem  dem  Farbenkataloge 
von  H.  Osthoff  entnehmen  können.  Da  wir  jetzt  auch  über  be- 
deutende und  genaue  photometrische  Messungen  der  Fixsterne  ver- 
fugen, erscheint  es  möglich,  eine  allgemein  gültige,  genaue  Vergleichs- 
stemskalaaus  diesen  Messungen  und  den  Stuf  enschätzungen  geübter  Be- 
obachter zu  bilden,  auf  welche  die  schon  abgeleiteten  und  benutzten 
individuellen  Skalen  reduziert  werden  können. 

Pannekoek  teilt  im  einzelnen  mit,  auf  welche  Weise  er  zu  der 
von  ihm  aufgestellten  Normalskala  für  die  Helligkeiten  der  Vergleichs- 
steme  gelangte. 

Pannekoek  hat  nun  aus  allen  Beobachtungsreihen  die  Helligkeit 
des  Algol  im  kleinsten  Lichte  abgeleitet  und  auf  diese  Normalskala 
reduziert  Es  findet  sich  im  Mittel  dafür  die  Sterngröße  3.42.  Nach 
der  Tisserandschen  Theorie  sollte  das  Minimum  im  Jahre  1814  am 
schwächsten,  1873  am  hellsten  sein.  Von  einem  solchen  periodischen 
Wechsel  zeigen  die  Zahlen  aber  keine  Spur. 

Findet  sich  hierin  keine  Bestätigung  der  Theorie,  so  doch  auch 
keine  entschiedene  Widerlegung;  die  Helligkeit  zeigt  sich  nicht  kon- 
stant, sondern  weist  erhebliche  Variationen  auf.  Weil  die  auf  gleiche 
Zeiten  fallenden  Resultate  Unterschiede  bis  zu  0.14  aufweisen,  wäh- 
rend der  größte  überhaupt  vorkommende  Unterschied  0.18  ist,  wird 
man  den  Ursprung  dieser  Differenzen  nicht  in  wirklichen  Schwan- 
kungen der  Algolhelligkeit,  sondern  hauptsächlich  in  systematischen 
Fehlem  der  Beobachtungen  zu  suchen  haben.  Die  Hoffnung,  daß 
durch  die  Reduktion  aller  Beobachungsresultate  auf  eine  feste  und 
genaue  Normalskala  ihre  systematischen  Differenzen  verschwinden 
würden,  hat  sich  also  nicht  erfüllt.  Ein  Versuch,  die  systematischen 
Differenzen  zwischen  den  hauptsächlichsten  Beobachtern  aus  den 
gemeinsam  beobachteten  Minimis  zu  bestimmen,  scheiterte  an  der 
geringen  Anzahl  dies  Minima.  Daher  war  es  auch  nicht  möglich, 
geringere  kurzperiodische  Schwankungen,  wie  sie  z.  B.  durch  die 
Schönfeldschen  Reihen  1853 — 1875  angedeutet  waren,  unzwei- 
deutig zu  bestimmen. 

Die  Ursache  dieser  großen  Abweichungen  liegt  zum  Teile  in  einer 
Befangenheit  der  Beobachter ;  irrtümliche  Erwartungen  über  die  Hellig- 
keit beeinflussen  die  Schätzungen.  Daneben  sind  Unregelmäßigkeiten 
des  Lichtwechsels  und  Verschiedenheiten  in  Zeit,  Helligkeit  und  Ver- 
lauf zwischen  den  verschiedenen  Minimis  möglich.  Obgleich  solche 
Anomalien  in  der  einfachen  Trabantentheorie  keine  Erklärung  finden, 


92 


Fixsterne. 


werden  sie  von  verschiedenen  Beobachtungsreihen  angezeigt  Um  sie 
über  jeden  Zweifel  zu  erheben,  sind  gleichzeitige  Beobachtungen 
mehrerer  Astronomen  notwendig,  also  eine  viel  regere  Beschäftigung 
mit  diesem  Sterne,  wobei  besonders  photometrische  Messungen  wert- 
voll sind,  da  sie  nicht  oder  viel  weniger  unter  dem  Einflüsse  vor- 
gefaßter Meinungen  stehen.« 

»Die  Dauer  der  Verfinsterung  ist  schwer  zu  ermitteln,  da  die 
Willkür  im  Ziehen  der  Lichtkurve  bei  der  langsamen  Änderung  zu 
Anfang  und  Ende  große  Differenzen  geben  kann«  Da  es  sich  hier, 
zur  Prüfung  der  Tisserandschen  Theorie,  nur  um  relative  Ergebnisse 
handelt,  wurde  aus  allen  Beobachtungsreihen  Anfang  und  Ende 
bestimmt  mittels  derselben  Kurve.  Dazu  wurden  nur  Schätzungen 
oder  Mittel  benutzt,  die  weiter  als  3^  von  dem  Minimum  entfernt 
waren,  und  es  wurde  ein  Lichtkurvenstück  aus  einigen  Reihen  ab- 
geleitet, wo  1  ^,  2  ^  und  2.5  ^  von  dem  Ende  die  Größe  um  0.062, 
0.229  und  0.361  Größenklassen  unterhalb  des  vollen  Lichtes  lag. 
Die  Resultate  sind: 


Beobachter 

Halbe 
Dauer 

MitÜ. 
Fehler 

Period. 
Ghed 

Argelander    .    .    . 
Schönfeld  1859bis  70 
Sohönfeldl869bi875 
Harvard     .... 

Müller 

Plaßmann  .... 
Pannekoek     .    .    . 

h    m 

5    3 

4  46 
446 

5  2 
5  1« 
5  20 
r>  19 

m 
13 

2.8 

1.2 

5 

6 

8 

8 

- 

m 

h   3 

-  19 
-21 

-20 

-  20 

-  11 

-  8 

Nach  der  Tisserandschen  Theorie  sollten  diese  Werte  für  die 
halbe  Zeitdauer  der  Verfinsterung  von  einem  Mittelwerte  um  Beträge 
abweichen,  die  unter  »Period.  Glied c  stehen.  Es  zeigt  sich,  daß 
eine  solche  periodische  Schwankung  nicht  zutrifft;  die  Ergebnisse 
weichen  um'egelmäßig  voneinander  ab  um  Beträge,  die  den  mittlem 
Fehler  vielfach  übertreffen. 

Auch  hier  wird  man  die  Differenzen  nicht  dem  Verhalten  des 
Sternes,  sondern  systematischen  Fehlem  zuschreiben  müssen,  wenn 
auch  eine  befriedigende  Erklärung  dafür  noch  nicht  zu  geben  ist. 
Eine  Betrachtung  der  Beobachtungen  Goodrickes  zeigt,  daß  auch  zu 
seiner  Zeit  die  halbe  Dauer  nur  wenig  von  5  Stunden  verschieden  war.c 

Die  Gestalt  der  Lichtkurve  wurde  aus  verschiedenen  Beobach- 
tungsreihen abgeleitet  und  mit  der  Rechnung  verglichen,  wobei  außer 
mit  der  einfachsten  Annnahme  einer  gleichmäßig  erleuchteten  Algol- 
scheibe  die  Rechnung  auch  durchgeführt  wurde  mit  einer  Helligkeits- 
verteüung  gleich  der  auf  der  Sonnenscheibe  stattfindenden. 

Es  zeigten  sich  in  den  Beobachtungsreihen  merkliche  Differenzen. 
Die  Lichtkurven   aus    Argelanders  Beobachtungen   und    den    photo- 


Fixsterne.  93 

metrischen  Messungen  zu  Potsdam  und  Cambridge  stimmen  mit  der 
Rechnung  gut  überein  unter  der  Annahme,  daß  der  Durchmesser  des 
Algoltrabanten  0.9  von  dem  des  Algol  betragt,  und  die  Helligkeits- 
verteilung  auf  der  Algolscheibe  in  bezug  auf  Schwächung  seines 
Lichtes  am  Rande  etwas  weniger  ausgesprochen  ist  als  auf  der 
Sonnenscheibe.  Die  große  Halbachse  der  Bahn  des  Trabanten  ergibt 
sich  =  4.0,  wenn  der  Halbmesser  Algols  =1.0  gesetzt  wird  und 
die  Neigung  der  Bahn  zu  6.7  ^  Die  nachgewiesene  Symmetrie  der 
Ldchtkurve  vor  und  nach  dem  Minimum  spricht  völlig  zugunsten 
der  Trabantentheorie,  während  die  Tatsache,  daß  weder  in  der  Hellig- 
keit des  Minimums,  noch  in  der  Dauer  der  Verfinsterung  eine  perio- 
dische Schwankung  erkennbar  ist,  geeignet  erscheint,  Zweifel  an  der 
Richtigkeit  der  Tisserandschen  Hypothese  zu  erwecken.  Für  die 
Erklärung  der  großen  Ungleichheit  müßte  man  dann  auf  die  Ghandler- 
sche  Theorie  zurückgreifen,  wobei  die  von  Boß  hervorgehobenen 
Spuren  einer  unregehnäßigen  Eigenbewegung  wieder  eine  erhöhte 
Bedeutung  bekommen.  Die  Entscheidung  darüber  wird  eine  genaue 
spektrographische  Bahnbestimmung  geben  können ;  diese  kann  zeigen, 
ob  die  Exzentrizität  der  Bahn  0,11  oder  bedeutend  kleiner  ist 

Das  Hauptergebnis  dieser  Untersuchungen  liegt  aber,  wie  Panne- 
koek  betont,  »in  dem  Nachweise  des  Vorhandenseins  unerwarteter 
systematischer  Fehler  aller  Art,  sowohl  in  den  photometrischen 
Messungen  wie  in  den  Stufenschätzungen.  Nur  eine  viel  intensivere 
und  regelmäßigere  Beschäftigung  mit  dem  Lichtwechsel  Algols  wird 
uns  in  den  Stand  setzen,  diese  künftighin  zu  bestimmen,  ihren  Ein- 
fluß aufzuheben  und  das  wirkliche  Verhalten  des  Sternes  kennen 
zu  lernen.« 

Über  die  Dimensionen  und  Bahnverhältnisse  des  Doppelsystems 
Algol  hat  G.  Rödiger  eine  neue  Untersuchung  angestellt^)  Nachdem 
Prof.  Vogel  in  Potsdam  aus  seinen  spektrometrischen  Aufnahmen  er- 
kannt hatte,  daß  die  lange  gehegte  Vermutung,  der  veränderliche  Stern 
Algol  sei  ein  Doppelsystem,  bestehend  aus  einem  hellen  und  einem 
dunklen  Sterne,  der  Wirklichkeit  entspreche,  hatte  er  auf  Grund  der 
damals  vorliegenden  Beobachtungen  der  Lichtkurve  Werte  für  den 
Durchmesser  Algols  und  seines  dunklen  Begleiters,  sowie  für  den 
Abstand  beider  in  Kilometern  berechnet  Die  Genauigkeit  dieser  be- 
rechneten Werte  beruht  auf  der  Genauigkeit,  mit  der  die  Lichtkurve 
Algols  ermittelt  ist  In  dieser  Beziehung  liegen  gegenwärtig  photo- 
metrische Messungen  von  Prof.  Müller  in  Potsdam  vor,  welche  diese 
Lichtkurve  etwas  anders  und  jedenfalls  genauer  darstellen,  als  man 
vor  12  Jahren  dieselbe  kannte.  Die  Ab-  und  Zunahme  der  Helligkeit 
des  Sternes  ist  z.  B.  keineswegs  gleichmäßig,  d.  h.  die  Lichtkurve  ist 
nicht  symmetrisch,  auch  ist  die  Zeitdauer  der  ganzen  Lichtschwankung 
erheblich  länger,    als   man   früher  annahm.     Unter  Berücksichtigung 


^)  Inaug.-Disseri;.  Jena  1902. 


94  Fixsterne. 

dieser  Tatsachen  und  unter  gewisser  provisorischer  Annahme  für  den 
Durchmesser  des  dunklen  Begleiters  hat  nunmehr  G.  Rödiger  die  be- 
obachteten Helligkeitswechsel  mit  der  Theorie  verglichen  und  der 
besten  Übereinstimmung  gemäß  neue  Werte  für  die  Dimensionen  der 
beiden  Sterne  und  ihrer  Bahn  umeinander  abgeleitet.  Er  findet  für 
den  Algol  einen  Durchmesser  von  1569000/»»,  für  seinen  dunklen 
Begleiter  einen  solchen  von  1 177  000  Ami  und  für  den  Abstand  beider 
eine  Distanz  von  5  562  000 /rm,  während  der  Durchmesser  unserer 
Sonne  1  380  000  km  beträgt.  Diese  Werte  weichen  wenig  von  den 
früher  durch  Vogel  und  Wilsing  gefundenen  (1707  000,  1336000, 
5  194  000  km)  ab.  Werden  beide  Weltkörper  an  durchschnittlicher 
Dichte  einander  gleich  angenommen,  so  besitzt  der  Hauptstern  0.588, 
der  Begleiter  0.248  von  der  Masse  unserer  Sonne  und  ihre  mittlere 
Dichte  ist  0.25  von  der  Dichte  der  Sonne.  Beide  Weltkörper  be- 
wegen sich  umeinander  in  einer  nahezu  kreisförmigen  Bahn,  denn  die 
Exzentrizität  der  letztern  kann  schwerlich  größer  als  0.0015  sein. 
Der  Winkel  der  Bahnebene  mit  der  Gesichtslinie  zur  Erde  beträgt 
4.9  ^.  Vogel  und  Wilsing  haben  angenommen,  daß  die  beiden  Sterne 
des  Algolsystems  von  sehr  hohen  Atmosphären  umgeben  seien,  doch 
ist  es  schwer,  aus  den  Helligkeitsbeobachtungen  am  Algol  darüber 
Gewißheit  zu  erlangen.  Besitzen  beide  Sterne  in  der  Tat  solche 
Atmosphären,  so  muß  ihre  Dichte  merklich  geringer  sein,  als  oben 
angegeben,  und  ähnliche  geringe  Dichtigkeiten  haben  sich  bei  andern 
spektroskopischen  Doppelsternen  in  der  Tat  herausgestellt 

Über  die  Lichtkurve  von  ß  Lyrae  macht  w.  Stratonow 
auf  Grund  seiner  Beobachtungen  1895 — 1898  mehrere  wichtige  Be- 
merkungen.^) 

Es  ist  wohl,  sagt  er,  Argelanders  hoher  Autorität  zuzuschreiben, 
wenn  alle  Erforscher  des  Lichtwechsels  von  ß  Lyrae  hauptsächlich 
nach  einer  Bestätigung  der  typischen,  von  diesem  Astronomen 
gegebenen  Form  der  Lichtkurve  des  genannten  Sternes  streben,  welche, 
wie  bekannt,  zwei  gleiche  Maxima  und  zwei  ungleiche  Minima  besitzt 
Zwar  wurden  mehrmals  Abweichungen  von  der  Argelanderschen  Licht- 
kurve bemerkt,  doch  wurden  dieselben  teilweise  durch  Beobachtungs- 
fehler, anderseits  auch  durch  von  der  Zeit  abhängige  Veränderungen 
in  der  Gestalt  dieser  Kurve  erklärt,  Meines  Wissens  war  der  ver- 
storbene Ed.  Lindemann  der  erste,  welcher  bei  der  Bearbeitung  der 
Plaßmannschen  Beobachtungen  gelegentlich  die  Hypothese  aufstellte, 
»daß  das  erste  Maximum,  wenigstens  zu  unserer  Zeit,  kein  einfaches 
ist,  sondern  aus  zweien  bestände,  von  denen  das  zweite  ungefähr 
in  5^4^  nach  dem  Hauptminimum  aufträte,  und  daß  zwischen 
diesen  beiden  Maxima  ein  drittes  Minimum  (4^  15^  nach  dem  Haupt- 
minimum) lägec.      Lindemann  wies  auch  auf  eine  ähnliche  Erschei- 


»)  Astron.  Nachr.  Nr.  8871. 


Fixsterne.  96 

nuDg  gegen  das  Ende  des  2.  Maximums  hin.  Jedoch  entschloß  er 
sich  nicht,  diese  Abweichungen  in  die  Konstruktion  seiner  Licht- 
kurve einzutragen,  obgleich  beide  sekundären  Minima  auf  Lindemanns 
Karte  recht  deutlich  hervortreten.  Pannekoek  bestätigte  in  seinen 
>  Untersuchungen  über  den  Lichtwechsel  von  ß  Lyrae«  das  Vor- 
handensein dieser  Lindemannschen  Einbuchtungen,  fand  aber  außerdem 
noch  »eine  Unregelmäßigkeit  in  der  Nähe  des  Hauptminimums,  wo 
der  Stern  vor  der  angenommenen  Minimumzeit  schwächer  erscheint, 
darauf  bei  ungefähr  0.0^  zunimmt,  einen  halben  Tag  konstant  bleibt, 
oder  etwas  abnimmt  und  dann  erst  schnell  zu  steigen  anfängt. 
Auch  bei  Argelander  ist  dasselbe  zu  bemerken.  <  Aber  auch  Panne- 
koek führt  die  gefundenen  Anomalien  in  die  von  ihm  konstruierte 
mittlere  Lichtkurve  nicht  ein. 

Es  scheint  aber,  daß  die  Ausgleichung  solcher  Anomalien  nur 
bis  zu  einer  gewissen  Grenze  getrieben  werden  darf,  andernfalls 
könnten  beständige  Vernachlässigungen  für  temporär  angenommener 
Unregelmäßigkeiten  Eliminationen  von  reellen  Details  zur  Folge  haben« 
Solche  Anomalien  nämlich,  welchen  man  beständig  in  einer  und  der- 
selben Lichtphase  und  dazu  bei  verschiedenen  Beobachtern  begegnet, 
dürften  schon  in  die  Konstruktion  der  Lichtkurve  eingeführt  werden. 
Anomalien  dieser  Art  ergaben  sich  bei  Bearbeitung  meiner  Beobach- 
tungen von  ß  Lyrae  während  der  Jahre  1895 — 1898. 

Stratonow  teilt  nun  die  Daten  zur  Konstruktion  der  Lichtkurve 
von  ß  Lyrae  nach  seinen  Beobachtungen  und  ebenso  nach  dem  Mittel- 
wert aus  den  Beobachtungen  von  Schur,  Plaßmann,  Pannekoek, 
Glasenapp,  Menze  und  ihm  selbst  mit  Schon  beim  ersten  Blicke 
zeigen  sich  Ähnlichkeiten  in  dem  Verlaufe  beider  Kurven,  aus  denen 
hervorgeht,  daß  der  größte  Teil  dieser  Biegungen  sicher  ist  und 
nicht  Beobachtungsfehlem  zugeschrieben  werden  kann. 

Folgendes  sind  die  hauptsächlichsten  Abweichungen  dieser  Art,  gerechnet 
vom  Augenblicke  des  Lichtminimums  an: 

1.  Welle  bei  0.2  d,  von  Pannekoek  angezeigt.  Man  sieht  sie  nicht  nur 
in  den  angeführten  Kurven,  sondern  auch  in  den  Beobachtungen  Arge- 
landen  und  Schönfelds.  Eine  gewisse  Andeutung  dieser  Welle  ist  auch  bei 
Oudemans  zu  sehen.    Vollständig  sicher. 

2.  Vertiefung  bei  1.7 d  Sehr  schwach,  auf  Stratonows  Kurve  nicht 
sichtbar.    Wahrscheinlich. 

3.  Welle  bei  2.0 d.  Findet  sich  auch  bei  Argelander,  Oudemans  und 
Schönfeld.    Vollständig  sicher. 

4.  Eine  leichte  Vertiefung  bei  3.0  d.    Zu  sehen  bei  Argelander.    Sicher. 

5.  Vertiefung  bei  3.9  d.  Bei  Argelander,  Oudemans  und  Schönfeld. 
Vollständig  sicher. 

6.  Nach  dem  Maximum  bei  4.1  d  ein  neues  Minimum  bei  4.8  d.  Bei 
Lindemann  angedeutet  und  von  Pannekoek  bestätigt;  bei  Argelander  und 
Oudemans.    Vollständig  sicher. 

7.  Konstante  Lichtstärke  (oder  kleine  Zunahme)  neben  dem  Minimum  n 
von  6.0  d — 6.4  d.    Bei  Argelander  und  Oudemans.    Ziemlich  sicher. 

8.  Vertiefung  bei  7.5  d.  Bei  Argelander  (sehr  schwach)  und  Oudemans. 
Ziemlich  sicher. 


96  FixBteme. 

9.  Minimum  bei  8.9  d.    Bei  Argelander  (etwas  später)  und  Schönfeld. 
2^eml]ch  sicher. 

10.  Ähnliches  Minimum  bei  9.5  d.   Dem  Minimum  bei  8.0  d  symmetrisch. 
Bei  Schönfeld.    Ziemlich  sicher. 

11.  Minimum  bei  10.5  <1,  von  Lindemann  angedeutet.    Bei  Argelander 
unh  Oudemans.    Vollständig  sicher. 

12.  Kleine  Vertiefung  bei  11.0^.    Bei  Stratonow  schwach  zu  sehen; 
gut  sichtbar,  bei  Argelander.    Sicher. 

Das  Spektrum  des  VeFänderllehen  o  Ceti  (Mira)  ist  auf 

der  Lickstemwarte  von  Joel  Stebbins  beobachtet  worden.  ^)  Das  be- 
nutzte Instrument  war  der  MiUsspektrograph,  aber  nur  mit  einem 
Prisma,  das  zwischen  der  Wellenlänge  X  3700  und  i,  5600  gute 
Bilder  liefert.  Die  Länge  des  zwischen  diesen  Grenzen  erhaltenen 
Spektrums  betrsigt  28  mm,  und  obgleich  die  Dispersion  nur  etwa  ein 
Fünftel  von  der  des  3  -  Prismen  -  Instruments  ist,  genügt  sie  doch, 
um  recht  gute  Bestimmungen  der  Geschwindigkeit  (durch  die  Linien- 
verschiebungen) zu  gestatten.  Ferner  gibt  bei  guter  Luft  die  Expo- 
nierung von  10  Minuten  Dauer  ein  befriedigendes  Negativ  von  Sternen 
5.  photographischer  Größe.  Das  würde  für  einen  Stern  10.  Gr.  eine 
Expositionsdauer  von  16  Stunden  und  darüber  erforderlich  machen. 
In  der  Tat  ergab  sich,  daß,  als  o  Ceti  im  kleinsten  Lichte  war,  unter 
Benutzung  der  besten  Platten  eine  Aufnahme  von  6  Stunden  Dauer 
nicht  ausreichte,  ein  meßbares  Bild  zu  liefern,  obgleich  mancherlei 
darauf  gesehen  werden  konnte.  Während  jeder  Aufnahme  wurde 
das  Vergleichsspektrum  mindestens  viermal  eingeschaltet  und  in  be- 
friedigender Schärfe  mit  aufgenommen.  Die  technischen  Einzelheiten 
bezüglich  der  Vergleichslinien  und  Messungsmethoden  können  hier 
übergangen  werden.  Die  Zahl  der  für  die  Untersuchung  benutzten 
Platten  beträgt  22,  und  sie  verteilen  sich  über  die  Zeit  vom  27.  Juni 
1902  bis  zum  5.  Januar  1908,  während  deren  der  Stern  von 
3.8  Gr.  bis  zum  Minimum  9.2  Gr.  sank  und  wieder  etwas  an  Hellig- 
keit zunahm.  Außerdem  waren  noch  8  Platten  vorhanden,  die  im 
August  1901  von  Wright  aufgenommen  worden  waren. 

^  Es  ist  bekannt,  daß  o  Ceti  ebenso  wie  die  andern  Veränder- 
lichen von  längerer  Periode  ein  Absorptionsspektrum  vom  3.  Secchi- 
schen  Typus  zeigen.  Einige  Beobachter  haben  gefunden,  daß  die 
Region  des  Spektrums  von  Hy  gegen  das  rote  Ende  hin  von  einer 
Reihe  dunkler  Streifen  durchzogen  ist,  die  gegen  Violett  hin  scharf 
abgeschnittene  Begrenzung  zeigen ;  femer  wird  berichtet,  daß  von  H  y 
gegen  das  ultraviolette  Ende  hin,  daß  Spektrum  in  bezug  auf  seine 
dunklen  Linien  sehr  große  Ähnlichkeit  mit  dem  Sonnenspektrum 
zeigt.  Auf  den  ersten  Blick  scheinen  die  von  Stebbins  erhaltenen 
Platten  diese  Meinung  zu  bestätigen,  allein  ein  genaues  Studium 
lehrt,  daß  in  beiden  Spektren  die  Details  sehr  verschieden  sind.  Die 
bei  Untersuchung   der   Spektra  angewandte  Methode   bestand  darin, 


*)  Lick-Observatory  Bulletin  Nr.  41. 


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Mgder  Leyer. 

^%.  M.  Wolf. 


Jahrbuch  XIV,  1903. 
Tafel  II. 


Fixsterne.  97 

die  Negative  von   0  Ceti   Seite   an   Seite  unter  dem  Mikroskop  mit 
demjenigen  der  Luft  (Sonne)  zu  vergleichen. 

Die  starken  Kalziumlinien  g,  H  und  K  sind  in  dem  Spektrum 
des  Veränderlichen  vorhanden,  doch  ist  g  sehr  viel  weniger  intensiv 
als  im  Sonnenspektrum.  Die  starken  Eisenlinien  des  letztern  sind 
im  Spektrum  von  0  Ceti  nicht  so  hervortretend,  bei  geringer  Dis- 
persion sieht  man  sie  gar  nicht  Unter  der  großen  Anzahl  Linien 
des  Stemspektrums  finden  sich  nur  wenige,  welche  mit  solchen  von 
ähnlicher  Intensität  im  Sonnenspektrum  zusammenfallen.  Das  Ab- 
sorptionspektrum von  Mira  wurde  auf  7  Platten  genau  vermessen, 
jede  davon  unabhängig  für  sich.  Es  ergab  sich,  daß  die  Lage  der 
untersuchten  Linien  in  bezug  auf  ihre  Wellenlängen  während  der 
ganzen  Zeit  der  Beobachtung  und  ebenso  seit  August  1901  sich 
nicht  merklich  veränderte,  d.  h.  daß  die  Geschwindigkeit  des  Sternes 
in  der  Qesichtslinie  gegen  die  Erde  unverändert  geblieben  ist.  Mit 
dem  Helligkeitswechsel  hängt  dieselbe  also  nicht  zusammen.  Durch 
Vergleich  von  bestimmten  dunklen  Linien  mit  solchen  des  Sonnen- 
spektrums, die  denselben  Stoffen  angehören,  ergab  sich,  daß  der 
Stern  0  Ceti  mit  einer  konstanten  Geschwindigkeit  von  66  km  in 
der  Sekunde  in  der  Gesichtslinie  sich  von  der  Sonne  entfernt.  Im 
Jahre  1898  hatte  Prof.  Campbell  mit  dem  3 -Prismen- Spektro- 
graphen  diese  Greschwindigkeit  zu  62  km  gefunden;  die  Oberein- 
stimmung beider  Ergebnisse  ist  also  sehr  befriedigend.  Was  die 
einzelnen  Elemente  anbelangt,  so  sind  in  dem  Spektrum  des  Ver- 
änderlichen folgende  mit  der  beigefügten  Zahl  von  dunklen  Linien 
vertreten : 

Kalzium     mit  6  Linien 


Eisen 

,11 

Chrom 

,    9 

Vanadiam 

.11 

Aluminium 

.    2 

Strontium 

.    1? 

Mangan 

.    8? 

Titan 

.    2? 

Die  erstgenannten  4  Elemente  sind  wohl  ohne  Zweifel  in  der 
Atmosphäre  des  Veränderlichen  vorhanden,  von  den  andern  ist  dies 
ungewiß.  Von  wirklichen  Änderungen  im  Aussehen  sind  nur  solche 
bei  der  Kalziumlinie  g  (l  4227.84)  sicher;  sie  wird  mit  abnehmender 
Helligkeit  des  Sternes  breiter.  Von  andern  dunklen  Linien  läßt  sich 
gleiches  vermuten,  aber  nicht  sicher  beweisen.  Die  Linien  H  und  K 
sind  auf  den  meisten  Platten  nicht  erkennbar,  und  daher  kann  nichts 
über  etwaige  Veränderungen  ihres  Aussehens  gesagt  werden.  Einige 
Linien,  die  auf  frühern  Platten  nicht  sichtbar  waren,  wurden  später 
deutlich,  die  folgenden  vier  haben  die  beigesetzten  WeUenlängen: 
A  3990.64,  4045.16,  4093.55,  4097.08,  keine  von  ihnen  kann  mit 
entsprechenden  Linien  im  Sonnenspektrum  identifiziert  werden.  Die 
hervorragenden  dunklen  Banden  im  Spektrum  der  Mira  sind  von 
Klein,  Jahrbuch  XIV.  7 


98  Fixsterne. 

einigen  Beobachtern  als  Streifen  mit  scharfem  Rande  gegen  Violett 
und  mit  abschattendem  gegen  Rot  hin  betrachtet  worden;  andere 
betrachten  sie  als  helle  Eannelierungen,  ähnlich  denjenigen  im  Bogen- 
Spektrum  des  Kohlenstoffs.  Stebbins  sieht  sie  als  dunkle  Absorp- 
tionsbanden an.  Gleichzeitig  mit  o  Ceti  wurden  auch  Aufnahmen 
der  hellem  veränderlichen  Sterne  a  Herculis,  ß  Pegasi,  ß  Persei, 
a  Geü  und  a  Orionis  gemacht,  um  die  Lagen  der  dunklen  Banden 
untereinander  vergleichen  zu  können.  Es  ergab  sich,  daß  die  Posi- 
tionen derselben  bei  allen  diesen  Sternen  im  Mittel  mit  denjenigen 
in  0  Ceti  genügend  übereinstimmten,  sobald  die  verschieden  großen 
radialen  Geschwindigkeiten  dieser  Sterne  berücksichtigt  werden. 

Pater  Sidgreaves  hat  bereits  gefunden,  daß  gewisse  Regionen 
des  kontinuierlichen  Spektrums  der  Mira  in  ihrer  relativen  Helligkeit 
Veränderungen  zeigen,  wenn  der  Stern  schwächer  wird.  Diese  Ver- 
änderungen sind  durch  die  Untersuchungen  von  Stebbins  bestätigt 
worden. 

Die  bemerkenswertesten  Erscheinungen  im  Spektrum  der  Mira 
sind  die  hellen  Linien,  von  denen  es  durchzogen  ist.  Mehrere  Wasser- 
stofflinien haben  durch  ihre  Helligkeit,  wenn  der  Stern  nahe  dem 
Maximum  ist,  schon  die  frühem  Beobachter  in  Verwunderung  ge- 
setzt Als  eigentümlich  wurde  bemerkt,  daß  die  Wasserstofflinien 
Ha,  Hß  und  H e  fehlen,  während  andere  der  Wasserstoffserie,  z.  B. 
H^  und  Hd,  sehr  hell  erscheinen.  Im  ganzen  wurden  von  ihm  auf 
9  Platten  nach  und  nach  23  helle  Linien  gefunden  und  deren  Wellenlängen 
gemessen,  außerdem  noch  zehn  helle  Stellen,  von  denen  es  unent- 
schieden bleiben  muß,  ob  sie  helle  Linien  sind  oder  lediglich  Zwischen- 
räume zwischen  dunklen  Banden.  Die  genaue  Untersuchung  ergab, 
daß  diese  hellen  Linien  während  der  Periode  des  Lichtwechsels  ihre 
Positionen  ebensowenig  ändem  als  die  dunklen.  Unter  den  hellen 
Linien  ist  die  Wasserstoff serie  unzweifelhaft  vorhanden,  aber  ob 
andere  Linien,  wie  es  scheint,  dem  Eisen  und  dem  Mangan  angehören, 
muß  noch  offene  Frage  bleiben.  Bemerkenswert  ist,  daß  eine  helle 
Linie  an  jeder  Seite  der  starken  Ealziumlinien  g,  H  und  K  erscheint, 
aber  allem  Anscheine  nach  nicht  eine  doppelte  Umkehr  dieser  Linien 
darstellt.  Versuche  während  der  Monate  Juni  und  Juli  1902,  als 
Mira  die  Helligkeit  eines  Sternes  4.  bis  zuletzt  5.  Gr.  zeigte,  das 
Spektrum  mit  dem  3  -  Prismen  -  Instrument  zu  photographieren,  miß- 
langen, .da  es  unmöglich  war,  die  Aufnahme  lange  genug  fortzusetzen, 
um  das  kontinuierliche  Spektrum  in  genügender  Intensität  zu  er- 
halten. Nur  die  Linie  H^  und  zwei  andere  helle  Linien  erschienen; 
Ry  war  auf  allen  Platten  einfach,  anscheinend  nahe  monochroma- 
tisch, aber  gegen  die  violette  Seite  des  Spektmms  hin  etwas  schärfer 
abgeschnitten  als  gegen  Rot  So  fand  auch  Campbell  1898  diese 
Linie,  nahe  um  die  gleiche  Zeit  nach  dem  Maximum  der  Helligkeit 
des  Sternes;  dagegen  fand  er  sie  von  5 — 2  Wochen  vor  diesem 
Maximum  dreifach.    Messungen   auf  den   mit  dem  3-Prismen-Instra- 


Fiasteme.  99 

ment  erhaltenen  Platten  ergaben  für  die  Linie  H  y  eine  Verschiebung 
von  im  Mittel  +  0.65  zehnmilliontel  Millimeter.  Die  dunklen  Linien 
dieser  Region  des  Spektrums  sind  sowohl  nach  den  Messungen  von 
Campbell  (1898),  als  nach  den  neuen  von  Stebbins  im  Mittel  um 
+  0.25  mehr  (gegen  die  rote  Seite  des  Spektrums)  verschoben  als 
die  hellen.  Von  besonderem  Interesse  sind  darunter  die  beiden  Linien 
mit  den  Wellenlängen  X  4308  und  4376,  welche  möglicherweise  dem 
Eisen  zugehören.  Sie  erscheinen  auf  einigen  Platten  von  Stebbins 
jede  als  helle  Linie  mit  einer  dunklen  an  der  Seite  gegen  Rot  hin. 
Wenn  diese  hellen  Linien  Eisenlinien  sind,  so  sind  sie  um  den  gleichen 
Betrag  verschoben  wie  die  Wasserstofflinien,  imd  wenn  Eisendämpfe 
die  dunklen  Absorptionslinien  neben  den  hellen  verursachen,  so  ist 
die  Verschiebung  die  nämliche  wie  die  der  andern  dunklen  Linien. 
Die  hellen  Linien  zeigen  ebenfalls  Veränderungen  in  ihrer  Intensität, 
ohne  daß  es  jedoch  gelang,  etwas  Gesetzmäßiges  hierüber  in  Beziehung 
auf  den  Lichtwechsel  des  Sternes  zu  ermitteln ;  auch  meint  Stebbins, 
daß  zu  einer  befriedigenden  spektrographischen  Untersuchung  des 
Sternes  in  allen  Phasen  seiner  Helligkeit,  der  große  Refraktor  der 
Lickstemwarte  nicht  ausreiche,  sondern  der  Spektrograph  mit  einem 
großen  Reflektor  verbunden  werden  müsse. 

Schließlich  kommt  er  zu  dej)»'  Ergebnis,  daß  die  Unverändert 
lichkeit  der  radialen  Geschwindigkeit  von  Mira  den  strengen  Beweis 
liefere,  daß  die  Veränderungen  der  Helligkeit  dieses  Sternes  nicht 
durch  die  Einwirkung  eines  Begleiters  desselben  hervorgerufen  werden, 
falls  nicht  dieser  Begleiter  eine  sehr  geringe  Masse  besitzt,  sich  in 
sehr  exzentrischer  Bahn  bewegt  und  dem  Hauptsterne  sehr  nahe 
kommt.  Die  großen  Unregelmäßigkeiten  in  der  Lichtkurve  schließen 
die  Annahme  eines  Doppelsystems  bei  Mira  so  wie  so  fast  völlig 
aus.  Die  bemerkenswerte  Helligkeitsverteilung  in  dem  Liniensystem 
des  Wasserstoffs,  welches  das  Spektrum  des  Sternes  zeigt,  ist  zur- 
zeit noch  nicht  zu  erklären,  ebenso  die  Anwesenheit  der  hellen  Eisen- 
linien X  4308  und  4376,  beim  völligen  Fehlen  anderer  Eisenlinien, 
ebenso  mehrere  andere  Umstände. 

Die  großen  Veränderungen,  welche  in  der  relativen  Intensität 
der  Wasserstoff-  und  anderer  Linien  und  in  dem  kontinuierlichen 
Spektrum  beobachtet  werden,  zeigen  aber,  daß  die  Helligkeitsabnahme 
des  Sternes  durch  andere  Vorgänge  bedingt  wird,  als  durch  die  all- 
gemeine Absorption.  Stebbins  kommt  schließlich  zu  dem  Ergebnisse, 
daß  die  Helligkeitsänderungen  der  Mira  durch  die  Wirkimgen  innerer 
Kräfte  dieses  Sternes  verursacht  werden. 

Der  Veränderliche  10.  1908  Lyrae,  den  Prof.  Seeliger  an- 
gezeigt,^) hat  nach  Dr.  Hartwig  ^)  eine  Periodendauer  von  250  Tagen. 


*)  Astron.  Nachr.  Nr.  8857. 
^  Astron.  Nachr.  Nr.  8873. 


100  Fixsterne. 

Die  geringste  Helligkeit  scheint  nicht  unter  15.6  Ghröße  herabzugehen. 
Die  Lichtzunahme  verläuft  rascher  als  die  Abnahme. 

Eine  photographische  Aufnahme  der  Umgebung  dieses  Sternes 
hat  Prof.  W.  Wolf  1903  Mai  30  mit  vierstündiger  Beleuchtung 
des  16 -zolligen  Bruceteleskops  erhalten.  Eine  Reproduktion  dieser 
Aufnahme,  die  Prof.  Wolf  in  Nr.  3884  der  »Astronomischen  Nach- 
richten« gibt,  ist  etwas  verkleinert  auf  Tafel  II  wiedergegeben.  Der 
Veränderliche,  auf  den  ein  Pfeil  hinweist,  ist  in  der  Lichtzunahme 
begriffen  und  etwa  13.  Größe. 

Der  Veränderllehe  SS  Cygrnl*  Dieser  1896  von  Miß  Luise 
D.  Wells  auf  photographischen  Platten  des  Harvardobservatory  ent- 
deckte Veränderliche  steht  am  Himmel  in 

AR  21^  SS^  46»,  D-|-43^  7.6' 
(für  1900)  und  gehört  nach  E.  Hartwig  zu  den  merkwürdigsten  ver- 
änderlichen Sternen.  Er  leuchtet  nach  längerer  Konstanz  der  Hellig- 
keit plötzlich  auf,  innerhalb  24  Stunden  um  2.5  Größenklassen,  und 
erreicht  in  abwechselnd  3  ^  und  6  ^  ein  Maximum  8.  Gr.,  in  dem  er 
nur  wenige  Stunden  verweilt,  um  in  etwa  9^  auf  das  Minimum 
(12.5  Größe)  herabzusinken.  Hartwig  macht  jetzt  ^)  auf  eine  neue 
Merkwürdigkeit  dieses  Sternes  aufmerksam.  »Während«,  sagt  er, 
»der  ihm  ähnliche  Veränderliche  U  Geminorum  alle  3  Monate  auf- 
zuleuchten pflegt,  wobei  aber  Erscheiuimgen  auch  ganz  ausfallen,  hat 
SS  Gygni  insofern  gegensätzlich  eine  gewisse  Regelmäßigkeit,  als  sein 
Aufleuchten  innerhalb  eines  Zeiüntervalles  von  mindestens  32  oder 
höchstens  68  Tagen  sich  bestimmt  wiederholt.  Dabei  hat  seit  1896 
mit  nur  2  Ausnahmen  eine  lange  Erscheinung  mit  einer  kurzen 
abgewechselt  Eine  Gesetzmäßigkeit  hat  sich  aber  für  die  Zwischen- 
zeit noch  nicht  auffinden  lassen. 

Beiden  Arten  des  Verlaufes  war  die  außerordentlich  rasche  Licht- 
zunahme gemeinsam,  bei  welcher  der  Stern  von  der  Helligkeit 
10.9  Gr.  bis  zu  der  von  8.9  Gr.  in  weniger  als  18  Stunden  aufstieg. 
In  den  beiden  letzten  Erscheinungen  (1903  Februar  12  und  April  3) 
hat  sich  aber  eine  höchst  merkwürdige  Abweichung  gezeigt,  die  schon 
einmal  in  der  Erscheinung  Ende  November  1899  beobachtet  wurde. 
Aber  neu  ist  die  Wiederholung  der  Abweichung  bei  zwei  aufeinander 
folgenden  Erscheinungen.  Die  Abweichung  besteht  darin,  daß  das 
vorhin  genannte  Helligkeitsintervall  zwischen  der  Größe  10.9 — 8.9 
nicht  mehr  in  weniger  als  18  Stunden,  sondern  in  länger  als  6  Tagen 
durchlaufen  wurde,  beide  Male  mit  ausgeprägten  Stillständen.  Bei 
der  ersten  Erscheinung  im  Februar  zeigte  auch  das  abfallende  Licht, 
das  sonst  stets  ganz  gleichmäßig  verläuft,  eine  Verzögerung  vom  15. 
auf  den  16.  Februar. 


1)  Astron.  Nachr.  Nr.  8866. 


Fixsterne.  101 

Sollte  den  Lichtwechsel  ein  Meteorring  veranlassen,  in  dessen 
Bahnebene  die  Sonne  gelegen  ist,  und  der  bei  ungleichmäBiger  Dichte 
(wofür  die  kleinen  Schwankungen  des  Minimallichtes  sprechen)  an 
besonderer  Stelle  2  Lücken  besitzt,  Lücken  oder  Auflockerungen, 
die  bei  dem  Umlaufe  der  Meteore  Verschiebungen  und  verschiedene 
Dichte  vielleicht  nicht  ganz  regellos  im  Laufe  der  Zeit  erhalten,  dann 
erscheint  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß  der  Lichtwechsel  einmal 
das  umgekehrte  Bild,  nämlich  einen  mäßigen  Lichtaufstieg  und  einen 
rapiden  Abfall  zeigt  Auf  jeden  Fall  verdient  der  merkwürdige  Stern 
beständige  Oberwachung.c 

Veränderlichkeit  von  a  Orionis.  W.  H.  Robinson  bemerkt,^) 
daß  nach  den  Aufnahmen  zu  Oxford  die  photographische  Helligkeit 
dieses  Sternes  zwischen  1901  März  9  und  1902  Oktober  22  etwas  zu- 
genommen, seit  dem  letzten  Datum  jedoch  merklich  abgenommen  habe. 
Diese  Nachweise  sind  durch  Helligkeitsschätzungen  unterstützt  worden. 

Der  Begleiter  des  Polarsternes  als  veränderlicher  Stern. 

Der  Polarstem  besitzt  einen  Begleiter,  den  W.  Herschel  am  17.  August 
1779  zuerst  sah;  der  Hauptstern  ist  2.  Gr.,  der  Begleiter  wird  als 
9.  Gr.  angegeben.  Die  Stellung  des  Begleiters  scheint  sich  nur  sehr 
langsam  zu  ändern,  die  Distanz  vom  Hauptsteme  ist  18.5",  der  Positions- 
winkel 212.4®  (nach  Duners  Messungen  1870).  Schon  Struve  hat  in 
den  vierziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  darauf  aufmerksam  ge- 
macht, daß  der  Begleiter  des  Polarsternes  im  9-zolligen  Dorpater 
Refraktor  sogar  am  hellen  Tage  gesehen  werden  könne,  und  Encke 
sowie  Mädler  haben  dies  später  bestätigt.  Die  Tatsache  ist  merk- 
würdig, und  zur  Erklärung  derselben  hat  man  angenommen,  die  äußerst 
langsame  tägliche  Bewegung  des  Polarsternes  sei  die  Ursache,  doch  ist 
diese  Erklärung  offenbar  unzulänglich.  Unter  günstigen  Umständen 
kann  man  den  Begleiter  an  einem  Fernrohre  von  2  Pariser  Zoll  Öffnung 
in  klaren  Nächten  gut  sehen,  ausnahmsweise  ist  er  von  Barnard  sogar 
an  einem  noch  kleinem  Femrohre  gesehen  worden.  Die  Sichtbar- 
keitsverhältnisse dieses  Begleiters  des  Polarsternes  zeigen  also  etwas 
Auffallendes,  und  E.  Jost  in  Gotha  macht  nunmehr^)  Mitteilungen, 
aus  denen  hervorgeht,  daß  dieser  Begleiter  höchstwahrscheinlich 
veränderlich  ist.  E.  Jost  bemerkt :  »Gelegentlich  meiner  mehrjährigen 
Arbeit  am  Heidelberger  3-zolligen  Meridiankreise  fiel  mir  an  einigen 
Tagen  die  besonders  gute  Sichtbarkeit  des  Polarisbegleiters  auf.  Der- 
selbe gilt  als  Stern  ca.  9.  Gr.,  und  seine  Sichtbarkeit  in  dem  für  die 
Polarisbeobachtung  sehr  hellen  Felde  war  für  das  kleine  Fernrohr 
etwas  Außergewöhnliches.  Gleichwohl  habe  ich  der  Sache  keine 
weitere   Beachtung  geschenkt,   bis   ich  im  Herbste  1902  eine  Reihe 


^)  Monthly  Notices  63.  p.  74. 
")  Astron.  Nachr.  Nr.  8876. 


102  Fixsterne. 

von  Extinktionsbeobachtungeii  anstellte,  bei  welchen  der  Polarstern 
allerdings  nur  eine  untergeordnete  Rolle  spielte.  Die  gleichzeitigen 
Neureduktionen  der  Müllerschen  Säntisbeobachtungen  durch  Herrn 
Dr.  Bemporad,  sowie  besonders  eine  Mitteilung  seitens  des  Herrn 
Prof.  Valentiner,  welchem  ebenfalls  die  veränderliche  Sichtbarkeit  im 
frühem  Karlsruher  Meridiankreise  aufgefallen  war,  veranlaßten  mich, 
die  früher  vielumstrittene  Frage  der  Veränderlichkeit  des  Polarsternes 
in  andrer  Form  wieder  aufzugreifen. 

Die  Beobachtungen  wurden  am  8-zolligen  Merzschen  Refraktor 
in  Verbindung  mit  einem  ZöUnerschen  Photometer  angestellt  Der 
Hauptstern  ist  nicht  abgeblendet  worden,  weil  einmal  der  Begleiter 
bei  der  schwachen  Vergrößerung  des  Photometerokulars  dem  Haupt- 
Sterne  sehr  nahe  stand,  und  dann  die  ganzen  Beobachtungen  nur  als 
gelegentliche  anzusehen  waren,  insofern  als  das  Instrument  seiner- 
zeit in  der  Hauptsache  der  Beobachtung  langperiodischer  Veränder- 
licher gewidmet  war.  Bei  den  Messungen  wurde  der  künstliche  Stern 
des  Photometers  möglichst  nahe  dem  Polarisbegleiter  gebracht,  und 
zwar  in  radiale  Entfernung  vom  Hauptstern  wie  dieser,  schließlich 
wurden  in  beiden  Stellungen  zu  demselben  die  Messungen  ausgeführt. 

Als  Vergleichssterne  für  die  Helligkeit  dienten  4  Sterne  9.3  bis 
10.8  Gr.,  deren  photometrische  Größe  Jost  im  Anschluß  an  Plejaden- 
sterne,  die  Müller  und  Kempf  in  Potsdam  vor  einiger  Zeit  photo- 
metrisch bestimmten,  ermittelt  hatte.  Die  nachfolgende  Tabelle  gibt 
die  von  ihm  abgeleitete  Helligkeit  des  Begleiters  des  Polarsternes  zu 
den  angegebenen  Zeiten  an. 

Datum  M.  Z.         Qrdfie 

1902  November    8    eh  46.0m    9.46m 


11 

10    8 

30.2 

8.89 

tl 

11    6 

42.0 

8.98 

11 

11    8 

50.7 

8.85 

15  10 

56.4 

8.63 

1, 

17    7 

62.9 

9.13 

11 

17    9 

21.1 

9.24 

1903  November  21    9 

5.9 

9.02 

1} 

22    9 

23.0 

9.10 

Dezember  22    9 

39.8 

8.91 

1903  Januar 

16    5 

59.0 

8.79 

11 

17  10 

55.0 

9.59 

II 

22  11 

57.9 

8.66 

11 

31  11 

0.5 

9.44 

Februar 

16  13 

64.4 

8.95 

11 

17    9 

39.0 

8.52 

11 

18  10 

56.0 

9.17 

1, 

19  10 

23.0 

9.64 

11 

24    8 

16.2 

9.39 

11 

26  11 

51.9 

9.49 

In   diesen  Beobachtungen   ist   eine  Schwankung   der  Helligkeit 
des  Sternes  zwischen   8.52  und  9.64  Gr.  ausgedrückt     »Über   eine 


E 


Fixsterne.  103 

etwaige  Periodizität,  c  sagt  Jost,  »läßt  sich  noch  nicht  entscheiden, 
vielleicht  ist  eine  siebentägige  Periode  angedeutet;  einige  Versuche 
Ende  Februar,  den  Stern  eine  ganze  Nacht  zu  verfolgen,  scheiterten 
an  den  ungünstigen  Witterungsverhältnissen.  Da  mir  jetzt  (in  Gotha) 
die  weitere  Verfolgung  des  Sternes  unmöglich  ist,  möchte  ich  meine 
Beobachtungen  mit  allem  Vorbehalte,  welchen  angesichts  der  Schwierig- 
keit der  Messungen  der  Zweifel  an  der  Realität  der  Resultate  fordert, 
bekannt  geben  und  den  Stern  zur  Beobachtung  an  geeigneten  Instru- 
menten empfehlen.« 

Ein  neuer  Veränderlicher  von  außergrewöhnlleh  kurzer 
Perlode  wurde  von  Prof.  Q.  Müller  und  P.  Kempf  auf  dem  astro- 
physischen  Observatorium  zu  Potsdam  entdeckt.  Es  ist  der  Stern 
der  Bonner  Durchmusterung  B.D.  -j-  56^1400  und  sein  Ort  für  1900.0: 
AR  =  9^  86"^  448  D  =  +  56<^24.6'.  Der  Lichtwechsel  vollzieht  sich 
in  4^  und  schwankt  zwischen  7.6  und  8.6  Größe.  Die  Entdecker 
berichten  darüber  folgendes.^) 

>Bei  Gelegenheit  der  ZonenbeobachtuDgen  für  den  3.  Teil  der  Pots- 
damer photometrischen  Durchmusterung  stellte  sich  heraus,  daß  die  beiden 
programmmäßigen  Helligkeitsmessungen  des  Sternes  7.5  Gr.  B.D.  -|-  66^1400 
;«  =  9h  36m  ÖS,  a  =  +  56 «24.6'  [1900])  im  Jahre  1899  und  1901  um  mehr 
als  den  bei  der  Durchmusterung  für  zulässig  geltenden  Betrag  voneinander 
abwichen.  Die  Revisionsbeobachtungen  im  Jahre  1902  in  der  Zeit  vom 
April  19  bis  Juni  4  ließen  zwar  keinen  Zweifel  übrig,  daß  der  Stern  ein 
Veränderlicher  sei,  gaben  jedoch  über  die  Art  des  Lichtwechsels  keinen 
Aufschluß.  Die  Messungen  wurden  1902  bis  Ende  Juli  fortgesetzt  und 
SDäter  nach  dem  Aufstiege  des  Sternes  am  Osthimmel  wieder  aufgenommen, 
onne  daß  es  gelang,  den  Charakter  der  Veränderhchkeit  aufzudecken.  Erst 
am  13.  Januar  dieses  Jahres ,  nachdem  der  Stern  im  Laufe  des  Abends 
während  eines  Zeitraumes  von  3  Stunden  mehrmals  beobachtet  wurde,  konnte 
ein  Abnehmen  und  Wiederanwachsen  des  Lichtes  konstatiert  und  daraus 
angenähert  auf  ein  Minimum  für  etwa  9^  20^  m.  Zeit  Potsdam  geschlossen 
werden.  Hierdurch  war  nachgewiesen,  daß  die  Lichtänderungen  in  verhält- 
nismäßig kurzer  Zeit  vor  sich  gehen  mußten,  und  es  wurde  daher  der  Stern 
noch  in  derselben  Nacht  bis  kurz  vor  Sonnenaufgaog  in  Intervallen  von 
10  zu  10  Minuten  beobachtet.  Endgültige  Entscheidung  über  die  noch 
immer  nicht  ganz  klar  zu  erkennende  Art  der  Lichtänderung  brachten  aber 
erst  die  Beobachtungen  vom  14.  Januar,  welche  von  4^^  48m  bis  9^  19m  m. 
Zeit  Potsdam  ohne  Unterbrechung  fortgesetzt  wurden.  Sie  ergaben  ein  voll- 
ständiges Bild  der  gesamten  Lichtkurve  und  führten  so  zu  der  Entdeckung 
eines  Veränderlichen  mit  der  außerordentlich  kurzen  Periode  von  nur 
4  Stunden,  der  kürzesten  bisher  bekannten.«  Die  Entdecker  geben  ein  voll- 
ständiges Verzeichnis  ihrer  Beobachtungen  des  Veränderlichen. 

Die  graphische  Darstellung  der  Beobachtungen  von  Januar  14, 17  und  18 
gab  die  folgenden  4  Minimalzeiten,  deren  Unsicherheit  auf  höchstens 
10  Minuten  geschätzt  werden  kann. 

Januar  14 4^^  34m  m.  Z.  Gr. 

.      17 4    40      „    ,    „ 

»      17 8    31       ,    ,    , 

n      18 8    34       ,    ,    . 


^)  Sitzungsbericht  der  K.  Preuß.  Akademie  d.  Wiss.  1903.  7.  p.  173. 


104 


FbDBtcnML 


Die  Vcrbindiuig  dieser  Daten  lieferte  als  etste  pioTisoriBdie  '. 
des  Veränderiichen:  Epoche  des  Minimnnw  «*  1903  Januar  14,  4 ^  34»  m. 
Z.  Gr.  Dauer  der  Periode  des  Lichtwechsels  4^  0.0» 

Man  wird  die  Genauigkeit  keinesfalls  größer  als  1  Minute  annehmen 
dürfen;  die  wahre  Dauer  der  Periode  muß  also  zwischen  S^  59»  und  41^  1» 
liegen. 

Zur  Vefbesserung  des  1.  Nähenmgswertes  der  Periode  konnten  die 
Beobachtungen  ans  dem  Jahre  1902  herangezogen  werden  und  ergaben  als 
2.  Näherang  die  Elemente:  Epoche  des  Vinimning  b»  1903  Januar  14, 
4h  32»  m.  Z.  Gr.    Dauer  d^  Periode  4^  0.21». 

Diese  Daten  sind  nun  zur  Bildung  einer  Lichtkurre  des  Veränderiichea 
aus  den  Messungen  von  Januar  12  bis  Januar  13  benutzt  worden,  indem 
mittels  derselben  die  Minimaepochen  boechnet  und  die  Zeitunterschiede 
der  einzelnen  Beobachtungsdaten  gegen  das  vorangehende  Minimum  gebildet 
wurden.  Im  ganzen  waren  143  Messungen  dafür  verwendbar.  Aus  diesen 
wurde  folgende  Tabdie  abgeleitet,  die  von  5  zu  5  Minuten  die  Helligkeit 
des  Veränderlichen  in  Größenklassen  angibt 


Abstand 
Tom 

Iftntmntn 

Hellig- 
keit 

Abstand 

vom 
Minimum 

HeUig- 
keit 

Abstand 
Tom 

Ifinimmn 

Heilig- 
keit 

Oh  0» 

8.58 

lh2o» 

7.93 

2b  50» 

7.96 

0        5 

8.54 

1   30 

7.96 

2    55 

7.98 

0     10 

8.49 

1   35 

7.94 

3      0 

8.00 

0  15 

8.43 

1   40 

7.93 

3      0 

8.00 

0  20 

8.38 

1   45 

7.92 

3      5 

8.02 

0  25 

8.33 

1   50 

7.91 

3    10 

ao4 

0  30 

8.29 

1   55 

7.90 

3    15 

8.07 

0  ^ 

8.25 

2     0 

7.90 

3    20 

8.10 

0  40 

8.22 

2     0 

7.90 

3    25 

8.13 

0  45 

8.18 

2     5 

7.90 

3    30 

ai7 

0  50 

8.15 

2    10 

7.90 

3    35 

8.23 

0  55 

8.12 

2   15 

7.90 

3    40 

8.31 

1     0 

8.09 

2  20 

7.90 

3    45 

8.41 

1     0 

8.09 

2  25 

7.91 

3    50 

8.52 

1     5 

8.06 

2  30 

7.92 

3    55 

8.56 

1    10 

8.04 

2  % 

7.93 

4      0 

8.58 

1    15 

8.02 

2  40 

7.94 

1   20 

8.00 

2  45 

7.95 

»Wie  man  ans  der  Helligkeitstabelle, €  sagen  die  Entdecker,  >und  noch 
besser  aus  einer  Zeichnung  ersieht,  erfolgt  die  Lichtänderung  um  das  Minimum 
herum  außerordentlich  schnell,  die  Kurve  läuft  im  Minimmn  fast  spitz  zu. 
Der  Abfall  zum  kleikisten  Lichte  ist  noch  etwas  steiler  als  der  Aufstieg  nach 
demselben;  die  beiden  Zweige  sind  nicht  vollkommen  symmetrisch.  Das 
Maximum  ist  bei  weitem  nicht  so  scharf  ausgeprägt  wie  das  Minimum,  doch 
scheint  es  durch  die  Beobachtungen  ausgeschlossen,  daß  der  Stern  in  der 
größten  HeUigkeit  eine  Zeitlang  unverändert  verharren  sollte;  man  darf  ihn 
daher  keinesfalls  zum  Algoltypus  rechnen.  Etwas  auffallend  ist,  daß  etwa 
eine  Stunde  vor  dem  Maximum  und  ebenso  einige  Zeit  nach  demselben  die 
Normalwerte  im  allgemeinen  unterhsdb  der  gezeichneten  Kurve  liegen.  Es 
niacht  den  Eindruck,  als  ob  zu  diesen  Zeiten  ein  kleiner  Stillstand  in  der 
Lichtzunahme,  bezw.  Lichtabnahme  einträte,  und  als  ob  die  Kurve  mit  zwei 
Einbiegungen  gezeichnet  werden  sollte.  Ob  derartige  Unregelmäßigkeiten 
wirklich  reell  sind  oder  nur  auf  Unsicherheit  oder  Voreingenommenheit  bei 


Fixsterne.  106 

den  Beobachtangen  zu  schieben  sind,  läßt  sich  erst  an  einem  viel  großem 
Beobachtungsmateriale  nachweisen.  Wir  haben  zunächst  auf  dieselben  keine 
Rücksicht  genommen.  Zu  bemerken  ist  noch,  daß  aus  den  bisherigen  Be- 
obachtungen sich  keine  Andeutung  für  eine  verschiedene  Helligkeit  in  den 
geraden  und  ungeraden  Minimis  ergibt.  Ebenso  wenig  läßt  sich  irgend  eine 
UDgieichmäßigkeit  in  den  Zeitintervallen  zwischen  je  zwei  aufeinander  folgen- 
den Minimis  erkennen. 

Die  definitive  Helligkeitstabelle  ist  noch  |dazu  benutzt  worden,  den 
m  2.  Näherung  gefundenen  Wert  für  die  Dauer  der  Periode  des  Licht- 
^irechsels  in  etwas  engere  Grenzen  einzuschließen.  Es  konnten  hierbei  auch 
die  beiden  ersten  Beobachtungen  aus  den  Jahren  18d9  und  1901  verwertet 
Trerden,  von  denen  die  eine  zur  Zeit  eines  Maximums,  die  andere  nicht  weit 
von  einem  Minimum  liegen  muß.  Bei  verschiedenen  Versuchen  zeigte  sich, 
daß  der  wahrscheinlichste  Wert  der  Periode  zwischen  4^  0.210°^  und 
4^  0.220  m  enthalten  ist.  Wir  nehmen  als  die  zur  Zeit  wahrscheinlichsten 
Elemente  des  neuen  Veränderlichen  an :  Epoche  des  Minimums  =  1903  Jan«  14, 
4^  32m  m.  Z.  Gr.  Dauer  der  Periode:  4^  0™  12.8». 

Der  Fohler  des  Periodenwertes  wird  kaum  mehr  als  0.58  betragen,  und 
eine  Verbesserung  dürfte  erst  nach  einer  langem  Reihe  von  Monaten  zu 
erwarten  sein.< 

»Unter  den  bisher  bekannten  Veränderlichen  zeigen  die  schnellsten 
Helligkeitsschwankungen  2  Sterne  in  dem  an  Variabein  reichen  Stern- 
haufen (uCentauri;  die  Perioden  derselben  sind  7^  11.4m  und  7^  42.8  m. 
Dann  folfft  SAnÜiae  mit  einer  Periode  von  7^^  46.8  m.  Perioden  zwischen 
8^  und  9i^  finden  sich  bei  mehrem  Veränderlichen  in  dem  obengenannten 
Sternhaufen.  Endlich  ist  noch  UPegasi  zu  erwähnen,  dessen  Periode  in 
Chandlers  8.  Kataloge  zu  5^  32.2 m  angegeben  ist,  der  aber  nach 
Pickerings  Untersuchungen^)  sekundäre  Minima  zeigt  und  eine  Periode 
von  8^  59.7m  besitzt. 

Die  Auffindung  des  neuen  Veränderlichen  regt  die  Frage  nach  der 
Ursache  des  überaus  schnellen  Lichtwechsels  an.  Man  könnte  zunächst 
mit  Zöllner  an  einen  rotierenden  Körper  denken,  dessen  Oberfläche  infolge 
starker  Abkühlung  eine  sehr  un^eiche  Helligkeitsverteilung  besäße.  Dagegen 
spricht  aber  die  Farbe  des  Sternes,  die  weißlich  ist,  während  man  bei  allen 
Sternen,  die  in  starker  Abkühlung  begriffen  sind,  eine  gelbliche  oder  rötliche 
Farbe  voraussetzen  kann.  Eine  andere  naheliegende  Annahme  wäre  es, 
sich  eine  von  der  Kugelgestalt  stark  abweichende  Form  vorzustellen,  etwa 
ein  langgestrecktes  Ellipsoid  oder  einen  den  Darwinschen  Gleichgewichts- 
figuren ähnlichen  Körper,  welcher  um  eine  der  kleinen  Achsen  rotiert.  Diese 
Erklärung  würde  aber  auf  Schwierigkeiten  stoßen,  weil  es  kaum  möglich 
sein  dürfte,  die  besondere  Form  der  gefundenen  Lichtkurve  darzustellen, 
besonders  die  sehr  schnellen  Helligkeitsänderungen  zur  Zeit  des  Minimums 
und  die  sehr  langsamen  Änderungen  um  das  Maximum  herum. 

Es  ist  endlich  noch  an  die  Hypothese  zu  denken,  daß  der  Lichtwechsel 
erzeugt  werde  durch  zwei  umeinander  rotierende  Himmelskörper  von  nahe 
gleicher  Größe  und  nahe  gleicher  Leuchtkraft,  deren  Oberfläcnen  geringen 
Abstand  voneinander  haben,  und  die  sich  zeitweilig  fast  zentral  bedecken. 
Die  beobachtete  Lichtkurve  läßt  sich  in  diesem  Falle  fast  genau  rechnerisch 
darstellen.  Die  Tatsache,  daß  die  Helligkeitsdifferenz  zwischen  Maximum 
und  Minimum  etwas  geringer  ist  als  */«  Größenklassen,  würde  darauf  hin- 
deuten, daß  der  eine  Körper  ein  wenig  kleiner  ist  als  der  andere,  oder  daß 
die  BededEung  nicht  ganz  zentral  verläuft.  Eine  nicht  unerhebliche  Schwierig- 
keit bei  dieser  Hypothese  bietet  nur  die  Frage,  ob  ein  solches  System 


^)  Harvard  Circular  Nr.  28. 


106 


Fixsterne. 


mechanisch  möglich  sei  und  anf  längere  Zeit  stabil  bleiben  könne.  Aber 
wir  haben  ja  in  den  spektroskopischen  Doppelstemen  bereits  Weltsysteme 
kennen  gelernt,  an  deren  Existenz  früher  aus  ahnlichen  Gründen  gezweifelt 
werden  mußte,  und  es  wird  vielleicht  gelingen,  durch  eingehendere  theoretische 
Untersuchungen  auch  die  Zulässigkeit  der  Annahme  noch  engerer  Doppel- 
Sterne  nach  zuweisen.  € 

Die  veränderlichen  Sterne  des  Orionnebels.  Bereits  früher^) 
hat  Prof.  M.  Wolf  mitgeteilt,  daß  der  Stereokomparator  zur  Aufsuchung 
veränderlicher  Sterne  besonders  geeignet  sei,  und  als  Probe  einige 
neue  Veränderliche  nahe  beim  Orionnebel  angegeben.  Im  Sommer  1903 
hat  er  diese  Nachforschungen  mit  einem  neuen  verbesserten  Stereo- 
komparator wieder  aufgenommen  und  einige  lange  exponierten  photo- 
graphischen Platten  jener  Himmelsregion  verglichen.*)  Die  Orter  der 
gefundenen  Veränderlichen  am  Himmel  hat  er  mit  einem  parallak- 
tischen  Meßapparate  bestimmt.  Folgendes  ist  die  von  Prof.  Wolf  ge- 
gebene tabellarische  Zusammenstellung  der  von  ihm  gefundenen  Ver- 
änderlichen. 


A. 

Sicher  veränderliche   Sterne. 

& 

Var. 
Orionis 

a  1900.0 

9  1900.0 

Beobachtete 
Schwankung 

Bemerkungen 

1 

S 

5h  24m  4.9« 

-40  46' 29" 

9.0ni-ll.8m 

nach  Hartwig  irregulär 

2 

82.1908 

5 

26 

50.2 

—  4  31  26 

14.0- <15 

8 

38.1908 

5 

27 

18.6 

-5     7    1 

11.3-15.0 

interessanter  Veränder- 

4 

84.1908 

5 

27 

16.6 

-7  82  45 

13.3—14.0 

[licher 

5 

85.1908 

5 

27 

45.0 

—  7   38  47 

18.6- <14 

6 

86.1908 

5 

28 

87.6 

—  5    16  17 

13.8-15.0 

7 

87.1908 

5 

28 

59.5 

—  4  52    3 

13.0-15.2 

sehr  merkwürdig,  nova- 
wahrscheinlich kurz- 

8 

88.1908 

5 

29 

28.8 

-6  40  16 

13.0-15.0 

9 

89.1908 

5 

29 

55.8 

-4  44  16 

12.5—14.0 

10 

40.1908 

5 

80 

05 

-5   50  49 

12,5-14.0 

[periodlsch 

11 

41.1908 

5 

80 

16.8 

-5   50  86 

12.0-14.6 

merkwürdiger     Verän- 

12 

42.1908 

5 

80 

20.8 

-  4  49  45 

12.7— <14 

[derlicher 

18 

48.1903 

5 

80 

27.1 

-6  88  48 

12.3-<14 

14 

88.1901 

5 

30 

40.8 

-5     5  13 

11.8-13.2 

16 

T 

(5 

30 

56.5) 

H5  82  34) 

9  -   ? 

im  dicken  Nebel 

16 

44.1908 

5 

80 

58.1 

—  4  51  15 

12.8-<lö 

wahrsch.  kurzperiod. 

17 

45.1908 

5 

80 

58.9 

-6  54  40 

12.5-15.0 

wahrsch.  kurzperiod. 

18 

46.1903 

5 

31 

8.4 

-6  46  26 

12.6-<14 

19 

85.1901 

5 

81 

21.9 

—  5   15  34 

11.8-<14 

20 

47.1908 

5 

88 

88.4 

-7   19  14 

13.5—15.0 

21 

86.1901 

5 

84 

46.1 

—  8  28  36 

11.7-18.0 

22 

48.1908 

5 

85 

57.8 

—  8     8  32 

18.0-15.0 

nahe  bei  34,  s.  unten 

28 

49.1908 

5 

86 

36.0 

-4   11  17 

9.8-<15 

sehr  in  teress.  Variabler ; 

24 

88.1901 

5 

42 

27.9 

-6   14  48 

13.2—14.5 

schwer  zu  messen,  da 
zu  schwach. 

^)  Astron.  Nachr.  Nr.  3749. 
*)  Astron.  Nachr.  Nr.  8899. 


Fixstenie. 


107 


B. 

Möglicherweise   veränderlic 

he   Sterne. 

^ 

Var. 
Orionis 

a  1900.0 

^  1900.0 

Beobachtete 
Schwankung 

Bemerkungen 

25 

80.1901 

5h  24m  47.08 

—  8«  5' 14" 

12.4m— 13.0m 

26 

81.1901 

5   28    54.0 

—  4  42  48 

12.8-<14 

27 

82.1901 

5  30    86.8 

—  6     7    5 

12.8-14.0 

28 

50.1903 

5   80    39.4 

—  6  49  14 

12.5— <14 

29 

84.1901 

5  31      04 

—  5     0  49 

13.0-18.8 

30 

51.1903 

5  82    18.4 

-3  35  15 

13.0-14.0 

31 

52.1903 

5  34    31.9 

—  4   57  26 

12.5-13.2 

32 

87.1901 

5   35    101 

—  5  24  24 

13.0-   ? 

38 

63.1908 

5  85    89.4 

-6  29    2 

18.2-14.0 

34 

54.1903 

5   85    57.9 

-8     7  43 

12.8-18.9 

35 

89.1901 

6  43    16.1 

—  5  48  36 

12.7-13.5 

Der  Stern  T  Orionis  Nr.  15  befindet  sich  in  einer  besonders 
dichten  Stelle  des  Nebels.  Daher  konnten  keine  Helligkeitsschätzungen 
von  ihm  gemacht  und  die  Position  nicht  auf  der  Platte  B  118  ge- 
messen werden.  Sie  wurde  mit  einer  etwas  dünnern  Platte  am 
Stereokomparator  angenähert  bestimmt. 

Prof.  Wolf  hat  nur  diejenigen  Sterne  als  sicher  veränderlich  be- 
zeichnet, die  auf  den  3  Aufnahmen  (6  Platten)  am  Bruceteleskop  un- 
zweifelhafte Veränderungen  großem  Betrages  gezeigt  haben.  Dagegen 
sieht  er  sogar  den  Stern  Nr.  26,  trotzdem  für  ihn  mit  dem  6-Zoller 
noch  Schwankungen  von  mehr  als  einer  Größenklasse  erhalten  sind, 
nur  als  möglicherweise  veränderlich  an,  weil  der  sichere  Nachweis 
der  Veränderlichkeit  mit  dem  6-Zoller  immerhin  schwieriger  zu  leisten 
ist  Aus  dem  gleichen  Grunde  hat  er  weitere  acht  möglicherweise 
veränderliche  Sterne  vorläufig  ganz  unterdrückt. 

Die  veränderlichen  Sterne  im  Sternhaufen  a>  Centaori. 
Dieser  Sternhaufen  steht  am  südlichen  Himmel  in  AR  13h  20.8  m 
und  D.  —  46®  57'  (1900)  und  ist  das  prachtvollste  Objekt  seiner 
Art,  welches  uns  überhaupt  an  der  Himmelssphäre  sichtbar  ist.  Dem 
unbewaffneten  Auge  erscheint  er  als  nebeliger  Stern  4.  Größe,  im 
Femrohre  dagegen  bietet  er  den  großartigen  Anblick  eines  aus  zahl- 
reichen Sternen  gebildeten  kugelförmigen  Haufens  mit  Verdichtung 
gegen  das  Zentrum  hin.  Sir  John  Herschel  hat  früher  eine  Ab- 
bildung dieses  Sternhaufens  gegeben,  wie  sich  derselbe  ihm  im 
20-füßigen  Spiegelteleskop  zeigte.  Mit  den  neuem  photographischen 
Aufnahmen  des  Objektes  verglichen,  zeigt  jene  Abbildung  nur  eine 
sehr  geringe  Ähnlichkeit  und  beweist  aufs  neue,  daß  die  altem 
Zeichnungen  reicher  Sternhaufen  wertlos  sind.  Die  früheste  photo- 
graphische Aufnahme  des  Sternhaufens  a>  im  Gentauren  wurde  1893 
zu  Arequipa  *  unter  sehr  günstigen  Umständen  erhalten.  Im  August 
jenes   Jahres   entdeckte  Madame  Fleming   auf   dem  Harvardobserva- 


108  Fixstern». 

torium  zu  Cambridge  (N.-A.)  beim  Vergleiche  dieser  Photographien 
einen  veränderlicken  Stern  in  dem  Haufeni  wenige  Tage  später 
Prof.  Pickering  einen  zweiten.  Ungefähr  um  dieselbe  Zeit  fand 
Prof.  Solon  J.  Bailey  zu  Arequipa  in  dem  Sternhaufen  47,  Tucanae 
drei  veränderliche  Sterne  und  Madame  Fleming  später  noch  drei  in  dem 
nämlichen  Haufen.  Im  Februar  1895  unternahm  Prof.  Pickering  die 
Vergleichung  zweier  Photographien  dieses  Sternhaufens,  welche  zur 
Entdeckung  von  noch  6  Veränderlichen  in  demselben  führte^).  In 
dem  nämlichen  Jahre  untersuchte  Prof.  Bailey  zu  Arequipa  eine 
Anzahl  photographischer  Aufnahmen  von  co  Centauri  und  fand  etwa 
20  Veränderliche  darin,  von  denen  drei  identisch  waren  mit  solchen, 
die  bereits  in  Cambridge  entdeckt  wurden. 

Prof.  Solon  J.  Bailey  hat  nun  eine  eingehende  Prüfung  und 
Untersuchung  der  sämtlichen  Photographien  des  großen  Sternhaufens  co 
im  Centauren  ausgeführt,^  um  die  sämtlichen  Veränderlichen  dieses 
Haufens  aufzufinden  und  vor  allem  die  Art  und  Weise  ihres*  Licht- 
wechsels mit  Genauigkeit  festzustellen.  Die  Photographien,  um  deren 
Prüfung  es  sich  handelte,  wurden  fast  sämtlich  mit  dem  13-zolligen 
Boydenrefraktor  erhalten,  dessen  photographische  Brennweite  191.5  Zoll 
beträgt  Auf  den  Originalplatten  ist  daher  die  Länge  von  0.1  cm 
entsprechend  42.4"  in  Bogenmaß.  Der  durchschnittliche  Durchmesser 
der  feinen  Sterne  beträgt  etwa  2",  doch  variiert  derselbe  beträchtlich 
auf  den  verschiedenen  Platten.  Einige  Platten  wurden  auch  mit  dem 
14-zolligen  Bruce-  oder  dem  11-zolligen  Draperteleskop  erhalten,  da 
aber  deren  Brennweiten  kürzer  sind  als  die  des  13-zolligen  Boyden- 
refraktors,  so  sind  die  Bilder  des  Sternhaufens,  die  in  letzterm 
Instrument  erhalten  wurden,  etwas  besser.  Die  Dauer,  während 
deren  die  Platten  exponiert  werden  mußten,  um  die  schwächsten  Ver- 
änderlichen im  Minimum  ihres  Lichtes  zu  zeigen,  betrug  bei  co  Gen- 
t-auri  30  Minuten  (bei  dem  Sternhaufen  Messier  5  50  Minuten,  bei 
Messier  3  sogar  100  Minuten).  Nur  sehr  wenige  der  dichten  Sternhaufen 
können  gut  photographiert  werden  mit  Exponierungen  von  weniger  als 

1  Stunde,    manche   erfordern,    um   die  besten  Resultate  zu  erhalten, 

2  Stunden  Exponierung.  Da  es  unmöglich  ist,  bei  so  langen  Expo- 
sitionen das  Femrohr  durch  Uhrwerk  so  genau  der  Drehung  des 
Himmels  folgen  zu  lassen,  daß  die  Bilder  unverrückt  auf  der  Platte 
bleiben,  so  muß  die  Bewegung  desselben  überwacht  imd  sogleich 
korrigiert  werden.  Der  Beobachter  stellt  zu  diesem  Zwecke  durch 
ein  an  einer  Seite  des  Gesichtsfeldes  des  Refraktors  angebrachtes 
Okular  einen  nahebei  stehenden  Stern  hinter  die  Mitte  des  Faden- 
kreuzes und  hat  nun  darauf  zu  achten,  daß  dessen  Stellung  zu  den 
Kreuzfäden  während  der  Expositionsdauer  unverändert  bleibt  Von 
der  Sorgfalt,  mit  der  diese  Stellung  erhalten  und  die  geringste  Ab- 


^)  Annals  of  the  Harvard-CoU.  Observatory  26.  206.  211. 

*)  Annals  of  the  Harvard-Coll.  Observatory  8ft»  Cambridge  1902. 


Fixsterne.  109 

-v^eichung  sofort  korrigiert  wird,  hängt  in  sehr  hohem  Grade  das 
Gelingen  scharfer  Aufnahmen  ab.  Zum  Zwecke  der  Auffindung  ver- 
änderlicher Sterne  und  des  Studiums  ihres  Lichtwechsels  wurden 
in  Arequipa  zu  verschiedenen  Zeiten  so  viele  Aufnahmen  gemacht, 
daß  man  mit  Sicherheit  darauf  rechnen  konnte,  jede  überhaupt  merk- 
bare Helligkeitsänderung  der  Sterne  des  Haufens  zu  entdecken.  Die 
Vergleichung  der  Aufnahmen  miteinander  geschah,  indem  der  ganze 
Sternhaufen  in  mehrere  hundert  Teile  geteilt  wurde,  von  denen  jeder 
etwa  10  Sterne  enthält,  und  diese  dann  gemäß  ihrer  Helligkeit  vom 
hellsten  bis  zum  lichtschwächsten  in  eine  Reihenfolge  geordnet  wurden. 
Diese  Sterne  wurden  dann  auf  jeder  Photographie  sorgfältig  ver- 
glichen, so  daß  nur  höchstens  zufällig  eine  Veränderlichkeit  der- 
selben übersehen  werden  konnte,  wenn  nämlich  ein  Stern  nur  um 
ein  Geringes  sein  Licht  wechselt,  oder  die  Maximalphase  sehr  kurz 
ist,  oder  die  Periode  24  Stunden  oder  ein  Vielfaches  derselben  sein 
würde.  Die  Auffindung  veränderlicher  Sterne  in  Sternhaufen  ist 
gleichwohl  schwierig,  denn  die  Stembildchen  sind  klein  und  sehr 
nahe  beisammen,  so  daß  sie  imter  starker  Vergrößerung  betrachtet 
und  verglichen  werden  müssen,  was  eine  erhebliche  Anspannung  des 
Auges  verursacht,  beeonders  bei  den  dicht  gedrängten  Sternen  nahe 
dem  Zentrum  eines  Haufens.  In  manchen  der  letztem  verschwimmen 
die  Sterne  in  den  zentralen  Teilen  völlig  ineinander,  so  daß  es  nicht 
möglich  ist,  auch  dort  Veränderlichkeit  einzelner  Sterne  festzu- 
stellen. Der  Umstand,  daß  die  Phase  des  hellsten  Lichtes  oft  nur 
sehr  kurz  ist,  im  Vergleiche  zur  Periode  des  Lichtwechsels,  macht 
die  Auffindung  der  Veränderlichen  auch  nicht  wenig  mühevoll  und 
läßt  erklärlich  finden,  weshalb  die  Anzahl  dieser  Sterne  in  dem 
Haufen  cd  Gentauri  nur  nach  und  nach  bis  zu  ihrer  gegenwärtigen 
Ziffer  wuchs. 

In  der  nähern  Umgebung  dieses  Sternhaufens  befinden  sich 
keine  Sterne,  die  heller  sind  als  8.  Größe.  Im  Jahre  1893  hat 
Prof.  Bailey  eine  Zählung  der  Sterne  des  Haufens  ausgeführt  und 
fand  auf  den  besten  Platten,  welche  am  13-zolligen  Teleskop  expo- 
niert waren,  6389  einzelne  Sterne,  doch  ist  die  Gesamtzahl  der  in 
diesen  Sternhaufen  überhaupt  vorhandenen  zweifellos  beträchtlich 
größer.  Der  scheinbare  Durchmesser  desselben  beträgt  35'.  Nicht 
nur  in  diesem,  sondern  auch  in  andern  Sternhaufen  fanden  sich  ver- 
änderliche Sterne  von  kurzer  Periode  des  Lichtwechsels  in  größern 
Entfernungen,  als  man  gemäß  den  Zählungen  überhaupt  für  die 
Grenzen  dieser  Sternhaufen  annehmen  muß.  Diese  Sterne  sind 
aber  doch  wohl  als  wirkliche  Glieder  der  betreffenden  Haufen 
zu  betrachten,  und  erst  sie  bezeichnen  daher  die  äußersten  Grenzen 
dieser  letztem.  Unter  diesem  Gesichtspunkte  hat  der  Sternhaufen 
€o  im  Gentauren  eine  scheinbare  Ausdehnung  von  40',  und  die 
Durchmesser  der  Stemhaufen  Messier  3  und  5  erscheinen  sogar  ver- 
doppelt 


110  Fixsterne. 

Mit  wenigen  Ausnahmen  sind  die  Sterne,  welche  den  Haufen 
CD  Gentauri  bilden,  von  ziemlich  gleicher  Helligkeit;  mehr  als  6000 
derselben  sind  12. — 14.5  Größe,  weniger  als  100  zwischen  8.und 
12.  Größe.  Eine  beträchtliche  Zahl  der  mitgezäMten  Sterne  gehört 
wahrscheinlich  gar  nicht  dem  eigentlichen  Haufen  an,  sondern 
projiziert  sich  nur  auf  demselben  für  den  Anblick  von  der  Erde 
aus.  Unter  gewissen  Voraussetzungen  wird  diese  Zahl  auf  1616 
berechnet.*) 

Die  erste  Platte,  welche  bei  der  spätem  Forschung  nach  Ver- 
änderlichen benutzt  wurde,  ist  vom  15.  Mai  1892,  die  letzte  vom 
16.  August  1898,  die  Zwischenzeit  umfaßt  also  2284  Tage.  Die 
1.  Platte  erwies  sich  jedoch  für  die  Untersuchung  von  geringer 
Qualität,  und  die  allgemeine  Prüfung  begann  erst  an  der  am  11.  April 
1893  erhaltenen  Aufnahme.  Es  wurde  auf  124  Aufnahmen  der 
Lichtwechsel  von  128  Sternen  verfolgt,  durch  etwa  30000  Ver- 
gleichungen  ihrer  Helligkeit  mit  Normalstemen,  die  in  dem  Haufen 
ausgewählt  waren.  Die  meisten  Messungen  dieser  Art  sind  von 
Frln.  E.  F.  Leland  ausgeführt  worden. 

Die  mit  größter  Sorgfalt  durchgeführten  Untersuchimgen  lieferten 
das  Material  zur  Ableitung  der  Perioden  und  der  Art  und  Weise  des 
Lichtwechsels  für  95  Sterne.  Manche  dieser  Veränderlichen  besitzen 
eine  so  rasche  Zunahme  der  Helligkeit  im  Maximum,  daß  diese  auf 
photographischem  Wege  kaum  genau  festzustellen  ist,  da  die  Expo- 
sitionsdauer der  Platten  durchschnittlich  40  Minuten  beträgt.  In 
diesen  Fällen  ist  offenbar  die  wirkliche  größte  Helligkeit,  welche  die 
Sterne  erreichen,  beträchtlicher,  als  die  photographische  Aufnahme 
zeigt 

Unter  den  95  Sternen,  bei  denen  Dauer  und  Größe  des  Licht- 
wechsels genauer  bestimmt  wurden,  befinden  sich  nur  fünf,  bei  denen  die 
Dauer  dieses  Wechsels  länger  ist  als  24  Stunden.  Unter  diesen  5  Sternen 
hat  einer  eine  Periodendauer  von  484  Tagen.  Er  ist  im  Maximum 
11.2  Größe  und  einer  der  hellsten  Sterne  des  ganzen  Haufens,  sinkt 
dagegen  im  Minimum  bis  14.8  Größe.  Er  scheint  ein  sekundäres 
Maximum  der  Helligkeit  zu  haben,  und  die  Periode  ist  vielleicht 
nicht  gleichförmig.  Ein  Veränderlicher  mit  einer  Periode  von 
297  Tagen  steht  nahe  dem  Zentrum  des  Haufens,  ist  im  Maxi- 
mum 12.0  und  im  Maximum  14.3  Größe  und  zeigt  auch  ein  sekundäres 
Maximum  seiner  Helligkeit  Der  hellste  Veränderliche  in  dem  ganzen 
Sternhaufen  hat  eine  Periode  von  29.3  Tagen,  erreicht  im  Maximum 
die  Größe  9.8,  im  Minimum  11.1,  und  die  Lichtkurve  zeigt  vom 
Maximum  zum  Minimum  3  Wendepunkte.  Prof.  Bailey  teilt  die 
90  Sterne,  deren  Lichtwechsel  in  kürzerer  Zeit  als  24  Stunden  sich 
vollzieht,  in  4  Gruppen  oder  Unterklassen,  nämlich: 


^)  Aonals  of  the  Harvard-CoU,  Observatory  26.  p.  221. 


Fixsterne.  111 

a)  Veränderliche,  deren  Periode  und  Lichtkurve  gleichmäßig 
verlauft.  Die  Lichtzunahme  erfolgt  rasch,  ebenso  auch  die  Abnahme, 
doch  diese  langsamer  als  jene.  Im  Minimum  bleibt  die  Helligkeit 
während  etwa  der  halben  Dauer  der  Periode  unverändert,  oder 
wenigstens  ist  keine  Änderung  derselben  alsdann  erkennbar.  Der 
Lichtwechsel  umfaßt  etwa  1  Größenklasse,  und  die  Periodendauer  ist 
12 — 15  Stunden. 

b)  Periode  und  Lichtkurve  sind  wahrscheinlich  gleichförmig,  die 
Zunahme  der  Helligkeit  ist  mäßig  rasch,  die  Abnahme  dagegen  langsam 
und  wird  langsamer  bis  zum  Beginne  der  Lichtzunahme.  Im  Stern- 
haufen (o  Gentauri  schwankt  der  Lichtwechsel  der  Sterne  dieser 
Gruppe  um  etwas  weniger  als  1  Größenklasse  und  die  Dauer  der 
Periode  zwischen  15  und  20  Stunden. 

c)  Periode  und  Lichtkurve  sind  vielleicht  gleichförmig;  die  Hellig- 
keit wechselt  ununterbrochen  und  mit  mäßiger  Geschwindigkeit,  und 
die  Lichtzunahme  ist  im  allgemeinen  rascher  als  die  Abnahme,  in 
w^enigen  Fällen  sind  beide  gleichschnell  oder  erstere  sogar  etwas 
weniger  rasch.  Die  Helligkeitsschwankungen  umfassen  im  allgemeinen 
etwas  mehr  als  ^/^  Größenklasse,  tmd  die  Perioden  schwanken 
zwischen  8  und  10  Stunden,    bisweilen  sind  sie  auch  etwas  länger. 

Im  Sternhaufen  co  Gentauri  gehören  von  den  bekannten  Ver- 
änderlichen zu  Gruppe  a)  37,  zu  b)  19  und  zu  c)  34  Sterne.  Bei 
13  Veränderlichen  dieses  Sternhaufens  war  es  nicht  möglich,  be- 
stimmte Perioden  ihres  Lichtwechsels  abzuleiten.  Die  Verteilung 
der  Veränderlichen  dieser  3  Unterklassen  zeigt  keine  Abhängigkeit 
oder  Beziehung  zu  der  Verteilung  der  Sterne  in  diesem  Sternhaufen 
überhaupt. 

Die  oben  erwähnten  drei  typischen  Unterklassen  sind  bei  den 
Veränderlichen  im  Sternhaufen  co  Gentauri  zahlreich  vertreten,  in 
andern  Sternhaufen  scheint  dagegen  die  Unterklasse  a)  so  zu  über- 
wiegen, daß  sie  als  typisch  darin  angesehen  werden  kann.  Die 
anscheinend  vollkommene  Gleichförmigkeit  der  Perioden  dieser  Sterne 
scheint  anzuzeigen,  daß  sie  von  einem  gewissen  regelmäßig  wieder- 
kehrenden Umstände  bedingt  ist,  möge  es  sich  nun  um  Achsen- 
drehung oder  Bahnumlauf  handeln.  Es  dürfte  nicht  unwahrscheinlich 
sein,  daß  die  Umlaufsbewegungen  aller  mehrfachen  Sterne  in  gewissen 
Sternhaufen  in  nahezu  parallelen  Ebenen  vor  sich  gehen,  und  daß 
die  Rotationsachsen'  dieser  Sterne  auch  näherungsweise  einander 
parallel  gerichtet  sind.  Lichtänderungen,  ähnlich  denen  des  Algol 
durch  Verdeckung  oder  infolge  ungleicher  Lichtstrahlung  verschiedener 
Seiten  der  Sterne  würden  dann  einem  Beobachter  nur  in  bestimmter 
Stellung  dort  bemerkbar  werden,  in  andern  nicht,  und  dadurch  könnte 
man  vielleicht  die  Tatsache  erklären,  daß  einige  Sternhaufen  viele 
Veränderliche  aufweisen,  andre  ebenso  reiche  Haufen  dagegen  nur 
wenige  oder  gar  keine.  Allein  die  Veränderlichen  in  den  Sternhaufen 
zeigen  keinen  Lichtwechsel,    der  demjenigen  der  Algolsterne  typisch 


112  Fixsterne. 

gleicht,  die  Gestalt  ihrer  Lichtkurven  verbietet  diese  Annahme  durch- 
aus. Aber  auch  eine  andre  Erklärung  ist  nicht  leicht  zu  begründen, 
und  so  muß  die  Deutung  der  wunderbaren  Erscheinung  zahlreicher 
Veränderlichen  in  gewissen  Sternhaufen  der  Zukunft  überlassen 
bleiben. 

Ein  neuer  Katalog:  der  veränderlichen  Sterne.     Die 

Anzahl  der  Fixsterne,  bei  denen  eine  periodische  Änderung  ihrer 
Helligkeit  nachweisbar  ist,  wächst  in  neuerer  Zeit  rasch,  und  das  Be- 
dürfnis eines  möglichst  umfassenden  und  zuverlässigen  Verzeichnisses 
derselben  wird  immer  dringender.  Von  Seiten  der  Astronomischen 
(Gesellschaft  sind  auch  Schritte  getan,  um  durch  eine  besondere 
Kommission  von  Astronomen,  die  auf  diesem  Qebiete  vorzugsweise 
bewandert  sind,  einen  neuen,  umfassenden  und  kritisch  bearbeiteten 
Katalog  der  Veränderlichen  herstellen  zu  lassen.  Diese  Arbeit  er- 
fordert naturgemäß  eine  geraume  Zeit  Mittlerweile  ist  auf  der 
Sternwarte  des  Harvard  -  College  zu  Cambridge  (N.-A.)  ein  vor- 
läufiger Katalog  der  Veränderlichen  hergestellt  worden,  der  in 
Band  XIjVIII  Nr.  III  der  Annalen  dieser  Sternwarte  publiziert  wurde. 
Derselbe  ist  nicht  absolut  vollständig,  enthält  aber  doch  nicht  weniger 
als  1227  Veränderliche,  von  denen  694  auf  dem  Harvardobser- 
vatorium und  509  darunter  in  kugelförmigen  Sternhaufen  von  Prof. 
Bailey,  166  von  Madame  Fleming  (hauptsächlich  durch  die  An- 
wesenheit von  hellen  Wasserstofflinien  in  Spektren  des  3.  Typus) 
entdeckt  wurden. 

Eine  voUständige  Bibliographie  der  Veränderlichen  wurde  von 
Prot  W.  M.  Reed  begonnen  und  von  Miss  A.  J.  Cannon  seit  Sep- 
tember 1900  fortgesetzt;  sie  umfaßt  zurzeit  nicht  weniger  als  34000 
Nummern,  und  aus  ihr  hat  jetzt  Miss  Cannon  den  in  Rede  stehenden 
Katalog  zusammengestellt  Er  soll  zunächst  nur  ein  vorläufiger  sein, 
denn  ein  solches  Unternehmen  birgt  notwendig  mannigfache  Irrtümer; 
für  später  ist  ein  endgültiger  Katalog  mit  den  erforderlichen  biblio- 
graphischen Nachweisen  in  Aussicht  genommen.  Das  jetzt  vorliegende 
Verzeichnis  ist  jedenfalls  eine  überaus  wichtige  Arbeit,  die  auch  dem 
von  der  Astronomischen  Gesellschaft  eingesetzten  Komitee  manches 
neue  Material  bieten  wird.  Da  sie  anderseits  nur  einem  beschränkten 
Kreise  zu  Oesicht  kommen  dürfte,  so  ist  es  angezeigt,  an  dieser 
Stelle  einen  für  die  Freunde  astronomischer  Beobachtung  berechneten 
Auszug  aus  diesem  Verzeichnisse  zu  geben.  Derselbe  ist  im  folgenden 
enthalten  und  gibt  sämtliche  Veränderliche  des  Originalkatalogs, 
jedoch  mit  Fortlassung  einiger  Angaben  über  die  Bezeichnungen  und 
die  Epochen  des  Lichtwechsels  sowie  der  Spektralklassen  der  Sterne. 
Die  Maxima  und  Minima  der  Helligkeit  sind  in  optischen  Größen- 
klassen ausgedrückt,  außer  bei  den  photographisch  als  veränderlich 
erkannten  Sternen,  wobei  photographische  Größenklassen  gegeben  und 
diese  durch  liegende  Ziffern  angedeutet  sind. 


Fizttenitt. 


118 


Name 


R.  A. 1900 


Des.  1900 


Max. 


Min. 


Periode 


Jahr  der 

Bnt- 
deoknng 


Entdecker 


VSculptoris. 
S  Sculptoris  . 
XAndromedae 
TCeti  .     .     . 
T  Andromedae 
T  Casalopejae 
S  Tucanae     . 
R  Andromedae 
SGeti  .     .     . 
B  Gassiopejae 
47  Tucanae   . 
T  Seulptoria . 
RR  Sculptoris 
TPhoenicis  . 
T  PiBcium     . 
W  Sculptoris 

Y  Cephei  .  . 
a  Caasiopejae 
Z  Sculptoris . 

8  Andromedae 
TJ  Gassiopejae 
—Cephei      , 

Y  Andromedae 
X  Sculptoris 

RR  Andromedae 
W  Camiopejae 
TJGephei.     . 

—  Tueanae  . 

—  Tucanae  . 
U  Sculptoris. 

C  Andromedae 
8  Caasiopejae 
SPiscium  . 
UPiscium  . 
R  Sculptoris. 
RPisdum 

Y  Andromedae 
X  Caasiopejae 
UPersei   .     . 
VPersei   .     . 
SArietis  .     . 
H  Arietis  .     . 
-Hydri.     .    . 
W  Andromedae 
-Persei  .     . 
TPersei    .     . 
•Ceti  .    .     . 
SPersei    .     . 
RCeti  .    .    . 
SHorologii  . 

R  Fornacis    . 
-Hydrl.    . 
A  Eridani 
UCeü.    .    . 

RTrianguU  . 
"~-  Caasiopejae 
-Persei  .    . 

—  Ceti      .    . 

—  Fornacis  . 


3.6 
10.3 
10.8 
16.7 
17.2 
17.8 
18.4 
18.8 
19.0 
19.2 
19.6 
24.8 
24.5 
26.6 
26.8 
28.2 
31.3 
34.8 
85.0 
37.2 
40.8 
42.0 
44.6 
44.7 
45.9 
49.0 
53.4 
54.2 
58.9 
6.8 
9.8 
12.3 
12.4 
17.7 
22.4 
25.5 
33.7 
49.8 
62.9 
65.1 
59.3 
10.4 
10.4 
11.2 
12.0 
12.2 
14  3 
15.7 
20.9 
22.4 
24.8 
26.3 
27.4 
28.9 
31.0 
82.8 
33.6 
87.4 
40.0 


—39  47 
—32  36 
4-46  27 
—20  37 
+26  26 
+56  14 
—62  14 
+38     1 

—  9  53 
+63  36 
—72  38 
—38  28 
-88  36 
—46  68 
+14  3 
—33  26 
+79  48 
+55  59 
—34  30 
+40  48 
+47  43 
+81  26 
+35  6 
—85  28 
+33  50 
+58  1 
+81  20 
—75  32 
—71  28 
—30  39 
+40  11 
+72  5 
+  8  24 
+12  21 
—33  4 
+  2  22 
+38  50 
+58  46 
+54  20 
+66  15 
+12  3 
+24  35 
—71  57 
+43  50 
+66  41 
+68  30 

—  3  26 
+68     8 

—  0  38 
—60  1 
—26  32 
—69  58 
—41  54 
—13  35 
+83  50 
+59  10 
+41  46 
—23  2 
—82     8 


8.5 
6.6 
8 

6.1 
8.0 
7.2 
8.7 
6.0 
7.9 
>1 

8.6 

9 

9.0 

9.5 

8 

9 

2.2 

6 

7 

8.0 

8.4 
9 

10 
8.3 
7.0 
9.2 

9.0 

8.9 

7.6 

8.2 

9.4 

6.2 

8 

9 

9.8 

9.0 

9.2 

9.1 

8 

9.6 

8 

8.4 

1.7 

8.0 

7.8 

9.8 

8.5 

7.8 

9 

7.3 

7.3 

9.4 
7.7 


12.0 
12.6 

7.0 
12.6 
11.9 
<11.S 
<13.0 
13.6 
? 

11.4 
<11 
<12 

11.0 

12 
2.8 
8 

<15 

<^5 

<14 
<13 

<11 
12.1 
9.2 
IS.O 

<13V 
<18 

14.4 
<14.7 

14.7 
8.8 

13.6 
<12 

12 

11.6 
<:i6.2 

14? 

18.7 

lOU^ 

14.0 

8.8 

9.5 

10.3 

13.5 

12.6 

<10 

8.8 

<n 

12.7 
11^ 

12 

8.6 


295 
366 

Irr. 

281 

445 

240 

410.7  + 

320.2 


201.6 


Irr. 

836 

Irr. 


276.0 

263 
260? 

404? 

2.6  + 
258 

828.0 

856 

609.6  + 

404.3 

172.7 

376.4 

344.1  + 

217.9 

380? 

320 

292.2 
186.6  + 


Irr. 

881.6  + 

838 

167.0 

838 

386 


236.8 
268 

8.0  + 


1896 
1894 
1900 
1881 
1893 
1870 
1895 
1868 
1872 
1672 
1894 
1895 
1897 
1897 
1856 
1896 
1900 
1831 
1896 
1886 
1887 
1882 
1896 
1896 
1901 
1894 
1880 
1898 
1895 
1896 
1895 
1861 
1851 
1880 
1872 
1850 
1900 
1895 
1890 
1890 
1865 
1858 
1901 
1899 
1898 
1882 
1596 
1874 
1866 
1896 
1896 
1901 
1902 
1886 
1890 
1902 
1902 
1901 
1897 


KUia,  Jahrbuoh  XIY. 


Fleming 

Fleming 

Anderson 

Chandler 

Anderson 

Erueger 

Fleming 

(Bonn) 

Borrelly 

R 
Bailey 
(Cordoba) 
Innes 
Fleming 
Luther 
(Cordoba) 
L.  CSeraski 
Birt 

(Cordoba) 
Hartwig 
Espin 

R 
Anderson 
West 
Anderson 
Espin 
W.  Ceraski 
Fleming 
Bailey 
(Cordoba) 
Anderson 
(Bonn) 
Hind 
Peters 
Gould 
Hind 
Anderson 
Espin 
Fleming 
Fleming 
Peters 
(Bonn) 
Fleming 
Anderson 
Bailey 
Safarik 
Fabridus 
Krueger 
Argelander 
Fleming 
(Cordoba) 
Fleming 

R 
Sawyer 
Fleming 

R 
WiUiams 
Fleming 
(Cape) 


114 


Fixstenie. 


Jahr  der 

Name 

R.A.1900 

Des.  liNW 

Max. 

Min. 

Periode 

Ent- 
deckung 

Entdecker 

h      m 

o       r 

d 

—  Horologii 

2    41.2 

—64  44 

91 

10.4 

— 

1901 

Fleming 

TArieÜs  .    .    . 

42.8 

4-17     6 
+66  84 

7.9 

9.7 

818 

1870 

Auwers 

W  Persei  . 

48.2 

7.9 

10.6 

Irr. 

1898 

Espin 

-—  Foinacis 

47.6 

—29  64 

— 

— 

— 

R 

(Cape) 

R  Horologii 

60.6 

—60  18 

6.9 

11.8 

406.0 

1892 

Fleming 

T  Horologii 

67.7 

—61     2 

8.6 

11.6? 

218.2 

1896 

Eapteyxi 

(f  Persei    . 

58.8 

4-88  27 

3.4 

4.2 

Irr. 

1864 

Schmidt 

^Peraei 

3      1.7 

--40  84 

2.1 

8.2 

2.8  4- 

1669 

Montanari 

UArietis 

6.6 

-  -14  26 

7.0 

<" 

361 

1892 

Schaeberle 

XGeti  . 

14.3 

—  1  26 

99 

18.8 

182 

1896 

Wells 

—  Ceti. 

17.6 

—30  24 

9.8 

9.9 

— 

1897 

(Cape) 

T  Persei 

20.9 

4-48  60 

8 

10 

236? 

1901 

WUliams 

R  Persei 

28.7 

--86  20 

7.7 

18.6 

210.1 

1861 

Schönfeld 

Nova  Persei 

24.4 

-1-48  84 

00 

<13 

— 

1901 

Anderson 

T  Fomacis 

26.4 

-28  46 

8 

10 

— 

1902 

R 

—  Persei  . 

26.6 

4-46  44 

6.4 

6.7 

— 

1901 

Deichmüller 

—  Tauri  . 

27.7 

--28  10 

13 

<16 

— 

1901 

WoU 

U  Camelop. 

33.2 

--62  19 

10,8 

12^ 

Irr. 

1891 

Fleming 

—  Persei  . 

34.1 

-1-61  11 

7.6 

8.9 

— 

1896 

Espin 

—  Reticuli 

86.2 

—66  48 

8.0 

8.9 

— 

1898 

Fleming 

S  Fomaois 

41.9 

—24  42 

5 

9 

— 

1899 

Abetti 

UEridani 

46.2 

-26  16 

8.6 

<11.4 

— 

1896 

(Cordoba) 

—  Eridani 

46.4 

—  1  41 

8.8 

9.2 

— 

1901 

Fleming 

X  Tauri    . 

47.8 

-t-  7  29 
4-30  46 

6.6 

8.1 

Irr. 

1876 

Gould 

X  Persei  . 

49.1 

6 

7 

R 

1898 

M.  u.  Kempf 

T  Eridani 

61.0 

—24  20 

7.6 

11.7 

262 

1896 

;i  Tauri     . 

66.1 

4-12  12 

8.8 

4.2 

8.9  4- 

1848 

Baxendell 

—  Eridani 

69.8 

—22  28 



— 

1889 

Kaptejm 

V  Eridani 

69.8 

—16    0 

8.4 

9.3 

— 

1898 

Fleming 

W  Eridani 

4      7.8 

-26  24 

8J 

<12.6 

869 

1898 

Fleming 

—  Persei  . 

9.1 

-60  22 

— 

— 

— 

— 

R 

T  Tauri     . 

16.2 

-19  18 

9.2 

<13.6 

Irr. 

1862 

Hind 

W  Tauri  . 

22.2 

-16  49 

8.0 

12.2 

Irr. 

1886 

Espin 

R  Tauri    . 

22.8 

-  9  66 

8 

14 

826 

1849 

Hind 

—  Per  sei  . 

22.8 

-39  38 



— 

.— 

1898 

Espin 

S  Tauri    . 

28.7 

-  9  44 

9.6 

14.6 

876.6 

1866 

Oudemans 

T  Camelop. 

80.4 

-66  67 

7.0 

<12 

870 

1891 

Espin 

R  Reticuli 

82.6 

—68  14 

7 

12.0 

278.4 

1867 

Ragoonath. 

R  Doradus 

86.6 

—62  16 

4.8 

6.8 

346.0 

1874 

Gould 

R  Caeli     . 

87.0 

—88  26 

69 

14.1 

398.0 

1890 

Fleming 

—  Camelop. 

40.8 

4-68    0 

— 

— 

— 

1902 

Backhouse 

R  Pictoris 

43.6 

—49  26 

7,7 

10  0 

160.0 

1896 

Fleming 

—  Tauri  . 

46.2 

4-28  21 
4-17  22 

— 

— 

— 

— 

R 

V  Tauri    . 

46.2 

8.3 

<18.6 

170.1 

1871 

Auwers 

ü  Leporis 

62.0 

—21  23 

9 

10 

R 

1890 

(Cape) 

ROrionis 

68.6 

-f-  7  69 
-HS  40 

8.7 

18.6 

880.0 

1848 

Hind 

e  Aurigae . 

64.8 

— 

— 

Irr. 

— 

R 

R  Leporis 

66.0 

—14  67 

6 

8? 

486.1 

1866 

Schmidt 

W  (Monis 

5      0.2 

4-1    2 

6 

7 

Irr. 

1894 

R 

T  Leporis 

0.6 

—22     2 

8,2 

11.6 

366 

1896 

Fleming 

VOrionis 

0.8 

-f  3  68 

8.4 

<18 

266? 

1887 

Boß 

8  Pictoris 

8.8 

—48  38 

8.4 

<13  8 

4286 

1896 

Fleming 

R  Aurigae 

9.2 

-f-63  28 

6.8 

13.8 

4602 

1862 

(Bonn) 

—  Pictoris 

12.8 

-!-47.   2 

8.4 

<11,7 

— 

1898 

Fleming 

T  Columbae 

16.6 

—88  49 

7.6 

11.8 

226.0 

1896 

Fleming 

8  Doradus 

18.9 

—69  21 

8.2 

9.8 

— 

1897 

Fleming 

W  Aurigae 

20.1 

-f-36  49 

8.7 

16 

294? 

1898 

L.Ceraski 

—  Leporis    . 

20.1 

—24  37 

— 

— 

— 

1897 

Bailey 

8  Aurigae 

20.6 

H 

-84     4 

9.4 

<14.6 

Irr. 

1881 

Dun6r 

Fiutenie. 


115 


Jahr  der 

Name 

RA.  1900 

Des.  1900 

Max. 

Min. 

Periode 

Ent- 
deokung 

Entdecker 

h      m 

O         1 

d 

• 

Y  Aurigae    .    . 

5    21.5 

442  21 

8 

10 

0.7 -f- 

1901 

Williams 

S  OrioniB  . 

24.1 

—  4  46 

8.8 

13.0 

418 

1870 

Webb 

—  Orionis 

24.6 

—  8     7 

166 

16.6 

— 

1901 

Wolf 

T  Aurigae 

25.6 

4-30  22 

4.5 

<15 

—  . 

1892 

Anderson 

—  Orionis 

28.8 

~  4  44 

14.6 

15.0 

— 

1901 

Wolf 

S.  Camelop. 

30.2 

4-68  46 

8.8 

12 

818 

1891 

Espin 

—  Orionis 

30.5 

—  6    6 

14,5 

15.5 

— 

1901 

Wolf 

—  Orionis 

80.6 

—  6     5 

IS.O 

14.0 

— 

1901 

Wolf 

T  Orionis .    . 

30.9 

—  5  32 

9.7 

18 

Irr. 

1863 

Bond 

—  Orionis 

31.0 

—  6     1 

14.6 

16.0 

— 

1901 

Wolf 

—  Orionis 

31.8 

—  6  16 

13.0 

17.0 



1901 

Wolf 

RKTauri 

33.8 

-f26  19 

9 

<12 

— 

1900 

L  Ceraski 

—  Leporis 

83.3 

—24  28 

— 

— 

1897 

(Cape) 

—  Orionis 

84.7 

—  8  28 

13.0 

15.0 

— 

1901 

Wolf 

—  Orionis 

35.4 

—  5  27 

14.6 

16.5 

— 

1901 

Wolf 

UAnrigae 

35.6 

-31  59 

8.6 

12 

407 

1891 

Espin 

—  Tanri  . 

39.1 

-24  23 

— 





1902 

Backhouse 

YTauri    .    , 

39.7 

-20  89 

6 

8 

.^ 

1887 

R 

—  Aurigae 

41.7 

-30  36 

— 

— 

— 

1902 

Backhouse 

—  Orionis 

42.6 

—  6  14 

— 

— 

— 

1901 

Wolf 

8  Columbae 

43.2 

—31  44 

9.0 

<12.0 

825.6 

1896 

(Cordoba) 

—  Orionis 

43.3 

—  5  43 

14,6 

15.0 

— 

1901 

Wolf 

—  Tauri  . 

46.1 

-1-15  51 
-fl6  46 

9 

10 



1908 

R 

ZTauri    . 

46.7 

9 

<11 

840 

1900 

Anderson 

R  Colmnbae 

46.7 

—29  18 

7.6 

<12.3 

388 

1898 

Fleming 

—  Tauri  . 

47.3 

-16  42 

10 

12 

294 

1908 

R 

y  Camelop. 

49.4 

-74  30 

8 

<14 

— 

1902 

(Greenwich) 

a  Orionis. 

49.8 

-  7  23 

1 

1.4 

Irr. 

1840 

J.  Hersohel 

U  Orionis 

49  9 

-20  10 

5.8 

12.3 

376 

1886 

Gore 

—  Aurigae 

637 

-53  18 

9 

11 



1908 

Anderson 

R  OctanÜs 

56.8 

—86  26 

7.3 

^     12.2 

330.0 

1892 

Fleming 

8  Leporis . 

6      1.6 

-24  11 

6.7 

7.5 

Irr. 

1891 

Sawyer 

X  Aurigae 

4.4 

-60  14 

8 

11 

881 

1900 

Anderson 

—  Oeminorum . 

4.7 

-26     8 

7.4 

8.2 

Irr. 

1897 

Backhouse 

—  Geminorum  . 

6.8 

-21  64 

6.7 

79 

Irr. 

1897 

Backhouse 

11  Geminorum    . 

8.8 

-22  32 

3.2 

4.2 

281.4 

1866 

Schmidt 

—  Columbae 

11.2 

—33     2 

9.2 

10.0 

— 

1889 

Eapteyn 

V  Aurigae     .    . 

16.5 

^-47  45 

8.6 

<11.5 

389.4 

1898 

Espin 

VMonooerotlB  . 

17.7 

-2    9 

7.4 

<12.9 

832.0 

1883 

Bchönfeld 

TMonoceroÜs  . 

19.8 

4-7    8 
4-19    8 

5.7 

6.8 

27.04- 

1871 

Gould 

—  Geminorum  . 

20.3 

8.8 

9.6 

— 

1896 

Espin 

ZMonooerotis  . 

28.0 

—  8  48 

9.0 

<10.1 

— 

1898 

Fleming 

W  Geminorum  . 

29.2 

-16  24 

6.7 

7.5 

7.7  + 

1896 

Sawyer 

RMonoeerotis  . 

33.7 

-  8  49 

9.6 

13 

Irr. 

1861 

Schmidt 

SMonocerotis  . 

35.5 

-  9  59 

4.9 

6.4 



1867 

Winnecke 

SLjncis  .    .    . 

35.9 

-68    0 

9.4 

14 

298? 

1898 

Anderson 

X  Geminorum  . 

40.7 

-80  28 

8 

12 

264 

1897 

Anderson 

W  Monocerotis . 

47.5 

—  7    2 

8.8 

<10 

262.6 

1887 

Espin 

—  CanisMaJoris 

60  6 

—24    8 

8.7 

9.3 

— 

1898 

Innes 

TMonooerotis  . 

51.3 

-fll  22 

8 

<Ji 

— 

1900 

L.  Ceraski 

X  Monocerotis  . 

52.4 

—  8  66 

8.3 

<:ii.7 

— 

1898 

Fleming 

RLjnois  .    .    . 

53.0 

-56  28 

7.2 

13.6 

880.0 

1870 

Krueger 

—  Monocerotis . 

63.0 

-  6  18 

__ 

^ 

— 

1902 

L.  Ceraski 

C  Geminorum    . 

58.8 

-20  43 

3.8 

4.3 

10.1-4- 
870.2-1- 

1847 

Schmidt 

R  Geminorum  . 

7      1.8 

-22  62 

66 

18.8 

1848 

Hind 

y  Canis  Minorls 

1.6 

-  9     1 

8.8 

<13.7 

364 

1896 

Fleming 

—  Puppis     .    . 

1.7 

—86  47 

8.0 

8.6 

-i- 

1901 

Fleming 

R  Canis  Minorls 

8.2 

+10  11 

7.2 

10.0 

887.7 

1856 

(Bonn) 

—  CanisMaJ< 

>ris 

8.4 

-11  46 

8.0 

10.0 

— 

1901 

Fleming 

8» 


116 


Fixstane. 


Jahr  der 

Name 

R.A.im 

I>w.  IMO 

Max. 

IClii. 

Periode 

Bat- 
dednms: 

Enfdeeker 

h      m 

o 

d 

SCanisMaJorit 

7     6.7 

—82  46 

9 

10 

— 

1897 

(Gape) 

RVolantiB    .    . 

7  4 

-72  61 

8 

<io 

— 

1899 

(Gape) 

L«  Puppis     .    . 

10.6 

—44  29 

3.4 

6.2 

140.1  + 

1872 

Gould 

RCanlBMaJoriB 

14.9 

—16  12 

6.7 

6.3 

1.1  + 

1887 

8awyer 

VGeminonmi  . 

17.6 

+13  17 

8.2 

14  6 

276 

1880 

Bazendell 

—  Lyncis      .    . 

20.9 

+46  10 

7,8 

8.4 

— 

1901 

Fleming 

—  Monooerotis . 

22.4 

-11  31 

10.0 

10.7 

— 

1898 

Fleming 

ÜMonooerotis  . 

26.0 

—  9  34 

6.7 

7.6 

Irr. 

1873 

Gould 

8  CaniH  Minoris 

27.8 

+  8  82 

7.2 

12  2 

830.3  + 

1866 

Hind 

Z  Puppis  .    .    . 

28.3 

—20  27 

7.6 

11.1 

603 

1897 

Perry 

TCaniaMinoriB 

28.4 

+11  68 

9 

<13.6 

322.7 

1866 

Schönfeld 

X  Puppte .    .    . 

28.4 

-20  42 

8 

9.6 

R 

1889 

Eapteyn 

SVolanÜs     .    . 

31.4 

•73  10 

9.1 

<13 

400  + 

1900 

Innes 

—  Geminorum  . 

36.3 

+20  39 

— 

— 

1902 

L.  Geraski 

ü  Canis  Minoris 

36.9 

+  8  37 

8.6 

13.6 

410 

1879 

Baxendell 

8  Oeminorum   . 

37.0 

+23  41 

8.2 

14.6 

294 

1848 

Hind 

W  Puppte     .    . 

42.6 

—41  67 

8.8 

12.6 

120.8 

1896 

Fleming 

T  Oeminorum  . 

43.3 

+28  69 

8.1 

<18.6 

288.1 

1848 

Hind 

—Cante  Minorte 

43.4 

+  6  40 

9.8 

11.S 

— 

1896 

Fleming 

RR  Puppis    .    . 

43.6 

—41     8 

10.0 

11.0 

6.4  + 

1899 

(Gape) 

8  Puppte  .    .    . 

43.8 

—47  62 

7.2 

9 

— 

1873 

Gould 

—  Puppte     .    . 

46.0 

—42  16 

7.8 

8.6 

R 

1899 

Roberte 

U  Geminorum  . 

49.2 

+22  16 

8.9 

14 

Irr. 

1866 

Hind 

—  Puppte     .    . 

49.2 

—23  66 

7.9 

9.8 

— 

1889 

Kapteyn 

V  Puppis  .    .    . 

66.4 

—48  68 

4.1 

4.8 

1.4  + 

1886 

Williams 

ü  Puppte  .    .    . 

66.1 

-12  34 

8.6 

<u 

316 

1881 

Pickering 

RT  Puppte    .    . 

8      1.7 

—88  29 

8.9 

<:io.6 

— 

1898 

Weite 

Rü  Puppte   .    . 

8.2 

—22  87 

9.4 

11.6 

— 

1898 

Weite 

Y  Puppte  .    .    . 

8.8 

—34  60 

8.8 

9.2 

Irr. 

1896 

(Gordoba) 

RS  Puppte    .    . 

9.2 

—84  17 

7.0 

8.6 

41.2  + 

1897 

(Cape) 

ROanori  .    .    . 

11.0 

+12    2 

6 

11.6 

862.8  + 

1829 

Schwerd 

—  Hydrae    .    . 

14.9 

+  8     6 

-. 

— 

— 

1896 

Backhouse 

YCancri  .    .    . 

16.0 

+17  36 

7.6 

12.8 

272.1 

1870 

Auwers 

—  Hydrae    .    . 

19.6 

-  8  11 

7.4 

8.8 

— 

1901 

Fleming 

RChamaeleon  . 

24.0 

—76    2 

8.9 

12.8 

— 

1901 

Fleming 

RT  Hydrae  .    . 

24.7 

—  6  69 

8.0 

10.1 

— 

1898 

Fleming 

V  Garinae     .    . 

267 

—69  47 

7.4 

8.1 

6.6  + 

1892 

Roberte 

X  Garinae     .    . 

29.1 

—68  63 

7.9 

8.7 

0.6  + 

1892 

Roberte 

UGancri  .    .    . 

30.0 

+19  14 

8.4 

<14 

806.0 

1868 

Ghacomac 

— ürsaeMaJorte 

33.9 

+60  29 

— 

— 

1898 

Fleming 

T  Velorum    .    . 

34.4 

-47     1 

7.6 

8.6 

4.6  + 

1892 

Roberto 

RV  Hydrae  .    . 

34.9 

—  9  14 

7.7 

9.0 

— 

1901 

Fleming 

SGanori  .    .    . 

38.2 

+19  24 

8.0 

10.2 

9.4  + 

1848 

Hind 

RPyxidte     .    . 

41.3 

—27  60 

8.0 

<11 

866? 

1890 

Holetochek 

8  Hydrae     .    . 

48.4 

+  8  27 

7.6 

12.2 

267.0 

1848 

Hind 

X  Gancri  .    .    . 

49.8 

+17  87 

6 

8 

— 

— 

— 

T  Hydrae     .    . 

60.8 

—  8  46 

7.2 

13.1 

288.8 

1861 

Hind 

T  Gancri  .    .    . 

61.0 

+20  14 

8.0 

10.6 

482 

1860 

Hind 

8Pyxldte      .    . 

9     0.7 

—24  41 

8.9 

11.1 

218? 

1896 

(O>rdoba) 

VUrsaeMaJoris 

1.1 

+61  81 

— 

— 

— 

1901 

Anderson 

W  Ganori     .    . 

4.0 

+26  89 

9.1 

<13Jf 

881? 

1896 

Fleming 

—  Pyzidte    .    . 

4.9 

—28  86 

9.0 

9.8 

R 

1898 

Innes 

RU  Garinae  .    . 

1S.4 

—66  49 

1C.9 

12.1 

— 

1898 

Fleming 

RW  Garinae 

18.2 

—68  20 



..^ 

^ 

1901 

Fleming 

V  Velorum   .    . 

19.2 

-^66  82 

7.6 

8.2 

4.3  + 

1892 

Roberto 

—  Velorum  .    . 

24.4 

—48  26 

9.6 

<,1S.6 

— ' 

1902 

Fleming 

T  Velorum   .    . 

26.7 

—61  46 

8.6 

<1« 

R 

1901 

Innes 

SAnÜibe.    .    . 

27.9 

-28  11 

6.8 

6.8 

0.3  + 

1888 

Paul 

N  Velorum   .    . 

2S.2 

—66  36 

— 

— 

1871 

Gtoaid 

Fixatene. 


117 


Jahr  der 

Name 

R.A.1900 

Des.  IWa 

Max. 

Min. 

Periode 

Ent- 
deckung 

Entdecker 

h       m 

0        1 

sa== 

d 

S  Velomm    .    . 

9    29.4 

—44  46 

7.8 

9.3 

6.9  + 

1894 

Woods 

U  Telorum    .    . 

29.6 

—46     4 

8.2 

8.6 

Irr. 

1895 

Roberts 

TAnÜiae.    .    . 

29.7 

—36  10 

8.7 

9.6 

— 

1897 

(Cape) 
Gould 

R  Carinae     •    . 

29.7 

—62  21 

45 

10.0 

309.7  + 

1871 

XHydrae     .    . 

30.7 

—14  16 

8.4 

11.8 

296 

1894 

Skinner 

—  Draconls  .    . 

31.1 

+78  18 
+66  26 

9.5 

13 

— 

1903 

L.  Ceraski 

—  UrsaeMaJoris 

86.7 

7.9 

8.6 

0.1  + 

1903 

M. und  K. 

RSextantis  .    . 

37.8 

—  7  89 

9.6 

10.6 

Irr. 

1895 

Wells 

RLeonisMinoris 

39.6 

+34  68 

7.6 

12.9 

370.5  + 

1863 

»chönfeld 

RRHydrae  .    . 

40.4 

—23  34 

8 

<12 

360 

1898 

(Cape) 

RLeouis  .    .     . 

42.2 

+11  64 

4.6 

10.5 

812.8 

1782 

Koch 

1  Carinae  .    .    . 

42.6 

—62     3 

3.6 

6.0 

85.5  + 

1871 

Gould 

Y  Hydrae     .    . 

46.4 

—22  33 

7.6 

10.1 

— 

1896 

Wells 

Z  Yelorum    .    . 

49.4 

—63  42 

9.3 

R 

360  + 

1901 

Innes 

—  Hydrae    .    . 

60.9 

—19  13 

— 

— 

— 

1889 

Kapteyn 

X  Yelorum   .    . 

61.4 

—41     7 

— 

— 

— 

1901 

Wells 

V  Leonis  .    .    . 

64.6 

+21  44 

8.6 

<13.6 

273.7 

1882 

Becker 

RR  Carinae  .    . 

64.8 

—68  23 

8.0 

101 

365.0 

1894 

Fleming 

RV  Carinae  .    . 

66.6 

—63  26 

9 

<11 

— 

1899 

Innes 

RAnüiae      .    . 

10     6.4 

—37  14 

7.2 

7.8 

Irr.? 

1872 

Gould 

S  Carinae     .    . 

6.2 

-61     4 

6.8 

90 

148.7 

1871 

Gould 

V  ürsae  Majoris 

8.2 

+60  29 

7.0 

8.7 

— 

1898 

Fleming 

Z  Carinae     .    . 

10.4 

—68  21  * 

8.8 

13.4 

394.0 

1894 

Fleming 

W  Velorum  .    . 

11.6 

—63  69 

8.8 

<11.4 

186.8 

1896 

Kapteyn 

RR  Velorum 

17.8 

—41  61 

10.0 

10.9 

1.8  + 

1901 

Innes 

U  Leonis  .    .    . 

18.7 

+14  31 

— 

— 

1876 

Peters 

Y  Carinae     .    . 

29.4 

—57  69 

8.1 

8.6 

3.6  + 

1893 

Roberts 

üAntUae      .    . 

80.8 

—39     3 

— 

— 

— 

1901 

WeUs 

U  Hydrae     .    . 

32.6 

—12  62 

4.6 

6.3 

Irr. 

1871 

Gould 

—  Carinae    .    . 

32.7 

-70  11 

8.8 

<13.2 

— 

1902 

Fleming 

RX  Carinae 

38.2 

—61  48 

10.0 

<12.6 

— 

1901 

Piokering 

R  Ursae  Majorig 

37.6 

+69  18 

6.9 

13.3 

802.1  + 

1853 

Pogson 

RT  Carinae  .    . 

40.9 

—68  64 

98 

10.7 

— 

1898 

Wells 

11  Carinae 

41.2 

—69  10 

>1 

7.4 

Irr. 

1827 

Burohell 

RS  Hydrae 

46  6 

—28     6 

8 

<11 

339 

1897 

(Cape) 

V  Hydrae 

46.8 

—20  43 

6.7 

9.6 

676 

1888 

Chandler 

WLeoniB. 

48.4 

+14  16 

9 

<U 

394.8? 

1880 

Peters 

T  Carinae 

61.3 

—69  64 

6.7 

7.0 

— 

1877 

Gould 

U  Carinae 

63  7 

—69  12 

6.8 

8.0 

88.7  + 

1891 

Roberts 

RCraterifi 

66.6 

—17  47 

>8 

<9 

— 

1861 

Winnecke 

RW  Centaurj 

11      2.9 

—64  36 

— 

1901 

Wells 

RS  Carinae 

3.9 

-61  24 

8 

<i4 

— 

1895 

Fleming 

SLeoniB  . 

6.7 

+  60 

9.0 

<13 

190.0  + 

1856 

Chacomac 

RY  Carinae 

16.8 

—61  19 

10 

<12 

— 

1901 

Innes 

RSCentauri 

16.1 

—61  20 

9.2 

<12.9 

162 

1896 

Fleming 

TLeonia  . 

33.3 

+  3  66 
+72  49 

— 

— 

— 

1866 

Peters 

—  Draoonia 

89.8 

9.9 

12.4 

1.3  + 

1903 

L,  Ceraski 

Z  Hydrae 

42.6 

—32  43 

9.2 

10.0 

62.5 

1898 

(Cape) 

X  Centauri 

44  2 

-41  12 

7.3 

13.0 

313.9 

1895 

Fleming 

W  Centauri 

60.0 

—68  42 

8.6 

13.1 

204.8 

1896 

Fleming 

X  Virginia 

66.7 

+  9  38 
--19  20 

8 

12 

.— 

1871 

Peters 

RCom.  Beren.  . 

69.1 

8 

<H 

361.8 

1856 

Schönfeld 

RXVirglnlii.    . 

69.6 

—  6  13 

7.2 

8.8 

— - 

1898 

Fleming 

RW  Virginia     . 

12      2.1 

—  6  12 

7.1 

8.3 

. — 

1898 

Fleming 

RU  Centauri 

4.2 

—44  62 

9 

10 

— 

1897 

(Cape) 

BMuscae.    .    . 

7.4 

-69  86 

6.4 

7.3 

9.6  + 

1891 

Roberts 

T  Virginia     .    . 

9.6 

—  6  29 

8.7 

13.6 

S89.5 

1849 

Boguslawski 

RCorvi    .    ,    . 

14.4 

—18  42 

7.7 

11.6 

818.6 

1867 

Karlinski 

—  Virginia 

>    . 

16.2 

—  8  27 

9.2 

9.8 

— 

1901 

Fleming 

118 


Fixsterne. 


Jahr  der 

Name 

R.  A.  1900 

Des.  1900 

Max. 

Min. 

Periode 

Ent- 
deekung 

Entdecker 

h       m 

o      , 

d 

TCnicis  .    .    . 

12    15.9 

—61  44 

6.8 

7.6 

6.7  + 

1896 

Roberts 

ROniois  .    .    . 

18.1 

—61     4 

6.8 

7.9 

6.8  + 

1891 

Roberta 

S  Centauri    .    . 

19.2 

-48  53 

7 

? 

1889 

Pickering: 

—  Virginia    .    . 

20.1 

4-  1  19 

— 

— 

— 

— 

— 

TCan.Venat.    . 

25.2 

+32     3 

8.6 

12 

281 

1897 

Anderson 

üOrucia  .    .    . 

26.8 

-57     2 

10.8 

<18.2 

865? 

1896 

Fleming 

ü  Centauri    .    . 

28.0 

—54     6 

8.7 

12.6 

216.8 

1894 

Fleming 

Y  Virginia    .    . 

28.7 

—  3  52 

8.6 

13.4 

218.8 

1874 

Henry 

T  üraae  Majoris 

31.8 

-1-60     2 

6.4 

13.1 

257.2  + 

1860 

(Bonn) 

R  Virginia    .    . 

33.4 

-h  7  32 

6.4 

12.1 

146.4  + 

1809 

Harding 

—  Centauri  .    . 

35.5 

—34     1 

— 

— 

-. 

1897 

(Cape) 

R  Muaoae .    .    . 

36.0 

—68  52 

6.6 

7.6 

0.8  + 

1871 

Gould 

S  Uraae  Majoria 

39.6 

+61  38 

7.3 

12.5 

226.1  + 

1868 

Pogson 

RU  Virginia.    . 

42.2 

+  4  42 

8 

12 

466 

1897 

Roy 

ü  Virginia    .    . 

46.0 

+  66 

7.7 

12.8 

207.0 

1831' 

Harding 

SCrucia   .    .    . 

48.4 

—57  53 

6.6 

7.6 

4.6  + 

1891 

Roberta 

—  Crucia  .    .    . 

50.7 

—57  21 

10,4 

13.6 

1902 

Fleming 

RT  Virginia.    . 

57.6 

+  5  43 

8.8 

9,7 

— 

1896 

Fleming 

RV  Virginia.    . 

13      2.7 

—12  88 

10 

<14 



1900 

Schwaßman 

—  Centauri  .    . 

6.8 

—56  28 

— 

^^ 

1901 

Wells 

S  Can.  Venat.    . 

8.5 

+37  54 

7.3 

9 



R 

—  Virginia   .    . 

8.9 

—  2  16 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

UOctantia    .    . 

12.3 

—83  42 

7.7 

10.3 

— 

1900 

(Cape) 

—  Centauri  .    . 

15.1 

—61     3 

10.6 

11,8 

— 

1898 

Fleming 

» Centauri    .    . 

20.8 

—46  57 

— 

— 

— 

1897 

BaUey 

W  Virginia  .    . 

20.9 

—  2  52 

8.7 

10.4 

17.2  + 

1866 

Schönfeld 

V  Virginia     .    . 

22.6 

—  2  39 

8.0 

<13 

250.6 

1867 

Goldaohmidt 

R  Hydrae     .    . 

24.2 

—22  46 

3.6 

9.7 

425.1  + 

1670 

Montanari 

—  Cliamaeleon. 

24.6 

—77     3 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

S  Virginia     .    . 

27.8 

—  6  41 

6.6 

12.3 

376.4  + 

1852 

Hind 

RV  Centauri 

31.1 

—55  58 

9.0 

<12,6 

— 

1897 

Fleming 

Z  Centauri    .    . 

34.3 

—81     8 

7 

<16.5 

— 

1896 

Fleming 

T  Centauri    .    . 

36.0 

—33     6 

6.4 

7.7 

90.4 

1894 

Markwick 

RY  Virginia.    . 

36.3 

—18  38 

— 

— 

— 

1901 

Wells 

—  Can.  Venat.  . 

37.6 

+28  58 

— 

— 

— 

1896 

BaUey 

RT  Centauri 

42.5 

—36  22 

8.8 

11.3 

249.2 

1896 

Innes 

WHydrae    .    . 

43.4 

—27  52 

6.7 

8.0 

884 

1889 

Sawyer 

R  Can.  Venat    . 

44.6 

+40    2 

6.1 

11.5 

388 

1888 

Eapin 

RX  Centauri 

45.6 

—86  27 

9 

<12 

— 

1902 

R 

T  Apodia  .    .    . 

46.1 

-77  18 

8.6 

<13 

— 

1900 

Innes 

^  Apodia . 

55.6 

—76  19 

6.6 

6.6 

— 

— 

Gk>uld 

RR  Virginia 

59.6 

—  8  43 

11 

<14 

217 

1880 

Peters 

Zßootia   . 

14      1.7 

+18  58 

10,0 

13.0 

— 

1898 

Wells 

Z  Virginia 

5.0 

—12  50 

9 

15 

806.6 

1880 

Pfliiaa 

RU  Hydrae 

5.8 

—28  26 

8 

<13 

346? 

1898 

(Cape) 

R  Centauri 

9.4 

—59  27 

5.6 

11.8? 

669.0 

1871 

Qould 

TBootia  . 

9.4 

+19  32 

9.7 

<14 

— 

1860 

Baxendell 

RR  Centauri 

9.9 

—57  28 

7.4 

7.8 

0.8  + 

1896 

Roberts 

T  Lupi      . 

15.7 

—49  24 

9.2 

11.2 

1896 

Wells 

—  Lupi    .    , 

16.9 

—47     4 

— 

— 

— 

1901 

YBootia  . 

17.4 

+20  16 

8.0 

8.6 

2.6? 

1894 

Parkhurst 

XBootifl  . 

19.4 

+16  46 

9.0 

10.2 

121.6 

1859 

Baxendell 

SBootia   . 

19.5 

+54  16 

8.0 

18.5 

268.2  + 

1860 

(Bonn) 

—  Bootia  . 

19.7 

+26  10 

7 

8? 

R 

1893 

Hartwig 

RS  Virginia 

22.3 

+  58 

8.1 

<12.8 

864 

1892 

Fleming 

R  Camelop. 

25.1 

+84  17 

7.9 

13.7 

267.6  + 

1858 

Henoke 

Y  Centauri 

25.1 

—29  89 

7.7 

8.8 

— 

1895 

Fleming 

V  Centauri 

25.4 

—66  27 

6.4 

7.8 

6.4  + 

1894 

Roberts 

V  Bootia  . 

25.7 

+39  18 

6.9 

10.6 

266 

1884 

Dun6r 

Fizsteme. 


IIÖ 


Jahr  der 

Name 

R.A.1900 

Dei.  1900 

Max. 

Min. 

Perlod« 

Ent- 
deckung 

Entdecker 

h        m 

o      , 

d 

RVUbrae    .    . 

14    30.2 

—17  36 

8.3 

9.6 



1898 

Leland 

RBootis  .     .    . 

32.8 

+27  10 

6.8 

12.9 

223.4  + 

1868 

(Bonn) 

y  Ubrae  .    .    . 

34.8 

—17  14 

9.3 

12.2 

256 

1882 

Schönfeld 

W  BootiB  .     .    . 

39.0 

+26  67 

6.2 

6.1 

Irr. 

1867 

Schmidt 

RApodis.    .     . 

46.6 

—76  15 

6.5 

6.2 

— 

1873 

Gould 

SLupi.    .    .    . 

46.7 

—46  12 

9,6 

13.1 

346.0 

1894 

Fleming 

ÜBootis  .    .    . 

49.7 

+18     6 

9.1 

13.6 

176.7 

1880 

Bazendell 

VLupi      .    .    . 

52.6 

—53     0 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

dUbrae  .    .    . 

66.6 

—  8     7 

5.0 

6.2 

2.3  + 

1869 

Schmidt 

8  ApodiB  .     .    . 

69.4 

—71  40 

8.6 

<11.3 

298.0 

1896 

Fleming 

T  Triang.  Aust . 

15      0.4 

—68  20 

6.9 

7.4 

0.9  + 

1879 

Gould 

RT  Librae     .    . 

0.8 

—18  21 

8.6 

<117 

295? 

1896 

Skinner 

—  Triang.  Aust 

4.8 

—69  42 

9.1 

9.8 

— 

1898 

Wells 

T  Librae  .    .    . 

6.0 

—19  38 

10 

<16 

238 

1878 

PallRR 

Y  Librae  .    .    . 

6.4 

—  6  38 

8.2 

12 

272? 

1887 

Bauschinger 

•  Librae    .    .    . 

6.6 

—19  26 

4.3 

5.0 

— 

1896 

Pickering 

WLupi    .    .    . 

8.6 

-60  26 

10.6 

<13A 

— 

1901 

Pickering 

R  Triang.  Aust 

10.8 

—66     8 

6.7 

7.4 

3.3  + 

1871 

Gould 

—  Librae      .    . 

13.6 

+  2  27 

— 

— 

^ 

1896 

Bailey 

U  Cor.  Borealifl 

14.1 

+32     1 

7.6 

8.7 

8.4  + 

1869 

Winnecke 

8  Librae  .    .    . 

16.6 

—20    2 

7.6 

<13 

192.1 

1872 

Borrelly 

8  8erpenti8  .     . 

17.0 

+14  40 

7.8 

12.5 

365.4  + 

1828 

Harding 

8  Cor.  Borealis . 

17.3 

+31  44 

6.7 

12.3 

360.8 

1860 

Hencke 

RS  Librae     .    . 

18.6 

—22  33 

8.4 

<11.0 

221 

1892 

Fleming 

R  Gircini .    .    . 

20.0 

-67  22 

— 

— 

__ 

1901 

Fleming 

NoTa  Normae   . 

22.2 

-60  14 

7 

13 

.— 

1893 

Fleming 

RU  Librae    .    . 

27.7 

—14  69 

8.6 

<12.3 

320? 

1895 

Fleming 

R  Normae     .    . 

28.8 

—49  10 

7 

11 

610 

1879 

Gould 

X  Librae  .    .    . 

30.4 

-20  60 

9.6 

14 

163.6 

1878 

Peters 

W  Librae      .    . 

32.2 

—16  61 

9.8 

16 

206 

1878 

Peters 

8  Ursae  Minoris 

33.4 

+78  68 

8.4 

11.4 

328 

1895 

Fleming 

U  Normae     .    . 

34.6 

—54  59 

8.8 

10.4 

12.7  + 

1899 

(Cape) 

U  Librae  .    .    . 

36.2 

—20  62 

9 

<W 

226.2 

1878 

Peters 

T  Normae     .    . 

36.4 

—64  40 

7.0 

<11.4 

244.0 

1899 

Innes 

—  Lupi     .    .    . 

39.6 

—37  26 

— 

— 

1897 

Bailey 

Z  Librae  .    .    . 

40.7 

—20  49 

11 

<18 

296 

1879 

Peters 

R  Cor.  Borealls 

44.4 

+28  28 

6.6 

10.1 

Irr. 

1796 

Pigott, 

V  Cor.  Borealis 

46.0 

+39  52 

7.2 

12.0 

356.6 

1878 

Dun6r 

RSerpentis  .    . 

46.1 

+16  26 

5.6 

13 

367.0  + 

1826 

Harding 

RLupi      .    •    . 

47.0 

—36     0 

9.0 

<12? 

234.6 

1884 

Gould 

R  Librae  .    .    . 

47.9 

—16  66 

9.2 

<13 

R 

1858 

Pogson 

RRUbrae    .    . 

60.6 

—18     1 

8.4 

14 

277.0 

1885 

Peters 

8  Triang.  Aust . 

62.2 

—63  30 

6.4 

7.4 

6.3  + 

1879 

Gould 

ÜLupi      .    .    . 

64.6 

—29  38 

9.1 

10.7 

608? 

1898 

(Cape) 

T  Gor.  Borealifl 

66.3 

+26  12 

2.0 

9.5 

— 

1866 

Birmingham 

ü  Triang.  Aust 

68.4 

—62  38 

7.8 

8.4 

2.6  + 

1893 

Roberts 

RZScorpii    .    . 

68.6 

—23  50 

8.0 

<13 

156 

1896 

Innes 

XHercuUs    .    . 

59.6 

+47  31 

6.9 

7.2 

Irr. 

1890 

Gore 

Z  Scorpii  .     .    . 

16     0.1 

—21  28 

9.0 

12? 

370 

1883 

Peters 

RR  Herculis 

1.6 

+60  46 

7.8 

9.5 

— 

1894 

Espin 

R  Herculis    .     . 

1.7 

+18  38 

8.6 

13.6 

817.7  + 

1856 

(Bonn) 

ÜSerpentis  .    . 

2.6 

+10  12 

9.0 

<11.9 

— 

1898 

Fleming 

V  Normae     .    . 

2.6 

—48  68 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

XSoorpU      .    . 

2.7 

—21  16 

10 

<13 

199.0 

1876 

Peters 

W  Scorpii     .    . 

6.9 

—19  63 

10 

<14.7 

222.3 

1877 

Palisa 

RX  Scorpii   .    . 

6.9 

-24  38 

9 

<i2 

— 

1896 

(Cordoba) 

RU  Herculis 

6.0 

+26  20 

7.0 

13.6 

473? 

1896 

Anderson 

W  Normae    .    . 

9.0 

—62  21 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

8  Normae     .    . 

10.6 

—67  39 

6.6 

7.6 

9.7  + 

1892 

Roberts 

120 


Fixften«. 


Jahr  der 

Name 

R.  A.  1900 

Dei.  1900 

liax. 

Min. 

Periode 

Ent- 
deckung 

Bntdeeker 

h       m 

0       , 

d 

TScorpü.    .    . 

16    11.1 

-22  44 

7.0 

<12 

— 

1860 

Auwers 

—  Scorpii     .    . 

11.1 

—22  44 



— 

1898 

Bailey 

R  Scorpii .    .    . 

11.7 

—22  42 

9.8 

16 

224.6 

1868 

Ghacomac 

S  Scorpii  .    .    . 

11.7 

—22  39 

9.1 

16 

176.7 

1854 

Chacomac 

—  Coron.  Bor.  . 

11.9 

+38     1 

8.Ö 

13,0 

244  + 

1902 

Anderson 

—  Normae    .    . 

14.6 

—60  14 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

W  Ophiuchi .    . 

16.0 

—  7  28 

8.9 

<13.6 

831.8 

1881 

Schönfeld 

U  Scorpii .    .    . 

16.8 

—17  38 

9? 

<12 

— 

1863 

Pogson 

X  Normae    •    . 

17.7 

—51  42 

11.0 

<:i2.3 

— 

1901 

Fleming 

V  Ophiuchi  .    . 

21.2 

—12  12 

7.0 

10.5 

802.5 

1881 

Dun6r 

ÜHerculiß    .    . 

21.4 

+19     7 

6.4 

12.0 

409 

1860 

Hencke 

YScorpü      .    . 

23.8 

—19  13 

10? 

14 

369? 

1876 

Peters 

g  Herculis    .    . 

25.4 

+42     6 

4.7 

6.0 

Irr. 

1857 

Baxendell 

T  Ophiuchi  .    . 

28.0 

—15  55 

10 

<12.6 

861? 

1860 

Pogson 

SS  Herculis.    . 

28.0 

+  73 

9.0 

<12 

— 

1901 

Anderson 

8  Ophiuchi  .    . 

28.5 

—16  57 

8.3 

<18 

288.8 

1864 

Pogson 

ST  Scorpii    .    . 

30.2 

—31     2 

7.8 

9.7 

— 

1898 

(Cape) 

R  ürsae  Minoris 

31.3 

+72  28 

9.0 

10.8 

Irr. 

1881 

Pickering 

RArae      .    .     . 

31.4 

—56  48 

6.8 

7.9 

4.4  + 

1892 

Roberts 

WHercuUs  .    . 

31.7 

+37  32 

7.8 

13.2 

280.0 -f 

1880 

Dun6r 

Y  Herculis    .    . 

32.0 

--  7  19 

6.9 

8.0 

— 

1882 

Ghandler 

R  Draconis   .    . 

32.4 

+66  58 

7.1 

12.7 

246.6 

1876 

Qeelmuyden 

SüScorpü    .    . 

84.2 

—82  11 

8 

10 

— 

1896 

Innes 

—  Herculis  .    . 

38.1 

+36  39 

— 

— 

— 

1898 

Bailey 

V  Triang.  Aust. 

39.8 

-67  36 



— 

— 

1901 

Fleming 

S  Draconis    .    . 

40.8 

+55     7 

7.5 

9.8 

— 

1892 

Espin 

RR  Ophiuchi    . 

43.2 

—19  17 

8 

<11 

277? 

1898 

(Cape) 

S  Herculis    .    . 

47.4 

+  16     7 

7.3 

12.6 

808.1 

1866 

(Bonn) 

RS  Scorpii    .    . 

48.4 

-44  56 

7.0 

11,4 

882? 

1890 

Fleming 

SS  Scorpii    .    . 

48.8 

—82  28 

7 

10 

— 

1897 

(Cordoba) 

RR  Scorpii   .    . 

50.2 

—30  26 

7.0 

12.1 

282.7 

1894 

Fleming 

RV  Scorpii    .    . 

51.8 

—33  27 

6.7 

7.4 

6.0  + 

1894 

Roberts 

—  Ophiuchi .    . 

53.9 

—12  44 

6.6 

12.5 

— 

1848 

Hind 

TArae      .    .     . 

64.4 

—54  56 

9.9 

11.0 

— 

1898 

Wells 

—  Ophiuchi .     . 

54.9 

—29  58 

— 

— 

— 

1897 

BaUey 

RV  HercuUs      . 

56.8 

+81  22 

9 

16 

200? 

1897 

Anderson 

RT  Scorpii    .    . 

56.8 

—36  40 

9.2 

<12.9 

— 

1893 

Fleming 

R  Ophiuchi  .    . 

17      2.0 

—16  58 

7.1 

12.6 

802.7 

1853 

Pogson 

RT  Herculis      . 

6.8 

+27  11 

9 

<12 

312? 

189G 

Anderson 

RW  Scorpii  .    . 

8.3 

—83  19 

9.4 

14.1 

388 

1895 

Fleming 

a  Herculis    .    . 

10.1 

-14  30 

3.1 

3.9 

Irr. 

1796 

Herschel 

U  Ophiuchi  .    . 

11.4 

-  1  19 

6.0 

6.7 

0.8  + 

1871 

Gould 

u  Herculis    .    . 

13.6 

-33  12 

4.6 

6.4 

Irr. 

1809 

Schmidt 

Z  Ophiuchi  .    . 

14.5 

-  1   37 

8.4 

12.6 

348 

1894 

Fleming 

RS  Herculis.    . 

17.5 

-23     1 

8.0 

11 

220 

1895 

Anderson 

SW  Scorpii  .     . 

18.1 

—43  44 

— 

— 

— . 

1901 

Fleming 

Nova  Ophiuchi 

24.6 

—21  24 

>1 

? 

— 

1604 

R 

S  Octantis     .    . 

25.9 

-86  46 

8.2 

11.6 

265 

1892 

Fleming 

—  Arae    .    .    . 

32.5 

—53  37 

— 

— 

— 

1898 

BaUey 

V  Pavoniß     .    . 

34.7 

—57  40 

8.3 

9.8 

— 

1898 

Wells 

RU  Scorpii   .    . 

35.1 

—43  42 

9.3 

132 

373 

1895 

Fleming 

—  Scorpii     .    . 

35.7 

—86  12 

10.7 

12.1 

— 

1901 

Fleming 

SXScorpü    .    . 

40.8 

—86  40 

9,6 

11.1 

— 

1901 

Fleming 

WPavonis    .    . 

41.1 

-62  22 

9.1 

<12.8 

— 

1898 

Fleming 

X  SagittarU  .    . 

41.3 

—27  48 

4.4 

6.4 

7.0  + 

1866 

Schmidt 

SV  Scorpii    .    . 

41.6 

—35  40 

9 

<11.4 

245 

1899 

Innes 

RYScorpü   .    . 

44.3 

—88  40 

7.5 

9.0 

89.1  + 

1896 

(Cordoba) 

RS  Ophiuchi     . 

44.8 

—  6  40 

— 

— 

•" 

1901 

Fleming 

ÜArae     .    .    . 

46.7 

-51  40 

8.9 

12.4 



1898 

Fleming 

Fizateme. 


121 


Jahr  der 

Vane 

R.A.19M 

Dm.  1900 

Max. 

Min. 

Periode 

Bnt- 
deokung 

b      m 

O         / 

d 

TOpMuehi  .    . 

17    47.3 

—  6     7 

6.1 

6.6 

17.1  + 

1888 

Sawyer 

YAra«     . 

47.8 

—48  17 

9.7 

<12.3 

— 

1901 

Fleming 

WArae    . 

49^ 

—49  47 

— 

— 

-^ 

1901 

Fleming 

8  Arae 

51.4 

—49  26 

8.9 

9.7 

R 

1900 

(Cape) 

—  Ophiuebi 

51.7 

+11  10 

9.2 

<10,1 

— 

1901 

Anderson 

ZHeraülB    . 

68.6 

+16     9 

7.1 

7.9 

8.9  + 

1891 

M.  und  K. 

TDraoonis 

54.8 

<-58  14 

7.6 

12.2 

435? 

1894 

Espin 

—  SagitUrii 

56.0 

—26  17 

— 

— 

— 

1890 

Eapteyn 

RY  HereuUs 

55.4 

- -19  29 
--54  58 

9 

14 

— 

1899 

Anderson 

YDraoonIs  .    . 

66.3 

9.8 

14.1 

268? 

1900 

Anderson 

WCoroii.Aii8t.. 

58.2 

—39  20 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

WSagittarU      . 

58.6 

-29  35 

4.8 

6.1 

7.6  + 

1866 

Schmidt 

RW  HeroiiliB     . 

18      1.7 

+22    4 

9 

<12 



1895 

Becker 

X  GoTon.  Amt  . 

2.6 

—45  26 

— 

— 



1901 

Fleming 

R  FayoniB     .    . 

3.8 

—63  38 

7.6 

9.0 

229 

1893 

Fleming 

W  Draeonis  .    . 

54 

-«6  56 

9.0 

<14 

_ 

1902 

(Oreenwiob) 

T  Heronlifl    .    . 

5.8 

-31     0 

7.9 

12.9 

164.8  + 

1867 

(Bonn) 

XDrtfeoniB  .    . 

6.8 

-66    8 

9.Ö 

14 

— 

1902 

(Greenwioh) 

Y  Goron.  Anst  . 

7.2 

—42  58 

11^ 

18.1 

— 

1901 

Fleming 

RSSagittarU     . 

11.0 

-34     8 

6.7 

68 

2.4  + 

1874 

Gould 

WLyrae  .    .    . 

11.6 

+86  38 

7.6 

12.5 

200 

1896 

Anderson 

—  Serpenti» .    . 

13.6 

—16  39 

8.6 

9.1 

_ 

1901 

Fleming 

Y  Sagittarii  .    . 

16.5 

—18  54 

6.4 

6.2 

6.7  + 

1886 

Sawyer 

—  SagittarU     . 

18.4 

—24  65 

— 

— 

1897 

Bailey 

T  TelesoopU .    . 

19.0 

—49  42 

U.S 

<12.7 

— 

1901 

Fleming 

RVSagittarii    . 

21.4 

—33  23 

8.2 

12.8 

320 

1895 

Fleming 

dSerpentU  .    . 

22.1 

+  08 

— 

— 

— 

1891 

B 

—  Coron.Aust. 

23.7 

-46     2 

11.0 

12.7 

1901 

Fleming 

TSerpentia  .    . 

28.9 

+  6  14 

9.1 

<13.6 

342  8 

1860 

Baxendell 

SSSagittarii     . 

24.6 

—16  58 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

BX  Heroulia     . 

26.0 

+12  82 

7.0 

7.6 

0.8  + 

1898 

Sawyer 

ü  Sagittarii  .    . 

26.0 

—19  12 

6.6 

7.8 

6.7  + 

1866 

Schmidt 

TLTrae    .    .    . 

28.9 

+86  66 

7.2 

7.8 

1876 

Birmingham 

^SagittarU 

80.3 

-23  59 

— 

— 



1896 

BaUey 

RZHAroiüis.    . 

32.7 

+25  68 

9 

12 

840? 

1900 

Geraski 

X  Ophiueta  .    . 

33.6 

--  8  44 

6.8 

9.0 

886 

1886 

Bspin 

YLyrae   .    .    . 

34.2 

•  •43  52 

11.S 

123 

0.5  + 

1900 

WiUiams 

U  Goron.  Au8t.  . 

34.3 

•-«87  56 

8.9 

<11.7 

146 

1896 

Fleming 

—  Coroa.  Außt . 

38.7 

—38  52 



... 

— 

1898 

Fleming 

Y  Goron.  AuBt  . 

40.7 

—88  16 

9 

<10 

— 

1896 

(Cordoba) 

T  Aquilae     .    . 

40.9 

+  8  38 

8.8 

10.0 

Irr. 

1860 

Winnecke 

RScuti     . 

42.2 

--  6  49 

4.8 

7.8 

Irr. 

1795 

Pigott 

—  lyme  . 

42.2 

+43  32 

9.0 

<12 

— 

1902 

Williams 

SSeuti     . 

44.9 

-  8     1 

6 

8 

— 

— 

R 

ßJ^yna    . 

46.4 

+33  16 

3.4 

4.1 

12.9 -f 

1784 

Gk>odricke 

»  Pavonia 

46.6 

^67  21 

3.8 

6.2 

9.0  4- 

1872 

Thome 

UScatf     . 

48.9 

—12  44 

9.1 

9.6 

R 

1901 

L.  Geraski 

TScuti     . 

60.0 

—  8  18 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

R  Lyrae    . 

62.3 

+43  49 

4.0 

4.7 

46.4 

1866 

Baxendell 

^  Goron.  AuBt. 

52.8 

-86  46 

— 

— 

1897 

Bailey 

BGoronuAnat.  . 

54.4 

—87     6 

>9.6 

13 

— . 

1866 

Schmidt 

R  Goron.  Auat  . 

66.2 

—37     6 

10.2 

<11^ 

89.2 

1865 

Schmidt 

T  Goron.  Attst  . 

66.2 

-87    6 

>9.8 

18 

— 

1876 

Schmidt 

ST  Sagittarii     . 

56.9 

—12  64 

7 

<io 

— 

1901 

Fleming 

ZLyrae    .    .    . 

66.0 

+84  49 

9 

tt 

290 

1900 

WilUams 

Nova  Sagittarii 

66.2 

—18  18 

4.7 

<1S 

— 

1899 

Fleming 

SUSagittarU     . 

67.7 

—22  61 

^- 

— 

— 

1901 

Fleming 

BT  Lyrae     .    . 

67.8 

+87  22 

10.6 

<12.0 

240 

1902 

Williams 

VAquilM 

• 

1         6^.1 

-  6  60  J 

6.6 

84) 

Irr. 

— 

R 

122 


Fixsterne. 


Name 


R.A.ieoo 


—  Teleecopii 
U  Telescopii . 
R  Aquilae 

T  Aquilae 

—  Paronis  . 
VLyrae  .  . 
RW  Sagittarii 
RX  Sagittarii 
XLyrae  . 
SLyrae  . 
Rü  Lyrae 
RS  Lyrae . 
U  DraoonlB 
W  Aquilae 
RT  Sagittarii 
T  Sagittarii 

y  Telescopii 
RSagittarU 
RV  Lyrae 
TZCygni. 
S  Sagittarii 
Z  Sagittarii 
USagittae 
Nova  Aquilae 
ü  Lyrae  . 
T  Sagittae 
RR  Lyrae 
U  Aquilae 
— -  Draconis 

—  Cygni  . 
üVCygni 

—  Sagittarii 
TY  Oygni 

U  Yulpeoulae 
RT  Aquilae  . 

—  Sagittarii 
RCygni    . 
RV  Aquilae 
TT  Cygni . 
T  Pavonis 

—  Sagittarii 
RT  Cygni 
Sü  Cygni 
SY  Cygni 
W  Telescopii 
TU  Cygni 

11  Yulpeculae 
S  Yulpeculae 
X  Aquilae  . 
X  Cygni  .  . 
S  Pavonis  . 
lyAquilae 
RR  Sagittarii 
S  Sagittae  . 
Rü  Sagittarii 
RR  Aquilae  . 
RS  Aquilae  . 
S  Telescopii  . 
Z  Cygni    .    . 


h 
19 


m 

0.1 

0.6 

1.6 

2.3 

2.0 

5.2 

8.1 

8.7 

9.0 

9.1 

9.1 

9.3 

9.9 

10.0 

10.0 

10.6 

10.6 

10  8 

12.6 

13.4 

13.6 

13.8 

14.4 

16.3 

16.6 

17.2 

22.3 

24.0 

25.1 

25.8 

28.0 

28.6 

29.8 

32.3 

33.3 

33.7 

34.1 

36.9 

37.1 

39.6 

40.6 

40.8 

40.8 

42.7 

43.1 

43.3 

43.6 

44.3 

46.6 

46.7 

46.8 

47.4 

49.7 

61.6 

61.8 

62.4 

63.7 

68.4 

58.6 


Dez.  1900 


—48  44 
—49  4 
+  85 
-hlO  55 
—60  8 
+29  30 
—19  2 
—18  69 
+26  36 
+26  60 
+41  8 
+33  16 
+67     7 

—  7  13 
—33  42 
—17  9 
—60  38 
—19  29 
+32  16 
+50  0 
—19  12 
—21  7 
+19  26 

—  0  19 
+37  42 
+17  28 
+42  36 

—  7  16 
+76  28 
+46  60 
+43  26 
—16  36 
+28  6 
+20  7 
-f-11  29 
—31  10 
+49  68 
+  9  42 
+32  23 
—72  1 
—41  26 
+48  82 
+29  1 
+32  28 
—60  16 
+48  49 
+27  4 
+27  2 
+  4  12 
+32  40 
—69  27 
+  0  46 
—29  27 
+16  22 
—42     7 

—  2  11 

—  8  10 
—65  50 
+49.46 


6.8 


9.2 

9.7 

9.9 

8 

9.5 

11 

10 
9.0 
7.6 
6.6 
6.6 
9.j? 
6.9 

11.0 
9 

9.1 
8.6 
6.6 
7 

8.3 
8.3 
7,2 
6.2 


10 
6.8 
9 

6.6 
9 

8.7 
7,6 

7 
6.2 

10 
9.8 
9 
8 

8.4 
9,5 
4.6 
8.0 
8.7 
7.6 
6.6 
9 
8.4 

10.0 
9 
7.1 


Min. 


<12 


16.6 

11.1 

18.8 

10 

16 

<12 

<12 
136 
11.2 

<11.0 
8.1 
10,6 
11.2 
12.8 
11 
14.6 

<12 
9 

<18 

<11 
9.9 
8.1 
6.9 


9 

7.6 
<18 

13.9 
<12 
10.8 
12.1 

UM 
7.0 

<i2 

18,1 
<13 

? 

10.0 
<12.8 

13.6 

9.6 

4.5 

<12.6 

6.1 

18.1 
<12.8 
<12.4 

11 
-    13 


I  Jahr  der  i 

Periode         Ent-     { 

deckung  ' 


360.6  + 


871 

820? 

430 

R 
296? 
834 
490? 
Irr. 
884 

268.7  -4- 
8.6  + 

230.6 
452 
8.3  + 

467 

166? 
0.6  + 
7.0  + 


362 

7.9  + 
830 

426.7 
120? 

248 

191 
8.8  + 

6.0  + 

218 

67.5 
348 

406.0  + 
389 

7.1  + 
888 

8.3  + 
239 
899 


266 


1901 
1901 
1856 

1897 
1895 
1896 
1896 
1897 
1893 
1902 
1901 
1897 
1893 
1896 
1863 
1901 
1858 
1902 
1901 
1860 
1888 
1901 
1900 
1894 
1886 
1901 
1886 
1896 

1899 
1901 
1900 
1897 
1897 
1898 
1852 
1900 
1898 
1896 
1901 
1890 
1897 
1900 
1901 
1900 
1670 
1862 
1894 
1686 
1894 
1784 
1892 
1886 
1891 
1896 
1896 
1896 
1887 


Entdecker 


Fleming 
Fleming 
(Bonn) 

R 
Bailey 
Anderson 
Fleming 
Fleming 
Espin 
Espin 
Williams 
L.  Ceraski 
Anderson 
De  Ball 
Markwlck 
Pogson 
Fleming 
Pogson 
Williams 
Anderson 
Pogson 
Peters 
Schwab 
Fleming 
Espin 
Espin 
Fleming 
Sawyer 
Backhouse 

R 
Deichmüller 
Wells 
WiUiams 
M.  und  K. 
Anderson 
Bailey 
Pogson 
Anderson 
Wells 
Fleming 
Fleming 
Fleming 
M.  und  K. 
L.  Ceraski 
Fleming 
Hisgen 
Anthelm 
Bazendell 
Fleming 
Kirch 
Fleming 
Pigott 
Fleming 
Gore 
Fleming 

B 
Fleming 
Kapteyn 
Espin    . 


Fixsterne. 


123 


Name 


—  Cygni  . 

—  Sagittarii 
X  Pavonis 
SCygni    . 
SWCyg:ni 
R  Oaprieomi 

RYCygni 
8  Aquilae 
RW  Aquilae 
R  Telescopii 
RXGygni 
RU  Aquilae 
RZ  Sagittarii 
W  Gaprleomi 
RSagittae     . 
RSC^gni. 
Z  Aquilae 
R  Delphin!    . 
RT  S^ttarii 
X  Teleacopii 
RT  Gaprieomi 
SXCygni 
Y  Teleseopii . 
PQygnl    .    . 

—  Sagittae  . 
VCygni  ,  , 
UWQygni  . 
T  Microecopii 
ü  lücrosoopii 
RWCygni  . 
RU  Gaprieomi 

—  Delphin!  . 
8Z  Gygni  .  . 
STGygni.  . 
TV  Gygni.  . 
W  Delphin!  . 
R  HioroBeopi! 

—  Delphin!  . 
VCygni  .  . 
8  Delphin!  . 
T  Aquari! 
XCygni  .  . 
T  Delphin!  . 
ü  Delphin!  . 
W  Aqnarii    . 

V  Aquari! 
RRQygn! 

U  Capricorni 
TCygni    . 

V  Delphin!  . 
T  Aquari! 

T  Vttlpeculae 

U  Pavonis  . 

—  Cygn!  .  . 
YCygni    .  . 
RZ  Gygni 
Sind!.    .  . 
X  Delphin!  . 


Jahr  der 

ILA.  1900 

Dm.  1900 

Haz. 

Ifin. 

Periode 

Ent- 
deckung 

Entdecker 

h       m 

o        / 

d 

20      0.8 

+36  32 

8.0 

9.2 

— 

1894 

Espin 

0.8 

—27  81 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

3.4 

—60  14 

9.0 

10.2 

— 

1898 

Fleming 

8.4 

+57  42 

+46     1 

9.2 

<14.7 

322.8  H- 

1860 

(Bonn) 

3.8 

9.0 

11.7 

4.6  + 

1899 

Gerask! 

5.7 

—14  34 

8.8 

<18 

845? 

1848 

Hind 

6.6 

+47  35 

8 

9 

Irr. 

1886 

Espin 

6.6 

+85  39 

8.6 

9.6 

— 

— 

R 

7.0 

+16  19 

8.4 

11.8 

146.7 

1863 

Baxendell 

7.3 

+16  46 

8.4 

9.2 

7.8  + 

1899 

Parkhurst 

7.7 

-47  18 

8.4 

11.6 

372 

1896 

Fleming 

7.8 

+47  31 
+12  42 

7.5 

8.3 

Irr.? 

1893 

Deichmüller 

8.0 

8.6 

14.6 

266? 

1898 

Anderson 

8.6 

—44  43 

9.0 

<11.4 

— 

1897 

Stewart 

8.6 

—22  17 

10.2 

<14.7 

207.7 

1872 

Peters 

9.6 

+16  25 
+38  28 

8.6 

10.4 

70.6  + 

1869 

Baxendell 

9.8 

6.7 

8.4 

Irr. 

1887 

Espin 

9.8 

—  6  27 

8.8 

13 

130 

1894 

De  Ball 

10.1 

+  8  47 

7.6 

13.0 

285.5 

1861 

Hencke 

11.1 

—39  26 

7.7 

10.7 

301 

1890 

Fleming 

11.2 

—62  66 

10.5 

12.9 

— 

1901 

Fleming 

11.2 

—21  38 

8.6 

10.4 

— 



R 

11.6 

+30  46 

9 

14.5 

.— 

1899 

Anderson 

12.9 

—61     1 

8.1 

9.7 

— 

1901 

Fleming 

14.1 

-37  43 

3.5 

<6 

— 

1600 

Jansen 

16.8 

-20  47 

9.5 

11.6 

— 

1902 

L.  Ceraski 

16.6 

-47  36 

6.7 

10.8 

463.6  + 

1871 

Knott 

19.6 

-42  66 

10 

12 

3.4  + 

1901 

WUUams 

21.8 

—28  36 

7.4 

8.4 

1896 

Fleming 

22.6 

—40  46 

8.5 

<12.5 

326 

1898 

Fleming 

25.2 

+39  39 

7.7 

10.5 

— 

1886 

Espin 

26.7 

—22     2 

9 

<12 

363? 

1901 

Innes 

28.1 

hl7     6 

9 

11 

— 

1902 

L.  Ceraski 

29.6 

-46  16 

8 

10 

16.0  + 

1900 

WiUiams 

29.9 

-64  38 

9 

14 

344? 

1898 

Espin 

80.0 

-16  13 

9 

10 

— 

1900 

Eöhl 

33.1 

-17  66 

9.4 

12.1 

4.8  + 

1896 

Welle 

34.0 

—29     9 

9.2 

<11.7 

138.8 

1894 

Fleming 

86.8 

+11  30 

— 

— 

— 

1902 

Anderson 

38.1 

--47  47 

8.3 

13.6 

418 

1881 

Birmingham 

38.6 

+16  44 

8.4 

12.0 

277.6 

1860 

Baxendell 

39.2 

—  6  12 

8.8 

<18 

379 

1896 

Becker 

39.5 

4-36  14 

6.0 

7.0 

18.3  + 

1886 

Chandler 

40.7 

4-16     2 

8.2 

<18 

381.2 

1863 

Baxendell 

40.9 

+17  44 

6.4 

7.3 

Irr. 

— 

R 

41.2 

—  4  27 

83 

9.6 

881 

1891 

Fleming 

41.8 

+  24 

8.1 

9.3 

240 

1891 

De  Ball 

42.6 

-H4  30 

8.1 

9.7 

Irr. 

1888 

Espin 

42.6 

—16    9 

10.2 

<18 

202.6  + 

1867 

Pogson 

43.2 

+34     0 





1864 

Schmidt 

43.2 

-1-18  58 

7.8 

<12 

640 

1891 

Fleming 

44.7 

—  6  31 

6.7 

13.0 

203.3  + 

1861 

Ctoldsohmidt 

47.2 

+27  62 

6.6 

6.2 

4.4  + 

1885 

Sawyer 

47.2 

—63     5 

9.6 

<12.2 

277 

1896 

Fleming 

47.4 

+45  60 

12 

13 

— 

1893 

Wolf 

48.1 

-i-34  17 

7.1 

7.9 

1.4  + 

1886 

Chandler 

48.6 

-f-46  69 

9.1 

13 

280? 

1893 

Espin 

49.0 

—64  42 

8.4 

<12.4 

406.7 

1895 

Fleming 

60.3 

H 

-17  16 

8 

<13 

276? 

1896 

Anderson 

122 


Fixsterne. 


Name 


R.  A.  1900 


—  Telescopii 
U  Telesoopii . 
R  Aquilae 

T  Aquilae 

—  Pavonis  . 
VLyrae  .  . 
RW  Sagittarii 
RX  Sagittarii 
XLyrae  .  . 
S  Lyrae  .  . 
RU  Lyrae 
RS  Lyrae .  . 
UDraoonis  . 
W  Aquilae  . 
RT  Sagittarii 
T  Sagittarii  . 
VTeleBCopii . 
R  Sagittarii  . 
RV  Lyrae 
TZ  Cygni .  . 
S  Sagittarii  . 
Z  Sagittarii  . 
U  Sagittae  . 
Nova  Aquilae 
ü  Lyrae  .  . 
T  Sagittae  . 
RR  Lyrae 

U  Aquilae 

—  Draconls  . 

—  Cygnl  .  . 
UV  Cygnl      . 

—  Sagittarii 
TY  Cygnl 

U  Vulpeculae 
RT  Aquilae  . 

—  Sagittarii 
R  Cygnl    .    . 
RV  Aquilae  . 
TT  Cygnl.    . 
T  Pavonls 

—  Sagittarii 
RT  Cygnl 
SU  Cygnl 
SY  Cygnl      . 
W  Telescopii 
TU  Cygni 

11  Vulpeculae 
S  Vulpeculae 
X  Aquilae 
X  Cygni    .     . 
S  Pavonis     . 
lyAquilae 
RR  Sagittarii 
S  Sagittae     . 
RU  Sagittarii 
RR  Aquilae  . 
RS  Aquilae  . 
S  Telescopii  . 
Z  Cygni    .    . 


h 
19 


m 

0.1 

0.6 

1.6 

2.3 

2.0 

5.2 

8.1 

8.7 

9.0 

9.1 

9.1 

9.3 

9.9 

10.0 

10.0 

10.6 

10.6 

10  8 

12.6 

13.4 

13.6 

13.8 

14.4 

15.3 

16.6 

17.2 

22.3 

24.0 

25.1 

26.8 

28.0 

28.6 

29.8 

32.3 

33.3 

33.7 

34.1 

36.9 

37.1 

39.6 

40.6 

40.8 

40.8 

42.7 

43.1 

43.3 

43.6 

44.3 

46.6 

46.7 

46.8 

47.4 

49.7 

61.6 

61.8 

62.4 

63.7 

68.4 

68.6 


Dm.  1900 


—48  44 
—49  4 
+  86 
+10  66 
—60  8 
+29  30 
—19  2 
—18  69 
+26  36 
+26  60 
+41  8 
+33  16 
+67     7 

—  7  13 
—33  42 
—17  9 
—60  38 
—19  29 
+32  16 
+60  0 
—19  12 
—21  7 
+19  26 

—  0  19 
+37  42 
+17  28 
+42  36 

—  7  16 
+76  28 
+46  60 
4-43  26 
—16  36 
+28  6 
+20  7 
+11  29 
—31  10 
+49  68 
-f  9  42 
-j-32  23 
—72  1 
—41  26 
+48  32 

t29  1 
32  28 
—60  16 
+48  49 
+27  4 
+27  2 
+  4  12 
-i-32  40 
—69  27 
+  0  46 
—29  27 
+16  22 
—42     7 

—  2  11 

—  8  10 
—65  50 
+49^46 


Max. 


Min. 


Periode 


I  Jahr  der 
I      Ent- 
deckniiK 


5.8 


9.2 

9.7 

9,9 

8 

9.6 

n 

10 
9.0 
7.6 
6.6 
6.6 
9^ 
6.9 

11.0 
9 

9.1 
8.6 
6.6 
7 

8.3 
8.3 
7.2 
6.2 


10 

6.8 
9 

6.6 
9 

8,7 
7.6 

7 
6.2 

10 
9.8 
9 
8 

8.4 
9.5 
4.6 
8.0 
3.7 
7.5 
6.6 
9 
8.4 

10.0 
9 
7.1 


d 

<12 

360.6  + 

16.6 

871 

11.1 

— 

13.8 

820? 

10 

— 

16 

480 

<ia 

R 

<12 

296? 

186 

S34 

11.2 

490? 

<11.0 

Irr. 

8.1 

384 

10.6 

— 

11.2 

268.7  4- 

12.8 

8.6  + 

11 

— 

14.6 

280.6 

<12 

462 

9 

3.8  + 

<18 

<11 

467 

9.9 

166? 

8.1 

0.6  + 

6.9 

7.0  + 

9 

^■~ 

<u 

862 

7.6 

7.9  + 

<13 

880 

18.9 

426.7 

<12 

120? 

10.8 

_ 

12.1 

248 

11.6 

191 

7.0 

8.8  + 

<ia 

6.0  + 

18.1 

— 

<13 

218 

? 

— 

10.0 

67.6 

<ia.8 

348 

18.6 

406.0  + 

9.6 

889 

4.6 

7.1  + 

<12.6 

388 

6.1 

8.3  + 

18.1 

239 

<ia.s 

399 

<12.4 

— 

11 

— 

-     13 

266 

1901 
1901 
1866 

1897 
1896 
1896 
1896 
1897 
1893 
1902 
1901 
1897 
1893 
1896 
1863 
1901 
1868 
1902 
1901 
1860 
1888 
1901 
1900 
1894 
1886 
1901 
1886 
1896 

1899 
1901 
1900 
1897 
1897 
1898 
1862 
1900 
1898 
1896 
1901 
1890 
1897 
1900 
1901 
1900 
1670 
1862 
1894 
1686 
1894 
1784 
1892 
1886 
1891 
1896 
1896 
1896 
1887 


Entdecker 


Fleming 
Fleming 
(Bonn) 

R 
BaUey 
Anderson 
Fleming 
Fleming 
Espin 
Espin 
WUUams 
L.Ceraski 
Anderson 
DeBaU 
Markwiok 
Pogson 
Fleming 
Pogson 
Willlanu 
Anderson 
Pogson 
Peters 
Schwab 
Fleming 
Espin 
Espin 
Fleming 
Sawyer 
Backhonse 

R 

Deichmüller 

Wells 

WUUams 

M.  undK. 

Anderson 

BaUey 

Pogson 

Anderson 

Wells 

Fleming 

Fleming 

Fleming 

M.  und  K. 

L.  Ceraski 

Fleming 

Hisgen 

Anthelm 

BaxendeU 

Fleming 

Kirch 

Fleming 

Plgott 

Fleming 

Gore 

Fleming 

R 
Fleming 
Kaptayn 
1  Espin 


Fixsterne. 


123 


Jahr  der 

Name 

R.A.1900 

Dei.  1900 

Haz. 

Min. 

Perlode 

Ent- 
deckttns: 

Entdecker 

h       m 

O         1 

d 

-Qygni  .     . 

20      0.8 

+36  32 

8.0 

9.2 

— 

1894 

Espin 

—  Sagittarii 

0.8 

—27  31 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

X  PaTonifl     .     . 

3.4 

—60  14 

9.0 

10^ 

— 

1898 

Fleming 

QCygDi    .     .     . 

8.4 

+67  42 
+46     1 

9.2 

<14.7 

822.8  + 

1860 

(Bonn) 

SWCygnl      .     . 

8.8 

9.0 

11.7 

4.6  + 

1899 

Ceraski 

R  Capnoorni 

6.7 

—14  34 

8.8 

<13 

346? 

1848 

Hind 

87  Gygni .     .     . 

6.6 

+47  36 

8 

9 

Irr. 

1886 

Espin 

RYCygni      .     . 

6.6 

--35  39 

8.6 

9.6 

— 

— 

R 

SAquUae      .     . 

7.0 

--16  19 

8.4 

11.8 

146.7 

1863 

Baxendell 

RWAquUae.     . 

7.8 

+15  46 

8.4 

9.2 

7.8  + 

1899 

Parkhurst 

RTelescopii.     . 

7.7 

-47  18 

8.4 

11.6 

372 

1895 

Fleming 

RXCygni      .     . 

7.8 

+47  31 
-1-12  42 

7.6 

8.3 

Irr.? 

1893 

Deichmüller 

RüAquilae  .     . 

8.0 

8.6 

14.6 

266? 

1898 

Anderson 

RZ  Sagittarii     . 

8.6 

—44  43 

9.0 

<11.4 

— 

1897 

Stewart 

WCapricsomi   . 

8.6 

—22  17 

10.2 

<U.l 

207.7 

1872 

Peters 

R  Sagittae     .     . 

9.6 

+16  26 
+38  28 

8.6 

10.4 

70.6  + 

1869 

Baxendell 

RSCygni. 

9.8 

6.7 

8.4 

Irr. 

1887 

Espin 

ZAquUae      .     . 

9.8 

—  6  27 

8.8 

13 

130 

1894 

De  Ball 

RDelphlTii    .     . 

10.1 

+  8  47 

7.6 

13.0 

286.6 

1861 

Hencke 

RT  Sagittarii     . 

11.1 

—39  26 

Z7 

10.7 

301 

1890 

Fleming 

XTelescopii 

11.2 

—62  66 

10.5 

12.9 



1901 

Fleming 

RTCapricomi  . 

11.2 

—21  38 

8.6 

10.4 





R 

SXOygni      .     . 

11.6 

+30  46 

9 

14.6 



1899 

Anderson 

Y  Teleacopii  .     . 

12.9 

—61     1 

8.1 

9.7 

— 

1901 

Fleming 

PCygni    .     .     . 

14.1 

- 

-37  43 

3.6 

<6 

— 

1600 

Janson 

—  Sagittae    .    . 

16.8 

- 

-20  47 

9,5 

UM 



1902 

L.  Geraski 

ÜCygni    .     .     . 

16.6 

- 

-47  36 

6.7 

10.8 

463.6  + 

1871 

Knott 

UWCygni     .     . 

19.6 

- 

-42  66 

10 

12 

3.4  + 

1901 

WUUams 

TMicroBcopii    . 

21.8 

—28  36 

7.4 

8.4 

1896 

Fleming 

ÜMicroBcopli   . 

22.6 

—40  46 

8.5 

<12.5 

326 

1898 

Fleming 

RWCygni     .     . 

26.2 

+39  39 

7.7 

10.6 

— 

1886 

Espin 

RUCapricorni. 

26.7 

—22    2 

9 

<12 

363? 

1901 

Innes 

—  Delphinl  .    . 

28.1 

+17     6 

9 

11 

— 

1902 

L.  Geraski 

SZOygni.     .    . 

29.6 

-f-48  16 

8 

10 

16.0  + 

1900 

WiUiams 

STCygni.     .    . 

29.9 

--64  38 

9 

14 

844? 

1898 

Espin 

TVCygni.    .    . 

30.0 

--46  18 

9 

10 



1900 

Kohl 

WBelphiiü  .    . 

33.1 

+17  66 

9.4 

12.1 

4.8  + 

1896 

WeUs 

RMicroflcopii   . 

84.0 

—29     9 

9^ 

<11.7 

138.8 

1894 

Fleming 

-Delpbini  .    . 

86.8 

+11  30 

— 

^- 

— 

1902 

Anderson 

VCyjpai    .     .    . 

38.1 

--47  47 

8.3 

13.6 

418 

1881 

Birmingham 

SDelphini    .    . 

38.6 

+16  44 

8.4 

12.0 

277.5 

1860 

Baxendell 

YAquarii     .    . 

39.2 

—  6  12 

8.8 

<13 

879 

1896 

Becker 

JS^   •    •    • 

89.5 

4-36  14 

6.0 

7.0 

16.3  + 

1886 

Ghandler 

TDelphini    . 

40.7 

-hl6     2 

8.2 

<13 

381.2^ 

1863 

Baxendell 

UDelphlni    .    . 

40.9 

+17  44 

6.4 

7.3 

Irr. 



R 

WAquarii    .    . 

41.2 

—  4  27 

8.8 

9.6 

881 

1891 

Fleming 

V  Aquarii     .    . 

41.8 

+  24 

8.1 

9.3 

240 

1891 

De  Ball 

RRCygni 
jCapricorni     \ 

42.6 

-h44  30 

8.1 

9.7 

Irr. 

1888 

Espin 

42.6 

—16     9 

10.2 

<13 

202.6  + 

1867 

Pogson 

43.2 

+34     0 





1864 

Schmidt 

▼Delphin! 

T  Aquarii     .    .' 

J'^ulpeculae    . 

48.2 

+18  68 

7.5 

<12 

640 

1891 

Fleming 

44.7 

-  6  31 

6.7 

13.0 

203.3  + 

1861 

Goldsohmidt 

47.2 

+27  62 

6.6 

6.2 

4.4  + 

1886 

Sawyer 

47.2 

—63     6 

9.6 

<12.2 

277 

1896 

Fleming 

7^^  •   •   • 

^Cygni 
Slndi.        '    • 
X  Delphin!  !    '. 

47.4 

+46  60 

12 

13 

— 

1893 

Wolf 

48.1 

+34  17 

7.1 

7.9 

1.4  + 

1886 

Ghandler 

48.6 

+46  69 

9.1 

13 

280? 

1893 

Espin 

49.0 

—64  42 

8.4 

<12.4 

406.7 

1896 

Fleming 

60.3 

H 

hl7  16 

8 

<18 

276? 

1896 

Anderson 

184 


Fixttome. 


Jahr  der 

Nan« 

R.A.1900 

Dei.  1900 

Max. 

Min. 

Periode 

Eat- 
deekong 

Botdeeker 

h       m 

o      , 

d 

UXGjgni     .     . 

20    60.9 

+  30    2 

9.7 

<is 

— 

1901 

Williams 

UY  Cygni     .    . 

52.3 

+  30    3 

9.6 

10.4 

0.6  + 

1902 

WiUianu 

RR  Gaprioorni  . 

56.4 

-27  29 

9 

<io 

240? 

1896 

(Gorddba) 

TX  Cygni     .    . 

56.4 

+  42  12 

8.6 

10 

14.7  + 

1900 

WiUiaina 

T  OctanÜB    .    . 

57.4 

—82  30 

9.0 

<12Ji 

206 

1896 

Fleming 

—  Cygni  ,    .    . 

58.9 

+  40  64 

— 

— 

— 

1901 

Dünne 

R  VulpecaUe    . 

69.9 

+  23  26 

7.6 

12.1 

136.9  + 

1868 

(Bonn) 

—  Gephei      .    . 

21      0.4 

+  67  28 

— 

' 

— 

— 

Perrine 

RSOaprieorni  . 

1.7 

—16  49 

8.1 

9.3 

— 

1898 

Fleming 

TW  Cygni    .    . 

1.8 

+  29     0 

9 

<12 

347 

1900 

WiUiams 

V  Caprioorni    . 

1.8 

—24  19 

9 

14? 

167.1  + 

1867 

Peters 

—  Cygni  .    .    . 

2.8 

+  46  23 

12.4 

18.7 

1.4  + 

1902 

L.Ceraski 

X  Caprioorni    . 

2.8 

—21  46 

9.6 

<16.2 

818.1  + 

1866 

Pogson 

XCephei.    .    . 

8.6 

+  82  40 

9.7 

<17 

486? 

1898 

CerasU 

Z  Caprioorni 

6.0 

—16  36 

9 

<13 

892? 

1886 

Borrally 

RSAqnarii  .    . 

6^ 

—  4  27 

9 

<u 

214 

1898 

Bamard 

—  Aquarii    .    . 

7.8 

—14  48 

8.4 

9M 

— 

1898 

Fleming 

T  Cephei  .    .    . 

82 

+  68     6 

6.1 

10.6 

887 

1878 

W.Ceraaki 

REquulei     .    . 

8.4 

+  12  28 

8 

<11 

818 

1900 

Anderson 

RR  Aquarii  .    . 

9.8 

—  3  19 

8 

18 

190.5 

1899 

Abeld 

TIndi.    .    .    . 

13.6 

—46  27 

7.2 

8.9 

— 

1898 

Wells 

X  Pegaai  .    .    . 

16.3 

+  14     2 

8.6 

13 

204? 

1898 

Anderson 

T  Caprioorni     . 

16.6 

—16  36 

8.8 

nA 

269.2 

1864 

Hind 

—  Cygni  .    .    . 

18.6 

+  41  67 

9 

10 

— 

1901 

DeiohmüUer 

SMicroeoopii    . 

20.8 

-30  17 

8.0 

11.6 

216.1 

1896 

Innes 

—  Pegasi.    .    . 

26.2 

+  11  44 

— 

— 

— > 

1897 

Bail^ 

Y  Caprioorni    . 

28.9 

—14  26 

10 

14? 

206 

1884 

Peters 

—  Aquarii    .    . 

28.8 

—  1  16 

^~ 

— 

— 

1896 

Bailey 

W  Cygni  .    .    . 

32.2 

+  44  66 

6.0 

6.7 

131.5 

1886 

Gore 

—  Caprioorni   . 

34.7 

-23  38 

— 

>-. 

— 

1896 

BaUey 

üü  Cygni     .    . 

36.7 

+  42  46 



— 

— 

1901 

Colson 

S  Cephei  .    .    . 

36.6 

+  78  10 

7.9 

13.1 

484 

1868 

Henoke 

RU  Cygni     .    . 

37.3 

+  63  62 

7.6 

9.2 

448 

1«90 

Espin 

Q  Cygni    •    .    . 

37.8 

+42  23 

3 

14.8 

— 

1876 

Sehmidt 

SS  Cygni.    .    . 

38.8 

+43     8 

8.4 

12.0 

Irr.? 

1896 

Wells 

RV  Cygni     .    . 

39.1 

+  37  34 

7.1 

9.8 

Irr. 

1886 

Safarik 

RRPegasi     .    . 

404) 

+  24  38 

9 

<12 

— 

1901 

Anderson 

^Cephei  .    .    . 

40.4 

+  68  19 

4? 

6? 

Irr. 

— 

R 

RGruis    .    .    . 

42.1 

—47  22 

8.4 

12.6 

334.8 

1896 

Fleming 

UZ  Cygni      .    . 

66.2 

+  43  62 

8.9 

11.6 

31.3  + 

1902 

Fleming 

VPegaai  .    .    . 

66.0 

+  6  38 

8.2 

<18.0 

306? 

1896 

Fleming 

U  Aquarii     .     . 

67.9 

—17     6 

9.6 

14? 

268 

1881 

Peters 

BPisoisAust    . 

68.0 

—28  38 

8.7 

<11 

272 

1891 

Holetsobek 

—  Pegasi.    .    . 

69.8 

+34  38 

9.6 

10.8 

R 

1902 

Anderson 

TPegaei  .    .    . 

22      4.0 

+  12     8 

8.6 

<13 

873 

1863 

Hind 

^Ootantia   .    . 

6.7 

-86  10 

^> 

— 

— 

1901 

Fleming 

YPegaai  .    .    . 

6.8 

+  13  62 

9 

<10 

R 

1900 

Anderson 

RSPegaii     .    . 

7.4 

+  14    4 

8 

<10 

— 

1908 

Graft 

RPisdaAuat    . 

12.3 

—30    6 

8.6 

<a.6 

292.6 

1884 

Gould 

X  Aquarii     .    . 

13.2 

—21  24 

8.4 

11.6 

311 

1896 

Fleming 

—  Aquarii    .    . 

16.6 

—  8     7 

— 

— 

— 

1898 

Fleming 

RT  Aquarii  .    . 

17.7 

—22  34 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

TLaoertoe    .    . 

17.9 

+  33  62 

9 

<12 

— 

1897 

DeiohmüUer 

TGruit    .    .    . 

19.8 

—88     4 

8.6 

11.0 

141 

1896 

Fleming 

SGruifl     .    .    . 

19.9 

—48  67 

7.2 

123 

410 

1896 

Fleming 

TPisoisAuBl    . 

20.6 

-29  86 

— 

— 

— 

1901 

Fleming 

SLaoertee    .    . 

24.6 

+  89  48 

9.6 

<12.9 

233 

1891 

Fleming 

JCephei  .    .    . 

26.4 

+67  64 

8.7 

4.6 

6.8  + 

1784 

Goodrieke 

BlncU.    .    .    . 

28.9 

—67  48 

8 

12.5? 

208 

1884 

Gould 

Fixsterne. 


125 


1 

Jtlirder 

Nune 

R.A.1900 

Dez.  1900 

V»x. 

Min. 

Periode 

deoknng 

Entdecker 

■    " 

h       m 

O        ; 

~ 

—t 

'■  " 

WCephei     .    . 

22    82.6 

+57  64 

7.8 

8.8 

6.4  + 

1886 

Espin 

BLaoertae   ,    • 

8$.a 

--41  61 

8.4 

<18.6 

299.8 

X9$» 

DeiobniUler 

ULaeerUe   .    . 

49.6 

-f  54  38 

8 

— 

-r- 

}894 

ßspin 

S  Aqnarii      •    . 

61.8 

—20  53 

8 

14.2 

279.7 

1853 

Argelander 

^Pegaal    .    .    . 

68.9 

-4-27  82 

2.2 

2.7 

Irr. 

1847 

Behmldt 

^P6g«Ä.     .     . 

69.2 

-  -14  45 

8,8 

<X9,0 

— 

1901 

HokariBg 

RPegaai  .    •    . 

23      1.6 

4-^0    0 

7.6 

13.2 

88ao  + 

1848 

Hind 

Y  Sculptoris      . 

8.7 

—30  40 

7.8 

8.9 

Irr. 

1896 

Fleming 

VCawdopejae   • 

7.4 

4-69     8 

7.1 

12.4 

229 

1898 

Anderson 

WPegaai.    .    . 

14.8 

- -26  44 

7.6 

12.4 

841? 

1896 

Anderaon 

SPegasi   .    .    . 

16.6 

-f  8  22 

8.4 

12.9 

817.6 

^864 

Hartt) 

RUAquarii  .    . 

19.2 

—17  62 

8.8 

<;9.4 

-^ 

1901 

Fleminff 

Z  Andbromedae . 

28.8 

+48  16 

— 

— 

1901 

Fleming 

RAqnafii     .    . 

88.6 

—16  60 

6.2 

9.8 

887.1  + 

1811 

Hardlng 

ZCa88i<9eiae    . 

89.7 

+66    2 

9.6 

Xfi 

— 

W98 

Andesipm 

Z  Aquarii     .    . 

47.1 

—16  25 

841 

9J3 

216? 

1896 

Flemim; 

e  Caasiop^ae    . 

49.4 

+66  66 

— 

— . 

1901 

Wells 

—  Andromedae 

60.8 

+48    6 
+69  10 

9,8 

9.9 

.^ 

1898 

Ftoming 

RR  Caflsiopciae 

60.6 

9 

n 

1*7? 

iOQO 

AAderaon 

R  Ffaoenicis  ,    . 

51.8 

—60  21 

7.4 

12.01 

^70 

1884 

Goijld 

V  Cephei  .    .    . 

61.7 

+82  38 

6.2 

7.1 

860 

1882 

Chandlßr 

R  Tneanae    . 

62.2 

—66  66 

ie.2 

<12.6 

276 

1892 

Fleming 

V  Ceti  ...    . 

62.8 

—  9  81 

8.6 

14? 

261 

1679 

"MMn 

UPegaal  .    .    . 

62.9 

+16  24 
+50  60 

9,3 

?.P 

0.3  + 

189* 

Chai^dlflr 

ROasdopejae   . 

63.3 

6.8 

12.8 

429.6  + 

1858 

Po^on 

SPhoenidß  .    . 

68.9 

—67    8 

7.2 

8.7 

161.2 

1896 

Fleming 

ZPegaai  .    .    . 

66.0 

+26  21 

9 

<11.6 

— 

1901 

Fleming 

WCeti     .    .    . 

67.0 

—16  14 

8.4 

12.0 

860 

1894 

Skinner 

TCasBiopejae   . 

68.2 

+65    7 

9.8 

<18.4 

434? 

1898 

Fleming 

Der  Farbenweehsel  von  a  Ursae.  Der  französischen  astro- 
nomischen Gesellschaft  zu  Paris  hat  H.  E.  Lau  eine  Reihe  von  Be- 
obachtungen eingesandt  über  die  Farbe  von  a  im  großen  Bären.  ^) 
Er  bemerkt,  daß  vor  einem  Vierteljahrhundeit  Dr.  Klein  diesen 
Farbenwechsel  in  seinen  Beobachtungen  erkannt  ^^d  die  Periode 
desselben  auf  36  Tage  festgestellt  habe.  Diese  Schlüsse  seien  durch 
zahlreiche  Beobachtungen  von  W.  Weber  (zu  Peckeloh)  an  einem 
Refraktor  von  70  mm  Öffnung  bestätigt  worden.  Nach  diesem  letz-^ 
tem  Beobachter  schwanke  die  Färbung  von  a  Ursae  regelmäßig 
zwischen  gelblichweiß  und  feuerrot.  Dieses  Ergebnis  habe  jedoch 
Widerspruch  gefunden,  und  u.  a.  Safarik  behauptet,  die  Farben- 
änderung sei  nicht  vorhanden,  auch  ständen  die  Beobachtungen 
Webers  sehr  häufig  in  völligem  Widerspruche  piit  denjenigen,  welche 
am  Observatprium ,  zu  Odder  Prof.  Eoehl  erhielten  habe;  es  handle 
sich  lediglich  um  eine  physiologische  Erscheinung.  Um  diese  Frage 
VI  entBuheiden,  habe  Dr.  von  Konkoly,  der  in  besug  a^f  dep  lt>6haup- 
teten  Farbenweohsel  etwas  skeptiaab  war,  ^m  Kolofimeter  der  St^ip- 


^)  Bulletki  de  la  Soeiete  Mtro^QSiique  4a  FriMiQe  ISOQ  Mars  p.  )29. 


126  Fixsterne. 

warte  0-Gyalla  eine  Reihe  von  Messungen  veranlaßt,  welche  deutlich 
einen  regelmäßigen  Farbenwechsel  erkennen  ließen  und  die  Periode 
desselben  zu  54.5  Tagen  ergaben.  Nachdem  H.  E.  Lau  diese  Beob- 
achtungen in  den  Annalen  der  Sternwarte  0-Gyalla  kennen  gelernt 
hatte,  untersuchte  er  seine  eigenen  Farbenschätzungen  des  Sternes 
a  Ursae.  Diese  sind  an  dem  Fraunhof ersehen  Äquatorial  von  S^s 
Zoll  Objektivöffnung  der  Sternwarte  zu  Kopenhagen  bei  lOOfacher 
Vergrößerung  angestellt  worden.  Unter  den  4000  Beobachtungen 
über  die  Farben  der  Fixsterne,  welche  Lau  in  seinen  Beobachtungs- 
registern niedergelegt  hat,  fanden  sich  etwa  zwanzig  von  a  Ursae, 
die  sich  über  zwei  der  angenommenen  Perioden  desselben  erstrecken. 
Um  diese  Schätzungen  auf  Ziffern  zu  bringen,  hat  Lau  folgende 
Skala  angewandt :  Weiß  =  0 ,  gelblichweiß  =  1 ,  gelblich  =  2, 
gelb  =  3,  topasgelb  =  4,  orange  =  5,  rötlichgelb  =  6,  gelb- 
rot  =  7,  rotgelb  =  8,  gelblichrot  =  9,  rot  =  10.  Unter  den 
gleichzeitig  mit  a  Ursae  beobachteten  Sternen  fand  er  einige,  die 
sehr  geeignet  erschienen,  den  Einfluß  der  jeweiligen  persönlichen  Auf- 
fassung in  bezug  auf  die  Farbenschätzung  zu  korrigieren.  Es  sind 
folgende:  ß  Ursae  minoris  (Farbe  im  Mittel  =  5.0)  ^  Aurigae 
(Farbe  =  6.3),  i  Aurigae  (Farbe  =  5.2),  a  Tauri  (Farbe  =  5.9), 
ß  Qeminorum  (Farbe  =  3.8).  Die  auf  diese  Weise  gewonnenen 
Korrektionen  belaufen  sich  bis  zu  ±  0.8  Einheiten  der  Farbenskala, 
Folgendes  sind  diese  von  Lau  ermittelten  korrigierten  Farbenzahlen 
für  a  Ursae: 

1902  Farbenskala 

Januar     5 3.6 

11 3.9 

13 4.1 

15 2.8 

20 3.8 

Februar  18 5.3 

21 4.3 

März       11 3.1 

12 3.4 

22 3.1 

24 5.0 

25 5.7 

27 3.7 

April        7 3.9 

8 5.7 

10 4.6 

14 3.5 

15 .4.3 

Indem  er  diese  Daten  durch  eine  Kurve  darstellt,  findet  Lau, 
daß  ein  Minimum  um  den  20.  Januar,  ein  anderes  am  11.  März, 
ein  Maximum  der  Farbe  dagegen  am  11.  Februar  und  gegen  den 
2.  April    stattgefunden   habe.     Hiemach   schätzt  er   die   Dauer    der 


Fixsterne.  127 

Periode  zu  etwa  50  Tagen  und  die  Farbe  wechselnd  zwischen  gelb 
(2.8)  und  gelbröüich  (5.4).  Diese  geringe  Veränderung  im  Farben- 
tone ,  sagt,  Lau,  zeigt,  daß  Weber  die  Veränderung  übertrieben  hat, 
außerdem  ist  sie  wegen  ihres  kleinen  Betrages  sehr  schwer  aufzu- 
fassen und  würde  den  meisten  Beobachtern  entgehen,  weshalb  auch 
die  entgegengesetzten  Ansichten  darüber  verlautet  sind. 

Dr.  G.  Wirtz  veröffentlichte  ebenfalls  Beobachtungen  über  den 
Farbenwechsel  von  a  Ursae.  ^)  Dieselben  sind  in  den  Jahren  1898 
bis  1895  mit  großer  Sorgfalt  angestellt  worden  und  ergaben  mit 
zweifelloser  Sicherheit  eine  Periode  des  Farbenwechsels,  deren  Dauer 
im  Mittel  41.1  Tage  beträgt.  Das  Maximum  der  Farbe  (rötliches 
Licht)  tritt  22.8  Tage  vor  dem  Minimum  (gelblichrötliches  Licht)  ein. 
> Nimmt  man«,  sagt  Dr.  Wirtz,  »die  Eonstanz  der  Periode  an,  so  drängt 
sich  zur  Erklärung  des  Farbenwechsels  die  ungezwungene,  kosmo- 
gonisch  plausible  Hypothese  auf,  daß  ein  fast  bis  zur  Rotglut  ab- 
gekühlter Begleiter  den  noch  hellgelb  glänzenden  Hauptstem  in  41  ^ 
umkreist.  Träfe  dies  zu,  so  dürften  wir  aber  auch  einen  dem  Farben- 
Tvechsel  parallel  gehenden  Lichtwechsel  erwarten,  und  zwar  in  einer 
Weise,  wie  wir  ihn  bei  ß  Lyrae  kennen.  Eine  einfache  Oberlegung 
lehrt  nämlich,  daß  der  Zusammenhang  zwischen  Farbe  und  Hellig- 
keit wie  folgt  sich  verhalten  müsse:  dem  Minimum  der  Färbung 
entspräche  ein  Minimum  des  Lichtes,  letzteres  stiege  bei  mittlerer 
Färbung  zu  einem  ersten  Maximum  an,  sänke  bei  langsam  zuneh- 
mender Rotfärbung  auf  ein  sekundäres  Minimum  herab,  erhöbe  sich 
dann  mit  aufhellender  Farbe  wieder  zu  einem  dem  ersten  gleichen 
Maximum,  um  endlich  wieder  im  Minimum  der  Färbung  ein  Minimum 
der  Helligkeit  zu  erreichen.« 

Die  Helligrkeitsbeobachtungren  über  die  Nova  Persei  1901. 

Das  Harvardobservatorium  veröffentlicht  eine  sehr  vollständige 
Zusammenstellung  und  Diskussion  der  über  diese  Nova  bekannt 
gewordenen  Helligkeitsbeobachtungen.  ^  Dieselben  wurden  soviel 
als  möglich  sämtlich  auf  die  gleiche  Skala  reduziert  und  dabei  die 
Größenklassen,  welche  mit  dem  Meridianphotometer  der  Harvard- 
sternwarte erhalten  sind,  adoptiert  Die  Ergebnisse  dieser  Unter- 
suchung sind  in  Tabellen  niedergelegt  und  in  einer  graphischen  Dar- 
stellung der  Lichtkurve  des  Sternes,  welche  auf  Tafel  UI  in  ver- 
kleinertem Maßstabe  reproduziert  ist  Die  horizontalen  Ziffern  5400 
bis  6100  geben  das  Datum  nach  der  sogenannten  Julianischen 
Periode  unter  Fortlassung  der  konstanten  Ziffer  2410000,  und 
zwar  entspricht  die  Zahl  5400  dem  15.  Januar  1901,  5600  dem 
S.August  1901  usw.  Die  vertikalen  Ziffern  1 — 11  bezeichnen  die 
Helligkeitsklassen  der  Nova  zu  der  betreffenden  Zeit   Die  Untersuchung 


')  Sirius  1908  p.  198. 

^  Annals  of  Harvard  Coli.  Observatory  48.  Nr.  II. 


}g8  Fixsterne« 

dieser  HelUgkeitskurve  lehrt,  daß  die  Nova  von  der  UnsichtbarkeU 
am  19.  oder  20.  Februar  1901  mindeetens  zu  Größe  2.7  angestiegen 
war,  als  Dr.  Anderson  sie  am  21.  Februar  zuerst  sah.  Am  nächsten 
Tage  war  sie  0.9  Größe,  und  am  23.  Februar  hatte  der  Stern  sein^ 
größte  Helligkeit  erreicht.  Sogleich  begann  jetzt  die  Lichtabnalune 
um  etwa  0.6  Größenklasse  täglich  bis  eum  28.  Februar,  von  wo  ab 
der  Betrag  sich  verminderte.  Die  merkwürdigen  Schwankungen  in 
Zu*  und  Abnahme  der  Helligkeit,  denen  der  Stern  während  cler 
Epochen  5455 — 5565  unterlag,  sind  in  der  abgebildeten  Lichtkurve 
deutlich  su  erkennen. 

Uniersuehungen  von  Prof.  Bamard  ergaben  bis  Ende  Janu^tr  1902, 
daß  am  Yerkesrefraktor  die  Nova  Persei  in  der  gleichen  Stellung 
de9  Okulars  wie  jeder  andre  Stern  am  schärfsten  erschien.  Nach- 
deiQ  die  Nova  aus  den  Strahlen  der  Sonne  herausgekommen  up4 
seit  Juli  H  wieder  beobachtet  wer4en  konnte,  hat  ProL  Qarnaxd 
seine  Versuche  wieder  aulgenommen,  konnte  aber  auch  am  29.  August 
mit  Sioherheit  keinen  Unterschied  finden,  obgleich  ein  solcher  viel- 
leicht angedeutet  war.  Die  Farbe  des  Sternes  war  jetzt  blaßweiß, 
während  sie  fru)ier  als  grünlich-  oder  bläulichweiß  bezeichnet  worden 
war.  Auch  im  September  erschien  der  Stern  meist  blaßweiß, 
am  6.  Oktober  aber  bläulichweiß.  War  das  Femrohr  an  diesem 
letztem  Tage  für  einen  gewöhnlichen  Stern  eingestellt,  so  war  die 
Nova  deutlich  nicht  am  schärfsten,  sondem  außerhalb  des  Bre^n- 
punktes,  sie  erschien  als  Soheibdien  mit  einem  hellen  Punkte  in  der 
Mitte,  ähnlieh  wie  die  Nova  Aurigae  in  der  letzten  Hälfte  des  Jahres 
1898.  Am  6.,  7.  und  9.  Oktober  wurden  soi^l^tige  Einstellungen 
gemacht,  und  es  ergab  sich,  daß  der  Brennpunkt  für  die  Nova  durch- 
schnittlich 0.22  Zoll  (5.6  mm)  entfemter  lag  als  derjenige  für  die 
sonstigen  Sterne.  Es  hatte  also  eine  Änderung  dahin  st^^ttgefunden, 
daß  sich  das  Licht  der  Nova  jetzt  wie  dasjenige  eines  planetarischen 
Nebels  verhielt  Wahrscheinlich  datiert  diese  Veränderung  aus  einer 
Zeit  um  den  29.  August  des  Jahres. 

Prof.  G.  Piokering  macht  ^)  darauf  aufmerksam,  daß  P.  Zwack 
vom  Georgetown-CoUege-Observatorium  bereits  vor  mehr  als  eipe^n 
Jahre  seine  Aufmerksamkeit  auf  einen  lichtschwachen  Stern  gelenkt 
habe,  der  auf  einer  der  frühem  Photographien  der  Harvardstemwa^rte 
so  nahe  an  dem  Orte  der  heutigen  Nova  im  Perseus  erscheint,  dsfi 
s(iigfältig^  Messungen  erforderlich  sind,  um  zu  entscheiden,  ob  er 
nicht  völlig  genau  an  diesem  Orte  stand.  Prof.  Pickering  h^t  nun 
Photographien  aus  den  Jahren  1890,  1891,  1893i  1894,  1897  und 
1900  nach  diesem  Sternchen  uQtersucht  UAd  gefunden,  daß  dasselbß 
auf  diesen  in  verschiedenen  Helligkeiten  von  18.  bis  zur  14.  Größe 
vorkommt,  und  daß  sein  Ort  bis  auf  1  oder. 2  Bogensekunden  genau 
mit  dem  Orte  der  heutigen  Nova  am  Himmel  übereinstimmt.     Dieses- 


>)  Harvard  Obs.  Gircular  Nr.  i 


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Jahr 

buch 
Tafel 

XIV 
111. 

1904. 

Fizsteme.  129 

Sternchen  ist  überdies  identisch  mit  einem  solchen,  welches  M.  Blajko 
auf  einer  am  30.  Januar  1897  erhaltenen  Photographie  sehr  nahe 
bei  dem  Orte  der  heutigen  Nova  entdeckte,  das  aber  in  einem 
15-zolligen  Refraktor  gegenwärtig  unsichtbar  ist  Aus  allem  ergibt 
sich,  daß  während  mehrerer  Jahre  ein  Stern,  dessen  Licht  zwischen 
14.  und  15.  Größe  schwankte,  so  nahe  am  Orte  der  heutigen  Nova 
Persei  sich  befand,  daß  es  unentschieden  bleiben  muß, '  ob  seine 
Position  überhaupt  von  derjenigen  der  letztern  verschieden  war  oder 
nicht  Nach  einer  Angabe  von  £.  E.  Barnard  ^)  war  die  Nova  zwischen 
dem  9.  und  16.  September  1902  nur  noch  9.8  Größe  und  von  blaß- 
weiJßer  Farbe. 

Das  Spektrum  des  Nebels  um  die  Nova  PerseL   Auf  der 

Lickstemwarte  ist  der  Croßleyreflektor  in  Verbindung  mit  einem 
Spektroskop,  dessen  Prisma  und  Linsen  aus  Quarz  bestehen,  be- 
nutzt worden  zum  Versuche  einer  photographischen  Aufnahme  des 
Spektrums  des  genannten  Nebels.  Es  wurde  durch  Aufnahmen 
am  31.  Oktober,  1.,  2.  und  4.  November  1902,  die  zusammen 
einer  Exponierung  von  mehr  als  34  Stunden  entsprechen,  ein  Negativ 
erhalten  von  der  mit  D  bezeichneten  hellsten  Stelle  des  Nebels.  Das 
Negativ  zeigt  ein  sehr  schwaches  kontinuierliches  Spektrum,  dessen 
Hauptteil  zwischen  den  Linien  Rß  und  Uy  liegt.  Dieses  Band  ist 
am  hellsten  etwas  oberhalb  H^  und  nimmt  stufenweise  ab,  bis  es 
in  der  Gegend  der  Ealziumlinien  H  und  E  unsichtbar  wird.  An- 
deutungen von  ein  oder  zwei  hellen  Linien  sind  vorhanden,  aber  das 
ganze  Spektrum  ist  so  schwach,  daß  sich  darüber  nur  Vermutungen 
gewinnen  lassen.  Wie  C.  D.  Perrine  bemerkt  *)  ergibt  sich  wenigstens, 
daß  die  in  Rede  stehende  Nebelmasse  nicht  das  gewöhnliche  Spektrum 
der  Nebelflecken  (aus  hellen  Linien  bestehend)  zeigt. 

Die  Nova  Geminorum  1908.  Eine  von  Prof.  Turner  am 
16.  März  aufgenommene  Photographie  eines  Teiles  des  Sternbildes  der 
Zwillinge  zeigte  in  a  6^  37.8°^  und  d  +  30^  2'  einen  Stern  7.  Gr., 
der  in  keinem  bisherigen  Sternkataloge  enthalten  und  daher  eine  Nova 
ist  Photographische  Aufnahmen  in  Greenwich  am  26.,  27.  und  29.  März 
zeigen  den  Stern  in  abnehmendem  Lichte  und  völlig  nebelfrei.  Die 
spektroskopischen  Aufnahmen  in  Cambridge  (England)  durch  Prof. 
NewaJl  ergaben  ein  Spektrum  mit  hellen  und  dunklen  Linien,  ähnlich 
demjenigen  früherer  neuer  Sterne. 

Prof.  John  G.  Hagen  S.  J.,  Direktor  des  Georgetown-College- 
Observatoriums,  hat  ähnlich  wie  früher  für  die  Nova  im  Perseus  so  auch 
für  die  jetzige  Nova  in  den  Zwillingen,  Karten  und  Kataloge  der 
umgebenden  Sterne  entworfen,  welche  die  Mittel  zu  genauen  Hellig- 


1)  Astron.  Nachr.  Nr.  8829.      , 
«)  Bull.  Astr.  Soc.  Pacific  Nr.  88. 
Klein,  Jalirbuoh  XIV. 


130  Fixsterne. 

keitsvergleichungen   liefern.     Der  Ort   der  Nova   wird   von  ihm   (für 
1900.0)  wie  folgt  angegeben: 

AR  ß^  37"»  49.0«,  D  +  30®  2.6'. 

Die  telegraphische  Nachricht  von  der  Entdeckung  des  neuen 
Sternes  in  den  Zwillingen  erreichte  am  27.  März  die  Yerkesstemwarte, 
und  noch .  an  dem  nämlichen  Abende  wurde  die  Nova  am  40-zolligen 
Refraktor  dort  beobachtet^)  Der  Stern  erschien  augenfällig  rot,  und 
zwar,  wie  eine  spektroskopische  Besichtigung  sogleich  ergab,  infolge 
der  großen  Intensität  der  Ha-Linie.  Daneben  waren  verschiedene 
helle  Linien  in  Gelb  und  Blau  sichtbar  auf  dem  Hintergrunde  eines 
schwachen  kontinuierlichen  Spektrums.  Die  Umgebung  der  Nova 
war  am  21.  Februar  mit  dem  2-füßigen  Reflektor  photographiert 
worden,  um  einen  nahestehenden  veränderlichen  Stern  aufzunehmen, 
jetzt  wurde  die  damals  erhaltene  Platte  nachgesehen  und  am  Orte 
der  Nova  ein  Stern  etwas  heller  als  15.  Gr.  gefunden,  der  entweder 
mit  der  Nova  identisch  ist  oder  ihr  innerhalb  3''  nahe  steht  Am 
28.  und  29.  März  wurde  diese  Stelle  mit  dem  2-fußigen  Reflektor 
wieder  aufgenommen  mit  einer  Gesamtexposition  von  8^/^  Stunden. 
Die  äußern  Verhältnisse  waren  gut,  doch  zeigt  sich  keine  Spur  von 
Nebel  um  oder  bei  dem  neuen  Sterne.  Prof.  Bamard  hat  am  27.  und 
30.  März  den  Ort  der  Nova  bestimmt  durch  mikrometrischen  Anschluß 
an  einen  Stern  der  Bonner  Durchmusterung  und  findet  (für  1900.0) 
AR  =  61»  37°»  48.99«  D  =  +  30<^  2'  39.3".  HeUigkeitsschätzungen  er- 
gaben die  Nova  am  4.  April  als  9.  Gr. 

Die  photographische  Aufnahme  des  Spektrums  der  Nova  zeigt 
ein  sehr  helles  Band  zwischen  den  Wellenlängen  X  4598  und  4696 
(Mitte  desselben  bei  X  4647)  und  die  starke  H^-Linie  von  X  4839 
bis  4886  (Mitte  bei  X  4862).  Außerdem  zeigen  sich  zwei  schmale 
helle  Maxima  nahe  der  weniger  brechbaren  Seite  der  Linie  Rß  bei 
X  4877  und  4882.  Am  weniger  brechbaren  Ende  der  Platten  er- 
scheinen zwei  ziemlich  starke  Banden,  eine  von  X  5647 — 5685 
(Mitte  bei  X  5666),  die  andre  von  X  5729—5775  (Mitte  bei  5752). 
Die  minder  brechbare  dieser  Linien  ist  an  der  violetten  Seite  scharf 
abgeschnitten,  so  daß  man  dort  eine  dunkle  Linie  vermuten  könnte. 
Die  Linie  Ry  ist  als  sehr  feines  Band  sichtbar,  das  mit  einem  hellen 
Bande  von  X  4347 — 4371  (Mitte  X  4359)  verschmilzt  Das  Spektrum 
der  Nova  entspricht  denjenigen  der  neuen  Sterne  im  Perseus  und 
Fuhrmann  in  den  spätem  Stadien  ihrer  Entwicklung.  Prof.  Edw. 
Pickering  berichtet,  ^)  daß  nach  photographischen  Aufnahmen  auf  der 
Harvardstemwarte  die  Nova  vom  17. — 21.  April  einen  Helligkeits- 
zuwachs zeigte,  indem  die  photographische  Größe  derselben  von 
9.06  auf  8.80  zunahm,  dann  sank  sie  wieder  bis  zur  9.8  Größe.     Am 


»)  Terkes-Observatory  Bulletin  Nr.  19. 
•)  Astron.  Nachr.  Nr.  8867. 


Fixsterne.  181 

Abende  des  1.  Mai  schien  die  Nova  fast  7«  Größenklasse  heller  als 
24  Stunden  vorher,  nämlich  9.3  Gr. 

Auf  der  Lickstemwarte  konnte  wegen  ungünstiger  Witterung 
die  Untersuchung  der  Nova  erst  am  1.  April  beginnen.^)  An  diesem 
Tage  wurden  mit  dem  Großleyreflektor  bei  Expositionen  von  1  Minute 
bis  106  Minuten  vier  photographische  Negative  erhalten.  Diese  Auf- 
nahmen zeigen,  daß  die  Nova  ungeachtet  ihrer  rotlichen  Farbe 
reich  an  aktinischen  Strahlen  ist  Bei  Schätzung  der  Helligkeit  mit 
bloßem  Auge  fand  sich  die  Nova  0.1 — 0.2  Größenklasse  heller  als  ein 
benachbarter  Stern,  der  in  der  Bonner  Durchmusterung  zu  8.6  Gr. 
angegeben  ist  Die  genaueste  Untersuchung  der  Platten  Ueß  keine 
Spur  von  Nebeligkeit  um  dieselbe  erkennen,  wie  solche  bei  der  Nova 
im  Perseus  sichtbar  war,  was  an  und  für  sich  nicht  überraschen 
kann,  wenn  man  erwägt,  wie  viel  heller  diese  war  als  die  jetzige 
Nova  in  den  Zwillingen.  Es  wurde  auf  der  Lickstemwarte  be- 
absichtigt, eine  Aufnahme  mit  4  oder  5  Stunden  langer  Exponierung 
auszuführen,  ein  Plan,  der  aber  leider  durch  anhaltend  schlechtes 
Wetter  vereitelt  wurde. 

Die  Position  der  Nova  ergab  sich  aus  der  Photographie  am 
Großleyreflektor,  auf  der  außer  der  Nova  noch  13  Sterne  sich  be- 
fanden, deren  Orte  anderweitig  bekannt  sind,  ün  Mittel  (für  1903.0): 
Rekt.  6^  38«^  0.5»,   Dekl.  +30®  2*  28.7". 

Auf  den  Platten  erscheinen  innerhalb  eines  Kreises  von  2'  Durch- 
messer um  die  Nova  11  Sterne  von  9.4 — 15.  Gr.,  von  denen  einer 
ein  Doppelstern  ist 

Das  Spektrum  der  Nova  wurde  zunächst  am  Großleyreflektor 
mit  dem  kleinen  spaltlosen  Spektrographen  aufgenommen,  und  zwar 
6  Negative  in  der  Nacht  des  2.  April  mit  Expositionen  von  10  Sekunden 
bis  zu  19  Minuten.  Mit  30  Sekunden  Exponierung  erschienen  die 
starkem  Linien  recht  schwach,  5  Minuten  Expositionsdauer  gaben 
dagegen  ein  gutes  Negativ.  Das  Spektrum  zeigte  sich  bestehend 
aus  hellen  Ldnien  und  Banden,  die  einem  kontinuierlichen  Spektrum 
überlagert  sind,  und  ausgedehnt  von  der  Ldnie  B.ß  bis  zur  Wellen- 
länge i.  335.  Im  allgemeinen  Aussehen  ist  es  ähnlich  dem  Spektrum 
der  Nova  im  Perseus,  wie  dieses  im  April  1901  von  Campbell  und 
Wright  mit  dem  Millsspektrographen  erhalten  wurde,  in  demjenigen 
Teile  nämlich,  wo  die  beiden  Instrumente  vergleichbare  Bilder  geben. 
Da  keine  Aufnahmen  des  ultravioletten  Spektrums  der  Nova  im 
Perseus  aus  der  Zeit  vor  September  1901  vorhanden  sind,  als  der 
Stern  keinen  Nebel  zeigte,  so  ist  das  frühere  Verhalten  der  Spektral- 
linien  X  339  und  i,  346  unbekannt  Im  Spektrum  der  Nova  in  den 
Zwillingen  zeigen  sich  diese  Linien  in  den  obigen  Aufnahmen  noch 
nicht,   doch  ist  das  Spektrum  an  den  betreffenden  Stellen  entschieden 


^)  Lick-Observatory  Bulletin  Nr.  87. 


182  FixBteme. 

kraftiger.  Wenig  Ähnlichkeit  zwischen  dem  Spektrum  der  Nova  Persei 
im  September  1901  und  dem  obigen  Spektrum  der  Nova  Geminonun 
leigt  sich  in  der  Region  oberhalb  der  Linie  H  d^  auch  ist  die  Haupt- 
nebellinie bei  >l  601  im  letzten  Spektrum  nicht  zu  sehen,  während  sie  in 
jenem  der  Nova  Persei  sehr  deutlich  war.  Es  ist  wahrscheinlich, 
daß  diese  Unterschiede  beider  Spektra  von  dem  verschiedenen  Stadium 
der  Entwicklung  beider  Sterne  zur  Zeit  der  Aufnahme  herrühren,  und 
daß,  sobald  die  Nova  Geminorum  das  Nebelstadium  erreicht  hat,  ihr 
ultraviolettes  Spektrum  mehr  und  mehr  mit  dem  der  Nova  Persei 
übereinstimmen  wird. 

Am  8.,  5.,  6.  und  8.  April  wurden  weitere  Spektrogramme  er- 
halten. Ein  Vergleich  der  Aufnahme  vom  2.  mit  derjenigen  vom 
8.  April  zeigt,  daß  innerhalb  dieser  6  Tage  Veränderungen  im  Charakter 
des  Spektrums  stattgefunden  hatten.  Die  bemerkenswertesten  der- 
selben sind  im  ultravioletten  Teile  erkennbar,  wo  das  kontinuierliche 
Spektrum  schwächer  geworden  war.  und  folglich  die  Banden  X  350» 
874  und  884  deutlicher  hervortraten.  Femer  sind  Anzeichen  vor- 
handen über  die  Entwicklung  der  Linien  bei  X  389  und  846 ;  unter- 
halb der  Linie  Hd  scheint  dagegen  keine  merkliche  Änderung  im 
Aussehen  des  kontinuierlichen  Spektrums  eingetreten  zu  sein.  Die 
Linie  Hj?  war  dagegen  schwächer  geworden,  und  Spuren  von  Er- 
hellung zeigen  sich  in  der  Region  der  Hauptnebellinie.  Die  Unter- 
suchung des  Spektrums  mit  bloßem  Auge  zeigte  die  Linie  Ha  stets 
sehr  augenfällig,  und  eine  Zunahme  der  Helligkeit  dieses  Spektrums 
in  dem  gelben  Teile  nahe  der  Natriumlinie  wurde  festgestellt  Die 
optische  Helligkeit  der  Nova  nahm  vom  1. — 8.  April  langsam  ab» 
sie  war  am  letzten  Tage  8.6  Gr.  Eine  am  18.  April  erhaltene 
spektrographische  Aufnahme  zeigte  keine  weitem  Änderungen.  Am 
26.  April  wurden  2  Aufnahmen  erhalten,  davon  eine  mit  1^  Expo- 
nierung. Dieses  Negativ  zeigt  eine  Linie  von  der  Wellenlänge  il  501» 
wahrscheinlich  die  Hauptnebellinie.  Eine  am  11.  Mai  unter  un- 
günstigen Umständen  erhaltene  Aufnahme  zeigt  gleichwohl  die  Haupt- 
nebellinien deutlicher  als  die  frühere  Aufnahme.  Die  Nova  war  an 
diesem  Abende  etwa  9.5  Gr.  Die  vorstehend  mitgeteilten  Unter- 
suchungen sind  von  C.  D.  Perrine  ausgeführt  worden. 

Die  Nachforschung  in  dem  photographischen  Materiale  der  Harvaitl- 
Sternwarte  ergab, ^)  daß  die  Gegend  der  Nova  1903  März  1  15^  3"^ 
m.  Gr.  Zt  aufgenommen  worden  war,  daß  aber  diese  Platte,  welche- 
Sterne  11.9  Gr.  enthält,  keine  Spur  der  Nova  zeigt.  Ebensowenig 
findet  sich  solche  auf  16  Platten  zwischen  dem  3.  März  1890  und 
dem  28.  Februar  1903,  obgleich  alle  diese  Platten  Sterne  bis  unter 
12.  Größe  enthalten.  Eine  Platte  aufgenommen  1908  März  2  13^19™- 
zeigt  Sterne  9.  Größe,  aber  von  der  Nova  nichts.  Die  nächstfolgende 
Platte  ist  vom   6.  März  14^  28^^   und    stellt   die   Nova   als   Stern 


*)  Harvard-Observatory  Circular  Nr.  70. 


Fixsterne.  183 

5.6  Größe  dar.  In  den  darauf  folgenden  Nächten  des  11.,  12.,  13.,  14. 
und  15.  März  zeigt  die  Nova  auf  den  Platten  langsame  Lichtabnahme 
auf  6.8,  7.1,  7.15,  7.8,  7.4  Größe.  Das  Spektrum  zeigt  sich  ähnlich 
dem  der  Nova  Sagittarii  am  19.  April  1898.  Nach  den  Beobachtungen 
von  Bamard^)  war  die  Nova  Ende  April  bereits  zur  10.  Größe  herab- 
gesunken, stieg  dann  aber  wieder  etwas,  um  vom  18.  Mai  ab  abermals 
die  10.  Größe  zu  erreichen. 

Ein  Verzeiclmis  von  100  neu  entdeckten  und  vermes- 
senen Doppelsternen  veröffentlicht  W.  J.  Hussey.*)  Es  ist  der 
6.  Katalog  der  von  ihm  am  12-  und  36-zolligen  Refraktor  der  Lick- 
stemwarte  entdeckten  Doppelsterne,  Die  Distanzen  der  Begleiter 
vom  Hauptstem  sind  sämtlich  geringer  als  5''.  Besonders  interessant 
ist  der  Stern  Nr.  507  als  ungewöhnlicher  dreifacher  Stern.  Sein  Ort 
am  Himmel  (für  1900.0)  ist: 

AR  0^  22"»  21«,    D  +  48«  28.2'; 
der   Hauptstern  A  ist  9.3,    die   Begleiter   sind:    B  9.5,    G  9.8  Gr. 
Hussey  gibt  folgende  Messungen  (für  1902.75): 

AB  d  =  1.55"  p  =  180.8« 
BC  1.47  243.6 

AC  1.61  188.7 

Einen  ahnlichen  dreifachen  Stern  hat  Hussey  noch  nicht  ge- 
sehen; die  Helligkeit  der  Komponenten  ist  nahezu  gleich,  und  sie 
bilden  fast  ein  gleichseitiges  Dreieck. 

Der  Stern  Nr.  580  des  Verzeichnisses  {i  Serpentis)  in 
AR  15^  37«  6«;   D  +  19<>  59.5' 
besteht  aus  2  Sternen  5.0  Gr.  von  nur  0.21"  Distanz;  nur  die  aller- 
größten Refraktore  können  die  Duplizität  zeigen.    Das  Paar  ist  ähn- 
lich d  Equulei  und  x  Pegasi,  den  beiden  Systemen  mit  dem  raschesten 
Umlauf  ihrer  Begleiter. 

Der  Struvesche  Doppelstem  0-?  128  (AR  5  ^^  56™  33»,  D  +  51« 
84.6')  zeigte  den  Begleiter  selbst  doppelt  (9.0  und  10,0  Gr.), 
1902.76 :d  =  0.52"  p  =  339.5®.  Die  Hauptkomponente  des  Struve- 
schen  Doppelstemes  2  608  in 

AR  4^  50»»  6»;    D  +  51»  56.2' 
erwies   sich  ebenfalls   doppelt   (8.5    und   8.7  Gr.).     Die   Messungen 
(1902.71)  ergaben:  d  =  0.16",  p  =  309.6". 

Der  Herschelsche  Doppelstem  h  8196  in 

AR  23^  24™  40«,    D  —  21<>  7,6' 
zeigte   den    Hauptstern   doppelt   (8.5  und  8.8   Gr.),    die   Messungen 
(1901.44)   ergaben :    d  =  0.40"  p  =  85.4  ^.     Der  Herschelsche  Be- 
gleiter   hat    gegen    den    Hauptstern    folgende    Position    (1900.776) 
d  =20.74"  p  =  19.6». 


^)  Astrophys.  Journal  1908.  p.  876. 
■)  Lick-Observatoiy  Bulletin  Nr.  27. 


134  Fixsterne. 

Hessungren  von  117  neuen  Doppelsternen  an  dem  12-  und 

dem  36-zolligen  Refraktor  der  Lickstemwarte  veröffentlicht  B.  Q.  Aitken.^) 
Was  die  Distanzen  des  Begleiters  betrifft,  so  verteilen  sich  dieselben 
in  folgender  Weise: 

0.25^  oder  weniger  8  Sterne 

0.26"  bis  0.50"       24 

0.51      .,    1.00         28       ,. 

1.01      „   2.00         29 

2.01  „  6.00  28  „ 
Mit  nur  wenigen  Ausnahmen  sind  die  Hauptsterne  dieser  Paare 
unter  8.  Größe.  Von  hellen  Sternen  ist  88  Aquarü  (A.R.  22^  59"*  57« 
D  —  8^  14'  für  1900.0)  bemerkenswert  Dieser  besteht  hiemach 
aus  2  Sternen  je  6.  Größe  in  folgender  Position  p  =  61.0<>  d  =  0.19" 
1902.64. 

Die  Bahn  von  S  BootiS  ist  von  W.  Doberck  neu  berechnet 
worden,*)  nachdem  die  früher  (1888)  abgeleitete  Bahn  die  beob- 
achteten Distanzen  gegenwärtig  nicht  mehr  genügend  darstellt  Die 
Beobachtungen,  auf  welche  die  neue  Rechnung  sich  stützt,  umfaßt 
den  Zeitraum  von  1820 — 1900  und  führten  auf  folgende  Bahnelemente: 

ß=1830  8'    P=  140.84  Jahre 

A=314»  6'    T=  1907.10      . 

y=  46«  8'     a=  1.6115- 

e==s 0.6163      Bewegung:  rückläufig 

Die  Bahn  des  Doppelsternes  e  Hydrae.  Dieser  Stern 
3.8  Gr.  hat,  wie  P.  W.  Struve  früher  gefunden,  einen  Begleiter  7.8  Gr. 
in  8.5"  Distanz  (H  1273).  Schiaparelli  entdeckte  1888,  daß  der 
Hauptstem  für  sich  doppelt  ist  und  aus  2  Sternen  4.5  und  5.  Gr. 
besteht,  die  nur  0.2"  voneinander  entfernt  sind.  Die  Messungen, 
die  Bumham  in  den  Jahren  1888 — 1892  ausgeführt,  zeigten,  daß 
dieser  Begleiter  seinen  Positionswinkel  in  diesen  4  Jahren  um  40^ 
änderte,  und  fernere  Messungen  auf  der  Lickstemwarte  ergaben  bis 
1900  sogar  eine  Stellungsänderung  bis  zu  150  ^  Im  Jahre  1901 
konnte  Aitken  auch  am  36 -Zoller  der  Lickstemwarte  den  Stern  nur 
einfach  und  rund  sehen,  aber  im  darauffolgenden  Jahre  und  ebenso 
1903  bot  die  Messung  keine  Schwierigkeiten  dar.  Auf  Grund  sämt- 
licher Messungen  findet  Aitken  jetzt,')  daß  die  Umlaufsdauer  des 
Begleiters  nur  15.7  Jahre  beträgt,  als  Zeit  des  Periastmms  1901.1i 
als  halbe  große  Achse  der  scheinbaren  Bahn  0.24"  und  als 
Exzentrizität  0.685.  Diese  Ergebnisse  können  aber  nur  als  pro- 
visorische betrachtet  werden.  Die  beiden  Komponenten  sind  nach 
Aitken  in  Helligkeit  um  2  Größenklassen  verschieden.  Der  Stnivesche 
Begleiter  hat  seine  Position   seit  1830  um  38^  geändert,  während 


*)  Lick-Observatory  Bulletin  Nr.  29. 
•)  Asiron.  Nachr.  Nr.  3900. 

*)  Publ.  Astron.  Soc.  of  the  Pacific  1903.  Nr.  89.  p.  85.  Lick-Observatory 
Bulletin  p.  36. 


Fixsterne. 


135 


sein  Abstand  vom  Hauptsteme  unverändert  blieb.  Sonach  ist  er  also 
mit  diesem  physisch  verbunden,  und  e  Hydrae  bildet  optisch  ein  drei- 
faches System.  Die  neuesten  spektroskopischen  Untersuchungen  des 
Hauptstemes  zeigen,  daß  dessen  radiale  Geschwindigkeit  (in  der 
Gesichtslinie  zur  Erde)  veränderlich  ist,  vermutlich  in  verhältnismäßig 
langer  Periode.  Es  ist  von  Interesse,  daß  die  Platten,  welche  die 
größte  Geschwindigkeit  (-}-  43  Arm  in  der  Sekunde)  anzeigen,  erhalten 
wurden,  als  der  innerste  optische  Begleiter  naJie  in  der  Linie  der 
Knoten  stand,  während  die  Platten  mit  der  geringsten  Geschwindig- 
keit {-\-  28  km)  erhalten  wurden,  nachdem  derselbe  einen  Bogen  von 
180^  beschrieben  hatte  und  wieder  nahe  der  Enotenlinie  stand.  Dies 
macht  wahrscheinlich,  daß  der  Hauptstem  und  sein  sichtbarer  Be- 
gleiter identisch  ist  mit  dem  spektroskopischen  Doppelsteme,  doch 
müssen  weitere  Beobachtungen  abgewartet  werden,  ehe  diese  Tat- 
sache als  sicher  betrachtet  werden  kann. 

Die  radialen  Geschwindigkeiten  von  20  Sternen  mit 
Spektren  des  Oriontypus  wurden  auf  der  Yerkesstemwarte  mit 
dem  Bnicespektrographen  bestimmt.^)  Obgleich  diese  Spektra  den 
Messungen  große  Schwierigkeiten  entgegensetzen,  sind  die  erhaltenen 
Resultate  doch  recht  gut  übereinstimmend.  Zu  den  Messungen  wurden 
Spektrallinien  des  Heliums,  Sauerstoffs,  Siliciums,  Stickstoffs,  Wasser- 
stoffs und  Magnesiums  benutzt.  Die  für  die  einzelnen  Sterne  erhaltenen 
Resultate  sind  folgende  in  Kilometern  pro  Sekunde: 


Y  Pegasi . 

+     5.4 

e  Can.  maj.  .     . 

,     +  27.2 

C  Cassiopeiae 

+     2.9 

t]  Leonis       .     . 

.     +     8.6 

e  Cassiopeiae 

—     5.9 

y  Corvi    .     .    . 

—     7.0 

f  Persei  .     . 

+  22.1 

T  Herculis    .     . 

—  12.7 

ß  Orionis . 

--  20.7 

f  Draconis  .     , 

—  14.4 

y  Orionis. 

--  18.0 

(  Herculis     .     . 

.     —  16.4 

e  Orionis 

--  26.7 

67  Ophiuchi    .     . 

,     —     3.1 

C  Orionis 

--  18.8 

102  Hercnlifl     .     . 

,     —  10.8 

X  Orionis 

--  17.1 

Tj  Lyrae    .     .     . 

—     9.1 

ß  Can.  maj. 

--  32.6 

e  Delphini    .     . 

.     —  26.2 

Ein  Stern  mit  großer  Radialbewegrang  ist  nach  H.  M.  Reese 
q>^  Orionis  (a  =  5^^  31«*  d  =  -j-  9®  15').  Dieselbe  wurde  im  Herbst 
1902  zu  -j-  94  bis  +  102  km  von  Curtis  gefunden.*) 

Fundamentalsterne  zur  Bestimmung  der  radialen  Ge- 
schwindigkeiten* Prof.  Edwin  B.  Frost  hat  den  Vorschlag  gemacht, 
behufs  Vergleichung  der  Genauigkeit  der  Messungen  eine  Anzahl  von 
^Wdamentalsternen  auszuwäMen,  die  von  den  verschiedenen  Be- 
obachtern welche  sich  mit  spektroskopischen  Ermittlungen  der  in  die 


*)  PubL  of  the  Astron.  Soc.  of  the  Pacific  1908.  Nr.  89  p.  103. 
")  Lick-Observatory  Bulletin  Nr.  31. 


136 


Fixsterne. 


Gesichtslinie  zur  Erde  fallenden  (radialen)  Komponente  ihrer  Eigen- 
bewegungen beschäftigen^)  alljährlich  und  genau  bestimmt  werden 
sollen.  Er  schlug  zu  diesem  Zwecke  die  in  nachstehendem  Verzeich- 
nis aufgeführten  20  Sterne  vor.  Die  dabei  angegebene  Spektral* 
klasse  ist  der  Elassifikation  von  Miss  Maury  entnommen. 


Sterne 


R.A. 


Dec. 


Größe 


Spektral- 


ß  Gassiopeiae 
a  Arietis  .  . 
a  Persei  .  . 
a  Tauri  .  . 
ß  Leporis  .  . 
y  Geminoram 
ß  Geminorum 
ß  Gancri  . 
o  Hydrae  . 
a  Crateris 
ß  Corvi  . 
a  Bootis  . 
a  Serpentis 
ß  Ophiuchi 
17  Serpentis 
y  Aquilae . 
fi  Cygni  . 
«  Pegasi  . 
a  Aquarii  . 
y  Pisci^     . 


Oh  04na 
2  02. 


8  17 
30 
24 


4 
6 
6 
7 

8  11 

9  23 
10  55 
12  29 

14  11 

15  39 

17  38 

18  16 

19  42 

20  42 

21  39 

22  Ol 

23  12 


58*  36' 

23  0 

49  30 

+  16  19 

20  51 

+  16  29 

--28  16 

--  9  30 

—  8  13 

—  17  46 

—  22  50 
+  19  44 
+  6  44 
+  4  36 

—  2  56 
+  10  22 
+  33  36 
+  9  25 

—  0  49 
+  2  44 


2.4 
2.0 
1.9 
1.0 
8.0 
2.0 
l.l 
3.8 
2.2 
4.1 
2.8 
0.0 
2.7 
2.9 
3.4 
2.8 
2.7 
2.4 
3.2 
3.8 


XII  ab 

XVa 
XUac 
XVI  a 
XlVa 

vina 

XVa 
XVa 
XVa 
XVa 

XIV  a 
XVa 
XVa 
XVa 
XVa 
XVa 
XVa 
XVa 

XIV  ac 
XVa 


Dieser  Vorschlag  hat  den  Beifall  der  Hauptbeobachter  auf  diesem 
Gebiete,  Belopolsky,  Campbell,  Newall,  Vogel  gefunden  und  ist  im 
wesentlichen  von  diesen  angenommen. 


SpektFOSkopisehe  Doppelsterne.  Mit  der  Genauigkeit  der 
spektrographischen  Apparate  nimmt  die  Zahl  der  auf  spektro- 
skopischem Wege  als  Doppelsysteme  erkannten  Fixsterne  stetig  zu,  und 
es  hat  fast  den  Anschein,  als  wenn  im  Fixstemreiche  die  isolierten 
Sterne  wie  unsere  Sonne  keineswegs  die  Regel  bilden.  Seit  dem 
letzten  Berichte^  sind  auf  der  Lickstemwarte  folgende  Sterne  mit 
veränderlichen  Bewegungen  in  der  Gesichtslinie  zur  Erde,  die  also 
spektroskopisch  nachweisbare  Doppelsteme  sind,   entdeckt  worden:^) 

vAndromedae.  Gemäß  den  Verschiebungen  von  Spektrallinien 
des  Heliums  und  Magnesiums  betrug  die  Geschwindigkeit  des  Sternes 
in  der  Gesichtslinie  zur  Erde  am  8.  Oktober  1902  — 17  A»»  in  der 
Sekunde,  am  5.  November  —  76  Am,   am  14.  Januar  1903  +  49  fe». 


^)  Astrophysical  Journal  1903.  16.  Nr.  8.  p.  169. 

^  Dieses  Jahrbuch  18.  p.  128. 

*)  Lick-Observatory  Bulletin  Nr.  81  u.  46. 


Fixsterne.  137 

js^  Orionis.  Das  Spektrum  ist  ähnlich  dem  des  vorher  genannten 
Sternes.  Die  radiale  Geschwindigkeit  war  1902  Oktober  6  -f-^3  Acm, 
1903  Januar  4  0  km,   Januar  12  -|- 6  km. 

a  Geminorum.  Das  Spektrum  eAthalt  eine  große  Anzahl  metal- 
lischer Linien,  doch  sind  die  meisten  nicht  scharf,  so  daß  die  Messungen 
weniger  genau  ausfallen,  als  sonst  der  Fall  sein  würde.  Es  ergibt 
sich  aus  ihnen  für  1902  März  16  eine  radiale  Geschwindigkeit  von 
-|-  74  km,    1903  Januar  12  von  -|-  12  km,    Januar  13  von  -^-9  km. 

i  Argus.  (a  =  8^  3.3»»;  <J  ==  —  24<>  1').  Von  Prof.  CampbeU 
schon  1898  erkannt.  Die  Geschwindigkeit  variiert  nach  den 
Messungen  von  Reese  zwischen  -^  41.9  und  -|-  50.3  km. 

y  Gor  vi.  Gemessen  wurden  5  Platten  die,  vom  30.  Dezember 
1902  bis  zum  17.  Mai  1903  aufgenommen  waren.  Die  Geschwindig- 
keit variiert  zwischen  —  20  und  +  ^  Am, 

17  Virginis.  2  Aufnahmen  (1903  Mai  17  und  24)  lieferten  Ge- 
schwindigkeiten von  -^Vl  und  -|-  4  Am. 

a  Draconis.  Das  Spektrum  dieses  Sternes  wurde  1902  Juni  16 
und  1903  April  29,  sowie  Mai  24  photographiert  Die  Untersuchung 
ergab  Veränderung  der  radialen  Geschwindigkeit  zwischen  0  und  — 43  km. 

cHerculis.  2  Aufnahmen  im  Mai  1903  zeigen  Veränderungen 
der  Geschwindigkeit  von  —  70  und  —  34  km. 

dAquilae.  4  Aufnahmen  in  den  Jahren  1900 — 1903  lassen 
Geschwindigkeitsänderungen  von  —  2  bis  —  35  /cm  erkennen. 

Auf  der  Yerkesstemwarte  wurden  durch  Edwin  B.  Frost  und 
Walter  S.  Adams  folgende  Sterne  mit  veränderlichen  Radialgeschwindig- 
keiten entdeckt:^) 

d  Ceti.  Die  Geschwindigkeit  wechselt  zwischen  -{-6  und 
-f- 16  Acm  in  der  Sekunde.  Die  Spektrallinien  sind  jedoch  scharf 
und  relativ  leicht  messbar. 

V  Eridani.  Ähnelt  im  Spektrum  b  Ceti;  die  Geschwindigkeit 
wechselt  zwischen  -f-  3  und  -|-  28  km. 

7^  Orionis.  Die  Messungen  sind  schwierig.  Der  Wechsel  der 
Geschwindigkeit  rangiert  zwischen  —  35  und  -|'  ^^  ^>  ^^^  ^^® 
Periode  ist  augenscheinlich  kurz. 

C  Tauri.  Das  Spektrum  dieses  Sternes  ist  eigentümlich.  Die 
Linie  YLy  erscheint  auf  den  Platten  bemerkenswert  scharf  und  intensiv« 
Die  Geschwindigkeit  wechselt  zwischen  +  2  und  -|-  34  km,  und  die 
Periode  scheint  ziemlich  lang  zu  sein. 

17  Virginis.  3  Platten  ergaben  Geschwindigkeiten  zwischen 
—  31.5  und  -|-  0.2  km.  Der  Stern  zeigt  ein  zusammengesetztes 
Spektrum,  beide  Komponenten  gehören  zu  Vogels  Typus  la  2  oder 
Miss  Maurys  Typus  Villa. 

u  Herculis.  Dieser  Stern  gehört  zu  den  photometrisch  ver- 
änderlichen; seine   Geschwindigkeit  wechselte  1903  in  den  Monaten 


')  Astrophys.  Journal  1908.  17.  p.  160.  246.  881.  16.  p. 


138  Fixsterne. 

Februar  bis  Mai  zwischen  — 66  und  -["  ^^^  ^^^'^  ^^^  Linien  seines 
Spektrums  sind  breit  und  verwaschen,  die  Messungen  daher  um 
mehrere  Kilometer  unsicher. 

57  Gygni.  2  Aufnahmen  im  Mai  1903  lieferten  Oeschwindig- 
keiten  von  — 114  und  — 23  km, 

61  Gygni.  Dieser  Doppelstem  ist  bekannt  als  der  erste  Fix- 
stern, dessen  Entfernung  von  der  Erde  (durch  Bessel)  direkt  gemessen 
wurde,  und  ist  daher  die  Bestimmung  der  radialen  Geschwindigkeiten 
seiner  beiden  Komponenten  von  besonderem  Interesse.  Die  Anwen- 
dung des  Brucespektrographen  mit  einem  Prisma  bot  die  Möglichkeit, 
für  beide  Komponenten  gesonderte  Bestimmungen  zu  erhalten.  Diese  Auf- 
nahmen geschahen  durch  Walter  S.  Adams.  Die  Messungen  des  Haupt- 
stemes  61^  Gygni  an  den  Aufnahmen  vom  11.  August  1902,  vom  17.  Mai 
und  6.  Juni  1903  ergaben  in  guter  Übereinstimmung  als  Geschwindig- 
keit in  der  Richtung  der  Gesichtslinie  zur  Erde  den  Wert  von  — 62  km  pro 
Sekunde.  Die  Aufnahmen  am  9.  Januar,  7.  Mai  und  5.  Juni  1908  er- 
gaben für  den  Begleiter  61^  Gygni  im  Mittel  eine  Geschwindigkeit  von 
— 63  kni  in  der  Sekunde.  Die  Unsicherheit  beider  Resultate  übersteigt 
wahrscheinlich  nicht  8  km.  Für  den  Stern  61^  Gygni  hatte  1895  Belo- 
polsky  in  Pulkowo  aus  Aufnahmen  auf  2  Platten  eine  radiale  Ge- 
schwindigkeit von  — 54  km  erhalten.  Diese  Messungen  sind  nicht  so 
genau  als  die  jetzt  von  der  Yerkesstemwarte  veröffentlichten,  doch 
stehen  sie  mit  diesen  in  guter  Übereinstimmung  und  beweisen,  daß 
die  zuletzt  erhaltenen  Werte  von  der  Wahrheit  nicht  weit  abweichen 
können.  Femer  lehrt  die  Übereinstimmiing  der  für  die  beiden  Kom- 
ponenten von  61  Gygni  erhaltenen  Radialgeschwindigkeiten,  daß  diese 
Sterne  physisch  zusammengehören.  Nimmt  man  für  sie  eine  Parallaxe 
von  0.4"  und  eine  scheinbare  Eigenbewegung  von  5.2"  jährlich  an, 
so  ergibt  sich  als  ihre  wahre  Bewegung  im  Räume  eine  Geschwindig- 
keit relativ  zur  Sonne  von  64  Avn  in  der  Sekunde,  während  die 
Geschwindigkeit  der  Erde  um  die  Sonne  nur  29.6  km  pro  Sekunde 
beträgt. 

eUrsae  majori s.  Die  radiale  Geschwindigkeit  dieses  Sternes 
ist  schon  1889 — 1890  in  Potsdam  zu  — 30.4  km  pro  Sekunde 
bestimmt  worden.  Eine  Aufnahme  mit  dem  Bruceschen  Spektro- 
graphen  im  April  1902  ergab  dafür  den  sehr  abweichenden  Wert 
— 8  km.  Die  Linien  im  Spektrum  dieses  Sternes  sind  zwar  schwierig 
zu  messen,  aber  die  gefundene  Abweichung  von  den  Ergebnissen  der 
Potsdamer  Messungen  erschien  doch  so  erheblich,  daß  der  Stern  auf 
der  Yerkesstemwarte  auf  die  Liste  der  noch  weiter  zu  beobachtenden 
Sterne  gesetzt  wurde.  Infolgedessen  sind  in  den  Jahren  1902  und 
1908  an  9  Abenden  photographische  Spektralaufnahmen  desselben 
ausgeführt  worden,  die  im  Büttel  auf  eine  Geschwindigkeit  von 
— 9.4  km  pro  Sekunde  führten.  Sonach  ist  kein  Zweifel,  daß  die 
radiale  Geschwindigkeit  dieses  Sternes  erhebUch  von  derjenigen  im 
Jahre  1899  abweicht,  und  es  wird  wahrscheinlich,  daß  er  ein  spektro- 


Fixsterae.  139 

skopischer  Doppelstern  von  wesentlich  längerer  Umlanfsdauer  ist  als 
die  bis  jetzt  bekannten. 

^Scorpii.  Es  liegen  4  Aufnahmen  aus  1902  und  1903  vor, 
aus  denen  sich  Geschwindigkeiten  zwischen  -[-19  und  — 99  km 
ergaben.  Das  Spektrum  dieses  Sternes  gehört  dem  Oriontypus  an, 
aber  alle  Linien  desselben  sind  ungemein  breit,  und  daher  die  Messungen 
am  verschiedene  Kilometer  unsicher. 

e  Herculis.  Dieser  Stern  besitzt  ein  zusammengesetztes 
Spektrum,  und  dessen  Veränderungen  werden  Gegenstand  weiterer 
Untersuchungen  sein.  3  Aufnahmen  aus  den  Monaten  April,  Mai 
und  Juni  1903  lieferten  Geschwindigkeiten  von  — 58,  —43  und 
— 22  Äw,  doch  sind  diese  Angaben  nur  provisorische. 

T  Tauri.  3  Aufnahmen  im  Februar  und  März  1903  zeigten, 
daß  dieser  Stern,  der  seinem  Spektrum  nach  zum  Oriontypus  gehört, 
Veränderungen  der  radialen  Geschwindigkeit  besitzt,  die  bis  zu  75  km 
sich  belaufen. 

yf  0  r  i  0  n  i  s.  Ebenfalls  ein  Stern  des  Oriontypus.  3  Aufnahmen 
im  Februar  und  März  1903  ergaben  radiale  Geschwindigkeiten  von 
— 122,  -|-148  und  — 13  Am,  also  eine  ganz  ungemein  große  und  dabei 
rasche  Veränderlichkeit 

Auf  dem  astrophysikalischen  Observatorium  zu  Potsdam  sind 
ebenfalls  wieder  mehrere  spektroskopische  Doppelsteme  entdeckt 
worden,  worüber  folgendes  zu  berichten  ist: 

o  Per  sei.  Dieser  Stern  wurde  1877  von  Burnham  als  Doppel- 
stem  erkannt,  mit  einem  Begleiter  7. — 8.  Größe.  Die  scheinbare 
Distanz  des  letztem  von  seinem  Hauptsterne  beträgt  etwa  1",  und 
geringe  Bewegungen  desselben  im  Positionswinkel  sind  angedeutet. 
Im  Frühjahre  1902  wurde  von  o  Persei  auf  der  Yerkessternwarte  an 
5  Abenden  das  Spektrum  photographiert,  und  nach  der  Mitteilung 
von  W.  S.  Adams ^)  zeigten  sich  dabei  Verschiebungen  der  dunklen 
Linien,  welche  auf  Geschwindigkeiten  des  Sternes  in  der  Gesichts- 
linie zur  Erde  von  mehr  als  100  km  pro  Sekunde  führten,  und  außer- 
dem rasche  Änderungen  derselben.  Dies  veranlaßte  H.  G.  Vogel,  die 
spektralphotographische  Aufnahme  des  Sternes  näher  ins  Auge  zu 
fassen.  Die  Ergebnisse,  zu  denen  diese  Arbeiten  führten,  hat  Prof.  Vogel 
der  Kgl.  Preuß.  Akademie  der  Wissenschaften  unlängst  vorgelegt,^ 
diese  Abhandlung  enthält  im  wesentlichen  das  Nachfolgende : 

Einige  Aufnahmen  vom  Spektrum  dieses  Sternes,  von  Dr.  Eberhard 
mit  dem  Spektrographen  FV  am  photographischen  Refraktor  (32.5  cm) 
des  Potsdamer  Observatoriums  angefertigt,  zeigten,  daß  o  Persei  auch 
mit  diesem  Instrumente  unter  Anwendung  stärkerer  Zerstreuung,  wie 
sie  der  Spektrograph  IV  gibt,  mit  Erfolg  zu  beobachten  ist.  Bisher 
sind  von  Dr.  Eberhard  unter  Assistenz  von  Dr.  Scholz    18  Spektro- 


^)  Astrophys.  Journal  15.  Nr.  8. 

*)  Sitzber.  d.  K.  Preuß.  Akad.  d.  W.  1902.  5a.  p.  118  ff. 


140  Fixsterne. 

gramme  hergestellt  worden,  deren  Ausmessung  und  weitere  Be- 
arbeitung Prof.  Vogel  vorgenommen  hat.  Der  Stern  ist  4.  Größe; 
sein  Spektrum  ist  ein  schlecht  ausgeprägtes  Spektrum  der  Klasse  Ib, 
in  dem  Prof.  Vogel  nach  frühern  Aufnahmen  bei  geringerer  Dispersion 
16  Linien,  meist  dem  Wasserstoffe  und  dem  Cleveitgase  angehorig, 
messen  konnte.^)  Die  Linien,  besonders  die  des  Wasserstoffes,  waren 
auch  bei  schwacher  Dispersion  sehr  matt  und  überdeckt  Bei  der 
starkem  Zerstreuung  des  Spektrographen  IV  erschien  in  dem  unter- 
suchten Teile  des  Spektrums  die  Wasserstofflinie  Hy  als  eine  schwache 
Aufhellung  in  dem  kontinuierlichen  Spektrum;  die  außerdem  noch 
sichtbare  und  meßbare,  dem  Gleveitgasspektrum  angehörende  Linie 
l  4472  war  matt  und  breit,  und  die  auf  den  meisten  Platten  meßbare 
Clevietlinie  X  4388  war  ihr  ähnlich. 

Die  Messungen  konnten  sich  nur  auf  die  sehr  breite,  verwaschene 
H^ -Linie  und  auf  die  beiden  matten,  breiten  Gleveitgaslinien  i,  4388 
und  l  4472  beziehen. 

Dr.  Eberhard  hat  sich  die  größte  Mühe  gegeben,  die  Expositions- 
zeit den  atmosphärischen  Verhältnissen  anzupassen,  und  hat  besonders 
auch  große  Sorgfalt  auf  die  Entwicklung  der  Platten  verwendet.  Die 
Expositionszeit  schwankte  zwischen  30  und  60  Minuten;  im  Durch- 
schnitte war  sie  40  Minuten.  Die  Spaltbreite  betrug  bei  allen  Auf- 
nahmen 0.02  mm. 

Ob  bei  der  neun-  bis  zehnmal  großem  Lichtstärke  des  Instru- 
mentes der  Yerkesstemwarte  und  der  dadurch  bedingten  kurzem 
Expositionszeit  die  Aufnahmen  bei  derselben  Dispersion  erheblich 
besser  werden  können,  schien  Prof.  Vogel  bei  der  Eigentümlichkeit 
des  Spektrums  fraglich,  sonst  hätte  er  die  Untersuchung  nicht  weiter- 
geführt und  würde  sich  damit  begnügt  haben,  aus  der  Messung  an 
einigen  Aufnahmen  zu  konstatieren,  daß  bei  diesem  Sterne  innerhalb 
einer  Periode  von  4.4  Tagen  Ändemngen  der  im  Visionsradius 
gelegenen  Geschwindigkeitskomponente  von  über  200  km  pro  Sekunde 
vorkommmen. 

Über  die  Messungen  teilt  Prot  Vogel  noch  mit,  daß  er  die  Ver- 
schiebungen der  Linien  im  Stemspektrum  aus  der  Messung  der  Distanz 
der  drei  oben  erwähnten  Linien  im  Stemspektrum  gegen  benachbarte 
Linien  des  Vergleichsspektmms  (Fe)  abgeleitet  hat 

Die  Messungen  auf  den  Platten  sind  ganz  besonders  schwierig, 
und  Prof.  Vogel  bemerkt  in  dieser  Beziehung  beispielsweise,  daß  unter 
schwacher  (zehnfacher)  Vergrößerung  auf  einer  Platte  eine  der  Linien 
ganz  schief  zur  Längsrichtung  des  Spektrums  zu  stehen  schien, 
während  unter  Anwendung  stärkerer  Vergrößerung,  bei  welcher  die 
Struktur  der  Platte  deutlich  zu  erkennen  war,  sich  herausstellte,  daß 
durch  einen  kleinen  schrägen  Strich,  der  sich  innerhalb  der  Spektral- 

')  Publik,  des  Astrophys.  Obs.  12.  p.  88. 


Pixsteme.  141 

Mnie  des  Sternes  durch  Zusammenfließen  einiger  Silberkömehen  gebildet 
hatte,  der  Eindruck  des  Schiefstehens  der  Linie  bei  schwächerer  Ver- 
größerung hervorgebracht  wurde. 

Im  ganzen  wurden  18  Platten  untersucht,  die  in  der  Zeit  vom 
2. — 27.  November  1902  aufgenommen  waren.  Die  erhaltenen  Er- 
gebnisse für  die  Geschwindigkeiten  und  die  Zeiten  der  Aufnahmen, 
auf  die  sie  sich  beziehen,  wurden  durch  eine  Kurve  verbunden,  wo- 
durch sich  ergab,  daß  die  Periode  zu  4.39  Tagen  anzusetzen  ist. 
Eine  genauere  Ableitung  derselben  ist  erst  auf  Grund  weiterer  Be- 
obachtungen nach  längerer  Zeit  möglich.  Die  Annahme  4.39  Tage 
hat  jedoch  genügt,  die  Reduktion  der  verschiedenen  Beobachtungen 
für  eine  übersichtlichere  graphische  Darstellung  auf  den  Zeitraum 
einer  Periode  auszuführen.  Prof.  Vogel  fand  weiter,  daß  eine 
bemerkenswerte  Abweichung  von  einer  Kreisbahn  nicht  vorhanden  ist 

Was  die  Genauigkeit  der  Beobachtungen  anbelangt,  so  ist  die- 
selbe zwar  gering,  aber  doch  größer  ausgefallen,  als  Prof.  Vogel 
anfänglich  erwartet  hatte.  Wenn  man  die  Werte  für  die  einzelnen 
Linien  auf  einer  Platte  mit  dem  Mittel  vergleicht,  so  ergibt  sich  der 
wahrscheinliche  Fehler  der  aus  einer  Linie  auf  einer  Platte  abgeleiteten 
Qeschwindigkeitsbestimmung zu  ^9 km;  dem  Mittel  aus  den  Messungen 
an  einer  Platte  würde  demnach  der  wahrscheinliche  Fehler  ^  b  km 
entsprechen. 

Bei  einer  genauen  Betrachtung  der  aus  den  3  Linien  auf  einer 
Platte  abgeleiteten  Geschwindigkeiten  fiel  es  Prof.  Vogel  jedoch  auf, 
daß,  mit  Ausschluß  derjenigen  Platten,  auf  denen  die  Linien  nur 
eine  geringe  Verschiebung  zeigen,  mit  wenigen  Ausnahmen  die  aus 
der  Verschiebung  der  Linie  H^  abgeleiteten  Geschwindigkeiten,  absolut 
genommen,  kleiner  sind  als  das  Mittel  der  aus  den  Messungen  an  den 
Linien  des  Cleveitgasspektrums  erhaltenen  Werte. 

Gibt  man  die  B.ealität  der  Abweichungen  zu,  so  gestattet,  wie 
Prof.  Vogel  zeigt,  diese  einen  weitern  Einblick  in  das  untersuchte 
Doppelstemsystem. 

»Der  Umstände,  sagt  er,  »daß  eine  periodische  Verdoppelung 
der  Linien  nicht  wahrnehmbar  ist,  könnte  zu  der  Annahme  führen, 
daß  der  eine  Körper  dieses  Systems  dunkel  sei.  Die  große  Mattig- 
keit der  Linien  des  Cleveitgasspektrums  läßt  jedoch  darauf  schließen, 
daß  das  Spektrum  von  einem  zweiten  überdeckt  ist  Die  breiten 
verwaschenen  Wasserstofflinien  passen  ferner  nicht  zu  dem  typischen 
Spektrum  der  Klasse  Ib  und  führen  weiter  zu  der  Annahme,  daß 
das  überdeckende  Spektrum  der  Klasse  I  a  2  angehören  müsse.  Die 
ganz  zarten  Metalllinien,  welche  neben  den  breiten  verwaschenen 
Wasserstofflinien  bei  dieser  Spektralklasse  auftreten,  verschwinden 
gänzlich  durch  die  Überdeckung  dieses  Spektrums  mit  dem  Spektrum  Ib 
des  sich  stark  bewegenden  Körpers.  Unter  diesen  Annahmen  erklärt 
sich  sehr  leicht,  weshalb  die  Messungen  an  der  H;^- Linie  geringere 


142  FIxBtenie. 

Geschwindigkeiten  ergeben,  als  die  an  den  Gleveitlinien.  Die  sdmial^e 
und  weniger  verwaschene  Linie  des  Spektmms  Ib  verbreitert  und 
verstärkt  bei  absoluter  Deckung  der  Spektra  beider  Sterne  das  Ab- 
sorptionsmaximum der  sehr  breiten  und  verwaschenen  linie  H^^  des 
Spektmms  la  2.  Bei  einer  Verschiebung  beider  Spektra  gegeneinander 
bleibt  die  Linie  des  Spektrums  Ib  innerhalb  der  breiten  Linie  des 
andern  Spektrums,  die  Intensitätskurven  beider  Linien  setzen  sich 
aber  so  aneinander,  daß  ein  breiteres,  unsymmetrisch  zur  Mitte  des 
Gesamtbildes  beider  Linien  liegendes  Maximum  entsteht.  Die  Messung 
der  H^- Linie  mit  dem  periodisch  sich  verschiebenden  Spektrum  Ib 
wird  also  beeinflußt  durch  die  H  7 -Linie  des  Spektrums  Ia2,  und 
zwar  in  der  Weise,  daß  die  Messungen  der  Verschiebung,  absolnt 
genommen,  zu  klein  ausfallen.  In  welchem  Maße  dies  geschieht,  ist 
natürlich  ganz  von  der  relativen  Intensität  der  Absorptionslinien 
beider  Spektra  und  von  der  Güte  des  Spektrogramms  abhängig. 
Trotz  der  Schwäche  und  der  Breite  dieser  Absorptionslinien  ist  an- 
zunehmen, daß  2  Maxima  in  der  zusammengesetzten  H}' -Linie  zu 
Zeiten  der  größten  Verschiebungen  erkennbar  sein  würden,  wenn  beide 
Komponenten  des  Doppelstemes  stärkere  Verschiebungen  erleiden« 
Selbst  bei  einer  geringen  Bewegung  des  zweiten  Sternes  würde  der 
Einfluß  auf  die  Auffassung  der  zusanunengesetzten  H  7 -Linie  ein 
ein  stärkerer  sein  müssen,  als  er  tatsächlich  gewesen  ist.  Nach  den 
Beobachtungen  scheint  demnach  die  Annahme  ziüässig,  daß  der  Schwer- 
punkt beider  Körper  sehr  nahe  an  dem  Sterne  mit  dem  Spektrum  la  2 
oder  selbst  noch  innerhalb  desselben  gelegen  ist* 

Mit  dem  Werte  für  die  größte  Geschwindigkeit  von  110  km, 
der  Annahme,  daß  der  Schwerpunkt  des  Systems  innerhalb  des  einen 
Körpers,  und  die  Bahnebene  in  der  Gesichtslinie  zur  Erde  liegt,  und 
mit  der  Periode  4.39  Tage  berechnet  Prof.  Vogel  den  Abstand  beider 
Körper  zu  6  640  000  Am,  und  die  Masse  des  Systems  ergibt  sich  zu 
0.6  der  Sonnenmasse.  Legt  man  der  Rechnung  als  größte  Geschwindig- 
keit 115  km  anstatt  110  km  zugrunde,  so  ergibt  sich  für  den 
Abstand  beider  Körper  6940000  km,  für  die  Masse  des  Systems 
0.7  Sonnenmasse. 

e  Aurirae.  Über  diesen  Veränderlichen  machte  Prof.  Vogel  in 
der  Preuß.  Akademie  der  Wissenschaften  Mitteilungen.^)  Bei  den  vor 
einigen  Jahren,  sagt  er,  an  Stemspektren  angestellten  Untersuchungen 
über  die  brechbarem  Teile  des  Spektrums  fiel  es  Dr.  Eberhard  auf, 
daß  in  dem  an  der  Grenze  zwischen  der  Spektralklasse  I  und  11 
stehenden  Spektrum  des  bekannten  Variabein  £  Aurigae  die  Serie 
der  Wasserstofflinien  im  Violett  über  die  Linien  H  und  K  hinaus 
deutlicher  hervortrat,  als  es  bei  den  Sternen  von  ähnlichem  Spektral- 
typus der  Fall  ist     Er  vermutete,  daß  das  Spektrum  des  Sternes  als 


')  Sitzber.  d.  K.  Preuß.  Akad.  d.  W.  1902.  p.  1068. 


Fixsterne.  143 

-eine  Übereinanderlagerung  zweier  Spektra  von  verschiedenen  Typen 
anzusehen  sei. 

Große  Verändeningen  im  Spektrum  von  e  Aurigae,  die  allein 
bei  der  geringen  Dispersion  des  von  Dr.  Eberhard  benutzten  Spektro- 
^aphen  (D)  mit  einem  Prisma  hätten  erkamit  werden  können, 
zeigten  zu  verschiedenen  Zeiten  gemachte  Aulnahmen  des  Spek- 
trums nicht 

Von  Prof.  Hartmann  sind  mit  dem  großen  Spektrographen  (III) 
in  Verbindung  mit  dem  80  cm^Refraktor  Ende  April  und  Anfang 
Mai  1900  3  Spektrogramme  angefertigt  worden,  welche  bei  der  Ver- 
^leichung  untereinander  in  der  Gegend  der  Linien  mit  den  Wellen- 
längen i  415  fxfi — l  455  ju^/jt  nichts  Auffälliges  zeigten.  Dr.  Eber- 
hard hat  dann  weiter  mit  dem  vor  3  Jahren  von  Prof.  Vogel  für  den 
photographischen  Refraktor  von  32.5  cm  Öffnung  konstruierten  Spek- 
trographen (IV)  mit  3  Prismen  das  Spektrum  von  e  Aurigae  am 
9.  November  1901  und  am  18.,  19.  und  22.  November  1902  auf- 
genommen, Schon  eine  oberflächliche  Vergleichung  der  Spektra  aus 
diesem  Jahre  mit  dem  vorjährigen  Spektrum  ließ  erkennen,  daß  das 
Stemspektrum  eine  Veränderung  erlitten  hatte,  und  eine  von  Prof. 
Vogel  daraufhin  sogleich  an  den  Spektrogrammen  begonnene  ein- 
gehende Untersuchung  und  Messung  hat  bisher  ergeben,  daß  die 
Vermutungen  Dr.  Eberhards  begründet  waren,  und  tatsächlich  das 
'Spektrum  von  e  Aurigae  durch  Übereinanderlagerung  zweier  Spektra, 
und  zwar  eines  Spektrums,  ähnlich  dem  von  a  Gygni,  und  eines 
Spektrums,  an  der  Grenze  der  I.  und  IL  Spektralklasse  (a  Persei, 
y  Gygni)  gelegen,  gebildet  ist. 

Gegenwärtig  ist  das  erstgenannte  Spektrum,  das  intensivere, 
relativ  zum  andern  nach  Violett  um  einen  Betrag  verschoben,  der 
einer  Bewegung  von  30 — 40  km  in  der  Sekunde  entspricht  Das 
Spektrum  unterscheidet  sich  zur  Zeit  wesentlich  dadurch  von  dem 
vorjährigen  (1901),  daß  nur  einige  wenige  Linien  des  Eisenspektrums 
darin  zu  erkennen  sind.  Die  meisten  sind  wahrscheinlich  infolge  der 
Verschiebung  der  Spektra  gegeneinander  verschwunden,  und  es  sind 
im  wesentlichen  nur  die  Linien  eines  Spektrums  ähnlich  dem  von 
a  Cygni  zu  erkennen,  die  meist  doppelt  erscheinen  und  dadurch 
charakterisiert  sind,  daß  die  nach  Violett  gelegene  Komponente  mit 
wenigen  Ausnahmen  die  stärkere  ist,  und  die  Begrenzung  der  oft 
schwer  zu  trennenden  Doppellinien  nach  Violett  äußerst  scharf 
erscheint.  Bei  den  Linien  des  Wasserstoffs  ist  das  besonders  auf- 
fallend, wie  eine  von  Prof.  Hartmann  am  22.  November  1902  her- 
gestellte, sehr  gelungene  Aufnahme  mit  dem  nur  mit  einem  Prisma 
versehenen  Spektrographen  (I)  in  Verbindung  mit  dem  80  cm-Refrak- 
tor  zeigt 

Es  unterliegt  hiemach  wohl  keinem  Zweifel,  daß  e  Aurigae  ein 
spektroskopischer  Doppelstem  ist  und  wahrscheinlich  ein  solcher  mit 
sehr  langer  Periode. 


144  Fixsterae. 

Die  Vergleichungen  und  AuBmessungen  der  Spektra  bieten  erheb- 
liche Schwierigkeiten,  indem  besonders  in  einigen  Teilen  des  Spek- 
trums durch  die  Ungleichariigkeit  der  beiden  übereinander  gelagerten 
Spektra  Komplikationen  entstehen.  Prof.  Vogel  behalt  sich  vor, 
später  eingehender  über  die  recht  interessanten  Details  des  Spektrums 
dieses  Sternes,  der  andauernd  auf  dem  astrophysikalischen  Obser- 
vatorium zu  Potsdam  beobachtet  werden  wird,  zu  berichten. 

a  Corona e.  Durch  Aufnahme  mit  dem  Spektrographen  I  des 
großen  Refraktors  des  Potsdamer  Observatoriums  fand^)  Prof.  Hart- 
mann, daß  auch  dieser  Stern  1.  Größe  eine  veränderliche  Eigen- 
bewegung besitzt  Die  13  Aufnahmen,  welche  zwischen  28.  Mai  1902 
und  23.  Juni  1903  erhalten  wurden,  zeigen  Werte  für  die  radiale 
Geschwindigkeit  dieses  Sternes,  die  zwischen  — 20  km  und  -}-38  km 
variieren  (das  Zeichen  —  bedeutet  Annäherung,  -f-  Entfernung  von 
der  Erde).  Die  Periode  dieser  Veränderung  ist  17  Tage.  Das  Spek- 
trum gehört  zur  Vogelschen  Klasse  la  2. 

)?Arietis.  Die  Bewegungsänderungen  gehen  nach  den  Pots- 
damer Aufnahmen^)  bis  zu  60  km;  es  ist  auch  auf  2  Platten  eine 
Verdopplung  der  Magnesiumlinie  X  4481  zu  erkennen,  die  eine  rela- 
tive Geschwindigkeit  der  Komponenten  von  70  hn,  bezw.  60  km  ergibt. 
Weitere  Untersuchungen  sind  in  Potsdam  in  Aussicht  genommen. 

(o  Ursae.  Aufnahmen  aus  der  Zeit  vom  25.  April  bis  22.  Juni 
1903  machen  eine  relative  Bewegung  der  Komponente  von  ca.  45  km 
in  der  Sekunde  wahrscheinlich.  Auch  dieser  Stern  ist  vermutlich 
ein  spektroskopischer  Doppelstern. 

e  U  r  s  a  e.  Die  Abweichung  des  von  Adams  gefundenen  Wertes 
für  die  radiale  Bewegung  von  dem  1889  zu  Potsdam  ermittelten,  hat 
Prof.  Vogel  veranlaßt,  die  neuen  im  Frühjahre  1903  dort  erhaltenen  Auf- 
nahmen des  Sternes  zu  vermessen.  Er  fand  im  Mittel  von  7  Spektrogrammen 
eine  Bewegung  von  9 Am.  Obgleich,  sagt  Prof.  Vogel,  die  Ermittlungen  der 
Verschiebung  bei  den  Spektren  der  Klasse  I  früher  nur  auf  der  Messung 
des  Abstandes  der  Mitte  der  meist  breiten  und  verwaschenen  H}' -Linie 
von  der  künstlichen,  das  Stemspektrum  durchsetzenden  H}'- Linie 
beruhten  und  daher  keine  große  Genauigkeit  besitzen  konnten,  so 
übersteigt  doch  ein  Unterschied  von  über  20  km  erfahrungsgemäß 
so  erheblich  das  Maß  der  Unsicherheit,  daß  ich  die  Ansicht  von 
Adams,  daß  e  Ursae  majoris  der  variabeln  Bewegung  im  Visionsradius 
verdächtig  ist,  teilen  möchte. 

)8  Scorpii  ist  von  V.  M.  Slipher  auf  der  Lowellsternwarte  zu 
Flagstaff  (Arizona)  1902  und  1903  in  12  Nächten  spektrographisch 
aufgenommen  worden.^  Diese  Aufnahmen  ergaben  eine  ungewöhnlich 
große  Veränderlichkeit  der  radialen  Bewegung  dieses  dem  Oriontypus 


*)  Astron.  Nachr.  Nr.  3890. 
«)  Astron.  Nachr.  Nr.  8896. 
•)  Lowell-Observatory  Bulletin  Nr.  1. 


Fixsterne.  145 

angehörigen  Sternes.  Sie  variieren  zwischen  — 109  und  -|-140  km^ 
und  die  Beobachtungen  deuten  auf  eine  äußerst  kurze  Periode;  doch 
sind  die  Messungen  offenbar  mit  Vorsicht  aufzunehmen. 

>lScorpii  ist  auf  der  Lowellstemwarte  von  V.  M.  Slipher  in 
der  Zeit  von  1903  Juni  8  bis  April  24  spektrographisch  beobachtet 
w^orden.  Diese  Aufnahmen  ergaben  Radialgesohwindigkeiten,  welche 
zwischen  — 42  und  -}*38  km  variieren.^) 

Die  Bahnyerhältnlsse  des  spektroskopischen  Doppel- 
Sternes  17  Orionis.  Dieser  Stern  3.4  Größe,  dessen  Ort  am  Himmel 
(für  1900.5)  ist:a  =  5*^19«^d  =  —  2«29'  besitzt,  wie W. Herschel 
1781  fand,  einen  Begleiter  10.5  Größe  in  etwa  110''  Abstand.  Im 
Jahre  1848  entdeckte  Dawes,  daß  der  Hauptstem  selbst  wiederum 
doppelt  ist  und  aus  2  Sternen  4.  und  6.  Größe  besteht,  die  etwa 
1"  voneinander  entfernt  sind.  Im  Dezember  1901  fand  man  auf 
der  Yerkesstemwarte,  daß  der  hellere  Stern  (4.  Größe)  eine  ver- 
änderliche Eigenbewegung  in  der  Gesichtslinie  zur  Erde  besitzt,  in- 
dem er  sich  bald  der  Erde  mit  einer  Geschwindigkeit  bis  zu  60  km 
nähert,  bald  mit  ebensolcher  Schnelligkeit  entfernt  Nach  den  bis- 
herigen Erfahrungen  war  daraus  zu  schließen,  daß  dieser  Stern  mit 
einem  andern,  unsichtbaren,  eine  Bahn  mit  wenigen  Tagen  Umlaufs- 
dauer um  den  gemeinsamen  Schwerpunkt  beschreibt,  und  der  Beobachter 
Walter  S.  Adams  begann  eine  Reihe  regelmäßiger  photographischer 
Spektralaufnahmen  des  Sternes,  um  die  Bahn  desselben  genauer  zu 
ermitteln.     Die  Ergebnisse  dieser  Arbeit  liegen  nun  vor.*) 

Der  Stern  gehört  zur  Klasse  derjenigen  Doppelsterne,  bei  welchen 
die  eine  Komponente  dunkel  ist,  denn  keine  der  Aufnahmen  zeigt 
eine  Spur  davon,  daß  etwa  2  Spektra  übereinander  gelagert  seien. 
Das  Spektrum  gehört  dem  Typus  der  Orionsteme  an,  aber  es  enthält 
außer  den  regelmäßig  vorkommenden  Linien  des  Heliums  und  des 
Wasserstoffs  3  Linien  des  Siliziums  und  eine  Anzahl  von  Linien 
des  Sauerstoffs  und  Stickstoffs,  welche  sich  von  großem  Werte  für 
die  Geschwindigkeitsbestimmung  des  Sternes  erwiesen.  Zu  ge- 
wissen Zeiten  ist  die  Änderung  dieser  Geschwindigkeit  so  rasch,  daß 
sie  sich  um  mehrere  Kilometer  während  der  Dauer  der  photographischen 
Aufnahme  ändert,  wodurch  das  Aussehen  der  Linien  auf  den  Platten 
merklich  beeinflußt  wird. 

Bei  Untersuchung  der  Aufnahmen  wurden  in  den  meisten  Fällen 
die  Positionsverschiebungen  von  8 — 10  Linien  gemessen,  und  die 
einzelnen  Werte  stimmen  im  ganzen  vorzüglich  miteinander  überein. 
Die  größten  Geschwindigkeiten  des  Sternes  waren  -|-  179.0  km  in 
der  Sekunde  am  9.  Januar  1902  und  — 106.5  Am  am  3.  April,  wobei 
das  Zeichen  4*  bedeutet,  daß  sich  der  Stern  entfernt,  —  daß  er  sich 


»)  a.  a.  0.,  Nr.  4. 

■)  Astrophys.  Journal  1908.  17.  p.  68. 
Klein,  Jahrbuch  XIV.  10 


146  FizBteme. 

nähert  Im  ganzen  wurden  28  Aufnahmen  aus  der  Zeit  vom 
27.  November  1901  bis  zum  19.  November  1902  zur  Bahnberechnung 
benutzt.     Das  Ergebnis  derselben  ist  folgendes: 

Dauer  des  Umlaufes  um  den  gemeinsamen  Schwerpunkt  (P) 
=  7.9896  Tage.  Geschwindigkeit  des  Massenschwerpunktes  des 
Systems  (V)  =  35.5  km  pro  Sekunde.  Durchgang  durch  das  Periastmm 
(T)  =  1901  Dezember  1.821.  Exzentrizität  der  Bahn  (e)  =  0.016. 
Positionswinkel  des  Periastrums  (a>)  =  42^16'.  Halbe  große  Achse 
der  Bahn  (a  sin  i)  =  15  901  000  km. 

Die  Helllgkeitsyertellungr  In  der  MilchstraBe  vergrllcheii 
mit  derVerteilimgr  der  in  der  nördlichen  Milehstraße  stehenden 
Sterne  der  Bonner  Durehmusterungr  ist  von  C.  Easton  studiert 
worden.^)  Von  dieser  wichtigen,  durch  zahlreiche  Tabellen  und 
statistische  Zusammenstellungen  ausgeführten  Arbeit  gibt  A.  Berberich 
eine   kritische  Darstellimg,  ^   der   das  Nachfolgende   entnommen   ist. 

Um  den  Glanz  der  einzelnen  Teile  des  Milchstraßengürtels  durch 
Zahlen  auszudrücken,  wäMte  Easton  6  Helligkeitsstufen,  von  ganz 
schwachem  Lichte  bis  zu  hellstem  Glänze.  Auf  der  von  ihm  selbst 
gezeichneten  Karte  der  Milchstraße  wurden  Linien  gleicher  Helligkeit 
eingetragen,  so  daß  für  jede  Stelle  der  Helligkeitsgrad  angegeben 
werden  kann.  Dann  wählte  er  auf  einer  von  Prof.  M.  Wolf  ihm  zur 
Verfügung  gestellten  Aufnahme  der  Gegend  um  y  Cygni  2  Stellen 
aus,  eine  vom  höchsten  Glänze  (Stufe  f)  und  eine  von  ziemlich  ge- 
ringer Helligkeit  (Stufe  6),  zählte  daselbst  die  Sterne  in  halben 
Größenklassen  ab  und  berechnete  deren  Gesamtlicht  Das  Licht  der 
schwächsten  Sterne  (13.6 — 14  Gr.)  wurde  als  Einheit  angenommen 
und  jede  halbe  Größe  als  1.6  mal  heller  gerechnet.  So  fanden  sich 
folgende  Zahlenwerte  der  6  Helligkeitsstufen  in  der  Milchstraße: 
1,  1.37,  1.88,  2.58,  3.53,  4.85,  also  das  Verhältnis  einer  Stufe  zur 
nächsten  wie  1:1,37.  Man  könnte  diese  Helligkeiten  auch  ohne 
weiteres  und  vielleicht  noch  übersichtlicher  in  Stemgrößen  ausdrücken 
und  fände  dann  jene  6  Grade  gleichwertig  mit  Sternen  von  ungefähr 
5.4,  5.1,  4,7,  4.4,  4.0,  3.6  Größe. 

Nun  handelte  es  sich  darum ,  die  Verteilung  der  in  der  Bonner 
Durchmusterung  enthaltenen  Sterne  der  Milchstraßenzone  zu  bestimmen 
und  mit  der  Verteilung  des  Glanzes  längs  dieser  Zone  zu  ver- 
gleichen. Easton  stützte  sich  bei  dieser  Arbeit  auf  die  Karten  Strato- 
noffs,  faßte  aber  die  Sterne  nach  ihren  Größen  in  bloß  4,  statt  8  Grup- 
pen zusammen  (0—6.5,  6.6 — 8.0,  8.1 — 9.0  und  unter  9.0  Größe), 
um  die  Unsicherheit  der  Abgrenzung  und  rein  lokale  Unregelmäßig- 
keiten zu  eliminieren.    Die  Milchstraßenzone  zwischen  18^  südlicher 


^)  Verhandelingen  d.  Kon.  Akad.  van  Wetensch.  Amsterdam.    Sekt.  L 
8.  Nr.  8. 

■)  Naturwiss.  Rundschau  1908.  Nr.  16. 


Fixsterne.  147 

und  18  ^  nördlicher  Breite  von  der  Mittellinie  aus  wurde  in  Vierecke 
von  je  15^  Länge  und  4^  Breite  geteilt  Für  jedes  Viereck  wurde 
die  Dichte  der  Sterne  jeder  einzelnen  Größengruppe  aus  Stratonoffs 
Tabellen  und  Karten  berechnet  und  der  Zahlenwert  des  Helligkeits- 
grades der  Milchstraße  aus  der  eigenen  Karte  entnommen. 

Es  ergab  sich  nun  deutlich,  daß  die  Dichte  oder  das  Zusammen- 
drängen der  Sterne  um  so  weniger  dem  eigentlichen  Milchstraflen- 
glanze parallel  geht,  je  heller  die  Sterne  sind.  So  erscheint  es  fast 
als  eine  Regel,  daß  die  Sterne  der  I.  Größengruppe  in  Gegenden  von 
mäßigem  Glänze  der  Milchstraße  vorwiegen,  wie  sie  überhaupt  viel 
gleichförmiger  verteilt  sind  als  die  übrigen  Sterne,  namentlich  die  der 
rV.  Gruppe.  Dieser  Gegensatz  ist  leicht  begreiflich,  denn  wenn  auch 
die  Dimensionen  und  Strahlungsintensitäten  der  Fixsterne  noch  so 
verschieden  sind,  so  werden  im  Durchschnitte  die  hellem  Sterne 
doch  näher  sein  als  die  schwachem  und  infolge  der  Perspektive 
weiter  auseinander  treten  als  diese.  Eine  bedeutsame  Ausnahme 
jener  Regel  wird  von  Easton  jedoch  besprochen,  nämlich  die  starke 
Verdichtung  von  Stemen  aller  Größenordnungen,  verbunden  mit  hohem 
Milchstraßenglanze  in  der  Gegend  von  a  Gygni.  Jene  Regel  spricht 
sich  auch  in  der  Tatsache  aus,  daß  die  Stellen  größten  Glanzes  im 
Durchschnitte  nur  4^  von  der  Mittellinie  der  Milchstraße  abstehen, 
während  der  Abstand  regelmäßig  wächst  bei  abnehmendem  Glänze. 
Das  Verhalten  der  Sterne  im  Vergleiche  mit  dem  Milchstraßenlichte 
stellt  Easton  in  verschiedenen  Tabellen  dar,  von  denen  folgende  die 
anschaulichste  sein  dürfte.  Er  bildet  6  Abteilungen  zu  je  14  Vier- 
ecken, ordnet  die  Abteilungen  nach  dem  Glänze  M  der  Milchstraße 
und  fügt  die  durchschnittlichen  Sterndichten  der  4  Größengmppen  bei: 


Abt. 

M 

IV. 

m. 

u. 

I. 

Ä 

1.77 

1.24 

1.22 

1.21 

1.20 

B 

1.36 

1.20 

1.18 

1.09 

1.03 

C 

1.15 

1.05 

1.01 

0.96 

1.09 

D 

0.92 

1.03 

1.02 

1.00 

1.10 

E 

0.73 

0.89 

0.91 

0.97 

0.94 

F 

0.40 

0.62 

0.66 

0.71 

0.89 

Das  Verhältnis  der  ersten  zur  letzten  Abteilung  ist  für  den 
Milchstraßenglanz  4.4  zu  1,  während  für  die  4  Größengmppen  der 
Steme  das  Verhältnis  von  2.0  bis  auf  1.35  sinkt,  sich  also  von  dem 
des  Glanzes  um  so  mehr  entfernt,  je  heller  die  Steme  sind. 

Aus  den  gefundenen  Regelmäßigkeiten  folgert  Easton  zuerst,  daß 
die  einzelnen  Verdichtungen,  die  man  im  Verlaufe  der  Milchstraße  be- 
merkt, nicht  ganz  ohne  Zusammenhang  miteinander  sein  können. 
Eine  verhältnismäßig  sehr  weit  entfemte  Stemwolke  würde  nur 
schwache  Steme  zu  den  sonstigen  Stemen  hinzufügen,  bei  gleichem 
Abstände  aller  Wolken  wäre  auch  eine,  in  Wirklichkeit  nicht  vor- 
handene, völlige  Gleichförmigkeit  der  Stemverteilung  zu  erwarten. 
Für  die  Ungleichheit  des  Abstandes  verschiedener  Teile  der  Milch- 
straße,  die   scheinbar  beieinander  liegen,   lassen  sich  Beispiele  an- 

10» 


148  Fizsterae. 

führen.  So  erfahren  die  Sterne  der  hellsten  Grupx>en  in  der  Haupt- 
▼erdichtang  im  Gygnus  eine  starke  Zusammendrängong,  an  der  sekun- 
dären Verdichtung,  die  in  den  Sternbildern  Auriga  und  Monoceros 
liegt,  nehmen  sie  dagegen  nicht  teil,  sind  vielmehr  hier  recht  spärlich. 
Andererseits  treten  gerade  die  hellen  Sterne  in  der  Perseusgegend 
ungewöhnlich  häufig  auf,  wo  die  schwachen  Sterne  in  verhältnis- 
mäßig geringerer  Zahl  zu  finden  sind.  Es  liegt  kein  Grund  vor,  den 
Sternen  dieser  verschiedenen  Regionen  ungleiche  wahre  Größen  oder 
abweichende  physische  Beschaffenheit  zuzuschreiben;  der  Unterschied 
in  der  Häufigkeit  der  Größengruppen  an  solchen  Stellen  läßt  sich, 
jedenfalls  am  einfachsten  mit  der  Verschiedenheit  der  Entfernung 
jener  Verdichtungen  erklären.  So  bemerkt  man  gerade  auch  bei  der 
schon  erwähnten  großen  Verdichtung  im  Gygnus  einen  auffallenden 
Gegensatz,  indem  die  hellen  Sterne  mehr  im  Norden,  die  schwachem 
nach  Süden  hin  vorwiegen.  An  eine  tatsächliche  Scheidung  der 
großen  und  kleinen  Sterne  im  Räume,  und  zwar  auf  einer  so  be- 
schränkten Fläche  von  der  halben  Breite  der  Milchstraßenzone,  wird 
man  kaum  glauben  wollen.  Die  Regelmäßigkeit,  mit  der  das  Vor- 
wiegen der  hellen  Sterne  allmählich  dem  Vorwiegen  der  schwachem 
Platz  macht,  wenn  man  von  Gygnus  weiter  nach  Gepheus,  Gassiopeia, 
Aquila  bis  Scutum  geht,  spricht  dafür,  daß  die  Änderung  der  Hellig- 
keit von  einer  Zunahme  der  Entfemung  herrührt  Als  das  am  besten 
begründete  Ergebnis  seiner  Untersuchung  betrachtet  Easton  die  Folge- 
rung, daß  von  den  2  Ästen  der  Milchstraße,  die  von  Deneb  (a  Gygni) 
gegen  Albireo  {ß  Gygni)  und  gegen  y  Aquilae  ziehen,  der  letztere  viel 
weiter  von  uns  entfernt  ist  als  der  erstere,  wennschon  der  Glanz, 
beider  Äste  durchaus  nicht  sehr  verschieden  ist.  Einzelne  der  Stern- 
gruppen, die  man  in  diesen  Ästen  bemerkt,  mögen  allerdings  nur 
perspektivisch  zu  ihnen  gehören,  während  sie  räumlich  weit  vor 
ihnen  stehen.  So  braucht  man  auch  nicht  anzunehmen,  daß  die 
Lichtbrücken,  die  vom  einen  zum  andern  Aste  laufen,  wirkliche 
physische  Verbindungen  darstellen;  sie  dürften  kürzere  Zweige  des 
einen  Astes  sein,  deren  Endteile  nur  scheinbar  im  andern  Aste  liegen» 

Nebelflecke. 

Photogrraphlsche  Aufnahmen   kosmisoher   Nebelflecke. 

Dr.  Isac  Roberts  veröffentlicht  einige  Ergebnisse  seiner  neuen  photo- 
graphischen Aufnahmen  von  Nebeln.^) 

NGK.  Nr.  7822  in  der  Gassiopeia.  Es  ist  der  Nebel  h  2302 
von  John  Herschel  und  wird  von  diesem  als  äußerst  schwach,  mndlich 
imd  10'  im  Durchmesser  haltend  beschrieben.  Die  photographischen 
Aufnahmen  geschahen  mit  dem  20-zolligen  Reflektor  und  90^  Ex- 
ponierung am   9.  Oktober  1901,    am  25.  Oktober  und  2.  Dezember 


')  Monthly  Notices  1903.  63.  p.  301. 


Nebelflecke.  149 

1902.  Sie  zeigen  das  Objekt  als  eine  feine  Nebelwolke  von  unregel- 
mäßiger Struktur  und  Helligkeit  mit  mehrem  hellen  Sternen.  Diese 
Nebelwolke  hat  42'  Ausdehnung  von  0  nach  W  und  88'  von  N  nach 
S,  auch  sind  Spuren  von  noch  weiter  reichendem  Nebel  vorhanden, 
der  bei  längerer  Exponierung  der  Platte  wahrscheinlich  sichtbar  würde. 

Die  Gegend  um  den  Nebel  N.  Q.  K.  Nr.  1665  im  Eridanus  zeigt 
mehrere  Nebel,  darunter  als  hervorragendsten  den  Nebel  W.  Herschel  II 
457,  der  sich  auf  der  Photographie  als  schräg  liegende  rechts  gedrehte 
Spirale  mit  sternförmigem  Kerne  darstelll 

Der  Nebel  N.  Q.  K.  Nr.  1659  im  Eridanus  erscheint  ebenfalls 
als  Spiralnebel  mit  hellem,  sternförmigem  Kerne. 

N.  Q.  K.  1643  wird  von  Herschel  als  äußerst  schwach  und  sehr 
klein  bezeichnet  sowie  unregelmäßig  rund;  die  Photographie  zeigt 
ihn  hell  und  ziemlich  groß. 

N.  G.  K.  1656,  den  Herschel  als  äußerst  schwach  bezeichnet, 
zeigt  einen  großen,  stemigen  Kern  mit  feinen  nebeligen  Ausläufern  an 
der  nördlichen  und  südlichen  Seite. 

N.  G.  K.  1645  wird  von  d* Arrest  als  sehr  lichtschwach  be- 
schrieben; die  Photographie  zeigt  einen  mäßig  hellen  Stern  von 
einer  Nebelhülle  umgeben. 

N.  G.  K.  1667,  von  Stephan  entdeckt,  ist  wahrscheinlich  ein 
Spiralnebel  mit  unregelmäßigem  Kerne. 

N.  G.  K.  1681,  ebenfalls  von  Stephan  entdeckt,  zeigt  einen  hellen 
stemigen  Kern  mit  Nebelhülle. 

N.  G.  K.  7492  im  Wassermann,  vonW.  Herschel  als  lichtschwacher 
Nebel  bezeichnet,   ist  ein  Haufen  überaus  feiner  Sterne. 

Außer  diesen  zeigen  die  Platten  von  Dr.  Roberts  noch  eine  große 
Zahl  feiner  Sterne  mit  unregelmäßigen,  verschwommenen  Rändern, 
die  von  andern  Astronomen  wohl  als  feine  Nebel  bezeichnet  würden, 
doch  hält  Roberts  dies  nicht  für  zulässig,  da  die  erwähnten  Unregel- 
mäßigkeiten der  Ränder  durch  Störungen  in  der  Erdatmosphäre  oder 
instrumentale  Einflüsse  entstanden  sein  können. 

Eine  Eigrentümllehkelt  der  großen  Nebelflecke.  Prof. 
Dr.  Max  Wolf  (Heidelberg)   macht  hierüber  folgende  Mitteilungen:^) 

>Die  ausgedehnten  Nebelmassen  des  Himmels  bilden  für  die 
Aufnahme  mit  den  kurzbrennweitigen  Porträtlinsen  naturgemäß  die 
lohnendsten  Objekte.  Nur  mit  Hilfe  dieser  Instrumente  lassen  sie 
sich  auffinden,  in  ihrer  Ausdehnung  erkennen  und  in  ihrem  Zusammen- 
hange mit  den  Sternen  der  umgebenden  Himmelsräume  studieren. 
Daher  habe  ich  auch,  soviel  es  die  andern  Arbeiten  und  das  geizige 
Wetter  gestatteten,  lange  dauernde  Aufnahmen  solcher  mit  Nebel 
erfüllter  Oegenden  gemacht.  Dabei  bin  ich  auf  die  merirwürdige 
Erscheinung  aufmerksam   geworden,    daß   diese  Nebel  stets  zugleich 


»)  Astron.  Nachr.,  Nr.  8848. 


150  Nebelflecke. 

mit  solchen  Stellen  vorkommen,  wo  die  Sternzahl  plötzlich  geringer 
wird,  und  fast  gar  keine  schwachen  Sterne  vorhanden  sind;  stets 
finden  sich  solche  Nebel  oder  wenigstens  ihre  wahrnehmbaren  Teile 
zusammen  mit  ausgedehnten  Stemleeren. 

Zwei  hervorragende  Beispiele,  den  großen  Orionnebel  und  den 
Amerikanebel,  hat  Herr  A.  Kopf!  auf  meine  Veranlassung  hin  zahlen- 
mäßig untersucht^)  Herr  Eopff  hat  durch  Aufzählen  der  Sterne 
der  Umgebung  der  genannten  Nebel  gezeigt,  daß  eine  systematische 
Beziehung  zwischen  Nebel  und  Stemwüste  auch  zahlenmäßig  nach- 
weisbar ist,  und  er  hat  graphische  Darstellungen  der  Stemdichte  um 
die  beiden  Nebel  gegeben.  Die  Nebel  sind  von  Stemleeren  umschlossen, 
die  sich  besonders  nach  einer  Seite  hin  weithin  ausdehnen,  und  in 
denen  die  schwachem  Steme  fast  vollständig  fehlen,  während  die 
wenigen  vorhandenen  Steme  den  hellem  Größenklassen  angehören. 
In  den  Nebelmassen  selbst  ist  die  Stemzahl  so  groß  als  sonstwo. 
Die  Stemleeren  folgen  dabei  so  genau  den  Nebelrändem,  daß  man 
aus  der  graphischen  Darstellung  der  Stemzahlen  die  Umrisse  der 
Nebel  zeichnen  kann,  ohne  die  Nebel  zu  sehen.  Herr  Eopff  hat 
gleichzeitig  gefunden,  daß  schon  W.  Herschel  auf  die  stemarmen 
Gegenden  in  Verbindung  mit  den  Nebelflecken  hingewiesen  hat. 

Bis  jetzt  sind  uns  folgende  Beispiele  dieser  Gesetzmäßigkeit 
näher  bekannt  In  Verbindung  mit  dem  großen  Orionnebel  stehen 
die  t Orionnebel  und  der  Nebel  NGO  2064  —  2068  und  bieten  die- 
selbe Gesetzmäßigkeit.  Der  Nebel  Messier  8  und  die  von  mir  gefundene 
mehr  als  10  Quadratgrad  große  Nebelmasse  im  Süden  desselben 
(a  =  18.0h  <J  =  — 26.4®)*)  gehören  ebenfalls  hierher,  femer  der 
Trifidnebel  (Messier  20),  die  ausgedehnten  Nebel  bei  y  Scuti,  bei 
^Ophiuchi  und  nördlich  von  Antares;  die  Nebel  bei  v  Scorpii,  bei 
^  Ophiuchi,  bei  97  Garinae  und,  schwächer  ausgesprochen,  bei  den 
Plejaden. 

Vollständig  verschieden  hiervon  sind  die  Verhältnisse  bei  andern 
Nebeln,  deren  Hauptrepräsentant  der  große  Andromedanebel  ist 
Hierher  gehören  die  vielen  Spiralnebel,  wie  z.  B.  Messier  33,  GG. 
3249  usw.,  dann  aber  auch  wohl  Herrschel  V  14  Gygni  und  ander- 
seits die  zahllosen  kleinen  Nebelflecken.  Bei  allen  Nebeln  dieser 
Gattung  scheinen  die  Stemleeren  völlig  zu  fehlen.  Es  ergibt  sich 
mithin  aus  der  beschriebenen  Eigenschaft  eine  Systematik  für  die  Ein- 
teilung der  Nebel. 

In  diesem  Winter  habe  ich  wieder  zwei  hervorragende  Beispiele 
für  die  Erscheinung  photographiert,  die  mich  veranlassen,  hier  eine 
kurze  Mitteilung  zu  machen. 

Das  eine  Beispiel  ist  ein  großer  Nebel,  der  zwei  hellere  Nebel- 
flecken  verbindet,   imd  der   sein   Zentram   etwa   in   a  ==  6  h   28  m 


^)  PubL  d.  Astrophys.  Obs.  Königstuhl-Heidelberg,  L  p.  177. 
")  Alle  Koordinaten  gelten  für  1865.0. 


Nebelflecke.  151 

d  =  -^  10^  in  MoDoceros  liegen  hat.  Die  beiden  Hauptverdichtnngs- 
stellen  liegen  in 

a  =  6h     32m      d  =  +     9.8« 
und  6       23  +  10.0. 

Die  erste  ist  in  Dreyers  Katalog  als  Sternhaufen  15  Monocerotis, 
Herschel  V  27  =  NQC.  2264  bezeichnet  und  schon  oben  als  Bei- 
spiel erwähnt,  während  die  zweite,  die  ebenso  hell  und  groß  ist, 
von  P.  Götz  hier  in  diesem  Winter  am  6-zolligen  Voigtländer  zum 
ersten  Male  bemerkt  zu  sein  scheint.  Die  Nebel  NGO.  2245,  2248 
und  2261  bilden  kleine  Verdichtungsstellen  bei  hellem  Sternen,  von 
denen  aus  sich  die  Nebelmaterie  in  der  gewöhnlichen  fächerartigen 
Form  in  die  allgemeine  schwächere  Nebelmasse  verliert. 

Der  ganze  Nebel  liegt  am  südöstlichen  Ende  einer  ausgedehnten 
unregelmäßig  geformten  Stemleere,  die  ihren  Mittelpunkt  etwa  in  dem 
veränderlichen  Sterne  BD.  +  11.12040  (a  =  6h  23.1m  ^  =  +  11« 
21')  besitzt 

Das  andere  Beispiel  ist  der  von  Bamard  zuerst  gesehene,  von 
Archenhold  zuerst  photographierte  und  von  Scheiner  beschriebene  aus- 
gedehnte Nebel  bei  f  Persei  NGO.  1499  (a  =  3h  51m  ^  =  +  35.8<>). 
Dieser  wundervolle  Nebel  liegt  am  südöstlichen  Ende  einer  großen 
Stemwüste,  die  ihren  Mittelpunkt  etwa  in  a  =  3h  44m  ^  =  -|-  37.2« 
liegen  hat.  Sie  ist  von  Südost  nach  Nordost  lang  gestreckt  und 
von  unregelmäßigen  Umrissen  begrenzt.  Eine  zweite  ähnliche  Stem- 
leere ist  von  dieser  durch  ein  stemreiches  Band  getrennt  und  liegt 
mehr  östlich.  Der  Nebel  bildet  das  südöstliche  Ende  seiner  Stem- 
leere, und  sie  folgt  aufs  genaueste  seinen  Konturen. 

Alle  die  erwähnten  Beispiele  haben  nun  eine  auffallende  Eigen- 
schaft gemeinsam,  die  mir  schon  vor  Jahren  aufgefallen  ist,  und  die 
ich  an  anderem  Orte^)  berührt  habe.  Ich  möchte  hier  ausdrücklich 
und  in  besserer  Form  darauf  aufmerksam  machen. 

Wie  schon  aus  obigen  Beschreibungen  zu  ersehen,  liegen  diese 
Nebelmassen  weder  in  der  Mitte  der  mit  ihnen  verknüpften  großen 
Stemleeren,  noch  rings  um  dieselben,  sondem  stets  am  einen  Rande 
derselben.  Sie  bilden  das  Ende  der  langgestreckten  Stemleeren.  Um 
jeden  Nebel  befindet  sich  zwar  ringsherum,  seinen  Rändern  genau 
folgend  eine  schmale  Zone  ohne  Sterne;  aber  die  großen  Höhlen  finden 
sich  immer  nur  auf  einer  Seite.  Die  Nebel  selbst  stehen  dabei 
gewöhnlich  in  den  dichtesten  Stemgebieten,  während  ihr  einer  Rand 
genau  mit  dem  Ende  der  Stemhöhle  zusammenfällt.  Es  läßt  sich 
deshalb  diese  merkwürdige  Regel  so  formulieren,  daß  die  Nebel 
unsers  Milchstraßensystems  im  allgemeinen  den  einseitigen  Rand  einer 
ausgedehnten  Stemleere  bilden. 

Man  kann  deshalb  schwer  eine  andre  Möglichkeit  zulassen, 
als  daß  uns  diese  Nebel  eine  sichtbare  Äußemng  bei  jenem  Prozesse 


^)  Akademische  Rede  1886.  p.  54. 


152  Nebelflecke. 

darstellen,  durch  den  die  Stemleeren  entstehen,  und  daß  sie  uns 
durch  ihre  Lage  gegen  die  Höhlen  die  Bewegungsrichtung  angeben, 
in  welcher  der  Prozeß  unter  den  Sternen  fortgeschritten  ist 

So  scheint  der  Amerikanebel  nach  Nordosten  fortgeschritten  zu 
sein ;  die  Orionnebel  nach  Nordwesten,  die  Monocerosnebel  nach  Süd- 
osten oder  Süden  und  der  |Perseinebel  nach  Südosten,  c 

üntersuchungren  über  die  Gruppierung:  der  Nebelflecke. 

Prof.  M.  Wolf  hat  einige  wichtige  Ergebnisse  seiner  photographischen 
Nebelaufnahmen  veröffentlicht.^)  Zunächst  sind  es  seine  Unter- 
suchungen über  die  Nebelflecke  am  (nördlichen)  Pole  der  Milchstraße, 
auf  welche  hier  einzugehen  ist.  Bei  der  Verwendung  von  Objektiven 
mit  großem  Offnungsverhältnis  für  die  Aufnahme  der  ausgedehnten 
Nebel  und  der  kleinen  Planeten  zeigte  sich  auf  den  Platten  zu 
Prof.  Wolfs  Überraschung,  wie  ungemein  zahlreich  allenthalben  am 
Himmel  die  kleinen  Nebelflecken  zu  finden  waren.  Besonders  ein 
6-zolliges  Porträtobjektiv,  das  ein  Öffnungsverhältnis  von  1 : 5  besaß, 
gab  manche  Gegenden  des  Himmels  ganz  besät  mit  solchen  kleinsten 
Nebelfleckchen.  Auf  einer  Platte  vom  24.  März  1892  mit  96  Minuten 
Belichtung  fanden  sich  in  einem  Kreise,  mit  dem  Radius  von  1^ 
um  ff  Virginis  als  Mittelpunkt,  nicht  weniger  als  130  einzelne  Nebel- 
fleckchen. Ähnliche  Zahlen,  wenn  auch  selbstverständlich  nur  selten 
so  ungeheuer  groß,  ergaben  sich  an  andern  Stellen  des  Himmels 
und  es  war  damit  gezeigt,  daß  die  Dubletlinsen  uns  den  Himmel 
mit  einer  ungeheuer  viel  großem  Zahl  kleinster  Nebelfleckchen  er- 
füllt erscheinen  lassen,  als  seither  bekannt  war.  Gleichzeitig  wurde 
aus  den  ersten  Versuchen  klar,  daß  sich  diese  kleinen  Nebel,  von 
denen  das  Auge  am  Fernrohre  im  günstigsten  Falle  nur  vorübergehend 
erhaschbare  Eindrücke  erhält,  auf  der  Platte  mit  großer  Sicherheit 
einstellen  und  beschreiben  ließen.  Diese  Erfahrungen  brachten  PfoL 
Wolf  zu  dem  Entschlüsse,  den  »kleinen  Nebelfleckenc  des  Himmels, 
ganz  besondere  Aufmerksamkeit  zu  schenken.  Er  begann  sofort  mit 
Aufnahmen  von  jenen  Gegenden  des  Himmels,  wo  bekanntermaßen 
die  kleinen  Nebel  am  reichsten  und  schönsten  vertreten  sind.  Im 
Laufe  der  nächsten  Jahre  wurden  die  Gegenden  von  Virgo,  Leo  und 
Goma  Berenices  zum  größten  Teile  mehr  als  dreimal  mit  Platten  be- 
deckt Es  handelte  sich  dann  darum,  die  Positionen  dieser  unge- 
zählten neuen  Objekte  zu  bestimmen,  und  auch  diese  Arbeit  wurde 
begonnen  und  Erfahrungen  auf  diesem  Gebiete  gemacht. 

Mittlerweile  wurde  es  Prof.  Wolf  durch  die  Hochherzigkeit  der 
unvergeßlichen  Miss  Kath.  Wolfe-Bruce  in  New -York  ermöglicht,  ein 
neues  bedeutend  größeres  Femrohr  zu  benutzen.  Die  Aufnahmen 
mit  den  6-Zollern  mit  der  kurzen  Brennweite  von  ca.  80  cm  gaben 
natürlich  alle  Nebel  ebenso  kräftig,  als  sie  jedes  größere  Instrument 


^)  Publik,  des  Astrophys.  Observ.  Königstuhl-Heidelberg.  L 


Nebelflecke.  153 

geben  konnte;  allein  es  war  oft  recht  schwierig,  zu  entscheiden, 
ivenigstens  bei  den  kleinsten  Nebelflecken,  ob  man  es  mit  schwachen 
Sternchen  oder  mit  kleinsten  planetarischen  Nebeln  zu  tun  hatte, 
Mit  dem  Bruceteleskop,  dessen  beide  Objektive  202  cm  Brennweite 
haben  (beim  selben  Öffnungsverhältnis  wie  die  beiden  6-Zoller),  sind 
infolge  dieser  langem  Brennweiten  viel  kleinere  planetarische  Nebel 
noch  als  solche  zu  erkennen  und  von  Fixsternen  zu  unterscheiden. 
Da  bei  dem  Bruceteleskop  auch  zwei  gleiche  Linsen  vorhanden 
sind,  so  können  stets  2  Aufnahmen  gleichzeitig  gemacht  werden, 
was  die  Unterscheidung  der  Objekte  von  Plattenunreinlichkeiten 
wesentlich  erleichtert 

Prof.  Wolf  hat  zunächst  ein  Verzeichnis  von  154  Nebelflecken 
in  den  Sternbildern  Krebs  und  Luchs,  in  welchem  er  die  Orter  und 
kurze  Beschreibungen  der  Formen  gibt,  veröffenthcht  Von  diesen 
Nebeln  sind  nur  sieben  früher  in  seinem  Generalkataloge  der  Nebel  auf- 
geführt worden,  die  übrigen  also  neu  entdeckt.  In  weitem  Ver- 
zeichnissen werden  jetzt  die  Positionen  und  Beschreibungen  von  1528 
Nebebi  gegeben,  die  sich  alle  auf  einer  Platte  finden,  welche  Prof . 
Wolf  mit  dem  Bmceteleskop  (Objektiv  a)  am  20.  April  1901  mit 
150  Minuten  Belichtung  erhielt.  Die  gleichzeitig  mit  dem  Objektiv  b 
aufgenommene  Platte  wurde  nur  zur  Kontrolle  benutzt,  ebenso  zwei 
andere  am  24.  März  aufgenommene  Platten  derselben  Gegend.  Das 
Objektiv  a  von  Brashear  in  Allegheny  hat  ca.  202  cm  Äquivalent- 
brennweite bei  ca.  40  cm  freier  Öffnung.  Einem  Grade  entspricht 
auf  der  Platte  eine  Länge  von  ca.  85  mm,  >Der  schwierigste  Teil 
der  Arbeit,«  sagt  Prof.  Wolf,  »war  die  Bezeichnung  und  Kritisierung 
der  Nebelobjekte  auf  der  Platte.  Dieselbe  wurde  mit  der  Vergleichs- 
platte unter  der  Lupe  verglichen  und  die  sicher  konstatierten  Nebel- 
fiecken durch  kleine  Tintenmarken  auf  der  Glasseite  bezeichnet. 
Dies  geschah  zuerst  auf  einer  Platte  vom  24.  März  und  dann  erst 
auf  der  für  die  Messung  benutzten  Platte.  Diese  Arbeit  war  äußerst 
mühevoll  und  zeitraubend,  besonders  in  den  Gegenden,  wo  die  Nebel 
so  dicht  stehen,  daß  man  keinen  Raum  findet,  die  Marken  anzu- 
bringen, und  wo  es  kaum  möglich  ist,  die  Vergleichung  streng  aus- 
zuführen. Jetzt  ist  diese  Arbeit  sehr  erleichtert,  da  man  den  Stereo- 
komparator  dafür  benutzen  kann,  aber  bei  der  Bearbeitung  der  in 
Frage  kommenden  Platte  war  derselbe  noch  nicht  gebaut.« 

Die  Platte  umfaßt  einen  Teil  des  Himmels  im  Sternbilde  Goma 
Berenices,  der  zwischen  den  Rektaszensionen  12^  34™  und  13^  2"^ 
und  den  nördlichen  Deklinationen  60  und  64.5^  liegt  Nicht  weit 
von  der  Mitte  dieser  Fläche  liegt  der  gewöhnlichen  Annahme  gemäß 
der  nördliche  Pol  der  Milchstraße.  In  bezug  auf  die  Helligkeitsbe- 
zeichnung der  Nebel  unterscheidet  Prof.  Wolf  12  Stufen,  wobei  1  die 
allerschwächsten,  12  die  hellsten  Nebel  bezeichnet  Bekanntlich  hat 
man  schon  vielfach  versucht,  die  Nebel  ihrem  Aussehen  nach  in 
Klassen  einzuteilen.     Prof.  Wolf  hat  versucht,    eine   solche   Klassi- 


154  Nebelflecke. 

fizierung  durchzuführen,  um  eine  rasche  Übersicht  über  die  Art  der 
Objekte  zu  ermöglichen  und  vielleicht  daraus  statistische  Schlüsse 
ziehen  zu  können.  Er  teilt  die  Nebel  in  3  Klassen  ein:  in  regel- 
mäßig geformte  Nebel,  in  unregelmäBig  geformte  und  in  diffuse,  aus- 
gedehnte Nebel  ohne  Struktur.  Darin  hat  er  noch  Unterabteilungen 
unterschieden,  so  daß  folgende  Bezeichnungen  zustande  gekommen  sind : 

I.  Regelmäßig  geformte  Nebel. 
Ii :  rund  mit  zentraler  Verdichtung, 
!( :  rund,  Verdichtung,  gewundene  oder  spiralförmige  Schwingen  von 

der  Verdichtung  ausgehend, 
Ig :  andromedanebelartige  und  ovale  Nebel  mit  zentraler  Verdichtung, 
I4:  planetariBche  und  runde,  kleine,  diffuse  Nebel  ohne  Kern, 
I5 :  längüche  und  ovale  Nebel  ohne  Kern. 

n.  Unregelmäßig  geformte  Nebel. 
U^ :  unregelmäßige  Form  mit  einem  bevorzugten  Kern, 
11, :  alle  übrigen  unregelmäßig  geformten  Nebel. 

m.  Strukturlose  Nebel, 
m :  alle  diffus  ausgedehnten  Nebel  ohne  erkennbare  Struktur. 

»Trotz  der  Benutzung  dieser  Systematik c,  sagt  Pr.  Wolf,  »ver- 
hehle ich  mir  nicht,  daß  sie  auf  ganz  schwachen  Füßen  steht,  denn 
die  Übergänge  finden  am  Himmel  allmählich  statt,  so  daß  eigentlich 
jeder  Nebel  eine  Klasse  für  sich  erfordern  würde.  Sehr  oft  sind 
die  Nebel  kaum  mit  Sicherheit  einzuordnen.« 

Zu  den  von  Herschel  behufs  Charakterisierung  der  einzelnen 
Formen  eingeführten  Zeichen  und  kurzen  Bezeichnungen  hat  Prof.  Wolf 
noch  neue  hinzugefügt,  von  denen  mehrere  erst  durch  die  Photo- 
graphien der  Nebel  nötig  wurden.  Unter  einem  Arme  ist  ein  vom 
Zentrum  ausgehender,  im  wesentlichen  geradliniger,  nebeliger  Strahl 
zu  verstehen;  er  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  der  Zone,  die  nicht 
in  radialer  Richtung  verläuft. 

Als  Nebel  von  der  Form  des  Andromedanebels  sind  alle  solche 
Nebel  bezeichnet  worden,  welche  die  Struktur  des  großen  Nebelflecks  in 
der  Andromeda  zeigen,  wie  sie  aus  den  Photographien  allgemein 
bekannt  ist.  Solche  Nebel  sind  sehr  häufig,  und  die  Lage  ihrer 
Achsen  befolgt  eine  interessante  (Gesetzmäßigkeit,  wie  man  weiter 
unten  sehen  wird.  Mit  Schwinge  bezeichnet  Prof.  Wolf  kurvenförmig 
gebogene,  nebelige  Arme  meist  spiraliger  Form,  die  stets  vom  Ver- 
dichtungszentrum ausgehen.  Unter  Zone  versteht  er  eine  nicht  radial 
verlaufende,  bandförmige,  geradlinige  Verdichtung  in  einem  Nebel, 
die  gewöhnlich  von  einer  Zone  geringerer  Intensität  oder  durch  ein 
ganz  nebelfreies  Band  begrenzt  wird. 

Der  Begriff  Kette  ist  nach  Prof.  Wolfs  Meinung  der  wichtigste 
und  interessanteste.  »Eine  sehr  große  Anzahl  nebeliger  Objekte  und 
Sterne  besitzt  Ketten.  Sie  gehen  immer  vom  Zentrum  des  Sternes 
oder  des  Nebels  aus  und  verbinden  oft  weithin,  stets  kurvenförmig 
verlaufend,  ganz  entfernte  nebelige  Objekte  miteinander  oder  helle 
Sterne  mit  nebeligen  Objekten.    Sie  sind  meist  sehr  dünn,   sehen  oft 


Nebelflecke.  165 

aus  wie  helle  Schlieren^  dann  wieder  wie  Fäden  in  der  (Gelatine. 
Oft  bestehen  sie  aus  vielen  kleinsten  Knötchen,  die  wie  auf  eine 
Schnur  gereihte  Perlen  aussehen,  c 

»Einen  ganz  überraschenden  Anblick  gewähren  sie  unter  dem 
Stereokomparator,  durch  den  auch  bereits  in  einigen  Fällen  erwiesen 
werden  konnte,  daß  solche  merkwürdigen  Objekte  von  Platte  zu  Platte 
ungeändert  bestehen  bleiben  und  ganze  Gegenden  des  Himmels  wie 
mit  einem  Netzwerke  überspinnen.« 

Auf  der  von  dem  Kataloge  bestrichenen  Fläche  des  Himmels 
finden  sich  82  Nebelflecke,  welche  der  neue  Generalkatalog  der  Nebel 
und  Sternhaufen  enthält  Von  diesen  aber  sind  nach  Prof.  Wolfs 
Untersuchung  drei  nicht  zu  finden,  und  sieben  sind  unsicher.  An  Stelle 
der  vorhandenen  79  Nebel  des  N.  G.-K.  gibt  Wolfs  Katalog  1528  Posi- 
tionen. Das  Verhältnis  der  Zahl  der  bekannten  zur  Zahl  der  neuen 
Nebelflecken  ist  daher  1:19,  d.  h.  auf  einen  alten  Nebelfleck  kommen 
19  neue  NebeL  Mit  andern  Worten,  es  waren  57o  ^^^  Nebel  in 
dieser  allerdings  sehr  eifrig  von  d'Arrest  und  Bigourdan  durchsuchten 
Gegend  bereits  bekannt.  >Das  Verhältnis«,  sagt  Wolf,  »stellt  sich  also 
hier  etwas  anders  wie  zwischen  Praesepe  und  Milchstraße,  wo  nur 
2^1^  der  photographischen  Nebel  bekannt  waren.  Immerhin  ist  die 
Anzahl  der  Nebel  und  die  »Nebeldichte«  in  der  behandelten  Gegend 
eine  ungeheuer  große.  Besonders  in  den  dichtesten  Gegenden  ist  der 
Anblick  ein  ganz  eigenartiger  und  überwältigender,  um  so  mehr  als 
dort  diese  kleinen  Nebel  keineswegs  abnorm  kleine  und  schwache, 
sondern  im  Gegenteile  meist  recht  kräftige  und  auffallende  Ob- 
jekte sind. 

Erst  nachdem  Prof.  Wolf  dieses  interessante  Nebelnest  gefunden 
hatte,  erinnerte  er  sich,  daß  dasselbe  sich  dicht  beim  Pole  der  Milch- 
straße beflndet,  und  es  trat  daher  die  Frage  hervor,  ob  nicht  hier 
im  kleinen  nochmals  eine  systematische  Zunahme  der  Nebelhäuflgkeit 
gegen  ein  Zentrum  hin  nachweisbar  sei,  und  ob  nicht  vielleicht  der 
Pol  der  Milchstraße  sich  selbst  durch  Anhäufung  von  Nebelobjekten 
unmittelbar  kennzeichne.  Deshalb  hat  Prof.  Wolf  die  Verteilung  der 
Nebel  über  diese  Himmelsfläche  genauer  untersucht  Er  gibt  eine 
Karte  derselben,  in  welcher  die  Nebelhäuflgkeit  durch  Schraffierungen 
angedeutet  ist  Wo  die  Zahl  der  Nebelflecke  auf  einer  Fläche  von 
Im  in  Rektaszension  und  15'  in  Deklination  0 — 5  beträgt,  ist  die 
Fläche  nicht  schraffiert,  wo  sie  6 — 10  beträgt,  ist  sie  einmal 
schraffiert,  wo  11 — 20  zweimal,  21 — 40  dreimal  und  über  60  vier- 
mal schraffiert.  Aus  der  Karte  erhellt  nun  auf  den  ersten  Blick, 
daß  eine  systematische  Verteilung  der  Nebel  in  dieser  Gegend  be- 
steht. Auch  die  scheinbar  leeren  Stellen  sind  noch  sehr  dicht  mit 
Nebelflecken  bestanden.  Diejenigen  Stellen,  welche  mehr  als  5  Nebel- 
flecken in  der  Flächeneinheit  enthalten,  sind,  wie  sich  zeigte,  in 
ziemlich  unregelmäßiger  Form  über  die  Fläche  zerstreut  Die  haupt- 
sächlichste Nebelanhäufung   hat  ihr  Zentrum   in  AR  =  12h  64.0  m 


156  Nebelflecke. 

NPD  =  61.7®;  eine  zweite»  aber  viel  schwächere,  bildet  eine  von 
Süden  nach  Norden  lange  Insel,  deren  Mittelpunkt  etwa  in  12  h 
40.5ni  und  62.5  ®  liegt.  Kleinere  und  unbedeutendere  Inselchen  liegen 
alle  rings  lun  den  Pol  der  Milchstraße,  dessen  Lage  auf  der  Karte 
durch  einen  Ring  angedeutet  ist  »Selbstverständliche,  sagt  Prof.  Wolf, 
»läßt  sich  von  einem  so  komplizierten  Gebilde,  wie  es  die  Milchstraße 
ist,  kein  genauer  Pol  angeben.  Nehmen  wir  für  denselben  den  Ort 
von  Houzeau:  AR  =  12h  49m  NPD  =  62.5 ^  so  schließen  obige 
Gruppen  einen  Gürtel  um  diesen  Pol  herum.  Die  Hauptnebelgegend 
liegt  aber  1^/^®  nordöstlich  von  diesem  Milchstraßenpole  und  zwar  etwa 
an  der  Stelle  AR  =  12h  53.5m  NPD  =  61^  20'.  Um  diesen  Punkt, 
der  also  praktisch  mit  dem  gegenwärtig  für  den  Milchstraßenpol  an- 
genommenen Orte  zusammenfällt,  drängen  sich  nun  die  Nebelfiecken 
gesetzmäßig  zusammen. 

Wir  reden  hier  nur  von  Nebelflecken,  weil  sie  auf  den  Platten 
so  aussehen.  Es  können  aber  sehr  gut  auch  Sternhaufen  sein,  die 
wir  nicht  aufzulösen  vermögen.  In  vielen  Fällen  spricht  sogar  das 
Aussehen  sehr  für  diese  Annahme. 

Es  ist  sofort  zu  sehen,  wenn  man  die  Tafel  betrachtet,  daß  das 
Zusammendrängen  der  Nebel  immer  stärker  wird,  je  weiter  man  ins 
Innere  der  Hauptinsel  eindringt  Je  näher  man  dem  Punkte  größter 
Dichtigkeit  kommt,  umso  dichter  treten  auch  die  Nebel  aneinander, 
so  daß  auf  dem  innersten  Quadratgrade  mehr  als  320  einzelne  Nebel- 
flecken beisammen  stehen!  An  der  dichtesten  Stelle  dieses  »Welt- 
poles«  finden  sich  mehr  als  70  Nebel  auf  der  Fläche  von  ^^^ 
Quadratgrad. 

Wir  finden  also  hier  ein  völlig  gesetzmäßiges  Verhalten  in  der 
Anordnung  dieser  fernen  Welten;  und  dieser  ungeheure  Reichtum 
führt  uns  so  eine  Ordnung  im  Weltsysteme  vor  Augen,  die  sicher  für 
die  Erkenntnis  des  Universums  von  aller  größter  Bedeutung  ist,  von  der 
wir  uns  aber  auch  zugestehen  müssen,  daß  wir  noch  lange  keine 
erschöpfende  Erklärung  für  sie  werden  finden  können.  Es  wäre 
interessant  zu  prüfen,  fügt  Prot  Wolf  bei,  ob  die  dichteste  Stelle 
{AR=  12^^  53.5"»  D  =  +  28^  40')  den  Müchstraßenpol  nicht  besser 
darstellt,  als  der  von  Houzeau  angegebene  Punkt. 

Bei  der  Ausmessung  der  Koordinaten  der  Nebel  auf  der  Platte 
und  der  gleichzeitig  ausgeführten  Beschreibung  ihrer  Gestalt  fiel  Prot 
Wolf  auf,  daß  die  meisten  andromedanebelartigen  Gebilde  ungefähr 
dieselbe  scheinbare  Lage  im  Räume  besitzen.  Er  hat  deshalb  nach 
der  Fertigstellung  des  Kataloges  alle  Nebel,  die  als  länglich  bezeichnet 
sind,  und  bei  denen  er  Positionswinkel  geschätzt  hatte,  zusammen- 
gestellt und  geordnet,  um  zu  sehen,  ob  sich  wirklich  eine  derartige 
Gesetzmäßigkeit  entdecken  läßt. 

Es  ergab  sich  in  der  Tat  die  merkwürdige  Erscheinung,  daß  die 
Richtungen  der  meisten  länglichen  Nebel  sich  um  den  Positionswinkel 
von   60^  herum  gruppieren,    und   daß   diese   Erscheinung   am   aus- 


Nebelflecke.  157 

gesprochensten  ist  in  jener  Gegend,  wo  die  Zusammendrängung  der 
Nebelflecke  auf  dem  engsten  Räume  stattfindet,  je  weiter  man  sich 
vom  Pole  entfernt,  umso  mehr  nimmt  sie  ab.  Sehr  richtig  bemerkt 
aber  Prof.  Wolf,  daß  es  verfrüht  wäre,  an  dieses  merkwürdige 
Resultat  irgend  welche  Spekulationen  zu  knüpfen.  Eine  weitere  sehr 
merkwürdige  und  mit  Sicherheit  auch  erst  auf  der  Heidelberger  Stern- 
warte erwiesene  Tatsache  ist  die,  daß  im  allgemeinen  um  jeden 
kosmischen  Nebelfleck  (d.  h.  um  die  hervorragenden,  soweit  sie  bis 
jetzt  untersucht  wurden)  sich  eine  stemleere  Zone  zieht,  während  im 
Nebel  selbst  die  Anzahl  der  Sterne  wieder  zunimmt  Schon  dem 
altem  Herschel  war  etwas  ähnliches  aui^f  allen.  Auf  Veranlassung  von 
Prot  Wolf  hat  nunmehr  A.  Eopff  die  Verteilung  der  Fixsterne  um  den 
großen  Orionnebel  und  den  Amerikanebel  im  Schwane  gemäß  den  Auf- 
nahmen zu  Heidelberg  genauer  untersucht^)  Auch  der  Nebel  Messier  8  ist, 
wie  Kopff  hervorhebt,  ebenso  wie  die  mit  ihm  zusammenhängende,  mehr 
als  10  Quadratgrad  umfassende  Nebelmasse  im  S  desselben  (die  Mitte 
liegt  bei  circa  18^  0"  und —  26.4^)  von  einem  stemarmen  Bande 
umschlossen;  bei  dem  nördlich  davon  gelegenen  Trifidnebel  (Messier  20) 
tritt  jedoch  die  Erscheinung  weit  weniger  hervor.  Die  ausgedehnten 
Nebel  um  y  Scuti,  sowie  um  q  Ophiuchi  und  nördlich  von  Antares 
sind  von  solchen  Bändern  ganz  durchzogen.  Besonders  bei  letzterem 
sind  —  nach  den  Beschreibimgen  und  Bildern  von  Bamard  —  die 
Streifen  scharf  begrenzt  und  vollständig  schwarz.  Sie  enthalten 
keinen  einzigen  Stern;  bei  sorgfältiger  Prüfung  erscheinen  sie  aber 
mit  feinen  Nebeln  ausgefüllt,  durch  welche  da  und  dort  der  noch 
schwärzere  Himmelsgrund  hindurchblickt.  Auch  hier  ist  die  Ver- 
bindung mit  der  Stemenleere  um  den  nördlich  gelegenen  Nebel  bei 
V  Scorpii  ganz  auffallend.  Von  kleinern  Nebeln  ist  Herschel  IV  74 
Cephei  besonders  bemerkenswert  Rings  um  diesen  Nebel  zieht  eine 
breite,  beinahe  stemenleere  Zone,  die  sich  nach  N  zu  fortsetzt 
Andere  stemarme  Stellen  finden  sich  in  der  Milchstraße  noch  z.  B. 
bei  den  Nebeln  um  15  Monocerotis,  südlich  von  a  Cephei,  bei 
#  Ophiuchi,  bei  r\  Garinae  usw.  Schwach  ausgesprochen  ist  die  Er- 
scheinung in  der  Umgebung  der  Plejaden;  nur  im  NE  ist  eine  Lücke 
deutlich  sichtbar.  Allen  diesen  einzelnen  Beispielen  ist  noch  das  eine 
gemeinsam:  wenn  nicht,  wie  bei  q  Ophiuchi,  eine  vollständige  Stem- 
leere in  den  die  Nebel  umschließenden  Stemwüsten  eintritt,  so  ge- 
hören die  wenigen  vorhandenen  Sterne  zu  den  hellem,  so  daß  in 
den  Lücken  eher  eine  Zunahme  an  hellem  Sternen  gegenüber  der 
Umgebung  wahrzunehmen  ist  Besonders  fallt  dies  in  den  Gegenden 
der  Milchstraße  auf,  wo  die  zahllosen  kleinen  Sterne  ganz  plötzlich 
aufhören  und  dadurch  die  Lücke  mit  ihren  hellem  Sternen  sich  um 
so  mehr  vom  übrigen  Teile  des  Himmels  abhebt.  Diese  Tatsache 
spricht   gegen   die  Ansicht  Ranyards,    daß    die  Lücken    durch   vor- 


^)  E^iblikation  d.  astro-phys.  Observat.  zu  Heidelberg  1.  p.  177  u.  ff. 


158  Nebelflecke. 

gelagerte  dunkle  Wolken  zustande  kommen.  Aber  schon  das  gemein- 
same Auftreten  von  Nebel  und  Stemleere  macht  einen  engen  Zusammen- 
hang beider  sehr  wahrscheinlich.  Der  langsam  weiterziehende  Nebel 
hat  —  um  die  Worte  Herschels  zu  gebrauchen  —  »die  umliegenden 
Himmelsräume  verwüstete ,  er  hat  die  kleinen  Sterne  auf  seiner  Bahn 
verschlungen  und  neue,  größere  wieder  gebildet  Nebel,  große  und 
kleine  Sterne  liegen  alle  in  ziemlich  derselben  Entfernung  von  unserem 
Sonnensysteme.  Als  ein  gemeinsames  Ganzes,  das  sich  umgestaltet 
und  entwickelt  nach  uns  unbekannten  Gesetzen,  sind  sie  Teile  eines 
einzigen  Systems.  Vollständig  verschieden  sind  die  Verhältnisse  bei 
andern  Nebeln,  deren  Haupttypus  der  Andromedanebel  bildet  Bei 
ihnen  ist  von  einer  Abnahme  der  Sterne  um  den  Nebel  nichts  wahr- 
zunehmen; die  umliegenden  Sterne  scheinen  ohne  jeden  Zusammen- 
hang mit  dem  Nebel  oder  Sternhaufen  zu  stehen.  Zu  dieser  Art 
gehören  außer  dem  Andromedanebel,  um  nur  einige  Beispiele  an- 
zuführen, noch  der  Spiralebel  in  Triangulum  (Messier  33),  der 
Grabnebel  im  Taurus,  der  lang  ausgedehnte  Nebel  Herschels  V  19 
Andromedae,  der  prachtvolle  Nebel  G.-K.  3249  oder  auch  die  form- 
lose Nebelmasse  Herschels  V  14  Gygni.  Man  hat  es  also  hier  mit 
zwei  ganz  verschiedenen  Gattungen  von  Gebilden  zu  tun:  mit  Nebeln, 
die  zu  unserem  Systeme  gehören  und  mit  den  umliegenden  Sternen 
in  engster  Verbindung  stehen,  und  mit  Gebilden,  die  möglicherweise 
mit  unserem  Systeme  nichts  zu  tun  haben.  Über  den  Zusammenhang 
der  Nebelflecke  mit  den  umliegenden  Räumen  kann  uns  so  die  Art 
der  Verteilung  der  Fixsterne  um  diese  Nebel  noch  am  leichtesten 
einigen  Aufschluß  geben. 

Aus  diesem  Grunde  hat  A.  Eopff  genaue  Abzahlungen  der  Sterne 
um  den  Orion-  und  Amerikanebel  vorgenommen  imd  gibt  darüber 
Tabellen  und  Zeichnungen.  Wir  geben  hier  die  Endresultate:  »Es 
findet  sich  unmittelbar,  daß  der  Orionnebel  von  einer  sternarmen 
Zone  umgeben  ist  Sie  verbreitert  sich  gegen  SE  auffallend  und  er- 
streckt sich,  wie  aus  andern  Aufnahmen  zu  ersehen  ist,  weit  über 
die  dargestellte  Fläche  hinaus,  indem  sie  sich  nach  S  wendet  Allent- 
halben finden  sich  darin  Spuren  von  nebligen  Wolken,  die  stellen- 
weise ziemlich  kräftig  hervortreten.  Gegen  NW  teilt  sie  sich  in 
2  Arme,  von  denen  der  nördlichere  noch  in  der  nordwestlichen  Ecke 
der  Karte  bemerkbar  bleibt  Beide  Arme  sind  durch  ein  Band  feiner 
Sterne  getrennt,  das  die  Nebelmasse  mit  den  außen  Uzenden  Steinen 
verbindet  Im  E  und  NE  sind  größere  stemarme  Stellen.  Unmittelbar 
im  N  des  Orionnebels  nimmt  die  Stemendichte  zu;  hier  befindet 
sich  eine  Gruppe  heller  Sterne,  und  erst  nördlich  von  diesen  ist  die 
wenn  auch  etwas  schwächere  Abnahme  wahrzunehmen. 

In  der  NE-Ecke  des  untersuchten  Gebietes  befindet  sich  wieder 
eine  Stemenleere,  bedingt  durch  die  südlichsten  Teile  des  Nebels  um 
C  Orionis.  Beide  Gegenden  sind  durch  einen  Streifen  mit  verhältnis- 
mäßig wenigen  Sternen   (weniger   als  20   im   Quadrat)   miteinander 


Nebelflecke.  159 

verbunden.  Beide  Nebel  scheinen  darnach  also  im  Zusammenhange 
miteinander  zu  stehen;  tatsächlich  zeigt  die  photographische  Unter- 
suchung der  Gegend  eine  feine  Nebelmasse,  vom  Nebel  um  C  Orionis 
ausgehend',  die  sich  in  einem  nach  SE  ausgebogenen  breiten  Bande 
in  den  Orionnebel  erstreckt.  Auf  der  Karte  gibt  sich  dieses  Nebel- 
band durch  eine  mäßige  Zunahme  der  Sterne  zu  erkennen. 

Sogar  die  Verbindung  beider  Nebel  tritt  also  in  der  Verteilung 
der  Sterne  der  Umgebung  hervor,  so  daß  ein  Schluß  auf  die  innere 
Zusammengehörigkeit  von  Nebel  und  Stemenleere  keinem  Zweifel 
unterliegt.« 

Was  den  Amerikanebel  anbelangt,  so  ergab  sich,  daß  der  Nebel 
rings  von  stemärmem  Gegenden  umschlossen  wird,  die  für  sich 
aUein  fast  genau  dieselben  Umrisse  geben,  wie  sie  der  Nebel  selbst 
auf  der  Photographie  zeigt.  Schon  beim  bloßen  Betrachten  der  Photo- 
graphie tritt  die  Stemleere  um  den  Nebel  ohne  weiteres  hervor,  so 
daß  es  wenigstens  für  diesen  Schluß  kaum  der  mühsamen  Abzahlung 
bedurft  hätte. 

»Das  interessanteste  und  für  die  Zukunft  vielleicht  wichtigste 
Resultat  der  Abzahlung  ist,  daß  dieser  Nebel,  obwohl  er  rings  von 
Stemwüste  umgeben  ist,  ebenso  wie  der  Orionnebel  nicht  in  der 
Mitte  der  Stemwüste  liegt,  sondern  daß  beide  Nebel  nahe  am  Ende  der- 
selben stehen.  Der  Orionnebel  nahe  dem  nordwestlichen  Ende,  der 
Amerikanebel  nahe  dem  nordöstlichen  Ende  seiner  Stemwüste. 

Der  ganze  südwestliche  Teil  der  abgezählten  Gegend  enthält 
dementsprechend  nur  wenige  Sterne,  und  diese  Lücke  breitet  sich 
noch  weiter  gegen  a  und  y  Cygni  aus.  Am  Amerikanebel  selbst 
findet  eine  so  plötzliche  Zunahme  der  Steme  statt,  daß  auf  der  Karte 
die  Grenze  zwischen  der  Anzahl  unter  und  über  20  Stemen  mit  der 
Form  des  Nebels  zusammenfällt  Im  NW  und  N  ist  ebenfalls  eine 
Abnahme  der  Sterndichte  zu  bemerken;  2  Lücken  mit  weniger  als 
20  Sternen  im  Quadrate  treten  besonders  deutlich  hervor.  Von  S  zieht 
anderseits  die  Stemenleere  in  nordöstlicher  Richtung  den  Nebel  ent- 
lang und  läßt  ihre  zwei  nach  NE  und  NW  gerichteten  Ausläufer  in  der 
NE-Ecke  der  Karte  erkennen.  Ein  ziemlich  breites  Band,  das  bis  zu 
100  Steme  im  Quadrate  enthält,  stellt  im  N  die  Verbindimg  des  Nebels 
mit  den  umliegenden  Stemen  her.  Im  S  des  Nebels  ist  die  Stemen- 
leere durch  eine  mäßige  Zunahme  der  Stemendichte  unterbrochen.  Im 
Innem  des  Nebels  nimmt  die  Anzahl  der  Steme  sehr  stark  zu. 

Wir  finden  so  beim  Amerikanebel  dieselben  Gesetzmäßigkeiten 
wie  beim  Orionnebel,  die  darauf  hindeuten,  daß  ein  ganz  enger, 
innerer  Zusammenhang  zwischen  unsem  Fixstemen  und  diesen  Nebel- 
massen besteht.  € 


Geophysik. 


Allgemeine  Eigrenschaften  der  Erde. 

Ober  die  PolhÖhenSChwankunsr  hat  Prof.  Dr.  R  Schmnaim 
einige  Untersuchungen  veröffentlichi  ^)  Den  Einfluß  von  Massen- 
bewegungen auf  und  auch  in  dem  Erdkörper  auf  die  Achsenlage 
haben  Darwin,  Delaunay,  Gylden,  Hehnert,  Hennessy,  Hopkins, 
Spitaler,  Thomson  u.  a.  untersucht  Unter  Heranziehung  gewisser 
Vorgänge  in  der  zugängigen  Erdoberfläche,  namentlich  von  meteoro- 
logischen Einflüssen  und  Massentransporten,  sind  mehrfach  Erklä- 
rungen für  die  Polhöhenschwankung  unternommen  worden.  Über 
die  Konstitution  des  Erdinnem  hat  Wiechert  eingehende  Unter- 
suchungen angestellt,  deren  Heranziehung  zu  einer  Erklärung  für  das 
genannte  Phänomen  dem  Verf.  nicht  von  vornherein  so  aussichtslos 
erschien,  daß  nicht  wenigstens  ein  Versuch  gewagt  werden  dürfte. 
Wiechertist  der  Idee  einer  Zweiteilung  des  Erdkörpers  näher  getreten 
und  gelangt  am  Schlüsse  seiner  Arbeit  zu  der  plausiblen  Vorstellung : 
>daß  die  Erde  aus  einem  Eisenkerne  von  etwa  10  Millionen  Meter 
Durchmesser  besteht,  den  ein  Gesteinsmantel  von  etwa  1^/,  Millionen 
Meter  Dicke  umgibt  Der  Mantel  beansprucht  etwa  Vs  ^^  Erdradius. 
Dem  Volumen  nach  kommt  er  dem  Kerne  etwa  gleich,  der  Masse 
nach  steht  er  weit  zurück,  denn  hier  ist  das  Verhältnis  2 : 5. 

Wiechert  kam  zu  dem  weitem  Ergebnis,  daß  der  Raum  zwischen 
Kruste  und  Kern  nur  eine  plastische  Schicht  von  verhältnismäßig 
geringer  Dicke  sein  kann.  Die  Möglichkeit  von  Verschiebungen 
zwischen  den  beiden  Körpern,  sagt  Prof.  Schumann,  ist  nicht  ohne 
weiteres  abzuweisen;  die  Kruste  treffen  die  äußern  Stöße  und 
Widerstände,  und  auf  ihr  finden  Massentransporte  teils  periodischer, 
teils  fortschreitender  Art  statt  Sind  femer  die  Abplattungen  ver- 
schieden, so  entsprechen  den  beiden  Körpern  verschiedene  Nutationen. 
Läßt  die  > plastische  Schicht«  überhaupt  Verschiebungen  zu,  so  kann 
die  Wiechertsche  Hypothese  wohl  auch  zur  Erklärung  dauernder,  rela- 
tiver Schwerpunktsverlegungen  dienen,  die,  verbunden  mit  dem  Auf- 
hören eigener  Rotation  und  ohne  äußere  Pormveränderung  zu  ver- 
ursachen, bei  einigen  Planeten  vermutet  werden. 


»)  Astron.  Nachr.  Nr.  3877. 


Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde.  161 

Unter  der  Annahme,  daß  zwischen  den  Gravitationszentren 
zweier  solcher  (von  Eugelilächen  begrenzter)  Körper  Verschiebungen 
von  der  GröBenordnung  5  m  (oder  ^/igooooo  ^®^  Erdradius)  möglich 
sind,  untersucht  nun  der  Verfasser,  wie  aus  zweckmäßig  angeord- 
neten Beobachtungen  auf  der  Erustenoberfläche  solche  Verschiebungen 
erkannt  werden  können,  wobei  er  von  der  taglichen  Drehung  absieht. 

Das  Ergebnis  ist,  daß  unter  gewissen  Verhältnissen  solche  in 
der  Tat  nachweisbar  werden. 

Die  Messungr  des  Erdbogens  zwischen  der  Fundy-Bal 
und  dem  Golfe  von  Mexiko.  Ober  dieses  große  von  der  Regierung 
der  Vereinigten  Staaten  angeordnete  und  jetzt  glücklich  durchgeführte 
Unternehmen  liegt  der  eingehende  Bericht  nebst  den  Rechnungsergeb- 
nissen vor.^)  Eine  kurze  kritische  Obersicht  des  Inhaltes  desselben 
unter  Berücksichtigung  der  frühern  Arbeiten  ähnlicher  Art  aber  geringem 
Umfanges  gibt  Prof.  E.  Hanuner,^  der  das  Folgende  entlehnt  ist  Der 
schief  zu  Meridianen  und  Parallelkreisen  liegende  Erdbogen  hat  folgende 
Endpunkte:  46«  11'  9,4"  Br.,  ßl^  16'  57,9"  w.  L.  (bei  Calais  in 
Maine  am  St.  Croix  River,  der  kanadischen  Grenze  gegenüber)  und 
29®  57'  24.4"  Br.,  90»  4'  24.4"  w.  L.  (bei  New-Orleans  in  Louisiana). 
Die  geodätische  Linie  zwischen  diesen  beiden  Punkten  ist  rund  2612  km 
(gleich  23^/,»)  lang  und  hat  (von  S  über  W  gezählte)  Azimute  von 
rund  57®  31'  im  nördlichen  und  223®  22'  im  südlichen  Endpunkte. 
Sie  durchschneidet  die  Gebiete  von  16  Staaten  der  Union.  »Auf 
die  Verwendung  von  Gradbogenmessungen,  die  weder  einem  Meridian 
noch  einem  Parallelkreise  der  Erde  folgen,  zur  Bestimmung  der  Erd- 
figur hatte  schon  Tobias  Mayer  hingewiesen,  aber  erst  Bessel  hat 
die  >  Gradmessung  in  Ostpreußen  c  als  erstes  Beispiel  dieser  Art  aus- 
geführt. Vor  der  Möglichkeit  der  scharfen  Längenunterschiedsbe- 
stimmungen mit  Hilfe  des  elektrischen  Telegraphen  standen  Parallel- 
kreisbögen und  schiefe  Bögen  mit  Recht  nicht  in  hohem  Ansehen 
bei  den  Geodäten;  heute  ist  dieses  Urteil  nicht  mehr  gerechtfertigt, 
und  besonders  sind  schief  liegende  Bögen  von  genügender  Aus- 
dehnung ganz  geeignet  zur  Ableitung  der  Elemente  eines  >Spezial- 
ellipsoids€,  das  die  Krümmung  der  Erdoberfläche  auf  dem  von  jenem 
Bogen  überzogenen  Teile  der  Erdoberfläche  darstellt 

Die  ganze  hier  vorliegende  Arbeit  ist  aus  dem  Wunsche  und 
Bedürfnisse  entstanden,  die  kleinen  Triangulationen  zur  Aufnahme  der 
Häfen  u.  s.  f.  längs  der  atlantischen  Küste  durch  eine  Haupttrian- 
gulierung  untereinander  in  systematische  Verbindung  zu  bringen; 
und  von  Anfang  an  stand  als  Ziel  auch  der  Ausbau  dieser  Messung 
zu  einer  Gradmessung  fest  Volle  2  Drittel  des  vorigen  Jahrhunderts, 
1833—1898,  haben  die  Feldarbeiten  gewährt. 


^)  The  eastem  oblique  Are  of  the  United  States  and  osculating  Sphe- 
roid.    Washington,  Government  Printing  Office.  19Q2. 
')  Petermanns  Mitteilungen  1908.  [64]. 
Klein,  Jahibuch  XIV.  11 


162  Allgemeine  Eägeiischafteii  der  Erde. 

Die  Triangtüienuig  stützt  sich  auf  6  Grundlinien,  die  dem 
Bogen  entlang  etwas  ungleichförmig  verteüt  und  zusammen  rund 
68^3  ^  (=  ^/s8  ^®'  Langenerstreckung  der  Triangulierung)  lang 
sind.  Die  durchschnittliche  Lange  einer  Basis  ist  also  11.4^,  sehr 
betrachtlich;  die  kürzeste  ist  die  Eent  Island-Qrundlinie  mit  rund 
8.7  km  (1844  von  Ferguson  gemessen),  die  längste  die  Massachusetts- 
Grundlinie  mit  17.8  km  (ebenfalls  1844  von  Blunt  gemessen).  Die 
Horizontalwinkelmessung  geschah  mit  80  cm- Theodoliten  und  dem 
75  cm- Theodolit;  der  wahrscheinliche  Fehler  einer  beobachteten 
Richtung  geht  in  den  verschiedenen  Netzteilen  von  Hh  0.26''  (in  den 
Neuengland-Staaten)  bis  zu  ^f:  0.79"  (in  Georgia  und  Alabama),  im 
Mittel  betragt  er  ^O.bV\  Für  genügende  Verstrebung  der  Ver- 
bindungen ist  überall  gesorgt;  die  Zahl  der  Dreiecke  ist  483.  Zum 
Zwecke  der  Ausgleichung  ist  das  ganze  Netz  in  dreizehn  einzelne  Stücke 
zerbrochen  worden.  Die  (geodätischen)  geographischen  Positionen  der 
Dreieckspunkte  sind  mit  Zugrundelegung  des  Clarkeschen  Ellipsoids 
von  1866  berechnet 

An  astronomischen  Bestimmungen  sind  vorhanden:  71  Breiten- 
stationen, 17  Längenunterschiede  und  55  Azimutstationen.  Die  Pol- 
höhen sind  fast  sämtlich  mit  dem  Zenitteleskop  (Horrebow-Talcotts 
Methode)  bestimmt,  die  LängendiEferenzen  alle  mit  Hilfe  des  elek- 
trischen Telegraphen,  die  Azimute  meist  durch  Messung  von  Horizontal- 
winkeln zwischen  dem  Polarsterne  und  einer  vom  Standpunkte  aus- 
gehenden terrestrischen  Richtung.  Die  wahrscheinlichen  Fehler  der 
geographischen  Längen  der  17  Punkte  gehen  über  ^  1.3"  (^  0.1") 
nicht  hinaus  und  sinken  bis  auf  ^  0.75"  (+0.05*). 

Am  meisten  Interesse  bieten  weitern  Kreisen  ohne  Zweifel  die 
Ergebnisse  des  IV.  Abschnittes:  Ableitung  eines  oskulierenden  Ellip- 
soids für  den  von  dem  Bogen  überspannten  Teile  der  Erdoberfläche. 
Mit  verschiedenen  Annahmen  über  das  Gewicht  der  Azimutgleichungen 
werden  vier  verschiedene  solche  Ellipsoide  abgeleitet,  deren  große 
Halbachsen  zwischen 

6877  966  und  6  378  208  m  liegen 
(der  wahrscheinliche  Fehler  ergibt  sich  je  zu  rund  ±  90  m)  und  für 
die  der  Abplattungsnenner  zwischen 

307.6  und  303.7 
(mit    einer  wahrscheinlichen   Unsicherheit  von  je  ^  2)   liegt      Das 
dritte  dieser  Ellipsoide  mit 

a  =  6  878  157  +  90  m  und  — ^  =  804.5  +  2 
—  a — b  — 

wird  als  das  beste  angesehen;   seine  große  Halbachse  ist  nur  wenig 

kleiner  als  die  der  Clarkeschen  Ellipsoide  von  1866  und  1880  und 

wenig  größer  als  die  des  Ellipsoids  von  Harkneß  (aber  760  m  länger 

als  Bessels  a,   das  bekanntlich  in  der  Tat  sicher  um  0.7  oder  0.8  km 

zu  kurz  ist),    die   Abplattungsreziproke   ist  aber  wesentlich  größer 


Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde. 


163 


(die  Abplattung  kleiner)  als  bei  Clai-ke  (295 — 298),  sogar  noch  ziem- 
lich größer  als  bei  Bessel  (299)  und  bei  Harkneß  (300). 

Immerhin  zeigt  sich  auch  hier  wieder,  daß  große  Abweichungen 
zwischen  den  Dimensionen  solcher  Ellipsoide,  die  der  Krümmung 
eines  bestimmten  kleinen  Stückes  der  Erdoberfläche  sich  am  besten 
anpassen,  und  einem  Erdellipsoid,  das  sich  der  Form  der  ganzen 
mathematischen  Erdoberfläche  am  genauesten  anschmiegt,  nicht  vor- 
handen zu  sein  scheinen.c 


Sehwerebesümmungen  In  WürttembeFg:.^)  Während  der 
Monate  März  und  April  1902  wurden  auf  10  Stationen,  die  in  un- 
gefähr 15  km  gegenseitigem  Abstände  nahe  auf  dem  Pariser  Parallel- 
kreise gelegen  sind,  Schwerebestimmungen  mittels  zweier  Pendel 
ausgeführt,  während  zwei  andere  Pendel  zu  den  gleichzeitigen  Be- 
obachtungen in  Stuttgart  zurückgelassen  waren. 

Die  Beobachtungen  sind  während  der  Nachtstunden  von  9  bis 
3  Uhr  in  Eellerräumen  angestellt  worden,  deren  Auswahl  und  Aus- 
stattung mit  einem  Pendelpfeiler  an  den  betreffenden  Orten  schon 
wahrend   des   vorangegangenen  Herbstes  vorgenommen  worden  war. 

Die  östlichste  Station  (Bopfingen)  an  der  Grenze  des  Ries  (Nord* 
lingen)  liegt  noch  auf  vulkanischem  Untergrundgesteine.  Die  folgenden 
Stationen  gegen  Westen  liegen  auf  Jura  und  Keuper,  wogegen  die 
zwei  letzten  Stationen  der  Reihe  (Herrenalb  und  Liebenzeil)  auf  den 
Sandsteinen  des  Schwarzwaldes  sich  befinden.  Am  höchsten  über 
dem  Meere  liegen  die  äußern  Stationen  im  Osten  und  Westen,  am 
niedrigsten  die  mittlem.  Die  folgende  Tabelle  gibt  nach  E.  R.  Koch 
für  die  einzelnen  Orte  die  Höhe,  die  beobachtete  Schwere,  die  Reduk- 
tion auf  Meereshöhe  und  die  Abweichung  der  reduzierten  Schwere 
gegen  die  theoretisch  berechnete: 

Staüon 

Bopfingen  .  . 

Aalen     .    .  . 
Unterböbingen 

Lorch    .    .  . 

Schorndorf  . 

Cannstadt .  . 

Stutteart   .  . 

Leonber^   .  . 
Heimsheim 

Ldebenzell  .  . 

Henrenalb  .  . 

Im  allgemeinen  sind  also  die  Schwereverhältnisse  auf  dem  ge- 
wählten Parallelkreise  innerhalb  Württembergs   ziemlich  regelmäßig; 


H5he 

Schwere 

Beduktton       Abwelohung 

464.8  m 

9.80685  m    - 

h0.095ofii     - 

h  0.088  om 

428.6 

9.80685        H 

-0.087 

-0.027 

888.5 

9.80695        -j 

-0.077 

-0.028 

288.5 

9.80911 

-0.058          J 

-0.028 

2526 

9.80915        H 

-0.062          H 

-0.025 

227.6 

9Ä)926 

-0.044 

-0.028 

247.8 

9.80915 

— 

— 

884.2 

9.80893        H 

h  0.074          -) 

k  0.026 

409.0 

9.80685 

-0.081 

-0.024 

884.5 

9.80696 

-0.069 

-0.026 

859.6 

9.80912 

-0.077 

-0.048 

^)  Veröffentlichungen  der  Kgl.  württemb.  Kommission  für  internationale 
Erdmessungen.  Jahrbuch  des  Vereins  für  vaterl.  Naturkunde  in  Württemberg 
1903.    Naturw.  Rundschau  1908.  p.  291. 

11* 


164  Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde. 

nur  Herrenalb  weicht  starker  ab,  was  mit  der  Lage  dieses  Ortes  in 
der  Sohle  eines  tiefen  Schwarzwaldtales  (die  umliegenden  Berge  sind 
360 — 500  m  höher)  zusammenhängen  mag. 

Bestimmungr  der  Schwerkraft  auf  dem  Atlantischen 
Ozeane.  Wie  bereits  im  12.  Bande  dieses  Jahrbuches^)  mitgeteilt 
wurde,  hat  Prof.  Dr.  Hecker  durch  Beobachtungen  an  Barometern 
und  Siedethermometem  Bestimmungen  der  Schwerkraft  auf  dem 
Atlantischen  Ozeane  ausgeführt  Die  definitive  Berechnung  dieser 
Beobachtungen  ist  nun  beendigt  und  publiziert.^) 

Als  endgültige  Werte  von  Jg  für  Flachsee — Tiefsee  wurden 
ermittelt,  ausgedrückt  in  Höhe  des  Quecksilberbarometers: 

fMn  mm 

für  die  Ausreise:       +0.017     ±0.015 
für  die  Heimreise:     -[-0.048     ±0.034. 

Die  mittlem  Fehler  sind  so  angegeben,  wie  sie  sich  aus  der 
Addition  der  letzten  Normalgleichungen  bei  der  Ausgleichung  aller 
Barometer  für  die  Ausreise  und  ebenso  für  die  Heimreise  ergeben. 
Es  bestätigen  also  auch  die  Beobachtungen  auf  der  Heimreise  die 
Hypothese  von  Pratt  von  der  isostatischen  Lagerung  der  Massen 
der  Erdkruste  für  dieses  Gebiet  des  Atlantischen  Ozeanes.  Im  Mittel 
ergibt  sich  der  Endwert,  ausgedrückt  in  Störung  A  g  der  Schwerkraft 
in  Zentimetern.    J^  für  Flachsee— Tiefsee  =  +  0.028  cm  ±  0.018  cw. 

Ober  die  Reduktion  der  auf  der  physischen  Erdober- 
fläche beobachteten  Schwerebeschleunigrunsren  auf  ein  ge^ 
meinsames  Niveau  machte  Prof.  Helmert  in  der  Preuß.  Akademie 
der  Wissenschaften')  weitere  Mitteilungen.  In  derselben  wird  die 
übliche  Reduktion  auf  das  Meeresniveau  mit  der  normalen  Höhen- 
reduktion  empirisch,  sowie  theoretisch  aus  der  Gleichgewichtstheorie 
der  Erdkruste  begründet;  dagegen  die  neuerdings  vorgeschlagene  Re- 
duktion auf  ein  die  höchsten  Berge  überragendes  Niveau  als  unzweck- 
mäßig erwiesen. 

Letzterer  Vorschlag  ist  von  Brillouin  gemacht  worden,  der  die 
Reduktion  auf  ein  in  10  Am»  Meereshöhe  gelegenes  Niveau  empfahl. 
Prof.  Helmert  behandelt  bei  dieser  Gelegenheit  auch  die  Gleich- 
gewichtstheorie von  Pratt  und  gelangt  zu  einem  neuen  Nachweise 
für  die  Zulässigkeit  der  Annahme,  daß  die  kontinentalen  Erhebungen 
über  das  Meeresniveau  nach  Pratts  Hypothese  unterirdisch  durch 
Defekte  der  Dichtigkeit  nahezu  ausgeglichen  sind,  oder,  anders  aus- 
gedrückt: daß  sie  im  wesentlichen  durch  Massenverschiebungen  aus 
einer  ursprünglich  homogenen,  bezw.  homogen  geschichteten  Erdkruste 
entstanden  sind. 


*)  S.  1B7. 

*)  Vgl.  Veröffentl.  des  K.  Preuß.   geodätischen  Protokolls  N.  F.  IS^ 
Potsdam  1903. 

')  Sitzungsber.  d.  K.  Preuß.  Akad.  d.  W.  1908.  31. 


Oberflächengestaltung.  165 


Oberflächengrestaltungf. 
Gesetzmäßig:  wiederkehrende  Höhenverschiebungren  von 

Nlvellementsfestpunkten  behandelte  W.  Seibt.^)  Im  Jahre  1897 
zeigten  sich  zum  ersten  Male  die  merkwürdigen  Erscheinungen,  und 
zwar  bei  Festlegung  der  selbsttätigen  Gezeitenpegel  an  der  Unterelbe 
bei  Granz  und  bei  Brunshausen,  daß  die  zur  Aufstellung  der  Pegel 
dienenden  Häuser  und  die  an  ihnen  befindlichen  Höhenbolzen,  wie 
auch  die  Nullmarken  der  Pegellotvorrichtungen  bei  Niedrigwasser 
eine  um  einige  Millimeter  andere  Höhenlage  hatten  als  bei  Hoch- 
wasser. Im  folgenden  Jahre  wurde  gefunden,  daß  die  Höhenver- 
schiebungen periodisch  wiederkehren  und  genau  dem  Wasserstande 
entsprechend  eintreten.  An  beiden  Punkten  bewirkt  das  Ebben  des 
Wassers  ein  allmähliches  Heben,  die  Flut  ein  allmähliches  Sinken 
des  Pegelhauses. 

Die  Amplitude  der  Schwankungen  beträgt  etwa  3  mm,  Beobach- 
tungen im  Mai  1901  bestätigten  diese  Ergebnisse  vollständig.  Eine 
genügende  Erklärung  ist  dafür  noch  nicht  zu  geben.  Seibt  glaubt, 
daß  in  der  Erscheinung  die  elastische  Nachgiebigkeit  des  Untergrundes 
der  im  Wasser  erbauten  Pegelhäuser  zum  Ausdrucke  komme.  Endlich 
ergab  sich  auch  noch,  daß  an  den  beiden  genannten  Punkten  eine 
fortschreitende  Senkung  des  Bodens  von  einigen  Millimetern  pro  Jahr 
stattfindet 

Die  Felsbildungren  der  säehslsehen  Schweiz  waren  Gegen- 
stand einer  Darlegung  von  Alfred  Hettner.^  Diese  Felsbildungen 
sind  durch  ihren  eigentümlichen  Charakter  weithin  bekannt  »Überall 
treten  dem  Beschauer  dort  die  seltsamsten,  barocksten  Felsgebilde 
entgegen:  wabenartige  Zerfressungen  der  Felswände,  Nischen,  Höhlen, 
Überhänge,  Tore  von  den  kleinsten  bis  zu  recht  beträchtlichen  Aus- 
maßen, schmale  Felsmauem  und  isolierte  Felspfeiler  und  Felsblöcke, 
oft  wunderlich  modelliert,  so  daß  eine  kindliche  Phantasie  darin  das 
Qesicht  Napoleons  oder  die  Form  einer  Gans,  eines  Lammes,  eines  Kamels, 
einer  Lokomotive  entdeckt  Die  Täler  oder  .  Gründe '^  wenigstens 
des  rechten  Eibufers  haben  steile,  oft  beinahe  senkrechte  Felswände, 
an  denen  die  Pflanzen  nur  mit  Mühe  haften.  Die  meisten  Gipfel 
sind  ausgesprochene  Tafelberge,  sogenannte  Steine,  bei  denen  sich 
eine  Felskrone  von  einem  sanfter  geneigten  Fußkegel  abhebt  In 
andern  Teilen  finden  wir  ausgedehnte  Felsplatten,  die  in  steilen, 
durch  Felskessel  und  Felsrippen  reich  gegliederten  Wänden  abfallen. 


')  Zentralblatt  der  Baaverwaltung,  herausgegeben  im  Ministerium  der 
dffenÜ.  Arbeiten.    Berlin  1902. 

*)  Geograph.  Zeitschr.  1908.  9.  p.  606. 


/  r 


166  OberfLächeDgestaltung. 

Die  Steine  und  die  Felsmauem  erheben  sich  über  weit  ausgedehnten 
wagerechten  oder  sanft  abgedachten  .Ebenheiten",  in  die  wieder  die 
Taler  eingesenkt  sind.  Besonders  im  untern  Teile  der  sächsischen 
Schweiz  sind  diese  Ebenheiten  deutlich  ausgebildet,  und  man  sieht 
hier  mehrere  Ebenheiten  von  verschiedener  Höhe  mit  Landstufen  an- 
einander treten,  c 

Diese  merkwürdigen  Felsbildungen,  die  zum  Teile  an  die  Canons 
des  Coloradogebietes  erinnern,  beruhen  auf  der  Beschaffenheit  des 
Quadersandsteines,  der  in  unserem  feuchten  Klima  ähnliche  Formen 
hervorruft,  wie  in  der  Wüste  die  Trockenheit  des  Klimas.  Jedenfalls 
hat  bei  der  Herstellung  der  sächsischen  Schweiz  das  Wasser  eine 
Hauptrolle  gespielt,  wenngleich  anders  als  bei  den  meisten  deutschen 
Mittelgebirgen.  »Die  Zerstörung  der  sächsischen  Schweiz  durch  die 
Gewässer,«  sagtHettner,  »stimmt  mit  der  der  übrigen  deutschen  Mittel- 
gebirge darin  überein,  daß  sie  nur  ganz  allmählich  von  den  durch 
die  Verwerfungen  und  Flußlinien  gegebenen  Tiefenlinien  aus  ins  Innere 
vordringt,  sie  unterscheidet  sich  aber  von  den  meisten  dadurch,  daß 
dieses  Vordringen  nicht  mit  trichterförmigen,  sondern,  ähnlich  wie  in 
der  Wüste,  mit  kesseiförmigen  Einsenkungen  erfolgt.  An  Stelle  flacher 
Böschungen,  die  durch  Trichter  und  dazwischen  liegende  gerundete 
Bergrippen  gegliedert  sind,  sind  darum  Felswände  mit  Felskesseln  und 
dazwischen  sich  vorstreckenden  Felsmauern  die  vorwaltenden  Formen. 
Die  erhalten  gebliebenen  Stücke  der  ursprünglichen  Tafelfläche,  mögen 
sie  noch  eine  weite  Flächenausdehnung  haben  oder  länglich  gestreckte 
Rücken  oder  einfache  Berge  bilden,  sind  stets  durch  solche  Felswände 
begrenzt  und  sind  daher  je  nachdem  Tafelmassen,  die  an  den  Rändern 
in  wirre  Felsreviere  aufgelöst  sind,  oder  Felsmauern  oder  Tafelberge, 
sogenannte  Steine,  bei  denen  sich  eine  Felskrone  von  einem  Fußkegel 
absetzt  Felsmauem,  die  auf  beiden  Seiten  von  Kesseln  angegriffen 
werden,  zeigen  Einsattlungen,  die  nach  den  beiden  Seiten  aber  nicht 
allmählich,  wie  bei  gewöhnlichen  Kämmen,  sondern  treppenförmig 
ansteigen.  An  der  Spitze  einer  zwei  benachbarte  Kessel  trennenden 
Felsmauer  stehen  häufig  isolierte  Felssäulen  oder  Felspfeiler  oder, 
in  größerem  Maßstabe,  eigentliche  Vorberge,  die  immer  die  Form  von 
Steinen  haben.  Am  Fuße  der  Tafelmassen  und  Tafelberge  breiten 
sich  sanftwellige  Felsplatten  aus,  die  aus  der  Zerstörung  hervor- 
gegangen sind;  die  niedrigen  Bodenschwellen  entsprechen  den  ehe- 
maligen Felsmauem.« 

In  der  sächsischen  Schweiz  erfolgt  die  Abtragung  also  nach 
ähnlichen  Gesetzen,  wie  sie  Powell  und  Dutton  für  das  Canongebiet 
des  Colorado  entwickelt  haben:  an  den  Seiten  der  Verwerfungen  und 
Tailinien  bilden  sich  Felskessel  aus,  sie  vergrößern  sich  allmählich 
nach  den  Seiten  und  nach  hinten,  die  trennenden  Felsrippen  werden 
zerstört,  und  flache  Schwellen  treten  an  ihre  Stelle,  die  Felswände 
im  ganzen  weichen  nach  hinten  zurück  (Recession  of  Cliffs),  die 
ursprüngliche  Tafel  wird  immer  kleiner  und  verliert  immer  mehr  den 


f  ^ 


Oberfl&chengestaltuDg.  167 

ZusammenhaDg,  vielfach  bleiben  nur  noch  einzelne  Felsmauem  und 
Tafelberge  davon  übrig,  bis  auch  sie  verschwinden,  und  eine  flach 
gewellte  Oberfläche  zurückbleibt  Es  ist  eine  besondere  Form  des 
allgemeinen  Vorganges  der  Einebnung  der  Gebirge,  der  Peneplanation, 
wie  man  heute  oft  mit  einem  von  W.  M.  Davis  eingeführten  Ausdruke 
sagt,  der  Abrasion,  wie  man,  eine  zunächst  allerdings  für  die 
Brandungswirkung  geschaffene  Bezeichnung  v.  Richthof ens  erweiternd, 
sagen  könntet 

Eine  ganz  klare  Vorstellung  von  dem  Vorgange  der  Abtragung 
ist  aber  nach  Hettner  noch  nicht  zu  gewinnen,  der  letzte  Schlüssel 
für  das  morphologische  Verständnis  der  sächsischen  Schweiz  fehlt 
uns  noch.  »Ihrem  innem  Baue  nach«,  sagt  Hettner,  »ist  sie  ein  Block 
von  Sandstein,  mit  schwachen  aber  bedeutsamen  Zwischenschichten 
von  Pläner  und  Mergel.  Im  Meere  der  obem  Kreide  abgelagert, 
wurde  sie  gegen  den  Schluß  der  Kreidezeit  über  den  Meeresspiegel 
gehoben  und  in  der  Mitte  der  Tertiärzeit  von  großen  Dislokationen 
betroffen,  die  teils  der  sudetischen,  teils  der  erzgebirgischen  Streich- 
richtung folgen.  Ob  das  Land  in  der  altern  Tertiärzeit  Tiefland 
oder  zu  größerer  Höhe  gehoben  war,  und  welche  Fortschritte  die 
Abtragung  schon  gemacht  hatte,  können  wir  nicht  sagen;  in  der 
Hauptsache  gehört  die  Abtragung  wohl  erst  der  Zeit  nach  der  Dis- 
lokation oder  wenigstens  nach  der  im  sudetischen  Sinne  erfolgten 
Dislokation,  d.  h.  nach  dem  Einsinken  des  Quadersandsteinblockes 
zwischen  Erzgebirge  und  Lausitzer  Platte,  an,  da  der  Sandstein 
überhaupt  nur  in  dieser  Einsenkung  erhalten,  auf  der  Lausitzer  Platte 
und  dem  Erzgebirge  dagegen  abgetragen  ist,  und  da  auch  die  Land- 
stufen ungefähr  in  der  Richtung  der  durch  die  sudetische  Dislokation 
bewirkten  Schichtenneigung  verlaufen.  In  der  Bildung  dieser  Land- 
stufen und  Ebenheiten,  die  in  Abhängigkeit  vom  Gresteinswechsel 
erfolgt  ist,  haben  wir  im  ganzen  wohl  die  älteste  noch  heute  in 
Betracht  kommende  Tatsache  der  Ausgestaltung  des  Bodens  durch 
äußere  Kräfte  zu  erblicken.  Auch  die  Zerstörung  innerhalb  des  den 
nordöstlichen  Teil  der  sächsischen  Schweiz  einnehmenden  obem 
Quadersandsteines  hat  damals  selbstverständlich  schon  eingesetzt,  ist 
aber,  wie  es  scheint,  erst  später  mit  der  Ausbildung  der  Talterrasse 
der  Kamnitzelbe  und  ihrer  Zuflüsse  und  der  darauf  gerichteten  Eben- 
heiten zu  einem  vorläufigen  Abschlüsse  gelangt  Diesen  Zustand  hat 
die  sächsische  Schweiz  in  der  großen  Eiszeit  gehabt  Danach  hat  — 
die  Ursache  muß  dahingestellt  bleiben,  vielleicht  hängt  sie  mit  dem 
Eintritte  der  böhmischen  Elbe  zusammen  —  die  Erosion  weiter  in 
die  Tiefe  schneiden  können;  aber  dieser  Vorgang  ist  noch  nicht  weit 
gediehen,  er  beschränkt  sich  der  Hauptsache  nach  noch  auf  die 
Bildung  von  Gründen  und  Schluchten.  Darum  heben  sich  in  der  öst- 
lichen sächsischen  Schweiz  2  Höhenzonen,  eine  obere  der  über  größere 
Flächen  sich  erstreckenden  Zerstörung,  der  über  großen  Felsplatten 
aufsteigenden  Felsreviere   und  Tafelberge,  und   eine   untere   der  nur 


168  OberflächeDgestaltoDg. 

in  einzelnen  Linien  erfolgten  Zersidning,  der  Gründe,  deutlich  von- 
einander ab.  Es  ist  aber  nur  ein  Gregensatz  im  Betrage,  nicht  in  der 
Art  der  Zerstömng.  Es  liegt  kein  Grrund  vor,  daraus  auf  einen 
Wechsel  des  E^limas  zu  schliefien.  Die  eigentümliche  Art  der  Boden- 
gestaltung der  sächsischen  Schweiz  ist  nicht  im  Klima,  sondern  in 
der  Gesteinszusammensetzung  begründet;  ihre  Felsbildungen  sind  nicht, 
wie  die  der  Wüste,  die  Folge  einer  Trockenheit  des  Klimas,  sondern 
der  Trockenheit  des  Bodens. 

Ober  Bergstürze  im  norddeutschen  Flaehlande  machte 
Prof.  Jentzsch  in  der  deutschen  geologischen  Gesellschaft  Mitteilungen. 
Ein  langsam  fortschreitender  Erdrutsch  findet  sich  bei  Darkehmen  in 
Ostpreußen,  über  den  Nachrichten  seit  1811  vorliegen.  Das  Abrutsch- 
gebiet liegt  am  rechten  Ufer  der  Angerapp  und  hat  die  dort  entlang 
führende  Fahrstraße,  sowie  ein  Wohnhaus  zerstört,  auch  Bäume  fort- 
gerissen. Solche  Erdbewegungen  sind  an  Steilgehängen  außerordent- 
lich verbreitet,  am  häufigsten  an  jetzigen  oder  frühem  Prallstellen 
der  Flüsse  bei  Ton  und  Tonmergel.  Neben  diesen  langsamen  Erd- 
bewegungen kommen  auch  schnelle  Massenbewegungen  vor,  so  1878 
am  rechten  Ufer  des  Memelstromes,  10  Ami  östlich  von  Tilsit  Dort 
hatte  der  Strom  bei  Eisgängen  und  Hochfluten  den  Fuß  der  Tal- 
böschung nach  und  nach  so  weit  abgetragen,  daß  die  geringe  abnagende 
Tätigkeit  des  Flusses  im  Sommer  jenes  Jahres  genügte,  um  den 
Sturz  plötzlich  auszulösen.  Wie  Prot  Jentzsch  vermutet,  hat  dabei 
Quellenbildung  die  Wirkung  des  Stromes  unterstützt.  Durch  ähnliche, 
wenn  auch  kleinere  Abstürze  sind  offenbar  die  zackenförmigen  Klippen 
von  Geschiebemergel  entstanden,  welche  das  Weichselufer  zahlreich 
aufweist.  Einen  noch  frischen  Sturz  sah  Prof.  Jentzsch  im  Juni  1900 
an  der  Danziger  Bucht  nordöstlich  von  Hochredlau.  An  der  Ober- 
kante stehend,  schaut  man  dort  hinab  in  einen  Kessel  mit  krater- 
ähnlich abfallenden  Steilwänden,  während  der  Boden  desselben  von 
einem  schwer  betretbaren  Gewirre  größerer  und  kleinerer  Erdschollen 
und  hinabgestürzter  Bäume  und  Sträucher  bedeckt  ist.  Unterhalb 
Schwetz  am  linken  Ufer  der  Weichsel  findet  man  einen  der  größten 
Bergstürze  des  Flachlandes,  dessen  Datum  aber  nicht  bekannt  ist. 
Überhaupt  bestehen  dort  viele  alte  Sturzgebiete;  einige  davon  sind 
so  ausgedehnt,  daß  sich  auf  ihnen  Wohnhäuser  und  Gärten,  ja  kleine 
Äcker  finden.  Wie  in  Ostpreußen,  so  sind  auch  an  andern  Strömen 
und  Flüssen  des  norddeutschen  Flachlandes  ältere  und  jüngere  Berg- 
rutsche viel  verbreitet,  und  sie  bilden  einen  wesentlichen  Teil  der 
Vorgänge  bei  der  Vertiefung  und  Verbreiterung  der  Taler.  —  Im 
Siebengebirge  am  Rhein  hat  das  Unwetter  am  3.  Juni  vielfache  Erd- 
rutschungen  verursacht.  Sehr  deutlich  treten  diese  dem  Wanderer 
im  Nachtigallentale  vor  Augen,  wo  die  Q«hänge  des  Weges  gegen  den 
Bach  hin  vielfach  abgestürzt  sind,  und  Längsrisse  im  Boden  weitere 
Abstürze  in  Aussicht  stellen. 


Oberflächengestaltung.  169 

Ober  die  Entstehung  und  Wanderung*  der  Dttnen  hat 

0.  Baschin  an  der  Nordseeküste  Beobachtungen  angestellt/)  und  zwar 
in  der  Nähe  des  Seebades  Fand.  Aus  seinen  Messungen  geht  hervor, 
daß  die  Geschwindigkeit  der  Vorwärtsbewegung  der  dortigen  kleinen 
Dünen  sehr  beträchtlich  ist  und  bis  zu  3  m  pro  Tag  beträgt.  Der 
Grund  dafür,  daß  die  hohen  Wanderdünen  langsamer  vorrücken  als 
niedrige  Dünen,  liegt  einfach  darin,  daß  unter  sonst  gleichen  Be- 
dingungen bei  einer  hohen  Düne  eine  längere  Zeit  erforderlich  ist, 
um  an  der  Leeseite  so  viel  Material  anzuhäufen,  daß  eine  merk- 
liche Vorwärtsbewegung  des  Dünenkammes  eintritt,  als  bei  einer 
niedrigen. 

Die  Sandzufuhr  durch  den  Wind  ist  ja  bei  hohen  und  niedrigen 
Dünen  die  gleiche,  aber  bei  einer  zehnmal  höhern  Düne  muß  die 
zehnfache  Menge  Sand  auf  der  Leeseite  abgelagert  werden,  um  ein 
Vorrücken  um  den  gleichen  Betrag  zu  ermöglichen,  so  daß  also  die 
Geschwindigkeit  der  Vorwärtsbewegung  direkt  proportional  der  Höhe 
der  Düne  ist. 

Auch  die  Form  der  Barchane  läßt  sich  unter  dem  gleichen  Ge- 
sichtspunkte leicht  erklären.  Bei  jeder  Sandanhäufung  werden  nämlich 
die  nach  der  Mitte  zu  gelegenen  hohem  Teile  langsamer  in  der 
Richtung  des  Windes  fortschreiten,  als  die  peripherischen  niedrigem 
Partien,  so  daß  sich  aus  einer  rein  kegelförmigen  Sandanhäufung 
bei  konstanter  Windrichtung  ein  vollständig  symmetrischer,  typischer 
Barchan  entwickeln  muß. 

Eine  besondere  Eigentümlichkeit  der  Dünen  ist  bekanntlich  der 
kurze,  fast  senkrechte  Steilabfall,  der  den  obersten  Teil  der  Leeseite 
bildet  und  dem  Dünenkamme  die  Form  eines  scharfen  Grates  ver- 
leiht Bertololy^  hebt  hervor,  daß  bisher  noch  keine  befriedigende 
Erklärung  dieses  Profils  gegeben  worden  ist;  er  versucht,  den  Steil- 
abfall dadurch  zu  erklären,  daß  er  annimmt,  der  Luftwirbel,  der  sich 
an  der  Leeseite  der  Düne  um  eine  horizontale  Achse  bilde,  sei  im- 
stande, durch  Erosion  einen  steilen,  2 — B  m  hohen  Absturz  zu 
erzeugen.  Dieser  Anschauung  kann  Verf.  nicht  beipflichten,  da  er 
sich  bei  seinen  Beobachtungen  direkt  davon  überzeugen  konnte,  daß 
die  Entstehung  des  kurzen  Steilabfalles  lediglich  auf  Abratschungen 
an  der  Leeseite  zurückzuführen  ist. 

Der  Untergrrund  von  Venedigs*  t^er  denselben  verbreitete 
sich,  aus  Anlaß  des  Einsturzes  des  Markusturmes ,  Dr.  Ochsenius.  *) 
Nach  einigen  Bemerkungen  über  abgeschlossene  Wasseransammlungen 
in    aUen    altem   Schichtsystemen,    welche   der  Bergmann   mit    dem 

^)  Zeitschr.  der  Gesellschaft  f.  Erdkunde.  Berlm  1901.  p.  422. 

^  Ernst  Bertololy,  Rippelmarken  und  Dünen.  (Münchener  Geogra- 
phische Studien,  herausgegeben  v.  Siegmund  Günther.  9.  Stück.)  München 
1900.  p.  187—189. 

*)  Zeitschr.  d.  Deutschen  geol.  Gesellsch.  54.  p.  188. 


170  OberflächeiigBsüdtiuig. 

Namen  »Wassersäcke«  zu  bezeichnen  pflegt,  eriaaterte  er  den  Begriff 
eines  »Wasserkissens«,  welchen  Namen  man  denjenigen  Wasser- 
ansammlongen  im  Alluvinm  beigelegt  hat,  die  unter  einer  elastisch 
gebliebenen  Decke  befindlich  und  unter  Druck  geraten  sind. 

Die  Bildung  ist  mehrfach  beobachtet  worden.  Tote  Flußaime, 
Teiche,  Tümpel,  sich  selbst  überlassen,  werden  von  einer  Schicht 
schwimmenden  Pfianzenmaterials  überzogen,  und  diese  Schicht  wird 
unter  Umständen  so  dicht  und  fest,  daß  darauf  gewehter  Staub 
und  Sand  nicht  mehr  untersiokt,  sondern  sich  verfestigt  Zuletzt 
ist  die  ganze  Vertiefung  ausgefüllt  und  eingeebnet,  der  flüssige  Inhalt 
am  Orunde  ist  total  eingesperrt  und  trägt  seine  Decke,  die  vielleicht 
nur  wenig  elastisch  geblieben  ist,  ruhig  weiter,  solange  keine 
Störung  eintritt 

Derartige  Formationen  von  Wasserkissen  können  sich  sogar 
übereinander  wiederholen.  Recht  unliebsame  Erfahrungen  mit  solchen 
haben  Eisenbahnen  im  norddeutschen  Flachlande  gemacht  Verluste 
an  ganzen  Dämmen  sind  zu  notieren  bei  dem  Baue  der  Berliner  Nord- 
bahn, der  Bahn  Köslin-Stargard,  der  Märkisch-Posener  Bahn  usw. 

Für  Wasserkissenbildung  war  und  ist  nun  die  norditalienische 
Poebene  wie  geschaffen.  Eine  üppige  Vegetation  auf  den  zahlreichen 
Tümpeln  und  Teichen,  die  der  Po,  dessen  Niveau  ja  gegenwärtig 
stellenweise  höher  liegt  als  die  First  der  Häuser  der  benachbarten 
Ortschaften,  auf  seinen  beiden  Ufern  hinterließ,  hat  imter  mildem 
Klima  dort  förmliche  Etagen  von  Wasserkissen  zuwege  gebracht 
Das  wird  bewiesen  durch  die  behufs  Beschaffung  von  gutem  Trink- 
wasser ausgeführten  Tiefbohrungen  und  deren  Druckverhältnisse. 
Offenbar  gehören  nun  die  AUuvionen  in  den  Deltagebieten  des  Po, 
der  Etsch  usw.  zu  den  jüngsten.  Die  alte  Küstenlinie  historischer 
Zeit  kommt  von  Ravenna,  geht  durch  Adria  und  Mestra  (15  Arm  vom 
jetzigen  Meeresufer,  d.  h.  dem  Venedig  östlich  vorliegenden  Damme 
Murazzi  bei  Malamacco)  über  Aquileja  nach  Duina  bei  Triest. 

Dieser  schmale  Küstenstrich,  der  Ostsaum  der  norditalienischen 
Ebene  ist  also  in  historischer  Zeit  von  dem  mineralischen  Detritus 
gebildet  worden,  welchen  die  Flüsse  aus  den  Alpen  anbrachten. 
Triasdolomite,  Juratone  und  -kalke,  Kreidemergel,  Tertiärmacigno, 
sowie  einige  Trachytausbrüche  lieferten  kalkig-tonig-sandiges  Mate- 
rial für  den  Aufbau  von  soliden  Decken  über  oberflächlich  zuge- 
wachsenen Tümpeln  und  Wasserflächen. 

Auf  solchen  Mergelschichten  (caranta)  stehen  Venedig  (mit  seinen 
122  Inselchen),  Padua,  Adria,  Vicenza,  Verona  usw. 

Da  ist  eine  Bildung  von  Wasserkissen  und  ähnlichen  Hohl- 
räumen, die  mit  Wasser  und  Gasen  gefüllt  blieben,  vor  sich  gegangen. 
Die  Degousseeschen  Venediger  Straßenbohrungen  in  den  Jahren  1S4G 
bis  1849,  sowie  die  von  1866  mit  ihren  üblen  Folgen  beweisen  das. 
Mit  Gewalt  wurden  die  schlammigen  Gewässer  an  40  tn  hoch  aus 
den  Bohrlöchern  über  die  Hausdächer  geschleudert,  ganze  Stadtviertel 


Oberflächengestaltung.  171 

erlitten  Senkungen.  Sueß  schrieb:  »Bei  einem  solchen  Lande  hat 
man  Grund  zu  staunen,  daß  sein  Rücken  durch  so  viele  Jahrhunderte 
die  große  Belastung  mit  Gebäuden  verhältnismäßig  ruhig  getragen 
und  dadurch  gestattet  hat,  daß  an  dieser  Stelle  eine  so  glänzende 
Stätte  menschlicher  Kultur  erblühte. 

Allein  die  Zeichen  der  Unsicherheit  des  Baugrundes  von  Venedig 
sind  doch  schon  alten  Datums.  Das  römische  Pflastemiveau  liegt 
2  m,  das  des  Mittelalters  1,7  m  unter  dem  jetzigen. 

1606  mußte  das  KauJQiaus  der  Deutschen  aus  dem  13.  Jahr- 
hunderte umgebaut  werden.  Im  Dogenpalaste  sind  einzelne  Mauern 
mit  Ketten  an  ihre  fester  stehenden  Nachbarn  gefesselt  worden. 

Im  Juli  1902  stürzte  der  berühmte  Glockenturm  von  S.  Marco 
in  sich  zusammen.  Jetzt  stellt  sich  heraus,  daß  sehr,  sehr  viele 
andere  Monumentalbauten  demselben  Schicksale  entgegengehen,  so 
S.  Stefano  mit  der  großen  Merosiniglocke,  S.  Donato,  Miracoli,  Maria 
Mater  Domini,  Frari,  S.  Giovanni,  S.  Zacarria,  Barnaba  und  viele 
andere. 

Die  Existenz  von  Wasserkissen  als  Ursache  der  Einsturzepidemie 
in  dem  armen  Venedig  und  in  seinen  Leidensgenossen  Adria,  Verona, 
Vicenza  wird  neben  den  Bohrresultaten  bewiesen  durch  das  Auf- 
steigen von  Wasser,  das  nach  oben,  dem  einzigen  Auswege,  gepreßt 
wird.  Darüber  berichtet  Ugo  Oretti,  daß  1  m  unter  dem  Funda- 
ment des  Kirchturmes  der  Frari  sich  jetzt  Wasser  zeigt. 

An  ein  Faulwerden  oder  Nachgeben  der  Pfahlroste,  deren  Eichen- 
stämme bis  zu  9  m  Tiefe  die  Venetianer  Fundamente  förmlich  spickten, 
ist  nicht  zu  denken.  Holz,  namentlich  das  der  Eiche,  fault  nicht 
im  Wasser,  wohl  aber  verkohlt  und  verkieselt  es.  Das  wird  bewiesen 
durch  die  alten  Pfähle  aus  römischen  Rheinbrücken,  Bohlen  aus  phöni- 
zischen,  bezw.  römischen  Bleibergwerken  an  der  Nordküste  von 
Spanien,  z.  B.  bei  Reocin,  und  durch  die  Funde  von  Eichbäumen  in 
Flußbetten,  welche  ein  schwarzes,  hartes  und  sprödes  Holz  lieferten, 
das  sich  noch  erfolgreich,  wenn  auch  nur  mühsam,   bearbeiten  ließ. 

Die  einzige  Erklärung  der  Venetianer  Verhältnisse  besteht  also 
in  der  (bereits  als  richtig  bewiesenen)  Annahme  von  Stellen  mit 
hohlem,  wassererfülltem  Untergrunde,  aus  dem  die  solide  Decke  das 
darin  enthaltene  Wasser  und  Gas  jetzt  langsam  durch  einen  von 
Überlastung  herrührenden  Riß  nach  oben,  auf  dem  einzigen  Auswege, 
herausquetscht  Mit  andern  Worten:  es  sind.  Wasserkissen,  deren 
Kissenüberzug  durch  Anstechen,  Anbohren  oder  Zerreißen  von  obcü 
her  durchlöchert  worden  ist  und  nun  bei  partieller  oder  kompletter 
Entleerung  des  wässerigen  (zum  Teil  auch  gasförmigen)  Inhaltes  durch 
die  entstandene  Öffnung  mit  seiner  ganzen  Belastung  absinkt 

Ein  merkwürdiger  Fall  von  Erosion  durch  Stauhoch- 
wasser bei  Schmarden  in  Kurland  wurde  von  Dr.  Bruno  Doß 


172  Oberflächengestaltung. 

geschildert^)  Dort  hat  im  Frühjahre  1900  ein  kleiner,  durch  Eis 
gestauter  Bach  in  34  Stunden,  während  deren  er  gezwungen  war. 
sich  einen  seitlichen  Ausweg  zu  suchen,  canonartige  Erosions- 
schluchten gebildet,  und  zwar  durch  rückwärts  einschneidende  Wasser- 
fälle. Das  erodierte  und  abgebrochene  Material  (tonig- mergelige 
Sedimente  und  Dolomittrümmer)  wurde  durch  die  starke  Strömung 
geradezu  ausgefegt;  im  ganzen  sind  während  der  angegebenen  Zeit 
2250  c&m  Dolomite,  Mergel  und  Schutt  durch  die  Stauwässer  aus- 
genagt und  weiter  transportiert  worden.  Das  Oefälle  betrug  auf  100  m 
etwa  1.7  m.  Diese  Tatsache  lehrt,  »daß  Wasserschwellungen  nicht 
nur  in  denjenigen  Erdgebieten  eine  große  geologische  Bedeutung  be- 
sitzen, woselbst  fast  beständige  Dürren  von  nur  seltenen,  aber  um 
so  heftigem  Regengüssen  unterbrochen  werden,  durch  deren  Trans- 
portkraft z.  B.  die  Physionomie  der  Wadis  von  Ägypten,  Arabien  usw. 
erhalten  bleibt,  sondern  daß  dieselben  auch  in  unsem  gemäßigten 
Breiten  zu  hervorragenden  geologischen  Faktoren  werden  können. 
Was  dort  die  heftig  einsetzenden  tropischen  Regengüsse  bewirken, 
das  erfolgt  hier  durch  die  Schwellung  der  Gewässer  infolge  Eis- 
stauimgen.  In  der  Hauptschlucht  steht  uns  fernerhin  ein  Beispiel 
dafür  zu  Gebote,  daß  die  Erosion  in  der  Horizontalen  äußerst  schnell 
rückwärts  schritt,  obgleich  die  Tiefenerosion  noch  nicht  ihr  mögliches 
Maximum  erreicht  hatte,  dessen  Ausmaß  durch  das  Niveau  der  fluß- 
abwärts gelegenen  Strecke  bedingt  wird.  Im  Gegensatze  hierzu  beob- 
achtet man  ja  bekanntlich  im  Schichtungstafellande  bei  einer  einmal 
eingeleiteten  Rückwärtserosion  meist  eine  schnell  vor  sich  gehende 
Ausfurchung  nach  der  Tiefe ,  aber  nur  ein  sehr  langsames  Wachsen 
der  Erosionsfurche  nach  rückwärts,  so  daß  die  Plattenränder  von 
sehr  steilen,  wilden,  aber  in  der  Horizontalen  nur  wenig  entwickelten 
Schluchten  zersägt  sind.c 

Der  abnorm  große  Betrag  der  erodierenden  Tätigkeit  des  rück- 
wärts schreitenden  Wasserfalles  bei  Bildung  des  obigen  Schluchten- 
systems wird  übrigens  gut  illustriert  durch  Vergleich  mit  einem 
WasserfaUe  der  baldischen  Provinzen,  welcher  in  Gesteinen  sich  voll- 
zieht, die  keinesfalls  härter  sind  als  diejenigen  des  Dolomitmergel- 
komplexes bei  Schmarden.  »Iii  dem  durch  seine  wilde  Romantik 
bekannten  Tale  der  besonders  im  Frühjahre  sehr  wasserreichen  Perse, 
einem  rechtsseitigen  Nebenflusse  der  Düna,  finden  sich  bei  Koken- 
husen  viele  kleinere  imd  größere  Talstufen,  über  welche  die  Gewässer 
in  Kaskaden  und  kleinern  Fällen  abstürzen.  An  einem  dieser  Fälle  — 
Verf.  schätzt  seine  Höhe  aus  der  Erinnerung  auf  etwas  über  Im  — 
ist  festgestellt  worden,  daß  er  in  einem  Zeiträume  von  11  Jahren 
um  6.8  m,  im  Durchschnitte  also  alljährlich  um  0.48  m  talaufwärts 
rückte.*)     Der  petrographische  Charakter  der  devonischen  Schichten, 


^)  Zeitschrift  d.  deutschen  geol.  Gesellschaft  55.  p.  1. 

^  Korrespondenzblatt  d.  Natorf.-Ver.  zu  Riga  1888.  82.  p.  29. 


OberfiächeDgestaltung.  173 

über  welche  sich  dieser  Wasserfall  ergießt,  ist  folgender:  zu  oberst 
eine  Bank  tonhaltigen  dolomitischen  Kalksteines,  darunter  Schichten 
sehr  feinkörnigen  zerreiblichen  tonhaltigen  Sandsteines,  an  der  Auf- 
prallstelle feinkörniger  tonig-kalkiger  Sandstein.  Der  6.2  m  hohe 
Fall  des  Jaggowal  bei  Jegelecht,  2dkm  östlich  Reval,  soll  in 
100  Jahren  um  circa  10  m  zurückschreiten.^)  Hier  werden  die  von 
imtersilurischem  Glaukonitkalk  überlagerten  Glaukonitsande  und  ober- 
kambrischen  Diktyonemaschiefertone  imterwaschen.  Ob  bezüglich  der 
Größe  des  Rückwärtsschreitens  des  bedeutendsten  ostseeprovinziellen 
Wasserfalles,  des  Narowafalles  bei  Narwa,  schon  Bestimmungen 
ausgeführt  worden  sind,  ist  Verfasser  im  Augenblick  nicht  bekannt 
Fixpunkte  hierfür  hat  bereits  Helmersen  1861  angegeben.*)  Zum 
Vergleiche  sei  schließlich  noch  erwähnt,  daß  der  Niagarafall  jährlich 
um  ca.  1  m  rückschreitet') 

Welch  gewaltige  Stoßkraft  endlich  die  im  Schlockebette  bei  der 
Schmardener  Mühle  sich  stauenden  Eisschollen  entwickelten,  wird 
durch  folgende  Tatsache  beleuchtet.  Unter  den  im  Bachbette  direkt 
unterhalb  der  Brücke  liegenden  erratischen  Blöcken  war  einer  durch 
seine  auffallende  Größe  bemerkenswert  und  allen  Anwohnern  bekannt 
Nach  Verlauf  des  Hochwassers  bemerkte  man,  daß  derselbe  seine 
Lage  verändert  hatte.  Er  war  durch  die  andrängenden  Eisschollen 
20  m  bachabwärts  geschoben  und  gerollt  worden.  Mit  derjenigen 
Partie,  welche  früher  im  Boden  steckte  —  es  ist  dies,  wie  aus  der 
hellem  Farbe  ersichtlich,  knapp  die  Hälfte  der  gesamten  Masse  — , 
ragt  der  Stein  jetzt  nach  oben.  Er  besitzt  bei  einer  Länge  von 
2.6  m  und  einer  größten  Breite  von  1.6  m  einen  Umfang  von  ß^/^mj 
erhebt  sich  mit  seinem  freiliegenden  Teile  zurzeit  1  ^/^  m  über  das 
Bachbett  und  besteht  aus  finischem  Granite.« 

Ober  das  Relief  von  Norwegen  verbreitete  sich  Hans 
Reusch.^)  Er  betont,  daß  die  viel  verbreitete  Annahme,  das  skandi- 
navische Hochgebirge  sei  ein  Plateaugebirge,  was  den  innem  Bau 
anbelangt,  insofern  unrichtig  ist,  als  wir  in  einer  breiten  Zone  der 
Westküste  entlang  von  dem  Südende  Norwegens  bis  zum  Nordkap 
ein  ausgesprochenes  Faltengebirge  haben,  ebenso  gut  wie  in  den 
Alpen,  nur  daß  die  Faltung  schon  vor  der  Kohlenperiode  abgeschlossen 
war.  »Die  jüngsten  gefalteten  Gesteine  sind  fossilfreie  Sandsteine 
(nördlich  von  Bergen),  in  denen  man  devonische  Ablagerungen  zu 
vermuten   hat.     östlich   vom   großen  Faltenzuge,   z.  B.   im  mittlem 


^)  Rathlef,  Skizze  der  orographischen  und  hydographischen  Verhält- 
nisse von  Liv-,  Esth-  und  Kurland.    Reval  1852.  p.  64. 

^  Die  geologische  Beschaffenheit  des  untern  Narowatales  etc.  Bull. 
Acad.  Sciences,  Petersb.  1861.  3.  p.  18. 

*)  Bakewell.  Observations  of  the  Falls  of  Niagara  (Am.  Joum.  (2  1867 
2S.  p.  86) ;  zitiert  nach  Penck,  Morphologie  der  Erdobeiflache  1*  p.  819. 

^  Hettner,  Oeogr.  Zeitschrift  1903.  p.  426. 


174  Oberfläch^agestaltung. 

Schweden,  liegen  die  Silurschichten  horizontal,  sind  aber  durch  verti- 
kale Verwerfungen  in  verschiedene  Höhe  gebracht.  Die  Erdkruste 
ist  in  dem  westskandinavischen  Gebirgszuge  nicht  nur  in  Falten  zu- 
sammengeschoben, auch  große  Überschiebungen  haben  stattgefunden. 
Es  scheinen  sogar  gewisse  Teile  der  Erdkruste  durch  beinahe  hori- 
zontale Spalten  von  ihrer  Unterlage  abgelöst  und  danach  durch 
Schub  in  horizontaler  Richtung  viele  Kilometer  weit  bewegt  worden 
zu  sein.  Archäische  Gesteine  sind  dadurch  über  weite  Strecken  auf 
silurische  gekommen. 

Die  Gebirge  Norwegens  sind  Rumpfgebirge.  Durch  ungezählte 
Jahrtausende  sind  ungeheure  Massen  von  der  Erdkruste  abgeschält, 
so  daß  uns  die  gegenwärtige  Oberfläche  nur  Gesteine  zeigt,  die  einst 
tief  begraben  lagen.  € 

Reusch  zeigt  an  Beispielen  und  schematisch  den  Einfluß  der 
Erosion  durch  fließende  Gewässer  und  die  Arbeit  der  Gletscher  auf 
die  Modellierung  der  paläischen  Oberfläche  Norwegens  und  betont 
auch  die  Wirkung  der  marinen  Denudation.  Das  Land  hat  durch 
lange  Zeiten  am  Ende  des  Tertiärs  und  in  der  Diluvialzeit  um  ein 
Niveau,  das  nicht  sehr  vom  gegenwärtigen  abweicht,  oszilliert;  da- 
durch ist  eine  wohl  ausgebildete  kontinentale  Plattform  entstanden. 
Die  höhern  Teile  der  kontinentalen  Plattform  ragen  aus  dem  gegen- 
wärtigen Meere  hinaus  und  bilden  die  Strandebene,  den  Wohnplatz 
für  einen  bedeutenden  Teil  der  norwegischen  Bevölkerung.  Die  kon- 
tinentale Plattform  ist  von  unterseeischen  Tälern  gefurcht,  die  gebildet 
wurden  in  Zeiträumen,  wo  die  Plattform  höher  lag  als  jetzt  Wie 
bekannt,  sind  die  Fjorde  auffällig  tief.  Reusch  ist  geneigt,  anzunehmen, 
daß  sich  die  Fjorde  mehr  oder  weniger  tief  bis  zu  dem  Abfalle  der 
Plattform  fortsetzen,  imd  daß  die  äußern  Partien,  zum  großen  Teile 
von  loserem  Materiale,  vornehmlich  von  Moränenmassen,  zugeschüttet 
wurden.  Die  große  Tiefe  der  Fjorde  sei  zum  Teile  durch  die  aus- 
räumende Tätigkeit  der  Gletscher  hervorgebracht,  zum  Teile  aber 
haben  auch  die  Gletscher  zu  Zeiten,  wo  die  Gletscherzungen  nicht 
aus  den  Fjordgegenden  herausreichten,  den  Felsgrund  beckenartig 
ausgegraben.  Die  Möglichkeit  dürfe  auch  nicht  ausgeschlossen  werden, 
daß  die  Tiefe  der  Fjorde  dadurch  gesteigert  werden  konnte,  daß  die 
letzte  Phase  der  Krustenbewegung  ein  größeres  Einsinken  des  Landes 
im  Innern  wie  an  der  Küste  hervorgebracht  haben  kann. 

Die  greomorphologrischen  Verhältnisse  Ostasiens.  Wie  die 

geographischen  Karten  zeigen,  schneiden  Ost-  und  Südostasien  in 
mehrern  großen  Bogen  gegen  das  stille  Weltmeer  hin  ab,  ja  diese 
Neigung  zur  Bildung  von  nach  auswärts  gekrümmten,  konvexen  Bogen 
zeigen  auch  viele  der  großen  Gebirgszüge  Ostasiens  vom  hohen 
Norden  bis  herab  zur  Küste  Hinterindiens.  Auch  die  dem  asiatischen 
Festlande  vorgelegenen  Inselreihen  zeigen  diese  bogenförmigen  An* 
x>rdnungen  in  mehrem  Wiederholungen:   so  die  Aleuten,  Kurilen,  die 


Oberflächengestaltung.  175 

japanischen  Inseln  und  die  Liukiu-  oder  Riukiuinseln,  ja  selbst 
im  Südosten  wiederholt  sich  die  bogenförmige  Anordnung  in  den 
großen  Sundainseln  und  in  den  Philippinen.  Wenn  man  noch 
weiter  in  den  Ozean  vorschreitet,  zeigt  sich  sogar  die  bogenförmige 
Gruppierung  von  Inseln  nochmals  in  der  allgemeinen  Anordnung  der 
kleinen  Eilande,  die  südlich  von  Nippon  mit  den  Siebeninseln  be- 
ginnend» die  Ladronen-  und  Palauinseln  umschließend  auf  die 
Molukken  hinziehen.  Daß  diese  guirlandenförmige  östliche  Umrandung 
Asiens  nicht  zufäUig  sein  wird,  kann  man  wohl  annehmen,  allein 
weiter  zu  gehen,  lediglich  auf  Grund  der  kartographischen  Dar- 
stellungen, müßte  zu  Willkürlichkeiten  führen.  Nur  an  der  Hand 
geologischer  Untersuchungen  darf  man  höchstens  einige  Schritte  in 
das  Dunkel  der  erdgeschichtlichen  Vergangenheit  wagen,  um  die  Ent- 
stehung der  Gestaltung  des  asiatischen  Kontinents  vorstellig  zu 
machen.  Mit  Forschungen  dieser  Art  hat  sich  seit  mehrern  Jahren 
Prof.  Dr.  V.  Richthofen  beschäftigt  und  die  Ergebnisse  seiner  bezüg- 
lichen Kombinationen  zu  verschiedenen  Zeiten  der  Kgl.  Preuß.  Akademie 
der  Wissenschaften  in  Berlin  vorgetragen.^) 

Schon  vor  20  Jahren  (in  seinem  Buche  über  China)  hatte  Prof. 
V.  Richthofen  darauf  hingewiesen,  daß  der  von  Nord  nach  Süd  ge- 
richtete Ostabfall  des  chinesischen  G^birgslandes  imd  das  schroffe 
Ende  des  Kwenlun  zwischen  118  imd  114^  östl.  L.  v.  Gr.,  ferner 
nördlich  des  Hwangho  der  Ostabfall  des  Tafellandes  von  Schanje, 
dann  der  in  einem  nach  Ost  konvexen  Bogen  verlaufende  große 
Ghingan  (der  den  Abfall  des  aufgebogenen  Randes  der  mongolischen 
Hochflächen  gegen  die  tiefer  gelegene  Mandschurei  darstellt),  daß  alle 
diese  Glieder  sich  in  einer  von  SSW  nach  NNO  gerichteten  Linie 
aneinander  reihen  und  als  Teile  eines  einzigen  Bruchzuges  aufzufassen 
sein  dürften.  Seitdem  haben  sich  unsere  Kenntnisse  jener  Gegenden 
merklich  vermehrt,  und  Prof.  v.  Richthofen  findet  sie  ausreichend, 
um  die  Schlußfolgerung  zu  begründen,  daß  das  östliche  Asien  vom 
Südrande  von  Yünnan  bis  zur  Tschuktschenhalbinsel,  also  in  einer 
Erstreckung  von  44  Breitengraden,  von  zusammenhängenden,  durch 
Richtung,  Form  und  gleichsinnige  Tektonik  ähnlichen  bogenförmigen 
Abfällen  von  Landstaffeln,  welche  sich  zu  einer  einzigen,  mehrfach 
gebrochenen  Linie  aneinanderschließen,  durchzogen  wird.  Die  mor- 
phologische Gleichsinnigkeit  besteht  darin,  daß  überall  der  östliche, 
gegen  den  Pazifischen  Ozean  gerichtete  Erdrindenteil  tiefer  steht  als 
der  westliche,  die  tektonische  darin,  daß  er  in  allen  Fällen  gegen 
diesen  abgesunken  ist.  Die  Bedeutung  der  Einzelbrüche  wird  bei 
einigen  von  ihnen  durch  das  Vorhandensein  gleichsinniger  Parallel- 
brücbe  erhöht 


1)  Vergl.  Sitzungsber.  der  K. Preuß.  Akad.  d.  W.  1900.  p. 888 u.  ff.;  1901. 
p.  782  u.  ff.;  1902.  p.  944  u.  ff.  Hieraus  im  Jahrbuche  der  Astronomie  und 
Geophysik  11.  p.  154;  12.  p.  199. 


176  OberQächengestaltung. 

Über  das  geologische  Alter  dieser  tektonischen  Bewegungen  läßt 
sich,  wie  v.  Richthofen  hervorhebt,  schwer  urteilen,  da  Meeres- 
ablageningen aus  jüngerer  Zeit  als  der  Trias  fehlen,  indessen  macht 
er  auf  die  Bedeutung  aufmerksam,  welche  die  Landstaffeln  für  die 
Ströme  haben.  Wenn  die  jetzige  Erosionsbasis  an  den  meridionaJen 
Bruchrandern  einen  Bestand  auch  nur  durch  die  Dauer  der  Tertiär- 
periode gehabt  hätte,  so  würden  die  Ströme  ihre  Betten  rückwärts 
in  den  leicht  zerstörbaren  Schichtmassen  stärker  vertieft  haben,  als 
es  ihnen  tatsächlich  gelungen  ist.  Da  dies  nicht  geschehen,  darf 
geschlossen  werden,  daß  an  den  südlichen  Meridionalbrüchen  der 
Absenkungsbetrag  sein  gegenwärtiges  Maß  erst  in  später  Zeit  erreicht 
hat,  und  es  fehlt  nach  v.  Richthofen  nicht  an  Tatsachen,  welche 
darauf  hindeuten,  daß  die  Absenkung,  wenigstens  auf  chinesischem 
Gebiete,  an  den  Ostseiten  der  Landstaffel  noch  heute  fortdauert. 

Der  Reihe  bogenförmiger  nach  Südost  konvexer  Randzonen  von 
Landstaffeln,  welche  das  kontinentale  Ostasien  von  der  Tschuktschen 
Halbinsel  bis  in  das  nordwestliche  Tongking  durchziehen  und  entlang 
der  ganzen  Linie  durch  Absinken  des  östlich  angrenzenden  Erdrinden- 
stückes charakterisiert  sind,  reiht  v.  Richthofen  seewärts  eine  zweite 
Reihe  homolog  gestalteter  Bog^ngebilde  an,  welche  die  ozeanische 
Grenze  Ostasiens  bilden.  Die  ostwärts  benachbarten  Teile  des  von 
ihr  niedergebrochenen  Erdrindenstückes  liegen  nach  ihm  im  Boden 
des  Meeres.  »An  der  Stanowoiküste  fallen  beide  Bogenreihen  zu- 
sammen; denn  das  Meer  reicht  bis  an  die  Absenkungsbrüche  der 
binnenständigen  Reihe  hinan.  Die  die  Festlandsgrenze  bildenden 
randständigen  Glieder  der  2.  Reihe  beginnen  am  Kap  St  Alexander, 
in  44®  15'  N,  und  endigen  am  Kap  St.  Jacques,  in  10®  40'  N.  Die 
aus  dem  Meere  aufragenden  Inselbogen  gehören  in  die  sich  jenseits 
derselben  untermmeerisch  fortsetzende  Gesamtanlage  der  ostasiatischen 
Absenkungen. 

Nimmt  man  zum  Anhalte  der  Betrachtung  die  auf  den  Land- 
karten dargestellte  Küste,  als  eine  den  Abfall  der  einzelnen  Staffeln 
umziehende  Niveaulinie,  so  zeichnet  sich  in  ihr  auf  das  schärfste 
ebenso  die  allgemeine  Gestalt,  wie  jede  Einzelabweichung  von  ihr. 
Vier  große  Küstenbogen  treten  nun  deutlich  hervor :  der  tungusische, 
der  koreanische,  der  chinesische,  der  annamitische.  Der  dritte  und 
vierte  sind  völlig  geschlossen ;  der  erste  hat  eine  kleine,  durch  ört- 
lichen Einbruch  zu  erklärende  Lücke;  der  dritte  ist  nur  in  einem 
Fragmente  erhalten.  Die  lineare  Gestalt  jedes  einzelnen  dieser  Küsten- 
bogen nähert  sich  ungleich  mehr  der  Kreisform,  als  dies  bei  den 
Binnenlandstaffeln  der  Fall  ist« 

Es  senkt  sich  also,  sagt  Prof.  v.  Richthofen,  die  Festlandsmasse 
des  östlichen  Asien  in  großen  Staffeln  herab.  Zwei  von  diesen  werden 
durch  weitgedehnte,  gegliederte,  auf  Bruchbüdung  beruhende  Bogen- 
linien  deutlich  gezeichnet.  Die  gemeinsame  Ursache  der  Erscheinung 
sucht   er   in   der    Kombination  von   2   Systemen    zerrender    Kräfte, 


OberflachengeBtaltnng.  177 

von  denen  eines  ostwärts,  das  andere  südwärts  gerichtet  ist  Was 
das  Motiv  für  die  Erregung  der  ostwärts  gerichteten  Zerrung  anbe- 
trifft, so  dürfte  es  nach  v.  Richthofen  in  der  in  langen  Perioden 
fortschreitenden  Vertiefung  des  Pazifischen  Ozeanbeckens  am  Rande 
des  Eontinentahnassivs  genügend  gegeben  sein.  »Zwischen  dem  Fest- 
lande, welches  der  Zerrung  in  der  Form  groß  angelegter  Staffel- 
senkung  und  reichlicher  Öffnung  von  Ausflußkanälen  für  Tiefen- 
gesteine nachgegeben  hat,  und  jenen  Ozeantiefen  liegt  ein  breiter 
Raum.  In  ihm  ist  gegen  den  Rand  der  Tiefe  hin  diejenige  Zone 
zu  suchen,  wo  durch  Auswärtsdrängen  des  Eontinentalmassivs  und 
dessen  Überwallen  über  den  dadurch  passiv  weiter  gesenkten  Ozean- 
boden der  wachsende  Massendeffekt  des  Festlandes  durch  wachsende 
Massenanhäufung  im  äußersten  Randgebiete  oder  die  räumliche  Er- 
weiterung dort,  durch  räumliches  Zusammendrängen  hier  kompensiert 
wird,  und  wo  mit  großen  Überschiebungen  verbundene  faltige  Stau- 
ung erwartet  werden  darf.  Die  ostasiatischen  Inselkränze  erscheinen 
als  die  Krönung  der  durch  solche  überwallende  Stauungen  empor- 
gewölbten äußersten  Randgebiete  der  Kontinentalmassivs.  Aber  selbst 
sie  tragen  den  Charakter  der  Innenseiten  von  Faltungsgebirgen;  die 
gefalteten  Außenzonen  werden  erst  an  den  Abfällen  gegen  die 
ozeanischen  Tiefen  hin  zu  suchen  sein.  Die  Existenz  anderer,  noch 
femer  liegender,  nur  in  kleinen  Inselspitzen  aufragender,  sonst  noch 
unter  der  Meeresfläche  verborgener  Bogen,  wie  sie  auf  bathymetrischen 
Karten  hervortreten,  läßt  darauf  schließen,  daß  die  gleiche  Tendenz 
in  diesem  Teile  der  Erdrinde  seit  frühesten  Zeiten  wirksam  gewesen  ist« 

Für  die  Erklärung  der  äquatorwärts  gerichteten  Zerrung  und 
Bewegung  großer  Erdrindenteile  in  Asien,  vom  Kwenlun-Tsinling  an, 
liegt  das  gleiche  Motiv  nicht  vor ;  v.  Richthofen  meint,  »wenn  auch 
mit  Zagen«,  auf  Änderungen  in  der  Geschwindigkeit  der  Erdrotation 
und  dadurch  bewirkte  Massenumsetzungen  hinweisen  zu  dürfen. 
Dieses  ist  aber  wenig  mehr  als  eine  Verlegenheitserklärung,  die  der 
Geophysiker  entschieden  ablehnen  muß. 

Im  Anschluß  an  seine  Behandlung  der  »binnenständigen«  und 
»küstenständigen«  Bogengebilde  des  asiatischen  Festlandes  behandelt 
nun  Prof.  v.  Richthofen  in  seiner  neuesten  Abhandlung  die  sich  ihm 
seewärts  anschließenden,  durch  ihre  schön  geschwungenen  Formen  imd 
ihre  Umspülung  durch  den  Ozean  noch  weit  auffälligem  Inselbogen, 
welche  sich  von  den  Aleuten  bis  dicht  an  Formosa  ohne  Unter- 
brechung aneinanderreihen  und,  indem  sie  die  relativ  seichten  Rand- 
meere der  Innenseite  von  sehr  tiefen  Meeresgründen  an  der  Außen- 
seite trennen,  längst  als  der  eigentliche  Kontinentalrand  Asiens,  im 
Unterschiede  vom  Festlandsrande,  erkannt  worden  sind.  Sie  endigen 
mit  dem  Riukiuinselbogen  im  Angesicht  von  Formosa,  welches  ihnen 
scheinbar  fremdartig  gegenüber  steht 

»Eine  andere,  weit  mehr  Zusammengesetze  Reihe  insularer 
Bogengebilde,«    fährt  Prof.  v.  Richthofen   fort,    »beginnt   südöstlich 

Klein,  Jahrbuch  XIV.  12 


178  OberQächengestaltattg. 

von  Formosa  und  umfaßt  ganz  Indonesien.  In  breiter  Anlage  um- 
zieht sie  den  südöstlichen  Teil  des  asiatischen  Festlandes,  Üln  ihr 
insulares  Ende  erst  in  der  Bai  von  Bengalen,  in  der  Fortsetzung  der 
Linie  der  Nikobareü  und  Andamanen,  zu  erreichen  und,  Wie  6ueß 
vor  Jahren  gezeigt  hat,  hier  wieder  in  den  festländischen  Bau  ein- 
zugreifen, in  dem  sie  noch  weithin  ihre  Fortsetzung  findet.  Einige 
Züge  in  der  Anordnung  der  einzelnen  Bogengebilde  liegen  bei  einem 
Blicke  auf  die  Landkarte  klar  vor  Augen,  andere,  wie  der  die  Baada- 
see  im  Osten  umfaßende  Doppelbogen,  sind  erst  durch  die  fort- 
schreitende Forschung  allmählich  mit  Sicherheit  erschlossen  worden; 
noch  andere  verbergen  ihren  Gharaktet  so  weit,  daß  sie  verschieden- 
artigen Kombinationen  Raum  geben  oder  sich  der  Erklärung  noch 
gänzlich  entziehen.  Eine  zusammenfassende  Darstellung  dieser  Bogen- 
linien  hat  Koto  auf  einer  Karte  niederzulegen  unternommen.  Eine 
eingehendere,  auf  dem  Studium  der  gesamten  vorhandenen  Literattti* 
beruhende  Übersicht  derselben  hat  Sueß  gegeben  und  in  einer  Karten- 
skizze anschaulich  gemacht.  Charakteristisch  ist  das  virgations- 
artige  Auseinandergehen  verschiedener  Linien  vom  nördlichen  Luzon 
aus  nach  Süden  und  die  Tatsache,  daß  alle  Bogenlinien,  ganz  wie 
diejenigen  im  Norden  von  Formosa  bis  Alaska,  ihre  konkave  Seite 
dem  asiatischen  Kontinent  zuwenden.  Die  angegebene  Anordnung 
ist  jedoch  im  nördlichen  Luzon  nicht  mehr  mit  Sicherheit  Zu  erkennen, 
und  sie  fehlt,  wenn  man  von  dessen  Nordküste  Weiter  nordwärts 
geht.  Dort  ziehen  zwei  behachbarte  geradlinige  Reihen  von  Inseln, 
eine  längere  östliche  und  eine  kürzere  westliche,  meridional  nach 
Norden;  aber  sie  stellen  eine  Verbindung  mit  der  875  km  entfernten 
Südspitze  von  Formosa  nicht  her.  Diese  liegt  im  Kap  Garampi,  in 
120®  20'  0.  Die  östliche  Inselreihe  dagegen,  welche  die  Babuyan- 
und  Bataninselgruppen  umfaßt,  folgt  genau  dem  Meridiane  121®  56^ 
und  die  parallel  gerichtete  Linie  der  andern  liegt  mit  den  Inseln 
Fuga  und  Galayan  50  km  westlich ;  ihre  nördliche  Verlängerung  trifft 
auf  Gadd-Reef  und  Botel  Tobago,  62  km  östlich  vom  nächsten  Punkte 
der  Küste  von  Formosa.  Man  ist  versucht,  sie  bis  zur  Insel  Sama- 
sana  zu  verlängern. 

Formosa  nimmt  daher  eine  unabhängige  und  eigentümliche 
Stellung  ein.  Es  paßt  nicht  in  das  einfache  System  der  schön  ge- 
schwungenen nördlichen  Bogenlinien  hinein,  wenn  es  auch  vom 
Riukiubogen  in  die  Flanke  getroffen  wird,  und  ein  ersichtlicher  An- 
schluß an  das  südliche  Bogensystem  ist  überhaupt  nicht  zu  bemerken. 
Die  Insel  erscheint  wie  ein  neutrales  Zwischenglied  zwischen  beiden 
Bogensystemen.« 

Diese  anscheinende  Sonderstellung  hat  ihren  bezeichnendsten 
Ausdruck  in  der  aus  den  Untersuchungen  der  letzten  Zeit  hervor- 
gegangenen Ansicht  gefunden,  daß  die  Gebirge  von  Formosa  einen 
nach  Osten  konkaven  Bogen  bilden.  Da  diese  Gestalt  eine  Ano- 
malie in  der  Anlage  aller   morphologischen  Linien  Ostasiens   bilden 


Oberflächengestaltang.  179 

wwde,  so  hat  Prof.  v.  Richthofen  übernommen,  die  Grundlagen,  auf 
welche  die  Ansicht  sich  stützt,  zu  prüfen  und  die  Stellung  der  Insel 
überhaupt,  soweit  die  Beobachtungen  es  gestatten,  ein^  Untersuchung 
zu  unterziehen.  Die  Aufgabe,  sagt  er,  kann  vollständig  nur  gelöst 
werden,  wenn  auch  die  benachbarten  über  die  Meeresfl&che  auf- 
ragenden Landgebilde  in  die  Betrachtung  einbezogen  werden.  Leider 
ist  dies  betreffs  der  Insel  Luzon  nicht  ausführbar,  da  die  Lücken- 
haftigkeit der  Beobachtungen  einen  Einblick  in  ihren  Bau  nicht  ge- 
stattet Um  so  reichhaltiger  ist  das  Material,  welches  über  die  Riukiu- 
inseln  vorliegt 

Schon  1880  hat  Dr.  L.  Döderlein  erwähnt,  dafi  die  nördlichen 
Inseln  in  eine  innere  vulkanische  und  eine  äußere  nichtvulkanische 
Reihe  geteilt  werden  können.  Diese  Anschauung  hat  sich  in  der 
Folge  als  richtig  bewährt,  und  wenige  Jahre  nachher  vermochte 
Eduard  Sueß  den  doppeltgereihten  Riukiubogen  mit  den  Bogengebilden 
der  kleinen  Antillen,  der  Nikobar-Andamaninseln  und  der  Bandamseln 
2u  vergleichen,  sowie  die  Analogie  mit  der  Anordnung  in  den  Ear- 
pathen  hervorzuheben. 

Prof.  V.  Richthofen  findet,  daß  wir  in  dem  äußern  Riukiu- 
inselbogen  ein  anderes  Gebilde  vor  uns  haben,  als  die  früher  im 
Innern  und  am  Rande  des  asiatischen  Kontinents  betrachteten.  »Der 
streng  zonale  Bau  in  dem  Hauptteile  des  Bogens,  die  streifenförmige 
Anordnung  der  einzelnen  daselbst  sichtbaren  Formationen,  die  Kon- 
formität ihres  Schichtenstreichens  mit  dem  Streichen  der  äußerlich 
sichtbaren  Zone,  das  konstante  Einfallen  der  Schichtgebilde  nach  der 
Innenseite  hin  —  alles  dies  erweist  klar,  daß  hier  in  der  Tat  ein 
bogenförmiges  Gebirge  mit  allen  Merkmalen  tangentialer  Schiebungen 
nach  außen  vorliegt.  Ob  Faltenbau  oder  schuppenartiges  Überschieben 
älterer  Gebilde  über  jungem  vorhanden  ist,  hat  durch  die  Beob- 
achtungen nicht  festgestellt  werden  können.  Das  gleichförmige  Ein- 
fallen auf  Okinawa  macht  letzteres  wahrscheinlicher.«  —  Eine  Reihe 
jungvulkanischer  Inseln,  welche  den  betrachteten  Bogen  auf  der 
Rückseite  begleiten,  beginnt  in  geringer  Entfernung  (40  km)  von  dem 
zur  Linken  des  Einganges  in  die  Bucht  von  Kagoschima  aufragenden 
Pfeiler  des  Kaimon-dake,  mit  den  zwei  kleinen  Inseln  Taki-schima 
lind  Iwo-ga-schima,  deren  letztere  sich  im  Solfatarenzustand  befindet. 
Wie  Glieder  einer  Perlenschnur  sind  sie  von  hier  aus,  mit  flach- 
bogiger  Krümmung,  in  einer  Länge  von  240  km  aneinandergereiht 
Die  ersten  liegen  im  Rücken  der  Osumi-Gruppe,  die  nächsten  hinter 
der  Lücke  zwischen  dieser  und  Oschima;  sie  werden  als  Tokara- 
gmppe  bezeichnet  Wo  jedoch  die  Außenreihe  ihre  bedeutendste  Ent- 
wicklung hat,  ist  das  Vorhandensein  der  Vulkanreihe  nur  durch  eine 
einzige  Insel  (Tori^schima)  angedeutet,  imd  im  Rücken  des  kleinen 
Inselschwarmes  am  Südostende  von  Okinawa  treten  noch  einmal 
2  Vulkaninseln  auf.  Aber  so  vereinzelt  zuletzt  das  Auftreten  wird, 
und  so  sehr  die  Abstände  wachsen,  liegen  doch  bis  hierher  alle  Inseln 

12» 


180  Obeifiächengestaltung. 

in  einer  kontinuierlichen,  flach  bogenförmigen  Zone,  deren  Abstand 
vom  sichtbaren  Außenrande  der  paläozoischen  Zone  südwärts  allmäh- 
lich ein  wenig  zunimmt.  Die  Fortsetzung  des  Innern  Vulkanbogens 
sucht  y.  Richthofen  in  den  Agincourtinseln. 

Bezüglich  des  Verhältnisses  des  Riukiubogens  zum  südlichen 
Kiuschiu,  also  zur  japanischen  Inselreihe,  schließt  Prof.  v.  Richthofen 
u.  a.  folgendes: 

»In  der  nördlichen  Verlängerung  der  Riukiuvulkanlinie  griffen 
die  ihrer  Entstehung  zugrunde  liegenden  oder  sie  begleitenden  tek- 
tonischen  Vorgänge  in  das  in  schiefem  Winkel  zu  ihr  gestellte  paläo- 
zoische Gebirgsgerüst  des  südlichen  Kiuschiu  in  solcher  Weise  ein, 
daß  sich  der  von  der  Verlängerung  betroffene  mittlere  Teil  hinab- 
senkte, während  die  östlich  und  westlich  daran  grenzenden  Teile  als 
Horste  sehen  blieben  und  ihre  innere  Struktur  behielten. 

Die  Entstehung  der  langgedehnten,  in  der  Nordhäifte  durch  vul- 
kanische Massen,  in  der  Südhälfte  durch  die  Bai  von  Eagoschima 
ausgefüllten  Einsenkung  erscheint  nicht  sowohl  als  das  Werk  eines 
einheitlichen  Vorganges  als  vielmehr  einer  Anzahl  von  Einzel- 
senkungen. 

Ein  Merkmal  früher,  mit  diesen  Senkungen  verbundener  eruptiver 
Ereignisse  ist  der  Nagasakawall,  welcher  einen  Teil  der  Umrandung 
eines  vulkanischen  Einbruchskessels  bildet  und  als  Fragment  einer 
ausgedehntem,  aus  augit-andesitischen  Ausbruchsgesteinen  aufge- 
bauten Region  stehen  geblieben  ist. 

Die  nächste  Reihe  von  Ereignissen  gibt  sich  in  lange  fort- 
gesetzten Ausbrüchen  saurer  Gesteiae  an  einem  etwas  weiter  südlich, 
vielleicht  in  der  Nähe  der  jetzigen  Eirischima  gelegenen  Orte  zu  er- 
kennen. Schon  zu  dieser  Zeit  geschah  die  Eesselsenkung,  von  der 
der  Nagasakazug  ein  somma  -  artiger  Zeuge  ist.  Die  Ausbrüche 
lieferten  die  ungeheuren  Massen  von  Bimsstein,  mit  denen  das  Land 
weithin  überschüttet  wurde.  Neben  den  explosiven  Ausbrüchen, 
welche  mit  denen  des  Erakatau  zu  vergleichen  sein  dürften,  diese 
aber  in  Größe  weit  hinter  sich  zurücklassen,  fand  auch  ein  Aus- 
strömen von  rhyolithischen  und  trachytischen  Laven  statt  Die  Aus- 
bruchsperioden waren  durch  solche  der  Ruhe  getrennt,  in  denen  die 
erodierenden  Eräfte  zu  äußerer  Umgestaltung  Zeit  hatten,  wie  aus 
der  großen  Unebenheit  einzelner  Auflagerungsflächen  zu  ersehen  ist 
Wahrscheinlich  hatte,  wie  beim  Erakatau,  das  Meer  unmittelbar  Zu- 
gang zu  den  Ausbruchsstellen.  Die  Bimssteiaablagerungen  dachten 
sich  von  einer  Gegend  jenseits  der  Nordseite  der  jetzigen  Bai  süd- 
wärts ab  gegen  Eagoschima  und  weiterhin,  ostwärts  gegen  die  jetzige 
Westküste  des  von  ihnen  weithin  bedeckten  Eagoschimaflügels.  Im 
Norden  überschütteten  die  Bimssteintuffe  wahrscheinlich  das  dort 
vorhandene  Bergland,  wurden  aber  nachher  durch  atmosphärische 
Gewässer  von  ihnen  abgeräumt  und  nordwärts  im  Schutte  wieder 
abgelagert 


Oberfläohengestaltiing.  181 

Unter  den  nachfolgenden  Ereignissen  lassen  sich  zwei  der  Zeit 
nach  noch  nicht  trennen.  Eines  von  ihnen  ist  die  Eröffnung  der 
Ansbruchstatigkeit  der  Eirischimavolkane,  das  andere  der  von  NNO 
nach  SSW  gestreckte  große  Einbruch  im  peripherischen  Teile  des  Bims- 
steinschuttkegels, aus  welchem  der  Sakuraschimavulkan  sich  erhob. 
Das  Ausbruchsmaterial  beider  Vulkane  ist  Augit-Andesit 

Wenn  die  vulkanische  Innenzone  des  Riukiubogens  weit  hinein 
in  Eiuschiu  fortsetzt  und  als  eine  mit  Vulkanen  besetzte  Rinne  in 
dessen  Gebirgsland  einschneidet,  so  erreicht  doch  die  Außenzone  der 
Inseln  ihr  Ende,  ehe  sie  an  Kiuschiu  herantritt;  denn  es  wechseln 
völlig  die  Richtungen  von  Streichen  und  Fallen  des  paläozoischen 
Schichtenbaues.« 

Was  das  Verhältnis  des  Riukiubogens  zu  Formosa  anbetrifft, 
so  sind  folgendes  die  Schlußfolgerungen,  zu  denen  Prof.  v.  Richthofen 
gelangt 

»Der  Qrundbau  von  Formosa  erscheint  nach  den  vorliegenden 
Beobachtungen  als  aus  2  Teilen  bestehend,  nämlich  a)  dem  in 
seiner  Gesamtheit,  in  seinen  einzelnen  Qebirgsgliedem  und  im  innem 
Schichtenbaue  (aber  nicht  in  der  Wasserscheidelinie)  nach  der  Richtung 
NNO  bis  SSW  streichenden  Taiwangebirge,  welches  der  Haupt- 
sache nach  aus  einem  mächtigen  Systeme  für  archäisch  gehaltener 
kristallinischer  Schiefer  und  einem  als  paläozoisch  geltenden,  wesentlich 
aus  Tonschiefer  bestehenden  Schichtenkomplexe  aufgebaut  ist;  b)  einem 
von  Kap  Dom-kaku  am  Setsu  vorüber  gegen  den  Eali-san  hin,  in 
der  Richtung  OW  streichenden  Gebirge,  in  welchem  Gesteine  der 
paläozoischen  Ghichibuschichten  erkannt  worden  sind. 

Das  Taiwangebirge  verschwindet  im  südlichen  Formosa;  An- 
zeichen einer  Fortsetzung  nach  Süden  sind  nicht  zu  erkennen.  Das 
Gebirge  ist  aber  in  seiner  Massenentwicklung  so  bedeutend,  daß  es 
als  das  isoliert  stehengebliebene  Fragment  eines  sehr  viel  großem 
bogenförmigen  Faltungsgebirges  angesehen  werden  muß,  welches, 
allen  andern  Bogengebilden  Ostasiens  analog,  seine  Außenseite  dem 
Pazifischen  Ozeane  zuwandte. 

Der  vulkanische  Innenbogen  der  Riukiuinseln  setzt  westwärts 
im  Rücken  des  Dom-kakuzuges  fort,  wo  ihm  die  Agincourtinselgruppe 
und  die  Vulkangruppe  im  Westen  von  Kilung  angehören.  —  Im 
Rücken  des  Taiwangebirges  befinden  sich  von  vulkanischen  Gebilden 
nur  die  Pescadoresinseln,  deren  größere  Achse  ebenfalls  nach  NNO 
gerichtet  ist 

Der  Riukiubogen  und  das  im  Taiwangebirge  vorhandene  Bogen- 
fragment  haben  die  gemeinsame  Eigenschaft,  daß  ihnen  auf  der 
Außenseite  eine  von  tertiären  Sedimenten  aufgebaute  Zone  vorliegt 
Bei  beiden  befindet  sich  also  der  Grundbau  an  der  Vorderseite  in 
relativ  bedeutender  Tiefe.  Es  läßt  sich  aber  nicht  entscheiden,  ob 
Flächen  mariner  Abrasion  vorliegen,   auf  welchen  die  von  den  beiden 


182  ObeiflächQDgestaltujQg. 

Gebirgen  herabgeschwemmten  Trümmermassen  bei  aUmahlichor  Senkung 
sich  ablagerten,  oder  ob  ein  Absenken  an  Brüchen  gesckah.  Für 
Fonnosa  ist  letzteres  wahrscheinlicher,  weil  vulkanische  Gebilde  im 
Taitogebirge  auftreten ;  bei  dem  Riukiubogen  sind  solche  nur  in  dem 
alten  Vulkane  Nosoko  auf  der  Insel  Ischigaki  vorhanden. 

Die  spätem  Niveauverschiebungen  sind  bei  beiden  Bogen  an* 
nähernd  gleichsinnig  gewesen.  Die  Tertiärgebilde  müssen  mindestens 
zu  ihrer  gegenwärtigen  Meereshöhe  aulgeragt  haben  und  durch  Erosion 
eine  der  jetzigen  annähernd  entsprechende  Gestalt  erhalten  haben, 
als  die  Korallen  bei  nachfolgender  Senkung  die  Biffe  bauten,  welche 
dann  durch  abermalige  vertikale  Verschiebung  freigelegt  wurden. 

Der  Riukiubogen  und  das  Taiwanbogenfragment  unterscheiden 
sich  von  den  festländischen  Bogengebilden  durch  die  Konkordanz  von 
innerem  Bau  und  Absenkungslinien  in  den  der  meridionalen  Kom- 
ponente entsprechenden  Teilen.  Sie  erscheinen  daher,  ebenso  wie 
der  japanische  Bogen,  als  Gebirge,  bei  denen  die  äußere  Gestalt  mit 
dem  ftdtigen  Zusammendrängen  von  innen  nach  außen  in  ursächlicher 
Beziehung  steht,  während  dort  in  der  Regel  nur  mehr  oder  weniger 
bogenförmige,  zu  den  Streichrichtungen  des  innem  Baues  diskordante 
Zerrungsbrüche  als  bestimmend  erkannt  wurden. 

Die  Erscheinung,  daß  Struktur  und  tektonische  Linien  des  süd- 
lichen Kiuschiu  ohne  jeglichen  Einfluß  auf  die  Gestaltung  des  Riukiu- 
bogens  waren,  dagegen  die  nachträglichen  Dislokationsvorgänge  in 
dessen  nördlichem  Teile  auf  die  äußere  Ausgestaltung  des  südlichen 
Kiuschiu  erheblich  eingewirkt  haben,  findet  ihre  Analogie  in  dem 
Verhältnisse  des  Riukiubogens  zu  Fonnosa.  Denn  im  Taiwangebirge 
lassen  sich  keine  Spuren  morphologischer  Beeinflussung  durch  die 
den  tektonischen  Linien  des  erstem  zugrunde  liegenden  Vorgänge 
erkennen;  dagegen  haben  die  Dislokationen,  welche  die  Endgestalt 
des  Taiwangebirges  herbeiführten,  auch  den  Riukiubogen  zerstückt, 
das  Dom-kakugebirgsstück  auf  Fonnosa  von  ihm  abgetrennt  und 
wahrscheinlich  jene  Störungen  veranlaßt,  welche  nur  in  der  Formosa 
benachbarten  Sakischimagruppe  des  Riukiubogens  auftreten. 

Es  mehren  sich  somit  die  Tatsachen,  welche  für  eine  Reihe  der 
verschiedenartigsten  Bogengebilde  Ostasiens  nördlich  vom  22.  Breiten- 
grade (also  mit  Anschluß  des  Annamitisohen  Bogens)  die  Schluß- 
folgerung gestatten,  daß  der  normale  Bau  der  der  äquatorialen  Korn* 
ponente  zugehörigen  Teile  jedes  einzelnen  Bogens  früher  fertig  ge* 
bildet  war,  als  die  in  der  meridionalen  Komponente  gelegenen ;  und 
daß  nach  dem  bogenförmigen  Zusammenschlüsse  beider  diejenigen  tek- 
tonischen Vorgänge,  welche  dem  meridionalen  Schenkel  durch  nach- 
trägliche Längsabsenkimgen  und  dismptive  Längsbrüche  die  normale 
Grestalt  gaben,  in  den  äquatorialen  Schenkel  des  zunächst  nördlich 
angrenzenden  Bogens  umgestaltend  eingriffen,  hier  aber,  als  abnorm 
verlaufende  Dislokationen,  abnorme  Quergliederungen  und  transversale 
Zerstücklung  herbeiführten,  c 


Boden-  und  Erdtemperator.  —  Erdmagnetismus.  188 

Boden-  und  Erdtemperatur. 
Ober  die  Beeinflussung  der  geothermisohen  Tief^nstufe 

verbreitete  sich  J.  F.  Hoffmann.^)  Zunächst  be^^andelt  er  die  Selbst^ 
erwärmung  organischer  Massen,  dann  die  Beeinflussung  der  geother- 
niisohen  Tiefenstufe  durch  unorganische  imd  hierauf  durch  organische 
Sedimente.  Er  findet,  daß  Sedimente  anorganischer  Natur,  die  nicht 
mehr  genügend  Warme  anzustauen  vermochten,  die  nicht  mehr  im- 
stande waren,  wesentliche  Umwälzungen  in  der  Erdrinde  hervor- 
zurufen, wie  in  frühern  Zeiten,  als  die  Erde  noch  weniger  abgekühlt 
war,  hierzu  wieder  befähigt  wurden  durch  die  Gegenwart  der  orga- 
nisct^en  Substanz,  welche  zwischen  ihnen  eingeschwemmt  lag.  Je 
reichlicher  diese  vorhanden  war,  desto  st^^rker  konnte  die  Einwirkung 
der  Selbsterwärmung  sich  geltend  machen.  Wie  die  massenhafte 
Anhäufung  der  Petrefakten  an  vielen  Stellen  der  Erde  lehrt,  haben 
die  pflanzlichen  und  tierischen  Lebewesen  und  damit  auch  ihre  ab- 
gestorbenen Überreste  zu  manchen  Zeiten  eine  ungewöhnliche  Ver- 
breitung und  Anhäufung  erfahren.  Unter  solchen  Umständen  konnten 
hochgradige  Selbsterwärmungen  auch  in  unmittelbarer  Nähe  der  Erd- 
oberfläche stattfinden. 

Erdmagrnetismus. 

Einen  Aflas  des  Erdmagnetismus  füp  die  Epochen  1600, 
1700,  1780,  1842  und  1915  hat  Dr.  H.  Pritsche  hergestellt,  >)  nach 
den  von  ihm  mit  Hilfe  der  Gaussschen  Theorie  berechneten  Ele- 
menten. Der  um  die  Erforschung  des  Erdmagnetismus  hochverdiente 
Verfasser  hat  diese  langwierige  Arbeit  nicht  gescheut,  weil  die  bisher 
publizierten  Karten  der  Epochen  1600,  1700,  1780  und  1842  — 
z.  B.  die  Karten  Hansteens,  von  Bemmelens,  Sabines  u.  a.  —  unvoll- 
ständig  und  häufig  unrichtig  sind,  indem  sie  ohne  Hilfe  der  Theorie  auf 
Grund  oft  sehr  spärlicher,  ungenauer  Beobachtungen  entworfen  wurden. 

Für  jede  der  5  Epochen  1600,  1700,  1780,  1842  und  1915 
hat  Pritsche  3  Weltkarten  mit  Merkatometz  zwischen  den  Breiten 
-|-80  und  —  80®  gezeichnet,  von  denen  eine  die  Isogonen  von 
5  zu  5  Grad^,  die  zweite  die  Isoclinen  von  5  zu  5  Grad  und  die 
dritte  die  Linien  gleicher  Horizontalintensität  von  0,2  zu  0,2  Gauß- 
scher  Einheiten  (Milligramm,  Millimeter)  enthält 

Dazu  war  es  notwendig,  die  früher  von  ihm  gegebenen  Tafeln  für 
die  Deklination,  Inklination  und  HorizontaUntensität  durch  Inter- 
polation in  die  Mitte  zu  erweitem.  Die  Resultate  dieser  Rechnungen 
sind  in  30  Tafeln  zusammengesteUi 


^)  Qerland,  Beiträge  zur  Geophysik  &•  p.  667. 
*)  Riga,  Druck  der  Müllerschen  Buchdruckerei  1908. 
^  An  manchen  Stellen,  wo  es  nötig  schien,  auch  von  Grad  zu  Grad 
oder  von  2  zu  2  Grad  etc. 


184  ErdmagnetiBiniis. 

Die  tagliche  Periode  oder  die  während  eines  Sonnentages  er- 
folgenden Veränderungen  in  der  Richtung  und  Stärke  der  Magnetkraft 
der  Erde  hat  Pritsche  auf  Grund  stündlicher,  Tag  und  Nacht  an- 
gestellter Beobachtungen  an  27  Orten,  welche  über  die  ganze  Erde 
vom  80.  Grad  nördl.  Breite  bis  zum  56.  Grad  südl.  Breite  verteilt 
sind,  ermittelt  Die  innem  und  ebenso  auch  die  äußern  Kräfte, 
welche  die  tägliche  Periode  verursachen,  lassen  sich  als  aus  3  Teilen 
bestehend  betrachten:  aus  einem  während  des  Sonnentages  kon- 
stanten, aus  einem  während  dieser  Zeit  gesetzmäßig  variierenden 
und  drittens  aus  einem  lokalen  Teile,  der  für  jeden  Ort  besondere 
Werte  annimmt. 

Die  stündlichen  Beobachtungen  der  27  Orte  wurden  in  Mittel 
von  6  Gruppen  (je  8 — 6  Orte  in  einer  Gruppe)  zusammengezogen, 
in  denen  daher  der  lokale  Teil  der  wirkenden  Kräfte  möglichst 
eliminiert  war,  sodann  mit  Hilfe  dieser  6  Gruppen  und  der  Gauss'schen 
Theorie  die  konstanten  Kräfte  berechnet  und  schließlich  durch  Abzug 
des  konstanten  Teiles  der  Kräfte  von  den  6  (beobachteten)  Gruppen 
der  variierende  erhalten.  Der  konstante,  äußere,  von  der  Atmosphä.re 
ausgehende  Teil  ist  ein  wenig  größer  als  der  innere,  von  der  festen 
Erdrinde  bewirkte.  Was  die  Summe  der  innem  und  äußern  Kräfte 
der  täglichen  Periode  anbetrifft,  so  sind  in  der  nördlichen  Polarzone 
(Breite  von  -|- 90  bis  -f-^^^)  die  variierenden  Kräfte  durchschnitt- 
lich sechsmal  so  groß  als  die  konstanten;  und  endlich  in  der  Zone, 
welche  zu  beiden  Seiten  des  Äquators  von  den  Parallelen  -|-60 
und  — 60^  begrenzt  wird,  sind  die  variierenden  Kräfte  den 
konstanten  an  Größe  nahezu  gleich. 

Dr.  Fritsche  verbreitet  sich  eingehend  über  seine  Rechnungs- 
methode und  zeigt  des  Nähern,  daß  verschiedene  Einwürfe  die  der- 
selben gemacht  worden  sind,  auf  Irrtum  beruhen.  Den  hin  und 
wieder  auftauchenden  Klagen  über  die  Umständlichkeit  der  Rech- 
nungen, welche  die  Anwendung  der  Gaussschen  Theorie  erfordert, 
stimmt  er  nicht  bei,  sondern  bemerkt,  diese  Klagen  rührten  meist  von 
Leuten  her,  welche  nie  astronomische  Rechnungen  ausgeführt  haben. 

Femer  bemerkt  Fritsche,  daß  zur  Bestimmung  der  Position  der  mag- 
netischen Erdpole  die  Gausssche  Theorie  sich  viel  besser  eigne,  als  die 
direkte  durch  magnetische  Beobachtungen  in  ihrer  Nähe,  weil  die  Theorie 
alle  brauchbaren,  auf  der  ganzen  Erde  gemachten  Messungen  benutzt,  und 
das  Problem  dadurch  ein  bestimmtes  wird,  indem  die  nach  der  Theorie  be- 
rechneten, auf  der  Erdoberfläche  liegenden  Linien,  auf  welchen  die  nörd- 
lichen und  westlichen  horizontalen  Komponenten  X  und  Y  der  Erdkraft 
gleich  Null  sind,  sich  in  einem  bestimmten  Punkte,  dem  gesuchten  Pole, 
schneiden,  während  es  bei  der  direkten  Aufsuchung  durch  Beobachter  an 
Unbestimmtheit  leidet,  da  die  Inklination  i  im  Pole  ein  Maximum  erreicht 
und  dort  auf  einer  ^ßen  Fläche  von  ca.  25000  gÄmi  zwischen  etwaS^V« 
und  90*  unregelmäßig  hin  und  her  schwankt,  indem  die  überall  auf  der 
Erdoberfläche  vorkommende  Anomalie  der  Inklination  von  einem  Orte  zum 
benachbarten  in  der  Polarregion  ca.  V«^  betragt.  »Auf  einem  so  ausgedehnten, 
den  wahren  magnetischen  Pol  einschließenden  Räume  müßten  an  einer  be- 
trächtlichen Anzahl  (etwa  60  oder  mehr)  verschiedener,  möglichst  äquidistanter 


Erdmagnetismus.  185 

Punkte  sorgfältige  InklinatLonsmessungen  angestellt  und  sowohl  die  dortigen 
großen  gesetzlichen  tätlichen  Variationen  als  auch  die  unregelmäßigen 
Schwankungen  durch  Variationsbeobachtungen  an  einer  ZentnUstation  in 
der  Nähe  des  magnetischen  Poles  eliminiert  werden,  um  den  Ort  des  letz- 
tem exakt  zu  bestimmen.  Man  würde  dann  sicher  nicht  an  einem,  sondern 
an  vielen  Punkten  der  großen  Flache  von  ca.  25000  qkm  die  Inklination 
90  <^  erhalten,  so  daß  man  nicht  wüßte,  wo  sich  der  wahre  Ort  des  Poles 
befände.  Die  von  Ross  im  Jahre  1831  zur  Feststellung  der  Lage  des 
magnetischen  Nordpoles  gemachten  Messungen  gehören  nur  vier  verschiedenen 
Punkten  an,  welche  im  SW,  SE  und  E  vom  vermeintlichen  Pole  —  dem 
5.  Beobachtungsorte  Ross*  —  100—150  hm  entfernt  lagen.  Im  Westen, 
Nordwesten,  Norden  und  Nordosten  von  seinem  Pole  hat  Ross  gar  nicht 
beobachtet,  so  daß  seine  Bestimmung  des  magnetischen  Nordpoles  unbrauch- 
bar ist.  Ebenso  wird  auch  die  Polarreise  des  Kapitän  Amundson,  welcher 
im  Frühlinge  dieses  Jahres  (1903)  zur  Auffindung  des  magnetischen  Nord- 
poles ausgäahren  ist,  kein  exaktes  Resultat  ergeben,  wenn  er  nicht  viel 
mehr  Beobachtungen  an  passend  gewählten  Orten  als  Ross  erlangt.  Die 
Berücksichtigung  der  magnetischen  Deklination  in  der  Nähe  des  Poles  wird 
hieran  nichts  ändern,  wcol  die  horizontale  Kraft  der  Erde  dort  nahezu  gleich 
NuU  ist.  Ebenso  werden  uns  auch  die  Südpolfahrten  schwerlich  direkte 
sichere  Auskunft  über  die  Lage  des  magnetischen  Südpoles  geben  können. 
Nach  der  jetzt  gültigen  Definition  ist  der  magnetische  Pol  der  Erde  ein 
Punkt  ihrer  Obcurfläche,  in  welchem  die  Inklination  =  90®.  Der  Korrekt- 
heit wegen  müßte  hinzugefü^  werden,  daß  unter  der  Inklination  90®  die 
migestörte,  normale,  durch  die  ganze  Erde  aus  der  Feme  am  Polorte  hervor- 

febrachte  zu  verstehen  ist,  welche  nur  durch  die  Theorie  bestimmt  werden 
ann.  Es  sind  von  verschiedenen  Gelehrten  —  z.  B.  Tülo,  Bezold  etc.  — 
vergebliche  Versuche  gemacht,  festzustellen,  was  der  normale  Erdmagnetismus 
sei,  welches  seine  sogenannten  normalen  Elemente  seien,  wie  die  einfachste 
Magnetisierung  der  Erde  beschaffen  sein  müßte,  damit  man,  von  ihr  aus- 
gehend, die  wirklichen  Erscheinungen  darstellen  und  sich  so  eine  Art  von 
Surrogat  der  Gaussschen  Theorie,  deren  Reihen  aus  vielen  Gliedern  be- 
stehen, verschaffen  könnte.  Man  ist  aber  dadurch  der  Lösung  des  Problems 
nicht  näher  gekommen,  weil  es  unendlich  viele  verschiedene  Arten  (Typen) 
der  möglichen  Magnetisierung  der  Erde  gibt  —  von  denen  man  z.  B.  mittels 
des  Gaussschen  Potentialausdruckes,  welcher  eine  Funktion  von  gh,  der 
Länge  l  und  Breite  9>  ist,  so  viele  finden  kann,  als  beliebt,  indem  man  über 
die  Werte  gh,  A,  9  beliebige  Annahmen  macht  — ,  und  weil  die  Erde  wegen 
ihrer  kompüzierten  Zusammensetzung  nicht  einfach  magnetisiert  sein  kann. 
Die  normalen  magnetischen  Elemente  der  Erde  sind  die  wirklichen,  durch 
die  Gausssche  Theorie  ermittelten,  welche,  von  in  der  Nähe  des  Beobachtungs- 
ortes befindlichen  Ursachen  ungestört,  das  Resultat  der  Femwirkungen  der 
ganzen  Erde  sind  und  sich  von  Ort  zu  Ort  kontinuierlich,  gesetzlich  ändern.« 
Den  Versuch  van  Bemmelens,  die  Bewegung  der  magnetischen  Erdpole 
mit  der  der  magnetischen  Achse  in  Beziehung  zu  setzen,  bezeichnet  Fritsche 
als  verfehlt,  weil  die  Lage  der  Pole  von  46  Koeffizienten  der  Theorie,  die 
der  magnetischen  Achse  aber  nur  von  dreien  abhängt.  Femer  sei  die 
neuerdings  von  van  Bemmelen  zur  Bestimmung  der  Position  des  magne- 
tischen Nordpoles  angewandte  Methode,  welche  Halley  schon  1683  gebrauchte, 
veraltet  und  oerahe  auf  dem  falschen  Satze,  daß  die  magnetischen  Meridiane 
im  magnetischen  Pole  konver^eren.  So  z.  B.  erhalte  man  mittels  der 
agonischen  Linie,  welche  südöstlich  vom  magnetischen  Nordpole  liegt,  offen- 
bar nicht  den  magnetischen,  sondern  den  astronomischen  Nordpol. 

Die  Arbeit  von  Dr.  Fritsche  ist  eine  überaus  verdienstvolle  und  der 
von  ihm  gezeichnete  Atias  des  Erdmagnetismus  eine  der  bedeutendsten  Be- 
reicherungen unseres  Wissens  über  die  Verteilung  der  erdmagnetischen  Kräfte 
in  verschiedenen  Perioden.  Als  Probe  folgt  auf  Tafel  IV  eine  verkleinerte 
Reproduktion  der  Karte  der  Linien  gleicher  magnetischer  Deklination  für  1915. 


18ß  Grdmagnetismus. 

Die  Bedeutung  der  magnetiechen  Vermessungr  eines 
ganzen  ParallelkFeises  zur  Prüfung  der  Grundlagen  der 
Gaussschen  Theorie  des  Erdmagnetismus  ist  von  w.  v.  Bezoid 

und  A.  Schmidt  ausführlich  dargelegt  worden.^)  »Die  von  Gauss  ent- 
wickelte Theorie  des  Erdmagnetismus,  so  führen  beide  Forscher  aus, 
die  für  alle  Forschungen  auf  diesem  Gebiete  die  Grundlage  büdet 
und  für  alle  Zeiten  bilden  wird,  beruht  auf  der  Voraussetzung,  daß 
das  erdmagnetische  Feld  ein  Potential  besitze.  Die  unter  dieser 
Voraussetzung  gezogenen  Folgerungen  haben  sich  in  weitgehendem 
Maße  als  richtig  erwiesen.  Sie  gestatten,  aus  den  Beobachtungen, 
die  doch  nur  einen  mäßigen  Teil  der  Erdoberfläche  umfassen,  den 
Verlauf  der  magnetischen  Kräfte  nach  Größe  und  Richtung  für  die 
ganze  Erdoberfläche  und  den  sie  zunächst  umschließenden  Raum  mit 
einer  ziemlich  weitgehenden  Genauigkeit  zu  berechnen.  Diese  Me- 
thode der  Berechnung  besitzt  auch  eine  hohe  praktische  Bedeutung, 
da  die  für  die  Seeschiffahrt  unerläßlich  notwendigen  Karten  wegen 
der  stetigen  Änderung  in  der  Verteilung  der  erdmagnetischen  Kräfte 
immer  wieder  neu  aufgelegt  werden  müssen,  und  da  man  sich  dabei 
stets  auf  die  von  verhältnismäßig  wenigen  ständigen  Observatorien 
gewonnenen  Beobachtungen  stützen  muß. 

Wenn  aber  auch  die  Übereinstimmung  zwischen  Theorie  und 
Erfahrung  eine  ziemlich  weitgehende  ist,  so  kann  sie  doch  keines- 
wegs als  vollkommen  bezeichnet  werden.  Es  ist  demnach  noch  eine 
offene  Frage,  ob  nicht  neben  dem  erdmagnetischen  Felde,  das  ein 
Potential  besitzt,  noch  ein  zweites,  wenn  auch  viel  schwächeres, 
vorhanden  ist,  das  diese  Bedingung  nicht  erfüllt. 

Das  erstere  Feld  kann  man  sich  hervorgebracht  denken  durch 
geschlossene  galvanische  Ströme,  die  zum  weitaus  größten  Teile  ganz 
in  oder  unterhalb  der  Erdoberfläche  verlaufen,  zum  kleinern  Teile 
ganz  außerhalb  derselben,  bezw.  in  der  Atmosphäre.  Kommen  neben 
diesen  Strömen  noch  solche  vor,  welche  die  Erdoberfläche  durchsetzen, 
so  besitzen  die  von  ihnen  herrührenden  magnetischen  Kräfte  kein 
Potential,  und  dann  ist  die  Grundvoraussetzung  der  Gaussschen 
Theorie  nicht  mehr  streng  richtig.  Diese  Frage  ließe  sich  mit  Sicher- 
heit entscheiden,  wenn  genügendes  Beobachtungsmaterial  vorläge,  c 

Dieses  können  nur  Messungen  beschaffen,  die  nicht  nur  an  sich 
möglichst  genau,  sondern  auch  zweckmäßig  verteilt  und  nahezu  gleich- 
zeitig ausgeführt  sind.  »Um  bei  einem  so  großen  Unternehmen 
innerhalb  der  Grenzen  des  Erreichbaren  zu  bleiben,  wird  man  sich 
im  wesentlichen  auf  solche  Beobachtungen  beschränken  müssen,  die 
zur  Herbeiführung  einer  sichern  Entscheidung  unbedingt  nötig  sind, 
d.  h.  auf  Deklination  imd  Horizontalintensität  Das  schließt  nicht 
aus,  daß  es  sich  empfehlen  dürfte,  einige  an  sich  wertvolle  Arbeiten, 
die  bei  Gelegenheit  dieser  Beobachtungen  ohne  Mehraufwand  an  Zeit 


*)  Sitzungsber.  der  K.  Preuß.  Akad.  d.  W.  1903.  p.  670. 


Erdmagnetismiis.  187 

und  Kosten  erledigt  werden  köxmteni  mit  in  das  Programm  aufiu* 
nehmen.  So  wird  man  z.  B.,  wenn  irgend  möglich,  auch  die  Be^ 
Stimmung  der  Inklination,  bezw.  Vertikalintensitat  nicht  unterlassen, 
obgleich  für  die  vorliegende  spezielle  Frage  nur  die  horizontale  Kraft 
nach  Richtung  und  Größe  in  Betracht  kommt  Von  diesen  Gesichts- 
punkten aus  ergibt  sich  leicht  der  allgemeine  Plan  des  empfohlenen 
Unternehmens:  es  sind  möglichst  scharfe  Bestimmungen  der  Dekli- 
nation und  der  Horizontalintensitat  an  hinreichend  zahlreicheUi  an- 
nähernd gleichmäßig  verteilten  Punkten  einer  Linie  vorzunehmen,  die 
einen  recht  großen  Flächenraum  umschließt  Dabei  ist  sowohl  darauf 
zu  achten,  daß  eine  im  einzelnen  recht  genaue  Ermittlung  der  mag- 
netischen Elemente  möglich  ist,  als  auch  darauf,  daß  der  gewählte 
Linienzug  von  vornherein  ein  entscheidendes  Resultat  erwarten  läßt 
In  beiden  Beziehungen  erscheint  eine  Linie,  die  etwa  längs  des  Parallel- 
kreises von  50^  n.  Br.  verläuft,  besonders  gut  geeignet,  und  es  ist 
ein  günstiger  Umstand,  daß  gerade  diese  Linie  auch  in  praktischer 
Hinsicht  wohl  die  zweckmäßigste  ist  Verläuft  sie  doch  zum  weitaus 
überwiegenden  Teile  über  Festland  und  durch  bequem  zugängliche 
Gebiete.  Was  zunächst  die  genaue  Ermittlung  der  magnetischen 
Elemente  betrifft,  so  ist  diese  natürlich  zu  Lande  in  höherem  Grade 
möglich  als  auf  dem  Meere.  Läßt  sich  also  aus  andern  Gründen 
kein  ganz  auf  dem  Kontinente  verlaufender  Weg  wählen,  so  ist  die 
genannte  Linie,  die  in  mittlem  Breiten  verhältnismäßig  am  meisten 
über  Land  zieht,  zur  Ableitung  eines  möglichst  sichern  Wertes  be- 
sonders geeignet  Weiter  nördlich,  zwischen  60  und  70^  n.  Br.,  ist 
allerdings  das  Verhältnis  zwischen  den  kontinentalen  und  den  ozeani- 
schen Abschnitten  des  Parallels  noch  günstiger,  indem  nicht  viel 
mehr  als  ^/^  des  ganzen  Kreises  auf  dem  Meere  verläuft.  Aber 
einerseits  werden  die  Messungen  wegen  der  Störungen  in  hohem 
Breiten  immer  unsicherer,  und  anderseits  sind  die  äußern  Bedingungen 
auf  einem  so  hoch  im  Norden  gelegenen,  vielfach  schon  durch  un- 
wirtliche Gegenden  ziehenden  Kreise  weniger  befriedigend.  Dazu 
kommt  noch,  daß  das  gesuchte  Ergebnis  um  so  sicherer  erhalten  wird, 
je  größer  der  umschlossene  Flächenraum  ist,  ein  Umstand,  der  es 
zweckmäßig  erscheinen  läßt,  dem  Äquator  so  nahe  zu  bleiben,  wie 
es  andere  Rücksichten  irgend  zulassen.  Von  wesentlicher  Bedeutung 
ist  es  weiterhin,  daß  die  Messungen  möglichst  genau  auf  einen  be- 
stimmten Zustand  des  erdmagnetischen  Feldes  reduziert,  d.  h.  also 
vor  allem  von  dem  Einflüsse  der  Störungen,  der  täglichen  Schwankung 
und  der  Säkularänderung  befreit  werden  können.  Zu  diesem  Zwecke 
ist  es  wünschenswert,  daß  längs  des  gewählten  Linienzuges  eine 
größere  Anzahl  gut  verteilter  magnetischer  Observatorien  liegen.  Das 
ist  nun  bei  der  genannten  Linie,  die  durch  die  Hauptkulturgebiete 
der  Erde  führt,  mehr  als  bei  jeder  andem  der  Fall,  und  es  wird 
sich  vielleicht  empfehlen,  gerade  bei  der  endgültigen  Festsetzung  der- 
selben auf  diesen  Umstand  besondere  Rücksicht  zu  nehmen.    Freilich 


188  Erdmagnetisiiius. 

wird  es  mindestens  sehr  wünschenswert,  wenn  nicht  unerläßlich  sein, 
daB  für  die  Dauer  der  Vermessung  noch  an  2  oder  3  Stellen,  be- 
sonders nahe  der  Ostküste  von  Asien  und  nahe  der  Westküste  Nord- 
amerikas, Observatorien  in  Betrieb  gehalten  werden.« 

Die  Verf.  bezeichnen  auf  einer  Erdkarte  genauer  den  Weg,  längs 
dessen  in  Abständen  von  60 — 80  km  genaue  Messungen  auszu- 
führen. 

»Im  südlichen  England  und  nördlichen  Frankreich  beginnend, 
müßte  man  durch  Norddeutschland  nach  Rußland  weitergehen,  so 
daß  Moskau  etwas  südlich  liegen  bleibe,  Bei  dieser  Linie  könnten 
alsdann  die  Observatorien  von  Kew,  Greenwich,  Paris,  Utrecht, 
Wilhelmshaven,  Potsdam,  in  gewissem  Sinne  auch  Pawlowsk  bei 
St.  Petersburg,  und  endlich  Moskau  als  Stützpunkte  dienen,  während 
das  außerordentlich  stark  gestörte  Gebiet  im  Süden  dieser  Stadt  ver- 
mieden würde. 

Von  dem  nördlich  von  Moskau  gelegenen  Punkte  ginge  es  dann 
nach  Osten  und  Ostsüdosten  südlich  von  Eatharinenburg  weiter,  um 
etwa  bei  Omsk  die  transsibirische  Eisenbahn  zu  erreichen,  und  dann 
über  Irkutzk  nach  der  Küste  des  Großen  Ozeans.  Man  könnte  sich 
hierbei  auf  die  Mitwirkung  der  beiden  schon  längst  bestehenden  Ob- 
servatorien in  Katharinenburg  und  Irkutzk  stützen,  während  an  der 
Ostküste  Asiens,  etwa  in  Wladiwostok,  ein  neues,  wenn  auch  nur 
temporäres  Observatorium  zu  errichten  wäre. 

In  Amerika  kämen  2  Linien  in  Betracht:  die  eine  längs  der 
kanadischen,  die  andere  längs  der  nördlichen  Pazifikbahn  in  den  Ver- 
einigten Staaten.  Es  dürfte  sich  empfehlen,  beide  Wege  einzuschlagen, 
um  dadurch  einen  kleinen  ausschließlich  auf  dem  Festlande  ver- 
laufenden Polygonschluß  zu  gewinnen,  der  gerade  dort  von  besonderer 
Bedeutung  wäre,  da  nach  der  oben  angeführten  Untersuchung  in 
dieser  Gegend  die  stärksten  vertikalen  Ströme  zu  erwarten  wären. 
Die  in  Amerika  in  Betracht  kommenden  Observatorien  von  Washington 
und  Toronto  bedürften  allerdings  noch  einer  Ergänzung  in  der  Nähe 
der  Westküste.  Der  Verlauf  der  Linie  über  die  Meere  hin  ist  natür- 
lich durch  die  Endpunkte  der  Landstrecken  bestimmt« 

Die  Lehre  von  dem  Wesen  und  Wandern  der  mag- 
netischen Pole  der  Erde  in  ihrer  historischen  Entwicklung  ist 
von  Dr.  E.  H.  Schütz  in  einem  großem  Werke  kritisch  dargestellt 
worden.^)  Dr.  H.  Maurer^  gibt  eine  kurze  Analyse  des  Inhaltes  des- 
selben, der  das  Folgende  entnommen  wurde. 

Aus  der  Definition  eines  magnetischen  Erdpoles  als  Berührungs- 
punkt einer  Potentialfläche  und  der  Erdoberfläche  wird  dargetan,  daß 
in  ihm  die  Horizontalkomponente  des  Erdmagnetismus  verschwindet, 


1)  Berlin  1902.  Verlag  von  G.  Reimer. 
<)  Ann.  d.  Hydrogn^hie  1908.  p.  62. 


Erdmagnetiamas.  189 

alle  magnetischen  Meridiane  und  alle  Isogonen  sich  schneiden  und 
die  Inklinationsnadel  senkrecht  steht  Nach  diesen  Eigenschaften  ist 
die  geographische  Bedeutung  der  Pole  zu  würdigen;  man  darf  ihnen 
aber  nicht  zu  viel  Wichtigkeit  zuerkennen,  wozu  die  sonstige  Be- 
deutung des  Wortes  »Magnetpol«  als  eines  Punktes,  in  dem  man 
sich  den  Sitz  der  Gesamtkraft  denken  darf,  verleiten  kann.  Mit  Recht 
weist  der  Verfasser  darauf  hin,  daß  die  gebräuchliche  Mercator- 
Projektion  nicht  imstande  ist,  ein  anschauliches  Bild  von  der  Ver- 
teilung der  magnetischen  Eigenschaften  über  die  Erdoberfläche  zu 
geben,  was  auch  für  alle  Isogonenkarten  überhaupt  gilt  Da  auf 
diesen  nur  der  Winkel  zwischen  dem  magnetischen  und  astrono- 
mischen Meridiane  zur  Darstellung  kommt,  spielen  auf  ihnen  die 
astronomischen  Erdpole  genau  dieselbe  Rolle  wie  die  magnetischen, 
während  sie  gar  kein  magnetisches  Interesse  haben.  Dem  Werte  der 
Isogonenkarten  als  graphischer  Tabellen  und  für  das  Erkennen  magne- 
tischer Störungen  wird  Verfasser  gerecht  Wohl  nicht  ganz  zutreffend 
hält  er  die  magnetischen  Meridiane  für  weniger  natürliche  Linien  als 
ihre  rechtwinkeligen  Trajektorien,  die  Äquipotentiallinien.  Beide  liefern 
bezüglich  der  magnetischen  Gesamtkraft  in  gleicher  Weise  die  Vertikal- 
ebene, in  die  sie  fällt  Dagegen  erkennt  er  den  Wert  der  magne- 
tischen Meridiane  an,  indem  er  ihre  Einzeichnung  in  Karten  ortho- 
graphischer Projektion  empfiehlt  und  die  Definition  der  magnetischen 
Pole,  als  der  Schnittpunkte  der  magnetischen  Meridiane,  als  zulässig 
bezeichnet,  wie  sie  denn  auch  van  Bemmelen  auf  das  glücklichst» 
zur  Konstruktion  der  Pole  benutzt  hat  Die  Erfahrung  hat  nur  zwei 
magnetische  Erdpole  ergeben.  Sie  können  bestimmt  werden:  1.  durch 
Beobachtung  an  Ort  und  Stelle;  2.  durch  Interpolation  aus  Beob- 
achtungen in  ihrer  Nähe;  8.  durch  Berechnung  aus  polfemen  Beob- 
tungen.     Alle  8  Methoden  sind  zur  Anwendung  gekommen. 

Aus  der  geschichtlichen  Darstellung,  die  von  1190  bis  auf 
unsere  Zeit  reicht,  sei  folgendes  erwähnt::  1492  findet  Columbus 
die  räumliche,  1685  Gellibrand  die  zeitliche  Veränderlichkeit  der 
Deklination.  1546  definiert  Mercator  den  Pol  als  Schnittpunkt  der 
magnetischen  Meridiane  (eine  Karte  Mercators  mit  Angaben  des 
magnetischen  Poles  im  Norden  wird  von  Dr.  Schütz  reproduziert). 
1581  verlegt  Normann  den  Sitz  der  erdmagnetischen  Kraft  ins  Erd- 
innere und  betrachtet  die  Pole  lediglich  als  Treffpunkte  der  magne- 
tischen Meridiane.  Bond,  1668  und  1672,  nimmt  zwei  magnetische 
Pole  und  eine  gegen  die  Erdachse  geneigte  magnetische  Achse  an. 
1688  gibt  Halley  4  Pole  an,  davon  zwei  fest  in  der  Erdrinde,  zwei 
auf  einem  getrennt  von  der  Rinde  rotierenden  Nukleus.  Euler  1756 
definiert  die  Pole  als  Punkte,  in  denen  die  magnetische  Totalkraft 
vertikal  ist;  er  berechnet  die  magnetische  Verteilung  unter  Annahme 
eines  exzentrisch  in  der  Erde  gelegenen  Magneten.  Hansteen  (1819) 
kehrt  zu  4  Polen  zurück,  die  er  mit  verschiedener  Geschwindigkeit 
umlaufend   annimmt,    so    daß  nach   25  800  Jahren   immer   dieselbe 


190  Erdmagnedsmiis. 

Konstellation  wiederkehrt.  Am  1.  Juni  1881  erreicht  J.  Ross  den 
arktischen  Magnetpol  Auch  für  den  Süden  wird  die  Existenz  nur 
eines  Mngnetpoles  wahrscheinlich.  Die  Gaussschen  Berechnungen 
nach  je  12  Stationen  auf  7  Breitekreisen  ergeben  ebenfalls  nur  2  Pole, 
deren  Bedeutung  durch  die  Gaussschen  Arbeiten  selbst,  wie  durch 
Amperes  Theorie  stark  geschwächt  erscheint  Die  magnetische  Achse 
nach  Gauss  als  die  Richtung,  in  der  die  Erde  ihr  maximales  Moment 
hat,  f&llt  nicht  mit  der  Verbindungslinie  der  Pole  zusammen.  Sind 
kosmische  Kräfte  die  Ursache  der  Säkularänderungen  4es  Erdmag- 
netismus, so  ist  die  größere  Wichtigkeit  der  magnetischen  Achse  den 
Polen  gegenüber  klar. 

Von  neuem,  auf  die  Wanderung  der  Pole  bezüglichen  Arbeiten 
bespricht  der  Verfasser  genauer  die  von  G.  D.  Weyer,  > Astronomische 
Nachrichten«  1894  Bd.  136  Spalte  209—222,  von  H.  Pritsche:  >Die 
Elemente  des  Erdmagnetismus  für  1600,  1650,  1700,  1780,  1842 
und  1885  und  ihre  säkularen  Änderungen,  berechnet  mit  Hufe  der 
aus  allen  brauchbaren  Beobachtungen  abgeleiteten  Koeffizienten  der 
Gaussschen  Allgemeinen  Theorie  des  Erdmagnetismus,  St  Petersburg 
1899«  und  von  W.  van  Bemmelen:  »Die  Säkularverlegung  der  mag- 
netischen Achse  der  Erde.  Observations  made  at  Batavia,  Vol.  XXII, 
Append.  I,  1900.« 

Weyer  konstruiert  Schnittpunkte  der  als  größte  Kugelkreise  aus- 
gezogenen Kompaßrichtungen  von  je  8  Paaren  von  Orten  jeder  Halb- 
kugel für  1680,  1710,  1740,  1770,  1800,  1830,  1860  und  1890, 
und  findet  so  eine  mittlere  Polbahn.  Schütz  schließt  sich  der  bereits 
von  andern  Seiten  gefällten  ablehnenden  Kritik  dieses  Versuches  an, 
und  in  der  Tat  ist  es  kaum  verständlich,  daß  man  die  Schar  der 
magnetischen  Meridiane  zwischen  den  Polen,  die  in  Länge  nicht  120® 
und  in  Distanz  rund  nur  160^  voneinander  liegen,  größten  Kreisen 
für  so  nahe  kommend  ansehen  kann,  daß  man  8  Paare  von  Schnitten 
von  Punkten  aus,  die  auf  der  Nordhalbkugel  zwischen  89  und 
59^  Breite,  auf  der  Südhalbkugel  gar  zwischen  8  und  23®  Breite 
liegen,  für  eine  Konstruktion  der  Pole  für  ausreichend  erachtet. 

Van  Bemmelen  hat  nach  alten  Schiffsbeobachtungen  Karten 
magnetischer  Meridiane  für  1600,  1650  und  1700  konstruiert,  die 
zuverlässiger  als  die  Karten  von  Halley  und  Hansteen  erscheinen, 
und  nach  ihnen  die  Bahn  des  Poles  im  Norden  durch  graphische 
Extrapolation  bestimmt.  Seine  Annahmen  geben  dabei  wenig  Anlaß 
zu  ernsten  Bedenken. 

H.  Pritsche  berechnet  nach  der  Gaussschen  Theorie  die  Koeffi- 
zienten, und  zwar  nicht  wie  Gauss,  Petersen,  Neumayer  24,  sondern 
48  Glieder.  Dabei  sind  seine  Rechnungen  auf  je  zwölf  äquidistante 
Beobachtungsorte  auf  17  Parallelkreisen  basiert  und  für  die  Epochen 
1600,  1650,  1700,  1780,  1842,  1885  durchgeführt.  Da  das  Beob- 
achtungsmaterial für  die  Epochen  vor  1842  nicht  ausreicht,  macht 
Pritsche  darüber  eine  Anzahl  von  Hypothesen,  die  dem  Materiale  eine 


ErdmagneÜBmiis.  191 

80  getiiige  Zuverlässigkeit  geben,  daß  sie  zu  der  großen  Mühe  der 
Berechnung  in  gar  keinem  Verhältnisse  mehr  steht.  Immerhin  schließt 
sich  Schüts  der  abfölligen  Kritik,  die  die  Fritscheschen  Arbeiten  des* 
halb  anderwärts  gefunden  haben,  nicht  an.  Er  zeigt  vielmehr,  daß 
für  1700  die  Angaben  von  Pritsche  mit  den  Inklinationsbeobachtongen 
von  Feuillee  besser  übereinstimmen  als  die  Hansteensche  Inklinations'- 
karte.  Obereinstimmend  finden  van  Bemmelen  und  Pritsche,  daß  der 
Magnetpol  im  Norden  seit  1650—1885  etwa  von  80®  N  bis  70®  N 
gewandert  ist.  Q-egenwärtig  nimmt  van  Bemmelen  eine  mehr  nord* 
wärts,  Pritsche  eine  nach  südwärts  gerichtete  Bahn  des  Poles  an. 
Die  Deklination  liefert  nach  Schütz  am  meisten  Material  zur 
Untersuchung  der  Polwanderung.  Pritsches  Rechnungen,  die  auch 
für  1900  die  Lage  des  Poles  geben,  wären  zur  Vorausbestimmung 
verwendbar,  wenn  sich  noch  weitere  Oarantien  für  die  Zulässigkeit 
seiner  Annahmen  ergeben.  Vielleicht  läßt  sich  die  Lage  des  Poles 
einwandfrei  mit  der  des  Endpunktes  der  magnetischen  Achse  in  Be* 
Ziehung  setzen  (van  Bemmelen  fand  ungefähr  gleichbleibende  Distanz 
zwischen  beiden).  Experimentelle  Festlegimgen  der  Pole  sollten  etwa 
dreimal  im  Jahrhunderte  stattfinden. 

Die  erdmagrnetlsehen  VeFliältnisse  auf  Bomholm  hat 

Prof.  Adam  Paulsen  untersucht  und  darüber  neuerdings  wiederum 
berichtet^)  Bomholm  liegt  in  der  Ostsee  41  km  von  der  Südost- 
spitze Schwedens  und  155  Arm  östlich  von  der  Insel  Seeland,  in  Form 
eines  Parallelogramms,  dessen  eines  Seitenpaar  von  Nordwest  nach 
Südost,  dessen  anderes  nordsüdlich  verläuft  Die  Nordspitze  hat 
55^  17',  die  Südspitze  55®  0'  n.  Br.,  während  die  Ost-  und  West- 
spitze auf  den  Meridianen  15®  9'  und  14®  42'  0.  v.  G.  liegen.  Von 
der  Südwestküste  erstreckt  sich  bis  zum  Adlersgrund  die  flache 
Rönnebank,  während  die  drei  andern  Küsten  von  tiefem  Meere  um- 
geben sind.  Der  Boden  des  großem  Teiles  der  Insel  besteht  aus 
eisenhaltigem  Granit,  der  südliche  aus  Sandstein.  Ein  pflasterstein- 
großes Stück  diesen  Granits  brachte,  dicht  an  das  Kompaßgehäuse 
gehalten,  eine  Ablenkung  der  Magnetnadel  um  2®  hervor.  Seit  1890 
hat  Paulsen  systematische  Untersuchungen  über  die  erdmagnetischen 
Verhältnisse  der  Insel  angestellt,  insbesondere  an  108  Stationen 
Bestimmungen  meist  aller  8  Elemente  des  Erdmagnetismus  vor- 
genommen. Nach  diesen  verhält  sich  der  Landklotz  Bomholms  im 
großen  ganzen  qualitativ  etwa  so,  wie  eine  Masse  weichen  Eisens 
vom  Erdmagnetismus  beeinflußt  werden  würde.  In  dem  aus  dem 
Meere  emporragenden  obem  Teile  des  Klotzes  überwiegt  Südmagne- 
tismus ;  das  Nordende  der  Nadel  wird  nach  der  Insel  hingezogen,  so 


*)  Congres  maritime  international  de  Copenhague  1902.  Anomalies 
de  champ  magnötique  terrestre  en  Dänemark.  Daraus  in  Ann.  d.  Hydro- 
graphie 1908.  p.  147,  woraus  oben  der  Text 


192  Erdmagnetismus. 

daß  die  westliche  Deklination  im  Osten  und  Nordosten  den  normalen 
Wert  übertrifft,  im  Westen  und  Südwesten  unter  ihm  bleibt  Eine 
Figur  zeigt  den  Betrag  dieser  Abweichungen  vom  Normalen,  der 
im  Nordosten  -j-  2^,  im  Westen  —  3^  übertrifft,  und  man  ericennt 
daraus,  daß,  während  normal  in  dieser  Gegend  die  westliche  Dekli- 
nation nach  Westen  zunehmen  sollte,  sie  über  Bomholm  nach  Westen 
hin  abnimmt,  und  zwar  finden  wir  auf  der  Insel  Unterschiede,  die 
im  Maximum  nahe  an  5^  herankommen,  während  ein  Änderungs- 
betrag von  nur  20',  und  zwar  im  entgegengesetzten  Sinne,  normal 
wäre.  Die  Inklination  ist  der  oben  angedeuteten  Grundvorstellung 
entsprechend  fast  überall  größer  als  die  normale,  da  das  Nordende 
der  Nadel  von  der  Insel  angezogen  wird.  Von  den  76  Beobachtungs- 
orten der  Inklination  zeigten  nur  fünf  ein  geringes  Zurückbleiben 
der  nördlichen  Inklination  hinter  dem  normalen  Werte ,  während  im 
Durchschnitte  aller  76  Beobachtungsorte  die  vorhandene  Inklination 
den  normalen  Wert  um  28'  übertraf. 

Die  Horizontalintensität  des  Erdmagnetismus  erscheint  im  Durch- 
schnitte geschwächt  Unter  den  99  Beobachtungsstationen  zeigen  nur 
24  einen  etwas  großem  Wert  der  Horizontalintensität,  als  er  nor- 
mal wäre,  während  der  Durchschnittswert  aller  99  Stationen  um 
0.00065  cgs.  Einheiten  unter  dem  Normalwerte  liegt. 

Die  Normalwerte  sind  auf  Grund  der  Karten  von  Neumayer 
unter  Mitbenutzung  eigener  Beobachtungen  in  Kopenhagen  und  auf 
JüÜand  von  Paulsen  abgeleitet,  und  zwar  gibt  er  für  die  Mitte  von 
Bomholm  an: 

Westl.  DeklinftUon.       Nördl.  InklinAtion.  HoiiBontaUntensit&t. 

1891.6  ...    9«  20.2'  68»  16'  0.17672  cgs. 

1900.5  ...    80  32.2'  68«    4'  017868    . 

Aus  den  Unterschieden  zwischen  den  wahren  und  den  normalen 
Werten  der  erdmagnetisehen  Kraftkomponenten  hat  Paulsen  audi 
für  jede  Station  die  störende  Kraft  nach  Größe  und  Richtung  bestimmt. 
Ihr  mittlerer  Wert  beträgt  0.0079  cgs. -Einheiten,  d.  i.  17^0  der 
normalen  Totalkraft  des  Erdmagnetismus;  auf  einer  Station  steigt 
er  bis  zu  0.0212  cgs.- Einheiten.  Die  Horizontalkomponente  der 
störenden  Kraft  hat  einen  mittlem  Wert  von  0.0089  cgs.- Einheiten, 
d.  i.  22®/^  des  normalen  Wertes  der  Horizontalintensität.  Eine  Dar*- 
steUung  dieser  Horizontalkomponenten  der  störenden  Kraft  nach 
Größe  und  Richtung  gibt  eine  Figur.  Die  Neigung  der  störenden  Total- 
kraft gegen  den  Horizont  ist  an  den  West-  und  Nordostküsten  ge- 
ring, nimmt  aber  im  Mittelpunkte  und  im  Süden  der  Insel  stark  zu 
und  erreicht  auf  2  Stationen  88^. 

Nach  den  zahlreichen  Deklinationsbestimmungen,  die  der  Kapitän 
zur  See  in  der  dänischen  Kriegsmarine,  Hammer,  auf  dem  Meere  um 
Bornholm  gemacht  hat,  nimmt  die  Deklination  ab,  wenn  man  sich 
der  Westküste  der  Insel  nähert,  in  deren  Nähe  sie  nahezu  denselben 
geringen  Wert  wie  auf  dem  Strande  erreicht.    Von  ihrem  hohen  Werte- 


Ed.  H<^  XIV,  1903. 
ül  IV. 


; 


Eidmagnetismos.  193 


nimmt  an  der  Ostküste  die  Deklination  ziemlich  rasch  ab,  wenn 
man  ostwärts  fährt  Die  magnetische  Einwirkung  der  Insel  Bom- 
holm  erstreckt  sich  auf  dem  Meere  bis  in  Entfernungen  von  etwa 
15  km  von  ihren  Küsten. 

An  der  Südwest-  und  der  südlichen  Ostküste  Bomholms  ist  die 
Horizontalkomponente  der  störenden  Kraft  im  allgemeinen  nicht  senk- 
recht zur  Küste  gerichtet ,  sondern  wir  finden  ähnliche  Verhältnisse 
wie  im  Innern  der  Insel  vor.  Die  Rönnebank  zeigt  eben  noch  ähn- 
liche Wirkungen  wie  Bomholm  selbst,  nur  in  etwas  geringerer  Stärke. 

Auf  der  Insel  selbst  hat  Paulsen  sehr  starke  Unterschiede  in 
der  Größe  der  störenden  Kraft  auf  benachbarten  Stationen  gefunden. 

Auch  aus  dem  übrigen  Gebiete  des  Königreichs  Dänemark  sind 
magnetische  Störungen  bekannt  geworden:  Im  nördlichen  Teile  von 
Fünen  ist  die  westliche  Deklination  1^  größer  als  im  Süden  der 
InseL  Bei  Korsör  und  Skelskör  erreicht  die  Deklination  beinahe 
denselben  Wert  wie  im  nördlichen  Fünen. 

Die  magrnetlsehe  Inklination  In  vorgreschlchtilcher  Zelt. 
Bekanntlich  hat^)  Folgheraiter  eine  Methode  hierzu  angegeben,  die 
darauf  beruht,  daß  Ton  beim  Brennen  durch  die  erdmagnetische 
Inklination  einen  von  der  Stärke  des  Erdmagnetismus  abhängigen 
Magnetismus  annimmt  und  dauernd  behält  Diese  Methode  hat  er 
erfolgreich  angewendet,  und  sie  ist  unlängst  von  Paul  L.  Mercanton 
wieder  aufgenommen  worden^  an  Resten  gebrannten  Tones,  die 
den  Pfahlbauten  der  Schweizerseen  entstammen.  Alle  ergaben  Zeichen 
von  Magnetismus.  Da  indessen  unter  diesen  Gefäßen  nur  sehr  wenig 
unversehrt  erhalten  sind,  ihr  Brennen  ein  sehr  ungleichmäßiges  ge- 
wesen und  spätere  Einwirkungen  von  Feuer  sich  störend  bemerkbar 
machten,  auch  in  den  meisten  FäUen  selbst  ungefähre  Schlüsse  über 
die  Orientierung  der  Gefäße  beim  Brennen  ganz  unmöglich  waren, 
blieb  die  Ausbeute  für  die  Erkenntnis  des  Erdmagnetismus  zur  Zeit 
der  Herstellung  der  Gefäße  eine  sehr  geringe.  Mercanton  behandelt 
6  Fälle,  in  denen  einige  Anzeichen  über  die  Richtung  und  den  Sinn 
des  Magnetismus  erhalten  wurden;  unter  diesen  sind  zwei  aus  dem 
Neuchateier  See  stammende  Gefäße,  welche  zu  dem  Schlüsse  berech- 
tigen, daß  in  der  Bronzezeit  die  magnetische  Inklination  eine  nörd- 
liche und  ziemlich  starke  gewesen.  Trotz  der  großen  Schwierigkeiten 
dieser  Untersuchung  und  der  sehr  mäßigen  positiven  Ergebnisse  seiner 
Befunde  hält  es  aber  Mercanton  für  empfehlenswert,  diese  Arbeit 
wieder  aufzunehmen,  da  ein  zufälliger  glücklicher  Fund,  ein  oder 
zwei  ganz  sichere  Resultate  über  die  Richtung  der  Inklination  für 
die  Verwertung  der  übrigen  Objekte  ungemein  förderlich  sein  würden. 


1)  Vgl.  dieses  Jahrbuch  8.  p.  112;  10.  p.  178. 

^  Bull,  de  la  Societe  vaudoise  des  sciences  etc.  Ser.  4.   88.   p.  885. 
Klein,  Jahrbaoh  XIV.  18 


194  Erdbeben. 


Erdbeben. 


Die  Erdbebenfonchung  im  Deutsehen  Beiehe.  Hierüber  be- 
richtete Prof.  Dr.  Gerland  auf  dem  vierzehnten  deutschen  Oeographen- 
tage  in  Köln.^)  Das  Deutsche  Reich  hat  die  unter  der  Leitung  Gerlands 
stehende  Kaiserliche  Hauptstation  für  Erdbebenforschung  in  Straßbu^ 
errichtet;  es  hat  femer  die  erste  internationale  Konferenz  für  Erd- 
bebenforschung im  April  1901  in  Straßburg  ermöglicht  und  seismo- 
graphische Stationen  im  ganzen  Reiche  für  notwendig  erkannt  An 
den  Verhandlungen  des  der  Kaiserlichen  Hauptstation  zur  Seite  ge- 
stellten Kuratoriums  nehmen  auch  Vertreter  des  Reiches  teil.  Nach 
den  vom  Kuratorium  gebilligten  Vorschlägen  soll  die  Seismizität 
Deutschlands  dauernd  erforscht  werden,  die  großen  (makroseismischen) 
und  die  kleinen  (mikroseismischen)  Beben,  daneben  die  langsamen 
Schwankungen  der  Lotlinie,  sowie  auch  die  Fembeben.  Als  Haupt- 
stationen für  die  hierzu  nötigen  Beobachtungen  sind  in  Aussicht 
genommen:  Aachen,  Karlsruhe,  Darmstadt,  München,  Göttingen, 
Hamburg,  Leipzig,  Jena,  Breslau,  Königsberg,  Potsdam,  zu  denen 
zahlreiche  Nebenstationen  treten.  Die  Sammelberichte  der  Haupt- 
stationen sollen  sämtlich  der  Zentralstation  in  Straßburg  zugehen. 
Neben  der  lokalen  Forschxuig  hat  das  Reich  namentlich  die  inter- 
nationale gefördert  So  wird  das  gegenwärtige  Jahr  (1903)  für  die 
Erdbebenforschung  von  besonderer  Wichtigkeit  werden,  indem  das 
Auswärtige  Amt  des  Deutschen  Reiches  die  Anregung  zum  Zusammen- 
tritte einer  zweiten  intemaüonalen  seismischen  Konferenz  in  Straßburg 
gegeben  hat.  Dieselbe  befaßte  sich  in  erster  Linie  mit  konstitutiven 
Verhandlungen  und  wird,  wo  möglich,  zur  Konstituierung  einer  inter- 
nationalen Staatenassoziation  führen,  die  in  einem  internationalen 
Zentralbureau  ihr  Arbeitsorgan  erhält  Bezüglich  der  Beobachtungen 
der  Assoziation  sind  ins  Auge  gefaßt:  die  Bewegungen,  welche  nicht 
durch  Erdbebenstöße  veranlaßt  sind,  Gesamtbewegungen  von  Flächen- 
teilen der  Erdrinde,  langsame  Bewegungen  solcher  Teile,  sodann  die 
mikroseismischen  Flächenbewegungen  (tremors),  femer  die  Erdpulsa- 
tionen  oder  pulsatorischen  Oszillationen  und  die  Niveauveränderungen 
(Lotschwankungen).  Sie  sollen  nach  Art,  Zeit  und  Dauer  ihres  Auf- 
tretens festgestellt  und  die  Ursachen  ihrer  Entstehung  erforscht 
werden.  Ferner  sollen  die  Bewegungen  untersucht  werden,  die  durch 
Erdbebenstöße  veranlaßt  auftreten,  nämlich  die  makroseismischen 
Bewegungen,  die  direkt  fühlbaren  Erdbeben,  die  Lage  des  Epizentrums, 
des  eigentlichen  Stoßgebietes  des  Erdbehens;  die  Tief enlage  des  Herdes; 
das  zeitliche  Auftreten,  eventuelle  Perioden,  die  Ursachen  der  Erd- 
beben; die  mit  Erdbeben  häufig  verbundenen  Schallphänomene.  Dann 
handelt  es  sich  um  die  geographische  Feststellung  der  Hauptschütter- 
gebiete der  Erde;  um  kartographische  Festlegung   der  geographisch- 


Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde.  Berlin  1908.  p.  506. 


Erdbeben.  195 

seismischen  Tatsachen,  die  schließlich  zur  Herstellung  einer  seis- 
mischen Weltkarte  führen  werden.  Einen  weitem  Beobachtungs- 
gegenstand werden  die  Seebeben  bilden.  Hier  handelt  es  sich  um 
AufsteUung  und  Beobachtung  von  Pegeln  an  besonders  ausgewählten 
Stellen.  Endlich  die  Fembeben,  die  mikroseismische  Fortleitung 
makroseismischer  Erdbebenstoße,  mit  genauen  Zeitbestimmungen  des 
Eintrittes  derselben  an  möglichst  vielen  Stationen,  behufs  der  Berech- 
nung des  Ausgangspunktes  der  Bewegung. 

Messungen  der  Bodenbewegrangen  bei  einer  Sprengung 

auf  dem  Schießplatze  Oummersdorf  hat  Prof.  0.  Hecker  ausgeführt 
und  diskutiert^)  Das  Sprengmaterial  war  oberirdisch  auf  einer  ebenen 
Sandfläche  untergebracht  Die  Instrumente  verzeichneten  ihre  An- 
gaben der  horizontalen  und  vertikalen  Komponente  der  Bewegung 
automatisch  und  waren  gegen  die  Einwirkung  der  durch  die  Explosion 
erzeugten  Luftwellen  geschützt.  Es  waren  5  Stationen  in  Abständen 
von  je  70  m  errichtet,  doch  wurden  an  der  Station  I  durch  hinein- 
geschleuderten Sand  die  Apparate  außer  Funktion  gesetzt,  so  daß  nur 
die  Angaben  von  4  Stationen  zur  Verfügung  standen.  Die  Betrachtung 
der  registrierten  Kurven  zeigt,  daß  in  der  Horizontalrichtung  zunächst 
ein  Ansaugen  des  Bodens  nach  der  Sprengstelle  hin  erfolgt  war,  mit 
welchem  gleichzeitig  eine  vertikale  Bewegung  des  Bodens  nach  unten 
verbunden  war;  die  folgenden  horizontalen  Schwingungen  sind  dann 
regelmäßig  von  vertikalen  Bewegungen  begleitet,  und  zwar  entspricht 
einer  Bewegung  von  der  Sprengstelle  weg  eine  Hebung  des  Bodens 
und  umgekehrt  An  Station  II  ist  die  Bodenbewegung  noch  ziemlich 
regelmäßig  einer  einfachen  Sinusbewegung  mit  schnell  abnehmender 
Amplitude  ähnlich;  an  Station  HI  zeigt  sich  bereits  eine  Zersplitterung 
der  Hauptwelle,  die  an  den  weitem  Stationen  noch  zunimmt  Die 
Größen  der  Bodenbewegungen  an  den  4  Stationen  waren  in  horizon- 
taler Richtung:  U  1.67  mm,  m  0.92  vnm,  IV  0.54  mm  und  V  0.49  mm\ 
die  vertikalen  Bewegungen  waren  im  Maximum  bei  Station  III  0.70  mm, 
bei  y  0.20  mm.  Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Hauptwellen 
in  dem  Sandboden  wurde  =  238  m  ^  7  m  in  der  Sekunde  berechnet, 
in  guter  Übereinstimmung  mit  MaUet  (250  m)  und  der  frühem 
Messung  (205  m). 

Vor  der  Ankunft  der  Hauptwellen  traten  kleine  Wellen  auf,  die 
sich  an  einigen  Kurven  erkennen  lassen,  deren  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit nicht  abzuleiten  war,  weil  ihr  Eintritt  sich  nicht 
scharf  genug  markierte.  Sicher  war  nur  ihre  Geschwindigkeit  sehr 
viel  größer  als  die  der  Hauptwellen,  und  in  500  m  Entfernung  von 
der  Sprengstelle  war  die  Verspätung  der  Hauptwellen  gegen  die  kleinen 
schon  sehr  auffällig.  G.  H.  Darwin  definiert  in  semen  theoretischen 
üntersuchimgen  die  Erdbebenwellen   als   schnell   sich   fortpflanzende 


^)  Gerland,  Beitrage  zur  Geophysik  1908,  e.  p.  87. 

18« 


196  Erdbeben. 

Kompressionswellen  und  langsamer  sich  bewegende  Verschiebungs- 
wellen.  Höchst  wahrscheinlich  sind  die  beobachteten  vorauseilenden 
Wellen  wirklich  Kompressionswellen;  dafür  spricht  auch,  daß  bei  der 
Sprengung  von  1897  die  kleinen,  vorauseilenden  Wellen  eine  Cre- 
schwindigkeit  (1437  m)  gezeigt,  welche  der  Fortpflanzung  der  Schall- 
wellen im  Wasser  (1418  m)  nahe  ist  Sehr  erwünscht  sind  nun  fort- 
gesetzte Experimente  über  die  Fortpflanzung  der  Wellen  an  Orten 
mit  möglichst  homogenen  obern  Schichten;  denn  wenn  mit  Sicher- 
heit nachzuweisen  ist,  daß  die  vorauseilenden  Wellen  Kompressions- 
wellen und  die  Hauptwellen  Verschiebungswellen  sind,  ist  »ein  großer 
Fortschritt  zur  Erweiterung  unserer  Kenntnisse  des  Erdinnem  getane. 
Ergibt  sich  nämlich  aus  den  Beobachtungen,  daß  die  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit der  Verschiebungswellen  im  Bogen  des  größten  Kreises 
gemessen  konstant  oder  angenähert  konstant  sind,  so  folgt  daraus, 
daß  die  Verschiebungswellen  sich  nur  in  den  obern  Schichten  der 
Erdkruste  fortpflanzen.  Die  Kompressionswellen  hingegen  werden 
unter  allen  Umständen  einen  Teil  des  Erdinnem  durchlaufen  und  nicht 
in  einer  geraden  Linie  vom  Entstehungs-  zum  Beobachtungsorte  sich 
fortbewegen,  sondern  sich  nach  Elastizität  und  Dichte  nach  den  ver- 
schiedenen Tiefen  des  Erdinnem  richten.  Ziemlich  sicher  ist  bereits 
mehrfach  festgestellt,  daß  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  ersten 
Erschütterungen  des  Bodens  (der  Vorbeben)  eine  mit  der  Entfernung 
vom  Herde  stark  wachsende  Geschwindigkeit  haben.  Bewährt  sich 
dabei  die  konstante  Geschwindigkeit  der  Verschiebungs wellen,  so 
würde  das  einen  Beweis  dafür  erbringen,  daß  das  Erdinnere  nicht 
fest  ist 

Das  Erdbeben  von  CeFam  am  80.  September  1899  bildete 
den  Gegenstand  einer  eingehenden  Studie  von  Prof.  E.  Rudolph.  ^)^ 
Dieses  Beben  gehört  zu  den  wenigen  des  Jahres,  deren  Epizentrum 
bekannt  ist,  und  deren  Ausbreitung  über  die  Erde  hin  sich  mit  ziem- 
licher Sicherheit  verfolgen  läßt.  Dank  der  Untersuchung  von  R  D. 
M.  Verbeek,^  sind  wir  in  der  Lage,  uns  eine  Vorstellung  von  dem 
Auftreten  des  Bebens  im  makroseismischen  Schüttergebiete  und  von 
den  Beschädigungen,  welche  durch  dasselbe  angerichtet  worden  sind, 
zu  machen.  Prof.  Rudolph  gibt  zunächst  an  der  Hand  dieser  dankens- 
werten Arbeit  einen  kurzen  Überblick  über  den  Verlauf  und  die 
Wirkungen  des  Bebens,  um  sich  dann  der  Betrachtung  der  Fort- 
pflanzung der  durch  die  Erschütterung  veranlaßten  seismischen  Wellen 
zuzuwenden. 

Am  stärksten  machte  sich  die  Erschütterung  an  der  Südküste 
von  Ceram  in  der  Umgebung  der  Elpaputibai  geltend.  In  dem  ge- 
birgigen Lande  westlich  von   der  Bai   wurden   durch   dieselbe  zahl- 


^)  Gerland,  Beiträge  zur  Geophysik  1903.  6.  p.  238. 
<)   Natuurkundig  Tijdschrift  voor  Ned.-lndie   1900.   eO.   p.  219— 228. 
1  Karte  1:1000000. 


Erdbeben.  197 

reiche  Erdrutsche  verursacht,  wie  an  den  hellschimmemden,  gelben 
und  weißen  Stellen  erkennbar  /^ar,  die  sich  nach  dem  Beben  von 
ihrer  Umgebung  deutlich  abhoben.  Während  im  allgemeinen  der  Stoß 
auf  Ceram  als  mittelmäßig  stark  bezeichnet  wird,  war  er  an  der 
Westküste  der  Elpaputibai  sehr  stark.  Von  hier  als  dem  Mittelpunkte 
hat  sich  der  Stoß  nach  allen  Seiten  hin  fortgepflanzt,  am  stärksten 
aber  nach  Westen  und  Osten.  In  dem  Kalkgebirge  landeinwärts  von 
Eawa  an  der  Westküste  von  Ceram  waren  überall  die  Spuren  von 
frischen  Abstürzen  sichtbar.  Dasselbe  war  in  dem  gebirgigen  Innern 
der  Kawa  gegenüber  gelegenen  Insel  Boano  der  Fall,  woraus  man 
schließen  muß,  daß  auch  hier  das  Erdbeben  noch  ziemlich  stark  war. 

Was  die  Verbreitung  des  Bebens  außerhalb  Ceram  angeht,  so 
ergibt  sich  der  bemerkenswerte  Umstand,  daß  das  Beben  in  Temate 
und  auf  Halmahera  äußerst  schwach  war,  während  es  auf  dem  viel 
weiter  von  Ceram  entfernten  Celebes  sich  ziemlich  stark  bemerkbar 
machte.  Da  von  den  Kleinen  Sundainseln,  die  gerade  südlich  von 
Ceram  liegen,  keine  Nachrichten  über  das  Erdbeben  eingelaufen  sind, 
so  kann  man  annehmen,  daß  der  Stoß  sich  nicht  durch  die  Bandasee 
südwärts  ausgebreitet  hat  und  im  wesentlichen  auf  die  Molukken 
beschränkt  war.  Die  Fortpflanzung  einer  starkem  Bewegung  in 
nordwestlicher  Richtung  von  Ceram  über  Gr.-Obi  bis  zur  Minahassa 
hat  vielleicht  in  besondem  tektonischen  Verhältnissen  ihre  Ursache. 
Es  ist  nun  jedenfalls  eine  auffallende  Tatsache,  daß  trotz  der  mäßigen 
Stärke  des  Stoßes  (etwa  V — VI  der  Intensitätsskala  de  Rossi-Forel) 
und  trotz  der  verhältnismäßig  geringen  Ausdehnung  der  Schütterfläche 
die  durch  den  Stoß  verursachten  Erdbebenwellen  eine  so  ungeheuere 
Verbreitung  gehabt  haben.  Wie  sich  aus  der  weitem  Untersuchung 
ergab,  haben  sich  die  seismischen  Wellen  nicht  nur  mnd  um  die 
Erde  fortgepflanzt,  sondern  wahrscheinlich  auch  durch  das  Erdinnere 
hindurch,  so  daß  wir  uns  vorstellen  müssen,  daß  der  ganze  Erdball 
in  Schwingungen  geraten  ist. 

Die  Festlegung  des  Epizentmms  ist  mit  großen  Schwierigkeiten 
verknüpft,  weil  die  Anzahl  von  Europäem,  die  zuverlässige  Beob- 
achtungen über  die  Bewegungsrichtung  des  Stoßes  hätten  machen 
können,  auf  Ceram  eine  sehr  geringe  ist  In  dem  vorliegenden  Falle 
glaubt  Verbeek  nur  2  Beobachtungen  verwerten  zu  dürfen,  und 
auch  diese  beiden  sind  nicht  einmal  über  allen  Zweifel  erhaben.  Sie 
führen  auf  128^  30'  E.  L.  und  3 <>  10'  S.  Br.  Der  epizentralen  Fläche 
gibt  Verbeek  eine  elliptische  Gestalt,  deren  große  Achse  eine  Länge 
von  etwa  8  Bogenminuten  hat 

Die  Ausbreitung  der  Bewegung  von  diesem  pleistoseisten  Gebiete 
nach  Westen  und  Osten  ist  nach  Verbeek  vor  lülem  durch  eine  alte 
Brachlinie  begünstigt,  die  der  Südküste  von  Ceram  parallel  verläuft 
und  auch  in  der  Topographie  der  Insel  zum  Ausdrucke  kommt 

Der  durch  die  Erderschütterung  allein  verursachte  Schaden  wäre 
nicht  so  bedeutend  gewesen,    und  besonders  wäre  kein  so  schwerer 


198  Erdbeben« 

Verlast  an  Menschenleben  zu  beklagen  gewesen,  wenn  nicht  der  Erd- 
erschütterung eine  Meeresbewegung  gefolgt  wäre,  durch  welche  die 
niedrig  gelegenen  Küstenstrecken  überflutet  und  die  Dörfer  weg* 
geschwemmt  wurden.  Die  Zahl  der  auf  diese  Weise  ums  Leben  ge- 
kommenen Personen  wird  auf  3864  angegeben.  Infolge  des  Erd- 
stoßes lösten  sich  nämlich  ebenso  wie  im  Binnenlande  auch  an  der 
Küste  an  verschiedenen  Stellen  mehr  oder  minder  große  Massen 
lockern  Materials  ab  und  verursachten  durch  die  plötzliche  Wasser- 
verdrängung Wellen,  welche  mit  einer  Höhe  von  2 — 6911,  ja  selbst 
9  m  gegen  die  Küste  anstürmten  und  je  nach  der  Beschaffenheit 
dieser  letztem  bis  zu  270  m  landeinwärts  alles  überfluteten  und  mit 
sich  fortrissen.  Verbeek  liefert  den  ganz  genauen  Nachweis,  daß 
derartige  WeUen  nur  dort  entstanden,  wo  Landteile  ins  Meer  sanken. 
An  andern  Stellen,  wo  das  Erdbeben  zwar  auch  gefühlt  wurde,  aber 
kein  Abbruch  und  kein  Erdrutsch  an  der  Küste  damit  verbunden  war, 
bildete  sich  keine  Welle;  eine  Überflutung  dieser  Stellen  trat  nur  dann 
ein,  wenn  die  Orientierung  der  Küstenstrecke  derart  war,  daß  sie 
durch  eine  von  einer  andern  Seite  herkommende  Welle  erreicht  werden 
konnte.  Auch  in  dieser  Hinsicht  hatten  die  Meeresbuchten  an  der 
Südseite  von  Geram,  die  Pirubai  und  vor  allem  die  Elpaputibai  am 
meisten  zu  leiden.  An  der  Küste  der  letztgenannten  Bai  sind  allein 
etwa  2460  Menschen  ums  Leben  gekommen;  und  die  Welle,  welche 
sich  von  hier  aus  in  die  offene  Bandasee  fortpflanzte,  erreichte  sogar 
noch  die  187  km  entfernte  Insel  Banda  Neira  und  verursachte  hier 
ein  Steigen  des  Wassers  um  1  m  über  Hochwasser.  Diese  Tatsachen 
stützen  die  von  Verbeek  aufgestellte  Behauptung,  daß  sich  in  der 
Nähe   der  Elpaputibai   das  Epizentrum   des  Bebens   befinden  müsse. 

In  bezug  auf  die  Angaben  über  den  Augenblick,  in  welchem  der 
Erdstoß  im  Epizentrum  oder  an  andern  vom  Epizentrum  entfernt  ge- 
legenen Punkten  eintraf,  ist  man  ebenso  übel  daran,  wie  bei  den 
oben  betrachteten  Richtungsangaben. 

Prof.  Rudolph  findet  aus  Kombination  der  entfernten  Stationen,  an 
welchen  das  Beben  registriert  worden,  als  Zeit  der  Erschütterung  im 
Epizentrum  17^  1.08™  mittl.  Zeit  von  Greenwich.  Er  diskutiert  nun 
im  einzelnen  die  Axifzeichnungen  an  27  seismischen  Stationen  und 
findet,  daß,  wenn  man  den  Versuch  macht,  die  im  vorstehenden  er- 
wähnten zahlreichen  Zahlenangaben  übersichtlich  zusammenzustellen 
und  diejenigen  Daten  auszusuchen,  welche  gleichen  Phasen  ent- 
sprechen, um  auf  diese  Weise  eine  Vorstellung  von  der  Aufeinander- 
folge der  verschiedenen  Wellen  und  ihrer  verschieden  großen  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit zu  erhalten,  man  auf  Schwierigkeiten  stößt, 
welche  bei  dem  heutigen  Stande  der  seismischen  Beobachtungen  nur 
teilweise  zu  überwinden  sind.  »Diese  Schwierigkeiten c,  sagt  er,  »liegen 
vor  allen  Dingen  in  den  verschiedenartigen  Systemen  seismischer 
Apparate,  welche  auf  den  Beobachtungsstationen  in  Gebrauch  sind. 
Es  ist  nicht  bloß  der  den  einzelnen  Pendeln  eigentümliche  verschiedea 


Erdbeben.  199 

hohe  Grad  der  Empfindlichkeit,  welcher  die  Einreihung  der  Zeitangaben 
in  die  ihnen  zukommende  Phase  oft  fast  unmöglich  macht;  viel  er- 
schwerender wirkt  der  Umstand,  daß  nur  die  wenigsten  Instrumente 
Seismogramme  liefern,  denen  man  die  beiden  zur  Charakterisierung 
der  Erdbebenwellen  wichtigsten  Eigentümlichkeiten,  die  Schwingungs- 
periode und  -amplitude  entnehmen  kann. 

Die  Stationen  Kap  der  guten  Hoffnung  und  Göttingen  geben 
allein  ein  vollständiges  Bild  der  Störung.  Indessen  ist  das  Seismo- 
gramm  der  erstgenannten  Station  so  undeutlich,  daß  eigentlich  nur 
Göttingen  als  diejenige  Station  übrig  bleibt,  die  ein  brauchbares  Bild 
geliefert  hat.  Bei  allen  andern  ist  dagegen  bald  die  eine,  bald  die 
andere  Phase  nicht  erkennbar. 

Betrachtet  man  die  Zeitangaben  für  die  erste  Störung,  so  ergibt 
sich,  daß  auf  einer  ganzen  Reihe  von  Stationen  neben  dem  Anfange 
der  Störung  noch  ein  2.  und  3.  Einsatz  bemerkbar  ist  Auf  mehrern 
Stationen  beginnt  die  Störung  des  Pendels  überhaupt  erst  mit  dem 
2.  Einsatz  oder  gar  erst  mit  dem  dritten. 

Mit  wenigen  Ausnahmen  haben  diejenigen  Stationen,  welche 
einen  relativ  frühen  Anfang  der  ganzen  Störung  verzeichnen,  auch 
für  den  2.  Einsatz  einen  relativ  frühern  Anfang.  Femer  kann 
man  beobachten,  daß  der  Zeitpunkt  des  2.  Einsatzes  in  demselben 
Maße  später  fällt,  wie  die  Stationen  weiter  vom  Epizentrum  entfernt 
liegen.  Diese  zeitliche  Verschiebung  des  Einsatzes  ist  beim  dritten 
Einsätze  noch  viel  schärfer  ausgeprägt  als  beim  zweiten,  ja  es  liegen 
Anzeichen  dafür  vor,  daß  es  noch  einen  4.  Einsatz  vor  dem  Beginne 
der  2.  Phase  gab. 

»Die  beiden  angeführten  Umständec,  fährt  Prof.  Rudolph  fort, 
>  lassen  keinen  Zweifel  darüber  aufkommen,  daß  die  wiederholten  Ein- 
sätze der  Störung,  drei  im  ganzen,  oder  vielleicht  sogar  vier,  von 
ebensoviel  Stößen  im  Erdbeben  herrühren.  Wenn  wir  in  den  spätem 
Phasen  der  Störung  von  diesen  Stößen  keine  Spur  mehr  finden,  so 
ist  dieses  Fehlen  wohl  nur  darauf  zurückzuführen,  daß  der  erste 
Stoß  der  stärkste  war.  Die  großen  Schwingungsamplituden  in  der 
2. — 5.  Phase  werden  mit  denjenigen  der  spätem  Erdstöße  interferiert 
haben  und  dadurch  nicht  erkennbar  geworden  sein.  Nur  während  der 
1.  Phase,  in  welcher  die  Schwingungsamplituden  überhaupt  klein 
waren,  konnten  sich  die  spätem  Stöße  bemerkbar  machen.  So  ent- 
hüllen uns  die  Seismogramme  eine  Tatsache,  von  der  wir  in  den 
Berichten   aus  dem  makroseismischen  Schüttergebiete  nichts  hören.  € 

Prof.  Rudolph  hat  für  die  einzelnen  Stationen,  soweit  dies  über- 
haupt ausführbar  war,  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeiten  der  Wellen 
der  1. — 5.  Phase  berechnet 

Überblickt  man  die  Werte  für  die  1.  Phase,  so  findet  man  die 
schon  seit  langem  bekannte  Tatsache  der  Zunahme  der  Geschwindig- 
keit mit  der  Entfemung  vom  Epizentrum  in  aller  nur  wünschens- 
werten Bestimjntheit  bestätigt. 


200  Erdbeben. 

Ganz  normal  ist  die  Zunahme  der  Werte  fär  die  folgenden 
Phasen.  Die  ganz  unwesentlichen  Schwankungen,  welche  auch  hier 
nicht  fehlen,  sind  auf  ungenaue  Messungen  des  Seismogrammes  zurück- 
zufuhren und  kommen  gegenüber  dem  stetig  wachsenden  Werte  der 
Geschwindigkeit  nicht  in  Betracht  Am  bemerkenswertesten  ist  es, 
daß  auch  die  Werte  für  die  5.  Phase  von  Batavia  bis  Pavia  fast 
stetig  anwachsen.  »Ich  sehe«,  sagt  Prof.  Rudolph,  »in  dieser  Tatsache 
das  wichtigste  Ergebnis  der  Untersuchung.  Freilich  soll  nicht  be- 
hauptet werden,  daß  dieser  eine  Fall  maßgebend  wäre.  Es  wird 
noch  vieler  Untersuchungen  bedürfen,  bis  sich  eine  endgültige  Ent- 
scheidung treffen  laßt.  In  der  demnächst  erscheinenden  Bearbeitung 
der  »Seismometrischen  Beobachtungen  von  1887 — 1897«  werde  ich 
ein  größeres  Beobachtungsmaterial  heranziehen,  das  -zu  einem  ge- 
sicherten Resultate  führen  wird.« 

Das  Brdbeben  von  Schemacha,  am  18.  Februar  1902.  Ober 
dasselbe  liegt  ein  vorläufiger  Bericht  von  F.  Anderssohn  vor.  ^)  Die 
Stadt  liegt  am  Südabhange  des  östlichen  Kaukasus,  der  dort  in  einem 
Systeme  OSO — ^WNW  streichender  Brüche  zur  Kuraniederung  ab- 
WüL  Um  einen  Spannungsausgleich  längs  dieser  Brüche  handelt  es 
sich  zweifelsohne  bei  den  Erdbeben,  die  Schemacha  bereits  so  häufig 
beunruhigt  haben.  Ein  besonders  starkes  Beben  war  im  Juni  1869 
Veranlassung,  daß  die  Oouvemementsregierung,  die  ihren  Sitz  bis 
dahin  in  Schemacha  gegehabt  hatte,  nach  dem  100  km  östlicher 
gelegenen  Baku  übersiedelte.  Ein  stärkeres  Beben  suchte  die  Stadt 
im  Jahre  1872  heim,  wurde  an  Heftigkeit  aber  bei  weitem  über- 
troffen von  dem  des  Jahres  1902.  Dieses  letztere  nahm  seinen  Aus- 
gang von  einer  den  Randbrüchen  des  Kaukasus  parallelen,  etwa 
5  Meilen  langen  Mittellinie,  dicht  nördlich  von  Schemacha,  die  etwa 
durch  die  Ortschaften  Sundi  und  Baskai  bezeichnet  wird.  Von  diesa* 
Linie  aus  nahm  die  Heftigkeit  der  Erscheinungen  gegen  das  Gebirge 
zu  rasch  ab,  nach  SW  endigte  die  Zerstörungszone  am  Rande  der 
Kuraebene,  so  daß  sie  von  SW  nach  NO  nur  3  Meilen  breit  war 
und  im  ganzen  etwa  15  Quadratmeilen  umfaßte.  Da  nähere  geotek- 
tonische  Untersuchungen  nach  dem  Beben  durch  Schneefall  leider  ver- 
hindert wurden,  auch  keine  Seismometer  in  dem  Schüttergebiete  auf- 
gestellt waren,  so  beschränken  sich  die  bekannt  gewordenen  Tat- 
sachen auf  die  Schilderung  des,  übrigens  durchaus  typisch  verlaufenen 
Vorganges  selbst  und  die  Feststellung  der  Zerstörungen. 

Schon  eine  Woche  vor  der  Katastrophe  hatte  man  in  der  Gegend 
von  Schemacha  oft  schwache  Stöße  wahrgenommen,  ebenso  am  Vor- 
mittage des  12. Februar.  Am  13.,  kurz  nach  ^/^l  Uhr  mittags,  machten 
sich  etwa  10  Minuten  lang  heftige  Bodenschwankungen  fühlbar,  die 


^)  Geol.  Förh.  24.  p.  879.  Auszug  in  Naturw.  Wochenschrift  1908  p.  81. 
woraus  oben  der  Text 


Erdbeben.  201 

von  NO  nach  SW  gerichtet  gewesen  sein  sollen,  fast  unmittelbar 
darauf  um  12  Uhr  53  Minuten  erfolgte  der  Hauptstoß,  der  in  senk- 
rechter Richtiuig  wirkte  und  die  Holzhäuser  Schemachas  und  der 
Umgegend  größtenteils  zerstörte,  dagegen  die  massiven  Oebäude  an- 
scheinend wenig  beschädigte.  Ihm  folgten  wieder  Schwankungen  des 
Bodens,  und  eine  große  Zahl  schwächerer  Erschütterungen  wurde 
noch  bis  zum  nächsten  Morgen  verspürt.  Vor  dem  Stoße  war  ein 
schwaches  Dröhnen  aus  nordwestlicher  Richtung  hörbar.  Unmittelbar 
nach  dem  Beben  erfolgte  am  Ostrande  des  Zerstörungsgebietes,  in 
Marasi  (25  km  östlich  von  Schemacha)  der  Ausbruch  eines  dort  ge- 
legenen Schlammvulkans.  Anderssohn  sucht  den  Zusammenhang 
zwischen  beiden  Erscheinungen  wohl  mit  Recht  in  der  Störung  des 
Gleichgewichtes,  die  das  Beben  in  den  Erdschichten  über  dem  Schlamm- 
herde hervorrief,  östlich  dieser  Schlammausbruchsstelle  hat  das  Erd- 
beben keine  dauernden  Wirkungen  mehr  hinterlassen.  In  BaJni  wurde 
es  jedoch  um  12  Uhr  55  Minuten  in  Form  starker  Bodenschwan- 
kungen gefühlt.  Im  ganzen  sind  etwa  1000  Menschen  umgekommen, 
gegen  4000  verletzt,  während  der  Sachschaden  auf  ungefähr 
18  Millionen  Mark  geschätzt  wird.  Doch  scheint  an  der  Größe  dieses 
Schadens  weniger  die  Stärke  des  Bebens  als  die  geringe  Festigkeit 
der  Gebäude  die  Schuld  zu  tragen.  Schwächere  Erschütterungen  . 
sind  in  den  folgenden  Monaten  übrigens  mehrfach  in  unregelmäßigen 
Zwischenräumen  im  transkaukasischen  Gebiete  wie  auch  in  Grozny 
nördlich  des  Kaukasus  aufgetreten. 

Das  Erdbeben  von  Saloniki  am  5.  Juli  1902.  Im  Auftrage 
der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  hat  Prof.  R.  Hoemes  (Graz) 
das  Gebiet,  auf  dem  dieses  Erdbeben  sich  bemerkbar  machte,  durch- 
forscht Seinem  Berichte  an  die  Akademie^)  ist  folgendes  ent- 
nommen. 

Von  den  über  das  Beben  vom  5.  Juli  vorliegenden  Nachrichten 
wurden  ztmächst  jene  eingehend  erörtert,  welche  zu  einer  annähernd 
genauen  Zeitbestimmung  der  Haupterschütterung  führen  können.  Da 
in  Saloniki,  abgesehen  von  der  türkischen  Zeitrechnung,  drei  euro- 
päische Zeitangaben  in  Gebrauch  stehen  (mitteleuropäische  Zeit,  nach 
welcher  die  westlichen  Bahnen:  Saloniki — Monastir,  Saloniki — ^Mitro- 
vitza  und  Üsküb — Sibefde  verkehren,  und  osteuropäische  Zeit,  welche 
den  Verkehr  Saloniki — Konstantinopel  regelt,  während  die  Saloniker 
Ortszeit  gegen  erstere  rund  um  32  Minuten  vor,  gegen  letztere  aber 
um  28  Minuten  zurückliegt),  war  diese  Aufgabe  keine  ganz  einfache. 
Der  Eintritt  der  Haupterschütterung  konnte  für  Saloniki  nur  annähernd 
mit  4  ^  20™  p.  m.  Ortszeit  ermittelt  werden.  Die  Zeitangaben  zahl- 
reicher Stationen  der  Orientbahnen,  welche  dem  Berichterstatter  mit- 
geteilt wurden,   geben   ein   neues  Beispiel   für  die  Erfahrungen  hin- 


^)  Wiener  Akademischer  Anzeiger  1902  p.  825. 


202  Brdl>M>eii. 

sichtlich  der  ungenügend  genauen  Zeitbestimmung  des  taglichen  Lebens, 
welche  bei  allen  großem  Beben  zutage  treten. 

Prof.  Hoernes  erörtert  dann  die  an  den  einzehien  Orten  ein- 
getretenen Wirkungen.  Von  den  stärksten  Zerstörungen  wurde  das 
Dorf  Güvezne  heimgesucht.  Auch  einige  Orte  in  der  Umgebung  dieses 
Dorfes,  so  namentlich  Arakli,  wurden  starker  beschädigt,  Saloniki 
hat  viel  weniger  gelitten.  In  der  makedonischen  Metropole  wurde 
die  hochliegende  Türkenstadt  fast  gamicht  beschädigt,  nur  der  niedriger 
am  Meere  gelegene  Stadtteil  hat  zahlreiche  Erdbebenschäden  auf- 
zuweisen. Zumal  die  Häuserreihe  am  Quai,  welche  auf  jungen  Auf- 
füllungen steht  und  vielfach  ungenügend  fundiert  sein  dürfte^  hat 
stark  gelitten,  femer  jene  Gebäude,  welche  besonders  hoch  oder  schlecht 
gebaut  waren. 

Als  Herd  der  Erschütterung  wird  die  Depression  zwischen  dem 
Begikdagi  und  Horta^dagi,  die  Niederung  von  Langaza  bezeichnet,  in 
welcher  der  gleichnamige  See,  der  zuweilen  auch  nach  dem  an  seinem 
Südufer  gelegenen  Orte  Ajvasil  benannt  wird,  als  Rest  eines  früher 
viel  ausgedehntem  Binnengewässers  liegt.  Auf  der  Nordseite  des 
Sees,  nahe  bei  Langaza  liegen  die  warmen  Quellen  von  Ilidze-Lutra, 
welche  2  Tage  nach  dem  Erdbeben  eine  bemerkenswerte  Änderung 
(Einsinken  des  Bodens  im  Bassin  des  Bades,  Hervorbrechen  eines 
neuen  Ausflusses  etwa  200  m  vom  Badehause)  und  im  Laufe  späterer 
Zeit  auch  eine  geringe  Erhöhung  der  Temperatur  (um  1  ^  G.)  erfuhren. 
Auch  die  warmen  Quellen  von  Bajnsko  bei  Stmmica  und  von  Negorci 
bei  Gjevgjeli,  sowie  die  kalten  Quellen  von  Suputnik  und  Larigovo 
im  Kolomondagebirge  sollen  durch  das  Beben  beeinfluBt  worden  sein. 
Bei  Güvezne,  Arakli  und  Ajvatli  erfolgte  Austreten  des  Grundwassers 
infolge  der  Erschütterung  der  Alluvionen  und  vordem  trockene  Bach- 
rinnen wurden  wasserführend. 

Dem  Beben  vom  5.  Juli  lag  eine  Schütterlinie  zugrunde,  die  sich 
von  Ajvasil  am  Südufer  des  Langazasees  bis  zur  Bahnstation  Doiran 
am  gleichnamigen  See  verfolgen  läßt  Sie  hängt  mit  dem  Graben- 
bruche zwischen  dem  Hortaddagi  und  Besikdagi  zusammen.  Die  Beein- 
flussung der  Thermen  von  Bajnsko  bei  Stmmica,  welche  freilich  nicht 
vollkommen  sichergestellt  ist,  würde  einen  Zusammenhang  mit  der  dem 
Vaxdartale  annähemd  parallel  laufenden  » Thermenlinie  c  Dr.  Karl 
Ostreichs  wahrscheinlich  machen,  wie  denn  Ostreich  selbst  eine  Fort- 
setzung seiner  Thermenlinie  nach  SSO  zu  den  Quellen  von  Langaza 
(Ilid2e-Lutra)  vermutet 

Prof.  Hoemes  gibt  eine  Aufzählung  größerer  Beben,  von  denen 
Makedonien  im  Laufe  der  Zeit  betroffen  wurde.  Eines  derselben, 
am  26.  Februar  1430,  zerstörte  teilweise  die  Stadtmauern  Salonikis 
und  erleichterte  so  die  Einnahme  der  Stadt  durch  die  Türken.  Die 
aus  neuerer  Zeit  vorliegenden  Erdbebenverzeichnisse  von  J.  Schmidt 
imd  C.  W.  G.  Fuchs  lehren,  daß  Erschütterungen  in  dem  Gebiete 
nördlich  vom   thermäischen  Golfe   häufig   sind.     Ihr  Zusammenhang 


Erdbeben«  203 

mit  den  tektonischen  Vorgängen  in  der  Rhodopemasse,  mit  den  Ein- 
brüchen, mit  welchen  uns  Prot  Cvijid  naher  bekannt  gemacht  hat, 
ist  klar.  Diese  zur  Tertiärzeit  begonnenen  gewaltigen  Senkungen, 
welche  im  Süden  das  Eintreten  des  Meeres  in  den  thermäischen  Golf 
und  die  eigenartig  zerschnittene  Gestalt  der  Halbinsel  Chalkidike  ver- 
ursachten, im  Innern  des  Landes  aber  zahlreiche,  teils  von  Seen 
erfüllte,  teils  trockene  Gräben  schufen,  waren  auch  die  Veranlassung 
für  das  Zutagetreten  junger  Eruptivgesteine  auf  den  Bruchspalten. 
Der  ungemeine  Reichtum  an  heißen  Quellen,  welcher  Makedonien  aus- 
zeichnet, hängt  gleichfalls  mit  diesen  tiefgehenden  Bruchlinien  zu- 
sammen, auf  welchen  an  vielen  Stellen  »juveniles  Wasser«  dem  Boden 
entquillt.  Daß  die  Rindenbewegungen,  welche  die  eigenartige  Boden- 
plastik Makedoniens  verursachten,  auch  heute  noch  andauern,  be- 
kunden die  häufigen  und  starken  Beben,  von  welchen  das  Land  wie 
in  früherer  Zeit  so  auch  noch  in  der  Gegenwart  heimgesucht  wird. 

Ober  die  Erdbeben  an  der  Küste  Guatemalas  im  Jahre 
1902  und  deren  FolgeerSCheinungren  berichtet  der  Regierungs- 
baumeister und  Betriebsleiter  der  Ocos-Eisenbahn.^)  Folgendes  ist 
diesem  Berichte  entnommen.  Das  Erdbeben  vom  18.  April  1902 
wurde  in  Ocos  am  heftigsten  an  unserer  ganzen  Küste  gefühlt;  der 
Stoß  kam  von  SW  oder  SSW.  Die  Erdbebenwelle  ist  in  unserem 
Sandboden  (etwa  800 — 400  m  breit,  feinster  gleichmäßiger  vulkani- 
scher Sand),  desgleichen  in  den  Fußböden  unserer  Holzhäuser,  sowie 
auf  der  Plattform  unseres  eisernen  Landungssteges  heute  noch  zu 
sehen;  die  Wellen  sind  25 — 30  m  lang  und  bis  zu  15  und  20  cm 
tief.  Etwa  100 — 150  m  vom  Beginne  des  Festlandes  (harter  Lehm 
mit  Kies  und  Sand)  brach  sich  die  Erdbebenwelle  in  dem  Sande 
zwei-  bis  dreimal  unter  genau  den  gleichen  Erscheinungen  wie  beim 
Brechen  der  Brandungswelle  auf  dem  Strande ;  die  dadurch  entstan- 
denen Gruben,  welche  bis  zu  Mannestiefe  hatten,  sind  heute  noch, 
soviel  mir  bekannt,  in  meilenweiter  Ausdehnung  Küste  auf  und  Küste 
ab  zu  sehen;  die  Einzelheiten,  wie  sie  kurz  nach  dem  Erdbeben  zu 
sehen  waren:  Aufbrechen  und  Überfallen  des  Sandes  sind  natürlich 
heute  durch  Regen  und  Wind  zerstört.  In  unserem  Eisenbahngeleise 
ließen  sich  die  Wellen  des  Erdbebens  noch  auf  etwa  200  m  auf  dem 
Festlande  (der  oben  erwähnte  harte  Lehm)  verfolgen,  die  Wellen 
waren  dort  allerdings  länger:  50 — 75  m  und  weniger  tief  (etwa 
5  cm)\  weiter  nach  dem  Innern  waren  keine  Stönmgen  mehr  zu 
beobachten. 

Seit  dem  10.  Mai  haben  Störungen  in  dem  normalen  Verlaufe 
der  Fluten  an  imserer  ganzen  Küste,  und  davon  herrührend,  Ände- 
rungen des  Strandes  stattgefunden,  welche  mit  dem  Gyklon  vom 
28.  und  24.  September  ihr  Maximum  erreichten  und  allenthalben 
schweren  Schaden  angerichtet  haben. 


^)  Annalen  der  Hydrographie  1908  p.  62. 


204  Erdbeben. 

Die  normale  Flut  ist  hier  etwa  Iß  m  (5  Fuß  engl);  es  begab 
sich  nun,  daß  während  der  Monate  Mai,  Juni,  Juli  und  bis  Mitte 
August  die  Flut  2— 2,5  m  (7 — 8  Fuß)  betrug,  wobei  der  normale 
Ebbestand  nie  erreicht  wurde,  die  Ebbe  blieb  stets  etwa  0,3  m 
(1  Fuß)  über  dem  normalen  Stande.  Erst  seit  Mitte  August  ging  das 
Niederwasser  auf  seinen  alten  Stand  zurück,  dagegen  ist  aber  das 
Hochwasser  immer  noch  0,3  m  (1  Fuß)  höher  als  unter  normalen 
Verhältnissen. 

Die  ganze  Küste  von  Guatemala  bis  Mexiko,  von  Acajutla  bis 
SaUna  Cruz,  ist  sehr  leichter  fein-  und  gleichkömiger  vulkanischer 
Sand,  ein  Gürtel  etwa  100 — 300  oder  500  m  breit,  dem  nach  innen 
die  brackische  Lagune  (estero)  folgt,  welche  beinahe  stets  durch 
eine  der  vielen  Flußmündungen  mit  der  See  in  Verbindung  steht, 
demnächst  folgt  das  Festland  mit  seinem  Gürtel  von  Mangrove-Busch : 
Untergrund  meist  harter  Lehm  mit  mehr  oder  weniger  Kies  und  Sand 
oder  Steinen.  Seit  vielen  Jahren  zeigte  der  Strand  kaum  eine  Ände- 
rung, die  Brandung  fraß  wohl  einmal  ein  paar  Meter  Sand  heute 
weg,  gab  selben  aber  nach  zwei  oder  mehr  Tagen  stets  wieder  auch 
meist  am  gleichen  Platz  zurück.  Das  hat  sich  seit  Mai  gründlich 
geändert,  erst  langsam,  allmählich  aber  mit  zunehmender  Begierde 
fraß  die  Brandung  den  Strand  ab,  gleichzeitig  natürlich  die  Düne 
überflutend,  und  an  manchen  Stellen,  wie  z.  B.  in  Ocos,  unbewohn- 
bar machend.  In  den  letzten  Tagen  vor  und  während  des  Zyklons 
(23.  September)  ging  es  aber  dann  mit  Riesenschritten,  so  daß  an 
manchen  Stellen  bis  zu  50  und  60  m,  in  Salina  Cruz  bis  zu  100 
und  150  m  Strand  weggefressen  wurden.  Der  Grund  hierfür  ist 
natürlich  die  große  Fluthöhe ;  solange  als  diese  jahrelang  sich  gleich 
blieb,  war  alles  im  Gleichgewichte  von  dem  Augenblicke  an  aber,  wo 
durch  Eintritt  der  hohen  Fluten  das  Gleichgewicht  gestört  war,  mußte 
so  viel  vom  Strande  zum  Opfer  fallen,  als  notwendig  war,  um  einen 
neuen  Gleichgewichtszustand  zu  finden.  Dies  scheint  nunmehr  seit 
Anfang  Oktober  der  Fall  zu  sein,  der  Strand  ist  jetzt  überall  viel 
flacher,  fällt  etwa  1:8 — 1:10,  während  er  früher  1:5  abfiel, 
es  liegt  ihm  nunmehr  eine  Sandbank  von  durchschnittlich  100  m 
Breite  vor,  welche  bei  Ebbe  beinahe  vollständig  trocken  liegt 

Daß  diesem  Abfressen  des  Strandes  eine  Menge  Gebäude  allent- 
halben zum  Opfer  fielen,  ist  um  so  natürlicher,  als  alle  wertvollem 
Gebäude  in  unsem  sogenannten  Hafenplätzen  nach  alter  Gewohnheit 
auf  der  äußerten  Düne  stehen,  also  dem  ersten  Anpralle  des  Meeres 
ausgesetzt  sind.  Die  größten  Verwüstungen  sind  wohl  in  Ocos  und 
Salina  Cruz  vorgekommen,  insbesondere  an  letzterem  Orte,  wo  der 
Zyklon  vom  23.  September  in  dem  verrufenen  Golfe  von  Tehuantepec 
wüst  gehaust  hat;  die  neuen  Hafenbauten,  Magazine  und  Wohn- 
gebäude, Wellenbrecher,  Landungssteg,  Leuchtfeuer  etc.,  alles  fiel 
oder  wurde  von  der  See  verschlungen. 

Noch  ein  paar  Worte  über  Erdbeben:  Dasjenige  vom  18.  April, 


Erdbeben.  205 

höchstwahrscheinlich  ausgelöst  durch  planetarische  (Mond  und  Sonne) 
Attraktion,  ist,  wie  alle  die  vielen  folgenden,  ein  rein  tektonisches, 
auf  einer  Scholle,  welche  abgesunken  ist,  auf  unserer  Vulkanlinie, 
und  abgebrochen  auf  einer  dieser  mehr  oder  weniger  parallelen  Linie 
etwa  70  Meilen  seewärts,  dort,  wo  der  seichte  Meeresgrund  plötz- 
lich nach  dem  tiefen  Ozeanbecken  abfällt.  Sowohl  das  große  Beben 
vom  18.  April,  als  alle  die  vielen  folgenden,  haben  hier,  wo  die 
Richtung  sich  unverfälscht  ohne  alle  lokale  Ablenkung  beobachten 
läßt,  dieselbe  Richtung  aus  SW  oder  SSW  gehabt. 

Von  Vulkanismus  ist  absolut  keine  Rede,  an  unsern  Vulkanen 
haben  Bergstürze  in  Masse  stattgefunden,  aber  die  wenige  vulka- 
nische Tätigkeit,  wie  Fumarolen,  heiße  Quellen  etc.,  haben  absolut 
keine  Änderung  erlitten.  Es  wird  viel  von  erneuter  Tätigkeit  des 
Vulkans  Jzalco  (in  Salvador)  und  Golima  (in  Mexiko)  geredet,  wird 
wohl  aber  auch  damit,  in  der  Nähe  besehen,  nicht  anders  sein,  als 
mit  den  vielen  vollständig  unwahren  Gerüchten  über  den  Ausbruch 
der  Vulkane :  Tacanä,  Tajamulco  und  Gerro  Quemado ,  alle  von  hier 
aus  in  Entfernungen  von  60 — 80  hm  täglich  sichtbar. 

Das  Erdbeben  oder  die  Erdbeben  vom  23.  und  24.  September 
waren  in  jeder  Hinsicht  total  verschieden  von  denjenigen,  welche 
zur  Serie  des  18.  April  gehören.  Es  war  keüi  Stoß  mit  nachfolgender 
scharfer  Wellenbewegung,  sondern  ein  langes  langsames  Wiegen.  Das 
erste  dieser  Beben,  zugleich  das  längste  und  stärkste,  war  am  23.  Sep- 
tember 2^  20°^  nachmittags,  dauerte  hier  65^,  also  in  Wirklichkeit 
wohl  bedeutend  länger,  da  Anfang  und  Ende  zufolge  unsers  Sand- 
untergrundes wohl  nicht  genau  beobachtet  werden  konnten.  Die 
Empfindung  war  die  eines  langsam  rollenden  Schiffes,  man  sah  die 
langen  langsamen  WeUen  auf  dem  Boden,  man  sah  die  Gebäude  sich 
langsam  neigen,  kurz  es  war  von  dem  andern  wohl  stärker  aber 
rascher  vorbeigehenden  Beben  total  verschieden.  Die  Richtung  dieses 
Bebens  war  SO — ^NW,  also  mehr  oder  weniger  senkrecht  zur  Küsten- 
linie, und  die  Auslösung  des  Bebens  war  meiner  Meinung  nach  ent- 
schieden verursacht  durch  ein  schweres  tiefes  barometrisches  Minimum, 
welches  über  dem  Golfe  von  Tehuantepec  oder  etwas  nördlich  davon 
lag,  und  seit  dem  22.  September  mittags,  aus  Süden  kommend,  sm 
Ocos  vorbeiziehend  sich  seit  Mitternacht  22./23.  dort  befand.  Dieses 
Minimum  muß  wie  ein  Schröpfkopf  auf  Atmosphäre,  Wasser  und  Erde 
gewirkt  haben.  Was  die  Verbreitungszone  dieses  Bebens  anbelangt, 
so  ist  selbe  von  derjenigen  des  18.  April  sehr  verschieden:  das  Haupt- 
schüttergebiet des  letztem  lag  von  Tapuchulu  bis  San  Salvador  und 
von  der  Höhe  der  Vulkane  oder  wenige  Kilometer  nördlich  hiervon 
bis  zur  Küstenlinie,  also  genau  die  oben  beschriebene  Scholle,  wäh- 
rend dasjenige  vom  23.  September  als  Zentrum  die  Gegend  von  SaUna 
Cruz  (Golf  von  Tehuantepec)  hatte,  es  wurde  sehr  stark  gefühlt  in 
Tonalä,  desgleichen  in  TuxÜa  Gutierrez  und  San  Ghstobal,  Gomitan, 
Huehuetenango   und  in  ganz  Guatemala  bis  zur  Hauptstadt  Guate- 


206  Erdbeben. 

mala  selbst,  beschränkte  sich  also  nicht  nur  auf  die  mehrfach 
erwähnte  Scholle,  sondern  griff  insbesondere  auch  auf  das  granitische 
Massengebirge  von  Comitan — Huehuetenango  über,  wo  verhältnis- 
mäßig der  größte  Schaden  angerichtet  wurde  (z.  B.  Tuxtla  Quiterrez 
ist  zur  Hälfte  zerstört). 

Das  Erdbeben  im  Vogrüande  und  dem  nordwestliehen 
Böhmen  Im  Jahre  1908.  Über  die  Art  und  Weise,  in  welcher 
diese  Bodenerschütterungen  auftraten,  und  ihre  vermuteten  Ursachen 
hat  sich  Prof.  Dr.  Diener  des  nähern  ausgesprochen.  Er  bemerkt, 
daß  1875  die  Aufmerksamkeit  der  Geologen  zuerst  auf  diese  seis- 
mischen Erscheinungen  gelenkt  worden  sind,  die  sich  damals  in  dem 
sächsischen  und  böhmischen  Teile  des  westlichen  Erzgebirges  ab- 
spielten. Seitdem  habe  sich  das  egerländisch-vogtländische  Schütter- 
gebiet zu  einem  der  tätigsten  chronischen  Bebenherde  in  Europa 
entwickelt.  Es  gehöre  daneben  aber  auch  zu  den  am  besten  bekannten 
und  in  bezug  auf  ihre  Eigentümlichkeiten  am  gründlichsten  studierten 
Erdbebengebieten.  Von  sächsischer  Seite  liegen  über  die  seismischen 
Ereignisse  im  westlichen  Erzgebirge  innerhalb  der  letzten  6  Jahre 
mehrere  zusammenfassende  Darstellungen  von  Prof.  H.  Gredner,  dem 
Direktor  der  Geologischen  Landesanstalt  in  Leipzig,  vor,  während  von 
Seite  österreichischer  Forscher  diese  Erdbeben  durch  Becke,  Uhlig 
und  Enett  in  den  Berichten  der  Erdbebenkommission  der  kaiserlichen 
Akademie  der  Wissenschaften  eine  monographische  Bearbeitung  ge- 
funden haben. 

Die  Erdbeben  des  egerländisch-vogtländischen  Gebietes  treten 
hiemach  in  der  Regel  als  Schwarmbeben  auf.  Das  bemerkenswerteste 
dieser  Schwarmbeben  spielte  sich  im  Oktober  und  November  1897 
ab.  Vom  24.  Oktober  bis  zum  25.  November  wurden  in  Graslitz 
197  Stöße  verzeichnet  Nur  2  Tage,  der  21.  und  der  22.  November, 
blieben  erdbebenfrei.  Auf  diesen  durch  die  große  Zahl  und  Stärke 
der  einzelnen  Stöße,  sowie  durch  eine  lange  Dauer  bis  dahin  im 
sächsisch-böhmischen  Schüttergebiete  einzig  dastehenden  Erdbeben- 
schwarm  folgte  eine  zweieinhalb  jährige,  nur  durch  vereinzelt  schwache 
Stöße  von  ausnahmslos  lokaler  Natur  unterbrochene  Ruhe.  Im 
Juli  und  August  1900  begannen  neue  seismische  Erscheinungen, 
die  jenen  des  Jahres  1897  durchaus  ähnlich  waren.  Sie  wurden 
in  den  ersten  Tagen  des  Juli  in  der  Gegend  von  Graslitz  und  Bram- 
bach  mit  schwachen  Erschütterungen  wahrgenommen,  die  an  Stärke 
bis  zum  7.  Juli  zunahmen  und  dann  allmählich  auszuklingen 
schienen.  Eine  Ruhepause  von  7  Tagen  bezeichnete  das  Ende  dieses 
1.  Erdbebenschwarmes.  Am  17.  Juli  begann  eine  2.  Erdbebenperiode, 
die  am  25.  Juli  ihre  größte  Schütterstärke  in  2  Hauptstößen  erreichte 
und  mit  abnehmbarer  Intensität  bis  zum  21.  August  anhielt  Schon 
im  Mai  und  Juni  1901  wurde  das  westliche  Erzgebirge  zum  dritten 
Male  innerhalb   eines  fünfjährigen  Zeitraumes   der  Schauplatz  einer 


Erdbeben.  207 

sich  über  mehrere  Wochen  erstreckenden  seismischen  Unruhe,  die  am 
8.  Mai  anhob  und  sich  mit  Einschluß  einer  achttägigen  Ruhepause 
(12. — 19.  Mai)  bis  zum  28.  Juni  erstreckte.  Auch  im  Juli  und  August 
erfolgten  noch  Stöße,  die  von  Enett  in  ihrer  Gesamtheit  ebenfalls 
als  ein,  wenn  auch  lockerer  Schwärm  aufgefaßt  werden. 

Sehr  interessant  ist,  wie  Prof.  Diener  hervorhebt,  bei  diesen 
Erdbebenschwärmen  die  auffallende  Verteilung  der  Stoßpunkte  auf 
bestimmte  Zonen  innerhalb  des  erschütterten  Gebietes.  »Wenn  die 
Erdbeben  des  westlichen  Erzgebirges  einen  tektonischen  Charakter 
besitzen,  das  heißt,  wenn  wir  sie  uns  entstanden  denken  wollen 
durch  Krustenbewegungen  an  Dislokationen  oder  Störungslinien  im 
Bau  des  Felsgerüstes,  so  müssen  wir  unter  den  Erdbeben  solcher 
lange  andauernden  Schwarmperioden  gerade  derartige  in  großer  Zahl 
erwarten,  die  durch  Bewegungen  in  der  Erdkruste  an  derselben 
Störungslinie  entstanden,  jedesmal  dieselben  in  der  Nähe  befindlichen 
Ortschaften  erschüttern.  Solche  bestimmte,  wohl  abgegrenzte  Schütter- 
zonen sind  in  dem  egerländisch-vogtländischen  Bebengebiete  in  der 
Tat  vorhanden.  Sie  ordnen  sich  in  zwei  quer  auf  das  Hauptstreichen 
des  Erzgebirges  gerichtete  NNW — SSO  verlaufende  Zonen  an.  Das 
Zentrum  der  östlichen  Schütterzone  ist  Graslitz,  jenes  der  westlichen 
die  Gegend  zwischen  Brambach-Fleißen  und  Asch.  Die  Längsachse 
des  Gebietes  stärkster  Erschütterung  überschreitet  in  keiner  dieser 
beiden  Regionen  20  /cm,  was  auf  eine  geringe  Tiefe  des  eigentlichen 
Erdbebenherdes  schließen  läßt.  Beide  Schütterzonen  sind  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  selbständig.  In  jeder  derselben  haben  sich 
zahlreiche  Erschütterungen  abgespielt,  die  keinen  nachweisbaren  Ein- 
fluß auf  das  benachbarte  Gebiet  ausgeübt  haben.  Es  ist  aber  auch 
eine  andere,  sehr  eigentümliche  Art  der  seismischen  Betätigung  beider 
Herde  nachweisbar,  indem  sich  in  denselben  häufig  gleichzeitige  Stöße 
ereignet  haben,  deren  Verbreitungsgebiete  durch  eine  zwischen  beiden 
Herden  eingeschaltete  neutrale  Zone  geschieden  werden.  Bei  den 
Erdbebenschwärmen  der  Jahre  1897  und  1900  wurden  wiederholt 
in  der  Schütterregion  von  Brambach  Erdbeben  verzeichnet,  die  in 
Graslitz  ebenfalls  wahrgenommen  wurden,  nicht  aber  in  den  da- 
zwischen liegenden  Stationen.  Ebenso  verblieb  bei  Erschütterungen, 
die  in  Graslitz  ihren  Ausgang  nahmen  und  in  Brambach  gefühlt 
wurden,  die  Zwischenzone  von  Schönbach  als  eine  erdbebenfreie 
Brücke  in  vollständiger  Ruhe.  Uhlig  deutet  solche,  in  beiden  Schütter- 
zonen gleichzeitig  auftretende,  durch  die  Brücke  von  Schönbach 
unterbrochene  Stöße  als  Relaisbeben,  indem  von  dem  einen  Herde 
ausgehende  seismische  Bewegungen  solche  in  dem  andern  Herde 
auslösten. 

Die  Beziehungen  der  transversalen  Schütterzonen  zum  Baue  des 
westlichen  Erzgebirges  sind  unverkennbar.  Eine  ganze  Reihe  der 
wichtigsten  Gebirgsstörungen  folgt  der  gleichen,  quer  auf  das  Haupt- 
streichen des  Gebirges  sich  erstreckenden  Richtung.   Die  Lage  solcher 


208  Erdbeben. 

Transversalstörungen  wird  bezeichnet  durch  die  großen,  das  Erz- 
gebirge gangförmig  durchsetzenden  Eruptivmassen,  wie  der  Granii- 
masse  von  Neudeck  und  der  Porphyrzüge  von  EQostergrab  und  Graupen, 
femer  durch  die  Quarzgange  oder  Pfähle,  die  im  westlichen  Erzgebirge 
und  im  Karlsbader  Gebirge  so  häufig  sind.  Die  Westhälfte  des  Erz- 
gebirges ist  ausgezeichnet  durch  das  Auftreten  zahlreicher  Quarz- 
gänge, die  oft  wie  mit  dem  Lineale  gezogen  fast  geradlinig  die  ver- 
schiedenen archäischen  Schichten  durchsetzen.  Manchmal  haben  sie 
eine  Mächtigkeit  bis  zu  mehrem  Metern  und  ragen  als  sogenannte 
Teufelsmauem  aus  dem  stärker  abgewitterten  Gesteine  ihrer  Um- 
gebung wie  Mauern  heraus.  Sie  sind  die  Ausfüllung  von  Gang- 
spalten und  als  solche  die  Denkmale  großer  linearer  Dislokationen, 
die  das  Gebirge  quer  auf  seine  Streichrichtung  betroffen  haben.  Der 
größte  dieser  Quarzgänge  beginnt  unweit  Asch,  zieht  gegen  Südosten 
quer  durch  den  Granit  und  Glimmerschiefer  des  Fichtelgebirges,  dann 
durch  das  Westende  des  Erzgebirges  nördlich  von  Eger,  verschwindet 
unter  den  jungem  Ausfüllungsmassen  des  Egerer  Beckens,  taucht 
wieder  auf  bei  Sandau  im  Karlsbader  Gebirge  und  endet  bei  Königs- 
waxt,  40  km  von  seinem  nordwestlichen  Endpunkte.  Dem  Streichen 
dieser  Quarzgänge  entspricht  der  Verlauf  der  Schütterzonen  des  west- 
lichen Erzgebirges.«* 

Auch  auf  die  Nähe  jungvulkanischer  Bildungen  im  Egerer  Becken, 
so  der  beiden  Eraptionspunkte  des  Kammerbühls  und  des  Eisenbühls 
und  der  Kohlensäureezhalationen  des  Franzensbader  Moors  weist 
Prof.  Diener  kurz  hin. 

»Bei  dem  Erdbebenschwarme  des  Jahres  1897  in  Graslitzc, 
sagt  er  weiter,  »machte  sich  eine  auffallende  Periodizität  der  Stöße  be- 
merkbar, indem  dieselben  zumeist  auf  die  Morgen-  und  Abendstunden, 
seltener  auf  Zwischenstunden  fielen.  Eine  Beeinflussung  der  Stoß- 
häufigkeit durch  die  Stellung  von  Sonne  und  Mond  nach  Art  der 
Gezeiten  im  Sinne  der  Hypothesen  von  Perrey  und  Falb  ließ  sich 
aber  nicht  nachweisen.  Ebensowenig  war  ein  Einfluß  des  Luftdruckes 
auf  die  seismischen  Erscheinungen  zu  erkennen.  Während  der  Erd- 
bebenperiode des  Jahres  1900  traten  Schallphänomene  in  sehr  aus- 
geprägter Weise  hervor.  Unterirdisches  Rollen,  auch  ohne  von  wahr- 
nehmbaren Erschütterungen  begleitet  zu  sein,  wurde  außerordentlich 
häufig  beobachtet. 

Mit  dem  Eintritte  einer  jeden  der  drei  erwähnten  Erdbeben- 
perioden in  dem  egerländisch-vogtländischen  Schüttergebiete  sind 
Befürchtungen  über  eine  Einwirkung  der  Erdstöße  auf  die  warmen 
Quellen  der  Thermaizone  am  Südfuße  des  Erzgebirges  ausgesprochen 
worden.  Diese  Befürchtungen  haben  sich  bisher  als  unbegründet 
erwiesen  und  dürften  nach  Prof.  Diener  auch  femer  ohne  Grund 
bleiben.  Im  Jahre  1897  hat  Knett  an  den  Thermen  von  Karlsbad 
sehr  sorgfältige  tägliche  Temperatur-  und  Quantitätsmessungen  vor- 
genommen.    Aus   seinen  Beobachtungen   geht  hervor,    daß  die  Erd- 


Erdbeben.  209 

bebenschwanne  des  Oktober  und  November  weder  auf  die  Ergiebigkeit, 
noch  auf  die  Temperatur  der  Karlsbader  Thermen  den  geringsten 
Einfluß  gezeigt  haben.  Ebensowenig  hat  sich  ein  solcher  Einfluß 
bei  den  Erdbebenschwärmen  der  folgenden  Jahre  nachweisen  lassen. 
Die  Berichte  aus  Franzensbad,  Marienbad  und  Konigswart  lauten 
ebenfalls  durchaus  negativ.  Die  volle  Unabhängigkeit  aller  dieser 
Quellen  von  den  egerlandisch-vogUändischen  Erdbeben,  sagt  Prof. 
Diener,    erscheint   durch  zahlreiche  genaue  Beobachtungen  erwiesen. 

Ober  die  Natur  der  BodeDbewegrongreii  in  grofien  Ent- 
fernungren von  dem  Erdbebenherde  verbreitete  sich  Prof.  Milne.^) 
Er  kommt  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  von  einem  Fembeben  stam- 
menden langen  Wellen,  seien  sie  Oberflächen*  oder  Massenwellen, 
die  Horizontalpendel  eher  durch  horizontale  Bodenbewegung  als  durch 
eine  Bodenneigung  in  Schwingung  versetzen.  Blilne  stützt  den  Schluß 
auf  folgende  Wahrnehmungen: 

1.  Die  E[linometer  konnten  bis  jetzt  eine  Bodenneigung  nicht 
nachweisen. 

2.  Wenn  wir  annehmen,  daß  die  Diagramme  der  Horizontal- 
pendel die  Grröße  der  Bodenneigung  in  Winkelmaß  angeben,  und  wir 
aus  der  Periode  der  Wellen,  die  diese  Bodenneigung  verursachen, 
und  aus  der  Qeschwindij^eit,  mit  welcher  diese  Wellen  fortschreiten 
—  bei  Annahme  von  einfacher  harmonischer  Bewegung  — ,  deren 
Länge  berechnen  wollen,  so  haben  wir  alle  Elemente  zur  Ermittlung 
der  Wellenhöhe.  Nun  sind  häufig  die  Höhen  gleich  ein  oder  zwei 
Fuß  und  stellen  anscheinend  ein  Fünfzigstel  der  Beschleunigung  der 
Schwerkraft  dar.  Die  Größe  dieses  Maßes  ist  hinreichend,  um  den 
Verdacht  aufkommen  zu  lassen,  daß  das  den  langen  Wellen  bis  jetzt 
zugeschriebene  Winkelmaß  übertrieben  hoch  gehalten  ist. 

3.  Der  unbedeutende  Nachweis  einer  Vertikalverschiebung  auf 
Grund  der  Experimente. 

4.  Die  Wahrnehmung  Dr.  F.  Omoris,  daß  die  Amplitude  nicht 
abhängig  ist  von  der  Empfindlichkeit  der  Seismographen  für  Boden- 
neigungen, daß  die  Bewegungserscheinungen  von  Fembeben  eher  auf 
transversale  Horizontalverschiebung  als  auf  undulatorische  Wellen- 
arten schließen  lassen. 

5.  Die  wenigen  und  unbedeutenden  Diagramme,  die  von  Pendeln 
nach  dem  Zweifadensysteme  erhalten  worden  sind. 

Von  Wahrnehmungen,  die  aber  das  Gegenteil  bekräftigen,  daß 
nämlich  die  Oberflächenwellen  undulatorische  Wellen  wären,  führt 
Milne  folgende  an: 

1.  Undulatorische  Oberflächenwellen  treten  in  der  innersten 
Schütterzone  auf;  solche  sind  aus  der  Bewegung  des  Wassers  in 
Teichen  und  Seen,    aus  der  Bewegung  der  Blasen  in  Wasserwagen, 


^)  Nature  1902  p.  202;    Erdbebenwarte  2.  p.  201. 
Klein,  Jahrbuch  XIV.  14 


210  Erdbeben. 

aus  der  scheinbaren  Bewegung  der  Sterne  im  Beobachtungsfelde  der 
Teleskope  und  aus  andern  Erscheinungen,  die  viele  Hunderte  von 
Meilen  außerhalb  der  innem  Schütterzone  nachgewiesen  worden  sind. 

2.  Die  beinahe  konstante  Fortpflanzungsgeschwindigkeit,  die  bei 
den  langen  Wellen  ermittelt  worden  ist 

3.  Die  Beobachtungen,  die  nachweisen,  daß  die  Größe  des 
Seismogrammes  abhängig  ist  von  dessen  Empfindlichkeit  für  Boden- 
neigungen. 

Dieser  Schluß  widerspricht  scheinbar  jenem  des  Dr.  Omori. 

4.  Spuren  einer  vertikalen  Bewegung,  die  von  Müne  nachge- 
wiesen wurde. 

Im  Hinblicke  auf  diese  letztem  Bemerkungen  scheint  es  nahe- 
liegend, den  Schluß  zu  ziehen,  daß  die  langen  Wellen  einen  gewissen 
undulatorischen  Charakter  haben,  daß  aber  die  vorausgesetzte  Boden- 
neigung nicht  von  dem  Ausmaße  ist,  wie  sie  gewöhnlich  angenommen 
wird.  In  diesem  Sinne  will  Milne  die  oben  angezogene  Ansicht  er- 
gänzt wissen.  In  den  Diagrammen  der  Fernbeben  sind  zumindest 
zwei,  wahrscheinlich  3  Bewegungsarten  enthalten.  Wie  und  auf 
welche  Weise  dieselben  auj^ezeichnet  werden,  hängt  ganz  vom 
Charakter  des  Instrumentes  ab,  durch  welches  die  Aufzeichnung  er- 
folgt Unter  der  Annahme,  daß  die  Vorphase  Druckwellen  (Com- 
pressions)  darstellt,  welche  ihren  Weg  durch  die  Erde  genommen 
haben,  dürfte  bei  einem  gewöhnlichen,  langperiodischen  Horizontal- 
pendel die  Aufzeichnung  der  Vorphase  durch  eine  Kreiselbewegung 
von  geringer  Amplitude  hervorgerufen  sein.  Die  langen  Wellen  hin- 
gegen, von  denen  man  annimmt,  daß  sie  als  seichte  Undulations- 
wellen  um  die  Erde  in  oder  unterhalb  der  Rinde  derselben  ziehen, 
zeichnen  sich  als  weiterlaufende  Verschiebungen,  die  als  vergrößerte 
Folgeerscheinungen  von  außerordentlich  kleinen  Bodenneigungen  zu 
betrachten  sind.  Ein  Instrument  von  sehr  kurzer  Periode  und  starker 
Vergrößerung  wird  für  die  gleiche  Störung  ein  Bild  au&eichnen,  bei 
welchem  die  einleitende  Vorphasenbewegung  auffallend  groß  ausfallen 
wird,  hingegen  werden  die  langen  Wellen  ungemein  klein  sein  oder 
ganz  fehlen. 

ErdbebenheFdllnien.  Bereits  früher^)  hat  E.  G.  Harboe  sich 
bemüht,  die  Unhaltbarkeit  der  bisherigen  Anschauung  von  einer 
zentralen  Ausbildung  der  großen  Erdbeben,  soweit  die  Erderschütte* 
Hingen  von  einem  einzigen  Punkte,  dem  Epizentrum,  ausgehen,  be- 
sonders mittels  der  Zeitangaben  nachzuweisen.  Daselbst  wurde 
deshalb  als  nächster  Schritt  der  Übergang  zur  Annahme  vorgeschlagen, 
daß  die  Erschütterungen  von  Linien  auf  der  Erdoberfläche,  Erdbeben- 
herdlinien, oder  besser  von  senkrechten  Flächen  durch  diese  Linien 
ausgegangen  seien,  und  in  betreff  mehrerer  Erdbeben  ist  nachgewiesen, 


^)  Vgl.  dieses  Jahrbuch  12.  p.  244. 


Erdbeben.  211 

daß  die  Zeitangaben  für  dieselben  sich  sehr  wohl  in  Übereinstimmung 
mit  dieser  Annahme  bringen  lassen.  Selbstverständlich  muß  daher 
für  jedes  Erdbeben  für  sich  ermittelt  werden,  auf  welche  Weise  es 
entstanden  ist  und  sich  ausgebreitet  hat  Der  Umstand  aber,  daß 
die  Annahme  der  genannten,  linearen  Ausbildungsweise  sich  nun  schon 
für  einander  so  fem  gelegene  Gegenden  wie  Japan,  Vorderindien, 
Osterreich -Ungarn,  die  Schweiz  und  Nordamerika  als  die  annehm- 
barste erwiesen  hat,  macht  ihre  große  Anwendbarkeit  sehr  wahr- 
scheinlich. 

Von  Harboe  wurde  femer  die  Möglichkeit  einer  Anwendung  der 
Isoseismen  zum  Einzeichnen  der  Herdlinien  in  Aussicht  gestellt,  spätere 
Untersuchungen  haben  ihn  indessen  erkennen  lassen,  wie  wenig  tun- 
lich dies  ist,  wenn  man  nicht  nur  die  Hauptzüge,  sondem  auch  die 
Einzelheiten  des  Laufes  der  Isoseismen  berücksichtigen  will. 

Die  Hauptbedingung  für  die  Anwendbarkeit  des  Verfahrens  im 
pleistoseisten  Gebiete  dürfte  darin  bestehen,  daß  die  obersten  Erd- 
schichten in  diesem  Gebiete  eine  große  Gleichartigkeit  besitzen,  und 
die  anscheinende  Anwendbarkeit  desselben  beim  Charlestoner  Erd- 
beben dürfte  eben  daher  rühren,  daß  die  Erdoberfläche  durch  das 
ganze  pleistoseiste  Gebiet  dieses  Erdbebens  hindurch  und  noch  weiter 
über  dasselbe  hinaus  von  mächtigen  lockern  Erdschichten  gebildet 
ist  Außer  den  Wirkungen  der  Erschütterungen  finden  sich  indessen 
im  pleistoseisten  Gebiete  bisweilen  Spuren  von  Bewegungen,  welche 
nicht  als  Wirkungen  der  Erschütterungen  betrachtet  werden  können, 
dagegen  aber  eine  tiefere  Bedeutung  haben  und  deshalb  sehr  zu- 
verlässigen Aufschluß  über  die  Lage  der  entsprechenden  Herdlinien  im 
genannten  Gebiete  geben  müssen.  Hiermit  sind  besonders  die  großen 
Bruchlinien  in  der  Erde  gemeint,  welche  bisweilen  bei  Erdbeben  ent- 
stehen und  dann  oft  als  die  Ursache  des  betreffenden  Erdbebens 
betrachtet  wurden.  Übereinstimmung  zwischen  den  gefundenen  Herd- 
linien imd  den  Terrainformen  leitete  Verfasser  früher  zur  Vermutung, 
daß  die  Herdlinien  sowohl  des  Gharlestoner  Erdbebens  am  31.  August 
1886,  des  indischen  Erdbebens  am  12.  Juni  1897,  des  Agramer  Erd- 
bebens am  9.  November  1880  als  auch  die  des  piemontesisch- west- 
schweizerischen Erdbebens  am  20.  Januar  1891  Zerbrechungen  der 
Erdrinde  wegen  Krümmung  derselben  über  die  Elastizitätsgrenze  hinaus 
angäben.  Weiter  deuteten  die  nähern  Umstände  beim  Agramer  Erd- 
beben darauf,  daß  dieses  Erdbeben  durch  eine  Senkung  der  Erdrinde 
in  den  betreffenden  Gegenden  vei'ursacht  sei.  Denmach  liegt  Ver- 
anlassung zur  Untersuchung  vor,  welche  Verhältnisse  sich  überhaupt 
bei  Erdbeben  geltend  machen  müssen,  wenn  dieselben  durch  lang- 
same Niveauverändemngen  der  Erdrinde  vemrsacht  sind. 

Hiermit  beschäftigt  sich  Harboe  in  einer  zweiten  Studie.^)  Er 
kommt  zu  der  Anschauung,  daß  man  dann  die  Erdbeben  in  2  Haupt- 


^)  Gerland,  Beiträge  zur  Geophysik  1908.  6.  p.  909. 

14* 


212  Brdbeben. 

gruppen  trennen  muß,  nämlich  in  »Hebungsbeben«,  d.  h.  solche,  die 
durch  mehr  oder  weniger  örtliche  Hebungen  verursacht  werden,  und 
in  »Senkungsbebenc,  d.  h.  solche,  die  durch  mehr  oder  weniger  ört- 
liche Senkungen  verursacht  werden. 

Bezeichnet  man  Krümmungen  mit  aufwärts  gerichteter  Kon- 
vexität als  positiv,  solche  mit  aufwärts  gerichteter  Konkavität  als 
negativ,  so  entstehen,  wenn  die  Hebung  oder  Senkung  einer  Fläche 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  getrieben  worden  ist,  »negative  Brucfa- 
linienc  längs  der  negativen  und  »positive  Bruchlinien«  längs  der 
positiven  Krümmungen. 

Aus  dieser  allgemeinen  Betrachtung  geht  also  erstens  hervor, 
daß  man  bei  Erdbeben  positive  und  negative  Herdlinien  voneinander 
unterscheiden  muß,  weil  die  Herdlinien  für  die  Erdrinde  die  erwähnten 
Bruchlinien  werden.  Die  erstem  können  in  der  Erdobeifläche  als 
mehr  oder  weniger  hervortretende  Berstungslinien  und  die  letztem 
als  mehr  oder  weniger  hervortretende  Zerquetschungslinien  erkennbar 
sein.  Sie  können  aber  auch  in  der  Erdoberfläche  ganz  unsichtbar 
sein.  Die  Zerquetschungen  oder  Berstungen  finden  sich  in  solchen 
Fällen  entweder  an  der  innem  Seite  der  Erdrinde  oder  in  den  tiefem 
Schichten  derselben.  Selbst  in  den  Fällen,  wo  die  Herdlinien  eigent- 
lich in  der  Erdoberfläche  erkennbar  sein  sollten,  können  sie  jedoch 
oft  von  den  dickem  oder  dünnern  Erdschichten,  welche  ja  meistens 
die  eigentliche  Erdoberfläche  bilden,  ganz  verborgen  werden,  zu  welcher 
der  beiden  Arten  sie  auch  gehören  mögen. 

Verfasser  führt  eine  Reihe  von  Beispielen  an,  die  als  positive 
und  negative  Erdbebenherdlinien  gelten  müssen.  Er  zeigt  darin,  daß 
die  Herdlinien  eines  Erdbebens  sich  in  2  Gruppen  ordnen  müssen, 
indem  die  einen  radiär  vom  pleistoseisten  Gebiete  ausgehen  und  des- 
halb passend  die  »radiären  Herdlinien«  genannt  werden  können,  die 
andern  aber  dasselbe  Gebiet  umkreisen,  weshalb  man  sie  »periphe- 
rische Herdlinien«  nennen  kann. 

Eine  sichere  Auffassung  des  Charakters  eines  Erdbebens  erhält 
man  erst  mittels  der  Beschaffenheit  der  Herdlinien,  wo  diese  mit 
hinlänglicher  Sicherheit  beurteilt  werden  kann.  Aus  der  Betrachtung 
über  die  Verhältnisse  beim  Krümmen  einer  beliebigen  Platte  geht 
hervor,  daß  die  radiären  Herdlinien  bei  Hebungsbeben  hauptsächlich 
positiv,  die  Senkungsbeben  dagegen  negativ,  die  peripherischen  um- 
gekehrt bei  Hebungsbeben  hauptsächlich  negativ,  bei  Senkungsbeben 
positiv  sein  müssen.  Die  beiden  indischen  Erdbeben  am  16.  Juni  1819 
und  am  12.  Juni  1897,  die  beiden  griechischen  am  26.  Dezember  1861 
und  am  15.  April  1894,  das  Riku-U-Beben,  das  Shonaibeben  und  das 
Mino-Owaribeben  und  wahrscheinlich  auch  das  neuseeländische  Erd- 
beben 1855  werden  sämtlich  Senkungsbeben  gewesen  sein,  dagegen 
werden  das  kalabresische  Erdbeben  am  5.  Februar  1783  und,  weil 
das   kalabresische   Erdbeben   am    16.  November    1894,    wie   es   von 


Erdbeben.  213 

A.  Riccö  DAchgewieseü  ist,  ^)  eine  vollständige,  wenn  auch  etwas  ge- 
schwächte Wiederholung  desjenigen  von  1783  war,  auch  dieses  Erd- 
beben Hebungsbeben  gewesen  sein. 

Vulkanausbrüche  und  sekundäre  vulkanische  Erscheinungen  müssen 
an  die  positiven  Herdlinien  geknüpft  sein,  während  die  negativen 
Krümmungen  der  Erdrinde  dieselben  unterdrücken  müssen.  Harboe 
betrachtet  diese  Verhältnisse  an  der  Hand  vieler  Beispiele  näher  und 
stellt  die  Verbindung  der  Erdbeben  mit  den  jetzt  vorgehenden 
Niveauveränderungen  dar.  Erschütterungen  der  Erdrinde  können 
indessen  auch  vielfach  auf  andere  Weise  als  durch  Niveauverände- 
rungen hervorgerufen  werden.  Der  Reichtum  an  Spalten  in  einer 
verhältnismäßig  sehr  geringen  Tiefe  unter  der  Erdoberfläche,  auf 
welchem  die  Diamantbrunnen  N.  A.  E.  Nordenskjölds  ^  basiert  sind, 
könnte  z.  B.  für  das  Entstehen  von  Erdbeben  durch  Bewegungen 
allein  in  den  obersten  Schichten  der  Erdrinde  sprechen,  welche  durch 
Temperaturveränderungen  usw.  verursacht  wären.  Erdbeben,  welche 
auf  diese  und  auf  andere  denkbare  Weise  verursacht  werden,  sind 
nach  Harboe  wohl  nur  unbedeutend  im  Vergleiche  mit  denjenigen, 
welche  durch  Niveauveränderungen  erzeugt  werden.  Verwechslungen 
können  jedoch  keineswegs  als  ausgeschlossen  betrachtet  werden,  wenn 
man  nur  die  Größe  des  Erdbebens  berücksichtigt  Die  Herdlinien- 
theorie  möge  nun  entweder  gar  nicht  oder  nur  in  mehr  oder  weniger 
geänderter  Q«stalt  auf  diese  andern  Erdbebenursachen  anwendbar 
sein,  so  wird  es  doch  sehr  wahrscheinlich,  daß  sie  ein  wertvolles 
Hilfsmittel  abgeben  wird,  um  die  verschiedenen  Erdbebenursachen 
voneinander  zu  unterscheiden. 

Die  ersten  Resultate  der  Beobachtungen  am  Pendel- 
seismographen im  Pribramer  Bergwerke.  Die  Kaiserliche 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  hat  veranlaßt,  daß  in  zwei 
verschiedenen  Tiefen  des  Pribramer  Bergwerkes  Seismographen  auf- 
gestellt worden  sind.  Einen  Bericht  über  diese  und  die  ersten  Ergeb- 
nisse der  Aufzeichnungen  hat  Dr.  Hans  Benndorf  der  Wiener  Akademie 
eingesandt,  und  teilt  der  Akademische  Anzeiger  daraus  f olgendeff  mit : 

Die  jüngst  erfolgte  Aufstellung  zweier  Seismographen  in  einer 
nicht  unerheblichen  Vertikaldistanz  an  ein  und  demselben  Orte  darf 
insofern  als  ein  Fortschritt  in  der  praktischen  Seismik  angesehen 
werden,  als  damit  überhaupt  zum  ersten  Male  der  Versuch  gemacht 
wird,  Aufschluß  über  die  bei  Erdbeben  eintretenden  Verschiebungen 
im  Innern  der  äußersten  Erdrinde  zu  erhalten. 

Bei  der  Auswahl  der  Apparate  entschied  man  sich,  da  photo- 
graphische Registrierung  aus  praktischen  Gründen  ausgeschlossen 
war,  für  den  Wiechertschen  1200  kg  schweren  Pendelseismographen. 


^)  Rendioonti  della  R.  Accademia  dei  Lincei  1899.  &• 
^  Compt.  rend.  1895.  120. 


214  Erdbeben. 

Es  gelangten  zwei  im  Wesen  identische  Apparate  zur  Aufstellung; 
sie  unterscheiden  sich  nur  dadurch,  daß  der  eine  für  dreitägige,  der 
andere  für  eintägige  Registrierung  eingerichtet  ist 

Die  Montierung  der  Apparate,  sowie  die  Einrichtung  der  ganzen 
Station  war  mit  mannigfachen,  zum  Teile  unerwarteten  Schwierig- 
keiten verknüpft,  so  daß  die  Arbeit  sich  über  ein  Vierteljahr  aus- 
dehnte. Die  Durchführung  ist  überhaupt  nur  möglich  gewesen  durch 
die  ausgiebige  Unterstützung  von  selten  der  k.  k.  Bergdirektion  in 
Pribram. 

Was  zunächst  den  Aufstellungsort  der  Pendel  anlangt,  so  ist 
der  oberirdische  auf  einer  Anhöhe  des  Bickenberges ,  etwa  100  m 
östlich  vom  Adalbertschachte  des  Pribramer  Bergwerkes  in  einem 
eigens  erbauten  steinernen  Häuschen  untergebracht.  Das  Instrument 
steht  auf  einem  Steinpfeiler,  der  auf  dem  4  m  unter  der  Erdober- 
fläche anstehenden  Felsen  fundiert  ist.  In  diesem  Häuschen  befindet 
sich  zugleich  die  Uhr,  welche  die  Eontakte  für  die  hintereinander 
geschalteten  Zeitmarkierungsvorrichtimgen  beider  Pendel  liefert,  die 
verschiedenen  Batterien  und  eine  Telegraphenstation,  mittels  welcher 
in  späterer  Zeit  ein  direktes  Zeitsignal  von  der  Wiener  Sternwarte 
zur  Kontrolle  der  Uhr  übermittelt  werden  soll.  Auch  die  Fixierungs- 
vorrichtung für  die  berußten  Streifen  ist  im  Häuschen  untergebracht. 

Die  elektrische  Verbindung  der  Magnete  der  Zeitmarkierer  beider 
Pendel  ist  durch  2  Kupferdrähte  von  je  2  qmm  Querschnitt  her- 
gestellt und  hat  eine  Länge  von  ca.  2600  m.  Die  Leitung  geht  vom 
Pendelraume  als  Luftleitung  zum  Adalbertschachte ;  im  Schachte  selbst 
sind  die  Kupferdrälite  durch  Blei-  und  Eisenmäntel  vor  zerstörenden 
Einflüssen  geschützt  Vom  Grunde  des  Schachtes  aus  laufen  die  Drähte 
in  einfacher  Quttaperchaumhüllung  weiter  bis  zum  2.  Instrumente. 

Der  obertags  aufgestellte  Apparat  ist  so  justiert,  daß  die  Periode 
der  Eigenschwingung  etwa  18  Sek.,  die  Vergrößerung  250 fach  und 
das  Dämpfungsverhältnis  5  ist 

Die  Bedingungen  für  das  Funktionieren  des  Seismographen  sind 
keine  besonders  günstigen;  erstens  bewirken  die  unvermeidlichen 
Temperaturschwankungen  ein  dauerndes,  sehr  langsames  Hin-  und 
Herwandem  der  Zeiger,  das  vom  Beobachter  täglich  durch  Aus- 
balanzieren  des  Pendels  mittels  kleiner  Gewichte  ausgeglichen  werden 
muß;  zweitens  bewirken  die  Maschinen  der  Erzaufbereitung,  die  etwa 
200 — 300  m  entfernt  ist,  in  den  Tagesstunden  ein  fortdauerndes 
Erzittern  des  Erdbodens,  das  fortdauernde  Ausschläge  des  Instru- 
mentes mit  Amplituden  von  2  mm  und  einer  Periode  von  8 — 9  Sek. 
zur  Folge  hat 

Außerdem  werden  durch  das  Wasch-  und  Quetschwerk  sehr 
rasche  Erschütterungen  des  Bodens  hervorgerufen,  die  an  einer  Ver- 
breiterung der  Kurven  des  Seismographen  während  der  Tagesstunden 
erkenntlich  sind.  Die  Nachtstunden  und  die  Mittagsstunde  sind 
störungsfrei. 


Erdbeben.  215 

Der  Apparat  registriert  seit  1.  Februar  1903;  es  liegen  bis  jetzt 
Diagramme  bis  zum  7.  März  vor. 

Das  unterirdische  Seismometer  ist  in  einer  eigens  ausgesprengten 
und  ausgemauerten  Kammer  untergebracht;  auf  dem  untersten  Hori- 
zonte des  Pribramer  Bergwerkes  führt  vom  Adalbertschachte  ein  blind 
endender  Querschlag  nach  Osten ;  etwa  200  m  vom  Schachte  entfernt 
ist  von  dem  Querschlage  ein  20  m  langer  Gang  nach  Süden  zu 
getrieben,  der  zu  dem  Pendelarme  führt  Das  untere  Instrument  steht 
etwa  1115m  unterhalb  und  50  m  östlich  von  dem  oberirdischen. 
Die  Qesteinsmasse  zwischen  beiden  Pendeln  ist  Grauwacke  und  nicht 
durch  Erz  führende  Gänge  unterbrochen, 

Außer  dem  Seismographen,  der  vorläufig  etwas  geringere  Empfind- 
lichkeit besitzt  als  die  obere,  ist  in  der  Kammer  noch  der  Fixierungs- 
apparat für  die  Diagramme  aufgestellt. 

Von  der  Feuchtigkeit  abgesehen,  die  übrigens  durch  ausgiebige 
Ghlorkalziumtrocknung  bereits  auf  ein  unschädliches  Maß  herabgedrückt 
ist,  sind  die  Funktionsbedingungen  des  untern  Pendels  sehr  günstige 
infolge  der  konstanten  Temperatur  (28^0.);  auch  hat  sich  die  Be- 
fürchtung, daß  die  Dynamitsprengschüsse  im  Bergwerke  stören  würden, 
nicht  erfüllt.  Wohl  infolge  der  kurzen  Dauer  und  kurzen  Periode 
der  durch  die  Schüsse  ausgelösten  Erschütterungen  wurden  sie  vom 
Apparate  nicht  aufgezeichnet. 

Der  unterirdische  Seismograph  registriert  mit  Zeitmarkierung 
seit  dem  24.  Februar;  Diagramme  liegen  bis  zum  6.  März  vor. 

Trotzdem  die  gleichzeitige  Registrierung  beider  Pendel  kaum 
14  Tage  läuft,  läßt  sich  bereits  eine  Reihe  interessanter  Tatsachen 
erkennen,  die  im  folgenden  kurz  erwähnt  werden  mögen. 

Die  Zeitangaben  beziehen  sich  auf  mitteleuropäische  Zeit  und 
können  bis  auf  eine  Minute  falsch  sein,  da  die  Uhr  nur  durch  das 
ziemlich  ungenaue  Mittagszeichen  der  Zweigbahn  Protivin-Zditz  kon- 
trolliert werden  konnte. 

I.  Mikroseismische  Bewegungen  (Pulsationen).  Vom  24.  Februar 
bis  6.  März  sind  täglich  an  beiden  Pendeln  fortdauernde  Pulsationen 
zu  beobachten,  die  an  einzelnen  Tagen  besonders  stark  wurden 
(25.  Februar,  2.  März). 

Der  untere  Apparat  zeigt  entschieden  schwächere  Bewegungen 
an  als  der  obere.  Lokale  Stürme  sind  ohne  Einfluß  auf  die  Pul- 
saüonen. 

n.  Fembeben.  Es  gelangten  an  beiden  Apparaten  eine  Reihe 
von  Fembeben  zur  Registrierung,  von  denen  das  größte  am  26.  Februar. 

Die  Entfemung  des  Epizentrums  dürfte  nach  Dr.  Benndorf  etwa 
4000  km  betragen.  Das  Beben  begann  am  26.  Febmar  um  14^  7 '^ 
und  dauerte  etwa  bis  16^  10™.  Vorbeben,  Hauptbeben  und  Nach- 
beben lassen  sich  etwa  durch  die  Zeiten  14^7™,  15^  12™,  15^* 
25™,   16*»  10™  abgrenzen. 


216  Brdbeben. 

Vergleicht  man  die  Kurven  des  Bebens  am  obern  und  untern 
Apparate,  so  ergibt  sich  das  interessante  Resultat,  daß  sie  in  allen 
Details  genau  miteinander  übereinstimmen  mit  dem  einzigen  Unter- 
schiede, daß  die  Amplituden  unten  etwas  kleiner  sind;  ob  dies  auf 
die  geringere  Empfindlichkeit  des  untern  Pendels  allein  zurück- 
geführt werden  kann,  können  nur  sorgfältige  Ausmessungen  der  Kurven, 
die  viel  Zeit  in  Anspruch  nehmen,  ergeben. 

Auf  jeden  Fall  ist  diese  Übereinstimmung  der  Diagramme  ein 
Zeichen  für  die  staunenswerte  Präzision,  mit  der  die  Apparate  arbeiten, 
und  zugleich,  was  besonders  wichtig  erscheint,  der  erste  Beweis  da- 
für, daß  wirklich  beträchtliche  Massen  des  Erdbodens  gleichmäßig 
in  Bewegung  begriffen  sind.  Auch  die  andern  Fembeben,  die  be- 
deutend kürzer  sind,  geben  beide  Pendel  identisch  wieder. 

III.  Nahebeben.  Es  ist  erwähnenswert,  daß  die  Instrumente  von 
den  nordböhmischen  Erdbeben  fast  nichts  erkennen  lassen.  Nur  mit 
der  Lupe  gelang  es  Dr.  Benndorf,  am  4.  März  um  13^^  50°^  und  am 
T.März  um  19^  22™  charakteristische  Verbreiterungen  der  Kurven 
aufzufinden,  die  Nahebeben  ihren  Ursprung  verdanken;  sie  wurden 
von  beiden  Pendeln  zur  gleichen  Zeit  aufgezeichnet,  und  da  die  ganze 
Verbreiterung  nur  etwa  1  mm  lang  und  0.3  mm  breit  ist,  läßt  sich 
über  das  Intensitätsverhältnis  nichts  aussagen. 

Die  mikroselsmisehe  Pendelunruhe  und  ihr  Zusammen- 
hang mit  Wind  und  Luftdruck  behandelt  E.  Mazelle.^)  Die  kon- 
tinuierlichen Aufzeichnungen  eines  photographisch  registrierenden 
Rebeur-Ehlertschen  Horizontalpendels,  welches  an  der  seismischen 
Station  der  Akademie  der  Wissenschaften  am  k.  k.  astronomisch- 
meteorologischen Observatorium  in  Triest  aufgestellt  ist,  wurden 
herangezogen,  um  außer  der  täglichen  Periode  der  mikroseismischen 
Pendelbewegung  auch  den  eventuellen  Zusammenhang  dieser  schwachen 
Bodenoszillationen  mit  dem  Winde  und  Luftdrucke  festzustellen. 

Nachstehend  werden  in  knapp  gefaßter  Form  die  wichtigsten 
Ergebnisse  dieser  Untersuchungen  mitgeteilt: 

1.  Die  mikroseismische  Pendelunruhe  zeigt  eine  ausgesprochene 
jährliche  Periode,  das  Maximum  im  Winter,  fast  gänzliches  Fehlen 
im  Sommer. 

2.  Die  tägliche  Periode  zeigt  eine  einfache  Schwankung;  das 
Maximum  ist  vormittags  zwischen  9  und  10  Uhr  zu  bemerken,  das 
Minimum  am  Abende  zwischen  9  und  10  Uhr. 

Wird  dieser  Gang  durch  Sinusreihen  dargestellt,  so  zeigt  das  größere 
erste  Glied  (ganztägige  Periode)  eine  volle  Obereinstimmung  der  Phasen- 
zeit mit  jener  für  die  stürmische  Bora  in  Triest  berechneten  Sinusreihe. 

8.  Die  Pendelunruhe  kommt  im  allgemeinen  sowohl  an  Tagen 
mit  hohem,  als  mit  tiefem  lokalen  Barometerstande  vor;  Tage  ohne 
Pendelanruhe  sind  jedoch  mit  größerer  Wahrscheinlichkeit  bei  hohem 


>)  Anzeiger  der  Wiener  Akademie  1908.  2.  p.  10. 


JSrdbeben.  217 

Luftdrücke  zu  beobachten.  Besonders  ausgeprägte  Pendelunruhe  zeigt 
sich  mit  einer  etwas  großem  Wahrscheinlichkeit  mit  niederm  Luft- 
drucke verbunden. 

4.  Ein  direkter  Zusammenhang  mit  der  im  Orte  herrschenden 
Windstärke  läßt  sich  nicht  nachweisen ;  es  kann  nur  hervorgehoben 
werden,  daß  starke  Winde  häufiger  mit  starker  Pendelunruhe  ver- 
bunden auftreten.  An  Tagen  mit  äußerst  schwacher  Pendelbewegung 
sind  kleine  Windgeschwindigkeiten  vorherrschend. 

5.  Sowohl  für  die  Tage  mit  Pendelunruhe  als  auch  für  die  ohne 
mikroseismische  Bewegung  wurden  die  Lage  und  Bewegungsrichtung 
der  Zyklonen  und  Antizyklonen  über  Europa  aufgesucht.  Es  ergibt 
sich,  daß  bei  beiden  Typen  gut  ausgeprägte  barometrische  Maxima 
oder  Bünima  vorzufinden  sind.  Nur  bei  2^/^  sämtlicher  Tage  mit 
Pendelunruhe  kommt  keine  besonders  ausgeprägte  Zyklone  oder  Anti- 
zyklone vor,  während  solche  an  den  Tagen  ohne  Pendelunruhe  auch 
nur  bei  8  von  100  Beobachtungen  fehlen.  Bei  einer  weitem  Trennung 
der  Fälle  läßt  sich  auch  kein  Unterschied  in  der  Luftdruckverteilung 
nachweisen,  im  Gegenteil  eine  ganz  auffällige  Übereinstimmung  bei 
beiden  Typen.  So  finden  sich  z.  B.  Antizyklonen  mit  einem  Baro- 
meterstande von  770  mm  oder  darüber  mit  einer  Wahrscheinlichkeit 
von  0.75  an  den  Tagen  mit  Pendelunruhe  und  mit  einer  Wahrschein- 
lichkeit von  0.76  bei  Pendelrahe.  Für  das  gleichzeitige  Auftreten 
von  barometrischen  Maxima  und  Minima  läßt  sich  eine  Wahrschein- 
lichkeit von  0.46  und  0.47  bei  beiden  Typen,  Pendelunruhe  und 
Pendelruhe  nachweisen.  Nur  für  das  Vorkommen  einer  starken  Zyklone, 
mit  einem  Barometerstande  von  745  mm  oder  darunter,  über  Europa 
ist  die  Wahrscheinlichkeit  an  den  Tagen  mit  Pendelunruhe  etwas 
größer  als  an  den  mikroseismisch  rahigen  Tagen,    0.23  gegen  0.17. 

Wenn  die  Extreme  des  Luftdrackes  über  Europa  untersucht  werden, 
so  zeigt  sich,  daß  der  außerordentlich  hohe  Luftdrack  vorwiegender 
an  den  Tagen  ohne  Pendelunruhe  zu  finden  ist,  die  am  stärksten 
ausgebildeten  barometrischen  Depressionen  hingegen  an  Tagen  mit 
mikroseismischer  Bewegung;  allerdings  ist  der  resultierende  Unter- 
schied sehr  klein,  im  ersten  Falle  10  gegen  17^/^,  im  zweiten  31  gegen  25. 

Werden  die  Luftdrackdifferenzen  in  Rechnung  gezogen,  so  ergibt 
sich,  daß  bei  kleinem  Luftdruckunterschieden  die  Wahrscheinlichkeit 
für  das  Eintreffen  von  mikroseismisch  ruhigen  Tagen  größer  wird, 
bei  den  großem  Luftdrackdifferenzen  hingegen  die  Wahrscheinlichkeit 
für  die  mikroseismisch  bewegten  Tage  zunimmt 

Aus  der  Untersuchung  der  Lage  der  Zyklonen  und  Antizyklonen 
läßt  sich  hervorheben,  daß  die  Lage  der  barometrischen  Maxima  an 
mikroseismisch  ruhigen  Tagen  annähemd  dieselbe  ist,  wie  an  mikro- 
seismisch bewegten  Tagen,  nur  die  Luftdrackminima  würden  an 
mikroseismisch  bewegten  Tagen  mit  größerer  Wahrscheinlichkeit  im 
W,  SW  und  S  Europas  vorzufinden  sein,  während  eine  nordöstliche 
Lage  der  Minima  eher  an  den  Tagen  mit  Pendelrahe  zu  bemerken  wäre. 


218  BrdbebeiL 

6.  Um  einen  eventuellen  Zusammenhang  zwischen  der  Meeres- 
bewegung und  der  mikroseismischen  Pendelunruhe  nachweisen  zu 
können,  wurde  für  12  Orte  der  österreichischen  Küste  der  Seezustand 
herangezogen.  Es  zeigt  sich,  daß  sowohl  an  mikroseismisch  ruhigen 
als  an  mikroseismisch  bewegten  Tagen  glatte,  wie  auch  bewegte  See 
vorkommen  können,  doch  läßt  sich  nachweisen,  daß  für  die  mikro- 
seismisch unruhigen  Tage  mit  größerer  Wahrscheinlichkeit  bewegtere 
See  zu  finden  ist,  hingegen  glatte  See  für  die  mikroseismisch  ruhigen 
Tage  mit  größerer  Wahrscheinlichkeit  vorkommt 

7.  Wenn  berücksichtigt  wird,  daß,  wie  oben  nachgewiesen, 
starke  barometrische  Depressionen  mit  etwas  größerer  Wahrschein- 
lichkeit an  Tagen  mit  Pendelunruhe  vorkommen,  diese  Depressionen 
aber  infolge  ihres  raschen  Vorübergaoges  heftige  Luftdruckänderungen 
mit  sich  bringen,  daß  außerdem,  wie  gezeigt  wurde,  die  im  W,  SW 
und  S  Europas  liegenden  barometrischen  Minima  eher  an  den  Tagen 
mit  mikroseismischer  Unruhe  vorkonmien,  gerade  diese  Zyklonen  aber, 
infolge  ihrer  gewöhnlich  ostwärts  gerichteten  Fortpflanzungsrichtung, 
starke  Schwankungen  des  Luftdruckes  über  dem  Kontinente  hervor- 
rufen, so  drängt  sich  der  Gedanke  auf,  daß  vielleicht  eine  plötzliche, 
starke  Änderung  des  Luftdruckes  als  die  primäre  Ursache  für  die 
mikroseismische  Bodenbewegung  anzunehmen  sei.  Um  einen  dies- 
bezüglichen Zusammenhang  nachzuweisen,  wurde  für  siebzehn  aus- 
gewählte Orte  Europas  die  Änderung  des  Luftdruckes  von  einem  Tage 
zum  andern  bestimmt  und  gefunden,  daß  jeder  Zunahme  der  mikroseis- 
mischen Pendelunruhe  auch  ausnahmslos  eine  größere  Luftdruck- 
änderung entspricht.  Doch  gibt  es  umgekehrt  Fälle  (24  unter  100), 
an  welchen  bei  größerer  Luftdruckdifferenz  eine  mikroseismische  Be- 
wegung nicht  zu  bemerken  ist,  doch  sind  an  diesen  Tagen  entweder 
der  lokale  oder  der  allgemeine  barometrische  Gradient,  meistenteils  beide 
schwach  oder  in  Abnahme  begriffen  und  die  Windstärke  zu  Triest 
stets  klein,    gewöhnlich  von  geradezu  minimaler  Größe. 

Mit  dieser  Untersuchung  wurde  gleichzeitig  der  Vergleich  mit  dem 
allgemeinen  und  lokalen  barometrischen  Gradienten  verbunden  und 
gefunden,  daß  der  Verlauf  der  mikroseismischen  Bewegung  mit  diesen 
Gradienten  sich  lange  nicht  so  übereinstimmend  ergibt,  wie  mit  der 
Änderung  des  Auftdruckes  von  einem  Tage  zum  andern. 

Wenn  wirklich,  wie  es  den  Anschein  hat,  jede  größere  Luftdruck- 
änderung über  Europa  eine  mikroseismische  Bodenbewegung  mit  sich 
bringt,  so  müßte  die  davon  abhängige  Pendelunruhe  auch  an  andern 
Orten  gleichzeitig  zur  Beobachtung  gelangen.  Vergleiche  mit  Straßburg 
ergeben,  aus  den  wenigen  zur  Verfügung  stehende  Daten,  eine  voll- 
ständige Übereinstimmung. 

Ober  die  Ursachen  der  Erdbeben  hat  Prof.  Branco,  gelegent- 
lich einer  Festrede  in  der  Berliner  Universität  seine  Anschauungen  aus- 
gesprochen. Nach  ihm  sind  es  die  antogonistischen  Kräfte  des  Wassers 


Erdbeben.  219 

und  des  Feuers,  welche  Erderschütterungen  veranlassen.  »Diejenigen 
Beben,  welche  dem  Wasser  ihre  Entstehung  verdanken,  sind  nach 
jeder  Richtung  hin  minderwertig,  an  Zahl  sind  sie  ziemlich  gering, 
ihre  Intensität  ist  freilich  manchmal  recht  groß,  aber  ihre  Ausdehnung 
an  der  Erdoberfläche  ist  verschwindend  klein,  ihr  Ausgangsherd  liegt 
in  geringer  Tiefe  und  ist  punktförmig.  Die  Entstehungsursache  liegt 
hier  in  dem  Einstürze  unterirdischer  Höhlen,  vielleicht  auch  einmal 
in  dem  Sichsetzen  ausgelaugter  Schichten,  die  das  Wasser  durch 
seine  auflösenden  Kräfte  schul  Man  nennt  sie  daher  Einsturz- 
beben. Die  zweite  bebenerzeugende  Kraft  ist  die  vulkanische;  nach 
ihr  bezeichnet  man  diese  Art  von  Erderschütterungen  als  vulka- 
nischeBeben.  Wenn  in  den  langen  Ausbruchsröhren  der  Vulkane, 
die  in  die  Tiefe  niedersetzen,  der  SchmelzfluB  in  die  Höhe  steigt 
bezw.  gepreBt  wird,  dann  führt  er  meist  große  Mengen  von  ihm 
absorbierter  Gase  mit  sich. 

Ein  Teil  derselben  stammt  von  der  Urzeit  her,  in  der  die  Erde 
ein  ebenso  heißer,  feuerflüssiger  Ball  gewesen,  wie  die  Sonne  es  noch 
heute  ist  Wie  deren  Elemente  heute  noch  fortwährend  verdampfen, 
so  auch  damals  die  der  Erde;  und  hierbei  wurden  die  Dämpfe 
der  Erde  wiederum  zum  Teile  vom  Schmelzflusse  festgehalten,  ab- 
sorbiert Ein  anderer  Teil  der  Gase  jedoch  entsteht  wohl  erst 
durch  die  Berührung  des  aufsteigenden  Schmelzflusses  mit  dem 
Wasser,  welches  die  Erdrinde  durchtränkt,  das  sich  aber  auch  bis- 
weilen in  weiten  Hohlräumen  der  Erdkruste  in  großem  Massen  an- 
gesammelt findet 

Die  plötzliche  Verwandlung  solcher  großem  Wassermassen  durch 
aufsteigenden  Schmelzfluß  in  Dampf  kann  Explosionen  so  gewaltiger 
Natur  erzeugen,  daß  der  Vulkanberg  zum  großem  oder  kleinem  Teile 
plötzlich  in  die  Luft  fliegt  (Bandai  San).  Hierbei  entsteht  natürlich 
eine  starke  Erschütterung  des  Berges.  Nur  ausnahmsweise  aber 
handelt  es  sich  bei  den  Vulkanen  um  so  gewaltige  und  folgenschwere 
Explosionen.« 

Eine  8.  Art  Erdbeben  sind  die  Dislokationsbeben,  ent- 
stehend durch  die  Bewegung  riesiger  Erdschollen  infolge  des  Prozesses 
der  Abkühlung  des  Erdballes.  Diese  Dislokationsbeben,  die  also 
Folgen  oder  Begleiter  gebirgsbildender  Vorgänge  sind,  sind  heute  die 
häufigsten  imd  ausgebreitetsten.  Sie  waren  es  zweifellos  auch  in 
der  Urzeit,  ja  damals  in  noch  höherm  Maße  als  heute.  Sie  haben 
natürlich  kein  Zentrum,  sondern  ihren  eigentlichen  Herd  bilden  weit- 
hin sich  ziehende  Spaltenwände,  und  man  muß  annehmen,  daß  diese 
Erdbeben  über  gewissen  Linien  entstehen,  die  sich  an  der  Erdober- 
fläche durch  das  erschütterte  Gebiet  hinziehen. 

Branco  verwirft  durchaus  die  Hypothese,  welche  die  Erdbeben 
auf  gewaltige  Springfluten  des  glühendflüssigen  Erdinnem  zurück- 
führen will.  »Trotzdem  aber«,  sagt  er  mit  Recht,  »besteht  wirklich 
die  Möglichkeit,  daß  Sonne  und  Mond  auf  Erdbeben  einwirken  können. 


220  Erdbeben. 

Jedoch  mcht  in  der  Weise,  daß  sie  die  letzte  Ursache  derselben  sind, 
also  dieselben  erzeugen,  sondern  nur  in  der,  daß  sie  beschleunigend 
einwirken  auf  den  Ausbruch  eines  tektonischen  Bebens,  welches  auch 
ohne  dies,  aber  erst  in  späterer  Zeit,  eingetreten  sein  würde.  Denn 
die  feste  Erdrinde  ist  nicht  absolut  starr,  sondern  folgt  der  ver- 
einigten Anziehung  von  Sonne  und  Mond,  wenn  auch  nur  in  mini- 
maler Weise.  Ist  die  Konstellation  nun  so,  daß  besonders  starke 
Springfluten  des  Wassers  entstehen  (Neumond,  Erdnähe  des  Mondes, 
Sonnennähe  der  Erde),  dann  wird  die  ansaugende  Kraft  der  beiden 
Gestirne  in  stärkerer  Weise  auch  auf  die  feste  Erdrinde  wirken.  Wenn 
daher  die  Schollen  der  Erdrinde  an  irgend  einem  Punkte  infolge  der 
Abkühlung  des  Erdinnern  derart  in  Spannung  sich  befinden,  daß  sie 
in  einiger  Zeit  eine  der  vorhin  geschilderten  Bewegungen  oder  einen 
neuen  Bruch  erleiden  würden,  so  kann  durch  die  ansaugende  Kraft 
der  beiden  Gestirne  diese  Bewegung,  bezw.  der  Bruch  sofort  bewirkt 
werden.  Gerade  ebenso  wie  ein  bis  an  die  Grenze  seiner  Tragfähig- 
keit belasteter  Balken  brechen  wird,  sowie  die  Belastung  nur  um 
ein  Geringstes  noch  vermehrt  wird,  so  bricht  dann  die  Erde. 

Wenn  aber  die  Erdrinde  sich  an  dem  betreffenden  Punkte  noch 
nicht  so  nahe  an  diesem  Stadium  befindet,  so  ist  alle  ansaugende 
Kraft  von  Sonne  und  Mond  nicht  imstande,  ein  Erdbeben  zu  erzeugen, 
weil  sie  zu  gering  ist,  um  allein  aus  sich  heraus  solche  Schollen- 
bewegungen hervorzurufen.  So  kommt  es,  daß  der  Eintritt  der  Beben 
sich  eben  nicht  sicher  vorher  berechnen  läßt,  daß  aber  dennoch  manch- 
mal die  Vorherberechnung  wirklich  eintreten  kann. 

Dieselbe  Art  und  Weise  der  Wirkung  hält  Branco  auch  bei  einem 
Cyklon  für  denkbar.  Diese  Wirbelstürme  von  gewaltigem  Durchmesser 
führen  in  ihrem  Innern  einen  wesentlich  geringern  Luftdruck  mit  sich, 
als  in  ihrer  Peripherie.  Sie  wirken  daher  ebenfalls,  wie  Sonne  und 
Mond,  ansaugend  auf  die  Erde,  gleich  einem  riesigen  Schröpfkopfe 
von  mehreren  100  Meilen  Durchmesser.  In  der  Tat  sind  nicht  selten 
Erdbeben  eingetreten,  während  ein  Cyklon  über  die  betreffende  Gegend 
dahinraste,  so  daß  man  nicht  immer  an  ein  zufälliges  Zusammen- 
treffen denken  kann,  sondern  das  Beben  bisweilen  als  Folgewirkung 
des  Gyklons  betrachten  darf. 

Während  so  ein  ohnehin  bevorstehendes,  tektonisches  Beben 
durch  eine  Veränderung  des  atmosphärischen  Gleichgewichtes  zum 
sofortigen  Losbrechen  veranlaßt  werden  kann,  ist,  wie  Branco  meint, 
auch  umgekehrt  das  Erdbeben  imstande,  unter  Umständen  seinerseits 
gewisse  andere  atmosphärische  Veränderungen  zu  erzeugen.  »Durch 
die  aus  der  Tiefe  heraufkommenden  Stöße  erhält  natürlich  auch  die 
auf  der  Erdoberfläche  ruhende  Luftsäule  die  Stöße:  Ober  dem  ganzen 
Gebiete,  das  von  dem  Beben  betroffen  wird,  muß  also  die  Luft  in  die 
Höhe  geschleudert  werden,  und  ganz  besonders  muß  das  im  Epizen- 
trum der  Fall  sein.  Indem  die  Luft  hier  besonders  stark  in  die  Höhe 
geschleudert  wird,  erleidet  sie  plötzlich  eine  entsprechend  starke  Ver» 


Erdbeben.  221 

dünnung.  Damit  aber  geht  eine  plötzliche  Temperaturerniedrigung  Hand 
in  Hand.  Wenn  nun  zufällig  in  hohem  Luftschichten  viel  Wasser«- 
dampf  vorhanden  ist,  so  wird  dieser  sich  schnell  kondensieren.  So 
laßt  es  sich  erklären,  daß  der  vor  dem  Beben  klare  Himmel  sich  nach 
demselben  bisweilen  schnell  mit  Wolken  überzieht,  aus  denen  Regen« 
bezw.  Hagel  niederfällt  Auch  das  Aufzucken  von  Blitzen  läßt  sich 
erklären  durch  die  plötzliche  Kondensation.« 

Diesen  Ausführungen  dürften  die  Meteorologen  aber  schwerlich 
großen  Beifall  schenken,  denn  die  Bodenstöße  sind  in  vertikaler 
Richtung  stets  viel  zu  unbedeutend,  um  merkliche  Luftdruckverände- 
rungen oder  Windstöße  hervorzurufen,  geschweige  denn  dadurch  ver- 
anlaßte  Temperaturerniedrigungen. 

Prof.  Branco  hält  es  für  möglich,  daß  in  unsem  Vorstellungen 
über  die  Entstehungsursache  der  Erdbeben  sich  vielleicht  in  Zukunft 
eine  Verschiebung  in  der  Richtung  vollziehen  werde,  daß,  ganz  wie 
bei  dem  Vulkanismus,  eine  größere  Unabhängigkeit  von  den  gebirgs- 
bildenden  Vorgängen  schließlich  erkannt  würde.  Freilich  nicht  in 
der  Weise  völliger  Unabhängigkeit,  wie  bei  dem  Vulkanismus,  welcher 
auch  durch  eigene  Kraft  des  Schmelzflusses  und  seiner  Gase  sich 
zu  befreien  und  zu  betätigen  vermöge,  denn  das  Erdbeben  werde 
stets  von  einem  der  andern  Faktoren  abhängig  bleiben;  sondern  nur 
in  der  Weise,  daß  die  Abhängigkeit  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
verschoben  würde  von  der  gebirgsbildenden  zu  der  vulkanischen  Kraft. 
Eine  sehr  wesentliche  Stütze  der  jetzt  herrschenden  Anschauung,  nach 
welcher  die  ganz  überwiegende  Ursache  aller  Beben  in  Dislokationen 
zu  suchen  sei,  kommt,  wie  Branco  glaubt,  ins  Wanken.  Gestützt 
auf  die  Methoden,  die  nacheinander  besonders  Mallet,  v.  Seebach, 
Dutton  und  Hayden  angegeben,  hatte  man  die  Überzeugung  gewonnen, 
die  Ausgangspunkte  der  Erdbel^en  seien  in  nur  relativ  geringer  Tiefe, 
zwischen  10 — 20  km  zu  suchen.  Diese  Tiefe  aber  ist  so  gering, 
daß  man  unmöglich  an  die  tiefer  Jiegenden  vulkanischen  Kräfte  denken 
könnte,  während  hingegen  eine  so  geringe  Tiefe  gerade  auf  absinkende 
Schollen,  also  tektonische  Vorgänge  zurückführbar  erscheint  Indessen 
sagt  Branco  mit  Recht,  es  sei  nicht  einzusehen,  warum  eine  ab- 
sinkende Scholle  erst  in  der  Tiefe  von  7  oder  10 — 20  hm  eine  Reibung 
verursachen  sollte.  Es  müsse  doch  bei  Schollenbewegungen  gleich 
von  der  Tagesfläche  an,  oder  doch  nur  wenig  unterhalb  derselben, 
Reibung  eintreten;  und  warum  sollte  diese  Reibung  nur  bis  höchstens 
10 — 20  km  Tiefe  hinab  sich  geltend  machen?  Allerdings  lasse  sich 
unmöglich  diejenige  Tiefe  auch  nur  annähernd  genau  angeben,  bis 
zu  welcher  die  Erdschollen  noch  hart  und  fest  genug  sind,  um  durch 
ihre  Reibung  bei  tektonischen  Vorgängen  noch  erschüttert  zu  werden; 
und  unterhalb  welcher  die  Schollen,  durch  die  Wärme  des  Erdinnem, 
bereits  so  erweicht  sind,  daß  eine  Bewegung  derselben  keine  nennens- 
werte Erschütterung  mehr  erzeuge,  aber  ungefähre  Anschauungen 
werde  man  sich  doch  bilden  können. 


222  Erdbeben. 

Unter  der  Annahme,  daß  die  Gesteine  bei  1200®  C.  schmelzen, 
und  die  Wärmezunahme  nach  dem  Erdinnem  (in  den  obem  Teufen) 
proportional  der  Tiefe  wachse,  für  je  33  m  Tiefe  um  1  ®  C.  findet  sich 
eine  Wärme  von  1200®  G.  erst  in  ungefähr  40000  m  Tiefe;  ganz  ab- 
gesehen von  der  den  Schmelzpunkt  entweder  erhöhenden  oder  er- 
niedrigenden Wirkimg  des  mit  der  Tiefe  wachsenden  Druckes  und 
von  der  den  Schmelzpunkt  jedenfalls  erniedrigenden  Beimengung  von 
Wasser  zum  Schmelzflusse.  Obgleich  sich  daher  auch  eine  unterste 
Grenze  der  Tiefe  nicht  genau  angeben  lasse,  bis  zu  der  hinab  die 
Schollen  noch  hart  genug  seien,  um  bei  starker  Reibung  zu  erzittern, 
so  spreche  nach  obigem  die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dafi  diese  Tiefe 
immerhin  größer  sein  müsse  als  10 — 20000  m,  in  welcher  etwa 
800—600®  C.  Hitze  herrschen. 

Wenn  mithin  gefolgert  wird,  die  bei  einer  Anzahl  von  Erdbeben 
berechnete  Tiefe  des  Herdes  zwischen  10 — 20000  9n  sei  beweisend 
dafür,  daß  hier  ein  tektonisches  Beben  vorliege,  so  erscheint  Prof. 
Branco  dieser  Beweis  nicht  recht  einleuchtend;  vielmehr  müßte  bei 
tektonischen  Beben  der  Ausgangspunkt  in  Tiefen  zwischen  fast  Null 
Meter  und  weit  über  10 — 20000  m  liegen. 

Endlich  bemerkt  Prof.  Branco,  daß  auch  die  ganze  Berechnungs- 
methode der  Tiefe  des  Erdbebenherdes  nicht  einwurfsfrei  ist,  ja  man 
könne  sie  direkt  als  unrichtig  bezeichnen.  Sie  gründe  sich  nämlich 
auf  die  Voraussetzung,  daß  die  Erdbebenwellen  konzentrischen  Kugeln 
von  gleichgroßen  Abständen  angehören  und  die  Stoßstrahlen  senk- 
recht zu  jenen  stehen.  Diese  Annahme  ist  aber  unzulässig,  da  die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Wellen  gleichzeitig  von  der  Elastizität 
und  Dichte  des  Mediums,  in  dem  sie  stattfindet,  abhängt.  Es  muß 
aber  der  Elastizitätsfaktor  mit  wachsender  Tiefe  sich  darum  ändern, 
weil  mit  dieser  der  Druck,  welchem  die  Gesteine  unterliegen,  wächst. 
Daraus  folgerte  Prof.  A.  Schmidt  das  Gegenteil  von  der  bisher  geltenden 
Anschauung  und  zeigte,  daß  die  Homoseisten  nicht  konzentrische, 
sondern  vielmehr  exzentrische  Flächen  sind,  deren  Abstände  nach 
der  Tiefe  zu  größer  werden,  weil  die  Elastizität  mit  der  Tiefe  wächst; 
und  daß  die  Stoßstrahlen  nicht  gerade,  sondern  krumme,  nach  unten 
konvexe  Linien  sind.  So  ergab  sich  eine  völlig  andere  Tiefe  des 
Bebenherdes  als  nach  der  bisherigen  Auffassung.  A.  Schmidt  fand 
in  zwei  bestimmten  Fällen  statt  der  bisher  berechneten  geringen 
Tiefe  von  18  km  eine  solche  von  37 — 74  Äw,  nämlich  bei  dem 
mitteldeutschen  Beben  von  1872.  Sodann  anstatt  der  bisher  be- 
rechneten von  13 — 19  km  die  großen  Tiefen  von  107 — 120  km  bei 
dem  Gharlestonbeben  1886.  Das  aber,  namentlich  letztere,  sind  so 
gewaltige  Tiefen,  daß  Branco  auf  Grund  obiger  Ausführungen  hier 
entschieden  weit  mehr  an  vulkanische  Kräfte  als  an  absinkende 
Schollen  denken  möchte.  Dürfte  man,  sagt  er,  nun  diese  neue  Auf- 
fassung verallgemeinern,  was  aber  natürlich  nicht  ohne  weiteres  an- 
geht, dann  würde  sich  allem  Anscheine  nach   für   sehr  viele   Beben 


Erdbeben.  223 

ein  tiefgelegener  Herd  anstatt  eines  flachen,  folglich  keine  tektonische, 
sondern  eine  vulkanische  Ursache  ergeben.  Namentlich  für  alle 
Beben,  welchen  ein  sehr  großes  Ausbreitungsgebiet  zukommt,  ist 
überhaupt  von  vornherein  eine  große  Tiefe  des  Herdes  und  damit 
eine  vulkanische  Ursache  des  Bebens  wahrscheinlich. 

Maaß  hat  sich  freilich  gegen  diese  von  A.  Schmidt  gegebenen 
neuen  Anschauungen  gewendet.  Er  stützt  sich  auf  einige  Unter- 
suchungen, die  in  Japan  am  Boden  einiger  10 — 18  Fuß  tiefen 
Brunnen  gemacht  wurden.  Dort  soll  sich  auch  gezeigt  haben,  daß 
in  diesen  Tiefen  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Wellen  geringer 
war,  als  an  der  Oberfläche,  und  er  folgert  aus  diesen  Angaben,  daß 
die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  allgemein  mit  der  Tiefe  abnehme. 

Unter  der  willkürlichen  Annahme,  daß  diese  Abnahme  pro- 
portional der  Tiefe  stattfinde,  erhält  Maaß  zwar  natürlich  auch 
exzentrische  Wellenflächen;  aber  deren  Abstand  wird,  im  Gegensatze 
zu  dem  Verhalten  von  A.  Schmidts  Homoseisten,  mit  der  Tiefe 
kleiner;  und  die  Stoßstrahlen  sind  dann  nach  unten  konkav  anstatt 
konvex.  Weil  wir  indessen  über  das  Gesetz,  nach  welchem  diese 
Abnahme  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  nach  der  Tiefe  hin  er- 
folge, noch  nichts  Sicheres  wissen,  so  ist  nach  Maaß  eine  auch  nur 
angenäherte  Bestimmung  der  Tiefe  des  Bebenherdes  bisher  unmöglich. 

Indessen  meint  Branco,  die  unzureichenden  Beobachtungen,  auf 
welche  Maaß  sich  stützt,  genügten  doch  keineswegs,  um  die  Über- 
zeugung zu  entkräften,  daß  mit  zunehmender  Tiefe,  ceteris  paribus, 
die  Elastizität,  folglich  auch  die  Geschwindigkeit  der  Erdbebenwellen, 
größer  werde;  und  um  die  daraus  sich  ergebende  festgestellte  Tat- 
sache zu  entkräften,  daß  vielfach  auch  an  der  Oberfläche  die  Ge- 
schwindigkeit mit  der  Entfernung  vom  Epizentrum  größer  wird.  Sei 
dem  aber  so,  dann  bleibe  die  durch  A.  Schmidt,  im  Gegensatze  zu 
Mallet,  V.  Seebach  u.  a.  berechnete,  sehr  bedeutende  Tiefe  des  Beben- 
herdes völlig  zu  Recht  bestehen.  Damit  jedoch  wachse  nun  der 
Anteil,  welchen  man  den  vulkanischen  Kräften  bei  der  Entstehung 
der  Erdbeben  zuschreiben  müßte.  Ob  man  hierbei  nur  an  Explosionen 
vulkanischer  Gase,  bezw.  von  Wassermassen,  oder  ob  man  auch  an 
Vorgänge  denken  wolle,  wie  sie  A.  Schmidt  auf  dem  Geographen- 
tage in  Jena  als  mögliche  Ursache  der  Beben  anführte  —  Ober- 
kühlung flüssiger  Silikatmassen,  die  unter  rascher  Volumenvergrößerung 
erstarren  —  das  ist  nach  Branco  eine  Nebensache.  Denn  auch  in 
letzterm  Falle  läge  die  Ursache  des  Bebens  nicht  etwa  in  Schollen- 
bewegungen infolge  von  tektonischen  Vorgängen,  d.  h.  die  betreffenden 
Beben  seien  keineswegs  als  tektonische  in  dem  bisherigen  Sinne  zu 
betrachten;  sondern  sie  läge  in  dem  Verhalten  des  Magmas,  sie  wäre 
ipithin  als  eine  vulkanische  anzusehen. 

Auch  Gerland  vertritt  jetzt  die  Ansicht  von  der  vulkanischen 
Natur  vieler,  bisher  für  tektonisch  erklärter  Beben,  weil  der  Herd 
derselben  so  tief  liege. 


224  Erdbeben. 

Indessen  betont  Prof.  Branco,  daß  mit  dem  G^agten  nicht  etwa 
der  Versuch  gemacht  werden  solle,  das  Dasein  tektonischer  Beben 
überhaupt  gänzlich  zu  bestreiten.  Vor  allem  in  den  Fällen,  in 
welchen  bei  einem  Beben  deutlich  erkennbare  Dislokationen  sich 
vollziehen,  werde  niemand  bestreiten  woUen,  daß  es  sich  hier  um 
ein  tektonisches  Beben  handle,  namentlich  dann,  wenn  die  Länge 
der  entstehenden  Spalten  eine  sehr  ansehnliche  ist  Bei  dem  Beben 
in  Beludschistan  1892  betrug  an  einer  viele  Kilometer  langen  Spalte 
die  seitliche  Verschiebung  des  einen  Flügels  gegen  den  andern 
0.2 — 0.3  m,  die  senkrechte  0.6 — 0.7  f».  Das  Beben  vom  Jahre  1894 
in  Lokris  war  verknüpft  mit  der  Bildung  einer  Spalte  von  55  km 
Lange  bei  einem  senkrechten  Absinken  des  einen  Flügels,  welches 
bis  zu  2  M  Höhe  stieg.  In  Japan  bildete  sich  1891  bei  einem  Erd- 
beben eine  Spalte  von  112  km  Länge,  an  welcher  der  eine  Flügel 
gegen  den  andern  sowohl  um  4  m  seitlich,  als  auch  lokal  bis  zu 
5  m  senkrecht  verschoben  wurde.  Die  stärksten  Sprunghöhen  aber, 
zwischen  4  und  8  m  schwankend,  zeigten  sich  an  den  Spalten,  besw. 
Verwerfungen,  welche  1897  mit  dem  gewaltigen  Beben  am  untern 
Brahmaputra  Hand  in  Hand  gingen.  In  diesen  Fällen  ist  die  ent- 
standene Dislokation  eine  so  in  die  Augen  springende,  daß  man  die 
tektonische  Natur  des  Bebens  nicht  bezweifeln  kann.  In  den  über- 
wiegend meisten  andern  Fällen  von  Beben  aber,  die  als  tektonische 
erklärt  werden,  ist  von  der  Verschiebung  einer  Scholle  nicht  das 
mindeste  zu  bemerken.  Es  könnte  hier  also  der  Betrag  der  Ver- 
schiebung, falls  eine  solche  wirklich  vorliegt,  nur  ein  ganz  mini- 
maler sein. 

Wie  will  man  aber  vollends,  fährt  Branco  fort,  mit  einem  so 
unsichtbaren  Betrage  von  Dislokation  das  Auftreten  ganzer  Erdbeben- 
zeiten in  Einklang  bringen,  welche  Wochen,  Monate,  Jahre  lang 
dauern  und  zahlreiche  Stöße  liefern?  Man  sollte  meinen,  daß,  wenn 
in  diesen  Fällen  die  Stöße  durch  die  Bewegung  von  Schollen  ent- 
stehen, dann  auch  die  Zahl  und  Stärke  der  Stöße  im  Einklänge  stehen 
müßte  mit  der  Größe  der  Bewegung  der  Schollen.  Eine  Scholle,  die 
Monate  lang  gleitet,  wenn  auch  mit  Pausen,  sollte  doch  den  Betrag 
der  Abgleitung  erkennen  lassen! 

Man  könnte  freilich  geltend  machen,  sagt  er,  daß  der  Betrag 
in  Wirklichkeit  größer  sei,  als  er  erscheine,  wenn  er  nämlich  in  der 
mächtigen  und  aus  lockerer  Erde  bestehenden  Oberflächenschicht  zum 
Ersterben  gebracht  werde,  so  daß  man  die  Verwerfung  hier  nicht 
mehr  sehe.  Das  ist  denkbar,  sagt  Branco,  aber  soll  es  häufig  der 
Fall  sein,  z.  B.  bei  den  Tausenden  von  Beben  Japans? 

Jedenfalls  ist  in  solchen  Fällen,  in  denen  man  nichts  von  einer 
Dislokation  erkennen  kann,  obgleich  doch  zahlreiche  Stöße  erfolgten, 
der  Beweis,  daß  dennoch  ein  Dislokationsbeben  vorliegt,  nicht  leicht 
zu  erbringen  und  die  Möglichkeit  hier  immer  noch  vorhanden,  daß 
die  Ursache  eine  andere,  also  eine  vulkanische  sein  könnte. 


Erdbeben.  226 

Völlig  außer  Augen  dürfe  man  aber  auch  die  Möglichkeit  nicht 
lassen,  daß  selbst  eine  lange  und  mit  deutlicher  Senkung  des  einen 
Flügels  verbundene  Spalte  ihre  Entstehungsursache  nicht  ausnahms- 
los notwendig  immer  in  seitlichem  Drucke,  also  in  gebirgsbildenden 
Vorgangen  haben  müsse,  sondern  daß  ihre  Ursache  auch  in  der 
senkrechten  Heraufwirkung  vulkanischer  Druck-  oder  Stoßkräfte 
immerhin  liegen  könnte.  Wenn  nämlich  beispielsweise  die  so- 
genannten Lakkolithe  wirklich  die  Kraft  besitzen,  die  Erdrinde  über 
sich  hochzuheben,  werden  sie  natürlich  ein  Zerbrechen  der  über- 
liegenden Erdrinde  und  damit  ein  Erdbeben  verursachen  müssen. 
Das  Beben  wäre  aber  in  diesem  Falle,  trotz  Spaltenbildung,  kein 
tektonisches,  d.  h.  durch  Seitendruck  hervorgerufenes,  sondern  beides, 
Spalte  wie  Erdbeben,  wären  vulkanischer  Entstehung ! 

Das  alles  sind  nach  Prof.  Branco  Gründe,  welche  später  viel- 
leicht einmal  zu  der  Ansicht  hinführen  werden,  daß  man  den  Anteil 
der  tektonischen  Vorgänge  an  der  Erzeugung  von  Erdbeben  jetzt 
überschätzt  und  denjenigen  vulkanischer  Vorgänge  dabei  unterschätzt 

Noch  andere  Gründe  scheinen  Prof.  Branco  für  solche  Auffassung 
2U  sprechen.  Vulkanische  Beben  »im  engem  Sinnet  sind  solche, 
deren  vulkanische  Ursache  niemand  bestreiten  kann;  von  diesen  möchte 
er  aber  vidkanische  Beben  »im  weitem  Sinne«  unterscheiden,  weil 
auch  sie  einen  der  Gründe  für  die  Ansicht  liefern,  daß  man  in  dieser 
Frage  nicht  zu  sehr  das  tektonische  auf  Kosten  des  vulkanischen 
Prinzips  vergrößem  dürfe. 

Unter  vulkanischen  Beben  »im  weitem  Sinne«  möchte  er  solche 
verstanden  wissen,  die  nicht  an  die  nächste  Nähe  eines  speziellen 
tätigen  Vulkanes  geknüpft  sind,  sondem  relativ  fem  von  Vulkanen 
vorkommen,  aber  dennoch  durch  den  Schmelzfluß,  bezw.  seine  Gase 
oder  den  durch  ihn  erzeugten  Wasserdampf  hervorgerufen  werden  und 
die  Hömes  kryptovulkanische  nannte. 

Das,  was  man  bei  einem  Vulkane  als  mißglückte  Ausbmchs- 
versuche  des  Schmelzflusses  bezeichnet,  werde  man  vielleicht  mit 
demselben  B>echte  schon  zu  diesen  Beben  »im  weitem  Sinne«,  wie 
zu  denen  »im  engern  Sinne«  rechnen  können.  Jedenfalls  bildeten 
sie  den  Obergang  von  der  erstbetrachteten  Gruppe  zu  der  nun  zu 
betrachtenden  zweiten.  Solche  mißglückten  Ausbruchsversuche  könnten 
sich  ereignen,  sowohl  bei  nur  scheintoten  Vulkanen,  als  auch  bei 
solchen,  die  wirklich  erloschen  sind,  in  deren  Tiefe  aber  der  Schmelz- 
fluß doch  noch  lebendig  ist  Beide  Falle  schließen  sich  so  nahe  an 
die  früher  betrachteten  vulkanischen  Beben  im  engem  Sinne  an,  daß 
man  sie  von  diesen  gar  nicht  scharf  abtrennen  kann. 

Zu  dieser  Klasse  von  Erdbeben  rechnet  Prof.  Branco  auch  jenes 
von  Ischia,  durch  welches  Gasamicciola  zerstört  wurde.  Er  meint, 
dasselbe  sei  nichts  anderes,  als  durch  Explosionen  ihrer  Gase  hervor- 
gerufene Ausbruchsversuche,  die  schließlich  auch  von  Erfolg  gekrönt 
sein  würden   und   der  Insel  dann  das  gleiche  Los  bereiten  könnten. 

Klein,  Jahrtrach  XIV.  15 


226  ^dbeben. 

welches  Hercolanum  und  Pompeji  durch  den  Vesuv  im  Jahre  79  n.  Chr. 
erlitten  haben. 

Derartige  Ausbnichsrerenache  könnten  natürlich  nicht  blofi  unter 
erloschenen  Vulkanen  sich  vollziehen,  sondern  auch  in  irgend  einer, 
von  Vulkanen  weit  entfernten  Qegend  und  dann  so  lange  fortdauern, 
bis  dort  ein  neuer  Vulkan  entstand.  Das  sei  nun  der  Typus  der- 
jenigen Erschütterungen,  die  er  mit  dem  Ausdrucke  vulkanische 
Beben  »im  weitem  Sinne c  beieichnen  möchte.  Ein  solches  Erdbeben 
sei  ürs&ohlioh  ganz  dasselbe,  wie  ein  vulkanisches  »im  engem  Sinnec, 
nur  die  Lage  sei  eine  verschiedene,  da  letzteres  an  einen  beaümmteai 
Vtdkanberg  gebunden  sei,  ersters  aber  nicht,  weil  dort  ein  solcher 
noch  gar  nicht  vorhanden  ist,  und  es  fraglich  bleibe,  ob  er  sich  da- 
selbst jemals  bilden  werde. 

Auch  auf  dem  Meeresboden  vollziehen  sich  Ausbrüche  und  Aus- 
bruchsversuche, also  vulkanische  Beben  im  engem  und  im  weitem  Sinne. 

Natürlich  wird  es  häufig  schwer  sein,  festzustellen,  ob  ein 
vulkanisches  Beben  im  weitem  Sinne  oder  ein  tektonisches  vorliegt, 
weil  Vulkanbildung  mit  Spaltenbildung  vielfach,  aber  nicht  immer, 
eng  verknüpft  ist.  Wo  entstehende  und  tief  hinabgreifende  Spalten 
dem  Schmelzfluß  einen  Ausweg  von  vornherein  anbieten,  wird  dieser 
Ausweg  auch  meist  benutzt,  dann  steigt  der  Schmelzfluß  auf,  oder 
er  wird  heraufgedrückt,  und  seine  Gase  explodieren.  Wo  dies  aber 
der  Fall,  tritt  eine  Verquickung  von  vulkanischen  und  tektonischen 
Beben  ein,  und  es  wird  häufig  sehr  schwer  sein,  zu  entscheiden, 
welches  der  beiden  Momente  den  großem  Anteil  am  Zustandekommen 
des  Erdbebens  hat:  ob  die  Erschütterung  mehr  eine  tektonische,  durch 
das  Aufreißen  der  Spalte  hervorgerufene  ist  oder  mehr  eine  vulka- 
nische, durch  Explosionen  bedingte.  Diese  Schwierigkeit  muß  vor 
allem  da  eintreten,  wo  sich  die  Vorgänge  submarin  vollziehen,  man 
sie  also  nicht  unmittelbar  beobachten  kann. 

Auch  diese  Betrachtungen  über  die  Erdbeben  führen  schließlich 
zu  der  Frage,  ob  denn  die  Spaltenbildung  zu  der  Entstehung  der 
Erdbeben  notwendig  immer  in  einem  und  demselben  konstanten  Ver- 
hältnisse von  Ursache  und  Wirkung  stehen  müsse,  und  ob  man  not- 
wendig immer  folgern  müsse,  daß,  wenn  bei  einem  Beben  eine  Spalte 
Aufreißt,  das  Beben  die  Folge  dieser  Spaltenbildung  sei?  Diese  Frage, 
sagt  Branco,  wird  man  geneigt  sein,  ohne  weiters  zu  bejahen;  dennoch 
könnte  sehr  wohl  auch  umgekehrt  einmal  die  Spaltenbildung  Folge 
eines  Erdbebens  sein. 

Vulkanismus. 
Der   Attsbrueh   des  Vesuv   im  Frfibjahpe  1908.     Prot 
G.  Mercalli  gab  hiervon  eine  Darstellung.')     Im  Januar  und  in  der 
1.  Hälfte   des   Febraar   war  die  Tätigkeit   gering;    am   20.  Februar 


^)  Eidbebehwarte  2.  Nr.  11  und  12. 


lus.  227 

bildete  sich  am  Grunde  des  Kraters  eine  neue  Öffnung,  aus  der  leicht- 
flässige  Lava  geschleudert  wurde.  Dieselbe  bildete  in  einigen  Tagen 
einen  Auswurfskegel  neben  dem  Zentrum  des  alten  Kratergrundes  von 
einer  sehr  regelmäßigen  Form.  Während  dieser  Ausbrüche,  weldie 
immer  yon  einer  kurzen  Detonation  wie  ron  einem  starken  Gewehr- 
schüsse begleitet  waren,  banerkte  Mercalli  auch  das  Auftreten  von 
Rauchringen.  Die  Entladungen  nahmen  gegen  die  ersten  Tage  des 
Monats  März  an  Stärke  beständig  zu,  so  daß  am  6.  März  das  Gktose 
aus  dem  Krater  bis  St  Vito,  das  ist  5  Am  weit,  vernommen  wurde. 
Die  Kraftent£altung  des  Vulkanes  erreichte  eine  außergewöhnliche 
Heftii^eit  vom  9. — 15.  März,  und  zwar  mit  dem  Maximum  am 
10. — 12.  März.  Innerhalb  dieser  3  Tage  wurde  das  Getöse  aus  dem 
Krater  in  allen  Orten  am  Fuße  des  Vulkanes  wahlgenommen,  in  der 
Nacht  des  11.  März  sogar  leicht  in  Neapel  In  Resina  machten  die 
Detonationen  Fenster  und  Türen  zittern.  Auf  der  untern  Station  der 
Drahtseiibahn  am  Vesuv  öffneten  sich  die  Türen,  der  Boden  zitterte 
ganz  deutlich,  so  daß  die  Betten  und  die  aufgehängten  Gegenstände 
sohwankten;  insbesondere  wurde  dies  bei  den  zwei  stärksten  Ent- 
ladungen beobachtet,  welche  am  10.  März  um  20^  30"^  und  am 
12.  Mära  um  4^  30''^  aufgetreten  sind.  In  der  Nacht  wiederholten 
«ich  starke  Entladungen  in  kurzen  Intervallen  von  einer  Minute  etwa, 
indem  in  hohen  Säulen  zusammenhängende  glühende  Massen  aus- 
:geworfen  wurdki,  gewöhnlich  in  eine  Höhe  von  200  m,  oder  besser, 
es  erfolgten  Auswürfe  (Explosionen)  von  glühenden  Lavaschlaeken 
von  geringerer  Höhe,  aber  m^r  auseinandergestreut,  so  daß  sie  beim 
Niederfallen  den  ganzen  Kraterrand  bedeckten,  und  der  Krater  danach 
ringsherum  glühend  erschien,  als  wenn  die  Lava  allseitig  über  den 
Kraterrand  ausgeflossen  wäre.  Häufig  erschienen  gleichzeitig  2  Streuten 
iglühender  Schlacken  auf  dem  äußern  Mantel  des  Auswurfekegels  an 
der  N<Nrd«  und  Südseite.  Dieser  Umstand  beweist,  daß  im  Innern 
des  Kraters  zwei  tätige  Eruptionsöffnungen  vorhanden  waren,  und 
erklärt  auch,  warum  häufig  nach  einem  Auswurfe  glühender  Massen 
gleich  darauf  ein  zweiter,  häufig  viel  stärkerer  folgte.  Durch  3  Nächte 
(10.,  11.  und  12.)  war  der  Widerschein  der  glühenden  Massen  un- 
unterbrochen sichtbar.  Die  Temperatur  des  ausgeworfenen  Materiales 
mußte  bei  dieser  Eruptionsphase  ungeheuer  groß  gewesen  sein,  da 
Verf.  auch  bei  Tage,  insbesondere  am  12.  März  um  8  Uhr  von  Neapel 
aus,  also  auf  eine  Distanz  von  14  Am,  den  vollkommen  glühenden 
Zustand  der  Eruptionsmasse  beobachten  konnte. 

Am  13.  naAunen  die  Entladungen  an  Heftigkeit  ab,  aber  gleich- 
zeitig änderte  mA  der  Charakter  derselben,  indem  große  Mengen  von 
Asche  sowie  Steine,  die  nur  t^welse  glühend  waren,  ausgeworfen 
wurden.  Auch  das  Getöse,  welches  auf  große  Entfernungen  hin 
vemehmbtur  gewesen  war,  hörte  auf.  Am  13.  und  14.  März  waren 
die  Entladungen  noch  sehr  stark  und  begleitet  von  hohen,  dichten, 
schwärzlichen  Pinienbildungen  bis  zur  blumenkohlartigen  Form. 

15» 


228 

In  der  Nacht  des  14.  Man  mericte  man  eine  deutliche  Abnahme; 
aber  am  15.  hatte  die  Kndi  der  Entladung  wieder  zugenommen, 
immeihin  verblieb  sie  aber  schwächer  als  in  den  Tagen  yom  10. — 12. 
des  genannten  Monates. 

Am  15.  nnd  16.  Mara  stand  Verl  lange  Zeit  anf  dem  Gripfel 
des  Vulkanes,  es  war  ihm  aber  unmöglich,  den  Rand  des  Kraters 
vom  Jahre  1872  zu  überschreiten.  Er  konnte  feststeUen,  daß  im 
Innern  des  Kraters  zwei  tätige  Offnungen  vorhanden  waren,  aus 
welchen  hier  und  da  gleichzeitig  Eruptionen  verschiedener  Natur  ei^ 
folgten,  und  zwar  war  die  Öffnung  im  Norden  vulkanisch  tätig, 
die  im  Buden  gelegene  warf  kleine  Fetzen  von  glühender  und  flüssiger 
Lava  aus. 

Das  ausgeworfene  Material  der  großen  Eruptionen  am  9.  und 
13.  März  bestand  zum  großen  Teile  aus  elliptischen,  gedrehten  Bomben 
oder  war  von  andern  verschiedenartigsten  Formen;  die  großen  Stücke 
der  schlackenartigen  Lava  waren  meistens  ungeformt  oder  hatten  die 
Form  von  gequetschten  Brotlaiben,  deren  Durchmesser  häufig  1  m 
und  mehr,  fast  2  m,  betragen  hat  Nachdem  sie  auf  den  Boden 
niedergefallen,  waren  sie  noch  immer  ganz  teigartig  weich. 

Außerdem  gab  es  eine  große  Menge  von  äußerst  porösen  faserigen 
Laven  von  zweierlei  Farben;  die  eine  graublau-gelblich,  die  andere 
schwarzüch.  Die  erstem  waren  sehr  leicht,  wie  fest  gewordener 
Schaum,  die  letztem  fast  ganz  bedeckt  von  einem  glasartig  glänzenden 
Anfluge,  der  in  vielen  Punkten  in  sehr  lebhaften  Farben  irisierte. 
Von  den  Farben  war  die  violette,  ins  Grünliche,  Blaue  oder  Gelbe 
spielend,  vorherrschend. 

Schließlich  wurden  während  der  letzten  vulkanischen  Ausbrüche 
am  14.  März  ausschließlich  schwere  Massenstücke  ausgeworfen, 
häufig  nicht  ganz  kugelförmig,  auch  nicht  gedreht,  weil  dieselben  im 
Innern  noch  glühend,  beim  Auswurfe  aber  oberflächlich  schon  eihärtet 
und  geborsten  waren. 

Diese  Eraptionsphase  hielt  im  letzten  Drittel  des  März  noch  an. 

Der  Mont  Pel6  ist  im  März  1903  von  Dr.  K.  Sapper  besucht 
worden.^)  Die  Besteigung,  die  w  in  Begleitung  von  Dr.  G.  Wegener 
ausführte,  bot  keine  Schwierigkeiten  dar,  und  die  Reisenden  waren 
ganz  erstaunt,  als  sie  plötzlich  vor  sich  die  unheimliche,  gewaltige 
Felsnadel  des  Mont  Pelekraters  erblickten.  Noch  ein  paar  Schritte 
in  beschleunigter  Chuigart,  und  sie  befanden  sich  auf  der  etwa  150  m 
breiten,  von  Gesteinsblöcken  und  Bomben  übersäeten  Fläche,  an  deren 
Stelle  sich  ehemals  der  Lac  des  Palmistes  ausgedehnt  hatte,  und 
sahen  vor  sich  in  voller  Größe  das  mächtige,  eigenartige  Felsgebüde 
des  Konus,  das  einen  gewaltigen  Eindrack  machte.  Zur  Rechten 
erhob  sich  ein  gekrümmter  Berggrat,  der  eine  Art  Ringwall  um  den 

^)  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde,  Berlin  1908.  p.  375. 


Vulkaniamus.  229 

Krater  darstellt  und  damit  diesem  gegenüber  dieselbe  RoUe  spielt, 
wie  die  Somma  dem  Vesuv  gegenüber.  Die  Reisenden  gingen  an 
den  Eraterrand  selbst  heran  und  betrachteten  die  merkwürdige  Bildung 
des  Kraters.  Vor  ihnen  dehnte  sich  ein  sichelförmig  gekrümmter 
Graben  von  etwa  100  m  Breite  und  50  m  Tiefe  aus;  daraus  stiegen 
weiAe  Dampfwolken  und  bläuliche  Qasexhalationen  an  bestimmten 
Stellen  auf,  und  starker  Schwefelwasserstof^ruch  verriet  die  Natur 
eines  Teiles  der  geförderten  Gase.  Jenseits  des  Grabens  erhob  sich 
aus  dem  Gipfel  eines  Schuttkegels  mit  ungeheuer  steilen  WändeUi 
die  auf  der  Südseite  sogar  senkrecht  waren,  die  großartige  Felsnadel 
des  Pele  noch  etwa  250  m  frei  in  die  Lüfte.  »Wie  glatt  gemeißelt 
sieht  man  die  Felswände  emporstarren,  ein  langer  Vertikalriß  zog  sich 
weithin  durch  die  einheitliche  Felsmasse  hin;  ihre  gelbbraune  Ober- 
fläche ist  vielfach  unter  einem  weißen  Anfluge  versteckt,  der  von 
weitem  sich  wie  Schnee  präsentiert  Woraus  dieser  weiße  Anflug 
besteht,  weiß  ich  nicht  zu  sagen;  die  Anwohner  versichern,  daß  die 
weißen  Flächen  sich  bei  anhaltendem  Regenwetter  wesentlich  ver- 
ringern. Der  Anflug  wird  also  zum  Teil  abgewaschen,  löst  sich  aber 
offenbar  in  Wasser  nicht  oder  nicht  leicht  auf.  Von  Zeit  zu  Zeit 
stürzten  größere  Felspartien  in  Form  kleiner  Bergstürze  von  der  Fels- 
nadel ab  und  rollten  ihre  Trümmer  auf  dem  Schuttkegel  abwärts 
unter  lautem  Gepolter  —  aber  sonst  war  alles  still  und  ruhig;  nur 
die  Nebel  wogten  ruhelos  über  uns  hinweg,  und  leider  dauerte  es 
nicht  lange,  so  hatten  sie  auch  den  Krater  und  die  stolze  Felsnadel 
unsem  Blicken  entzogen.  Ich  ging  den  südlichen  Kraterrand  ent- 
lang, später  auch  den  nördlichen,  um  noch  einen  Blick  auf  den 
Krater  zu  erhaschen;  es  war  vergeblich,  und  so  blieb  uns  denn  nichts 
übrig,  als  nach  einem  behaglichen  Frühstücke  an  der  Stelle  des  ehe- 
maligen Lac  des  Palmistes  wieder  den  Rückweg  anzutreten. 

Ein  paar  Tage  später  hatte  Dr.  Sapper  Gelegenheit,  vom  Obser- 
vatorium von  Fonds  S.  Denis  aus  einen  Ausbruch  des  Mont  Pele  zu 
beobachten.  »Wir  saßen,  c  sagte  er,  »im  Freien  vor  den  Gebäuden  des 
Observatoriums,  als  ich  plötzlich  einen  Glutschein  an  der  Felsnadel 
des  Pele  wahrnahm.  Bald  darauf  stieg  auch  unter  leichtem  Geräusche 
eine  beträchtliche  grauweiße  Aschen-  und  Dampfwolke  mit  großer 
Geschwindigkeit,  wirbelnd  und  quirlend,  empor,  und  wenige  Sekunden 
später  sahen  wir  unter  der  weißen  Nebelwolke,  die  den  Fuß  des 
Konus  verhüllte,  eine  ähnliche  bräunlichgraue  Aschenwolke  mit  der 
charakteristischen  wirbelnden  Oberfläche  der  Eruptionswolken  hervor- 
brechen und  mit  großer  Geschwindigkeit  im  Tale  der  Riviere  Blanche 
abwärts  rollen,  während  die  aufsteigende  Wolke  sich  in  den  bekannten 
blumenkohlähnlichen  Formen  höher  und  höher  erhob  und  dabei  zu- 
gleich immer  weiter  ausbreitete,  bis  sie  in  einer  Höhe  von  etwa 
8400  m  über  dem  Krater  stationär  wurde.  Gleichzeitig  war  aber  die 
absteigende  Wolke,  die  nach  meiner  Schätzung  kaum  mehr  als  etwa 
50-100  911  Höhe  besaß,  rasch  und  lautlos  talabwärts  gerollt     Ihre 


280  Vulkanismus. 

Bewegung  glich,  abgesehen  von  den  sekundären  Wirbehi,  ganz  und 
gar  der  einer  Flüssigkeit;  als  die  Wolke  ein  etwas  höher  aufragendes 
Hindernis  traf,  teilte  sie  sich  und  umging  dasselbe  auf  beiden  Seiten 
und  schloß  sich  dahinter  wieder  zusammen,  bis  die  nachfolgend^i 
machtigen  Wolkenteüe  die  so  gebildete  Insel  überfluteten  und  die 
Einheit  des  ganzen  Gebildes  wiederherstellte.  Die  ganze  Erscheinung 
zeigte  ein  Bild,  wie  wenn  schwere  Qase  mit  Asch«i  und  sonstigen 
Auswiurfsstoffen  beladen  hier  abwärts  flössen;  jedoch  mochte  gerade 
die  Wucht  der  festen  Auswtirfsstoffe  an  der  bedeutenden  Anfangs* 
geschwindigkeit  schuld  sein.  Daß  die  schweren  Gase  aber  auch 
große  Mengen  leichterer  Gase  und  Dämpfe  mit  sich  gerissen  hatten, 
zeigte  sich  bald.  Denn  als  die  absteigende  Wolke  etwa  in  halber 
Höhe  des  Berges  mit  Erreichen  der  flachern  Böschung  langsamer 
▼orzuschreiten  begann,  löste  sich  eine  aufsteigende  Wolke  gleicher 
Farbe  und  mit  gleicher  wirbelnder,  blumenkohlähnlicher  Oberfläche 
von  ihr  los  und  stieg  höher  und  höher,  bis  sie  schließlidi  die  Krater- 
wolke ganz  wesentlich  an  Höhe  übertraf.  Da  der  Nachschub  für  die 
absteigende  Wolke  allmählich  an  Masse  und  Schnelligkeit  nachließ, 
so  stiegen  nun  auch  von  dem  rückwärts  liegenden  Teile  der  ab- 
steigenden Wolke  Gase  und  Dämpfe  auf,  die  allmählich  eine  Brücke 
zwischen  den  beiden  Wolkengipfeln  herstellten.  Die  absteigende  Wolke 
rollte  inzwischen  immer  langsamer  und  langsamer  abwärts,  indem 
sie  mit  ihren  Wirbein  alle  Unebenheiten  des  Bodens  vollständig  aus- 
füllte. Allmählich  wurde  ihre  Bewegung  scheinbar  schleichend  lang- 
sam, die  oberflächlichen  Wirbel  verloren  ebenfalls  immer  mehr  ihre 
Energie,  und  als  die  Gesamtwolke  endlich  nach  mehrem  Minuten 
das  Meer  erreicht  hatte,  schob  sie  sich  nur  noch  ganz  allmählich  in 
dasselbe  hinaus,  wobei  sie  aber  schließlich  doch  eine  ganz  ansehn- 
liche Entfernung  von  der  Küste  erlangte  —  ich  sdiätzte  sie  auf 
etwa  3 — 4  km.  Die  oberflächlichen  Wirbel  hatten  aufgehört,  die 
ganze  Wolke  hatte  ein  gleichförmiges  Grau  angenommen  und  begann 
sich  da  und  dort  vom  Boden  zu  erheben,  wobei  die  weißschimmemde 
Asche,  die  sich  eben  abgelagert  hatte,  sichtbar  wurde.  Mit  großer 
Aufmerksamkeit  hatten  wir  alle  die  Bewegungen  der  absteigenden 
Wolke  verfolgt,  waren  doch  alle  Beobachter  darüber  einig,  daß  die 
fatale  Glutwolke  vom  8.  Mai,  trotz  ihrer  unvergleichlich  viel  großem 
Wucht  und  hohem  Temperatur,  doch  in  ganz  gleicherweise  zu  Tal 
gestiegen  war.  Als  wir  die  Wolke  so  lautlos  niederrollen  sahen, 
mußten  wir  daran  denken,  wie  trefflich  Kapitän  Freeman  von  der 
»Roddam«  die  Sache  charakterisierte,  als  er  sagte,  er  müßte  beim 
Herannahen  der  Wolke  an  die  Katze  denken ,  welche  die  Maus  be- 
schleicht 1 

Leider  wissen  wir  noch  immer  nicht,  aus  welchen  Gasen  die 
Ausbrachswolken  des  Mont  Pele  bestehen,  und  es  scheint  mir,  daß 
es  nur  dadurch  möglich  sein  würde,  dem  Geheimnis  auf  die  Spur 
zu  kommen  und  etwas  Näheres  über  die  Wolke  zu   erfahren,   wenn 


Vulkanismas.  231 

besonders  konstruierte  Registrieiinstrumente  und  mit  R^agens- 
flussii^eiten  gelülhe  Gefäße  in  der  Bahn  der  absteigenden  Ausbruchs- 
wott:en  aufstellte  und  nach  den  einzebien  Eruptionen  genau  prüfte. 

Hereinbrechende  Dunkelheit  verhinderte  uns,  die  weitem  Schick- 
sale unserer  Ausbruchswolke  im  einzelnen  zu  verfotgen,  und  wir 
konnten  nur  noch  bemerken,  wie  die  Winde  anfingen,  ihr  Spiel  damit 
2u  treiben  und  ihre  stolzen  Formen  mehr  und  mehr  zu  verzerren 
und  aufzulösen.  Um  so  deutlicher  ließ  dagegen  die  Dunkelheit  das 
Aufglühen  zweier  langen  Risse  oder  Spalten  an  der  Felsnadel  des 
Pele  hervortreten.  Nicht  selten  lösten  sich  aus  diesen  Spalten 
glühende  Felsstücke  los,  die  man  dann  an  dem  Schuttkegel  weit 
hinabspringen  und  gleiten  sah.  Noch  nach  Stunden  bemerkte  man 
die  glühenden  Spalten  des  merkwürdigen  Felsgebildes,  und  dann  und 
wann  sprühten  auch  höher  oben,  manchmal  selbst  nahe  der  Spitze 
der  Nadel,  glühende  Punkte  auf:  wahrscheinlich  hatten  sich  hier 
Steine  von  der  Nadel  losgelöst  und  hatten  so  für  Augenblicke  das 
glühende  Innere  derselben  bloßgelegt  Angesichts  der  beobachteten 
Erscheinungen  waren  wir  zu  der  Ansicht  gelangt,  daß  das  Innere  der 
Felsnadel  glühend  sein  müsse,  und  nur  die  Oberfläche  hart  und  er* 
kältet  sei.  Ob  das  Innere  nur  zeitenweise  oder  dauernd  glühend  sei, 
die  Frage  zu  entscheiden,  fehlte  uns  freilich  jeder  Anhaltspunkt 
Jedenfalls  ist  aber  die  Felsnadel  des  Pele  eines  der  merkwürdigsten 
Gebilde,  die  bisher  in  der  Geschichte  unserer  Erde  beobachtet  worden 
sind:  sie  ändert  ihre  Höhe,  ohne  ihre  Gestalt  zu  ändern;  sie  wächst 
über  Nacht  2,  4,  10  m  und  verliert  dann  wieder  zuweilen  durch 
Einsturz  einen  großen  Teil  der  gewonnenen  Höhe.  So  hatte  die  Fels-r 
nadel  durch  den  von  uns  beobachteten  Ausbruch  wieder  25  m  von 
ihrer  Höhe  eingebüßt,  wie  Hauptmann  Perney  am  nächsten  Morgen 
feststellte,  und  ragte  mit  ihrer  Spitze  nur  noch  1570  m  über  den 
Meeresspiegel  empor.  Diese  eigentümlichen  Höhenänderungen  kann 
man  sieh  nur  durch  die  Annahme  erklären,  daß  die  Felsnadel  von  unten 
her  höher  und  höher  emporgepreßt  werde,  und  wir  müssen  daher  die 
Beobaohtungsreihen  der  Peleobservatorien  mit  dem  größten  Interesse 
erwarten,  da  wir  dadurch  einen  genauen  Einblick  in  eine  Wirkunga- 
art  der  Natur  gewinnen  können,  die  wir  bisher  kaum  für  möglich 
gehalten  hätten.« 

Die  vulkanlseheii  Vorgrängre  auf  Martinique  naeh  dem 
Ergebnis  der  fipanzösisehen  greologrisehen  Expedition.  Über 
die  Resultate  der  von  der  Pariser  Akademie  nach  Westindien  ent- 
sandten wissenschaftlichen  Expedition  hat  A.  Lacroix  offiziellen 
Bericht  erstattet^)  Er  teilt  darin  die  auf  vulkanischem  Wege  ent- 
standenen Bildungen  in  8  Hauptgruppen,  die  aber  nicht  immer  streng 
voneinander  su  trennen   sind,   nämlieh:   Kraterkegel   oder  Auf- 


1)  Gompt  rend.  1906.  Nr.  6.  p.  4. 


232  VulkanismiiB. 

schüttungskegel,  bestehend  aus  Reihenfolgen  von  Schichten  aus- 
geworfenen Materiales,  die  unregehnäßig  ein-  oder  auswärts  geneigt 
sind  und  durch  Gänge  von  Lava  Festigkeit  erhalten.  Dieser  Typus 
entspricht  geometrisch  einer  Reihe  von  nacheinander  folgenden  Erup- 
tionen von  mäßiger  Stärke. 

Calderas  oder  steile  Abbruche  von  großen  Dimensionen,  wahr- 
scheinlich Erzeugnisse  von  ausnahmsweise  heftigen,  von  Einstürzen 
begleiteten  Explosionen.  Die  innem  Wände  der  Calderas  sind  nahezu 
senkrecht  und  zeigen  den  Durchschnitt  der  vulkanischen  oder  sedi- 
mentären Ablagerungen  des  ehemaligen  Bodens,  der  wie  mit  dem 
Messer  abgeschnitten  ist  Nach  außen  wird  die  Einfassung  der  Cal- 
deras von  einer  flach  kegelförmigen  Bekleidung  gebildet,  die  durch 
Anhäufung  von  ausgeworfenem  Materiale  (Bruchstücke  des  alten 
Bodens  und  Laven  von  mit  der  Explosion  gleichzeitiger  Bildung) 
entstanden  ist. 

Weniger  bekannt  als  die  vorgenannten  ist  ein  8.  Typus,  den 
die  gegenwärtige  Eruption  des  Mont  Pele  verkörpert  Er  entsteht 
durch  Anhäufung  von  Lava  an  der  Mündung  des  Vulkanschlotes, 
bei  der  Eruption  saurer  Laven  (Trachyt,  Andesit,  Rhyolith).  Das 
Innere  der  Anhäufung  wird  von  in  Schmelzfluß  befindlicher  Lava 
erfüllt,  welche  sehr  zähflüssig  ist;  die  Oberfläche  wird  von  Blöcken 
bedeckt,  die  in  dem  Maße,  als  die  Erstarrung  fortschreitet,  abstürzen 
und  dann  für  das  Innere  eine  Art  steinigen  Panzers  bilden.  Zu 
diesem  Typus  sind  die  Dome  der  erloschenen  Vulkane,  im  besondem 
die  trachyiischen  der  Puyskette  zu  rechnen.  Die  Eruption  von  San- 
torin  bot  1866  den  Beobachtern  Gelegenheit,  dem  Aufbaue  eines 
solchen  Domes  beizuwohnen,  dem  man  die  Bezeichnung  Cumulovulkan 
gab.  Da  sich  der  Georgios  von  1866  schnell  in  einen  Vulkan  mit 
Krater  umwandelte,  fehlte  fast  vollkommen  die  Kenntnis,  in  welcher 
Weise  eine  solche  Bildung  sich  entwickelt  nnd  funktioniert;  vor  allem 
verstand  man  die  Entstehung  der  bizzarren  Formen  nicht,  welche  die 
Oberfläche  aufweisen  kann,  und  von  denen  Stübel  einige,  durch  er- 
loschene Vulkane  in  Ecuador  vertretene  schöne  Beispiele  abgebildet 
hat  Auf  diese  Fragen  geben  jetzt  die  Beobachtungen  am  Mont  Pele 
Antwort 

In  den  ersten  Tagen  der  Eruption  hatte  sich  im  alten  Krater 
(fitang-Sec)  eine  Lavamasse  au^^estaut,  deren  Verhältnisse  Lacroix 
bei  seinem  ersten  Besuche  wegen  eingetretenen  Nebels  nicht  genau 
erkennen  konnte;  dagegen  konnten  die  amerikanischen  Geologen 
Heilprin  und  Hovey  einen  flüchtigen  Blick  auf  diesen  Gipfel  werfen 
und  beschreiben  ihn  als  Schuttkegel.  Bei  den  Besteigungen  seit 
Oktober  gelang  es  Lacroix  nachzuweisen,  daß  diese  Anhäufung  in 
Wirklichkeit  nicht  aus  Trümmern  und  Schutt  sondern  aus  kompakter 
und  zusammenhängender  Lava  besteht  Seitdem  wurden  Tag  für 
Tag  die  Entwicklungsfortschritte  dieses  in  der  Bildung  begriffenen 
Domes  verfolgt,   vor  allem  die  Entstehung  jener  Art  von  Zahn,  der 


Vulkanismus.  233 

auf  seinem  Gipfel  steht  und  heute  den  Beigkajnm  um  mehr  als  300  m 
überragt  So  oft  als  möglich  wurden  die  Teile  desselben  gemessen, 
photographiert  oder  gezeichnet,  und  hieraus  ergab  sich  dessen  Empor- 
steigen manchmal  zu  mehr  als  10  m  innerhalb  24  Stunden,  das 
übrigens  oft  teilweise  durch  Ab-  oder  Einstürze  ausgeglichen  wurde. 

Dieser  Dom  wächst  durch  aus  der  Tiefe  kommende  Schmelz- 
masse, aber  mittels  zweier  verschiedener  Vorgänge:  einmal  durch 
Zufluß  von  viskoser  Lava  auf  den  Eegelspalten,  die  bei  Nacht 
leuchtend  sichtbar  ist,  dann  aber  durch  langsame  Erhebung  der 
ganzen  Masse  oder  wenigstens  eines  Teiles  derselben.  Der  Gipfel- 
zahn zeigt  sich  bei  der  Betrachtung  von  den  Eraterrändern  aus  nicht 
mehr  in  der  Gestalt  eines  spitzen  Obelisken,  wie  er  vom  Meere  aus 
erscheint,  sondern  ist  in  Wirklichkeit  nach  Südwest  gekrümmt, 
während  er  nach  Norden,  Osten  und  Südosten  eine  zylindrische, 
polierte  und  durch  Reibung  senkrecht  gestreifte  Oberfläche  besitzt 
Seine  südwestliche  Seite  allein  folgt  nicht  regelmäßig  der  aufsteigenden 
Bewegung  der  andern  Seiten,  auch  zertrümmert  sie  andauernd  zu 
gleicher  Zeit,  in  der  sich  die  Krümmung  des  Zahnes  deutlicher  aus- 
bildet Daraus  erklären  sich  die  ruinenförmige  Struktur  des  süd- 
westlichen Eegelteiles,  die  ununterbrochenen  dort  stattfindenden  Ab- 
stürze und  der  Umstand,  daß  der  Gipfel  die  von  ihm  mehrmals 
erreichte  Höhe  von  etwa  1550  tu  (13.  März  1568  m)  nicht  erheblich 
zu  überschreiten  vermag. 

Zu  Santorin  verbarg  das  unzusammenhängende  Material,  das 
durch  Absturz  von  der  in  Bildung  begriffenen  Lavaanhäufung  ent- 
standen war,  letztere  den  Augen  der  Beobachter,  weshalb  das  Ganze 
sehr  wohl  den  ihm  beigelegten  Namen  Gumulovulkan  verdiente;  da- 
gegen rollte  auf  Martinique,  infolge  der  Lage  der  auf  dem  Gipfel  des 
Berges  gelegenen  Lavamasse,  der  größte  Teil  des  sich  jeden  Tag 
bildenden  Vulkanschuttes  die  sehr  abschüssigen  Gehänge  abwärts, 
entweder  in  das  Tal  des  Blancheflusses  oder  in  die  Eraterrille 
(zwischen  Zentralkegel  und  Eraterrand);  der  massive  Fels  lag  fast 
überall  nackt 

Die  Beobachtung  von  Lacroiz  ist  um  so  interessanter,  als  der 
neue  Dom  sich  inmitten  einer  alten  Caldera  erhebt;  nach  und  nach 
füllt  er  deren  Höhlung  und  ist  schon  mit  ihrer  westlichen  V^and 
verschweißt  Man  hat  also  das  ziemlich  seltene  Beispiel  zweier 
vulkanischer  Typen  von  sehr  verschiedenem  Alter  und  abweichender 
Bildungsweise  vor  Augen,  die  aufeinander  gepfropft  sind  und  viel- 
leicht miteinander  verschmolzen  werden,  sobald  die  Eraterrille  voll- 
ständig ausgefüllt  sein  wird. 

Man  wußte  längst,  daß  sich  bei  frühern  Eruptionen  einiger 
Vulkane  dichte  Wolken  von  hoher  Temperatur  gebildet  hatten,  die 
den  Boden  abgeschert  und  ihre  Verwüstungen  weithin  erstreckt  hatten, 
wobei  sie  auf  ihrer  Bahn  alles  Leben  zerstörten  (so  die  Eruptionen 
von  San  Jorge  auf  den  Azoren  1580  und  1808),  von  ihrem  Wesen 


234  Vulkanigmos. 

und  ihren  mechanisch  ausgeübten  Wirkungen  besaß  man  jedoch  keine 
zuverlässige  Kunde.  Die  Bildung  feuriger  Wolken  war  nun  einer 
der  wesentlichen  Züge  der  letzten  Eruption  des  Mont  Pel6,  und  die 
zahlreichen  Eruptionen  dieser  Art,  welche  Lacroix  vom  Oktober  bis 
zum  Februar  aus  der  Nähe  beobachtete,  haben  ihm  gestattet,  fest- 
zustellen, daß  sie  gebildet  werden  durch  den  Auswurf  von  Oasen 
und  Dämpfen,  welche  eine  ungeheure  Menge  von  Asche  und  neu- 
gebildeten Andesitblocken  mit  fortrissen,  und  zwar  in  abwärts  ge- 
neigter Richtung.  Gegenwärtig  gehen  sie  von  der  südwestlichen  Basis 
des  Gipfelzahnes  des  Domes  aus,  von  dem  sie  fast  immer  einen  Teil 
fortreißen.  Im  Laufe  der  während  des  Winters  beobachteten  Eruptionen 
blieb  die  Bahn  dieser  dichten  Wolken  beständig  auf  das  Tal  des 
Blancheflusses  beschränkt,  und  es  läßt  sich  nachweisen,  daß  ein  Er- 
eignis gleicher  Art  auch  bei  den  großen  Eruptionen  vom  8.  und  20.  Mai, 
vom  9.  Juli  und  80.  August  eintrat,  doch  erstreckte  sich  damals  die 
Wolke  über  eine  bedeutend  größere  Fläche  und  nahm  ihre  Bahn  zum 
Teile  über  die  unglückliche  Stadt  Saint-Pierre,  deren  Zerstörung  sie 
herbeiführte.  Am  90.  August  sind  die  feurigen  Wolken  sogar  über 
sämtliche  äußere  Abhänge  des  Kraters  gerollt,  und  solches  war  auch 
bei  den  zerstörenden  Eruptionen  auf  St  Vincent  der  FalL  Sie  haben 
damals  ihre  Verheerungen  auf  Mome  Rouge  und  Ajoupa  Bouillon 
ausgedehnt,  obwohl  das  Maximum  ihrer  Wirkung  noch  gegen  Süd- 
west gerichtet  blieb.  Dabei  waren  alle  diese  großen  Eruptionen  von 
jenen  heftigen  senkrechten  Auswürfen  von  Asche,  Lapillis  und  Bomben 
begleitet,  wie  solches  bei  normalen  vulkanischen  Eruptionen  statt- 
findet Diese  vertikalen  Auswürfe,  welche  auf  der  Insel  Schrecken 
verbreiteten,  sind  indessen  nicht  von  erheblichen  Schädigungen  gefolgt 
gewesen  und  haben  bei  den  Eruptionen  dieses  Winters  ganz  gefehlt» 
wo  die  feurigen  Wolken  allein  zerstörend  wirkten. 

Die  WlFkungswelse  und  das  Weaen  der  vulkaniseken 
VoFgängre  des  Jahres  1902  auf  den  westlndisehen  Inseln 

bildete  den  Gegenstand  einer  Untersuchung  von  Dr.  A.  Stübel.^)  Dieser 
berühmte  Vulkanologe  ist  bekanntlich  durch  seine  Forschungen  an  den 
europäischen,  besonders  aber  an  den  andinischen  Feuerbergen  und 
durch  kritische  Vergleichung  der  irdischen  mit  den  Kraterbergen  des 
Mondes  zu  der  Überzeugung  gelangt,  daß  es  Vulkanberge  geben  muß, 
die  durch  eine  einzige  Eruption  gebildet  wtirden,  daß  andere  durch 
zwei  —  und  diese  bilden  vielleicht  die  Mehrzahl  — ,  manche  durch 
drei  oder  vier  große  Ausbrüche  ihre  jetzige  Gestalt  erhielten,  und 
daß  wieder  andere  durch  eine  lange  Reihe  von  verhältnismäßig  kleinen 
Eruptionen,  wenn  auch  nicht  vom  Grunde  aus  aufgebaut,  so  doch 
vergrößert  worden  sind.     Diesen   letztern   mißt  er  unter  den  vulka- 


^)  Veröffentlichung  der  vulkanologischen  Abteilung  des  Grassi-Museums 
in  Leipzig.    1906. 


Vulkanismus.  235 

nischen  Schöpfungen  die  geringste  Bedeutung  bei,  obgleich  sie  bisher 
die  Auünerksamkeit  am  meisten  auf  sich  gezogen  haben.  Er  gelangte 
dadurch  aber  auch  zu  der  Oberzeugung,  daß  die  Vulkanberge  (die 
mächtig  großen  Abraumhaufen  der  unterirdischen  Werkstatten)  als 
solche  unser  Interesse  nur  in  bedingtem  Maße  verdienen,  daß  man 
ihre  Größe,  ihre  Formen,  ihre  Tektonik  und  ihr  Material  hauptsächlich 
deshalb  studiert,  weil  man  aus  diesen  erforschbaren  Dingen  sichern 
Aufschluß  über  die  Vorgänge  erhält,  die  sich  in  jenen  Werkstätten 
abgespielt  haben.  In  diesen  Werkstätten  muß  man  nach  Stübel  Herde 
unterscheiden,  die  sich  durch  einen  Ausbruch,  durch  zwei  oder  mehr, 
immer  aber  durch  eine  nur  kleine  Zahl  von  Ausbrüchen  erschöpfen, 
und  dies  überzeugt  dann  davon,  daß  die  scheinbar  permanente 
Tätigkeit  nur  als  eine  ausnahmsweise  in  die  Länge  gezogene  2., 
3.  oder  4.  Ausbruchsperiode  betrachtet  werden  kann.  Dr.  Stübel 
zeigt  femer,  daß  infolge  dieses  Verhsdtens  der  Herde  gewisse  Berg- 
formen und  gewisse  Kombinationen  immer  wiederkehren,  und  daß 
unter  den  einfachen  Bergformen  die  Dome  und  die  Galderen  die 
Hauptrolle  spielen,  die  steilen  Eegelberge  dagegen  nur  den  langsamen 
Sterbeprozeß  eines  Herdes  zu  charakterisieren  scheinen,  und  unter 
den  Kombinationen  die  des  Somma -Vesuvtypus  am  häufigsten  auf- 
tritt. An  der  Hand  dieser  Ergebnisse  und  mit  Rücksicht  auf 
die  gewaltigen  Ausbrüche  von  Martinique  und  St  Vincent  fragt  es 
sich  nun,  welcher  Art  von  Herden  die  vulkanischen  Schöpfungen 
dieser  beiden  Inseln  angehören?  Die  Ausbruchserscheinungen  beim 
plötzlichen  Wiedererwachen  des  Mt  Pele  und  der  Soufriere,  die  für 
die  Bewohner  der  beiden  Inseln  so  verhängnisvoll  geworden  sind, 
konunen  für  die  Beantwortung  der  Frage  an  erster  Stelle  nicht  in 
Betracht,  denn  jeder  Fachmann  weiß,  daß  diese  Erscheinungen  selbst 
und  die  Produkte,  die  sie  zutage  fördern,  unsere  Kenntnis  von  dem 
Wesen  des  Vulkanismus  nur  wenig  zu  bereichem  vermögen.  Dagegen 
ist,  wie  Dr.  Stübel  betont,  ein  genaues  Studium  der  topographischen 
Verhältnisse  der  beiden  Inseln,  zumal  die  Untersuchung  ihrer  von  der 
erneuten  Tätigkeit  völlig  verschont  gebliebenen  Teile  am  ehesten  ge- 
eignet, Aufschluß  darüber  zu  geben,  inwieweit  die  gegenwärtige 
Tätigkeit  der  Ausbmchszentren  Mont  Feie  und  Soufriere  von  der  hier 
früher  entfalteten  abhängig  ist 

Auf  Grund  des  kartographischen  Materials  kommt  Dr.  Stübel  zu 
dem  Ergebnis,  daß  Martinique  zu  denjenigen  vulkanischen  Inseln 
gehört,  die  sich  aus  mehrem  dicht  benachbarten  und  scharf  indivi- 
dualisierten Vulkanbauen  zusammensetzen.  »Jeder  derselben  gibt  sich 
als  die  Schöpfung  eines  besondern  Emptionszentrums  auch  jetzt 
noch  deutlich  zu  erkennen,  nachdem  die  Tätigkeit  der  Atmosphärilien 
die  ehedem  konischen  Bergmassen  in  mehr  oder  weniger  radial  an- 
geordnete Qebirgszüge  aufgelöst  hat,  in  Gebirgszüge,  die  von  ihren 
Zentren  aus  gegen  die  Küste  zu  verlaufen  und  zugleich  an  Höhe  ab- 
nehmen.    Die  etwa  68  Ann  lange  Insel  zerfällt  zunächst  in  2  Teile, 


236  VulkanismiiB. 

in  einen  nördlichen  großem  und  einen  südlichen  kleinem.  Da,  wo 
diese  beiden  Teile  zusammenstoßen,  ist  die  Insel  am  schmälsten  und 
auch  am  niedrigsten.  Und  allein  der  Umstand,  daß  sich  hier  die 
Baue  von  verschiedenen  Empüonszentren  mit  ihren  weit  vorgeschobenen 
Ausläufern  im  Niveau  des  Meeresspiegels  nicht  ganz  berühren,  scheint 
die  Bildung  der  großen  Bucht  zu  erklaren,  welcher  die  Stadt  Fort- 
de-France  ihren  geraumigen  Hafen  verdankt  Der  nördliche  Teil  von 
Martinique  setzt  sich  auch  seinerseits  wieder  aus  zwei  scharf  ge- 
trennten Bergmassiven  zusammen,  aus  dem  des  Mont  Garbet  und 
dem  des  neuerlich  so  viel  genannten  Mont  Pele.  Die  beiden  Massive 
werden  gegen  Osten  durch  das  Tal  der  Riviere  Capot  und  gegen 
Westen  durch  das  der  Riviere  Roxelane,  an  deren  Mündung  St.  Pierre 
gelegen  war,  getrennt  Das  an  Umfang  größte  topographische  Glied 
im  Aufbaue  der  Insel  Martinique  bildet  der  Gebirgsstock,  dessen  höchste 
Punkte  Les  Pitons  du  Garbet  genannt  werden,  und  dessen  Durch- 
messer etwa  23  km  bei  einer  Höhe  von  1207  m  beträgt  Wir 
glauben,  sagt  Dr.  Stübel,  diesen  Bau  nicht  nur  seiner  äußern  Er- 
scheinung nach,  sondern  auch  hinsichtlich  der  Lagerungsverhältnisse 
der  Gesteinsbänke,  die  ihn  zusammensetzen,  richtig  zu  beurteilen, 
wenn  wir  ihn  als  den  Übeirest  eines  flachen  Kegelberges  auffassen, 
in  dessen  zentralen  Teil  eine  gegen  Süden  weit  geöffnete  Galdera 
von  etwa  8  km  Durchmesser  eingesenkt  ist  Die  Pitons  du  Garbet, 
Morne  du  Lorrain  und  andere  Felsspitzen  mehr  sind  dem  Anscheine 
nach  Höhenpunkte  auf  dem  Kamme  dieser  Galdera,  nicht  die  Gipfel 
genetisch  selbständiger  Berge.  Demnach  würde  das  Massiv  des  Garbet 
eine  Art  Somma  darstellen  und  als  die  Schöpfung  eines  einzigen  ge- 
waltigen Ausbmches,  als  ein  monogener  Bau  zu  betrachten  sein.c 

Der  Mont  Pele  im  Norden  der  Insel  ist  ein  typischer  Vulkan- 
kegel, dessen  Abhänge  freilich  einen  merkwürdig  geringen  Neigungs- 
winkel zeigen;  befremdlich  ist  dies  deshalb,  weil  Ausbmchskegel, 
die  eine  so  flache  Gestalt  zeigen,  nicht  wohl  durch  eine  große  Zahl 
relativ  kleiner  Ausbrüche  im  Laufe  der  Jahrtausende  au^eschichtet 
werden  können,  während  doch  die  tektonische  Beschaffenheit  des 
Mont  Pele  seine  Aufschüttung  aufs  deutlichste  bekunden  solL  Dieser 
Widerspmch  läßt  sich  nach  Dr.  Stübel  nur  durch  die  Voraussetzung 
erklären,  >daß  die  Hauptmasse  des  Berges  das  Produkt  eines  einzigen 
großen  Aufschüttungsvorganges  gewesen  ist,  und  daß  Inder  ungeheuren 
Masse  des  dabei  ausgestoßenen  Materiales  das  glutflüssige,  leicht 
bewegliche  Magma  gegenüber  zähflüssigen  Agglomeratlaven  und  losen 
Auswurfsprodukten  die  Oberhand  gewonnen  haben  muß.c  »Der  flache 
Konus  des  Mont  Pele«,  fahrt  Dr.  Stübel  fort,  »setzt  sich  in  der 
Hauptsache  aus  radial  angeordneten  Bergrücken  zusanunen,  deren 
Verlauf  nicht  nur  auf  eine  vielfach  ungleichmäßige  Anstauung  der 
Eruptivmassen,  sondern  auch  auf  sekundäre  Ausbruchszentren  schließen 
läßt,  die  ihre  Herde  in  der  Bergmasse  selbst  hatten,  und  die  mit 
der  Erkaltung  der  Bergmasse  ihre  Aktionsfähigkeit  einbüßten.     Diese 


ValkamBmus»  237 

Bergrücken  sind  durch  tiefe  Taler  voneinander  getrennt  Was  die 
Täler  anbetrifft,  welche  schon  während  des  großen  Auf  stauungsprozesses 
vorgezeichnet  und  später  durch  Erosion  nur  erweitert  worden  sind, 
so  verdient  die  Südwestseite  des  Berges  unsere  Beachtung  am  meisten. 
Hier  liegt  das  weite  Tal  der  Riviere  Blanche,  welches  bei  der  letzten 
Eruption  eine  HauptroUe  gespielt  hat  und  schon  vorher  auch  dadurch 
bekannt  war,  daß  in  seinem  obem  Teile  eine  geringe  Fumarolen- 
tatigkeit  fortbestand.  Wir  tragen  kein  Bedenken,  diese  unverkennbar 
größte  Einsenkung  am  Abhänge  des  Mont  Pele  als  eine  Art  Calderatal 
au&ufassen.  Der  Ausbruch  des  Jahres  1902  hat  gerade  an  der  Stelle 
seinen  Anfang  genommen,  wo  diese  Fumarolen  lagen.« 

Die  Aufschichtung  der  Bergmasse  des  Mont  Pele  in  ihrer  Er- 
streckung über  wie  unter  dem  Meeresspiegel  schreibt  Dr.  Stübel 
der  1.  Ausbruchsperiode  eines  lokalisierten  Magmaherdes  zu.  Schon 
vor  den  geschichtlichen  Ausbrüchen  war  er  hiemach  nahe  bis  zu 
seiner  jetzigen  Höhe  emporgewachsen.  »Der  Eintritt  der  2.  Eruptions- 
epoche seines  Herdes,  durch  die  der  Berg  zugleich  in  die  Zahl  der 
tätigen  Vulkane  übergeführt  worden  ist,  fällt  jedenfalls  in  eine  sehr 
weit  zurückliegende  Zeit  In  welchem  Größen-  und  Volumenverhältnisse 
diese  jüngere  Schöpfung  zu  ihrem  Fundamentalbaue  steht,  und  in 
welcher  Art  sie  sich  demselben  anschließt,  bleibt  für  den  Mont  Pele 
noch  zu  ermitteln,  doch  dürfte  die  tropische  Vegetation,  welche  seine 
Abhänge  bedeckt,  die  Lösung  dieser  Aufgabe  sehr  erschweren.  Die  beiden 
einzigen  geschichtlich  bekannten  Ausbrüche  fanden  in  den  Jahren 
1792  und  1851  statt,  der  erstere  aber  ist  nicht  einmal  sicher  be- 
glaubigt, imd  jeder  dieser  Ausbrüche  hat  zur  Vergrößerung  des  in 
vorgeschichtlicher  Zeit  gebildeten  E^raterkegels  wohl  nur  wenig  bei- 
getragen. Das  gleiche  gilt  aber  auch  von  dem  neuesten  Ausbruche 
trotz  der  ungeheuren  Masse  der  Auswurfsprodukte,  die  aus  seinem 
Krater  hervorgegangen  sind.« 

Die  vier  bis  sechs  großem  vulkanischen  Baue,  aus  denen 
Martinique  zusanmiengesetzt  ist,  stehen  nach  Stübel  höchst  wahr- 
scheinlich über  einem  großen  horizontal  ausgedehnten  Herde,  der 
nicht  von  einem  Punkte  aus  den  Oberfluß  seines  Magmas  abzuführen 
vermocht  hat.  Was  den  neuesten  Ausbrach  des  Mont  Peleherdes 
selbst  anbelangt,  betont  Dr.  Stübel,  daß  derselbe  keine  Erscheinungen 
hervorgerufen  habe,  die  nicht  auch  anderwärts  beobachtet  worden 
wären.  Als  auffallend  sei  aber  hervorzuheben,  daß  Lavaergüsse  weder 
aus  dem  wiedergeöffneten  Krater,  noch  am  Abhänge  des  Berges  statt- 
gefunden haben.  Die  zuerst  als  Feuerstrom  beschriebene  Ergußmasse^ 
welche  ihren  Weg  durch  die  Riviere  Blanche  nahm  und  die  Zucker- 
fabrik des  Dr.  Guerin  zerstörte,  hat  sich  später  als  Schlammstrom 
erwiesen.  Um  das  Auftreten  solcher  Schlammergüsse  zu  erklären, 
bedarf  es  aber  nach  Stübel  nicht  der  Voraussetzung,  daß  Meerwasser 
in  den  Herd  eingedrungen  sei ;  vielmehr  sei  die  in  dem  vielleicht  nur 
scheinbar  flachen  Kratersee  (Lac  des  Palmistes)  angesammelte  Wasser- 


238  yulkaiuflmiifl. 

menge  gewiß  für  die  einmalige  Hervorbringung  eines  solchen  Stromes 
völlig  ausreichend  gewesen.  Die  Lawine  scheint  ihren  Ursprung  etwas 
unterhalb  des  Gipfelkraters,  am  Etang  sec,  dem/Schauplatxe  alter 
Fumarolentati^eit,  genommen  zu  haben  und  hat,  da  sie  sich  bis 
ins  Meer  ergoß,   einen  Weg  von  etwa  6  km  zurückgelegt 

Daß  aber  bei  dem  Maiausbruche  der  Mont  Peleherd  glutflüssiges 
Magma  überhaupt  nicht  ergossen  haben  sollte,  hüt  Dr.  Stüb^  für 
in  hohem  Grade  unwahrscheinlich ;  vermutlich  hat  es  sich  unterseeisch 
einen  Ausweg  gebahnt  Er  weist  auf  Beispiele  hin  (auf  Hawaii, 
Reunion  und  Santorin)  in  d^ien  submarine  Lavaergießungen  in  großem 
Maßstabe  stattfanden,  ohne  daß  sie  sich  an  der  Oberflache  des  Meeres 
auch  nur  im  geringsten  bemerkbar  machten.  Die  Zerstörung  des 
Telegraphenkabels  bei  Martinique  ist  nach  Stübel  sehr  wahrscheinlich 
auf  einen  solchen  unterseeischen  Lavaerguß  zurückzuführen,  und 
zwar  muß  derselbe  bereits  vor  dem  großen  Ausbruche  des  Mont  Pele 
eingetreten  sein,  denn  schon  am  7.  Mai  war  der  Dampfer  Pouyer- 
Quertier  damit  beauftragt,  das  schadhaft  gewordene  Kabel  aufzusuchen 
und  zu  heben. 

Auch  ist  bekannt,  daß  submarine  Lavaergüsse  lokale  Flutwellen 
hervorrufen  können,  wie  solche  am  8.  Mai  bei  Martinique  stattgefunden 
haben  und  sich  auch  nach  dem  bei  jeder  großen  Kraterexplosion  des 
Mont  Feie  wiederholten.  Man  kann  daher  nach  Dr.  Stübel  mit  größter 
Wahrscheinlichkeit  die  Kraterexplosionen  nur  als  Begleiterscheinungen 
von  unterseeischen  Lavaergüssen  an  einer  und  derselben  Ausbruchs- 
stelle ansehen.  »Wenn«,  sagt  er,  »der  Ätna  anstatt  8B00  m  nur 
(wie  der  Mont  Feie)  1350  m  über  den  Meeresspiegel  emporragte,  so 
würde  man  den  vermutlichen  submarinen  Lavaerguß  des  Mont  Pele 
von  1902  seiner  Tiefenlage  nach  —  das  zerrissene  Telegraphenkabel  lag 
in  2600  m  Tiefe  und  26  km  von  der  Küste  entfernt  —  mit  dem  Flanken- 
ausbruche vergleichen  können,  der  im  Jahre  1669  Gatania  zerstörte,  c 

Neben  der  Schlammergießimg  hat  die  Tätigkeit  des  Mont  Feie- 
kraters nur  bestanden  in  rasch  vorübergehender,  überaus  gewaltsamer, 
mit  Feuererscheinung  und  furchtbaren  Detonationen  verbundener  Aus- 
stoßung von  totem  Materiale,  von  glühenden  Schlacken,  Gesteinsstücken 
und  großen  Blöcken,  besonders  aber  von  fein  zerstäubter  Gesteins- 
masse, der  sogenannten  Asche.  Wirkliche  Höhenpunkte  in  dieser 
Art  von  Tätigkeit  scheint  der  Herd  des  Mont  Feie  außer  am  8.  Mai, 
der  für  die  Bewohner  der  Umgegend  so  verhängnisvoll  geworden  ist, 
auch  noch  mehrmals,  z.  B.  am  20.  Mai,  6.  Juni,  9.  Juli,  in  den 
letzten  Tagen  des  August  und  am  3.  September  erreicht  zu  haben. 
Kürzere  oder  längere  Fausen,  in  denen  der  Berg  fast  nur  noch  rauchte, 
liegen  zwischen  diesen  Zeitpunkten  des  Parozismus.  So  war  es 
bereits  am  16.  Mai  möglich,  den  Berg  wieder  zu  besteigen. 

Alle  Aufeeichnungen,  welche  über  die  Tätigkeit  des  Mont  P^ 
gemacht  wurden,  stimmen  genau  mit  der  Tätigkeitsart  anderer  Vul- 
kane überein,    so  daß   der  Berg  keine  Sonderstellung  unter  diesen 


lus.  239 

einnimmt.  Über  die  genaue  Lage  des  Ortes,  an  welchem  die  Ex* 
plosion  erfolgte,  durch  die  Saint  «Pierre  zerstört  wiirde,  gehen  die 
Ansichten  der  Fachleute,  welche  der  wissenschaftlichen  Untersuchungs- 
kommission angehörten,  auseinander.  Im  Oktober  1902  war  nach 
dem  Berichte  von  Lacroix  im  Innern  des  Kraters  die  Bildung  eines 
Ausbruchskegels  im  Gange,  was  nach  den  Erfahrungen  an  andern 
Vulkanen  auf  einen  nahen  Absdüuß  der  neuesten  Tätigkeitsperiode 
hinzudeuten  scheint.  Im  übrigen  weist  Dr.  Stübel  darauf  hin,  daß 
der  Mont  Peleherd  offenbar  zu  denjenigen  Vulkanherden  gehört,  die 
nur  sehr  selten  von  den  Vorgängen  Zeugnis  zu  geben  haben,  die  sich 
in  ihrem  Innern  gleichwohl  ständig  abspielen.  Aber  gerade  deshalb 
bleibt  er  ein  gefährlicher  Vulkan  für  die  Bewohner  seiner  nächsten 
Umgebung^  denn  häufige  kleine  Eruptionen  bieten  erfahrungsgemäß 
eine  gewisse  Gewähr  gegen  plötzliche  Gewaltäußerungen  großen 
Maßstabes.c 

»Sollte  nicht«,  sagt  Dr.  Stübel  weiter,  »in  dieser  letztem  längst 
bekannten  Tatsache  eine  unbewußte  Beglaubigung  des  lokalisierten 
Herdes,  selbst  seitens  derjenigen  liegen,  die  sonst  noch  immer  in 
den  Vxdkanen  die  Sicherheitsventile  des  tiefen  Erdinnern  erblicken 
möchten?  Im  übrigen  aber  müssen  die  Geologen,  so  schwer  es  sie 
auch  ankommt,  leider  doch  zugeben,  daß  sich  ihre  Hoffnung,  Erup- 
tionen und  seismische  Erscheinungen  voraussagen  zu  lernen,  wo- 
durch so  großem  Unheile  vorgebeugt  werden  könnte,  in  dem  Maße 
vermindert,  in  dem  ihr  Einblick  in  den  Mechanismus  der  vulkanischen 
Kräfte  an  wissenschaftlicher  Grundlage  gewinnt.« 

Daß  der  Ausbruch  des  Mont  Pele  am  8.  Mai  1902  für  Saint- 
Pierre  so  verhängnisvoll  wurde,  ist  nach  Dr.  Stübels  Ansicht  wohl 
hauptsächlich  dem  Nordostpassate  zuzuschreiben,  der,  wie  so  oft  in 
solchen  Höhen  der  tropischen  Zone,  wahrscheinlich  auch  an  diesem 
Tage  eine  sturmartige  Heftigkeit  erlangt  hat  E.  Deckert,  der  den 
Mont  Pele  im  Jahre  1898  bestieg,  hat  ähnliches  selbst  erprobt,  denn 
er  schreibt  in  seinem  Berichte:  »Unsere  Träger  werden  mit  ihren 
Kopflasten  Dutzende  von  Malen  von  dem  Passatwinde,  der  zeitweise 
Sturmstärke  entfaltet,  zu  Boden  geschleudert,  ab  und  zu  auch  wir 
selbst«  Ein  Wind  von  ähnlicher  Stärke  mußte  natürlich  ausreichen, 
um  die  Auswurfsprodukte  des  Vulkanes  in  wenigen  Sekunden,  noch 
völlig  glühend,  nach  dem  kaum  8  km  entfernten  Saint- Pierre  zu 
tragen«  Erst  als  der  Passat  bei  den  gewaltigen  Eruptionen,  die 
Ende  August  und  in  den  ersten  Tagen  des  September  aufs  neue 
«rtattfanden,  vermutlich  von  seiner  Hauptrichtung  aJi^gewichen  war, 
wurden  auch  die  bis  dahin  verschont  gebliebenen  Landstriche  der 
Umgebung  von  Mome  Rouge  im  Süden  und  bis  gegen  das  Kap  St.  Martin 
hin  im  Norden  von  den  Auswurfsprodukten  des  Mont  Pele  schwer 
beimgesuoht 

»Ein  Rückblick  auf  den  Verlauf  der  neuesten  Mont  Peleeruption 
u»d  auf  die  dabei  zutage  geförderten  Auswurfsprodukte  muß  uns 


240  Volkamsmus. 

sagen«,  fährt  Dr.  Stübel  fort,  >daB  selbst  eine  tausendfache  Wieder- 
holung solcher  und  ähnlicher  Ausbrüche  nicht  genügt  haben  würde, 
um  einen  Mont  Pele  hervorzubringen,  auch  wenn  wir  von  dem  im 
Meere  untergetauchten,  wahrscheinlich  seinem  Volumen  nach  noch 
weit  großem  Teile  des  Massivs  ganz  absehen  wollten.  Die  vul- 
kanische Tätigkeit  ist  auch  hier  in  ihrer  schöpferischen  Kraft  unver- 
kennbar zurückgegangen,  aber  nicht  erst  jetzt,  sondern  sie  war  es 
schon  damals,  als  sie  dem  flachen  Dome  des  Mont  Pele  den  heutigen 
Kraterkegel  aufsetzte,  der  im  Laufe  der  Zeit  nur  noch  geringen  Zu- 
wachs erfuhr.  Die  Bildung  dieses  Kegels  in  vorgeschichtlicher  Zeit 
spricht  dafür,  daß  auch  der  Mont  Peleherd  seine  2.  Ausbruchs- 
periode scharf  markiert  hat,  und  in  seiner  heutigen  Beschaffenheit 
als  ein  Doppelberg  des  Somma- Vesuvtypus,  wenn  auch  als  solcher 
von  weniger  ausgeprägter  Form,  betrachtet  werden  muß.« 

Die  Insel  St  Vincent  gleicht  in  ihrer  äußern  Gestalt  der  nörd- 
lichen Hälfte  von  Martinique.  Der  Vulkan  Soufriere  steUt  nach  Stübel 
ein  vollendetes  Gegenstück  zur  Somma  des  Vesuvs  dar,  auch  fehlt 
der  zentrale  Ausbruchskegel  nicht,  nur  ist  er  in  sich  zusammen- 
gebrochen, und  sein  wallartiger  Oberrest  umschließt  einen  Kraterkessel, 
der  vor  dem  Eintritte  der  neuesten  Eruption  das  Becken  eines  Sees 
von  über  1000  m  Durchmesser  bildete.  Die  Höhe  dieses  Sees  über 
dem  Meere  wird  auf  der  englischen  Admiralitätskarte  zu  596  m  an- 
gegeben. Dieser  wassererfüllte  Kraterkessel  war  der  Schauplatz  der 
gewaltigen  Eruptionen,  die  in  den  ersten  Tagen  des  Mai  1902  be- 
gannen, und  deren  Wiederkehr  auch  jetzt  noch  ebensowenig  ausge- 
schlossen ist,  wie  beim  Mont  Pele.  Aus  dem  Berichte  Hoveys,  dei 
den  Krater  wiederholt  (am  81.  Mai  und  4.  Juni)  besuchte  und  zuletzt, 
am  9.  Juni,  sogar  bis  zum  Gipfel  erstieg,  ist  zu  entnehmen,  daß 
weder  die  Dimensionen  des  Kraters,  noch  die  topographischen  Ver- 
hältnisse seiner  Umgebung,  trotz  der  furchtbaren  Krafälußerung  der 
Explosionen  und  der  ungeheuren  Massen  der  hier  abgelagerten  Aus- 
wurfsprpdukte,  eine  wesentliche  Umgestaltung  erfahren  haben.  An 
Stelle  des  Sees  im  alten  Krater  zeigte  sich  (am  81.  Mai)  eine  trichter- 
förmige Einsenkung  von  etwa  200  m  Tiefe  unter  dem  Niveau  des 
frühem  Sees  und  auf  dem  Boden  derselben  eine  kleine  Ansammlung 
brodelnden  Wassers,   aus  der  eine  weiße  Dampfsäule  emporstieg. 

Der  Ausbruch  des  Soufriere  begann  2  Tage  früher  als  der 
des  Mont  Pele  und  wurde  durch  lokale  Bodenerschütterungen  ein- 
geleitet Auch  auf  St.  Vincent  fanden  Lavaergießungen  aus  dem  Krater 
nicht  statt,  sondern  es  handelte  sich  nur  um  Schlammströme,  Daft 
mit  Erguß  von  solchen  der  Ausbruch  der  Soufriere  begann,  darf,  wie 
Dr.  Stübel  hervorhebt,  nicht  befremden,  da  zunächst  die  großen 
Wassermassen  entfernt  werden  mußten,  die  den  See  gebildet  hatten^ 
Sind  aber  auch  dem  Krater  keine  Lavaströme  entquollen,  so  ist  nach 
Stübel  doch  auch  hier  als  das  wesentlichste  Moment  im  Eruptions- 
vorgange  die   angestrebte  Abführung  glutflüssigen  Magmas   zu   be- 


Vulkanismas.  241 

trachten  und  anzunehmen,  daß  bei  der  Soufriere^  wie  beim  Mont  Pele 
der  Eraterschacht  zwar  die  Rolle  eines  riesigen  Schornsteines  für  den 
Abzug  von  Gasen  und  Dämpfen  spielte,  die  schweren  Schmelzmassen 
aber  an  einer  tiefem,  unterseeisch  gelegenen  Stelle  des  Berges  ihren 
Ausweg  zu  finden  wußten.  Allerdings  vermißt  man  an  der  Küste 
▼on  Sl  Vincent  Angaben  über  untrügliche  Anzeichen  eines  submarinen 
Ausbruches,  wie  für  Martinique.  Da  aber  unterseeische  Lavaergüsse 
sehr  geräuschlos  vor  sich  gehen  können,  und  Temperaturbeobaohtungen 
in  den  tiefem  Meeresschichten  der  Umgebung  von  St  Vincent  nicht 
angestellt  worden  sind,  ist  die  Annahme  Dr.  Stübels  nicht  widerlegt, 
vielmehr  dürfte  die  imterseeische  Austrittsstelle  des  Magmas  nach 
seiner  Ansicht  am  ehesten  in  der  Verlängerung  des  Walliboutales, 
das  genetisch  Ähnlichkeit  mit  der  Riviere  Blanche  aufweist,  vermutet 
werden.  Sehr  auffällige  Verändemngen,  bis  auf  3  km  ausgedehnte 
Bodenrutschungen,  haben  nämlich  gerade  in  diesem  Teile  der  Küste, 
zwischen  Wallibou-River  und  Morne  Ronde-Village,  stattgefunden; 
jedenfalls,  sagt  Dr.  Stübel,  besitzt  der  Soufriereherd  seine  eigene 
unterseeische  Mündung,  aus  der  die  Lava  a,bfUeßt;  es  wäre  durchaus 
unzulässig,  anzunehmen,  daß  die  mit  aller  Sicherheit  am  Mont  Pele 
vorhandene  Ergußstelle  dazu  ausreichen  könnte,  auch  den  weit  ent- 
fernten Soufriereherd  zu  entlasten.  Das  Verhalten  beider  Emptions- 
zentren  im  Verlaufe  ihrer  neuesten  Tätigkeitsperiode  ist  nach  Stübel 
in  allem  wesentlichen  völlig  gleichartig  gewesen.  »Die  Eraptlonen 
stimmen  namentlich  auch  in  der  Plötzlichkeit  überein,  mit  der  sie 
die,  in  der  Geschichte  der  Vulkanausbrüche  beispiellosen  Verheerungen 
innerhalb  scharf  umgrenzter  Gebiete  verursacht  haben.  Unverkenn- 
bar deutet  die  scharfe  Abgrenzung  der  Verheerungsgebiete  darauf 
hin,  daß  neben  dem  Ausbmchsvorgange  ein  äußerer  Umstand  hinzu 
kam,  der  sowohl  für  Martinique  als  auch  für  St.  Vincent  derselbe 
gewesen  ist  Als  solcher  kann  aber,  um  es  nochmals  zu  erwähnen, 
nur  der  Nordostpassat  angesehen  werden;  er  trägt  offenbar  die 
Hauptschuld  an  der  Größe  des  Unglückes.  Ohne  ihn  wären  die  festen 
und  gasförmigen  Auswurfsprodukte  des  Kraters  nicht  in  solcher  Menge, 
nicht  so  versengend  heiß  und  in  so  wenigen  Sekunden  nach  Saint- 
Pierre  oder  Wallibou,  nach  Ghateau  Beiair  und  Georgetown  gelangt; 
ohne  ihn  würde  einem  großen  Teile  der  Bevölkerung  dann  hinlängliche 
Zeit  zur  Flucht  geblieben  sein.  Der  Nordostpassat  steigert  sich  in 
den  hohem  Regionen  tropischer  Breiten,  besonders  in  Höhen  von 
über  1000  m,  gar  nicht  selten,  wie  Reisende  zu  ihrem  Nachteile 
oft  genug  in  Erfahrung  gebracht  haben,  zu  sturmartiger  Heftig- 
keit Ein  solcher  Sturm  im  Kampfe  mit  der  ungeheuren  Gewalt 
der  vertikal  emporgetriebenen  Explosionsgase  ist  aber  wohl  geeignet, 
das  Ungewöhnliche  der  Erscheinung,  aus  dem  der  größere  Teil  des 
Unheils  für  beide  Inseln  hervorging,  einigermaßen  begreiflich  zu  machen. 
St  Vincent  hat  bei  den  Ascheausbrüchen  der  Soufriere  weit 
mehr  unter  der  verheerenden  Wirkung   des  Passats   zu  leiden,    als 

Klein,  Jalirbuch  XIV.  16 


242  Vulkanismus. 

Martinique  bei  solchen  des  Moni  Pele,  weil  die  Soufriere  so  gelegen 
ist,  daß  der  über  den  Krater  hinwegwehende  Wind  die  Insel  fast  in 
ihrer  Längenausdehnung  bestreicht,  während  auf  Martinique  nur  noch 
ein  kleiner  Teil  der  Insel  von  dem  den  Moni  Pele  passierenden  Winde 
gestreift  wird.« 

So  verheerend  nun  auch  die  Ausbrüche  auf  Martinique  und 
St.  Vincent  waren,  denen  sich  geringe  vulkanische  Regungen  auf 
Dominica  und  Barbados  anschlössen,  so  sind  sie  im  geologischen 
Sinne  doch  sehr  unbedeutend,  und  Dr.  Stübel  ist  durchaus  berechtigt, 
auszusprechen,  daß  sie  keineswegs  mit  der  Tätigkeit  des  großen 
Zentralherdes  der  Erde  in  Verbindung  gebracht  werden  dürfen.  Ander- 
seits aber  sind  diese  Erscheinungen  doch  so  gleichzeitig  an  den  ver- 
schieden Punkten  eingetreten,  daß  ihnen  ein  innerer  Zusammenhang 
nicht  wohl  abgesprochen  werden  kann.  »Wenn  es  schon  auffällig 
sein  mußte«,  sagt  Dr.  Stübel,  »daß  die  neuesten  Tätigkeitsperioden 
beider  Zentren  ihren  Anfang  fast  gleichzeitig  nahmen,  so  wird  dem 
Glauben  an  das  Walten  eines  Zufalles  der  Boden  dadurch  entzogen, 
daß  die  Ausbrüche  vom  3.  September,  die  der  Katastrophe  vom  7.  und 
8.  Mai  an  Intensität  kaum  nachstanden,  ja  hier  und  dort  wiederum 
gleichzeitig  eintraten,  diesmal  sogar  auf  den  gleichen  Tag  fielen. 
Durch  diese  gewiß  sehr  merkwürdige  Tatsache  könnten  wir  zu  dem 
Schlüsse  verleitet  werden,  daß  beide  Ausbruchszentren  einem  gemein- 
schaftlichen Herde  angehören  müßten,  wenn  nicht  zugleich  auch  der 
Anachronismus  ihrer  Tätigkeit  für  das  Gegenteil  spräche.  Daß  beide 
Herde,  der  des  Mont  Pele  und  der  der  Soufriere  in  der  Tat  als  un- 
abhängig voneinander  betrachtet  werden  müssen,  bekunden  außer 
den  kleinem,  nichtkoinzidierenden  Eruptionserscheinungen  in  noch 
schlagenderer  Weise  die  frühem,  in  historische  Zeit  fallenden  Aus- 
brüche beider  Vulkane,  die,  obgleich  sie  große  Ausbrüche  gewesen 
sind,  dennoch  nicht  koinzidierten.  Für  Biartinique  kommt,  neben  dem 
zweifelhaften  Datum  von  1792,  mit  Sicherheit  allerdings  nur  eine 
Jahreszahl,  1851,  in  Betracht,  für  St  Vincent  dagegen  deren  zwei, 
1718  und  1812.  Dieses  schwankende  Verhalten  beider  Vulkane  in 
ihren  Beziehungen  zueinander  führt  uns  zu  der  Ansicht,  daß  die  hier 
in  Frage  stehenden  Inseln  sicherlich  über  getrennten  Herden  liegen, 
daß  diese  aber  auch  noch  mit  einem  ihnen  gemeinschaftlichen,  wahr- 
scheinlich weit  aktionsfähigem  und  tiefer  gelegenen  Herde  in  Ver- 
bindung stehen.  Bei  dem  neuesten  Ausbruche  im  karibischen  Meere 
möchten  wir  nun  annehmen,  daß  es  nicht  die  Einzelherde  gewesen 
sind,  welche  aus  eigener  Ejaftentfaltung  in  Tätigkeit  traten,  sondern 
gewaltige  Expansionsvorgänge,  die  sich  in  einem  tiefem  Herde  voll- 
zogen und  auf  die  höher  gelegenen  Herde  in  verschiedenem  Grade, 
je  nach  der  Gangbarkeit  der  Verbindungskanäle  einwirkten.  Und 
nichts  könnte  diese  Auffassung  der  Verhältnisse  besser  stützen,  als 
die  ungeheuren  Massen  toten  Materiales  die  zunächst  ausgestoßen 
werden  mußten,    um  dem  von  unten  wahrscheinlich  nachdringenden 


VolkaniBmus.  243 

Blagma  Raum  zu  schaffen.  Was  ein  solcher  Raum  nicht  zu  fassen 
vermag,  fließt  dann  in  Strömen  über,  sei  es  durch  den  Schacht  eines 
alten  Kraters,  oder  sei  es  durch  einen  neu  erbohrten  seitlichen  Aus- 
weg. Auf  diese  Weise  würde  sich  wenigstens  das  gleichzeitige  Ein- 
treten von  vulkanischen  Reaktionen  verschiedener  Intensität  und 
Äußerungsart  an  weit  auseinander  liegenden  Orten  möglicherweise  am 
einfachsten  erklären  lassen,  c 

Schließlich  wirft  Dr.  Stübel  die  Frage  auf,  was  die  Ausbrüche 
des  Jahres  1902  im  Karibischen  Meere  bezüglich  der  Frage  lehren, 
ob  die  Tätigkeit  vulkanischer  Kräfte  eine  Herstellung  permanenter 
Verbindung  mit  dem  tiefem  Erdinnem  anstrebe,  oder  ob  es  sich  dabei 
nur  um  Gewaltäußerungen  handle,  die  von  einem  enger  umgrenzten 
Ursprungsorte  ausgehen? 

>Wäre  das  erstere  der  Falle,  sagt  er,  >so  würde  das  Wieder- 
erwachen eines  Vulkanes  nur  die  Fortsetzung  seiner  frühem  Tätigkeit 
sein,  es  würden  an  einem  und  demselben  Ausbmchsorte  unermeß- 
lich große  Eraptionen  mit  verschwindend  kleinen  in  willkürlicher 
Reihenfolge  miteinander  abwechseln  können;  jeder  Lavaerguß  würde, 
auch  wenn  er  zu  den  größten  der  irdischen  Vulkane  gehörte,  doch 
nur  einen  Tropfen  der  ungeheuren  Magmamasse  darstellen,  die  der 
unerschöpfliche  Behälter  des  Erdinnem  birgt 

Dies  wäre  die  Folge  der  Tätigkeitsart,  die  man  bisher  sehr 
allgemein  als  die  der  irdischen  Vulkane  vorausgesetzt  hat. 

Ihr  gegenüber  steht  eine  andere,  auf  neuere,  vergleichende  Be- 
obachtungen gegründete  Ansicht  (nämlich  eben  die  Dr.  Stübels),  die 
der  vulkanischen  Tätigkeit  in  der  Gegenwart  bestimmte  Grenzen  zieht 
Nach  ihr  schöpfen  die  emptiven  Kräfte,  im  Vergleiche  mit  den  Er- 
zeugnissen ihrer  frühem  Tätigkeit  am  gleichen  Orte,  nicht  mehr  aus 
dem  vollen  einer  uneingeschränkten  Leistungsfähigkeit,  sondem  das, 
was  sie  an  glutflüssigem  Magma  unter  sonst  nebensächlichen  Gewalt- 
äußerungen ausstoßen,  ist  das  Maximum  ihrer  Leistungsfähigkeit  für 
einen  bestimmten  Herd  und  für  ein  ebenso  bestinmites  Stadium  im 
Absterben  desselben.  Infolgedessen  läßt  sich  der  Eintritt  von  uner- 
meßlich großen  Ausbrüchen  aus  noch  fortwirkenden  Emptionszentren 
nicht  erwarten;  die  Aktionsfähigkeit  der  Vulkanherde  muß  sich  viel- 
mehr, wie  es  scheint,  immer  innerhalb  gewisser  Grenzen  halten,  die 
für  das  eine  Eraptionszentmm  weiter,  für  das  andere  enger  gezogen 
sind.  Sofem  also  plötzliche  Steigerungen  in  der  Tätigkeitsart  eines 
Vulkanes  eintreten,  können  auch  sie  diese  Grenzen  nicht  überschreiten. 

Die  wissenschaftliche  Bedeutung,  die  der  neueste  Mont  Pele- 
ausbruch  für  sich  in  Ansprach  nehmen  darf,  ist  in  der  Bestimmt- 
heit zu  suchen,  mit  der  er  auf  das  lokale  Wirken  der  vulkanischen 
Kräfte  in  der  Gegenwart  hinweist  Und  dies  geschieht  um  so  nach- 
drücklicher, als  auch  ein  zweites,  benachbartes  Zentram,  das  von 
St  Vincent,  zugleich  in  Aktivität  versetzt  worden  ist  In  dieser 
Oleichzeitigkeit  liegt  also  der  Schwerpunkt  der  vulkanischen  Begeben- 

16» 


244  Vulkaiusmas. 

heit  des  Jahres  1902  an  dieser  Stelle.  Beide  Eruptionszentren  arbeiteten 
unverkennbar,  wenn  auch  gleichzeitig,  so  doch  völlig  unabhängig 
voneinander,  was  sicherlich  nicht  stattgefunden  hätte,  wenn  nur  ein 
in  unendlicher  Tiefe  gelegener  Herd  in  Frage  gekommen  wäre,  dess^i 
Leistungen  auch  dynamisch  dieser  Tiefe  entsprochen  haben  müßten. 
Und  um  das  Bild  eines  so  unbedeutenden  Wirkens  der  vulkanischen 
£[räfte,  das  die  letzten  Ausbrüche  im  Karibischen  Meere  vor  unsem 
Augen  aufgerollt  haben,  zu  vervollständigen,  darf  auch  die  Gering- 
fügigkeit der  Reaktionen  auf  andern  Inseln  der  Antillengruppe  der 
jetzigen  und  früliem  Ausbruchsperioden  nicht  übersehen  werden.  Alle 
Erscheinungen  deuten  darauf  hin,  daß  es  sich  auch  in  diesem  aus- 
gedehnten Vulkangebiete  nur  um  das  Wirken  lokalisierter,  im  Ersterben 
begriffener  Herde  handeln  kann.  Daß  glutflüssiges  Magma  aus  bereits 
vorhandenen  Kratern  ergossen  worden,  ist  nicht  zu  beobachten  ge- 
wesen, daß  aber  solches  dennoch  als  die  eigenüiche  materia  peccans 
aqgesehen  werden  muß,  und  auch  in  diesem  Falle,  wie  ao  häufig, 
unterseeisch  zum  Austritte  gelangt  ist,  kann  nicht  bezweifelt  werden. 
Es  wird  also  durch  die  neusten  Eruptionsvorgänge  auf  den  Kleinen 
Antillen  die  Richtigkeit  des  Satzes  keineswegs  in  Frage  gestellt,  daß 
der  Zweck  aller  vulkanischen  Tätigkeit  die  Ausstoßung  einer  ge- 
wissen Menge  glutflüssigen  Magmas  ist,  die  sieh  für  einen  bestimmten 
Herd  und  vielleicht  nur  für  eine  bestimmte  Stelle  desselben  vorüber- 
gehend notwendig  macht,  nicht  aber  die  Schaffung  einer  bleibenden 
Verbindung  mit  dem  Ursprungsorte  dieses  Magmas  angestrebt  wird. 
Die  Ausstoßung  eines  solchen  Quantums  glutflüasigen  Magmas  allein 
vermag  den  Gleichgewichtszustand  im  Innern  des  Herdes  auf  längere 
oder  kürzere  Zeit  wieder  herzustellen,  je  nach  dem  Grade  der  Er- 
schöpfung, in  der  er  sich  bereits  befindet 

Es  war  zu  erwarten,  daß  die  Herde  des  Mont  Pele  und  der 
Soufriere  diese  Erkenntnis  gleichfalls  bestätigen  würden,  und  die» 
ist  aud^  soweit  sich  der  Verlauf  der  Begebenheit  bis  jetzt  über- 
blicken läßt,  wirklich  der  Fall  gewesen. 

Nichts  aber  vermag  beweiskräftiger  für  das  Vorhandensein  be- 
grenzter, peripherischer  Herde  zu  sprechen,  als  die  Erzeugung  toten 
MaterialeB,  der  Schlacken  und  Asche  in  so  ungehewen  Mengen,  wie 
sie  besonders  beim  Beginne  einer  Eruptionsepoche  zur  Auastoßong 
gelangen  und  auch  hier  wieder  gelangt  sind.  Schlacken  bilden  sich 
bei  der  Erstarrung  gasreichen  Magmas  durch  Abgabe  von  Wärme, 
die,  wenn  auch  weit  langsamer  als  in  freier  Luft,  gleichfalls  in  den 
geschlossenen  Räumen  peripherischer  Herde  vor  nch  gehen  muß.  Da 
abear  Magmamassen,  die  peripherischen  Horden  angehdrea,  euae  Er- 
gänzung der  von  ihnen  abgegebenen  Wärme  aus  der  Tiefe  des  etwaigen 
Zenlralherdes  wahrscheinlich  nicht  in  gleichem  Maße  ihres  Verluflrtes 
erfahren,  so  liegt  es  auf  der  Hand,  daß  diese  Heide  zugleich  «uch 
Erzeugungsorte  großer  Schlackenmassen  sein  müssen.  Und  von  dem 
quantitativen  Verhältnis,  in  welchem  der  Rest  der  giutflüasigea  Füll- 


i 


Valkanismos.  245 


masse  solcher  Herde  zu  der  bereits  in  Erstarrung  übergegangenen 
oder  übergehenden  steht,  wird  im  allgemeinen  die  größere  oder  ge- 
ringere Menge  des  toten  Materiales  abhängen,  daß  wir  bei  Eruptionen, 
wie  auch  jetzt  wieder  bei  denen  des  Mont  Pele  und  der  SouMere 
ausgestoßen  sehen.  Je  länger  die  Pausen  zwischen  den  einzelnen 
Ausbruchsperioden  währen,  umsomehr  wird,  wie  man  voraussetzen 
darf,  das  Quantum  des  toten  Materiales  in  der  Tiefe  anwachsen;  seine 
Ausstoßung  ist  daher  keineswegs  ein  Beweis  für  die  vitale  Kraft 
eines  Herdes,  sondern  für  dessen  Siechtum,  das  einen  letalen  Aus- 
gang unfehlbar  nehmen  muß. 

Die  eigentliche,  weithin  schreckenverbreitende  Eratertätigkeit  der 
auf  der  Erde  noch  vorhandenen  Ausbruchszentren  entspringt  lediglich 
dem  Kampfe  des  energiebegabten  Magmas  mit  dem  toten  Materiale, 
durch  dessen  bergartige  Aufschichtungen  es  selbst  der  Äußerung  seiner 
Kraft  im  Laufe  der  Zeit  feste  Schranken  zieht,  und  die  es  bei  jeder 
aufs  neue  erzwungenen  Durchbrechung  nur  noch  verstärkt,  indem  es 
ihnen  weitere  tote  Blassen  hinzufügt,  c 

>Die  Tätigkeitsperioden  ersterbender  Herde  pflegen  mit  Schlacken- 
und  Aschenauswürfen  zu  beginnen  und  schließen  auch  zumeist  mit 
solchen  ab,  doch  zeigen  sie  sich  dann  von  geringerer  Heftigkeit  und 
Dauer.  Die  so  vorherrschend  aus  totem  Materiale  aufgeschichteten 
Kegel  sind  die  Schlußstücke  der  gewaltigen  Grabmonumente,  die  sich 
die  vulkanischen  Kräfte  dort,  wo  sie  ihre  einstige  Tätigkeit  walten 
ließen,  errichteten  oder  zu  errichten  noch  fortfahren.« 

Der  Puy  de  Dome  ist  von  Dr.  F.  Verbeek  auf  Grund  eigener 
Ersteigung  geschildert  worden.^)  Seine  Höhe  beträgt  1466  m,  und 
sein  Besuch  wird  von  Clermont-Ferrand  aus  unternommen,  eine  Stadt, 
die  von  den  Puys  in  weitem,  nach  Osten  geöffnetem  Halbkreise  um- 
lagert ist,  aus  dessen  Mitte  die  beherrschende  Kuppe  des  Puy  de  Dome, 
von  allen  Plätzen  der  Stadt  sichtbar,  hervorragt  Der  oberste  Teil 
des  Berges  ist  waldlos,  die  obem  Hänge  sind  mit  spärlichem  Grase 
bedeckt,  der  Gipfel  selbst  bildet  ein  kleines  Plateau,  das  wieder  von 
einem  Hügel  überragt  wird.  Oben  befindet  sich  (seit  1876)  ein 
meteorologisches  Observatorium,  das  mit  Glermont  telephonisch  und 
telegraphisch  verbunden  ist  »Vom  Puy  de  Dome,  der  wie  ein  mäch- 
tiger Aussichtsturm  diese  interessante  Welt  überragt,  lassen  sich  be- 
sonders schön  die  Kratere  erkennen,  die  in  den  verschiedensten  Formen 
die  alten  Feuerberge  krönen.  Da  senkt  sich  nach  Norden  der  Blick 
steil  hinab  in  den  Krater  des  kleinen  Puy  de  Ddme,  dessen  Wände 
fast  gänzlich  aus  Schlacken  bestehen,  und  der  wegen  seiner  regel- 
mäßigen Form  Hennennest  —  nid  de  la  poule  —  genannt  wird. 
Weiter  nördlich  erhebt  sich  der  Puy  de  Pariou  mit  seinem  kreis- 
runden,   810  m  im  Durchmesser  und  93  m  in  die  Tiefe  messenden 


')  Deutsche  Geogr.  Blätter  1908.  2«.  p.  106. 


246  Vulkanismus. 

Erater«  der  wieder  von  einem  teilweise  erhaltenen,  sommaartigen 
Eraterrande  umgeben  ist.  Aus  ihm  hat  sich  yoreinst  ein  mächtiger 
Lavastrom  ergossen,  der  sich  die  Hänge  des  Plateaus  herunter  bis 
nach  Giermont  zieht  Noch  größer  ist  der  Lavastrom,  der  aus  dem 
westlich  danebenliegenden  Puy  de  Gome  geflossen  ist.  Von  seinem 
Ausgangspunkte  bis  zum  Bette  der  Sioule,  wo  er  sein  Ende  nimmt, 
mißt  er  10  km.  Weiter  nördlich  sieht  man  de  Puy  Ghopine,  der  mit 
seinem  Krater  in  den  großem  Schlund  des  Puy  de  la  Qoutte  einge- 
schachtelt ist  Auch  nach  Süden  hin  erhebt  sich  noch  eine  Reihe 
von  Puys,  zwischen  denen  der  Lac  d*Aydat  hervorblitzt,  dessen 
Spiegel  der  Stauung  des  Veyrebaches  durch  einen  Lavastrom  sein 
Dasein  verdankt.  Was  diese  vulkanische  Gegend  so  anziehend  macht, 
das  ist  der  Schein  der  Neuheit,  der  über  ihr  liegt;  die  öden  Krater- 
berge  scheinen  noch  zu  drohen,  die  tief  zerrissenen  Lavaströme  sehen 
aus,  als  wären  sie  erst  jetzt  geflossen.  Das  Volk  betrachtet  sie 
daher  auch  mit  Mißtrauen,  da  sie  ihm  einen  großen  Teil  anbaufähigen 
Bodens  rauben ;  und  es  werden  noch  Jahrtausende  vergehen,  ehe  der 
Pflug  über  diese  Steinwüsten  geführt  werden  kann.  Der  Name  Gheires, 
womit  es  sie  benennt,  ist  auch  auf  die  Karten  übergegangen. 

Über  die  südlichen  Puys  hin  schweift  das  Auge  auf  die  mit 
Hügeln  besäte  und  von  Tälern  zerrissene  Hochebene,  die  sich  nach 
Osten  hin  langsam  abfallend  in  die  weite  Ebene  von  Limousin  verliert 

Nach  Süden  findet  der  Blick  auf  die  Hochebene  eine  Schranke 
durch  das  mächtige  Massiv  des  Mont  Dore.  Das  treffUche  Fernrohr 
des  Observatoriums  läßt  die  Einzelheiten  deutlich  erkennen ;  die  tiefen 
Täler,  die  von  den  Flüssen  in  seine  Flanken  eingegraben  sind;  die 
nadelscharf  aufsteigende  Pyramide  des  Puy  de  Sancy,  seine  felszer- 
rissenen Hänge  nach  dem  Val  d'enfer.  Dskhinter  aber,  schon  in  be- 
trächtliche Feme  gerückt,  erhebt  sich  breit  und  massig  der  Rücken 
des  Gantal.  Weiter  im  Südwesten  zieht  sich  ein  langgestrecktes, 
nach  Nordwesten  gerichtetes  Gebirge  hin ;  in  seiner  mauerartigen  Er- 
hebung erinnert  es  an  den  Schweizer  Jura.  Doch  das  Femrohr  löst 
es  in  eine  Menge  von  Kegelbergen  auf;  mit  seinen  zahlreichen  krater- 
tragenden Puys  gleicht  es  einer  großen  Fabrikstadt,  in  der  sich  Esse 
an  Esse  reiht  Es  sind  die  zwischen  den  Quellen  von  Loire  und 
Allier  gelegenen  Gevennen  von  Velay.« 

Die  Vulkane  bei  Karabunar  im  südöstUchen  Klelnasien 

sind  von  F.  Schaffer  besucht  worden.^)  Die  Stadt  Karabunar  liegt 
ganz  im  vulkanischen  Randgebiete  der  lykaonischen  Senke,  umgeben 
von  Tuffhügeln  und  Anhäufungen  vulkanischen  Schlammes,  der  zur 
Gewinnung  von  Salpetersäure  auf  primitive  Weise  ausgelaugt  wird. 
Die  jungen  Miniaturvulkane,  die  sich  östlich  von  Karabunar  erheben, 
gehören  nach  Schaffer  zu  den  interessantesten  Beispielen  von  Eruptions- 


')  Mitt  d.  k.  k.  geogr.  Ges.  in  Wien  1908.  p.  76. 


Yulkanismus.  247 

Zentren  und  sind  als  wahre  Musterbeispiele  den  Vorkommnissen  der 
Umgebung  von  Glermont  an  die  Seite  zu  stellen,  bieten  aber  noch 
größere  Abwechslung  als  diese.  »Hier  liegt  ein  einfaches  oblonges 
Maar  mit  senkrechten  Wänden  und  ebenem  Boden  in  den  Unter- 
grund der  von  ausgeworfener  Asche  bedeckten  Ebene  eingebettet, 
daneben  befindet  sich  ein  viel  größeres  rundes  Maar,  das  einen  Salz- 
tumpel  birgt,  aus  dem  sich  ein  Aschenkegel  mit  einem  wohlerhaltenen 
Krater  inselartig  bis  über  das  Niveau  der  Umgebung  idrhebt.  Wir 
müssen  uns  wohl  vorstellen,  daß  hier  zuerst  eine  große  Explosion 
stattgefunden  hat,  die  das  Maar  schuf,  und  erst  später  Asche  ge- 
fördert wurde,  die  sich  zu  dem  Kegel  anhäufte. 

In  nächster  Nähe  erhebt  sich  ein  Vulkanberg  mit  2  Kratern, 
einem  altem  flachen,  auf  der  Spitze  gelegenen  und  einem  Jüngern 
sehr  tiefen,  der  nach  Norden  gerückt  ist  und  das  Felsgerüste  des 
Berges  bloßlegt  Im  Osten  und  Westen  liegen  noch  andere,  zum 
Teil  prächtig  erhaltene  erloschene  Vulkane.«  Der  Karadscha  Dagh, 
der  sich  wie  ein  Glebirgszug  nordöstlich  von  Karabunar  erhebt,  scheint 
ein  stark  erodiertes  Vulkanmassiv,  nicht  eine  Kette  von  Eruptions- 
kegeln zu  sein,  wovon  der  Reisende  sich  durch  den  Anblick,  den  er 
von  verschiedenen  Seiten  bietet,  überzeugt  zu  haben  glaubt 

Die  Yulkänisehen  und  seismischen  Vorgängre  im  Ost- 
indischen Archipel  während  des  Jahres  1901  behandelt  eine 
Publikation  des  magnetischen  und  meteorologischen  Observatoriums 
zu  Batavia.^)  Der  bedeutendste  Ausbruch  fand  statt  beim  Kelvet  am 
28.  Mai  1901.  Der  Smeroe  verursachte  am  29.  und  30.  Januar 
starken  Aschenregen,  am  Sapoetan  erschütterten  in  den  Tagen  vom  6.  bis 
9.  Februar  starke  Erdbeben  die  weitere  Umgebung,  am  Vulkane  von 
Banda  und  am  Rendjani  hörte  man  einen  starken  Knall  und  ver- 
spürte schwache  Beben,  bei  ersterm  am  18.  und  19.  Mai,  bei  letzterm 
am  1.  Juni.  Der  Ausbruch  des  Kelvet  begann  unter  starkem  Getöse 
in  der  Nacht  vom  22.  zum  23.  Mai ;  leuchtende  Wolken  trieben  unter 
heftigen  elektrischen  Entladungen  mit  dunklen  Aschenwolken  vereinigt 
gegen  WNW^  und  bald  begann  ein  stärker  werdender  Stein-  und  Aschen- 
regen. Durch  den  westwärts  getriebenen  Aschenregen  wurden  be- 
sonders die  Gegenden  um  Kedivi  und  Paree  geschädigt  Der  tätige 
Krater  enthielt  einen  See,  aus  dem  sich  bei  dem  Ausbruche  ein 
Schlammstrom  längs  der  Ravinen  des  Berges  gegen  Blitor  ergoß  und 
die  Plantagen  der  Umgegend  verwüstete.  Wirkliche  Lavenergüsse 
traten  nicht  aut  Das  Material  der  gefallenen  Steine  ist  Pyroxen- 
andesit;  die  gleichen  Mineralkomponenten  enthalt  auch  die  gefallene 
Asche,  sehr  ansehnlich  ist  ihr  Gehalt  an  Magnetit,  der  stellenweise 
bis   46%   betragt     Die  Verbreitung   des   Aschenregens   umfaßt  ein 


^)  Natark.  TijdBsohrift  voor  Ned.  Indie  1902.  02.  p.  162.   VgL  Natorw. 
Rundschau  1908.  p.  886. 


248  Valkaiiismus. 

elliptisches  Oebiet,  dessen  Längsachse  ungefähr  N  75^  W  yerläuft 
und  ungefähr  750  &m  lang  ist,  und  dessen  Größe  etwa  115065  qkm 
beträgt  In  der  dem  Vulkane  nächsten  Zone  ward  ein  Gebiet  von 
75  qkm  2  m  hoch  durch  die  Asche  bedeckt;  etwa  150  qkm  zeigten 
eine  Aschenhöhe  von  0.5  m,  247.5  qkm  eine  solche  von  0.05  m, 
2497.5  qkm  eine  von  0.02  m  und  das  übrige  Gebiet  eine  von  0.001  «k 
Unter  den  zahlreichen  gemeldeten  Erderschütterungen,  die  in  jedem 
Monate  auftraten,  sind  keine  von  größerer  Tragweite  gewesen. 

AusbFuoh  eines  Inseivulkanes  im  Golfe  von  Tomlni.   Die 

große  ostindische  Ineel  Celebes  läuft  nordostwärts  in  zwei  schmale 
Lappen  oder  Finger  aus,  welche  den  Meerbusen  von  Tomini  (oder 
Gt)rontalo)  umschließen.  Dieser  Meerbusen  zerfällt  in  zwei  annähernd 
kreisförmige  Becken,  welche  durch  die  Togean-  oder  Schildpadinseln 
gegeneinander  abgegrenzt  sind.  Die  Anzahl  dieser  Inseln  beträgt  etwa 
30,  und  die  größten  davon  heißen:  Togean,  Binang^Unang,  Mas&pi, 
Lebiti,  Batudata,  Malingi,  Walea  kiki  und  Walea  daä.  Die  Gebrüder 
P.  und  F.  Sarasin,  welche  Celebes  Mitte  der  90  er  Jahre  besuchten, 
sagen  über  die  Togeaninseln:  »Dieselben  sind  nach  den  Angaben  ver- 
schiedener Berichterstatter  vulkanischer  Natur,  und  die  Gestalt  der 
Hügel  spricht  in  der  Tat  dafür.  Wenn  man  von  Westen  her  nach 
der  Togeangruppe  schaut,  erblickt  man  ein  ausgedehntes  flaches  Land, 
vermutUeh  eine  Korallenbildung,  über  welches  östlich  in  der  Feme 
Hügel  emporragen,  die  sehr  wohl  als  Vulkanruinen  angesehen  werden 
können.  Una  Una  oder  Binang  Unang  gleicht  einem  umgekehrten 
Teller,  dessen  Mitte  zerrissene  Felsen,  wohl  Reste  eines  Vulkanes,  ein- 
nehmen. € 

Dieser  Vulkan  ist  nun  in  den  letzten  Jahren  zu  großer  Tätigkeit 
erwacht,  und  Arthur  Wichmann  (Utrecht)  hat  jetzt  alles  darüber  be- 
kannt gewordene  Material  gesammelt  und  veröffentlicht^)  Hiemach 
begann  die  Tätigkeit  am  10.  April  1898  durch  Erdstöße  auf  Una  Una, 
welche  24  Stunden  andauerten  und  ab  und  zu  von  heftigen  Deto- 
nationen begleitet  waren,  deren  Ursprungsort  nicht  ermittelt  werden 
konnte.  Auch  an  den  nächsten  Tagen  dauerten  diese  Erdstöße  fort 
In  der  Nacht  des  2.  Mai  gegen  1  Uhr  sah  man  eine  gewaltige  schwafze 
Rauchsäule  unbeweglich  über  der  Insel  stehen.  Am  folgenden  Tage 
suchte  infolgedessen  ein  Dampfer  die  Insel  anzulaufen,  vermochte 
aber  nicht,  Anker  zu  werten,  da  Aschen  und  Steine  unter  heftigen 
Datonationen  ausgeworfen  wurden.  Auf  See  wurden  einige  Prauen 
mit  flüchtenden  Bewohnern  angetroffen.  Während  der  Weiterfahrt 
nach  Parigi  herrschte  ein  starker  Aschenregen,  so  daß  die  Sopne  un- 
sichtbar blieb.  Als  man  8  Tage  später  nach  Una  Una  zurückkehrte 
und  dort  vor  Anker  ging,  befand  sidi  zwar  der  Vulkan  noch  in  Tätig- 
keit,  doch  rieselten  nur  noch  geringe  Aschenmengen   hernieder.     Zu 

^)  Zeitschr.  der  deutschen  geolog.  Gesellschaft  ML  p.  144  ff. 


Vulkanismus.  249 

Gorontalo  hörte  man  am  Abende  des  11.  Mai  gegen  10^/^  Uhr  2  Schüsse, 
die  von  einem  Erzittern  der  Luft  begleitet  waren.  Es  ist  unbekannt 
geblieben,  ob  dieselben  mit  einem  erneuten  Ausbruche  im  Zusammen- 
hange standen.  Gewiß  ist  aber,  daß  ein  solcher  in  der  1.  Hälfte  des 
Juni  erfolgte,  denn  am  Morgen  des  14.  Juni  wurde  in  der  Palosbai 
(Bai  von  Palu),  an  der  Westküste  von  Celebes,  ein  Aschenregen  be- 
obachtet Derselbe  war  aus  dem  Nordosten,  einer  dichten  Nebel- 
wand gleichend,  allmählich  herangerückt  Infolge  des  später  sich 
auftuenden  Seewindes  wurden  die  Aschenmassen  wieder  zurück- 
getrieben. Am  frühen  Morgen  des  16.  Juni  wiederholte  sich  zu  Dongala 
an  der  Palosbai  dasselbe  Schauspiel.  Am  20.  Juni,  um  1  '/^  Uhr 
nachts,  hörte  man  an  demselben  Orte  dreimaliges  Getöse,  dem  Donner 
schwerer  Geschütze  gleichend.  Zwischen  der  1.  und  2.  Detonation 
trat  eine  Pause  von  20  Sekunden  ein,  während  die  zweite  und  dritte 
unmittelbar  aufeinander  folgten.  Zu  derselben  Zeit  wurde  zu  Gorontalo 
ein  Erdstoß  bemerkt  Augenscheinlich  stehen  diese  Ereignisse  mit 
4ler  Tätigkeit  des  Vulkanes  in  Verbindung,  doch  fehlen  nähere  An- 
gaben. Dagegen  wird  aus  Samarinda  im  Reiche  Kutei,  an  der 
Ostküste  von  Bomeo,  gemeldet,  daß  am  Morgen  des  27.  Juni  sämt- 
liche Pflanzen  und  Häuser  mit  einer  dünnen  Aschenschicht  bedeckt 
erschienen. 

In  der  Nacht  vom  28.  zum  29.  Juli  wurde  zu  Dongala  ein  nur 
wenige  Sekunden  währendes  Erdbeben,  in  der  Richtung  0 — W,  be- 
obachtet An  den  Tagen  des  1.,  6.  und  7.  August  gingen  zu 
Dongala  ziemlich  heftige,  aus  NO  kommende  Aschenregen  nieder,  die 
von  den  Seewinden  später  wieder  zurückgetrieben  wurden« 

Als  der  Dampfer  »ReaeU  am  8.  August  sich  in  der  Nähe  der 
Palosbai  befand,  wurde  derselbe  des  Morgens  um  8  Uhr  von  einem 
Aschenschauer  überrascht,  der  bald  darauf  in  einen  Schlammregen 
überging.  Es  herrschte  Dunkelheit  und  zugleich  hoher  Seegang. 
Der  Regen  hielt  während  der  nach  Süden  gerichteten  Fahrt  noch 
bis  11  Uhr  des  Vormittags  an«  Auf  Deck,  sowie  auf  den  Masten 
hatten  die  Aschen-  und  Schlammmassen  eine  Dicke  von  ^/,  Fuß 
erreicht 

Einen  Tag  später  befand  sich  das  Schiff  »Sri  Bomeo c  unter 
2^  5'  westl.  Br.  und  118^  52'  östl.  L.,  als  es  in  den  Aschenregen 
geriet,  der  bis  zum  Morgen  des  9.  August  anhielt  Bei  der  Ankunft 
in  Dongala  vernahm  der  Kapitän,  daß  der  Ort  jene  Tage  4  Stunden 
lang  in  Finsternis  gehüllt  gewesen  sei,  sowie  daß  der  zeitweilig  von 
Schlamm-  und  Gewitterregen  begleitete  Aschenfall  2  Tage  —  einige 
Ruhepausen  abgerechnet  —  gewährt  hatte.  Als  die  »Sri  Bomeo c 
um  4  Uhr  nachmittags  die  Reede  verließ,  fielen  noch  immer  Aschen* 
massen  hernieder  und  begleiteten  den  Dampfer  auch  auf  seiner  Fahrt 
nach  Kutei  an  der  Küste  von  Bomeo.  Bei  der  Ankunft  in  Samarinda 
waren  die  Bäume  mit  feiner  Asche  bedeckt,  während  das  Schiff  aus* 
sah,  als  sei  dasselbe  einem  Schneesturme  ausgesetzt  gewesen. 


250  Valkanumiifl. 

Zu  Bontok,  Abteilung  Dussunlande  der  Süd-  und  Ostabteilung 
von  Bomeo,  begann  der  Aschenregen  am  16.  August  gegen  Abend 
und  hörte  erst  an  dem  darauffolgenden  Morgen  auf. 

ZuMuwaraTeweh,  ebenfalls  in  denDussunlanden gelegen,  wieder- 
holte sich  ein  Aschenregen  am  Morgen  des  80.  August 

In  einem  Briefe  an  A.  Wichmann  aus  Posso  d.  d.  1.  September 
heißt  es:  »Die  letzten  Nachrichten  aus  Una  Una  lauten  dahin,  daß 
der  Berg  noch  fortwährend  aus  Erateröffnungen  raucht  Wir  haben 
hier  keinerlei  Unannehmlichkeiten  davon,  da  die  Aschen  infolge  der 
herrschenden  Ostwinde  nach  Parigi  und  Sausu  getragen  werden« 
Das  Eiland  ist  von  seinen  Bewohnern  gänzlich  geräumt  worden, 
sämtliche  Süßwasserquellen  sind  versiegt  und  die  ausgedehnten  An- 
pflanzungen von  Kokospalmen  vernichtet  worden.  Ein  Stück  Land, 
wie  ich  glaube  im  nordwestlichen  Teile,  ist  in  das  Meer  gesunken.« 
Endlich  heißt  es  in  einem  undatierten  Berichte,  augenscheinlich  aus 
dem  Anfang  des  Oktober,  daß  die  vulkanische  Tätigkeit  auf  der  Insel 
noch  fortdauere.  Zwar  erfolgten  keine  Aschenregen  mehr,  aber  un- 
ausgesetzt fänden  Erderschütterungen  statt 

Im  Juni  des  Jahres  1899  besuchte  der  Kontrolleur  von  Posso, 
Herr  F.  Dumas,  die  Insel  Seinem  von  einem  Kärtchen  begleiteten  Be- 
richte entnimmt  A.  Wichmann  folgendes :  »Vor  dem  Ausbruche,  ergoß 
sich  in  die  an  der  Nordostseite  befindliche  Bai,  wo  die  Schiffe  vor 
Anker  gehen,  ein  Bach,  dessen  Bett  kaum  1  Faden  breit  war,  und 
dessen  Wasser  eine  Tiefe  von  nur  1 — l^j  Fuß  besaß.  An  Stelle 
desselben  hat  sich  nunmehr  ein  Flußbett  von  ansehnlicher  Breite  ge- 
bildet, das  sich  vom  Strande  aus  in  südwestlicher  Richtung  verfolgen 
läßt  Dasselbe  ist  erfüllt  von  feuchten  dunkelgrauen  Sanden,  auf 
welchen  zahlreiche  Brocken  eines  ausgeglühten  Sandsteines  (sie!) 
von  derselben  Farbe  und  außerdem  vereinzelte  Fragmente  eines  roten 
Sandsteines  zerstreut  umherliegen.  Bei  der  Wanderung  längs  des 
Flußbettes  wird  man  überrascht  durch  den  Anblick  der  ihrer  Rinde 
und  Zweige  beraubten  Bäume.  Viele  Stämme  sind  zu  Boden  geworfen 
und  zerbrochen ;  dabei  liegen  sie  an  vielen  Stellen,  Holzscheiten  gleich, 
um  Ufer  des  Flusses  aufgeschichtet  Es  hat  den  Anschein,  als  ob 
infolge  der  Gewalt  des  Stromes  Felswände  abgestürzt  und  die  früher 
die  Abhänge  bedeckenden  Bäiune  gegen  das  Ufer  geschleudert  worden 
seien.  In  allen  höher  gelegenen  Teilen  ist  die  Pflanzenwelt  einer 
vollständigen  Vernichtung  anheimgefallen,  wie  dies  auch  vom  Meere 
aus  deutlich  zu  beobachten  ist.  Die  Strauchgewächse,  welche  hier  und 
da  zwischen  den  stehengebliebenen  Baumstämmen  angetroffen  werden, 
können  erst  nach  dem  Ausbruche  zur  Entwicklung  gelangt  sein.  Als 
eine  sehr  eigentümliche  und  zugleich  charakteristische  Erscheinung  ist 
es  zu  bezeichnen,  daß  die  in  der  Nähe  des  Strandes  befindlichen 
Kokospalmen  erhalten  geblieben  sind.  Wohl  hängen  die  untern 
Blätter  traurig  herab,  und  sind  die  Nüsse  außerordentlich  klein  geraten, 
vernichtet  aber  ist  kein  Baum. 


Vulkanismus.  251 

Den  Mitteilungen  der  Eingeborenen  zufolge  konunen  von  Zeit  zu 
Zeit  noch  Erdbeben  vor,  und  finden  auch  noch  Schlammergüsse  statt, 
die  sich  durch  ein  unterirdisches  Rollen  ankündigen.  Diesen  Ausbrüchen 
geht  außerdem  Rauchentwicklung  am  Berge  vorher.  Der  größte  Teil 
der  nach  Togian  geflüchteten  Bevölkerung  ist  wieder  zurückgekehrt, 
doch  hat  dieselbe  viel  von  Unterleibskrankheiten  zu  leiden,  deren 
Ursache  auf  die  schlechte  Beschaffenheit  des  Trinkwassers  zurück- 
geführt wird.  Sowohl  das  Wasser  der  warmen,  als  das  der  kalten 
Quellen  besitzt  einen  schwach  alkalischen  Geschmack. 

A.  Wichmann  teilt  femer  noch  einige  Bemerkungen  mit  über 
einen  flüchtigen  Besuch,  den  ein  Bergingenieur  (M.  Eoperberg)  im 
September  1900  der  Insel  abgestattet  hat  »Die  Tätigkeit  be- 
schränkt sich  seit  dem  Ausbruche  von  1898  auf  das  Aushauchen  von 
Dämpfen  durch  den  Kegel,  der  sich  damals  in  dem  gegenwärtigen 
Krater  gebildet  hat,  während  aus  dem  Kraterboden  an  einer  einzigen 
Stelle  periodisch  Dampf  unter  Getöse  ausgestoßen  wird.  Die  jüngste 
Eruption  hat  ausschließlich  Sand  und  Asche  geliefert,  und  dasselbe 
scheint  auch,  nach  den  noch  vorhandenen  Überbleibseln  älterer  Ränder 
zu  urteilen,  mit  frühem  Ausbrüchen  der  Fall  gewesen  zu  sein.  Festes 
Eruptivgestein  scheint  sich  lediglich  an  der  Zusammensetzung  des 
ältesten  Kraterrandes,  der  an  der  betretenen  Südseite  des  Kegels 
sichtbar  ist,  zu  beteiligen.« 

Aus  allem  schließt  Wichmann,  daß  dem  Ausbmche  auf  Una  Una 
von  unterirdischem  Getöse  begleitete  Erschütterungen  vorhergingen, 
welche  die  Mehrzahl  der  Bewohner  bereits  veranlaßten,  das  Weite 
zu  suchen.  In  der  Nacht  des  1.  zum  2.  Mai  1898  erfolgte  der  erste 
und  augenscheinlich  heftigste  Ausbmch,  dessen  Gewalt  sich  inner- 
halb dreier  Tage  erschöpft  hatte.  Femer  stehe  fest,  daß  in  den 
Nächten  des  13.— 14.,  15.— 16.  und  19.-20.  Juni  die  Emp- 
tionen  sich  wiederholten.  Die  bei  der  letzten  Gelegenheit  heraus- 
geschleuderten Aschen  erreichten  in  der  Nacht  des  26. — 27.  Juni 
die  Ostküste  von  Bomeo.  Erneute  Ausbrüche  hätten  sodann  noch 
in  den  Tagen  des  1.,  5.  und  7.  August  stattgefunden,  wobei  die 
Aschen  abermals  nach  Bomeo,  und  zwar  weit  in  das  Innere  hinein 
(Buntok,  Muwara  Teweh)  getragen  wurden.  An  dem  letztgenannten 
Orte  wurde  sogar  noch  am  80.  August  Asche  bemerkt,  so  daß 
der  Vulkan  auch  noch  in  der  2.  Hälfte  des  August  eine  lebhaftere 
Tätigkeit  entfaltet  haben  muß.  Damit  scheinen  aber  die  eigentlichen 
Explosionen  ihr  Ende  erreicht  zu  haben,  wenngleich  der  Vulkan  noch 
bis  in  den  Oktober  hinein  geraucht  hat,  und  auch  Erschütterungen 
des  Bodens  bemerkt  wurden.  Die  letztgenannten  Erscheinungen  hatten 
im  Lauf  des  Jahres  1899  noch  nicht  aufgehört,  wie  denn  auch  von 
Zeit  zu  Zeit  Schlammergüsse  stattfanden. 

Wichmann  macht  besonders  auf  die  Verbreitung  der  Aschen  auf- 
merksam und  erläutert  dieselben  durch  ein  Kajrtchen.  Hiemach  dehnte 
sich  der  Aschenfall  westwärts   über   die   Makassarstraße   nach   dem 


252 


.Vi 


US. 


östlicheii  Borneo  hinaus  über  800  km  weit  über  ein  (lebiet  von 
803000  qJcm,  Wichmann  bemerkt,  daß  gemäß  der  Beschaffenheit 
der  Asche  diese  nicht  als  Zerstaubungsprodukt  eines  flüssigen  Magmas 
angesehen  werden  könne,  da  Scherben  und  Splitterchen  eines  reinen 
Glases  völlig  fehlen,  auch  sei  das  vollständige  Fehlen  von  Oasein- 
schlüssen bemerkenswert.  »Bei  Vulkanen c,  sagt  er,  »die  sich  seit 
langer  Zeit  in  einem  Zustande  solfatarer  Tätigkeit  befinden  —  und 
nur  diese  —  lassen  eine  tief  bis  ins  Mark  des  Berges  eindringende 
chemische  und  damit  im  Zusammenhange  stehende  mechanische  Zer- 
setzung erkennen.  Erfolgt  nunmehr  eine  Explosion,  ohne  von  flüssiger 
Lava  begleitet  zu  sein,  wie  dies  gegenwärtig  bei  weitaus  den  meisten 
tätigen  Vulkanen  des  Indischen  Archipels  der  Fall  ist,  so  wird  das 
durch  und  durch  morsche  Material  in  Gestalt  von  Aschen,  Sanden 
und  großem  Gesteinsfragmenten  auseinander  gesprengte 

Einen  Zusammenhang  des  Vulkanes  von  Una  Una  mit  andern  in 
benachbarten  Gebieten  auftretenden  Vulkanen  hält  Wichmann  für  un- 
wahrscheinlich. Nach  seiner  Ansicht  hat  man  es  mit  einem  für  sich 
allein  stehenden  Vorkommen  zu  tun,  und  zwar  habe  der  Vulkan  von 
Una  Una  sich  inmitten  des  Tominibusens  autgebaut,  in  ähnlicher 
Weise,  wie  dies  mit  dem  in  der  Bandasee  isoliert  sich  ertiebenden 
Gunung  Api  der  Fall  ist 

Die  tatigen  Vulkane  auf  den  Philippinen.   In  dem  großen 

von  Jesuitenpatres  herausgegebenen  Werke  El  Archipielago  filipino^) 
wurden  u.  a.  auch  tätige  und  eiioschene  Vulkane  dieser  Inselgruppen 
aufgezählt 

Von  den  erstem  folgende:     .^ 


Viükan 


Hdhe 
m 


Inael 


Provlns 


1.  Mayon  oder  Albay     . 

2.  Tail 

8.  Baoon  oder  Pocdol    . 

4.  Bulusan 

5.  Babuyan 

6.  CamiguindeBabuyanes 

7.  Didica 

8.  Canala6nod.Mala8pina 

9.  Camiguin  del  Sur  .    . 

10.  Macaratorln  .... 

11.  Apo 


2784 
820 
1400 

? 

? 
786 

eo 

1400 

840 

? 

8800 


Luzön 


Babuyan 

Camiguin 

Didica 

Negros 

Camiguin 
Mindanao 


Albay 

Batangas 

Albay 

if 
Archipel  d.  Babuyanen 


Grenze  von  Neffros 
Oriental  u.  Occidental 

Cottabato 
Dävao 


Der  vulkanische  Ausbruch  auf  Sawajl.  im  November  1902 
haben  auf  dieser  zur  deutschen  Samoagruppe  gehörigen  Insel  vulkanische 
Erscheinungen   stattgefunden.     Dieselben  waren   indessen   nicht  be- 


')  2  Vol.  Washington  1900. 


> 


Ynlkaniwniis.  253 


deutend.  Ein  wissensohaltliches  Gutachten  des  Geologen  Dr.  Paul  Großer, 
der  um  die  Zeit  des  Ausbruches  in  der  Nähe  der  Insel  verweilte,  be- 
sagt im  wesentlichen  folgendes:^)  9 Die  der  Durchsichtigkeit  nach 
verhältnismäßig  kleine  Menge  des  aus  dem  tätigen  Vulkane  auf- 
steigenden Rauches,  seine,  von  fem  gesehen,  fast  weiße  Farbe  und 
daher  geringe  Beladung  mit  festen  (Aschen-)  Bestandteilen,  sowie 
Dr.  Tetens  Mitteilungen  von  den  geförderten  E^eugnissen  lassen  die 
Phänomene  als  unbedeutend  bezeichnen. 

Schon  dem  Auge  des  gebildeten  Laien  entgeht  es  nicht,  daß 
Sawajji  eine  jüngere  geologische  Geschichte  besitzt  als  Upolu.  Seine 
noch  von  wenig  Humus  bedeckten  Laven  und  unzähligen  wohlerhaltenen 
Sekundärkegelchen,  im  höchsten  Maße  aber  das  »Mut,  der  von  den 
Atmosphärilien  noch  fast  unzersetzte  Lavastrom,  welcher  am  Nord- 
gehänge der  Insel  herabfloß  und  sich  an  der  Küste  weit  ausbreitete, 
lassen  die  Oberflächenformen  als  geologisch  ganz  jugendliche  erkennen. 
Aber  selbst  am  Maßstabe  der  gegenüber  der  Erdgeschichte  verschwindend 
kleinen  Geschichte  der  Menschheit  gemessen,  muß  das  letzte  Auftreten 
vulkanischer  Erscheinungen,  der  Erguß  des  »Mu«,  in  nicht  allzu 
ferne  Zeit  zurückgelegt  werden,  so  daß  wahrscheinlich  die  Jahrhunderte 
ihres  Alters  an  den  Fingern  einer  Hand  abgezählt  werden  können. 

So  nimmt  es  nicht  wunder,  daß  gerade  Sawaji  der  Schauplatz 
neuer  vulkanischer  Reaktionen  ist  Wie  bekannt,  traten  dieselben 
ohne  Verderben  bringende  Vorboten  auf  —  gegenüber  dem  in  der 
Regel  beobachteten  Verhalten  nach  jahrhundertelangem  Schlummer 
wiedererwachender  Vulkankräfte  eine  durchaus  auffallende  Erscheinung. 
Sie  drängt  den  Schluß  auf,  daß  der  Vulkanismus  keinen  großen 
Widerstand  zu  überwinden  hatte,  um  seinen  Zweck,  nämlich  die 
Ausstoßung  vom  feuerflüssigen  Magma  und  von  Dämpfen,  zu  erreichen. 
Vielleicht  ist  dies  ein  gutes  Vorzeichen  für  den  Verlauf  des  derzeitigen 
Ausbruches,  weil  es  der  begründeten  Hoffnung  Raum  gibt,  daß  die 
vulkanischen  Kräfte  in  aller  Ruhe  sich  ausgeben  und  nicht  durch 
gewaltige  Erderschütterungen  oder  aus  solchen  hervorgehende  Flut- 
wellen Verderben  bringen  werden.  Auch  die  zentrale  Lage  des  Feuer- 
herdes mitten  in  den  Bergen  gebietet  eine  durchaus  ruhige  Auflassung 
der  Lage. 

Das  viel  größere  Alter  des  Antlitzes  von  Upolu  deutet  auf  ganz 
getrennte  Herde  der  beiden  Inseln,  und  die  Erfahrungen  auf  dem 
Gebiete  der  Vulkanologie  lassen  es  als  ausgeschlossen  erscheinen,  daß 
auch  hier  neues  Leben  unterirdischer  Mächte  erregt  wird.c 

Die  BriiptloB  des  VulkaiieB  auf  TofroBhima  In  Japan  im 
Augmk  1902.*)  Diese  Insel,  auch  Ponafidin  genannt,  liegt  zwischen 
Hottdo  und  den  Bonininseln.    Sie  ist  2.4  km  lang,  +  1.8  Am  breit  und 


^)  Gaea  1908  p.  186. 

^  Umlauft,  Dtsoh.  Rundschan  f.  Geogiaphie  1906.  fl^  p. 


254  Vulkamsmiis. 

wurde  von  etwa  125  Leuten  bewohnt,  die  sich  mit  dem  Fange  von 
Albatrossen  beschäftigen.  Geologisch  betrachtet  ist  sie  ein  Strato«* 
Vulkan,  welcher  aus  Pyroxenandesit  und  dessen  Agglomeraten  auf- 
gebaut ist  Der  Berg  besteht  aus  2  Teilen,  dem  zentralen  Eruptions- 
kegel und  der  äußern  Somma.  Zwischen  beiden  ist  das  Atrium, 
ein  ringartiges  flaches  Stück  Land,  etwa  250  m  über  dem  Meere, 
auf  welchem  eine  Eisenbahn  für  den  Transport  der  Vögel  angelegt 
worden  war.  Der  zentrale  Kegel,  352  m  hoch,  welcher  den  Namen 
Komochiyama  führt,  war  durch  die  Eruption  zum  großem  Teile 
zerstört  worden.  Die  Sonmia  wird  in  2  Teile  getrennt  durch 
2  Barrancos,  von  welchen  der  eine  vom  Atrium  nach  Norden, 
der  andere  nach  Süden  verläuft  Der  Teil  westlich  von  den  Barrancos 
ist  840  in  hoch  und  heißt  Tsukimiyama,  der  östliche  Teil,  800  m 
hoch,  heißt  Asahiyama.  Auf  dem  zentralen  Kegel  lagen  zwei  alte 
Krater,  die  noch  nebeneinander  existieren,  der  eine  nördlich  vom 
andern.  Der  nördliche  heißt  Naka-no-kubo  (d.  L  mittlere  Depression), 
der  südliche  Minamikubo  (d.  i.  südliche  Depression).  Beide  haben 
einen  Durchmesser  von  ca.  150  m  und  sind  beiläufig  80  m  tieL  Im 
Norden  von  diesen  Kratern  liegt  noch  ein  Krater,  der  Kitano-kubo 
(d.  i.  nördliche  Einsenkung)  gerade  auf  der  äußern  Grenze  des 
Atriums.  Er  ist  von  derselben  Größe  wie  die  beiden  andern.  Ein 
4.  Krater  liegt  südlich  vom  Komochiyama  an  einer  Stelle,  die 
etwas  niedriger  als  das  Atrium  ist  Er  führt  den  Namen  Buta-no- 
kubo  (d.  i.  Schweinssenkung)  und  ist  kleiner  als  die  andern.  In 
der  Linie  dieser  4  Krater  lag  die  Bai  von  Ghitose-ura,  welche 
von  einem  steilen  Abhänge  begrenzt  wurde,  dem  früher  eine  Terrasse 
vorgelagert  war.  Diese  Bucht  wird  als  ein  alter  Krater  angesehen. 
Am  10.  August  1902  sah  man  von  einem  vorüberfahrenden  Dampfer 
aus,  daß  von  dieser  Insel  Rauch  aufstieg,  und  das  Meer  von  Asche 
getrübt  war.  8  Tage  früher  war  dergleichen  nicht  wahrgenommen 
worden.  Am  16.  August  hatte  sich  der  AnbUck  der  Insel  sehr  ver- 
ändert; der  zentrale  Kegel  war  verschwunden,  und  an  seiner  Stelle 
hatte  sich  ein  weiter  E[rater  geöffnet,  aus  dem  dichte  Rauchmassen 
aufstiegen.  Die  Oberfläche  des  Eilandes,  welche  vorher  von  Pflanzen 
begrünt  war,  war  nun  größtenteils  in  ein  Aschenfeld  verwandelt 
Überdies  stieg  eine  Seemeile  südwestlich  von  der  Insel  alle  12  bis 
20  Minuten  eine  ca.  200  m  hohe  Wassersäule  auf. 

Eine  vor  Tagen  abgesandte  wissenschaftliche  Kommission  fand 
-den  Krater  500  m  lang,  200  m  breit  und  80 — lOOm  tiet  Wasser- 
dampf und  schweflige  Gase  entströmten  ihm.  Ein  2.  Krater  hatte 
sich  an  der  Küste  an  einer  Stelle  gebildet,  welche  Hyoryu-Sato 
genannt  wird.  Es  ist  dies  ein  tiefer,  fingerartiger  Einschnitt  in 
die  Küste,  100  m  lang,  30  m  breit  und  20  Faden  tief,  begrenzt  von 
einer  senkrecht  abfallenden,  säulenförmigen,  50  m  hohen  Wand.  An 
diesen  Stellen  strömen  Schwefelgase  mit  solcher  Gewalt  aus,  daß 
das  Wasser  fußhoch   emporgeschleudert  wird.     Der  Abhang  hinter 


Vulkanismus.  255 

Chitose-ura  war  abgerutscht  und  hatte  das  Dorf  auf  der  Terrasse 
und  einen  Teil  der  Bucht  bedeckt  So  war  eine  Böschung  von  ca. 
40^  mit  einer  Höhe  von  150  m  entstanden,  und  an  der  Küste  hatte 
sich  eine  halbmondförmige  Sanddüne  von  5 — 6  m  Breite  gebildet, 
die  eine  Flache  von  56  qm  bedeckte.  Auch  an  den  Gipfeln  des 
Tsukimiyama  und  Asahiyama  hatten  Erdrutschungen  stat^efunden. 

Auch  Spalten  waren  durch  die  Eruption  entstanden,  am  zahl- 
reichsten bei  Meiji-ura. 

Der  Auswurf  beschränkte  sich  auf  Steine  und  Asche.  Am 
tiefsten,  ca.  3  cm,  lag  die  Asche  bei  Hyoryu-Sato  und  in  der  Um- 
gebung. Die  Steine,  welche  der  neue  Krater  des  Komochiyama 
ausgeschleudert  hatte,  erreichten  2 — 3  m  im  Durchmesser. 

An  Stelle  der  submarinen  Eruption,  welche  am  16.  August  im  Süd- 
westen der  Insel  beobachtet  worden  war,  waren  nunmehr  nur  noch 
Exhalationen  von  schwefligen  Gasen,  welche  vom  Grunde  des  Meeres 
aufstiegen,  zu  beobachten.  Von  den  Bewohnern  der  Insel,  deren 
Zahl  auf  125  angegeben  wurde,  war  keine  Spur  mehr  zu  entdecken. 

Der  Vulkan  Izaleo  ist  im  Dezember  1902  von  Dr.  K.  Sapper 
besucht  worden.^)  Dieser  Feuerberg  hat  im  Jahre  1770  seinen  An- 
fang genommen  auf  einer  Viehweide  am  Südabhange  des  Vulkanes 
Lamatepec  (oder  S.  Ana)  durch  Aschenauswürfe,  die  zuerst  einen 
kleinen  Hügel  bildeten,  der  durch  stetig  fortdauernde  Eruptionen  und 
durch  Aussenden  von  Lavaströmen  allmählich  zu  einem  stattlichen 
Berge  von  ungefähr  800  m  relativer  Höhe  und  1880  m  absoluter  Höhe 
heranwuchs.  Erst  1865  gönnte  sich  der  Feuerberg  ein  wenig  Ruhe, 
um  1868  abermals  seine  gewohnte  Tätigkeit  in  zahlreichen  kleinen 
Eruptionen  aufzunehmen.  Im  Januar  1901  aber  ruhte  der  ruhelose 
Berg,  bis  er  im  Mai  1902  wieder  aküv  wurde. 

»Grau  und  ernst»,  sagt  Sapper,  »mit  straffgezeichneten  steilen 
Eonturlinien  steigt  der  vegetationslose  Feuerberg  inmitten  der  lachen- 
den grünen  Landschaft  auf,  und  schon  aus  weiter  Feme  erblickt 
man  die  warnenden  Rauchwolken,  während  bei  Nacht  die  wie  ein 
Feuerregen  niedersprühenden  und  am  Berghange  niedergleitenden 
glühenden  Steine  und  Aschen  ein  Feuerwerk  darstellen,  wie  es  so 
schön  und  groß  keine  menschliche  Kunst  zu  bereiten  vermöchte.  So 
herrlich  dies  Schauspiel  schon  aus  der  Ferne  erscheint,  so  gewinnt 
es  doch  an  eindringlicher  Wirkung  noch  außerordentlich,  sobald  man 
es  aus  der  Nähe  betrachten  kann.  Das  ist  hier  sehr  leicht  möglich, 
da  kaum  ly^  km  vom  Ausbruchspunkte  entfernt,  in  gleicher  Höhe 
wie  dieser,  am  Abhänge  des  S.  Anavulkanes  eine  kleine  bewohnte 
Hütte  sich  findet,  in  der  ich  während  der  Tage  meines  Aufenthaltes 
Quartier  bezog  und  in  den  Rastpausen  zwischen  den  Exkursionen 
bei  Tag  und  Nacht  die  prächtigen  Ausbrüche   mit  aller  Ruhe  und 


^)  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde.  Berlin  1908.  p.  878. 


256  Vnlkapiwnus. 

Bequenüichkeit  betrachtete.  Die  Ausbrüche  erfolgen  nicht  mehr  wie  trüber 
aus  einem  der  3  Gipfelkrater,  sondern  aus  einer  neuen  Boca  in 
einer  Art  Nische  des  Nordabhanges.  Ein  offenes  Mundloch  existiert 
nicht,  sondern  vor  Beginn  der  Eruptionen  beginnt  gewöhnlich  aus 
einer  Anzahl  stets  neu  sich  bildender,  radial  angeordneter  Spalten 
etwas  Rauch  auszuschwitzen,  dann  öffnet  sich  plötzlich  eine  größere 
Spalte  oder  sonstige  Öffnung  und  stöfit  unter  starkem  Getöse  einen 
Aschen-  oder  Dampfballen  und  zahlreiche  große  und  kleine  Steine 
aus,  die  im  Bogen  100 — 200  m  hoch  über  die  ursprüngliche  Wolke 
hinausfliegen,  oft  einen  feinen  Rauchstreifen  nach  sich  ziehend  und 
nach  allen  Richtungen  hin  sich  verbreitend.  Während  diese  Steine 
nun  in  langen  Sprüngen  den  Berghang  hinabsetzen  oder  sanft  auf 
weicher  Asche  abwärts  gleiten,  breitet  sich  der  Gas-  und  Aschenballen 
unter  wirbelnder  Bewegung  nach  der  Seite  und  nach  oben  hin  zu 
einer  einheitlichen  riesigen  Wolke  von  beträchtlichen  Dimensionen 
aus,  die  von  den  Winden  entführt  wird  und  nun  ihren  Gehalt  an 
Asche  zu  Boden  fallen  läßt. 

So  schön  diese  kleinen  Eruptionen  schon  bei  Tage  sind,  so 
werden  sie  durch  die  nächtlichen  Ausbrüche  doch  noch  weit  an 
Wirkung  übertroffen.  Man  kann  sich  kaum  etwas  Schöneres  denken 
als  diese  gewaltigen  glühenden  Blöcke,  die  Steine  und  Aschen,  welche 
urplötzlich  durch  die  Lüfte  fliegen  und  springend  und  gleitend  noch 
lange  ihren  Glutsohein  durch  die  finstere  Nacht  hinaussenden.  Oft 
sind  sie  noch  immer  rotglühend,  wenn  eine  neue  Eruption  beginnt, 
und  das  ganze  Schauspiel,  verstärkt  oder  abgeschwächt,  sich  wieder- 
holt. Immer  freilich  behalten  diese  Eruptionen  mehr  oder  weniger 
nas  Ansehen  eines  Feuerwerks,  und  man  wird  sich  der  Großartigkeit 
dud  Gewalt  der  Eruptionen  eigentlich  erst  bewußt,  wenn  man  bis 
an  den  Fuß  des  Berges  vordringt,  die  kanonenschuflähnlichen  Detona- 
tionen bei  Beginn  der  Ausbrüche  hört  und  die  mächtigen  Steine 
polternd  und  rauchend  die  Hänge  niedersausen  und  erst  in  geringer 
Entfernung  vom  Beobachter  zur  Ruhe  kommen  sieht.  Wenn  man 
dieses  Schauspiel  einige  Male  aus  der  Nähe  betrachtet  hat  und  be- 
merkt, daß  die  Eruptionen  eine  etwas  größere  Heftigkeit  zeigen,  so 
zieht  man  sich  doch  nicht  ungern  wieder  in  etwas  sicherere  Entfernung 
zurück  und  begreift,  daß  dies  Schauspiel  doch  nicht  ganz  so  un- 
schuldig ist,  wie  es  in  der  Feme  sohien.c 

Die  Vulkangebiete  In  Chile  und  Argentinien  sind  von 

Prof.  R.  Hauthal  statistisch  behandelt  worden,^)  wobei  er  sich  viel- 
fach auf  eigens  im  Gebiete  beider  Länder  gesammeltes  Material 
stützte.  Am  Schlüsse  macht  er  auf  4  Punkte  aufmerksam.  Diese 
Punkte  sind: 

»1.  Das  Zurücktreten  und  plötzliche  Fehlen  von  Yulkanbergen  in 
der  Eordillere  des  patagonischen  Gebietes.   Im  nördlichen  Teile  dieses- 

^)  Petermanns  Mitteilungen  1906.  p.  97. 


Vulkanismus.  257 

Gebietes  sind  bisher  nur  6  Einzelvulkane  sicher  na4digewie8en ;  die 
drei  im  mittlem  Teile  gelegenen  sind  sehr  zweifelhaft,  und  im  süd- 
lichen Teile  fehlen  Vulkane  in  der  Kordillere  ganz.  Es  ist  auch 
nicht  sehr  wahrscheinlich,  daß  hier  noch  Vulkane  entdeckt  werden 
—  gerade  dieses  Gebiet  ist  in  den  letzten  Jahren  gut  durchforscht 
worden,  und  diese  Erforschung  hat  ergeben,  daß  früher  für  Vulkane 
gehaltene  Berge  nicht  Vulkane  sind,  sondern  Lakkolithe,  so  der 
Fitzroy  und  der  Paine  (51^  s.  Br.  73^  w.  L.>,  deren  granitische  Natur 
Verf.  nachgewiesen  hat 

2.  Der  Umstand,  daß  eigentliche  Vulkanberge  («trigonometrische 
Eruptionssignale")  fast  ausschließlich  in  der  Kordillere  sich  finden, 
Ausnahmen  bilden  nur  4  Gruppen  und  die  Vulkanberge  im  südöst- 
lichen Teile  des  patagonischen  Gebietes. 

Dagegen  sind  die  großen  Deckenergüsse  ausschließlich  außerhalb 
der  Kordillere  im  patagonischen  TafeUande,  das  zum  größten  Teile 
aus  nahezu  horizontal  lagernden  Sedimenten  besteht 

3.  Die  Vulkane  in  der  Kordillere  sind  in  Reihen  angeordnet,  die 
oft  unter  sich  parallel,  in  ihrer  Richtung  den  Hauptleitlinien  der 
andinen  Tektonik  entsprechen. 

4.  Am  dichtestgedrängten  und  am  massigsten  entwickelt  sind 
die  Vulkane  da,  wo  die  Gebirge  aus  parallel  verlaufenden  N — S 
streichenden  Faltenzügen  bestehen,  wie  in  der  Puna  de  Atacama 
zwischen  22 — 27  ^  S.  Br.  Hier  tritt  auch  die  geradlinig  reihenweise 
Anordnung  der  Vulkane  mit  fortschreitender  Kenntnis  immer  klarer 
hervor.  Hier  ist  überhaupt  das  klassische  Land  des  Vulkanismus, 
wo  die  vulkanischen  Erscheinungen  in  einer  solchen  Großartigkeit 
und  Mannigfaltigkeit  auftreten,  daß  ihr  genaues  Studium  viel,  sehr 
viel  zur  Lösung  der  vulkanischen  Probleme  beitragen  wird.« 

Diese  4  Punkte  enthalten  für  den  Verf.  eine  Bestätigung  der 
Ansicht  derjenigen  Forscher  wie  Fuchs,  Gredner,  Reyer,  Bergeat, 
Felix,  Lenk,  Volz,  Branco  und  anderer,  welche  das  Auftreten  von 
Vulkanen  mit  der  Tektonik  der  betreffenden  Gegend  in  Zusammen- 
hang bringen.  Er  neigt  sich  der  Ansicht  zu,  daß  dieser  Satz  vielleicht 
noch  in  dem  Sinne  erweitert  werden  könne,  daß  auch  die  Verschieden- 
heit der  Formen,  in  welchen  uns  die  vulkanische  Tätigkeit  auf  der 
Erdoberfläche  entgegentritt,  in  gewissen  ursächlichen  Beziehungen 
stehe  zu  den  speziellen  Strukturverhältnissen,  dem  besondem  geolo- 
gischen Aufbaue  einer  Gegend ;  wenigstens  scheinen  die  vulkanischen 
Erscheinungen  in  Argentinien  nach  den  bisherigen  Beobachtungen 
darauf  hinzuweisen. 

Ober  die  Vulkane  des  nordwestlichen  Patagroniens  macht 
Dr.  H.  Steffens  auf  Grund  eigener  Forschungen  bemerkenswerte  Mit- 
teilungen.^) Bei  der  Fahrt  durch  die  breite  Fjordstraße  des  Moraleda- 
kanals  und  den  Corcovadogolf  fesselten  die  in  ziemlich  regelmäßigen 


^)  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Berlin  1901.  p.  167. 
Klein,  Jahrbuch  XIV.  17 


258  Vulkamsmus. 

Abständen  von  etwa  ^/,  Breitengrad  aus  der  Masse  der  küstennahen 
Kordilleren  hervorragenden  Vulkanberge  den  Blick.  »Unvollkommene 
Beobachtung  hat  die  lange  Reihe  dieser  Vulkanberge  als  auf  eine 
nordsüdlich  verlaufende  KordiUerenkette  aufgesetzte  Gebilde  ange- 
sehen; ja  man  hat  sogar  von  einer  > vulkanischen  Kette«  gesprochen, 
welche  der  sogenannten  »zentralen  Hauptkette«  der  patagonischen 
Kordillere  nach  Westen  vorgelagert  sein  und  dieselbe  in  gewissen 
Breiten  an  absoluter  Höhe  übertreffen  soll.  Diese  Auffassung  ist 
indessen  durchaus  unbegründet.  Schon  während  der  Fahrt  längs  der 
Küste  und  durch  die  großem  Meereseinschnitte  wird  es  deutlich, 
daß  weitaus  die  meisten  Vulkanberge  in  gar  keinen  orographischen 
Zusammenhange  untereinander,  dagegen  in  engster  Beziehung  zu  den 
meist  südöstlich  und  in  auffallendem  Parallelismus  streichenden  Kor- 
dillerenzügen stehen,  welche  die  Fjordsenken  und  ihre  Inlandfort- 
setzungen begleiten.  Besonders  schön  ließ  sich  dies  mit  Bezug  auf 
den  Macä  vom  AisenQord  aus  beobachten.  Von  irgend  welcher  Ver- 
knüpfung des  Berges  mit  dem  nächsten  Vulkane  der  Reihe,  dem 
Mentolat,  ist  gar  keine  Rede;  die  an  ihrer  engsten  Stelle  noch  4  km 
breite  und  über  100  m  tiefe  Fjordstraße  des  Puyuguapikanals  unter- 
bricht hier  nach  Norden  zu  den  Zusammenhang  ebenso  scharf  wie 
der  Aisenljord  nach  Süden  zu.  Dagegen  erkennt  man  deutlich  einen 
hohen  Strang,  der  den  Maca  in  östlicher  Richtung  mit  dem  gletscher- 
reichen Massive  des  Mte.  Gay  verbindet  und  in  derselben  Richtung 
in  Form  einer  wenig  gescharteten  Kette,  mit  kurzen  spornarügen 
Ausläufen  zum  AisenQord  und  untern  Aisentale,  fortstreicht.  Eine 
ähnliche  Beobachtung  konnten  wir  in  etwa  43^  20'  südl.  Br.  betreffs 
des  Yanteles  machen,  der  sich  als  ein  stark  gegliederter,  mehr- 
gipfeliger  vulkanischer  Kegelberg  darstellt.  Von  seinem  nächsten 
nördlichen  Nachbarn,  dem  Corcovado,  durch  die  tiefe  und  breite 
Depression  des  untern  Rio  Gorcovadotales  getrennt,  und  nach  Süden 
zu  durch  die  gleiclifalls  tief  einschneidenden  Senken  von  Tictoc, 
Pichi-Palena  und  Rio  Rodriguez  aus  jedem  Zusammenhange  mit  dem 
in  44^  aufragenden  Vulkanberge  Melimoyu  herausgelöst,  erscheint 
derselbe  als  der  nach  dem  Meere  vorgeschobene  Eckpfeiler  einer  scharf 
ausgeprägten,  südöstlich  streichenden  Schneekette,  welche  die  vor- 
erwähnte Talsenke  des  Rio  Corcovado  nach  Süden  zu  abgrenzt 
Ganz  analog  ist  der  in  41  ^  45'  gelegene  Vulkanberg  Yate  als  nord- 
westlicher Eckpfeiler  der  langen,  mauerartig  geschlossenen  Schnee- 
kette anzusehen,  welche  der  nahezu  das  ganze  Gebirge  durchsetzenden 
Depression  des  Puelotales  parallel,  in  südöstlicher  Richtung  verläuft, 
wäiirend  der  Gedanke  an  einen  kettenartigen  Zusammenhang  mit  den 
Nachbarvulkanen  Galbuco,  Osorno  usw.  schon  durch  den  Einschnitt 
des  ReloncaviQords,  ohne  andere  weniger  ausgeprägte  Quersenken  zu 
erwäimen,  unmöglich  gemacht  wird. 

So  läßt  sich  in  der  Tat  eine  auffallende  Regelmäßigkeit  in  der 
räumlichen  Anordnung  der  westpatagonischen  Vulkanberge  feststellen. 


Vulkanismus.  269 

aber  nicht  in  dem  Sinne  einer  meridionalen  kettenariigen  Aneinander- 
reihung, sondern  in  bezug  auf  ihr  parasitenhaftes  Auftreten  am  West- 
abbruche mächtiger,  aus  kristallinischen  Massengesteinen  und  Schiefem 
bestehender  Kordillerenzüge.  Übrigens  scheinen  sich  bei  vielen  großen 
Vulkanbergen  des  mittlem  Chile,  beim  Villarica,  Llaima,  Antuco, 
Chillan  u.  a.,  ganz  ähnliche  Beziehungen  zum  Hauptgerüste  der  Kor- 
dilleren nachweisen  zu  lassen.« 

Vulkanisehe  Asehenfälle  im  Nordatlantisehen  Ozean.  Der 

deutschen  Seewarte  sind  Berichte  mit  Proben  über  2  Asehenfälle 
zugegangen,  die  offenbar  mit  den  Ausbrüchen  auf  Martinique  in  Zu- 
sammenhang stehen.  Der  erste  derselben  fand  über  500  Seemeilen 
weit  nordöstlich  von  dieser  Insel  statt;  die  vulkanische  Asche  ist 
also  gegen  den  Passat,  offenbar  durch  eine  obere  südwestliche  Luft- 
strömung fortgetragen  worden:  a)  Das  deutsche  Schiff  »Kaiser«,  auf 
der  Reise  von  Bremen  nach  New-Orleans  begriffen,  befand  sich  im 
Mai  im  Nordostpassat  und  hatte  den  Kurs  auf  Sombrero  -  Island 
gesetzt.  Am  20.  Mai,  in  19<>  0'  nördl.  Br.  und  54 <^  IT  westl.  L., 
zeigte  sich  um  Sonnenuntergang  ein  Dunstschleier  am  Himmel,  der 
jene  eigenartige  Färbung  der  Luft  hervorbrachte,  die  als  Anzeichen 
eines  nahenden  Orkans  gilt.  Ein  solcher  war  um  diese  Jahreszeit 
völlig  ausgeschlossen,  und  Wind  und  Barometer  zeigten  auch  keine 
Veränderungen.  Der  Wolkenschleier  nahm  schnell  an  Dichtigkeit  zu 
und  senkte  sich  anscheinend  tiefer  und  tiefer,  bis  er  als  feiner,  an- 
haltender Aschenregen  auf  das  Schiff  fiel,  alles  mit  einer  leichten 
Staubschicht,  starrem  Rauhfrost  ähnlich,  überziehend.  Der  Wind  war 
während  der  ganzen  Zeit  OSO,  Stärke  3.  Gegen  4  Uhr  nachts  war 
die  Erscheinung  vorbei,  die  Luft  zeigte  wieder  das  gewöhnliche  Aus- 
sehen des  Passats,  b)  Die  Deutsche  Bark  > Gapella«  befand  sich 
am  9.  Juli  unterwegs  von  Port  of  Spain  nach  Bremen,  auf  14®  20' 
nördL  Br.,  62®  45' westl.L.,  etwa  100  Seemeilen  westlich  von  Martinique, 
als  bei  Sonnenuntergang,  bei  mäßiger  Brise  aus  ONO,  im  Nordosten 
und  Norden  die  Luft  ein  drohendes  Aussehen  annahm,  und  Blitze 
sich  zeigten.  »Seit  8^/,  Uhr  große  grelle  Flächenblitze,  bald  hoch 
oben,  bald  tiefer  in  den  untern  Wolken.  Kleine  Segel  fest,  9  Uhr 
Bö  von  ^/^ stündiger  Dauer,  Stärke  6.  Seit  Mittemacht  Blitzen 
mäßiger.  Um  1  Uhr  beginnt  Asche  zu  fallen;  die  Luft  ist  so  sehr 
damit  angefüllt,  daß  man  nicht  gegen  den  Wind  sehen  kann.  Die 
Leute  auf  Deck  sehen  aus  wie  Müllerknechte,  Takelung  wie  beschneit. 
Von  5  Uhr  vormittags  ab  fällt  keine  Asche  mehr;  vormittags  häufige 
leichte  Regenschauer.«^) 


^)  Ann.  d.  Hydrographie  1908.  Nr.  21. 


ir 


260  Inseln. 


Inseln. 

Die  Insel  Grlmsey,  nördlich  von  Island,  schilderte  Th.Thoroddsen.') 
Die  Insel  ist  vom  nächsten  Lande  etwa  40  km  entfernt,  5  km  lang 
und  2  km  breit.  Die  ganze  östliche  Seite  besteht  aus  steilen, 
50 — 100  m  hohen  Vogelbergen  ohne  irgend  welche  Einschnitte,  die 
von  der  Westküste  durch  eine  Einsenkung  getrennt  werden,  in  der 
sich  mehrere  kleine  Seen  befinden.  An  der  nur  etwa  10 — 20  m  hoben 
Westküste  liegen  die  10  Höfe  der  Insel.  Diese  besteht  aus  älterm 
Basalt,  der  hier  und  da  von  Schlacken  und  Lavabreccie  unterbrochen 
wird;  doch  liegt  sie  außerhalb  des  vulkanischen  Gürtels  und  ist 
vielleicht  der  Rest  eines  gesunkenen  Teiles  des  Basaltrückens  des 
Nordlandes.  Auch  die  etwa  75  km  im  NNW  von  Grimsey  gelegene 
Insel  Kolbeinsey  (Möwenklippe)  scheint  aus  Basalt  zu  bestehen;  sie 
steigt  steil  vom  Meeresgrunde  auf  und  ist  etwa  16  m  hoch.  Der 
Pflanzenwuchs  von  Grimsey  ist  sehr  dürftig  und  ausgesprochen  polar; 
von  strauchartigen  Pflanzen  gedeiht  nur  die  Polarweide,  die  ^j^—  1  Zoll 
hoch  wird.  Unter  den  überaus  zahlreichen  Seevögeln  verdient  be- 
sonders der  Königsalk  (Mergulus  alle)  Erwähnung,  der  sonst  nirgends 
auf  Island  brütet.  Die  Vogelberge  bilden  die  wichtigste  Einnahme- 
quelle der  Bewohner,  die  auch  Tausende  von  Eiern  nach  Nordisland 
ausführen.  Die  Fischerei  wird  in  offenen  Booten  betrieben.  Die 
Einwohnerzahl  schwankte  im  19.  Jahrhunderte  zwischen  46  (1855) 
und  96  (1880).  Das  Klima  ist  verhältnismäßig  mild.  Der  Jahres- 
durchschnitt ist  nach  21jährigen  Beobachtungen  -{-  1.5^  der 
August  ist  der  wärmste  Monat  mit  einer  Mitteltemperatur  von  6.9  ^ 
der  März  der  kälteste  mit  einer  solchen  von  —  4^.  Die  höchste 
Wärme,  die  beobachtet  wurde,  ist  26.2  ^,  die  größte  Kälte  —  30  ^, 
aber  das  sind  bloße  Ausnahmen.  Frost  wurde  beobachtet  an  191, 
Niederschläge  an  143,  Schnee  an  56  Tagen.  Die  Niederschläge 
betragen  374  mm.  Das  Meer  um  Grimsey  hat  im  Januar  durch- 
schnittlich 0  ®,  im  Juli  6 — 7  ®.  Bei  Westwind  ist  in  der  B.egel 
trockenes  Wetter,  während  der  Ostwind  Regen  und  Feuchtigkeit 
bringt  (an  53  Tagen  Nebel).  Ortliche  Winde  sind  am  häufigsten 
(NO  18  %,  SO  16  7^),  Südwinde  am  seltensten  (4  7^). 

Die  greographisohe  Stellung  der  Azorengruppe  behandelt 
Prof.  R.  Sieger.*)  Diese  Gruppe  gehört  zu  den  ozeanischen  Inseln, 
die  durch  ihre  Lage  keinem  Kontinente  zugehören  und  nur  aus  Zweck- 
mäfiigkeitsgründen  in  die  herkömmliche  Einteilung  nach  Erdteilen  ein- 
gestellt zu  werden  pflegen.  Sie  ist  (nach  E.  Reclus)  von  dem 
nächsten  Punkte  des  europäischen  Festlandes  1380  km,  von  der 
nächsten  Stelle  des  afrikanischen  Kontinentes  1550  km,  von  Neufund- 


*)  Geogr.  Tidsskrift  1901/02  Nr.  7  und  8,  daraus  in  Globus  83.  p.  162, 
«)  Mitteilgn.  d.  k.  k.  geogr.  Ges.  in  Wien  1903.  p.  190. 


laselD.  261 

land  —  der  nächstliegenden  Küsteninsel  Amerikas  —  1800  km  ent- 
fernt Somit  liegt  sie  am  nächsten  an  Europa  und  überdies  in  der 
geographischen  Breite  Südeuropas,  verdient  somit  den  altem  Namen 
der  »westlichen  Inseln«.  Andererseits  aber  stellt  die  Madeiragruppe 
und  die  Ganarien  eine  nähere  Verbindung  durch  Inselgruppen  mit  der 
Küste  Afrikas  her,  während  zwischen  Europa  und  den  Azoren  solche 
Zwischenstationen  fehlen.  Von  den  Festlandssockeln  der  beiden  Erd- 
teile werden  die  Azoren  durch  tiefe  Meeresbecken  getrennt,  ebenso 
auch  von  Amerika.  Der  »Atlas  des  Atlantischen  Ozeans«  der  Deutschen 
Seewarte  (1902)  zeigt,  daß  sie  einer  Bodenschwelle  des  Atlantischen 
Ozeans  angehören,  die  sich  etwa  in  der  Mitte  zwischen  der  alten 
und  der  neuen  Welt  hinzieht  und  von  beiden  Seiten  durch  Tiefsee 
begrenzt  ist.  Das  »Azorenplateau«  ist  auch  gegenüber  den  Boden- 
schwellen von  Madeira  und  den  Ganarien  durchaus  selbständig. 
Dagegen  liegt  es  auf  der  erwähnten  Schwelle  gemeinsam  mit  St.  Helena 
und  Ascension,  die  ebenfalls  ozeanische  Inseln  sind,  aber  herkömm- 
licherweise zu  Afrika  gerechnet  werden. 

Die  Zugehörigkeit  der  Gruppe  zu  dem  einen  oder  dem  andern 
Erdteile  geht  somit  nicht  aus  ihrer  Lage  bestimmt  hervor,  ebenso- 
wenig aus  ihrer  Beschaffenheit.  Der  geologische  Bau  der  Inseln 
zeigt  keinen  deutlichen  Zuhammenhang  mit  Europa  und  dem  in  seinem 
Gebirgsbaue  europäischen  Nordafrika  (Kleinafrika),  aber  auch  nicht 
mit  den  Tafelländern  des  eigentlichen  Afrika.  Es  finden  sich  nur 
jungvulkanische  Bildungen  und  etwas  marines  Miocän,  durch  welches 
das  Alter  dieser  vulkanischen  Bildungen  ebenfalls  als  mittel-  oder 
Jungtertiär  bestimmt  wird.  Alle  Schlüsse,  die  man  aus  der  Be- 
schaffenheit der  atlantischen  Küsten  über  die  einstige  Verteilung  von 
Wasser  und  Land  (sowohl  für  die  Kreidezeit  wie  für  den  Anfang 
des  Tertiär)  gezogen  hat,  schweben  daher,  soweit  die  Azoren  in  Frage 
kommen,  ganz  in  der  Luft.  Durch  ihre  vulkanische  Beschaffenheit 
werden  sie  mit  afrikanischen  Küsteninsehi  und  dem  afrikanischen 
Kontinente  enger  verknüpft,  und  die  Auffassung  von  Sueß,  daß  diese 
und  die  andern  sichtbaren  vulkanischen  Inseln  nur  einen  Teil  einer 
ausgedehnten  vidkanischen  Region  unter  dem  Meere  bilden,  die 
noch  in  der  Nähe  des  Äquators  vermutet  werden  kann,  käme  hier 
in  Betracht 

In  klimatischer  Beziehung  gehören  die  Azoren  zum  mittel- 
ländischen Klima,  welchem  sowohl  Südeuropa  als  auch  Kleinafrika 
zugehört,  und  haben  ein  feuchtes  Seeklima  infolge  ihrer  ozeanischen 
Lage,  aber  ein  extremeres  Klima  als  Madeira.  Die  Tier-  und  Pflanzen- 
welt ist  fast  ganz  europäisch.  Doch  mag  dies  zum  großen  Teile 
späterer  Einwanderung  zuzuschreiben  sein,  da  die  Inseln  es  Pflanzen 
verschiedener  Gebiete  leicht  ermöglicht  haben,  sich  zu  akklimatisieren, 
und  da  von  der  Fauna  bekannt  ist,  daß  sie  vor  der  europäischen 
Besetzung  sehr  arm  an  großem  Tieren  war.  Tropische  Pflanzen, 
die  sich  finden,  kommen  zum  Teile  auch  in  Südeuropa  vor;  speziell 


262  Inseln. 

a&ikanische  Formen  fehlen  nidit,  sind  aber  wenig  zahlreich  und 
treten  vor  einer  ziemlich  großen  Zahl  solcher  Formen  zurück,  die 
den  Azoren  eigentümlich  sind.  Der  Reichtum  an  Wiesen,  eine  Folge 
des  ausgesprochenen  Seeklimas,  unterscheidet  das  Landschaftsbild 
scharf  von  demjenigen  der  afrikanischen  Steppenvegetation,  die  schon 
auf  den  Ganarien  beginnt 

Die  heutige  landwirtschaftliche  Produktion  verknüpft  die  Inseln 
eng  mit  dem  südlichen  Europa.  Neben  der  Viehzucht  spielen  Süd- 
früchte —  früher  besonders  Orangen,  jetzt  namentlich  Ananas  — 
die  erste  Rolle,  und  man  kann  die  Hauptprodukte  der  Insel  auf  die 
Einbürgerung  durch  Europäer  zurückführen.  In  anthropogeographischer 
Beziehung  zeigen  die  Azoren  überhaupt  engem  Zusanunenhang  mit 
Europa  als  mit  Afrika,  vor  allem  durch  die  rein  weiße  (portugiesische) 
Bevölkerung,  und  das  ist  wohl  auch  der  Grund,  weshalb  die  Portu- 
giesen sie  politisch-administrativ  zum  Mutterlande  selbst,  also  zu 
Europa  rechnen.  Das  gleiche  ist  übrigens  auch  mit  Madeira  und 
seitens  der  Spanier  mit  den  Canarien  der  Fall  Diese  administrative 
Zuteilung  veranlaßt  manche  Handbücher,  die  Azoren  zu  Europa  zu 
rechnen. 

Die  Gilbertinseln  bildeten  den  Gegenstand  einer  meteorologischen 
Studie  von  M.  Prager,  der  eine  Übersicht  über  die  Geographie  und 
Bevölkerung  dieser  Inselgruppe  beigegeben  isi^)  Hiemach  besteht  diese 
Gmppe  aus  sechzehn  mehr  oder  weniger  ausgedehnten  Atollen,  die 
zwischen  B^  20'  nordl.Br.,  2« 40'  südlBr.  und  172 ^  40' östl.Lg.bis  177« 
10'  ösÜ.  Lg.  zerstreut  sind.  »Die  Hauptrichtungslinie  der  ganzen  Gruppe 
verläuft  in  nordwestlicher  Richtung,  welche  auch  bei  der  Lagerung 
fast  aller  Atolle  die  vorherrschende  ist  Die  Bezeichnung  »Gilbert- 
inseln« für  die  ganze  Gruppe  gab  Krusenstem  mit  dem  Unterschiede, 
daß  er  näher  zusammenliegenden  Atollen  eine  besondere  Benennung 
erteilte,  und  zwar  »Scarboroughinseln«  für  Makin  und  Butaritari, 
»Simpsoninseln«  für  Maraki,  Apaiang,  Tarawa,  Maiana,  Apamama, 
Aranuki  und  Euria;  südlich  vom  Äquator  »Kingsmillinseln«  für  Nanuti, 
Tapetuwea,  Pem,  Nukenan,  Onoatoa,  Tamana  und  Arrorai.  Der 
Name  Kingsmill  für  die  ganze  Gmppe  ist  der  bekannteste  geblieben 
und  gilt  in  der  Südsee,  namentlich  für  die  Amerikaner,  noch  immer 
als  der  allgemein  anerkannte.  Die  erste  Entdeckung  der  Gilbertinseln, 
namentlich  der  mit  dem  Namen  »Eingsmül«  bezeichneten  AtoUe,  wird 
Kapt  Byron  im  Juni  1765  zugeschrieben;  1788  sahen  die  Kapitäne 
Marshall  und  Gilbert  mit  den  Schiffen  »Scarborough«  tmd  »Charlotte« 
einen  Teil  der  nördlich  vom  Äquator  gelegenen  Atolle.  10  Jahre 
später,  1799,  berichtete  Kapt  Bishop,  Führer  des  »Nautilus«,  daß 
er  noch  weitere  Atolle  entdeckt  habe.  Erst  1824  untersuchte  Kapl 
Duperre  mit  der  Korvette  »Goquille«  die  bis  dahin  bekannten  AtoUe 
näher,  fand  aber  auch  nicht  alle  auf,  was  später  erst  der  amerikanischen 

>)  Ann.  d.  Hydrographie  190B.  p.  898. 


Inseln.  268 

Entdeckungsexpedition  unter  Kapt.  Hudson  und  Leutnant  Knox  mit 
den  Schiffen  »Peacockc  und  >Flyingfish«  vorbehalten  blieb.  Das 
regste  Interesse  der  verschiedenen  Entdecker,  namentlich  von  Duperre 
und  Hudson,  wandte  sich  jedoch  mehr  den  großem  Atollen  zu,  während 
die  kleinem,  besonders  die  südlich  vom  Äquator  zwischen  2 — 3® 
siidl.  Br.  gelegenen  Inseln  und  Atolle,  noch  lange  unbekannt  blieben; 
nähere  Angaben  über  diese  liegen  erst  aus  den  Jahren  1850 — 1870 
vor,  als  Ergebnis  aus  den  Beschreibungen  von  Walfischfängem,  die 
in  dieser  Gegend  dem  Fange  des  Spermwals  bis  zu  dessen  Verschwinden 
oblagen. 

Auf  eine  vieltausendjährige  Arbeit  der  winzigen  Korallenpolypen 
ist  der  Aufbau  aller  Atolle  zurückzuführen,  die  erst  zum  Abschlüsse 
gelangt,  wenn  die  gewaltigen  Bauten  zwischen  Wind  und  Wasser 
hochgeführt  sind.  Die  steilansteigenden  Riffe  liegen  bei  allen  Atollen 
fast  immer  an  der  Wind-  oder  Wetterseite,  während  an  der  Lee- 
oder geschützten  Seite,  auf  flacherm  Meeresgrunde  aufgebaut,  sich 
ausgedehnte  Korallenfelder  befinden.  Der  unausgesetzte  und  zu  Zeiten 
gewaltige  Anprall  der  Merreswogen  gegen  ein  hochgeführtes  Korallen- 
riff bedingt  ein  fortwährendes  Abbröckeln  kleiner  und  kleinster  Korallen- 
teilchen, deren  Anhäufung  schließlich  zu  einer  Erhöhung  über  dem 
Meeresspiegel  führt.  Auch  der  Wind  ist  ein  Mitarbeiter  an  dem  Auf- 
baue einer  solchen  Inselwelt,  indem  er  die  zu  Atomen  zerstäubten 
Kalkteilchen  hinwegführt  und  an  den  höchstgelegenen  Punkten  ab- 
lagert, selbst  über  weite  Lagunen  trägt,  wo  der  feine  KoraUenstaub 
Erhöhungen  auf  über  Wasser  ragenden  Riffen  fest  verbindet.  Alle 
fast  immer  langgestreckten,  dabei  schmalen  inselartigen  Bodener- 
höhungen finden  sich  denn  auch  an  der  Seite  vor,  wo  Wind  und 
Meereswogen  die  kalkartigen  Gebilde  der  Korallenpolypen  am  ehesten 
anhäufen  können. 

Was  die  Bevölkerung  der  Gilbertinseln  anbelangt,  die  noch  auf 
einer  niedrigen  Kulturstufe  steht,  so  ist  es  auffällig,  daß  im  Gegen- 
satze zu  andern  Gmppen,  z.  B.  zu  den  Marshall-  und  zum  Teile  zu 
den  Karolineninseln,  hier  eine  große  Menschenmasse  auf  verhältnis- 
mäßig engem  Räume  lebt.  Erklärlich  wird  dies  dadurch,  daß  die  Be- 
wohner der  Gilbertinseln  nicht  durch  die  von  den  Weißen  eingeführte 
Syphilis  dem  Untergange  geweiht  wurden.  Kennt  man  den  kriegerischen 
Sinn  dieser  Insulaner,  so  wird  es  verständlich,  wie  sie  durch  ihr 
feindliches  Verhalten  und  durch  ihre  große  Zahl  namentlich  die  Wal- 
fischfänger, die  so  vielen  andern  Insulanem  verhängnisvoll  geworden 
sind,  von  ihren  Gestaden  femgehalten  haben.  Aus  diesem  Gmnde 
lernten  sie  den  Weißen  und  seine  Leidenschaften  nicht  so  genau 
kennen,  wie  z.  B.  die  Marshallinsulaner,  die  Bewohner  der  Insel  Kusai 
u.  a.,  die  viel  friedfertigem  Sinnes  gewesen  sind  und  dadurch  zu  Schaden 
kamen.  Glühende  Rachsucht  gegen  den  weißen  Mann  erfüllte  des- 
halb auch  nicht  die  Herzen  der  Bewohner  der  Gilbertinseln,  was  zur 
Rettung  vieler  Schiffbrüchiger  wesentlich   beitrug,    die   das  Unglück 


264  Insdn. 

hatten,  durch  Verlust  ihrer  Schiffe  den  Händen  der  Eingeborenen 
wehrlos  überantwortet  zu.  werden.  Wenn  dennoch  einzelne  Schiffs- 
besatzungen gelegentlich  vernichtet  wurden,  lag  die  Ursache  in  dem 
törichten  Verhalten  einzelner  Mitglieder.  Überall  in  der  weiten  Gruppe 
drängt  sich  dem  Beobachter  die  Frage  auf,  wie  es  möglich  ist,  dafi 
auf  den  mit  sehr  spärlichem  Humus  bedeckten  Koralleninseln  eine 
80  überaus  zahlreiche  Menschenmenge  ausreichend  sich  ernährt.  Die 
Beantwortung  dürfte  damit  zu  geben  sein,  daß  die  Not  die  beste 
Lehrmeisterin  gewesen  ist;  sie  hat  die  Eingeborenen  nicht  nur  zu 
äußerst  geschickten  Fischern,  sondern  auch  in  gewissem  Sinne  zu 
Ackerbauern  gemacht,  denn  das  Wachstum  jeder  Nährpflanze  auf 
diesen  Inseln,  als  Taro,  Pandanus  Kokospalmen  usw.,  ist  von 
der  Sorgfalt  abhängig,  mit  welcher  die  Frucht  in  den  steinigen 
Korallenboden  gebettet  wird.  Als  Ersatz  für  die  mangelnde  Humus- 
erde dienen  zerkleinerte  Wurzeln  und  Blätter,  untermischt  mit  Erde, 
die  oft  weither  mühsam  herangeschafft  wird. 

Ober  die  Mariaiieil  macht  H.  Seidelberg  einige  Bemerkungen.^) 
Diese  Inseln  liegen  auf  einer  Spalte,  die  vom  japanischen  Bonin- 
archipel  in  nordsüdlicher  Richtung  bis  Yap  und  Palau  deutlich  zu 
verfolgen  ist  Trotz  ihres  gemeinsamen  Ursprunges  zerfallen  sie  äußer- 
lich in  zwei  scharfgetrennte  Gruppen.  Zur  erstem,  die  man  wegen 
ihrer  Lage  die  südliche  nennt,  gehören  Guam,  Rota,  Agiguan,  Tinian, 
Saipan  und  Medinilla.  Sie  haben  sämtlich  nur  mäßige  Erhebungen 
und  sind  durchweg  mit  Madreporenkalk  überkleidet,  der  vereinzelt 
von  vulkanischen  Kuppen  durchbrochen  wird  und  an  den  Außen- 
flanken steil  abgesetzte  Terrassen  bildet.  Im  Gegensatze  zu  ihnen 
besteht  die  nördliche  Ghruppe,  die  mit  dem  16.  Breitenkreise  beginnt, 
rein  aus  vulkanischen  Gesteinen.  Ihre  Gipfel  steigen  kegelförmig 
bis  zu  500  und  800  m  auf,  sind  mit  Laven,  Aschen  und  Schlacken 
bedeckt,  und  ihre  Kratere  befinden  sich  meistens  in  lebhafter  Tätig- 
keit Die  Gruppe  hat  daher  am  häufigsten  von  Erdbeben  zu  leiden, 
obschon  diese,  wie  die  jüngsten  Ereignisse  lehren,  auch  auf  den  süd- 
lichen Inseln  in  verheerender  Weise  auftreten  können. 

An  Flächenraum  messen  die  Marianen  11 40  qkm,  wovon  200  qkm 
auf  die  nördliche  und  940  qkm  auf  die  südliche  Reihe  entfallen. 
Nun  hat  Guam  allein  514  qkrHj  so  daß  für  den  deutschen  Besitz  ins- 
gesamt nur  626  qkm  mit  etwa  2200  Bewohnern  übrig  bleiben.  Der 
Sitz  unserer  Verwaltung  befindet  sich  in  Saipan.  Dieses  ist  etwas 
über  22  km  lang,  1 1  ^m  breit  bei  60  Ami  Umfang  und  einer  Boden- 
fläche von  185  qkm.  Das  Gelände  ist  schwach  gebügelt  mit  kaum 
150  m  Erhebung.  Nur  am  Nordende  ragt  der  abgestumpfte,  erloschene 
Vulkankegel  Tapochao  bis  400  m  empor.  Die  Westseite  ist  nament- 
lich zum  Strande  hin  flach  und  sandig  und  eignet  sich  deshalb  sehr 


^)  Deutsche  KoloDialzeitung  1908.  Januar  1. 


Inseln.  265 

gut  zur  Anpflanzung  von  Kokospalmen.  Im  Süden  herrscht  Weide- 
land vor,  während  der  Norden  ausgedehnte  Waldbestande  trägt,  die 
auf  gutem,  fruchtbarem  Erdreiche  wurzeln. 

Die  Bevölkerung  setzt  sich  überwiegend  aus  Nachkommen  (aller- 
dings nicht  reinblütigen)  der  alten  Chamorro  und  aus  eingeführten 
£[aroliniem  zusammen.  Von  den  erstem  zählt  man  etwa  700,  von 
den  letztem  500  Seelen.  Eine  Vermischung  beider  Elemente  findet 
anscheinend  nicht  statt,  wäre  aber  im  Interesse  der  zwar  geistig 
regsamen,  aber  körperlich  minderwertigen  Chamorro  dringend  zu 
wünschen.  Die  Sprache  dieser  Leute,  ein  mit  dem  Malayischen  ver- 
wandtes Idiom,  wird  allgemein  verstanden  imd  angewandt  Sie  ist 
daher  auf  Anordnung  der  Deutschen  dem  Volksschulunterrichte  zu- 
grunde gelegt 

Saipan  hat  nur  zwei  größere  Siedelungen,  nämlich  Tanäpag  und 
Gärpan.  Der  Hafen  ist  in  Tanäpag.  Er  wird  durch  ein  Riff  und 
eine  vorgelagerte  kleine  Insel  gebildet,  ist  geräumig  und  ohne  Untiefen 
und  hat  ausreichenden  Schutz   gegen  die  vorherrschenden  Ostwinde. 

Die  Insel  Ponapö  der  Karolinengruppe  schildert  Kapitän 
M.  Präger.^)  Sie  ist  wohl  die  größte  Insel  dieser  Grappe.  Etwa 
zwölf  kleine  Inseln  liegen  an  der  Nord-  und  Ostseite  verteilt;  gänz- 
lich von  der  Hauptinsel  abgesondert  und  voneinander  noch  durch 
tiefe  Riffpassagen  getrennt  Dazu  das  gewaltige  Riff,  das  gleich 
einem  Schutzwalle  meerwärts  diese  Inseln,  sowie  auch  die  ganze 
Hauptinsel  gleich  einem  Kranze  umschließt,  auf  dem  wiedemm 
wohl  an  zwanzig  kleine  Inseln  verteilt  liegen,  deren  langgestreckte, 
verhältnismäßig  schmale  Formation  von  Busch  besetzt  und  von  hohen, 
zahlreichen  Bäumen  gekrönt  wird,  so  daß  von  der  See  aus  gesehen 
die  Ufer  der  Hauptinsel  vielfach  verdeckt  bleiben. 

Die  Höhe  dieser  Koralleninseln,  die  namentlich  von  der  Ostseite 
nach  Süden  herum  verteilt  sind,  ist  nicht  sehr  verschieden,  was  be- 
sonders bei  der  höchsten  Flut  bemerkbar  wird;  denn  dann  erheben 
sie  sich  nur  einige  Fuß  über  die  Wasserfläche,  und  die  am  Korallenriffe 
brechenden  Wogen  des  Ozeans  bespülen  die  äußersten  Sträucher  und 
Stämme  der  schlanken  Kokospalmen.. 

Gleich  allen  niedrigen  Koralleninseln  ragt  auch  das  Ponape  um- 
gebende Riff  steil  aus  großer  Tiefe  auf;  400 — 500  m  von  diesem 
entfernt  findet  das  Lot  selten  noch  Grund;  höchstens  strecken  sich 
einzelne  Spitzen  etwas  weiter  hinaus,  doch  so  steil,  daß  nirgendwo 
Raum  für  ein  darauf  Ankergrund  suchendes  Schiff  vorhanden  ist. 
Innerhalb  dieses  Riffkranzes  aber,  der  im  Durchschnitte  eine  halbe 
deutsche  Meile  von  der  Insel  entfernt  sich  erhebt  und  sozusagen 
überall,  wo  eine  Durchfahrt  im  Riffe  gefunden  wird,  zu  Ankergrund 
und  gesicherten  Häfen  führt,  erheben  sich  von  tiefem  Gmnde  herauf, 


^)  Umlauft,  Deutsche  Rundschau  für  Geographie  1903.  25.  p.  503. 


266  Inseln. 

oft  von  60 — 100  m,  iingezählte  große  und  kleine  Korallenblöcke, 
zwischen  denen  hindurch  gewundene,  tiefe  Fahrstraßen  führen. 

Die  ganze  Insel  ist  ein  gewaltiger,  zerklüfteter  Steinbau  aus 
Basaltgebilden;  die  einzelnen  Höhenzüge  fallen  sehr  steil,  oft  senk- 
recht ab,  was  auch  die  Ursache  ist,  daß  heute  noch  das  Innere  von 
keinem  Europäer  und  auch  von  keinem  Eingeborenen  ganz  durch- 
forscht worden  ist. 

Der  höchste  Berg  ist  der  Monte  Santo,  892  m  hoch,  fast  in 
der  Mitte  der  Insel  gelegen,  dem  sich  weniger  hohe,  jedoch  immer 
noch  beträchtliche  Bergmassen  angliedern.  Eine  zusammenhängende 
Bergkette  erstreckt  sich  von  dem  Uu-  bis  zum  Wannadistrikte  und 
von  dort  westwärts  nach  Paleka  im  Jokoitsdistrikte  im  Norden  der 
Insel.  Die  Bekränzung  dieser  Bergkette  besteht  aus  stufenartigen 
Abhängen^  die  teils  zum  Meere  abfallen,  teils  zu  weiten,  von  steilen 
Bergwänden  eingefaßten,  gewundenen  Tälern  führen.  Der  östliche 
Teil  dieses  in  einer  Kurve  auslaufenden  Höhenzuges,  der  etwas 
schmäler  erscheint  als  die  übrige  Bergmasse,  ist  beinahe  ebenso 
steil,  wie  der  in  der  Richtung  Nord-Süd  verlaufende;  namentlich 
im  Uudistrikte  ragen  vereinzelte  Bergkegel  gleich  nahezu  senkrechten 
Pyramiden  auf. 

Überhaupt  ist  das  ganze  Berggefüge  eine  zerklüftete,  viel  durch- 
brochene Gesteinmasse,  besät  mit  Trümmern  und  säulenartigen  Stein- 
gebilden. Entkleidet  der  überreichen  Vegetation  und  des  fruchtbaren 
Erdbodens,  müßten  diese  Bergmassen  wie  ein  über-  und  durcheinander 
geworfenes  Lavafeld  dem  Auge  erscheinen,  was  es  in  der  Tat  auch 
einst  gewesen  ist 

Zwischen  dem  Haupthöhenzuge  und  den  vorgelagerten  Neben- 
hügeln befinden  sich  zwei  breite,  über  eine  Meile  weite  und  1^/,  bis 
2  Meilen  lange  Täler,  zugängig  von  der  Nordostseite,  dem  Metalanim- 
hafen.  Neben  diesen  aber  sind  noch  eine  ganze  Anzahl  kleinerer 
Einsenkungen,  zwischen  hohen,  steilen  Bergkuppen  gelagert,  vor- 
handen, von  denen  aus  man  den  gewaltigen  Aufbau  dieser  Fels- 
massen beurteilen  und  auch  die  Kraft  fließender  Wasser  im  Gesteine 
verfolgen  kann,  die  sich  hundertfältig  oft  in  Kaskaden  von  den 
höchsten  Bergspitzen  herabstürzen.  Naturgemäß  müssen  diese  Wasser- 
massen, die  bei  jedem  starken  Regenfalle  gleich  einer  Hochflut  an- 
schwellen, einem  Sammelbecken  zufließen;  das  Geeignetste  dazu  ist 
das  Metalanimtal,  durch  welches  denn  auch  ein  kurzer,  aber  oft 
reißender  Fluß  seine  Wasser  dem  Meere  zuwälzt  Auch  durch  das 
nach  Norden  sich  öffnende  Nuttal  fließen  die  von  den  Höhen  sich 
stürzenden  Wasser  ab;  überhaupt,  was  Ponape  an  nennenswerten 
Flüssen  aufzuweisen  hat,  findet,  mit  Ausnahme  eines  nach  Süden 
abfließenden  Gewässers,  den  Ausweg  zum  Meere  nach  der  Ostseite  hin. 

Eine  ganz  besondere  Eigenschaft  besitzen  jedoch  die  kurzen,  zu- 
zeiten reißenden  Flüsse  und  Bäche,  nämlich  die,  daß  die  ungezählten 
Quellen,  gespeist  durch  häufige  Regenfälle,  eine  große  Masse  des  auf 


Inseln.  267 

den  Bergen  lagernden  Humus  fortreißen  und  dem  in  der  Tiefe  zum 
Strome  anwachsenden  Flusse  zuführen,  der  infolgedessen  schwarze 
Humuserde  und  roten  Latent  an  seiner  Mündung  ablagert  Diese 
Ablagerungen  erscheinen  wie  ein  ausgedehntes  flaches,  mit  Man- 
grovengebüsch  und  Wald  bestandenes  Vorland,  durch  das  der  Fluß 
sich  eine  nur  schmale  und  meistens  flache  Rinne  offen  hält,  und  es 
bedarf  meistens  kleiner  Kanus,  um  zu  der  eigentlichen  Mündung  des 
Flusses  und  bis  zu  den  Bergen  zu  gelangen.  • 

Zwei  Jahreszeiten,  eine  Trocken-  und  eine  Regenperiode,  sind 
auch  für  Ponape  zu  unterscheiden,  und  zwar  gilt  für  erstere  die 
Zeit  von  Dezember  bis  Ende  Mai,  sie  richtet  sich  nach  dem  Einsetzen 
des  Passatwindes.  Die  Regenzeit  umfaßt  die  Monate  Juni  bis  Ende 
November,  in  welcher  häufiger  westliche  Winde  auftreten.  Eine 
strenge  Unterscheidung  dieser  Perioden  idt  jedoch  selten  zutreffend; 
denn  nicht  nur  setzt  der  Passatwind  oftmals  schon  im  November 
ein,  sondern  er  erstreckt  sich  manchmal  bis  zum  Juli  hinaus,  bleibt 
sogar  unter  Umständen  der  vorherrschende  Wind  während  eines 
ganzen  Jahres.  Man  kann  also  sagen,  daß  die  Regenperiode  unter 
Umständen  eine  nur  kurze  Dauer  hat,  mithin  starke  westliche  Winde 
zu  dieser  Zeit  nur  seltener  auftreten.  Der  Durchschnitt  dreier  Jahre 
ergibt,  daß  110  klare,  149  Tage,  an  welchen  Regenschauer  fielen, 
43  Regentage  und  62  veränderliche  zu  verzeichnen  gewesen.  Während 
3  Jahren  wurde  nur  an  28  Tagen  der  Donner  gehört  und  Blitzen 
nur  achtmal  gesehen. 

Die  Temperatur  zeigt  sehr  geringe  Änderungen,  der  Unterschied 
zwischen  Morgen  und  Abend  beträgt  selten  mehr  als  6^,  eine 
Tagestemperatur  von  +  26  bis  27  ^  dürfte  das  richtige  Maß  der  Luft 
wärme  sein.  Starke,  selbst  stürmische  Winde  treten  nur  in  der 
Regenzeit  auf,  sind  jedoch  von  kurzer  Dauer;  dagegen  kann  häufig 
dem  Passatwinde  die  Bezeichnung  >sehr  stark«  beigelegt  werden, 
namentlich  wenn  er  eingesetzt  hat  und  für  die  Dauer  der  Winter- 
monate recht  frisch  weht  Obgleich  Ponape  nur  eine  kleine  Land- 
masse darstellt,  kann  man  doch  die  Beobachtung  machen,  daß  während 
des  größten  Teiles  des  Jahres  nachts  ein  Landwind  sich  erhebt, 
dessen  Einfluß  bis  auf  eine  deutsche  Meile  Entfernung  von  der  Insel 
wahrgenommen  werden  kann.  Das  Aufsteigen  der  wannen  Luft  vom 
Lande  hat  denn  auch  zur  Folge,  daß  während  längerer  oder  kürzerer 
Dauer  die  Nächte  auf  der  Insel  fast  windstill  sind,  eine  merkbare 
Abkühlung  der  Tagestemperatur  mithin  nicht  möglich  wird.  Orkane, 
Zyklone,  überhaupt  Wirbelstürme,  treten  fast  nie  auf. 

Die  Insel  Nauru  der  Marshallgruppe  schilderte  Fr.  Hems- 
heim  in  der  Greographischen  Gesellschaft  zu  Hamburg.^)  Als  im 
Jahre  1885  eine  Abgrenzung  der  deutschen  und  englischen  Interessen- 


1)  Referat  i.  d.  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Berlin  1008.  p.  465, 
woraus  ob  der  Text. 


268  Inseln. 

Sphären  in  der  Südsee  vereinbart  und  durch  die  nenbestimmte  De- 
markationslinie Nauru  oder  Pleasant-Island  den  deutschen  liarshall- 
inseln  angegliedert  wurde,  war  das  Eiland  eine  der  berüchtigtsten 
Inseln  der  Südsee.  Die  Bewohner,  etwa  1500  Köpfe,  lebten  in  steter 
Fehde,  und  die  unter  ihnen  niedergelassenen  weißen  Händler  waren 
meist  von  Walüschfängem  entlaufene  Matrosen  oder  gar  entsprungene 
Sträflinge,  welche  auf  mysteriöse  Weise  ihren  Weg  von  Australien 
nach  dieser  entlegenen  Insel  gefunden  hatten.  In  guten  Jahren,  d.  h. 
wenn  reichliche  Regen  gefallen  waren,  lieferten  die  Kokospalmen, 
welche  das  steinige  Innere  der  Insel  in  einem  breiten  Gürtel  um- 
säumen, etwa  150 — 200  Tonnen  Kopra.  Diese,  von  den  Händlern 
im  Tauschhandel  erworben,  wurden  an  die  Schiffe  verkauft,  welche 
die  Insel  berührten.  Freilich  einen  Hafen  oder  auch  nur  eine  offene 
Rheede,  auf  welcher  geankert  werden  könnte,  besitzt  Nauru  nicht;  die 
Schiffe  müssen  daher  unter  Segel  bleiben  und  kreuzen,  oft  eine 
schwierige  Aufgabe  bei  dem  hier  laufenden  Strome  von  3 — 4  Meilen 
in  der  Stunde  und  den  nur  leichten  Brisen,  die  häufig  ganz  weg- 
sterben. Die  Tauschartikel  dieses  beschwerlichen  Handels  bildeten 
außer  etwas  Proviant,  Eisenwaren  und  Tabak  fast  lediglich  Waffen 
und  Schnaps.  Die  Einfuhr  der  letzten  beiden  Artikel  wurde  mit 
Hissung  der  deutschen  Flagge  auf  den  Marshallinseln  verboten,  mußte 
also  auch  auf  Nauru  verhindert  werden. 

Was  die  Bodenkonfiguration  Naurus  betrifft,  so  haben  wissen- 
schaftliche Untersuchungen  ein  sehr  interessantes  Ergebnis  gezeitigt 
Mit  Ausnahme  des  niedrigen,  mit  Kokospalmen  bewachsenen  Küsten- 
striches besteht  das  ganze  steinige  Innere  der  Insel  aus  einer  An- 
häufung hochgradiger  Phosphate.  Nach  Ansicht  eines  dort  hin- 
gesandten Mineningenieurs  ist  dieses  Phosphat  ursprünglich  zweifellos 
von  Vögeln  hierher  gebracht  worden,  welche  die  damals  wohl  un- 
bewohnte Insel  als  Brutplatz  benutzt  haben  werden,  wie  wir  es  heute 
noch  in  allerdings  kleinerm  Maßstabe  auf  andern  Inseln  der  Südsee 
beobachten  können.  Das  in  dem  Guano  enthaltene  lösliche  Phosphat 
sickerte  mit  dem  Regen  auf  den  Korallenuntergrund,  sättigte  sich 
hier  mit  dem  erforderlichen  Kalke  und  bildete  so  das  hier  heute  an- 
stehende Phosphatgestein.  Die  zahlreichen,  über  die  ganze  Insel 
vorgenommenen  Bohrungen  haben  bis  zu  einer  Tiefe  von  3 — 5  m 
überall  das  gleiche  Material  ergeben,  und  die  dadurch  nachgewiesenen 
Vorräte  sind  so  gewaltig,  daß  ihr  Abbau  für  mehrere  Generationen 
ausreichen  wird. 

Was  nun  die  Ausnutzung  dieser  Funde  betrifft,  so  besaß  eine 
englische  Gesellschaft  das  Privileg  bezüglich  Ozean-Islands,  während 
die  Ausbeute  etwaiger  Funde  auf  den  Marshallinseln  eines  der  Privi- 
legien bildet,  welche  seinerzeit  der  Jaluit- Gesellschaft  verliehen 
worden  sind.  Wirtschaftliche  Erwägungen  und  der  Umstand,  daß 
gewaltige  Einrichtungen  geschaffen  werden  müssen,  um  über  Riff  und 
Brandung  hinweg  Massenverladungen  zu  bewerkstelligen,  haben  nun 


InselD.  269 

vor  Jahresfrist  zu  einer  Vereinigung  der  deutschen  und  englischen 
Interessen  geführt,  und  beide  Inseln  werden  nunmehr  gemeinsam  aus- 
gebeutet Diese  Ausbeutung  der  Phosphatlager  gefährdet  die  auf  den 
Inseln  vorhandenen  Eokosbestände  in  keiner  Weise,  und  die  Ein- 
geborenen beteiligen  sich  willig  an  den  Arbeiten,  welche  ihnen  einen 
guten  Lohn  eintragen. 

Dammriffe  und  Atolle.  Alex.  Agassiz  hat  auf  Grund  der 
während  eines  Zeitraumes  von  25  Jahren  in  Westindien,  Australien, 
in  dem  tropischen  Pacific  und  dem  Indischen  Ozeane  angestellten 
Beobachtungen  Folgerungen  über  die  Bildungsweise  der  Korallenriffe 
abgeleitet,  die  von  großer  Bedeutung  sind.  ^)  Nach  seiner  Ansicht  ist 
die  Darwinsche  Theorie  der  Entstehung  der  Koralleninseln  nicht  zu- 
treffend. Agassiz  gibt  zunächst  eine  Beschreibung  der  verschiedenen 
Typen  der  Koralleninseln.  Er  beginnt  mit  den  Dammriffen  und 
bemerkt,  daß  diejenigen  von  Fiji,  den  Hawaiischen  Inseln  und  West- 
indiens gewöhnlich  vulkanische  Inseln  flankieren  und  von  vulkani- 
schen Gesteinen  unterlagert  sind.  Die  Dammriffe  von  Neukaledonien, 
Australien,  Florida,  Honduras  und  den  Bahamas  sind  unterlagert 
von  den  Ausläufern  der  benachbarten  Landmassen,  welche  als  Inseln 
und  Inselchen  an  dem  äußersten  Rande  der  Wallriffe  enden.  Einige 
der  Dammriffe  der  Gesellschaftsinseln,  von  Fiji  und  der  Karolinen 
lassen  erkennen,  daß  die  breiten  und  tiefen  Lagunen,  welche  sie  von 
der  Landmasse  trennen,  durch  Erosion  aus  einem  breiten,  üachen 
Saumriffe  gebildet  worden  sind.  Ringriffe,  wie  sie  besonders  die 
Sozietätsinseln  charakterisieren,  behalten  zu  ihren  zentralen  Insebi 
dieselbe  Beziehung  wie  ein  Dammriff  zur  angrenzenden  Landmasse. 
Abnagung  und  submarine  Erosion  erklären  vollkommen  die  Bildung 
der  Plattformen,  auf  denen  Korallenriffe  und  andere  Kalksteinorga- 
nismen entweder  WaU-  oder  Ringriffe  bauen  können ,  oder  selbst 
Atolle,  die  sich  auf  einer  vulkanischen  Basis  erheben,  deren  Zentral- 
masse verschwunden  sein  kann,  wie  in  Fiji,  den  Sozietäts-  und 
Karolineninseln. 

Agassiz  betrachtet  dann  den  Typus  der  gehobenen  Inseln,  den 
der  Paumotus,  der  Fiji,  der  Gilbertinseln  und  der  Ladronen,  von 
denen  viele  nur  aus  tertiären  Kalksteinen  zusammengesetzt  sind, 
andere  zum  Teile  aus  Kalkstein  bestehen ,  zum  Teile  vulkanischen  Ur- 
sprunges sind.  Man  kann  hiemach  die  Umwandlungen  von  einer 
gehobenen  Insel,  wie  Niue  oder  Makatea  der  Paumotus,  zu  einer  Insel 
wie  Niau  verfolgen,  durch  ein  Stadium  gleich  Rangiroa  zu  dem  der 
großen  Mehrzahl  der  Atolle  in  den  Paumotus.  Die  Riffebenen  und 
Außenriffe,  welche  die  gehobenen  Inseln  flankieren,  behalten  eigen- 
tümliche Beziehungen  zu  ihnen;  sie  sind  teils  die  von  Dammriffen 
und  teils  von  Saumriffen.  Man  kann  auch  den  Übergang  der  gehobenen 


1)  Proceedings  Royal  Society  1908.  71.  p.  412. 


270 

Plateaus,  wie  Tonga,  Quam  und  Inseln  in  Fiji,  die  teils  vulkanisch, 
teils  aus  Kalkstein  sind,  in  Atolle  verfolgen,  in  denen  nur  ein  kleines 
Inselchen  oder  eine  größere  Insel  entweder  aus  Kalkstein  oder  vulkani- 
schem Gesteine  übrig  geblieben  ist,  um  ihren  Ursprung  anzudeuten. 
Atolle  können  auch  auf  dem  entblößten  Rande  eines  vulkanischen 
Kraters  entstanden  sein,  so  in  Totoya  oder  Thombia  in  Fiji,  sowie 
in  einigen  Vulkanen  im  Osten  von  Tonga.  In  der  Ellice-  und  Marshall- 
gruppe und  den  Line-Islands  ist  eine  Anzahl  von  Atollen  voriianden, 
deren  Liegendes  nicht  bekannt  ist,  und  wo  man  nur  die  Bildung  des 
Landsaumes  des  Atolles  verfolgen  kann,  soweit  sie  von  der  Wirkung 
der  Passate  oder  der  Monsune  bedingt  ist,  die  beständig  das  durch 
bohrende  Organismen  aufbereitete  oberflächliche  Material  forttreibt, 
welches  dann  den  Damm  bildet  Viele  Atolle  im  Pacific  sind  nur 
flache  Rinnen,  die  durch  die  hohen  Sandbänke  gebildet  werden,  welche 
um  ein  zentrales  Gebiet  aufgeworfen  wurden. 

Im  ganzen  Pacific,  im  Indischen  Ozeane  und  Westindien  findet 
man  den  positiven  Beweis  einer  mäßigen  rezenten  Hebung  der  Korallen- 
riffe, in  den  Buckeln,  Zacken  und  unterminierten  Massen  von  modernem 
oder  tertiärem  Kalksteine,  die  als  Zeugen  dessen  zurückgeblieben  sind. 
Die  Existenz  von  marinen  Gipfeln  aus  Kalkstein  in  den  Lagunen  der 
Atolle  als  Untiefen,  Inseln  oder  Inselchen,  zeigt  den  Umfang  der  lösenden 
Wirkung  des  Meeres  auf  die  Landgebiete,  die  früher  eine  größere  Aus- 
dehnung hatten  als  gegenwärtig.  Zeichen  dieser  Wirkung  können 
überall  zwischen  den  Korallenriffen  erkannt  werden.  Atmosphärische 
Denudation  spielt  eine  bedeutende  Rolle  bei  der  Verkleinerung  der  zu 
dem  Niveau  des  Meeres  gehobenen  KaJksteininseln,  indem  sie  dieselben 
mit  Höhlen  durchsetzte  und  ausgedehnte  Senken  bildete,  die  oft  für 
gehobene  Lagunen  gehalten  wurden. 

Daß  abgeschlossene  Atolle  existieren,  kann  man  kaum  behaupten; 
Niau  in  den  Paumotus  nähert  sich  solchen  am  meisten,  aber  seine 
seichte  Lagune  wird  durch  seinen  porösen  Saum  vom  Meere  gespeist 
Meerwasser  kann  auch  bei  Ebbe  frei  in  eine  Lagune  über  ausgedehnte, 
seichte  Riffebenen  eindringen,  wo  für  ein  Boot  kein  Durchgang  ist 
Die  Landfläche  eines  Atolls  ist  verhältnismäßig  klein,  verglichen  mit 
der  der  halbuntergetauchten  Riffebenen.  Dies  ist  besonders  der  Fall 
bei  den  Marshallinseln  und  den  Malediven,  in  denen  die  Landflächen 
auf  ein  Minimum  reduziert  sind. 

Das  Maledivenplateau  mit  Tausenden  von  kleinen  Atollen,  Ringen 
oder  Lagunenriffen,  die  aus  einer  zwischen  20  und  30  Faden  wech- 
selnden Tiefe  aufsteigen,  ist  ein  überwältigender  Beweis  dafür,  daß 
Atolle  von  einem  Plateau  in  passender  Tiefe  aufsteigen  können,  wie 
immer  dasselbe  gebildet,  und  was  auch  seine  geologische  Struktur  sein 
mag.  Auf  dem  Yukatanplateau  bestehen  ähnliche  Verhältnisse  bezüg- 
lich der  Bildung  von  Atollen,  nur  in  höchst  beschränktem  Maßstahe. 

Die  großen  Regionen  der  Korallenriffe  liegen  innerhalb  der  Grenzen 
der  Passate  und  Monsune  und  sind  Erhebungsgebiete  mit  Ausnahme 


Inseln.  271 

der  Ellice-  und  Marshallinseln  und  einiger  der  Line-Islands.  Den  Um- 
fang der  Erhebung  zeigen  die  Terrassen  der  gehobenen  Inseln  unter 
den  Paumotus,  Fiji,  Tonga,  Ladronen,  Gilbert  und  westindischen,  oder 
die  Reihen  der  Klippenhöhlungen,  welche  die  Niveaus  der  Meereserosion 
andeuten. 

In  den  Regionen,  die  Agassiz  untersucht  hat,  ist  das  moderne 
Riffgestein  von  sehr  mäßiger  Dicke  innerhalb  der  Tiefengrenzen,  in 
denen  die  Riffbauer  zu  wachsen  beginnen,  und  innerhalb  welcher  die 
Landsäume  der  Atolle  oder  der  Dammriffe  von  mechanischen  Einflüssen 
erreicht  werden.  Dies  beeinflußt  nicht  die  Existenz  von  solitaren  Tief- 
seekorallen oder  ausgedehnter  Felder  von  Oculina  oder  Lophohelia  in 
großen  Tiefen  oder  beeinträchtigt  in  irgend  einer  Weise  die  Bildung 
von  dicken  Schichten  korallenführenden  Kalksteines  in  den  Perioden 
des  Sinkens. 

Die  Marquesas,  Qalapagos  und  einige  der  Qesellschafts-  und  west- 
indischen Inseln  haben  keine  Korallen,  obwohl  sie  innerhalb  der  Grenzen 
der  Korailengebiete  liegen.  Ihr  Fehlen  rührt  von  der  Steilheit  ihrer 
Küsten  her  und  von  dem  Fehlen  oder  der  krümelnden  Beschaffenheit 
ihrer  submarinen  Plattformen.  Korallenriffe  können  ferner  nicht  wachsen 
weit  von  den  steilen  Klippenflächen  der  gehobenen,  korallenführenden 
Kalksteininseln. 

Die  Korallen  erlangen  ihre  vollste  Entwicklung  an  den  dem  Meere 
zugekehrten  Seiten  der  Riffe;  sie  wachsen  spärlich  in  den  Lagunen, 
wo  gleichwohl  Korallenalgen  sehr  üppig  gedeihen.  Nulliporen  und 
Korallinen  bilden  einen  wichtigen  Teil  des  riffbauenden  Materiales.^) 

Das  Meer. 

Eine  Termlnologrie  der  wichtigsten  unterseeischen  Boden- 
formen ist  im  Auftrage  der  internationalen  Kommission  für  unter- 
seeische Nomenklatur  von  Prof.  Supan  deutsch  ausgearbeitet  worden. 
Dr.  H.  R.  Mill  in  London  hat  dazu  die  englischen  und  Prof.  J.  Thoulet 
in  Nancy  die  französischen  Termina  geliefert.^  Nachstehend  ist 
diese  Terminologie  wiedergegeben. 

I.  Großformen,  d.  h.  Formen  von  weiter  Erstreckung  und  daher  Be- 
standteile der  Hauptgliederang: 

1.  Von  dem  Kontinentalrande  gewinnt  nur  der  Schelf  (engl.  Shelf, 
franz.  Socle  oder  Plateau  continental)  selbständige  Bedeutung.  Er  ist  jener 
Teil  des  Kontinentalrandes,  der  sich  von  der  Grenze  der  dauernden  Meeres- 
bedeckung ganz  allmählich  in  der  Regel  bis  100  Faden  oder  200  m  Tiefe 
senkt  und  dann  plötzlich  in  einen  steuern  Abfall  übergeht.  Beispiele :  der 
britische,  der  Sunda-,  der  Neufundlandschelf. 

2.  Die  allseitig  von  Erhebungen  eingeschlossenen  Vertiefungen  sind: 
a)  Becken  (engl.  Basin,  franz.  Bassin)  von  annähernd  rundlicher  Ge- 
stalt, in  denen  also  beide  Horizontaldimensionen  nahezu  gleich  sind. 


^)  Naturwissensch.  Rundschau  1908.  Nr.  81. 
*)  Petermanns  Mitteilungen  1908.  p.  151. 


272  Das  Meer. 

b)  Mulden  (engl.  Trough,  franz.  Vallee)  oder  langgestreckte,  breite 
Verüefungen  mit  saät  ansteigenden  Rändern.  Durch  Qaererhebongen  können 
die  Mulden  in  Becken  zerfallen,  wie  z.  B.  die  beiden  atlantischen« 

c)  Gräben  (engl.  Trench,  franz.  Ravin),  auch  langgestreckte,  aber  yer- 
hältnismäßig  schmale  Vertiefunsen  mit  steUen  Rändern,  von  denen  der  eine 
(der  kontinentale)  höher  liegt  als  der  andere  (der  ozeanische).  Sie  sind  die 
Abschlüsse  einseitig  gebauter  Becken  und  liegen  an  Kontinentakandem  oder 
Inselreihen;  nur  der  Caymangraben  schiebt  sich  zwischen  Inseln  ein,  aber 
auch  hier  sind  die  Ränder  ungleich  hoch.  Eigentlich  ist  der  Graben  nur 
eine  Sekundärform  der  großen  Vertiefungen  des  ozeanischen  Flachgnindes, 
aber  wegen  seiner  bedeutenden  Längserstreckung,  seiner  Tiefe  and  seiner 
genetischen  Wichtigkeit  entschieden  den  Großformen  zuzurechnen. 

Die  Ausläufer  der  Mulden  und  Becken,  die  mit  gleichbleibender  oder 
allmählich  abnehmender  Tiefe  in  die  Festlandmassen  oder  in  unterseeische 
Erhebungen  eindringen,  oder  einerseits  von  Land,  anderseits  von  unter- 
seeischen Erhebungen  begrenzt  werden,  sind 

a)  entweder  breit,  von  rundlicher  oder  dreieckförmiger  Gestalt  und 
heißen  dann  Buchten  (engl.  Embayment,  franz.  Golfe ;  z.  B.  die  ostaustralische 
Bucht),  oder 

b)  langgestreckt  und  heißen  dann  Rinnen  (engl.  Gully,  franz.  Chenal; 
z.  B.  die  Färöer-  und  die  norwegische  Rinne). 

3.  Die  Erhebungen  sind  entweder  allseitig  von  Vertiefungen  einge- 
schlossen oder  gehen  von  dem  Kontinentalrande  aus. 

a)  Alle  Erhebungen,  die  ganz  allmählich  unter  Böschungswinkeln  von 
einigen  Bogenminuten  ansteigen,  heißen  Schwellen  (engl.  Rise,  franz.  Seuil), 

geicbgültig,  ob  sie  langgestreckt  oder  breit  sind,  und  wie  ihre  vertikale 
ntwicklung  ist.  Sie  spielen  wegen  ihrer  Flachheit  anscheinend  nur  eine 
untergeordnete  Rolle,  sind  aber  doch  die  Träger  der  Hauptgliederung  des 
ozeanischen  Bodens,  was  man  daraus  erkennt,  daß  sie,  wenn  der  Meeres- 
boden in  Land  verwandelt  würde,  als  Hauptwasserscheiden  funktionieren 
würden. 

b)  Langffestreckte  Erhebungen,  die  sich  durch  ihre  steilem  Böschungen 
kräftiger  markieren,  heißen  Rücken  (engl.  Ridge,  franz.  Grete).  Sie  sind 
daher  schmäler  als  die  langgestreckten  Schwellen;  der  Unterscnied  ist  be- 
sonders dort  deutlich,  wo  eine  Schwelle  streckenweise  die  Gestalt  eines 
Rückens  annimmt,  wie  z.  B.  der  atlantische  Äquatorialrücken.  Im  übrigen 
gehören  der  Kategorie  der  Rücken  sowohl  Groß-  wie  Kleinformen  an. 

c)  Plateaus  (engl.  Plateau,  franz.  Plateau)  sind  steilere  Erhebungen 
von  größerer  Ausdehnung,  in  denen  die  Längs-  und  die  Breitendimension 
nicht  erheblich  voneinander  abweichen.  Sie  können  sich  sowohl  aus  den 
Vertiefungen  des  Meeresbodens  erheben,  wie  über  den  Schwellen  (z.  B.  das 
Azoren-Plauteau). 

4.  Die  tiefsten  Stellen  der  Vertiefungen  heißen  Tief  (engl.  Deep,  franz. 
Fosse;  z.  B.  Nerotief),  die  höchsten  der  Schwellen,  Rücken  und  Plateaus, 
soweit  sie  nicht  dem  Sockel  von  Inseln  angehören  oder  als  selbständige 
Kleinformen  betrachtet  werden  können.  Höh  (engl.  Height,  franz.  Haut; 
z.  B.  Valdiviahöh  des  Walfischrückens). 

n.  Kleinformen  von  geringer  Ausdehnung,  aber  sich  stets  durch  steilere 
Böschung  von  der  Umgebung  deutlich  abhebend: 
1.  Erhebungen: 

a)  Erhebungen  von  langgestreckter  Form  und  meist  mit  unruhiger 
Oberfläche,  die  sich  im  raschen  Wechsel  der  Tiefe  kundgibt:  Rücken. 

b)  Einzelerhebungen  oder  unterseeische  Berge,  und  zwar: 

a)  Kuppen  (engl.  Dome,  franz.  Dome),  von  kleiner  Grundfläche,  aber 
mit  steilen  Böschungen  in  Tiefen  von  mehr  als  200  m  (z.  B.  Faradaykuppe). 

ß)  Bänke  (engl.  Bank,  franz.  Banc),  die  sich  bis  zu  Tiefen  von  wenigem 
als  200,  aber  mehr  als  11  m  erheben  (z.  B.  Porcupinebank  westlich  von 
Irland  oder  Princesse-Alice-Bank  südlich  von  Fayal). 


Dm  Meer.  273 

y)  Riffe  oder  Gründe  (engl.  Reef  oder  Shoal,  franz.  Reeif  oder  Haut 
fttnd],  die  sich  wenigstens  bis  zu  11  m  dem  Meeresspiegel  nähern  und  da- 
duren  der  Schiffahrt  gefährlich  werden  (z.  B.  ParacelBriff e ,  Adlergnmd). 

2.  Vertiefungen: 

a)  Kessel  (engl.  Caldron,  franz.  Caldeira),  sind  mehr  oder  weniger  steile 
Eiostärze  von  verhältnismäßig  geringer  Ausdehnung,  wie  der  Monacokessel 
auf  dem  Azorenplateau. 

b)  Furchen  (en^  Furrow,  franz.  Sillon)  sind  tal-  oder  kanalartige  Ein- 
schnitte in  den  Kontinentalrand  und  mehr  oder  weniger  senkrecht  zu  diesem 
gestellt  (z.  6.  Indusfurche,  Gangesfurche  usw.). 

Die  Beobachtung  der  HeereswelleiL  Was  wir  zur  Zeit 
über  die  Wellenbewegung  großer  Wassermassen  wissen,  beruht  meist 
auf  theoretischen  Untersuchungen,  während  die  Beobachtungen  be- 
sonders auf  dem  Meere  noch  sehr  unvollkommen  und  lückenhaft  sind. 
Der  Grund  hiervon  liegt  in  den  ungünstigen  Verhältnissen,  unter 
denen  von  dem  bewegten  Schiffe  aus  die  Meereswellen  beobachtet 
werden,  und  in  dem  Umstände,  daß  es  sich  dabei  immer  nur  um 
Schätzungen  handelt,  da  ein  Instrument  für  genaue  Weüenbeobachtungen 
fehlt  Jetzt  hat  nun  Geh.  Admiralitätsrat  Rottok  ein  Verfahren  zur 
genauen  Messung  der  Wellendimensionen  vorgeschlagen,^)  das  auf 
photographischen  Aufnahmen  an  Bord  und  nachheriger  Ausmessung 
der  ertialtenen  Bilder  an  Land  mittels  des  Stereokomparators  oder 
des  Stereoplanigraphen  beruht  Zur  photographischen  Aufnahme  der 
Wellen  an  Bord  sind  2  Kameras  erforderlich,  die  in  genau  ge- 
messenem Abstände  voneinander  so  aufgestellt  sind,  daß  die  photo- 
graphisehen  Platten  in  einer  der  Standlinie  parallelen  Ebene  liegen, 
und  die  optischen  Achsen  der  Objektive  senkrecht  zur  Plattenebene 
stehen.  Diese  Aufnahmen  in  Verbindung  mit  Bestimmungen  der  Ge- 
schwindigkeit oder  der  Periode  der  Wellen  liefern  alle  Daten,  die  zur 
Charakteristik  und  Darstellung  der  Wellen  erforderlich  sind;  sie  werden 
noch  besonders  dazu  dienen  können,  die  verwirrenden  Erscheinungen 
der  sieh  durchkreuzend^i  Wellenzüge  an  dem  ruhigen  Bilde  zu  ent- 
wirren und  dadurch  das  Studium  der  Interferenz  der  Wellen,  wie 
diese  sich  tatsächlich  auf  dem  Ozeane  abspielt,  zu  ermöglichen.  Die 
nautische  Abteilung  des  Reichsmarineamtes  beabsichtigt,  demnächst 
Versuche  nach  dem  hier  kurz  geschilderten  Verfahren  anstellen  zu 
lassen.  Inzwischen  gibt  Rottok  eine  sehr  dankenswerte  Zusammen- 
stellung des  Wichtigsten,  was  die  bisherigen  Beobachtungen  über  die 
Meereswellen  ergeben  haben.  Dieselbe  enthält  im  wesentlichen  fol- 
gendes :  Die  Wellenhöhe  oder  der  senkrechte  Abstand  vom  höchsten 
Punkte,  dem  Wellenkamme,  bis  zum  tiefsten,  dem  Wellentale,  beträgt 
in  keiaem  Falle  mehr  als  16  m,  die  alten  Angaben  von  türm-  und 
häuserhohen  Wellen  sind  durchaus  übertrieben.  Als  größte  Wellen- 
hohen  wurden  von  Abercromby  14  m,  von  Skoresby  13  m,  von  der 
Novaraexpedition   11  m,   von  der  »Ghalienger«  7  m  gemessen.     Im 


')  Ann.  der  Hydrogr.  1906.  p.  829  ff. 
Klein,  J&hrbuch  XIV.  18 


274  Das  Meer. 

Durchschnitte  betragt  nach  den  zahlreichen  Beobachtungen,  die  Leut- 
nant Paris  1867 — 1870  an  Bord  der  französischen  Kriegsschiffe 
>Dupleix<  und  >  Minerve  c  angestellt  hat,  die  Wellenhöhe  im  Atlantischen 
Ozeane  im  Gebiete  der  Passatwinde  1.9  m,  im  Westwindgebiete  des 
Südatlantic  4.3  m,  im  Gebiete  der  Passatwinde  des  Indischen  Ozeanes 
2.8  m,  im  Westwindgebiete  desselben  5.3  m,  im  chinesischen  und 
japanischen  Meere  3.2  m,  im  westlichen  Stillen  Ozeane  3.1  m.  Unter 
Wellenlänge  versteht  man  den  Abstand  von  einem  Wellenkamme  bis 
zum  nächsten.  Diese  Längen  der  gewöhnlichen  Sturmwellen  betragen 
im  offenen  Ozeane  durchschnittlich  90 — 100  m,  der  höchste  Wert 
dürfte  auf  400  m  zu  veranschlagen  sein.  Das  Verhältnis  der  Wellen- 
höhe zur  Wellenlänge  nimmt  mit  der  Zunahme  der  Wellenlänge  ab, 
die  Wellen  werden  also  flacher,  je  weiter  die  Wellenkämme  ausein- 
ander liegen.  Im  Durchschnitte  verhält  sich  die  Wellenhöhe  zur  Wellen- 
länge wie  1  :  30,  sie  kann  aber  bis  1  :  10  steigen.  Unter  Wellen- 
geschwindigkeit versteht  man  den  Weg,  den  die  Welle  in  einer  Sekunde 
durchläuft.  Sie  liegt  auf  den  offenen  Ozeanen  gewöhnlich  zwischen 
11  und  15  m,  und  als  größte  Geschwindigkeit  ist  24  m  anzunehmen. 
Die  Wellenperiode  ist  die  Zeit,  welche  die  Welle  braucht,  um  einen 
Weg  zu  durchlaufen,  welcher  der  Wellenlänge  gleich  ist ;  sie  beträgt 
im  Durchschnitte  7.5  Sekunden,  ihr  oberer  Grenzwert  ist  15  Sekunden. 
Mit  der  Andauer  und  der  Stärke  des  Windes  nehmen  auf  offener 
See  alle  Wellondimensionen,  Höhe,  Länge  und  Geschwindigkeit,  zu ; 
die  Höhe  wächst  am  schnellsten,  die  Länge  zuerst  langsam,  dann 
aber  schneller  als  die  Höhe.  Die  Geschwindigkeit  ist  am  wenigsten 
veränderlich,  sie  wächst  allmählich  mit  der  Dauer  und  Stärke  des 
Windes  und  erreicht  bald  eine  konstante  Größe.  Bei  gleichbleibender 
Richtung  und  Stärke  des  Windes  hört  nach  einer  bestimmten  Zeit 
die  Zunahme  der  Wellendimensionen  auf,  und  die  Wellen  nehmen 
einen  konstanten  Charakter  an,  man  nennt  sie  dann  ausge- 
wachsene Wellen.  Flaut  der  Wind  ab,  so  nehmen  auch  die  Wellen- 
elemente ab,  am  schnellsten  die  Höhe,  langsamer  die  Länge  und 
Geschwindigkeit  Dies  setzt  sich  fort,  wenn  der  Wind  zuletzt  ganz 
aufhört,  und  die  durch  ihre  abgerundeten  Wellenkuppen  gekenn- 
zeichnete »Dünung«  eintritt  Während  aber  die  Höhe  der  Wellen  in 
der  Dünimg  sich  schnell  vermindert,  behält  sie  ihre  Länge  und  Ge- 
schwindigkeit noch  lange  Zeit  und  in  großem  Abstände  von  dem 
Orte,  an  dem  die  Windstille  eintrat,  bei. 

Die  Stromversetzungen  auf  den  InternatioiialenDampfer- 
wegen  zwischen  dem  Bngrlisehen  Kanäle  und  New-Tork  be- 
handelte auf  dem  14.  deutschen  Geographentage  Prof  Dr.  Schott^) 
Es  handelt  sich  um  die  Versetzungen  auf  der  wichtigsten  Dampfer- 
linie  der  Welt     Der  Weg  ist  genau  festgesetzt  und  muß  von  den 

>)  Zeitschr.  der  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Berlin  1908  p.  609. 


Das  Meer.  275 

Schiffsführern  streng  eingehalten  werden,  und  zwar  ist  von  Mitte 
August  bis  Mitte  Januar  der  nördliche  und  von  Mitte  Januar  bis 
Mitte  August  der  südliche  Weg  festgelegt.  Der  Schnelldampferverkehr 
braucht  eine  genaue  Kenntnis  der  Versetzimgen,  mit  denen  er  rechnen 
muß.  Dem  Studium  der  Strömungen  in  den  Ozeanen  widmet  sich 
die  Deutsche  Seewarte  immer  mehr,  wobei  sie  wesentlich  von  der 
Hamburg -Amerikalinie  und  vom  Norddeutschen  Lloyd  unterstützt 
worden  ist  Die  Größe  der  Stromversetzungen  steht  im  umgekehrten 
Verhaltnisse  zu  der  Schiffsgröße.  Die  > Deutschland«,  unser  schnellstes 
Schiff,  ist  einmal  nach  einem  orkanartigen  Nordwest  lun  48  Seemeilen 
außer  Kurs  gekonunen,  das  ist  eine  Strecke  von  80 — 90  km.  Von 
den  untersuchten  Fällen  waren  in  64  ^^^  die  Dampfer  mit  dem  Winde 
nach  Lee  oder  rechts  nach  Lee  versetzt  worden.  Von  einer  erheb- 
lichen Unabhängigkeit  des  Qolfstromes  vom  Winde  kann  keine  Rede 
sein.  Prof.  Schott  kommt  zu  folgenden  Schlußsätzen  als  Ergebnis 
seiner  Forschungen: 

1.  Die  Größe  der  Versetzungen  von  Dampfern  steht  im  um- 
gekehrten Verhältnisse  zur  Schiffsgröße,  scheint  dagegen  kaum  von  der 
Schnelligkeit  und  Maschinenkrait  der  Schiffe  abzuhängen.  2.  Aus- 
nahmsweise große  Versetzungen,  die  meist  durch  besondere  Natur- 
ereignisse, schw^e  Stürme,  gewaltige  Strömungen  u.  dergl.  hervor- 
gerufen werden,  kommen  bei  Schiffen  jeder  Größe  fast  im  gleichen 
Maße  vor.  3.  Alle  Schiffe  werden  am  häufigsten  nach  Lee  oder  nach 
dem  Quadranten  rechts  von  Lee  versetzt  4.  Die  Versetzungen  im 
Sinne  der  herrschenden  Stromrichtung  pflegen  die  größten  zu  sein. 
5.  Die  Versetzungen  sind  im  Durchschnitte  auf  der  westlichen  Hälfte' 
der  Dampferwege  wesentlich  größer  als  auf  der  östlichen ;  die  Grenze 
der  schwachen  und  starken  Versetzungen  liegt  im  Mittel  bei  40  ^  westL  L. 
für  die  südlichen,  bei  30®  westl.  L.  für  die  nördlichen  Wege.  6.  Auf 
der  östlichen  Hälfte  beider  Wege  sind  die  Versetzungen  nach  allen 
Kompaßrichtungen  ziemlich  gleichmäßig  verteilt.  7.  Auf  der  west- 
lichen Hälfte  der  südlichen  Wege  überwiegen  bei  Windstille  überall 
Versetzungen  nach  Norden  und  Osten«  8.  Auf  der  westlichen  Hälfte 
der  nördlichen  Wege  von  30 — 70**  westL  L.  wechseln  die  vorwiegenden 
Richtungen  zweimal,   und  zwar  zwischen  NO  und  SW. 

Der  Landverlust  an  der  mecklenburgfisehen  Kfiste  ist 

von  Prof.  E.  Geinitz  untersucht  und  gegliedert  worden.^)  Die  ganze 
deutsche  Ostseeküste  ist  gegenwärtig  im  Abbruche,  alljährlich  geht 
von  dem  Steilufer,  dem  »Klint«  oder  »Eliff<,  etwas  verloren,  bald 
größere  Schollen,  bald  kleine  Partien.  An  verschiedenen  Stellen  ist 
dieser  Rückgang  ungleich  groß;  die  5  m  hohe  Diluvialküste  des  Sam- 
landes  bei  Cranz  weicht  durchschnittlich  jährlich  um  1.8  m  zurück, 
die  16 — 20  m  hohe  Diluvialküste  Pommerns  bei  Colberg  nur  um  0.42  m, 


^)  MitteiL  der  Großh.  Mecklenb.  GeoL  Landesanstalt  1&  Rostock  1906. 

18* 


276  I>M  Meer. 

die  bia  16  m  hohe  Diluvialküate  der  Stoltera  hei  Wamemtode  um 
1  m.  Prot  Greimtz  hat  seine  Unterauohimgen  auf  die  meddenburgiscbe 
Küste  beschrankt,  doch  sind  die  von  ihm  gezogenen  Folgerongen  auch 
für  die  übrige  deutsche  Ostseeküste  von  Geltung.  »Der  Prozeß  des 
LaodverlU9tes  wird  nach  der  im  Binnenlande  yerhreiteten  Ansicht 
gewöhnlich  auf  die  Tätigkeit  des  Meeres  Euruckgeführt,  doch  spielen 
auch  andere  Faktoren,  gleichseitig  oder  vorbereitend,  eine  wichtige 
Rcdle  dabei.  Wir  können  bei  dem  Zerstörungsprozesse  unserer,  wie 
überhaupt  der  ganzen  deutschen  Ostseeküste  ä  Momente  unterscheiden, 
die  für  sich  oder  ineinander  eingreifend,  zur  Aktion  gelangen:  die 
Arbeit  der  Atmosphärilien  (und  des  Grundwassers)  und  diejenige  der 
Wellen.  Einsn  ganz  erheblichen  Anteil  an  der  Zerstörung  unserer 
Steilufer  haben  die  Atmosphärilien,  insbesondere  der  Frost  und  Antau. 

Das  Tagewasser  dringt  längs  der  Absonderungsfugen  des  Ge- 
schiebemergels  ein,  und  bei  der  exponierten  Lage  an  der  Wasserkante 
ist  es  nicht  zu  verwundem,  daß  der  Frost  hier  die  Quader  mehr  oder 
weniger  leicht  von  der  Wand  ablöst. 

So  finden  wir  jedes  Frühjahr  den  Strand  mit  einer  Schutthalde 
belegt  von  soharfeckigen,  großen  und  kleinern  Bruchstücken  des  Ge- 
schiebemergels, mit  Brde  oder  Sand,  bis  die  Halde  schließlich  durch 
weitere  Wasserbewegung  gänzlich  weggeführt  wird,  und  die  senkrechte 
Wand  wieder  frei  erscheint,  scheinbar  in  der  frühem  Gestalt,  aber 
etwas  weiter  zurückgerückt.  Dieses  Abbröckeln  durch  den  Frost 
und  die  Pflanzenwurzeln  macht  auch  das  Betreten  der  obem  Kante 
des  Landes  gefährlich  und  ist  eine  treffliche  Vorarbeit  für  die  folgende 
Wirkung  des  Meeres. 

Weiter  spielt  das  Auftauen  des  Bodens  eine  wichtige  Rolle. 
Der  aufgeweichte  Boden,  Geschiebemergel  oder  Sand  und  Ton,  ratscht 
und  fließt  die  Halde  abwärts,  hier  in  geringem  Maße,  dort  (und  be- 
sonders bei  Sandmulden)  in  mächtigen  Schlammströmen  oft  bis  ins 
Meer  hinaus,  so  daß  ein  Passieren  der  Stelle  unmöglich  wird. 

Die  direkte  Arbeit  der  Wellen  setzt  alljährlich  mit  den  Herbst- 
und Frühjahrsstürmen  oder  auch  in  größern  Pausen  bei  den  Sturm- 
fluten ein.  Letztere  arbeiten  natürlich  in  sehr  energischem  Stile  und 
erzielen  oft  in  einem  Tage  den  Betrag  von  Jahrzehnten.  Aber  auch 
die  jährlichen  Anschwellungen  des  Wassers  sind  wohl  zu  beachten, 
da  sie  gerade  den  dauernden  Landverlust  vermitteln  und  bedingen. 

Die  verschiedensten  Formen  des  Steilufers  werden  hierbei  ge- 
schaffen, von  denen  als  Grundtypus  immer  die  senkrechte  Wand  er- 
scheint Auch  bei  dem  Heidesande  oder  bei  angefressenen  Dünen 
erscheint  diese  senkrechte  Wand  und  hält  sich  oft  recht  lange  Zeit, 
bis  schließlich  nach  Austrocknen  des  Sandes  eine  der  Korngröße  entr 
sprechende  Böschung  angestrebt  wird. 

Die  Abspülung  spielt  auch  an  den  Stellen  eine  Hauptrolle,  wo 
der  petrographische  Charakter  des  Ufers  den  Angriff  begünstigt,  also 


Das  Meer.  277 

z.  B.  in  den  Sandmulden,  welche  z.  B.  in  so  eigentümlicher  Art  dem 
G^schiebemergel  an   der  Stoltera   bei  Wamemünde    eingelagert  sind. 

Wenn  man  ein  klares  Bild  über  den  Landverlust  uhd  übto  die 
etwa  dagegen  vorzuschlagenden  Mittel  gewinnen  will«  muß  man  bu^ 
nächst  die  Beschaffenheit  der  Ufer  genau  untersuchen. 

An  der  mecklenburgiBchen  Küste  tritt  der  diluviale  Geschiebemergel 
siebenmal  in  flachwelligen  Erhebungen  hervor,  im  Klützer  Ort,  Pol, 
Wustrow,  Alt-Gaarz,  Brunshaupten,  Rethwisch-Stoltera  und  Fischland. 
Hier  bildet  der  Geschiebemergel  die  steilen  hohen  Ufer,  die  Verf.  im  Gegen- 
satze zu  den  Dünen  als  »Elint«  bezeichnet.  Die  schmalen  oder  weiten 
Zwischenräume  zwischen  diesem  Hervortreten  des  Geschiebemergels 
sind  von  alluvialen  Moorniederungen  mit  Dünenabschluß  oder  Wasser 
erfüllt,  in  der  nordöstlichen  Heide  (Müritz-Gelbensande)  aber  von  dem 
bekannten,  feinen  Heidesande;  auch  dieser  bildet  niedere  Elintufer. 
Wesentlich  nur  an  den  hohen  Ufern  findet  Abbruch  statt.  Übrigens 
darf  man  nicht  ohne  weiteres  diese  hohen  Ufer  als  »Lehmufetc  be- 
zeichnen, wenn  auch  der  Geschiebemergel  seiner  Verbreitung  nach  bei 
weitem  den  Hauptanteil  an  der  Zusammensetzung  hat.  Im  einzelnen 
zeigen  sich  sehr  große  Verschiedenheiten  in  der  Beschaffenheit  des 
Ufers,  die  nur  in  Karten  von  großem  Maßstabe  vollständig  wieder-^ 
gegeben  werden  könnten.« 

Aus  den  sehr  sorgfältigen  und  umfassenden  Zusammenstellungen 
aller  Einzelheiten  über  den  Landverlust  der  mecklenburgischen  Küste 
findet  Prof.  Geinitz,  daß  dieser  in  100  Jahren  30  637  000  dm  be- 
trägt und  jedenfalls  in  frühern  Zeiten  nicht  geringer  war.  Die  Frage, 
was  aus  dieser  Masse  des  abgebröckelten  Landes  wird,  beantwortet 
er  wie  folgt:  Geschiebemergel  und  Ton  werden  von  den  WeUen  auf- 
gearbeitet und  einem  natürlichen  Sohlämmprozesse  unterworfen;  die 
feinsten  Teile  und  der  Sandbestand  werden  gesondert,  die  großen 
Blöcke  bleiben  mehr  oder  weniger  unverändert  an  der  Stelle  liegen, 
wohin  sie  gefallen  sind,  bis  vielleicht  Wellenschlag  oder  Eisschiebung 
ihren  Ort  langsam  und  um  geringen  Betrag  ändert,  oder  der  Mensch 
sie  ausfischt  und  zerklopft.  Wie  wenig  sie  angegriffen  werden,  er- 
hellt daraus,  daß  sich  ihre  Gletscherschliffe  und  Schrammen  noch  lange 
erhalten.  Die  Feinteile  werden  weit  hinausgeführt,  der  Sand  durch 
Küstenströmungen  transportiert,  bis  er  als  Sandbank  oder  flaches 
Neuland  an  den  Stellen  ruhigen  Wassers  zur  Ruhe  kommt  oder  auch 
bald  von  neuem  zur  Wanderung  gezwungen  wird.  Die  störenden 
Sandbänke  und  die  langen  Sandzungen,  die  sich  an  die  Landvorsprünge 
anlagern  und  endlich  als  Nehrungen  vorspringende  Halbinseln  mit  der 
benachbarten  Küste  wieder  verbinden,  sind  sprechende  Beweise  dafür. 
Die  GeröUe  werden  wohl  auch  zu  Uferwällen  aufgeworfen  vor  der 
Mündung  von  Niederungen  (Heiliger  Damm)  der  am  Strande  getrock- 
nete Sand  endlich  zu  Dünen  aufgeweht.  Dort,  wo  der  Oeschiebe- 
mergel  stark  ausgewaschen  wird,  sieht  man  am  Strande  und  vor 
demselben  in  See  reichlich  Steingerölle  angehäuft  oder  zu  Steinriffen 


278  Das  Meer. 

angereichert,  die  Steiniiffe  in  See  sind  die  Reste  ehemaliger  Geschiebe- 
mergelerhebungen. 

Nach  der  mechanischen  Zusammensetzung  des  Geschiebemergels 
kann  man  annähernd  annehmen,  daß  der  Greschiebemergel  bei  seiner 
Ansschlammnng  zerfallt  in 

1%  große  Blöcke  und  Steine, 
B^Iq  Kies  and  groben  Sand« 
55%  Sand, 

16^0  »Staube,  d.  i.  feinsten  Sand, 
25%  feinste  Teile,  d.  i.  Ton. 

Legen  wir  unsere  obige  Zusammenstellung  zugrunde,  so  finden 
wir,  daß  die  mecklenburgische  Küste  jährlich  über  300  000  cbm  Masse 
verliert,  von  welcher  beim  Ausschlämmen  erhalten  werden  rund 
200000  cbm  Sand  und  100000  dm  Ton  und  feinste  Teile. 

Gewissermaßen  als  Trost  wird  auf  die  Beobachtung  hingewiesen, 
daß  das  Meer  dafür,  daß  es  an  der  einen  Stelle  Land  abspült,  an 
andern  wieder  neues  Land  anlagert 

Auch  an  unserer  Küste  ist  dergleichen  zu  beobachten.  Aber 
was  ist  der  Gewinn  ?  Statt  des  fruchtbaren  Bodens  niedriges  Ödland, 
aus  dem  sich  höchstens  nach  Jahren  ein  dürftiges  Weideland  ent- 
wickeln kann.  Und  außerdem  steht  die  Größe  des  neuen  Areals  in 
keinem  Verhältnis  zu  dem  Verluste.  Es  wurde  bei  Erwähnung  des 
Ufers  von  Redentin  darauf  hingewiesen,  daß  dort  die  Neulandbildung 
nicht  als  Meeresanschwemmung  zu  betrachten  ist,  sondern  als  Zu- 
wachs vom  Lande  her.  Vom  Meere  geliefertes  Neuland  sind  die 
niedem  Landzungen,  die  sich  an  manche  Vorsprünge  anlehnen,  so 
ist  die  sandige  Niederung  des  Priwalls  in  vorhistorischer  Zeit  durch 
Versandung  einer  tiefen  Meeresbucht  entstanden,  von  dem  zerstörten 
Brothener  und  vielleicht  auch  Klützer  Ufer  hergeführt,  so  scheint  im 
Süden  der  Insel  Pol  ein  flacher  sandiger  Zuwachs  zu  erfolgen,  ebenso 
wie  die  am  Kieler  Ort  an  der  SW- Spitze  von  Wustrow;  und  endlich 
ist  die  Sandniederung  zwischen  Dierhagen  und  Fischland  die  alte 
Ausfüllung  eines  Mündungstrichters,  welche  die  Insel  Fischland  land- 
fest gemacht  hat 

Dagegen  ist  eines  Vorteiles  zu  gedenken,  den  die  Zerstörungs- 
produkte uns  bieten,  der  Dünenbildung.  Der  ausgewaschene  feine 
Sand  wird  an  den  Strand  geworfen,  unter  dem  Schutze  von  Buhnen- 
bauten aufgehäuft,  so  daß  oft  der  früher  steinige  Sand  später  ebener 
Feinsandboden  wird  (bis  größere  Wellen  den  Sand  wieder  wegführen), 
an  den  trockenen  Stellen  wirft  der  Wind  den  Sand  zu  den  Dünen 
auf,  welche  ihrerseits  für  spätere  Fluten  als  Wellenbrecher  dienen; 
daher  das  Bestreben,  zum  Uferschutze  Dünenbildung,  wenn  auch  nur 
in  kleinem  Maßstabe,  am  Strande  zu  befördern  und  zu  erhalten.  An 
den  Mündungsgebieten  von  Moomiederungen  ist  der  eigentliche  Ort 
für  Bildung  von  Dünen,  die  nun  für  die  meisten  Falle  genügenden 
Schutz  bieten  gegen  andringendes  Hochwasser. 


Das  Meer.  279 

Gelegentlich  werden  die  Sandanschwemmimgen  am  Strande  durch 
Verbreiterung  oder  Aufhöhung  des  Strandes  von  Nutzen  gegen  die 
andringenden  Wellen. 

Endlich  muß  noch  einer  schädigenden  Einwirkung  gedacht  werden, 
der  Versandung  von  Fahrrinnen.  Die  Wismarsche  Einfahrt  erleidet 
keinen  Schaden  durch  Sandvorlagerung,  dagegen  die  Wamemünder. 
Die  soi^ältigen,  von  Baudirektor  Eemer  geleiteten,  laufenden  Mes- 
sungen des  Seegrundes  bei  Wamemünde  haben  die  Veränderungen 
deutlichst  vor  Augen  geführt,  gegenwärtig  ist  dem  Übelstande  auf 
eine  Reihe  von  Jahren  durch  die  Fangvorrichtungen  der  Buhnenbauten 
und  den  verlängerten  Molenkopf  mit  Erfolg  entgegengearbeitet,  der 
von  Westen  herangeführte  Sand  wird  auf  der  Westseite  der  Mole  ab- 
gelagert Auf  die  Dauer  der  Zeit  wird  aber  diese  Arbeit  nicht  helfen, 
und  der  Sand  später  sich  doch  wohl  wieder  vor  die  Ausfahrt  ab- 
lagern. 

So  sehen  wir,  das  Meer  bietet  für  seinen  Abbruch  der  Ufer  nur 
recht  mäßige  Entschädigung  in  Neulandbildung,  und  daneben  noch 
direkten  Schaden  durch  Versandungen. 

Von  der  Menge  der  gelieferten  Auswaschungsmassen  der  Zer- 
storungsprodukte  wird  aber  bei  weitem  nicht  aller  Sand  wieder  an 
die  Küste  getrieben,  und  der  Ton  und  staubfreie  Sand  findet  sich 
hier  überhaupt  nicht  Dieser  Rest  der  Ausschlämmassen  muß  also 
in  die  See  hinausgeführt  werden.  Da  er  nicht  am  Strande  bleibt, 
würde  man  denken  können,  daß  die  See  allmählich  in  der  Nähe  des 
Strandes  flacher  werden  müßte  und  dadurch  einen  selbstgeschaffenen 
Schutz  gegen  starken  Wellengang  liefern.  Aber  auch  hiervon  ist  nichts 
zu  bemerken.  Man  könnte  deshalb  vermuten,  daß  das  Küstengebiet 
sich  in  langsamer  Senkung  befindet,  wodurch  die  Aufhöhung  des 
Bodens  ihr  Gegengewicht  fände.«  Die  Zusammenfassung  der  bis- 
herigen Beobachtungen  durch  das  K.  Preuß.  Geodätische  Institut  sagt, 
»daß,  wenn  überhaupt  von  einer  Hebung  oder  Senkung  der  deutschen 
Ostseeküste  die  Rede  sein  kann,  sie  wenigstens  gegenwärtig  an  der 
ganzen  Küste  gleichmäßig  erfolgt«;  und  weiter,  »daß  zur  Zeit  die 
relative  Lage  des  Mittelwassers  der  Ostsee  gegen  die  Küste  als  un- 
veränderlich angesehen  werden  kann.«  Perioden  hohem  und  niedem 
Mittelwassers  wechseln  miteinander  ab,  die  zum  großen  Teile  meteoro- 
logischen Einflüssen  zuzuschreiben  sind. 


Quellen  und  Höhlen. 

Quellen  am  Heeresgrunde.  Es  ist  wissenschaftlich  von  Inter- 
esse, eine  Zusammenstellung  der  Lokalitäten  zu  besitzen,  an  denen 
submarine  SüßwasserqueUen  sich  befinden,  allein  bis  in  die  jüngste 
Zeit  waren  nur  vereinzelte  Angaben  in  dieser  Beziehung  zu  finden. 
Jetzt  hat  nun   Dr.  F.  J.  Fischer  in,  einer  großen  Arbeit  »Meer  und 


280  Quellen  and  Höhlen. 

Binnengewässer  in  Wechselwirkungen)  eine  reichhaltige  Zusammen- 
stellung solcher  Lokalitäten  geliefert  und  erläuternde  Bemerkungen 
beigefügt 

Hiemach  zeichnen  sich  besonders  die  nördlichen  Gestade  des 
Mittelmeeres,  besonders  diejenigen,  wo  Kreidekalke  vortierrschend  ver- 
breitet sind  und  große  Störungen  ihrer  Lage  erlitten  haben,  durch 
submarine  Quellen  aus.  Dr.  Fischer  bemerkt,  man  könne  die  ver- 
borgenen Wege,  welche  die  Gewässer  des  Landes  auf  ihrer  Bewegung 
zum  Meere  hin  verfolgen,  vor  allem  an  dem  Quellenphänomen  an  den 
provengalischen  und  ligurischen  Küsten  ersehen.  Die  Provence  wird 
von  mehrem  Bergketten  der  Kalkalpenzone  der  Südwestalpen,  die 
sich  gegen  Westen  zu  den  Ketten  von  Sainte-Victoire  und  Sainte- 
Baume  absenken,  durchsSogen,  und  wo  dieser  poröse  Kalkstein  un- 
mittelbar ans  Meer  herantritt,  der  Meeresboden  aber  schroff  gegen 
die  Küste  hin  abfällt,  da  sind  die  Bedingungen  für  die  Entstehung 
submariner  Quellen  besonders  günstig.  »Schlotförmige  Dolinen  oder 
Sauglöcher  auf  dem  Rücken  des  Kalkgebirges  schlucken  das  nieder- 
fallende atmosphärische  Wasser  auf,  das  in  unterirdischen  Hohlräumen 
dem  Meere  zufließt.  In  den  Buchten  von  Cannes,  Jouan  und  Antibes, 
sowie  vor  der  Mündung  des  Var  finden  sich  submarine  Quellen, 
die  sich  bei  ruhiger  See  durch  ihr  Aufwallen  verraten.  In  der  Salz- 
lagune von  Thau  bei  Getto,  einer  tiefen  Stelle  von  Avysse,  sprudelt 
eine  Säule  Süßwasser  mit  solcher  Gewalt  empor,  daß  sie  Wellen 
schlägt  Sie  könnte  den  Einwohnern  der  Stadt  Cette  dieselben  Dienste 
leisten  wie  ehemals  den  Bewohnern  von  Syrakus  die  süße  Meeres- 
quelle im  Hafen  ihrer  Stadt,    von  der  sie  ihr  Trinkwasser  bezogen. 

Zahlreiche  submarine  Quellen  weist  nach  Dr.  Fischer  die  Um- 
gebung der  Rhonemündungen  in  verschiedenen  Entfernungen  von  der 
Küste  und  oft  in  bedeutender  Tiefe  auf.  Die  mächtigste  derselben, 
die  von  Port-Miou  bei  Gassis,  bricht  aus  einem  mindestens  2  fm 
großen  Felsentore  mit  solcher  Gewalt  hervor,  daß  sie  auf  der  Meeres- 
oberfläche einen  Strom  erzeugt,  der  schwimmende  Gegenstände  oft 
über  2  km  weit  mit  sich  fortreißt  Ein  Lot,  das  man  in  einen  Bohr- 
brunnen nahe  der  Austrittsstelle  dieser  Quelle  hinabließ,  konnte  erst 
nach  einer  Belastung  mit  einem  Gewichte  von  38  kg  der  starken  im 
Brunnen  herrschenden  Strömung  widerstehen  und  in  vertikaler  Rich- 
tung verharren.  Nahe  der  Bai  von  La  Giotat  oder  Leques  treten  auf 
dem  Meeresgrunde  so  viele  Quellen  hervor,  daß  das  Meerwasser  dort 
drei  Viertel  seines  Salzgehaltes  verliert;  das  gleiche  ist  der  Fall  südlich 
von  Mentone  an  der  Riviera.  Westlich  von  Saint-Nazaire,  an  der  Küste 
von  Portissol,  ist  das  Aufquellen  von  Süßwasser  im  Meere  so  all- 
gemein bekannt,  daß  man  eine  Landzunge  als  »Pointe  de  Sourcec 
(Quellenspitze)  bezeichnet  Auf  ähnliche  Erscheinungen  trifft  man 
nach  Dr.  Fischer   an  der  atlantischen  Küste  von  Südfrankreich,  wo 


^)  Abhandlung  der  k.  k.  geogr.  Gesellschaft  in  Wien  1902.  4   Nr.  6. 


Quellen  und  Hdhira.  281 

sich  das  Wasser  des  großen  Sumpfes  von  Ossegore  durch  die  Sand- 
massen des  Gestades  in  einen  unterirdischen  Kanal,  der  wahrscheinlich 
einer  alten  Mündung  des  Adour  entspricht,  ins  Heer  ergießt  und  unter 
dessen  Oberfläche  austritt.  Besonders  kann  man  im  Seebade  Biarritz 
diese  Verhältnisse  in  nächster  Nähe  beobachten.  Weitere  Beispiele 
finden  sich  in  andern  europäischen  Seestaaten,  so  an  dem  Meer- 
busen des  Humber  in  England  und  weiter  südlich  an  der  St.  Margaret- 
bai, wo  große  Süßwassermassen  durch  Spalten  des  Erdbodens  unter- 
irdisch ins  Meer  geleitet  werden. 

Besonders  interessante  Verhältnisse  zeigt  der  Golf  von  Spezia, 
wo  eine  Anzahl  submariner  Quellen  auf  einer  Verwerfungsspalte  nach- 
weisbar sind.  Die  mächtigste  davon  ist  die  Quelle  Polla  de  Gadimare 
südöstlich  von  Spezia.  Dort  steigt  ein  starker  Wasserquell  bis  18  m 
hoch  über  den  Meeresboden  auf  und  erzeugt  an  der  OberQäche  des 
Golfes  einen  kleinen  Wasserhügel,  der  für  kleinere  Fahrzeuge  un- 
nahbar ist.  Das  Wasser,  welches  diese  Quelle  speist,  rührt  her  von 
atmosphärischen  Niederschlägen,  die  in  einer  Entfernung  von  4  Ya  km 
auf  die  Höhen  des  Apennins  niederfallen  und  dort  von  vielen  Karst- 
trichtem  und  Ponoren ,  welche  auf  der  großen  Verwerfungsspalte  von 
NW  bis  SO  liegen,  aufgeschluckt  und  weitergeführt  werden,  bis  sie 
im  Golfe  von  Spezia  als  Quellen  wieder  hervorbrechen.  Infolge  der 
200  m  hohen  Lage  des  Niederschlagsgebietes  bei  San  Benedetto  steigt 
das  Wasser  als  eine  kräftige  Wassersäule  über  die  Meeresfläche 
empor.  Aus  welcher  Tiefe  solche  unterseeische  Quellen  oft  herauf- 
kommen, zeigt  die  Tatsache,  daß  die  Quelle  von  Cannes  162  m,  die 
von  San  Remo  190  m,  die  am  Kap  St  Martin  sogar  700  m  unter 
dem  Meeresniveau  mündet 

Dr.  Fischer  weist  auf  den  großen  Reichtum  submariner  Quellen 
längs  der  Karstküsten  von  Istrien  und  Dalmatien  hin.  »Das  Karst- 
plateau,« sagt  er,  »welches  den  quamerischen  Golf  umgibt,  besitzt 
mit  Ausnahme  der  Rijeka  oder  Fiumara  bei  Fiume  nur  temporäre 
Bäche  und  Flüßchen,  welche  an  der  Oberfläche  des  Terrains  zu  ihrem 
gemeinschaftlichen,  natürlichen  Mündungsgebiete  gelangen.  Die  ganze 
Niederschlagsmenge,  welche  auf  das  Plateau  und  die  Abhänge  jener 
Karstgebirge  fällt,  wird  von  vielen  großen  und  kleinen  Dolinen  und 
Ponoren  aulgeschluckt  und  erscheint  als  Quellwasser  im  quarnerischen 
Golfe,  wo  untergetauchte  oder  submarine,  trichter-  und  brunnenförmige 
Dolinen  vorhanden  sind,  aus  deren  Spalten  am  Meeresboden  Süß- 
wasser hervorquillt.  Die  eine  derselben  befindet  sich  bei  Mosenica, 
gegenüber  der  kleinen  Bucht  von  Jelensica,  deren  Zentrum  sich  bis 
180  m  tief  senkt,  während  rings  um  den  Trichter  der  Grund  der 
Doline  mit  45 — 66  m  erreicht  wird.  Aus  diesem  Trichter  strömt 
eine  gewaltige  Süßwassermasse  hervor,  die  zwar  in  trockenen  Zeiten 
nur  durch  die  Strahlenbrechung  ihrer  aufsteigenden  und  über  dem 
Meere  sich  ausbreitenden  Schichten  erkennbar  ist,  nach  Regengüssen 
aber  mit   solcher  Kraft  aufwallt,   daß   auf   einem  Kreise  von   über 


282  .Quellen  und  Höhlen. 

500  m  Durchmesser  keine  Barke  darüber  fahren  kann.  Eine  andere 
submarine  Doline  liegt  bei  der  Hafeneinfahrt  von  Ika  in  Istrien  und 
hat  etwas  kleinere  Dimensionen.  Aus  einer  60  m  tiefen  Spalte  des 
Grundes  kommt  eine  ähnliche,  kleinere,  jedoch  stetig  aufwallende 
Quelle  hervor.  Auch  an  einigen  Stellen  zwischen  Fiume  und  Volosca, 
sowie  an  der  Küste  bei  Senj,  südwestlich  von  Porte  Cigale  auf 
Lussin  und  südwestlich  von  Sansego  sind  ähnliche  Quellen  bekannt« 

Bezüglich  des  Vranasees  auf  der  Insel  Cherso,  der  nur  durch 
eine  schmale  Hügelreihe  vom  Meere  getrennt  und  ohne  sichtbaren 
Zu-  und  Abfluß  ist,  hat  Lorenz  auf  Grund  seiner  Temperaturmessungea 
zu  beweisen  versucht,  daß  der  See  sein  Wasser  nicht  von  der  Insel 
Gherso,  sondern  vom  Festlande  her,  und  zwar  wegen  seiner  niedrigen 
Temperatur  (8^  C.  im  Mittel)  nur  von  einer  der  höchst  gelegenen 
Gegenden  des  Velebit  oder  des  Monte  Maggiore  erhalten  könne,  so  daß 
das  Wasser  unter  dem  Meeresboden  durchfließe  und  durch  irgend  eine 
Spalte  in  jenem  Seepolje  aufsteige.  Wie  der  Zufluß,  so  sei  auch 
der  Abfluß  des  Sees  untermeerisch.  Der  Spiegel  des  56  m  tiefen  Sees 
liegt  13  m  über  dem  Meere;  wäre  also  die  Insel  Gherso  an  jener 
Stelle  um  etwas  mehr  als  diese  18  tu  niedriger,  so  hätte  man  anstatt 
des  Sees  eine  untermeerisch  austretende,  sehr  beträchtliche,  kalte 
Wassermasse. 

Dr.  Fischer  bemerkt  femer,  daß  man  in  der  Bucht  von  Vrullia 
zwischen  Abmissa  und  Makarska  bei  Windstille  deutlich  das  Auf- 
sprudeln untermeerischer  Quellen  bemerkt,  im  Kanäle  Gastelli  bei 
Spalato  dagegen  nur  nach  vorangegangenem  Regen.  Auch  in  den 
Häfen  von  Gattaro  und  Avlona  ist  diese  Erscheinung  nicht  unbekannt. 
Im  Marc  piccolo  oder  dem  großen  Hafen  von  Tarent,  in  einiger  Ent- 
fernung von  dem  Galesus,  springt  Süßwasser  in  solcher  Menge  empor, 
daß  man  es  ohne  die  geringste  Beimischung  von  Brackwasser  ab- 
schöpfen kann.  Gleiches  soll  nach  Brydone  der  Fall  sein  bei  einer 
Quelle,  die  gegenüber  der  Arethusaquelle  aus  bedeutender  Meerestiefe 
heraufkommt  (Occhio  di  Zilica).  »Selbst  den  Bohrer«,  sagt  er,  >hat 
man  auf  dem  Meesesboden  angesetzt,  um  Wasser  zu  finden.  Beim 
Vorgebirge  Uncino,  nicht  weit  vom  neapolitanischen  Städtchen  Torre 
del  Annunziata,  kannte  man  seit  langer  Zeit  eine  Stelle,  wo  in  un- 
gefähr 30  m  Entfernung  von  der  Küste  Luftblasen  aus  dem  Wasser 
aufstiegen.  Die  Erscheinung  erregte  Aufmerksamkeit,  und  so  wurden 
denn  an  einem  sich  ins  Meer  hinabsenkenden  Felsen  von  vulkanischem 
Tuffe  unter  Wasser  Bohrversuche  angestellt  Als  2  Lagen  von  16  m 
Dicke  durchstoßen  waren,  stieg  eine  Wassersäule  von  14  cm  Durch- 
messer gewaltsam  empor.  Man  trieb  noch  mehrere  Bohrlöcher  nieder; 
bei  den  meisten  war  der  Grund  ein  sehr  fester  Lavaboden,  nur  beim 
letzten  floß  Wasser  über  ein  mit  Lavabruchstücken  und  vulkanischer 
Asche  untermengtes  Tonlager,  welches  ohne  Zweifel  als  das  Bett 
des  unterirdischen  Stromes  gelten  muß.  Aus  einer  aufgesetzten  Röhre 
sprang  das  Wasser  anfangs  5  m  hoch  und  so  kräftig,  daß  es  nicht 


Quellen  und  Höhlen.  283 

bloB  kleines  Gerolle,  sondern  auch  Lavabrocken  von  ansehnlichem 
Gewichte  mit  heraufriß.  Nach  einiger  Zeit  sank  die  Wassersäule  bis 
zu  3  m,  auf  welcher  Höhe  sie  sich  dann  erhielt.« 

Längs  der  Küste  von  Argolis  gibt  es  eine  Reihe  untermeerischer 
Quellen,  und  sie  entsprechen  den  auf  dem  Festlande  in  den  sogenannten 
Katavothren  verschwindenden  Wassermassen.  Auf  der  Insel  Cerigo 
entspringt  in  der  Bucht  von  Kapsali  unter  dem  Seespiegel  aus  Kalk- 
felsen eine  reichlich  fließende  süße  Quelle  und  bleibt  bei  ruhiger  See 
so  unvermischt,  daß  man  fast  ganz  reines  Wasser  von  ihr  schöpfen 
kann.  »Bei  der  Insel  Milo,  der  südwestlichsten  der  Kykladen,  ent- 
quellen dem  Meeresboden  sogar  Thermen.  An  der  Karstküste  von 
Kephallenia  kommen  untermeerische  Quellen  in  der  Lagune  Kutavos, 
dem  südlichen  Teile  der  Bucht  von  Argostoli,  und  vor  der  Ostküste 
von  Erisos  vor,  gegen  welche  der  Schichtenfall  die  Gewässer,  welche 
das  poröse  Gestein  aufnimmt,  hinabzuführen  scheint  Besonders 
zahlreich  erheben  sie  sich  aus  dem  Grunde  der  Euphimiabucht  und 
lassen  das  im  Tale  versiegte  Süßwasser  zutage  treten.  Auch  weiter 
südlich,  im  Busen  von  Samos,  gewahrt  man  nach  Migliaressi  drei 
bedeutende  unterseeische  Quellen,  und  Ansted  beobachtete  halbwegs 
zwischen  Samos  und  PhyUaro  eine  so  mächtige  hervorsprudelnde 
Quelle,  daß  sie  auf  dem  glatten  Seespiegel  einen  Hügel  von  1  Fuß 
Höhe  aufwarf.« 

Zahlreich  sind  auch  die  Beispiele  submariner,  mächtiger  Quellen, 
die  Dr.  Fischer  von  der  Südküste  der  Vereinigten  Staaten  beibringt 
So  sprudelt  an  der  Mündung  des  St  Johnflusses  eine  untermeerische 
Quelle  völlig  süßen  Wassers  1 — 2  m  hoch  über  die  Meeresfläche 
empor.  >An  den  Küsten  von  Yukatan  scheinen  die  Süßwasserquellen, 
die  unterirdisch  dem  Meere  zufließen,  nicht  die  Form  eigentlicher 
Flüsse  anzunehmen,  sondern  vielmehr  ausgebreiteten  Seen  ohne  merk- 
liche Strömung  zu  gleichen.  In  ihrer  Gesamtheit  sind  diese  sub- 
marinen Quellen  mächtig  genug,  um  dem  Meerwasser  auf  weite 
Strecken  von  der  Halbinsel  entfernt  das  Gleichgewicht  zu  halten. 
Infolge  des  Gegendruckes,  den  die  an  der  Küste  hinströmende  Meeres- 
strömung ausübt,  hat  sich  zwischen  dem  hohen  Meere  und  dem  vom 
Festlande  her  fließenden  Süßwasser  eine  ähnliche  Barre  gebildet, 
wie  sie  sonst  die  Wogen  vor  den  Flußmündungen  aufbauen.  Der 
Kanal,  der  sich  wie  ein  breiter  Fluß  zwischen  der  Anschwemmung 
und  der  Küste  Yukatans  hinzieht,  wird  in  der  Tat  nicht  mit  Unrecht 
von  den  Anwohnern  als  »rio«  (Fluß)  bezeichnet  Noch  400  m  von 
der  nördlichsten  Spitze  der  Halbinsel,  dem  Kap  Catoche,  steigen 
Süßwasserquellen  vom  Meeresboden  auf. 

Die  reichen  Süßwasserquellen  in  der  Bucht  von  Xagua  auf  Kuba 
sind  durch  v.  Humboldt  bekannt  geworden.  Die  Kraft,  mit  der  diese 
Quellen  zutage  treten,  ist  dermaßen  groß,  daß  sie  einen  für  kleine 
Kähne  oft  gefährlichen  Wellengang  verursacht  Schiffe,  die  nicht  in 
Xagua  einlaufen,  holen  zuweilen  ihren  Wasservorrat  an  diesen  Quellen, 


284  Quellen  und  Höhlen. 

deren  Wasser  um  so  süßer  und  kalter  ist,  je  tiefer  es  geschöpft  wird. 
Durch  Instinkt  geleitet,  haben  auch  die  Manatis  (Lamantins)  dieses 
Süßwasser  entdeckt,  und  die  Fischer,  welche  diesen  grasfressenden 
Getaceen  nachstellen,  finden  und  erlegen  sie  dort  in  Menge  auf 
offener  See. 

Ebenso  quillt  zwischen  den  Riffen,  welche  die  höhlenreichen 
Bahamainseln  umgeben,  klares,  frisches,  süßes  Quellwasser  empor. 
Zur  Zeit  der  Ebbe  kann  man  die  Quellen  deutUdi  sehen  und  das 
Wasser  da  schöpfen,  wo  es  aus  dem  Boden  emporsprudelt. 

In  der  Nähe  der  Insel  Saba  in  den  Kleinen  Antillen  entdeckte 
Kapitän  Luger  mitten  im  Meere  das  Vorhandensein  einer  beträcht- 
lichen Süßwassermasse,  die  in  konzentrischen  Kreisen  vom  Meeres- 
boden aufzuquellen  schien. 

Bei  den  Antillen  St.  Jacques  und  Guadeloupe  finden  sich  im 
Meere  warme  Quellen.  Auch  bei  der  Insel  Jamaika,  auf  der  die 
Karstphänomene  so  mannigfaltig  entwickelt  sind,  daß  dieses  Gebiet 
ein  Seitenstück  zu  den  stark  verkarsteten,  aus  Kreide  und  Eocänkalk- 
steinen  zusammengesetzten  Ländern  des  adriatischen  Karstes  bildet, 
stieß  man  auf  eine  untermeerische  Quelle. 

Ein  gleiches  findet  nördlich  von  der  durch  ein  furchtbares  Erd- 
beben seinerzeit  (1868)  bekannt  gewordenen  Orte  Arika  in  Chile, 
früher  zu  Peru  gehörig,  statt,  wo  ein  Fluß  plötzlich  im  Sande 
verschwindet  und  unsichtbar  dem  Meere  zueilt,  um  einen  breiten 
unterseeischen  Fluß  zu  bilden.  Ein  anderer  Fall  ist  westlich  des 
peruanischen  Hafens  Talora  zu  beobachten,  wo  sich  auf  dem  Meeres- 
boden in  18  m  Abstand  von  der  Küste  ein  echtes  Flußbett  gebildet 
hat.  Im  Hinterlande  der  Küste  befindet  sich  dort  eine  Reihe  von 
Seen,  deren  Gewässer  in  eine  Felsspalte  abfließen  imd  wahrschein- 
lich am  Meeresgrunde  erst  wieder  den  Boden  verlassen.  € 

Von  Interesse  ist,  daß  an  der  ostafrikanischen  Küste  der  Rowuma 
eine  unterirdische  Flußmündung  besitzt,  noch  merkwürdiger  aber  die 
folgende  von  Dr.  Fischer  mitgeteilte  "Tatsache.  »Das  zwischen  dem 
Grünen  Kap  (Kap  Verde)  und  der  brasilianischen  Küste  vollendete 
Kabel  aus  ganz  neuem  und  vorzüglichem  Materiale  versagte  mehrmals 
hintereinander  den  Dienst,  und  die  Untersuchung  stellte  fest,  daß  es 
immer  ungefähr  an  derselben  Stelle  gerissen  war.  Man  prüfte  nun- 
mehr den  Meeresboden  aufs  genaueste,  um  die  Ursache  dieser  Störung 
zu  erfahren,  und  fand,  daß  sich  dort  am  Meeresboden  die  Quelle 
eines  Flusses  befand,  der  das  Kabel  mit  Schuttmassen  überschüttet 
und  zum  Reißen  gebracht  hatte.  Die  Herkunft  dieses  Süßwasser- 
stromes blieb  nicht  lange  im  Unklaren,  denn  man  fand,  daß  sich  an 
der  afrikanischen  Küste,  gerade  in  gleicher  Höhe  mit  der  fraglichen 
Meeresstelle,  ein  Fluß  in  die  Sümpfe  von  Yof  ergießt  und  sich  dort 
in  den  Sand  des  Bodens  verliert  Es  konnte  kaum  ein  Zweifel 
darüber  obwalten,  daß  es  das  Wasser  des  Flusses  war,  das  sich  in 
einer  Entfernung  von   24  km  von  der  Küste   unterirdisch   ins  Meer 


Quellen  und  Höhlen.  285 

ergieBt  und  zum  Reißen  des  Kabels  Veranlassung  gegeben  hatte. 
Diese  Vennutung  wurde  dadurch  noch  wahrscheinlicher,  daß  sich  das 
mit  der  Reparatur  beschäftigte  Schiff  eines  schönen  Tages  plötalich 
mit  einer  Menge  von  Orangesohalen,  Kalebassen,  Zeugstücken  usw. 
umgeben  sah,  die  wohl  keinesfalls  von  der  140  Am  entfernten  Mün- 
dung des  Senegal  kommen  kounten,  sondern  wahrscheinlich  aus  der 
unterirdischen  Flußmündung  in  die  Höhe  gestiegen  waren,  c 

Ein  Beweis,  wie  weit  wasserdichte  Schichten  sich  unter  dem 
Meere  fortziehen  können,  ist  der  von  Dove  angeführte  Fall,  daß 
ein  englisches  Konvoi  im  Indischen  Ozeane  125  Meilen  entfernt  von 
Ghittagong  eine  mächtige  Süßwasserquelle  entdeckte.  Umgekehrt  hat 
A.  V.  Humboldt  die  Tatsache,  daß  sich  auf  einigen  der  kleinen, 
felsigen,  nur  wenig  über  dem  Meeresspiegel  erhabenen  Eilande,  den 
Kayen  oder  Kagos  bei  Kuba,  völlig  süßes  Wasser  vorfindet,  dadurch 
erklärt,  daß  sie  infolge  der  Verlängerung  der  Schichten  des  jurassi- 
schen Kalksteins  und  der  Auflagerung  des  Korallenkalksteins  auf 
demselben  von  der  benachbarten  Küste  und  den  Gebirgen  Kubas  ihr 
Trinkwasser  erhalten.  Dr.  Fischer  bemerkt,  daß  die  nur  15  qkm 
große  Insel  Nordemey  an  allen  Stellen,  die  nicht  von  der  täglichen 
Flut  erreicht  werden,  süßes  Wasser  hat,  und  man  sah,  sobald  Ebbe 
ist,  außerhalb  der  Dünen  sogar  Süßwasser  emporsprudeln.  Femer 
sollen  nach  ihm  einzelne  Granitklippen  der  Ostsee,  Ertholmen  genannt, 
selbst  im  trockensten  Sonmier  Überfluß  an  Süßwasser  haben,  das 
ebenfalls  nur  unter  dem  Meere  her  vom  Festlande  kommen  kann. 

Im  Gegensatze  hierzu  berichtet  Dr.  Lersch,  daß  die  Bewohner 
Yukatans  größtenteils  längst  verschmachtet  seiu  müßten,  wenn  sich 
dort  nicht  tiefe  Höhlenbrunnen  fänden,  zu  denen  sie  auf  Leitern 
durch  künstliche  und  natürliche  Schächte  von  mehr  als  800  m  Tiefe 
hinabsteigen. 

Die  InteFmitüerende  Lindwupmquelle  bei  Laibaeh.  Über 
diese  schon  seit  Jahrhunderten  den  Umwohnern  als  intermittierend 
bekannte,  dennoch  aber  wissenschaftlich  noch  wenig  erforschte  Quelle 
berichtet  W.  Putick.^)  Ihrer  wird  zuerst  von  Frhr.  v.  Valvasor  (1689) 
gedacht,  der  dieselbe  einige  Jahre  vorher,  von  den  Landleuten  auf- 
merksam gemacht,  besuchte.  Die  abergläubischen  Bauern  glaubten, 
in  der  Quelle  hause  unterirdisch  ein  Drache,  der  von  Zeit  zu  Zeit  das 
Wasser  herauswerfe.  Erst  in  neuester  Zeit  ist  die  Quelle  leichter 
zugänglich  und  die  Quellenöffnung  freigemacht  worden,  so  daß  man 
den  Wasserspiegel  am  Ursprünge  der  Quelle  sehen  kann.  Die  Quelle 
liegt  in  482  m  Meereshöhe ;  dagegen  hat  der  höchste  Funkt  des  Berg- 
landes, in  welchem  die  unterirdischen  Zuflüsse  der  Lindwurmquelle 
verborgen  liegen,  in  der  Bergkuppe  »Zaplana«  800  m  Meereshöhe. 
Hinsichtlich   der   geologischen  Verhältnisse   des    Sammelgebietes   der 


1)  Erdbebenwarte  a^  p.  18. 


286  Qttellea  und  HohleiL 

Lindwunnquelle  ist  za  bemerken,  daß  das  Gebiet  der  Tiiasfonnation 
angehört  und  vorwiegend  aus  Saudstein  und  dolomitischem  Kalke 
besteht  Was  femer  die  Terrainbeschaffenheit  anbelangt,  so  ist  das 
Einziehungsgebiet  der  Quelle  ein  vorherrschend  bewaldetes  Bergiand, 
das  unbedeutende  Karsterscheinungen  zu  verzeichnen  haL 

Der  Berichterstatter  war  Augenzeuge  eines  starken  Ausbruches  der 
Quelle.    Er  schreibt: 

»Am  80.  Mai  kam  der  Berichterstatter  nach  Oberlaibach  und  erfuhr  dort, 
daß  Herr  Gabriel  Jelovsek  seit  8  Tagen  die  Feistrümmer  beim  Lindwurm 
durch  4  Arbeiter  entfernen  ließ  und  am  29.  Mai  nachmittags  zwischen  8  und 
4  Uhr  Augenzeuge  eines  vehementen  Wasserausbniches  war.  An  den  friihem 
Tagen  wurde  von  den  Arbeitern  am  Ursprünge  der  Quelle  außer  dem  kon- 
stanten Abflüsse  ein  Wasserausbruch  nicht  beobachtet,  obschon  sie  tä^ch 
von  6  Uhr  fnih  bis  zur  Abenddämmerung  an  Ort  und  SteUe  ununterbrochen 
beschäftigt  waren.  Doch  erfuhren  die  Arbeiter  von  Hirten,  die  schon  im 
ersten  Morgengrauen  in  der  Nähe  der  Lindwurmauelie  das  weidende  ^eh 
bewachten,  daß  Tag  für  Tag  vor  4  Uhr  morgens  der  Lindwurm  tätig  wäre. 
Die  Arbeiter  hatten  tatsächnch  jeden  Moraen  die  zurückgebliebenen  Spuren 
des  Wasserausbruches  schon  auf  dem  Wege  zum  Quellenursprunge  ¥rahi^ 
genommen.  Sie  näherten  sich  deshalb,  aber^äubisch ,  wie  die  Landbe- 
völkerung ist,  ängstlich  der  Stelle  ihrer  Tätigkeit  und  verließen  dieselbe 
auch  jeden  Tag  in  aller  Stille.  Diese  erzählten  Herrn  Jelovsek  täglich  am 
Abende  von  ihren  Wahrnehmungen  und  von  den  Nachrichten,  die  sie  von 
den  Hirten  erfahren  hatten.  Herr  Jelovsek  kam  wiederholt  und  zu  ver- 
schiedenen Tagesstunden  zur  Quelle,  um  den  Fortschritt  der  von  ihm  an- 
geordneten Arbeiten  zu  besichtigen  und  weitere  Anordnungen  zu  treffen. 
Am  29.  Mai  begab  er  sich  wieder  auf  den  Weg  zur  Lindwurmquelle.  Um 
8  Uhr  nachmittags  dort  angekommen,  ließ  er  einen  Felsblock  knapp  am 
Ursprungspiegel  zur  Sprengung  derart  anbohren  und  laden,  daß  der  gewaltige 
Minenknall  den  QueUspiegel  traf.  Ungefähr  eine  Viertelstunde  nach  der 
Detonation  des  Sprengschusses  trat  die  sonst  ruhig  fließende  QueUe  in  die 
Erscheinung  eines  rauschenden  und  stürmenden  Gießbaches,  worauf  die 
Sprengarbeiten  an  der  Quelle  unterbrochen  wurden.  Infolgedessen  unternahm 
Verf.  gleich  am  andern  Tage  einen  Besuch  der  Quelle.  Er  kam  20  Minuten 
vor  4  Uhr  beim  Quellursprunge  an.  Nach  curfolgter  Besichtigung  und 
Markierung  des  Quellspiegels  an  den  Felstrümmem,  zwischen  welchen  etwa 
4  Sekundenliter  Wasser  aus  der  Quelle  zum  felsigen  Waldgraben  kon- 
tinuierlich herabrieselten,  wurde  ein  Flintenschuß  zwischen  dem  Quellspi^el 
und  der  Felsendecke  der  Ursprungshöhle  in  das  Berginnere  abgefeuert.  Der 
Pulverrauch  wurde  mit  einem  bereitgehaltenen  Buchenaste  zerstreut.  Als 
der  QueUspiegel  wieder  sichtbar  wurde,  zeigte  er  die  ursprüngliche  Höhe. 
Es  war  12  Mmuten  vor  4  Uhr.  Kaum  eine  Minute  darauf  wurde  wahrge- 
nommen, daß  der  QueUspiegel  um  1  cm  gestiegen  war  und  anfangs  ^eiä- 
mäßig,  dann  aber  progressiv  weiter  emporstieg,  bis  er  nach  12  Minuten 
die  Höhe  von  42  cm  über  Null  erreicht  hatte.  Inzwischen  mericte  man 
augenscheinUch  die  Zunahme  des  Wasserabflusses  im  QueUgraben  unterhalb 
der  Trümmergesteinbarre  des  Quellspiegels,  welcher  auf  dieser  Höhe  den 
Scheitel  der  Barre  erreichte  und  rasch  überzulaufen  begann.  Der  QueU- 
spiegel erhöhte  sich  durch  weitere  6  Minuten  progressiv  und  erreichte 
endhch  82  cm  Höhe  über  NuU,  blieb  auf  dieser  Höhe  10  Minuten  konstant, 
fiel  nachher  von  82  auf  42  cm  gleichmäßig  durch  26  Minuten  und  fiel 
ebenso  gleichmäßig  durch  weitere  19  Minuten  von  42  em  auf  den  NuUpunkt 
zurück,  so  daß  die  Erscheinung  des  Wasserausbruches  insgesamt  72  Minuten 
in  Anspruch  nahm,  wovon  gegen  80  Minuten  der  auffaUendsten  Intensität 
anffehorten.  Der  Quellspiegel  war  von  NuU  auf  42  cm  und  umgekehrt  je 
höher,  desto  heftiger  pulsierend  und  von  42  cm  auf  82  am  Höhe  und  um- 


Quellen  und  Höhlen.  287 

gekehrt  in  analoger  Weise  je  höher,  desto  heftiger  bewegt  und  in  sprudelnder 
Tätijgkeil  Das  durch  den  im  Mittel  70  cm  breiten,  mit  4<^/o  geneigten  Quell- 
schlitz hinablaufende  Wasser  hatte  eine  durchschnittliche  (jeschwindigkeit 
von  1.5 — 1.8  offt,  so  daß  während  der  maximalen  Tätigkeit  der  Quelle  un- 
gefähr 400—450  Sekundenliter,  d.  i.  0.40—0.45  (inn  per  Sekunde,  derselben 
entsprangen.  Der  Quellschlitz  mündet  nach  12  m  Länge  in  einen  steilen 
und  felsigen  Graben,  wohin  das  stürzende  Wasser  dahinrausoht  und  eine  un- 
unterbrochene Reihe  von  kleinen  Wasserfällen  bildet,  bis  es  tiefer  im  Graben 
nach  ruhigerm  Laufe  durch  das  primitive  Wehr  der  außer  Betrieb  stehenden 
»Alten  Mimle«  eine  Zeitlang  aufgehalten  wird.  Insgesamt  lieferte  der  einmalige 
Ausbruch  der  Lindwurmquelle  B500— 4000  AI,  d.  i.  850—400  obm  Wasser. 

Weitere  Beobachtungen  und  Messungen  der  Wasserausbrüche  an  der 
Lindwurmauelle  stehen  nunmehr  im  Plane.  Was  den  oben  geschilderten 
Wasserausbruch  betrifft,  so  wird  femer  bemerkt,  daß  es  noch  öfters  zu 
versuchen  sein  wird,  ob  die  Erscheinung  durch  ähnhche  Detonationen  vor 
der  Höhlenmündung  zu  beliebiger  Zeit  beschleunigt  wird,  wie  es  am  29.  und 
80.  Mai  auffallenderweise  erzielt  wurde,  oder  ob  das  Phänomen  selbsttätig 
nur  zu  gewissen  Tagesstunden,  von  den  gefallenen  Niederschlägen  abhängig, 
einzutreten  pflegt.  Der  am  80.  Mai  beobachtete  Wasserausbruch  der  Quelle 
brachte  am  QueUspiegel  beständig  klares  Wasser  zum  Vorscheine,  dessen 
Temperatur  9^  C.  betrug.« 

Untersuchungen  über  die  Abnahme  der  Quellentempe- 
ratur mit  der  Höhe  im  Gebiete  der  mittlem  Donau  und 
des  Inn  hat  Dr.  F.  V.  Eemer  angestellt^)  Diese  Untersuchung  basiert 
auf  einer  großen  Zahl  von  Quellenmessungen,  welche  vom  Vater  des 
Autors  vor  vielen  Jahren  in  Niederösterreich  und  Nordtirol  ausgeführt 
worden  sind.  Es  wurden  zunächst  die  Fehlergrenzen  bestimmt  für 
die  Ableitung  des  Jahresmittels  der  Quellentemperatur  aus  nur  zwei 
zu  passend  gewählten  Zeitpunkten  angestellten  Messungen.  Hieran 
schließt  sich  eine  Erörterung  der  Korrektionen,  welche  an  den  Quellen- 
temperaturen anzubringen  sind,  um  den  Einfluß  der  orographischen 
Lage  und  Bodenbeschaffenheit  zu  eliminieren  und  die  Temperaturen 
als  alleinige  Funktionen  der  Seehöhe  zu  erhalten.  Alsdann  folgt  die 
Ableitung  von  Gleichungen  für  die -Abnahme  der  Quellentemperatur 
mit  der  Höhe,  und  zwar  getrennt  für  drei  verschiedene  Regionen  im 
Stromgebiete  der  mittlem  Donau  und  für  zwei  verschiedene  Gebirgs- 
züge im  Flußgebiete  des  Inn.  Diese  Gleichungen  sind  (h  in  Hekto- 
metern ausgedrückt): 

Südrand  des  böhmischen  Massivs: 

^=  11.75— 0.85Ä  +  0.04Ä«. 

Niederösterreichische  Voralpen: 

<=  10.21— 0.15Ä—0.04Ä« 

Niederösterreichische  und  obersteirische  Ealkalpen: 
<  =  9.93— 0.37  Ä. 

Nordtiroler  Kalkalpen: 

t=  13.91— O.BOÄ+O.OIÄ«. 

Tiroler  Zentralalpen  (nordwärts  der  Hauptwasserscheide): 
^=  12.11— 0.44Ä. 

^)  Kais.  Akad.  d.  Wiss.  in  Wien.  Sitzung  der  mathem.-naturwis8.  Klasse 
V.  2.  AprU  1906. 


288 


QaaUen  imd  Höhlen« 


Diese  Formeln  werden  sodann,  besonders  insoweit  sie  quadra» 
tische  Glieder  enthalten,  näher  diskutiert  und  mit  den  geognostischen 
und  den  mit  diesen  eng  verknüpften  morphologischen  Verhältnissen 
der  betreffenden  Gebiete  in  Beziehung  gebracht  Den  Schlofi  bildet 
ein  Vergleich  der  Abnahme  der  Quellenwärme  mit  der  Abnahme  dtf 
Lufttemperatur. 

Die  Anderungren  des  Grundwasserstandes  in  Brttim.    in 

den  Jahren  1866 — 1880  hat  Mendel  daselbst  sehr  genaue  und  lücken- 
lose Beobachtungen  des  Wasserstandes  im  Koaventbrunnen  des  Stiftes 
St  Thomas,  der  eine  Tiefe  von  ca.  7  m  besitzt,  ausgeführt  Diese 
wertvolle  Messungsreihe  ist  von  J.  Liznar  bearbeitet  worden.^)  Es 
wird  wenige  Orte  geben,  von  welchen  eine  so  homogene  Reihe  von 
Beobachtungen  über  den  Grundwasserstand  vorliegt,  weshalb  die  von 
Liznar  veröffentlichten  Taten  von  besonderm  Werte  sind,  indem  sie 
auf  das  deutlichste  nachweisen,  daS  der  Grundwasserstand  tatsächlich 
von  der  Niederschlagshöhe  abhängig  ist. 

Die  folgende  Tabelle  zeigt  den  jährlichen  Gang  des  Grundwassers 
und  Niederschlages  in  Zentimetern. 


I 


o 


SB 


I 


-6.0 
6 
5« 


153 
6 
6 


25.2 
6 
6 


29.8 
12 
12 


-i2.e 

14 
14 


-24.0J 
5« 
7 


aB.7* 
7 
7« 


-ao.9 

8 
8 


-7.2 

7 
6 


826.0 
651 
510 


Grondwasser 
Nieder80bl«g  | 

Der  jährliche  Gang  des  Niederschlages  ist  durch  2  ZaMenreih^ 
dargestellt,  wovon  die  erste  der  Periode  1865 — 1880,  in  welcher 
die  Beobachtungen  über  den  Grundwa^serstand  ausgeführt  worden 
sind,  entspricht,  während  die  zweite  aus  den  Niederschlagsmessungen 
der  Jahre  1848 — 1882  abgeleitet  worden  ist  Beide  stimmen  fast 
vollkommen  überein.  Der  Niederschlag  zeigt  im  Laufe  des  Jahres 
2  Mazima  im  Juni  und  August,  die  durch  ein  kleines  Minimum  im 
Juli  getrennt  erscheinen,  ferner  ein  sekundäres  Maximum  im  November. 
Das  Hauptminimum  tritt  im  Januar  oder  Februar  ein»  ein  zweites 
sekundäres  Minimum  zeigt  der  September,  bezw.  Oktober. 

Der  jährliche  Gang  des  Grundwasserstandes  und  des  Nieder- 
schlages ist  demnach  sehr  verschieden,  so  daß  es  den  Anschein  hat, 
als  ob  beide  Erscheinungen  nichts  miteinander  zu  tun  hätten.  Bei 
näherer  Überlegung  kommt  man  aber  zu  einem  ganz  andern  Schlüsse. 
Berücksichtigt  man  nämlich,  daß  nicht  das  ganze  Niederschlagswasser 
in  den  Boden  eindringen  kann,  da  eine  größere  Menge  desselben  ober- 
flächlich abfließt,  und  ein  beträchtlicher  Teil  verdunstet  (besonders 
im  Sommer),  daß  ferner  im  Sommer  durch  die  Vegetation  dem  Boden 
Wasser   entzogen  wird,    ehe   es   in  tiefere  Schichten  gelangen  kann, 


^)  Meteorol.  Zeitschr.  190B.  p.  537. 


QaeUen  and  Höhlen.  289 

so  wird  man  einsehen,  daß  die  angeführten  Umstände  für  den  Grund- 
wasserstand von  großer  Bedeutung  sein  müssen. 

Der  Wasserabfluß  ist  im  Sommer,  in  dem  die  Niederschläge  mit 
größerer  Intensität  auftreten  (d.  h.  es  fällt  mehr  Regen  in  kürzerer 
Zeit),  bedeutend  größer  als  im  Herbste  oder  Frühjahre,  zu  welcher  Zeit 
das  Niederschlagswasser  (oder  auch  Schmelzwasser)  mehr  Zeit  findet, 
in  den  Boden  einzudringen.  Im  Sommer  ist  aber  auch  die  Ver- 
dunstung viel  größer,  denn  bei  den  hohem  Temperaturen  enthält  die 
Luft  immer  weniger  Wasserdampf,  als  sie  im  Maximum  enthalten  könnte, 
so  daß  stets  ein  Sättigungsdefizit  vorhanden  ist,  von  dessen  Größe 
die  raschere  oder  langsamere  Verdunstung  abhängt  Beachtet  man 
noch,  daß  auch  mehr  Wasser  im  Sommer  verbraucht  wird,  so  läßt 
sich  durch  das  Zusammenwirken  aller  angeführten  Faktoren  der  jähr- 
liche Gang  des  Grundwassers  leicht  erklären.  Es  steigt  zwar  der 
Niederschlag  vom  Winter  zum  Sommer  und  erreicht  sein  Maximum 
im  Juni  und  August,  aUein  es  ist  im  Sommer  nicht  nur  der  ober- 
flächliche Abfluß  und  der  Wasserverbrauch,  sondern  auch  die  Ver- 
dunstung am  größten.  Überwiegen  nun  die  letztem,  dann  muß  im 
Sommer  ein  Sinken  des  Grundwassers  eintreten,  wie  es  aus  den 
mitgeteilten  Zahlen  zu  ersehen  ist  Dieses  Sinken  dauert  so  lange, 
bis  Wasserzufuhr  (durch  den  Niederschlag)  und  Verlust  gleich  groß 
werden,  dann  trifft  der  tiefste  Stand  ein.  Von  da  an  überwiegt  die 
Wasserzufuhr,  das  Grundwasser  steigt  bis  zum  Mai,  zu  welcher  Zeit 
wieder  Zufuhr  und  Verlust  gleich  werden. 

Nicht  überall  tritt  der  jährliche  Gang  des  Grundwasserstandes 
in  der  hier  beschriebenen  Form  auf,  weil  die  beeinflussenden  Faktoren 
andere  Werte  annehmen  können.  Dort  z.  B.,  wo  die  Sommemieder- 
schläge  größer  werden,  die  Verdunstung  aber  verhältnismäßig  klein 
bleibt  wird  der  jährliche  Gang  des  Grundwasserstandes  die  Form 
der  jährlichen  Periode  des  Niederschlages  annehmen,  wie  dies  z.  B. 
in  München  der  Fall  ist. 

Eine  Theorie  der  Kohlensäure  führenden  Quellen  hat 

Professor  F.  Henrich  aufgestellt^)  Die  Entstehung  der  Säuerlinge 
erklärte  G.  Bischof  1863  in  folgenden  Worten:  »Die  Säuerlinge  sind 
stets  aufsteigende  Quellen.  Sie  können  nur  entstehen,  indem  in 
größerer  oder  geringerer  Tiefe  die  aufsteigenden  Quellen  mit  Kohlen* 
säureexhalationen  in  Berührung  kommen.  Aufsteigende  Quellen  aber 
sind  mit  Wasser  gefüllte  kommunizierende  Röhren,  deren  einer  Schenkel 
höher  ist  als  der  andere,  aus  dessen  Mündung  das  Wasser  fließt.« 
Hiervon  geht  der  Autor  bei  seinen  weitem  Besprechungen  aus,  in- 
dem er  sich  besonders  gegen  den  Schlußpassus  dieser  Definition 
wendet     Henrich  nimmt  nicht   zwei,    »sondern    eine   in    die    Tiefe 


^)   Zeitschr.  f.  d.  Berg-,  Hütten-  u.  Salinenwesen   im  preuß.  Staate 
BerUn  1902  60«  p.  681—657. 

Klein,  Jahrbnoh  XIV.  19 


290  Quellen  und  Höhlen. 

gehende  Röhre  oder  Spalte  an,  die  ihr  Wasser  durch  zahlreidie  ein- 
mündende Seitenspalten  oder  Haarspalten  erhält.  Diese  ersetzen  die 
kommunizierende  wasserliefemde  Röhre.  Der  Wasserspiegel  in  den 
Seitenspalten  muß  nicht  über  dem  der  Quelle,  er  kann  selbst  unter 
diesem  liegen.«  Diese  Theorie  wird  sodann  auf  mathematischem 
Wege  bewiesen,  indem  die  einzelnen  Größen ,  wie  Wassermenge, 
Druckhöhe  usw.,  in  Formeln  gebracht  werden.  Daraus  ergibt  sich 
dann  auch,  weshalb  solche  Quellen  bei  abnehmendem  Luftdrucke 
mehr  Wasser  liefern.  Der  Grund  ist  ein  doppelter:  erstens,  weil 
aus  dem  mit  Kohlensäure  gesättigten  Wasser  mehr  Kohlensäure  ent- 
bunden, folglich  ebensoviel  Kubikmeter  Wasser  verdrängt  werden, 
dann  aber,  weil  das  Volumen  der  frei  durchströmenden  Kohlen- 
säure größer  wird.  Der  1.  Grund  kommt  nur  zu  Anfang  des 
sinkenden  Barometerstandes  in  Betracht,  der  2.  Grund  dagegen  bleibt 
während  des  ganzen  niedrigen  Luftdruckes  aufrecht  Femer  wird 
mathematisch  bewiesen,  daß  »alle  Sauerquellen  durch  Kohlensäure 
derart  aufgetrieben«  werden,  »daß  die  in  der  Quellenröhre  i^i  auf- 
steigende Kohlensäure  so  viel  Wasser  verdrängt,  als  sie  selbst  Raum 
einnimmt,«  daß  dagegen  ein  Auftrieb  in  der  Weise,  daß  die  Wasser- 
säule durch  die  Gasblasen  gehoben  würde ,  nur  in  ganz  verschwin- 
dendem Ausmaße  zu  beobachten  ist.  Diesen  Ausführungen  schließen 
sich  dann  noch  noch  zwei  weitere  Kapitel  an,  in  welchen  zahlreiche 
bestätigende  Versuche  besprochen  und  eine  Anwendung  der  Theorie 
auf  erbohrte  Säuerlinge  gemacht  wird. 

Ober  die  Entstehung:  und  die   Rolle  des  Erdöles  hat 

H.  Höfer  weitere  Studien  veröffentlicht^)  Zunächst  knüpft  er  an 
seine  frühem  Ergebnisse  an,  in  welchen  darauf  hingewiesen  wurde, 
daß  die  Erdöl  begleitenden  Wasser  meist  vollständig  frei  von  Sulfaten 
gefunden  wurden,  da  Erdöl  und  dessen  Gase  auf  das  Wasser  redu- 
zierend wirken,  und  der  Schwefel  bei  Hinzutritt  der  Luft  aus  dem 
sich  bildenden  Schwefelwasserstoffe  ausscheidet  Diese  Erscheinung 
bringt  es  mit  sich,  daß  die  Ghlorbaryumprobe  bei  Schürfungen  auf 
Petroleum  einen  wichtigen  Behelf  abgibt 

Bezüglich  des  Einflusses  der  Bitumen  auf  die  Sulfate  im  Wasser 
wird  gezeigt,  daß  dabei  eine  Umwandlung  der  Sulfate  in  Sulfide 
oder  Karbonade  (Bikarbonate)  und  begleitenden  Schwefelwasserstoff 
vor  sich  geht. 

Was  die  Entstehung  des  Erdöles  anbelangt,  so  wird  jene  als 
die  zutreffendste  hingestellt,  welche  die  Bildung  der  Erdöllagerstätten 
auf  die  plötzliche  Massenvertilgung  von  Meerestieren  zurückzuführen 
sucht.  Daß  solche  Massenmorde  nicht  einmal  besonders  selten  vor- 
kommen, zeigen  viele  Beobachtungen,  und  sind  in  dieser  Richtung 
die  Aufzeichnungen  von  Prof.  A.  Agassiz   von  besonderm   Interesse. 

^)  Abh.  d.  Kais.  Akad.  d.  W.Wien.  Mathm.-naturw.  Klasse  61.  Abt  1.  p.  616. 


Quellen  und  Höhlen«  291 

Schließlich  verbreitet  sich  Höfer  über  die  große  Rolle,  die  dem 
Bitumen  als  ein  Reduktionsmittel,  respektive  Präzipitators  der  Metall- 
sulfide zufällt.  Während  es  aUgemein  bekannt  ist,  daß  durch  die 
Einwirkung  von  Kohlenwasserstoffen  die  gelösten  Sulfate  der  schweren 
Metalle  zu  unlöslichen  Sulfiden  reduziert  werden,  gelang  es  Höfer 
nachzuweisen,  daß  mitunter  auch  diese  auf  gleichem  Wege  in 
Metalle  verwandelt  werden  können,  wobei  Kohle  ausgeschieden  wird« 
Die  Vorkonmmisse  in  den  Kongsberger  SUbergängen  brachten  Höfer 
zur  Vermutung  dieses  Vorganges,  und  die  angestellten  Experimente 
haben  denselben  nicht  nur  vollauf  bestätigt,  sondern  auch  die  vielfache 
Auffindung  von  »Organolithen«  erklärt  Als  weitere  Belege  für  diese 
Ansichten  werden  zahlreiche  Bitumenvorkommen  in  Erzdistrikten  und 
ebenso  Bitumeneinschlüsse  in  Mineralien  zusammengestellt  und  um- 
gekehrt auch  angeführt,  daß  nicht  selten  Schwefelkies,  Bleiglanz  und 
Zinkblende  in  Mineralkohlen  anzutreffen  sind. 

Die  Höhle  von  PadiPac  schildert  E.  A.  Martel/)  und  E.  Fugger 
gibt  von  diesen  Schilderungen  folgenden,  das  Geologische  be- 
treffenden Auszug.*)  Ein  nahezu  kreisrundes  Loch  von  90  m  Umfang 
öffnet  sich  in  fast  horizontalem  Boden  und  reicht,  sich  nach  abwärts 
noch  mehr  erweiternd,  als  senkrechter  Schlund  in  die  Tiefe.  Der 
Einstieg  geschieht  durch  einen  künstlichen,  seitwärts  angelegten 
Schacht  von  14  m  Tiefe  auf  eisernen  Stiegen  und  führt  dann  durch 
eine  natürliche  Qrotte  auf  eine  Terrasse  in  dem  eigentlichen  Schlund, 
wo  sich  eine  Restauration  befindet  Von  hier  gelangt  man  auf  einer 
eisernen  Treppe  von  37  m  Höhe  zum  untern  Ende  des  vertikalen 
Teiles  des  Schlundes  auf  den  hier  abgelagerten  Schuttkegel;  über 
diesen  geht  ein  bequemer  Weg  in  Serpentinen,  an  Seitenhöhlen  vor- 
über, in  die  Tiefe,  etwa  100  iti  unter  der  Oberfläche.  An  der  West- 
seite des  Schuttkegels  öffnet  sich  eine  »Galerie  du  Ruisseau«  von 
ca  120 — 150  m  Länge,  an  der  Ostseite  desselben  beginnt  die  eigent- 
liche, in  ihrer  Hauptrichtung  nach  N  ziehende  Galerie.  In  der  Galerie 
du  Ruisseau  befindet  sich  der  Oberlauf,  in  der  Hauptgalerie  der 
Unterlauf  des  unterirdischen  Flusses.  Letztere  beginnt  mit  der 
Galerie  de  la  Fontaine  (280  m  lang,  3 — 8  tn  breit),  in  welcher  der 
Padirac  in  so  bescheidener  Breite  dahinfließt,  daß  neben  ihm  noch 
reichlich  Raum  bleibt  für  einen  festen,  trockenen  Pfad.  Nun  folgt 
die  Riviere  Plane,  eine  Strecke  von  abermals  280  m  Länge  und 
ca.  8  t»  Breite,  in  welcher  jedoch  der  Fluß  die  ganze  Breite  der 
Galerie  derart  ausfüllt,  daß  man  nur  zu  Schiff  vorwärts  dringen 
kann;  die  Höhe  der  Galerie  schwankt  zwischen  6  und  60  m. 
Tiefe  des  Wassers  zwischen  1  und  4  in.  Nachdem  sich  weiterhin 
die  Höhle  bald  unregelmäßig  erweitert  und  ebenso  unregelmäßig  ver- 


^)  Le  Gouffre  et  la  Riviere  souterraine  de  Padirac.  Paris  1901. 
^  Petermanns  Mitteilg.  1908.  Literaturberioht  p.  101. 

19* 


292  ^ueUeo  and  Hohlen. 

engt  hat,  während  sich  an  den  Wänden  Tropfsteinbiidungen  der 
verschiedenartigsten  Gestalten  zeigen,  erreicht  man  den  Grrand  Ddme, 
einen  Raam  von  90  m  Höhe,  der  an  der  Seite,  20  fii  über  seiner 
Sohle,  einen  kleinen  See,  den  Lac  Superietir,  enthält  In  diesen 
Teile  der  Galerie  tritt  der  Felsboden  stellenweise  am  Rande  derselben, 
stellenweise  inselartig,  dann  wieder  in  Form  von  Querriegeln  aus 
dem  Wasser  hervor.  Etwa  220  m  innerhalb  des  innern  Endes  der 
Riviere  Plane  ist  eine  Kaskade  von  mehrem  Metern  Höhe,  längs 
welcher  Stufen  abwärts  führen,  und  nun  geht  die  Fahrt  wieder  va 
Schiff  weiter  über  zahlreiche  Querriegel  in  der  bald  weiten,  bald 
engen,  bald  hohen,  bald  sehr  niedrigen  Galerie,  wobei  der  Flufi  den 
ganzen  Bodenraum  derselben  ausfüllt  Diese  Strecke  hat  eine  Länge 
von  ungefähr  600  m.  Der  Fluß  verengt  sich  nun,  bald  tritt  auf 
der  einen,  bald  auf  der  andern  Seite  desselben,  endlich  auch  zu 
beiden  Seiten  fester  Felsboden  auf  (durch  ca.  120  m),  dann  wird  der 
Fluß  wieder  breiter,  und  nur  die  steilen  Felswände  bilden  seine 
Ufer,  bis  er  nach  weitem  100  m  in  einem  unzugänglichen  Schlünde 
verschwindet  Die  äußere  Erdoberfläche  steigt  vom  großen  Schlünde 
an  in  der  Richtung  der  Hauptgalerie,  also  gegen  N,  anfangs  um 
20  m  und  senkt  sich  von  da  ab  bis  zum  Ende  der  GbJerie  um 
40  m ;  der  Punkt,  wo  der  unterirdische  Fluß  verschwindet,  liegt 
106  m  unter  der  Erdoberfläche,  daher  125  fi»  unter  der  Schlund- 
öffnung, und  das  ganze  Gefälle  der  Höhle  vom  Fuße  des  Schutt- 
kegels bis  zum  Nordende  beträgt  25  m.  Die  Länge  der  Höhle  von 
der  Tiefe  des  Schlundes  bis  zum  Verschwinden  des  Flusses  beträgt 
gegen  1700  m,  die  Chüerie  du  Ruisseau  samt  dem  Zugange  zu  der- 
selben etwas  über  200  m,  so  daß  die  Länge  der  ganzen  Höhle 
mindestens  1900  m  mißt  mit  einer  durchschnittlichen  Tiefe  von  100  m 
unter  der  Erdoberfläche.    Das  mittlere  Gefälle  beträgt  beiläufig  1.5  Proz. 

Flüsse. 

Die  Flufidlehte  im  Elbsandstelngrebirge  und  dessen 
norditotlichen  NaehbaFgebieten  bildete  den  Gegenstand  einer 
Untersuchung  von  Dr.  G.  Feldner.^)  Es  besteht,  bemerkt  einleitend 
der  Verf.,  eine  Wechselwirkung  zwischen  dem  Wasser  und  den  Ober- 
flächenformen des  Landes,  indem  beide  Erscheinungen  einander  bedingen. 
Hierbei  ergeben  sich  als  Resultate  einmal  eine  beständige  Niveau- 
umgestaltung des  Landes,  im  andern  Falle  eine  Änderung  von  Form 
und  Zahl  der  Wasseradern.  Die  Menge  der  Wasserfäden  wird  in 
einem  bald  mehr,  bald  weniger  reichverzweigten  Netze  zusammen- 
gefaßt, das  fast  alle  Teile  der  Erdoberfläche,  wo  Niederschläge  statt- 
finden, überzieht.  Dieses  Netzwerk  von  Wasserläufen  prägt  nicht 
nur   durch   die   verschiedene  Form,    Länge  und  Breite  der  einzelnen 


^)  Mitt.  des  Vereins  f.  Erdkunde  zu  Leipzig  1902.  Leipzig  1908.  p.  1  ff. 


Flüsse.  293 

Ruinen,  sondern  vor  allem  auch  durch  die  wechselnde  Größe  seiner 
Maschen  der  Bodenfläche  eine  von  Ort  zu  Ortsich  ändernde  Physiognomie 
auf.  Je  enger  die  Maschen  des  Gtewässemetzes,  je  geringer  die  Ab- 
stände zwischen  den  einzelnen  Wasserfäden  sind,  desto  mehr  wird 
die  scheinbar  starre  Erdkruste  belebt,  verändert  Mit  der  steigenden 
Zahl  der  Wasseradern,  die  den  Boden  durchfurchen,  und  mit  der 
Entwicklung  der  einzelnen  Wasserläufe  wächst  die  Zahl  der  Punkte, 
an  welchen  das  flüssige  Element  mit  seiner  zerstörenden,  umformenden 
und  neubildenden  Tätigkeit  einsetzen  kann. 

Bisher  sind,  wie  Neumann  bemerkt,  noch  wenig  Untersuchungen 
über  die  Dichte  des  Gewässernetzes  in  bestimmten  Landgebieten  an- 
gestellt worden.  Penck  berührt  diesen  Gegenstand  in  seiner  >  Morpho- 
logie der  Erdoberfläche.  Er  stellt  fest:  In  den  Zentralalpen  sind 
aller  5 — 6  km  größere  Flüsse  anzutreffen.  Aller  2 — 3  km  münden 
in  diese  wieder  Nebenflüsse,  so  daß  auf  4 — 9  qkm  ein  Flußlauf  zu 
rechnen  ist.  Bäche  münden  in  Abständen  von  ungefähr  250  m  in 
die  Hauptläufe. 

Bezüglich  der  Flußdichte  Deutschlands  bemerkt  Ratzel,  daß  hier 
aller  B  km  em  Bach,  aller  100 — 150  km  ein  Strom  anzutreffen  ist 
Femer  weist  Ratzel  hin  auf  die  ungleich  größere  Zahl  der  Wasser- 
fäden in  den  Alpen,  auf  der  süddeutschen  Hochebene  und  auf  dem 
größten  Teile  des  baltischen  Landrückens,  im  Gegensatze  zur  Wasser- 
armut im  Sandboden  der  Mark  und  der  Pegnitz.  Als  interessante 
Beispiele  für  den  auf  engem  Räume  bestehenden  Gegensatz  von  Armut 
und  Reichtum  an  Quellen  nennt  Ratzel  Teutoburger  Wald  und  Haarstrang. 

Nach  Gavazzi  sind  in  Kroatien-Slavonien  9373  qkm  (24  ^/^  des 
Landes)  und  nach  Müllner  im  österreichischen  Traungebiete  785  qkm 
(18.3^/^  des  Gebietes)  ohne  oberirdischen  Abfluß.  Abflußlos  sind  von 
Australien  51.9%,  von  Afrika  32.9  7^^,  von  Asien  30.6%,  von 
Europa  17.1%,  von  Südamerika  6.6%  und  von  Nordamerika  4.4% 
des  betreffenden  Festlandes.  Cber  Areal-  und  Längenverhältnisse  der 
Ströme  hat  v.  Klöden  eine  Tabelle  veröffentlicht  Endlich  sei  noch 
hingewiesen  auf  Strelbitzkys  Messungen  für  Europa 

Eingehende  Untersuchungen  über  die  Dichte  des  Gewässernetzes 
in  einem  verhältnismäßig  engbegrenzten  Gebiete  enthält  eine  Arbeit 
Neumanns:  »Die  Dichte  des  Flußnetzes  im  Schwarzwalde«. 

Das  Eibsandsteingebirge  stellt  eine  geographische  Einheit  dar 
und  zeigt  eine  ausgeprägte  hydrographische  Zentralisation.  Es  umfaßt 
einen  Flächenraum  von  ca.  464  qkm  und  hat  die  Gestalt  eines  recht- 
winkligen Dreiecks,  dessen  Hypotenuse,  von  41  km  Länge,  gebildet 
wird  durch  die  Linie:  Bonnewitz  bei  Pirna  —  Dittersbach  i.  S.  — 
Rathewalde  —  Hohnstein  —  Altendorf  —  Sternberg  —  Neu-Daubitz 
—  Kreibitz.  Die  südliche  Kathete,  mit  einer  Länge  von  32  Am,  ver- 
bindet die  böhmischen  Orte:  Kreibitz  — Tetschen-Bodenbach  —  Königs- 
wald, während  die  Westkathete,  29  Am,  von  Königswald  über  Tyssa, 
Berggießhübel  nach  Pirna  führt. 


294  Flüsse. 

Der  vergleichenden  Betrachtung  dienen  die  im  Nordosten  an  das 
Quadersandsteingebiet  angrenzenden  Teile  des  Lausitzer  Oranitgebietes 
und  das  Zittauer  Braunkohlenbecken.  Jene  umfassen  die  Gebiete 
der  Kimitzsch,  Sebnitz  und  Polenz  und  bilden  mit  dem  Quadergebiete 
rechts  der  Elbe  eine  hydrographische  Einheit.  Die  Untersuchungen 
im  Zittauer  Tertiäprbecken  erstrecken  sich  auf  das  Neißegebiet  von 
Grottau  bis  Hirschfelde  und  auf  die  angrenzenden  Areale  der  Mandau, 
des  Landwassers  und  des  Eipperbaches. 

Bezüglich  der  Methoden  der  Arbeit  bemerkt  Dr.  Feldner  fol- 
gendes: »Die  einfachste  Art  und  Weise,  ein  Bild  von  der  Dichte  des 
Flußnetzes  zu  geben,  ist  die  von  Penck  angewandte,  alle  zwischen 
einmündenden  Nebenläufen  liegenden  Teilstrecken  der  Flüsse  und 
Bäche  zu  messen.  Die  Flußdichte  ist  umso  größer,  je  kleiner  diese 
Strecken  sind.  Einen  Durchschnittswert  für  die  Flußdichte  innerhalb 
eines  bestimmten  Gebietes  findet  man,  wenn  die  Gesamtlänge  aller 
Teilstrecken  durch  deren  Anzahl  dividiert  wird. 

Eine  andere  Darstellungsweise  der  Flußdichte  wendet  Neumann 
in  der  schon  genannten  Arbeit  an.  Nach  Neumanns  Begriffsbestim- 
mung ist  »die  Flußdichte  der  Quotient  aus  der  Länge  aller  natürlichen 
Wasserläufe  des  betreffenden  Flußgebietes  durch  das  Areal  desselben«. 

Beide  Methoden  kommen  auch  in  dieser  Arbeit  zur  Anwendung ; 
sie  vermögen  aber  nicht,  ein  vollständig  zutreffendes  Bild  von  der 
Verteilung  der  Wasserfäden  über  ein  Landgebiet  zu  geben.  Bei  der 
zuerst  genannten  Darstellungsweise  kommen  die  so  wichtigen  Gebiete 
der  Wasserscheiden  überhaupt  nicht  in  Betracht.  Es  fehlt  hierbei 
ganz  die  so  wichtige  Beziehung  zur  Gesamtfläche  des  Untersuchungs- 
gebietes. Die  2.  Darstellungsweise  ist  zwar  vollkommener,  denn 
die  hier  gewonnenen  Relativwerte  beziehen  sich  auf  die  ganze  unter- 
suchte Fläche ;  sie  sind  aber  immerhin  nur  Durchschnittsgrößen,  deren 
Bedeutung  für  das  so  wichtige  Detailstudium  nicht  ausreicht.  Die 
nach  der  2.  Methode  gefundene  Flußdichte  wird  nun,  ohne  Rück- 
sicht auf  die  verschiedene  Bewässerung  beider  Teilgebiete,  den 
durchschnittlichen  Wert  für  die  Gesamtfläche  angeben.  Diese  Unge- 
nauigkeit  kann  auf  ein  geringes  Maß  zurückgeführt  werden,  wenn 
man  die  Hauptgebiete  in  möglichst  kleine  Teilflächen  zerlegt  Dies 
geschah  auch  in  vorliegender  Arbeit 

Zu  einer  genauem  Darstellung  der  Flußdichte  ist  noch  ein 
3.  Verfahren  möglich.  Die  Größe  der  einzelnen  Bodenflächen,  die 
von  Wasserfäden  umsponnen  werden,  also  der  Flächeninhalt  der 
Maschen  des  Gewässernetzes,  wird  gemessen.  Diese  Flußnetzmaschen 
stellen  Halbinseln  dar,  deren  offene  Seiten  nach  der  Wasserscheide 
zu  gelegen  sind.  Es  erscheint  nun  unnatürlich,  die  Maschen  an 
dieser  Seite  durch  die  Wasserscheiden  abzugrenzen ;  vielmehr  werden 
erstere  durch  direkte  Verbindungslinien  zwischen  den  Quellpunkten 
geschlossen.  Die  abflußlosen  Gebiete  der  Wasserscheiden  können  so 
an  die  Nachbargebiete  ungezwungen  angegliedert  werden. 


Flüsse.  295 

Die  wechselnde  Größe  der  einzelnen  Flußnetzmaschen  ist  der 
Ausdruck  für  das  DichteverhäJtnis.  Die  Flußdichte  ist  umso  größer, 
je  kleiner  die  Flußnetzmaschen  sind.« 

Als  Resultat  ergibt  sich»  daß  die  Darstellung  der  Flußnetz- 
maschen am  deutlichsten  die  auffallenden  Gegensätze  in  der  Fluß- 
dichte der  kleinsten  Gebiete  erkennen  läßt  Besonders  scharf  tritt 
der  Unterschied  zwischen  dem  Lausitzer  Granitgebirge  auf  der  einen 
Seite  und  dem  Eibsandsteingebirge  und  Zittauer  Becken  auf  der 
andern  Seite  in  der  Weise  hervor,  daß  die  größte  Flußnetzmasche 
im  erstgenannten  Areale  1,260  qhm  mißt,  während  der  größte  Teil 
der  beiden  andern  Gebiete  aus  Maschen  von  1 — 36.712  qhm  Flächen- 
inhalt zusammengesetzt  ist.  Am  auffälligsten  tritt  der  Unterschied 
in  der  Größe  der  Flußnetzmaschen  dort  zutage,  wo  Lausitzer  Granit- 
gebirge und  Quadergebiet  aneinander  grenzen. 

Weser  und  Ems,  ihre  Stromgrebiete  und  Ihre  wichtigsten 
Nebenflüsse«  Das  auf  staatliche  Veranlassung  begonnene  und  durch- 
geführte Unternehmen  einer  eingehenden  hydrographischen,  wasser- 
wirtschaftlichen und  wasserrechtlichen  Darstellung  der  einzelnen  Haupt- 
stromgebiete Preußens  ist  nunmehr  beendigt  mit  der  Publikation  über 
die  Weser  und  Ems,  welche  letztere  in  4  Bänden,  1  Tabellenband 
und  einem  Atlas  von  G.  KeUer  herausgegeben  vorliegt^)  Wie  gelegent- 
lich des  Erscheinens  der  Werke  über  Rhein,  Elbe  und  Oder,  so  wird 
nachstehend  auch  über  die  allgemeinen  geographischen,  geologischen 
und  hydrographischen  Verhältnisse  der  beiden  Ströme  Weser  und  Ems 
gemäß  den  Darlegungen  des  genannten  Werkes  hier  berichtet. 

In  orographischer  Beziehung  zerfällt  das  Gebiet  der  Weser  und  Ems 
in  2  Hauptabscnnitte,  von  denen  der  erste  zur  mitteldeutschen  Gebirgs- 
schwelle  gehört,  welche  nicht  nur  die  Berglandschaften  Mitteldeutschlands, 
sondern  auch  diejenigen  Norddeutschlands,  wie  den  Harz,  die  Wesergebirgn 
und  andere  umfaßt  Der  2.  Hauptabschnitt  liegt  im  norddeutschen  Flach- 
lande, dem  sich  naturgemäß  die  zur  Ems  entwässernden  kleinen  Moorteile 
Hollands  anschließen.  Auch  in  geologischer  Beziehung  ist  diese  Einteflung 
eine  gut  begründete.  Während  die  Gesteine  der  mitteldeutschen  Gebirgs- 
schwelle  vorwiegend  paläozoischen,  mesozoischen  oder  tertiären  Alters  sind, 
ist  fast  das  ganze  Flachland  von  mächtigen  diluvialen  und  aUuvialen  Ab- 
lagerungen bedeckt. 

Der  höchste  Punkt  des  Emsgebietes,  auf  der  Wasserscheide  unweit  der 
Emsouelle  und  des  hydrographischen  Knotenpunktes  zwischen  Ems-,  Weser- 
und  tiheingebiet  gelegen,  hat  4-  898  m  Meereshöhe.  Im  Wesergebiete  da- 
gegen, dessen  größerer  Teil  auf  der  mitteldeutschen  Gebirgsschwelle  liegt, 
reicht  mehr  als  die  Hälfte  über  die  4-  100  m-Ldnie,  und  der  höchste  Punkt, 
der  Brocken  (-|-  1142  m),  der  ebenfalls  auf  der  Wasserscheide,  aber  weitab 
von  den  Quellen  der  Werra  und  Fulda,  ja  noch  nördlicher  als  die  Vereinigung 
dieser  Flüsse  liegt,  hat  fast  die  dreifache  Höhe  wie  jener  des  Emsgebietes. 

In  dem  Gesamtgebiete  der  beiden  Ströme  sind  Vertreter  der  ganzen 
in  Deutschland  bekaonten  geologischen  Formationsreihe  vorhanden.  Die 
paläozoischen  Formationen  treten  hauptsächlich  im  Harze,  im  Thüringer- 
walde und  im  rheinisch -westfälischen  Schiefergebirge  auf.     Die  ältesten 

^)  Berlin,  Verlag  von  Dietrich  Reimer» 


296  Flüsse. 

Schichten,  die  dem  Kambrium  und  der  Silurformation  angehören,  kommen 
nur  in  geringer  Ausdehnung  vor.  Großem  Anteil  an  der  Bildung  der  Ober- 
fläche hat  die  Devonformation.  Die  Schichten  dieser  ältesten  Formationen 
sind  hier  durchweg  Meeresabsätze.  Die  Steinkohlenformation  dagegen  be- 
steht sowohl  aus  marinen  wie  aus  terrestem  Bildungen ;  jedoch  nehmen  die 
erstem  den  ffrößem  Raum  ein,  wogegen  die  letztem,  das  produktive  Karbon, 
nur  in  der  Umgebung  Osnabrücks  zutage  treten.  Zur  Zeit  der  Ablagerung 
der  auf  das  Karbon  folgenden  Formation  traten  in  dem  hier  behandelten 
Gebiete  große  Umwälzungen  in  der  Erdrinde  ein;  während  die  untere  Ab- 
teilung der  Dyas,  das  Rotliegende,  sich  noch  in  regelmäßiger  Weise  auf  den 
altem  Schichten  ablagert,  legt  sich  die  jüngere  Abteilung,  der  Zechstein, 
diskordant  auf.  Vorwiegend  wohl  der  leichten  Zerstörbarkeit  seiner  Gesteine 
wegen,  hat  der  Zechstem  keinen  sehr  großen  Anteil  an  der  Bildung  der  Ober- 
fläche. Großen  Raum  nimmt  dagegen  die  Trias  in  dem  Lande  zwischen  den 
obenerwähnten  aus  paläozoischen  Gesteinen  bestehenden  Gebirgen  ein. 

Die  Trias  besteht  aus  den  3  Gliedem:  Buntsandstein,  Muschelkalk, 
Keuper.  Die  Hauptmasse  des  Buntsandsteins  besteht,  dem  Namen  entsprechend, 
vorwiegend  aus  Sandstein;  nur  die  oberste  Abteilung,  der  Röt,  wird  aus 
Mergeln  und  weichen,  stark  tonhaltigen  Sandsteinen  gebildet  Während  die 
beiden  untern  Abteilungen  in  ihren  Yerwitterungsprodukten  einen  sandigen, 
durchlässigen  Boden  bUden,  der  vorwiegend  Waldungen  trägt,  entsteht  aus 
den  Gesteinen  des  Röt  ein  'schwer  durchlässiger,  guter  Ackerboden.  Bei 
dem  Muschelkalke,  ebenfalls  dem  Namen  entsprechend  vorwiegend  aus  Kalk- 
gestein zusammengesetzt,  ist  die  mittlere  Abteilung  diejenige,  welche  infolge 
ihrer  tonigen  Schichten  Undurchlässigkeit  zeigt,  und  den  bessem  Ackerboden 
liefert  unter  der  im  Gebirge  gewöhnlich  zutreffenden,  auch  für  den  Röt 
gültigen  Voraussetzung,  daß  das  Wasser  den  nötigen  Abfluß  hat.  Wechsel- 
voller ist  meist  die  Zusammensetzung  des  Keupers,  aus  Mergeln,  Letten, 
Sandsteinen,  Kalken  und  Gips  bestehend. 

Auch  in  der  Juraformation,  die  zwar  im  Grebiete  weit  verbreitet  ist, 
aber  doch  nicht  in  so  ausgedehntem  Maße  an  der  Bildung  der  Oberfläche 
teilnimmt,  befindet  sich  ein  großer  Wechsel  in  den  (Gesteinen.  Ton,  Eisen- 
stein, Kalk,  Mergel,  Dolomit  und  Sandstein  sind  die  Hauptgesteine.  Für  die 
Wasserverhältnisse  sind  insbesondere  die  Tone,  die  hauptsächlich  in  der 
untem  Abteilung,  dem  Lias,  vorkommen,  wegen  ihrer  Undurchlässigkeit  von 
Wichtigkeit,  namentlich  in  der  Gegend  zwischen  dem  Teutoburgervralde 
und  Wiehengeblrge.  Im  allgemeinen  sind  die  Gesteine  des  Lias  weicher  und 
leichter  zerstörbar  als  diejenigen  des  Braunen  und  des  Weißen  Jura. 

Gegen  Ende  der  jurassischen  Zeit  zog  sich  das  Meer,  dessen  Sedimente 
die  Gesteine  der  altem  Formationen  bildeten,  aus  einem  Teile  des  hier  in 
Fra^e  kommenden  Landes  zurück;  daher  finden  sich  zwischen  Jura  und 
Kreide  wieder  vorübergehend  terrestrische  Bildungen,  Kohle  und  Süßwasser- 
sedimente, eingeschaltet,  die  als  Wealden  oder  Wälderformation  bezeichnet 
werden.  Der  Deister,  die  Rehburger  Berge  sind  z.  B.  aus  solchen  Gesteinen 
aufgebaut  Während  der  Kreidezeit  traten  erneut  größere  Umwälzungen 
ein,  infolge  deren  wieder  marine  Ablagerungen  diejenigen  des  Wealden  be- 
deckten. Unter  den  mannigfaltigen  Gesteinen  herrschen  im  Hils  und  Gault 
die  man  als  Untere  Kreide  zusammenfaßt,  Sandstein,  Ton  und  Mergel  vor, 
während  in  der  Obem  Kreide,  un  Genoman,  Turon,  Senon,  verschiedenartige 
Kalke  den  größten  Anteil  an  der  Zusammensetzung  ha^n.  —  Im  Tertiär 
wechsehi  mehrfach  marine  und  terrestre  Bildungen ;  erstere  sind  vorwiegend 
Sande  und  Tone,  letztere  Braunkohlen ;  daneben  besitzen  im  Wesergebiete 
die  eraptiven  Basalte  große  Bedeutung  besonders  im  Vogelsberge  und  in 
der  Rhön. 

Der  Wechsel  zwischen  marinen  und  teirestren  Ablagerungen  erlangt 
mit  Beginn  der  Düuvialzeit  eine  Bereicherang,  da  nunmehr  Ablagenuigen 
des  Inlandeises  und  seiner  Schmelzwasser  hinzutreten.    Seit  dem  Beginne 


Flüsse.  297 

der  80er  Jahre  ist  man  zu  der  wohl  begründeten  Überzeugung  gekommen, 
daß  eine  mächtige  Eisdecke  bis  in  die  Täler  unseres  Mittelgebirges  hinein 
vorgedrungen  ist  und  das  Flachland  unter  sich  begraben  hat,  nachdem  vorher 
bereits  ihr  Schmelzwasser  über  dasselbe  fortgeströmt,  und  der  in  ihm  ent- 
haltene Schutt  als  Sand  und  Ton  abgesetzt  worden  war.  Für  die  östlicher 
gelegenen  Teile  Norddeutschlands  ist  man  genötigt,  eine  mehrmalige  Eüs- 
bedeckung  anzunehmen;  in  den  zu  Weser  und  Ems  gehörigen  Gegenden 
hat  man  jedoch  bislang  nur  Spuren  einer  einmaligen  Vereisung  gefunden. 
Neben  den  Ablagerungen  des  Schmelzwassers  beim  Vor-  und  Ruckgehen 
des  Eises  erlangen  die  Moränen  große  Bedeutung,  insbesondere  der  Geschiebe- 
lehm und  Geschiebesand,  sowie  die  stellenweise  vorhandenen  Anhäufungen 
von  mächtigen  Blöcken.  In  den  südlichem  Gegenden,  die  von  der  glazialen 
Ablagerung  nicht  erreicht  wurden,  gelangte  während  dieser  Zeit  der  Löß 
zur  Ablagerung,  ein  schwach  toniger  Lehm,  der  vielfach  die  Gehänge  der 
Täler  bedeckt.  Die  Jetztzeit  oder  Alluvialperiode,  welche  mit  dem  Diluvium 
als  Quartär  zusammengefaßt  wird,  setzt  an  dem  Zeitpunkte  ein,  als  die 
Wirkung  der  nordischen  Eismassen  sich  im  deutschen  Flachlande  nicht  mehr 
bemerkbar  machte,  als  selbst  ihr  Schmelzwasser  dasselbe  nicht  mehr  er- 
reichte, und  die  einheimischen  Gewässernetze,  unbeeinflußt  durch  jene  fremden 
nordischen  Wassermassen,  sich  in  ihrer  heutigen  Gestalt  ausbilden  konnten. 
Reste  diluvialer  Wasserläufe  finden  sich  auch  im  Gebiete  der  Weser,  und 
zwar  gehören  hierher  jene  Niederung,  die  im  Drömling  von  der  Wasser- 
scheide zwischen  Aller  und  Elbe  überschritten  wird,  imd  das  breite  Tal  des 
Oscherslebener  Bruches,  das  die  Harzer  Vorberge  von  Westen  nach  Osten 
durchzieht  Im  allgemeinen  weist  das  Flachland  im  Westen  weniger  solch 
langgestreckte  breite  Rinnen  auf  wie  die  Gegend  östlich  der  Elbe;  vielmehr 
traten  an  deren  Stelle  ausgedehnte  Ebenen  von  unregelmäßigem  umrisse  und 
mit  mehrfachen  Ausgängen.  Als  Ablagerungen  der  Jetztzeit  kommen  in 
Frage:  die  Sedimente  der  Flüsse,  der  Torf  der  Moore  und  der  Sand  der 
Dünen.  Alle  drei  nehmen  im  Weser-  und  Emsflachlande  verhältnismäßig 
großen  Raum  ein. 

L  Die  Weser.  Die  Weser,  aus  der  Vereinigung  von  Werra  und  Fulda 
entstehend,  wurzelt  in  der  Mitte  Deutschlands  und  bleibt  ebenso  wie  die 
Ems  in  ihrem  ganzen  Laufe  auf  deutschem  Boden.  Das  Gebiet  beider 
Flüsse  hat  eine  Größe  von  58080  qkm^  wovon  auf  die  Weser  45548  qkm 
entfallen. 

Der  Hauptquellfluß  der  Weser  ist  die  Werra  und  deren  Hauptquellbach 
die  »Trockene  Werra«  oder  Saar,  die  in  -|-  780  m  Höhe  unter  50^  28'  nördl. 
Br.  und  28^  42'  20^'  östl.  L.  etwa  10.5  km  ostnordöstlich  vom  Eisfeld  entspringt. 

Dafür,  daß  die  Werra  das  erste  Anrecht  hat,  als  Hauptquellfluß  der 
Weser  zu  gelten,  sprechen  hauptsächlich  die  an  den  Namen  geknüpften 
historischen  Oberlieferungen,  da  Werra  und  Weser  nur  mundartlich  ver- 
schieden entwickelte  Formen  desselben  Wortes  (Wisaraha,  Wirraha)  sind. 
Auch  verfolgt  die  Weser  unterhalb  Münden  zunächst  dieselbe  Richtung, 
die  vorher  von  der  Werra  eingeschlagen  worden  ist,  und  deren  Länge  ist 
beträchtlich  größer  als  die  der  Fulda.  Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  führt 
sie  etwa  gleich  viel  Wasser  ab  wie  die  Fulda,  obgleich  ihr  Niederschlagsgebiet 
fast  ^/4  kleiner  ist;  nur  bei  Hochwasser  bringt  die  Fulda  eine  bedeutend  größere 
sekundliche  Abflußmenge  und  übernimmt  die  Führung  der  Flutwelle  in  der 
Weser.  Beide  Flüsse  können  als  annähernd  gleichwertig  gelten,  und  wir 
folgen  dem  heutigen  Sprachgebrauche,  indem  wir  als  Anfangspunkt  der 
Weser  ihren  Zusammenfluß  ansehen,  die  Gebietsilächen  der  beiden  Qe- 
schwisterflüsse  aber  als  gemeinsames  Quellgebiet  des  Weserstromes  betrachten. 

Der  Teil  der  Weser  vom  Vereinigungspunkte  der  Werra  und  Fulda  bis 
zum  Austritte  aus  dem  Mittelgebirge  heißt  von  jeher  Obere  Weser.  Der 
Teil  bis  zur  Einmündung  der  AUer  kann  füglich  als  Mittlere  Weser  und  der 
unterhalb  befindliche  als  untere  Weser  bezeichnet  werden,  während  die 
Bremer  nur  den  im  Gebiete  der  Ebbe  und  Flut  liegenden  Teil  der  Weser 


298  Flüsse. 

als  Unterweser  und  den  ganzen  Binnenstrom  als  Oberweser  bezeichnen. 
Die  beiden  größten  Nebenflüsse  der  Obern  Weser  sind  die  aus  dem  rheinisch- 
westfälischen Schiefergebirge  stammende  Diemel  und  die  nahe  beim  Teato- 
burgerwalde  entspringende  Werre.  Das  mittlere  Wesergebiet  umfaßt  die 
Gebietsflächen  aller  teilweise  noch  aus  dem  Mittelgebirge  kommenden  Wasser- 
läufe des  Flachlandes,  die  sich  oberhalb  der  Allermündung  in  die  Weser 
ergießen.  Während  rechts  durch  die  Nähe  der  Leine  das  Gebiet  schmal  ist, 
besitzt  links  namentlich  das  Gewässernetz  der  Großen  Aue  eine  reiche 
Gliederung  und  ansehnlichen  Flächeninhalt.  Beträchtlich  umfangreicher  ist 
das  Untere  Wesergebiet,  dessen  namhafte  Wasserläufe  jedoch  erst  in  die 
der  Tideerscheinung  unterli^ende  Strecke  des  Weserstromes  unteriialb  Bremen 
münden,  so  auch  die  vom  Wiehengebirge  kommende  Hunte,  die  von  Olden- 
burg ab  ein  Tidefluß  ist.  Die  Gebietsflächen  der  Flüsse,  die  sich  zur  Aller 
vereinigen,  zeigen  auf  etwas  engerm  Räume  ähnliche  Gegensätze,  wie  sie 
zwischen  dem  Weserquellgebiete  und  Obern  Wesergebiete  einerseits,  dem 
Mittlem  und  Untern  Wesergebiete  anderseits  bestehen.  Die  Leine  mit  der 
Innerste  und  die  Oker  sind  Abkömmlinge  des  Gebirges  und  unterscheiden 
sich  wesentlich  von  der  dem  Flachlande  angehörigen  Aller.  Schon  in  der 
Niederung  des  Drömlings,  wo  Oberlauf  und  Mittellauf  der  Aller  sich  ge^en- 
einander  abgrenzen,  gewinnt  der  Fluß  die  Eigenart  der  Flachlandgewässer 
in  so  hohem  Grade,  daß  auch  die  weiter  unterhalb  links  mündenden  Neben- 
flüsse aus  dem  Gebirgslande  hieran  nichts  ändern  können,  zumal  diese  selbst 
bereits  vorher  in  das  Flachland  eingetreten  sind,  und  die  rechtsseitigen  Zu- 
flüsse sämtlich  dem  Flachlande  entstammen.  Als  Unterlauf  der  Aller  gilt 
zweckmäßig  die  schiffbare  Strecke  von  Celle  abwärts. 

Die  Werra  erhält  im  Mittellaufe  ihren  größten  Zuwachs  durch  die 
Hörsei  und  später  durch  die  Frieda.  Der  2.  Quellfluß  der  Weser,  die  Fulda, 
entsteht  an  aer  Hohen  Rbön  durch  die  Vereinigung  mehrerer  kleiner  Bäche, 
von  denen  der  Hauptquellbach  (im  Fuldabrunnen)  bis  4-  856  m  hinaufreicht 
In  ihrer  ganzen  Länge  ist  die  Fulda  mit  Ausnahme  des  geräumigem  Tal- 
kessels bei  Kassel  mehr  oder  weniger  tief  in  den  Buntsandstein  der  von  ihr 
durchflossenen  Berg-  und  Hügelzüge  eingeschnitten.  Die  TaJwände,  die  teils 
sanfte,  teils  schroffe  Hänge  aufweisen,  nehmen  flußabwärts  im  allgemeinen 
an  Höhe  zu  und  steigen  in  dem  engen  Tale  der  untersten  Strecke  zu  den 
Kuppen  der  naheliegenden  Höhen  bis  zu  180  m  auf.  In  den  zahlreichen 
Schleifen,  die  darauf  hinweisen,  daß  es  sich  um  ein  Erosionstal  handelt, 
sind  die  einspringenden  Talwände  meist  steil,  die  vorsprii^enden  aber  meist 
flach  geböscht  Im  Mittellaufe,  der  bis  zu  dem  größten  Zuflüsse  der  Fulda, 
der  Eder,  reicht,  wie  auch  in  der  obersten  Strecke  des  Unterlaufes  bis  Kassel 
hin  verändert  sich  die  Breite  des  Talkessels  wiederholt,  bei  Kassel  selbst 
besitzt  die  im  Tale  eingebettete  Alluvialniederan^  eine  Breite  von  2—3  km. 
Gleich  unterhalb,  bei  Wolfsanger,  tritt  die  Fulda  m  ein  Bngtal,  das  schließ- 
lich in  den  1  km  breiten  Mündener  Talkessel  übergeht,  in  dem  sich  Werra 
und  Fulda  zur  Weser  vereinigen. 

Von  Münden  aus  nimmt  der  Strom,  welcher  jetzt  den  Namen  Weser 
führt,  zunächst  seinen  Weg  in  nordnordwestlicher  Richtung,  umgeht  dann 
aber  bald  den  vortretenden  SoUing  mit  scharfem  Doppelknick  auf  der  West- 
seite. Nach  einem  kurzen  nach  Norden  gerichteten  Laufe  schwenkt  er 
darauf  aber,  durch  die  Richtung  der  vom  Harze  herüberstreichenden  Berg- 
züge versinlaßt,  in  einem  weit  ausholenden  Bogen  mit  ziemlich  gleich- 
mäßiger Krümmung  allmählich  in  westliche  Richtung  herum.  Der  Bogen 
endet  kurz  vor  der  Weserscharte,  durch  die  der  Strom  nach  wiederholten 
kurzen  Biegungen  nach  Osten  nordwärts  in  das  Flachland  eintritt.  Die 
Stromentwicklung  beträgt  auf  der  198.6  km  langen  Strecke  im  Verhältnis 
zur  Luftlinie  86.0^/o,  ^^  ^^^  üi  einzelnen  kurzem  Strecken  noch  größer. 
Die  Talentwicklung  oberhalb  Veitheim  wird  dadurch  bedingt,  daß  der  Strom 
hier  nicht  einem  selbstgebildeten  Wege,  sondern  den  Spuren  eines  vor- 
geschichtlichen  Stromes    folgt.      Schroffe  Richtungsändemngen   kommen 


El 


Flüsse.  299 

nicht  nur  in  weitausholenden  Schleifen,  sondern  auch  in  kurzem  Biegungen 
vor;  indessen  gehen  hierbei  die  Halbmesser  der  Stromkrümmung  selten  unter 
200  m  hinunter.  Stromspaltungen  kommen  nur  an  wenigen  Stellen  vor  und 
sind  hier  meist  durch  Ablagerungen  schwerer  Geschiebe,  die  entweder  von 
den  Talwänden  unmittelbar  oder  durch  wildbachartige  Seitengewässer  in 
den  Strom  gelangt  sind,  entstanden.  Auch  die  Stromspaltung  oei  Hameln 
ist  wahrschemlich  dadurch  verursacht,  daß  der  Strom  durch  die  Schutt- 
ablagerung der  Hamel  hart  gegen  den  Klütberg  gedrängt  worden  ist. 

Das  Stromtal  ist  an  der  Obern  Weser  überall,  auch  wo  es  sich  niede- 
rongsartig  erweitert,  von  deutlich  ausgeprägten  Talwänden  begrenzt,  die 
nur  an  der  Einmündung  von  Seitentälern  durch  mehr  oder  minder  breite 
Einsenkungen  unterbrochen  werden. 

Die  ursprünglich  vorhanden  gewesene  Breite  des  Stromes  ist  durch 
den  Ausbau  verwischt  worden ;  man  kann  sie  jetzt  nur  noch  schätzen  nach 
der  Breite  zwischen  den  Uferrändem,  die  sich  inzwischen  nur  wenig  ver- 
ändert hat.  Diese  ergibt  sich  im  Mittel  für  die  Strecke  bis  Karlshafen  zu 
etwa  100  m,  von  da  bis  zur  Emmermündung  zu  etwa  120—180  m  und  weiter 
unterhalb  zu  ungefähr  130—140  m. 

Das  Gebiet  der  Mittlern  Weser  umfaßt  das  Einzugsgebiet  aller  Seiten- 
zuflüsse der  Weser,  die  zwischen  der  Weserscharte  und  der  Allermündung 
hinzutreten.  Es  gehört  fast  vollständig  dem  Flachlande  an.  Nur  im  Süden 
wird  es  von  großem  Erhebungen  begrenzt,  und  zwar  östlich  der  Weser  durch 
die  Weserkette  und  westlich  des  Stromes  durch  das  Wiehengebirge;  davor 
breitet  sich  im  Osten  das  Aller -Weserflachland  aus,  in  dem  nur  einzelne 
;eringe  Erhebungen  vorhanden  sind,  und  im  Westen  die  Minden-Diepholzer 
Ibene,  die  im  Norden  durch  die  nordwestdeutsche  Bodenschwelle  abge- 
schlossen wird. 

Das  weite  Flachland  von  der  Weserscharte  ab  durchfließt  die  Weser 
in  nordnordöstlicher  Richtung  fast  in  der  ganzen  Länge  des  hier  in  Betracht 
stehenden  Gebietes.  Erst  in  der  Nähe  von  Hoya  bic^  der  Strom  nach 
Nordwesten  um,  wendet  sich  dann  aber  scharf  nach  Norden  und  bleibt  in 
dieser  Richtung  bis  zur  Einmündung  der  Aller.  Trotz  dieses  nur  wenig  von 
der  die  Endpunkte  verbindenden  Luftlinie  abweichenden  Laufes  besitzt  der 
Strom  auf  der  ganzen  hier  betrachteten  Strecke  eine  sehr  starke  Entwick- 
lung, die  bei  1^.8  km  Lauflänge  und  79.8  km  Entfernung  in  der  Luftlinie 
60.ö»/o  beträgt. 

Eine  ausgeprägte  Talbildung  findet  sich  an  der  Mittlem  Weser  nur 
auf  der  obersten  Strecke  bis  unterhalb  Ovenstädt.  Dann  verflacht  sich  das 
Tal,  indem  es  sich  nach  beiden  Seiten  zu  weiten  Ebenen  ausdehnt;  erst 
unterhalb  Liebenau,  wo  auf  der  linken  Seite  die  nordwestdeutsche  Boden- 
schwelle bis  an  die  Weser  herantritt,  ist  wieder  eine  schärfere  Begrenzung 
des  Tales  bemerkbar.  Der  Boden  innerhalb  der  Talstrecke  bis  Ovenstädt 
besteht  fast  durchweg  aus  Lehm,  dessen  Zusammensetzung  aus  Ton  und 
Sand  stark  wechselt.  Auch  weiter  unterhalb  findet  sich  vielfach  tiefgründiger, 
frachtbarer  Lehmboden.  Unter  diesen  nicht  unter  1.5  m  mächtigen  Lehm- 
schichten ist  feinsandiger  Grand  vorhanden,  der  aber  in  der  Tiefe  allmäh- 
lich gröber  wird;  nur  selten  reicht  indessen  der  Lehm  bis  zum  Niedrig- 
wasserspiegel abwärts.  Anderseits  bestehen  die  hochwasserfreien  Ufer 
unterhalb  Schlüsselburg  gewöhnlich  aus  Sandboden.  Die  Stromsohle  ist 
meist  mit  wandernden  Geschieben  bedeckt;  nur  an  einzelnen  Stellen  sind 
ältere  Bildungen  vertreten;  so  sind  bei  Schlüsselburg  dunkle  Tone  der 
Kreideformation  vorhanden.  Die  Ablagerungen  der  Eiszeit  sind  meist  aus- 
gewaschen; eine  bedeutende  Anhäufung  von  Geschieben  bilden  die  Liebe- 
nauer  Steine,  mehrere  aus  grobem  Geschiebe  bestehende  Riffe,  die  aber  zur 
Verbesserung  der  Schiffahrtsstraße  schon  teilweise  beseitigt  worden  sind. 

Die  AUer  ist  der  Hauptnebenfluß  der  Weser.  Sie  entspringt  auf  den 
Helmstedter  Höhen  in  Egwenstedt,  durchfließt  auf  ihrer  obersten  Strecke 
die  Ausläufer  der  Harzer  vorberge,  tritt  dann  aber  bei  Obisfelde  vollständig 


800  Flüsse. 

in  das  Flachland  ein,  indem  sie  hier  nach  Nordwesten  umschwenkt  und 
nunmehr  ohne  wesentliche  Änderung  dieser  Richtung  der  Weser  zufließt, 
die  sie  unterhalb  Verden  erreicht.  Trotz  dieser  einfachen  Gnindrißgestaltung 
ist  die  Entwicklung  des  Flußlaufes  nicht  unbedeutend;  sie  beträgt  für  den 
ganzen  262.9  km  langen  Fluß  bei  einer  Entfernung  zwischen  Quelle  und 
Mündung  in  der  Luftlinie  von  171.0  km  53.7  ^/q. 

Das  Tal  der  Aller  ist  nur  an  ihrem  Oberlaufe  enger;  doch  sind  auch 
hier  die  Talwände  im  allgemeinen  nicht  steil  geböscht.  Nach  Eintritt  des 
Flusses  in  das  Flachland  breitet  sich  das  Tal  weit  aus,  namentlich  nach 
Süden  zu,  wo  es  ganz  allmählich  in  die  Harzer  Verberge  übergeht,  im 
Norden  wird  das  Tal  durch  die  Lüneburger  Heide  begrenzt,  die  aber  mit 
ihren  Abhängen  meist  nicht  bis  an  den  Fluß  heranreicht,  d&  sich  hier  am 
Fuße  der  Heide  ausgedehnte  Moore  hinziehen.  Nur  an  wenigen  Stellen 
treten  einzelne  Ausläufer  bis  hart  an  den  Fluß  heran  und  bilden  dann  hier 
steil  abfallende  Hochufer.  Im  Mittel-  und  Unterlaufe  werden  die  Ufer  viel- 
fach von  dünenartigen,  sandigen  Erhebungen  begleitet,  die  im  Anfange 
ziemlich  nahe  am  Flusse  bleiben,  nach  der  Mündung  hin  sich  aber  mdir 
von  ihm  zurückziehen. 

Das  Bett  der  Aller  ist  in  ihrem  Oberlaufe  in  leichtem  Lehm-  oder 
Sandboden  eingeschnitten;  da  aber  die  lehmigen  Bestandteile  vom  Wasser 
leicht  ausgewaschen  und  fortgeführt  werden,  besteht  die  Sohle  des  Bettes 
hier  meist  aus  Sand.  Nach  dem  Eintritte  des  Flusses  in  den  Dromling 
durchschneidet  er  Moorboden;  doch  findet  man  auch  hier  auf  der  Sohle  Sand, 
der  aus  den  obem  Strecken  hineingetrieben  ist.  Weiter  unterhalb,  wo  der 
Talboden  sandig  wird,  bestehen  auch  Sohle  und  Ufer  meist  aus  Sand ;  doch 
ist  hier  auch  Kies  vorhanden,  der  durch  die  Nebenflüsse,  namentlich  durch 
die  Oker,  zugeführt  wird. 

Der  bedeutendste  Zufluß  der  Aller  ist  die  Oker,  deren  Hochfluten  bis- 
weilen nicht  unbeträchtliche  Anschwellungen  in  der  Aller  hervorrufen.  Als 
eigentlicher  Quellbach  der  Oker  kann  die  Große  Oker  angesehen  werden, 
die  am  Fuße  des  Bruchberges  im  Oberharze  in  -f*  S39m  Höhe  entsteht 
Indessen  wird  dieser  Quellbach  sehr  bald  durch  den  Dammgraben  abgefangen, 
der  das  Wasser  einer  Anzahl  kleinerer  Wasserläufe  aufnimmt  und  zu  einer 
großem  Zahl  von  Sammelteichen,  die  im  Gebiete  der  Innerste  liegen,  führt, 
von  denen  aus  es  dann  in  den  dort  vorhandenen  Bergwerk-  und  Hütten- 
betrieben zur  Verwendung  gelangt.  Die  Große  Oker  vermag  daher  nur  bei 
starkem  Regenfällen  Wasser  an  die  unterhalb  gelegenen  Strecken  abzugeben. 

Im  allgemeinen  nimmt  die  Oker  schon  in  ihrer  Harzstrecke  die  Nord- 
richtung auf,  die  sie  später,  ohne  wesentlich  von  der  Luftlinie  abzuweichen, 
auch  beibehält.  Trotzdem  sie  viele  kleinere  und  größere  Biegungen  im  ein- 
zelnen macht,  ist  deshalb  ihre  Entwicklung  nicht  gerade  sehr  erheblich;  sie 
beträgt  für  den  ganzen  125.2  km  langen  Lauf  49.9^/o.  Außerordentlich 
stark  ist  das  Gefälle  des  Flusses  im  Oberlaufe,  noch  stärker  aber  in  ein- 
zelnen kurzem  Strecken.  Auch  in  dem  Vorlande  des  Harzes  ist  es  zunächst 
noch  immer  recht  beträchtlich,  vermindert  sich  aber  später  erheblich.  Im 
Harze  ist  das  Okertal  schmal  und  von  steilen  Wänden  eingefaßt;  dabei 
nimmt  die  Tiefe  desselben  nach  dem  Harzrande  zu,  so  daß  die  Talsohle  hier 
stellenweise  bis  zu  400  m  unter  den  benachbarten  Kuppen  liegt  Nach  dem 
Austritte  aus  dem  Harze  erweitert  sich  das  Tal  sofort  erheblich  und  flacht 
sich  auch  ganz  bedeutend  aus.  Die  Sohle  ist  hier  mit  Schottermaasen  be- 
deckt die  der  Fluß  aus  der  Harzstrecke  mitgeschleppt  hat.  Weiterhin  in 
den  Harzer  Vorbergen  weitet  sich  das  Tal  mehr  una  mehr  aus  und  geht 
bald  unterhalb  Braunschweig  völlig  in  die  Ebene  über.  Das  Flußbett  ist 
dabei  im  Harze  meist  in  das  feste  Gestein  eingeschnitten  und  mit  gröberm 
Gerolle,  das  von  den  steilen  Hängen  des  Tales  herabgerollt  ist,  übersät. 
In  der  folgenden  flachem  Strecke  liegt  das  Bett  durchgehends  in  Schotter- 
ablagemngen,  in  denen  es  sich  vielfach  verzweigt,  auch  mancherlei  Ver- 
änderungen ausgesetzt  ist   Unterhalb  Vienenburg  nehmen  die  Ablagerungen 


Flüsse.  301 

an  Umfang  und  Größe  der  Geschiebe  ab,  und  bald  darauf  bewegt  sich  der 
Fhiß  in  abgeschwemmtem  Boden. 

Der  Lauf  der  Untern  Weser  ist  wesentlich  yorgezeichnet  durch  das 
rechtsseitige  Höhenland  der  Lüneburger  Heide  und  ihrer  Ausläufer,  die  sich 
als  Geestrücken  mehrfach  bis  an  den  Strom  heranziehen  und  ihn  auf  langem 
Strecken  begleiten.  Der  Weserlauf  ninmit  hier  von  der  Mündung  der  Aller 
ab  die  nordwestliche  Richtung  auf,  die  dieser  bedeutendste  Nebenfluß  in 
seiner  untersten  Strecke  hat.  Erst  bei  Elsfleth  wendet  sich  die  Weser  nach 
Norden  und  nimmt  ihren  Weg  in  dieser  Richtung  nach  der  Nordsee  zu.  Von 
Geestemünde  ab,  wo  der  Strom  zuletzt  den  Rand  des  Geestlandes  berührt, 
fließt  er  schließlich  in  einem  durch  die  Wirkung  von  Ebbe  und  Flut  mächtig 
erweiterten  Bette  durch  das  Wattenmeer  als  Außenweser  nach  Nordwesten 
in  das  freie  Meer  hinaus.  Die  Laufentwicklung  des  Stromes  von  der  Aller- 
mündung ab  ist  beträchtlich  geringer  als  in  der  vorhergehenden  Strecke 
des  Flachlandes.  Die  Krümmungsverhältnisse  sind  in  dem  obern  Abschnitte 
bis  zur  Tidestrecke  nicht  wesentlich  anders  als  an  dem  oberhalb  gelegenen 
Laufe  des  Stromes;  auch  hier  finden  sich  noch  scharfe  Ausbuchtungen, 
deren  Halbmesser  nicht  selten  bis  auf  250,  ja  200  m  hinabgehen.  Im  Tiede- 
gebiete  finden  sich  dagegen  nur  noch  an  einzelnen  Stellen  oberhalb  Bremen 
Stromkrümmungen  mit  etwa  400  m  Halbmesser,  während  unterhalb  Bremen 
die  Halbmesser  nicht  unter  1000  m  hinabgehen.  Das  Gefälle  des  Stromes, 
das  schon  an  der  Mittlem  Weser  stromabwärts  allmählich  mehr  und  mehr 
abnahm,  wird  unterhalb  der  Allermündung  noch  geringer;  während  es  für 
die  ganze  Mittlere  Weser  bei  Mittelwasser  im  Durchschnitte  0.280  ^/^  (1:4848) 
betrag,  sinkt  es  an  der  Untern  Weser  oberhalb  des  Tidegebietes  bis  auf 
durohschnittlich  0.188o/op  (1 :  6806). 

Der  größte  Nebenfluß  der  Untem  Weser  ist  die  Hunte.  Sie  entsteht 
auf  der  Südseite  des  Hauptzuges  des  Wiehengebirges,  zwischen  diesem  und 
dem  südlich  davor  gelagerten  Osnabrücker  Höheniande  bei  O.-Holsten  aus 
mehrem  Quellbächen ,  von  denen  der  Hauptbach  in  -f- 170  m  Höhe  ent- 
springt. Der  aus  der  Vereinigung  der  QueUbäche  hervorgehende  Wasser- 
lauf nimmt  zunächst  seinen  Weg  nach  Osten  parallel  zum  Zuge  des  Wiehen- 
gebirges, wendet  sich  aber  baJd  nach  Norden  und  durchbricht  dieses  in 
einem  engen,  schluchtartigen  Tale.  Die  nordnordwestliche  Richtung,  mit 
der  die  Hunte  aus  diesem  Durchbmchstale  heraustritt,  behält  sie  im 
allgemeinen  bis  in  die  Gecend  von  Bohmte  bei;  hier  macht  sie  zunächst 
eine  scharfe  Biegung  nach  Westen,  biegt  dann  aber  rechtwinklig  nach  Norden 
um  und  fließt  in  dieser  Richtung  dem  etwa  15  qkm  großen  Dümmersee  zu, 
aus  dem  sie  auf  seiner  Nord-  und  Ostseite  mit  mehrern  Armen  austritt. 
Abgesehen  von  vielen  kleinem  Wasserläufen,  sind  es  folgende  4  Haupt- 
läufe, mit  denen  sie  den  See  veriäßt:  die  Alte  Hunte  (Wäteringe),  die  Lohne, 
die  Grawiede  und  der  Omptedakanal.  Wahrscheinlich  ist  früher  die  Alte 
Hunte  der  einzige  größere  natürliche  Abzug  des  Sees  gewesen ;  nichtsdesto- 
weniger haben  die  künstlich  hergestellte  Lohne,  die  den  Fle<^en  Diepholz 
dorcbfließt,  und  Grawiede  jetzt  für  die  Wasserabführung  mehr  Bedeutung. 
Nach  und  nach  vereinigen  sich  die  Arme  wieder  miteinander,  so  daß  der 
Fluß  von  unterhalb  Heede,  nördlich  von  Diepholz  wieder  in  einem  einheit- 
lichen Bette  fließt.  Bald  darauf  wendet  er  sich  aus  der  nordöstlichen  Rich- 
tung, die  er  zuerst  nach  der  Wiedervereinigung  aller  Arme  hat,  nach  Nord- 
westen und  durchfließt  in  dieser  Richtung  die  nordwestdeutsche  Boden- 
sohwelle,  sowie  das  nordwärts  davon  gelegene  flache  Gelände  bis  Olden- 
burg hin ;  hier  wendet  er  sich  in  großem  Bogen  nach  Ostnordost  und  erreicht 
in  meser  Richtung  die  Weser  jenseits  der  Tidegrenze  bei  Elsfleth. 

Unterhalb  der  AUermündung,  bei  Achim,  beginnt  eine  schmale  Dünen- 
zunge zwischen  Weser-  und  Wümmeniederang,  die  zwischen  Dünen  mit 
Deichen  und  hochwasserfreien  Dämmen  abgeschlossene  Einsenkungen  auf- 
weist, die  mit  den  benachbarten  Marschen  in  gleicher  Höhe  liegen.  Auf 
einer  Verbreiterung  des  Dünengeländes  ist  die  Stadt  Bremen  erbaut  worden, 


302  Flusse. 

zwar  mitten  in  ehemals  sumpfigen  Niederungen,  aber  doch  an  der  für  den 
Verkehr  bestgeeigneten  Stelle,  da  hier  das  linksseitige  Höhenland  dem  rechts- 
seitigen Sanastreifen  ziemlich  nahe  kommt  und  wegen  seines  flachen  An- 
stieges zur  Herstellung  von  Verkehrswegen  gut  geeignet  erscheint 

Das  ganze  Gebiet  hier  war  in  der  Vorzeit  eine  Meeresbucht,  und  noch 
vor  wenigen  Jahrhunderten  führten  einige  Mündungsarme  der  Weser  nach 
dem  Jadebusen.  Auch  laßt  das  starke  Talgefälle  bei  Bremen  vermuten, 
daß  hier  das  von  den  Schwankungen  des  Meeres  abhängige  Mündungsbecken 
des  Stromes  seit  langer  Zeit  sein  oberes  Ende  gefunden  hat;  am  Fuße  des 
vom  Binnenstrome  geschütteten  Schuttkegels  begann  hier  seewärts  das 
eigentliche  Delta.  Wahrscheinlich  hat  die  Weser,  ais  ihre  innere  Delta- 
bildung derartig  weit  vorangeschritten  war,  daß  sie  einen  kräftigen  Haupt- 
arm schaßten  konnte,  diesen  zunächst  auf  dem  kürzesten  Wege  nach  dem 
äußern  Mündungsbecken,  d.  h.  nach  der  bei  Bremen  beginnenden  Nordsee- 
bucht, längs  der  linksseitigen  Talwand  hergestellt.  Die  vom  Hauptkanale 
der  Bruchhausen — Syker  Melioration  durchzogene  Bodensenke,  das  Bruch- 

gelände  bis  zur  Ochtum  und  an  diesem  Wasserlauf  e  entlang  würde  dann 
en  Zug  des  ursprünglichen  Weserbettes  anzeigen,  dem  noch  in  den  40er 
und  50er  Jahren  zuweilen  ein  namhafter  Teil  des  Weserhochwassers  gefolgt 
ist  Aller  und  Weser  flössen  damals  bis  in  die  Gegend  von  Bremen  ge- 
trennt und  vereinigten  sich  erst  an  der  Südspitze  jener  Nordseebucht  oder 
kurz  zuvor.  Je  mehr  die  Ausfüllung  dieser  Bucht  mit  Marschinseln  vor 
sich  ging,  umsomehr  wurde  der  alten  Weser  die  Weiterführung  ihrer  Ge- 
schiebe bis  zum  Meere  erschwert  und  umso  großer  das  Bestreben,  aus  ihrem 
hierdurch  höher  geschütteten  Bette  nach  rechts  auszubrechen,  wo  die  minder 
geschiebereiche  Aller  in  einem  damals  tiefer  liesenden  Teile  der  Niederung 
floß.  So  mag  die  Vereinigung  von  Weser  und  Aller  nach  Dreye  und  später 
nach  jener  breiten,  offenbar  lange  Zeit  von  großen  Wassermassen  benutzten 
Bruchsenke,  die  jetzt  von  der  Eyter  durchzogen  wird,  verlegt  worden  sein. 
Hiermit  war  die  Grenze  des  deutlich  ausgeprägten  Schuttkegels  erreicht 
und  nunmehr  waren  die  Hindemisse  auf  den  zum  Meere  führenden  Wegen 
überall  gleich  groß.  Einige  Zeit  hindurch  scheint  der  Hauptarm  von  Hoya 
nordwärts  nach  der  Emte  zur  Aller  geflossen  zu  sein,  mit  der  er  sich  am 
Badener  Berge  vereinigte.  Auch  gegen  Nordosten  dürfte  die  Weser  zeit- 
weise ihren  Lauf  genommen  haben,  um  bei  Wahneber^en  ob^halb  Verden 
das  AUertal  zu  erreichen.  Grerade  der  südöstliche  Teil  der  Niederung  ist 
mit  einem  solchen  Gewirr  von  Altläufen  durchsetzt,  daß  hier  gewiß  sehr 
oft  Verlegungen  des  Stromlaufes  stattgefunden  haben.  Seine  jetzige  Lage 
hat  er  vermutlich  erst  eingenonmien,  nachdem  die  Geschiebeführung  bereits 
viel  geringer  als  früher  geworden  war,  weshalb  das  hierdurch  weniger  als 
zuvor  beanspruchte  Arbeitsvermögen  des  Stromes  in  dem  gefällreichen  Hange 
des  Schuttkef^els  überaus  scharfe  Schleifen  ausnagte. 

Immerhm  brachten  die  Weser  und  Aller  gemeinschaftlich  genügende 
Massen  von  Sand  und  tonigen  Sinkstoffen  nach  der  vorher  schon  in  Auf- 
höhung  begriffenen  untern  Strecke  des  Oberlaufes  (Baden— Bremen),  um 
diese  und  den  neben  ihr  liegenden  Teil  der  Niederung  auf  der  rechten  Seite 
höher  auf  zulanden,  als  die  linke  Seite  lag.  Umgekehrt  wie  in  der  Vorzeit 
bestand  deshalb  nun  das  Bestreben,  von  rechts  nach  ünks  auszubrechen, 
und  bei  großem  Hochfluten  hat  dies  der  Strom  durch  Rückstau  in  die  Eyter 
und  Abfluß  nach  der  Ochtum  auch  öfters  getan,  zuletzt  noch  im  März  188L 
Hier  war  demnach  wiederum  eine  größere  Stromverlegung  in  Aussicht,  als 
durch  Anlage  der  Deiche  der  Zustand,  wie  er  sich  zufällig  bis  zur  Zeit  der 
Eindeichung  entwickelt  hatte,  festgelegt  und  späterhin  verteidigt  wurde. 
Ebenso  vmrde  in  der  obern  Strecke  der  Hoya— Bremer  Niederung  die  Weser 
voraussichtlich  neue  Verschiebunffen  ihres  Laufes  erfahren  haben,  wenn  nicht 
durch  Eindeichung  dem  stetigen  Wandel  ein  Ziel  gesetzt  worden  wäre. 

Mindestens  ebenso  große  Veränderungen  haben  sich  im  äußern  Mün- 
dungsbecken vollzogen,  das  vor  Entstehung  der  Marschen  und  Moore  zwischen 


Flüsse.  303 

dem  beiderseitigen  Geestlande  bis  nach  Bremen  hinauf  eine  große  Wasser- 
fläche war.  AUmählich  entstanden  dann  aus  den  Anschwemmungen  des 
Stromes  und  des  Meeres  umfanmiche  Bänke,  die  am  Rande  der  Mündungs- 
arme infolge  der  reichlichen  Schlickzufuhr  höher  anwuchsen,  während  sich 
in  den  zurückliegenden  Teilen  anfangs  schwache  Dargschichten  und  darüber 
die  Hochmoore  entwickelten.  Schon  in  sehr  alter  Zeit  eigneten  sich  diese 
Moore  zu  Niederlassungen  vorzüglich,  da  ihre  höhere  Lage  den  Bewohnern 
der  Marschinseln  »eine  gesicherte  Stätte  bot,  wohin  auch  das  Weidevieh 
gerettet  werden  konnte,  wenn  einbrechende  Fluten  das  benachbarte  niedrige, 
nur  durch  schwache  Deiche  geschützte  Marschland  überschwemmten;  auch 
bot  das  Moor  zugleich  Gelegenheit,  einigen  Ackerbau  zu  treiben.  So  sind 
die  ältesten  Niederlassungen  kranzartig  auf  der  Grenze  zwischen  Maxsch 
und  Moor  entstanden,  und  die  Häuser  wurden  anfangs  auf  das  Moor  gebaut  < 
Die  alten  Mündungsarme  sind  durch  ihre  Klaiablagerungen  zwischen  den 
Mooren  des  Stad-  und  Butjadingerlandes  zu  erkennen  und  ihre  Grenzen 
nach  den  teilweise  noch  erhaltenen  alten  Deichen  derart  zu  bestimmen,  daß 
Lasius  eine  Karte  des  Weserdeltas  um  das  durch  eine  verheerende  Sturm- 
flut berüchtigte  Jahr  1511  entwerfen  konnte. 

Bei  Bremen  beginnt  das  Gebiet  der  eigentlichen  Marschen,  die  durch 
gemeinsame  Wirkung  des  sinkstofff ührenden  Binnenstromes  und  der  Meeres- 
strömung entstanden  sind.  Uneigentlich  werden  an  der  Weser  bis  weit  in 
das  Binnenland  hinein  auch  die  aus  tonigen  und  feinsandigen  Ablagerungen 
des  Stromes  entstandenen  Böden  als  Marschen  bezeichnet.  Der  Boden  der 
Unterwesermarschen  besteht  an  der  Obeifläche  und  oft  bis  zu  großer  Tiefe 
aus  Klai  oder  aus  einer  meist  schwachen  Schicht  von  Moor,  dessen  Unter- 
grund im  Mündungsbecken  der  Weser  gewöhnlich  Klai  bildet.  Zwischen 
dem  Klai  und  seinem  sandigen  Untergrunde  lagert  an  vielen  Stellen  der 
sogenannte  Darc,  d.  h.  eine  torfähnliche  Verfilzung  von  Schilfpflanzen  und 
Moosen,  oder  Knick,  d.  h.  eine  äußerst  feste,  völlig  unfruchtbare  Tonart. 
Der  mit  Kieselerde,  Kalkteilen,  Salzen  und  organischen  Resten  gemischte, 
vorzugsweise  tonige  Klai  bildet  den  größten  Teil  des  Marschlandes.  Er  ist 
sandiger,  wo  seine  Ablagerung  unter  Einwirkung  des  den  sandigen  Meeres- 
grund aufwühlenden  WeSenscUages  stattgefunden  hat,  z.  B.  auf  dem  Mittel- 
rücken des  Butjadingerlandes  von  Tossens  bis  Blexen  und  im  Marschlande 
bei  Geestemünde.  Er  ist  fetter,  wo  die  Ablagerung  an  besser  geschützten 
Stellen  erfolgte,  z.  B.  in  den  erweiterten  Teilen  der  frühem  Mündungsarme. 

Moorboden  findet  sich  hauptsächlich  in  den  ehemaligen  Hochmooren, 
die  ehemals  auf  den  Inseln  des  Mündungsbeckens  entstanden  waren,  aber 
infolge  der  alten  Kultur  jetzt  meistens  wenig  oder  gar  nicht  höher  als  die 
angrenzenden  Marschen  liegen  und  vielfach  mit  einer  mäßig  starken  Klai- 
schicht  bedeckt  sind.  »Seit  dem  Anfange  des  18.  Jahrhunderts €,  sagt  Salfeld, 
»rückt  man  hier  von  den  Rändern  unausgesetzt  mit  einer  Melioration  nach 
dem  Innern  zu,  welche  man  Wühlen  (oder  Umschießen)  nennt.  Überall, 
wo  unter  dem  Hochmoore  fruchtbare  Klaierde  lagert  und  genügende  Ent- 
wässerung zu  beschaffen  ist,  wird  Jahr  für  Jahr  der  schwarze  amorphe 
Torf  zu  Brennmaterial  hergerichtet,  der  obere  geringwertige  Moostorf  zurück- 
geworfen und  dann  durch  Rigolen  0.45  m  mit  Klaierde  bedeckt.  Der  Boden 
wird  durch  diese  mühsame  Arbeit  in  kurzer  Zeit  so  fruchtbar,  daß  er  in 
seinen  Erträgen  auf  die  Dauer  dem  besten  Marschlande  gleichkommt.«  Un- 
kultiviertes Hochmoor  nimmt  jetzt  nur  noch  verhältnismäßig  geringe  Flächen 
des  Mündun^beckens  ein. 

Der  weitaus  größte  Teil  der  Wesermarschen  wird  durch  Deiche  gegen 
Tidehochwasser  und  Sturmfluten  geschützt;  die  Vorländer  der  beiderseits 
den  Stromlauf  begleitenden  Deichzuge  und  der  eingepolderten  Inseln  haben 
überall  nur  geringe  Breite.  Aber  nicht  allein  diese  Vorländer,  sondern  auch 
die  eingedeichten  Flächen  dienen  ganz  überwiegend  aJs  Grünland,  bloß  in 
hohem  Lagen  ständig  oder  vorübergehend  zum  Ackerbau.  Die  unein- 
gedeichten  Uferländereien  an  der  (Jnterweser,  die  weniger  als  etwa  0.1  m 


304  Flüsse. 

über  gewöhnlichem  Tidehochwasser  liefen,  meistens  junge  Anschwemmangen, 
sind  in  der  Regel  mit  Schilf  oder  Weidenboschwerk  bewachsen. 

Die  wichtigsten  Abflußvorg&nge  bei  der  Weser  werden  in  der  in  Rede 
stehenden  großen  Monographie  sehr  ausführlich  unter  Mitteilung  vieler  bis 

i'etzt  noch  unveröffentlichter  Daten  besprochen.  Hier  kann  nur  das  wichtigste 
[urz  angeführt  werden. 

In  der  Gebirgsstrecke  des  Weserstromes  nimmt  seine  Wasserfülle  zur 
Niedri^asserzeit  erheblich  mehr  zu,  als  dem  Zuwachse  an  Crebietsfläche 
entspncht.  Die  Speisung  findet  alsdann  offenbar  großenteils  durch  Quellen 
und  Grundwasserströme  statt,  die  in  dem  Strombette  oder  unmittelbar  am 
Stromlaufe  selbst  und  wohl  auch  an  den  untern  Strecken  einiger  Seiten- 
{;ewä8ser  hervortreten.  Das  bis  zur  breiten  Rintelner  Niederung  vorwiegend 
m  die  meist  durchlässigen  Gesteine  der  Buntsandstein-  und  MuschelkiaJk- 
f ormation  tief  eingeschnittene  Wesertal  wirkt  fl^eichsam  wie  ein  mächtiger 
Sickergraben  auf  das  angrenzende  Berg-  und  dfügelland.  Alles  dort  in  den 
Boden  eingedrungene,  dem  offenen  Abflüsse  verloren  gegangene,  der  Ver- 
dunstung und  dem  Verbrauche  durch  den  Pflanzenwuchs  entzogene  Wasser 
gelangt  durch  jene  Quellen-  und  Grundwasserströme  in  die  Weser,  die  es 
aufsammelt  una  dem  Meere  zuführt.  In  der  Regel  zeigt  sich  diese  Speisung 
bis  zum  Herbste  hin  ausdauernd  ergiebig,  beginnt  aber  gegen  Ende  eines 
lan^n  regenarmen  Sommers  allmählich  ai>zunehmen,  und  zwar  umso  früh- 
zeitiger, je  schneeärmer  der  vorangegangene  Winter  war,  oder  wenn  vor  dem 
Schneefalle  ein  harter  Frost  den  Boden  undurchlässig  gemacht  und  die  Ver- 
sickerung der  Niederschläge  gehemmt  hatte. 

Wärend  also  zur  ^edngwasserzeit  die  Abflußmenge  der  Obern  Weser 
von  ihrem  Anfange  bei  Münden  bis  etwa  zum  Vlothoer  Engtale  und  zur 
Werramündung  in  viel  größerm  Maße  zunimmt  als  die  Gebietsfläche,  verhält 
sich  die  Vermehrung  der  Abflußmenge  bei  Hochwasser  cerade  umgekehrt 
und  wächst  in  ^eiingerm  Maße.  Am  deutlichsten  zeigt  sich  dies  bei  solchen 
HochfluterscheiDungen,  deren  Ursachen  ziemlich  gleichzeitig  auf  das  ganze 
Niederschlagsgebiet  einwirken,  wie  z.  B.  plötzlich  eingetretenes  Tauwetter 
nach  vorheriger  allgemein  verbreiteter  Schneebedeckung,  oder  wie  z.  B. 
starke  Niederschläge  von  ungewöhnlich  großer  Ausdehnung,  die  im  Weser^ 
Stromgebiete  fast  nur  in  der  winterlichen  Jahreshälfte  stattfinden.  In  solchen 
Fällen  bringen  die  gefällreichen  Nebenflüsse  wegen  ihres  kurzen  Laufes  den 
Scheitel  ihrer  Flutwellen  erheblich  rascher  in  den  Hauptstrom  als  die  beiden 
Quellflüsse  Werra  und  Fulda,  in  denen  die  Flutmassen  längere  Wege  zurück- 
zulegen haben.  Wenn  der  Scheitel  der  von  ihnen  ausgehenden  Welle  an 
der  Mündung  eines  Nebenflusses  vorüberzieht,  so  pflegt  gewöhnlich  der 
Nebenfluß  bereits  im  Fallen  begriffen  zu  sein  und  vermehrt  die  dem  höchsten 
Wasserstande,  dem  Scheitel  der  Flutwelle,  zugehörige  größte  Abflußmenge 
nicht  in  solcher  Weise,  wie  dies  dem  Flächeninhalte  seines  Gtebietes  ent- 
sprechen würde,  sondern  mit  einem  geringem  Betrage. 

In  dem  Zeiträume  von  1841—1900  entfielen  die  meisten  Hochwasser 
auf  den  Februar  (26<^/o),  März  (22o/o),  Januar  (le^/o)  und  Dezember  (17%), 
keins  auf  den  September  und  nur  je  I^Jq  auf  die  Monate  Juni,  Juli  und 
August.  Von  altem  Hochfluten  blieb  besonders  das  unheilvolle  Ereignis 
von  1842  lange  in  schreckensvoller  Erinnerang.  Von  jenem  Jahre  berichten 
>in  allen  Landen«  zuverlässige  Chroniken  der  deutschen  Städte  und  Land- 
schaften übereinstimmend  von  Dresden  wie  von  Mainz,  von  Regensburg  wie 
von  Minden  und  von  vielen  andem  Orten  in  den  Gebieten  des  Rheines,  der 
Donau,  der  Weser  und  der  Elbe  über  verheerende  Hochwasser.  Die  Zer- 
störung der  Brücken  zu  Würzburg,  Frankfurt,  Bamberg,  Regensburg  und 
Dresden,  sowie  der  Einsturz  eines  Teiles  der  Mainzer  Stadtmauer  bezeugt 
die  unerhörte  Gewaltsamkeit,  mit  der  die  Fluten  überall  hereinbrachen.  Im 
Wesergebiete  richtete  schon  die  Werra  arge  Verwüstungen  an  »und  warff 
der  Stadtmauren  oben  zu  Greutzbur^  ein  stuck  nyder,  das  mann  mit  schiffen 
ynn  die  Stadt  fuere,  und  thatt  großen  schaden«.    In  Münden  hatten  die 


Flüaee.  305 

»Weser  und  Fulda«,  wie  die  Inschrift  an  der  Hochwassermarke  sagt,  die 
ganze  Stadt  mit  Ausnahme  der  Höhe  bei  der  Ägidienkirche  mehrere  Tage 
lang  unter  Wasser  gesetzt,  viele  Häuser  zum  Einstürze  gebracht  und  auch 
sonst  yiel  Gut  vernichtet.  Kaum  besser  sah  es  in  Hamdn  aus.  In  Minden 
drang  nach  dem  ausführlichen  Berichte  eines  Zeitgenossen,  Heinrichs  von 
Herford,  das  Wasser  durch  den  Dom  bis  auf  den  Markt;  es  überstieg  die 
hohe  Weserbrucke  und  riß  sie  teilweise  mit  sich  fort.  Auf  den  Fluten  sah 
man  Hausrat  aller  Art,  Vieh,  Bäume  und  >große  Häuser«  hinabtreiben. 
Auch  die  kleinem  Wasserläufe  waren  zu  reißenden  Strömen  angeschwollen, 
z.  B.  die  Bega  bei  Lemgo,  wo  die  Stadtmauer  überströmt  und  großer  Verlust 
an  Gebäuden,  Vieh  und  Menschenleben  angerichtet  wurde,  da  die  Über- 
schwenmiung  mit  großer  Gewalt  plötzlich  eintrat.  Wie  eine  Sturmflut  des 
Meeres  (»instar  fluctuum  maris  undantes<)  stürzten  die  Wassermassen  über 
Fluren  und  Felder  dahin  und  überstiegen  die  Mauern,  die  sich  ihnen  ent- 
gegenstellten; »muros,  turres,  portas  et  domos  lapideas  et  pontes  in  totum 
subverterunt,  lapides  murorum  et  pontium  ad  spatia  magna  subvehentes  et 
abducentes«.  Das  Unwetter,  in  dessen  Folge  die  Hochfluten  der  Weser  und 
anderer  deutschen  Ströme  plötzlich  entstanden,  scheint  unser  ganzes  Mittel- 
gebirge fast  genau  gleichzeitig  betroffen  zu  haben.  Denn  als  Tag  des 
Hochwassers  wird  für  Erfurt  der  21.  Juli  (Praxedis),  für  Kreuzberg  und 
Minden  der  22.  Juli  (Mariae  Magdalenae)  angegeben.  Eine  Aufzeicmnung 
des  Limburger  Chronisten  von  1860,  die  über  eine  Rheinhochflut  »in  den 
jairen  uns  herren  1342  up  sente  Jacobs  dach«  (26.  Juli)  berichtet,  stimmt 
auf  den  Tag  mit  dem  Gedenkverse  seines  Kölner  Genossen  überein:  »In 
Jacob!  feste  magnae  lymphae  memor  esto«. 

An  der  Obern  W<9ser  und  bis  über  Hameln  hinaus  war  die  Hochflut 
vom  Juli  1842  zweifellos  die  höchste  aller  geschichtlich  bekannten  Hoch- 
fluten dieses  Stromes.  Leider  ist  über  die  meteorologischen  Vorgänge,  welche 
dieselben  erzeugten,  nichts  bekannt.  Jedenfalls  bildet  diese  niemals  auch 
nur  annähernd  wieder  erreichte  Sommerhochflut  für  das  Wesergebiet  eine 
der  wundersamsten  ^Erscheinungen  der  an  außergewöhnlichen  kosmischen 
Vorgängen  reichen  Zeit  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts. 

Was  die  Wassermenge  der  Weser  anbelangt,  so  werden  die  größten 
Abflußmengen  der  Hochflut  vom  Januar  1841  folgendermaßen  rechnerisch 
bestimmt: 
für  das  Engtal  Münden— Karlshafen  auf  2860  cbm  pro  Sekunde, 
für  die  Engtalstrecke  PoUe— Bodenreder  zu  2700  cbm  pro  Sekunde. 

Die  Hochwassermenge  von  1799  hat  oberhalb  Minden  rund  8000  cbm 
pro  Sekunde  betragen.  Die  kleinste  Abflußmenge  im  Juli  1898  ist  unter- 
halb Münden  auf  9— 10  cbm  pro  Sekunde,  imterhalb  Karlshafen  auf  28,  bei 
Baden  auf  78  cbm  pro  Sekunde  zu  veranschlagen. 

Die  Weser  ist  im  allgemeinen  ein  recht  wasserreicher  Strom,  der  aber 
seine  Abstammung  aus  teilweise  undurchlässigem  Gebirge  nicht  verleugnet, 
wie  aus  dem  sehr  großen  Unterschiede  zwischen  der  kleinsten  und  größten 
Abflußmenge  bei  Karlshafen  (1  :  282)  hervorgeht  Von  oben  nach  unten 
verringert  sich  die  entsprechende  Verhältniszahl  Jedoch  bedeutend,  nämlich 
auf  1 :  120  bei  Hameln,  1 :  64  bei  Hoya  und  1  :  67  bei  Baden,  da  die  Abfluß- 
mengen bei  niedrigen  Wasserständen  in  weit  größerm  Maße  als  der  Gebiets- 
zuwachs, bei  hohen  Wasserständen  in  weit  kleinerm  Maße  zunehmen.  Das 
Verhältnis  zwischen  Abfluß-  und  Niederschlagsmenge  ist  bei  Hoya  und 
Baden  nicht  wesentlich  größer  als  bei  Münden,  und  zwar  im  Jahre  £^eicher- 
maßen  wie  in  beiden  Halbjahren;  es  beträgt  bei  Münden  im  Jahre  84.8, 
im  Sommer  20.2  und  im  Winter  62.6<^/o,  bei  Hoya  im  Jahre  86.8,  im  Sommer 
21.1  und  im  Winter  68.9*/p,  bei  Baden  im  Jahre  84.7,  im  Sommer  21.1  und 
im  Winter  62.6  ^Z«.  Dadurch,  daß  die  auf  den  verstärkten  Abfluß  hinwirkende 
Regenzeit  in  das  Halbjahr  der  Schneeschmelze  fällt,  erhält  die  Weser  eine 
ähnliche  Verteilung  des  Abflußverhältnisses  wie  der  aus  viel  reichhaltigem 

Klein,  Jahrbuch  XIV.  20 


806  Flusse. 

SchneeYotraten  gespeiste  Memelstrom,  der  im  Jahre  83.9,  im  Sommer  26.6 
und  im  Winter  66.2  %  des  Niederschlages  abführt 

Die  Mündung  der  Weser,  wie  der  Elbe,  liegt  im  Gebiete  der  Geseiten- 
bewegnng  der  Nordsee.  Durch  die  zahlreichen  Spaltungen  und  sonstigen 
Hindemisse  der  Flut-  und  Ebbebewegung  hat  aber  in  der  Unterweser  vor 
der  Korrektion  trotz  der  sehr  kräftigen  Flut  unterhalb  Bremertiayen  die 
Flutwirkung  und  das  Abfallen  der  Ebbe  oberhalb  dieses  Punktes  weit  raacher 
abgenommen  als  in  der  Unterelbe,  die  in  mehrfacher  Beziehung  dem  Ein- 
dringen der  Tidewelle  günstigere  Vorbedingungen  gewährt 

2.  Die  Ems.  Dieser  Fluß  gehört  mit  dem  weitaus  größten  TeQe  seines 
(Gebietes  dem  Flachlande  an,  und  sein  ganzes  Stromgebiet  umfaßt  12482  qkm. 
In  der  dem  südwestlichen  Abhänge  des  Teutoburgerwaldes  vorgelagerten, 
sanft  geneigten  Ebene,  der  Senne,  entspringen  zahlreiche  Bäche,  die  teils 
zum  Lippe-,  teils  zum  Emsgebiete  gehören.  Der  südlichste  im  Emsgebiete 
liegende  Bach  ist  die  Ems  selbst,  die  hier  bei  dem  Dorfe  Hövelhof  in 
4-  184  m  Höhe  entspringt  Anfangs  folgt  die  Ems  der  allgemeinen  Richtung 
aller  hier  von  der  Senne  herabkommenden  Bäche  nach  Südwest,  wendet 
dann  aber  ihren  Lauf  vorübergehend  nach  Nordwest,  so  daß  er  etwa  dem 
Zuge  des  Teutoburgerwaldes  parallel  läuft  Diese  Richtung  behält  sie  in- 
dessen auch  nur  vorübergehend  bei,  fließt  vielmehr  bald  über  Warendorf 
nach  Westen  und  schwenkt  dann  in  großem  Bogen  nach  Nordnordwest 
um.  Auf  einer  langem,  bis  unterhalb  Rheine  reichenden  Strecke  folgt  sie 
nunmehr  dieser  Richtung  und  geht  dann  in  die  Nordrichtung  über,  aus 
der  sie  wieder  kurz  oberhalb  Emden  nach  Westen  ausbiegt,  um  hier  in 
den  Dollart  auszumünden.  Da  der  Fluß  auf  diesem  Wege  vielfache  Win- 
dungen und  Schleifen  macht,  ist  seine  Entwicklung  nicht  unbeträchtlich; 
so  beträgt  diese  im  Verhältnisse  zur  Luftlinie  auf  der  Strecke  zwischen  der 
Brücke  bei  Schöneflieth  und  Rheine  86.8  ^/q  und  von  der  Hasemündung 
bis  zur  Mündung  des  Schleusenkanals  bei  Herbrum  75.0  ^/q.  Sie  ist  in  diesen 
kurzem  Strecken  sogar  stärker  als  auf  großem  zusammenhangenden  Strecken, 
obgleich  auf  ihnen  zum  Teil  nicht  unerhebliche  Ausweichungen  von  der  all- 
gemeinen Hauptrichtung  vorkommen,  denn  es  ist  die  Entwicklung  der 
Obera  Ems,  die  bis  Rheine  hin  gerechnet  ist,  75.2 ^^Z^,  die  Entwicklung 
der  Mittlem  Ems  bis  zur  Hasemündung  62.6%  und  der  Untern  Ems 
67.0 ^/o.  Da  die  Schleifen  vielfach  sehr  Kleine  Krümmungshalbmesser  be- 
sitzen, sind  sie  der  Schiffahrt  sehr  hinderlich;  einige  der  starkem  Krüm- 
mungen sind  daher  an  der  Mittlem  und  Untern  Ems,  hier  namentlich  für 
den  Schiffahrtsweg  des  Dortmund-Ems-KanaLs,  durch  kurze  Seitenkanäle 
umgangen  worden;  doch  gibt  es  immer  noch  Krümmungen,  die  nur  etwa 
200  m  Halbmesser  haben. 

In  der  obersten  Strecke  der  Obem  Ems  werden  die  zahlreichen  neben- 
einander herlaufenden  Sennebäche  durchaus  nicht  durch  dazwischen  liegende 
Bodenerhebungen  voneinandw  geschieden ;  auch  die  Ems  hat  hier  kein  aus- 
geprägtes Tal ;  erst  weiterhin  bildet  sich  eine  fest  umgrenzte  Mulde,  in  der 
die  Wassermassen  zusammengehalten  werden;  unterhalb  Warendorf  endlidi 
schneidet  sich  der  Wasserlaui  immer  mehr  in  das  flache  Gelände  ein,  so 
daß  bis  Rheine  hin  ein  schmales,  aber  verhältnismäßig  tiefes  Flußtälchen 
entsteht  Auch  an  der  Mittlem  Ems  bleibt  die  Hochwassemiulde  zunächst 
noch  eng  und  stellt  sich  hier  als  eine  etwa  10  m  tiefe  Rinne  dar.  Von 
Listrop  abwärts  erweitert  sich  das  der  Gberschwemmun^  ausgesetzte  Ge- 
lände zu  einer  etwa  1  km  breiten  Niederung,  die  2—3  m  über  Mittelwasser 
liegt  Unterhalb  Haneckenf ähr  wird  dann  das  Überschwemmungsgebiet  von 
Dirnen,  die  in  Entfemung  von  1.5—3  km  voneinander  liegen,  begrenzt  Im 
allgemeinen  sind  diese  Dünen  flach  gebösoht;  nur  dort,  wo  der  Fluß  oder 
ehemalige  Schleifen  sie  anschneiden,  bUden  sich  Steilränder;  besonders  ist 
dies  der  Fall  von  Lingen  bis  Dedum,  wo  die  Dünen  am  linken  Ufer  auf 
etwa  6  hm  Länge  Steilrander  zeigen  und  mehrfach  scharf  an  den  Fluß  heran- 


Flüsse.  307 

treten.  Auch  am  Unterlaufe  ist  ein  ei^entliohes  Flußtal  nicht  vorhanden. 
Das  Überschwemmungsgebiet  breitet  sich  hier  meist  weit  aus  und  vnrd 
nur  an  einzelnen  Stellen  von  hohem,  meist  dünenartigen  Erhebungen  ab- 
geschlossen. 

Das  Flußbett  der  Ems  ist  iast  überall  sandig;  nur  an  einzelnen  Stellen 
finden  sich  auch  andere  Bildungen  vor;  so  sind  an  einzelnen  Stellen  Mergel 
der  jungem  Kreide  und  Planerkalke  vorhanden.  Auf  der  Flufistrecke  von 
Rheme  bis  Bentlage  wird  das  Bett  von  Riffen  aus  Gesteinen  der  Kreide- 
formation durchquert,  wahrend  an  der  Untern  Ems  Klai-  und  Eisenerz- 
schichten Sohle  und  Ufer  durchsetzen;  außerdem  kommen  hier  auch  ver- 
einzelt Findlinge  auf  der  Sohle  vor. 

Wie  schon  oben  erwähnt,  fließen  zahhreiche  kleine  Bäche  in  ziemlich 
gleichgerichtetem  Laufe  von  der  Senne  herab;  teilweise  erhebt  sich  die  Sohle 
der  Wasserläufe  über  das  umgebende  Gelände,  so  daß  etwa  ausgetretenes 
Wasser  nicht  mehr  zu  demselben  Laufe  zurückgelangen  kann,  sondem  ent- 
weder in  einen  tiefer  gelegenen  Wasserlauf  übergeht,  versickert,  verdunstet 
oder  stagniert  und  niedrige  Stellen  versumpft.  Dadurch  entstehen  mannig- 
fache Verbindungen  zwischen  den  Wasserläufen,  die  das  Gewässernetz  hier 
sehr  verwickelt  machen.  Größere  Wasserläufe  können  sich  indessen  hier 
nicht  ausbilden,  da  die  Ems  parallel  mit  dem  Teutoburgerwalde  läuft  und 
daher  die  herabkommenden  Bäche  auffängt.  Erst  dort,  wo  sie  sich  aus 
dieser  Richtung  westwärts  wendet,  entsteht  der  Raum  zur  Entwicklung 
^ößerer  Bäche. 

Erst  weiter  abwärts  finden  sich  auf  der  rechten  Seite  größere  Seiten- 
zuflüsse, die  große  Aa,  die  Hase  und  Leda. 

Von  den  Quellen  der  Ems  bis  in  die  Gegend  zwischen  Rietber^  und 
Wiedenbrück  ist  ein  eigentliches  Flußtal  nicht  vorhanden.  Bis  hierher 
besteht  das  ganze  umliegende  Gelände  aus  einer  schwach  geneigten  Ebene, 
die  zumeist  niedriger  liegt,  als  der  gewöhnliche  Wasserspiegel  der  Ems.  Die 
Hochfluten  der  Ems  breiten  sich  hier  meilenweit  überall  hin  aus,  besonders 
in  der  Niederung  von  Mastholte  oberhalb  lüetberg.  Die  Breite  des  Fluß- 
tales oder  vielmehr  der  Flußmulde  zwischen  Wiedenbrück  undRheda  schwankt 
zwischen  100  und  500  m.  Unterhalb  Rheda  beträgt  sie  im  allgemeinen 
300  m,  wächst  stellenweise  bis  500  m  und  erreicht  in  der  Nähe  der  Lutter- 
mündung  den  Größtwert  von  etwa  800  m.  Nach  Warendorf  zu  nimmt  die 
Breite  wieder  auf  etwa  450  m  ab.  Auch  hier  am  Mittellaufe  liegen  die  Ufer- 
ränder durchgehends  höher  als  das  Seitengelände,  so  daß  die  Flutmassen 
eine  vom  Flußlaufe  abweichende  Richtung  einschlagen  müssen,  hin  und 
wieder  auch,  wenn  die  seitlichen  Erhebungen  bis  an  den  Fluß  herantreten, 
diesen  zu  kreuzen  gezwungen  sind.  Unterhalb  Warendorf  bis  Schöneflieth 
ist  die  Breite  des  Tales,  welches  in  das  flache,  nur  zwischen  4-  50  m  und 
-|-  Ö5  m  wechselnde  Gelände  eingeschnitten  ist,  sehr  veränderlich.  Bald 
treten  hier  die  Ufer  bis  unmittelbar  an  den  Flußschlauch  heran,  bald  sind 
besondere  Flutwege  vorhanden,  welche  die  Krümmungen  des  Flusses  ab- 
schneiden, bald  dehnen  sich  breitere  und  niedrige  T/^esengründe  zu  beiden 
Seiten  des  Flusses  aus.  Ein  zusammenhängender  Talboden  fehlt,  und  manche 
Flächen  werden  zwar  von  den  höchsten  Wasserständen  überschwenmit, 
können  aber  wegen  ihrer  hohen  Lage  nicht  dem  Talboden  zugerechnet 
werden.  Sowohl  in  Rietberg,  wie  in  medenbrück  führen  hochwasserfreie, 
mit  engen  Stauanlagen  ausgestattete  Wege  durch  das  Flußtal.  Auch  unter- 
halb Schöneflieth  bleibt  das  Emstal  durchgehends  schmal.  Die  eigentlichen 
Hochufer  berühren  zwar  nicht  in  großer  Länge  unmittelbar  den  FluBschlauch, 
aber  das  Gelände  steigt  meistens  langsam  an,  so  daß  ein  flacher  Talboden 
nur  selten  und  meistens  in  kesseiförmiger  Ausbildung  vorhanden  ist. 

Infolge  der  vielen  und  starken  Krümmungen  hat  die  Ems  im  Mittel- 
laufe einen  ziemlich  unregelmäßigen  Querschnitt.  Die  Breite  schwankt  bei 
niedrigem  Wasserstande  zwischen  20  und  80  m,  ebenso  wechseln  Tiefe  und 

20» 


308  Fläffie. 

Geechwindi^eit  fortwährend.  Bei  mitüerm  niedrigen  Sommerwaeserstande 
schwanken  die  Tiefen  zwischen  0.75  und  S.1  m. 

Die  großem  Ortschaften  fiepen  sämtlich  an  oder  auf  dem  Tahande. 
Auch  Gehöfte,  außer  den  Pährhaasem,  finden  sich  nur  vereinzelt  in  der 
Flußniederunfl.  Die  Stadt  Rheine  ist  auf  hohen  üfem  beiderseits  des 
schmalen  Flulschlauches  erbaut,  der  sich  hier  durch  die  hügelartigen  Aus- 
läufer des  Teutobui^erwaldes  windet  Salzbergen  liegt  auf  dem  Hochufer 
hart  am  Flusse.  Die  Stadt  Lingen  ist  durch  den  Emskanal,  der  in  eine 
alte  Flutmulde  verlegt  ist,  und  durch  eine  Düneninsel  vom  Flusse  getrennt. 
Die  Stadt  Meppen  U^  auf  einer  inseif örmigen  Erhöhung,  welche  durch  die 
Ems  von  der  großen  Esterfelder  Düneninsel  und  durch  die  Hase  vom  rechts- 
seitigen Höhenrande  abgetrennt  wird.  Die  Vorstadt  am  rechten  Haseufer 
steht  auf  einem,  wie  es  scheint,  künstlich  aufgehöhten  Ausläufer  der  rechts- 
seitigen, zum  Hümmlinge  gehörigen  Höhen. 

Der  Unterlauf  der  Ems  reicht  von  der  Hasemündung  bis  zum  Dollart 
Bis  zum  Dorfe  Herbrum  besitzt  der  Fluß  noch  die  Eigenschaft  eines  Binnen- 
landflusses. Er  war  bis  zur  Erbauung;  des  Kanals  von  Dortmund  nach  den 
Emshälen  für  die  Kleinschiffahrt,  wie  sie  auf  den  ostfriesischen  und  hol- 
ländischen Moorkanälen  landesüblich  ist  durch  Regulierungswerke  schiff- 
bar erhalten  worden.  Da  die  Abflußmenge  und  die  Stromloraft  nicht  aus- 
reicht um  für  die  Großschiffahrt  einen  ausreichenden  Querschnitt  offen 
zu  halten,  so  ist  der  Oberlauf  kanalisiert  worden  und  gilt  seitdem  als  ein 
Teil  des  Dortmund-Ems-Kanals.  In  der  Strecke  von  Herbrum  bis  zur  Mün- 
dung des  Papenburger  Kanals,  wo  die  Ems  nach  Ostfriesland  übertritt  ist 
bereits  so  viel  Tideströmung  vorhanden,  daß  sie  für  die  Binnenschiffahrt 
des  neuen  Kanals  den  Flußschlauch  genügend  tief  erhalten  kann.  Daher 
ist  diese  Strecke  für  die  Zwecke  der  Kanalschiffahrt  in  solcher  Weise  reguliert, 
daß  das  Auflaufen  der  Flutwelle  mögUchst  befördert  wird.  Im  Unterlaufe 
von  der  Papenburger  Schleuse  bis  zur  Mündung  in  den  Dollart  schafft  und 
erhält  die  Tideströmung  eine  für  die  kleine  Seeschiffahrt  genügende  Tiefe. 
Bei  Leerort  zerlegt  sich  der  Unterlauf  in  2  Unterabschnitte,  einerseits,  weil 
hier  der  wichtigste  Nebenfluß,  die  Leda,  mündet,  anderseits,  weil  die  Ver- 
hältnisse in  der  untern  Strecke  für  die  Seeschiffahrt  erheblich  günstiger 
liegen,  wie  in  der  obem  Strecke. 

Der  Scheitel  der  Flutwelle  trifft  bei  Papenburg  etwa  l'/«  Stunden 
später  ein  als  an  der  Emsmündung,  der  Wellenfuß  verzögert  sich  noch  mehr, 
nämlich  um  2^9  Stunden.  Wenn  also  Hochwasser  an  der  Mündung  ein- 
tritt, hat  der  Wasserspiegel  bei  Papenburg  noch  etwa  ^/,  des  Anstieges  zu 
machen,  wodurch  das  Gräälle  des  Flutstromes  nach  stromaufwärts  zustande 
kommt.  Wenn  der  Flutscheitel  in  Papenburg  eingetroffen  ist,  hat  sich  der 
Wasserspiegel  an  der  Mündung  bereits  wieder  um  etwa  Vt  ^^^  Flutgröße, 
oder  im  Mittel  um  0.90  m  gesenkt.  Das  größte  Gefälle  des  Ebbestromes 
bildet  sich  aus,  wenn  an  der  Flußmündung  Niedrigwasser  eintritt 

Die  Ems  erreicht  unterhalb  Herbnim,  nachdem  die  das  Dorf  Rhode 
berührende  Flußschleife  durch  einen  Durchstich  totgelegt  ist  das  Geest- 

felände  nicht  mehr.  Die  Ufer  sind  flach,  werden  aber  vom  gewöhnUchen 
idehochwasser  oberhalb  Tunxdorf  nicht  überschwemmt  Von  hier  nimmt 
die  Breite  der  bei  der  Flut  unter  Wasser  kommenden  Vorlandsflächen  all- 
mählich zu.  Die  Flußufer  erhidten  dadurch  einen  seeküstenartigen  Charakter. 
Bei  Jemgum  beträgt  die  Breite  der  wattähnlichen  Fläche  etwa  100  m,  und 
sie  wächst  nahe  der  Mündung  auf  etwa  800  m.  Auf  den  Wattstreif  en 
bilden  sich  zwei  verschiedene  Uferlinien  aus,  von  denen  die  für  Hoch- 
wasser die  vorwiegend  ausgebaute  und  festliegende  ist.  Langgestreckte 
Buhnen  begrenzen  mit  ihren  Köpfen  vielfach  die  Uferlinie  des  Niedrig- 
wassers, am  Mittellaufe  ist  dieselbe  auch  auf  verschiedenen  Strecken 
durch  Leitdämme  festgelegt,  deren  Krone  in  Höhe  des  gewöhnlichen 
Niedrigwassers  liegt. 


Flusse.  309 

Die  Ortschaften  liegen  hier  fast  sämtlich  am  Rande  des  Flußtales 
oder  auf  der  Geest,  seltener  auf  inselartig  aus  der  Niederung  aufragendem 
Gelände,  wie  z.  B.  Steinbild,  Borsum  und  mehr  oder  weniger  auch  Meppen. 
Einzelgehöfte,  besonders  Fährhäuser  und  Gruppen  von  Gehöften  hegen 
mehrfach  auf  erhöhten  Sandschollen  mitten  im  Überschwemmungsgebiete. 
Am  Unterlaufe  sind  Weener  und  Bunde  auf  Geestinseln,  Emden  auf  einem 
Warfhügel  erbaut,  während  Leer  auf  einem  Geestvorsprunge  liegt.  Die 
ältesten  Teile  von  Papenburg  sind  an  der  Stelle  angelegt,  wo  die  vom 
Hümmlinge  ganz  allmählich  zum  Flusse  abfallende  Mooroberfläche  den 
Spiegel  der  höchsten  Flut  erreicht.  Die  untern  Stadtteile,  welche  auf  dem 
abgetorften  Sanduntergrunde  oder  Leegemoore  stehen,  liegen  unter  Fluthöhe. 
In  den  Marschen  Ostfrieslands  stehen  manche,  beäonders  die  ältesten  Orte, 
auf  Warthügeln.  Die  meisten  Marschdörfer  und  die  großen  Einzelgehöfte, 
die  sogenannten  Plaatsen,  liegen  dagegen  tief  und  sind  auf  die  Deiche  als 
Schutz  gegen  Hochfluten  angewiesen. 

In  Ostfriesland  trägt  die  Niederung  das  Gepräge  des  ursprün^chen  Meeres- 
bodens. Die  Viehzucht  ist  Haupterwerbszweig,  und  da  das  Rindvieh  in  der 
milden  Jahreszeit  meistens  unbeaufidchtigt  und  auch  des  Nachts  auf  der 
Weide  verbleibt,  und  die  gemeinschaftlicheWeidebenutzung  mehrerer  Besitzer 
nach  der  Markenteilung  fast  ganz  aufgehört  hat,  so  ist  die  Einfriedigung 
der  WeideparzeUen  unerläßUch.  Die  Niederung  des  Endlaufes  ist  hier  netz- 
artig überzogen  mit  leichten  Zäunen,  vorwiegend  Drahtzäunen,  welche  über 
Leinpfade  und  Nebenwege  hinweggehen  und  dort  mit  leichten  sell^chließenden 
Türen  versehen  sind.  Die  Einzäunung  nach  dem  Ufer  hin  und  die  Abgrenzung 
bestimmter  Tränkestellen  fehlt  meistens  noch  zum  Nachteile  des  Fiußufers. 
Um  die  zum  Uferschutze  angelegten  Pflanzungen  vor  der  sonst  unvermeid- 
lichen Zerstörung  durch  das  Weidevieh  zu  bewahren,  wird  die  Einfriedigung 
des  Ufers  von  der  Bauverwaltung  nach  Möglichkeit  gefördert.  Die  Unter- 
haltungsarbeiten an  den  Zäunen,  besonders  nach  großem  Hochwassem, 
sind  aber  nicht  unerheblich.  Am  Unterlaufe  in  den  ostfriesischen  Marschen 
werden  die  Zäune  mehr  oder  weniger  durch  die  zahlreichen  Gräben  ersetzt, 
welche  in  engen  Maschen  die  Grandstücke  umschließen. 

Zwischen  den  Orten  Pogum  und  Jarssum  tritt  die  Ems  in  den  Dollart 
ein.  Der  Spiegel  des  Tidehochwassers  erfährt  hier  eine  plötzliche,  fast 
schrankenlose  Erweiterang,  während  das  Niedrigwasser  zwischen  den  großen- 
teils trocken  laufenden  Wattflächen  einen  zwar  vielfach  verzweigten,  aber 
doch  einigermaßen  geschlossenen  Querschnitt  einhält  Die  an  dieser  Stelle 
in  die  Ems  eintretende  Flutwelle  macht  sich  bei  gewöhnlichem  Zuflüsse 
von  Oberwasser  bis  zum  Schützenwehre  bei  Herbmm  deutlich  bemerkbar. 
Die  Länge  dieser  von  der  Flutwelle  durchlaufenen  Flußstrecke  beträgt  un- 
gefähr 51  km.  Vor  der  Ausführung  der  Durchstiche  zwischen  Herbrum 
und  Papenburg,  welche  als  Teilanlagen  zugleich  mit  dem  Dortmund-Ems- 
Kanale  hergestellt  wurden,  lag  die  Flutgrenze  bei  niedrigem  Oberwasser 
kurz  oberhalb  Herbrum.  Nach  jener  Begiadigung  und  der  gleichzeitig  aus- 
geführten Räumung  des  Fahrwassers,  jedoch  vor  Inbetriebsetzung  des 
Wehres  zu  Herbrum,  welches  die  untere  Begrenzung  der  für  die  Zwecke 
des  Dortmund-Ems- Kanals  kanalisierten  Flußstrecke  bildet,  hatte  sich  die 
Flutgrenze  bis  zum  Unterwasser  -  der  Schleuse  zu  Bollingerfähr  oder  etwa 
6  km  nach  stromaufwärts  verschoben. 

Von  den  Nebenflüssen  der  Ems  hat  nur  die  Leda  Flutwechsel.  Die 
mittlere  Flutaröße  belauft  sich  für  den  Zeitraum  von  1871—1900  an  der 
Knock,  der  den  DoUart  nach  der  See  hin  abgrenzenden  Landspitze,  auf 
2.78  m,  und  88  km  stromaufwärts  in  der  Ems  an  der  Papenburger  Schleuse 
noch  auf  1.4D  m;  ferner  in  der  Leda  zu  Leer  4.4  km  oberhalb  der  Mündung 
auf  2.10  m,  und  zu  Potshausen  an  der  Leda  und  zu  Stickhausen  an  der 
Jümme  28,  bezw.  25.8  km  oberhalb  der  Ledamünduna  noch  auf  0.80  m. 
Der  Unterschied  zwischen  dem  Flutwechsel  bei  Springflut  und  Nippflut  be- 
trägt im  Dollart  nur  etwa  0.80  bis  1.0  m. 


f'sehlag  und  Abfluß  in 
.wobei  er  die  Flüsse  Saale, 
Die  20  Jahre  1882—1901 
er  und  AbfluB  im  Saale- 


^  *iä'  ^    M    II.  ffP    M     .?!:      *~    '"^^ 


ltS*ß^!5i||c  ^3|i|ähre,    so  bekommt  man  im 

— '■^'^•^ilg:4^5^jf||6ommer  einen  solchen  von 


der  Gegensatz  zwischen 

^^  -^^      i^Mte  hervor.     Der  Sommer 

ii^l|l@Td^^€^^^enarm  und  abflußreich. 

.^u^^u%|||>i^^P  j!^4^^  im  Mai,  die  winter- 

i:s:-^Ar^'Ji^^^y^2»i^drographisch  das  Jahr  in 

^Mllf^^lsWjahre  teilen;  das  eine  um- 

^  _    .l«%^^*^*5löerö  die  Monate  November 

l^2jilft^*li^ii^)Ai^*Qi5%;>Ausdruc^^  in  den  Zahlen, 

Sg1tl:]S§!&!g^|id^3<^  liefern.     Berechnet 


i?'e>i^,tS:«Po«  ••^»  «^^  «^^  «^^  •^»  «^»  -32;    *y£' 

IiC.^^|^i^^||5?i?^  so  großer,  daß  er  nicht 

^^^^-^^^^^^^^^Q^^ß^  erklärt  werden  kann. 


es  keinen 
_  •^'ü^Zu^Aitl^kdC  ^^ti^e  Jahresperiode  aufwiese. 

!l2liä!i&fl^3lE^£^^$^-^6^  ^0°  ^^^  Witterungs- 

i^^;^fi^*^n|S3^*noch   eine  Menge   anderer 

'2p|i'^<(^^^££i*Sh^^^       Wasseraufnahmefähigkeit 

iia!li*Sl|SI§aJ|;ßiä;|5  und  die  Vegetation.     Der 

M§:Öpb!^l^k^3^^alte  liefert  uns  daher   ein 

_'^»^l|;elwCll)^5iS^^5S?®'^  Natur  überhaupt     Der 

^  ^«|H»||rif  öH^il^     mit  seiner  größern  Fülle 

|vu}ji;riii{|^^ħy^*iJM  andere  Abflußzustande 

^jMti*iÄ3^§2Ji;i§iC,g3reite  Flächen  des  Pflanzen- 

rgJT^aS jflpl  !^rSr^^^  ^" ""   ^'^^^   lyftfrorftn   ist. 


^^»si^sp^l^l?«!^!^  gibt 

l#A#^«l'ü'i!utt>A<t#6i^^^ü^^    Jahresperiode 


L^nge  Zeit  gefroren  ist. 


f^^m^^lHi^^zelnen  nachzuforschen  und 


'^^^W^'^^^^^^^IMS'^!^   d®^  Betrage  nach  fest- 
MC^^WO^Sä^»älsi^kL  wird. 

«^»  «^^      •••      •^»  a^»  «^fc  «^»  «^» 


itfi» 


«^»  a^»  «^fc  «^»  « 

*'"''^*"'^"]|e;5i5nd  Volkskunde    U.    5.  Heft. 


.^. 


i^ia: 


811 


^^!i|'^lilii®lii^^  gibt  Verl  für 

^l^g^^  TabeUe: 


1876-1894 
1881—1890 
1881—1890 


%m  I  in    den    Beziehungen 
^^l^lles  Jahres  drängt  die 


lügfil:  I 

,3tl^l@Ji^^^^^  ^  ^^^  geogra- 
i|||  l|  H  ^fflbÖtl  iidetzmäßigkeiten  unter- 

^^uche,    solche  Gesetz- 

:|[?enck   hatte  auf  Grund 

I^iMt^  der  Abfluß   mit   dem 
S-_ro_-^.oo  :nig.___.,„,._  Standpunkte 

reicherer  Benetzung 
mm^^mm^^^M,   und   überdies    mehr 

aMfw'^-Cffl.^jggj^Igjlurchaus  nicht  einfach 
'""  §?si&I  Verf.    hat   viebnehr, 


:a^i?Jl9^P#!i^#^  dem  Neuwieder 

nieder- 

:m,-^-jsr  ^j?.*- --»- .^.-0'  Niederung,    die,    mit 
oS^^^^lC^'^SBraEcSidQ^bengebirge   weit  nach 


Rhein  heute  (in    einer 
^^^«ner  Bucht  bezeichnet 


il!i^i'>C^^i>c^^  tektonische   Ein- 

QO         0V9     ^SRh**  *'S^'*  ^tfiin'*     ^S         0^         w 


pi^ix^zimgMm'^tjgi^Z'isJiden.     Das    RheintaL 
r5S;IS54l^'*lo'>'^gEp||'*nischen  Vorgangen  zu 


^li  ein  Erosionstal,  das 
jiichten  des  Devon  und 


£g!i:gbG^Si|£C|;^)    eingeschnitten    hat. 
9sfi:eSE"^ii^^^^|f  ^M^^*§5n  am  heutigen  Rheine 

'*^»  rn^rn  «2»  a^»  «^^  «^^  «^^  »'jg»'» 
«*•      4h      «^»  «^»  «^»  «^»      ^  1^ 


•^'  •jg^  •j^»  «^^  "J*  •&•  "^^  •^»  «^^  »y^» 


312  Flüsse. 

entlang  verfolgen.  Aul  den  Terrassen  liegen  Schotierablageningen, 
die  der  Rhein  in  den  Ruhepausen  zwischen  dem  Einschneiden  ab- 
setzte. In  dem  Materiale,  welches  verschiedenen  Ursprungsgebieten 
entstammt,  zeigen  sich  Unterschiede  der  einzelnen  Terrassen.  Die 
älteste  Terrasse  liegt  an  der  Ahrmündung  etwa  210 — 240  m  über 
dem  Meere,  sinkt  aber  nach  Norden  beträchtlich.  Ihr  Material  weicht 
sehr  von  dem  der  andern  Diluvialbildungen  ab.  An  der  Oberfläche 
ist  sie  nicht  scharf  getrennt  von  der  nächst  jungem  Terrasse,  der 
Hauptterrasse,  die  sich  am  besten  zu  beiden  Seiten  des  Rheins  vom 
Neuwieder  Becken  (bei  Linz  in  einer  Höhe  von  180 — 200  m)  bis  in 
die  Kölner  Gegend  (Vorgebirge  bei  Königsdorf-Horrem,  120 — 130  m) 
verfolgen  läßt  Tiefere  Terrassen  treten  mannigfach  auf,  sind  jedoch 
zumeist  nicht  durch  das  ganze  Gebiet  verfolgbar.  Die  Gegend  von 
Linz  und  Remagen  bietet  gute  Beispiele.  Weit  verfolgbar  ist  aber 
eine  Terrasse,  die  bei  Remagen  in  einer  Höhe  von  70  m  gut  aui^- 
schlössen  ist,  die  nach  Norden  hin  an  Höhe  abnimmt,  bei  Köln  nur 
noch  55 — 60  m  hoch  liegt  und  hier  die  ausgezeichnete  ebene  Terrassen- 
fläche bildet,  die  von  der  Eisenbahn  zwischen  Müngersdorf  und 
Königsdorf  westlich  von  Köln  überschritten  wird.  Nachdem  sich  der 
Rhein  bis  in  dieses  Niveau  eingeschnitten  hatte,  wurden  die  Gehänge 
mit  Löß  überdeckt,  jenem  feinstaubigen  gleichmäßigen  Gebilde,  das 
in  der  Umgebung  des  Rheintales  viele  der  Gesetzmäßigkeiten  wieder 
erkennen  läßt,  die  schon  aus  andern  Lößgebieten  bekannt  sind.  Bei 
noch  tieferm  Einschneiden  entstand  die  heutige  Talfläche,  in  der 
noch  eine  Terrasse,  die  Niederterrasse,  von  dem  jetzigen  Ober- 
schwemmungsgebiete  des  Rheins  zu  unterscheiden  ist.  Alte  veriassene 
Flußrinnen  lassen  sich  in  der  Niederterrasse,  namentlich  auf  der 
linken  Rheinseite  von  Bonn  nach  Köln,  verfolgen.  Die  Tiefe,  bis 
zu  der  sich  der  Rhein  unter  sein  heutiges  Bett  eingeschnitten  hatte, 
liegt  bei  Honnef  bei  38  m  über  dem  Meere,  bei  Bonn  bei  36  m,  bei 
Widdig  bei  35  m,  bei  Weiß  unter  18  m,  bei  Köln  unter  7  m  über 
dem  Meeresspiegel,  so  daß  die  Aufschüttungen  in  der  Form  von 
lockern  Sauden  und  Geschieben,  sowie  Lehm  bei  Honnef  20  m,  bei 
Bonn  17V,  ^'  ^^^  Widdig  21  m,  bei  Weiß  34  m,  bei  Köln  37  m 
mächtig  sind.  Im  südlichen  Teile  des  besprochenen  Gebietes  nehmen 
noch  Erzeugnisse  jüngerer  Vulkane  an  der  Ausbildung  des  Rheintales 
teil.  Ein  großer  Teil,  namentlich  der  lockern  Auswurfsprodukte,  ist 
jedoch  schon  wieder  durch  die  Erosion  fortgeführt  Die  genaue 
Altersstellung  der  einzelnen  Vulkanausbrüche,  namentlich  im  Laacher 
Seegebiete,  gegenüber  den  verschiedenen  Phasen  in  der  Entstehung 
des  Rheintales,  ist  bisher  nicht  erforscht  worden.  In  der  Ausbildung 
des  Rheintales  zwischen  Neuwieder  Becken  und  Köln-Bonner  Bucht 
zeigen  sich  Analogien  zu  andern  Gebieten,  wie  namentlich  zu  dem 
Oberrheintale  und  dem  Mainzer  Becken,  doch  sind  die  bisherigen 
Untersuchungen  nicht  weit  genug  vorgeschritten,  um  genauere  Ver- 
gleiche zu  ermöglichen. 


Flüsse.  313 

Die  Bntstehungrsgresehlehte  des  Rheines.  In  seinen  Unter- 
suchungen über  das  Deckgebirge  der  rheinisch-westfälischen  Kohlen- 
f ormation  spricht  sich  Generaldirektor  Schulz-Briesen  (Düsseldorf)  über 
die  Urgeschichte  des  Rheinstromes  aus,  also  über  ein  Problem,  bezüglich 
dessen  die  Ansichten  der  Geologen  noch  sehr  auseinandergehen.  Er 
sagt:  Die  Ufer  des  Kreidemeeres  sind  deutlich  auf  der  geologischen  Karte 
erkennbar,  sie  decken  sich  zwischen  Mülheim  a.  d.  R.,  Siegburg,  Bonn, 
Euskirchen,  Aachen  annähernd  mit  denjenigen  des  spätem  nieder- 
rheinischen Tertiärdeltas,  welches  seine  Entstehung  dem  Rheine  in 
Gemeinschaft  mit  der  Maas  verdankt.  Der  Rhein  dürfte  sich  in  der 
Kreideepoche  und  bis  in  die  Tertiärzeit  hinein  sein  heutiges  Bett 
zwischen  Bingen  und  Koblenz  noch  nicht  gegraben,  und  die  in  der 
oberrheinischen,  ausgedehnten  Terraindepression,  sowie  in  den  Seiten- 
tälern bis  weit  in  die  Gebirge  hinein  seeartig  aufgestauten  Wasser- 
massen werden  vielleicht  durch  eine  schmale  Rinne  Abfluß  in  das 
jetzige  Stromgebiet  der  Donau  gefunden  haben,  denn  im  andern  Falle 
würde  die  festgestellte  ungestörte  Ablagerung  der  Kreideformation 
im  Bereiche  des  niederrheinischen  Tertiärdeltas  nicht  möglich  gewesen 
sein.  Es  ist  dabei  immerhin  nicht  absolut  ausgeschlossen,  daß  der 
Abfluß  eines  Teiles  der  überschießenden  Gewässer  auch  durch  eine 
schmale  Rinne  nach  Norden  erfolgte. 

Erst  nach  dieser  Epoche  hat  sich  der  Rhein,  möglicherweise 
unterstützt  durch  eine  Spaltenbildung,  allmählich  einen  breiten  Weg 
zur  Nordsee  gebahnt  und  sein  Bett  tief  in  die  Schichten  des  mittel- 
rheinischen Devons  eingegraben.  Mit  seinen  gewaltigen,  in  dem  ober- 
rheinischen Seebecken  aufgestauten  Wassermassen  hat  er,  teils  voll- 
ständig wie  bei  Wesel,  oder  nur  teilweise  wie  an  den  Rändern  seiner 
Erosionstätigkeit,  die  Kreideablagerung  auf  weite  Ausdehnung  im 
niederrheinischen  Tieflande  zerstört 

Auf  der  Linie  Goch-Wesel-Dorsten  ist  zu  erkennen,  daß  der  alte 
Rheinstrom  etwa  120  km  vom  letzten  Katarakte  oberhalb  Bonn  ab- 
wärts, wahrscheinlich  vereint  mit  der  Maas,  bereits  ein  Delta  von 
ca.  100  km  Breite  gebUdet  hat,  dessen  Material  aus  dem  Detritus 
besteht,  den  diese  Ströme  mit  sich  führten.  Die  Erosionsprodukte 
dieser  Wasserläufe  sind  ohne  Frage  noch  mindestens  100  km  weiter 
nach  Norden  bis  an  die  jetzige  holländische  Küste  getragen  worden. 
Verlängert  man  die  Ränder  des  Deltas  konisch  bis  dahio,  so  gelangt 
man  zu  der  Annahme,  daß  dasselbe  dort  etwa  200  km  Breite  gehabt 
haben  muß.  Derartige  Bildimgen  findet  man  übrigens  auch  heute 
noch  in  größerm  Maßstabe  in  der  Entstehung  begriffen.  Auf  der 
Grundlage  dieser  Anschwemmungen  bildete  sich  dann  in  der  folgenden, 
ruhigem  Epoche  die  mächtige  Braunkohlenablagerung  der  untern 
Rheinebene,  die  wieder  zum  Teile  in  der  pliocänen  und  postpliocänen 
Periode  fortgewaschen  und  später  von  diluvialen  und  ^uvialen  Ge- 
rollen, Lehmen  und  dem  Löß  überdeckt  wurde.  Die  letztgenannten 
Schichten  besitzen  im  Bereiche  des  Tertiärs  häufig  eine  nicht  unerheb- 


814  Flüsse. 

liehe  Biachtigkeit,  während  dieselbe  innerhalb  des  sog.  Kreidebeckens 
selten  über  2 — 8  m  beträgt.  Diese  Ablagerungen  spielen  daher 
eine  ganz  untergeordnete  Rolle  in  der  Zusammensetssung  des  Deck- 
gebirges. 

Die  tertiäre  Erosion  hat  in  den  Kreide-  und  Triasschichten  im 
minimo  5  Milliarden  Kubikmeter  Material  zerrieben  und  ins  Weltmeer 
hinausgetragen,  jedoch  als  Ersatz  annähernd  die  gleiche  Menge  Material 
zur  Ausfüllung  der  Stromrinne  wieder  zugeführt. 

Die  Veränderungren  des  Mississippideltas  sind  von  Warren 

Upham  an  der  Hand  der  geschichtlichen  Überlieferungen  studiert  worden.^) 
Die  frühesten  Darstellungen  von  Hylacomylus  (1513),  die  auf  den 
Angaben  von  Amerigo  Vespucci  beruhen,  sind  natürlich  höchst  un- 
genau, erst  seit  1699  liegen  zuverlässigere  Daten  über  die  Mündungs- 
arme vor,  und  1722  gab  Coxe  eine  Karte,  die  bessere  Details  enthielt. 
Die  einzige  wirklich  zuverlässige  Karte  aus  früherer  Zeit  ist  jedoch 
diejenige  von  Beilin  1744.  Der  Vergleich  derselben  mit  der  Karte 
von  1885  ergibt,  daß  während  141  Jahren  die  Mündungen  um  ca.  6 — 8 
Miles  weiter  in  den  Mexikanischen  Meerbusen  vorgerückt  sind. 
Hieraus  könnte  man  schließen,  daß  zur  Zeit  der  Entdeckung  Amerikas 
das  heutige  Mississippidelta  überhaupt  noch  nicht  bestand,  sondern 
ein  anderes  gegenwärtig  20 — 30  km  weiter  landeinwärts  liegendes, 
was  auch  durch  die  Messungen  von  Humphrey  und  Abbots  wahr- 
scheinlich gemacht  wird. 

Das  Hündungfsgfebiet  des  Orinoco.  Dem  Berichte  S.  M.  Schiff 
»Pantherc  ist  folgendes  hierüber  entnommen:*)  Die  ganze  Küsten- 
strecke des  Orinocodeltas  besteht  aus  flachem,  dichtbewaldetem  Lande 
und  bietet  keine  markanten  Punkte,  welche  zur  Orientierung  dienen 
könnten.  Die  Wassertiefen  nehmen  schon  auf  Entfernungen  vom 
Lande,  auf  welchen  dieses  noch  gar  nicht  gesichtet  wird,  stark  ab, 
so  daß  für  Schiffe,  welche  an  dieser  Küste  zu  fahren  haben,  ein 
dauernder  Gebrauch  des  Lotes  durchaus  erforderlich  ist,  zumal  da 
man  hier  mit  beträchtlichen  Stromversetzungen  zu  rechnen  hat  Die 
Flußufer  an  der  Boca  Grande  sind  in  der  Nähe  der  Mündung  mit 
undurchdringlichem  Urwalde  bestanden,  welcher  nur  durch  die  vielen 
Flußarme  unterbrochen  wird.  Die  erste  Lichtung  ist  durch  das  Dorf 
Curiapo  gebildet,  welches  aus  einigen  wenigen  festen  Häusern,  sonst 
nur  aus  Indianerhütten  besteht.  Oberhalb  Curiapo  setzt  sich  der 
dichte  Urwald  bis  Imitaka  fort  In  der  Nähe  dieser  Insel  treten  die 
Ausläufer  der  Berge  von  Britisch-Guiana  bis  nahe  an  den  südlichsten 
Arm  des  Deltas  heran.  An  den  Bergen  bei  dem  Orte  Imataka  liegt 
eine  Eisenerzmine,  die  durch  einen  Arm,  der  für  3.8  m  (IV)  tief- 
gehende Schiffe  befahrbar  ist,  mit  dem  Boco  Grandearme  verbunden 


^)  American  Geologist  80.  p.  103. 

")  Annalen  der  Hydrographie  1908.  p.  169. 


Floase.  815 

ist  Hinter  Imataka  wird  der  Wald  etwas  lichter  als  unterhalb«  und 
die  Ufer  sind  stellenweise  mit  Zucker-  und  Bananenpfianzungen  be- 
baut. Die  Anwohner  sind  meist  Indianer,  welche  in  niedrigen  offenen 
Hütten  wohnen.  Die  nächste  größere  Ansiedlung  oberhalb  Ouriapo 
ist  Barancas,  ein  Ort  mit  festen  Steinhäusern,  aus  denen  sich  ein 
größeres,  die  Eirche,  abhebt  Zurzeit  ist  dort  ein  deutscher  Händler 
und  Pflanzer,  Namens  Lehmann,  ansässig.  Die  Ufer  haben  von  hier 
an  kein  urwaldartiges  Aussehen  mehr;  der  Wald  besteht  meist  aus 
hohem  Buschwerke  mit  vielen  weiten  Lichtungen  dazwischen.  Von 
Barrancas  ab  aufwärts  läuft  der  Fluß  zunächst  südwestlich  bis  an 
die  Bergkette,  welche  im  Süden  das  Delta  begrenzt,  und  welcher  er 
stromabwärts  in  Ost — ^Westrichtung  bis  Ciudad  BoUvar  folgt  Von 
der  Bergkette  treten  an  einigen  Stellen  Ausläufer  direkt  an  das  rechte, 
also  das  Südufer  des  Flusses  heran,  während  die  eigentliche  Kette 
mehr  oder  weniger  von  dem  Flußbette  zurückliegt  Das  linke,  d.  i. 
das  Nordufer,  ist  durchweg  flacher.  Dort  dehnt  sich,  etwa  70  m 
höher  als  das  Flußtal  liegend,  eine  weite  Ebene  (Savannah)  aus, 
deren  Abhänge  steil  abfallen,  aber  an  keiner  Stelle  bis  direkt  an 
das  Flußbett  herantreten.  Von  hohem  besonders  markanten  Bergen 
liegen  am  nödlichen  Ufer  nur  der  Sorondohügel  unterhalb  Guiana 
Vieja  und  der  Quarampahügel  oberhalb  Las  Tablas. 

Auf  einem  der  erwähnten  Ausläufer  der  Bergkette  am  Südufer 
liegt  der  Ort  Guiana  Vieja  mit  2  Forts.  Die  Hügel,  auf  denen  die 
Forts  liegen,  sind  nicht,  wie  auf  den  Karten  angegeben,  500  und 
300  Fuß  hoch,  sondern  nur  etwa  120,  bezw.  50  m  hoch.  Das  Fort 
auf  dem  hohem  Hügel  ist  ein  quadratisches  Mauerwerk,  über  welches 
einige  Häuser  hinwegragen,  mit  der  Hauptfront  nach  Nordost  Es 
schien  in  ziemlich  verwahrlostem  Zustande  zu  sein.  Das  Fort  auf 
dem  kleinem  Hügel,  mit  der  Hauptfront  nach  Norden,  war  anscheinend 
besser  erhalten.  Zwischen  beiden  Hügeln  liegt  die  Ortschaft,  von 
der  vom  Flusse  aus  jedoch  nur  einige  Lehmhäuser  und  Hütten  zu 
sehen  sind. 

Zwischen  Guiana  Vieja  und  Guidad  Bolivar  liegt  als  einziger 
größerer  Ort,  gleichfalls  am  Südufer,  Las  Tablas.  Derselbe  ist  an 
einer  Bucht  angelegt,  in  welcher  der  Strom  nicht  besonders  stark 
ist,  und  die  guten  Ankergrund  bietet  Der  Ort  besteht  aus  steinernen 
Wohnhäusem,  aus  denen  sich  die  Kirche  als  größeres  Gebäude  mit 
flachem  Dache  abhebt  Las  Tablas  ist  für  den  Verkehr  insofern 
von  Bedeutung,  als  von  hier  aus  eine  Verkehrsstraße  nach  den  Erz- 
und  Goldminen  im  Süden  des  Landes  führt 

Veränderungren  im  Laufe  des  Hilmend.  P.  M.  Sykes  gibt 
eine  Darstellung  der  Veränderungen  des  Hilmendbettes  und  der  diesen 
entsprechenden  Änderungen  in  den  Verhältnissen  der  Landschaft  Sistan. 
Das  teilweise  sehr  fmchtbare  Sistan  umfaßt  in  der  Hauptsache  das 
Delta  des  in  den  gleichnamigen  See  mündenden  Hilmendflusses ;  es 
wurde  durch  das  Auftrocknen  des  Sees  infolge  der  Volumenabnahme 


316  Flüsse. 

des  Flusses  und  vielleicht  auch  durch  die  Ausnutzung  des  Wassers 
für  Zwecke  der  Kultivierung  gebildet.  Im  Südosten  von  Sistan  liegt 
das  Gaud-i-Zirra,  eine  Bodenvertiefung,  die  durch  den  850  m  breiten 
und  mit  bis  zu  15  m  hohen  Rändern  eingefaßten  Schela  mit  dem 
See  in  Verbindung  steht.  Das  ganze  Gaud  ist  wenigstens  160  Ann 
lang  und  etwa  50  km  breit  und  scheint  das  alte  Flußbett  des  Hilmend 
zu  sein.  Heute  birgt  das  Gaud  nur  an  der  tiefsten  Stelle  einen 
Sumpf,  und  auch  im  Frühjahre  ist  noch  nicht  der  10.  Teil  seines 
Areals  mit  Wasser  bedeckt  Im  14.  Jahrhunderte  regulierte  ein 
östlich  des  heute  verlassenen  Hausdar  liegender  Damm,  der  Band- 
i-Rustam,  den  Hilmend  in  der  Weise,  daß  ein  tiefer  Kanal,  der 
Rud-i-Hausdar,  sich  nach  Westen  abzweigte  und  die  fruchtbare 
Ebene  von  Hausdar  bewässerte,  während  der  Hauptstrom  als  Rud- 
i-Nasru  nordwärts  floß,  vorbei  an  den  großen,  heute  verlassenen 
Städten  Schahristan  und  Sahidan.  Gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts 
zerstörte  Timur  den  Damm,  und  die  Hausdarebene  wurde  eine  wasser- 
lose Wüste ;  aber  auch  der  Hilmend  selbst  wurde  in  Mitleidenschaft 
gezogen,  und  er  schuf  sich  neben  dem  Rud-i-Nasru  weiter  nördlich 
einen  andern  nach  Westen  gehenden  Arm,  den  Rud-i-Sistan,  der 
das  bis  dahin  nicht  bewohnte  Gebiet  von  Sehkuha  bewässerte.  Bis 
zum  Beginne  des  19.  Jahrhunderts  scheinen  weitere  Änderungen  nicht 
stattgefunden  zu  haben;  dann  bildete  sich  das  Wasser  im  Osten 
des  Rud-i-Nasru  einen  neuen  Kanal,  den  von  Nad-i-Ali.  Dadurch 
drohte  der  unter  Kultur  stehende  Teil  trocken  zu  werden,  und  des- 
halb schnitt  man  mit  vieler  Mühe  den  Rud-i-Sistan  nördlich  von 
Sehkuha  ab.  1896  endlich  begann  der  Hilmend  auch  den  Nad-i- 
Ali-Kanal  zu  verlassen  und  sich  zwischen  ihm  und  dem  Rud-i-Nasru 
noch  ein  Bett  zu  eröffnen;  so  entstand  der  heute  als  Rud-i-Perian 
bekannte  Arm,  ein  schöner  wasserreicher  Fluß  nach  Sykes,  der  ihn 
1899  kreuzte.  Die  alten  Leute  von  Sistan  meinten  jedoch,  daß  der 
Hilmend  wohl  wieder  sich  dem  Rud-i-Nasru  zuwenden  würde,  und 
in  der  Tat  hörte  man  Anfang  November  v.  J.  von  Grenzstreitigkeiten 
zwischen  Persien  und  Afghanistan,  die  infolge  Veränderungen  im 
Flußbette  des  Hilmend  ausgebrochen  seien. ^) 

Seen  und  Moore. 
Ober  den  Untergrund  norddeutscher  Binnenseen  ver- 
breitete sich  Dr.  Jentzsch.*)  Derselbe  hatte  im  Sommer  1902  Ver- 
anlassung, mehrere  dieser  Seen  zu  untersuchen.  »Der  Untergrund 
ist  nicht  nur  in  den  verschiedenen  Seebecken  verschieden,  sondern 
wechselt  auch  innerhalb  fast  jedes  einzelnen  Sees  bedeutend.  Ähn- 
lich wie  beim  Meere  kann  man  auch  bei  Binnenseen  Zonen  unter- 
scheiden, welche  im  allgemeinen  (aber  nicht  immer)  durch  die  Wasser- 

')  Globus  88.  p.  52. 

>)  Zeitschr.  d.  deutsch,  geo).  Gesellschaft  &4.  p.  [144]. 


Seen  und  Moore.  317 

tiefe  und  die  Entfernung  vom  Ufer  bedingt  werden.  In  der  Anordnung 
dieser  Untergrundzonen  findet  sich  manche  Analogie  mit  den  Ver- 
hältnissen der  Meeresböden,  aber  auch  mancher  tiefgreifende  Unter- 
schied. In  der  Uferzone  fehlt  den  Binnenseen,  wie  Ebbe  und  Flut, 
so  in  der  Regel  auch  der  schnelle,  mit  der  Drehung  des  Windes 
umsetzende  Wechsel  der  Wasserstande,  die  tiefgreifende  Wirkung  der 
Wogen.  Die  für  den  Meeresstrand  und  die  Küstenzone  bezeichnenden 
Untergrundsformen  kehren  daher  an  den  Binnenseen  nur  in  stark 
verkleinertem  Maßstabe  wieder.  Dagegen  besitzen  die  Binnenseen 
fast  ringsum  dichten  Pflanzenwuchs,  welcher  das  Ufer  bekleidet,  als 
Schilf,  Rohr  oder  Binsen  die  flachem  Teile  des  Wassers  bis  zu 
2  oder  3  m  Tiefe  erfüllt  und  etwas  tiefer  oft  als  unterseeische,  teil- 
weise Schwimmblätter  emporsendende  Wiesen  von  Elodea,  Cerato- 
phyllum,  Myriophyllum,  Potamogeton,  Ohara  Nymphaea  usw.  große 
Flächen  einnimmt  Diese  Pflanzendecken,  welche  stellenweise  sehr 
dicht  werden,  liefern  naturgemäß  beim  Absterben  massenhafte  Pflanzen- 
trümmer, welche  den  Seeboden  zwischen  den  Pflanzen  und  in  der 
Nähe  der  Uferzone  erhöhen.  Sie  wirken  aber  auch  chemisch  auf 
die  Abscheidung  gewisser  Stoffe,  insbesondere  des  Ealkkarbonats, 
und  mechanisch  auf  den  Schutz  des  Ufers  vor  Abwaschung  und 
auf  die  Festhaltung  eingeschwemmter  Sinkstoffe  und  herbeigewehter 
Staubteilchen.  Noch  häufiger  als  bei  den  deutschen  Meeren  ist  die 
Wirkung  des  Eisschubes,  welche  an  manchen  Binnenseen  sehr  merk- 
lich wird. 

In  jedem  hinreichend  großen  und  tiefen  Binnensee  finden  wir 
in  der  Mitte  eine  weite,  offene  Wasserfläche,  deren  Boden  in  den 
großem  Tiefen  frei  von  hohem  Pflanzen  ist:  die  limnetische  Region. 
In  dieser  Region  setzt  sich  allerwärts  ein  feiner,  lockerer  Schlamm 
ab,  dessen  Herkunft  gemischt  ist  aus  den  herabgesunkenen  Leichen 
des  tierischen  und  pflanzlichen  Plankton,  Koniferenpollen,  Auswurfs- 
stoffen größerer  und  kleinerer  Tiere  und  sonstigem  organischem,  ein- 
gewehtem Staube,  feinsten  tonigen  Trübungen  und  chemischen  Nieder- 
schlägen, unter  denen  Schwefel-  und  Phosphoreisen  hervorzuheben 
sind.  Vom  Ufer  her  wird  dieser  Tiefenschlamm  allmählich  durch 
Torf,  Kalkschlamm  oder  mechanische  Sedimente  überdeckt.  Er  wird 
dann  in  seiner  typischen,  an  Organismen  reichen  Fazies  zu  Leber- 
torf, bei  reichlicherer  Beimengung  mineralischer  Stoffe  zu  Gyttja, 
während  er  in  seinen  Endgliedern  einerseits  in  Diatomeenerde,  anderer- 
seits in  Schwefeleisen  und  Seeerz  (Eisenoxydhydrat)  übergehen  kann, 
letzteres  natürlich  erst,  wenn  der  Sauerstoff  (z.  B.  durch  Trocken- 
legung des  Sees)  vermehrten  Zutritt  erhalten  hat  Sowohl  Lebertorf 
wie  Gyttja  enthalten  in  ihrer  organischen  Substanz  —  weil  reich 
an  Tierleichen  —  verhältnismäßig  mehr  Stickstoff  als  eigentlicher 
Torf.  Ein  großer  Teil  dieses  Stickstoffs  ist  aber  in  einer  außer- 
ordentlich widerstandsfähigen  Form  gebunden,  nämlich  als  Chitin  im 
Panzer  der  Gmstaceen. 


318  Seen  und  Moore. 

Da  in  der  limnetischen  Region  das  Plankton  allerorten  nieder- 
regnet,  so  muß  sein  feiner  Schlamm  dort  eine  zusammenhängende 
Decke  am  Seegrunde  bilden.  Trifft  inmitten  derselben  das  Lot  auf 
Grand  oder  auch  nur  auf  Sandboden,  so  folgt,  daß  an  den  betreffen- 
den Stellen  ein  mechanischer  Abtrag  vom  Boden  stattfindet,  daß  also 
dort  eine  Abrasionsfläche,  eine  verschwindende  Insel  oder  Untiefe 
vorliegt  Selbstredend  gilt  dieser  Schluß  nur  dort,  wo  keine  Mög- 
lichkeit dafür  vorliegt,  daß  Sand  vom  Ufer  nach  der  Mitte  des  Sees 
vorgeschoben  wird.  Letzteres  kann  stellenweise  in  schmalen  Streifen 
erfolgen,  da  an  den  Ufern  der  Binnenseen  die  Bildung  von  Haken 
(,, Kliffhaken*'  usw.)  durch  die  mit  den  Winden  auftretenden  Strömungen 
in  ähnlicher  Weise,  wenn  auch  kleinerm  Maßstabe,  wie  an  den  Meeres- 
küsten stattfindet.  Strömungen  sind  in  Binnenseen  —  obwohl  bisher 
gewöhnlich  übersehen  —  doch  weit  verbreitet  Sie  können  zeit- 
weilig zu  einem  Kreislaufe  des  Oberflächen  wassere  führen  und  sind  auf 
den  Absatz  der  Seesedimente,  wie  auf  die  Umgestaltung  der  Ufer  von 
Einfluß. 

Da  das  Plankton  der  Binnenseen  kalkarm  ist,  und  auch  kalk- 
schalige  Mollusken  in  den  Tiefen  nur  spärlich  vorkommen,  sind  kalk- 
reiche Seenabsätze  au  flacheres  Wasser  gebunden.  Untergetauchte 
Wiesen  von  Ohara  oder  von  Gefäßpflanzen  bewirken  teils  unmittel- 
bar, teils  mittelbar  (durch  die  Ernährung  zahlreicher  Mollusken)  die 
Anhäufung  von  Kalkkarbonat  Wo  solches  erst  reichlich  vorhanden, 
werden  (vermutlich  unter  gleichzeitiger  Bildung  von  Nitraten)  die 
abgestorbenen  Pflanzen-  und  Tierleiber  rasch  verzehrt,  und  es  kann 
zur  Anhäufung  fast  reiner  Kalklager  kommen,  die  somit  im  allgemeinen 
Absätze  aus  flachen  Gewässern  sind. 

Vom  Ufer  her  wächst  dagegen  ein  mit  Schilf  oder  andern  Mono- 
cotyledonen  dicht  bestandener  Pflanzenwald  nach  der  offenen  See- 
fläche vorwärts,  dessen  Absterben  zur  Torfbildung  führt,  die  als 
Endziel  den  ganzen  See  überwältigt  Dieser  als  „Schaar'*  bekannte 
Uferstreifen  neigt  sich  meist  sehr  allmählich,  um  am  Rande  plötzlich 
steiler  zur  Tiefe  abzusinken.  Dieser  oft  sehr  auffällige  Knick  des 
Bodenprofils  bezeichnet  somit  eine  natürliche,  mehr  oder  minder 
scharfe  Grenze  zweier  Regionen  des  Seeuntergrundes.  Gewöhnlich 
folgt  nach  der  Mitte  zu  zunächst  ein  Streifen,  in  welchem  der  Unter- 
grund aus  mazerierten  Pflanzentrümmem  besteht.  An  den  Schilftorf 
reihen  sich  andere,  aus  den  Moorforschungen  bekannte  und  hier  nicht 
näher  zu  schildernde  Torfarten  räumlich  und  zeitlich  an.  An  den 
Ufern  der  Binnenseen  finden  sich  teils  (vor  den  Kliffufem)  Abrasions- 
flächen, die  meist  als  grandiger  Sand  mit  eingestreuten  Blöcken  er- 
scheinen, teils  Aufschüttungsmassen.  Letztere  können  neben  den 
weit  verbreiteten  Torflagern  stellenweise  als  Muschelwälle  erscheinen, 
häufiger  als  sandige  Sedimente  verschiedener  Korngröße,  endlich  als 
Flugsand,  der  in  Gestalt  von  Dünenwällen  Föhrden  zu  Küstenseen 
abschnürt,    aber  auch  sonst  hin  und  wieder  an  Binnenseen  auftritt 


Seen  und  Moore.  319 

So  zeigt  jeder  einzelne  See  in  sich  eine  Reihe  verschiedener 
Untergrundzonen;  aber  je  nach  der  besondem  Ausbildungsweise,  dem 
Zurücktreten  oder  Überwiegen  einzelner  dieser  Zonen  erhalten  die 
verschiedenen  Seen  einen  z.  T.  völlig  verschiedenen  Charakter,  der 
auf  deren  Fauna  und  Flora,  wie  aui  ihre  Nutzbarkeit  zu  Fischerei, 
Pflanzenbau,  zu  hygienischen  und  technischen  Zwecken  zurückwirkt.« 

Der  Sehilllngsee  Im  Preußisehen  Oberlande  ist  von  G.  Braun 
ausgelotet  und  kartographisch  dargestellt  worden.^)  Er  bemerkt  hierzu: 
Der  Schillingsee  liegt  auf  der  Preußischen  Platte  in  der  Provinz 
Ostpreußen.  Sepezieller,  in  dem  das  »Oberland«  genannten  westlichen 
Teile  des  preußischen  Landrückens.  Er  gehört  hier  ursprünglich  dem 
Flußgebiete  der  Drewenz  an,  kann  aber  jetzt  mit  einer  Reihe  anderer 
Seen  dem  großem  Begriffe  »Gebiet  des  Oberländischen  Eanales« 
untergeordnet  werden.  Gemeinsam  ist  allen  diesen  Seen  eine  scharf 
ausgeprägte  NW-Richtung,  die  hier  noch  besser  hervortritt  als  in 
Masuren.  Gemeinsam  ist  allen,  daß  die  Wasserstände  durch  das 
Eingreifen  des  Menschen  reguliert  werden,  daß  also  Seiches  und 
ähnliche  Erscheinungen  höchstens  ganz  verwischt  zum  Ausdrucke 
gelangen.  Alle  diese  Seen  waren  bis  vor  kurzer  Zeit  hinsichtlich 
ihrer  Tiefenverhältnisse  gänzlich  unbekannt.  Da  war  es  dem  Verf. 
vergönnt,  ein  reiches  handschriftliches  Material  zu  benutzen,  das  sich 
im  Besitze  des  ostpreußischen  Fischereivereins  vorfand.  Zu  gleicher 
Zeit  erhielt  er  auch  von  der  Kanalbauverwaltung  in  Zölp  eine  Reihe 
von  Tiefenkarten.  Nachlotungen  ergaben  die  nötigen  Korrekturen, 
und  so  ist  unsere  Kenntnis  jetzt  weit  gesicherter  als  im  Sommer  1902, 
zu  welcher  Zeit  Verf.  das  »Verzeichnis  der  Ostpreußischen  Seen  bis 
0.50  qkm€  (Beil.  z.  Nr.  8  d.  Ber.  d.  Fischereiver.  f.  d.  Prov.  Ostpreußen 
1902/08)  zusammenstellte.  Die  Seen  im  Gebiete  des  Oberländischen 
Kanales  können  wir  jetzt  nach  ihren  Tiefenverhältnissen  in  zwei  große 
Gruppen  teilen,  welche  östlich  und  westlich  in  einer  Linie  liegen, 
deren  Verlauf  etwa  durch  die  Orte  Liebemühl  —  Groß-Samrodt  und 
in  nördlicher  Verlängerung  Preußisch  Holland  bezeichnet  ist.  Die 
Seen  östlich  dieser  Linie  sind  im  allgemeinen  tief  mit  sehr  deutlicher 
Rinnenform,  die  westlichen  sind  flach,  und  runde  Formen  herrschen 
vor.  Parallel  im  0,  aber  nicht  mehr  in  Verbindung  mit  dem 
Oberländischen  Kanäle  zieht  sich  eine  8.  Seenreihe  hin.  Genauer 
bekannt  sind  von  ihr  nur  das  nördlichste  und  südlichste  Glied:  der 
Nariensee  mit  50  m  und  der  kleine  Langguthersee  mit  25  m  Maximal- 
tiefe. Von  den  übrigen  wird  eine  gleichfalls  sehr  beträchtliche  Tiefe 
angegeben. 

Das  Seengebiet  des  nordwestllohen  Rußland  behandelt 
auf  Grund  russischer  Quellen  S.  Tschulok, ")  und  zwar  die  Seen  der 
4  Provinzen  Petersburg,  Pskow,  Nowgorod   und  Olonetz.     Die  Seen 

^)  Petermanns  Mittelungen  1908.  p.  64. 
<)  Hettners  Geogr.  Ztsohr.  190a  p.  266. 


320  Seen  und  Moore. 

sind  nicht  gleichmäßig  über  dieses  Gebiet  verteilt;  die  meisten  ge- 
hören dem  Nordwesten  an:  im  Gouvernement  Olonetz  zahlt  man  bis 
zu  2000  Seen,  die  im  ganzen  etwa  19^0  ^^^  Areals  einnehmen, 
darunter  auch  die  beiden  größten  Süßwasserbecken  Europas,  der 
Ladoga-  und  der  Onegasee.  Die  Seen  stellen  bald  unregelmäßig 
begrenzte,  gelappte,  weite  und  flache  Mulden,  bald  schmale  lange 
Furchen,  bald  runde  kesselartige  Vertiefungen  dar.  Die  Grundzüge 
der  Hydrographie  des  Gebietes  sind  folgende.  Der  Norden,  das 
Gebiet  der  kristallinischen  Gesteine,  erhält  durch  die  zahlreichen 
Seen,  Flüsse,  Wasserfälle  und  Stromschnellen  ein  ganz  eigenartiges 
Gepräge.  Hier  ist  alles  Wasser ;  das  allbeherrschende  flüssige  Element 
drängt  sich  auf  Schritt  und  Tritt  in  seiner  ganzen  Machtfülle  dem 
Bewußtsein  der  Bewohner  auf  und  ruft  begreiflicherweise  sehr  be- 
zeichnende Vorstellungen  über  das  Wasser  als  den  Ursprung  aller 
Dinge  der  Welt  hervor. 

Mächtige  Felsen  und  kleine  Blöcke  ragen  überall  aus  dem 
Wasserspiegel  der  Seen  heraus.  In  einem  See,  dem  »Eontschesero«, 
soll  man  so  viele  vereinzelte  Felseninseln  zählen,  als  es  Tage  im 
Jahre  gibt;  dabei  liegen  alle  mit  ihrer  Längsachse  den  Seeufem 
parallel,  nur  eine  legt  sich  querüber,  weshalb  sie  die  » Dumme  c  ge- 
nannt wird. 

Unter  allen  diesen  Seen  ist  der  Onega  am  größten.  Bei  9751  qkm 
Oberfläche  erreicht  er  die  größte  Länge  von  220  und  die  größte 
Breite  von  75  Werst  Seine  mittlere  Tiefe  beträgt  etwa  160  «h,  die 
maximale  geht  bis  400  m.  Mit  seiner  südlichen  Hälfte  ragt  er  in 
das  Gebiet  des  Devonkalkes  hinein  und  berührt  ein  Gebiet,  dessen 
Hydrographie  einen  ganz  andern  Charakter  hat. 

Von  Südosten  her  ragen  in  das  Gebiet  die  von  zahlreichen 
Nebenflüssen  und  Seen  gespeisten  und  ruhig  dahinfließenden  Ober- 
und  Mittelläufe  zweier  Wolganebenflüsse,  der  Scheksna  und  Mologa, 
herein.  Der  von  Südosten  in  den  Onegasee  mündende  Wytegrafluß 
teilt  sein  Quellgebiet  mit  der  Kowscha,  und  hier  wurden  sie  durch 
einen  Kanal  verbunden.  Die  Kowscha  fließt  daim  fast  genau  in 
N — S-Richtung  dem  Bjeloosero  (Weißen  See)  zu,  aus  dem  dann  die 
Scheksna  austritt,  um  sich  bei  Rybinsk,  dieser  wichtigsten  Handels- 
stadt des  Wolgaoberlaufes,  in  diesen  mächtigen  Strom  zu  ergießen. 
Dies  ist  das  >Marienkanalsystem€,  der  hochwichtige  Verbindungsweg 
zwischen  dem  Wolga-  und  Kaspisysteme  einerseits  und  dem  Finnischen 
Busen  andererseits.  Denn  aus  dem  Onega  führt  der  Swirfluß  zum 
Ladoga,  und  von  da  die  Newa  nach  Petersburg.  Alle  3  Seen  stehen 
aber  nicht  direkt  im  Dienste  des  Verkehres,  sondern  werden  auf 
großartigen  Kanälen  in  weiten  Bögen  umfahren. 

Der  Onegasee  wird  im  Süden  von  einer  Gruppe  kleiner  Seen 
umkränzt,  welche  durch  eine  Menge  interessanter  Erscheinungen  die 
geologische  Natur  ihrer  Unterlage  verraten.  Bald  wird  der  eine, 
bald  der   andere   See  trockengelegt,    um   sich    in   den  Weißen   oder 


Seen  und  Moore.  321 

in  den  Onegasee  zu  ergießen  durch  einen  unterirdischen  Kanal,  dessen 
Verlauf  durch  eine  Reihe  von  Einsturztrichtem  markiert  wird;  bald 
tritt  ein  sonst  harmloses  FlüBchen,  von  unterirdischen  Zuflüssen  ge- 
speist, mit  verheerender  Kraft  aus  seinem  Bette  heraus.  Von  zwei 
dicht  nebeneinander  liegenden  Seen  ist  der  eine  dem  Weißen,  der 
andere  dem  Onegasee  tributar,  je  nach  dem  Verlaufe  seines  unter- 
irdischen Abflußkanales  (wir  befinden  uns  hier  auf  der  Wasserscheide 
zwischen  dem  Kaspi-  und  dem  Ostseebecken).  Noch  mag  kurz  er- 
wähnt werden,  daß  im  äußersten  NO  (Kreis  Kargopol)  der  zum 
Flußsysteme  des  Weißen  Meeres  gehörende  Onegastrom  in  unserm 
Gebiete  seinen  Anfang  nimmt;  an  seinen  Oberlauf  schließen  sich 
südlich  2  Seen  an,  der  Latscha-  und  der  Woschesee,  von  denen 
kleinere  Wasseradern  einerseits  zum  Weißen,  anderseits  zum  Kubinskoje- 
see  führen.  Dieser  letztere,  der  Suchona  und  weiterhin  der  Dwina 
und  dem  Weißen  Meere  tributär,  ist  seinerseits  mit  dem  Mittellaufe 
der  Scheksna  durch  einen  Kanal  (bei  Kirilow)  verbunden. 

Neben  dem  Marienkanalsysteme  besteht  noch  eine  zweite  kürzere 
Verbindung  zwischen  dem  Wolgabecken  und  dem  Finnischen  Busen, 
das  sogen.  Tichwinsche  Kanalsystem.  Aus  der  oben  erwähnten 
Mologa  gelangen  wir  in  deren  Nebenfluß,  die  Tschagodoschtscha, 
dann  in  die  Ssomina;  diese  ist  durch  den  Tichwinschen  Kanal  mit 
der  Tichwina  verbunden,  welche  durch  den  Ssjaßfluß  in  den  Ladoga- 
see mündet. 

Die  Tichwinsche  Wasserstraße  bildet  die  Grenze  zwischen  der 
nordöstlichen  und  der  südwestlichen  Hälfte  des  Seengebietes.  Während 
die  Hydrographie  des  nördlichen  Drittels  des  Gebietes  durch  den 
Seenreichtum  und  die  kristallinische  Unterlage  einen  besondem 
Charakter  gewinnt,  während  die  zentrale  Partie  durch  die  mehr  ver- 
bindende als  trennende  Wasserscheide  zwischen  dem  Wolga-  und 
dem  Newabecken  beherrscht  wird,  bildet  das  dritte  südwestliche 
Drittel  die  Durchgangspforte  der  Gewässer,  die  vom  zentralrussischen 
Plateau  herunterkommen  und  zum  finnischen  Busen  hin  ihren  Lauf 
nehmen.  Kein  Wunder,  daß  dies  Durchgangsland,  der  große  Now- 
gorod, schon  frühe  seine  Selbständigkeit  aufgeben  und  sich  dem  all- 
gemach erstarkten,  nach  dem  Meere  hin  drängenden  moskowischen 
Staatswesen  fügen  mußte.  Bei  Betrachtung  einer  Karte  fällt  uns 
sofort  der  Ilmensee  als  der  Sammelpunkt  aller  vom  zentralrussischen 
Plateau  herabkommenden  Wasseradern  auf.  Msta,  Pola,  Lowatj,  Polista, 
Schelon  —  alle  diese  Gewässer  treten  dann  durch  den  Wolchowfluß 
aus  dem  Ilmensee  aus,  um  sich  nach  einem  Wege  von  etwa  115  Am 
in  gerader  Richtung  in  den  Ladogasee  zu  ergießen.  Hier  am  Aus- 
fluß des  Wolchow  liegt  die  einst  so  wichtige  Handelsstadt  Nowgorod, 
die  im  Mittelalter  als  Vermittler  der  Handelsbeziehungen  zwischen 
dem  Osten  und  Westen  eine  so  große  Bedeutung  erlangt  hatte. 

An  der  Westgrenze  des  Gebietes  liegen  zwei  miteinander  ver- 
bundene Seen,  der  Pskowische  See  und  der  Peipussee.    Der  Wjelikaja- 

Klein,  Jahrbuch  XIV.  21 


322  Seen  und  Moore. 

fluß  (große  Fluß)  führt  dem  Pskowischen  See  die  vom  Witebsk- 
Newelschen  Plateau  herabkommenden  Gewässer  zu ;  entwässert  wird 
der  Doppelsee  durch  die  in  den  finnischen  Meerbusen  mändende 
Narowa.  In  ihrer  Nähe  ergießt  sich  selbständig  ins  Meer  der  Luga- 
fluß,  der  das  ganze  Gouvernement  Petersburg  in  der  Richtung  SO — ^NW 
durchschneidet. 

Im  Norden  wird  dieses  westliche,  weitaus  wichtigste  Drittel  des 
Crebietes  von  mächtigen  Wasserbecken  begrenzt.  Der  Ladogasee, 
mit  mehr  als  18000  qkm  Oberfläche,  das  größte  Süßwasserbecken 
Europas,  nimmt  im  Osten  die  vom  Onega  herkommende  Swir,  im 
Süden  die  bereits  erwähnten  Flüsse  Ssjaß  und  Wolchow  auf  und 
wird  von  der  nur  75  A:m  langen,  aber  außerordentlich  wasserreichen 
(über  100000  Eubikfufl  in  der  Sekunde)  Newa  entwässert.  Er  wird 
im  Süden  von  flachen,  aus  Sand,  Lehm  und  Eies  bestehenden,  un- 
bewaldeten, im  Norden  dagegen  von  steilen,  felsigen,  bewaldeten 
Ufern  begleitet;  seine  Tiefe  ist  im  Süden  unbedeutend,  nimmt  aber 
nach  Norden  fortwährend  zu,  um  westlich  von  den  Walaamsinseln 
265  in  zu  erreichen;  die  mittlere  Tiefe  wird  auf  etwa  110  m  ge- 
schätzt, was  ein  Wasserquantum  ergibt  24  mal  so  groß  wie  das 
des  Genfer  Sees.  Die  Wasserstandsschwankungen  erreichen  den 
Betrag  von  7,8  m.  Die  ganze  Wassermasse  befindet  sich  in  einer 
Bewegung :  den  östlichen  Ufern  entlang  nach  Norden,  am  westlichen 
nach  Süden. 

Der  Karabogrhazbusen  des  Kaspisees  ist  neuerdings  durch 
eine  russische  Expedition  erforscht  worden,  und  A.  Woeikof  gibt  von 
deren  Ergebnissen  einen  übersichtlichen  Bericht.^)  Jener  merkwürdige 
Busen  des  Kaspi,  nur  durch  eine  enge  und  seichte  Straße  mit  dem 
Hauptkörper  des  Sees  verbunden,  beschäftigte  schon  lange  die  Phan- 
tasie der  Völker  und  die  Gelehrten.  Bis  zu  der  Expedition  des 
Jahres  1897  war  nur  ein  Schiff  dort  (1847  Leutn.  Scherebzow),  und 
zwar  gar  nicht  ausgerüstet  für  wissenschaftliche  Forschungen«  Die 
Karaboghazenge  (oder  -straße)  hat  beständig,  außer  bei  starken 
£- Winden,  eine  Strömung  vom  W,  d.  h.  das  Wasser  fließt  vom  Kapsi 
in  den  Earaboghaz,  wo  es  verdunstet.  Eine  Rücksirömung  schweren 
salzhaltigen  Wassers,  wie  im  Bosporus,  den  Dardanellen,  der  Straße 
von  Gibraltar  und  Bab-el-Mandeb  gibt  es  nicht,  wegen  der  Seichtig- 
keit  der  Straße.  Sorgfältige  Messungen  der  Tiefe  und  der  Strom* 
stärke  in  der  Straße  gaben  folgende  Resultate:  Sektion  1159^^. 
Geschwindigkeit  0.559  m  p.  s.,  Menge  des  durchfließenden  Wassers 
645  d>m  p.  s. 

In  den  Wintermonaten  fand  Maximowicz  im  Mittel  eine  Ge- 
schwindigkeit 0.423  m  p.  s.;  Spindler  nimmt  seine  Beobachtungen  als 
für  das  ganze  Sommer-  und  diejenigen  von  Maximowicz  als  für  das 


^)  Meteorol.  Zeitschr.  1908  p.  54. 


Seen  und  Moore.  823 

ganze  Winterhalbjahr  geltend  und  findet  somit,  da£  durch  die  Strafte 

folgende  Wassermasse  fließt: 

Sommerhalbjahr 10263  dm 

Winterhalbjahr 7668     „ 

Jahr .     .     .   17930  cbm 

Die  Oberfläche  des  Busens  ist  18  346  qkm  (also  ungefähr  so 
groft  wie  der  Ladoga,  der  größte  Süßwassersee  Europas),  das  würde 
also  im  Jahre  0.98  m  oder  in  runder  Zahl  1  m  auf  die  Oberfläche 
des  Busens  geben.  Ist  das  Wassemiveau  konstant,  so  muß  also 
ebensoviel  im  Jahre  verdunsten.  Das  würde  also  dieselbe  Ver- 
dunstung geben,  wie  von  Woeikof  für  den  Easpi  berechnet  ist. 
Die  Evaporationskraft  in  den  Verhältnissen  des  Earaboghaz  muß 
größer  sein,  als  für  den  Easpi,  wenn  trotzdem  die  Verdunstung  nur 
ebenso  groß  ist,  so  wird  diese  durch  den  großen  Salzgehalt  des 
Earaboghazwassers   erklärt.     (Etwa    16%.) 

Der  Earaboghaz  ist  nicht  eine  Salzpfanne  in  Hinsicht  des  NaCl, 
wie  man  früher  glaubte.  Dieses  Salz  findet  sich  nicht  als  Boden- 
satz, sondern  Gips  (GaSO^)  und  Glaubersalz  (Na^SO^).  Das  Wasser 
des  Easpi  enthält  weniger  NaGl  als  das  Wasser  des  Ozeans  (selbst 
im  Rest  des  Salzes),  und  selbst  auf  20^0  konzentriert,  würde  das 
Easpiwasser  nur  15%  NaGl  enthalten,  während  die  Löslichkeit  dieses 
Salzes  im  Wasser  26.7  bei  25  <>  und  26.3  bei  0^^  ist.  Das  Glauber- 
salz wird,  nach  Lebedinzew,  durch  doppelte  Zersetzung  von  NaCl 
und  MgSO^  gebildet 

Die  Zusammensetzimg  der  Salzlauge  des  Earaboghaz  gibt  im 
Liter  wiegend  1.1360^,  186^  Salze  und  in  100  2  Wasser  5.71% 
NajSO^  +  10  H,0  oder  2.51%  Na^SO^  und  19.6%  andere  Salze. 

Im  Winter  muß  eine  Ausscheidung  von  Glaubersalz  stattfinden, 
und  das  Wasser  des  Earaboghaz  ist  durch  Eonzentration  des  Easpi- 
wassers  auf  ^/^^  durch  Verdunstung  entstanden,  dann  durch  Aus- 
scheidung von  Gips  und  nach  doppelter  Reaktion  zwischen  NaGl  und 
MgSO^  auch  von  Glaubersalz. 

Es  ergibt  sich  femer,  daß  der  bis  jetzt  als  typisch  geltende 
Vorgang  des  Absatzes  von  Salzlösungen,  wobei  der  Earaboghaz 
immer  zitiert  wurde,  irrtümlich  ist  —  es  sind  Hypothesen  ohne 
sichere  Grundlagen.  Nur  eins  ist  an  diesen  Meinungen  richtig,  daß 
der  Earaboghaz  eine  Masse  Salze  aus  dem  Easpi  aufnimmt;  dies  ist 
schon  von  Baer  in  seinen  »Easpischen  Studien  c  behauptet  worden. 
Die  jetzt  gesammelten  Tatsachen  zeigen,  daß  der  Earaboghaz  den 
Salzgehalt  des  Easpi  um  0.000  89%  jährlich  oder  um  1%  in 
2564  Jahren  erniedrigt 

Es  ist  schon  wiederholt  der  Plan  eines  Dammes  in  der  Straße 
von  Earaboghaz  ventiliert  worden,  um  dem  Verluste  des  Wassers 
durch  Verdunstung  im  Busen  vorzubeugen,  und  eine  der  Aufgaben 
<ler  Expedition  von  1897  war,   ein   Gutachten  über   diese   Projekte 

21» 


324  Seen  und  Moore. 

auszusprechen.  Das  Resultat  ist  negativ;  die  Steigung  des  Wassers 
des  Easpi  wäre  nur  unbedeutend,  die  Verwertung  der  enormen  Ab- 
lagerungen eines  für  viele  Industrien  so  notwendigen  Salzes  wie 
Na^SO^  würde  sehr  erschwert  werden;  jetzt  sind  sie  zu  Schiffe  sehr 
zuganglich. 

Woeikof  gibt  noch  einige  Zahlen.  Die  Wassermasse  des  Kara- 
boghaz  ist  188  465  000  000  dm  und  enthält  ungefähr  84  178  000  000 
Metertonnen  Salze.  Aus  dem  Kaspi  fließen  jährlich  ein  83  257  Mill. 
Kubikmeter,  welche  428  000 000  Metertonnen  Salze  enthalten;  sie  also 
vermehren  den  Salzgehalt  des  Earaboghaz  um  1.25^/0  jährlich  und 
100%  ui  80  Jahren,  im  Falle  keine  Salze  ausgeschieden  würden. 
Lebedinzew  berechnet  ferner,  daß,  wenn  die  Verhältnisse  so  bleiben 
wie  jetzt,  nach  200  Jahren  die  Konzentration  des  Wassers  des  Kara- 
boghaz  so  zunehmen  wird,  daß  eine  Ausscheidung  von  NaCl  beginntt 
später  auch  von  KCl,  also  ein  russisches  Staßfurt  in  großem  Bfaß- 
Stabe.  Er  findet,  daß  im  großen  und  ganzen  der  Karaboghaz  günstig 
auf  den  Kaspi  wirkt  Schon  jetzt  nimmt  das  organische  Leben  nach 
der  Tiefe  ab.  Würde  keine  Ablagerung  der  Salze  nach  dem  Kara- 
boghaz stattfinden,  so  würde  die  vertikale  Zirkulation  der  Gewässer 
noch  schwächer  werden  als  jetzt,  die  Menge  Sauerstoff  abnehmen, 
die  schon  jetzt  vorhandenen  Bakterien  würden  die  schwefelsauren 
Salze  zersetzen  und  Schwefelwasserstoff  bilden,  welcher  sich  bei 
Mangel  an  Sauerstoff  ansammelt,  bis  das  Leben  schon  in  einer  kleinen 
Tiefe  unmöglich  würde,  wie  schon  jetzt  im  Schwarzen  Meere  von 
100  Faden  (188  m)  an. 

Der  Aralsee  ist  auf  Veranlassung  der  Königl.  Russ.  geogr. 
Gesellschaft  in  den  Jahren  1900 — 1902  von  L.  Berg  erforscht  worden. 
Die  Ergebnisse  dieser  Untersuchungen  sind  in  einer  Anzahl  russisch  ge- 
schriebener Abhandlungen  des  Genannten  niedergelegt  Dr.  M.Friederichsen 
gibt  davon  einen  übersichtlichen  Auszug,^)  dem  das  Nachfolgende 
entnommen  ist:  Der  Aralsee  liegt  zwischen  43^80'  und  46^51' 
nördL  Br.  und  58<>18'  und  61«  56'  östl.  L.  v.  Gr.  Sein  Areal  beträgt 
nach  Berg  ungefähr  67  962  qkm.  Er  nimmt  also  unter  den  großen 
Binnenseen  der  Erde  die  dritte  Stelle  ein  (hinter  dem  Kaspisee  mit 
486  846  qkm  und  dem  Obern  See  Nordamerikas  mit  80  800  qkm). 
Sein  Spiegel  liegt  nach  dem  genauen  Nivellement  Tillos  aus  dem 
Jahre  1874  48  m  über  dem  Meeresspiegel. 

Das  Wort  Aralmeer  bedeutet  »Inselmeer«.  Die  größte  dieser 
Inseln,  Kug-aral,  liegt  vor  der  Nordküste;  kleiner  ist  die  Insel 
Nikolaus  I.  in  dem  mittlem  Teile  des  Sees.  Die  Oberfläche  aller 
Inseln   zusammen  beträgt  aber  nur  2.8  «/^  des  gesamten  Seeareales. 

Die  größte  Tiefe  des  Sees  (68  m)  liegt  im  Westen  unmittelbar 
an  der  Küste,  während  die  mittlere  Tiefe  nur  15  m  beträgt  Im 
zentralen  Teile  des  Sees  herrschen  Tiefen  von  20 — 30  m.    Die  west- 

^)  Petermanns  Mitteilungen  1908.  p.  120. 


Seen  und  Moore.  325 

liehen  und  nördlichen  Ufer  sind  steil,  und  hier  finden  sich  bereits 
wenige  Werst  vom  Strande  Tiefen  von  20 — 30  tti,  dagegen  sind  die 
westlichen  und  südlichen  Gestade  niedrig  und  sandig,  und  die 
10  m-Isobathe  verläuft  hier  oft  bis  63  Am  weit  von  der  Küste. 

Die  Nordufer  des  Sees  werden  durch  die  4  Halbinseln:  Eulandy, 
Kara-tübe,  Tschubar  und  Kuk-tschemak  in  5  Buchten  zerteilt.  In 
das  Arahneer  münden  die  2  Binnenströme  Amu-daija  (mit  2512  km 
Lauflänge)  und  Syr-darja  (mit  2863  km  Lauflänge). 

Die  Gestaltung  der  Ufer  ist  folgende: 

1.  Im  Westen  werden  die  Ufer  von  dem  niedrigen  Ust-Urtplateau 
gebildet,  welches  sich  aus  den  horizontalen  sarmatischen  Schichten 
aufbaut  und  steil  zum  Aralsee  als  echtes  Schichtungstafelland  ab- 
bricht. 

2.  Im  Süden  und  Nordosten  bestehen  die  Seeufer  aus  den  Delta- 
AUuvionen  des  Amu-  und  Syr-darja  (Stromflachland). 

3.  Im  Osten  ercheint  an  den  Seeufem  Lehm-  und  Sandwüste. 
Die   Spiegelschwankungen   des   Aralsees   sind   im    wesentlichen 

abhängig  von  den  folgenden  Hauptursachen: 

1.  Dem  Schlammtransporte  der  Flüsse  (Amu-  und  Syr-darja)  in 
den  See,  durch  welchen  das  Seebecken  einer  allmählichen  Ausfüllung 
entgegengeht.  Nach  Bergs  Berechnung  machen  die  Sinkstoffe  des 
Amu-darja  in  2200  Jahren  das  Aralseeniveau  um  1  m  steigen.  Bei 
dieser  Berechnung  ist  der  Syr-darja  unberücksichtigt  geblieben.  Das 
uns  gut  bekannte  Wachsen  seines  Deltas  läßt  auf  eine  dem  Amu- 
darja analoge  bedeutende  Schlammführung  schließen. 

2.  Den  periodischen  Schwankungen  in  der  Menge  des  zugeführten 
Flußwassers.  Denn  Syr-  und  Amu-darja  bringen  im  Mai,  Juni  und 
Juli  das  meiste  Wasser  zum  See,  dagegen  Ende  des  Winters  und 
im  Anfange  des  Frühjahres  das  wenigste. 

3.  Dem  jährlichen  Gange  von  Verdunstung  und  Niederschlag. 
Nach  den  Beobachtungen  in  Kasalinsk  fällt  das  Maximum  der  Nieder- 
schläge  mit   202  m/m  im  Juli,    das  Minimum  mit  2  mm  im  Januar. 

4.  Den  Klimaschwankungen.  Entgegen  den  altem  Angaben 
von  Butakow  und  Makschejew,  Sjewerzow,  Schulze  u.  a.,  welche 
stets  von  einem  Sinken  des  Aralseespiegels  berichteten,  konstatiert 
Berg  in  neuester  Zeit  deutliche  Anzeichen  eines  Ansteigens.  Viele 
Inseln,  welche  auf  Butakows  Karte  1848 — 1849  noch  mit  dem  Lande 
in  Zusammenhang  waren,  sind  jetzt  völlig  vom  Ufer  getrennt  Im 
Jahre  1874  hatte  General  Tillo  am  Nordwestufer  eine  Marke  4.5  m 
über  dem  Seespiegel  angebracht  Ein  von  Berg  dort  vorgenommenes 
Nivellement  am  30.  Juli  1901  ergab,  daß  sich  der  Seespiegel  seitdem 
1.21  m  gehoben  hatte.  Diese  Erscheinung  ist  indessen  am  Aralsee 
nicht  eine  lokale,  sondern  wurde  von  Berg  und  Ignatow  auch  an 
andern  Binnenseen,  z.  B.  im  Gouvernement  Omsk,  für  1900  nach- 
gewiesen. Für  den  Aralsee  begann  diese  Periode  anscheinend  1880  und 
steht  nach  Berg  einer  Periode  der  Austrocknung  in  den  Jahren  1850 


326  Seen  und  Moore. 

bis  1880  gegenüber.  Die  Erscheinungen  harmonieren  mit  den  Brückner* 
sehen  Klimaperioden. 

Eine  merkwürdige  Eigentümlichkeit  des  Aralsees  ist  sein  geringer 
Salzgehalt  Nach  Bergs  Bestimmungen  im  Jahre  1900  enthalten  100 
Teile  Seewasser  nur  1.05  ^/^  Salz.  Dementsprechend  ist  das  mittlere 
spezifische  Gewicht  des  Aralseewassers  1.0080. 

In  bezug  auf  die  Verteilung  der  Temperatur  im  Wasser  herrscht 
beim  Aralsee  eine  ähnliche  Schichtung,  wie  bei  allen  Süßwasserseen. 
Die  Oberflächentemperatur  des  Wassers  schwankt  von  BAai  bis  Sep- 
tember zwischen  7  und  27^  C.  Das  Maximum  auf  dem  offenen 
See  beobachtete  Berg  Mitte  Juli  mit  26.8®.  Die  mittlere  Oberflächen- 
temperatur für  Juli  beträgt  23.8. 

Das  Charakteristische  der  Temperaturverteilung  in  den  ver- 
schiedenen Tiefen  ist  aber  das  Auftreten  einer  sehr  deutlichen  Sprung- 
schicht Nach  einer  Mitte  Juli  1900  am  Westufer  des  Sees  um 
S^t^  a.  m.  gemessenen  Temperaturreihe  herrschte  in  9  m  22.2®  C. 
während  bereits  1  m  tiefer,  in  10  m,  die  Temperatur  auf  14®  ge- 
sunken war. 

Nahe  den  Ufern  ist  der  Grund  des  Sees  überall  sandig,  weiterhin 
aber  schlammig.  Die  Grenze  zwischen  beiden  Bodenarten  bildet  unge- 
fähr die  10  ii»-Isobathe.  Nahe  den  Flußmündungen  hat  dieser  Schlamm 
eine  graugelbe  Farbe,  weiter  hinaus  eine  grauschwarze.  In  den 
größten  Tiefen  (40 — 68  m)  findet  sich  ein  sehr  zäher,  blauschwaner 
Schlamm. 

Der  Tschadsee  ist,  soweit  seine  Küste  in  französischem  Besitze 
ist,  von  französischen  Offizieren  erforscht  worden.  Destenave  gibt 
hiemach  eine  Schilderung  desselben.^)  Der  See  hat  näherungsweise 
die  Gestalt  eines  Dreieckes,  dessen  Grundlinie  ungefähr  170  km,  und 
dessen  Höhe  ISO  km  beträgt,  und  bedeckt  eine  Fläche  von  annähernd 
20  000  qkm.  Er  ist  in  einer  Wanderung  nach  Westen  begriffen, 
deshalb  ist  der  seichten  Ostküste  von  Eanem  ein  dichter  Inselkranz 
vorgelagert,  und  die  Tiefe  des  Sees  überschreitet  in  seiner  östlichen 
Hälfte  nicht  5 — 6  m,  beträgt  vielmehr  meistens  nur  1 — 1,5  m;  die 
westliche  Hälfte  ist  10 — 12  m  tief,  an  der  Westküste  gibt  es  nur 
einige  flache  und  sumpfige  Inseln.  An  der  Südostküste  bei  Hadjer- 
el-Hamis  hat  sich  der  See  in  den  letzten  10  Jahren  um  ungefähr 
1  km  vom  Ufer  zurückgezogen.  Wegen  der  fortschreitenden  Ver- 
landung  und  der  damit  eintretenden  Verödung  ist  das  Küstenland 
Eanem  fast  ganz  von  seinen  Bewohnern  verlassen,  die  mit  ihren 
zahlreichen  Rinderherden  auf  den  sich  vor  der  Küste  bildenden 
Inselgürtel  übergegangen  sind.  Von  den  Inseln  sind  nur  die  hohem, 
16 — 20  m  aus  dem  Wasser  hervorragenden,  bewohnt  Auf  ungefähr 
80  solcher  Inseln  wohnen  50  000  Menschen  mit  70 — 80  000  Rindern, 
welche  sie  auf  den  niedrigem  Inseln  weiden  lassen;  die  niedrigsten 


^)  La  Geographie  1908  p.  421.  Hettners  Geogr.  Ztschr.  1903.  p.  470. 


Seen  und  Moore.  327 

Inseln  ragen  kaum  über  den  Wasserspiegel  empor  und  werden  von 
den  Inselbewohnern  nicht  benutzt  Die  Bewohner  der  hohem  süd- 
lichen Inseln  sind  seßhaft,  sie  beschäftigen  sich  außer  mit  Viehzucht 
mit  Hirse-  und  Baumwollbau,  deren  Produkte  sie  nach  Eanem  ver- 
kaufen. Die  Bewohner  der  niedrigem  nördlichen  Insehi  sind  nomadi- 
sierende Viehzüchter,  die  mit  ihren  Herden  schwimmend  von  Insel 
zu  Insel  ziehen.  Je  nach  der  Wassermenge,  die  der  Schari  dem 
See  zuführt,  verändert  sich  sein  Niveau;  im  Dezember  erreicht  der 
See  seinen  höchsten  Stand,  der  das  gewöhnliche  Niveau  bis  120  cm 
übersteigt;  dann  fällen  sich  die  Strandseen  mit  Wasser,  das  zur 
Sommerszeit  verdunstet  und  eine  Salzkmste  zurückläßt,  die  von  den 
Eingeborenen  gesammelt  wird.  Der  See  ist  ziemlich  fischreich,  die 
Inselbewohner  liegen  jedoch  nur  vereinzelt  dem  Fischfange  ob. 

Die  Seen  in  Tibet  schilderte  auf  Grund  seiner  Forschungen 
an  Ort  und  Stelle  Dr.  Sven  v.  Hedin.  ^)  Auf  seiner  Reise  im  Jahre  1896 
entdeckte  er  im  ersten  großen  Längentale  südlich  des  Arka-tag 
23  Seen.  Fast  jeder  von  diesen  Seen  bildet  den  Mittelpunkt  eines 
kleinen  abflußlosen  Beckens  und  ist  deshalb  salzig.  Die  meisten 
von  ihnen  sind  langgestreckt  und  wie  die  Gebirge  von  Westen  nach 
Osten  ausgezogen.  Die  Ufer  sind  flach,  nur  selten  fallen  die  Gebirge 
steil  ins  Wasser  hinab.  Die  mittlere  absolute  Höhe  der  Seen  beträgt 
4913  m.  Die  verschiedenen  Becken  sind  durch  ganz  niedrige  Schwellen 
voneinander  getrennt. 

Während  im  nördlichen  Teile  von  Tibet  die  Salzseen  als  Regel 
betrachtet  werden  können,  finden  sich  in  andem  Gegenden  des  Landes 
nicht  selten  Süßwasserseen,  die  dort  fast  immer  mit  einem  Salz- 
wassersee in  Verbindung  stehen.  Von  dieser  gewöhnlichen  Kombi- 
nation führt  der  Reisende  einige  Beispiele  an. 

Zwischen  den  beiden  Kwen-lun-Ketten  Ealta-aiagan  und  Arka- 
tag  findet  sich  zuerst  das  große  ausgedehnte  Becken  der  beiden  Seen 
Kum-köll.  Der  obere  östliche  Basch-kum-köU,  auf  3882  m  Höhe 
gelegen,  ist  süß  und  hat  eine  Maximaltiefe  von  3.73  m.  Fast  aus-^ 
schließlich  von  Quellen  gespeist,  entleert  sich  der  See  durch  einen 
Flußarm,  der  in  den  untem  salzigen  Ajag-kum-köll  ausmündet,  seit- 
dem er  einige  Nebenflüsse,  wie  Sassik-jar  und  Petelik-darja  auf- 
genommen hat.  Ajag-kum-köll  ist  höchstens  16  Am  breit  und  44  Arm 
lang.  Am  18.  November  1900  unternahm  Sven  v.  Hedin  eine  Fahrt 
diagonal  über  den  See.  Die  größte  Tiefe  auf  dieser  ersten  Linie 
betrug  19.63  m.  Ungefähr  ein  Siebentel  der  ganzen  Seeoberfläche 
war  jetzt  mit  einer  1  em  dicken  Eiskruste  bedeckt.  Das  offene 
salzige  Oberflächenwasser  hatte  jetzt  eine  Temperatur  von  — 0.3^ 
und  hinderte  also  die  Schmelzung  der  Eisrinde.  Das  Süßwasser,, 
welches  von  dem  obem  See  und  den  ausmündenden  Flüssen  stammt,. 
breitet  sich  in  einer  dünnen  Schicht  über  das  Salzwasser  hin  auft 


^  Zeitschr.  d.  Oes.  f.  Erdkunde.  Berlin  1908.  p.  844. 


328  Seen  und  Moore. 

und  gefriert  um  so  schneller,  als  der  See  eben  im  Osten  sehr  seicht 
ist  Wenn  das  Wetter  ruhig  bleibt,  kann  sich  diese  Eisrinde  lange 
genug  erhalten  und  sich  vielleicht  weit  in  den  See  hinaus  er- 
strecken. 

Nach  Nordwesten  stiegen  die  Tiefen  schnell  von  5  m  bis 
24.03  m  Maximaltiefe.  Noch  in  der  Nähe  des  Nordufers  betrug  die 
Tiefe  19  m.  Die  Ufer  des  Ajag-kum-köll  sind  flach  und  fast  steril,  nur 
spärliche,  trockene  Steppenpfianzen  kommen  vor.  Im  Osten  und 
Südwesten  sind  die  Ufer  sumpfig,  sonst  bestehen  sie  aus  alluvialem, 
trockenem  Tone  oder  Schutte.  Hier  und  da  steht  eine  ein  paar  Meter 
hohe  Uferterrasse.  Im  Gegensätze  zu  den  südtibetischen  Seen,  die 
sich  in  einem  Zustande  von  starker  Desikkation  befinden,  scheint 
die  Niveaulage  des  Ajag-kum-köll  ziemlich  konstant  zu  sein;  die 
Austrocknung  geht  jedenfalls  verhältnismäßig  langsam  vor  sich. 

Im  östlichen  Tibet  erreichte  der  Reisende  einen  sehr  großen  See 
auf  ziemlich  flachem  Lande,  der  in  einer  Höhe  von  4765  m  gelegen 
ist.  Sein  Becken  ist  im  Norden  von  einer  Kette,  deren  Paßhöhe 
5111  m  beträgt,  begrenzt,  und  im  Süden  von  einer  gleichen  mit 
5426  m;  beide  Ketten  liegen  jedoch  in  ein  paar  Tagereisen  Entfernung 
von  dem  See.  Er  steuerte  nach  Südosten  über  den  höchst  merk- 
würdigen See.  Im  Osten  war  kein  Land  zu  sehen.  Schon  von  der 
Wasserlinie  an  beginnt  eine  2 — 4  cm  dicke  Salzkruste,  welche  den 
ganzen  Seeboden  bedeckt  und  allmählich  mächtiger  wird.  Sie  ist 
hart  wie  Stein  \md  liegt  auf  rotem  Lehme  und  Schlamme.  Noch 
1^/3  km  vom  Nordufer  ist  der  See  so  seicht,  daß  man  zu  Fuß  gehen 
muß,  und  dann  trifft  das  2  m  lange  Ruder  fast  überall  auf  den 
Grund,  nur  im  Süden  gibt  es  2^/,  m  Tiefe.  Der  Boden  ist  außer- 
ordentlich eben,  und  stundenlang  beträgt  die  Tiefe  2,2 — 2,3  m;  er 
ist  beinahe  ebenso  horizontal  wie  die  Wasserfläche.  Im  Vergleiche 
mit  der  Ausdehnung  breitet  sich  diese  dünne  Wasserschicht  wie  ein 
Papierblatt  über  das  Hochlandsbecken  aus.  Das  klare  Wasser  ist 
so  salzhaltig,  daß  die  Skala  des  Aräometers  mehrere  Zentimeter  über 
der  Wasserfläche  stehen  blieb.  Boot,  Werkzeuge  und  Instrumente 
wurden  kreideweiß,  als  ob  sie  in  Kartoffehnehl  getaucht  worden 
wären;  nach  Wassertropfen  bildeten  sich  kleine  runde  Erhöhungen 
wie  aus  Stearin.  Der  See  ist  auch  ebenso  steril  wie  das  Tote  Meer. 
Am  Nordufer  treten  einige  Süßwasserquellen  zutage.  Der  Salzsee 
wird  hauptsächlich  von  einem  weiter  westlich  gelegenen  Süßwasser- 
see gespeist;  dieser  empfängt  eine  Anzahl  Bäche,  besonders  von  einem 
nordwestlich  davon  gelegenen,  sehr  mächtigen  Gletschermassiv.  Der 
Verbindungsarm  zwischen  den  Seen  ist  an  der  engsten  Stelle  58  m 
breit,  hat  eine  Maximaltiefe  von  3.34  m  und  eine  Wassermenge  von 
47.67  dm  in  einer  Sekunde.  Obgleich  das  Oberflächenwasser  mit 
einer  Geschwindigkeit  von  bis  zu  0.85  m  in  einer  Sekunde  gegen  den 
Salzsee  strömt,  ist  es  absolut  untrinkbar  und  hat  schon  weit  von 
der  Mündung  ein  spezifisches  Gewicht  von  1.036.     Das  Salzwasser 


Seen  und  Moore.  329 

steigt  also  offenbar  im  Flußarme  bis  zu  einer  Schwelle  hinauf,  um 
von  dort  wieder  zum  Salzsee  mitgeschleppt  zu  werden.  Kleine 
Crustaceen  und  andere  Wassertiere,  die  mit  dem  Wasser  fortgerissen 
werden,  sterben  schon  weit  von  der  Mündung. 

Ein  anderer  Salzsee,  kleiner  als  der  vorige  und  mit  geringerm 
Salzgehalte  (spez.  Gewicht  1.021),  ist  auch  das  Endprodukt  einer 
hydrographischen  Kombination.  Südöstlich  davon  findet  sich  nämlich 
ein  Süßwassersee  mit  sehr  geringer  Tiefe  (selten  3  m),  östlich  von 
diesem  liegt  noch  ein  Süßwassersee,  aber  viel  größer.  In  diesem 
'lotete  der  Reisende  die  größte  Tiefe,  die  er  in  den  tibetischen  Seen 
überhaupt  gefunden  hat,  nämlich  48.67  m,  und  zwar  in  der  Nähe 
des  Nordufers,  wo  rote  Sandsteinfelsen  steil  hinabfallen.  Die  beiden 
Süßwasserseen  sind  miteinander  durch  einen  Flußarm  verbunden,  der 
zur  Zeit  23.7  cbm  Wasser  in  einer  Sekunde  führte;  in  den  Salzsee 
entleeren  sich  dort  die  beiden  Seen  mit  31.7  cbm  in  der  Sekunde. 
Die  Seen,  die  Sven  v.  Hedin  während  der  Sommerreise  1900  in  Tibet 
besuchte,  liegen  auf  einer  mittlem  Höhe  von  4906  m,  nur  mit  einer 
Ausnahme  höher  als  der  Mont  Blanc.  Die  mittlere  Paßhöhe  der 
Parallelketten  des  Hochlandes  beträgt  5220  m. 

Auf  der  Reise,  die  er  im  August  1901  gegen  Lassa  unternahm, 
kreuzte  er  mit  Lebensgefahr  einen  außerordentlich  mächtigen  Fluß, 
der,  mit  Lehm  und  Schlamm  beladen,  gegen  Südwesten  strömte.  Es 
hatte  andauernd  geregnet,  und  die  Wassermenge  war  deshalb  maxi- 
mal. Dieser  Fluß,  der  die  Nordgrenze  der  Provinzen  Nakktsong  und 
Namru  bildet,  wurde  früher  und  ungefähr  in  derselben  Gegend  von 
den  Reisenden  Bonvalot  mit  dem  Prinzen  Heinrich  v.  Orleans  und 
Rockhill  gekreuzt.  Weiter  unten,  in  der  Nähe  seiner  Mündung  in 
den  Selling-tso,  haben  ihn  Dutreuil  de  Rhins  und  Littledale  passiert. 
Aber  noch  auf  den  letzten  Karten  von  Tibet  sind  Oberlauf  und  Unter- 
lauf als  zwei  verschiedene  Flüsse  gezeichnet,  es  ist  aber  ein  und 
derselbe  und  heißt  Satju-sangpo.  Ln  allgemeinen  ist  das  ganze  hydro- 
graphische System  in  der  Qegend  von  Selling-tso,  Nakktsong-tso, 
Tjargut-tso  und  Addan-tso  auf  den  Karten  falsch  gezeichnet.  Sogar 
die  Namen  sind  unrichtig,  nur  Littledale  nennt  den  Selling-tso. 
Addan-tso  fehlt  ganz  und  gar;  der  See,  der  den  1^'argut-tso  vor- 
stellen soll,  liegt  30  km  zu  weit  vom  Selling-tso  entfernt,  und  zwischen 
beiden  ist  eine  Bodenerhebung  gezeichnet,  anstatt  des  Tales,  welches 
von  einem  Flusse  durchströmt  wird,  der  das  Wasser  des  Tjargut-tso 
dem  Selling-tso  zuführt. 

Südlich  des  Selling-tso  liegt  der  Nakktsong-tso,  ein  pittoresker 
See  mit  Inseln,  Halbinseln  und  tief  eingeschnittenen  Busen.  Die 
Landschaft  erinnert  stark  an  die  nordischen  Fjorde,  und  die  Annahme 
liegt  ja  nahe,  daß  die  Entstehung  der  tibetischen  Seen  einer  frühem 
Eisbedeckung  des  Landes  zu  verdanken  ist  Ebensowenig  wie  den 
Gebrüdem  Schlagintweit  ist  es  Sven  v.  Hedin  jedoch  gelungen,  Spuren 
einer  Glazialzeit  zu  entdecken.     Nach  v.  Richthofen   fehlen  sie  auch 


380  Seen  nnd  Moore. 

in  Nordchina.  Die  noch  vorhandenen  Moränen  in  Tibet  sind  in  der 
unmittelba^n  Nähe  der  jetzigen  Gletscher,  die  freilich  im  Zurück- 
gehen begriffen  sind,  zu  suchen;  sonst  finden  sie  sich  nirgends. 
Erratische  Blöcke  hat  er  niemals  in  diesem  Hochlande  gesehen,  und 
von  Gletscherschliffen  ist  überhaupt  nicht  die  Rede,  auch  nicht  in 
Gegenden,  wo  man  Veranlassung  haben  könnte,  solche  zu  erwarten. 
Es  ist  aber  sehr  leicht  möglich,  daß  etwaige  Gletscherspuren  schon 
längst  verwischt  und  verschwunden  sind.  Eine  Tatsache  ist  jeden- 
falls auffallend,  nämlich  daß  die  meisten  Seen  in  der  Nähe  der 
höchsten  und  mächtigsten  Gebirgsketten  gelegen  sind. 

In  Westtibet,  nördlich  des  Kara-korum-Gebirges,  sind  die  Seen 
zahlreich,  in  dem  östlichen  Gebiete,  nördlich  und  südlich  der  Fort- 
setzung des  Kara-korum*Gebirges,  findet  sich  ein  ganzes  Labyrinth 
von  Seen,  wovon  einer,  der  Selling-tso,  zweifelsohne  der  zweitgrößte 
von  ganz  Tibet  ist,  wenn  Tengri-nor  als  der  größte  betrachtet  wird. 
Je  weiter  man  sich  gegen  Norden  und  Süden  von  diesem  Gebiete 
entfernt,  desto  seltener  werden  auch  die  Seen.  Ganz  und  gar  hören 
sie  nirgends  auf,  wie  auch  überall  Gebirgsketten  das  Hochland  durch- 
ziehen. Weit  von  den  Hauptketten  entfernt  tauchen  auch  einzehie 
isolierte  Gletschermassive  auf,  deren  Gletscherzungen,  obgleich  kurz, 
doch  ziemlich  mächtig  sind.  In  dem  südlich  des  Arka-tag  gelegenen 
Längentale  fand  Sven  v.  Hedin  endlich  eine  Reihe  von  23  Seen,  dar- 
unter neun  große.  In  dem  noch  südlicher  gelegenen  Längentale  war 
die  Zahl  der  von  Wellby  entdeckten  Seen  schon  geringer.  Noch  sind 
viel  zu  große  Teile  von  Tibet  unbekannt,  als  daß  man  etwas  mit 
vollkommener  Sicherheit  aussprechen  dürfte;  aber  so  viel  hat  Sven 
V.  Hedin  doch  gefunden,  daß  die  meisten  Seen  in  der  Nahe  der  größten 
Gebirge  liegen.  Da  fragt  es  sich,  sagt  er,  ob  nicht  die  Gebirge  etwas 
mit  den  Seen  zu  tun  haben,  oder,  mit  andern  Worten,  ob  nicht  die 
Seen  ihre  Entstehung  einer  Glazialperiode  zu  verdanken  haben.  Nicht 
einer  kältern  Periode,  denn  die  Kälte  ist  noch  heutzutage  streng 
genug,  sondern  einer  feuchtem  Periode.  Daß  Himalaya,  Tien-schan 
und  Hindu-kusch  bedeutend  stärker  vergletschert  waren  als  jetzt, 
wissen  wir.  Und  daß  auch  die  Seen  sich  in  einem  Zustande  des 
Verschwindens  befinden,  zeigt  Sven  v.  Hedin  selbst.  Schon  die  Ufer- 
linien des  Selling-tso  beweisen,  daß  dieser  See  sich  verkleinert. 

Sven  V.  Hedin  schildert  noch  mehr  Seen,  die  zur  Familie  des 
Selling-tso  gehören.  Die  meisten  Salzseen  in  Westtibet  sind  kilo- 
meterweit vom  Ufer  mit  weißem  Salze  bedeckt;  der  Boden  sieht  oft 
während  mehrerer  Tagereisen  aus,  als  ob  er  mit  pyramidenförmigen 
Schneehaufen  bedeckt  wäre.  Weim  der  Wind  über  diese  Salzflächen 
weht,  wirbelt  er  das  staubfeine  Salz  in  Wolken  auf,  die  ebenso 
intensiv  weiß  sind  wie  die  Dampfwolken  einer  Lokomotive. 

Die  tibetanischen  Seen  sind  sämtlich  in  Austrocknung  begriffen; 
der  Wasserspiegel  des  Lakkor-tso,  der  in  4578  m  Seehöhe  liegt,  muß 
voreinst  133  m  höher  gestanden  haben   als   jetzt     In   der  2ieit,  wo 


Seen  und  Moore.  381 

die  höchste  Abrasionsterrasse  von  den  Wellen  des  Sees  beaj*beitet 
wurde,  waren  die  relativen  Höhenunterschiede  weniger  ausgeprägt; 
denn  man  kann  als  sicher  voraussetzen,  daß  die  Austrocknung  des 
Sees  schneller  vor  sich  geht  als  die  Zersetzung  der  umstehenden 
Gebirge  und  die  Erosion  der  Täler.  Ebensolche,  verhältnismäßig  tief 
gelegene  Salzbecken  finden  sich  an  den  Seen  Perutse-tso,  Luma-ring- 
tso  und  Tsollaring-tso  und  mehrem  andern.  Alle  sind  von  kolossalen 
Salzablagerungen  umgeben,  und  überall  finden  sich  die  alten  Ufer« 
linien.  In  einigen  Busen  sind  nur  einige  kleine  Tümpel  zurück- 
geblieben, andere  sind  gänzlich  ausgetrocknet,  die  Seen  von  der 
Erdoberfläche  schon  verschwunden. 

Schließlich  gedachte  Sven  v.  Hedin  der  Seen  Tso-ngombo  und 
Panggong-tso  im  äußersten  Westen  des  tibetischen  Hochlandes.  Diese 
Seenkombination  hat  eine  Länge  von  vollen  140  /m»  und  eine  Breite 
von  höchstens  10  km,  gewöhnlich  viel  weniger,  manchmal  nur  sogar 
von  100,  ja  von  20  m.  Der  Länge  nach  sind  sie  natürlich  mit  den 
Gebirgen  in  diesem  Teile  Hochasiens  parallel  orientiert,  d.h.  NNW — SSO. 
An  beiden  Ufern  verlaufen  mächtige  Gebirgsketten,  und  das  enge  Tal 
äimelt  einem  gewaltigen  Flusse  oder  einem  norwegischen  Fjorde  oder 
schottischem  Firth.  Der  Tso-ngombo  ist  süß  und  zerfällt  in  drei 
kleinere  und  ein  großes,  sehr  langes  Bassin.  Diese  verschiedenen 
Becken  stehen  miteinander  durch  kurze  schmale  Flußarme  in  Verbindung. 

Auch  am  Tso-ngombo  sind  Uferterrassen  deutlich.  Die  höchste 
von  ihnen,  die  am  Nordufer  deutlich  sichtbar  war,  liegt  19.5  m  über 
der  Seeoberfläche  und  ist  im  harten  Granite  so  scharf  und  deutlich 
ausgemeißelt,  daß  man  glauben  könnte,  sie  sei  ein  alter,  künstlich 
ausgehauener  Weg,  eine  Vermutung,  die  natürlich  ausgeschlossen  ist, 
da  diese  Terrassen  an  beiden  Ufern  und  immer  auf  genau  derselben 
Höhe  sichtbar  sind. 

Der  Panggong-tso  hat  salziges  Wasser,  obgleich  bei  weitem  nicht 
so  salzig  wie  in  den  zentralen  Seen,  das  spezifische  Gewicht  war 
nur  1.0102.     Die  größte  Tiefe  betrug  47.5  m. 

Durch  klimatische  Veränderungen  hat  sich  dieser  See  wie  alle 
übrigen  in  Tibet  allmählich  verkleinert.  Die  Desikkation  ist  so  schnell 
vorgerückt,  daß  die  Erosionsarbeit  des  abfließenden  Wassers  damit 
nicht  hat  gleichen  Schritt  halten  können.  Das  Verhältnis  ist  endlich 
so  weit  gekommen,  daß  der  Süßwassersee  vom  Lidussystem  ab- 
geschnitten worden  ist.  In  dieser  Weise  ist  der  Indus  eines  be- 
deutenden Teiles  seines  Flußgebietes  beraubt  worden.  Der  große 
Süßwassersee  dagegen  hat  sich  immer  weiter  verkleinert;  heutzutage 
finden  wir  denselben  in  2  Seen  geteilt,  von  denen  der  untere,  abfluß- 
lose, bei  fortschreitender  Austrocknung  immer  salzreicher  werden  wird. 

Die  Hoorgeblete  Österreichs  behandelt  Dr.  W.  Bersch.^)  Im 
Vorarlberg  finden  sich  im  Flußlaufe  des  Rheines  und  den  den  Bodensee 


*)  Umlauft,  Geogr.  Rundschau  1903.  2&.  p.  197. 


332  Seen  und  Moore. 

umgebenden  Niederungen  Moore  von  vielen  hundert  Hektaren  Ober- 
fläche. Sie  tragen  den  Charakter  der  Flachmoore,  sind  heute  schon 
zum  Teile  kultiviert  oder  werden  zur  Gewinnung  von  Brenntorf 
herangezogen.  An  vielen  Stellen  sind  sie  durch  periodisch  wieder- 
kehrende Überflutungen  mit  Erde,  Sand  oder  Gerolle  bedeckt,  an 
andern  wogen  auf  ihnen  Wälder  von  Schilfrohr  und  Riedgräsern,  die 
ihnen  ein  eigentümliches  Gepräge  verleihen.  Häufig  werden  die  ge- 
nannten Gräser  gewonnen,  um  nach  dem  Trocknen  als  Einstreu  in 
Stallungen  verwendet  zu  werden.  Neben  diesen  Flachmooren  gibt 
es,  wie  überhaupt  in  allen  Gebirgsländern,  auch  Hochmoore,  die  jedoch 
zumeist  in  dem  gebirgigen  Teile  des  Landes  zerstreut  liegen. 

Tirol  ist  ein  moorreiches  Land,  dessen  Moorreichtum  jedoch  gegen- 
wärtig weder  genau  bekannt,  noch  gebührend  ausgenutzt  wird.  Die 
zahlreichen  Moore  wechseln  sehr  in  der  Größe,  von  kleinen  Flächen 
angefangen,  die  kaum  ein  Joch  groß  sind,  bis  zu  ansehnlichen  Hoch- 
mooren mit  einer  Ausdehnung  von  100  Aa  und  darüber  sind  alle  Zwischen- 
stufen vorhanden.  Manche  dieser  Moorfiächen  sind  in  Kultur  genonunen 
worden  und  haben  dadurch  ihren  ursprünglichen  Charakter  vollständig 
eingebüßt  Das  interessanteste  Moorgebiet  Tirols  ist  im  untern  Etsch- 
tale.  Dort  zieht  sich  entlang  dem  Flußlaufe  der  Etsch  ein  fast 
ununterbrochenes  Moorband,  das  südlich  von  Bozen  beginnt,  bis 
Salum,  bezw.  S.  Michele  hin.  Diese  Flachmoore  verdanken  ihr  Dasein 
der  Etsch,  die,  bevor  sie  reguliert  war,  das  von  hohen,  steil  abfallenden 
Felswänden  eingefaßte  Tal  in  zahlreichen  Armen  durchströmte  und 
dadurch  alle  Bedingungen  schuf,  unter  denen  sich  die  Flora  der 
Niederungsmoore  mächtig  entwickeln  konnte.  Freilich  besitzen  die 
Torfablagerungen  nur  eine  geringe  Mächtigkeit,  die  nur  selten  2  m 
erreicht,  und  an  vielen  Stellen  ist  durch  Oberflutungen,  die  ansehn- 
liche Lagen  von  Gerolle  zurückließen,  die  Moorsubstanz  ganz  dem 
Auge  entzogen  worden.  An  andern  Stellen  wieder  hat  die  ihre  Ufer  ver- 
lassende Etsch  Lücken  in  die  Torflager  gerissen,  oder  hat  den  Torf 
derart  mit  ungemein  feinen  Mineralteilchen  verschlänunt,  daß  er  nur 
als  »anmoorig«  bezeichnet  werden  kann.  Selbstredend  haben  diese 
regelmäßig  wiederkehrenden  Überflutungen  schon  während  des  Auf- 
baues dieser  Torflager  eine  Rolle  gespielt,  und  darauf  ist  der  ver- 
hältnismäßig bedeutende  Aschenreichtum  des  Torfes  aus  dem  Etsch- 
tale  zurückzuführen. 

Dieser  Reichtum  des  Moorbodens  im  untern  Etschtale  an  Mineral- 
stoffen ist  die  Ursache,  daß  an  eine  technische  Verwertung  des  Torfes, 
beispielsweise  zu  Heizzwecken,  nicht  oder  doch  nur  in  Ausnahme- 
fällen gedacht  werden  kann.  Doch  bedingt  sie  wieder,  daß,  üu 
Vereine  mit  dem  ausgesprochen  südlichen  Klima,  das  Etschtal  in 
landwirtschaftlicher  Beziehung  mehr  einem  lachenden  Garten  gleicht, 
als  einem  Moorgebiete,  unter  dem  man  sich  gewöhnlich,  wenn  auch 
zumeist  mit  Unrecht,  nur  eine  traurige,  eintönige  Fläche  vorzustellen 
pflegt 


T 


Seen  und  Moore.  333 

In  den  andern  österreichischen  Alpenländem  gibt  es  auch  zahl- 
reiche Torflager,  deren  Größe  ungemein  wechselt,  und  die  bald  ver- 
einzelt in  ein  stilles  Hochgebirgstal  eingebettet  sind,  bald  in  größerer 
Häufigkeit  aufeinanderfolgen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  haben  wir 
es  hier  mit  ausgesprochenen  Hochmooren  zu  tun,  die  nicht  nur  durch 
ihre  Ausdehnung  und  Mächtigkeit,  sondern  auch  durch  den  Reichtum 
ihrer  Flora  überraschen.  Wir  treffen  solche  Moore  ebenso  in  den 
Tälern  der  Flußläufe,  wie  im  Ennstale,  an  der  Salzach,  der  Mur  u.  v.  a., 
als  auch  hoch  im  Gebirge,  nahe  der  Baumgrenze,  oft  eingebettet 
zwischen  herrlichen  Waldungen,  über  welche  die  Gipfel  hoher  Berge 
oder  mit  ewigem  Eise  bedeckte  Flächen  herüberblicken.  Doch  fehlt 
es  in  den  Alpenländem  auch  nicht  an  geschlossenen  Moorgebieten. 
Ein  solches  zieht  sich  beispielsweise  von  Hieflau  ennsaufwärts,  ein 
anderes  umgibt  Salzburg  (Leopoldskronmoos,  Bürmoos,  Waidmoos  usw.). 
Mächtige  Torflager  finden  sich  in  der  Umgebung  von  Zell  am  See, 
in  den  steierischen  und  den  kämtnerischen  Alpen,  auch  im  Drau- 
und  Glantale.  Wohl  das  moorreichste  der  Alpenländer  dürfte  Salz- 
burg sein,  und  darunter  wieder  jener  Teil,  den  man  als  präalpines 
Hügelland  anzusprechen  pflegt 

Nicht  nur  das  größte,  sondern  wohl  auch  das  bekannteste  ge- 
schlossene Moorgebiet  Österreichs  besitzt  Krain  in  seinem  Laibacher 
Moore.  Es  lagert  in  dem  ungeheuren  Talkessel,  den  die  Karawanken, 
aus  denen  der  Mangart  und  der  Triglav  hervorrageui  die  Steiner-  und 
die  Julischen  Alpen  um  Laibach  bilden,  und  bedeckt  eine  Fläche  von 
16  000  ha.  Umrahmt  von  hohen,  bewaldeten  Bergen,  nur  selten 
unterbrochen  von  Felsinseln,  die  in  ihrer  abgerundeten  Form  den 
Begräbnisstätten  nordischer  Helden  gleichen,  bietet  die  ungeheure, 
gleichmäßig  grüne  Fläche,  auf  der  sich  nur  wenige  armselige  Dörfer 
erheben,  keinen  dem  Auge  besonders  erfreulichen  Anblick.  Würde 
nicht  die  Triester  Linie  der  Südbahn  im  weiten  Bogen  das  Moor 
durchziehen,  so  würde  das  Laibacher  Moor  wohl  ebenso  ungekannt 
sein  wie  zahlreiche  andere  Moore. 

Ursprünglich  war  das  Laibacher  Moor  ein  Hochmoor.  Doch  ist 
man  allem  Anscheine  nach  schon  vor  Jahrhunderten  daran  gegangen, 
den  Torf  zu  gewinnen,  und  darauf,  daß  schon  zur  Zeit  der  Römer, 
ja  noch  viel  früher  die  Laibacher  Moorebene  besiedelt  war,  deuten 
zahlreiche  und  mitunter  kulturgeschichtlich  wertvolle  Funde,  die  im 
Laibacher  Moore  gemacht  wurden.  Durch  Abtorfung  und  durch  die 
Brandkultur,  wobei  die  Oberfläche  des  Moores  im  Sommer  entzündet 
wurde,  um  in  der  Asche  einige  armselige  Buchweizen-  und  Haferemten  zu 
erzielen,  wurde  die  Hochmoordecke  bis  auf  wenige  Stellen  fast  voll- 
ständig entfernt  Heute  sehen  wir  fast  überall  nur  mehr  das  Niederungs- 
moor, auf  dem  sich  das  jetzt  zum  größten  Teile  verschwundene 
Hochmoor  aufgebaut  hatte.  .  Durch  rationelle  Kultur,  durch  Ent- 
wässerung und  Düngung  könnte  das  Laibacher  Moor  in  üppige  Wiesen 
umgewandelt  werden,   deren  Heu  im  südlichen  Osterreich,    Vorzugs- 


334  Seen  und  Moore. 

weise  in  Dalmatien,  hochwillkommen  wäre.  Niederösterreich  besitzt, 
wenn  auch  nicht  ausgedehntOi  doch  immerhin  bemerkenswerte  Torf- 
lager. Sie  befinden  sich  zum  Teile  im  südwestlichen,  gebirgigen,  zum 
Teile  im  nordwestlichen  Viertel.  Auch  unmittelbar  vor  den  Toren 
Wiens  liegt  eine  rund  800  ha  bedeckende  Mooifläche,  die  von 
der  Piesting,  der  Fischa  und  dem  Kalten  Gang  durchströmt  wird 
und  sich  bis  nahe  zum  Leithagebirge  erstreckt  Wohl  das  größte, 
zusammenhängende  Moorgebiet  Niederösterreiohs  ist  das  Schremser 
Moor,  ein  Mischmoor  von  rund  300  ha  Fläche,  das  sowohl  zur 
Gewinnung  von  Torfstreu  als  auch  von  Brenntorf  herangezogen  wird. 

Böhmen  ist  nicht  nur  ein  ungemein  moorreiches  Land,  sondern 
auch  jenes,  das  sich  der  umfassendsten  Moorstatistik  Österreichs 
erfreuen  kann.  Das  Verdienst,  die  zahlreichen  Moore  Böhmens  sowohl 
in  naturwissenschaftlicher,  besonders  botanischer  und  geologischer 
Beziehung,  als  auch  in  Hinblick  auf  ihre  Lage,  Fläche  und  mögliche 
Nutzung  erforscht  zu  haben,  gebührt  Prof.  F.  Sitensky.  Er  berechnet 
die  mächtigem  Torflager  Böhmens  auf  15  000^,  werden  auch 
alle  kleinen  Torflager  mit  berücksichtigt,  so  ergeben  sich  26000  ha. 
Werden  aber  auch  jene  Torfmoore  dazu  gerechnet,  die  durch  Ent- 
wässerung, Kultur  oder  durch  natürliche  Überdeckung  mit  mineralischem 
Boden  in  ihrer  Flora  das  Gepräge  der  reinen  Torfmoore  verloren 
haben,  und  werden  ihnen  die  vielen  Torfwiesen  imd  jene  anmoorigen 
Stellen  neuem  Ursprunges  zugezählt,  auf  denen  die  Torfflora  noch 
heute  üppig  gedeiht,  so  ergibt  sich,  daß  die  Torfmoore  Böhmens 
insgesamt  eine  Fläche  von  weit  über  30  000  ha  bedecken.  Von 
dieser  Summe  entfallen  auf  den  Böhmerwald  über  5000  Aa,  auf  das 
böhmische  Erzgebirge  gegen  4000  ha,  auf  das  Isergebirge  2000  ha 
und  auf  das  Riesengebirge  über  1500  ha.  Im  böhmisch-mährischen 
Grenzgebirge  sind  über  2000  ha  und  im  Tepler  Gebirge  ebenfalls 
etwa  2000  ha  Torfmoore  vorhanden.  Auch  in  den  Niederungen 
Böhmens  befinden  sich  ausgedehnte  Torfmoore,  so  in  der  Budweis- 
Witüngauer  Ebene  gegen  4500  ha,  in  der  Gschitz-Niemes-Hirschberg- 
Habstein-Böhmisch-Leipaer  Ebene  1500^  und  im  mittlem  Elbetale 
etwa  1000  ha.  In  den  Randgebirgen  Böhmens  herrschen  die  Hoch- 
moore vor,  während  im  flachem  Teile  des  Landes  die  Flachmoore 
weitaus  häufiger  sind.  Selbstredend  werden  viele  Torflager  Böhmens 
auch  ausgebeutet,  obgleich  die  Nutzung  noch  lange  nicht  auf  jener 
Stufe  steht,  auf  welcher  sie  nach  Ausdehnung  und  Beschaffenheit  der 
Torflager  stehen  sollte  und  könnte. 

Eine  Eigentümlichkeit  Böhmens  bilden  die  sogenannten  Mineral- 
moore, die  zu  Heil-  und  Badezwecken  benutzt  werden.  Solche 
Mineralmoore  liegen  bei  Franzensbad,  Marienbad,  Soos  usw.,  und 
sie  haben  zum  Teile  auch  dazu  beigetragen,  den  Ruf  böhmischer 
Bäder  über  die  ganze  Erde  zu  verbreiten.  Von  den  andem  gewöhn- 
lichen Mooren  imterscheiden  sie  sich  vornehmlich  durch  ihren  Gehalt 
an   gelösten  Mineralstoffen,   unter  denen  an  erster  Stelle  Eisensalze, 


Seen  und  Moore.  335 

und  zwar  vorzugsweise  schwefelsaures  Eisenoxydul  (Eisenvitriol)  zu 
nennen  sind.  Ihre  Heilkraft  beruht  darin,  dafi  sie  zusammenziehend 
auf  die  Haut  wirken  und  dadurch  einen  Reiz  hervorrufen,  der  jeden- 
falls noch  durch  die  gleichmäßige  Temperatur  unterstützt  wird,  in 
der  sich  ein  im  Moorbade  Liegender  befindet. 

Auch  Mähren  ist  ein  an  Mooren  reiches  Land.  Zwar  mangelt 
hier  noch  eine  Statistik,  doch  ist  wenigstens  schon  der  Anfang  einer 
solchen  gemacht  worden.  Es  wurde  festgestellt,  daß  sich  in  111 
Oemeinden  Moore  befinden. 

In  Galizien  sind  die  zahlreichen,  sich  in  vielen  Windungen  durch 
die  Ebene  hinziehenden  Flüsse,  von  denen  viele  gewaltige  Wasser- 
massen mit  sich  führen,  wie  geschaffen,  ansehnliche  Moore  entstehen 
zu  lassen.  Wir  treffen  sowohl  Hochmoore  am  Nordabhange  der 
Karpathen,  als  unzählige  Flachmoore  verteilt  im  ganzen  Lande,  und 
fast  jeder  der  zahlreichen  Flüsse  hat  zur  Entstehung  eines  Moorgebietes 
Anlaß  gegeben.  Den  Flußläufen  folgend,  sowohl  am  San  als  am 
Dniester  und  am  Prut,  am  Bug  und  am  Styr  und  ihren  Zuflüssen, 
überall  treffen  wir  typische  Flachmoorbildungen,  die  dem  Lande  einen 
eigenen  Charakter  verleihen.  Eines  der  interessantesten  Moorgebiete 
Oaliziens  ist  jenes,  das  in  dem  durch  die  Weichsel  und  dem  San  gebildeten 
Winkel  liegt,  denn  hier  wurde  nicht  nur  ein  hervorragendes  Stück  kultu- 
reller Arbeit  verrichtet,  sondern  auch  der  Grundstein  zur  zweckmäßigen 
Kultivierung  der  galizischen  Moore  überhaupt  gelegt.  Ein  Teil  dieses 
Moorgebietes,  die  sogenannten  Rudniker  Sümpfe,  wurde  im  Jahre  1886 
von  dem  Grafen  Hompesch  übernommen.  Damals  waren  die  Rudniker 
Sümpfe  ein  wüstes  Stück  Land,  durch  das  keine  Straßen  führten, 
und  das  nur  wenige  Monate  des  Jahres  betreten  werden  konnte.  Der 
Tatkraft  des  Grafen  Hompesch,  im  Vereine  mit  seinem  getreuen 
Mitarbeiter  J.  Koppens,  gelang  es,  mit  Unterstützung  des  Landes  und 
des  Staates  binnen  wenigen  Jahren  ein  vollständig  verändertes  Bild 
zu  schaffen.  Wo  früher  unwegsame  Stellen  waren,  erblicken  wir 
jetzt  üppige  Wiesen ;  prächtig  gepflegte  Straßen  durchziehen  das  Moor 
nach  allen  Richtungen,  und  aus  der  unwegsamen  Wildnis  sind  Moor- 
kulturen geschaffen  worden,  die  nicht  nur  für  Galizien,  sondern  auch 
für  das  übrige  Osterreich  und  für  jene  Teile  anderer  Länder,  in  denen 
ähnliche   klimatische  Verhältnisse  herrschen,   zum  Vorbilde   wurden. 

Die  Bukowina,  ein  ausgesprochenes  Wald-  und  Gebirgsland, 
besitzt  Moore,  unter  denen  sich  zahlreiche  Hochmoore  befinden.  Man 
geht  nun  auch  daran,  sie  auszubeuten,  genau  so,  wie  es  in  Galizien 
schon  seit  längerer  Zeit  geschieht.  In  vielen  Moorgebieten  Galiziens 
wird  Brenntorf  in  großem  Maßstabe  gewonnen,  so  in  Korsow  in 
Ostgalizien,  wo  man  sich  maschineller  Einrichtungen  bedient,  und  in 
der  Bukowina  gedenkt  man  der  Ausnutzung  der  Hochmoore  zum 
Zwecke  der  Streugewinnung  volle  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Nicht 
unerwähnt  wollen  wir  es  lassen,  daß  die  Bukowina  auch  zu  Doma- 
watra  ein  mit  allem  Luxus  und  Komfort  eingerichtetes  Moorbad  besitzt. 


336  Gletscher  und  Olazialphysik. 

Gletscher  und  Glazialphysik. 

Die   periodlsehen   Schwankungren   der  Alpengrletscher 

wurde   von  F.  A.  Forel   behandelt.^)     Er  findet   folgende  Perioden 
derselben : 

20—30  Jahre  (  7  FaUe) 

30—40       .     (11     .    ) 

40—50       n     (  6     ,    ) 

50—60       „     (  5     ,    ) 
Daraus  würde    im    Mittel    eine    Periodendauer    von   38  Jahren 
resultieren,  was  genügend  mit  der  Brücknerschen  (35  jährigen)  Periode 
der  Klimaschwankungen  übereinstimmt. 

Indessen  hält  Forel  einen  Zusammenhang  mit  dieser  nicht  für 
wahrscheinlich,  da  die  bei  weitem  meisten  Alpengletscher  so  langsame 
Schwankungen  zeigen,  daß  dieselben  sich  nicht  in  eine  kurze  Periode 
fügen. 

Die  Bewegrungren  des  Pasterzegletschers  in  den  Jahren 
1900,  1901  und  1902  ist  von  Dr.  H.  Angerer  in  Klagenfurt  fest- 
gestellt worden.*)  Von  1879 — 1899  waren  die  Beobachtungen  an 
diesem  Gletscher  von  F.  Seeland  verfolgt  worden;  um  nach  dessen 
Tode  die  Messungen  nicht  zu  unterbrechen,  hat  Verfasser  dieselben 
wieder  aufgenommen  und  teilt  seine  Ergebnisse  mit.  Aus  den  von 
ihm  mitgeteilten  Zahlen  ergibt  sich,  daß  sich  die  Pasterze  auch  gegen- 
wärtig noch  im  Rückgange  befindet,  der  schon  um  die  Mitte  des 
19.  Jahrhunderts  (1856)  begonnen  hat.  Ganz  vereinzelt  findet  man 
in  Seelands  Messungen  bei  einer  oder  der  andern  Marke  gelegent- 
lich Zeichen  des  Vorstoßes,  die  sich  aber  stets  als  vorübergehende 
Verhältnisse  erwiesen  und  alsbald  wieder  ausgeglichen  haben.  Ob 
sich  das  an  3  Marken  im  Jahre  1902  beobachtete  Vorrücken 
gleichfalls  auf  örtliche  Umstände  wird  zurückführen  lassen  oder  das 
erste  Zeichen  eines  nunmehr  beginnenden  Vorrückens  der  Pasterze 
bedeutet,  müssen  die  Beobachtungen  in  den  kommenden  Jahren  er- 
geben. 

Ober  den  Schuttinhalt  von  Innenmoränen  verbreitete  sich 
H.  Heß.')  Man  kann,  sagt  er,  2  Arten  solcher  Innenmoränen  unter- 
scheiden. Die  eine  wird  aus  dem  Schutte  gebildet,  welcher  an 
der  eisfreien  Oberfläche  einer  über  die  Firaoberfläche  emporragenden 
Felsinsel  durch  mechanische  Verwitterung  entsteht,  am  Gletscherrande 
vom  Eise  aufgenommen  und,  vereinigt  mit  dem  auf  den  eisbedecktea 
Flanken  der  Insel  erodierten  Materiale,  der  Gletscherzunge  zugeführt 
wird.  Der  gegen  das  Ende  des  Gletschers  zutage  tretende  Moranen- 
streifen   enthält   also  Rand-   und  Ghnindschutt.     Die  andere  Art  der 


^)  Annuaire  du  d.  A.  C.  87.  Bern. 

")  Mitteil.  d.  deutsch,  u.  österr.  Alpenvereins  1903.  p.  231. 

>)  Petermanns  Mitteil.  1903.  p.  34.. 


Gletscher  und  Glazialphysik.  337 

Innenmoränen  bildet  eine  ebenfalls  auf  der  Gletscherzunge  aus- 
mündende Schuttwand  im  Eise,  welche  von  einem  unter  der  Fim- 
oberfläche  verborgenen  Felshindernis  ausgeht  und  den  Gletscher  der 
Länge  nach  durchzieht.  Ihr  Schuttinhalt  besteht  nur  aus  Grundschutt. 
Daß  solche,  von  unsichtbaren  Felsrücken  herstammende  Innen- 
moränen vorkommen,  ist  außer  Zweifel,  und  schon  Forbes  und 
Tyndall  haben  auf  dieselben  aufmerksam  gemacht  Die  Moränen  der 
norwegischen  Plateaugletscher,  sowie  die  des  grönländischen  Inland- 
eises verdanken  ihre  Existenz  zum  großen  Teile  den  vom  Eise  ver- 
deckten Unebenheiten  des  Untergrundes,  um  die  die  Eisströme  herum- 
fließen müssen.  Das  Auftreten  derartiger  Innenmoränen  ist  ein 
direkter  Beweis  für  die  auf  dem  Untergrunde  der  Gletscher  vor- 
kommende splitternde  Erosion,  bei  welcher  größere,  mehrere  edm 
messende  Trümmer  vom  anstehenden  Gesteine  abgelöst  werden.  Ge- 
lingt es,  die  Größe  des  Schuttinhaltes  einer  solchen  Innenmoräne  zu 
bestimmen,  so  kann  daraus  ein  annähernd  sicherer  Schluß  auf  den 
Betrag  der  Erosion  gezogen  werden,  wenn  Bewegungs-  und  Ab- 
schmelzungsverhältnisse  des  in  Frage  kommenden  Gletschers  hin- 
reichend genau  bekannt  sind. 

Die  Gletseherbildungen  in   den  Anden  von  Ecuador. 

Prof.  Dr.  H.  Meyer  hat  eine  Reihe  der  ecuadorianischen  Schneeberge 
bestiegen  ,^)  wochenlang  in  Höhen  über  4000  m  kampiert  und  die 
Gletscher  und  Firnfelder  untersucht  Im  Gegensatze  zu  Whymper  hat 
er  gesehen,  daß  sich  Schnee  und  Eis  im  äquatorial-amerikanischen 
Hochgebirge  beträchtlich  von  den  Gletschern  und  Fimfeldem  unter- 
scheiden und  oft  ganz  eigenartig  sind;  nicht  nur  in  ihrer  innem 
Struktur,  Schichtung,  Bänderung,  Korngröße,  nicht  nur  in  ihren 
Oberflächenformen  —  z.  B.  in  den  ungeheuren  nieve-penitente-Feldem 
auf  den  Gipfeln  und  höchsten  Hängen  des  Ghimborazo  und  Antisana 
und  in  den  schuppen-  oder  schindeiförmigen  Firnmodellierungen  auf 
dem  Gipfel  des  Cotopaxi  rund  um  den  Krater  — ,  sondern  auch  in 
der  Gestalt  und  Erstreckung  ihrer  Moränen,  in  der  Art  der  Wirkung 
auf  den  Untergrund  u.  a.  m.  Von  den  Gletschern  des  Kilimandjaro 
weichen  nach  Meyer  die  der  ecuadorianischen  Kordilleren  in  mancher 
Beziehung  ab;  in  viel  mehr  Punkten  aber  ähneln  oder  gleichen  sie 
einander,  z.  B.  den  nieve-penitente-Oberflächenformen  und  der  Moränen- 
bildung. Hier  wie  dort  findet  gegenwärtig  ein  starker  Rückgang  der 
Gletscher,  eine  weitgehende  Abschmelzung  der  Fimdecken  statt  Der 
Stübelgletscher  z.  B.  am  Norwest-Ghimborazo  hat  seine  Zunge  400  m 
hinter  die  äußerste  seiner  jungem  Erdmoränen  zurückgezogen,  und 
am  sudwestlichen  Antisana  sowie  am  Altar  ist  das  Maß  des  rezenten 
Gletscherrückganges  noch  größer. 


^)  ZeitBchr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde,  Berlin  1903.  p.  528. 
Klein,  Jahrbuch  XIV.  22 


388  GHetBcher  und  GfauEülphyok. 

Ganz  analog  den  Veriiältnissen  in  Aqnaiorialafrika  fand  Meyer 
das  Vorkommen  unzweifelhafter  älterer  Glazialbildnngen  tief  unter- 
halb der  rezenten«  Wie  am  Kilimandjaro  und  Kenia,  sagt  er,  so 
liegen  auch  hier  im  Hochgebirge  des  äquatorialen  Amerika  konzen- 
trische Endmoränen,  geschliffene  und  geschrammte  Felsen  usw.  als 
Hinteriassenschaft  von  Gletschern  der  jüngsten  geologischen  Ver- 
gangenheit 700 — 800  m  unter  den  jungem  Endmoränen.  Sehr  gut 
kann  man  sie  am  östlichen  Chimborazo,  am  Altar  im  Gollanestale^ 
am  nordwestlichen  Quilindana,  am  südwestlichen  Antisana  beobachten. 
IMe  Ursachen  der  aus  diesen  Dingen  sich  ergebenden  einstigen  großen 
Klimaschwankung  halt  Meyer  nicht  für  örtliche,  sondern  für  kosmische, 
von  denen  die  ganze  Erde  gleichzeitig  betroffen  wurde. 

Die  antarkUsehe  Eismauer.    Während  die  deutsche  Süd- 

polarezpedition,  an  der  Grenze  der  südlichen  Polarzone  eingefroren, 
sich  mit  meteorologischen  und  magnetischen  Beobachtungen  begnügen 
mußte  und  nur  ein  unmittelbar  vor  ihr  liegendes  Stückchen  Land  zu 
Gesicht  bekam,  ist  es  der  englischen  Expedition  auf  der  » Discovery c 
unter  Scott  gelungen,  unsere  geographischen  Kenntnisse  der  Antaridis 
in  großartiger  Weise  zu  erweitem.  Vor  allem  war  es  die  yon  Roß 
in  den  40er  Jahren  entdeckte  geheimnisvolle  Eismauer,  deren  Aus- 
dehnung und  geophysikalische  Stellung  die  jetzige  englische  Ex- 
pedition untersuchen  konnte.  Scott  erreichte  das  Kap  Crozier  und 
fuhr  von  hier  1000  km  den  Eiswall  entlang  nach  Osten,  entdeckte 
dort  das  neue  König  Eduard-Land  und  kehrte  dann  zur  Viktoriaküste 
zurück.  Es  gelang  ihm,  an  einer  Stelle  an  der  Eiskante  anzulegen, 
das  Eis  selbst  zu  betreten  und  eine  kurze  Strecke  weit  über  dasselbe 
nach  Süden  vorzudringen,  sowie  auch  durch  einen  Aufstieg  mit  dem 
Fesselballon  einen  weitem  Überblick  zu  gewinnen.  Auf  der  Suche 
nach  einem  passenden  Winterhafen  in  der  Nähe  des  Kap  Crozier  entdeckte 
er,  daß  die  beiden  berühmten  Vulkankegel  Erebus  und  Terror  nicht  dem 
Viktorialande  selbst,  sondem  einer  Insel  angehören,  die  von  jenem 
durch  einen  schmalen  Meeresarm  getrennt  ist  In  den  letztem  fuhr 
er  ein  und  ließ  die  >Discovery<  einfrieren.  Im  Südherbste  und  im 
Südfrühlinge  1902  untemahmen  dann  Scott  und  seine  Gefährten  von 
dieser  Stelle  aus  eine  Reihe  von  Ausflügen  mit  Hundeschlitten.  Der 
bedeutendste  von  diesen  war  nach  Süden  gerichtet,  währte  94  Tage 
und  erstreckte  sich  bis  82®  17'  südl.  Br.  Die  »Discovery <  konnte 
im  Südsommer  1902 — 1903  aus  dem  Eise,  das  sich  im  Winter  1902 
gebildet  hatte,  nicht  befreit  werden  und  sitzt  vermutlich  jetzt  noch 
darin  fest.  Es  ging  aber  inzwischen  eine  Hilfsexpedition  im  »Momingc 
nach  dem  Süden  ab,  fand  die  >  Discovery  <  aul,  verproviantierte  sie 
und  kehrte  dann  nach  Neuseeland  zurück.  Scotts  Berichte,  die  dieses 
Schiff  mitgebracht  hat,  und  die  jetzt  von  der  Londoner  Geographischen 
GteseUschaft  veröffentlicht  worden  sind,  geben  eine  ziemlich  gute 
Vorstellung  von  der  Natur  der  großen  Eismauer  und  der  hinter  ihr 
liegenden  Gletschermasse.     Die   Eismauer   ist   der   obere,    über   dem 


Gletscher  und  Glasüalphysik«  889 

Meeresspiegel  gelegene  Teil  des  Randes  einer  Hunderte  von  Metern 
mächtigen  und  hei  1000  km  breiten  Eisplatte,  die  sich  südlich  von 
einer  gegen  Nord  konkaven  zwischen  77  und  79^  südL  Br.  gelegenen 
Linie  zwischen  dem  Viktoria-  und  Eduardlande  ausbreitet.  Die 
Mauer  ist  bald  nur  10,  bald  bis  90  m  hoch.  Das  Meer  ist  vor  der 
Mitte  der  Eismauer  bei  600  m  tief  und  wird  gegen  die  Länder,  die 
sie  im  Osten  und  Westen  berühren,  seichter.  Eine  vertikale  Bewegung 
des  an  der  Eismauer  verankerten  Schiffes  wurde  nicht  beobachtet, 
woraus  zu  schließen  ist,  daß  die  Eismasse,  deren  Rand  die  Mauer 
bildet,  nicht  am  Meeresgrunde  festsitzt,  sondern  schwimmt  und,  geradeso 
wie  das  Schiff,  von  der  Flut  gehoben  wird,  bei  Ebbe  aber  sich  senkt. 
Die  Oberfläche  der  Eisplatte  ist  im  ganzen  horizontal,  im  Norden 
wellenförmig,  im  Westen  aber  flach.  Eine  deutliche  Randkluft  trennt 
die  ganze  Eismasse  von  dem  Viktorialande.  Diese  hatte  an  einer 
Stelle  weit  im  Süden  eine  Breite  von  1^/,  km  und  war  hier  mit 
Eistrümmem  erfüllt  Aus  diesen  Entdeckungen  ist  zu  entnehmen, 
daß  sich  zwischen  dem  Viktoria-  und  dem  Eduardlande  eine  unter 
der  Meeresfläche  liegende  Senkung  ausdehnt,  und  daß  diese  Depression 
von  einer  auf  dem  Meere  schwimmenden,  stellenweise,  wo  die  Tiefe 
geringer  ist,  wohl  auch  unmittelbar  dem  Meeresgrunde  aufruhenden 
Eisplatte  eingenommen  wird,  die  sich  —  wie  jene  große  Randkluft 
zeigt  —  anders  als  das  dem  Lande  aufsitzende  Eis  bewegt  Der 
Schneezuwachs  an  ihrer  Oberseite  überwiegt  die  Abschmelzung  an 
ihrer  Unterseite,  was  zu  einer,  der  Bewegung  unserer  Alpengletscher 
ähnlichen  Bewegung  der  ganzen  Eismasse  von  Süden  nach  Norden 
führt  In  dem  Maße,  wie  die  Eismasse  von  Süden  her  anrückt, 
brechen  im  Norden  kleinere  und  größere  Teile  von  ihr  ab,  um  dann 
in  Gestalt  jener  großen  tafelförmigen  Eisberge,  die  bis  in  ziemlich 
niedere  Breiten  hinab  angetroffen  werden,  davon  zu  schwimmen.  In 
kalten  und  weniger  stürmischen  Perioden  wird  die  Linie,  der  entlang 
diese  Abbrechung  stattfindet,  weiter  nach  Norden  vorrücken,  in 
warmem  und  stürmischen  Perioden  aber  nach  Süden  zurückweichen 
und  so  in  bezug  auf  die  Lage  ähnliche  Schwankungen  zeigen  wie 
die  Stirnen  unserer  Alpengletscher.  Immer  aber  wird  das  Ende,  der 
Rand  der  ganzen  Eismasse,  eine  Bruchfläche  sein,  deren  oberer  Teil 
in  Gestalt  einer  Eismauer  über  die  Oberfläche  des  Meeres  emporragt 

Die  Beziehungen  des  alten  Rheinlaufes  zum  Inlandeise 

der  Glazialzeit  hat  J.  Lorie  untersucht  und  dargestellt^)  Von  Godes- 
berg  bis  zur  holländischen  Grenze  konnte  er  drei  diluviale  Terrassen 
erkennen,  von  denen  die  untere  bei  Bonn  in  62  m,  bei  Brühl  in 
25  m,  bei  Köln  in  50  m,  bei  Crefeld  in  25  m  und  an  der  holländischen 
Grenze  in  20  m  Höhe  liegt  Die  mittlere  Terrasse  liegt  einige  Meter 
liöher,  und  beide  sind  nach  Lorie  durch  Erosion  entstanden.  Die 
mittlere  Terrasse  wird  vielfach  von  einer  obem,  steil  geböschten  Terrasse 


')  Tydschr.  K.  Ned.  Aard.  Gen.  1902  Nr.  2  u.  8. 

22^ 


340  '  Die  Lufthülle  im  allgemeinen. 

begrenzt,  westwärts  die  bei  Bonn  in  162  m,  bei  Köln  in  120  m,  bei 
Suchtebi  in  87  nt  und  an  ihrem  Endpunkte  bei  Weeze  in  32  m  See- 
höhe liegt  Die  Ostseite  der  Terrasse  zeigt  unregelmäßige  Höhenlage. 
Nach  dem  Verf.  sind  diese  Terrassen  Überreste  alter  Flußbetten  in  der 
Eiszeit 

Die  LufthQIle  im  allgemeinen. 
Die  Mengen  der  neuentdeckten  Gase  In  der  Atmosphäre 

sind  wiederholt  von  Ramsay  untersucht  worden.  Da  diese  Gase  nur 
in  sehr  geringem  Verhältnisse  der  Luft  beigemischt  sind,  so  ist  ihre 
quantitative  Bestimmung  überaus  schwierig.  Mit  Hilfe  eines  neuen 
Apparates  gelang  es  nun  kürzlich  Professor  Ramsay,  nicht  weniger 
als  11. B  kg  flüssiger  Luft  herzustellen  und  deren  Zusammensetzung 
zu  ermitteln.  Es  fand  sich,  daß  dieselbe  21.3  ^  Argon  enthielt,  d.  h. 
0.0118^0  d^^  gasförmigen  oder  0.1885 ^/^  der  flüssigen  Luft;  femer 
0.028  y  Krypton,  also  0.000  014^0  vom  Gewichte  der  gasförmigen 
Luft;  endlich  0.0005  g  Xenon,  gleich  0.0000026  Gewichtsprozente 
der  Luft.  Sonach  ist  ein  Gewichtsteil  Krypton  in  7  000  000  Gewichts- 
teilen atmosphärischer  Luft  enthalten,  ein  Gewichtsteil  Xenon  konmit 
dagegen  erst  auf  40  000  000  Gewichtsteile  der  Luft.  Nimmt  man 
an,  daß  beide  Gase  durch  die  ganze  Atmosphäre  gleichmäßig  verteilt 
sind,  so  sind  nach  diesen  neuesten  Bestimmungen  in  der  gesamten 
Erdatmosphäre  doch  nicht  weniger  als  800  000  000  000  kg  Krypton 
und  von  dem  seltenen  Xenon  ist  noch  immer  ein  Quantum  von  etwa 
140  000  000  000  kg  Gewicht  vorhanden. 

Die  Zusammensetzung*  der  atmosphärischen  Luft  in 
verschiedenen  Höhen.  Die  Luft  enthält  nach  unserer  heutigen 
Kenntnis  im  wesentlichen  acht  gasförmige  Elemente :  Stickstoff,  Sauer- 
stoff, Argon,  Kohlensäure,  Wasserstoff,  Neon,  Helium,  Krypton.  An 
der  Erdoberfläche  sind  sie  in  Volumprozenten  wie  folgt  verteilt :  Stick- 
stoff 78.03,  Sauerstoff  20.99,  Argon  0.94,  Kohlensäure  0.03,  Wasser- 
stoff 0,01,  Neon  0.0015,  HeUum  0.00015,  Krypton  0.00010.  Da 
nach  physikalischem  Gesetze  Gase,  die  nicht  chemisch  aufeinander 
wirken,  sich  in  einem  gegebenen  Räume  unabhängig  voneinander  ver- 
teilen, d.  h.  so,  als  wenn  jedes  Gas  nur  für  sich  allein  vorhanden 
wäre,  so  muß  die  Zusammensetzung  der  atmosphärischen  Luft  sich  mit 
der  Höhe  ändern,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  die  leichten  Gase 
mit  zunehmender  Höhe  immer  mehr  das  Obergewicht  über  die  schweren 
erhalten.  Professor  Hann  hat  einige  Berechnungen  über  die  Luft  in 
verschiedenen  Höhen  veröffentlicht.^)  Hiemach  hat  der  Wasserstoff 
in  50  km  Höhe  schon  ^/g  der  Menge  des  Sauerstoffes  erreicht,  in 
100  Am»  Höhe  überwiegt  er  schon  so  weit,  daß  die  Atmosphäre  dort 
zu  0.9  aus  Wasserstoff  besteht.  Auch  der  Heliumgehalt  ist  dort 
größer  als  der  Sauerstoffgehalt  der  Luft.     Kohlensäure  ist  schon  in 


^)  Meteorol.  Zeitschr.  1908. 


Lufttemperatur.  341 

50  km  Höhe  da43  seltenste  Gas  geworden.  Diese  Angaben  gelten  unter 
Zugrundelegung  einer  Lufttemperatur  von  0^.  In  Wirklichkeit  sind 
aber  die  mittlem  Temperaturen  der  Luft  in  Höhen  von  mehrem 
Kilometern  erheblich  niedriger,  in  50  ftm  Höhe  etwa  — 60^,  in  100  A;y»i 
Höhe  vielleicht  — 80^.  Unter  Berücksichtigung  dieser  Tatsache  findet 
Professor  Hann,  daß  100  Ä:m  über  dem  Erdboden  die  Luft  fast  nur 
noch  aus  Wasserstoff  (99.4  Volumenprozente)  und  Helium  (0.45  Vo- 
lumenprozente) besteht.  Mit  diesem  Ergebnis  stimmen  die  spektro- 
skopischen Befunde  von  Lichterscheinungen  in  sehr  großen  Höhen 
der  Atmosphäre  überein.  Das  Spektrum  einer  Feuerkugel  zeigte  die 
Linien  des  Wasserstoffes  und  des  Heliums,  diese  Feuermeteore  aber 
leuchten  in  Höhen  von  100 — 200  Äw  auf.  Außer  den  oben  ange- 
gebenen 8  Gasen  findet  sich  in  der  Atmosphäre  noch  als  überaus 
seltenes  Element  das  Xenon;  es  ist  bei  weitem  das  schwerste  aller 
atmosphärischen  Gase  und  auf  die  untersten  Luftschichten  beschränkt 
Im  Spektrum  des  Blitzes  fand  Pickering  hauptsächlich  die  Linien  des 
Argons,  Kryptons  und  Xenons,  und  die  Spektrallinien  des  Nordlichtes 
entsprechen  nach  Ramsay  den  grünen  Linien,  die  das  Spektrum  des 
Kryptons  charakterisieren. 

Lufttemperatur. 
Die  Schwankungen  der  mittlem  Luftemperatur  der 
Erde  sind  von  Charles  Nordmann  untersucht  worden.^)  Er  beschränkt 
sich  dabei  auf  die  tropischen  Regionen  und  benutzte  die  seit  1870 
angestellten  Beobachtungen  folgender  Stationen :  Mauritius,  Rodriguez, 
Bombay,  Batavia,  Zi-ka-Wei,  Hongkong,  Manila,  Havana,  Jamaika, 
Trinidad,  Port-au-Prince,  Riff  von  Pernambuco,  Sierra  Leone.  Für 
jedes  Jahr  wird  vom  Verl  das  allgemeine  Mittel  der  Abweichungen 
vom  Mittel  aller  Stationen,  sodann  das  ausgeglichene  Mittel  angegeben. 
Damit  wird  die  Schwankung  der  Relativzahlen  der  Sonnenflecke  ver- 
glichen. Entwirft  man  eine  Kurve,  deren  Abszissen  die  Jahre,  deren 
Ordinaten  die  Zahlen  der  ausgeglichenen  Temperaturmittel  bilden,  und 
eine  zweite,  deren  Ordinaten  die  Sonnenflecke  sind,  und  zwar  negativ 
genommen,  so  erhält  man  2  Kurven  von  vollkommen  parallelem  Gange. 
Auch  die  eingehendere  Prüfung  der  Kurven  bestätigt  den  Parallelismus 
beider.  Verf.  leitet  aus  dieser  Untersuchung  folgenden  Schluß  ab: 
»Die  mittlere  Temperatur  der  Erde  ist  einer  Periode  unterworfen,  die 
ziemlich  gleich  ist  derjenigen  der  Sonnenflecke;  die  Wirkung  der 
Flecke  besteht  in  der  Verringerung  der  mittlem  Erdtemperatur,  d.  h. 
die  Kurve,  welche  letztere  darstellt,  ist  parallel  der  umgekehrten  Kurve 
der  Häufigkeit  der  Sonnenflecke,  c 

Der  antarktische  KältepoL  Die  englische  Südpolarexpedition 
des  Schiffes  Discovery  hat  auf  ihrer  Winterstation  in  77®  49'  südl.  Br. 
und  166®  ösÜ.  L  .,21  englische  Meilen  von  dem  Vulkane  Erebus  entfernt, 

^)  Compt  rend.  80.  p.  407. 


342  Lufttemperatur. 

von  Februar  1902  bis  Ende  Januar  1903  regelmäßige  meteorologische 
Beobachtungen  angestellt.  Dieselben  ergaben  als  tiefste  Temperatur 
(im  August)  — 45.8  ^  als  höchste  -|-3.9*  (im  Dezember)  und  als 
jährlichen  Durchschnitt  — 17.8^  Diese  Bütteltemperatur  ist  überaas 
niedrig;  zwar  hat  man  in  den  dem  Nordpole  nahen  Gegenden 
noch  um  einige  Grade  tiefere  Mitteltemperaturen  beobachtet,  allein 
diese  Gegenden  liegen  alle  dem  Pole  weit  näher,  als  die  Station  der 
Discovery.  H.  Arctowski,  der  Meteorologe  der  Belgica  auf  ihrer  Süd- 
polarreise 1898  und  1899,  schließt  deshalb,  daß  der  antarktische 
Kältepol  eine  bedeutend  tiefere  Temperatur  aufweisen  muß  als  der 
sibirische  oder  grönländische  Kältepol  der  Nordhemisphäre.  Das  oben 
angegebene  Temperaturminimum  wurde  an  Bord  beobachtet,  3  km 
entfernt  fand  sich  dagegen  eine  Temperatur  von  — 52^.  Der  tiefste 
auf  der  Discovery  beobachtete  Barometerstand  war  713.6  mm,  und 
Arctowsky  schließt  daraus  beim  Vergleiche  mit  den  Beobachtungen  der 
Belgica  (1898—1899)  und  am  Kap  Adare  (1899—1900),  daß  der 
Barometerdruck  gegen  den  Südpol  hin  zunimmt  Er  kommt  zu  dem 
Ergebnis,  daß  die  groBe  antarktische  Eiskalotte  von  einem  Gürtel 
niedrigen  Luftdruckes  umgeben  ist,  innerhalb  dessen  Zyklone  von  West 
nach  Ost  ihre  Bahn  beschreiben,  also  in  derselben  Richtung  laufen 
wie  die  Zyklone  der  nördlichen  Gegenden.  Im  Winter  der  südlichen 
Polarzone  dreht  sich  der  Wind  von  Ost  gegen  Süd  und  verharrt  in 
Südwest  mit  der  größten  Stärke,  dann  dreht  er  gegen  Ost  zurück. 
Nördliche  Winde  kommen  dort  nur  im  Sommer  vor.  Die  größten 
Geschwindigkeiten  des  Windes  erreichten  65 — 70  englische  Meilen 
in  der  Stunde.  Im  Winter  gab  das  Barometer  keinerlei  Andeutungen 
vom  Herannahen  eines  Sturmes.  Die  Station  der  Discovery  befand 
sich  in  der  Nähe  der  beiden  von  Roß  entdeckten  Vulkane  Erebus  und 
Terror,  die  sich  aber  nicht,  wie  der  Entdecker  glaubte,  auf  einem 
Festlande,  sondern  auf  einer  Insel  erheben.  Südlich  von  dieser  Insel, 
in  der  Nahe  einer  Landspitze,  die  den  Namen  Armitage  erhielt,  lag 
die  Discovery  fest.  Westlich  davon  erstreckte  sich  die  Verlängerung 
des  Viktorialandes:  gegen  Süden,  sie  erschien  sehr  bergig,  und  das 
Binneneis  erreichte  80  Meilen  von  der  Küste  3000  m  Höhe,  in  Gestalt 
eines  ungeheuren  Plateaus,  das  sich  gegen  Osten  und  Süden  aus- 
dehnte. Der  Rauch  des  3800  m  hohen  Vulkanes  Erebus  bildete  für 
die  Beobachter  der  Discovery  eine  ausgezeichnete  Windfahne,  und  es 
ergab  sich  daraus,  daß  in  der  Höhe  hauptsächlich  südwestliche  und 
westliche  Winde  vorherrschend  waren,  übereinstimmend  mit  dem,  was 
früher  die  Belgica  aus  den  Bewegungen  der  obern  Wolken  er- 
schlossen hatte. 

Die  Wärmeabnahme  mit  der  Höhe  an  der  schottischen 
Westküste.  Im  Jahre  1902  wurde  von  W.  N.  Shaw  und  W.  H.Dines 
auf  Veranlassung  der  Kgl.  Meteorol.  Gesellschaft  von  der  Insel  Crinan 
und  vom  Deck  eines  Dampfers  im  Jura  Sund  aus  (40)  Drachenaufstiege 


Lufttemperatur.  343 

geleitet,  um  die  Luftverhältnisse  in  der  Höhe  zu  untersuchen.^)  Die 
mittlere  Wärmeabnahme  für  je  500  m  betrug  für  Intervalle  zu  500  m: 

0-600       500-1000     1000-1600  15OO-2000    2000-2600  2500-8000  8000-3600  m 
Juü        3.0  2.8  2.2  2.0  2.0  —  — 

August  2.6  2.8  2.3  2.1  2.0  2.0  L7 

Die  Extreme  pro  500  m  waren  4^  und  1^,  letzteres  mit  einer 
Umkehrung  der  Temperatur.  Es  gab  eine  Temperaturumkehrung  mit 
sehr  trockener  Luft  oberhalb  einer  Wolkenschicht,  bei  gleichzeitigen 
steilsten  Gradienten  an  der  Erdoberfläche.  Die  steilsten  Gradienten 
in  den  untersten  Schichten  traten  ein  bei  antizyklonalen  Verhältnissen, 
die  dem  Herannahen  einer  Depression  vorausgingen.  In  50  ^^  der 
Fälle  waren  die  Depressionen  mit  einer  Verminderung  der  Wärme- 
abnahme verbunden.  Beim  Vorübergange  einer  Depression  auf  der 
Nord-  wie  auf  der  Südseite  wurde  die  Luftsäule  über  Grinan  relativ 
gleichförmiger   in  ihrer  Temperatur  und  deshalb  wohl  relativ  warm. 

Die  mittlere  Wärmeabnahme  mit  der  Höhe  über  Grinan  pro 
100  m  war  folgende: 

Höhe  der  Luftsäule  ...  500  1000  1500  2000  2500  3000  86OO911 
Wärmeabnahme  per  100  m      0.56    0.56     0.52     0.50     0.48     0.46    0.43o 

Diese  Ergebnisse  beziehen  sich  auf  einen  mäßig  heftigen  Wind, 
also  auf  bestimmte  Wettertypen.  Die  Gradienten  für  die  hohem 
Schichten  sind  deshalb  nicht  so  allgemein  anwendbar,  als  jene  für 
die  untern. 

Die  mittlere  Wärmeabnahme  aus  diesen  Beobachtungen  ist  gleich 
jener  in  gesättigt  feuchter  aufsteigender  Luft  von  12^  bis  zu  2000  m. 
Sie  entspricht  auch  der  in  England  üblichen  Temperaturreduktion 
auf  ein  anderes  Niveau,  d.  i.  1^  F.  pro  300  engl  Fuß.  Zum  Schlüsse 
werden  die  Temperaturunterschiede  zwischen  dem  Gipfel  des  Ben-Nevis 
und  der  Atmosphäre  in  gleicher  Höhe  untersucht  Es  ergibt  sich»  daß 
diese  Differenzen  stets  positiv  sind,  d.  h.  daß  die  freie  Luft  im  Mittel 
um  2.3^  wärmer  ist  als  die  Luft  auf  dem  Berggipfel.  Die  Erklärung 
wird  darin  gesucht,  daß  die  Luft  von  der  See  her  infolge  der  vor- 
wiegenden W- Winde  an  dem  Berge  aufsteigen  muß  und  sich  dabei 
dynamisch  abkühlt  Diese  adiabatische  Temperaturabnahme  wird  aber 
über  der  See  in  der  freien  Luft  nicht  erreicht 

TemperatuFumkehrungren  in  der  Höhe  der  Atmosphäre. 

über  diese  früher  nur  gelegentlich  an  Gebirgen  beobachtete  Erschei- 
nung haben  die  Beobachtungen  am  aeronautischen  Observatorium 
bei  Berlin  zahlreiche  Daten  geliefert  Prof.  R.  Assmann  berichtet  dar- 
über:")  Als  Temperaturumkehrung  wurden  alle  diejenigen  Fälle  an- 
gesehen, bei  denen  eine  Temperatur  vorgefunden  wurde,  die  tatsäch- 
lich höher  war  als  die  der  angrenzenden  tiefem  Luftschicht;  auf  den 
Betrag  dieses  Unterschiedes  wurde  keine  Rücksicht  genommen,  ebenso 


1)  Meteorol.  Zeitschr.  1903.  p.  418. 

*)  Sitzungsber.  d.  Kgl.  Preuß.  Akad.  d.  Wiss.  1908.  p.  296. 


344 


Lufttemperatur. 


wurden  »Isothennien«  au£er  Betracht  gelassen,  obwohl  sie  genetisch 
mit  den  Inversionen  zusammenhängen. 

Eine  Obersicht  über  die  Anzahl  und  Verteilung  der  aufgefundenen 
Inversionen  gibt  folgende  Tabelle: 


1902 
August     Sept.       Okt. 


Nov. 


Des. 


1908 
Januar     Febr. 


SniDBBe 


Zahl  der  Aufstiege 
Zahl  der  Inversionen 
Inversion  In  Pros. 


24 

3 
12 


8 
24 


11 


25 

20 
80 


28 
17 
65 


31 
21 
88 


38 
17 
45 


205 
97 
47.3 


»Die  Zusammenstellung  lehrt,  daß  bei  47.3%  der  zugrunde  ge- 
legten Aufstiege  Temperaturumkehrungen  angetroffen  wurden. 

Ein  starkes  Anwachsen  der  Häufigkeit  während  der  Wintermonate 
ist  sehr  deutlich  ausgesprochen;  bei  näherer  Betrachtung  aber  erkennt 
man,  daß  nicht  so  sehr  die  Jahreszeit  als  der  Charakter  der  Witterung 
und  besonders  die  Druckverteilung  die  Häufigkeit  der  Inversionen  be- 
herrscht Im  November  und  Dezember  1902  und  im  Januar  1903, 
welche  mehrere  längere  Frostperioden  bei  antizyklonaler  Druckver- 
teilung hatten,  wurden  bei  ^/^  bis  ^/^  aller  Aufstiege  Umkehrungen 
vorgefunden,  in  den  übrigen  Monaten  bei  zyklonaler  Witterung  erheb- 
lich seltener.  Über  die  Höhen,  in  denen  die  Inversionen  angetroffen 
wurden,  gibt  die  nachfolgende  Tabelle  Aufschluß,  in  der  dieselben 
Höhenstufen  zugrunde  gelegt  wurden,  wie  sie  für  die  täglichen  Ver- 
öffentlichungen des  aeronautischen  Observatoriums  üblich  sind. 

Um  auch  über  den  Betrag  der  Umkehrung  ein  wenigstens  an- 
genähertes Bild  geben  zu  können,  wurden  die  » Inversionsgradienten  c 
zwischen  den  untern  und  obern  Grenzen  der  Inversionsschichten  für 
die  hierzu  geeigneten  Fälle  ermittelt,  wobei  alle  diejenigen  Umkeh- 
rungen außer  Betracht  blieben,  bei  denen  die  Mächtigkeit  der  Inver- 
sionsschicht eine  geringe  war. 


Hdhenstufen  in  Metern 

40  (Station) 
bis  200 

200 
bis  600 

500 
bis  1000 

1000 
bU1500 

1500 
bis  2000 

aooo 

bis  2500 

Zahl  der  F&Ue 

Zunahme  auf  100  m  Erhebung    . 

27 
1.74« 

ae 

1.38» 

35 
1.210 

23 
1.07» 

14 
1.53» 

6 
0.78P 

Da  die  Aufstiege  in  den  Vormittagsstunden  zur  Ausführung 
kamen,  fallen  diejenigen  Temperaturumkehrungen  fort,  welche  nach 
jeder  klagen  Nacht  in  den  ersten  Morgenstunden  auftreten  und  nur 
auf  die  unterste  Luftschicht  beschränkt  sind. 

Unter  Berücksichtigung  des  Umstandes,  daß  die  Anzahl  der  Auf- 
stiege bis  zu  200  m  Höhe  die  größtmögliche,  d.  h.  gleich  der  Gre- 
samtzahl  aller  Aufstiege  ist,  erscheint  es  bemerkenswert,  daß  die 
größte  Häufigkeit  der  Inversionen  nicht  in  diese  unterste  Schicht, 
sondern  in  die  beiden  darüberliegenden,  200 — 500  und  500 — 1000  m 
umfassenden  fällt;  mit  wachsender  Höhe  scheint  dieselbe  schnell  ab- 
zunehmen, obwohl  man  den  dort  gefundenen  Werten  wegen  der  ge- 
ringem  Zahl    der  Aufstiege    ein    geringeres   Gewicht  beilegen   muß. 


Lufttemperatur. 


345 


Immerhin  wird  man  nicht  allzuweit  fehl  gehen,  wenn  man  die 
zwischen  200  und  1500  m  liegenden  Schichten  als  diejenigen  ansieht, 
in  denen  Inversionen  am  häufigsten  aufzutreten  pflegen. 

Oberhalb  von  2500  m  Höhe  wurden  solche  überhaupt  nicht  an- 
getroffen, obwohl  die  Zahl  der  Fälle,  in  denen  diese  Höhe  über- 
schritten wurde,  33  beträgt 

Der  Betrag  der  Inversionen  nimmt  recht  regelmäßig  mit  der  Höhe 
ab;  das  Wiederanwachsen  bei  1500 — 2000  m  Höhe  muß  als  unsicher 
erscheinen,  obgleich  2000  m  in  65  Aufstiegen  überschritten  wurden; 
ein  gleiches  gilt  von  der  Verminderung  bei  2000 — 2500  m  Höhe. 

Die  vertikale  Mächtigkeit  der  Umkehrschichten,  welche  sich  nicht 
gut  in  Durchschnittswerten  ausdrücken  läßt,  scheint  im  Winter,  und 
besonders  während  der  Frostperioden,  eine  größere  gewesen  zu  sein: 
am  6.  Dezember  erstreckte  sie  sich  vom  Erdboden  bis  zu  1000  m 
Höhe,  ebenso  vom  20. — 23.  Januar;  auch  bis  zur  Höhe  von  2000  m 
kamen  Inversionsschichten  von  1000  m  Dicke  vor.  Gemeinhin  aber 
blieb  ihre  Mächtigkeit  unter  500  m. 

Zur  Untersuchung  der  Beziehungen  zwischen  den  Inversionen 
und  der  Verteilung  des  Luftdruckes  wurden  dieselben  nach  den  baro- 
metrischen Typen  und  deren  Lage  zum  Beobachtungsorte,  Berlin, 
angeordnet  Die  folgende  Tabelle  gibt  hierüber  Aufschluß  unter  Hin- 
zufügung der  Häufigkeit  in  Prozenten,  des  mittlem  Inversionsgradienten 
auf  100  m  Erhebung  und  der  mitÜern  Höhe,  in  der  die  Umkehrungen 
angetroffen  wurden. 


Rand  der  Antizyklonen      .    . 

Zentr. 

N 

NE 

intia 
E 

syklc 

SE 

men 

s 

sw 

w 

NW 

Über- 
gangs- 
gebiet 

Häufigkeit  in  Prozenten  .    . 
MitÜere  Zunahme  auf  100  m 
Mittlere  Höhenlage  in  Metern 

11 
0.7» 
650 

14 
1.40 
800 

5 

2.0» 
960 

5 

1.20 
780 

3 

1.3« 
890 

6 

1.70 
480 

6 
0.90 
570 

11 
1.90 
380 

8 
2.20 
330 

26 
1.4« 
680 

6 

2.80 
380 

Wenn  man  auch  diesen  Werten  eine  allzugroße  Beweiskraft  nicht 
zuerteilen  darf,  geht  doch  aus  denselben  das  große  Übergewicht  der 
Übergangszoneu  zwischen  einer  Antizyklone  und  einer  Zyklone  deutlich 
hervor,  der  sich  das  Zentrum  sowie  der  Nord-Nordwest-  und  West- 
rand der  Antizyklonen  zunächst  anreihen.  Der  Betrag  der  Inter- 
version  schließt  sich  der  Häufigkeit  ziemlich  gut  insofern  an,  als  er 
am  Nord-  und  Westrande  erheblich  größer  ist  als  am  Ost-  und  Süd- 
rande. Die  Ubergangszone  weist  einen  mittlem  Betrag,  das  Zentrum 
der  Antizyklone  den  kleinsten  aul 

Sehr  merkwürdig  und  neu  ist  die  starke  Temperaturumkehrung 
in  der  Nähe  der  Zyklonen,  welche  die  aller  übrigen  Lagen  übertrifft. 

Die  mittlere  Höhenlage  der  Inversionsschicht  scheint  in  der  Nähe 
der  Zyklonen  und  am  West-,  sowie  am  Nordrande  der  Antizyklonen, 
d.  h.  dem  Gebiete  der  Zyklonen  zunächst,  am  geringsten,  an  deren 
Nord-  und  Ostseite  am  größten  zu  sein;  die  Obergangszone  und  das 
Zentrum  der  Antizyklone  zeigen  eine  mittlere  Höhe. 


iitensiven  Temperatur- 

02  angetroffen  wurde 

am  13.  in  700  m  Höhe 

Verfasser  auf  das  an 

derschläge  aufmerksam 

beerende  Oberschwem- 

» 

mcheinungen    einen  Zu- 

"Srund  des  vereinzelten 

werden,    und   deshalb 

ein  Zusammentreffen 

n  durchmustert.    Bei 

wartenkarte  im  Süden 

wirkliche  Ausbreitung 

werden;    es  wurden 

I***"!!  mehrere   benachbarte 
m  Höhe  meldeten,    und 
_   k^i^l^figeordneten  Inversionen 

;•  «^^  mm»  a^»  m-v^m 

;t6  dieser  Untersuchung. 


S    ÜE|  s  jsw 


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G 


w 


10 


NW 


SE 


bi^  Vnt  V^    r      bkrf  Wid  VJ  U^     ' 

#"  'Ä"  'AT  'cö*  ''^-''i^"  "Ä"^ 
•    tfk    «"^  «^*^»  -^-  -S-  "s? • 


1 1 


sw 


1 1" 


w 


NW 


ZykL 


ennen,    daß  von  91  in 
ersion  52,    also  57  7o» 

'^^^^^^  ®^  ^^^"^^ 

|Ddi||S!pj3!Si«f|ifc|gi||pa  niedergegangen  sind. 

li^rtt^lils^Llf^C^  große  Regenfälle,   und 

f«iyC^^I|3>  einer   mittlem  Entfer- 

so  dürfte  der 

^  ^  _     beträchtlich  über  dem 

£äii]^^t^aMiw^^  liegt,  und  daß  man 


Lufttemperatur.  347 

Eine  nähere  Untersuchung  läßt  erkennen,  daß  der  Rand  der 
Antizyklone,  an  welchem  die  Inversionen  beobachtet  wurden,  meist 
derjenigen  Gegend  gegenüber  liegt,  in  der  die  Niederschläge  stattfinden: 
am  Nord-  und  Nordwestrande  der  Antizyklonen  fallen  am  häufigsten 
im  Westen,  d.  h.  in  Irland  und  England,  große  Regenmengen,  am 
Ost-  und  Südrande  meist  in  Spanien  und  Italien;  am  Westrande  und 
im  Zentrum  einer  Antizyklone  sind  die  entsprechenden  Werte  ziemlich 
gleich  verteilt  Das  Nämliche  gilt  für  die  Übergangszonen.  Es  dürfte 
daher  nicht  ganz  unbegründet  sein,  anzunehmen,  daß  eine  gewisse 
Beziehung  zwischen  den  beiden  Vorgängen  wirklich  besteht  < 

Um  nun  einen,  wenn  auch  nur  annähernd  richtigen  Maßstab  für  die 
Bewertung  der  d3mami8chen  Vorgänge  bei  den  am  aeronautischen  Obser- 
vatorium ermittelten  Temperaturinversionen  zu  gewinnen,  wurden  diejenigen 
Fälle  ausgesondert,  bei  denen  am  nächstgelegenen  Ursprungsorte  der  herr- 
schenden Luftströmung,  d.  h.  in  der  den  Strom  speisenden  Antizyklone, 
eine  nennenswert  höhere  Temperatur  geherrscht  hat  als  in  Berlin. 

Das  Ergebnis  ist,  daß  dies  bei  12  Fällen  von  93,  d.  h.  bei  18%  dei^ 
selben  festgestellt  werden  konnte,  und  daß  dieselben  fast  ausschließlich  bei 
südwestlicher  und  südlicher  Lage  der  Antizyklone  und  in  der  Nähe  von 
Depressionen  gefunden  wurden. 

Eiine  Auszählung  derjenigen  Inversionen,  die  unmittelbar  über  einer 
geschlossenen  Wolkendecke  angetroffen  wurden,  ergab  32  von  79  Fällen, 
d.  h.  40.5®/^  und  zeigte,  daß  dieselben  vornehmlich  den  Übergangszonen, 
den  Zyklonen  und  dem  Nordrande  der  Antizyklonen  angehörten.  Nach  dem 
oben  Ausgeführten  wird  man  nicht  umhin  können,  dieselben  dem  Vorhanden- 
sein einer  obem,  aus  der  Antizyklone  stammenden  niedersinkenden,  über 
einem  dem  Zyklonenregime  angehörigen  aufsteigenden  Luftstrome  zuzu- 
schreiben. Dieselben  lassen  auch  erkennen,  daß  der  Luftaustausch  zwischen 
den  Antizyklonen  und  Zyklonen  keineswegs  nach  dem  gewöhnlichen  Schema 
erfolgt,  das  ein  Ausstromen  aus  der  Antizyklone  und  ein  Zuströmen  zur 
Zyklone  nur  in  den  untersten  Schichten  anmmmt,  sondern  daß  auch  bis  zu 
großem  Höhen  absteigende  Luftströme  sich  dem  Zyklonenkörper  nähern 
und  mannigfache  Überlagerungen  und  Einkeilungen  von  Luftmassen  beider 
Regime  vorkommen. 

Die  vertikale  Wärmeleitungr  In  der  Atmosphäre.  Prof. 
A.  Schmidt  gibt  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  eine  von  der  bis- 
herigen wesentlich  abweichende  Darstellung  dieses  Vorganges.^)  Er 
entwirft  schließlich  folgendes  Bild  der  tatsächlichen  Verhältnisse  und 
ihres  Kausalzusammenhanges :  »Aus  dem  Vorrat  der  der  Atmosphäre 
besonders  durch  Strahlung  zugeführten  Wärmemengen,  für  welche 
eine  mit  der  Dichte  nach  oben  abnehmende  Volumenkapazität  besteht, 
bildet  sich  ein  ununterbrochen  fortdauernder  Strom  geleiteter  Wärme 
von  oben  nach  unten.  Nur  in  sehr  seltenen  lokalen  und  vorüber- 
gehenden Fällen  hört  dieser  Strom  auf,  es  besteht  an  den  betreffenden 
Orten  thermisches  Gleichgewicht  mit  einer  Abnahme  der  Temperatur 
von  unten  nach  oben  um  1.4^  pro  100  m.  An  Orten,  wo  der 
Wärmestrom  aufhört  oder  sich  vermindert,  weil  durch  Konvektion 
Wärme  von  unten  nach  oben  geführt  wird,  findet  solange  eine  Verschiebung 


^)  Gerland,  Beiträge  zur  Geophysik  1903.  6.  p.  166. 


348  Lufttempwatar. 

der  Isothennenflächen  statt,  die  sich  über  diesen  Orten  nach  oben 
zusammendrängen.  Durch  jede  Vergrößemng  des  vertikalen  Iso- 
thermenabstandes wird  der  Wärmestrom  yertsärkt,  durch  jede  Ver- 
minderung veriangsamt  In  den  Höhen  unter  G  km  findet  sowohl 
wegen  der  freiwerdenden  latenten  Wärme  des  Wassers  als  anch 
wegen  der  erhöhten  Absorption  von  Wärmestrahlen  durch  den 
Wasserdampf  der  Luft  eine  mit  der  Jahreszeit  yeränderliche  Wärme- 
zufuhr statt  unter  nach  unten  zunehmender  Verstärkung  des  nächt- 
lichen Leitungsstromes,  besonders  in  der  wannen  Jahreszeit  und  bei 
einer  mit  der  Jahreszeit  und  Tageszeit  sckwankenden  Höhe  der 
Isothermen.  Ober  dieser  Höhe  sind  die  Orte  häufigster  Verzögerung 
des  Leitungsstromes  unter  teilweiser  Ausbildung  labiler  Gleich- 
gewichtslageningen. 

Da  die  Wärmeleitungsfähigkeit  der  Luft  von  ihrer  Dichte  unab- 
hängig ist,  aber  mit  der  Temperatur,  bezw.  mittlem  molekularen 
Geschwindigkeit  wächst,  so  erfordert  dieselbe  Stromstärke  eine  um 
so  größere  Entfernung  der  Isothermen  bis  zu  Temperaturumkehrungen, 
um  so  stärkere  Abweichung  vom  thermischen  Gleichgewicht,  je 
niederer  die  Temperatur  ist  In  den  Höhen  von  6 — 8  km  bei  etwa 
— 30^  nimmt  die  Temperatur  rascher  ab  als  in  13 — 14  km  mit 
Temperaturen  von  etwa  — 60^.  Dort  entspricht  einem  niittlem 
Temperaturgefälle  von  0.7 — 0.8"  pro  100  m  eine  Entfernung  von  nur 
0.6  vom  thermischen  GleichgewichtsgefäUe,  hier  bei  fast  0^  Tem- 
peraturabnahme eine  etwa  doppelt  so  starke  Abweichung.  Es  sind 
also  die  labilen  Lagerungen  zwischen  6  und  8  Arm  als  Hemmungen 
des  vertikalen  Wärmestromes  zu  deuten,  die  besonders  zur  Zeit  des 
Spätsommers  unter  damit  verbundener  Erhöhung  der  Isothermen  ein- 
treten. Das  annähernde  Verschwinden  aber  des  Temperaturgradienten 
in  Höhen  über  13  km  (nach  Assmann  sind  bis  19^/,  km  auch  wieder 
Temperaturabnahmen  konstatiert  worden)  entspringt  einer  Verminderung 
der  Leitungsfähigkeit  der  Luft  in  sehr  tiefer  Temperatur. 

Von  dem  in  unbekannter  Höhe  über  dem  Erdboden  entspringenden 
breiten  und  trägen  Strome  abwärts  geleiteter  Wärme  kann  die  Existenz 
so  lange  nicht  erkannt  werden,  als  ein  falsches  Wärmeleitungsgesetz 
den  Einfluß  der  Schwere  auf  die  Wärmeverteilung  leugnet  Noch 
nicht  lange  ist  es  her,  daß  selbst  die  Erscheinungen  an  der  Mündung 
des  Stromes  falsch  gewürdigt  wurden,  und  es  fast  als  ein  Dogma 
galt,  daß  die  Atmosphäre  außerordentlich  diatherman  sei,  und  weitaus 
den  größten  Teil  ihrer  Wärme  nicht  der  direkten  Absorption  der 
Sonnenstrahlen,  sondern  der  mit  Konvektion  verbundenen  Leitung 
vom  Erdboden  verdanke.« 

W.  von  Bezold  hat  am  Verlaufe  des  Temperaturganges  in  den 
untern  Atmosphärenschichten  bei  Veranlassung  der  theoretischen 
Bearbeitung  der  Berliner  wissenschaftlichen  Luftfahrten  unwiderleglich 
nachgewiesen,  daß  der  Boden  erheblich  mehr  abkühlend  als  erwärmend 
auf  die  untern  Luftschichten  einwirke.    »Das  ist<,  sagt  Prof.  Schmidt, 


Luftdruck.  349 

»das  Morgenrot  einer  richtigen  Erkenntnis.  Die  Frucht  der  wissen- 
schaftlichen Ballonfahrten  und  Drachenversuche  wird  weiter  reifen 
zu  der  Überzeugung,  daß  auch  das  , adiabatische'  Gleichgewicht 
noch  der  Ausdruck  einer  vertikal  von  oben  kommenden  Wärme- 
leitung  ist. 

Des  Rätsels  Lösung  aber  haben  wir  erst  zum  kleinern  Teile,  die 
Wärmeleitung  der  Luft  zum  Boden  genügt  bei  weitem  nicht,  die 
ganze  Quantität  der  der  Atmosphäre  fortlaufend  zugeführten  Energie 
ihr  fortlaufend  zu  entführen.« 

Luftdruck. 

Der  hohe  Luftdruck  über  Sibirien.^)  Aus  den  in  den 
Annalen  des  physikalischen  Zentralobservatoriums  publizierten  Beob- 
achtungen der  sibirischen,  zentralasiatischen  und  zum  Teile  west- 
europäischen Stationen  sucht  L.  G.  Danilow  an  Hand  der  synoptischen 
Karten  über  Entstehung  und  Entwicklungsgang  der  sibirischen  winter- 
lichen Antizyklone,  sowie  über  die  Bedingungen,  die  an  ihr  Störungen 
hervorrufen,  Aufschluß  zu  gewinnen.  Die  Ergebnisse  faßt  er  so  zu- 
sammen: a)  Die  Fälle,  wo  auf  der  ganzen  Erstreckung  des  asiatischen 
Kontinents  der  Luftdruck  nicht  über  760  mm  steigt,  sind  sehr  selten 
und  dürften  bei  der  Vermehrung  der  Zahl  der  Stationen  noch  seltener 
werden,  ja  ganz  verschwinden,  b)  Im  Gegensatze  zu  den  Forderungen 
der  thermischen  Theorie  stellten  sich  sowohl  die  herbstliche  Ver- 
stärkung der  Antizyklone,  als  auch  ihre  Vorlagerungen  und  die  Ent- 
stehung lokaler  Hochdruckgebiete  als  ganz  unabhängig  von  den 
vorangehenden  Temperaturemiedrigungen  heraus;  letztere  sind  viel- 
mehr eine  Folge  der  thermodynamischen  Vorgänge  der  adiabatischen 
Kompression  und  Dilatation  der  Luftmassen,  die  die  Antizyklone  als 
mechanisches  System  charakterisieren,  c)  Die  sibirische  Antizyklone 
ist  nicht  stationär  im  Sinne  einer  Fixierung  der  geographischen 
Lage  ihres  Zentrums,  ist  aber  sozusagen  zeitlich  stationär,  indem 
ihr  die  Eigenschaft  einer  dynamischen  Stetigkeit  des  Vorganges  zu- 
kommt, was  sich  unter  anderm  daraus  ergibt,  daß  die  sie  bildenden 
lokalen  Maxima,  von  seltenen  Ausnahmen  abgesehen,  nicht  ver- 
schwinden, sondern  auf  die  eine  oder  andere  Art  umgeformt  werden, 
d)  Alle  Verlagerungen  der  sibirischen  Antizyklone  stehen  im  innigsten 
Zusammenhange  mit  den  vorangehenden  Veränderungen  der  zyklonischen 
Tätigkeit,  wobei  eine  Verstärkung  der  zyklonischen  Tätigkeit  im  S 
eine  nördliche  Verschiebung  der  Antizyklone,  die  Verstärkung  im  N 
eine  südliche  und  jedenfalls  eine  Steigerung  des  Luftdruckes  in  ihrem 
Zentrum  bewirkt. 

Da  nun  dieselben  Eigenschaften  auch  einem  konstanten  Maximum 
zukommen,  dessen  dynamische  Entstehung  außer  jedem  Zweifel  ist, 
hält  es  Danilow  für  möglich,  besondere  Entstehungsbedingungen  für 


^)  Meteorol.  Zeitschr.  1902.  p.  577. 


360  Wolken. 

die  Halbjahrsmaxima  anzunehmeiii  und  hält  die  sibirische  Antizyklone 
für  einen  Teil  des  subtropischen  Hochdruckringes,  der  durch  die 
Bedingungen  der  Zirkulation  über  den  Kontinentalmassen  modifiziert 
erscheint 

Wolken. 

Horphologrie  der  Wolken  des  auflstelgenden  Luft- 
StFOmes.^)  K.  Mack  ist  schon  früher  durch  die  Untersuchung  ge- 
wisser Wolkengebilde  von  überraschend  regelmäßiger  Form  zu  dem 
Schlüsse  geführt  worden,  es  sei  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  anzu- 
nehmen, daß  durch  atmosphärische  Vorgänge  horizontale  Wirbelringe 
im  großen  sich  bilden  können.  Seinen  damaligen  Untersuchungen  lag 
die  Voraussetzung  zugrunde,  daß  dieselben  Strömungsgebilde,  welche 
wir  im  kleinen  bei  Laboratoriumsversuchen  an  Flüssigkeiten  und 
Gasen  unter  gewissen  Bedingungen  wahrnehmen,  auch  in  der  Atmo- 
sphäre im  großen  unter  ähnlichen  Verhältnissen  zustande  kommen. 
Diese  Voraussetzung  hat  seitdem  durch  Beobachtungen  an  vulkanischen 
Rauchwolken  eine  weitere  Stütze  gefunden.  Da  bei  solchen  Strömungs- 
gebilden den  Wirbelbewegungen  um  horizontale  Achsen  eine  wichtige 
Rolle  zukommt,  und  da  anderseits  in  Wolkengebilden  die  von  ihm 
in  deren  Innern  vorausgesetzten  Wirbelringe  nicht  direkt  sichtbar 
waren,  so  hat  er  sich  in  den  letzten  Jahren  bemüht,  durch  systematisch 
angestellte  Wolkenbeobachtungen  womöglich  das  Vorkommen  von 
Wirbelringen  im  großen  bei  Wolkenbildungen  direkt  festzustellen.  Zu- 
gleich war  seine  Absicht,  weiteres  Beobachtungsmaterial  auf  dem 
Gebiete  deijenigen  Wolkenformen  zu  sammeln,  die  mit  jenen  uns  ex- 
perimental  bekannten  Strömungsgebilden  Ähnlichkeit  haben. 

Wenn  in  einer  Flüssigkeit  oder  in  einem  Gase  imter  geeigneten 
Umständen  Wirbelringe  sich  bilden,  so  müssen  für  deren  Sichtbarkeit 
besondere  Bedingungen  erfüllt  sein.  Diese  können  durch  die  Färbung 
ausströmender  Flüssigkeit  oder  durch  die  Beimengung  von  Rauch 
oder  kondensiertem  Wasserdampf  zu  strömender  Luft  gegeben  sein. 
Aber  auch  dann  sind  die  Wirbelringe  nur  in  speziellen  Fällen  als 
solche  sichtbar ;  in  zahlreichen  andern  Fällen  sind  sie  verhüllt  durch 
anders  geformte  charakteristische  Gebilde,  deren  Gestalt  in  gesetz- 
mäßiger Weise  durch  die  Wirbeh*inge  bedingt  ist.  Es  kommen  hier 
hauptsächlich  pilzförmige  und  zylindrische  Gebilde  in  Betracht,  zu 
denen  noch  Kuppen-  und  Hornbildungen  treten  können.  Aus  dem 
Auftreten  solcher  Gebilde  ist  es  möglich,  einen  Rückschluß  auf  das 
Vorhandensein  oder  Vorhandengewesensein  der  Wirbelringe  zu  ziehen. 

Die  Wolken  des  auf  steigenden  Luftstromes  sind  diejenigen,  welche 
unter  günstigen  Umständen  die  Formen  jener  Strömungsgebilde  zeigen 
werden.  Nach  vorstehenden  Darlegungen  kann  man  unterscheiden: 
a)  ringförmige  Wolken,  b)  pilzförmige  Wolken,  c)  Zylinder-  oder  türm- 

^)  Meteorol.  Zeitschr.  1908.  p.  289. 


Wolken.  361 

förmige  Wolken,  d)  Wolken  mit  kuppen-  oder  hornförmigen  Bildungen. 
Als  5.  Gruppe  mögen  noch  beigefügt  werden:  e)  kalottenförmige 
Wolkenschleier. 

Diese  5  Gruppen  behandelt  Verf.  in  der  Weise,  daß  aus  dem  vor- 
liegenden Beobachtungsmateriale  charakteristische  Beispiele  für  die  ein- 
seinen Gruppen  gegeben  werden,  und  die  Entstehung  der  betreffenden 
Wolken  mit  bekannten  Laboratoriumsversuchen  in  Parallele  gesetzt  wird. 

Auf  die  Einzelheiten  der  Ausführungen  des  Verf.  kann  hier  nicht 
eingegangen  werden,  es  genügt,  die  folgende  von  ihm  gegebene  Zu- 
sammenfassung der  Resultate  anzuführen:  »Daß  zuweilen  Wolken- 
Gebilde  vorkommen,  die  lebhaft  an  Strömungsfiguren  erinnern,  die 
durch  Auftrieb  in  sonst  ruhenden  Flüssigkeiten  und  Gasen  gebildet 
werden,  ist  eine  langst  bekannte  Tatsache ;  man  begnügte  sich  jedoch 
damit,  solche  Wolkengebilde  als  vereinzelte  Merkwürdigkeiten  zu 
registrieren,  ohne  aus  der  in  solchen  Einzelfällen  zutage  tretenden 
Analogie  allgemeinere  Analogieschlüsse  zu  ziehen.  Wenn  man  bis 
jetzt  Bedenken  trug,  die  Bewegungsvorgänge  bei  der  Bildung  der 
Wolken  des  aufsteigenden  Luftstromes  —  regelmäßig  wie  unregel- 
mäßig geformter  —  durchgehends  in  Parallele  zu  setzen  mit  jenen 
experimentell  studierten  Vorgängen  in  Flüssigkeiten  und  Gasen,  so 
lag  dies  wohl  in  erster  Linie  daran,  daß  das  Beobachtungsmaterial 
an  charakteristisch  geformten  Wolken  noch  nicht  ausreichend  erschien, 
um  Schlüsse  allgemeiner  Natur  darauf  zu  gründen.  Die  hier  vor- 
handenen Lücken  suchte  ich  auszufüllen  durch  die  in  den  letzten 
Jahren  von  mir  angestellten  Wolkenbeobachtungen;  ich  glaube,  daß 
das  ursprünglich  von  andern  Beobachtern  zusammengetragene,  von 
mir  ergänzte  Material  nunmehr  dazu  berechtigt,  den  Satz  als  erwiesen 
anzusehen,  daß  die  atmosphärischen  Bewegungsvorgänge,  welche  zu 
der  Bildung  der  Wolken  des  aufsteigenden  Luftstromes  führen,  der- 
selben Art  sind,  wie  die  bei  jenen  Laboratoriumsversuchen  auf- 
tretenden. Hieraus  ergibt  sich  das  weitere  Resultat,  daß  Wirbel- 
bewegungen um  horizontale  Achsen  bei  der  Bildung  der  Wolken  des 
aufsteigenden  Luftstromes  und  überhaupt  bei  aufsteigenden  Luftströmen 
eine  wesentliche  Rolle  spielen,  welche  nicht  außer  acht  gelassen 
werden  darf. 

Unter  diesen  Umständen  erwächst  die  Verpflichtung,  die  Ver- 
haltnisse, die  bei  solchen  im  großen  vor  sich  gehenden  Wirbelbewegungen 
um  horizontale  Achsen  vorliegen,  genauer  zu  untersuchen.  Daß  durch 
die  kreisende  Bewegung  in  solchen  Wirbeln  ein  gestaltbildender  Einfluß 
auf  etwa  vorhandene  Hagelkörner  ausgeübt  wird,  ist  sehr  wahr- 
scheinlich; aber  auch  Wirkungen  anderer  Art  sind  nicht  ausgeschlossen. 
Eine  der  nächsten  Aufgaben  ist  wohl,  eine  genauere  Vorstellung  von 
den  Geschwindigkeiten  zu  gewinnen,  welche  im  aufsteigenden  Luft- 
strome vorkommen,  da  von  diesen  die  Geschwindigkeiten  in  den  Wirbeln 
abhängen.  Manche  Umstände  scheinen  dafür  zu  sprechen,  daß  man  es 
hier  zuweilen  mit  recht  erheblichen  Geschwindigkeiten  zu  tun  hat.c 


352  Niederschläge  und  Verdunstang. 

Niederschlflgre  und  Verdunstung. 

Die  Periodizität  der  Niederschlägre  ist  von  William 
J.  S.  Lockyer  untersucht  worden^)  unter  Bezugnahme  auf  die  Brückner- 
sche  Periode  von  85  Jahren.  Lockyer  vergleicht  die  Regenaufzeich- 
nungen auf  den  Britischen  Inseln,  in  Brüssel,  Madras,  Bombay,  Kap- 
stadt und  im  Ohiotale,  nach  den  Schwankungen,  welche  sie  anzeigen, 
mit  den  Schwankungen  der  Sonnenflecke.  Beide  werden  durch  Kurven 
dargestellt  und  deren  Verlauf  untereinander  verglichen.  Ein  allgemeiner 
Überblick  dieser  Kurven,  sagt  Lockyer,  zeigt,  daß  ohne  Zweifel  eine 
langperiodische  Variation  an  allen  Stationen  vorhanden  ist;  femer 
daß  die  Maxima  des  Regenfalles  im  allgemeinen  in  den  Jahren  1815, 
1845  und  1878 — 1883  eintraten,  die  Minima  in  den  Jahren  1825 
bis  1830,   1860  und  1893—1895. 

,,Bei  der  Existenz  dieser  sehr  deutlichen  Schwankungen  ist  es 
wichtig,  zu  bemerken,  daß  das  letzte  Minimum  oder  die  letzte  trockene 
Periode,  welche  sehr  deutlich  ausgeprägt  ist  in  den  Kurven  für  den 
britischen  Regenfall,  soeben  vorbei  oder  an  dem  Wendepunkte  zu  sein 
scheint,  und  daß  in  allen  Fällen  eine  allgemeine  Tendenz  zum  Auf- 
steigen der  Kurve  für  die  lange  Periode  vorhanden  ist.  Wenn  diese 
Gesetzmäßigkeit  weiterbesteht,  ist  es  wahrscheinlich,  daß  das  Ansteigen 
bis  zum  Jahre  1913  andauert,  welches  Jahr  die  Mitte  der  nächsten 
feuchten  Epoche  darstellen  dürfte.  Es  ist  jedoch  zu  bemerken,  daß 
diese  Zunahme  wegen  der  starken  oszillatorischen  Natur  des  Regen- 
falles von  einem  Jahre  zum  andern  nur  einem  Mittelwert  für  mehrere 
Jahre  darstellt ;  es  können  verhältnismäßig  trockene  Jahre  auftreten, 
während  die  Kurve  für  die  Säkularvariation  ein  Bfaximum  zeigt,  aber 
im  allgemeinen  Mittel  werden  sie  wahrscheinlich  naß  sein. 

Welche  Ursachen  diese  lange  Witterungsperiode  hervorbringen, 
ist  noch  nicht  ganz  bekannt,  doch  ist  es  für  die  Meteorologie  von 
größter  Wichtigkeit,  daß  die  Frage  sobald  als  möglich  aufgeklärt 
werde,  denn  sie  bezieht  sich  nicht  nur  auf  den  Regenfall,  sondern 
auch  alle  andern  meteorologischen  Elemente  zeigen  ähnliche  Schwan- 
kungen. 

Brückner  suchte  den  Ursprung  dieses  langperiodischen  Wetter- 
zyklus in  Änderungen  auf  der  Sonne,  und  er  untersuchte  die  damals 
vorliegenden  Sonnenfleckendaten  bezüglich  einer  Periodizität  von 
ungefähr  35  Jahren.  Seine  Untersuchung  war  nicht  erfolgreich,  er 
schloß  jedoch,  daß  trotzdem  diese  Variation  in  der  Sonne  tatsächlich 
vorhanden  sein  müsse,  wenn  sie  auch  nicht  durch  die  Sonnenflecken 
zum  Ausdrucke  kommt.  Vor  kurzem  hat  eine  eingehende  Untersuchung 
der  Sonnenfleckenbeobachtungen  seit  dem  Jahre  1832,  in  welchem 
eine  systematische  Beobachtungsmethode  begonnen  wurde,  zur  Entr 
deckung  einer  solchen  Periode  geführt.*)   Dort  wurde  gezeigt,  daß  jede 

>)  Nature  1903  7.  Mai  p.  8;  Meteorol.  Zeitschr.  1908.  p.  423. 
^  Vgl.  dieses  Jahrbuch  13.  p.  5. 


LuftbewegUDg,  Winde  und  Stünne.  353 

Sonnenfleckenperiode  (von  Minimum  zu  Minimum  gerechnet)  sich  in  vielen 
Punkten  von  der  unmittelbar  vorausgehenden  oder  nachfolgenden 
unterscheidet.  In  manchen  Perioden  waren  nicht  nur  die  Flecken 
zahlreicher  als  in  andern,  d.  h.  die  Summation  der  ganzen  von  Flecken 
bedeckten  Fläche  von  einem  Minimum  zum  folgenden  änderte  sich 
regelmäßig,  aber  mit  diesen  partikulären  Perioden  war  ein  verhältnis- 
mäßig rasches  Ansteigen  vom  Minimum  zum  Maximum  eng  verbunden. 
Diese  Änderungen  endlich  schienen  einer  regelmäßigen  Variation  zu 
unterliegen,  deren  Zyklus  zu  ungefähr  35  Jahren  ermittelt  wurde. 

Der  Zusammenhang  zwischen  der  Brücknerschen  Periode  und 
dieser  langen  Periode  von  Sonüenänderungen  in  85  Jahren  wurde 
dort  in  Kürze  festgestellt  und  gezeigt,  daß  zu  jenen  2  Epochen 
der  Sonnenfleckenminima,  1843  und  1878,  welche  den  Zyklen  mit 
der  größten  Fleckenfläche  folgen,  der  Brücknersche  Zyklus  für  liegen- 
fall ein  Maximum  hatte. 

Die  nahe  Übereinstimmung  der  Epochen  dieser  beiden  Zyklen 
läßt  es  wahrscheinlich  erscheinen,  daß  sie  in  ursächlichem  Zusammen- 
hange stehen,  was  Brückner  selbst  vermutet  und  gesucht,  aber  nicht 
gefunden  hat« 

LuftbewefiTungr,  Winde  und  Stürme. 

Untersuchungen  über  die  allsremelne  Bewegrung  in  der 
Erdatmosphäre   auf  Grund  der  Cirrusbeobaehtungen  hat 

H.  Hildebrandsson  angestellt 

Die  an  der  Erdoberfläche  auftretenden  allgemeinen  Windverhältnisse 
sind  im  großen  und  ganzen  genügend  bekannt,  allein  die  obem  Luftströme 
sind  es  umso  weniger.  Bezüglich  dieser  hat  man  mehr  oder  weniger  plausible 
Hypothesen  aufgestellt,  die  sich  auf  die  folgenden  Grundtatsachen  stützen : 

1.  Die  Lufttemperatur,  welche  durch  die  Wärme  der  Sonne  bedingt 
wird,  nimmt  vom  Äquator  gegen  die  beiden  Pole  hin  ab,  daher  muß  in  der 
Höhe  der  Atmosphäre  ein  ununterbrochener  Wind  vom  Äquator  her  statt- 
finden, an  der  Erdoberfläche  aber  umgekehrt  ein  Wind  von  den  Polen  gegen 
den  Äquator  hin.  2.  Welches  immer  die  Richtung  einer  Luftströmung,  also 
eines  Windes  an  der  Erdoberfläche  sein  mag,  so  wird  dieselbe  durch  die 
Achsendrehung  der  Erde  auf  der  nördlichen  Ebrdhälfte  nach  rechts,  auf  der 
südlichen  nach  links  abgelenkt. 

Der  erste  Grundsatz  wurde  von  Halley  1686  in  die  Meteorologie  eingeführt, 
um  den  Ursprung  der  Passatwinde  zu  erklären;  der  zweite  von  Hadley  1785 
zur  Erklärung  des  ümstandes,  daß  die  Passatwinde  aus  NO  und  auf  der 
BÜdUchen  Erdhälfte  aus  SO  wehen,  statt,  wie  es  nach  Hidleys  Theorie  sein 
soUte,  aus  N  und  S. 

Nach  Dove  erhebt  sich  die  in  der  äquatorialen  Zone  stark  erwärmte 
Luft  in  Masse  bis  zu  den  hohen  Regionen  der  Atmosphäre,  und  dieses  Empor- 
steigen veranlaßt  unten  ein  Zuströmen  der  Luft  beiderseits  gegen  den 
Wärmeäquator  hin.  Daher  fließen  die  Passatwinde  am  Boden,  indem  sie 
den  Gegenden  des  Wärmeäquators  zuströmen.  Die  solcher  Art  nach  dem 
Äquator  transportierte  Luftmenge  wird  polwärts  durch  die  Antipassate 
wieder  zurückgeführt,  die  sich  von  den  Tropen  polwärts  hin  mehr  und  mehr 
herabsenken,  bis  sie  endlich  den  Erdboden  erreichen.  Dann  strömt,  nach 
Dove,  ein  Teil  dieser  Luft  wieder  gegen  den  Äquator  hin,  indem  er  die 
Passate  speist,  der  andere  Teil  aber  setzt  seinen  Lauf  gegen  die  Pole  hin 
Klein,  Jahrbuch  XIV.  28 


364  Luftbewegang,  l^^de  und  Stürme. 

fort.  Winde  ans  SW  oder  W  henschen  in  der  nördlichen  Erdhälfte  auf 
den  Meeren  der  gemäßigten  Zone  vor,  in  der  südlichen  dagegen  Winde  ans 
NW  and  W,  and  beide  Iiaft8ü>dme  sind  als  Fortsetzungen  der  zum  Boden 
herabgestiegenen  Antipassatwinde  zu  betrachten.  Dieser  äquatoriale  Luft- 
strom  wird  von  seinem  Ursprünge  über  den  tropischen  Meeren  her  durch 
hohe  Temperatur,  große  Feuchtigkeit  und  niedrigen  Luftdruck  charakterisiert. 
Während  er  gegen  die  Polarregionen  vordringt,  fließt  ein  polarer  Luftstrom 
in  entgegengesetzter  Richtung  nach  den  Tropen  zu,  und  dieser  ist  kalt, 
trocken  und  bringt  hohen  Luftdruck.  Die  Witterungsänderungen  der  ge- 
mäßigten Zone  sind  eine  Folge  des  steten  Kampfes  zwischen  dem  Polar- 
und  Äquatorialstrome  der  Luft  Solcherweise  gibt  es  nach  Dove  auf  jeder 
Erdhenüsphäre  eine  doppelte  atmosphänsche  Zirkulation.  Die  eine  regel- 
mäßig und  vertikal  genchtet,  vollzieht  sich  zwischen  dem  thermischen 
Äquator  und  den  Wendekreisen,  die  andere  vom  Pole  bis  zu  dem  nächsten 
Wendekreise  ist  horizontal  und  unregelmäßiger.  Gewöhnlich  ist  dieser 
ganze  Raum  in  breite,  schräg  gerichtete  Streifen  zerlegt,  innerhalb  deren 
die  Luft  in  entgegengesetzten  Richtungen  dahinströmt,  wobei  die  einzelnen 
Ströme  einander  zu  verdrängen  suchen,  und  bald  der  eine,  bald  der  andere 
vorherrscht. 

Der  berühmte  Hvdrograph  Maury  stellte  seinerseits  als  allgemeine  aus 
den  Beobachtungen  abgeleitete  Tatsachen  folgendes  auf: 

1.  Eine  Kalmenzone  in  der  Gegend  des  Äquators.  2.  Passatwinde,  die 
aus  nördlichen  und  südlichen  Gegenden  gegen  den  Äquator  hinströmen. 
3.  Zonen  veränderlicher  Winde  etwa  unter  dem  30.  Grade  nördlicher  und  j 

südlicher  Breite.  4.  Antipassate  oder  Äquatorialwinde,  die  über  den  Zonen 
der  Veränderlichen  herabsteigen  und  ihren  Weg  an  der  Erdoberfläche  bis 
60  oder  70*  nördlicher,  resp.  südlicher  Breite  fortsetzen.  5.  Näher  ge^en 
die  Pole  hin  sind  infolge  der  Annäherung  der  Meridiane  aneinander  diese 
äquatorialen  Winde  gezwungen  emporzusteigen.  6.  Sie  kehren  als  oberer 
Polarstrom  ihre  Bewegungsrichtung  um,  steigen  in  den  tropischen  Kalmen- 
zonen wieder  gegen  die  ErdoberQädhe  herab  und  unterstützen  die  Passatwinde. 

Hiemach  oszilliert  jede  Luftmenge  unaufhörlich  von  einem  zum  andern 
Pole:  vom  nördlichen  Pole  ausgehend  wird  sie  nacheinander  oberer  Polai^ 
Strom,  NO-Passat,  nordwestlicher  Antipassat  auf  der  südlichen  Erdhälfte 
und  Äquatorialstrom. 

In  der  Nähe  des  südlichen  Erdpoles  steigt  die  Luft  von  neuem  auf, 
um  als  oberer  Polarstrom  zurückzukehren,  als  SO-Passat,  Antipassat  aus 
SW  und  Äquatorialstrom. 

Die  beiden  obem  Luftströme,  der  Polarstrom  und  der  Antipassat,  be- 
gegnen sich  über  den  Kalmengürteln  unter  den  Parallelkreisen  von  etwa  80«. 
Dort  rufen  sie  eine  Luftanhäuiung  und  hohem  Barometerstand  hervor,  dann 
aber  —  sonderbarerweise!  —  kreuzen  beide  Ströme  herabsteigend  einander, 
ohne  sich  miteinander  zu  vermischen,  und  setzen  hierauf  ihren  Weg  fort, 
der  eine  indem  er  die  Passate,  der  andere  indem  er  den  Äquatorialstrom 
nährt.  Ebenso  steigen  die  beiden  Passate  über  den  Gegenden  des  Wärme- 
äquators  empor,  weil  sie  mehr  und  mehr  warm  und  feucht  geworden,  und 
durchkreuzen  einander  wiederum,  ohne  ihre  Luftmassen  zu  vermischen. 
Der  SO-Passat  setzt  z.  B.  seinen  Weg  in  der  hohen  Region  der  Atmosphäre 
fort  und  tritt  als  Antipassat  auf  die  nördliche  Hemisphäre  der  Erde. 

Die  im  vorstehenden  kurz  mitgeteilten  Theorien  von  Dove  und  Maury 
haben  gegenwärtig  unter  den  Meteorologen  wohl  kaum  noch  Anhänger.  Es 
genüfft  zu  ihrer  Charakterisierung  daraiu  hinzuweisen,  daß  es  durchaus  den 
Grundgesetzen  der  mechanischen  Wärmetheorie  en^egen  ist,  anzunehmen, 
der  äquatoreale  Luftstrom  könne  die  Wärme  und  Feuchtigkeit,  welche  er 
ursprün^oh  über  den  tropischen  Meeren  besitzt,  behalten,  nachdem  er  in 
die  Höhe  emporgestiegen;  vielmehr  muß  er  infolge  dieses  Aufsteigens  er- 
kalten und  den  größten  Teil  seiner  Feuohti^eit  einbüßen.    Diese  Folge- 


absolute  Feuchtigkeit 
relative 


Luftbewegung,  Winde  und  Stürme.  365 

rangen  ans  der  Theorie  werden  übrigens  durch  direkte  Beobachtungen  durch- 
aus bestätigt.  Hier  nur  ein  Beispiel.  Während  Angström  und  Edelstan 
flieh  auf  der  Insel  Tenerife  aufhielten,  um  die  Stärke  der  Sonnenstrahlung 
in  verschiedenen  Höhen  zu  bestimmen,  haben  sie  gleichzeitige  meteorologische 
Beobachtungen  in  diesen  Höhen  angestellt.  So  fand  sich  z.  B.  am  27.  Juli 
9  Uhr  vormittags  zu  Sitio  de  CuUen,  nahe  dem  Meeresstrande  und  auf  dem 
Gipfel  des  Pico  de  Teyde  in  8692  m  Höhe  folgendes: 

Barometer unten  762.2  mmt  oben  491.6  mm 

trockenes  Thermometer     ...       ,   +23.3»  „    +4.7<» 

,    +19.7  .    -3.5 

,        14.6  ,         1.9 

.       680/,  ^      aoo/o 

Gramm  Wasser  pro  Kubikmeter        ,        14.2  .         2.0 

Demnach  nahm  also  die  Temperatur  für  je  100  m  Höhenzunahme 
durchschnittlich  um  0.51^  ab,  und  die  Feuchtigkeit  war  oben  sehr  gering. 
Wenn  die  Luft  von  dem  Gipfel  des  Pico  bis  zur  Meeresoberfläche  herah- 
gesunken  wäre,  so  würde  sie  sich  außerordentlich  erwärmt  haben  und  gleich- 
zeitig überaus  trocken  geworden  sein,  ein  wahrer  Föhnwind!  Was  weiter 
die  Maurysche  Theorie  anbelangt,  so  ist  es  unverständlich,  wie  die  beiden 
entgegengesetzten  Luftströme  einander  durchkreuzen  könnten,  ohne  sich  zu 
vermischen. 

Außer  den  obigen  sind  noch  von  Ferrel  und  James  Thomson  Theorien 
der  allgemeinen  Luitzirkulation  aufgestellt  worden.  Ferrel  hat  drei  ver- 
schiedene Hypothesen  veröffentlicht,  und  zwar  in  den  Jahren  1856,  1860 
und  1884,  wahrend  Thomson  schon  1857  eine  Theorie  aufgestellt  hat,  die 
fast  übereinstimmend  mit  der  letzten  von  Ferrel  ist 

Dafl  Ergebnis,  zu  welchem  1856  Ferrel  hauptsächlich  auf  dem  Wege 
mathematischer  Betrachtungen  gelangte,  ist  kurz  folgendes.  Er  nahm 
2  Gürtel  hohen  Luftdruckes  rings  um  die  Erde  28®  nördlich  und  südlich 
vom  Äquator  und  zwei  andere,  sekundäre  unter  den  Polarkreisen  an;  da- 
gegen unter  dem  Äquator  ein  Gebiet  mit  niedrigerm  und  um  die  beiden 
Pole  zwei  andere  Gebiete  mit  noch  niedrigerm  Drucke.  So  erschien  die 
Erdoberfläche  in  6  Zonen  geteilt,  jede  mit  emer  ihr  eigentümlichen  verti- 
kalen Zirkulation  der  Luft.  Nordwärts  vom  Äquator  steigt  die  vom  Passate 
dorthin  transportierte  Luft  empor  und  fließt  als  Antipassat  oben  bis  zu 
28^  nördl.  Br.  zurück,  sinkt  herab  und  macht  den  Kreislauf  von  neuem 
durch.  Nordwärts  von  der  Zone  hohen  Luftdruckes  unter  28®  nördl.  Br. 
muß  sich  die  Luft  nach  NO  bewegen,  und  dadurch  entstehen  die  vorherr- 
schenden SW- Winde  unserer  gemäßigten  Zone.  Etwas  südlich  vom  Nord- 
polarkreise findet  sich  ein  barometrisches  Minimum,  dort  steigt  die  Luft 
empor  und  kehrt  als  oberer  nördlicher  Luftstrom  zu  dem  tropischen  Gebiete 
zurück,  wo  er  herabsteigt,  und  die  nämliche  Zirkulation  wiMerum  beginnt 
Nördlich  vom  arktischen  Polarkreise  nimmt  Ferrel  abermals  eineLuftzirkuiation 
an,  wobei  die  Luft  gegen  den  Pol  ab-  und  gegen  den  Polarkreis  hin  wieder 
emporsteigt  um  als  oberer  Luftstrom  von  neuem  gegen  den  Pol  hinzufließen. 
In  ähnlicher  Weise  würden  sich  die  Loftbewegungen  auf  der  südlichen  Brd- 
hälfte vollziehen. 

James  Thomson  setzte  1857  seine  Theorie  der  atmosphärischen  Zirku- 
lation vor  der  Britischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  auseinander.  Er 
nimmt  über  jeder  Erdhemisphäre  zwei  übereinander  befindliche  Hauptluft- 
strömungen an.  Die  Luft,  welche  in  den  äquatorialen  Regionen  empor- 
steigt, fließt  als  oberer  Luftstrom  bis  m  die  Gegend  des  Polarkreises  und 
dann  als  unterer  Polarstrom  wieder  gegen  den  Äquator  hin.  Da  indessen 
die  Beobachtungen  zeigen,  daß  im  allgemeinen  an  der  Erdoberfläche  in  den 
gemäßigten  Zonen  südwestliche  Winde  vorherrschen,  nimmt  Thomson  an, 
daß  diese  Luftströme  hur  einer  dünnen  Schicht  der  Atmosphäre  angehören 
und  eine  Art  Reaktionsstrom  zwischen  der  nördlichen  Luftströmung  und 

28* 


366  Lttftbewegang,  Winde  und  Stürme. 

der  Erdoberfläche  bilden.  Diese  sämtlichen  übereinander  gelagerten  Luft- 
slvömungen  erleiden  eine  Ablenkung  gegen  Ost  und  werden  darnach  sud- 
westlich, nordwestlich  und  südwestlich.  Augenscheinlich  könnte  man  Rauben, 
daß  der  Polarstrom  seine  Ablenkung  in  einen  Nordostwind  gemäß  dem 
Hadleyschen  Gesetze  erhielte;  allein  Thomson  nimmt  an,  daß  er  gegen  0  ab- 
gelenkt wird,  infolge  eines  aus  den  äquatorialen  Regionen  mitgebrachten 
und  noch  nicht  erschöpften  Rotationsmomentes.  Die  spätem  Vorstellungen 
von  Ferrel,  besonders  dessen  Entwicklungen  aus  dem  Jahre  1889,  weichen 
nur  in  unbedeutenden  Details  von  derjenigen  Thomsons  ab,  und  diese  Theorie 
wird  noch  von  mehrern  Meteorologen  festgehalten.  Indessen  sind  die  obem 
Luftströmungen  in  den  gemäßigten  Zonen  ganz  und  gar  hypothetisch,  und 
man  hat  nicht  einmal  yersucht,  ihr  Vorhandensein  durch  direkte  Beobach- 
tungen zu  erweisen. 

Im  vorhergehenden  ist  mit  den  Worten  von  Prof.  H.  Hildebrandsson  ^) 
der  gegenwärtige  Zustand  der  Vorstellungen,  welche  in  der  Meteorologie 
über  die  allgemeine  Luftzirkulation  herrschen,  dargelegt  worden.  Er  geht 
dann  dazu  über  zu  prüfen,  was  die  Beobachtungen  über  die  Luftbewegun^ 
in  den  hohen  Regionen  der  Atmosphäre  lehren.  Diese  Beobachtungen 
können  sich  natui]gemäß  nur  auf  die  Feststellung  des  Zuges  der  höchsten 
Wolken,  also  der  Gimiswolken,  beziehen,  und  hierüber  hat  Prof.  Hildebrandsson 
schon  früher  mehreres  veröffentlicht. 

Diese  frühem  Untersuchungen  ergaben  ihm  folgendes :  1.  In  den  hohen 
Regionen  der  Atmosphäre  über  den  gemäßigten  Zonen  herrschen  Luftströme 
vor,  deren  Bewegung  durchschnitthch  von  West  nach  Ost  gerichtet  ist. 
2.  Zwischen  den  Wendekreisen  ist  die  Bewegung  dieser  Ströme  umgekehrt 
oder  von  Ost  nach  West  gerichtet  3.  Die  Richtung  der  obem  Luftströ- 
mungen scheint  im  allgemeinen  die  nämliche  zu  sein,  wie  die  mittlere  Fort- 
bewegungsrichtung der  barometrischen  Depressionen.  4.  Die  durchschnitt- 
liche Richtung  der  obem  Luftströme  steht  in  keiner  direkten  Beziehung  zu 
den  mittlem  Luftdrackverhältnissen  an  der  Erdoberfläche.  Die  mittlem 
Luftdmckverhältnisse  in  einer  Höhe  von  4000  m,  wie  sie  Teisserence  de  Bort 
abgeleitet  und  gezeichnet  hat,  entsprechen  dagegen  gut  jener  obem  Luft- 
bewegung, jedoch  nicht  vollständig,  da  die  Cirruswolken  in  Höhen  von 
7000 — 9000  m  dahinziehen.  Die  betreffenden  Karten  von  Teisserence  sind 
reproduziert.  Die  den  Isobaren  beigeschriebenen  Ziffem  bezeichnen  den 
Luftdrack  in  Millimetern.  Die  Pfeile  zeigen  die  Richtungen,  aus  denen  an 
den  betreffenden  Punkten  die  Girmswolken  ziehen. 

Die  Richtung  0  bis  W  der  obern  äquatorialen  Luftströmung  ist  durch 
die  Wolkenbeobachtungen  erwiesen,  daneben  hatte  indessen  der  Ausbruch 
des  Krakatau  1883  dieselbe  Tatsache  erkennen  lassen  durch  optische  Er- 
scheinungen, welche  der  vulkanische  Staub  in  den  höchsten  Luftregionen 
verursachte,  und  die  sich  von  0  nach  W  in  12—13  Tagen  um  die  ganze 
Erde  zogen.  Dies  gibt  für  die  Geschwindigkeit  der  obem  Luftströmungen 
87  m  pro  Sekunde,  was  mit  den  direkten  Wolkenbeobachtungen  in  Washington 
sehr  nahe  übereinstimmt. 

Prof.  Hildebrandsson  teilt  nunmehr  die  Ergebnisse  seiner  Berechnung 
aller  bekannt  gewordenen  Beobachtungen  über  die  Bewegungen  der  höchsten 
Wolken  mit 

a)  Die  Beobachtungen  aus  der  heißen  Zone  erffeben  sowohl  für  das 
Gebiet  des  Atlantischen  wie  des  Großen  Ozeans,  daß  die  höchsten  Luft« 
schichten  der  Tropenzone  sich  fast  ohne  Ausnahme  von  Ost  nach  West  be- 
wegen, bisweilen  zeigen  sich  geringe  Schwankungen  zwischen  NO  und  SO; 
aber  die  Beobachtungen  sind  nicht  zahlreich  genug,  um  das  Gesetzmäßige 
dieser  letztem  erkennen  zu  lassen. 


^)  Rapport  sur  les  Observations  intemationales  des  Nuages,  au  Comite 
internationales  meteorologique  par  Hildebrand  Hildebrandsson  I.  Upsalal903. 


LuftbeweguDg,  Winde  und  Stürme.  357 

b)  Die  Zonen  der  Passatwinde.  Es  wird  angenommen,  daß  der  Anti- 
passat  auf  der  nördlichen  Erdbälfte  überall  aus  SW,  auf  der  südlichen  aus 
NW  weht,  und  man  hat,  wie  oben  mitgeteilt,  sogar  behauptet,  daß  dieser 
Antipassat  in  den  höhern  Luftregionen  bis  zu  den  Polarkreisen  vordringe. 
Im  Atlantischen  Ozeane  gibt  es  innerhalb  der  Region  der  Passate  keine  Beob- 
iushtungsstation  für  die  obem  Luftströme,  dagegen  befindet  sich  im  Gebiete 
des  SO-Passates  das  ausgezeichnete  Observatorium  der  Insel  Mauritius.  Die 
20jäfarigen  Beobachtungen  von  1877 — 1897  ergaben,  daß  daselbst  der  Anti- 
passat ungefähr  aus  NW  weht,  und  wir  dürfen  demnach  schließen,  daß  auf 
<ier  nördlichen  Erdhälfte  mitten  über  dem  Gebiete  der  Passate  die  obere 
Luftströmung  aus  SW  kommt.  Beobachtungen  auf  Tenerife  ergaben  als 
Richtung  des  Girruszuges  W  15^  S,  und  10  Jahre  fortgesetzte  Cirrus- 
beobachtungen  zu  San  Fernando  (36<^  37'  nördl.  Br.)  westlich  von  der  Gibraltar- 
straße, zeigen,  daß  der  Antipassat  dort  noch  mehr  gegen  rechts  abgelenkt 
und  fast  zu  einem  reinen  W- Winde  geworden  ist.  La  Lissabon  schwankt 
der  Zug  der  Girruswolken  zwischen  W  84*  S  und  W  10*  N;  es  scheint 
wahrscheinlich,  daß  diese  Station  zu  Zeiten  unter  den  äußersten  nördlichen 
Ausläufern  des  Antipassates,  bald  unter  den  Regionen  der  obem  Winde  der 
gemäßigten  Zone  steht  Die  Passate,  ebenso  wie  die  hohen  Luftdrucke  der 
Wendekreise,  durch  welche  sie  verursacht  werden,  schwanken  bekanntlich 
im  Jahre  auf  und  ab,  indem  sie  der  Sonne  nach  Norden  und  Süden  folgen. 
Auf  diese  Weise  wird  ein  breiter  Streifen  nördlich  vom  Wärmeäquator  im 
Winter  vom  NO-Passat  überweht,  im  Sommer  dagegen  in  die  tropische 
Kalmenzone  aufgenommen.  In  der  Höhe  herrscht  über  diesen  Streifen  bald 
der  südwestliche  Antipassat,  bald  der  östliche  Luftstrom  der  Tropen.  Dieser 
Streifen  bildet  eine  Region  oberer  Monsune. 

In  Mexiko  ist  dieser  letztere  sehr  deutlich  entwickelt;  in  den  Monaten 
November  bis  Mai  strömt  die  Luft  in  den  obem  Regionen  aus  W  63^  S  bis 
W  320  S,  in  cien  Monaten  Juni  bis  Oktober  aus  0  14«  S  bis  0  63«  S.  Der 
Passat  weht  in  Mazatlan  (an  der  pazifischen  Seite)  während  der  kalten 
Jahreszeit  aus  NO,  während  des  Sommers  ist  er  dagegen  nach  rechts  ab- 
gelenkt und  schwankt  zwischen  ONO  und  0.  In  Havanna  (23®  9'  nördl.  Br.) 
ziehen  die  Girruswolken  im  Winter  und  Frühlinge  aus  SW,  im  Sommer  aus 
O;  im  Herbste  ist  der  obere  Wind  NW. 

Ostindien.  Ober  der  Region  der  Monsune  und  dem  Arabischen  Meer- 
busen ist  das  Rej^e  der  Winde  sehr  kompliziert.  Indien  wird  von  dem 
«igentlichen  asiatischen  Festlande  durch  Bergketten  geschieden,  deren  Gipfel 
die  mittlere  Höhe  der  obem  Wolken  überragen.  Südlich  von  diesen  Hoch- 
gebirgen, im  Gangesgebiete,  sind  die  Monsune  sehr  abgelenkt;  im  Winter 
weht  dort  der  Wind  aus  NW,  statt  aus  NO,  und  im  Sommer  wird  der  NW- 
Monsun  ein  Wind  aus  S  in  den  Gegenden  nördlich  vom  Bengalischen  Meer- 
busen, steigt  als  NO  die  Gangeemündung  hinauf  und  weht  zu  Allahabad 
sogar  aus  NO.  Diese  Unregehnäßigkeiten  zeigen  sich  selbst  in  den  hohen 
Regionen  der  Atmosphäre.  Indessen  weht  in  diesen  über  dem  zentralen 
Ostindien  von  Kurachee  bis  Guttack  fast  das  ganze  Jahr  südlich  ein  obe  rer 
Wind  aus  W,  ebenso  in  Assam.  Im  Süden  des  bengalischen  Meerbusens 
zwischen  0  und  10  ^  südl.  Br.  ist  der  Zug  der  Cirraswolken  in  den  Monaten 
November  bis  Febraar  aus  S  31®  0,  dagegen  zwischen  0  und  10<^  nördL 
Br.  S  39*  W.  Im  Indischen  Ozeane  liegt  also  im  Winter  der  Wärmeäquator 
mit  seinem  obem  östlichen  Luftstrome  südlich  vom  geographischen  ^i^uator, 
und  dies  ist  die  Ursache  des  NW-Monsuns  in  diesen  Gegenden.  Im  Arabischen 
Meere  finden  sich  östliche  obere  Luftströme  im  Frühlinge  zwischen  4  und  16* 
nördl.  Br. ;  sie  verlegen  sich  im  Sommer  bis  nördlich  über  den  Wendekreis 
des  Krebses  und  kehren  im  Herbste  wieder  gegen  den  Äquator  zurück.  In- 
dessen scheint  dieses  Kommen  und  Gehen  in  verschiedenen  Jahren  ver- 
schieden zu  sein,  doch  reichen  die  bis  jetzt  vorhandenen  Beobachtungen 
nicht  hin,  die  Erklärang  im  einzehien  zu  studieren. 


358  Loftbewegong,  Winde  ond  Stünne. 

Die  gemäßigten  Zonen.  Pater  Marc  Dechevrens  hat  im  Jahre  1885 
nachgewiesen,  dan  in  der  gemäßigten  Zone  die  ndttlere  Richtung  des  obem 
Wolkenzuges  das  panze  Jahr  hindurch  eine  westliche  ist  Dies  hat  sich 
für  die  ganze  gemäßigte  Zone  in  Europa,  Nordamerika  und  Asien  bestätigt, 
und  die  Monsune  Asiens,  welche  dort  das  Klima  an  der  Erdoberfläche  be- 
stimmen, sind  nur  Luftbewegungen,  welche  kaum  bis  über  4000  m  Höhe 
hinaufreichen.  Aus  der  gemäßigten  Zone  der  südlichen  Erdhälften  liegen 
nur  wenige  und  unvollständige  Beobachtungen  vor,  sie  zeigen  aber,  daß  die 
Beweffunff  der  Girruswolken  dort  auch  aus  W  stattfindet.  Sonach  ist  also 
zu  schließen,  daß  über  den  beiden  gemäßigten  Zonen  die  größte  Masse  der 
Luft  bis  zur  Höhe  der  Girruswolken  (8000— 11000  m)  sich  in  einer  Bewegung 
Ton  W  nach  0  befindet  Mit  Ausnahme  der  tiefem  Schichten,  besonders 
in  der  Region  der  Monsune,  bildet  also  auf  jeder  der  beiden  Erdhemisphären 
die  Luftmasse  einen  ungeheuren  Wirbel  um  ein  den  Polen  nahes  Zentrum. 
Und  femer,  gleich  wie  in  den  gewöhnlichen  barometrischen  Depressionen, 
bewegen  sich  die  untern  Luftmassen  gegen  das  Zentram  hin,  während  die 
obem  sich  davon  entfemen.  Diese  letztere  Ablenkung  tritt  um  so  mehr 
hervor,  je  mehr  man  sich  der  Cirrasregion  nähert.  Die  Luftmassen  über 
dieser  endlich  zeigen  keine  Wolken  mehr.  Indessen  haben  die  von  Teisserenoe 
de  Bort  emporgesandten  kleinen  Luftballons  in  einigen  Fällen  die  Ciiros- 
region  erheblich  überschritten  und  ergaben,  daß  die  Luftbewegung  in  diesen 
größten  Höhen  noch  mehr  rechts  von  der  in  der  Cirrusregion  herrschenden 
abgelenkt  ist,  der  Wind  dort  also  aus  der  westlichen  mehr  in  die  nordwest- 
Uohe  Richtunff  übergeht    Hildebrandsson  faßt  alles  in  den  Satz  zusammen: 

In  den  Höhen  der  Atmosphäre  bis  zu  den  höchsten,  welche  bis  jetzt 
erreicht  wurden,  ist  die  Luft  in  einer  von  W  nach  0  gerichteten  Bewegung 
bemiffen,  mit  einer  nördlichen  Ablenkung  oder  Komponente,  die  mit  der 
Hone  zunimmt. 

Von  den  obem  südlichen  Luftströmungen,  die  in  dem  Systeme  von 
Ferrel  und  Thomson  eine  so  große  Rolle  spielen,  wird  also  bis  in  Höhen 
von  16  und  selbst  18  km  keine  Spur  angetroffen,  und  die  Luftmasse,  die 
sich  über  diesen  Höhen  befindet,  ist  offenbar  sehr  unbedeutend.  »Man  muß 
daher«,  sagt  Prof.  Hildebrandsson,  »ein  für  allemal  die  Idee  eines  vertikalen 
Luftaustausches  zwischen  den  Tropen  und  den  Polen  fahren  lassen,  einer 
Zirkulation,  die  übrigens  auch  praktisch  unmöglich  wäre,  wenn  man  bedenkt, 
wie  außerordentlich  gering  die  Höhe  dieser  Luftschicht  im  Vergleiche  zu  den 
horizontalen  Entfernungen  ist.  Hoffen  wir,  daß  von  nun  an  die  »polaren« 
und  »äquatorialen«  Luftströme,  welche  schon  so  viele  Konfusion  in  der 
dvnamischen  Meteorologie  angerichtet  haben,  endlich  vollständig  aus  dieser 
Wissenschaft  verschwinden  oder  mindestens  in  dem  Sinne,  in  welchem  sie 
bis  jetzt  benutzt  wurden.« 

Die  subtropische  Zone.  Bis  jetzt  hat  man  angenommen,  daß  der 
Antipassat  sich  über  die  Zone  hohen  Luftdruckes  des  Wendekreises  fort- 
setzt, um  als  Äauatorialstrom  gegen  den  Pol  hin  längs  der  Erdoberfläche 
zu  fließen  oder  als  oberer  Strom.  Indessen  wurde  jetzt  konstatiert:  1.  daß 
der  Antipassat,  sobald  er  über  der  Nordgrenze  des  Passates  anlan^  also 
nahe  dem  Gipfel  des  hohen  Luftdmckes  des  Wendekreises  (Tenenfe,  San 
Fernando,  Lissabon)  schon  so  weit  nach  rechts  abgelenkt  ist,  daß  er  zum 
Westwinde  wurde;  2.  daß  die  Luft  über  der  gemäßigten  Zone  in  einem  ge- 
waltiffen  Wirbel  fortgerissen  wird,  dessen  Zentrum  sicn  in  den  Polargegenden 
befindet,  wo  der  Luftdruck  am  niedrigsten  ist,  und  welcher  von  W  nach  O 
rotiert,  während  dessen  die  Luft  der  untern  Schichten  sich  diesem  Zentrum 
nähert,  die  der  obem  da^^egen  wie  bei  einem  gewöhnlichen  Zyklone  sich 
davon  entfernt  Unter  diesen  Verhältnissen  müssen  wir  erwarten,  daß  die 
obem  Luftströme,  die  aus  dem  großen  polaren  Wirbel  heraustreten,  dem 
nördlichen  Abfalle  der  Zone  hohen  Drockes  unter  dem  Wendekreise  zu- 
streben, und  diese  Region  also  von  2  Seiten  gespeist  wird,  nämlich  südwärts 


LuftbewegUDg,  Winde  und  Stürme.  859 

von  dem  Antipassat  und  nordwärts  von  der  nordwestlichen  Luftströmung. 
Das  findet  nun  in  der  Tat  statt,  wie  die  Beobachtungen  in  Europa,  in 
Indien  und  Nordamerika  klar  zeigen. 

Prof.  Hildebrandsson  faßt  schließlich  das  Ergebnis  seiner  wichtigen 
Untersuchung  in  folgenden  Sätzen  zusammen: 

1.  Über  den  Wärmeäquator  und  der  ä(]|uatorialen  Kaknenregion  ist  in 
der  Höhe  der  Atmosphäre  das  ganze  Jahr  hindurch  ein  östlicher  Luftstrom 
vorhanden,  welcher  in  großen  Höhen  eine  beträchtliche  Geschwindigkeit  zu 
besitzen  scheint.  2.  Ober  der  Region  der  Passate  herrscht  ein  Antipassat, 
der  auf  der  nördlichen  Hemisphäre  aus  SW,  auf  der  südlichen  aus  NW 
kommt.  3.  Dieser  Antipassat  überschreitet  nordwärts  nicht  die  Polai^^enze 
des  untern  Passates  und  wird  auf  der  nördlichen  Erdhälfte,  je  weiter  er 
vordringt,  mehr  und  mehr  nach  rechts,  auf  der  südlichen  nach  links  ab- 
gelenkt, so  daß  er  schließlich  zum  Westwinde  wird  über  der  Zone  des  hoben 
Harometerdruckes  der  Wendekreise,  woselbst  er  herabsinkt  und  den  Passat 
speist  4.  Die  Regionen  an  der  äquatorialen  Grenze  des  Passates  treten 
je  nach  der  Jahreszeit  bald  in  den  Passat,  bald  in  die  äquatoriale  Kalmen- 
zone ein.  Darüber  in  großer  Höhe  weht  ein  oberer  Monsun,  nämlich  der 
Antipassat  im  Winter  und  der  östliche  Äquatorialstrom  im  Sommer.  5.  Von 
der  Zone  hohen  Druckes  unter  den  Wendekreisen  nimmt  der  Luftdruck 
durchschnittlich  kontinuierlich  gegen  die  Pole  hin  ab,  mindestens  bis  jen- 
seits der  Polarkreise.  Dabei  ist  die  Luft  der  gemäßigten  Zonen  in  einer 
allgemeinen  Wirbelbewegung  von  W  nach  0  begriffen.  Diese  Wirbelbewegung 
scheint  von  derselben  Natur  zu  sein  wie  diejenige  der  gewöhnlichen  Zyklone, 
indem  die  Luft  in  den  untern  Schichten  sich  dem  Zentrum  nähert,  die  der 
obem  aber  davon  entfernt,  und  zwaf  zunehmend  mit  der  Höhe  über  dem 
Boden  bis  zu  den  höchsten  Regionen,  über  die  uns  noch  Beobachtungen 
zur  Verfügung  stehen.  6.  Die  obem  Luftschichten  der  gemäßigten  Zonen 
breiten  sich  über  die  Regionen  des  hohen  Luftdruckes  der  Wendekreise 
hin  aus  und  sinken  dort  herab.  7.  Die  Unregelmäßigkeiten  der  Luft- 
bewegung, welche  man  an  der  Erdoberfläche  besonders  in  der  asiatischen 
MoDSunregion  antrifft,  verschwinden  im  allgemeinen  schon  in  den  Regionen 
der  mittlem  Wolken.  8.  Die  Ferrellsche  und  Thomsonsche  Hypothese  der 
vertikalen  Zirkulation  der  Luft  zwischen  den  Wendekreisen  und  den  Polen 
muß  völlig  aufgegeben  werden. 

Prof.  Hildebrandsson  geht  nicht  auf  die  Ursache  der  von  ihm  nach- 
gewiesenen Luftzirkulation  in  der  Atmosphäre  ein,  doch  hebt  er  hervor, 
daß  Prof.  Duner  durch  seine  spektroskopischen  Untersuchungen  ^)  eine  ganz 
ähnliche  Zirkulation  in  der  Sonnenatmosphäre  nachgewiesen  hat,  nur  sind 
dort  che  Luftströme  die  entgegengesetzten.  Duner  hat  bewiesen,  daß  die 
Rotationsgeschwindigkeiten  unter  den  verschiedenen  Parallelkreisen  auf  der 
Sonne  verschieden  sind,  die  Geschwindigkeit  ist  am  größten  unter  dem 
Äquator  und  nimmt  gegen  die  Pole  hin  ab.  Dies  beweist,  daß  dort  unter 
dem  Sonnenäq[uator  eine  von  W  nach  0  gerichtete  Strömung  vorhanden  ist 
und  polare  Wirbel,  die  sich  von  0  nach  W  drehen. 

Schließlich  bemerkt  Prof.  Hildebrandsson,  daß  die  Richtung,  in  der 
sich  die  obem  Luftströme  in  der  Erdatmosphäre  bewegen,  nahezu  mit  der 
der  durchschnittlichen  Bewegungsrichtung  der  barometrischen  Depressionen 
zusammenfällt.  Daher  sei  es  wahrscheinlich,  daß  diese  letztem  oder 
wenigstens  ein  großer  Teil  derselben  als  SateUiten  der  großen  atmosphärischen 
Strömungen  entstehen.  Zu  diesem  Zwecke  würde  es  genügen,  daß  ein  Teil 
irgend  einer  Strömung  eine  größere  Geschwindigkeit  besitzt  als  die  vor  ihm 
befindlichen  Massen,  um  den  Überschuß  an  Energie  dieses  Teiles  in  drehende 
Beweffung  zu  verwandeln,  gerade  so,  als  wenn  dieser  Teil  auf  eine  Wand 
gestoßen  wäre.   Übrigens  habe  man  schon  beobachtet,  daß  die  Geschwindig- 


^)  Acta  Soc.  Reg.  Sc.  Upsala  1891. 


360  Luftbewegong,  Winde  und  Stürme. 

keit  der  obem  Luftströme  oft  größer  auf  der  Rückseite  als  auf  der  Vorder- 
seite einer  Depression  sei.  Auf  diese  wichtigen  Fragen  gedenkt  Prof.  Hilde- 
brandsson  später  zurückzukommen. 

Ober  die  Bewegrangren  der  Zyklone  und  Antizyklone 

machte  John  Aitken  einige  Bemerkungen.^)  Er  weist  darauf  hin, 
wie  die  taglichen  Wetterkarten  zeigen,  daß  wenn  eine  Depression 
aufgetreten  ist,  die  von  Winden  umweht  wird,  welche  ungleich 
heftig  sind,  sie  sich  nach  der  Richtung  fortbewegt,  in  welcher  die  hef- 
tigste Luftströmung  liegt  Mit  andern  Worten  heißt  dies:  die  Be- 
wegung des  Zentrums  der  Zyklone  erfolgt  parallel  den  Isobaren,  die 
an  der  Seite  des  stärksten  Gradienten  liegen.  Die  Bewegung  ist 
femer  um  so  rascher,  je  größer  der  Unterschied  in  den  Gradienten 
an  den  beiden  entgegengesetzten  Seiten  der  Zyklone  ist,  während  bei 
nahezu  gleicher  Windstarke  die  Zyklone  stationär  bleibt  Diese  Schluß- 
folgerungen von  Aitken  sind  übrigens  in  solcher  Allgemeinheit  nicht 
zutreffend,  wie  jeder  weiß,  der  die  täglichen  synoptischen  Wetter- 
karten auch  nur  eines  einzigen  Jahres  durchstudiert  Auch  beschränkt 
Aitken  schließlich  seine  Behauptung  auf  die  Zyklone  mit  kreisförmigen 
Isobaren,  meint  aber  die  Zyklone  mit  elliptischem  Querschnitte, 
welches  die  meisten  sind,  verlängern  sich  diese  nach  der  Richtung 
der  stärksten  Winde.  Die  Frage,  weshalb  die  meisten  über  Europa 
hinwegziehenden  Zyklone  sich  in  nordöstlicher  oder  östlicher  Richtung 
bewegen  und  rascher  in  dieser  statt  in  anderer,  beantwortet  er  durch 
den  Hinweis  auf  eine  besondere  Disposition  der  Lage  der  Antizyklone. 
Die  beiden  barometrischen  Hochdruckgebiete,  welche  die  Bewegung 
der  über  Nordwesteuropa  ziehenden  Zyklone  regeln,  liegen  das  eine 
südwestlich  von  Spanien,  das  andere  über  Nordasien.  Das  eine 
wirkt  daher  durch  die  Luftströme  seiner  nördlichen  Seite,  das  andere 
durch  diejenigen  seiner  südlichen.  Im  ersten  Falle  sind  es  also 
Winde,  die  ursprünglich  aus  niedrigen  Breiten  kommen  und  daher 
eine  größere  östliche  Bewegung  besitzen,  als  derjenigen  entspricht, 
welche  der  Gegend  angehört,  über  der  sie  herabkommen,  außerdem 
partizipieren  sie  an  der  in  der  Höhe  herrschenden  Luftbewegung  vom 
Äquator  gegen  die  Pole.  Im  südlichen  Teile  einer  Antizyklone  sind 
diese  Verhältnisse  ganz  andere ;  daher  wirkt  die  südwestlich  liegende 
Antizyklone  durch  ihre  intensivsten  Luftströme  auf  die  Bewegung 
der  Zyklone,  die  nordöstlich  liegende  durch  ihre  schwächsten.  Der 
Einfluß  der  erstem  muß  also  überwiegen,  und  die  barometrischen 
Blinima,  welche  zwischen  beiden  passieren,  werden  daher  die  von 
der  ersten  ihnen  aufgedrückte  Bewegungsrichtung  einschlagen,  voraus- 
gesetzt, daß  die  Winde,  welche  sie  bedingen,  aus  W  und  SO  kommen. 
Außerdem  ist  die  nördliche  Antizyklone  im  allgemeinen  weniger  be- 
deutend und  fehlt  bisweilen  ganz. 


>)  Transact.  Royal  Soc.  of  Edinburgh  40.  part.  I  Nr.  7. 


Luftbewegang,  Winde  und  Stürme.  361 

Die  Luftströmungen  auf  dem  Gipfel  des  Sänüs  und 
ilire  jährliche  Perlode  sind  von  Prof.  Hann  untersucht  worden.^) 
Der  Säntisgipfel  (2504  m  über  dem  Meere)  ist  die  einzige  meteorolo- 
gische Gipfelstation  1.  Ordnung,  von  welcher  eine  längere  Reihe  von 
^anemometrischen  Aufzeichnungen  publiziert  und  teilweise  bearbeitet 
vorliegt  Der  Verf.  hat  deshalb  diese  wertvolle  Beobachtungsreihe 
zu  einer  Untersuchung  benutzt  nach  der  Richtung,  inwieweit  sich 
AUS  derselben  einige  Resultate  betreffend  die  Zirkulation  der  Atmo- 
sphäre ableiten  lassen  möchten.  Es  wurden  zu  diesem  Zwecke  zu- 
nächst aus  den  für  16  Windrichtungen  publizierten  Windwegen  die 
Größe  der  4  Komponenten  für  die  12  Monate  berechnet,  und  zwar 
für  jedes  der  3  Lustren  1886—1890,  1891—1895  und  1896—1900 
besonders,  um  die  Tragweite  der  Mittelwerte  für  die  gesamten 
15  Jahrgänge  beurteilen  zu  können.  Es  zeigte  sich  dabei,  daß  die 
Übereinstimmung  der  jährlichen  Periode  der  Komponenten  in  jedem 
4eT  3  Luslren  eine  sehr  große  ist,  und  deshalb  folgende  allgemeine 
Resultate  feststehen. 

Die  Nordkomponente  erreicht  ihren  größten  Wert  im  Januar 
und  Februar  und  den  kleinsten  im  Juli  und  August  Sie  bleibt  in 
den  6  Monaten  Juni  bis  November  unter  dem  Jahresmittel,  von 
Dezember  bis  Mai  hält  sie  sich  über  demselben,  im  April  ist  die 
Abweichung  nahezu  Null.  Die  Ostkomponente  hat  fast  dieselbe  jähr- 
liche Periode  wie  die  Nordkomponente,  das  Maximum  im  Winter  ist 
aber  viel  stärker  ausgeprägt,  ebenso  das  Minimum  vom  Juni  bis 
zum  September.  Der  Gegensatz  zwischen  Winter-  und  Sommerhalb- 
jahr tritt  entschieden  hervor  (April  bis  September  bleibt  unter  dem  Mittel). 

Die  Südkomponente  hat  einen  noch  stärker  hervortretenden 
jährlichen  Gang,  sie  bleibt  unter  dem  Jahresmittel  von  März  bis 
August  und  hält  sich  über  demselben  von  September  bis  Februar. 
MaTimum  Oktober  und  November,  Minimum  Juni. 

Bei  der  Westkomponente  ist  die  jährliche  Periode  weniger  regel- 
mäßig, aber  ganz  entschieden  treten  auf:  ein  sehr  großes  Maximum 
im  Juli  und  August  und  ein  ebenso  großes  Minimum  im  April  und 
besonders  im  Mai. 

Der  Verfasser  sucht  auch  die  Beziehungen  aufzudecken  zwischen 
'dieser  jährlichen  Variation  der  Windkomponenten  und  der  Luftdruck- 
verteilung im  Meeresniveau,  die  im  allgemeinen  ziemlich  gut  zu  er- 
kennen sind,  so  daß  also  im  Niveau  von  2^/,  km  die  Druckverteilung 
nicht  viel  abweichen  kann  von  jener  am  Meeresniveau. 

Von  den  zwei  zusammengesetzten  Komponenten  S — N  und 
W — 0  erreicht  erstere  ihren  kleinsten  Wert  im  Mai  und  ihren  größten 
im  Oktober,  letztere  hat  ebenfalls  ihr  Minimum  im  Mai,  ihr  Maximum 
aber  im  Juli  und  August. 


>)  Kaiserl.  Akad.  d.  Wissenschaften  in  Wien,  Sitzung  v.  2.  April  1908 
10.  p.  87. 


362  Elektrische  Lufterscheinungen. 

Die  Hauptresultierende  ist  W29^  S  und  yariiert  nur  wenig  im 
Jahre.  Sie  ist  am  südlichsten  im  Oktober  und  November  (W41^S) 
und  am  meisten  rein  westlich  im  Juni  und  Juli  (W20^S). 

Aus  den  Abweichungen  der  Monatswerte  der  Komponenten  vom 
Jahresmittel  werden  dann  gleichfalls  die  resultierenden  Windrichtungen 
berechnet,  welche  den  Einfluß  der  Jahreszeiten  auf  die  Ablenkung 
der  Windrichtungen  vom  Jahresmittel  rein  zum  Ausdrucke  bringen, 
also  die  Winde  der  Jahreszeiten  darstellen,  nach  Eliminierung  des 
mittlem  Druckgefalles.  Dabei  ergibt  sich,  daß  im  Winter  die  mitt- 
lere Windrichtung  nordöstlich  wird,  im  Sommer  ziemlich  rein  westlich, 
im  Herbste  (September  bis  Oktober)  südlich  bis  südöstlich.  Die  Jahresseit 
allein  würde  vom  Dezember  bis  zum  Mai  inklusive  0-  und  NO- Winde 
hervorrufen,  während  im  Sommer  fast  rein  westliche  Winde,  im 
September  SW- Winde  und  im  Oktober  und  November  Südwinde  mit 
leichter  Ablenkung  nach  0  wehen  würden. 

Es  wird  femer  gezeigt,  daß  es  sich  in  Wien  ganz  ähnlich  ver- 
hält, den  Winter  ausgenommen,  der  hier  SW-Winde  hat  (oben  NO), 
sonst  ist  die  Obereinstimmung  auffallend  groß. 

Der  Verfasser  weist  dann  nach,  daß  die  monatlichen  Abweichungen 
der  Druckverteilung  über  Europa  vom  Jahresmittel  mit  diesen  »Winden 
der  Jahreszeiten«  in  guter  Übereinstimmung  sich  befinden,  wenn  auch, 
im  einzelnen  wenigstens  scheinbare  Abweichungen  vorkommen. 

Elektrische  Lufterscheinungren. 

Die  Elektrizitätszerstreuungr  in  der  Atmosphäre  ist  von 

Prof.  Dr.  P.  Gzermak  seit  Dezember  1901  in  Innsbruck  systematisch 
studiert  worden.  Er  stellt  nun  die  Ergebnisse  von  etwa  1800  Einzel- 
beobachtungen zusammen,  begleitet  von  vielen  Diagrammen,  welche 
den  Verlauf  der  Elektrizitätszerstreuung  in  der  täglichen  und  in  der 
jährlichen  Periode  und  bei  verschiedenen  Witterungsverhältnissen  zur 
Anschauung  bringen.  Die  wichtigsten  Ergebnisse  sind:  1.  Die  Elek- 
trizitätszerstreuung besitzt  einen  deutlichen  jährlichen  Gang,  im  Winter 
treten  die  kleinsten,  im  Sommer  die  größten  Werte  auf.  2.  Des- 
gleichen ist  ein  deutlicher  täglicher  Gang  ausgesprochen  mit  einem 
auffälligen  Minimum  zwischen  11  und  12  Uhr  mittags  und  einem 
Maximum  am  Nachmittage  zwischen  3  —  5  Uhr.  8.  Kurven,  die 
vielleicht  als  normal  betrachtet  werden  dürfen,  scheinen  für  eine 
doppelte  tägliche  Periode  der  Elektrizitätszerstreuung  zu  sprechen, 
mit  einem  2.  Minimum  in  der  Nacht  und  einem  2.  Maximum  um 
8  Uhr  morgens  herum.  4.  Bei  Föhn  tritt  eine  starke  Zunahme  der 
Zerstreuung  ein,  am  deutlichsten  in  den  Wintermonaten ;  die  größten 
Werte  der  Zerstreuung  treten  aber  an  Tagen  mit  starker  Kumulus- 
und  Gewitterbildung  auf,  also  bei  lebhafter  aufsteigender  Luft- 
bewegung. 5.  Korrespondierende  Beobachtungen  auf  dem  Patscher 
Kofel   und   zu  Innsbruck   ergeben   die  schon  bekannte  Zunahme  der 


Elektrische  Lufterscheinongen.  368 

Elektrizitatszerstreuung  in  der  Höhe  mit  starkem  Oberwiegen  der 
Zerstreuung  negativer  Elektrizität  und  eine  Verspätung  der  taglichen 
Extreme.  Der  Verf.  ist  geneigt,  der  aufsteigenden  Luftbewegung  eine 
große  Rolle  zuzuschreiben  bei  den  Änderungen  der  Elektrizitatszer- 
streuung und  weist  dabei  hin  auf  die  von  Elster  und  Geitel,  sowie 
von  Ebert  nachgewiesene  starke  Ionisierung  der  Bodenluft  Im  Winter» 
wenn  der  Boden  kalter  als  die  Luft  und  mit  Schnee  bedeckt  ist, 
kann  die  Wirkung  der  Bodenluft  nicht  zur  Geltung  kommen. 

Untepsuchangen  über  die  Schadenblitze  in  Ungrarn  hat 

L.  von  Szalay  angestellt^)  als  Fortsetzung  seiner  vor  2  Jahren  ver- 
öffentlichten Blitzstatistik  Ungarns  in  den  Jahren  1890 — 1900.  Im 
ganzen  stand  ihm  jetzt  eine  Reihe  von  29  Jahren  zur  Verfügung, 
doch  beschränken  sich  seine  Untersuchungen  zum  Teil  auf  die  Jahre 
1897 — 1901.  Die  Gesamtzahl  der  zündenden  Blitzschläge  während 
der  Jahre  1873 — 1901  beträgt  für  Ungarn  6790,  in  den  Jahren 
1696—1900  beträgt  sie  1607,  im  Jahre  1901  allein  996,  darunter 
197  Fälle  mit  tödlichem  Ausgange.  Verl  faßt  seine  Ergebnisse  in 
folgendes  SchluiSresultat  zusammen: 

A.  Tödliche  Blitze.  1.  In  den  Jahren  1897—1901  hatte 
der  Blitz  798  Menschen  getötet;  dies  entspricht  einem  jährlichen 
Mittel  von  159.6  Fällen.  2.  Die  im  Jahre  1901  vorgekommenen  töd- 
lichen Blitzschläge  zeigen  —  im  Verhältnis  zu  den  frühern  Jahren 
—  ein  Ansteigen  der  Fälle,  indem  deren  Zahl  zwischen  147 — 158 
variierte,  hingegen  im  Berichtjahre  sich  auf  197  erhöhte.  3.  Die 
Einwohnerzahl  in  Ungarn  betrug  nach  der  Volkszählung  vom  Jahre 
1901  16  721  574  Seelen,  daher  entfallen  auf  1  Million  Einwohner 
9.57  tödliche  Fälle.  4.  Durch  Blitz  wurden  im  Jahre  1901  127 
Männer,  11  Knaben,  46  Frauen  und  13  Mädchen  getötet  5.  Die 
größte  Zahl  lieferten  hierzu  die  mit  Landwirtschaft  sich  beschäftigenden 
Leute.  Es  waren  unter  diesen  10  Landwirte,  48  Landmänner,  28 
Peldarbeiter,  9  Knechte,  7  Schäfer,  4  Hirten,  3  Ochsenhirten,  1 
Schweinehirte,  1  Roßhirte,  1  Kutscher,  1  Gärtner;  außerdem  waren 
29  Landmannsfrauen,  15  Feldarbeiterinnen  und  2  Schäferinnen;  ins- 
gesamt 159  Personen.  Von  einem  andern  Berufe  Angehörenden  wurden 
2  Kaufleute,  1  Zimmermann,  5  Grubenarbeiter,  2  Töpfer,  2  Glöckner, 
1  Straßenräumer  und  ein  Bettler,  also  zusammen  14  Erwachsene, 
femer  3  Schulknaben,  1  Schulmädchen,  8  kleinere  Knaben  und  12 
kleinere  Mädchen  vom  Blitze  getötet  Die  gesamte  Zahl  der  männ- 
lichen Opfer  betrug  138,  die  der  Frauen  59.  6.  Die  Opfer  wurden 
unter  folgenden  Umständen  vom  Blitze  ereilt:  106  im  Freien,  43 
unter  Dach,  28  unter  Bäumen,  4  unter  Tristen,  Schobern  und  unter 
Pruchtgarben,  2  unter  getrockneten  Maisstengeln,  2  in  Türmen  während 
des   Läutens,    3  während   der  Flucht   auf   offenem  Felde,    2  an   die 


^)  Jahrbuch    der  Königl.  ungar.  ReichsanBtalt  f.  Meteorologie  1908. 
Sl.Teüm. 


864  Elektrische  Lnfteraoheiiiaiigen. 

Wand  sich  lehnend,  1  unter  der  Türschwelle,  2  im  Bergwerke,  1  im 
Wagen  während  der  Fahrt.  7.  Der  Anzahl  nach  kamen  im  Komitat 
Pest  während  der  5  Jahre  die  meisten  (87)  Fälle  vor,  hingegen 
nach  der  Dichtigkeit  der  Bewohner  steht  das  Eomitat  Gömör  und 
Szilagy  am  ersten  Platze,  denn  im  erstem  entfallt  auf  88  283,  im 
letztem  auf  88  327  Einwohner  ein  tödlicher  Blitzschlag.  Am  glück- 
lichsten ist  das  Eomitat  Esztergom,  denn  hier  kam  während  der 
yerflossenen  5  Jahre  kein  einziger  Fall  mit  tödlichem  Ausgange  vor. 

B.  Sonstige  Schadenblitze.  1.  Indem  Zeiträume  der  Jahre 
1878 — 1901  kamen  in  Ungarn  6790  zündende  Blitzschläge  vor. 
2.  Aus  dem  29  jährigen  statistischen  Resultate  der  zündenden  Blitze 
ergibt  sich  ein  Jahresmittel  von  284  Fällen.  3.  Im  Jahre  1901 
kamen  in  Ungarn  502  Brand  und  494  sonstigen  Schaden  verur- 
sachende Blitze  vor.  4.  Der  durch  Blitz  in  beweglichem  und  unbe- 
weglichem Gute,  sowie  im  Viehstande  verursachte  Schaden  beträgt 
951  670  Kronen.  6.  Die  Blitzschläge  waren  nach  Zahl  im  letzten 
Jahre  am  häufigsten  im  Eomitate  Bihar,  wo  insgesamt  45  Fälle 
vorkamen,  darunter  28  solche,  die  Brandschaden  verursachten.  Die 
Eomitate  Lipto,  Maros-Torda,  Säros  und  Udvarhely  wurden  von 
zündenden  Blitzschlägen  in  diesem  Jahre  verschont  Die  kleinste 
Anzahl  der  zündenden  und  sonstigen  Schadenblitze  haben  die  Eomitate 
Csik,  Moson  und  Turocz  aufzuweisen.  6.  Am  häufigsten  kamen  die 
Blitzschläge  im  Monate  Juli  vor,  und  zwar  mit  828  Fällen,  welche 
bereits  das  Drittel  der  jährlichen  gesamten  Fälle  betragen.  Dagegen 
sind  die  Monate  Januar,  Febmar,  Oktober,  November,  Dezember  von 
solchen  frei  geblieben.  7.  Die  meisten  Fälle  hat  der  24.  Juli  aufeu- 
weisen,  denn  an  diesem  Tage  kamen  insgesamt  80  Fälle  vor. 
8.  Nach  Stunden  des  Tages  konzentrierten  sich  die  meisten  Fälle 
(247)  auf  die  Nachmittagsstunden  von  2—4  Uhr,  die  wenigsten  (11) 
Fälle  auf  die  Morgenstunden,  ebenfalls  zwischen  2 — 4  Uhr. 

Eine  Earte  gibt  die  Verteilung  der  1897 — 1901  vorgekommenen 
Blitzschläge  auf  die  verschiedenen  Eomitate  Ungarns  nach  ihrer 
Häufigkeit  an. 


Optische  Erscheinunsren  der  Atmosphäre. 

Außergrewöhnüehe  Dämmerungserscheinungren  im  Jahre 
1902.  Prof.  M.  Wolf  vom  astronomischen  Observatorium  in  Heidel- 
berg berichtet:^)  Die  interessantesten  Ereignise  für  die  meteorologische 
Beobachtung  waren  im  Jahre  1902  die  zu  ungeahnter  Pracht  ent- 
wickelten Dämmerungserscheinungen,  die  beinahe  dieselbe  Stärke  wie 
im  Jahre  1884  erreichten.  Die  erste  purpurne  Dämmerungserscheinung 
wurde  von  uns  am  17.  Juni  beobachtet  Die  Erscheinungen  spielten 
sich   in   der  bekannten,    durch  W.  Bezold  in  so  meisterhafter  Weise 


^)  Vierteljahrsschr.  d.  astronom.  Gesellschaft  88.  p.  117. 


Optische  EischeinuDgen  der  Atmosphäre.  865 

beschriebenen  Folge  ab.  Vom  17.  Juni  ab  zeigten  sie  sich  an  jedem 
einigermaßen  klaren  Abende  bis  zum  6.  Juli,  von  wo  ab  nur  noch 
die  rubinrote  Färbung,  allerdings  viel  stärker  als  in  andern  Jahren, 
beobachtet  werden  konnte.  Die  2  Purpurlichter  und  die  purpurne 
Gegendämmerung  waren  um  den  26.  Juni  am  stärksten  entwickelt. 
Am  24.  Juli  begann  eine  zweite  schwächere  Periode  der  Purpurlichter, 
die  das  ganze  Jahr  anhielt,  bald  schwächere,  bald  stärkere  Entwick- 
lung äußernd.  Besonders  im  Oktober  war  ein  Maximum  ausge- 
sprochen. Der  Bishopsche  Ring  konnte  aber  merkwürdigerweise  erst 
im  Januar  1903  gut  erkannt  und  an  Sonne  und  Mond  gemessen 
werden. 

Selbstverständlich  wird  man  die  Erscheinungen  mit  dem  Aus- 
bruche der  westindischen  Vulkane  in  Verbindung  zu  bringen  suchen. 
Der  erste  heftige  Ausbruch  des  Mont  Pele  erfolgte  am  8.  Mai  1902. 
Es  währte  also  fast  6  Wochen,  bis  der  Staub  bei  uns  in  diejenigen 
Luftschichten  kam,  wo  die  Purpurlichter  entstehen. 

Andere  Beobachtungen  sprechen  aber  dafür,  daß  er  bereits  früher 
über  uns  schwebte ;  nämlich  die  täglichen  Beobachtungen  der  Sonnen- 
strahlung. Das  Strahlungsthermometer  zeigte  nämlich  nach  Pentaden- 
mitteln: 

Mai    26.— 81.  mittlere  MaximaLstrahlung  ....    45.8o 


Juni  1.—  5. 
6.-10 
11.-15. 
16.— 20. 
21.-26. 
26.-80. 


49.9 
89.8 
89.1 
40.0 
41.2 
46.4 


Damach  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die  Staubtrübung  bereits 
gegen  den  10.  Juni  bei  uns  eingetreten  ist,  was  einer  Geschwindig- 
keit von  5  Wochen  entsprechen  würde. 

Auch  die  astronomische  Durchsichtigkeit  des  Himmels  war  in 
der  ganzen  2.  Hälfte  des  Jahres  schlechter  als  sonst 

Ober  Luftspiegrelungren  in  Ungarn  hat  P.  J.  Fenyi,  auf 
der  Sternwarte  in  Ealocsa  Beobachtungen  angestellt.^)  Luftspiegelungen 
sind  eine  dem  Landvolke  auf  der  großen  ungarischen  Tiefebene  wohl- 
bekannte Erscheinung,  welche  auch  mit  eigenem  Namen  »delibab« 
bezeichnet  wird. 

P.  J.  Fenyis  Standpunkt  war  der  Balkon  der  Sternwarte,  der  15  m 
über  der  Straße  sämtliche  Gebäude  der  Stadt  in  den  Richtungen, 
in  welchen  beobachtet  werden  mußte,  überragt;  die  Höhe  über  der 
großen  Ebene  beträgt  um  ein  paar  Meter  mehr.  Obwohl  von  den 
Höhen  der  Sternwarte  aus  der  ganze  Horizont  frei  ist,  kann  doch 
nur  im  Quadranten  SO — ^NO  Luftspiegelung  gesehen  werden,  weil  in 
den  übrigen  Richtungen  teils  ferne  Hügelzüge  jenseits  der  Donau  den 
Horizont  abschließen,  teils  die  Bewaldung  der  Donauufer  oder  auch 


')  Meteorol.  ZeitBchr.  1902.  p.ßOT. 


366  Optische  Erscheinuiigeii  der  Atmosphäre. 

die  zeratrenten  Bäome  auf  den  Gtefilden  eine  Spiegelung  nicht  su- 
stande  kommen  oder  nicht  beobachten  lassen.  Die  Spiegelungen 
sind  an  jedem  besonnten  Tage  an  denselben  Stellen  in  derselben 
Form  zu  sehen,  nur  mehr  oder  weniger  ausgeprägt,  je  nadi  der 
Klarheit  und  Ruhe  der  Luft  und  Stärke  der  Insolation.  Ein  scharfes 
Auge  sieht  schon  ohne  Femrohr  am  Horizonte  scheinbare  Wasser- 
flächen, aus  welchen  dahinterstehende  Bäume  oder  Häuser  henror- 
ragen;  letztere  sind  wegen  der  großen  Helligkeit  der  Wände  auch 
in  den  Wasserflächen  verlängert,  gespiegelt  zu  sehen«  Die  Erschei- 
nung hat  nichts  weniger  als  etwas  Zauberhaftes,  ist  vidmehr 
sehr  unklar  und  unscheinbar.  Objekt  und  Spiegelbild  ersduoien 
oft  in  gleicher  Weise  verschwommen  und  stark  dubios.  Manch- 
mal war  das  Objekt  in  die  Länge  gezogen  und  das  Spiegelbild  zu- 
sammengedrückt In  einem  andern  Falle  sah  der  Beobachter  in  einer 
langen  schmalen  Wasserfläche  ein  Haus  und  mehrere  Bäume  in  der- 
selben Linie,  doch  aUe  nur  teilweise,  soweit  es  die  Breite  der 
Spiegelfläche  gestattete,  gespiegelt  Diese  sind  die  günstigsten  Fälle, 
welche  er  zum  Beweise  einer  wirklichen  Spiegelung  anführen  kann. 
Eine  klare,  vollkommene  Spiegelung  kann  nie  beobachtet  werden, 
weil  bei  der  Insolation  die  Bilder  äußerst  unruhig  und  verschwommen 
sind,  so  daß  es  unmöglich  ist,  das  Spiegelbild  mit  Evidenz  zu 
identiflzieren.  Der  Mangel  liegt  aber  keineswegs  in  der  Unvoll- 
kommenheit  des  Spiegels ;  das  Objekt  selbst  erscheint  um  gar  nichts 
schärfer  noch  klarer,  als  sein  Spiegelbild. 

Betreffs  der  Tageszeit  der  Erscheinung  kann  Verf.  über  die  Morgen- 
stunden keinen  Aufschluß  geben,  da  er  gegen  0,  also  gegen  die 
Sonne  beobachten  müßte.  Etwa  von  10^  —  4P  sind  die  Luft- 
spiegelungen zu  sehen.  Ein  Wind  von  etwa  Stärke  3  scheint  nicht 
eben  hinderlich  zu  sein.  Die  günstigste  Jahreszeit  ist  das  Frühjahr, 
was  sich  aus  der  kräftigen  Insolation  und  auch  aus  dem  Umstände 
erklärt,  daß  die  (Gefilde  noch  ohne  Vegetation  sich  darbieten.  Auch 
in  der  Epoche  der  höchsten  Sommerhitze,  im  Juli  und  August,  ist  die 
Luftspiegelung  keineswegs  so  glänzend,  als  zu  erwarten  wäre,  nament- 
lich weil  da  die  Stoppelfelder  noch  unbewachsen  sind.  Es  ist  auch 
sehr  bemerkenswert,  daß  überhaupt  keine  hohe  Temperatur  notwendig 
ist;  Verf.  hat  die  Spiegelung  gerade  sehr  schön  im  März  bei  einer 
Temperatur  unter  dem  Oefrierpunkte  beobachtet. 

Klimatologie. 

Eine  kaFtogrraphlsehe  Darstelluns^  der  Sonnenschein- 
daueF  in  Deutsehland  hat  Dr.  A.  Eichhorn  gegeben.^)  In  den 
Erläuterungen  dazu  bemerkt  er,  daß  zurzeit  in  Deutschland  36  Stationen 
vorhanden  sind,   an  denen  die  Dauer  des  Sonnenscheines  durch  dem 


*)  Petermanns  Mitteilungen  1903.  p.  102. 


Klimatologie.  367 

Campbell-Stokesschen  Apparat  regelmäßig  registriert  wird,  doch  geben 
diese  Apparate  naturgemäß  zu  wenig  Sonnenschein  an.  >Ein  Blick 
^uf  die  Karte«,  sagt  Dr.  Eichhorn,  »bestätigt  zum  Teil  die  allgemeine 
Erfahrung,  die  längst  einen  sonnigen  Süden  und  trüben  Norden 
kennt,  und  auch  das  für  Europa  als  allgemein  gültig  angenonunene 
Grundgesetz,  daß  der  Abnahme  der  geographischen  Breite  die  Zu- 
nahme der  Insolationsdauer  parallel  gehe,  allerdings  mit  gewichtigen 
Ausnahmen  in  Deutschland.  Die  Sonnenscheindauer  beträgt  an  den 
für  Schottland  charakteristischen  Stationen  Stomoway  3.4,  Aberdeen 
3.5,  Glasgow  2.9,  mithin  durchschnittlich  3.3  Stunden  pro  Tag; 
ebensoviel  in  Dänemark  (Kopenhagen  3.3).  In  Irland  steigert  sie 
sich  —  Dublin  4.0,  desgL  Valencia  —  auf  4.0;  für  England  möge, 
London  und  die  Industriegebiete  ausgenommen,  Oxford  mit  seinen 
4.0  Stunden  als  Normalstation  gelten.  In  Deutschland  sind,  abge- 
sehen von  Orten  mit  eigenartigen,  abnormen  Verhältnissen,  die  Grenz- 
werte der  täglichen  Sonnenscheindauer  4.2  und  4.8  im  Mittel ;  erstere 
Zahl  gilt  für  Aachen  und  Kassel,  letztere  für  Jena,  Samter  und 
Leobschütz;  die  durchschnittliche  Dauer  beträgt  also  4.5  Stunden 
pro  Tag.  Im  Schweizer  Hügellande  steigt  sie  von  4.7  in  Basel, 
Zürich,  Bern  auf  5.2  in  Lausanne.  In  den  Alpen  hält  sie  sich 
zwischen  4.9  (Davos)  und  5.7  (Bozen);  sie  kulminiert  am  südlichen 
Fuße  derselben  mit  6.1  in  Lugano.  Während  sie  im  sonnigen  Italien 
in  Padua  5.6,  in  Rom  6.7  und  jenseits  der  Adria,  in  Pola  sogar 
7.6  Stunden  durchschnittlich  währt,  erreicht  sie  im  sonnenschein- 
reichsten Teile  Spaniens  —  Gordoba  hat  nur  7.2  Stunden  — ,  in 
Madrid  mit  8.0  Stunden  pro  Tag  den  Höchstbetrag  in  Europa. 

Das  für  ganz  Europa  im  allgemeinen  gültige  Gesetz  der  Zunahme 
der  Sonnenscheindauer  von  N  nach  S  kommt  keineswegs  an  allen 
deutschen  Stationen  zum  Ausdrucke;  die  Wirkungen  anderer,  durch 
lokale  Einflüsse  bedingter  meteorologischer  Verhältnisse,  so  infolge 
<ler  Lage  der  Stationen  der  See  oder  in  einem  Industriezentrum,  in 
«inem  engen  Talkessel,  auf  einem  Berggipfel  usw.,  überdecken  häufig 
obiges  Grundgesetz. 

Es  ergibt  sich,  daß  in  Deutschland  im  Jahresdurchschnitte  die 
Oegend  um  Jena,  dann  eine  breite  Zone,  die  fast  ganz  Hinterpommem 
und  die  Provinz  Posen  umfaßt  und  der  südöstlichste  Teil  von  Schlesien 
den  meisten  Sonnenschein  genießen,  nämlich  durchschnittlich  täglich  4.8 
Stunden  lang.  Ihnen  folgt  eine  breite  Fläche  vom  nordwestlichen 
Holstein  über  die  Lüneburger  Heide  bis  Hannover,  und  eine  zweite 
Fläche,  die  sich  vom  Taunus  durch  die  oberrheinische  Tiefebene  bis 
Oftenburg  in  Baden  erstreckt,  mit  4.7  Stunden  täglichem  Sonnenscheine. 
Die  an  Sonnenschein  ärmsten  Gebiete  sind  das  mittlere  und  östliche 
Westfalen,  Hessen,  besonders  das  Gebiet  um  den  Inselsberg,  das 
südwestliche  Sachsen  mit  Chemnitz  im  Büttelpunkte  und  die  Gegend 
um  Aachen;  endlich  ein  kleiner  Bezirk  um  Kiel  Im  allgemeinen 
konunt   den  Gegenden  in   der  Nähe   des  Meeres   mehr  Sonnenschein 


868  KUmatologie. 

zu  als  den  bümenlaiidischen  Bezirken;  aber  den  größten  Verlust, 
ganz  unabhängig  von  ihrer  geographischen  Lage,  weisen  die  Großstadt- 
und  Industriebezirke  auf.  Wie  Dr.  Eichhorn  nachweist,  kann  hier 
ein  Verlust  bis  zu  75%  eintreten;  der  aufsteigende  Ruß  der  Schorn- 
steine verursacht  diesen  ungeheuren  Verlust  an  Sonnenschein.  »Die 
Physiognomie,  die  Sheffield  eigen  ist  —  eine  Stadt,  die  sich,  aus 
der  Feme  gesehen,  einfach  als  ungeheure  Rauchwolke  in  einer 
sonniglachenden  Landschaft  präsentiert  — ,  paßt  zu  Zeiten  auch  auf 
manche  Teile  deutscher  Industrie-  und  Ghroßstädte.c  Am  ungünstigsten 
steht  in  dieser  Beziehung  unter  den  deutschen  Großstädten  Hamburg^ 
da;  es  hat  eine  mittlere  tägliche  Sonnenscheindauer  von  nur  3.5 
Stunden.  Berlin  hat  4.5  Stunden,  undGlan  hat  nachgewiesen,  da& 
dort  infolge  des  Staub-  und  Rauchgehaltes  der  Luft  der  Lichtverlust 
viermal  größer  ist,  als  in  freier  Luft  Abends  tritt  Aufhellung  ein, 
da  dann  viele  Fabrikschomsteine  keinen  Rauch  mehr  entsenden.  Di» 
Höhe  der  lichtverschlingenden  Schicht  ist  nicht  groß,  sie  beträgt  etwa 
das  Dreifache  der  Höhe  der  Wohnhäuser.  Im  Winterhalbjahre  zeigt  nach 
der  Karte  von  Eichhorn  die  Sonnenscheindauer  in  Deutschland  eine  wesent- 
lich andere  Verteilung.  Es  ergibt  sich  für  die  Südküste  der  Ostsee  ein 
sonnenscheinarmes  Gebiet,  und  Hamburg  erleidet  unter  allen  deutschen 
Städten  den  größten  Ausfall  an  Sonnenschein  auch  im  Winter.  Ein 
2.  Gebiet  mit  Sonnenlichtmangel  im  Winter  liegt  in  Ostpreußen  um 
Margrabowa  herum,  infolge  der  Nebelbildung  über  der  preußisdien 
Seenplatte.  Am  sonnenscheinreichsten  ist  im  Winter  das  Rheinland 
von  Norden  nach  Süden  zunehmend,  Elsaß  und  Lothringen,  ein  Teil 
von  Württemberg  und  Franken,  sowie  das  südwestliche  Schlesien 
und  die  Grafschaft  Glatz.  Da  es  keinem  Zweifel  unterliegen  kann,  daß 
die  sonnenscheinreichsten  auch  die  von  Krankheitskeimen  am  freiesten 
Gegenden.  Deutschlands  sind,  so  geben  die  Untersuchungen  Eichhoms 
auch  wertvolle  Fingerzeige  für  die  Anlage  von  Tuberkuloseheilstätten» 


Baohdraokerei  Robert  Noske,  Borna -Leipiig. 


JAHRBUCH 


der 


Astronomie  und  Geophysik. 

Enthaltend  die  wichtigsten  Fortschritte  auf  den  Gebieten 

der  '    •■  . 

Agtropilygik,  Meteorologie  and  physikalischeii  Erdlmiide. 


\T  Mitwirkung  von  Fachmännern 

herausgegeben 

Prof.  Dr.  Hermam  J.  Klein. 

XV.  Jabriaii  1904. 

Mit  eecha  Tafeln. 


EDUARD  HEINRICH  MAYER 

Verlagsbuchhandlung 
X«lpBir  1906. 


Inhaltsübersicht. 


Bette 
Inhaltsüberaiolit HI— Vm 

Astrophysik. 

Sonne 1—14 

Die  Fleckentätigkeit  der  Sonne  im  Jahre  1903 1 

Die  Verteilung   der  Flecke  und  Fackeln  auf   der  Sonne  während 

der  elfjährigen  Fleckenperiode,  von  A.  Mascari  untersucht.  .  3 
Die  Verteilung   der  Sonnenflecke   in   heliographischer  Breite   von 

1874  bis  1902,  von  Walter  Maunder 3 

Das  Spektrum  der  Sonnenflecke,  durch  A.  L.  Gortie  beobachtet  .  4 
Umkehr    der    Linie    D,    im    Sonnenspektrum,    beobachtet    von 

H.  Kreusler 6 

Kalzium-   und  Wasserstofflockeln   in  der  Sonnenatmosphäre,  von 

Prof.  Haie  und  Ellermann 6 

Eine  Schwankung  der  Sonnenstrahlung,  von  S.  P.  Langley  wahr- 
scheinlich gemacht 9 

Die   Sonnenfinsternis   vom   28.  Mai  1900,   von  der  Smithsonian- 

Expedition  beobachtet 10 

Sonnentätigkeit  und  Erdmagnetismus,  von  Prof.  Ricco    ....  12 

Planeten 14—39 

Planetenentdeckungen  im  Jahre  1903 14 

Beobachtungen  des  Planeten  Venus  1903,  von  Peroival  Lowell  17 
Eine  neue  Bestimmung  der  Richtung  der  Rotationsachse  des  Mars 

von  P.  Lowell 18 

Bamards  Beobachtungen  über  die  südliche  Polarzone  des  Mars  19 
Marsbeobachtungen  während  der  Opposition  von  1903,  von  T.-E.- 

R.  Phillips 22 

Die  Kanäle  Thoth   und  Amenthes  auf  dem  Mars,  von  P.  Lowell 

untersucht 23 

Veränderungen  im  Mare  Er3rthraeum,  von  Percival  Lowell  entdeckt  28 
Neue  Untersuchungen  über  die  jahreszeitlichen  Veränderungen  auf 

dem  Mars  und  das  Wesen  der  Marskanäle,  von  P.  Lowell  30 

Lichtwechsel  des  Planeten  Iris 36 

Lichtänderungen  des  Planeten  Hertha  (135) 35 

Das  Spektrum  des  Jupiter,  von  Bdillochau  auJ^enommen  ...  35 
Veränderliche  Bewegung   des  roten  Fleckes  auf  dem  Jupiter,  von 

W.  F.  Denning 36 

Der  fünfte  Jupitermond,  von  Bamard  beobachtet 37 

Rotationsdauer  des  Saturn    .     .     .     , 37 

Der  Satumsmond  Phöbe 38 

Die  Spektren  des  Uranus  und  Neptun,  von  V.  M.  Slipher  unter- 
sucht      39 

Der  Mond 39^14 

Der  photographisohe  Mondatlas  der  Pariser  Sternwarte    ....  39 

Der  photographisohe  Mondatlas  von  Wüliam  H.  Pickering  ...  40 

Neubildung  auf  dem  Monde,  von  Prof.  Wflliam  Pickering  entdeckt  41 

Die  vulkanischen  Bildungen  der  Mondoberfläche,  von  Prof.  Klein  42 

Kometen U-^W 

Die  Kometenerscheinungen  des  Jahres  1903 44 

Bahnbestimmung  des  Bielaschen  Kometen  aus  den  Beobachtungen 

1846  bis  1862,  von  Prof.  v,  Hepperger 49 


IV  InhaltBfiberaichi. 

S«lto 
üntersachungen  über  die  Grofien  und  Helli^ceiteii  der  Kometen 

und  ihrer  Schweife,  von  Dr.  J.  H<det8chek 49 

Die  Bredichinachen  Schweiftypen  der  S^meten  von  R.  Jaegennann  51 

Meteoriten 55-^9 

Der  Meteorit  von  Peramiho 65 

Eine  neue  Gruppe  von  Meteoreisen 56 

Tektite  von  beobachtetem  Falle»  eine  neue  KlawBft  von  Meteoriten  57 

Fixsterne 59—99 

ibrganzunff  zum  ELatalog  der  veranderiichen  Sterne  der  Sternwarte 

des  Harvard-College 59 

Veränderliche   Sterne  in  den  |Magellani0ohen  Wolken»   von  Ptoi 

Pickering 61 

Der  LichtweohBel  von  6  Cephei,  von  S.  Beliawsky  untersucht  .     .  64 

Der  Lichtwechsel   des  Granatstemes  m  Oephei,    von  D.  Plaßmonn  64 

Der  Veränderiiche  X  Aurigae,  von  Dr.  K.  Graff  beobachtet    .     .  66 
Der  Lichtwechsel  des  Veranderiichen  V  Ursae  majoris,  von  Dr.  K. 

Graff  untersucht 66 

Ein   Zwischenminimum   des   langperiodischen   Veranderiichen  UZ 

C^rgni,  von  Ebmst  Hartwig  l^bachtet 66 

Benennungen  von  neu  entdeckten  veranderiichen  Sternen     ...  67 

Eine  spektroRraphische  Studie  über  ß  Lyrae,    von  W.  Sidgreaves  70 

HelligkeitsbecKNiohtungen  der  Nova  Persei,  von  M.  Esch ....  70 

Neue  Deutung  der  Spektra  der  neuen  Sterne,  von  Prof.  G.  Ebert  70 
Beobachtungen   von  100   neu   entdeckten  Doppelstemen   auf  der 

lickstemwarte,  von  W.  J.  Hussey 75 

Doppelstemmessungen   am  40-zolligen  Refraktor  der  Terkesstem- 

warte,  von  S.  W.  Bumham 75 

Das    Massenverhältnis   der    Komponenten    des    Doppelstemes    p 

Ophiuchi,  von  Adalbert  Prey  bestimmt 76 

Die  Bahn  des  Siriusbegleiters,  von  Dr.  0.  Lohse  neu  berechnet  .  76 
Spektroskopische  Bestimmungen  der  radialen  Geschwindigkeit  von 

ücstemen,  durch  Prof.  Frost  und  Walter  S.  Adams     ...  77 
Spektroskopische  Beobachtungen   von  Normalstemen   in  Pulkowa 

in  den  Jahren  1902  und  1903,  von  A.  B^lopolsky     ....  79 
Bestimmungen  der  radialen  Geschwindigkeiten  von  20  Sternen  des 

Oriontypus  auf  der  Yerkeestemwarte 80 

Spektroskopische  Doppelsteme 83 

Spektroskopische  Beobachtungen  der  Millsezpedition    ...         .85 

Tiet  spektroskopische  Doppelstem  ß  Aurigae 88 

Das  Spektrum  und  die  Bahn  von  S  Orionis 92 

Die    Bahn    des    spektroskopischen    Doppelstemes   *   Pegasi,    von 

D.  Gurtis  berechnet 95 

Sterne   mit  eigentümlichen  Spektren,   auf  der  Harvardstemwarte 

entdeckt 96 

Der  Ringnebel  in  der  Leyer,  von  Prof.  Schaerberle  photographiert  97 

Die  Position  der  Ebene  der  Milchstraße,  von  Prof.  Simon  Newoomb  98 

Geophysik. 

Allgemeine  Bisenschaften  der  Brde 100—116 

I>er  Zustand  des  Eisens  im  Erdinnem,  von  G.  Tarn  mann    .     .     .  100 
Vorläufige  Ergebnisse   des   internationalen  Bieitendienstee   in  der 

Zeit  von  1903.0  bis  1904.0,  von  Prof.  Th.  Albrecht ....  101 

Die  Schwankungen  der  Polhöhe 101 

Über  die  Ursache  der  Breitenvariation,  von  Dr.  A.  Caspar .     .     .  102 
Über   die  Reduktion   der  Schwerebeobachtungen   auf  das  Meeres- 
niveau, von  Albert  Prey 103 

Untersuchung  der  Oszillationen  der  Lotlinie  auf  dem  Astrometrisohen 

Institut  der  Sternwarte  bei  Heidelberg,  von  W.  Schweydar  .  104 


InhAltBÜbersioht.  V 

Seite 
Beetimimingen   der  relativen  Schwere   im   östliohen  Sizilien,    auf 

den  äousohen  Inseln  und  in  Kalabrien,  von  A.  Rioco    .     .     .  109 

Der  Langenunterachied  zwischen  Potsdam  und  Greenwich    .     .     .  111 

Längenbestimmung  im  Großen  Ozeane .112 

Die  franzöflisohe  Gradmessung  in  Ecuador 113 

Ausfi^eichung  des  zentraleuropäischen  Langennetzes,  von  Prof.  Th. 

Albrecht 114 

Oberflächengeataltung 116—142 

Bau  und  Bild  der  böhmischen  Masse,  von  Franz  £.  Sueß   .     .     .  116 
Die  finnische  Skärenküste  von  Wiborg  bis  HangÖ,  von  F.  O.  Kar- 

stedt 118 

Die  mittlere  Höhe  Asiens,  von  R.  Tronnier 120 

Die  geomorphologischen  Verhältnisse  Ostasiens,  von  Fr.  v.  Richt- 

hofen 122 

Eine  meridionale  Bruchzone  in  Mittelasien,  von  Prof.  v.  Richthof en  130 
Die  Baraba  und  die  Kulundinskische  Steppe  im  westlichen  Sibirien, 

von  G.  J.  Tanfüjew 131 

Die  Dünenbildungen  in  der  Tschertschenwüste,  von  Sven  v.  Hedin  132 

Die  Ammonsoase  Siwe,  von  Prof.  Dr.  G.  Steindorf f 134 

Über  Inselberglandschaften  im  tropischen  Afrika,  von  Dr.  S.  Passarge  136 
Das    Gebiet  des   Orinoko   zwischen   den  Flüssen  Guchivero   und 

Oaura,  von  Dr.  S.  Passarge 137 

Vorgeschichtliche  Beigstürze  im  Inntale 139 

Brdmag^etlsmiis 142—149 

Die   Mißweisung  der  Magnetnadel  in  Deutschland,  von  Dr.  J.  B. 

Messerschmitt 142 

Die   Verteilung   der   erdmagnetischen  Kraft   im  Pariser    Becken, 

von  Th.  Moureaux 145 

Die  Änderung   des  horizontalen   erdmagnetischen  Feldes   mit  der 

Höhe  über  dem  Meeresspiegel,    von  A.  Pochettino  untersucht  146 
Die  Abhängigkeit   des  täglichen  Ganges  der  erdmagnetischen  Ele- 
mente in  Batavia  vom  Sonnenfleckenstande,  von  Prof.  J.  Liznar  146 
Die  großen  magnetischen  Störungen  Ende  Oktober  1903 ....  147 

Brdbeben 149—174 

Der  gegenwärtige  Standpunkt  der  Erdbebenkunde  als  Wissenschaft, 

von  A.  Sieberg 149 

Große  Erdbeben  und  Schwankungen  der  Erdachse 167 

Die  jüngsten  Erdbebenereignisse  am  Ätna,  von  S.  Aroidiacono  158 

Das  Erdbeben  von  Schemacha,  am  13.  Februar  1902 160 

Das  Erdbeben  vom  26.  November  1902  am  Böhmischen  Pfahl,  von 

J.  Knett  studiert 161 

Die  Erdbeben  Bayerns  im  Jahre  1903,  von  Dr.  J.  Reindl  behandelt  162 

Das  Erdbeben  am  4.  April  1904 163 

Die  Erdbeben  von  Konstantinopel,  Studie  von  Johannes  Duck  165 

Die  Erdbeben  in  Japan,  von  Omori 168 

Seismometrische  Beobachtungen   über  japanische  Fembeben  1893 

bis  1897,  von  E.  Rudolph 170 

Höhenänderungen  des  Bodens  infolge  des  Erdbebens  vom  28.  Ok- 
tober 1891  in  Japan 172 

Über  die  Energie  großer  Erdbeben,  von  Prof.  R.  v.  Kövesligethy  173 

VttlkattismiM 174—208 

Die  Anordnung  der  Vulkane,  literarische  Studie  von  Wächter  .     .  174 
Die    alten    viSkanischen    Phänomene    im    Nördlinger    Ries,    von 

W.  V.  Knebel 175 

Die  Ausbruchsperiode   des  Mont  Pel^  1902  bis  1903  und  ihre  Be- 
deutung für  die  Vulkanforschung,  von  Dr.  A.  Stübel    .     .     .  180 
Der  Felazaoken  des  Mont  Pel6,  besprochen  von  A.  Heilprin     .     .  190 
Die  Hauptgruppe  der  Vulkanbeige  Ecuadors,   von  Dr.  A.  Stübel  190 


VI  Inhaltflfiberaicht 

Seit» 
Die  Vnlkanberge  der  ecuatoriamachen  Anden»  von  Dr.  P.  Grosser 

untersucht 197 

Das  vulkanisdie  Wrangellgebii]^  in  Alaska,  behandelt  von  W.  O. 

MendenhaU 203 

Das  Vulkangebiet  des  zentralafrikanischen  Grabens,  geschildert  \non 

Hauptmann  Hermann 203 

Die  Vulkane  des  Ostgriqualandes 204 

Vulkanischer  Ausbrudi  auf  der  Insel  Comom 206 

Der  Kilauea  auf  Hawaii,  von  Dr.  O.  Kuntze 206 

Inseln 208—224 

Über  die  Abrasion  Helgolands,  von  W.  Wolf 208 

Der  Rockallfelsen 200 

Die  Insel  Gotland,  von  G.  Schoener 210 

Die  Strophaden 211 

Die  Comoren,  von  A.  Voeltzkow  geschilrlert 213 

Die  neu  entstandene  Insel  bei  Bomeo,  von  Oarl  Schmidt     .     .     .  217 

Die  Insel  Simalur,  von  L.  C.  Westenenk 219 

Saipan,   die  Hauptinsel   der  deutschen  Marianen,   geschildert  von 

H.  Seidel 220 

Die  Karolinen 221 

Die  Insel  Mocha,  von  C.  Reiche 222 

Das  Jaluitatoll,  von  Dr.  med.  Schnee  untersucht 222 

ßohrungen  auf  dem  Atoll  von  Funafuti 224 

Das  Meer 224—256 

Schwankungen  des  Meeresspiegels  in  der  Nähe  von  New  -  York,  von 

George  W.  Tuttle 224 

Beeinflussung  der  Gezeiten  durch  Wind  und  Luftdruck    ....  225 
Die  Höhe   des  Mittelwassers  bei  Ri^usa  und  die  Ebbe  und  Flut 

im  Adriatischen  Meere,  von  R.  von  Stemeck 226^ 

Eine  allgemeine  Karte  der  Meerestiefen 226 

Die  Tiefenverhältnisse  der  nordpolaren  Meere,  von  E.  Nansen  .     .  227 

Die  physische  Geographie  des  finnischen  Meerbusens,  von  E.  F.  Rccard  232 
Das    Barentsmeer,    1902    von    der    wissenschaftiichen    Murman- 

e3nf>edition  erforscht 232 

Über  die  Strömungen  im  Nordmeere,  von  Johan  Hjort  ....  233 
Die   große  Eistrift  bei  der  Neufundlandbank  im  Jahre  1903,   von 

Professor  Gerhard  Schott 236 

Das  Tiefenstromsystem   des  Stillen  Ozeanes  und   die  Entstehung 

der  Kalifomienströmung,  von  S.  E.  Bishop 245 

Die  Beziehungen   zwischen   der  Luftdruckverteilung  und  den  Ets- 

verhältnissen  des  Ostgrönländischen  Meeres,  von  W.  Brennecke  245 
Die  Meeresströmungen   im  Golfe  von  Guinea,    von  Dr.  E.  Wendt  24S 
Die   niederländische   Tiefseeexpedition   der  „Siboga**   in   die    Ge- 
wässer des  hinterindischen  Archipels 250 

Über  Alter  und  Entstehung  der  Tiefseebecken,  von  J.  Walther   .  255 

Quellen  und  Höhlen 256—265 

Argon  und  freier  Schwefel  in  Mineralquellen 256 

Untersuchung    des    Gasteiner    Thermalwassers    auf    Emanations- 
gehalt, von  Dr.  G.  Mache 256 

Radioaktivität  der  Königsquelle  in  Bath,  von  Strutt  nachgewiesen  257 
Das  Versickern  des  meteorischen  Wassers  im  Boden,  von  W.  Spring 

studiert 256 

Die  Karsthydrographie,  von  Dr.  A.  Grund 258 

Der  gegenwärtige  Zustand  der  isländischen  Geysire 259 

Die  neue  Tropfsteinhöhle  bei  Kiritein  in  Mähren,  von  R.  Trampler  262 

Der  unterirdische  Abfluß  des  Säntisersees 264 

Flftsse 265—274 

Über  die  Beschaffenheit  des  Wassers  der  Oder,  von  Dr.  Lüdeoke  265 

Das  Stromgebiet  des  Dniepr,  von  R.  v.  Wybranowski     ....  265 


Inhaltoübexaioht.  VII 

Seite 
Die   Hochwasser  des  Mississippi  im   Frfihjahr   1003,    von  H.  C. 

Frankeofield  untersucht 265 

Das  Mündungsgebiet  des  Amazonas  und  Tooantins,  von  Hartt  und 

Huber  studiert 266 

Die  Schwarzwasserflüsse  Südamerikas,  von  Josef  Beindl ....  268 

Seen  und  Moore 274—290 

Morphometrie  der  europaischen  Seen,  von  Dr.  W.  Halbfaß .     .     .  274 

Die  Farbe  der  Seen,  von  Frhr.  O.  von  und  zu  Aufseß    ....  278 

Der  Okullsee  im  südlichen  Ostpreußen 279 

Seiches  im  Chiemsee,  von  A.  Endrös  untersucht 279 

Über  stehende  Seespiegelsohwankungen,  von  Prof.  Dr.  W.  Halbfaß  279 

Die  Seen  des  Karstgebietes,  von  A.  Gavazzi 280 

Die  wissenschaftliche  Untersuchung  der  schottischen  Seen   .     .     .  283 

Der  Balkaschsee 283 

Der  Kossogolsee 284 

Seiches  in  japanischen  Seen 284 

Der  Tsadesee  und  seine  Veränderungen 284 

Der  Schirwasee  in  Afrika 287 

Der  Eyresee  in  Australien 287 

Die  Auftrocknung  des  großen  Salzsees   ....          287 

Ein  heißer  See  auf  Dominica                   289 

Das  lAibacher  Moor 290 

Gletscher  und  Glazialphysik 290—297 

Eis>  und  Gletscherstudien,  von  H.  Grammer 290 

Die  Abschmelzung  der  Gletscher  im  Winter,  von  B.  v.  Lendenfeld  291 
Die  Eiszeit   in   den  Alpen   nach  dem  gegenwärtigen  Standpunkte 

der  Forschung,  von  Prof.  Brückner 292 

Die  Eiszeit  auf  der  Balkanhalbinsel,  von  Prof.  J.  Gvijic ....  294 

Über  die  Eiszeit  in  den  Tropen,  von  Dr.  Hans  Meyer     ....  296 

Die  I^ttfthülle  im  allgemeinen 297-- 299 

Zusammensetzung  der  atmosphärischen  Luft 297 

Die  Radioaktivität  der  Atmosphäre,  von  S.  J.  Allan  untersucht  .  297 
Der  Wärmeaustausch   im   festen  Erdboden,   in  Gewässern  und  in 

der  Atmosphäre,  von  J.  Schubert 298 

Imlttemperatnr 299—307 

Die   Hebung   der   atmosphärischen  Isothermen   in   den  Schweizer 

Alpen  und  ihre  Beziehung   zu   den   Höhengrenzen,    von  A. 

de  Quervain 299 

Die  Temperaturumkehr  in  der  Höhe,  von  R.  Aßmann  untersucht  301 
Die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  in  der  Gegend  von  Paris, 

von  Teisserenc  de  Bort  dargestellt 304 

Die  Temperaturabnahme   mit   der  Höhe   bis   zu  10  km  nach  den 

Ergebnissen  der  internationalen  Ballonaufstiege,  von  Prof.  Hann    304 

Imndmck 307—310 

Die  täglichen  Schwankungen  des  Luftdruckes  in  Berlin,  von  Prof. 

R.  Bernstein 307 

Die  Beziehung  zwischen  Bewölkung  und  Luftdruckverteilung,  von 

Dr.  Felix  Exner  untersucht 308 

Über  die  atmosphärische  Ebbe  und  Flut,  von  Prof.  Möller  .     .     .    309 

Niederschläge 310—320 

Versuche  und   Beobachtungen   über   R^entropfen,    von  Prof.  P. 

Lenard  angestellt 310 

Die  unmittelbaire  Kondensation  der  atmosphärischen  Feuchtigkeit 

aus  Wolken  auf  hochlieffenden  Flächen 316 

Der  Schneesturm   vom    18.  bis  20.  April  1903  in  Ostdeutschland, 

von  Dr.  G.  Schwalbe  dargestellt 315 


ym  Inhaltsabenioht. 

Seito 
Die   Stanbfalle   vom   19.  bis  23.  Februar   1903   über  dem   nord- 
atlantischen   Ozeane,    Großbritannien  und  Mitteleuropa,    von 

Prof.  Dr.  E.  Herrmann  untersucht 316 

Der   Staubfall   des    19.  April  1903   im   mittlem   Eibgebiete,   von 

Dt.  Meinardus  untersudit 318 

Ein  sogenannter  Tintenregen 319 

Einfluß  des  Mondes  auf  <&e  Niederschlage,  von  Guido  Lampiecht     319 

Irnftbewegung,  Wind  und  Sturm 321—^326 

Die  allgemeine  Zirkulation  der  Atmosphäre,  von  W.  Hüdebrandsson 

und  Teisserenc  de  Bort  dargestellt 321 

Untersuchungen   über   vertikale   Luftströmungen,   Ton  Dr.    Felix 

M.  Ezner 322 

Über  die  Mechanik  der  Luftbewegung  in  Z3^onen  und  Anti- 
zyklonen, von  Frank  H.  Bigelow 325 

Der  Qiinookwind,  von  A.  Burrow 325 

ImltelektHzität 32^-^1 

Über  die  Ursache  des  normalen  atmos^iarischen  PotentialgefiLlles 
und    der    negativen    elektrischen  Entladung,    von   Professor 

H.  Ebert 326 

Die    tägliche    Schwankung    der    Elektrizitätszerstreuung    in    der 

Atmosphäre,  von  Albert  Gkxskel 329 

Die  Elektrizitätszerstreuunff  in  der  Atmosphäre,    von  P.  G^ermak    330 
Das  Spektrum  des  Nordlichtes 331 

Optische  Brscheinungen  der  Atmosphäre 331—335 

Die  Intensität  der  durch  die  Sonne  hervorgerufenen  Beleuchtung, 

von  Charles  Fabry 331 

Über  neue  Refraktionstafeln,  von  Dr.  L.  de  Ball 332 

Die   Extinktion   des   Lichtes   in   der  Erdatmosphäre,   von  Dr.  A. 

Bemporad 332 

Mittlere  Extinktion 334 

Das  Wiedersichtbarwerden  des  Bishopsohen  Ringes  im  Jahre  1903  334 

Klimatoiogisches  und  WetterproffnoBen 335—344 

Die  Klimatographie  von  Österreich 335 

Die  Witterunffsverhältnisse  auf  Island  und  deren  Beziehungen  zu 
den  gleichzeitigen   Witterungsanomalien   in   Nordwesteuropa, 

von  Prof  J.  Hann 33a 

Ein  neues   System   allgemeiner   Luftdruokprognoeen  auf  längere 

Zeit  für  den  Nordatlantischen  Ozean,  von  Prof.  Herrmann    .     341 


Verzeichnis  der  Tafeln. 

Tafel    I.    Allgemeines  Aussehen  der  Sonnenkorona  am  28.  Mai  1900. 

»      n.     Isoplethen  für  Deutschland,  nach  Dr.  J.  B.  Messersohmitt. 

»    m.    Abb.  1.    Chimborazo   (Ecuador).      Die   Westkordilleren  krönend 

über   den  Wolken   der  interandinen  Talmulde   von   der    Ost- 

Kordillere  aus. 

Abb.  2.    Der  Sincholagua  (Ecuador)  von  NNO  (vom  Hato  Anti- 

sanilla)  aus.     Photognmhische  Aufnahmen  von  Dr.  P.  Großer. 

»  IV.  Steilwand  an  der  Nordflanke  des  Caümborazo  mit  schichtiger 
Lava  und  dem  Austrittspunkt  (rechts)  eines  jungem  Lava- 
stroms.    Photographische  Aufnahme  von  Dr.  Paul  Großer. 

*  V.  Die  Missouri-Paoific-Eisenbahnbrücke  über  den  Kansasfluß  bei 
Kansas-City,  nachdem  das  Wasser  um  8  Fuß  gefallen  war. 

»  VI.  Isobaren  Nordamerikas  für  den  3.  Februar  1903  am  Meeresspiegel,  in. 
3500  sowie  in  10000  Fuß  Höhe,  nach  Frank  H.  Bigelow. 


Astrophysik. 


Sonne. 

DieFleekentätigkeit  der  Sonne  im  Jahrel908.  Prof.  Wolfer  inZürich 
hat  auch  für  dieses  Jahr  in  altgewohnter  Weise  die  Fleckentätigkeit 
der  Sonne  festgestellt.  ^)  Von  ihm  und  seinem  Assistenten  wurden 
während  dieses  Jahres  an  255  Tagen  Beobachtungen  in  Zürich  ange- 
stellt, außerdem  konnten  auch  achtzehn  seiner  Beobachtimgsreihen  be- 
nutzt werden.  In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  Ergebnisse  zusammen- 
gestellt. Es  bezeichnet  darin  n  die  Anzahl  der  Beobachtungstage,  m 
die  Zahl  der  fleckenfreien  Tage  und  r  die  berechnete  Belativzahl  der 
Sonnenflecke,  „^as  definitive  Jahresmittel,'*  sagt  Prof.  Wolfer, 
,,stellt  sich  auf  r  =  24.4  und  ergibt  somit  gegen  1902  (r  »  5.0)  eine 
Zunahme  von  19.4  Einheiten,  die  in  Verbindung  mit  der  rapiden  Ab- 
nahme der  Zahl  der  fleckenfreien  Tage  von  257  auf  45  das  erwartete 
raschere  Ansteigen  der  Tätigkeit  bestätigt.  Immerhin  kann  man 
diese  Zunahme,  wenn  man  sie  dem  durchschnittlichen  Verlaufe  des 
aufsteigenden  Zweiges  der  elfjährigen  Fleckenkurve  gegenüberhält, 
noch  nicht  als  eine  starke  bezeichnen.  Von  der  Belativzahl  des  letzten 
Minimumjahres  1901  (r  =  2.7)  aus  gerechnet,  beträgt  die  Gesamt- 
zunahme bis  1903  nur  21.7,  und  diese  ist  für  ein  zweites  Jahr  nach 
dem  Minimum  so  auffallend  gering,  daß  sie  zu  einer  Vergleichung  mit 
den  entsprechenden  Verhältnissen  in  frühem  Perioden  auffordert, 
auch  wenn  es  noch  verfrüht  erscheinen  mag,  schon  jetzt  eine  Vermu- 
tung über  den  Verlauf  der  gegenwärtigen  Periode  und  namentlich 
über  die  Höhe  des  kommenden  M^Timnmfl  daran  zu  knüpfen.  Zieht 
man  nur  die  sieben  letzten  Perioden  in  Betracht,  in  denen  sowohl 
hohe,  als  mittlere  und  niedere  Mazima  vorkonmien,  und  bildet  in 
jeder  von  ihnen  je  für  das  erste  und  zweite  Jahr  nach  dem  Minimum 
die  Überschüsse  der  betreffenden  jährlichen  Relativzahlen  über  die- 
jenige des  Minimumjahres  selbst,  so  erhält  man  die  nachstehenden 
Zahlengruppen: 

^)  Astron.  MitteiL  fS.  Vierteljahraschr.  d.  Naturf.  Ges.  in  Zürich  1904.  49. 
Klein,  Jahrbuoh  XV.  1 


2  Sonne. 

BeUtiT-  Zuwachs  B«l*tiT-  Zuwachs 

■ahl  gcg.Min.  aahl  geg.lCin. 

Min   1823          1.8  ^^  Min.  1867          7.3  ^^ 

1824  8.5  ,7i  1868        37.3  S« 

1825  16.6        **•*  1869        73.9        ^^ 

Min.  1833  8.5  .-  Min.  1878  3.4  »« 

1834  13.2        ^l  1879  6.0        ^l 

1835  56.9        **•*  1880        32.3        ^'^ 

Min.  1843        10.7  .o  Min.  1889         6.3         ^^ 

1844  15.0  *"4  1800  7.1        ^% 

1845  40.1        ^'^  1891        35.6        "^"^ 

Min.  185..  4.3        ,q.  Min.  1901  2.7         90 

1857.       22.8        *^2  1902  5.0        of? 

1858'       54.4        ^'^  1903        24.4        ^^'^ 

Daraus  geht  hervor,  daß  die  auf  daa  Minimum  von  1901  be- 
zogene Zunahme  der  Relativzahl  von  1903  kleiner  ist  ab  alle  ent- 
sprechenden Betrage  in  den  übrigen  Dreijahrgruppen,  mit  einziger 
Ausnahme  von  1823  bis  1825.  Y^Ieicht  man  nun  mit  dieser  Tat- 
sache die  einzelnen  Fleckenkurvwi,  die  den  genannten  Minima  folgen, 
so  dürfte  sich  mit  einiger  Wahrscheinhohkeit  vermuten  lassen,  daB 
die  auf  1901  folgende  sich  etwa  denen  von  1823  bis  1833,  1878  bis 
1880  und  1889  bis  1901  nahem,  d.  h.  verhältnismäßig  flach  verlaufen 
und  kein  hcheß  Maximum  erreichMi  werde,  faUs  nicht  die  nächsten 
Jahre  noch  einen  unerwarteten  plötzlichen  Ansti^  der  Kurve 
bringen,  wie  er  z.  B.  im  Jahre  1847  einem  erst  ganz  allmählichen  lang- 
samen Aufwärtsgehen  folgte.  Jedenfalls  aber  ist  es  vorläufig  wenig 
wahrscheinhch,  daß  das  kommende  Maximum  sich  etwa  ähnlich  wie 
jene  v(m  1837  und  1870  gestalte,  die  beide  dem  vorangehenden  Minima 
in  der  kurzen  Zeit  von  3  bis  4  Jahren  folgten,  und  wo  in  beiden  Fällen 
das  Au&teigen  der  Kurve  vom  Minimum  zum  Maximum  mit  starken, 
nahe  konstanten  jährlichen  Gradienten  sich  vollzog. 

Die  Fleckenkurve  zeigt  wahrend  des  Jahres  1903  schon  ein  sehr 
viel  bewegteres  Bild  ab  im  vorigen  Jahre.  „Wo  sie  auf  Null  sinkt, 
geschieht  es  jedesmal  nur  für  wenige  Tage;  die  sekundären  Schwan- 
kungen von  kurzer  Periode  mnd  lebhafter  und  zahlreicher  geworden, 
und  ihre  Amj^tuden  wachsen  mit  zwei  Unterbrechungen  im  Mai  und 
September  beständig  von  Anfang  bis  Ende  des  Jahres.  Die  Zunahme 
fand  intermittierend  statt,  in  drei  Erhebungen  von  längerer  Dauer, 
deren  jede  eine  Gruppe  aufeinanderf(dgender  sekundärer  Wellen  um- 
faßt. Die  erste  Gruppe  trat  im  April  auf,  die  zweite  von  Juni  bis 
August,  die  dritte  von  Oktober  bis  Dezember;  dazwischen  liegen  zwei 
IntervaUe  geringerer  Tätigkeit  im  Mai  und  September.  Die  dritte, 
letzte  Gruppe  sekundärer  Mazima  begann  Anfang  Oktober  mit  einem 
plötztichen,  rapiden  Steigm,  veranlaßt  durch  die  bekannte  große 
Fleckengruppe,  die  am  5.  Oktober  eintrat,  und  der  sodann  eine  Reihe 
weiterer  ebenfalls  stark  entwickelter  Tätigkeitsherde  folgte. 

Vergleicht  man  aber  die  einzehien  sekimdären  Maxima  in  bezug 
auf  ihre  zeitHche  Lage  innerhalb  der  Botationsperioden,  zu  denen  sie 


Sonne.  8 

gehören,  so  bemerkt  man,  daß  sie  von  Ende  Mära  an  fast  regelmäfiig 
mit  geringen  Abweichungen  je  auf  dieselbe  Botationsphase  der  Sonne, 
und  zwar  nahe  auf  die  Anfangsepoohen  der  einzdnen  Rotations- 
Perioden  fallen,  und  daß  sie  nur  nach  und  nach  gegen  das  Sode  des 
Jahres  hin  sich  gegen  diese  etwas  verspäten.  Daraus  ist  zu  schließen, 
daß  diese  sekundären  Maxima  einer  überwiegenden  und  ungewohnliob 
lange  andauernden  Konzentration  der  Tätigkeit  auf  einem  begrenzten 
Gebiete  der  Fleckenzonen  zuzuschreiben  sind." 

Die  Verteilung  der  Flecke  und  Fackeln  auf  der- Sonne  während 
der  eUJfthrigen  Fleckenperiode  ist  von  A.  Mascari  m  faucht  worden.  ^) 
Er  benutzte  hierzu  die  Beobachtimgen  Tacchinis  von  1879  bis  1900  zu 
Born  und  seine  eigenen,  von  1893  bis  1903  zuCatania  angestellten,  eben- 
so wurden  die  Beobachtungen  der  Protuberanzen  zu  Catania  zu-^ 
gezogen.  Es  ergaben  sich  folgende  Tatsachen :  1.  Die  Gebiete  größerer 
Lebhaftigkeit  der  äquatorialen  Fackeln  und  der  Flecken  zeigen  von 
einem  elfjährigen  Minimum  bis  zum  nächstfolgenden  eine  Bewegung 
aus  den  Zonen  +  20  bis  +  30^  nach  dem  Äquator  hin;  hingegen 
wandern  in  der  gleichen  Zeit  diejenigen  der  Protuberanzen  fast  von 
denselben  Zonen  größerer  Tätigkeit  der  Fackeln  und  Flecken  fort, 
richten  sich  aber  nach  den  polaren  Gebieten  und  bleiben  noch  be- 
stehen bis  fast  zur  Epoche  des  folgenden  Maximums  des  ersten 
Zyklus.  Dies  liefert  eine  Stütze  für  die  Unabhängigkeit  der  beiden 
Sonnenerscheinungen,  Fackeln  und  Wasserstoffprotuberanzen,  die 
auch  anderweitig  nachgewiesen  ist.  2.  Die  Zonen  größerer  Tätigkeit 
der  Protuberanzen  entwickeln  sich  in  den  Zonen  der  geringem  Tätig- 
keit der  FackehL  Man  kann  also  sagen,  daß  die  Zonen  größerer 
Tätigkeit  der  Fackelgrupx>en,  die  zwischen  der  mittlem  Breite 
+  45^  und  dem  Äquator  liegen,  eine  parallele  und  mit  der  der  Flecken 
zusammenfallende  Bewegung,  aber  eine  umgekehrte  zu  der  der  Pro« 
tuberanzen  ausführen.  Die  Fackeln  jenseits  des  Hauptmaximums 
in  den  Äquatorialgegenden  jeder  Hemisphäre  hingegen  zeigen  ein 
sekimdäres  Maximum  in  den  Polargegenden  (das  keine  Verschiebung 
erkennen  läßt  und  dem  Äquator  parallel  bleibt).  Das  Zentrum 
größerer  Tätigkeit  der  Protuberanzen  fallt  allgemein  in  die  Gegenden 
der  geringem  Tätigkeit  der  Fackeln. 

Die  Verteilung  der  Sonnenfleeke  in  heliographiseher  Breite  von 
1874  bis  1902.  Walter  Maunder  hat  vor  einiger  Zeit  die  während 
dieses  Zeitraumes  auf  der  Sternwarte  Greenwich  fortlaufend  auf- 
genommenen Sonnenphotographien  in  bezug  auf  die  Verteilung  der 
Flecke  über  beide  Hemisphären  der  Sonne  nöidUch  und  südlich  vom 
Äquator  untersucht.  >)  Seitdem  ist  eine  Arbeit  von  Dr.  W.  J. 
S.  Lockyer  erschienen,  welche  sich  mit  dem  nämlichen  Gegenstande 
beschäftigt,  aber  zu  Schlüssen  führt,  die  naoh  Maunder  unzulässig 

1)  Memorie  della  SocietÄ  degli  Spettroecopisti  Italiani  1904.  9S.  p.  46. 
>)  Dieses  Jahrbuch  14.  p.  9. 


4  Sonne. 

sind.    Letzterer  kommt  deshalb  auf  den  Gegenstand  nochmals  zu- 
rück^) und  stellt  fest: 

a)  Die  beiden  Sonnenhemispharen  unterscheiden  sich  während 
der  ganzen  Periode  sehr  wesentlich  voneinander  in  bezug  auf  die 
gesamte  von  den  Flecken  eingenommene  Flache:  die  südliche  war 
fleckenreicher,  indem  sie  56.5%  der  samtUchen  Fleckenareas  aufwies. 

b)  Die  Wendepunkte  während  des  Sonnenzyklus  waren  auf  der 
nördlichen  Hemisphäre  früher  erkennbar  ab  auf  der  südlichen,  so- 
wohl bei  der  Zunahme,  als  bei  der  Abnahme  der  Flecke. 

c)  Die  nördUche  Hemisphäre  zeigte  während  der  beiden  Flecken- 
X>erioden,  die  in  den  Zeitraum  von  1874  bis  1902  fielen,  ein  doppeltes 
Maximum  der  Flecke,  von  denen  das  erste  drei  Jahre  vor  dem 
zweiten  eintrat.  Die  Fleckenkurve  zeigt  deshalb  in  ihrer  allgemeinen 
Form  ein  lang  hingezogenes,  aber  nicht  sehr  ausgezeichnetes  Flecken- 
maximum. 

d)  Die  südliche  Hemisphäre  der  Sonne  zeigt  im  Gegensätze  dazu 
ein  sehr  scharf  ausgesprochenes  Fleckenmaximum,  das  zwischen  die 
beiden  Maxima  der  nördlichen  Hemisphäre  fällt. 

Spörer  hat  früher  nachgewiesen,  daß  nach  der  Zeit  des  Flecken- 
minimums die  Flecke,  welche  seit  geraumer  Zeit  in  hohem  Breiten 
verschwunden  waren,  plötzlich  in  etwa  30°  nördlicher  wie  südlicher 
Breite  auf  der  Sonne  wieder  auftauchten.  ^)  Dieses  sogenannte  Gesetz 
findet  auch  Maunder  im  allgemeinen  bestätigt,  während  die  Schluß- 
folgerungen Lockyers  von  ihm  und  von  A.  L.  Cortie  ')  abgelehnt 
werden. 

Das  Spektrum  der  Sonnenfleeke,  und  zwar  die  Region  zwischen 
den  Linien  B  bis  D,  ist  durch  A.  L.  Cortie  auf  der  Sternwarte 
des  Stonyhurst-College  in  der  Zeit  von  1890  bis  1901  beobachtet 
worden^)  im  Anschlüsse  an  ähnliche  Beobachtungen  in  den  Jahren 
1882  bis  1889.^)  Die  Identifizierung  der  einzelnen  Linien  geschah 
mit  Hilfe  der  photographischen  Darstellungen  von  Higgs.  Als  Er- 
gebnis wird  eine  Tabelle  von  300  Linien  der  bezeichneten  Spektral- 
region mitgeteilt,  die  in  den  Sonnenflecken  Veränderungen  erleiden. 
Aus  den  Beobachtungen  ergibt  sich,  daß  die  hauptsächlichsten  Ver- 
änderungen bestehen  in  Erbreiterung  der  Linien  oder  zunehmender 
Verdunklung  ohne  Erbreiterung,  im  Verschwinden  derselben  in  den 
Flecken,  in  Verschiebungen  ihrer  Lage,  Umkehrungen,  Ausfran- 
zungen  usw.  Besonders  sind  es  die  Linien  des  Natriums  (die  D-Linien) 
Vanadiums,  Chroms  imd  Titaniums,  welche  Veränderungen  ihres 
Aussehens  erleiden,  bisweilen  auch  die  dem  Sauerstoffe  zugeschrie- 
benen Linien  und  die  atmosphärischen  Wasserdampf  linien.     Außer 

i)  Monthly  Notices  64.  p.  747. 
«)  Oompt.  rend.  10S.  p.  486. 
s)  Monthly  Notioee  64.  p.  762. 
«)  Monthlv  Notioes  63.  p.  468. 
^)  Mem.  AfltroiL  Soo,  60.  p.  90. 


Sonne.  5 

den  oft  umgekehrten  Linien  C  und  D  wurde  einmal  in  einem  Hecke 
auch  die  Kalziumlinie  X  6122.43  umgekehrt  gesehen,  sowie  bisweilen 
die  Eisenlinien  X  6393.82  und  X  6400.54.  Diese  drei  Linien  sind 
chromosphärisohe  Linien. 

Umkehr  der  Linie  D3  im  Sonnenspektrum«  Hierüber  berichtete 
H.  Kreusler  in  der  deutschen  physikalischen  Gesellschaft.  ^) 

Die  dem  Helium  angehörige,  gewöhnUch  als  D3  bezeichnete 
Linie,  heißt  es  in  dem  Berichte  Kreuslers,  zeigt  sich  stete  hell  im 
Spektrum  der  Chromosphäre  und  der  Protuberanzen,  sowie  zuweilen 
in  den  Lichtbrücken  der  Sonnenflecke.  Sie  ist  leicht  wahrzunehmen, 
wenn  man  auf  die  Spaltebene  eines  stark  zerstreuenden  Spektroskops 
ein  Sonnenbild  entwirft.  Tangiert  der  Spalt  das  Sonnenbild,  so 
sieht  man  D,  je  nach  der  Größe  des  letztem  als  mehr  oder  weniger 
lange,  helle  Linie;  stellt  man  den  Spalt  radial,  so  erscheint  sie  als 
kurze,  spitze  Hervorragung  aus  dem  kontinuierlichen  Spektrum, 
wenn  der  Spalt  nicht  gerade  auf  eine  ausgedehnte  Protuberanz  trifft. 
Li  letzterm  Falle  korrespondiert  ihre  Länge  mit  der  Höhe  der  Pro- 
tuberanz an  der  betreffenden  Stelle. 

Eine  dunkle  Linie  vom  Charakter  einer  gewöhnlichen  Fraun- 
hoferschen  am  Orte  der  hellen  Dß-Linie  existiert  nicht. 

Bicco,  Belopolski  und  Woods  sahen  allerdings  an  der  Basis  von 
Protuberanzen  innerhalb  der  hellen  D  3  eine  sehr  feine,  dunkle  Linie, 
die  aber  wahrscheinlich  nicht  auf  einer  Umkehr  beruht,  sondern 
darauf  zurückzuführen  ist,  daß  die  gelbe  HeUumlinie  in  Wahrheit 
doppelt  ist. 

Indessen  hat  Young  schon  am  22.  September  1870  in  der  Pe- 
numbra  eines  Fleckes  D3  als  grauen  Schatten  beobachtet.  Letztere 
Erscheinung,  eine  unzweifelhafte  Umkehrung  der  D  3-Linie,  ist  selten ; 
über  spatere  Beobachtungen  ähnlicher  Art  hat  Verf.  in  der  Literatur 
keine  Angaben  finden  können. 

Am  12.  Juni  1904  zwischen  12  und  2  Uhr  beobachtete  Verf.  im 
Physikalischen  Institut  zu  Berlin  die  Sonne  an  einem  6-zölligen 
Reflektor  mit  einem  Spektroskop,  dessen  Dispersion  der  von  neun 
Schwefelkohlenstoffprismen  von  60^  gleichkommt.  Der  Durch- 
messer des  auf  die  Spaltebene  projizierten  Sonnenbildes  betrug  8  bis 
9  cm;  das  Femrohr  des  Spektroskops  hatte  etwa  achtfache  Ver- 
größerung. 

Zwischen  dem  Zentralmeridiane  und  dem  Westrande  der  Sonne 
befand  sich  eine  Gruppe  von  vier  kleinen,  trapezartig  angeordneten 
Flecken.  In  der  nächsten  Umgebung  dieser  Flecken  waren  die  Fraun- 
hoferschen  Linien  C  und  F  unsichtbar,  in  den  Flecken  selber  hell. 
Die  beiden  D-Linien  zeigten  in  den  Flecken  außer  der  gewöhnUch 
beobachteten  Verbreiterung  keine  AnomaUen.  ( Young  sah  bei  der 
vorher  erwähnten  Gelegenheit  die  D-Linien  in  der  Penumbra  hell.) 

1)  Ber.  d.  Dtsoh.  physik.  Ges.  1904.  p.  197. 


6  Sohn«. 

Die  Linie  D  ^  war  in  den  Flecken  selbst  nicht  zu  sehen,  dagegen  zeigte 
sie  sich  in  der  Umgebung,  wo  C  und  F  unsichtbar  waren,  als  dunkles, 
etwas  verwaschenes,  an  beiden  Enden  spitz  auslaufendes  Band,  und 
zwar  nicht  schwarz,  sondern  mattgrau. 

Die  Erscheinung  war  sehr  augenfällig;  Dr.  Starke»  der  zu- 
fällig hinzukam,  S€^  die  dunkle  Linie  auf  den  ersten  Blick.  Leider 
wurde  die  Beobachtung  durch  Bewölkung  vielfach  unterbrochen,  so 
daß  eine  genauere  Okularbeobachtung  der  Flecke  und  ihrer  Um- 
gebung, b^nders  mit  Bücksicht  auf  die  Anwesenheit  von  Fackeln 
nicht  angestellt  werden  konnte. 

Am  13.  Juni  war  D3  noch  dunkel  zu  sehen,  allerdings  viel 
weniger  deutlich.  Das  Aussehen  der  Linien  C  und  F  war  von  ihrem 
gewöhnlichen  AnbUck  nicht  mehr  verschieden.  Fackeln  von  be- 
sonderer Helligkeit  waren  an  diesem  Tage  in  der  Umgebung  der 
Flecke  nicht  zu  bemerken. 

Kalzium-    und  Wasserstofflockeln    in   der  SonneoatmosphAia. 

Die  vor  mehr  als  zwölf  Jahren  von  Prof.  Haie  begonnenen  Unter- 
suchungen der  Sonnenoberfläche  mittels  des  mit  zwei  beweghchen 
Spalten  versehenen  Spektroheliographen  sind  von  ihm  und  EUer- 
mann  fortgesetzt  worden,  und  beide  berichten  jetzt  über  die  Ergeb- 
nisse derselben.^)  Dieselben  beziehen  sich  auf  die  Verteilung  der 
glühenden  Dämpfe  des  Kalziums  auf  der  Sonne,  auf  Erscheinungen, 
die  sonst  weder  mit  bloßem  Auge,  noch  mit  den  gewöhnlichen  photo- 
graphischen Methoden  gesehen  werden  können. 

Wie  aus  den  Resultaten  dieser  Untersuchung  ersichtlich  wird, 
befinden  sich  die  Kalzium-  und  Wasserstoffdampfe  in  der  Photo- 
sphäre der  Sonnenatmosphäre  in  hohem  Schichten  als  die  dichten 
Kalzium-  und  Wasserstoffwolken.  Es  ist  darum  vorteilhaft,  mit 
dem  Namen  „Flockein"  die  Dämpfe  zu  bezeichnen,  die  sich  von  den 
„Fackeln"  erheben,  welche  über  oder  unter  jenen  liegen.  Die  Fackeln 
sind  die  Erhöhungen  in  der  Photosphäre,  die  durch  direkte  optische 
und  photographische  Beobachtungen  gesehen  werden  können,  und 
die  sich  durch  das  kontinuierliche  Spektrum  kennzeichnen.  Die 
Flockein  dagegen  sind  die  Gase  imd  Dämpfe,  die  in  großem  Höhen 
liegen,  die  durch  direkte  Beobachtungen  nicht  gesehen,  aber  durch 
spektroholiographische  Photographien  nachgewiesen  werden  können. 
Zu  den  Flockein  gehören  alle  hellen  oder  dunkeln  Dämpfe,  die  ohne 
Unterschied  ihrer  Höhe  sich  auf  die  Sonne  projizieren.  Das  heißt, 
eine  Flookel  kann  sich  in  der  absorbierenden  Schicht,  in  der  Chromo- 
Sphäre  oder  in  der  Protuberanz  der  Sonne  befinden.  Die  Formen 
der  Kalzium-  und  Wasserstofflockeln  unterscheiden  sich  voneinander, 
so  daß  man  sie  als  Kalzium-  und  Wasserstofflockeln  bezeichnen  kann. 

Zur  Untersuchung  der  Flockein  ist  eine  Methode  sehr  vorteilhaft^ 

1)  ABtrophysical  Joum.  1904.  Januar. 


Sonne«  7 

die  einzelne  Durcbsolmitte  der  Gase  und  Dämpfe  in  venohiedenen 
Höhen  über  der  Photoeph&re  zu  photogn^hieren  erlaubt. 

Es  ist  bekannt,  dafi  die  Spektrallinien  der  Dampfe  im  eiek- 
triachen  Funken,  die  mit  dem  Spalte  senkrecht  zur  Längsriohtung 
des  Funkens  erzeugt  sind,  yersohiedene  Breite  haben,  je  nachdem  sie 
den  mittlem  oder  &ufiem  Partien  des  Funkens  gehören.  In  der 
Mitte  des  Funkens  sind  die  Metalldampfe  dicht  und  darum  die  zu- 
gehörigen TeQederf^ktrallinien  breit.  Li  den  äußern  Partien  sind  die 
Dämpfe  verhältnismäßig  dünner  und  darum  diese  Teile  der  Linien 
enger.  Die  Breite  der  dazwischenliegenden  Teile  der  Linien  ändert 
sich  mit  der  Dichte  des  Dampfes.  Es  ist  oft  möglich,  noch  eine 
schmale  schwarze  Linie  in  der  Mitte  der  hdlen  zu  beobachten,  die 
durch  den  kalt^i  dünnen  Dampf  in  den  äußersten  Schichten  des 
Fimkens  gebildet  ist. 

Ahnliche  Verhältnisse  existieren  auf  der  Sonne.  Die  H-  und 
K-Linien  der  Kalziumdämpfe  zeigen  im  Sonnenspektrum  eine  zu- 
sammengesetzte Struktur,  bestehend  aus  drei  Teilen:  aus  einem 
breiten  dunkeln  Bande,  das  alsH^  K^  bezeichnet  werden  mag;  aus 
einer  verhältnismäßig  schmalen  hellen  Linie,  die  sich  oft  in  Mitte 
des  dunkeln  Bandes  befindet,  H2K2,  und  aus  einer  noch  schma- 
lem dunkeln  Linie,  die  sich  selten  in  der  hellen  befindet,  H3  K3. 
Das  diffuse  dunkle  Band  H^  K|  wird  durch  die  dichten  Dämpfe,  die 
sich  in  unmittelbarer  Nähe  der  Photosphäre  befinden,  gebildet.  Im 
allgemeinen,  wie  es  aus  Finstemisbeobachtungen  bekannt  ist,  hegen 
die  dichten  Kalziumdämpfe  so  niedrig  in  der  Chromosphäre,  daß  sie 
nicht  sich  projizierend  am  Rande  der  Sonne  beobachtet  werden 
können.  Die  helle  Linie  H2  K2,  wie  es  aus  Spektralbeobachtungen 
der  Chromosphäre  ersichtUch  ist,  gehört  zu  Dämpfen,  die  sich  am 
Sonnenrande  hell  projizieren,  obgkach  sie  nicht  die  höchsten  Teile 
der  Chromosphäre  erreichen.  Die  dunkle  Linie  Hs  K^  ist  durch  die 
kaltem  Dämpfe  gebildet,  die  sich  in  höchsten  Teilen  der  Chromo- 
sphäre befinden. 

Es  ist  klar,  daß,  wenn  der  zweite  Spalt  des  SpektroheUographen 
auf  das  äußerste  Ende  der  Linie  H^  K^  räigestellt  wird,  er  das 
Licht  nur  von  den  Dämpfen  erhalten  kann,  die  dicht  genug  sind,  um 
so  breite  Linien  zu  bilden.  Die  dünnem  Dämpfe  in  großem  Höhen 
erzeug«!  engere  Linien,  und  folglich  senden  sie  ihr  Licht  durch  den 
zweiten  Spalt  nicht.  Wenn  der  Spalt  die  Linie  näher  der  Mitte 
schneidet,  so  daß  die  Linie  H2K2  im  Spalte  sich  befindet,  so  be- 
kommt er  das  lacht  von  den  hellen  Dämpfen,  die  noch  genug  dicht 
sind,  um  eine  Linie  von  der  kleinem  Breite  zu  bilden,  und  die  sich  in 
großem  Höhen  befinden.  Schneidet  der  Spalt  die  Mitte  der  Linie, 
so  bekommt  er  in  den  Fällen,  wo  die  Linie  H3  Kj  stark  genug  ist, 
dagegen  Hg  Kg  undeutlich  erscheint,  das  schwache  Licht  von  den 
dünnsten  Dämpfen,  die  sich  in  noch  großem  Höhen  befinden. 

Es  folgt  daraus,  daß,  wenn  der  erste  Spalt  des  Spektrohelio- 


S  Sonne. 

graphen  durch  das  ganze  Sonnenbildchen  verschoben  wird,  die  dnei 
Photographien  nacheinander  folgende  Dorchschnitte  der  flockehi 
in  verschiedenen  Höhen  über  der  Photosphäre  liefern. 

Gemäß  solchen  Untersuchungen  zeigen  die  Photographien  der 
niedrigsten  Durchschnitte  eine  Menge  von  verhältnismäßig  kleinen, 
aber  sehr  deutlichen  Elementen  an  der  Basis  der  Kalziumflockeln, 
an  die  sich  in  den  Photographien  der  hohem  Durchschnitte  mehr 
ausgedehnte,  größere  Flächen  bedeckende  Gebilde  angliedern. 
Aus  mehrem  Photographien,  die  bei  sehr  günstigen  atmosphärischen 
Verhältnissen  erhalten  wurden,  ergibt  sich,  daß  wahrscheinlich  die 
Kalziumflockeln  aus  einer  Menge  von  Gas-  und  Dampfsaulen  be- 
stehen, die  sich  ausdehnen,  sobald  sie  die  großem  Höhen  erreichen, 
und  in  vielen  Fällen  in  ihren  höchsten  Teilen  sich  seitwärts  aus- 
breiten. 

Bei  Anwendung  des  SpektroheUographen  zum  Photographieren 
der  Flockein  anderer  Gase  als  Kalzium  ist  es  unbedingt  notwendig, 
daß  die  Spektrallinien  dieser  Gase  durch  starke  Dispersion  auch  so 
breit  gemacht  werden,  daß  sie  den  zweiten  Spalt  ganz  bedecken 
werden.  Wenn  das  nicht  der  Fall  ist,  so  wird  das  licht  des  kon- 
tinuierUchen  Spektrums  von  beiden  Seiten  der  dunkeln  Linie  zur 
photographischen  Platte  durchdringen,  und  es  wird  die  kleinste  Menge 
dieses  Lichtes  ausreichen,  um  den  Effekt,  hervorgebracht  durch  die 
Intensitätsänderung  der  dunkeln  Linie,  ganz  zu  vernichten.  Denn 
obgleich  diese  Linie  nur  durch  Kontrast  dunkel  ist,  so  ist  doch  ihr 
Licht  viel  schwächer  als  das  des  kontinuierlichen  Spektrums,  auf 
welchem  sie  hegt. 

Die  mit  den  Wasserstofflinien  H^,  2',  d  gemachten  Photographien 
zeigen  breite  dunkle  Gebilde,  die  den  hellen  mit  Kalzinmfinien 
H2  K2  erzeugten  ähnlich  sind,  obgleich  sie  sich  von  jenen  in  manchen 
Fälen  durch  andere  Formen  unterscheiden.  Mehrere  solcher  Photo- 
graphien führen  zu  dem  Resultate,  daß  ohne  Zweifel  im  allgemeinen 
die  Wasserstofflockeln  dunkel  und  den  hellen  Kalziumflockeln 
ähnlich  sind,  doch  können  sie  sich  von  letztem  oft  unterscheiden. 
Da  die  Wasserstofflockeln  hauptsächlich  emptiver  Natur  sind,  so 
ist  die  Temperatur  des  Wasserstoffgases,  die  für  eine  Lichtstrahlung 
maßgebend  ist,  durch  heftige  Strömung  so  weit  herabgesunken,  daß 
sie  sich  von  der  Temi>eratur  der  umgebenden  Wasserstoffgase  nicht 
unterscheidet,  oft  aber  unter  dieser  normalen  Temperatur  liegte- 
Darum  erscheinen  die  Wasserstofflockeln  im  allgemeüien  dunkel. 
Man  könnte  aber  erwarten,  daß  in  sehr  aktiven  Regionen  der  Sonnen- 
Oberfläche  die  hellen  Wasserstofflockeln  erscheinen  werden.  Und 
wirklich  ist  es  möglich,  in  unmittelbarer  Nähe  der  Flecke  die  hellen 
Wasserstofflockeln  nachzuweisen,  die  in  großem  Entfernungen 
dunkel  erscheinen. 

Aus  dem  Vergleiche  der  Photographie,  bei  der  der  Spalt  auf  die 
Wellenlänge  X  »  3966  in  der  mittlem  Breite  der  dunkebi  Linie  Hi> 


Sonne.  9 

mit  der,  wo  er  auf  X  =  3968.6  in  der  hellen  Linie  Hg  eingestellt  war, 
wird  ersichtlich,  daß  in  den  untern  Schichten  die  lichten  Kalzium- 
dampfe  große  Partien  der  Flecke  bedecken,  und  in  den  hohem 
Schichten  die  dünnem  Kalziumgase  über  den  Halbschatten  und 
Schatten  der  Flecke  sich  erheben. 

Eine  Schwankung  der  Sonnenstrahlung  ist  von  S.  P.  Langley 
wahrscheinlich  gemacht  worden.  ^)  Nach  seinen  Beobachtungen  mit 
dem  verfeinerten  Bolometer  (dem  Bolographen)  ergab  sich  der  Wert 
der  Sonnenkonstante  im  Jahre  1902  an  drei  Tagen  des  Oktober  gleich 
2.18,  am  19.  Febmar  1903  gleich  2.26.    Zwei  Reihen  vom  25.  und 

26.  März  liefern  die  rasch  sinkenden  Werte  2.26,  2.21  und  2.10,  2.08, 
die  nächsten  Beobachtungen  vom  29.  April  1.94  und  1.97.  Nach 
einem  etwas  hohem  Werte  (2.14)  am  7.  Juli  verharrte  die  Konstante 
am  24.  August,  14.  und  29.  Oktober,  7.  und  23.  Dezember  1903  und 

27.  Januar  1904  auf  Werten  zwischen  1.93  und  2.06  oder,  wenn  man 
nur  die  Tagesmittel  vergleicht,  zwischen  1.94  und  2.01,  hatte  dagegen 
am  11.  Februar  den  altem  Wert  von  2.26  wieder  erreicht.  Während 
die  Luftdurchlässigkeit  in  der  zweiten  Jahreshälfte  von  1903  nahezu 
wieder  ihre  unverminderte  Größe  erreicht  hatte,  war  die  Sonnen- 
strahlung außerhalb  der  Erdatmosphäre  um  dieselbe  Zeit  um  etwa  ein 
Zehntel  herabgegangen.  Hätte  man  die  Sonnenkonstante  für  April 
bis  August  1903  mit  der  normalen  Luftdurchlässigkeit  berechnet,  so 
wäre  sie  noch  kleiner  gefunden  worden. 

Eine  Abnahme  der  imabsorbierten  Sonnenstrahlung  um  etwa 
10%  ist  daher  für  einen  Zeitraum  von  mehrem  Vierteljahren  höchst 
wahrscheinlich.  Langley  zeigt  weiter,  daß  nach  dem  Stefanschen 
Strahlungsgesetze  die  mittlere  Temperatur  der  Erde  bei  Empfang 
einer  um  0.1  verminderten  Erwärmung  um  7.5^  fallen  müßte, 
nämlich  von  17  auf  10°,  aber  erst  nach  einiger  Zeit  bei  dauernder 
Abnahme  der  Sonnenstrahlung.  Handelt  es  sich  um  kürzere  Schwan- 
kungen, so  kann  diese  Wirkux^  nicht  ganz  eintreten.  Die  Abnahme 
dürfte  sich  aber  vielleicht  zeigen  an  Orten  mit  kontinentalem  Klima, 
während  Orte  in  der  Nähe  der  See  erst  nach  länger  dauernder  Strah- 
lungsänderang  eine  Wirkung  verspüren  dürften,  da  die  großen  Wasser- 
massen ausgleichend  auf  die  Temperatur  einwirken. 

Langley  hat  nun  zehntägige  Temperaturmittel  von  89  Stationen 
der  nördlichen  gemäßigten  Zone  geprüft.  Die  Stationen  wurden  in 
sieben  Gruppen  eingeteilt  unter  Berücksichtigung  ihrer  geographi- 
schen Lage,  ihrer  Entfernung  vom  Meere  und  ihrer  Höhe  über  der 
Meeresfläche.  Die  Abweichungen  der  Temperaturen  von  ihren  Nor- 
malwerten zeigen  in  allen  Gruppen  vom  April  bis  November  1903  ein 
Sinken  um  mehrere  Gelsiusgrade.  Der  Temperaturfall  spricht  sich 
am  deutlichsten  aus  bei  den  Stationen  des  europäiBchen  und  asiati- 
schen Rußland,   also  den  am  weitesten  vom  Meere  entfernten  Ge- 

^)  Astrophysioal  Joum.  19.  p.  306. 


10  Sonne. 

bieten.  Daß  die  Temperataren  schon  gegen  Ende  1903  wieder  nonnal 
wurden,  w&hrend  die  Sonnenstrahlung  noch  bis  in  den  Januar  1904 
nntemormal  blieb,  könnte  durch  die  wieder  erhöhte  Durchlässigkeit 
der  Atmosphlire  erklärt  werden. 

Dieses  Verhalten  der  irdischen  Temperaturen  spricht  für  die  An- 
nahme einer  wirklichen  Abnahme  der  Sonnenstrahlung  vom  April  1903 
an.  Künftige  Beobachtungen  müssen  zeigen,  ob  nur  eine  auf  kaum 
ein  Jahr  beschränkte  Strahlungsänderung  vorliegt,  oder  ob  diese  mit 
dem  Beginne  der  neuen  Fleckenperiode  auf  der  Sonne  zusammenhangt 

Die  Sonnenfinsteniis  vom  28.  Mid  1900.  Daa  Smithsonian- 
Institut  in  Washington  hatte  zur  Beobachtung  dieser  Finsternis  eine 
eigene  Expedition  ausgerüstet,  die  in  der  Nähe  von  Wadesboro  ihre 
Station  aufeohlug.  Der  offizielle  Bericht  über  diese  Expedition  ist 
jetzt  erschienen.  ^) 

Die  Aufgabe  der  Expedition  bestand  darin :  1.  die  feinere  Straktar 
der  innem  Korona  photographisch  aufzunehmen  und  zu  beobachten; 
2.  die  äußere  Korona  und  etwaige  Objekte  in  der  Nähe  der  Sonne  zu 
photographieren ;  3.  die  Wärmestrahlung  der  innem  Korona  zu  messen 
und,  wenn  möglich,  mittels  des  Bolometers  die  Energieverteilung  im 
Spektrum  derselben  festzustellen;  4.  das  sogenannte  Flashspektnun 
zu  photographieren;  5.  die  Zeiten  der  Berührungen  des  Sonnen-  mid 
Mondrandes  genau  zu  beobachten. 

Die  Wahrnehmung  der  sehr  merkwürdigen  Struktur  des  innem 
Teiles  der  Korona,  welche  Prof.  Langley  und  andere  gelegenthch  der 
Finsternis  von  1878  machten,  ließ  es  wünschenswert  erscheinen, 
während  der  Totalität  von  1900  eine  genaue  Darstellung  der  innem 
Korona  zu  erhalten.  Selbstverständlich  war  solches  nur  durch  photo- 
graphische Aufnahmen  zu  erzielen,  und  um  mögUchst  große  Bflder 
zu  erlangen,  mußte  ein  photographisches  Femrohr  mit  sehr  langer 
Brennweite  zur  Anwendung  kommen.  Prof.  E.  Pickering  vom 
Harvard-College-Observatorium  stellte  zu  diesem  Zwecke  der  Ex- 
pedition ein  Objektivglas  von  12  Zoll  Durchmesser  und  135  FuB 
Brennweite  nebst  den  erforderlichen  Nebenapparaten  zur  Verfügung, 
und  neben  diesem  großartigen  Instrumente  konnte  noch  eine  von 
Prof.  Young  vermittelte  Linse  von  5  Zoll  Durchmesser  und  38  Fufi 
Brennweite  verwendet  werden.  Zum  Zwecke  der  Beobachtungen  mit 
bloßem  Auge  dienten  ein  5-zölliges  und  mehrere  kleinere  Teleskope, 
zur  photographischen  Aufnahme  der  äußern  Korona  verschiedene 
Kameras  mit  Linsen  von  kurzen  Brennweiten,  die  zu  möglichst  lang 
dauernden  Aufnahmen  Verwendung  finden  soUten,  um  die  äußersten 
Grenzen  der  Korona  noch  darzustellen.  Untersuchungen  über  die 
Wärmestrahlimg  der  Korona  mittels  des  Bolometers  bildeten  natür- 
lich die  Hauptaufgabe  für  Prof.  Langley.    Zur  Nachforschung  nach 

1)  The  Solar  Eclipse  Expedition  of  the  astrophys.  Obeervatory  of  the 
Smithsonian  Institute  by  Langley.     Washington  ltt)4. 


Smum.  11 

einem  etwaigen  intramerkniialen  Planeten  diente  der  von  Profeesor 
£.  Pickering  angegebene  photographische  Apparat,  der  aus  mehiem 
Kameras  besteht,  deren  Achsen  so  gegeneinander  geneigt  sind,  daß  sie 
zusammen  eine  Fläche  des  Himmels  aufnehmen,  die  sich  östlich  und 
westlich  bis  zu  15^  und  nördlich  wie  südlich  bis  zu  6^  vom  Mittel- 
punkte der  Sonne  erstreckt. 

Der  28.  Mai  war  meteorologisph  den  Beobachtungen  sehr  günstig, 
wolkenlos  blaute  der  Himmel  über  der  Station,  und  alle  projektiertoi 
Beobachtungen  konnten  ausgeführt  werden. 

Was  zunächst  die  Dunkelheit  wahrend  der  Totalität  anbelangt, 
so  wurde  sie  ungefähr  gleich  derjenigen  geschätzt,  die  in  einer  klaren 
Vollmondnacht  henrecht;  indessen  konnten  von  Planeten  und  Sternen 
nur  wen^  der  heDsten  gesehen  werden.  Die  äquatoriale  Ausdeh- 
nung der  Korona  an  jeder  Seite  der  Sonne  wurde  von  den  Beob- 
achtern mitfalofiem  Auge  auf  zwei  bis  fünf  Monddurchmesser  geschätzt. 
Ein  mitbeobachtender  Maler  schätzte  die  Farbe  des  äußern  Korona- 
lichtee i^elgrün,  und  sie  erstreckte  sich  bis  zu  einem  halben  Sonnen- 
durchmesser gegen  den  Rand  hin,  von  wo  an  die  Färbung  mehr  gelb- 
lich war,  während  die  innere  Korona  Uaßgoldfarbig  erschien.  Die 
teleskopischen  Beobachtungen  ließen  eine  große  Menge  Detail  in  der 
Korona  erkennen,  doch  erschien  dasselbe  weniger  scharf  und  bestimmt 
als  bei  der  Finsternis  von  1878,  welche  Prof.  Langley  auf  Pikes  Peak 
beobachtete.  Große  Protuberanzen  waren  sichtbar,  imd  sie  schienen 
im  Zusammenhange  mit  Regionen  der  Korona  zu  stehen,  die  ein  ge- 
störtes Aussehen  zeigten.  Die  äquatorialen  Koronastreifen  konnten 
auf  der  Photographie  bis  zur  Entfernung  von  vier  Sonnendurchmessem 
verfolgt  werden,  und  in  dieser  Entfernung  wurden  sie  offenbar  nur 
wegen  Lichtschwäche  unsichtbar,  keineswegs  aber  zeigten  sie  dort  ein 
bestimmtes  Ende  der  Ausdehnung.  Die  Koronastrahlen  in  den  Polar- 
gegenden der  Sonne  waren  augenfällig  und  vielfach  in  derselben  Weise 
in  Kurven  geordnet  wie  die  bekannten  E^aftlinien  eines  Magneten. 
Mit  den  Kameras  von  langer  Brennweite  wurden  Photographien  mit 
zahlreichen  Details  erhalten,  die  zum  Vergleiche  mit  den  Aufnahmen 
zukünftiger  Finsternisse  von  höchstem  Werte  sind.  Besonders  die 
Linse  von  135  Fuß  Brennweite  erwies  sich  für  die  Finstemisphoto- 
graphie  äußerst  wertvoll. 

Die  Bolometerbeobachtungen  zeigten  die  Wärmewirkung  der 
innem  Koronastrahlung,  doch  war  dieselbe  unerwartet  schwach.  Die 
Ergebnisse  deuten  eine  verhältnismäßige  Schwäche  des  infraroten 
Teiles  des  Koronaspektrums  an,  was  unvereinbar  ist  mit  der  Hypo- 
these, daß  die  Strahlung  eine  Folge  hoher  Temperatur  ist  oder  haupt- 
sächlich aus  reflektiertem  Sonneiüichte  besteht.  Dies  zusammen  mit 
dem  Aussehen  der  Korona  scheint  die  Hyx>othese  zu  begünstigen, 
welche  die  Hauptquelle  dieser  Strahlung  in  einer  Art  elektrischer 
Entladung  erblickt.  Die  wohlbekannte  Polarisation  des  Lichtes  der 
äußern  Teile  der  Korona  und  das  Vorhandensein  feiner  dunkler  Linien 


12  Bonne. 

im  Spektrum  derselben,  welche  Janssen  vor  Jahren  entdeckte,  und 
die  durch  Perrotines  Photographien  der  Finsternis  von  1901  bestätigt 
wurden,  beweisen,  daß  ein  kleiner  Teil  der  KoronaBtrahlung  durdi 
reflektiertes  Licht  der  Sonnenphotosphare  zustande  kommt.  In- 
dessen lehren  die  photographischen  Aufnahmen  des  Koronaspek- 
trums durch  Campbell  (1898)  und  Perrine  (1901),  daß  die  Hauptmasae 
des  Lichtes  der  Korona  keineswegs  reflektiertes  Sonnenlicht  ist. 
Manche  neigen  zu  der  Annahme,  die  Hauptquelle  des  Lichtes  da 
Korona  sei  in  glühenden  Partikelchen  zu  suchen,  die  sich  nahe  der 
glühenden  Sonnenphotosphare  befinden,  indessen  ist  Prof.  Langley 
überzeugt,  daß  der  spektroskopische  Befund  gleich  gut  auch  mit  dar 
Annahme  elektrischer  Entladungen  übereinstimmt. 

Die  Nachforschung  nach  intramerkurialen  Planeten  ei^b  die 
UnWahrscheinlichkeit  der  Existenz  von  solchen,  die  heller  als  5.  Größe 
erscheinen,  doch  könnten  immerhin  schwächere  vorhanden  sein. 
Auf  einer  Platte  fanden  sich  verschiedene  Andeutungen  solcher  Ob- 
jekte, da  aber  kein  Duplikat  zur  Verfügung  vorhanden  ist,  so  muß  es 
unentschieden  bleiben,  ob  es  sich  um  Plattenfehler  handelt  oder  um 
wirkliche  Objekte.  Bei  künftigen  Finsternissen  wird  man  mit  ge- 
eigneten Apparaten  wahrscheinlich  Sterne  bis  zur  9.  Große  photo- 
graphieren  können. 

Von  den  zahlreichen  und  prachtvollen  Tafeln,  welche  die  Publi- 
kation des  Astrophysik.  Obs.  des  Smitbsonianinstituts  bringt,  möge 
hier  eine  reproduziert  werden.  Die  Tafel  I  gibt  das  aUgemeine 
Aussehen  der  Korona  wieder,  gemäß  der  Aufnahme  mit  der  Kamera 
von  11  Fuß  Brennweite  bei  82  Sekunden  Exponierung. 

Sonnentätigkeit  und  Erdmagnetismus.  Prof.  Ricco  gibt  folgende 
Zusammenstellung  der  bisher  aufgestellten  Hypothesen  über  die  Be- 
ziehung der  Sonnentätigkeit  zum  Erdmagnetismus.  ^)  Man  hat  zu- 
nächst angenommen,  daß  der  Eigenmagnetismus  der  Sonne  Schwan- 
kungen erleide,  welche  auf  den  der  Erde  Einfluß  üben;  aber  man 
bemerkte,  daß  es  unwahrscheinlich  sei,  daß  die  Sonne  mit  ihrer  Tem- 
peratur von  6000°  und  mehr  eigenen  Magnetismus  besitze.  Femer 
hat  Lord  Kelvin  bewiesen  (und  dies  ist  zwingender),  daß  auch  for 
eine  mäßige  Störung  die  Sonne  so  viel  von  ihrer  Energie  in  Gestalt 
von  elektromagnetischen  Wellen  aufwenden  müßte,  als  sie  in  vier 
Monaten  in  Form  von  Licht  und  Wärme  aussendet,  was  ganz  unwahr- 
scheinhch,  auch  unmögUch  ist. 

Nachdem  Faraday  bewiesen  hatte,  daß  der  Sauerstoff  magnetisch 
ist,  und  daß  seinMagnetismus  beim  Erwärmen  abnimmt,  hat  man  an- 
genommen, daß  die  Sonnenstrahlung,  die  nacheinander  auf  ver- 
schiedene Teile  der  Atmosphäre  einwirkt,  hier  eine  Verschiebung  der 
magnetischen  Kraftlinien  erzeugt,  welche  auf  die  Magnetnadel  wirkt. 
Aber  C.  Nordmann,  der  sich  eingehend  mit  dieser  Frage  beschäftigte, 

1)  Memorie  delle  Sooiet^deUe  spettrosoopiBti  Italiani  SS.  p.  38. 


Sonne.  13 

hat  bewieeen,  daß  die  magnetisohen  Eigenschaften  der  Atmosphäre 
nur  einen  minimalen  Einfluß  auf  die  Bewegungen  der  Magnetnadel 
haben  können. 

Man  hat  sich  gedacht,  daß  die  erdelektrischen  Ströme  mit  ihren 
Schwankungen  die  des  Erdmagnetismus  erzeugen  können;  aber 
Schuster  hat  unwiderlegbar  bewiesen,  daß  die  Ejräf te,  welche  es  auch 
sein  mögen,  die  diese  Schwankungen  des  Erdmagnetismus  erzeugen, 
außerhalb  der  Erde  existieren  müssen;  und  femer  hat  Airy  bewiesen, 
daß  kein  Zusammenhang  existiert  zwischen  den  magnetischen 
Schwankungen  und  den  Erdströmen,  welche  regelmäßig  auf  der  Stern- 
warte in  Greenwich  registriert  werden. 

Balfour  Stewart  hat  zur  Erklärung  der  Schwankungen  des  Erd- 
magnetismus angenommen,  daß  in  der  Atmosphäre  elektrische 
Ströme  kreisen,  deren  Intensität  modifiziert  werde  durch  die  Sonnen- 
strahlung. Solche  Ströme  könnten  wirkUch  erzeugt  werden  von  der 
Induktion  der  Erde  auf  die  Massen  der  Luft,  welche  in  den  hohen 
Regionen  der  Atmosphäre  sich  bewegen;  aber  einerseits  ist  das  erd- 
magnetische Feld  zu  schwach,  um  induzierte  Ströme  zu  erzeugen,  die 
fähig  sind,  die  Schwankungen  des  Erdmagnetismus  zu  erklären; 
anderseits  folgt  aus  den  Versuchen  von  Bouty,  daß  in  den  verdünnten 
Gasen  die  Elektrizität  nicht  wandern  kann  infolge  von  Potential- 
differenzen, die  unter  einer  bestimmten  Grenze  hegen. 

Nordmann  nimmt  an,  daß  die  Sonne  zugleich  mit  andern  Mani- 
festationen ihrer  Tätigkeit  Hertzsche  Wellen  aussendet,  die  man  je- 
doch an  der  Erdoberfläche  nicht  hat  nachweisen  können,  auch  nicht 
auf  dem  Montblanc,  wie  er  es  versucht  hat,  weil  sie  von  den  hohem 
Luftschichten  absorbiert  werden.  Darum  würde  diese  verdünnte 
Luft  unter  der  Wirkung  der  Hertzschen  Wellen  fähig  werden  (in  ge- 
wissen Fällen,  wie  es  Righi  nachgewiesen),  auch  intensive  Ströme 
unter  kleiner  Potentialdifferenz  zu  erzeugen;  von  diesen  Strömen 
würden  sich  Schwankimgen  der  Intensität  des  Erdmagnetismus  ab- 
leiten. Aber  die  Hertzschen  Wellen  pflanzen  sich  mit  Geschwindig- 
keiten fort,  gleich  der  des  Lichtes,  und  sie  pflanzen  sich  nach  allen 
Richtungen  fort;  somit  müßten  die  magnetischen  Störungen  un- 
mittelbar auftreten  bei  der  Bildung  und  Umbildung  der  Flecke  oder 
bei  der  Entstehung  eines  andern  Phänomens  der  Sonnentätigkeit, 
und  zwar  in  jedem  Punkte  der  Sonnenkugel,  in  dem  es  auftritt;  dies 
entspricht  nicht  dem,  was  Marchand,  Maunder,  Ricco  u.  a.  gefunden 
haben. 

Goldstein  und  Deslandres  nehmen  an,  daß  die  Sonne  in  normaler 
Richtung  zu  ihrer  Oberfläche  Kathodenstrahlen  aussendet,  welche 
auf  den  Erdmagnetismus  wirken,  was  sicherhch  wahrscheinUch  ist; 
aber  es  scheint,  daß  auch  die  Geschwindigkeit  dieser  Strahlen  größer 
ist  als  diejenige,  mit  welcher  die  Fortpflanzung  des  Einflusses  der 
Sonnenflecke  ai^  den  Erdmagnetismus  wirkUch  stattfindet. 

Arrhenius  hat  eine  ähnliche  Hypothese  aufgestellt,  nämUch,  daß 


14 


die  Sonne  Ionen  «oisendet»  d.  h.  eUktriaierte  TeQehen,  wekhe  rem 
der  Sonnenobeifl&ohe  abgestofien  weiden  info^  des  Starmhhingi- 
druckes  (Bartoli-Maxwell) ;  indem  diese  Ionen  die  Eide  eneiolMo, 
erzeugen  sie  hier  die  Polarlichter  und  die  magnetischen  Stönmgen. 
In  der  Tat  ist  zu  bemerken,  daß  die  Geeohwindigkeit  der  Ionen  eiwa 
die  Oiöfienoidnung  erreichen  kann,  die  man  for  das  Sonnanagens 
gefunden,  welches  die  magnetischen  Störungen  erzeugt. 

Bigelow  glaubt,  daß  man  a  priori  die  Magnetisierung  der  Sonne 
nicht  leugnen  könne  wegen  ihrer  hohen  Temperatur,  da  die  Km- 
stitution  der  Sonne  sehr  yersohieden  sei  von  derjenigen  der  Magnete, 
an  denen  das  Experiment  das  Verschwinden  des  Magnetismus  beim 
Erwärmen  auf  hohe  Temperatur  bewiesen  hat,  und  dies  ist  ganz 
richtig.  Er  behauptet,  daß  wegen  der  yersohiedenen  Rotations- 
geschwindigkeiten  unter  den  yersohiedenen  Breiten  in  den  die  Sonne 
zusammensetzenden  Materien  Wirbel  entstehen,  in  denen  dektnsohe 
Ströme  kreisen,  so  daß  sie  magnetisch  polarisierte  Röhren  bildm,  und 
die  ganze  Masse  der  Sonne  magnetisch  wird  und  daher  fähig,  auf  den 
Erdmagnetismus  zu  wirken.  Er  nimmt  auch  in  Teilen  der  Sonne  eine 
Emission  Ton  Katiiodenstrahlen  und  von  Ionen  an,  die  auf  den  Mag- 
netismus und  die  Elektrizität  der  Erde  und  der  Atmosphäre  wirken. 

Aus  allen  diesen  Hypothesen  ergibt  sich,  daß  es  an  Mitteln,  die 
Wirkung  der  Sonne  auf  den  Erdmagnetismus  zu  erklären,  nicht  fehlt; 
es  ist  gleichfalls  klar,  daß  die  genannten  Theorien  Schwierigkeiten 
darbieten,  welche  asu  ihrer  Überwindung  weitere  Studien  Ton  selten 
der  Physiker  und  Astronomen  verlangen. 

Planeten. 

Planetenentdeckungen  im  Jahre  1908.  Nach  der  Zusammen- 
stellung von  Paul  Lehmann  ^)  sind  folgende  kleine  Planeten  seit  dem 
letzten  Berichte  ak  neu  entdeckt  eingereiht  worden: 

Bexeichnaxig  Entdeckung 

Kreusa  .     .     .  1902  Juni  26  Ton  Wdf 

JM   .     .     .     .  1902  Sept     3    „    Oamer» 

.  1902      „        3    „    Weil 


(488) 
(489) 
(490) 
(491) 
(492) 
(493) 
(4W) 
(4Ö6) 
(496) 
(497) 
(498) 
(499) 
(000) 
(601) 
(Ö02) 
(603) 


JP  . 
Gorina 
JR  . 
Griseldis 
JV  . 
KG  . 
KH  . 
KJ  . 
Tokio 
KX  . 
LA  . 
LB  . 
LC  . 
Evelyna 


1902      „ 
1902      „ 
1902      „ 
1902  Okt. 
1902    „ 
1902     „ 
1902  Nov. 
1902  Dez. 

1902  „ 

1903  Jan. 
1903     „ 
1903     „ 
1903     „ 


3 
3 
3 
3 

7 

7 

26 

26 

4 

2 

24 

16 

18 

19 

19 


Konigptuhl 


Dugan 

C3im(M8  Nizza 
Wolf 


Dugan 


Konigstuhl 


^)  VierteljahnBohr.  d  astron.  QeB,  St.  p.  36. 


PUiMtn. 


15 


BaBttiohnixnff 

Entdeokonfl: 

(604)     LE     .     . 

..     1902  Juni    90    ,,    Baüey     \ 
.    .     1902  Aug.    21    „    Frort       f 

Harvard 

(505)    LL     .    . 

GoUege 

(506)    LN    .     . 

.     1903  Febr.  17    „    Dugan      ^ 

(507)    Laodioa. 

.    .     1903     „      19    „ 

(508)    LQ    .     . 

.     .     1903  April  20    „ 

(509)    LR    .    . 

.     1903     „      28    „    Wolf 

(510)    LT     .    . 

.     1903  Mai     20    „    Dugan 

(511)    Lü    .     .     . 

.     1903    „       30    „         „ 

(512)    LV    .    .    . 

.     1903  Juni    23    „    Wolf 

Köniflit 

LY  .    .     . 

.     1903  Aug.     24    „       „ 

o^ 

MB   .     .    . 

.     1903     „       24    „       „ 

ME   .    .    . 

.     1903  Sept.   20    „       „ 

MG   .     .     . 

.     1903     „       20    „    Dugan 

MO    .    .    . 

.     1903  Okt.     20    „ 

MP    .    .    . 

.     1903     „       20    „        „           ^ 

sind: 


Die  Hauptelemente  der  für  diese  Planeten  berechneten  Bahnen 


Sl  i  tp  B.         Berechner 

(488)  87«    21.0'  11«    20.3'  6«    41.4'  3.14    Berberich 

(489)  167      30.4  13     25.0  3      47.3  ai5 

(490)  179       6.3  9     21.4  4     48.4  3.18    Münch 

(491)  175      54.6  18     56.8  3     42.9  3.20    Lassen 

(492)  47       8.3  1      39.5  10      34.3  3.10    Hessen 

(493)  358     34.6  15     25.6 

(494)  38     57.0  7      10.1 
14.3 


(495)  186  20.9 

(496)  206  38.0 

(497)  6  55.1 

(498)  98  7.9 

(499)  256  38.0 

(500)  290  23.0 

(501)  357  35.6     20 

(502)  132  37.8     25 

(503)  69  15.9       5 

(504)  106  15.0     12 

(505)  89  58.0       9 

(506)  313  30.9     16 

(507)  295  7.9       9 

(508)  45  15.0     13 

(509)  218  50.9     19 

(510)  203  17.0       9 


9  17.9  3.13    Berberich 

3  47.0  2.98    P.  V.  Neugebauer 

8  28.4  2.48 

3  37.2       4  15.5  2.18    Berberioh 

4  53.7     17  25.7  2.84 
9     29.7     12  26.0  2.64    P.  V.  Neugebauer 
2       0.4     13  34.5  3.92    Berberich 
9     47.2       8  8.4  2.61 


55.6  8 

3.6  10 

3.2  10 

58.9  12 

34.0  17 

53.3  8 
5 
0 


0.5 
20.9 

8.1 
30.6 
37.8 


3.16 
2.38 
2.73 
2.72 
2.96 


33.4 
24.0 
26.4     13 
29.0     11 

11 


19.8  3.04 

47.8  3.16 

40.8  3.16 

30.5  3.06 

31.3  2.63 


Berberich 
Osten 
Berberich 
Osten 

9t 

Berberioh 

Bauschinger 

Berberich 


6.8  3.16  Wegener 

8  40.0     14     23.6  2.17  Berberioh 

9  28.5       5        0.2  3.01  P.  V.  Neugebauer 
t3.6  3.06  Berberich 
3.6  3.11 


(511)  108  47.2     15      49.5 

(512)  107  3.9 
(LT)  185  43.2 
(MB)  270  27.4 
(ME)  122       2.2 

(MG)    330     29.9     13       3.9     16     64.1     2.68    Berberich 
(MO)    203     51.6       6     37.8     12     42.5     2.52 
(MP)      45      21.7     10     53.0     10      31.0     2.78 

„Bemerkenswert  unter  diesen  Elementen,  sagt  Lehmann,  sind  be- 
sonders diejenigen  des  Planeten  (499),  nach  denen  der  letztere  in 
seinem  Aphel  dem  Jupiter  außerordentlich  nahe  kommen  kann. 


3     52.2       2 
2       0.9     10 

3.9     16     64.1     2. 


16 


Planeten. 


Orofie  Annäherung  an  Jupiter  können  erreichen: 


(488)  mit  Jo  »  1.71 

(505)  mit  Jq  «  1.64 

(492)                    1.79 

(506)                    1.82 

(493)                    1.96 

(509)                    1.76 

(497)                    1.74 

(511)                    1.68 

(499)                    0.61 

(ME                     1.80 

(501)               .     1.87 

(MG)                   1.82 

wo  i^o  ^^  kleinste  Entfernung  vom  Jupiter  bedeutet,  in  welche  ^bt 
Planet  in  seinem  Aphel  gelangen  kann. 

Größere  Ähnlichkeiten  der  Bahnelemente  zeigen  sich  bei   den 
Planeten: 


(488) 
(269) 
(469) 

ft-    87.3«     i 
88.6 
88.8 

"* 

11.3« 
10.7 
12.8 

9»    6.7» 
6.3 

a4 

«  3.14 
3.15 
3.33 

(491) 
(483) 

a  =  176.9      i 
176.6 

= 

18.9 
18.7 

9=    3.7 
3.0 

=  3.20 
3.43 

(492) 
(223) 

ß=    47.1       J 
48.7 

l      -= 

1.7 
1.9 

ip  =  10.6 
7.0 

=  3.10 
3.09 

(496) 
(124) 

ft  =  186.3       1 
188.6 

l     = 

2.2 
2.9 

7=  a5 

4.5 

«  2.48 
2.63 

(498) 
(410) 

<a=  98.1    I 

96.4 

= 

9.5 
9.5 

^  =  12.4 
12.5 

»  2.64 
2.83 

(603) 
(394) 

ft=    69.3      1 
68.2 

= 

5.1 
6.3 

<P  =  10.1 
13.2 

=  2.73 
2.77 

(606) 
(286) 

Sl  =  313.6       1 
312.2 

= 

16.9 
17.3 

9>=    8.3 
11.9 

»  3.04 
3.06 

(LY) 
(69) 

Sl  =  186.7       1 
186.7 

l      = 

9.5 

8.5 

9»    5.0 
9.7 

»  aoi 

2.98 

(ME) 
(268) 

ft  =  122.0 
121.8 

l      = 

2.0 
2.4 

<P  =  10.1 
7.8 

=  3.11 
3.09 

(MO) 
(67) 

Sl  =  203.9 
202.9 

l     = 

6.6 
6.0 

ip  =  12.7 
10.8 

=  2.52 
2.42 

Von  den  15  Planeten  (475)  und  (481)  —  (494),  welche  seit  dem 
letzten  Berichte  zum  ersten  Male  seit  der  Entdeckung  wieder  in  Oppo- 
sition getreten  sind,  wurden  nur  die  Planeten  (482),  (483),  (4d4), 
(491),  (492),  (604)  und  (505)  in  der  zweiten  Erscheinung  beobachtet; 
von  altem  bisher  nur  in  einer  Opposition  beobachteten  und  seitdem 
vergebUch  gesuchten  Planeten  wurden  wiedergefunden: 


(470) 

in 

der 

3. 

Ersoheinimg 

(406) 

»t 

»» 

7. 

>f 

(399) 

ft 

»» 

8. 

»> 

(383) 

»» 

» 

9. 

»» 

(327) 

ft 

»» 

10. 

9t 

Die  Zahl  der  bisher  nur  in  einer  Erscheinung  beobachteten  Pla- 
neten, mit  Einschluß  der  bis  zum  Ende  des  Jahres  1903  neu  entdeckten, 
beträgt  somit  gegenwärtig  00. 


Planeten.  17 

Von  den  in  frühem  Berichten  noch  nicht  mit  Namen  versehenen 
Planeten  sind  inzwischen  (bis  Februar  1904)  die  folgenden  benannt 
worden : 

(357)    Ninina  (456)    Abnoba 

(360)    Gariova  (458)    Heroynia 

(368)    Haidea  (462)    Eriphyla 

(383)     Janina  (482)    Petrina 

(305)    Delia  (483)    Seppina 

(396)    Aeolia  (484)    Pittsburghia 

(440)    Theodora 

Beobachtungen  des  Planeten  Venus  1908.  Vom  18.  bis  25.  Juli 
1903  hat  Percival  Lowell  den  Planeten  Venus  bei  jeder  günstigen 
Gelegenheit  an  seinem  großen  Refraktor  beobachtet.  Mit  Rücksicht 
auf  die  Schwierigkeit  zuverlässiger  Wahrnehmungen  an  diesem  Pla- 
neten und  die  MögUchkeit  psychischer  Illusionen  hat  der  Beobachter 
alle  Sorgfalt  angewendet,  um  sich  vor  Selbsttäuschungen  zu  schützen. 
Man  weiß,  daß  die  Scheibe  der  Venus  nur  höchst  selten  matte  Stellen 
zeigt,  die  sich  durch  Dunkelheit  oder  HelUgkeit  von  dem  Hinter- 
grunde abheben,  und  daß  es  Prof.  SchiapareUi  nur  mit  Mühe  ge- 
lungen ist,  zu  dem  wahrscheinlichen  Ergebnisse  zu  kommen,  daß  (wie 
beim  Merkur)  die  Umdrehungsdauer  der  Venus  um  ihre  Achse  der 
Umlaufsdauer  um  die  Sonne  gleich  ist.  Dieses  Ergebnis  ist  von  an- 
dern, meist  jedoch  von  Nicht-Fachastronomen,  die  zudem  an  kleinen 
Instrumenten  ihre  Wahrnehmungen  machten,  bestritten  worden,  in- 
dem sie  auf  Grund  derselben  behaupteten:  Venus  zeige  eine  Um- 
drehung von  etwa  24  Stunden  ähnlich  der  Erde.  Dagegen  hat 
Percival  Lowell  schon  im  Herbste  1896  Flecke  auf  der  Venusscheibe 
gesehen,  aus  denen  er  auf  die  gleiche  Rotationsdauer  wie  SchiapareUi 
schloß.  Die  Flecke  erschienen  damals  lang  und  schmal,  und  Lowell 
hat  danach  eine  Karte  der  Venusoberfläche  entworfen,  die  auf  Tafel  IV 
des  Sirius,  Jahrgang  1897,  wiedergegeben  ist.  Dort  finden  sich  auch 
die  Namen,  welche  P.  Lowell  den  einzelnen  Flecken  und  Streifen 
beigelegt  hat.  Im  Jahre  1903  hat  er  nun  abermals  Beobachtungen 
der  Venus  bei  günstigem  Stande  derselben  unternommen,  um  die 
Frage  der  Rotation  dieses  Planeten  einer  neuen  Prüfung  zu  unter- 
ziehen. Es  handelt  sich  dabei  hauptsächlich  um  Sicherung  vor  sub- 
jektiven Täuschungen,  besonders  solchen,  welche  verursachen,  daß 
einzelne  schwache  Eindrücke  zu  einer  Linie  summiert  werden.  Dieses 
wird  nach  den  Erfahrungen  von  Lowell  völlig  vermieden  dadurch, 
daß  man  das  Auge  nicht  schweifen  läßt,  sondern  still  hält.  Dies  ist 
schwieriger,  als  man  sich  vorstellt,  denn  das  Auge  hat  ein  natürhches 
Bestreben,  behufs  Wahrnehmung  herumzuschweifen,  und  es  ist 
schwer,  dasselbe  im  Zaume  zu  halten. 

Von  den  Eigentümlichkeiten,  welche  die  Venusscheibe  zeigt, 
gibt  es  nach  Lowell  zwei  Arten.  Die  Einkerbungen  an  der  Licht- 
grenze und  das  Band  um  den  Südpol  mit  den  beiden  Flecken  darauf 
wie  Perlen  gehören  zu  der  erstem  und  am  meisten  augenfäUigen 

Klein,  Jahrbuch  XV.  2 


13  Planeten. 

Klasse.  „An  ihrem  Vorhandensem'S  sagt  Lowell,  ,^abe  ioh  nie  ge- 
zweifelt, und  sie  allein  genügen,  um  zu  zeigen,  daß  dieser  Planet  eine 
Rotation  von  225  Tagen  besitzt.  Die  zweite  Art  von  Flecken  ist 
weit  schwieriger  zu  jaehen;  hierhin  gehören  lange  Schatten,  welche  vcxn 
der  Lichtgrenze  ausgehen  und  sich  gegen  den  Mittelpunkt  der  Scheibe 
hin  erstrecken.  Diese  letztem,  sowohl  wegen  ihrer  Schwäche,  aJs 
wegen  ihrer  verdächtigen  Gestalt,  sind  am  meisten  fragUch  und  er- 
fordern kritische  Aufmerksamkeit. 

Die  Beobachtimgen  des  Jahres  1903  bestätigen  das  Vorhanden- 
sein mehrerer  Flecke  beider  Gattungen,  die  früher,  1896  bis  1897  und 
1901,  von  Lowell  gesehen  worden  waren.  Das  Band  am  Südpole  und 
die  beiden  Flecke  Astoreth  und  Ashera,  welche  in  der  Venuakarte 
von  1897  figurieren,  wurden  auch  dieses  Mal  sehr  bestimmt  wieder 
erkannt,  und  ähnhch  zeigten  sich  auch  die  dunkeln  Auszahnungen 
an  der  Lichtgrenze  in  den  äußern  Enden  von  Anchises  regio  und  Hero 
regio.  Was  die  andere  Art  von  Flecken  anbelangt,  so  war  der  Nach- 
weis ihres  wirklichen  Vorhandenseins  ein  doppelter.  Zunächst  er- 
schienen die  Linien,  welche  die  eigentümlichen  Konfigurationen 
^gen,  genau  wieder  an  der  Stelle  der  Venusoberfläche,  wo  sie  sich 
1897  und  1901  gezeigt  hatten.  Dieses  alles  ist  schon  ein  strenger 
Beweis  ihrer  Realität.  Dann  erschienen  sie  aber  auch  zuzeiten  mit 
einer  solchen  Deuthchkeit  und  Bestimmtheit,  daß  jeder  Verdacht, 
es  könne  sich  um  eine  optische  Illusion  handeln,  fortfallen  mußte. 
Am  27.  Mai  fand  Lowell,  ab  er  das  Femrohr  von  Venus  auf  Mars 
richtete,  die  Details  auf  der  Scheibe  des  letztem  nicht  so  scharf  als 
die  der  Venus,  doch  stand  Mars  tiefer  als  letztere.  Lowell  fand 
dieses  Mal  auch  wieder  bestätigt,  was  er  schon  1896  bis  1897  erfahren 
hatte,  nänüich :  daß  die  Flecke  um  so  leichter  sichtbar  sind,  je  mehr 
die  Venusscheibe  voll  beUchtet  erscheint.  Diese  Eigentümlichkeit 
war  unabhängig  von  der  Höhe  des  Planeten  über  dem  Horizonte,  sie 
hängt  also  nicht  von  den  irdischen  Luftzuständen,  sondern  von  der 
mehr  oder  weniger  senkrechten  Beleuchtimg  der  Venusoberfläche 
durch  die  Sonne  ab ;  je  senkrechter  die  Sonnenstrahlen  auffallen,  um 
so  besser  werden  diese  Streifen  sichtbar.  Dies  ist  augenscheinUch 
der  Grund,  weshalb  gewisse  Streifen  unsichtbar  werden,  wenn  sie 
von  dem  Mittelpunkte  der  Scheibe  fortrücken  und  andere  in  Sicht 
treten,  wenn  sie  sich  diesem  Teile  derselben  nähern.  Mit  Bücksicht 
auf  diesen  Umstand  ist  es  unabweisbar,  bei  Zeichnungen  nur  solche 
untereinander  zu  vergleichen,  welche  nahe  bei  gleicher  Phase  auf- 
genommen wurden.  Geschieht  dieses,  so  findet  man  vollständige 
Übereinstimmung  der  Zeichnungen  der  Venusoberfläche,  welche 
SchiapareUi  1877  Dezbr.  9.,  14.,  21.,  1895  JuU  5.  und  30.  angefertigt 
hat,  mit  derjenigen,  die  Lowell  1903  Juni  23.,  12b  6m  M.  Z.  erhielt. 

Eine  neue  Bestimmung  der  Bichtung  der  Rotationsaehse  des 
Mars  hat  P.  Lowell  ausgeführt.    Es  gibt  bekanntUch  zwei  Methoden, 


li 


4.- 


Flftneten.  19 

liun  die  Lage  der  Botationsaohse  des  Mars  im  Räume  zu  bestimmen; 
iK  die  eine  besteht  darin,  die  Veränderung  in  der  Position  der  Flecke 
.£  auf  der  Marsscheibe  bei  der  Umdrehung  des  Planeten  festzustellen, 

die  andere  ist  indirekt  durch  Berechnung  aus  der  Prazession  der 
Knoten-  und  Apsidenlinie  der  Bahnebenen  seiner  beiden  Monde. 
SchiapareUi  hat  erstere  Methode  mit  Erfolg  angewandt,  Struve  in 
seiner  trefflichen  Abhandlung  die  letztere.  Die  Ergebnisse  beider 
Untersuchungen  stehen  jedoch  nicht  in  besonders  guter  Überein- 
stimmung, und  Lowell  hat  deshalb  eine  neue  Bestimmung  unter- 
nommen. Er  benutzte  dabei  die  Methode  der  direkten  Beobachtung 
der  Flecke  auf  der  Marsscheibe,  wobei  besonders  der  nördhche 
Polarfleck,  der  sehr  nahe  beim  nördlichen  Umdrehungspole  des  Mars 
liegt,  vortrefOiche  Dienste  leistete.  Ganz  besonders  war  die  Oppo- 
sition des  Mars  in  den  Jahren  1901  und  1003  für  eine  solche  Unter- 
suchung günstig,  denn  der  nördhche  Polarfleck  war  damals  nahe  am 
kleinsten  und  auch  sonst  für  die  Beobachtungen  günstig  gelegen. 
Die  Berechnung  der  Beobachtungen  Lowells  während  der  beiden 
Oppositionen  ergab  diesem  folgende  definitiven  Mittelwerte: 

Projektion  des  Nordpoles  des  Mars  auf  die  Himmelskugel  (für 
1903),  Rektaszension  315""  32',  Dekl.  +  54"^  61'.    Durchschnitt  des 
^  Marsäquators  mit  der  Marsbahn:  Rektaszension  86°  66'  Dekl.  +  24° 

^  32'.    Neigung  des  Marsäquators  gegen  die  Marsbahn  22°  66'.    Diese 

'^  Ergebnisse  stimmen  mit  den  von  SchiapareUi  1882,  1884  und  1886 

erhaltenen  befriedigend  überein,  während  die  Struveschen  merkhch 
von  beiden  abweichen. 


Bamards  Beobachtungen  über  die  8ü41iehe  Polanone  des  Mars. 
In  den  Jahren  1892  und  1894  hat  Prof.  E.  E.  Bamard  am  36-zöUigen 
und  ebenso  am  12-zöUigen  Refraktor  der  Lickstemwarte  die  südliche 
Polarkappe  des  Mars,  die  uns  bei  den  großen  Annäherungen  des  Mars 
zur  Zeit  von  dessen  Opposition  sehr  günstig  zu  Gesicht  kommt,  ge- 
nauer beobachtet.  „Obgleich,  sagt  dieser  berühmte  Beobachter  in 
dem  Berichte  über  diese  Untersuchungen,^)  die  allgemeinen  Details 
der  Marsoberfläche  unrichtig  wiedergegeben  (misrepresented)  seien, 
imd  obgleich  die  meisten  Kanäle,  einfache  wie  doppelte,  nur  Illusionen 
sein  mögen,  so  sind  die  beiden  Polarkalotten  doch  dieser  allgemeinen 
Flut  von  Unsicherheit  und  Mißdarstellung  entgangen.  Sie  bürgen 
für  ihr  Aussehen,  mag  ihre  Beschaffenheit  sein,  welche  sie  wolle.  Die 
südUche  Polarkalotte  hat  seit  den  ersten  teleskopischen  Beobach- 
tungen derselben  Veränderungen  ihrer  Ausdehnung  gezeigt,  welche 
schon  früh  auf  die  Vermutung  führten,  daß  diese  durch  Anhäufung 
von  Schnee  im  Winter  und  durch  Schmelzung  desselben  im  Sommer 
der  südUchen  Marshemisphäre  entstehen.  Der  Verlauf  dieser  Än- 
derungen in  der  Größe  der  Polarzone  ist  bisher  aber  wohl  nur  an 


^)  Aatrophysioal  Joom.  17.  p.  249. 


20  Planeten. 

Zeichnungen  studiert  worden,  die  bloß  nach  dem  Augenmaße  ent- 
worfen waren,  und  Prof.  Bamard  beschloß  deshalb,  die  Ausdehnung 
des  südlichen  Polarfleckes  durch  Messungen  mittels  des  Mikro- 
meters festzulegen.  Diese  Aufgabe  hat  er  während  der  Oppositionen 
des  Mars  in  den  Jahren  1892  und  1894  an  dem  großen  Instrumente 
der  lickstemwarte  durchgeführt  und  auch  eine  Reihe  von  Zeich- 
nungen des  Aussehens  des  Planeten  erhalten,  die  er  aber  bisher  noch 
nicht  veröffentlichte.  Die  Messungen  begannen  am  12-zölligen  Re- 
fraktor im  Jahre  1892  am  3.  Juh,  102  Tage  vor  dem  Sommeranfänge 
auf  der  südlichen  Marshemisphäre,  und  wurden  fortgesetzt  bis  zum 
6.  November,  24  Tage  nach  dem  Sommeranfange  für  die  erwähnte 
Halbkugel  des  Mars.  Im  Jahre  1894  wurde  der  36-zöllige  Refraktor 
benutzt,  und  die  Messungen  begannen  am  21.  Mai  (103  Tage  vor  dem 
Sommeranfange  der  südUchen  Marshalbkugel)  und  endigten  am 
11.  November  (71  Tage  nach  dem  Sömmersolstitium  der  Südhemi- 
sphäre des  Planeten).  Die  Untersuchung  ergab,  daß  die  Abnahme 
der  Ausdehnung  des  weißen  Polarfleckes  in  beiden  Jahren  völlig  über- 
einstimmend erfolgte,  und  femer,  daß  die  Abnahme  über  den  Tag  des 
Sonmieranfanges hinaus  nochfortdauerte,  also  über  dieZeitder  größten 
Erwärmung  durch  die  Sonne.  Dies  entspricht  durchaus  den  Ver- 
hältnissen auf  der  Erde,  wo  die  höchste  Lufttemperatur  erst  einige 
Zeit  nach  der  stärksten  Sonnenbestrahlung  eintritt,  und  spricht  sehr 
für  das  Vorhandensein  einer  Atmosphäre  auf  dem  Mars.  Dieselbe 
scheint  zwar  sehr  viel  weniger  dicht  zu  sein  als  unsere  irdische  Luft- 
hülle, allein  sie  ist  dennoch  hinreichend,  um  die  Erscheinungen  der 
Kondensation  und  Verdunstung  der  Feuchtigkeit  herbeizuführ^i 
und  ebenso,  wenngleich  selten,  WolkenbUdungen  zu  erzeugen." 

Es  wäre  von  Interesse,  auch  die  Zunahme  der  südlichen  Schnee- 
kappe beim  Herannahen  des  Winters  beobachtend  zu  verfolgen,  allein 
dies  scheint  nach  Lage  der  Verhältnisse  unmögUch.    Obgleich  Mars 
im  Jahre  1894  sorgfältig  beobachtet  wurde,  so  war  doch  nach  dem 
19.  November  keine  Spur  der  südlichen  weißen  Kalotte  zu  sehen, 
sie  schien  völlig  verschwunden  zu  sein.    Bei  verschiedenen  Gelegen- 
heiten war  ein  Teil  der  Grenze  des  weißen  Polarfleckes  von  einem 
verdunkelnden  Medium   bedeckt,   welches   zu   andern  Zeiten   ver- 
schwunden war,  und  das  man  mit  guten  Gründen  für  wolkenartiger 
Natur  halten  kann.    Im  Mai  1894  bedeckte  der  Polarfleck  eine  Flache 
von  etwa  960  000  qkmy  aber  Ende  November  war  derselbe  völlig  ver- 
schwunden, anscheinend  weggeschmolzen.    Die  rasche  Abnahme  des 
Fleckes  scheint  anzudeuten,  daß,  wenn  er  aus  Schnee  besteht,  dieser 
nicht  in  dichten  Schichten  aufliegen  kann,  sondern  nur  als  dünner 
Überzug  besteht.    Schnee,  der  auf  der  Erde  nicht  selten  bis  in  mitüeie 
Breitengrade   hinab   sich   ausdehnt   und   dann   in   wenigen   Tagen 
schmilzt,  würde  von  der  Venus  aus  gesehen  eine  ähnUche  rasche  Ver- 
änderung   in     der    Ausdehnung    der    irdischen    Polarzonen     her- 
vorrufen. 


Planeten.  21 

1  Die  äußere  Begrenzung  der  Polarkappe  des  Mars  erschien  oft 

i  unregelmäßig.  Häufig  konnte  Prof.  Bamard  auf  der  Oberfläche  der- 
t  selben  hellere  Flecke,  breite  helle  Linien  und  wechsehide  dunkle 
>.  Flecke  erkennen.  Ein  großer,  zeitweise  dunkler  Fleck  war  nahe  in 
f.  der  Mitte  der  Polarkappe  sowohl  1892  als  1894  sichtbar,  um  die  Zeit, 
r:  wo  die  Ausdehnung  der  weißen  Kappe  am  größten  erschien,  er  schien 
i:  ZU  verschwinden  wenn  letztere  abnahm.  Einmal  zeigte  sich  dieser 
L-  zentrale  Fleck  von  röthcher  Farbe,  ähnUch  derjenigen  der  sonstigen 
c  Oberfläche  des  Mars,  und  zu  verschiedenen  Malen  erschien  die  Kappe 
deuthch  doppelt.  Die  merkwürdigste  Erscheinung  aber  war  das 
^  Auftreten  einer  spitzigen  Hervorragung  am  Bande  der  weißen  Ka- 
j/  lotte,  und  zwar  an  der  nämUchen  Stelle  1892  und  1894.  Diese  Hervor- 
ragung bUeb  als  heller  Punkt  bestehen,  nachdem  die  weiße  Kalotte 
^  schon  merklich  zusammengeschmolzen  wsur,  und  offenbar  wird  sie 
'i^  durch  irgend  eine  EigentümUchkeit  der  Oberfläche  des  Mars  an  jener 
ij  Stelle  verursacht.  Man  kann  vermuten,  daß  sich  daselbst  eine  große 
l  Bergkette  befindet,  auf  deren  Gipfel  der  Schnee  noch  Hegen  bleibt, 
[  wenn  er  ringsherum  am  Fuße  schon  geschmolzen  ist.  Auf  solche 
Weise  enthüllt  uns  wahrscheinlich  die  Schneeschmelze  auf  dem  Mars 
l  das  Vorhandensein  dortiger  Gebirge,  die  für  uns  sonst  unwahmehm- 
bar  bleiben  würden.  Bei  Durchsicht  der  altem  Marsbeobachtungen 
,  fand  Prof.  Bamard,  daß  schon  1845  Mitchel  in  Cincinnati  (mit  einem 
^  10^-zöUigen  Refraktor)  diese  weiße  Hervorragung  an  der  nämhchen 
,  Stelle  des  Mars  gesehen  hat,  und  zweifellos  erscheint  sie  in  jedem 
j  Marsjahre  wieder,  sobald  die  Schneekappe  sich  genügend  zusammen- 
?  gezogen  hat.  Ihre  Sichtbarkeit  beginnt  etwa  60  Tage  vor  dem 
Sommeranfange  der  südhchen  Marshemisphäre  und  durchläuft  ihre 
Veränderungen  während  des  Zeitraumes  von  etwa  einem  Monate.  Prof. 
Bamard  macht  auch  darauf  aufmerksam,  daß  schon  N.  E.  Green  bei 
I  seinen  Marsbeobachtungen  auf  Madeira  im  Jahre  1877  jene  weiße 
Spitze  gesehen  und  einer  Bergkette  auf  dem  Mars  zugeschrieben  hat. 
Green  gab  einem  der  hellen  Flecke  den  Namen  Mitchelberg. 

Im  Jahre  1895  war  die  nördliche  Polarzone  am  6.  Mai  deutlich 
und  bestimmt  zu  sehen,  spurweise  glaubte  Prof.  Bamard  sie  schon 
mehrere  Monate  früher  erkannt  zu  haben.  So  bemerkte  er  am 
23.  Dezember  1894  einen  starken  bläuUchen  Glanz  am  Nordrande  der 
Marsscheibe,  und  dieser  wurde  später  wiederholt  notiert,  bis  endlich 
die  deutUche  Spur  der  weißen  Zone  am  Rande  sichtbar  wurde.  Um 
einige  EigentümUchkeiten,  welche  die  südliche  Polarzone  darbietet, 
vorzuführen,  hat  Prof.  Bamard  acht  Zeichnungen  aus  den  Jahren 
1892  und  1894  ausgewählt  und  reproduziert,  aber  ohne  die  Details  der 
umgebenden  dunkeln  Teile  des  Planeten.  Die  Zeichnungen  von 
1892  sind  am  12-zölligen,  diejenigen  von  1894  am  36-zölligen  Re- 
fraktor erhalten  worden.  Prof.  Bamard  bemerkt  noch,  daß  während 
jener  Opposition  bei  günstigen  Luftverhältnissen  die  Details  auf 
der  Marescheibe  so  zahlreich  und  kompliziert  waren,  besonders  in 


22  Planeten. 

den  dcmkeln  Regionen  des  Planeten,  daß  es  unmöglich  wurde»  sie 
genau  zu  zeichnen.  Von  dem  Netzweike  der  feinen  Euuiale,  welches 
andere  und  minder  erfahrene  Beobachter  schcm  mit  6-zolligen  Fern- 
rohren gesehen  haben  woDen,  hat  Bamaid  am  großen  Lickrefraktor 
nichts  wahrgenommen. 

Marsbeobachtongen  während  der  Opposition  von  1908  hat  T.-E.- 

R.  Phillips  zu  Croydon  (England)  an  einem  9-zolligen  Silberspi^el- 
teleskop  bei  217-  und  450-facher Vergrößerung  angestellt.  ^)  Infolge  der 
günstigen  Witterung  konnte  sehr  gut  beobachtet  werden,  obgleich 
die  Marsscheibe  im  Maximum  nur  14.6^  Durchmesser  zeigte.  Das 
Zentrum  der  Scheibe  hatte  bei  der  Opposition  22.6^  nördl.  Br.  auf  dem 
Mars,  gegen  Mitte  Mai  25°.  Im  ganzen  wurde  von  Februar  bis 
Ende  Mai  vom  Beobachter  66  mal  die  Marsscheibe  untersuoht.  Er 
fand  die  großen  Flecken  gut  begrenzt,  manchmal  von  hellen  Regionen 
umgeben;  sie  waren  nicht  gleichförmig  im  Ton,  sondern  mit  hellen 
und  dunkeln  Flecken  besät.  Mehrere  Kanäle  wurden  gut  gesehen, 
und  der  Beobachter  zweifelt  durchaus  nicht  an  ihrer  reellen  Existenz, 
meint  aber,  bei  genauer  Betrachtung  aus  größerer  Nähe  würden  sie 
merkUch  weniger  regelmäßig  (geradhnig)  erscheinen.  Die  Versuche 
von  Maunder  *)  und  Evans  beweisen  nach  ihm  nur,  daß  wahrscheinlich 
einige  dieser  Kanäle  optische  Illusionen  sind.  Die  Kanäle  sind  nach 
Phillips  im  einzelnen  aber  wahrscheinUch  Gebilde  von  verschieden- 
artiger Beschaffenheit.  Gesehen  hat  er  deuthch  u.  a.  die  Kanäle: 
CaUirhoe,  Casius  (hatte  nicht  das  Aussehen  eines  Kanals),  Gephissos, 
Ceraunius,  Cerberus  (doppelt  und  geradlinig,  so  wiederholt  und  unter 
den  günstigsten  Verhältnissen),  Ghaos,  Ghoaspes,  Ghrysorrhoas, 
Cyclops  (breit  und  leicht  sichtbar),  Deuteronilus,  Erebus  (sehr  deut- 
hch), Euphrates,  Ganges,  Gigas,  Hades,  Hyblaeus,  Indus,  Iris  (als 
schmale  Verlängerung  von  Ceraunius),  Jamuna,  Laeetrygon,  Magnes, 
Marsyas,  Nepenthes  (kurz,  zeigt  eine  Anschwellung  beim  Durch- 
schneiden von  Lacus  Moeris)  Nilokeras  (scharf  im  Norden,  ver- 
waschen im  Süden,  bei  frühem  Beobachtungen  war  er  anormaler 
Weise  doppelt  erschienen),  Nilosyrtis,  Phison  (schien  die  ziemlich 
scharfe  Begrenzung  des  orangefarbenen  Tones  der  Scheibe  zu  sein), 
Pierius,  Protonilus  (sehr  dunkel  und  sehr  leicht  sichtbar;  erschien 
am  12.  Mai  in  einem  12j4'ZÖUigen  Reflektor  doppelt  und  ebenso  am 
14.  Mai  im  9-Zoller  des  Beobachters),  Periphlegethon  (breit  und 
diffus),  Thoth  (schöne  gerade  Linie).  Am  10.  und  11.  März,  sowie 
am  17.  April  erschien  ein  neuer  Kanal  von  Nilosyrtis  (Länge  282°, 
Breite  +  38°)  gegen  die  kleine  Syrte  hin  ziehend.  Er  wurde  später 
nicht  wieder  gesehen,  obgleich  am  19.  Apnl  Thoth  sehr  gut  sichtbar 


^)  Monthly  Notioes.  64.   p.  39. 
"}  Dieses  Jahrbuch.  14.   p.  33. 


Planeten.  23 

war.  Die  bekannten  dunkeln  Flecke  oder  Seen  wurden  ebenfalls  ge- 
sehen, ein  neuer  dunkler  Fleck,  groß  und  schlecht  begrenzt,  bei  der 
Vereinigung  von  Erebus  und  Titan  (Lange  löS"*,  Breite  +  35**),  So- 
wie ein  anderer  großer  dunkler  fleck  in  27*7°  Länge  tmd  -h  6€f°  Breite, 
der  möglicherweise  neu  ist. 

Was  die  nördliche  Polargegend  anbelaagt,  so  erschienen  die 
Regionen  von  +  70^  Breite  bis  gegen  den  Pol  hin  im  allgemeinen  iKel 
^  heller  als  das  Zentrum  der  Scheibe  und  wurden  gewöhnlich  Von  einem 

^  dunkeln  Saume  begrenzt.   Die  Polarkalöttö  erschien  am  hellsteil  ini 

^  Februar,  anfangs  März  aber  dunstig.    Der  Beojsachter  besteht  nach- 

drücklich auf  der  Richtigkeit  der  Schiaparellischön  Marsdarstellungen 
;2  seit  1877. 


Die  Kanäle  Thoth  und  Amenthes  auf  dem  Mars  sind  von  P.  i^owell 
.  bezügUch  ihrer  Sichtbarkeitsverhältnisse  untersucht  worden.  ^)    Die 

Erscheinung,  um  die  es  sich  handelt,  ist  zuerst  von  Schiaparelli  kon- 
statiert worden;  ein  augenfälliger  Vorgang  dieser  Art  ereignete  sich 
:^  aber  jüngst  bei  der  Marsopposition  von  1903,  und  Lowell  bezeichnet 

^  ihn  als  t)berwinterung  (hibemation)  eines  Kanales  während  einer 

!^  langem  oder  kurzem  Zeit  des  Jahres,  wofür  man  vielleicht  besser 

Altemierung  eines  Kanales  sagen  könnte.  Was  die  Beobachtung  in 
dieser  Beziehung  ergeben  hat,  ist  jedenfalls  seltsam.  Während  einer 
Anzahl  nacheinander  folgender  Oppositionen  wird  nämhch  ein  ge- 
wisser Eamal  in  einer  bestimmten  Marsregion  deuthch  und  unzweifel- 
haft gesehen  und  stets  wieder  aufgefunden,  aber  bei  einer  folgenden 
günstigen  Gelegenheit  nicht  mehr  gesehen  und  bleibt  mehrere  ^lars- 
jahre  hindurch  unsichtbar,  bis  er  plötzUch  wieder  in  der  alten  Gestalt 
und  DeutUchkeit  da  ist.  Für  dieses  Verschwinden  kann  aber  weder 
das  Äbbleichen  der  betreffenden  Marsgegend,  noch  irgend  ein  anderer 
plausibler  Grund  angeführt  werden,  sondern  der  Kanal  ist  einfach 
verschwunden  und  kommt  ebenso  wieder  zurück,  scheinbar  ohne 
Regel  und  Recht.  Dieses  Versteckenspiel  steht  auch  völlig  außer 
Beziehung  zu  der  jahreszeitlichen  Sichtbarkeit,  welcher  alle  Mars- 
kanäle unterworfen  sind,  und  deren  spezielles  Verhalten  Xiowell  jüngst 
aufgedeckt  hat.  In  den  Sichtbarkeitswandlungen  der  hier  ins  Auge 
gefaßten  Kanäle  ist  durchaus  keine  jahreszeitliche  Periode  nachweis- 
bar, sondern  eine  solche  von  längerer  Dauer.  Rings  um  diese  Kanäle 
vollzieht  sich  der  jahreszeitliche  Wandel  der  andern,  sie  selbst  aber 
bleiben  ausgeschlossen  und  verschwunden.  Dieses  sonderbare  Ver- 
halten hat  schon  Schiaparelli  als  eine  nicht  zu  bezweifelnde  Tat- 
sache erkannt,  obgleich  es  sehr  schwierig  zu  erkennen  und  unbegreif- 
lich erscheint.  Bei  der  letzten  Opposition  des  Mars  aber  ereignete 
sich  ein  Vorgang  dieser  Art,  der  infolge  seiner  Deutlichkeit  und  des 


1)  Lowell  Obseryatory  BnlL  Nr.  8. 


24  Planeten. 

langen  Zeitraumes,  über  den  sich  die  Beobachtungen  Lowells  er- 
strecken konnten,  diesem,  seiner  Überzeugung  nach,  den  Schlüasel 
zur  Lösung  in  die  Hand  gegeben  hat. 

Die  Tatsachen  sind  folgende.     Unter  den  ersten  Kanälen,  die 
SchiapareUi  1877  entdeckte,  befinden  sich  drei,  welche   eine  drei- 
schenkehge  Figur  bUden;  sie  hegen  öetUch  von  der  großen  Syrte 
(Syrtis  major)  und  erhielten  von  SchiapareUi  die  Namen  Thoth, 
Triton  und  Nepenthes.     Ausgehend  von  einem  Punkte  des  Sinus 
Alcyonius,  der  jetzt  den  Namen  Aquae  Calidae  trägt,  zieht  sich  der 
Thoth  südwärts  und  gegen  Westen,  bis  er  in  267^  Länge  und  15^ 
nördl.  Breite  den  Triton  schneidet,  der  aus  der  Syrtis  minor  kommt 
und  ebenfalls  sich  westwärts  hin  fortsetzt.     La  der  gleichen  Weise 
verhält  sich  Nepenthes.    Auf  dessen  Wege  hegt  ein  dunkler  Fleck, 
der  den  Namen  Lacus  Moeris  erhalten  hat.     Einige  dieser  Ober- 
flächenteile sind  leichter  zu  sehen  als  andere,  der  deuüichste  von 
allen  ist  der  Lacus  Tritonis,  ein  dunkler  Fleck  im  Schnittpunkte  der 
drei  Kanäle;  aber  daß  keiner  dieser  Kanäle  und  Flecke  sehr  schwierig 
zu  erkennen  ist,  ergibt  sich  daraus,  daß  diese  Kanäle  schon  in  den 
frühesten  Beobachtungen  Schiaparellis  erwähnt  werden.     Er  ent- 
deckte den  südhchsten  zuerst,  Thoth  wutde  erst  im  März  1878  ge- 
sehen, als  die  Länge  der  Sonne  für  den  Mars  7°  über  den  Frühlings- 
punkt hinaus  betrug  (dem  27.  März  bei  uns  entsprechend).    Damals 
müssen  diese  Kanäle  zu  den  deutlichsten  überhaupt  sichtbaren  ge- 
hört haben,  denn  SchiapareUi  sah  bei  jener  Opposition  weder  den 
Phison,  noch  den  Euphrates,  die  doch  relativ  leichte  Objekte  sind. 
Ungefähr  den  nämlichen  Anbhck  boten  die  drei  Kanäle,  als  Schia- 
pareUi sie  bei  der  Opposition  des  Mars  1879  beobachtete.    Die  einzige 
wichtige  Veränderung  bestand  darin,  daß  die  Syrtis  major  sich  west- 
wärts bis  zu  Nepenthes  hin  ausgedehnt  hatte.     Lacus  Moeris  war 
noch  vorhanden,  während  Triton  sich  wie  früher  von  der  Spitze  der 
Syrtis  minor  gegen  Heeperia  hin  erstreckte,  und  zwar  gegen  die 
Bucht  auf  der  östUchen   Seite  der  Halbinsel.     Bei  der  nächsten 
Opposition  des  Mars  zeigte  sich  eine  bemerkenswerte  Veränderung, 
deren  voUe  Bedeutung  damals  nicht  erkannt  wurde.     SchiapareUi 
sah  an  dem  Orte,  wo  Thoth  sich  befunden,  zwei  Linien,  die  er  für  eine 
Verdopplung  dieses  Kanales  hielt,  und  von  denen  eine  dem  alten  Ver- 
laufe des  Thoth  folgte,  während  die  andere  geradenwegs  von  Sinus 
Alcyonius  zur  Syrtis  minor  Uef  oder  genauer  zum  Vereinigungspunkte 
von  Triton  und  Lethes.    Diese  Linie  war  nicht  der  alte  Thoth,  sondern 
etwas  Unerwartetes  von  größerer  Wichtigkeit.    Die  Zeiten  des  Er- 
scheinens von  Thoth  waren:  1881  November  (Sonnenlänge  auf  dem 
Mars  351^  vom  Frühlingspunkte),  im  Dezember  (Sonnenlänge  6°), 
und  darauffolgend  1882  Januar  29  (Sonnenlänge  27°),  Februar  6 
(Sonnenlänge  31°)  und  März  10,  11  (Sonnenlänge  46°  und  46°).    Am 
3.  Februar  1882  (Sonnenlänge  auf  dem  Mars  30°)  erschien  der  Kanal 
SchiapareUi  doppelt  wie  oben  angeführt  wurde. 


Planeten.  25 

Im  Jahre  1884  erschien  Thoth  in  Wirklichkeit  doppelt,  und  die 
westUche  Linie  war  nach  Schiaparelli  beträchtlich  stärker  als  die 
andere.  Daß  kein  Arm  weiter  als  bis  zur  Vereinigung  mit  Nepenthes 
sich  erstreckte,  beweist,  daß  wirklich  der  Thoth  gesehen  wurde.  Im 
Jahre  1886  war  Thoth  sichtbar  vom  Februar  bis  Mai  (Sonnenlänge 
auf  dem  Mars  68°  bis  117°)  als  verwaschener  Streifen;  1888  zeigte 
er  sich  April  29  (S.  L.  126°),  Mai  8  (S.  L.  131°),  Juni  2  bis  13  (S.  L. 
146°),  JuU  21  (S.  L.  169°).  Im  April  war  er  verwaschen,  im  Juni 
doppelt,  anfangs  zweifelhaft,  später,  am  12.  und  13.  Juni  bestimmt. 

„Hier  haben  wir  demnach,  sagt  Lowell,  ein  System  von  Kanälen 
und  Flecken,  welche  sechs  Marsjahre  hindureh  dauernde  und  im 
wesentlichen  unveränderliche  Bildungen  der  Marsoberfläche  dar- 
stellten. Man  mag  sich  daher  mein  Erstaunen  ausmalen,  ab  ich  am 
Beginne  meiner  Beobachtungen  1894  keine  Spur  dieses  ganzen  Kom- 
plexes wahrzunehmen  vermochte.  Weder  von  Thoth,  noch  von 
Triton,  noch  von  Nepenthes  oder  dem  Lacus  Moeris  war  eine  Spur 
zu  sehen,  dennoch  aber  bewiesen  die  Sichtbarkeitsverhältnisse  der 
übrigen  Marskanäle,  daß  ich  die  Marsscheibe  wohl  so  deutUch  sah, 
als  sie  von  Schiaparelli  gesehen  worden  ist.  Denn  nicht  nur  waren 
tatsächlich  alle  sonstigen  Kanäle,  die  dieser  Astronom  wahrge- 
nommen, vorhanden,  sondern  auch  noch  schwächere.  Und  das  näm- 
liche galt  von  den  dunkeln  Flecken,  von  denen  eine  Anzahl  solcher, 
die  Schiaparelli  nie  gesehen,  über  der  Marsscheibe  zerstreut  waren. 
Statt  des  Thoth  zeigte  sich  ein  anderer  Kanal  in  gerader  Erstreckung 
über  die  Scheibe  von  Syrtis  minor  bis  Aquae  CaUdae.  Dieser  Kanal 
war  so  unzweifelhaft  vorhanden,  wie  Schiaparelli  den  Thoth  früher 
wahrgenommen;  er  war  unter  den  ersten,  die  gesehen  wurden,  und 
bheb  mit  unverminderter  Deuthchkeit  bis  zum  Ende  der  Beobach- 
tungen sichtbar.  Die  Daten  für  seine  Wahrnehmung  sind:  Juli  10 
(S.  L.  240°),  August  14  (S.  L.  262°)  und  Oktober  21  (S.  L.  304°).  Ich 
bezeichne  ihn  als  Amenthes,  indem  ich  ihn  mit  dem  von  Schiaparelli 
in  der  Karte  seiner  Beobachtungen  von  1877  bis  1878  so  genannten 
Kanal  identifiziere.  Übrigens  erwähnt  er  ihn  im  Texte  zu  seinen 
Karten  nicht,  denn  er  sah  ihn  nur  1881  und  1882  und  hielt  ihn  dann 
für  den  Thoth.  Ungeachtet  dessen  war  er  1894  der  augenfäUigste 
der  Kanäle  in  jener  Marsgegend.  Die  Unsichtbarkeit  des  Thoth 
dauerte  nach  meinen  Beobachtungen  während  der  folgenden  Oppo- 
sition des  Mars  1896  bis  1897  und  1901  fort;  1898  bis  1899  war  ich 
durch  Krankheit  verhindert  zu  beobachten.  Ich  zeichnete  den  Kanal 
1896  am  Juh  28  (S.  L.  279°),  August  26  (S.  L.  297°),  September  2 
(8.  L.  301°),  Oktober  5  bis  9  (S.  L.  321°)  als  einfach;  1897  Januar 
12  bis  19  (S  .L.  13°),  Februar  21  (S.  L.  30°)  und  März  1  (S.  L.  34°) 
auch  noch  als  einzeln,  aber  im  Januar  war  er  anscheinend  im  Begriffe, 
sich  zu  verdoppeln,  und  im  Februar  war  er  wirklich  doppelt.  Im 
Laufe  dieser  Oppositionen  haben  einige  andere  Beobachter  den  Thoth 
wahrgenommen  und  ebenso  den  Lacus  Moeris,  ich  selbst  habe  sie 


26  Planeten. 

trotz  aller  Mühe  nicht  geeehen  und  kam  zu  dem  EigebniBae,  dafi 
Thoth  und  Amenthes  ein  und  derselbe  K!anal  seien,  und  deren  Ver- 
schiedenheit nur  im  Irrtume  der  Zeichnung  zu  suchen  wäre.  Der 
Amenthes  erschien  mir  während  der  ganzen  Zeit  als  die  augenfälligste 
Linie  oder  richtiger  als  Linienpaar,  denn  er  war  1901  meistenteils 
doppelt.  In  der  Opposition  von  1903  zeigte  sich  Amenthes  anfangs 
als  verwaschener,  schmaler  Doppelkanal,  am  16.  Februar  vermutet, 
wurde  er  vom  18.  bis  23.  bestimmt  gesehen.  Von  Thoth  geschieht 
dagegen  keinerlei  Erwähnung,  weder  in  den  Beschreibungen,  noch 
auf  den  Zeichnungen.  Als  die  in  Rede  stehende  Mareregion  im  Man 
wieder  sichtbar  wurde,  war  Amenthes  wieder  da,  aber  schwächer  als 
im  Februar.  Der  Kanal  war  am  Verschwinden,  wie  eine  spezielle 
Bemerkung  im  Beobachtungsjoumal  hervorhebt,  von  Thoth  da- 
gegen keine  Spur  zu  sehen.  Die  Beobachtungen  geschahen  in  der 
Zeit  vom  18.  bis  23.  Februar  (S.  L.  87'')  und  vom  19.  bis  28.  Man 
(S.  L.  106^).  Mit  dem  Monate  April  zeigte  sich  eine  neue  Ordnung 
der  Dinge.  Als  die  betreffende  Marsregion  am  16.  zuerst  wieder 
sichtbar  wurde,  war  Amenthes  noch  zu  sehen  und  allein;  aber  am  19. 
als  diese  Gegend  näher  auf  der  Mitte  der  Scheibe  stand,  war  ihm 
längsseitigThoth  ebenfalls  sichtbar.  Am  20.  April  (S.  L.  114^)  zeigte  sich 
Thoth  allein,  genau  so,  wie  ihn  Schiaparelli  gezeichnet  hatte,  begleitet 
von  Triton  und  dem  gekrümmten  Nepenthes.  Es  war  wie  eine  Offen- 
barung. „Was  ich",  fährt  Lowell  fort,  „vorher  nur  geistig  in  den  2Seich- 
nungen  anderer  gesehen,  stand  mir  offen  vor  meinen  Augen,  und 
Amenthes,  an  den  ich  solange  gewöhnt  gewesen,  war  verschwunden, 
nur  ab  und  zu  konnte  eine  Spur  von  ihm  gesichtet  werden.  Die 
ganze  Metarmophose  machte  mich  so  stutzig,  daß  ich  anfangs  meinen 
Augen  nicht  traute,  aber  es  blieb  kein  Zweifel,  der  Amenthes  war 
verschwunden,  und  Thoth  statt  seine  rsichtbar  geworden.  So  fuhr  er 
fort  zu  erscheinen  bis  zum  30.  April,  und  auch  Lacus  Tritonis  war  deut- 
Uch  zu  unterscheiden.  Bei  der  nächsten  Sichtbarkeit  dieser  Gegend, 
vom  26.  Mai  bis  8.  Juni  (S.  L.  133^),  wiederholte  sich  die  Erscheinung 
mit  zunehmender  DeutUchkeit,  und  plötzhch  am  29.  Mai  sah  Lowell 
auch  den  längst  aufgegebenen  Lacus  Moeris.  Er  war  es  unbestreitbar, 
und  seine  Deutlichkeit  nicht  das  am  wenigsten  Auffidlende  dieses 
Phänomens".  So  oft  hatte  Lowell  vergebUch  danach  gesucht,  jetzt 
stand  er  plötzhch  vor  seinen  Augen,  ungesucht,  als  kleiner  runder 
Fleck  wie  jede  ändere  „Oase",  mittels  des  Nepenthes  wie  eine  Perle 
am  Ohr  der  Syrtis  minor  hängend.  Denn  die  Lybiabai  zeigte  eine 
dunkle  Hervorragung  von  der  Art  der  hoch  oben  an  der  ösüichen 
Syrte,  von  welcher  Nepenthes,  genau  wie  Schiaparelli  ihn  gezeichnet, 
in  gekrümmter  Linie  zu  dem  Punkte  zog,  wo  Thoth  und  Triton  zu- 
sammentreffen. Alle  drei  Kanäle  erschienen  doppelt,  die  Doppd- 
linien  etwa  3^  der  Marskugel  voneinander  entfernt.  Nun  ereignete 
sich  der  letzte  Akt  des  Dramas.  Im  Juh  erschien  der  Kanal  Amentiies 
wieder,  Seite  an  Seite  mit  Thoth-Triton,  auch  war  er  in  der  Zwischen- 


Planeten.  27 

*  zeit   (Juni,   Juli)  starker  geworden,  während  Thoth-Triton  abge- 

'^'  nommen  hatte.    Die  Linie  war  im  Begriff,  in  den  frühem  Status 

^'  zurückzusinken.  „Wären",  sagtLowell,  „diese  drei  Erscheinungen  nicht 

^  beobachtet  worden,  und  wäre  die  kurze  Sichtbarkeit  des  Thoth- 

'•-  Triton  unbeachtet  geblieben,  so  würde  damit  das  Verständnis  dieser 

^  Vorgänge  nicht  möglich  sein.''  Zunächst  findet  Lowell  die  von  ihm 

v  schon  lange  gewonnene  Überzeugung  bestätigt,  daß,  wenn  eine  augen- 

'^^'  fälUge  Diskordanz  in  den  Darstellungen  des  Verlaufes  eines  Kanales 

^  besteht,  dies  gewöhnUch  nicht  auf  einem  Irrtum  oder  einer  Ver- 

f-  änderung  beruht,  sondern  auf  unrichtiger  Identifizierung;  der  Kanal 

^  hat  weder  seinen  Ort  verändert,  noch  der  Beobachter  sich  geirrt, 

^  vielmehr  ist  das  eine  Mal  ein  bestimmter  Kanal  sichtbar  gewesen, 

:i  das  andere  Mal  ein  anderer.    So  war  es  auch  im  obigen  FaJle,  und 

ik  unter  diesem  Gesichtspunkte  werden  die  altem  wie  die  neuem  Wahr- 

^'  nehmungen  übereinstimmend.   Die  genauere  Untersuchung  der  Auf- 

I'  Zeichnungen  über  die  Sichtbarkeits Verhältnisse  der  beiden  Kanäle 

e5  zusammen  mit  ihrem  Verhalten  in  bezug  auf  den  jahreszeitlichen 

1^.  Charakter  der  Region,  in  der  sie  sich  befinden,  enthüllt  weiter  eine 

[c  merkwürdige  Beziehung  zwischen  beiden.     Die  Jahreszeit  (wie  sie 

i  in  den  Sonnenlängen  für  Mars  sich  ausspricht)  ist  entscheidend  für 

2  die  Vorgänge  wälurend  des  Marsjahres  überhaupt.     Gemäß  diesem 

0  geordnet,  läßt  das  sukzessive  Aussehen  eine  saisonmäßige  Ändemng 

^  bei  jedem  der  beiden  Kanäle  erkennen,  überdies  aber  noch  eine 

II  andere  von  säkularem  Charakter,  d.  h.  von  langer  Periode.    Diese 

'f,  letztere  Veränderung  ist  es  eben,  welche  verursacht,  daß  die  beiden 

^  ELanäle  in  ihrer  Sichtbarkeit  alternieren;  ist  der  eine  vorhanden,  so 

;}  fehlt  der  andere  und  umgekehrt.    Nur  zwei  scheinbare  Ausnahmen 

^  von  dieser  allgemeinen  Regel  ereigneten  sich.     Die  eine  trat  1881 

;  ein,  wurde  aber  nicht  erkannt  als  solche,  und  es  fehlte  an  Daten  zu 

f!  ihrer  Erklärang;  die  zweite  ereignete  sich  1903,  bezügUch  ihr  liegen 

i  Beobachtungsdetails  vor,  und  diese  werfen  ein  helles  Licht  auf  den 

i  ganzen  Gregenstand.    Aus  der  großen  Zahl  von  Zeichnungen  des  Mars 

während  der  Opposition  von  1903  hat  Lowell  Kurven  der  Sichtbar- 
r  keit  für  85  Kanäle  abgeleitet,  welche  die  Zeit  angeben,  zu  welcher 

jeder  derselben  im  Minimum  seiner  Sichtbarkeit  sich  befand.  Werden 
diese  Angaben  über  das  Verhalten  der  Kanäle  nach  deren  Abstand 
von  der  nördUchen  Schneezone  auf  dem  Mars  geordnet,  so  findet  sich 
für  jenes  Minimum  ein  stetig  späteres  Datum,  je  weiter  man  sich  von 
dem  Pole  gegen  den  Äquator  hin  entfernt.  Von  dieser  allgemeinen 
Regel  machten  Thoth,  Triton,  Nepenthes  und  Amenthes  eine  augen- 
fällige Ausnahme.  Die  Breite,  unter  der  auf  dem  Mars  der  Kanal 
Thoth  hegt,  ist  21°  nördl.,  bei  Amenthes  ist  sie  15°  nördl.  Nun  sollte 
nach  obiger  Regel  von  21  bis  15°  mittlerer  nördl.  Breite  auf  dem 
Mars  das  Minimum  der  Sichtbarkeit  42  Tage  nach  dem  Sommer- 
solstitium  eintreten.  Für  Thoth  aber  ergaben  sich  dafür  nur  26,  für 
Amenthes  68  Tage,  beide  erschienen  also  außer  der  Regel,  Thoth- 


28  Planeten. 

Triton  zu  früh,  Amenthes  zu  spät,  während  der  Mittelwert  aus  beiden 
Angaben  genau  dem  Datum  für  jene  nördliche  Breite  entspricht. 
Weiter  ergab  die  Prüfung  durch  Lowell,  daß  zuerst  Amenthes  allein 
gesehen  war,  und  zwar  im  Stadium  der  Abnahme,  dann  ab  letztere 
fortschritt,  wurde  Thoth  zunehmend  sichtbar,  und  als  dieser  endlich 
wieder  abnahm,  begann  Amenthes  zuzunehmen.  Diese  Tatsachen 
führen  zu  bedeutungsvollen  Schlüssen.  Da  wir  gegenwärtig  wissen, 
daß  Wasser  in  flüssiger  Gestalt  in  großen  Meeresbecken  auf  dem 
Mars  nicht  vorhanden  ist  und  verhältnismäßig  wenig  auch  in  fester 
Form,  so  können  wir  die  lokalen  Veränderungen  von  Jahr  zu  Jahr 
nicht  erklären.  Auch  lassen  sich  die  oben  angegebenen  Änderungen 
durchaus  nicht  durch  etwaige  Überschwemmungen  deuten,  denn 
wenn  durch  solche  auch  ein  neuer  Kanal  gefüllt  uns  dadurch  sichtbar 
würde,  so  würde  deshalb  der  andere  nicht  verschwinden,  auch 
können  rein  meteorologische  Verhältnisse  keine  Erklärung  liefern, 
welche  die  alternierende  Sichtbarkeit  der  beiden  Kanäle  verständlich 
macht.  Lowell  kommt  daher  zu  dem  Schlüsse,  daß  die  abwechselnde 
Ab-  und  Zunahme  der  beiden  Kanäle  überhaupt  aus  natürlichen  Ur- 
sachen nicht  zu  erklären  ist,  sondern  nur  durch  künstliche  Ver- 
anstaltungen seitens  der  Marsbewohner.  Diese  haben  nach  seiner 
Überzeugung  Vorrichtungen  getrogen,  um  die  relativ  geringe  Waaser- 
menge,  welche  ihnen  zu  Gebote  steht,  möghchst  auszunutzen,  so  daß, 
wenn  ein  Distrikt  bewässert  ist,  die  kostbare  Flüssigkeit  einem  be- 
nachbarten zugeführt  wird,  um  auch  diesen  zu  befruchten,  und  wieder 
umgekehrt. 

Veränderungen  im  Mare  Erythraeum  hat  Percival  Lowell  im 
Frühjahre  und  Sommer  1903  entdeckt  und  beobachtend  verfolgt. 
Es  handelt  sich  um  einen  sehr  entschiedenen  Farbenwechsel.  I>ie 
Farbe  der  großen  dunkeln  Flecke  auf  der  Marsscheibe  ist  gewöhnlich 
deutUch  blaugrün,  und  diese  Färbung  wird  dunkler  oder  heller  je 
nach  der  Jahreszeit,  und  in  den  südlichen  Polargegenden  nimmt  sie 
im  Herbste  derselben  einen  ockerfarbigen  Ton  an.  An  diese  Färbung 
gewöhnt,  war  P.  Lowell  überrascht,  am  19.  April  1903  das  ganze 
Mare  Erythraeum  bis  zum  Süden  von  Syrtis  von  schokoladebrauner 
Färbung  zu  erbhcken,  während  Syrtis  selbst  wie  gewöhnlich  aussah. 
Der  Unterschied  der  Färbung  war  höchst  auffallend  und  durchaus 
nicht  zu  übersehen;  es  war,  als  wenn  eine  Decke  über  diese  ganze 
Region  gezogen  wäre  von  der  Spitze  der  Lybia  im  Osten  bis  zur  Mitte 
von  Aeria  im  Westen.  Bei  der  letzten  Beobachtimg  dieser  Region 
unter  ähnhchen  günstigen  Verhältnissen,  am  22.  März,  war  keine  be- 
sondere Eigentümlichkeit  ihrer  Färbung  wahrnehmbar  gewesen.  Am 
20.  April  war  die  schokoladebraune  Färbung  über  dem  Mare  Ery- 
thraeum abermals  deutlich  und  wurde  noch  wahrgenommen,  als  der 
Meridian  von  310°  auf  der  Mitte  der  Marsscheibe  stand;  am  21.  und 
22.  April  zeigte  sich  das  gleiche,  als  der  Meridian  der  Mitte  der  Scheibe 


Planeten.  29 

248°  war.  Als  dieselbe  Gegend  aber  am  26.  Mai  wiederum  zu  Gesicht 
kam,  hatte  sie  ihre  braune  Färbung  verloren,  außer  im  südlichen 
Teile  in  der  Umgebung  von  Hellas.  Auch  in  den  folgenden  Tagen 
wurde  das  Fehlen  der  Färbung  konstatiert  bis  zum  20,  Mai,  an  dem 
die  Aufzeichnungen  schUeßen.  Beim  nächsten  Sichtbarwerden  dieser 
Region,  vom  30.  Juni  bis  7.  Juli,  konnte  auch  keine  Spur  der  Färbung 
gesehen  werden.  Aus  diesen  Beobachtungen  ergibt  sich,  daß  die 
schokoladebraune  Färbung  des  Mare  Erythraeum  zwischen  Syrtis 
major  und  Hellas  im  Norden  und  Süden  und  Syrtis  minor  bis  Deu- 
caUonis  regio  im  Osten  und  Westen  während  des  Monates  März  1903 
nicht  so  merklich  hervortrat,  daß  sie  beachtet  wurde ;  daß  sie  dagegen 
augenfäUig  war  im  April,  während  sie  im  Mai  abzubleichen  begann 
und  in  den  Monaten  Juni  und  Juli  völlig  verschwand.  Um  das  rich- 
tige Verständnis  für  diesen  Wechsel  zu  gewinnen,  ist  zu  bemerken, 
daß  das  Maximum  der  schokoladebraunen  Farbe  zusammenfällt  mit 
dem  Minimum  der  blaugrünen  Färbung,  indem  eine  an  Stelle  der 
andern  tritt.  Unter  Berücksichtigung  des  Umstandes,  daß  die  dunkel- 
braune Färbung  zuerst  im  nördlichen  Teile  des  Mare  abzubleichen 
begann,  im  südlichen  sich  aber  eine  gewisse  Zeit  länger  erhielt,  teilt 
Lowell  die  ganze  davon  betroffene  Region  in  einen  nördlichen  und 
einen  südlichen  Teil  und  verfolgt  das  Verhalten  jedes  derselben  durch 
Zeichnung  von  Kurven.  Die  Daten  dafür  sind:  Im  März  war  die 
blaugrüne  Färbung  vorhanden,  im  April  bedeckte  sie  nicht  mehr  die 
ganze  Fläche,  im  Mai  ist  die  dunkelbraune  Färbmig  im  südlichen 
Teile  verschwunden,  zeigt  aber  noch  im  nördlichen  eine  gewisse 
Ausdehnung.  Mai  26  14h  23in  M.  Z.  von  Greenwich  konnte  der  Beob- 
achter die  braune  Färbung  im  Mare  Erythraeum  mit  Sicherheit  nicht 
erkennen,  aber  die  Kanäle,  besonders  Orosines,  waren  deuthch,  der 
Hintergrund  muß  also  weniger  dunkel  gewesen  sein.  Am  28.  Mai 
heißt  es:  „Brauner  Schleier  über  das  Mare  Erythraeum  nicht  so  aus- 
gedehnt und  dicht  im  Tone  als  früher,  zieht  sich  nahe  bei  Hellas 
herum;''  etwas  später:  „Neue  Spuren  der  Färbung  des  Mare  Ery- 
thraeum unter  Hellas  herum."  Mai  29:  „Mare  Erythraeum  etwas 
schokoladefarbig  im  Süden,  bei  längerm  und  besserm  Sehen  größten- 
teils jedoch  verschwunden.  Am  5.  Juli  erschien  der  nördüche  Teil 
des  Mare  Erythraeum  wieder  in  seiner  normalen  Farbe,  der  südliche 
in  der  Nähe  von  Hellas  ungewöhnlich  bleich.  Aus  einer  genauen 
Diskussion  schheßt  Lowell,  daß  die  Zunahme  der  blaugrünen  Färbung 
nur  durch  Ausbreitung  von  Vegetationsprozessen  erklärhch  sei,  da 
große  Wasserbecken  auf  dem  Mars  nicht  vorausgesetzt  werden 
können.  Die  dunkeln  Flecke,  die  man  ehemals  für  Meere  ansah,  sind 
flache,  tiefer  liegende  Regionen,  eine  Art  Ufergelände,  in  welche  die 
vorhandene  Feuchtigkeit  zusammenfließt  oder  abgeleitet  ist.  Wenn 
dieselben  von  Vegetation  bedeckt  sind,  so  zeigen  sie  uns  eine  blau- 
grüne Färbung,  verdorrt  aber  der  Fflanzenwuchs,  so  wird  dadurch 
die  Farbe  der  Landschaft  tiefbraun  oder,  was  Lowell  für  wahrschein- 


30  PlanetaD« 

lioh  hSiif  66  wild  dann  der  Marsboden  selbBt  aichtbar.  In  frucht- 
barem Gelände  wird  derselbe  hiernach  schokoladebraun  aussehen 
und  nicht  ockergelb  wie  in  den  Wüsten.  Auf  diese  Weise  erklärt  der 
amerikanische  Marsbeobachter  dies  schokoladefarbene  Aussehen 
des  Mare  Eiythraeum  auf  der  Höhe  seiner  toten  Saison.  Dieselbe 
Erklärung  läßt  sich  nach  Lowell  auch  auf  die  von  SchiapareUi  entdeckte 
fotbraune  Farbe  einiger  Kanäle  anwenden,  die  er  ebenfalls  (im  Mai 
1903) 'wahlgenommen  hat.  Diese  Färbung  ist  nämUch  nicht  die  des 
eigentUchen  Kanales,  den  wir  von  der  Erde  aus  vermutUch  gar  nicht 
sehen  können,  sondern  der  Umgebung  desselben  rechts  und  links  auf 
seiner  ganzen  Erstreckung,  die  in  großer  Breite  periodisch  von 
Pflanzenwuchs  bedeckt  ist. 

Neue  Untersuchungen  &ber  die  Jahresseitliehen  Verftndeningen 
auf  dem  Mars  und  das  Wesen  der  Marskanlle.  P.  Lowell  hat  hierübw 
eine  große  Abhandlung  veröffenthcht.  ^)  Die  auf  der  Oberfläche  des 
Mars  stattfindenden  Veränderungen  sind  jedem  bekannt,  der  längere 
Zeit  hindurch  diesen  Planeten  studiert  hat.  Nicht  nur  nehmen  die 
weißen  Polarflecke  an  Größe  in  regelmäßigem  Wechsel  zu  und  ab, 
sondern  auch  die  dunkeln  Flecke,  mit  denen  die  Marsscheibe  übersät 
ist,  werden  schwärzer  oder  bleicher,  wie  die  Monate  einander  folgen. 
Die  unter  dem  Namen  „Kanäle"  bekannten  Linien  sind  gleichfalls 
der  Veränderung  imterworfen;  zuzeiten  sind  sie  sehr  augenfällig,  zu 
andern  Zeiten  dagegen  unsichtbar.  Was  aber  noch  bemerkenswerter 
ist:  jeder  Kanal  hat  seine  eigenen  Zeiten  des  Hervortretens  und 
Zurücksinkens  der  Sichtbarkeit,  das  Verhalten  des  einen  entspricht 
nicht  demjenigen  seines  Nachbarn  und  noch  weniger  dem  seiner 
Antipoden.  Der  Kanal  Ganges  wird  gesehen,  während  der  Kanal 
Titan  unsichtbar  ist,  und  dieser  letztere  wiederum  ist  sehr  augen- 
fällig, während  man  den  andern  kaum  unterscheiden  kann.  Diese 
Veränderungen  beschränken  sich  nicht  auf  einzelne,  bestimmte 
Kanäle,  sondern  gelegentUch  scheinen  die  Kanäle  ganzer  Land- 
schaften wie  ausgelöscht,  so  daß  selbst  mit  aller  Anstrengung  bei 
größter  Nähe  des  Mars  und  bester  Luft  keine  Spur  derselben  wahr- 
genommen werden  kann,  während  kurz  vorher  und  nachher  dieselben 
Regionen  des  Planeten  mit  Kanallinien  übersät  waren.  Um  die  in 
diesen  Erscheinungen  herrschende  Gesetzmäßigkeit  zu  ergründen, 
hat  P.  LoweU  aus  seinen  Marszeichnimgen  das  prozentische  Verhällaiis 
der  Sichtbarkeit  dieser  Formationen  in  bestimmten  Abschnitten 
während  einer  Opposition  des  Mars  festzustellen  versucht.  Da  die 
Anzahl  seiner  Marszeichnimgen  sehr  bedeutend  ist,  so  konnten  auf 
diesem  Wege  Ergebnisse  von  großer  Zuverlässigkeit  von  vornherein 
erwartet  werden.  Er  verfuhr  dabei  in  folgender  Weise.  Aus  der 
Marskarte  ergab  sich  unmittelbar  die  Position  (Länge)  der  zu  unter- 
suchenden Region,  imd  es  wurden  nun  alle  diejenigen  Zeichnungen 

1)  l*roo.  Amer.  Phüoe.  Soc.  42.  Nr.  174.  —  Sirius  1904.  p.  97. 


Planeten.  31 


n: 


geprüft^  auf  denen  diese  Region  sichtbar  sein  mußte.    Dabei  wurden 
^  drei  Zonen  unterschieden:  die  erste  erstreckte  sich  bis  zu  20°  rechts 

^  und  links  von  dem  während  der  Zeichnung  auf  der  Mitte  der  Mars- 

^  Scheibe  stehenden  Meridian,  die  zweite  von  20  bis  40°,  die  dritte  end- 

1'  lieh  von  40  bis  60°  von  dem  Meridian  der  Mitte.    Diese  Dreiteilung 

c  hatte  beiläufig  den  von  vornherein  beabsichtigten  Vorteil,  eine  Ver- 

gleichung  zwischen  der  Sichtbarkeit  der  Flecke  in  verschiedenen  Ab- 
T.  ständen  vom  Zentrum  der  Marsscheibe  zu  ermöglichen. 

S  Das  ganze  Verfahren  ist  sehr  einfach,  solange  Mars  eine  volle, 

z^  runde  Scheibe  zeigt,  sobald  er  aber  (vor  oder  nach  der  Opposition) 

^x  eine  Phase  zeigt,  muß  darauf  Bücksicht  genommen  werden,  daß  die 

Erleuchtung  der  Scheibe  von  dem  Punkte,  über  welchem  die  Sonne 
senkrecht  steht,  bis  zur  Lichtgrenze  abnimmt,  so  daß  allein  aus 
"^  diesem  Grunde  die  Flecke  gegen  diese  Grenze  hin  weniger  gut  unter- 

5  scheidbar  werden,  bis  sie  in  gewisser  Entfernung  von  der  Lichtgrenze 

*f  efxdlich  ganz  verschwinden.    Deshalb  hat  Lowell  seine  Untersuchung 

^^  nur  bis  zu  25°  Entfernung  von  dieser  Lichtgrenze  ausgedehnt,  eine 

^  Annahme,  die  sich  aus  seinen  Beobachtungen  ab  die  richtigste  ergeben 

^  hatte.    Da  der  Planet  Mars  ungefähr  40  Minuten  mehr  Zeit  gebraucht 

^  zu  einer  Umdrehung  um  seine  Achse  als  die  Erde,  so  ändert  sich  der 

'^  auf  der  Mitte  seiner  Scheibe  stehende  Meridian  nach  Ablauf  von 

^  24  Stunden  um  9.6°,  und  deshalb  vollzieht  derselbe  eine  scheinbar 

i  rückläufige  Rotation  in  etwa  38  Tagen,  da  9.6°  in  360°  nahezu  38mal 

^  enthalten  ist.    Nach  Ablauf  dieser  Zeitraumes  zeigen  beide  Planeten 

y  Mars  und  Erde  einander  wieder  das  nämliche  Gesicht  zur  nämlichen 

?  Stunde.     Während   1/7  dieser  Zeit  steht  Mars  für  Beobachtungen 

^  günstig,  während  ^/^  aber  ist  er  entweder  unter  dem  Horizont  oder 

i'  stehtzu  tief,  um  gut  beobachtet  zu  werden.  Solcher  Art  bieten  sich  also 

^  natürliche  Epochen  dar,  um  die  einzelnen  Oberflächenteile  mit  sich 

^  selbst  zu  vergleichen  und  etwaige  eingetretene  Veränderungen  wäh- 

^  rend  des  Zeitintervalles  festzustellen.     Die  zur  Untersuchung  vor- 

i  handenen  Zeichnungen  des  Mars,  welche  Lowell  benutzte,  entstam- 

['  men  der  Marsnahe  (Opposition)  von  1903  und  belaufen  sich  auf  375 

»  vollständige  Darstellungen,  die  vom  2L  Januar  bis  zum  26.  JuU  er- 

^  halten  worden  sind.    Aiif  diesen  Zeichnungen  wurden  85  Kanäle  rück- 

!  sichtlich  ihrer  Sichtbarkeit  oder  Unsichtbarkeit  untersucht,  und  zwar 

f  wurde  die  prozentuale  Häufigkeit  der  Sichtbarkeit  derselben  innerhalb 

{  der  Zone  von  60°  rechts  und  links  vom  Zentralmeridian  festgestellt. 

i  Schon  dieses  Ergebnis  ist  bezeichnend,  aber  Lowell  hat,  um  größere 

I  Sicherheit  zu  erlangen,  daran  Korrektionen  angebracht.    Die  Ent- 

fernung des  Mars  war  nämlich  während  der  ganzen  Beobachtungszeit 
I  nicht  unverändert  und  ebensowenig  der  Zustand  der  Luft  immer 

gleich  gut  gewesen;  beides  berücksichtigt  er  durch  gewisse,  nicht  un- 
zulässige Annahmen  und  bezieht  alles  auf  die  kürzeste  Entfernung 
des  Mars,  bei  welcher  1903  der  scheinbare  Durchmesser  der  Scheibe 
desselben  14.6^  betrug. 


32  Planeten. 

Er  entwarf  nun  für  die  85  einzelnen  Kanäle  Tabellen,  welche  die 
wirkliche  Sichtbarkeit  derselben  in  Prozenten  der  möglichen  Sichtbar- 
keit überhaupt  während  der  ganzen  Beobachtungadauer  dauBteDen. 
Wurden  dann  die  Beobachtungszeiten  vom  Moment  des  Sommer- 
solstitiums  der  nördUchen  Marshemisphäre  an  als  Abszissen  und  die 
Prozentzahlen  der  Sichtbarkeit  jedes  Kanales  als  Ordinaten  aufge- 
zeichnet, so  heferten  die  Endpunkte  der  letztem,  durch  eine  Lönie  ver- 
bunden, Kurven  der  Sichtbarkeitsverhältnisse,  die  für  jeden  Kanal 
typisch  sind.  Lowell  nennt  sie  Cartouchen  des  Kanales,  ein  Wort, 
das  im  Deutschen  nicht  gut  bezeichnend  wiederzugeben  ist,  und  wofür 
man  am  einfachsten  Deuthchkeitskurven  sagen  kann.  Wenn  ein 
Kanal  vöUig  unverändert  blieb  während  der  ganzen  Beobachtungs- 
dauer, so  muß  seine  DeutUchkeitskurve  als  gerade  Linie  erscheinen 
(sobald  die  optischen  Beeinflussungen  der  Sichtbarkeit  abgezogen 
worden  sind),  und  ihr  Abstand  von  der  Abszissenachse  ist  außerdem 
proportional  der  Stärke  oder  Deuthchkeit  des  Kanales  überhaupt. 
Ändern  sich  dagegen  die  Sichtbarkeitsverhältnisse,  so  steigt  die  Kurve, 
wenn  der  Kanal  deuthch  hervortritt,  und  fällt,  wenn  er  schwächer  wird. 
So  zeigen  diese  Deuthchkeitskurven  nicht  nur  die  scheinbare  Verände- 
rung in  der  Sichtbarkeit  der  Kanäle,  sondern  auch  deren  wirkliche 
Änderungen  in  der  Entwicklung  während  der  Beobachtungszeit  an. 

Untersucht  man  nun  die  Sichtbarkeitskurven  der  einzelnen 
Kanäle  genauer,  so  findet  man,  daß  von  den  85  dargestellten  nur  zwei 
oder  drei  einigermaßen  sich  einer  geraden  Linie  nähern,  während  alle 
andern  gewissermaßen  im  Flusse  waren.  Die  Opposition  des  Mars 
trat  1903  ein  am  30.  März,  die  größte  Erdnähe  des  Planeten  am  3.April, 
das  Sommersolstitium  der  nördUchen  Marshemisphäre  am  28.  Februar, 
während  früher  Lowell  den  Zeitpunkt  des  ersten  Frostes  auf  126  Tage 
nach  dem  nördhchen  Sommersolstitium  festgestellt  hat.  Wirft  man 
einen  Bhck  auf  das  alphabetisch  geordnete  Verzeichnis  der  Kanäle,  so 
erkennt  man  weder  Gesetz,  noch  Ordnung  in  der  Entwicklung  ihrer 
Sichtbarkeitsverhältnisse;  ganz  anders  gestaltet  sich  die  Sache,  sobald 
man  die  Kanäle  nach  der  (areographischen)  Lage  auf  der  Oberfläche 
ihres  Planeten  ordnet.  Da  die  Kanäle  keine  Punkte,  sondern  Linien 
sind,  so  ist  von  Lowell  die  Mitte  aller  sichtbaren  Punkte  eines  jeden 
als  Bezeichnung  seines  Ortes  auf  der  Marskugel  angenommen  worden. 
Nach  diesem  Prinzip  hat  er  die  Kanäle  über  die  verschiedenen  Breiten 
verteilt  und  unterscheidet  folgende  Zonen: 

Die  arktische  Zone  zwischen 86®  bis  65^  nördl.  Br. 

Die  subarktische  Zone  zwischen  .  .  . 
Die  nördlich  gemäßigte  Zone  zwischen  . 
Die  nördlich  subtropische  Zone  zwischen 
Die  nördliche  tropische  Zone  zwischen  . 
Die  nördliche  Äquatorialzone  zwischen  . 
Die  südliche  Äquatorialzone  zwischen 
Die  südliche  tropische  Zone  zwischen 
Die  südliche  subtropische  Zone  zwischen 


65      „    50 

>f 

9« 

60      „    35 

»» 

99 

35      „    25 

»» 

>» 

25      „    10 

»» 

»> 

10     „      0 

9» 

99 

0  und  10 

südl. 

Br. 

10     „    26 

Jf 

9t 

26     „    36 

>» 

>» 

Planeten.  33 

Der  Breitengrad  von  86°  nördlich  wurde  zum  Ausgangspunkte 
gewählt,  weil  bis  zu  dieser  Breite  während  der  Beobachtungszeit  die 
Eisbedeckung  herabreichte.  Anderseits  bildete  36°  südl.  Br.  die 
äußerste  Grenze  nach  dieser  Richtung,  weil  wegen  der  Neigung  des 
nördlichen  Marspoles  gegen  die  Erde  (die  zwischen  21.1°  und  25.9° 
während  der  Beobachtungszeit  wechselte)  die  Mitte  des  am  meisten 
südwärts  hegenden  Kanales  in  27°  südl.  Br.  lag.  Lowell  gibt  nun  zu- 
nächst das  Datum,  an  welchem  jeder  Kanal  im  Minimum  der  Sichtbar- 
keit war,  und  zwar  verteilt  auf  jede  der  oben  bezeichneten  Zonen.  Im 
Mittel  aus  diesen  86  Angaben  findet  sich  folgendes,  wobei  die  bei- 
gefügten Ziffern  die  Anzahl  der  Tage  bezeichnen,  um  welche  die  Ent- 
wicklung der  Kanäle  jeder  Zone  nach  dem  Tage  des  nördhchen 
Sommersolstitiums  des  Mars  erfolgt: 

Arktische  Zone 0  Tage 

Subarktische  Zone 13  „ 

Nördliche  gemäßigte  Zone 22  „ 

Nördliche  subtropische  Zone     ....  34  „ 

Nördliche  tropische  Zone 40  „ 

Nördliche  äquatoriale  Zone 43  „ 

Südliche  äquatoriale  Zone 66  „ 

Südliche  tropische  Zone 08  „ 

Südliche  subtropische  Zone 06  „ 

Aus  dieser  Zusammenstellung  ergibt  sich  augenfäUig  eine  zu- 
nehmende Verspätung  in  der  Zeit  der  Entwicklung  der  Kanäle  von 
der  nördhchen  Eiszone  gegen  den  Äquator  hin,  und  zwar  macht  diese 
Zunahme  am  Äquator  nicht  halt,  sondern  geht  darüber  hinaus  auf  die 
südhche  Marshemisphäre.  Was  immer,  sagt  Lowell,  die  Kanäle  sein 
mögen,  so  ist  gemäß  diesem  Nachweise  sicher,  daß  ihre  Entwicklung 
vom  Nordpole  herab  auf  der  Scheibe  des  Mars  fortschreitet  und  zudem 
in  einem  zienüich  regelmäßigen  Tempo  über  die  Oberfläche  des  Pla- 
neten. Sie  beginnt  beim  Sommersolstitium,  d.  h.  sie  folgt  dem 
Schmelzen  des  Polareises.  Dies  führt  auf  die  Vermutung  über  die 
Ursache  der  Erscheinung:  Wasser  spielt  bei  dem  Sichtbarwerden  der 
Kanäle  eine  Rolle,  wenn  auch  nicht  direkt,  so  doch  indirekt  als  Ver- 
mittler von  Vegetationsprozessen.  Wir  erbUcken  in  dem  Vorgange 
jahreszeitUche  Veränderungen,  aber  diese  zeigen  in  ihrem  Verhalten 
einen  weeentUch  andern  Gang  als  auf  unserer  Erde. 

Könnten  wir  unsem  irdischen  Standpunkt  verlassen  und  von 
einem  Punkte  außerhalb  der  Erde  auf  diese  herabsehen,  so  würden 
wir  bemerken,  wie  bei  Ankunft  des  Frühlinges  eine  grünUche  Welle 
über  ihr  AntUtz  hinwegzieht,  die  von  der  äquatorialen  Gregend  höher 
und  höher  gegen  den  Pol  hin  zieht.  Hier  würden  wir,  deutücher  ab 
auf  dem  Mars,  eine  Verdunklung  wahrnehmen,  das  Blaugrün  der 
Vegetation,  das  sich  über  die  ockergelbe  Grundfarbe  ausbreitet;  aber 
die  beiden  Welten  Erde  und  Mars  würden  einen  fundamentalen  Gegen- 
satz darin  zeigen,  daß  die  Vegetationswelle  auf  der  Erde  vom  Äquator 

Klein,  Jahrbuch  XV.  8 


34  Planeten. 

gegen  den  Pol  hin  flutet,  auf  dem  Mars  dagegen  vom  Pol  gegen 
den  Äquator  hin.  Woher  dieser  Gegensatz?  Einfach:  infolge  der 
Gegenwart  oder  Abwesenheit  von  Feuchtigkeit!  Zwei  Agenzien  sind 
erforderUch  zum  Hervorrufen  des  vegetativen  Lebens,  das  Roh- 
material und  die  wirkende  Kraft.  Sauerstoff,  Stickstoff,  Wasser  und 
verschiedene  Salze  bilden  das  erstere,  die  Sonne  liefert  die  andere. 
Auf  der  Erde  ist,  mit  Ausnahme  der  Wüste,  Wasser  überall  anzu- 
treffen, die  Einwirkung  der  Sonne  aber  nimmt  zu  und  ab,  und  ent- 
sprechend vollzieht  sich  jährhch  der  Kreislauf  des  vegetativen  Lebens. 
Auf  dem  Mars  dagegen  fehlt  vielfach  das  Wasser,  es  gibt  dort  im 
wesentUchen  nur  solches,  welches  von  dem  Schmelzen  der  Schnee- 
und  Eismassen  herrührt.  Vegetation  kann  in  nennenswertem  Maße 
dort  nur  aufblühen,  nachdem  das  Wasser  angekommen  ist.  Daher 
muß  dort  die  Vegetation  vom  Pole  ausgehen  und  gegen  den  Äquator 
hin  vorschieben,  während  auf  der  Erde  genau  das  entgegengesetzte 
stattfindet.  BezügUch  des  Mars  stimmen  damit  die  Sichtbarkeits- 
kurven  der  Kanäle  genau  überein.  Zeitlich  hauptsächlich  bestimmt, 
nicht  durch  das  Kommen  der  Sonne,  sondern  durch  das  des  Wassers, 
folgt  das  vegetative  Leben  auf  dem  Mars  nicht  den  zunehmenden 
Breitengraden,  sondern  bewegt  sich  die  Scheibe  hinab.  Wir  schließen 
daraus,  sagt  Lowell,  daß  die  Kanäle  Streifen  von  Vegetation  sind,  die 
genährt  wird  von  dem  Wasser,  das  von  der  polaren  Eiszone  kommt. 
Wie  bemerkt,  schreitet  das  Aufblühen  des  vegetativen  Lebens  auf 
dem  Mars  rasch  und  zienüich  gleichförmig  vom  Pole  her  über  die  Ober- 
fläche des  Planeten  fort.  Die  Verdunklung  braucht  etwa  50  Tage,  um 
vom  75°  nördl.  Br.  bis  zum  Äquator  zu  gelangen,  eine  Strecke  von 
2600  engl.  Meilen.  Im  Durchschnitte  entspricht  dies  53  engl.  Meilen 
pro  Tag  oder  2.2  enghsche  Meüen  in  der  Stunde.  Unter  dem  Ein- 
flüsse der  Schwere  auf  dem  Mars  würde  aber  Wasser  keineswegs  vom 
Pole  gegen  den  Äquator  hin  fließen,  am  wenigsten  mit  der  wirklich 
vorhandenen  Geschwindigkeit,  und  daher  scheint  der  Schluß  unab- 
weisbar, daß  es  dazu  auf  künsthchem,  nicht  auf  natürlichem  Wege 
gezwimgen  wird.  Daher,  sagt  Lowell,  werden  wir  darauf  geführt, 
an  einen  künsthchen  Ursprung  und  künsthche  Erhaltung  der  so- 
genannten Kanäle  zu  denken,  deren  Benennung  dadurch  gerecht- 
fertigt erscheint,  und  ich  sehe  keine  Möglichkeit,  dieser  Schluß- 
folgerung zu  entgehen.  Diese  wird  noch  unterstützt  durch  eine 
wichtige  Tatsache.  Der  Fortschritt  in  der  Entwicklung,  der  sich  vom 
Pole  gegen  den  Äquator  in  immer  späterer  Epoche  vollzieht,  macht 
am  Äquator  selbst  nicht  Halt,  sondern  die  Verspätung  schreitet  auch 
auf  der  südUchen  Hemisphäre  fort.  Hinge  sie  aber  von  der  physischen 
Beschaffenheit  der  letztem  ledigHch  ab,  so  müßte  mit  dem  Über- 
schreiten des  Äquators  eine  Umkehr  eintreten,  weil  die  natürlichen 
Verhältnisse  jetzt  die  entgegengesetzten  sind.  Das  ist  aber  durchaus 
nicht  der  Fall,  und  so  stehen  wir  hier  vor  einer  Erscheinung,  die  nicht 
n^,  einfach  unerklärbar  aus  Naturgesetzen  ist,  sondern  diesen  absolat 


;1. 


Planeten.  35 

entgegensteht.     Die  hier  vorgelegte  Studie,  schließt  Lowell,  führt 

Zx  demnach  zu  folgenden  drei  Schlußfolgerungen: 
p  „1.  Die  Kanäle  entwickeln  sich  über  die  Scheibe  des  Mars  aus 

,  ii  einem  Materiale,  welches  vom  Schmelzen  der  Polarkappe  des  Planeten 

fc  herstammt,  und  die  Entwicklung  überschreitet  den  Äquator  und 

2,  greift  in  die  andere  Hemisphäre  hinüber. 

&  2.  Die  Kanäle  deuten  ihrem  ganzen  Verhalten  nach  auf  Vege- 

s_z  tationsvorgänge  und 
£;  3.  sie  sind  künstUchen,  nicht  natürUchen  Ursprunges." 

^.  Lichtweehsel  des  Planeten  Iris.     Prof.  Wendell  hat  mit  dem 

rf  Polarisationsphotometer   der   Harvardstemwarte   eine   Reihe   sehr 

.  genauer  Helligkeitsmessungen  des  Planetoiden  Iris  (7)  angestellt.  Durch 

dieselben  ist  eine  Veränderlichkeit  desselben,  ahnUch  wie  beim 
Planeten  Eros,  erwiesen,  deren  Periode  ungefähr  611  13m  beträgt. 
Die  Größe  der  Lichtschwankung  beträgt  nur  0.2  bis  0.3  einer  Größen- 
klasse, und  nur  die  sehr  genauen  Messungen  Wendells  haben  sie  mit 
Sicherheit  erkennen  lassen.  Die  Lichtkurve  zeigt  zwei  Mazima  und 
zwei  Minima  der  Helligkeit,  welche  so  nahezu  gleich  sind,  daß  es 
zweifelhaft  bleibt,  ob  die  Unterschiede  reell  sind  oder  nicht.  In 
letzterm  Falle  würde  die  wirkliche  Dauer  des  Lichtwechsek  natür- 
lich nur  halb  so  groß  sein,  als  oben  angegeben  ist. 

LIehtftnderungen  des  Planeten  Hertha  (185).  J.  Palisa  macht 
darauf  aufmerksam,  ^)  daß  dieser  Planet  deutliche  Helligkeitsschwan- 
kungen von  kurzer  Periode  zeigt.  Am  16.  Februar  fand  er  ihn  um 
11^4*»  gleich  hell  wie  ein  benachbarter  Stern  10.6  Größe;  um  12^4*» 
war  er  ein  wenig,  um  13^4^  ^i^^  halbe  Größenklasse  heUer  als  dieser 
Stern,  während  er  14^h  schon  wieder  schwächer,  jedoch  noch  heller 
als  der  Vergleichsstem  erschien.  Am  19.  Februar  konnte  Dr.  Pahsa 
den  Planeten  Hertha  von  8  bis  16h  verfolgen  und  feststellen,  daß 
dessen  Helligkeit  kontinuierhch  von  10.7  bis  10.0  Größe  stieg. 

Das  Spektrum  des  Jupiter  ist  von  Millochau  auf  dem  Observa- 
torium zu  Meudon  am  29.  Dezember  1903,  sowie  am  2.,  16.,  26.  und 
29.  Januar  1904  photographisch  aufgenommen  worden.  ^)  Die  £z- 
poeitionsdauer  betrug  90  Minuten,  und  als  Vergleichsspektrum  wurde 
das  des  Mondes  am  26.  Januar  photographiert.  Der  Spektrograph 
war  so  montiert,  daß  sein  Spalt  nach  allen  Richtungen  eingestellt 
werden  konnte,  und  besonders  in  den  drei  Stellungen:  parallel  zur 
Verbindungslinie  der  Jupiterpole,  parallel  zum  Äquator  des  Planeten 
und  46°  zu  diesen  beiden  Stellungen.  Die  erhaltenen  Bilder  wurden 
viermal  vergrößert,  und  nach  einem  besondem  Verfahren  konnten  in 


1)  ABtron.  Naohr.  Nr.  3032. 
s)  Compt.  rend.  188.  p.  1477. 


36  Planeten. 

aufeinanderfolgenden  Positionen  die  relativen  Intensitäten  veischie» 
dener  Teile  eines  Klischees  variiert  und  hierdurch  die  schwachem 
Details  des  Bildes  leicht  sichtbar  gemacht  weiden. 

Die  erhaltenen  Spektren  zeigen  deutlich  fünf  der  Jupiteratmo- 
Sphäre  eigentümhche  Absorptionsstreifen;  sie  hegen  bei  X  618,  607, 
600,  578  und  516  und  entsprechen  den  Streifen,  die  Keeler  im  Uranus- 
spektrum beschrieben.  Femer  erscheinen  die  dem  Spektrum  des 
Wasserdampfes  entsprechenden  Streifen  und  der  Streifen  a  bedeutraid 
verstärkt.  Alle  Absorptionsstreifen  sind  verhältnismäßig  viel  inten- 
siver in  dem  Teile  des  Spektrums,  der  von  dem  sädhchen  Äquatorial- 
streifen Jupiters  herrührt,  welcher  in  diesem  Jahre  allein  breit  und 
stark  war. 

Die  hier  spektroskopisch  gewonnenen  Resultate  bestätigen  die 
von  den  Astronomen  ausgeführten  Okularbeobachtungen,  sowie  die 
aus  denselben  abgeleiteten  Schlüsse.  Zunächst,  daß  die  Atmosphäien 
der  Hauptplaneten  des  Sonnensystems  in  großen  Zügen  derjenigen 
der  Erde  ähnhch  sind  und  dieselben  Hauptbestandteile  enthalten  wie 
diese.  Die  schwachen,  neuen  Streifen,  welche  im  Jupiterspektrum 
sich  zeigen,  und  das  Vorkommen  des  Streifens  l  618,  der  schon  lange 
im  Spektrum  der  obem  Planeten  gefunden  war,  zeigen,  daß  femer  in 
den  Atmosphären  dieser  Welten  ein  Gras  vorhanden  ist,  das  in  denen 
der  untern  Planeten  nicht  oder  nur  in  sehr  geringen  Mengen  existiert. 
Hiermit  ist  eine  weitere  Verwandtschaft  zwischen  den  obem  Planeten 
außer  den  bereits  bekamiten  zu  verzeichnen. 

Veränderliche  Bewegung  des  roten  Fleekes  auf  dem  Jupiter. 

W.  F.  Denning  macht  darauf  aufmerksam  ^),  daß  die  Rotationsperiode 
dieses  Fleckes  während  der  letzten  Jahre  eine  merkwürdige  Verände- 
rung erhtten  habe.  Von  1877  bis  1900  nahm  die  Geschwindigkeit 
seiner  Bewegung  ununterbrochen  ab,  seitdem  trat  indessen  Zunahme 
ein,  und  diese  war  besonders  merklich  seit  dem  Jahre  1901.  Denning 
gibt  folgende  Tabelle  der  jovizentrischen  Länge  des  Fleckes  und  der 
entsprechenden  Botationsdauer  während  der  letzten  zehn  Jahre. 

Jfthr  lAngd     Botationsdanor 

1894 0«  9h  56«  41.0« 

1896 6  9  65  41.1 

1896 10  9  56  41.3 

1897 16  9  55  41.5 

1898 23  9  55  41.6 

1899 33  9  55  41.7 

1900 42  9  55  41.5 

1901 46  9  55  40.7 

1902 44  9  55  39.4 

1903 33  9  56  40.8 

1904  (bis  Augost)      .  32  9  56  39.3 

Seit  1900  sieht  man  in  der  südUchen  tropischen  Zone  des  Jupiter 
eine  große  dunkle  Masse,  die  sich  rascher  bewegt  als  der  rote  Fleck, 

1)  Obflervatoiy  1904.  p.  343. 


Planeten.  37 

z  indem  sie  ihre  Rotation  in  22  Sekunden  kürzerer  Zeitdauer  vollführt. 

c  Man  hat  vermutet,  daß  die  Bewegung  dieser  dunkeln  Masse  die  Be- 

wegung des  roten  Fleckes  beeinflusse,  und  Denning  stimmt  dieser  Ver- 
r  mutung  bei. 

Der  fflnfte  Jupitermond  ist  im  Sommer  1902  von  Bamard  am 
c  Yerkesrefraktor  beobachtet  worden,  nachdem  seit  1899  keine  Messun- 

H  gen  desselben  erhalten  werden  konnten.  ^)   Auch  dieses  Mal  waren  die 

:t  Messungen  wegen  des  südlichen  Standes  des  Planeten  schwierig.  Die 

i;  Dauer  des  siderischen  Umlaufes  des  SateUiten  ergibt  sich  mit  großer 

«  Genauigkeit  zu  11h  57m  22.7«.     Von  den  beiden  Bahnberechnungen 

desselben  durch  Tisserand^)  und  Dr.  Clohn*)  erwies  sich  die  erstere 
■g,  als  genauer.  Zwischen  den  Messungen  des  SateUiten  von  Bamard  und 

^  denjenigen  von  Hermann  Struve  zeigte  sich  eine  ausgesprochene 

^  systematische  Differenz. 

^  Rotationsdauer  des  Saturn.   Im  Jahre  1903  ist  auf  der  nördlichen 

^  Hemisphäre  des  Saturn  eine  Anzahl  heller  Flecke  sichtbar  gewesen, 

2  deren  Beobachtung  wesentliche  Beiträge  zur  Bestimmung  der  Ro- 

^  tationsdauer  dieses  Planeten  geUefert  hat.    Die  hellen  Flecke  wurden 

a  zuerst  von  Prof.  E.  £.  Bamard  am  40-Zoller  der  Yerkesstemwarte 

'^  gesehen,  und  es  scheint,  daß  wenigstens  einer  davon  während  der 

1^  ersten  zwei  oder  drei  Wochen  außerordentUch  hell  gewesen  ist.    Der- 

selbe wurde  frühestens  am  15.  Juni  gesehen,  aber  erst  am  23.  konnte 
er  wieder  beobachtet  werden,  und  eine  zweite  genauere  Beobcushtung 
t  geschah  in  der  darauf  folgenden  Nacht.    Unabhängig  hiervon  ent- 

t  deckte  F.  W.  Denning  in  der  Nacht  des  1.  Juli  einen  andern  hellen 

i  Fleck,  dem  eine  dunkle  Masse  folgte,  und  in  der  nämhchen  Nacht  sah 

f  diesen  hellen  Fleck  auch  J.  Comas  Sola  zu  Barcelona.    Die  folgenden 

r  Beobachtungen  lehrten,  daß  tatsächlich  eine  Anzahl  heller  Flecke  nahe 

t  in  der  gleichen  nördUchen  Breite  (36°)  auf  dem  Saturn  sichtbar  war, 

•'  von  denen  der  zuerst  gesehene  der  bei  weitem  hellste  war.    Die  beiden 

ersten  Beobachtungen  desselben  überzeugten  Prof.  Bamard  davon, 
daß  die  Rotationsdauer  entschieden  länger  als  10h  14m  sein  müsse, 
welche  Zeitdauer  die  Beobachtungen  des  Fleckes  von  1876  ergeben 
hatte.  Unabhängig  hiervon  hatte  Dr.  R.  Graff  in  Hamburg  bereits 
die  Dauer  der  Rotation  aus  den  Beobachtungen  Juni  23,  26  und 
Juli  4  zu  10b  39.01m  bestimmt.  Dieses  unerwartete  Resultat  wurde 
von  Comas  Sola  und  Denning  bestätigt,  und  eine  genauere  Unter- 
suchung aller  Beobachtungen  des  hellen  Fleckes  bis  Ende  August 
durch  Dr.  H.  C.  Wilson  dürfte  als  definitiven  Wert  der  Rotations- 
dauer: 10b  38  m  4.8s  ergeben.    Prof.  O.  W.  Hough  fand  dagegen  als 


1)  Afltron.  Joum.  1903. 

>)  Oompt.  lend.  11». 

»)  Astron.  Naohr.  Nr.  9403. 


38 

BotationsdAiier  10h  38m  18«  +  n  x  0.1856t,  wo  n  die  Zahl  der  Ro- 
(aüoiien  seit  Juni  27.  Dieses  letztere  Ergebnis  wnide  vaa  Deasnug 
bestritten  und  auf  unrichtige  Identifizierung  der  kleinen  hellen  Flecke 
zurückgeführt.  In  der  Tat  ist  es  schwierig,  die  Fleckch^i  bei  ihrem 
Wiedererscheinen  auf  der  der  Erde  zugekehrtoi  Seite  der  Saturn- 
Scheibe  genau  wieder  zu  erkennen.  Im  Mittel  aus  den  Beobachtung^ 
Ton  15  hellen  und  dunkeln  Flecken  während  der  Monate  Juli  bis  De- 
zember ergab  sich  eine  Botationsdauer  von  10h  37  m  56i.  Eb  kann 
jedenfalls  kein  Zweifel  daran  sein,  daß  der  zuerst  von  Bamard  ent- 
deckte helle  Fleck  zu  einer  voUen  Rotation  nahezu  10b  38m  bedurfte, 
erheblich  mehr  als  die  früher  bestimmte  Botationsdauer.  Von  den 
altem  Beobachtungen  sind  nur  die  eines  hell«i  Fleckes  auf  der  sud- 
lichen Hemisphäre  des  Saturn  in  40  oder  50^  sudL  Br.  durch  Dawes 
bekannt,  aus  denen  eine  Rotation  von  etwa  10h  24m  folgt.  Sonach 
ergibt  sich,  daß  auf  dem  Saturn  gleich  wie  auf  dem  Jupiter  eine  große 
äquatoriale  Strömung  von  beträchtlicher  Geschwindigkeit  vorband^ 
ist,  und  zwar  in  der  Richtung  der  Umdrehung  des  PlaneteiL  Dieselbe 
beträgt  auf  dem  Saturn  etwa  1300  bii  1400  km  pro  Stunde,  auf  dem 
Jupiter  400  hß,  ein  merkwürdiges  und  überraschendes  Resultat. 
Denn  wenn  auch  die  oberflächlichen  Teile  des  Saturn  wahrscheinhch 
in  einem  flüssigem  (weniger  dichten)  Zustande  sein  sollten  als  die  auf 
dem  Jupiter,  so  ist  doch  eine  stärkere  Bewegung  derselben  (in  der 
großem  Entfemung  der  Sonne)  a  priori  nicht  sehr  wahrscheinlich. 

Der  Satumsmond  Phöbe  ist  durch  neue  Aufnahmen  auf  der  Aie- 
quipastation  der  Harvardstemwarte  seit  dem  Frühlinge  1900  definitiv 
nachgewiesen  worden.  ^)  Im  ganzen  wurden  bis  1902  60  Aufnahmen 
des  Saturn  und  seiner  Umgebung  gemacht,  von  denen  42  den  Satelliten 
zeigen.  Eine  merkwürdige  und  unerwartete  Tatsache  stellte  sich  bei 
der  genauen  Untersuchung  heraus,  daß  dieser  Mond  des  Saturn  rück- 
läufig ist,  während  die  andern  acht  Satummonde  rechtläufig  sind 
Folgende  Bahnelemente  des  neunten  Satelliten  wurden  abgeleitet: 

Umlaufsdauer 546.4  Tage 

Exzentrizität  der  Bahn 0.22 

Neigung  der  Bahn  gegen  die  Ekliptik   .        5.1® 
Neigung  der  Bahn  gegen  die  Satumsbahn        6.0® 

Lange  dee  aufsteigenden  KnoteDS     .     .  220® 

Lange  des  Perisatumiums 289.7 

Epoche  1900  März 28.0  M.  G.  Z. 

Infolge  der  großen  Exzentrizität  der  Bahn  variiert  der  Abstand 
des  Trabanten  vom  Zentrum  des  Saturn  zwischen  6  210  000  und 
974  000  Meilen.  Die  scheinbare  Helligkeit  von  Phöbe  ist  14.0  Größe, 
der  wahre  Durchmesser  kann  daher  nicht  viel  von  200  Meilen  ver- 
schieden sein.  Der  neue  Trabant  ist  von  Bamard  am  40-Zoller  der 
Yerkesstemwarte  aufgesucht  *)  und  am  8.  August,  sowie  am  3.  und 

1)  Harvard  CoUege  Observatory  63.  IH.  —  Sirius  1905.  Heft  1. 

•)  Astron.  Naohr.  Nr.  3969. 


Planeten.  39 

12.  September  tatsächlich  gesehen  worden.  Bamard  schätzte  die 
Helligkeit  desselben  August  8  zu  16.5  bis  16.  Größe,  September  12 
zu  16.7  Größe. 

Die  Spektren  des  Uranus  und  Neptun  sind  von  V.  M.  Slipher 
untersucht  worden.  ^)  Es  wurde  dabei  der  große  Spektrograph  des 
Lowellobservatoriums  am  24-zöUigen  Refraktor  benutzt.  Vom  Spek- 
trum des  Neptun  wurden  zwei  gute  Photographien  erhalten.  Die 
lineare  Dispersion  beträgt  für  die  Entfernung  zwischen  F  und  der 
Mitte  von  H  und  K  nur  11  mm,  die  Aufnahmen  geschahen  auf  iso- 
chromatischen Platten  nit  Expositionen  von  14  und  21  Stunden. 
Auf  der  ersten  Platte,  welche  viel  Detail  zeigt,  erstreckt  sich  das 
Spektrum  von  der  Linie  D  bis  ^  4400,  die  zweite,  länger  exponierte 
zeigt  das  Spektrum  von  D  bis  X  4300.  Die  Aufnahme  I  zeigt,  wie 
wenig  das  Spektrum  des  Neptun  dem  der  Sonne  gleicht.  Es  erscheint 
abnorm  hell  bis  zum  Violett  der  b- Gruppe,  als  wenn  der  Planet  ein 
gewisses  eigenes  Licht  ausstrahle,  doch  ist  der  Kontrast  sehr  wahr- 
scheinlich den  starken  Absorptionsbanden  zuzuschreiben.  Eine 
starke,  schmale  Linie  bei  F  ist  sichtUch  die  Wasserstofflinie  H/3.  Die 
zweite  Platte  zeigt  noch  die  Wasserstofflinie  H  z-  Das  Spektrum  des 
Uranus  erscheint  auf  einer  der  Platten  bis  nahe  zur  Linie  D.  Es  zeigt 
eine  Linie  in  der  Position  der  Heliumlinie  D3,  die  vielleicht  reell  ist, 
und  endigt  plötzUch  bei  X  501.  Die  Linie  F  ist  stärker  im  Uranus- 
spektrum als  im  Spektrum  des  Mondes,  aber  nicht  so  stark  wie  im 
Spektrum  des  Neptun;  ebenso  sind  die  Banden  bei  den  Wellenlängen 
X  610,  543  und  577,  welche  beiden  Planeten  gemeinsam  sind,  im 
Neptunspektrum  stärker  als  in  dem  des  Uranus,  doch  ist  der  Ursprung 
dieser  Banden  nicht  bekannt. 

Der  Mond. 

Der  photographisehe  Mondatlas  der  Pariser  Sternwarte,  welcher 
unter  Leitung  des  Direktors  der  Pariser  Sternwarte  M.  M.  Loewy  und 
M.  P.  Puiseuz  herausgegeben  wird,  ist  bis  zur  Ausgabe  der  sechsten 
Lieferung  fortgeschritten.  Dieser  Lieferung  enthalt  außer  dem  Texte 
und  einer  Phasenkarte  sechs  vergrößerte  Heliogravüren  nach  Auf- 
nahmen aus  den  Jahren  1897,  1899  und  1901.  Es  ist  unzweifelhaft, 
daß  diese  Mondkarten  alle  andern  nicht  darauf  basierenden  Mond- 
kartierungen  völlig  überflüssig  machen.  Weitere  Arbeiten,  die  an  den 
verschiedenen  Stellen  ins  Detail  eingehen,  können  sich  nur  auf  diesen 
Karten  aufbauen.  Die  Herausgeber  kommen  in  dem  erläuternden 
Texte  zu  den  einzelnen  Blättern  zu  dem  Ergebnisse,  daß  die  Mond- 
oberfläche, wie  sie  uns  erscheint,  das  Ergebnis  einer  bestimmten  Ent- 
wicklungsreihe ist,  die  durch  Intervalle  von  Ruhe  in  einzelne  Phasen 
abgetrennt  wird.    Nach  ihrer  Anschauung  zeigt  die  Umgebung  des 

1)  LoweU  Obeervatory  Bulletin  Nr.  13. 


40  Mond. 

Sädpok  des  Mondee  einen  der  früheeten  Zustande  nach  der  Elr- 
starrang  der  Oberfläche.  Dag^en  datieren  die  Meere  der  äquato- 
rialen Regionen  aus  weit  jüngerer  Epoche.  Die  großen  ringförmigen 
Formationen  sind  meist  alter  als  die  Maren,  nur  wenige  mögen  nach 
diesen  entstanden  sein;  die  eruptiven  Kräfte  der  jungem  Zeit  haben 
nur  kleine  und  kleinste  Formationen  geschaffen,  die  zuletzt  den  irdi- 
schen Vulkanen  ähnlich  sind.  Wer  den  Mond  hinlänglich  aus  eigener 
Anschauung  kennt,  kann  diesen  Schlußfolgerungen  wohl  zustimm^i. 

Der  photographische  Mondatlas  von  Wlliam  H.  Piekering.  Der- 
selbe ist  in  den  Annalen  der  Harvardstemwarte  erschienen,  80  Blatter 
umfassend.  Schon  früher  hatte  Prof.  William  Pickering  auf  die  Vor- 
teile hingewiesen,  welche  ein  Teleskop  von  12  bis  15  Zoll  Öffnung  und 
einer  sehr  langen  Brennweite  von  ein  paar  hundert  Fufi  für  die  photo- 
graphische Aufnahme  des  Mondes  darbieten  würde.  Diesen  Plan 
auszuführen,  bot  sich  dank  der  Liberalität  zweier  Freunde  der  Astro- 
nomie (die  ihre  Namen  nicht  genannt  wünschen)  im  Jahre  1900  Ge- 
legenheit. Die  zur  Verfügung  gestellte  Geldsumme  gestattete  die 
Herstellung  emes  Objektivs  von  30  cm  (12  engl.  Zoll)  Öffnung  und 
einer  Brennweite  von  41.25  m  (135.3  engl.  Fuß).  NatürUch  mußte 
bei  einem  Objektiv  von  dieser  ungeheuem  Brennweite  der  Tubus 
eine  feste,  unbewegUche  Lage  erhalten,  während  das  licht  der  zu 
photographierenden  Objekte  durch  einen  bewegUchen  Spiegel  in  das 
Femrohr  geschickt  wurde.  Eine  Expedition  nach  der  Insel  Jamaica, 
auf  der  ein  5-zölliger  Refraktor  an  verschiedenen  Stationen  zur  Prü- 
fung der  Luftverhaltnisse  aufgestellt  worden  war,  hatte  ergeben,  daß 
dort  während  des  Sonmiers  äußerst  günstige  Luftverhältnisse  herr- 
schen, und  es  stand  zu  hoffen,  daß  solches  auch  in  den  Wintermonaten 
der  Fall  sein  werde,  die  dort  vielfach  wolkenloses  Wetter  bringen. 
Doch  ergaben  später  die  Erfahrungen,  daß  zu  astronomischen  Zwecken 
die  Luft  im  Winter  zwar  gut,  aber  weniger  vorzügUch  als  während  des 
Sommers  ist.  Im  Oktober  1900  kam  Prof.  William  Pickering  mit 
seinem  Begleiter  zu  MandeviUe  auf  Jamaica  an  und  errichtete  seine 
Station  zwei  Meilen  östhch  von  dieser  Stadt  auf  dem  Landgute  Wood- 
lawn  (18°  1'  nördl.  Br.,  6h  lOm  2.6«  m.  L.  v.  Gr.)  2080  engl.  Fuß  über 
dem  Seespiegel.  Schon  am  31.  Dezember,  wenige  Minuten  nach  Beginn 
des  neuen  Jahrhunderts,  konnte  der  erste  Blick  durch  das  Teleskop 
geschehen,  und  acht  Tage  später  wurde  die  ersts  Mondphotographie 
erhalten.  Die  erste  vöUig  brauchbare  photographische  Aufnahme  des 
Mondes  geschah  am  29.  Januar,  die  letzte  am  31.  August  1901,  so  daß 
das  gesamte  Material  in  sieben  Monaten  erhalten  wurde.  Leider 
erwies  sich  der  Spiegel  nicht  fehlerfrei,  indem  er  nicht  vollkommen 
eben  war,  und  dieser  fatale  Umstand  zwang  dazu,  die  benutzbare  Öff- 
nung des  Femrohres  auf  150  mm  (6  eng.  Zoll)  zu  reduzieren.  Indessen 
wurde  dieser  ungünstige  Umstand  durch  die  lange  Brennweite  des 
Objektivs  einigermaßen  kompensiert,  und  nach  Prof. Pickerings  Angabe 


Mond«  4X 

sind  die  besten  von  ihm  erhaltenen  Photographien  denjenigen  der 
Pariser  Sternwarte,  die  mit  einem  Objektiv  von  540  mm  (26  Zoll) 
Durchmesser  erhalten  wurden,  an  Schärfe  vergleichbar.  Die  Wieder- 
gabe der  Platten  in  dem  Mondatlas  ist  in  dem  Maßstabe  von  35  bis 
40  cm  für  den  Monddurchmesser,  so  daß  1  mm  =  5  Sekunden  im  Bogen 
umfaßt,  wobei  viele  feine  Details  verloren  gegangen  sind.  Was  die  An- 
ordnung der  Karten  betrifft,  so  wurde  die  sichtbare  Mondscheibe 
senkrecht  zum  Äquator  in  acht  gleichbreite  Streifen  zerlegt,  die  vom 
Äquator  in  der  Mitte  durchschnitten  16  Regionen  ergeben,  von  denen 
acht  die  nördliche  und  acht  die  südliche  Hälfte  der  Mondscheibe  um- 
fassen. Die  Aufnahmen  geschahen  soweit  als  tunlich  bei  den  gün- 
stigsten Ldbrationen  des  Mondes,  damit  die  Gegenden  10  bis  20^  vom 
Rande  entfernt  so  gut  als  mögUch  zur  Darstellung  kommen  konnten. 
Die  Polargegenden  des  Mondes  sind  nicht  zur  2#eit  des  Vollmondes, 
sondern  wenn  der  Mond  nahe  den  Vierteln  ist,  am  besten  sichtbar. 
Zur  Zeit  des  Vollmondes,  wenn  die  Idbration  in  Breite  beträchtlich 
ist,  bleibt  der  eine  Pol  von  der  Erde  abgewandt,  während  die  Gegen- 
den um  den  andern  im  Schatten  liegen.  Obgleich  unter  diesen  Ver- 
hältnissen die  Sonnenhöhe  für  den  sichtbaren  Mondpol  am  größten 
ist,  1.5^,  so  kann  dennoch  dieser  Pol  selbst  sowohl  ab  seine  Umgebung 
besser  gesehen  weiden  bei  niedrigem  Sonnenstande,  wenn  die  Rich- 
tung der  Erleuchtung  südlich  ist.  Der  Ost-  und  Westrand  des  Mondes 
kann  an  der  Lichtgrenze  nur  gut  gesehen  werden  bei  Vollmond.  Auf 
einer  Darstellung  des  Mare  Imbrium  bei  Abendbeleuchtung  sieht  man 
die  Regionen  um  den  Mondrand  und  viele  Berge  des  Apenninen- 
gebirges  sehr  glänzend,  wie  solches  immer  bei  dieser  Beleuchtung  der 
Fall  ist.  Prof.  Pickering  erklärt  diese  weiße  Färbung  für  Schnee, 
worin  Prof.  Klein  ihm  nicht  beistimmen  kann.  Er  macht  femer  auf  die 
dunkeln  Flecke  im  Atlas  und  Herkules  aufmerksam,  die  er  auf 
Vegetation  zurückführt  und  damit  die  Veränderlichkeit  dieser  Flecke 
erklärt.  Weit  größere  Veränderungen  in  Farbe  und  Gestalt  dunkler 
Flecke  hat  Klein  früher  in  den  mitÜemRegionen  der  Mondscheibe  nach- 
gewiesen, doch  möchte  er  dieselben  nicht  ohne  weiteres  vegetativen 
Vorgängen  zuschreiben.  Die  Anzahl  der  großen  und  kleinsten  Ejrater, 
die  unter  günstigen  Umständen  für  uns  sichtbar  sind,  schätzt  Prof. 
W.  Pickering  auf  mehr  ab  200  000,  aber  geringer  als  1  000  000. 

Die  photographische  Mondkarte  von  Prof.  W.  Pickering  ist  eine 
längst  erstrebte  Ergänzung  der  gezeichneten  Mondkarten,  sogar  die 
einzige  bis  jetzt  vorhandene,  welche  die  ganze  Mondoberfläche  und 
dazu  unter  fünf  verschiedenen  Beleuchtungswinkeln  umfaßt. 

NeubUdung  auf  dem  Monde.  Prof.  WiUiam  Pickering  macht  die 
Mitteilung,  daß  von  ihm  auf  der  innem  Fläche  der  Wallebene  Plato 
eine  Neubildung  konstatiert  worden  ist.  Er  sah  dort  am  31.  Juli 
ein  helles,  dunstiges  Objekt  von  etwa  4000  m  im  Durchmesser,  das 
in  der  Zeit  vom  21.  bis  28.  Juli  nicht  gesehen  worden  war.     Am 


42  Mond. 

2.  August  ersohien  an  Stelle  des  hellen  Fleckes  ein  dunkler,  lan^ch- 
runder  Schatten,  ähnlich  einem  Krater  mit  einem  Durchmeeeer  von 
ungefähr  3000  m,  und  nördlich  wie  nordöstlich  davon  ein  großer 
weißer  Fleck.  Das  Objekt  befindet  sich  in  der  Nahe  eines  sehr 
keinen,  schon  früher  bekannten  Kraters,  der  in  der  Pickeringschen 
Spezialkarte  der  Fläche  des  Plato,  welche  auf  Tafel  XII  des  „Sirius^', 
Jahrgang  1901,  reproduziert  ist,  die  Nummer  3  trägt.  Ein  T^e- 
gramm  vom  22.  August  bestätigt  die  Wahrnehmung  und  enthalt  die 
Angabe,  daß  der  neue  Krater  einen  Durchmesser  von  etwa  drei  eng- 
lischen Meilen  (ungefähr  6000  m)  zeigt,  und  daß  die  helle  Fläche 
sich  seit  dem  3.  August  merklich  verändert  habe.  Weitere  Beob- 
achtungen werden  zeigen,  wie  es  sich  mit  diesem  Ejrater  verhält; 
nach  den  Wahrnehmungen  aller  frühem  Selenographen  ist  ein  ahn- 
liches Objekt  vordem  dort  nicht  sichtbar  gewesen. 

Die  vulkanischen  Bildungen  der  M ondoberflftehe  waren  G^en- 
stand  einer  Untersuchung  von  Prof.  Klein.  ^)  Als  Ergebnis  sein» 
dreißigjährigen  Beobachtungen  hebt  er  zunächst  die  Tatsache  hervor, 
daß  zwischen  den  Formationen  der  Mondoberfläche  und  den  heutigen 
Vulkanbildungen  der  Erde  im  allgemeinen  keine  Ähnlichkeit  besteht. 

Besäße  die  Mondoberfläehe  Millionen  von  Kratern,  jeder  so 
groß  wie  der  Durchmesser  des  Kraters  auf  dem  Eruptionsk^el  des 
Vesuv,  so  würden  wir  von  der  Erde  aus  selbst  mit  den  größten  Tele- 
skopen nicht  einen  davon  wahrnehmen  können;  dagegen  kann  uns 
auch  an  gewöhnlichen  Ferngläsern  ein  Berg  von  dem  Umfange  und 
der  Höhe  des  Vesuv  auf  dem  Monde  in  keiner  Weise  entgehen.  Auch 
die  £a*ateröffnung  des  Ätna  wäre  von  der  Erde  aus  auf  dem  Monde 
nicht  zu  erkennen,  wohl  aber  würde  der  ganze  Berg  sich  als  imposantes 
Objekt  darstellen.  Ebenso  hohe  und  ebenso  isoherte  Kegel  finden  sich 
aber  auf  dem  Monde  nur  sehr  selten.  Die  Formationen  der  Mondober- 
fläche sind  also  von  denjenigen  der  Erde  toto  genere  verschieden,  und 
die  von  vielen  Qeologen  behauptete  Übereinstimmung  der  irdischen 
mit  den  lunaren  Kratern  beschränkt  sich  im  allgemeinen  auf  die 
nahezu  kreisförmige  Gestalt  der  Offnungen.  Nur  bei  einer  gewissen 
Klasse  von  sehr  kleinen  Kratern  ist  die  Ähnlichkeit  mit  den  irdischen 
Vulkanen  in  der  äußern  Gestalt  ausgeprägt,  aber  diese  Gebilde  sind 
auf  dem  Monde  durchweg  minimal,  und  der  Nachweis  ihres  Vor- 
handenseins ist  hauptsächUch  erst  durch  die  Beobachtungen  von 
Jul.  Schmidt  und  Prof.  Klein  erbracht  worden.  Auf  den  Mond- 
photographien  zeigt  sich  davon  keine  Spur. 

Wollte  man  annehmen,  daß  in  einer  gewissen  Periode  der  Vor- 
zeit solche  große  lunare  Formen  auch  auf  der  Erde  als  vulkanische 
Gebilde  vorhanden  gewesen  seien,  und  zwar  um  die  Analogie   aus- 


1)  Gaea  1904,  p.  393.    Koemischer  u.  irdiBoher  Vulkanismus  von  Prof. 
Klein,  Leipzig  1904. 


Mond.  43 

reiohend  zu  machen,  in  verhältnismäßig  ebenso  großer  Anzahl  wie 
auf  dem  Monde,  so  müßte  man  ein  Maß  von  Zerstörung  dieser  Ge- 
bilde durch  die  Atmosphärilien  annehmen,  für  welches  wir  sonst 
keine  Andeutung  besitzen.  Wenn  auch  der  Mond  jünger  ist  als  die 
Eide,  und  wenn  er  auch  gegenwärtig  weder  Wasser  noch  Luft  in 
nennenswerter  Weise  mehr  an  seiner  Oberfläche  besitzt,  so  weicht 
doch  die  typische  Form  seiner  Oberflächengebilde  so  vöUig  von  der- 
jenigen der  Erdoberfläche  ab,  daß  man  ohne  Willkür  nicht  annehmen 
kann,  diese  Verschiedenheit  sei  innerhalb  der  hier  überhaupt  zu- 
lässigen Zeiträume  lediglich  durch  Nivellierung  auf  der  Erde  ent- 
standen. Dies  um  so  weniger,  als  eine  Verwandtschaft  der  jüngsten 
vulkanischen  Gebilde  des  Mondes  mit  den  Vulkanen  der  Erde  sich 
tatsächlich  aufdrängt.  Anderseits  zweifelt  kein  Kenner  des  Mondes 
daran,  daß  die  dortigen  großen  Formationen  durch  solche  Kräfte 
entstanden  sind,  welche  wir  auf  der  Erde  vulkanische  nennen,  wo- 
nach der  Schluß  unabweisbar  wird,  daß  der  irdische  und  der  kos- 
mische (lunare)  Vulkanismus  sich  in  sehr  verschiedener  Art  und  Weise 
geltend  gemacht  haben. 

Als  Ursache  dieser  Verschiedenheit  weist  Verf.  die  fluterzeugende 
Einwirkung  der  Erde  auf  die  glühendflüssige  Mondmasse  nach.  Die 
störende  Wirkung  der  Erde  auf  die  glühendflüssige  Mondmasse  be- 
wirkte in  dieser  ein  Emporsteigen  der  innem,  heißen  Materie,  d.  h. 
gestaltete  dieselbe  ausbruchsfähiger,  und  zwar  ist  diese  Einwirkung 
nach  Zeit  und  Ort  von  sehr  veränderhcher  Intensität.  Auch  zeigt 
die  Laplacesche  Theorie  der  Ebbe  und  Flut,  sobald  sie  auf  den  Um- 
stand ausgedehnt  wird,  daß  bei  diesen  Oszillationen  der  Gleich- 
gewichtszustand erstrebt,  aber  tatsächlich  nie  erreicht  wird,  daß  die 
gesamte  Schwankung  sich  aus  mehrem  Oszillationen  mit  verschie- 
denen Perioden  zusammensetzt,  so  daß  nicht  nur  sehr  beträchtliche, 
sondern  auch  überaus  komplizierte  Bewegungen  der  flüssigen  Mond- 
materie  entstehen  mußten,  alle  aber  mit  der  schließlichen  Wirkung: 
heißflÜBsige  Materie  aus  tiefen  Schichten  in  höhere  zu  bringen,  d.  h. 
deren  Ausbruchsfähigkeit  zu  vermehren. 

Die  Mondmaterie  aber  muß,  als  unser  Trabant  nahezu  in  seine 
heutige  Entfernung  von  der  Erde  gelangte,  noch  heißflüssig  gewesen 
sein,  weil  er  andernfalls  in  der  Richtung  gegen  die  Erde  hin  eine  meß- 
bare Verlängerung  besäße.  Die  Formen  seiner  festen  Obeifläche  haben 
sich  also  erst  herausgebildet,  als  der  Mond  schon  nahe  seine  heutige 
Entfernung  von  der  Erde  besaß.  Diese  Schlußfolgerungen  enthalten 
nichts  Hypothetisches,  sie  sind  lediglich  der  Ausdruck  der  mathe- 
matischen Untersuchungen. 

Wegen  der  einzelnen  Details  muß  auf  die  Schrift  des  Veif .  ver- 
wiesen werden.  Die  Schlußfolgerungen,  zu  denen  er  kommt,  formu- 
liert er  dahin:  1.  daß  auf  dem  Monde  vulkanische  Vorgänge  von  un- 
gleich großartigerm  Charakter  erfolgt  sind  als  jemals  auf  der  Erde, 
2.  daß  der  Sitz  der  vulkanischen  Kraft  in  der  glühenden  Materie  des 


44  Mond. 

Mondinnem  sich  befand,  3.  daß  die  Ungeheuern  vulkanischen  Wir- 
kungen, welche  die  Mondoberflache  im  Gegensatze  zur  Erdoberflache 
offenbart,  ledigUch  eine  Folge  der  starkem,  fluterzeugenden  Kraft 
sind,  welche  die  Erde  auf  dem  Mond  ausübte,  und  indirekt:  4.  daß  die 
vulkanische  Kraft  der  Erde  ebenfalls  der  ursprünglich  Ruhend- 
flüssigen  Materie  des  Erdinnem  entstammt,  und  diese  Kraft  auf  der 
Erde  sowohl,  als  auf  dem  Monde  bis  zur  Gegenwart  stetig  an  In- 
tensität abgenommen  hat.  Der  tellurische  Vulkanismus  ist  eine 
Wirkung  des  Bestes  der  kosmischen  Glut,  in  der  sich  voreinst  die 
Gesamtmasse  der  Erde  befand,  imd  sein  Ursprung  hegt  in  dem  ur- 
sprüngUchen  Ballungsakte  der  Materie.  Dieses  ist  die  unabweisbare 
Schlußfolgerung,  zu  welcher  eine  möglichst  hypothesenfreie  Unter- 
suchung der  Vulkanphanomene,  welche  der  Mond  darbietet,  be- 
züglich der  Erde  führt. 

Kometen. 

Die  Kometenerseheinungen  des  Jahres  1908*  Prof.  H.  Kreutz 
gab  ^)  eine  Zusammenstellung  der  Kometenbedeckungen  und  Beob- 
achtungen des  Jahres  1903,  der  folgendes  entnonmien  ist. 

Komet  1902  HI  (1902b).  Auf  der  Nordhalbkugel  ist  der 
Komet  vor  dem  Verschwinden  in  den  Soimenstrahlen  außer  auf  der 
Lickstemwarte  auch  von  Howe  in  Univeraity  Park  (Golo.)  am 
17.  Nov.  zum  letzten  Male  beobachtet  worden.  Auf  der  Südhalb- 
kugel, wohin  sich  der  Komet  nach  dem  Perihel  wandte,  konnte  am 
11.  Dez.  in  Santiago  die  erste  Ortsbestimmung  angestellt  werden; 
der  Komet  wurde  in  Cordoba  endlich  bis  zum  5.  März  verfolgt.  In- 
zwischen war  derselbe,  nachdem  er  am  19.  Januar  mit  —  46^  die 
südlichste  Deklination  erreicht  und  wieder  seinen  Lauf  gen  Norden 
gerichtet  hatte,  auch  auf  der  nördhchen  Halbkugel  abermals  sicht- 
bar geworden.  Die  südlicher  gelegenen  Sternwarten  Mt.  Hamilton 
und  Universitär  Park  konnten  schon  am  29.  Januar  Beobachtungen 
anstellen;  im  übrigen  beginnen  die  Ortsbestimmungen  erst  gegen 
Anfang  oder  Mitte  Februar.  In  dieser  zweiten  Sichtbarkeitsperiode 
hatte  der  Komet  die  Helligkeit  eines  Sternes  11.  bis  12.  Größe. 
Wirtz  in  Straßburg  schildert  ihn  als  zerflossene,  rundliche  Nebelscheibe 
mit  einer  mäßig  ausgeprägten  Verdichtung.  Länger  als  bis  Ende 
März  haben  wegen  zunehmender  Lichtschwäche  sich  die  Beob- 
achtungen nicht  fortsetzen  lassen;  die  letzte  Ortsbestimmung  hat 
Howe  in  Univerity  Park  am  30.  März  angestellt.  Am  27.  April  war 
im  36-Zöller  der  Lickstemwarte  keine  Spur  des  Kometen  mehr  zu 
erbhcken. 

Aus  der  ersten  Sichtbarkeitsperiode  ist  nachträgUch  noch  außer 
zahlreichen  Ortsbestimmungen  eine  größere  Anzahl  von  Mitteilungen 


^)  ViorteLjahrasohr.  d.  astron.  des.  39.  p.  42. 


Kometen.  45 

über  die  Helligkeit  und  das  Aussehen  des  Kometen  veröffentlicht 
worden.  Besonders  eingehende  visuelle  Beobachtungen  in  dieser 
Hinsicht  haben  Holetschek  in  Wien  (A.  N.  161.273)  und  Nijland  und 
V.  d.  Bilt  in  Utrecht  (162.44)  angestellt.  Von  großer  Wichtigkeit 
sind  femer  die  photographischen  Aufnahmen  auf  der  Lickstem- 
warte  (Lick  Obs.  Bull.  42  und  Publ.  of  the  Astr.  Soc.  of  the  Pacific 
15.149),  von  J.  Roberts  (Knowledge  26.9),  in  Meudon  (C.  B.  136.696) 
und  auf  der  Sternwarte  in  Dorpat  (162.101).  Auf  den  Lickphoto- 
graphien  ist  die  Zunahme  des  Schweifes,  der  anfangs  kaum  angedeutet 
ist,  mit  der  Annäherung  aus  Perihel  deuthch  zu  verfolgen;  gegen 
Ekide  Oktober  hatte  er  sich  bis  an  den  Band  der  Platte  in  einer  Ent- 
fernung von  11°  ausgedehnt.  Spektroskopisch  ist  der  Komet  am 
24.  Okt.  von  de  la  Baume  Pluvinel  (C.  B.  136.743  und  Bull,  de  la  soc. 
astr.  de  France  17.117)  beobachtet  worden.  Es  zeigten  sich  die  ge* 
wohnlichen  drei  Kometenbander  mit  völliger  Abwesenheit  des  kon- 
tinuierlichen Spektrums. 

Die  folgenden  Elemente  von  Aitken  unterscheiden  sich  nur  un- 
wesentlich von  den  im  vorigen  Bericht  mitgeteilten  Strömgrenschen, 
sind  aber  aus  einer  großem  Zwischenzeit,  von  Sept.  1  bis  Nov.  1,  ab- 
geleitet. 

T  =  1902  Nov.  23.8923Ö  M.  Z.  Berlin,  a>  =  162°  67'  60.5'  1902.0, 
ß  =  49°  2V  17.3'  1902.0,  i  =  166°  21'  6.1'  1902.0,  log  q  =  9.603212. 

Komet  1903  I  (1903  a),  entdeckt  von  Giacobini  in  Nizza  am 
16.  Januar  1903  in  23b  +l°als  eine  kleine  Nebelmasse  10.  Größe 
ohne  Schweif.  Infolge  abnehmender  Entfernung  von  Erde  und 
Sonne  nahm  die  Helligkeit  rasch  zu.  Gegen  Ende  Februar  besaß 
der  Komet  schon  die  Helligkeit  des  Andromedonebels  und  erreichte 
Anfang  März  die  fünfte  Größenklasse.  Leider  näherte  er  sich  immer 
mehr  dem  TagesUchte,  so  daß  er  im  März  nur  noch  in  der  Abend- 
dämmerung beobachtet  werden  konnte.  Die  letzten  Ortsbestim- 
mungen smd  am  19.  März  in  Genf  und  Kasan  angestellt  worden. 

Eine  Schweifentwicklung,  die  überhaupt  erst  Ende  Februar 
einsetzte,  hat  nur  in  beschränktem  Maße  stattgefunden,  doch  hat 
immerhin  auf  den  von  Qu6nis8et  aufgenommenen  Photographien 
(BuU.  de  la  soc.  astr.  de  France  17.160,  206)  trotz  des  tiefen  Standes 
des  Kometen  die  Schweiflänge  bis  zu  4°  betragen,  während  visuell 
der  Schweif  nicht  über  1°  hinaus  verfolgt  werden  konnte.  Hand  in 
Hand  mit  der  Schweifentwicklung  ging  die  Kondensation  des  an- 
fangs sehr  unscheinbaren  Kernes,  der  sich  allmählich  zu  einem 
stemähnlichen  Punkte  von  2^  bis  3'  Durchmesser  verdichtete. 

Nach  dem  Perihel  ist  der  Komet  noch  eine  Zeitlang  auf  der 
Südhalbkugel  sichtbar  gewesen.  Im  Einklänge  mit  der  .theoretischen 
Helligkeit  schildert  ihn  David  Boss  in  Melbourne  ( Joum.  of  British 
Astr.  Ass.  14.77)  April  9  als  hell  und  soeben  mit  bloßem  Auge  zu  er- 
kennen, während  im  Gegensatze  hierzu  die  Beobachter  auf  der  ELap- 
stemwarte  bei  Gelegenheit  der  von  April  6  bis  Mai  4  reichenden 


46  Kometen. 

Ortsbestimmungen  —  der  einzigen,  die  wir  von  der  Südhalbkngel 
besitzen  —  den  Kometen  ausdrücküoh  als  sehr  schwach  bezeichne 

Die  folgenden  Elemente  von  Ebell  sind  aus  sechs  Beobachtungen 
von  Jan.  19  bis  März  9  abgeleitet  worden  und  werden  sich  nur  noch 
wenig  von  den  definitiven  entfernen: 

T  =.  1903  März  16.03160  M.  Z.  Berün,  a>  =  133°  41'  ir.T  1903.0. 
ß  «  2°  17'  66.  r  1903.0,  i  =  30°  Ö6'  28.8^  1903.0,  log  g  =  9.613450. 

Komet  1903 II  (1902 d).  Die  im  vorigen  Berichte  ausge- 
sprochene Vermutung,  daß  die  Beobachtungsdauer  des  Kometen 
eine  ungewöhnlich  lange  sein  würde,  hat  sich  nicht  in  vollem  Um- 
fange bestätigt.  Bis  Ende  Februar  1903  ist  allerdings  die  HeUigkmt 
ziemlich  konstant  11  bis  12.  Größe  geblieben ;  dann  aber  hat  sie 
rasch  abgenommen,  so  daß  selbst  die  Beobachtungen  auf  der  Lick- 
stemwarte  nicht  über  den  26.  Juni  hinaus  sich  erstrecken  konnten. 
Der  Komet  war  an  diesem  Tage  als  ein  Objekt  13.6  Größe  mit 
einem  Kerne  16.  Größe  und  einem  Durchmesser  von  2^  im  36-Zöller 
noch  soeben  zu  erkennen. 

Die  folgenden  Elemente  von  Aitken,  abgeleitet  aus  Dez.  6,  30, 
Jan.  17.  mögen  der  Vollständigkeit  wegen  hier  Platz  finden,  obwohl 
sie  kaum  genauer  als  die  im  vorigen  Berichte  mitgeteilten  Risten- 
partschen  sein  werden. 

T  =  1903  März  23.31679  M.  Z.  Berlin,  co  =  6^  46'  4.4'  1903.0. 
^  =  117°  28'  O.O'  1903.0,  i  =  43°  63'  67.9^  1903,0, 1(^.  q  =  0.443156. 

Komet  1903  III  (1903b),  entdeckt  April  17  von  Grigg  in 
Thames,  Neuseeland.  Die  ersten  Beobachtungen  auf  dem  australi- 
schen Festlande  wurden  von  Tebbutt  in  Windsor  April  27,  30  und 
Mai  2  ausgeführt.  Die  Helligkeit  des  an  sich  schwachen  und  kern- 
losen Nebels,  der  schon  Ende  März  sein  Perihel  passiert  hatte,  nahm 
rasch  ab,  so  daß  Tebbutt  seine  Beobachtungen  schon  am  28.  Mai 
abbrechen  mußte.  Mit  dem  gleichen  Tage  schließen  die  mit  dem 
4.  Mai  begonnenen  Beobachtungen  auf  der  Kapstemwarte;  ander- 
weitige  Beobachtungen   von  der   Südhalbkugel  liegen    nicht  vor. 

Die  folgenden  Elemente  haben  Kreutz  und  Ebell  aus  den  oben 
angeführten  ersten  Beobachtungen  auf  der  Sternwarte  in  Windsor 
abgeleitet. 

T  =  1903  März  26.6486  M.  Z.  Berhn,  co  =  186°  40.7'  1903.0, 
^  =  213°  14.6'  1903.0,  i  =  66°  29.6'  1903.0,  log  q  =  9.71054. 

Komet  1903 IV  (1903  c),  entdeckt  1903  Juni  21  von  Bonrelly 
in  Marseille  als  heller  Nebel  8.9.  Größe  mit  scharfem  Keine  von 
1"^  Durchmesser  und  einem  kurzen,  fächerartigen  Schweife.  Für  den 
Kometen  waren  alle  Bedingungen,  eine  glänzende  Erscheinung  am 
Nordhimmel  zu  werden,  gegeben.  Die  Annäherung  ans  Penhel  und 
die  relativ  große  Erdnähe  von  0.24  um  l^tte  Juli  bewirkten  eine 
ungewöhnlich  rasche  Zunahme  der  Helligkeit;  am  26.  Juni  war  der 
Komet  bereits  dem  bloßen  Auge  sichtbar;  Anfang  Juh  hatte  er  die 
4.  bis  6.  Größe  erreicht,    und  in  der  Zeit  seiner  größten  Helligkeit, 


Kometen.  47 

gegen  den  20.  Juli  die  3.  Größe.  Dagegen  hat  die  Schweifentwick- 
lung nicht  ganz  den  gehegten  Erwartungen  entsprochen.  Visuell 
konnte  der  Schweif  selbst  in  der  dritten  JuUwoche  nicht  weiter  als 
6^  verfolgt  werden,  während  er  allerdings  auf  den  photographischen 
Platten  sich  bis  zu  17°  Länge  ausdehnte.  Eine  Zweiteilung  des 
Schweifes  wurde  dem  Auge  erst  gegen  Mitte  August  sichtbar.  Auf 
den  Platten  war  eine  Mehrteilung  bedeutend  früher  zu  erkennen,  so 
z.  B.  zeigt  eine  in  Greenwich  am  1.  August  aufgenommene  Photo- 
graphie neben  dem  Hauptschweife  bis  zu  acht  Nebenschweife.  Eine 
eigentümüche  Erscheinung  hat  der  Schweif  am  24.  JuU  dargeboten, 
die  durch  einen  günstigen  Zufall  auf  der  Yerkesstemwarte  von 
Bamard  und  Wallace  photographisch  durch  5.4  Stunden  hindurch 
verfolgt  werden  konnte.  Auf  den  beiden  dort  aufgenommenen 
Photographien  (Mitte  der  Expositionszeiten  16h  15m  und  Idh  14m  M. 
Z.  Gr.)  zeigt  sich  nämlich  neben  dem  eigentlichen  Schweife  eine  zweite 
Lichtlinie,  die  ihm  genau  parallel  ist,  aber  gar  keine  Verbindung  mit 
dem  Kopfe  hat,  sondern  erst  2°  von  demselben  entfernt  ihren  Anfang 
nimmt.  Man  kann  sich  des  Eindruckes  nicht  erwehren,  als  ob  irgend 
eine  Kraft  plötzUch  einen  großen  Teil  des  Schweifes  abgebrochen 
und  ihn  zur  Seite,  und  zwar  nach  der  Richtung  hin,  von  welcher  der 
Komet  herkam,  geschleudert  hätte.  Die  gleiche  Erscheinung  findet 
sich  auf  einer  von  Qu6nisset  in  Nanterre  um  11h  30m  M.  Z.  Gr.  auf- 
genommenen Photographie;  doch  ist  hier  die  Entfernung  des  Kopfes 
von  dem  nächst  hegenden  Ende  des  abgebrochenen  Schweifstückes 
wesenthch  kleiner  als  auf  den  amerikanischen  Platten.  Bamard  hat 
hieraus^)  abgeleitet,  daß  die  Trennimg  dieses  Schweifteiles  vom 
Kopfe  am  24.  Juh  2h  30m  M.  Z.  Gr.  vor  sich  gegangen  sei,  und  daß  der 
Abstand  vom  Kerne  sich  stündUch  um  10.7'  vergrößert  habe.  Es 
wäre  von  großer  Wichtigkeit,  auch  andere  an  diesem  Tage  auf- 
genomm^ie  Photographien  auf  diese  merkwürdige  Erscheinung  hin 
zu  prüfen.  Auf  einer  von  J.  Roberts  wiedergegebenen  Photographie 
ist  sie  ebenfalls  zu  erkennen,  doch  ist  hier  leider  die  Expositionszeit 
nicht  angegeben.  Das  gleiche  gilt  von  einer  Photographie  von 
F.  Smith  auf  dem  Yale  College  Observatory.  Auch  in  Greenwich 
ist  der  Komet  an  diesem  Tage  photographiert  worden,  doch  ist  von 
dieser  Aufnahme  bisher  nur  bekannt  geworden,  daß  sie  eine  der  besten 
des  Kometen  gewesen  ist.  Sicher  ist  jedenfaUs,  daß,  wie  die  Auf- 
nahmen auf  der  Yerkesstemwarte  an  den  Nachbartagen  zeigen, 
am  23.  und  25.  Juh  nichts  von  dieser  eigentümhchen  Erscheinung 
vorhanden  war. 

Ebenso  wie  das  Aussehen  ist  auch  die  HeUigkeit  des  Kometen 
eingehend  studiert  worden.  Es  mag  hier  genügen,  auf  die  Beob- 
achtungsreihen  von  Ebell  in  Kiel,  von  Holetschek  in  Wien  und  von 
Wirtz  und  Roeenberg  in  Straßburg  hinzuweisen;  sie  alle  lassen  un- 

^)  Astrophisykal.  Joum.  It.  p.  213. 


48  Kometen. 

zweifelhaft  erkennen,  daB  die  Formel  lir^J^  zur  Darstellung  der 
Gesamthelligkeit  ausreichend  gewesen  ist. 

Spektroskopische  Beobachtungen  des  Kometen  liegen  von 
Deslandres  in  Meudon  und  von  Pernne  auf  der  Lickstemwarte  vor. 
Visuell  zeigten  sich  neben  einem  relativ  starken  kontinuierlichoi 
Spektrum  die  charakteristischen  drei  Kometenbänder.  Photo- 
graphisch war  das  Spektrum  dem  der  Kometen  1893  11  und  18d4  11 
außerordentUch  ähnlich,  mit  der  einzigen  Ausnahme,  daß  das  Band 
X  »  420,  das  bei  diesen  Kometen  sehr  stark  hervortrat,  sich  jetzt 
ganz  besonders  schwach  zeigte. 

In  der  dritten  Augustwoche  verschwand  der  Komet,  der  bis  zu- 
letzt die  HeUigkeit  eines  Sternes  4.  Größe  besessen  hatte,  in  d^i 
Sonnenstrahlen;  die  letzte  Ortsbestimmung  ist  am  23.  August  v<hi 
Cerulli  in  Teramo  angestellt  worden.  Nach  dem  Perihel  ist  noch  der 
Komet  als  schwaches  Objekt  auf  der  Kapstemwarte  von  Sept.  30 
bis  Okt.  22  beobachtet  worden.  Weitere  Beobachtungen  auf  dar 
Südhalbkugel  liegen  noch  nicht  vor,  doch  ist  wegen  der  stark  zu- 
nehmenden Lichtschwäche  kaum  anzunehmen,  daß  der  Komet 
anderswo  länger  als  auf  der  Kapstemwarte  beobachtet  worden  ist. 

Die  folgenden  Elemente  sind  von  Aitken  aus  drei  Beobachtungen 
Juni  22,  30  und  Juli  10  abgeleitet  worden. 

T  -  1903  Aug.  27.6428  M.  Z.  Berlin,  co  =  127°  19'  25.6''  1903.0, 
ß  =  293°  32^  66.0^  1903.0,  i- 84°  69'  46.3"  1903.0,  log  q  =9.618126. 

Brooksscher  Komet  1903 V  (1903 d).  Der  Brookssche 
Komet  ist  nach  der  Vorausberechnung  von  P.  Neugebauer  am 
18.  August  1903  von  Aitken  auf  der  Lickstemwarte  wieder  auf- 
gefunden worden.  Er  war  klein  und  schwach,  14.  Größe,  mit  einem 
Durchmesser  von  3'  und  einer  geringen  Verdichtung.  Die  Hellig- 
keit nahm  rasch  ab,  so  daß  er  bald  selbst  im  36-Zöller  ein  schwieriges 
Objekt  wurde  imd  nur  bis  zum  24.  Oktober  verfolgt  werden  konnte. 
So  weit  bis  jetzt  bekannt,  ist  der  Komet  außer  auf  der  Lickstem- 
warte  nur  noch  auf  dem  Navalobservatory  in  Washington  am  20.  und 
21.  Aug.  beobachtet  worden.  Nach  der  Theorie  sollte  der  Komet 
ein  wenig  heller  als  zur  Zeit  der  Entdeckung  1889  Anfang  JuU,  also 
ca.  11.  Größe  sein.  Daß  er  so  sehr  viel  schwächer  erschienen  ist,  laßt 
sich  wenigstens  zum  Teil  durch  die  große  südliche  Deklination, 
welche  in  der  ganzen  Sichtbarkeitsperiode  21  bis  27°  betragen  hat, 
ungezwungen  erklären. 

Die  Elemente,  welche  Neugebauer  seiner  Ephemeride  zugrunde 
gelegt  hat,  sind  die  von  Bauschinger  aus  den  Erscheinungen  1889  V 
und  1896  VI  abgeleiteten,  mit  Hinzufügung  der  Störungen  bis  zur 
Epoche  1903  Nov.  26.0. 

Epoche  und  Osk.  1903  Nov.  26.0  M.  Z.  Berlin,  M  =  368°  24'  36.6' 
1900.0,  CO  =  343°  37'  46.2^  1900.0,  ß  =  18°  3'  64.4'  1900.0,  i  =  6°  3' 
44.1'  1900.0,  9?  =  28«  1'  12.6"  1900.0,  ju  =  499.64776',  log  a  = 
0.667662,  T  =-  1903  Dez.  6.4642  M.  Z.  Berhn,  U  =  7.10  Jahre. 


Kometen.  49 

Bahnbesttmmujig  des  Bielasehen  Kometen  aus  den  Beobach- 
tungen 1846  bis  1852.  Eine  solohe  hat  Prof.  v.  Hepperger  unter- 
nommen. Er  hat  aus  den  im  Jahre  1852  angesteUten  Beobachtungen 
die  Normalörter  gebildet  und  die  Resultate  der  Störungsrechnimg 
mitgeteilt,  welche  die  Erscheinungen  des  Kometen  in  den  Jahren 
1846  und  1852  verbindet.  Femer  wurden  die  unter  verschiedenen 
Annahmen  über  die  Zeit  der  Trennung  erhaltenen  Elemente  des 
Kometen  berechnet,  welche  die  Normalörter  am  besten  darstellen. 
Die  Summe  der  Fehlerquadrate  wird  am  kleinsten,  wenn  man  1844 
September  13  als  Zeit  der  Trennung  annimmt.  Die  Darstellung  der 
Bektaszensionen  ist  nicht  ganz  befriedigend  und  wird  auch  nicht 
merkUch  besser,  wenn  man  die  wechselseitigen  Störungen  beider 
Kometen  berücksichtigt.  Hierdurch  erscheint  aber  die  Möglichkeit 
geboten,  eine  obere  Grenze  für  die  Masse  des  Bielasehen  Kometen 
zu  fixieren,  deren  Wert,  die  Erdmasse  als  Einheit  angenonunen,  den 
Betrag  von  1  Milliontel  nicht  zu  erreichen  scheint. 

Untersuehungen  über  die  Oröfien  und  Helligkeiten  der  Kometen 
und  ihrer  Sehweife  hat  schon  vor  längerer  Zeit  Dr.  J.  Holetschek 
begonnen.^)  Jetzt  veröffentUchte  er  eine  Fortsetzung  derselben, 
welche  die  Kometen  der  Jahre  1762  bis  1799  behandelt.  ^)  Es  werden 
darin  wie  früher  die  in  den  Kometenberichten  enthaltenen  Angaben 
über  die  HeUigkeit  auf  dieselbe  Distanz  von  der  Sonne  und  von  der 
Erde  reduziert  (reduzierte  Helligkeit  H^,  ausgedrückt  in  Größen- 
klassen m),  die  etwa  vorhandenen,  meist  in  Bogenminuten  ausge- 
drückten Angaben  über  den  scheinbaren  Durchmesser  eines  Kometen 
auf  die  Distanz  1  von  der  Erde  reduziert  (D^)  und  die  Angaben  über 
die  scheinbare  Schweiflänge  in  wahre  Längen  c  umgerechnet  (aus- 
gedrückt in  Teilen  der  mittiem  Entfernung  der  Erde  von  der  Sonne). 

Die  erhaltenen  Resultate  lassen  noch  bestimmter  als  früher  die 
Tatsache  erkennen,  daß  zwei  oder  mehrere  Kometen  mit  derselben 
Periheldistanz  q,  wenn  sich  für  sie  nahe  dieselbe  reduzierte  Helligkeit 
H  i  ergibt,  auch  nahe  dieselbe  Mächtigkeit  der  Schweifentwicklung 
erreichen,  daß  also  diese  letztere  —  abgesehen  von  ihrem  schon  lange 
bekannten  Zusammenhange  mit  der  Annäherung  eines  Kometen  an 
die  Sonne  —  nahe  gleichen  Schritt  hält  mit  der  durch  H  i  definierten 
Mächtigkeit  eines  Kometen.  Ein  solcher  Parallelismus  zwischen 
verschiedenen  Kometen  mit  demselben  q  und  H^  ist  auch  bezüglich 
der  Abweichungen  der  Helligkeitsänderungen  von  dem  durch  die 
Entfernung  von  Sonne  und  Erde  bedingten  Verhältnisse  zu  bemerken. 

Die  für  die  einzelnen  Kometen  gefundenen  Hauptresultate  sind 
in  der  hier  beigefügten  Übersicht  zusammengestellt,  zu  welcher  noch 
folgendes  bemerkt  werden  soll. 


1)  Denkschrift  d  inAthem.-Daturw.  Klaase  d  k.  Akad.  d.  Wisseos.  69. 
<)  Wiener  Akad.  Anzeiger  1904.  p.  314. 
Klein,  Jahrbnoh  XV.  4 


50  Kom«Cen. 

Von  den  für  einen  Kometen  gefundenen  Schweifiängen  ist  nur 
die  größte  und  ebenso  von  den  reduzierten  Helligkeitrai  H^,  faUs 
dieselben  einen  Grang  zeigen,  nur  die  bedeutendste  angesetzt. 

War  der  Schweif  eines  Kometen  so  hell,  daß  er  mit  bloßen 
Augen  gesehen  werden  konnte,  so  ist  der  Lange  ein  *  beigesetzt.  In 
allen  andern  Fällen  war  somit  der  Schweif  nur  im  Femrohre  zu  seh^L 
War  er  selbst  im  Femrohre  so  lichtschwach,  daß  er  eigentlich  nur 
zu  vermuten  oder  bloß  unter  sehr  günstigen  Umstanden  zu  erkenn^i 
war,  so  ist  der  Lange,  ebenso  wie  auch  einigen  der  Werte  c  =»  0,  ein 
Fragezeichen  beigesetzt. 

Bei  den  Kometen  1769  und  1770 1  sind  die  Zahlen  der  ersten 
Zeile  aus  den  Beobachtungen  vor,  die  der  zweiten  aus  den  Beob- 
achtungen nach  dem  Perihel  abgeleitet. 

Zum  Enckeschen  Kometen  (£),  der  in  diesem  Zeiträume  in  zwei 
Erscheinungen  beobachtet  worden  ist,  sei  bemerkt,  daß  die  für  1795 
gefundene  Helligkeit  8%m  aus  Beobachtungen  zu  der  Zeit  abgeleitet 
ist,  in  welcher  sich  der  Komet  der  Sonne  von  r  =  1.0  bis  r  =  0.7  ge- 
nähert hat,  während  die  für  1786  gefundene  bedeutendere  Helligkeit, 
7.7m,  zu  der  Zeit  gehört,  in  welcher  er  der  Sonne  schon  bis  r  »  0.45 
nahe  gekommen  war. 

Komet  q  Di         Hi  g 

1762 1.01  —  31/2°*  0.01 

17Ö3 0.60  3'  8V2  0 

1764 0.66  4  6V2  0.01 

17661       ...  0.61  —  61/,  0? 

1766 II     ....  0.40  —  6  0.08* 

1769 0.12{       f  3.6  0.6- 

17701      ....    0.67  {      1«    l,^       l^,, 

1770 II     ....  0.63  3.6  8  0.07 

1771 0.90  >  2.6  4  0.16 

1772  (B)  .     .     .     .  0.99  —  7  0.001 

1773 1.13  7?  31/2  0.04 

1774 1.43  6?  60  O.Ol 

1770 0.71  —  68  0.006 

17801      ....  0.10  —  6  0? 

1780 II     ....  0.62  —  6  0 

17811      ....  0.78  2  71/2  0.001? 

1781  II     ....  0.96  3.6  6  0.03 

1783 1.46  2  7  0 

1784 0.71  2?  31/2  0.08* 

1786  1      ....  1.14  —  8  0 

1786 II     ....  0.43  3.6  4^/.  0.2 

1786 1(E)     ...  0.34  —  7.7  0? 

1786 II    ....  0.39  —  6  0.06? 

1787 0.36  —  6              ? 

17881      ....  1.06  —  8  0.02? 

1788  n     ....  0.76  6?  71/2  0 

17901      ....  0.76  47  0 

1790 II  (Tu)      .     .  1.04  —  8V2  0 

1790  ni  ....  0.80  4  6  0.06 


Kometen.  51 

Komet  q  Dx  H|  e 

17Ö2  I      .     .     .     .  1.29  5  6V2  0.006? 

17Ö2  n    ....  0.97  3.4  6  0.61 

1793  I      ....  0.40  —  6  0 

1793  n    .    .    .     .  1.60  —  6V2  0 

1796  (E)  .    .    .    .  0.34  1.4  8V4  0 

1796 1.68  0.7  8  0? 

1797 0.63  0.8  9  0 

1798  I      .    .    .     .  0.49  —  8  0 

1798  II    ...    .  0.78  0.6  IOV2  0 

1799  I      ....  0.84          4  6V2  0.06 
1799  II    ....  0.63  —  6V2  0.03 

Die  Zahlen  Hx  und  c  sind  in  der  Abhandlung  gemeinschaftlich 
mit  denen  des  I.  Teiles  in  einer  Tabelle  zusammengestellt,  welche 
dazu  benutzt  weiden  kann,  für  irgend  einen  Kometen,  falls  man  in 
der  Tabelle  schon  einen  andern  oder  auch  mehrere  mit  nahezu  der- 
selben Periheldistanz  q  und  derselben  reduzierten  Helligkeit  H]^ 
findet,  die  zu  erwartende  Schweifentwicklung  wenigstens  versuchs- 
weise vorauszubestimmen. 

Daß  das  Verhältnis  zwischen  H^  und  c  hier  und  da  nicht  völlig 
bestätigt  erscheint,  laßt  sich  fast  überall  auf  die  Stellung  der  be- 
treffenden Kometen  gegen  den  Beobachter  zurückführen,  indem  ein 
Kometenschweif,  der  unter  günstigen  Sichtbarkeitsumstanden  sehr 
weit  zu  verfolgen  ist,  unter  ungünstigen,  namentlich  in  großen 
Distanzen  von  der  Erde,  in  geringer  Höhe  über  dem  Horizonte  und 
besonders  in  der  Dämmerung,  sehr  verkürzt  erscheinen  kann. 

Die  Nachforschungen,  die  zu  diesen  Untersuchungen  erforder- 
lich waren,  haben  auch  zu  einigen  Berichtigungen  und  Ergänzungen 
der  Kometenliteratur  geführt  und  insbesondere  dazu  Veranlassung 
gegeben,  daß  Beobachtungen  des  Kometen  1793  I,  die  in  der  astro- 
nomischen Literatur  so  gut  wie  ganz  unbekannt  waren,  an  das  Licht 
gebracht  worden  sind. 

DieBredlehinschen  Schweiftypen  der  Kometen  behandeltR.Jaeger- 
mann.  ^)  Bredichin  hat  die  erste  Mitteilung  über  Kometenschweife 
am  17.  September  1878  der  K.  Akad.  der  Wissenschaften  in  Petersburg 
gemacht.  Sie  bezeichnet  den  Anfang  der  Untersuchungen  desselben 
über  die  Mechanik  der  Schweifbildung.  Ähnliche  Arbeiten,  jedoch 
von  engerm  Gesichtspunkte  aus,  waren  bis  dahin  nur  für  .den  Halley- 
schen  Kometen  in  der  Erscheinung  von  1835  durch  Bessel  und  für 
den  Donatischen  Kometen  1858  von  Peirce,  Norton  und  Pape  aus- 
geführt worden.  Bredichin  gelangte  zur  Unterscheidung  von  drei 
Schweiftyx>en.  Bezeichnet  man  die  Anfangsgeschwindigkeit  der  von 
dem  Kometenkeme  in  der  Richtung  gegen  die  Sonne  hin  ausge- 
schleuderten Materie  mit  g,  die  unbekannte  repulsive  Sonnenenergie 


1)  Naturw.  Rundschau  1904.  Nr.  3. 


52 


Kometen. 


mit  1  —  |i,  so  ergaben  die  ersten  numerischen  Bestinunungen  Bre- 
diohins  folgende  Resultate  für  die  Schweif  typen: 

L  TypuB  1  — ^  =  11.0  g  =  0.16 
n.  „  1—^=  0.7  =0.03 
III.      ,.       1— ^  =    0.1      =0.01 

wobei  g  =  O.Ol  der  Geschwindigkeit  von  295  m  in  der  Sekunde  ent- 
spricht. Der  Wert  von  1  —  /u  war  für  den  Typus  I  schwer  mit  Ge- 
nauigkeit zu  bestimmen.  Bredichin  fand  durch  seine  Bearbeitung 
des  großen  Kometen  von  1811,  der  sich  zu  jener  Bestimmung  ganz 
besonders  eignet,  den  obigen  Wert  =  17.5,  und  mit  diesem  Werte, 
rund  1  —  /i  =»  18,  stimmen  die  Schweife  des  Typus  I  von  40  Kometen 
innerhalb  der  Grenzen  der  Beobachtungsfehler  völlig  überein.  IMe 
seit  1892  erhaltenen  photographischen  Aufnahmen  von  Kometen 
haben  die  Bredichinsche  Typeneinteilung,  sowie  überhaupt  die 
mechanische  Kometentheorie  außer  allen  Zweifel  gesteUt.  Ja^;er- 
mann  gibt  eine  Tafel  aller  von  Bredichin  untersuchten  Kometen,  die 
nachstehend  folgt.  Sie  sind  in  chronologiBcher  Reihenfolge  geordnet; 
femer  sind  angegeben :  die  Lange  des  aufsteigenden  Knotens  (^),  das 
Argument  des  Perihels  (co),  die  Neigung  (i),  die  Periheldistanz  (q). 
Durch  die  Buchstaben  (v)  (vor  dem  Perihel)  und  (n)  (nach  dem 
Perihel)  ist  die  Beobachtungszeit  angegeben. 


Nr. 

Ko»et 

Soh 

weiftypen 

tangsaeit 

4 

«1 

n 

i 

1 

1472 

I 

V, 

0.486 

246® 

286^63' 

170«  60- 

2 

1677 

— 

II 

III 

n. 

0.178 

266 

26 

20 

104  50 

8 

1680 

— 

II 



V. 

0.602 

89 

19 

7 

64  S4 

4 

1682 

— 



III 

n. 

0.169 

382 

227 

14 

118  34 

6 

1618  II 

— 

II 

— 

n. 

0.890 

287 

76 

44 

37  12 

6 

1662 

— 

II 



n. 

0.848 

800 

88 

10 

79  28 

7 

1664 

— 

II 

— 

n. 

1.026 

811 

81 

16 

158  42 

S 

1666 

I 

.. 

— 

V. 

0.107 

166 

228 

2 

103  55 

9 

1680 

— 

II 

— 

v.n. 

0.0062 

361 

272 

9 

60  40 

10 

1682 

I 

— 

-— 

V, 

0.683 

109 

61 

11 

162  15 

11 

1744 

I 

II 



v.n. 

0.222 

161 

46 

46 

47   7 

12 

1769 

I 

II 

— 

V, 

0.123 

329 

176 

4 

40  46 

13 

1807 

I 

II 

— 

n. 

0  646 

4 

266 

47 

63  10 

14 

18111 

I 

IIod.III 

n. 

1.036 

66 

140 

26 

106  57 

16 

1819  II 

— 

II 

— 

n. 

0.841 

18 

273 

42 

80  46 

16 

1823 

— 

— 

III 

n. 

0.227 

28 

308 

8 

103  48 

17 

1826  IV 

I 

II 

— 

V. 

1241 

267 

216 

43 

146  27 

18 

1836  III 

I 

— 

III 

V. 

0.687 

111 

66 

10 

162  16 

19 

18431 

I 

II 

— 

n. 

0.0066 

88 

1 

16 

144  19 

20 

1844  III 

— 

II 

III 

n. 

0.262 

178 

118 

19 

45  39 

51 

1853  II 





III 

V. 

0.909 

199 

40 

68 

122  11 

22 

1863  in 

I 

— 

III 

V, 

0.807 

170 

140 

31 

61  31 

23 

1863  ly 

— 

— 

III 

V. 

0.173 

278 

220 

6 

119   0 

.24 

1864  II 

— 

II 

— 

n. 

0.277 

102 

816 

28 

97  28 

:25 

1864  lU 

— 

II 

— 

fi. 

0.648 

76 

847 

40 

108  41 

Kometen. 


53 


Nr. 

Kom«t 

8ohw«iftjpm 

BeobMh- 
tanguelt 

4 

m 

n 

i 

26 

1867  III 

_ 

_ 

III 

V. 

0.368 

134 

230 42' 

121«  V 

27 

1868  VI 

I 

II 

— 

n. 

0.679 

129 

166 

19 

116  68 

28 

1860  III 

— 

II 

— 

n. 

0.293 

77 

84 

41 

79  16 

29 

1861  II 

I 

— 

III 

n. 

0.822 

330 

278 

69 

86  26 

30 

1862  III 

I 

— 

III 

v,n 

0.963 

163 

137 

27 

113  34 

81 

1863  IV 

I 

__ 

__ 

n. 

0.707 

867 

97 

29 

78   6 

32 

18661 



II 

III 

n. 

0.0268 

112 

262 

66 

92  80 

33 

1874  III 

I 

II 

— 

V.  n. 

0.676 

162 

118 

44 

66  21 

34 

1877  II 

I 





n. 

os:o 

63 

316 

27 

121   9 

36 

18801 



II 

_ 

n. 

0  0066 

86 

6 

10 

144  40 

36 

1881  III 

I 

II 



n. 

0.736 

364 

270 

68 

63  26 

37 

1881  IV 

I 

II 



v,n. 

0.634 

122 

97 

3 

140  14 

38 

18821 

I 

II 

III 

n. 

0.0608 

209 

204 

66 

73  49 

39 

1882  II 

I 

II 

III 

n. 

0.0077 

69 

346 

1 

142   0 

40 

18841 

I 

II 

— 

V. 

0.776 

199 

264 

6 

74   3 

41 

18861 

_ 

II 



n. 

0.642 

127 

36 

23 

82  37 

42 

1886  II 

— 

II 



n. 

0.479 

120 

68 

19 

84  26 

48 

1886 IX 

I 

II 

III 

v,n. 

0.663 

86 

137 

23 

101  38 

44 

18871 

— 



III 

n. 

0.0066 

66 

339 

38 

187  87 

46 

18891 





III 

n. 

1.816 

340 

367 

26 

166  22 

46 

1892  III 

IW 

— 

— 

n. 

2.142 

14 

331 

38 

20  47 

47 

1893  II 

I 





n. 

0.676 

47 

337 

21 

169  68 

48 

1893  IV 

I 

II 



n. 

0.812 

347 

174 

66 

129  60 

49 

1894  II 

— II(?)III(?) 

n. 

0.983 

324 

206 

21 

87   4 

60 

18991 

I 

— 

III 

V.  n. 

0.327 

9 

24 

69 

146  16 

61 

19011 

— 

II 

III 

n. 

0.246 

203 

109 

39 

181   6 

Neben  dem  großen,  vollständig  entwickelten  Schweife  desl.  Typus 
waren  beim  Kometen  1811 1  schwache  Spuren  von  Nebenausläufem 
hinter  dem  Hauptschweife  vorhanden;  doch  kann  infolge  mangels 
des  BeobachtungsmaterialeB  ihre  Zugehörigkeit  zum  U.  oder  III.  T3rpus 
nicht  festgestellt  werden.  Dasselbe  laßt  sich  vom  äußerst  schwachen 
Schweife  des  Kometen  1892  lU  (Holmes)  sagen,  dessen  sehr  große 
Periheldistanz  eine  bedeutendere  Schweifentwicklung  verhinderte. 
Die  von  Max  Wolf  gegebene  Beschreibung  seiner  vom  Kometen 
1894 II  erhaltenen  Photographie  kann  ebenfalls  nicht  zur  genauen 
Bestimmung  der  Schweiftypen  ausgenutzt  werden.  Dagegen  ist  sie 
in  der  Hinsicht  sehr  wertvoll,  indem  sie  die  für  die  mechanische 
Theorie  sehr  wichtige  Wellen-  und  Gammaform  der  Schweife  nach- 
weist. 

Wie  aus  der  Tafel  zu  ersehen,  treten  die  verschiedenen  Schweif- 
typen bei  Kometen  mit  den  verschiedenartigsten  Elementen  auf. 
Es  kann  somit  das  vorwiegende  Auftreten  des  einen  oder  andern 
Typus  nur  von  Unterschieden  im  physikahsch  -  chemischen  Bau  der 
Kerne  herrühren.  Sieht  man  von  den  Kometen  1892 III,  1894 11  ab, 
und  läßt  man  ebenfalls  den  II.  oder  III.  Typus  des  Kometen  1811 1 
beiseite,  so  besaßen  49  von  Bredichin  mechanisch  untersuchte  Ko- 


54  Kometen. 

meten  zusammen  75  Schweife,  von  denen  26  dem  I.  Typus,  30  dem 
II.  Typus  und  19  dem  in.  Typus  angehören.  Die  Schweife  des 
ni.  Typus  wurden  also  weniger  als  die  der  andern  Typen  beobachtet 
Die  Ursache  hiervon  liegt  wahrscheinlich  in  der  allgemeinen  Schwache 
und  Verschwommenheit  dieser  Schweife.  Unter  BerucksichtiguDg 
dieses  letzten  Umstandes  kann  der  allgemeine  Schluß  gezogen  werdeo, 
daß  die  drei  Schweiftyx>en  im  Durchschnitte  gleichmäßig  bei  aDen 
Kometen  auftreten,  daß  die  Kometen  somit  in  physikalisch-chemi- 
scher Einsieht  identisch  untereinander  sind,  was  mit  den  Resultaten 
der  Spektralanalyse  übereinstimmt. 

Die  den  drei  Schweiftypen  entsprechenden  Werte  von  1 — /i 
undg  sind: 

I.  Typos  U.  Typus  Ul.  Typus 

1  ^ft:        18;  von  2.2  bis  0.5;         von  0.3  bis  >0. 

g:     von  0.34  bis  0.1;    von  0.07  bis  0.03;     von  0.02  bis  O.Ol. 

Ak  Zeiteinheit  für  die  Anfangsgeschwindigkeit  g  sind  1  :» 
=  68.13244  Tage  angenommen  (« ist  die  Gaußsche  Konstante).  Als 
Distanzeinheit  gilt  die  mittlere  Entfernung  der  Erde  von  der  Sonne 
(149  480  976  ibn),  entsprechend  der  Parallaxe  8.80'  und  den  Beaael- 
sehen  Erddimensionen.  Die  repulsive  Kraft  1 — fjt  der  von  der 
Sonnenriohtung  ausgehenden,  unbekannten  Energie  ist  in  Einheiten 
der  gewöhnlichen  Attraktion  ausgedrückt. 

Brediohin  erklärte  die  strenge  Qetrenntheit  der  Schweiftypen 
durch  die  Annahme,  daß  die  Schweife  I.  Typus  aus  den  Molekeln  von 
reinem  Wasserstoff,  die  des  II.  Tjrpus  aus  den  Molekeln  von  Kohlen- 
wasserstoff, Natrium  usw.,  die  des  HE.  Typus  aus  den  Molekeln  von 
Eisen  und  andern  schwerem  Metallen  gebildet  sind. 

Bredichin  hat  also  die  später  in  den  Kometen  1882 1  und  1882 11 
entdeckten  Elemente  Natrium  und  Eisen  schon  1879  auf  Grund 
seiner  Typeneinteilung  nachgewiesen;  das  Element  Wasserstoff 
konnte  dagegen,  abgesehen  von  zwei  zweifelhaften  Fällen:  beim 
Kometen  18821  (beobachtet  von  Bredichin),  1893 IV  (beobachtet 
von  Campbell),  spektroskopisch  bisher  nicht  nachgewiesen  werden. 
Bredichin  erklärt  dieses  dadurch,  daß  die  verhältnismäßig  schwach^i 
Wasserstofflinien  von  den  entsprechenden  Fraunhofeischen  Linien 
des  vom  reflektierten  Sonnenlichte  herrührenden,  kontinuierlichen 
Spektrums  verdunkelt  werden.  Selbst  bei  einer  großen  relativen 
Biewegung  des  Kometen  zur  Erde  werden  die  Wasserstofflinien, 
sowie  auch  die  Fraunhoferschen  Linien,  dem  Dopplerschen  Prinzip 
gemäß,  eine  gleichförmige  Verschiebung  erleiden,  so  daß  nur  in  äußerst 
günstigen  Fällen  bei  besonderer  Intensität  der  Wasserstofflinien  letztere 
sichtbar  werden  können. 

BeieinigenKometen(ungefahrsechs),  darunter  auch  Komet  189311, 
ergaben  sich  für  den  I.  Schweiftypus  Größen  der  repulsiven  Kraft, 
welche  bedeutend  den  Wert  1  —  u  =  18  übertreffen.    Diese  Werte 


Meteoriten.  55 

gruppieren  sieh  (innerhalb  der  Grenasen  der  dem  I.  Typus  eigenen 
Fehler)  um  die  Zahl  40. 

Sollte  sich  dies  bestätigen,  also  zwei  sehr  voneinander  verschiedene 
Werte  von  1  —  fi  für  den  Typus  I  sicher  hervorgehen,  so  müßte  man 
da«  Vorhandensein  eines  Stoffes  noch  leichter  als  Wasserstoff  oder 
eine  Dissoziation  der  Molekeln  von  HeUum  und  Wasserstoff  an- 
nehmen. 


Meteoriten. 

Der  Meteorit  von  Peramiho.  Der  neue  Eukrit,  von  dem  ein 
einziges  Exemplar  bekannt  wurde,  das  sich  jetzt  in  der  Meteoriten- 
sammlung des  naturhistorischen  Hof museums  befindet,  ist  am  24.  Ok- 
tober 18M,  1^  morgens,  in  nordwestUcher  Richtung,  drei  Stunden 
weit  von  der  katholischen  Missionsstation  Peramiho  im  Gebiete  von 
Ungoni,  Bezirk  Songea  in  Deutschostafrika,  niedergefallen.  Der 
Stein  ist  kinderfaustgroß  und  hat  ein  Gewicht  von  165  g.  Sein 
Äußeres  zeigt  viel  Ähnlichkeit  mit  den  Steinen  von  Stannem.  Die 
wesentUchen  Gemengteile  des  Steines  bestehen  aus  Anorthit,  mono- 
klinem  und  rhombischem  Pyroxen,  während  Magnetkies  und  Magnetit 
als  untergeordnete  Nebengemengteile  vorhanden  sind. 

Nach  der  Berechnung  der  von  Hofrat  E.  Ludwig  ausgeführten 
Analyse  ist  der  Stein  aus  30%  Anorthit  und  70%  Pyroxen  zusammen- 


Bezüglich  seines  Gef üges  zeigt  der  Stein  eine  zusammengesetzte 
Struktur.  Es  sind  Gesteinspartien  mit  ophitischer  Struktur  und  mit 
Trümmerstruktur  zu  unterscheiden.  Aus  dem  petrographischen  Ver- 
hältnisse beiderlei  Teile  lassen  sich  drei  Zustandsphasen  erkennen,  die 
der  Stein  durchgemacht  hat.  Als  unterste  erkennbare  Entwicklungs- 
stufe des  Steines  hat  ein  Trümmergebilde  vorgelegen,  das  wahr- 
scheinlich einem  breccienartigen  Zustande  entsprochen  hat.  Zu  einer 
spätem  Zeit  hat  die  Eukritbreccie  eine  durch  Erhitzung  bewirkte 
Umwandlung  erfahren,  wobei  der  Anorthit  vollständig  und  der 
Pyroxen  teilweise  zur  Schmelzung  kam,  und  die  rekristallisierten 
Anorthite  mit  den  regenerierten  Pyroxenen  in  Gestalt  von  Ein- 
schlüssen angefüllt  wurden.  Nach  dieser  Entwicklungsphase  hat  der 
Stein  starke  Pressungen  erfahren,  die  am  deutlichsten  in  den  Ver- 
werfungen der  Anorthitzwillingslamellen  und  auch  sonstigen  Erschei- 
nimgen  von  Kataklase  zum  Ausdrucke  kommen.  Der  Periode  me- 
chanischer Veränderungen  ist  dann  eine  zweite  Einschmelzung  ge- 
folgt, von  der  der  Stein  jedoch  nur  partienweise  ergriffen  wurde. 
Bei  dieser  Einschmelzung,  wo  sich  Schwefelkies  in  den  Schmelzherden 
ansiedelte,  der  Feldspat  in  Kömerform  wieder  kristallisierte  und  die 
Pyroxene  sich  in  Kömer  und  Fetzen  auflösten,  ist  es  auch  zur  Bildung 
von  glasigen  Adern  gekommen,  jenem  Geästel,  das  auf  der  Bruch- 


56  Meteoriten. 

flache  die  dem  freien  Auge  erkennbare  graue  Verfärbung  der  sonst 
hellfarbigen  Steinmasse  hervorbringt. 

Eine  neue  Gruppe  von  Meteoreisen.  Prof.  Friedrich  Berwerih 
hat  der  Kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  eine  Abhand- 
lung überreicht,  in  der  er  eine  neue  Gruppe  von  Meteoreisen,  die 
Metabolite,  schildert.  Im  Jahre  1902  hat  Prof.  Berwerth  gelegentlich 
der  Besprechung  des  Meteoreisenzwillings  von  Mukerop  zum  ersten 
Male  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  die  am  Mukeropeiaen  partien- 
weise vorhandene,  durch  einen  matten  Schimmer  gekennzeichnete 
Verschleierung  des  oktaedrischen  Gefüges  als  eine  Folge  von  Er- 
hitzung des  Blockes  aufzufassen  und  die  Quelle  der  Erwärmung  oder 
scharfem  Anheizung  desselben  außerhalb  unserer  Atmosphäre  zu 
suchen  sei.  Zu  dieser  Ansicht  führte  ihn  der  Vergleich  des  dunst- 
artigen  Schleiers  bei  Mukerop  mit  dem  Gefüge  der  an  ganz  wenigen 
Meteoreisen  erhaltenen  randUchen  Veranderungszone,  deren  Ent- 
stehen durch  Erhitzung  in  unserer  Atmosphäre  von  niemand  an- 
gezweifelt wird.  Die  Gleichartigkeit  der  Erscheinungen,  in  beiden 
Fällen  in  einer  Umkristallisierung,  resp.  Kömmig  der  Eisenmasse 
bestehend,  veranlaßte  ihn  dann  notwendigerweise  zu  dem  Ausspruche, 
daß  die  meisten  sogenannten  „dichten  Meteoreisen"  auf  dem  W^e 
der  Erhitzung  im  festen  Zustande  umgewandelte  oktaedrische  Eisen 
seien. 

Seither  sind  ihm  die  auf  chemisch-physikalischen  Arbeitsver- 
fahren beruhenden  wichtigen  Resultate  metallographischer  For- 
schungen bekannt  geworden,  und  die  bisherigen  experimentellen 
Erfahrungen  über  die  beim  Abkühlen  oder  Erwärmen  im  festen  Zu- 
stande vor  sich  gehenden  Umwandlungen  in  den  Metallegierungen 
bieten  eine  ausreichende  Analogie,  um  die  bei  vielen  oktaedrischen 
Eisen  vorhandene  feine  bis  grobe  Körnung  auf  eine  Anwärmung  oder 
schärfere  Erhitzung  des  betreffenden  Eisens  zurückzuführen,  ein 
Vorgang,  wie  er  eben  an  künstilichen  Metallegierungen  genügend  er- 
härtet ist.  Um  sich  über  das  erwartete  Vorhandensein  des  oktaedri- 
schen Netzgefüges  bei  den  dichten  und  kömigen  Eisen  zu  orientieren, 
hat  er  alle  ihm  zur  Verfügung  stehenden  dichten  und  kömigen  Eisen- 
proben einer  kritischen  Besichtigung  unterzogen.  Er  ist  dabei  zu 
dem  Resultate  gelangt,  daß  unter  36  Fällen  an  27  dichten  oder  kör- 
nigen Eisen  die  oktaedrische  Netzstruktur  mehr  oder  weniger  voll- 
kommen erhalten  und  genügend  deutiich  nachweisbar  ist.  Zur  Beob- 
achtung genügt  für  gewöhnUch  die  Anwendung  einer  Lupe.  Voll- 
kommen erhaltene  oktaedrische  Balkennetze  oder  nur  Relikte  oktaed- 
rischer  Struktur  wurden  in  folgenden  Beispielen  beobachtet:  Cacaria, 
Campo  del  cielo,  Chesterville,  Chile,  Deep  Springs  Farm,  Forsyth 
County,  Howard  CJounty,  Iquique,  Kapeisen,  Linnville  Mountain, 
Locust  Grove,  Morradal,  Nenntmannsdorf,  Oktibbeha  County,  Primi- 
tiva,  Rafrüti,  Rasgata,  San  Francisco  del  Mezquital,   Santa  Rita 


Moteoriten.  57 

(  (Signeteisen),  Senegal,  Shingie  Springs,  Sierra  de  Deesa,  Smithland, 

Summit,  Tombigbee  River,  Tucson  (Carleton  Tucson),  Willamette. 
Sichtbare  oder  sichere  Spuren  oktaedrischen  Gefüges  fehlen  in  den 
i  Proben:  Aubum,  Bingera,  Ganada  de  Hierro,  Cincinnati,  Hollands 

i.  Store,  Illinois  (Julch,  Kendall,  NedagoUa,  San  Cristobal.     Damit 

K  will  Prof.  Berwerth  aber  nicht  ausgesagt  haben,  daß  der  oktaedrische 

s  Bau  in  diesen  Eisen  ursprünglich  nicht  vorhanden  gewesen  ist.    In 

i  allen  diesen  Fällen  ist  er  der  Meinimg,  daß  oktaedrische  Bändersysteme 

I  nur  nicht  auffindbar  sind,  weil  selbst  die  letzten  Spuren  eines  solchen 

g.  bei  der  Umkristallisierung  vollständig  aufgezehrt  wurden.    Das  Eisen 

^  von  Willamette  vermittelt  in  ausgezeichneter  Weise  den  Übergang 

vom  oktaedrischen  Qefüge  zur  reinen,  stets  zyklopenartigen  Körnung, 
und  das  Eisen  von  Hammond  und  das  Kapeisen  sind  als  Beispiele 
zur  Beobachtung  der  Umwandlung  von  feinen  Lamellensystemen  in 
den  fein  kristallinischen  Zustand  zu  empfehlen.  Die  Ableitimg  de» 
jetzigen  feinkristallinen  oder  kömigen  Zustandes  von  der  oktaedri- 
schen Primärstruktur  muß  einer  eingehenden  Darstellung  jeden  ein- 
zelnen  Falles  vorbehalten  bleiben.  Die  sekundär  erworbene,  fein- 
oder  grobkörnige  Struktur  erscheint  hier  ebenso  als  Deckstruktur 
über  der  oktaedrischen  Struktur,  wie  bei  den  Chondriten  das  durch 
Schmelzung  entstandene  kristallinische  Gefüge  über  der  Tuffstruktur. 
Aus  den  tatsächlichen  Beobachtungen  geht  also  hervor,  daß  die 
dichten  und  kömigen  Eisen  als  Derivate  von  oktaedrischen  Eisen  zu 
definieren  sind,  aus  denen  sie  durch  eine  außerhalb  unserer  Atmo- 
sphäre eingetretene  stärkere  Erhitzung  oder  Anwärmung  im  festen 
Zustande  umkristallisiert  sind. 

Für  ein  durch  Umkristallisierung  hervorgegangenes  Eisen  wählt 
Prof.  Berwerth  die  Bezeichnung  „Metabolit**  und  wird  deren  Gesamt- 
heit dem  Rose-Tschermakschen  Meteoritensysteme  als  „Gruppe  der 
Metabolite"  einfügen.  Da  bei  den  Meteorsteinen  dargetan  ist,  daß 
eine  große  Reihe  von  Steinen  durch  Schmelzung  umgewandelte 
Trümmerprodukte  sind,  so  wird  im  revidierten  Systeme  neben  der 
Gruppe  „der  Eisenmetabolite**  eine  große  Gruppe  der  „Steinmeta- 
bolite"  zu  unterscheiden  sein. 


Tektite  von  beobachtetem  Falle,  eine  neue  Klasse  von  Meteoriten. 
Dr.  A.  Brezina  hat  der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  eine 
Mitteilung  über  den  wirklich  beobachteten  Niederfall  von  Aerolithen 
gemacht,  welche  zu  den  Moldaviten  zu  stellen  sind,  deren  meteorische 
Natur  zuerst  Verbeek  und  später  Franz  E.  Sueß  behauptet  haben.  ^) 

Im  Jahre  1897  hat  R.  D.  M.  Verbeek  den  Moldaviten,  Billitoniten 
und  AustraUten  einen  gemeinsamen  außerirdischen  Ursprung  (aus 
den  Mondvulkanen  zugeschrieben),  und  1898  hat  Dr.  Franz  E.  Sueß 


^)  Wiener  Akad.  Anz.  1904.  Nr.  6. 


58  Meteoriten. 

sie  als  eine  eigene  Klasse  der  Meteorite  unter  dem  Namen  der  Tektite 
angesprochen  und  ihre  Eigenschaften  sehr  eingehend  untersucht. 

Die  Argumente  für  die  aerolithische  Natur  dieser  eigentümhcheii 
Gläser  waren  hauptsachlich  folgende: 

1.  Ihre  Oberflächenbeschaffenheit  läßt  sich  weder  durch  Ab- 
rollung, noch  durch  Abwitterung  erklären,  sondern  entspricht  voD- 
kommen  der  der  Meteorite. 

2.  Ihr  chemisches  Verhalten  und  ihre  Zusammensetzung  unter- 
scheiden sich  wesenthch  von  denen  der  natürUchen  und  künstlichen 
Gläser  irdischer  Herkunft;  die  Tektite  sind  wasserfrei  und  scheinai 
sich  in  einer  wasserdampffreien  Atmosphäre  gebildet  zu  haben. 

3.  Auch  die  physikalischen  Eigenschaften  unterscheiden  die 
Tektite  sowohl  von  den  natürhchen  als  den  künstUchen  irdischen 
Gläsern. 

Trotzdem  haben  sich  die  fachmännischen  Kreise  der  Anschauung 
von  der  aerolithischen  Natur  dieser  Körper  bisher  größtenteils  ver- 
schlossen. 

In  der  Literatur  ist  seit  nahe  60  Jahren  der  Fall  eines  Tektites 
unter  den  bei  Meteoritenfällen  gewöhnlichen  Erscheinungen  ver- 
zeichnet. 

Am  17.  Mai  1865,  nachmittags  6  Uhr,  fielen  auf  dem  Hofe  des 
Gutes  Igast  bei  Walk  in  Livland  unter  öT"  60  N,  26""  13  O.  Gr.  mit 
einer  gewaltigen  Lichterscheinung  und  einer  furchtbaren  Detonation 
etwa  zwei  Hände  voll  bimsstein-  oder  lavaähnlicher  Körper  von  dunkel- 
brauner, aschgrauer  oder  braunroter  Farbe,  welche  „Übergänge  von 
einer  feinlöchrigen  oder  feinzelligen,  geschmolzenen  oder  gefritteten 
Masse  bis  zu  einer  blasenreichen,  vollkommen  entwickelten,  gleich- 
artigen Lava*'  zeigen.  Sie  besitzen  meist  eine  zusammenhängende, 
glatte  Schlackenrinde. 

Das  spezifische  Gewicht  der  gepulverten  und  ausgepumpten 
Masse  war  2.679,  das  der  unveränderten,  gekochten  Masse  2.310  und 
das  der  unveränderten,  nicht  gekochten  Masse  1.640.  Die  Moldavite 
haben  2.318  bis  2.386,  die  Billitonite  2.443  bis  2.603,  die  Australite 
2.419  bis  2.470  spez.  Gewicht. 

Die  Fallerscheinungen  von  Igast  sind  durch  verläßhche  Zeugen 
beobachtet. 

Die  chemische  Zusammensetzung  des  Igaster  Tektites  fällt  voll- 
ständig in  die  von  Sueß  veröffentlichte  Reihe  von  sieben  neuem  Ana- 
lysen Budweiser  und  Trebitscher  Moldavite,  wie  die  nachfolgende 
Zusammenstellung  zeigt. 

I  bis  III  Moldavit  von  RadomiUtz  bei  Budweis,  Analysen  von 
C.  V.  John. 

IV  Moldavit  von  Wittingau  (?),  Budweis,  Analyse  von  J.  Hana- 
mann. 

V  Moldavit  von  Budweis,  Analyse  von  C.  v.  John. 

VI  und  Vn  Moldavite  von  Trebitsch,  Analyse  von  C.  v.  John. 


Meteoriten. 


59 


3 


VIII  Igast,  Analyse  von  Grewingk  Schmidt. 

Igast  wurde  zumeist  als  Pseudometeorit  angesehen. 

Am  24.  Januar  des  laufenden  Jahres,  abends  8  Uhr,  fiel  nach 
brieflicher  Mitteilung  des  Herrn  Dr.  G.  Brandes,  Privatdozenten  der 
Zoologie,  in  Halle  a.  S.  ein  Meteorit  auf  den  gepflasterten  Hof  eines 
Bankhauses  vor  der  Wohnung  des  Hausmannes,  dessen  Frau  mit  ihren 
beiden  Kindern  durch  die  Lichterscheinung  erschreckt  wurde.  Erst 
am  andern  Morgen  fand  der  Hausmann  den  Stein  in  der  Größe  einer 
Feige  auf  einem  verkohlten  Papier  hegen.  Auf  Anfrage  in  der 
Zeitung  meldeten  sich  noch  vier  Personen,  die  vom  Zimmer  aus  die 
Lichterscheinung  wahrgenommen  hatten,  und  zwar  von  SO  nach  NW. 
Eine  FamiUe  (fünf  Personen),  die  sich  außerhalb  der  Stadt  befand, 
hat  auch  eine  Detonation  gehört,  die  sie  aber  gar  nicht  in  Verbindung 
mit  der  Lichtersoheinung  brachte,  weil  sie  eine  geraume  Zeit  später 
erfolgte  (^4  Minute).  Der  Stein  ist  durch  und  durch  glasig,  er  gleicht 
einem  Obsidian. 

Die  beiden  sichern  Fälle  von  Igast  und  Halle  dürften  nunmehr 
die  letzten  Zweifel  an  der  aeroUthischen  Natur  der  Tektite  beseitigen. 


I 

II 

ni 

IV 

V 

VI 

vn 

VIII 
Igast 

SiO,  .    .    . 

82.28 

77.76 

77.69 

81.20 

82.68 

78.61 

77.96 

80.87 

Al.0, 

10.08 

12.90 

12.78 

9.66 

9.66 

12.01 

12.20 

9.93 

Fe,0, 

— 

— 

2.06 

^   2.26 

— 

0.16 

0.14 

}  2.46 

FeO  . 

2.03 

2.60 

1.46 

L13 

3.09 

3.36 

MnO. 



0.11 

0.18 

0.11 

0.10 

0.20 

CaO  .     . 

2.24 

3.06 

1.26 

2.66 

2.06 

1.62 

1.94 

0.76 

MgO. 

0.08 

0.22 

1.16 

1.80 

1.62 

1.39 

1.48 

1.68 

KgO  . 

2.20 

2.68 

2.78 

2.34 

2.28 

3.06 

2.70 

3.13 

NajO 

0.28 

0.26 

0.78 

— 

0.63 

0.44 

0.61 

0.76 

Glühv. 

0.06 

0.10 

— 

— 

— 

— 

— 

0.32* 

100.16 

99.46 

99.94 

100.00 

100.04 

100.49 

100.49 

99.99 

Fixsterne. 

Der  Katalog  der  veränderlichen  Sterne  der  Sternwarte  des 
Harvard-College  zu  Cambridge.  ^) 

Zu  diesem  Verzeichnisse  gibt  Prof.  Pickering  bereits  ein  Supple- 
ment,') das  seinem  wesentlichen  Inhalte  nach  hier  folgt. 


1)  Vergl.  dieses  Jahrbuch  14.  p.  112. 
«)  Harvard  Observatory  Bull.  Nr.  77. 


60 


Fixsterne. 


Jahr  der 

Name 

B.  A. 
1900 

Dekl.  1900 

Max. 

Min. 

Periode 

Bnt- 
dec^aog 

Entdecker 

—  Pisdum   .     .    . 

b    m 
017.2 

.     0     ' 
+   6    7 

_ 

^^, 

d 

1903 

Koea 

—  Unae  MlnoriB  . 

122.6!  +88  46 

— 

— 

— 

1903 

Joat 

—  Boulptoris    .    . 

22.6    —83  26 

98 

11.0 

— 

1903 

de  Sitter 

RUAndromedae  . 

82.8    - 

-8810 

9 

18 

266? 

1908 

WiUiama 

->  Andromedke     . 

211.4    - 

-48  61 

8.8 

9.9 

— 

1903 

Hagea 

ZCephei      .    .    . 

12.8   - 

-8118 

9.6 

<12.6 

— 

1903 

L.Cera8iEi 

RRCephei  .     .     . 

29.4!  - 

-80  42 

9 

<18 

390? 

1903 

L.Cera8ki 

X  Camelopardall  . 

4  82.6,  - 

-74  66 

9 

13 

162 

1903 

L.Oeraaki 

—  OrioDis    .     .     . 

5  27.0,  —    4  81 

14.0 

<15 

— 

1903 

Wolf 

—  OrioniB    .     .     . 

27.2    —    6    7 

11.8 

16.0 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .    .     . 

27.3    —    7  88 

18.8 

14.0 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionii    .     .     . 

27.8    —    7  89 

13.6 

<1* 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .    .     . 

28  6    —    6  16 

18.8 

16.0 

— 

1903 

Wolf 

—  Oriooia    .     .    . 

29.0   —    4  62 

13  0 

16.2 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .     .     . 

29.4|  —    6  40 

13  0 

16.0 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .     .     . 

29.9;  —    4  44 

12.6 

14.0 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .     .     . 

30.0   —    6  61 

12.6 

14  0 



1903 

Wolf 

—  Orionifl    .     .     . 

80.3    —    6  60 

12.0 

14.6 

-^ 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .     .    . 

80.8    —    4  60 

12  7 

<1* 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionifl    .    .    . 

80.4    —    6  89 

12.3 

<1* 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .    .    . 

80  7    —    6  49 

12.6 

<1* 

— 

1908 

Wolf 

—  Orionifl    .    .     . 

6  81.0    —    4  61 

12.8 

<16 

— 

1903 

WoU 

—  Orionia    .    .    . 

81.0 

—    6  66 

12.6 

16.0 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .    .    . 

31.2 

—    6  46 

126 

<1* 

— 

1908 

Wolf 

—  OrioniB    .     .    . 

32.8 

—    8  86 

18  0 

14.0 

— 

1908 

Wolf 

—  Orionia    .     .     . 

38.6 

—    719 

13  6 

160 

— 

1908 

Wolf 

—  Orionia    .     .     . 

84  6 

—    4  67 

126 

18.2 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionia    .    .     . 

86.7 

—    6  29 

13.2 

14.0 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionifl    .    .     . 

86  0 

—    8   9 

130 

16.0 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionifl    .     .     . 

36  0 

—    8    8 

12.8 

18.9 

— 

1903 

Wolf 

—  Orionifl    .     .     . 

36.6 

—    411 

9.8 

<16 

— 

1903 

Wolf 

—  Tauri  .... 

46.8 

" 

-16  68 

— 

— 

1903 

Fleming 

—  Oeminomm 

619.8 

-19  86 

— 

— 

— 

1903 

Graff 

Nova  Oeminorum 

378    H 

-80    3 

60 

? 

— 

1903 

Turner 

RSGeminorum     . 

66.2   - 

-80  40 

9.6 

11 

116? 

1908 

L  Ceraaki 

ZGeminomm  .    . 

7    1.6    - 

-22  41 

9.6 

12 

— 

1908 

Graff 

RRMonocerotifl    . 

12.4    - 

-    117 

93 

<16 

S36f 

1908 

L.  Ceraaki 

RR  Oeminorum    . 

16.2^  - 

-31    4 

10 

11.6 

0.8+ 

1903 

L.  Ceraaki 

—  Caniß  Majoria  . 

17.3^ 

—  2616 

8.7 

10.2 

1903 

de  Sitter 

Y  Camelopardali  . 

27  6 

+  7617 

9.6 

<11 

s7+ 

1908 

L.  Ceraaki 

—  Puppifl     .     .     . 

8  218 

—  39  48 

— 



1903 

de  Sitter 

—  Gentauri  .     .     . 

18    7.6 

—  66  26 



— 



1903 

Brealin 

TUrsaeMinorifl    . 

82.6 

+  73  66 
+  48  47 

9 

<13 

823? 

1908 

L.Cera8ki 

ST  Hercuiia     .     . 

16  47.8 

7.4 

8.1 

R 

1903 

M.  and  K. 

—  Normae  .     .     . 

16  26.6 

—  46  43 

8.8 

10.0 



1908 

de  Sitter 

S  U  HeronliR     .     . 

17  44.7 

+  22  84 

10 

<12 

— 

1908 

L.  Ceraaki 

-  Sagittarii     .    . 

48.2 

—  24  49 

98 

<10.6 

— 

1903 

de  Sitter 

—  Sagittarii     .    . 

17  67.2 

—  24  30 

11.2 

13.8 

— 

1908 

Wolf 

—  Lyrae      .     .     . 

18  87.6 

H 

-28  43 

— 

— 

— 

1908 

Fleming 

RZ  Lyrae 

89.9    - 

-82  42 

9.9 

11.2 

0.6+ 

1998 

Williama 

RY  Lyrae 

41.2    - 

-84  34 

10 

12 

848? 

1908 

WiUiama 

RX  Lyrae 

60.4 1  - 

-82  42 

11 

<16 

260 

1903 

Seeliger 

—  Lyrae . 

1910.4;    - 

-46  49 

9.2 

10  3 

— 

1903 

Anderson 

—  Aquilae 

27.8    - 

-1019 

11.6 

16 



1903 

Wolf 

—  Aquilae 

80.4 

H 

-    72 

12.6 

14 

— 

1903 

Wolf 

Fixsterne. 


61 


B.  A. 

Jahr  der 

Name 

1900 

Dekl.  1900 

Max. 

Min. 

Periode 

Bnt- 

Entdecker 

deoknng 

ih     m 

0      t 

d 

—  Aquilae  .     .    . 

33.2 

+  12  42 

13 

<u 

1903 

Wolf 

—  Aqullae  . 

84.0 

-1-12  33 

11.0 

14  6 

— 

1003 

Wolf 

—  Aquilae  . 

34.3 

- 

-11    1 

13 

<H 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae  . 

36.4 

- 

-    7  40 

11.6 

14 



1903 

Wolf 

>- Aquilae  . 

38.1 

- 

-1312 

12.0 

14.6 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae  . 

40.4 

H 

-    8  22 

11.0 

<16 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae  . 

41.8 

_ 

-1013 

13.6 

<16 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae  . 

41.9 

- 

-10  33 

14 

<16 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae  . 

42  4 

H 

-    714 

11.6 

13.6 



1903 

Wolf 

—  Aquilae  . 

42.6    - 

-12  22 

11.6 

<16 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae   . 

42.8;   - 

-   917 

12.0 

<16 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae  . 

19  43.7 

- 

-1147 

10  0 

12.0 



1903 

Wolf 

—  Aquilae  .     . 

44.6 

- 

-1214 

11.0 

13 



1903 

Wolf 

—  Aquilae  .    . 

46.0 

- 

-12    8 

11.6 

14 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae  .    . 

46.3 

- 

-12  34 

11 

<1* 

— 

1903 

Wolf 

—  Aquilae  .    . 

48.7 

- 

-   9  61 

12 

14 



1903 

Wolf 

—  Aquilae  .     . 

49.0 

- 

-10  4 

12 

13 



1903 

Wolf 

—  Aquilae   .     . 

49.1 

- 

-    9  27 

11 

13 



1903 

Wolf 

—  Aquilae  .    . 

49.4 

. 

-    7  24 

11.6 

12.6 



1903 

Wolf 

—  Aquilae  .    . 

49.5 

H-    7  46 

13 

<14 

— 

1903 

Wolf 

VWCygni  .     . 

2011.4 

+  34  12 

9.8 

11.8 

8.4-f 

1903 

Williams 

—  Caprioorni  . 

13.3 

—  1610 

— 

— 

— 

1903 

Fleming 

—  Cygnl .     .    . 

14.8 

-| 

-37    8 

— 

— 

— 

1903 

Wolf 

VXCygni    .    . 

63.6 

- 

-39  48 

9 

10 

20 

1903 

WilUama 

—  Cygni .    .    . 

21    0.4 

> 

-39  36 

8.8 

9.6 

7.8+ 

1903 

Williams 

—  Pegaai     .    . 

2311.8 

- 

-10   4 

__ 

— 

1903 

Fleming 

—  Ceti     .    .    . 

64.6 

— 

-26    0 

9.7 

<11.6 

— 

1903 

de  Sitter 

Zu  dieser  Ergänzung  ist  folgendes  zu  bemerken:  Der  Stern 
ITrsae  minoris  in  AB  Ih  22.6m  D  +  88°  W  ist  der  Begleiter  des 
Polarsternes.  Seine  Veränderlichkeit  ist  neuerdings  wieder  zweifel- 
haft geworden.  Der  Stern  Oeminorum  AB  6h  19.8m  D  +  lO""  31'  ist  in 
der  Bonner  Durchmusterung  enthalten,  aber  vielleicht  nur  irrtümlich. 
Er  fehlt  am  Himmel. 

Veränderliche  Sterne  in  den  llagellanischen  Wolken.  Das  von 
Prof.  Pickering  gegebene  ^)  Verzeichnis  der  veränderlichen  Sterne  in 
der  kleinen  Magellanischen  Wolke  ist  folgendes: 


Nr.  [r.A.1900 

Dekl.  1900 

Max. 

Min.  ,|  Nr.  ;  R.A.1900 

Dekl.  1900 

Max. 

1    Min. 

h     m 

0         ' 

|| 

h    m 

0         ' 

1 

0     9.6 

—  73   11 

11.8 

13.4  '  30 

0   62.4 

—  73   44 

13.6 

149 

2 

0   18.9 

—  72   40 

11.4 

13.3  1  31 

0   63.6 

—  71   48 

13.4 

14.3 

3 

0  20.2 

—  72  27 

11.6 

12.4  !  32 

0  64.6 

—  72   67 

12.6 

13.2 

4 

0  20.2 

—  72   38 

11.7 

12.3 

33  1  0   54.9 

—  72   19 

14.0 

14.9 

5 

0  20.7 

—  72   36 

11.4 

12.4  1 

34  1  0   66.0 

—  72   58 

13.8 

16.0 

6 

0  24.4 

—  72   44 

11.9 

12.6  1 

35     0   55.1 

—  72   69 

12.9 

14.6 

7 

0   33.6 

—  74   31 

13.9 

14.7 

36     0   65.4 

—  72  27 

14.0 

14.9 

8 

0   34.7 

—  74   30 

13.8 

14.7  i 

37 

0   56.4 

—  73  26 

13.1 

14.0 

^)  Harvard  Obaervatory  Circular  Nr.  79. 


62 


Fixitemo. 


Nr.    BA.1900 

Dekl.  1900 

Max. 

Min. 

"nT 

B.A.1900 

D«kl.  1900 

Max 

Min. 

'K 

m 

0 

j 

T 

m 

0 

, 

9 

0 

36.4 

-72 

34 

12.0 

13.2 

38 

0 

66.6 

—  73 

69 

13.9 

14.6 

10 

0 

36.7 

—  74 

14 

13.0 

14.4 

39 

0 

67.7 

—  72 

44 

11.8 

13.4 

11 

0 

37.1 

—  74 

16 

12.0 

13.7 

40 

0 

67.8 

—  72 

42 

14.5 

15.0 

12 

0 

37.6 

—  71 

10 

13.6 

14.4 

41 

0 

68.4 

—  70 

34 

10.8 

<14.5 

13 

0 

38.0 

—  74 

17 

10.8 

12.1 

42 

0 

69.4 

—  72 

31 

13.7 

15.2 

14 

0 

38.3 

—  74 

6 

13.0 

13.8 

43 

0.7 

—  73 

7 

13.4 

14.9 

15 

0 

40.1 

—  74 

10 

12.1 

13.3 

44 

2.6 

-72 

56 

13.7 

14.5 

16 

0 

43.3 

—  73 

16 

11.1 

12.0 

46 

2.7 

—  74 

11 

13.4 

14JZ 

17 

0 

44.8 

—  73 

0 

12.6 

13.7 

46 

3.8 

—  73 

48 

11.9 

13.2 

18 

0 

46.6 

—  73 

66 

13.6 

14.3 

47 

4.4 

—  73 

45 

12.0 

12.9 

10 

0 

46.9 

—  73 

3 

12.7 

13.9 

48 

4.8 

-72 

3 

12.9 

13.7 

20 

0 

46.4 

—  73 

46 

13.6 

16  0 

49 

6.0 

—  74 

16 

12.9 

13.5 

21 

0 

46.8 

—  73 

18 

11.1 

12.1 

60 

5.8 

—  72 

35 

13.4 

14.7 

22 

0 

47.2 

—  74 

6 

14.2 

16.0 

61 

7.6 

-73 

8 

13.3 

14.3 

23 

0 

47.7 

—  74 

8 

14.4 

16.0 

52 

7.9 

—  77 

23 

11.0 

ia4 

24 

0 

47.8 

—  73 

11 

12.3 

13.6 

63 

10.4 

—  73 

3 

13.4 

14.3 

26 

0 

49.3 

—  70 

26 

9.4 

14.3 

64 

10.8 

-72 

13 

12.9 

14.7 

26 

0 

60.3 

—  72 

49 

11.1 

12.0 

65 

26.1 

—  74 

18 

11.2 

12.0 

27 

0 

60.7 

—  73 

10 

13.2 

13.9 

66 

32.0 

—  75 

43 

11.0 

12.5 

28 

0 

62.4 

—  72 

6 

12.8 

13.7 

67 

38.9 

—  75 

1 

11.6 

12.5 

29 

0 

62.4 

-72 

31 

11.7 

12.8 

Folgendes  ist  das  von  Prof.  Pickering  gegebene 
der  neu  entdeckten  Veränderlichen  in  der  großen' 
sehen  Wolke: 


le^)  Verzeichnis 
Magellani  - 


Nr. 

E.A.1900 

Dekl. 

1900 

|M«r 

Min.  ||Nr. 

B.A.1900 

Dekl.  1900 

Max. 

Min. 

1 

m 
66.2 

-6^7 

3is 

13.9 

II         1^ 
14.8  ,  24  '  5 

m 
6.8 

-S8 

» 
48 

13.7 

14.8 

2 

55.4 

-71 

4 

12.7 

14.7    25     5 

7.1 

-68 

33 

14.4 

15.0 

3 

56.8 

—  70 

25 

14.3 

15.0    26     6 

7.2 

-70 

66 

13.7 

15.0 

4 

67.1 

-69 

31 

13.0 

13.7  1  27     6 

7.3 

-68 

44 

14.3 

15.0 

6 

67.3 

-67 

31 

14.0 

14.9  !  28     5 

7.4 

-69 

1 

13.0 

14.7 

6 

67.6 

-68 

8 

13.8 

14.7  ^  29     5 

7.7 

-70 

10 

12.2 

13.6 

7 

68.6 

-70 

7 

12.8 

14.5  ;,  30  i  6 

8.4 

-69 

22 

13.9 

14.9 

8 

58.8 

-69 

36 

12.8 

14.7  :  31  :  5 

8.6 

-70 

34 

13.0 

13.8 

9 

69.2 

-67 

62 

13.9 

14.9  .  32     5 

8.7 

-70 

47 

13.7 

14.8 

10 

59.6 

—  70 

29 

13.3 

14.8    33     6 

8.8 

-68 

54 

12.2 

14.4 

11 

6 

0.3 

-69 

36 

12.0 

14.0  1  34  i  5 

9.8 

—  68 

52 

13.6 

15.0 

12 

6 

0.6 

—  68 

36 

11.7 

13.9  '  36  j  5 

9.9 

—  69 

2 

13.9 

15.0 

13 

6 

1.9 

-68 

14 

11.4 

16.5  1  36     6 

10.4 

-67 

58 

13.8 

14.1 

14 

6 

2.3 

-69 

3 

13.0 

14.0  i  37     6 

10.6 

—  69 

7 

14.4 

14.9 

16 

5 

2.9 

—  66 

22 

12.8 

14.2  1  38  '  5 

10.5 

—  70 

34 

12.6 

13.7 

16 

6 

2.9 

-69 

41 

13.8 

14.9  ,1  39     6 

10.6 

-68 

48 

14.3 

15.0 

17 

6 

4.3 

-67 

24 

12.7 

14.8  i  40     5 

11.2 

—  69 

16 

13.3 

14.6 

18 

6 

4.3 

-69 

4 

13.1 

14.7  H  41      5 
14.6 ,  42     6 

11.4 

—  68 

14 

13.9 

14.4 

19 

6 

4.6 

-69 

14 

14.0 

12.6 

-69 

13 

14.1 

(14.8 

20 

6 

4.7 

-69 

10 

13.0 

15.0  1  43     5 

13.4 

-69 

13 

14.4 

[15.0 

21 

6 

4.8 

-68 

62 

13.8 

14.5 

44     6 

14.9 

—  69 

19 

14.2 

14.7 

22 

6 

6.6 

-69 

15 

13.4 

14.91 

46     6 

16.0 

-67 

34 

13.6 

14.8 

23 

6 

6.7 

-70 

42 

14.0 

|15.0 

46 

6 

15.9 

—  69 

20 

14.6 

15.0 

1)  Harvard  Obeervatory  Oircular  Nr 


Fixsterne. 


63 


Nr. 

|B.A.1900 

Dekl.  1900 

Max. 

Min. 

Nr.  |B.A.1900 

DekL  1900  1  Max. 

Min. 

TT 

m 

0 

f 

h 

m 

0 

1 

47 

6 

16.0 

-69 

11 

14.3 

16.1 

100    6 

28.4 

-67 

8 

13.9 

147 

48 

6 

16.1 

—  70 

14 

13.9 

16.0 

101    6 

28.4 

—  69 

66 

14.2 

147 

49 

6 

16.3 

—  69 

22 

14.4 

16.0 

102  6 

28.8 

-70 

6 

13.2 

148 

50 

6 

16.4 

-69 

10 

14.3 

149 

103   6 

29.0 

—  69 

63 

14.1 

16.0 

61 

6 

16.6 

-69 

34 

14.2 

16.01 

104  6 

29.6 

—  69 

46 

14.4 

<16.6 

62 

6 

17.0 

-69 

39 

14.3 

14.91 

106   6 

29.6 

—  69 

46 

14.8 

16.2 

53    6 

17.0 

—  70 

42 

13.0 

140 

106  6 

29.6 

—  69 

46 

14.8 

<16.6 

54-  6 

17.2 

-69 

60 

14.7 

16.3 

107,6 

29.6 

—  70 

2 

13.8 

16.0 

66  \  6 

17.4 

—  70 

24 

14.6 

16.1 

108  6 

29.8 

—  69 

66 

14.1 

16.1 

66    6 

17.6 

—  69 

26 

14.4 

16.1 

109  6 

30.2 

—  67 

37 

14.4 

16.0 

57    6 

17.9 

—  70 

62 

13.6 

14.6 

110  6 

30.2 

—  69 

60 

14.1 

149 

58    6 

18.7 

—  67 

19 

12.9 

140 

111*6 

30.5 

—  69 

13 

13.8 

141 

50    6 

19.3 

-68 

20 

14.1 

14.7, 

112   6 

30.6 

-70 

18 

147 

16.2 

60    5 

19.4 

—  70 

62 

144 

16.0 

113;  6 

31.0 

—  69 

31 

13.3 

14.2 

61    6 

19.9 

—  69 

42 

13.6 

14.6' 

114  6 

31.0 

—  69 

67 

140 

16.0 

62    6 

20.6 

—  69 

16 

14.0 

14.9   116   6 

31.2 

—  67 

30 

13.1 

14.3 

63    5 

20.6 

—  68 

2 

14.2 

14.7 

116  6 

31.3 

-70 

9 

14.6 

16.2 

64,  6 

20.8 

—  68 

10 

14.2 

1461 

117.6 

31.3 

—  70 

42 

144 

16.1 

66 

6 

20.9 

-69 

42 

141 

14.9  1118   6 

31.4 

—  70 

1 

141 

16.2 

66 

6 

21.3 

—  70 

8 

14.3 

16.1  !  119   6 

31.6 

—  66 

34 

12.4 

142 

67 

5 

21.7 

—  69 

9 

12.9 

14.0: 

120,6 

31.6 

-70 

2 

146 

14.8 

68 

6 

21.8 

—  69 

64 

13.9 

16.0 

12116 

31.6 

—  70 

10 

144 

16.1 

69 

6 

22.8 

—  69 

3 

14.2 

16.0 

122"  6 

31.7 

—  70 

0 

148 

16.2 

70 

6 

22.9 

—  69 

28 

14.8 

16.1;  123,  6 

32.2 

—  70 

9 

147 

16.1 

71 

6 

22.9 

—  70 

16 

146 

16.2 

124   6 

32.7 

—  70 

0 

147 

16.2 

72 

6 

23.0 

-69 

4 

14.4 

16.1 

126   6 

33.1 

-67 

69 

13.1 

141 

73 

6 

23.1 

-69 

4 

14.3 

16.0 

126  6 

33.4 

-68 

16 

13.6 

14.8 

74 

6 

23.6 

-70 

41 

14.7 

16.4  i  1271  6 

34.3 

-67 

41 

13.7 

147 

76 

6 

23.6 

—  69 

43 

14.2 

148 

128  6 

34.6 

-67 

63 

13.6 

14.4 

76 

6 

24.2 

-69 

69 

13.9 

148 

129  6 

34.6 

—  68 

3 

14.0 

148 

77 

6 

24.6 

—  70 

6 

14.7 

16.2 

130  6 

36.6 

—  67 

48 

13.6 

14.2 

78 

6 

26.1 

—  68 

16 

14.9 

16.3, 

131 

6 

36.9 

-66 

46 

12.2 

13.8 

79 

6 

26.1 

—  69 

64 

143 

149! 

132 

6 

36.1 

—  68 

36 

12.3 

13.4 

80 

6 

26.2 

—  68 

17 

14.8 

16.2 

133   6 

36.2 

—  67 

0 

13.8 

148 

81 

6 

26.4 

—  69 

18 

14.1 

16.0 

134  6 

36.8 

—  68 

63 

13.0 

146 

82 

5 

26.4 

—  67 

44 

11.7 

12.8 

136   6 

38.1 

—  69 

32 

13.4 

148 

83 

6 

26.6 

—  70 

1 

143 

16.0 

136   6 

38.6 

—  68 

8 

13.9 

149 

84 

6 

26.0 

—  67 

26 

12.8 

146 

137' 6 

38.6 

-70 

19 

14.6 

16.0 

85 

6 

26.3 

—  69 

49 

14.8 

16.1 

138  i  6 

38.7 

—  70 

18 

14.9 

16.2 

86 

6 

26.4 

—  69 

10 

13.8 

148 

139!  6 

39.0 

-70 

6 

144 

16.1 

87 

6 

26.8 

—  69 

69 

143 

14.9   140,6 

40.0 

—  70 

22 

14.2 

16.1 

88 

6 

26.9 

—  69 

66 

146 

16.1    141!  6 

40.0 

—  70 

42 

14.4 

16.2 

89 

6 

27.2 

—  69 

41 

13.9 

16.0 '  142:6 

40.3 

—  67 

63 

13.2 

14.2 

00 

6 

27.2 

—  69 

63 

148 

16.2,  143!  6 

40.4 

—  70 

23 

14.6 

16.0 

Ol 

6 

27.4 

—  69 

48 

144 

14.9   14416 

40.6 

—  69 

6 

14.0 

146 

92 

5 

27.6 

—  66 

68 

13.0 

14.1,  146,  6 

40.7 

-70 

24 

14.6 

16.1 

93 

6 

27.7 

—  67 

21 

13.8 

<16.6,  14616 
14.8'!  1471  6 

41.7 

-69 

21 

144 

149 

94 

6 

28.0 

—  69 

66 

143 

43.7 

—  66 

62 

146 

16.0 

96 

6 

28.0 

—  71 

16 

13.8 

<16.2;148;6 

44.0 

-70 

10 

13.9 

147 

96.  5 

28.1 

—  70 

24 

149 

16.3  1 149   6 

44.3 

—  68 

43 

142 

14.7 

97    6 

28.1 

—  69 

66 

143 

14.8 1;  160   6 

46.3 

-69 

34 

14.6 

16.1 

98    6 

28.1 

—  68 

28 

13.8 

14.4:161    6 

46.3 

—  69 

16 

14.4 

149 

99j 

6 

28.3 

—  69 

48 

14.7 

16.1 

162 

• 

47.2 

-68 

12 

13.2 

144 

54  Fixfterne. 

Der  liehtweelisel  von  d  Cephei  ist  von  S.  Beliawsky  unteisucht 
worden  ^)  auf  Grund  von  Beobachtungen,  die  Prof.  S.  P.  v.  Glaaenapp 
1896  bis  1902  nach  der  Methode  der  StufenBchätzungen  über  diesen 
Veränderlichen  angestellt  hat.  Es  ergab  sich,  daß  die  Lichtkurve  des 
Sternes  Abweichungen  von  dem  regulären  Umlaufe  zeigt,  die  nicht 
recht  durch  Beobachtungsfehler  zu  erklären  sind.  Schon  Schoenfeld 
und  Wilsing  hatten  ähnliche  Wahrnehmungen  gemacht.  Nach  doi 
obigen  Untersuchungen  ist  der  Stern  im  Maximum  3.57,  im  Minimum 
4.37  Größe,  und  die  Zwischenzeit  zwischen  beiden  beträgt  Id  11.184il 
Die  Dauer  der  Periode  beträgt  5d  8h  47m  38.697i,  oder  1.277»  weniger 
als  nach  Argelanders  Bestimmung. 

Der  Lichtwechsel  des  Granatsternes  fi  GepheL  Dieser  Stern 
4.  Größe  in  A.  R  =  21h  40m  27»  D.  =  +  68^  19.3  (für  1900.0)  hat  von  W. 
Herschel  wegen  seiner  roten  Farbe  den  auszeichnenden  Beinamen  er- 
halten. Vermutungen  über  eine  Veränderlichkeit  seiner  Helligkeit 
sind  schon  früher  ausgesprochen  worden.  Eine  genauere  Unter- 
suchung des  Sternes  nach  dieser  Richtung  hin  hat  nunmehr  Dr.  J.  PUB- 
mann  ausgeführt.  Gerade  wegen  der  roten  Färbung  ist  der  Stern 
immer  als  ein  schwieriges  photometrisches  Objekt  angesehen  worden. 
Der  Lichtwechsel  solcher  Sterne  kann  nur  bei  anhaltender,  eifrige 
Verfolgung  das  Gesetzmäßige  allmählich  erkennen  lassen.  Da 
Dr.  Plaßmann  bereits  im  Jahre  1896  durch  die  Diskussion  seiner 
eigenen,  damals  569  Beobachtungen  umfassenden  Reihe  von  dem 
Bestehen  einer  kleinen,  aber  deutlichen  kurzperiodischen  Schwankung 
Kenntnis  erhielt,  neben  welcher  größere  säkulare  Änderungen  einher- 
gehen, hat  er  die  Argelanderschen  Beobachtungen  in  derselben  Weise 
berechnet  und  auch  hier  die  Schwankung  nachweisen  können;  ferner 
tritt  sie  in  der  Beobachtungsreihe  von  Julius  Schmidt,  der  längsten 
von  allen,  deutlich  zutage,  und  Plaßmanns  fortgesetzte  Beobach- 
tungen, die  die  eigene  Reihe  nahezu  auf  die  doppelte  Länge  der  frühem 
Vorlage  ausgedehnt  haben,  lassen  das  Fortbestehen  des  Gesetzes 
erkennen.  KJeinere  Reihen  und  zerstreute  Beobachtungen  von  Heis, 
Gore,  Hartwig,  v.  Stempell  u.  a.  bestätigen  mehr  oder  weniger  gut 
die  aus  den  großem  gezogenen  Ergebnisse. 

1.  Die  größte  in  den  50er,  60er  und  70er  Jahren  von  Argelander 
festgestellte  Helligkeit  des  Granatstemes  beträgt  etwa  3.7,  die 
kleinste  4.7  Größenklasse  der  Potsdamer  Skala.  Für  die  Zeit  von 
1871  bis  1888  ist  sie  nicht  zu  ermitteln,  weil  die  Beobachtungsleihe 
von  Schmidt  für  die  Ableitung  absoluter  Helligkeiten  nicht  brauchbar 
ist.  Li  der  Zeit  von  1888  bis  1903  hat  die  Helligkeit  sehr  nahe  die- 
selben Extreme  gehabt  wie  bei  Argelander;  das  folgt  aus  des  Ver- 
fassers Beobachtungsreihe  unter  Berücksichtigung  des  systematischen 
Fehlers  in  der  Rotauffassung. 

^)  Afitron.  Nachr.  Nr.  3961. 


Fixsterne.  65 

2.  Es  besteht  ein  Lichtwechsel  von  langer  Periode,  die  zu  Arge- 
landeis  Zeiten  400  bis  460  Tage  betrug,  nun  aber  auf  etwa  1000  Tage 
angewachsen  ist.  Die  AmpHtude  dieses  Wechsels  betrug  damals  und 
heute  etwa  eine  halbe  Größenklasse.  Da  die  Maxima  verschiedene 
Höhen  erreichen,  und  zwar  vermutlich  in  Abhängigkeit  von  einer 
großem  Periode,  wächst  die  Schwankung  im  ganzen  auf  eine  volle 
Klasse  an. 

3.  Neben  den  großen  Perioden  besteht  eine  kleinere,  die  um  1860 
etwa  82d  betragen  hat,  von  1872  bis  1876  etwa  d3d  mit  progressiver 
Verlängerung,  von  1888  bis  1903  recht  genau  91. 5d.  Dire  Amplitude 
ist  von  der  Größenordnung  der  photometrischen  Stufe.  Zur  Zeit,  wo 
Schmidt  beobachtete,  und  auch  heute,  scheinen  zwei  oder  mehr 
Wellenreihen  dieser  Schwankung  zu  bestehen,  von  denen  bald  diese, 
bald  jene  deutlicher  erkennbar  ist.  Die  kleinen  Variationen  hängen 
nach  Amplitude  und  Epoche  von  den  großen  ab,  und  die  Abhängig- 
keit ist  nicht  einfach  epizyklisch  zu  erklären. 

4.  Die  Rotauffassung  geübter  Beobachter  zeigt  auch  beim  Granat- 
steme  ziemlich  konstante  systematische  Unterschiede;  es  wird  daher 
unter  gehörigen  Vorsichtsmaßregeln  erlaubt  sein,  gleichzeitig  ent- 
standene größere  Beobachtungsreihen  solcher  zur  Kurvenziehung  zu 
kombinieren.  Die  Botauffassung  ungeübter  Beobachter  unterliegt 
systematischen  Schwankungen,  die  aber  den  wahren  Lichtwechsel 
des  Granatstemes  nicht  ganz  verdecken. 

Neben  fortlaufenden  Beobachtungen  der  Helligkeit  nach  Arge- 
Janders  Methode  hält  Plaßmann  mit  Recht  eine  genaue  spektnüe 
Untersuchung  des  Sternes  für  wichtig. 

Der  Verftnderllehe  X  Aurigae,  den  Dr.  Anderson  auf  Grund  seiner 
Beobachtungen  von  April  bis  Mai  1900  als  solchen  erkannte,  ist  be- 
züglich seines  Lichtwechsels,  der  sehr  merkwürdig  erscheint,  von 
Dr.  K.  Graff  genauer  verfolgt  worden.  ^)  Der  Ort  des  Sternes  am 
Himmel  ist  für  (1855.0) 

AR=6hOm54fD=-H50**  15.1'. 

Die  Beobachtungen  von  Dr.  Graff  erstrecken  sich  über  den  Zeit- 
raum 1902  Februar  26  bis  1903  September  19,  während  dessen  die 
Helligkeit  des  Veränderlichen  zwischen  8.5  und  12.3  Größe  schwankte. 
Die  Dauer  der  Lichtwechselperiode  fand  sich  zu  161  Tagen  mit  einem 
Minimum  1902  Oktober  6.  Die  Lichtkurve  des  Sternes  hat  große 
Ähnlichkeit  mit  derjenigen  des  Veränderlichen  W  Ursae  majoris.  Bei 
X  Aurigae  erfolgt  die  Zunahme  des  Lichtes  schneller  als  die  Abnahme 
(etwa  68  :  93  Tage),  während  bei  W  Ursae  majoris  das  Umgekehrte 
der  Fall  ist.  Sonst  sind  die  Hauptmerkmale  der  Veränderiichkeit: 
ein  fast  ununterbrochener  Lichtwechsel,  die  ungewöhnlich  kurze 
Dauer  des  Minimums,  sowie  die  langsame  Hellig^eitsänderung  im 


1)  Astron.  Naohr.  Nr.  3925. 
Klein,  Jahrbnoh  XV. 


66  Fborttra«. 

Maximum,  beiilen  Sternen  gemeinaam.  Aus  Angaben  PickeiingB 
geht  herror,  daB  auch  der  orsprünglich  dem  Algoltypus  zugezahlte 
Verandeiliche  8  Aniliae  eine  ähnliche  Lichtkurve  besitzt  wie  W  Ursae 
majoris  und  X  Aurigae.  „Von  den  beiden  andern  Veränderlichen/* 
bemerkt  Dr.  Oraff,  „unterscheidet  sich  der  letztere  durch  die  lange 
Dauer  der  Periode  und  durch  seine  intensive  gelbe  Farbe.  Die  Er- 
klärung seines  Lichtwechsels  auf  Grund  der  ZöllnerBchen  Hypothese, 
deren  Annahme  in  den  beiden  andern  Fällen  wegen  der  unauffälligen 
Farbe  von  8  Antliae  und  W  Ursae  majoris  unzulässig  ist,  würde  daher 
hier  auf  keinerlei  Schwierigkeiten  stoßen.  Es  wäre  jedoch  müßig, 
schon  jetzt  Erklärungsversuchen  für  den  eigenartigen  Lichtwechsel 
der  VeränderUchen  von  dem  oben  erörterten  Typus  nachzugehen, 
bevor  man  sich  darüber  Gewißheit  verschafft  hat,  daß  diese  neue  Art 
von  Veränderlichen  auch  tatsächlich  von  einheitlichen  Gesichts- 
punkten aus  betrachtet  und  behandelt  werden  darf.** 

Der  Uehtwechsel  des  Verftnderliehen  V  Ursae  majoris  ist  von 

Dr.  K.  Graft  untersucht  worden.  ^)  Er  findet  aus  der  von  ihm  er- 
mittelten Lichtkurve  zwischen  1902  Dezember  11  und  1903  Oktober  7, 
daß  der  Stern  bis  Anfang  März  eine  konstante  Helligkeit  besaß,  um 
nach  Abnahme  derselben  um  eine  Größenklasse  Anfang  Juni  wieder 
die  ursprüngliche  Helligkeit  anzunehmen.  Eine  weitere  Lichtabnahme 
machte  sich  erst  wieder  nach  Mitte  September  bemerkbar.  Das 
gleichmäßige  Leuchten  des  Sternes  wird  somit  von  einem  rund 
98  Tage  dauernden  Lichtwechsel  unterbrochen,  so  daß  man  den  Ver- 
änderlichen den  Algolstemen  zuzählen  könnte.  „In  bezug  auf  die 
Länge  der  Periode  übertrifft  der  neue  Algolveränderliche  V  Ursae 
majoris  die  längste  bis  jetzt  bekannte  (UZ  Cygni  mit  31d)  um  mehr  als 
das  Sechsfache.  Weit  merkwürdiger  ist  die  Tatsache,  daß  der  eigent- 
liche Lichtwechsel  fast  die  Hälfte  der  ganzen  Periode  beansprucht, 
und  daß  diese  Erscheinung  bei  der  übUchen  Deutung  der  Helligkeits- 
änderungen der  Algolsteme  durch  ein  Doppelstemsystem  eine  un- 
gewöhnlich geringe  Distanz  der  Komponenten  voraussetzen  würde. 
Da  der  Stern  weiß,  höchstens  gelblichweiß  ist,  so  kann  auch  anderseits 
die  Rotation  eines  zum  Teil  mit  einem  Erstarrungsprodukte  bedeckten, 
selbstleuchtenden  Körpers  hier  kaum  zur  Erklärung  des  Lichtwechsels 
herangezogen  werden.** 

Bin  Zwisehenminimum  des  langperlodisehen  Veränderllehen 
UZ  Cygnl  hat  Ernst  Hartwig  beobachtet.*)  Der  Veränderiiche  gehört 
zum  Typus  der  Algolsteme,  und  seine  Periode  ist  die  längste  unter 
den  bekannten  dieses  T3rpu6,  nämlich  31.4  Tage,  auch  der  Licht- 
wechsel erheblich,  indem  er  2.7  Größenklassen  beträgt.    Dr.  Hartwig 

1)  Astron.  Nachr.  Nr  3041. 
»)  Astron.  Nachr.  Nr.  3944. 


Fixsterne.  67 

fand  1004  April  3  früh  morgens,  daß  der  Stern  ein  Zwischenminimum 
von  einer  kaum  mehr  ab  0.4  Größenklasse  betragenden  Schwächung 
des  gewöhnlichen  Maximallichtes  zeigte.  Am  4.  und  5.  April  war  der 
Stern  wieder  in  seinem  größten  Lichte.  Eine  ähnliche  Erscheinung 
hat  Dr.  Hartwig  am  23.  März  1903  beobachtet.  Derselbe  Beobachter 
bemerkt,  daß  dieser  Lichtwechsel  nu)ht  durch  den  Umlauf  eins  Tra- 
banten erklärt  werden  könne.  „Dagegen'',  sagt  er,  „scheint  die  birnen- 
förmige Poincar6sche  Gleichgewichtsfigur  den  Lichtwechsel  dieses 
schon  wegen  der  langen  Periode  außerordentUch  interessanten  Algol- 
stemee  darstellen  zu  können.  Der  Durchmesser  des  Teiles  beim 
Stiele  müßte  zu  dem  des  abgestumpften  Teiles  das  Verhältnis  0.06  :  1, 
die  Längsachse  zur  Querachse  etwa  das  Verhältnis  1.7  :  1  haben,  und 
das  Stielende  relativ  dunkel  gegen  die  HeUigkeit  der  übrigen  Ober- 
fläche sein. 

Jedenfalls  scheint  nach  den  bis  jetzt  bekannten  Lichtverhalt- 
nissen kein  getrenntes  Doppelstemsystem  in  diesem  bisher  als  Algol- 
stem  angesehenen  VeränderUchen  vorzuliegen,  sondern  ähnhch  wie 
beim  ß  Lyratypus  die  Rotation  einer  Art  ungetrennten  Doppel- 
körpers  die  Ursache  des  Lichtwechsels  zu  bilden,  deren  Dauer  wenig 
größer  als  die  der  Rotation  der  Sonne  ist.'* 

Benennungen  von  neu  entdeckten  verftnderlichen  Sternen  hat 

die  von  der  astronomischen  Gesellschaft  zur  Herstellung  eines 
Normalkataloges  der  Veränderlichen  eingesetzte  Kommission  bei 
den  in  den  letzten  Jahren  neu  entdeckten  Sternen  dieser  Klasse 
vorgenommen.  ^)  Die  Kommission  ist  bei  der  Benennung  sehr 
vorsichtig  verfahren;  sie  hält  es  für  richtiger,  die  nicht  vollkommen 
gesicherten  Sterne  noch  etwas  länger  zurückzustellen  als  sie  vor- 
zeitig in  das  Verzeichnis  der  bekannten  VeränderUchen  einzureihen, 
auf  die  Gefahr  hin ,  sie  später  vielleicht  wieder  daraus  entfernen 
zu  müssen.  Die  zahlreichen  Veränderlichen,  welche  gruppenweise 
vor  einiger  Zeit  im  Orionnebel,  in  den  Magellanischen  Wolken  und 
an  einigen  andern  Stellen  am  Himmel  entdeckt  worden  sind, 
sollen  nicht  in  der  gewöhnlichen  Weise  mit  Buchstaben  benannt, 
sondern  in  Gruppen  zusanmiengefaßt  und  innerhalb  der  einzelnen 
Gruppen  mit  fortlaufenden  Nummern  versehen  werden,  ähnlich 
wie  es  bei  een  Veränderlichen  in  den  Sternhaufen  beabsichtigt  ist. 
Die  Anordnung  in  dem  folgenden  Verzeichnisse  ist  dieselbe,  wie 
in  den  früher  von  der  Kommission  veröffentUchten  Benennungs- 
listen. Am  Schlüsse  des  Verzeichnisses  sind  noch  kurze  Bemerkungen 
hinzugefügt,  welche  alles  wesentliche  enthalten,  was  bisher  über 
die  einzelnen  Objekte  bekannt  geworden  ist,  die  aber  hier  fort- 
bleiben. In  der  letzten  Spalte  bedeutet  v,  daß  die  HelUgkeit  für 
das  Auge  gilt,  ph,  daß  es  sich  um  photometriscbe  Größen  handelt. 

t)  Astion.  Nachr.  Nr.  3984. 

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68 


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70  FfzsteriM. 

Eine  spektrographisehe  Studie  Ober  ß  Lyne  veröffentlichte  W.  Ski- 
greaves  S.  J.  ^)  Er  betont  in  derselben,  daß,  je  langer  das  Spektrom 
dieses  Steines  studiert  wird,  um  so  deutlicher  die  Notwendigkeit  er- 
scheine, die  photographischen  Auibahmen  zu  verm^iren.  Nach 
seiner  Ansicht  muß  ein  entsprechend  eingerichteter  Telespektrograph 
so  häufig  zu  diesen  Beobachtungen  angewandt  weiden,  bis  für  jeden 
Tag  des  Lichtwechsels  von  ß  Lyrae  eine  Reihe  von  Aufnahmen  zum 
Vergleiche  untereinander  vorhegen.  Es  scheint,  daß  auf  der  Ober- 
flache  dieses  Sternes  temporare  Störungen  vorkommen,  ahnlich  den- 
jenigen auf  unserer  Sonne,  wodureh  die  Wasserstofflinien  distoidiert 
werden. 

Helligkeitsbeobaehtangen  der  Nova  Penei  hat  M.  Esch  S.  J.  in 
der  Zeit  von  1901  JuU  8  bis  1902  März  2  durch  Stufenschatcungen 
gegen  benachbarte  Sterne  angestellt.')  Die  Nova  war  anfangs  noch 
6.3  Große,  sank  dann  aber  im  zweiten  Drittel  des  März  1902  zur 
9.  Größe  herab. 

Eine  neue  Deutung  dw  Spdrtra  der  neuen  Steine  gab  Prof. 
G.  Ebert. 

Die  BpektzoBkopiBohenUntersachungen  des  Lichtes  der  neuen  Steine  haben 
bekanntlich  ergeben,  daß  in  diesen  Spektren  die  hellen  Linien  gegen  das  rote, 
die  dunkeln  gegen  das  violette  Ende  des  Sp^ctrums  venchoben  ermmeinen.  Die 
Deutung  dieser  stets  wiederkehrenden  llrscheinung  hat  nicht  nur  die  anfiüig- 
liche  ^^these  eines  Zusammenstoßes  zweier  mit  entgegengesetzten  Be- 
wegnngsrichtungen  ven^ener  Weltkörpra  EurückffeechobOT,  sondern  über- 
haupt Schwierigkeiten  gemacht,  die  noch  nicht  gäoben  sind  Sie  werden 
dieses  erst  auf  Grund  umfassender  Versuche  im  physikalischen  Laboratorium, 
zu  denen  man  in  der  Tat  übergegangen  ist  über  solche  Versuche  hat  Dr. 
H.  Ebert  bereits  vor  zwei  Jahren  der  l&gl.  bayerischen  Akademie  berichtet^  und 
derselbe  gibt  jetzt  eine  Darstellungi  die  sich  auf  diese  und  ähnliche  Versuche 
stützt  und  gleichzeitig  die  von  Prof.  v.  Seeliger  aufgestellte  Hypothese  über 
das  Wesen  Ser  neuen  Sterne  bestätigt.  Aus  der  Abhandlung  von  Dr.  Ebert  ist 
nachstehend  das  wesentliche  mitgeteilt 

f,Zu  den  eigentümlichsten  Phänomenen  der  gesamten  Astrospektralana- 
lyse'S  safft  er,  „gehören  unzweifelhaft  noch  immer  die  Spektren  der  neuen 
Sterne.  Je  mehr  Einzelheiten  die  großen  spektrophotogcapnischen  HiKsmittel 
der  Neuzeit  in  diesen  Spektren,  namentlich  in  denen  der  Nova  Auiigae  und  der 
Nova  Persei  kennm  gelehrt  haben,  um  so  weniger  erscheinen  dieselben  mit- 
einander vereinbar  und  durch  einlache  Annahmen  erklärbar.  Schon  der  Grund- 
typus dieser  Spektren,  das  aus  hellen«  gegen  das  Rot  zu  verschobenen  Linien 
und  gleichzeitig  damit  auftretenden  dunkeln,  gegen  das  Violett  hin  ver- 
schollenen Linien  desselben  Stoffes  bestehende  kombinierte  Doppelspektrum, 
schien  nach  dem  Dopplerschen  Prinzip  das  Vorhandensein  von  mindestens  zwei 
Weltkorpem  zu  fordern,  von  denen  der  eine  sich  mit  großer  Gieschwindig^ceit 
von  uns  weg,  der  andere  zu  uns  her  bewegen  mußte;  warum  der  eine  aber  nur 
durch  Emissions-,  der  andere  durch  Absorptionslinien  ausgezeichnet  sein  sollte, 
bot  wiederum  der  Erklärung  große  Schwierigkeiten.    Als  sich  vollends  heraus- 

1)  Monthly  Notioes  1904.  $4.  3.  p.  168. 
«)  Astron.  Nachr.  Nr.  3943. 


71 


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^p(e^»toffe,  ja  die  Versohie* 
7tpffee,  nach  dem  Dopp- 

Mikf^tuhrU  verschieden« 

Itit^r^^orzeichen  nach  über- 
iiyg^|»rinzipien  hingewiesen. 
^»  tanims  der  neuen  Sterne 

srhochj 


hochgespannten  Ent- 
lüden unter  Wasser  vor 
§|ie  mit  denen  der  neuen 
Spnte  Forscher  die  hier 
S^ührt,  so  dürfte  diese 
^^^gospannten  Weohsel- 
^4&ben  mit  abgeflachten 
auftretenden  Spektral- 


;*f^'^fvnehen    der    Spektjral- 

€ÖCQI^*  i>^  Flüssigkeiten  über- 

^^^»^Cl^Drucksteigerungen  und 

,^iai(||uterungen  zur  Deutung 

»••OUDt  «00» 

CiSg^^frWBften  mich  meine  «genen 

IScefSiWfSb^äe'^&nkenstrecke  am  Boden 

l'l'^'ll^^'H^^^^'^^^^  Haltern  von  oben 

^Ä-Bi-  VHS  ♦»öi^^9>^i|5HöSt'>fä^^el  befestigte  und  diesem 

gi:;y^Ce5^*<WlW#^:fi«i^*eine  Spieffdglasscheibe 

"'^M^^ttMl^Ü^l  ZmCmtm^iMgC^  wurde  aJso  durchweg 

'^^S^B^ftifi^s'laifÜJiSlas  Licht  auf- den  bald 

"^^^^^rlfi^'^^fS^^^C^vl^^^®^  bei  den  Versuchen 

|tC^lQ^^i^^^^V*^&q^Qr<^it^ten  ein  Rohr  angelötet, 

rliriAi^NiSo^iS'^^^S'^S^^icati^     mit  dem  die 

'^^3^fäiSi>>^C^^^3^föfieherst^^        Durch 

"l^iilgk^^^^ili^^^s^Sssi^eitsniveau  in  dem 

^••II^I^VW^^P^-^®^^^»«  2^  studieren, 

mvf-m  mvf-m  •Vf-m  mvf-m  mvf-m  a^»  «vy» 


^f-ä 


72  Fizfteme. 

während  die  Fnnkenbahn  mehr  oder  weniger  tief  in  die  Flnwiglreit  vecaenkt 
war,  oder  die  Flüeei^eiteoberfl&che  eben  berührte,  oder  endlich  ganz  anßeriialb 
denriben  Lag.  Die  Entladungen  wurden  durch  eine  große  Töplersche  Inflnenz- 
maechine  geliefert;  vor  die  Funkenatrecke  wurde  ein  Funkenmikrometer  ge- 
schaltet, duroh  welches  die  EntladungBspannung  immer  auf  dieselbe  Höhe  ein- 
reguliert wurde.  Das  Ergebnis  vieler  Versuche  mit  dieser  Anordnung  war,  dafi 
Dnickwirkungen  zur  Erklärung  der  Erscheinungen  nicht  ausreichen.*' 

Dr.  Ebert  greift  daher  auf  ein  anderes  Erklärungsprinzip  zurück,  welches 
die  bei  den  Versuchen  auftretenden  enormen  Linienveraohiebungen  und  ebenso 
das  Auftreten  der  charakteristischen  Doppelspektren  in  ungezwungener  Weise 
deutet.  Es  ist  die  anomale  Dispersion,  welche  gewisse  absorbierende  Medien  auf 
den  Gang  der  Lichtstrahlen  ausübcm^-und  wel(£e  W.  H.  Julius  berdts  wiederholt 
zur  Erklärung  Ton  Erscheinungen  auf  der  Soime,  besonders  der  Protuberanaen 
mit  Glück  herbeigezogen  hat.  Ebert  zeigt  nun,  dafi  anomale  Brecd&UQgen 
des  lichtes  in  absorbierenden  Damj^üUen  unter  Umständen  auch  die  Helhg^ 
keitsTorteilung  im  Spektrum  in  der  Umgebung  der  Gebiete  stärkster  Absorption 
sehr  wesentlich  beeiiälnssen,  und  zwar  derart,  daß  das  Spektrum  so  erscheint^ 
wie  man  es  bei  den  neuen  Stauen  als  t^misch  festgestält  hat  Bei  der  An- 
wendung auf  die  Phänomene  der  neuen  Sterne  gewinnt  die  vorgetragene  An- 
schauung deshalb  noch  eine  erhöhte  Wahrscheinlichkeit,  wdl  sie  die  unmittel- 
bare Er^nzung  und  eine  notwendige  Konsequenz  derjenigen  Theorie  darstellt» 
welche  seither  sich  dem  genannten  Phänomene  gegenüber  in  allen  übrigen 
Punkten  als  am  meisten  stichhaltig  erwiesen  hat,  nämlich  der  Seeligerschen 
Theorie  der  neuen  Sterne.     Ebert  erläutert  dies  in  folgender  Weise  naher: 

„H.  V.  Seeliger  nimmt  an,  daß  beim  Aufleuchten  eines  neuen  Sternes  ein 
an  sich  bereits  dunkler  oder  nur  schwach  leuchtender  kompakter  Weltkörper 
mit  kosmischer  Geschwindigkeit  in  eine  an  sich  ebenfalls  nicht  oder  nur  schwach 
leuchtende  ausgedehnte  Staubwolke  hineinfihrt  Fast  täglich  belehrt  uns  die 
Himmelsphotographie,  daß  kosmische  Staub-  oder  Nebelgebüde  vid  häufiger 
im  Welträume  vorhanden  sind,  als  man  früher  nur  irgend  geahnt  hat.  Ander- 
seits hat  besonders  die  Nova  Persei  die  enge  Beziehung  der  neuen  Sterne  zu 
solchen  Nebelgebilden  auf  das  augenfälligste  dargetan. 

Bei  den  großen  relativen  Geschwindigkeiten  zwischen  Weltkörper  und 
Staubteilchen  geffeneinander,  muß  sich  der  Körper  an  seiner  Stirnseite  ober- 
flächlich stark  erhitzen;  aber  auch  die  von  ihm  getroffenen  und  vor  ihm  ver- 
dichteten Teile  der  Staubwolke  müssen  eine  große  Temperaturerhöhung  er- 
fahren, wie  sie  Seeliger  a.  a.  0.  unter  durchaus  plausiblen  Annahmen  für  einige 
Fälle  berechnet.  Diesen  Erhitzungen  müssen  Verdampfungen  parallel  gc^en. 
Am  ehesten  und  am  reichlichsten  werden  diejenioen  Substanzen  verdampfen, 
welche  den  niedrigst  gelesenen  Kondensationspuiuct  besitzen,  das  sind  HdUum 
und  Wasserstoff.  Von  cQesen  muß  zuerst  eine  dichte  Hülle  den  Körper  be- 
gleiten, später  kommen  Metalldämpfe  in  reichlicherm  Maße  hinzu.  Das  Phä- 
nomen stellt  hiernach  im  Bereiche  des  Fixstemsystemes  im  Großen  das  dar, 
was  wir  im  Kleinen  beim  Aufleuchten  eines  Meteors  in  den  hohem  Schichten 
unserer  Erdatmosphäre  beobachten.  Auch  hier  müßten  daher  ähnliche  Spektral- 
erscheinungen  zu  finden  sein  wie  bei  den  neuen  Sternen,  da  die  Ursachen  der- 
selben —  nach  unserer  Auffassung  die  Lichtbrechungen  in  den  Dampfhüllen  — 
wohl  dem  Grade,  nicht  aber  der  Art  nach  verschieden  sind.  Freilich  sind  sie 
hier  ungleich  schwieriger  zu  beobachten  und  daher  wohl  auch  noch  nicht,  soviel 
mir  wenigstens  bekannt  ist,  beobachtet.  Der  Grund  liegt  in  der  großen  Flüch- 
tigkeit der  Erscheinung;  während  die  neuen  Sterne  oft  über  Jahresfrist  hinaus 
helleuchtende  Objekte  am  Himmel  darstellen,  ist  die  Dauer  selbst  der  hellsten 
Boliden  oder  Feuerkugeln  nur  auf  Sekunden  beschränkt.  Solange  also,  als 
nicht  einmal  der  ZufaU  ein  Meteor  von  genügender  Helligkeit  über  die  Platte 
einer  stemspektrographischen  Aufnahme  führt,  muß  diese  Prüfung  d^ 
Theorie  abgewartet  werden. 

Verfolgen  wir  den  Entwicklungsgang  einer  Nova  etwas  näher:  Zunächst 


Fixsterne.  73 

t  wird  bei  dem  Eintreten  des  Körpers  in  die  kosmische  Staubwolke  ein  ziemlich 

li  plötzliches  Aufleuchten  am  Himmd  uns  den  Eintritt  dieser  Kollision  anzeigen; 

b:  dieselbe  ist,  wie  schon  Seeliger  hervorhob,  unendlich  yiel  wahrscheinlicher  als 

3  die  zweier  Weltkörper  gegeneinander  oder  auch  nur  die  eines  solchen  Körpers 

mit  den  Gliedern  eines  andern  Sonnensystemes.  Dabei  wird  sich  im  wesent- 
lichen zunächst  nur  ein  kontinuierliches  Spektrum  mit  immer  weiter  ins  Ultra- 
violett sich  erstreckendem  Strahlenbereiche  ergeben.  Sehr  bald  müssen  aber 
in  der  Staubwolke  Vergasungen  der  kleinen  Partikeln  eintreten;  eine  meLur  und 
mehr  sich  ausdehnende  absorbierende  Dampf  hülle  zunächst  von  Helium  und 
Wasserstoff,  dann  von  Metallen,  legt  sich  um  den  Körper.  Die  Anordnung  der- 
selben müssen  wir  uns  ähnlich  wie  die  der  Verdichtnngswellen  um  ein  mit 
großer  Geschwindigkeit  durch  die  Luft  fliegendes  RundgMchoß  vorstellen,  wie 
sie  durch  photographische  Momentaufnahmen  bei  Funkenlicht  vielfach  veran- 
Z  schaulicht  worden  ist.    Stellt  in  Fig.  1  W  den  in  der  Pfeilrichtung  durch  den 

Nebel  sich  bewegenden  Körper  dar,  so  wird  auf  der  in  der  Bewegungsrichtung 
liegenden  Kalotte  0,  der  Stirnseite,  die  maximale  Lichtentwicklunfl  stattfinden. 
Außer  in  dem  an  sich  nur  wenig  wahrscheinlichen  Falle,  daß  der  Körper  genau 
auf  uns  zukommt,  werden  wir  diese  hellste  Partie  C  immer  nur  mehr  oder 
weniger  schräg  durch  die  Hülle  verdichteter  Gase  und  Dämpfe  hindurch  er- 

*  blicken.  Steht  also  die  Erde  etwa  in  der  Richtung  £,  so  werden  die  in  die 
'^  Ügur  1  eingezeichneten  Strahlen  den  lichtweg  belehnen,  den  die  von  den 
''  einzelnen  Absorptionslinien  eines  bestimmten  Stoffes,  etwa  des  Wasserstoffes, 
*'  nach  dem  Rot  zu  gelegenen  Spektralfarben  nehmen.  Selbst  für  den  Fall,  daß 
^  der  Beobachter  hinter  dem  Sterne  in  der  Richtung  irgend  einer  der  in  der  Figur 
*^  angedeuteten  Schichtfläohen  selbst  steht^  wird  nodi  ein  ähnlicher  Strahlen- 
f  sang  resultieren.  Denn  ein  von  ihm  gegen  den  Stern  gezogen  gedachter  Strc^, 
^  der  in  die  tangentiale  Trennungsfläche  zweier  Schichten  eintritt,  wird  nach  der 
^  Seite  der  wamsenden  Brechungsexponenten,  im  vorliegenden  Falle  also  nach 
•-  innen  hin  gebogen.  Umgekehrt  werden  die  von  den  erhitzten  Oberflächen- 
^             Partien  emittierten  Strahlen  durch  die  entsprechende  Umbiegung  in  das  Auge 

*  oes  Beobachters  gelangen. 

^  Ganz  anders  liegt  der  Fall  für  die  hohem  Schwingungen,  für  welche  die 

äußersten  Schichten  die  optisch  dichtesten,  die  weiter  nach  innen  gelegenen 
^  aber  solche  mit  immer  kleinem  Brechungsexponenten  sind.     Strahlen  dieser 

Art,  die  von  E  kommen,  müssen  in  der  Dampfhülle  etwa  den  durch  die  ge- 
I '  strichelten  Linien  angedeuteten  Weg  nehmen,  für  sie  verdeckt  also  der  kompakte 

I  Körper  W  selbst  den  größten  Teil  der  an  der  Stirnfläche  C  sich  entwickelnden 

^  Leudiunrozesse.    Sellwt  in  dem  Falle,  daß  E  der  Bewegpingsrichtnng  von  W 

*  viel  näher  liegt,  als  in  der  Figur  angenommen  ist,  werden  die  Strahlen,  für  die 
^  der  Brechunfflindex  n  orößer  als  I  ist,  mehr  Licht  dem  Beobachter  zuführen 
(  als  die  Strahlen  mit  solchen  imter  1.    In  dem  Spektram  müssen  also  die  Ab- 
sorptionslinien derjeniffen  Stoffe,  aus  denen  die  Hülle  hauptsächlich  zusammen- 

^  sesetzt  ist,  stark  nach  dem  Violett  zu  verbreitert  erscheinen;  ein  dunkler 

Schatten  legt  sich  hier  scheinbar  über  das  dem  ganzen  zugrunde  liegende  kon- 
tinnieriiche  Spektrum;  die  Mitte  der  Linie  ist  stark  nach  dem  Violett  zu  ver- 
schoben. Nach  dem  Rot  hin  scheint  dagegen  dem  hellen  Hintergrunde  ein  noch 
helleres  Band  aufgesetzt  zu  sein,  dessen  Litensität  nach  dem  Rot  hin  sich  all- 
mählich verliert  und  nach  dem  Violett  zu,  also  gegen  die  Absorptionslinie  hin 
scharf  abfällt;  die  hellste  Kante  dieses  Bandes  liegt  dem  normalen  Linienorte 
sehr  nahe  mit  einer  nur  geringen  Verschiebung  gegen  das  Rot  hin.  Die  Hellig- 
keit dieses  Bandes  kann  fast  so  steil  ansteigen  wie  die  Dispersionskurve  selbst. 
Es  kann  für  diese  Strahlen  mit  einem  n  >  1  bei  der  Schichtung  der  Dampf- 
hülle aber  noch  ein  anderer  Fall  eintreten,  der  besonders  im  Auge  zu  behalten 
ist,  nämlich  der,  daß  die  Strahlen  mit  höchsten  n- Werten  überhaupt  nicht  aus- 
treten« sondern  total  reflektiert  werden.  Hier  wächst  dann  die  Helli^eit  nur 
bis  zu  einem  bestimmten  maximalen  Betrage,  der  für  einen  großem  Wellen- 
längenbereich etwa  der  gleiche  bleibt;  es  entsteht  ein  breites  helles  Band  von 


'tf 


74  Fixsterne. 

nahoEU  gleichmaßiger  Intensität,  welches  gegen  Violett  su  aoharf  begrenzt  ist, 
sich  gegen  das  Rot  hin  allmählich  in  der  allgemeinen  HeUe  des  kontinaier- 
liehen  Spektrums  verliert.  Die  Mitten  dieser  Bander  sind  dann  stark  gegen 
Rot  zu  verschoben. 

Für  alle  diese  im  vorstehenden  skizzierten  Falle  finden  sich  in  der  Liteiator 
über  die  verschiedenen  Novae  zahlreiche  Beispiele,  die  einzeln  hier  zu  biegen, 
zu  weit  führen  würde. 

Neben  den  verbreiterten,  verwaschenen  und  staik  verschobenen  heUen 
und  dunkeln  Linien,  die  wir  uns  in  dieser  Weise  entstanden  denken,  können 
natürlich  auch  schule  und  schmale  eigentliche  Emissions-  und  AbaorptionB- 
linien  auftreten,  die  teils  von  der  Gashülle,  teils  von  dem  Weltkörper  selbst 
herrühren.  Die  aus  diesen  schmalen  und  aus  den  breiten  Linien  nach  dem 
Dopplersohen  Prinzip  hergeleiteten  Bewegungsgesohwindigkeiten  werden  aber 
im  allgemeinen  niemals  identische  Werte  ergeben  können. 

Ein  wesentlichervorteil  der  Seeligerschen Theorie  liegt  außer  in  ihrer  großoi 
Einfachheit  und  Natürlichkeit  in  der  Ungeheuern  FiUle  von  Einzelmögli«^- 
keiten,  welche  sie  zuläßt.  Kommt  der  Weltkörper  auf  uns  zu,  haben  wir  vor 
ihm  also  eine  verhältnismäßig  dünne  Dampfschicht,  so  kann  das  kontinuier- 
liche Spektrum  und  einzelne  helle  Linien  vollkommen  dominieren,  die  Linien- 
verdopplung ist  nur  angedeutet.  Bewegt  er  sich  von  uns  weg,  so  sehen  wir  ihn 
durch  immer  dicker  werdende  Dampfschichten  hindurch,  so  daß  die  Linien- 
verschiebung sich  bis  zu  einem  außerordentlichen  Betrage  stdgem  kann.  Es 
kann  dann  ein  sehr  plötzlicher  Wechsel  eintreten,  indem  sich  Damphnaseen 
losreißen  und  zurückbleiben,  ja  es  kann  zu  periodischen  Aufhellungen  kommen, 
wie  wir  dies  auch  bei  den  Meteorerscheinungen  in  unserer  Atmosphäre  beob- 
aditen;  mit  diesen  AufheUungen  können  entsprechende  periodische  Ändeningen 
im  Spektrum  parallel  gehen. 

Aber  auch  durch  me  verschiedenen  Dichten  der  kosmischen  Staubwolken 
und  Dichtevariationen  innerhalb  derselben  Wolke  längs  der  Bahn,  in  der  sie 
der  Körper  passiert,  und  dessen  relativer  Geschwindi^eit  sind  neue  Möglich- 
keiten der  Einzelerscheinungen  gegeben.  Die  Stellen  relativer  MazimalcSchte 
einer  solchen  Wolke  werden  sich  im  allgemeinen  auf  einer  Oberfläche  doppelter 
Krümmung  vorfinden,  so  daß  der  Körper  mehrere  Gebiete  eriiöhter  Dichte- 
werte nacheinander  durchstoßen  kann.  Für  uns  lagern  sich  dann  mehrere  der 
geschilderten  Spektralerscheinungen  übereinander.  Daduroh  erklären  sich 
sehr  leicht  die  sekundären  Intensitätsmaxima  und  -minima,  welche  sich  den 
verbreiterten  hellen  und  dunkeln  Linien  in  den  Spektren  der  neuen  Sterne 
gelegentlich  superponieren. 

Hat  der  Weltkörper  die  Staubwolke  verlassen,  so  kann  seine  Heiligst 
verhältnismäßig  sehr  rasch  wieder  sinken,  wenn  es,  wie  hier  angenommen, 
wesentlich  nur  seine  oberflächlichsten  Schichten  waren,  die  bei  der  Kollision 
mit  den  Staubteilchen  erhitzt  wurden,  eine  Erscheinung,  die  ebenfalls  für  die 
neuen  Sterne  sehr  charakteristisch  ist. 

Auf  eins  soll  noch  hingewiesen  werden,  was  die  hier  entwickelte  Ansicht 
von  einer  ganz  andern  Seite  her  stützt:  die  innige  Beziehung  der  neuen  Sterne 
zu  Nebelgebilden,  wie  sie  namentlich  bei  der  ^va  Persei  zutage  getreten  ist 
und  die  entsprechende  große  V«*wandtschaft  der  Spektren  der  neuen  Sterne 
mit  denen  verschiedener  NebeL 

Auch  auf  eine  Reihe  von  veränderlichen  Sternen  von  kurzer  Periode,  in 
deren  Spektren  periodische  Linienverschiebungen  vorkommen,  kann  die  hier 
auseinandergesetzte  Vorstellung  Anwendung  finden.  Ist  die  Lichteraission 
eines  Weltkörpers  an  verschiedenen  Punkten  seiner  Oberfläche  wesentlich  ver- 
schieden, und  ist  er  von  einer  dichten  Dampfatmosphäre  umhüllt,  so  muß  er  bei 
seiner  Rotation  einem  fernen  Beobachter  ein  in  seiner  Ausbildung  wechselndes 
Phänomen  von  der  Art  des  geschilderten  mit  sdnen  Linienverschiebungen  und 
Verdopplungen  darbieten;  die  Periode  desselben  wird  dann  diejenige  seiner 
Achsendrehung  sein.    Wir  bedürfen  also  in  diesem  Falle  nicht  unbedingt  der 


Fixsterne.  75 

Annahme  zweier  Weltkörper,  von  denen  aich  der  eine  auf  uns  zu,  der  andere  von 
uns  weg  bewegt. 

Es  soll  indessen  durchaus  nioht  geleugnet  werden,  daß  in  allen  den  ge- 
nannten Fällen  daneben  tatsachlich  auch  Idnienverschiebungen  eine  Rolle 
spiel^  welche  teils  aus  Bewegungen  im  Visionsradius  nach  dem  Dopplersohen 
Prinzip,  teils  aus  Drucksteigerungen  zuf(^ge  der  darüber  bekannten  Labo- 
ratoriumserfahrungen resultieren.  Durch  das  Vorstehende  sollte  hauptsachlich 
gezeigt  werden,  daß  neben  Bewegung  und  Druck  auch  die  anomalen  Brechungen 
bei  der  Deutung  der  Spektralerscheinungen  cölestischer  Objekte  mit  in  Betracht 
zu  ziehen  sind. 

Baobaehtungen  von  100  neu  entdeekten  Doppelsternen  auf  der 
Lieksternwarte.  W.  J.  Hussey  veröffentlichte  den  siebenten  Katalog 
Ton  Doppelatemen,  die  am  12-  und  36-zölligen  Refraktor,  sowie  bei  ge« 
I^^ntlicher  Benutzung  anderer  großer  Instrumente  von  ihm  ent- 
deckt worden  sind.  ^)  Es  sind  sämtlich  Paare,  deren  Hauptstem  in 
der  Bonner  Durchmusterung  vorkommt  und  höchstens  siebenter 
Größe  ist.  Bei  47  Paaren  betragt  die  Distanz  weniger  als  1^,  bei 
27  unter  0.5^.  Unter  ihnen  befindet  sich  der  Struvesche  Doppel- 
stem  S  1718  (a  =  13h  Im  7b  <$  »  +  bV  31.4'),  dessen  Hauptstem 
neunter  Größe  von  Hussey  in  zwei  Sterne  9.5  und  10.6  Größe 
zerlegt  wurde,   deren  Distanz  0.34"^  beträgt. 

Doppelstemmessungen  am  40-zöiligen  Refraktor  der  Terkes- 
stemwarte. ')  In  den  Jahren  1900  und  1901  hat  S.  W.  Bumham  eine 
große  Anzahl  von  Doppelstemmessungen  ausgeführt,  die  sich  auf 
solche  Paare  bezogen,  welche  lange  nicht  beobachtet  worden  sind. 
Dieselben  gehören  meist  den  Katalogen  von  Herschel  und  South  an, 
bezieben  sich  aber  auch  auf  Doppelsteme,  die  in  Cincinnati  und 
Cambridge  (N.-A.)  gefunden  worden  sind,  auch  einige  neue  Paare 
hat  Bumham  bei  dieser  Gelegenheit  entdeckt,  obgleich  er  nicht  be- 
absichtigte, nach  neuen  Doppelsternen  zu  suchen.  Im  ganzen  ist  da- 
durch die  Anzahl  der  von  ihm  selbst  entdeckten  und  meist  sehr 
schwierigen  Doppelsteme,  auf  1308  gestiegen.  Von  den  neu  ent- 
deckten sind  folgende  Hauptsteme  dem  bloßen  Auge  sichtbar. 

ß  1295.  2  Camelopardali  (a  »  4h  60m  27>d  »  +  e^""  14'). 
Der  Hauptstem  ist  6.  Größe  und  hat  einen  Begleiter  7.  Größe 
in  d  »  0.2r  Distanz  p  »  140.4''  (1901.80).  Ein  von  Stmve 
entdeckter  Begleiter  steht  in  d »  1.54^  p  »  288.7^,  ein  anderer 
in  d  »  23.26""  p  »  212.8^.  Letzterer  wurde  von  Bumham  am 
36-ZölIer  entdeckt. 

ß  1300.    30  Sagittarii  a  »  18h  43m  38i  d  »  —  22"^  16').     Der 
Hauptstem  ist   6.  der  Begleiter  13.  Größe.     Bumhams  Messungen 
ergaben  für    1901.18  folgende  Stellung  des  Begleiters. 
d  =  21.46^  p  =  246.6°. 

^)  lick  Obeervatory  Bulletin  Nr.  57. 

s)  Publications  of  äie  Yerkee  Obeervatory.    2. 


76  FlzBtenie. 

ß  1307.  ö3  Aquarii  (a  =  2^1  20m  3b  iJ  =  —  l?**  210.  Von 
Herachel  und  South  als  Doppelstem  erkannt  A  6.,  B  6.  Gr.  Bumham 
entdeckte  noch  zwei  Begleiter  C  und  D  12.9  und  13.9  6r.  und  gibt 
folgende  Messungen: 

A  und  B  1900.73    d  »    6.93"    p  »  309.4» 
B  und  C  1901.09        «  46.66         »  339.1 
C  und  D  1901.08        «    1.83         »  101.4 

C  und  D  bilden  ein  sehr  schwierig  zu  messendes  Paar. 

Das  Massenverhiltnis  der  Komponenten  des  Doppebtwnes  p 
Ophinehi  ist  von  Adalbert  Prey  bestimmt  worden.  ^)  Er  kommt 
zu  dem  bemerkenswerten  Resultate,  daß  der  Schwerpunkt  in  ^/^ 
der  Distanz,  dem  Begleiter  also  naher  liegt  als  dem  Hauptsteme, 
so  daß  die  Masse  des  Begleiters  viermal  so  groß  ist  als  die  des 
Hauptstemes.  Mit  Schurs  Parallaxe  0.16'  sind  die  beiden  Maiwen 
bezüglich  gleich  0.32  und  1.28  Sonnenmassen.  Wir  finden  somit 
hier  wieder  eines  jener  Beispiele,  welche  zeigen,  daß  in  der  Fizstem- 
welt  Masse  und  Helligkeit  keineswegs  proportional  sind.  Der  be- 
kannteste Fall  dieser  Art  ist  Sirius,  dessen  Begleiter,  obwohl  nur 
2i4mal  kleiner,  ein  Stern  der  9.  Größe  ist.  Auch  Procyon  üb^tnfft 
seinen  Begleiter,  der  13.  Größe  ist,  nur  siebenmal  an  Masse.  Im 
vorliegenden  Falle  ist  die  größere  Masse  die  Uchtschwächeie. 

Die  Bahn  des  Siriusbegleiten  ist  von  Dr.  O.  Lohse  neu  berechnet 
worden.*)  Da  dieser  Begleiter  nach  dem  Periastron  (1894)  bereits 
im  Jahre  1896  wieder  mit  Sicherheit  gesehen  werden  konnte,  und 
seit  dieser  2!eit  bis  1903  zahlreiche  Beobachtungen  mit  den  mächtige 
amerikanischen  Instrumenten  vorUegen,  so  ist  es  interessant,  eine 
Bahn  zu  ermitteln,  bei  deren  Berechnung  die  neuem  Beobachtungen 
samüich  berücksichtigt  sind.  Es  hat  der  Siriusbegleiter  seit  seiner 
Entdeckung  1862  nun  bald  einen  ganzen  Umlauf  vollendet,  und  es  ist 
nur  noch  ungefähr  ^1x2  ^^  Weges  zurückzulegen.  Man  sollte  daher 
erwarten,  daß  die  gegenwärtig  zu  ermittelnde  Bahn  auch  in  bezug 
auf  die  dynamischen  Elemente  nicht  mehr  sehr  weit  von  der  Wirk- 
lichkeit abweichen  könne.  Dr.  Lohse  hat  nach  Aufzeichnung  der 
Beobachtungen  und  Konstruktion  einer  passenden  Ellipse  die 
Methode  von  Zwiers  benutzt,  um  die  geometrischen  Elemente  zu 
finden.  Die  dynamischen  Elemente  wurden  aus  zwei  mittlem  Ano- 
malien bestimmt,  die  ungefähr  um  einen  halben  Umlauf  voneinander 
entfernt  waren.  Zur  möglichst  sichern  Feststellung  dieser  mittlem 
Anomalien  verwertete  Lohse  alle  vorhandenen  Poeitionswinkel- 
messungen,  die  einesteils  vor,  andemteils  nach  dem  Periastron  an- 


1)  Astron.  Naohr.  Nr.  3946. 

2)  Astron.  Nachr.  Nr.  3966. 


Fixsterne.  77 

gestellt  worden  sind.  Er  erhielt  so  folgendes  Elementensystem  für 
1900.0: 

T  =  1894.337  (1844.966),  ü  =  60.381,  n  =.  —  7.14669°,  e  =  0.698 
ß  =  44.12^  i  =  39.91°,  a>  =  212.20°    a  =  7.427^ 

Um  diese  Bahnelemente  mit  den  Beobachtungen  vergleichen  zu 
können,  hat  Verf.  die  Normalörter  des  Siriusbegleiters  von  Zwiera 
mit  denjenigen  von  Bumham  zu  Mittelwerten  vereinigt  und  die  so 
erhaltenen  Positionswinkel  und  Distanzen  mit  den  aus  obigen  Ele« 
menten  berechneten  zusammengestellt. 

Es  ergab  sich  bis  zum  Jahre  1903  eine  befriedigende  Überein^ 
Stimmung  zwischen  Rechnung  und  Beobachtung.  „Vergleicht  man,'^ 
sagt  Dr.  Lohse,  „die  oben  mitgeteilten  Bahnelemente  mit  dem  Systeme 
II  von  Zwiers,  bei  dem  auch  schon  Beobachtungen  von  1897  und  1898. 
mit  berücksichtigt  wurden,  so  muß  die  gute  Übereinstimmung  der 
Größen  T,  e,  Sl  und  a>  auffallen.  Stärkere  Abweichungen  zeigen  die 
Neigung  i  und  die  Umlaufszeit  U.'  Die  letztere  erscheint  um  2.26 
Jahre  gegen  die  erste  Bestimmung  von  Zwiers  verlängert  und  ist 
auch  1.70  Jahre  größer  als  die  von  Auwers  aus  Meridianbeobach^ 
tungen  abgeleitete,  die  sich  über  mehr  als  zwei  Umläufe  des  Sirius 
um  den  gemeinsamen  Schwerpunkt  erstrecken.  Diese  Abweichung 
deutet  bereits  an,  daß  die  nach  dem  Systeme  II  von  Zwiers  berechneten 
Korrektionen  für  die  Position  des  Sirius  in  geringerm  Grade  genügen 
würden,  als  das  modifizierte  Elementensystem  V*  von  Auwers,  bei 
dem  die  Umlaufszeit  von  49.4  Jahren  beibehalten  war. 

Wäre  es  gestattet,  das  Mittel  aus  den  beiden  Zwiersschen  Werten 
für  U  zu  nehmen,  so  würde  eine  Zahl  resultieren,  die  vermutlich  der 
wirklichen  Umlaufszeit  des  Begleiters,  resp.  der  Umlaufszeit  dea 
Hauptstemes  um  den  Schwerpunkt  ziemlich  nahe  liegt. 

Spektroskopische  Bestimmungen  der  radialen  Gesehwindigkeit 
von  Fixsternen  sind  seit  dem  letzten  Berichte  wieder  in  größerer  An^ 
zahl  veröffentlicht  worden.  Von  den  dort^)  erwähnten  Normal* 
Sternen  haben  Prof.  Frost  und  Walter  S.  Adams  auf  der  Yerkes^ 
Sternwarte  zehn  genauer  beobachtet.  ^)  Die  Aufnahmen  geschahen 
durchweg  zu  der  Zeit,  wo  jeder  Stern  um  Mittemacht  im  Meridiane 
stand  und  30  Tage  früher,  sowie  SO  Tage  später.  Mit  geringen  Aus- 
nahmen konnten  diese  Zeiten  genau  eingehalten  werden.  Die  Auf- 
nahmen geschahen  mit  dem  Brucespektrographen,  der  am  großen 
Refraktor  der  Yerkesstemwarte  angebracht  wurde  unter  allen 
Vorsichtsmaßregeln,  welche  die  lange  Erfahrung  und  der  Scharf- 
sinn der  Beobachter  an  die  Hand  gaben.  Die  erlangten  Aufnahmen 
und  die  Ausmessungen  der  Platten  sind  daher  von  großer  Zuver^ 
lässigkeit,  und  die  innere  Übereinstimmung  derselben  läßt  nichts  zu 

^)  Dieses  Jahrbuch.  14.  p.  136. 

*)  Astrophye.  Joorn.  18.  Nr.  4.  p.  237. 


78  Fixsterne. 

wünschen  übrig.  Die  AoBmessungen  der  einzelnen  Platten  geschahen 
unabhängig  von  jedem  der  beiden  Astrophysiker,  um  über  die 
etwaigen  persönlichen  EigentümUohkeiten  in  der  Auffassung  beim 
Messen  der  Spektrallinien  Aufschluß  zu  erhalten.  Es  ergab  sich  eis 
kleiner  Unterschied  in  dieser  Beziehung,  und  zwar  so,  daß  nach  den 
Messungen  von  Frost  die  Geschwindigkeiten  der  Sterne  durch- 
schnittUch  0.10  km  größer  ausfielen  ab  nach  denjenigen  von  Adams, 
doch  ist  es  zweifelhaft,  ob  diese  geringe  Differenz  wirklich  besteht 
oder  nur  durch  die  verschiedene  Auffassung  bei  einigen  wenigen 
minder  scharfen  Platten  (mit  dem  Spektrum  von  t  Aquilae)  be- 
dingt ist. 

Zur  Kontrolle  wurden  auch  die  Spektra  des  Mondes,  sowie  der 
Planeten  Mars  und  Venus  aufgenommen  und  die  Linienverschiebungen 
infolge  ihrer  Bewegung  auf  denselben  gemessen.  Da  diese  Be- 
wegungen bekannt  sind,  so  mußte  der  Grad  der  Übereinstimmung 
dieser  bekannten  mit  den  aus  den  Spektralaufnahmen  berechneten 
Bewegungen  ein  gutes  Urteil  über  die  Genauigkeit  der  Aufnahmen 
gestatten. 

Es  ergab  sich,  daß  die  Messungen  und  Rechnungen  bis  auf  0.1  i»i 
genau  miteinander  übereinstimmen,  so  daß  man  also  bei  dem  Spektio- 
graphen  keine  systematischen  Fehlerquellen  voraussetzen  kann,  und 
auch  bezügUch  der  Fixsterne  den  Messungsresultaten  ein  hoher 
Grad  von  Zuverlässigkeit  zuzuschreiben  ist. 

Die  Ergebnisse  aus  allen  Platten  und  für  die  Ausmessungen 
beider  Beobachter  sind  in  ihren  Mittelwerten  folgende,  wobei  das 
Vorzeichen  —  ein  Annähern,  +  ein  Entfernen  des  Sternes  von  der 
Erde  bedeutet,  und  die  Geschwindigkeiten  in  Kilometern  pro  Sekunde 
ausgedrückt  sind. 


a  ArietiB 

— 1.3.7  km 

o  Bootis 

—  4.8  km 

aPeraei 

-   2.1    „ 

ß  Ophinohi 
7  Aquilae 

-11.1    „ 

ß  Leporis 

-12.4    „ 

-    1.8    „ 

ß  Geminorum 

-H    8.4    „ 

f  Pegftsi 

+   6.2    „ 

«  Cratorifl 

+  47.4    „ 

r  Pisdum 

-10.»    n 

Außer  diesen  Sternen  haben  die  beiden  Astrophysiker,  einem 
Wunsche  von  Prof.  Belopolsky  folgend,  noch  folgende  drei  Sterne 
mit  den  beigefügten  Ergebnissen  aufgenommen  und  vermessen: 

t  Aurigae         + 19.0  ktn 
c  Leonis  -j-   6.6    „ 

T  Oephel  —41.2    „ 

Die  Resultate  für  e  Leonis,  welcher  Stern  an  drei  Abenden  auf- 
genommen  wurde,  stimmen  für  jeden  Abend  untereinander  sehr  gut 
überein,  ergeben  aber  für  die  verschiedenen  Zeiten  etwas  verschied^ie 
Werte  der  Geschwindigkeit  (nämlich  +  4.3,  4.6  und  6.4  km\  so  daß 
möglicherweise  dieser  Stern  eine  veränderUche  Radialgeschwindig- 
keit besitzt.  Darüber  können  jedoch  erst  weitere  Beobachtungen 
die  Entscheidung  geben. 


FizBteme. 


79 


Von  einigen  der  angeführten  Sterne  haben  schon  früher  ver- 
fichiedene  Astrophysiker  ebenfalls  Bestimmungen  ihrer  radialen  Qe- 
sohwindigkeit  ausgeführt,  und  es  ist  von  Interesse,  diese  mit  den 
neuesten  Ermittlungen  von  Frost  und  Adams  auf  der  Yerkesstem- 
T^arte  zu  vergleichen. 


KamA 
des  StemM 

Beobachter 

Ghesohwin- 
digkeit 

Epoche 

a  ArlÜes      .     .     . 

CampbeU 

Adams 

Newall 

Frost  und  Adams 

—  U.l  ibfl 
-18.7     „ 
-14.3     „ 
-18.7     „ 

1896 
1901 
1902 
1902 

«  Penei       .    .    . 

Campbell 

Vogel 

Newall 

Frost  und  Adams 

-  2.4     „ 

-  8.2     „ 

-  2.6     „ 

-  2.1     „ 

1897 
1901 
1902 
1902 

o  Bootls      .    .    . 

Frost  und  Adams 

Newall 
Frost  und  Adams 

-  4.8     „ 

-  5.8     „ 

-  4.8     „ 

1902 
1903 
1908 

t  Pegasi      .    .    . 

Campbell 
Frost  und  Adams 

-•-    6.2     „ 

1897 
1902 

«  LeoniB      .    .    . 

Wright 

Adams 

Frost  und  Adams 

+    6.1     „ 
-h    4.0     „ 
-f    6.6     „ 

1899 
1900 
1908 

Die  vorstehende  kleine  Tabelle  gibt  eine  ZusammensteUung  der- 
selben nebst  den  Namen  der  Beobachter  mit  Zufügung  der  oben  mit- 
geteilten neuesten  Ermittlungen  auf  der   Yerkesstemwarte. 

Diese  Angaben  stimmen  im  allgemeinen  gut  miteinander  über- 
ein, nur  bei  a  Bootis  ist  der  Unterschied  der  frühem  mit  den  neuesten 
Messungen  auf  der  Yerkesstemwarte,  obgleich  nur  0.5  hm  be- 
tragend, etwas  größer,  als  man  erwarten  durfte,  da  die  Linien  im 
Spektrum  dieses  Sternes  recht  scharf  erscheinen.  Vielleicht  gehört 
a  Bootis  zu  den  Sternen  mit  veränderlicher  Eigenbewegung,  worüber 
sich  in  wenigen  Jahren  ein  sicherer  Entscheid  wird  herbeiführen 
lassen. 

Spektroskopische  Beobachtungen  von  Normabteroen  in  Pulkowa 
sind  in  den  Jahren  1002  und  1003  von  A.  B^lopolsky  mit  einem 
neuen,  nach  dem  Muster  des  Potsdamer  angefertigten  Spektro- 
graphen  ausgeführt  worden.  ^)  Als  Vergleichspektrum  zur  Bestim- 
mung der  Linienverschiebungen  diente  meist  das  Eisenspektrum. 
Die  Messimgen  auf  den  Platten  wurde  mit  aller  möglichen  Sorgfalt 
ausgeführt,  und  bei  der  Berechnung  der  Verschiebungen  die  Rowland- 
sehen  WeUenlangen  zugrunde  gelegt.     Um  sich  von  der  Leistungs- 


^)  Astroph.  Joum.  19.  p.  86. 


80  Flxiterne. 

fähigkeit  des  neuen  Spektrographen  zu  überzeugen,  hat  Professor 
B^lopolsky  das  Spektrum  des  östlichen  und  westlichen  Bandes  der 
Sonne  im  Äquator  aufgenommen  und  findet  auf  einer  Platte  aas  den 
Messungen  der  Verschiebungen  von  21  Linien  für  die  Geschwindigkeit 
der  Sonnenrotation  im  Äquator  1.84  hm  mit  einer  Unsicherheit  von 
+  0.09  km,  aus  einer  zweiten  Platte  den  nämlichen  Mittelwert  mit 
einer  Unsicherheit  von  0.06  km.  Beim  Planeten  Mars  ergab  eine 
Aufnahme  1903  März  29  als  Radialgeschwindigkeit  —  2.06  km  pro 
Sekunde,  während  die  Berechnimg  auf  Grund  der  Ephemeriden  da- 
für —  l.Sl  km  ergab.  Andere  Aufnahmen  ergaben  noch  bessere  Über- 
einstimmung, und  bei  Jupiter  war  der  Unterschied  zwischen  Beob- 
achtung und  Rechnung  im  Mittel  nur  —  0.06  km.  Sonach  kann  man 
als  erwiesen  betrachten,  daß  die  Messungen  der  LinienverschiebongBn 
in  diesen  Sj>ektrogrammen  zuverlässige  Werte  der  Größe  der  Eigien- 
bewegung  in  der  Richtung  der  Gesichtslinie  zwischen  Stern  und 
Beobachter  hefem.  Es  wurden  folgende  Werte  für  die  bezeichneten 
Normalsteme  erhalten,  wobei  —  Annäherung,  +  Entfernung  des 
Sternes  von  der  Sonne  bedeuten.  Die  Geschwindigkeiten  sind  aus- 
gedrückt in  Kilometern  pro  Sekunde,  +  bezeichnet  den  wahrschein- 
Uchen  Fehler  des  angegebenen  Mittelwertes. 


a  Persei  .  .  .  ■—  2.89  ±  0.4 
a  Booüfl  ...  —  6.07  +0.4 
f   Pegasi      .     .     .    -f   5.99    ±0.2 


ß  GremiDomm  .  .  +3.87  ±0.1 
r  Aquüae  ...  —  1.98  +0.4 
r  Cephei     .     .     .    —39.94     +0.6 


Die  starke  radiale  Eigenbewegung  des  Sternes  t  Cephei  war 
schon  1897  durch  die  Aufnahme  des  Spektrums  in  Pulkowa  erkannt 
worden. 

Bestimmungen  der  radialen  Geschwindigkeiten  von  20  Stomen 
des  Oriontypus  auf  der  Yerkesstemwarte.  Der  kurzen  Mitteilung 
über  die  Ergebnisse  dieser  Untersuchung^)  haben  Edwin  B.  Frost 
.  und  Walter  S.  Adams  nunmehr  eine  ausführUche  Darstellung  folgen 
lassen.  ^)  Die  Spektra  des  Oriontypus  sind  für  den  Astrophysiker 
von  besonderm  Interesse,  denn  sie  bezeichnen  un&^Uch  ein  sehr 
frühes  Stadium  in  der  Entwicklung  der  Sterne.  Ihre  chemische 
Zusammensetzung  ist  einfach,  die  hauptsächlichsten  ihrer  Spektral- 
linien gehören  dem  Wasserstoff,  Hehum,  Sauerstoff,  Silizium,  Stick- 
stoff und  Magnesium  an.  Die  Anwesenheit  des  Hehums  ist 
dasHauptcharakteristikum  dieses  Typus,  weshalb  die  Sterne  desselben 
bisweilen  auch  als  HeUumsteme  bezeichnet  werden.  Das  breite 
und  etwas  verwaschene  Aussehen  der  meisten  dieser  Linien  macht 
die  Spektra  zur  genauen  Ausmessung  der  Lage  der  Linien  alleidings 
weniger  geeignet,  so  daß  die  Genauigkeit  derselben  nicht  diejenige 
der  Sterne  des  Sonnentypus  erreicht. 

1)  Dieses  Jalirbuc^14.  p.  135. 

>)  Decennial  Pablications  of  the  University  of  CSiioago  1903.   8l 


Fizstenii^. 


81 


Die  beiden  öbengeihaAUiten  Astronomen  sind  durch  eine  Reihe 
ähnlicher  Arbeiten  bekannt ,  und  die  ihnen  zur  Verfügung  stehenden 
instrumentellen  Hilfsmittel  zählen  zu  den  vorzüglichsten,  welche 
zurzeit  vorhanden  sind,  nämlich  der  40-zollige  Refraktor  und 
der  große  Brucespektrograph.  Sie  teilen  in  ihrer  Abhandlung  aus- 
führlich alle  Details  über  die  Art  und  Weise  der  Aufnahme,  die 
Apparate  zum  Ausmessen  der  Spektrallinien,  die  Messungs-  und 
Rechnungsmethode  mit,  ebenso  ihre  Untersuchungen  über  die  mög* 
licherweise  vorhandenen  Fehlerquellen,  die  in  dem  Spektrographen, 
der  Adjustierung,  den  Aufnahmen  und  Messungen  vorhanden  sein 
können.    Sie  gehen  auch  näher  auf  die  mögHchen  Fehler  ein,  welche 


BadiAl. 

Zahld. 

Bigen- 

Groß« 

Name  des  Stamei 

B.  A. 

Dekl. 

OMohwin- 
digkeit 

Mea- 

Bungen 

Epoohe 

bt»we- 
gnng 

h    m 

0      ' 

km 

1      -    , 

3:0 

y  Pegari  .... 

0  08 

+ 14  38 

+    5.4 
+  2.» 

12 

1902.06    0.013- 

3.7 

C  Gassiopeiae 

0  31 

4-63  21 

6 

1902.10    0.028 

3.6 

t  GasBiopeiae 

1  47 

--63  11 

—  5.9 

8 

1902.08 

0.043 

3.1 

C  Porsei  .    . 

3  48 

+  31  36 

+  22.1 

7 

1901.95 

0.020 

0.3 

ß  Orionia     . 

6  10 

—   8  19 

. 

1-20.7 

24 

1901.95 

0.002 

19 

f  Orionis 

b  20 

4-    6  15 

. 

-18.0 

10 

1901.98 

0020 

1.8 

<  Orionis     .     . 

5  31 

-    1  16 

- 

-26.7 

7 

1902.06 

0.002 

1.9 

C  Orionis 

6  36 

—    2  00 

- 

-18.8 

7 

1902.52 

0.010 

2.^ 

u  Orionis 

6  48 

—   9  42 

- 

-17.1 

10 

1901.88 

0.005 

2.0 

ß  Canis  Majori« 

6  18 

—  17  54 

- 

-82.6 

6 

1901.84 

0.006 

1.6 

«  Oanis  Majoris 

6  56 

—  28  50 

- 

-27.2 

4 

1902.61 

0.005 

3.6 

^  Leonis      .     . 

10  02 

+ 17  15 

- 

-  8.5 

6 

1902  31 

0.012 

2.8 

r  Oorri  .    . 

12  11 

—  16  69 

-    7.0 

6 

1902.27 

0.162 

3.9 

V  HsrciiliS'  . 

16  17 

. 

-46  33 

-12,7 

6 

1902.21 

0.033 

3.3 

t  Draconis  .     . 

17  08 

- 

-66  50 

-14.4 

8 

1902.19 

0.024 

3.9 

*  Hereulis   .     . 

17  37 

_ 

-46  04 

-16.4 

6 

190192 

0.012 

4.0 

67  Opbiuehi     . 

17  66 

- 

-    2  56 

-   8.1 

4 

1902.47 

0  017 

4.« 

102  Hereulis    . 

18  04 

-h20  48 

-10.8 

6 

190262 

0.012 

4.5 

tl  Lyme  .     . 

19  10 

+  38  68 

—    0.1 

6 

1902.74 

0.005 

4.1 

»  Delphin!  . 

20  28 

H 

-10  58 

- 

-26.2 

4 

1902.56 

0.027 

aus  den  Annahmen  für  die  Wellenlängen  der  Linien  nach  Bowlandä 
System  resultieren,  die  sich  aber  so  unbedeutend  erweisen,  daß  sie 
vernachlässigt  werden  können.  Die  20  Sterne,  mit  denen  sich  ihre 
Untersuchung  beschäftigt,  sind  nicht  etwa  nach  einem  bestimmten 
Systeme  ausgewählt  worden,  sondern  nur  solche  Sterne  des  Orion- 
typus, von  welchen  in  dem  letzten  Jahre  drei  oder  mehrere  Spektro- 
gramme  auf  der  Yerkesstemwarte  erhalten  worden  waren.  Um 
unabhängige  Proben  der  Zuverlässigkeit  und  Genauigkeit  ihrer 
Messungen  zu  gewinnen,  haben  die  beiden  Beobachter  Aufnahmen 
des  Mondes  und  der  Venus  gemacht,  die  Vierschiebungen  der  Linien 
in  deren  Spektren  gemessen  und  die  so  erhaltenen  Geschwindigkeiten 
mit  den  anderweitig  bekannten  radialen  Geschwindigkeiten  beider 
Planeten  verglichen.  Diese  Prüfungen  sind  im  allgemeinen  sehr  be- 
friedigend ausgefallen.    So  ergab  eine  Aufnahme  des  Mondspektrums 

Klein.  Jahrbaoh  XV.  6 


82  Fixsterne. 

am  27.  September  1901  aus  den  Messungen  der  LinienverBchie- 
bungen  eine  radiale  Geschwindigkeit  des  Mondes  von  —  0.5  km  pro 
Sekunde,  während  für  den  gleichen  Moment  die  Rechnung  auf  Grund 
der  Mondtheorie  —  0.6  km  ergibt.  Eine  Spektralaufnahme  der  V^ius 
am  8.  Januar  1902  ergab  deren  radiale  Geschwindigkeit  zu  —  10.5  km, 
während  die  Rechnung  den  Wert  —  11.3  km  Uefert.  Auch  von 
einigen  Fixsternen,  die  anderwärts  bereits  aufgenommen  und  be- 
stimmt waren,  ergaben  die  Aufnahmen  und  Messungen  von  Frost 
und  Adams  gute  Übereinstimmungen.  Man  darf  daher  den  neuen 
Ergebnissen,  welche  die  genannten  Astronomen  erhielten  und  publi- 
zieren, großes  Vertrauen  entgegenbringen.  Die  nachstehende  Tabelle 
enthält  die  Endergebnisse  ihrer  sämtUchen  bezüghchen  Messungen. 
Die  angegebenen  Geschwindigkeiten  in  der  Richtung  zur  Ehde,  also 
die  radialen  Geschwindigkeiten,  sind  in  Kilometern  und  Zehnten 
derselben  pro  Sekunde  ausgedrückt.  Das  Vorzeichen  +  bedeutet,  dafi 
der  Stern  sich  von  der  Erde,  oder  vielmehr  der  Sonne,  entfernt,  — , 
daß  er  sich  nähert.  In  der  letzten  Kolumne  ist  auch  für  jeden  Stern 
die  jährliche  scheinbare  Eigenbewegung  in  Bruchteilen  der  Bogen- 
sekunde  angegeben,  so  wie  sich  dieselbe  aus  vieljährigen  Positions- 
bestimmungen dieser  Sterne  ergeben  hat. 

Die  Verteilung  der  positiven  und  negativen  Geschwindigkeiten 
dieser  20  Sterne  läßt  deutlich  den  Einfluß  der  Richtung  der  Sonnen- 
bewegung durch  den  Raum  erkennen.  Doch  kann  man  einen  ge- 
nauen Wert  dieser  Richtimg  aus  dem  vorliegenden  Materiale  nicht 
ableiten,  weil  die  Zahl  von  nur  20  Sternen  dazu  zu  gering  ist.  Ninunt 
man  dagegen  mit  Prof.  Newcomb  an,  daß  der  Zielpunkt  der  Sonnen- 
bewegung  am  Himmel  in  277.5^  Rektaszension  und  35°  nördl.  Dekl. 
liegt,  imd  daß  die  Geschwindigkeit  ihrer  Bewegung,  wie  Prof. 
Campbell  gefunden,  19.9  km  in  der  Sekunde  beträgt,  so  kann  man 
die  wirklichen,  vom  Einflüsse  der  Sonnenbewegung  befreiten  Ge- 
schwindigkeiten dieser  20  Sterne  berechnen.  Es  ergibt  sich  dafür 
eine  mittlere  Geschwindigkeit  von  7.0  km  pro  Sekunde,  oder  wenn  man 
berücksichtigt,  daß  ein  Teil  dieser  Sterne  sich  entfernt,  ein  Teil  sich 
nähert,  ein  durchschnitthches  Entfernen  derselben  von  uns  um  4.6  km 
in  der  Sekunde.  Die  außerordentlich  schwachen  scheinbaren  Eigen- 
bewegungen so  heller  Sterne  (im  Mittel  0.023''  pro  Jahr)  bleiben  er- 
hebhch  zurück  hinter  denjenigen  gleich  heller  Sterne  vom  Spektral- 
typus der  Sonne  und  zeigen,  daß  die  Sterne  des  Oriontypus  außer- 
ordentlich weit  von  uns  entfernt  sein  müssen.  Die  hellen  Sterne  in 
der  Konstellation  des  Orion  bilden  augenscheinlich  eine  besondere 
Gruppe  darunter,  sowohl  in  bezug  auf  Richtung,  als  Größe  ihrer 
Bewegung. 

Von  den  obigen  20  Sternen  sind  vier  bereits  früher  von  Vogel  und 
Scheiner  auf  ihre  Radialbewegungen  untersucht  worden,  nämlich  die 
folgenden  mit  den  beigefügten  Ergebnissen : 


Fizaterne.  g3 

ß  Orionis  +  16.3  km 

r      »  +   8.9  M 

'       „  +26.7    „ 

t       „  +14.8    „ 

Mit  Ausnahme  von  r  Orionis  stimmen  diese  Resultate  mit  den 
obigen  gut  überein,  wenn  man  den  Charakter  der  Spektra  berück- 
sichtigt, die  schwer  zu  messen  sind.  Im  Verlaufe  ihrer  Untersuchungen 
haben  Frost  und  Adams  noch  gefunden,  daß  die  folgenden  Sterne 
yeranderUche    Eigenbewegungen    besitzen,    also    spektroskopische 

\  Doppelsteme  sind:  d  Ceti,  v  Eridani,  t}  Orionis,  /^Cephei,  o  Persei, 

^*  Orionis,  C  Tauri. 

Auf    der  Sternwarte  zu  Bonn  sind  im  Sommer  1003  spektro- 

\  graphische  Aufnahmen  und  Untersuchimgen  derselben  zum  Zwecke 

der  Bestimmung  der  radialen  Geschwindigkeiten  bei  achtzehn  hellen 
Fixsternen  von  Prof.  F.  Küstner  ausgeführt  worden.  ^) 

Die  Ergebnisse  der  sehr  sorgfältigen  Messungen  und  eine  genaue 

^  Diskussion  derselben  enthält  folgende  Tabelle.   Die  Qeschwindi^eiten 

'  pro  Sekunde  sind  wie  immer  in  Kilometern  und  den  Dezimalteilen 

ausgedrückt,  und  +  bezeichnet  Entfernen,  —  Annähern  des  Sternes 
an  die  Sonne. 

a  ürsae  mlnorls  1908     .     .  JuU  2.4  — 14.22 

;                                              „                                  .     .        „  4.6  -16.12 

'                                    •  Leonis Mal  24.4  +  6.61 

^                                    r      „        (Hauptstern)   .     .        „  4.4  —86.16 

^                                    «  Uraae  majoria    ....  Juni  27.4  —   7.24 

t  Virginia Mai  29.4  --11.84 

«y  BootU „  23.4  +    7.69 

i        „      (Hauptatem)     .     .      „  81.6  —16.19 

ß  üraae  minoria     ....  Juli  2.6  +- 18.10 

ß  Bootia Mai  22.6  —  20.29 

„ JaU  16.4  —19.28 

^        „ Mai  24.6  —12.64 

a  Serpentia „  26.6  +   4.48 

„          ,  80.6  +   6.02 

ß  Herculia Juni  26.4  — 12.20 

t          „          Mai  21.6  —78.16 

n  81.6  -74.97 

^  Ophiuohi Juni  16.6  —11.67 

„          „  27.6  —   9.88 

r  Draconia „  11.6  —27.10 

/9  Cygni  (Hauptatem)      .     .  JuU  1.6  —22.86 

r  Aquilae Juni  28.6  +   0.04 

r  Cygni „  25.6  —   7.68 

Spektroskopisehe  Doppelsteme.  Die  systematischen  Untersuch- 
ungen von  Sternen  mit  Spektren  des  Oriontypus,  welche  während  der 
letzten  Jahre  auf  der  Yerkesstemwarte  von  Prof.  Edwin  B.  Frost 
und  Walter  S.  Adams  angestellt  worden  sind,  haben  als  Neben- 
ergebnis zur  Entdeckung  einer  nicht  geringen  Anzahl  spektroskopi- 


1)  Aatron.  Naohr.  Nr.  3972. 

6* 


34  FLnIecBe. 

acher  Doppekteme  geführt.  Ein  weiteres  VerzeichniB  solcher  Ent- 
deckungen, das  von  den  genannten  veröffentlicht  wurde,  ^)  bringt  die  j 
Anzahl  derselben,  welche  mit  dem  Brucespektrographen  gefundrai  { 
wurden,  auf  23,  abgesehen  von  vier  andern,  welche  Spektra  anderer 
l^rpen  besitzen.  Aus  den  bisherigen  Aufnahmen  ergibt  sich,  d&ß 
unter  den  (63)  Sternen  des  Oriontypus,  die  untersucht  worden  sind, 
die  Zahl  derjenigen  mit  veränderlicher  Eigenbewegung  sich  zu  den 
andern  nahezu  wie  1  : 3  verhält.  Dabei  ist  zu  beachten,  dafi  bei 
manchen  dieser  Sterne  die  Spektrallinien  so  breit  und  schlecht  be- 
grenzt erscheinen,  daß  Geschwindigkeitsänderungen  von  geringer 
Größe  sich  dem  Nachweise  entziehen.  Dazu  kommt,  daß  die  Z^t- 
intervaüe  zwischen  den  einzelnen  Aufnahmen  noch  zu  kurz  sind,  um 
Geschwindigkeitsänderungen  von  längerer  Pertode  als  einige  Tage 
oder  Wochen  erkennen  zu  können.  Schließlich  sind  auch  drei  Af& 
nahmen  eines  Sternes  keineswegs  genügend,  um  die  Unverandeifieh- 
keit  der  Geschwindigkeit  eines  Sternes  während  eines  gewissen 
Zeitintervalles  zu  gewährleisten.  Sonach  kaim  man  sdilieSen, 
daß  unter  den  Sternen  mit  Spektren  des  Oriontypus  jeder  zweite 
oder  dritte  einen  Doppelstem  oder  ein   mehrfaches  System   hSdet 

Folgendes  ist  das  Verzeichnis  der  von  Frost  und  Adams  auf 
diese  Weise  entdeckten  (spektroskopischen)  Doppelsteme. 

jT  Andromedae,  4.^  Größe,  a  =  Oh  32m  <)  :=  +  33"^  lO'. 
Drei  Aufnahmen  1903  September  25,  Oktob^  10  und-  17  ergeben 
als  radiale  Geschwindigkeit  —  2,  +32,  +60  km.  Die  Linien  im 
Spektrum  des  Sternes  sind  schärfer  als  bei  den  meisten  anden 
Sternen  dieser  Klasse. 

(  Cassiopejae,  4.8  Größe,  a  »  Ob  37  m  ^=-  +  49''  58'. 
Die  Geschwindigkeit^!  variieren  zwischen  —  5  und  —  35  Im- 
Die  Linien  im  Spektrum  dieses  Sternes  sind  zwar  nicht  sehr  breit, 
aber  sehr  schlecht  begrenzt  und  verwaschen,  daher  die  Messung^ 
unsicherer  als  bei  manchen  andern  Sternen. 

o  0  r  i  o  n  i  s  ,  4.6  Größe,  a  =  öh  17m  ^  =  —  0"^  29.'  tt« 
Veränderungen  der  Geschwindigkeiten  hegen  zwischen  +  19  und 
+  33  km.  Das  Spektrum  eignet  sich  sehr  zu  genauen  Messungen» 
da  die  meisten  Linien,  besonders  die  des  Heliums,  stark,  schmal  und 
gut  begrenzt  sind. 

X  Aurigae,  6.0  Größe,  a  =  6h  26m  ^=  +  22"*  8'.  Dw 
Spektrum  ist  ähnlich  dem  von  o  Orionis,  obgleich  die  Linien 
weniger  stark  sind.  Die  Geschwindigkeiten  liegen  zwischen  +  12 
und  -^  2S  km, 

i  O  r  i  o  n  i  s^,  3.0  Größe,  a  »  6k  30m  d  »  —  6"^  69".  1>^ 
^ektrum  dieses  Sternes  ist  sehr  kompliziert;  Es  liegen  sieben 
Aulnahmen  von  September  und  Oktober  1903  vor.  In  deo 
meisten  Fällen  erscheinen  die  HeUumlinien  und  Hf^  außeronkntiidi 

1)  ABtrophys.  Joum.  H.  p.  383. 


Fiisteme.  85 

breit  und  verwaschen,  und  auf  ihnen  «mscheinen  zuzeiten  zwei  bis  drei 
Mazima,  von  denen  noch  nicht  bestimmt  werden  kann,  ob  sie  Kom- 
ponenten mit  veränderlich«!  Geschwindigkeiten  angehören  oder  durch 
physische  Zustande  des  Hauptstemes  verursacht  werden.  Die  Ge- 
schwindigkeiten variieren  zwischen  +  28  und  +  90  km.  Weitere 
Aufnahmen  dieses  fitemspektrums  sind  erforderlich. 

t;  O  r  i  o  n  i  s  ,  4.4  Größe,  a  =  6h  2m  <)  =  +  14''  47'.  Die 
Geschwindigkeiten  liegen  zwischen  +  81  und  +  12  km. 

18  Aquilae,  5.1  Grefe,  a  »  19h 2m  <)  -  +  IG""  55'.  Die 
IdBien  «nd  schwer  £a  messen;  die  Oesohwiodigkeiteii  Vtariieren 
zwwohea  -^  12  und  —  28  Im». 

2Lacerta«,  4.8  Gröfie.  tx  -  22h  17« ^ «  h|- 46'' 2^.  Dm 
Spektrum  der  ersten  Platte  ist  viel  schwächer  als  das  der  Mden 
andern,  und  eine  wiederholte  Untecsuohung  desselben  gab  An- 
deutungen der  Gegenwart  von  Linien,  die  einem  zweiten  leuchten- 
den Komponenten  angehören,  welche  auf  der  zweiten  Platte  meßbar 
waren  (mit  — 185  km  Geschwindigkeit).  Diese  Linien  konnten  auf 
dar  dritten  Platte  nicht  gesehen  weri^i.  Die  Geschwindigkeiten 
variieren  zwischen  +  1  und  — 86  Jbn. 

6Lacertae,4.6  Große,  a  »  22h  26m  t)  »  +  42""  24'.  Die 
Geschwindigkeiten  liegen  zwischen  —  3  und  —  24  km. 

1  Hev.Caasiopejae,  4.8 Größe,  a»  23h25md»  +  58''0'. 
Die  Spektrallinien  sind  ziemlich  breit  und  verwaschen.  Die  Ge- 
schwindigkeiten variieren  zwischen  —  2  und  —  70  km. 

(  P  e  r  s  e  i ,  4.1  Große,  a  »  3h  53m  ^»  +  35''  30'.  Dieser 
Stern  hat  eine  sehr  große  radiale  Geschwindigkeit,  nämlich 
im  Mittri  +  85  km.  Daa  Spektrum  ist  wegea  Breite  und  dem 
sehr  verwaschenen  Charakter  der  Linien  schwer  zu  messen.  Daher 
bleibt  bei  der  Schwankung  von  9  ihn,  um  welche  die  Messungen 
variieren,  zweifelhaft,  ob  eine  veränderliche  Geschwindigkeit  vor- 
handen ist  oder  nicht.  Beobachtungen,  die  über  einen  langem  Zeit- 
raum ausgedehnt  sind,  werden  hierüber  entscheiden. 

Schließlich  machen  Frost  und  Adams  noch  darauf  aufmerksam, 
daß  die  folgenden  Sterne  mit  Spektren  des  Oriontypus  helle  Linien 
besitzen:  c  Persei,  4.3  Größe;  25  Orionis,  4.6  Größe;  ß  Piscium, 
4.6  Größe.  Charakteristisch  für  diese  Sterne  mit  dieser  eigentüm- 
lichen Variierung  des  Oriontypusspektrums  ist,  daß  die  Wasserstoff- 
linien eine  doppelte  helle  Komponente  zeigen,  welche  nahezu  zentral 
auf  der  breiten  dunkeln  Linie  oder  Bande  steht. 

Die  0.  milsezpeditlon,  welche  die  Lickstemwarte  auf  den  Cerro 
San  Cristobal  bei  Santiago  in  Chile  behufs  spektrographischer  Beob- 
achtimgen  am  südlichen  Himmel  entsandte,  hat  dort  bei  folgenden 
Sternen  veränderliche  Eigenbewegungen  aL9o  dieselben  als  spek- 
troekopische  Doppelsteme,  nachgewiesen: 


86  Fixsterne. 

ß  DoraduB  («ai5lx  32.7m  d  b   —  62<»  33'. 
ndlAl«  Gwöhwindigkdt 

1903  September   29.  -4-   1.4  ibn 
Deiember     21.           --16.1     „ 

1904  Juni  12.  --28       „ 

22.  +2«-6     „ 

w  Velorum  (a=  8h  66.3m  a  =  40^62'). 

1904    Januar  21.  -f   3     ibm 

M&n        8.  -1-13.7    „ 

28.  +   7.6     ., 

1  Carinae  (a  »  9ii  42.6m  ^  »  —  63"  3'). 
Dies  ist  ein  veränderlicher   Stern,   desäen  Lichtperiode  nach 
W.  Roberts  36.623  Ta^  umfaBt.    Auch  ist  nach  demselben  Beob- 
achter der  Lichtwechsel  unregelmäßig.   Die  spektrographischen  Auf- 
nahmen ergaben: 

1904    April  18.  4- 10  ifcm 

„      30.  +22    „ 

Hai        8.  —15    „ 

n  Pavonis  (a  =  ISn 46.6m ^  =  —  67*»  21'). 
Ebenfalls  ein  Veränderlicher,  aber  von  regelmäßigem  lichi- 
wechsel  und  einer  Periode  von  9.091  Tagen. 

1904     Mai   12.  +40.1  km 

Juni    6.  28.9     „ 

„     22.  +26.6     „ 

TSagittarii(a=-  19h  0.7m  J  =  —  27**  490- 

1902     Auguet  17.  +34     km  OM^^  S***»/,  "'*•"' 

1904     Mai        12.  +61.0    „  Hamut«) 

Juni         7.  +69.7     „ 

a  Centauri. 
Beobachtungen    der    radialen    Geschwindigkeiten    der   beiden 
Komponenten  von  a  Centauri  ergaben  folgendes: 

a  Centauri  (schwächere  Komponenten). 
1904     Februar  26.  —  18.90  km 

Man  4.  —18  69    „ 

Juni         23.  —19.70    „ 

a2  Centauri. 

1904    Februar  21.  —24.02  Jfcm 

März  4.  —24.20    „ 

Juni  23.  —24.68     „ 

Außer  diesen  Aufnahmen  wurde  am  29.  Mai  mit  einer  kurzen 
Kamera  photographiert,  die  für  schwächere  Sterne  bestimmt  ist 
Die  Negative  sind  mangelhaft,  da  die  Spektra  überexponiert  er- 
scheinen, indessen  ergaben  die  Messungen  folgende  Resultate: 

1904   Mai  29. 
«4  Centauri        —  19.70  km 
04         „  —24.30    „ 

Dies  stimmt  gut  mit  den  obigen  Angaben  überein.  Man  erkennt 
aus  den  Messimgen,  daß  die  beiden  Komponenten  von  a  Oentaun 
eine  verschieden  schnelle  Radialbewegung  besitzen. 


Fixsterne.  87 

Die  Differenzen  der  Geschwindigkeit  beider  Sterne  sind: 

nUfenns  der  ndialen 
GMohwindigkeit«n 

1904     Februar  21.-26 5.12  km 

März  4 5.61     „ 

Juni       23 4.88    „ 

Diese  Unterschiede  können  davon  herrühren,  daß  entweder  die 
relative  Bahnbewegong  der  beiden  Komponenten  ungleich  ist,  oder 
wenigstens  einer  der  beiden  Sterne  für  sich  wiederum  einen  spektro- 
graphischen  Doppelstem  bildet.  Nimmt  man  die  erstere  Hypothese 
an  und  erinnert  sich,  daß  die  scheinbare  Bahn  des  Doppelstemes 
a  Centauri  genau  bekannt  ist,  so  läßt  sich  aus  dieser  und  den  radialen 
Geschwindigkeiten  die  Parallaxe  von  a  Centauri  leicht  berechnen. 
Nach  Roberts  sind  folgendes  die  wahrscheinlichsten  Elemente  der 
Bahn  von  a  Centauri. 

Zeit  des  Periastrons       T  =  1876.715 

Umlaufsdauer P  »  81.186  Jahre 

Exsentrizitftt  der  Bahn e  =  0.62866 

Neigung  der  Bahn i  =  79  <^  21'  86" 

Anfeteigender  Knoten  der  Bahn    .    .    .  J2  =  26      6    60 

Halbe  große  Achae  der  Bahn    .    .    .    .  a  =  17.71" 

Entfernung  des  Knotens  Tom  Periastron  l  =>  52^  0'  58" 

Aus  diesen  Bahnelementen  ergibt  sich  unter  Benutzung  der  oben 
angegebenen  Differenzen  in  der  Badialgeschwmdigkeit  der  beiden 
Sternkomponenten  als  Parallaxe  von  a  Centauri  der  Wert  n  »  0.76^ 
und  diesem  entsprechend  die  mittlere  Distanz  der  beiden  Kom- 
ponenten in  Kilometern  =>  3.46  x  10*  oder  3460  MiUionen  Kilo- 
meter. Die  Massen  beider  Sterne  sind  =1.9  Sonnenmassen.  Aus 
direkten  Beobachtungen  haben  Gill  und  Elkin  die  Parallaxe  von 
a  Centauri  zxxn  ^  0.75  +  O.Ol''  bestimmt,  ein  Wert,  der  nunmehr  auf 
einem  ganz  andern  Wege  die  vollste  Bestätigung  findet.  Infolge  der 
sehr  exzentrischen  Bahn  sind  beide  Komponenten  im  Periastron  nur 
wenig  weiter  voneinander  entfernt  als  bei  uns  Sonne  und  Saturn,  im 
Apastron  dagegen  ist  ihre  Entfernung  größer  als  die  Entfernung  des 
Neptun  von  der  Sonne.  Die  oben  genannte  zweite  Hypothese  zur 
Erklärung  des  Unterschiedes  der  relativen  Bahnbewegungen  der 
beiden  Komponenten,  also  die  Annahme,  daß  eine  derselben  ein 
spektroekopischer  Doppelstem  sei,  ist  an  und  für  sich  zwar  wenig  wahr- 
scheinlich, doch  kann  sie  nicht  ohne  weiteres  abgewiesen  werden. 
Denn  die  bisherigen  Untersuchungen  haben  ergeben,  daß  unter  den 
Fixsternen  von  je  sieben  wenigstens  einer  veränderUche  Radial- 
bewegung besitzt,  groß  genug,  um  mit  den  mächtigen  heutigen  Spek- 
trographen  erkannt  zu  werden.  Nimmt  man  dieses  Verhältnis  an,  so 
ergibt  sich,  daß  die  Wahrscheinlichkeit,  bei  einem  optischen 
Doppelstempaare  sei  wenigstens  eine  der  beiden  Komponenten  auch 
noch  ein  spektroekopischer  Doppelstem,  etwas  über  34  ^^-  ^^ 
diese  nun  größer  oder  kleiner  sein,  Tatsache  ist,  daß  eine  Anzahl 
optischer  Doppelsteme  auch  bei  einer  ihrer  Komponenten  veränder- 


88  FUsterne. 

liehe  Radialbewegong  zeigt,  ßo  d$fi  .dia^e  wiedanun  al»  ^^txoekopi- 
sehe  Doppelateme  anzusehen  sind,  so  bei  tk  ürsae  majoiis,  a  Gemi- 
norum,  n  Pogasi  und  andern.  Dies  muß  zur  Vorsicht  mahnen  gegen- 
über der  Bestimmung  yon  Btemparallazen  aus  Beobachtungen  der 
radialen  Geschwindigkeit,  die  sich  nur  über  einen  kurzen  Zeitraom 
erstrecken.  Betcadhtungen  .dieser  Art  mnd  in  gleipher  Weise  aber 
auch  anwendbar  aul  .die  idte  Meithode  der  direkten  Messung  von 
Fixstecnparallazen,  da  .die  ißunensiouen  der  Bahnen  manohtf  spdEtio- 
skopiscfaen  Doppelsteme  von  ahnlicher  Große  sind  wie  diejenigeijL  der 
Erdbahn. 

Sejr  «paktroakoiiiselia  I>opi»eliteEii  ß  Ajuigae.  Diaser  Dogfi- 
Stern,  der  ab  solcher  im  Jahre  1S9Q  auf  dem  Harvardohservatwnm 
erkannt  wurde,  ist  nahe  um  dieselbe  Zeit  auch  zu  Potsdam  beobadbtet 
worden,  und  Prof.  Vogel  fand  damals,  daß  die  relativen  Intensitäten 
der  (Magnesium-)  Doppellinie  l  4481  veränderlich  sind,  indein  aof 
einigen  Platten  die  nach  Rot  gelegene  Komponente,  auf  andern  die 
gegen  Violett  hin  hegende  starker  erscheint.  Aus  den  Aufnahmen 
am  Harvardobservatorium  ergab  sich  als  Umlaufszeit  von  jß  Aurigae 
3d  23b  36.7m,  und  diese  wird  auch  in  einer  spatun  Publikation  (1898) 
von  Miß  Mttury  festgehalten.  In.difiaer  Abhandtoag  Aber  die  K-Iinien 
im  fipektrum  von  ß  Auiigae  wild  erwähnt,  daA  auf  den»  Sai?i^- 
Observatorium  in  den  neun  Jahi»n  1869  bis  1808  200  ^ot^og/i^^f^ 
des  Sternes  erhalten  woiden  seien,  daß  die  xdativje  GesohwiAdigt^t 
240  biUy  die  Entfernung  beider  Körper  yorowalander  mindestens 
8  Millionen  engl.  Meilen,  und  die  Masse  der  einzelnen  Komponenten 
1.25  Sonnenmassen  betragen.  Der  Wechsel  in  der  Intanaität  wurde 
von  Miß  Maury  auch  für  die  Linie  K  (X  3934)  nachgewiesen.  Sqoac^ 
konnte  es  scheinen,  als  sei  die  obige,  von  P]?9f .  Pic^riflig  berechneto 
Periode  des  Sternes  sehr  nahe  richtig,  um  so  mehr,  alpieinige  gelegent- 
liche Aufnahmen  zu  Potsdam  damit  in  Übeneinstimjmu^g  ziii  bringen 
war^.  Später  erschien  eine  Arbeit  von  G.  A.  Tikhoff,  d^r  d^rch 
Ausmessung  der  von  Bäopolaki  zu  Pulkowa  1902  und  1903  erhaltenen 
Spektrogramme  eine  Periodendauer  von  3a  dt  SO.im  fand  und  «aßerr 
dem  in  ß  Aurigae  ein  Stemsystem  erkennen  zu  xnüssm  glaubt,  4^ 
nicht  aus  zwei,  sondern  aus  vier  Körpern  besteht.  Aus  der  j^tweisen 
Verdc^plung  der  Komponenten  der  einzelnen  Linien,  die  er  ^ 
einigen  Aufnahmen  wahrgenommen  hat,  wonach  z.  B.  am  21.  J^P^ar 
1904  H;^  in  vier  Komponenten  zerfällt,  mit  iß  bn,  224  ktßy  43  km  \M 
221  km  relativer  Geschwindigkeit,  kommt  Tikhoff  zu  der  Ansicht,  d%B 
ß  Aurigae  aus  zwei  Gruppen  von  Körpern  zDsammengeeetzt  sei,  von 
denen  jede  aus  einem  Steine  mit  starken  und  einem  zweiten  sut 
schwachen  Spektrallinien  bestehe.  Die  Umlaufszeit  der  Sterse 
innerhalb  einer  jeden  Gruppe  sei  19.1b,  wahrend  jede  Gruppe  eine 
Umdrehung  um  den  Schwerpunkt  des  Systomes  in  3d  23.5h  yollendis- 
Das  Verhältnis  der  Msssen  der  zwei  Gruppen  sei  nahe  =t   };  der 


FizitenM.  89 

SohieeEpiiiikt  .des  Systemes  bewege  aioh  mit  ein^  Oeaohwindig^it 
von  — 16  fon  in  der  Gesichtslinie  zur  EIrde. 

Diese  ikgebnisse  waxen  Veranlaasimg,  daß  Prof.  Vog^l  auf 
dem  Potsdamer  Observatorium  neue  Aufnahmen  des  Spektzums  von 
ß  Aurigae  machen  zu  lassen  beschloß,  worüber  er  nunmehr  benohiet 
hat.  ^)  Infolge  der  ungünstigen  Witterung  konnte  der  Han  nicht 
nadh  Wunsch  ausgeführt  werden,  doch  gelangen  1904  Januar  27  und 
$un  nächsten  Ab^de  eine  Anzahl  Aufnahmen  aufleTOFdentiiGh  be* 
iäedigend.  Die  ITnteiBudQLung  ergab  nun,  dafi  die  von  Prof.  Pickering 
ang^^bene  Periode  unrichtig  iat,  vielmehr  die  wahre  Dauer  deraeifoen 
3d  23b  2m  16b  betragt,  wodurch  nicht  nur  die  aamtliofaen  Potsdamer 
aondem  auch  die  Tikhoffschen  Messungen  vorzüglich  dargestellt 
WMxlen,  aber  auch  aile  Anomalien,  die  Tikhoff  wA  die  Vbratellung 
emesvieifachen Systemes  bei  ß  Aurigae  gebracht  hatte^i, verachwinden. 
Ferner  ergibt  sich  nach  Prof.  Vogel,  daß  die  Becbachtungen  darauf 
hindeuten,  dafi  .die  Bahn  des  Sternes  nur  wenig  von  der  Kreisform 
abweichen  kann.  Unter  der  Anaahme  einer  kreisförmigen  Bahn, 
einer  relativen  /Geschwindigkeit  beider  Körper  «von  2^2  km  und  der 
oben  mitgeteilten  Periode  resultiert  für  die  Masse  das  Systemes  ein 
Wert  y(m  mindestens  4.5  Sonnenmassen,  und  für  die  Entfernung 
beider  Körper  Argeben  sich  -mindestens  12  Millionen  Käometer.  Wie 
die  Beobachtungen  über  die  Radialgescfawindigkeit  das  Syatomes  fae»- 
sjbaliigen,  sind  die  Massen  der  beiden  Komponenten  des  Boppelstem- 
^ystemes  nicht  viri  voneinander  verschiedan. 

Durch  Anachhifi  der  Messungen  der  Magnesiumlinien  an  dae 
Verj^chsqMktrum  <Eiaen)  hat  Prof.  Voge}  nodi  aus  den  Potsdamer 
Beobachtung«!  yon  1903  und  1904  die  Bewegimg  des  Systames  in 
dar  Gesichtslinie  aus  35  Platten  abgeleitet  und  im  Mittel  ans  allen 
Beobachtungen  für  die  Qeeehwindig^it  des  Systemes  gefunden: 
T-  21  ihn  + 1  J:fii. 

IKeaer  Wert  ist  in  guter  Übereinstimmung  mitisinem  von  S,  Dea- 
landses  1892  gefiondenen  Werte  —  19  hm^  mit  dem  aus  den  vier  Pots* 
(lamer  Aufnahmen  aas  dem  Jahre  1901  sich  ^nrgebenden,  der  im  Mittel 
—  \%  km  betragt,  und  mit  der  Tikholfadien  Bestimmung  —  16  km. 

Dia  Beobachtungen  in  der  einen  Hälfte  der  Bahn,  von  Deckung 
zu  Deckung  der  Linien  gelegen,  geben  im  Mittel  für  die  Geschwindigp 
keit  des  Systemes  —  19.4  ibn,  die  Beobaohtun^n  aus  der  andern 
Hälfte  der  Bahn  —  22.7  km.  Eine  weitere  Bestätigung  dafür,  dafi 
beide  Komponenten  des  Systemes  sehr  nahe  ^eiohe  Masse  haben, 
konnte  durch  die  direkte  Beveohnung  der  Geschwindigkeit  der  eiui- 
zelnen  Körper  relativ  zur  Sonne  aus  den  Verschiebungen  der  Magnci* 
siumlinien  gegen  die  Linien  des  Vergleichsspektrums  abgeleitet  werden. 
Die  Rechnung  und  graphische  Darstellung  hat  Dr.  Schweydar  aus- 
geführt.  Mit  der  Annahme  einer  Mazimalgescbwindigkeit  vcm  liXkm 


M  Sitzungsber.  d.  K^  Praofi.  Akad  d  m».  1904.  p.  497. 


90  Fixsterne. 

stellt  ein  und  dieselbe  Kurve  die  für  jeden  der  Körper  gefundeoeii 
Geschwindigkeiten  sehr  gut  dar. 

Wie  oben  angegeben,  hatte  Prof.  Vogel  schon  bei  den  eisten 
Beobachtungen  die  Wahrnehmung  gemacht,  daß  die  eine  Kom- 
ponente der  Magnesiumlinie  breiter  und  etwas  verwaschener,  wohl 
auch  etwas  kräftiger  als  die  andere  erschien,  und  ein  Wechsel  insofeni 
stattfände,  daß  einmal  die  stärkere,  ein  andennal  die  schwächere 
Komponente  mehr  nach  Rot  zu  gelegen  war.  Diese  Beobachtang 
ließ  den  Gedanken  aufkommen,  daß  das  Spektrum  des  einen  KöipeiB 
etwas  kräftiger  sei  als  das  des  andern,  und  daß  der  Wechsel  dann  mit 
der  Stellung  der  Körper  in  der  Bahn  zusammenhänge. 

Prof.  Vogel  hat  indessen  später  keinen  regelmäßigen  Wechsel, 
der  von  der  Lage  der  Körper  in  der  Bahn  abhängig  ist,  nachweisen 
können;  im  Gegenteil  ist  er  durch  die  neuesten  Beobachtungen,  be- 
sonders durch  die  in  der  Nacht  vom  27.  zum  28.  Januar  1904 
ohne  Unterbrechung  ausgeführten  Aufnahmen  überzeugt  worden, 
daß  der  Wechsel  ganz  unregelmäßig  erfolgt. 

Auch  bei  C  Ursae  majoris  findet  ein  Wechsel  in  der  relativen  In- 
tensität der  Komponenten  der  Magnesiumlinien  statt;  ee  ist  Prof. 
Vogel  aber  ebensowenig  wie  bei  ß  Aurigae  möglich  gewesen,  einen 
Zusammenhang  mit  der  Phase,  in  welcher  sich  die  den  Doppelstem 
bildenden  Körper  befinden,  zu  entdecken. 

Was  die  Größe  der  relativen  Intensitätsänderungen  der  Hag- 
neeiumlinie,  auf  die  sich  vorwiegend  Prof.  Vogels  Beobachtungen 
erstreckt  haben,  anbelangt,  so  ist  dieselbe  oft  recht  bedeutend.  „Auf 
einigen  Platten,"  sagt  er,  „ist  die  eine  Komponente  scharf,  sehr  deut- 
lich und  gut  begrenzt,  die  andere  dagegen  sehr  breit,  verwaschen  and 
so  schwach,  daß  eine  Messung  ihrer  Lage  nur  schwer  auszuführen  ist. 
Einmal  erscheint  die  eine  Linie  doppelt,  zuweilen  auch  beide;  sie  be- 
stehen dann  entweder  aus  einer  breitem  und  einer  ganz  schmalen 
Linie,  oder  aus  zwei  gleich  breiten  Linien,  deren  Abstand  einer  rela- 
tiven Bewegung  von  40  ib»  bis  60  ihn  entspricht.  Manchmal  stimmen 
die  Magnesiumlinien  und  die  Ti-Linien  im  Aussehen  ganz  überein, 
häufiger  sind  sie  gänzlich  verschieden.  Die  Wasserstofflinie  H;"  er- 
scheint auf  einigen  Platten  deutlich  vierfach.  Es  treten  zuweilen  im 
Spektrum  neue  einfache,  oft  ganz  scharfe  Linien  auf,  zu  denen  aioh 
keine  Komponenten  finden  lassen,  während  die  Magnesiumlinien 
getrennt  sind." 

Das  sind,  fährt  Prof.  Vogel  fort,  alles  Erscheinungen,  die  icb 
auch  schon  im  Spektrum  von  C  Ursae  majoris  beobachtet  habe.  Der 
darauf  bezügliche  Passus  seiner  zweiten  Abhandlung  über  C  Ursae 
majoris  lautet: 

„Selten  sind  die  Komponenten  der  Magnesiumlinie  in  bezug  auf 
Intensität  und  Breite  gleich,  gewöhnlich  ist  die  brechbarere  der  Kom- 
ponenten die  breitere;  nach  einer  Deckimg  der  Si)ektra  hat  mit  B^ 
stimmtheit  kein  Wechsel  im  Aussehen  nachgewiesen  werden  können* 


Fixsterne.  91 

Unter  den  neuem  Beobachtungen  sind  einige,  bei  denen  beide  Kom- 
ponenten wieder  doppelt  sind.  Die  Linien  der  zwei  Linienpaare  sind 
dann  sehr  scharf  und  schmal.  Die  Ungleichheiten  als  zufällige  Ver- 
änderungen im  Korne  der  photographischen  Schicht  anzusehen, 
scheint  wohl  ausgeschlossen,  da  die  Ungleichheiten  im  Aussehen  der 
Magnesiumlinien  sich  auch  zuweilen  in  demselben  Sinne  bei  einigen 
Eisenlinien  zeigen,  freDich,  wegen  der  Schwäche  derselben,  nur  mit 
geringer  Sicherheit.  Es  scheint  mir  aber  die  Annahme  nicht  aus- 
geschlossen, daß  bei  den  stark  variierenden  Abständen  der  beiden 
Körper  bei  ihrer  Bewegung  umeinander  (16  bis  51  Millionen  Kilometer) 
gegenseitige  Störungen  in  den  Atmosphären  der  Weltkörper  entstehen, 
die  zeitweilig  Umkehrungserscheinungen  oder  Verbreiterungen  zur 
Folge  haben." 

„Wenn  es  nun*',  sagt  Vogel,  „bei  (  Ursae  majoris  berechtigt  er- 
schien, Störungen  in  den  Atmosphären  bei  der  starken  EUiptizität 
der  Bahn  (e »  0.602)  anzunehmen,  so  liegt  hier  bei  einer  fast 
kreisförmigen  Bahn  kein  Grund  zu  einer  solchen  Annahme  vor. 
Die  von  Tikhoff  ausgesprochene  Ansicht,  daß  jede  der  Kom- 
ponenten wieder  ein  Doppelstem  sei,  ist  ja  nicht  direkt  ab- 
zuweisen; sie  erhält  aber  durch  das  ähnliche  Verhalten  der 
Linien  bei  C  Ursae  majoris  meiner  Ansicht  nach  keine  Stütze.  Ich 
möchte  daher  die  Aufmerksamkeit  auf  folgende  Überlegung  lenken : 
Die  Spektra  der  EJasse  la  2  zeigen  außer  den  breiten  Wasserstoff- 
linien, den  Linien  des  Kalziums,  Magnesiums,  Eisens  und  Titans  nur 
eine  mehr  oder  minder  große  Anzahl  ganz  schwacher  Linien.  Im 
Spektrum  von  ß  Aurigae  erscheint  zu  der  Zeit  der  vollkommenen 
oder  nahezu  vollkommenen  Deckung  beider  Spektra  das  kontinuier- 
liche Spektrum  durchzogen  von  einer  sehr  großen  Anzahl  feiner 
Linien,  so  daß  dem  kontinuierlichen  Spektrum  das  Aussehen  einer 
feinen,  stellenweise  nicht  aufzulösenden  Schraffierung  verliehen  wird. 
Bei  der  Verschiebung  zweier  solcher  übereinander  gelagerter  Spektra 
gegeneinander,  projizieren  sich  die  Linien  des  einen  Spektrums  auf  den 
durchaus  nicht  gleichmäßigen  Spektralgrund  des  andern  Spektrums, 
und  es  können  und  müssen  dadurch  Linien,  die  man  in  dem  einzelnen 
Spektrum  kaum  erkennen  konnte,  plötzlich  stärker  hervortreten; 
andere  aber  werden,  wenn  sie  gerade  mit  einer  hellem  Stelle  des 
superponierten  Spektrums  zusammenfallen,  stark  geschwächt  werden. 
Ich  bin  der  Ansicht,  daß  sich  möglicherweise  damit  auch  die  zeitweisen 
Verdopplungen,  der  Wechsel  der  relativen  Intensität  oder  der  Schärfe 
der  breiten,  getrennt  erscheinenden  Magnesiumlinien  oder  Ti-Linien 
oder  der  Linie  K  erklären  lassen.  Es  kommt  femer  noch  hinzu,  daß 
die  Absorption  in  den  Atmosphären  der  Körper  von  der  Spektral- 
klasse la  2,  vielleicht  mit  Ausnahme  der  Kalziumabsorption,  keine 
so  kräftige  ist,  so  daß  die  Linien  im  allgemeinen  bei  der  Übereinander- 
lagerung  zweier  Spektra  noch  zum  Teil  aufgehellt  werden,  wenn  die 
Spektra  sich  nicht  vollkommen  decken.    Darauf  beruht  es  auch,  daß 


92  Ffzflterne. 

das  Oelingen  spdLtrograplüsclier  AulnahKieB  derartiger  Spridx&  ee 
■ehr  von  der  richtigen  Exponticnifizeit  aMk&ngt.  Ohne  Zweifel  «pielt 
femer  die  Stroktur  der  photographisc^en  Sofaiicht  hier  ^eiae  viel 
gröfi^re  Rolle  als  bei  der  Aufnahme  nioht  übereinander  liegender 
Spektra.  Zur  Ergründung  der  besprobhenen  Erachemungen  eind  nur 
Spektrogramme,  die  mit  Hilfe  -räieB  sehr  staik  zerstreuenden  Spefctro- 
graphen  JMif  möglichst  feinkörnigen  Platten  hergestellt  sind,  ver- 
wendbar. Es  wird  erforderlich  sein,  häufige  Aufhahmen  in  fcuzaen 
Zwischenräumen  vorzunehmen  und  die  Veränderungen  an  der  Mag- 
nesiumlinie l  4481  mit  denen  an  andern  Linien  zu  veri^eichea.*' 

Das  Spektrum  und  die  Balm  von  d  CMoids.  Dieser  Stern  2.5  Orofie 
gehört  zu  denjenigen  Fixsternen,  welche  einen  geringen  Liditwe^disel 
eikennen  lassen.  Im  Jahre  1834  wurde  John  Herschel  zuerst  auf 
dessen  Helligkeitsänderungen  aufmeiksam,  und  M  Jahre  sp&ter 
bestätigte  Sulzer  die  letztem.  Auwers  glaubte  aus  seinen  BeobiM^- 
tungen  1854  bis  1858  sogar  eine  bestimmte  Idchtperiode  ableiten  «u 
können  und  fand  dieselbe  zu  16.08  Tagen  bei  einer  Hdligk^ts- 
schwankung  von  0.5  Größenklasse.  Schönfeld  hat  diesen  lichi- 
wechsel  im  allgemeinen  such  erkannt  und  den  Stern  bestimmt  zu  den 
VeränderUchen  gerechnet. 

Im  Winter  1899  bis  1900  hat  H.  Deelandres  mit  dem  grofien 
photographischen  Teleskop  zu  Meudon  bei  Paris  das  Bp^tmm  von 
d  Orionis  an  eü  Abenden  aufgenommen  und  fand  bei  Yergleichimg 
der  Platten  deuthche,  periodisohe  Verschiebungen  der  Spektarallinien. 
Er  erklärte  infolgedessen  den  Stern  für  einen  solc  hen  mit  veränder- 
licher Geschwindigkeit  in  der  Gesichtslime,  also  für  einen  spektro- 
skopischen  Doppelstem.  Aus  seinen  Messungen  leitete  Deslandres 
eine  Umlaufszeit  des  sichtbaren  Sternes  um  den  mit  seinem  unnebt- 
bar^i  Begleiter  gemeinsamen  Schwerpunkt  von  nur  1.92  Tagen  ab. 
Mit  dieser  Umlaufsdauer  ließen  sich  jedoch  die  nahe  gl^hzeitig^Ei 
Aufnahmen  auf  dem  Astrophysikalischen  Observatorium  zu  Potsdam 
nicht  vereinigen,  und  Prof.  J.  Hartmann  beschloß  deshalb»  den  Stern 
weiter  zu  beobachten.  Da  die  Spektrallinien  desselben  sehr  ver- 
waschen sind,  so  erschien  es  vorteilhafter,  die  Aufnahrnwi  mit  ge- 
ringerer Dispersion  (an  einem  Spek<ax)graphen  mit  nur  einem  Prisma) 
zu  machen.  Solche  hat  Prof.  Hartmann  in  d^i  Wintermonaten  1901 
bis  1902  und  1902  bis  1903  in  größerer  Anzahl  ausgeführt,  und  ihre 
Bearbeitung  hat  ihn  dann  zu  sehr  interessanten  Ergebnissrai  geführt.  ^) 
„Der  Stern  d  Orionis",  bemerkt  Prof.  Hartmann,  „gehört  zum 
Typus  der  Ononsteme  (I  b),  deren  Spektrum  neben  den  Linien  des 
Wasserstoffes  hauptsächlich  die  des  Hehums  zeigt.  Im  vorliegenden 
Falle  sind  alle  diese  Linien  äußerst  verwaschen  und  matt,  so  daß  ihre 
Messung   sehr   schwierig   und   unsicher   ist.     Wegen   der  geringen 

1)  SitzungBbar,  d.  Kgl.  Akad  d  Wies,  in  Bwlin  1004.  p.  527. 


FlxBttriie.  93 

Intenaitäfc  den  Linien  sind  alle  Plattenfehler  sehr  störend,  und  infolge 
iin^eichmäßiger  Kom&blagerung  erscheinim  die  Linien  häufig  krumm 
«ndi  unsymmetrisch,  bisweilen  sogar  verdoppelt.  Duroh  eine  he- 
sondeare  Untorsuchung  habe  ich  mich  davon  überzeugt,  daß  die  An- 
deutungen von  Verdopplungen  und  unsymmetrischen  Verbreiterungen 
nicht  dusch  Linien  veranlaßt  sein  können,  welche  der  zweiten  Kom- 
ponente des  Systemes  angehören;  jedoch  halte  ich  es  nicht  für  aus- 
geschlossen, daß.  die  Form  der  Linien,  vielleicht  infolge  heftiger 
Bewegungen  in  der  GaahüUe  des  Sternes,  kleinen  reellen  Änderungen 
unterworfen  ist.  Muß  man  hiemach  d  Qrionis  für  ein  Doppelstem- 
system  halten,  dessen  eine  Komponente,  wie  man  sich  auszudrücken 
pflegt,  „dunkel**  ist,  so  möchte  ich  doch  darauf  aufmerksam  machen, 
daßman  hier  unter  „Dunkelheit^'nur  einen  relativ  genngenHelligkeits- 
unterschied  zu  verstehen  hat.  Schon  ein  Unterschied  von  etwa,  einer 
Größenklasse  würde  ausreichen,  um  das  Spektrum  der  schwachem 
Komponente  fast  zum  völligen  Verschwinden  zu  bringen,  und  bei 
einem  Unterschiede  von  zwei  Größenklassoa  ist  es  unmögUch,  daß 
auch  nur  eine  Spur  des  schwachem  Spektrums  erscheint.  In  dieser 
geringen  GrößendifferBxiz,  die  zur  Auslöechung  dee  schwachem.  Spek- 
trum» genügt,  liegt  auch  die  Erklaiiing  der  Tatsache,  daß  sich  unter 
den  zahlreichen  bisher  entdeckten  spektroskopischen  Doppelsystemen 
nur  raie  sehr  kleine  Anzahl  solcher  befindet,  bei  denen  sich  auch  die 
zweite  Komxx>nente  im  Spektrum  nachweisen  läßt.** 

Die  Ausmessung  der  Position  der  einzelnen  Linien  auf  der  Platte 
hat  Prof.  Hartmann  mit  ganz  besonderer  Sorgfalt  durchgeführt,  um 
von  Fehlem  in  der  persönUchen  Auffassung  des  Messenden  mögUchst 
frei  zu  bleiben.  Auch  hat  er  sich  dabei  nicht  auf  die  Wasserstofflinie 
Ht*  beschrankt,  sondern  im  ganzen  die  Position  von  23  verschiedenen 
Linien  gemessen,  darunter  die  Hauptlinien  des  Wasserstoffes  und 
HeUums,  sowie  Linien  des  Siliziums  und  eine  Kalziumlinie  (k  3934). 
Die  samtlichen  Linien  zeigen  periodische  Verschiebungen  ihrer  Lage, 
welche  eine  Bahnbewegung  des  Sternes  dOrionis  offenbaren;  nur 
allein  die  Kalziumlinie  macht  davon  eine  Ausnahme,  indem  sie  über- 
raschender Weise  an  der  durch  die  Bahnbewegung  des  Stemes  ver- 
ursaohten  periodischen  Linienverschiebung  durchaus  nicht  teil- 
nimmt. Prof.  Hartmann  hat  diese  Tatsache  außer  jeden  Zweifel  ge- 
stellt, und  es  fragt  sich  jetzt,  wie  sie  zu  erklären  ist.  „Das  die  dieser 
dunkeln  Linie  entsprechende  Absorption,**  sagt  Prof.  Hartmann, 
,,erst  in  der  Erdatmosphäre  stattgefunden  habe,  ist  schon  wegen  der 
Art  dieser  Absorption  ganz  unwahrsoheinlich.  Auch  würde  dann 
die  betreffende  Linie  überhaupt  in  jedem  Stemspektrum  auftreten^ 
und  die  aus  ihrer  Lage  berechneten  Geschwindigkeiten  müßten  durch 
Anbringung  der  Reduktion  auf  die  Sonne  in  schlechtere  Überein- 
fltimmung  kommen.  Allein  gerade  das  Gegenteil  ist  der  Fall;  erst 
durch  Reduktion  auf  die  Sonne  wird  der  Wert  völlig  konstant,  und 
hierdurch  ist  der  kosmische  Ursprung  der  Linie  bewiesen.    Die  zu- 


94  Fixsterne. 

nächst  liegende  Annahme,  daß  die  beobachtete  Linie  der  zweiten 
Komponente  des  Doppelstemsystemes  angehöre,  führt  aal  zwei 
Schwierigkeiten.  Man  müßte  naänlich  für  die  zweite,  lichtBchwachere 
Komponente  eine  mindestens  zehnmal  so  große  Masse  annehmen  als 
für  den  hellen  Stern.  Ist  dies  schon  sehr  unwahrscheinlich,  so  ist  es 
noch  auffäUiger,  daß  sich  von  dem  Spektrum  des  zweiten  Körpers  keine 
einzige  weitere  Linie  verraten  sollte.  Das  Auftreten  einer  solchen 
einzelnen  Linie  würde  sich  durch  keinen  der  bisher  bekannten  Spektral- 
tjrpen  erklaren  lassen,  und  es  weist  vielmehr  mit  ziemlicher  Sicher- 
heit auf  das  Vorhandensein  einer  mit  dem  Sterne  nicht  unmittdbar 
zusammenhängenden  absorbierenden  Gasschicht  hin. 

Man  wird  hierdurch  zu  der  Annahme  geführt,  daß  sich  auf  der 
Gesichtslinie  zwischen  der  Soime  und  d  Orionis  an  irgend  einer  Stelle 
des  Baumes  eine  Wolke  befindet,  welche  jene  Absorption  hervor- 
bringt und  sich  mit  16  km  Geschwindigkeit  von  uns  ^itfemt,  falls 
man  noch  die  nach  der  Natur  der  beobachteten  Linie  sehr  wahrachein- 
hche  Annahme  zuläßt,  daß  die  Wolke  aus  Kalziumdampf  besteht. 
Diese  Folgerung  findet  eine  wesentUche  Stütze  in  einer  ganz  ähnhchen 
Erscheinung,  die  das  Spektrum  der  Nova  Persei  im  Jahre  1901  zeigte. 
Während  in  diesem  Spektrum  die  Linien  des  Wasserstoffes  und 
anderer  Elemente  durch  ihre  enorme  Verbreiterung  und  Verschiebung 
und  den  fortwährenden  Wechsel  ihrer  Form  auf  stürmische  Vorgange 
in  der  Gashülle  des  Sternes  schUeßen  Ueßen,  wurden  während  der 
ganzen  Dauer  der  Erscheinung  die  beiden  Kalziumlinien  X  3934  und 
1 3969,  sowie  die  D-Linien  als  völlig  scharfe  Absorptionslinien  beob- 
achtet, welche  die  konstante  Geschwindigkeit  -f  7  hm  ergaben. 
Schon  damals  äußerte  ich  den  Gedanken,  daß  die  genaimten  scharfen 
Linien  wahrscheinlich  ihre  Entstehung  nicht  auf  der  Nova  selbst, 
sondern  in  einer  in  der  Gesichtelinie  liegenden  Nebelmasse  hätten, 
eine  Ansicht,  die  durch  die  spätere  Entdeckung  der  Nebel  in  der 
Umgebung  der  Nova  nur  an  Wahrscheinhchkeit  gewonnen  hat. 
Auch  bei  d  Orionis  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß  die  Wolke  in 
Zusammenhang  mit  den  ausgedehnten  Nebelmassen  steht,  welche 
von  Bamard  in  der  Umgebung  nachgewiesen  wurden.  Die  zweite 
Kalziumlinie  X  3969  wird  im  Spektrum  von  d  Orionis  durch  die  breite 
WasserstoffUnie  He  überdeckt  und  kann  daher  nicht  beobachtet 
werden. 

An  welcher  Stelle  der  Visierlinie  die  Nebelmasse  liegt,  läßt  sich 
nicht  ermitteln;  um  ihre  seitliche  Ausdehnung  zu  bestimmen,  wird 
man  die  Spektra  der  benachbarten  Sterne,  namentlich  solcher  mit 
veränderlicher  oder  stark  abweichender  Geschwindigkeit,  auf  das 
Vorkommen  der  Kalziumlinie  zu  prüfen  haben.  In  den  Spektren 
von  i  und  e  Orionis  ist  diese  Linie  vorhanden,  doch  kann  man,  da  die 
Geschwindigkeit  dieser  Sterne  nur  wenig  von  der  oben  angegebenen 
Bewegung  der  Wolke  abweicht,  ihre  Zugehörigkeit  zum  Spektrum 
des  Sternes  oder  der  Wolke  nicht  entscheiden.'' 


Fixsterne.  95 

Indem  Prof.  Hartmann  zur  Bestimmung  der  Bahn  überging, 
die  d  Orionis  mit  seinem  Begleiter  um  den  gemeinsamen  Schwerpunkt 
beschreibt,  fand  er  auf  Grund  des  einen  großem  Zeitraum  um- 
fassenden Materiales,  daß  die  von  Deslandres  vermutete  Umlaufs- 
dauer nicht  zutreffend  ist,  sondern  die  wahre  Umlaufszeit  6d  17h 
34in  48s  beträgt  mit  einem  wahrscheinlichen  Fehler  von  ±_  17«.  Die 
weitere  Rechnung  ergab  folgendes: 

Bewegung  des  Sobwerpunktos  der  Bahn  (Vi)  r=  -|-23.1  kwy 
Zeit  des  Periastrums  (T)  =  1902  Februar  12.36, 
Epoche,  in  welcher  Y  =  Null  (to)  =  1902  Februar  11.13, 
Län^  des  Perihels  Yom  Knoten  an  (••)  =  339®  18.9', 
LSnge  des  entferntesten  Punktes  der  Bahn  (u^)  =  95®  32.9', 
Länge  des  nächsten  Punktes  der  Bahn  (u,)  =  264®  27.1', 
Exzentrizität  (e)  »  0.103  34. 

Projektion  der  großen  Halbachse  der  Bahn  auf  die  Gtesiohts- 
linie  zur  Erde  (a-sin  i)  =  7906600  km. 

Die  Neigung  i  der  Bahn  bleibt  unbekannt,  imd  daher  kann  man 
den  Wert  der  halben  großen  Achse  nicht  direkt  ermitteln.  „Dagegen 
kann  man  die  Distanzen  angeben,  bis  zu  welchen  sich  der  sichtbare 
Stern  hinter  und  vor  diese  Ebene  bewegt,  denen  also  die  oben  mit  u  ^ 
und  U2  bezeichneten  Langen  entsprechen.  Es  ergibt  sich,  daß  sich 
der  Stern  bis  8  069  400  ibii  hinter  diese  Ebene  und  bis  7  498  500  km 
vor  die  Ebene  bewegt.  Macht  man  folgende  Annahmen  für  die 
Neigung  der  Bahn  gegen  die  Gesichtslinie  zur  Eide,  nämlich  i  =»  46°, 
60°,  75°  und  90°,  so  erhält  man  folgende  Werte  für  die  große  Halb- 
achse ader  Bahn: 

für  i 


460 

a  s= 

11182000  km 

60 

9129800    „ 

75 

8185600    „ 

90 

7906600    „ 

Man  erkennt  aus  dieser  Zusammenstellung,  daß  die  Bahn,  falla 
man  i  nicht  sehr  klein  annimmt,  etwa  den  sechsten  Teü  des  Durch- 
messers der  Merkurbahn  hat.  Sind  die  Massen  der  beiden  Kom- 
ponenten des  Doppelsystemes  nahezu  gleich,  so  würde  hiemach  der 
Abstand  der  Sterne  voneinander  ungefähr  ein  Drittel  des  Abstandes. 
des  Merkur  von  der  Sonne  sein. 

Da  über  die  Bewegung  des  Begleiters  nichts  bekannt  ist,  so 
kann  man  bezüglich  der  Masse  des  Systemes  nur  unter  gewissen  An- 
nahmen zu  näherungsweisen  Schätzungen  gelangen.  Prof.  Hartmann 
kommt  hiemach  zu  dem  Ergebnisse,  daß  bei  d  Orionis  die  beiden 
Massen  nahezu  gleich  sein  dürften,  und  die  Gesamtmasse  des  Systemes 
wahrscheinlich  fünf-  bis  zehnmal  größer  als  die  Masse  unserer  Sonne  ist. 

Die  Bahn  des  spektroskopisehen  Doppelstemes  i  PegasL  Die 
Tatsache,  daß  i  Pegasi  ein  spektroskopischer  Doppelstem  ist,  wurde 
von  Campbell  entdeckt  und  im  Mai  1899  veröffentUcht.  Jetzt  hat 
Heber  D.  Curtis  von  der  Lickstemwarte  eine  genaue  Bahn- 
berechnung dieses  Binarsystemes  ausgeführt,  und  zwar  gestützt  auf 


96 


Fizflenia. 


die  Meesongeii  der  LinienveisohiebiiiigBn  sai  48  photogiaphificbea 
Platten»  die  zwischen  1897  Oktober  7  uiid  1903  Dezember  1  auf  d»* 
Lickstemwarte  eriialten  wurden.  Diese  Mbssungeü  liefern  für  die 
Geschwindigkeiten  des  sichtbaren  Hauptstones  in  der  Gesichtriinie 
größtenteils  sehr  genaue  Werte,  und  infolgedessen  konnte  die  Bahn 
dieses  Doppelsystemes  mit  einem  hohen  Grade  von  Zuveriaesig^t  ab^ 
geleitet  werden.  Nachstehend  sind  die  endgültigen  Werte  für  die 
einzelnen  Bahnelemente,  zu  denen  der  Berechner  gelangte,  angegeben: 

Dauer  d«  Umlaufes  um  den  gemeinsamen  Schwerpunkt    P  ■>  10.21312  Tage 

+  0.0006        „ 

Geschwindigkeit  des  Massenschwerpunktes  des  Sjslemes    Y  =  —  4.12  km 

+  0.11    „ 

Zeit  des  Periastrums T  =  1899Junil4.9€6 

±0  362  Tage 

Exzentrixiat  der  Bahn e    :==  0.0086  ±0.0<MO 

Positionswinkel  des  Periastrums m  ^  261.807<^ 

+ 1.378  • 

Halbe  grofle  Aehse  der  Bahn a  sin  i  s=  6.740000  km 

Die  Geschwindigkeit  von  i  Pegasi  in  der  Gesichtalinie  variiert 
zwischen  +  43.7  und  — 52.1  km  in  der  Sekunde.  Die  genauesten 
Untersuchungen  des  Sternes  am  36-zölligen  Refraktor  haben  keine 
Spur  des  Begleiters  oder  einer  Verlängerung  der  runden  Scheibe  des 
Sternes  erkennen  lassen. 

Sterne  mit  elgentflmlleheii  Spektren.  Bei  Untersuchung  der 
photographischen  Platten  der  Harvardstemwarte  hat  Mrs.  Fleming 
wieder   eine   Anzahl   von    Sternen    mit    eigentümlichen    Spektren 


8t«nbild 

B.  A.  1900 

D«.  iHe 

Gros« 

Spektnun 

*^- 

Taams 

h       m 
6  46.9 

+  16  67 

Verfinderlicfa 

W.P.Fleming 

Aurigra 

6  27.6 

+  42  34 

93 

N.' 

9t 

W.P.  Fleming 

OanU  Minor 

7  42.8 

+    6  44 

.  , 

... 

t| 

L.  D.  Wftllft 

Vela 

8  11.7 

—  46  10 

7.1 

B3A 

Bß  B.  hrtl 

A.  J.  Cannon 

Vela 

9  20.4 

-48  26 

10.0 

lld. 

Verftnderlioh 

W.P.Fleming 

Carina 

9  85  9 

—  69  38 

,  , 

helle  Lin. 

Gatoebel 

W.P.Fleming 

Carina 

10     8.3 

—  67  33 

6.7 

B3A 

H/9  B.  hell 

W.P.neming 

Carina 

10  32.8 

—  70  12 

.  , 

Md. 

Verftnderlioh 

W.P.Fleming 

Vela 

11     8.6 

—  47  40 

9.9 

P. 

dunkle  Band. 

W.P.Fleming 

Ürsa  Major 

11  61.3 

+  68  26 

7.6 

Md. 

rerftnderlleh 

E.  S.  Klag 

Orux 

12  60.7 

—  67  21 

,  , 

P. 

99 

W.P.Flendng 

OentauruB 

13     7.6 

—  66  26 

9.4 

•  .  • 

99 

S.  E.  BresllB 

Virgo 

13  31.0 

-19     6 

9.0 

•  .  . 

9* 

W.P.Fleming 

Ära 

17  11.6 

—  46  62 

10.0 

N. 

99 

L.  D.  Wells 

Lyra 

18  37.6 

+  28  48 

9.3 

Me. 

99 

W.P.Fleming 

Telescoplnm 

20  12.9 

—  60     8 

10.0 

N. 

•9 

L.  D.  Wells 

GapricomuB 

20  13  3 

—  16  10 

8.0 

Me. 

99 

W.P  Fleming 

CygnuB 

20  68.9  • 

-f  48  64 

8.4 

.  .  . 

99 

J.  A.  Dünne 

Indus 

21     3.1 

—  64     7 

10.0 

P, 

dunkle  Ban4. 

W.P.Fleming 

Oepheus 

22  12.9 

+  66     7 

,   , 

helle  Lin. 

Typ.  V. 

W.P.  Fleming 

Laoerta 

22  19.9 

+  60  28 

,   , 

>»       >» 

Gasnebel 

W.P.Fleming 

Pegasus 

22  69.2 

-f  14  46 

•  • 

Verinderlloh 

E.CPickerlng 

FlzBteme.  97 

%  entdeckt,  von  denen  Prof.  Piokering  ein  Verzeichnis  gibt,  i)    Das- 

I.'  selbe    ist    hier  wiedergegeben.    Die  Orter  gelten   für   1900,   die 

t  Si>ektralkla438en  sind  die  von    der  Harvardstemwarte  adoptierten. 

^  Auf  einer  am  15.  Juli  1898  aufgenommenen  Platte  zeigt  das 

''  Spektrum  des  Veränderlichen  RS  Ophiuchi  den  Typus  III  mit  den 

^  Linien  HC,  Hß,  Hd,  H;'  und  Hß  hell  mit  den  Intensitäten  resp.  2,  1, 

'  6,  10  und  20,  außerdem  zwei  helle  Linien  mit  den  Intensitäten  7  und 

^  14.    Sie  scheinen  zusammenzufallen  mit  den  hellen  Linien  im  Spek- 

j  trum  von  y  Velorum,  deren  Wellenlängen  sind:  A4656  und  >14691. 

^  Bis  jetzt  ist  kein  anderer  veränderlicher  Stern  mit  einem  solchen 

L'  Spektrum  bekannt. 
II: 

^^  Der  Ringnebel  in  der  Leyer  ist  von  Prof.  Schaerberle  auf  der 

r  Sternwarte  zu  Ann.  Arbor  (N.-A.)  photographiert  worden.    Derselbe 

1^  bediente  sich  dazu  eines  Spiegelteleskops,  dessen  parabolischer  Spiegel 

bei  33  cm  freier  Öffnung  nur  eine  Brennweite  von  0.5  m  besitzt,  also 
^  in  bezug  auf  Lichtstärke  alle  gleichzeitigen  photographischen  Fem- 

e.  röhre  übertrifft.   Von  dem  Zentralsteme  des  Nebels  gehen  auf  der 

^  Photographie  zwei  spiralige  Streifen  aus,  die  sich  ihrerseits  wiederum 

verzweigen  und  einander  durchkreuzend  den  bekannten  nebligen 
Bing  bilden.    Auch  über  diesen  hinaus  zeigt  die  Photographie  noch 
'  feine  Nebelbogen,  so  daß  dieses  Gebilde  im  großen  und  ganzen  an  die 

^  Spiralnebel  erinnert.     Das  nämliche  gilt  nach  Schaerberles  Auf- 

nahmen von  dem  Nebel  im  Fuchs  (N  G  K  6853),  den  Rosse  unter  dem 
Namen  Dumbbellnebel  beschrieben  und  gezeichnet  hat.  Auch  der 
große  Sternhaufen  im  Herkules  (N  G  K  6205)  zeigt  nach  Schaerberles 
Photographie  fein  spiralige  Nebel,  auf  denen  sich  die  Sterne  proji- 
zieren, obgleich  bis  jetzt  weder  die  großen  Teleskope,  noch  andere 
Photographien  in  diesem  Haufen  die  geringste  Spur  von  Nebligkeit 
gezeigt  haben.  Allerdings  ist  das  Schaerberlesche  Instrument  in- 
folge seiner  kurzen  Brennweite  so  außerordentlich  lichtstark,  daß  es 
nach  einer  Belichtung  von  nur  wenigen  Minuten  auf  der  photo- 
graphischen Platte  die  feinsten  Sterne  hervorruft,  die  nur  am  Yerkes- 
refraktor  direkt  gesehen  werden  können,  und  insofern  hat  das  Er- 
scheinen jener  feinen  Nebligkeiten  in  dem  großen  Sternhaufen  im 
Herkules  durchaus  nichts  Auffallendes.  Indessen  ist  doch  zu  wünschen, 
daß  die  von  Schaerberle  mit  seinem  Instrumente  erhaltenen  Resultate 
von  anderer  Seite  Bestätigung  finden.  Dieses  photographisohe 
Spiegelteleskop  hat  übrigens  infolge  seiner  kurzen  Brennweite  nur 
ein  sehr  kleines,  unverzerrtes  Gesichtsfeld  (etwa  von  30'  Duroh- 
messer), und  auch  die  Dauer  der  Belichtung  darf  eine  Stunde  nicht  sehr 
übersteigen,  da  sonst  Schleierbildung  eintritt. 


^)  Harvard  OoUege  Observatory  Gircular  Nr.  76. 
K 1  e  i  n  y  Jahrbnoh  XV. 


98  Fixsterne. 

Die  Positton  der  Ebene  der  MOehstrafie.    Prof.  Simon  Newcomb 
hat  hierüber  eine  wichtige  Untersuchung  veröffentlicht.  „Es  ist",  sagt 
er,  „eine  bekannte  Tattache,  daß  dasEUmmelsgewölbe  in  derRichtong 
der  Pole  der  Milchstrafie  am  stemarmsten  erscheint,  und  daß  die 
Zahl  der  sichtbaren  Sterne  zuerst  langsam,  dann  aber  rascher  in  der 
Richtung  gegen  die  Milchstraße  hin  zunimmt.    Innerhalb  des  Milch- 
etraßengürtels  scheint  die  Stemdichte  zienüich  gleichmaßig  zu  sein, 
aber  in  der  Milchstraße  selbst  stehen  die  Sterne  dichter,  und  es  zeigen 
sich   oft   Stemanhäufungen  mit  bestimmten  Begrenzungen'*.     Die 
Hauptaufgabe  der  vorUegenden  Untersuchung  ist  die  Bestimmung 
der  Hauptebene  der  Milchstraße  und  die  Erörterung  der  Frage,  ob 
die  nicht  zu  dieser  gehörigen  Sterne  in  der  Richtung  gegen  die  Ebene 
derselben  dichter  stehen  oder  in  bezug  auf  irgend  eine  andere  Ebene. 
Prof.  Newcomb  geht  von  keiner  Hypothese  über  die  wirkliche  Dichte 
der  Stemanhäufung  im  Räume  aus,  sondern  betrachtet  ledigUch  die 
scheinbare  Verteilung  der  Sterne  am  Himmelsgewölbe.    „Wir  denken 
uns",  sagt  er,  „eine  beliebige  Ebene  durch  unsem  Standpunkt  gelegt, 
der  den  Anfangspunkt  der  Koordinaten  bildet,  und  diese  Ebene  un- 
begrenzt in  den  Raum  hinaus  erweitert.    Dieselbe  schneidet  dann  die 
Hinmielssphäre  in  einem  größten  Kreise.    Die  senkrechte  Entfernung 
eines  Sternes    von    dieser  Ebene  wird    der  Sinus  seines  Winkel- 
abstandes von  dem  erwähnten  größten  Kreise  sein.     Bildet  man  die 
Summe  der  Quadrate  dieser  Sinusse  für  das  ganze  betrachtete  System 
der  Sterne,  so  wird  der  Wert  dieser  Summe  sich  ändern  mit  der  Lage, 
die  wir  jener  Ebene  zuweisen.    Die  Hauptebene  der  Stemdichte  wird 
weiter  diejenige  sein,  für  welche  die  erwähnte  Summe  der  Quadrate 
am  kleinsten  ist.    Die  Ausführung  dieser  Rechenoperation  führt  auf 
eine  kubische  Gleichung,  deren  drei  Wurzeln  die  drei  Hauptebenen 
des  betrachteten  Stemsystemes  bezeichnen,  und  zwar  entspricht  die 
kleinste  der  Ebenen  der  Verdichtung,  während  die  andern  Ebenen 
rechtwinklig  dazu  stehen.    Wenn  das  betrachtete  Stemsystem  auf 
einem  größten  Kreise  liegt,  so  wird  der  Wert  der  kleinsten  Wurael 
der  Gleichung  gleich  Null.    In  Anwendung  dieses  Gedankenganges 
auf  die  Milchstraße  entsteht  eine  Schwierigkeit  dadurch,  daß  letztere 
zwischen  den  Sternbildern  Adler  und  Schwan  eine  große  Trennung 
oder  Bifurkation  zeigt.     Prof.  Newcomb  betrachtet  deshalb  zwei 
Fälle,  indem  er  einmal  den  abgetrennten  Zweig  der  Milchstraße  mit 
in  Rechnung  zieht,  in  dem  zweiten  Falle  ihn  dagegen  unberück- 
sichtigt läßt.    In  keinem  von  beiden  Fällen  findet  sich  indessen,  daß 
die  mittlere  Ebene  der  Milchstraße  genau  einen  größten  Kieis  des 
Himmelsgewölbes  darstellt,  und  daraus  folgt  weiter,  daß  unsere  Erde 
nicht  im  Mittelpunkte  des  Milchstraßengürtels  sich  befindet.    Prof- 
Newcomb  geht  daim  zur  Untersuchung  des  Streifens  oder  Gürteb 
heUerer  Sterne  über,  welchen  zuerst  Sir  John  Herschel  erkannte,  und 
der  später  von  Gould  ebenfalls  hervorgehoben  wurde.     Dieser  Gürt^ 
zieht  sich  in  einem  größten  Kreise  über  den  Himmel,  welcher  die 


Fixsterne. 


99 


Ebene  der  Milchstraße  unter  einem  \^^nkel  von  etwa  20^  schneidet. 
Aus  der  Berechnung  der  scheinbaren  Lage  am  Himmelsgewölbe  von 
36  hellen  Sternen  mit  schwachen  Eigenbewegungen  findet  Prof. 
Newcomb,  daß  dieser  Gürtel  die  Milchstraßenebene  unter  einem 
Winkel  von  11^  kreuzt.  Dann  untersucht  er  weiter,  ob  sich  die 
Sterne  bis  einschließlich  2.6  Größe  um  eine  Hauptebene  gruppieren, 
hierauf  diejenigen  bis  3.5  Größe,  dann  alle  hellen  Sterne,  und  zuletzt 
dehnt  er  diese  Untersuchung  auch  auf  die  Sterne  des  6.  Spektral- 
typus aus,  welche  imter  der  Bezeichnung  Sterne  des  Wolf-Rayet- 
Typus  zusammengefaßt  werden.  Die  nachstehende  Tabelle  enthält 
die  Ergebnisse  dieser  Rechnungen,  indem  sie  die  Position  der  Pole 
der  Hauptebenen,  um  welche  sich  die  betreffenden  Sterne  gruppieren, 
angibt.  Die  entsprechende  Hauptebene  liegt  also  am  Himmel  in 
einem  größten  Kreise,  der  überall  90^  von  dem  zugehörigen  Polpunkte 
entfernt  ist. 


Ebene  der  MUohBtraße  (ohne   Berücksichtigung  der 

Trennung  im  Schwan) 

Ebene  der  Milchstraße  (einschliefilich  der  Trennung) 

Qoulds  Stemengürtel  (nach  Gould) 

Derselbe,  aus  36  Sternen  mit  schwacher  Eigenbewegung 
Ebene  der  Sterne  bis  2.5  Größe 

»f  n  »»  »>     *•"       »»  

„      aller  hellen  Sterne       

„      der  Sterne  des  fOnften  Tjpu8       


Polpunkt 


192.8« 

191.1 

171.2 

179.6 

181.2 

180.0 

180.0 

190.9 


DeUln. 

+  27.2  0 
+  26.8« 
+  80.0 
+  26.4 
+  17.4 
+  21.6 
+  21.5 
+  26.7 


Aus  einer  Prüfung  des  Stemreichtumes  der  Milohstraiienregion 
schließt  Prof.  Newcomb,  daß,  wenn  die  galaktischen  Agglomerationen 
außer  Betracht  bleiben,  die  Zusammendrangung  der  hellen  Sterne 
um  ihre  Hauptebene  kaum  größer  erscheint  eis  bei  zufälliger  Orup- 
pierung,  und  daß  inmier  noch  eine  Zunahme  des  Stemenreichtumes 
des  Himmelsgewölbes  von  den  Polen  gegen  die  Ebene  der  Milch- 
straße hin  stattfindet,  etwa  bis  zum  doppelten  Betrage  des  an  den 
Milchstraßenpolen  bestehenden. 


Geophysik. 


Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde. 

Der  Znsland  des  Etoens  im  Erdinneni«  Das  mittlere  spezifische 
Gewicht  der  Erde  laßt  es  überaus  wahrscheinlich  erscheinen,  daß  das 
tiefe  Erdinnere  aus  Schwermetallen  besteht,  darunter  wahrscheinlich 
auch  Eisen  in  großen  Mengen  vertreten  sein  dürfte.  Über  den  Zu- 
stand, in  welchem  dann  letzteres  sein  müßte,  hat  sich  6.  Tammann 
verbreitet,  i) 

Man  kennt  vom  Eisen  drei  allotropische  Zustande.  Bei 
Erhitzung  des  reinen  Eisens  absorbiert  dieses  bei  770°  eine  er- 
hebliche Wärmemenge,  ohne  sein  Volumen  merkUch  zu  ändern, 
und  verUert  die  Fähigkeit,  der  Magnetisierbarkeit  fast  voUständig; 
das  bei  gewöhnUcher  Temperatur  beständige  a-Eisen  wandelt  sich  in 
/3-Eisen  um.  Bei  weiterer  Temperatursteigenmg  absorbiert  das 
^- Eisen  bei  800°  nochmals  Wärme,  jetzt  unter  nicht  unerheblicher 
Volumenänderung,  indem  es  sich  in  das  bis  zum  Schmelzpunkte  be- 
ständige ;'-EiBen  umwandelt.  Diese  Umwandlungen  sind  reversibel, 
sie  treten  bei  der  Abkühlung  im  entgegengesetzten  Sinne  wieder  ein, 
so  daß  also  bei  dem  Übergange  von  f -Eisen  in  ß-  oder  a-Eisen  infolge 
der  Abkühlung  eine  Volumenvermehrung  stattfindet.  Die  Tem- 
peratur der  Umwandlung  wird  durch  steigenden  Druck,  sowie  durch 
Zusatz  anderer  Elemente,  so  insbesondere  von  Kohlenstoff  oder  Nickel, 
erniedrigt.  Vom  Nickel  wurde  überdies  ermittelt,  daß  sich  durch  Zu- 
satz von  bis  zu  30%  Nickel  der  Umwandlungspunkt  und  hiermit  der 
Verlust  der  Magnetisierbarkeit  unter  deutlicher  Verkürzung  bis  auf 
Zimmertemperatur  erniedrigen  lasse,  diese  Umwandlung  jedoch  nicht 
bei  gleicher  Temperatur  reversibel  ist,  sondern  bei  der  Abkühlung 
die  Verlängerung  zusammen  mit  der  Wiederkehr  der  Magnetisier- 
barkeit erst  bei  einer  bis  um  400^  niedrigem  Temperatur  eintritt; 
wogegen  Zusätze  von  40  bis  100%  Nickel  zur  Folge  haben,  daß  der 
wiederum  reversible  Verlust  der  Magnetisierbarkeit  ohne  merkliche 
Volumenänderung  erfolgt.  Infolge  dieser  Abhängigkeit  vomDruck  und 
von  Beimengungen  wird  sich  das  Eisen  in  der  Erde  schon  in  nicht  er- 

^)  Zeitsohiift  f.  unorgan.  Qiemie  37. 


Allgemeine  gigenediaften  der  Erde.  101 

heblicdier  Tiefe  im  f-Ziistande  befiodKi.  DasinTiefenüber^/i^oBird- 
ndiQB  (bei  über  16000  kg  Drack  und  über  600""  Tempemtiir)  in  der 
Erde  vorkommende  Eisen«  welohee  wohl  niokel-  und  kohlfinetoff- 
haltdg  ist,  konnte  sieh  nur  im  f -Zustande  befinden,  in  dem  es  mir 
schwach  magnetisierbar  ist.  Bei  sinkender  Temperatur  der  Eide 
würde  dann  das  Eisen  unter  Volumenvergröfierung  in  den  stArker 
magnetisierbaien  Zustand  übergehen. 

Vorläufige  Ergebnisse  des  Intemaflenalen  Brrttendlenslas  in  der 
Zelt  von  1908.0  Mb  1904.0  hat  Prof.  Th.  Albrecht  veröffentiidit.  i) 
Hiemach  hat  sich  der  Moment^l  während  des  Jahres  1903  rom 
mittlem  Pole  noch  weiter  entlemt  als  in  den  Vorjahren,  und  es  ist 
anzunehmen,  daß  wir  uns  gegenw&rtig  in  einer  Periode  des  Maximums 
r;  der  Breitenvariation  befinden. 

i^  Die  Schwankungen  der  Polhöhe.    Prof.  Albrecht  hat  zur*)  Dar- 

{  Stellung  der  Polhöhenanderung  für  die  sechs  Stationen  des  Breiten- 

t  dienstes  der  internationalen  Erdmessung  eine  Formel  gegeben,  in 

welcher   sich   ein    Glied    (z)   findet,    dessen   Existenz   zuerst   von 
Dr.  Kimura  ')  nachgewiesen  worden,  und  das  einen  mit  der  Zeit  ver- 
I  änderlichen,  aber  für  die  sechs  Stationen  gleichen  Wert  hat.    Von 

i  verschiedenen  Seiten  hat  man  versucht,  die  Ursache  der  von  diesem 

^  OUede  abhängigen  Breitenänderung  zu  bestimmen.     Chandler  be- 

c  rechnet  in  Astr.  Joum.  Nr.  630  den  Einfluß  eines  Fehlers  in  der  be- 

nutzten Aberrationskonstante  und  einer  mittlem  Parallaxe  der  beob- 
f  achteten  Sterne.    Nach  seinen  Formeln  ist  es  möglich,  den  Wert  von 

z  durch  eine  mittlere  Parallaxe  dieser  Sterne  im  Betrage  von  0.128^ 
^  darzustellen,  aber  die  wirkliche  mittlere  Parallaxe  ist  ohne  Zweifel 

,  viel  kleiner,  so  daß  in  dieser  Weise  nur  ein  sehr  kleiner  Teil  der  beob- 

;  achteten  Breitenänderung  erklärt  werden  kann.    Durch  einen  Fehler 

in  der  Aberrationskonstante  läßt  sich  der  beobachtete  Wert  von  z 
gar  nicht  darstellen. 

Eine  Bewegung  des  Erdschwerpunktes  in  der  Richtung  der  Erd- 
achse würde  eine  für  alle  auf  demselben  Parallel  liegenden  Stationen 
gleiche  Breitenänderung  hervorrufen.  Nimmt  man  nach  dem  von 
Albrecht  bestimmten  Werte  eine  jährliche  periodische  Änderung  mit 
einer  Amplitude  von  0.04^  an,  so  würde  die  jährliche  periodische 
Bewegung  des  Schwerpimktes  eine  Amplitude  haben  von  ungefähr 
1.6  fii;  die  Verschiebung  des  Schwerpunktes  zwischen  den  äußersten 
Lagen  wäre  also  3  m.  Will  man  diese  Bewegung  durch  Abschmelzen 
von  Eis  in  den  Polargegenden  erklären,  so  muß  man  annehmen,  unter 
der  Voraussetzung,  daß  durch  den  Druck  des  Eises  das  Festland  sich 


1)  Astron.  Naobr.  Nr.  3045. 

*)  Resphate  des  intematiOBBlen  BreitendieoBtes  1. 

s)  Astaron.  Naohr.  158.  p.  233. 


103  Allg«iii«l]ie  BigMiiidliafteii  der  Erde. 

nicht  deformiert  (auf  diesen  Umstand  hat  Helmert  hingewiesm),  daB 
auf  dem  Polarkontinente  eine  Menge  von  ungefikhr  3  Millionen  Kubik- 
kilometer  Eis  abschmelzen  sollte.  Das  ist  eine  Eisdecke  von  1  km 
Dicke  auf  einem  Festlande  von  ungefähr  244  Quadratgrad  oder  auf 
einem  Teile  der  Erdoberfläche  innerhalb  eines  Kreises  von  ungefähr 
9^  Radius.  Betrachtet  man  die  Wärmemenge,  welche  die  Erde  jähr- 
lich von  der  Sonne  empfängt,  so  leitet  man  daraus  Imcht  ab,  daß 
eine  solche  jährUche  Umwandlung  von  Eis  in  Wasser  in  den  Polar- 
gegenden nicht  möglich  ist.  Es  ist  jedoch  nicht  unmög^ch ,  daß 
durch  andere  uns  bis  jetzt  unbekannte  Ursachen  eine  solche  Sdiwer- 
punktsverschiebung  hervorgerufen  wird. 

Prof.  H.  6.  van  de  Sande  Bakhuyzen  in  Leiden  versuchte  nun 
zu  zeigen,^)  daß  unter  den  verschiedenen  Hypothesen  zur  Erklärung 
der  durch  z  in  Albrechts  Formel  dargestellten  Breitenänderung  von 
dem  jetzigen  Standpunkte  diejenige  als  die  meist  wahrscheinliche 
oder  am  wenigsten  unwahrscheinliche  erscheint,  welche  diese  Än- 
derung für  nicht  reell,  sondern  als  durch  Befraktionsanomalien  her- 
vorgerufen betrachtet.  Bevor  man  über  die  Zulässigkeit  dieser 
Hyxx>these  ein  bestimmtes  Urteil  fällen  kann,  muß  jedoch  noch  ver- 
schiedenes untersucht  werden.  Es  sind  dazu  nötig  einerseits 
Bestimmungen  der  Breitenvariation  an  Stationen  unter  sehr  ver- 
schiedenen Breiten  auch  in  der  südlichen  Hemisphäre,  anderseits 
Untersuchungen  über  die  Neigungen  der  Luftschichten  gleicher 
Dichte,  deren  Einfluß  schon  früher  bei  den  allgemeinen  Refraktions- 
theorien u.  a.  von  Gyld6n  und  Radau  erwähnt  worden  ist.    ,   , 

Ober  die  Ursache  der  Breitenvariation  bemerkt  Dr.  A.  Caspar 
am  Schlüsse  seiner  Abhandlung  über  die  Polhöhe  der  Sternwarte 
zu  Heidelberg^)  folgendes: 

„Daß  die  Breitenvariation  nicht  allein  durch  äußere  Einflüsse 
sondern  hauptsächlich  wohl  durch  Massenverschiebungen  in  und  auf 
der  Erde  bedingt  wird,  ist  schon  verschiedentlich  diskutiert  worden. 

Die  Bewegungen  von  zur  Erde  gehörigen  Massen  kann  man  in 
säkulare  und  periodische  trennen.  Die  säkularen  Massenbewegungen 
werden  wegen  der  verhältnismäßigen  Geringfügigkeit  der  dabei  in 
Betracht  kommenden  Massen  einen  kaum  merklichen  Einfluß  auf 
die  jährliche  Breitenvanation  ausüben.  Sie  werden  zum  größten 
Teile  von  dem  allmählichen  Ebenen  der  Erdoberfläche  durch  die 
Flüsse  und  durch  die  Handelstätigkeit  des  Menschen  verursacht. 
Hinsichtlich  der  letztem  wiQ  ich  nur  auf  die  Ausfuhr  von  Kohlen 
und  Petroleum  hinweisen,  deren  Verbrennungsprodukte  sich  dann 
nahezu  gleichmäßig  über  die  ganze  Erdoberfläche  ausbreiten  werden, 
während  die  Ausfuhrländer  hauptsächlich  auf  der  nördlichen  Halb- 

»)  Astron.  Nachr.  Nr.  3937.  p.  9. 

*)  Bestiminuiig  der  Polhöhe  der   Sternwarte  zu  Heidelberg.     Ham- 
burg 1903.  * 


Allgemeine  Eigenechaften  der  Erde.  103 

«  kugel   liegen.     Zu   den  säkularen  Massenbewegungen  könnte  man 

si  allenfalls  noch  die  Staubfalle,  verursacht  durch  vulkanische  Erup- 

r.  tionen   oder   durch  Sturmwinde,  rechnen;  doch  sind  die  auf  diese 

ti  Art  und  Weise  bewegten  Massen  sehr  gering.     Verf.  selbst  befand 

c:  sich  vor  etwa  sechs  Jahren  zwischen  Kap  Verde  und  den  kanarischen 

r;  Inseln  sieben  Tage  lang  in  einem  dichten  Staubregen,  so  daß  man 

t;,  nur  etwa  100  m  weit  sehen  konnte;  dennoch  betrug  die  Dicke  der 

^  Staublage,  die  sich  in  den  sieben  Tagen  gebildet  hatte,  nur  wenig 

über  1  mm. 

Periodische  Massenbewegungen  im  Innern  der  Erde  sind  wegen 
der  Unbeweghchkeit  dieser  Massen  infolge  des  auf  ihnen  lastenden 
großen  Druckes  ziemlich  unwahrscheinlich.  Tatsächlich  vor- 
handen sind  solche  periodische  Massenbewegungen  bei  der  Luft  und 
besonders  beim  Wasser. 
^  Schon  bei  mäßigen  auflandigen  Winden  kann  man  an  den  Küsten 

^  ein  Steigen,  bei  ablandigen  Winden  ein  Fallen  des  Wasserstandes 

bemerken.  Bei  schweren  Stürmen  können  die  dadurch  verursachten 
Meeresniveaudifferenzen  beispielsweise  an  der  Nordküste  Deutsch- 
lands bis  zu  4  m  betragen.  Es  ist  daraus  ersichtUch,  daß  Winde, 
wie  die  Monsune  und  Passatwinde,  die  ausgedehnte  Gebiete  be- 
herrschen und  teilweise  ganz  bedeutende  Geschwindigkeiten  haben,  im- 
stande sind,  große  Wassermassen  zu  verschieben.  Im  allgemeinen 
haben,  wie  aus  den  Strom-  und  Windkarten  zu  erkennen  ist,  Meeres- 
und Windströmungen  dieselben  Richtungen.  Nur  wenn  das  auf- 
gestaute Wasser  keinen  Abfluß  findet,  kaim  es  vorkommen,  daß  eine 
Meeresströmung  ihren  Weg  direkt  gegen  den  Wind  nimmt,  dem  sie 
I  ihr  Entstehen  zu  verdanken  hat.    Man  hätte  also  an  den  Strömungen 

I  ein  Mittel,  um  Meeresniveaudifferenzen  konstatieren  zu  können.    Da 

aber  untere  Strömungen,  deren  Vorhandensein  und  Natur  nur  sehr 
f  ungenau  zu  bestimmen  ist,  die  Wirkung  der  obem  Strömungen  ab- 

(  schwächen  und  sogar  aufheben  können,  so  wird  man  dieses  Mittel 

[  nur  für  Wasserflächen  in  Anwendung  bringen,  deren  Niveauände- 

rungen man  auf  andere  Art  und  Weise  nicht  bestimmen  kann;  also 
für  große  MeereeteUe,  innerhalb  deren  keine  Inseln  vorhanden  sind. 
Allein  zuverlässig  sind  nur  solche  Bestimmungen  der  jährlichen 
Niveauschwankungen  der  Ozeane,  die  durch  direkte  Wasserstands- 
messungen gewonnen  sind.  Solche  Bestimmungen  werden  aber  auch 
eine  Handhabe  geben,  um  die  Genauigkeit  der  durch  Richtung  der 
Oberströmungen  gewonnenen  Resultate  zu  prüfen. 

Schließlich  sind  noch  für  die  nördliche  Halbkugel  die  sich  im 
Winter  aufhäufenden  Schneemassen  in  Betracht  zu  ziehen.*' 

Ober  die  Redaktion  der  Sehwerebeobachtungen  auf  das  Meeres- 
nlvean  hat  Albert  Prey  eine  Untersuchung  ausgeführt.  ^)    Indem  er 

^)  Anzeiger  der  Wiener  Akad.  1904.  Nr.  1.  p.  234. 


104  Allcemaliie  Bigaiiehafteii  dar  Erde. 

sich  die  Unebenheiten  der  Erdoberfläche  durch  eine  Entwiddmig 
nachKugelfimktionen  dargesteUt  denkt,  wird  von  ihm  for  dieSohiwe- 
beschleunigung  eine  Formel  abgeleitet,  wriche  den  EinflnB  aDer 
sichtbaren  Massenunregelmaßigkeiten  der  Erde  auf  die  Schwese- 
reduktion  berücksichlagt.  Es  ergibt  sich,  daß  unter  Vemachl&asigoiig 
der  Ton  der  zweiten  Potenz  der  Meereahöhen  abhangigen  (Shedor  für 
die  Reduktion  der  Schwere  auf  das  Meeresniveau  ohne  Verändenmg 
in  der  Lage  der  sichtbaren  Massen  eine  der  bekannten  Toimg- 
Bouguerschen  analoge  Formel  maßgebend  ist,  welche  nur  die  Reduk- 
tion wegen  der  Meereshöhe  und  wegen  der  Plattenanziehung  gibt. 

Soll  die  Anziehung  der  sichtbaren  Massenunregelmaßigkeitrai  in 
Abzug  gebracht  werden,  so  genügt  bei  derselben  Genauigkeit  die  An- 
wendung einer  Entwicklung  nach  Kugelfunkticmen  bis  einachliefflich 
fünfter  Ordnung.  Die  von  den  Kugelfunktionen  höherer  Ordnung 
herrührenden  Glieder  summieren  sich  zu  der  Anziehung  einer  hori- 
zontal begrenzten,  unendUch  ausgedehnten  Platte,  deren  Dicke  von 
jenem  Teile  der  Höhe  des  angezogenen  Punktes  gebildet  wird,  weMier 
nicht  der  allgemeinen  kontinentalen  Erhebung  angehört,  d.  h.  durch 
obige  Entwicklung  nach  Kugelfunktionen  nicht  mehr  dargestellt  wird. 

Eine  Untersuchimg  der  Glieder  mit  der  zweiten  Potenz  der  Er- 
hebungen über  dem  Meere  zeigt  die  Konvergenz  des  Verfahrens  für 
die  Verhältnisse  der  Erde,  wobei  sich  ergibt,  daß  diese  Glieder  mit 
der  topographischen  oder  Geländereduktion  identisch  smd. 

Die  vom  Verf.  abgeleitetenFormeln  sollen  dazu  dienen,  den  Einfluß 
der  kontinentalen  Massen  auf  die  Schwere  zu  berechnen,  und  weiden 
erlauben,  die  Frage  genauer  zu  untersuchen,  inwieweit  die  sichtbaren 
Kontinentalmassen  durch  sogenannte  unterirdische  Defekte  kom- 
pensiert sind. 

Eine  Untersuchung  der  Oszillationen  der  Lotlinie  auf  dem  Astro- 
metrischen  Institut  der  Sternwarte  bei  Heidelberg  hat  W.  Schweydar 
ausgeführt.  ^)  Vor  mehr  als  zehn  Jahren  hat  E.  v.  Rebeur-Paach- 
witz  den  Vorschlag  gemacht,  die  Oszillationen  der  Lotlinie  mittels 
zweier  Horizontalpendel,  die  in  ein  und  demselben  Gehäuse  in  zwei 
zueinander  senkrechten  Ebenen  aufgestellt  sind,  näher  zu  studieren. 
Diese  Kombination  mußte  von  vornherein  aus  manchen  Gründen 
gegenüber  dem  einfachen  Apparate  von  hoher  Wichtigkeit  erscheinen. 
In  erster  Linie  ist  durch  sie  die  Möglichkeit  geschaffen,  die  Verände- 
rung der  AmpUtude  der  periodischen  Bewegung  des  Zenitpunktes 
mit  der  azimutalen  Richtung  zu  untersuchen  und  somit,  wenn  es  sich 
um  elastische  Deformationen  handelt,  zu  konstatieren,  ob  die  Elasti- 
zität des  Erdbodens  vom  Azimut  abhängig  ist.  Femer  erhält  man 
durch  dieses  zweifache  System  eine  gewisse  Kontrolle  für  die  Realität 


^)  Gerlands  Bextzäge  Etir  Geophysik  7.  p. 


Allgemeine  EigensehafteB  der  Erde.  105 

IS  der  Resultate.    In  der  vorliegenden  Arbeit  ist  die  Untereuchiing  fik 

h         jedes  Pendel  getrennt  durchgeführt. 

1  ^  Über  die  Art  und  Weise  der  Aufstellung  derselben  ist  das  Original 

li>  nachaniseh^i.  Die  Beobaohtungen,  d.  h.  die  photograplÜBohen  Be- 
{^  gistrierungen  der  Bewegung  des  Pendels  begannen  im  Juni  1001  und 
wurden  bis  Ende  Juli  1902  fortgesetzt. 

Das  Instrument  war  so  aufgestellt,  daß  der  Vertikalkreis  des 
ein^i  P^idek  in  die  Südostrichtung,  der  zweite  in  die  Nordostrichtung 
fiel.  Das  erstere  wird  immer  kurz  als  Süd-,  das  letztere  als  Nord- 
pendel  bezeichnet  werden.  Zahlt  man  die  Azimute  im  astronomischen 
Sinne  von  Süden  über  Westen  nach  Norden,  so  ist  das  Azimut  des 
Südpendels  —  45^  und  das  des  Nordpendels  —  136''. 
^  In  der  registrierten  Bewegung  der  Pendel  fällt  sofort  eine  Perio- 

^  dizitat  auf,  bei  der  alles  darauf  hindeutet,  daß  sie  der  Sonnenwii^ung 
zuzuschreiben  ist.  Schon  der  AnbUck  der  Kurv^i  zeigt,  daß  sich 
dieselben  nicht  auf  einer  zur  Abszisse  parallelen,  sondern  auf  einer 
gegen  diese  mehr  oder  minder  geneigten  Linie  abwickeln.  Die  ge- 
samte Pend^bewegung  ist  demnach  eine  Superposition  von  periodi- 
schen Oszillation^!  tmd  einem  fortschreitenden  Gange.  Diese  un- 
^  periodische  Veränderung  in  der  Stellung  der  Pendel  nennt  man  den 

V  Nullpunktsgang.     Daher  hängt  die  Genauigkeit,  mit  der  man  die 

ii9  Sonnenwelle,  wie  überhaupt  alle  periodischen  Bewegungen  ableiten 

i  kann,  von  der  Sicherheit  ab,  die  der  Elimination  des  Nullpunkts- 

ganges zugrunde  liegt. 
li  Der  Verfasser  findet,  daß  bei  dem  Südpendel  das  Maximum  der 

l<  nördlichen  Ablenkung  fast  das  ganze  Jahr  hindurch  um  4Uhr  nachmit- 

i  tags  eintritt;  das  der  südlichen  Stellung  ist  bezügUch  des  Zeitpunktes 

\i  nicht  SO  konstant;  es  schwankt  zwischen  6  und  9  Uhr  morgens.    Das 

Nordpendel  dagegen  hat  das  Maximum  der  südlichen  Ablenkung, 
abgesehen  vom  Monate  Dezember,  während  des  ganzen  Jahres  um 
)l  die  Mittagszeit;  das  der  nördlichen  findet,  wenn  man  die  unsiohem 

^  Wintermonate  ausnimmt,  zwischen  4  und  8  Uhr  morgens  statt.    Im 

I  Frühjahre,  Sommer  und  Herbste  entspricht  bis  auf  eine  Stunde  dem 

)  nördlichen  Maximum  des  Nordpendeb  das  südliche  Maximum  des 

I  Sudpendels;  das  Umgekehrte  tritt  nicht  ein.    Während  nun  der  Ver- 

I  lauf  der  Südpendelbewegung  sehr  einfach  ist  und  darin  mit  den  Beob- 

achtungen von  V.  Rebeur  und  Ehlert  in  Straßburg  übereinstimmt, 
ist  dies  beim  Nordpendel  nicht  der  Fall.  Dies  ist  darauf  zurück- 
zuführen, daß  hier  die  hohem  GUeder  gegenüber  der  ganztägigen 
Periode  sehr  groß  sind  und  in  den  Wintermonaten  dieser  sehr  nahe 
kommen,  ja  sie  teilweise  übertreffen. 

Im  ganzen  übertrifft  die  Bewegung  des  Südpendels  die  des  Noid- 
})endels,  doch  ist  diese  Erscheinung  nicht  etwa  auf  eine  eins^tige 
Erwärmung  der  Mauern  des  Gebäudes  zurückzuführen,  vielmehr 
muß  man  eine  allgemeine  Bodenausdehnung  annehmen,  wie  schon 
V.  Rebeur  und  Ehlert  aus  ihren  Beobachtungen  geschlossen  haben.  Nur 


106  Allgemein«  Kigeoieluifleii  der  Erde. 

fragt  sich,  ob  man  es  zu  tun  hat  mit  einem  allgemein  terreatriflchen 
Phänomen,  das  verschiedene  Orte  nach  bestimmten  Gesetzen  beein- 
flußt, oder  mit  einer  über  gröSeie  Gebiete  sich  erstreckenden  Massen- 
bewegung, deren  Amplitude  und  Gesetzmäßigkeit  ganz  und  gar  von 
den  TerrainTerhältnissen  abhängt. 

Ehlert  hat  in  seiner  Abhandlung:  „Das  Horizontalpendel**,  die 
Annahme  gemacht,  daß  unter  dem  Einflüsse  der  Sonnenstrahlrai  die 
Erde  so  deformiert  wird,  daß  die  der  Sonne  zugewandte  Halbkugd 
in  ein  halbes  EUipsoid  übergeht,  dessen  Scheitel  auf  der  Verbindun^B- 
ünie  des  Erdmittelpunktes  mit  der  Sonne  liegt,  und  sucht  durch  geo- 
metrische Betrachtungen  das  Phänomen  zu  erklären. 

Schweydar  zeigt  aber,  daß  sich  die  ganztägige  Periode  in  der 
Hauptsache  nicht  durch  die  Annahme  einer  allgemeinen  Aufwölbung 
erkl&ren  läßt,  sondern  im  vorliegenden  Falle  nur  ein  geringer  Bruch- 
teil der  Amplitude  hierin  seine  Ursache  haben  kann. 

„Wir  müssen  daher'*,  sagt  er,  „dieselbeinerster Linieais  einelokale 
Bewegung  der  großen  Gebirgsmassen  ansehen.  Hierfür  spricht  schon 
der  völlig  parallele  Gang  der  Amplitude  mit  der  Temperaturoezilla- 
tion;  auch  hegt  das  Maximum  der  ganzen  Bewegung  nicht  im  Früh- 
jahre und  Herbste,  vielmehr  fällt  es  in  die  wärmsten  Monate." 

Demnach  registriert  das  Nordpendel  die  Bewegung  der  großen 
Massen  in  ihrer  Längs-,  das  Südpendel  in  ihrer  Querrichtung.  „Denkt 
man  sich  das  Gebirge  aus  lauter  parallelen  Schichten  bestehend,  so 
sind  dieselben  in  ihrer  Südostrichtung  weit  ausgedehnter  ab  senk- 
recht zu  diesem  Azimut.  Man  kann  daher  wohl  annehmen,  daß  die 
Komponente  der  Bewegung  des  Gebirges  in  der  erstem  Richtung 
kleiner  sein  wird  als  in  der  letztem,  da  die  Massen  im  erstem  Falle 
mehr  zusammenhängen  und  daher  schwerer  zu  bewegen  sind.  Hierzu 
kommt  noch,  daß  der  südliche  Abhang  mehr  erwärmt  wird  als  der 
nördliche,  wodurch  der  ganze  Gebirgszug  in  der  Richtung  ON'  mehr 
gehoben  wird  ab  in  seiner  Längsrichtung. 

Liegen  abo  nur  lokale  Undulationen  vor,  so  müssen  die  beob- 
achteten Erscheinungen  eintreten.    Die  Periode  wird  ganztägig  sein." 

Was  die  halbtägige  Welle  anbelangt,  so  tritt  bei  dieser  eine  halb- 
jährige Periode  der  Amplitude  mit  Maximums  im  September  und 
März  deutlich  hervor,  und  alles  deutet  bei  ihr  auf  eine  andere 
Entstehungsursache.  Schweydar  glaubt,  daß  sie  ihre  Erklärung  in 
der  oben  erwähnten  Aufwölbung  findet.  Was  die  drittel-  und  vi^tel- 
tagige  Periode  anlangt,  so  kann  man  dieselben  nicht  ab  ein  Rechnungs- 
resultat  ansehen.  Für  ihre  ph3n3ikaliBche  ReaUtät  spricht  beeonderB 
beim  Nordpendel  der  Gang  in  den  Amplituden,  der  den  entsprechen- 
den Größen  der  ganztägigen  Welle  püaUel  geht.  Dieser  ParalldUs- 
mus  läßt  es  ab  wahrscheinlich  erscheinen,  daß  diese  Wellen  lokaler 
Natur  sind. 

Der  Gang  in  den  Phasen  läßt  sich  in  der  Weise  erklären,  daß  bei 
geringer  Zufuhr  von  Wärme  und  somit  kleiner  Amplitude  die  Ver- 


AUgemeine  Elgensehafteii  der  Erde.  107 

sp&tang  der  Bewegung  in  den  tiefem  Sohichten  des  Erdbodens  größer 
wird.  Die  direkte  Anziehung  der  Sonne  erzeugt  ebenfalls  eine  ganz- 
nnd  halbtägige  Periode  in  der  Lotbewegung;  doch  sind  diese  zu  klein, 
um  einen  Beitrag  zur  Erklärung  der  beobachteten  Werte  zu  Uefem. 

Was  den  Einfluß  des  Mondes  anbelangt,  so  stellt  Verf.  zunächst 
den  theoretischen  Ausdruck  für  diese  Art  von  Lotstörung  fest.  Die 
Behandlung  der  Beobachtungen  ergibt  dann,  daß  ebenso  wie  bei  der 
Sonnenwelle  die  Oszillationen  des  Nordpendek  sich  komplizierter 
gestalten  als  die  des  andern.  Überraschend  ist  auch  eine  dabei  auf- 
tretende ganztägige  Periode,  die  sich  aus  der  Theorie  der  Mond- 
attraktion nicht  erklären  läßt.  „Es  muß  also  auch  hier  die  lokale 
Massenverteilung  maßgebend  sein;  dies  kann  aber  nur  dann  der  Fall 
sein,  wenn  es  sich  um  elastische  Deformationen  handelt.  Wir  müssen 
daher  diese  Periode  dem  Installationseinflusse  oder  elastischen  Reak- 
tionen, die  durch  die  Deformation  der  halbtägigen  Welle  erzeugt 
weiden,  zuschreiben.  Sie  hat  daher  vom  allgemeinen  Standpunkte 
weniger  Literesse."  Die  halbtägige  Welle  setzt  sich  aus  zwei  ein- 
ander entgegengesetzten  Wirkungen  zusammen:  aus  der  Anziehung 
des  Mondes  und  der  durch  diese  hervorgerufenen  elastischen  Defor- 
mation des  Bodens.  Auch  bei  der  halbtägigen  Welle  zeigt  es  sich, 
daß  die  elastische  Bewegung  in  der  Richtung  der  Südpendel- 
komponente  größer  ist  als  in  der  der  Nordpendelkomponente. 

Sowohl  die  ganztägige  wie  halbtägige  Welle  beweisen,  daß  der 
Erdboden  in  der  Richtung  des  Gebirgszuges  weniger  elastisch  ist  als 
in  der  hierzu  senkrechten  Richtung.  Wäre  dies  nicht  der  Fall,  so 
müßten  die  Amplituden  bei  beiden  Pendeln  gleich  sein,  wie  uns  die 
theoretischen  Ausdrücke  lehren.  Hiermit  stimmt  auch  die  Tatsache 
gut  überein,  daß  in  der  erstem  Richtung  die  Verfrühung  kleiner  ist; 
eine  Deformationswelle  von  geringerer  Amplitude  wird  sich  auch 
langsamer  fortpflanzen. 

Während  bei  dem  Einflüsse  der  Sonne  die  Amplitude  der  halb- 
tagigen  Welle  in  Heidelberg  die  in  Straßburg  bedeutend  überwiegt, 
sind  beide  hier  nahezu  gleich.  Man  kann  hieraus  schließen,  daß 
der  Elastizitätskoeffizient  des  großen  (Gebietes,  das  Baden  und  Elsaß- 
Lothringen  umfaßt,  nahezu  derselbe  ist;  der  thermische  Ausdehnungs- 
koeffizient hat  dagegen  in  Heidelberg  einen  viel  großem  Wert. 

Verf.  behanddt  nun  den  Einfluß  der  Rotation  der  elastischen 
Eide.  „Nimmt  man",  sagt  er,  „an,  daß  der  Schwerpunkt  der  Eide 
nicht  mit  ihrem  Mittelpunkte  zusammenfällt,  so  müssen,  wenn  die 
Erde  Elastizität  besitzt,  unter  dem  Einflüsse  der  Zentrifugalkraft 
Oszillationen  der  Lotlinie  entstehen.  Da  die  Periode  der  Rotation 
der  Eide  ein  Stemtag  ist,  so  werden  auch  die  Perioden  jener  Oszilla- 
tionen aliquote  Teile  derselben  Zeiteinheit  sein.'' 

Es  ergibt  sich,  daß  ein  beträchtlicher  Teil  der  beobachteten 
Amplituden  auf  elastische  Wirkungen  der  Drehung  der  Erde  zurück- 
sufühien  ist.    Man  könnte  die  Größe  dieses  Einflusses  berechnen» 


103  Allgemeliie  EigeiiMli^leB  der  Srd«. 

wenn  es  möglich  w&re,  aus  dem  Werte  der  Monduiziehung  die . 
tude  und  Verspätong  d^  elastischen  Deformation  sso  finden. 

Wahrscheinlich  ist,  dafi  durch  die  2l^trifugalkraft  der  Rotatkm 
elastische  Bodenbewegungen  hervorgerufen  werden,  deren  Wot 
0.004'  nicht  übersteigt. 

Schließlich  bemerkt  Verf. :  „Das  Charakteristische  an  allen  den 
periodischen  Bewegungen  der  Lotlinie,  die  wir  untersucht  haben,  ist, 
dafi  dieselben  in  der  Richtung  der  Gebirgsmassen  weit  komplizierter 
sind  als  in  der  senkrechten  Richtung.  Während  die  Ordinaten  der 
Oszillationen  des  Südpendels  sich  mit  Hilfe  von  zwei  Perioden  meist 
gut  darstellen  lassen  oder,  wie  bei  der  Sonnenwelle,  nur  sehr  kleine 
Glieder  höherer  Ordnung  enthalten,  sind  beim  Nordpendel  drittel- 
und  vierteltagige  Perioden  zur  Darstellung  der  Beobachtungen  er- 
forderUch.  Femer  konnten  wir  stets  konstatieren,  daß  die  elasti- 
schen Schwankungen  das  Nordpendel  oft  bedeutend  weniger  beein- 
flußten als  das  Südpendel.  Der  Erklarungsgrund,  den  wir  bei  der 
Diskussion  der  tägUchen  Periode  der  Sonnenwelle  angegeben  haben, 
gewinnt  daher  an  Wahrscheinlichkeit. 

Wenn  wir  auch  in  jedem  Palle,  abgesehen  von  der  Sonnen- 
periode, nicht  feststellen  konnten,  ob  die  kurzperiodischen  Glieds 
Rechnungsresttltate  darstellen,  oder  ob  sie  ihre  physikalische  Berech- 
tigung besitzen,  so  scheint  es  doch  wahrscheinlich,  daß  ihre  Existenz 
reell  und  die  Entstehungsursache  in  den  öriUchen  Verhaltniasen  der 
Pendelstation  zu  suchen  ist.  Dieselben  sind  stets  beim  Nord^^endel 
ausgeprägt  vorhanden  und  übertreffen  in  allen  Fällen  an  Große  die 
entsprechende  Südpendelbew^gung.  Es  sei  auch  darauf  aufmerksam 
gemacht,  daß  bei  der  Erscheinung  der  mikroeeismischen  Unruhe  die 
Bewegung  mit  sehr  kurzer  Periode  mehr  hervortritt  in  der  Nord- 
pendel-  als  in  der  Südpendelkurve,  während  die  langem  Wellen  dai 
umgekehrte  Verhalten  zeigen. 

Vielleicht  darf  man  diese  Wellen  mit  dea  zusamm^ngeeetaten 
Tiden  der  Gezeiten  vergleichoi.  Wenn  in  einem  Kanäle  mehrere 
Tiden  gleichzeitig  existieren,  und  das  Verhältnis  der  Einzeltide  zur 
Tiefe  groß  wird,  so  ist  das  Gesetz  d&t  Supeipoeition  der  Wellen  gestört, 
und  es  entstehen  neue  Wellen,  die  von  der  Summe  und  DüSerenz  der 
Argumente  der  Einzeltiden  abhängen.  Die  Höhe  dieser  „Compound 
tides'*  wird  daher  ganz  und  gar  durch  die  Küstenverhältnisse  be- 
stimmt. 

In  der  Richtung  des  Gebirgszuges  werden  ankommende  elastisdie 
Wollen  auf  großen  Widerstand  toeffen  und  weniger  tief  dndringea 
können.  Berücksichtigt  man  noch,  daß  hierbei  größere  Reflex- 
erscheinungen eintreten  müssen,  so  ist  leicht  anzunehmen,  daß  ähn- 
lich wie  bei  Gezeiten  das  Gesetz  der  Supeipoeition  seine  Gültigkeit 
verliert,  und  die  rechnerische  Anatyse  der  ganzen  Bewegung  die  kiuzen 
Perioden  liefert." 


[{ 


Allgemeine  Eigeniohaften  der  Erde.  109 

Baftttmmuiigen  der  relattven  Sehwere  im  östliehen  Sizilien,  auf 
den  ioilsehen  Inseln  und  in  Kalabrien  hat  A.  Bicco  ausgeführt,  ^) 
und  zwar  nach  der  Stemeckschen  Methode  .  Im  ganzen  wurden  diese 
Pendehnessungen  an  43  Stationen  durchgeführt,  und  ihre  Unter- 
suchung ergab  folgendes:  Die  Anomalien  sind  sämthch  positiv.  Die 
größten  Anomahen  finden  sich  in  StromboU  und  in  Augusta,  in  der 
Nähe  großer  Meerestiefen.  Die  kleinste  AnomaUe  trifft  man  auf  dem 
Observatorium  des  Ätna  (2943m  Seehöhe)  nahe  dem  Gipfel  des  Berges. 
Ein  anderes  sekundäres  und  unerwartetes  Minimum  zeigt  sich  in  der  Nähe 
der  Ostküste  vom  jenseitigen  Kalabrien ;  ein  anderes  auf  den  Nebrodi- 
bergen,  ein  weiteres  schwaches  nahe  dem  Monte  Lauro.  Der  größte 
Gradient  oder  Wechsel  der  Anomalien  findet  sich  vom  Gipfel  des 
^  Ätna  zum  Ufer  des  Jonischen  Meeres,  etwa  140  auf  20  km,  wo  übrigens 
^  auch  der  topographische  Gradient,  d.  h.  der  Niveauunterschied  sehr 
'i'  groß  ist,  nämlich  2000  m  vom  Gipfel  des  Ätna  bis  zum  Ufer  des 
^  Meeres  in  20  km,  und  6000  m  vom  Gipfel  des  Ätna  bis  zur  Tiefe  von 
(  3000  m  im  Jonischen  Meere  in  nur  25  km  Abstand  von  der  Meeres- 
f  küste,  d.  i.  auf  75  km  vom  Ätnagipfel,  also  ein  mittleres  Gefälle  von 
13%.  Große  Unregelmäßigkeiten  im  Gange  der  Isanomalien  sind 
;  vorhanden  in  der  Gegend  zwischen  Catania,  dem  Ätna  imd  Taormina 
^  und  besonders  in  Giarre,  wo  die  Schwere  im  Verhältnisse  zu  den  be- 
f  nachbarten  Orten  stark  und  plötzlich  abnimmt;  aber  man  kennt  die 
{:  großen  orographischen,  geologischen  und  tektonischen  Besonder- 
I  heiten  jener  Gegend;  und  Giarre  hegt  am  Ausgange  des  Valle  del 
i  Bove,  d.  h.  in  der  Verlängerung  des  enormen  Risses  des  Ätna;  daher 
^  ist  es  sehr  natürhch,  daß  hier  die  bedeutendsten  Unregelmäßigkeiten 
j         der  Schwere  vorkommen. 

(  Eine  andere  EigentümUchkeit  im  Gange  der  Isanomahen  wurde 

(         in  der  basaltischen  Gegend  der  erloschenen  Vulkane  von  Val  di  Noto 
I         nachgewiesen. 

Durch  Anschluß  der  erhaltenen  isanomalen  Linien  an  die  sechs 
Stationen  Venturis  ergibt  sich  folgendes:  1.  Die  Isanomale  180  geht 
von  Stromboh  nach  dem  Norden  von  Ustica  über  tiefes  Meer  fort. 
2.  Die  Isanomale  120  geht  durch  die  Spitze  der  Pharusmeerenge,  von 
da  durch  die  Ägatischen  Inseln,  dann  bei  PanteUeria  vorbei  und 
wendet  sich  nach  SiziUen  im  Süden  vom  Ätna,  über  wenig  tiefe  Meere 
hinlaufend.  3.  Die  Isanomale  140  erstreckt  sich  vom  Basaltmassiv 
des  Monte  Lauro  nach  Malta  über  wenig  tiefes  Meer.  4.  Im  Innern 
von  SiziUen  hat  man  ein  Minimum. 

Verlängert  man  endhch  die  Schwereisanomalien,  so  daß  man  sie 
möglichst  mit  denen  verbindet,  welche  die  österreichische  Marine  für 
Süditalien  gefunden,  so  erhält  man  folgende  Resultate:  1.  Die  Ano- 
malien sind  noch  sämthch  positiv  bis  nahe  bei  Campobasso,  wo  die 
Schwere  normal  ist.    2.  Die  isanomalen  Linien  laufen  parallel  dem 


1)  n  naovo  Cimento  (5)  6.  p.  297.  —  Naturw.  Rundschau  19.  p.  337. 


110  Allgemeine  Elgepflehaften  der  Erde. 

Jonischen  und  dem  Tyrrhenischen  Meere.  3.  Von  beiden  Meeren,  dem 
Tyrrhenisohen  und  Joniachen,  wo  sie  über  180  erreichen,  nehm«i  die 
Isanomalien  ab  nach  den  Monti  Erei,  Nobrodi  und  Peloritani  auf 
Sizilien,  nach  dem  Gebirge  La  Sila  und  den  Kämmen  der  Apenninen; 
und  auf  diesen  Gipfeln  hat  die  Schwereanomalie  den  kleinsten  Weit. 
Dies  trifft  nicht  zu  für  Aspromonte.  4.  Im  Adriatischen  Meere  sind 
die  AnomaUen  kleiner  als  im  Tyrrhenischen  und  Jonischen;  oberhalb 
des  Vorgebirges  des  Monte  Gai^gano  sind  sie  nicht  größer  ab  100;  dies 
entspricht  der  kleinem  Tiefe  der  Adria  an  jenem  Orte;  hingegen 
wächst  nach  Osten  vom  Vorgebirge  nach  den  großem  Tiefen  des 
Meeres  zu  die  Anomalie  über  140  hinaus. 

Aus  der  vorstehenden  Diskussion  der  Schwereanomalien  in  Süd- 
italien  und  den  angrenzenden  Inseln  kann  man  schließen,  daß  die 
Anomalie  Null  oder  fast  Null  ist  im  Innern  der  Länder,  auf  den  Gipfeln 
der  Berge;  sie  nimmt  zu  nach  den  Meeresküsten  und  auf  den  benadi- 
barten  Meeren,  besonders  wenn  diese  tief  sind. 

Um  eine  bestimmte  Vorstellung  zu  geben  von  dem  Massenüber- 
Schuß,  welcher  den  Schwereanomalien  entspricht,  wird  daran  er- 
innert, daß  nach  Helmert  jede  Einheit  der  fünften  Dezimale  der  Ano- 
malie einer  Dicke  der  störenden  Schicht  (der  Dichte  2.5)  von  10  m  ent- 
spricht, die  man  sich  im  Meeresniveau  kondensiert  denkt.  Die 
großem,  von  Ricco  an  den  Küsten  Süditaliens  und  auf  den  anliegen- 
den Inseln  beobachteten  AnomaUen  deuten  also  auf  einen  Massen- 
Überschuß  hin,  der  einer  Schicht  von  der  Mächtigkeit  1.5  km  und 
mehr  entspricht. 

Diese  Ergebnisse  bestätigen  die  Tatsache,  daß  über  dem  Meere 
keine  Schweredefekte  vorhanden  sind,  also  unter  dem  Meeresgrunde 
ein  Massenüberschuß  existiert,  der  den  Defekt,  den  das  Wasser  durch 
sein  geringeres  Gewicht  hervorruft,  ausgleicht. 

Beim  Ätna  nimmt  die  Anomalie  ringsherum  schnell  ab  und  wird 
auf  dem  Gipfel  fast  Null;  aber  auch  auf  nichtvidkamschen  Beigen 
der  Apenninen  hat  man  eine  ähnUche  Abnahme  der  Anomalie,  wenn 
auch  eine  weniger  schnelle,  vom  Meere  zu  den  Hauptgipfeln  in  einer 
dem  Ätna  vergleichbaren  Höhe.  Daher  verhält  sich  dieser  Vulkan 
bezüglich  der  Schwere  wie  ein  beliebiger  Berg.  Noch  könnte  die 
stärkere  Abnahme  der  Schwereintensität  von  der  besondem  vulkani- 
schen Struktur  abhängen,  d.  h.  von  der  Anwesenheit  von  leeren 
Räumen,  die  für  den  Mechanismus  der  Eruptionen  notwendig  sind. 
Bei  den  andern  tätigen  Vulkanen  Pantelleria,  Vulcano  und  Strom- 
boU,  bemerkt  man  keine  stärkere  EigentümUchkeit  im  Gange  der  isano- 
malen  Linien;  und  dasselbe  findet  beim  Vesuv,  wenigstens  in  Neapel 
und  in  Castellamare  di  Stabia  statt,  wo  Schwerebestimmungen  ge- 
macht sind.  Dasselbe  ergibt  sich  auch  für  die  erloschenen  Vulkane 
des  Monte  Lauro  und  Ustica  und  von  dem  basaltischen  Gebiete  von 
Noto  und  Pachino.  Indessen  sind  die  Bestimmungen  der  Schwere 
nicht  am  Fuße  und  in  der  Nähe  des  Gipfels  der  Vulkane  ausgeführt, 


Allgemeine  Eigemchafteii  der  Erde.  111 

flondem  gewöhnlich  wurde  nur  eine  Bestinuni^ng  gemacht;  daher 
bleibt  zweifelhaft,  ob  auf  ihnen  eine  Abnahme  der  Anomalie  der 
Schwere  stattfindet,  ahnlich  und  proportional  der  auf  dem  Ätna  an- 
getroffenen. Femer  ergibt  sich,  daß  eine  starke  Abnahme  der  posi- 
tiven Anomalie  der  Schwere  stattfindet  von  den  Inseln  des  Golfes  von 
Neapel  nach  Neapel  selbst  und  noch  weiter  nördlich  vom  Vesuv,  auf. 
vulkanischem  Boden.  Besondere  Untersuchungen  werden  nötig  sein, 
um  zu  erfahren,  ob  wirklich  auf  allen  Vulkanen  eine  schnelle  Abnahme 
der  Schwere  stattfindet,  wie  sie  auf  dem  Ätna  beobachtet  worden  ist. 

r 

Der  Längenuntersehied  zwischen  Potsdam  und  Oreenwieh  ist 
durch  das  Kgl.  Preuß.  Geodätische  Institut  unter  Leitung  von  Prof. 
Albrecht  jetzt  mit  einem  hohen  Grade  von  Genauigkeit  festgestellt 
worden.^)     Dadurch  ist   Greenwich  als  Ausgangspunkt  der  geo- 
graphischen Lange  erst  definitiv  mit  der  Hauptl&igenstation  des 
westlichen  Kontinentes  verbunden,  da  die  Langenunterschiede  von 
;        Greenwich  und  Paris  imd  ebenso  der  früher  von  Greenwich  aus  be- 
,        stimmte  Langenunterschied  Greenwich — ^Potsdam  nicht  denjenigen 
^        Grad  von  Genauigkeit  besitzen,  der  heute  verlangt  werden  muß. 
Unter  Berücksichtigung  und  Ausschaltung  aller  überhaupt  mög- 
lichen FehlerqueUen   ist   als   Endresultat  der  Langenbestimmung 
I        Potsdam — Greenwich  der  Wert  anzusehen: 

I  Transit  Girole   der  Sternwarte  in   Greenwich   westlich   vom  östlichen^ 

Meridianhause  des  Geodätischen  Institutes  in  Potsdam: 

62m  16.001I 
mittlerer  Fehler:  +  0.005t«.    au^^a^ 
wahrsohl.      „        +0.008   ^*  A^e^de- 

Dieses  Resultat  ergibt,  vergUchen  mit  dem  Ergebnisse  der  im 
Jahre  1896  von  englischer  Seite  ausgeführten  Langenbestimmung 
Greenwich — ^Potsdam,  eine  Verbesserung  jenes  Wertes  von: 

+  0.098«. 

Da  femer  der  Langenunterschied  Potsdam — ^Berlin  im  Jahr  1891 
durch  zwei  unabhängige  Langenbestimmungen  des  Geodätischen 
Institutes  zu: 

Im  18.721b 

ermittelt  worden  war,  entspricht  der  obige  Wert  einem  Langenunter^ 
schiede  Berlin — Greenwich  von: 

63m  34.772.. 

Die  im  Jahre  1876  ausgeführte  Längenbestimmung  Berlin — 
Greenwich  würde  hiemach  um  —  0.127«  zu  korrigieren  sein,  und  es 
läge  somit  nahezu  eine  Kompensation  der  für  die  Längenbestimmun- 
gen in  den  Jahren  1876  und  1896  abgeleiteten  Verbesserungen  vorn 


1)  Sitenncpber.  d.  K.  FteusB.  Akad.  der  ^bs.  1904.  p.  296. 


112  Allgemeine  Eigwuehiffen  der  Brde. 

Verbindet  man  ßen  obigen  Längenunteraohied  Berlin — Gvean« 
wich  Uli  dam  Endresultate  der  im  Jahre  1877  vom  Qeodafeiaelien 
Institute  ausgeführten  Langenbestimmung  Berlin — ^Paris: 

44m  13.860b, 

so  würde  sich  für  den  LangenunterBchied  zwischen  Paris  und  Green- 
wich  der  Wert  9m  20.912»  ergeben,  welcher  sich  auf  9m  20.882^  redu- 
ziert, wenn  man  an  Stelle  des  direkt  beobachteten  Langenunter- 
schiedes  Berlin — Paris  den  Betrag  44m  13.890b  einführt,  welcher  auB 
der  Ausgleichung  des  europaischen  Längennetzes  von  Prof.  van  de 
Sande  Bakhuyzen  entnommen  werden  kann. 

Dieser  Wert  ist  in  befriedigender  Obereinstimmung  mit  dem 
Werte: 

9m  20.887b, 

welchen  man  erhält,  wenn  man  die  beiden  niederländischen  Bestim- 
mungen: Leiden — Greenwich  =  17  m  56.100>  und  Leiden — Paris 
=   18  m  35.213b  miteinander  kombiniert. 

Daß  dem  oben  abgeleiteten  Resultate  für  den  Längenunterschied 
Potsdam — Greenwich  in  der  Tat  ein  hoher  Grad  der  Zuverlässigkeit 
innewohnt,  kann  außer  den  einzelnen  Ergebnissen  auch  aus  der  guten 
Übereinstimmung  der  Resultate  der  im  Jahre  1902  sowohl  von 
deutscher,  als  auch  von  russischer  Seite  ausgeführten  Längenbestim- 
mung Potsdam — Pidkowa  gefolgert  werden.  Diese  Längenbestim- 
mungen wurden  streng  nach  dem  Verfahren  des  Geodätischen  Li- 
stitutes,  zwar  nahezu  gleichzeitig,  im  übrigen  aber  völlig  unabhängig 
voneinander  ausgeführt.  Sie  haben  trotz  der  Schwierigkeiten  des 
Signalwechsels  auf  der  1696  km  langen  und  recht  unvollkommen 
isolierten  Leitung  eine  Übereinstimmung  der  beiderseitigen  Resultate 
innerhalb  der  Grenze  von  O.OIIb  ergeben;  man  wird  daher  auch  in 
dem  Resultate  der  Längenbestimmung  Potsdam — Greenwich  die 
Hundertstelsekimde  als  nahezu  verbürgt  ansehen  können. 

Längenbestimmung  im  Oroßen  Oieane.  Die  nordamerikanische 
Vermessimgsbehörde  (U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey)  hat  mit 
allen  Mitteln  der  modernen  Präzisionsmessung  den  Unterschied  der 
geographischen  Längen  zwischen  San  Franzisko  und  Honolulu 
auf  telegraphischem  Wege  ermittelt  und  dabei  das  Resultat 
gefunden,  daß  Honolulu  lOh  31m  27.2s  westlich  von  Greenwich 
(11h  26  m  2.18  westlich  von  Berlin)  liegt.  Damit  ist  die  genaue  Be- 
stimmung der  geographischen  Koordinaten  für  die  Hauptstadt  jenes 
hawaiischen  Inselreiches  als  abgeschlossen  zu  betrachten,  da  die 
geogra]^ische  Breite  von  Hcmolulu  durch  die  Arbeiten  der  vor 
13  Jahren  dorthin  entsandten  vereinigten  Expedition  der  Liter- 
nationalen Erdmessung  und  der  Nordamerikanischen  Vermessung 
(unter  A.  Marcuse  und  E.  Preston)  mit  größter  Schärfe  er- 
mittelt  wurde.    Von   besonderm  Literesse   für  die  Erkenntnis  der 


AUgemeine  Eigenschaften  der  Erde.  113 

^         methodischen  und  instnimentellen  FortBchritte  bei  der  astronomisch- 
ü»         geographischen  Orientierung  dürfte  ein  Vergleich  der  modernen, 
oben  erwähnten  nunmehr  abgeschlossenen  genauen  Ortsbestimmung 
für  die  Hawaiischen  Inseln  mit  den  altem  Bestimmungen  dieser  Art 
sein.    Danach  verlegten  spanische  Karten  aus  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts jene  Inseln  im  Stillen  Ozeane  noch  um  17^  zu  weit  nach 
^         Osten,  allerdings  nicht  auf  Grund  von  Messungen,  da  schon  Kolumbus 
^         im  16.  Jahrhunderte  eine  Genauigkeit  von  y^  bei  seinen  Ortsbestim- 
'  mungen  erzielte.     Der  große  Weltumsegler  Cook  verstand  es,  die 

'^  Küstenpunkte  Hawaiis  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bis  auf  ^/^^ 

genau  zu  orientieren,   und  der  französische  Entdeckungsreisende 
^  Freycinet  er^elte  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  eine  Ortsbestim- 

mung auf  den  Hawaiischen  Inseln  bis  auf  ^  Bogenminute  oder 
^/240^*    ^^  engUsche  Marinekapitän  Tupmann  bestimmte  bei  Ge- 
i&  legenheit  der  vorletzten  Venusexpedition  die  Länge  innerhalb  weniger 

X  Zehntel  der  Zeitsekunde  sicher.    Die  moderne  astronomische  Orts- 

bestimmung endlich  liefert  aus  einer  großem  Reihe  von  Beobach- 
<:  tungen  die  geographische  Breite  eines  Ortes  am  Lande  innerhalb 

^  weniger  Hundertstel  Bogensekunden  und  die  geographische  Länge 

bis  auf  wenige  Hundertstel  der  Zeitsekunde  genau.    Diesen  Genauig- 
^  keitszahlen  in  Winkelmaß  entsprechen  auf  der  Erdoberfläche  für 

i  mittlere  Breitenzonen  gerechnet  die  folgenden  Linearwerte:  Genauig- 

^  keit  der  Orientierung  in  Breite  etwa  1.2  m,  in  Länge  ungefähr  12  m. 


Die  französische  Gradmessung  in  Ecuador.    Über  den  Fortgang 
der  französischen  Gradmessung  in  Ecuador  während  des  Jahres  1903 
hat  Poincar6  der  Pariser  Akademie  der  Wissenschaften  einen  Bericht 
^  erstattet.    Danach  umfaßt  das  Arbeitsprogramm  jenes  Jahres  die 

Beendigung  der  Beobachtungen  im  Norden,  die  geodätische  Ver- 
messung auf  dem  Stücke  Riobamba-Cuenca,  astronomische  Orts- 
bestimmungen in  Cuenca,  magnetische  Beobachtungen  und  den  Be- 
ginn des  Nivellements.  Verschiedene  Hindemisse  stellten  sich  aber 
der  vollständigen  Ausführung  dieses  Programmes  entgegen.  So  waren 
die  Witterungsverhältnisse  im  Norden  ebenso  ungünstig  wie  im 
Jahre  1902,  und  so  wurde  man  dort  an  drei  Stationen  80  Tage  auf- 
gehalten. Ebenso  wurden  auch  wieder  vielfach  die  Signale  von  den 
ungebildeten  Bewohnern  zerstört,  obwohl  die  ecuatorische  Regierung 
sich  alle  Mühe  gab,  dem  Unfuge  zu  steuern.  Doch  wurde  hier  die  Arbeit 
im  Februar  d.  J.  vollendet.  Eine  vorläufige  Berechnung,  die  jetzt 
wohl  im  großen  und  ganzen  endgültig  sein  dürfte,  ergab  durch  Ver- 
bindung der  Basis  von  Riobamba  mit  der  von  Tulcan  6604.83  m  für 
die  nördliche,  während  die  Messung  selbst  6604.77  m  als  Resultat 
geliefert  hatte.  Der  Grad  der  Zuverlässigkeit  wird  als  hoch  bezeichnet. 
Im  Süden  wurden  in  Cuenca  Breitenbestimmungen  begonnen,  auch 
war  man  dabei  beschäftigt,  die  Längendifferenz  zwischen  dieser 
Station  und  Quito  zu  ermitteln.    Das  ursprüngUche  Triangulations* 

Klein,  Jabrbaoh  XV.  S 


114  AUgemeine  BigraaabaftaB  der  Eede. 

netK  mufite  naoh  Westen  verschoben  weiden;  Die  GTadmeastxog 
über  Bechs  Breitengrade  soUte  nämlich  auch  etwas  nach  Oolaiik-lw 
übergTMfen.  -  Da  aber  dort  Unruhen  herrsditen,  so  hielt  man  es  for 
nützlicher,  südHoh  bis  nach  dem  westUcher  hegenden  Payta  zu  gehen, 
um  die  'erwähnte  Länge  herauszubekommen.  Hier>  in  der  westiichea 
Bergkette,  ist  übrigens  das  Klima  trockener  und  daruin  günstiger. 
Die  NiyeUements  sind  auf  der  nordsüdUchen  Sektion  zwischen  Kio- 
bamba  und  Alausi  mit  bestem  Erfolge  ausgeföhrt  worden,  uacL  es 
bleibt  noch  die  ostwesüiche  Sektion  zwischen  Alausi  und  Guayftqiiil 
übrig,  die  wohl  Schwierigkeiten  mach^i  wird.  Die  PendeUbeobac^ 
tungen  sind  nicht  erhebhch  gefördert  worden,  doch  hat  sich  ein 
interessantes  Resultat  ergeben,  nämlich  der  Nachweis,  daß  die  Bou- 
guersbhe  Formel  für  die  Anden  zutrifft,  während  sie  für  die  Alpen  und 
den  Himalaja  nicht  anwendbar  ist.  Es  hegt  das  an  tektonischen  Ver- 
schiedenheiten. Mit  Ablauf  dieses  Jahres  sollen  die  Oradmessungs- 
arbeiten  abgeschlossen  werden. 

Ausgleichung    des    lentraleuropftisoheii    Lftngenneties.      ProL 

Th.  Albrecht  hat  eine  neue  und  zunächst  als  definitiv  anzunehmende 
Ausgleichung  der  geographischen  Längen  innerhalb  des  mittel- 
europäischen geodätischen  Netzes  vorgenommen,  i)  und  zwar  auf 
Grundlage  aller  neuem  Bestimmungen,  bezügUoh  deren  eine  ge- 
nügende Anzahl  zuverlässiger  Kontrollen  vorUegt.  Diese  Be- 
dingung war  erfüllt  für  das  Gebiet,  welches  zwischen  den  Stationen 
Greenwich,  Madrid,  Rom,  Odessa,  Moskau,  Fulkowa  und  Stockholm 
gelegen  ist.  Aber  auch  innerhalb  dieses  Gebietes  erwies  es  sich  als 
notwendig,  eine  sorgfältige  Auswahl  des  vorhandenen  Beobachtungs- 
materiales  vorzunehmen  und  gl^chwie  beiden  frühem  Ausgleichungen 
alle  diejenigen  Längenbestimmungen  auszuschließen,  gegen  deren 
Resultate  Bedenken  gewichtiger  Art  vorlagen.  Im  ganzen  lagen 
176  Längenbestimmungen  zwischen  79  Stationspunkten  vor,  von 
denen  149  zwischen  56  Stationspunkten  auf  das  Größennetz  ent- 
fallen. Die  nachstehende  Tabelle  enthält  die  Ergebnisse  der  Aus- 
gleichung. Sämtliche  Längen  sind  vom  Meridian  des  Pasaagen- 
instrumentes  zu  Greenwich  aus  gezählt.  Hinzugefügt  sind  einige 
Angaben  in  betreff  weiterer  in  der  Nähe  gelegener  astronomischer 
Hauptpunkte,  insoweit  solche  durch  strenge  geodätische  Über- 
tragung mit  den  Netzpunkten  in  Verbindung  gebracht  werden 
konnten. 

m  8 

Algier,  Cfelonne  Voirol 12  11.903 

Algier,  Sternwarte     12  8.37Ö 

Altena,  Meridiankreis     39  46.186 

Bambevg,  Pfeiler  im  MeridianBaale 43  33.670 

Bergen,  Sternwarte,  Passageninstrument 21  12.721 

Berlin,  Zentrum  der  Sternwarte 63  34.796 

(         i)  Aatran.  Nachr.  Nr.  3903,  94. 


Allgemeine  EigeudbalttiL  ösr  Erde. 

m  ■ 

BiairitK,  Neuer  Lenchttunn  ......;«...... .^ . .     --r^  131494 

Bologna,  Zentrum  der  Sternwarte  ........:.  i. .       46  24.478: 

Bonn,  Zehtrum  der  Sternwarte .*.  v . . . .  •     28  23.174 

Bregenzy  Trig.  Punkt  Pfander ; . :  39      6.244 

Breslau,  Zentrum  der  Sternwarte 68      &716 

Brest,  Tour  Saint  Louis :.■ '...;..  —-17  57.682 

Brocken,  Trig.  Punkt 42  2^386 

BrÜBsri,  Alte  Sternwarte,  Passageninstrument  . .  '     17  28.T09 

Bukarest,  Obeetv.  des  MiL-Geogr.-Inst. 104  27^003 

Desibrto,  Trig.  Punkt 0      8.107 

Dorpat,  Meridiankreis «  106  53.222  . 

Dresden,  Math.  Salon,  Passageninstrument' .....  54  65.826 

Florenz- Arcetai,  Zentrum  der'  Sternwarte ^45      1.298 

Florenz,  Mil.-Geogr. -Inst.,  Observatorium   .....  46      2.615' 

Genf,  Meridiankieis ;. 24  36.610 

Genua,   Meridiankreis 36  41.27:8 

Göteborg,  Trig.  Punkt  : . .  47  61^34 

Göttingen,  Meridiankreis   30'  46.215 

Goldaperberg,  Trig.  Punkt 89  10.138 

Gotha,  Zentrum  der  Sternwarte 42  60.440 

Greenwieh,  Transit  Gircle 0'  0.000 

Großianhain,  Basiszwischenpunkt 54  13.032 

Hamburg,  Sternwarte,  Meridiankreis 39  63.60 

Hamburg-Bergedorf,  Meridiankreis 40  57.74 

Helgcrfand,  Trig.  Punkt 31  31.775 

Helsingfois,  Meridiankreis 99  ^.097 

Kiel,  Alter  Meridiankreis  40  36.566 

Kiel,  Neuer  Meridiankreis 40  36.449 

Kiew,  Meridiankreis    ..  122  0.664 

Knivsberg,  Trig.  Punkt 37  46.424 

Königsberg,  Reps.  Merid. -Kreis,  bis  1898  :......  81  68.969 

Köm'gsberg,  Reps.  Merid. ^Kreis,  nadi  1898 81  58.974 

Kopenhagen,  Zentrum  der  Sternwarte  .........  60  18.689 

Kower,   Kathedrale    98  46.979 

Krakau,  Meridiankreis    79  60.272 

Kremsmünster,  Meridiankreis   / . . .  66  31.677 

Kristiania,  Meridiankreis 42  63.604 

Laaerberg,  Trig.  Punkt 65  36.163 

Leiden,  Meridiankreis 17  56.149 

Leipzig,  Zentrum  der  Sternwarte 49  33.926 

Livomo,  Aste  band,  dell'  Accad.  Navale  .......  41  13.654 

Lund,  Zentrum  der  Sternwarte 62  44.965 

Madrid,  Zentrum  der  Sternwarte — 14  45.090 

Mailand,  Großer  Turm  der  Sternwarte .....  -36  45.883 

Mannheim,  Trig.  Punkt  der  Sternwarte 33  60.400 

Mannheim,  Zentrum  der  Sternwarte ;  * . . . .  33  60.412 

Marseille,   Meridiankreis 21  34.564 

Memel,  Besselscher  Punkt  am  Leuchtturme  ....  84  23.174 

Moskau,  Meridiankreis 160  17.026 

München,  Trig.  Punkt  der  Sternwarte 46  26.016 

ragl6ieh  westl.  Kuppel 

Nienport,  T(mr  des  Temptiers 11  1.767 

Nizza,  Kleiner  Meridiankreis 20  12.160 

Odessa,  Univ. -Sternwarte,  Meridiankreis 123  2.040 

Odessa,  Filiale  Pulkowa,  Passageninstrument  ...  123  2.186 

Padua,  Quadranto  murale 47  20.148 

Paris,  Meridien  de  Cassini 9  20.032 

8* 


115 


106  Allgemeine  EigenMhaften  der  Erde. 

fragt  sich,  ob  man  es  zu  tun  hat  mit  einem  allgemein  terrestrischen 
Phänomen,  das  verschiedene  Orte  nach  bestimmten  Gesetzen  beein- 
flußt, oder  mit  einer  über  größere  Gebiete  sich  erstreckenden  Massen- 
bewegung, deren  AmpUtude  und  Gesetzmäßigkeit  ganz  und  gar  von 
den  Terrainverhältnissen  abhängt. 

Ehlert  hat  in  seiner  Abhandlung:  „Das  Horizontalpendel^\  die 
Annahme  gemacht,  daß  unter  dem  Einflüsse  der  Sonnenstrahlen  die 
Erde  so  deformiert  wird,  daß  die  der  Sonne  zugewandte  Halbkugel 
in  ein  halbes  Ellipsoid  übergeht,  dessen  Scheitel  auf  der  Verbindungi- 
linie  des  Erdmittelpunktes  mit  der  Sonne  liegt,  und  sucht  durch  geo- 
metrische Betrachtungen  das  Phänomen  zu  erklären. 

Schweydar  zeigt  aber,  daß  sich  die  ganztägige  Periode  in  der 
Hauptsache  nicht  durch  die  Annahme  einer  allgemeinen  Aufwölbung 
erklären  läßt,  sondern  im  vorliegenden  Falle  nur  ein  geringer  Bruch- 
teil der  Amplitude  hierin  seine  Ursache  haben  kann. 

„Wir  müssen  daher",  sagt  er,  „dieselbeinerster Linie  als  einelokafe 
Bewegung  der  großen  Gebiigsmassen  ansehen.  Hierfür  spricht  schon 
der  völlig  parallele  Gang  der  AmpUtude  mit  der  Temperaturoszilla- 
tion; auch  liegt  das  Maximum  der  ganzen  Bewegung  nicht  im  Früh- 
jahre und  Herbste,  vielmehr  fällt  es  in  die  wärmsten  Monate." 

Demnach  registriert  das  Nordpendel  die  Bewegung  der  groß^i 
Massen  in  ihrer  Längs-,  das  Südpendel  in  ihrer  Querrichtung.  »»Denkt 
man  sich  das  Gebirge  aus  lauter  parallelen  Schichten  bestehend,  so 
sind  dieselben  in  ihrer  Südostrichtung  weit  ausgedehnter  als  senk- 
recht zu  diesem  Azimut.  Man  kann  daher  wohl  annehmen,  daß  die 
Komponente  der  Bewegung  des  Gebirges  in  der  erstem  Richtung 
kleiner  sein  wird  als  in  der  letztem,  da  die  Massen  im  erstem  Falle 
mehr  zusammenhängen  und  daher  schwerer  zu  bewegen  sind.  EGerzn 
kommt  noch,  daß  der  südliche  Abhang  mehr  erwärmt  wird  als  der 
nördliche,  wodurch  der  ganze  Gebirgszug  in  der  Richtung  ON'  mehr 
gehoben  wird  als  in  seiner  Längsrichtung. 

Liegen  also  nur  lokale  Undulationen  vor,  so  müssen  die  beob- 
achteten Erscheinungen  eintreten.    Die  Periode  wird  ganztägig  sein." 

Was  die  halbtägige  Welle  anbelangt,  so  tritt  bei  dieser  eine  halb- 
jährige Periode  der  AmpUtude  mit  Maximums  im  September  und 
März  deutlich  hervor,  und  alles  deutet  bei  ihr  auf  eine  andere 
Entstehungsursache.  Schweydar  glaubt,  daß  sie  ihre  Erklärung  in 
der  oben  erwähnten  Aufwölbung  findet.  Was  die  drittel-  und  viertel- 
tägige Periode  anlangt,  so  kann  man  dieselben  nicht  als  ein  Rechnungs- 
resultat  ansehen.  Für  ihre  physikalische  Realität  spricht  besonders 
beim  Nordpendel  der  Gang  in  den  AmpUtuden,  der  den  entsprechen- 
den Größen  der  ganztägigen  Welle  parallel  geht.  Dieser  ParalleUs- 
mus  läßt  es  als  wahrscheinlich  erscheinen,  daß  diese  Wellen  lokaler 
Natur  sind. 

Der  Gang  in  den  Phasen  läßt  sich  in  der  Weise  erklären,  daß  bei 
geringer  Zufuhr  von  Wärme  und  somit  kleiner  Amplitude  die  Ver- 


AUg«3iei]ie  Eigengdhaften  der  Erde.  107 

e      spatung  der  Bewegung  in  den  tiefem  Schichten  des  Erdbodens  größer 
g       wird.    Die  direkte  Anziehung  der  Sonne  erzeugt  ebenfalls  eine  ganz- 
i       und  halbtägige  Periode  in  der  Lotbewegung;  doch  sind  diese  zu  klein, 
i      um  einen  Beitrag  zur  Erklärung  der  beobachteten  Werte  zu  liefern. 
Was  den  Einfluß  des  Mondes  anbelangt,  so  stellt  Verf.  zunächst 
I      den  theoretischen  Ausdruck  für  diese  Art  von  Lotstörung  fest.    Die 
^       Behandlung  der  Beobachtungen  ergibt  dann,  daß  ebenso  wie  bei  der 
3       Sonnenwelle  die  Oszillationen  des  Nordpendels  sich  komplizierter 
^      gestalten  als  die  des  andern.    Überraschend  ist  auch  eine  dabei  auf- 
j      tretende  ganztägige  Periode,  die  sich  aus  der  Theorie  der  Mond- 
attraktion nicht  erklären  läßt.    „Es  muß  also  auch  hier  die  lokale 
I      Hassenverteilung  maßgebend  sein;  dies  kann  aber  nur  dann  der  Fall 
^      sein,  wenn  es  sich  um  elastische  Deformationen  handelt.    Wir  müssen 
daher  diese  Periode  dem  Installationseinflusse  oder  elastischen  Reak- 
tionen, die  durch  die  Deformation  der  halbtägigen  Welle  erzeugt 
^      werden,  zuschreiben.    Sie  hat  daher  vom  allgemeinen  Standpunkte 
weniger  Literesse.'*    Die  halbtägige  Welle  setzt  sich  aus  zwei  ein- 
'      ander  entgegengesetzten  Wirkungen  zusammen:  aus  der  Anziehung 
des  Mondes  und  der  durch  diese  hervorgerufenen  elastischen  Defor- 
mation des  Bodens.    Auch  bei  der  halbtägigen  Welle  zeigt  es  sich, 
daß   die  elastische   Bewegung  in  der   Richtung   der    Südpendel- 
komponente größer  ist  als  in  der  der  Nordpendelkomponente. 

Sowohl  die  ganztägige  wie  halbtägige  Welle  beweisen,  daß  der 
Brdboden  in  der  Richtung  des  Gebirgszuges  weniger  elastisch  ist  als 
I  in  der  hierzu  senkrechten  Richtung.  Wäre  dies  nicht  der  Fall,  so 
müßten  die  Amplituden  bei  beiden  Pendeln  gleich  sein,  wie  uns  die 
theoretisohen  Ausdrücke  lehren.  Hiermit  stimmt  auch  die  Tatsache 
gut  überein,  daß  in  der  erstem  Richtung  die  Verfrühung  kleiner  ist; 
eine  Deformationswelle  von  geringerer  AmpUtude  wird  sich  auch 
langsamer  fortpflanzen. 

Während  bei  dem  Einflüsse  der  Sonne  die  Amplitude  der  halb- 
tägigen Welle  in  Heidelberg  die  in  Straßburg  bedeutend  überwiegt, 
Bind  beide  hier  nahezu  gleich.  Man  kann  hieraus  schließen,  daß 
der  Elastizitätskoeffizient  des  großen  Gebietes,  das  Baden  und  Elsaß- 
Lothringen  umfaßt,  nahezu  derselbe  ist;  der  thermische  Ausdehnungs- 
koeffizient hat  dagegen  in  Heidelberg  einen  viel  großem  Wert. 

Verf.  behandelt  nun  den  Einfluß  der  Rotation  der  elastischen 
Eide.  „Nimmt  man",  sagt  er,  „an,  daß  der  Schwerpunkt  der  Erde 
nicht  mit  ihrem  Mittelpunkte  zusammenfällt,  so  müssen,  wenn  die 
Eide  Elastizität  besitzt,  unter  dem  Einflüsse  der  Zentrifugalkraft 
Oszillationen  der  Lotlinie  entstehen.  Da  die  Periode  der  Rotation 
der  Eide  ein  Stemtag  ist,  so  werden  auch  die  Perioden  jener  Oszilla- 
tionen aliquote  Teile  derselben  Zeiteinheit  sein." 

Es  ergibt  sich,  daß  ein  beträchtlicher  Teil  der  beobachteten 
Amplituden  auf  elastische  Wirkungen  der  Drehung  der  Eide  zurück- 
Bufühien  ist.    Man  könnte  die  Größe  dieses  Einflusses  berechnen» 


IIB  ObtrfHohftngeB»ltttng. 

•  mannen  BUdungen  dee  Cambriüms,  da»  SilUrs  und  des  Devons  und 
' :  'dteen  der  Kreide  liegt  eine  lange  ZynaohenpetiodB^  in  der  das  Gebiet 

r    Festland  war. 

.  (Segen  die  benachbarten  Gebiete  hin  tanoht  die  böhmische  Masse 

teils  unter  die  mioz&ne  Decke,  teils  bridht  sie  in  tektonisehen  Linien 

'    gegen  sie  ab.    Der  ganKe  Westrand  gehört  einem  nordwestlich  ge- 

:.  richteten  Systeme  von  Störungen  an,  das  die  große  mesozoiaohe  Tafel 

,:  diBS  BÜdifohen  Deutechland  zum  Kiedenünkein  brachte;  im  öetlii^en 

Thüringen  bildet  die  Transgressionslinie  von  Zechstein  und  THas 

'  die  Grenze;  in  Sachsen  verschwinden  die  variscisoh«»  Falten  all- 

- .  mählich  unter  der  Ebenö,  und  auch  im  sohlesisoh*galiziBehen  Kohien- 

-  levier  ist  die  Grenze  keine  tektomsche.     Ebensowenig  ist  dieses  der 

:>  Fall  im  80  von  der  Landecke  bei  Mahridch-Ostrau  bis  gegen  St. 

::  Polten.    Im  Süden  taucht  das  Massiv  unter  das  Mw»an  bis  in^^die 

;  Gegend  von  Paidsau,  erst  von  hier:  bis  Itegensburg  bildet  der  -Doaau- 

:  lauf  eine  tektonische  Grenslinie.     Nicht  das  StreiGh^i  der  varis- 

1  .  eischen  Faltenzüge  bestimmt  also  Umriß  des  Massives  und  An- 

■  Ordnung  des  Flußnetzee,  sondern  das  bewirkten  erst  die  jungen 

Brüche  (Elbbruoh,  Erzgebirgsbruoh)  in  Verbiiidung  mit  den  Trans- 

:    gressionen.    Über  die  Einzelheiten  muß  auf  das  Original  verwiesen 

i\  werden. 

<  '  01e  finnbeh^  Skftrenkttsle  von  Wiborg  bis  fiango  bildet  den 

<  Gegenstand  einer  Studie  von  F.  O.  Karstedt.  i^)    Er  unterscheidet 
^  Idrei  hititereinander  liegiende  Streifen,  die  er  wie  folgt  bezeichnet: 

-  1.  Der  Skärg&rdvd-  h.  die  Summe  der  vor  der  Festlaadskuste  hegen- 
'    den  Inseih  und  Kl!px)eif.    Hinterihm2.d€fr  Saum,  der  sein  zerrissenes 

•  Geixr&ge  durch  die  mehr  oder  weniger  tief  einschneidenden  FjIMe 
i    erhält,  und  3.  der  Landstreifen,  der  nach  seinem  Aufbaue  noch  un- 

inittdbar  zu^  Küste  gehört,  den  er  als  Küstenlandschaft  bezeichnet. 
'  Der  Skärg&rd  beginnt  mit  unterseeischen  Klippe.  „Seheinbar 
'regellos  verstreut,  von  Eis  und  Wasser  poliert,  glatt  und  -eckenlos 
auf  der  Nordseite,  zerblockt  und  von  Rissen  durchsetzt  auf  der  Süd- 
seite, so  tauchen  im  äußern  Skarg&rd  diese  Klippen  empor.  H&ufig 
fast  kreisrund,  ötheb^n  sie  sich  bei  Normalwasserstand  meistens  nur 
wenige  Fuß  über  den  Meeresspiegel.  Ununterbrochen  nagen  Wetter 
und  Wasser  an  dem  Gesteine,  das  deshalb  auch  nur  selten  Gletscher- 
spuren,  häufiger  aber  dafür  Treibeisspuren  aufweist.  Eine  unend- 
hohe,  grause  Starrheit  liegt  übet  diesen  Skäreü,  die  namentlich  bei 
ruhiger  See  den  Eindruck  eines  in  leichter  Dünung  plötzlich  er- 
starrten Meeres  machen.^' 

Auf  den  hohem  Klippen,  deren  Oberfläche  nicht  mehr  von  der 
Brandung  erreicht  wird,  findet  sich  zwischen  Strandgeröll  und 
erratischen  Blöcken   gelegentlich   eine   kümmerliche  Birken-    oder 

1)  Deutsche  geogr.  Blätter.  Bremen  1004.  p.  170. 


Oberfiftohengestaltang.  119 

Kiefemkolonie^   an  Tier^i   eine  Anzahl  flügelloser  KMer,-  mehrere 
Seevögel  und  einige  Schlangenarten.    „Häufig  begegnet  man  schon 
im  äußern  Skärg&üd  inaelartäg  hervorragenden,  meist  langgestreckten 
Blockanhaufungen,  die  von  der.  Brandung  nicht  mehr  versetzt  werden 
können.    Liegen  sie  im  Lee  irgend  einer  großem  Klippe,  s6  siedelt 
sich  zwischen  ihnen  bald  eine  kräftige  Vegetation  von  Schilf  und 
Binsen  an;  und  nach  einigen  Jahren  gibt  es  hier  vielleicht  schon 
eine  kleine  Schwemmsandinsel,  deren  Bod^i  bald  mit  einem  leichten 
Bickengestrüppe  überzogen  ist.    Das  sind  die  untermeerischen  Fort- 
setzungen der  sogen.  Asar.     Landschaftlich  ein  ganz  anderes  Bild 
bietet  der  innere  Skärg&rd.    Herrschten  bisher  die  kahlen,  immerhin 
.  niedrigen,  fast  vegefiationialosen  Klippen  vor,  gestattete  die  Land- 
schaft im  äußern  Skärgard  einen  freien  Bundblick,  so  reiht  sich 
jetzt  eine  mit  dichtem  Nadel-  oder  Birk^enwalde  bestandcQc  Lisel  an 
die   andere,    überall;  den    ungehinderten    Ausblick    versperrend. 
Gleichzeitig  sind  diese  !(|iseln  bedeutend  höher  und  größer,  Während 
im  äußern  Skärg&rd  Inseln  von  20  m  Höhe  und    1  qkm  Oberfläche 
doch  immerhin  zu  den  Seltenheiten  gehören,  kommen  hier  solche 
von  10  bis  20  qkm  Oberfl|U)he  und  30  bis  40  m  Höhe  häufig  vor, 
weshalb  sie  vom  Volke  und  auf  den  Karten  auch  gern  mit  der  Be- 
,  ^iohnung  „Land''  belogt  werden.    Auch  bei  diesen  Inseln  läßt  sich 
immer  in  den  Konturen  des  Waldes  die  weniger  steile  und  ebe7:ke 
!Nord(Stoß)8(^te  von  der  zerblockten  und  zerrissenen  Süd(Lee)seite 
unterscheiden,  .  Die  Größe  der  meisten  Inj^eln  des  innem  Skärg&rds 
erklärt  sich  aus  der  durch  die  Hebui^  des  Land^  resultierenden 
Zusiammenscbmelzung  mehrerer  Inselkeme  zu  einer  Insel.*' 

.  Der  Fjärdsaum  wird  charakterisiert i, durch seinedurch  Hunderte 
von  primären  und. sekundären  Buchten  hervorgebrachte  ZerochUtzt- 
heit«  Seine  Breite  variiert  an  der  südfinnischen;  Küste  von  2  See- 
meilen bis  12  Seemeilen.  Er  stellt  in.  den.Fjärden  die  Fortsetzung 
der  festländischen  Täler  ins  Meer,  in  den  zwischen  ihnen  hegenden 
.Halbinseln  und  halbinselartigen  Bildungen  die  Fortsetzung  der 
Hügelkettein  des  I^mdes  seewärts  dar." 

Das  Charakteristikum,  der  Skärenküste  gegenüber  der  Fjord- 
küste hegt  nach  Karstedt  nicht  so  sehr  in  d^  Fjärdbildung  als  viel- 
mehr in  der  reichlichen  Skärenbildung  vor  einem  flachen  Lande. 
„Die  Fjärde  sind  noch  nicht  genügend  untersucht,  als  daß  man 
schon  mit  genügender  Sicherheit  auf  ihre  Bildung  sohheßen  könnte, 
wie  bei  den  Fjorden.  Größtenteils  dürften  sie  vielleicht  schon  im 
Beginne  des  Paläozikums  durch  Erosion  des  fließenden  Wassers 
ihren  Anfang  genommen  haben." 

Die  westUchen  Fjärde  sind  sämthch  lang  und  schmal,  die  öst- 
hchen  kurz  und  haben  meist  die  Gestalt  eines  gleichseitigen  Drei- 
eckes. Die  südfinnische  Küstenlandschaft  ist  gegen  das  Landes- 
innere durch  das  Überwiegen  der  quartären  Ablagerungen  gekenn- 
zeichnet.   „Während  nämlich  das  iimere  Finnland  seinen  geographi- 


120  ObeifULohengMtaltang. 

sehen  Charakter  durch  die  Moränenzüge  bekommt,  fehlen  diese  an  dar 
Küste  vollständig.  Hier,  dem  Schauplatze  ewiger  Küsteni^chwan- 
kungen,  hat  das  Meer  seine  Zeichen  in  seinen  Sedimenten  eingegraben, 
die  als  Tonablagerungen  sich  niedergeschlagen  haben." 

Der  Skärg&rd  vor  der  südfinnischen  Küste  schützt  als  natür- 
liches Bollwerk  diese  vor  der  abradierenden  Wirkung  der  Brandan^ 
und  ist  anderseits  gleichsam  ein  Sieb  für  die  durch  die  Flüsse  ins 
Meer  geschwemmten  Schlammteile.  Die  Wellenwirkung  des  Meen» 
reicht  selten  in  den  Skarg&rd  hinein,  hier  ist  das  Wasser  meist  voll- 
kommen ruhig. 

Die  mittlere  Höhe  Asiens  bildet  den  Gegenstand  einer  Studie 
von  B.  Tronnier,  1)  der  zu  dem  Ergebnisse  gelangt,  daß  man  von 
einer  zufriedenstellenden  Beantwortung  der  Frage  nach  der  mittlem 
Erhebung  der  Landflachen  überhaupt  noch  sehr  weit  entfernt  ist. 

„Die  Flache  eines  Landes  ist  verhältnismäßig  leicht  und  sicher 
zu  b^timmen;  die  ganze  Schwierigkeit  besteht  in  der  Beetifnmnng 
des  Volumens.  Man  hat  nun  in  der  Volumetrie  durch  Anpassung  der 
betreffenden  topographischen  Körper  an  die  verschiedensten  mathe- 
matischen Körper  (Prisma,  Pyramide,  Kegelstumpf  usw.),  deren 
Formeln  eine  leichte  Berechnung  gestatten,  dieses  Ziel  erreichen  wollen. 
Aber  die  Natur  bietet  keine  mathematischen  Körper  dar,  so  daß  alle 
diese  Versuche  nur  mehr  oder  minder  genaue  Annäherungen  darstellen 
können.  Penck,  Neumann  und  v.Tillo  gaben  1888/89  unabhängig 
voneinander  ein  anderes  Verfahren,  die  hypsographische  Kurve,  an, 
das  aber,  da  es  ein  Idealgelände  voraussetzt,  an  demselben  Übel 
krankt  wie  jene  obigen  Versuche.  Alle  diese  Methoden  gehen  wie 
Parallelkreise  um  den  Pol  herum,  bald  näher,  bald  femer,  gelegentlich 
auch  einmal  mit  ihm  und  der  Wahrheit  zusammenfallend,  ohne  daß 
dafür  aber  ein  Beweis  erbracht  werden  könnte.  Der  direkte  Weg, 
den  man  mit  einem  Meridiane  vergleichen  könnte,  findet  sich,  soweit 
dem  Verf.  bekannt,  nirgends  deutlich  angegeben.  Es  ist  die  Be- 
stimmung des  Volumens  durch  die  Wage,  nach  der  Formel 

Volumen  » 


spez.  Gewicht, 

sei  es,  daß  man  einBelief  des  betreffenden  Landes  aus  einer  homogenen 
Masse  von  bekanntem  spezifischen  Gewichte  oder  nur  eine  Form  (z. 
B.  aus  Metall  getrieben)  herstellt,  die  man  mit  irgend  einem  Stoffe 
von  bekanntem  spezifischen  Gewichte  (z.  B.  Wasser)  anfüllt.  Der 
Herstellung  eines  einigermaßen  genauen  Reliefe  fremder  Länder 
stehen  zwar  zurzeit  noch  unüberwindliche  Schwierigkeiten  entgegen, 
aber  trotzdem  sollte  man  sie  als  Ziel  stets  vor  Augen  haben.  Sdioa 
die  Herstellung  selbst  eines  (rohen)  BeUefe  gewährt  einen  wichtigen 

1)  Gerlands  Beiträge  zur  Geophysik  VI.  p.  694. 


Oberflftcbengeetaltuiig.  121 

Fingerzeig  für  den  Weg,  den  man  vorläufig  einzuschlagen  hat.  Man 
kann  ein  solches  Relief  im  wesentlichen  auf  zwei  Weisen  entstehen 
lassen :  einmal,  indem  man  eine  sehr  grofie  Zahl  von  Vertikalschnitten 
aneinander  setzt;  anderseits,  indem  man  eine  sehr  große  Zahl  von 
Honzcmtalschnitten  aufeinanderlegt.  Das  erste  Verfahren  würde 
das  Profil-,  das  zweite  das  Isohypsenverfahren  sein.  In  der  Praxis 
^wird  kaum  jemand  in  Zweifel  kommen,  nach  welchem  von  beiden  er 
verfahren  soU.  Denn  ein  Land  kann  viele  Tausende  Kilometer  lang 
und  breit  sein,  die  höchste  Landerhebung  und  die  größte  Seetiefe 
aber  stehen  nur  18^  km  voneinander  in  der  VertikcJen  ab. 

Wohl  unwillkürlich  hat  sich  die  Mehrzahl  der  Forscher  auch  bei 
der  Volumenbestimmung  eines  Landes  für  das  Isohypsenverfahren  ent- 
schieden. Die  h3qpsographische  Kurve  basiert  bewußt  ganz  darauf 
(vgl.  z.  B.  Penck,  Morphologie  I.  p.  80).  Trotzdem  findet  sich 
auch  die  Profilmethode.  Sie  tritt  schon  bei  v.  Humboldt  auf,  der 
ja  die  ersten  Berechnungen  von  Mittelhöhen  der  Kontinente  über- 
haupt ausführte,  kommt  spater  bei  Leipoldt  und  Chavanne  wieder 
vor,  und  Heidereich  hat  sogar  seine  ganze  Arbeit  darauf  aufgebaut. 
Theoretisch  genommen  sind  beide  Arten  gleich  berechtigt,  aber  die 
Forderungen  der  Praxis  machen  es  ganz  unumgänglich,  sich  für  die 
Isohj^psenmethode  zu  entscheiden.  Daß  bei  der  Konstruktion  von 
Profilen  und  Isohypsen  heute  noch  die  Willkür  oder  der  geographische 
Takt  des  einzelnen  eine  recht  große  Rolle  spielt,  wird  allseitig  zu- 
gegeben. Existieren  diese  Schwierigkeiten  einmal  nicht  mehr,  so 
wird  es  ebenso  gut  möglich  sein,  ein  hinreichend  genaues  Relief  her- 
zustellen." 

In  einem  historischen  Überblicke  stellt  Verf.  die  bisherigen  An- 
nahmen über  die  mittlere  Höhe  Asiens  zusammen  und  gibt  folgende 
Tabelle: 


T.  Humboldt 

1843,   1853 

351  m 

de  Lapparen t            Murray 
1883,    1885                  1888 
879  m                    943  m 

Heiderioh 

1891 

920  m 

Murray 

1888 

943  m 

Penck             Supan           v.  Tillo 

1889                1889                 1889 

950  m            940  m            957  m 

Penok 

1893 

1010  m 

Waffner 

1895 

950  fif 

Penck                 Krümmel 
1899                        1879 
980  M                  0.  500  m 

Penok 

1884 

c.  750  m 

Alle  diese  Angaben,  auch  die  letztem,  sind  nach  Verfassers  sehr 
begründeter  Ansicht  äußerst  unsicher.  „Ob,'*  sagt  er,  „die  mittlere 
Höhe  Asiens  näher  an  900  m  oder  1000  m  liegt,  darüber  eine  Ent- 
scheidung zu  treffen,  erscheint  nach  ernsthafter  Prüfung  des  vor- 
liegenden Materiales  aussichtslos.  Vorläufig,  zu  dieser  Erkenntnis 
drangt  auch  diese  Untersuchung,  tut  man  am  besten,  sich  mit  dem 
1895  von  Wagner  vorgeschlagenen  Mittelwerte  von  ca.  950  m  zu 
begnügen.*' 


112  Allgtmeiae  ElgimuhifUm  der  Brda. 

Verbindet  man  den  obigen  Läi^nunteFBohied  Beriin — Gkeea- 
wioh  mit  dem  EndrsBiiltate  der  im  Jahre  1877  vom  Qeod&fciiwhen, 
Institute  anageführten  Langenbeetimmang  Berlin — ^Paiis: 

44m  13.8a0i, 

so  würde  sich  für  den  Langenunterschied  zwischen  Paris  und  Green- 
wich  der  Wert  9m  20.912»  ergeben,  welcher  sich  auf  9m  20.882i  redu- 
ziert, wenn  man  an  Stelle  des  direkt  beobachteten  Langenunter- 
schiedes  Berlin — Paris  den  Betrag  44m  13.890i  einführt,  welcher  aus 
der  Ausgleichung  des  europaischen  Langennetzes  von  Prof.  van  de 
Sande  Bakhuyzen  entnommen  werden  kann. 

Dieser  Wert  ist  in  befriedigender  Übeieinstimmux^  mit  dem 
Werte: 

9m  20.887«, 

welchen  man  erhält,  wenn  man  die  beiden  niederländischen  Bestim- 
mungen:  Leiden — Greenwich  =  17m  56.100«  und  Leiden — Paris 
=»   18  m  35.213s  miteinander  kombiniert. 

Daß  dem  oben  abgeleiteten  Resultate  für  den  Längenunterschied 
Potsdam — Greenwich  in  der  Tat  ein  hoher  Grad  der  Zuverlässigkeit 
innewohnt,  kann  außer  den  einzelnen  Ergebnissen  auch  aus  der  guten 
Übereinstimmung  der  Resultate  der  im  Jahre  1902  sowohl  von 
deutscher,  als  auch  von  russischer  Seite  ausgeführten  Längenbestim- 
mung Potsdam — Pulkowa  gefolgert  werden.  Diese  Längenbestim- 
mungen wurden  streng  nach  dem  Verfahren  des  Geodätischen  Li- 
stitutes,  zwar  nahezu  gleichzeitig,  im  übrigen  aber  völlig  unabhängig 
voneinander  ausgeführt.  Sie  haben  trotz  der  Schwierigkeiten  des 
Signalwechsels  auf  der  1696  km  langen  und  recht  unvollkommen 
isoUerten  Leitung  eine  Übereinstimmung  der  beiderseitigen  Resultate 
innerhalb  der  Grenze  von  O.Olh  ergeben;  man  wird  daher  auch  in 
dem  Resultate  der  Längenbestimmimg  Potsdam — Greenwich  die 
Hundertstelsekunde  als  nahezu  verbürgt  ansehen  können. 

Längenbestimmung  im  Großen  Oieane.    Die  nordamerikanische 
Vermesstmgsbehörde  (U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey)  hat  mit 
allen  Mitteln  der  modernen  Präzisionsmessung  den  Unterschied  der 
geographischen    Längen    zwischen    San  Franzisko    und    Honolulu 
auf    telegraphischem    Wege    ermittelt    und    dabei    das    Resultat 
gefunden,   daß    Honolulu  10h  31m  27.28    westlich    von    Greenwich 
(11h  25m  2.1>  westlich  von  Berlin)  hegt.    Damit  ist  die  genaue  Be-     | 
Stimmung  der  geographischen  Koordinaten  für  die  Hauptstadt  jenes 
hawaiischen  Inselreiches  als  abgeschlossen  zu  betrachten,  da  die 
geographische   Breite    von  H(molulu    durch   die   Arbeiten  der  vor 
13  Jahren  dorthin  entsandten  vereinigten  Expedition   der  Inter- 
nationalen Erdmessung   und  der  Nordamerikanischen  Vermessimg    | 
(unter  A.    Marcuse    und    E.    Preston)    mit    größter    Schärfe   er-    , 
mittelt   wurde.    Von   besonderm  Interesse   für  die  Erkenntnis  der 


Allgemeine  Eigenschaften  der  Erde.  113 

methodisohen  und  instrumentellen  Fortßohritte  bei  der  astronomisch- 
geographischen  Orientierung  dürfte  ein  Vergleich  der  modernen, 
oben  erwähnten  nunmehr  abgeschlossenen  genauen  Ortsbestimmung 
für  die  Hawaiischen  Insehi  mit  den  altem  Bestimmungen  dieser  Art 
sein.  Danach  verlegten  spanische  Karten  aus  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts jene  Inseln  im  Stillen  Ozeane  noch  um  17^  zu  weit  nach 
Osten,  allerdings  nicht  auf  Grund  von  Messungen,  da  schon  Kolumbus 
im  15.  Jahrhunderte  eine  Genauigkeit  von  ^^  bei  seinen  Ortsbestim- 
mungen erzielte.  Der  große  Weltumsegler  Ck>ok  verstand  es,  die 
Küstenpunkte  Hawaiis  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bis  auf  ^/q^ 
genau  zu  orientieren,  und  der  französische  Entdeckungsreisende 
Freycinet  erzielte  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  eine  Ortsbestim- 
mung auf  den  Hawaiischen  Inseln  bis  auf  ^  Bogenminute  oder 
^/24o^'  ^^^  englische  Marinekapitän  Tupmann  bestimmte  bei  Ge- 
legenheit der  vorletzten  Venusexpedition  die  Länge  innerhalb  weniger 
Zehntel  der  Zeitsekunde  sicher.  Die  moderne  astronomische  Orts- 
bestimmung endlich  liefert  aus  einer  großem  Reihe  von  Beobach- 
tungen die  geographische  Breite  eines  Ortes  am  Lande  innerhalb 
weniger  Hundertstel  Bogensekunden  und  die  geographische  Länge 
bis  auf  wenige  Hundertstel  der  Zeitsekunde  genau.  Diesen  Genauig- 
keitszahlen in  Winkelmaß  entsprechen  auf  der  Erdoberfläche  für 
mittlere  Breitenzonen  gerechnet  die  folgenden  Linearwerte :  Genauig- 
keit der  Orientierung  in  Breite  etwa  1.2  m,  in  Länge  ungefähr  12  m. 

Die  französisehe  Gradmessang  in  Ecuador.  Über  den  Fortgang 
der  französischen  Gradmessung  in  Ecuador  während  des  Jahres  1903 
hat  Poincar6  der  Pariser  Akademie  der  Wissenschaften  einen  Bericht 
erstattet.  Danach  imifaßt  das  Arbeitsprogramm  jenes  Jahres  die 
Beeidigung  der  Beobachtimgen  im  Norden,  die  geodätische  Ver- 
messung auf  dem  Stücke  Riobamba-Cuenca,  astronomische  Orts- 
bestimmungen in  Cuenca,  magnetische  Beobachtungen  und  den  Be- 
ginn des  Nivellements.  Verschiedene  Hindemisse  stellten  sich  aber 
der  vollständigen  Ausführung  dieses  Programme»  entgegen.  So  waren 
die  Witterungsverhältnisse  im  Norden  ebenso  imgünstig  wie  im 
Jahre  1902,  und  so  wurde  man  dort  an  drei  Stationen  80  Tage  auf- 
gehalten. Ebenso  wurden  auch  wieder  vielfach  die  Signale  von  den 
ungebildeten  Bewohnern  zerstört,  obwohl  die  ecuatorische  Regierung 
sich  alle  Mühe  gab,  dem  Unfuge  zu  steuern.  Doch  wurde  hier  die  Arbeit 
im  Februar  d.  J.  vollendet.  Eine  vorläufige  Berechnung,  die  jetzt 
wohl  im  großen  und  ganzen  endgültig  sein  dürfte,  ergab  durch  Ver- 
bindung der  Basis  von  Riobamba  mit  der  von  Tulcan  6604.83  911  für 
die  nöriliche,  während  die  Messung  selbst  6604.77  m  als  Resultat 
geliefert  hatte.  Der  Grad  der  Zuverlässigkeit  wird  als  hoch  bezeichnet. 
Im  Süden  wurden  in  Cuenca  Breitenbestimmungen  begonnen,  auch 
war  man  dabei  beschäftigt,  die  Längendifferenz  zwischen  dieser 
Station  und  Quito  zu  ermitteln.    Das  ursprüngliche  Triangulations- 

Klein,  Jabrbaoh  XV.  8 


124  OberfUohengestaltDiig. 

aber  sind  entweder  in  unzureichenden  Fragmenten  oder  gar  nüdit 
aichtbar,  da  das  Meer  sie  verbirgt.  Unter  den  Bogengebilden  des 
ostasiatischen  Festlandes  ist  keines,  welches  einen  einwandfreien 
Anhalt  für  seine  Zurechnung  zum  Alpentypus  gibt." 

2.  Aus  der  bogenförmigen  Verbindung  durch  tektoniache  T^fnisn, 
welche  auf  der  Wirkung  zerrender  Kräfte  beruhen,  geht  der  Zemings- 
bogen  oder  der  ostasiatische  Typus  hervor.  Prof.  v.  Richthof«!  hat 
friiher  gezeigt:  „1.  daß  sich  nördlich  von  der  Linie  des  Tiainling- 
gebirges  seit  voralgonkischer  Zeit  in  gewissen  Breitenznnen  d» 
Tendenz  zur  Bildung  von  Rupturen,  welche  auf  Zug  nach  SSO  be- 
ruhen und  der  den  Orundbau  von  Ostasien  beherrBchenden  mniflchwi 
Richtung  (im  Mittel  W  W  8—0  20""  N)  folgen  und  damit  die  Zer- 
legung von  Tafeln  oder  Abdachungen  in  rostartig  aogeordnele, 
parallele,  annähernd  in  derselben  Richtung  streichende  GSebirgs- 
streifen  bis  in  die  Tertiäizeit  hinein  geltend  gemacht  hat;  2.  daß  eine 
in  ihrem  Anfangsstadium  wahrscheinlich  erst  nach  der  pennischen 
Zeit  herausgebildete,  vermutlich  aber  noch  jüngere,  anacheinend 
auf  östlichem  Zuge,  nach  dem  Pazifischen  Becken,  beruhende  Bruch- 
Zone  im  Bogen  eines  größten  Kreises  das  kontinentale  östliche  Asien 
durchzieht  und  bei  der  Interferenz  mit  den  einzelnen  gelockerten 
Zonen  des  erstgenannten  Systemes  eine  Zerlegung  in  einzelne  ho- 
molog gestaltete,  kettenförmig  aneinander  gegliederte  Teile  erfahren 
hat,  wobei  sich  die  Linien  der  beiden  Systeme  in  jedem  einzelnen  Fall  e 
zu  einem  gegen  den  Ozean  konvexen  Bogen  verbanden;  3.  daß  diese 
Bogen  gebirgsartige  Randanschwellungen  großer,  nach  innen  schilssel- 
förmig  sich  abdachender  Schollen,  sogenannter  „Landstaffeln*', 
bilden,  während  der  Außenrand  steiler  zu  der  zunächst  nach  außen 
folgenden,  entlang  dem  Rande  tiefer  abgesenkten  Landstaffel  ab- 
fällt; 4.  daß  die  zweite,  durch  das  Herrschen  einer  meridionalen 
Komponente  ausgezeichnete  Bruchzone  das  Tsinlinggebirge  durch- 
schneidet, und  die  Tendenz  zur  Bogenbildung  auch  südlich  von  diesem 
fortsetzt,  in  Gegenden,  wo  jene  rostförmige  Zerlegung  nicht  mehr  zv 
beobachten  ist;  5.  daß  im  Gegensatze  zu  den  aus  Stauung  hervor- 
gegangenen Faltungs-  oder  Überschiebungszonen  die  Bogengebüde 
des  ostasiatischen  Typus  von  Ausbrüchen  von  Tiefengesteinen  ver- 
schiedener Altersstufen  begleitet  sind." 

Eine  andere  bemerkenswerte  Eigenschaft  dieser  Bogengebüds 
findet  v.  Richthofen  in  dem  Umstände,  daß,  während  die  Storungs- 
linien  in  den  äquatorialen  Schenkeln  ganz  oder  nahezu  in  der  Richtung 
des  Streichens  der  vorkambrisch  zusammengefalteten  archaischen 
Schiefer  liegen,  die  Bruchlinien  der  meridionalen  Schenkel  in  der 
Gesamtheit  der  Erscheinungen  von  der  innem  Anordnung  unabhängig 
sind  und  Erdrindenteile  vom  verschiedensten  geologischen  Baue  un- 
beirrt durchschneiden.  Li  einigen  Fällen  ist  letzterer  wenigstens 
streckenweise  den  Brüchen  parallel;  aber  in  der  R^gel  verlaufen  diese 
widersinnig  zu  den  Streichrichtungen. 


OberflftohengeBtaltnng.  125 

Ptof.  Y.  Richthofen  schließt  hieraus,  daß  die  deformierenden 
Bewegungen  in  der  Erdrinde,  welche  sich  in  Ostasien  in  der  Tendenz 
zur  Bogenbildung  äußern  und  zur  Umspannung  verschiedenartiger 
Gebilde  durch  einheitliche  Bogen  geführt  haben,  von  einer  Art  sind, 
clie  mit  denen,  welche  dem  Alpentypus  zugrunde  liegen,  nur  die 
resultierende  Form  gemeinsam  hat,  vom  geogenetischen  Gesichts- 
punkte aber  davon  abweicht:  „Dort  ein  Hinüberquellen  und  Über- 
^wallen  über  ein  meist  tief  versenktes  Vorland  durch  eine  von  der 
Hückseite  nach  der  Außenseite  gerichtete  Kraft;  hier  die  Tendenz 
zum  Zurückweichen  des  Vorlandes  durch  eine  Ejraf t,  welche  von  Orten 
jenseits  des  Außenrandes  her  zerrend  wirkt." 

'Prot.  V.  Richthofen  geht  nun  genauer  auf  die  Form  der  Kette  der 
selbständigen  Bogengebilde  ein.    Er  hat  früher  gezeigt,  daß  die  Reihe 
der  innem    Staffelrandbogen  Ostasiens  in  sehr  großer  Ausdehnung 
meerfemes  Binnenland  von  dem  ozeanischen  Lande  scheidet,  und 
dieses  wiederum  vom  Ozeane  selbst  durch  die  Reihe  der  Küstenbogen 
geschieden  wird.    Die  Reihe  der  ostasiatischen  Inselkranze  bildet  die 
Grenze  des  Kontinentalmassives  gegen  das  tiefe  Becken  des  Pazi- 
fischen Ozeanes.  „Bezeichnet  man*',  sagt  er,  „als  Kettung  die  Ver- 
bindung von  je  zwei  selbständigen  orographischen  Einzelgebilden, 
so  sind  dies  drei  augenfällige  Kettimgsreihen.    Die  binnenländische 
Reihe  ist  fortlaufend  und  vollständig;  denn  sie  zeigt  keine  Unter- 
brechung, ein  Glied  schließt  sich  unmittelbar  an  das  andere.    Die 
Kettungsreihe  der  Küstenbogen  hingegen  ist  fortlaufend,  aber  un- 
vollständig,  da  ein  Teil  des  koreanischen    Bogens  durch   Bruch 
verschwunden  ist.    Die  Kettungsreihe  der  Inseln  ist  unterbrochen; 
denn  zwischen  Formoea   und  den  Philippinen    ist    ein    Anschluß 
nicht  erkennbar;  es  scheint,  als  ob  eine  Reihe  ihr  Ende  erreicht 
habe,  und  eine  andere  beginne." 

Eine  fortlaufende  Kettungsreihe  nennt  v.  Richthofen  har- 
monisch, wenn,  von  einer  außerhalb  gelegenen,  mit  ihr  parallelen 
Linie  aus  gesehen,  die  einzelnen  Glieder,  so  verschieden  sie  im  Baue 
sein  mögen,  analoge  Bogenrichtung  haben.  „In  diesem  Sinne",  sagt  er, 
„herrscht  harmonische  Anordnung  im  ganzen  östUchen  Asien;  denn 
alle  Bogen  haben  ihre  konvexe  Seite  nach  dem  tiefen  Ozeanbecken 
gerichtet,  allerdings  mit  einer  Ausnahme  im  südlichen  Japan,  welche 
als  die  Harmonie  störend  sehr  auffällig  ist,  aber  ihre  Erklärung  in 
mechanischer  Umformung  eines  harmonischen  Bogens  findet.''  Dis- 
harmonisch nennt  v.  Richthofen  eine  Kettimgsreihe,  wenn  die 
Richtung  der  Bogen  dem  Sinne  nach  wechselt,  wie  es  in  Amerika 
bei  dem  gegen  den  Pazifischen  Ozean  konkaven  karibischen  Bogen, 
im  Gegensatze  zu  dem  peruanisch-ekuadorischen,  nach  demselben 
Ozeane  konvexen  Bogen,  oder  bei  dem  dinarischen  im  Gegensatze  zum 
Alpenbogen  der  Fall  ist. 

Femer  nennt  v.  Richthofen  eine  harmonische  Kettungsreihe 
konkordant,  wenn   ihre  einzelnen  Komponenten  tektonisch  gleich- 


126    .  Obgrfiftebengwttttong; 

artig  sind,  das  heißt,  ^säkntUclie  entweder  doroh  Zerrung  oder  dvd 
Stauung  ihre  Bogenfonn  erreicht  haben.  Die  KettiingBieihen  dv 
Binnenlandbogen  und  der  Küstenbogen  im  Norden  der  Tonliog- 
linieamd  hiemaehkonkordant,  da  J^tetehung  durch  Zenrung  bä 
alkn  das  genetiache  Motiv  ist;  beim  südlichem  Bogen  beider  ReU» 
gilt  es  für  die  Ostoeits^  ab«r  nicht  mit  Sicherheit  für  die  Südseite,  and 
der  annamitische  I^^üstenfoogNi,  obgleich  in  die  hamuxiische  As- 
ordnong  sich  einfügend,  erscheint  doch  nach  seiner  ganzen  bnsair 
artigen  Erscheinung  als  ein  diskordantes  Glied. 

,,Bin  Bück  auf  Karte  oder  Olobus'S  fährt  v.  Riohthofen  fort,  ,,läilt 
eine  gewisse  Gleichartigkeit  in  der  Aneinandeneihung  der  das  mocpho- 
graphische  Bild  Ostasiens  in  erster  Linie  behenrechenden  Bo|^ 
gebilde   erkennen.     Für   die  Inselzüge   ist  das  BUd    aufgehangts 
Blumenkränze  gebraucht  worden,  und  oft  hat  man  es  daigesteOt, 
wie  der  Aleutenbogen  den  KamtschatiEa-Kurilen^Bogen  in  die  Seite 
trifft,  dieser  sich  ebenso  zum  japanischen  Bogen  verhalt  u.  fl.  i 
Ebenso  nähert  sich  der  Winkel,  unter  welchem  jeder  einzelne  Küsten- 
bogen mit  dem  nächsten  zusammenkommt,  einem  rechten,  md  dtf 
gleiche  Verhalten  waltet  bei  den  Landstaffelbogen.    Man  kann  ab 
diese  Formen  der  Kettung,  wo  die  Linie  eines  Bogens  quer  aaf  die 
Linie  eines  andern  Bogens  trifft,  als  flankenständige  Bogenkettung 
oder  Flankenkettung  bez^chnen.     Weniger  auffällig   sind  andere 
Kettungen,  welche  mit  dem  morphologisch  vc«i  den  BogengebiUen 
abweichenden,  geradlinig  fortstreichenden,  gewaltigen  Stamm  de> 
Tsinlinggebirges.  verbunden    sind.      Als  mi  langgedehntes,  stams 
Gebilde  erstreckt  er  sich  in  westösthchem  Verlaufe  in  das  Gebiet  dff 
erwähnten  Bogengebilde  fremdartig  hinein,  versdiwindet  aber,  wo 
er  die  binnenländisohe  Bogenreihe  erreicht,  indem  er  selbst  dvicb 
einen  ihrer  Bogen  abgeschnitten  wird.    Er  ist  von  bogenförmigen  Ge- 
bilden an  der  Nordseite  und  an  der  Südseite  begleitet.     Sie  a^ 
beiderseits  ihrem  Wesen  nach  verschieden  und  unterscheiden  sich 
ebenso  von  den  Gliedern  der  genannten  meridionalen  Bogenreihe^- 
Auf  beiden  Seiten  sind  sie  nach  dem  Gebirge  konvex.    Daher  ist  so 
der  Nordseite  ihre  Krümmung  nach  Südost,  an  der  Südseite  nadi 
Nordwest  gerichtet.    An  der  erstem  verwach»ni  sie  mit  dem  Tsinling* 
an  der  letztem  bewahren  sie  ihre  Selbständigkeit  und  verstärken  ^ 
Stamm  des  Gebirges  dadurch,  daß  sie  ihm  längaständig  gleicbsam 
angeschweißt  werden.    Dort  scheinen  sie  genetisch  in  einer  Schlep- 
pung begründet  zu  s^n,  hier  erhielten  sie  ihre  Form  durch  passive, 
von  der  Vorderseite  herkommende,  also  nach  rückwärts  gerichtete 
Stauung.    Wir  werden  daher  eine  geschleppte  bogige  Kettung  oder 
Schleppkettung  und  eine  rückgestaute  bogige  Kettung  oder  Böcs- 
staukettung  unterscheiden.    Endlich  ist  noch  eine  Form  der  Kettong 
zu  nennen.    Sie  wird  dadurch  hervorgebracht,  daß  ein  jüngeres  Ge- 
birge inkongruent  über  einem  altem  steht,  in  welchem  es  wvit»^* 
und  ihm  gegenüber  eine  neue,  von  ihm  abweidiende,  selbstandiC^' 


Oberfliehengestaltang.  127 

q:  bogige  oder  gestreckte  Gebirgsfonn  hervorralt.  Vulkanische  Kräfte 
^  haben  solche  Gebilde  geschaffen.  Man  kann  sie  als  epigenetische 
{  Gebirge  und  ihre  Verbindung  mit  der  Unterlage  als  epigenetische 
;»  Xettung  bezeichnen.  Ein  ty^Hsches  Beispiel,  bei  dem  <fie  Unterlage 
^  sichtbar  ist,  werde  ich  aus  Japan  abzuführen  haben;  die  Form  aber 
,^  ist  sonst  in/  Berknschnüren  vulkanischer  Inseln  vertreten/' 
^  Pas  sind  die  vier  Kategorien  der  Kettung,  die  v.  Richthofen 

pg  unterscheidet,  imd  die  er  dann  an  Beispielen  erläutert.  Hier  möge 
nur  von  seinen  Ausführungen  über  die  Inseibogen  einiges  hervor- 
^  gehoben  werden.  Die  Aleuten  bilden  einen  fast  geometrisch  regel« 
mäßig  geschwungenen  Kreisbogen,  deren  sichtbarer  westlicher  Eck- 
pfeiler die  Insel  Agattu  ist.  „Nur  wenig  innerhalb  des  Bogens  bleibt 
die  etwas  weiter  westUch  hinausgerückte  Insel  Attu.  Es  ist  be- 
merk^iswert,  daß,  während  die  in  dem  Bogen  gelegenen  Inseln 
Vulkane  tragen,  auch  wenn  der  Unterbau  noch  andere  Gebilde  auf- 
weist, die  925  m  hohe  Insel  Attu  frei  von  jegUchen  vulkanischen  Ge- 
steinen ist  und  aus  altem  Formationen  beet^t  als  alle  andern  aleu* 
tischen  Inseln.  Noch  weiter  innerhalb  des  Kreisbogens,  in  beinahe 
100  km  Abstand  von  ihm,  bleiben  die  Beringinsd  und  die  Kupfer- 
insel, in  den^i  ältere  basische  Eruptivgesteine  nebst  Basalten  und 
tuffigen  mitteltertiären  Sedimenten  vorkommen.  Alle  im  Westen 
-  von  168°  westl.  L.  gelegenen  Inseln  erheben  luch  auf  einem  schmalen 
Rücken,  welcher  von  der  1000  m-Linie  umzogen  wird.  Bald  ist  die 
Inseli^ihe  einfach,  bald  tritt  da^  eine  Innenreihe,  besonders  gegen 
das  westliche  Ende  hin.  Die  Länge  der  den  Aleutenbogen  fortsetzen- 
den Halbinsel  Alaska,  von  Kamishak-Bay  bis  zur  Spitze,  ist  765  km; 
der  Kreisbogen  von  dort  bis  Agattu  mißt  1720  km.  Verlängert  man 
den  Bogen  mit  gleichen  Krümmungsradius  westwärts,  so  trifft  er 
nach  einem  Verlaufe  von  780  km  durch  inselleeren  Raum,  also  nach 
einer  Gesamtlänge  von  3267  km,  die  Halbinsel  Kamtschatka  am  Kap 
Kronotski. 

Zwei  Breitengrade  weiter  nördlich  beginnt  mit  dem  Schiwelutsch 
die  nicht  ganz  regelmäßig  gestellte  Doppelreihe  von  Vulkanen,  wdche 
mit  einer  Breite  von  durchschnitthch  etwa  100  km  und  der  Länge  von 
700  km  das  östUche  Kamtschatka  in  der  allgemeinen  Richtung 
NNO — SSW  durchzieht.  Die  Linie  büdet  einen  sanftgekrümmten,r 
nach  Ost  konvexen  Bogen.  Die  Aleutenlinie  trifft  auf  sie  unter  einem 
Winkel  von  70  bis  80°.  Sie  erreicht  die  Küste,  wo  diese  in  breitem 
Wulste  vorspringt  und  ausnahmsweise  wesentlich  aus  vulkanischem 
Gesteine  zu  bestehen  scheint.  Dazu  kommt,  daß  gerade  an  dieser 
Stelle  weiter  landeinwärts  eine  bedeutende  Verbreiterung  der  vul- 
kanischen Zone  stattfindet,  indem  drei  Vulkane  merkhch  nach  Osten 
aus  ihr  heraustreten;  fast  genau  in  der  weitem  Verlängerung  der 
Aleutenlinie  ist,  weit  im  Westen  der  Zone  der  Kamtschatkavulkane, 
der  nach  Erman  zu  16  920  Par.  Fuß  oder  5500  m  aufsteigende  Vulkan 
Itsoha  oder  Itschinskaja  Sopka,  der  höchste  Berg  Kamtschatkas, 


CS 

i'- 

10 


128  OberflMMDgwlaltaBg. 

dem  kristallinisclieii  AchaeiigBbirgB  der  Halbineel  aa^^eoetEt.  Di» 
um  ly^  bis  2^  weiter  nördlich  «af  der  Westseite  zerstieat  liegenden 
▼ier  erioscbenen  Vulkane  lassen  in  ihrer  Anordnung  keine  BeziehuDg 
SQ  den  beiden  grofien  yalkanischen  Zonen  erkennen.*' 

»»Obg^ich  ein  780  km  langer  Teil  des  Aleatenbogens  nicht  sichibar 
ist,  erscheint  der  Schluß  gerechtfertigt,  dafi  die  durch  ihn  bezeichnete, 
mit  erloschenen  und  rezenten  Vulkanen  besetzte  tektonische  linie 
unter  nahezu  rechtem  Winkel  auf  die  KamtschatkavulkanzcMie  und 
die  ihr  wahrscheinlich  parallelen  Strukturlinien  der  Halbinsel  stößt, 
und  in  der  Nahe  der  erstem  die  Eruptionstatigkeit  des  Aleuten- 
bogens  selbst  einen  erneuten  Antrieb  erhalt.  Es  ist  ferner  wahr- 
scheinlich, daß  die  BogenUnie  quer  durch  jene  Zkme  hindurch  fort- 
zieht, und  der  gewaltige  vulkanische  Kegel  der  Itscha  ihr  angehörl 
Es  würden  sich  also  die  beiden  Vulkanlinien  schneiden  und  einander 
durchsetzen'^ 

An  das  Südende  der  Vulkanzone  Kamtschatkas  setzt  sich  in 
einer  60  bis  60  km  breiten  DoppeDinie  vulkanischer  Insdn  der  Ku- 
rilenbogen  an,  1270  km  lang.  „Bald  verschwindet  die  innere  Reihe, 
die  äußere  setzt  sich  wie  eine  Perlenschnur  vcm  Inseln  allein  fort 
Aber  in  der  letzten  Strecke  von  190  km  ist  wieder  eine  Doppellinie 
vorhanden,  indem,  wie  es  scheint,  eine  innere  parallele  Insellinie  zur 
foflem  hinzutritt;  ihr  gehören  die  großem  Inseln  Urup,  Itump  und 
Kunaschiri  an.  Mit  der  Streichrichtung  WSW  tritt  der  Bogen  in 
Yesso  ein,  welches  jetzt  mit  seinem  Zubehör  kleinerer  Inseln  als 
administrativer  Bezirk  den  amtlichen  Namen  Hokkaido  fuhrt.  Hier 
endet  die  Linie  nicht.  Nach  den  Anschauungen  von  Milne  und  den 
Forschungen  von  K.  Jimbo  setzt  der  Bogm  in  der  Insel  Yesso  200  km 
weit  fort  und  bildet  hier  einen  breiten,  aus  mehrem  Vulkanen  auf- 
gebauten, zuletzt  von  O  nach  W  streichenden  Rucken,  welchen  Jimbo 
das  Tschischimagebirge  nennt.  Hit  dieser  Richtung  trifft  er  auf 
die  aus  palaozoiBchen  und  wahrscheinhch  algonkischen  Schiefem, 
duroh  Granitmassen  und,  im  südlichen  Teile,  einen  langgedehnten 
Oranitrücken  ausgezeichnete  Achsenkette  der  Insel,  welche  im  ELap 
Erimo  in  das  Meer  auslauft. 

Wo  die  Tschischimalinie  unter  einem  Winkel  von  76  bis  80°  auf 
den  achsialen  Zug  stößt,  erhebt  sich  die  vulkanische  Masse  des 
Optateschke,  und  diese  betrachtet  Jimbo  ab  das  Ende  des  Kurilen- 
b^ns. 

Bemerkenswert  ist  die  außerordentliche  Analogie  der  Kettungen 
des  Aleutenbogens  mit  ELamtschatka  und  des  Kurilenbogens  mit 
Yesso.  Überhaupt  weisen  beide  Bogen  mandie  Ähnlichkeit  auf. 
Beide  beginnen  in  langen  Halbinseln  und  werden  dann  selbständig; 
beide  weisen  in  ihrem  Unterbaue  Eruptivgesteine  von  älterm  Charakter 
auf,  und  in  beiden  deuten  Sedimentgesteine  darauf  hin,  daß  wir  es 
mit  kontinentalen  Gebilden  zu  tun  haben,  in  denen  die  Vulkane  nur 
eine  omamentale  Rolle  spielen.    In  den  Kurilen  ist  nur  Tertiär-  und 


Oberfllohengoftaltiuig.  1^ 

ELreideformatioii  bekannt.    In  den  Aleuten  reicht  der  Grundbau  in 
köhere  geologiBche  Zeit  hinauf.    Beide  haben  auf  der  Außen0eite  das 
vulkanischen  Bogens  kein  Land  aufzuweisen;  bei  beiden  treten  auf 
der  Innenseite  OUeder  von  abweichendem  Streichen  auf.    Dies  gilt 
ebenso  für  Kupferinsel  und  Beringsinsel  wie  für  die  rein  nordöstlich 
gerichteten  Gebilde  in  der  Nahe  des  Westendes  des  Kurilenbogens.*' 
In  einer  besondem  Untersuchung  beschäftigt  sich  Prof.  v.  Bicht- 
bofen  mit  den  Gebirgskettungen  der  japanischen  Bogen.    „Nach  den 
heute   herrschenden  Anschauungen  ist  der  japanische  Bogen  am 
durch  eine  Grabenversenkung  (Naumanns  bekannte  Fossa  magna) 
in  zwei  Stücke  getrenntes  Faltungsgebirge  vom  Alpentypus.    Eine 
scharfgezeichnete  Linie,  die   „Medianlinie/'   durchzieht  den  Bogen 
in  seiner  ganzen  Länge  und  trennt  eine  durch  reichliche  Granite  aus- 
gezeichnete, der  Kemzone  der  Alpen  entsprechende  Innenzone  von 
einer  aus  stark  gefalteten  paläozoischen  Schichtgebilden  bestehenden 
Außenzone,  in  welcher  stellenweise  auch  mesozoische  Schichten  in 
schwächerer  Faltung  auftreten.    In  jedem  der  beiden  Flügel  erfahren 
die  beiden  Zonen  bei  der  Annäherung  an  die  Fossa  eine  Bückbeugung, 
und  es  entsteht  dadurch  eine  Form  der  Kettimg,  welche  an  die  indische 
Scharung  erinnert  und  von  Harada  mit  ihr  vergUchen  wird,  wahrend 
Naumann  die  Ähnlichkeit  der  Form  zwar  zuerst  gefunden  hat,  den 
Vergleich  aber  abweist.    In  Nordjapan  wird  die  Außenzone  durch 
die   Gebirge  von  Eatakami  und  Abukuma  gebildet;   ihre  Bäck- 
beugung geschieht  im  Kwantogebirge. 

Untersucht  man  die  Insehi  nach  dem  jetzigen  Stande  ihrer  Einzel- 
kenntnis, so  verwischen  sich  einige  wesentliche  Züge  dieses  durch 
seine  Einfachheit  bestechenden  Bildes,  und  damit  schwindet  die 
Ähnlichkeit  mit  dem  wohlbekannten  Bilde  der  Gebirgsbogen  vom 
Alpentypus,  und  verwickelte  Probleme  stellen  sich  ein." 

Prof.  V.  Richthofen  zeigt  dies  des  nähern,  indem  er  zunächst  den 
Grundbau  von  Nordjapan,  dann  d^ijenigan  von  Südjapan  und  end- 
lich den  Gesamtbau  und  seine  Störungslinien  betrachtet.  Er  kommt 
zu  dem  Ergebnisse,  daß  die  Insel  Tsuschima  und  die  Gruppe  der  Gtoto- 
Inseln  nicht  zum  japanischen  Baue  gehör^i,  sondern  Glieder  des 
koreanischen  Bogens  sind.  Südjapan  besteht  nwik  v.  Richthofen 
aus  zwei  verschiedenen  selbständigen  Gebirgen,  nämlich  1.  einem 
äquatorial  gerichteten,  aus  Gneisen  und  paläozoischen  Schiohtgebilden 
aufgebauten,  postkarbonisch  gefetteten  und  von  wahrai^inlioh  zu- 
meist poetkarbonischen  Graniten  reichlich  durchsetzten,  sehr  siMk 
abgetragenen  Hauptstamme,  welcher  in  seiner  Gesamtheit  nach 
Süden  verschoben  worden  ist,  wobei  sein  an  einem  nicht  sichtbaren 
Wideriager  geschlepptes  östUches  Ende  eine  schflkrfe,  nach  SO  konvexe 
Krümmung  erfuhr;  und  2.  einer  nur  noch  in  einem  Streifen  erhaltenen, 
aus  gefalteten  paläozoischen  und  vielleicht  algonkischen  Schicht- 
gebilden mit  spärlichen  Granitintrusionen  bestehenden,  breit  ange- 
legten Gebirgszone«  deren  ursprünglich  in  sinisoher  Richtoog  (etwa 

Klein,  Jahrbuoh  XV.  9 


130  Oberflittbengesttatang. 

W  W  8  bis  O  30"  N)  streichende  Faltungen  durch  die  südw&rts  be- 
wegte Noidzone  zu  einem  nach  NW  konvexen  Bogen  deformiert  and 
mit  innerer  Stauung  in  langer,  scharf  gezeichneter  Linie  an  das 
stauende  Gebirge  der  Nordzone  angeschweißt  worden  sind. 

Der  äquatoriale  Hauptstamm  ist  wahrscheinlich  eine  Ver- 
längerung des  Tsinlinggebirges,  das  Kuma-Eäigebirge  ein  ostüches 
OUed  des  südchinesischen  Bei^landes. 

Der  Grundbau  von  Nordjapan,  einschließlich  Yesso,  ist  be- 
zeichnet durch  das  Vorhandensein  von  drei  breiten,  einander  paral- 
lelen, geradlinig  verlaufenden,  in  der  Richtung  NzW  bis  SzO  streichen- 
den, stark  gefalteten  Zonen,  welche  von  Richthofen  nach  den  Namen 
ihrer  als  selbständige  Gebirgsmassen  auftretenden  Teile,  aJs  EUdakm- 
zone,  Kitakamizone  und  Abukumazone  bezeichnet. 

Zwei  durch  Vulkane  bezeichnete  tektonische  Züge  greifen  van 
außen  her  in  den  Bau  von  Japan  ein;  nämlich  der  Riukiuzug  und  der 
mit  den  Volkanoinseln,  Bonininseln,  Schitschito-  und  andern  aus- 
nahmslos vulkanischen  Inseln  besetzte  Zug  des  Boninrückens.  In 
seiner  nach  NNW  abgelenkten  Fortsetzung  erheben  sich  die  Vulkane 
der  Fudjireihe. 

Die  aufragenden  Teile  entsprechen  nicht  den  bekannten  Eigen- 
schaften gestauter  Bogengebirge  vom  Alpentypus.  „Südjapan",  sagt 
V.  Richthofen,  „zeigt  in  der  Front  einen  gegen  den  vorhegenden  £ni- 
räum  konkaven  Bogen;  Nordjapan  und  Yesso  hingegen  erscheinen 
als  Fragmente  eines  quer  gegen  die  äquatorialen  Züge  von  Südjapan 
gestellten  alten  Festlandes  von  ganz  anderer  Art.     Denkt  man  sich 
die  beiden  Festlandsteile,  von  denen  die  Bruchstücke  sichtbar  sind, 
noch  nicht  von  Vulkanen  durchspickt  in  größerer  Ausbreitung  wieder- 
hergestellt, so  könnte  kaum  ein  Erdraum  weniger  geeignet  erscheinen, 
um  daraus  einen  Gebirgsbogen  herauszugestalten.    Aber  gerade  wie 
auf  dem  Festlande  und  an  den  Küsten  gab  das  Zusammenwirken 
tellurischer  Kräfte  den  durch  sie  hervorgerufenen,  großen,  gestalten- 
den Brüchen  die  Tendenz,  sich  unabhängig  vom  innem  Baue  zu 
großen  BogenUnien  zusammenzufügen  und  ein  ausgedehntes  Gebilde 
von  der  Art  eines  Landstaifelblockes,  mit  sichelförmigem,  auf  gewölbtem 
Randgebiete  und  schüsseiförmiger  Senkung  nach  innen,  hervorzu- 
bringen. Diesen  Bedingungen  entspricht  das  japanische  Inselland  in 
seiner  Gesamtheit;  dasjapanischeMeer  erfüllt  den  Boden  der  Schüssel". 
Daß  den  über  den  Spiegel  des  Ozeanes  aufragenden  japanischen 
Bogen  unterseeische  gestaute  Faltenbogen  umspannen,  halt  Prof. 
V.  Richthofen  auf  Grund  seiner  jetzigen  Studie  nicht  mehr  für  wahr- 
scheinUch,  obgleich  solche  in  den  ostwärts  gerichteten  Abdachungen 
des  Großen  Ozeanes  zurTuskaroratiefe  wohl  vorhanden  sein  mögen. 

Eine  meridlonale  Bruchzone  in  Mittelasien.    Prof.  v.  Richthofen 
hat  untersucht  i),  inwieweit  westlich  von  den  früher  nachgewiesenen 

1)  Sitzun^sber.  K  Pieuß.  Akad.  der  Wiss.  32.  p.  977 


OberfläehengeBtaltaiig»  131 

Reihen  von  Landstaffelabfällen  Ostasiens  ähnliche  Abfälle  bestehen. 
Morphographisch  erkennbar  war  seit  längerer  Zeit  um  den  Meridian 
von  Lan-tschou-fu,  zwischen  den  Breitengraden  von  Laang-tschou-fu 
und  Ti-tau-tschou,  ein  rascher  Abfall  der  hohen  Nanschanketten 
gegen  ihre  nur  noch  in  niedem  Zügen  nachzuweisenden,  zum  Teil 
nach  NO  umbiegenden  Fortsetzungen.  Viel  weiter  südhch  läßt  sich 
in  der  Nähe  desselben  Meridians  zwischen  den  Breiten  von  Tschöng- 
tu-fu  und  Tung-tschwan-fu  ein  bedeutender,  streckenweise  in  Staffeln 
sich  vollziehender  Abfall  des  tibetischen  Hochlandes  aus  der  Kom- 
bination verschiedener  Beobachtungen  ableiten.  JegUcher  Anhalt 
fehlte  bisher  für  das  400  km  messende  Zwischenstück,  wo  die  Gebirge 
der  tibetischen  Anschwellung  in  dem  breit  angesetzten  Tsinling- 
gebirge  sich  weit  nach  Osten  fortsetzen.  Es  wurde  erwiesen,  daß 
dort,  östhch  von  Kiu-ting-schan  und  Min-schan,  dieselbe  Bruchzone 
der  Anf  ügimgslinie  entlang  das  ganze  Gebirgsland  quer  durchzieht 
und  mit  östJicher  Absenkung  verbunden  ist.  Wie  die  andern 
Meridianbrüche  Ostasiens,  so  ist  auch  dieser  von  den  Gefügelinien 
des  innem  Gebirgsbaues  unabhängig. 

Die  Baraba  und  die  Kulundinskische  Steppe  im  westliehen 
Sibirien  behandelt  G.  J.  Tanfiljew^)  auf  Grund  eigener  Unter- 
suchungen in  den  Jahren  1899  bis  1901. 

„Die  zwischen  Irtysch  und  Ob  gelegene  Baraba  ist  ein  überaus 
ebener,  etwa  100  m  Meereshöhe  besitzender,  seen-  und  waldreicher 
Teil  des  westsibirischen  Flachlandes.  Südlich  daran  grenzt  die 
Kulundinskische  Steppe,  welche  ihren  Namen  von  dem  großen 
Bittersaizsee  in  ihrer  Mitte,  dem  Kulundinskischen  See,  hat. 

In  der  Baraba  hegt  der  große  Steppensee  Tschany,  in  welchen, 
von  O  kommend,  die  Flüsse  Kargat  und  Tschulym  einmünden.  Die 
Ufer  dieser  Flüsse  sind  teils  flach  und  salzhaltig,  teils  steil  und  aus 
Löß  aufgebaut.  ÄhnUche  Steppenflüsse  sind  Bagan,  Karassuk  und 
Burla.  In  dem  Mündungsgebiete  der  Burla  hegen  mehrere  Seen,  von 
denen  der  größte  der  Topolnoje  Osero  bis  1896  leer  stand  und  als 
Wiesenland  benutzt  wurde. 

In  den  großen,  bittersalzigen  und  abflußlosen  See  der  Kulun- 
dinskischen Steppe  münden  Sujotka  und  Kulunda.  Der  Kutschuk 
mündet  in  den  gleichnamigen  See  im  SO. 

Zahlreich  sind  die  linken  Zuflüsse  des  Ob;  die  durch  sie,  sowie 
den  Hauptfluß  angeschnittenen  Uferprofile  gelangen  zu  eingehender 
Beschreibung.  Daraus,  wie  aus  allem  sonst  durch  Tanfiljew  ge- 
sammelten Material  ergibt  sich  über  den  geologischen  Bau  dieser 
Steppengebiete  das  folgende:  Die  älteste  geologische  Ablagerung 
scheint  ein  blaugrauer,   plastischer  Salzton  zu  sein,  welchen  N. 


1)  In  nun.  Sprache.    Deatscher  Auszug  von  M.  Ftiedriohson  in  Peter- 
mannB  MitteiL  1904.    litteraturber.  Nr.  390.  p  119.  . 

9* 


132  -Ob«rfl&olieDgeitaltang. 

WyasotBky  für  untertertiär  und  marin  halt.  Die  in  der  Barab»  tot- 
kommenden  braunen,  plastischen  Töne  halt  derselbe  Gewahznnans 
für  Mioste.  Über  den  untertertiären  Tonen  hegt  in  der  Kulosdinaki- 
schen  Steppe  heller,  stark  sandiger  Lehm,  welehen  WyssotAj  für  eine 
miozäne  Süßwasserbildung  hält. 

Nördlich  einer  Linie,  welche  den  See  Tschany  mit  dem  obem  Akt 
verbindet,  erscheinen  auf  postpUozänen  Sauden  ruhende  LoAab- 
lagerungen. 

Die  absolute  Höhe  der  westsibirischen  Ebene  schwankt  an  der 
Eisenbahnlinie  zwischen  225  m  in  Tschdiabinsk  am  Ural  und  100  » 
in  den  mittlem  Teilen  der  Baraba.  Nach  SO  hebt  sich  das  Tenam 
allmählich  bis  etwa  230  m.  Die  tiefsten  Punkte  der  Kulundinakinchea 
Steppe  haben  eine  Höhe  von  nur  ca.  117  m,  die  höchsten  van  etwa 
310  m.  Sehr  charakteristisch  und  bereits  von  Middendorff  hervor- 
gehoben sind  für  diese  Steppen  die  von  NO  nach  SW  laufenden, 
einander  parallelen  Täler  und  dazwischen  liegenden  flach^i  Land- 
rücken. 

Über  das  Einschrumpfen  der  Seen  Weetsibiriens  hat  man  schon 
seit  Falks  Reise  im  Jahre  1772  berichtet.  Auch  aus  dem  Vei^g^cfae 
der  an  Seen  reichem  altem  Karten  mit  neuem  glaubte  man  dasselbe 
sohlieSen  zu  können.  In  der  Tat  läfit  sich  denn  auch  heute  an  alten 
Terrassen  und  Salzstellen  ein  Sinken  der  Seespiegel  vielw  weetr 
sibirischer  Seen  konstatieren,  indessen  halt  Tanfiljew  dies  für  eine 
nur  periodische  Erscheinung  im  Sinne  der  Brücknerschen  ELüma- 
Schwankungen.  Im  Sinken  befindliche  Seen  könn^i  nach  Ablauf 
einer  solehen  Trockenperiode  wieder  steigen.  In  der  Tat  hat  noaa 
dies    jüngst   am  Aralsee    wie  an  vielen  Steppenseen    beobaohtet 

Die  Baraba,  sowie  der  nördliche  Teü  der  KulundiiwkiBcben 
Steppe  ist  von  einem  SüdrulUand  ähnlichen  Schwarserdebodwa  be- 
deckt. Doch  unterscheidet  sich  die  Westsibirisdbe  Steppe  dozoh  das 
häufige  Vorkommen  kleiner  Birkenwäldchen  in  flachen  Boden- 
vertiefungen vor  dem  europäischen  Analogen.  Daneben  durchziehen 
ausgedehnte  Salzstellen  und  Bohrsümpfe  das  Land.  Im  europaiachen 
Rußland  pflegen  letztere  dagegen  meistens  zu  fehlen.  Unter  der 
Steppe  geht  der  schwarze  Boden  allmählich  in  den  gelbgefia*bten 
Untergrund  über." 

Die  Dflnenbildiingea  In  der  TBehertsetenwüste  besprach  Sven 
V.  Hedin.  ^)  „Dmr  Sand'S  sagt  w,  „liegt  in  der  Wüste  in  W^len  ge- 
ordnet, die  gerade  so  aussehen  wie  die  Weiden  eines  Meeres,  über  das  ein 
beständiger,  heftiger  Wind  hinstreicht.  Anfangs  erschien  es  mir 
eigentümlich,  daß  diese  Sandrücken  im  nördlichsten  Teile  der  Wüste 
nach  SW  laufen,  diese  Richtung  dann  aber  allmählich  in  SSW  und  S 
übergeht,  um  in  der  Nähe  des  Tschertschen-darja  nach  SSO  umzu- 

^)  PetermaimB  Mittefl.  1904.  p.  168. 


OhwtUUbMkgßtMUing.  133 

biegen.  Sie  bilden  aLso  Bogen.  Die  Ursache  der  Entstehung  dieses 
'        Reliefo  gkrabe  ich  jedoch  gefunden  zu  haben.    Die  größte  Schwierig* 

keit  bot  die  Erklärung,  wie  es  möglich  sei,  daß  die  ungeheuer  kraftigen 

Stürme  (bis  27  m  in  der  Sekunde  an  der  Erdoberfläche),  die  bescxiderB 
»        im  Frühlinge  über  das  Lopkmd  und  seine  Umgegend  hinfahren,  die 

Sandanhaufungen  so  anordnen,  daß  die  Windrichtung  und  die  Diknen- 

•  kämme  einen  spitzen  Winkel  bilden,  während  man  doch  natur- 
t       gemäß  erwarten  müsse,  daß  die  Windrichtung  der  Dünenkämme 

unter  rechten  Winkeln  treffe.    Nur  im  südlichsten  Teile  der  Wüste, 

I»  wo  die  Kämme  der  Dünenanhäufungen  nach  SSO  laufen,  scheint 

i:  dieses  physische  Gesetz  befolgt  worden  zu  sein.    Dieser  scheinbaren 

)  AnomaUe  im  nördlichen  Teile  der  Wüste  muß  eine  besondere  Ursadie 

f  zugrunde  liegen.    Betrachtet  man  hier  die  Lage  der  EinzeldüneB, 

*  so  findet  man,  daß  ihre  Elämme,  wie  es  sich  gehört,  rechtwinklig  gegen 
i  die  Windrichtung  liegen.  Die  ircm  mir  gefundene  Erklärung  ist,  daß» 
t  «nter  Voraussetzung  gleicher  Windstärke  und  gleicher  Windrichtung 
f  über  der  ganzen  Wüste,  die  Deviation  oder  die  bogenförmige  Orien* 

tierung  der  Sandrücken  darauf  beruht,  daß  die  Sandmenge  der  Dünen- 
I  anhättfungen  im  N  größer  ist  als  im  S,  und  die  Dünen  im  sikiliohen 
r  Teile  der  Wüste  also  schneller  wandern  müssen  als  im  nördlichen. 
ü  Im  nördlichen  Teile  der  Wüste  müssen  Winde  die  Längsachsen  der 
,{  Dünenanhäufungen  abo  unter  spitzen  Winkeln  treffen.  VoUkommeB 
I  regelmäßige  Bogen  bilden  diese  Sandrücken  natürlich  nicht;  aber  ab 
i  Regel  läßt  sich  sagen,  daß  der  Winkel  nach  S  hin  größer  wird. 
,.  Zwischen  diesen  Ungeheuern  Sandwogm,  deren  Inhalt  die  un- 

glauUich  beständigen  ONO- Winde  weitertragen,  und  die  selber  von 
I  dem  zerfallenden,  vermorBcfaten  Kuruk-tagh  herstammen,  bilden  sich 
,  Wellentäler,  ganze  Ketten  von  DepresMonen,  die  durch  verhältniB- 

,  maßig  niedrigero  Sandschwellen  yoneinander  getrennt  sind.     Jede 

,  derartige  Depression  wiid  von  den  Eingeborenen  Bi^ir  genannt  und 

bildet  ein  kMnes  Becken  für  sich  mit  Lehmboden  und  von  Sand  um- 
geben,  der  auf  der  Ostseite  steil  abfällt,  auf  der  Westseite  aber  langsam 
nach  dem  nächsten  Kamme  emporsteigt.  Die  Seen  auf  dem  rechten 
Tarimufer  sind  nichts  anderes  als  solche  Bajirdepressionen,  die  durch 
reinen  Zufall  mit  Wasser  gefüllt  worden  sind,  und  dieser  Zufall  besteht 
darin,  daß  der  Tarim,  der  in  frühem  Zeiten  gerade  nach  O  durch  das 
Bett  desKuruk-darja  strömte  und  sich  in  den  alten  SeeLop-nor  ergoß, 
seither  seine  Richtung  nach  O  in  eine  südöstliche  verändert  und  dabei 
ungeheuere  Sandmassen  aus  der  Wüste  fortgespült  hat.  In  der  Lage, 
die  der  Fluß  in  diesem  Augenblicke  einnimmt,  setzt  er  seine  Spülarbeit 
fort;  er  wandert  nach  rechts,  unterwäscht  die  Giebel  der  Sandrücken 
und  zehrt  an  ihnen,  spült  neue  Sandmassen  fort,  gewinnt  Terrain 
und  nivelliert  die  Wüste.  Eine  Bootfahrt  flußabwärts  auf  diesem 
Teile  seines  Laufes  ist  höchst  interessant  und  bildet  eine  Reihe  groß- 
artiger, malerischer  Perspektiven.  Dann  und  wann  dringen  die  nach 
S  gerichteten  Flußwindungen  tief  in  den  hohen  Sand  ein;  90  m  hohe 


134  OberflichmgwUllong. ' 

Dünenmaasen  fallen  am  rechten  Ufer  in  Winkeln  von  33^  gerade  nach 
dem  Waaser  ab.  Wie  iat  es  möglich,  daß  die  Dünen  gerade  hier,  wo 
sie  ihre  Giebel  der  vorherrschenden  Windrichtong  direkt  zukehren, 
so  steil  sein  können,  da  man  doch  erwarten  müßte,  daß  das  Gefalle 
hier  sehr  langsam  abgedacht  wäre!  Die  Erklärung  hegt  in  der  un- 
unterbrochenen Bewegung  des  Flusses  nach  SW.  Der  Wind  arbeitet 
wohl  in  den  obem  Schichten  der  Dünen  daran,  ihr  Gefalle  immer 
flacher  zu  machen,  anderseits  aber  arbeitet  an  ihrer  Basis  die  unter- 
waschende, fortschwemmende  Ej^aft  an  der  Erhaltung  der  Steilheit, 
und  da  diese  Ej-aft  starker  ist,  bleibt  sie  Sieger. 

Die  Seen  hindern  die  Wanderung  der  Dünenmassen  in  keiner 
Weise.  Aus  einer  mitgeteilten  TabeUe  geht  hervor,  daß  ihr  Volumen, 
mit  dem  der  Dünenmassen  vergehen,  unbedeutend  ist.  Letztere 
setzen  ihr  langsames  Vorrücken  nach  W  ungehindert  fort.  Die 
charakteristische  Depressionsform  der  Seen  bildet  einen  der  besten  Be- 
weise für  die  Wanderung  der  Dünenanhaufungen.  Dieselbe  Form 
findet  sich  bei  jeder  der  unzahUgen  Bajirdepressionen  der  Waste 
wieder,  d.  h.  sie  sind  stets  am  tiefsten  längs  der  Basis  der  steilen  Lee- 
seite, die  sich  am  Ostrande  der  Bajir  erhebt.  Dieser  Teil  der  Depression 
ist  derjenige,  welcher  während  des  längsten  Zeitraumes  der  Korrosion 
und  Deflation,  der  aushöhlenden  Tätigkeit  des  Windes  ausgesetzt  ge- 
wesen ist.  Der  Westteü  einer  Bajir  ist  weniger  tief  ausgemeißelt,  weil 
es  verhältnismäßig  kurze  2^it  her  ist,  daß  der  unterste  Teil  der  Wind- 
seite der  westUchen  Dünenanhäufung  ihn  verlassen  hat.  Die  Bajir- 
depressionen wandern  demnach  mit  den  Dünenanhäufungen  nach  W; 
nach  Jahrhunderten  und  Aberjahrhunderten  erneuert  sich  der  Unter- 
grund, der  ihren  Boden  bildet,  sie  selbst  aber  behalten  ihre  Indivi- 
dualität und  verändern  ihre  Form  wenig  und  langsam. 

Sie  verschwinden  jedoch  schon  vollständig,  ehe  sie  noch  den 
Kerija-darja  imd  meine  Route  dureh  die  Wüste  von  da,  wo  dieser  Fluß 
verschwindet,  bis  an  den  Tarim  (im  Februar  1896)  erreicht  haben. 
Der  Grund  ihres  Verschwindens  hegt  natürUch  darin,  daß  die  Winde 
in  diesem  westhchem  Teile  der  Wüste  weniger  regelmäßig  und  be- 
ständig als  im  Loplande  sind.  In  der  Taklamakanwüste  war  von  dem 
unglaubhch  regelmäßigen  Rehef  der  Tschertschenwüste  keine  Spur 
vorhanden.'' 

Die  Ammonsoase  Siwe  wurde  von  Prof.  Dr.  O.  Steindorff  auf  einer 
archäologischen  Zwecken  dienenden  Reise  besucht.  ^)  Er  bemerkt, 
daß  sich  für  den  Namen  keine  Erklärung  geben  lasse,  doch  sei  die 
gewöhnUche  Schreibweise  Siwah  oder  Siouah  nicht  richtig.  Die 
Oröße  von  Siwe  lasse  sich  ebensowenig  wie  die  anderer  Oasen  be- 
stinmien,  da  man  die  Grenzen  der  Einsenkung  nicht  genau  festlegen 
kann.    Am  klarsten  lägen  sie  im  N,  wo  der  Steilabfall  des  marma- 

^)  Petermaiins  Mitteil.  1004.  p.  179. 


Oberflftohengestaltang.  135 

riBchen  Hoohplateaus  das  Oasenbecken  in  sicherer  Linie  abschließt. 
Im  O  beginnt  die  Senke  schon  mit  dem  Wadi  Umm  huemil  und  wird 
weiterhin  durch  den  Gebel  Temire  begrenzt;  im  SO  geht  sie,  ganz  all- 
mählich ansteigend,  in  die  Wüste  über.  Die  südUchen  und  westhchen 
Grenzlinien  hat  Verf.  nicht  genauer  verfolgen  können.  Auch  über 
die  Ausdehnung  des  kulturfähigen  Bodens,  dessen  grüne  Inseln  sich 
klar  vom  gelben,  unfruchtbaren  Wüsten-  und  Sumpfboden  abheben 
und  von  dem  höchsten  der  Inselberge,  dem  Gebel  el-hemmadat,  vor- 
trefflich übersehen  lassen,  kann  er  keine  zuverlässige  Angabe  machen. 
Er  hat  das  Fruchtland  einmal  auf  15  bis  20  qkm  geschätzt. 

„Auf  dem  Boden  der  Oase  erhebt  sich  eine  größere  Zahl  sog. 
Inselberge.  Die  größten,  die  auch  besondere  Namen  tragen,  sind 
die  folgenden :  im  Mittelpunkte  der  Oase  die  Hügel,  welche  die  beiden 
Hauptorte  des  Ammoniums  tragen:  der  zweikuppige  Berg  von  Siwe 
und  der  im  N  steil  abfallende  Berg  von  Aghurmi;  femer  der  schon 
erwähnte  Gräberberg  Qarit  el-musabberin  und  der  Gebel  el-hemmadat 
oder,  wie  er  siwisch  heißt,  Adrar  embrik.  Im  W  der  Oasen  erheben 
sich  zwei  größere  Inselberge,  der  Adrar  amilal,  der  „weiße  Berg",  und 
der  Adrar  gari.    Beide  Namen  sind  siwisch. 

Das  Hauptkulturgebiet  schließt  sich  in  einem  Kreise  um  die  Berge 
von  Siwe  und  Aghurmi  und  wird  im  SO  durch  den  Gebel  el-Hemmadat 
abgeschlossen.  Zwei  andere  Kulturinseln  hegen  im  W  der  Oase  bei 
den  Weilern  Meschindid  und  Chamise,  zwei  kleinere  auf  dem  Wege 
'  dorthin  bei  Dobbu  und  Deheba.    Endhch  hegt  im  SO  der  Einsenkung 

das  Kulturgebiet  von  Zetun.  Die  Lebensadern  dieser  Vegetations- 
gebiete, auf  denen  hauptsächUch  Palmen  und  Ölbäume  gedeihen,  sind 
die  süßen  Quellen,  die  unmittelbar  unter  der  Oberfläche  empor- 
sprudeln. Sie  werden  in  Becken,  die  wohl  schon  im  Altertume  mit 
Kalksteinquadem  sauber  ausgemauert  worden  sind,  aufgefangen  und 
in  Gräben  weitergeleitet,  um  die  Gärten  zu  tränken.  Über  30  solcher 
Quellen  soll  es  in  der  Oase  geben.  Die  berühmteste  von  allen  ist  die 
Ain  el-hammam,  „die  Badequelle",  die  wahrscheinUch  mit  der  von 
Herodot,  Arrian,  Diodor  und  andern  Klassikern  wegen  ihrer  wechseln- 
den Temperatur  geschilderten  „Sonnenquelle"  identisch  ist. 

Der  Größe  der  Kulturinseln  entsprechen  natürUch  die  in  ihnen 
gelegenen  Ansiedlungen.  Die  beiden  größten  Ortschaften  sind  das 
eigenthche  Siwe  und  Aghurmi.  Siwe  erhebt  sich  auf  einem  durch 
einen  Sattel  in  zwei  Höhen,  den  West-  und  Ostberg,  geteilten  Insel- 
berge. Am  Ostabhange  des  Ostberges  hegt  der  Markt  mit  dem  ganz 
ansehnUchen  Bazar.  Dann  setzt  sich  der  Ort  noch  ostwärts  in  der 
Ebene  zwischen  dichten  Palmengärten  fort  und  bildet  mehrere  Ort- 
schaften. Sie  führen  die  Namen  Edarra,  Sibuche  und  Menschije. 
Alle  zusammen  sind  nach  der  letzten  Volkszählung  von  6680  Menschen 
bewohnt.  Wesenthch  kleiner  ist  der  zweite  Ort  Aghurmi,  dessen 
Wohnplätze  fast  nur  auf  dem  Berge  hegen;  seine  Einwohnerzahl  be- 
trägt 620.    Ganz  unbedeutend  sind  die  übrigen  Ortschaften.    Zetuu 


136  ObeiflielieiigefttaltaBg. 

soll  nur  60  Einwohner  haben.  Meschindid  und  Chamise  sind  wolil 
noch  kleiner.  Dobbu  und  Deheba  bestehen  nur  aus  wenigen  Hauaem; 
sie  standen  bei  unserm  Besuche  in  der  kalten  Jahreszeit  leer  und  sdlen 
nur  in  den  heißen  Monaten  von  ihren  in  Siwe  wohnenden  BesitKeni 
als  Sommerfrische  aufgesucht  werden. 

Die  Siwis  gehören  zu  den  heUfarbigrai  (libyschen)  Berberstammea 
Nordafrikas  und  unterscheiden  sich  in  ihrem  Aussehen  deutlich  yon 
den  M»bischen  Beduinen  der  Wüste  und  den  schwarzen  Negera 
Zentralafrikas,  von  denen  eine  ganz  beträchtliche  Zahl  durah  Sklaven- 
handel auch  in  diese  Oase  gekommen  ist.  Auch  in  der  Sprache  haben 
sie  sich  ihre  Eigenart  bewahrt.  Sie  sprechen  einen  Berberdialskt, 
der  mit  andern  in  Nordwestafrika  noch  gesprochenen  Berbeidiafekten» 
dem  Kabylischen  und  verschiedenen  marokkanischen  Dialekten  in 
naher  Verwandtschaft  steht.  Die  Männer  sprechen  daneben  meist 
auch  noch  Arabisch,  besonders  im  Verkehr  mit  den  arabiachen  Be- 
duinen, die  von  0  und  W  mit  ihren  Karawanen  zur  Ammansos» 
kommen. 

Im  Altertume  ist  das  vegetationsfähige  Gebiet  der  Oase  wcitl  noch 
größer  gewesen  als  heute;  durch  Versiegen  der  Quellen  und  durch 
Versumpfung  sind  die  Kidturinsehi  im  Laufe  der  Jahrhunderte  sehr 
zusammengeschrumpft  und  haben  gewiß  nicht  unbeträchäicfae 
fruchtbare  Stücke  verloren.  Außerdem  scheinen  auch  gaaxe  Oebiete 
der  Kultur  verloren  gegangen  zu  sein,  wie  die  GegMid  bei  dem  Qaff 
el-ghaschscham,  die  heute  verödet  ist,  und  wo,  nach  den  eihaltenea 
Ruinen  zu  urteilen,  in  griechisch-römischer  Zeit  eine  größere  An- 
siedlung,  die  doch  ohne  Kulturboden  nicht  doikbar  ist,  gelegen  habea 
muß." 

Ober  Inselberglandsehaften  im  tropfsehen  Afrika  verbratet  sich 
Dr.  S.  Passarge.  ^)  Die  Benennung  stammt  von  Bomhatdt*)  uimI 
bezieht  sich  auf  Berge  und  Gebirgsstöoke,  die  wie  Inseln  aus  der 
ebenen  Fläche  emporragen.  „Oft  dehnen  sich  die  Ebenen  meilenivei^ 
aus,  ohne  jede  Erhebung,  ohne  wesentliche  Eins^ikungen,  nur  hier  und 
und  dort,  oft  20,  90,  40  und  mehr  Kilometer  voneinander  getrennt, 
oft  aber  auch  dichter  gedrangt,  stehen  die  isolierten  Berge,  kleine 
Kuppen  von  hundert  und  viel  weniger  Metern  Höhe  bis  zu  Massiven 
von  der  Größe  des  Harzes  und  größer.  Der  Ubeigang  von  der  Ebene 
zu  den  Bergen  ist  oft  absolut  scharf  und  unvermittelt.  Die  Ebene 
tritt  an  das  steil  aufsteigende  Gehänge  heran,  höchstens  vermitteit 
eine  schmale  Böschung  von  Blockschutt  und  Grus,  der  vom  Gehifig^ 
stammt,  den  Übergang  zwischen  beiden.  In  andern  Fällen  wetd^ 
die  Gebirgsstöcke  von  einem  alluvialen  Mantel  umgeben,  die  aus  den 
Gebirgen   herausgeschwemmt   und   auf   den   primär   vorhandenen 

1)  NatnrwiflB.  WochenscAr.  1904.  Nr.  42. 

s)  Zur  Oberflfioh^igestaltiuig  Deateok-Oetalrikas.  Beilin  190(K 


Oberfllohengestaltimg.  137 

Ebenen  zur  Ablagerung  gelangt  sind.     Der  Qiarakter  der  Ebene 
bleibt  darum  immer  erhalten." 

Dieser  Landschaftstypus  findet  sich  in  zwei  Zonen:  einer,  die 
am  Boten  Meere  zwischen  Abessinien  und  Sunkin  b^innt  und  sich 
über  Kordofan  und  Wadai  nach  Dar  Fertit  zieht  und  im  zentralen 
Sudan  wahrscheinüch  stark  ausgeprägt  ist,  und  einer  zweiten,  die  mit 
der  Massaihochsteppe  in  Deutschostafrika  beginnt  und  sich  gegen  das 
Schirehochland  hinzieht.  Dort  wurde  sie  von  Bomhardt  studiert. 
Paasaige  unterscheidet  verschiedene  Typen  dieses  Landschaft«- 
Charakters  und  bes}xricht  die  möglichen  Vorgange,  welche  ihre  Ent» 
stehung  bedingt. 

Das  Gebiet  des  Orinoko  zwischen  den  Flüssen  Cuchiveio  und 
Caura  bereiste  im  Winter  1901  bis  1902  Dr.  S.  Passarge,  i)  Die 
Reise  begann  in  Las  Bonitas  am  22.  November  1901  und  endete 
ebendaselbst  am  7.  März  1902.  Von  den  Hauptflüssen  des  unter- 
suchten Gebietes  hat  der  Orinoko  eine  Breite  von  3  bis  4  hm,  entliUt 
jedoch  zahlreiche  Inseln  und  Sandbänke,  die  ihre  Form  und  Lage 
häufig  zu  verändern  pflegen.  Dennoch  ist  er  auch  wahrend  derTrocken- 
zeit  noch  für  1  m  tiefe  Fahrzeuge  befahrbar.  Der  Caura  hat  an  seiner 
Mündung  eine  Breite  von  1100  m,  weiter  oberhalb  jedoch  von  600  bis 
800  m.  Er  hat  fast  auf  der  ganzen  Strecke  seines  Laufes  hohe  Steil« 
ufer,  die  mit  dichtem  Walde  besetzt  sind.  Zur  Regenzeit,  während 
welcher  ihn  Dr.  Passaige  befuhr,  war  er  stark  angeschwollen  und 
reißend,  deshalb  schwierig  zu  befahren.  Der  Cuchivero  kommt  für 
die  Schiffahrt  wenig  in  Bedacht,  ist  aber  dafür  ausgezeichnet  durch 
die  hohe  landschafUiche  Schönheit  seiner  Ufer,  die  von  hohen,  mit 
dichten  Urwäldern  bedeckten  Bergen  gebildet  werden. 

Die  Südgrenze  des  bereisten  Gebietes  wird  von  einem  Gebirge 
gebildet,  das  zu  dem  Hochlande  von  Guayana  gehört.  Es  ist  ein  aus 
niedrigen  Rücken  und  welligen  Ebenen  zusammengesetztes  Gneis* 
land,  das  mit  hohem  Grase  und  zerstreuten  Steppenbäumen  bestanden 
ist  und  sich  in  dem  fraglichen  Gebiete  höchstens  100  bis  200  m  über 
die  Ebene  des  Cuchivero  erhebt.  Aus  diesem  Gneislande  ragen  hohe, 
mit  sohwarzgrünem  Urwalde  bedeckte  Gebirgsmassive  heraus,  die 
voraussichtlich  aus  Granit  bestehen.  Nach  Norden  hin  senkt  sich 
allmählich  das  Land.  Die  Gneisplatte  taucht  unter  das  Niveau  der 
Llanosebene  imter,  dagegen  setzen  sich  die  gewaltigen  Granitstöoke 
als  hohe  Gebirgsmassive  noch  weit  nach  Norden  fort.  Ein  Gesamt- 
name fehlt  dem  großen.Südgebirge  zwischen  Caura  und  Cuchivero  und 
westlich  des  letztem,  im  allgemeinen  hat  jede  Gruppe  einen  eigenen, 
ja  zuweilen  mehrere  Namen.  Zwischen  dem  Nordrande  des  eben 
geschilderten  Südgebirges  und  dem  Südrande  der  KordiUere  von 
Nordvenezuela  erstreckt  sich  die  weite  Fläche  der  Llanosebene.    Die 


i)  Mitteil.  d.  Vereios  f.  Erdkunde  in  Leipzig  1904.  p.  33. 


138  OberfliohengeBtaltmig. 

LIanoB  gewähren  nicht  durchweg  den  gleichen  Anblick.  Der  HaopU 
Bache  nach  sind  sie  eine  Buschsteppe,  mit  Chaparro,  Aloomo  tmd 
andern  Steppenbaumen  bewachsen.  Das  am  meisten  veibroiteto 
Oras  ist  das  Saetagras,  Trachypogon  polymorphos.  Der  Boden  iit 
meist  ein  gelber  bis  roter  Lehm  und  lehmiger  Sand.  Die  Uanos 
werden  in  ausgiebigster  Weise  von  Wasserlaufen  durchsetzt»  die  eineQ 
verschiedenartigen  Charakter  haben.  Zum  großen  Teile  sind  es  Bäche, 
die  in  einer  flachen,  sumpfigen  Mulde  beginnen.  Von  dieser  aus  zieht 
sich  eine  schmale,  sumpfige  Wasserrinne  entlang,  die  von  einer  Isagee 
Reihe  schlanker  Mauritiapalmen  begleitet  wird.  Diese  BinneD« 
„Morichales  genannt,"  sind  für  die  Landschaft  außerordentlich 
charakteristisch  und  von  hoher  Schönheit.  Ebenso  wichtig  sind  sk 
in  wirtschaftlicher  Hinsicht,  denn  sie  versorgen  das  Land  mit  Wasser, 
und  in  ihrem  Bereiche  wächst  auch  während  der  Trockenzeit  meist 
frisches,  grünes  Gras.  Dagegen  setzen  sie  dem  Verkehre  große  Binder 
nisse  entgegen.  Denn  die  mit  schwarzem,  weichem  Sumpfboden  ge- 
füllten Talrinnen  sind  nur  an  einzelnen  Pässen  zu  überschreiten,  die 
oft  nur  wenigen  Kundigen  bekannt  sind. 

Nähert  man  sich,  vom  Orinoko  nach  S  gehend,  dem  Gebirge,  so 
beginnt  eine  Änderung  in  dem  landschaftlichen  Bilde.  Rundliche 
schwarze  Granitfelsen  tauchen  unter  der  Lehmdecke  auf,  ronde, 
mächtige  Buckel,  aus  Blöcken  aufgetürmte  Felsburgen,  Hagel 
Rücken,  Platten  aus  bis  faustgroßen,  glatten  Quarzgeröllen  folgen. 
Schließlich  beginnen  die  mächtigen  Gebirgsmassive,  die  meist  mit 
steilen,  bewaldeten  Hängen  recht  unvermittelt  aus  der  Ebene  sof- 
steigen.  Die  Llanossteppe  endet  vor  dem  Erreichen  der  Gebiiga- 
wände  als  ein  flaches  Plateau.  Zwischen  dessen  Rand  und  den  Ge- 
birgen ziehen  sich  Niederungen  hin,  die  mehrere  Kilometer  Durch- 
messer haben  können.  Diese  bilden  die  für  das  Land  außerordentlich 
wichtigen  Potreros,  das  beste  Weideland  des  Cauragebietes.  Denn  d» 
sie  unter  einer  grauen  humosen  Lehmdecke  eine  Schicht  wa88e^ 
undurchlässigen  Tones  besitzen,  bleibt  während  der  Regenzeit  das 
Wasser  auf  ihnen  stehen  und  macht  sie  sumpfig,  und  wenn  dann  iin 
Sommer  die  Llanossteppe  längst  verdorrt  und  als  Weide  unbrauchbar 
geworden  ist,  sind  die  feuchten  Protreros  ein  prachtvolles  grones, 
frisches  Weideland,  auf  dem  das  Vieh  nicht  nur  die  Dürre  übeistehfe 
sondern  sogar  dick  und  fett  wird.  Li  den  Potreros  fehlen  nicht  Klippen 
von  Granit,  flache  Hügel  und  Platten  aus  zelligem  Brauneisenstein, 
Eisensandstein  und  Geröllagem  aus  abgerundeten,  bis  faustgroßen 
Quarzsteinen.  Solche  Erhebungen  haben  zum  Teil  nicht  unbe- 
deutende Ausdehnung  und  heißen  „Livemaderos"*,  d.  h.  tJber- 
winterungsplätze,  weU  auf  ihnen  das  Vieh  während  des  Winters,  d.  ^ 
während  der  Regenzeit,  wenn  die  Ebenen  sumpfig  sind,  lebt.  ^^ 
anderes  Gebiet,  das  für  die  Trockenzeitweide  ganz  besonders  wichtig 
ist,  ist  das  Überschwemmungsgebiet  der  großen  Flüsse,  von  den  ^' 
wohnem  RebaJce  genannt.    Solche  Überschwenmiungsflächen  haben 


Oberfläohengestaltung.  139 

innerhalb  des  untersuchten  Gebietes  Orinoko  und  Cuchivero  in  großer 
Ausdehnung,  während  sie  dem  Caura  fehlen. 

Das  mima  des  Cauragebietes  ist  selbstverständlich  nicht  ab- 
weichend von  dem  des  übrigen  Guyana.  Die  Regen  fallen  haupt- 
sachlich von  Ende  Mai  bis  Ende  November.  In  den  folgenden 
Monaten  herrscht  vorwiegend  trockenes  Wetter. 

Die  Vegetation  zerfällt  in  drei  verschiedene  Typen:  Waldland, 
Steppenland  und  Sumpfgebiet.  Urwald  bedeckt  die  meisten  Granit- 
massive. Er  ist  sehr  dicht,  sehr  hoch  und  meist  mit  erhebUchem 
Unterholze  erfüllt.  Der  Reichtum  an  Arten  ist  außerordentUch  groß. 
Palmen  spielen  in  ihm  eine  große  Rolle,  und  zwar  besonders  die  Palma 
de  agua,  eine  Eiederpalme.  Innerhalb  der  Ebene  findet  sich  Wald 
am  Rande  der  Bäche  und  Müsse.  Die  Steppenvegetation  hat  ihre 
hauptsächlichste  Verbreitung  in  den  Llanos.  Harte  Gräser  in 
Büschelform,  knorrige  niedrige  Bäume  mit  oft  hartem  Holze  sind  die 
Hauptcharakterpflanzen.  In  scharfem  Gregensatze  zu  der  dürren 
Steppe  steht  die  Vegetation  des  Sumpf  landes,  der  Morchalen,  Potreros 
und  Überschwemmungsgebiete.  Zwei  Palmen  sind  charakteristisch 
für  sie.  Die  eine,  die  Morichepalme,  gedeiht  nur  auf  dauernd  feuchtem 
Boden  an  den  sumpfigen  Bachläufen,  denen  sie  ihren  Namen  ver- 
dankt, und  in  den  Potreros.  Die  andere,  die  Macanillopalme,  wächst 
dagegen  mit  Vorliebe  im  Überschwemmungsgebiete.  Von  der  reichen 
Tierwelt  des  bereisten  Gebietes  erwähnte  der  Reisende  besonders  die 
den  Boden  durchwühlende  und  umgestaltende  Arbeit  der  Ameisen  und 
der  Sump&childkröten  (Morokois).  Außerdem  wird  das  Cauragebiet 
bevölkert  von  roten  Brüllaffen,  blutsaugenden  Fledermäusen,  großen 
Hirschherden,  Pekaries,  Chiguires  und  Tapiren.  Süßwasserdelphine 
schwärmen  in  Scharen  im  Orinoko.  Die  Vogelwelt  ist  fast  noch  reicher 
als  die  der  Säugetiere.  Schwarze  Aasgeier,  Papageien,  mehrere  Arten 
von  Laufhühnem,  zahlreiche  Sumpf-  und  Wasservögel  wären  zu 
nennen.  Die  Flüsse  und  Sümpfe  beherbergen  zahlreiche  Fische, 
unter  ihnen  die  berühmten  Zitteraale,  zwei  Arten  von  Alligatoren, 
mehrere  Arten  von  Schildkröten  usw.  Für  den  Reisenden  bilden  be- 
sonders in  den  sumpfigen  Gebieten  Moskitos,  Zancudos  (Mücken) 
und  Garapatas  (Holzböcke)  eine  beständige,  lästige  Plage. 


VorgeschiehtUche  Bergstürze  imlLnntale.  Zu  den  gewaltigsten 
Ereignissen  dieser  Art,  von  denen  kein  Sang  und  keine  Sage  etwas 
meldet,  sondern  die  ledigUch  in  ihren  ungezählte  Jahrtausende  über- 
dauernden Wirkungen  zu  uns  sprechen,  gehören  die  vorhistorischen 
Beigstürze  an  der  Mündung  des  Otztales  und  am  Fempasse,  welche 
großartige  Sohuttlandschaften  geschaffen  haben,  die  der  Landschaft 
dort  einen  romantischen  Charakter  verleihen.  Schon  wiederholt  ist 
diese  Landschaf t  Gegenstand  wissensohaftUcher  Untersuchungen  und 


140  OberfliolieiigetUltiuig. 

beflchreibemder  ScbilderuDgen  gewesen.    JetKt  hat  Dr.  O.  Ampienc 
eine  neue  Studie  über  dieee  Gebiete  geliefert.  ^) 

Ein  Bergkamm,  der  im  Tschirgant  (2372  m)  seine  höchste  Er- 
hebung erUngt,  begleitet  das  Inntal  auf  seiner  Nordseite  von  Imst 
bis  gegen  Tel&.  Er  wird  von  einem  eng  zusammengepreßten  Ttias- 
sattel  gebildet,  an  dessen  Aufbau  sich  ein  schmaler  Kern  von  Muschel- 
kalk, dann  Wettersteinkalk  und  Dolomit,  Raibler  Schichten,  sovie 
Hauptdolomit  beteiligen.  Dieees  Gewölbe  ist  nur  im  Gebiete  des 
Ttohirgant  im  Westen  ziemlich  vollständig  erhalten,  während  es  gogn 
Osten  immer  tiefer  hinein  vom  Inn  angeeohnitten  wird.  Ds 
Abhang  gegen  das  Inntal  ist  durchweg  sehr  steil  und  weist  auf  der 
kurzen  Strecke  von  Haiming  bis  Roppen  innerhalb  5  km  ErstnckoDg 
drei  große  und  selbständige  Bergstürze  auf,  von  den«i  der  westUobste 
bei  weitem  am  mächtigpten  enthaltet  ist. 

Sein  Abrißgebiet  greift  am  Ostgrate  des  Tschiigant  an  einer  StA 
nahezu  bis  auf  die  Kammhäie  und  umfaßt  von  2200  m  bis  abwärts  o 
1100  fn  Höhe  mit  Einschluß  der  ösUichen  zugehörigen  Bunseii  ödb 
Fläche  von  ungefähr  1.8  ^ibm.  Der  größte  Teil  dieses  Gebietes  hestebt 
aus  WettersteinkaUL  und  I>olomit.  Nur  am  untern  Ende  und  in  dff 
nördlichsten  obem  Ecke  werden  auch  schmale  Züge  von  BmUbc 
Schichten  (gelbliche  Bauhwacken,  schwarze  Schiefer,  bräaiiiici|* 
Sandsteine,  dunkle  Kalke),  sowie  Hattptdolomit  mit  ergriffen.  D* 
grelle,  weißlichgraue  Farbe  der  steilen,  wQdzerfurohten  Wände  vai 
Rinnen  hat  für  die  volkstümliche  Bezeichnung  „weiße  Wand"  de» 
Anlaß  geboten.  Am  untern  Rande  ver^igen  sich  diese  weiten  Bacta 
zu  schmalen  Schlünden»  die  von  einer  Zone  v<m  Haiiptdokas^ 
begrenzt  werden,  welche  kleine  gerundete  Wandstufen  bildety  nn^ 
denen  die  großen  Schuttkegel  ansetzen,  die  bis  zum  Inn  in  ^ 
gleichmäßiger  Neigung  hinabetrömen.  Der  Inn  selbst  ist  von  des  v» 
untern  Teile  vereinigten  Schutticegdn  kräftig  zurüdcgedräiigt  w 
zeichnet  ihnen  die  Südgrenae  vor,  wobei  zu  bemerken  ist,  daß  dtf 
Schuttkegel  fast  üb«all  aUmählidi  oder  mit  niedriger  AbschweffiD' 
stufe  dem  Flußbette  naht. 

Bezüglich  des  Alters  und  der  Entstehung  dieses  BeigstnrEes,  d^ 
nach  der  Definition  von  Heim  als  Felssturz  zu  bezeichnen  ist,  vxA 
verschiedene  Ansichten  ausgesprochen  wordeni  wefehe  Fendc  ifi  ^ 
Werke:  „Die  Alpen  im  Eiszeitalter",  bei  derBesprechung  dieser  Schutt- 
landschaf  t  zum  Vortrage  bringt.  Halbwegs  sichere  Schlüsse  zu  sdeheo, 
gestatten  nur  die  Aufschlüsse  nördlich  vom  Lm,  wo  deutlidie  ^ 
ausged^mte  Beste  von  typischer  Grundmoräne  in  naher  I^ 
beziehung  zu  den  Bergsturzmassen  erhalten  sind.  Die  Qrundmori^' 
massen  ziehen  nimlich  am  Westrande  des  großen  Schuttkegf^ 
„breite  Muhre**  bis  zum  Innbette  hinab,  es  findet  sich  jedoch  jen«^^ 
des  Inn  keine  Spur  einer  Fortsetzung.    Der  Inn  beschreibt  gerade  ao 

^)  Verhaadlg.  d.  k.  k.  gecdog.  ReiohsaiiBtalt  1904.  p»  78. 


OberflflolieiigeBtaltiiiig.  141 

i  dieser  Stelle  (nördlich  vom  Mairhof)  eine  scharfe  Biegung  gegen 
Norden,  so  daß  die  mächtigen  Grundmoränen  entlang  der  äußern 
B  Uferlinie  enden,  während  ihnen  gegenüber  das  grobe  Trümmerwerk 
ä  und  der  feinere  Dolomitgries  am  andern  Ufer  eine  weit  vorspringende 
^       Landzunge  ausschließlich  zusammensetzen. 

et  Diese  Verhältnisse  führen  zu  der  Annahme,  daß  die  überaus 

«£i  mächtigen  Grundmoränen  vom  Inntalgletsoher  vor  dem  Loebruche 
V  des  Bergsturzes  abgelagert  wurden.  Durch  die  nach  dem  Eisrück- 
U  gange  eingreifende  Erosion  wurden  die  meisten  dieser  Ablagerungen 
if  wieder  entfernt.  Nun  lösten  sich  die  Bergsturzmassen  ab,  fuhren 
$  über  die  Reste  von  Grundmoränen  zu  Tale  und  warfen  den  weitaus 
,;  größten  Teil  ihrer  Trümmer  gegen  den  Eingang  des  Otztales.  Die 
it  gewaltige  Wucht  der  hohen  Sturzfahrt  trieb  die  ganze  Masse  so  kräftig 
von  dem  Berghange  weg,  daß  zwischen  diesem  und  der  mächtigen 
fi  Anhäufung  der  Trümmer  ein  ziemUch  schuttfreier,  daher  auch  relativ 
ii  niedriger  Streifen  verbUeb.  In  dieser  Zone  entlang  dem  Berghange 
^        schuf  sich  der  Inn  seinen  Durchbrach. 

p  Der  Talzug  des  Fempasses  besteht  aus  zwei  nordsüdlich  und  quer 

I  cum  Streichen  angelegten  Teilen,  denen  eine  dem  Gebirgsstreichen 
,  folgende  Strecke  zwischengeordnet  ist.  Bedenkt  man,  daß  knapp 
I  unterhalb  des  eigentUch<^n  Paßwalles  an  seiner  Westseite  Taltiefen 
I  von  nur  960  m  zwischen  mächtigen  Schutthaufen  vorhanden  sind,  so 
^  wird  die  Annahme  nicht  unwahrscheinlich,  daß  hier  vor  der  Ein- 
^  lagerung  der  Schuttmassen  eine  vöUig  dem  Inntale  zu  geneigte  Tal- 
-  Verbindung  bestand.  Heute  ist  dieser  Talzug  durch  ungeheuere  lose 
I  Gesteinsmassen  so  erfüllt,  daß  der  höchste  Wall  eine  Wasserscheide 

zwischen  Loisach  und  Inn  bildet. 

Allee  weist  darauf  hin,  daß  es  sich  hier  um  die  Schuttmassen 
eines  uralten  Bergsturzes  handelt.  In  der  Tat  findet  man  am  Ost- 
gehänge des  Loreakopfes,  gerade  gegenüber  der  Paßschwelle,  die  ge- 
waltige Ausbrachsnische  eines  Bergsturzes  (Felssturzes  nach  Heim) 
klaffen.    Der  Paßwall  liegt  derselben  gleichsam  zu  Füßen. 

Diese  Nische  hat  eine  ziemlich  symmetrische  Grestalt,  besitzt  in 
der  Tiefe  die  größte  Ausdehnung  und  verschmälert  sich  dann  gegen 
oben  zuletzt  in  eine  schmale  Runse.  Die  größte  Höhe  erreicht  der 
Ausbrach  bei  etwa  2100  m,  seine  aufgeschlossene  Tiefe  reicht  bis 
gegen  1100  m  herab,  doch  ist  eine  beträchtliche  weitere  Senkung 
seiner  Bahn  sicherlich  anzimehmen.  Dafür  spricht  vor  allem  die 
breite,  gar  nicht  eingeengte  Mündung,  die  eben  nicht  die  wirkliche 
Endigung  der  Ausbrachsnische  darstellt,  welche  ganz  von  Schutt  ver- 
hüllt ist.  Neben  dieser  breiten  untern  Öffnung  ist  noch  die  nicht  be- 
sonders steile  Neigung  des  umgebenden  Berghanges,  sowie  der  Um- 
stand auffallend,  daß  der  Abbrach  sich  ungefähr  in  der  Streichrichtung 
der  Hauptdolomitschichten  vollzog.  Die  Öffnung  des  Ausbraches  ist 
gerade  gegen  Osten  gerichtet,  und  dem  entspricht  auch  die  Haupt- 
massenanhäufung in  dieser  Richtung,  während  fast  senkrecht  dazu, 


142  Erdmagnetlfiiivs. 

gegen  Süden,  nur  ein  unverhaltniBmäßig  kleiner  Teil,  vielleicht  V^, 
vorgetrieben  wurde. 

Entsprechend  der  siemlich  geringen  Neigung  der  AuahnK^ie- 
flache,  die  nur  ein  Gefälle  von  etwa  1100  m  auf  3  km  {22")  aufweist, 
lagert  auch  der  mächtigste  Schuttwall  schon  knapp  vor  der  Mündung, 
und  nimmt  die  getriebene  Masse  mit  der  Entfernung  viel  rascher  ab 
als  beim  Tschirgantsturz. 

Dafür  steht  hier  einer  Sturzbahn  von  3  km  Lange  und  1100  m 
Fall  eine  Treibbahn  von  7  km  gegenüber,  die  allerdings  entweder  nur 
wenig  ansteigend  oder,  wie  in  der  südlichen  Richtung,  sogar  durchaus 
flach  abfallend  ist. 

Das  auffallendste  ist  neben  der  eigentümhchen  Grestalt  der 
Schutthügel  wohl  die  große  Entfernung,  bis  zu  wricher  der  Beiiggtun 
gleichmäßig  in  zwei  nahezu  senkrechten  Richtungen  seine  Masaep 
auseinandertrieb. 

Die  streuende  Gewalt  dieses  Sturzes  bleibt  trotz  der  scheinbar 
so  bedeutenden  erzielten  Entfernungen  hinter  der  des  Tschirgant- 
sturzes  zurück.  Die  langen  Bahnen  sind  wohl  dadurch  zu  erklären, 
daß  die  rasch  bewegten  Massen  in  verhältnismäßig  schmalen  KajiSImi 
vorwärtsgedrängt  wurden. 

Was  das  Alter  des  Sturzes  anbelangt  hat,  halt  ihn  Dr.  Ampferer 
zum  mindesten  für  jünger  als  die  letzte  Veigletscherung  (das  so- 
genannte Bühlstadium). 

Erdmagnetismus. 

Die  Mißweisung  der  Magnetnadel  In  Deutschland  bUdet  den 
Gegenstand  einer  Erörterung  von  Dr.  J.  B.  Messerschmitt,  i)  Er 
gibt  in  derselben  eine  Tabelle  der  Mißweisung  für  Mitte  1005,  in  der 
die  Werte  ausgegUchene,  nach  den  sogenannten  terrestrischen  Iso- 
gonen  gefundene  Zahlen  bedeuten. 

Infolge  der  Unsicherheit  in  der  säkularen  Variation,  wozu  noch 
lokale  Störungen  kommen,  können  die  gegebenen  Werte  in  einzelnen 
Fällen  um  ±  0.2^  bis  +^  0.3'  von  der  wahren  Deklination  abweichen. 
Diese  zu  ergründen,  bildet  aber  die  Hauptaufgabe  der  magnetischen 
Landesaufnahmen. 

Die  jährUche  (säkulare)  Abnahme  der  Deklination  betrug  in 
Deutschland  vor  50  Jahren  T  bis  8',  hat  seitdem  beträchtlich 
abgenommen  und  darf  jetzt  zu  5'  angenommen  werden. 

In  München  läßt  sich  die  westUche  Deklination  nach  den  Beob- 
achtungen der  letzten  vier  Jahre  durch  die  Formel 

D  =  10^  27.9'  +  6.20'  (1900.5  —  t)  +  0.442'  (1900.6  —  t)  « 
darstellen,  worin  t  das  betreffende  Jahr  bedeutet. 


1)  Zeitaohr.  f.  VermeflBongiweeen  1903.  p.  681. 


Erdmagnetismiu. 


143 


Prof.  Ad.  Schmidt  hat  für  Potsdam  aus  den  Beobachtungen  der 
letzten  zwölf  Jahre  die  Formel 

D  =  — 10°  27.24'  +  6.14'  (t  — 1896.0)  —  0.104'  (t  — 1896.0) « 
abgeleitet,  welche  nahe  mit  der  von  E.  Hammer  abgeleiteten  überein- 
stunmt. 
MUwelBiuiir  4er  MagnetDadel,  wesilioh,  für  die  Mitte  des  Jahres  1905. 


Geograph. 
Breite 


Geographiselie  Länge,  ron  Ferro  tue  gezählt 


23« 


24  < 


25® 


26« 


27« 


29  • 


30« 


31« 


66« 

64 

63 

62 

61 

60 

49 

48 

47 

46 


13.6« 

13.6 

134 

13.1 

13.2 

13.1 

13.1 

13.0 

12.8 

12.7 


12.9« 

13.0 

12.9 

12.8 

12.8 

12.8 

12.7 

12.6 

12.4 

12.3 


12.6« 

12.6 

12.6 

12.4 

12.6 

12.3 

12.3 

12.2 

12.0 

11.9 


12.1« 

12.2 

12.2 

12.1 

12.1 

12.0 

11.8 

11.7 

11.6 

11.4 


11.4« 

11.7 

11.7 

11.6 

11.6 

11.6 

11.3 

11.2 

11.0 

10.9 


10.8« 

11.0 

110 

11.0 

10.9 

10.8 

10.7 

10.6 

10.6 

10.4 


10.3« 

10.4 

10.4 

10.3 

10.3 

10.2 

10.2 

10.1 

10.1 

10.0 


9.8« 

9.9 

9.8 

9.8 

9.8 

9.8 

97 

9.7 

9.6 

9.6 


9.2« 

9.3 

9.3 

9.3 

9.3 

9.2 

9.2 

9.2 

9.2 

9.2 


Geograph.     I|  ^*  ^0'  1  6«  20'  1  7«  20'  1  8«  20'  1  9«  20'  llO«  20'|ll«  20  |l2«  20'|l3«  20* 

Breite  *     \ 

|{  Geographische  Länge,  von  Greenwlch  gezählt 

MiBweisan^  der  KagnetDadel,  westlieta,  für  die  Mitte  des  Jahres  1905. 


Geograph. 

Geographische  Länge,  TOn  Ferro 

aus  gezählt 

Bfeite 

32« 

33« 

34« 

36« 

36« 

37« 

38« 

39« 

40« 

66« 

8.8« 

8.4« 

8.1« 

7.6« 

7.0« 

6.6« 

6.3« 

6.7« 

6.1« 

64 

8.8 

8.4 

7.9 

7.4 

6.9 

6.4 

6.9 

6.3 

4.7 

63 

88 

83 

79 

7.3 

6.7 

6.2 

6.7 

6.1 

46 

62 

8.7 

8.2 

7.6 

7.1 

66 

6.1 

6.6 

6.0 

4.6 

61 

8.8 

8.2 

7.8 

7.2 

6.7 

6.2 

6.6 

6.2 

4.6 

60 

8.8 

8.3 

7.7 

7.2 

6.7 

6.3 

6.7 

6.3 

4.8 

49 

8.8 

8.3 

7.8 

7.3 

6.8 

64 

6.9 

6.4 

4.9 

48 

8.8 

8.3 

7.8 

7.3 

6.9 

6.4 

6.0 

6.6 

6.0 

47 

88 

8.3 

78 

7.4 

7.0 

6.6 

6.1 

6.7 

6.2 

46 

8.8 

8.3 

7.8 

74 

7.0 

66 

6.2 

6.8 

6.3 

Geograph. 

14«  20' 

16«  20' 

16«  20' 

17«  20' 

18«  20' 

19«  20' 

20«  20' 

21«  20' 

22«  20' 

Breite 

Gec 

graphia 

oheLän 

ge,  von 

Greenn 

rloh  gez 

ählt 

Für  den  praktischen  Gebrauch  ist  die  tägliche  Änderung  der 
Mißweisung  von  Wichtigkeit,  gemäß  welcher  die  beobachtete  Dekli- 
nation in  den  Morgenstunden  größer  und  in  den  Abendstunden  kleiner 
ist  als  der  tägUche  Mittelwert.  Das  Hauptmaximum  findet  mittags 
1  Uhr,  das  Hauptminimum  vormittags  8  Uhr  statt.  Die  Größe  dieser 
Schwankungen  ist  überdies  in  den  verschiedenen  Jahreszeiten  un- 
gleich  groß.  Die  unten  stehende  Tabelle  gibt  für  die  vier  Jahreszeiten 
die  durchschnittlichen  Schwankungen  nach  den  Beobachtungen  in 
München;  im  nördlichen  Deutschland  sind  die  Ausschläge  zeitlich 
gleich,  werden  aber  im  Maximum  um  1^  bis  2^  größer. 


144 


ErdmagiMlimiis. 


Dabei  bedeutet  +  die  westliche  und  —  die  östliche  Abweichung 
vom  Tagesmittel. 

Aufier  diesen  regelmäßigen  Schwankungen  kleidet  aber  die 
DeUinationsnadel  noch  unregelmäßige  Störungm,  wodurch  der 
Charakter  der  Kurve  und  die  Größe  der  Amplitude  geandrat  wiid. 
Bei  einzelnen,  besonders  staik  gestörten  Tagen  können  Sckwankuign 
vorkommen,  die  1^  übersteigen.  Solche  Störungen  treten  eifahruii^ 
gemäß  häufiger  am  späten  Nachmittage  und  in  den  Abendstandeo 
auf,  während  sie  um  die  Mittagszeit  seltener  vorkommen. 

Die  Observatorien  leiten  aus  ihren  Beobachtungen  die  Jabi» 
mittel  aus  den  Ablesungen  der  stündlichen  Werte  aller  Tage  ab. 
Dieses  gilt  also  für  die  Jahresmitte.  Es  ist  daher  wichtig,  zu  mam, 
wie  weit  zu  jeder  Jahres-  und  Tageszeit  die  lüßweisung  von  dieseiB 
Mittelwerte  abweicht.  Darüber  gibt  eine  Isopleliientalel  (Tafel  II)  Ad- 
Schluß,  welche  nach  den  zehnjährigen  Registrierbeobachtung^  des 
Potsdamer  Observatoriums  der  Jahre  1890  bis  1809  entwoite 
worden  ist.  Hierin  sind  als  Ordinaten  die  Tagesstunden  (mitüen 
Ortszeit)  und  sJs  Abszissen  die  Tage  genommen  worden,  und  zwar 
bedeuten  die  ausgezogenen  Linien  jeweilen  die  Mitte  des  betreffenden 
Monates. 


Winter 

(November,  Desember, 

Jannar,  Februar) 

FrUiUia«  und  Herbst 
Septembe^,  (&toW) 

Sommer 
(Kai  bii  Ah«^) 

Mlttmiaoht 
S».m.        1 

4  a.  m.         1 

—  1' 

—  0.6 
0 

—  1' 

—  1 

—  1 

—  1' 

—  1 

6  a.  m.        1 
8  A.  m.        1 
10  ».  m. 

0 
—  0.6 
+  0.6 

—  1 

—  2.6 

—  1 

—  3 
-3.5 
0 

Mittag        1 
2  p.  m. 
4  p.  m. 

-h  2 
+  2 
4-  0.6 

-f  3.6 
-4-  4 
+   2 

+  * 
+  6 
+  2.5 

8  p.  m. 
8  p.  m. 
10  p.  m. 
Mitternaoht 

0 

—  1 

—  1-6 

—  1 

0 

—  0.6 

—  1 

—  1 

0 
0 

—  0.6 

—  1 

Pie  Kurven  stellen  also  den  taglich^fla  Gang,  ^^^^hivft^  oüt  der 
säkularen  Änderung,  dar.  Da  in  unsem  Gegenden  die  westliche 
Deklination  jährlich  abninmit,  so  ist  die  beobachtete  MiJBweisaiig  ^ 
Anfange  des  Jahres  durchschnittlich  großer  und  am  Ende  des  Jsh^ 
kleiner  als  der  Mittelwert.  Liest  man  die  Talel  von  Unlra  nach  noh^ 
in  horizontaler  Richtung,  so  erhält  man  die  täglichen  Schwaoktti^' 
von  oben  nach  unten  die  Schwankungen  der  M^yiAtq^y^fii  2ur  lelbea 
Stunde  in  den  verschiedenen  Jahreszeiten.  In  bezug  auf  das  ti^^ 
Maximum  um  1  Uhr  nachmittag  herrscht  eine  gewisse  Symmetrie, 


^-r^a^f%JJk5  YÄK^^^    •     r/r.X^  -^fr  -2"^  *a5*  -Ä'  "Ä'  -^  't 

H*^^**KJi^^-^i^.lt^'?."  ^^'^.'  ■■*''  ■■^."  '•^■■•'  -■'"  ^     ^  ^'       ' 


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mi       -Vita  -Vi-    -Vi-    -1>-  *Vi»'    -  *>k    -Vir  '■^»    'V^i—  i' *>  -    ^  V*!* 

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52« 
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ErdmagBetlsmiis.  145 

doch  drangen  sich  die  Kurven  am  Vormittage  enger  zusammen  ab  am 
Nachmittage.  In  dieser  Beziehung  ist  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit 
dem  Verlaufe  der  taglichen  Temperaturschwankungen  nicht  zu  ver- 
kennen. Die  geringsten  Änderungen  finden  in  den  Nachtstunden 
statt,  also  zu  einer  Zeit,  wo  im  allgemeinen  die  Praxis  den  wenigsten 
Vorteil  davon  hat;  außerdem  hat  die  kalte  Jahreszeit  den  Vorzug  vor 
der  warmen. 

Für  die  meisten  praktischen  Zwecke  dürfte  die  Tafel,  die 
genügend  genau  in  ganz  Deutschland  und  auch  in  Osterreich  und  in 
der  Schweiz  gilt,  ausreichen.  In  denjenigen  Fällen  jedoch,  wo  es  aus- 
nahmsweise auf  einen  besondem  Genauigkeitsgrad  ankäme,  mußte 
schon  auf  die  registrierenden  Beobachtimgen  der  magnetischen 
Observatorien  zurückgegriffen  werden. 

Die  Verteilung  der  erdmagnetischen  Kraft  im  Pariser  Becken. 

Th.  Moureaux  hat^)  hat  diese  aus  den  Beobachtungen  an  130  Sta- 
tionen, die  sich  über  zwölf  Departements  verteilen,  rechnerisch  ab- 
geleitet und  in  Karten  niedergelegt.  Die  Karte  der  Deklination  D 
zeigt,  daß  alle  Abweichungen  positiv  im  Osten  und  negativ  im  Westen 
von  einer  Linie  sind,  die,  von  F^amp  ausgehend,  sich  nach  Moulins 
im  Südosten  wendet  und  den  geographischen  Meridian  unter  30^ 
schneidet.  Auf  dieser  Linie  selbst  sind  die  Abweichungen  Null,  Beob- 
achtung und  Rechnung  decken  sich  hier.  Da  in  Frankreich  die  Dekli- 
nation westlich  ist  und  von  Ost  nach  West  zunimmt,  erkennt  man 
aus  dem  Sinne  der  Abweichungen,  daß  der  Nordpol  der  Magnetnadel 
nach  der  bezüglichen  Linie  angezogen  wird.  Die  störende  Kraft 
äußert  sich  also  auf  dieser  Anziehungslinie  an  einem  oder  mehrem 
noch  zu  bestimmenden  Punkten. 

Die  Abweichungen  der  Horizontalkomponente  H  gruppieren  sich 
gleichfalls  nach  ihrem  Vorzeichen  in  bestimmte  Zonen.  Die  positiven 
Abweichungen  bilden  drei  Zonen,  zwischen  denen  solche  mit  negativen 
Abweichungen  gelegen  sind.  Alle  drei  können  durch  geschlossene 
Kurven  umgrenzt  werden,  auf  denen  die  Abweichungen  Null  sind, 
und  welche  die  für  D  bestimmte  Anziehungslinie  an  zwei  Punkten 
schneiden.  Diese  Punkte  haben,  da  normal  H  von  Süden  nach  Norden 
abnimmt,  im  Süden  der  positiven  Zone  eine  cmdere  Bedeutung  als  im 
Norden;  der  nördliche  Schnittpunkt  ist  ein  Anziehungspunkt,  an  dem 
das  Zentrum  der  Anomalie  liegen  muß ;  und  da  dieses  Zentrum  auf  der 
Anziehungslinie  für  D  sich  befindet,  so  bilden  diese  Schnittpunkte  der 
Nordgrenze  der  drei  Zonen  mit  positiver  Abweichung  von  H  ebenso 
viele  Zentren  der  Anomahe,  deren  ungefähre  Lagen  in  der  Nähe  von 
Bouen,  an  der  Grenze  zwischen  den  Departements  Eure  und  Seine- 
et-Oise  und  zwischen  Sancerre  und  Aubigny  angegeben  werden. 

Die  Karte  der  Abweichungen  der  Vertikalkomponente  Z  bestätigt 
diese  Hypothese.    Nimmt  man  an,  daß  im  Innern  der  Erde  eine  An- 

1)  Oompt.  lend.  1S7.  p.  918. 

Klein,  jAhrbuoh  XV.  10 


1 46  Erd  magnetinniis. 

ziehungskraft  unterhalb  eines  jeden  dieser  Punkte  wirkt,  so  müsaen 
an  diesen  Punkten  die  größten  positiven  Abweichungen  von  Z  beob- 
achtet werden,  und  in  der  Tat  gruppieren  sich  die  Abweichungen  zu 
Zonen  um  diese  Anziehungspunkte.  Wenn  die  Beobachtungen  hiermit 
nur  für  Rou^i  ziemlich  übereinstimmen  und  nicht  auch  für  die  beiden 
andern  Zonen,  so  ist  zu  beachten,  daß  hier  von  Punkten  die  Rede  war, 
während  es  sich  in  der  WirkUchkeit  um  mehr  oder  weniger  ausgedehnte 
Gebiete  handehi  wird,  deren  genaue  Feststellung  erst  durch  weitere 
Beobachtungen  möglich  sein  wird.  Die  Schlüsse,  die  man  aus  der 
Vergleichung  der  drei  Elemente  D,  H  und  Z  ziehen  kann,  werden  be- 
stätigt durch  die  Diskussion  der  Beobachtungen  über  die  Gesamt- 
kraft,  deren  Abweichungen  sich  ziemlich  so  wie  die  der  Vertikalkom- 
ponente  verteilen. 

„Nimmt  man  an,''  sagt  Moureaux,  „daß  die  Anomalie  des  Pariser 
Beckens  der  Wirkung  magnetischer  Gesteine  zugeschrieben  werden 
kann,  dann  würde  die  obere  Grenze  der  störenden  Masse  sich  als  das 
Belief  eines  Gebirges  darstellen,  das  bedeckt  ist  durch  rezentere  Erd- 
schichten, mit  Gipfeln  und  Bücken  an  den  Punkten  oder  den  Zonen, 
welche  durch  die  Betrachtung  der  AnomaUen  der  magnetischen  Ele- 
mente als  Anziehungszentren  bezeichnet  worden  sind." 

Die  Änderung  des  horizontalen  erdmagnetischen  Feldes  mit  der 
Höhe  über  dem  Meeresspiegel  ist  von  A.  Pochettino  untersucht  wor- 
den. ^)  Nach  der  Gaußschen  Theorie,  welche  die  Ursache  des  Erd- 
magnetismus im  Innern  des  Erdkörpers  voraussetzt,  laßt  sich  die 
Abnahme  der  Horizontalkomponente  des  Erdmagnetismus  berechnen, 
aber  der  Vergleich  der  Rechnung  mit  einigen  Messungen  ergab  die 
wirkliche  Abnahme  bedeutend  größer  als  die  theoretisch  berechnete. 
Nach  einigen  frühem  Versuchen  an  weniger  geeigneter  SteUe  hat  nun 
Pochettino  im  Oktober  1902  in  den  Grajischen  Alpen  an  zwei  nicht 
weit  voneinander  entfernten,  aber  in  Höhe  um  2500  m  verschiedenen 
Punkten  genaue  Messungen  ausgeführt.  Dieselben  ergaben  im  Mittel 
für  den  Gradienten  der  Horizontalkomponente  mit  der  Höhe  etwa 
0.0004  C.  G.  S.  pro  1000  m,  ein  Wert,  der  mit  dem  früher  gefundenen 
ziemlich  gut  übereinstimmt.  Somit  ist  ervKesen,  daß  die  Horizontal- 
komponente abnimmt  mit  der  Erhebung  der  Beobachtungsstation 
über  den  Meeresspiegel.  Der  gefundene  Wert  ist  aber  kleiner  als  der 
früher  von  Kreil  (0.001  47),  größer  als  der  von  Liznar  (0.0003  bei 
einer  Niveaudifferenz  von  40O  m)  und  der  von  SeUa  (0.0002,  unter  der 
Einwirkung  magnetischer  Gesteine)  gemessene. 

Die  Abhängigkeit  des  tftgliehen  Ganges  der  erdmagnetisehen  Ele- 
mente in  Batavia  vom  Sonnenfleckenstande  ist  von  Prof.  J.  Liznar 
nachgewiesen  worden.  <) 

1)  Bendioonti  R.  Aooad.  dei  lincoi  [5]  IS.  p.  96. 
«)  Wiener  Akad.  Anzeiger  1904.  p.  194. 


Erdmagnetismus.  147 

Auf  Grundlage  des  am  magnetisch-meteorologischen  Observa- 
torium in  Batavia  gewonnenen  16-jährigen  Beobachtungsmateriales 
hat  er  die  Änderung  des  täglichen  Ganges  der  drei  Komponenten  mit 
dem  Fleckenstande  der  Sonne  sowohl  im  Jahresmittel  als  auch  in  den 
einzelnen  Monaten  untersucht.  Es  hat  zwar  Prof.  Ad.  Schmidt  schon 
vor  16  Jahren  eine  diesbezüghche  Untersuchung  veröffentlicht;  allein 
da  er  hierbei  nur  7  ^-jährige  Beobachtungen  von  Wien  und4^-jährige 
von  Batavia  verwenden  konnte,  so  schien  es  angezeigt,  das  jetzt  vor- 
handene reichhaltigere  Beobachtungsmaterial  zu  diesem  Zwecke  zu 
verwenden.  Da  die  Publikation  des  obengenannten  Observatoriums 
auch  die  AmpUtuden  und  Phasenwinkel  der  ersten  zwei  GUeder  der 
Besselschen  Formel  enthält,  so  hat  Liznar  diese  Größen  als  Funk- 
tionen der  Sonnenfleckenrelativzahlen  ausgedrückt.  Dabei  ergab 
sich,  daß  sie  nicht  einfach  proportional  der  Relativzahl  gesetzt  werden 
können,  sondern  daß  diese  Abhängigkeit  etwas  kompUzierter  ist. 

Durch  diese  Arbeit  werden  die  von  Ad.  Schmidt  gewonnenen 
Resultate  vollinhaltlich  bestätigt,  und  es  wird  gezeigt,  daß  mitwachsen- 
der Fleckenzahl  nicht  nur  die  AmpUtuden,  sondern  auch  die  Phasen- 
winkel geändert  werden  (die  letztem  werden  kleiner).  Aus  diesem 
Grunde  ist  der  zu  verschiedenen  2jeiten  an  einem  und  demselben  Orte 
oder  auch  an  verschiedenen  Punkten  ermittelte  täghche  Gang  nur 
dann  vergleichbar,  wenn  er  auf  eine  bestimmte  Periode  reduziert 
werden  kann,  was  auf  dem  in  der  Abhandlung  gegebenen  Wege  leicht 
durchzuführen  ist. 

Das  sehr  wichtige  Ergebnis,  daß  bei  größerm  Fleckenstande  die 
den  täglichen  Gang  hervorbringende  Ursache  nicht  einfach  eine  Ver- 
stärkung erfährt,  sondern  daß  einer  starkem  Fleckenfrequenz  ein 
eigener  tägUcher  Gang  entspricht,  ein  Resultat,  das  auch  Ad.  Schmidt 
gefunden  und  betont  hat,  gab  dem  Verfasser  Veranlassung,  diesen 
Gang  für  das  Jahr  1893,  in  welchem  die  Relativzahl  den  größten  Wert 
während  der  ganzen  Beobachtungsreihe  (1884  bis  1899)  erreicht  hat, 
zu  berechnen. 

Eine  eingehendere  Diskussion  der  gewonnenen  Ergebnisse  scheint 
erst  dann  angezeigt,  wenn  auch  für  andere  Orte  ähnliche  Unter- 
suchungen vorhegen  werden. 

Die  großen  magnetisehen  Störungen  Ende  Oktober  1908.  Am 
31.  Oktober  traten  in  ganz  Mitteleuropa  ungemein  starke  und  lange 
dauernde  Störungen  des  Telegraphenbetriebes  infolge  des  Auftretens 
von  elektrischen  Erdströmen  ein,  gleichzeitig  mit  Störungen  der 
elektromagnetischen  Instrumente  und  dem  Auftreten  von  Nord- 
lichtem. Die  Störungen  im  Telegraphenbetriebe  begannen  schon 
um  Mittag  und  waren  gegen  4  Uhr  nachmittags  so  stark,  daß  der 
Betrieb  auf  allen  langem  Telegraphenlinien  eine  Zeitlang  vöUig  unter- 
brochen war.  Die  Richtung  der  störenden  Erdströme  war  ^nf^ng^ 
nordsüdlich,  später  südwestlich-nordöstlich,  und  sie  verschwanden 

10* 


148  Erdmignetismus. 

gegen  9  Uhr  abends.  Solche  Eidstrome  sind  schon  früher  beobachtet 
worden.  Der  erste,  welcher  sich  mit  der  Untersuchung  deiselbeD 
beschäftigte,  scheint  George  Aiiy  in  Oreenwich  gewesen  zu  sein.  Er 
entdeckte  in  Drähten,  die  er  in  verschiedenen  Richtungen  in  der  Nähe 
des  Observatoriums  anbrachte,  das  Vorhandensein  solcher  Strömun- 
gen, die  bald  in  dieser,  bald  in  jener  Richtung  fortschritten.  Es  ist 
nun  leicht  zu  verstehen,  daß  in  einem  Telephon-  oder  Telegraphen- 
drahte, der  von  diesen  Erdströmungen  durchflössen  wird,  dadurch 
die  Telegramme  mit  Leichtigkeit  überwältigt  werden  können,  also 
die  telegraphischen  Zeichen  ausbleiben  oder  unverstandhch  werden. 

Die  erdmagnetischen  Störungen  begannen  auf  dem  erdmagneti- 
schen  Observatorium  zu  Potsdam  am  31.  Oktober  7  Uhr  (M.  E.  Z^t) 
morgens  und  dauerten  bis  in  die  Nachtstimden.  Es  waren  die  stärksten 
Störungen,  die  am  erdmagnetischen  Observatorium  zu  Potsdam  seit 
seiner  Errichtung  vor  14  Jahren  beobachtet  worden  sind.  Die  Schwan- 
kung der  frei  aufgehängten  Magnetnadel  übersti^  den  für  mittlere 
Breiten  unerhörten  Betrag  von  3^  und  erreichte  oft  in  wenigen 
Minuten  das  Mehrfache  des  Wertes,  den  sie  bei  der  gewöhnlichen, 
regehnäßigen  Bewegung  der  Nadel  im  Laufe  des  ganzen  Tagee  auf- 
weist. Um  die  Bedeutung  dieser  Tatsache  recht  zu  würdigen,  muß 
man  bedenken,  daß  es  sich  bei  derartigen  magnetischen  Stürmen  oft, 
besonders  bei  solchen  ungewöhnUch  starken,  fast  stets  um  Vorgänge 
handelt,  die  im  gleichen  Augenblicke  überall  einsetzen  und  den  ganzen 
Erdball  beeinflussen.  Solches  zeigt  sich  auch  im  Auftreten  von  Polar- 
lichtem, die  fast  immer  mit  erdmagnetischen  Störungen  zusammen 
sichtbar  werden.  Auch  am  31.  Oktober  zeigte  sich  abends  ein  Nord- 
licht, das  freilich  wegen  der  ungünstigen  Witterung  nur  an  wenigoi 
Orten  gesehen  worden  ist.  Ein  kenntnisreicher  Beobachter,  Herr 
Jakob  Meiler  in  Osterath,  sah  die  Erscheinung  trotz  des  Mondlichtes 
sofort  nach  Dunkelwerden  und  beobachtete  sie  über  eine  Stunde  lang. 
Die  Strahlen  des  NordUchtes  reichten  nach  seinen  Angaben  fast  bis 
zum  Scheitelpunkte. 

Zugleich  mit  diesen  Störungen  haben  gewaltige  Vorgänge  auf  der 
Sonne  stattgefunden,  indem  eine  sehr  große  Gruppe  von  Flecken  sich 
entwickelt  hat.  Denning  in  Bristol  schätzt  ihre  Ausdehnung  auf  mehr 
als  70  000  engl.  Meilen.  Ein  einzelner  großer  Fleck  stand  am  31.  Ok- 
tober nahe  auf  der  Mitte  der  Sonnenscheibe.  Schon  in  frühem  Jahren 
ist  das  Auftreten  starker  Erdströme  und  überhaupt  elektromagneti- 
scher Störungen  gleichzeitig  mit  dem  Sichtbarwerden  großer  Sonnen- 
flecke festgestellt  worden.  Ein  Parallelismus  in  der  Intensität  ge- 
wisser magnetischer  Schwankungen  und  der  Zahl  der  Sonnenflecke 
wurde  schon  vor  Jahrzehnten  von  dem  Züricher  Astronomen  Wolf 
nachgewiesen  und  hat  sich  bis  jetzt  ausnahmslos  bestätigt.  Prof. 
Ohver  Lodge  in  Birmingham  führt  die  Erdströme  lediglich  auf  eine 
Einwirkung  der  Sonne  zurück,  wobei  er  die  neue  Theorie  der  Ionen 
und  Elektronen  herbeizieht.     Hiemach  schleudert  die  Sonne  eine 


Erdbeben.  149 

unermeßliche  Zahl  kleiner  Partikelchen  von  sich,  die,  wo  sie  die  Erde 
nicht  treffen,  mit  einer  so  großen  Geschwindigkeit  daran  vorbei- 
sausen,  daß  sie  einen  elektrischen  Einfluß  ausüben.  Die  Geschwindig- 
keit dieser  Partikelchen  betragt  etwa  ein  Zehntel  der  Lichtgeschwin- 
digkeit. Einen  mechanischen  Effekt  haben  diese  Partikelchen,  die 
nur  Atome  sind,  nicht,  aber  sie  üben  einen  störenden  Einfluß  auf  die 
Telegraphie  und  alle  für  Elektrizität  empfindlichen  Instrumente  aus. 
Sie  sind  nicht  im  geringsten  gefährlich,  obgleich  ihr  Einfluß  viel 
größer  ist,  als  man  früher  wußte.  Eine  Folge  dieses  Vorganges  ist 
auch  das  Polarlicht. 


Erdbeben. 

Der  gegenwärtige  Standpunkt  der  Erdbebenkunde  als  Wlssen- 
sehatt  war  von  A.  Sieberg  in  einem  großem  Werke  zur  Darstellung 
gebracht.^)  Was  die  Formen  der  Bodenbewegung  anbelangt,  so 
werden  deren  nach  Prof.  Gerland  folgende  unterschieden: 

1.  BradyseiBinisohe  Bewegnnflen,  bestehend  in  langsamen  Niveauver- 
sehiebungen,  duroh  welche  Abwei(muiigen  von  der  normalen  Lotlinie  herror- 
serofen  werden.  Sie  können  entstehen  durch  die  Einwirkung  der  Sonnen-  und 
Sfondanziehung,  Temperatur-  und  Barometeraoh wankungen  und  Boden- 
hebungen oder  -Senkungen,  sind  aber  nur  an  sehr  feinen  Instrumenten  nach- 
weisbar. 

2.  Taohyseismische  Bewegungen.    Dieselben  zerfallen  in 

a)  mikroseismische,  nur  an  Instrumenten  erkennbare  Störungen,  deren 
Ursache  Wind,  Luftdruckanderungen,  Meereswellen,  menschlicher  Verkehr  usw. 
sein  können.  Auch  oehen  sie  starkem  Erdbeben  voraus  und  können  anderseits 
durch  entfernte  Ebndbeben  hervorgerufen  werden,  deren  Wellen  sich  durch  und 
über  die  Erde  ausbreiten. 

b)  makroseismische  Bewegungen,  wozu  alle  unmittelbar  (ohne  Instrumente) 
wahrnehmbaren  Erdbewegungen  ^ören.  Sie  gehen  allerseits  von  einem  Punkte 
an  der  Erdoberfläche  aus,  den  man  Epizentrum  nennt,  und  die  sie  bildende 
Bewegung  der  Erdoberfläche  setzt  sich  aus  einer  vertikalen  und  horizontalen 
Komponente  zusammen.  Die  erstere  ist  am  stärksten  unmittelbar  im  Epi- 
zentrum und  dessen  nächster  Umgebung,  wo  sie  sich  als  Stoß  (sukkussoriscme 
Bewegung)  fühlbar  macht,  und  nimmt  von  dort  nach  allen  Seiten  hin  ab,  während 
die  vom  Epizentrum  ausgehenden  Bodenwellen  der  Oberfläche  (die  undu- 
latorischen  Mwegungen)  an  Wahmehmbarkeit  zunehmen.  Letztere  bestehen 
indessen,  wie  enHIhnt,  in  Elastizitätsschwingungen.  Rotatorische  Bewegungen 
des  Bodens,  an  die  noch  A.  v.  Humboldt  glaubte,  gibt  es  nicht. 

Die  Bodenerschütterungen,  welche  man  als  Erdbeben  bezeichnet,  haben 
ihren  Ausgangspunkt  im  Innern  unseres  Planeten,  und  sie  rufen  makroseis- 
mische Bewegungen  an  der  Oberfläche  hervor,  die  in  gewissen  Gegenden 
häufiger  sind  ab  in  andern.  Siebers  gibt  nach  den  Zusammenstellungen  von 
F.  de  Monteesus  de  Ballore  folgende  Tabelle  (S.  150)  der  Schüttertätigkeit  der 
ganzen  Erdoberfläche. 

Was  die  einzelnen  Schüttergebiete  anbelangt,  so  ist  bezüg^ch  Europas 
folgendes  zu  bemerken: 

Deutschland  hat  häufise  Erdbeben,  aber  dieselben  sind,  soweit  die  Ge- 
schichte reicht,  stets  schwacm  gewesen;  Katastrophen  haben  hier  niemals  statt- 


^)  Handbuch  der  Erdbebenknnde  von  A.  Sieberg.    Braunschweig  1904. 


150 


Erdbeben. 


ffehmdeiL  Die  norddeutsche  Tiefebene  ist  praktisch  erdbebenfrei,  wahrend 
die  saohflisch-böhmisohe  Tafel  und  ihre  Umrandungen,  besonders  das  Vogtland, 
wohl  die  seismisch  regsamste  Gegend  von  Biitteleuropa  bezeichnet. 

Stark  seismisch  erregt  ist  di»  ganze  Rheintal,  besonders  die  Gegend  tob 
Herzogenraih  (im  Steinkohlengebiete  bei  Aachen)  und  die  Yon  Groß-Geraa  (in 
Hessen). 

Griechenland  wird  überaus  häufig  von  Erdbeben  heimgesucht,  davon  be- 
sonders die  Ionischen  Inseln. 

Italien  ist  nächst  Griechenland  das  erdbebenreichste  Gebiet  Europas.  „Am 
größten,'*  sagt  Sieberg,  „ist  die  seismische  Unruhe  auf  den  Haupthäieozogeii 
des  Apennins;  die  Hauptschüttergebiete  decken  sich  mit  dem  ligorii^-etiii- 
riechen,  dem  römischen  Apennin,  dem  Gran  Sasso-Majella-Matesestock  und 
gehen  von  letzterm,  Apulien  beiseite  lassend,  nach  Kalabrien  und  Sizilien. 
Zwischen  der  Ost-  und  Westseite  der  Halbinsel  bestehen  betrachtliche  Gegen- 
sätze; erstere  ist  das  bewegtere,  dagegen  die  westlidie  trotz  der  Vulkane  <ias 


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Polargebiete      .... 

8 

86 

149 

6.66 

_ 

Europa 

177 

6008 

61717 

84.62 

781.64 

1206.94 

Asien 

102 

2426 

27  662 

101.82 

631.83 

^_ 

Afrika       

38 

882 

2  866 

69.28 





Nordamerika     .... 

64 

1271 

16  698 

67.43 

279.67 

217.77 

Südamerika       .... 

23 

310 

8  081 

21.16 

143.64 

Inseln  des  Stillen  Ozeans 

(Ozeanien)      .... 

64 

1066 

14  880 

0.46 

268.83 

— 

Insgesamt  . 

461 

10499 

131  292 ; 

860.82    2066.61  |    1424.11 

8829.94 

ruhigere,  ja  stellenweise  ganz  verschonte  Grcbiet.  Überhaupt  zieht  sich  zwischen 
den  vorbesprochenen  primären  Gebieten  fast  durch  das  ganze  Land  hin  ein 
ununterbrochenes  sekundäres  Gebiet." 

Die  Schweiz  wird  häufig  erschüttert,  namentlich  die  großen  Längstaler 
von  Wallis  und  Engadin,  ferner  das  Rhone-,  Oberinn-  und  EtschtaL 

Österreich-Ungarn  hat  bemerkenswerte  Schütteigebiete  in  den  Alpen- 
ländern und  im  Karstw 

Frankreich.  Hier  sind  es  vorzugsweise  die  Seealpen,  dann  die  westlichen 
Teile  der  Pyrenäen,  hierauf  die  Gebiete  zwischen  Alpen  und  Rhone,  die  oft  er- 
schüttert werden. 

Großbritannien  ist  nicht  selten  von  Erdbeben  betroffen  worden,  doch 
waren  dieselben  stets  unbedeutend. 

Skandinavien  ist  ziemlich  erdbebenreich,  in  Norwegen  besonders  die 
C^egend  der  Lofoten.    Sehr  oft  erschüttert  wird  die  In^el  Island. 

Rußland,  Belgien,  Holland  sind  arm  an  Erdbeben.  Nur  im  südöstlichen 
Grenzgebiete  Belgiens  komman  solche  häufiger  vor. 

Was  die  fremden  Erdteile  anbelangt,  so  sind  dieselben  bezüglich  ihrer 
Seismizität  natürlich  weniger  durchforscht  als  Europa.  Neben  zahlreichen 
Einzelheiten  gibt  Sieberg  folgende  allgemeine  Charakteristik  derselben: 


Erdbebon.  151 

Asien.  „Am  häufigsten  sind  die  Erdbeben  im  Westen,  d.  h.  in  Kleinasien 
und  der  Gegend  südlich  vom  Kaspisee.  Femer  werden  oft  erschüttert  die 
Arabische  Halbinsel,  das  Quellenland  des  Ganges  und  Kabul,  ebenso  das  G^ebiet 
zwischen  dem  obem  Indus  und  Ganges,  die  Westküste  von  Vorder-  und  Hinter- 
indien und  die  vulkanischen  Inseln  (Ozeanien)  von  Java  bis  nach  Neuguinea  hin. 

Kein  Land  der  Erde  ist  aber  so  häufig  Erdbeben  ausgesetzt  als  Japan. 
Schwächere  Erdstöße  sind  dort  an  der  Tagesordnung  und  werden  kaum  be- 
achtet; aber  in  verhältnismäßig  kurzen  Zwischenzeiten  brechen  Katastrophen 
der  schrecklichsten  Axt  herein.  Für  die  unglaublich  große  Bebenhäi^gkeit 
dieses  Inselreiches  spricht  beredt  der  Umstand,  daß  die  dortige  Geschichte 
seit  dem  Jahre  415  n.  Qir.  nicht  weniger  als  223  verwüstende  Erdbeben  mitteilt ; 
in  der  neuem  Zeit  haben  26  Stationen  (die  älteste  besteht  seit  27,  die  jüngste 
seit  3  Jahren)  insgesamt  18  279  seismische  Beobachtungen  geliefert,  und  allein 
in  der  Hauptstadt  Tokyo  zahlte  nkan  während  der  letzten  24  Jahre  2173  Beben, 
d.  h.  jeden  vierten  Tag  eins,  während  der  mittlere  Jahresdurchschnitt  für  das 
gesamte  Insebeich  605  Erdbeben  beträgt. 

Afrika.  Als  Erdbebengegenden  sind  nur  bekannt  die  Küstengebiete  des 
Mittelmeeres,  Ägypten,  Abessinien,  namentlich  die  G^ebiete  Nyassa  —  Tan- 
ganjika  —  Albertsee,  femer  in  sehr  geringem  Maße  das  Kapland,  die  Guinea- 
küste und  endlich  die  Inselwelt,  namentlich  die  Azoren  und  Kanaren.  Über- 
haupt sind  von  dem  ganzen  afrikanischen  Kontinente,  abgesehen  von  den 
Berberstaaten,  nur  195  Erdbeben  bekannt  geworden,  welche  sich  auf  64  Ort- 
sdiaften  verteilen;  dies  wird  wohl  auch  zum  TeUe  seinen  Grund  dann  haben, 
daß  der  größte  Teil  Innerafrikas  noch  zu  wenig  und  noch  nicht  lange  genug 
bekannt  ist.  Weiterhin  entfallen  auf  die  Berberstaaten  915  Beben  an  135  Orten, 
die  Insehi  des  Atlantischen  Ozeanes(  Azoren  allein  1444  an  zwölf  Orten)  insgesamt 
1704  Beben  an  162  Orten,  die  Inselwelt  des  Indischen  Ozeanes  57  Beben  an 
29  Orten. 

Nordamerika.  Hier  sind  namentlich  das  Mississippi-  und  Ohiotal,  sowie 
Kalifornien  die  bekanntesten  Sdiüttergebiete. 

Südamerika  ist  am  reichsten  mit  Erdbeben  bedacht,  vor  allem  die  Nord- 
küste von  Caracas,  femer  Peru,  Ghüe  und  die  ganze  Andenkette;  einige  der 
dortigen  Erdbeben  spielen  in  der  Erdbebenliteratur  wegen  ihrer  unheilvollen 
Wirkungen  eine  hervorragende  RoUe. 

Australien  und  Polynesien.  Das  Festland  ist  von  Erdbeben  ziemlich  ver- 
schont. Zahlreich  sind  sie  dagegen  auf  den  Inseln  des  Stillen  Ozeanes,  welche 
fast  sämtlich  vulkanischen  Ursprung  haben;  besonders  Neuseeland,  femer  die 
Sandwich-  und  Freundschaftsinseln,  die  nördlichen  Marianen,der  Bismarck- 
archipel  und  Neuguinea  sind  durch  große  Bebenhäufigkeit  ausgezeichnet,  die 
sich  auf  eine  Fläche  von  etwa  1  Million  Quadratmeilen  erstreckt.  Aufzeich- 
nungen besitzt  man  von  etwa  1840  Erdbeben,  welche  von  81  über  sieben 
verschiedene  Gebiete  zerstreuten  Ortschaften  zur  Beobachtung  gelangten. 

Über  die  Erdbebenverhältmsse  in  den  Polargegenden  ist  nichts  Näheres 
bekannt. 

Die  Einteilung  der  Erdbeben  in  verschiedene  Klassen  hängt  aufs  engate 
mit  den  Vorstellungen  zusammen,  die  man  sich  von  der  Entstehungweise  der- 
selben machte. 

Gegenwärtig  unterscheidet  man:  Vulkanische  Beben,  Einsturzbeben  und 
tektonische  Erdbeben  und  gibt  damit  gleichzeitig  Vorstellungen  von  der  Ent- 
stehungsweise derselben,  wobei  aber  nicht  zu  vergessen  ist,  daß  diese  Deu- 
tungen in  jedem  Falle  hypothetisch  sind,  da  es  nicht  möglich  ist,  direkt  bis  zum 
Herde  der  Erscheinung  vorzudringen. 

Die  vulkanischen  Erdbeben  tragen  stets  einen  örtlichen  Charakter;  das 
Gebiet,  auf  dem  sie  sich  fühlbar  machen,  ist  immer  beschränkt.  Häufig  bilden 
sie  die  Vorzeichen  des  Wiederauflebens  der  Tätigkeit  eines  Vulkanes«  doch 
kommen  sie  auch  in  der  Umgebung  längst  erloschener  Vulkane  vor. 


152  Erdbeben. 

Die  EiüBtarzbeben  entetehen  dnioh  Zusammenbruch  untenrdiacheir  Hohl- 
räume, vor  allem  solcher,  die  vom  Wasser  ausgewaschen  wurden.  Soldie 
Höhlen  entstehen  dort»  wo  Kalk-,  Gips-  oder  Steinsalzlager  vom  Wasser  fort- 

feführt  wurden.    Die  durch  den  Zusammenbruch  solcher  Höhlen  entstehenden 
iodenersohätterungen  sind  naturlich  ebenfoUs  sehr  örtliche  Ersdieiirangen, 
können  aber  unter  Umstanden  doch  heftig  auftretoi. 

Die  tektomschen  Erdbeben  (Dislokationsbeben)  zeichnen  sich  aus  durdi 
ein  großes  Schüttergebiet,  lange  Zeitdauer  und  Gebundensein  an  bestimmte 
Linien.  Man  nimmt  an,  daß  sie  durch  Lagen&ndemngm  von  Teilen  der  festen 
Erdrinde  hervorgerufen  werden  (Faltungen,  Verschiebungen  und  Verwerfongen» 
Senkungen  usw. ),  welche  die  Folge  von  Auslösungen  der  Spannungszustände 
der  Erdkinste  sind. 

Gegenden,  in  denen  Erdbeben  häufig  zuerst  auftreten,  nennt  man  habi- 
tuelle Stoßgebiete,  und  in  diesen  kommen  weiter  habituelle  Stoß-  und  Schütter- 
Um'en  vor.  Diese  sind  dann  oftmals  noch  von  untergeordneten  NebenstoB- 
linien  mehr  oder  weniger  senkrecht  durchquert. 

Die  von  Perrey,  Sueß  und  Hoemes  aufgestellte  Behauptung,  daß  in 
manchen  seismisch  sehr  unruhigen  Gegenden  das  Epizentrum  der  jBeben  die 
Tendenz  zeige,  im  Laufe  der  Zeit  nach  einer  bestimmten  Richtone  förtasn- 
schreiten,  ist  zu  wenig  sicher  begründet,  um  sich  mit  einer  Deutung  derselben 
abzugeben. 

Bisweilen  kommen  außerhalb  des  Gebietes  eines  Hauptbebens  ^eichzeitig 
mit  diesem  sekundäre  Erschütterungen  vor.  Man  bezeichnet  diese  als  Relais- 
oder Simultanbeben.  Wan  kann  annehmen,  daß  sie  durch  die  Hauptbeben 
ursächlich  ausgelöst  wurden. 

Der  Erdbebenherd  (das  Hypozentrum)  ist  uns  stets  unzugänglich,  und  was 
darüber  bis  jetzt  behauptet  wird,  völlig  hypothetisch.  Selbst  die  am  nächsten 
liegende  Fn^  nach  der  Tiefe,  in  welcher  sich  dieser  Herd  befindet,  ist  noch 
keineswegs  befriedigend  gelöst.  Auch  über  die  Gestalt  des  Herdes  weiB  man 
nichts  Zuverlässiges.  Man  nahm  ihn  meist  einfach  als  Punkt  an,  in  WirUichkett 
ist  er  aber  wohl  eine  Fläche  im  Erdinnem  (eine  Dislokationidläche  im  Sinne 
von  Sueß).  J.  Milne  hat  die  Epizentren  der  großen  Erdbeben,  welche  in  den 
Jahren  1899  bis  1901  vorkamen,  bestimmt  und  zu  zwölf  Gruppen  vereinigt, 
von  denen  fünf  auf  dem  Ozeane,  sechs  teils  auf  dem  Ozeane,  teils  auf  dem 
Festlande  und  eine  ausschließlich  auf  dem  FesÜande  li^.  Letztere  erstreckt 
sich  über  das  Gebiet  Alpen-Balkan-Kaukasus-Himalaya.  Die  ganze  Gruppienu^g 
ist  natürlich  sehr  hypothetisch  imd  keineswegs  frei  von  WUlküilichkeit. 

Die  Fortpflanzung  der  Bodenbewegung  geschieht  vom  Sitze  des  Herdes  in 
allseitig  wachsenden  Kugelwellen  mit  meßbarer  Geschwindigkeit,  bis  die  Be- 
wegungsenergie im  Innern  oder  an  der  Oberfläche  der  Erde  durch  Reibung  und 
Stoß  in  Wärme  umgewandelt  ist.  „Jeder  Punkt  des  Erdinnem  dient,  soboige 
er  bewegt  wird,  als  Durchgangspunkt  der  wandernden  Energie  und  leitet  die- 
selbe in  derjenigen  Richtung  fort,  in  welcher  die  Welle  vorwärts  schreitet;  so- 
mit wird  er  zu  einem  selbständigen  Zentrum,  von  welchem  aus  sich  sein  Energie- 
anteil allseitig  ausbreitet,  und  die  Gesamtwelle  besteht  aus  dem  Zusammen- 
wirken der  unendlich  vielen  Elementarwellen  (Huvgenssohee  Prinzip)." 

Derjenige  Punkt  der  Erdoberfläche,  an  weldiem  die  vom  Herde  aus- 
gehenden kugelförmigen  ErdweUen  zuerst  die  Erdoberfläche  erreichen,  der 
also  senkrecht  über  dem  Herde  liegt,  ist  das  Epizentrum  oder  der  Oberflädien- 
mittelpunkt  des  Bebens.  Hier  nuioht  sich  letzteres  meist  als  sukkussorisdie 
Bewegung  bemerkbar.  Während  vom  innem  Herde  des  Bebens  longitudinale 
KugelweUen  durch  die  Erde  ausgehen,  bildet  das  Epizentrum  den  Ausgangs- 
puxät  von  transversalen  Oberflächenwellen,  die  mit  abnehmender  Kran  sidi 
weiter  über  die  Erdoberfläche  ausdehnen.  Die  auf  den  Wellenfläohen  (homo- 
seistische  Flachen)  senkrechten  Linien  im  Erdinnem  nennt  man  Stoßstrahlen, 
und  sie  zeigen  die  Riohtimg  an,  nach  welcher  die  Energie  sich  fortpflanzt.  Der 
Winkel,  welchen  der  Stoßstrahl  mit  der  Eidoberfläche  bildet»  heißt  Em^genz- 


Erdbeben.  I53 

winkeL  Die  unmittelbare  Umgebung  des  Epizentrums  an  der  Erdoberfläche 
bildet  das  primäre  Sohüttergebiet,  und  dieses  wird  bis  in  eine  gewisse  Ent- 
fernung ziemlich  ringförmig  von  dem  sekundären  Sohüttergebiete  umgeben. 
Direkte  Bodenstöße  finden  nur  im  primären  Sohüttergebiete  statt,  während  nur 
die  Ton  diesem  ausgehenden  Bewegungen  im  sekundären  Schüttergebiete  un- 
mittelbar gefühlt  werden.  Außerhalb  der  Zone  des  letztem  sind  die  Boden- 
Bchwingungen  nur  noch  mit  Hilfe  von  Instrumenten  wahrnehmbar,  und  man 
spricht  hier  von  Fembeben.  Die  Dauer  der  Erdbebenstöße  umfaßt  selbst  bei 
sehr  starken  Erschütterungen  nur  selten  drei  Sekunden,  bei  schwachen  kaum 
eine  Sekunde.  Die  langem  Wellen  am  Schlüsse  einer  großem  Erschütterung 
können  bis  zu  vier  Sekunden  Dauer  haben,  sind  sie  länger,  so  können 
sie  unmittelbar  nicht  mehr  wahrgenommen  werden.  Die  Richtung  der  Stoß- 
strahlen ist,  wie  zuerst  A.  Schmidt  nachgewiesen  hat,  keineswegs  eine  gerade 
Linie,  sondern  wegen  der  mit  der  Tiefe  zunehmenden  Dichte  und  Elastizität 
der  Schichten  eine  krumme,  nach  der  Tiefe  hin  konvexe  Linie  (eine  Gonchoide 
oder  Muschellinie).  Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Erdbebenwellen 
nimmt  infolge  der  erwähnten  Beschaffenheit  der  Erdschicht  nach  unten  lün 
rasch  zu,  nach  oben  hin  ab.  Infolgedessen  bilden  diese  Wellen  keine  kon- 
zentrischen, kugelförmigen,  sondern  exzentrische  Flächen  um  den  innem 
Herd.  Errichtet  man  in  den  Punkten,  in  welchen  die  Homoseisten  düe 
Erdoberfläche  schneiden,  senkrechte  Linien,  trägt  auf  diesen  Stücke  ab, 
deren  Länge  (Höhe)  den  Zeiten  proportional  ist,  um  welche  in  diesen 
Punkten  me  Erschütterung  später  erfolgt  als  im  Epizentrum,  und  verbindet 
diese  Endpunkte  durch  eine  Linie,  so  erhält  man  den  Hodographen  des  Bebens. 
Diese  hodographische  Linie  mpielt  in  den  Untersuchungen  über  die  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit und  die  Herdtiefe  des  Erdbebens  eine  wichtige 
Rolle.  Diese  Linie  ist  im  Epizentrum  eine  Strecke  weit  horizontal,  steigt  dann 
und  ist  nach  unten  konvex;  an  einer  gewissen  Stelle  (dem  Wendepunkte)  geht 
die  konvexe  Krümmung  in  die  entg^ngesetzte  (nach  unten  konkave)  myet, 
und  die  Linie  steigt  dann  immer  langsamer,  bis  sie  zuletzt  horizontal  verläuft. 
Derjenige  Stoßetrahl,  welcher  den  Herd  des  Bebens  (das  Hjrpozentram)  im 
Erdinnem  in  horizontaler  Linie  verläßt^  trifft,  indem  er  sich  gekrünmit  fort- 
bewegt, die  Erdoberfläche  in  einem  Punkte,  der,  wie  Prof.  Sshmidt  mathe- 
matiMh  nachgewiesen  hat,  genau  senkrecht  unter  dem  Wendepunkte  der 
hodographi sehen  Kurve  li^.  Prof.  Schmidt  hat  femer  gezeigt,  daß  das  Er- 
schütterungsgebiet an  der  Erdoberfläche  in  zwei  Zonen  zerfall^  nämlich  einen 
innem  Kreis,  für  welchen  die  scheinbare  Oberflächengeschwindigkeit  vom  Epi- 
zentrum aus  abnimmt,  und  um  diesen  einen  Ring,  für  welchen  sie  nach  außen 
hin  unbeg^nzt,  aber  mit  entsprechend  abnehmender  Intensität  zunimmt  Der 
innere  Kreis  ist  das  Gebiet  der  direkten  Stoßstrahlen,  der  äußere  Ring  ist  das 
Gebiet  der  durch  Brechung  aus  der  Tiefe  zurückkehrenden  Erdbebenenergie. 
Die  kleinste  scheinbare  Oberflächengeechwindigkeit,  welche  an  der  Grenze 
zwischen  beiden  Zonen  stattfindet,  ist  ein  Maß  für  die  Fortpflanzungs- 
ffeschwindigkeit  der  Erdbebenwellen  in  der  dunkebi  Tiefe  des  Hypozentrams. 
Je  geringer  die  Herdtiefe  ist,  um  so  kürzer  ist  der  nach  unten  konvexe  Teü  des 
Hodographen  und  um  so  kleiner  gleichzeitig  die  innere  Zone  des  Erschütterungs- 

gebietes.  Die  Herdtiefe  ist  femer  stets  kleiner  als  der  Radius  vom  Epizentrum 
is  zu  dem  Punkte  senkrecht  unter  dem  Wendepunkte  des  Hodographen.  In 
ähnlicher  Weise  ist  es  mit  Hilfe  des  Hodographen  möglich,  einen  Minimalwert 
für  die  Tiefe  des  Herdes  zu  ermitteln.  So  ergibt  sich  f&  das  Sinjaner  Erdbeben 
vom  2.  Juli  1898  aus  dem  von  A.  Faidiga  konstruierten  Hodographen  eine  Herd- 
tiefe von  wenigstens  371  und  höchstens  390  km. 

Verbindet  man  auf  einer  Karte  alle  Orte,  an  denen  ein  Erdbeben  im  gleichen 
Augenblicke  verspürt  wurde,  durch  Linien,  so  erhält  man  ein  System  von 
Linien«  welche  Homoseisten  genannt  werden.  Sie  lehren  unmittelbar 
die  Ausbreitungsform  des  Schüttergebietes  auf  der  Erdoberfläche  kennen,  und 
man  findet,  daß  diese  meist  ziemlich  kreisförmig  oder  elliptisch  ist;  nur  sehr 


154  Erdbeben. 

selteii  entreokt  sich  das  erschütterte  Grebiet  einseitig  von  dem  EnegongB- 
punkte  ans.  Nicht  immer  ist  das  Epizentrum  eine  kleine  Fläche,  sondern  bei 
manchen  Erdbeben  kommt  man  auf  die  Vorstellung  von  Linien,  die  £.  Harboe 
ab  Erdbebenherdlinien  bezeichnet. 

Was  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Erdbeben  anbelangt,  so  mufi 
man  zwischen  waturer  Geschwindigkeit  des  Stoßstrahles,  um  welchen  die  Welle 
in  der  Zeiteinheit  weiterrückt,  und  scheinbarer  Oberflachengescdiwindigkeit, 
d.  h  der  gegenseitigen  Entfernung  zweier  Homoseisten  pro  Zeiteinheit,  unter- 
scheiden. A.  Schmidt  hat  gezeigt,  daß  diese  scheinbare  Oberflächenges«^ win- 
digkeit mindestens  gleich  der  Wellengeschwindigkeit  im  Hypozentrum  und  mit 
dieser  veranderiich  ist  Nach  den  sehr  genauen  Untersuchungen  von  A. 
Imamura  betrug  die  durchschnittliche  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  von 
Nachbeben  in  Japan  1895  bis  1808  3.38  +  0.05  km  pro  Sekunde. 

Die  Intensität  der  Erdbeben  macht  sich  unmittelbar  in  der  GröBe  der  da- 
durch angerichteten  Verheerungen,  den  Zerstörungen  von  Städten,  Entstehuz^ 
von  Spalten,  Bergstürzen  usw.  kund.  De  Rossi  und  Forel  haben  eine  empirische 
Skala  für  diese  Intensität  aufgestellt,  welche  zehn  Grade  umfaßt,  anhebend  mit 
der  mikroseismischen  Bewegung  als  erste  Stufe,  während  die  Erschütterung 
von  Möbeln,  Anschlagen  von  Glocken  usw.  die  Stufe  5  bezeichnet  und  Stufe  10 
der  Heftigkeit  von  Erdbeben  entspricht,  welche  den  Umsturz  ganzer  Städte 
hervorrufen.  Nach  den  Untersuchungen  von  F.  Omori  bleibt  bei  leichten  und 
schwachen  Erdbeben  die  durchschnittliche  größte  Bewegung  jedes  Boden- 
teilchens unterhalb  1  '/»m.  Wenn  die  Bewegung  auf  etwa  10  mm  anwächst, 
wird  das  Beben  zu  einem  starken,  und  es  verursacht  immerhin  schon  geringen 
Schaden.  Sobald  die  Bewegung  5  bis  6  em  erreicht,  beginnen  die  eigentlichen 
zerstörenden  Wirkungen,  welche  Ziegelbauten,  Kamine  usw.  erheblich  be- 
schädigen. Bei  etwa  15  cm  Bodenbewegung  hat  man  es  mit  sehr  heftigen  Erd- 
beben zu  tun. 

Werden  die  Gegenden,  welche  nahezu  die  nämliche  Intensität  eines  Erd- 
bebens aufweisen,  durch  Linien  verbunden,  so  heißen  diese  Linien  Isoeeisten, 
und  das  am  stärksten  erschütterte  Gebiet  wird  das  pleistoseistische  genannt. 

Die  Erdbebenhäuflgkeit  ist  nicht  nur  örtlich,  sondern  auch  zeitlich  für  die 
einzelnen  Regionen  der  Erde  verschieden.  Statistische  ZusammensteUungeo 
von  Naumann,  Kluge,  Knott,  Perrey  und  andern  haben  ergeben,  daß  die  Erd- 
bebentätjgkeit  in  der  kaltem  Hälfte  des  Jahres  größer  ist  als  in  der  warmen, 
und  zwar  gilt  dies  nicht  nur  für  die  nördliche,  sondern  (nach  Kluge)  auch  für 
die  südliche  Erdhälfte.  Wahrscheinlich  findet  auch  eine  tägliche  Periode  statt, 
indem  die  Beben  etwas  häufieer  nachts  als  bei  Tage  auftreten.  Besonders 
H.  Credner  betont,  daß  die  sächsischen  und  mit  ihnen  die  vogtländischen  Erd- 
beben des  Zeitraumes  1889  bis  1897  eine  ausgesprochene  tägliche  Periode  auf- 
weisen, indem  diese  sich  sowohl  in  ihrer  Zahl,  aliB  auch  in  imer  Stärke  auf  den 
Tagesabschnitt  von  8  Uhr  abends  bis  8  Uhr  morgens,  und  zwar  namentlich  auf 
die  Zeit  von  Mittemacht  bis  früh  8  Uhr  verdichten.  „Wie  schroff  dieser  Gegen- 
satz der  Bebentätigkeit  zwischen  Tages-  und  Nachtzeit  war,  erhellt  am  besten 
daraus,  daß  sich  unter  36  sächsisch-böhmischen  Erdbeben  nicht  weniger  als  31 
in  der  Zeit  zwischen  8  Uhr  abends  und  8  Uhr  morgens  ereigneten,  und  von 
diesen  wieder  21  in  dem  Zeiträume  von  Mitternacht  bis  8  Uhr  früh ;  von  21  vogt- 
ländischen Beben  ist  nur  ein  einziger,  ganz  örtlicher  Stoß  in  der  mittäglichen 
Hälfte  des  Tages  erfolgt,  während  20  in  den  nächtlichen  Abschnitt  fallen. 
Dabei  gehören  sämtliche  stärkere  und  ausgedehntere  Erdbeben  der  Nachtzeit 
an,  wohingegen  die  fünf  überhaupt  am  Tage  erfolgten  Erschütterungen  an  Stärke 
und  Ausdehnung  ganz  in  den  Hintergrund  treten.  Zieht  man  nun  noch  in  Be- 
tracht, daß  gerade  schwächere  Beben  durch  den  Schlaf  der  Bewohner  häufig 
der  Wahrnehmung  entgehen,  so  L'egt  die  Annahme  nahe,  daß  sich  auch  bei 
nächtlich  unausgesetzter  Beobachtung  das  Verhältnis  der  zeitlichen  Ver- 
teUung  noch  mehr  zu  Ungunsten  des  Tages  verschieben  würde.     Diese  Perio- 


Erdbeben.  155 

disität  za  yerallgemeinem  oder  einen  Schluß  auf  deren  Ursächlichkeit  zu 
ziehen,  hält  Gredner  jedoch  für  verfrüht." 

Die  von  Perrey  und  andern  behauptete  Einwirkung  des  Mondes  auf  die 
Erdbebenhäufigkeit  ist  von  B.  Hoemes  und  F.  de  Montessus  de  Ballore  in  Ab- 
rede gestellt  worden,  und  Sieberg  meint,  daß  sie  heute  in  der  Fachwelt  wohl 
kaum  mshr  einen  Anhänger  finde.  Gewiß  tritt  dieser  Einfluß  nicht  so  intensiv 
hervor,  als  Perrey  behauptete,  allein  die  exakten  Prüfungen  von  JuL  Schmidt, 
'  welche  alle  andern  statistischen  Zusammenstellungen  nach  dieser  Richtung 

'  hin  bei  weitem  aufwiegen,  ergaben,  daß  in  dem  Zeiträume  von  1706  bis  1873 

^  auf  die  Bahnhälfte  der  Erdnähe  des  Mondes  183  Erdbebentage  mehr  und  auf 

die  Bahnhälfte  der  Erdferne  180  Erdbebentage  weniger  entfallen  als  bei  gleich- 
'  mäßiger  VerteUung  der  Erdbeben.     Es  kann  sonach  als  erwiesen  betrachtet 

^  werden,  daß  in  der  Erdnähe  des  Mondes  die  Erdbeben  häufiger  sind  als  in  der 

Erdfeme.  Die  Statistiker  (außer  Schmidt)  haben  stets  einfach  die  Summe  der 
beobachteten  Erdbeben  für  die  Zeit  der  Erdnähe  und  Erdfeme  des  Mondes  zu- 
sammengezählt, ohne  die  Dauer  zu  berücksichtigen,  welche  der  Entfernung  des 
Mondes  von  der  Erde  zwischen  bestimmten  Grenzen  entspricht.  Ihr  Verfahren 
ist  also  unvollkommen  und  von  J.  Schmidt  verbessert  worden. 

Die  Einwirkung  der  Erdbeben  auf  die  Oberfläche  der  Erde  ist  im  einzelnen 
sehr  verschieden.  Es  kommen  vor:  Spaltungen  des  Bodbns,  Rundlöcher,  Sand- 
k^gel  und  Sandkrater  (da,  wo  mächtige  Wasserstrahlen  oder  Gasblasen  empor- 
steigen), Greländeverschiebungen,  Bergstürze  und  Bodensenkungen. 

Die  Erdbebenflutwellen  sind  nicht,  wie  man  lange  glaubte,  eine  Über- 
tragung der  vom  Festlande  ausgehenden  Erdbebenenergie  auf  die  ozeanischen 
Wassermassen,  sondern  nach  den  Untersuchungen  von  R  Rudolph  lediglich 
^  Folgewirkungen  untormeerischer  Vulkanausbrüche. 

^  Als  Begleiterscheinungen  der  Erdbeben  sind  zu  nennen: 

f  a)  Schallphänomene,  deren  Ausgangsort  das  Innere  der  Erde  ist; 

b)  Licht-  und  FeuererscheinuQgen,  diese  doch  sehr  selten,  und  vielleicht 
auf  das  Elntweichen  brennbarer  Gase  aus  Spalten  zurückzuführen; 
'  o)  atmosphärische  Störungen,  der  populären  Meinung  nach  häufig  mit 

^  Erdbeben  vemunden,  wissenschaftlich  aoer  noch  nicht  erwiesen; 

f  d)  erdmagnetische  Störungen,  mechanische  Bewegungen  der  Magnetnadel 

^  wohl  unzweifelhaft,  wirkliche  Störungen  der  magnetischen  Kraft  noch  nicht 

f  sicher  erwiesen. 

'  Seebeben  entstehen,  wenn  der  Meeresboden  seismisch  erschüttert  wird. 

*  Prof.  Rudolph  kommt  in  dieser  Beziehung  zu  folgenden  Schlüssen: 

*  1.  Unterseeische  Erdbeben  und  Vulkanausbrüche  kommen  in  allen  Meeres- 
^  tiefen  vor,  in  der  Flachsee  wie  in  der  Tiefsee,  auf  den  unterseeischen  Rücken 
'             wie  in  den  eigentlichen  Depressionen. 

'  2.  Die  Häufigkeit  und  Stärke  in  der  Äußerung  der  seismischen  und  erup- 

I  tiven  Kräfte  ist  nicht  von  der  Entfernung  von  tätigen  oder  erloschenen  Vulkanen 

3.  Es  gibt  habituelle  Stoßgebiete  und  ganz  seebebenfreie  Meereeteile;  mit 
Ausnahme  der  letztem  treten  außerdem  Seebeben  auch  vereinzelt  und  zerstreut 
'  in  den  Ozeanen  auf. 

Die  bis  jetzt  behandelten  Phänomene  beziehen  sich  auf  solche  Erdbeben- 
erscheinungen, welche  unmittelbar  wahrgenommen  werden  können.  Ihnen 
schließen  sich  die  mikroseismischen  Elastizitätsschwingungen  des  Bodens  an, 
die  im  Innern  der  Erde  ihren  Ursprung  nehmen  und  also  zu  den  Erdbeben  ge- 
hören. 

Die  Bodenschwingungen,  die  von  einem  wenigstens  1000  km  entfernten 
Erdbebenherde  ausgehen  und  als  Fembeben  bezeichnet  werden,  sind  nur  an 
Seismometem  oder  Erdbebenmessern  nachweisbar.  Jede  von  einem  solchen 
Instrumente  gelieferte  Aufzeichnung  (Diagramm)  eines  Erdbebens  zerfällt  in 
eine  Reihe  von  Bewegungsgruppen  oider  Phasen,  welche  durch  kurze,  unregel- 
mäßige,  einige   Sekunden  andauernde   Pausen  voneinander  getrennt  sind. 


156  Erdbeben. 

F.  Omori  untenoheidet  d»bei  eine  Vontdrnng,  HMiptstornng  und  '. 

Diese  Bewegungen  sind  horizontal,  ee  existieren  aber  auch  VerUkalbewegungen 

bei  Fembeben  in  mehrem  Phasen. 

Die  Wellen  der  Vorstorung  werden  für  longitudinale  Sehwankungen 
halten,  welche  sich  durch  das  Innere  der  Erde  fortpflanzen,  und  diese  / 
ist  wohl  zweifellos  richtig.  Die  Wellen  der  Hauptstörung  sind  dagegen,  wie 
man  g^ubt,  transrersale  Oberflachenwdlen  (Neigungen)  ^eich  oder  fihnlifh 
den  Meereswellen,  wahrend  Omori  und  Schlüter  fßAvhai^  daß  es  sich  am  l^ans- 
lationsBchwingungen  der  Eidobeiflache  handle.  Die  Längen  der  Fembeben- 
wellen  sind  jwlenfalls  sehr  beträchtlich  und  betragen  50  bis  200  km,  so  dafi  sie 
also  durch  die  Bodenbeschaffenheit  nicht  beeinflußt  werden.  Im  aUgemeinen 
nimmt  mit  wachsendem  Abstände  des  Beobachtungsortes  eines  Fembebens 
vom  Epizentrum  die  Dauer  der  ganzen  Vorstorung  zu.  Die  von  einem  Epi- 
zentrum ausffehenden  Wellen  eines  Fembebens  können  einen  entfernten  Beiä»- 
aohtungspunkt,  von  dem  wir  annehmen  wollen,  daß  er  westlich  liegt,  nicht 
nur  auf  dem  nächsten  Wege  nach  Westen  erreichen,  sondern  auch,  indem  sie 
ostwärts  den  ganzen  Erdbsfi  umkreisen,  also  die  Antipoden  passieren.  F.  Omori 
hat  gefunden,  daß  im  Mittel  aus  mehrem  Fembeben  diese  Wdlen  eine  größte 
Amplitude  von  0.12  mm,  eine  durchschnittliche  Periode  von  20.4  Sekunden  und 
eine  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  von  3.7  im  in  der  Sekunde  beeitacn. 
Anderseits  können  die  Wellen,  nachdem  sie  die  Beobachtungastation  passiert 
haben,  weiterschreitend  den  Erdball  umkreisen  und  nochmals  diese  Beob- 
achtungsstation erreichen.  Auch  dieser  Fall  ist  beobachtet  worden,  nnd  Omori 
hat  gefunden,  daß  die  Amplitude  dieser  Welle  dann  außerordentlich  klein  ist, 
ihre  Periode  etwa  19.4  Sekunden,  und  ihre  Geschwindigkeit  3.4  km  pro  Sekunde 
beträfft.  Diese  Bestimmungen  sind  naturffemäß  sehr  unsicher,  jedenfalls  sind 
aber  die  Geschwindigkeiten  der  Wellen  in  beiden  Fällen  nicht  wesentlich  tqh- 
einander  verschieden. 

Außer  den  bis  jetzt  besprochenen  mikroseismischen  Bodenbewegnngen 
gibt  es  noch  andere,  deren  Entstehungsursache  wahrscheinlich  außerhalb  des 
Erdballes  liegt.  Zu  ihnen  gehören  die  elastischen  Schwingungen  der  Erdrinde, 
welche  E.  Rudolph  mit  dem  Namen  mikroseismische  Unruhe  belegt  hat.  Sie 
zerfallen  in  Pulsationen,  wenn  sie  in  Periode  und  Schwingungsamplitnde  re«i- 
mäßig  auftreten,  und  in  pulsatorisohe  Oszillationen,  wenn  sie  in  diesen  ne- 
Ziehungen  unregelmäßig  sind.  Diese  letztem  sind  im  Winter  häufiger  nnd 
stärker  als  in  der  warmen  Jahreszeit,  auch  zeigen  sie  eine  täg^che  Periode  mit 
einem  Minimum  in  den  frühen  Morgenstunden  und  einem  MaTimnm  in  den  ersten 
Nachmittagsstunden.  Diese  tägliche  Periode  ist  im  Sommer  am  deutlichsten, 
im  Winter  am  wenigsten  klar  entwickelt.  Als  Ursache  der  pulaatoriaohen 
Oszillationen  nimmt  man  Bewegungen  in  der  Atmosphäre  an,  LuftdruckweHen 
und  Winde.  Es  ist  durch  die  Mobachtuns  an  sehr  empfindlichen  registrieren- 
den Seismometem  nachgewiesen,  daß  lebhafte  örtliche  Winde  den  Boden  in 
Hin-  und  Herschwingungen  versetzen,  die  unter  Umständen  s^bst  noch  in  26  m 
Tiefe  nicht  auf  Null  herabgebracht  sind.  Luftdruckänderungen  erzeugen  eine 
als  Pendelunruhe  bezeichnete  Bodenbewegung,  die  von  jener  des  Windes  völlig 
verschieden  ist.  Nach  Mazelle  zeigt  dieselbe  in  Triest  eine  jährliche  Periode 
mit  einem  Maximum  zwischen  0  und  10  Uhr  morgens  und  einem  MiwimiiTn 
zwischen  9  und  10  Uhr  abends. 

Die  Pulsationen  zeigen  sich  in  den  vom  Seismometer  verzeichneten  Kurven 
in  Gestalt  von  feinen  Zahnungen  der  Linien.  Auch  beim  Auftreten  noßerer 
seismischer  Störungen  behalten  die  Pulsationen  ungestört  ihren  Verlauf. 
Zeitlich  treten  sie  ohne  bestimmte  Regelmäßigkeit  auf;  wenn  sie  wahrnehmbar 
sind,  haben  sie  besonders  nach  Mittemacht  ein  Mazlmum,  gehen  aber  tagsüber 
zurück.  Über  die  Ursache  derselben  weiß  man  nichts  Sicheres.  Ehlert  g^ubt 
an  einen  Zusammenhang  derselben  mit  der  Mondstellung. 

Die  Zerlegung  der  Seismometerkurven  durch  Anwendung  eines  mathe- 
matisohen  Verfahrens,  welches  unter  dem  Namen  der  hamonisohen  Analyse 


Erdbeben.  I57 

l>ekaimt  ist»  hat  sohließlioh  noch  auf  das  Vorhandensein  von  langsamen,  perio- 
dischen Bewegungen  der  Erdoberfläche  geführt,  die  man  Lotschwankungen 
nennt  und  bildlich  mit  dem  rhythmischen  Heben  und  Senken  der  atmenden 
Brust  vergleichen  kann,  mit  dem  Unterschiede  jedoch,  daß  gleichzeitig  mehrere 
solcher  Atmungsvorgange  erfolgen,  die  verschieden  sind  an  Zeitdauer  und  Starke. 
„Diese  sogenannten  „brad3rseismischen"  Bewegungen  bestehen  in  Niveau- 
verschiebungen, durch  welche  langsame  „Abweichungen  der  Lotlinie"  hervor- 
eemfen  weisen;  sie  lassen  sich  trennen  in  Bewegungen  von  der  Periode  des 
Sonnentages,  femer  in  solche  von  der  Periode  des  Mondtages,  und  zwar  ganz- 
tagige  und  halbtägige,  sowie  schließlich  in  „Nullpunktsbeweffungen".  Charak- 
tenstisch  für  alle  cUeee  Bewegungsgiuppen  ist,  daß  sie,  weü  nicht  ausElastizitäts- 
sohwingunsen  bestehend,  niemals  die  Pendel  des  Seismometers  in  Schwingungen 
versetMn. 

Solche  kleine  Lotschwankungen  sind  wohl  zuerst  1863  von  d*Abbadie 
bemerkt  worden.  Die  normale  Straßbuiger  Seismometerkurve  zeifft  fast  stets 
eine  flache  WeUe  mit  einer  dem  Sonnentage  entsprechenden  Periode  und  einer 
bis  zu  5  mm  anwachsenden  Amplitude.  „DSis  west-östlich  gerichtete  Pendel  steht 
etwa  um  7  Uhr  morgens  am  weitesten  nach  Süden  von  der  Ruhelage  abgelenkt, 
abends  gegen  6  Uhr  am  weitesten  nach  Norden;  nach  dem  Winter  zu  tritt  eine 
Verspätung  des  Eintrittes  der  nördlichsten  Lage  deutlich  hervor,  während  die 
Sndiage  im  allgemeinen  gleich  bleibt. 

IXe  Ursadne  dieser  Sonnentagperiode  ist  noch  unbekannt.  Dagegen  gibt 
es  zwei  Lotschwankungen,  von  denen  die  eine  die  Periode  eines  ganzen,  die 
andere  die  eines  halben  Mondtages  umfaßt.  Die  halbtägige  Mondwelle  ent- 
springt offenbar  den  Gezeiten  des  festen  Erdballes,  der  sich  &r  Mondanziehung 
gegenüber  wie  ein  elastischer  Köiper  verhält,  und  wahrscheinlich  hat  auch  die 

finztägige  Welle  den  nämlichen  Ursprung.  Nach  der  Berechnung  von  Bebeur- 
aschwite  ergibt  sich  infolge  des  Einflusses  der  Mondanziehung  für  den  Boden 
von  Straßburg  eine  mittlere  senkrechte  Fluterhebung  von  22.3  em,  deren  jedes- 
maliger Eintritt  dem  höchsten,  bzw.  tiefsten  Stande  des  Mondes  um  2  Stunden 
9  Minuten  vorangeht.  Doch  bemerkt  er,  daß  nicht  allein  Mond  und  Sonne  das 
Pendel  anziehen,  sondern  auch  das  Meer  durch  den  Ortswechsel  seiner  Wasser- 
massen einesteils  Anziehungswirkungen  verursacht,  andemteils  der  Festlands- 
kruste kleine  Formänderungen  erteUt,  was  alles  sich  schwer  zahlenmäßig  be- 
rechnen lasse. 

Zuletzt  ist  noch  einer  Bewegungsart  zu  gedenken,  welche  den  Namen  NuU- 
punktsbewegung  führt.  Hierhin  gehören  jene  großen  und  lange  dauernden 
Bewegungen,  die  veranlassen,  daß  nach  Verlauf  nicht  zu  langer  Zeiträume  die 
Registriervorrichtungen  der  Seismographen  in  ihrer  Aufstellung  verändert 
werden  müssen,  weil  der  Pendelarm  (oder  der  dessen  Lage  markierende  Licht- 
punkt) seitwärts  den  Papierstreifen  mit  der  Skala  verläßt  Die  Ursache  dieser 
Bewegungen  sucht  Ehlert  in  Formveränderungen  (Aufwölbungen)  der  Erd- 
oberfläche infolge  der  Temperaturschwankungen;  v.  Rebeur-Paschwitz  sucht 
sie  in  Einwirkungen  des  Luftdruckes,  und  letztere  Meinung  wird  durch  neuere 
Untersuchungen  gestützt.  Sieberg  faßt  seine  Ansicht  über  die  Entstehungs- 
ursaohen  der  NuUpunktsbewegungen  dahin  zusammen,  daß  sie  das  Ergebnis 
reeller  Bodenbewegungen  sind,  wenn  auch  nicht  geleugnet  werden  könne,  daß 
künstliche  Störungen  und  Beeinflussungen  der  Seismometer  analoge  Bewe- 
gungen des  Pendels  zu  verursachen  vermögen.  Häufig,  wenn  nicht  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle,  werden  sie  durch  die  Druc^nterschiede  der  Atmosphäre  hervor- 
fterufen;  daneben  können  aber  auch  noch  Wärmeschwankungen  als  Urheber  in 
Betracht  kommen.  Welchem  von  beiden  Faktoren,  und  in  welchem  Maße  im 
jeweiligen  FaUe  das  Übergewicht  zukommt,  entscheide  die  Bodenbeschaffenheit 
der  nächsten  und  auch  der  weitem  Umgebung  des  betreffenden  Ortes. 

Große  Erdbeben  und  Schwankungen  der  Erdachse.    Seit  etwa 
zwei  Jahrzehnten  ist  durch  die  Beobachtungen  nachgewiesen  worden, 


168  Erdbeben. 

dafi  die  DrehnngBachse  der  Erde  im  Innern  derselben  kei 
wie  man  früher  glaubte,   unverrückbar  feetüegt,  sondern   kleii 
Schwankungen  unterworfen  ist.    Diese  Verschiebungen  sind  gex 
denn  sie  betragen  nur  wenige  Meter,  um  welche  die  Endpunkte 
momentanen  Drehungsachse,  also  die  Pole,  auf  der  Eidoberflachfi 
sich  in  spiralförmigen  Bahnen  um  eine  gewisse  mittlere  Lage  be^r^get 
Vom  Januar  1889  bis  Mitte  1890  ist  damen  Sprechend  der  Nord] 
um  etwa  20  m  seitwärts  gerückt,    dann  haben  die  Schwankung 
wahrend  des   nächsten  Jahrr^hnte^  abgenommen    und    sind    jet 
wieder  in  Zunahme.     ^^^  ^^  Ursachen  dieser  Polsch wrankungi_ 
sind  die  Akten  der  Untersuchung  noch  nicht  geschlossen,  waiirschein- 
lieh  spielen  MsMenverschiebungen  im  Innern  und  an  der  Oberfläelie 
der  Erde  dabei  die  Hauptrolle.     Der  berühmte  Erdbebenforacher 
Professor  J.  Milne  hat  nun  gefunden,  daß  eine  Wechselbezieium^ 
zwischen  der  Größe  der  Polschwankungen  und  der  Anzahl  starker, 
weit  verbreiteter  Erdbeben  stattfindet,  derart,  daß  in  den  Jahrea 
mit  zahlreichen  Erdbeben  von  großer  Ausdehnung  die  Polschwan- 
kungen beträchtlicher  sind  als  in  Jahren  mit  geringer  Erdbeben- 
tätigkeit.     Die  Untersuchungen  Professor  Milnes  bezogen  sich  auf 
die  Jahre  1895  bis  1898,  also  auf  einen  recht  kurzen  Zeitraum,  und  ea 
schien    sehr    wünschenswert,    dieselben    weiter    auszudehnen    und 
schärfer  zu  fassen.     Diese  Arbeit  hat  A.  Cancani  in  Rom  unter- 
nommen und  alle  Beobachtungen  bis  zum  Jahre  1902  berücksichtigt. 
Von  der  richtigen  Ansicht  ausgehend,  daß  nur  solche  Eidbeben 
hierbei  Berücksichtigung  finden  sollten,  die  einen  großen  Teil  der 
Oberfläche  unseres  Planeten  in  Mitleidenschaft  zogen,  hat  er  die- 
jenigen  ausgesucht,  die  wenigstens  in  vier  Weltteilen  und  gleich- 
zeitig an  entgegengesetzten  Punkten  (auf  Antipodenstationen)  be- 
merkt worden  sind.    Erdbeben  dieser  Art  sind  in  den  Jahren  1899 
bis  1902  durchschnittlich  24  jährlich  eingetreten,  und  auch  in  dieser 
Zusammenstellung  bestätigt  sich,  daß  die  kleinste  Abweichung  des 
Poles  mit  der  geringsten  Anzahl  der  Erdbeben  zusammenfiel  (im 
Jahre  1900),  die  stärkste  dagegen  mit  der  größten  Zahl  von  Erd- 
beben (1902).    Es  ist  klar,  daß  auch  jetzt  noch  der  in  Betracht  ge- 
zogene Zeitraum  zu  kurz  ist,  um  endgültig  in  der  Frage  entscheiden 
zu  können,  aber  immerhin  ist  der  Parallelismus  der  Häufigkeit  beider 
Erscheinungen  so  augenfällig,  daß  man  an  eine  gegenseitige  Be- 
ziehung derselben  zueinander  denken  muß.     Auch  hegt  es  nahe, 
anzunehmen,  daß  Vorgänge  im  Innern  unseres  Planeten,  durch  welche 
die  ganze  Erdoberfläche  in  Schwingungen  versetzt  wird,  auch  Schwan- 
kungen in  der  Lage  der  momentanen  Drehungsachse  der  Erde  hervor- 
rufen dürften. 

Die  Jüngsten  Erdbebenereignisse  am  Ätna  behandelte  S.  Aroidia- 
cono.     Im^)  Jahre  1903  sind  sehr  viele  Beben  aufgetreten,  einige 

^)  BoUettino  deU'  Aooad.  Givenia  di  so.  nat.  Oatama.     Des.  1903. 


Erdbeben.  I59 

^  von  diesen  waren  ziemlich  stark,  andere  so  stark,  daß  nicht  nur  das 

!^  ganze   Bergmassiv  des  Ätna  erschüttert  wurde,  sondern  auch  das 

j    umliegende   Landgebiet.     Nach  dem  großen  Eruptionsparozysmus 

^   des  Jahres  1892,  welcher  durch  sechs  Monate  dauerte,  vom  Juli  bis 

^    Dezember,  und  nach  den  vielen  Beben  im  Jahre  1893,  durch  welche 

^    die  Bewohner  der  Umgebung  des  Ätna  auf  eine  harte  Probe  gestellt 

•    wurden,  trat  der  Vulkan  sowohl  in  bezug  auf  die  Bodenruhe  als  auch 

.    in  bezug  auf  die  vulkanischen  Äußerungen  wieder  langsam  in  den 

gewöhnlichen  Zustand  der  gemäßigten  Tätigkeit.     Die  vulkanische 

^.    Tätigkeit  hat  mit  der  Zeit  immer  mehr  abgenommen,  und  schheßUch 

ist  eine  vollkommene  Buhe  eingetreten.     Im  Jahre  1903  war  nun 

^    eine  ausnehmend  starke  seismische  als  auch  eruptive  Tätigkeit  zu 

verzeichnen,  was  die  Annahme  mancher  Vulkanologen  zu  bestätigen 

^     scheint,  daß  einer  verminderten  vulkanischen  Tätigkeit  oder  gar  der 

Ruhe  des  Vulkanes  eine  erhöhte  seismische  Tätigkeit  entspricht  und 

umgekehrt.    Es  könnten  also  die  Kraterschlünde  eines  Vulkanes  als 

Sicherheitsventile  aufgefaßt  werden,  durch  welche  die  Spannungen 

der  Eingeweide  des  Vulkanes  entlastet  werden,  so  daß  das  Gebiet  in 

der  Umgebung  des  Vulkanes  dann  von  Erdbeben  nicht  heimgesucht 

wird.     Soeben  sind  elf  Jahre  verflossen  seit  der  großen  Eruption  des 

Vulkanes  (1892),  welche  ebenso  wie  jene  der  Jahre  1886  und  1883 

auf  demselben  radial  verlaufenden  Spalte  sich  abgespielt  hat.  Um  zur 

nächsten  großen  Eruption  zurückzugelangen,  die  der  Stärke  nach 

mit  jener  vom  Jahre  1892  verghchen  werden  könnte,  so  müßte  man 

^       um  27  Jahre  zurückgreifen,  das  ist  in  das  Jahr  1865.    Wir  können  mit 

ziemlicher  Wahrscheinhchkeit  sagen,  daß  uns  doch  ein  langer  Zeit- 

:       abschnitt  der  Vulkanruhe  von  dem  nächsten  starken  Paroxysmus 

trennt.     Immerhin  bleibt  es  nicht  ausgeschlossen,  daß  in  nächster 

,       Zeit  eine  jener  sekundären,   vulkanischen  Entladungen  am  Ätna 

auftritt,  die,  wenn  sie  auch  keinen  besonders  großen  Schaden  zufügt, 

uns  doch  daran  erinnert,  daß  der  Ätna  nicht  schläft,  sondern  uns 

ernstlich  daran  mahnt,  daß  in  den  Eingeweiden  des  Vulkanes  eine 

seineir  Eruptionen  vorbereitet  wird.    Um  recht  deutUch  die  wieder 

erwachte  geod3mamische  Tätigkeit  des  Jahres   1903  des  Ätna  zu 

zeigen,  will  der  Verfasser  eine  Statistik  aller  fühlbaren  Erdbeben, 

die  vom  Jahre  1893  bis  zum  Jahre  1904  ausschließhch  am  Ätna  sich 

ereignet  haben,  aufstellen,  wobei  der  Verfasser,  um  die  Seismizität 

eines  jeden  Jahres  am  anschauhchsten  auszudrücken,  aus  der  Anzahl 

der  Stöße  und  mittlem  Stärke  (letztere  nach  MercaUis  Stärkeskala) 

die  Produkte  berechnet. 


Jahre 

Zahl  der 

Mittlere 

An  Kahl 

Srdbeben 

Starke 

X  St&rke 

1893 

53 

4 

212 

1894 

31 

4 

124 

1896 

9 

3 

27 

1896 

12 

4 

48 

1897 

4 

4 

16 

160  Erdbeben. 


Jahre 


Zahl  der   Mittlere  AnuU 
Erdbeben    Stiftrke  x  StIIrke 


1898 

11 

4 

44 

1899 

10 

4 

40 

1900 

11 

4 

44 

1901 

8 

5 

40 

1902 

14 

4 

66 

1903 

38 

4 

162 

Die  Tabelle  führt  zu  folgenden  Ergebnissen:  Die  seismische 
Tätigkeit  hat  nach  der  Eruption  vom  Jahre  1892  bis  zum  «Jahie 
1897  immer  mehr  abgenommen,  dann  bUeb  sie  fast  unverändert 
schwach  bis  zum  Jahre  1902,  wo  sie  wieder  erwachte,  und  im  JTahre 
1903  ist  am  Ätna  mehr  als  eine  dreimal  so  starke  seismische  Tätig- 
keit aufgetreten,  als  in  den  vorangehenden  Jahren. 

Ober  das  Erdbeben  von   Sehemaeha,   am  18.  Februar  1902, 

teilt  die  Horizontalpendelstation  zu  Tiflis  genaues  mit.  ^)  Schon 
im  Laufe  einer  Woche  vor  der  eigentlichen  Katastrophe  woitlen 
in  Schemacha  öfters  unbedeutende  Erdstöße  gespürt.  Am  13.  Februar 
war  ein  stärkerer  Stoß  um  8h,  ein  anderer  um  11h  fahlbar,  da- 
zwischen folgten  hintereinander  eine  ganze  Reihe  schwächerer 
Stöße. 

Der  eigentUohe  verheerende  Hauptstoß  erfolgte  am  13.  Februar 
um  12h  34m;  er  machte  den  Eindruck  eines  vertikalen.  Dim  folgte 
eine  fortwährende  Reihe  mehr  oder  weniger  starker  Stöße,  die 
den  vorgenommenen  Rettungs-  und  Ausgrabungsarbeiten  sehr 
hinderhch  waren;  besonders  fühlbar  erschien  der  Stoß  um  19h  24^. 

Durch  dieses  Beben  ist  die  Stadt  vollkommen  zerstört  worden, 
namentUch  der  mittlere,  niedrighegende  Teil  der  Stadt,  dess^i 
Bauten  meist  aus  Rohziegeln  und  mit  Lehm  zusammengefügtem 
Genäle  bestehen  und  auch  einem  weniger  starken  Beben  keinen 
großen  Widerstand  hätten  bieten  können.  Im  allgemeinen  haben 
aber  Wände,  deren  Richtung  E — ^W  ist,  weniger  geUtten,  als  die- 
jenigen, deren  Richtung  N — S;  die  meisten  Gegenstände  fielen 
nach  W.  Die  Kuppel  der  Kirche  war  auch  nach  W  umgekippt 
und  lag  auf  dem  Eürchenschiffe  mit  dem  ELreuze  nach  W  gewandt 
Am  wenigsten  haben  Holzhäuser  geUtten.  Im  Weichbüde  der 
Stadt  hat  sich  ein  Erdriß  gebildet  in  der  Richtung  E — W,  dessen 
Länge  etwa  1  Werst  und  Breite  10  cm  beträgt.  Unweit  davon  ist 
ein  Felsen  abgestürzt. 

In  der  Umgegend  von  Schemacha  hat  das  Erdbeben  nicht 
weniger  verheerend  gewirkt.  Es  werden  arge  Verwüstungen  aas 
Achsu,  Scharadilskaja,  Ssagiany  usw.  gemeldet;  im  ganzen  sind 
etwa  30  Dörfer  vollkonmien  zerstört.  Die  Zerstörung  dehnt  sich 
am  weitesten  in  der  Richtung  E — W  bis  46  Werst,  in  der  Richtung 
N — S  aber  nicht  mehr  als  20  Werst  aus. 

1)  Monatsbericht  der  HoTiz-.Pend.-Stat.  am  Phys.  Obs.  zu  Tiflis  Nr.  2. 


Erdbeben.  161 

Es  folgen  im  Originale  die  Nachrichten  aus  verschiedenen  Orten, 
^y^o  das  Beben  verspürt  wurde.  Die  wesentlichsten  Daten  sind 
'wörtlich  wiedergegeben,  müssen  jedoch  mit  einer  gewissen  Vorsicht 
aufgenommen  werden.  Die  Zeitangaben  sind  in  manchen  Fällen 
aehr  fehlerhaft.  Die  Angaben  der  Stärkegrade  waren  auch  oft  im 
Widerspruche  mit  den  wörtlichen  Berichten  über  die  Wirkung 
cles  Bebens.  In  Anbetracht  der  primitiven  Bauart  der  Stein- 
gebäude dürfte  der  Stärkegrad  in  vielen  Fällen  zu  hoch  angenommen 
-worden  sein. 

Auf  einer  Karte  sind  die  meisten  Orte,  an  denen  das  Erd- 
beben bemerkt  wurde,  durch  Beifügung  von  Pfeilen  gekennzeichnet, 
-welche  die  Richtung  aus  der  die  Stöße  kamen,  bezeichnen.  Die 
Stärke  derselben  ist  nach  der  Skala  Rosse-Forel  durch  die 
lateinischen  Ziffern  I  bis  X  ausgedrückt. 

Das  Erdbeben  vom  26.  November  1902  am  Böhmischen  Pfahl 
ist  von  J.  Knett  studiert  worden,  i)  und  Dr.  Binder  gibt  2)  von  dieser 
Arbeit  folgende,  das  Hauptsächhche  umfassende  Übersicht.    Dasselbe 
fand  statt  1902  am  2ß.  November,  2^/4  Uhr  nachmittags.     Auf 
Grund  der  eingelaufenen  Berichte  aus  Prag  und  München  (denn  ein 
Teil  der  Schütterzone  hegt  jenseits  der  Grenze,  in  Bayern)  stellt  der 
Yerfasser  zunächst  fest  ein  Vorbeben,  dann  Hauptbeben  und  Nach- 
beben —  begrenzt  das  Gebiet  heftigster  Erschütterung  (VI.  Stärke- 
grad) ab  eine  länghche  schmale  Ellipse,  deren  Längsachse  senkrecht 
auf  den  mächtigen,  seinerzeit  von  Hauer  als  Böhmischer  Pfahl  ge- 
kennzeichneten Quarzgang  die  Orte  Neustadtl  bei  Heid  in  Böhmen 
und  Neuhammer  in  Bayern  verbindet,  —  dann  das  Gebiet  kräftiger 
Erschütterung  (V.   Grad)  und  endhch  das  Gebiet  schwacher  Er- 
schütterung, welche  beiden  letztem  einer  bedeutenden  Ausweitung 
dieser  EUipse  nach  dem  Süden,  einer  geringen  nach  dem  Norden 
gleichkommen,  wie  sich  dies  auch  in  den  beiden  beigegebenen  farbigen 
Kärtchen  gut  ersehen  läßt.     Vier  isolierte  Beobachtungspunkte: 
Asch,  im  Fichtelgebirge,  Neudek,  Pürstein  im  Erzgebirge  zeigen, 
daß  sich  dieses  Beben  durch  das  unter  den  Tertiärablagerungen  der 
Braunkohlengebiete  hegende   Grundgebirge  hindurch  fortgepflanzt 
haben  muß.     Das  gesamte  Schüttergebiet,  dessen  Mittelpunkt  bei 
Pfraumberg  zu  suchen   ist,   weist  also  einen  eUiptisch-eiförmigen 
Grundriß  von  4750  qkm  auf  und  breitet  sich   zu  beiden  Seiten  des 
Böhmischen  Pfahles  aus,  der  sich,  eines  der  größten  Denkmäler 
linearer  Dislokationen  in  unserm  Weltteile,  von  Fürth  bis  Tachau  in 
der  Länge  von  60  km  erstreckt.    Dieser  Pfahl  bedeutet  einen  ehemals 
tiefreichenden  Spaltenriß,  der  durch  die  Auflagerung  des  Homblende- 


^)  Mitteil,  der  Erdbebenkommiasion  d.  k.  k.  Akad.  d.  Wiaa.  Wien.  Neue 
Folge  18. 

*)  Erdbebenwarte  1904.  8.  p.  242. 
Klein,  Jahrbuch  XV.  11 


162  Erdbeben. 

schiefeiB  «tuf  ^ten  Gneia  voigezeiobn^t  wv-    I^a^  Schütteig&bie^.  ver- 
breitet; sich  sfüDÜbneoht  auf  die  Streichung  des  Pfahles  imd  aetet  aiah 
daher  aus  herzyxuacher  Gneisformation,  AmphiboUt  der  Glinucnai^ 
schieferfonnation,    Urtonschiefer   und   deren   sugehörigea    Ghraoit' 
einlagenu^n  zusamm^i.    Im  letzten  Teile  erklärt  der  Vei&saer  das 
Erdbeben  als  Folge  eines  in  der  Tiefe  sich  fortsetaenden  Spalten- 
reißens.    Dieses  bewirkt  an  der  Oberfläche  einen  senkrecht  hiersa 
gestellten  stärksten  Anschlag  von  länglich  ogivaler  Gestalt;    der 
primäre  Stoß  ist  ein  Transversalbeben.     Die  nächsten  Isoaeisten 
(Linien  der  Begrenzung  des  Bebengebietes  zweiter  und  dritter  Stai^) 
weisen  schon  eine  Begrenzung  durch  das  herzynische  Gebiigpstiieticheii 
auf,  so  daß  sie  nach  Süden  und  Westen  tief  ausbiegt.    Die  L&ng^achae 
dieser  Zone  ist  südnördhch  gerichtet,  während  im  Norden  die  mäch- 
tigen Gebirgsmassen  mit  erzgebirgischem  Streichen  den  BebenweUen 
entgegenwirken  und  ihre  Verbreitung  aufhalten.     Es  zerstiebt  und 
verwischt  sich  dort  förmlich  die  ganze  Erscheinung  bis  auf  jene  ver- 
einzelte Stellen  im  Erzgebirge,  welche  weit  außerhalb  der  zusammen- 
hängenden Zonenlinie  hegen. 

Die  Erbeben  Bayerns  im  Jahre  1908  sind   von  Dr.  J.  Beindl 

behandelt  worden.  ^)    Nach  seinen  Zusammenstellungen  fanden  in 
den  verschiedensten  Teilen  desselben  folgende  Krustenbewegungen 
statt:     Am  8.  Januar  wurden  starke  Erdstöße  im  Fichtelgebirge 
wahrgenonmien,  am  22.  Januar  solche  im  Röslautale.    Am  25.  und 
26.  Januar  fand  ein  heftiges  Beben  in  der  Pfalz  statt,  am  5.  und 
6.  März  ein  solches  im  Erz-  und  Fichtelgebirge  und  im  angrenzenden 
Böhmerwalde.     Heftige   Krustenbewegungen   vollzogen  sich   dann 
femer  am  22.  März  wiederholt  in  der  Rheinpfalz,  desgleichen  solche 
dortselbst   am    8.  April.     In  Partenkirchen  wurden  am  15.  April 
um  6^  Uhr  abends  zwei  leichte  Erdstöße  verspürt,  am  23.  April 
um  9%  Uhr  vormittags  solche  entlang  der  bayrisch-vogtländiachen 
Grenze.    In  Selb  erschreckten  am  27.  April  Bodenbewegimgen  die 
dortigen  Bewohner;  am  30.  Mai  ähnliche  Erdstöße  die  Bewohner 
im  obem  Saaletale.     Am  21.  Juh  fand  in  Hagenbach  (Pfalz)  und 
Umgebung  um  6  Uhr  58  Minuten  früh  ein  Erdbeben  statt,  das 
die  Richtung  von  Nord  nach  Süd  verfolgte  und  sich  in  zwei  hef- 
tigen Stößen  äußerte,  wobei  Fenster  kUrrten,  Möbel  schwankten,  und 
Kinder  zu  Boden  fielen.   Der  6.  August  sah  wieder  Bodenerzitterungen 
entlang  der  bayrisch- vogtländischen  Grenze,  der  11.  August  unter- 
irdische Einstürze  im  altvulkanischen  Ries.     Am   11.   September 
zwischen  4  und  5  Uhr  nachmittags  fanden  Erdstöße  in  Waldmünchen 
statt,  die  jedesmal  von  nur  sekundärer  Dauer  wcuren.     Dortselbst 
wurden   fünf   Erschütterungen   verspürt,    drei   stärkere   und  zwei 
schwächere.    Die  erstere  stärkere  wurde  etwa  um  3^  Uhr,  die  zweite 

^)  Gaea  1904.  p.  613. 


Erdbeben.  ^53 

^  ziemlich  genau  5  Minuten  vor,  die  dritte  6  Minuten  nach  4'/^  Uhr  be- 

f  merkt.    Es  waren  wellenförmige,  schwankende  Bewegungen   gleich 

^  dem  Schaukeln  eines  Schiffes.    Die  Dauer  der  einzelnen  Stöße  l^trug 

\^  1  bis  3  Sekunden.    Der  zweite  Stoß  war  der  stärkste,  wobei  die  ge- 

*  schlossenen  Fenster  „ein  polterndes  Geräusch"  ergaben.  Am  2.,  3. 
*  und  6.  Oktober  wurde  wieder  das  Fichtelgebirge  von  Erdbeben  heim- 

^-  gesucht,  am  7.  November  der  Böhmerwald.    Am  25.  November  um 

^  6  Uhr  morgens  zeigten  sich  Bodenbewegungen  entlang  der  ganzen 

*  oberfrankisch- vogtlandischen  Grenze,  am  14.  Dezember  um  11  Uhr 
•^  25  Min.  Erdstöße  an  der  Südgrenze  Bayerns,  die  namentlich  im  Wall- 
^  gau  und  bei  Jenbach  am  Achensee  sehr  deutlich  wahrgenommen 

*  wurden.  Endlich  fand  am  15.  Dezember  ein  deutliches  Erdbeben 
I'  im  Rhöngebirge  zwischen  Brückenau  und  Vacha  statt. 

*  Die  Zahl  der  Erdstöße  betrug  in  Bayern  im  genannten  Jahre  94. 

^  Vergleicht  man  die  Erdbeben  untereinander  nach  den  Tages- 

zeiten, an  denen  sie  stattfanden,  so  zeigt  sich,  daß  in  höchst  auffälliger 
Weise  die  weitaus  größte  Mehrzahl  aUer  Stöße,  bei  welchen  die  I^it 
ihres  Eintrittes  angegeben  werden  konnte,  in  der  Nacht  oder  doch 
am  frühen  Morgen  und  spaten  Abende  sich  ereigneten.  Diese  Tat- 
sache erklärt  sich  einfach  dadurch,  daß  die  verhältnismäßig  schwachen 
Erschütterungen,  mit  denen  wir  es  in  Bayern  fast  ausschließlich  zu 
tun  haben,  nur  dann  auffallen,  wenn  die  Aufmerksamkeit  nicht  durch 
den  Lärm  und  die  Geschäfte  des  Tages  in  Anspruch  genommen  ist. 
Hinsichtlich  der  jahreszeithchen  Verteilung  dieser  Beben  kann  gesagt 
werden,  daß  die  Sommer-  und  Herbstmonate  wohl  die  bebenärmsten 
Zeiten  waren. 

Die  von  Erdbeben  am  meisten  betroffenen  Grebiete  sind  das 
Fichtelgebirge  mit  Böhmerwald  und  die  Südostpfalz,  femer  das  alt- 
vulkanische Ries  und  das  Alpenland  im  Süden. 

Ober  das  Erdbeben  am  4.  April  1904  teilt  die  kaiserUche  Haupt- 
station für  Erdbebenforschung  in  Straßburg  i.  E.  mit:  Das  Erdbeben, 
das  am  4.  April  gegen  11  Uhr  vormittags  die  Länder  an  der  untern 
Donau  heimsuchte,  hat  nach  den  bisher  bei  der  kaiaerUchen  Haupt- 
station für  Erdbebenforschung  eingelaufenen  Nachrichten  zu  urteilen, 
eine  ganz  bedeutende  Ausdehnung  gehabt.  Der  Ausgangspunkt 
scheint  in  dem  Bilo-  und  Rhodopegebirge  an  der  Grenze  von  Bul- 
garien, Ostrumelien  und  Mazedonien  gewesen  zu  sein,  von  welchen 
in  letzter  Zeit  schon  mehrfach  starke  Erdbeben  gemeldet  worden  sind, 
wenigstens  haben  die  Ortschaften  um  das  Rilokloster,  wie  es  heißt, 
großem  Schaden  erlitten.  Von  diesem  Epizentrum  aus  strahlten  die 
Bewegungen  nach  Nordosten  und  Nordwesten  aus,  durchsetzten  den 
Balkim  und  erschütterten  die  ganze  rumänische  Ebene.  In  Bukarest 
wurden  zwei  ziemlich  starke  Erdstöße  verspürt.  Viel  stärker  hat 
sich  die  Erschütterung  in  nordwestlicher  Richtung  fortgepflanzt. 
In  Vranja  an  der  Südgrenze  Serbiens  sind  mehrere  Häuser  eingestürzt 

11* 


164  Erdbeben. 

und  Peraonen  verletzt  worden.  Die  Senke  des  Tales  von  Ucmi 
leitete  die  Bewegung  nach  Norden  fort;  aus  allen  großem  Ortschaftes 
des  Morava-  und  Nischavatales  liegen  Nachrichten  über  Erdstöfie 
vor.  Selbst  über  Belgrad  hinaus  sind  noch  mitten  in  der  ungarischeB 
Tiefebene  Stöße  wahrgenommen  worden.  Die  Zahl  der  Erdstöfie 
wird  yerschieden  angegeben.  In  Bukarest  sind  zwei  Stöße  veispüit 
in  Sofia  drei»  ebensoviel  in  Belgrad,  in  Bekes-Osaba  (Ungarn)  wieder 
nur  zwei.  Ebenso  schwanken  die  Angaben  über  den  Zeitpunkt  des 
Auftretens  der  Erdstöfie.  Besser  als  die  Beobachter  an  Ort  und  Stelle 
geben  uns  die  seismischen  Apparate  hierüber  Auskunft.  Alle  Instni- 
mente  der  kaiserUchen  Hauptstation  haben  um  die  angegebene  2d 
Störungen  registriert  und  dabei  zum  Teil  ganz  außerordentlich  grolle 
Ausschlage  gehabt,  wie  sie  nur  selten  vorkommen.  An  dem  astafa- 
sehen  Pendelseismometer  von  Wiechert  war  die  Bewegung  sogar  so 
stark,  daß  die  Schreibstifte  von  der  Registrierwalze  abgeworfen 
wurden.  Von  allen  Apparaten  sind  in  gleicher  Weise  im  ganzen  vier 
Störungen  aufgezeichnet  worden.  Die  beiden  ersten  weisen  dk 
größten  AmpUtuden  auf  und  sind  von  fast  gleicher  Intensität.  Di^ 
erste  Störung  setzt  11  Uhr  6  Minuten  33  Sekunden  ein.  Nach  Ver- 
lauf von  1  Minute  beginnt  um  11  Uhr  6  Minuten  36  Sekunden  die 
Hauptphase,  und  an  diese  schließen  sich  die  charakteristischen  langes 
und  flachen  Wellen,  welche  das  Ende  einer  jeden  seismischen  Störung 
bilden  und  bei  Fembeben  oft  stundenlang  andauern.  Um  11  U^ 
29  Minuten  5  Sekunden  werden  diese  Wellen  durch  die  zweite  Stor^ 
unterbrochen,  deren  Hauptphase  um  11  Uhr  30  Minuten  1  Sekun* 
anfängt.  Die  fast  bis  auf  die  Sekunde  gleichlange  Dauer  der  ersten 
Phase  bei  beiden  Störungen  ist  der  beste  Beweis  dafür,  daß  die  £i°' 
bebenwellen  aus  demselben  seismischen  Herde  stammen  und  auf  dem 
gleichen  Wege  zur  Beobachtungsstation  gelangt  sind.  Bemerkens- 
wert ist,  daß  bei  der  zweiten  Störung  auch  die  vertikale  Komponente 
registriert  wurde,  und  zwar  weist  diese  eine  ganz  bedeutende  Ampb* 
tude  der  Bewegung  auf.  Die  beiden  letzten  Störungen  sind  im  V^' 
hältnisse  zu  den  vorhergehenden  als  minimal  zu  bezeichnen,  sowobl 
hinsichtlich  ihrer  AmpUtude  wie  der  Dauer.  Die  dritte  in  der  B^^ 
der  Störungen  beginnt  12  Uhr  14  Minuten  22  Sekunden  und  endet 
schon  nach  2  Minuten.  Das  vierte  und  letzte  Seismogramm  ist  etwss 
größer  und  fängt  13  Uhr  54  Minuten  20  Sekunden  an,  erreicht  flöß 
Ende  aber  auch  schon  nach  5  Minuten.  Rechnen  wir  für  die  Fort^ 
Pflanzung  der  Erdbebenwellen  vom  seismischen  Zentrum  bis  nac 
Straßburg  etwa  2^/,  Minuten,  so  ergibt  sich  daraus  die  Zeit  dee  Bebens 
im  Rilogebirge.  Wir  sehen  femer,  daß  es  im  ganzen  vier  Erdstotfe 
gewesen  sind,  welche  in  der  Zeit  von  11  Uhr  vormittags  bis  2  ünr 
nachmittags  im  Schüttergebiete  erfolgten.  Von  diesen  sind  in  Bu^' 
rest  und  Csaba  nur  zwei,  wohl  die  beiden  ersten,  von  Personen  geßW 
worden,  weil  diese  Punkte  in  größerer  Entfernung  vom  Epizentru^ 
liegen.    Die  drei  Erdstöße,  von  denen  in  den  Meldungen  aus  Sofia  und 


Erdbeben. 


165 


Belgrad  die  Rede  ist,  haben  die  Störung  1,  2  und  4  unserer  seismischen 
Apparate  veranlaßt,  denn  in  der  Mitteilui^  aus  Belgrad  heißt  es,  daß 
an  einzelnen  Orten  sich  das  Erdbeben  nach  1  Uhr  nachmittags  wieder- 
holte. Das  Beben,  welchem  die  Störung  3  entspricht,  wird  wegen 
seiner  geringen  Intensität  unbemerkt  geblieben  sein.  Genauere 
Daten  können  erst  gegeben  werden,  wenn  Beobachtungen  auch  von 
andern,  zwisohenliegenden  Stationen  vorUegen. 

Die  Brdbeben  von  Konstantinopel  bildeten  den  Gegenstand  einer 
sorgfältigen  Studie  von  Johannes  Duck,  i)  Dieselbe  umfaßt  zu- 
nächst eine  möglichst  erschöpfende  statistische  Zusammenstellung 
aller  über  diese  Beben  vorhandenen  Nachrichten.  Verf.  hat  die- 
selben aus  dem  von  ihm  zusanmiengebrachten  Kataloge  auch  in  eine 
Tabelle  zusammengetragen.  Die  dabei  unterschiedenen  Zeitab- 
schnitte sind  folgende: 

1.  Von  333  bis  1453,  also  von  der  Gründung  der  Stadt  durch 
Konstantin  bis  zu  deren  Eroberung  durch  die  Türken  unter  Sultan 
Mohanuned  U.;  hier  sind  die  Quellen  mit  wenigen  Ausnahmen 
griechische  Schriftsteller. 

2.  1464  bis  1699,  eine  ziemlich  erdbebenarme  Zeit,  welche  aber 
dafür  das  größte  aller  bekannten  Beben  (1609)  enthalt. 

3.  1700  bis  1799,  viele,  aber  geringere  Beben;  die  Quellen^sind 
sehr  oft  nur  Zeitungsberichte. 

4.  1800  bis  1890,  genaue  Angaben,  die  im  allgemeinen  den 
modernen  Anforderungen  entsprechen,  besonders  bei  Fuchs,  Sta- 
tistik usw. 

5.  Das  große  Beben  vom  10.  Juli  1894  und  den  folgenden  Tagen. 


Jahn 

Tftff« 

B«b«al.  GndM 

Ton    88S  bis  1458 

49 

476 

8  (448,  478,  566,  668, 
740,  866, 975, 1296) 

>     1464     »     1699 

18 

46 

1  (1609) 

»     1700     »     1799 

21 

126 

1  (1719) 

»     1800     >     1890 

26 

82 

— 

10.  JuU  1894 

1 

11 

1 

Von    833  bis  1894 

110 

740 

11 

Die  Beben  I.  Grades,  sagt  Verf.,  sind  uns  wohl  alle  vollzählig 
überUefert,  denn  diese  haben  sich  zu  allen  Zeiten,  auch  unter  den 
phlegmatischen  Türken,  Beachtung  erzwungen.  Sie  liefern  uns  natür- 
lich auch  das  meiste  und  wichtigste  Material.  Die  dritte  Rubrik 
darf  also  ziemliche  Genauigkeit  beanspruchen.    Aus  ihr  geht  hervor. 


1)  Erdbebenwarte  1904.  S.  p.  177. 


U^  BrdbelMii. 

^ißA  'lifiBaiai^Wfj^  durghachnittUch  alle  400  Jahre  dreimal  von  dam 
Bl^t^^bebeipüiui^üok  in  großem  Maßstäbe  heungesucht  wird. 

Ber  QauptiieQ  der  Berichte  beeteht  zaeisteuB  ia  mehr  oder  wenig» 
täieirfoiebeiien  Schüderungen  der  Folgen  und  auch  da  noeist  nur  über 
die  verheerenden  Wirkungen  an  Menschen  und  Menachenwerk.  Ke 
geopl^flikalifichen  Fragrai  sind  oft  gar  nioht,  oft  nur  mangelhaft  ia 
den  Quellen  beantwortet;  erat  gegen  Ende  dea  19.  Jahrhundscts 
finden  wir  genauere  Angaben,  doch  aind  auch  die  hier  und  da  m- 
geatveujben  Beobachtungen  früherer  Zeit  immerhin  von  Wert  nod 
huwen  una^  z.  B*  bazugUch  der  Stoßrichtung,  brauchbare  Schlüae 
ziehen»  Von  gao^  beaonderer  Wichtigkeit,  eben  infolgie  seiner  aUün 
ziemlich  auaführlich  gehaltenen  Beobachtungen,  ist  aJk>er  das  letzte 
große  Beben  zu  Konatantinopel  vom  10.  Juli  1894  und  den  folgenden 
Ta«eli. 

Verf.  geht  deshalb  genauer  auf  dasselbe  ein,  obgleich  dieses  schoa 
mehrfache  Bearbeitungen  früher  gefunden  hat.  Er  kommt  zu  folgen- 
dem Ergebnisse:  „Das  Erdbeben  von  Konstantinopel  vom  10.  JuK 
1894  hat  weder  eine  ausschließlich  tektoniaohe,  noch  eine  aussoUidi* 
lieh  vulkanische  Ursache.  Es  ist  vielmehr  am  richtigslien,  es  uatec 
jtae  Gruppe  von  Brdbeben  einzureihen,  die  (nach  Günther)  die 
Zwischenform  mit  vulkanisch-tektoniacher  Ursache  bildet.  Aber 
auch  der  vulkanische  Anteil  ist  zum  geringsten  Betrage  als  echt  vul- 
kanisch zu  bezeichnen,  sondern  mehr  als  PBeudovulkanismus.  Wasser 
für  die  magmatische  Esse,  um  die  hochgespannten  Gase  zu  ent- 
wickeln, ist  ja  genug  vorhanden,  diE^  d&s  ganze  Sohüttergebiet  am 
oder  im  Meere  liegt.  Wie  beide  Arten  von  Ursachen  susamm^- 
gewirkt  haben,  um  die  Katastrophe  herbeizuführen,  laßt  aich  aller- 
dings nicht  genau  angeben.  Höchatwahrscheinlich  haben  wir  uns  den 
Vorgang  dabei  so  zu  denken,  daß  wir  dem  Vulkanismus  mehr  eine 
vorbereitende  Unterminierarbeit  zuschreiben  und  das  Beben, 
wie  es  sich  auf  der  Erdoberflache  zeigte,  seinem  nächsten  Grande 
nach  als  tektonisch  betrachten;  doch  müssen  auch  hierbei,  wenigstens 
an  einzelnen  Stellen,  vulkanische  Faktoren  mitgewirkt  haben.'* 

Duck  macht  femer  auf  folgendes  bezüglich  der  Erdbeben  von  Konstan- 
tinopel  aufmerksam.  „Ein  Veigleich  der  stärksten  Beben,'*  safft  er,  „mit  der 
Reihe  der  Aufeinanderfolge  übemaupt  zeigt  sofort,  daß  diese  Beben  regelxoAA'g 
nach  gröBem  Ruhepausen  am  st&rksten  waren.  Ist  eine  längere  Periode  von 
Erdstößen  und  Erdbeben  über  die  Stadt  hereingebrochen,  so  bleibt  deren  Wirk- 
samkeit weit  hinter  denen  zurück,  die  nach  oft  jahrhundertelanger  Ruhe  sai- 
traten,  während  deren  die  Bewohner  vielleicht  in  der  größten  Mehrzahl  gtf 
nicht  mehr  an  dieses  sohzeckliohe  Naturereigois  dachten.  Bs  kommt  mitunter 
voTt.daß  ach  diese  großen  Beben  nach  Umger  Pause  kurz  vorher  in  anem  Stofle 
oder  mehrem  kleinem  Stößen  anmeldeten;  das  tat  aber  der  Betrachtung  der 
Tatsache  keinen  Eintrag.  Die  wichtigsten  und  auffallendsten  dieser  Bq^' 
pausen  sind  folgende: 

1.  677  bis  740 ;  letzteres  Jahr  hat  ein  Beben  erster  Ordnungza  verzeiohaeD« 
mit  einem  kleinen  Vorläufer  732 ;  vielleicht  kann  man  sogar  von  581  ab  lechnea, 
da,  wie  oben  ausgeführt,  das  Beben  von  677  nicht  genügend  veibüigt  enobeint- 


Erdböb«ii.  167 

2.  865  biB  976;  aiich  hier  h&ben  wir  wiedet  ein  Beben  allerersteii  Aanges 
^Ua    ScUiiBpunkt  der  Ruhepause. 

3.  1082  bis  1296;  hier  ist  sogar  eine  Pause  von  über  200  Jahren;  dafür 
'Wird  a1>er  auch  das  Beben  von  129ä  als  ^yiiwrv  /»ifHirog*^  oezeichhet. 

4.  13S3  bis  1609;  dieses  gewaltige  Natajreteignis  hat  2Wi6i  kleine  Vorläufer, 
1607  und  1608 ;  an  Furchtbarkeit  wini  es  von  keinem  andern  übertroffen. 

5.  1802  bis  1894;  hier  tritt  allerdings  das  Auffallendje  etwas  zurüde,  weil 
bei  der  genauer  gewordenen  Berichterstattung  auch  alle  kleinem  Beben  und 
8tö0e  überliefert  worden  sind;  doch  kann  man  von  1802  bis  1894  von  Erd- 
beben voti  einiger  Bedeutung  nicht  sprechen.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
hAt  also  Konstantinopel  für  die  nächsteh  Jahre,  vielleicht  J&hrzehnt^  kein 
ST^fiereB  Beben  mehr  zu  erwarten  oder  zu  befürchten. 

Aus  der  Beobachtung  dieser  bisher  stattgehabten  Ruhepausen  glaubt  Verf. 

aber   wichtige  Schlüsse  auf  die  Ursache  der  Erdbeben  von  Konstantinopel 

ziehen  zn  können.    „Wenn  nämlich  die  Erdoberfläche  in  größere  Spannung 

gerat,   dadurch,  daß  infolge  der  permanenten  Wärmeausstrahlung  das  Erd- 

▼olumen  sich  verkleitiert»  so  geht  daraus  folgendes  hervor:  Gegenden  det  Erde, 

die,  wie  Konstantinopel,  eine  für  Dislokationen  mehr  günstige  geologische  Be- 

achaffenheit  haben,  werden  in  bezug  auf  ihre  Oberfläche  auch  mit  in  eine  immer 

fftoßer  werdende  Spannung  kommen ;  eine  sewisse  Zeitlang  werden  nun  die  bis- 

hearigen  Lagen  den  Spannungen  Widerstand  leisten  können ;  in  dem  Zeitpunkte 

aber,  wo  die  Spannung  größer  als  der  geleistete  Widerstand  wird,  tritt  eine 

IMslokation  und  damit  ein  Erdbeben  ein.    Je  größer  nun  die  Zeit  ist,  wahrend 

,      deren  sich  die  Erde  abkühlt,  je  kleiner  deshalb  ihr  Volumen,  und  je  srößer  die 

Oberfläohenspannung  wird,  desto  umfangreicher  und  stärker  wird  die  Dis- 

lokatäon«  desto  stärker  das  Erdbeben  sein.    Hat  sich  dadurch  die  Spannung 

wieder   auf  Null  verrinsert,   so  bleibt  die  Gegend  von  Erdbeben  verschon^ 

\      bis  wieder  jener  Zeitpunkt  eintritt;  je  früher  er  nun  eintritt,  desto  geringer  die 

j       iMslokation  und  umgekehrt.    Daher  die  Wahrnehmung,  daß  bisher  die  stärksten 

Beben  immer  am  Ende  der  größten  Buhepausen  stattfanden.'* 
^  Allein  auch  noch  einen  andern  wichtigen  Schluß  glaubt  Verf.  daraus  tiehen 

i      zn  können.    „Wenn  wir  näfflhch  tkaä  verschiedenen  Anzeichen  auch  Faktoren 
)       vulkanischer  Natur  nicht  ganz  ausschließen  dürfen,  so  paßt  dies  such  für  unsere 
^       Beobachtung.    Wenn  ein  Magmanest  imd  einsickerndes  Wasser  die  Ursache 
von  Dämpfen  sind,  welche  ihrerseits  natürlich  wieder  eine  Spannung  für  den 
^       I*all,   daß  kein  Austrittsventil   vorhanden  ist,  bedingen,   so  ist  wieder  ohne 
I        weiteres  klar,  daß  die  Spannung  dieser  Dämpfe  um  so  höher  ist,  je  länger  die 
)        Zeit  ist,  während  deren  die  Dampfbildung  vor  sich  geht.    Wir  hätten  dann 
eine  doppelte  Spannung,  die  aus  tektonischen  Ursachen  und  die  von  der  Dampf- 
bildung nerrührende,  welche  gemeinsam  wirken  und  die  Dislokation  in  dem 
i        mehrmalfi   erwähnten  Zeitpumrte  veranlassen  müssen.    Es  mag  wohl    sein, 
daß  dabei  der  weitaus  größere  Anteil  auf  die  tektonisohe  Ursache  fäDt,  aber 
vielleicht  ist  gerade  das  Mitwirken  der  Dampfspannung  neben  der  geologischen 
'        Beschaffenheit  schuld,  daß  die  Dislokation  gerade  hier  und  nicht  irgend  wo  anders 
[        eintritt.    Mit  dieser  Hypothese  wollen  wir  noch  eine  weitere  Beobachtung  ver- 
*        binden.     Wo  uns  nämtich  die  Stoßrichtung  überliefert  ist  oder  erschkmseh 
^        werden  kann,  herraoht  <£e  Richtung  Nord-Süd  weitaus  vor.    Abweichungen 
nach  Ost  oder  West  kommen  ja  vor,  doch  ist  Nord- Süd  die  Hauptrichtiing. 
'         Die  diesbezüglichen  Beobachtungen  sind:407:  NW-SO;  1762:  NO-SW;  1770: 
N-S;  1719:  NW-SO;  1803:  N-S;  1829:  NO-SW;  1838:  N-S;  1866:  N-S;  1894: 
I         NO-SW.     Dazu  kommen  allerdings  noch  zwei  genau  entgeeetigesetzie  An- 
'         pben,  nämlich  1706:  S-N  und  1811:  S-N;  allein  abgesehen  davon,  daß  viel- 
'         leicht  irriffe  Auffassung  oder  Berichterstattung  vorliegen  kann,  ist  diese  Tat- 
sache doc£  nicht  so  störend,  als  wenn  die  Stoßrichtung  0-W  oder  W-0  wäre. 
Ich  glaube,  eins  wenigstens  aus  dieser  auffallenden  Übereinstimmung  der  Stoß- 
<  richtungen  folgern  zu  dikfen,  daß  nämlich  ein  und  dieselbe  Ursache  bei  allen 

Erdbeben  von  Konstantinopel  wirksam  war.'* 


168  Erdbeben. 

Die  Erdbeben  in  Japan.    Omori,  Direktor  des  meteoroIogiBcäiai 

Observatoriums  in  Tokyo,  hat  hierüber  in  einer  japamschen  Zeit- 
schrift eine  interessante  Studie  veröffentlicht.  Aus  derselben  tedt 
M.  Kutschera  ( Yokohama)  in  den  Mitteilungen  der  k.  k.  geogr.  GeaA 
Schaft  in  Wien  ^)  folgendes  mit: 

Im  Jahre  1856  wurden  zuerst  seitens  der  Regierung  Vorkehrungea 
getroffen,  um  Nachrichten  aus  allen  Teilen  des  Landes  über  see- 
mologische  Beobachtungen  zu  sammeln,  womit  die  veiBchiedeneD 
DistrÜLts-  und  Gemeindeamter  betraut  wurden.  Ende  1901  gab  ee 
1600  solcher  Beobachtungsstationen.  Aus  den  auf  diesem  Wege  ge- 
sammelten Berichten  ergab  sich,  daß  in  den  13  Jahren  bis  1897 
in  Japan  nicht  weniger  als  17  750  Erdbeben  vorkamen,  was  ein  jahr- 
liches Mittel  von  1365  ergibt.  Das  Minimum  war  472  im  Jahre  1886, 
während  im  Jahre  1894  ein  Maximum  von  2729  erreicht  n^mde. 
Diese  Ziffern  geben  nur  die  Erdbeben  an,  welche  ohne  Zuhilfenahme 
von  Instrumenten  direkt  wahrgenonmien  werden  konnten,  während 
natürhch  die  Anzahl  vielfach  größer  wäre,  wenn  die  von  empfind- 
lichen Apparaten  angezeigten  mitgezählt  würden.  So  zeigen  z.  B. 
die  feinen  Instrumente  des  Observatoriums  in  Tokyo  jährlich  um 
600  Beben  mehr  an  als  die  gewöhnUchen  Seismographen. 

Ajizahl  der  starkem  Erdbeben.     Authentische  und  daher  ver- 
läßUche    Aufzeichnungen    über    bedeutendere    Erderschütterongm 
reichen  bis  in  die  Zeit  des  fünften  Jahres  der  Regierung  des  Kaisers 
Inkyo  (416  n.  Chr.)  zurück.    Von  dieser  Zeit  bis  zum  Jahre  1898,  das 
ist  durch  einen  Zeitraum  von  1482  Jahren,  kamen  in  Japan  223 
schwere  Erdbeben  vor,  die  mehr  oder  minder  Schaden  an  Leben  und 
Eigentum  anrichteten  oder  die  Konfiguration  des  Landes  veränderten. 
Die  Aufzeichnungen  aus  der  Zeit  vor  dem  Beginne  der  Tokngawa- 
regentschaft  (des  Shogunates)  sind  natürhch  infolge  der  damals  noch 
recht  mangelhaften  Kommunikationen  sehr  unvollständig.     IHese 
Unvollkommenheit  wurde  durch  das  Shogmate  behoben  und  wurden 
während  einer  Periode  von  299  Jahren  (bis  1898)  in  Japan  108  Erd- 
beben von  mehr  oder  minder  unheilvollem  Charakter  aufgezeichnet 
Mit  andern  Worten:  es  kam  (im  Mittel)  alle  zweieinhalb  Jahre  solch 
eine  besonders  heftige  Erderschütterung  vor.    Teilt  man  diese  Eid- 
beben in  lokale  und  allgemeine,  wobei  unter  erstem  solche  verstanden 
werden  sollen,  die  nicht  über  den  Bereich  einer  Provinz  hinauareichen, 
während  die  letztem  jene  sind,  die  sich  über  zwei  und  mehr  Provinzen 
erstrecken,  so  hatte  Japan  in  dieser  Periode  149  lokale  und  74  all- 
gemeine Erdbeben. 

Wird  Japan  durch  den  Bogen  eines  Kreises,  dessen  Zentrum  in 
der  Japansee  hegt,  in  zwei  Zonen  geteilt,  so  kommen  in  den  innerhalb 
des  Bogens,  also  an  der  Japansee  Hegenden  Distrikten  mehr  lokale 
Beben  vor,  während  in  den  außerhalb  an  der  pazifischen  Küste  ge- 

L.      *)  Bd.  46.  Np.  9  u.  10. 


Erdbeben.  169 

legenen  Provinzen  die  allgemeinen  Erdbeben  häufiger  auftreten,  die 
daxin  auch  nicht  selten  von  unheilvollen  Flutwellen  begleitet  sind. 

Das  Auftreten  dieser  Flutwellen  wird  damit  erklärt,  daß  die  au 
der  pazifischen  Küste  vorkommenden  Erdbeben  von  einem  im 
Meeresgründe  liegenden  Zentrum  ausgehen.  So  kamen  beispiels- 
"weise  von  den  26  schweren  Erdbeben,  welche  von  Flutwellen  begleitet 
"waren,  während  der  letzten  drei  Jahrhunderte  23  an  der  pazifischen 
Küste  und  nur  3  an  der  Japansee  vor. 

Die  erwähnten  223  schweren  Erdbeben  wiesen  naturgemäß  große 
Verschiedenheit  an  Intensität  auf,  und  verzeichnet  der  genannte  Autor 
zehn  der  schwersten,  von  denen  sieben  von  Flutwellen  begleitet  waren. 
Er  gibt  folgende  Daten  an: 

1.  Im  Jahre  684  am  26.  November  ein  starkes  Erdbeben,  welches 
aich  über  Shikoku,  die  am  Golfe  von  Ise  gelegenen  Provinzen,  dann 
Tatomi,  Sunga  und  Isu  erstreckte. 

2.  Am  20.  September  1498  ein  Beben,  welches  18  Provinzen  in 
Kinai,  Tokaido  und  Tosando  erschütterte. 

3.  Am  18.  Januar  1586  ein  Erdbeben,  16  Provinzen  in  Kinai, 
Tokaido  und  Hokuriku  umfassend. 

4.  Am  31.  Januar  1606  in  Kyushu,  Shikoku  und  Tokaido. 

5.  Am  16.  Juni  1662  in  Kinai,  Hokuriku  und  San-in. 

6.  Am  28.  Oktober  1707  ein  sehr  schweres  Erdbeben,  dessen  Ära 
fast  das  ganze  Hauptland,  mit  Ausnahme  des  nordwestlichen  Teiles, 
dann  Shikoku  und  Teile  von  Kyushu  umfaßte. 

7.  Am  7.  Juli  1864  heftige  Erschütterung  in  13  Provinzen 
in  Kinai  und  Tokaido,  dann  Tamba,  Harima  und  Echigo. 

8.  Am  23.  Dezember  1864  Erdbeben  in  16  Provinzen  in 
Tokaido. 

9.  Am  24.  Dezember  1864  große  Erderschütterung  mit  einer  Aus- 
dehnung über  32  Provinzen  in  Kyushu,  Shikoku,  Kinai,  Sanyo-do 
und  San-in-do. 

10.  Am  28.  Oktober  1801  Beben  in  elf  Provinzen  in  Tokaido 
und  Kinai. 

Wie  sich  aus  dieser  Zusammenstellung  ergibt,  sind  die  Distrikte 
in  Kinai,  das  ist  um  Kyoto  und  dann  jene  des  Tokaido  am  meisten  den 
heftigem  Erdbeben  mit  großer  Ausdehnung  unterworfen.  Besonders 
ungünstig  sind  in  dieser  Beziehung  die  zwei  Provinzen  von  Musashi 
und  Sagami  daran,  welche,  an  der  oben  beschriebenen  Grenze  der 
Zonen  der  lokalen  und  der  allgemeinen  Erdbeben  hegend,  von  beiden 
Gattungen  heimgesucht  werden  und  außerdem  oft  selbst  der  Herd 
lokaler  Erdbeben  sind.  Daher  die  ungewöhnliche  Häufigkeit  seismo- 
logischer  Störungen  an  diesen  beiden  Orten. 

Anderseits  sind  Kozuke,  Hida,  Tajima  und  noch  zwei  oder  drei 
Provinzen  in  Mitteljapan  von  dieser  Kalamität  nahezu  frei  zu  nennen. 

Erdbeben  in  Tokyo.  Wenn  auch  Tokyo  wegen  der  Häufigkeit 
von  Erdbeben  bekannt  ist,  so  kommen  dort  doch  weniger  vor  als  in 


170  RrdMben. 

I 

•inigeii  «Ddom  Punkten  Japans.  Wahrend  der  im  Jahre  1901  endi- 
genden  20- jahrigen  Periode  der  Beobachtungen  kamen  2485  Ktdbeba 
▼or,  wobei  natürlich  jene  Fälle  anageschloflsen  sind,  die  nur  mü 
empfindlichen  Instrumenten  beobachtet  wurdmi.  Daa  Jahresmittd 
stellt  sich  demnach  auf  96.  Die  Erfahrung  lehrt,  dafi  Tokyo  im  all- 
gemeinen mehr  Erdbeben  während  des  Sommers  und  Herbstes  hat 
als  im  l^^ter  oder  Frühlinge.  Ebenso  zeigt  sich  besu^ch  der  Tsgee- 
zeit,  daß  in  den  Stunden  von  9  bis  10  Uhr  morgens,  sowie  von  10  bii 
11  Uhr  abends  mehr  Erdbeben  auftreten,  und  die  Minima  auf  die 
Zeiten  von  2  bis  3  Uhr  morgens  und  3  bis  4  Uhr  abends  fallen.  Dieie 
Eigentümlichkeit  kann  augenscheinlich  dem  Unterschiede  des  Luft- 
druckes zugeschrieben  werden,  da  in  Tokyo  der  höchste  Barometer- 
stand (der  täglichen  Schwankung)  um  9  Uhr  vormittags  und  9  und 
10  Uhr  abends  verzeichnet  wird,  während  die  Minima  auf  3  Gbr 
morgens  und  3  Uhr  nachmittags  fallen. 

Wählend  der  letzten  60  Jahre  seit  dem  heftigen  EZtdbebeii  der 
Anseiperiode  (1854)  kamen  in  Tokyo  zwei  schwere  ErderschüttenmgeD 
vor,  und  zwar  in  den  Jahren  1884  und  1894.  Einige  Fälle  von  Tötun- 
gen und  Verwundungen,  sowie  Zerstörungen  von  Gebäuden  kamen 
bei  letzterm,  welches  das  heftigere  war,  vor,  doch  waren  die  an  I^b 
und  Leben  verursachten  Schäden  durch  die  stürzenden  Baulichkeitoi, 
also  nicht  direkt  durch  das  Erdbeben  selbst  verursacht. 

Seismometrische  Be^kaelitfiBgeB  über  Japanisehe  Fembeben  IM 
Ms  1897.  E.  Rudolph  hat  hierüber  eine  Untersuchung  veröffent- 
licht, 1)  welche  den  ersten  Abschnitt  des  zweiten  Teiles  einer  großern 
Abhandlung  bildet,  von  welcher  der  erste  Teil  unter  dem  Titel  „Seis- 
mometrische Beobachtimgen,  Bearbeitung  der  von  1889  bis  1B97 
registrierten  seismischen  Störungen",  früher  erschienen  ist.  ■)  Un*er 
Zuziehung  der  Charkower  Beobachtungen  verfügt  Verf.  über  eine 
fast  lückenlose  Beobachtungsreihe  von  fünf  Jahren,  innerhalb  weicher 
Zeit  nicht  weniger  als  24  japanische  Erdbeben  auf  der  europäischen 
Femstation  registriert  wurden.  Folgende  Tabelle,  auf  S.  171,  ist  daa 
Verzeichnis  dieser  Erdbeben. 

Prof.  Rudolph  gibt  dann  eine  Besohreibtmg  der  meisten  Erd- 
beben, wobei  die  makroseismischen  Angaben  zuerst  erwähnt  werden. 
Dieselben  haben  nur  den  Zweck,  eine  Vorstellung  von  der  Verbreitung 
und  Intensität  des  Bebens  zu  geben,  sowie  die  Bestimmung  der  Ls^ 
des  Epizentrums  zu  ermöglichen.  Die  Beschreibung  der  mikroBeiBmi- 
echen  Störungen  beschränkt  sich  auf  die  Hervorhebung  der  ver- 
sehiedenen  Phasen,  welche  der  Berechnung  zugrunde  gelegt  worden 
sind.  Den  Schluß  bilden  zwei  Tabellen,  von  denen  die  erste  eine 
übersichtliche  Zusammenstellung  der  Zeitpunkte  für  die  verschiedeneü 

')  GeriandB  BBitrage  srar  GeopirfBik.  •.  p.  377. 
')  Gerlands  Beiträge  zur  GeopliTBik.  fi  p  94. 


ErdbebfBD. 


171 


!  Vhww-  an  den  einzelnen  Station^  gibt.  Die  zweite  enthält  die  da« 
nach  berechneten  Werte  der  Fortpflanznngsgegchwindjigkeit,  in  Kilo^ 
metem  pro  Sekunde  aju^gedrückt.  Für  die  Geschwindigkeit  der 
Wellen  der  ersten  Phase  (vx)  sind  zwei  Werte  berechnet,  je  nachdem 

4.  Verz.eichnis  der  japanischen  Fernbeben  in   den 
Jahren  1893—1897. 


ZeltdeeBebens 

• 

Ausgang»» 

J(r. 

Datum 

MOZ.  Tokyo. 

Epizentrum 

punkt 

1893 

h    m    B 

Nemuro 

1 

Juni  13. 

7  44  16  p. 

2 

AugiiBt  22. 
1894 

9  87  66  a. 

Tokyo 

8 

Februar  20. 

8  29     3  a. 

Tokyo 

4 

n        26. 

4  17  42  a. 

Hakodate 

5 

M&n  82. 

7  27  49  p. 

48  <»  NBr.     146  EI«. 

e 

Mai  10. 

4  11  89  a. 

Tokyo 

7 

OJLtober  7. 

8  80    8  p. 

19 

8 

„     22. 

6  36  81  p. 

Sakata 

9 

November  28. 
1895 

1     6  22  a. 

Tokyo 

10 

Januar  18. 

10  48  24,6  p. 

Ghöshi  (Musashi-Ebene) 

11 

Juni  24. 
1896 

1  47  57  p. 

Tokyo 

12 

Januar  9. 

10  17  16  p. 

Tokyo 

18 

Juni  15. 

7  84  14  p. 

Miyako 

14 

M      16. 

4  16  80  a. 

Tokyo 

15 

»     16. 

8     1  14  a. 

19 

16 

„     17. 

0  48  28  p. 

Miyako 

17 

August  81. 

4  42  11  p. 

89<^  SO*  NBr.   140«  18'  EI«. 

IS 

«       81. 

6    9  83  p. 

89«  30'    „       140<>  18'      „ 

19 

No?embei*18. 
1897 

11     8  19  a. 

Tokyo 

80 

Februar  7. 

4  88  83  p. 

39<^  20'  NBr.    144)0  ^y  s^g. 

81 

„        20. 

6  49  23  a. 

38«  14'     „        148  •  AT     „ 

22 

August  6. 

9  12  23  a. 

38*  16'     „        143«  16'     „ 

28 

„       16. 

4  53  33  p. 

S9^     6'     „        143*  40'     „ 

24 

Oktober  2. 

9  46  19  p. 

89*  10'    „        148®  26'    „ 

man  die  Fortpflanzung  der  Wellen  um  die  Erde  auf  dem  größten 
Kreise  zwischen  Epizentrum  und  Station  annimmt  oder  eine  solche 
auf  der  zugehörigen  Sehne  durch  das  Erdinnere.  Die  Langen  der 
beiden  Wege  sind  unterschieden  durch  d,  d.  i.  Distanz  auf  dem  größten 
Kreise,  und  s,  d.  i.  die  Länge  der  Sehne.  Außerdem  ist  die  Entfernung 
in  Bogengraden  angegeben.    Li  der  Methode  der  Berechnung  schließt 


172  Erdbeben. 

Prof.  Rudolph  sich  derjenigen  an,  welche  F.  Omori  ssuerst  verwendet 
hat.  ^)  Die  Zeiten  sind,  wenn  nicht  Ortszeit  besonders  bemerkt  ist, 
im  M.  E.  Z.  ausgedrückt;  die  Stunden  sind  von  Oh  =  Mittemadit 
bis  Mittemacht  gezählt.  Es  ist  freilich  nicht  immer  m^lich,  die 
Lage  des  Epizentrums,  wenn  dasselbe  nicht  auf  das  Festland  der  japa- 
nischen Inseln  fällt,  auch  nur  bis  auf  einige  Grade  genau  festzulegeo. 
In  diesem  Falle  ist  für  die  Berechnung  der  Fortpflanzungsgeschwindig- 
keit von  denjenigen  Daten  außgegangen,  welche  dem  SeismogramiDe 
der  dem  Epizentrum  am  nächsten  gelegenen  Station  entnommen 
werden  konnten.  Um  diese  Fälle  deutlich  hervorzuheben,  ist  in  der 
Überschrift  der  betreffenden  Tabellen  nicht  vom  Epizentrum  die 
Rede,  sondern  vom  Ausgangspunkte.  Als  solcher  ist  stets  eine  aas- 
mische  Beobachtungsstation  genannt.  Für  fün&ehn  von  den  im 
ganzen  24  Beben  ließ  sich  die  Lage  des  Epizentrums  mit  ziemlich 
großer  Genauigkeit  aus  dem  Verlaufe  der  Isoseisten  feststellen.  In 
diesen  Fällen  ist  die  Zeit  des  Bebens  im  Epizentrum  aus  dem  Anfangs 
der  Störung  auf  der  nächstgelegenen  Station  in  der  Weise  berechne 
daß  nach  dem  Vorgange  von  Omori  für  die  Fortpflanzung  der  eisten 
seismischen  Wellen  eine  Geschwindigkeit  von  3.3  km  in  der  Sekunde 
angenommen  ist.  Aller  WahrscheinUchkeit  nach  ist  aber  dieser  Weit 
zu  gering  und  wird  wohl  bis  auf  4  Ä;m  in  der  Sekunde  erhöht  werden 
müssen.  Omori  geht  nämlich  von  der  Ansicht  aus,  daß  die  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit der  Wellen  im  makroseismischen  Schütt^- 
gebiete  gleich  derjenigen  ist,  welche  den  Wellen  der  fünften  Phaae 
der  Fembeben  zukommt.  Hierbei  ist  die  unstreitig  richtige  Voraus- 
setzung gemacht,  daß  beide  Wellenarten  sich  in  den  obem  Schichtäi 
der  Erdrinde  verbreiten.  Neuere  Erfahrungen,  welche  sich  aus  dem 
Vergleiche  der  Aufzeichnungen  für  vogtländische  Erdbeben  in  Leipzig 
und  Straßburg  ergeben  haben,  machen  es  jedoch  unzweifelhaft,  dafl 
schon  für  Entfernungen  bis  etwa  360  km  vom  Epizentrum  die  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit fast  4  Arm  in  der  Sekunde  erreicht  und  fv 
größere  Entfernungen  bis  zu  400  km  sogar  etwas  über  4  km,  Ber 
größere  Wert  für  die  Geschwindigkeit  der  ersten  Wellen  ist  lediglich 
eine  Folge  der  Anwendung  von  Apparaten,  welche  wie  das  Pendei- 
seismometer  (System  Wiechert)  in  Leipzig  und  das  dreifache  Hc^- 
zontalpendel  (System  v.  Rebeur-Ehlert)  in  Straßburg  einen  un?e^ 
gleichhch  hohem  Orad  von  Empfindlichkeit  gegen  seismische  Störun- 
gen besitzen  als  die  Seismographen  von  Ewing  und  Gray-Milne,  welche 
bis  zum  Jahre  1897  in  Japan  allein  zur  Verwendung  kwien.  ^H  ^.  J 

Höhenänderungen  des  Bodens  infolge  des  Erdbebens  vom  28.  Ok- 
tober 1891  in  Japan.  Dieses  Erdbeben»  welches  die  alten  Provinzen 
Mino  und  Owari  in  Zentralnippon  verheerte,  war  eines  der  bedeutend- 

^)  Publications  of  the  Earthquake  Investigation  Committee  in  foreiga 
languages.  Nr.  6.  Tokyo  1901. 


Erdbeben.  173 

^,  sten  der  letzten  Jahrzehnte  und  hat  an  einzehien  Stellen  dauernde 
^  Veränderungen  der  Bodenlage  verursacht.  Letztere  sind  durch  Mes- 
I  sungen,  welche  das  geodätische  Bureau  des  japanischen  Generalstabes 
^  veranlaßte,  und  über  die  Sugiyama  der  geodätischen  Konferenz  zu 
Kopenhagen  berichtet  hat,  festgestellt  worden.  Nach  den  Aus- 
führungen von  E.  Hammer  ^)  traf  das  Epizentrum  nahezu  mit  einem 
wichtigen  Nivellementsknotenpunkte  zusammen  (Kano  bei  Oif u,  das 
die  Mitte  des  epizentralen  Gebietes  bildet,  liegt  nur  wenige  Kilometer 
westlich  oder  nordwesthch  davon  in  35°  24'  N.  und  136°  46'  ö.  Gr.); 
die  nachnivellierten  Linien  gehen  von  ihm  aus  in  vier  Richtungen, 
und  jede  dieser  Nivellementslinien  ist  über  Punkte  hinaus  nach- 
gemessen, an  denen  keine  Änderung  der  Höhen  gegen  die  frühem 
Zahlen  mehr  gefunden  wurde,  bis  zu  80  km  oder  darüber,  so  daß  es 
sich  um  ein  sehr  beträchthches  Gebiet  handelt.  Das  Ergebnis  ist, 
daß  in  einem  Gebiete  von  160  km  größter  Länge  (in  der  Richtung 
NNW — SSO)  jetzt  im  Vergleiche  mit  den  Nivellierungszahlen  vor 
dem  Erdbeben  1891  sehr  beträchüich  veränderte  Höhen  vorhanden 
^  sind.  Die  Änderungen  gehen  noch  in  20  bis  40  km  Entfernung  vom 
^  epizentralen  Gebiete  über  10  cm  hinaus ;  im  Maximum  sind  die  jetzigen 
^'  Höhen  um  77  cm  größer,  und  dieser  größten  Hebung  um  0.8  m  steht 
*  eine  größte  Senkung  von  0.4  m  gegenüber,  so  daß  hier  eine  mit  großer 
^'    Sicherheit  nachgewiesene  Veränderung  der  Höhen  mit  einer  AmpU- 

^     tude  von  mindestens  1.2  m  vorhanden  ist. 

's 

t 

i  Ober  die  Energie  großer  Erdbeben  hat  in  der  ungarischen  Aka- 

(     demie  der  Wissenschaften  Prof.  R.  v.  Kövesligethy  sehr  merkwürdige 
^     Untersuchungsergebnisse  vorgetragen.    Schon  vor  längerer  Zeit  war 
I     er  zur  Überzeugung  gekommen,  daß  infolge  der  im  Erdinnem  absor- 
I     bierten  Energie  gewisser  großer  Beben  dort  Massenumlagerungen 
f      verursacht  werden,  die  sich  in  den  Polhöhenschwankungen  zeigen, 
I     die  seit  einigen  Jahrzehnten  die  Astronomen  und  Geophysiker  so 
lebhaft  beschäftigen.    Auf  diese  Schlußfolgerung  ist  selbständig  auch 
I      der  berühmte  Erdbebenforscher  J.  Milne  gekommen,  der  aus  einer 
,      Zusammenstellung  der  Beobachtungen  in  den  Jahren  1896  bis  1898 
fand,  daß  mit  der  Zahl  der  großen,  sich  wenigstens  über  ganze  Kon- 
tinente erstreckenden  Erdbeben  auch  die  Schwankung  der  Polhöhe 
zu-  und  abnimmt.    Nach  den  Untersuchungen  von  Prof.  v.  Köves- 
ligethy ergibt  sich,  daß  bei  200  großen  Erdbeben  während  der  letzten 
acht  Jahre  die  durchschnittUche  Ausweichimg  des  Poles  0.07  Bogen- 
sekunde  beträgt.   Aus  diesem  Datum  berechnet  der  genannte  Forscher 
daß  die  von  den  großen  Beben  durchschnittUch  verrichtete  Arbeit  so 
groß  ist,  um  die  Erde  gegen  die  Schwerkraft  der  Oberfläche  um  1  bis 
2  mm  heben  zu  können.    Hiemach  würden  etwa  1000  große  Beben, 


^)  Petermamw  MitteiL  49.  p.  284. 


174  YttlkanlBmiii. 

fialto  flieh  deren  Arbeit  an  der  Oberflache  äußerte,  genügen,  üih  d« 
gesamte  Wasser  des  Ozeanes  aus  dw  Tiefe  bis  an  die  CNberflacbe  n 
heben. 

Vulkanismus. 

Die  Anordnmig  der  Vulkane  bildete  den  Gegenstand  einer  fite- 
rarischen  Studie  von  Wächter.  ^)    Die  zurzeit  bekannten  etwa  145 
t&tigen  Vulkane  liegen  gröfitenteils  in  gewisser  relativer  Nähe  da 
Meeres.    Den  daraus  früher  gemutmaßten  Zusammenhang  deiaelba 
mit  dem  Ozeane  hat  die  heutige  wissenschaftliche  Anschauung  uf* 
gegeben.    Man  denkt  die  Vulkane  aus  dem  durch  tangentiale  Knft- 
wirikung  eingeleiteten  Prozesse  der  Schrumpfung  und  Faltung  ^t- 
standen,  indem  sie  gewissermaßen  den  stehengebliebenen  Bruchnnd 
der  bei  dem  kontinentalen  Faitungsvorgange  tief  aufreißenden  Spalta 
repräsentieren,  während  der  andere  Spaltenrand,  der  radial  wirkenden 
Kraft  nachgebend,  in  die  Tiefe  fiel,  wobei  der  Ozean  nachstürzte  xai 
so  weit  landeinwärts  vordrang,  bis  ihn  der  wulstige,  a^ufgetriehem 
Rand  der  oft  wunderUch  geknickten  und  verworfenen  Kolossalspaltt 
daran  hinderte,  weitere  Landstrecken  der  Kontinente  zu  verschlucke 
Man  kann  heute  die  seismiBchen  Bewegungen  der  Erdkruste  einteiks 
in  vulkanische  Erdbeben,  Einsturzbeben  und  tektonische  oder  Dido- 
kationsbeben,  denen  sich  etwa  noch  die  sekundären  MitsohwebungB- 
beben  anschließen  lassen,  die  man  auch  Relaisbeben  genannt  hst 
Bezüglich  der  örtlichen  Verteilung  der  heutigen  vulkanischen  15% 
keit  kann  man  drei  charakteristische,  durchweg  meridional  t^- 
laufende  Vulkanreihen  feststellen,  und  außerdem  drei  vulkaniacii^ 
Querriegel,  die  den  von  Norden  nach  Süden  verlaufenden  Vulkan- 
reihen diametral  entgegenstehen.    Die  erste  Reihe  ist  eine  gewaltig)^ 
Längsspolte  oder  vielleicht  besser  ein  Spaltensystem,  dcis.  über  einen 
ehemaLgen  Kontinent  der  Tertiärzeit  an  Europas  und  AfrjlriiA  West* 
küste  entlang  ziehend,  wohl  das  Einstürzen  des  Atlantischen  Ozeanes 
veranlaßte.    Die  zweite  vulkanische  Meridionalreihe  setzt  auf  Kamt- 
schatka mit  einer  Anzahl  durchweg  von  Norden  nach  Süden  geord- 
neter, dauernd  vulkanisch  tätiger  Kegelberge  ein,  erstreckt  sich  dann 
über  die  vulkanischen  Kurilen  und  das  mit  aktiven  Vulkanen  aoi^ 
gestattete  Japan  hinweg  bis  zu  der  meist  aus  Trachyten  und  Basalten 
aufgebauten  Inselgruppe  der  Philippinen  und  endigt  auf  dem  gleich- 
falls fortgesetzt  tätige  Vulkane  tragenden  Gelebes,  um  danach  in  dem 
um  diese  vierte  der  Großen  Sundainseln  herumgruppierten,  auch  mit 
aktiven  Vulkanen  reich  bedachten  Komplexe  der  Eüeinen  Son(b- 
inseln  auf  den  ersten  mächtigen  vulkanischen  Querriegel  zu  stoßen, 
der  von  der  Nordwestspitze  Sumatras  aus  in  durchweg  östlicher  BAch- 
tung  mit  etwa  25  eminent  tätigen  Feuerbergen  bis  nach  Neuguinea 

1)  Zeitaohr.  f.  ges.  NatvrwiBs.  70.     Globus.  88.  p.  230. 


Vulkanismiu.  I75 

ich  erstreckt.  Die  dritte  meridionale  Vulkanreihe  bildet  eine  fast 
ron  Pol  zu  Pol  ziehende  Riesenkette  sowohl  erloschener  als  auch  noch 
batiger  Vulkane,  im  Mount  Elias  mit  60°  nördL  Br.  beginnend  und 
nit  dem  etwa  auf  dem  45.  "^  südl.  Br.  liegenden  patagonischMi 
T^ulkanriesen  Coreobado  endigend.  Diese  Reihe  wird  von  einem 
rnlkanischen  Querriegel  etwa  in  der  Mitte  ihrer  Ausdehnung  ge- 
roffen, welcher  noch  immer  einen  Hauptherd  intensiver  vulkanischer 
leaktion  bildet,  wie  ja  erst  die  jüngste  Vergangenheit  wieder  zeigte. 
>er  dritte  vulkanische  Querriegel  wird  von  der  Ungeheuern  Bruch- 
alte  gebildet,  welche  hcwte  etwa  den  Boden  des  Mittelmeeres,  des 
Schwarzen  Meeres,  des  Kaspi-  und  Aralsees  darstellt. 

Die  alten  vulkanischen  Phänomene  Im  Nördlinger  Bies.     Die 

iefe,  kesseiförmige  Einsenkiuig  in  der  Nähe  von  NÖrdlingen,  welche  das 
[eutsche  Juragebiige  in  zw^  Teile  trennt,  ist  längst  als  alte  vulkanische 
Bildung  erkannt  worden.  Der  nahezu  kreisförmige  Kessel  ist  scharf 
on  der  umgebenden  100  bis  150  m  höher  gelegenen  Fläche  des  Tafeljura  ge- 
chieden  und  bildet  insofern  ein  geologisches  Rätsel,  als  die  nähere  Art  und 
Veise  seiner  Entstehung  streitig  blieb.  Genauere  Untersuchungen  über  dieses 
^blem  und  überhaupt  über  die  vulkanischen  Phänomene  im  Nördlinger  Ries 
lat  W.  V.  Ejiebel  (Erlangen)  angestellt  und  jetzt  über  die  Resultate  seiner 
Torschungen  berichtet,  i) 

„In  keinem  der  zahlreichen  Gebiete  vulkanischer  Eruptionen,  sagt  er,  durch 
reiche  zu  tertiärer  Zeit  unser  deutscher  Boden  beunruhigt  wurde,  begegnen 
rir  so  eigenartigen  Spuren  ihrer  ehemaligen  Tätigkeit  als  im  vulkanischen  Ries 
ron  NÖrdlingen. 

In  dem  Kessel  selbst  und  ganz  besonders  an  seiner  Peripherie  ist  an  zahl- 
'eichen  Punkten  vulkanischer  Tuff  ausgeworfen  worden,  welcher  meistenteils 
rohl  die  Auswurfskanäle  selbst  erfüllt,  ebenso  wie  uns  dies  Branco  in  dem  be- 
lachbarten  Vulkangebiete  von  Urach  an  ca.  130  der  sogenannten  Vulkan- 
mbiyonen  Schwabens  kennen  lehrte.  Nirgends  im  Ries  ist  mir  eine  Stelle  be- 
annt,  wo  eine  Auflagerung  von  vulkanischem  Tuffe  auf  Nachbargestein  erfolgt 
rare.  Niemals  ist,  wie  es  scheint,  so  viel  ausgeworfen  worden,  daß  dies  hätte 
tattfinden  können.  Gerade  so  wie  auf  dem  ebenen  Boden  der  dem  Ries  so 
hnlichen,  wen^eich  zumeist  viel  großem  Mondkratere  andere,  verhältnis- 
oäßig  winzige  Krateröffnungen  vorhanden  sind,  welche  mit  der  Entstehung 
ler  erstem  nichts  zu  tun  haben  (denn  sie  sind  sekundäre  Bildungen),  —  gerade 
o  verhält  es  sich  mit  den  vulkanischen  Tuff eruptionen  im  Ries:  so  wichtig  sie 
ins  auch  erscheinen  mögen,  für  die  geologische  Entstehungsgeschichte  dieses 
Gebietes  bedeuten  sie  nichts  anderes  als  das  letzte  Ausklingen  einer  Reihe  schon 
Guige  zuvor  begonnener  ungleich  gewaltigerer  vulkanischer  Phänomene.  Diese 
Mferuptionen  im  Ries  sind  nicht  einmal  den  Vulkanembironen  Urachs  völlig 
;leichzustellen:  denn  hier  hat,  wie  Branco  dartat,  der  Vulkanismus  ohne  vor- 
lerige  Spalten  sich  den  Weg  durch  die  feste  Erdrinde,  gleichsam  wie  eine  Kugel 
Iura  ein  Blatt  Papier  hindurch,  geschlagen.  Anders  im  Ries;  hier  hat  es  einer 
Lerartigen  Kraftäußerung  nicht  bedurft,  denn  lange  zuvor  hatte  der  Vulkanis- 
aus  in  anderer  Weise  den  Boden  dazu  vorbereitet. 

Durch  vulkanischen  Auftrieb,  wie  Koken  sagt,  oder  durch  einen  in  die 
Refe  der  Erdrinde  sich  einpressenden  laccolithischen  Schmelzfluß,  wie  Bnmoo 
ind  Praas  meinen,  ist  ein  Pfropfen  von  nahezu  kreisförmigem  Querschnitte  — 
Ler  heutige  Rieekessel  —  hochgehoben  worden.    Ein  Berg  habe  sich  also  an 

1)  Z^tsohr.  d.  Dtooh.  geol.  Gesellflchaft  SS.  p.  236. 


176  Yulkmiiismiu. 

der  Stelle  des  heutigeii  Rieeee  auf  getürmt.  Von  den  H^en  dieees  Beiges  toL 
80  meiiien  Branoo  und  Fraae  weiter,  AbrutBchiingen  nach  allen  Seiten  erfolgi 
und  durch  eine  gewaltige  Ezploeion,  ähnlich  der  am  Bandai>San,  Kien  ät 
einem  Sdilase  ungeheuere  Schollen  auf  eine  Anzahl  von  Kilometern  besBeite  p- 
schoben  worden.  So  seien  die  eigenartigen  Überschiebungen  älterer  GesteiDe  td 
jüngere,  wie  bei  Hertsfeldhausen  und  am  Buchberge,  oder  jüngerer  GestaiB 
auf  viel  ältere,  durch  die  Denudation  bereits  freigelegt  gewesene  Sdiiekta 
entstanden. 

Solche  große  Explosionen  seien  es  auch  gewesen,  welche  die  oft  sdir  Btaib 
Zertrümmerung  der  Gesteine  hervorffebracht  haben.  Die  Felsenmassen  ni 
vielerorts  in  kleine  Bruchstücke  sersdimettert;  kidkhaltige  Wasser  habeoiii 
Fragmente  wieder  verkittet,  so  entstand  das  sogenannte  Grieegestein,  ein  Zcifi 
exp&siver,  vulkanischer  Tätigkeit.  Durch  Abrutschung  und  Explosioii  «s 
somit  das  Riesgebiet  zum  Teile  bis  auf  das  Uraestein  hinab  abgetragen  woida 
Später  aber  hat  es  sich  anscheinend  noch  gesenkt.  Ein  Kessel  entstand  an  deaa 
Stelle:  das  Ries.  In  diesem  sammelten  sich  die  Wasser,  einen  See  bildend,  üi 
dessen  Boden  sich  jüngere  Sedimente  niederschlugen.  Ihre  Höhenli^rai  sei^ 
an,  dafi  auch  in  nachtertiärer  Zeit  noch  Senkungen  erfolgt  sind.  Aber  M 
dieser  Senkungen  besteht  die  paradox  klingende  Tatsache:  geologisch gesprodtf 
ist  der  Rieskessel  ein  Berg. 

Denn  der  Boden  des  Rieskessels,  ja  sogar  die  meisten  der  Beige  in  iks 
bestehen  aus  Urgestein.  Dieses  liegt  nun  in  der  umgebenden  Alb  mehr  aU  ^a 
tief  unter  der  Decke  triassischer  und  jurassischer  Sedimente  verborgen.  Woa 
es  hier  in  dem  nur  ca.  100  bis  150  m  eingesenkten  Rieskessel  auf  weite  Stieeka 
hin  zutage  liegt,  so  ist  der  Boden  des  Rieskessels  gehoben.  Das  Ries  ist  (fabs 
in  geologischem  Sinne  als  Berg  aufzufassen,  auch  wenn  es  topographisch  ib 
ein  Kessel  bezeichnet  werden  muß. 

Der  eigentliche  Boden  des  Rieses,  wie  er  nach  Abschluß  der  vulkaDtfdMt 
Vorgänge  aussah,  ist  größtenteils  dem  Ause  des  Forschers  verborgen.  KäaO' 
zoische  Bildungen  verdecken  den  tiefem  Untergrund.  Erst  nach  deren  ib- 
tragung  kann  dermaleinst  der  Schleier  über  noch  so  manchem  GeheimniB  s 
der  geologischen  Geschichte  des  Rieses  gelüftet  werden. 

„Das  Ries  ist,"  wie  Deffner  sagt,  „eine  in  Sand  und  Schlamm  verannkaK 
Sphin^  und  gibt  dem  Forscher  Rätsel  auf,  die  nur  durch  anhaltende  Bemühong* 
imd  nicht  in  kurzem  Siegeslaufe  zu  lösen  sind." 

„An  Bemühungen,  die  Riesprobleme  zu  ergründen,  hat  man  es  dennaaci 
nicht  fehlen  lassen.  Seit  nahezu  70  Jahren  wird  an  der  Geologie  des  Bk^ 
gearbeitet,  und  immer  noch  bieten  sich  neue  Probleme,  neue  Tatsachen,  oe0 
Ergebnisse,   deren  Deutung  für  die  Allgemeine  Geologie  von  Interesse  fflnd." 

„Mit  dem  vulkanischen  Riese",  fährt  W.  v.  Knebel  fort,  „steht  ein  anden^ 
zu  geologisch  Bleicher  Zeit  entstandenes  Vulkangebiet  in  nächstem  ZusamnMB- 
hange.  Dasselbe  ist  dem  eigentlichen  Riese  vorgelagert ;  gleich  dem  Riese  aeiW 
ist  es  topographisch  eine,  wenn  auch  minder  deutlich  ausgesprochene  Senke. 
welche  das  Riesgebiet  im  Süden  halbmondförmig  umgibt.  Gümbel  hat  es  9^ 
vulkanische  Gürtelzone  bezeichnet  und  mit  dem  Riese  in  direkte  Verbindung  g^ 
bracht.  Branco  und  Fraas  haben  es  aus  bestimmten  Gründen  das  VomeB  g^ 
nannt  und  ihm  eine  größere  Selbständigkeit  zugeschrieben. 

Wie  das  Verhältnis  beider  Gebiete  vulkanischer  Tätigkeit  auch  sein  nug* 
jedenfaUs  sind  Ries  und  Vorries  ganz  analoge  Gebüde. 

In  beiden  Vulkangebieten  hat  sich  die  extrusive  vulkanische  Tätigkeit 
auf  ihre  explosive  Seite  beschränkt;  nirgends  sind  größere  Schmelzmassen  d0> 
Erdinnem  entquollen.     In  beiden  Gebieten  kommen  jene  durch  große  1^- 

Elosionen  zerschmetterten  Gesteine  vor,  welche  unter  dem  Namen  Gritf  ^ 
annt  sind.  In  beiden  Gebieten  haben  wir  dislozierte  Massen,  welche  nun  v 
Überschiebungen  bezeichnen  muß.  In  beiden  Gebieten  endlich  haben,  wißiuir 
gezeigt  werden  soll,  in  nachtertiärer  Zeit  Einsenkungen  stattgefunden.   ^ 


Yalkanlimui.  177 

ad  Vorries  Bind  demnaoh  einander  sehr  ähnlich;  aber  doch  wiederum  anoh 
»deutend  verschieden. 

Einmal  ist  das  Ries  das  große  Vnlkangebiet,  an  welches  das  viel  unbe- 
autendere  Vorries  sich  —  wenigstens  in  topcMnuphischem  Sinne  —  parasit&r 
38ohmiefft.  Sodann  haben  die  vulkanischen  Kräfte  im  Ries  die  mnze  Decke 
Leaozoisdier  Sedimente  entfernt.  Im  Ycniese  dagegen  hat  der  Vulkanismus 
Leeeiben  nur  zu  zerrütten,  nicht  aber  we^nischaffen  vermocht.  So  betrachten 
ir  das  Vorries  als  das  Produkt  einer  dem  Riese  zwar  gleichartigen,  aber  viel 
abedeutendem  Erscheinungsform  des  Vulkanismus.  Da  derselbe  im  Vorriese 
Lcht  in  gleichem  Maße  zerstören!^  gewirkt  hat  als  im  Riese  selbst,  so  kann  man 
ach  hier  viel  eher  Studien  über  tue  besondere  Wirkungsweise  und  Aufeünander- 
>l0e  der  vulkanischen  Vorgänge  machen:  Was  im  Vorrieee  gering  auftaritt,  igt 
K&  Riese  mgantisch ;  was  der  Vulkanismus  im  Riese  vollendet  hakt,  ist  im  Vorriese 
XMT  an^&utet.  Das  Ries  ist  ein  vollendetes  Vorries,  das  Vorries  ein  in  embnro- 
Alem  Zustande  abgestorbenes  Ries.  Die  Erkenntnis  der  relativ  einfachen  ver- 
Altnisse  im  Vorriese  bietet  daher  auch  wohl  den  Schlüssel  für  das  Verständnis 
Ler  ungleich  kompliziertem  Erscheinungen  des  Rieses. 

Namentlich  gilt  dies  in  bezug  auf  die  Erkennung  von  Alter  und  Reihen- 
olge  der  Erscheinungen,  in  welchen  der  Vulkanismus  umgestaltend  wirkte, 
üier  im  Vorrieee  brandeten  an  den  Jurahohen  zu  miozäner  Zeit  die  Meeres- 
irc^n.  Marine  Sedimente  bildeten  sich.  Dmen  folgten  in  obermiozäner  Zeit 
Süßwasseranlagen.  Aus  der  Kenntms  des  Alters  und  der  Aufeinanderfolge 
ler  Schichten  kann  man  auf  das  Alter  und  die  Aufeinanderfolge  der  vulkamsohen 
^OT^nge  schließen. 

Sodann  vemiögen  wir  aus  den  Studien  im  Voiriese  über  die  Vergriesong 

ans  ein  Bild  von  der  Art  und  Weise  dieser  gewaltigen  Explosionen  zu  machen. 

Endlich  ist  auch  im  Vorrieee  die  Möglichkeit  gegeben,  das  Auftreten  des 

vulkanischen  Tuff  es  und  dessen  Bedeutung  in  der  GMamtheit  der  kompÜzierten 

vulkanischen  Phänomene  zu  erkennen." 

Diese  drei  Hauptounkte  werden  nun  nach  v.  Knebel  an  der  Hand  seiner 
Untersuchungen  eingehend  erörtert  und  die  daraus  sich  ergebenden  Folgerungen 
gezogen.  VTbb  das  Vergriesungsphänomen  und  oewisse  damit  verbundene 
Überschiebungen  der  Schichten  anbelangt,  so  sind  fügende  die  Haupteigebmsse 
T.  Knebels:  „1.  Durch  große  Explosionen  —  höchstwahrsoheinlioh,  wie  Branco 
dargelegt  hat,  durch  &a  Kontakt  glutflüssigen  Maffmas  mit  unterirdischen 
Wasseransammlungen  hervoigebracht  —  wurden  die  Veigriesun|ngebiete  durch 
EmpoiBchleudem  der  ganzen  Schichtenmassen  geschaffen.  2.  Bei  diesem  Vor- 
sänge wurden  große  SdioUen  im  Riesgebiete  viele  Kilometer  weit  auf  das  Nach- 
bargestein übergeschoben.  Es  entstanden  jene  rätselhaften  Überschiebungen, 
wie  z.  B.  die  Buchberg-BeibuK-Überschiebung,  die  von  Hertsfeldhausen,  sowie 
die  der  Karksteine,  dn  Käsbühls  und  Sigart.  Auch  im  Vorries  ftmden,  wie  die 
fleologuBohen  Studien  bei  Dischingen  zeigten,  Überschiebungen,  wenn  audi  in 
kleinerm  Maßstabe,  statt  3.  Die  Zeit,  in  welcher  die  Veisriesung  und  die  Über- 
schiebungen geschahen,  ist  postmittelozän,  jedoch  präobermio^ui,  dies  wurde 
durch  ein  Tertiärprofil  in  der  Schlucht  von  Dischinsen  erwiesen  und  wird 
durch  die  zuvor  erwähnten  Überschiebungen  ebenfaUs  bei  Disohingen  im 
Vorriese  des  weitem  bestätigt.  Denn  es  sind  hierselbst  vergrieete  Massen  auf 
die  obere  mittelmiozäne  Masse  überschoben  worden." 

Die  beschriebenen  Wirkungen  großer  Explosionen  wurden  offenbar  durch 
Heraufsteigen  vulkanischer  Ma^namassen  aus  der  Tiefe  hervorgerufen.  „Bei 
diesen  Ez^osionen'%  fährt  v.  Knebel  fort»  „ist  anscheinend  ein  großer  Teil  der 
dem  Magma  ursprünglich  innewohnenden  Energie  verbraucht  worden,  so  daß 
unmehr  eine  Rimepause  in  den  vulkamschen  Vorgängen  im  Riese  eintrat. 
Jedoch  waren  damit  die  vulkanischen  Kräfte  keineswegs  erschöpft,  vielmelur 
kam  es  noch  zu  zahlreichen  vulkanischen  Eruptionen,  deren  Produkte  uns 
in  dreieriei  verschiedener  Qestalt  entgegentreten.  Man  muß  folgende  drei 
Kitin,  Jahrbnoh  XT.  12 


178  Vulkuiimiii. 

Arten   eztmaiTer   yulkaniadher  T&tigkeit   im    Riese  onterBcheiden:  1.  iw 
GaaeniptioiieD,  2.  liparitiBohe  Tuffe,  3.  Layaergüaae. 

Alle  diese  eztnuiFen«  vulkanischen  Voigange  stellen  einen  neim  A^ 
schnitt  in  der  geologischen  Geschichte  dar,  welcher  von  vulkanischeA  Ei 

Sionen  zu  trennen  ist.  Denn  von  diesen  hat  Branoo  dargetan,  daB  ei  w^ 
wahrscheinlidi  um  nichts  anderes  als  „Kontakf-Ex^doeionen  haaB. 
weldie  also  nur  eine  mittelbare  Wirkung  der  Tulkanischen  Kräfte  dantdia 
Die  nunmehr  zu  besprechenden  vulkanisdien  Eruptionen  sind  dagegen  itK 
als  eine  Folge  der  ezploeiyen  Kraft  des  gasreichen  Magmas  selbst  ansoeba 

Die  Gasemptionen  unterscheiden  sich  von  der  »»Kontakt'^-Expkaa 
durch  ilu«  räumliche  Beschrankung,  welche  ihnen  den  Charakter  echter  ri 
kanischer  Tuffe  verieiht.  Das  Vorhandensein  solcher  reinen  Gasem^ioBa 
im  Riese  ist  früher  nicht  bekannt  gewesen.  Erst  durch  die  Stadien  von  ßtm 
und  £.  Fraas  sind  dieselben  erkannt  worden.  Diese  Autoren  beobachteten  & 
den  durch  vulkanische  Kräfte  aufgepreßten  Graniten  des  Vonieses,  sowie  aad 
an  einzelnen  Punkten  im  Riese  selbst,  daB  der  Granit  von  gangförmig  auftrete 
den  Massen  zerstiebten  Urgesteinmateriales  durchsetzt  wird.  Diese  va^ 
Branco  „granitische  Explosionsprodukte"  und  begründet  diese  Bezeichxunf 
weise.  Da  aber  die  granitischen  Explosionsprodukte  von  den  übrigen  (I^ 
ritisohen)  Tuffen  des  Riesgebietes  sich  nur  durch  den  Mangel  an  Auswürfling 
vulkanischen,  d.  h.  magmatischen  Materiales  unterscheiden,  so  könnte  ibü 
ihnen,  wie  v.  Knebel  ausföhrt,  immerhin  im  Gegensatze  zu  den  letztem  aacfc  d» 
Namen  „granitische  Tuffe"  geben.  Diesen  Ausdruck  hält  er  deswegen  nidit  fs 
ungenau,  da  nicht  einmal  größere  Auswürflinge  granitischen  Sditmelzfliffi 
als  Granite,  sondern  als  Liparite  erstarren  müßten,  noch  viel  weniger  akdiß» 
meist  fein  zerblasenen  Massen;  denn  ein  solches  Magma  könnte  bei  der  «Ar 
schnellen  Erstarrung,  welcher  ausgeblasenes  Material  notwendig  untervtn^ 
ist,  nicht  die  Tiefgesteinsstruktur  der  Granite  annehmen.  Ds^er  glaubt  er,  (bS 
der  Ausdruck  „granitischer  Tuff''  besser  ist  als  „granitisdies  ExploflioBB' 
Produkt".  Diese  Art  vulkanischen  Tuffes  ist  durch  die  zahlreichen  Einschlösr 
verschiedener  Urgesteinsvarietäten  und  Gneis  in  einer  roten,  erdigen«  oft  sUik 
zurücktretenden  Grundmasse  charakterisiert. 

Branco  sprach,  auf  mehrere  Gründe  gestützt,  die  Vermutung  an^  ^ 
diese  rote  Grundmasse  wahrscheinlich  nichts  anderes  als  ein  durch  die  Ex- 
plosion zerblasener  Granit  und  nicht,  wie  man  vielleicht  meinen  könnte,  ei» 
völlig  zersetzter  rhyolitischer  Tuff  seL  Eine  Schlämmung  dieser  Grundm»» 
welche  Schowalter  Im  mineralogischen  Institute  der  Universität  Erlangen  ft^ 
führte,  und  der  Verf.  mitteilte,  hat  die  Ansicht  Brancos  bestätigt.  Es  ergab  ba 
daß  diese  Masse  ganz  ausschließlich  aus  völlig  zerriebenem  gianitisohenlbtenaK 
besteht,  und  daß  ausgespratzter  Schmelzfluß  dieser  Masse  nicht  beigemoigt  i^ 

W.  V.  Gümbel  hat  die  granitischen  Explosionsprodukte  nicht  vt»  ^ 
Granite  getrennt,  in  dem  sie  auftreten,  sondern  das  Ganze  als  Granit  in  ^ 
geognostischen  Kartenblättem  eingetragen,  obwohl  sie  stellenweise  Siuschlö^ 
jungem  Gesteines  enthalten.  Omie  die  Ausdrücke  „granitische  ExploatoDf- 
produkte",  „granitische  Tuffe"  zu  beanstanden,  möclite  v.  Elnebel  dieselbeB 
hier  vermeiden,  da  durch  weitere  Beobachtungen  über  diese  Er8ch6inuii|;8foi0 
extrusiver,  vulkanischer  Tätigkeit  ihm  andere  Vorkommen  bekannt  wurdA 
welche  hinsichtlich  ihrer  Entstehung  von  den  granitischen  Tuffen  sich  nicbt 
unterscheiden,  jedoch  so  viele  andere  Einschlüsse  jungem  Gesteines  führeni  o^ 
das  Urgesteinsmaterial  im  Verhältnisse  zu  letzterm  völlig  zurücktritt.  Solcfi^ 
Tuffe  hBkun  man  daher  kaum  mehr  als  granitisohe  bezeichnen;  deswegen  w^^ 
er  den  ganz  allgemeinen  Ausdruck  „reine  Gaseruptionen"  an,  weläer  nicl»^ 
in  bezug  auf  da6  ausgeworfene  Gesteinsmaterial  aussagt,  sondern  nur  aodeo^ 
daß,  abgesehen  von  den  hervorgebrochenen  Gasen,  kein  vulkanisches  Maten&^ 
d.  h.  also  kein  Magma,  ausgeworfen  wurde.  .  . 

Die  häufigste  Erscheinungsform  des  extrusiven  Vulkanismus  imRiese  nfio 
gewisse  Tuffe,  die  man  früher  einfach  als  vulkanischen  Tuff  oder  Tiafi  ^ 


Yulkanisinui«  179 

Dicüuiete.  Letzterii'^Namen  hat  jedoch  schon  Gbtia  für  nnzweckmafiig  ge- 
.alten,  da  das  unter  dem  Namen  „Traß''  bekannte  Gestein  dee  Brohltales  mit 
Lern  ▼ulkaniaohen  Tu^  des  Rieses  nicht  identisch  ist.  Zum  Unterschiede  von 
Lern  »»Blasem'S  den  reinen  Gasemptionen,  bzw.  granitischen  Ezplosions- 
»rodukten  hat  Branco  den  von  jeher  bekannten  vnlkanischen  Tuff  des  Rieses 
Js  yyliparitischen  Tuff"  bezeichnet. 

Dieser  liparitische  Tuff  ist  nach  ▼.  Knebel  ebenso  wie  die  „reinen  Qaa- 
sruptionen"  von  dem  Venpiesungsvorgange  und  von  dem  gleichzeitigen  Über- 
loliiebiingsakte  durch  ein  Zeitintervali  getrennt.  Dies  haben  schon  Branco  und 
EVaaa  angenommen. 

Sehr  wohl  für  denkbar  hält  ▼.  Knebel,  daß  alle  diese  Tuffe  des  Riesgebietes 
an  Ort  und  Stelle  hervorgebrochen  und  in  die  gewaltig  großen,  vulkanischen 
ESsaen  zurückgefallen  sind.  Die  Tuffe  besitzen  alao  seines  Erachtens  eine  durch- 
g;reifeiide  Lagerung  und  sind  nicht  deckenförmig  gelagert,  wenigstens  ist  noch 
niemals  solches  nachsewieeen  worden.  Damit  soll  aber  keineswegs  gesagt  sein, 
daß  es  niemals  Tuff  decken  im  Riese  gegeben  habe;  sie  könnten  ja  bereits  der 
Abtragung  zum  Opfer  gefallen  sein.  Indessen  dürfte  wohl  niemals  so  viel  aus- 
geworfen worden  sein,  daß  größere  Decken  zustande  gekommen  waren,  sonst 
würde  man  wohl  Reste  derselben  antreffen  müssen. 

Was  die  Ursachen  der  eztrusiven,  vulkanischen  Tätigkeit  im  Riese  anbe- 
langt, so  äußert  sich  v.  Knebel  darüber  in  folgender  Weise:  „Die  vulkanischen 
Eruptionen  sind  nicht  wie  die  Vergriesung  auf  „Kontakf'-Ezplosionen  zurück- 
zufimren,  sondern  sie  sind  wohl  als  eine  Folge  der  explosiven  Kraft  des  gas- 
reichen Magmas  selbst  anzusehen.    Für  diese  Annahme  spricht  der  ungemein 
hohe  Wassergehalt,  welcher  vielen  der  ausgeworfenen  Schlacken  eigen  ist.    Das 
in  den  Lavaauswürflingen  des  Rieses  eingeschlossene  Wasser  ist  wahrscheinlich 
ursprünglich  im  Magma  selbst  gelöst  enwalten  gewesen;  bei  dem  allmählichen 
Erstarren  desselben  frei  werdend,  mag  es  das  Herausspratzen  vulkanischen 
'  Tuffes  bewirkt  haben.    Jedenfalls  glaube  ich  nicht  annenmen  zu  dürfen,  daß 
'  auch  bei  der  Entstehung  der  vulkanischen  Tuffe  „Kontakte-Explosionen  mit- 
gewirkt haben,  wie  sie  zur  Erklärung  des  Vergriesungsphänomens  angenommen 
werden  mußten.   Denn  bei  solchen  Explosionen  wäre  es  kaum  erklärlich,  wie 
Gase  in  den  Schmelzfluß  selbst  hätten  gelangen  können,  da  dieselben  sich  doch 
nach  oben  Bahn  brachen. 

Deswegen  müssen  meines  Erachtens  die  Eruptionen  im  Riese  von  den 
„Kontakte-Explosionen  genetisch  scharf  getrennt  werden,  wie  auch  Branco 
schon  die  letztem  als  zeitlich  den  erstem  vorangehend,  als  zwei  verschiedene 
Ereignisse  annimmt.  Meine  Studien  haben  eiseben,  daß  nu«h  Beendigung 
der  großen  „Kontakt"-Exploaionen  eine  Zeit  &r  Ruhe  eintrat,  nach  cbren 
Verlauf  erst  die  extrusive,  vulkanische  Tätigkeit  begann. 

Drei  Ereignisse  sind  also  auseinander  zu  halten,  erstens  das  Aufsteigen 
lakkolithischen  Schmelzflusses,  zweitens  die  „Kontakt"-Explosionen,  welche 
die  Veigriesung  hervorriefen,  drittens  nach  Ablauf  einer,  geologisch  gesprochen, 
kurzen  Ruhezeit  die  extrusive,  vulkanische  Tätigkeit. 

In  ihren  Wirkungen  waren  die  an  zweiter  Stelle  genannten  „Kontakte- 
Explosionen  am  gewaltigsten.  Einmal  haben  sie,  abgeaehen  vom  Riese  selbst, 
im  Vorriese  bis  zur  Donau  hin  und  vielleicht  noch  darüber  hinaus  große  Gebiete 
erschüttert,  es  entstanden  die  Vergriesungsgebiete.  Sodann  haben  sie  Über- 
schiebungen teils  älterer  Schollen  auf  jüngere,  teils  jüngerer  auf  ältere,  durch 
die  Abtragung  bereits  freigelegt  ffewesene  verursacht.  So  die  gewaltigen  Über- 
Bchiebungen  des  Buchberges  und  der  Beiburg,  welche  sich  als  eine  einzige  noch 
in  Zusammenhang  befinc&iche  Überschiebung  herausgestellt  haben,  femer  die 
große  Karkstein-Käsbühl-Sigart-Überschiebung,  sowie  die  Überschiebungen 
von  Hertsfeldhausen  und  der  sogenannten  ^ppen  im  Westen  des  Rieses. 
Minimal  dagegen  sind  im  Vergleiche  zu  letztem  in  ihren  Wirkungen  die 
Eruptionen  dee  Rieses.  Sie  haben,  wie  Branco  und  Fraas  schon  hervormhoben 
haben,  einen  embryonal- vxdkanischen  Charakter,   gerade   wie  die   Vulkan. 

12* 


180  Ynlkaninnufl. 

embijTOnen  das  Uraofaer  Gebietes.  Nur  ist  der  VulkaniHimis  dort  gewalftipr 
hinsidlitlich  der  Wirkungen  gewesen,  er  hat  sich  eeSheit  Aiiggang  veracfaagt 
unabhängig  Ton  Dislokationen  in  der  Erdrinde.  Hier  aber  war  dar  Boden  dmck 
die  „Kontakt"-Ezpioeionen  bereits  zerrüttet.  ,J.<oci  minoris  resistenäa^ 
waren  sehr  zahkeicn  yorhanden,  so  daB  der  Vulkanismus  mit  nur  einem  ge- 
ringen Maße  von  eigener  Arbeit  sich  den  Weg  durch  die  ESrdriiide  hindoid- 
bahnen  konnte.  Hierauf  möchte  ich,  wie  oben  erwähnt,  die  bedeutende  Gtö& 
einiger  der  Eruptionsgebiete  zurückfuhren. 

In  dreieiiei  yeischiedener  Form  ist  der  Vulkanismus  extroaiv  gewoda. 
Als  Produkte  reiner  Gaseruptionen  treten  uns  einmal  die  »«^ranitiechen  Ex- 
plosionsprodukte" des  Rieses  entgegeut  sodann  der  höchst  eigenartige,  h 
aufgefundene  vulkanische  Tuff  von  Zöechingen.  Als  liparitiache  Tiiäo  hal 
Branco  die  von  jeher  im  Riese  bekannten  Tulkanischen  Tuffe  von  den  giaii- 
tischen  gesondert.  Meine  Beobachtungen  haben  gezeigt,  daß  die  beidm  extro- 
siven  Tulkanischen  Vorgange  zu  geologisch  sesprochen  gleicher  Zeit  sich  ereig- 
neten. Das  Altersverhaltnis  beider  untereinander  ist  noch  nicht  sicher  festg^steb. 

Die  dritte  Form  extrusiver,  vulkanischer  Tätigkeit,  welche  uns  in  den 
Gesteine  von  Amerbach  entgegentritt,  bestand  in  einem  Aufstiege  von  Rhjolitb- 
lava.  Ob  es  aber  zu  einem  Lavastrome  gekommen  ist,  ist  zweifelhaft»  ja  sogv 
unwahrscheinlich ;  denn  der  Vulkanismus  hat  sich  im  Riese  eben  vorwiegend 
von  seiner  explosiven  Seite  gezeigt 

Dies  die  Itesultate,  zu  welchen  die  Studien  im  Riesgebiete  bis  jetzt  gefohrt 
haben.  Damit  sind  aber  noch  keineswegs  alle  Probleme  gelöst,  welche  das  Ri» 
dem  Geologen  stellt ;  namentlich  ist  noch  eine  weitere  Form  vulkanischer  Tätig- 
keit schwer  zu  erklären,  das  sind  die  Auh)re88ungen  älterer  Gesteine  darA 
jüngere  hindurch,  von  wdchen  Koken  bei  Hohlheim  im  Riese  spricdit»  und  wdd» 
au<£  Branco  zur  Erklärung  der  Granite  des  Voniesee  in  der  abnormen  Häieo- 
lage  zwischen  den  Massen  des  obem  Weißen  Jura  annimmt.  Einzelbeobscb* 
tunffen  über  dieses  in  seiner  Wirkungsweise  noch  niemals  studierte  Phänomes 
bleiben  weitem  Studien  vorbehalten." 

Die  Ausbruchsperiode  des  Mont  PeM  1902  bis  1908  und  Uire  Be- 
deutung für  die  Vulkanf orsehung.  ^)  Die  gewaltige  Katastrophe,  durA 
welche  die  Stadt  St.  Pierre  mit  allen  Bewohnern  den  Untergang  g^ 
fanden,  steht  in  dieser  Art  einzig  da,  allein  vom  vulkanologiscbeD 
Standpunkte  aus  hat  dieser  Ausbrach  keine  Erscheinungen  gezeitigt, 
die  nicht  auch  schon  anderwärts  bei  Vulkanausbrüchen  beobachtet 
worden  wären.  Darauf  hat  nachdrücklich  der  Altmeister  der  Vulkan- 
f orsehung,  Dr.  A.  Stübel,  bestanden,  und  die  Sachkenner  konnten  ihm 
nur  beipflichten.  Nachdem  aber  die  jüngste  eruptive  Tätigkeit  des 
Mont  Pel6  ihren  Höhepunkt  überschritten  hatte,  etwa  seit  August 
1902,  begann  sich  an  dem  Berge  eine  Neubildung  zu  zeigen,  denen 
Auftreten  man  bis  dahin  niemals  durch  unmittelbare  Beobachttmg 
hatte  feststellen  können,  und  die  gleichzeitig  geeignet  ist,  helles  Liebt 
auf  ähnliche  vulkanische  Bildungen  zu  werfen,  welche  wie  ungelöste 
Rätsel  an  nicht  wenigen  Stellen  der  Erdoberfläche  dem  Forscher 
entgegentraten.  Es  ist  wiederum  Dr.  Stübel,  der  die  wahre 
Bedeutung  dieser  Erscheinung  sogleich  erfaßte  und  in  einer  wich- 
tigen Abhandlung  jüngst  *)  entwickelt  hat. 

1)  Gaea  1904.  p.  470. 

s)  Rückblick  auf  die  Ausbruohsperiode  des  Mont  FM  auf  MurtiiiiqQ^' 
▼cm  theoretiBchen  Standpunkte  aus.  Leipzig  1904. 


Vnlkaniamiis.  181 

'  Das  Phänomen,  um  welches  es  sich  handelt,  ist  das  allmähliche 

^IBmporwaohsen  und  spatere  Wiederversohwinden  eines  obeliskförmi- 
fg&a  Felsens  oder  einer  Felsnadel  aus  einem  Staukegel  oder  vxdkani- 
r  Bchen  Konus,  der  den  alten  Krater  des  Mont  Pel6  ausfüllte  und  seiner- 
seits allmählich  über  den  Rand  des  letztem  emporgewachsen  ist.    Die 
beste  Schilderung  des  Eindruckes,  welchen  diese  ungeheuere  Felsnadel 
&uf  den  Beschauer  machte,  hat  Georg  Wegener  gegeben,  der  zusammen 
mit  Karl  Sapper  am  25.  März  1903  den  Vulkan  besuchte  und  bis  zu 
dessen  Gipfel  vordrang.    Im  folgenden  ist  seine  Schilderung  wieder- 
^geben,  wobei  zu  bemerken,  daß,  was  er  Konus  nennt,  die  Felsnadel 
selbst  ist,  während  er  den  eigentlichen  Konus,  aus  dem  sie  hervor- 
ragte, offenbar  nicht  zu  Gesicht  bekommen  hat.     „Was  zunächst 
umsere  Aufmerksamkeit  einzig  in  Anspruch  nahm  (am  Kraterrande 
stehend),  war  die  Riesengestalt  des  Konus,  der  nunmehr  plötzlich 
in  fast  schreckhafter  Nähe  und  Größe  zwischen  den  Nebeln  vor  uns 
stand.    Aus  den  Tiefen  des  Kratergrabens  stieg  er  empor  zu  einer 
Höhe,  die  mindestens  300  m,  die  Höhe  des  Eiffelturmes,  erreichte, 
und  dabei  mit  einer  Steilheit  der  Wände,  die  auf  der  Rechten  siebzig 
imd  mehr  Grade  betrug,  zur  Linken  aber  senkrecht,  ja  stellenweise 
überhängend  erschien.    Wir  waren  jetzt  dicht  an  seinem  Fuße,  kaum 
100  m  von  ihm  entfernt,  aber  rätselhafter,  unwahrscheinlicher  als  je 
zuvor,  stand  er  vor  uns  und  über  uns.    Man  begriff  nicht,  wie  ein 
steinernes  Gebilde  von  solcher  Steilheit  und  Höhe  sich  nur  halten, 
geschweige  denn,  wie  es  entstanden  sein  könnte.     Das  allerdings 
erkannten  wir  auf  den  ersten  Blick:  die  Anschauung,  er  sei  aus  über- 
einander gefallenen  Blöcken  gebildet,  war  unrichtig;  der  Konus  war 
ein  einheitliches  Gebilde,  das  mit  breiten,  glatten  Wandflächen  auf- 
stieg.   Freilich  wurde  es  dadurch  nur  um  so  rätselhafter.*' 

Am  Tage  nachher  hatte  der  Mont  Pel6  einen  Ausbruch,  den 
Wegener  und  Sapper  aus  9  km  Entfernung  mit  einem  guten  Touristen- 
glase beobachteten.  Bei  demselben  sahen  sie  längs  den  Wänden  der 
Felsnadel  bis  fast  zu  der  Spitze  Glühpunkte  ai^euchten,  die  aber 
nicht  abwärts  zogen,  sondern  an  Ort  und  Stelle  verharrten.  Die  Beob- 
achter kamen  zu  der  Überzeugung,  daß  an  jenen  Stellen  Teile  des 
äußern  Mantels  abgesprungen  seien,  und  dadurch  das  glühende  Innere 
der  Felsnadel  zutage  getreten  sei.  So  wurde  den  Beobachtern  klar, 
daß  diese  letztere  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eine  Lavamasse 
von  sehr  zäher  Konsistenz  war,  die  unausgesetzt  langsam  durch 
einen  senkrechten  Schlot  herausgepreßt  wird  und  beim  Austritte 
an  die  Luft,  außen  wenigstens,  erstarrt.  Also  eine  Art  ungeheu- 
erliche Wurst  von  Lava." 

Dr.  Stübel  macht  darauf  aufmerksam,  daß  nach  den  Angaben 
des  französischen  Geologen  A.  Lacroix  der  eigentliche  Konus  schon 
seit  Mai  1902  vorhanden  war,  ein  ungeheuerer  Wulst  aus  AndesiÜava, 
der  wie  ein  an  der  Oberfläche  gewölbter  Kuchen  den  alten  Krater  im 
Innern  ausfüllte,  lange  bevor  der  obeliskähnliche  Felszaoken  aus  ihm 


182 

emporwoohs.  DerLftvkaohep  wachs  aHmahlich  empor,  am  lI^Aogaa 
hatte  er,  ans  der  Feme  gesehen,  die  Hohe  des  KraterrandeB  encidiL 
Mitte  Oktober  war  er  90  m  höher  ab  dieser  und  zeigte  einen  Hitti^ 
zackai  (Piton),  der  andere  ähnliche  erheblich  überragte.  Der  Koii 
lag  nicht  aentral  über  dem  altenKrater,  sondern  nordwestlich  d&voL 
and  der  Felszaoken  erhob  sich  im  nordöstlichen  Teile  des  Koi» 
Dieser  Zacken,  der  damals  etwa  100  m  Höhe  besaß,  ist  nichts  amfa» 
als  die  Felsnadel,  welche  spater  noch  an  Höhe  zunahm.  Die  Tit- 
sache, dafi  die  Nadel  aas  einem  Konus,  der  von  kohärenter  Un 
gebildet  ist,  sich  erhob,  wird  auch  Ton  Edmund  O.  Hovey  besiätifl 
der  von  Nordamerika  cur  fachmännischen  Untersnchung  nach  Mtfti- 
nique  gesandt  war.  Nach  seinen  Angaben  wuchs  die  Nadel  sat  Ifite 
Oktober  so  rasch  empor,  daß  sie  am  8.  November  100  m  Höhe  b 
haben  schien.  Während  der  Zeit  vom  November  1902  bis  Man  IM 
war  der  Gipfel  des  Mont  Pel6  wie  gewöhnlich  um  diese  Jahresuifc  to 
Wolken  umhüllt,  und  deshalb  konnte  von  der  Felsnadel  nichts  GentfS 
gesehen  werden.  Ende  Mirz  aber  maß  eine  französische  KommisBMB 
trigonometrisch  die  Höhe  der  Nadel  über  dem  alten  Kratemodr 
(Mome  La  Croiz)  zu  338  m.  Nach  Major  W.  M.  Hodder,  der  tob 
Santa  Lucia  (in  60  Seemeilen  Entfernung)  aus  das  Wachstum  ^ 
Gipfelfelsens  beobachtete,  nahm  die  Nadel  bis  Ende  Mai  an  BS»  ^ 
dann  aber  von  Zeit  zu  Zeit  ab,  ohne  daß  er  feststellen  konnte,  o^ 
durch  Einsturz  oder  Senkung  der  Unterlage  (des  Konus).  Letstettf 
wuchs  nach  Giraud  seit  Mitte  August  augenscheinlich  und  hatte  bb 
Ende  dieses  Monates  104  m  an  Höhe  gewonnen,  senkte  sich  dtß^ 
nach  dem  heftigen  Ausbruche  des  2.  September  um  30  m,  worauf  & 
Höhe  abermals  zunahm,  so  daß  das  Gesamtwachstum  des  Voa^ 
oder  Konus  von  Mitte  August  bis  zum  1.  Oktober  127  m  betcog^ 
Während  dieses  starken  Wachstumes  verschwand  die  Nadel,  nachdeo 
sie  vom  November  1902  bis  Juli  1903  wie  ein  Leuchtturm  den  Gxf^ 
des  Mont  Pel6  geschmückt  hatte.  Näheres  über  die  Art  und  Weiss 
des  Unterganges  dieser  einzigartigen,  höchst  merkwürdigen  Schöpfai>l 
ist  zurzeit  nicht  bekannt.  Ein  neuer  Felszahn  begann  sich  am  8.  S^ 
tember  an  einer  andern  Stelle  des  Konus  zu  bilden,  brachte  ee  aber 
nur  auf  20  m  Höhe  und  ward  seit  dem  17.  September  nicht  mehr  g^ 
sehen.  Das  sind  die  Tatsachen  der  Beobachtung,  die  wegen  der  Vn- 
nahbarkeit  des  Objektes  leider  nicht  so  vollständig  erscheiiien  'f 
wünschenswert  ist;  vor  allem  wissen  wir  nichts  Sicheres  über  w» 
Wachstumsverhältnisse  der  Nadel  in  Beziehung  zu  der  Höhenzunabi&c 
des  Konus,  noch  auch  ob  die  Nadel  zerbrochen  oder  umgestüizi  oder 
als  Ganzes  in  den  Konus  zurückgesunken  ist.  Immerhin  sixul  die 
Feststellungen,  welche  die  verschiedenen  Beobachter  machen  konnten. 
genügend,  um  die  Bedeutung  des  ganzen  Vorganges  für  die  theoreti- 
schen Gesichtspunkte  der  Vulkanologie  klar  erkennbar  zu  mache^ 
Dies  durchgeführt  zu  haben,  ist  das  Verdienst,  welches  Dr.  '* " 
sich  in  seiner  neuen,  oben  erwähnten  Studie  erworben  hat. 


Vulkanifimus.  183 

Er  weist  zunächst  darauf  hin,  daß  Hovey  das  Vorhandensein 
'  eines  Kraters  auf  dem  Staukegel  ausdrücklich  in  Abrede  stellt,  ob- 
gleich die  gewaltigen  Dampfexplosionen  aus  dem  Innern  seiner  Masse 
hervorbrachen.     „Hierin,'*  sagt  Stübel,  „erkennen  wir  eine  vöUige 
'Obereinstimmung  mit  den  Ezplosionserscheinungen  aus  der  Stau- 
'  xnasse  des  Georg  I.  auf  Santorin  im  Jahre  1866.    Auch  hier  geschah 
es,  daß  die  Blockmassen,  welche  das  Gipfelplateau  des  Georg  I.  bil- 
'  deten,  sich  plötzlich  hoben,  seitlich  auseinanderschoben  und  nach 
dem    stattgehabten  Ausbruche   sofort  wieder  zusammenschlössen, 
^  ohne  eine  kraterartige  Vertiefung  zurückzulassen.   Die  geringe  Krater- 
'  einsenkung,  die  der  Georg  I.  noch  gegenwärtig  besitzt,  ist  erst  im 
'   spätem  Verlaufe  der  Eruption,  wahrscheinUch  durch  den  Erkaltungs- 
vorgang des  Berges  selbst,  ausgeblasen  worden,  und  ähnlich  wird  es 
'    sich  vielleicht  auch  am  Mont  Pel6  zutragen. 

So  merkwürdig  die  obeliskartige  Gestalt  der  hier  zutage  ge- 
'    tretenen  Staumasse  auch  ist,  so  wird  gleichwohl  das  Befremden,  das 
'    ihr  Anblick  erweckt,  noch  übertroffen  durch  dasjenige,  welches  uns 
'    das  Wachstum  des  ganzen  Gebildes  aufdrängt.     Das  allmähliche 
^    Emporwachsen  des  Kegels  bis  zur  Höhe  von  mehr  als  500  m  über  seiner 
Basis  im  alten  Kraterbecken  des  Etang  See  scheint  sich  in  der  Tat 
'    über  einen  Zeitraum  von  wenigstens  elf  Monaten  erstreckt  zu  haben. 
Das  hervorgehobene  langsame  Wachstum  steht  durchaus   im 
'     Einklänge  mit  der  monogenen  Wirkungsweise  der  vulkanischenKräfte, 
'     deren  Eigenart  es  zu  sein  scheint,  ihre  Gebilde  zwar  in  einer,  aber  gewiß 
'     häufig  sehr  lange  dauernden  Eruptionsperiode  hervorzubringen.  Wenn 
schon  ein  verhältnismäßig  kleiner  Staukegel  der  zweiten  Eruptions- 
periode eines  Herdes   fast  ein  Jahr  lang  unter  fortwährender  Be- 
wegung im  Wachstume  begriffen  war,  um  wieviel  länger  wird  die  Ent- 
stehungszeit eines  monogenen  Kolosses  der  ersten  Eruptionsperiode 
eines  Herdes  zu  veranschlagen  sein? 

Das  langsame  Wachstum  des  endogenen  Staukegels  erklärt  sich 
vielleicht,  wenigstens  zum  Teile,  aus  der  Beschaffenheit  des  Förder- 
schachtes. Der  von  der  Kratermündung  des  Mont  Pel6  bis  zur  Tiefe 
seines  Herdes  hinabreichende  Schacht  mußte  dem  Aufsteigen  des 
spezifisch  schweren  Magmas  jedenfalls  einen  großen  Widerstand  ent- 
gegensetzen, denn  man  darf  sich  diesen  Schacht  doch  keineswegs  als 
eine  glattwandige  Röhre  vorstellen,  er  wird  vielmehr  bald  eng,  bald 
weit,  vielfach  gekrümmt  und  verzweigt  sein,  was  um  so  mehr  in  Be- 
tracht kommt,  als  seine  Länge  doch  auf  eine  ganze  Zahl  von  Kilo- 
metern veranschlagt  werden  muß,  denn  zwei  bis  drei  Kilometer  oder 
mehr  liegen  allein  schon  innerhalb  des  Berges,  wenn  man  dessen  sub- 
marinen Unterbau  mit  in  Anschlag  bringt. 

Jedenfalls  hat  die  Bildung  des  großen  endogenen  Staukegels  mit 
seinem  Gipfelfelsen  unwiderleglich  bewiesen,  daß  die  plötzlich  er- 
wachte Eruptivkraft  des  Mont  Pelöberdes  nicht  nur  den  Zweck  hatte. 
Gase  und  Dämpfe  abzuführen,  sondern  in  der  Tat  die  Ausstoßung 


184  Yalkaniuiiiis. 

eines  bestimmten  Quantums  Magma  anstrebte,  wie  sich  dies  vqb 
vornherein  erwarten  ließ.  Ob  aber  das  Quantum,  das  der  Tiedeo- 
scbacht  in  sich  au&unehmen  yermochte  und  zur  Bildung  des  I>omtf 
notwendig  war,  demjenigen  Magmaüberschusse  des  lokaÜBiertefi 
Herdes  entspricht,  der  den  Ausbruch  vom  8.  Mai  hervorrief,  oder  ob 
nicht  viehnehr  damab  ein  weit  größerer  Magmaerguß  unteraeeiwÄ 
stattgefunden  hat,  muß  leider  unentschieden  bleiben.  Für  das  letctere 
sprechen  allerdings  sehr  gewichtige  Anzeichen.  Die  Bildung  doi 
supramarinen  Domes  wäre  also  in  diesem  Falle  nur  als  eine  TCntlastong 
des  Herdes  an  zweiter  Stelle  aufzufassen.  Daß  FlankenausbröclieB 
Ejraterergießungen  nachfolgen  oder  umgekehrt  die  Kraterergießongen 
den  Flankenausbrüchen,  ist  an  den  Kraterbergen  anderer  vulkanischer 
Herde  wiederholt  vorgekommen.  Die  Entstehung  eines  Staukegeb 
aber  über  oder  neben  der  Kratermündung  unter  Hervorbringong 
einer  so  bizarren  Oipfelkrönung  wie  am  Mont  Feli  darf  als  eine  Be- 
gebenheit angesehen  werden,  die  in  der  Geschichte  der  Ausbruche  ein 
Analogen  nicht  besitzt. 

Die  überaus  merkwürdige  Begebenheit  der  Felsnadelbildung  wird 
aber  erst  dadurch  besonders  bedeutungsvoll,  daß  sie  uns  klar  vor 
Augen  führt,  wie  analoge  Gebilde  großem  Maßstabes,  nämlich  die 
Gipfelobelisken  und  Gipfelpyramiden  so  mancher  alten  monogenen 
Vulkanbaue  entstehen  konnten  und  höchstwahrscheinUch  entstanden 
sind.  Wie  große  Fragezeichen  starrten  bis  jetzt  diese  steilwandigen 
ObeUsken  und  Pyramiden,  aufgebaut  aus  gebankten  Laven  und 
Agglomeraten,  über  den  breit  angelegten,  sanft  geneigten,  meist 
radial  gegUederten  Massiven  eines  Quilindana,  eines  Gotacachi,  eines 
Sincholagua,  eines  Bucu-Pichincha,  eines  Sajama,  eines  Casäguals 
und  Quillpicasha  usw.  in  die  Lüfte,  ohne  daß  wir  eine  befriedigende 
Antwort  geben  konnten;  da  erscheint  plötzUch  in  der  Bildung  der 
Nadel  die  Lösung  des  Ratseis!" 

Ein  höchst  beachtenswertes  Seitenstück  zu  dem  langsamen  Auf- 
steigen und  Aufwölben  des  Konus  im  alten  ELrater  des  Mont  Fei6 
bilden  die  Vorgänge  bei  Santorin,  und  zwar  sowohl  diejenigen  im 
Jahre  1707,  als  die  der  Jahre  1866  bis  1868.    Im  Mai  1707  hob  sich 
aus  einer  Tiefe  von  500  Fuß,  von  leichten  Bodenerschütterungen 
begleitet,  ein  Felsen  über  die  Meeresfläche,  den  man  anfangs  für  ein 
Schiffswrack  hielt,  und  an  den  Abhängen  desselben  hingen  Austern. 
Bis  zum  Juni  stiegen  noch  weitere  Felsen  empor,  ohne  Lavaerguß, 
doch  wurden  von  der  Felsmasse  zuletzt  Asche  und  glühende  Steine 
ausgeschleudert.    Im  Jahre  1866  sah  man  am  4.  Februar  im  Vulkane- 
hafen  an  der  Ostküste  von  Neo  Kaimeni  plötzUch  ein  Felsenriff,  das 
sichthch  an  Oröße  zunahm,  und  auf  dem  Bretter  von  Booten  lagen, 
die  früher  an  jener  Stelle  gesunken  waren.    Dr.  Dekigala  konnte  sich 
diesen  Felsen  bis  auf  zehn  Schritte  nähern  und  beobachtete  das 
Wachsen  derselben,  und  zwar  so  rasch  von  der  Mitte  gegen  den  Umfang 
in  Gestalt  einer  Halbkugel,  daß  das  Auge  nur  schwer  folgen  konnte. 


ValkanlBmuB.  185 

mand  erkannte,  in  welcher  Weise  sich  die  Blöcke  aneinander  reihten 
und  das  Ganze  formierten.  Die  Gestalt  der  Insel  war  aber  nicht 
kreisförmig,  sondern  mauerartig,  und  nachts  glich  sie  einem  großen 
brennenden  Kohlenhaufen.  Die  Insel  wuchs,  indem  an  der  Basis 
ununterbrochen  Steine  aus  dem  kochenden  Wasser  hervortraten,  sehr 
ruhig,  in  langsamer,  nie  heftiger  Weise,  und  ebenso  gemäßigt  war 
die  brodelnde  Bewegung  des  Meeres.  Das  Ganze  erhielt  den  Namen 
Georgios,  und  dieser  hatte  am  12.  Februar  eine  erste,  heftige  Eruption, 
der  später  andere  folgten.  Nach  der  Berechnung  von  Jul.  Schmidt 
betrug  die  tägUche  Volumenzunahme  des  Georgioe  von  1866  bis  Anfang 
1868  mindestens  3860000  engl.  Kubikfuß.  Die  Höhe  des  Kegels  war 
i^echselnd  und  nicht  inmier  zimehmend.  Die  Beobachtungen  von 
Schmidt  ergaben,  daß  die  zentralen  Teile  des  Berges  periodisch  sehr 
regelmäßig  gehoben  wurden.  War  die  hebende  Kraft  sehr  groß,  so 
"wurde  das  Blockterrain  ganz  hinausgeworfen,  war  sie  mäßig,  wurde 
es  nur  gehoben  und  teilweise  durchbrochen,  worauf  es  zu  dem  frühem 
[Niveau  zurücksank.  Das  sind  Erscheinungen,  wie  sie  der  Konus  im 
alten  Krater  des  Mont  Pel6  jetzt  auch  gezeigt  hat. 

Die  Felsnadel  des  Mont  Pel6  ist  freiUch  nach  kurzem  Bestände 
wieder  verschwunden,  aber  mit  Recht  sagt  Dr.  Stübel:  „Wenn  wie 
hier  bei  einer  doch  verhältnismäßig  schwachen  Tätigkeit  des  offenbar 
schon  erschöpften  Herdes  eine  Felsbildung  in  obeliskartiger  Gestalt 
bis  zur  Höhe  von  etwa  300  m  noch  über  die  eigentUche  schon  600  m 
hohe  Staumasse  emporwachsen  konnte,  warum  sollten  da  nicht  bei 
ahnlichen,  aber  hundert-  oder  tausendfach  großem  Eruptionsvor- 
gängen —  denn  um  solche  hat  es  sich  bei  der  Bildung  der  großen 
monogenen  Bergmassive,  wie  die  oben  gensamten,  gehandelt  — 
Gipfelkrönungen  hervorgebracht  worden  sein,  deren  bizarre  Formen 
sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten  haben?'* 

Man  kann  diese  Frage  nur  im  Stübelschen  Sinne  beantworten. 
Aber  noch  mehr.  Man  darf  mit  Bezugnahme  auf  die  oben  genannten 
Oipfelkrönungen  und  zahlreiche  andere  behaupten,  daß  diese  Formen 
bei  einer  gewissen  Konsistenz  des  Magmas  sich  viel  häufiger  bilden, 
als  man  bisher  wußte.  Wie  als  handgreiflichen  Beweis  hierfür  ver- 
nehmen wir  durch  Dr.  Paul  Großer  die  Tatsache,  daß  fast  gleichzeitig 
mit  den  Felsbildungen  auf  dem  Gipfel  des  Mont  Pel6  an  einem  anti- 
podisch gelegenen  Punkte  auf  dem  Merapi  in  Java  ein  ähnlicher  vul- 
kanischer Turm  sich  erhoben  hat.  Jetzt  werden  wir  auch  die  von 
Dana  auf  Hawaii  beobachteten  Picks,  sowie  die  turmdachähnUche 
Kuppe  auf  der  Spitze  des  Vulkanes  von  Bourbon  unter  diese  Kategorie 
von  Vulkanbildungen  zu  rechnen  haben,  wenn  auch  vielleicht  nur  als 
Übergangsformen.  Dr.  Stübel  führt  in  seiner  Abhandlung  eine  Reihe 
südamerikanischer  Vulkane  durch  eigene  Zeichnungen  und  photo- 
graphische Aufnahmen  vor,  welche  ausgesprochene  Gipfelpyramiden 
besitzen,  die  in  ihrer  Tektonik  völlig  übereinstimmen.  Diese  Vulkan- 
berge passen  aber  ihrer  äußern  Form  nach,  wie  der  erste  Blick  zeigt, 


186  Yiilkaiiismat. 

recht  wenig  in  das  Schema,  in  das  man  die  vulkanischen  Schöpfopga 
bisher  zu  zwängen  bestrebt  war.  ,>Um  der  Annahme  nicht  entsages 
za  müssen,*'  sagt  Dr.  8tübel,  „daß  diese  Art  von  Bergen  ihre  ßol* 
stehung  der  aUmahlichen  Au&chichtung  in  unermeßlich  langen  Zeit- 
räumen verdankt,  hat  man  sich  vorgestellt,  daß  domförmige  Berge, 
die,  anstatt  einen  zentralen  Krater  zu  besitzen,  von  einer  hohen  Feb- 
Pyramide  gekrönt  sind,  oder  auch  in  ihrem  ganzen  Baue  einer  dord 
und  durch  festen  Felspyramide  gleichen,  nur  als  die  innem  Kens 
mächtig  großer  Kegelberge  anzusehen  seien,  deren  TJmJiüUang  aa 
losem  Materiale  bestanden  und  im  Laufe  der  Zeit  abgetragen  worda 
sei-  Die  Bankung,  die  auch  diesen  Felspyramiden  oftmals  eigen  isL 
war  maßgebend  für  die  Voraussetzung  der  sukzessiven  Aufaehichtoi^ 
und  in  Verbindung  mit  dem  von  altersher  liebgewonnenen  Glauben, 
daß  Vulkane  die  über  die  Erdoberfläche  verteilten  „Sicherhdt» 
Ventile"  für  einen  unerschöpflichen,  in  Pausen  tätigen  Herd  wärea. 
schien  eine  weitere  Prüfung  des  Sachverhaltes  völlig  überflüssig.  Msa 
schwieg  am  liebsten  über  Bergformen,  die  sich  nicht  leicht  in  das  auf- 
gestellte Schema  der  sukzessiven  eruptiven  Schöpfungen  einreihoi 
ließen.  Die  Erklärung,  die  man  sich  für  die  Entstehung  der  Pjn- 
midenberge  zurechtgelegt  hat,  ist  gewissermaßen  ein  Gegenstück  zu 
der  sicherUch  nicht  weniger  unbegründeten  Deutung  der  Calderen  ab 
Explosionskratem,  die  aus  Kegelbergen  dadurch  entstanden  seien, 
daß  deren  obere  Teile  nachträghch  weggesprengt  worden  wären.  Der 
Mont  Pel6  hat  aus  der  Tiefe  seines  Herdes  vernehmlich  gesprochen! 
Der  Konus  mit  seiner  Felsnadel  fordert  von  dem  Vulkanologen,  sidi 
darüber  zu  entscheiden,  ob  er  die  mit  dem  lokalisierten  und  erschöpf- 
hchen  Herde  verbundene  monogene  Natur  einer  großen  Gruppe  yvI- 
kanischer  Schöpfungen,  die  sich  nur  als  mächtig  große  Abraumhaute 
einer  in  den  meisten  Fällen  einzigen  Tätigkeitsperiode  darstellen,  ab 
solche  anerkennen  will,  oder  ob  er  es  vorzieht,  bei  der  bisherigen  Auf- 
fassung der  „Vulkane*'  als  Vermittler  einer  unendlichen  Reihe  von 
Eruptionen  zu  verharren. 

Die  Pyramidenberge  bilden  eine  Gruppe  vulkanischer  Baue,  die, 
wenn  auch  an  typischen  Vertretern  vielleicht  weniger  zahlreich,  docH 
der  der  Kraterberge  ab  genetisch  gleich  berechtigt  an  die  Seite  g^estdlt 
werden  muß. 

Die  Bildung  des  Kegels  und  seiner  Felsnadel  ist  also  aus  einer 
Äußerungsweise  der  vulkanischen  Tätigkeit  hervorgegangen,  die  un- 
verkennbar die  gleiche  ist,  wie  die,  welche  auch  mächtig  große  Berge 
hervorzubringen  vermochte.  Ob  ein  steilwandiger  oder  ein  flacher 
Kegelberg  entsteht,  hängt  wesentlich  von  dem  Flüssigkeitszustande 
des  Magmas  ab,  die  Krater-,  resp.  CaJderabildung  aber  von  der  Art 
des  Rückzuges,  die  dem  ersten  gewaltigen  Durchbruche  des  Magmas 
nach  der  Oberfläche  folgte." 

Indem  Stübel  die  bisher  wenig  beachtete  Klasse  von  Vulkan- 
bergen mit  pyramidenförmig  ausgebildetem,  meist  kraterloeem  Baue 


Yulkanismus.  137 

der  äußerst  umfangreichen  Klasse  der  Kraterberge  als  genetisch 
gleichwertig  an  die  Seite  stellt»  spricht  er  laut  aus,  daß  der  Krater 
genetisch  und  morphologisch  betrachtet  eine  für  die  Äußerung 
eruptiver  Tätigkeit  völlig  unwesentliche  Bildimg  ist. 

Er  sagt:  „Das  Vorhandensein  eines  Kraters  an  vulkanischen 
Gebilden  der  heutigen  Erdoberfläche  ist  für  das  Auftreten  von  Aus- 
bruchserscheinungen  durchaus  keine  Vorbedingung.  Denn  es  gibt 
sehr  viele  und  gerade  sehr  große  Berge  eruptiver  Entstehung,  die 
keine  Krater  besitzen,  und  an  solchen,  die  sie  aufzuweisen  haben,  ge- 
schehen die  Ausbrüche  häufig  genug  nicht  durch  die  Vermittlung  des 
Kraters,  sondern  außerhalb,  oftmak  in  weiter  Entfernung  von  diesem ; 
auch  haben  gewaltige  Ausbrüche  glutflüssigen  Magmas  auf  nicht- 
vulkanischem, auf  granitischem  und  sedimentärem  Boden  statt- 
gefunden, ohne  daß  weite  Kraterschlünde  gebildet  und  zurück- 
geblieben wären. 

Der  Krater  stellt  sich  bekanntlich  dar  als  eine  bald  flach  kessel- 
förmige,  bald  mehr  trichterförmige  Vertiefung  von  sehr  verschiedener 
Größe  und  Gestalt  im  Verhältnisse  zu  den  Dimensionen  der  bergarti- 
gen Aufschichtungsmasse,  in  die  sie  eingesenkt  ist.  Es  gibt  große 
Berge  mit  kleinen  Kratern  und  kleine  Berge  mit  verhältnismäßig  sehr 
großen  Kratern. 

Das  Gestein  des  Berges,  in  welchem  die  Kratereinsenkung  liegt, 
kann  sowohl  im  glutflüssigen  oder  glutzähen  Zustande  ergossen  und 
ausgestoßen,  als  auch  im  feSten,  als  Sand,  als  Schlacken  und  loser 
Gesteinsschutt  ausgeworfen  worden  sein;  es  umlagert  und  verschließt 
zumeist  in  geringer  Tiefe  die  Mündung  des  Schachtes,  der  ehedem  die 
Verbindung  mit  dem  Herde  herstellte,  aus  dem  es  selbst  hervor- 
gegangen ist.  —  Zur  Entstehung  von  Kratervertiefungen  können  ver- 
schiedene Umstände  mitwirken,  aber  nur  ein  Umstand  kann  bei 
monogenen  Bauen,  in  denen  Berge  und  Krater  in  inniger  Beziehung 
stehen,  als  Grundursache  angesehen  werden,  und  dieser  ist  das  plötz- 
liche Zurücksinken  eines  Teiles  der  aufgeworfenen  Bergmasse,  zumeist 
des  zentralen,  in  die  Tiefe  des  Schachtes,  und  zwar  gerade  zu  dem 
Zeitpunkte,  in  dem  der  Herd  die  Förderung  seiner  Füllmasse  nach 
der  Oberfläche  einstellt,  die  erste  Ausbruchsperiode  eines  lokalisierten 
Herdes  ihren  Abschluß  findet.  Die  Kratervertiefung,  welche  Größe 
^uid  Gestalt  sie  auch  besitzen  möge,  ist  daher  niemals  das  Ergebnis 
aufbauender  Ejräfte,  sondern  stets  die  Folge  von  deren  Ersterben 
innerhalb  des  lokalisierten  Herdes  und  der  damit  verbundenen  Nach- 
saokung  des  Materiales  im  obem  Teile  des  Tiefenschachtes.  Wir  be- 
zeichnen solche  Krater  als  Rückzugskrater,  als  Calderen. 

Da  der  Rückzug  eines  Teiles  der  monogenen  Bergmasse  aber 
lücht  in  jedem  Falle  einzutreten  braucht,  sehen  wir  sehr  viele  und 
sehr  große  Vulkanberge,  die  überhaupt  keine  Kratereinsenkung  be- 
sitzen, wenigstens  keine  solche,  die  als  das  Ergebnis  eines  Rückzuges 
in  größerm  Maßstabe  gedeutet  werden  könnte. 


188  Yalkanlsmos. 

Dagegen  gibt  es  eine  zweite  Art  von  Ejratereinsenknngeii,  namlick 
solche,  die  im  Verhältnis  zur  Größe  der  Bergmaase  klein  und  na- 
wesentUch  erscheinen,  and  von  denen  an  einem  Berge  zuweilen  noehme 
auftreten.  Sie  entstehen  dadurch,  daß  sich  Gas-  und  Dampfexhala- 
tionen,  sowie  kleinere  Explosionen,  die  nicht  vom  Kraterschachte  ai» 
zugehen  brauchen,  sondern  ledighch  Erkaltungserscheinungen  der 
Bergmasse  selbst  sind,  auf  einen  oder  mehrere  Punkte  konzentnena 
und  dadurch  kraterartige  Vertiefungen  im  Laufe  langer  Zeiträim 
ausblasen.  Manche  Solfataren  sind  zu  dieser  Art  von  ELratem  a 
zahlen. 

Die  mannigfaltigste  Art  von  Kratern  haben  jedoch  diejenigBB 
Herde  hervorgebracht,  die  sich  nicht  mit  einem  Ausbruche  erschöpftiOi, 
sondern  in  weit  sx>aterer  Zeit  wieder  in  Aktion  traten  and  dann  des 
früher  gebildeten  Krater,  wie  dies  so  häufig,  vielleicht  vorherrschend 
zu  geschehen  pflegt,  aufs  neue  zum  Schauplatze  ihrer  Tätigt 
machten.  Wenn  nun  diese  zweite  Tätigkeitsperiode  dee  gleicfaei 
Herdes  einen  neuen  Berg  aufwarf,  so  ereignete  sich  auch  in  diesen 
wieder,  am  Schlüsse  der  neuen  Ausbruchsperiode,  der  Vorgang  des 
Rückzuges,  der  gleichfalls  die  Bildung  eines  Kraters  häufig  zur  Folge 
hatte.  Es  ist  dies  eine  dritte  Art  von  Kratern,  die  der  polygeoBB 
Aufschüttungskegel. 

Da  aber  die  Berge,  welche  durch  eine  solche  zweite  Emptiani- 
periode  aufgeworfen  werden,  an  Größen  weit  hinter  denen  der  eistet 
Ausbruchsperiode  des  betreffenden  Herdes  zurückzustehen  pflegen, 
so  sind  auch  ihre  Krater  von  entsprechend  kleinem  Abmessungeo. 
In  dieser  Art  von  vulkanischen  Bildungen  treten  vorhenscheod 
trichterförmige  Kratereinsenkungen  auf.  Indem  nun  durch  die  zweite 
Tätigkeitsphase,  wie  dies  häufig  geschieht,  eine  bleibende  Verbindui^ 
mit  dem  im  Absterben  begriffenen  Herde  herbeigeführt,  ein  soge- 
nannter „tätiger  Vulkan'*  gebildet  wird,  so  gewinnt  man  durch  die 
Vermittlung,  welche  der  Krater  für  die  nachfolgenden  kleinem  und 
großem  Ausbrüche  spielt,  den  Eindruck,  daß  er  das  wesentlichste 
GUed  im  Mechanismus  der  eruptiven  Tätigkeit  sein  müsse.'* 

^  Neben  den  großen  Bückzugskratem  der  monogenen  Bergmassive, 
den  relativ  weniger  umfäni^hchen  Kesselkratem  sekundärer  Herde 
und  den  einer  häufigen  Umgestaltung  unterworfenen  Triehterkratein 
der  „tätigen  Vulkane"  ist  eine  vierte  Art  zu  erwähnen,  nämlich  die 
Exploeionskrater.  „Wenn  schon,'*  sagt  bezüglich  ihrer  Stübel,  „die 
Bildung  der  zuerst  erwähnten  drei  Kxaterarten  davon  überzeugen 
mußte,  daß  die  ganze  vulkanische  Tätigkeit,  wie  sie  sich  in  den 
Schöpfungen  der  heutigen  Erdoberfläche  darbietet,  ihren  Ursprung 
nur  in  peripherischen,  in  erschöpflichen  Herden  haben  kann,  so  sind 
die  Explosionskrater  doch  gerade  diejenigen,  bei  denen  dieses  Ve^ 
halten  am  schärfsten  hervortritt.  Und  (Ues  kommt  daher,  daß  die 
Explosionskrater  nur  in  sehr  seltenen  Fällen  wirkUche  Lavaeigosw 


Valkanismus.  Ig9 

gehabt  haben,  daß  ein  zweiter  Ausbruch  an  der  gleichen  Stelle,  soweit 

uns  bekannt,  wohl  noch  nie  beobachtet  worden  ist,  und  daß  schUeßlich 

diese  Explosionskrater  ihrer  Lage  nach  zumeist  an  Orten  auftreten, 

wo  sich  ihre  Beziehung  zu  altem,  großem  Eruptionszentren  am 

wenigsten  verstehen  läßt.    Mit  einem  Worte,  alle  Wahrnehmungen 

scheinen  sich  hier  zu  vereinigen,  um  den  Eindruck  hervorzurufen,  daß 

'  die  Explosionen,  welche  diese  Art  von  Kratern  hervorbrachten,  ihren 

'  Ursprung  in  sekundären,  besonders  engbegrenzten  Herden  haben,  die 

'  mit  einer  solchen  Explosion  ihre  erste  und  zugleich  auch  ihre  letzte 

'  Tätigkeit  entfalteten." 

Dr.  Stübel  zögert  nicht  zu  behaupten,  daß  vielleicht  keiner  der  in 
'  historischer  Zeit  beobachteten  Vulkanausbrüche  der  gesamten  Erd- 
'  Oberfläche  dem  Geologen  einen  Dienst  von  größerer  Tragweite  ge- 
*  leistet  hat  als  der  Mont  Pel6  durch  Hervorbringung  seines  Staukegels 
;  in  Verbindung  mit  seinem  Gipfelfelsen.  Zwar  lehre  uns  dieses  Gebilde 
zunächst  nur  die  Entstehung  eines  steilen  bizarren  Felsens,  aber  wenn 
wir  erwägen,  daß  damit  (auf  dem  Wege  der  Induktion)  für  eine  große 
'  Klasse  von  Vulkanbergen  eine  klare  genetische  Deutung  erschlossen 
I  wurde,  die  man  ihr  bislang  zu  geben  zögerte,  so  werde  man  diesen 
'  Ausspruch  nicht  ungerechtfertigt  finden.  Dazu  komme  noch,  daß 
'  wir  den  Staukegel  auch  zur  Beantwortung  der  allgemeinem  Frage 
heranziehen  können,  ob  monogener  oder  sukzessiver  Aufbau  der 
I  Vulkanberge  das  maßgebende  Moment  für  das  Wirken  der  vulkani- 
I  sehen  Ejraf te  in  der  Gegenwart  werden  solle,  von  welcher  dann  wieder 
;  die  Entscheidung  über  die  Natur  des  Herdes  abhänge,  in  dem  der  Sitz 
I  jener  Kräfte  vermutet  werden  darf. 

Die  Methode  der  streng  wissenschaftlichen  Erforschung  des  Vul- 
kanismus sei  mit  Martinique  und  St.  Vincent  in  ein  neues  Stadium 
getreten;  sie  sei  eine  zielbewußtere  geworden.  Der  Geolog  frage 
gegenwärtig  an  erster  Stelle:  haben  bergartige  Neubildungen  durch 
Magmaergüsse  stattgefunden,  imd  wenn  es  geschehen,  in  welchem 
Größen-  und  Volumenverhältnisse  stehen  diese  zu  dem  Gesamtbaue, 
den  das  gleiche  Zentrum  vorher  in  einmaliger  oder  mehrmaUger  Tätig- 
keit hervorgebracht  hat.  Er  verlange,  wenn  er  nicht  selbst  an  Ort 
und  Stelle  weilt,  die  genauen  kartographischen  und  bildlichen  Unter- 
lagen, die  ihn  in  den  Stand  setzen,  solches  zu  beurteilen,  um  nicht 
allein  aus  dem  Vergleiche  einzelner  Vulkanberge,  sondern  ganzer 
Vulkangebiete  miteinander  seine  genetischen  Schlüsse  ziehen  zu 
können.  Dies  aber  sei  unerläßlich,  wenn  wir  zu  einer  befriedigenden 
und  grundlegenden  Vulkantheorie  gelangen  sollen. 

Alle  bergartigen  Vulkanschöpfungen  der  Erde  sprechen  laut  für 
die  Wirkung  einer  in  sich  absterbenden  Kraft  lokalisierter  und  er- 
BchöpfUcher  Herde,  und  die  letzten  Ausbrüche  des  Mont  Pel6  (und 
der  Soufri^re  von  St.  Vincent)  haben,  wie  Stübel  betont,  das  ihrige  in 
diesem  Sinne  beigetragen. 


190  YnlkaBlsmiis. 

Der  Folmekeii  des  Hont  PoU  wird  von  A.  Heilpiin  ^)  als  Kea 
des  alten  VulkaneB  angesprochen.  Nach  seiner  Meinung  war  er  as 
der  sehr  zähen,  sauem  Lava  gebildet,  die  sofort  bei  ihrer  Aaaatoßiioi 
erstarrte  und  unter  dem  Drucke  der  vulkanischen  Kräfte  ver^kal  ii 
die  Höhe  getrieben  wurde,  anstatt  wie  normale  Lavaströme  aosa- 
fließen.  Das  ganze  Aussehen  des  Febobelisken,  die  deutlich  ver- 
schiedene Beschaffenheit  der  zwei  entgegengesetzten  Flachen,  du 
Fehlen  fluidalen  Überfliefiens  und  die  scharfe  Demarkatiandinii 
zwischen  der  Basis  des  Gebildes  und  der  umgebenden  Masse  spreches 
eher  mehr  für  einen  alten,  durch  die  Wärme  metamorphosierten  Felsen 
als  für  neugebildete  und  schnell  erstarrte  Lava.  Ein  solches  Heb» 
von  Gebirgskemen  in  der  E^aterachse  eines  Vulkanes  ist  auch  beveilz 
von  einigen  Geologen  behauptet  worden,  so  von  Abich  im  Kaukasm 
und  von  Scrope  für  die  Auvergne.  Die  Tatsache,  daß  die  me»ta 
Vulkane  nach  wechselnder  Tätigkeitsdauer  ruhen,  und  daß  &m^ 
sich  spät  wieder  öffnen  in  der  Richtung  der  frühem  EhrapüoneB, 
läßt  nach  Heilprin  vermuten,  daß  von  Zeit  zu  Zeit  diese  Pfropfen  uod 
Kerne  aus  der  Krateröffnung  an  die  Oberfläche  emporgehoben  werden 
und  solche  Türme  bilden,  wie  sie  der  Pel6vulkan  gezeigt  hat. 

Die  Hauptgruppe  der  Vulkanberge  Ecuadors.  Dr.  A.  Stübel  hat 
eine  Karte  dieser  Vulkane  mit  Begleitwort  veröffentlicht,  worin  er 
zeigt,  daß  dieselbe  ein  äußerst  instruktives  Beispiel  darbietet  fiir  die 
Äußerung  regulärer  Kraft  in  räumlich  kleinen  Abständen,  für  die 
deutlichen  Anzeichen  ihrer  Abschwächung  und  ihres  Brsterbeos 
innerhalb  begrenzter  Zeiträume.  Die  Karte,  im  Maßstabe  vos 
1  :  200  000,  umfaßt  die  Vulkanberge  Antisana,  Chacana,  Sincholagua, 
Quilindana,  Cotopazi,  Ruminahui  und  Fasochoa.  Diese  sieben  ge- 
waltigen Vulkanberge  erheben  sich  auf  einer  Fläche  von  nicht  mehr 
als  3000  qkm  Größe,  die  ako  noch  nicht  zehnmal  so  groß  ist  als  der 
Flächenraum,  den  die  Stadt  London  bedeckt.  Und  doch  überragt 
der  Gipfel  des  Gotopaxi  um  1100  m  die  Höhe  des  Montblanc,  und  auch 
der  Sincholagua  würde  noch  über  diesen  hinausschauen,  während 
Ruminahui  und  Pasochoa  ihm  an  Höhe  fast  gleichkommen.  Solche 
Vulkanberge  stehen  also  auf  verhältnismäßig  kleiner  Fläche  zu- 
sammen. „Müßte  hier  nicht,'*  sagt  Dr.  Stübel  mit  Recht,  „wenn  die 
glutflüssigen  Massen  aus  einer  wirklich  beträchtlichen  Tiefe  empor- 
zudringen  gehabt  hätten,  schon  ein  Förderschacht  genügt  haben? 
Lehrt  uns  doch  der  Mond,  daß  auf  seiner  Oberfläche  Kraterbildungen 
möghch  waren,  deren  Abmessungen  die  obige  2^hl  um  ein  Mehrfach« 
übertreffen.  Der  Kraterzirkus  des  Kopemikus  umfaßt,  um  nur  ein 
Beispiel  anzuführen,  gegen  6000  qhm,  und  dabei  hegt  seine  innne 
Kraterebene  an  3000  m  tiefer  als  das  äußere  Gelände  seines  Ring- 
Walles.  Schon  die  zumeist  vollendete  ELreisform  solcher  Kraterbildungen 

1)  Soienoe  1904.  N.  S.  10.  p.  800. 


y  ulkanismas.  191 

auf  dem  Monde  sagt  uns  unwiderleglich»  daß  eine  jede  von  ihnen,  die 
umfänglichsten  nicht  ausgenommen,  in  ihier  radial  größten  Abmessung 
doch  nur  das  Werk  eines  einsägen  Ausbruches  sein  kann.  Wie  ver- 
schwindend klein  sind  aber  die  Gebilde  des  terrestrischen  Vulkanis- 
mus, die  auf  die  Gegenwart  gekommen  sind,  einem  Kopernikus  gegen- 
über! 

Ein  so  dichtes  Beisammenliegen  der  Ausbruchszentren,  wie  es  die 
Karte  für  diese  sieben  Berge  vergegenwärtigt,  und  von  denen  ein  jedes 
die  schon  recht  beträchtliche  Masse  seiner  Eruptionsprodukte  zu 
einem  1600  bis  3000  m  hohen  Berge  aufzustauen  und  aufzuschichten 
vermochte,  läßt  uns  vor  allem  fragen,  ob  diese  so  dicht  benachbarten 
Ausbruchszentren  ihre  Tätigkeit  gleichzeitig  begonnen  haben,  oder 
ob  sie  der  Reihe  nach  in  Aktion  getreten  sind 

TJm  die  Lösung  dieser  Frage  anzubahnen,  müssen  wir  für  jeden 
der  Berge  aus  seinen  tektonischen  und  morphologischen  Verhältnissen 
zunächst  festzustellen  suchen,  ob  er  das  Produkt  einer  einmaUgen 
Tätigkeitsperiode  seines  Ausbruchszentrums  darstellt,  oder  ob  an- 
i  genommen  werden  muß,  daß  er  durch  eine  ganze  Reihe  von  Aus- 
brüchen, die  durch  lange  Pausen  der  Ruhe  voneinander  getrennt 
waren,  aufgeschichtet  worden  ist. 

Würden  wir  durch  das  Studium  des  innem  und  äußern  Baues 
dieser  Berge  zur  letztem  Annahme  geführt,  so  kämen  wir  zu  der 
,  Schlußfolgerung,  daß  es  sich  bei  ihrer  Bildung  nur  um  ein  Wechsel- 
spiel fortdauernder  Tätigkeit  handelte,  in  welchem  sich  die  sieben 
Aasbruchszentren  ergingen  und  untereinander  ablösten;  die  Frage 
nach  einer  gleichzeitigen  oder  ungleichzeitigen  Aufschichtung  der 
Bergmassen  würde  dann  zu  einer  nebensächlichen,  genetisch  weniger 
bedeutungsvoUen  herabsinken/' 

Dr.  Stübel  hat  aber  in  seinem  Werke  über  die  Vulkanberge 
Ecuadors  in  ausführlichster  Weise  dargelegt,  daß  jeder  der  sieben 
Berge  seiner  Hauptmasse  nach  das  Produkt  einer  einzigen  Ausbruchs- 
periode ist,  in  der  sich  der  dem  Epizentrum  zugehörige  Herd  mehr 
oder  weniger  erschöpfte.  Solche  Vulkanberge  nennt  Stübel  mono- 
gene. Die  Bezeichnimg  monogen  schließt  nicht  nur  die  Entstehung 
eines  Berges  in  einer  einzigen  Ausbruchsx)eriode  in  sich,  sondern  setzt 
auch  voraus,  daß  sich  der  Herd,  aus  dem  die  Masse  des  Berges  hervor- 
ging, durch  deren  Förderung  nach  der  Oberfläche  zum  größten  Teile 
erschöpfte.  Der  Begriff  des  monogenen  Vulkanberges  ist  daher 
keineswegs  identisch  mit  dem  der  Quellkuppe  oder  dem  des  homo- 
genen Vulkanes.  Der  monogene  Vulkanberg  kann  sich  ebensogut 
aus  geflossenem  als  aus  totem  Materiale  oder  auch  aus  beiden  zugleich 
aufbauen,  sein  Herd  würde  aber  nach  Stübel  einen  zweiten  Berg 
gleicher  Größe  nicht  hervorbringen  können. 

Von  den  oben  genannten  sieben  Bergen  haben  nach  Dr.  Stübel 
nur  drei,  nämlich  der  Antisana,  der  Chacana  und  der  Cotopazi  Hinzu- 
fügungen durch  erneute  Tätigkeit  ihrer  Zentren  in  späterer  Zeit  er- 


192  Vnlkanitmnt. 

halten;  ohne  jeden  Zuwachs  sind  die  übrigen  vier  Berge,  QaOindaDft, 
Sincholagua,  Ruminahai  und  Pasochoa  geblieben.  Es  ist  nun  va 
Wichtigkeit  zu  untersuchen,  wann  und  wie  dieser  Zuwachs  der  dni 
genannten  Berge  aus  der  Tiefe  erfolgt  ist,  ob  einmalig  oder  in  g^ 
trennten  Zeiträumen,  ob  bald  nach  der  Entstehung  des  Hauptbeqgi 
in  grauer  Vorzeit  oder  in  einer  der  Gegenwart  schon  nahe  liegenta 
Periode. 

„Für  Antisana,  Chacana  und  Cotopaxi/'  fährt  Dr.  Stübel  fai^ 
„ist  mit  größter  Bestimmtheit  nachzuweisen,  daß  zwischen  der  &^ 
und  der  erneuten  Tätigkeit  aus  der  Tiefe,  welche  den  Zuwachs  liehrtt, 
eine  —  selbst  im  geologischen  Sinne  gesprochen  —  überaus  iaiy 
Pause  verstrichen  sein  muß,  und  diesen  für  alle  drei  Berge  übenis- 
stimmenden  Umstand  betrachten  wir  als  das  wesentlichste  JAcma^ 
das  über  das  Verhalten  der  Eruptionszentren  und  ihrer  Herde  Arf* 
Schluß  zu  geben  vermag,  nachdem  wir  uns  bereits  vergegenwartigtBit 
daß  auf  der  verhältnismäßig  kleinen  Fläche  von  3000  qkm  ^b« 
Vulkanberge  zusammengedrängt  sind,  und  von  diesen  vier  überhaapt 
eine  Tätigkeit  später  nicht  mehr  entfaltet  haben. 

Es  ist  leicht  einzusehen,  daß  Berge,  wenn  sie  als  mächtig  grofie 
Abraumhaufen  durch  eine  beträchtliche  Zahl  von  ElinzelausbracbeD 
aufgeschichtet  worden  wären,  alle  nach  einem  Schema  als  steile 
Kegelberge  aufgebaut  sein  müßten.  Dies  ist  aber  hier  nicht  der  FJL 
Trotz  der  bankartigen  Ablagerung  ihrer  Gesteinsmasaen  trägt  jeder 
der  sieben  Berge  die  Eigenartigkeit  seiner  Entstehung  an  sich. 

An  den  altem  der  vulkanischen  Schöpfungen  überwiegt  im  aD- 
gemeinen  die  horizontale  Ausdehnung  die  vertikale  Erhebung.  Nicht 
nur  in  Ecuador,  sondern  auch  in  andern  Vulkangebieten  gibt  es  eine 
große  Zahl  von  Eruptionszentren,  deren  bergartige  Baue  ihre  einhat- 
Uche  Entstehung  auf  den  ersten  Blick  erkennen  lassen,  und  dieser 
Eindruck  der  tektonischen  Einheitlichkeit  ist  es  häufig  gewesen,  der 
solche  Berge  ganz  unbedenklich  als  „erloschene  Vulkane"  bezeicho^ 
Ueß.  Andere  derselben  Art  haben  erst  in  einer  relativ  sehr  neuen  Zeit 
einen  weitem  Zuwachs  aus  der  Tiefe  erhalten.  Diese  letztem  stinun^ 
unter  sich  darin  überein,  daß  sich  der  spätere  Zuwachs  nicht  als  orpr 
nisches  Glied  in  den  alten  Bau  einfügt,  zumeist  nicht  einmal  an  dtf 
zentralen  Ausbruchsstelle  ergossen  wurde,  sondern  ganz  unvemuttei^ 
an  irgend  einem  Punkte  des  einheitUchen  Urbaues  hervorgetreten 
ist,  und  zugleich  quantitativ  dem  Urbaue  gegenüber  verschwind«^ 
klein  erscheint.  Aus  diesem  Gegensatze  zwischen  dem  großen,  in  a<^ 
abgeschlossenen  Urbaue  eines  jeden  solcher  Berge  und  dem  qaaob* 
tativ  geringen  Zuwachse,  den  einige  von  ihnen  in  neuer,  zum  Trf 
noch  in  geschichtlicher  Zeit  erhalten  haben,  dürfen  wir  gewiß  oü^ 
vollem  Rechte  auf  Lokalisierung  und  Erschöpflichkeit  der  Heid^ 
schließen,  aus  denen  alle  diese  Baue  hervorgegangen  sind.  Neue 
Ergießungen  so  geringer  Magmamassen  an  beliebigen  Punkten  eines 
einheitlich  aufgebauten  Berges  ältester  Vorzeit  würden  mit  so  genauer 


I«i«l0-*»4S»S 


NSi::p|imi§b^;^lC£l7«$£lc«fäk!il*M^;i^  den  Wolken 

>^^^:i'-^<^^i^«^^|^^i'fB*?^*  ^1  '§|'^||»^-f&'^^^iere  aus. 

MJ^rn:  ^m%m^i^^lUM!^^  «i^e  Terrasse  des 
-«••TSv»  «^^«TSv»  «orDt  •Qot«Qot«Qoi  «an»  •an»  •od»  «oo»  •odb»  •«»•  «co* «?!?» 

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4k*w  10:2«  äO  £  «^  ^a^Sf'  i^^-   tfO   Da~:  ^   (^   00   00   (3>   DO   m  ^? 

'Z'  -!»:?• -!sft»  *  *-?a'''"Y' 


iChtisivnilla)  aus. 
i*SiSvlergrimdo  der  Hato  von 


.TRliihnch  XV.  1904. 


Vulkanigmus.  1 93 

(Tbereinstimmung  in  den  verschiedenen  Vulkangegenden  nicht  denk- 
l>Ar  sein,  wenn  es  sich  dabei  um  die  Reaktionen  eines  unerschöpflichen 
Zeutrcdherdes  handelte. 

Daraus  ergibt  sich,  daß  alle  diese  Berge,  sowohl  jene,  deren  Herde 
sich  mit  dem  ersten  Ausbruche  völlig  erschöpften,  als  auch  die,  welche 
Krgußmassen  nachträglich  ausstießen,  in  ihrem  Verhalten  mit  der 
Bedeutung  „Vulkan"'  im  hergebrachten  Sinne  nicht  übereinstimmen/* 
Von  den  sieben  Bergen  entspricht  nur  der  Cotopaxi  in  seiner 
heutigen  Beschaffenheit  d^  für  polygene  Vulkane  typischen  Kegel- 
gestalt.  Der  Antisana,  Ruminahui,  Pasochoa  und  (weniger  typisch) 
der  Chacana  gehören  in  die  Klasse  der  Calderaberge,  Sincholagua  und 
Quilindana  sind  Strebepfeilerbaue  mit  Gipfelpyramiden. 

Ein  typisches  Beispiel  der  Calderaberge,  d.  h.  solche  Vulkane, 
bei  welchen  nach  Stübel  der  früheste  Eruptionsschlund  in  Gestalt 
eines  großen,  an  einer  Seite  offenen  Zirkus  noch  erhalten  ist,  bildet 
der  Antisana.    Bei  ihm  ist  der  alte  Kessel  mit  Gletschern  erfüllt,  und 
man  hätte  annehmen  sollen,  daß  die  neuem  Ausbrüche  innerhalb 
dieses  Kessels  vor  sich  gegangen  wären.    Dies  ist  jedoch  nicht  ge- 
schehen.   Der  Antisanaherd  hat  vier  relativ  kleine  Lavaströme  er- 
gossen, und  diese  sind  ohne  jede  Kraterbildung  an  den  äußern  Ab- 
hängen der  Calderaumwallung  hervorgebrochen,  ohne  daß  sich  dabei 
Eruptionskessel  gebildet  hätten.    „Es  war  dies  eine  schnell  vorüber- 
gehende Tätigkeit,  und  alle  vier  Ströme  gehören  unverkennbar  einer 
und  derselben  Tätigkeitsperiode  des  Herdes  an,  auch  wenn  sie  nicht 
gleichzeitig,  nicht  einmal  im  gleichen  Jahrhunderte  oder  gleichen 
Jahrtausende  ergossen  sein  sollten.''    So  unermeßlich  groß,  betont 
Dr.  Stübel  mit  Nachdruck,  muß  der  Zeitraum  veranschlagt  weiden, 
der  beide  Ausbruchsperioden  der  Herde,  die  erste  und  die,  welche  ihr 
zunächst  folgte,  voneinander  trennt. 

„Dem  Antisana  entstanmien  also  mehrere  Ausbrüche,  aber  die  Art 
seiner  Tätigkeit  ist  der  des  „tätigen  Vulkanes"  nicht  an  die  Seite  zu 
stellen.  Man  gewinnt  aus  ihr  vielmehr  den  Eindruck,  daß  es  die 
letzten  Reste  eines  beinahe  erschöpften  Herdes  gewesen  sein  müssen, 
die  hier  zur  Abführung  gelangten.  Etwas  anders  hegen  die  Verhält- 
nisse bei  den  großen  historischen  Lavaströmen  des  Chacanamassives. 
Der  Austrittsort  des  ersten,  des  Antisanillastromes,  dürfte  mit  dem 
Haupteruptionszentoum  des  Chacanabaues  nahezu  zusammenfallen; 
er  könnte  fast  als  ein  Calderaausbruch  bezeichnet  werden.  Als  charak- 
teristisch sei  hervorgehoben,  daß  auch  hier  kein  Aufschüttungskegel 
gebildet  wurde.  —  Der  Austrittspunkt  des  zweiten  Stromes,  des  von 
Potrerillos,  Hegt  vom  mutmaßhchen  Eruptionszentrum  des  Chacana, 
vom  Ursprungsorte  des  Antisanülastromes,  rund  IS  km  entfernt.  Auch 
hier  ist  es  nicht  zur  Bildung  eines  Aufschüttungskegels  gekommen. 
Beide  Lavaströme  sind  als  gleichaltrig  zu  betrachten  und  datieren, 
wenigstens  der  erste  bestimmt  nachweisUch,  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts.  —  Ein  dritter,  aber  kurzer  und  unbedeutender 

Klein.  Jahrbaoh  XV.  18 


194  YnlkanlimiiB. 

Lavaatrom,  der  von  Coaoungo,  brach  am  Südweatfaße  der  Tablanum* 
felaen,  in  der  Nähe  des  Chacanagipfelbergea  hervor  und  veihielt  äfili 
den  zwei  großen  Strömen  inaof em  analog,  als  auch  bei  ihm  weder  eioe 
Kraterbildung,  noch  die  Aufischüttung  einea  Eruptionakegels  sa  be- 
merken ist.  Was  die  Gesamtheit  der  vulkanischen  Erscheinungn 
auf  der  Erde  lehrt:  die  Abführung  glutflüssiger  Materie  als  Endzweck 
aller  eruptiven  Tätigkeit,  wird  also  auch  durch  die  Lavaergüsae  des 
Antisana  und  Chacana,  und  zwar  hier  ganz  im  Kleinen,  augrafiOig 
bestätigt/* 

Auch  der  Gotopaxi  hat  eine  große  Pause  der  erstmaligen  Er- 
schöpfung gehabt.  „Wenn  man,*'  sagt  Stübel,  „den  stolzen  Kegd 
vor  sich  sieht,  könnte  man  glauben,  daß  er  seine  Tätigkeit  in  fernster 
Urzeit  begonnen  und  bis  auf  den  heutigen  Tag  periodisch  fortgesetzt 
habe.  Hierin  aber  würde  ein  großer  Fehlschluß  liegen;  wir  würden 
übersehen,  daß  der  heutige  Cotopazik^^l  auf  einem  uralten  Unter- 
baue fußt,  und  daß  dieser  unverkennbar  bereits  zerstört  gewesen  ist, 
bevor  die  Bildung  dieses  neuen  Kegels  ihren  Anfang  nahm,  mit  anden 
Worten,  bevor  die  zweite  Ausbruchsperiode  des  Herdes  begann,  dk 
noch  gegenwärtig  fortbesteht  und  wahrscheinUch  fortbestehen  wird, 
bis  der  Herd  erstorben  ist.'* 

So  ergibt  sich  denn,  daß  von  den  sieben  in  Rede  stehenden 
Vulkanbergen  keiner  sich  mit  der  frühem  Anschauung  über  dv 
Wesen  des  irdischen  Vulkanismus  in  der  Gegenwart  in  Einidaog 
bringen  läßt.  „Wenn  nun  auch'*,  fährt  Dr.  Stübel  fort,  „für  die  Bil- 
dung dieser  sieben  dicht  benachbarten  Berge  lokalisierte  und  er- 
schöpfUche  Herde  vorausgesetzt  werden  müssen,  so  soll  damit  doch 
keineswegs  gesagt  sein,  daß  jeder  derselben  seinen  eigenen,  scW 
umgrenzten  Herd  gehabt  habe.  MöglicherweiBe  stehen  mehrere  der 
Berge  über  dem  gleichen  Herde,  den  man  sich  in  der  Tiefe  als  ver- 
zweigt vorstellen  kann,  oder  doch  über  Kammern  desselben,  die  unter- 
einander schon  damals  nicht  mehr  kommunizierten,  als  das  Hervor- 
brechen des  glutflüssigen  Magmas  an  der  einen  oder  andern  Stelle  ein- 
trat. Aus  dem  dichten  Beisammenliegen  der  Vulkanzentren  ergibt 
sich  jedenfalls  die  sehr  merkwürdige  Wahrnehmung,  daß  ein  Ver- 
bindirngsschacht,  den  sich  das  glutflüssige  Magma  nach  der  Erdober- 
fläche bahnt,  die  Füllmasse  des  Herdinnem  immer  nur  in  einem 
relativ  kleinen  Bereiche  zu  entlasten  vermag,  und  daß  es  solchen 
benachbarten  Füllmassen  weniger  leicht  wird,  eine  Verbindung  seit- 
lich miteinander  herzustellen,  als  in  vertikaler  Richtung  nach  dei 
Erdoberfläche  hin  sich  einen  neuen  Schacht  zu  schaffen. 

In  ihrem  innem  tektonischen  Baue,  speziell  auch  in  dem  Über- 
wiegen geflossener  Massen  gegenüber  dem  im  festen  Zustande  auf- 
geworfenen Material,  stimmen  sechs  von  den  Bergen  so  vollkonun^^ 
überein,  daß,  wenn  man  den  einen  als  monogen  betrachtet,  man  9Xic\^ 
den  übrigen  die  monogene  Natur  zugestehen  muß.  Dazu  kommt,  da^ 
diese  sechs  Berge  unverkennbar  auch  den  äußern  zerstörenden  Ei»" 


Vulkantornns.  195 

r        flÜBsen  in  gleichem  Maße  unterv^orfen  geweeen  sind,  was  trotz  der 
Verschiedenartigkeit   ihrer   ursprünglichen   Formen   noch   deutiich 
i        durchfühlbar  geblieben  ist.    Aus  dem  letztem  Umstände  möchten 
E        wir  schließen,  daß,  wenn  sie  auch  aus  verschiedenen  Tätigkeits- 
s        I>erioden  eines  und  desselben  ausgedehnten  Herdes  stammen  sollten, 
i        diese  Perioden  doch  zeithch  so  nahe  beisammen  gelegen  haben,  daß 
E         ihre  Intervalle  als  verschwindend  klein  betrachtet  werden  müssen 
gegenüber  der  Länge  der  Zeitraumes,  der  seit  der  Bildung  des  jüngsten 
der  sieben  monogenen  Berge  vergangen  ist/' 
^  Von  den  sieben  Bergen  haben  nur  drei,  Cotopaxi,  Antisana  und 

i  Chacana,  in  einer  der  Gegenwart  nahe  liegenden  Zeit  jüngere  Aus- 
wurfsmassen  gehefert,  die  aber  sicher  wenigstens  beim  Antisana  und 
-  Chacana  durch  eine  unermeßlich  lange  Zeitperiode  von  der  ersten 
Tätigkeit  der  Herde  geschieden  sind,  weil  die  zweite  Tätigkeits- 
2  Periode  erst  einsetzte,  ab  die  Gebilde  ihrer  ersten  zum  großen  Teile 
schon  wieder  durch  die  Atmosphärilien  zerstört  waren.  „Fassen 
wir,'*  sagt  Dr.  Stübel,  „die  quantitative  Geringfügigkeit  der  jungem 
Ergußmassen,  die  getrennte  Lage  ihrer  Ausbrnchspirnkte  imd  den 
enormen  zeitlichen  Abstand  des  Beginnes  der  zweiten  Ausbruchs- 
periode gegenüber  den  Schöpfungen  der  ersten  zusammen,  so  müssen 
wir  sagen,  der  Antisana  und  der  Chacana  sind  tätige  Vulkane  im 
Sinne  der  alten  Schule  niemals  gewesen,  und  der  Cotopaxi  ist  es  nur 
scheinbar;  scheinbar  deshalb,  weil  er  zweifellos  erst  infolge  eines 
zweiten  Herdausbruches  zum  tätigen  Vulkane  geworden  ist,  durch 
den  auch  sein  mächtiger  Kegelberg  im  wesentlichen  die  Größe  und 
Gestalt  auf  einmal  erhielt,  die  er  noch  gegenwärtig  besitzt.  Dem 
Geologen  kann  die  Wahrnehmung  nicht  entgehen,  daß  sich  die  Lava- 
ströme aUer  spätem  Eruptionen  des  Cotopaxiherdes  zu  dem  in  seiner 
Art  gleichfalls  monogenen  Kembaue  des  heutigen  Kegels  tektonisch 
genau  so  verhalten,  wie  die  kleinen  rezenten  Antisana-  und  Chaca- 
nalavaströme  zu  den  urzeitlichen  Bergbildungen,  an  denen  sie  auf- 
treten, wenn  auch  mit  dem  Unterschiede,  daß  die  glutflüssigen  Best- 
bestände des  Cotopaxiherdes  weit  größere  geblieben  sind  ab  jene 
waren,  und  nun  in  einem  leicht  gangbaren  Kraterschachte  aufsteigen 
und  zeitweilig  über  dessen  Rand  abfließen.  Der  Cotopaxi  scheint  in 
der  Tat  nur  Kraterergießungen,  keine  Flankenausbrüche  gehabt  zu 
haben.  Die  jungem  Lavamassen,  die  unterhalb  der  Schneebedeckung 
des  Cotopaxikegeb  fast  rings  um  diesen  hervortreten  und  strom- 
förmige  Ausdehnung  zeigen,  wurden,  wie  dies  auch  noch  bei  dem  Aus- 
bruche vom  Jahre  1877  zu  beobachten  gewesen  bt,  über  den  Krater- 
rand ergossen.  Die  Steilheit  der  Hänge  im  obem  Teile  der  Berges 
gestattet  dem  glutflüssigen  Magma  jedoch  nicht,  in  geschlossenen 
Strömen  abzufließen;  es  wälzt  sich  vielmehr  in  abgerissenen  Partien 
über  den  Hang  und  häuft  sich  erst  in  dessen  untern,  weniger  geneigten 
Teilen  zu  Sammelmassen  an.  Aus  diesen  gehen  dann  die  Strome 
hervor,  die  nun  ganz  den  Eindruck  von  Flankenausbrüchen  machen." 

13* 


196  yalkanlBmas. 

„Die  drei  Berge  AntiBana,  Chacana  und  Cotopaxi  sind  mchti 
anderes  als  machtige  Abraumhaufen,  deren  Material  aus  Heiden 
stammt,  die  sich  mit  dem  ersten  Ausbruche  nicht  erschöpften,  sondem 
nach  einer  Pause  von  ungeheurer  Dauer  wieder  in  Tätigkeit  treten 
mußten,  während  beim  Sincholagua,  Quüindana,  Bununahai  und 
Pasochoa  die  Erschöpfung  der  Herde  schon  mit  dem  Abschlüsse  ihres 
monogenen  Aufbaues  eine  vollständige  war.  Wenn  sich  aber  die 
zweite  Ausbruchsperiode  eines  vordem  mächtigen  Herdes  durch  eo 
geringfügige  Ergußmassen  charakterisiert,  wie  dies  so  augenfällig  am 
Antisana  und  Chacana  geschieht,  so  darf  man  mit  großer  Wahrschein- 
lichkeit darauf  schUeßen,  daß  ein  wirklich  gewaltiger  Ausbruch  dieees 
Zentrums  nie  mehr  eintreten  wird,  dstß  dasselbe  vielmehr  gänzlich 
erstorben  ist.  Es  hegt  hier  einer  der  seltenen  Fälle  vor,  in  denen  eine 
Prognose  wissenschaftlich  zulässig  erscheint,  denn  sie  gründet  sicfa 
auf  die  Auffassung  der  vulkanischen  Erscheinungen  ihrem  innen 
Zusammenhange  nach;  sie  wäre  aber  nicht  zulässig  bezöghch  eines 
Cotopaxi,  eines  Vesuvs,  eines  Ätna,  eines  Stromboli,  eines  Mont  Pd6 
u.  a.  m.,  deren  Tätigkeit  ledigUch  als  die  Fortsetzung  der  durch  eine 
gewaltige  Neubildung  eingeleiteten  zweiten  Eruptionsperiode  ihrer 
zwar  erschöpflichen,  aber  noch  nicht  völlig  erschöpften  Herde  an- 
gesehen werden  muß. 

Die  Eigenartigkeit  des  Cotopaxiherdes  liegt  cklso  darin,  daß  er  im 
strengen  Gegensatze  zum  Antisana-  und  Chacanaherde  durch  einen 
ausnahmsweise  großen  Restbestand  an  aktionsfähigem  Magma  sur 
Bildung  eines  zweiten  monogenen  Berges  von  bedeutenden  Dimen- 
sionen befähigt  war  und  in  einer  von  diesem  vermittelten  und  noch 
fortdauernden  Tätigkeit  gebUeben  ist.'* 

Das  Ergebnis  seiner  Studien  faßt  Dr.  Stübel  schließlich  in  folget- 
der  Darlegung  zusammen : 

„Die  hier  kurz  besprochenen  Tatsachen  lassen  es  als  äberaas 
zweifelhaft  erscheinen,  daß  es  „Vulkane"'  im  Sinne  der  altem  Avl- 
f assung,  welche  ihnen  eine  das  tiefe  Erdinnere  periodisch  enÜaBtende 
Rolle  beimißt,  überhaupt  gibt  oder  in  der  Zeit  noch  gegeben  hat' 
welche  für  den  Ausbau  der  heutigen  Erdoberfläche  durch  das  Wir^ 
eruptiver  Kräfte  in  Betracht  kommt.    Wer  an  dem  Worte  „Vulkan' 
für  die  durch  eruptive  Tätigkeit  aufgebauten  Berge  festhalten  wiUt 
muß  jedenfalls  einen  andern  Begriff  damit  verbinden  als  jenen,  ^ 
dem  man  bisher  mit  Vorhebe  festgehalten  hat;  er  darf  nicht  vergessen, 
daß  der  Zweck  der  Eruption  allem  Anscheine  nach  ledigUch  die  Aus- 
stoßung glutflüssigen  Magmas  ist,  und  dessen  plateauartige  A^' 
breitung  die  normale  Ablagerungsform  darstellt,  die  bergartige  Auf- 
schichtung der  Eruptivprodukte  dagegen  erst  dann  eintritt,  wenn 
sich  ein  Herd  seiner  Erschöpfung  nähert  und  diese,  durch  äußere 
Umstände  bedingt,  allmählich,  das  heißt  mit  vereinzelten  Ausbruchs- 
erscheinungen, vor  sich  geht.     Der  monogene  Aufbau  der  Vulkan- 
berge und  die  bei  so  vielen  derselben  nachzuweisende  lange  Pa^ 


VulkanfannuB.  197 

nach  erstmaliger  Erschöpfung  ihrer  Herde  sind  zwei  Faktoren,  mit 
denen  wir  bei  der  Aufstellung  einer  Vulkantheorie  in  erster  Linie  zu 
rechnen  haben.  Die  idealste  Verkörperung  dieser  beiden  Faktoren 
erblicken  wir  in  dem  auf  der  Erde  allerwärst  auftretenden  Somma- 
Vesuvtypus  der  eruptiven  Schöpfungen,  und  die  Besiegelung  des 
lokalisierten  und  erschöpflichen  Herdes  in  der  tausendfachen  Wieder- 
kehr dieses  Typus  auch  auf  dem  Monde.** 

Die  Vulkanberge  der  eeuatorianlschen  Anden  hat  Dr.  P.  Grosser 
untersucht  und  über  seine  Forschungen  einen  vorläufigen  Bericht 
gegeben.  ^) 

In  der  interandinen  Talinulde,  sagt  Dr.  P.  Großer,  der  lang  flestreokten 
Wannenreihe  zwischen  der  westlichen  und  der  östlichen  Kordillere  haben  sich 
Flosse  tief  eingegraben  nnd  legen  prächtige  Profile  frei»  welche  700  und 
800  tn  hinab  in  den  Schichtenbau  einzudringen  erlauben,  ja  mit  den 
Bergen,  welche  sich  an  den  Ufern  unmittelbar  üb^  die  Talmulde  erheben,  eine 
Vertikaidistanz  von  der  doppelten  Größe  dem  Auge  aufschließen.  In  enormer 
Mächtigkeit  zeigen  sich  die  hier  Gangahua  genannten  Vnlkanprodukte:  ein 
Wechsel  von  Tuffen,  GeröUen  und  Schattmassen.  In  überwältigender  Groß- 
artigkeit eröffnet  sich  auf  dem  Wege  zur  nördlichen  Provinz  Imbabura  das 
Guaillabambatal  dem  Blicke  des  Reisenden,  sei  es,  daß  er  die  Verbindung  über 
Alchipichi  oder  die  über  Guaillabamba  wählt.  Auf  jener  sieht  man  sich  in  ein 
Hochgebirgstal  versetzt,  auf  dieser  gewahrt  man  den  Fluß  in  eine  Ebene  ein- 
gesägt, genau  wie  der  Rhein  in  das  Abrasionsplateau  des  Schiefergebirges  ein- 
geschnitten ist  Im  schroffsten  Gegensatze  zu  dem  einfachen  Taleinmshnitte 
oberhalb  Guaillabambas  steht  die  reiche  Ghederung  im  Kessel  von  Guailla- 
bamba selbst,  wo  kegel-  und  rückenförmige  Erosionsreste  wie  Zeugen  aus  der 
breiten  Talsohle  hervorragen. 

Der  höchste  Berg  der  Provinz  Imbabura  ist  der  Cotaoachi  (4966  m ).  Zahl- 
reiche, zum  Teile  auch  in  gewaltige  Höhen  ragende  andere  Vulkanberge  sind  ihm 
benachbart;  greifen  wir  den  Imbabura  (4682  m)  heraus;  beide  haben  eine  sehr 
ähnliche,  interessante  Gliederung.  Auf  einem  aus  soliden  Laven  bestehenden 
Unterbaue  erhebt  sich,  topographisch  deutlich  davon  getrennt,  ein  kleinerer 
AgglomeratgipfeL  Er  besteht  aus  einem  eigentümb'chen,  wirr  durcheinander 
liegenden  Blockwerke  fest  miteinander  verbundener  großer  Felsen  und  kleiner 
Brocken.  Sie  sind  von  schlackiger  Beschaffenheit,  im  Aussehen  weder  ver- 
schieden von  ausgeworfenen  Rapillen,  noch  vom  Oberflächensohutt  von  Lava- 
strömen. Der  säwieriffen  Entscheidung  der  Art  ihrer  Entstehung  kommen 
Stellen  am  Imsabura  zu  Hilfe,  wo  sich  flatenartig  ausgebreitete,  soheibenföimig 
flache,  geflossen  aussehende,  dünne  Fragmente  am  Aufbaue  beteiligen.  Sie 
sprechen  gegen  Auswurfsmassen,  eine  Auffassung,  welche  durch  den  völligen 
Mangel  feiner  Asche  einige  Unterstützunff  erhält  Man  muß  sie  vielmehr  als 
Lavaagglomerate  ansehen.  Eine  deutlicne  Schichtung,  die  auch  an  andern 
Bergen,  namentlich  am  Gerro  Puntas,  nicht  ganz  so  augenfällig  am  Ruminahui 
auftritt,  verrät  dabei  einen  Aufbau  durch  Übereinanderlagem.  Es  drängt  sich 
daher  von  selbst  die  Annahme  auf^  daß  aus  einem  zentralen  Krater  das  Material 
in  halb  zähem,  halb  flüssigem  Zustande  übersprudelte,  überschäumte  und  in 
einzelne  Fragmente  aufgelöst  übereinander  schichtete.  Was  die  so  gebauten 
Bergkegel  aber  weiter  höchst  interessant  macht,  ist  die  Eigentümh'chkeit,  daß 
sie  voller  Absonderungsklüfte  stecken,  welche  unbekümmert  um  die  Schichtung 
von  oben  bis  unten  durchsehen.  Das  findet  man  bei  Vulkanprodukten  nur  an 
Boiohen,  die  eine  einheitliche  Abkühlungsphase  durchmachten.   Es  wäre  deshalb 


M  Gaea  1904.  p.  641. 


198  YalkanUmas. 

gezwungen,  an  den  betrachteten  Bergen  in  'den  dorchgeheiiden  Ab- 
Bonderongsfl&ohen  etwas  anderes  sehen  zu  wollen  als  den  Beweis  einer  ein- 
heitliche Abkühlung^  also  auch  der  vorheigemigenen  einheitlich«i  AnfMdüefa- 
tong  des  Beroes,  d  h.  den  monogenen  Bau.  Die  Agglomeratvnlkane  EcojuIocb 
zeigen  also,  daß  es  auch  recht  umfangreiche  Vulkankegel  gibt  (Pontas»  Ra- 
minahui,  Pasochos^  Altar),  deren  Hauptgebäude  eine  eoenso  monogene  Ent- 
stehung besitzen  wie  der  kleine  Monte  Nuoto  in  den  phlegiaischen  Feldern  und 
andere  historische  Bildungen.  Daran  ändert  die  Tatsache  nichts,  daB  manrhf 
Agdomeratkegel  nur  einen  untergeordneten  Teil  eines  Vulkanes  formen  und 
n^i  keine  Deutungen  auf  die  Entstehungsweise  des  Ganzen  erlauben,  wie  aa 
Ootaoachi  und  Imbabuia,  die  den  Beginn  dieser  ganzen  Betrachtung  bildeten, 
und  ebenso  wenig  im  entgegengesetzten  Sinne  das  Vorkommen  von  Lava> 
strömen  an  fast  vollkommenen  Agglomeratbergen,  die  an  den  Flanken  ai» 

gebrochen  und  ihrerseits  von  ganz  untergeordneter  Bedeutung  sind,  z.  B.  am 

Grofi  ist  die  Anzahl  der  Galderaberge.  Unter  ihnen  hat  wieder  der  achon 
genannte  Imbabura  keine  geringe  Bedeutung,  und  diese  besteht  darin,  daB  er 
sowohl  einen  zentralen  Knter  (von  kleinen  Dimensionen)  als  auch  getreonft 
davon  eine  großartise  Oaldera  besitzt.  Einen  Weg,  wie  derartiges  entstehen 
kann,  zeiffte  der  Ausbruch  des  Bandai-san  in  Japan  (15.  Juli  1888),  wo  aus  der 
K^gelflanke  unabhängig  vom  vorhandenen  Kraterreste  durch  eine  ESxplosion 
eine  Caldera  ausgesprengt  wurde.  Ob  für  den  Imbabura  ein  Analogiesc^ufi 
angebracht  ist,  sei  unentschieden.  Übrigens  bewirken  Explosionen  nicht  nur 
Oslderen,  sondiem  auch  ganz  kraterahnliäe,  rundum  geecUoeBene  KoooeU  ^ne 
der  Tarawera  in  Neusedand  bewies,  der  bei  einem  einzigen  Ausbräche  am 
10.  Juni  1886  in  typischer  Vollendunfl  beides  erzeugte.  Unter  Krater  kuzswqg 
soll  aber  bei  der  vorliegenden  Betrachtunff  nur  die  zentrale  Gipfeloffnuqg  vter- 
standen  werden,  welche  die  ursprüngliche  Verbindung  mit  dem  Herde  daistellt 
—  Auch  den  Cusin-urou  südlich  vom  Imbabura  dwrakterisiert  neben  einem 
kleinen  zentralen  Krater  eine  gewaltige  Oaldera.  Trümmer,  die  eine  BzplosioB 
notwendig  hervorbrinfft,  scheinen  völlig  zu  fehleiL  Diesen  vielen  cSjdeia- 
berven  eigenen  Mangel  teilen  die  großen  Ringwälle  der  hawaüsbhen  Volkmoe. 
und  hier  ist  es  der  Kilauea,  welcher  in  unübertrefflicher  Deutlichkeit  mit 
treppenförmig  angeordneten,  wenn  ich  nicht  irre,  von  Dutton  zuerst  richtig 
moeuteten  BruchOnien  Aufschluß  darüber  verschafft,  daß  Oalderen  auch  durdi 
Einsturz  entstehen  köimen.  Wenn  sie  hier  auch  in  gewisser  Verbindiing  mit 
dem  Krater  auftreten,  so  lassen  sie  sich  auch  getreimt  davon  vorsteUen.  ESne 
ganz  besonders  eigentümliche  Oalderaform  besitzt  der  Haleakala  auf  der  Bawaü- 
insel  Maui,  wo  auch  Schuttmassen  gänzlich  fehlen.  Der  Gipfel  hat  eine  tiele 
steüwandjge  Einsenkung  in  der  Form  eines  Z  mit  zwei  parallelen,  nach  ent- 
gegenflesetzten  Richtungen  oeöffneten  Oalderen.  Während  die  Eänstois- 
nvpothese  eine  zeitliche  Unabhängigkeit  des  Einbruches  vom  Aufbane  des 
Vulkanes  einschließt,  sucht  Stübel  beides  in  Bezidiung  zu  setzen.  Er  stellt  sich 
die  Galderaberge  als  durch  einen  einheitlichen  Akt  aufgeworfen,  ihrem  ganzen 
Umfange  nach  also  auf  eiimial  (cum  grano  salis)  entstanden  vor  und  erklart  die 
Oaldera  durch  Zurücksinken  des  Magmas  nach  beendigter  EmptioiL  Nadi 
dieser  Erklärung  wäre  Krater  und  Gsddera  nur  dem  Grade  nach  verschieden, 
und  ihre  Berechtigung  für  manche  Fälle  ist  nicht  zu  bezweifeln.  Der  Ghaie 
bei  Matupi  z.  B.  ,ein  kleiner  zur  Gruppe  der  Mutter  und  Töchter*  gehöriger  Berg 
im  Bismarokarohipel,  besitzt  einen  rezenten  monogenen  Lavakegel,  dessen 
sohüsselförmiger,  weiter  Krater  nicht  allein  keine  andere  Erklärung  aJs  durdi 
Zurücksinken  des  Magmas  zuläßt,  sondern  auch  durch  die  Andeutung  einer 
Terrasse  anzeigt,  daß  die  Sackung  in  geringem  Maße  noch  fortsohritt,  als  die 
Erstarmns  an  der  Oberfläche  schon  ein  gewisses  Maß  erreicht  hatte.  Diese 
Deutung  dürfte  aber  schwerlich  für  solche  Berge  anwendbar  s^n,  welche  wie 
jener,  von  dem  diese  ganze  Betrachtung  ausging,  der  Imbabura,  neben  einem 
unscheinbaren  Gipfelbater  eine  ungeheuere  seitliche  Oaldera  beaitseiL   Eine 


.  Yttlkaniuniis.  199 

Tor  einigen  Jahren  ▼eroffentliohte  Theorie  von  Dlabac,  die  den  Waaserd&mpfen 
eine  große  Bolle  bei  dem  Baue  der  Erdkruste  überhaupt  zuweist  und  dieselben, 
▼on  neuen  Gesiohtsptmkten  ausgehend,  auoh  mit  den  Vulkanen  in  Beziehung 
setzt,  stellt  übrigens  ebenftbUs  die  CSaldera  in  genetische  Abhangg^t  vom  Auf- 
baue des  Vulkanes  und  fördert  die  Sackungen  als  notwendige  Folge. 

Der  gewaltigste  Vulkanberg  im  Norden  Ecuadors  ist  der  Oayambe.  Er 
scheint  ausschließlich  aus  geflossenen  Laven  aufgebaut  zu  sein  und  teilt  mit 
manchen  analogen  Andesit-  und  Trachytbauten  (auffallend  am  Chimborazo 
und  Guamani  in  Ecuador  und  am  Iztac-cihuatl  in  Mexiko)  eine  lang  gedehnte 
Gestalt  und  den  Mangel  eines  Kraters. 

Im  schroffsten  Gegensatze  dazu  steht  der  Pululagua,  den  wesentlich  Aus- 
wurfsmassen  und  nur  ganz  untergeordnet  Laven  zusammensetzen.  Er  ist  ganz 
analog  dem  Shirane-san  bei  Chuzenji  in  Japan  gebaut.  Die  steilen  Wände 
einer  weiten  Caldera,  deren  Zinnen  einen  Kreis  von  ßkm  Durchmesser  ein- 
schlössen, wäre  nicht  nach  W  eine  breite  Öffnung,  erheben  sich  bis  zu  800m  über 
den  ebenen  Kesselboden.  Aus  diesem  ragt  fast  700  m  der  Pondona,  ein  nur  aus 
Laven  ohne  irgend  wahrnehmbare  Schichtung  aufgebauter  Zentralkegel,  empor. 
Er  verdankt  gewiß  seine  Gestaltung  gleich  dem  Georg  auf  Santorin,  der  1866 
127  tn  über  das  Meer  wuchs,  einem  einzisen  Ausbruche.  In  lehrreichster  Weise 
läßt  seine  Form,  die  eine  allmähliche  Teilung  des  Grundbaues  in  zwei  schwach 
individualisierte  Gipfel  und  einen  kleinen  sommaartigen  Wulst  zum  Ausdrucke 
bringt,  erkennen,  wie  das  Emporquellen  des  flüssigen  Magmas  nicht  gleich- 
mäßig geschah,  sondern  durch  Zuriicksinken  und  Sackungen  unterbrochen 
wurde.  Im  letzten  Jahre  entstanden  an  zwei  entfernten  und  antipodisoh  zu- 
einander liegenden  Punkten  der  Erdoberfläche  ähnliche  Lavakeffel,  der  eine  auf 
dem  beinahe  3000  m  hohen  Merapi  in  Java,  der  andere  auf  dem  Pel6.  Der 
letztere  türmte  sich  zu  einer  sanz  eigenartigen,  von  einer  Felsnadel  gekrönten 
Form  auf.  Während  früher,  bis  zur  Bildung  des  Georg  auf  Santorin  und  des 
neuen  Borges  im  Atrio  am  Vesuv  (1896)  fast  nie  die  Entstehung  von  Staukegeln 
beobachtet  werden  konnte,  sind  sie  jetzt  keine  ungewöhnliche  Ausbruchs- 
form und  geeignet,  nfanoherlei  im  Vulkanismus  in  ein  neues,  klareres  Licht 
zu  setzen. 

Sie  erklären  auch  die  Berge,  wo  im  Scheitel  einer  flachen  Wölbung  wie 
ein  besonders  aufgetragener  Buckel  eine  steile  Kuppe  aufgesetzt  ist.  Hier  quoll, 
nachdem  der  gro&  Bau  im  allgemeinen  schon  beendet  war,  nochmals  ein  Magma 
im  Kraterschachte  empor,  öaa  von  dem  ehemals  geförderten  sich  durch  viel 
größere  Zähigkeit  stark  unterschied.  Es  konnte  sich  den  alten  Formen  nicht 
mehr  anschmiegen,  erhob  sich  vielmehr  zu  einer  steilen  Kuppe  und  schloß  wie 
ein  Pfropfen  für  immer  die  Krateröffnung.  Mit  seiner  Eniption  verlor  der 
Berg  die  Fähigkeit,  aus  dem  zentralen  Schachte  sich  m^  zu  erhöhen, 
und  in  vöUig  andern  Formen  äußert  sich  von  nun  ab  der  Vulkanismus.  Der- 
artige auss<£ließlich  aus  Laven  ausbaute  Vulkanberge  mit  besonderer  Gipfel- 
imramide,  welche  diese  Deutung  fordern,  sind  nicht  Mlten.  Besonders  schöne 
Beispiele  liefert  Ecuador  im  Sincholagua  und  Gorazon.  Verwischt  durch  die 
Zerstörungen,  denen  der  Vulkanberg  in  besonders  hohem  Grade  ausgesetzt  ist, 
zeigt  es  weniger  deutlich  der  übrigens  nicht  ausschließlich  aus  Laven  zusammen- 
setzte Quüindana.  Ein  sehr  berühmter  Vertreter  des  Typus  ist  der  Pico  de 
Teyde  auf  Teneriffa  mit  dem  Piton  oder  Pan  de  Azucar. 

Neben  kuppenförmig  aufgestauten  Lavamassen  sibt  es  aber  in  Ecuador 
auch  Lavaströme  von  bemerkenswerter  Länge.    Besonderes  Interesse  in  seinem 

Snzen  Verlaufe  beansprucht  der  Antisanillastrom.  Sein  Ursprung  ist  nicht  ein 
it  umgrenzter,  individueller  Vulkan,  sondern  ein  aus  mehrem  kleinem  Bauten 
zusammengesetztes  Beialand,  das  Stübel  unter  dem  Zwange,  einen  einheitlichen 
Namen  dafür  anzuwenden,  Qiacanagebiige  genannt  hat,  nach  dem  höchsten 
Punkte  Chacana  Mirador,  der  einen  Teil  eines  zerstörten  kleinen  Vulkankegels 
bildet.  Ganz  unscheinbar  in  einem  kleinen,  Unkswandigen  Kessel  eines  Tales 
hat  sieh  ein  Lavaköpfchen  aufgestaut  und  sendet  nicht  nur  seinenBieeensohwanz 


200  Yalkanismiifi. 

talabwärts,  sondern  auch  einen  kurzen  AnsULofer  za  Bct;^wo  ein  einaamer  See 
abgedämmt  ist.  Als  dieser  Strom  um  die  Mitte  des  XVUL  JahiliiindertB  aus- 
flofi,  erfüllte  er  die  gansse  Brrate  der  Talsohle,  folgte  dem  natärlicbra  GefiJle 
und  mündete  in  ein  anderes  Tat  in  das  er  über  einen  steilen  Hang  hinabliei 
DemFlüfiohen  Isoo  deckte  er  das  Bett  zu,  so  dafi  der  Wildbach  6km  nnterirdisdk 
fließt,  nicht  ohne  erst  in  mehrem  kleinen  Seen  den  Kampf,  in  dem  er  dem  Fcfoer- 
strome  unterlag,  widerzuspiegdn.  Die  sanze  Länge  des  Lavaefgussea  betanigt 
▼ielleicht  12  km.  An  seinem  Ende  gleicht  er  einem  Riesenwurme,  der  nur  dn 
Boden,  aber  nicht  die  Seitenwände  des  Tales  berührt,  abor  dabei  eine  Mächtig- 
keit erreicht,  die  nicht  viel  unter  der  sicher  100  m  überschreitendeii  Höhe  der 
Gehänge  zurückbleibt. 

Das,  was  von  Stübel  Chacanagebiise  genannt  wurde,  bezeichnet  ReiB 
als  FluBgebiige  des  Antisana ;  es  stößt  nachbaiiioh  an  den  genannten  Schneebeig 
an  und  tritt  ihm  gegenüber  nur  untergeordnet  in  die  Erscheinung.  Der  AntJatL^m. 
selbst  weist  aucn  charakteristische  Lavaströme  auf.  Sie  spielen  aber  keine 
Rolle  im  Vergleiche  zum  Ganzen.  Dieses  zerföllt  wie  derlmbabura  und  Gotaoacfai 
in  einen  Grundbau  aus  Laven  und  einen  Oberbau  aus  Agglomeraten,  dsNch  ist 
an  letzterm,  wie  der  südliche  Gipfelkegel  verrät,  auch  eine  kolossale  Lavabank 
beteiligt.   Riesige,  steilwandige  Kessel  schließen  den  einfachen  innem  Bau  auL 

Das  Gebiet,  in  dem  wir  uns  bewegen,  seitdem  der  AntisaniUastrom  er- 
reicht wurde,  ist,  wie  Stübel  neneidings  hervorgehoben  hat,  ein  ungemein  lehr- 
reiches Beispiel  für  die  Äußerung  eruptiver  Kralt  Zusanmiengedrängt  auf  eine 
Fläche  von  nur  50,  höchstens  60  Im  Durchmesser  liegen  nidit  weniger  als  sieben 
Vulkanzentren.  Das  kleinste  davon  steht  an  Masse  der  Somma-Veeuv-Grmppe 
bei  Neapel  kaum  nach,  während  das  größte,  das  des  Cotopaxi,  sich  uni  9000  m 
über  seiner  Grundlage  bis  zur  absoluten  Höhe  von  6943  m  erhebt 

Am  Nordfuße  dieses  herrlichen  Kegels  finden  sich  ganz  eigentänüiche, 
höchstens  10  m  hohe  Küppchen  dicht  aeschart  Sie  sind  höchiä  rätselhaft 
Zuerst  erwecken  sie  den  Glauben  an  G^ilde  durch  Eiswirkungen,  wie  Rund- 
höcker.  Doch  spricht  die  Höhenlage,  bis  zu  der  man  sie  hinab  verfolgen  kann, 
1100  bis  1200  m  unter  der  gegenwärtigen  Schneegrenze' von  vornherein  ein  ge- 
wichtiges Wort  gegen  diese  Auffassung,  denn  nach  meinen  Beobachtungen 
gehen  die  Spuren  älterer  Vereisung  längst  nicht  so  weit  ins  Tal  hinunter.  Die 
Küppchen  flond  nicht  immer  so  gedrängt.  Zwischen  dem  Pasochoa  und  Sincho- 
lagua  zum  Beuroiel  stehen  sie  weit  auseinander.  Hier  ist  auch  einer  angeschnitten 
vermutlich  wollte  jemand  untersuchen,  ob  es  künstliche  Hügd  wären,  die  Inoa- 
schätze  bärgen.  Da  zeigt  sich,  daß  sie  aus  ziemlich  scharfkantigem  Haufwerke 
bestehen.  Die  Blöcke  haben  alle  mög^chen  Größen  bis  zum  Gewichte  von 
mehrem  Zentnern,  die  Mehrzahl  aber  ist  kopfgroß.  Den  Schutthaufen  huUt 
eine  fast  1  m  mächtige  Decke  der  schwarzen  feinen  Erde,  Cbocoto,  ein,  weldie 
die  OberfläGhe  des  größten  Teiles  des  ganzen  Hochlandes  bildet  und  das  Roh- 
material der  übeiaU  gebräuchlichen  T^kenziegel,  Adoves,  ist  An  anderer 
Stelle,  am  Sincholagua,  zieht  sich  ein  ganzes  Kegelregiment  an  einer  Berglehne 
zu  Tal  und  endet  unten  in  unzählbarer,  dicht  gedrängter  Menge.  Sonst  hiäe  i<^ 
an  keiner  Stelle,  weder  in  Ecuador  noch  an  irgend  einem  Punkte  der  Erde,  ^eidi 
typisch  ausgebildete  Vorkommnisse  dieser  Art  angetroffen.  Indessen  ließen 
sich  welche  in  weniger  augenfälliger  Anlage  auch  in  verschiedenen  andern 
Vulkangebieten  nachweisen.  Vermutlich  sind  sie  niohte  als  eigentfimlidie 
Lava-Oberflächenformen,  Verwandte  der  Homitos  und  LavaschcMiisteine.  Be- 
stimmtes läßt  sich  jedoch  über  ihren  Ursprung  noch  nicht  sagen.  Sie  könnten 
nur  als  Bildungen  sehr  alter,  an  ihrer  Oberfläche  vom  Zahn  der  Zeit  schon  außer- 
ordentlich mitgenommener  Lavamassen  gelten. 

Recht  schöne,  frisch  erhaltene,  historische  Ströme  finden  sich  in  ziem- 
licher Anzahl  am  Cotopaxi.  Stübel  nimmt  an,  daß  alle  aus  dem  zentralen 
Gipfelkrater  ergossen  wurden.  Dabei  ist  nicht  nötiff,  daß  jeder  Strom  ein  zu- 
sammenhängendes Band  von  der  Kraterlippe  an  bildet,  weil  die  Steilheit  des 
obem  Berghanges  in  Verbindung  mit  der  dicken  Schneedecke  ein  Halten  der 


Ynlkanismas.  201 

Lava  erst  Hunderte  von  Metern  unter  dem  Gipfel  leicht  erklärlich  macht.  Ich 
glaubte,  in  einer  kesseUrtigen  Ehmreiterung  dee  Juyua-huaico  an  der  Nordflanke 
einen  Flankenausbruchspunkt  zu  erkennen.  Die  Lava  selbst  ist  hier  durch  nach- 
tragliche Bedeckung  mit  Schutt  der  Beobachtung  entzogen  und  kommt  erst 
etwas  talabwärts  zum  Vorscheine.  Deshalb  ist  die  Deutung  ungewiB  und  die 
Möglic^eit  nicht  abzustreiten,  daß  die  auf  dem  Talboden  auftretende  Lava 
mit  einer  oben  an  dem  einen  Talgehange  wahrzunehmenden  genetisch  zu- 
sammenhängt, dafi  der  Strom  da,  wo  jetzt  die  kesselartige  Erweiterung  ist,  in 
die  Sdüucht  hinabfloß,  daß  später  die  Talwand  zu  Bruche  ginff,  der  Kessel 
entstand,  und  der  ursprüngUche  Zusammenhang  dem  forschenden  Auge  für 
immer  verdeckt  wurde. 

Die  Gotopaxiflanken  gehen,  besonders  nach  W,  wo  nicht  andere  Berge 
der  Ausbreitung  hinderlich  waren,  ganz  allmählich  in  die  Ebene  seiner  Grund- 
lage über.  Diese  natürliche  Erscheinung  an  Vulkankegeln  ist  allbekannt,  aber 
in  Japan  so  tief  in  das  Bewußtsein  des  Volkes  gedrungen,  daß  sie  zur  Bildung 
eines  beeondem  Begriffes  geführt  hat.  Susono,  wörtlich  Schleppenfeld,  von 
Boso  Schleppe  und  noFeld,  nennt  man  in  treffendem  Vergleiche  mit  der  Kleider- 
schleppe, welche  auch  lumerklich  zur  horizontalen  Richtung  übergeht,  die 
Fußgebiete  der  Vulkane,  und  Bergschleppe  läßt  sich  das  Wort  zweckmäßig 
verdeutschen. 

Die  schlanke  Gestalt  des  Gotopaxi  legt  die  Vermutung  nahe,  daß  ihn 
wesentlich  Tuffe  aufbauten.  Zweifellos  verdankt  er  auch  vieles  seiner  äußern 
Form  Auswurfsmassen,  die  an  seinem  Mantel  in  Menge  auftreten.  Jedoch 
wären  Lavaergüsse  aus  dem  zentralen  Krater  undenkbar,  wenn  loses  Material 
die  Wände  bildete,  denn  diese  würden  dem  Drucke  der  aufsteigenden  Lavasäule 
nicht  bis  zum  Bande  widerstehen.  Der  Kern  muß  daher  doch  geflossenes  Ge- 
stein sein.  So  steile  Lavakegel  sind  auch  gar  nicht  vereinzelt.  Der  Tunguragua 
(»hört  dahin.  Der  Lavastrom,  der  1886  in  zwei  Arme  geteilt  bis  in  die  Betten 
des  Rio  Chambo  und  des  Rio  Pastaza  floß  und  große  Seen  aufstaute,  bis  sich 
die  Flüsse  neue  Durchlässe  im  losen  Tuff  der  Uferlehnen  ausgegraben  hatten, 
trat  auch  über  den  Kraterrand  und  soll  die  Bresche,  welche  den  geraden  Verlauf 
der  Kraterlippe  im  W  unterbricht,  erst  durch  das  Überlaufen  dieses  Ergusses 
besonders  stark  ausgefahren  haben. 

Die  Lage  der  Vulkane  ist  ganz  regellos,  hier  unten  in  der  interandinen 
Talmulde,  die  dadurch  in  mehrere  langgezogene  Wannen  gegliedert  wird,  da 
hoch  oben  auf  einer  Gordillere,  dort  in  mittlem  Höhen.  Den  Fall,  wo  der  Vulkan 
hoch  oben  auf  dem  Kettengebirge  thront,  bringt  keiner  so  augenföUig  zum 
Ausdrucke  wie  der  Ghimborazo.  Befindet  man  sich  selbst  auf  der  östlichen 
Ck)rdillere,  z.  B.  am  Oerro  Altar,  so  schweift  der  Blick  über  die  wolkenerfüllte 
interandine  Talmulde  fast  60  km  weit  zur  langgestreckten  westlichen  Gordillere 
hinüber,  auf  der  sich  der  Ghimborazo  als  gesondertes  Glied  weit  in  den  Äther 
eriiebt. 

Dieser  höchste  der  ecuadorischen  Berge  (6310  m)  liefert  manches  des 
Interessanten.  An  drei  Seiten  ist  der  Mantel  tief  hinein  zerstört,  so  daß  ein  Ein- 
blick in  das  Innere  möglidi  wird.  An  der  SW-Flanke  erfüllt  den  Grund  eines 
steilen  Tales  dicht  unter  der  Schneegrenze  eine  prachtvolle  Moräne,  die  einem 
Lavastrome  zum  Verwechseln  ähnli<£  sieht.  Jedoch  kann  es  ein  solcher  nicht 
sein,  da  die  verschiedenartigsten  Blöcke  ein  ganz  heterogenes  Schuttwerk  zu- 
sammenstellen. Eine  Felsengruppe  am  linken  Gehänge  besteht  aus  ei^n- 
artigem  Gesteine,  wahrscheinlich  ist  es  eine  Lava.  Sie  wurde  noch  nicht  mikro- 
skopisch untersucht.  Die  Mächtigkeit  derselben  kann  nicht  viel  unter  100  m  be- 
tragen. Sie  fällt  von  weither  auf  und  trägt  den  Namen  Kathedralfeben.  Neben 
diesen  fesseln  noch  andere,  zum  Teil  recht  wunderlich  geformte,  aber  bedeutend 
kleinere  das  Auge.  Sie  sind  das  Erosionsprodukt  von  Schutt,  vielleicht  Moränen- 
reste, vielleicht  gewöhnlicher  Vulkanschutt,  dessen  Geffenwart  an  einer  so  zer- 
störten Flanke  gar  nicht  überraschen  kaxm.  Es  sind  Erdp3n»miden  in  der 
charakteristischen  Form  eines  von  einem  großem  Blocke  gäionten  Pfeilers. 


302 

Die  zweite  Wunde  hat  der  Chimboraco  im  NO.  Hier  kommt  ein  < 
herunter,  der  in  aeiner  am  Ende  YieUeioht  12  m  dicken  Ifiiditigkeit  i^ 

Streifen  eingeachtoneenen  Staubee  birgt  und  dadarchnMi  bis  adiwan  l     

Hohe  Seitenmoranen  ziehen  weiter  hinab  zu  Tal  in  Tielen,  von  wo  atdi  lai^ 
das  Bie  zurückgezogen  hat.  Ak  langgestieokter»  dreigipfeliger  Berg  zeigt  tuA 
an  dieeer  Stelle  der  Riese  und  erinnert  damit  an  andere,  ebenfftlle  nur  aus  ge- 
floeeenen  Laven  angebaute,  kraterioee  Andesit-  und  TrAdiytTiilkane.  Genaoat 
eei  der  Ixtac-cihoatl  in  Mexiko,  der  zudem  zu  einem  intoreenanton  Veifi^eiche 
des  LavenTerbandes  geeignet  ist.  Er  weist  namlioh  dentüoh  individnsJjsieite 
LaTalagen  auf.  Diese  sind  aber  nidit  durch  Tuffe,  Schutt  oder  Zeaieilmng^ 
Produkte  getrennt,  sondern  nur  durch  loseres  Geföge,  weniger  deatlidia  Ob- 
steinssbsonderung  und  häufiges  Auftreten  von  Hauen  an  den  Grenzen  aus- 
geprägt. Auch  dar  Ghimborazo  zeigt  —  besonders  schon  an  der  dritten  Frei- 
Tegung  des  Innern,  einer  gegen  1000  m  hohen  Stellwand  über  der  Scfaneeli» 
an  der  N-Fianke  —  deutlich  pseudoparallele  Lafferung  von  Laven  (Tafel  IV).  Dm 
Auge  erkennt  aber  nur  einen  Wechsel  braunuchroter  und  blauer  Farben;  eis 
Abstand  im  Gesteinscharakter,  so  daß  sich  das  Rote  etwa  als  ARg^omeimt  von 
Blauen  unterschiede,  ist  nicht  wahrzunehmen,  im  Gegenteil  sel&t  in  Steines 
Ton  Handstückgröße  stößt  beides  scharf,  aber  doch  unmerklich  ineinander  über- 
gehend, zusammen.  Und  doch  drückt  der  Farbenwechsel  eine  Versohiedenhsit 
aus,  deren  Ursache  wohl  in  dem  ÜbereinanderfUeßen  der  einzelnen  Lagen  be- 
gründet ist.  Jeder  der  verglichenen  Vulkanberge  zeigt  also  eine  Schiäton^ 
die  allerdings  verschieden  ist.  Jedoch  weicht  sie  weniger  der  Art  ala  vielmehr 
dem  Grade  nach  untereinander  ab.  Nämlich  die  Anfsch hisse  am  Ixtae-cihuBll 
liegen  am  Mantel,  also  am  Ende  der  Lavafelder,  am  CSümborazo  hingegen  in 
Gebirgskem;  dort  fem  vom  Ergußpunkte,  wo  das  ausgeflossene  Mi^gm«.  »rf 
seinem  Wege  einer  gewissen  Abkühlung  unterworfen  war,  hier  nahe  am  Förden 
schachte,  wo  dieser  Faktor  eine  untergeordnete  Bedeutung  haben  kann,  nämück 
dann,  wenn  zwischen  den  einzelnen  Ergüssen  keine  betilchtliche  Abkohlungi- 
nause  lag.  Und  das  scheint  in  der  Tat  die  Struktur  der  Ghimborasowand  za 
lehren.  Die  einzelnen  Ergüsse  konnten  nicht  durch  jahie-  oder  gar  jahr- 
hundertelange Pausen  getrennt  sein,  sondern  mußten  sich  schnell  folgen.  Abo 
nicht  nur  die  beschriebenen  Agglomeratvulkane,  sondern  auch  Lavenvulkane 
bilden  eine  wesentliche  Stütze  der  Hypothese  Stübels  vom  monogenen  Bsm 
vieler  Vulkanberge. 

Wenigstens  das  Kemgebaude  etlicher  tragt  Anzeichen  der  RichtigkeH 
dieeer  Auffassung,  und  voraussichtlich  werden  Beobachtung^  zugunsten  der- 
selben in  immer  größerm  Maße  bekannt  werden.  Dane^n  gibt  ea  abor  oft 
Erscheinungen,  welche  zeigen,  daß  schwache  Betätigung  des  Vulkanismus  auch 
dann  noch  fortgedauert  hat.  Dazu  gehören  die  Lavastrome,  welche  z.  B.  in 
krassen  Gegensatze  zu  den  deckenartigen  Massen,  aus  denen  der  CSiimboraso  in 
wesentlichen  besteht,  in  Raupenform  am  KM^lfuße  verbreitet  sind.  Besonden 
nach  SO  und  nach  N  ziehen  sich  einige  aunallige  hin.  Die  Frage,  ob  sie  sm 
Gipfel  aus  einem  zentralen  Krater  oder  aus  den  Flanken  herausgetareten  aind, 
beantwortet  nicht  allein  eine  einfache  Betrachtung,  sondern  auch  ein  äußenl 
lehrreicher  Aufschluß.  Die  Vorstellung,  daß  die  Lavaströme  die  steflen 
Wände  vom  Gipfel  herabgeflossen  wären,  ohne  dort  noch  heute  kenntliche 
Spuren  zurückzulaesen,  verbietet  sich,  wie  am  Gotopaxi  ausgesprochen  wurde, 
nicht  ohne  weiteres.  Indessen  besitzt  der  Ghimborazo  gar  keinen  sentrakD 
Krater,  auch  ist  kein  Grund  für  die  Annahme  vorhanden,  daß  er  nach  Voll- 
endung des  großen  Baues  zurückgeblieben  wäre.  Hingegen  liegt  ein  Lavi- 
auRtrittspunkt  am  Fuße  des  großen  Steilabsturzes  an  der  Nordflanke,  der  auch 
die  Schichtung  der  Decken,  von  der  die  Rede  war,  so  prächtig  aufschließt 
Aber  nicht  nur  die  Quelle  eines  Flankenstromes  ist  hier  zu  beobaäten,  sondern 
mit  ihr  erschließt  sidi  auch  noch  das  Wesen  der  Ungeheuern  Steilwand:  als  sidi 
das  Magma  mit  Gewalt  Bahn  brechen  mußte,  da  mm  kein  Ausweg  zu  Gebote 
sUnd,  sprengte  es  einen  Teil  des  Berges  von  der  Flanke  ab.    So  sdiuf  ee  sich 


VulkanismoB.  203 

einen  Austrittspunkt  und  floß  als  Strom  ab.  Der  Schatt,  der  sich  am  Ex- 
plodonskeesel  und  in  der  weitem  Umgebung  ansammelte,  ist  jetzt  tief  hinab 
zu  Tal  getragen,  zum  Teile  setzt  er  gewaltige  Moränen  zusammen,  die  das  Auge 
von  oben  in  die  Feme  verfolgen  kami.  Darüber  schweift  der  Blick  hinaus  über 
Weiden  undFelder  hinweg  a,nt  unerforschtes  Land,  das  sich  im  Dunste  verliert.** 

Das  vulkanlsehe  Wrangellgebirge  In  Alaska  behandelte  W.  0. 
Mendenhall.  ^)  Die  ersten  zuverlässigen  Nachrichten  über  das  Ge- 
birge brachte  der  Prospektor  J.  Bremner,  der  1884  den  Copper  River 
hinaufging,  einen  allerdings  scheiternden  Versuch  zur  Besteigung  des 
Wrangellvulkanes  unternahm  und  Zeuge  seiner  Ausbrüche  war. 
Spatere  Forschungen  zeigten  dann,  daß  der  Gebirgsstock  mehrere 
sehr  hohe  Spitzen  besitzt,  und  die  letzten  Untersuchungen  durch 
Gerdine  und  Witherspoon  von  der  Geological  Survey,  gaben  voll- 
standige  Aufschlüsse  über  die  Lage  und  Topographie  des  Gebirges 
und  die  Höhe  seiner  Gipfel,  die  trigonometrisch  gemessen  worden 
sind.  Danach  sind  wenigstens  zehn  von  ihnen  höher  als  3600  m,  und 
zwei  darunter,  Mount  Sanford  und  Mount  Blackbum,  höher  als  der 
Mount  Wrangell.  Mount  Sanford  ist  4960  m,  Mount  Blackbum 
4920  m  und  Mount  Wrangell  4270  m  hoch.  Mehrere  sehr  hohe  Spitzen 
sind  noch  nicht  benannt.  Das  ganze  Gebirge  besteht  zum  größten 
Teile  aus  Lava  und  dem  verhärteten  ausgeworfenen  Schlamme,  die 
auf  einer  altem  Schicht  aufgehäuft  sind  Die  Gestalt  der  Gipfel  haben 
Vulkanismus  und  Erosion  zugleich  herausgebildet,  und  jeder  von 
ihnen  zeigt  einen  besondem  Typus.  Mount  Wrangell  selbst  verdankt 
seine  Formen  fast  ganz  vulkanischer  Tätigkeit,  und  die  Erosion  hat 
seine  ursprüngliche  Form  weniger  verändert.  Dagegen  hat  der 
massige,  3660  m  hohe  Mount  Drum  seine  ursprüngliche  Gestalt  längst 
eingebüßt,  und  seine  heutige  Gestalt  ist  das  Produkt  der  atmosphäri- 
schen Agenzien.  Mount  Sanford  ist  ein  vulkanischer  Dom,  dessen 
eine  H^te  durch  die  abgrabende  Tätigkeit  eines  Gletschers  weg- 
miniert  worden  ist.  Mount  Blackbum  ist  von  allen  Seiten  vom  Eise 
beschnitten  worden,  und  nur  der  oberste  Teil  zeigt  die  ursprüngliche, 
sanft  gerundete  Form,  während  unterhalb  desselben  steile  Wände 
abstürzen.  Vom  Mount  Wrangell  geht  nach  Norden  der  80  km  lange 
Nabesnagletscher  hinunter. 

Das  Vulkangeblet  des  zentralafrikanischen  Grabens  schilderte 
Hauptmann  Herrmann  ^),  der  als  Leiter  der  Vermessungsarbeiten 
1900  bis  1902  das  Gebiet  im  Norden  des  Tanganika  bereist  hat.  Nach 
seiner  Anschauung  bedeckte  vor  Erhebung  des  Vulkangebirges  eine 
zusammenhängende  und  1200  bis  1300  m  ü.  d.  M.  gelegene  Wasser- 
fläche den  zentralafrikanischen  Graben  vom  Äquator  bis  2^  25'  südl. 
Br.,  so  daß  das  Niveau  des  Albert  Edward  Nyansa  um  etwa  300  m 


1)  National  Geogr.  Magazine  1903.  —  Globus  M.  p.  178. 

s)  Danckdmanns  Mitteil.  1904.  Heft  1.  —  GlobuB  SB.  p.  277. 


204  Yalkanismas. 

hoher  und  das  des  Kivusees  um  etwa  200  m  tiefer  la.g  als  gegenwärtig 
und  demnach  der  Kivu  mit  aUen  seinen  Zuflüssen  zum  Nflgebiete 
gehörte.  Diese  Wasserfläche  war  im  Süden  innerhalb  des  zentnl- 
afrikanischen  Grabens  zwischen  2^  25^  und  2°  40'  südl.  Br.  durch  eineD 
1800  m  hohen  Querriegel  von  dem  Tanganika-  und  Kongogebiete  ab- 
geschlossen. Der  Querriegel  war  nach  Herrmann  dadurch  entetaaden, 
daß  bei  der  ursprünghchen  Grabenversenkung  eine  die  beiden  Graben- 
ränder (9000  bis  2500  m  hoch)  schief  verbindende  Glimmerschiek- 
scholle  nur  halb  in  die  Tiefe  abgerutscht  war.  Den  Beweis  für  die  i» 
einer  frühem  Erdperiode  bestandene  Trennung  der  beiden  Seen-  and 
Flußs3^teme  hatte  Moore  schon  damit  erbracht,  daß  er  die  totale 
Verschiedenheit  der  Fauna  im  Tanganika  von  der  im  Kivu-,  Albert 
Edward-  und  Albertsee  als  sicher  konstatierte.  Als  spater  in  eisef 
geologisch  rezenten  Periode  der  Boden  zwischen  dem  Kavu-  vai 
Albert  Edwardsee  durch  vulkanische  Kräfte  gehoben  wurde  und  afl- 
mähUch  zu  dem  heutigen  Kirungagebirge  emporwuchs,  mußtet 
Spiegel  des  Albert  Edward  Nyansa,  weil  ohne  den  bisherigen  Zuflofi 
aus  Süden,  sich  senken,  während  der  Kivusee,  eingeschlossen  von  den 
Bergen  im  Norden  und  dem  Querriegel  im  Süden,  sich  mehr  und  m^ 
ausfüllte,  bis  er  an  der  niedrigsten  Stelle  (bei  dem  Querri^el)  eineo 
schmalen  Durchgang  sich  erkämpfte  und  als  Rusisifluß  dem  um  etva 
670  171  tiefer  gelegenen  Tanganika  zuströmen  konnte. 

Viher  die  Kratergestaltung  und  über  die  Höhe  der  einzelnen  Gvffi 
gibt  Herrmann  ausführlichere  Auskunft,  wobei  er  die  Besohlte 
mehrerer  Ersteigungen  und  der  gründlichem  Erforschung  der  For- 
mationen übersichtlich  zusammenfaßt.  Von  den  acht  Vulkanen  sind 
fünf  erstiegen  worden,  und  zwar  (von  West  nach  Ost)  von  der  eiste» 
Gruppe:  der  Niragongo  von  Graf  Götzen  1894,  der  Namlagiia  tod 
Leutnant  Schwartz  1902;  von  der  zweiten  Gruppe:  der  Kariasiinbi 
von  Pater  Barthäemy  1903;  von  der  dritten  Gruppe:  der  SsabjiBO 
von  V.  Beringe  1903  und  der  Muhawara  von  Bethe  1900.  —  Der  K»- 
rissimbi  überragt  mit  4600  m  die  übrigen  Gipfel  um  100  bis  1500  a- 
Ewiger  Schnee  befindet  sich  nur  in  den  Klüften  der  höchsten  Region; 
doch  „ist  er  oft  des  Morgens  bis  600  m  unter  dem  Gipfel  mit  lücbo* 
loser  Schneedecke  bedeckt''. 

Die  Vulkane  des  Ostgrlqualandes.  Obwohl  der  vulkanische  C!h*- 
rakter  der  Drakensbergkette  seit  langem  erkannt  ist,  hat  man  &^ 
neuerdings  eine  größere  Zahl  ehemaliger  tätiger  EruptionszentieD 
entdeckt.  Neunzehn  oder  zwanzig  sind  von  einer  Abteilung  der  Geo- 
logical  Survey  in  Matatiele  im  Ostgriqualande  festgestellt  woidfiOi 
und  ein  Aufsatz  über  sie  von  E.  H.  L.  Schwarz  findet  sich  in  Bd.  XIvi 
Teil  1  (1903)  der  „Transactions  of  the  South  African  Philoßopiuc»' 
Society*'.  Diese  Vulkane  sind  sehr  alt,  da  sie  zur  obem  jurasssichen 
oder  Kreideperiode  gehören,  imd  deshalb  von  besonderm  Interesse, 
weil  sie  nicht  nur  die  Verhältnisse  im  Ausbruchsschachte  weit  unt«r 


YnlkaniBinuB.  205 

der  ursprünglichen  Mündung  zeigen,  sondern  auch  etwaa  von  der 
obem  Gestaltung,  so  daß,  wenn  man  diese  geologischen  Dokumente 
vereinigt,  man  einen  natürlichen,  1200  bis  1500  m  langen  Vertikal- 
durchschnitt eines  Vulkanes  erhält.  Alle  in  Matatiele  entdeckten 
Vulkanöffnungen  finden  sich  südlich  der  Drakensbergkette,  weil  dank 
der  schnellen  Erosion  auf  dem  regenreichem  Abfalle  des  Gebirges 
nach  der  See  zu  die  ganze  äußere  Seite  der  alten  Vulkanspitzen  ab- 
getragen worden  ist,  so  daß  die  Bauchöffnungen  selbst  so  weit 
heruntergebracht  sind,  daß  man  sie  jetzt  ganz  am  Fuße  des  Gebirges 
vorfindet.  Einige  jedoch  haben  mehr  Widerstand  leisten  können 
und  stehen  jetzt  draußen  auf  den  Bergabhängen,  so  daß  man  die  Lava- 
ausflüsse und  andere  Verhältnisse  der  Oberfläche  erkennen  kann. 
Schwan  beschreibt  etwas  eingehender  die  Offnimgen  (deren  mandel- 
steinartige  Lava  jetzt  den  Kamm  der  Kette  bildet),  um  ein  Bild  von 
der  Natur  der  Vulkane  zu  geben,  und  zieht  dann  seine  Schlüsse  daraus 
für  die  geologische  Geschichte  dieses  Teiles  von  Südafrika.  Die  Vul- 
kane scheinen  auf  einer  etwa  60^  Ost  zu  Nord  verlaufenden  Strei- 
chungslinie zu  liegen,  und  in  einer  ähnUchen  Bichtung  dürften  die 
tektonischen  Linien  des  ganzen  Gebietes  dominieren.  In  permischer 
Zeit  Uef  eine  Küstenlinie  ungefähr  nordöstUch  der  Linie  des  untern 
Vaalflusses  entlang.  Sedimente,  die  von  verschiedenen  Lagen  vom 
Dwykakonglomerat  bis  zur  obem  Karroo  repräsentiert  werden, 
wurden  in  einem  breiten  Bande  nach  Südosten  abgelagert.  Dieses 
wurde  mit  der  Zeit  trockenes  Land,  und  es  bildete  sich  eine  gut  mar- 
kierte Wasserscheide,  die  heute  in  der  im  allgemeinen  geradlinig  von 
Kapstadt  nach  Delagoabai  verlaufenden  Hauptwasserscheide  er- 
kannt werden  kann.  Diese  ist,  wie  man  sehen  kann,  älter  als  die 
Bildung  der  jetzigen  Hauptketten,  da  die  südöstUch  von  ihr 
abströmenden  Flüsse  die  Ketten  in  tiefen  Schluchten  durch- 
brechen. Der  obere  Orangefluß  allein  schneidet  durch  diese 
Wasserscheidelinie  hindurch,  und  die  ihn  speisenden  Flüsse 
sind  von  ihrem  natürhchen  Laufe,  der  südostwärts  ging,  ab- 
gelenkt worden.  Die  Kraft,  die  das  bewirkte,  war  offenbar  das  Empor- 
steigen einer  Vulkanreihe  der  der  Wasserscheide  parallelen  Strei- 
chungslinie entlang.  Aus  der  Zusammensetzung  der  Stormberg- 
schichten  schUeßt  Schwarz,  daß  zur  Zeit  ihrer  Bildung  eine  alte 
Landmasse  gegen  Süden  hin  existierte,  von  der  Madagaskar  und  die 
Seychellen  die  Überreste  sind,  und  daß  in  dem  zwischen  diesem  Lande 
und  dem  alten  nördüchen  Lande  eingeschlossenen  Meere  die  Sedi- 
mente vom  Tafelbergsandsteine  aufwärts  abgelagert  worden  sind. 

Vulkanischer  Ausbruch  auf  der  Insel  Comom.^)  Der  Mont 
Kartala,  der  im  südUchen  Teile  der  großen  Ck)mominsel  bis  auf  2400  m 
Seehöhe  ansteigt,  wurde  am  26.  Februar  plötzUch  tätig  und  ergoß  die 


1)  Erdbebenwarte  1904.  UI.  p.  248. 


206  VnlkanlnniiB. 

glühende  Lava  in  vier  Strömen  auf  die  Umgebung  herab.  Zw  Anne 
breiteten  sich  in  der  Provinz  von  Orchini  aus  und  walzten  sich  in  öst- 
licher Richtung  ins  Meer,  nachdem  sie  auf  ihrem  Wege  alles  vernichtet 
hatten.  Mehrere  Eingeborene,  die  von  der  ebenso  unerwarteten  ab 
heftigen  Katastrophe  überrascht  worden  waren  und  sich  nicht  mäa 
rechtzeitig  flüchten  konnten,  gingen  mit  ihren  Viehherden  zognmde. 
Beinahe  um  die  gleiche  Zeit  begann  auch  der  Mont  Rosso  im  südöst- 
lichen Teile  der  Insel  Feuer  zu  speien,  doch  war  dessen  Auswurf 
weniger  heftig.  Am  Abende  schien  der  Himmel  oberhalb  der  Gehirg^ 
kette,  die  das  Tai  von  Utoandra  beherrscht,  in  Brand  gerat«)  n 
sein.  In  der  Nacht  wurden  fürchterUche  Detonationen  vemommeo, 
denen  mehrere  heftige  Erdbeben  folgten.  Erschreckt  eilten  die  Be 
wohner  aus  ihren  Häusern  und  wurden  Augenzeugen,  wie  eine  rieage 
Rauchsaule,  vermischt  mit  Wasserdampf,  aus  beiden  Kratern,  haupt- 
sächlich aus  jenem  des  Mont  ELartala,  emporschoß,  und  aus  ihr  Blitie 
in  verschiedenen  Farben  zuckten.  Aus  dem  Feuerherde  erhob  sidi 
plötzUch  ein  glühender  Lichtkegel,  der  die  Farbe  vom  brennendai 
Rot  ins  Blendende  der  Weißglühhitze  wechselte,  worauf  abennak 
Lava  aus  den  beiden  feurigen  Schlünden  zu  fließen  begann.  Ver- 
treter der  staathchen  Behörden  sendeten  Boten  nach  den  ezponieiteD 
Punkten  der  Insel  aus,  um  die  Bewohner  zu  warnen  und  sie  zum  Vtf- 
lassen  der  Siedlungen  zu  bewegen.  Dank  dieser  Umsicht  wuiden 
manche  gerettet.  Nur  einzelne  Fußgänger  und  Hirten,  die  ihre  lang- 
samen Heiden  nicht  verlassen  konnten,  gingen  zugrunde.  Auch  in 
der  Provinz  von  Badjeni  und  in  jener  von  Mutsamiola  wurden  Eni* 
beben  verspürt 

Der  Kllauea  auf  Hawaii.  Dr.  0.  Kuntze,  der  im  Juni  1904  die 
Sandwichinseln  besuchte,  bemerkt  in  einer  zum  Teil  gegen  die  dortig? 
unwahre  Reklame  gerichteten  Studie  über  den  Vulkan  Kilauea  fol- 
gendes: 1)  Der  Edlauea  ist  jetzt  ein  zahmer  Vulkan,  weil  er  ruht  oder 
erloschen  ist  und  nur  noch  Wasserdampf  mit  schwefliger  Saure  vie 
andere  Vulkane  aushaucht.  Ich  habe  Vulkane  gesehen  und  besucht 
in  Europa  (Vesuv,  Ätna,  StromboU),  auf  den  Canarischen  Insehi  (I^ 
von  Tenerife,  Ciddera  di  Palma),  Westindien  (Martinique:  P^)> 
Costarica  (Irazu),  Venezuela  (Silla  de  Caracas),  BoUvia  und  Q^ 
(mehrere  auf  der  4000  m  hohen  Puna),  in  Japan  (Fujijama),  auf  h^ 
(Pangeranga,  Merapi  und  andere)  usw.,  aber  ich  finde  insofern  keinen 
Unterschied  zwischen  dem  jetzigen  Kilauea  und  andern  Vulksoen. 

Der  Kilauea  wird  auch  infolge  eines  Irrtumes  mancher  Gdehrteo 
„zahm"'  genannt,  welche  dessen  frühem  Feuersee  in  einer  EinsenkuoS 
des  erloschenen  alten  Vulkanes,  wohinein  die  Lava  des  innem  Krattf^ 
Halemaumau  geflossen  war,  für  einen  tatigen  Krater  gehalten  hftben. 
Aber  dem  frühem  Feuersee  konnte  man  sich  ebenso  nahem  wie  den 

1)  Umlauft,  Deutache  Rundschau  27.  p.  1. 


I 


YnlkanismuB.  207 

glühenden,  zum  Stehen  gekommenen  Lavaströmen  anderer  Vulkane. 
^  Am  Rande  solcher  Lavaströme,  z.  B.  am  Vesuv,  formten  die  Italiener 
I      aus  der  glühenden  Lava  Erinnerungsmedaillen,  wie  ich  es  auch  selbst 

einmal  dort  gesehen  habe. 

Wenn  sich  der  Krater  wieder  öffnen  sollte,  so  dürfte  es  schwerlich 
'      ohne  Explosion  geschehen,  wie  auch  Erdbeben  dort  vorkommen, 

was  nach  Zeitimgsberichten  z.  B.  in  der  zweiten  Woche  des  Juni  1904 

auf  den  Sandwichinseln  der  Fall  war. 

Es  gibt  kein  offenes  Ventil  eines  Vulkanes  auf  Hawaii.     Auf 

dieser  Insel  gibt  es  nach  der  neuesten  offiziellen  Landkarte  etwa 

zweihundert  kleine  Kraterkegel  und  einige  sehr  große  Krater.    Ist 

einer  erloschen  oder  verstopft,  so  öffnet  sich  später  ein  anderer, 
^  gerade  so  wie  es  bei  andern  Vulkanen  der  Fall  ist.  Es  ist  seit  dem 
'^     24.  Juni  1897  kein  Feuer  mehr  im  innem  Krater,  dem  Halemaumau, 

von  wissenschaftlichen  und  unabhängigen  zuverlässigen  Leuten  ge- 
*     sehen  worden;  die  spätem  Angaben  sind  zum  Teile  nur  Geschäfts- 
''     humbug. 
'  Nachdem  der  Kilauea-Halemaumau  1897  zum  letzten  Male  aus- 

<  gebrochen  war,  öffnete  sich  der  Mokuaweoweo  des  Mauna  Loa  wieder-^ 
}  holt  in  spätem  Jahren;  doch  der  Geschäftsleiter  des  Hotels  will  zu 
^     gleicher  Zeit  Feuer  im  Halemaumau  gesehen  haben. 

I  Wenn  der  Kilauea  ein  offenes  Ventil  für  das  glühende  Erdinnere 

<  imseres  Globus  gewesen  wäre  oder  noch  wäre,  wie  wohl  mancher 
^     glaubt,  so  dürfte  kein  einziger  anderer  Krater  auf  Hawaii  existieren; 

aber  es  gibt  deren  sogar  über  zweihundert  auf  dieser  Insel. 

t  Der  Kilaueakrater  ist  nicht  der  größte  Krater,  denn  der  Mauna 

Loa  ist  drei-  bis  viermal  größer,  und  der  erloschene  Haleakalakrater 

ist  zwei-  bis  dreimal  so  groß  als  die  Kilaueacaldera.    Der  4196  m  hohe 

Mauna  Loa  kann  nicht  leicht  besucht  werden,  weil  keine  Wegzieichen 

I     vorhanden  sind,  obwohl  der  Mauna  Loa  bis  zur  Spitze  meist  klar  zu 

I     sehen,  und  der  Anstieg  gar  nicht  steil  ist.  Die  Abhänge  sind  zum  Teile 

I      mit  AcaciaKoa  (A.  Gray)  bewaldet,  und  die  neuem  I^avafelder  sind 

i     schwer  zu  passieren.    Mit  Wegzeichen,  wie  man  sie  in  andern  Ländern 

bei  von  Reisenden  besuchten  interessanten  Punkten  findet,  könnte 

der  Mauna  Loa  sogar  von  Touristen  zu  Fuß  leicht  vom  Halfwayhouse 

erstiegen  werden. 

Da  jetzt  kein  Feuer  mehr  im  Krater,  keine  glühende  Lava,  kein 
Feuersee  mehr  im  Kilauea  existiert,  sogar  nachts  kein  Feuerschein 
mehr  dort  bemerkbar  ist,  so  sind  die  gegenteiUgen  Behauptungen  (dea 
Hawaiireiseprospektes)  unwahr. 

Kuntze  rechnet  den  ELilauea  zu  den  ältesten  Vulkanen,  er  sei  die 
einzige  Caldera  in  der  Welt  mit  noch  voUkommenen  Kraterwänden 
ringsum;  alle  andern  Calderas  sind  mindestens  auf  einer  Seite  ein- 
gesunken oder  zerstört.  Im  südlichen  Teile  des  Grundes  der  er- 
loschenen Kilaueacaldera  von  ungefähr  4600  m  Durchmesser  befindet 
sich  der  neue  Krater  Halemaumau  mit  nur  etwa  200  m  Durchmesser^ 


208  Inseln. 

dessen  Oberkante  ungefähr  00  m  unter  der  Obei^ante  der  Küuear 
wände  liegt.  An  den  obem  Seiten  der  Caldera  befinden  sich  im  einem 
Tuffsteine  erhärtete  Schlammeruptionen,  die  mit  Lapillis  daichmeogt 
sind.  Diese  werden  auch  oben  um  den  Kilauea  und  im  tiefsten  Tde 
dieser  Caldera  nahe  dem  Vulkanhotel  gefunden,  wo  ein  Teä  der 
Caklerawand  abgestürzt  und  bis  unten  mit  Vegetation  bedeckt  isL 

Inseln. 

Ober  die  Abrasion  Helgolands  verbreitete  sich  W.  Wdi^) 
Für  die  Ostseeküste  sind  durch  Jentzsch  und  andere,  namentr 
lieh  aber  durch  E.  Geinitz  nicht  unbeträchtliche  NiTeao- 
Veränderungen  nachgewiesen.  Auch  für  die  Nordseeküste  f^ 
es  nicht  an  Beweisen.  In  dieser  Hinsicht  nimmt  die  weit  vat^ 
schobene  Insel  Helgoland  ein  besonderes  Interesse  in  Aosprodi, 
und  zwar  durch  zwei  auffallende  Erscheinungen.  Bekannäicfa 
besteht  Helgoland  aus  zwei  Nachbareilanden,  der  hohen,  steiliuB- 
rändeten  Felsinsel  und  der  niedrigen,  in  ihrem  Schutze  im  0^ 
gelegene  Düne.  Beide  haben  einen  gemeinsamen  groflen  unter 
seeischen  Sockel,  der  vorwiegend  aus  den  Schichten  des  Zechston- 
lettens,  untern  Buntsandsteines,  Muschelkalkes  und  der  Kreide 
vom  Neokom  bis  zum  Senon  gebildet  wird.  Die  Felsinsel  ßi 
nichts  als  der  letzte  Rest  einer  großem,  der  Abrasion  zum  Opfer  P* 
fallenen  Landmasse.  Sorgfältige  Beobachter,  wie  Wiebel  und  Lmde* 
mann,  haben  das  Maß  des  Küstenrückschrittes  in  neuerer  Zeit  m 
3  bis  5  m  im  Jahrhunderte  berechnet. 

Wenn  man  mit  diesem  Maße  nun  einmal  rückwärts  den  W^ 
räum  berechnet,  den  die  Abrasion  zur  Herausbildung  des  Socke» 
gebraucht  hat,  so  kommt  man  auf  ca.  15000  Jahre.  Bedenkt  mao, 
daß  die  großen  mittelalterlichen  Sturmfluten  und  die  sicher  ^ 
auszusetzende  ungleiche  Widerstandsfähigkeit  des  Landes  hin  vd 
wieder  dies  Tempo  erheblich  beschleunigt  haben  werden,  w  *' 
mäßigt  sich  die  Schätzung  vielleicht  auf  10000  Jahre. 

Warum  begann  die  Abrasion  nicht  eher?  Schützende  Küpp* 
dürften  im  Westen  der  Insel  kaum  vorgelegen  haben.  An  dem  Aa^' 
rande  der  Abrasionsfläche,  der  mit  einer  Verwerfung  zusammenS**' 
senkt  sich  der  Meeresboden  ziemhch  rasch  auf  16  bis  20  m  Tiefe,  nnj 
dann  noch  einmal  im  „buttere  Roig'*  auf  5  bis  8  m  unter  Seespieg^ 
anzusteigen.  Der  buttere  Böig  besteht  aus  Kreide  und  kann  vieUeicbt 
als  Rest  einer  schmalen  und  wegen  ihres  weichen  Gesteines  leicht  zer- 
störbaren Vorklippe  aufgefaßt  werden.  Jenseits  dereelben  koti0^ 
bald  die  20  m  Tiefenlinie. 

Es  gibt  nur  zwei  Erklärungen  für  den  späten  Beginn  der  Abnusos' 
entweder  existierte  die  Nordsee  zuvor  nicht,  oder  aber  Bodenbe- 

^)  Zeitschr.  d.  Dtsch.  geolog.  Geeellsohaft  6S.  p.  116. 


Inieln.  209 

wegungen  brachten  erst  zu  jenem  ZSeitpunkte  das  Gebiet  um  Helgoland 
in  so  tiefe  Lage,  daß  die  bereits  benachbarte  See  den  Angriff  eröffnen 
konnte.  Im  ersten  Falle  könnte  man  im  Anschlüsse  an  einzelne 
amerikanische  und  skandinavische  Greologen,  welche  das  Ende  der 
Eiszeit  bis  vor  ungefähr  10-  bis  15  000  Jahren  heraufrücken,  mut- 
maßen, daß  erst  damals  die  Nordsee  das  Inlandeis  verdrängte  und 
diese  Gegend  erreichte.  Allein  es  gibt  Erwägungen,  die  dagegen 
sprechen.  Die  Rentier-  und  Mammutfunde  auf  der  Doggerbank,  und 
die  späte  Eröffnung  des  Kanales  machen  es  wahrscheinlich,  daß 
zwischen  der  Enteisung  des  Nordseebodens  und  seiner  Einnahme 
durch  das  Meer  eine  kurze  Festlandsperiodo  hegt.  Darauf  scheint 
nach  Wolf  auch  die  zweite  hier  zu  besprechende  Erscheinung  auf 
Helgoland  zu  deuten.  Er  meint  das  seltsame  Vorkommen  einer  Süß- 
wasserablagerung 5  m  unter  der  See  am  Grunde  des  Nordhafens  und 
bei  den  KUppen  nördlich  der  Düne  (zwischen  Seile-  und  witt  Kläww- 
Bru,  zwischen  letzterm  und  der  Hauptinsel,  sowie  beim  olde  Höve- 
Bru).  Hallier  und  Lasard  geben  den  Pflanzen-  und  Tierinhalt  dieser 
Ablagerung  näher  an.  Damach  ist  sie  offenbar  quartär,  und  zwar,  da 
sie  unbedeckt  von  andern  Schichten  liegt,  postglazial.  Da  die  Ein- 
senkungen,  in  denen  sie  liegt,  sich  nach  der  offenen  See  verbreitem 
und  keine  Reste  etwaiger  schützender  Riegel  erkennen  lassen,  hinter 
denen  sich  diese  Süßwasserbildung  von  Anfang  an  in  so  tiefer  Lage 
hätte  bilden  können,  so  hegt  auch  hier  wieder  die  Annahme  einer  ver- 
hältnismäßig jungen  Landsenkung  nahe.  Es  bliebe  dann  zu  prüfen, 
ob  sich  diese  Senkung  nur  innerhalb  der  auch  jetzt  den  Inselsockel 
umgrenzenden  Hauptverwerfungen  vollzogen  haben  sollte,  oder  ob 
sie,  wie  Wolf  annehmen  möchte,  Teilerscheinung  einer  um- 
fassendem Bodenbewegung  gewesen  wäre. 

Der  Roekallf eisen.  Schon  1862  ist  die  Lage  dieses  einsamen 
Felsens  durch  eine  Expedition  des  britischen  Kriegsschiffes  „Por- 
cupine''  auf  bT  36.3'  nördl.  Br.  imd  13""  41.5^  westl.  Länge  festgestellt 
worden.  ^)  Der  Felsen  ist  etwa  21  m  hoch  und  hat  in  der  WasserUnie 
nicht  über  90  m  Umfang;  es  liegen  in  seiner  Nähe  noch  einige  bUnde 
KUppen.  Der  Felsen  ist,  wie  auch  sein  weißer  Gipfel  bekundet,  der 
Aufenthaltsort  zahlreicher  Seevögel.  Die  Rockallbank  erstreckt  sich 
mit  weniger  ab  180  m  Tiefe  reichUch  10  Seemeilen  östUch  und  15  See- 
meilen westUch  vom  Felsen  und  reicht  etwa  von  57^  55'  nördl.  Br.  bis 
nach  56°  55'  nördl.  Br.  herab.  Was  Landungen  auf  Rockall  betrifft,  so 
ist  der  „Porcupine**  kein  Landungsversuch  gelungen.  In  den  Jahren 
1887  und  1888  soll  der  Felsen  einige  Male  durch  Fischer  aus  Orimby 
und  von  den  Faröem  bestiegen  worden  sein.  Eine  Expedition  zur 
Erforschung  von  Rockall  wurde  im  Jahre  1896  von  Killybegs  aus 
(Donegalbucht  an  der  Westküste  Irlands)  ausgeschickt;  sie  war  mit 


^)  Monatskarte  des  Nordatlantiflchen  Ozeanes.    August  1904. 
Klein,  Jahrbnoh  XV.  14 


210  InBAlii. 

Fiachereigeratschaften  und  Laadungsmitteln,  wie  z.  B.  Leinengeflchütz 
und  Klippenleitem,  ausgerüstet.  Doch  gelang  auch  ihr  auf  beidea 
Reisen,  die  sie  im  Juni  18M  machte,  kein  LandungSTersuch,  wohl 
aber  wurden  mit  Kurre  und  Schleppnetz  zahlreiche  Gesteina-  and 
Muschelproben  zutage  gefördert.  Ob  die  Proben  von  Flachwaaaer- 
muscheln,  die  aus  einer  Tiefe  stammen,  in  welcher  die  Tiere  nicht 
gelebt  haben  können,  durch  Eisberge  oder  durch  Fischer  dorthin  ge- 
kommen sind,  oder  ob  sie  einer  Zeit  angehören,  in  der  das  Wasser 
dort  viel  flacher  war,  ist  nicht  endgültig  aufgeklart.  Die  Gesteins- 
proben lassen  einen  porphyrartigen,  hauptsachlich  aus  Qoarz,  Fdd- 
spat und  Augit  bestehenden  Granit,  den  man  „Rockallit**  genaimt 
hat,  erkennen.  Über  die  Arten  und  über  die  Menge  der  auf  jenen  alt- 
bekannten Fischgründen  gefangenen  Fische  erhalten  wir  keine  Aus- 
kunft; wohl  aber  wird  angegeben,  daß  die  Expedition  bei  ihrer  Schlepp- 
netzfischerei viele  Gerate  verloren  hat.  Die  steilen  Seiten  des  Felsrais 
machen  die  Errichtung  einer  meteorologischen  Station  auf  Rockall 
ganz  aussichtslos;  auch  ist  es  natürUch  nutzlos,  dort  Zuflucht  suchen 
zu  wollen. 

Die  Insel  Gottand  schildert  G.  Schoener.  i)  Sie  hieß  in  der  Vor- 
zeit Gutaland  und  hat  ein  Areal  von  3158  qhm,  auf  dem  eine  Bevölke- 
rung von  52  781  Seelen  (1901)  lebte.  Die  Küste  zeigt  mehrere  Buchten, 
von  denen  die  größte  die  Klintehamnbucht  an  der  Westküste,  der  im 
Süden  die  beiden  Karlsinseln  (Karlsöema)  vorgelagert  sind,  von  denen 
die  größere  (stora  Karlsön)  größtenteils  von  einem  weitgestreckten, 
über  50  m  hohen  Plateau  mit  lotrechten  Wänden,  die  allmählich  in 
südöstUcher  Richtung  sich  abdachen,  durchzogen  wird.  An  der 
kleinen  Bucht  im  Norden  findet  sich  der  einzige  Hafen,  der  Norder- 
hamn.  Die  wenigeKilometer  entfernte  kleineKarlsinsel  (Ulla  Karlsön) 
weist  noch  steilere  und  wildere  Formationen  mit  einer  Mittelhöhe  von 
60  m  auf.  Im  Südwesten  Gotlands  dringt  der  Burgsviken  tief  ins 
Land  ein,  während  der  Norden  die  längste  Bai,  den  7  km  langen 
Kappelhamnsviken,  aufweist,  imd  im  Nordosten  die  Farön  (Schaf- 
insel) durch  den  Farösund  von  der  Hauptinsel  geschieden  wird.  Die 
Farön  wird  fast  ausschließUch  von  Fischern  und  Lotsen  bewohnt»  die 
im  Frühjahre  auch  die  gefährUche  Seehundjagd  auf  dem  Treibeise 
ausüben. 

40  km  nördUcher  hegt  die  Gotska  Sandön  (gotische  Sandinael), 
die  eine  etwas  unregelmäßige  Dreiecksform  zeigt,  deren  längste  Seite 
mit  9  km  gegen  Nordnordost  gewendet  ist,  und  deren  Mittelhöhe  über 
dem  Meere  20  m  nicht  übersteigt.  Rund  um  Sandön  laufen  ältere 
und  jüngere  Randdünen,  und  querüber  erstreckt  sich  eine  gewaltige 
alte  Düne,  Högasen,  die  bis  zu  42  m  sich  erhebt  und  das  nordwestliche 
Hom  von  den  übrigen  Teilen  scheidet.   Der  innerhalb  der  Randdünen 

1)  GlobuB  85  p.  112. 


InBeln.  211 

gelegene  Teil  ist  vielfach  mithochstammigemFichtenwalde  bestanden. 
Bezüglich  ihres  Alters  und  ihrer  Zusammensetzung  ist  die  Sandön 
verhältnismäßig  jung  und  so  recht  ein  Produkt  der  Sortierungs-  und 
Umlagerungsarbeit  des  Meeres.  Ihr  Strand  ist  von  den  Schiffern 
gefürchtet  und  fordert  alljährlich  zahlreiche  Opfer. 

Gotland  gehört  gleichwie  die  südwestUch  gelegene  Insel  Oland 

der  kambrisch-silurischen  Formation  an,  und  Bestandteile  der  archäi- 

1     sehen  Formation,  die  —  wie  Gneis  und  Granit  —  im  südöstlichen 

I     Norwegen,  in  Schweden  und  Finnland  vorherrschen,  kommen  nicht 

I     vor,  ausgenommen  Findlinge,  die  zur  Zeit  des  skandinavischen  Land- 

eises  hier  abgelagert  wurden.    Alle  zutage  tretenden  Teile  bestehen 

!*     aus  mächtigen  Kalklagem,  aufgebaut  auf  einem  unter  dem  Meere 

i     liegenden  Sandsteinplateau,  das  sich  im  Süden  und  Norden  noch 

f     einige  Meilen  fortsetzt  und  allein  an  der  südUchen  Landzunge  zutage 

f      tritt.    Der  nordwestUche  TeU  steigt  in  steüen  Terrassen  auf  und  zeigt 

den  höchsten  Punkt  der  Insel,  die  FoUingbohöhe  (südöstlich  von 

I      Wisby,  77  m).    An  der  Südspitee  erhebt  sich  die  steile  Anhöhe  Ho- 

bürgen  mit  zahlreichen  Grotten.    Die  Küsten  weisen  häufig  die  durch 

Erosion  gebildeten  pfeUerartigen  „Raukar*'  auf. 

Einige  unbedeutende  Bäche,  ein  paar  kleine  Seen  (träak)  und 
j      zahlreiche,   im   Sommer  meistens  austrocknende   Sümpfe   (myrar) 
stellen  die  Gewässer  der  Insel  dar.    Das  Innere  ist  flach,  und  die  Ab- 
lagerungen bilden  nahezu  horizontale  Lager  mit  schwacher  Neigung 
_      gegen  Südosten,  doch  findet  sich  hier  im  allgemeinen  eine  fruchtbare 
,      Humusdecke  mit  prächtigen  Eichen-  und  Erlenwäldern,  während 
nördlich  der  Sandboden  mit  ausgedehnten  Fichtenwaldungen  über- 
wiegt. 

I 

^  Dia  Strophaden  im  Westen  des  Peloponneses  gehören  zu  den 

I  kleinen  Inseln,  die  nur  höchst  selten  von  wissenschaftUchen  Forschem 
besucht  worden  sind.    Im  Jahre  1825  hat  sie  Graf  Prokesch-Osten 

I  besucht,  dann  erst  1898  O.  Reiser.  C.  Patsch  gibt,  mit  Benutzung 
von  MitteUungen^des  letztem,  von  den  Inseln  eine  kurze  Schilderung.  ^) 
Die  Eilande,  jetzt  auch  Strophano,  Strivali  und  Stamphanes  genannt, 
sind  verhältnismäßig  am  leichtesten  von  Kap  Keri  auf  der  Insel  Zante 
mittels  einer  Segelbarke  zu  erreichen.  Reiser  brauchte  zu  der  Über- 
fahrt 16  Stunden.  Katakolo  und  Philiatra,  die  nächsten  peloponnesi- 
Bchen  Häfen,  sind  wohl  etwa  ebensoweit  —  ca.  35  Seemeilen  —  ent- 
fernt, doch  hat  man  hier  in  der  Regel  mit  widrigen  Winden  zu  kämpfen. 
Beide  Inseln  —  einen  eigenen  Namen  hat  keine  —  sind  ganz  niedrig 
und  winzig  klein.  Die  größere,  höhere  erhebt  sich  nur  15  m  über  den 
Meeresspiegel,  so  daß  man  die  Schollen  selbst  erst  in  ganz  geringer 
Entfernung  sichtet.  Die  kleinere,  nördlich  gelegene,  von  dreieckigem 
Kontur,  kann  am  Saume  in  etwa  %  Stunden  umgangen  werden;  die 

1)  Mittefl.  d.  k.  geogr.  Ges.  in  Wien  47  p.  207. 

14» 


212 

grofieie,  im  GmndriMe  ein  Rechteck  mit  «ngesogener  Nord-  und 
Sädieite,  beaotpnicht  etwa  zwei  Standen  dAxu.  Zusammea  machen 
sie  3.5  qkm  raa.  Die  Bodenplastik  ist  bei  beiden  gleich;  sie  IhUbb 
flaobe  Plateaus,  die  von  mehiem,  nach  verscbiedeDen  Richtangea 
Terlanfenden  Sohlachten  steil  eingeschnitten  sind  nnd  g^^das  ^ 
mit  Aosnahme  weniger  Stellen  in  sanfter  Boschong  abfaUsiL  Die 
größere  Insel  hat  nar  aaff  der  Nordwestkäste  einen  kleinen  knost- 
lichen  Hafen,  der  aber  bei  höherm  Seegange  nicht  ang^laofen  wenks 
kann.  Dagegen  weist  der  Sodwestrand  der  kleinem  eine  wind- 
geschützte,  leichter  zagangUche  Einbuchtung  auf.  Ein  Kram  vm 
Teile  verborgener  Klippen  umhegt  beide;  deswegen  können  gröSeff 
Schiffe  nirgends  anlegen,  und  selbst  kleinere  entschließen  sich  diu 
nur  notgedrungen. 

Standig  bewohnt  ist  nur  die  größere  Insel;  außer  dem  gröfiofi 
Flächenausmaße  war  für  die  Besiedlung  auch  ihre  größere  Ergieng* 
keit  maßgebend.  Nebst  einem  Leuchtturme  auf  der  Nordspit»  be- 
sitzt sie  auf  der  Nordwestküste  ein  geräumiges  griechisch-orieiitafi- 
sches  Kloster.  Unmittelbar  neben  dem  Kloster  waren  bei  Reises 
Anwesenheit  mehrere  Felder  mit  Weizen,  Hafer  und  Gerate  gatl»- 
stellt,  zu  deren  Beriesdung  Zistemenwasser  verwendet  wuide.  &v^ 
überwiegen  auf  diesem  EilMide  magere  Weiden  und  mit  Gestrüpp,  ^ 
meist  mit  Zistenrosen  bewachsenes  und  mit  Steinen  übeistrea^ 
Ödland,  in  welches  kleine  Haine  der  Seestrandkiefer  (Pinus  bal^ 
pensis)  eine  wohltuende  Abwechslung  bringen.  In  den  SeUocht« 
der  großem  Insel  herrscht  dagegen  infolge  der  bis  in  den  Somotf 
hinein  anhaltenden  Feuchtigkeit  eine  geradezu  tropische  Üppi^^ 
der  mediterranen  Flora.  Den  abgewaschenen,  felsigen  VieTstxat 
umschUeßt  ein  schier  undurehdringlicher  Wall  von  str»achig(<^ 
Pistazien.  Weinreben,  OUven-,  Zi1ax>nen-  und  Orangenbaume  koinmeo 
nur  in  geringer  Anzahl  in  dem  IClostergärtchen  vor. 

Fließendes  Wasser  besitzen  die  Inseln  nicht.  Eine  vonFrc^^' 
Osten  erwähnte  Quelle  fand  Reiser  nicht;  dagegen  konstati^ 
er  auf  der  großem  Insel  viele  Zisternen  mit  ausgezeichnetem  Wa^ 
und  zwei  mit  Begenwasser  gefüllte  Weiher,  von  denen  sich  der  eise 
unweit  des  EJosters,  der  andere  in  einem  Kiefemhaine  befindet. 

Das  Klima  ist  sehr  gesund,  vollständig  pelagisch.  Erdbeben 
kommen  häufig  vor;  eines  der  heftigsten  war  das  im  Jahre  1893,  ^ 
dem  noch  jetzt  die  vielen  Bisse  und  Sprünge  in  den  Kloetenna«^ 
zeugen. 

Das  Leben  der  Insulaner,  die  von  Zante  aus  häufig  ^^P^ 
werden,  ist,  den  Winter  ausgenommen,  nicht  so  monoton  ^^^ 
schaulich,  wie  man  annehmen  würde.  Sie  treiben  außer  dem  Ac^' 
baue  auch  Viehzucht.  Im  Jahre  1898  besaß  das  Kloster  eine  kl^^ 
mit  schwerer  Mühe  importierte  Herde  Homvieh,  einige  Schafe  vm 
zwei  Esel,  die  behufs  Ausnutzung  der  Weide  in  Ruderbootea  ^ 


Iiueln.  213 

nach  der  in  etwa  einer  halben  Stunde  erreichbaren  kleinem  Insel  ge- 
bracht werden. 

Die  Insehi  sind  gleich  Helgoland  eine  Vogekugraststation  ersten 
Ranges.  Reisers  Erwartungen  wurden  in  dieser  Hinsicht  weit  über- 
troffen. Dichte  Scharen  nord-  und  wieder  südwärts  ziehender  Vögel 
aller  Art  und  Größe  ruhten  hier  kürzere  oder  längere  Zeit  aus.  Ins- 
besondere suchen  sie  bei  Unwetter  hier  Schutz  und  Nahrung.  Letztere 
finden  die  Insektenfresser  jedoch  nicht»  da  auf  den  Inseln  selbst  die 
gewöhnlichsten  Insekten  (FUegen»  Mücken  und  dergl.)  nicht  vor- 
kommen, und  sterben  bei  länger  anhaltendem  Regen,  bei  Sturm  und 
Kälte  den  Hungertod.  So  fand  auch  Reiser  Hunderte  von  abge- 
magerten Grasmücken,  Fliegenfängern,  Bachstelzen,  Schmätzem  usw., 
die  ein  heftiger  Regen  hierher  getrieben  hatte,  tot  oder  für  die  Weiter- 
reise völlig  entkräftet  vor.  „Aber  selbst  die  Menge  der  zur  günstigen 
Zeit  die  Insel  besuchenden  Zugvögel  war  erstaunlich  und  wechselte 
von  Tag  zu  Tag  ab." 

Die  Comoren  hat  A.  Voeltzkow  auf  seiner  der  Untersuchung  der 
Riffe  und  Inseln  des  westlichen  Indischen  Ozeanes  gewidmeten 
Forschungsreise  besucht.^)  Diese  Gruppe  umfaßt  die  vier  Inseln 
Mayotte,  Mohäy,  Anjouan  und  Groß-Comoro.  Letztere,  die  größte 
und  bedeutendste  der  Gruppe,  wird  von  den  Eingeborenen  Angasija 
genannt.  „Von  weitem  gesehen,  scheint  sie  aus  zwei  Teilen  zu  be- 
stehen, tatsächlich  aber  bildet  sie  zwei  durch  ein  flacheres  Plateau 
verbundene  Erhebimgsgebiete.  Im  Süden  hebt  sich  das  Massiv 
des  ELarthala,  das  fast  das  ganze  Zentrum  der  Insel  einnimmt,  mit 
einem  bis  noch  vor  wenigen  Jahren  tätigen  Vulkane,  und  der  bergige 
Norden  wird  gebildet  aus  einer  Anzahl  erloschener  Krater.  Der 
Karthala  erhebt  sich  wie  ein  gewaltiger  Dom  gleichmäßig  aus  der  See 
au&teigend  mit  flachem  Gipfel  bis  zu  2400  m,  während  die  Berge  des 
Nordens  nur  Höhen  von  etwa  1200  m  aufweisen.'* 

Ein  Korallenriff  an  der  Ostküste  erwies  sich  als  Uberrindung  der 
unterseeisch  vorgeschobenen  Küste  mit  vereinzelten  Korallenkom- 
plezen.  Der  Reisende  hat  dreimal  den  Gipfel  des  Karthala  besucht. 
Der  Hauptkrater  gestattet  von  Süden  her  infolge  Zerstörung  seiner 
Wandung  den  Eintritt.  „Der  erste  Anblick  enttäuscht,  weil  die 
Größenverhältnisse  (Durchmesser  3  zu  4  km)  zu  gewaltig  sind,  und  die 
Wände  zu  niedrig  erscheinen;  erst  im  Innern  selbst  wird  man  sich  der 
Großartigkeit  des  Kraters  bewußt.  Direkt  vom  Eingange  des  Eiaters 
aus  betritt  man  das  Lavameer,  welches  den  Boden  des  Riesenkessels 
bedeckt.  Es  erscheint,  als  wäre  soeben  erst  die  Lavamasse  plötzlich 
eistarrt.  Man  sieht  noch  fömüich  die  Lava  umherfUeßen,  hier  an  den 
Wänden  des  Kraters  anprallend,  aber  nicht  imstande,  die  Wand  zu 


^)  Zeitschr.  d.  Gee.  für  Erdkunde  in  Beriin  1904.  p.  279. 


J14  iDMln. 

dttiühbrechen,  dort  ihre  Kraft  bereits  erschöpft  und  sa  ebenen  Lagen 
sich  ausbreitend. 

Ober  diese  Lavamassen  von  mehr  oder  weniger  zerrissener  Ober- 
fläche mühsam  kletternd,  trifft  man  nach  Süden  nach  15  Minuten  zur 
rechten  Hand,  nahe  der  westlichen  Wand  und  ihr  fast  anli^end,  einen 
Schuttkegel,  der  allem  Anscheine  nach  den  Ursprungsherd  für  die 
Lavamassen  des  nördlichen  Teiles  des  großen  Kraters  abgegeben  hat 

Weiter  nach  Süden  gelangt  man  nach  etwa  20  Minuten  an  den 
eigentUchen  Krater,  der,  gerade  weil  man  unvorbereitet  ihn  plötEhch 
zu  seinen  Füßen  sieht,  durch  seine  Größe  überwältigend  wirkt.  Es 
ist  eine  fast  kreisrunde  Einsenkung  von  ungefähr  600  m  im  I>ardk- 
messer  und  einer  Tiefe  von  120  bis  130  m.  Die  Wände  bestehen  auch 
hier  wie  die  des  äußern  Kessek  aus  Bänken  dunkelblaurai  bis  Mao- 
schwarzen  Basaltes  und  faUen  senkrecht  allseits  ab,  so  daß  es  keine 
MögUchkeit  gibt,  in  die  Tiefe  hinabzusteigen.  Der  Boden  ist  vollig 
eben  und  glatt  und  zeigt  in  seinem  Zentrum  ein  kleines,  uniegeL- 
mäßiges  Loch,  von  einem  kleinen  Aschenhäufchen  umgeben,  ohne 
aber  einen  merklich  erhabenen  Band  erkennen  zu  lassen. 

OstUch  am  Rande  des  Kessels  befindet  sich  ein  Aschenk^el  in 
Hügelform,  der  nahe  seiner  Spitze  auf  der  Ostseite  eine  trichter- 
förmige Einsenkung  besitzt,  die  in  einen  zylinderförmigen  Schkyt 
führt.  Man  erkennt  in  ihm  den  Ausgangspunkt  der  Eruption,  dem 
Lavaerguß  die  südliche  Hälfte  des  großen  Kraters  ausgefüllt,  und 
deren  Ausfluß  nach  der  äußern  Seite,  nach  Osten  zu,  stattgefonden 
hat.  Man  sieht  auch  hier,  daß  sich  fast  jede  neue  Eruption  muBa 
neuen  Weg  schafft,  sei  es  auch  auf  dem  Rande  des  alten  Kraters. 
Hätte  nun  hier  der  Ausfluß  der  Lava  nach  dem  innem  Kessel 
zu  stattgefunden  oder  längere  Zeit  angedauert  bis  zur  Aus- 
füllung des  großen  Kraters  zu  einer  solchen  Höhe,  daß  die  Lava  den 
Rand  des  innem  Eiaters  überströmt  hätte,  so  würde  sie  sich 
in  den  innem  Kessel  ergossen,  ihn  bei  genügender  Menge  aus- 
gefüllt und  schließlich  ganz  verdeckt  haben,  ohne  daß  eine  Spur 
angezeigt  hätte,  daß  hier  einstmals  ein  innerer  Kessel  von  ungeheuerer 
Mächtigkeit  vorhanden  gewesen  sei.  Auch  die  Lava  dieses  Stromes 
ist  nicht  sehr  alt,  da  sie  noch  keine  Spur  einer  Vegetation  aufweist 
Etwas  bewachsen  mit  Erikabüschen  von  Armesdicke  ist  nur  die  Mitte 
des  großen  Kraters,  die  etwas  erhabene  Grenze  zwischen  Nord-  imd 
Südhälfte. 

Der  Rand  des  großen  Kraters  fällt  derartig  steil  nach  innen  ab, 
daß  er  wohl  kaum  ersteigbar  sein  dürfte,  mit  Ausnahme  der  passierten 
SteUe,  die  durch  Abbröckeln  einzelner  Felsstücke  zugängiger  ge- 
worden und  auch  von  Natur  etwas  niedriger  als  die  übrigen  Partien 
ist.  Im  allgemeinen  dürfte  die  Steilwand  des  großen  Kraters  eine 
Höhe  von  etwa  100  bis  130  m  besitzen.  Die  Wände  sind  überall  aus 
feinkörnigem,  dunkelblauem  Basalt  gebildet,  der  eine  ganz  anfler- 


Inseln.  215 

ordentlich  große  Härte  besitzt,  aber  niemals  in  Säulen  angeordnet, 
sondern  in  großen  Schichten  mächtiger  Bänke  aufgebaut  ist. 

Der  ganze  Westabhang  des  Vulkanes  ist  mit  verhärteter  Asche, 
wohl  von  Ungeheuern  Schlammstromen  herrührend,  überdeckt,  die 
von  Laien  stets  für  Sandstein  gehalten  wird.  Sie  hat  ein  lehmiges 
Aussehen,  ist  ziemlich  hart  und  läßt  eine  Anzahl  kleiner  Kömchen, 
darunter  auch  schwarze  Lavabrocken  erkennen,  die  fest  miteinander 
verkittet  sind.  Die  Dicke  der  Schicht  beträgt  für  gewöhnlich  nur 
10  bis  30  em.  Vielfach  läßt  sich  erkennen,  daß  sie  neuem  Ursprunges 
sein  muß,  da  sich  häufig  unter  ihr  eine  starke  Humusschicht  findet." 

Moh^U  hegt  etwa  12  Meilen  südöstUch  von  Groß-Comoro,  hat 
nahezu  die  Gestalt  eines  rechtwinkligen  Dreiecks  und  eine  größte 
Länge  von  26  bei  einer  größten  Breite  von  18  hm.  Vom  Meere  aus  ge- 
sehen, erkennt  man  eine  der  Süd-  und  Ostküste  folgende,  die  ganze 
Insel  durchziehende  Bergkette  mit  scharfen  Graten  und  Spitzen, 
deren  Hauptpunkt  etwa  im  Zentrum  der  Insel  liegt  und  eme  Höhe 
von  660  m  besitzt.  Der  Hauptkette  angelagert  findet  sich  eine  Anzahl 
nach  der  See  zu  niedriger  werdender  Berge,  die  von  der  Hauptkette 
ausstrahlen  und  voneinander  durch  tiefe  Täler  geschieden  sind. 

Anjouan  liegt  etwa  9  Meilen  östlich  von  Moh61i.  Das  Zentrum  der 
Insel  nimmt  der  Gerde  de  Bombao  ein,  wahrscheinlich  der  ursprüng- 
lich Ejrater,  von  dem  ausstrahlend  die  Gebirgsketten  nach  den  Spitzen 
der  die  Form  eines  Dreieckes  besitzenden  Insel  sich  hinziehen.  „Er 
hat  riesige  Dimensionen,  etwa  4  bis  6  J;m  im  Durchmesser.  Seine 
Wände  steigen  an  vielen  Orten  fast  senkrecht  empor.  Der  Boden  des 
Kraters  hegt  im  Durchschnitte  in  etwa  500  m  Höhe  ü.  d.  M. ,  während  sie 
die  Wände  bis  zu  1000  bis  1200  m,  in  einzelnen  Spitzen  selbst  bis  zu 
1600  m  erheben.  Der  Krater  ist  allseitig  geschlossen,  mit  Ausnahme 
der  Nordostseite,  wo  der  Durchbruch  nach  dem  Meere  erfolgte.  Ge- 
bildet werden  die  Berge  zum  Teile  aus  Basalten,  aber  ohne  säulen- 
förmige Anordnung,  jedoch  vielfach  durch  Feuer  umgewandelt  und 
häufig  überlagert  von  mächtigen  Schichten  verfestigten  vulkanischen 
Schlammes.  Die  Abhänge  der  Berge  sind  sehr  steU  und  besitzen  oft 
eine  Neigung  von  46^  und  mehr,  sind  aber  fast  überall  dicht  bewaldet. 
Die  Grate  sind  sehr  schmal,  die  Bergrücken  oft  nur  1  bis  2  m  breit, 
was  sich  auch  auf  Moh6U  überall  beobachten  läßt. 

Der  Boden  des  Kraters  ist  nicht  ganz  eben,  sondern  besonders 
im  südUchen  Teile  mit  kleinen  Höhen  besetzt.  In  der  Mitte  der  süd- 
lichen Hälfte  scheint  sich  ein  kleiner  innerer  Elrater  erhoben  zu  haben, 
dessen  höchste  Spitze  jetzt  durch  ein  kleines  Wohnhaus  gekrönt  ist.'* 

Mayotte  besitzt  9  Meilen  Lange  bei  1  bis  6  Meilen  Breite.  „Auch 
sie  ist  vulkanischer  Bildung,  jedoch  ist  sie  von  einem  riesigen  Kranze 
von  Riffen  umgeben,  der  einen  nur  an  ein  paar  Stellen  durchbrochenen 
schützenden  Ring  um  die  Hauptinsel  und  eine  Anzahl  kleinerer 
Insekhen  bildet.     Innerhalb  desselben  bleibt   das  Meer  auch   bei 


216 

stürmiBohem  Wetter  verhaltniBinaßig  mhig  und  bietet  gemga&k 
Wassertiefe,  um  auch  großem  Schiffen  freie  Fahrt  so  gestatten. 

Auf  der  Ostseite  schließt  sich  das  Riff  direkt  an  die  etwa  13  km 
im  Umfange  besitsende  Insel  Pamanzi,  die  durch  einen  künstlidKa 
Damm  mit  dem  Felseneilande  Dzaoudzi,  dem  Sitze  des  GooTemenMnti 
und  der  Beamten,  verbunden  ist. 

Der  Reisende  hat  nur  das  große  Außenriff  auf  der  NotTdostsate 
besucht.  Bei  gewöhnlicher  Ebbe  nur  teilweise  entblößt,  lauft  es  hd 
tiefer  Ebbe  auf  einer  Breite  von  l  bis  2  km  trocken.  Die  Innenseite 
steigt  ganz  allmählich  ausder  überhaupt  nicht  sehr  tiefen  Bai  zwiacben 
Festland  und  Riff  an,  laßt  zuerst  Saiklboden  erkennen,  der  hier  und 
da  mit  Seegras  bewachsen  ist,  bis  schließlich  vereinzelt  KoraUenflacb 
auftreten,  die  nach  und  nach  an  Größe  und  Zahl  zunehmen;  jedod 
wird  niemals  ein  zusammenhangender  Korallengarten  gebildet,  son- 
dern stets  bleiben  dazwischen  einzelne  Stellen  unbedeckt  und  zeigen 
den  sandigen  Boden. 

Die  äußere,  der  See  zugewendete  Seite  des  trocken  laafeoden 
Riffes  ist  absolut  tot.  Auf  ^  fan  ist  der  Boden  aus  ödem  Trümmer- 
materiale  gebildet,  aus  abgwmdeten,  bis  faustgroßen  KnoUan,  die 
vielfach  aus  Kalkalgen  bestehen  oder  mit  ihnen  überzogen  sind,  und 
ganz  eben,  ohne  brunnenartige  Vertiefungen.  Nach  dem  Meere  n 
senkt  sich  das  Riff  allmählich. 

Die  innere  Hälfte  de  Riffes  ist  der  Hauptsache  nach  aus  Madre- 
porenstöcken  gebildet,  auf  weite  Strecken  rasenartig  angeordnet  mit 
senkrecht  emporstehenden  Zacken,  die,  unter  den  Füßen  zusammen- 
brechend, das  Begehen  dieser  Ritfpartien  zu  einer  wahren  Qual  ge- 
stalten. Doch  auch  hier  sieht  man  überall  in  den  Lücken  den  weißen 
Sand  hervorleuchten,  die  ich  bis  auf  ^  m  Tiefe  nachgegraben  habe, 
ohne  darunter  festen  Boden  zu  finden. 

Bemerkenswert  ist,  daß  ein  großer  Teil  der  lebenden  Koralfen 
auf  den  Trümmern  aufgebaut,  auf  loeen,  abgestorbenen  Stücken  auf- 
gewachsen ist  und  sich  ohne  Mühe  aufheben  läßt.  Von  einer  allge- 
meinen Verfestigung  ist  nur  stellenweise  etwas  zu  bemerken. 

Weiter  nach  der  Landseite  zu  wird  dann  der  Aufbau  des  Rifiet 
lockerer;  neben  Strecken  von  Madreporenrasen  finden  sich  cBeat 
Stellen  von  14  bis  1  m  Tiefe  mit  sandigem  Boden,  so  daß  man  auf 
diesem  sandigen  Boden  oftmals  weite  Strecken  zwischen  den  leben- 
den Korallen  zurücklegen  kann,  dabei  bis  zum  Bauche  im  Waaser 
watend.  Es  erweckt  ganz  den  Anschein,  als  stellten  diese  sandigen 
Stellen  die  Grundlagen  der  Riffe  dar,  an  denen  aufbauend  dann  das- 
selbe um  etwa  1  m  erhöht  wurde." 

Wie  die  Bildung  des  großen  Riffes  um  Mayotte  zu  erklaren  sei, 
laßt  Voeltzkow  dahingestellt  sein.  „Am  einfachstrai,*'  sagt  er,  „wire 
es,  sich  vorzustellen,  daß  wir  in  dem  großen  Außenriäe  die  Grundlage 
eines  alten  E^raters  von  Riesendimensionen  vor  uns  hatten,  also  eine 
ringförmige  Hebung  des  Meeresbodens  zu  geringer  Höhe  über  der 


Inseln.  217 

Meeresoberflache  oder  auch  häufig  nur  dicht  an  dieselbe  heran- 
reichend. Für  derartige  Hebungen  alten  Meeresbodens  bietet  ja  die 
Insel  Pamanzi  ein  gutes  Beispiel. 

Es  müßte  dann  spater  eine  Senkung  oder  allgemeine  Land- 
zerstörung vorliegen,  was  man  auch  auf  Mayotte  überall  beobachten 
kann.  Im  kleinen  sind  diese  Verhältnisse  schon  zu  beobachten  in 
der  Bai  zwischen  Pamanzi  imd  dem  Festlande. 

Ob  nun  auf  dem  großen  Riffe  eine  spätere  Senkung  vorliegt,  so 
daß  eist  vor  kurzem  eine  Besiedlung  mit  Korallen  hat  erfolgen 
können,  oder  eine  verhältnismäßig  rasche  Hebung,  so  daß  es  nicht 
zur  Ausbildung  eines  Riffes  von  beträchtlicher  Dicke  kommen  konnte, 
darüber  könnte  erst  eine  spätere  eingehende  Untersuchung  vielleicht 
Aufschluß  geben." 

Im  Gebiete  des  nordöstlichen  Außenriffes  liegt  die  Insel  Pamanzi 
mit  ihrem  großen  Krater,  welche  der  Reisende  zweimal  besuchte. 
„Der  am  Nordostende  der  Insel  gelegene  Vulkan  besitzt  eine  Höhe  von 
etwa  60  m  und  ist  gleichfalls  völlig  aus  diesem  weißen  Kalke  aufgebaut, 
der  an  der  Oberfläche  etwas  verhärtet.  Der  äußere  Abhang  sowohl 
wie  der  Rand  des  Vulkanes  sind  nackt,  nur  hin  und  wieder  spärlich 
mit  Gras  bestanden;  ebenso  ist  die  Innenseite  fast  ohne  Vegetation. 
Vom  Rande  aus  bietet  sich  eine  prachtvolle  Aussicht  in  den  Krater 
mit  seinem  grünlich  schimmernden  See,  der  früher  größer  gewesen 
zu  sein  scheint,  da  sich  nach  Süden  an  ihn  eine  jetzt  mit  Bananen 
bestandene  Ebene  anschließt." 

Die  neu  entstandene  Insel  bei  Bomeo.  Carl  Schmidt  berichtet 
hierüber  folgendes:  ^) 

Die  geogra^iBche  Lage  derselben  ist  115®  21'  ösü.  Lange  v.  Gr.  und 
50  20'  30"  nördl.  Breite.  Bei  meinem  Besuche  am  5.  September  1807,  also  zwei 
Jahre  naoh  dem  Ereignisse,  zeigte  sich  folgendes:  Etwa  00  m  von  der  Küste  ent- 
fernt erhob  sich  etwa  20  m  hoch  eine  in  Ostwestrichtung  ca.  160  tn  lange  und 
von  Nord  nach  Süd  ca.  140  tn  breite  Insel.  Gegen  Westen,  also  gegen  das 
brandende,  offene  Meer  zeigte  dieselbe  einen  Steüabsturz  von  ca.  5  m  Höhe. 
Die  ganae  Insel  bestand  aus  lose  susammengehäuftem  Materiale,  entstammend 
den  Schichten  des  Tertiars.  Auf  der  Oberflache  der  Insel  lagen  Blöcke  von 
Korallenkalk  und  von  mit  Austern  besetztem  Sandsteine,  üngemhr  in  äer  lütte 
der  Insel  erhob  sich  ein  aus  verhärtetem  Schlamme  bestehender  Kegel  mit  einer 
kraterartigen  Vertiefung.  Der  Steüabsturz  gegen  die  Seeseite  wurde  durch 
den  Anprall  der  Wellen  fortwahrend  unterminiert^  und  ich  weiß  nicht,  ob  heute 
überhaupt  von  der  Insel  noch  etwas  vorhanden  ist.  Über  die  Entstehung  der 
Insel  ist  mir  von  Augenzeugen  berichtet  worden,  und  in  der  Literatur  fmden 
wir  einif»  Angaben  cUmiber.  Am  Nachmittage  des  21.  September  stiegen  mit 
großer  Mefti^eit  Gasblasen  aus  dem  seichten  Meeresgrunde  auf;  Schlamm 
folgte  nach,  untermischt  mit  Gesteinsblöcken,  wie  sie  auf  dem  Meeresgrunde 
lagen.  Zuerst  scheint  einfach  der  Meeresgrund  emporgewölbt  worden  zu  sein, 
dann  wurden  aus  großem  Tiefen  die  durchweichten  Schichten  des  tertiären 
Unteiigprundes  empoigepreßt.  Auf  dem  höchsten  Teile  der  emporgewachsenen 
Insel  büdete  sich  ein  förmlicher  Sohlammkrater,  20  m  im  Durchmesser  messend. 


>)  Gerlands  Beitr&ge  zur  Geophysik  7.  p.  128 


218 

In  der  Naoht  Tom  21.  auf  den  22.  September  nahm  die  Inael  immer  doc^  «a 
Umfang  zu.  Der  Seejmmd  muß  sich  sehr  rasch  gehoben  haben,  denn  man  iuui 
am  22.  September  in  Tümpehi  auf  der  neuen  Insel  noch  lebende  Seefische.  Am 
den  vielen  Spalten  und  Lochern  strömte  Gas  aus,  das  entEÜndet  lebhaft  braimte; 
ein  statiner  Gasgeruch  machte  sich  bemerkbar.  Eingepreßt  zwiaohen  den  Ge- 
steinstrümmem  fand  sich  eine  weiche  wachsartige  Substanz,  an  Ozokerit  er- 
innernd, wie  solches  auch  in  den  ölführenden  Schichten  von  Labnan  gefundea 
wird.  Sechs  Monate  nach  dem  Auftauchen  der  Insel  strömte  noch  Gas  aas 
ihrem  Grunde.  Bemerkenswert  ist  es,  daß  in  unmittelbarer  mihe  der  Insd 
wahrend  ihres  Emporwachsens  kein  Erzittern  des  Erdbodras  wahrgfenommei 
worden  sein  soll.  Die  ursprünfidiche  Lange  der  Insel  wird  zu  260  tn  angegeben, 
wohl  100  m  hatten  somit  die  Brandungswellen  in  Zeit  von  zwei  Jahren  weg- 
gespült. 

Während  auf  der  Kliashalbinsel  selbst  von  einem  die  Eruption  bef^tea- 
den  Erdbeben  nichts  bemerkt  worden  sein  soll,  erhalten  wir  nun  die  Nadmckt 
von  einem  großen  Erdbeben,  das  am  21.  September  von  der  Philippineninsei 
Mindanao  ausging  und  auch  in  Europa  registriert  worden  ist.  Da  in  Kudat  in 
Nordostbomeo  sowohl,  als  auch  in  Labuan  dieses  Erdbeben  verspart  woidea 
ist,  wurde  sofort  die  Entstehung  der  „Neuen  Insel"  damit  in  Verbindnm 
gebracht. 

Über  die  Erscheinung  des  Erdbebens  vom  21.  September  1897  anf  Kord- 
bomeo  erhalten  wir  folgende  Daten:  1.  In  Sandakan  (Nordoetbomeo)  und 
im  Gebiete  der  Flüsse  vonKinabatangan,  Labuk  und  Sugut  wurden  Im  lijL  p  a 
zwei  Stöße  verspürt.  Die  Wände  von  Häusern  fielen  ein,  die  Kiiehengiot^n 
schlugen  an,  und  im  Erdboden  entstanden  enge  Risse.  2.  In  Kudat  (I^irdosl- 
bomeo)  beobachtete  man  mehrere  getrennte  Stöße  von  Ost  nach  Weet^  15  Se- 
kunden andauernd  um  1  p.  m.  3.  Etwa  vier  Meilen  südöstlich  der  kleines 
Insel  Balundantfan,  die  am  Ostufer  der  großem  Insel  Banguey  an  der  Kacd> 
spitze  BomeoB  hegt,  war,  wie  Einseborene,  die  nach  Kudat  zu  den  »»Charter 
day*s  Sports'*  kamen,  berichteten,  äenfalls  eine  neue  Insel  am  21.  SepiemlMr 
entstanden.  R.  M.  litüe  hat  späterhin  diese  Insel  besucht.  Dieselbe  eriiebt 
sich  aus  ca.  fünf  Faden  tiefem  Meere,  ist  etwa  100  qm  g^Q  und  ragt  1  m  über 
Niveau  des  Hochwassers.  Die  Hauptmasse  der  Insel  ist  ein  weißlich  grauer 
Ton,  ihre  Oberfläche  ist  bedeckt  von  großen  Blöcken  eines  harten  SeuidsteiaBf 
und  von  Korallenkalk,  die  mit  kleinen  Austern  besetzt  sind.  Das  Acdtau^M 
der  Insel  soll  von  zwei  Meereswogen  besleitet  worden  sein,  die  nordwärts  über 
die  See  sich  wälzten;    Sturm  und  rollendes  Geräusch  wurden  gleichzeitig  wahr- 

Snommen.    4.  In  Labuan  wurde  die  Entstehung  von  Rissen  in  den  Wegen  uod 
ys  Anschlagen  der  Glocken  beobachtet. 

Entsprechend  der  segebenen  Auseinandersetzungen  erscheint  nun  dv 
Mechanismus  der  Entstehung  der  „Neuen  Insel"  bei  Labuan  sehr  einfach 
Zwischen  den  steilstehenden  Mergel-  und  Sandsteinschichten  in  der  Aohae  der 
„offenen"  Antiklinale  hatte  sich  eine  schlammige  Masse  mit  Naphtha,  Ozobedl 
und  Gas  vermischt  angesammelt,  das  Reservoir  eines  S<>>ilA>mmvnllr<LTvw^  Die 
seismische  Erschütterung  trieb  am  21.  September  1897  diese  Masse  in  die  Höhe^ 
und  der  Grund  des  seiditen  Meeres  wurde  mit  emporgerissen.  Es  eraehaot 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  auch  die  zweite  bei  Bangueyinsel  am  selben  Tage 
erschienene  Insel  ähnlichen  Ursachen  ihre  Entstehung  verdankt.  Naidi  äa 
Darstellung  von  P.  Jos^  Coronas  sehört  Labuan  zur  äußersten  i»*M4>Bfaü 
Zone  der  Erdbebenstarke  (perceptible),  Nordostbomeo  gehört  der  viertes 
und  fünften  Zone  (regulär  und  ligero)  an.  Ebenfalls  zur  peripherischen  Zone 
der  Erdbebenwirkimg  haben  wir  Nordcelebes  zu  rechnen,  wo  nach  S.  Figot 
eine  „lichte  horizontale  aardbeving"  wahrgenonmien  wurde. 

Der  eingehenden  Beschreibung  von  P.  Jos6  Coronas  entnehmen  wir,  dafi 
am  21.  September  1897  auf  den  Philippinen  zwei  Erdbeben  stattfauiden,  dai 
erste,  mit  dem  Zentrum  Dapitan  an  <&r  Nordküste  von  IGndanao,  begaim 
3b  20m  (in  Manüa  registriert:  20.September  20h  9.1»  M.  E.  Z.),  das  zweite,  vie| 


Inseln.  219 

stärkere  Beben  ging  von  Zamboanga  an  der  Südweetspitze  von  Mindanao  aus 
and  begann  Ih  17m  p.  m.  (in  Manila  legistriert:  21.  September  6h  13.7in 
M.  £■  Z. ). 

Hinsiohtlich  der  Äußerung  der  beiden  Beben  auf  den  I^lulippinen  und  den 
Suluinseln  verweise  ich  auf  die  DarsteUung  von  P.  Coronas,  erwähne  nur,  daß 
bei  dem  zweiten  Beben,  11^  17<^  p.  ul,  in  Zamboango,  die  meisten  Häuser  ein- 
stürzten, und  daß  eine  Erdbebenflutwelle  über  die  Küsten  von  Zamboanga, 
Basilan  und  Jolo  hereinbrach.  Die  Oberflachengeschwindigkeit  des  Bebens 
ergibt  sich  zu  2Akm  pro  Sekunde,  da  die  Ersdiütterung  die  Strecke  von 
Zunboanga  nach  Manila,  852  km,  in  6  Minuten  zurückgelegt  hat 

Über  die  Registrierung  des  Bebens  in  Batavia,  in  Bombay,  auf  den  meisten 
^  europäischen  Stationen  berichten  P.  Coronas,  G.  Agamennone  und  E.  Rudolph. 
^  Das  Beben  wird  zu  einem  typischen  Fembeben.  Agamennone  findet  die 
Geschwindigkeit  der  Erdbebenwelle,  d.  h.  die  mikroseismische  Fortleitung 
1  des  makroseismischen  Erdbebenstoßes,  zu  16  bis  30  km  per  Sekunde. 
[  Die  in  diesen  Zeilen  dargelegte  Abhängigkeit  der  Tätigkeit  von  Schlamm- 

i  Vulkanen  von  Erderschütterungen,  wodurch  M  submariner  Lage  der  Schlamm- 
;  Sprudel  plötzlich  kurzlebüre  Inmln  „Schlammvulkaninseln'*,  entstehen  können, 
I  ist  eine  sehr  verbreitete  Erscheinung.  A.  v.  Lasaulx  stellte  für  die  Schlamm- 
vulkane von  Patemo  am  Etna  den  Satz  auf,  daß  ihre  Eruptionen  nur  dadurch 
entstehen,  daß  unter  dem  Drucke  der  durch  eine  Erdersonütterung  bewegten 
f  und  dislozierten  Schichten  die  aufgelösten  und  gelockerten  Schichtenteile  mit 
I         dem  Quellwasser  emporgequetecht  werden. 

i  Ganz  ähnlich  wie  unsere  „Neue  Insel"  ist  die  Insel  Kumani  am  7.  Mai  1861 

i  im  kaspischen  Meere  bei  Baku  entstanden,  während  einer  Periode  starker 
f  seismischer  Erregung.  Schon  im  November  1861  war  die  Insel  wieder  bis  unter 
)  Meeresniveau  abgetragen.  H.  Abich  hat  es  wahrscheinlich  gemacht,  daß  die- 
i,  selbe  aus  der  Scheiteliigion  einer  N  36^  W  streichenden  Antikfinale  hervorbrach. 
I  Aus  dem  malayisohen  Archipel  erwähnt  A.  Wichmann  einen  ähnlichen 

I  Fall  der  Beeinflussung  von  Schlammquellen  durch  Erderschütterungen.  In- 
l  folge  eines  Erdbebens  am  13.  Mai  1857  geriet  der  in  der  Provinz  Bibfluto  auf 
^         Timor  gelegene  Schlammvulkan  in  lebhafte  Erregung. 

g  ^n  sehr  interessantes  Gebiet  von  Schlammvmkanen  in  petrolführenden 

I  Tertiärschichten  finden  wir  in  Burma  einerseits  auf  den  Inseln  Ramri  und 
jj  Cheduba  an  der  Küste  des  Meerbusens  von  Bengalen  und  anderseits  im  Tale 
p  des  Irawadi  in  Rangoon.  R.  D.  Oldham  (Geology  of  India,  p.  21)  erwähnt,  daß 
g  die  Eruptionen  der  Schlammvulkane  anscheinend  in  unregelmäßigen  Inter- 
^  Valien  und  häufig  gleichzeitig  mit  Erdbeben  eintreten.  An  der  Küste  von  Ramri 
^  finden  solche  Eruptionen  im  Meere  statt,  und  in  einem  FaUe  entstand  so  in  der 
Nähe  von  False  Island,  südlich  von  Ramri  und  südöstlich  von  Cheduba  eine 
kleine  Insel,  die  bald  wieder  weggewaschen  wurde." 


Die  Insel  Simalnr»  nahe  der  Westküste  Sumatras,  schildert  auf 
Grund  eigener  Anschauung  L.  C.  Westenenk.  ^)  Sie  ist  von  SO. 
nach  NW.  etwa  100  km  lang,  die  Breite  schwankt  zwischen  9  und 
26  km,  Sie  ist  ungemein  fruchtbar,  indes  fast  noch  ganz  von  Urwald 
bedeckt,  der  die  kostbarsten  Hölzer  liefern  könnte.  Auch  hier  be- 
gegnen wir  neben  andern  Sagen  über  die  Herkunft  der  Einwohner  der 
in  Indonesien  häufigen  Überlieferung  von  der  Abstammung  von 
einer  —  hier  menangkabauischen  —  Frau  und  einem  Hunde.  Jeden- 
falls ist  die  Bewohnerschaft  mit  menangkabauischem,  atjehschem 
und  niassischem  Blute  versetzt.    Die  Bevölkerungszahl  dürfte  auf 

^)  Tijdsohrift  van  het  kon.  Aardrijkskundig  Genootschap  1904.    Heft  1. 


320  Inaeln. 

6000  bis  7000  zu  schätzen  sein.  Die  Sicherheit  auf  der  Insel  schräit 
groß  zu  sein,  die  Häuser  und  Ortschaften  sind  auch  nicht  umzäunt; 
Vergehen  sind  selten.  Die  einheimische  Schi&baukonst  ist  gut  ent- 
wickelt, doch  die  Leute  zu  jeder  Arbeit  zu  faul,  auch  der  geringe  Land- 
bau  wird  sehr  vernachlässigt.  Besonders  ausgezeichnet  ist  die  Insel 
durch  ihren  Reichtum  an  Büffehi.  Sehr  ausführlich  ist  die  CSeechichle 
der  Insel  dargestellt.  Die  Beschreibung  der  Küsten  im  be^rochenen 
Aufsatze,  dem  eine  Karte  der  Insel  im  Maßstabe  von  1  :  600  OOO  bei- 
gegeben ist,  ist  vorwiegend  dem  „Zeemansgids**  entnommen. 

Salpan,   die    Hsuptlnsel   der   deutsehen   Marianen,    si^iildBrte 

H.  Seidel.^)  Wie  eine  vorläufig  nur  handschriftiich  vorhandene 
Triangulationskarte,  aufgenommen  durch  den  kaiserlichen  Bezirks- 
amtmann  Fritz,  zeigt,  erstreckt  sich  Saipan  schmal  und  lang  mit 
vielgezackter  Uferhnie  hauptsächUch  von  Nordnordost  nach  Süd- 
südwest. Etwa  in  der  Mitte  erfährt  es  eine  plötzliche  Verbreiterung, 
da  hier  eine  nicht  unerhebUche  Bergkette  auftaucht,  deren  höchste 
Spitze  erst  bei  466  m  abbricht.  Das  ist  der  früher  fast  aUgemetn  ak 
Vulkan  bezeichnete  Tapochao,  der  aber  wahrscheinlich,  wie  die  Insel 
überhaupt,  nur  aus  gehobenem  Madreporenkalke  besteht.  Demi 
Saipan  gehört  mit  Guam,  Rota,  Aguigan,  Tinian  und  Medinilla  war 
sikUichen  Marianengruppe,  die  bis  zu  den  Gipfeln  hinauf  mit  k<»al]i]iflB 
Bildungen  bedeckt  ist.  Darunter  wird  idlerdings  ein  Eruptivkera 
angenommen,  obschon  dessen  Dasein  zurzeit  noch  nicht  einwandfrei 
nachgewiesen  ist.  Die  nördliche  Gruppe  oder  das  Reich  ,,€iani", 
wie  es  die  alten  Bewohner  nannten,  setzt  sich  dagegen  völlig  aas  vul- 
kanischen Massen  zusammen.  Die  Berge  steigen  kegelförmig  Ins  n 
500  und  800  m  empor,  sind  in  einen  Mantel  von  Laven,  Aschen  und 
Schlacken  gehüllt,  und  mehrere  ihrer  Krater  befinden  sich  fast  un- 
ausgesetzt in  lebhafter  Tätigkeit.  Der  Archipel  hat  daher  häufig  vcd 
Erdbeben  zu  leiden,  die  nicht  bloß  die  hohen  Inseln  heimsachen, 
sondern  bisweilen  auch  auf  der  südlichen  Reihe,  wo  man  gröfi^D 
Erdfrieden  vermutet,  in  heftiger  Weise  auftreten. 

Der  Boden  Saipans  steigt  bereits  am  Nordgeetade  ziemlich  rasch 
zu  einzelnen  Bergen  auf.  An  diese  schließen  sich  weitere  Erhebungen 
an,  die  zu  der  schon  erwähnten  Querkette  leiten,  jenseits  welcher 
eine  allmähliche  Abflachung  zur  Küstenebene  und  dem  sandigen 
Strandgürtel  eintritt.  Das  Ackerland  wird  als  im  ganzen  frucht- 
bar gerühmt,  obschon  es  nur  wenig  tiefgründig  ist.  Der  Ufersaum 
eignet  sich  namentlich  für  Kokosplantag^i,  für  deren  Gedeihen  die 
Seeluft  und  auskömmliche  Niederschläge  sichere  Gewähr  bieten. 
Weiter  binnenwärts  tritt  rötlicher  Lehm  auf,  der  im  Gebirge  in  ein 
dunkles,  nur  teilweise  steiniges,  sehr  humoses  Erdreich  übergeht. 
Da  sich  die  Erhebungen  aus  korallinem  Kalke  zusammensetzen,  so 

^)  GlobüB  n.  p.  278. 


221 

4arf  uns  das  Vorkommen  von  Höhlen  oder  Grotten  nicht  wunder- 
nehmen. Solche  besitzen  auch  Tinian  und  Rota,  wo  sie  schon  den 
alten  CSiamorro  als  schützendes  Asyl  bei  Unwetter  oder  Verfolgung 
dienten.  Auf  Saipan  dagegen  scheinen  sie  hauptsachUch  Begräbnis- 
statten gewesen  zu  sein. 

Die  Karolinen.  H.  Seidel  besprach  kritisch  die  neuen  Seekarten 
des  Deutschen  Beichsmarineamtes  dieser  Inseln  ^)  und  machte  über 
einzelne  Inseln  genauere  Mitteilungen.  ,  »Eines  der  bemerkenswertesten 
Glieder  im  ganzen  Karolinengürtel  ist  das  PseudoatoU  Buk  oder  Truk, 
eigentUch  ein  vulkanischer  Archipel  im  kleinen,  der  von  einem  weit 
ausgerückten  Wallriffe  umschlossen  wird.  Der  innere  Basaltkem'ragt 
mit  etwa  zwanzig  ungleich  großen  Brocken  von  verschiedener  Höhe 
über  die  Lagune  empor.  Da  die  Spitzen  mehrfach  bis  300  m  an- 
steigen, einmal  sogar  über  400  m,  so  ist  es  erklärhch,  daß  die  an- 
scheinend gleichmaßig  begrünten  Kuppen  und  Kegel  innerhalb  der 
belebten  Wasserflache  einen  äußerst  malerischen  Eindruck  machen. 
Der  Ackerboden  ist  öfter  recht  steinig,  doch  immerhin  frucht- 
bar; denn  er  ernährt  eine  für  das  Gesamtareal  der  Wohnfläche,  das 
einsohließUch  der  niedrigen  Koralleninseln  nur  135  qkm  beträgt,  sehr 
starke  Bevölkerung  von  12  500  Seelen.  Die  geräumige,  von  Riffen 
durchsetzte  Lagune  hat  Tiefen  zwischen  40  bis  65  m  und  be- 
sitzt, über  den  annähernd  fünfeckigen  Außenrand  gemessen,  eine 
Länge  ven  75  km  bei  60  km  Breite,  ist  also  zu  groß,  um  im  ostelbischen 
Teile  des  Königreiches  Sachsen  Platz  zu  finden. 

Auf  Ponape  ist  der  Sitz  der  deutschen  Verwaltung  innen  am 
Westrande  des  wie  eine  Förde  ins  Land  dringenden  Santiagohafens. 
Letzterer  Name  kommt  jetzt  außer  Gebrauch  und  wird  durch  die 
Bezeichnung  Langar-  oder  Ponapehafen  ersetzt.  Langar  (Langa) 
ist  eine  kleine,  rundUche  Vorinsel,  etwa  halbwegs  zwischen  der  See- 
kante des  Außenriffes  und  dem  Bezirksamte.  Hier  müssen  die  meisten 
Schiffe,  die  ein  Regierungslotse  hereinholt,  gleich  westhch  der  Insel 
auf  50  bis  52  m  Tiefe  vor  Anker  gehen.  Auf  Langar  befindet  sich 
eine  Handelsstation  der  Jaluitgesellschaft,  die  hier  ein  Kohlenlager 
und  zwei  Landungsbrücken  unterhält. 

„In  den  Karolinen,'*  bemerkt  schließlich  der  Verf.,  „liegt  für 
den  deutschen  Forscherfleiß  noch  ein  großes  und  schwieriges  Arbeits- 
feld offen,  das  nicht  nur  die  höchste  persönliche  Tatkraft,  Umsicht 
und  Kenntnis  erfordert,  sondern  zur  Erreichung  des  gewünschten 
Zieles  auch  die  Hergabe  gewisser  Geldmittel  unbedingt  voraussetzt. 
Man  kann  sich  daher  nicht  des  Gedankens  erwehren,  daß  das  Geld 
für  unsere  ziemlich  ergebnisarme  Südpolarexpedition  viel  besser  und 
nützlicher  angewandt  worden  wäre,  wenn  man  es  zu  einer  gründ- 


1)  GlobuB  85.  p.  11 


222  Inieln. 

liehen  VermeBBung  und  ELartiening  unserer  pazifischen  Kdonien, 
insbesondere  Deutsch-Hikronesiens,  bereitgestellt  hätte." 

Die  Insel  Moeha  an  der  chilenischen  Küste  bildet  den  Gegm- 
stand  einer  Monographie  von  C.  Reiche.  ^)  Diese  wenig  bekannte 
Insel  wurde  am  25.  September  1544  von  J.  B.  Pastene  entdeckt,  doch 
erst  sechs  Jahre  später  betreten.  Ein  25  bm  breiter  Meeresann 
trennt  sie  vom  Festlande,  den  aber  schon  die  Urbewohner  der  loael 
auf  Flößen  überschritten  haben.  Der  Rand  der  Insel  ist  in  einer 
Ausdehnung  von  20  600  qkm  flach,  das  Innere  aber  bedecken  Gebugs- 
erhebungen,  deren  höchster  Gipfel  Morro  Pastene  indessen  nur  340  n 
Seehöhe  erreicht.  Nahe  der  Mitte  befindet  sich  ein  kleiner  Teich, 
die  Laguna  hermosa  mitten  im  Urwalde;  sonst  gibt  es  besonden  auf 
der  östlichen  Seite  der  Insel  mehrere  Bäche.  Das  Klima  ist  etwas 
kühl  und  feucht,  aber  gesund;  Regen  fallen  zu  allen  Jahreszeiten. 

Das  JaloltaloU  ist  von  Dr.  med.  Schnee  untersucht  worden.  1 
Dasselbe  hegt  in  ö""  55'  nördl.  Br.  und  leO""  42'  östl.  L.  Es  biUet 
die  Hauptinsel  der  zwischen  den  deutschen  ELarolinen  und  den  en^- 
sehen  Gilberts  hegenden  Marshallgruppe  und  besteht  aus  einigen 
50  Schuttinseln,  welche  auf  dem  eine  27  Seemeilen  lange,  in  der  3C^ 
etwa  17  Seemeilen  breite  Lagune  umschließenden  Riffe  oniegel' 
mäßig  verteilt  hegen.  Nach  Meinicke  sind  55,  nach  Finsch  58  Eilande 
vorhanden.  „Übrigens  kann  man  jede  beUebige  Menge  herauszahko, 
da  der  Begriff  Insel  hier  vöUig  subjektiv  wird.  Was  dem  einen  beieitB 
als  solche  erscheint,  ist  für  den  andern  vielleicht  noch  zu  unbedeutend, 
um  auf  diesen  Namen  Anspruch  machen  zu  dürfen. 

Die  Mehrzahl  dieser  Landbildungen,  die  einzig  und  allein  aus  von 
den  Wellen  angeschwemmtem  Schutte  bestehen,  hegt  auf  der  Ostseite 
des  Atolls.  Am  besten  entwickelt,  weil  eine  ununterbrochene  Lsod- 
maase  darstellend,  ist  die  südhche  Partie  derselben,  von  Jabor  bis 
Jaluit.  Letzterer  Name  bezeichnete  nämlich  ursprünghch  nur  di^ 
als  Anseglungspunkt  wichtige  Südspitze,  wurde  aber  spater  auf  die 
ganze  Insel  übertragen.  Die  eigenartige  Verteilung  der  Eilande  wird 
verständUch,  wenn  man  sich  die  Windverhältnisse  und  die  dadurch 
bedingte  Wellenrichtung  in  jener  Region  vergegenwärtigt. 

Die  Tiefe  der  Lagune  beträgt  nach  der  neuesten  Angabe  (Apssü) 
18  bis  25  Faden.  Das  Riff,  das  für  gewöhnhch  unter  Waseer 
und  nur  im  obem  Teile  bei  Ebbe  sichtbar  wird,  mag  etwa  300  bis  4(W» 
breit  sein,  wovon  durchschnittUch  je  ein  Drittel  auf  das  AuJBeninnen- 
riff ,  sowie  auf  die  Schuttinsel  zwischen  beiden  zu  rechnen  sein  döift»- 

Die  einzelnen  Eilande  erheben  sich  wenig  höher  als  1  m  über  die 

1)  Anales  del  Museo  nadonal  de  Chile  1903.    Heft  16. 
s)  Globus  85.  p.  329. 


Inieln.  223 

Hochwaasermarke.    Ihre  Breite  scheint  zwischen  180  und  20  m  zu 
schwanken.    Die  Breite  des  dortigen  Äußenriffes  beträgt  nach  see- 
männischer Schätzung  über  100  m.    An  der  Lagunenseite  lassen  sich 
die  Verhältnisse  infolge  der  heftigen  Strömung  nach  der  Passage  hin, 
ii:   mehrerer  Piers,  sowie  eines  längs  des  Ufers  dahinziehenden,  erhöhten 
e    Weges  schlecht  taxieren.    Das  Riff  ist  jedenfalls  schmaler  ab  außen, 
n    bildet  jedoch  an  einer  Stelle  einen  langen,  nasenf  örmigen  Vorsprung  in 
g    das  Innere  des  Beckens  hinein.    Ein  bei  Ebbe  hervortretender  Strand 
r5    ist  kaum  vorhanden. 

y  Das  Außenriff  erhebt  sich  steil  aus  großen  Meerestiefen.    Seine 

'£i  sanft  nach  dem  trockenen  Lande  zu  ansteigende  Oberfläche  ist  durch 

9f'  die  Wogen  geglättet  und  daher  frei  von  großem  Unebenheiten.    Sie 

i2  führt  den  Namen  der  Strandebene  oder  -terrasse.    Mit  Ausnahme 

«c  ihres  untersten  Gürtels,  der  beständig  unter  Wasser  bleibt,  entspricht 

i;  sie  dem  Gebiete  von  Ebbe  und  Flut.    Der  seewärts  gerichtete  Abhang 

^  des  Riffes  bis  zu  einigen  30  m  hinab  besteht  aus  lebenden  Korallen. 

Wie  der  Innenstrand  und  das  Riff,  so  ist  auch  der  Boden  der 
,f  Lagune  meist  mit  Sand  bedeckt.  Auf  ihm  liegen  mächtige,  schwarze 
:  Blöcke,  welche  Stürme  vom  Riffe  aus  in  die  Tiefe  schleuderten,  nach- 
dem sie  sie  vom  Außenstrande  her  über  dasselbe  hinwegtransportiert 
hatten.  An  ihnen  siedeln  sich  mancherleiKorallen  an  und  verschönem 
mit  ihren  lebhaften  Farben  das  Düster  der  aus  dämmemder  Tiefe 
emporragenden  Felsen.  Auf  den  Blöcken  nahe  am  Ufer  im  seichten 
Wasser  wachsen  fast  krustenartig  niedrig  bleibende  Stöcke  dieser 
Blumentiere,  mit  zunehmender  Tiefe  folgen  immer  größere  und  statt- 
lichere, bis  schließUch  jene  an  Bäume  erinnernden  Formen  sich  ein- 
stellen. Auf  lockerm  Grunde  scheinen  keine  Korallen  zu  leben,  Aus- 
nahmen kommen  indessen  vor. 

Die  Schuttmassen,  welche  die  Inseln  bilden,  sind  keineswegs 


iJ 


^     regellos  aufgehäuft,  sondern  büden  niedrige,  breite  Wälle,  die  mit 
^;     dem  Außenstrande  parallel  laufen.     Zwischen  ihnen  befindet  sich 
^      jedesmal  eine  Einsenkung,  welche  an  einzelnen  Stellen  infolge  Aus- 
I      einandertretens  der  WäUe  zu  einer  mehr  oder  weniger  breiten,  seichten 
^      Mulde  wird,  an  deren  tiefstem  Punkte  sich  ein  Brackwasserteich  zu 
bilden  pflegt.    Der  jüngste  Wall,  das  heutige  Außenufer  der  Insel, 
pflegt  der  höchste  zu  sein;  von  ihm  aus  fällt  das  Eiland  sanft  nach 
der  Lagunenseite  hin  ab.    Dieses  geschieht  jedoch  nicht  in  einer  Ge- 
raden, sondern  in  einer  unregelmäßigen  WeUenlinie,  indem  die  Wälle 
ganz  allmählich  niedriger,  und  die  Vertiefungen  zwischen  ihnen  un- 
deutlicher werden.     Bei  genauerer  Nachforschung  lassen  sie  sich 
jedoch  selbst  dicht  am  Innenstrande  noch  erkennen,  soweit  sie  nicht 
durch  Wegeanlagen  usw.  zerstört  sind.'* 

Schließlich  bemerkt  Dr.  Schnee,  er  sei  durch  seinen  Aufenthalt 
auf  Jaluit  zu  einem  überzeugten  Anhänger  der  Darwinschen  Senkungs- 
theorie  geworden. 


224  I>tt  Ifeo'. 

Das  Atoll  von  FunatiitL  Die  schon  von  Darwin  aufgestellte  FcKde- 
ning  von  Bohrungen  auf  Korallennffen  bis  zu  großen  Tiefen  ist  tod 
der  Royal  Society  in  London  ausgeföhrt  worden,  indem  eine  Ex- 
pedition unter  Leitung  des  Prof.  Sollas  zu  diesem  Zwecke  nach  dem 
Atoll  Funafuti  entsandt  wurde.     Dieselbe  hat  ihre  Au^abe  toH- 
standig  gelöst  und  die  Ergebnisse  in  einem  großen  Werke  veroüeat- 
licht.    Folgendes  ist  eine  kurze  Wiedergabe  der  Hauptresultate.  i) 
Im  Jahre  1896  wurde  bei  den  Bohrungen  nur  eine  Tiefe  von  105  Fofl 
erreicht,  im  nächsten  Jahre  eine  solche  von  698  Fuß,  doch  waren  die 
Gesteinsproben  zu  gering,  um  sichere  Resultate  zu  liefern.     Dafür 
wurden  aber  eine  sehr  detaiUierte  Karte  und  geologische  Annahmen 
des  Atolls  erhalten.    Im  Jahre  1898  wurde  eine  dritte  Expediti<» 
entsandt,  und  dieser  gelang  es,  die  Bohrung  bis  zu  1114.5  Fuß  nieder- 
zutreiben und  384  Fuß  festen  Gesteinskem  zutage  zu  fördern.  Außer- 
dem wurde  in  der  Li^une  ein  Bohrloch  von  245  Fuß  Tiefe  erhalten. 
Es  ergab  sich,  daß  das  Atoll  von  der  Oberflache  bis  zu  der  erreichten 
Tiefe  Kalkfelsen  ist,  der  von  Ldthothamion  und  Halimeda  wie  aus 
riffbildenden  Korallen  besteht.    Der  unterste  Teil  ist  ein  in  Dokunit 
verwandeltes  Korallenmaterial.    Nach  Prof.  Davis  ist  das  ursprüng- 
liche Fundament  des  AtoUs  wahrscheinhch  vulkanischer  Natnr,  aber 
dieser  Kern  wurde  durch  organische  Gebilde  langsam  an  seinem  Um- 
fange vergrößert;   auch  müssen   Schwankungen  der  Küste   statt- 
gefunden haben.    Die  Bohrkeme  wurden  nach  England  gesandt  und 
in  Dünnschliffen  von  Prof.  Judd  und  Dr.  Hinde  untersucht.     Die 
Menge  der  Kalkalgen  ist  überraschend  groß.     Oolithische  Strukt<iir 
und  Schichtung  fehlen,  und  man  findet  keine  Beimengung  von  Tki- 
Seeorganismen;  dieselben  Gattungen  und  Arten  kommen  vom  GipM 
bis  zum  Boden  des  Durchschnittes  vor.    Ausge<^ehnte  chemische  und 
mineralogische  Veränderungen  haben  in  dem  Gesteine  stattgefundea 
seitdem  die  Korallen  lebend  waren,  und  Hiese  Änderungen  sind  tod 
Prof.  Judd  und  Dr.  Cullis  im  Detail  studiert  worden.    Ein  definitiver 
Schluß  über  die  Entstehungsweise  des  Atolls  wird  nicht  gi&EogaL 
allein  alles  deutet  darauf  hin,  daß  die  Befunde  zugunsten  der  Darwin- 
schen Rifftheorie  sprechen. 

Das  Meer. 

Sehwankungen  des  Meeresspiegeb  in  der  Nfthe  von  New-  York. 

Nach  den  Untersuchungen  von  George  W.  Tuttle,  welche  sich  auf 
die  Angaben  des  selbstregistrierenden  Flutmessers  seit  1853  stütxen, 
finden  solche  Schwankungen  in  sehr  ausgesprochenem  Maße  statt.  ^ 
Tuttle  findet  für  dieselben  eine  durchschnittUche  Periode  von  acht 
Jahren.      Sie  scheinen  im  allgemeinen  durch  Änderungen  des  Luft- 

^)  Amer.  Joum.  of  Science  17.  p.  478. 
*)  Amer.  Joum.  of  Science  17.  p.  333. 


Du  Heer.  225 

druckes  and  den  daraus  folgenden  Änderungen  der  Windgeechwindig- 
keiten  bedingt  zu  sein.  Diese  Schwankungen  kompensieren  sich  im 
Laufe  der  Zeit  und  erzeugen  keine  kontinuierliche  Bewegung  in  einer 
bestimmten  Richtung.  Außer  diesen  Bewegungen  des  Meeres  zeigen 
einige  Häfen  eine  mehr  oder  weniger  ununterbrochene  Hebung  des 
Meeres  in  bezug  auf  das  anliegende  Land,  andere  ein  Sinken  des 
Meeresspiegels,  während  noch  andere  nichts  davon  zeigen.  Letzteres 
deutet  an,  daß  außer  den  oben  erwähnten  periodischen  Änderungen 
das  Meer  sein  Niveau  nicht  verändert,  und  daß  die  relativen  Ver- 
schiebungen von  Landbewegungen  herrühren.  An  verschiedenen 
Häfen  ist  die  Geschwindigkeit  der  erwähnten  Hebung  des  mittlem 
Meeresspiegels  nicht  konstant  geblieben,  sondern  hat  sich  bedeutend 
verändert.  Alle  Beobachtungen  zeigen,  daß  für  lange  Perioden  die 
Größe  der  Änderung  kleiner  ist  als  in  manchen  Teilen  dieser  Periode, 
was  den  Beweis  liefert,  daß  die  Bewegung  nicht  kontinuierUch,  son- 
dern oszillatorisch  und  in  enge  Grenzen  eingeschlossen  ist.  Die  Beob- 
achtungen in  New-  York  City  zeigen,  daß  seit  1875  das  Land  in  bezug 
auf  den  mittlem  Meeresspiegel  um  etwa  1.45  Fuß  gesunken  ist,  aber 
seit  der  Aufstellung  der  selbstregistrierenden  Flutmesser  im  Jahre 
1853  bis  1875  war  wenig  oder  keine  Änderung  eingetreten.  Es  ist 
unwahrscheinlich,  daß  die  jetzige  Stärke  des  Sinkens  unbegrenzt  an- 
dauern werde. 

Beeinflussimg  der  Gezeiten  durch  Wind  und  Luftdruck.  Eine 
Hauptaufgabe  der  Statistik  in  den  Küstengewässem  ist  die  Voraus- 
berechnung  der  Ebbe  und  Flut  nach  Zeit  und  Höhe.  Trotz  Ver- 
besserung der  Berechnungsmethoden,  trotz  des  Fortschrittes  in  der 
Erkenntnis  der  Gezeitenerscheinung  seit  Anwendung  der  harmoni- 
schen Analyse  auf  die  Beobachtungsreihen  der  verschiedenstenKüsten- 
plätze  weichen  die  berechneten  Zahlen  in  den  Gezeitentafeln  von  den 
tatsächlich  eintretenden  Verhältnissen  oft  erhebUch  ab.  Besonders 
für  die  holländischen  Küstenorte  ist  diese  Übereinstimmung  noch 
immer  nicht  recht  befriedigend.  Es  sind  deshalb  in  der  neuesten 
Zeit  besonders  von  niederländischen  Hydrographen  Versuche  unter- 
nommen, eine  Korrektionsformel  abzuleiten.  Theoretiker  wie  Prak- 
tiker sind  sich  darin  einig,  daß  die  Ursache  dieses  Unterschiedes 
zwischen  Beobachtung  und  Berechnung  der  Gezeiten  in  erster  Linie 
in  dem  Einflüsse  des  Windes  und  Luftdruckes  zu  suchen  sei.  Unter 
Berücksichtigung  dieser  Verhältnisse  hat  F.  L.  Ortt,  Ligenieur 
V.  d.  Waterstaat,  Korrektionsformeln  abgeleitet. 

Wegemann  gibt^)  eine  kritische  Besprechung  dieser  Formeln, 
die  sich  allerdings  vorwiegend  auf  theoretische  Erwägungen  stützen, 
und  wonach  jenen  Formeln  keine  sehr  große  Bedeutung  beizulegen 
ist.    „Schwerlich,"  sagt  er,  „wird  sich  eine  allgemein  gültige  Formel 


1)  Annalen  der  Hydrographie  ti.  p.  204. 
Klein,  Jahrbuch  XV.  16 


DtB  Meer. 

finden  Uaeen,  die  selbst  nur  für  swei  benachbarte  Küstenorte  anwend- 
bar wiire,  es  sei  denn,  daß  man  auf  G«iauigkeit  verzichtet  und  sadt 
schon  mit  räier  rohen  Annäherung  begnügt.    Denn  die  WirkBamkot 
der  Einfluß  ausübenden  Faktoren  wiid  in  letzter  Linie  von  den  öit- 
liehen  Verhältniasen  —  Tiefe,  Form  und  Lage  der  Kuatenlinie  und 
Gestalt  des  Meeresgebietes  —  am  stärlcsten  abhangig   sein.     Ln 
flachen  Wasser  werden  dieselben  Ursachen  ganz  anders  in  WiikBam- 
keit  treten  wie  im  tiefen,  in  engen  Buchten  anders  wie  an  den  cShsom 
ozeanischen  Küsten,  im  Beieiche  geschlossener  Meeresgebi^ie  andes 
wie  in  Bandmeeren  oder  im  Weltmeere.    Im  erstem  liegt  zunächst 
noch  der  Schwerpunkt  der  ganzen  Untersuchung,  da  die  Ab^v^eichun^ 
van  den  berechneten  Flutgrößen  nur  für  flaches  Wasser  von  ptsk- 
tischer  Bedeutung  sind.     Für  dieses  gelten  die  Orttschen  Formdn 
nicht,  wie  er  ausdrücklich  bemerkt;  daher  ihre  aUgemeine  Anwend- 
barkeit nicht  zweckentsprechend  sein  wird. 

Die  Höhe  des  Mittelwaisen  bei  Ragusa  und  die  Ebbe  und  FM 
im  Adriatlsehen  Meere  ist  von  R.  von  Stemeck  behandelt  worden.  ^) 
Er  folgert  aus  der  Theorie  und  den  Beobachtungen  an  verBchiedeoBi 
Teilen  des  Mittelländischen  Meeres,  speziell  an  der  Adria,  daß  die  an 
den  Küsten  geschlossener  Meere  anlangenden  Wellen  nicht  flutwelkB 
im  eigentlichen  Sinne,  sondern  nur  Übertragungen,  gewisaermaßei 
nur  Kopien  der  über  der  tiefsten  Stelle  (des  betreffenden  Binnen- 
meeres) erregten  Fluten  sind.    Der  südhche  Teil  des  Adriatiscbcs 
Meeres  ist  ein  beiläufig  rundliches  Becken,  in  dessen  Mitte  eich  Tkim 
von  über  1600  m  vorfinden.    Die  Hafenzeiten  an  den  umliegenda 
Gestaden  sind  alle  nahe  gleich  vier  Stunden.    Nach  Norden  pflanft 
sich  die  durch  die  zentrale  Erhöhung  der  Meeresflache  erregte  Welk 
mit  einer  stündlichen  Geschwindigkeit  von  60  km  fort,  für  Triest  isl 
die  Haienzeit  9.5,  für  Venedig  10.6  Stimden.    Die  mittlem  Fluthölieo 
nehmen  im  Adriatischen  Meere  gegen  Norden  im  allgemeinen  zo, 
weil  das  Meer  seichter  wird,  von  0.3  m  bei  Bagusa  auf  0.6  m  in  Triest 

Eine  allgemeine  Karte  der  Meerestlefsn.  Hierüber  machten 
J.  Thoulet  und  Gh.  Sauerwein  der  französischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften folgende  Mitteilung :  Der  im  Jahre  1899  in  Berlin  al^ehaltene 
Geographenkongreß  setzte  eine  internationale  Kommission  für  dk 
Benennung  der  Südozeane  ein,  mit  dem  Auftrage,  eine  verbesserte 
Karte  der  Meerestiefen  spätestens  bis  zum  folgenden  Kongresse  in 
Washington  am  8.  September  1904  fertig  zu  stellen  und  zu  veröffent- 
lichen. Diese  Kommission,  der  deutscherseits  die  Professoren  Supan 
und  Krümmel  angehören,  tagte  am  15.  und  16.  April  in  Wiesbaden 
unter  Vorsitz  des  Fürsten  Albert  von  Monaco  und  billigte  einstimmig 
den  vom  Professor  Thoulet  vorgelegten  Plan,  nach  welchem  die  nun- 

^)  Mitteil.  d.  k.  militar.  geogr.  Jahresber.   ^len  1904. 


Das  Meer.  227 

mehr  fertig  gestellte  Karte  unter  Leitung  von  Sauerwein  ausgeführt  ist. 
Die  im  Maßstäbe  von  1  :  10  000  000  ausgeführte  Karte  besteht  aus 
24  Blättern.  Die  Polargegenden  von  72  bis  00^  Breite  sind  in  gnomo- 
nischer  Projektion  ausgeführt  auf  einer  die  Pole  tangierenden,  den 
Breitenkreisen  parallelen  Ebene.  Diese  beiden  Projektionen  sind  in 
je  vier  Blätter  geteilt,  die  die  Quadranten  von  0"",  90""  O,  ISO""  und 
90^  W  Länge  umfassen.  Zwischen  72°  Nord-  und  Südbreite  ist  für 
die  Darstellung  die  Merkatorprojektion  auf  eine  den  Äquator  tan- 
gierende, der  Erdachse  gleichgerichtete  Ebene  gewählt.  Die  ein- 
a^lnen  Blätter  erhielt  man,  indem  die  Projektion  längs  der  Meridiane 
O*",  QO""  0,  ISO"",  90""  W  zerschnitten  und  diese  Stücke  wieder  senk- 
recht dazu  längs  der  Breitenparallele  0°,  47°  N  und  S  geteilt  wurden, 
also  zusammen  16  Blätter.  Eine  besondere  Bezeichnungsweise  ge- 
stattet nicht  allein  jedes  Blatt  dieses  1  :  10  000  000  hergestellten 
Atlasses  zu  benennen,  sondern  auch  jedes  Blatt,  das  etwa  durch  Ver- 
zehnfachung oder  wiederholte  Verzehnfachung  von  den  ursprüng- 
lichen abgeleitet  wird.  Die  Karte,  im  Juni  1903  begonnen,  heute  voll- 
endet, weist  die  bis  zum  Juli  erhaltenen  Tiefenangaben  nach.  Die 
Isobathen  sind  für  200,  500, 1000  m  und  von  da  an  von  1000  zu  1000  m 
bis  9000  m  ausgezogen  und  nach  den  ausführlichsten  Admirahtäts- 
karten  der  verschiedenen  Länder  geprüft.  Dank  den  Angaben  der 
betreffenden  Marinebehörden  und  Kabelgesellschaften  steht  die 
Karte  vollständig  auf  der  Höhe  der  Zeit,  sie  gibt  für  gewisse 
Meeresteile  wertvolle  Aufschlüsse  über  die  Bodengestaltung  und  zeigt 
für  andere,  weniger  erforschte,  wo  die  Lotungen  zukünftiger  Tiefen- 
forsohung  einzusetzen  haben. 

Die  TlefenverbUtnisse  der  nordpolaren  Meere  sind  Gegenstand 
der  Darstellung  E.  Nansens  in  dem  neuesten  Bande  seines  wissen- 
schaftlichen Werkes  über  die  Expedition  der  „Fram*\  ^)  Von  dieser 
wichtigen  Arbeit  gibt  Prof.  Schott  eine  kritische  Darstellung  des 
Hauptinhaltes,  der  das  folgende  entnommen  ist: 

Das  Material  über  die  Tiefenverhältnisse,  welches  zur  Behand- 
lung kommt,  beruht  auf  Nansens  eigenen  Messungen  und  aller  sonst 
vorhandenen  bathometrischen  Ergebnisse  in  den  nordpolaren  Ge- 
wässern. Nach  der  Darlegung  der  tatsächlichen  Verhältnisse  an  der 
Hand  von  Karten  geht  Nansen  zu  theoretischen  Betrachtungen  be- 
züglich der  Entstehungsweise  der  vorhandenen  Bodenformen  über. 
Dabei  behandelt  er  in  erster  Linie  den  sogenannten  Schelf.  Mit 
diesem  Namen  wird  derjenige  Teil  des  Kontinentalrandes  bezeichnet, 
der  sich  von  der  Grenze  der  dauernden  Meeresbedeckung  ganz  all- 
mählich in  der  Regel  bis  100  Faden  oder  200  m  Tiefe  senkt  und  dann 


^)  The  bathymetrioal  featuree  of  the  North  Polar  Sea.  Christiaiiia 
1904.  AoBführl.  Ref.  darüber  von  Prof.  Sohott  in  Ansalen  d.  Hydrogiaphie 
li.  p.  46a. 

16* 


228  »M  Maar. 

plötdich  in  einen  steilen  Abfall  übergeht,  ^e  z.  B.  der  britäsche  Schdt 
der  Schelf  der  Neufundlandbank  usw.  (englisch  „Shelf'',  fnmöäicli 
„Socle''  oder  „Plateau  Continental").  Es  ist  also  dasjenige  Meem- 
gebiet,  welches  man  sonst  vielfach  ab  „Kontinentalstufe''  beceiehoet, 
an  deren  Außenkante  das  wahre  Ende  der  Kontinente  zu  suchen  irt, 
oder  welches  man  auch  allgemein  „FUohsee"  nennt,  ein  Ansdrock, 
gegen  den  allerdings  mit  Recht  immer  eingewendet  worden  ist,  M 
es  ausgedehnte  Flachwasserzonen  gibt,  denen  der  Charakter  der 
„Kontinentalstufe''  oder  des  „Schelfs"  nicht  zukommt. 

Was  ztmaohst  das  nordpolare  Becken  anbelangt,  als  «dd» 
man  die  von  den  Nordküsten  Nordamerikas  über  den  Pol  hinweg  Üb  sa  des 
sibirischen  Schelf  einerseits  und  von  Spitcbeigen  bis  zur  Bering^tzafie  ante- 
aeite  sich  ausdehnenden  Gewässer  beseichnet,!^  gelten  von  ihm  nach  Nama 
folgende  Satze: 

„Es  ist^fein  tiefes  Becken  (Tiefen  bis  zu  4000|»/) ;  von  dem  BaraDtamsR 
ist  es  durch  einen  fortlaufenden  unterseeischen  Bücken  getrennt,  welche  8^ 
ringere  Tiefen  als  220  tu  besitzt  und  von  Nowaja  Semlja  nach  Kaiser  Fns 
Josefland   und   nach  Spitzbergen   sich  erstreckt.      Erheblich   tiefer  ist  ds 
Meer  zwischen  SpitzbergiBn  und  Nordostgronland,  doch  scheint  auch  hier  o» 
relativ  seichte  Scnwelle  unter  rund  Bl^  nördl.  Br.  westöstlich  zu  zidieD(l«kr 
geringste  Tiefen  476  und  786  m).    Jedenfalls  setzen  sich  die  grofien  TiefeD  d» 
nordpolaren  Beckens  nicht  ununterbrochen  in  diejenigen  des  norwegsAfl 
Normneeres  (zwischen  Ostgrönland,  Island  imd  Norwegen)  fort,  was  von  «esot- 
lieber  ozeanographisoher  Bedeutimg  ist.     Denn  ein  ungehinderter  WaM" 
austausoh  zwischen  den  beiden  Tiefl^ken  ist  dann  unmöäich,  und  in  (krli^ 
laßt  das  Bodenwasser  beider  Becken  erhebliche  Unterschiede  erkennen,  h 
norwegischen  Nordmeere  ist  die  Bodentemperatur  —  l^  bis  — 1.2",  zview* 
Spitzbergen  und  Grönland  sogar  — 1.3®  und  —  1.4^  der  Salzgehalt  b^ 
35.06  bis  35.29<^/oo-    Im  nordpolaren  Becken,  wo  man  noch  niedrigere  Bodo- 
temperaturen  erwarten  sollte,  liegt  die  Temperatur  des  Bodenwassers  dardi^ 
schon  bei  0  bis  —  0.8^  und  der  Salzgehalt  betragt  etwa  36.29/^;  dies  Bod» 
wasser  kann  also  nicht,  oder  mindestens  nicht  unmittelbar,  aus  dem  off* 
wegischen  Nordmeere  stammen.   Da  nun  die  das  Bodenwaaser  des  norc^iolii« 
Beckens  überlagernden  Waaserschichten  warmer  sind  als  das  Bodai«>s|| 
selbst,  so  entstät  die  Frage:     Woher  stammt  die  niedrige  Temperstorv 
nordpolaren  Bodenwassers?    Der  einzige  Ausweg,  den  auch  Nansen  ssnimvl 
ist  der,  daß  das  Bodenwasser  irgendwo  in  den  noch  unbekannten  l^^^  ^ 
nordpolaren  Beckens  an  der  Oberfläche  gewesen  und  dort  bis  auf  —0.8**^ 
gekühlt  worden  sein  muß,  daß  also  große,  tiefe  Meere^gebiete  nahe  am  Pole  ^' 
banden  sein  müssen,  in  denen  die  warmem  Zwischenschichten  fehlen.  ^^ 
dem  Weg '  der  ,,Fram**  hat  man  Andeutungen  von  solchem  ozeanographiscDS 
Wärmeprofile  nicht  gefunden;  fol^ch  muß  eine  solche  Warmeanordnanri» 
der  amerikanischen  Seite  des  Beckens  vermutet  werden,  und  daraus  ^ol£^^^^^ 
die  Forderung,  daß  das  nordpolare  tiefe  Becken  viel  größere  Flächen  ^^'^SJ?^ 
als  wir  bisher  durch  die  „From^-Messungen  kennen,  daß  also  auch  die  G^^ 
im  Norden  von  Alaska  und  im  Norden  der  arktisch -nordamerikaniflchenjuw«- 
weit  wirkliche  Tiefseegebiete  sind.     Wie  weit  der  Kontinentalrand  d*^. 
vom  amerikanischen  Archipel  und  nördlich  von  Grönland  reicht,  ist  ^^^^^^''^jj 
da  aber  Nordgrönland,   (Jrinelland  und  das  von  Sverdrup  ®i^^^^^ 
Heibergland  vergleichsweise  hoch  sind,  so  ist  nach  den  sonstigen  >Q^^^. 
logischen  Analogien  wahrscheinlich,  daß  hier  die  Tiefsee  ziemlich  nahe  li^' 
Amund  Ringnes-  und  EUef -Ringneeland,  femer  Prinz  Patrick-  ^i^.^^Tl 
insein  sind  niedrig,  daher  mögen  dort  ausgedehntere  Flachseegebiete  i*^ 
Norden  hin  vorhanden  sein.    Ob  wir  die  nöralichsten  Teile  des  festen  I^odei 


Das  Mear.  229 

überhaupt  sohon  kennen,  kann  man  unmöglich  heutzutage  sagen;  die  Möglich- 
keit von  noch  unbekannten  Inseln  im  äu&nten  N(»den  ist  nicht  zu  leugnen, 
aber  nach  den  ozeanoffraphischen  Verhältnissen  ist  anzunehmen,  daß  solchen 
Inseln,  wenn  sie  äbeniaupt  vorhandan  [sind,  keine  große  Ausdehnung  zu- 
kommt/* 

R9  Was  nun  die  Bodenbeschaffenheit  des  nordpolaren  Beckens  betrifft,^ so 
ist  in  den  Grundproben  der  ungewöhnlich  geringe  Betrag  an  Resten  organischen 
Ursprunges  in  erster  Linie  auffallig.  In  den  meisten  Fällen  war  es  schwierig, 
überiiaupt  Reste  von  Foraminiferenschalen  oder  von  andern  Organismen  zu 
finden.  Der  größte  Prozentsatz  an  kohlensaurem  Kalke  wurde  mit  5%  in  einer 
Bodenprobe  von  83^^  24'  nördl.  Br.  und  102o  14'  östl.  Lange  festgestellt;  im 
übrigen  schwankte  der  G^ehalt  an  GaCOg  zwischen  1  und  3%.  Nach  den  mehrere 
hundert  Proben  umfassenden  Analysen  seitens  der  „Challenger"-£xpedition 
stellt  sich  der  Dmxshsdinittsgehalt  der  Tie£Beeerden  an  Kalkkarbonat,  welcher 
mit  zunehmender  liefe  abzunehmen  pflest,  für  die  offenen  Ozeane  bei  3000  m 
auf  etwa  70%,  bei  3600  m  auf  etwa  62%,  bei  4000  m  auf  etwa  61%. 

Globigerinenschlamm  besteht  im  allgemeinen  zu  64%  aus  Kalkkarbonat; 
Diatomeenschlamm  enthalt  davon  trotz  seines  Charakters  als  Eaeselerde 
immer  noch  etwa  23%.  Die  Armut  des  nordpolaren  Meeresbodens  an  Besten 
kalkschaliger  Organismen  ist  also  außerordentlich  groß ;  steht  aber  nach  Nansen 
im  Einklänge  mit  der  Armut  der  Meeresoberfläche  an  oiganischem  Leben,  welche 
Armut  ihrerseits  dadurch  erklärlich  wird,  daß  die  Meeresoberfläche  jahraus 

C*  rein  ganz  von  Eis  bedeckt  ist.  Wenigstens  hat  Nansen  in  den  im  Polar- 
ken gewonnenen  Planktonproben  kaum  einige  Foraminiferen  gefunden. 

Ähnlich  scheinen  in  dieser  Beziehung  die  Verhältnisse  im  Südpolarmeere, 
wenigstens  dort,  wo  die  „Valdivia**-  und  die  „6auß"-Expedition  gearbeitet 
haben,  zu  liegen. 

An  den  Bodenproben  aus  den  Tiefen  des  nordpolaren  Beckens  ist  in  zweiter 
Linie  ihre  Feinheit  oeachtenswert;  gröberes  Material  oder  gar  Steine  wurden 
nicht  beobachtet,  obwohl  man  sonst  diese  letztere  Art  der  Bodenbeschaffenheit 
für  polare  Gewässer  als  charakteristisch  ansieht,  zumal  da,  wo  das  Meer  vom 
Eise  bedeckt  ist.  Für  das  nordpolare  Becken  ergibt  sich  daher  aus  der  durch- 
gängigen Feinheit  der  Bodensedimente  die  Schlußfolgerung,  daß  seit  langen 
geologischen  Epochen  keine  Trift  von  Gletschereis,  d.  h.  Eisbergen,  über  dies 
Becken  hinweflgezogen  ist,  selbst  weim  (was  wahrscheinlich)  eine  sibirische 
Eiszeit  bestand^  hat.  Wohl  transportiert  auch  noch  heute  das  Eis  der  sibiri- 
schen Flüsse  und  des  sibirischen  Schelfes  erhebliche  Mengen  terrigenen 
Materiales,  aber  dieses  Eis  kommt  in  der  Hauptsache,  d.  h.  auch  an  seiner 
Unterseite,  wo  es  diese  Sinkstoffe  fallen  lassen  könnte,  zum  Schmelzen  erst 
dann,  wenn  es  das  eigentliche  arktische  Becken  verlassen  hat,  also  im  ost- 
grönländischen Küstenstrome  und  südlich  noch.'* 

Die  dem  arktischen  Becken  angrenzenden  atlan- 
tischen Gewässer  behandelt  Nansen  hauptsächlich  in  Rücksicht  auf 
die  Schelfbüdung.  Er  findet,  daß  innerhalb  der  hier  behandelten  Gebiete  im 
allgemeinen  der  Schelf  um  so  breiter  und  um  so  tiefer  unter  dem  Meeres- 
spiegel gelegen  ist,  je  niedriger  und  flacher  die  angrenzende  Küste  ist  (z.  B. 
Irondhjemcustrikt),  daß  er  aber  um  so  schmäler  ist  und  um  so  gerinffsre  Tiefen 
aufweist,  je  höher  und  Steuer  die  benachbarte  Küste  aufrafft  (z.  B.  Farör  oder 
die  Südküste  Islands).  In  Verbindung  mit  dem  Schelf  stdit  eine  weitere  Be- 
sonderheit des  untermeerischen  ReUefo  dieser  nördlichen  Gewässer,  die 
Nansen  eben£BÜls  sehr  ausfühilich  b^andelt.  Es  ist  die  einige  wenige  Meter, 
meist  nur  6  bis  10  m  unter  dem  jetzigen  Meeresniveau,  aber  auch  stdlenweise 
etwas  über  demselben  liegende,  an  dM  Ufer  unmittelbar  angrenzende  Küsten- 
plattform oder  Strandebene  (norwegisch  „Strandfladen'*,  englisch  „shore 
plane"),  welche  nicht  mit  den  norwegischen  Strandlinien  oder  Küstenterrassen 
über  dem  Meeresspiegel,  verwechselt  werden  darf.     Von  dieser  Strandebene 


230  !>••  >'««'• 


«ntwirft  NaoMD  folgende  Schildeniiig»  die  beeonden  aof  die  iiarwcigiBdiea  Ge- 
wieeer  noh  benebt»  jedodi  auch  lor  die  eoteptediendai  Bnwshehwinge»  der 
beiiMdiberCenGeiriMMriiieiBiGültii^tliat  „Weit  oAch  See  hiiiM»,  i 
mal  einige  20  bis  30  Seemeilen  oder  40  bie  50  Im  bceit»  entieckt  sc' 
sanzen  fmtt  vollkommen  wagerechte,  ebene  Flädie,  die  aber  dordi  _ 
Feleen  und  nntenneeriflche  Fjordtaler  in  einTOlne,  kleine,  ebene  Flachfm 
schnitten  iet;  der  Boden  iet  Fela  oder  doch  jedenfiiOe  fast  frei  von  GeraD  vnd 
Schutt.  Die  Niveaunnterechiede  auf  dieaer  Plattform  oder  StrandebeDe  sind 
äußerst  gerinct  viel  minger  als  auf  dem  im  aOmneinen  auch  nnr  wenig  be- 
wegten S^euboden.  Zu  diesem  letztem,  der  zum  Unterschiede  ▼on  der  Strand- 
eb^e  meistens  mit  Schlamm  und  feinerm  oder  groberm  Sand  bedeck  isl, 
fuhrt  ein  ziemlich  unvermittelter  Abf&U,  der  bis  10^  Nogung  gewinn^  hiitth 
Der  Übergang  dagegen  zum  heutigen  festen  Lande  hinauf  ToUzieht  ekh  sehr 
allmählicl^  und  es  ist  oft  schwierig,  hier  eine  obere  Grenze  ansngeben." 

Die  Stnndebene  in  ihrer  vollendeten  Ausbildung  längs  der  ncM-wegiedm 
Küstengebiete  fehlt  den  übrigen  westeuropäischen  Küsten  oder  sie  iat  dnnrilMt 
nur  ganz  schmal;  ebenso  femt  sie  größtenteils  auf  der  amerikaniarJicm  Seite 
des  MordaUantiBchen  Ozeans,  obschon  sie  bei  Labrador  und  Neufundland  an- 
gedeutet ist;  sie  fehlt  auch  bcd  den  Faror  und  bei  Island,  findet  sich  jedoch  gat 
ausgeprägt  an  der  Westküste  Grönlands. 

Die  Frage  nach  der  Entstehunggweise  dieser  eigentümlichen  Bodeniacm 
beantwortet  Nansen  dahin,  daß  es  sic£  um  ein  Werk  <ter  Meeresbrandnng,  d.  L 
der  Wellen  handele,  um  marine  Denudation.  Die  Strandebene  ist  bis  zu  40  ■ 
breit,  so  breit  also,  daß  es  unmogUch  ist,  anzunehmen,  sie  sei  bei  unvermmierteai 
Meeresniveau  von  der  Brandung  geschaffen;  die  Wellen  müßten  ja  bei  ihren 
Vorschreiten  bis  zur  Küste  über  dem  flachen  Wasser  bald  den  größten  Teil  ihrer 
erodierenden  Kraft  verloren  haben.  Daher  würde  der  naheli^endate  GSedanke, 
welcher  ja  auch  bei  allen  lehrmaßigen  Darstellungen  der  Abrasion  ausgefühzt 
wird,  der  sein,  daß  die  Abrasion  unter  allmählicher  Senkung  des  Landes  oder 
aUmählichem  Vorrücken  des  Meeres,  jedenfalls  bei  positiver  (mariner)  Stnnd- 
Verschiebung  stattfindet.  Durch  diesen  säkularen  Vorgang  wird  eine  eben- 
mäßige, aber  von  der  Meerestiefe  zum  Feetlande  schwadi  ansteigende  Fläche 
entstehen.  Nach  Nansen  ist  aber  die  norwegische  Süundebene  honzontal 
zu  wenig  geneigt,  um  in  der  angedeuteten  Weise  nur  durch  den  Angriff  der 
Brandung  von  der  offenen  See  her  entstanden  sein  zu  können.  Er  ma(£t  daher 
die  Voraussetzung,  daß  Küste  und  Meeresboden  durch  tiefe  Fjorde  und  Kanäle 
bereits  vollkommen  zerschnitten  und  zerteilt  waren,  ehe  die  Bildung  der 
Strandebene  mit  Frfolg  von  der  brandenden  See  begonnen  werden  konnte; 
von  verschiedensten  Richtungen  her  begann  gleichzeitig  das  Werk  der  Ab- 
tragung und  Abschleifung.  l^e  Strandebene  soll  daher  jünger  als  die  Fjorde 
sein.  Nansen  nimmt  femer  in  der  Frage  nach  der  Entstehung  der  Fjorde  den 
gemäßigt  dazialen  Standpunkt  ein,  daß  die  Fjorde  als  alte,  später  unter- 
getauchte Talbildungen  in  der  Hauptsache  vor  der  Eiszeit  bestanden  haben, 
und  nur  Einzelheiten  der  Bodengestaltung  (Aufschüttung  oder  Ausräumung) 
durch  das  fließende  Eis  der  Gletscher  ihre  Erklärung  finden.  Somit  kommt 
Nansen  zu  dem  Satze:  Die  Fjorde  sind  präglazial;  die  Strandebene  ist  post- 
fflazial,  womit  der  Umstand  übereinstimmt,  daß  die  Strandebene  me&st  ans 
blankem  Fels  besteht,  während  der  weiter  seewärte  gelegene,  ältere,  ^eich  den 
Fjorden  präglaziale  Schelf  von  glazialem  Schutte  veraohiedenster  Komgröfie 
übersät  ist.  Die  Strandlinien  sind  nach  Nansen  wieder  jünger  als  die  Strand- 
ebenen.  Nansen  hat  bei  seiner  Annahme  einer  vergleichsweise  großm  geo- 
logischen Jugend  der  Strandebene  gewichtige  Gegner  gegen  sich,  so  Beusch 
und  Vogt,  die  für  präglazialen  Ursprung  sprechen;  £.  Richter  nimmt  inter- 
daziale  Entetehung  an,  und  A.  M.  Hansen  hält  überhaupt  eine  Entstehung 
durch  das  erodierende  Eis  für  wahrscheinlich.  Das  Alter  der  Strandebene 
mag  zweifelhaft,  ihr  nsariner,  also  nicht  glazialer  Ursprung  düifte  aber  ge- 
sichert sein. 


Das  Meer.  231 

Was  nun  die  Bildung  der  Schelfe  und  zunächst  die  Bildung  des  norwegi- 
schen Schelfes  anbelangt,  so  geht  Nansen  davon  aus,  daß  wahrend  langer  pra- 
flazialer  Epochen  das  Meeresniveau  ein  anderes  als  heute  und  die  Flache  des 
eutigen  Schelfgebietes  trockenes  Land  gewesen  sein  muß.     In  dieser  Zeit 
erhielt  der  spatere  Schelf  durch  atmosphärische  Erosion  ein  liemlich  unruhiges 
Relief;  ist  er  doch  durchaus  keine  solche  einförmige  Ebene  wie  die  Strand- 
ebene oder  Plattform,    die  bisher  geschildert  wurde,  sondern  meistens  mit 
charakteristischen  Terrainformen,  mit  Depressionen,  Talern  usw.  ausgestattet. 
So  folgen  die  offenbar  von  frühem  Flüssen  geshaffenen  Rinnen  des  norwegischen 
Schelfes  zwei  gut  erkennbaren  Hauptrichtungen,  einer  mit  der  Küste  ziemlich 
parallel  verlaufenden  longitudinalen  Richtung  und  einer  dazu  annähernd  recht- 
I        winkligen.    In  weit  zurückliegenden  geologischen  Epochen  müssen,  wie  nach 
j        den  Tiefenlotungen  auf  dem  Schelfe  zu  schließen  ist,  die  heute  untergetauchten 
longitudinalen  Fjordtäler  des  Schelfes  bis  zu  einem  Niveau  hinab  erodiert 
worden  sein,  das  heute  500  bis  600  m  unter  dem  Meeresspiegel  liest.    Als  die 
I        Senkung  dieses  schon  von  den  Atmosphärilien  bearbeiteten  (Land-)  Gebietes 
'        erfolgte,  hatte  die  Tätigkeit  des  Meeres  erleichtertes  Spiel,  um  eine  Einebnung 
'        und  Abrasion  zu  bewerkstelligen.    Natürlich  wurden  dabei  diejenigen  Teile, 
i        welche  aus  weichem  Gesteinsarten  bestehen,  wie  z.  B.  die  Küstenteile  von 
Norrland  und  Finnmarken,  stärker  abgetragen  als  diejenigen  Küstenstrecken, 
die  aus  harten,  archäischen  Gesteinen  sich  zusammensetzen,  z.  B.  Romsdalen, 
Lofoten-Vesteiaalen.    Hierin  liegt  teilweise  die  Erklärung  für  die  etwas  ver- 
I        sohiedene  Tiefe  der  einzelnen  Schelfpartien.     In  einem  seewärts  gelegenen 
I        Schuttkeflel  sind  die  terrigenen  Sedimente  dieser  Periode  angehäuft.    Die  Eis- 
I        Zeiten  haben  dann  den  norwegischen  Schelf  noch  mit  glacialem  Blockmaterial 
i        überstreut;  auch  marine  Ablagerungen  kamen  dazu,  so  daß  der  Schelf  jeden- 
I        falls  an  Ausdehnung  seitdem  nicht  verlor.     Die  eigentliche  Entstehung  des 
I         Schelfes  fällt  also  vor  die  Eiszeit,  wahrscheinlich  in  die  Pliozänperiode.    Bis 
I        in  neueste  Zeiten  müssen  endlich  sehr  erhebliche  und  verschiedenartige  Niveau- 
I        änderungen  des  Meeres,  bald  ein  Steigen,  bald  ein  Fallen  des  Meeresspiegels, 
I         eingetreten  sein,  die  wir  hier  nicht  weiter  verfolgen  wollen.    Überblickt  man 
I         im  Anschlüsse  hieran  die  ähnlichen  Bildungen  in  den  hohem  Breiten  des  Nord- 
I         atlantischen  Ozeanes,  so  z.  B.  den  bekannten  Nordseeschelf,  den  Schelf  vor  dem 
[         Englischen  Kanäle  („die  Gründe"  vor  dem  Kanäle)  u.  s.  f.,  so  ist  hier  wie  dort 
,         nicht  ein  einheitliches  Agens  die  Ursache  für  deren  Entstehung  gewesen; 
I         mehrere  Faktoren  haben  in  vereinter  Wirkung  diese  interessanten  jlachsee« 
,         gebiete  geschaffen.    In  erster  Reihe  stehen  dabei  immer  die  subaerische  Erosion 
I         und  die  submarine  Denudation.    In  der  Annahme,  daß  diese  beiden  Kräfte  in 
Tätigkeit  gekommen  sind,  liegt  zugleich  die  Forderung  der  fernem  Aimahme, 
daß   bedeutende   Niveauanderungen,    vonsuasweise    marine    Strandverschie- 
bungen, damit  Hand  in  Hand  gegangen  sind.    Diese  Schelfe  von  Großbritannien 
und  Irland,  von  der  Westküste  Frankreichs,  von  den  Farör,  von  Island,  von 
Neufundland  und  wie  sie  alle  heißen  mögen,  sind  weder  lediglich  Produkte 
einer  Anhäufung  von  terrigenen  Sedimenten  des  angrenzenden  Festlandes, 
noch  lediglich  ein  Werk  der  brandenden  Meereswogen,  noch  lediglich  Auf- 
schüttungen glazialer  Art,  sondern  komplexe  Bildungen,  an  denen  cule  die  ge- 
nannten Faktoren  in  jeweils  verschiedenem  Grade,  ähnlich  wie  bei  dem  nor- 
wegischen Schelfe,  Anteil  schabt  haben.    Man  kennt  aus  den  neuem  Detail- 
ablotungen  des  Meeresgrundes  auf  den  Schelfen  eine  ganze  Reihe  von  wirklichen 
alten  Flufltälem,  wdche  heute  untermeerisch  sind;  deren  Gestalt  fordert  aber 
gebieterisch,  daß  sie  durch  das  fließende  Wasser  auf  einem  ehemals  festen 
Lande  zustande  gekommen  sein  müssen,  ähnlich  wie  auch  die  Fjorde  als  Täler 
präglazialer   Epochen   durch   die   mechanische   Arbeit  rinnender  Festlands- 
gewässer ihre  erste  Anlage  erhalten  haben  müssen.    Jedenft^  ist  es  unrichtig 
und  gegenüber  der  Vielheit  der  zu  berücksichtigenden  Unterschiede  im  einzelnen 
unzureichend,  mit  J.  Y.  Buchanan  diese  Schdfe  als  reines  Produkt  der  Bran- 
dungswoge auf  gegenwärtigem  Meeresniveau  anzusprechen." 


232  IHM  Meer. 

Die  physische  Geographie  des  nnnisehen  Meerbusens  bebandelt 
E.  F.  Ficcaxd  ^)  auf  Grund  der  hauptsächlichsten  vorhandenen  (be- 
sonders rassischen)  Literatur.  Die  Größenverhältniase  anbelangend, 
findet  er,  wenn  als  westUche  Grenze  die  gerade  Linie  Spithamn-Haogö 
Udd  angenommen  wird,  als  Areal  29  884  qkm,  als  größte  l^fe  113  ni, 
ak  mittlere  Tiefe  35.8  m  und  als  Volumen  1064  ckm. 

Das  Barenismeer  ist  1902  von  der  wissenschaftlichen  Murmsn- 
ezpedition  erforscht  worden,  und  Dr.  L.  Breitfuß  macht  über  die  be- 
züglichen hydrographischen  Arbeiten  Mitteilung.*)  Es  ei^bt  sich 
aus  den  angestellten  Untersuchungen,  daß  der  längs  der  norwegischai 
Westküste  laufende  Golfstrom  sich  in  etwa  72^  nördl.  Br.  teät.  Der 
Arm  mit  dem  Wasser  von  größtem  Salzgehalte  verfolgt  seinen  Weg 
nach  N,  geht  dem  Westufer  von  Spitzbergen  entlang  bis  zum  76.  oder 
77.  Parallel,  taucht  hier  unter  die  Oberfläche  und  erscheint  wieder  is 
einem  nicht  großen  Rayon  bei  der  Insel  Amsterdam  (etwa  79^  N). 
Diesen  ganzen  Unterwasserweg  von  ca.  120  Seemeilen  charakterisierl 
die  Eisfreiheit  des  Fahrwassers  im  Frühlinge.  Sie  ist  schon  von  altezs- 
her  bekannt  unter  dem  Namen  „Whalers  Bay",  d.  h.  WaUängerbadit 
Dabei  gibt  dieser  Arm,  auf  die  kontinentale  Stufe  Spitzbergent 
stoßend,  noch  einen  Nebenarm  ab,  der,  infolge  der  Erdumdrehui^ 
nach  0  neigend,  in  der  Bodenrinne  bis  zum  Stor-Fjord  lauft. 

Der  zweite  Hauptarm  lauft  in  der  Mulde  zwischen  Noidkap  und 
der  Bäreninsel,  sich  infolge  der  Erdumdrehung  nach  O  neigend,  ixe 
flache  Barentsmeer,  in  welches  er,  sich  fächerförmig  in  Nebenarme 
teilend  und  ausbreitend,  sich  ergießt  und  dabei  dem  Bodeniehef 
anpaßt.  Von  diesen  Nebenarmen  sind  am  deutlichsten  vier  eikemh 
bar,  unter  welchen  der  südlichste,  in  südöstücher  Richtung  laufoid, 
fast  parallel  der  Murmanküste  in  einer  Entfernung  von  nicht  m^ 
als  100  Seemeilen  (175  Werst)  sich  vor  den  beiden  nächsten  Zweigen 
durch  höhere  Temperatur  (im  Sommer)  und  geringem  Salzgehalt 
auszeichnet,  was  bedingt  wird  durch  die  Nähe  des  im  Sonuner  er- 
wärmten und  immer  etwas  süßer  gewordenen  kontinentalen  Wassers. 

Die  drei  andern  Arme  des  Nordkapstromes  werden  bald  van  der 
aus  O  und  NO  kommenden  kalten  Strömung  unkennüich  gemacht, 
sinken  in  die  Tiefe  und  vermischen  sich  mit  dem  arktischen  Wasser. 
Eine  kalte  Strömung  mit  einer  Temperatur  von  —  1.8°  läuft  längs 
der  Westküste  von  Nowaja-Semlja  von  S  nach  N  bis  zu  etwa  100  si 
Tiefe.  Was  das  Weiße  Meer  anbelangt,  so  ergibt  sich,  daß  in  den 
kesseiförmigen  und  verhältnismäßig  tiefen  Teilen  der  westlichen  Qälfte 
desselben,  welche  vom  Ozeane  durch  eine  sehr  flache  Barre  von  50  bis 
GOmTiefe,  die  „Gurgel*',  geschieden  sind,  die  untern  Schichten  im  Ver- 
laufe eines  großen  Teiles  des  Jahres  eine  sehr.niedrige  Temperatur  be- 


1)  EHaaertation  Kiel  1903. 

s)  Petermanns  Mitteil.  60.    p.  35. 


Das  Meer.  233 

sitzen,  welche  in^Anbetracht  ihres  geringen  Salzgehaltes  (30  Promille  S. 
für  die  untern  Schichten)  jahraus  jahrein  sehr  nahe  ihrem  absoluten 
Minimum,  ist.  Die  obem  Schichten  können  sich  dank  der  Insolation 
und  dem  großen  Zuströme  warmen  Süßwassers  sehr  stark  erwärmen. 

Ein  BUck  auf  die  schematiache  Karte  der  Verbreitung  der  Strö- 
mungen und  der  verschiedenen  Dichtigkeit  des  Wassers  im  Barents- 
meere  zeigt,  daß  das  Bett  der  Strömungen  und  der  Bassins  von 
Wasser  großer  Dichte,  streng  den  Mulden  und  Kesseln  des  Meeres- 
bodens entspricht.  „Wir  können  überall  konstatieren,  daß  das  atlan- 
tische Wasser,  bei  seinem  Ostlaufe  auf  die  Stufen  des  verhältnis- 
mäßig flachen  Barentsmeeres  stoßend,  sich  in  die  Binnen  drängt, 
welche  den  Boden  hauptsächlich  in  östlicher  und  nordöstlicher  Rich- 
tung durchfurchen,  und  seine  wohltätige  Wärme  über  das  ganze 
Meer  verteilt.  Daraus  müssen  wir  schließen,  daß  nach  dem  ursprüng- 
lichen und  Hauptfaktor,  nämlich  der  Umdrehung  der  Erde,  die 
einem  Teile  des  Golfstromes  auf  seinem  Wege  längs  der  Westküste 
Norwegens  eine  östUche  Richtung  gibt  und  ihn  zwingt,  die  Nordkap- 
strömung abzuzweigen,  wir  den  zweiten  Hauptfaktor,  der  nicht 
minder  wichtig  ist,  in  den  Mulden  zu  suchen  haben,  welche  das  Bett 
dieser  Strömungen  bilden.  Diese  Nordkapströmung  mit  ihren  Ver- 
zweigungen ist  in  ihrer  geographischen  Lage  ständig,  ebenso  be- 
ständig, wie  es  unsere  Flüsse  sind.  Änderungen  nach  der  Saison  sind 
nur  unterworfen:  die  Intensität  der  Strömung,  die  Höhe  der  Tem- 
peratur und  der  Grad  der  Konzentration  der  aufgelösten  Salze; 
Änderungen,  welche  freilich  nicht  so  sehr  von  den  örtlichen  Faktoren, 
als  vom  physischen  Charakter  des  Hauptgolfetromes  und  von  der 
Summe  der  Bedingungen  abhängen,  welcher  sie  unterworfen  sind 
sowohl  auf  dem  Tausende  von  Meilen  langen  Wege  von  seiner  Wiege 
fast  unter  dem  Äquator  bis  zu  unsem  polaren  Breiten,  wie  auch  im 
Mexikanischen  Meerbusen  selbst. 

Fehlten  diese  Mulden  auf  dem  Grunde  des  Barentsmeeres,  so 
würde  ein  größerer  Teil  des  atlantischen  Wassers  in  dem  Strombette 
längs  dem  Westufer  Spitzbergens  abfließen,  und  die  geringe  Menge 
warmen  Wassers,  welche  dank  der  Erdumdrehung  in  unser  Meer 
gelangte,  wäre  nicht  imstande,  uns  vor  einer  Vergletsoherung  zu  be- 
wahren, die  dem  nördlichen  Europa  das  Klima  geben  würde,  welches 
Grönland  besitzt.'* 

Ober  die  Strömungen  im  Mordmeere  verbreitete  sich  auf  Grund 
eigener  und  fremder  Forschungen  Johan  Hjort.  ^)  Hiemach  sind 
über  diese  Strömungen  jetzt  folgende  Vorstellungen  gewonnen:  In 
dem  großen  zentralen  Teile  des  Nordmeeres  ist  in  den  großen  Tiefen 
eine  gewaltige  Wassermasse  von  sehr  eintönigem  Charakter.  „Jedes- 
mal," sagt  Hjort,  „wenn  wir  im  Winter  oder  Sommer  aus  Tiefen  von 

^)  Zeitaohr.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  in  Berlin  1904.  p.  484. 


234  I>«8  Meer. 

1000  bis  3000  m  Waaaerpioben  Bammelten,  zeigten  dieee  gmaa  den- 
selben Salzgehalt  und  dieselbe  Temperatur.  Der  Salzgehalt  war 
durc  hschnittUch  34.93,  und  die  Variationen  überstiegen  nicht  0.03^/^ 
die  Temperatur  —1.1''  bis  1.2^ 

Aus  der  Homogenitat  dieser  Wassermasse  kann  man  mit  Sicher- 
heit schließen,  daß  sie  nur  sehr  geringe  Bewegung  hat.  Sie  ist  durch 
die  große  Bank  zwischen  der  Nordsee  und  Grönland  vom  AÜantiscbea 
Ozeane  abgeschlossen,  nach  Professor  Nansens  Auffassung  durch  eise 
ähnliche  Bank  zwischen  Spitzbergen  und  Grönland  von  dem  grofiea 
Polarmeere  getrennt. 

AhnUche  stülstehende  Wassermassen  haben  wir  in  unsem  nor- 
wegischen Fjorden  gefunden,  wo  große  Wassermengen  in  VertiefaiigBii 
hinter  den  Schwellen  der  Fjordmündungen  abgetrennt  werden,  und 
die  Stagnation  des  Wassers  sogar  zum  vollkommenen  Verschwiodeo 
des  Sauerstoffes  und  einer  Sättigung  mit  Schwefelwasserstoff  wie  im 
Schwarzen  Meere  führt.  Über  den  Ursprung  des  BodenwasaerB  des 
Nordmeeres  hat  Professor  Nansen  ausgedehnte  Untersuchungen  aih 
gestellt  und  ist  zu  dem  Ergebnisse  gekommen,  daß  es  nicht,  wie  mas 
früher  glaubte,  vom  Polanneere  herstammt,  sondern  im  NordmaeR 
selbst  gebildet  wird,  und  zwar  in  der  Gegend  zwischen  Jan  Mayen 
und  Spitzbergen,  wo  das  Bodenwasser  bis  an  die  Oberfläche  empor- 
steigt und  denselben  Salzgehalt  und  dieselbe  Temperatur  hat  wie  m 
Boden,  während  das  Wasser  des  Polarmeeres  und  des  ostgrÖDlandi- 
sehen  Polarstromes  andere  physikalische  Verhältnisse  zeigt. 

Während  wir  also  in  den  großen  Tiefen  stillstehendes  Wasser 
haben,  zeigen  uns  die  obem  Wasserschichten  und  das  Wasser  Ixs 
700  bis  800  m  Tiefe  große  Wechsel  und  Bewegungen.  Sehr  interessant 
ist  der  große  Einfluß  der  Form  des  Meeresbodens  auf  die  Ausdehnung 
der  Strömungen  aelbst  in  der  Oberfläche.  Dies  ist  besonders  länp 
des  Abhanges  der  norwegischen  Küstenbänke  erkennbar. 

Wir  haben  hier  im  Nordmeere  bekanntlich  bestimmte  große 
Strömungen,  den  Atlantischen  Strom,  den  Polarstrom  usw. 

Der  Atlantische  Strom  sendet  seine  Wassermassen  durch  dea 
Faröer-ShetlandkanaJ  in  das  Nordmeer  hinein,  zwei  Zweige  werdeo 
an  die  Nordsee  abgegeben;  die  Hauptmasse  aber  bewegt  sich  laop 
der  norwegischen  Küste,  bis  sie  sich  im  Norden  in  zwei  Teile  teilt, 
von  denen  einer  ins  Barentsmeer,  der  andere  längs  der  Westküste 
von  Spitzbergen  fließt.  Die  Geschwindigkeit  dieses  Stromes  wechselt 
zwischen  fünf  und  zehn  Seemeilen  in  24  Stunden.  Von  großem  Inter- 
esse ist  es,  daß  die  Geschwindigkeit  bis  zu  großen  Tiefen  dieselbe  ist 
Heiland-Nansens  Berechnungen  beweisen,  daß  das  Mazimiun  oft 
erst  in  100  bis  200  m  Tiefe  liegt;  es  ergibt  sich  hieraus,  welche  große 
Wassermassen  in  das  Nordmeer  hineingeführt  werden.  —  Mit  dem 
Atlantischen  Strome  kämpft  der  Polarstrom,  der  längs  der  Ostkuste 
Grönlands  an  den  Küsten  Islands  vorbei  südwärts  fließt.  Er  teilt 
sich  bekannthch  in  zwei  Zweige,  von  denen  der  eine  zwischen  WbjA 


Daa  Meer.  235 

i      und  GrönlaDd,  der  andere  längs  der  Ostküste  Islands  gegen  die 
\      Faröer  fließt. 

^  Es  ist  eine  alte  Frage,  ob  dieser  Polarstrom  im  Winter  den 

Atlantisohen  Strom  durchqueren  und  an  die  Küsten  Norwegens 

^      heranfließen  kann.     Durch  sehr  anstrengende  Fahrten  haben  wir 

während  der  Winteizeit  bis  zu  Jan  Mayen  und  Island  die  Strömungen 

L      untersucht  und  gefunden,  daß  der  warme  Atlantische  Strom  das 

t      ganze  Jahr  hindurch  den  östUchen  Teil  des  Nordmeeres  beherrscht. 

^      Das  hat  für  das  Verständnis  des  nordeuropäischen  Klimas  eine  große 

Bedeutung;  wir  haben  nämlich  gefunden,  daß  der  warme  Strom 

während  des  Winters  so  viel  Wärme  an  die  Atmosphäre  abgibt,  daß 

(      er  bis  zu  200  m  Tiefe  um  mehrere  Grade  kälter  wird.    Im  Sommer 

>       1900  war  der  Atlantische  Strom  etwa  2°  kälter  als  in  andern  Jahren, 

i      was  mit  einem  ungewöhnlich  kalten  Sommer  im  nördUchen  Norwegen 

(      zusammenfieL 

^  Wenn  die  Strömungen  deswegen  auch  im  großen  und  ganzen 

ihre  Richtung  behalten,  so  sind  doch  ihre  Variationen  von  der  größten 

Bedeutung.    So  fließt  im  Sommer  das  leichte  Küstenwasser  in  der 

Oberfläche  von  der  Küste  weg  und  führt  auch  eine  Menge  schwebender 

^      Küstentiere  mit,  die  wieder  im  Winter  wahrscheinlich  mit  dem  zurück- 

'       treibenden  Obeiflächenwasser  an  die  Küsten  zurückgeführt  werden. 

Wie  wir  im  Nordmeere  das  Gebiet  des  warmen  atlantischen 
Wassers  von  dem  Gebiete  des  kalten  Polarwassers  unterscheiden 
können,  so  gestaltet  sich  auch  im  Nordmeere,  diesen  Gebieten  ent- 
sprechend, das  Tierleben  sehr  verschieden.  In  den  großen  Tiefen 
des  zentralen  Teiles  haben  wir  eine  rein  arktische  Fauna,  die  ebenso 
wie  das  Bodenwasser  in  der  Gegend  von  Jan  Mayen,  Spitzbergen 
und  Ostgrönland  in  bedeutend  geringere  Tiefen  emporsteigt.  Auf 
der  großen  Tiefebene  selbst  ist  die  Individuenzahl  sehr  gering. 

Im  hohen  Norden  herrschen  Mischgebiete,  in  denen  sich  die 
arktische  Fauna  auch  mit  südlichem  Formen  mischt.  Vor  allem  gilt 
dies  von  dem  Barentsmeere  und  der  südlichen  Küste  von  Spitzbergen. 

Vollkommen  verschieden  von  diesen  arktischen  Gebieten  sind 
die  Regionen  der  norwegischen  und  isländischen  Küstenbänke  und 
Fjorde,  sowie  des  Rückens  zwischen  Großbritannien  und  Island. 
Wir  haben  hier  überall  den  Einfluß  des  atlantischen  Wassers.  Wir 
finden  hier  die  atlantischen  Formen,  von  denen  eine  große  Menge  in 
den  norwegischen  Küstenmeeren  vorkommt,  wenn  sie  auch  hier  all- 
mählich mit  borealen  oder  arktischen  Formen  gemischt  auftreten. 
Viel  schwieriger  ist  es,  den  Zusammenhang  zwischen  den  Meeres- 
strömungen und  den  schwebenden  Organismen  zu  erforschen.  Je 
tiefer  man  aber  hier  einzudringen  vermag,  um  so  viel  klarer  kann  man 
das  vielfältige  Vermögen  der  Organismen,  sich  an  die  sie  umgebenden 
Verhältnisse  anzupassen,  erkennen.** 


236  I>««  H«er. 

Verf.  verbreitet  sich  dann  eingehend  über  das  Auftreten  und  die 
Wanderungen  der  Seefische  im  Nordmeere,  besonders  des  so  wichtigen 
Dorsches,  worüber  auf  das  Original  verwiesen  werden  muß. 

Die  groBe  Eistrift  bei  der  NeufimdbuidbanlE  Im  Jahre  lOOS.    Im 

Frühlinge  jenes  Jahres  erschienen  die  arictischen  Treibeismaasen 
östUch  von  der  großen  Neufundlandbank  in  einer  so  großen  AnjjJil, 
wie  sie  seit  vielen  Jahren  nicht  gesehen  worden  war,  sodafisog^rdie 
vereinbarten  transatlantischen  Dampferwege  nicht  eingehalten  werdeo 
konnten.   Schon  am  2.  Februar  hatten  einlaufende  Küstenfahrer  nach 
St.  Johns  auf  Neufundland  die  Nachricht  gebracht,  daß  große  at- 
tische Eismassen  im  Antreiben  wären,  voraussichtlich  die  östliche 
Küste  Neufundlands  blockieren  und  sich  über  die  große  Bank  au»- 
breiten  würden.   Drei  Tage  spater  war  bereits  der  Hafen  von  St.  Johns 
vom  Eise  blockiert,  längs  der  ganzen  Küste  lagen  Packeistriften,  und 
das  Meer  war  voll  von  arktischem  Eise,  welches  mit  der  Labrador- 
Strömung  gegen  die  Dampferwege  hin  trieb.    Am  8.  März  eneichtai 
eine  ganze  Reihe  von  Eisbergen  den  46^  nördl.  Br.  rechts  an  der  Kante 
der  großen  Bank,  und  einige  Tage  früher  wurden  solche  schon  anter 
43^  westl.  L.  gesehen.    Professor  Gerhard  Schott  hat  dieser  meik- 
würdigen  Erscheinung  sogleich  seine  Aufmerksamkeit  gewidmet  und 
alles  bekannt  werdende  Material  darüber  gesammelt.  ^)    Nach  seiner 
Zusammenstellung  betrug  in  der  zweiten  Hälfte  des  März  die  tauche 
Trift  der  Eisberge  oder  die  Geschwindigkeit  des  Labradorstax^meB 
16  bis  16  Seemeilen.     Er  machte  damals  darauf  aufmerksam,  dafi 
das  Gros  des  Eises  im  Frühjahre  1903  reichlich  1  Breitengrad  sod- 
licher liege,  in  einzelnen  Bergen  nahezu  1^  Breitengrade  südlicher 
vorgedrungen  sei,  als  gewöhnlich  der  Fall  ist.     Dazu  komme  ab 
weiterer  gefährlicher  Umstand  das  auffällig  massenhafte  Auftreten. 
Einzelne  Dampfer  seien  tagelang  durch  Eisfelder  und  an  Eisbeigen 
vorbei  gefahren;  häufig  seien  „unabsehbare,  nach  Norden  sich  er- 
streckende Eisfelder'*  gemeldet.     Was  die  Größe  der  Eisberge  be- 
trifft, so  schwankten  die  Angaben  zwischen  ganz  kleinen  Eisbrockeo 
und  der  Dimension  100  m  Höhe  bei  600  m  Länge;  diese  letztem,  nur 
von  einem  Schiffe  gegebenen  Werte  sind  jedoch  nach  Prof.  Schott, 
zumal  was  die  Höhe  anlangt,  wohl  mit  einem  Fragezeichen  zu  m- 
sehen;  denn  man  überschätzt  bekanntlich  leicht  sowohl  den  Abstand 
von  einem  Objekte  wie  seine  Höhe,  und  Höhen  von  60  m  sind  selbst 
für    die    antarktischen    Eisbergriesen   ein    mittleres    Maximalmafi. 
Häufig  wurden  für  die  damaligen  Neufundlandeisberge  Höhen  von 
40  bis  100  Fuß,  also  rund  16  bis  35  m  angegeben. 

Nachdem  die  Eistrift  als  solche  nunmehr  vor  fast  einem  Jahrs 
ihr  Ende  erreicht  hat,  und  alles  zu  erwartende  Material  im  wesent- 
lichen eingelaufen  ist,  hat  Prof.  Schott  eine  genaue  Untersuchung 
derselben  und  eine  Studie  über  die  Wärmeverhältnisse  des  Meer- 

^)  Annalen  der  Hydrographie  1903.  p.  204. 


Das  Ifeer.  237 

Wassers  im  Jahre  1903  veroifentlioht,  die  zu  eben  so  interessanten 
als  wissenschaftlich  wichtigen  Ergebnissen  führte.  ^) 

Was  zunächst  die  Eisverbreitung  anbelangt,  so  erstreckte  sich 
nach  Prof.  Schotts  Untersuchungen  während  des  ganzen  April  die 
große  Eismasse  in  äußerst  kompaktem,  dichtem  Auftreten  und  un- 
unterbrochen bis  reichlich  41^  nördl.  Br.  südwärts  herab  längs  der 
Ostkante  der  Bank.  Im  April  1903  war  auf  den  unter  gewöhnhchen 
Umständen  gültigen,  vereinbarten  New-Yorker  Dampf erwegen  sowohl 
der  Ausreisen  wie  der  Heimreisen  noch  durchweg  so  viel  Eis,  daß  die 
Verlegung  dieser  Wege  nach  Süden  der  Sicherheit  halber  mit  Recht 
noch  für  den  ganzen  Monat  Mai  von  den  beteiligten  Dampfergesell- 
schaften aufrecht  erhalten  wurde. 

Die  Eisverhältnisse  des  Mai  1903  zeigten  eine  Besserung  in  der 
kritischen  Gegend,  d.  h.  an  der  Südostecke  der  Bank;  das  Treibeis 
war  seiner  Hauptmasse  nach  zeitweise  auf  dem  Rückzuge  insofern, 
als  sehr  südliche  Positionen  nur  noch  ausnahmsweise  vom  Eise 
erreicht  wurden.  Auf  rund  42°  nördL  Br.  und  nördUch  davon  stand 
zwischen  den  Meridianen  von  52  und  54°  westl.  L.  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Mai  eine  größere  Zahl  Eisberge,  desgleichen  an  der  Ost- 
kante der  Bank  selbst;  doch  bUeb  dies  Eis  hier  immerhin  vereinzelt. 
Die  Kemmasse  des  Eises  lag  im  Mai  auf  dem  nördlichen  Teile  der 
Bank,  die  Südgrenze  für  das  Oros  war  ungefähr  durch  den  Breiten- 
grad von  Kap  Race  gegeben;  das  Hauptphänomen  spielte  sich  also 
im  Mai  nicht  mehr  im  Südosten  der  Neufundlandbank,  sondern  im 
Südosten  Neufundlands  ab. 

Die  vorübergehende  Verminderung  des  Treibeises  in  der  Nähe  der 
New-  Yorker  Dampferwege  während  des  Monates  Mai  hielt  aber  nicht 
an;  im  Juni  1903  erfolgte  ein  zweiter,  wenn  auch  im  Vergleiche  mit 
den  Aprilverhältnissen  schwächerer  Vorstoß  des  Treibeises  wieder 
sehr  weit  nach  Süden,  bis  nach  41^  nördl.  Br.  unter  49  bis  48^  westl.  L. 

Die  Vorposten  dieses  zweiten  Nachschubes  waren  nach  Professor 
Schott  bereits  Anfang  Mai  1903  auf  der  Höhe  von  St.  Johns  er- 
schienen. Am  5.  Mai  in  St.  Johns  einkommende  Schiffe  hatten  ge- 
meldet, daß  ungeheuere  Eisfelder  über  die  Bank  südwärts  trieben, 
daß  die  ganze  Nordküste  Neufundlands  durch  Eis  blockiert  sei,  und 
zahllose  Eisberge  dort  mit  der  Strömung  südwärts  zögen.  Die 
tägUche  Geschwindigkeit  betrug  vielleicht  13  Seemeilen,  also  etwas 
weniger  als  bei  der  ersten  Trift  im  März. 

Während  der  Monate  Juli  und  August  1903  beschränkte  sich  das 
Eisvorkommen  (ähnlich  wie  im  Mai)  auf  die  nördlichsten  Teile  der 
Bank.  Die  Belle-Islestraße  wurde  erst  am  4.  Juli  1903  passierbar, 
war  am  9.  Juli  fast  eisfrei,  doch  erschienen  schon  von  Mitte  Juli  ab 
wieder  sehr  viele  Berge  vor  der  Straße,  welche  zum  Teile  in  dieselbe 
eindringen  konnten,  so  daß  die  Schiffahrt  von  neuem  daselbst  sehr 

1)  Annalen  der  Hydrographie  1004.  p.  277. 


Das  If Mr. 

behindert  war.  Diese  Gegend  ist  überiiaupt  in  der  SaiwMi  190) 
niemab  ganz  eisfrei  geworden. 

Was  nun  die  Wärmeverhaltnisse  des  Meerwaasers  im  Jahro  1903 
anbelangt,  so  findet  Prof.  Schott  aus  der  soigfitttigen  Profong  dn 
ganzen  vorhandenen  Materiaks,  daß  schon  im  Januar  1903,  als  noek 
keine  Spur  von  Eis  anf  den  Schiffahrtslinien  in  Sidit  war,  das  Waanr 
mit  Ausnahme  des  schmalen  Streifens  zwischen  amerikanischer  Knito 
und  66^  westl.  L.  durchweg  über  die  ganze  Breite  des  OzeaneB  bin 
bis  nach  Europa  zu  kalt  war,  um  1  bis  3^  in  der  westlichen,  um  Oi 
bis  1^  zu  kalt  in  der  östlichen  Hälfte.  „Darauf  folgte,  und  zwar  tob 
Februar  bis  Ende  April  hin  eine  sehr  regelmäßige  Zunahme  derA» 
breitung  eines  Temperaturüberschusses  schrittweise  von  Westeo 
nach  Osten  in  dem  Sinne,  daß  die  anfanglich  negative  Tempentoi- 
anomalie  allmählich  bis  nach  90°  westl.  L.  ( i)  in  eine  solche  mit  poa- 
üvem  Vorzeichen  überging,  und  zwar  war  stete  zwischen  70  and 
W  westL  L.,  also  dort,  wo  die  Schiffe  im  stärksten  Striche  da»  Golf- 
stoomes  sich  befinden,  der  Betrag  dieser  positiven  Abweichung  an 
größten,  so  daß  man  den  Eindruck  erhält,  daß  der  Golfstrom  in 
Frühjahre  1903  eine  über  sein  durchschnittliches  Maß  hinausgoheode 
thermische  Energie  entwickelt  hat.  Wohlgemerkt,  fällt  dieser  WiRM- 
vorstoß  in  die  Zeit  der  ersten  gewaltigen  Eistrift.  Dieser  Periode 
des  Vordringens  der  Wärme  folgte  dann  vom  Mai  bis  Juni,  d.  h.  is 
Frühsommer,  als  die  zweite  Eistrift  sehr  mächtig  war,  ein  ebenio 
entschiedener  Rückgang  der  positiven  Temperaturanomalie  auf  dtf 
ganzen  westUchen  Hälfte  der  Wege  (lediglich  zwischen  05  und  70' 
westL  L.  blieb  das  Wasser  zu  warm),  und  diese  nunmehr  wieder  deo 
Ozean  in  seiner  gesamten  Breitenausdehnung  umfassende  abnon» 
Abkühlung  blieb  in  bewundernswerter  Konstanz  bis  Ende  September 
erhalten.  Während  dieses  Zeitraumes  war  die  Abkühlung  meisteoi 
am  größten  zwischen  60  und  45^  westL  L. ;  in  der  nahem  und  mteco 
Umgebung  der  Neufundlandbank  und  auch  südlich  davon  im  Coli- 
Stromgebiete  war  damals  das  Meerwasser  um  durchschnittUch  ¥^ 
kalt.  Auch  für  die  europäische  Seite  des  Ozeanes  kann  man  viel- 
leicht eine  allerdings  geringe  Steigerung  des  Wärmedefizits  feft- 
stellen,  denn  das  Wasser  war  im  Sommer  1903  daselbst  im  Mittel  os 
mehr  ab  1^,  stellenweise  und  zeitweise  um  nahezu  2^  zu  kalt. 

Eine  dritte  und  letzte  Periode  von  einem  WärmecharakteTi  dtf 
dem  des  Sommers  entgegengesetzt  ist,  aber  dem  des  Frühlingei  ent- 
spricht, begann  endlich  mit  Ende  September,  Anfang  Oktober  1903 
und  hielt  bis  Ausgang  des  Jahres  an ;  die  Flächeneinheiten  mit  Winne- 
überschuß  auf  der  amerikanischen  Hälfte  des  Ozeanes  eifahien  von 
neuem  eine  Vermehrung  auf  Kosten  derjenigen  mit  Wärmemaog^ 
so  daß  schließlich  im  Dezember  die  geographische  Ausbreitung  dtf 
positiven  und  negativen  Wärmeanomalie  sich  die  Wage  hielt '^ 

Prof.  Schott  widmet  der  Umgebung  der  Neufundlandbank  etf» 
spezielle  Untersuchung  bezüglich  der  thermischen  Wirkung  des  &- 


Das  Meer.  239 

Vorkommens  und  wendet  sich  dann  zu  den  Ursachen  der  besondem 
Wanneverhältnisse  des  Jahres  1903.  Dieser  Teil  seiner  Untersuchung 
ist  der  interessanteste  imd  wichtigste,  und  er  möge  deshalb  hier  voll- 
standig  wiedergegeben  werden.    Prof.  Schott  sagt: 

„Suchen  wir  aus  den  vorstehenden  Betrachtungen  im  Eünblicke 
auf  die  ganz  ungewöhnlichen  Mengen  von  Treibeis  und  Eisbergen  des 
Jahres  1903  allgemeine  Gesichtspunkte  über  die  Ursachen  und  ther- 
mische Bedeutung  eines  solchen  Naturphänomens  zu  gewinnen,  so 
ist  es  wohl  sicher,  daß  die  Wärmeverhältnisse  des  Oberflächenwassers 
im  Nordatlantischen  Ozeane  im  Jahre  1903  unter  dem  Einflüsse 
mindestens  zweier  bestimmender  Faktoren  gestanden  haben.  Das 
Vorhandensein  der  großen  Eismassen  ist  von  nicht  zu  vernach- 
lässigendem, wenn  auch  wohl  lokalem  Einflüsse  gewesen  —  es  soll 
davon  erst  an  zweiter  Stelle  die  Rede  sein.  Ein  viel  wichtigerer  und 
grundlegender  Faktor  ist  aber  nach  meiner  Überzeugung  in  allge- 
meinen, vorwiegend  wohl  als  Intensitätsänderungen  zu  charakteri- 
sierenden Schwankungen  zu  erbUcken,  denen  die  zwei  großen  Strö- 
mungen, der  Golfstrom  sowohl  als  auch  der  Labradorstrom,  unter- 
worfen gewesen  sein  müssen.  Es  sind  dies  also  Einflüsse,  die  mit  dem 
Eisvorkommen  nichts  zu  tun  haben,  deren  Ursprungsgebiet  vielmehr 
lokal  sehr  weitab  von  den  hier  betrachteten  Meeresgegenden  liegen 
kann  und  wahrscheinlich  wirklich  entfernt  gewesen  ist,  es  sind  Ein- 
flüsse von  weitreichender  und  anhaltender  Wirkimg  auch  auf  das 
Klima  der  betroffenen  Gebiete.  Das  Thema  der  unperiodischen 
großen  Schwankungen  der  ozeanographischen  und  meteorologischen 
Werte  über  dem  nördhchen  Nordatlantischen  Ozeane  und  ihrer  Be- 
deutimg im  besondem  für  das  Klima  von  Westeuropa  ist  ja  seit 
Petterssone  erster  Abhandlung,  der  sich  Arbeiten  von  Dickson, 
Meinardus  u.  a.  anschlössen,  nicht  von  der  wissenschaftlichen  Tages- 
ordnung verschwimden;  die  G^dankenfolge,  welche  dabei  in  Betracht 
kommt,  mag,  obschon  sie  Fachmeteorologen  geläufig  ist,  hier  unter 
Benutzung  der  klaren  Ausführungen  von  Meinardus  angedeutet  sein. 
„Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  Geschwindigkeit  des  Golfstromes, 
seine  Wärmeführung  und  Oberflächentemperatur,  die  relative  Tiefe 
der  barometrischen  Minima,  die  Stärke  und  Richtung  der  vor- 
herrschenden Luftströmungen  über  ihm  wenigstens  in  der  kalten 
Jahreszeit  auf  das  engste  miteinander  verknüpft  sind,  und  zwar  in 
der  Weise,  daß  diese  Elemente  eine  in  sich  geschlossene  Kette  von 
Ursachen  und  Wirkungen  darstellen.  Denn  ein  jedes  dieser  Elemente 
wird  von  dem  vor  ihm  genannten  beeinflußt,  und  das  erste  ist  von 
dem  letzten  abhängig.  Wird  nämUch  aus  irgend  einem  Grunde  die 
Geschwindigkeit  des  Golfstromes  z.  B.  über  das  normale  Maß  ver- 
größert, so  wird  die  Wärmezufuhr  aus  südlichen  Breiten  vermehrt, 
es  wächst  dis  Temperatur,  d.  h.  es  entsteht  eine  positive  Temperatur- 
abweichung von  der  normalen.  Eine  positive  Temperaturabweichung 
hat  eine  Vertiefung  des  isländischen  Luftdruckminimums  und  wahr- 


240  Dm  Mew. 

scheinlich  auch  eine  Vertiefung  der  ganzen  Luftdruckfurche,  vekfae 
sich  über  daa  Nordmeer  erstreckt,  zur  Folge.  Einer  abnormen  Tiefe 
des  Luftdruckes  über  dem  Meere  entspricht  eine  höhere  Windge- 
schwindigkeit über  dem  Golfstrome.  Eine  Folge  der  starkem  Laft- 
bewegung  ist  eine  Beschleunigung  der  Meeresströmung,  zumal  warn 
die  Richtung  des  Windes,  wie  es  tatsachlich  hier  der  Fall,  mit  der 
Richtung  des  Golf  Stromes  zusammenfällt.  Eine  Beschleunigung  der 
Wasserbewegung  aus  Süden  und  Südwesten  entspricht  aber  vieder 
einer  vermehrten  Wärmezufuhr,  und  so  fort. 

Eine  einmal  eingeleitete  Störung  des  Gleichgewichtszustandes 
wird  sich  also  selbst  zu  erhalten  streben,  und  es  ist  möglieb,  weoB 
auch  sehr  schwer  zahlenmäßig  zu  beweisen,  daß  wir  diesem  Systeme 
sich  selbst  induzierender  Kräfte  die  Konstanz  des  Sinnes  der  Tem- 
peraturabweichung  des  Golfstromes  mehrere  Monate  hindurch  zon- 
schreiben  haben.  Natürhch  findet  dieser  Vorgang  ein  Ende,  wm 
von  außen  her  Einwirkungen  sich  geltend  machen,  welche  jcDea 
Kräften  mit  Erfolg  entgegenarbeiten.  Das  kann  z.  B.  dadurch  ge- 
schehen, daß  die  Geschwindigkeit  der  kalten  Polarströmungen  ZQ- 
ninunt,  welche  östlich  von  Neufundland  als  Labradorstrom  und  öst- 
Uch  von  Island  als  Abzweigung  der  ostgrönländischen  Strömung  den 
Golfstrome  in  die  Flanken  fallen  und  seine  TemperaturverhältnisBe 
beeinflussen. 

Eine  abnorme  Zunahme  der  Geschwindigkeit  des  Labrador- 
stromes  ist  aber  gerade  in  solchen  Wintern  wahrscheinUch,  weon 
auch  der  Golfstrom  und  die  Winde  über  ihm  eine  größere  Geechwm* 
digkeit  haben.  Denn  da  die  nordwestUchen  Winde,  welche  an  der 
Küste  Labradors  wehen,  durch  eine  Vertiefung  des  isländischen  \ai 
westgrönländischen  Minimums  ebenso  verstärkt  werden,  wie  die  sod- 
westUchen  Winde  vor  den  Küsten  Europas,  so  wird  mit  ihnen  aocb 
die  Labradorströmung  beschleunigt.  Es  scheint  mir  nicht  m^ 
geschlossen  zu  sein,  daß  der  Labradorstrom  in  solchen  Fällen  dem 
Golfstrome,  welchen  er  östUch  Neufundlands  trifft,  eine  nega^^ 
Temperaturabweichung  gibt,  welche  aber  erst  nach  Verlauf  &B/6 
halben  Jahres  in  den  nordwesteuropäischen  Meeren  zur  Geltanf 
kommen  würde.  Die  Folge  davon  würde  dann  das  Auslösen  eioes 
entgegengesetzt  wirkenden  Kreislaufes  von  Kräften  sein,  wie  er  obes 
geschildert  wurde." 

Die  hier  von  Meinardus  vorgetragenen  Schlußfolgen  sind  Jk 
einleuchtend  und  zwingend,  wenn  schon  über  die  relative  Bedeutang 
der  einzelnen  bestimmenden  Elemente  keine  bestimmten  Anffi^ 
gemacht  werden  köimen.  Viel  mißUcher  aber  in  HinbUck  auf  deo 
naheliegenden  Wunsch,  ein  wirkUches  Beispiel  solchen  ZusanuneD* 
Wirkens  der  ozeanographischen  und  meteorologischen  Faktoren  vor- 
zuführen, ist  die  Schwierigkeit,  ja  nahezu  UnmögUchkeit,  anzugiebeiL 
was  im  einzelnen  Falle  Ursache,  was  Wirkung  ist,  d.  h.  wo  der  Aus- 
gangspunkt der  primären  uni>eriodischen  Abweichungen  getegeOi  ^ 


i 


Dm  lie«r.  241 

wann  er  zuerst  wirksam  geworden.  Da  aafierdem  noch  für  eine  nicht 
absehbare  Zukunft  der  Versuch  nutzlos  erscheint,  synoptische  Karten 
der  Stromversetzungen  zu  entwerfen,  sofern  man  solche  Karten  mit 
Karten  der  durcfaschnitiUchen  Stromzustande  vergleichen  will,  da 
femer  die  synoptischen  Wetterkarten  für  das  Jahr  1909  erst  in  etwa 
vier  Jahren  vorUegen  werden,  und  die  provisorischen  Angaben  in  den 
»^Internationalen  Dekadenberichten"  für  unsem  Zweck  nicht  ge- 
nügen, so  ist  es  jetzt  nicht  mögUch,  speziell  auf  das  Jahr  1903  eine 
Anwendung  dieser  oben  wiedergegebenen  Gesichtspunkte  zu  ver- 
suchen. Es  kann  nur  die  Wahrscheinlichkeit  folgender  Zusammen- 
hange behauptet  werden. 

In  Übereinstimmung  mit  dem  dargestellten  Wärmegange  hat 
der  Golfstrom  im  Frühjahre  1903,  nachdem  im  Vorwinter  1902/03 
eine  Schwächung  desselben  vorgelegen  hat,  einen  sehr  energischen 
Vorstoß  nach  Osten  bis  zur  Mitte  des  Ozeanes  gemacht  unter  Ver- 
mehrung seines  Wärmeinhaltes  und  unter  Vergrößerung  seiner  Ge- 
schwindigkeit. Dieser  Vorstoß  hat  seinerseits  Veranlassung  gegeben 
zu  einer  Verstärkung  des  kalten  Labradorstromes.  Man  karm  darin 
nach  dem  Gesetze  der  Kompensationsbewegungen  einen  unmittelbar 
bedingten,  also  lediglich  ozeanographischen  Vorgang  sehen,  man 
kann  aber  auch,  wie  dies  Meinardus  vorsieht,  den  Umweg  und  dife 
Einschaltung  der  Mitwirkung  der  meteondogiBchen  Glieder  wählen; 
das  Endergebnis,  wekhes  mir  ganz  sicher  erscheint,  wird  immer 
dasselbe  sein,  daß  nämlich  in  der  Tat  durch  eine  größere  Geschwindig- 
keit des  Golfstromes  eine  größere  Geschwindigkeit  des  seitlich  ein- 
fallenden Labradorstromes  ausgelöst  wird,  und  zwar  wird  ein  gewisser 
zeitlicher  Spielraum  notwendig  sein,  bis  die  Intensitätsvermehrung 
des  Labraderstromes  zur  allgemeinen  Erscheinung  wird.  Aus  dieser 
Auffassung  folgt  weiter,  daß  die  abnorme  Eistrift  des  Jahres  1903 
durch  eine  im  Spätwinter  1902/03  und  Frühjahre  1903  eingetretene 
besonders  starke  OoHsttomtnit,  wenn  auch  natürhch  nicht  allein 
verursacht,  so  doch  sicher  sehr  begünstigt  worden  sein  dürfte.  Ein 
starkes  Fließen  dee  Golfstromes  auf  der  amerikanischen  Hälfte  des 
Ozeanes  wird  immer  nach  gewisser  Zeit  die  Neigung  zu  vermehrtem 
Fließen  des  Labradorstromes  und  damit  in  den  Monaten,  in  denen 
überhaupt  Eis  treibt,  die  Wahrscheinlichkeit  für  ein  weit  südliches 
Vordringen  des  Neufundlandeises  herbeiführen. 

Der  Labradorstrom  seinerseits  hat,  wenigstens  auf  der  Neufund- 
landbank und  deren  weiterer  Umgebung  auch  über  dem  tief^i  Wasser, 
die  Sachlage  beherrscht  vom  Mai  bis  zum  August  1903  einschließUch ; 
und  von  September  ab  ist  dann  der  im  Sommer  zum  mindesten 
thermisch  zurückgedrängte  Golfstrom  wieder  in  seine  alten  Rechte 
getreten.  So  weit  lassen  sich  aus  großen,  allgemeinen  Schwankungen 
der  Wasserbewegungen  die  Wärmeverhähnisse  des  Jahres  1903  er« 
klaren,  und  es  ist  sogar  notwendig,  anzunehmen,  daß  hierdurch  der 
Orundton  des  gesamten  Wärmeganges  gegeben  gewesen  ist,  auch 

Klein,  Jahrbnoh  XV.  16 


242  I>u  Heer. 

wenn  es  zu  Eistriften  dabei  gar  nicht  gekommen  wäre.  Denn  da 
wiederholt  betonte  Umstand,  daß  die  negative  Wärmeanonuüie  ent 
Tom  Mai  ab  in  der  Neufundlandgegend  eint^tt,  während  das  fii 
doch  schon  seit  Februar  in  großen  Massen  dort  lagerte,  der  UmsUod 
ferner,  daß  die  negative  Wärmeanomalie  bis  nach  Europa  herüber 
schon  im  Januar  vorhanden  war,  lehrt  doch  sofort,  daß  das  Eis  ak 
solches  nicht  die  allererste  Ursache  für  die  Eigenheiten  der  Tempen- 
turen  im  Jahre  1903  gewesen  sein  kann.  Wir  schließen  vieimebr. 
wie  oben  ausgeführt  ist,  in  umgekehrter  Weise,  daß  das  Eis  nklit 
Ursache,  sondern  zunächst  nur  eine  Folge,  nur  eine  BegleiteischeiniDK 
der  abnormen  Wärmeverhältnisse  und  der  Stromändenmgen  g^ 
wesen  ist. 

Die  Stromänderungen  ihrerseits  sind  zweifellos  durch  die  Wind- 
verhältnisse, letztere  wieder  durch  die  Luftdruckverteilung  bestimiti 
gewesen;  wie  schon  oben  angedeutet,  werden  wir  hierin  erst  nsdi 
einigen  Jahren  klar  sehen,  wenn  die  synoptischen  Wetterkarten  des 
Nordatlantischen  Ozeanes  für  1903  fertig  vorliegen,  wobei  die  Beob- 
achtungen gerade  der  Stationen  von  Labrador,  Grönland,  IslaiKi  wv 
unentbehrlich  sind.  Höchstwahrscheinlich  haben  im  Winter  1902^03 
und  Frühjahre  1903  über  dem  Gebiete  des  Labradorstromes  vtir- 
wiegend  Nordwest-  und  Nordwinde  geweht,  über  dem  Gebiete  d» 
Gol&tromes  Süd-,  Südwest-  und  Westwinde,  also  Winde,  dieis 
beiden  Fällen  Anlaß  zu  einer  Beschleunigung  der  Strömimg  ^ 
damit  auch  zu  schärferer  Ausprägung  der  ihnen  eigentümüdMO 
Wärmeverhältnisse  gegeben  haben  werden. 

Es  sind  diese  Angaben  nicht  lediglich  Vermutungen;  denn  eitf 
Untersuchung  über  die  Treibeisgrenzen  in  den  NeufundlandgewisKn 
der  Jahre  1880  bis  1891  zeigt  im  besondem  für  die  Jahre  1881  vd 
1884,  die  hinsichtlich  der  Eismengen  grundverschieden  waren,  <1^ 
auch  die  vorwiegenden  Winde  dieser  zwei  Jahre  in  den  entsprechend« 
Monaten  (Januar  bis  April)  ungemein  verschieden  waren,  ja  fasteot- 
gegengesetzte  Richtungen  hatten.  Das  eisarme  Jahr  1881  br«di^ 
nämlich  im  Labradorstromgebiete  ganz  vorwiegend  östliche  ^ 
nordöstliche  Winde  (mit  Ausnahme  des  Februar),  im  Golfetrofli' 
gebiete  nördliche  und  nordwesüiche  Winde,  fast  gar  keine  südhcli^ 
Winde  (wiederum  mit  Ausnahme  des  Februar);  das  sehr  eisreicv 
Jahr  1884  dagegen  —  mit  welchem  das  Jahr  1903  zu  vergl^chea 
wäre  —  zeigte  über  dem  Labradorstrome  nahezu  ausschließlich  Koro- 
und  Nordwestwinde,  über  dem  Golfstrome  aber  vorherrschen» 
West-,  Südwest-  und  Südwinde.  Diesen  durchgreifenden  Pfl^' 
schied  in  der  allgemeinen  Richtung  der  Luftbewegung  der  Monftt^ 
Dezember  1880  bis  April  1881  einerseits  und  der  Monate  Desember 
1880  bis  April  1884  anderseits  erhält  man  bei  einer  auf  Grand  der 
tägUchen  synoptischen  Wetterkarten  des  Nordatlantischen  0»^ 
vorgenommenen  Auszählung  der  beobachteten,  bzw.  abgeleiteten 
Windrichtungen.    Noch  klarer  und  einfacher  fast  ergibt  sich  di6«r 


Dm  Meer.  243 

Unterschied  aus  einem  Vergleiche  der  den  eben  erwähnten  Karten 
beigefügten  mittlem  Monatsisobaren,  indem  man  nach  dem  Vorgänge 
von  Meinardus  und  Brennecke  aus  diesen  Isobaren  die  mittlere  Zirku- 
lationsrichtung der  Luft  ableitet.  Im  eisarmen  Winter  und  Früh- 
jahre 1881  lag  —  immer  mit  Ausnahme  des  Februar  —  das  nord- 
atlantische  Luftdruckminimum  vergleichsweise  sehr  weit  südlich, 
auf  45°  nördl.  Br.,  ja  sogar  in  der  Nähe  der  Azoren,  und  anderseits 
so  weit  westlich  wie  die  Ostküste  von  Neufundland;  im  eisreichen 
Winter  und  Frühjahre  1884  aber  finden  wir  das  Zentrum  der  De- 
pressionen fast  immer  bei  Kap  FareweU  und  bei  Island,  zeitweise  in 
einer  flachen  Rinne  nach  S W  bis  zur  Ostküste  der  Vereinigten  Staaten 
ausgreifend.  Aus  all  diesem  geht  hervor,  daß  die  Luftdruckverteilung 
schließlich  auch  für  die  Eisverbreitung  in  der  Nähe  der  Neufund- 
Icmdbank  von  maßgebendem  Einflüsse  wird,  wie  dies  Brennecke 
an  einem  andern  Beispiele,  an  der  Lage  der  Eisgrenze  zwischen  Grön- 
land, Island  und  Spitzbergen  in  den  verschiedenen  Jahren,  klar  nach- 
gewiesen hat.  —  Nebenbei  sei  bemerkt,  daß  auffälligerweise  das  Jahr 
1881,  welches  ganz  ungewöhnlich  eisarm  auf  der  Neufundlandseite 
gewesen  ist,  im  Nordosten  des  Atlantischen  Ozeanes,  also  zwischen 
Island  und  Spitzbergen,  sehr  eisreich  sich  gezeigt  hat,  und  daß  in 
entsprechender  Weise  das  im  Westen,  d.  h.  bei  Neufundland,  sehr 
eisreiche  Jahr  1884  ein  eisarmes  für  den  Nordosten,  für  Island  und 
Spitzbergen  gewesen  ist.  In  einer  besondem  Untersuchung  wird 
demnächst  festgestellt  werden,  ob  regelmäßig  solch  gegensätzliches 
Verhalten  hinsichtlich  der  relativen  Eismenge  zwischen  den  bezeich- 
neten zwei  Meeresgebieten  besteht  oder  nicht.  Auch  die  Abhängigkeit 
des  Eisreichtumes  oder  der  Eisarmut  von  Strom,  Wind,  Luftdruck  in 
der  Neufimdlandgegend  sollte  für  eine  längere  Periode  klargestellt 
werden;  hier  konnte  nur  auf  die  Jahre  1881  und  1884  hingewiesen 
werden,  um  das  Typische  der  Verhältnisse  festzulegen. 

Die  vorstehenden  Darlegungen  sollen  nun  keineswegs  aus- 
schließen, daß  im  Jahre  1903  das  Eis  als  solches  die  Temperaturen 
des  Meerwassers  auch  beeinflußt  hat;  es  muß  gewiß  ursächlich,  und 
zwar  als  zweiter  Faktor,  bei  der  Erklärung  der  besondem  Wärme- 
verhältnisse des  Ozeanes  im  Jahre  1903  auch  herangezogen  werden. 
Aber  die  Hauptfrage  ist  dabei  diejenige  nach  der  regionalen  und  zeit- 
Uchen  Begrenzung  speziell  dieses  Einflusses  des  Eisvorkommens. 
Wenn  wir  uns  vergegenwärtigen,  daß  das  Eis  schon  vom  Monate  März 
ab  bis  Juli  einschUeßUch  die  Schiffahrtswege  in  der  Neufundland- 
gegend belästigt  hat,  daß  die  dort  seit  Februar  bestehende  positive 
Temperaturanomalie  aber  erst  vom  Mai  ab  verschwindet,  so  hat  das 
ELb,  dessen  thermischer  Einfluß  mit  in  den  allgemeinen  ther- 
mischen Änderungen  aufgegangen  ist,  etwa  zwei  Monate  gebraucht, 
bis  seine  Wirkung  offensichtUch  wurde;  diese  thermische  Wirkung 
wird  dann  anderseits  im  Herbste  auch  etwa  zwei  Monate  länger  be- 
standen haben,  nachdem  das  Eis  als  solches  schon  verschwunden 

16* 


244  Dm  Mmt. 

war.  Wir  kommen  damit  zu  dem  Schliuse,  dafi  eine  direkte  Beön- 
fliueung  der  Waaaertemperatur  durch  das  Eis  im  Bereiche  der  dbq- 
fundlandiechen  Gewaaser  für  die  Monate  Mai  bis  September  1903  ein- 
aehUeSlich  wahrscheinlich  stattgefunden  hat;  sichere  Bewuae  für 
eine  solche  Beeinflussung  einzelner  Gebiete  sind  die  Falle,  in  denen 
in  den  Monaten  von  Mai  bis  August  ein  vom  normalen  jahiüchai 
Temperaturgange  abweichender  Temperaturgang  festgßstdlt  ist.  - 
Zugleich  ergibt  sich,  dafl  weder  im  Sommer  1903,  in  welchem  froheitetf 
die  Eiswirkung  zur  europaischen  Küste  gelangt  sein  könnte,  noch  in 
Herbste  1003  eine  Ausdehnung  dieses  thermischen  Einflumw  der 
Eisberge  bis  herüber  nach  Europa  sich  bemerkbar  gemacht  hst;  die 
für  die  Langm  36  bis  5^  W  mitgeteilten  Abweichungen  vom  normiln 
jährlichen  Temperaturveriaufe  fallen  samtlich  in  das  Frühjahr.  Esirt 
somit  nicht  anzunehmen,  daß  das  Eis  des  Jahres  1903  ab  soldies  ugood 
eine  unmittelbare  Wii^ung  auf  die  WärmeverhahniaBe  Westeorop» 
im  Jahre  1903  ausgeübt  hat;  eine  solche  Wirkung  blieb  vielmehr  sof  die 
Neufundlandgegend  beschrankt  und  zeigte  sich  auch  in  der  fetit- 
gelaunten  Gegend  nur  zeitweise  in  den  Monaten  Mai  bis  September. 
Eine  sok)he  Einschränkung  der  Bedeutung  des  EisvorkomineDS 
für  die  Meerestemperatur  dürfte  auch  d«i  Anschauungen  der  nsati- 
soben,  praktischen  Kreise  entsprechen.  Sribst  in  den  Neufundland- 
gewäflsem  macht  sich  die  vom  Eise  bedingte  Abkühlung  nur  ent 
einer  besondem  Unt^soehung  bMierkbar,  wekhe  die  normaleD 
Wette  und  den  normalen  jährlich^a  Gang  zum  Ver^^eidie  heranxiebt 
Im  übrigen  ist  auch  im  Jahre  1903  die  alte  Erfabmng  bestätigt 
worden»  daß  das  Eis  im  Nebel  keineswegs  mit  irgend  einer  Sicfaeitot 
durch  ein  unvermitteltes  und  unverkennbares  FaUen  dw  Waastf" 
iMftperatur  angezeigt  wird;  zahlreiche  Fälle  sind  gemeldet,  in  denen 
gewaltige  Eiemassen  ringsum  waren,  ohne  daß  vor-  und  nachher 
erhebliche  Ändwungen  dar  Wasserwarme  zur  Beobachtung  gelangtea. 
andenmts  ebenso  viele  Falle,  in  denen  bei  klarem  Wetter  weit  uod 
breit  kein  Eis  zn  sdien  war,  und  doch  riesige  und  plötzliche  Tempera- 
tuxsprünge  eintraten.  Die  ozeanographisehen  Verhältnisse  li^ 
eben,  zumal  bei  der  Neufundlandl>ank,  zu  verwickelt,  als  daß  man  bei 
dickem  Wetter  iigMid  eine  einwandfreie,  sidMie  Warnung  voit  E» 
aua  den  Waeseftemperaturen  edialten  oder  ableiten  konnte.  If 
hesondwn  ist  der  meist  i^tzliche  Tenperatnnrückgang,  den  alle  die 
konventionellen  Wege  benuteenden  Dampier  zu  allon  JahresseitcB 
zwischen  52  und  48°  westL  L.,  besonders  unter  60  oder  49"^  weetL  U 
beebachtwa,  nfeögen  sie  westwärts  oder  ostwärts  bestimmt  sein,  eine 
feststehende  ozeanographische  Erscheinung,,  die  mit  dem  Eise  ah 
solchem  nichts  zu  tun  hat.  Aufmerksamkeit  bei  den  Schiffirfohitf^ 
erwecken  und  räie  leise  Mahnung  zu  vermehrter  Vorsicht  gahefi 
sollten  Temperatuarsprünge  aber  dann,  wenn  sie  anfieriuJb  der  eben 
bezeiehneten  Langratgrade  in  Gegenden  auftreten,  die  nach  soastlges 
Erfahrungen  Eisberge  oder  Treibeis  gelegentHch  führen.'' 


Dm  Meer.  245 

Das  Tiefenstromsystem  des  StUlen  Oieanes  und  die  Entstehung 
der  Kalifornienströmung  besprach  8.  E.  Bishop  im  zweiten  Sep- 
temberhefte von  „Science'\  Er  führt  letztere  auf  die  antarktische 
Tiefenströmung  zurück,  statt  sie  als  Fortsetzung  des  Kuro-shiwo 
anzusehen.  Letzteres  könne  aus  zwei  Gründen  nicht  sein.  Der 
Kuro-shiwo  breitet  sich  aus,  yerliert  infolgedessen  an  Mächtigkeit 
und  kann  an  der  amerikanischen  Küste  nicht  als  starker  Strom  er- 
scheinen. Femer  ist  der  Kalifomienstrom  zu  kalt.  Wenn  er  die 
Wassermassen  des  Kuro-shiwo  weiterführte,  so  folgte  aus  der  Ge- 
schwindigkeit, daß  der  Kuro-shiwo  der  starke  Strom  geblieben  ist. 
Dann  müßte  er  sich  aber  die  Wärme  erhalten  haben. 

Eine  aus  der  Antarktis  stammende  ungeheuere  Wassermasse  von 
nur  1.6^  füllt  die  Tiefen  des  Stillen  Ozeanes.    Während  im  Atlanti- 
(         sehen  Ozeane  kalte  Tiefseeströmungen  auch  aus  der  Arktis  zum 
^         Äquator  fließen,  sich  hier  mit  den  antarktischen  Massen  stauen  und 
s         an  die  Oberfläche  steigen,  fehlt  dem  Stillen  Ozeane  bei  seiner  fast 
I         völligen  Abgeschlossenheit  g^;en  das  nördliche  Eismeer  dieser  Zufluß 
aus  dem  Norden.    Es  unterbleibt  der  gegenseitige  Auftrieb,  und  der 
i        antarktische  Tiefenstrom,  der  bei  der  großen  Front  des  Ozeanes 
1         gegen  das  südliche  Eismeer  sehr  mächtig  ist,  fließt  weiter  nach 
(         Norden,  wobei  er  durch  die  Erdrotation  nach  Osten  abgelenkt  und 
(         gegen  den  amerikanischen  Kontinent  gedrängt  wird.    Zugleich  ver- 
größert er  auch  seine  Geschwindigkeit,  da  der  Querschnitt,  den  er 
I         durchfließt,  nach  Norden  immer  kleiner  wird.    Durch  fortdauernden 
[         Nachschub  verstärkt,  muß  der  Tiefenstrom  sich  aber  einen  Ausweg 
!         suchen. 

f  In  der  Höhe  von  Vancouver  setzt  nun  der  kalte,  starke  KaU- 

fomienstrom  ein,  und  Bishop  schUeßt  aus  seinen  Ausführungen,  daß 

es  nur  das  Wasser  des  antarktischen  Tiefenstromes  sein  kann,  das 

I         hier  an  die  Oberfläche  tritt,  um  dann  auf  das  Klima  der  Westküste 

I         der  Union  seinen  bedeutsamen  Einfluß  auszuüben.      Unter  dem 

I         30.  Breitengrade  biegt  der  Kalifomienstrom  nach  SW  ab  und  fügt 

t         sich  in  die  Äquatorialströmung  des  NO-Passates  ein.    Bemerkt  sei 

[         noch,  daß  Bishop  selbst  auf  die  Notwendigkeit,  seine  Theorie  durch 

Lotungen  und  Messungen  zu  prüfen,  hinweist. 

Die  Beziehungen  zwischen  der  Luftdruckverteilung  und  den  Eis- 
verhältnissen des  Ostgröniftndisehen  Meeres  sind  von  W.  Brennecke 
untersucht  worden.  ^)  Während  in  günstigen  Jahren  die  Umsegelung 
Spitzbergens  und  der  Zugang  zur  grönländischen  Küste  keine  Schwie- 
rigkeiten bietet,  ist  in  eisreichen  Jahren  Spitzbergen  vollständig  von 
Eismassen  umgeben;  das  Erreichen  der  ostgrönläjidischen  Küste  ist 
für  die  Schiffe  oft  unmöghch,  und  mächtige  Eisfelder  halten  den 
Sommer  hindurch  die  Nord-,  Ost-  und  zu  Zeiten  auch  die  Südküste 


^)  Aimalen  d.  Hydrographie  SS.  p.  49. 


246  I>»  Ubbt. 

Islands  besetzt.  Diese  wechselnden  Eisverhaltnisse  beeinfhiaaeii 
unzweifelhaft  die  Temperatur  des  Ostgrönländischen  Meeres,  da  ean 
großer  Teil  des  Eises  hier  infolge  der  Wärme  der  Luft  und  der  von 
Süden  kommenden  Strömungen  geschmolzen  wird;  in  eiareichen 
Jahren  wird  die  Temperatur  des  Meeres  durch  den  Schmelzproxefi 
erheblich  mehr  erniedrigt  werden  wie  in  eisarmen  Jahren.  Dem- 
zufolge wird  sich  auch  ein  Einfluß  auf  die  Witterung  der  dieae  Meere 
begrenzenden  Festländer  wahrscheinlich  bemerkbar  machen.  Gleich- 
zeitig ist  aber  anzunehmen,  daß  der  größere  oder  geringere  Transport 
Ton  Eis  nach  südlichem  Gegenden  veranlaßt  ist  durch  Schwankungoi 
in  der  Luftdruckverteilung  über  dem  Grönländischen  Meere,  da 
durch  dieselbe  die  Richtung  und  Stärke  der  Winde  beding  wird, 
welche  eine  Ausdehnung  des  Eises  entweder  begünstigen  oder  Ter- 
hindem. 

Diese  Beziehungen  zwischen  der  Luftdruckverteilung  und  den 
Eisverhältnissen  des  Ostgrönländischen  Meeres  und  den  Zusammen- 
hang außerordentUch  eisreicher  oder  eisarmer  Jahre  mit  einer  nega- 
tiven oder  positiven  Temperaturanomalie  Islands  und  des  nördlichea 
Europa  festzustellen,  war  der  Zweck  der  Untersuchung.  Schon  eine 
bloße  Übersicht  der  Eisverhältnisse  in  den  Jahren  1877  bis  1896  lehrt, 
daß  die  Eisgrenze  sich  in  den  einzelnen  Jahren  um  Hunderte  von 
Seemeilen  westöstUch  verschieben  kann.  Es  handelte  sich  nun 
dämm,  aus  der  Gesamtzahl  der  Eisjahre  diejenigen,  welche  sich  ent* 
weder  durch  außerordentlichen  Eisreichtum  oder  durch  außeigewöhn- 
liehe  Eisarmut  auszeichneten,  mit  Sicherheit  zu  sondern.  Hierbei 
war  zu  unterscheiden,  daß  die  Eisverhältnisse  im  Norden  und  Süden 
des  Meeres  zwischen  Spitzbergen  und  Island  oft  verschieden  sind, 
daß  also  ein  Eisjahr  für  Island  ungünstig  sein  kann,  während  die 
Eisgrenze  nördlich  von  Island  normal  ist,  und  umgekehrt.  £s  hat 
sich  aber  ergeben,  daß  außergewöhnlich  ungünstige  Eisverhältnisse 
im  Ostgrönländischen  Meere  sich  auch  stets  bei  Island  bemerkbar 
machen. 

Demgemäß  hat  Verf.  als  außergewöhnlich  eisreiche  Jahre  einer- 
seits diejenigen  angesehen,  in  welchen  das  Eis  im  Frühlinge  oder 
Sommer  bis  zur  Südküste  Islands  vorgedrungen  ist,  wie  1881  und 
1888,  anderseits  diejenigen,  in  welchen  Jan  Mayen  noch  im  Juni 
oder  Juli  dicht  besetzt  von  Eis  war,  d.  h.  die  Eisgrenze  östlich  von 
Jan  Mayen  verlief  wie  1881,  1882  und  1891.  Als  außergewöhnlich 
eisarme  Jahre  hat  er  diejenigen  ausgewählt,  in  welchen  bei  Island 
fast  gar  kein  Eis  gesehen  worden  ist,  und  auch  keine  Berichte  über 
anomale  Eismassen  im  Ostgrönländischen  Meere  vorlagen;  es  sind 
dieses  die  Jahre  1884  und  1889. 

„Der  Transport  des  Eises  ist  abhängig  von  den  Strömungen, 
welche  ihrerseits  bedingt  sind  durch  die  Tiefenverhältmsse  des  Meeies, 
die  Konfiguration  der  Festländer,  durch  Kompensation,  durch  Dich- 
tigkeitsunterschiede und  in  der  Hauptsache  durch  die  Strömungen 


Das  Meer.  247 

der  Atmosphäre,  die  Winde.  Die  beiden  erstem  Faktoren  sind  wegen 
ihrer  relativen  Unveränderlichkeit  auszuschließen,  auch  kann  die 
Kompensation  vernachlässigt  werden.  Es  sind  also  nur  die  Schwan- 
kungen in  den  Dichtigkeitsverhältnissen  des  Meeres  und  in  den  Strö- 
mungen der  Atmosphäre  in  Betracht  zu  ziehen.  Die  Dichtigkeits- 
verhältnisse sind  abhängig  von  der  Temperatur  und  dem  Salzgehalte 
des  Wassers,  welche  beide  in  den  verschiedenen  Jahren  erhebUch 
variieren  können,  jedoch  kann  die  Ursache  für  diese  großen  jährlichen 
Änderungen  nur  in  den  Strömungen  selbst  gefunden  werden.  Es 
ergibt  sich  demnach,  daß  als  einzig  zu  berücksichtigender  Faktor 
für  die  Änderungen  der  Strömungsverhältnisse  nur  Änderungen  in 
den  Strömungen  der  Atmosphäre  —  den  Windverhältnissen  —  in 
'        Betracht  kommen. 

Der  Einfluß  des  Windes  auf  die  Bewegung  des  Eises  wird  von 
allen  Polarf ahrem  betont,  und  aus  der  Erfahrung,  welche  die  Führer 
der  von  ELb  besetzten  Schiffe  gemacht  haben,  geht  mit  Sicherheit 
^  hervor,  daß  die  lokale  Grenze  des  Eises  einzig  und  allein  durch  den 
^  Wind  bestimmt  wird.  So  kann  ein  Sturm,  welcher  in  jenen  Gegenden 
'  oft  mehrere  Tage  hindurch  aus  derselben  Richtung  weht,  große  Ver- 
'  änderungen  in  der  Lage  der  einzelnen  Eisfelder  hervorrufen  imd 
^        freies  Fahrwasser  schaffen,  wo  vorher  dichtes  Packeis  sich  ausdehnte, 

'        und  umgekehrt 

'  Den  großen  Einfluß  der  Luftdruckverteilung  auf  die  Meeres- 

'       Strömungen  erkennen  wir  sofort,  wenn  wir  die  Strömunggkarte  des 

I        Nordatlantischen  Ozeanes  mit  einer  Isobarenkarte  vergleichen.  Wir 

sehen  den  Golfstrom  unter  dem  Einflüsse  südwestUcher  Winde,  welche 

(        bedingt  werden  durch  die  sich  von  Neufundland  über  Island  bis  zum 

(        Nordkap  erstreckende  Luftdruckfurche,  in  das  Nördliche  Eismeer 

i        eintreten,  während  anderseits  nördliche  Winde  den  Polarstrom  an 

der  Westseite  der  Depression  entlang  dem  Süden  zuführen.    Wenn 

f        wir  auch  die  sonstigen  Ursachen,  wie  Erdrotation,  Kompensation, 

t        Dichtigkeitsunterschiede  und  anderes  nicht  übersehen  dürfen,   so 

zeigt  der  Vergleich  der  Strömungs-  und  Luftdruckkarten  doch  eine 

I         solch  hervorragende  X)bereinstimmung,  daß  wir  den  Luftströmungen 

I        den  Hauptanteil  an  der  Erzeugung  dieser  Meeresströmungen  zu- 

!         schreiben  können. 

Die  Wirkung  der  Luftströmungen  auf  die  Meeresströmung  muß 
sich  noch  verstärken,  wenn  die  Oberfläche  des  Meeres  mit  Eisschollen 
und  -bergen  bedeckt  ist,  da  die  Angriffsfläche  der  Kraft  vergrößert 
wird,  indem  jede  Unebenheit  als  Segel  wirkt.  Demgemäß  werden 
Schwankungen  in  den  Windverhältnissen  auf  einem  eisbedeckten, 
nicht  durch  Küsten  eingeengten  Meere  auch  leichter  Veränderungen 
in  den  Oberflächenströmungen  herbeiführen  wie  unter  gewöhnlichen 
Verhältnissen. 

Diese  Tatsache,  daß  sich  periodische  Schwankungen  in  der  Luf  t- 
druckverteilung  auch  in  der  Intensität  der  Meeresströmungen  be- 


248  IHM  Heer. 

merkbar  machen,  veratjurkt  dia  Auasicht,  auch  die  gröfiere  oder  gs- 
ringeie  Ausbreitung  dee  Polaieisea  im  Ostgronländischen  Meeie  auf 
Änderungen  der  LuftdruckTerteilung  über  diesem  Gebiete  zoräd- 
zuf  Uhren,  wenn  dieselben  Ungece  Zeit  hindurch  in  damaelben  Sime 
andauern/' 

Die  Untersuchung  im  einzelnen,  bezüglich  deren  auf  das  Oiigiiul 
verwieaen  werden  muß,  bestätigt  dies,  und  Verf.  g^ht  dann  zur  Unter- 
suchung der  TempM'aturverhaltnisse  der  Luft  und  des  Meeres  in  da 
ungewöhnlich  eisreicben  und  eisarmen  Jahren  über.  Die  Ergsbni» 
seiner  Arbeit  faßt  er  in  folgende  Sätze  zusammen: 

I.  Die  Lage  der  Eisgrenze  im  Sommer  zwischen  Spitzberg^ 
Grönland  und  Island  ist  abhangig  von  der  Größe  des  Luftdiock- 
gradienten  zwischen  Grönland  und  Nordskandinavien  in  den  Mensten 
März  bis  Mai. 

II.  Als  Ursache  der  anomal  großen  LuftdruckdifCerenz  GroDland- 
Nordskandinavien,  welche  eine  Ausbreitung  des  Eiees  herbeiführt, 
kann  einerseits  die  Vertiefung  des  bei  Nordskandinavien  befindliches 
Minimums,  anderseits  die  Verstaricung  des  grönlandischen  Hochdnick- 
gebietes  angesehen  werden. 

III.  Von  Einfluß  auf  die  Lage  der  Eisgrenze  im  Ostgronlandiflcbeo 
Meere  ist  auch  die  Größe  des  Gradienten  zwischen  Grönland  und 
Nordskandinavien  in  den  Wintermonaten;  jedoch  ist  sie  dies  erst  in 
zweiter  Linie. 

rV.  In  den  ungemein  eisreichen  Jahren  zeigt  sich  eine  Herab- 
setzung der  Oberflächentemperatur  dee  Ostgrönländiechen  Meeies 
und  der  Lufttemperatur  auf  Island  und  im  nördlichen  Europa  (Miii 
bis  Mai),  während  in  den  eisarmen  Jahren  die  Temperatur  stets  bobta 
ist  wie  in  normalen  Jahren. 

Die  Meeresströmungen  im  Golfe  von  Guinea  schilderte  Dr. 
E.  Wendt^)  auf  Grund  des  zurzeit  vorhandenen  Beobachtungs- 
materiales.  Es  sind  drei  große  Strömungen :  die  Guineaströmung,  die 
Benguelaströmung  und  die  Südatiantische  ÄquatoriaLströmong. 

Die  Guineaströmung  entsendet  zu  jeder  Jahreszeit  einen  östlidien  Arm 
in  den  Qolf  hinein,  der  inf <dgo  der  seitlichen  Einengung  duroh  das  Featlaoo 
seine  Geschwindigkeit  vermehrt ;  die  südafrikanische  setzt  in  nördliohflr  o» 
nordwestlicher  Richtung  in  den  Golf  hinein.  Im  Innern  der  Bucht  treffen  »ob 
beide  Strömungen,  und  manchmal  gewinnt  die  eine,  manchmal  die  andere^ 
Oberhand.  Unterscheiden  kann  man  beide  außer  an  der  Richtung  auch  an  <Kr 
Temperatur,  Farbe  und  Durchsichtigkeit  ihres  Wassers.  Die  Guineastsomnog 
ist  eine  warme,  die  Benguelaströmung  eine  von  Süd  kommende,  mithin  k«!^ 
Strömung ;  die  erstere  zeichnet  sich  durch  dunkelblaue  Farbe  und  Klarheit  bs^ 
die  letztere  hat  graugrüne  Färbung  und  geringere  Durchsichtigkeit 

Auf  einigen  Karten  findet  man  den  Benguelastrom  als  längs  der  Küste  hio 
bis  zum  Äquator  setzend  gezeichnet,  auf  andern  Karten  wieder,  z.  B.  in  dem 
von  der  deutschen  Seewarte  herausgegebenen  „Atlas  des  AÜantisoh«!  Ose*n^ 

1)  Annalen  d.  Hydrographie  9t  p.  209. 


Das  Meer.  249 

in  der  eceten  Auflage,  setzt  ein  Auriftufer  des  Guineastromes  weit  die  Käste 
enUang  nach  Süden.  Beide  Darstellungen  sind  falsch.  Nach  Pechuel-Loesche» 
der  diese  Verhältnisae  auf  seiner  Loaogoezpedition  eingehead  studiert  hat, 
reicht  die  Landnahe  des  Benguelastcomes  im  aUgemeinen  nur  bis  zum  Kuilu 
(4Vt^  n>dl.  Br.)  und  zeitweise  seUwt  nicht  einmal  bis  hier  hin,  von  da  ab  wendet 
er  sich  immer  mehr  vom  Lande  weg  in  nordwestlicher  Richtung,  seiner  Aufgabe 
ak  Kompensationastrom  Folge  leistend  und  beeinflußt  durch  die  Erdrotation. 
Häufig  wird  er  durch  eine  südliche  Strömung  von  tiefblauer  Farbe  und  höherer 
Temperatur  von  der  Küste  abgedrängt,  offenbar  eine  Fortsetzung  des  Guinea- 
stromes, welche  für  gewöhnlii^  bis  Kap  Matuti  (3^/2®  südL  Br.),  häuüg  bis  zum 
Kuilu  und  mitunter  sogar  über  die  Mündung  des  Kongo  hiaausreicht.  Wenn 
dieser  Strom  setzt,  steigt  die  Temperatur  des  Wassers;  die  Farbe,  die  vorher 
graugrün  war,  wird  duxikelblau ;  die  Gegenstände,  die  sonst  mit  der  Strömung 
nach  Norden  trieben,  nehmen  nun  ihren  Weg  nach  Süden,  die  mündenden 
Flüsse,  deren  Gewässer  bei  der  sonst  herrschenden  Strömung  sich  hauptsächlich 
nach  Norden  ausbreiteten,  werden  nun  nach  Süden  abgelenkt,  und  es  erscheinen 
Meeresbewohner,  die  sonst  nicht  in  jener  Gegend  vorkommen.  Was  diese 
Beobachtungen  Pechuel-Loesches  lehren,  wird  im  großen  und  ganzen  durch 
SchifÜBversetzungen  und  Flaschenposten  bestätigt. 

Über  die  durchschnittliche  Lage  des  Benguelastromes  und  der  im  Golfe 
harschenden  Strömungen  überiiaupt  werden  am  besten  die  beiden  Strom- 
karten Aufschluß  geben,  durch  welche  die  Wissenschaft  in  neuester  Zeit  be- 
reichert worden  ist.  Die  eine  derselben  rührt  von  Prof.  Dr.  Schott  her,  der  sie 
dem  von  ihm  bearbeiteten  ersten  Bande  des  „Valdivia'^-Werkes  beigefügt  hat, 
leider  aber  ohne  Angabe  des  zu  ihrem  Entwürfe  benutzten  Materiales.  Die 
andere  verdanken  wir  Prof.  Krümmel,  sie  ist  in  dem  von  der  Deutschen  See- 
warte tn  zweite  Auflage  herausgegebenen  „Atlas  des  Atlantischen  Ozeanes*' 
enthalten  und  hat  das  gesammelte  Beobachtungsmaterial  der  Deutschen  See- 
warte zur  Grundlage.  Auf  beiden  Karten  findet  man  Darstellungen  der 
Strömungen  im  äquatorialen  Teile  des  Atlantischen  Ozeanes,  eine  für  den  Nord- 
winter und  eine  für  den  Nordsommer.  Nach  der  Schottschen  Karte  sendet  der 
Benguelastrom  sogar  schon  bei  Kap  Frio  entsprechend  seinem  frühem  Verlaufe 
an  der  südwestafrikanischen  Küste  und  durch  die  Rotation  der  Erde  nach  links 
abgelenkt,  seine  Hauptwassermassen  in  nordwestlicher  Richtung  in  den  Ozean. 
Im  Nordsommer  setzt  die  Benguelaströmung  auch  weiter  nordwärts  ablandig, 
im  nördlichen  Winter  aber  gehen  einige  Ausläufer  in  nördliche  Richtung,  zum 
Teile  auf  die  Küste  zu.  Nachdem  die  nördlichen  Teile  der  Benguelaströmung 
ihr  Wasser  an  der  Tropensonne  erwärmt  und  den  Äquator  überschritten  haben, 
biegen  sie  nach  Ost  um,  während  des  Nordwinters  in  schwächerm,  während  des 
Nordsommers  in  stärkerm  Maße,  und  folgen  dem  Guineastrom,  der  die  Bucht 
von  Biafra  bis  zur  östlichen  Küste  hin  durchsetzt.  Die  Krümmeische  Dar- 
stellung unterscheidet  sich  von  der  Schottschen  in  mehrfacher  Beziehung.  Der 
Benguelastrom  setzt  stets  als  kalter  Strom  bis  nach  Loanda  hinauf  von  der 
Küste  fort  in  nordnordwestlicher  bis  nordwestlicher  Richtung  in  den  Ozean 
hinein;  der  warme  Guineastrom  hing^;en  biegt  in  der  Bucht  von  Biafra  nach 
Süden  und  zum  größtenTeüe  weiter  nach  Südwesten  und  Westen  in  die  Richtung 
der  Benguelaströmung  um  und  entsendet  einen  ganz  schmalen,  im  Nordsommer 
etwas  breitern  Arm  längs  der  afrikam'schen  Küste  nach  Süden  bis  nach  etwa 
30  südl.  Br.  hin. 

Es  ist  schwer,  aus  diesen  sich  zum  Teile  widersprechenden  Darstellungen 
das  Richtige  auszuwählen. 

Dr.  E.  Wendt  bemerkt,  daß  diese  Strömungsverhältnisse  im  östlichen  und 
nordöstlichen  Teile  des  Golfes  so  überaus  wechselreich  sind,  daß  man  vielleicht 
gar  nicht  von  einem  mittlem  Zustande  sprechen  könne.  Er  zeigt  speziell  an 
einigen  Beispielen  den  wechselnden  Erfolg,  mit  welchem  Guinea-  und  Benguela- 
strömung miteinander  ringen.  Seine  Anschauungen  faßt  er  wie  folgt  zusammen : 
„Bei  Kap  Palmas  und  weiter  östlich  bis  zur  Mitte  des  Golfes  hin  setzt  der 


250  Dm  Meer. 

Guineestrom  zu  allen  Jahreszeiten  mit  großer  Kraft  und  Beständigkeit.  In 
der  östlichen  Hälfte  des  Golfes  aber  ist  er  so  verachiedenartig  und  unregelmäfiig 
ausgebildet,  daß  man  kaum  von  einem  mittlem  Zustande  der  Strömungen  wird 
sprechen  dürfen.  Mitunter  ergießt  er  seine  blauen  Geirasser  mit  noBer  Ge- 
schwindigkeit lanss  der  Küste  von  Obeiguinea  ostwärts  bis  zur  Bu<dit  von 
Biafra  und  entsendet  bei  besonders  starker  Ausbildung  südostiiche  und  eiidliche 
Auslaufer  die  Küste  von  Niedeiguinea  entlang,  oder  es  werden  die  von  ihm 
herangetragenen  Wassermassen  in  der  Bucht  von  Biafra  durch  sädweetlidie 
Winde  aufgestaut.  Aber  weder  der  erstere  (Krnmmelsche  Karte),  noch  der 
letztere  Zustand  (Schottsche  Karte)  ist  als  der  mittlere  anzusehen,  vielmehr 
stellt  jeder  von  ihnen  nur  einen  (besonders  im  nördlichen  Sommer)  hanfiger 
wiederkdirenden  Typ  im  weohs^vollen  Spiele  der  Strömungen  dar.  Selbst 
bei  kräftiger,  noch  mehr  aber  bei  schwächerer  Entwicklung  des  Guineastztnnei 
zeigen  siä  auf  östlicher  Länge,  vor  allem  in  der  Nähe  der  Koste,  westÜcfae 
durch  verschiedene  Faktoren  (Winde,  Gezeiten,  Dünung,  Flußwaeser)  be- 
dingte Gegenströmungen.  Häufiger  setzt  der  Guineastrom  nördlich  in  die 
Budit  von  Benin  hinein.  Dieselbe  Mannigfaltigkeit  der  Strömungen  smgt  wk 
an  der  Küste  von  Niederguinea,  wo  sich  manchmal  Ausläufer  des  Benguds- 
stromes  weit  nach  Norden  (bis  in  die  nördlichen  TeUe  der  Bucht  von  Biafra) 
manchmal  Ausläufer  des  Guineastromes  weit  nach  Süden  (bis  zum  Kongo)  er- 
strecken. Im  südwestlichen  Teile  des  Golfes  setzt  dagegen  die  Bengoela- 
strömung,  bzw.  die  südatlantische  Äquatorialströmung  mit  großer  Beständigkeit 
in  west-  bis  nordwestlicher  Richtung." 

Die  niederl&ndische  Tiefoeeezpeditioii  der  ,,Siboga<<  in  die  Ge- 
wässer des  hinterindischen  Archipels.  Dieselbe  begann  am  7.  Man 
1899  und  endigte  am  27.  Februar  1900.  Über  die  Ergebnisse  der- 
selben sind  wissenschaftliche  Berichte  von  Prof.  M.  Weber  und 
F-Kapitän  G.  F.  Tydeman  veröffentlicht  worden,  und  Prof.  Dr. 
G.  Schott  gibt  davon  einen  kritischen  Auszug,  ^)  dem  das  Nachf  olgendf 
entnommen  ist. 

Ausgangs-  und  Endpunkt  war  Surabaja.  Eine  dem  wissenschaft- 
lichen Werke  von  Tydeman  beigegebene  Kurskarte  in  dem  Maßstabe 
1  :  3  000  000  läßt  die  sehr  vielenKreuz-  und  Querfahrten  der  „Siboga" 
deutlich  erkennen.  Die  Fahrt  ging  zunächst  nach  der  Lombok-  und 
der  Aliasstraße,  dann  zur  Savusee,  von  dort  nordwärts  zur  Maluissar- 
Straße  in  die  Celebessee,  ostwärts  bis  nach  Djilolo  und  der  Westküste 
Neuguineas;  hierauf  wandte  die  „Siboga"  sich  wieder  westwärts  nach 
Ceram  zur  Manipastraße  zwischen  Ceram  und  Buru,  nach  Amboina 
und  über  die  Sulainseln  nach  Buton  an  der  Südostseite  von  Celebes 
und  nach  Saleyer.  Von  da  wurde  die  Bandasee  wiederum,  aber  auf 
Ostkurs,  durchquert  und  bis  zu  den  Key-  und  Aruinseln  im  Osten 
vorgedrungen.  Der  letzte  Teil  der  Untersuchungsfahrten  galt  der 
Südostküste  von  Timor,  von  wo  man,  an  der  Südküste  von  Flores, 
an  der  Nordküste  Sumbawas  entlang  gehend,  Surabaya  wieder  er- 
reichte. Der  Reisebericht  Webers  enthält  viele  geographische,  geo- 
logische und  biologische  Ausführungen  von  besonderm  Interesse,  ohne 
daß  hierauf  an  dieser  Stelle  eingegangen  werden  kann.    Wie  schon 

1)  Annalen  d.  Hydrographie  S2.  p.  97. 


Das  Meer.  251 

die  nur  in  großen  Zügen  angegebene  Reiseroute  vermuten  läßt,  ist 
eine  sehr  große  ZaM  von  Inseln  und  Inselchen  jener  Tropenwelt  be- 
sucht worden,  die  zum  Teile  nur  sehr  selten,  zum  Teile  noch  nie  eine 
selbst  karge  Beschreibung  erfahren  haben. 

Über  die  allgemeinen,  bei  der  Befahrung  des  östUchen  Teiles  des 
Archipels  in  Betracht  kommenden  Gesichtspunkte  spricht  sich  Tyde- 
man  wie  folgt  aus.  Obschon  die  Seekarte  des  ostindischen  Archipels 
östlich  von  Celebes  fast  ganz,  westhch  von  Gelebes  zu  einem  großen 
Teile  noch  aus  einer  Kompilation  flüchtiger  Beobachtungen  imd  ein- 
zelner Daten  besteht,  so  darf  doch  die  Schiffahrt  in  den  Hauptfahr- 
wassem  und  in  den  gebräuchlichsten  Durchfahrten  nicht  für  so  ge- 
fährlich erklärt  werden  (wenigstens  für  Dampfer),  als  es  noch  hier 
und  da  wohl  geschieht.  Es  ist,  wenn  man  von  der  unmittelbaren 
Nachbarschaft  der  vielen  Inseln  und  dem  Innern  mancher  Kanäle 
absieht,  nicht  wahrscheinUch,  daß  in  diesen  Crewässem,  deren  Tiefen 
beträchtliche  sind,  und  die  im  Laufe  der  Jahrhunderte  schon  viel 
befahren  worden  sind,  noch  viele  unbekannte  Gefahren  vorhanden 
sind.  Anderseits  ist  es  aber  wahrscheinUch,  daß  die  Positionen,  die 
für  einige  der  isolierten  gefährlichen  Untiefen  in  den  Seekarten  ge- 
geben sind,  noch  mehr  oder  weniger  ungenau  sind. 

Ein  Umstand,  von  dem  die  Navigierung  in  diesem  östlichen 
Teile  des  Archipels  nahezu  überall  Nutzen  zieht,  ist  die  große  Durch- 
sichtigkeit des  Wassers,  öfters  sah  man  den  Grund  bei  18  bis  22  m 
(10  bis  12  Faden)  Tiefe  deuthch,  manchmal  sogar  bei  Mondschein. 
Dunkle  Flecken  des  Grundes  wurden  nicht  selten  noch  bei  27  m 
(15  Faden)  gesehen.  Eine  Ausnahme  in  dieser  Beziehung  bilden  die 
an  die  Westküste  Neuguineas  grenzenden  Grewässer,  wo  muddiger 
Grund  über  größere  Flächen  sich  ausbreitet. 

Was  die  Kenntnis  der  Strömungen  anbelangt,  so  bestätigen  die 
in  dieser  Hinsicht  erlangten  Beobachtungen  die  Regeln,  daß  das 
Oberflächenwasser  der  vorwiegenden  Richtung  des  Monsuns  folgt, 
daß  die  Gezeitenströmungen  im  allgemeinen  eine  mäßige  Geschwindig- 
keit haben,  in  Durchfahrten  aber  und  Straßen  sehr  stark  werden 
können.  Für  die  Kenntnis  der  Bewegungen  der  tiefem  Schichten 
brachten  die  häufigen  Tiefseearbeiten,  besonders  die  Fischereien, 
mancherlei  Anhalt.  Meist  ist  das  Wasser  der  offenen  See  in  den 
100  oder  160  m  überschreitenden  Tiefen  unbewegt,  dagegen  zeigen 
die  Schichten  von  0  bis  100,  150  tn  in  den  meisten  Fällen  deutUches 
Strömen.  Wahrscheinlich  reicht  bis  zu  dieser  Tiefe  die  Wirkung  des 
Gezeitenphänomens ;  es  würde  diese  Annahme  gut  zu  den  Temperatur- 
beobachtungen stimmen,  die  im  Archipel  in  den  entsprechenden 
Tiefen  gemacht  wurden.  In  der  obem  Schicht  bis  etwa  100  m  nimmt 
die  Wasserwärme  nur  sehr  wenig  und  l€mgsam  ab,  dann  aber  schnell. 

Häufig  genug  kamen  auch  erhebliche  Abweichungen  von  diesem 
einfachen  Schema  vor;  so  konnte  man  z.  B.  in  der  Manipastraße 
(zwischen  Buru  und  Ceram)  feststellen,  daß  das  Wasser  zwischen 


252  I>M  Heer. 

0  und  100  m  in  der  HauptBache  bewegunggloB  war  (Wiikung  der 
Gezeiten  zur  Zeit  der  Beobachtung),  von  100  bis  800  m  Tiefe  aber 
entschieden  nach  Norden  strömte  (Trift  des  SüdostmonsonB)  und  in 
den  800  m  überschreitenden  Tiefen  wieder  nahezu  still  stand. 

Tydemans  schöne  Tiefenkarte  beruht  auf  sorgsamster  V»- 
wertung  des  gesamten  verfügbaren  Materiales  und  ist  weitaus  die 
beste,  jetzt  vorliegende  Darstellung  der  Bodenformen  der  hinter- 
indischen Gewässer.  Sehen  wir  ab  von  der  großen  Zahl  kkineRr 
Gebiete,  in  denen  neue,  sekundäre  Becken  entdeckt  worden  sind  oder 
schon  bekannte  eine  genauere  morphologische  Erforschung  erfahne 
haben,  so  sind  zwei  Fälle,  welche  beide  die  Bandasee  betreffen,  vw 
allgemeinerm  Interesse,  zumal  größere  Terrainformen  in  Fraf 
stehen.  Unter  der  Bandasee  wird  das  Meeresgebiet  verstandai, 
welches  begrenzt  wird  im  Osten  durch  die  Keiinsel  und  Timor  IM, 
im  Süden  durch  Sermata  und  Wetter,  im  Westen  durch  eine  Liai^ 
etwa  von  der  Floresstraße  nach  Buton  (Südoetoelebes),  im  Nerdea 
durch  die  Sulainseln,  Buru  und  Geram. 

Im  nordwestlichen  Teile  dieses  vielgestaltigen  Beckens,  mid  zw 
zwischen  Buton  und  Sula  Besi,  hatte  das  deutsche  Segelschiff  „Kaif 
im  Dezember  1882  auf  einer  Reise  von  Antwerpen  nach  Tienton, «» 
der  Butoupassage  kommend  und  nach  der  Pittspassage  stenenid, 
elf  Lotungen,  die  nur  Tiefen  von  99  bis  216  m  ergaben,  susgefölirt: 
auch  die  Bodenbeschaffenheit,  fast  durchweg  Steine  und  Saad,  ^ 
festgestellt  worden.  In  dem  Reiseberichte  hatte  der  Kapitän  not» 
die  ausdrückliche  Bemerkung  angefügt:  „Die  vorstehenden  Lotongefi 
sind  zuverlässig,  weil  das  Schiff  bei  der  Anstellung  derselben  saiKO 
Ort  wenig  veränderte.  Spatere  Versuche  in  der  Pittspassage  waio 
ohne  Resultate,  weil  mit  360  m  (200  Faden)  Leine  der  Meeieagntod 
nicht  erreicht  wurde.  Da  dieser  unterseeische  Verbindungsrück» 
von  weittragender  Bedeutung  z.  B.  für  den  Wasseraustausch  mit 
dem  Stillen  Ozeane  sein  würde,  so  gedachte  die  „Siboga'*,  auf  '^ 
zu  arbeiten,  fand  aber  nirgends  mit  600  m,  an  einer  Stelle  auchnicß* 
mit  4892  m  Grund !  Auch  die  am  Nordostausgangs  der  Butonptfsap 
in  der  Nähe  der  „KarP^-Lotungen  angestellten  Tief seemessungen  der 
„Bali"  ergaben  nur  ganz  große  Tiefen.  Weber  erklärt  die  Lotnn^ 
des  „Karl"  auf  Grund  seiner  Messungen  für  phantastisch,  ae  sii» 
deshalb  neuerdings  von  den  holländischen  Seekarten  getilgt  worfeß- 
Anderseits  sind  aber  unsere  deutschen  Seeleute  viel  zu  ernst,  ^ 
phantastische  Dinge  zu  berichten,  und  der  Umstand,  daß  Boa«"*' 
proben  gewonnen  sind,  läßt  an  der  Tatsächlichkeit  und  Zuveifisa^ 
keit  der  Messungen  in  der  Tat  keinen  Zweifel;  es  kommt  hinzu,  o*'' 
auch  kein  Irrtum  hinsichtlich  der  geographischen  Positionen  ^' 
liegen  kann,  weil  der  „Karl"  an  den  erwähnten  Tagen  wirklich  jej^ 
Meeresgegend  passiert  hat.  Die  Deutsche  Seewarte  hat  nachtrSgii«'* 
Aufklärung  zu  erlangen  versucht,  aber  Kapt.  Kraeft  ist  leider  berei» 
verstorben.     Daß  eine  einzelne,  lokale  Untiefe  bei  spätem  Näco- 


Das  Me«r.  253 

fonchungen  nicht  gefunden  wiid,  ist  ja  ein  ganz  gewöhnliches  Vor- 
kommnis; hier  handelt  es  sich  aber  um  einen  über  mehrere  hundert 
Seemeilen  sich  erstreckenden  flachen  Rücken.  Man  wird  fast  zu  der 
Annahme  gedrängt,  daß  in  diesem  Teile  der  Bandasee  seit  1882  mäch- 
tige, gewaltsame  (Yulkanische?)  Änderungen  im  submarinen  Reliefe 
eingetreten  sein  müssen,  obgleich  auch  dies  ein  ganz  ungewöhnliches, 
in  solchem  Umfange  wohl  noch  nirgends  festgestelltes  Ereignis  be- 
deuten würde.  Bei  der  Wichtigkeit  der  Angelegenheit  in  ozeano- 
graphischer  Hinsicht  ist  es  schade,  daß  die  „Siboga'"  mit  ihren  fünf 
Lotungen  niemals  den  Boden  erreicht  hat;  es  fehlt  somit  die  Angabe 
der  heutigen  Bodenbeschaffenheit  in  jener  kritischen  Meeiesgegend, 
ein  ganz  unerläßlicher  Faktor  für  eine  Beurteilung  der  Sachlage. 

Während  damit  im  Nordwestteile  der  Bandasee  ein  bisher 
bemerkenswerter  Charakterzug  der  Tiefenformen  vorläufig  getilgt  er- 
scheint, sind  im  entgegengesetzten  Teile,  dem  Südostteile,  der  Banda- 
see durch  die  „Siboga^'-Arbeiten  zwei  neue  charakteristische  Boden- 
formaticHien  klargestellt,  bzw.  entdeckt  worden.  Die  Lucipara- 
inseln  liegen  nicht  auf  einer  lokal  begrenzten  Untiefe,  sondern  gehören 
einem  150  Seemeilen  langen,  aber  nur  etwa  30  Seemeilen  breiten,  von 
SW  nach  NO  ziehenden  Rücken  an,  welcher,  „Sibogarücken"  getauft, 
nicht  ganz  bis  zur  Südkäste  Cerams  reicht,  vielmehr  von  letzterer 
durch  eine  4000  m  tiefe  Rinne  noch  getrennt  bleibt ;  auf  diesem  Rücken 
sind  keine  großem  Tiefen  als  rund  2500  m  ermittelt,  während  rings- ' 
herum  der  Boden  steil  bis  auf  4000  m  und  5000  m  Tiefe  abstürzt.  Ein 
zweiter,  zum  ersten  paralleler  Rücken  ist  durch  die  Inseln  Dammer, 
Serua  und  Manuk  gekennzeichnet.  Zwischen  diesem  zweiten  Rücken 
nun  einerseits  und  Timor  Laut — ^Keiinseln  anderseits  hegt  eine  außer- 
ordentlich tiefe,  genau  sichelförmige  Mulde  oder  Rinne,  in  der  6505  m 
die  bisher  bekannte  Mazimaltiefe  darstellt.  Durch  diese  Verhältnisse 
erhalt^i  unsere  Kenntnisse  von  der  vertikalen  Gliederung  jener  öst- 
lichsten Meeresteile  des  Archipels  eine  vollkommen  neue  Gestaltung. 
Nebenbei  sei  noch  hinzugefügt,  daß  die  auf  vielen  Tiefenkarten  ehax 
im  Westen  von  den  Bandainseln  für  4""  19'  südl.  Br.  imd  129°  20'  östl. 
Länge  angegebene  Tiefe  von  7315  m  (4000  Faden>  ziemlich  sicher 
nicht  existiert,  da  di»  „Siboga**  in  unmittelbarer  Nähe  der  Stelle  und 
auf  ihr  selbst  nur  Lotungen  von  etwas  über  4000  m  erhielt. 

Li  betreff  der  Böschungswinkel,  die  in  der  Nähe  der  Küsten  und 
KorallMiriffe  auftreten,  gibt  Tydeman  zwei  charakteristische  Bei- 
spiele, eins  von  Kabia,  Baarsinsel,  das  andere  von  den  Luciparainseln, 
beide  in  der  Bandasee  gelegen. . . . 

Sieht  man  von  den  obersten  Tiefen  bis  100  und  200  m  zunächst 
ab,  und  zeichnet  man  sich  die  Böschungen  im  gleichen  Maßstabe  von 
Tiefen  und  Entfernungen  auf,  so  erhält  man  ein  naturgetreues,  nicht 
übertieftes  Bild  von  der  Gestalt  des  submarinen  Sockels  solcher  Ko- 
rallftninseln.  Bild  und  Zahlen  stimmen  geradezu  überraschend  gut 
mit  dem  überein,  was  seinerzeit  im  „Valdivia"-Wwke  für  die  Seine- 


254  Das  Meer. 

bank  im  östlichen  Teile  des  Nordatlantischen  Ozeanes  abg^tet 
worden  ist:  hier  wie  dort  bewegen  sich  die  Böschungswinkel  liis 
rund  1000  m  um  etwa  25°  (im  Maximalbetrage),  von  da  bis  20(10 
und  3000  m  um  etwa  16^.  Es  liegen  offenbar  die  gleichen  Veriult- 
nisse  vor;  es  handelt  sich  bei  dem  Gesamtaufbaue  des  Sockeb  veae&t^ 
lieh  um  vulkanische  Kegel,  welche  das  ganze  Grundgerüst  hergobo, 
während  die  Korallen  nur  für  die  Ausgestaltung  der  aUerob^skei 
Teile  des  Reliefes  in  Betracht  kommen,  und  Tydeman  wird  Reck 
haben,  wenn  er  in  den  aus  der  Reihe  noch  herausfaUenden  Boschunf»- 
winkeln  von  60  und  48^  bei  Lucipara  die  Neigung  erblickt,  onlff 
welcher  der  abgestorbene  Korallendetritus  sich  abzulagern  p&ft 
d.  h.  also  den  natürUchen  losen  Schuttkegel  des  festen,  lebeodai 
nahezu  senkrecht  aufragenden  Korallenriffes  selbst. 

„Die  neuen  Lotungen  zwischen  Sumba  über  Savu  nach  Tm 
zeigen,  daß  größere  Tiefen  als  1480  m,  d.  h.  rund  1500  m,  wä 
existieren ;  im  offenen  Indischen  Ozeane  begegnet  man  in  dieser  Tirfe 
einer  Wasserwärme  von  4.4°.  Da  aber  die  Bodentemperaturen  (k 
Savusee  nicht  4.4°,  sondern  nur  3.3°  betragen,  so  muß  die  Savtf» 
durch  mindestens  1700  m  große  Tiefen,  in  welchen  3.3°  zuerst  auftritt, 
mit  der  Bandasee  verbunden  sein;  diese  Verbindung  öänetöA^ 
der  Tat  in  der  Ombai-  und  Wetterpassage,  welche  überall  Bidda 
von  über  2000  m  aufweisen.  Die  Bandasee  ihrerseits  steht  durch  ft 
Pittspassage  und  die  Straße  zwischen  Sulainseln  und  Obi  Major  ffiit 
der  Molukkensee  in  Verbindung,  wobei  ebenfalls  rund  1600  bis  170^* 
Wassertiefe  überall  verfügbar  ist;  der  Wasseraustausch  däiftefl^B 
den  Weg  westlich  um  Baru  wählen,  da  die  ManipastraOe  zwisdxs 
Buru  und  Ceram,  im  südUchen  Teile  zwar  sehr  tief,  im  nördlidi» 
Teile  durch  eine  Bank  von  1100  bis  1200  m  gesperrt  ist.  Vonte 
Bandasee  abhängig  hinsichtlich  ihrer  Wärmeverhältnisse  in  der  I^ 
sind  auch  Flores-  und  BaJisee.  Für  das  letztere  Becken,  das  es  nvr 
bis  etwa  1500  m  Tiefe  im  Höchstbetrage  bringt,  ist  die  Notiz  wicii^ 
daß  die  zwischen  Lombok  und  BaU  liegende  Lombokstraße  in  ^on^ 
Weise  eine  tiefe,  etwa  gar  zwei  Kontinente  (Asien  und  AustnücBl 
trennende  Linie  darstellt;  es  besteht  vielmehr  durch  eine  Schvwi^ 
mit  der  Maximaltiefe  von  nur  312  m  eine  Verbindung  der  zwei  kkin^ 
Sundainseln  ebensogut,  wie  dies  bei  den  übrigen  kleinen  Sundaio^ 
der  Fall  ist.  Die  Balisee  ist  also  in  der  Hauptsache  gegen  den  lo»^' 
sehen  Ozean  abgeschlossen,  und,  wie  eben  gesagt,  ein  abhaogilS^ 
Ghed  der  Flores-  und  Bandasee. 

Verfolgen  wir  von  der  Bandasee  aus  den  vermuthchen  Gaug^ 
Grundwassersohichten  weiter  rückwärts,  so  gelangen  wir  endbc'' 
durch  die  Molukkensee  in  den  Stillen  Ozean  hinaus;  eine  Werhinä^ 
durch  die  Djilolopassage  und  Halmaherasee  würde  nicht  duichf^^ 
die  nötigen  Tiefen  zur  Erklärung  der  Bodentemperatur  von  3.3 
liefern.  —  Die  Celebessee  muß  durch  eine  Schwelle  von  rund  13^* 
Maximaltiefe  abgeschlossen  sein,  da  die  homotherme  Schicht  3j 


Daa  Meer.  255 

I  zeigt;  in  der  breiten  Öffnung  zwischen  Mindan ao  und  Gr.  Sangir  hat 

i  aber  die  ,,Siboga*'  bisher  über  1638  m  gefunden.    Die  Schwelle  muß 

also  noch  genauer  gesucht  werden. 
^  Nahezu  alle  Tiefiseebecken  der  malaiischen  Gewässer,  wjelche  der 

^  Schauplatz  der  Tätigkeit  der  „Siboga^'-Expedition  gewesen  sind, 

stehen  also,  ozeanographisch  gesprochen,  in  mehr  oder  weniger 
direktem  Zusammenhange  mit  dem  Stillen  Ozeane,  nicht  mit  dem 
Indischen  Ozeane;  ausgenommen  bleibt  nur  die  Timorsee.  Sieht 
man  von  den  mannigfachen  Beziehungen  ab,  welche  diese  hinter- 
indischen Becken  durch  die  Oberflächenerscheinungen,  wie  z.  B. 
Monsuntriften,  Gezeitenströmmigen  u.  a.  m.  zweifellos  auch  mit  dem 
Indischen  Ozeane  verbinden,  so  kann  man  vom  Standpunkte  der 
Tiefseeforschung  aus  eine  vorläufige,  in  Einzelheiten  sicher  noch  zu 
verbessernde  Grenzlinie  zwischen  Indischem  und  Stillem  Ozeane 
vielleicht  derart  ziehen,  daß  sie  von  Bah  bis  Flores,  von  da  über 
Sumba,  Savu  nsush  Timor  und  von  da  nach  Timor  Laut  imd  den  Kei- 
inseln  verläuft.'* 


Ober  Alter  und  Entstehung  der  Tiefseebecken  macht  Prof. 
J.  Walther  einige  Bemerkungen.  ^)  Er  fand  weder  aus  paläozoischen 
noch  mesozoischen  Ablagerungen  ein  Gestein,  das  nach  seiner  Struk- 
tur und  Lagerungsform  mit  den  heutigen  Sedimenten  der  Tiefsee 
übereinstimmte.  John  Murray  war  zu  denselben  Resultaten  ge- 
kommen. Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  daß  nur  auf 
einigen  kleinen  Inseln  wie  Malta,  Barbados  und  Christmas-Island 
echter  tertiärer  Tief seeschhck  vorkommt,  und  die  lokale  Verbreitung 
desselben  spricht  mit  Sicherheit  dafür,  daß  lokale  Hebungen  ehe- 
maügen  Tiefseebodens  den  Kern  dieser  Inseln  bildeten.  Trotzdem 
also  fast  die  gesamte  Fläche  der  heutigen  Kontinente  seit  dem 
Cambrium  zu  wiederholten  Malen  ganz  oder  teilweise  vom  Ozeane 
überflutet  war,  so  finden  wir  auf  denselben  nur  solche  Ablagerungen, 
welche  in  der  Flachsee  oder  in  mittlem  Tiefen  von  1000  bis  2000  m 
gebildet  worden  sind. 

Das  bestätigt  durch  geologische  Beweisführung  eine  auf  Grund 
theoretischer  Erwägungen  schon  lange  aufgestellte  Ansicht:  „daß 
die  heutige  Tiefsee  schon  seit  langen  Perioden  Tiefs  ee  war,  und  daß 
sie  ihren  Platz  auf  der  Erdkugel  seit  ihrer  Entstehung  nicht  wesentUch 
verschoben  habe.  Die  Tiefseebecken  erscheinen  uns  als  die  großen 
Quellgebiete  des  Ozeanes,  aus  denen  das  Meer  bisweilen  weit  trans- 
g^^ierende  Vorstöße  gegen  die  Kontinente  unternimmt,  um  sich 
dann  wieder  in  dem  riesigen  Sammelbecken  zu  vereinigen.  Es  läßt 
sich  nun  geologisch  mit  fdler  Sicherheit  zeigen,  daß  ehemalige  Fest- 
länder Tiefseeboden  geworden  sind.  So  finden  wir  aus  der  Devonzeit 
auf  beiden  Seiten  des  Atlantischen  Ozeanes,  in  Nordamerika  und 


1)  Naturwiss.  Wochenschrift  1904.  Nr.  46. 


256  Quellen  und  H^^hlen. 

Spitzbergen  wie  in  Schottland  und  Rußland  Abli^rungen  großer 
Sufiwaaserbecken  mit  einer  ganz  charakteriBtiachen  Fischfauna.  In 
der  Steinkohlenzeit  wie  der  Jura-  und  Kreideperiode  leben  dieselben 
Pflanzen-  und  Landtiere  in  Nordamerika  wie  in  Nordeuropa.  Alles 
drängt  zu  dem  Schlüsse,  daß  während  dieser  langen  Perioden  eme 
atlantische  Landverbindung  zwischen  beiden  Kontinenten  bestand, 
die  heute  Tiefseeboden  ist.  Ähnliche  Tatsachen  zwingen  za  der  An- 
nahme, daß  der  heutige  Indische  Ozean  lange  Perioden  hindurch  tcc 
Afrika  bis  Indien  und  Australien  festländisdbe  Brücken  besaß. 

Neben  einigen  lokalen  Ausnahmen,  wo  Tief  seeboden  wieder  larad- 
fest  geworden  ist,  gibt  es  zahlreiche  Fälle  aus  allen  Teilen  der  Erde, 
wo  wir  nachweisen  können,  daß  durch  Senkung  große  Stöcke  der 
festen  Erdrinde  in  Tiefseeboden  rerwandelt  worden  sind.  Mit  andem 
Worten :  Die  Tief  see  hat  sich  auf  Kosten  der  Fhcfasee  und  des  Fesl- 
landes  beständig  vergrößert." 


Quellen  und  Höhlen. 

Argon  und  freier  Sehwefel  in  HlneralqtueUen.  H.  Moissan  fand 
in  den  der  44°  heißen  Bordeuquelle  zu  Luchon  entströmenden  Gasen 
92.22%  Stickstoff,  1.22%  Methan  und  2.56%  Argon.  Schwefd* 
Wasserstoff,  Kohlensäure,  Sauerstoff  und  Helium  waren  in  den  Gasen 
nicht  vorhanden.  Der  Schwef^wasserstoffgehalt  dieses  Qoeß- 
Wassers  muß  daher  auf  sekundärer  Einwirkung  der  Luftkohlensäoie 
auf  das  im  QueUwasser  gelöste  Natriumsulfid  zurückzuführen  sein. 
Femer  konnte  Moissan  in  dem  59^  heißen  Wasser  der  Grölte  n 
Luchon  freien  Schwefel  sowohl  in  Lösung,  als  auch  in  den  Dämpfiai 
des  Wassers  nachweisen. 


Eine  Untersuekung  des  Ctesteiner  Thersialwasser»  a«f 
naüonsgehalt  hat  Dr.  G.  Mache  ausgeführt.^)  Durch  die  Unter- 
suchungen von  J.  J.  Thomson  und  F.  Himstedt  ist  der  Nachweis  er- 
bracht worden,  daß  die  Quellwässer  eine  radioaktive  Emanaüoin  ent- 
halten, über  deren  Provenienz  die  Versuche  von  J.  Elster  uad 
H.  Geitel  dann  einigen  Aufschluß  gaben.  Die  nächste  Frage  ist  d» 
nach  den  Eigenschaften  dieser  Emanation,  da  deren  Kenntnis  die 
Entscheidung  ermöglicht,  ob  man  es  hier  mit  der  Äußerung  eines 
neuen  radioaktiven  Körpers  zu  tun  hat  oder  mit  der  eines  der  bereite 
bekannten.  Die  Gleichheit  des  Kondensationspunktes  und  des  Ab- 
klingungsgesetzes  der  Emanati(m  mit  der  von  Radium  entwiekelten 
läßt  vermuten,  daß  der  in  Frage  kommende  aktive  Körper  mit 
Radium  identisch  ist,  und  die  in  Rede  stehenden  Versuche  bilden  einen 
weitem  Beleg  für  die  Richtigkeit  dieser  Anschauung.    Sie  wurden  an 

^)  Wiener  Akad.  Anzeiger  1904.  p.  226. 


QaeUen  und  Höhlen.  257 

dem  an  Emanation  ungemein  reichen  Wasser  der  Gasteiner  Therme 
vorgenommen,  mid  zwar  mit  dem  zuerst  durch  Elster  und  Geitel 
▼erwendeten  Glockenapparat.  In  diesen  wurde  Luft  eingeführt,  die 
das  Wasser  einige  Male  in  heftigem  Blasenstrome  passiert  und  sich  so 
mit  Emanation  bereichert  hatte. 

Es  gelang  zunächst  der  Nachweis,  daß  die  Emanation  im  Wasser, 
das  in  verscUossener  Flasche  aufbewahrt  wird,  nach  dem  gleichen 
Gesetze  abklingt  wie  Badiumemanation.  Man  wird  auf  Grund  dieser 
Übereinstimmung  auch  schließen  können,  daß  im  Gasteiner  Wasser 
—  wenn  überhaupt  —  nur  sehr  geringe  Mengen  der  radiumhaltigen 
Substanz  selbst  vorhanden  sind,  da  sonst  das  Abklingungsgesetz  ein 
anderes  sein  müßte. 

AusführUch  wurde  femer  das  für  jede  Emanation  so  charakte- 
ristische Abklingungsgesetz  der  induzierten  Aktivität  untersucht. 
Es  zeigte  sich,  daß  das  Gesetz,  nach  welchem  die  durch  Wasser- 
emanation induzierte  Aktivität  abklingt,  in  ganz  ausgezeichneter 
Weise  durch  die  Formel  von  Curie  und  Danne  ohne  irgend  welche 
Änderung  der  Konstanten  dargestellt  werden  kann.  Schließlich 
wurde  auch  das  Wasser  der  Wiener  Hochquellenleitimg  in  analoger 
Weise  untersucht.  Die  aus  demselben  gewonnene  Emanation  zeigt 
in  allen  Stücken  quaUtativ  das  gleiche  Verhalten  wie  die  der  Gasteiner 
Therme.  Im  besondem  ist  auch  daa  Abklingen  der  induzierten 
Aktivität  durch  die  Formel  von  Curie  und  Danne  darstellbar.  Doch 
verhalten  sich  die  in  gleichen  Quantitäten  der  beiden  Wässer  ent- 
haltenen Emanationsmengen  ungefähr  wie   1  :  1000. 

Radioaktiyltät  der  Könlgsqaelle  in  Batb.  Dieselbe  ist  von 
B.  J.  Strutt  nachgewiesen  worden,  ^)  und  zwsir  zunächst  in  den  rot- 
gefärbten Ablagerungen  an  der  Innenseite  des  Brunnens,  aus  dem 
das  heiße  Wasser  kommt.  In  den  Röhren  und  Becken  waren  die 
Ablagerungen  gleichfalls  aktiv,  aber  schwächer  als  in  der  Nähe  der 
Quelle.  Auch  die  Ablagerungen  aus  den  andern  heißen  Quellen 
von  Bath  waren  aktiv.  Zur  Beantwortung  der  Frage,  ob 
auch  das  Wasser  selbst  Radium  in  Lösung  enthalte,  wurden  10  / 
Wasser  verdampft,  der  Salzrückstand  14  Tage  im  verschlossenen 
Bohre  aufbewahrt  und  erwärmt.  Es  ergab  sich  eine  Emanation, 
deren  Elektrizitätszerstreuung  mehrere  Mfde  so  groß  war  wie  die  der 
Luft.  Die  reichste  Ablagerung  war  über  36  mal  aktiver  als  das  durch 
Verdampfen  des  Wassers  erhaltene  Salz.  Aus  der  Geschwindigkeit 
des  Verschwindens  fand  sich,  daß  die  Aktivität  vom  Radium  her- 
rühre. Dies  ist  auch  durch  die  chemischen  Eigenschaften  des  Wassers 
bestätigt  worden  und  hat  ein  besonderes  Interesse  wegen  des  Vor- 
kommens von  HeUum  in  den  Gasen  der  heißen  Quellen  von  Bath. 
Strutt  berechnet  die  Menge  Radium,  welche  jährUch  von  der  Quelle, 


1)  Proo.  Roy.  Soo.  7S.    p.  191. 
Klein,  Jahrbuch  XV.  17 


258 

dem  WaBMer  mid  dea  AUagerumgen  keransbefönlert  wiffd,  su  ^/^  f. 
Dem  stellt  gegestüber  eine  Menge  von  10001  Heluim,  die  jünlieh  in 
den  Geaen  der  QoeUe  entwickelt  werden.  Dies  Ve^altnie  zwteekn 
Helium  nnd  Badiam  ist  idso  von  derselfoen  GhröBesoidniing  wie  bn 
den  radioaktiven  Mineralien. 

Das  Yerslekern  des  meteorischen  Wassers  im  Boden  ist  bei  Sand, 
Lehm  und  Ton  von  W.  Spring  durch  systematische  Versuche  studiert 
worden.  ^)  Er  kommt  zu  dem  Ergebnisse,  daß  dasselbe  im  Bodeo 
nicht  regehnäßig  und  entsprechend  dem  Aufbaue  auseinander  im 
allgemeinen  parallelen  Schichten  erfolgen  kann.  Die  im  Boden  an- 
geschlossene Luft  welche  dem  Wasser  zunächst  Platz  machen  mufi, 
bedingt,  daß  das  Versickern  nur  an  beschrankten  Stellen  stattfindet 
während  die  übrigen  als  Kanäle  für  die  entweichende  Luft  dienen. 
Im  übrigen  wird  ein  erhebUches  Versickern  nur  in  denjenigen  Land- 
strichen vor  sich  gehen,  wo  die  Oberfläche  in  genügender  Mächtigkeit 
von  fließendem  oder  rieselndem  Wasser,  von  einer  ruhenden  Wass»- 
schicht  oder  schmelzendem  Schnee  bedeckt  ist.  Gelingt  es  dann  ab& 
dem  Wasser,  sich  einen  Weg  zur  Tiefe  zu  bahnen,  so  wird  sein  Ver- 
sinken um  so  rascher  erfolgen,  je  größere  Höhen  seine  in  gewissem 
Maße  von  der  Mächtigkeit  der  Schichten  bestimmte  Säule  erreicht 
Das  Wasser  wirkt  dabei  vorzugsweise  durch  sein  Gewicht;  hiermit 
führt  es  eine  wirkliche  Austrocknung  der  obem  Schichten  herb^, 
infolge  deren  letztere  von  Wasser  bis  auf  die  durch  Kapülarkzäfte 
gefesselte  Feuchtigkeit  entleert  werden. 

Die  Karsthydrograpbie,  begründet  auf  Studien  aus  Westbosnieo, 
behandelt  Dr.  A.  Grund.  ')  Er  weist  darauf  hin,  daß  man  bisher  ge- 
wöhnlich den  Fluß  als  die  Ursache  der  eigentümlichen  hydro- 
graphischen Erscheinungen  der  Karstländer  auffaßte,  während  nach 
den  Erfahrungen  des  Verfassers  die  eigentliche  Ursache  derselbe 
in  der  Quelle  zu  suchen  sei.  Das  fließende  Grundwasser  des 
Karstes  bezeichnet  Verfasser  als  Karstwasser.  Der  Dolomit 
gehört  nicht  zu  den  karstbildenden  Gesteinen;  im  Gebiete  deeselbeo 
fehlen  die  Dolinen  fast  ganz,  während  Ablagerungen  von  Gehange- 
schutt und  Erosionstäler  mit  gleichsinniger  Entwässerungsrichtung 
auftreten.  In  Westbosnien  zeigt  das  Karstwasser  zwei  Hochstande 
(im  Frühjahre  und  Herbste)  und  zwei  Tiefstände  (im  Winter  und 
Sommer).  Die  Wasserstandskurven  zeigen  gegenüber  den  Nieder- 
schlagskurven zunächst  eine  Verspätung  von  einem  Monate,  so  daß 
z.  B.  das  Maximum  der  Überschwemmung  im  Polje  von  Livno  erst 


1)  Ann.  d.  g^olog.  Bdg.  28  u,  29.  —  Natorwiss,  Wochenschr.  1901 
p.  6Ö7. 

>)  Penoks  geogr.  Abhandl.  7.  Heft  3.  —  Ein  knner  Anszoff  im 
Globus  85.  p.  129»  worauB  oben  der  Text. 


Qttdlen  und  Höhlen.  25d 

einen  Monat  nach  dem  Niederschlagsmaximnm  eintaritt.    Bs  ist  dies 
ein   Beweis  dafür,   daß   diese   Überschwemmungen  nicht  einfach 
Flnßüberschwemmungen  mit  unzureichendemÄbflusse,  sondern  Gnuid- 
wasserschwankimgen  sind.     Aus  den   Schwankungen  des  Nieder- 
schlages tmd  der  Karstwasserstande  leitet  der  Verfasser  Zahlenwerte 
für  die  Klüftung  des  Gesteines  ab;  die  beträchtlichen  Karstwasser- 
schwankungen sind  aber  auch  nach  seiner  Ansicht  völlig  genügend, 
um  die  meisten  Erscheinungen  der  Karsthydrographie  ku  erklären. 
Stauende  Hindemisse  spielen  hierbei  eine  große  Rolle.    Die  periodisch 
auftretenden    Quellen    nemit    Verfasser    Karstquellen,    die 
\         perennierenden   Vauclusequellen  ;    beide   Typen   sind   zu- 
^         meist  scharf  getrennt,  es  finden  jedoch  auch  Übergänge  statt.    So- 
^         lange  die  Inundation  zunimmt,  sind  auch  die  Ponore  als  Karstquellen 
[         zu  betrachten.    Die  Karstwasserschwankungen  erklären  auch  den 
Unterschied    zwischen    trocknen,    periodisch    und    dauernd    über- 
I         schwemmten  Karstmulden.    Die  Dauer  der  Inundation  einer  Karst* 
wanne  hängt  davon  ab,  ob  ihr  Boden  näher  dem  obem  oder  untern 
'         Karstwassemiveau  liegt;  das  Abfließen  verspätet  sich  ähnlich  wie 
*         die  Füllung  des  Beckens.     Die  künstliche  Melioration  der  Karst- 
^         becken  hat  wenig  Aussicht  auf  Erfolg.     Die  Flüsse  der  undurch- 
lässigen  Schichten  sind   ganz   unabhängig   vom   Karstwasser;   sie 
»         haben  den  Charakter  von  Torrenten,  die  hoch  über  dem  Karstwasser 
t         fließen  und  die  aUeinigen  Träger  der  mechanischen  Erosion  und 
i         Akkumulation  sind.     Zertalung  durch  Seitentäler  findet  man  nur 
f         auf  undurchlässigem  Boden;  speziell  im  westbosnischen  fijnst  gibt 
es  nur  drei  größere  Erosionstäler  (Unac-Una,  Suica,  Rioina-Suaja), 
und  ist  eine  weitere  Zertalung  überhaupt  nicht  möglich.     Wo  die 
\         Erosion  die  undurchlässige  Unterlage  angeschnitten  hat  (Naienta, 
oetbosnisches  Hochgebirge),  nimmt  die  Landschaft  ganz  alpinen 
I  Charakter  an.    Was  die  Entstehung  der  Poljen  anbelangt,  so  wird 

I  der  bekannten  Erklärung  derselben  durch  Cvijic  aus  mehrfachen 

Gründen   widersprochen   und   für  die   westbosnisohen   Poljen  der 
,  Charakter  von  tektonischen  Senkungsfeldem  angenommen;  daneben 

wird  aber  auch  die  Existenz  solcher  Poljen  zugegeben,  die  durch 
Ausräumung,  bzw.  Akkumulation  entstanden  sind.  Für  die  eigent- 
lichen, unterirdisch  entwässerten  tektonischen  Poljen  sehlägt  Ver- 
fasser die  Bezeichnung  Karstpol jen  vor;  er  weist  nach,  daß 
dieselben  ursprünglich  eine  ähnliche  Entwicklung  dUTchmaohten  wie 
die  Senkungsfelder  in  undurchlässigem  Gesteine,  und  glaubt,  daß  ihre 
Entstehung  mit  dem  Einbrüche  der  Adtia  zeitlich  zusammenfidlen 
dürfte. 

Der  gegenwirttge  Zurtaml  der  Isiindisehen  Geytlre.  E.  Zugmayer 
gibt  eine  Schilderung^)  des  isländischen  Oeysirgebietes  und  des 


^)  Eine  Reise  durdi  Idand  im  Jshre  1902  von  E.  Zugmayer. 

17» 


260  Qa^len  und  Höhlen. 

gegenwärtigen  Znatandes  dieser  heißen  Springquellen,  die  toq  be- 
sonderm  IntereBse  ist,  da  diese  Geysire  in  jüngerer  Zeit  mehrfache 
Veränderungen  erlitten  haben.  Als  der  Reisende  mit  seiner  Be- 
gleitung die  Gegend,  in  der  sich  die  berühmten  SpringqueUen  be- 
finden, erreichte,  sah  er  vor  sich  eine  weite,  sumpfige  Elbene,  die  too 
einem  vielgewundenen  Flusse  durchzogen  war.  Nach  Noidoeten  wv 
sie  imHalbkreise  vonhohen  Bergen  eingeschlossen;  in  ihrer  Mitte  erhob 
sich  ein  isolierter  Hügel  aus  dunklem  Gesteine ;  sein  flacher,  siidlichef 
Abhang  sah  aus,  wie  von  der  Sonne  beschienen,  mit  gelber  bis  oirange- 
roter  Farbe;  und  auf  dem  ganzen  großen  lichten  Flecke  waren  dicht 
aneinander  eine  Menge  von  weißen  Dampfwolken,  unter  ihnen  eine 
besonders  hohe,  die  jedenfalls  dem  großen  Geysir  zugehörte.  Der 
Hügel,  an  dessen  südöstlichem  Abhänge  das  Geysirterrain  sich  be- 
findet, heißt  Laugafjall  (das  ist  Heißerquellenberg).  Der  überall 
von  Elieselsinter  und  Schwefel  inkrustierte  Streifen,  auf  dem  die  ver- 
schiedenen Quellen  entspringen,  erschien  200  bis  300  fi»  lang  und 
vielleicht  halb  so  breit.  Fast  überall  war  der  Boden  so  heiß,  daß  die 
Hand  nicht  lange  darauf  ruhen  konnte,  und  in  zahlreichen  dampfen- 
den Bächlein  rieselte  das  heiße  Wasser  der  verschiedenen  Sprudel  zu 
Tal,  um  sich,  zu  einer  starkem  Wasserader  vereint,  in  den  Tungnafljcit 
zu  ergießen.  Der  von  der  Hitze  geborstene  und  von  den  Wasser- 
dämpfen zermürbte  Boden  erschien  dicht  besät  mit  Löchern,  denen 
teils  unter  Drohnen  und  Brodeln  kochendes  Wasser  entströmte 
oder  die  unter  bösartigem  Zischen  und  Pfauchen  größere  und  Ueineie 
Damp&trahlen  entsandte;  einige  unter  ihnen,  flache  Becken,  lagen 
still,  nur  aus  dem  tiefen  Schlünde  in  ihrer  Mitte  wallten  ab  und  xn 
Dampfblasen  auf.  „Unter  diesen  Quellen,"  sagt  Verfasser,  ,,hemcht 
die  größte  Mannigfaltigkeit  bezüglich  der  Farbe  des  Wassers;  die 
einen,  deren  ganzes  Inneres  mit  Sinter  ausgekleidet  ist,  sind  klar,  und 
das  sich  nach  der  Mitte  zu  vertiefende  Wasser  zeigt  alle  Abstufongeo 
von  der  durchsichtigsten  Klarheit  zu  zartem  Hinmielblao,  taefem 
Stahlblau  und  dunkelm  Schwarzviolett.  Andere  sind  eben  so  klar, 
zeigen  aber  eine  prachtvolle  Abtönung  aller  Arten  von  Grün,  bis  andi 
sie  nach  der  Tiefe  zu  schwarz  wie  Tinte  werden.  Der  absteigende 
Schlund  dieser  Quellen  geht  nicht  immer  senkrecht  hinab,  sondern 
führt  oft  schräg  und  gar  nicht  steil  nach  der  Seite  hinimter,  so  dafi 
man,  über  ihm  stehend,  nur  durch  ein  dünnes  Gewölbe  von  d^s 
kochenden  Wasser  getrennt  ist.  Andere  Quellen  sind  wieder  ongp- 
stüme  Gesellen,  die  in  ihren  Sintertöpfen  wallen  und  sieden,  kleine 
Wassergarben  über  die  Obeiflache  schleudern  und  mächtige  Dampf- 
wolken entwickeln,  ohne  sich  aber  zu  wirklichen  Ausbrüchen  auf- 
raffen zu  können.  Noch  andere,  die  aus  lehmigem  Boden  zutage 
treten,  haben  eine  Menge  Erdreich  aufgelöst  und  sich  so  zu  einem 
zähen,  kochenden  Breie  verdickt,  dessen  Oberfläche  in  beständigem 
Aufwallen  begriffen  ist,  und  aus  dem  sich  große  Dampfblasen  hervor- 
ringen, um  mit  lautem  Geräusche  zu  zerplatzen.  Diese  Quellen  haben. 


Quellen  und  Höhlen.  261 

je  nach  dem  Erdreiche,  das  sie  enthalte^,  eine  dunkelbraune,  tomaten- 
rote, schwefelgelbe,  auch  hellblaue  Farbe,  und  das  von  ihnen  aus- 
tretende Wasser  laßt  auf  seinem  Wege  bergab  einen  bunten  Streifen 
zurück,  der  sich  mitunter  sehr  effektvoll  von  der  gelblichen  Sinter- 
decke abhebt.  An  einigen  Stellen  ist  auch  der  Boden  auf  mehrere 
Quadratmeter  wie  von  Mauslöchem  durchwühlt,  und  aus  jeder  der 
kleinen  Offnungen  fährt  ein  schweflig  riechender  Dampfstrahl  heraus, 
bald  senkrecht  in  die  Luft,  bald  flach  über  den  Bodmi  hin;  tritt  man 
mit  dem  Fuße  ein  Loch  in  die  Decke  vom  Sinter,  oder  durchstößt 
man  sie  mit  dem  Stocke,  —  gleich  fährt  einem  ein  neuer  Strahl  ent- 
gegen, ganz  als  ob  pfauchende  kleine  Geisterchen  ihr  unterirdisches 
Reich  verteidigen  wollten.  Wir  wagten  anfangs  kaum,  auf  diesem 
verdächtigen  Boden  einen  Schritt  nach  vorwärts  zu  tun,  denn  rechts 
und  links,  vom  und  hinten  brummt,  zischt  und  spritzt  es  in  allen  Ton- 
arten, und  mit  jedem  festen  Schritte  erwartet  man  durchzubrechen 
oder  auf  den  von  Wasser  überrieselten  Stellen  auszugleiten.  Nach 
einiger  Zeit  aber  lernten  wir  uns  die  gangbaren  Stellen  zwischen  den 
einzelnen  Becken  und  Kesseln  merken  und  fühlten  uns  dann  bald 
unter  ihnen  heimisch,  gaben  ihnen  Namen  und  fanden  die  inte- 
ressantem heraus.*' 

Außer  diesen  Quellen,  die  beständig  in  gleicher  Weise  Wasser 
von  sich  geben,  finden  sich  noch  vier  andere,  die  periodische  Aus- 
brüche haben  oder  hatten,  und  diese  sind  die  eigentlichen  Geysire. 
„Bei  einem  von  ihnen,  dem  LitU  Strokkur,  ist  es  jedoch  zweifelhaft, 
ob  man  die  Zwischenpausen  zwischen  den  wenigen  Ausbrüchen,  die 
er  hatte,  als  Perioden  ansehen  darf;  gegenwärtig  springt  er  ebenso- 
wenig wie  sein  größerer  Namensbruder,  der  Strokkur.  Das  Jahr 
1896,  welches  ein  heftiges  Erdbeben  für  Südisland  brachte,  hat  in 
die  Tätigkeit  der  Geysire  ziemliche  Änderungen  gebracht.  Vorher 
sprang  der  große  Geysir  schon  seit  Jahrzehnten  nur  in  immer  größer 
werdenden  Zwischenräumen;  es  kam  vor,  daß  Beisende  zwei,  drei 
Wochen  lang  vergeblich  auf  einen  Ausbruch  warteten,  dafür  sprang 
der  Strokkur  alle  Tage  ein-  bis  zweimal  und  erreichte  mitunter  eine 
Höhe  von  30  m  und  mehr.  Seit  dem  Jahre  1896  jedoch  hat  er  seine 
Tätigkeit  vollständig  eingestellt;  der  große  Geysir  dagegen  springt 
seither  durchschnittUch  jeden  Tag,  und  zwar  höher  als  zuvor;  einer 
seiner  Ausbrüche  wurde  von  Bunsen  und  Descloiseaux,  die  im  Jahre 
1846  längere  Zeit  dort  zubrachten,  mit  150  Fuß  gemessen,  das  war 
noch  vor  der  Periode  relativer  Buhe,  die  der  Geysir  in  den  letzten 
Jahrzehnten  hatte;  jetzt  ist  er  zu  seinem  frühem  Temperament 
zurückgekehrt,  ob  zwar  natürlich  lange  nicht  alle  Ausbrüche  so  hoch 
sind,  wie  die  wenigen  seltenen,  die  fJs  Höchstmaße  bekannt  sind. 
Der  dritte  Geysir,  der  durch  das  Jahr  1896  keine  Abänderungen  er- 
fahren hatte,  ist  ziemlich  am  südöstUchen  Ende  des  Quellenterrains, 
während  der  große  Geysir  im  äußersten  Nordosten  und  der  Strokkur  in 
der  Mitte  liegt.    Er  ist  sowohl  unter  dem  Namen  LitU  Geysir  als 


262  OoflUen  und  raUan. 

auch  unter  der  B^zfiidmung  Operris-Hola  bekannt.  Da  der  eiateie 
Name  leioht  zu  Verwechslungen  mit  einem  andern  Geysir  fahrt,  der 
in  der  Landachalt  Olfus  im  Südwesten  von  Island  liegt  nod  g^bich- 
falls  litli  Oeysir  genannt  wird,  so  ist  es  angezeigt^  sich  an  dep  Namen 
Operris-Hola  zu  halten.  „Operris'*  ist  ,,Un-däiTe^\  alao  Käaae, 
»^ola**  bedeutet  Loch.  Man  erklarte  uns  den  Uzsprang  dea  Namens 
daraus,  daS  des  Springen  dieses  Geysirs  nasses  Wssser  ankündigte, 
pa  der  Operris-Hda  aber  tagUch  zweimal  Ausbrüche  hat.  und  das 
schon  seit  Jahrhunderten,  kaioe  man  zu  dem  Schlüsse,  djafi  es  in  der 
Gegend  bestandig  regnen  müsse.  Richtiger  scheint  ee  mir,  den 
Namen  daher  abzuleiten,  daß  der  Operris-Hola  „nie  trocken"  ist, 
sondern  immer  voll  Wasser  und  in  eifriger  nasser  Täti^^it.  Endlich 
ist  im  Jahre  1806  ziemUch  hoch  am  Abhänge  dasljaugaf jall,  außerhalb 
des  zusammenhangenden  QueUenterrains,  eine  neue  AuatrittasteDe 
entstanden,  die  man  nach  König  Christian  IX.  benannt  hat.  Neben 
ihr  findet  sich  auch  ein  Denkstein,  der  an  deji  Besuch  dea  Königs  im 
Jahre  1874  erinnert;  besser  gesagt,  die  neue  Quelle  ist  neben  diesem 
Denksteine  zutage  getreten;  daher  ihr  Name.'* 

Da  es  den  Beiiaendßn  dajrauf  ankam,  einen  schönen  AjQshmck 
des  großen  Geysir  bald  zu  sehen,  so  wandten  sie  das  Ton  A^ft"^^ 
her  bekannte  Mittel  an,  einen  solchen  zu  provozieren»  n«J7fy^r*^^  das 
Einwerfen  von  Seife  in  den  Schlund.  Durch  Opfern  von  8  %  Seib, 
die  in  der  benachbarten  Schutzhütte  kauflich  ist,  erfolgte  2  Stunden 
spater  eine  Eruption,  die  das  heiße  Wasser  15  m,  den  Dampf  alao  wohl 
doppelt  so  hoch  trieb.  Der  große  Geysir  hat  außen  die  Gestalt  < 
sehr  stumpfen  Kegels  von  6  bis  7  m  Höhe  und  60  m  Durcfame 
der  Bsais,  das  obere  nahezu  kreisrunde,  flach  tellerförmige  Becken 
hat  15  bis  17  em  Durohmesser,  und  in  seiner  Mitte  öffnet  sich  ein 
Schlundrohr  von  2  m  Durchmesser,  dessen  Tiefe  nach  Bunaen  23  m 
betragt. 

Die  Baue  'ftopBrtetaibftUe  bei  Kirltein  In    HUuan   achiUeit 

B.  Trampler.  ^)  Sie  ist  seit  Herbst  1901  bekannt  und  liegt  etwa 
20  km  nordnordöstUoh  von  Brunn.  Sie  ist  reich  an  Trof^teuh 
gebilden. 

Zwischen  Felswänden«  welohe  1  m  voneinander  abstehen,  gelangt  bmb 
in  das  Innere.  Vom  Eingänge  ans  eratreokt  sich  der  Gang  6.5  fit  lang  in  räd- 
BÜdöstUoher  Richtung,  erweitert  sich  aher  schon  in  der  Hälfte  dieser  Ent- 
fernung auf  4  m ;  auch  die  Decke  hebt  sich  auf  3  m  und  ist  mit  zahlreichen, 
gegenwärtig  noch  schneeweißen  Tropfsteingebilden  bedeckt,  welohe  entweder 
die  Form  flewdhnlioher  Stalaktiten  oder  die  von  Qoasten  und  Zaplen  basitsflo. 
Dieser  Teil  der  Höhle  erinnert,  was  die  Tropfsteinbildnng  betritft^  lebhaft  aa 
die  1890  entdeckte  Tropfsteinhöhle  von  Schlosuwka,  unweit  Sloup. 

Rechts  erweitert  sich  die  Höhle  zu  einer  Halle,  die  aber  zum  giofien  Teile 
ao  niedrig  ist,  daß  man  sie  nur  mit  tiefgebeugtem  Haupte  betreten  kann.  Der 
Boden  ist  mit  Sintermasse  bedeckt  und  die  Decke  mit  nnsShligen,]     

')  UmUuft,  Deutsche  Rundschau  f.  Qeogiaplüe  lt.    p.  346. 


QnaUoi  and  HAhten«  263 

;  federkielaiiagRfi  StaiakUten   fönnUoh  übeniät.    Wcitakm  teät  äek  die  9  i» 

lai^e  H<^e  in  Bwei  Teile:  die  sadliche  (rechte)  eneidit  eine  Höhe  von  DAhem 

'  2Vt  **  v<^  ist  ganz  mitTxopfiiteuieB  bedeckt,  wählend  in  der  nordiichMi  (links)« 

f  veLohe  amjIi  iJunählich  bis  snr  Höhe  von  3  m  echebt»  ein  ^Wftweilftll"  die  Aul- 

i  mwrkiiftmlrqit  des  Besuchen  auf  sich  Eieht.    Wür  sehen  ein  Tropfeteingebilde 

y(«  uns,  welches  an  den  einsig  schönen  Waseeriall  in  der  Slouper  Tropfstein* 

b<^üe  etümert;  nur  eraoheiiU;  er  hier  im  verjüngten  Mafistabe.    Nicht  minder 

'  erregt  de«  Staunen  der  Besudier  eine  aweite  Kaskade,  die  man  aber  bei  läagei» 

i  Betnehten  eher  mit  einer  von  Kunstlerhand  zierlich  gefalteten  €kuiiaode 

vergleichen  möchte.  Die  niedere  Halle  setzt  sich  hintw  dem  Wasserfalle  in  snd-» 

nördlicher  Richtung  in  einem  kleinen  6  m  Iftnaiin  Glange  fort^  welcher»  anfangs 

naheeu  2.6  m  la^g  nnd  ebenso  hoch,  sich  aümdwich  vorangt  und  in  einen  Schlot 

nbeigeh  t.    Der  nöidliobe  Teil  der  Halle  ist  kaum  4  mjang  und  an  Beginn  nshes» 

B  2  m  breit. 

DerHsoptgang  istdort,  wo  er  mit  dsrHöUe  inVerhinriung  steht»  mit  vielen 
FelsblöckenbedMkt  nnd  orstteekt  sich29i»»  weit.  Er  istSmbreit  und  etwas  über 
2  m  hoch.  Wahrend  der  etwas  geneigte  Boden  mit  Felsblöoken  und  Abli  _ 
t  messen  bedeckt  ist,  ganzen  die  Wände  und  insbesosMlere  die  Decke  bei  1 

I  Belonchtong  von  zablreidien  alabasterweifien  Tropibteinen.     Sehr  zart  sind 

^  hier  die  schlanken  Stalaktiten.    An  einzelnen  StsUen  zu  Hunderten  beisammen, 

erregen  sie,  oft  so  dünn  wie  Fedeüstiele,  wegen  ihrer  zierUchen  Form  die  Be- 
'  wunderung  der  Besucher.    Von  besondeim  Intensse  ist  es,  daB  die  Enden  fast 

aller  StaUktiten  nach  dem  Innern  der  Hohle  g^ohtet  sind,  woraus  man 
aohliefien  kann,  daß  vom  Binnnge  her  ein  beständiger  Luftzug  herrBohte,  dev 
das  die  Tropfsteixie  bildende  ^terwaaser  zwang,  so  ungewöhnliche  Formen  zu 
bilden.  Zur  linken  Hand,  n^ie  der  Wand,  gewahrt  man  eine  Öffnung,  welche  z« 
«inem  kleinen,  noch  nicht  durchforschten  Abgrunde  oder  zu  einem  tieferliegeodan 
Gange  zu  fuhren  scheint.  Etwa  8  m  vor  cmn  Ende  befindet  sieh  die  Öffnung 
SU  einer  untern  Etage,  welche  ungefähr  6  m  tiefer  liegt  und  ebenfalls  reiche 
Tropfsteinbikiungen  aufweist  Dieser  untere  ziemlich  niedere  Qang  dehnt  sich 
nahezu  20  m  weit  aus,  zeigt  mehrere  Spalten,  weiche  augenscheinlich  in  einen 
Abgrund  fuhren,  und  kehrt  wieder  in  oen  obem  Hanpt^uig  mrnck.  Der  für 
einen  Höhlenfoncher  bemerkenswerteste  und  zugleicn  anziehendste  Teil  der 
neuen  Tropfsteinhöhle  ist  der  Abgrund,  welcher  sich  in  derselben  befindet.  Er 
ist  sehr  tief  und  kann  als  I>pus  eines  Abgrundes  im  mahrischen  Kantgebiete 
angesehen  werden.  Der  vordere  Rand  des  Schlundes  ist  abschässig  und  von 
zaUreichen  sich  aneinander  lehnenden  Felsblöcken  gebildet,  deren  durch  diese 
gebildete  Spalten  teilweise  mit  Ablagerungsmassen  gefüllt  sind.  Der  hintere 
Rand  führt  schiftg  auf  einer  lehmigen  Masse  4m  abwärts,  wobei  sieh  der  Schlund 
verengt  und  kaum  l^/^mim  Durdunesser  zeigt.  Der  Höhlenforscher  Koudelka 
ließ  sich  von  hier  aus  in  einem  Bergmannakübel  an  einem  festen  Seile  von  Süden 
gegen  Norden  über  die  lehmige  Masse  schräg  hinab  und  fuhr  dann  11  m  in  die 
Tiefe.  Hier  fand  sich  eine  semrage  Stufe,  welche  von  Südost  nach  Ncwdost  ge- 
richtet, 6  m  lang,  beinahe  1  m  breit  und  mit  einer  lehmigen  AblMerungsmasse 
und  mit  Kulmgeschiebe  bedeckt  ist.  Die  nordöstliche  Felswand  geht  in  die 
Tiefe  und  zeigt  eine  Reihe  auseinandeigehender,  senkrechter,  ausgewaschener 
Wasserrinnen.  Von  der  eben  beschriebraen  Stufe  gehen  drei  Offnungen  in  die 
Tiefe.  Die  südöstliche  bildet  eine  kaum  ^u  ^  hreite  Felsspalte,  welche  un^fiUir 
2  m  tief  zu  einer  Ablagerung  führt.  Von  hier  zweigt  sich  ein  sehr  Ueiner 
unterer  Gang  ab,  welcher  hinter  dem  Schlünde  zu  dem  obem  Höhlen&ange 
zurückführt  Aul  dem  cegenüberliegenden  Ende  der  Stufe  befindet  mm  cOe 
zweite  entfe  Öffnung,  welche  in  die  Tiefe  führt,  aber  zunächst  in  einen  Gang, 
durch  wdchen  man  in  die  dritte  Öffnung  einzudringen  vermag. 

Von  dieser  geht  es  6.5  m  schräg  abwärts  in  eine  kleine  Felflkammer,  welche 
ungefähr  1.6  m  toeit  und  ebenso  hoch  ist.  Von  hier  führen  wieder  zwei  Off- 
nungen; die  im  Osten  ist  fast  kreisrund  und  hat  einen  Durohmesser  von  6.4  m, 
die  im  N<xden  ist  0.75  m  hoch  und  fsst  0.5  m  breit.   Wenn  man  sich  nun  durch 


264  QttellMi  und  HiUil«i. 

die  letztere  dorohgecwinfft  hat^  kommt  man  in  einen  fast  honzontal  -ver- 
laufenden Gang,  der  naohNordnordost  maßig  abfallt  mit  und  Schlamm  und  eiuBr 
Lache  ganz  klaren  Waasen  bedeckt  ist.  Deor  kleine,  bogenartig  gelonnte  Gaqg 
zeigt  eine  gewölbte  Decke,  welche  auf  vom  Waaser  fönnlich  polierten  Feb- 
wänden  aufruht,  ist  bei  seinem  Beginne  1  bis  2  m  breit  und  nahesa  1.5  m  hoch, 
wird  aber,  je  weiter  man  vordringt,  desto  enger  und  niedriger  und  wendet  ach 
zugleich  etwas  nach  Nordnordost.  Die  ganze  Lange  des  Ganges  beträgit  14  «s 
und  zwar  zu  Beginn  in  der  Richtung  von  Süden  nadi  Norden  4  m  und  dann  von 
Sudost  nach  Nordwest  10  m ;  das  Oefiille  dagegen  mag  ung^Ulir  4  m  betragen. 
Der  Boden  ist  mit  Schlamm  bedeckt  und  z^gt  eine  schräge  Bidhtoqg  von  der 
westlichen  Felswand  zur  östlichen. 

Der  kleine  Gang  mündet  in  eine  kleine  Halle,  deren  Eingang  1.5  m  brät 
und  fast  ebenso  hoch  ist,  und  deren  von  zahlreichen  Löchern  färmlich  aerrissene 
Decke  am  Ende  in  einen  3^/a  m  hohen  Schlot  übergeht^  Die  Halle  ist,  von 
Osten  nach  Westen  gemessen,  6  m  breit,  von  Süden  nach  Norden  8  m  lapg 
und  8  bis  10  m  hoch.  Ungeßbr  in  der  Mitte  dersäben  befindet  sich  an  der 
Decke  ein  Felsblock,  welcher  wahrscheinlich  in  einem  Schlote  verkeilt  isL  Der 
sehr  unebene,  welleuförmifle  Boden  ist  mit  einem  zähen  Schlamme  bedeckt  und 
fällt  von  Süden  nach  Nox^ton  ab.  Von  der  Mündung  des  kleinen  Gax^gea,  4  m  in 
nördlicher  Richtung  entfernt^  kann  man  sich  mit  gröfiterVoFBioht  dem  Bande  des 
Abgrundes  nähern,  doch  liegt  die  Stelle  ungeföhr  1.5  m  tiefer. 

Von  dieser  aus  kann  man  wahrnehmen,  daß  die  Halle  in  nördüdicr 
Richtung  nach  oben  in  eine  sehr  enge  FeLaspalte  übergeht»  welche  unten  10  bei 
16  m,  dagegen  in  gleicher  Höhe  mit  dem  Boden  der  Halle  über  I  m  breit  k(L 
Die  Spalte  wird  von  nahezu  senkrecht  abfallenden  Fdswänden  begrenzt,  welche 
sich  oben  bis  auf  0.5  m  nahem,  während  sie  unten  2  bis  2.5  m  voneinander  ab» 
stehen. 

Vom  Rande  des  Abgrundes  geht  es  7.5  m  zu  einer  schief  liegenden  Ab- 
lagemngsmasse  hinab,  hinter  wel<£er  sioh  in  einer  Spalte  viele  mit  Schlamm 
bäeckte  Felsblöoke  befinden.  Hat  man  diese  erreicht^  so  geht  es  4.5  m  wieder 
zu  einer  lehmigen  Ablagerung  hinab,  welche  den  ganzen  Boden  der  unten  seihr 
breiten  Felsspalte  bedeckt.  Der  Höhlenforscher  Koudelka  konnte,  nachdem 
er  sich  noch  1.6  m  unter  die  Febblöcke  hinabgelassen  hatte,  nicht  winter  vor- 
dringen, weil  er  sah,  daß  das  Seil,  auf  dem  er  sich  herabgelassen  hatte,  sich  auf 
den  im  Schlamme  steckenden  Blöcken  bewegte.  Er  versuchte  nun»  eine 
andere  Öffnung  in  den  Abgrund  zu  finden.  Tatsächlich  führt  gerade  gegen- 
über dem  kleinen  Gange,  durch  welchen  man  in  die  besduiebene  &Sk 
gelangt,  [ein  1.6  m  hoher  und  1  bis  1.5  m  breiter  Gang  in  südöstlicher  Rich- 
tung über  eine  schlammige  Ablaeaiing  in  die  Tiefe.  In  der  Entfernung  voa 
6  m  biegt  dann  der  Gang  nach  Nordosten  ab  und  endigt  in  ^ner  Laoge  von 
8  m  bei  dem  Schlünde,  welcher  90  om  lang  und  halb  so  breit  ist.  Gang  und 
Schlundloch  sind  mit  Schlamm  bedeckt.  Überdies  war  es  ganz  unmögiidi, 
durch  diese  enge  Öffnung  zu  kriechen;  infolgedessen  mußte  der  Versuch, 
bis  zu  dem  untern  Ende  des  Abgrundes  zu  gelangen,  aufgegeben  werden. 
Er  ist»  wie  Koudelka  durch  andere  Messungen  ermittelte,  60  m  tief  und  reicht 
selbstverständlich  wie  alle  Abgründe  im  mährischen  Karate  bis  zum  unter- 
irdischen Wasserlauf  e,  in  dem  gegebenen  Falle  bis  zu  dem  des  Kiriteiner  Baches, 
hinab.  Da  der  genannte  Forscher  eine  Tiefe  von  34  m  erreicht  hatte,  so  hätte 
er  noch  16  m  zurücklegen  müssen,  um  bis  ans  £buie  zu  gelangen. 

Der  unterirdisehe  Abfluß  des  Sftntlsenees.  Die  naturwiasen- 
Bchaftliche  Gesellschaft  in  St.  Gallen  hat  vor  einiger  2«eit  ein  sehr 
interessantes  Experiment  mit  Erfolg  ausgeführt,  um  den  unter- 
irdischen Abfluß  des  hinter  der  Bergkette  des  Hohen  Kasten  120O  m 
hoch  gelegenen  Säntisersees,  der  bisher  unbekannt  war,  festzustellen. 
Es  wurde  der  See  mittels  3  hg  Fluoreszein  grün  gefärbt.   Einige  Tage 


FlfiMe.  265 

darauf  eraohien  das  Waflser  im  Mühlenbaohe  bei  Sennwald  deutlich 
grün  mit  der  charakteristisch  gelbgrunen  Fluoreszenz  des  einge- 
worfenen Farbstoffes,  womit  der  Beweis  dafür  gebracht  ist,  daß  das 
Wasser  des  Säntisersees  durch  die  zerklüfteten  Kalktelsen  hindurch 
dem  800  m  tiefer  gelegenen  Bheintale  unter  Vermittlung  des  Mühlen- 
baohes  bei  Sennwald  zuströmt. 


Flüsse. 

Ober  die  Beschaffenheit  des  Wassers  der  Oder  und  einiger  Neben- 
flüsse derselben  verbreitete  sich  auf  der  Breslauer  Naturforscher- 
Versammlung  (1904)  Dr.  Lüdecke.  Bei  den  verschiedenen  Wasser- 
ständen ist  die  Beschaffenheit  der  im  Wasser  gelösten  und  darin 
schwebenden  Stoffe  sehr  verschieden.  Die  schwebenden  Stoffe  be- 
tragen im  Strome  mindestens  4  ^  im  Kubikmeter,  höchstens,  bei 
Hochwasser  263  g.  Der  höchste  Schlammgehalt  lauft  dem  Scheitel 
der  Hochwasserquelle  etwas  voraus.  Die  Schlammteile  sind  meist 
feine  sandige  Stoffe.  Der  eigentUche  Ton  ist  geringer  an  Menge  darin. 
Die  gelöste  Salzmenge  ist  am  größten  bei  Niedrigwasser.  Ihr  höchster 
Betrag  ist  gemessen  zu  320  g  im  Kubikmeter.  Bei  hohem  Wasser- 
standen geht  der  Betrag  zurück.  Am  härtesten  (am  meisten  kalk- 
und  magnesiahaltig)  ist  das  Stromwasser  bei  Niedrigwasser.  Eisen 
enthält  es  wenig.  Lüdecke  legte  im  weitem  die  Zusammensetzung 
des  Wassers  der  Schweidnitzer  Weistritz  und  ihrer  Zuflüsse  dar,  so- 
wie der  Flüsse  zu  beiden  Seiten  des  Riesengebirges,  und  erörterte 
die  Entstehung  der  Moore. 

Das  Stromgebiet  des'Dniepr  behandelt  R.  v.  Wybranowski.  ^)  Die 
Flußlänge  beträgt  2160 ibi»,  das  ganze  Stromgebiet  nachMaximowitsch 
518  647  qhm.  DurchschnittUch  fallen  auf  demselben  nach  Tilla  jähr- 
lich 601  mm  Niederschläge,  und  von  diesen  fließen  36%  in  den  Dniepr 
ab.  Der  Hochstand  seines  Wassers  fällt  auf  den  April,  während  das 
Maximimi  der  Niederschläge  in  die  Monate  Juni  bis  August  fällt. 
Die  Wasserzufuhr  des  Stromes  findet  hauptsächlich  aus  den  Mooren 
und  Wäldern  statt. 

Die  Hochwasser  des  Mississippi  im  Frfihjahre  1908  sind  von 
H.  G.  Frankenfield  untersucht  worden.  *)  Von  Memphis  bis  zu  den 
Pässen  war  der  Wasserstand  höher  als  je  zuvor,  zu  Memphis  um  2.8, 
zu  New-Orleans  um  0.8  Fuß.  Die  Ursache  dieser  Flut  ist  in  unge- 
wöhnlich starken  RegenfäUen  während  des  Februar  und  Regen- 
stürmen des  südwestUchen  Typus  zu  suchen.    Den  beträchtlichsten 

1)  La  G^graphie  t.  Nr.  2. 

*)  U.  S.  Department  of  Agrioulture  BoUetin  M.  The  IloodB  eto.  in  the 
MiasiMippi  Waterabed.    Washington  Weather  Burean  1904. 


2e6  FitoB. 

WaaemrEuflttfi  erhttt  der  HMiptrtrom  diindi  den  Misaonri  und  QUo. 
Wa»  die  Dauer  det  Flut  aabelangi,  so  stiog  dar  Mknisaippi  xn  New- 
Madrid  über  die  Gefahrimie  am  17.  Februar  und  eank  unter  cUeaeUbe 
zu  New^OrleaoB  «m  21.  Hai,  so  daß  die  Geaamtdauer  der  Xihn- 
BohweBUxumg  M  Tage  betrug.  Die  Veiheerungeu,  wtitiae  der  unlene 
Missouri  und  Kansasriver  anrichteten,  emichteii  ihvea  BShepmikti 
bei  der  Stadt  Kansascity,  wo  die  Flut  höher  stieg  als  bei  der  be- 
rüchtigten Überschwemmung  von  1844.  Die  Hochwasser  waren  hier 
ledigUch  durch  die  außergewöhnlichen  BegenfaUe  während  des  Mai 
im  Gebiete  des  Kansasriver  hervorgerufen.  Die  Brücke  der  MQnouii- 
Pacificbahn  über  den  Kansasfluß  war  unter  17  Brücken  die 
einzige,  welche  von  der  Überschwemmung  nicht  fortgerissen  wurde. 
(Tafel  V.) 

Das  Mündungsgebiet  des  Amaionas  und  Toeantlns  ist  neuerdings 
von  Hartt  und  Huber  studiert  worden.  ^)  Ersterer  behauptet,  daß 
in  einer  nicht  sehr  weit  zurückliegenden  Epoche,  als  das  Terrain  noch 
niedriger  war  wie  heute,  durch  die  Region  der  Breveskanale  ein 
breiter  Ann  des  Amazonas  sich  in  das  Astuarium  desRioP&ra  ergossen 
habe,  wie  solches  heute  noch  in  der  Regenzeit  stattfindet.  Die 
Region  dieser  Kanäle  wird  bezeichnet  durch  das  Gebiet,  welches  im 
Norden  durch  den  Paranamiry  Uituquara,  im  Westen  durch  den 
Kanal  Tajapuru  und  seine  Fortsetzung  nach  Süden,  den  Taja- 
purusinho,  im  Osten  durch  den  Rio  Macacos  und  Rio  dos  Brevea,  im 
Süden  durch  die  Bahias  de  Portel,  Melgaco  und  dos  Bocaa  begrenzt 
ist.  Das  wichtigste  Phänomen  in  der  Hydrographie  des  Plara- 
ästuahums  besteht  darin,  daß  die  Flut  in  ihm  viel  mehr  zur  Geltung 
kommt  als  an  der  nördhchoi  Mündung  des  Amazonas  und  demsaf  olge 
nicht  nur  wie  hier  eine  mehr  oder  weniger  starke  Wasserstaanng, 
sondern  eine  ausgesprochene  Gegenströmung  hervorruft.  Der  nord- 
Uche  Teil  der  Kanäle,  nördlich  von  dem  quer  verlaufenden,  die  diei 
Hauptkanäle  verbindenden  Atuna  steht  unter  direktem  Einflüsse 
des  Amazonas,  der  südliche  unter  dem  des  Parckästuariums.  Von 
beiden  Seiten,  von  Norden  wie  von  Süden,  tritt  bei  Flut  das  Wasser 
in  die  Kanäle  ein,  um  dieselben  bei  Ebbe  auf  dem  gleichen  Wege  zu 
verlassen.  An  bestimmten,  natürUch  nicht  sehr  scharf  markierten 
Stellen  der  einzelnen  Kanäle  trifft  nun  das  aus  dem  Amaeonae  ein- 
tretende Wasser  mit  dem  aus  dem  Paraästuarium  stammenden  zu* 
sammen  —  diese  Stellen  heißen  nach  der  Bezeichnung  der  Brasilianer 
„Encontros  d'agua''  und  liegen  an  zwei  von  den  drei  Hauptkanalen 
in  etwas  verschiedener  Höhe,  im  Jaburu  etwas  nönUicher  als  im 
Macacos,  während  andern  westlichsten  Hauptkanale,  dem  Tajapuru, 
anscheinend  von  einer  solchen  „Wasserbegegnung''  nicht  die  Rede 
ist,  sondern  das  Wasser  ständig,  bei  Ebbe  stark,  bei  Flut  schwach  von 

1)  Globus  86.    p.  90. 


Flüsse.  267 

Nord  nach  Süd,  vom  Amazonas  zum  Paraastuarium  abfließt.  Dieser 
Angabe,  die  mit  den  Berichten  von  Martins,  Prinz  Adalbert  von 
Preußen,  Hartt  und  Goudreau  übereinstimmt,  widersprechen  die  An- 
gaben z.  B.  von  Wallace,  Barao  de  Marajo,  die  auch  im  Tajapuru 
Gegenströmung  von  Süd  nach  Nord  angetroffen  haben.  Es  bleibt 
deiäalb  die  Entscheidung  dieser  Frage  einer  Reihenfolge  methodischer 
mindestens  auf  ein  ganzes  Jahr  ausgedehnter  Beobachtungen  vor- 
behalten. Jedenfalls  aber  ergießt  der  Tajapiiru,  wenigstens  während 
der  Ebbe,  eine  große  Menge  Amazonaswasser,  ein  Faktum,  das  einmal 
daraus  erhellt,  daß  sogar  in  den  südlichen  Abschnitten  der  Kanäle» 
wo  bei  Flut  Gegenströmung  vorhanden,  die  Ebbe  bei  stärkerer 
Strömung  auch  l&igere  Zeit  in  Anspruch  nimmt  als  die  Flut,  so  daß 
z.  B.  nach  einer  einfachen  Berechnung  vor  dem  Flecken  Breves  durch 
den  Kanal  gleichen  Namens  bei  jeder  Ebbe  15  444  000  cbm  Amazonas- 
wasser, für  die  sämtlichen  nach  Süden  mündenden  Kanäle  das  sicher 
nicht  zu  hoch  gegriffene  Vierfache  gerechnet,  also  über  60  000  000  cbm 
Amazonaswasser  sich  in  das  Paraästuarium  ergießen,  eine  Wasser- 
menge, die  von  allen  südlichen  Zuflüssen  des  Paraästuariums  zu- 
sammen genommen  nach  Hartt  sicher  nicht  annähernd  erreicht  wird. 
Danach  kann  der  Auffassung,  daß  das  Paraästuarium  als  Amazonas- 
arm und  der  Tocantins  als  dessen  Nebenfluß  zu  betrachten  sei,  kaum 
mehr  etwas  Stichhaltiges  entgegengehalten  werden. 

Auffallend  ist  die  bedeutende  Tiefe  der  Kanäle  im  Verhältnisse  zu 
ihrer  Breite;  nach  Hemdon  wechselt  die  Breite  von  46  bis  460,  die 
Tiefe  von  10  bis  56  m.  Im  Arama  ist  die  größte  Tiefe  beim  Flecken 
gleichen  Namens  30.5  m,  der  Tajapuru  scheint  gleiche,  der  Macacos 
geringere  Tiefe  aufzuweisen.  Der  Wasserstand  ist  ein  sehr  konstanter 
und  schwankt  von  tiefster  Ebbe  zu  höchster  Flut  im  Arama  z.  B.  nur 
um  3  m. 

Alle  Inseln  der  Region  der  Breveskanäle  sind  Neubildungen  der 
Sedimentation  des  Amazonaswassers,  die  auch  heute  noch  fort- 
dauert. Ein  Brunnenschacht  von  10  m  Tiefe  an  einem  etwas  höher 
gelegenenPunkte  des  Aramaufers  ergab  das  folgende  Profil :  Im  gelben, 
im  obem  Teile  humusreichen  Ton,  darunter  0  m  blaugrauen,  sehr 
feinen,  plastischen  Ton  mit  kleinen,  schwarzen,  mit  bloßem  Auge 
sichtbaren  Fragmenten. 

Bei  der  Neubildung  von  Inseln  sind  es  vor  allem  zwei  Pflanzen, 
die  vermöge  der  Fähigkeit  ihrer  Samen,  lange  auf  dem  Wasser  zu 
schwimmen,  als  Pioniere  der  Vegetation  eine  Sandbank,  nachdem 
sich  genügend  Schlamm  auf  ihr  abgelagert,  in  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung einnehmen,  die  Aninga  (Montrichardia  arboreecens)  und 
der  Aturia  (Drepanooarpus  lunatus),  und  zwar  in  der  Regel  auf  einer 
bestimmten  Bank  nur  die  eine  von  den  beiden  unter  Ausschluß  der 
andern.  Nachdem  nun  durch  diese  erste  Vegetation  die  Ablagerung 
angeschwemmten  Materiales  erleichtert,  erscheinen  bald  andere 
Pflanzen,   besonders  die  Mangue   (Rhizophora  mangle),   in  deren 


268  FlfiflM. 

Schatten  weder  die  Aninga»  noch  der  Aturia  mehr  gedeihen,  so  daß 
diese  immer  mehr  an  den  Waaaerrand  zurückgedrängt  werden.  Das 
gleiche  Los  wird  dann  der  Mangue  von  andern  in  ihrem  Schatae  an- 
gesiedelten Bäumen  (Mirity,  Sumauma  u.  a.)  zuteil,  auch  de  wird 
immer  mehr  nach  dem  Wasser  zu  zurückgedrängt.  So  finden  och 
denn  an  allen  Inseln,  wenigstens  an  der  dem  Strome  abgekduteo 
(untern)  Seite,  wo  das  mebor  stagnierende  Wasser  eine  andaoenide 
Ablagerung  gestattet,  als  äußerster  Vegetationsgürtel  ein  Aning^ 
oder  Aturiabestand,  nach  innen  davon  ein  Manguebestand,  und  ent 
hinter  diesem  beginnt  das  Vielerlei  der  im  untern  Amazonasgebiete 
heimischen  Baumarten. 

Die  Sehwanwasserfifisse  Südamerikas.  Eine  ZusammenstdhDg 
und  Diskussion  des  hierüber  vorliegenden  Materiales  hat  Dr. 
Josef  Reindl  gegeben.  ^) 

Hiemach  liegen  die  schwarzen  Strome  Südamerikas  mit  kum 
nennenswerten  Ausnahmen  auf  der  großen  „Brasilianischen  Masse" 
die  sich  als  eine  alte  geologische  Bildung  vom  Orinoco-Apure  üb 
Norden  bis  zum  Uruguay  im  Süden  erstreckt.  Seit  der  Faltung  lIuk 
archäischen  Grundgesteine  hat  diese  gewaltige  „Masse"  keine  Störoi^ 
in  der  Lagerung  ihrer  Gesteinsschichten  mehr  erfahren,  und  selbst  die 
devonischen  und  karbonischen  Ablagerungen,  also  Fonnations- 
gruppen  sehr  hohen  Alters,  hegen  ungestört  über  dem  stark  p- 
fadteten  Grundgebirge. 

Topographisch  zerfällt  dieses  große  Gebiet  in  mehrere  Teile,  die 
Reindl  wie  folgt  unterscheidet: 

1.  Das  Bergland  von  Brasilien,  südlich  von  Amazonas  und  öetüohm 
Madeira.  Das  durch  den  Parana,  den  Paraguay  und  die  AmaconasnebeDfloae 
reichbew&sserte  Binnenland  ist  größtenteüs  flach,  nnd  nur  allmählich  eriwU 
sich  dasselbe  nach  der  Küste  zu,  um  dort  ein  über  300  000  qkm  umtoeoda 
Küstengebirge  zn  bilden,  das  fast  in  allen  seinen  Teilen  zusammenhängt  ^ 
aich  bei  einer  mittlem  Höhe  von  900  bis  700  m  von  der  Nordküste  heräb  ba 
Uruguay  hinein  erstreckt  Der  am  Meere  hinstreichende  GebiigBrücksn  iit  is 
seiner  größten  Ausdehnung  unter  dem  Namen  Sem  Geral  bekannt  Das  Bag* 
land  des  Innern,  welches  keinen  herrorragend  hohen  Punkt  aufweist,  wird  ta* 
dos  Vertentes,  d.  h.  Quellengebirge  genannt,  weil  auf  ihm  die  Wiegen  Tia^J 
südlicher  Nebenflüsse  des  Amazonas  und  vieler  Zuflüsse  des  Pangosj  ^ 
Parana  liegen.  Es  ist  ein  4ö0  m  hohes  Tafelland  mit  aufgesetaten  Tm^argo» 
tiefen  Fluieinschnitten  und  zahlreichen  WasserflUlen,  diuch  die  die  8<^^^ 
in  das  Innera  beeohweriich  gemacht,  ja  sogar  oft  verhindert  wird.  Von  Säo» 
aus  erscheint  das  Gebiet  au  Gebirge  mit  zerklüfteten,  steilen  Gehängen  "om 
Wänden.  Die  Binnenplateaus  (chapadas)  sind  entweder  nur  mit  ^teppei^ 
bedeckt  oder  mit  niedrigem  Gehölze,  sogenannten  „Oaatingas"  ^^^^^^^ 
Dieselben  sind  überall  kulturfahig  und  im  ganzen  gut  bewässert;  nur  im  ^^ 
Osten  des  Landes  trifft  man  ausgedehnte  wasserarme,  mit  dürren  ^J^ 
bestandene  Ebenen,  sogenannte  „sertoes",  welche  sich  nur  yorübeigelMO^ 
während  der  Regenzeit  mit  frischem  Grün  bedecken.    Auffallend  kontrastiv 

^)  Die  schwarzen  Flüsse  Südamerikas.   Hvdrogr.  Studie  von  J.  Beio^ 
München  1903. 


Flüsse.  269 

I  mit  diesoQ  die  mit  ewia  granem  Urwalde  bedeokten  Täler  der  zahlreiohen  Flüsse 

und  Bäche  und  veriemen  den  sonst  so  öden,  einförmigen  Plateaus  einige  Ab- 
^  weohalnng  und  einigen  Reiz. 

I  2.  Die  brasilianische  Masse  nördlich  vom  Amazonas.    Hier  dehnt  sich  am 

I  mittlem  und  obem  Rio  Negro,  am  Atabapo  und  Oassiquiare  ein  ungeheures 

^  Granitgebiet  aus,  dessen  yöfiige  Horizontafität  schon  Humboldt  in  Erataunen 

setzte^  und  die  die  geringe  Strömung,  sowie  die  zahlreiohen  Bifurkationen  und 
'  Stromvermisohungen  der  dortigen  Flüsse  verursacht.    Im  Osten  des  Rio  Negro 

(  wird  dasselbe  von  einer  Sandateindecke  überlagert,  die  sich  gegen  das  Ben;)and 

▼on  Guayana  ausdehnt  und  dort  in  waldbedeckte,  aber  auch  kahle  Gebirgs- 
landschaften  übcurgeht.     Sie  bilden  vom  Rio  Negro  bis  zum  Essequibo  die 
Hauptwasserscheide  zwischen  dem  Amazonassysteme  im  Süden  und  dem 
>  Orinooo-  und  Essequibosysteme  im  Norden.    Unterbrochen  wird  diese  Wasser- 

scheide nur  zwischen  dem  Mahn  und  dem  Rupununi,  auf  einem  flachen  Granit- 
gebiete, wo  zur  Regenzeit  eine  Wassermischung  zwischen  diesen  zwei  letzt- 
genannten Strömen  stattfindet. 
'  3.  Die  Niederunff  des  Amazonas.   Diese  ungeheuere  Fläche  senkt  sich  von 

I  der  Oststufe  der  CoroUlleren  bis  zum  Atlantischen  Ozeane,  also  auf  einer  Er- 

streckung von  3000  km  kaum  um  200  m,  während  die  Senkung  vom  Berglande 
Guayanas  bis  zum  Bette  des  Amazonas  auf  600  km  Erstreckimg  etwa  dreimal 
größer  ist  Auf  diesem  ganzen,  ungeheueren,  Europa  an  Größe  vergleichbaien 
f  Gebiete  kämpfen  Fluß  und  Wald  um  die  Herrschaft  bis  zum  Trombetas,  wo 

t  ausgedehnte  Camdistrikte  auftroten.    Die  Ströme,  die  sich  in  dieser  sroßen 

^  Ebäie  bewegen,  werfen  sämtlich  ihre  Wassermasse  dem  Amazonas  zu,  der  die 

Niederung  von  W  nach  O  durchzieht.    Sämtliche  Flüsse  tragen  hier  denselben 
'  Charakter  eines  in  unzähligen  Schlinaen  sich  windenden  Laufes  und  niederer, 

f  während  eines  großen  Tdks  des  Jahres  vom  Hochwasser  überfluteter  Ufer. 

I  Namentlich  für  die  Gewässer  westlich  vom  Madeira  und  Rio  Negro  sind  die 

fortwährenden  Veränderungen  des  Stromlaufes  charakteristisch.    Ehrenreich 
schreibt  hierüber:  „Vom  hohen  Ufer  der  terra  firma,  dem  Reste  jenes  alten 
Meeresbeckens,  werden  ungeheure  Massen  durch  Unterspülung  abgeschwemmt 
t.  und  geben  an  Biegungsstellen  Material  für  mächtige  Alluvialbildungen,  die 

schließlich  die  Ströme  aus  ihrer  Bahn  ablenken  und  zu  neuen  Volten  nötigen. 
Es  entsteht  so  ein  labyrinthisches  Kanalsystem,  das  die  Flüsse  in  ihrem  ganzen 
'  Laufe  begleitet,  die  sogenannten  Igarap^e,  die  aber  auch  weit  in  die  Terra 

'  firma  eingreifen.    Wird  nach  Bildung  einer  neuen  Biegung  der  Eingang  oder 

'  Ausgang  einer  alten  verlegt,  so  bildet  sich  an  ihrer  Stelle  eine  bogenförmige 

'  Lagune,  die  durch  kleine  „Furos"  mit  dem  Hauptflusse  in  Verbindung  bleibt. 

'  Beiderseits  wird  ein  solcher  Fluß  von  einem  ganzen  Systeme  solcher  Lagunen 

eingefaßt,  wie  dies  in  kleinem  Maßstabe  auch  bei  europäischen  Flüssen,  z.  B. 
dem  mittlem  Rheine  der  Fall  ist  Derselbe  Prozeß  wiederholt  sich  bei  den 
Nebenflüssen;  es  bilden  sich  Kommunikationen  zwischen  diesen  und  den 
Tributären  des  Parallelstromes,  so  daß  schließlich  ein  Fluß  mit  dem  andern  in 
Verbindung  steht." 

Die  Schwarzwasserflüsse  finden  sich  auf  der  brasilianischen  „Masse" 
und  in  der  großen  Amazonasniederung  in  großer  AnyAhl  Reindl  unterscheidet 
behufs  Einzelbeobaohtung  dieselben  in  folgenden  Gruppen:  1.  die  schwarzen 
Flüsse  des  Orinooosystemes,  2.  diejenigen  Guayanas,  3.  die  des  Amazonas- 
systemes,  darunter  a)  die  rechtsseitisen,  b)  die  linksseitigen,  4.  die  des  bra- 
ailianischen  Berglandes,  6.  zweifelhafte  Schwarzwasserflüsse. 

Was  die  schwarzen  Flüsse  des  Orinooosystemes  anbelangt,  so  sagt  darüber 
A.  V.  Humboldt:  „Mit  der  Mündung  des  Rio  Zama  betraten  wir  ein  Flußsystem, 
das  große  Aufmerksamkeit  verdient.  Der  Zama,  der  Mataveni,  der  Atabapo, 
der  Tuamini,  der  Temi,  haben  schwarzes  Wasser  (aquas  n^gras),  d.  h.  ihr  Wasser, 
in  ipoßen  Massen  «esehen,  erscheint  kaffeebraun  oder  grünlich  schwarz,  und 
doch  sind  es  die  schönsten,  klarsten,  wohlschmeckendsten  Wasser.  Wenn  ein 
gelinder  Wind  den  Spiegel  dieser  schwarzen  Flüsse  kräuselt,  so  erscheinen  sie 


270  Flu«««. 

wiesengrfin  wie  die  Schweizer  Seen.  Im  Schatten  ist  der  &ma,  der  Atabapo  osv. 
Bohwan  wie  Kaffeeeate.  Diese  Eracheimmgen  md  so  auffallend,  dafi  cfie 
Indianer  allerorten  die  Gewässer  in  „schwarze  und  wdfie^*  eintetlen.^ 

Von  diesen  Hassen  sind  bis  jetat  nur  zwei  ihrem  ganzen  Laufe  nach 
bekannt,  darunter  der  Atabapo,  dessen  üferiandschaften  einen  grofien  Kontrast 
mit  den  Gegenden  am  Orinoco  bilden.  Humboldt  sagt  darüber:  „Sobald  man 
das  Bett  des  Atabapo  betritt,  ist  alles  andurs,  die  Beachaffenheit,  der  Laaf,  cfie 
Farbe  des  Wassers,  die  Gestalt  der  Baume  am  Ufer.  Bei  Tage  bat  man  von 
den  Moekiten  nicht  mehr  zu  leiden,  die  Schnaken  mit  langen  Füfien  (Zancados) 
werden  bei  Nacht  sehr  selten,  ja  oberhalb  der  Mission  San  Fernando  verschwin- 
den diese  Nachtinsekten  ganz.  Das  Wasser  des  Orinoco  ist  trübe,  voll  erfger 
Stoffe,  und  in  dm  Buchten  hat  es  wegen  der  vielen  toten  Krokodile  und  anderer 
faulender  Stoffe  einen  bisamartigen,  süßlichen  Geruch.  Um  dieses  Wasser 
trinken  zu  können,  mußten  wir  es  nicht  selten  durch  ein  Tuch  seihen.  Das 
Wasser  des  Atabapo  dagegen  ist  rem,  von  angenehmem  Geschmacke,  ohne 
eine  Spur  von  Geruch,  l:^i  reflektiertem  Lichte  bräunlich,  bei  durohg^hendmi 
gelblich.  Das  Volk  nennt  dasselbe  „leicht'\  im  Gegensatze  znm  traben, 
schweren  Orinocowasser.  Es  ist  meist  um  2®,  der  Einmündung  der  Tlemi  sa 
um  3*  kühler  ids  der  Orinoco.  Wenn  man  ein  ganzes  Jahr  \Bog  Waaser  yxm 
27  bis  28^  trinken  muB,  hat  man  schon  bei  ein  paar  Graden  weniaer  ein  änflent 
angenehmes  Gefühl.  Diese  Temperatur  rührt  wohl  daher,  daß  der  Ftnfi  nicht 
so  breit  ist,  daß  er  keine  sandigen  Ufer  hat,  die  sich  am  Orinoco  bei  Tage  asf 
60®  erhitzen,  und  daß  der  Ati9>apo,  Temi,  Tnamini  und  der  Rio  Negio  von 
dichten  Wäldern  beschattet  sind 

Nicht  nur  der  Orinoco  empfangt  aus  Guayana  zahlreiche  Schwaizwasser- 
flüsse,  sondern  es  fließen  auch  smche  direkt  in  den  Atlantischen  Ozean,  darunter 
der  Barima.  Der  Essequibo,  der  größte  Fluß  Guayanas,  zeigt  in  seinem  Quellen- 
gebiete die  gleiche  Färbung.  Ik>bert  v.  Schomburgk  schreibt  darüber:  „Bä 
dem  Wilhelmskatarakte  ist  sein  Wasser  dunkelbraun,  das  sich  aber  erhellt, 
sobald  es  den  weißen  Rupununi  abermals  aufgenommen,  weiter  nordBch  wird 
es  durch  die  roten  Wasser  des  Siparuni  abermals  gefiLrbt,  und  noch  weiter 
nach  Norden  mbt  ihm  der  Potara  seine  frühere  Farbe  zurück,  die  er  an^  mm 
bis  zu  seiner  Vereinigung  mit  dem  Mazaruni  und  Cuyuni  beibehalt,  worauf 
er  wieder  die  Farbe  annimmt,  die  er  nordlich  vom  Rupununi  hatte. **| 

Andere  Schwarawasserflüsse  Guayanas,  die  sich  direkt  in  den  Onaa 
eigießen,  sind  der  Demerara  und  der  lierbioe.  Reindl  hat  mit  eratannlichfan 
Fleiße  alle  Nachrichten  über  die  Wasserfarben  einer  Menge  von  Nebenflüs 
gesammelt  und  führt  sie  speziell  auf. 

Die  schwanen  Flüsse  des  Amanmenatromtales  haben  ihieii 
Repräsentanten  in  dem  Unks  einmündenden  Rio  Negro.  Er  führt  in~ 
Oberlaufe  den  Namen  Guainia  und  hat  aooh  dort,  wo  er  in  einem  Graaitbette 
fließt,  tintenschwarzee,  klares,  durchsichtiges  Wasser,  dessen  mittkte  Tem- 
peratur 28  bis  290  beträgt.  Beim  Einflüsse  des  Rio  Branoa,  densen  wvIBb 
Wasser  den  grüßten  Kontrast  zu  denen  des  Bio  Nh^gro  bilden,  beginnt  «les 
letztem  Unterlauf.  Die  Ufer  werden  jetat  flaoh  und  sandig.  Zar  TTonhuiaum 
zeit,  vom  April  bis  zum  August,  weiden  die  Inseln,  die  jetat  nicht  melir,  in 
Gegensätze  zu  den  Restinsehi  des  Granitgebietes,  aus  Fleben  bestehen,  sondan 
sämtlich  zu  den  Anschwemmungsinsaln  gehöran,  unter  Wasser  geaetat.  Der 
Fluß  bildet,  sagt  Reclus,  wie  die  kanadischen  Ilüsse,  mehr  die  FortaetauQg 
eines  Sees  als  die  eines  Flusses.  Er  hat  oft  eine  Breite  von  25  km,  nnd  seine 
Stvömung  ist  außerordentlich  schwach.  Mit  Recht  bezeichnen  ihn  die  Indianer» 
wie  uns  Reclus  ebenfalls  berichtet,  im  Gegensatae  zu  dem  reißenden  i 
als  den  „toten"  Strom. 

Auf  diesem  Unteriaufe  ist  das  Wasser  nicht  mehr  klar,  aondsm 

Beimengung  von  Sedimenten  getrübt,  die  FVffbe  weehselt  an  Intensität,  ist  an 
seichten  Stellen  bernsteingelb,  an  tiefen  undurchsichtig  schwan.    Das  ganae 


Fl&M.  271 

Gebiet  der  Znflüen  dodlBio  Negro,  ledrts  wie  linke,  ist  thtnÜMapt  reich  an 
eehwanEen  Gewftieem.    Der  Oaesiquiari  fahrt  dagegen  kela  eohwarzes  WaMer. 

Beim  Caqaeta-«laptira  zeigt  nur  ein  kleiner  nnfiabsohnitt  die  Farbe  des 
Rio  Negro. 

Von  den  reohtaaeitigen  Sohwarzwaaeerzuflüsaen  des  Amazonsis  ist  das 
sewaltige  Flußsystem  Ar^gaaya-Tocantins  zu  nennen.  Ersterer  mündet  in 
den  letztem  unter  H^  20^  südl.  Br.  Sein  Wasser  ist  auffallend  klar  und  dunkel. 
Wenigstens  zu  den  Dunkelwasserflüssen  cehört  der  Xingu,  der  uns  durch 

r  bekannt 


K.  Ton  den  Steinens  Forsohun|;en  senftaer  bekannt  wurde,  und  deesen  Haupt- 
queUfliiS  H.  Meyer  erforeeht  hat.  ils  0  km  breiter  Strom  erneßt  sich  der  Xinga 
unter  lyj^  südl.  Br.  in  den  Amazonas.  Die  Wirkung  von  Ebbe  und  Flut  wird 
auf  aeinem  ganzen  untern  Laufe  Terspürt.  Über  seine  Lange  sagt  dauB:  „Um 
sich  an  der  Hand  geläufiger  Distanzen  eine  Vorstellung  von  &r  ungeheuren 
Lange  des  Xingu  zu  bilden,  denken  wir  uns  seine  Mündung  nach  Hamburg 
▼erlegt;  dann  wurden  wir  seine  Quellen  an  der  afrikaniachen  Nordküete  bei 
Tunis  zu  suohen  haben." 

Der  Tapajoz,  welcher  durch  die  Vereinigung  des  Arinos  und  Juruena 
entsteht,  fuhrt  ebenfalls  dunkles  Wasser.  Chandleß  bemerkt  darüber:  „Ober- 
halb  der  Mundung  des  San  Manod  Terwandelt  sich  das  Fhifiwaaser  von  den 
hellen  Grün  des  Arinos  und  Juruena  in  eine  dunkle,  schw&rsliohe  Färbung; 
aus  dieeem  Grunde  ist  der  Fluß  von  San  Manoel  abw&rts  unter  dem  Namen 
River  Preto  bekannt.  Sogar  in  Santarem  spricht  man  unter  keinem  aaden 
Namen  von  ihm.**  Av^-LaUemant  sagt:  „Li  sohrftger  Richtung  setsten  wir 
über  den  grauen  Strom  (Amaaonas^,  der  plötaüch  scharf  abgeschnitten  schwarz 
enchien.  Beide  Waaserschichten  liefen  canz  unvermischt  nebeneiiiander  hin, 
jede  ihre  Uferseite  behauptend,  ein  höchst  auffallendes  Phänomen.  Das  ist 
daa  sogenannte  „aehwarze  Wasser'*  des  machtigen  Tapaioz,  an  dessen  rechtem 
Ufer  Santarem  liegt.  Silbeo^lar  und  vollkommen  rein  ist  das  Wasser  desTapajoz 
zumal  neben  dem  trüben,  grauen  Wasser  des  Amazonenstromea." 

Katcer  s^  davon:  „Das  Wasser  des  Tapajoz  erscheint  im  reflektierten 
lichte,  wenn  sich  der  reine  Himmel  darin  spiegelt,  blauschwarz,  bei  direkter 
Sonnenbestrahlung  sehw&rzlidigrün  (wie  Alizaiintinte)  bis  hell  ohvengrün,  je 
nach  der  Tiefe.  &  ist  dabei  äußerst  klar,  so  daß  man  selbst  durch  eine  3  bis 
4  m  machtige  Schicht  bis  auf  den  Grund  sieht.  Es  gilt  als  sc^enanntes  „schwar- 
aea**  Wasser,  und  der  Fluß  wird  daher  von  d«i  Cearenser  Kolonisten  bei  San- 
tarem auch  kurz  Rio  preto  (schwarzer  Fluß)  genannt.  Die  Analyse  einer  bei 
Itaituba  geechöpften  Probe  ergab  einen  außemwöhnlich  geringen  Gehalt  an 
gelöeten  Beetanateilen,  in  welchem  Sinne  der  Tapajoz  zu  £n  reinsten  Flüssen 
der  Welt  gehört." 

Der  gewaltige  Madeirastrom  hat  ebenlaUe  mehrere  SchwarzwasserzuflüsBe. 
Nach  SeUin  hat  er  selbst  in  der  trockenen  Jahreszeit  eine  sehr  braune  Farbe, 
während  er  in  der  Regenzeit,  wenn  Detritusmassen  seine  Fluten  trüben,  gdblidi 
ist  wie  der  Amazonas.  Daa  nämliche  soll  auch  für  den  Purus  zutreffen,  außer- 
dem hat  dieser  noch  mehrere  echte  Schwarzwasserstrome  als  Zuflüsse. 

Was  die  schwarzen  Strome  des  brasilianischen  Berglandes  anbelangt,  so 
führt  Reindl  deren  secha  auf,  darunter  auch  den  Rio  Uruguay,  der  in  seinem 
Oberlaufe  nach  Av^Lallemant  ein  sehr  dunkles  Kolorit  hat. 

Schwarzwasseiflüsse  kommen,  wie  Reindl  hervorhebt,  vieUeicht  auch  in 
Argentinien  vor. 

Das  Steigen  und  Fallen  der  Flüsse  im  Amazonasgebiete  richtet  äch  streng 
naoh  der  Regen-  oder  Trockenzeit  und  erfoUrt  daher  in  einer  sehr  regelmäßigen 
jähriichen  Periode.  Beim  Amar.onas  gibt  die  Vegetation  einen  vortrefflichen 
Maßstab  für  die  horizontale  Ausbreitung  seiner  Überschwemmungen,  und  man 
unterscheidet  drei  Typen  derselben:  Die  erste  Vegetationsform  oer  Igapo,  ist 
daa  bia  zu  90  bia  35  Im  breite,  an  den  beiden  Flußufem  sich  hinzielende  Über- 
schwemmungEfgebiet,  welches  in  der  Regraizeit  für  m^irere  Monate  so  überflutet 
wird,  daß  selbst  die  höchsten  Bäume  nur  noch  mit  den  Wipfeln  über  dem 


272  FltbM. 

Wasser  hervomgeiL  Das  nAohstfdMide  Gebiet  nimint  die  Vaizea  ein.  Sie 
wird  nicht  mit  jedem  Hochwasser  überflutet  und  niemals  bis  zu  bedeateoder 
Tiefe.  Bei  normalem  Wasserstande  bildet  sie  fast  durdigehends  die  Ufer.  Die 
Terra  firma  endlich  wird  ron  der  Hochflut  nicht  mehr  erreicht.  Der  Wald  bat 
hier  ein  ganz  anderes  Aussehen.  Die  Baume  erreichen  oft  eine  Hohe  Tmi  60  bis 
70  m,  und  das  Unterholz  und  die  Schlinn)flanzen,  die  sich  von  Baum  zu  Banm 
winden,  stehen  oft  so  dicht  beieinander,  dafi  man  sich  nur  mühsam  und  Schritt 
für  Schritt  seinen  Wag  mit  dem  Waldmesser  hindurohzubahnen  yermag. 

Von  einiflen  Schwarzwaaserflüssen  sind  die  Unterschiede  von  Hoctk-  und 
Niedrigwasser  Dekannt,  sie  erreichen  z.  B.  im  Unterlaufe  des  Rio  Negro  toOs 
10  m  und  ebenso  Tiel  im  untern  Tocantins. 

Prüft  man  genauer  das  Auftreten  der  Schwarzwasserflüsse  Südamerikaa 
so  erkennt  man  mit  Reindl,  daß  sie  nch  in  Gegenden  finden,  wo  grofie  ver- 
wesende Pflanzenmassen  YOi^ommen.  „Wohl  nirgends,"  sagt  er«  „fanden  (fie 
sumpf-  und  moorbildenden  Agenzien  so  günstige  Verhältnisse  zu  ihrer  Ent- 
wicklung ab  an  den  Flußufem  der  schwarzen  Flüsse  Südamerikas.  Das  In- 
einande^^fen  und  Zusammentreffen  fast  aller  nur  möglichen  Moorbildnngs- 
Ursachen  mußte  naturgemäß  jene  gewaltigen  Ph&nomene  hervornifen,  die,  was 
ihre  Dimensionen  betrifft,  unter  ähnlichen  Erscheinungen  der  gemäßigten  Zone 
ihreflgleichen  sucheiL  Durch  die  große  Ebenheit  der  Bodenflache  etnerseiti 
und  die  ganz  gwinge  Strömung  "der«  Flüsse  anderseits  mußte  naturgemäß  In- 
filtration des  Wassers  eintreten,  weldhen  Vorgang  uns  sdion  Franz  ▼.  Faola 
Schrank  vor  einem  Jahrhunderte  in  seiner  'Aeorie  TOn  der  Entstehung  des 
Donaumooses  klar  gelegt  und  Gümbel  und  SoykB  in  überzeugender^Weiw 
bestätigt  haben.  I^  nun,  bedingt  durch  die  Horizontalität  des  Bodens,  die 
schwarzen  Flüsse  Südamerikas,  ähnlich  unsem  Moorbächen,  auf  Tielver- 
schlungenen,  sekrümmten  Pfaden  dahinziehen,  in  ihrem  Veriauf e  durch  steten 
Wechsel  der  Breite  des  Bettes  und  durch  S^rpentinbildung  gekennzeichnsi, 
so  begünstigen  außer  der  dadurch  verstärkten  Infiltiation  zahlreiche  Über- 
schwemmungen und  Stauungen  des  Wassers  die  Bildung  von  Sfimpfien  und 
Mooren. 

Ein  weiterer  Faktor,  der  als  wichtiger  Sumpfbildnw  hier  auftritt,  ist  die 
überaus  große  atmosphärische  Feuchtigkeit.  Im  Gebiete  des  Rio  Negro  und 
obem  Orinoco,  auf  aem  Berglande  von  Guayana,  in  der  Amazonaaniederaqg 
und  im  östlichen  Berglande  des  Teiles  von  Brasilien  sind  die  Niederaohlsgs- 
mengen  geradezu  enorm,  hier  finden  wir  infolgedessen  auch  auacedehnte  Sompf- 
und  Moorbildungen.  Im  südlichen  Brasilien  und  auf  Mato  Grosso  sind  zwar 
die  Niederschlagsmengen  nicht  gerade  gering,  aber  ungünstig  auf  die  Jahres- 
zeiten verteilt,  infolgedessen  herrscht  hier  mit  Ausnahme  einiger  von  Urwal<ieni 
begleiteten  Flußufer  die  Gampregion  vor. 

Dazu  kommen  die  geognoslaschen  Verhältnisse.  Die  Gesteinsarten,  deren 
Verwitterungsprodukte  an  der  Oberfläche  die  durcUässige  Schicht  bilden,  sind 
die  alten  Urgesteine:  Gneis,  Glimmerschiefer,  Granit  und  der  geologisch  jur^pere 
Sandstein.  Die  chemische  Beschaffenheit  dieser  Gesteine  ist  fast  gleich.  AvtA 
ihre  Zersetzuiigsprodukte  stimmen  in  dieser  Hinsicht  überein:  jener  Gnu  und 
Sand,  der  im  Gebiete  der  schwarzen  Flüsse  fast  überall  zu  finden  ist,  ist  niehts 
anderes,  als  was  wir  in  Afrika  Laterit  neimen  Nun  ist  bekannt,  daß  Latent 
sehr  permeabel  ist.  Zufolge  seiner  Wasserkapazität  hält  er  die  Feuchtigkeit 
zurück,  die  durch  Adhäsion  an  die  Bodenteile,  sowie  durch  Kapillarität  ikr 
Hohlräume  gebunden  wird.  Dadurch,  daß  nun  unterhalb  der  durchlasaigeB 
Verwitterungsprodukte  die  undurchlässigen  Tonsubstanzen  und  die  Urgesteine 
und  Sandsteine  dem  Wasser  entgegentreten,  «afnmAln  sich  allmählich  die 
Wasser  hier  an,  verdrängen  die  Luft  aus  den  Poren  der  durchlässigen  8<diicht 
und  füllen  diese  selbst  mit  ihrer  Feuchtigkeit  aus.  Daß  dadurch  den  sumpf- 
bildenden Agenzien  allein  schon  ein  vorzüglicher  Ort  zu  ihrer  Entwicklui^ 
«eboten  ist,  bedarf  keiner  nähern  Ausführung.  Doch  nicht  genug!  Hier  auf 
diesem  feuchten  und  fruchtbaren  Boden  konnte  sich  auch  eine  Vegetation 


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flAsBe.  273 

bildMi»  die  emem  Urwalde  dM  Leben  verlieh.  Selten  betritt  ein  menflohlioher 
FuB  diese  undnnlMhiBC^hea  Wälder,  keine  Axt  fallt  die  meterdicken  Baum- 
neeen.  Wo  der  Stnrm  einen  Stamm  zn  Boden  wirft,  bleibt  dieser  liegen.  Ans 
den  abgestorbenen  Ästen  und  Zweigen,  aus  verfaulten  Kattem,  toten  Wakl- 
pflänaeaen  und  dichten  Streumassen  bilden  sieh  am  Boden  schlanunige  Humus- 
und  Moorsohichten,  die  das  Wasser  aus  der  Atmosphäre  mit  Begierde  anlaaiyn 
und  in  dem  undurchdringlichen  Schatten  des  Walddickichtes  auch  leicht  zurück- 
halten. Diese  Moore  sind  echte  Waldmoore  (Holzmoore),  im  Walde  und  aus 
dem  Walde  entstanden*  in  ihren  untern  und  obem  Schichten  fast  völlig  aus 
Waldresten  und  Baumstrünken  zusammengesetzt. 

Da  im  Gebiete  der  schwarzen  Flüsse  Kalkeinlagerungen  so  gut  wie  g»nz 
fahlen,  und  die  Tonschiefer,  Gxanite,  Glimmerschiefer  und  Sandsteine  di« 
Hauptbestandteile  der  festen  Bodenschicht  bilden,  werden  silmtliohe  Moore 
dort  zu  den  kalklosen  Mooren  gerechnet  werden  müssen.  Es  kommt,  wie  hier 
betont  sei,  dabei  nur  ai^  die  chemische  Beschaffenheit  des  Wassers,  das  das 
Moor  durchtränkt,  an,  nicht  auf  die  chemische  Beschaffenheit  des  ünteigrundes 
des  Moores.** 

Daß  es  aber  im  tropischen  Südamerika  nicht  zur  Torfbiklu^g  koaunt, 
liegt,  wie  Senft  auseinandersetzte,  an  den  klimatischen  Verhaltnissen.  Es 
müssen  nämlidi  die  durch  des  Sommers  Warme  zur  Verwesung  angeregten 
Pflanaenreste  durch  des  Winters  Froste  in  ihrer  Verwesung  gehemmt  und  ihre 
schon  erzeugten  Humussubstanzen  unempfindlich  gegen  den  Sauerstoff  und 

'  '  Uli       "      ' 


die  übrigen  Verwesungispotenzen  gemacht  werden.  Dies  alles  kann  aber  nur 
in  denjenigen  Landesgebieten  der  Erde  stattfinden,  in  denen  mit  verhältnis- 
mäßig kurzen,  häufig  leuchten  Sommern  frostreiche  Winter  wechseln. 

Eine  merkwürdige,  schon  vou  Humboldt  erkannte  Tatsache  ist,  daß  die 
Schwarzwasserflüsse  arm  an  tierischem  Leben  sind.  Sie  beherbergen  weniger 
Krokodile  und  noch  weniger  Fische,  selbst  die  Moskitos,  diese  schreckliche 
Plage  des  Reisenden,  finden  sich  dort  nur  in  geringer  Zahl.  Diese  Wahrnehmung 
ist  von  allen  spätem  Forschem  bestätigt  worden.  Eine  Erklärung  der  Tatsache 
ist  aber  schwierig.  Reindl  führt  Grunde  an,  die  es  wahrscheinlich  machen,  daß 
die  Armut  der  Schwarzwasserflüsse  an  Fischen  durch  die  Armut  an  gewissen 
Minesakalzen  bedingt  sei,  namenttieh  durch  das  Fehlen  von  Kalk  und  A&gnesia. 
Die  Seltenheit  der  Moskitos  an  den  Ufern  der  schwaraen  Gewässer  ist  völlig 
unerklärt. 

Schließlich  zeigt  Reindl,  daß  sich  Schwarzwasserflüsse  unter  dem  gleichen 
Tropenhimmel,  unter  den  nänüichen  Begleiterscheinimgen  und  in  fast  gleich- 
großer Auadehnnng  aaeh  in  Afrika  finden.  So  ist  Nkoko  ein  von  Norden  kom- 
mender Nebenfluß  des  Congo,  fast  völlig  schwarz,  ebenso  der  Lukenje.  Nicht 
minder  haben  Nordamerika  und  Asien  ihre  schwarzen  Flüsse,  endlich  finden 
sich  schwarze  Wasser  auch  in  Europa,  in  Nordirland,  Schottland  und  Schweden. 
Auf  die  Ausführangen  Dr.  Reindls  über  die  von  verschiedenen  Forschem  ge- 
gebenen BrUäruBgen  der  Färbuns  der  Schwarzwasserflüsse  und  die  nach  dieser 
Richtung  hin  aageeteUten  Veraocme  kann  hier  nicht  eingsgang«!  weiden.  Die 
gesamten  Resultate  seiner  Arbeit  aber  faßt  Verf.  in  folgenden  Thesen  zusammen: 

„1.  Schwarzwaaserflüsse  finden  sich  nur  in  Gegenden,  wo  große  verwesende 
Pflanzenmassen  vorkommen. 

2.  Sie  treten  in  Südamerika  und  auch  anderwärts  nur  auf  Gesteinen  auf, 
die  Alkalien  entlialten,  auf  Granit,  Gneis,  Sandstein,  Laterit,  Ton,  kurz  auf 
Silikatgesteinan. 

3.  Sie  fehlen  dunhaus  auf  Kalkboden. 

4  Tritt  ein  Sohwanwasserfluß  auf  Kalkboden  über,  so  verliert  er  nach 
kurzem  Laufe  seine  schwarze  Farbe  und  wird  ein  Weißwasserfluß. 

6.  Das  Bett  der  Schwarzwasserflüsse  ist  weiß,  das  der  Weißwasserflüsse, 
die  Moorwasser  aufnehmen,  schwarz. 

Klein,  JahrbnobjXV.  18 


274  Seen  und  Moore. 

6.  Die  Sohwanfiurfoimg  führt  aioh  darauf  surüok,  daß  bei  Anweaenheil 
Ton  Alkalien  im  Waaeer,  wie  aie  stete  auf  Silikatgesteiiieii  eintritt,  die  Hnmna- 
■auie  mit  diesen  leichtlöeliche,  das  Wasser  braunfiirbeDdeii  Verbindimgeii  zodi 
Teile  saure  Verbindungen  eingeht. 

7.  In  gleicher  Richtung  dürfte  auch  im  Wasser  gelöstes  kohlenBaares 
Bisenoxydul  wirken. 

8.  Verstärkt  mag  die  Schwaizfirbung  für  das  Auge  bei  anffaUendem 
Lichte  durch  das  Feluen  suspendierter  Partikel  und  die  dadurch  bedingte 
außerordentliche  Klarheit  der  Gewässer  werden,  die  tiefe  Waaser  stete  dunkel 
erscheinen  läßt. 

9.  Andere  Momente,  wie  i.  B.  Beimengung  von  schwarsem,  sospendiertBB 
Schlamme,  Auftreten  von  Diatomeen  (Schwager)  mögen  lokal  mit^den,  aad 
aber  unwesentlich. 

10.  Das  Fehlen  von  Schwarzwasserflüssen  auf  Kalkboden,  sowie  die 
Entfärbung  derselben  beim  Betreten  von  Kalkboden  führt  ach  auf  den  Srsatft 
der  Alkalien  in  den  humussauren  Verbindungen  durch  Oaldum  ondMagneeium 
zurück;  diese  humussauren  Calcium-  und  Magnesiumverbindungen  fallen  ab 
schwerlöslich  aus. 

11.  Die  weiße  Farbe  des  Bettes  der  SchwarzwasserflüaBe  erklärt  sich 
daraus,  daß  die  Verbindungen  der  Lösunssprodukte  der  Silikatgesteine  mit 
Humussäure  überaus  leicht  löslich  sind,  daher  in  Lösung  bleiben  und  das 
kohlensäurehaltige  Wasser  die  Silikatgesteine,  resp.  deren  zeraetEbareMmeimhen 
immer  weiter  löst ;  es  bleibt  weißliche  KieseUiäuie  zurück. 

12.  Die  schwarze  Farbe  des  Bettes  der  Moorwasser  enthaltenden  Weiß- 
wasserflüsse dagegen  führt  sich  auf  die  Ausfüllung  der  sohwerlödichen  hunus- 
sauren  Calcium-  und  Magnesium  Verbindungen  zurück."         ^ 


Seen  und  Moore. 

Morphometrie  der  europäisehen  Seen.  Dr.  W.  Halbfaß  hat  eam 
sehr  mühevolle,  umfassende  und  dankenswerte  Arbeit  über  die 
morphometrischen  Verhältnisse  (Meereshöhe,  Areal,  Tiefe,  Volumen, 
Umfang)  der  europaischen  Seen  veröffentlicht.  ^)  Aus  derselben  ergibt 
sich  u.  a.,  daß  27  Seen  Europas  eine  Tiefe  von  200  m  und  mehr  er- 
reichen. Von  ihnen  liegen  14,  also  die  Hälfte,  auf  der  Skandinavischen 
Halbinsel,  darunter  die  vier  tiefsten,  zehn  in  den  Alpen  oder  am  Rande 
derselben,  zwei  in  Schottland,  einer  in  Mazedonien.  „Eis  ist  sehr 
unwahrscheinhch,''  sagt  Dr.  Halbfaß,  „daß  außer  dem  Ladogasee, 
dessen  Mazimaltiefe  noch  nicht  sicher  feststeht,  noch  andere  euro- 
paische Seenmit  mehr  als  200mMaiimaltiefeexistieren,  außer  in  Schott- 
land oder  in  Norwegen.  Alle  tiefen  Seen  Europas  hegen  entweder  am 
Rande  der  großen  Gebirge  oder  in  Gebieten  geologischer  Einbrüche: 
nicht  weniger  als  17  der  Seen,  darunter  mit  Ausnahme  des  Genfer 
Sees  alle  zwölf  Seen  über  300  m  Tiefe,  sind  Kryptodepressionen,  d.  h. 
ihre  Sohle  reicht  unter  den  Meeresspiegel.  Einige  der  tiefoten  nor- 
wegischen und  schottischen  Seen  hegen  mit  ihrem  Spiegel  nur  wenige 


^)  Zciteohr.  d.  Ges.  f   Erdkunde  in  Berlin  1904.  Nr.  2  u.  3. 


Seen  and  Moore.  275 

Meter  über  dem  Meeresspiegel,  und  ein  nur  geringes  Steigen  des  Meeres 
würde  sie  gerade  so  zu  Fjorden  machen,  wie  ein  Sinken  des  Meeres 
▼iele  Fjorde  in  Binnenseen  umwandeln  würde.    So  gering  aber  auch 
vom  rein  morphologischen  Standpunkte  aus  der  Unterschied  SEwischen 
manchen  Fjordseen  und  eigentUchen  Fjorden  sein  mag,  so  groß  ist 
er  vom  seenkundlichen  Gesichtspunkte  aus,  der  die  Seen  als  ge- 
schlossene Mikrokosmen  auffaßt.    Es  erscheint  mir  daher  nicht  an« 
g&ngig,  diese  Fjordseen  aus  einer  Zusammenstellung  aller  Binnen- 
seen willkürlich  auszuscheiden,  wie  dies  hier  und  da  wohl  versucht 
worden  ist.    Von  den  eigentUchen  Hochseen  scheint  der  in  1968  m 
Meereshöhe  in  den  Pyrenäen  gelegene  Lac  Bleu  mit  120.7  m  Maximal- 
tiefe  der  tiefste  zu  sein;  doch  ist  es  nicht  ganz  ausgeschlossen,  wenn 
auch  nicht  gerade  wahrscheinlich,  daß  es  im  skandinavischen  Gebirge 
noch  tiefere  Hochseen  gibt.  —  In  Deutschland  erreichen  außer  dem 
r         Bodensee  nur  noch  der  Walchensee,  der  Königssee  imd  der  Stam- 
berger  See  eine  Tiefe  von  mehr  als  100  m;  in  Norddeutschland  ist  der 
<         Dratzigsee  in  Pommern  mit  83  m,  in  Westdeutschland  daa  Pulver- 
f         maar  mit  76  m  der  tiefste  See,  beachtenswert  ist  der  50  m  tiefe,  ganz 
,         isoliert  gelegene  Arendsee  in  der  Altmark  und  die  Bemshäuser  Kutte, 
ein  kleines    Einsturzbecken  in  der  Rhön,  mit  47  m  Tiefe.    Natur- 
I         gemäß  sind  unsere  Kenntnisse  von  dem  Bauminhalte  und  der  davon 
$         abgeleiteten  mittlem  Tiefe  der  Seen  noch  weit  geringer  als  von  der 
größten  Tiefe.    Wir  kennen  heute  elf  Seen  in  Europa,  deren  mittlere 
Tiefe  größer  als  100  m  ist,  an  ihrer  Spitze  stehen  der  Brienzer  See  und 
derLago  Maggiore;  doch  dürfen  wir  nicht  vergessen,  daß  die  Topo- 
graphie der  norwegischen  und  schottischen  Seen  noch  nicht  genügend 
bekannt  ist.     Dem  Rauminhalte  nach  steht,  soweit  unsere  heutige 
I  Kenntnis  reicht,  der  Onegasee  mit  300.8  ckm  voran,  ihm  folgt  der 

Vänem  mit  rund  180  ckm,  dem  im  weitem  Abstände  der  Genfer  See 
mit  00  und  der  Vättem  mit  72  ckm  folgen;  von  13  Seen  ist  bekannt,, 
I  daß  ihr  Kubikinhalt  10  ckm  und  mehr  betragt.    Einen  Inahlt  voix 

über  1  ckm  besitzen  in  Deutschland  der  Bodensee  (48.44  ckm)  und 
in  sehr  weitem  Abstände  davon  der  Stamberger  See,  der  Chiemsee, 
der  Ammersee,  der  Walchensee  und  der  Seenkomplex  Mauersee  in 
Ostpreußen;  von  den  noch  nicht  genau  ausgeloteten  deutschen  Seen 
ist  möglicherweise  noch  die  Müritz  in  Mecklenburg  hierher  zu  rechnen. 
Den  größten  Umfang  scheint  nach  dem  Onegasee  der  inselreiche  und 
zerklüftete  Malaren  zu  haben  (000  km),  dem  der  Vänem  mit  780  km 
folgt;  daran  schließt  sich  der  Bodensee  an  mit  285  km  usw.  Der 
MUaren  ragt  auch  durch  seine  enorme  Umfangsentwicklung  (7.6) 
unter  allen  großem  europaischen  Seen  hervor.  An  der  Spitze  der 
steil  geböschten  Seen  über  1  qkm  Größe  steht  unser  Königssee  mit 
20.6°  mittlerer  Böschung,  ihm  folgen  Loch  Katrine  mit  17.0°,  der 
Achensee  und  der  Luganer  See;  von  den  16  Seen,  welche  hier  in  Be- 
tracht kommen,  ist  der  Lago  Maggiore  der  größte  mit  10.0°,  ihm 
folgen  in  weitem  Abstände  der  Luganer  See  mit  14.8°  und  der  Brienzer 


376 


S^Mi  und  Moorou 


See  mit  12.0^;  voii  den  übrigen  Sem  eneickt  keiaer  20  ffaik  Vod 
den  Seen  swiieboi  30  vaad  100  ha  Araal  ist  der  Lac  CaioidlaB  ia  dn 
Pyxeaeen  mit  23.2°  der  Staate;  fünf  Seea  aiad  velkaniflehfin  U^ 
sprangeS)  zwei  aind  Kafstoeen,  die  übrigea  Bäoatlich  Hochseea.  Uoter 
den  noch  kleinem  Seen  steht  die  schon  erwähnte  BemsbMser  Katto 
mit  34.5°,  dem  der  kleine  Seebachsee  im  ObersnlaibAchtaL  mit  ZhZ" 
folgt,  an  der  Spitze.  Mit  einer  AusiMihme  sind  aUe  diese  Seen  ni- 
kaoiachen  Urs^Mimges  odM'  Karstseen  oder  Hochseen  oder  EioBtus- 
bocken.  Nur  der  Pampensee  in  Hinterpommem  gehört  keiner  dieiii 
Kategorien  an;  er  ist  wie  noch  manche  andere  kleinero  pommeneb» 
Seen,  deren  mittlere  Böschung  10°  übersteigt,  wahrsdiemÜGh  als 
durch  £yorsi<m  entatandener  See.  Von  den  tiefen  Alpeaseen  be- 
aitoen  mehrere,  wie  z.  B.  der  Genfer  See,  der  Bodmisee,  der  Gardaaee, 
dei^  Iseosee,  eine  nur  mäflige  mittlere  Böschung,  die  bei  keinem  der 
genannten  Seen  7^°  übersohieitet.  Es  braucht  wohl  kaum  herriv- 
gehoben  zu  werdma,  daß  unter  sonst  glühen  topo^aphischen  YoiMi- 
aetzungen  aus  der  Berechnungsart  du*  mittiem  Böschung  folgt,  daß« 
bei  kleinen  Seen  starker  wachsen  muß  als  bei  großem»  und  daß,  dadie 
UmfangsentwickluBg  auf  ihre  Größe  einen  entsekeidanden  EuAnft 
auAÜbt,  der  Maßstab  der  Karte,  auf  welcher  die  BereohnungsB  fnta 
sehr  wesentUch  mitspricht." 

Aus  dem  Detail  seiner  Angaben  stellt  Dr.  Haifafaß  einig»  ^ 
sultate  tabellarisch   zusammen,   die   hier   wiedergegeben  venks. 

Tabelle  1. 


Ti«fe 

Tiefe 

IMe 

Hmd«  dM  See« 

in 

Vftme  dM  Seat 

iB 

m 

Name  des  eaes 

m 

HomindalByatn  . 

486 

Genfer  See     .    . 

310  bseosee  ,    .    .    . 

&l 

Miown.    .    .    . 

452 

Londevatn     .     . 

310   Totak    .... 
30^  l^vatn     .    .    . 
288   l^hNefe.    .    . 

m 

Salvatn      .    .     . 

446 

Stoisjo  i  Bendalen 

25(1 

TLnnsjo.     .     .     . 

438 

Luganer  See  .     . 
Oohridaaee      .     . 

238 

Ot»iier  See     .    . 

410 

286  [Homafvatn    .    . 

221 

lAge  Maggiore   . 

372 

Tyrifjoiden    .    . 

281  iiTbiuaer  See    .    . 
273   fBygdin  .    .    . 
250  rVierwaldstätt  See 

ii'i 

Gardaaee    .     .     . 

346 

Breimsvatn    .     . 

m 

Loch  Morar    .     . 

329 

Brienzer  See  .     . 

2J4 

Tandvatn  Övre  . 

327 

Bodensee   .     .     . 

252 

IBandakvata  .    • 

211 

Tabelle  2. 


BrieiuseT  See  . 
Lago  Maggiore 
Corner  See 
Genfer  See 


176  II  Oohridaaee 
175  liGardaAee   . 
156(?)  Vandvatn  . 
154  11  Luganer  See 


146  Ijiseoeee  .    .    . 
136  IfVierwaldst&ttor 
133       See    .    .    . 
1^  liWalensee  .    . 


m 
m 


flaen  and  Moor«, 
faballe  3. 


277 


Name  des  Sees 


Vo- 


ekm 


Käme  des  Seee 


Vo- 

laineii 

in 


Name  dee  deee 


Vo- 
lumen 
in 


Onegasee   . 
Vänem .     . 
Getif er  See 
V&ttem 
Gardaeee   . 
Bodensee    . 
Ochridasee 
Lage  Maffgiore 
Lago  di  ^no 
Hofnafvaki 
Neuenburger  See 
Vierwaldstätter 
See    .     .     . 
Malaren      .     . 
Lagodi  Bolaena 
Lago  d'Ieeo    . 
Stomman  .    . 
laganer  See  . 


300.8  niuner  See 
180  (7)  Prespasee  . 

89.99  Brienzer  See 

72(T)  Wojimsjö  . 
50.346*  Malgomaj  .    .     . 

48.44  Lago  di  BraooiakK) 

39.4  lAttersee 

37.1  !zarfcher  See 
22.5(?y  Loagfa  Nea^ 
22    liLac  dn  Botnrg6t 

14.17  jlZuger  See  .     . 
I  Stamberger  See 

11.82 1|  Loch  Lomond 

10(T)'|Loch  Awe.     . 

I  8.922  |!WaleDwe   .     . 

7.6  tjGmiidener  See 

I    7i2   'iChiemflee   .     . 

I  6.56  jPeipiUBee  .     . 


6.5 
5.307 
5.17 

5 

5 
4.95 


Ostrovosee 
Plattensee 
Ammer  See 
iScutarisee 
Loch  Tay  . 
Vandyatn  . 


3.934  Unterer  Loog^ 


£me 
Long^  Corhib 
Walohenaee 
Lough  Mask  . 
Ortasee.    .    . 
Millatätter  See 
Mauersee 
Sseliger  See   . 
Lac  d'  Anneoy 

2.204  Lough  Derg  . 

2.075  Loch  Erioht  . 


3.9 
3.8 
3.62 
3.21 
3.034 
2.9 
2.75 
2.49 
2.302 


1.95 
1.862 
1.74 
1.70 
1.645 
1.534 
1.46 

1.4 
1.367 

1.3 
1.293 
1.228 
1.15 
1.141 
1.23 

1.1 
1.076 


Tabelle  4. 


Käme  dee  Sees 

Um- 
iang 

km 

Käme  dee  Seee 

üm^ 
fimc 

km 

Käme  dee  Seee 

üm- 
tenff 

km 

Vanem  .... 
Bodensee    .     .     . 
Vättem.     .     .     . 
Genfer  See      .     . 
Oberer  Loug^Eme 

900 

780 
284.5 

280 
176.4 

175 

Lago  Maggiore   . 
Skntarisee      .     . 
Gardasee   .     .     . 
Lough  Gorhib     . 
Loch  Awe .     .     . 
'Lough  Ree     .     . 

170 
162 
162 
158 
140 
136  1 

Loug^  Neagh 
Vierwaldstätter 

See    ,     .     .     . 
Unterer  Lough 

Eme  .... 
Prespasee  .    .    . 

130 

110 

110 
104 

Tabelle  5. 


Kerne  des  Seee 


Mitt- 
ler 

BOsoh- 
nng 

o 


AMal 
gkm 


Kerne  dee  Sees 


Mitt- 
len 

Böseh- 
nnf 


AtMd 

qkm 


Königosoo 
Loch  Katrine 
Aohensee    . 
Luflaner  See 
McMvenosee 
Plansee 
Brienzer  See 
Loch  Erioht 


a.  Über  1  qkm  GröBe. 


20.5 
17.0 
14.8 
14.8 
13.2 
13.1 
12.0 
U.9 


5.17IHaUBtatter  See  . 

12.38  li  PosohiaToeee  .  . 

7.34  ,  Millstatter  See  . 

60.46  i  Lüner  See  .    .  . 

3.27i|WaBtwater.     .  . 

3.40  li  Lago  di  Mergosczo 

29.78 11  Lago  Maggiore  . 

18.67  II  Heiterwangpee  . 


11.9 
11.7 
11.7 
11.4 
11.3 
10.6 
10.0 
10.0 


8.22 
1.96 

13.25 
1.48 
2.91 
1.83 

212.16 
1.4 


278 


Bmd  nad  Moore. 


Tabe 

ile 

5. 

Mltt- 

lütt- 

l6I« 

Az«al 

lere 

Anal 

NunadMSeM 

BöMh- 
nng 

Ntto 

le  dM  8eM 

BOwsh- 
na« 

c 

gkm 

o 

9tm 

b.  Größe  zwiachen  30  ha  und  1  qkm. 


Lac  d'lBBaridB     . 

j  Vorderer  Goeaiuee 
JByfoi  Staw. 
iProBoesee  . 
Lac  OrMon 
iLao  QiauTet 
I  SokwanerSee  inSalzbiirg 


ha 

LacOaloollas.     .     .     . 

23.2 

39.9 

Lac  de  U  Girotte 

22.1 

67 

Lac  Paym      .    . 

20.5 

44 

AopuuEBee  . 

20.0 

64 

Wielki  Staw  .     . 

20.0 

33 

Lac  d'Oo  .    .    . 

19.6 

38 

PqlTermaar    .    . 

18.2 

36 

Lac  Tasanat  .    . 

17.6 

34.6 

0.  Seen  von  30  ha  Fläche  abwärts 


Bemhäiuer  Kutte  .    . 
Kl.  Seebaohaec  in  Ober- 

Snkbaohtal 
Baohenaee 
Onedalk  . 
Milanovac  . 
Meerauge  . 
Schönsee  . 
Ubnener  Maar 
Vorderer  Lahngangsee  . 
Weinfelder  Maar  .  . 
Gemfindener  Maar  .  . 
Kalugjerovac .... 
Seekarsee  in  Krimmler 

Aohental  .... 
Foißkarsee  .... 
Krottensee  .... 
Osamy  Staw  (6  Seen) 
Kago  di  Mar .  .  .  . 
Lil«ner  See  Plitvioe  . 
G^inovac 


34.6 

31.3 
24.0 
23.2 
22.6 
22.4 
22.0 
21.4 
21.0 
18.9 
18.2 
18.2 

17.6 
17.6 
17.6 
17.0 
16.7 
16.6 
16.6 


ha 
3.6 
0.44 

0.1 

0.6 

3.6 

18.4 

1.8 

6.36 

19.4 

16.8 

12 

1.8 

4.2 

1.17 
9 
10.7 
4.6 
12 
4.8 


iFeldaee 

;  Schwarzer  See  ( Vogesen) 
i  ÖEaray  Staw  .     .     . 

Zadny  Staw  .... 

Schurmsee      .... 

Unterer  TOldgerloeaee 
l  Wildkarsee  i.  WUger- 
lotal 

Bokkarsee       .... 

Predny-Staw.      .    .     . 

Weißer  See  (Vogesen) 

Seeloch  bei  Weohsnngen 

Gr.  Koppenteich     .     . 
<  Lac  Godivelle  d'en  hant 

Dampensee     .     . 

JöBsee    .... 

SeeliBberger  See  . 

Hutsenbaoher  See 

Lac  de  Gaube    . 

Teufelssee  (Böhmer- 
Wald)     .     .     . 


17^       98 
ie.6       79 

15.5  ,    53 

14.8  ,     31 

14.1  I     63 
14.0  ,  43.2 

12.2  53 
12  '     48 


16.3  I  as 

16.2  I  12.8 
16u0  IM 
l&O  I  5.6 
15-6  I  L6 
15.5  !  ia45 


15.4 
15.3 
15.3 
15.0 
15.0 
15.0 
14.6 
14.5 
14.4 
14.4 
14.3 
14.3 


!  14.2       ft.7 


L3 

262 

7 

28 
1.95 
65 

14.8 

7 

7.4 

18.3 
2.6 
17 


Di6  Farbe  der  Seen  behandelte  Frhr.  0.  von  und  zu  Aufseß.  <) 
Auf  Grund  zahlreicher  experimenteller  Versuche  im  Laboratorium 
und  auf  einer  Anzahl  Seen  Oberbayems  und  des  Böhmer  Walds, 
kommt  Verfasser  zu  der  Überzeugung,  daß  die  Farbe  eines  jeden  Sees 
wie  auch  jeden  andern  Qewäasers  keineswegs  als  Farbe  trüber,  im 
Wasser  befindlicher  Medien,  sondern  als  eine  Eigenfarbe  au^EufaiaaeB 
sei,  die  ihre  Ursache  zunächst  in  der  Eigenfarbe  des  reinen  Wassärs 
(blau)  habe,  dann  aber  wesentlich  modifiziert  werde  durch  den 
chemischen  Gehalt  des  Wassers,  der  natürlich  von  dem  geologischen 
Charakter  der  nahem  und  weitem  Umgebung  abhängt.    Auf  diesem 


1)  Dissert.  München  1903.     Ref.  von  Halb&iß  in  Globus  85.      p.  295. 


Sean  und  Moore.  279 

Resultate  fußend,  verwirft  Verfasser  die  bekannte  Forel-Ulesche 
Farbenskala  und  teilt  die  Seen  in  bezug  auf  ihre  Eigenfarbe  in  vier 
Gruppen:  1.  Blaue  Seen  (Typus  Achensee).  2.  grüne  Seen  (Blau  wird 
schwach  absorbiert,  Typus  Walchensee),  3.  gelbUchgrüne  Seen  (Blau 
wird  stark  absorbiert,  Typus  Kochelsee)  und  4.  gelbe  oder  braune 
Seen  (Blau  wird  vollständig  absorbiert,  Typus  Staffelsee).  Diese 
Unterschiede  können  meist  schon  mit  bloßem  Auge,  völlig  sicher  aber 
mit  EUlfe  eies  Taschenspektroskops  oder  einer  Haidingerschen  Lupe 
konstatiert  werden.. 

Der  Okuibee  im  südliehen  Ostpreußen  ist  von  Dr.  6.  Braun 
geographisch  beschrieben  worden.  ^)  Er  bildet  mit  einigen  kleinen  Seen 
ein  Gruppe  und  ist  nebst  dem  dazu  gehörigen  Kortsee  vom  Verf.  1902 
ausgelotet  worden.  Die  größte  Tiefe  beträgt  35  m  und  findet  sich 
ziemlich  in  der  Mitte.  Die  Gruppe  des  Okullsees  stellt  in  Terrain 
und  Beckengestalt  der  Seen  den  Typus  der  Grundmoränenseen  in 
sehr  reiner  Ausbildung  dar  und  kann  als  Muster  dieser  Landschafts- 
form dienen. 

Seiches  im  Cliiemsee.  Vom  4.  April  1902  bis  16.  Februar  1903 
sind  an  zwei  Punkten  (im  Westen  und  Norden)  des  Sees  mit  Sarasin- 
schen  Limnometem  anhaltend  und  an  zehn  andern  Punkten  mit 
transportablen  Limnographen,  Aufzeichnungen  über  die  Schwan- 
kungen des  Wasserstandes  erhalten  worden.  A.  Endrös  hat  dieselben 
untersucht  ^)  und  findet,  daß  am  Chiemsee  die  Existenz  von  zwölf 
verschiedenen  Schwankungsperioden  und  die  ungefähre  Lage  ihrer 
Schwingungsknoten  nachweisbar  ist.  Schon  die  bloße  Aufzählung 
dieser  verschiedenen  Schwingungstypen  zeigt,  wie  ungemein  kom- 
phziert  die  Bewegungen  dieser  Wasseransammlung  sind,  und  daß  es 
selbstverständUch  nicht  möghch  ist,  bei  der  höchst  unregelmäßigen 
Gestalt  des  Sees  zu  einer  vollkommenen  Analyse  der  Erscheinungen 
zu  gelangen.  Die  Beobachtungen  geben  zunächst  eine  vorläufige 
Orientierung  über  die  verschiedenen  sich  hier  komplizierenden 
Seiches,  die  im  einzelnen  durch  weitere  Beobachtungen  noch  werden 
amendiert  werden  können.  Außer  der  Existenz  dieser  periodischen 
Schwankungen  war  von  besonderm  Interesse  der  Nachweis,  daß  der 
See,  auch  wenn  er  mit  einer  30  cm  dicken  Eisschicht  bedeckt  war, 
Schwankungsbewegungen  zeigte,  und  daß  sie  vorzugsweise  durch 
plötzUche  Änderungen  des  Luftdruckes  hervorgerufen  werden, 
während  der  Wind  an  sich  fast  gar  keinen  Einfluß  ausübte. 

Über  stehende  Seespiegelsehwankongen  (Seiches)  verbreitete  sich 
Prof.  Dr.  W.  Halbfaß  ')  und  gibt  dabei  die  nachfolgende  tabellarische 

1)  Petermanns  liitteil.  1003.  p.  265. 

*)  SeeeohwankuDgen  (Seiches),  beobachtet  am  Chiemsee,  Traunstein 
1903.    Dissert. 

*)  Naturwiss.  Wochensohr.  1904.  p.  881. 


«80 


Seen  und  Moore. 


ZuflanamenstelluBg  derjenigen  Seen,  bei  wichen  SeidieB  biaber 
gewiesen  wurden,  sowie  nähere  Daten  über  die  letztan. 


Dauer 

Dauer 

Areal 

VoInzDion 

der 

d.  «raten 

Ver- 

j_^ 

Iteme  Am  8«m 

Haapi- 

Ober- 

Itaümja 

▲mpUtedA 

ghm 

MUl.'Hbm 

•ohw. 

■ehw. 

beider 

in  ICinuten 

CflM 

BodBDiee    .    .    . 

.      538 

48440 

55.8 

28.1 

1:0.50 

11^ 

Boleenaeee .     .    . 

.      114.5 

8922 

14.75 

? 

? 

über  25 

Brienzer  See  .     . 

.       29.8 

6170 

9.8 

? 

? 

Chiemaee    .     .    . 

85 

2204 

43.2 

28.9 

1  :a67 

» 

Eriaeee  .... 

.    25900 

T 

960 
840 

? 

? 

398 

Gaidaeee    .    .    . 

.  1  370 

50  346 

43 

40 

22.6 
22 

1:0.53 

1:055 

7 

Genfer  See     .     . 

582 

90000 

73 

35.5 

1  :0.4g 

197 

Deeg^.   Qiics«eiclic 
GmimdDer  See    . 

j         — 

— 

10 

5 

1:0.5 

.       25.66 

2302 

n.7 

? 

? 

33.1 

Hakoresee.     .     . 

f 

? 

15.4 

6.76 

I:a44 

Joux.  lac  de 

9.62 

160 

12.4 

? 

? 

Madüeee     .     .    . 

36 

726 

35.6 

20.3 

1  . 0.57 

7 

Neß  Loch  .     .    . 

50 

? 

31.5 

16.3 

1  : 0.49 

9 

NenenbuTger  See 

.     240 

14170 

50 

24.3 

1:0.49 

11 

Osemjoen  .    .    . 

47 

T 

18-19 

f 

7 

1^ 

Gieren    .... 

? 

T 

30 

? 

? 

1.2 

PaTin,  lac  .     .     . 

1       0.44 

23 

0.9 

0.46 

1:0.45 

10 

der  üordösü.  Hälfte 

')\   ^^^ 

1826 

117 

60 

1  :0.51 

tf 

Randsf  jorden  .     . 

136 

? 

24 

? 

? 

2.8 

Silfersee     .     .     . 

4.16 

143 

4.7 

? 

? 

Stonjoen  i  Bendalen 

51.2 

? 

13—14 

? 

T 

2.9 

Stamberffer  See 

57 

3034 

25.0 

15.8 

1  : 0.59 

5 

Thnner  See    .     .    . 

48 

6500 

15 

7.6 

1:0.5 

Trieg  Loch     .    .    . 

7 

T 

9.5 

T 

t 

1.4 

»      114 

11820 

44.7 

24.4 

1:0.55 

24 

DeB£^    Queraeicbfi 

"~" 

— 

18.26 

9.27 

1  : 0.51 

17.5 

Walensee    .     .     . 

23.27 

2  490 

14.5 

? 

? 

Züricher  See  .     . 

88 

3900 

45.6 

23.8 

1:0.52 

Die  Seen  des  Kaistgdiietes  bilden  seit  Jahren  das  Objekt  der 
Untersuchungen  und  Studien  von  A.  Gavam,  der  auch  die  meisten 
Wasserbecken  des  Karstes  in  Österreich,  ILroatien,  Bosnien  und 
der  Herzegowina  selbst  besucht  hat.  Er  unterzog  seinm  Unter- 
Budiungen  nicht  nur  die  beständigen  Seen,  sondern  auch  jene 
ringsum  geschlossenen  Becken,  welche  sich  nur  gelegentlich,  aber 
alljährlich  als  Seen  darstellen,  sonst  aber  trocken  liegen.  Von 
seiner  Arbeit  ist  nunmehr  der  eiste  Teil,  welcher  das  morphologiscke 
Material  bringt,  erschienen.  ^)  In  demselben  behandelt  er  folgeinde 
Seebecken  : 


1)  Abhdlg.  d.  k.  k.  geogr.  Ges.  in  ^len.   5.  1903-1904.   Kr.  2. 


Seen  und  Moore.  261 

1.  Bestandige  Seen:  A.  Süßwaaseraeen:  Dobeidob;  Cepiö; 
Njiyioe;  Vrana  istrian.;  Plitvice;  Vrana  dalmat.;  Blidinje;  Proloiac; 
Imotski;  Boter  See;  Galjipovac;  Bacine.  B.  Btaokwasserseen : 
Blato  (Meleda);  Blatina  (Meleda);  Mor  (Veglia);  Site  (Sebenioo); 
Slatina  (Cheno);  Pioiuia  (Meleda).  C.  SalEwasserseen:  Muravnjak; 
ZaUate  (Sebenico);  SukoSan  (Zara);  Rogoznica  (Sebenico);  Slatina 
(Meleda);  Narenta-Seen:  Gjuvelek,  Desno,  Modrooko,  Vla&ka; 
Novigrad  und  Karin;  Prokijan. 

2.  Periodisch  inundierte  Becken:  A.  Periodische  Seen: 
Zirknitz;  Paldje;  Peteline;  Kukuljanovo;  Begovac;  Dabar  (Kroatien) ; 
Konjako;  Kosmacevo;  Svioa;  Schwaner  See;  Bokanjac;  Nadin; 
Bitelio;  Bnftko  blato;  Moatarsko  blato;  Rastok;  Jeeeroe;  Plina; 
Blato  (Cunola).  B.  Periodisch  inundierte  Poljen:  Radna;  Planina; 
Laas;  Rakitnitz;  Hnikica;  Movrai;  Lani&^e;  Jaaenak;  Dreinica; 
Ponikva;  Lug;  Cmac  (Kroatien);  Stajnica;  Koienica;  Krbavica; 
Palanka;  Bilopolje;  Bujadnica;  Krbava;  Podlapac;  Lapac;  Mutili^; 
Brezovac;  Podrainica;  Gracac;  Popina,  Cmac  (Boanien);  Marin- 
kovci;  Glamöc;  Livno;  Slato;  Lukavac;  Dabar  (Herzegowina); 
Fatnica;  Popovo  (Herzegowina);  Konavle. 

Den  einzelnen  Dariegungen  läßt  Gawazzi  einige  allgemeine 
Schlüaae  über  die  Hydrographie  der  periodischen  Karstbecken  folgen, 
von  denen  Nachstehendes  das  Wesentliche  ist. 

1.  Bewässerung  der  Becken.  „Diese  erfolgt  auf  dreÜMhe 
Weise:  durch  Flüsse  (Bäche),  Quellen  oder  direkte  Regenwasser,  welche 
flewohnljch  Tereint  das  Objekt  mit  Wasser  füllen.  Je  nach  der  Menge  und 
Starke  nimmt  auch  der  Regen  an  der  Inundation  des  Beckens  teil.  Dieser 
Faktor  kommt  nur  dann  mit  seiner  ganzen  Starke  zur  Geltung,  wenn  das 
Becken  schon  unter  Wasser  liegt:  der  direkte  Regen  erhöht  den  SeespiegeL 

Abgesehen  von  der  Periodizität  sind  zwei  Gruppen  von  Quellen  zu 
unterscheiden.  Das  nach  normalem  Verlaufe  aus  der  Erde  ausgetretene 
Wasser  wird  als  „Grundwasserquelle*'  bezeichnet.  In  den  Karstbecken 
treten  solche  Quellen  gewöhnlich  auf  Gehängen  auf,  sind  aber  auch  weit 
vom  Becken  entfernt  zu  finden.  In  diesem  Falle  bUdet  sich  ein  Bach, 
der  somit  aus  einem  großen,  manchmal  auch  dem  betreffenden  Becken  ganz 
fremden  Einzugsgebiete  Wasser  führt  (Gracac). 

Neben  diesen  Quellen  treten  auch  solche  auf,  welche  Ausmündungen 
unterirdischer  Kanäle,  manchmal  auch  die  Fortsetzung  sich  verschlundender 
Bäche  oder  Flüsse  sind,  und  nur  zu  bestimmten  Jahreszeiten  große  Wasser- 
massen ausspeien.  Eine  solche  Quelle  ist  mit  dem  Namen  „Karstwasser- 
quelle" bezeichnet.  Die  meisten  Karstbecken  werden  durch  solche  Spei- 
löcher  unter  Wasser  gesetzt. 

Die  Flüsse  sind  nach  Cvijii'  im  allgemeinen  von  geringer  Bedeutung 
für  die  Inundation  und  nur  wenige  Poljen  werden  durch  obenrdische  Flüsse 
überschwemmt, 

2.  Die  Entwässerung  des  Beckens  bewirken  enge  Fugen  und 
Spalten  im  Gesteine  am  Rande  desselben  oder  die  EOgenannten  Ponore 
(ochlundlöcher).  Nach  der  Lage  unterscheidet  man  zwei  Typen  von 
Ponoren. 

a)  Die  Sohlenponore  liegen  inmitten  dee  Bodens  und  sind  entweder 
offen  odar  maskiert  (gedeckt). 


283  Smb  und  Moore. 

Die  offenen  Sohlenponore  sind  triohterfönmge  Vertäefimgen.  bei  deoa 
die  oberaten  Partien  ans  alluTialen  Büdnngen  bestehen  und  die  untenlB 
im  Gesteine  ausgehöhlt  sind.  Hier  hat  ihren  Anfang  die  sogenaiuite  KcUb 
(kroatisch:  grlo),  welche  zu  nnterirdischen  Kanälen  fahrt,  Sie  verechhiftaa. 
wenn  gereinigt,  bedeutende  Wassermengen. 

äe  gedeckten  (maskierten)  Sohlenponore  sind  zweifitcL  Die  oinea 
früher  offene  Sohlenponore,  weixien  jetzt  von  Sand,  Schlamm,  GeiebL 
Blattern  überiagert  und  verstopft,  so  daß  man  den  eigentlichen  Sdünttl 
(die  Kehle)  nicht  sieht.  Die  andern  sind  trichterförmige  Schwemmlud- 
d<4inen,  mit  denen  der  Poljenboden  besät  ist;  wir  können  sie  als  'Baäarj^ 
eines  Ponors  bezeichnen,  der  sich  langsam  bildet. 

b)  Die  Randponore  sind  Offnungen  im  anstehenden  Gesteine  der  Ge- 
hänge des  Beckens,  aber  nur  in  geringer  relatiTer  Höhe.  Sie  starsen  ä^ 
entweder  steil  zur  Tiefe  ab,  und  der  Fluß  schießt  ab  brausender  Wanotf 
in  den  Schlund  hinab,  oder  sie  steUen  flachgeneigte  Höhlengänge  dar,  dk 
man  ein  gutes  Stuck  verfolgen  kann.  In  cueeem  letzten  Falle  kann  dit 
eigentliche  Schlundloch  tief  ins  Ciebirge  verlegt  werden,  was  eine  Foife  der 
Niederschlage,  welche  das  Gestein  lockern,  und  des  Winddruckes  (zovala 
auch  eines  Erdbebens)  ist  Die  Decke  bröckelt  sich  zuerst  am  ßnguige  vd 
dann  immer  weiter,  der  Höhlengang  öffnet  sich  nach  und  nach  an  da 
obem  Partien;  es  entsteht  dadurch  ein  kleiner  (3aSon, 

Werden  die  Ponore  verstopft,  oder  liegen  sie  nicht  an  der  tieirta 
SteUe  des  Abhanges,  sondern  etwas  hoher,  so  sind  ausgedehnte  und  iMf- 
dauemde  Überschwemmungen  unvermeidlich. 

Alle  diese  Ponore  sind  die  obem  Eingange  von  Fugen,  Kanäles  odff 
Höhlen,  in  denen  die  Ciewasser  verschwinden,  um  in  einem  tiefem  Boi- 
zonte  gelegentlich  als  starke  Quellen  wieder  ans  TagesUcht  zu  treteiL 

3.  Ein  Bindeg^ed  zwischen  den  Ponoren  und  den  Speüöchera  sind  & 
Estavellen,  d.  i.  Öffnungen,  welche  während  der  Zeit  der  starken  anhalteüda 
B^n  als  Speilöcher,  dagegen,  wenn  der  Wasserzufluß  aufhart,  ah  Si^f 
lö(£er  tatig  sind.  Dieses  Naturspiel  erklart  Hauer  folgendermaßen:  Desks 
wir  uns  einen  unterirdischen  Wasserlauf,  der  unter  dem  See  zieht  und  » 
irgend  einer  Stelle  durch  einen  etwa  aufsteigenden  Gang  mit  dem  Seebeeks 
kommuniziert.  Bei  starkem  Wasserzuflusse  kann  das  Wasser  nicht  itf^ 
genug  durch  den  unterirdischen  Kanal  nach  abwärts  abfließen;  es  s« 
steigen,  und  die  Öffnung  wird  als  Speiloch  wirken.  Beim  Eintritte  nied^ 
Wasserstandes  entleert  sich  der  unterirdische  Kanal,  und  die  Öffnung  ^ 
als  Ponor  funktionieren,  da  jetzt  das  Wasser  durch  den  abwärts  veriaufead» 
Kanal  abfließen  kann. 

Der  Lage  nach  sind  zwei  Gruppen    von  Estavellen   zu  unteiaobeida: 

a)  Die  Sohlenestavellen  sind  trichterförmige,  den  offenen  SohleDpoDOc« 
ahnliche  Gebilde.  Ihr  Durchmesser  variiert  zwischen  etwa  6  m  bis  90  * 
(die  „Bröme"  in  Franche-Comt^). 

b)  die  Randestavellen  sind  den  felsigen  Randponoren  ähnlich.  Vos 
den  Estavellen  des  Zirknitzer  Sees  gehören  die  zwei  größten,  die  „Visijg 
jama"  und  die  „Suha  dolica"  zu  diesem  I^us;  sie  liefern  den  größtes  iv 
des  Wassers,  welches  das  Becken  füllt. 

4.  Die  periodische  Seebildung  in  den  Karstbecken  ist  ein  Fi^ 
vieler  Faktoren,  welche  keinen  bestandigen  Charakter  zeigen-  ^  '"^ 
Bchlagareichen  Jahren  liegen  die  Kantbeoken  längere  Zeit  ununterlnocbeB 
oder  mehrmals  im  Jahre  unter  Wasser.  Solche  Verhätoisse  hemchen  bei  Jen» 
Becken,  bei  welchen  der  Boden  innerhalb  der  Karstwasserachwankong  ßi^ 
Dasu  tragen  sehr  viel  auch  die  Ponore  bei.  Ist  ihre  Saugfihigkat  i^V 
der  Verstopfung  klein,  so  staut  sich  das  Wasser  auch  in  minder  !«*'• 
schiagsreiohen  Jahren  auf,  und  der  See  dauert  ungewöhnlich  lang.  Dsoelbe 
ereignet   sich,    wenn   die  Hauptponore  über   der   Bodenfläohe  des  Beckaü 


Seen  und  Moore.  283 

liegen:  sie  verschlucken  das  Wasser  erst,   nachdem   sie  von   diesem   selbst 
erreicht  werden. 

Die  regelmäßige  jährliche  Inundation  ist  an  die  regenreiche  Jahreszeit 
oder  an  eine  plötzliche  Schneeschmelze  und  ihre  Dauer  an  die  Regenmenge, 
beziehungsweise  Dichti^eit,  sowie  an  die  Saugfähigkeit  der  Ponore  gebunden/' 

Die  wlssenschaf tliehe  Untersuehung  der  schotttschen  Seen  seitens 
der  unter  Oberleitung  von  Sir  John  Murray  stehenden  Kommission 
ist  im  Jahre  1903  vollendet  worden,  nachdem  sie  auch  auf  die  äußern 
Hebriden,  die  Orkney-  und  SheÜandsinseln  ausgedehnt  wurde.  Dr. 
Halbfaß  gibt  eine  kurze  Übersicht  der  Hauptergebnisse  dieser 
Arbeiten,  der  folgendes  entnommen  ist.  ^)  Sämtliche  behandelten 
Seen  liegen  nach  der  geologischen  Aufnahme  von  Peach  und  Home 
in  einem  Gebiete,  das  einst  vollständig  vergletschert  war.  Die  meisten 
von  ihnen,  und  namentlich  die  kleinem  und  schmalem,  sind  als 
Moränenstauseen  anzusprechen;  einige  der  großem,  so  namentlich 
die  Lochs  Ericht,  Laidon,  Garry  und  Lyon,  liegen  längs  Verwerfungs- 
spalten,  sind  also  überwiegend  tektonischen  Ursprunges.  Loch 
Rannoch,  Loch  Tummel,  Loch  Eam,  Loch  Jubhair  und  Loch  Dochart, 
vielleicht  auch  Loch  Tay  werden  als  Felsbecken  aufgefaßt,  die  durch 
die  Tätigkeit  des  Eises  erodiert  wurden.  Loch  Tay  bildet  ein  voll- 
kommen einheitliches  Becken  mit  der  größten  Tiefe  in  der  Mitte;  im 
Loch  Rannoch  finden  sich  im  östlichen  Teile  drei  voneinander  ge- 
trennte Vertiefungen,  das  westliche  Ende  ist  in  allmählicher  Ver- 
landung  begriffen;  Loch  Eam,  Loch  Lintrathen  und  Loch  Freuchie 
sind  gleichfalls  einheitliche  Becken,  während  der  Boden  der  übrigen 
großem  Seen  aus  mehrem  Becken  besteht. 

Auch  die  Seen  im  Assyntdistrikte  in  Sutherlandshire  sind  nach 
Ansicht  der  Landesgeologen  Peach  und  Home  sämtlich  durch  Eis- 
erosion  entstandene  Felsbecken.  Der  größte  und  tiefste  der  unter- 
suchten Seen  ist  Loch  Tay,  in  106.5  m  Meereshöhe  mit  einem  Areale 
von  26.39  qkm,  155  m  größter  Tiefe-  und  einem  Volumen  von 
1606  000  000  dm. 

Der  BaLkaschsee  ist  während  des  Jahres  1903  von  einer  russischen 
wissenschaftlichen  Expedition  erforscht  und  von  der  turkestanischen 
Militärverwaltung  neu  aufgenommen  worden.  Über  die  Ergebnisse 
liegen  erst  vorläufige  Mitteilungen  von  A.  Woeikow  vor.  ')  Hiemach 
sind  die  frühem  Karten  in  vielen  Punkten  ungenau,  besonders  fehlen 
darauf  die  fjordartigen  Buchten  im  Westen  des  Sees.  Dessen  Länge 
beträgt  etwa  690  km,  seine  Breite  60  bis  85  hm.  Die  Fauna  hat  Ähn- 
lichkeit mit  der  des  Lob-nor,  nicht  aber  mit  der  aralo-kaspischen. 
Merkwürdig  ist,  daß  dieser  abflußlose,  in  sehr  trockenem  Klima  ge- 
legene See  eine  Süßwassersee  ist.     Seine  größte  Tiefe  beträgt  nur 


1)  PetermannB  MitteU.  1904.     Literaturber.  p.  102. 
*)  Petermanns  Mitteil.  1903.  p.  286. 


3g4  8*»^  vAd  Moofe. 

11  m,  das  Waaeer  ist  trüb,  und  der  Boden  sehr  eben.  Die  Wasser^ 
temperatur  am  Boden  und  an  der  Oberfläche  ist  nur  sehr  wi»iig  y«- 
schieden;  von  Ende  Juli  bis  Anfang  September  war  sie  18  bis  25\ 
Das  Wasser  ist  im  Steigen  begriffen,  nach  Auasagen  der  KirgiaeA  seit 
wenigstens  zehn  Jahren.  Ein  Teil  des  Fahrweges,  welcher  am  West- 
ufer vorbeigeht,  ist  überschwemmt.  An  vielen  Chtea  stend  Popuh» 
diversif olia  im  Wasser,  und  zwar  Ende  des  Sommesa.  Übeiliaapt 
mehren  sich  die  Nachrichten  über  die  Zunahme  des  WaaeeiB  in  Seea 
eines  grofi^i  Teiles  Asiens.  Zu  den  frühem  von  Berg  and  Ignalov 
gebrachten  Nachrichten  über  das  Steigen  des  Aral  and  vi^er  8e» 
der  Kirgisensteppe  gesellt  sich  jetzt  der  Balkasch  and  LasjUsl 
(letzterer  in  den  letzten  drei  Jahren);  es  kommen  aach  NacshriofateB 
über  die  Zunahme  der  Gletscher  in  Turkestan. 

D&i  Kossogolses  ist  von  Peretoltschin  untersucht  worden,  uni 
Woeikow  gibt  von  der  Publikation  dieses  Forschers  einen  kunea 
Auszug.  ^)  Hiemach  besitzt  der  See  eine  größte  Länge  von  133  and 
eine  größte  Breite  von  33.^  km;  seine  mittleie  Tiefe  betraf  etwa  150 
und  seine  Seehöhe  1668  m.  Der  Ausfluß  des  Sees  ist  d^  Fluß  Eg. 
Der  See  gefriert  Anfang  Dezember  und  wird  erst  Ende  Joni  eisfra. 
Sein  Wasser  ist  sehr  klar. 

Seiches  In  lapanisehen  Seen.  Solche  «nd  jetzt  im  00  km  hmgu 
Biwasee  und  im  Hakonesee  nachgewiesen.  *)  Als  Beobachtungs- 
instrumente dienten  ein  Sarasinsches  limnometer  und  ein  von  des 
Forschem  selbst  konstruiertes  einfacherer  Natur.  Am  Biwasee  er- 
gaben sich  in  bezug  auf  die  Dauer  der  Schwingungen  ganz  außer- 
ordentlich große  Abweichungen,  sie  bew^ten  sich  namlicfa  zwisdien 
231.06  und  4.50  Minuten.  Die  Ursache  davon  ist  zum  Teile  in  der  Auf- 
stellung an  verschiedenen  Orten  des  ziemlich  unregieimafiig  ge- 
stalteten Sees  zu  suchen.  Aus  der  in  Otsu,  am  Südende  des  Sees, 
beobachteten  größten  Schwingungsdauer  würde  sich  in  ihrer  Langs- 
erstreckung eine  mittlere  Tiefe  des  Sees  von  nur  7.5  m  ergeben.  Am 
Hakonesee  ergab  sich  15.4  Minuten  als  mittlere  längste  Sc^wingungs- 
dauer  zwischen  Hakone  und  Hyakkan,  welche  mit  der  aus  der  Lange 
des  Sees  und  seiner  mittlem  Tiefe  (24.6  m)  theoretisch  berechneten 
recht  gut  übereinstimmt.  Neben  dieser  Uninodaischwingung  konnte 
noch  eine  als  Binodalschwingung  anzusprechende  Schwingung  von 
rund  6.75  Minuten  konstatiert  werden. 

Den  Tsadesee  und  seine  Veränderungen  bespradi  Dr.  S.  Passaige.^ 
Der  Karte  und  Darstellung  Destenaves  zufolge,   weist  der  T^e 


^)  Petermanns  Mitteil.  1904.  p.  152. 

«)  Globus  88.  p.  68. 

s)  PetermanDS  MitteiL  1904.  p.  210. 


Seen  und  Moore.  286 

folgende  VerhältniBae  auf.  Er  stellt  ein  Dreieck  vor  mit  einer  Basis 
▼on  170  km  Longe  und  einer  Höhe  von  180  km.  Der  Fläoheninhalt 
ist  rund  20  000  qkm.  Der  westliche  Teil  des  Sees  ist  rund  10  bis  12  m 
tief  und  inselfrei.  Die  Flutschwelle  beträgt  1.20  m.  Der  See  ist  in 
bestandigem  Vordringen  gegen  W  begriffen  und  verschlingt  dort  Land. 
Im  O  sind  die  Verhältnisse  durchaus  andere.  Dort  vermittelt  eine 
Zone  von  langgestreckten  schmalen  Inseln,  die  durch  lange  schmale, 
untereinander  vielfach  kommunizierende  Kanäle  getrennt  werden, 
den  Übergang  zum  Lande.  Die  Längsa^chsen  der  Inseln  und  Kanäle 
sind  alle  einander  parallel  angeordnet  und  streichen  von  NNW  nach 
SSO.  Die  Tiefe  der  Kanäle  schwankt  zwischen  1.50  und  6  m.  Die 
Inseln  sind  flache,  eben  aufragende  Sand-  und  Schlammbänko  bis 
15  bis  20  m  hohe  bewaldete  Inseln.  Die  erstem  liegen  in  der  Nähe 
der  freien  Wasserfläche  des  Sees  im  W,  die  hohen  im  0  nach  dem 
Lande  zu. 

Der  Übergang  vom  See  zum  Lande  vollzieht  sich  in  folgender 
Weise.  Die  Kanäle,  welche  die  Inseln  trennen,  greifen  tief  in  das  Land 
hinein,  durchfurchen  das  Plateau,  werden,  je  weiter  vom  See  entfernt, 
um  so  mehr  abgeschnürt  und  in  isolierte  Becken  zerlegt.  Während 
die  Lagunen  anfangs  noch  mit  dem  See  dauernd  kommunizieren  und 
süßes  Wasser  haben,  werden  die  abgeschnürten  Partien  nur  noch  zur 
Flulzeit  und  schließlich  gar  nicht  mehr  gefüllt.  In  den  sich  ab- 
schnürenden Partien  entwickeln  sich  infolge  der  beständigen  Salz- 
zufuhr mit  dem  Flutwasser  und  Verdunsten  des  Wassers  während  der 
Trockenzeit  Natronseen,  ähnlich  dem  Karabugas  des  Kaspischen 
Meeres.  Foureau  zog  mit  seiner  Expedition  durch  das  Übergangs- 
gebiet zwischen  den  bereits  abgeschnürten  Natronseen  und  den 
Kanälen  hin,  die  mit  dem  Tsade  noch  in  Verbindung  stehen.  Als 
or  nach  O  abbog  und  in  das  sandige  Plateau  vordrang,  fand  er  das- 
selbe geradezu  durchlöchert  von  Kesseln  und  von  gestreckten  ge- 
schlossenen Tälern  mit  Natronseen.  Dieses  Gebiet  liegt  aber  sehr 
nahe  den  von  Nachtigal  besuchten  Natrontälem  südlich  von  Lilloa. 
Letztere  dürften  also  durchaus  den  gleichen  Charakter  haben  wie  die 
in  der  Nähe  des  Tsade,  die  sicher  aus  den  Kanälen  der  Inselwelt  her- 
vorgegangen sind. 

Während  der  See  nach  W  vordringt,  verlandet  er  auf  der  Ost- 
aeite  immer  mehr.  Die  Kanäle  werden  abgeschnürt,  die  Inseln  treten 
mit  dem  Lande  in  Verbindung,  neue  Sandbänke  treten  auf,  die  zu 
Inseln  werden.  So  geht  der  Prozeß  unaufhörlich  vor  sich.  Auf  der 
Südostseite  soll  der  See  in  den  letzten  zehn  Jahren  um  1  km  zurück- 
gewichen sein.  Die  Verlandung  äußert  sich  auch  darin,  daß  der  Bahr 
el  Qhasal,  einst  dauernd  ein  breiter  Ausfluß  aus  dem  Tsade  nach  der 
Landschaft  Bodele,  aufgehört  hat  zu  fließen.  Nur  vorübergehend 
wird  er  noch  mit  Wasser  gefüllt,  so  z.  B.  im  Jahre  1870  auf  50  bis 
60  km  hin.  Er  beginnt  am  Tsade  mit  einer  von  Inseln  erfüllten  Bucht. 
Nachtigal  nahm  bereits  an,  daß  er  von  den  Alluvionen  des  Schari 


286  Seen  und  Moore. 

abgedämmt  werde,  und  daß  deshalb  der  Tsade,  seines  Aiurflngses  be- 
raubt, jetzt  nach  W  vordringe.  Das  Wasser  des  Tsade  ist  nach  den 
Berichten  der  altem  Reisenden  (Barth,  Vogel,  Nachtigal)  völlig  süB, 
Destenave  aber  fand,  daß  es  während  des  Tiefstimdes  doch  etwas 
salzig  sei.  Der  Widerspruch  dürfte  erklarhch  sein.  Dem  Bahr  el 
Ghasal  verdankte  der  Tsade  die  süße  Beschaffenheit  seines  Wass^B. 
Seitdem  dieser  Ausfluß  aufgehört  hat,  dauernd  zufließ^i,  beginnt  der 
Salzgehalt  zu  steigen  und  sich  dem  Geschmacke  während  der  Trocken- 
zeit bemerkbar  zu  machen. 

Die  ÄhnUchkeit  zwischen  den  Enneris  (d.  h.  geschlossene  Tifer 
und  Mulden)  von  Kanem  und  den  Kanälen  mit  den  Natronseen,  die 
aus  der  Inselwelt  des  Tsade  hervorgehen,  ist  so  groß,  daß  man  aidi 
wohl  kaum  der  Ansicht  wird  verschließen  können,  daß  die  Tältf 
Kanems  ursprüngUch  Kanäle  in  der  Inselwelt  des  Tsade  gewesm  sind. 
Bei  Betrachtung  der  Insel-  und  Talbildung  sind  nach  Passarge  zwei 
Erscheinungen  zu  erklären,  einmal  das  Vordringen  des  Tsade  gegen 
W,  sodann  die  Verlandung  und  Inselbildung  im  O.  Die  gewaltige 
Hochflut  des  Schari,  der  in  seinem  Unterlaufe  1000  m  breit  und  sdir 
tief  ist,  schlägt  im  See,  entsprechend  der  Richtung  eines  der  Haupt- 
arme, eine  nordwestUche  Richtung  ein,  d.  h.  verursacht  einen  Strom, 
der  gegen  das  Westufer  anstößt,  hier  erodierend  wirkt  und  den  weichen 
tonigen  Alluvialboden  mitreißt.  Daher  ist  das  Wasser  in  dieser  Region 
gelb  und  schlammig.  Die  Strömung  geht  anscheinend  um  das  Nord- 
ende herum,  streicht,  von  dem  Komadugu  Joobe  unterstutzt,  an  der 
Nordseite  entlang  und  erreicht  die  Ostseite.  Hier  setzt  sich  das  mit- 
geführte Sediment  ab,  das  Wasser  wird  klar.  Daher  ist  der  See  Ynss 
flach  geworden. 

Der  Absatz  von  Sedimenten  im  O  dürfte  auch  dadurch  gefordeit 
werden,  daß  der  Ostarm  des  Schari,  nach  Destenaves  Karte,  eine 
nördliche  Richtung  hat,  sein  Wasser  also  mit  obigem  Strome  an  der 
Ostküste   zusammentreffen   und   eine    Stauung   hervorrufen    muß. 

Für  das  Vordringen  des  Sees  nach  W  macht  Barth  Landsen- 
kungen verantwortlich,  die  durch  Nachgeben  der  unter  den  ober- 
flächhchen  Bodenschichten  befindhchen  mächtigen  Kalkbank  ent- 
standen sein  sollen.  Diese  Kalkbank  für  Landsenkungen  verantwwt- 
Uch  zu  machen,  hält  Passarge  mit  Recht  für  gewagt.  Er  möchte  ver- 
muten, daß,  abgesehen  von  der  Erosion,  die  wohl  durch  den  nach 
NW  gerichteten  Hauptarm  des  Schari  ausgeübt  wird,  auch  der  starke 
und  meist  stürmische  Nordostpassat  eine  wichtige  Rolle  spielt. 

Dieser  starke  Nordostpassat  dürfte  nach  Passarge  auch  bei  der 
Verlandung  der  Ostseite  eine  sehr  wichtige  Rolle  spielen.  Er  kommt 
aus  der  Sahara,  und  man  darf  daher  annehmen,  daß  er  aus  der  Wüste 
bedeutende  Staub-  und  Sandmassen  mitführt,  über  das  Steppenland 
Kanem  ausbreitet  und  zum  Teile  auch  durch  dieses  relativ  vege- 
tationsarme Land  hindurch  führt  bis  zum  Tsade.  Auf  den  bewaldeten 
Inseln,  in  den  Kanälen  werden  dann  Sand  und  Staub  definitiv  fest- 


Seen  und  Moore»  287 

gehalten.  Daß  diese  Sandzufuhr  tatsachhoh  stattfindet,  geht  daraua 
hervor,  daß  die  Insefai  ebenso  wie  das  Plateau  von  Kanem  aus  Sand 
bestehen,  nicht  aber  aus  dem  Alluvialschlamme  des  Tsade.  Wir 
dürfen  also  annehmen,  daß  durch  äolische  Zufuhr  die  Inseln  beständig 
erhöht  und  die  Ostseite  des  Sees  durch  eingewehten  Sand  und  ein- 
geschwemmten  Schlamm  ausgefüllt  wird.  Dadurch  wird  das  Wasser 
aber  auch  aus  der  Ostseite  des  Sees  verdrängt  und  dringt  nach  W 
hin  vor  —  ein  neuer  Grund  für  das  Vordringen  des  Sees  in  dieser 
Richtung.  Die  geringe  Tiefe  des  Sees  im  0  und  die  Zunahme  der- 
selben nach  W  hin  spricht  femer  für  die  Richtigkeit  der  Annahme» 
daß  die  Ostseite  des  Sees  ausgefüllt,  die  Westseite  aber  vertieft  wird. 

Der  Sehirwasee  in  Afrika,  ist  seit  einigen  Jahren  vöUig  ver- 
schwunden. Was  von  der  frühem  Insel  Mchisi  aus  noch  zu  erbUcken 
ist,  ist  ein  Sumpf  an  dem  ehemaUgen  westUchen  Seeufer  und  einige 
seichte  Lachen  an  den  Flußmündimgen.  Die  Kanus,  mit  welchen  (he 
Eingeborenen  seit  undenkUchen  Zeiten  den  See  befuhren,  hegen  auf 
dem  ausgetrockneten  Schlamme,  indessen  man  zu  Fuß  nach  Tongwe, 
der  kleinen  bewohnten  Insel,  gelangt.  Der  Schlanmi  ist  stellenweise 
noch  weich ;  aber  an  der  Oberfläche  ist  er  ganz  hart,  mit  welkem  Grase 
bedeckt,  das  oft  in  Flammen  aufgeht.  Ein  kleiner  Brunnen  in  der 
Nähe  der  Missionsschule  auf  der  Insel  versorgt  die  Eingeborenen  in 
der  Umgebung  mit  gutem  Wasser,  obgleich  das  Seewasser  brackig  ist 
oder  war.  Wegen  anhaltender  Dürre  wächst  auf  der  Insel  nur  spär- 
Uches  Futter,  weshalb  viele  Bewohner  nach  dem  Zombadistiikte 
auswandern.  ^) 

Der  Eyresee  in  AustraUen  ist  von  Prof.  Gregory  untersucht 
worden.  *)  Demgemäß  hatte  dieser  See  in  einer  gewissen  Periode 
der  Vergangenheit  eine  bei  weitem  größere  Ausdehnung  als  heute  und 
muß  einen  großen  Teil  von  Süd-  und  Mittelaustrahen  bedeckt  haben. 
Heute  ist  er  ein  totes  Meer  ohne  Strömung,  mit  stagnierenden  Ge- 
wässem  und  vöUig  unfmchtbaren  Ufern;  der  Spiegel  des  Sees  hegt 
jetzt  12  m  unter  der  Meeresoberfläche  und  hat  eine  Fläche  von  etwa 
10000  qkm,  Natürhch  ist  das  Wasser  des  Sees  sehr  salzig.  Die 
WaBserabnahme  hängt  offenbar  mit  kUmatischen  Veränderungen 
zusammen,  und  Prof.  Gregory  glaubt,  daß  ein  großer  Teil  der  Ober- 
fläche Austrahens  in  einer  nicht  sehr  entlegenen  Zeit  erhebUche  Ver- 
änderungen seiner  Bodengestalt  erhtten  habe. 

Die    Aoftrocknung   des   großen    Salzsees.     Hierüber   macht 
A.  Erbstein  einige  Angaben.  ')    Der  in  1286  m  Meereshöhe  gelegene 

1)  Geogr.  Joum.  1903.  p.  469.  —  Geogr.  Zeiteohr.  1103.  p.  702. 
s)  Moavement  G^graphique  1903.  p.  648.  —  Zeitschr.  d.  Gee.  f.  Erd- 
kunde zü  Beriin  1903.  Nr.  10. 

')  Umlanfts  RandBohau  f.  Geographie  f7.  p.  33. 


288  8m>^  oikd  Moore. 

See  ist  in  fortwahrender  Abnahme  begriffen  und  däzfte  in  nicht  wXbm 
vielen  Jahrzehnten  völlig  auftrocknen.  Er  leigt  wahrend  dies  Jahiet 
Schwankungen  Beines  Standes;  bis  zum  1.  JuU  steigt  sein  Wasser 
unregelmäßig  um  etwa  30  cm,  dann  sinkt  es,  nnd  swar  um  mmm 
gröfiem  Betrag.  Dies  hat  sich  seit  36  Jahren  stets  gaaeigt,  freilick 
mit  Schwankungen.  Von  Ende  1886  bis  Ende  1902  betrog  die  Ab- 
nahme des  Wasserstandes  3.51  m.  Als  Ursachen  der  WasseralHiahae 
niaunt  man  an:  Verdunstung,  Entnahme  des  Waaeera  for  d«fi  Acker- 
bau und  das  VcMrhandensein  eines  unterirdischen  Abfhiases.  Hin- 
sichtlich der  zuletzt  angeführten  Ursache  ist  man  allerdings  auf  bfefie 
Vermutungen  angewiesen;  man  halt  es  für  wahivchnnlich,  weil  niehi 
weit  vom  großen  Salzsee  andere  Seen  mit  unterirdischen  AbfliisBeD 
liegen,  femer,  weil  in  Nevada  mehrere  Flüsse  (wie  in  unsenn  Kaist) 
plötzUch  verschwinden.  Vor  mehrem  Jahren  sank  im  Salxsee  ein 
mit  200  Schafen  beladenes  Segelschiff,  und  keines  der  Schale  ist 
jemals  wieder  an  die  Oberfläche  gekommen.  Seitdem  glauben  viele 
sa  die  Existenz  eines  verborgenen  Ausflusses.  Die  Theorie  einer 
rapiden  Verdunstung  steht  teilweise  im  Widerspruche  mit  jenM-  dos 
unterirdischen  Abflusses;  denn  wenn  der  See  irgend  einen  AfaflnA  hat» 
kann  das  Wssser  nicht  so  viel  Salz  enthalten,  als  es  tatsächlich  auf- 
weist, wogegen  im  Falle  daß  die  Verdunstung  allein  Ursache  ist,  afc 
festen  Bestandteile  des  Wassers  im  Seebecken  verbleiben.  Es  ist 
natürlich,  daß  auf  jeder  großen  Wssserfläche  Veidtmstui^  statt* 
findet,  die,  wenn  das  Klima  so  trocken  wie  in  der  Gegend  des  gioflon 
Salzsees  ist,  riesige  Dimensionen  annehmen  wird.  Aber  das  ist  anek 
bei  andern  großen  Gewässern  der  Fall,  ohne  zu  einer  Austrockang 
zu  führen.  Die  Annahme,  Entnahme  des  Wassers  für  landwirtschaft- 
liche Zwecke  sei  Ursache  dw  Reduzierung  des  Wssswstandes,  hat 
viel  WahrscheinUohkeit  für  sich.  Als  Brigham  Young  und  seine  Ge- 
fährten im  Jahre  1847  im  Lande,  das  heute  den  Namen  Utah  fuhrt, 
erschienen,  fanden  sie  den  Boden  kulturfähig  vor,  doch  es  feMle 
überall  an  Wasser.  Farmen  wurden  errichtet  und  Bewasserangs- 
kanäle,  die  der  große  Salzsee  speiste,  gebaut.  Bis  zum  Jahrs  IMO 
wurde  diese  Bewässerung  in  keinem  allzu  großen  Maßstabe  get^eben, 
und  der  Wasserstand  des  Sees  wies  in  dieser  Zeit  nur  die  gewöhn- 
lichen Schwankungen  auf;  jedoch  nach  dem  Jahre  1880  wurde  zur 
Berieeehmg  der  umhegendMi  Farmen  so  viel  Wasser  entnommmt,  daß 
selbst  in  dem  regenreichen  Jahre  1886  das  Niveau  um  3^4  Puß  ge- 
sunken ist.  Im  Jahre  1889  wurden  auf  diese  Weise  009  Quadrat- 
meilen  Ackerboden  bewässert,  und  man  plant  jetzt  eine  neue,  viel 
größere  Bewässerungsanlctge,  nach  deren  Ausführung  das  Wasser  im 
See  um  mehr  als  1  Fuß  jährlich  fallen  wird.  Außerdem  wird  schon 
heute  die  Bewässerung  des  ganzen  UtahteJes  von  den  Zuflüssen  des 
großen  Salzsees  besorgt.  Die  großem  dieser  Flüsse  sind  der  Jordan, 
der  Weber-  und  der  Bärfluß.  Der  Jordan  durohfließt  den  Utnhseo 
Außer  diesen  Wasserläufen  werd^i  noch  die  kleinem  Flüsse  und  Bäche 


Sean  und  Moore.  289 

i  zur  Berieselung  herangezogen,  in  der  Weise,  dafi  ihr  ganzes  Wasser 

I  auf  die  Felder  geleitet  wird.    Es  liegt  somit  die  eigentliche  Ursache 

l,  des  Austrocknens  des  Salzsees  in  der  Abschneidung  fast  aller  Zuflüsse, 

I  so  daß  auch  große  Regenmengen  nicht  imstande  sind,  den  Abgang 

I  zu  decken. 


Bin  heißer  See  auf  Domlniea.  In  einer  äußerst  öden  und  schwer 
zttgängUchen  Gegend  von  Dominica  befindet  sich  ein  kochender  See, 
der  infolge  seiner  Lage  erst  seit  verhältnismäßig  kurzer  Zeit 
bekannt  ist,  obschon  die  Insel  nur  760  qkm  groß  ist  und  schon  im 
17.  Jahrhunderte  von  den  Spaniern  kolonisiert  wurde.  Später 
nahmen  sie  die  Franzosen  sehr  energisch  in  Kultur  und  von  der  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  an  mit  ihnen  gemeinschaftlich  die  Holländer. 
Es  mußten  also  ganz  erhebUche  Hindemisse  bestehen,  die  es  er- 
möghchten,  daß  bis  vor  etwa  30  Jahren  noch  niemand  eine  Ahnung 
von  der  Existenz  dieses  merkwürdigen  Sees  hatte.  Im  Jahre  1875 
wurde  eine  Expedition  zur  Erforschung  des  Innern  dieser  Insel  aus- 
gerüstet und  unter  Leitung  von  Dr.  NichoUs  gestellt.  Derselbe  be- 
richtet über  den  von  ihm  entdeckten  See  folgendes:  „Wir  über- 
klommen die  mit  Schwefel  überzogenen  Blöcke  und  kamen  zum 
Gipfel,  von  wo  aus  wir  ein  seltsames  Schauspiel  hatten.  Es  hatte  den 
Anschein,  als  ob  wir  uns  am  Rande  eines  furchtbaren  Schlundes  be- 
fänden, aus  dem  sich  Massen  brennenden  Bauches  und  erstickende 
Dämpfe  erhoben.  Donnerähnliches  Bollen,  sowie  ein  seltsames 
^'  Stöhnen  traf  uosere  Ohren,  und  wir  atmeten  tödliche  Gase  ein.  Die 
^  Naturerscheinung  war  so  eigenartig  ergreifend  und  schön,  daß 
^  mehrere  Minuten  vergingen,  ehe  wir  uns  vom  Staunen  erholen  konnten. 
^  Das  merkwürdigste  war  eine  Art  von  Wassermauer,  die  sich  in  der 
^  Mitte  des  Kessels  zu  erheben  schien;  sie  hatte  mehrere  Fuß  Höhe 
f  und  bewegte  sich  in  einem  Kreise  von  beschränkter  Ausdehnung 
1^  herum.  Die  Ufer  des  Sees  waren  in  zahlreiche  Stücke  zerschnitten, 
i  und  hier  und  da  zogen  sich  Landzungen  in  ihn  hinein.  Der  Abhang 
1^  war  mit  einem  prächtigen,  goldgelben  Streifen  geziert,  der  von  den 
\f  Niederschlägen  von  Schwefel  und  Wasser  herrühren  mußte.  Die 
k!  Bewegung  des  Wassers  stieß  kleine  Wellen  auf  den  Sand,  imd  man 
r  konnte  aus  der  Streifung  des  gelben  Bandes  schUeßen,  daß  der  See 
|<  zu  gewissen  Zeiten  einen  hohem  Wasserstand  gehabt  hatte.  Wir 
f  konnten  die  Wassermauer  in  der  Mitte  nur  einige  Sekunden  wahr- 
L  nehmen,  denn  kaum  hatte  sich  der  Bauch  vom  Ufer  verzogen,  als  er 
1  durch  eine  andere  Wolke  ersetzt  wurde.  In  einer  kurzen  Entfernung 
)  von  unserm  Standorte  fiel  ein  kleiner  Bach  in  den  See,  der  eine  tiefe 
i  Furche  in  die  Felsen  gewaschen  hatte,  von  denen  der  See  von  allen 
I  Seiten  umgeben  war.'*  Nach  neuem  Untersuchungen  befindet  sich 
I  der  See  fast  2600  m  über  dem  Meeresspiegel  und  ist  von  elliptischer 
Form.  Wenn  er  seinen  höchsten  Wasserstand  aufweist,  mißt  seine 
Länge  60  und  seine  Breite  30  m;  in  einer  Entfernung  von  10  m  vom 

Klein,  Jahrbuch  XV.  19 


390  aitflMlMr  Qiid  (Haiialphyiik. 

Ufer  wurden  an  einer  Stelle  schcm  60  m  gelotet.  Wenn  das  Wass^  tief 
steht,  dann  bilden  die  sich  in  ihn  ergießenden  Bache  prächtige 
Katarakte.  Das  Wasser  ist  durchaus  nicht  immer  in  Bewegung 
bisweilen  hegt  der  Seespiegel  gänzlich  ruhig  da;  dann  ist  er  irieder 
aufgeregt,  kochend  und  scheint  sich  unter  lauten  DetonatioDen  od 
eine  Achse  zu  drehen;  dabei  hebt  und  senkt  sich  der  Spiegel  und  be- 
deckt die  umhegenden  Felsen  mit  Schaum.  Der  kochende  See  ist  der 
Mittelpunkt  eines  Vulkanzentrums  und  auf  der  Insel  einer  der  letztes 
Zeugen  einer  sonst^erloschenen  vulkanischen  Tätigkeit.  ^) 

Das  Laltaeher  Moor.  Der  „Zeitschrift  für  Moorkultur  und  Tod- 
verwertung" ist  folgende  das  Laibacher  Moor  betreffende  neaeeto 
Statistik  entnommen.  Dasselbe  hegt  in  den  Katastralgemeioden 
Stadt  Laibach,  Bresowitz,  Brunndorf,  Franzdorf,  Iggdorf,  Iglad^ 
Lanische,  Log,  St.  Mckrtin,  Oberlaibach,  Piautzbüchel,  Prosa, 
Rudnik,  Seedorf,  Stein,  Strachomer,  Tomischel,  Verblene  und  Weid, 
im  Laibachflußgebiete  und  hat  den  Charakter  teils  Nieder-,  teils  Hoch- 
moores; die  Tidfe  betragt  in  der  Mitte  500,  am  Bande  50  cm.  Die 
Gesamtfläche  betragt  15  700  Aa,  wovon  1600  ha  abgebaut  und  SOOis 
kultiviert  sind.  Als  technische  Verwertung  werden  erzeugt:  Braß- 
torf  als  Stichtorf  130  000,  ab  Stieutorf  20  000  und  als  Toifmull 
15  000  Meterzentner.  In  landwirtschafthcher  Benutzung  befindsi 
sich:  300  ha  durch  natürUchen  Futterbau,  800  ha  durch  Ackerkoltur 
und  2100  ha  durch  Weidennutzung.  Außer  Kultur  befindaisidi 
9800  ha.  Die  Hauptabsatzgebiete  der  gewonnenen  Torfprodukta 
sind  Laibach,  Wien  und  Budapest. 


Gletscher  und  Giazialphysik. 

Eis-  und  Gletseherstttdlen  von  H.  Crammer.  Verf.  teilt  zimachst 
zahlreiche  Beobachtungen  über  Bildung,  KristaUform,  Schichtosg 
usw.  des  Wassereises  (See-  und  Rieeeleises)  mit  und  geht  dann  za  d^ 
Gletschereise  über.  Die  erste  Anlage  eines  jeden  Kristalls  (Komtfl 
ist  durch  ein  Schneestemchen  oder  eine  Sclmeenadel  gegeben.  D^ 
Wachsen  der  Kristalle  geschieht  vor  allem  durch  ÜberkiistallisierBB 
bei  Wärme  oder  Wasserzufuhr,  indem  die  großem  Kristalle  aus  <^ 
Nachbarschaft  Moleküle  an  sich  reißen  und  angliedern.  In  den  Fun* 
feldem  bildet  sich,  je  nachdem  die  einzelnen  Schneelagen  mehr  oder 
weniger  vollständig  in  Eis  verwandelt  sind,  eine  Schichtlolge  von 
weißhchem    luftblasenreiohem  und  blauem  luftblasenärmem  £^' 


^)  Neues  Jahrb.  f.  Mineralogie  eto.  18.  Beilageband  Heft  1.  Bef.  voi 
Dr.  Ampferer  in  Verhandl.  d.  k.  k.  geolog.  Reichsanstalt  1904.  p.  dO,  «ona« 
oben  der  Text. 


Gletooher  und  Glazialphysik.  291 

Von  einer  solchen  Schicht  zur  andern  findet  nun  nach  den  An- 
gaben des  Verfassers  kein  ÜberkristaUisieren  statt,  weil  dasselbe  durch 
Staublagen  verhindert  wird. 

Während  im  Fimgebiete  solche  Schichtung  herrscht,  begegnen 
wir  in  den  tiefem  Teilen  der  Gletscher  der  sogenannten  Blaublätter- 
struktur, richtiger  Blätterstruktur,  weil  die  ganze  Eismasse  aus 
blauen  und  weißlichen  Blättern  (sehr  flachen  Linsen)  zusammen- 
gefügt erscheint. 

Auch  hier  findet  kein  Überkristallisieren  über  die  Blätterfugen 
statt.  Die  Blätter  selbst  aber  stehen  in  der  Bewegungsrichtung  des 
Eises  und  senkrecht  zu  der  des  Druckes,  während  die  Fimschichten 
im  Fimbecken  annähernd  entsprechend  dem  Untergrunde  angeordnet 
liegen. 

Crammer  hat  den  Zusammenhang  der  beiden  Erscheinungen  ver- 
folgt und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  die  Blätterstruktur  durch  viel- 
fältiges Zusammenfalten,  Gleiten  und  Auswalzen  aus  den  Fim- 
schichten hervorgegangen  sei. 

Aus  den  verschiedenen  Geschwindigkeiten  der  einzelnen  Lagen 
des  Gletschers  folgt,  daß  er  sich  nicht  durch  Rutschen  der  ganzen 
Masse  am  Untergrunde,  sondern  durch  gegenseitige  Verschiebung 
seiner  Teilchen  bewegt. 

Das  kann  nun  nach  Ansicht  des  Verfassers  nur  dadurch  ge- 
schehen, daß  die  Staublagen  das  Gefüge  der  Fimeismassen  lockem 
und  so  eine  Verschiebung  in  der  Weise  ermöglichen,  daß  die  einzelnen 
Fimlagen  als  Ganzes  im  Zuge  der  Schwere  nach  abwärts  übereinander 
hingleiten.  Auch  im  geblätterten  Eise  geht  die  Gesamtbewegung 
durch  Verschiebungen  längs  der  Blätterflächen  vor  sich.  So  bilden 
die  durch  Schichtung  oder  Blätterung  gesonderten  Firn-  und  Eislagen 
gewissermaßen  die  tektonischen  Elemente  für  den  Aufbau  und  die 
Bewegung  der  Gletscher. 

Die  Absehmelzung  der  Gletscher  im  Winter  besprach  R.  v.  Lenden- 
feld. ^)    Er  kommt  dabei  zu  folgenden  Schlüssen: 

1.  Die  winterhche  Gletscherschmelzung  wird  hauptsächlich 
durch  innere,  zum  geringen  Teile  auch  durch  basale  und  nahe  der  Ober- 
fläche stattfindende  Absehmelzung  zustcmde  gebracht. 

2.  Die  winterliche  Absehmelzung  beruht  hauptsächlich  auf  der 
Umsetzung  der  beim  Aufhalten  der  Fallbewegung  des  Gletschers  frei 
werdenden  Wärme.  Die  durch  diesen  Faktor  bewirkte  Absehmelzung 
möchte  Verfasser  auf  90  bis  97%  der  Gesamtabschmelzung  des 
Gletschers  im  Winter  schätzen.  Die  Dicke  der  hierdurch  jährlich  ge- 
schmolzenen Eisschicht  ist  von  der  Mächtigkeit  des  Gletschers  ab- 
hängig.   Diese  Absehmelzung  ist  eine  innere. 


i)  Globus  1904.  tS.  p.  377. 

19* 


292  CHetMher  ond  Oltsialplijslk. 

3.  Die  Wirkung  der  Erdwanne  hat  an  dar  winterlichen  Ab- 
Schmelzung  des  Gletschers  nur  einen  geringen  AnteiL  Verfamnr 
möchte  denselben  auf  3  bis  6%  der  Gesamtabschm^zimg  des 
Oletschers  im  Winter  schatten.  Die  Dicke  der  hierdoroh  jahrlich  ge- 
schmolzenen Eisschicht  ist  konstant  (2.5  mm).  Diese  AbeclunelEimg 
ist  eine  basale. 

4.  Die  Langsamkeit  der  Fortleitung  einerseits  der  Somi^iw&niie 
durch  Moranendecken  von  entsprechender  Dicke  und  anderseits  der 
sommerlichen  oberflächlichen  Nulltemperatur  durch  das  £10  seihst 
nach  der  Tiefe  werden  ein  Abschmelzen  des  detschers  im  ^^ler 
herbeiführen.  Die  durch  diese  Faktoren  bewiikte  AbBohm^sang 
düifte  wohl  meistens  eine  ganz  unbedeutende,  höchstens  anf  1%  der 
Gesamtabschmelzung  im  Winter  anzusetzende  sein.  Ihre  Grofie  ist 
von  der  Moranenbedeckung  und  der  Dauer  der  Sommerw&rme  ab- 
hängig.    Diese   Abschmelzung  findet  nahe  der  Oberflache   statt. 

6.  Es  ist  möglich,  daß  die  winterliche  Schneedecke  durdi  den 
Druck,  den  sie  auf  die  unter  der  Schneegrenze  beftodlichen  Teile  des 
Gletschers  im  Winter  ausübt,  eine  innere  Abschmelzung  in  diesen 
Oletscherteilen  zur  Winterszeit  herbeiführt.  Über  die  Menge  des 
hierdurch  etwa  geschmolzenen  Eises  läßt  sich  kaum  eine  Vermotimg 
aussprechen. 

Die  Eiszeit  In  den  Alpen  nach  dem  gegenwärtigen  Standpunkte 
der  Forschung  stellte  Prof.  Brückner  in  der  Sitzung  der  natorwisseii- 
schaftlichen  Hauptgruppe  der  76.  Verammlung  deutscher  Natur- 
forscher und  Ärzte  zu  Breslau  (1904)  dar.  Er  betonte,  daß  die  va 
Beginn  des  19.  Jahrhunderts  entstehende  Lehre  von  der  Eiszeit  all- 
seitiges Interesse  erregte,  so  daß  man  sieh  überall  mit  ihr  beschaf  tigle. 
Es  entstand  eine  schweizerische,  französische,  deutsch-östeneicdiisdie 
Schule,  die  jedoch  in  einer  Reihe  von  Kardinalpunkten  zu  Ter- 
schiedenen  Ergebnissen  kam.  Daher  erschien  es  nötig,  eine  all- 
gemeine Untersuchung  anzustellen.  Die  nächste  Veranlsfisung  dasa 
gab  eine  Preisaufgabe  der  Alpenvereinssektion  Breslau,  an  deren 
Lösung  sich  auch  der  Vortragende  beteOigte.  Der  erlangte  Preis 
ermöglichte  es,  die  Untersuchungen,  die  zuerst  auf  die  Ostaipen 
beschränkt  waren,  auf  das  gesamte  Alpengebiet  auszudehnen. 

Man  unterscheidet  beim  Femblicke  auf  die  Alpen  ganz  deatUch 
drei  Zonen,  die  dunkle  Waldregion,  die  hellere  Region  der  Weide- 
gründe und  die  Schneeregion.  Die  Schneegrenze  kann  nach  ver- 
schiedenen Methoden  bestimmt  werden;  die  geographische  Methode 
stammt  von  unserm  Breslauer  Greographen  Geheimrat  Partsch. 
Redner  zeigte  an  Tabellen,  daß  die  Schneegrenze  nach  dem  bmem 
der  Alpen  ansteigt.  Er  wies  nun  nach,  daß  dieselbe  Tatsache  auch 
in  der  Eiszeit  zu  beobc^hten  ist,  und  daß  die  eiszeitliche  Schneegrenze 
gegen  die  heutige  einen  ganz  konstanten  Abstand,  im  Mittel  1250  1», 
zeigt.    Auch  die  Waldgrenze  weist  eine  Verschiebung  nach  abwärts 


Gletieher  und  Glaxialphydk.  293 

auf,  wie  aus  den  Pflanzenfunden  deutlich  zu  konstatieren  ist.  Penck 
hat  zuerst  in  den  Ostalpen  vier  verschiedene  Vergletscherungs- 
perioden  beobachtet,  das  gleiche  Resultat  hat  Redner  für  die  Schweiz 
gefunden,  die  Reste  der  beiden  ältesten  sind  jedoch,  wie  leicht  er- 
klärlich, schwer  zu  erkennen.  Bei  der  vorletzten  Eiszeit  lag  die 
Schneegrenze  noch  um  100  bis  160  m  tiefer  als  bei  der  letzten.  Die 
vorletzte  Vergletscherung  war  in  den  Westalpen  größer.  Unter  allen 
Gletschern  ist  die  Reaktion  auf  Einflüsse  zur  Erhöhung  der  Schnee- 
grenzen am  besten  am  Rhonegletscher  zu  studieren,  der  durch  den 
Jura  gestaut  ist. 

Die  Vereisungen  wurden  unterbrochen  durch  Interglazialzeiten, 
aus  denen  Ablagerungen  stammen,  unter  und  über  denen  man 
Moränen  findet,  wie  an  den  Salzburger  Seen  und  einer  ganzen  Reihe 
anderer.  Auch  fand  eine  gewaltige  Verschüttung  der  Täler  statt, 
wie  sie  besonders  das  Tal  bei  Innsbruck  auskleiden.  Später  nahm 
von  diesem  Terrain  die  Steppe  Besitz,  in  deren  Löß  sich  Reste  von 
Tieren  finden,  die  auf  ein  kälteres  Klima  schließen  lassen.  In  den 
interglazialen  Ablagerungen  aber  finden  sich  auch  Kohlen,  die  von 
einer  ausgesprochenen  Waldvegetation  stammen  und  auf  ein 
warmes,  feuchtes  Klima  deuten.  Penck  hat  nun  nachgewiesen,  daß 
diese  Kohlenablagerung  älter  ist  als  die  Ablagerung  der  Tierreste,  so 
daß  auf  die  erste  Vergletscherungszeit  eine  wärmere  Periode  folgte, 
die  wieder  von  einer  kühlem  abgelöst  wurde,  und  auf  die  schließlich 
wieder  eine  Eiszeit  kam.  Verschiedene  Forscher  leugnen,  gestützt  auf 
gewisse  in  Amerika  beobachtete  Erscheinungen,  die  Existenz  der 
Interglazialzeit;  Brückner  wies  deren  Gründe  im  einzelnen  zurück. 

Die  Interglazialzeit  war  also  wärmer  als  unsere  gegenwärtige 
Zeit  und  war  auch  keineswegs  eine  kurze  Periode.  Penck  hat  Beob- 
achtungen gemacht,  die  ihre  Dauer  zu  schätzen  gestatten.  In  der 
Interglazialzeit  wurde  das  Gebirge  um  30  m  abgetragen.  Da  man  im 
Reußtale  nachweisen  kann,  daß  zur  Abtragung  von  1  m  ein  Zeitraum 
von  weit  mehr  als  1000  Jahren  nötig  war,  so  ergibt  sich  daraus, 
welche  Dauer  man  der  Interglazialzeit  zuzuschreiben  hat.  Die  Über- 
gänge von  der  Glazialzeit  zur  postglazialen  Periode  haben  sich  nicht 
glatt  vollzogen,  sondern  es  hat  eine  Reihe  von  Oszillationen  statt- 
gefunden. Man  findet  in  den  Alpen  drei  verschiedene  Moränenzüge 
hintereinander,  sogar  bis  zu  einer  Entfernung  von  100  km.  Der 
Rückzug  der  Gletscher  muß  also  in  drei  Etappen  oder  Stadien  vor 
sich  gegangen  sein.  Jede  dieser  Rückzugsmoränen  ist  durch  ihre 
Schneegrenze  charakteristisch;  die  älteste  hatte  die  Schneegrenze 
900  m  tiefer,  als  sie  heute  ist,  die  zweite  600  m,  die  dritte  300  m.  Diese 
Erscheinung  ist  von  ganz  eminenter  Bedeutung,  da  sie  beweist,  daß 
die  Depression  nicht  eine  lokale  Erscheinung,  sondern  eine  ganz  all- 
gemeine Phase  ist.  Die  nähere  Untersuchung  hat  ergeben,  daß  nicht 
etwa  ein  einfacher  kontinuierlicher  Rückzug  der  Vergletscherung 
stattgefunden  hat,  sondern  daß  die  Gletscher  sich  weit  zurückzogen 


294  Gletscher  und  Olaiialphyfik. 

und  darauf  wieder  einen  Vorstoß  machten,  ja  es  ist  sogar  nicht  aus- 
geschlossen, daß  zeitweise  die  Gletscher  ganz  verschwunden  waren. 
Während  in  den  Eiszeiten  die  Depression  der  Schneegrenze  1250  fab 
1460  m  betrug,  erhob  sie  sich  in  der  Interglazialzeit  auf  400  m  übef 
die  Höhe  der  heutigen.  Die  Eiszeit  charakterisiert  sich  also  als  eine 
Periode  gewaltiger  Klimaschwankungen. 

Die  Eiszeit  auf  der  Balkanhalbinsel  bildete  den  Gegenstand 
einer  zusammenfassenden  Darlegimg  von  Prof.  J.  Cvijic.  ^)  Beob- 
achtungen und  Studien  über  die  Spuren  und  Folgen  der  EHszeit  auf 
der  Balkanhalbinsel  beginnen  erst  mit  den  Jahren  1896,  und  in  dieser 
Beziehung  sind  außer  dem  Verfasser  die  Namen  von  R.  Haasert, 
A.  Penck,  W.  Davis,  F.  Katzer,  Toula  und  andere  zu  nennen.  Veil 
beschreibt  neue  Spuren  der  Eiszeit  auf  der  Halbinsel  und  gibt  dann 
eine  aUgemeine  Charakteristik  derselben.  Er  folgert,  daß  auf  d^ 
Balkanhalbinsel  dreierlei  Gletscher  bestanden  haben:  Kargletscher, 
Talgletscher  und  Plateaugletscher. 

„Die  Kaigletacher  waren  am  zahlreichsten  vertreten  und  für  die  Ver- 
ffleteoherung  der  Gebirge  auf  der  Balkanhalbinael  besonders  charakteiristiadi; 
die  Mehrzahl  der  untersuchten  Gebirge  besaß  ausschließlich  solche  Gtetsdier. 
Dies  waren  zumeist  Gletscher  mit  einer  kurzen  Gletscherzunge»  die  nur  seltco 
in  die  Taler  herabkamen,  dazu  bloß  in  die  obem  Partien  derselben;  es  gab  aber 
auch  Fimgletscher  darunter.  Büt  diesen  kleinen  Gletschern  stc^t  das  zahl- 
reiche Auftreten  und  die  typische  Entwicklung  der  Kare  auf  der  Rila  und  dan 
Pirin  im  Zusammenhange. 

Die  Talgletsoher  waren  viel  seltener,  insbesondere  in  der  öetlichen  Putie 
der  Halbinsel.  Zuerst  stellte  ich  sie  auf  der  Rila  fest,  nämlich  im  Tale  der  Kriva 
Reka,  unterhalb  des  Riblje  und  Smrdljivo  Jezero,  sodann  im  Tale  der  Leva 
Reka;  als  fast  bestimmt  kann  es  gelten,  daß  sich  im  Tale  des  PravJabar 
und  seiner  rechten  Zuflüsse  lange  Talgletscher  befunden  haben.  In  grofierer 
Anzahl  kamen  die  Talgletscher  in  den  Gebirgen  des  dinarischen  Systemes 
vor.  Ich  konnte  als  solche  bezeichnen:  den  Gletscher  der  Tissovica  auf  dem 
Prenj,  den  Gletscher  des  Cabakares  auf  der  Treskavica,  einen  ont^  den 
Gletschern  des  Volujak  ,  sowie  jenen  auf  dem  Bioc,  der  aus  den  Urdeni  Dokvi 
weiter  floß ;  solche  Gletscher  befanden  sich  auch  auf  dem  Dnrmitor,  dem  Orjen, 
und  hierher  muß  auch  der  beschriebene  Gletscher  auf  dem  Lovoen  gecählt 
werden.  Aus  den  dargelegten  Beobachtungen  sieht  man,  daß  auch  von  andern 
Forschem  solche  Gletscher  angetroffen  wurden.  Ihre  Gletscherzungen  können 
höchstens  6  bis  10  km  Lange  gehabt  haben. 

Es  ist  für  die  Frage  über  die  Intensität  der  Vergietscherung  von  Bedeatongr 
daß  jetzt  bestimmt  behauptet  werden  kann,  daß  es  auch  ver^etsdierte  Hoch- 
flächen gegeben  hat.  Sie  sind  nur  in  der  westlichen  Hälfte  der  Halbineel 
festgestellt  worden,  und  es  ist  kein  Zweifel,  daß  sie  mit  der  Plastik  derselben 
in  ursächlichem  Zusammenhange  stehen.  Ein  solches  kleines  Fjeld  stellte  die 
vergletscherte  Fläche  von  60  bis  60  qkm  zwischen  Bioc,  Malgio  und  Volujak 
dar,  deren  Mittelpunkt  das  heutige  Tmovicko  oder  Volujacko  Jezero  war. 
Auch  die  Jezera  unter  dem  Durmitor  scheinen  unter  einer  großen,  jedoch 
dünnem  Eisdecke  gewesen  zu  sein.  Die  Gletscherzungen  von  Durmitor  stiegen 
auf  diese  Hochfläche  herab  und  vereinigten  sich.  Penck  hat  bewiesen,  daß  sich 
auf  dem  Orjen  eine  80  qkm  große  vergletscherte  Fläche  befunden  hat    Das- 


1)  Mitten,  d.  k.  k.  geogr.  Ges.  in  Wien  47.  p.  149. 


OletBoher  und  Glazialphysik.  295 

aelbe  laßt  dch  nach  Grands  Beobachtungen  von  der  Hochfläche  der  Cvrsnioa 
beliaupten»  von  welcher  zahlreiche  Gletscherzungen  herabkamen.  Hassert  hat 
mit  großer  Wahrscheüüichkeit  den  Schluß  gezogen,  daß  in  dem  ausgedehnten 
Gebiete  der  Komovi  auch  ganze  Hochflächen  vergletschert  waren.  Durch 
spatere  genauere  Untersuchungen  werden  im  dinarischen  Systeme»  besonders 
auf  den  Frokletije,  noch  mehr  solche  vergletschert  gewesene  Hochflächen  auf- 
gefunden werden. 

Aber  selbst  von  diesen  ließen  sich  die  Gletscher  hauptsächlich  gegen 
Norden  und  Nordosten  herab,  seltener  in  andern  Richtungen.  Dies  gilt  noch 
mehr  von  den  übrigen  Gebirgen,  worauf  bloß  Tal-  und  Kanletscher  bestanden 
haben.  Demnach  Slßt  es  sich  feststellen,  daß  die  Vergletscherung  der  Gebirge 
auf  der  Balkanhalbinsel  einseitig,  insbesondere  auf  ihre  nördlichen  und  noid- 
östlichen  Gehänge  beschiänkt  war." 

Verf.  gelangt  femer  zu  dem  Ergebnisse,  „daß  die  Höhe  der  glazialen 
Schneegrenze  auf  der  Balkanhalbinsel  zunahm,  emporstieg  in  der  Richtung 
von  Westen  nach  Osten,  von  der  adriatischen  Küste  gegen  das  Innere  der  Halb- 
insel und  zu  seiner  östlichen  Hälfte  hin.  Aber  auch  in  dem  dinarischen  Systeme 
selbst  nimmt  die  Höhe  der  glazialen  Schneegrenze  im  allgemeinen  in  der  Rich- 
tung von  Westen  nach  Osten  zu,  wie  es  auch  von  Grund  angedeutet  wurde. 
Sie  liegt  am  tiefsten  in  den  dinarischen  Küstengebirgen  und  ist  hier  nahezu 
^ich,  obwohl  diese  Gebirge  unter  verschiedener  geographischer  Breite  liegen. 
Wenn  man  sodann  die  Höhe  der  glazialen  Schneegrenze  in  den  Gebirgen  des 
dinarischen  Systemes  betrachtet,  so  erhält  man  folgendes  Ergebnis:  Ihre  Höhe 
wird  in  weit  größerm  Maße  von  der  Küstenlage  der  Gebirge  beeinflußt  als  von 
den  relativ  kleinen  Unterschieden  in  der  geographischen  Breite  derselben« 

Die  geringe  Höhe  der  glazialen  Schneegrenze  im  Westen  der  Halbinsel 
läßt  sich  nicht  durch  Senkung  der  adriatischen  Küste  seit  dem  Diluvium  bis 
zur  Gegenwart  erklären,  da  diese  sowohl  während  des  DUuviums,  als  auch 
später  unbedeutend  war.  Alle  oben  festgestellten  Ergebnisse  über  die  Höhe 
der  glazialen  Schneegrenze  und  ihren  Lauf  erweisen  dagegen,  daß  es  im  Diluvium 
bestimmte  klimatische  Unterschiede  zwischen  der  westUchen  Hälfte  der  Halb- 
insel und  den  übrigen  Partien  gegeben  haben  müsse,  und  nur  auf  solche  Unter- 
schiede läßt  sich  die  verschiedene  Höhe  der  glazialen  Schneegrenze  zurück- 
führen. In  der  westlichen  Partie  der  Balkanhalbinsel  fiel  im  Diluvium  eine 
größere  Menge  atmosphärischen  Niederschlages  herab  als  im  Innern  und  im 
Osten;  sodann  verminderte  sich  im  dinarischen  System  selbst  die  Menge  des 
sphärischen  Niederschlages  von  der  Küste  segen  sein  Inneres  hin.  Was 
die  Verteilung  der  atmosphärischen  Niederschläge  betrifft,  herrschten  also 
Zustände,  die  den  heutigen  ähnlich  waren,  nur  (£e  Menge  der  Niederschläge 
war  im  allgemeinen  grö£r. 

In  der  Eiszeit  nahm  also  auf  der  Balkanhalbinsel  die  Menge  der  atmo- 
sphärischen Niederschläge  von  Westen  nach  Osten  ab.  Sodann  lassen  sich  auf 
Grund  der  Höhe  der  glazialen  Schneegrenze  gewisse  Parallelen  zwischen  dem 
heutigen  Klima  eines  Teiles  von  Skandinavien  und  zwischen  dem  Klima  der 
Balkanhalbinsel  im  Diluvium  ableiten.  Heute  beträgt  in  Norwegen  zwischen 
eO^  30'  und  61^  20'  die  Höhe  der  Schneegrenze  gegen  1400  m,  beinahe  ebensoviel 
bis  sie  in  der  Eiszeit  auf  dem  Lovcen,  Orjen,  Gnjat,  Veles  und  Troglav,  also  im 
allgemeinen  auf  den  dinarischen  Küstengebirgen  zwischen  42^^  30'  bis  44<^  nördl. 
Br.  betragen  hatte;  wie  auf  der  Balkanhalbinsel  während  der  Eiszeit,  so  nimmt 
heute  in  Norwegen  die  Höhe  der  glazialen  Schneegrenze,  sowie  jene  klimatischen 
Elemente,  deren  Ergebnis  sie  ist,  auf  der  Balkamialbinsel  zwischen  60®  30'  und 
6P  31'  ähnlich  waren;  es  ist  aber  klar,  daß  dieBalkanvergletschemng  nicht  von 
jener  Intensität  war  wie  die  heutige  skandinavische." 

Endlich  findet  Verf.  auch,  daß  die  bestinmiten  Spuren  auf  zwei  Ver- 
gletscherungen  deuten,  mutmaßlich  aber  drei  Vergletscherungen  stattgefunden 
haben. 


296  OlalMher  und  Glasialphyilk. 

Ober  die  Eisieit  in  den  Tropen  sprach  auf  der  Breslaoer  Natur* 
forsdierversammlung  (19Q4)  Dr.  Hans  Meyer.  Nocli  1885  glaubte 
man,  in  den  Tropen  sei  nichts  von  der  Eiszeit  bemerkbar.  In  der 
Tat  sind  dort  die  Landstriche  mit  eiszeitlichen  Resten  von  geringor 
Ausdehnung  und  schwer  zugänglich;  da  die  Untersuchungen  der 
Gletscher  weite  Reisen,  hohe  körperhche  Widerstandsfähigkeit  und 
nicht  geringe  alpinistische  Schulung  erfordern,  so  ist  es  erklartich, 
daß  bisher  nur  wenig  Beobachtungsmaterial  vorliegt.  Redner  gab 
eine  Übersicht  desselben,  kritisierte  zugleich  dessen  Bedeutung  und 
ging  dann  näher  auf  die  von  ihm  in  Ecuador  gefundenen  Resultate 
ein.  Er  fand  alte  Gletscherspuren  600  bis  800  m  unter  der  heutigen 
Oletschergrenze  in  ganz  typischer  Erscheinung,  am  scliönsten  am 
nördlichen  Chimborasso  und  einigen  andern  Punkten.  Es  zeigten  üch 
drei  Rückzugsphasen,  genau  so,  wie  er  sie  früher  am  Kalimandscharo 
nachgewiesen  hatte.  Für  die  Zeitbestimmung  der  Vergletschenmg 
in  Ecuador  ist  wichtig  das  Alter  der  Berge  selbst,  die  frühestens  auf 
den  Ausgang  des  Tertiärs  zurückgehen,  deren  Hauptentstehunggzeit 
aber  im  Diluvium  hegt.  Da  die  Vulkane  erst  geraume  2#eit  zu  ihrer 
Erkaltung  bedurften,  ehe  sich  eine  Schneedecke  auf  ihnen  baden 
konnte,  so  ist  die  Glazialzeit  dort  in  das  jüngste  Diluvium  zu  setzen. 
In  analoger  Weise  wie  in  andern  Gegenden  fand  er  auch  in  Ecuador 
eine  Fauna  und  Flora,  Relikte  einer  eingewanderten  Lebewelt,  die 
auf  große  Klimaschwankungen  hinweist.  Die  Eiszeit  in  den  Tropen  ist 
in  zwei  durch  eine  Interglazialzeit  getrennten  Perioden  nachgewiesen, 
von  denen  die  ältere  in  ihren  Wirkungen  stärker  war  als  die  jüngere. 
Von  der  Kulmination  der  letzten  Eiszeit  bis  zur  Gegenwart,  in  der 
wie  in  allen  Gletschergebieten  der  Eide  der  Rückzug  der  Gletscher 
fortdauert,  lassen  sich  drei  Phasen  verfolgen.  Die  Grenze  der  letzten 
Vergletscherung  hegt  im  allgemeinen  800  bis  1000  m  tiefer  als  jetzt, 
wo  die  Verhältnisse  wie  am  östUchen  Kilimandscharo  ungünstig 
wirken,  600  bis  800  m,  wo,  wie  auf  dem  kegelförmigen  Cotopazi  die 
Bildung  der  Gletscherzungen  minimal  ist,  500  bis  600  m.  —  Dieeelben 
Grenzwerte  ergeben  sich  aus  der  Untersuchung  der  altmi  Kare;  es 
läßt  sich  also  eine  diluviale  Fimgrenze  von  4200  m  ableiten.  Außer- 
halb  der  Tropenzone  nimmt  die  Depression  zu.  Es  findet  von  den 
Polen  äquatorialwärts  eine  stetige  Abnahme  des  Depressionswertes 
statt,  aber  sie  bleibt  sowohl  für  die  Eiszeit,  wie  für  die  Jetztseit  ziem- 
Uch  gleich.  Das  IQima  muß  denmach  sehr  gleichmäßig  gewesen  sein. 
Als  Resultat  seiner  Studien  legte  Meyer  dar,  daß  die  symmetrische 
Anordnung  der  Fimgrenze  auf  dem  ganzen  Erdbälle  für  die  Grleich- 
zeitigkeit  aller  eiszeitlichen  Phänomene  zeuge,  und  daß  die  Verhältnisse 
der  Eiszeit  nichts  anderes  als  eine  Steigerung  unserer  heutagen 
Gletscherverhältnisse  seien,  die  einer  mittlem  Temperaturemiedri- 
gung  von  3  bis  4°  gleichzusetzen  sei.  Es  lasse  sich  auch  nicht  ab- 
wechselnd  eine  Eiszeit  auf  der  nördlichen  und  südlichen  Halbkugel 
annehmen,  wie  überhaupt  nirgends  lokale  Ursachen,  sondern  allgen 


Die  LnfthAlle  im  allgemeinen.  297 

gültige,  wahrBoheinlich  mit  koBinisclien  Vorgängen  wie  Wanne* 
Schwankungen  der  Sonne  zusammenhängende,  anzunehmen  wären. 
Indessen  seien  die  Forschungen  noch  nicht  abgeschlossen,  es  gelte 
vor  allem,  den  Kreis  der  empirischen  Erfahrungen  zu  vermehren . 

Die  Lufthülle  Im  allgemeinen. 

ZuHunmensetiung  der  atmosphärischen  Luft.  Im  Verlaufe  seiner 
Untersuchungen  über  die  Bestandteile  der  atmosphärischen  Luft 
hat  H.  Henriet  die  Anwesenheit  eines  energisch  reduzierenden  Gases 
feststellen  können,  das  die  Fehlingsche  Flüssigkeit  zu  reduzieren  und 
Jodstärke  zu  entfärben  vermag. 

Um  es  zu  isoheren,  wurde  das  neutral  reagierende  Wasser  eines 
Nebeb  filtriert  und  eingedichtet,  wobei  es  sauer  wurde  und  einen 
Niederschlag  von  Kalziumsulfat  gab,  den  man  abfiltrierte.  Die  er- 
haltene orangegelbe  Flüssigkeit  wurde  der  Destillation  unterworfen 
und  gab  neben  Ameisensäure  einen  das  Neßlersche  Reagens  redu- 
zierenden Aldehyd,  der  durch  die  bekannten  Reaktionen  als  Formal- 
dehyd erkannt  wurde.  Seine  Gegenwart  erklärt  die  Tatsache,  dafi 
Meteorwasser  beim  Eindampfen  sauer  wird,  denn  Formaldehyd  wirkt 
auf  die  Ammoniumsalze  und  macht  unter  Bildung  verschiedener 
stickstoffhaltiger  Basen  einen  Teil  der  Säure  dieser  Salze  frei.  Die 
sehr  starken  antiseptischen  Wirkungen  des  Formaldehyds  verleihen 
seinem  Vorkommen  in  der  Atmosphäre  eine  wichtige  hygienische 
Bedeutung  für  die  Reinheit  der  Luft.  Über  den  Gehalt  der  Luft  an 
Formaldehyd  ergaben  die  ein  ganzes  Jahr  hindurch  zu  Montsouris 
durchgeführten  Messungen  Werte,  die  zwischen  ^/looooo  ^^^ 
^/i  00  000  ^^  Gewichtes  der  Luft  schwankten  und  der  äußern  Tem- 
X)eratur  proportional  waren. 

Die  RadioaktlYit&t  der  Atmosphäre  untersuchte  S.  J.  Allan,  ^) 
nachdem  er  schon  früher  gemeinsam  mit  Rutherford  gefunden  hatte, 
daß  die  Größe  der  von  der  Luft  induzierten  Aktivität  durch  die 
Witterung  so  beeinflußt  wird,  daß  ein  Maximum  bei  hellem,  kaltem, 
ein  Minimum  bei  trübem,  warmem  Wetter  beobachtet  wird.  Seine 
neuen  Untersuchungen  führten  ihn  zu  folgenden  Ergebnissen:  „Die 
aus  der  Atmosphäre  induzierte  Aktivität  verhält  sich  in  vielen  Be- 
ziehungen wie  die  Radioaktivität  von  Thorium  und  Radium.  Sie 
enthält  wie  diese  eine  leicht  absorbierte  a-Strahlung  und  eine  mehr 
durchdringende  (^-Strahlung.  Die  a-Strahlimg  ist  wahrscheinlich 
verantwortlich  für  den  großem  Teil  der  ausgestrahlten  Gesamt- 
energie, und  sie  wird  in  etwa  0.004  cm  Aluminium  und  10  cm  Luft 
vollständig  absorbiert.  Die  (9-Strahlen  werden  auf  die  Hälfte  ver- 
ringert durch  0.007  cm  Aluminium  und  vollständig  absorbiert.    Die 


1)  Fhilos.  Mag.  [6]  7.  p.  140.  —  Naturwiss.  RundBchau  lt.  p.  189. 


298  I>to  LnfthüUe  im  aUcameinoi. 

/'-Strahlen  werden  auf  die  Hälfte  verringert  durch  0.007  cm  Alu- 
minium und  vollständig  abeorbiert  durch  0.06  cm.  Die  ^StinhkB 
bestehen  wahrscheinlich  aus  negativ  geladenen  Partikeln,  ihnlidi 
den  Kathodenstrahlen,  die  mit  großer  Geschwindigkeit  ao^ 
schleudert  werden.  Die  durch  sie  erzeugte  Ionisation  ist  za  Uas, 
als  daß  man  prüfen  könnte,  ob  sie  im  Magnetfelde  ablenkbar  ist 
Die  VerBchiedenheit  in  den  Schnelligkeiten  des  Schwindens  der  ontar 
verschiedenen  Bedingungen  erhaltenen  induzierten  Aktivität  schoBt 
auf  die  Tatsache  hinzuweisen,  daß  die  Radioaktivität  der  Atiaoiqdiän 
sehr  zusammengesetzter  Art  ist. 

Die  Radioaktivität  von  Schnee  und  Regen  muß  heigeleiM 
werden  von  einer  radioaktiven  Substanz  in  der  Luft,  welche  der  Ob»- 
fläche  der  Schneeflocken  oder  Regentropfen  adhäiiert  und  bä  ilum 
Fallen  niedergebracht  wird.  Vielleicht  könnte  man  den  Unteisdiifld 
in  der  Abnahme  der  Radioaktivität  von  Schnee  und  Regm  imd  der 
an  einem  Drahte  induzierten  Aktivität  erklären  durch  die  Annahi», 
daß  die  radioaktive  Substanz  in  der  Luft  aus  verschiedenen  Arta 
mit  verschiedenen  Abnahmegeschwindigkeiten  besteht.  Schnee  vni 
Regen  konnten  ihre  Aktivität  der  einen  Art  verdanken,  während  der 
negativ  geladene  Draht  alle  aktiven  Träger  zu  seiner  Oberffid» 
anzieht." 

Der  Wärmeaustausch  im  testen  Erdboden,  In  Gewissem  ani  ^ 
der  Atmosphäre  ist  auf  Grund  der  theoretischen  UnterBuchooga 
V.  Bezolds  durch  J.  Schubert  festgestellt  worden.  ^)  Für  dwifest« 
Erdboden  sind  dabei  in  erster  Linie  die  TemperaturbeobachtnogeB 
zu  Eberswalde,  für  das  Wasser  diejenigen  der  dänischen  FenerBchiff- 
Stationen  in  Ost-  und  Nordsee  und  für  die  Atmosphäre  die  Ergebnisse 
der  Berliner  Luftfahrten  zugrunde  gelegt.  Als  Hauptresoltat  ergibt 
sich  ein  außerordentliches  Überwiegen  des  Wärmeaustausches  is 
Meere.  Für  den  jährlichen  Wärmeumsatz  erhält  man  folgende  Werte 
jn  Grammkalorien  pro  Quadratzentimeter: 

Sandboden  (Eberswalde)! 1^ 

Atmosphäre  ohne  Dampfwärme  (Berlin)  ^ 

Atmoephäre  mit  Dampfwarme  (Berlin)        ^ 

Ost.  und  Nordsee  (Dänische  Stotionen) ^^ 

Der  darauf  beruhende  große  Einfluß  des  Meeres  auf  die  Witterongs- 
Vorgänge  in  benachbarten  Ländern  läßt  sich  in  mehrfacher  Besiehiing 
nachweisen.  Auch  der  tägliche  Wärmeaustausch  ist  im  Wasser  er- 
heblich größer  als  im  festen  Lande,  wie  durch  Beobachtungen  ^ 
Fiimland  von  Hom^n,  in  Eberswalde  und  an  der  Küste  von  Herinp* 
dorf  gezeigt  wird.  Der  jährliche  Gang  des  Wassergehaltes  der  «b- 
zelnen  Schichten  der  Atmosphäre  erfährt  mit  wachsender  Hö» 
eine  Verzögerung.     Durch    Hinzutritt    der  Dampfwärme  werfen 

^)  Bericht  d.  Dtsch.  physik.  Ges.  zu  Bertin  2.  p.  173. 


Lufttemperatnr.  299 

die  Phasen  des  jährlichen  Wärmeganges  am  Boden  verzögert,  von 
600  m  an  aufwärts  und  besonders  in  2000  m  Höhe  aber  beschleunigt. 
Nach  den  Wolkenbeobachtungen  zu  Potsdam  fällt  die  Höhe  von 
2000  m  in  die  Region  der  Kumulusbildung.  Man  kann  die  genannten 
Wolkenbeobaohtungen  auch  benutzen,  um  die  Geschwindigkeit  der 
Luftströmung  in  verschiedenen  Höhen  zu  ermitteln.  In  erster 
Annäherung  ergibt  sich  für  die  Geschwindigkeit  in  Metern  pro 
Sekunde  in  einer  Höhe  von  H  Kilometern  bis  etwa  10  km  Höhe 
im  Jahresdurchschnitte 

v=  5.6+  2.5.  H. 

Hieraus  läßt  sich  ein  ungefähres  Maß  für  die  der  Luft  innewohnende 
Bewegungsenergie  finden.  Bei  vollständiger  Umwandlung  in  Wärme 
würde  die  durchschnittUche  Temperaturerhöhung  der  Atmosphäre 
etwa  0.3^  betragen,  was  einer  Wärmemenge  von  etwa  80  kal./qcm 
entspricht.  —  Für  die  Übertragung  der  Eigenschaften  der  Luft  ist  in 
erster  Linie  die  Stärke  der  Luftströmung,  d.  h.  die  in  der  Zeiteinheit 
durch  die  senkrechte  Querschnittseinheit  hindurchströmende  Luft- 
menge von  Bedeutung.  Diese  scheint  in  der  Höhe  von  T  kmihi  Maxi- 
mum zu  haben.  Berechnet  man  dagegen  die  Menge  Wasserdampf,  die 
in  der  Zeiteinheit  durch  die  Querschnittseinheit  strömt,  so  erreicht 
diese  ihren  größten  Wert  schon  innerhalb  des  ersten  Kilometers 
über  dem  Erdboden,  was  aus  der  starken  Abnahme  des  Dampf- 
gehaltes nach  oben  erklärUch  ist.  Die  weitere  Ausbildung  dieser 
Methoden  und  ihre  Anwendung  namentlich  auf  die  Ergebnisse  der 
internationalen  Luftfahrten  scheint  für  die  Phjrsik  der  Atmosphäre 
von  vielversprechender  Bedeutung. 


Lufttemperatur. 

Die  Hebung  der  atmosphärischen  Isothermen  in  den  Schweixer 
Alpen  und  ihre  Beziehung  zu  den  Höhengrenzen  ist  von  A.  de  Quervain 
einer  eingehenden  Untersuchung  unterzogen  worden.  ^)  Indem  wegen 
der  Einzelheiten  dieser  umfassenden  Arbeit  auf  das  Original  ver- 
wiesen werden  muß,  folgen  hier  die  vom  Verf.  gegebenen  Resultate 
und  Schlußfolgerungen. 

„1.  Es  ist  in  den  Schweizer  Alpen  eine  Hebung  der  Isothermen 
nachweisbar,  deren  Maximum  im  Monte  Bosagebiete  und  im  Engadin 
liegt. 

2.  Diese  Hebung  der  Isothermen  ist  nur  um  die  Mittagsstunden 
stark  ausgeprägt;  am  Morgen  um  7  Uhr  ist  sie  auch  in  den  wärmsten 
Monaten  von  geringem  Betrage  und  verkehrt  sich  in  den  übrigen 
Monaten  in  eine  Einsenkung. 


^)  Geriandfl  Beitrage  zur  Geophysik  6.  p.  481. 


300  Lafttemperatar. 

3.  Die  Hebung  um  Mittag  beschränkt  sich  nicht  nur  «ol  don 
Sommer,  sondern  beginnt  in  ganz  ausgesprochener  Weise  schon  im 
Februar,  um  bis  in  den  November  zu  dauern. 

4.  Das  Ansteigen  der  isothermen  Flachen  um  Mittag  entapridit 
einem  in  der  Niveauflache  von  1600  m  bestimmten  Tempeiimtar- 
gefalle,  das  im  Februar  3.6°  betragt,  im  März  auf  4.6^  steigt  und  aidi 
vom  April  bis  zum  Oktober  auf  6°  erhält,  mit  einem  Maximum  TOD 
6.6°  im  Juli.    Auch  im  November  beträgt  die  Differenz  noch  4.0^ 

6.  Die  Hebung  der  Isothermen  um  Mittag  von  dem  n^dbchen 
Alpengebiete  gegen  die  Zentren  der  Massenerhebung  erreicht,  unter 
Voraussetzung  des  mittlem  mittäglichen  vertikalen  Temperatur- 
gradienten  der  Monate  März  bis  November,  im  Maximum  den  Betrag 
von  rund  800  m  und  halt  sich  vom  Mai  bis  Oktober  auf  700  m. 

6.  Nach  Süden  ist  ein  Abfallen  der  isothermen  Flachen  zu  kon- 
statieren, das  einen  geringem  Betrag  hat  als  auf  der  Nordaeite,  aber 
immerhin  im  Mai  ein  Maximum  von  700  m  erreicht,  sonst  aber  etva 
600  ausmacht. 

7.  Die  thermische  Begünstigung  der  zentralen  Gebiete  stützt  sich 
nicht  nur  auf  begünstigte  Einstrahlung,  sondern  ebenso  sehr  auf  eine 
durch  die  Natur  der  Massenerhebung  bedingte  prinzipielle  Hinderung 
dynamischer  Abkühlungen  und  Begünstigung  dynamischer  Er- 
wärmungen. 

Was  bisher  über  den  täglichen  Wärmegang  in  Talern,  an 
Berghängen  und  auf  Gipfeln  bekannt  war,  und  andere  klimatologische 
Fakta  mußten  quahtativ  ähnliche  Resultate  erwarten  lassen.  Als 
neu  kann  man  jedoch  die  Bestimmung  der  Größe  dieses  Einflusses 
bezeichnen.  Was  wir  hier  für  die  Schweizer  Alpen  mit  ihrer  Massen- 
erhebung von  ca.  2000  m  abgeleitet  haben,  wird  nach  Maßgabe  der 
betreffenden  Massenerhebung  auch  für  andere  Gebiete  qualitativ 
und  quantitativ  zutreffen,  soweit  sich  mit  der  geographischen  Br»te 
nicht  die  Voraussetzungen  ändern. 

Femer  findet  Verf.,  daß  der  Verlauf  der  Waldgrenze  in  unmittel- 
barer Beziehung  zur  Temperaturverteilung  steht.  Es  ergibt  sich  die 
interessante  Tatsache,  daß  an  der  Waldgrenze  die  Mittagstempera- 
turen  im  ganzen  Gebiete  dieselben  sind,  und  zwar  leiten  sich  aus  des 
Verfassers  Aufstellungen  folgende  annähernde  Werte  ab: 

Monat:  Febr.  März  April  Mai  Juni  JaÜ  Aug.  Sept.  Okfe.  Not. 

MittagBtemperatnr 
an  der  Waldgreiae     —2«  —0,6«  3,6»   6,6o  10,5*  13,20  13«   10,5»    6^     ^^ 

Die  Schneegrenze  betreffend  sind  die  Schlüsse  weniger  sicher.  Sie 
verläuft  1000  bis  1600  m  über  dem  Niveau,  dessen  Temperatur- 
verteilung untersucht  wurde. 

Jedenfalls  hält  Verf.  die  Mittagstemperaturen  bezü^oh  der 
Schneegrenze  für  ausschlaggebend;  sie  charakterisieren  die  Ver- 
hältnisse an  der  Schneegrenze  daher  wohl  besser,  als  solches  durch  die 
mittlem  Tagestemperaturen  geschehen  wird. 


Lufttemperatur.  301 

Die  Temperaturumkehr  in  der  Höhe  ist  von  R.  Afimann  an  der 
Hand  der  simultanen  Drachenaufstiege  in  Berlin  und  Hamburg  für 
den  Zeitraum  vom  6.  Mai  1903  bis  5.  Mai  1904  untersucht  worden.  ^) 
Es  wurden  dabei  außer  den  Temperaturinversionen  auch  die  genetisch 
zusammengehörigen  Isothermen  berücksichtigt,  da  dieselben  in 
Fällen,  in  denen  die  Aufstiege  nicht  in  die  Höhe  der  vollen  Inversion 
hinaufreichten,  als  eine  Überleitung  zu  derselben  deren  Anwesenheit 
verraten. 

Folgende  Tabelle  gibt  samtliche  in  Berlin  und  Hamburg  an- 
getroffenen Erscheinungen  dieser  Art. 

Zahl  der  Tage  mit  Inversionen  und  Isothermen. 
1903.      Mai  Juni  Juli  August  September  Oktober  November  Dezember 
9        11      8  9  16  14  19  26 

1904.      Januar    Februar    März    April    Jahr 
23  20  24        16        195 

„Die  beträchtlich  größere  Häufigkeit  derselben  in  den  Winter- 
monaten einschließlich  des  März  ist  deutlich  ausgesprochen;  der 
Prozentsatz  aller  Inversionen  steigt  hier  auf  69.8%.  Überlegt  man 
dazu,  daß  sicherlich  ein  nicht  geringer  Teil  der  Aufstiege,  besonders 
der  Hamburger,  die  Inversionsschichten  nicht  erreicht  hat,  so  wird 
man  nicht  fehlgehen,  wenn  man  die  Häufigkeit  des  Vorhandenseins 
von  Temperaturumkehrungen  auf  70%  bewertet. 

Die  Jahressumme  von  195  Inversionen  bezieht  sich  auf  beide 
Stationen,  d.  h.  sie  gibt  an,  daß  an  195  Tagen  im  Jahre  entweder  in 
Berlin  oder  in  Hamburg  oder  an  beiden  Stationen  Temperatur- 
umkehrungen  vorgefunden  worden  sind. 

Eine  Auszählung  ergibt,  daß  von  den  115  Tagen  gleichzeitiger 
Aufstiege,  an  welchen  eine  Inversion  an  einer  der  beiden  Stationen 
festgestellt  wurde,  25  auszusondern  sind,  weil  die  erreichten  Höhen 
zu  ungleich  waren;  von  den  verbleibenden  90  Tagen  wurden  in  Ham- 
burg 12,  in  Berlin  8,  zusammen  also  20  Tage  ohne  Temperatur- 
umkehrung  gefunden.  Mit  andern  Worten  heißt  das :  die  Temperatur- 
inversionen wurden  in  77.8%  aller  möglichen  Fälle  an  beiden  Sta- 
tionen angetroffen  und  dürften  somit  als  ein  über  weitere  Gebiete 
verbreitetes  Phänomen  anzusehen  sein.'^ 

Die  mittlere  Höhenlage  der  Umkehrschichten,  entnommen  aus 
deren  vorgefundenen  obem  und  untern  Grenzen,  sowie  ihre  aus  den- 
selben Angaben  gewonnene  Mächtigkeit  gibt  Aßmann  durch  folgende 
Tabellen  wieder: 

Mittlere  Seehöhe  der  Umkehrschiohten  in  Metern. 

1903    Mai    Juni    Juli  Aug.     Sept.         Okt.         Nov.        Dez. 
in  Hamburg  (1700)  830   (1400)  —      1010  694  746         437 

in  BerUn  (1660)  941    (1700)  ~        820  660  832         900 

Zahl  der  FSlle  14  1—6  6  6        16  (12) 


^)  Beiträge  cor  Physik  der  freien  Atmosphäre  1.  p.  36. 


302  Lafttempentar. 

Mittlere  Seehöhe  der  UmkehrBohiohten  in  Metern. 
1904    Januar    Februar    Man    April    Jahr 
in  Hamburg  660  850         870      1133     tSl 

in  Berlin  533  624  688        864     775 

Zahl  der  lUUe  10         10(9)         13        11(8) 

Mittlere  M&chtigkeit  der  Inversionsschichten  in 

Metern. 

1903  Mai  Juni  Juli  Aug.  Sept.  Okt.  Not.  Du. 
in  Hamburg  (400)  327  —  —  3^  488  258  814 
in  Berlin  (300)  390  —  —  200  425  460  406 
Zahl  der  VbII-             14^-.      5(3)             4            6(2)       1S(]0) 

1904  Januar  Februar  März  April  Jahr 
in  Hamburg                 360           229  288  178  906 
in  Beriin                      258            310  390  582  SOS 

Zahl  der  Fälle  4(8)  10(4)  13(8)  9(4) 

„Aus  der  Zusammenstellung  scheint,  soweit  man  das  immerhin 
noch  lückenhafte  und  unzureichende  Material  eines  Jahres  für  eine 
erste  Annäherung  herbeiziehen  darf,  hervorzugehen,  daß  die  Li- 
versionsschichten  in  Hamburg  durchschnittlich  eine  etwas  höhen 
Lage  aber  eine  etwas  geringere  Mächtigkeit  besitzen  als  in  Berlin, 
und  daß  sich  eine  jährliche  Periode  der  Höhenlagen  erkennen  läßt 
welche  besonders  in  Hamburg  in  einer  deutlichen  Senkung  der 
Schichten  in  der  kalten  Jahreszeit  besteht,  während  diese  £r- 
scheinung  in  Berlin  undeutlicher  ausgesprochen  ist.  Faßt  man  die 
Höhenlagen  nach  Gruppen  zusammen,  so  ergibt  sich  folgendes  Biki 
der  Häufigkeit  von  Inversionen  (in  Prozenten): 

Erd- 
boden bis  200  m.  200^600. 500—1000. 1000—1500.  1500—2000. 2000--^500  n. 
in  Hamburg  6.9        39.5  13.3  13.9  4.7  3.5 

inBeribi       4.5        37.6  28.4  21.6  4.5  3.4 

Diese  Zusammenstellung  läßt  eine  deutliche  Übereinstimmung 
zwischen  den  beiden  Stationen  erkennen  und  dürfte  auch  als  Beweis 
für  die  Tatsächlichkeit  der  Temperaturumkehrungen  und  deren  all- 
gemeinem Charakter  gelten.  Es  sei  noch  bemerkt,  daß  diejenigen 
Fälle,  in  welchen  mehrere  übereinander  liegende  Umkehrschichten 
angetroffen  worden  sind  —  in  Hamburg  und  Berlin  je  zehn  Fälle  — 
einzeln  gezählt  worden  sind.  Die  größere  Zahl  von  Inversic»ien 
zwischen  1000  bis  1500  m  Höhe,  welche  in  der  Tabelle  bei  Beihn 
verzeichnet  ist,  dürfte  wohl  aus  der  großem  Höhe  der  Berliner  Auf- 
stiege zu  erklären  sein. 

Um  der  Frage  nach  einer  Erklärung  über  die  Entstehungs- 
ursache und  das  Wesen  dieser  Temperaturumkehrungen  näher  so 
kommen,  wurden  die  bei  den  „Inversionsaufsti^en"  herrschenden 
Windrichtungen  ermittelt. 

Für  beide  Stationen  zeigt  sich  übereinstimmend  ein  außer- 
ordentliches Überwiegen  des  zwischen  Nordost  und  Südost  liegenden 
Quadranten,  während  besonders  der  westliche  Quadrant  betjächt- 


Lufttemperatur.  30  3 

lieh  zurücktritt.  Mit  andern  Worten :  Das  Auftreten  von  Temperatur- 
umkehrungen  erfolgt  am  häufigsten  bei  einer  Druckverteilung, 
welche  den  höchsten  Barometerstand  im  Norden  und  Osten,  den 
tiefsten  im  Süden  und  Westen  hat. 

Die  großen  Inversionen  sind  in  den  meisten  Fällen  an  beiden 
Stationen  gleichzeitig  oder  doch  nur  kurz  nacheinander  beobachtet 
worden,  und  im  allgemeinen  ergibt  eich,  daß  auch  die  Intensitäten 
der  Temperaturumkehrungen  an  beiden  Stationen  durchaus  parallel 
gehen.  Die  Entstehungsursache  der  Temperaturumkehrungen  ist 
noch  unbekannt.  Aßmann  hatte  früher  die  Möglichkeit  erörtert, 
daß  die  in  der  hohen  Inversionstemperatur  zutage  tretende  Wärme 
ihre  Quelle  in  Kondensationsvorgängen  haben  könnte,  welche  in 
größerer  Entfernung  stattfinden.  Die  Tatsache,  daß  die  häufigsten 
und  stärksten  Umkehrungen  dann  vorkonmien,  wenn  tiefer  Druck 
im  Westen  und  Süden  herrscht,  weise  ziemlich  deutUch  auf  einen 
Zusammenhang  zwischen  den  beiden  Vorgängen  hin,  da  die  genannte 
Druckverteilung  ganz  besonders  zu  Kondensationen  in  größerm 
Maßstabe  zu  führen  pflegt,  entsprechend  dem  Vorhandensein  von 
Meeren,  die,  besonders  im  Winter,  der  Hauptzeit  der  Inversionen, 
hochtemperiert  sind.  Bekanntlich  ist  auch  in  den  West-,  Südwest- 
und  Südküsten  Europas  der  Winter  die  Zeit  der  ergiebigsten  und 
weitest  vertreiteten  Niederschläge. 

Eine  statistische  Zusammenstellung  der  Tage  mit  Niederschlag 
und  Inversionen  für  den  obigen  Zeitraum  ergab  zunächst,  daß 
155  stärkere  Niederschläge  in  85  Fällen  von  Inversionserscheinungen 
am  nächstfolgenden  Tage  gefolgt  waren,  entsprechend  55.0  vom 
Hundert,  femer,  daß  von  184  überhaupt,  d.  h.  entweder  in  Berlin 
oder  in  Hamburg  beobachteten  Temperaturumkehrungen  108,  d.  h. 
57%,  nicht  mit  Regenfällen  zusammengefallen  sind.  „Hieraus 
könnte  man  den  Schluß  ziehen,  daß  ein  Zusammenhang  der  beiden 
Erpcheinungen  eher  unwahrscheinhch  als  wahrscheinlich  sei.  Die 
Verhältniswerte  ändern  sich  jedoch  nicht  unbeträchtlich,  wenn  man 
einerseits  die  in  Beziehung  gebrachten  Küstenländer  enger  umgrenzt, 
anderseits  die  Jahreszeiten  gesondert  betrachtet:  die  Nordwest- 
und  Westküsten  geben  seinen  geringem  Prozentsatz,  50.0%,  dagegen 
steigt  derselbe  bei  den  Südwestküsten  auf  63.3,  bei  den  Südküsten 
auf  61.2%.  Faßt  man  nun  noch  die  wärmere,  sowie  die  kältere 
Jahreszeit  gesondert  ins  Auge,  so  sieht  man,  daß  die  letztere  be- 
sonders für  die  Südwestküsten  und  Südküsten  Beziehungen  zwischen 
den  beiden  Phänomenen  aufweist,  welche  wohl  einen  ursächlichen 
Zusammenhang  vermuten  lassen,  indem  die  Werte  79.3  und  69.3  vom 
Hundert  doch  schon  ganz  beträchtUch  über  dem  Zufallsverhältnisse 
liegen.  Außerdem  ist  anzunehmen,  daß  eine  weitere  Ausdehnung 
der  Aufstiege  nach  der  Höhe  zu  noch  viele  Inversionen  in  hohem 
Schichten  aufdecken  wird,  welche  bisher  nicht  erreicht  werden 
konnten,  und  daß  sich  demnach  mit  weiterer  Vervollkommnung  der 


winiier      fTuniinK  cfonunar  jxvriw«      AmpiwaB 

+  1.9«    +  ö.l»  +13.0«  +  7.6«       13.4» 

—  0J2      4-  2.4  +11.8  4-  6.1  14.« 

—  1.4      —  2.1  -f  7.3  +  2.2         143 


804  Lafttempcratiir. 

aarooMitiachen  Technik  das  prozentiache  VerfaaltiiiB  nicht  imerfaehlich 
snguDSten  eines  Zuaammenf  allens  der  beiden  Eischeimiiigea  vet- 
bcMem  würde»  zumal  die  Zahl  der  NiederscUagetage  hierdurch  hmt 
Vennehrung  erfahren  kann,  sondern  nur  die  der  Inveraioiiatage."' 

Die  Temperaturabnahme  mit  der  Hdhe  In  der  Gegend  von  Paiii 

auf  Grund  fünfjähriger  Beobachtungen  hat  Teisserenc  de  Bort  dar- 
gestellt. ^)  Er  teilt  das  Material  in  zwei  Gruppen,  von  denen  die  dne 
die  Resultate  von  681  Ballonaufetiegen  in  verachiedenen  Höhen,  die 
andere  aus  141  Aufstiegen,  welche  die  Höhe  von  14  km  erreicht  haben, 
umfaßt.    Letztere  Ueferte  folgende  Werte: 

K6h.^  Winter  FrOhling  Sommar  Herbst  AmpIHrti 
Erdoberfläche      .     .     . 

1000  m —  0J2 

2000  m —  1.4  —  2.1  -f 

3000  m —  6.0  —  a4  +2.1  —  1.7  12jS 

4000'  m —10.9  —125  —  2.7  —  6.ö  12.S 

6000  m —17.0  —18.6  —  8.3  —12.4  13J 

eOOO  m —23.7  —26.2  —14.8  —18.7  12.5 

8000  m —39.0  —39.0  -29.3  -^33.6  125 

10000  m -^64.0  —62.7  —46.3  — 4a3  11.6 

12000  m -^7.9  —63.1  —62.7  --67.1  9.1 

14000  m —56.6  —52.6  —61.3  —67.1  9J 

Diese  Tabelle  zeigt,  daß  die  mittlere  Temperaturabnahme  gering 
ist  in  den  untern  Schichten,  wo  sie  in  einer  mit  der  Jahreszeit  wechseb- 
den  Höhe  ein  Minimum  zeigt  wegen  der  Kondensation  der  WoDcea 
und  infolge  der  Temperaturumkehrungen.  Diese  letztem  treten  in 
den  untersten  3  bis  4  J;m  sehr  häufig  auf.  Bei  Windstille  aind  ae 
nachts  die  Regel;  in  manchen  Fällen  zeigen  sie  sich  auch  bei  ataikeft 
Winden.  Am  Tage  sind  sie  oberhalb  der  Wolkenschichten  giewölin- 
Uch,  zuweilen  kommen  sie  jedoch  auch  ohne  Wolken  vor. 

Die  Temperaturumkehr  scheint  zu  entstehen,  wenn  die  Luft  ihie 
Temperatur  an  Ort  und  Stolle  ändern  kann  entweder  durch  die  Be- 
rührung mit  dem  Boden  oder  mit  der  Oberfläche  der  Wolken  oda 
durch  Strahlung;  femer  wenn  sie  auf  oder  anter  andern  Luftmaasen 
hingleiten  kann,  ohne  merkliche  Änderung,  wobei  sie  ungefähr  den 
Isobarenflächen  folgt. 

Die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  bis  zu  10  £m  nadi  d« 
Ergebnissen  der  internationalen  BaUonaufStiege  ist  von  Prof.  Hann 
untersucht  worden.  *)  Indem  sich  Verf.  auf  bemannte  und  unbe- 
mannte Aufstiege  stützte,  konnte  er  160  Aufetiege  bis  zu  7  ibn  und 
125  bis  zu  10  Ä:m  benutzen.  Dabei  sind  mehrere  Aufstiege  am  sdben 
Tage  und  Orte  nur  im  Mittel  verwendet  worden. 

1)  Gompt.  rend  138.  p.  42. 

>)  Anseiger  der  Wiener  Akad.  1904.  p.  111. 


Lofttemperatiir.  905 

Das  Ergebnis  war,  daß  die  Monatsmittel  der  Temperatur  fär  1,  2, 
3  usw.  bis  10  km,  noch  zu  sehr  von  dem  zufälligen  Witterungs- 
charakter  der  Aufi'tiegstage  beeinflußt  sind,  um  einen  einigermaßen 
verläßlichen  jährlichen  Gang  zu  zeigen.  Dagegen  ist  dies  bei  den 
Tem})eraturdifferenzen  für  Kilometer-Höhenintervalle,  also  bei  den 
Werten  der  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe,  kaum  noch  der  Fall, 
der  jährliche  Gang  kommt  in  diesen  Zahlen  vielmehr  schon  recht 
regelmäßig  zur  Geltung.  Die  Monatswerte  der  Temperaturdiffe- 
renzen  für  die  Höhenintervalle  von  1  bis  3,  3  bis  5,  5  bis  7  und  7  bis 
9  km  wurden  deshalb  durch  periodische  Reihen  dargestellt  und  der 
jährliche  Gang  mittels  derselben  berechnet.  Das  Ergebnis  dieser 
Rechnungen  war  einigermaßen  überraschend.  In  der  Luftschicht 
von  1  bis  zu  3  km  Höhe  stimmt  sehr  bemerkenswerterweise  der  jähr- 
liche Gang  fast  vollständig  mit  jenem  überein,  den  auch  die  Tem- 
peraturaufeeichnungen  an  den  festen  Stationen  im  Gebirge  ergaben. 
Die  Phasenzeiten  sind  genau  dieselben,  nur  die  Amplitude  ist  in  der 
freien  Atmosphäre  kleiner,  z.  B. : 

Sonnbliok  —  Gastein 
110  47  +  2-67  Bin  (296»  +  ;r)  +  0-76  sin  (2Wo  +  2  /) 

Freie  Atmosphäre 
90 37  -I-  204 sin (300o  +  j)  +  037 sin (244«  +  2x). 

Dies  ist  der  jährliche  Gang  der  Temperaturdifferenzen  in  der 
Höhe  von  1  und  3  km.  Die  rascheste  Wärmeabnahme  tritt  in  beiden 
Fällen  zwischen  Mai  und  Juni  ein. 

Dagegen  tritt  in  den  Höhenschichten  von  3  bis  5  und  von  6  bis 
7  km  die  rascheste  Wärmeabnahme  schon  im  März  und  Aprl  ein  und 
dann  ganz  unerwartet  in  der  Schicht  von  7  bis  9  km  erst  im  Sommer, 
etwa  Anfang  Juli.  Die  Amplituden  nehmen  zuerst  mit  der  Höhe  ab, 
dann  in  7  bis  9  Jbm  wieder  bedeutend  zu. 

Da  inzwischen  Teisserenc  de  Bort  die  bei  581  Aufstiegen  von 
Ballons  sondes  erhaltenen  Temperaturen  als  Mittel  für  die  Jahres- 
zeiten pubUziert  hatte,  konnten  diese  zu  einer  Kontrolle  der  obigen 
Resultate  benutzt  werden,  nachdem  Prof.  Hann  vorerst  gezeigt 
hatte,  daß  man  aus  den  Mitteln  der  vier  Jahreszeiten  die  ganzjährige 
Temperaturwelle  schon  vollkommen  genau  berechnen  kann.  Die 
oben  angeführten  Resultate  finden  dabei  volle  Bestätigung,  ja  die 
von  Teisserenc  publizierten  Temperaturen  ergeben,  daß  in  der  Schicht 
von  9  bis  11  ibm  das  Maximum  der  Temperaturabnahme  sogar  auf  den 
Herbst  fällt,  während  die  kleinste  Temperaturabnahme  im  Frühlinge 
eintritt.  Das  erste  GUed  der  Sinusreihen  ergibt  für  den  beiläufigen 
Eintritt  der  raschesten  Wärmeabnahme  in  den  Höhenschichten  von: 

1  bis  3         3  bis  6  6  bis  7         7  bis  9      9  bis  11  ibi» 

Maximum  ...  15.  Mai    14.  Februar    27.  Januar    28.  Juli    16.  September 

Indem  die  erwähnten  Temperaturdifferenzen  an  die  17-jährigen 
Monatsmittel  der   Temperatur   auf   den   Sonnblick   angeschlossen 

Kl«in,  Jahrbuch  XV.  20 


6km 

1km 

9il;m 

16.10 

16.70 

14.8» 

10.6 

11.3 

9.5 

806  Lnfttempentar. 

weiden,  erhält  Prof.  Hann  MonAtsimttel  der  Temperatur  für  5, 7  und 
9  hm  Höhe,  auf  welche  er  aber  kein  Gewicht  legt.  Merkwiiidigerwafie 
nehmen  die  Jahreeamplituden  mit  der  Höhe  nicht  ab,  sondern  la, 
und  dasselbe  zeigen  die  Differenzen  Sommer — ^Winter  in  den  Mitieln 
v^on  Teisserenc  de  Bort. 

Seehöhe    3  km 

Jahreasohwankung 14.50 

Sommer — Winter 9.9 

Die  Werte  für  die  Wärmeabnahme  pro  100  m  ergeben  sich  ias( 
vollständig  übereinstimmend:  1.  aus  den  ersten  Berliner  Balkn- 
fahrten,  2.  aus  den  vom  Verfasser  berechneten  intemationakn 
Fahrten  und  3.  aus  den  681  Ballonaufstiegen  in  Paris.  Prof.  H&nn 
stellte  dann  die  Ergebnisse  aller  bemannten  Fahrten  allein  zosammai, 
auch  diese  stinmien  vorzüglich  mit  den  aus  den  Registrierballoos 
allein  abgeleiteten  Werten.  Er  versuchte  dann  noch,  aus  seineiB 
Materiale  die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  in  den  Hochdruck- 
und  in  den  Niederdruckgebieten  für  das  Winterhalbjahr  und  für  das 
Sommerhalbjahr  gesondert  zu  berechnen.    Er  konnte  hierzu  je  10  bb 

12  Fälle,  also  rund  40  im  ganzen,  benutzen.  Das  Ergebnis  stimmt 
mit  den  von  ihm  früher  aus  den  Sonnblickbeobachtungen  bis  za  3  hi 
abgeleiteten  Ergebnissen  und  mit  jenen,  die  Teisserenc  de  Bort  für 
größere  Höhen  im  allgemeinen  mit^teilt  hat,  ohne  Zahlenwerte  dafür 
anzuführen.     Prof.  Hann  findet  folgende  Zahlen: 

Temperatarabnahme  pro  100m. 

Hochdruokgebiete  Niederdmckyhieto 

Winter-  Winter- 

halbjahr Jahr  halbjahr  ^^ 

0  bis    ö  Awi 0.36«  0.40  0.52»  0.Ö 

ß    „    10  0.73  0.71  0.66  0.68 

0   „    10  0.64  0.66  0.64  ^^^ 

Die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  ist  in  den  untern 
Schichten  der  Atmosphäre  in  den  Antizyklonen  langsamer  als  in  d^ 
Zyklonen,  in  großen  Höhen  aber  kehrt  sich  das  Verhältnis  um.  Biesen 
Satz  hat  zuerst  Teisserenc  de  Bort  gefunden,  aber,  wie  bemerW, 
die  Belege  dafür  noch  nicht  publiziert. 

Die  niedrigsten  Temperaturen  in  sehr  großen  Höhen  finden  sicli 
in  den  Antizyklonen.  Am  6.  Dezember  1901  z.  B.  gaben  zwei  BaSons 
sondes  über  Paris  in  einem  ausgebreiteten  Barometermazimum  tod 
770  vnm  übereinstimmend  eine  Temperatur  von  rund  —  73®  in  12  bö 

13  hm  Höhe.  Die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  über  Mi^- 
europa  überhaupt  war  damals  bis  zu  6  ihn  bloß  0.27°,  von  6  bis  10  ^ 
0.73°  und  von  10  bis  12  hm  rund  1°  pro  100  m. 

Für  den  mittlem  Temperaturunterschied  zwischen  den  Hocn- 
druck-  und  Niederdruckgebieten  ergaben  sich  aus  den  von  Hann  be* 


Luftdruck. 


307 


rechneten  Beobachtungen  folgende  Zahlen,  die  natürlich  nur  provi- 
sorischen Wert  beanspruchen  können,  während  die  Vorzeichen  als 
ziemlich  sicher  angesehen  werden  können. 

Temperaturdifferenzen:  Maximum  —  Minimum. 

HöhenBchioht 


Winterhalbjahr 
Jahr 


0-1 

1—2 

2—3           3—4 

4— 6Awi 

-1.3 

3.0 

5.0             4.6 

4.6 

(0.3) 

3.3 

4.6             4.8 
Höhenschicht 

5.1 

Winterhalbjahr 
Jahr 


4—6 

6—7 

7—8 

8—9 

9— 10  A»ii 

4.0 

3.0 

1.6 

—0.8 

—3.3 

6.0 

4.4 

3.6 

2.1 

0.6 

Die  Zahlen  für  das  Winterhalbjahr  sind  die  verlaßUchsten.  In 
der  Bodenschicht  und  oberhalb  8  km  sind  die  Minima  wärmer,  in  der 
mittlem  Schicht  die  Maxima.  Der  Temperaturüberschuß  in  den  Anti- 
zyklonen erreicht  etwa  in  der  Höhenschicht  von  2  bis  3  itm  den 
größten  Betrag  von  5°  ca.,  der  Verfasser  hatte  aus  den  Sonnblick- 
beobachtungen schon  eine  ähnliche  Differenz  gefunden.  Das  Mittel 
von  1  bis  10  km  würde  nach  obigem  immer  noch  einen  Wärmeüber- 
schuß für  den  Luftkörper  der  Antizyklonen  ergeben,  aber  das  bleibt 
noch  fraglich,  bis  Teisserenc  de  Bort  seine  Zahlen  wird  veröffentlicht 
haben. 


Luftdruck. 

Die  täglichen  Schwankungen  des  Luftdruckes  in  Berlin  sind  von 
Prof.  B.  Bömstein  auf  Grund  20-jähriger  Aufzeichnungen  des 
Sprungschen  Barographen  untersucht  worden.  ^)  Es  zeigten  sich  die 
schon  bekannten  zwei  täglichen  Schwankungen  verschiedener  Größe, 
im  Jahresmittel  treten  die  Maxima  um  10^  vormittags  und  11^  nach- 
mittags, die  Minima  um  5^  nachmittags  und  4^  vormittags  ein,  wobei 
die  zuerst  genannten  Zeiten  den  Hauptextremen  zukommen.  Mit 
Eintritt  der  warmen  Jahreszeit  entfernen  die  Extreme  sich  von  der 
Mittagszeit,  um  für  die  kältere  Jahreshälfte  von  beiden  Seiten  wieder 
gegen  Mittag  hinzurücken.  In  den  Monaten  November  bis  Februar 
ist  auch  das  von  Rykatschew  entdeckte  dritte  Maximum  in  den  ersten 
Morgenstunden  erkennbar. 

An  diese  tatsächlichen  Beobachtungsergebnisse  schließt  sich  die 
Darstellung  des  täghchen  Barometerganges  durch  eine  harmonische 
Beihe  von  der  bekannten  Form,  welche  bis  zum  Vierfachen  des 
variablen  Winkels  berechnet  wird. 

Diese  Darstellungsweise  hat  namentlich  in  den  Arbeiten  von 
Hann  zu  der  Erkeimtnis  geführt,  daß  die  ganztägige  Schwankung  des 


1)  Anzeiger  der  Wiener  Akad.  1904.  p.  186. 


20» 


308  Luftdruck. 

Druckes  mit  dem  täglichen  Temperaturgange  und  seinen  ortKchen 
Besonderheiten  in  sehr  naher  Beziehung  steht,  wahrend  die  halb- 
tägige Schwankung  von  örtlichen  Einflüssen  unabhängig  und  meist 
viel  starker  als  jene  auftritt.  Man  versuchte  demnach,  die  beiden 
ersten  GUeder  der  Reihe,  welche  bisher  vorzugsweise  untersucht 
wurden,  verschiedenen  physikalischen  Ursachen  und  insbesondere 
das  zweite  Glied,  also  die  Doppelschwankung,  einem  außerirdischen 
Vorglmge  zuzuschreiben.  Während  Lamont  demgemäß  an  eine  elek- 
trische Einwirkung  der  Sonne  dachte,  suchte  Hann  den  Ursprung  der 
tägUchen  Doppelschwankung  in  der  Erwärmung  der  obem  Luft- 
schichten. Neuerdings  hat  nun  Margules  in  Durchführung  einer  von 
Lord  Kelvin  gegebenen  Andeutung  gezeigt,  daß  die  als  Ganzes  be- 
trachtete irdische  Atmosphäre  freie  Schwingungsbewegungen  aus- 
führen kann,  deren  ^e  mit  Berücksichtigung  der  Erddrehung  und 
der  Luftreibung  sehr  nahe  innerhalb  zwölfständiger  Perioden  ver- 
läuft, und  daß  also  irgend  eine  in  zwölf  stündigen  Intervallen  regel- 
mäßig wiederkehrende  Gleichgewiohtsetörung  imstande  ist,  Schwin- 
gungen der  genannten  Periode  von  größerer  Stärke  hervorzunifen 
als  solche  in  andern  (z.  B.  24-stündigen)  Intervallen.  Um  die  An- 
wendbarkeit dieser  Überlegung  auf  die  Berliner  Luftdruckzahlen  zu 
prüfen,  wurden  Temperaturbeobachtungen,  die  in  achtjähriger  (1890 
bis  1897)  Reihe  an  gleicher  Stelle  gewonnen  waren,  in  deraelben  Art 
bearbeitet  und  zur  Herleitung  der  harmonischen  Konstituenten  des 
tägUchen  Temperaturganges  benutzt.  Dabei  zeigte  die  Amplitude  a^ 
ganz  ähnUchen  Jahroslauf  für  Temperatur  wie  für  Druck.  Die 
AmpUtude  a2  der  halbtägigen  Schwankung  ist  für  Temperatur  er- 
heblich kleiner  als  a  i,  hat  aber  den  gleichen  Jahreslauf  für  Temperatur 
Wie  für  Druck,  nämlich  Mazima  zur  Zeit  der  Nachtgleichen  und  das 
Hauptminimum  im  Winter. 

Wenn  hiemach  vermutet  werden  darf,  daß  auch  die  halbtägige 
Schwankung  mit  dem  Temperaturgange  in  naher  Beziehung  steht,  so 
würde  diese  Auffassung  gestatten,  die  harmonische  Reihe  als  den 
ihAthematischen  Ausdruck  einer  einzigen  physikalischen  Beziehung 
anzusehen,  nämlich  der  Abhängigkeit  des  Luftdruckes  von  der  ört- 
lichen Temperatur.  Ob  aber  eine  solche  Meinung  zulässig  ist,  muß 
duroh  Untersuchung  der  entsprechenden  VerhaltiiiBse  anderer  Orte 
geprüft  werden. 

Die  Beziehung  zwisohen  Bewölkung  und  Luftdrnekverteilong  hat 

Dr.  FeUx  Exner  untersucht,  ^)  als  Beitrag  zur  Kenntnis  des  bei  be- 
stittunter  Druckverteilung  auftretenden  Wetters.  Als  Kriterium 
für  eine  genau  definierte  Einteilung  der  auftretenden  Erscheinungen 
wurde  der  Westwind  in  Wien  verwendet.  Für  die  Tage,  wo  derselbe 
in  Wien  um  7^  vormittags  in  bestimmter  Stärke  wehte,  wunien  die 

1)  Wiener  Akad.  Anzeigor  1903.  p.  283. 


Luftdruck.  309 

Luftdruckwerte  von  13  Stationen  Österreich-Ungarns  ermittelt  und 
diese  nach  der  in  Wien  herrschenden  Himmelsansicht  in  vier  Gruppen 
geteilt,  für  die  Bewölkung  0  bis  3,  4  bis  7  und  8  bis  10  der  zehnteiligen 
Skala  und  für  Niederschlag.  Dabei  wurden  die  Windstarken  W  3,  W  4 
und  W  5  oder  W  e  gesondert  behandelt.  Für  alle  diese  zwölf  Gruppen 
wurden  die  Mittelwerte  der  Luftdruckdaten  berechnet  und  mit  ihnen 
mittlere  Isobarenkarten  gezeichnet.  Dieselben  unterscheiden  sich  für 
verschiedene  Bewölkungen  nur  wenig  voneinander;  deuUich  wird 
aber  ihr  Unterschied  durch  Bildung  der  Abweichungen  der  Werte 
einer  Gruppe  vom  Mittel  aUer  vier  Gruppen  einer  Windstärke.  So 
gewidmete  Abweichungskarten  zeigen  übereinstimmend  bei  Be* 
wölkung  0  bis  3,  daß  Wien  in  einem  Gebiete  relativ  hohen  Druckes, 
bei  Niederschlag  aber  in  einem  relativen  Minimum  hegt;  diese  sind 
über  die  mittlere  DruckverteUung  aller  vier  Gruppen  superponiert 
zu  denken. 

Auf  Grund  seiner  Betrachtungen  kommt  Dr.  Exner  zu.  folgendem 
Satze:  „Wenn  bei  bestimmter  Windgeschwindigkeit  und  parallelen 
Isobaren  die  Luft  aus  einem  Gebiete  mit  starkerm  Druckgefalle  in 
ein  solches  mit  schwächerm  strömt,  so  wird  schlechtes  Wetter,  wenn 
umgekehrt,  wird  schönes  Wetter  herrschen."  Es  wurden  zu  den  aus- 
gewählten Drucksituationen  auch  Isothermenkarten  gezeichnet,  aus 
denen  sich  übereinstimmend  ergibt,  daß  bei  Westwind  der  Südosten 
von  Niederösterreich,  der  Streifen  Wien — Neunkirchen,  eine  Wärme- 
insel bildet,  die  ihre  Ursache  wohl  im  Herabsteigen  der  Luft  über  die 
Ausläufer  der  Alpen  hat. 

Ober  die  atmosphärische  Ebbe  und  Flut.  Auf  der  10.  Versamm- 
lung der  deutschen  Meteorologischen  Gesellschaft  zu  Berlin  sprach 
Prc^.  Möller  (Braunschweig)  über  die  atmosphärische  Flut  und  ins- 
besondere über  die  Ebbebewegung  der  Luft.  Dabei  konnte  er  nicht 
umhin,  auch  die  Falbschen  Theorien  in  den  Kreis  der  Betrachtung  zu 
ziehen.  Er  sei,  nachdem  er  ursprünglich  dem  Monde  einen  Einfluß  auf 
das  Wetter  zusprechen  zu  müssen  geglaubt  habe,  nach  genauesten 
Beobachtungen  der  Barometerstände,  als  dem  Maßstabe  atmo- 
sphärischer Mut  und  Ebbe,  zur  Überzeugung  gelangt,  daß  Beziehungen 
zwischen  diesen  Erscheinungen  und  dem  Monde'nicht  bestehen,  selbst 
wo  es  hin  und  wieder  scheine.  So  bei  dem  berühmten  Beispiele  vom 
27.  Januar  1884,  wo  unter  dem  Zusammenwirken  von  Sonne  und  Neu- 
mond Sturmfluten  und  gleichzeitig  ungewöhnliche  Luftdruckverhält- 
nisse eingetreten  seien.  Auch  dieses  und  ähnhche  Vorkommnisse 
halten  der  strengen  Kritik  gegenüber  nicht  stand.  Immerhin  bleibe 
es  von  Interesse,  zu  ergründen,  warum  die  Anziehung  des  Mondes  im 
Wasser  und  nicht  in  der  Luft  Bewegungen  hervorrufe.  Bei  Unter- 
suchung dieser  Frage  werde  man  nicht  außer  acht  lassen  dürfen,  daß 
die  Ebbe-  und  Flutbewegung  im  Meere,  wie  die  Wellenbewegung  im 
Meere  überhaupt  ja  verhältnismäßig  flach  und  auf  die  Oberfläche  be- 


310  NiedMiehli««. 

sohrinkt  ist,  und  in  nicht  allzu  großer  Tiefe  Ruhe  herrscht.  Tkxk 
auch  für  die  Möglichkeit,  daß  wir  nur  deshalb  von  der  Ebbe-  und 
Flutbewegung  des  Luftmeeres  nichts  merken,  weil  wir  uns  auf  dem 
Boden  desselben  befinden,  bestehe  keine  Wahrscheinlichkeit  Dom 
es  müßten  sich  alsdann  bei  unsem  feinen  Luftdruckbeobachtangai 
Analogien  finden  zu  den  praktisch  und  theoretisch  feststehenden  Er- 
fahrungen mit  Ebbe  und  Flut  im  Meere,  daß  die  von  letzten  herror- 
gerufenen  Bewegungen  da  am  stärksten  sind,  wo  die  Erde  sich  am 
schnellsten  dreht,  am  stärksten  femer  auf  derjenigen  Erdseite,  üb^ 
der  das  Gestirn  steht,  wenn  auch  nicht  an  der  Stelle  der  Erdober- 
flache, in  deren  Zenit  das  Gestirn  steht,  sondern  45^  davon  entfernt 
Die  Barometerbeobachtungen  geben  hierfür  nicht  die  geringste  Spor 
eines  Anhaltes.  —  In  der  sich  anschließenden  Diskussion  wurde  t(» 
Professor  Bömstein  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  Be- 
schränkung der  Wellenbewegung  im  Wasser  auf  die  Oberfläche  eine 
Ursache  h^be,  die  für  die  Luft  entfalle,  nämlich  die  Nichtkomprimier- 
barkeit  des  Wassers.  In  nicht  komprimierbarer  Flüssigkeit  kannea 
Wellen  nur  da  entstehen,  wo  eine  Verschiebung  möglich  ist,  also  nur 
an  der  Oberfläche.  Dagegen  würde  im  elastischen  Medium  der  Laft 
eine  vom  Monde  erzeugte  Flutwelle  eine  Änderung  der  Schwere,  die 
in  aUen  Schichten  gleichmäßig  wirken  müßte,  bedingten.  Sie  müßte 
sich  also  in  den  Barometerständen  bemerklich  machen,  und  es  verde 
mit  Recht  auf  ihr  Nichtvorhandensein  geschlossen,  da  sich  Druck- 
Schwankungen  regelmäßiger  Art  in  den  Zeiten,  in  denen  sie  nach  den 
Mondständen  eintreten  müßten,  in  keiner  Art  nachwdsen  la^f^ 

Niederschläge. 

Versuche  und  Beobaehtungen  über  Regentropfen  hat  ProL 
P.  Lenard  angestellt.^)  Diese  Versuche  beziehen  sich  spezieU  Aof 
das  Verhalten  von  Wassertropfen  in  aufwärts  strömender  Loft, 
die  ja  bei  der  Regenbildung  eine  Hauptrolle  spielt.  B&ni^ 
schließen  sich  weitere  Beobachtungen  über  die  quantitative  Gröfira* 
Verteilung  der  Tropfen  einer  Anzahl  von  Regenfällen. 

Was  die  FallgeeohT^ndigkeiten  der  Wassertropfen  in  der  Loft  ftnbeUogt, 
flo  kommt  bei  den  großen  hier  vorhandenen  Fallhöhen  immer  nur  die  kooflUnte 
Endgeechwindic^eit  in  Betracht,  die  infolge  des  Luftwiderstandes  sich  äieU^ 
Bezüglich  der  Größe  des  letztem  unterscheidet  Prof.  Lenard  drei  weseotlK» 
voneinander  verschiedene  Fälle,  nämlich: 

a)  kleine  Geschwindigkeiten,  wie  sie  erfahrungsmäßig  b^  sanz  klemeo 
Tröpfchen  vorkommen.  Wirbelbewegungen  in  der  Luft  kommen  hier  >"!**^ 
Betracht,  der  Widerstand  riihrt  dann  allein  her  von  der  innem  Reibung inder 
Luft  und  ist  einfach  der  Geschwindigkeit  proportional.  Die  konstante  Au- 
geschwindigkeit  ist  in  diesem  Falle  v  »  1  270  000  r*.  Hier  bezeidmet  r  defi 
Durchmesser  des  Tropfens  und  v  die  Geschwindigkeit»  beide  in  Zentimetern 
ausgedrückt,  bezogen  auf  die  Sekunde.    Hiernach  hat  ein  Tropfen  von  0.01  nun 

1)  Meteordog.  Zeitsohr.  1904.  p.  240. 


Niedenchlfige.  311 

.  Duichmeaaer  beim  freien  Falle  in  der  Luft  eine  konstante  EndgeBchwindigkeit 

von  3.2  mm  in  der  Sekunde,  einer  von  0.1  mm  Durohmesser  eine  solche  von 

'  32  0m  in  der  Sekimde. 

r  b)  Größere  Geschwindigkeiten,  wie  sie  bei  großem  Tropfen  vorkommen. 

I  Hierbei  tritt  Wirbelbewegung  der  Luft  ein,  und  der  Widerstand  der  Luft  wachst 

.  wie  das  Quadrat  der  Geschwindigkeit.    Die  Endgeschwindigkeit  hangt  von  einer 

empirisch  zu  bestimmenden  Konstanten  ab,  welche  Prof.  Lenard  aus  Fall- 

*  versuchen  an  Wassertropfen  von  2  bis  3  mm  Halbmesser  ermittelt  hat.    Nach 
C             seiner  Berechnung  beträgt  die  Endgeschwindigkeit  eines  Regentropfens  von 

0.3  mm  Durchmesser  2.7  m  in  der  Sekimde,  die  eines  solchen  von  0.5  mm 
Durchmesser  3.6  m. 

c)  Deformation  des  Tropfens  durch  die  Luft,  welcher  eintritt  bei  großen 
'-  Tropfen  und  dauernd  großen  Geschwindigkeiten.    Zur  Ermittlung  der  End- 

r  gescnwindigkeit  sind  in  diesem  Falle  besondere  Versuche  erCordeilich. 

r  Versuche  über  das  Schweben  der  Tropfen  hat  Prof.  Lenard  mittels 

eines  besondem  Apparates  angestellt.  Derselbe  bestand  aus  einem  großen  Venti- 
latorflügelrad mit  vertikaler  Achse,  das  im  untern  Teile  eines  vertikalen,  zylin- 
'  drischen  Mantels  aufgestellt  war.     Der  Durchmesser  des  Rades  betruff  66  cm, 

t  der  des  Mantels  67  em,  die  Höhe  des  letztem  100  cm.    Versetzt  ein  kraftiger 

g  Elektromotor  das  Rad  in  Rotation,  so  blast  ein  starker  Luftstrom,  unten  in  den 

Mantel  eingesaugt,  oben  vertikal  aus  demselben  heraus.    Um  diesen  Luftstrom 
von  der  rotierenden  Bewegungskomponente,  die  er  vom  Rade  her  hat,  möglichst 
zu  befreien,  waren  im  obersten  Teile  des  Mantels  sechs  radiale. Wände  äquimstant 
i  eingesetzt.    Auf  den  Mantel  war  endlich  ein  Blechkonus  gesetzt,  welcher  den 

Luftstrom  auf  die  geringere  Breite  von  42  cm  einengte,  aber  dafür  seine  Ge- 
schwindigkeit in  seinem  ganzen  Querschnitte  sowohl,  als  auch  bis  in  beträcht- 
'  liehe  Höhe  hinauf  überaU  sehr  nahe  gleich  werden  ließ.    In  diesen  Luftstrom 

:  hinein  konnten  nun  aus  einem  an  der  Zimmerdecke  aufgehängten  Gefäße  durch 

i,  ein  Rohr  Wassertropfen  fallen.    Damit  die  Bildung  der  Tropfen  ungestört  sei, 

war  die  Mündung  des  Rohres  von  einem  oben  geschlossenen  Mantel  umgeben, 
innerhalb  dessen  die  Luft  ruhte.    Durch  Variation  des  Durchmessers  konnten 

*  verschiedene  Tropfengrößen  hervorgebracht  werden,  und  durch  Regulierung  des 
Ventilatorganges  war  es  leicht,  jedesmal  die  Tropfen  zum  Schweben  zu  bringen. 
Man  sah  den  Tropfen,  nachdem  er  mit  geringer  Anfangsgeschwindigkeit  die 
Mündung  des  Mantels  verlassen,  in  verzögerter  Bewegung  nach  abwärts  steigen 
und  etwa  60  om  über  der  Mündung  des  Konus  zum  Stil&tand  kommen.  Er 
blieb  dort  so  lange  schwebend,  bis  er  schließlich,  langsam  seitlich  aus  dem  Luft- 

j  Strome  herausgleitend,  zu  Orten  geringerer  Windesgeschwindigkeit  gelangte  und 

dann  neben  dem  Apparate  zu  Boden  fiel.    Das  Schweben  dauerte  2  bis  4  Se- 
^  künden  lang.    Indem  der  schwebende  Tropfen  mit  dem  Auge  verfolgt  wurde, 

(  konnte  er  M  seinem  schließlichen  Herau^leiten  auf  Löschpapier  aufgefangen 

I  werden,  um  seine  Größe  zu  ermitteln.    Zur  Messung  der  zugehörigen  Luft- 

geschwindigkeit wurde  sofort  danach  ein  kleines  Schalenkreuzanemometer  an 
die  Stelle  gebracht,  wo  das  Schweben  stattgefunden  hatte. 

Die  kleinsten  untersuchten  Tropfen  wurden  nicht  einzeln  in  den  Luftstrom 
^  fallen  gelassen,  sondern  in  Form  eines  Strahles,  wodurch  ein  ganzer  Schwärm 

schwebender  Tropfen  entstand.  Es  wurde  dann  der  Wasserstrahl  abgestellt^ 
gewartet,  bis  der  Schwärm  durch  Herausfallen  von  Tropfen  sich  gelichtet  hatte, 
und  schließlich  mit  den  am  längsten  schwebend  gebliebenen  Tropfen  ver&khren, 
wie  angegeben. 

£S  ergab  sich,  daß  bei  wachsender  Tropfengröße  die  Geschwindigkeit 
schnell  einen  Grenzwert  erreicht  —  sehr  nahe  8  m  in  der  Sekunde  — ,  über 
welchen  hinaus  sie  nicht  wächst,  sondern  bei  wachsender  Tropfengröße  wieder 
etwas  abnimmt.  In  aUen  Fällen  ist  die  Geschwindigkeit  kleiner,  der  wirkliche 
Luftwiderstand  also  größer  als  dem  Falle  b  entspräche.  Der  Unterschied  ist 
sehr  groß  bei  den  größten  Tropfen,  er  ist  aber  selbst  bei  Tropfen  von  rund 
1.3  mm  Durchmesser  noch  vorhanden. 


$12  Niedenehligtt. 

Den  Qnmd  hieifür  fand  ProC.  Lenard  bei  anfmoiksuner  Betrachtu^  der 
•ohwebenden  Tropfen.  Dieselben  sind  bedeutend  defarmieit.  Die  DeformaÜOB 
beetdit  in  Abflacnung  der  Tropjfen  in  vertikaler  Richtong;  sie  steigerte  sieh  bei 
den  größten  Tropfen  oft  bis  zum  Zerfahren  deradben.  Ähnliche  DeformatioDen 
hatte  Prof.  Lenard  auch  früher  schon  an  den  Tropfen  eines  nächtlichen  Reigens 
bei  Momentbeleuditung  konstatiert.  Die  Tropfen  jener  altem  Fall-TemiGlie 
zeigten  dagegen  solche  Deformationen  nicht,  woraus  zu  schließen,  dafi  die  Ans- 
bilaung  dieeer  Deformationen  mehr  Zeit  verbraucht,  ab  in  jenm  Veisadben  — 
die  innerhalb  einiger  Zehntelsekunden  abhefen  —  vorhanden  war.  Dem  ent- 
spricht es  auch,  daß  das  Zerfahren  großer,  schwebender  Tropfen,  welchem  stets 
die  Deformation  vorausgeht,  immer  erst  nach  einigem  Verweilen  derselben  in 
der  bewegten  Luft  eintrat.  „Der  Zeitvertoiuch,"  sagt  Prof.  Lenard,  „ist  ver- 
ständlich, wenn  die  Deformation  nicht  Wirkung  der  senkrecht  sor  TropCen- 
oberflache  cerichteten  Drucke,  sondern  der  tangentialen  Reibungskräfte  der 
Luft  ist,  w^che  die  ganze  Masse  des  Tropfens  in  wirbelnde  Bewegung  bringen, 
was  bei  der  rolativ  großen  Trägheit  des  Wassers  nur  allmählich  geechehen  kann. 
Solche  Bewegung  muß  duroh  ihre  zentrifugalen  Kräfte  zunächst  den  Tropfen 
abflachen;  bä  genügender  Litensität  wird  sie  ihn  zu  einem  horizontalen  Riii^ 
offnen,  welcher  dann  durch  die  Kräfte  der  Obwflächenspannung  «^IitmJI  in 
einen  Kranz  kleinerer  Tropfen  zerfallen  muß." 

Li  Hinsicht  der  FallbewQgung  mittelgroßer  und  großer  Tropffen  bemeikt 
Lenard,  daß  das  Luftwiderstandsgesetz  b  mit  dem  angegebenen  Werte  der 
Konstanten  zwar  gut  das  Fallen  solcher  Tropfen  aus  der  Riüie  bis  sn  3  m  Tiefe 
darstellt,  daß  aber  seine  Anwendung  auf  Regentropfen  einzuschränken  ist  auf 
das  sehr  enge  Größenintervall  von  Tropfen,  welche  zwar  zu  groß  sind  für  den 
Fall  a,  aber  doch  noch  so  klein,  daß  ihre  Oberflächenspannung  sie  daaend 
vor  merklicher  Deformation  durch  innere  Wirbel  schützt,  ein  Litervall,  wekhei 
etwa  von  0.3  bis  0.5  mm  Durohmesser  geht. 

Für  größere  Tropfendarohmeaser  hat  Pftif.  Lenard  die  EndgeachwindigkciteB 
durch  direkte  Beobachtungen  ermittelt  und  findet,  daß  dieselbe  for  IVopiea 
von  1  mm  Durchmesser  4.4  m  pro  Sekunde  betragen,  für  solche  von  2  mm 
Durohmesser  5.9  m,  von  3  mm  Durohmesser  6.9  m,  von  4  mm  DoitdimeaBer 
7.7  m  ,von  4.5  bis  5.5  mm  Durchmesser  aber  8  m  pro  Sekunde. 

Die  eigentlichen  Regentropfen,  nämlich  solche  von  rund  0.5  mnt  Dmck- 
meeser  ab  aufwärts,  fallen  nach  dem  Vorhergdienden  nicht  sehr  vorschjeden 
schnell ;  die  größten  nicht  viel  mehr  als  doppelt  so  schnell  wie  die  kleinsten.  Zu- 
sammenstöße solcher  Tropfen  untereimuuier  werden  daher  verhältnismäßig 
selten  sein.  „Außerordentlich  häufig  müssen  dagegen  die  Zusammenstöße 
dieser  Tropfen  mit  den  in  großer  Zahl  in  der  Wol^  vorhandenen  rdativ  fast 
ruhenden  kleinem  Tröpfchen  sein,  und  dies  ist  jedenfalls  die  Art,  in  welcher  die 
Regentropfen  während  ihres  FaUens  zur  unten  ankommenden  Größe  anwadisso. 
Denn  die  Geschwindi^eitsunterschiede  bei  diesen  Stößen  änd  groß  und  können 
daher  Zusammenfließen  bewirken.  Ein  Versuch  zeigte,  daß  ein  1.5  mm  dicker, 
vollkommen  benetzter  Draht,  welcher  einem  mit  feinen  Spraytropfcdien  er- 
füllten, 10  m  Sek.  schnellen  Inf tstrome  ausgesetzt  war,  eine  Wassermenge  auf- 
nahm, welche  etwa  60%  der  gegen  seinen  Querschnitt  zielenden  Tropfehen 
entsprach. 

Die  Größe  eines  Regentropfens  kann  danach  zwar  nicht  als  absolutes,  aber 
doch  im  Vergleiche  mit  andern  gleichzeitig  gefallenen  Tropfen  als  relatives  Maß 
für  die  Zeit  seines  Verweilens  in  der  Wo&e  gelten." 

„Ebenfalls  sehr  häufig,"  fährt  Prof.  Lmurd  fort,  „müssen  aber  auch  Zu- 
sammenstöße der  kleinen  Wolkentröpfchen  untereinander  stattfinden,  und  eben 
diese  Zusammenstöße  sind  es,  weldie,  wenn  sie  zusammenfließen,  zur  Folge 
haben,  zu  zunehmendem  Anwachsoi  der  Tröpfchen  und  damit  zum  Regnen  der 
Wolke  führen.  Tröpfchen  von  O.Ol  mm  Durohmesser  sind  beiroielsweise  fast  eis 

,  Durohme 


ruhend  zu  betrachten,  gegenüber  solcdien  von  0.03  mm  Durohmesser,  und  daß 
derartige  Größenunterschiede  in  Wolken  die  Regel  bilden,  gebt  aus  der  relativen 


Niederschläge.  313 

Seltenheit  gut  ausgebildeter  farbiger  Mondringe  hervor.  Nimmt  man  den 
mittlem  Durchmesser  der  Wolkentröpfohen  zu  0.02  mm  an,  ihren  mittlem 
gegenseitigen  Abstand  zu  1  mm,  so  ergibt  sich  die  Verschiebung,  welche  ein 
Tropf chen  relativ  zu  seiner  Umgebung  machen  muß,  um  auf  ein  anderes  zu 
stoßen,  gleich  0.8  m.  Sind  also  lYopfen  von  O.Ol  bis  0.03  mm  Durchmesser  vor- 
handen, so  würde  diese  gegenseitige  Verschiebung,  idso  der  Zusammenstoß  in- 
folge der  Fallbewegung  für  jedes  mittlere  Tröpfchen  etwa  alle  50  bis  80  Sekunden 
«rfolgen.  Daß  trotz  dieser  häufigen  Zusammenstöße  nicht  jede  Wolke  regnet, 
entspricht  der  Tatsache,  daß  zur  Berührung  gebrachte  Flüssigkeitsmassen  nicht 
leicht  zusammenfließen.  Es  liegt  dies  daran,  daß  die  an  den  Oberflächen  der 
beiden  Flüssigkeitsmassen  haftende,  sie  trennende  Luftschicht  Zeit  braucht,  um 
zu  entweichen.  Soll  danach  eine  Wolke  regnen,  so  muß  eine  wenn  auch  noch 
so  geringe  Kraft  vorhanden  sein,  welche  vorhindert,  daß  die  zusammenstoßenden 
Tröpfchen  sich  wieder  trennen,  ehe  die  Luftschicht  entwichen  ist.  Ist  eine 
8olcne  Kraft  vorhanden,  so  ist  der  Regen  ausgelöst. 

Da  Regentropfen  immer  elektrisch  gefunden  werden,  ist  es  wahrscheinlich, 
daß  elektrische  Ladungen  der  Wolkentröpfchen  diese  Kraft  liefern.  Ein  mit 
0.000  005  elektrostatischen  Einheiten  geladenes  Tröpfchen  von  0.02  mm  Durch- 
messer würde  ein  zweites  gleiches  unelektrisches,  bei  0.001  mm  Abstand  der 
beiden  Oberflachen  bereits  mit  einer  seinem  Gewicht  nahe  gleichen  Kraft  fest- 
halten, so  daß  es  nicht  wieder  durch  die  Luft  fortgeführt  werden  kann,  deren 
Reibungskraft  bei  der  Fallbewegung  von  der  Größenordnung  des  Gewichtes  ist. 
Es  ist  dies  eine  Ladung,  deren  Hundertfaches  jedem  gewöhnlichen  Regentropfen 
zugeschrieben  werden  kann.  Zu  bemerken  ist  aber,  daß  eine  einigermaßen 
dichte  Anhäufung  von  Tröpfchen  der  angegebenen  Ladung,  diesell^  überall 
l^eichnamig  gedacht,  die  Eigenschaften  einer  gewaltigen  Gewitterwolke 
haben  würde.*' 

Die  im  Luftstrome  des  Ventilators  schwebenden  großen  Tropfen  zeigten 
in  den  Versuchen  Prof.  Lenards  häufig  die  Erscheinung  des  plötelichen  Zer- 
fahrens  in  kleine  Tropfen,  welche  alsdann,  nach  aufwärts  getrieben,  seitlich  den 
Luftstrom  veriießen.  Das  Zerfahren  trat  immer  erst  nach  einigem  Schweben 
ein ;  glitt  der  schwebende  Tropfen  frühe  genug  aus  dem  Luftetrome  heraus,  so 
entging  er  dem  Zerfahren  selbst  beim  Durchmesser  von  6.4  mm.  Dagegen  zer- 
fuhren Tropfen  von  4.5  mm  Durchmesser  auch  nach  3  bis  6  Sekunden  langem 
Schweben  nicht.  Hatte  ein  größerer  Tropfen  einige  Sekunden  lang  besonders 
ruhig  geschwebt,  was  allerdings  ein  nicht  sehr  häu£g  vorkommender  Fall  war, 
so  konnte  man  die  charakteristische  Erscheinung  l>K»bachten,  meist  nach  vor- 
ausgegangener fleringer  Aufwärtsbewegung  des  Tropfens,  daß  er  plötzlich  in 
einen  schönen  Kranz  kreisförmig  angeordneter,  äquidjstanter,  einander  gleicher 
kleinerer  Tropfen  sich  verwandelte.  Es  mochten  meist  7  bis  0  Tropfen  im 
Kranze  gewesen  sein.  Nach  unruhigem  Schweben  erfolgte  nur  unregelmäßiges 
Zerfahren,  was  der  gewöhnliche  Fall  war. 

Sehr  günstig  war  für  das  Zerfahren  das  plötzUche  Auftreffen  des  bereits 
deformierten  Tropfens  auf  einen  schnellem  Luftstrom.  Um  zu  sehen,  ob  bei 
genügend  großer,  plötzlicher  Änderung  der  Luftgeschwindigkeit  auch  kleinere 
Tropfen  zerfahren  Können,  ließ  Prof.  I^nard  solche  von  2.2  und  4.0  mm  Durch- 
messer etwa  60  cm  hoch  durch  ruhige  Luft  herab  in  einen  etwas  schräg,  fast  senk- 
recht nach  aufwärts  blasenden  Li^trom  von  6  em  Breite  und  10  m  Sek.  Ge- 
schwindigkeit fallen.  Die  Tropfen  durchsetzten  den  Luftstrom  nicht,  sondern 
wurden  von  demselben  erfaßt  und  seitlich  nach  aufwärts  fortgeworfen.  Auf- 
fangen auf  Löschpapier  zeigte  aber,  daß  sie  dabei  ausnahmslos  ganz  blieben. 

„Man  kann  daher,"  bemerkt  Prof.  Lenard,  „sagen,  daß  Regentropfen  bis 
zu  4  mm  Durohmesser  unter  allen  Windverhältnissen  unversehrt  ihren  Weg 
durch  die  Luft  finden  werden,  daß  dagegen  solche  von  5.5  mm  oder  gar  größere 
nur  für  die  Dauer  weniger  Sekunden  bestehen  können. 

In  der  Tat  hat  er  auch  bei  einer  großem  Zahl  von  Regen,  worunter  auch 
einige  Wolkenbrüohe  waren,  größere  Tropfendurohmesser  als  5.2  mm  nicht  ge- 


314  Niedenchlige. 

fanden.  J.  Wiesner  fand  4.9  bis  5.3  mm  (0.06  bis  0.08  g)  nicht  selten  als  gröfiie 
Tropfendurohmeeser  (bzw.  Gewichte)  tropischer  R^^en,  6.2  nun  (0.125  g)  bä 
einem  Augustplatzregen  in  Oberosteireich,  6.7  mm  (0.16  g)  aber  selbst  in  des 
Tropen  säten  und  7.3  mm  (0.2  g)  niemals.  »,Bei  Regen  der  letztem  Art,  mit 
Tropfengrößen  von  5.5  mm  und  darüber,  muß",  wie  Prof.  Lenard  bemeckt,  „eine 
fortwährende  Umwandlung  der  Tropfen  in  der  Luft  statthaben*  derart,  daß 
jeder  Tropfen,  welcher  5.5  mm  bereite  erreicht  hat,  zer&hrt,  ehe  drei  weiten 
Sekunden  veigehen,  oder  ehe  er  24  m  bei  ruhender  Luft  durchfallen  hat;  die 
großem  Bruchstücke  werden  im  Fallen  durch  Vereinigung  mit  kleinsten,  auf  die 
sie  stoßen,  wieder  anwachsen,  um  alsbald  wieder  zu  zerfahren  und  so  fort  ia 
Wiederholung.  Soll  dieser  Prozeß  eine  sehr  merkliche  Anrahl  jener  unbe- 
ständigen, großen  Tropfen  auf  der  Auffangfläche  eigeben,  so  muß  er  genügend 
häufig  in  der  Luft  sieh  abspielen,  d.  h.  die  Fallhöhe  (bzw.  die  Zeit),  innerhalb 
welcher  die  großem  Bruchstücke  (4  mm)  wieder  zu  5.5  mm  anwachsen,  darf 
nicht  sehr  groß  sein  gegen  jene  24  m  (bzw.  3  Sekunden).  Dies  setet  eineB 
Wasserreichtum  in  der  Luft  voraus,  welcher,  wie  die  Seltenheit  jener  großen 
Regentropfen  anzeigt,  nur  selten  vorkommt." 

Was  den  Einfluß  aufsteigender  Luftströme  auf  die  TropfengroOe  anbetrifft, 
so  bemerkt  Prof.  Lenard  hierüber  u.  a.  folgendes:  „Das  Aufsteigen  der  Luft  ist 
zur  Lieferung  des  Wasservorrates  Vorbedingung  für  jeden  Rogen,  dodi  ge- 
nügen für  die  Wassermengen  der  allermeisten  Regen  schon  sehr  geringe  Lirft- 
gesch windigkeiten.  Beispielsweise  würde  ein  bei  S)®  gesättigter  Laftstzom  Toa 
etwa  1.2  m/Sek.  bei  Abkühlung  auf  6®  genügen,  um  einen  Wolkenbracb 
von  0.72  mmßÜTL  Regenhöhe  zu  unterhalten.  Ein  solcher  Luftatrom  wnide 
nur  die  kleinsten  Tröpfchen  unter  0.2  mm  Durchmesser  am  Herabfallen  ver- 
hindern, er  kann  aber  im  übrigen  den  eigentlichen  Regentropfen  gpegenüber  ab 
nicht  vorhanden  angesehen  werden.  Stärker  aufsteigende  Luftströme  werden 
dagegen  einen  bedeutenden  Einfluß  auf  den  Charakter  der  unten  ankonunendeo 
Tropfenmischung  haben  müssen.  Eine  Geschwindigkeit  von  8  sr/SeL 
würde  sogar  alles  Herabfallen  von  Regen  verhindern,  und  darüber  hinaas* 
gehende  Creschwindigkeiten  würden,  solange  und  soweit  sie  bestehen,  belidiig 
große  Wassermengen  in  beliebige  Höhen  hinaufheben  können.  Eine  konstaat 
vorhandene  Gieschvrindigkeit  von  7  m/Sek.  würde  nur  die  GrößenUasKo 
3.5  mm  und  darüber  fallen  lassen,  alle  kleinem  aber  oben  halten,  und  für  6,  5, 
4  m/Sek.  würde  die  kleinste  noch  fallende  Klasse  2.5,  bzw.  1.5,  1.0  am 
sein.  Erst  bei  3  m/Sek.  könnten  zum  ersten  Male  alle  GrößenklasBen  auf 
der  Auffangfläche  erscheinen.  Regen,  deren  Zusammensetzung  den  Luft- 
geschwindi^eiten  7,  6  und  5  m/Sek.  in  dieser  Weise  entspradie,  habe  ich 
nie  beobachtet.  Dennoch  können  aufsteigende  Luftströme  dieser  Geschwindig- 
keiten nicht  selten  sein,  denn  sie  kommen  horizontal  oft  vor.  Es  wird  ihnen 
aber  die  zur  Sonderung  der  Tropfenffrößen  nötige  Kontinuität  fehlen,  wie  auch 
die  horizontalen  Luftströme  niemus  kontinuierlich  sind." 

„Liegt  die  obere  Grenze  der  aufsteisenden  Geschwindigkeit  nicht  weit 
unter  8  m/Sek.  oder  darüber,  so  wird  der  Luftstrom  zeitweilig,  bzw. 
stellenweise,  beträchtliche  Wassermengen  in  große  Höhen  werfen  können,  wobei 
den  Tropfen  Zeit  zum  Anwachsen  g^eben  ist,  so  daß  auch  der  erörterte 
Prozeß  des  Zerfahrens  und  Wiederanwachsens  sich  wird  abspielen  können.  & 
werden  daher  zu  Zeiten,  bzw.  an  Stellen  geringerer  Windgeschwindigkeit  über- 
wiegend Tropfen  der  größten  Klassen  —  oder,  wenn  oben  Frieren  stattgefunden, 
Hagelkörner  —  von  solchen  Umwegen  herabkommen,  während  die  ffleiehzeitig 
direkt  aus  der  Wolke  fallenden  Tropfen  viel  kleiner  sein  müssen.  Zusammen- 
fassend kann  man  den  Charakter  der  Tropfenmischung,  welchen  staike,  dis- 
kontinuierliche, aufsteigende  Luftströme  erwarten  lassen,  beechreiboi  als  be- 
stehend in  dem  Fehlen  oder  sehr  verminderten  Vorhandensein  der  kleinsten 
Tropfenklasse,  in  dem  Vorhandensein  größter,  eben  noch  beständiger  Tapfen, 
vermischt  mit  kleinen,  aber  beim  Fehlen  von  Zwischenstufen."  TroL  haoard 
hat  für  R^en  dieser  Tropfenmischung  den  Namen  „tnmultuarisch"  gewählt. 


Niedenehlfige.  315 

Diesen  stehen  die  stillen  B^en  gegenüber.  „Ein  aufsteigender  Luft- 
strom mit  Geschwindigkeiten  zwischen  2  und  0  m/Sek.  genügt,  wie  erwähnt, 
zur  Speisung  gewöhnlicher  Regen,  laßt  aber  die  Bewegung  und  das  Wachaen 
der  eigentlichen  Regentropfen  im  wesentlichen  wie  in  ruhender  Luft  vor  sich 
gehen,  auch  wenn  seine  Geschwindigkeit  in  diesen  Grenzen  veränderlich  ist; 
dtdier  der  für  Regen  dieser  Art  gewählte  Name  Hierher  gehören  wohl  die 
meisten  gewöhnlichen  Landregen.  Die  Größe  jedes  unten  ankonmienden 
Tropfens  kann  in  diesem  Falle  proportional  der  Dicke  der  von  ihm  durch- 
fallenen  Wolkenschicht  gesetzt  weitlen.  Regnete  daher  eine  homogen  be- 
schaffene Wolke  aus  ihrem  ganzen  Volumen  gleichmäßig,  so  müßte  sie  gleichviel 
Tropfen  jeder  Klasse  liefern,  von  der  kleinsten  bis  zur  größten  überhaupt  ver- 
tretenen. Dies  scheint  aber  nicht  oft  vorzukommen.  Es  finden  sich  meist 
mehr  kleinere  als  größere  Tropfen,  was  anzeigt,  daß  die  meisten  Tropfen  in  den 
untern  Teilen  der  Wolkenschicht  ihren  Ursprung  nehmen.  Übergänge  von 
stillem  zu  tumultuarischem  Charakter  von  Regen  werden  stattfinden  müssen, 
wenn  die  aufsteisende  Luftseech windigkeit  zwar  2  m/Sek.  übersteigt  aber 
8  m/Sek.  nicht  näe  kommt. 

Die  unmittelbare  Kondensation  der  atmosphärischen  Feuchtig- 
keit aus  Wollsen  auf  hoclüiegenden  Fliehen.  Im  südwestlichsten 
Teile  von  Kapland  fällt  in  den  (Sommer-)  Monaten  Dezember, 
Januar  und  Februar  nur  8%  der  jährlichen  Regenmenge,  ja  bis- 
weilen in  zwei  Monaten  kein  Tropfen.  Die  Vegetation  ist  dann  dem- 
entsprechend ärmlich,  dagegen  findet  man  in  den  höher  liegenden 
Berggebieten  eine  recht  üppige  Vegetation,  trotzdem  auch  dort 
eigentliche  Regenfälle  während  der  Sommermonate  sehr  selten  sind. 
R.  Marloth  hat  nun  beobachtet,  daß,  wenn  diese  hohen  Gebiete  bei 
Südostwind  von  Wolken  bedeckt  werden,  die  Gräser  und  Büsche 
sich  mit  Wassertropfen  bedecken.  Um  diese  Kondensation  genauer 
festzustellen,  errichtete  er  ^)  im  Sommer  1902  bis  1003  auf  dem  Tafel- 
berge eine  Station  mit  zwei  Regenmessern,  von  denen  einer  wie  ge- 
wöhnlich konstruiert  war,  während  der  andere  ein  Drahtgewebe 
besaß,  in  welchem  Riedgräser  befestigt  waren.  Als  am  1.  Januar  1003 
(nach  21  Tagen)  beide  Regenmesser  revidiert  wurden,  war  der  erst- 
genannte trocken,  der  andere  dagegen  enthielt  14.64  engl.  Zoll  Wasser. 
Während  eines  Zeitraumes  von  56  Tagen  wurden  in  dem  offenen 
Regenmesser  4.07  Zoll  Wasser,  in  dem  mit  Riedgräsern  bedeckten 
70.84  Zoll  abgelesen;  hier  war  also  eine  Menge  Feuchtigkeit  konden- 
siert, welche  74.87  Zoll  Regen  entsprach,  außerdem  war  die  drei 
letzten  Male  der  Regenmesser  übergeflossen.  Da  nun  die  Jahreszeit 
der  Südostwolken  doppelt  solange  dauert  als  der  Versuch,  so  ist  die 
Annahme  nicht  übertrieben,  daß  im  Sommer,  abgesehen  vom  Regen, 
eine  Kondensation  von  mindestens  160  Zoll  der  Vegetation  zuge- 
führt wird. 

Der  Sehneesturm  vom  18.  bis  20.  April  1903  in  Ostdeutsehland 

ist  von  Dr.  G.  Schwalbe  dargestellt  worden.  ^)    Dieser  Schneesturm 

1)  Traiuact.  of  the  South  Afrioan.  Phiioa  Soo.  14.  p.  403. 
>)  Annalen  d.  Hydrographie  usw.  1904.  p.  02. 


316  Kiedenohlige. 

gehört  zu  den  hervorragendsten  Witterungsanomalien  der  letzten 
Jahrzehnte,  und  zwar  ist  er  aus  zwei  Gründen  bemerkenswert,  näm- 
lich einmal  wegen  der  großen  Niederschlagsmengen  in  Form  von 
Schnee,  welche  vielfach  eine  Schneedecke  erzeugten,  die  nicht  nur 
für  die  Jahreszeit  eine  ungewöhnhche  Höhe  erreichte,  sondern  selbst 
im  tiefsten  Winter  als  abnorm  angesehen  werden  müßte.  Außeid^n 
aber  muß  der  am  19.  herrschende  außerordentlich  heftige  Storm 
hervorgehoben  werden,  indem  an  diesem  Tage  ein  staikes  Zusammeii- 
drangen  der  Isobaren  erfolgte,  welches  nach  der  Wetteriage  der 
vorangehenden  Tage  nicht  hatte  vorausgesehen  werden  können. 

Die  Ergebnisse,  zu  welchen  Verfasser  gelangt,  faßt  er  in  folgende 
Sätze  zusammen: 

1.  Die  stcu'ken  Schneefälle  am  19.  und  20.  April  1903  über  einem 
großen  Teile  von  Ostdeutschland  sind  als  die  Folge  des  FortschreiteDS 
eines  über  OberitaUen  gelegenen  Minimums,  etwa  auf  der  Zu^trafie 
VB,  nach  Norden  und  für  die  nördlichem  Teile  des  betroffenen  Ge- 
bietes gleichzeitig  der  Vereinigung  dieses  Minimums  mit  einem 
zweiten,  welches  am  Abende  des  17.  über  der  Ostsee  lag,  anzuaehoL 

2.  Der  Sturm,  welcher  die  Schneefälle  begleitete,  ist  in  erst» 
Reihe  aus  der  bedeutenden  Vertiefung  des  Luftdruckes,  welche  bei 
der  Vereinigung  der  beiden  Minima  eintrat,  während  der  Luftdruck 
im  Westen  unverändert  hoch  blieb,  zu  erklären. 

3.  Die  Tatsache,  daß  der  hohe  Luftdruck  bei  Annäherung  des 
Minimums  seinen  Ort  nicht  veränderte,  sondern  sich  längere  Zeit 
hindurch  unverändert  hielt,  erklärt  sich  zum  Teile  aus  dem  Heran- 
nahen einer  neuen  Depression  im  Westen.  Unerklärt  bleibt  hierbei 
die  Tatsache,  daß  das  Maximum  sich  zunächst  nicht  verflachte. 

4.  Der  ziemlich  plötzliche  Übergang  von  trockenem  Wetter  im 
Westen  zu  sehr  niederschlagsreichem  im  Osten  der  Elbe  kann  nur 
durch  den  Verlauf  der  Isobaren  in  einem  hohem  Niveau  seine  Er- 
klärung finden. 

Die  StaubtftUe  vom  19.  bis  28.  Februar  1908  über  dem  nord- 
atlantischen  Ozeane,  Großbritannien  und  Mitteleuropa  hat  Fmi. 
Dr.  E.  Herrmann  untersucht.  ^)  Der  Staub  rührte  von  einem  Sand- 
sturme in  der  Sahara  am  18.  Februar  1903  her,  wo  an  jenem  Tage 
starke  atmosphärische  Störungen  stattfanden,  die  im  AUasgebiete 
reiche  Niederschläge  brachten.  Der  Unterschied  gegen  den  Staub- 
fall  vom  März  1901  bestand  darin,  daß  der  Staub  nicht  wie  damab 
mit  einer  nach  Norden  sich  fortpflanzenden  Depression  fortgeführt 
wurde,  sondern  daß  er  mit  der  herrschenden  Luftströmung  in  ferne 
Gegenden  gelangte.     Über  dem  mittlem  uad  westlichen  Europa, 


1)  Annalen  d.    Hydrographie  usw.    1903.    Heft   10  u.  11.  —  Natnnr. 
Rundschau  1904.  p.  97. 


NiedenoUäge.  317 

'        emern  Teile  des  nordweBtlichen  Afrika  und  den  an  Westeuropa  an-^ 
'        grenzenden  Meeresgebieten  lag  nämlich  am  18.  Februar  ein  abge- 
'        rundetes  Hochdruckgebiet  mit  einem  Maximum  des  Luftdruckes 
^        von  über  780  mm  über  dem  nordwestlichen  Alpengebiete.     Biesea 
'        Hochdruckgebiet  war  rings  umgeben  von  einem  Gebiete  niedrigera 
i        Luftdruckes,  in  dem  lebhafte  zyklonale  Erscheinungen  auftraten. 
Femer  befand  sich  zwischen  den  Azoren  und  den  Kanarischen  Inseln 
i        eine  Depression,  welche  den  Passat  in  jenen  Gegenden  störte.    Nach 
^        Nordwesten  und  Norden  hin  war  das  Maximum  durch  ein  großea 
i        Depressionsgebiet  begrenzt.    Nach  dem  Osten  Bußlands  hin  nahm 
der  Luftdruck  gleichfalls  ab.    Von  der  östlichen  Luftströmung  der 
hohem  Schichten  der  Atmosphäre  im  Süden  des  Hochdruckgebietes 
I        getragen,  wurden  die  Staubmassen  nach  den  Kanarischen  Inseln 
geführt.     Sie  gelangten  so  an  die   Südwestseite  des  Hochdruck- 
gebietes, und  hier  teilte  sich  die  staubführende  Strömung.    Ein  Teil 
schlofl  sich  den  südöstlichen  Winden  an  der  Südwestseite  des  Hoch^ 
druckgebietes  an  und  nahm  die  Richtung  nach  den  Azoren;  der 
andere  Teil  wurde  in  südlicher  Richtung  abgelenkt.     Indem  sich 
nanüich  der  höhere  Druck  sowohl  von  Nordosten  her  über  Madeira 
und  die  E^anarischen  Inseln  als  auch  von  Westen  her  in  der  Um- 
gebung des  40.  Breitengrades  weiter  vorschob,  so  daß  in  diesen 
Gegenden  ein  von  Westen  nach  Osten  in  Zusammenhang  stehendes 
Hochdmckgebiet  sich  bildete,  wurde  die  Passatströmung  wieder 
hergestellt,  welche  den  Staub  bis  in  die  Gegend  der  Kap  Verdischen 
Inseln  führte.    Aber  auch  der  nach  Nordwesten  getriebene  Staub 
erfuhr  in  der  Gegend  der  Azoren  eine  nochmalige  Teilung.    Indem 
namhch  im  Laufe  des  21.  Februar  auch  südlich  und  südöstlich  von 
den  Azoren  eine  nördliche  und  nordösthche  Luftströmung  einsetzte», 
wurde  ein  Teil  des  Staubes  von  den  Azoren  in  westlicher  und  süd-^ 
westhcher  Richtung  vertrieben.    Der  größere  Teil  wurde  aber  von 
der  sehr  lebhaften  südwestlichen  Luftströmung  in  den  Grenzgebieten 
des  Hochdruckgebietes  gegen  eine  tiefe,  über  dem  Nordatlantischen 
Ozeane  liegende  Depression  aufgenommen.    Mit  dieser  Luftströmung 
ist  der  Staub  nach  Großbritannien  und  Mitteleuropa  gelangt. 

Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Staubfälle  war  auf  dem 
ganzen  Wege  20  bis  26  m  in  der  Sekunde,  etwa  wie  im  März  1901. 
Naturgemäß  fielen  näher  am  Ursprungsorte  zunächst  die  grobem 
Staubteile  heraus:  In  Belgien  war  der  Staub  noch  sehr  konsistent; 
in  den  südlichsten  Teilen  Zentraleuropas  äußerte  er  sich  nur  noch  in 
einer  Dunstbildung.  Die  besondere  Erwärmung  und  Trockenheit, 
welche  in  jenen  Tagen  in  vielen  Gegenden  Mitteleuropas  beobachtet 
wurde,  erklärt  der  Verf.  aus  einer  Mischung  der  über  Europa  hin- 
streichenden Luft  mit  aus  südlichem  Gegenden  stammender,  wärmerer. 
Auch  wurden  die  in  der  Luft  schwebenden  Staubteilchen  unmittelbar 
durch  die  Sonne  erwärmt  und  hierdurch  die  Temperatur  und  Trocken^ 
heit  der  Luft  nicht  unwesentlich  gesteigert. 


318  Niedenehlige. 

Der  StaubtaU  des  19.  April  1908  im  mitttern  Eibgebiete  ist  ▼« 

Dr.  Meinardus  untersucht  worden.  ^)  Dieser  StaubfaJl  hatte  hier- 
nach seinen  Ursprung  nicht  in  der  Sahara,  sondern  stand  mit  den 
schweren  Stürmen  und  Schneefällen  in  Verbindung,  die  tun  diese 
Zeit  das  östliche  Deutschland  heimsuchten. 

Auf  der  Westseite  einer  tiefen  Depression,  die,  aus  Süden  ge- 
kommen, am  Abende  des  18.  April  über  Polen  lag  und  von  dort  lang- 
sam nach  der  ostpreußischen  Küste  fortschritt,  entwickelten  sich  im 
Laufe  des  18.  stümusche  Winde  aus  dem  nordwestlichen  Quadrant^!, 
die  in  den  östlichen  Provinzen  von  um  diese  Jahreszeit  ungewöhnlich 
starken  Schneefällen  begleitet  waren.  Im  Laufe  des  19.  erreichte  die 
Luftbewegung  an  vielen  Orten  orkanartige  Starke,  so  daß  die  nieder- 
fallenden Schneemassen  meist  zu  hohen  Schneewehen  aufgetürmt 
wurden,  die,  wie  erinnerhch  sein  wird,  auf  vielen  Eisenbahnstiecken 
tagelang  den  Verkehr  vollständig  unterbanden. 

Am  19.  April,  als  der  Nord-  und  Nordweststurm  die  größte 
Litensität  erreichte,  nahm  im  Laufe  der  Vormittagsstunden  auf  einon 
Gebiete,  das,  soweit  es  sich  aus  den  eingesandten  Berichten  ersehen 
läßt,  das  südliche  Brandenburg,  Teile  des  Königreichs  Sachsen  und 
Nordböhmens  umfaßt,  der  Himmel  eine  schmutzige,  gelbbraune 
Färbung  an,  die  bis  gegen  Abend  anhielt.  Dabei  wurde  an  vielea 
Orten,  an  denen  gleichzeitig  Schneefall  auftrat,  ein  graubrauner 
Staubniederschlag  beobachtet,  der  besonders  im  südöstUchen  Branden- 
burg und  auf  der  Schneekoppe  größere  Intensität  gehabt  hat,  so  daß 
es  gelang,  Staubproben  als  Bückstände  aus  geschmolzenem  Schnee 
in  großem  Quantitäten  zu  sammeln. 

Es  handelt  sich  hier  um  ein  zwar  lokal  beschränktes  Phänomen, 
aber  eines  von  bedeutender  Intensität,  wenn  man  bedenkt,  daß  viele 
Stunden  lang  bei  anhaltendem  Sturme  Staubmassen  in  deraelbea 
Richtung  an  den  Beobachtungsorten  vorüber  getragen  wurden. 
Dr.  Meinardus  kam  zuerst  während  der  Beobachtung  auf  den  Ge- 
danken, daß  es  vielleicht  die  Rauchmassen  der  nahen  Großstadt  sein 
könnten,  die  an  seinem  Wohnorte  die  Luft  undurehsichtig  machten. 
Indes  mußte  er  diese  Erklärung  bei  näherer  Erwägung  von  der  Hand 
weisen,  da  der  Wind  nordwestlich  war,  und  die  stärkste  Trübung  in 
dieser  Richtung  lag,  während  der  Hauptteil  der  Stadt  sich  im  Norden 
und  Nordosten  befindet.  Auch  schien  die  braungelbe  Färbung  der 
Luft  nicht  wohl  durch  Kohlendünste  veranlaßt  zu  sein,  und  der  dureh 
die  Fensterritzen  eindringende  Staub  zeigte  eine  ziemhch  grobkörnige 
Struktur  und  die  Farbe  von  Ackererde.  Da  der  Boden  in  den  nord- 
westlichen Teilen  von  Brandenburg  und  Sachsen,  sowie  in  Mecklen- 
burg um  diese  Zeit  noch  schneefrei  war,  so  lag  es  nahe,  anzunehmen, 
daß  der  mit  unerhörter  Ejraf t  tobende  Sturm  auf  weite  Stxecken  hin 
Staub  von  dem  Acker-  und  Sandboden  aufwirbelte  und  nach  Soden 


1)  Daa  Wetter  1903.   Heft  12. 


Niedenohläge.  319 

und  Südosten  hin  mit  sich  trug.  Diese  Erklärung  findet  eine  Stütze 
durch  die  Ergebnisse  der  mineralogischen  Analyse,  die  von  Dr. 
F.  V.  Wolff  an  einigen  der  eingesandten  Staubproben  vorgenommen 
wurde. 

Nach  der  ganzen  Lage  der  Verhältnisse  am  19.  April  dürfte  die 
Erscheinung  somit  genügend  erklärt  sein.  Die  Trübung  der  Luft  und 
der  Staubfall  zeigten  sich  in  und  südhch  von  den  Gebieten,  die  noch 
schneefrei  waren,  während  der  größten  Intensität  des  Sturmes.  Daß 
nicht  auch  später  bei  anhaltendem  Sturme  der  Luft  Staub  beigemengt 
war,  ist  nicht  verwunderUch,  da  sich  in  der  Nacht  vom  19.  zum 
20.  April  in  den  nördlichen  Gebieten  ebenfalls  Schneefall  einstellte 
und  dadurch  den  Boden  der  Deflation  entzog. 

Ein  sogenannter  Tintenregen  ist  in  den  Morgenstunden  des 
16.  März  1903  über  die  Stadt  Louisburg  in  Nordcarolina  nieder- 
gegangen. Aus  Neugierde  wurde  das  schwarze  Wasser  aus  den 
Pfützen  von  den  Eingeborenen  vielfach  gesammelt  und  aufgehoben, 
und  so  kam  es  in  die  Hände  von  zwei  Professoren  der  Nordcarolina- 
universität, die  das  Ergebnis  ihrer  Prüfung  in  der  „Science**  ver- 
öffentUchten.  Etwa  60%  des  Rückstandes  bestanden  aus  organischen 
Stoffen,  hauptsächlich  aus  Ruß.  AuffaUend  jedoch  war  der  Gehalt 
an  Mineralien,  namentlich  Chlorverbindungen,  unter  denen  das  Koch- 
salz in  größter  Menge.  Außerdem  waren  noch  andere  Natrium-  und 
einige  Kalziumsalze  vorhanden,  sodann  Spuren  von  Eisen,  Mangan, 
Aluminium  und  Zink.  Vor  dem  Niedergange  des  Regens  waren  keine 
besondem  Erscheinungen  bemerkt  worden,  außer  einer  ungewöhnlich 
schwarzen  Wolke,  die  eine  so  dichte  Dunkelheit  verbreitete,  daß  für 
eine  halbe  Stunde  die  Lampen  angezündet  werden  mußten.  Es  hatte 
schon  mehrere  Tage  vorher  geregnet,  ehe  das  ungewöhnliche  Ereignis 
eintrat.  Nach  einigen  Tagen  wurde  das  bis  dahin  völUg  schwarze 
Wasser  in  den  Pfützen  klar,  nachdem  sich  die  schwarzen  Sinkstoffe 
daraus  niedergeschlagen  hatten.  Wodurch  die  eigentünüiche  Färbung 
des  Regens  entstanden  war,  Ueß  sich  nicht  ermitteln,  obgleich  aus 
der  chemischen  Untersuchimg  zu  entnehmen  ist,  daß  eine  starke  Ver- 
unreinigung der  Luft  durch  Kohlenrauch  dabei  im  Spiele  gewesen 
sein  muß.  Eine  derartige  Schwarzfärbung  von  Regen  und  Schnee 
ist  überhaupt  zuweilen  beobachtet  worden,  jedoch  müssen  die  sie 
bedingenden  Verunreinigungen  der  Luft  zeitweilig  einen  sehr  weiten 
Transport  durch  den  Wind  erfahren. 

Einfluß  des  Mondes  auf  die  Niederschläge.  Guido  Lamprecht 
(Bautzen)  hat  eine  Untersuchung  hierüber  angestellt.  „Untersucht 
man,"  sagt  er,  „den  Einfluß  der  synodischen  Bewegung  des  Mondes 
auf  das  Wetter  oder  den  der  anomalistischen  getrennt  für  sich,  so 
findet  er  sich  im  Durchschnitte  der  Jahrzehnte  gleich  Null.  Dag^ien 
zeigt  er  sich  über  Erwarten  groß,  wenn  man  die  Neumonde  und  Voll- 


330  Niedenohlä^. 

monde  trennt,  je  nachdem  sie  mit  der  Erdnahe  zusammenfaUen 
oder  nicht. 

Um  monatliche  Wetterbeobachtungen  nach  dieser  zusammen- 
gesetzten Periode  zu  gruppieren,  hat  er  die  einzelnen  SteUungen  de» 
Mondes  in  jedem  dieser  Kreisläufe  nach  Hundertstebi  ausgedrückt 
und  dann  für  den  Anfang  des  Monates  ihren  Unterschied  gebildet 
Es  wurden  alsdann  die  Beobachtungen  geordnet  nach  Zehnteln  der 
Differenz:  Mittlere  AnomaUe  (d.  i.  der  Winkel:  Erde — ^Mond  in  der 
elliptischen  Mondbahn  von  der  Erdnahe  ab  gezahlt)  weniger  mitUeie 
Phase  (Winkel:  Erde — ^Mond  von  der  Richtung  Erde — Sonne  ab  ge- 
messen). Bei  0.00  dieser  Periode  fallt  also  die  Erdnahe  auf  den  Neo- 
mond,  bei  0.26  auf  das  letzte  Viertel,  bei  0.60  auf  den  Vollmond,  bei 
0.76  auf  das  erste  Vierte].  Die  Dauer  dieser  Doppelperiode  betfigt 
411.79  Tage. 

Lamprecht  benutzte  nun  die  monathchen  NiederBchlagsaummen 
1.  von  40  norddeutschen  Stationen  in  den  38  Jahren  von  1857  b^ 
1894  und  2.  von  durchschnittUch  98  Stationen  auf  Java  und  MadeiFa 
in  den  24  Jahren  von  1879  bis  1902.  Diese  niederländischen  Beob- 
achtungen umfassen  die  ungeheuere  Niederschlagssumme  von  5900«. 
In  jeder  Monatsreihe  wurde  endlich  die  halbe  Anzahl  mit  den  größten 
Summen  als  naß,  die  andere  Hälfte  als  trocken  bezeichnet,  um  den 
Einfluß  der  Jahreszeiten  mögUchst  auszuschalten.*' 

Das  Ergebnis  ist  folgendes : 

Zehntel  der  Mondperiode  .... 
Norddeutsohland : 
Zahl   der   trocknen  Monate 
„    naaaen 

Java:       „        „    trocknen       „ 
„     nassen 

Die  Zahlen  besagen  folgendes:  In  Norddeutschland  wie  auf  Java 
ist,  abgesehen  von  andern  Ursachen,  Trockenheit  zu  erwarten,  wenn 
die  Erdnähe  des  Mondes  dem  Neumonde  näher  liegt  als  dem  Voll- 
monde (Nordd.  10.  Zehntel  der  Tabelle  34  :  14,  Java  1.  Zehntel  21  : 8), 
umgekehrt  Nässe,  wenn  die  Erdnähe  dem  VoUmonde  naher  fiUt  als 
dem  Neumonde  (4.  bis  7.  Zehntel  der  Tabelle:  Nordd.  75  :  106,  Java 
46  :  70).  Diese  Regel  gilt  für  alle  Länder,  wo  der  meiste  Regen  beim 
höchsten  Sonnenstande  fällt. 

„Femer,  *'  sagt  Lamprecht,  „ist  deutUch  zu  erkennen,  warum 
man  keinen  Einfluß  des  Mondes  auf  den  Niederschlag  feststellen 
kann,  wenn  man  nur  den  sjmodischen  oder  nur  den  anomalistiachen 
Monat  allein  untersucht,  denn  die  Stellung  Vollmond — ^Erdnahe 
(=  Neumond — Erdferne)  erzeugt  im  Mittel  mehr  Niederschlag,  die 
Stellung  Vollmond — Erdfeme  (=  Neumond — ESrdnähe)  mehrTrocken- 
heit,  und  das  gleicht  sich  gerade  aus,  wenn  man  diese  von  mir  ge- 
trennten Stellungen  nicht  unterscheidet." 


3.     4.    6.     6.     7. 

8.     9.     10.    1.    2. 

V(dlmond-£rdnähe 

Neumond-Erdnahe 

23   21   20    19    15 

26    27    34    23   2D 

23   26  22   26    32 

19    18    14    22    16 

16    13   10    13    10 

13    15    18    21    16 

16   18    17    16    19 

15    13    11      8    11 

43^'    Vn     xiH      Mm. 

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Jahrbuch  XV,  1904. 
Tafel  VI. 

in  10000  Fuß  Höhe 


Lnftbewegang,  Wind  nnd  Starm.  321 


Luftbewegung,  Wind  und  Sturnn. 

Die  allgemeine  Zirltulation  der  Atmosphäre  ist  von  W.  HQde- 
brandsson  und  Teissereno  de  Bort  auf  Grund  ihrer  Untersuchungen 
dargesteUt  worden.^)  Die  Ergebnisse  faßt  Schlee  wie  folgt  zu- 
sammen: 2) 

1.  t)ber  dem  thermischen  Äquator  und  den  „äquatorialen  Kal- 
men'' existiert  während  des  ganzen  Jahres  eine  Strömung  aus  0, 
welche  in  großen  Höhen  eine  sehr  große  Geschwindigkeit  zu  haben 
scheint. 

2.  tTber  den  Passaten  herrscht  ein  Antipassat,  der  auf  der  nörd- 
lichen Halbkugel  aus  SW  und  auf  der  südlichen  aus  NW  kommt. 

3.  Dieser  Antipassat  überschreitet  nicht  die  polare  Gren^  des 
Passates.  Er  wird  auf  der  nördlichen  Hemisphäre  mehr  uhd  mehr 
nach  rechts  und  auf  der  südlichen  nach  links  abgelenkt,  so  daß  er 
schHeßlich  zu  einer  Westströmung  über  dem  barometrischen  Maximum 
der  Wendekreise  wird,  wo  er  herabsteigt,  um  den  Passat  zu  speisen. 

4.  Die  Regionen,  welche  an  der  äquatorialen  Grenze  des  Passates 
liegen,  treten  je  nach  der  Jahreszeit  bald  in  den  Passat,  bald  in  die 
äquatorialen  Kalmen  ein.  Über  ihnen  gibt  es  folglich  einen  obem 
Monsun :  den  Gegenpassat  im  Winter  und  den  äquatorialen  Oststrom 
im  Sommer. 

5.  Von  den  Hochdruckgebieten  der  Wendekreise  nimmt  der  Luft- 
druck im  Durchschnitte  kontinuierlich  nach  den  Polen  zu  ab,  wenigstens 
bis  über  die  Polarkreise  hinaus.  Daher  wird  die  Luft  der  gemäßigten 
Zonen  in  einen  ungeheuem  polaren  Wirbel  hineingezog<9n,  der  sich 
von  W  nach  0  dreht.  Diese  Drehbewegung  scheint  von  derselben 
Natur  wie  diejenige  einer  gewöhnlichen  Zyklone  zu  sein:  die  Luft  der 
untern  Schichten  nähert  sich  dem  Zentrum,  die  der  obem  entfernt 
sich  mit  zunehmender  Entfernung  vom  Erdboden  immer  mehr  davon, 
bis  zu  den  höchsten  Regionen,  aus  denen  wir  Beobachtungen  haben. 

6.  Die  obem  Luftschichten  der  gemäßigten  Zonen  breiten  mch 
über  die  Hochdrackgebiete  der  Wendekreise  hin  aus  nnd  sinken 
dort  herab. 

7.  Die  Unregelmäßigkeiten,  welche  man  an  der  Erdoberfläche 
findet,  und  zwar  besonders  in  den  asiatischen  Monsungegenden,  ver- 
schwinden im  allgemeinen  schon  in  der  Höhe  der  ontem  oder  mittlem 
Wolken. 

Die  Hypothese  einer  vertikalen  Zirkulation  zwischen  den  Wende- 
kreisen und  den  Polen,  welche  man  bis  jetzt,  Ferrel  und  J.  Thomson 
folgend,  angenommen  hat,  muß  völlig  aufgegeben  werden. 


1)  Les  baaeft  de  la  mMorfAone  dynamisque  1903.  Livr.  6.  Paris. 
^)  Petermanns  liitteü.  1904.  Nr.  8.  Literaturber.  16. 
Klein,  Jahrbuch  XV.  21 


322  Laftbew^gung,  Wind  und  Stomi. 

Dieee  Satae  stimmen  mit  denjenigen,  welche  ProfoBBor 
Hildebrandflson  über  die  allgemeine  Bewegung  der  Eidatmosphaie 
auf  Grund  der  Cirrusbetrachtungen  aufgestellt  hat,  im  wesentüdiea 
übeiein.  ^) 

Untenuchimgen  über  vertikale  Luftströmim^n  hat  I>r.  Fdix 
M.  Exner  angestellt,  die  von  großer  Wichtigkeit  sind.*)  TataacUicb 
sind  zwar  wohl  die  horizontalen  Bewegungen  der  Luft  für  deren 
Bruckverteilung  auf  der  Erdoberfläche  am  maßgebendsten,  aDein 
geringe  vertikale  Bewegungen,  die  auf  den  Druck  von  kaum  melk- 
barem Einflüsse  sind,  bedingen  das  Erscheinen  des  heitern  Himmeb» 
der  Wolken,  des  Niederschlages,  kurz,  bestimmen  den  Gesamtbegrifi 
„Wetter**,  und  so  müssen  jene,  wenn  auch  für  die  dynamische  Meteo- 
rologie von  geringerm  Belang,  für  die  eigentUche  Wetterkunde  von 
großer  Wichtigkeit  sein. 

Indem  Dr.  Exner  unternahm,  die  Bedingungen  vertikaler  Luft- 
bewegungen  an  der  Hand  der  Hydrodynamik  unter  einfachen  Vomis- 
setzungen  festzustellen,  findet  er  u.  a.,  daß  bei  vertikalen  Bewegung^ 
der  Luft  im  stationären  Zustande  die  Abnahme  des  Druckes  mit  der 
Höhe  stets  derart  sein  müßte,  als  würde  eine  vermehrte  Schwerkraft 
wirken,  gleichgültig  ob  in  Zyklonen  oder  Antizyklonen. 

Dr.  Exner  betont,  daß  es  bei  Voraussetzung  des  stationären  Zu- 
Standes  nicht  möglich  ist,  aus  einer  gegebenen  Druckverteilung  in 
der  Vertikalen  die  bestehende  Bewegungsrichtung  in  dieser  zu  de- 
duzieren, und  daß  es  im  allgemeinen  zur  Vorherbestimmnng  der  ein- 
tretenden Änderung  nicht  genügt,  die  Druckverteilung  in  der  Verti- 
kalen zu  kennen;  auch  die  Kenntnis  der  bereits  vorhandenen  Be- 
wegungen ist  für  dieselbe  noch  erforderUch,  wodurch  das  Problem 
einer  Vorausbestimmung  der  Luftbewegungen  noch  komplizierter 
erscheint. 

Exner  findet  femer  aus  seinen  Formeln,  daß  bei  gleichmaßiger 
Druckverteilung  der  absteigende  Luftstrom  ein  Steigen  des  Druckes, 
der  aufsteigende  ein  Fallen  desselben  zur  Folge  hat. 

Dies  steht  in  Übereinstimmung  mit  der  sogenannten  EiiialtungB- 
tendenz  der  Witterung  und  dürfte  wohl  deren  physikalische  Er- 
klärung sein. 

Femer  ist  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  die  vertikale  Be- 
wegung in  warmen  Gebieten  größer  als  in  kalten  und  bei  hohem 
Drucke  kleiner  als  bei  niederm.  Diese  Folgerungen  gelten  aber  mit 
Ausnahme  der  beiden  letzten  nur  für  die  Nähe  der  Erdoberfläche; 
für  größere  Höhen  kehren  sich  die  Verhältnisse  um. 


1)  Dieses  Jahrb.  14.  p.  360. 

•)  SiteungBber.    d.    k.   k.   Akad.    Wieo.     Mathem.    naturw.   Kl.     11t. 
Abt.  Ha. 


LuftbewegUDg,  Wind  und  Btarm.  323 

Es  scheint  also,  daß  die  Bedingung  des  verhältnismäßig  tiefen 
Druckes  zur  Bildung  von  Niederschlag,  wie  sie  unten  galt,  oben  um- 
gekehrt ist:  Wenn  in  größerer  Höhe  der  Druck  an  einem  Orte  gegen 
seine  Umgebung  verhältnismäßig  hoch  ist,  dann  wird  daselbst 
Niederschlag  sich  bilden  können.  Ein  Versuch,  diese  Verhältnisse 
aus  den  Beobachtungen  abzuleiten,  hat  die  Theorie  bestätigt  und 
zugleich  eine  Möglichkeit  gegeben,  die  Größe  der  vertikalen  Geschwin- 
digkeit aus  der  DruckverteUung  zu  berechnen. 

Um  Theorien  an  der  Hand  der  Tatsachen  zu  prüfen,  war  es  not- 
wendig, Wetterkarten  für  eine  größere  Höhe  zu  berechnen.  Dr.  Exner 
wählte  dazu  die  Höhenstation  Sonnblick  in  der  Hoffnung,  daß  der 
au&teigende  Luftstrom  daselbst  trotz  der  Umgebung  der  Berge  schon 
ziemlich  ausgebildet  sein  werde ;  der  Gipfel  des  SonnbUckes  ist  ja  ziem- 
hoh  spitz.  Es  wurden  aus  dem  Jahre  1899  jene  Tage  ausgesucht,  an 
welchen  daselbst  ein  Niederschlag  von  10  mm  und  darüber  gefallen 
war;  deren  sind  64.  Für  diese  Tage  wurden  mit  Benutzung  der 
Gipfelstationen  Wetterkarten  für  die  Höhe  von  2600  m  gezeichnet; 
allerdings  wäre  eine  größere  Höhe  für  die  Untersuchung  vorteilhafter 
gewesen,  doch  ist  bei  den  vorhandenen  Beobachtimgspunkten  (Ben 
Nevis,  Ätna,  Pic  du  Midi,  Säntis,  Sonnblick,  Obir  usw.)  die  Berech- 
nung der  Barometerstände  wohl  für  2600  m  am  ratsamsten. 

Diese  Wetterkarten  zeigen  nun  schon  bei  bloßer  Betrachtung 
zumeist  im  Bereiche  des  Sonnblickes,  also  dort,  wo  Niederschlag  ge- 
fallen war,  den  Druck  verhältnismäßig  höher  als  in  dessen  Umgebung, 
während  wir  bei  den  Wetterkarten,  die  aufs  Meeresniveau  reduziert 
sind,  uns  daran  gewöhnt  haben,  die  Niederschläge  im  Bereiche  des 
tiefsten  Druckes  zu  suchen. 

Es  dürfte  demnach  als  durch  die  Beobachtungen  bestätigt  gelten, 
daß  die  der  Erdoberfläche  zunächst  liegenden  und  die  hohem  Schich- 
ten der  Atmosphäre  sich  bezügUch  der  Bedingungen  für  die  Ent- 
stehung eines  vertikalen  Luftstromes  gerade  umgekehrt  verhalten: 
An  der  Erdoberfläche  bedingt  bei  stationärem  Zustande  tiefer  Druck 
aufsteigenden,  hoher  Druck  absteigenden  Luftstrom;  in  der  Höhe 
findet  aufsteigender  Strom  bei  hohem  Drucke,  absteigender  bei 
tiefem  statt. 

Wenn  wir  daher,  so  schließt  Dr.  Exner  seine  wichtige  Unter- 
suchung, z.  B.  vollkommen  heitern  Himmel  über  uns  haben,  der  auf 
absteigende  Luftbewegung  schheßen  läßt,  so  müssen  wir  an  der  Erd- 
oberfläche verhältnismäßig  hohen,  in  der  Höhe  tiefen  Druck  voraus- 
setzen; die  Druckabnahme  muß  daher  hier  eine  raschere  sein  als  in 
der  Umgebung,  was  der  Fall  sein  wird,  wenn  auch  die  Temperatur 
daselbst  rascher  abnehmen  wird;  und  tatsächlich  ist  im  absteigenden 
Luftstrome  die  Abnahme  der  Temperatur  mit  der  Höhe  größer  als 
sonst.  Es  scheint  also  auch  dieser  Schluß  die  Folgerungen  aus  der 
Theorie  zu  bestätigen.  Im  Grunde  bedeutet  dieselbe  einfach:  Wenn 
der  Druck  sich  mit  der  Zeit  nicht  ändert,  und  an  einem  Orte  horizontal 

21* 


334  Lnftbewagoiig,  Wind  und  Stonn. 

mehr  Luft  ab-  als  zuströmt,  so  maß  zur  Ersetzung  derselben  ein 
vertikaler  Luftstrom,  wenn  derselbe  konstant  ist,  nach  aufwiits 
gerichtet  sein,  um  dichtere  Luft  an  den  Ort  hin-,  dünnere  aber  weg- 
zutransportieren  und  umgekehrt.  Ist  aber  ein  bis  in  große  Höben 
reichender  aufsteigender  Strom  vorhanden,  der  unten  tiefen,  oben 
hohen  Druck  bedingt,  so  muß  die  Temperaturabnahme  daselbst  eine 
langsamere  sein  als  in  der  Umgebung.  Der  Wasserdampf ,  welch« 
diese  Temperaturverteilungen  tatsachlich  verursacht,  scheint  ako 
die  Bedingungen  für  die  Ausbildung  großer  vertikaler  Bewegungm 
zu  schaffen. 

Betrachten  wir  anderseits  z.  B.  den  Fall  eines  bis  in  größere 
Höhen  hinaufreichenden  tiefen  Druckes,  wie  er  wohl  gewiß  in  einsm 
Wirbelsturme  obwalten  wird;  dann  soll  an  der  Erdoberfläche  auf- 
steigender, in  der  Höhe  absteigender  Luftstrom  vorhanden  sein. 
Unwillkürlich  erinnert  dies  an  das  sogenannte  „Auge  des  Sturmes*', 
»in  Aufklaren  im  Zentrum,  das  wohl  auf  absteigenden  Loftstrom 
zurückzuführen  ist.  Leider  muß  eine  genauere  Bestätigung  dieser 
Ansichten  der  Zukunft  überlassen  werden. 

AUgemein  laßt  sich  also  sagen:  Im  stationären  Zustande  wird 
tiefer  Druck  an  der  Erdoberflache  aufsteigenden,  in  der  Höhe  ab- 
steigenden, hoher  unten  absteigenden,  oben  aufsteigenden  Luftstrom 
zur  Folge  haben;  umgekehrt  wird  bei  absteigendem  Luftstrome  in 
der  Höhe  tiefer,  unten  hoher  Druck,  bei  aufsteigendem  aber  oben 
hoher,  an  der  Erdoberfläche  tiefer  Druck  herrschen  und  danach  die 
horizontale  Bewegung  sein. 

Ob  die  besprochenen  Gesichtspunkte  zur  weitem  Erklärung 
mancher  Erscheinungen  in  den  hohem  Luftschichten  verwmidbar 
sein  werden,  und  ob  es  von  Vorteil  sein  kann,  aus  den  telegraphischen 
Meldungen  der  Höhenstationen  ein  Bild  der  Druckverteilung  in  der 
Höhe  zu  gewinnen  und  nach  diesen  Gesichtspunkten  zu  beurteilen, 
um  dasselbe  vielleicht  für  die  Prognose  verwerten  zu  können,  muß 
noch  dahingestellt  bleiben. 

So  viel  scheint  aus  den  obigen  Ausführungen  wohl  zu  folgen,  daß 
an  eine  wirklich  exakte  Behandlung  des  Problemes  der  Luftbewegun- 
gen für  die  täglichen  Wetterprognosen  mit  Hilfe  des  jetzt  vorhandenen 
telegraphischen  Beobachtungematerialee  nicht  gedacht  werden  kann. 
Selbst  die  Kenntnis  des  Druckes  und  der  Temperatur  sowohl  in  ihrer 
horizontalen  wie  vertikalen  Verteilung  würde  für  die  Wettervorher- 
sage nicht  ausreichen;  es  bedürfte  dazu  noch  der  Kenntnis  der  verti- 
kalen Geschwindigkeit.  Die  genügen  Erfolge  der  Prognose  sind 
somit  hauptsächlich  auf  Mangel  von  Berichten,  nicht  aber  auf  fehler- 
hafte Behandlung  des  Gegenstandes  zurückzuführen.  Bis  daher  nicht 
das  Beobachtungsmaterial  eine  wesentliche  Vermehrung  erhhren 
haben  wird,  dürfte  der  rein  empirische  Weg  der  einzige  für  den 
Fortschritt  in  der  Wetterprognose  bleiben. 


Lnftbewegung,  Wind  nnd  Sturm.  325 

Ober  die  Meehanik  der  Luftbewegttng  in  Zyklonen  und  Antt- 
•  lyklonen  hat  Frank  H.  Bigelow  bemerkenswerte  Untersuchungen 

I  veröffentlicht,^)  in  der  er  sich  gegen  die  Ansicht  ausspricht,  die 

;  Zyklone  sei  ledighch  ein  Wirbel  innerhalb  einer  nach  Osten  gerichteten 

aUgemeinen  Luftströmung.     Auf  Grund  der  systematischen  Beob- 
achtungen, welche  auf  Veranlassung  des  nordamerikanischen  Wetter- 
[  bureaus  angestellt  werden,  konstruierte  Verf.  den  Verlauf  der  Iso- 

baren an  der  Meeresoberfläche  in  3600  Fuß  (1067  f»)  und  in 
10  000  Fuß  (3048  m)  Seehöhe  und  kommt  zu  dem  Ergebnisse,  daß 
sich  die  Atmosphäpre  in  einer  ununterbrochenen  Bewegung  um  den 
Pol  von  W  nach  O  befindet,  innerhalb  deren  die  sogenannten 
Depressionen  und  Maxima  eine  mehr  lokale  oder  vorübergehende 
BoUe  spielen.  Diese  entstehen  durch  Eindringen  von  warmen  in 
kältere  Luftmassen. 

Bigelow  gibt  eine  Darstellung  des  Verlaufes  der  Isobaren  über 
'  den  Vereinigten  Staaten  am  3.  Februar  1903  für  die  drei  oben  ge- 

[  nannten  Niveaus,  die  auf  Tafel  VI  reproduziert  ist.    Die  schwarzen 

'  Linien  in  Fig.  1  stellen  nach  den  Beobachtungen  die  Isobaren  im 

Meeresniveau  dar,  wobei  der  Barometerstand  in  englischen  Zollen 
[  und  Zehnteln  derselben  ausgedrückt  ist.  Fig.  2  zeigt  in  den  ungeteilten 

!  schwarzen     Linien     die    Verteilung     des     Luftdruckes     für    den 

I  3.    Februar  1903  in  3600  Fuß  Höhe  an.     Die  gebrochenen  Linien 

[  bezeichnen   dagegen   die   Luftdruckverteilung   an  dem   nämlichen 

Tage  in  10000  Fuß  Höhe. 

Der  Chinookwind.  A.  Burrow  gibt  eine  interessante  Schilderung 
dieses  Windes.  Die  Bewohner  der  nordwestUchen  Staaten  der  Union 
vom  Ostabhange  des  Felsengebirges  bis  zur  Küste  des  Großen  Ozeanes 
kennen  diesen  warmen  Winterwind  längst,  und  er  führt  dort  den 
Namen  Chinook ;  allein  seine  eigentUche  Natur  ist  erst  später  zutage 
getreten.  Man  hat  in  diesem  Winde  ledighch  einen  Föhn  zu  erbUcken, 
neben  dem  aber  der  Föhn  unserer  Alpen  in  bezug  auf  Ausdehnung 
seines  Gebietes  vöUig  verschwindet.  Unter  dem  Einflüsse  des 
Chinook  steigt  die  Temperatur  bisweilen  im  Zeiträume  von  weniger 
als  einer  Stunde  um  20°.  Dann  rast  der  Wind  mit  Orkangeschwin- 
digkeit dahin,  frißt  längs  den  Abhängen  und  auf  der  Ebene  den 
Schnee  im  Augenblicke  und  erzeugt  an  Stelle  der  winterlichen  Kälte 
eine  fast  sommerliche  Hitze.  Nach  dem  Berichte  von  Burrows  war 
in  Montana  1896  der  Winter  so  früh  und  mit  solcher  Strenge  einge- 
treten, daß  die  Viehzüchter  den  Verlust  ihrer  Herden  vor  Augen 
hatten.  Am  1.  Dezember  aber  sah  man  an  vielen  Orten  den  bis 
dahin  wolkenlosen  Himmel  sich  rasch  mit  düsterm  Gewölk  über- 
ziehen, diesem  folgte  ein  rapides  Steigen  der  Lufttemperatur,  der 
Wind  setzte  mit  großer  Gewalt  ein,  und  in  einem  halben  Tage  war 


1)  Monthly  Weathor  Review  1903.  31.  Nr.  2.   1904.  St  Nr.  5. 


326  LnftelelrtrizitiL 

die  über  zwei  Fuß  hohe  Schneedecke  verschwunden.  Ohne  den 
Chinook  könnten  die  Viehzüchter  jener  Gegend  ihre  Tiere  wahr- 
Boheinhch  nicht  durch  den  Winter  bringen.  Unter  seinem  Rinfluiwe 
taut  der  Schnee  nicht  eigentlich  auf,  sondern  verdunstet  fast  sofort, 
in  kurzer  Zeit  hat  der  Wind  die  ganze  Prärie  völlig  getrocknet.  Dm 
günstige  Klima  von  Saskatschewan,  gegenüber  den  östlichen  Teikn 
Nordamerikas  unter  denselben  Breitengraden,  ist  eine  Folgß  der 
warmen  Chinookwinde,  ebenso  ermöghcht  die  warme  westliche  Luft- 
strömung, daß  in  Isle  k  la  Crosse  (56°  nördl.  Br.)  Ende  September 
die  Kartoffeln  noch  grün  sind,  während  sie  in  Manitoba  schon  nach 
Mitte  August  bisweilen  dem  Froste  erliegen.  Der  Chinook  mildert 
auch,  indem  er  zur  Winterszeit  gewaltige  Schneemasaen  wegfrißt, 
die  Überschwemmungen  der  Flüsse  im  Frühjahre,  so  daß  die  Jahie, 
in  denen  er  selten  auftritt,  starke  Hochwasser  im  Frühlinge  und 
schlechten  Wasserstand  zur  Sommerszeit  aufweisen.  Da  dieser 
Wind  seine  hohe  Temperatur  lediglich  dem  Herabsturze  von  der 
Höhe  der  Gebirge  in  die  Tiefen  der  Täler  und  Prärien  verdankt,  so 
ist  es  nicht  wunderbar,  daß  er  erst  auf  der  Ostseite  des  Felsengebirges 
als  heißer,  trockener  Westwind  auftritt.  Noch  im  Jahre  1875  erschien 
es  dem  Professor  Macoun,  ab  er  jene  Gegenden  besuchte,  rätselhaft, 
warum  dieser  Wind  nicht  erst  die  Westseite  des  Gebirgslandes  er- 
wärme, da  er  doch  von  dort  komme  und  ostwärts  Wärme  verbrmte. 
Er  meinte,  dieser  seltsame  Wind  müsse  vom  warmen  mexikanischfiD 
Meerbusen  stammen  und  in  der  Höhe  abgelenkt  worden  sein.  Die 
Erkenntnis,  daß  dieser  Wind  lediglich  ein  Fallwind  ist  und  seine  Er- 
wärmung nur  dem  Herabsturze  der  Luft  aus  der  Höhe  verdankt, 
gibt  ungezwungen  die  Lösung  des  Rätsels.  Auch  erklärt  sich  dadurch, 
daß  in  Kalifornien  und  Oregon  der  Chinook  als  Ost-  und  Südostwind 
auftritt,  weil  nämlich  die  Bergregionen,  von  denen  er  herabkommt, 
dort  gegen  Osten  hin  liegen.  Der  sonderbare  Name  Chinook,  den  die 
Bewohner  jener  Gegenden  diesem  Winde  geben,  bezeichnete  ur- 
sprünglich einen  Indianerstamm,  von  dessen  Aufenthaltsorte  her  den 
ersten  Ansiedlem  der  warme  Wind  entgegenwehte. 

Luftelektrizität. 

Ober  die  Ursaehe  des  normalen  atmosphärisehen  Potential» 
gefälles  und  der  negativen  elektrisehen  Entladung  hat  Professor 
H.  Ebert  im  physikaUschen  Institute  der  Technischen  Hochschule 
zu  München  Untersuchungen  angestellt.  ^) 

Der  GedankeDgang  ist  folgender:  „Sowohl  aus  den  UntersachiiBgen  w» 
Zeleny,  wie  den  diesen  nahestehenden  von  Townsend  über  die  lonendiffosion 
und  ebenso  aus  den  Versuchen  von  YiUari  und  Simpson  geht  hervor,  da£ 
elektrische  Ladungen  von  einem  ionisierten  Gase  abgegeben  werden,  wenn 
dieses  aus  Gebieten  mit  höherer  lonenkonzentration  durch  enge  Kanäle  oder 


1)  Fhysikaliflohe  Zeitschrift  S.  Nr.  5.  p.  135. 


Luftelektrizltät.  327 

Röhren  in  solche  niederer  lonenkonzentration  überströmt.  Ist  die  Ionisierung 
normal,  d.  h.  sind  gleichviel  +  Ionen  wie  —  Ionen  in  der  Volumeneinheit  ent- 
halten, was  zunächst  wenigstens  immer  in  der  Nähe  des  ionisierenden  Aflens 
statthat,  so  wird  negative  Elektrizität  abgegeben.  Ist  dadurch  ein  Übersonuß 
•an  +  Ionen  eingetreten,  so  kann  die  ionisierte  Luft  aber  auch  positiv  elektri- 
sierend wirken,  namoitlich  wenn  durch  Wiedervereinigung  der  Ionen  die  relative 
Zahl  dieser  übrigbleibenden  +  Ionen  immer  größer  wird.       '  >^  ^^f^  ^  ^^ 

Nun  haben  die  neuesten  Untersuchungen  von  Elster  und  Qeitel  unzweif  el- 
liaft  erwiesen,  daß  in  dem  Erdboden  auch  an  Orten,  wo  dies  früher  nicht  ver- 
mutet werden  konnte,  radioaktive  Substanzen,  namentlich  Radium,  in  Spuren 
-enthalten  sind.  Die  von  diesem  dauernd  ausgehende  „Emanation"  ist  es,  welche 
der  Bodenluft  die  auffallend  erhöhte  Ionisierung  erteilt,  welche  besonders  in 
Kellern  und  Höhlen  der  Luft  ein  abnorm  gesteigertes  Leitvermögen  verleiht. 
Dringt  nun  diese  stark  ionisierte  Luft  aus  dem  Erdboden  heraus  in  die  freie 
Atmosphäre,  so  muß  sie  bei  ihrer  Wanderung  durch  die  Erdkapillaren  an  die 
Wände  derselben  vorwiegend  negative  Ladungen  abgeben;  Luft  mit  einem 
tTbersohusse  an  positiven  Ionen  tritt  aus  dem  Erdboden  heraus  und  wird  von 
hier  aus  durch  Winde  und  aufsteigende  Luftströme  auch  den  hohem  Schichten 
"der  Atmosphäre  mitoeteilt.  Hie^urch  erklärt  sich  die  negative  Eigenladung 
der  Erde,  sowie  der  Überschuß  an  freien  +  Ionen  in  der  Atmosphäre,  nament- 
lich in  den  untern  Schichten  derselben,  welcher  durch  direkte  lonenzählungen 
in  der  natürlichen  Luft  nachgewiesen  werden  konnte.  Damit  erklärt  sich  akber 
auch  die  Erscheinung  des  permanenten  Erdfeldes  mit  nach  oben  hin  positivem 
Ge&lle.  Dieses  wird  nur  gestört,  wenn  Niederschläge  oder  abnorme  elektrische 
Verteilungen  den  geschilc&rten  Verlauf  vorübergehend  überdecken. 

Hiemach  wird  sich  das  normale  Erdfeld  namentlich  dann  und  dort  re- 
generieren, wann  und  wo  starke  Bodenerwärmungen  oder  barometrische  Minima 
■gFoQem  Mengen  von  Bodenluft  den  Erdkapillaren,  Spalten,  Hohlräumen  im 
GeröUe  oder  Gesteine  entsteigen  lassen.  Bei  wachsendem  Luftdrucke  wird 
zwar  ein  Teil  der  äußern  Luft  wieder  in  den  Erdboden  hineingetrieben;  diese 
ist  aber  sehr  viel  ionenärmer  als  die  Bodenluft.  Schon  in  mäßig  großen,  mit 
Bodenluft,  die  nicht  einmal  aus  großen  Tiefen  genommen  ist,  erfüllten  Räumen 
erhält  man  leicht  lonenmengen,  welche  die  in  den  über  dem  Boden  befindlichen 
Luftschichten  enthaltenen  um  das  Sechzigfache  übertreffen.  Die  rückströmende 
Luft  vermag  also  die  Wirkuns  der  aufsteigenden,  viel  ionenreichem  Luft  nur 
um  geringe  Beträge  zu  schwächen,  wiewohl  sie  reicher  an  +  Ionen  ist;  das  Ver- 
hältnis von  -h  Ladungen  zu  —  Ladungen  in  der  Atmosphäre  übersteigt  aber 
nur  selten  den  Wert  1.2  bis  1.6.  In  dem  Umstände,  daß  das  ionisierende  Agens 
unter  dem  Erdboden  liegt,  in  der  freien  Atmosphäre  über  demselben  aber  bei 
weitem  der  lonenverbrauoh  durch  Wiedervereinigung  den  der  lonenerzeugung 
(soweit  wenigstens  die  uns  sugängjichen  Luftschichten  in  Betracht  kommen) 
überwiegt,  liegt  es  begründet,  daß  der  Elektrisierungsprozeß  nicht  umkehrbar 
ist  bei  wechselndem  Luftdrucke.  In  dem  dauernd  strahlenden  Radiumvorrate 
der  Erdkruste  licet  hiemach  deren  negative  Ladung  gesenüber  der  positiven 
Lufthülle  von  An&ng  an  begründet;  der  zur  Trennung  der  Elektrizitäten  und 
damit  zur  Herstellung  des  Erdfeldes  dauernd  benötigte  Arbeitsaufwand  wird 
aus  dem  ung^euem  Eneigievorrate  der  atmosphärischen  Zirkulationen  mit 
gedeckt»  stammt  also  in  letzter  Tn«t«.n«  yon  der  Sonne  her. 

Bei  diesem  Erklärungsversuche  werden  in  natürlichster  Weise  die  £r- 
4wheinungen  des  atmosphärischen  PotentialgefäUes  in  innigste  Beziehungen 
zu  denjenigen  meteorologischen  Faktoren  gebracht,  mit  denen  schon  längst 
die  Beobachtungen  einen  innem  Zusammenhang  ahnen  ließen.  Soviel  ch 
sehe,  ist  dieser  Zusammenhang  tatsächlich  ein  solcher,  daß  er  durch  das  hier 
vomschlagene  ErUärungsprinzip  unmittelbar  verständlich  wird.  Freilich 
sindf  zur  v^gen  Klärung  der  Verhältnisse  noch  weitere  Studien  nötig.  Das 
eine  möge  schon  jetzt  hervorgehoben  werden:  Mehrfach  ist  bereits  auf  den 
eigentüindiohen  Piuallelismus  hingewiesen  worden,  der  zwieohen  der  täglichea 


328  Lnflalektriiitit. 

Periode  des  Lnftdrackes  und  derjenigen  der  LtiftelekMzitat  an 
Beobaohtungsorte  besteht,  und  zwar  sowohl  för  die  ein^M^he  wie  för  die  dapf^te 
tägliche  Periode.  Dieser  Zusammenhang  mußte  bei  allen  biafaerigeD  Kr- 
klärungsversnchen  unTerständlich  bleiben;  jetzt  wefden  beide  ElrsdieinBi^gen 
einfach  als  Ursache  und  Wii^ung  miteinaxider  verknüpft.  Freilich  darf  man 
nicht  auf  eine  vollkommene  zeitliche  Koinzidenz  der  Maxima  and  IGnima  der 
beiden  Wellen  bzw.  DoppelweUen  rechnen.  Es  ist  nicht  zu  vergesseii,  daß  die 
Luft,  wenn  sie  durch  großem  barometrischen  Druck  in  die  Erdkapillann  in 
reiohlieherer  Menge  hineingepreßt  wird,  hier  einen  großen  Wideistaiul  zu  über- 
winden hat.  Ebenso  wird  beim  Nachlassen  de«  außem  Druckes  das  Zmöck- 
strömen  der  Luft  namentlich  aus  den  tiefem,  emanationareicheni  S^diiditen 
ach  um  mehrere  Stunden  verspäten  können.  Da  es  aber  nach  der  hier  ver- 
tretenen Auffassung  auf  die  Strömungsgeschwindigkat  der  ioniaierteii  Loft 
durch  die  obem  Schichten  des  Bodenmateriales  ankommt,  so  mfinocm  sich 
Phasendifferenzen  zwischen  Ursache  und  Wirkung,  d.  h.  zwischen  LoftdmdL- 
kurve  und  Potentialkurve,  eigeben,  die  je  nach  den  örtlichen  Verhaltniiwnn  und 
der  Jahreszeit  verschiedene  Beträge  annehmen  können.  In  der  litecator 
finden  sich  bereits  zahlreiche  Beispiele  dafür. 

Ein  Körper,  der  w^;en  seines  lockern  Gefuges  und  wegen  seiner  von 
Wilson  und  Allen  entdeckten  andauernden,  wenn  auch  schwachen  Radio- 
aktivität das  geschilderte  Phänomen  in  besonderm  Maße  unterstützen  maß, 
ist  der  Schnee ;  er  kann  auch  bei  gefrorenem  Boden  selbst  als  wirkRamer  Ioni- 
sator auftreten;  vielleicht  erklären  sich  hieraus  die  veihätnianiaßig  hoben 
winteriichen  Potentialwerte  unserer  Breiten.  Natürlich  werden  andere  meteo- 
rologische Faktoren  modifizierend  eingreifen,  namentlich  der  Waaserdampf- 
gehalt  der  Luft.  Aber  gerade  die  kondensierende  Wirkung  iteier  lernen,  und 
zwar  das  größere  Kondensationsvermögen  der  negativen  Gasionen  gibt  hie' 
neue  Gesichtspunkte  an  die  Hand  mit  Rücksicht  auf  die  durch  ein  reiches 
Beobachtungsmaterial  gestützte  Beziehung  zum  Dampfdrucke." 

Die  Frage  ist  nur,  ob  die  Bodenluft  wii^ch  imstande  ist,  die  hier  ge- 
forderten negativen  Elektrisierungen  hervorzurufen.  Um  dies  zu  entscdietden, 
hat  Professor  Ebert  Versuche  mit  einem  von  ihm  erdachten  Apparate  angestellt, 
welche  durchaus  zugunsten  seiner  Erklärung  der  fortgesetzten  Regenerienu)^ 
der  negativen  Erdelektrizität  sprechen  und  auch  in  quantitativer  Hinsicht  als 
diese  bestätigend  anzusehen  sind.  Professor  Ebert  berechnet,  daß  bei  uns  die 
das  elektrische  Kraftfeld  aufrecht  erhaltende  Ursache  im  Sommer  pro  Quadrat- 
meter und  Tag  39  elektrostatische  Einheiten  liefem  muß.  Nehmen  wir,  sagt 
er  weiter,  zunächst  an,  daß  diese  Elektrizität  an  der  betreffenden  Stelle  aelbet 
erzeugt  würde  dadurch,  daß  Bodenluft  durch  den  betrachteten  Quadratmeter 
der  Erdoberfläche  nach  außen  hindurchträte.  Bodenluft,  die  im  Sommer  aus 
der  verhältnismäßig  geringen  Tiefe  von  1.4  m  unter  Rasen  entnommen  worden 
war,  zeigte  nach  nur  zweitägigem  Stagnierrai  in  einem  Räume  von  58  Litern 
einen  lonengehalt,  der  über  60  elektrostatische  Einheiten  Elektrizität  für  jedes 
Vorzeichen  im  Kubikmeter  repräsentierte.  Villari  hat  schon  früher  darauf  hin- 

£  »wiesen,  daß  ionisierte  Luft  sehr  rasch  ihre  Ladung  abgibt,  wenn  sie  durch 
nge  und  enge  Röhren  strömt,  und  namentlich  dann,  wenn  die  Röhrm  nicht 
gerade  sind,  sondern  gewunden,  so  daß  dieLuft  oft  an  die  Wände  stößt.  Deshalb 
läßt  sich  nur  schwer  ein  Urteil  darüber  gewinnen,  wie  viele  Ionen  ein  Knbik- 
meter  Bodenluft  im  Erdboden  selbst  enthält.  Noch  viel  weniger  läßt  si«^  ab- 
schätzen, welche  Blektrizitätsmenge  von  derselben  bei  ihrer  Wanderung  durch 
die  Erdkapillaren  an  die  Wände  derselben  abgegeben  wird,  denn  dies  hängt 
offenbar  sehr  von  der  Beschaffenheit  der  Bodenmaterialien  selbst  ab.  Für  die 
normale  Erdelektrizität  kommt  nur  der  Überschuß  an  Mektarizität  in  Betratet« 
den  die  negativen  Ionen  gegenüber  den  positiven  abgeben,  welche  letctere  ja 
in  der  Überzahl  in  die  freie  Atmosphäre  entweichen.  Zum  Vergleiche  zieht 
Professor  Ebert  die  in  dieser,  während  des  Sommers  bei  uns  in  der  Nahe  der 
Erdoberfläche   angetroffenen   Elektrizitätsmengen   selbst  in   Betracht.      Mit 


LufteldktrixiUt.  829 

K  Hilfe  dee  yon  ihm  konstniierten  AspiratioiiBapparates  lassen  sich  diese  Mengen 

^  mit  hinreichender  Genauigkeit  bestimmen.    „Es  ergeben  sich  im  Mittel  etwa 

K  0.37  elektrostatische  Einheiten  negativer  Elektrizität  und  0.55  Einheiten  posi- 

k  tiver  Ladung  im  Kubikmeter,  d.  h.  ein  Verhältnis  beider  von  rund  1.6  und  ein 

i  Ubersehuß  an  positiver  Liadung  von  0.18  Einheiten  pro  Kubikmeter.    Eine 

^  große  Zahl  von  Messungen  weist  darauf  hin,  daß  i.llerorten  die  Bodenluft  außer- 

?  ordentlich  viel  ionenreicher  als  die  Luft  der  freien  Atmosphäre  darüber  ist. 

1  Dies  hängt  damit  zusammen,  daß  nach  den  neuesten  Untersuchungen  von 

L  Elster  und  Geitel  die  selbststrahlende  Materie  überall  im  Erdboden  verteilt 

u  ist  und  gerade  im  verwitternden  Gesteine  besonders  gut  aufgeschlossen  zu  sein 

c  scheint.    Hier  wird  die  Luft,  die  dauernd  der  Becquerelstrahlung  der  aktiven 

i  Substanzen  ausgesetzt  ist,  enorm  hohe  lonenbeträge  annehmen  können,  deren 

Ladungen  freilidi  auf  dem  Wege  bis  zur  Oberfläche  (wenigstens  was  die  nega- 
tiven anbetrifft)  zum  allergrößten  Teile  an  die  Erde  selbst  wieder  abgegeben 
^  werden.    So  kann  man  im  Gebirge  auf  alten  Schutthalden  s^r  hohe  Beträge 

.  an  Emanation  erhalten  und  doch  nur  normale  lonenführuDg  in  der  Atmosphäre 

antreffen.     Solche  Oberflächenpartien  müssen  daher  besonders  viel  zur  nega- 
tiven Erdelektrisierung  beitragen.  Die  39  elektrostatischen  Einheiten,  die  wir  pro 
Tag  und  Quadratmeter  zur  Anfrechterhaltung  des  normalen  Erdfeldes,  wie 
'  oben  berechnet,  benötigen,  können  in  diesen  Gegenden  von  Bruchteilen  eines 

'  Kubikmeters  Bodenluft  geliefert  werden,  wie  sie  aus  dem  Boden  leicht  heraus- 

'  treten  können,  auch  wenn  der  Barometerstand  während  eines  Tages  nur  um 

einen  Millimeter  schwankt.  Freilich  wird  nicht  jedes  Bodenmaterial  für  diesen 
Regenerierungsprozeß  geeignet  sein ;  wir  werden  auf  der  Erdoberfläche  zwischen 
konsumierenden  und  zwischen  produzierenden  Partien  zu  unterscheiden  haben. 
An  den  Berggipfeln  und  Graten  wird  infolge  des  hohen  Potentialgefölles,  welches 
viele  +  Ionen  sammelt,  die  negative  Erdelektrizität  besonders  intensiv  neu- 
tralisiert werden;  in  den  Tälern,  Klüften,  Spalten  und  Höhlen  des  Felsgesteines, 
in  den  Trümmerfeldern  und  Schutthalden  mit  ihren  zahlreichen  Hohlräumen 
haben  wir  die  Stätten  zu  erblicken,  von  denen  aus  die  negative  Ladung  besonders 
reichlich  nachgeliefert  wird,  und  +  Elektrizität  in  die  Atmosphäre  übertritt. 
Es  ergibt  sich  also  ein  Zirkulationsprozeß,  bei  dem  positive  Ladungen 
in  den  Talpartien  in  das  Luftmeer  austreten,  auf  den  Höhengebieten  wieder  in 
den  Erdkörper  eintreten.  Es  scheint,  daß  dieser  Prozeß  unter  Umständen  im 
Erdstrome  seinen  Ausdruck  findet,  wenn  er  als  Zweigstrom  zu  dieser  Zirku- 
lation auftritt.  In  der  Tat  fließt  der  (positive)  Erdstrom  ja  im  allgemeinen 
vorwiegend  von  unten  nach  oben;  daher  auch  der  so  häufig  konstatierte  Pa- 
rallelismus zwischen  Erdstrom  und  luftelektrischen  Vorgängen. 

Auch  die  Vegetation  wird  einen  spezifischen  Einfluß  ausüben  können. 
Hier  bieten  sich  viele  neue  Fragen.  Indessen  zeigt  schon  dieser  erste  einfache 
Überschlag,  daß  auch  in  quantitativer  Beziehung  der  genannte  Diffusions- 
prozeß das  Erdfeld  dauernd  aufrecht  zu  erhalten  vermag. 

Die  tägliche  Sehwankung  der  EleliLtrizitätszerstrettttiig  in  der 
Atmosphäre  hat  Albert  Gockel  an  verschiedenen  Punkten  der  Schweiz 
und  Nordafrikas  gemessen,  ^)  wobei  er  sich  eines  Elster- Oeitelschen 
Apparates  bediente.  Die  Beobachtungen  in  Freiburg  (Schweiz)  er- 
gaben: 1.  Die  tägliche  Schwankung  der  Zerstreuung  äjidert  sich 
nicht  wesentlich  im  Laufe  des  Jahres ;  im  Winter  ist  sie  etwas  geringer, 
der  Gang  bleibt  aber  derselbe.  2.  Im  Verlaufe  des  Tages  zeigt  sich 
eine  doppelte  Schwankung,  die  beiden  Minima  liegen  vor  Auf-  und 
Untergang  der  Sonne,  die  beiden  Maxima  um  4^  und  10^  nachmittags ; 


1)  Archivee  des  soiences  physiques  et  nat.  1904  [4]  17.  p.  93. 


330  LoftelektriziaL 

zwischen  Mittag  und  3^  nachmittags  bemerkt  man  eine  leichte  De- 
pression. 3.  Das  Abendminimum  ist  für  die  Zerstreuung  poätiTer 
Ladungen  sehr  ausgesprochen,  so  daß  das  Verhältnis  der  ponÜToi 
zur  negativen  sein  Maximum  bei  Sonnenuntergang  erreicht.  In 
der  Regel  übersteigt  es  in  der  Ebene  nicht  sehr  die  Einheit. 

Messungen  auf  dem  Rothome  zeigten,  daß  die  Zerstreaung  ein 
Minimum  mittags  und  zwei  Mazima  um  6^  vormittags  und  6^  nach- 
mittags besitzt;  ähnliches  hatte  Saake  in  Arosa  gefunden,  wahnnd 
Le  Cadet  auf  dem  Montblanc  eine  ganz  andere  Kurve  erhidten  bat.  In 
Zermatt  begann  die  Zerstreuung,  sowie  die  Sonnenstrahlen  da 
Boden  erreichten  (gegen  0^),  zuzunehmen,  sie  blieb  dann  wahraid 
des  Tages  stationär  und  sank  schnell,  nachdem  die  Sonne  hinter  dm 
Bergen  verschwunden  war.  In  den  Oasen  war  das  Abendminimnm 
sehr  ausgesprochen,  und  auch  in  den  Morgenstunden  die  Zeretreoasg 
schwach,  während  sie  im  Laufe  des  Tages  stationär  war  und  an  der 
tunesischen  Küste  keine  tägliche  Schwankung  erkennen  ließ.  Biew 
Beobachtungen  zeigen  eine  nahe  Beziehung  der  Elektrizit&taur- 
Streuung  zum  Gange  der  relativen  Feuchtigkeit.  Beim  Maximiun 
der  relativen  Feuchtigkeit,  das  am  Morgen  eintritt,  zeigt  sich  das 
Minimum  der  Zerstreuung,  und  dem  Minimum  der  relativen  Feuchtig- 
keit entspricht  das  Maximum  der  Zerstreuung.  Ausnahmen  laasen 
sich  durch  eine  gelegentUche  Wahrnehmung  Gockels  erklaren,  nach 
welcher  ein  leichter,  vom  Boden  aufsteigender  Nebel  eine  Abnahme 
der  positiven  Zerstreuung  bewirkte,  indem  er  die  Beweglichkeit  der 
negativen  Ionen  verringerte.  Die  in  der  Nähe  des  Bodens  sich  ab- 
spielenden Vorgänge  beeinflussen  also  die  Leitfähigkeit  der  Uft 
sehr  bedeutend  und  erzeugen  das  experimentell  leicht  nachweiahan 
Verhältnis  zwischen  Elektrizitätszerstreuung  und  Luftfeuchtig^t, 
sowie  den  täglichen  Gang  beider.  Dieser  EinQuß  reicht  jedoch  nicht 
bis  zu  den  höchsten  Stationen,  wodurch  die  Beobachtungen  Le  Cadeto 
auf  dem  Montblanc  erklärt  werden. 

Die  Elektrldtätsierstreaimg  in  der  Atmosphäre  ist  von  P.  Oennak 
in  Innsbruck  während  eines  Zeitraumes  von  16  Monaten  bestimmt 
worden.  ^)  Es  ergab  sich,  daß  sie  einen  deutlichen  jährlichen  GaQg 
besitzt,  indem  im  Winter  die  kleinsten  Werte  auftreten,  zum  Sommer 
hin  zunehmen,  dann  längere  Zeit  gleich  bleiben,  im  Herbste  langsam 
abnehmen  und  bei  Eintritt  der  Winterkälte  und  des  Schneee  ad  ibr 
Minimum  sinken.  Ebenso  deutlich  ist  der  tägliche  Gang  mit  ^^ 
auffälligen  Minimum  zwischen  11^  und  12**  und  bei  einem  Maxiffl"'*^ 
zwischen  3**  und  5^.  Bei  Föhnwinden  steigt  die  Zerstreuung  «. 
am  deutlichsten  in  den  Wintermonaten;  die  größten  Werte  aw'' 
erreicht  sie  bei  starker  Kumulusbildung  und  Gewittern,  also  bei  atanwir 


^)  Denksohr.  d.  k  k.  Akad  d.  Wies,  in  Wien  74  p.  55. 


Optische  Enohdinungen  der  Atmosphäre.  331 

;^'  aufsteigender  Luftbewegung.    Korrespondierende  Beobachtungen  in 

—  der  Höhe  ergaben  die  bekannte  Zunahme  der  Zerstreuung  mit  starkem 

"^  Überwiegen  der  negativen,  sowie  eine  Verschiebung  des  mittagigen 

^  Minimums  und  nachmittägigen  Maximums. 

Das  Spektrum  des  Nordlichtes.  Prof.  Paulsen  hatte  früher  darauf 

^  hingewiesen,  daß  das  Spektrum  des  Nordlichtes  sehr  ähnlich  sei  dem 

'^  Spektrum  des   negativen  Lichtes   in  einer   mit    sehr  verdünntem 

''■-  Sauerstoff,     Stickstoff    und    Kohlenoxyd    gefüllten     Geißlerschen 

-'  Röhre.    Prof.  Runge  bemerkte  später,  daß  diese  Ähnlichkeit  nicht 

^ '  groß  sei,  daß  dagegen  das  Spektrum  des  Ejryptons  und  des  Nordlichtes 
sehr  große  Ähnlichkeit  zeigen.    Zum  Beweise  gab  er  eine  Tabelle  der 

"*■■'  Wellenlängen  von  Spektnülinien  des  Nordlichtes  und  solche  des 

o  Kryptons,   meinte   aber,   daß   erst  genauere  Messungen  des  Nord- 

rt  lichtspektrums  eine  Entscheidung  geben  könnten.    Unlängst  hat  nun 

3  Sykora  einige  Messungen  der  WeUenlängen  von  Linien  des  Nordlicht- 

^  Spektrums  nach  photographischen  Aufnahmen  auf  Spitzbergen  im 

%  Winter  1899  veröffentlicht,  ^)  und  E.  C.  Baley  hat  dieselben  mit  seinen 

li,  Wellenlängenmessungen    von    Linien    des    Kryptonspektrums    bei 

r  niedrigem  Gasdrücke  verglichen.*)   Es  ergab  sich,  daß  dieses  letztere 

^  mit  dem  Nordlichtspektrum  die  engste  Übereinstimmung  zeigt,  so 

^5  daß  kaum  noch  zweifelhaft  bleibt,  daß  im  Nordlichtspektrum  das- 

f  jenige  des  sehr  verdünnten  Kryptons  erscheint. 


Optische  Erscheinungen  der  Atmosphäre. 

IMe  Intensität  der  dureh  die  Sonne  hervorgerufenen  Beieuchtung 

wurde  von  Charles  Fabry  photometrisch  bestimmt.')  Bezüglich 
der  Beobachtimgsmethoden  muß  auf  das  Original  verwiesen  werden. 
Die  Messungen  ergaben,  daß  die  von  der  Sonne  im  Zenit  bei  mitt- 
lerer Entfernung  von  der  Erde  am  Meeresniveau  hervorgebrachte 
Beleuchtung  100  000  mal  so  groß  ist  wie  die  einer  Dezimalkerze  in 
1  m  Abstand.  Wenn  man  nun  annimmt,  daß  die  scheinbare  Hellig- 
keit der  Sonnenscheibe  eine  gleichmaßige  ist,  so  folgt  daraus,  daß 
1  qmm  der  Sonnenscheibe  normal  eine  Lichtintensitat  aussendet, 
welche  nach  der  Absorption  durch  die  Atmosphäre  der  von  1800  Kerzen 
gleicht.  In  Wirklichkeit  aber  ist  der  Rand  weniger  hell  als  die  Mitte, 
so  daß  diese  Zahl  ein  Minimum  darstellt.  Zum  Vergleiche  führt 
Verf.  an,  daß  die  Intensität  des  positiven  Kraters  im  elektrischen 
Lichtbogen  160  bis  200  Kerzen  pro  Quadratmillimeter  betragt. 


1)  Aoad.  So.  St.  Petenbourg.    M6m.  XI.  9.  1. 
*)  Astrophysio.  Journal  lt.  Nr.  3. 
*)  Compt.  rend  IST.  p.  973. 


3S2  OptiBehe  Enohelnnacen  der  Atmosplifire. 

Oker  neue  Retraktloiistafeln  machte  Dr.  L.  de  Ball  Mittoilaiig.  ^) 
Die  Berechnung  der  Korrektionen,  welche  za  der  mittlem  RefraktioQ 
hinzugefügt  werden  müssen,  um  die  dem  heobachteten  Barometer- 
und  Thermometerstande  entsprechende  Refraktion  zu  erhalten,  ist 
hekanntlich  ziemlich  beschwerlich.  Diese  Schwierigkeit  wird  aber 
aus  dem  Wege  geräumt  und  die  Rechnung  sehr  leicht  gemacht, 
wenn  man  nach  den  Vorschlägen  von  Dr.  de  Ball  zunächst  die  dem 
beobachteten  Barometer-  und  Thermometerstande  entsprecheode 
Dichtigkeit  der  Luft  bestimmt.  Denn  da  die  für  eine  gegebene  Zeoit- 
distanz  gültige  Refraktion  hauptsächlich  von  der  Dichtigkeit  der  Loft 
abhängt,  so  kann  man  eine  Tafel  berechnen,  aus  der  man  mit  den 
Argumenten  Luftdichtigkeit  und  Zenitdistanz  gleich  die  bis  auf 
eine  kleine  Temperaturkorrektion  richtige  Refraktion  entnehmen 
kann.  Über  diese  Temperaturkorrektion,  welche  selbst  bei  75° 
Zenitdistanz  nur  0.3''  betragen  und  ohne  Mühe  aus  einer  Tafel  ent- 
nommen werden  kann,  verbreitete  sich  der  Verf.  ebenfalls  und  gibt 
auch  ein  Beispiel  dafür,  wie  sich  die  Berechnung  der  Refraktioa 
nach  den  neuen  Tafeln  gestcJtet. 


Die  Extinktion  des  Liehtes  in  der  Erdatmosphäre  bildete  deo 

Gegenstand  einer  mathematisch-physikalischen  Untersuchung  von 
Dr.  A.  Bemporad.  *)    Der  Verf.  bemerkt  einleitend : 

„Ein  mit  der  astronomischen  Strahlenbrechung  sehr  verwandtes 
Problem  ist  das  der  Extinktion  des  Lichtes  in  der  Erdatmosphaie. 
Während  wir  aber  von  Kepler  bis  Radau  eine  große  Zahl  von  Theorien 
der  Refraktion  verzeichnen  können,  fehlt  es  bis  jetzt  überhaupt  an 
einer  Theorie  der  Extinktion  des  Fixstemlichtes,  welche  mit  ähn- 
licher Strenge  und  Vollständigkeit  wie  die  erstem  entwickelt  ist. 
Dies  kann  überraschen,  wenn  man  das  immer  mehr  sich  steigernde 
Interesse  bedenkt,  welches  die  photometrischen  BeobachtongeD 
seit  Jahrzehnten  genießen,  und  noch  mehr,  wenn  wir  die  bis 
jetzt  entwickelten  Theorien  der  Extinktion  mit  den  umfang- 
reichen Beobachtungsarbeiten  auf  demselben  Gebiete  vergleichen. 
Eine  oft  wiederholte  Meinung  ist,  daß  man  durch  astronomische 
Refraktionsbeobachtungen  Aufschluß  über  die  Konstitution  der 
Atmosphäre  gewinnen  könne.  Es  liegt  nun  nahe,  daß  man  in 
dieser  Beziehung  noch  mehr  von  der  Extinktion  erwarten  kann, 
welche  im  Zusammenhange  mit  dem  atmosphärischen  Zustande 
unvergleichlich  größere  Veränderungen  als  die  Refraktion  eri^et. 
Die  Möglichkeit,  hierduch  manches  neue  Resultat  zu  erhalten,  ist 
u.  a.  durch  des  Verf.  neuere  Bearbeitung  der  Müllerschen  Extink- 


^)  Circular  von  der  Knffnerscben  Sternwarte  1904. 
>)  Mitteil.  d.  Großh.  Sternwarte  zu  Heidelberg  (ArtronoiiiiBches  Institut) 
1904.  IV. 


OptiBohe  Enoheinungen  der  Atmoephire.  333 

tionsbeobachtungen  (am  Säntis)  wahrscheinlich  gemacht;  daß  wich- 
tigere Ergebnisee  aus  jahrelangen  Beobachtungen  zu  erwarten  sind, 
ist  keine  zu  gewagte  Hoffnung.  Zu  einer  genauen  Bearbeitung 
solcher  Beobachtungen  ist  aber  eine  physikalisch  gut  begründete 
Theorie  der  Extinktion  des  Lichtes  unumgänglich.  Einen  Beitrag 
zu  einer  solchen  in  der  für  die  Praxis  bequemsten  Form  zu  liefern, 
ist  der  Zweck  der  vorliegenden  Arbeit.  Verf.  betont,  daß  die  hier 
vorgeschlagene  Theorie  nur  als  eine  erste  Aimäherung  der  Auflösung 
eines  sehr  verwickelten  Problemes  anzusehen  ist.  Folgendes  ist  ein 
kurzer  Überblick  über  den  Inhalt  der  vorliegenden  Untersuchung. 

Im  ersten  Kapitel  wird,  von  dem  Bouguerschen  Absorptions- 
gesetze ausgehend,  das  Problem  der  Extinktion  in  etwas  allgemeinerer 
Form,  als  es  bis  jetzt  übhch  war,  aufgestellt,  femer  eine  strengere 
Definition  und  Darstellung  der  wichtigen  Funktion  F  (z)  (die  sogen. 
Weglänge  der  Lichtstrahlen)  gegeben.  Kapitel  2  gibt  eine  kritische 
Übersicht  der  bis  jetzt  entwickelten  Theorien  der  Extinktion  mit 
besonderer  Erwähnung  der  Bouguerschen,  Lambertschen  und 
Laplaeeschen  Theorien  und  der  Hausdorffschen  Untersuchungen. 
Im  dritten  Kapitel  werden  die  Hypothesen  von  Ivory  und  Schmidt 
über  die  Konstitution  der  Atmosphäre  zu  einer  Reihe  von  Versuchs- 
berechnungen angewandt.  Nach  den  Ergebnissen  der  neuesten 
wissenschfi^tlichen  Luftfahrten  (Aßmann  und  Berson)  gibt  die 
Schmidtsche  Hypothese  einer  gleichförmigen  Abnahme  der  Tem- 
peratur mit  der  Höhe  die  beste  Darstellung  der  beobachteten  Werte 
der  Temperatur.  Letztere  Hypothese  wird  daher  in  der  hier  ent- 
wickelten Theorie  schließlich  angenommen.  Praktisch  geben  aber 
die  Ivorysche  und  die  Schmidtsche  Hypothese  genau  dieselben 
Werte  der  Extinktion,  während  die  Laplacesche  Theorie  bei  z  =  87^ 
um  0.1  Größenklasse  von  der  strengen  Berechnung  abweicht. 
Auf  Grund  der  durchgeführten  Berechnungen  werden  nebenbei  zwei 
Sätze  über  die  Abhängigkeit  der  Extinktion  von  dem  Temperatur- 
gradienten mit  der  Höhe  aufgestellt.  Kapitel  4  enthält  die  eigent- 
liche, hier  vorgeschlagene  Theorie,  d.  h.  die  analytische  Entwicklung 
der  Funktion  F  (z).  Im  fünften  Kapitel  wird  endlich  der  Einfluß 
der  geographischen  Lage  des  Beobachtungsortes,  femer  der  Tem- 
peratur- und  Druckschwankungen  auf  die  Extinktion  untersucht. 
Zum  Schlüsse  sind  verschiedene  Tafeln  beigegeben,  worunter  die 
Tafeln  I  bis  XXIV  zur  Berechnimg  der  Extinktion  dienen,  während 
die  folgenden  Integraltafeln  die  Werte  von  verschiedenen  hier  vor- 
kommenden Integralen  wiedergeben. 

Die  vom  Veif .  gegebene  Tafel  der  mittlem  Extink- 
tion folgt  hier.  Es  ist  dabei  der  Transmissionskoeffizient  =  0.835 
(nach  Müller)  angenommen,  und  übrigens  gelten  die  Angaben  für 
0^  Temperatur  und  760  mm  Barometerstand  im  Meeresniveau; 
z  bezeichnet  die  Zenitdistanz  und  E  die  Extinktion  des  Stemen- 
lichtes  in  Größenklassen. 


334  OptiMhe  Ersohelniiiigeii  der  Atmoophftre. 

Wittere  Bztiiiktton  (bei  0^  und  760  m^n  am  MeeroBiiivean). 


M 

-  1 

8 

E 

M 

E 

m 

s 

0 

m 

0 

«      " 

0 

«Pt 

'  . 

•i 

0 

0.000      . 

73 

0.468 

82.6; 

1.251 

Isö.s 

2.149 

5 

0.001     ; 

74 

0.607       ; 
0.661       1 

82.7 

1.269 

i85.9 

2.194 

10 

0.003       1 
0.007       ! 

76 

82.8 

1.287 

86.0 

2.240 

16 

76 

0.602 

82.9 

1.306 

|!86.1 

2.288 

20 

0.013      i 

77 

0.660       > 

83.0 

1.325 

865 
<86.3 

2.338 

26 

0.020       i 

78 

0.728       i;  83.1  I 

1.345 

2.388 

90 

0.030       ' 

79 

0.807       l 

83.2 

1.366 

J86.4 

2.443 

36 

0.043 

80.0 

0.901     ; 

83.3 

1.386 

86.5 

2.499 

40 

0.060 

80.1 

0.911 

83.4 

1.407 

866 

2.657 

46 

0.081 

180.2 

0.922       1 

i83.6 

1.429 

86.7 

2.617 

60 

0.108 

80.3 

0.933 

183.6 

1.461 

186.8 

2.680 

61 

0.116 

80.4 

0.943 

183.7 

1.474 

,86.9 

2.745 

62 

0.122 

80.6 

0.954 

83.8 

1.498 

87.0 

2.813 

63 

0.129 

80.6 

0.966 

|83.9 

1.522 

'87.1 

2.884 

64 

0.137 

80.7 
80.8 

0.977 

84.0 

1.547 

'87.2 

2.957 

66 

0.146 

0.989 

184.1 

1.673 

)87.3 

3.033 

66 

0.163 

80.9 

1.001 

i84.2 

1.599 

187.4 

3.113 

67 

0.163 

81.0 
81.1 

1.014 

84.3 

1.636 

87.5 

3.197 

68 

0.173 

1.026 

84.4 

1.654 

87.6 

3.284 

60 

0.183 

81.2 

1.039 

184.5 

1.683 

87.7 

3.376 

60 

0.106 

181.3 

1.062 

184.6 

1.712 

87.8 

3.4» 

61 

0.207 

81.4 

1.066 

84.7 

1.743         , 

87.9 

3.573 

62 

0.220 

81.6 

1.079 

84.8 

1.774         i 
1.806 

88.0 

3.678 

63 

0.234 

|81.6 
'81.7 

1.093 

84.9 

88.1 

3.788 

64 

0.249 

1.107 

86.0 

,       1.839         ,, 

88.2 

3.9M 

66 

0.266 

81.8 

1122 

86.1 

1.874         i 

88.3 

4.026 

66 

0.283 

1  81.9 

1.137 

86.2 

1.909 

88.4 

4.154 

67 

0.303 

82.0 

1.162 

85.3 

1.946         i! 

88.5 

4.289 

68 

0.324 

:82.i 

1.168 

86.4 

1.984 

88.6 

4.431 

60 

0.347 

82.2 

1.184 

|86.5 

2.024         , 

88.7 

4.681 

70 

0.373 

:82.3 

1.200 

85.6 

2.065 

888 

4.739 

71 

0.401 

'82.4 

1.217 

86.7 

2.106         { 

88.9 

4.906 

72 

0.432 

82.6 

1.234 

85.8 

2.149         ,  89.0  j 

6.082 

73 

0.468 

l82.6 

1.251 

1 

M 

1 
1 

Es  ergibt  sich  hieraus,  daß  die  Extinktion  in  der  Erdatmo^häre 
die  Helligkeit  eines  Sternes  vom  Zenit  bis  zu  1°  über  dem  Horizonte 
um  volle  fünf  Größenklassen  vermindert. 

Das  Wiedersichtbarwerden  des  Bishopschen  Ringes  im  Jahie  1903 
ist  von  F.  A.  Forel  konstatiert  worden,  ^)  und  A.  Wolf  in  Heidelberg 
hat  es  bestätigt.^)  Offenbar  wurde  die  Erscheinung  durch  Licht- 
beugung  an  feinem  bis  in  die  höchsten  Regionen  der  Atmosphäre 
geschleuderten  Staube  (Asche  der  westindischen  Vulkaoausbruche 
des  Mai  1902)  verursacht.  In  Heidelberg  konnte  der  Ring  das  ganxe 
Jahr  über  gut  gesehen  werden.     Der  Radius  der  hellen   Scheibe 


1)  Compt.  rend.  138.  p.  688. 
<)  Sirius  37.  p.  203. 


KlimatologiseheB  und  Wetterprognosen.  335 

um  die  Sonne  (innerer  Rand  des  braunen  Ringes)  betrug  am  An- 
fange des  Jahres  12.5°,  Ende  August  10°.  Der  Durchmesser  der  hellen 
Scheibe  um  den  Mond  wurde  im  Februar  durch  Anschluß  an  Sterne 
zu  18.6°  bestimmt.  Die  vulkanischen  Dämmerungserscheinungen, 
bemerkt  Prof.  Wolf,  traten  wie  im  Vorjahre  wieder  periodisch  auf, 
so  daß  wohl  kein  Zweifel  mehr  besteht,  daß  der  Staub  sich  in  ein- 
zelnen großen  Wolken  um  die  Erde  bewegt.  Nachdem  das  ganze 
Frühjahr  hindurch  kaum  auffallende  Dämmerungserscheinungen 
aufgetreten  waren,  entwickelten  sie  sich  ganz  plötzlich  um  den 
3.  August  1903  zu  großer  Pracht.  Nach  einer  kurzem  Pause  traten 
sie  Ende  August  und  Anfang  September  wieder  in  noch  nie  gesehener 
Schönheit  und  Intensität  auf,  prächtiger  als  1884.  Besonders  am 
30.  und  31.  August  und  am  1.  September,  und  zwar  ebensowohl 
abends  als  morgens,  war  das  Phänomen  unbeschreiblich  großartig, 
und  es  konnten  mehrere  vollständige  Beobachtungsreihen  erhalten 
werden.  Damach  nahm  die  Intensität  der  Erscheinungen  rasch 
ab,  und  sie  verschwanden  gegen  den  8.  September.  Am  23.  Sep- 
tember begann  abermals  eine  aber  viel  schwächere  Periode  für  wenige 
Tage.  Die  nächsten  Perioden  gruppierten  sich  um  den  6.  und  7.  Ok- 
tober, dann  um  den  19.  und  20.  Oktober  und  zuletzt  um  den  9.  No- 
vember. Seither  wurde  keine  vulkanische  Dämmerung  mehr  beob- 
achtet. 

Klimatologisches  und  Wetterprognosen. 

!  Die  Klimatographie  von  Osterreich.    Auf  Anordnung  der  k.  k. 

I  Regierung  wird  in  einem  monumentalen  Werke  auf  Grund  50jähriger 
i  Beobachtungsergebnisse  eine  eingehende  Darstellung  des  Klimas 
\  der  verschiedenartigen  Teile  Österreichs,  d.  h.  der  im  Reichsrate 
vertretenen  Königreiche  und  Länder,  erscheinen.  Es  wird  dabei  zu* 
nächst  in  Monographien  das  EJima  der  einzelnen  Länder  behandelt 
und  in  einem  Schlußbande  später  eine  zusammenfassende  Übersicht 
der  klimatischen  Verhältnisse  von  ganz  Osterreich  gegeben  werden. 
Von  den  Monographien  ist  die  erste  „KUmatographie  von  Nieder- 
österreich" von  J.  Hann  jetzt  erschienen.  ^)  Der  Altmeister  der 
Klimatologie  gibt  darin  eine  vorbildhche  Behandlung  des  Stotfes, 
wobei  er  indessen  betont,  daß  über  manche  klimatologische  Er- 
scheinungen noch  keine  genügenden  Beobachtungen  vorliegen.  Aus 
dem  ÜberbUcke  über  das  Klima  von  Niederösterreich,  den  Verf. 
dem  speziellen  Teile  vorauf  schickte,  sei  folgendes  hervorgehoben: 

„In  bezug  auf  seine  Wärmeverhaltnisae  liegt  Niederöeterreioh  im  Gebiete 
der  Jahresiflotherme  von  10^  (im  Meereeniveau  oder  ca.  9^  im  Niveau  von  200  m ), 
der  Januariflothermen  von  1 —  bis  —  2®,  und  der  Juliisothermen  von  20  bis  2 P 
(im  Meeresnivean ;  auf  je  200  m  Zunahme  der  Seehöhe  kann  man  rund  l^  Ab- 
nahme der  Temperatur  annehmen) ;  die  mittlere  Jahressoh wankung  der  Wärme 

^)  Wien  1904.    In  Kommission  bei  W.  Braumuller. 


336  KlimttologifloheB  and  WettarprognoBon. 

ist  in  den  niedrigem  Lagen  20  bis  21<^  abnehmend  mit  der  Seehöhe»  die  nutden 
Jahrefleztreme  der  Temperatur  aber  liegen  40  bis  60^  anB^naoder  (in  da 
warmem  Teilen  ist  die  durchschnittliche  größte  Kalte  im  Jahre  etwa  —  l'^, 
in  den  kaitesten  — 20®,  die  durchschnittlichen  höchsten  Grade  der  Sommer- 
warme  aber  liegen  zwischen  33  bis  26^;  die  gröBten  Wärm^;rade  sind  stete 
gleichmäßiger  verteilt  als  die  größten  Winterkaltegrade).  In  den  kalteirtei 
(noch  bewohnten)  Teilen  Niederösterreichs  kommen  Ten^eratnrmininia  adh« 
unter  —  30<>  (wenn  auch  selten)  vor,  so  im  nördlichen  Teile  des  Waldviert^ 
und  in  einigen  besonders  kalten  Alpentalem  in  größerer  Höhenlage.  Dk 
höchsten  Wärmegrade  überschreiten  (auch  selten)  36^. 

Die  Temperaturschwankungen  innerhalb  eines  Monates  sind  (leicht  be- 
greiflicherweise) zumeist  im  März  am  größten,  wo  sie  20  bis  25*^,  in  eimgei 
extremen  Alpentalem  selbst  20^  erreichen  können.  Im  allgemeinen  halten  mk 
die  Temperaturextreme  eines  Monates  innerhalb  20  bis  22<*. 

Die  mittlere  tägUche  Wärmeänderung  betragt  in  Wien  im  Jahresmitld 
7.2,  im  Dezember  4.2,  im  Juli  und  August  9.1®.  Temperaturanderungen  Yon  \9 
kommen  recht  selten  vor,  doch  sind  auch  solche  von  20®  schon  eingetretaD. 
In  einigen  Alpentalem  von  900  bis  1000  m  Seehöhe  (Lahnsattel,  Nenhaos  tm 
Zellerrain)  kommen  auch  im  Winter  sehr  große  mittlere  Tageeschwankungea 
der  Temperatur  vor.  Plötzlich  eintretendes  Tauwetter  im  Winter  nach  großer 
Kalte  Oder  nach  sehr  heißen  Nachmittagen  rasch  hereinbrechende   Stnm- 

Switter  bringen  die  größten  Temperaturanderungen  im  Laufe  eines  Tages. 
ie  sommerlichen  Abkühlungen  werden  viel  empfindlicher  eefühlt  als  die  ge> 
legentlichen  winterlichen  raschen  Erwärmungen,  infolge  aer  leichtem  Be- 
kleidung und  der  großem  Empfindlichkeit  der  Haut  zur  wannen  Zeit. 

Ein  wichtiges  klimatisches  Element  ist  auch  die  Veränderlichkeit  der 
Temperatur  von  einem  Tage  zum  nächsten,  ausgedrückt  durch  die  THÜenai 
der  sich  folgenden  Tagesmittel  der  Temperatur. 

In  Wien  speziell  gibt  es  im  Sommer  (Mai  bis  August)  viel  häufiger  starke 
Abkühlungen  als  Erwärmungen.  Tage  mit  einer  Änderung  der  Mitteltempetatar 
von  4  bis  9^  und  8  bis  10^  und  darüber:  Erwärmungen  4.1  und  0.0,  Sunune  4.1, 
Erkaltungen  8. 1  und  0.7,  Summe  8.8.  In  den  Monaten  Mai  bis  August  kommen 
also  durchschnittlich  etwa  neun  Tage  jährlich  vor  mit  einer  Abkühlung  von  4 
bis  10<>.  Änderungen  der  Tacesmittel  der  Temperatur  über  10<^  (von  einem 
Tage  zum  nächsten)  haben  im  Jahre:  Wien  an  1.1,  Gutenstein  anO.4,  Reichenaa 
an  1.9,  Schneeberg  in  1400  m  an  3.2,  Rorregg  an  0.6,  Graßbach  an  1.4,  Ueb^iaii 
an  1.2  Tagen. 

Um  eine  richtige  Vorstellung  von  den  Wärmeverhältnissen  eines  landet 
zu  gewinnen,  muß  man  neben  den  mittlem  Temperaturen  der  Monate  und  der 
Jahreszeiten  auch  die  Grenzen  kennen,  innerhalb  welcher  sich  dieee  Tempe- 
raturen während  eines  großem  Zeitraumes  gehalten  haben.  Um  in  diesem 
Sinne  für  Niederösterreich  den  Wechsel  der  TemperaturverhältniBBe  nicht  bloß 
im  allgemeinen  beurteilen  zu  können,  sondern  auch  die  milden  und  strengen 
Winter,  die  heißen  und  kühlen  Frühlings-  und  Sommermonate  usw.  spesidl 
nach  ihren  Wärmegraden  kennen  zu  lernen,  hat  Verf.  eine  Tabdle  der  Ab- 
weichungen der  einzelnen  Monats-  und  Jahrestemperaturen  von  dem  fnnhig- 
jährigen  Mittel  1851/1900  für  Wien  beigegeben.  Diese  Abweichungen  dürfen 
mit  nicht  zu  großen  Fehlem  für  Niederösterreich  überhaupt  als  gültig  ange- 
sehen werden. 

Die  Luftfeuchtigkeit  ist  im  ganzen  Lande  ziemlich  gleichmäßig  hoch, 
nur  im  Frühjahre  bei  anhaltenden  Ostwinden  tritt  zuweilen  eine  größere  relative 
Trockenheit  ein,  mehr  vorübergehend  auch  im  Hochsommer  und  Herbste.  Auch 
die  Bewölkung  zeigt  relativ  geringe  Unterschiede  und  schwankt  in  den  Monats- 
mitteln zwischen  70  und  80%  der  Himmelsfläche  von  November  bis  Januar 
und  46  bis  50%  ün  August  und  September. 

Eins  der  wichtigsten  klimatischen  Elemente,  die  Verteilung  der  Nieder- 
schlagsmengen, wird  durch  eine  Regenkarte  von  Niederösterreioh  illustriert. 


Elioiatologiflohes  und  Wetterprognosen.  337 

-welche  die  Linien  gleicher  Niederschlagsmengen  (Isohyeten)  in  Zentimetern 
enthält.  Zur  Herstellung  dieser  ELarte  mußten  die  von  dem  k.  k.  hydro- 
'Seraphischen  Zentralbureau  publizierten  Ergebnisse  der  Begenmessungen 
<gro0tenteils  1896  bis  1900)  herbeigezogen  werden,  ohne  welche  die  Herstellung 
^iner  Regenkarte  nicht  tunlich  gewesen  wäre.  Die  Jahressummen  wurden 
samtlich  auf  die  zwanzigjährige  Periode  1881  bis  1900  reduziert. 

Die  größten  Tages-  und  Stundensummen  des  Niederschlages  erreichen 
1X1  Niederosterreich  betrachtliche  Höhen.  Die  größten  Tagesmengen  fallen 
i^ast  stets  bei  Landreffen,  wahrend  die  größten  Stundenmengen  (und  Mengen 
pro  Minute  namentlich)  bei  kurzen  Platzregen  oder  Gewitterregen  fallen. 

In  Wien  selbst  waren  die  größten  Tagesmengen:  97.3  mm  vom  28.  bis 
29.  JuU  1882;  15.  bis  16.  Mai  1885  139.3  mm;  20.  bis  21.  Juni  1886  109.7  mm, 
sämtlich  aU  Landregen  bei  Weststurm,  unter  dem  Einflüsse  eines  Bitfometer- 
ininimnms  über  der  Adria,  das  nach  Ungarn  heraufzieht.    Vom  15.  bis  16.  Mai 

1885  fielen  in  24  Stunden  22%,  also  fast  ein  Viertel  der  normalen  jährlichen 
Niederschlagsmenge!  Die  Stationen  des  Wienerwaldes  haben  noch  größere 
rragesmengen  aufzuweisen.  Zum  Beispiel  Hadersdorf  am  12.  Mai  1881  über 
175  mm  Regen  und  Schnee  (Regenmesser  vielleicht  übergelaufen),  20.  Juni 

1886  114  mm,  29.  Juli  1897  188  mm  Zu  erwähnen  wäre  noch  der  Schneesturm 
vom  3.  November  1878,  der  97  mm  Wasser  lieferte.  Der  29.  Juli  1897  lieferte 
große  Tagesmazima:  Tullnerbach  182  mm,  Prebrunn  und  Preßbaum  156  und 
xind  154  mm,  St.  Corona  an  der  Triesting  166  mm,  Rohr  im  Gebirse  157  mm, 
Sohwarzenbach  an  der  Pielach  163  mm,  Frankenfels  an  der  Pielaoh  193  mm. 
Die  Maxima  bei  der  Regenzeit  und  Hochwasserperiode  in  der  ersten  Hälfte 
des  September  1899  waren:  Am  12.  September  fielen  zu  Lackenhof  218  mm, 
Oaming  217  mm,  Frankenfels  136  mm,  St.  CSorona  an  der  Triesting  106  mm. 
Dagegen  überschritten  die  Tagesmazima  der  Gebirgsstationen  nicht  100  mm: 
Outenstein  1873/1900  absolutes  Maximum  78  mm,  22.  Juni  1874;  Reichenau 
1877/1900,  98  mm  am  28.  Juni  1882;  Schwarzau  im  Gebirge  1882/1900,  98  mm 
am  12.  September  1899;  Lahnsattel  (mit  157  cm  Jahresmenge)  Maximum  der 
Periode  1886/1898,  103  mm  am  29.  Juli  1897  (Monatesumme  416  mm),  d.  i.  nur 
6.6%  der  Jahresmenge. 

Die  größten  Stundenmengen  können  in  Niederösterreich  60  mm  zuweilen 
überschreiten.  Da  diese  Mengen  fast  nur  den  Registrierungen  des  Regenfalles 
entnommen  werden  können,  so  beliehen  sie  sich  zumeist  auf  die  letzten  Jahre. 

Der  Gewitterregen  vom  1.  August  1896  lieferte  zu  Mariabrunn  von  l^  45' 
bis  2>>  45'  61.3  (Im  ganzen  80  mm),  in  der  Hinterbruhl  fielen  34.2  mm  in  24', 
Laarbeig  hatte  82  mm  von  2  bis  3b  (etwas  fraglich).  Einige  der  größten  Regen- 
mengen in  kurzer  Zeit  in  Wien  selbst  sind:  Am  3.  Juli  1891  fielen  in  1  Stunde 
30  mm,  und  davon  10  mm  in  sechs  Minuten;  der  Hagelfall  am  7.  Juni  1894 
lieferte  in  20  Minuten  in  Mariabrunn  37.4  mm,  am  Westbahnhof  36,  und 
37.3  mm  auf  der  Schmelz  in  15  Minuten.  Am  3.  Juli  1895  lieferte  ein  Gewitter- 
regen auf  der  H(^en  Warte  26.5  mm  in  20  Minuten,  davon  20.0  mm  in  12  Mi- 
nuten. Regenmengen  von  ca.  2  mm  pro  Minute  gehören  su  den  größten,  die 
für  Niederösterreich  bisher  nachgewiesen  worden  sind. 

Das  Maximum  der  Häufigkeit  der  Gewittertage  fallt  auf  den  Juli,  im 
Winterhalbjahre  sind  Gewitter  sehr  selten,  am  seltensten  in  den  Alpentalem. 

Auch  die  Häufigkeit  der  Gewittertage  unterliegt  großen  Schwankungen. 
In  Wien  waren  die  extremen  Zahlen  30  1868  und  31  1892,  dann  10  1859,  1869, 
1880.    Der  August  1890  hatte  zwölf  Getrittertage,  der  Juni  1853  deien  acht. 

Im  allgemeinen  hat  ganz  Niederösterreich  sehr  gleichförmige  Wind- 
verhältnisse, überall  überwiegen  die  Westwinde  weitaus  zu  allen  Jahreszeiten 
^  (ganz  lokale  Eigentümlichkeiten  in  Tälern  natürlich  beiseite  gelassen);  überall 
*  werden  die  Nordwinde  im  Frühjahre  häufiger  und  die  Ostwinde  im  Frühlinge 
und  Herbste.  Im  Sommer  erreichen  die  West-  und  Nordwestwinde  eine  noch 
^  größere  Häufigkeit  aU  in  den  andern  Jahreszeiten.  Die  häufigsten  Südwinde 
^'      haben  der  Oktober  und  November. 

Klein,  Jalirbnoh  XV.  22 


338  KUmatologlBohflt  and  Wetterprogm 

Die  WitteningiverliiltiiisM  auf  UMid  und  derm 
zu  dm  gleiehieftlgeii  WittemngssnomElIm  In  Hordwesteoro^a.  ProL 
J.  Haim  hat  hierüber  eine  wichtige  Untersuchung  der  Wiener  Aka- 
demie vorgelegt.  ^)  Die  Grundlagen  derselben  bilden  die  Monats- 
und  Jahresmittel  der  Temperatur  und  des  Luftdruckes  (1846  bia  1900) 
sowie  die  Niederschlagsmengen  (1867  bis  1900)  von  Stykkiriiolm  auf 
Island,  welche  der  Verfasser  zusammengestellt  und  dann  dasa  benatzt 
hat,  die  Abweichungen  der  einzelnen  Monatswerte  dieser  meteoro- 
logischen Elemente  von  deren  50  jährigen  Mittelwerten  festeustelleiL 
Diesen  Abweichungen  werden  dann  geg  nübergestellt  die  Ab- 
weichungen der  Temperatur  zu  Greenwich,  Brüssel  und  Wien  aus  der 
gleichen  Periode,  femer  die  Abweichungen  des  Luftdruckes  und  das 
Begenf alles  zu  Brüssel  und  des  Luftdruckes  zu  Wien,  zum  Teile  nur  for 
die  Wintermonate. 

Die  allgemeinsten  Ergebnisse  sind:  Erstlich  für  die  drei  Winter- 
monate. Die  Luftdruckabweichungen  in  Nordwest-  und  Mittel- 
europa sind  in  70%  der  Fälle  den  gleichzeitigen  Abweichungen  za 
Stykkisholm  dem  Sinne  nach  entg^engesetzt.  Für  die  Temperatur 
ist  aber  die  Wahrscheinlichkeit  eines  Gegensatzes  bloß  0.56,  für  die 
Niederschlagsmenge  zu  Brüssel  0.68. 

Viel  entschiedener  ist  die  Beziehung  zwischen  den  Luftdrack- 
abweichungen  zu  Stykkisholm  und  den  gleichzeitigen  Temperatar- 
anomalien  in  Nordwest-  und  Mitteleuropa. 

Ist  die  Luftdruckabweichung  eines  Monates  zu  Stykkisholm 
negativ  (Luftdruck  unter  dem  50  jährigen  Mittel),  so  ist  die  Wahr- 
scheinlichkeit einer  gleichzeitigen  positiven  Temperaturabweichung 
in  Nordwest-  und  Mitteleuropa  0.82  und  umgekehrt,  w^m  die  Luft- 
druckabweichung positiv,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit  einer  negativen 
Temperaturabweichung  daselbst  0.73. 

Eine  Vertiefung  des  stationären  Luftdruckminimums  bei  Island 
bedingt  eine  Erhöhung  der  Wintertemperatur  von  Nordwest-  und 
Mitteleuropa,  umgekehrt  eine  Abschwächung  desselben  eine  Tem- 
peratuiemiedrigung. 

Zweitens:  Die  Untersuchung  wird  auf  alle  großem  Luftdruck- 
abweichungen zu  Stykkisholm  ausgedehnt.  Das  Ergebnis  ist  das 
gleiche.  In  kürzester  Form  ist  dasselbe  in  der  folgenden  kleinen 
Tabelle  enthalten: 

Itfittieie  Abweiohimg     w.u^u.;^i;.i.i.^;. 
Zahl     Luftdruck    Temperatur     des  Varzeicheiis 
der   Stykkisholm    Greenwioh     der  Temperatur- 
Fälle  und  Brüssel        abweicliuiig 
Winterhalbjahr  ...         67      +8.6mw       —1.6»  OM 
Sommerhalbjahr      ...    65      +  ^-^    »          —0,5^                  0.65 
Winterhalbjahr  ....     72      —  7.7    „         + 1.40  0.90 
SommerhalbJAOir      ...    50      —  5.0    „          +0.1^  0.76 


1)  Wiener  Akad.  Anzeiger  1904.  Nr.  1. 


I' 


KltnifttologifleheB  nnA  Wetterprognooen.  339 

''  Im  Winterhalbjahre  bedingt  jede  grödeie  Luftdruckabweichung 

*  bei  Island  mit  einer  WahrBoheinliohkeit  yon  0.86  eine  Temp^atur- 

'  abweichnng   im  entgegengesetzten   Sinne   in   Nordwesteoropa,   im 

''  Sommerhalbjahre  nur  mit  einer  Wahrscheinlichkeit  von  0.70. 

^^  Drittens:  Es  werd^i  die  drei  größten  Temperaturabweiohmigen 

^  jedes  Monates  und  des  Jahres  zu  Greenwich  1851  bis  1900  den  gleich- 

^  seitig^i  Luftdrackabweiohungen  auf  Island  gegenübergestellt.    Das 

'  Ergebnis  von  83  Fällen  ist  folgendes: 

^^         TemperaturabweichuBg      Luftdruokabweiohung         ^^*i7^^«k^«  a^^ 
^         zu  (Wnwich  (Mittel)     zu  StykkiBholm  (Mittel)      Ä<SXÄSg 

+  2.7«  —3.0  mm  0.83 

—  2.8  +4.7    „  0.86 

In  84%  der  Falle  treten  demnach  die  großem  Temperatur- 
abweichungen zu  Greenwich  gleichzeitig  ein  mit  großem  Luftdruck- 
abweichungen von  entgegengesetzten  Vorzeichen  zu  Stykkisholm. 

Der  Verfasser  geht  dann  etwas  näher  auf  spezielle  Fälle  ein  und 
hebt  hervor,  daß  wohl  Buchanan  der  erste  war,  der  auf  die  hier  spezieller 
nachgewiesenen  Beziehungen  aufmerksam  gemacht  hat.  Die  Er- 
gebnisse der  vorhegenden  Untersuchungen  sind  ein  strenger  Beweis 
dafür,  daß  das  milde  Khma  von  Nordwest-,  ja  auch  noch  von  Mittel- 
europa in  erster  Linie  von  dem  Luftdruckminimum  bei  Island  ab- 
hängig ist. 

Der  Verfasser  untersucht  dann  femer  die  Beziehungen  zwischen 
den  gleichzeitigen  Luftdruckanomalien  zu  Ponta  Delgada  auf  den 
Azoren  und  jenen  zu  Stykkisholm,  also  die  Beziehungen  zwischen  den 
beiden  atlantischen  „Aktionszentren  der  Atmosphäre",  wie  Teisserenc 
de  Bort  das  Barometermaximum  bei  den  Azoren  und  das  Barometer- 
minimum bei  Island  genannt  hat. 

Die  Untersuchung  wurde  ähnUch  wie  oben  geführt. 

Erstes  Ergebnis  in  kürzester  Form  in  Gesamtmitteln: 

Zahl     Mittlere  Luftdruck-        Mittlere  Luftdruck-  WahrBcheiulichkeit 

der   abweichung  zu  Ponta  abweichung  zu  Stykkis-  des  Vorzeichens  dieser 

Fälle             Ddgada                                höhn  Abweichung 

42               +4.5  mm                       —  2.4  fitm  0.71 

41                -6.1     „                          H-4.4    „  0.83 

Es  ist  demnach  mit  einer  WahrscheinUchkeit  von  0.77  auf  einen 
Gegensatz  in  den  gleichzeitigen  großem  Luftdruckabweichungen  bei 
den  Azoren  und  bei  Island  zu  sohheßen.  Graphische  Darstellungen 
der  Luftdruckabweichungen  von  zehn  Jahren  haben  Hildebrandsson 
schon  früher  (1897)  in  allgemeinen  Umrissen  darauf  schheßen  lassen. 
Ein  numerischer  Naohw^s  wurde  nicht  gegeben.  —  Nun  wird  die 
Pragestellimg  wieder  umgekehrt.  Welche  Luftdruckabweichungen 
zu  Ponta  Delgada  begleiten  die  größten  positiven  und  negativen  Luf t- 
druckabweichongen  zu  Stykkisholm?  Das  Ergebnis  einer  größern 
bezüglichen  Tabelle  ist,  daß  in  80%  der  Falle  den  größten  positiven 
Druckabweichungen    zu    Stykkisholm     negative     Luftdruckabwei- 

22* 


340  Klimatologlsohas  und  WettorprognoMB. 

chungen  zu  Ponta  Delgada  entsprechen  und  den  größten  negativen 
Druckabweiohungen  zu  Stykkisholm  in  87%  der  F&Ue  poeitive  Ab- 
weichungen zu  Ponta  Delgada.  Man  wird  demnach  behaupten 
dürfen,  daß  die  beiden  atlantischen  Aktionszentren  der  Atmosphäre 
in  einer  gewissen  Wechselbeziehung  stehen. 

Ist  der  Luftdruck  bei  den  Azoren  höher  ab  im  Mittel,  und  gleich- 
zeitig der  Druck  bei  Island  niedriger,  wie  dies  in  70  bis  80%  der  FaDe 
stattfindet,  so  wird  das  normale  LuftdruckgefaUe  ober  dem  Atlan- 
tischen Ozeane  verstärkt,  die  atmosphärische  Maschine  arbeitet  dann 
intensiver,  die  klimatische  Begünstigung  von  Europa  erfahrt  dabei 
eine  Steigerung.  Umgekehrt  im  entgegengesetzten  FaUe.  Das 
mittlere  Druckgefälle  von  den  Azoren  nach  Island  ist  im  Dezember 
14.7  mm,  im  Januar  18.3,  Februar  14.3,  März  9.8.  Einige  FaDe 
größter  Steigerung  desselben  folgen  zugleich  mit  den  entsprechenden 
Temperaturanomalien  in  Nordwest-  und  Mitteleuroi>a. 

Desember   Januar    Februar   Februar     März         Man 

1891  1890  1868 

Stykkishohn.     .     .     740.8        736.8        741.7 

Ponta  Delgada  .     .     769-9        768.0        771.9 

Differenz  ....      29.1  31.2  30.2 

TemperaturabweichQng 
Greenwich     ...     +0.1        +2.4       +1.9 
BrÜBsel      ....     +0.1       +3.4       +2.3 
Wien +12       +2.9       +3.6 

Diese  Tabelle  bestätigt  das  oben  Gesagte. 

Die  Fälle,  wo  der  Luftdruck  bei  den  Azoren  ungewöhnlich  hocb 
und  gleichzeitig  bei  Island  imgewöhnlich  tief  ist,  sind  beaondeis 
interessant,  weil  sie  nicht  als  eine  bloße  Verlagerung  des  subtropischen 
Hochdruckgürtels  aufgefaßt  werden  können,  sondern  nur  als  Folge 
einer  gesteigerten  Intensität  der  atmosphärischen  Zirkulation.  Wenn 
der  NO-Passat  kräftiger  weht  als  durchschnittlich,  wird  er  das  Druck- 
maximum  zu  seiner  Rechten  stärker  aufstauen.  Dadurch  wird  aber 
auch  der  große  Wirbel  im  nordatlantischen  Ozeane  verstärkt,  und  in 
seinem  Zentrum  bei  Island  das  Luftdruckminimum  vertieft.  So 
können  die  oben  nachgewiesenen  entgegengesetzten  Luftdruck- 
anomalien bei  den  Azoren  und  bei  Island  wie  Ursache  und  Wirkung 
verknüpft  sein. 

Der  letzte  Abschnitt  der  Abhandlung  beschäftigt  sich  ein- 
gehender mit  der  Meteorologie  von  Stykkisholm,  welche  wegen  der 
Lage  dises  Ortes  nahe  dem  Zentrum  des  großen  Luftwirbels  besonderes 
Interesse  beanspruchen  kann.  Im  Anschlüsse  daran  werden  auch 
die  Temperaturverhältnisse  der  neuen  dänischen  Station  zu  Angmag- 
saJik  an  der  Ostküste  von  Grönland,  Stykkisholm  nahezu  gegenüber, 
erörtert.  Die  siebenjährigen  Temperaturaufzeichnungen  (1895  bis 
1901 )  werden  auf  die  lange  Reihe  von  Stykkisholm  reduziert.  Leteterer 
Ort  hat  den  warmen  Irminger  Strom  zur  Seite,  Angmagpalik  aber  den 
eisführenden  Polarstrom.  Die  mittlere  Temperatuidiffeienz  erreicht 
deshalb  im  Februar  8. 1  "^  und  beträgt  noch  im  Jahresmittel  6.3''.    Das 


1883 

738.8 

767.8 

29.0 

1868 

744.3 

771.9 

27.6 

1882 

744.3 

772.1 

27.8 

zu  : 
+  L9 
4-2.4 
+  1.4 

+  1.4 
4-1.7 
-i-0.6 

+  2.9 
-4-2.9 
+  5.0 

>  KlimatologlBcheB  und  Wetterprog;no0en.  341 

3  Temperaturgefälle  pro  Grad  (111  km)  ist  im  Winter  1.1^  und  noch  im 

&  Jahresmittel  0.9°,  wohl  eines  der  größten  Temperaturgefälle  über 

K  eine  freie  Meeresfläche  hin.    Zwischen  Stykkisholm  und  der  Küste 

I.  von  Norwegen  in  gleicher  Breite  auf  einen  Abstand  von  35  Längen- 
graden ist  die  Temperaturdifferenz  im  Februar  bloß  1.3°,  hier  auf 

i  Uy2  Grade  8.1"".    Die  mittlem  Temperaturen  (1851  bis  1900)  von 

r  Angmagsalik  65""  37'  N  sind  Februar  —  10.8,  Juli  5.4,  Jahr  —  2.6, 

i  dagegen :  Stykkisholm  65""  4'  Februar  —  2.7,  Juli  9.7,  Jahr  2.8.    Zwei 

!  theoretisch  sehr  interessante  Fälle  von  NW-Föhn  zu  Angmagsalik, 

t;  aus  dem  Innern  Grönlands  herauswehend,  werden  näher  beschrieben. 

'  Ein  neues  System  allgemeiner  Luftdruckprognosen  auf  längere 

'''  Zelt  für  den  Nordatlantisehen  Ozean  ist  von  Prof.  Herrmann  aus- 
gearbeitet und  praktisch  verwertet  worden,  das,  wenn  es  sich  be- 

^  währt,  dem  Seefahrer  ganz  andere  Chancen  bieten  würde  als  die 
fehlsamen  Eintagsprognosen  der  jetzigen  staatlichen  Zentralstellen. 

'  Daß  die  Seefahrer  auf  diese  letztem  kein  Gewicht  legen,  und  die 
großen  Ozeandampfer  zur  festgesetzten  Zeit  ausfahren,  gleichgültig, 
ob  ein  Sturmwamungssignal  steht  oder  nicht,  ist  bekannt.  Selbst 
wenn  diese  Eintagsprognosen  stets  richtig  wären,  würden  sie  für 
die  auf  See  befindhchen  Schiffe  doch  nutzlos  sein  und  auch  dann 
noch  wenig  Wert  haben,  wenn  jedes  Schiff  mit  Apparaten  für  draht- 
lose Telegraphie  ausgerüstet  wäre.  „Unsere  gefährlichsten  außer- 
tropischen Stürme,''  sagte  Prof.  Herrmann  kürzlich  in  einem  Vortrage 
im  Nautischen  Vereine  zu  Hamburg,  ^)  „erstrecken  sich  meist  auf  ein 
so  ausgedehntes  Gebiet  und  haben  eine  so  schnelle  Verbreitung, 
daß  es  dem  Schiffe  nur  in  den  seltensten  Fällen  gelingen  würde, 
dem  Bereiche  eines  Sturmes  zu  entgehen,  wenn  es  von  dem  Auf- 
treten eines  solchen  auf  seinem  Wege  für  den  nächsten  Tag  benach- 
richtigt würde.  Dazu  kommt,  daß  die  Eigenartigkeit  der  außer- 
tropischen Stürme  in  sehr  vielen  Fällen  es  keineswegs  notwendig 
macht,  oder  es  als  die  Gefahr  verringernd  anraten  läßt,  wie  bei  den 
tropischen  Wirbelstürmen,  einem  Wirbelzentrum  auszuweichen. 

An  einen  andern  unmittelbaren  Nutzen  einer  Prognose  allein 
für  den  folgenden  Tag  für  das  unterwegs  befindliche  Schiff  als  den 
der  Möglichkeit,  einer  augenblickUch  drohenden  Gefahr  zu  entgehen, 
kann  wohl  nicht  gedacht  werden.  Nur  insofern,  als  mit  dieser  Prognose 
eine  Charaktersitik  der  allgemeinen  Wetterlage  verbimden  wäre, 
würde  für  die  Fälle,  in  denen  erfahrungsgemäß  ein  etwas  längerer 
Bestand  gewisser  Windverhältnisse  vorauszusehen  ist,  der  Schiffs- 
führer, insbesondere  eines  Segelschiffes,  bei  der  weitem  Wahl  seines 
Weges  zeitweise  sich  bestimmen  lassen  können.'* 

Eine  Prognose  auf  längere  Zeit  hinaus  ist  aber  nach  der  gegen- 
wärtigen Auffassung  der  atmosphärischen  Vorgänge  und  auch  in 
bezug  auf  die  Wettergestaltung  auf  dem  Festlande  unmöglich.  Anders 
verhält  es  sich  nach  den  Untersuchungen  von  Prof.  Herrmann  für 

1)  Als  BroBohüre  enchienen  bei  Eckhard  &  Meßdorff  in  Hamburg.  


342  Klinuitologiaeli«  «ad  WetterprognoMo. 

den  Osean,  wenn  es  houpteächlich  auf  die  Art  und  Weise  der  Luft- 
druckvertnlung,  d.  h.  auf  die  Windverhältnisse,  abgesehen  wiid. 
£r  verwirft  die  Vorstellung  von  regelmäßigen,  kreisförmigen  WirMn 
und  Zyklonen  in  unsem  Breiten  und  sagt  geradsEU,  wmn  man  ein 
Systral  kreisförmiger  Isobaren  bei  der  Darstellung  von  Wettervw- 
gangen  finde,  könne  man  mit  Sicherheit  annehmen,  daß  dies  den  Tal- 
sachen nicht  entspreche,  und  dies  Sjmtem  sich  anders  gestalt«i  wwd^ 
wenn  zahlreichere  und  besser  verteilte  Beobachtungen  voriiges. 
Die  Auffassung  jener  Erscheinungen  als  Wirbel  habe  in  melirfacfa» 
mathematischen  Entwicklungen  anscheinend  eine  Statse  gi^undea. 
Gegen  diese  mathematischen  Ableitungen  könne  im  aDgpmeinen 
weniger  der  Einwand  gemacht  werden,  daß  sie  in  ihren  Bedingungen 
der  Wirklichkeit  nicht  entsprechende  Einschränkungen  anfstdlteo. 
Solche  Einschränkungen  seien  bei  der  mathematischen  Ablettung 
physikalischer  Erscheinungen,  zu  denen  natürlich  aach  die  Vor- 
gänge des  Luftmeeres  gehören,  meist  nötig,  um  ihre  Darchfuhrung 
überhaupt  zu  ermöglichen.  Hauptsächlich  aber  seien  diese  Ab- 
leitungen deshalb  anfechtbar,  weil  bei  ihnen  das  ungeheuere  Ver- 
hältnis der  horizontalen  Ausdehnimg  jener  vermeintlichen  Luft- 
wirbel zu  ihrer  Höhe  nicht  berücksichtigt  wurde.  Sie  mögen  Geltung 
haben  für  die  nächste  Umgebung  des  Luftdruckminimums,  nimmer- 
mehr aber  für  die  großen  mächtigen  Erscheinungen  unserer  Atmo- 
sphäre. Wie  verschwindend  seien  doch  die  wenigen  Meilen  der 
Höhe  selbst  der  gesamten  Atmosphäre  zu  der  ungeheuem  hori- 
zontalen Ausdehnung  der  ganze  Ozeane  und  Kontinente  umfassen- 
den Phänomene.  Keineswegs  sei  auch  bisher  durch  die  Beobach- 
tungen der  höchsten  Luftschichten,  sei  es  durch  den  Zug  der  Gmu- 
wolken,  sei  es  durch  Ballonfahrten  und  Drachenau£»tiege  das  Vor- 
handensein der  von  der  Theorie  daselbst  geforderten  Luf tbewegungen 
nachgewiesen. 

Prof.  Herrmann  hat  sich  früher  selbst  mit  Au&tellung  vc« 
Wetterprognosen  an  der  Deutschen  Seewarte  beschäftigt,  er  erklärt 
aber  offen  und  ehrlich,  daß  er  das  Unzulängliche  dieser  Verfahrungs- 
weise  empfunden  habe.  Erst  als  er  von  dieser  Technik,  die  wohl 
eigentlich  von  der  Hand  in  den  Mund  lebt,  sich  frei  gemacht  und 
das  Studium  synoptischer  Wetterkarten,  die  sich  von  den  Felsen- 
gebirgen Nordamerikas  bis  zum  Ural  erstreckten,  betrieben,  hatten 
sich  ihm  neue  Gesichtspunkte  eröffnet.  Es  ist  ja  auch  naheliegend, 
anzunehmen,  daß  der  wirkliche  Zusammenhang  dieser  Erscheinungen 
erst  auf  einem  solchen  weitem  Gebiete  in  die  Erscheinung  treten 
wird,  wenn  er  sich  überhaupt  deutlich  erkennbar  macht.  Bei  seinen 
Untersuchungen  hat  Prof.  Herrmann  nur  das  einzige  auf  diesem 
Felde  ausnahmslos  gültige  Gesetz  in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen 
gezogen,  das  barische  Windgesetz,  welches  die  Beziehung  zwischen 
Luftdruckverteilung  und  Wind  ausdrückt.  „Das  erste,"  sagt  er, 
„was  nun  bei  einem  eingehendem  Studium  jener  weite  Gebiete  um- 
fassenden Wetterkarten  in  das  Auge  fällt,  ist  die  häufige  Gruppierung 


^  Klimatologisehee  und  Wetterprognosen.  343 

der  Loftxlruckverteilung  und  der  Winde  in  ihren  großen  Zügen  nach 
Zonen,  die  von  der  westlichen  Grenze  des  Kartenbereiches  bis  zu 
'' ,;     ihrer  östlichen  sich  erstrecken.    Da  natürhch  Hochdruckzonen,  mit 
\[     einer  Linie  höchsten  Luftdruckes,  abwechseln  mit  Zonen  niedrigem 
Luftdruckes,  die  eine  Linie  niedrigsten  Luftdruckes  einschließen, 
so  erinnern  diese  Zonen  an  die  bekannten  Mauryschen  Zonen  der 
^     Mittelwerte  des  Luftdruckes  und  der  Winde.    In  Wirkhchkeit  haben 
"^^     sie  aber  dann  ganz  verschiedene  Lagen,  und  zu  verschiedenen  Zeiten 
*""     sind  ihre  Lagen  auch  unter  sich  höchst  verschieden,  so  daß  zu  einer 
''     Zeit  dort  eine  Niedrigdruckzone  liegt,  wo  zu  anderer  eine  Hoch- 
^^     druckzone  sich  befindet.    Entsprechend  gestalten  sich  auch  die  vor- 
^'     herrschenden  Luftströmungen  äußerst  verschieden.     In  den  Fällen 
-^     aber,  in  denen  in  der  Luftdruckverteilung  die  zonale  Verteilung 
^     zurücktritt,  fand  Prof.  Herrmann,  daß  dann  etwa  in  der  Richtung 
^'     der  Breitenkreise  fortschreitend  sich  in  annähernd  gleichen  Ent- 
'     femungen  oft  Zunahme  und  Abnahme  des  Luftdruckes  wiederholen, 
und  den  Gebieten  niedrigen  Luftdruckes  entsprechen  benachbarte, 
'^     ähnlich  gestaltete  Gebiete  hohen  Luftdruckes.     Darin  schien  sich 
1^-     ihm  eine  wellenartige  Natur  der  atmosphärischen  Vorgänge  zu  offen- 
:>     baren.     Diese  Tatsachen  zeigten,  daß  von  einer  beständigen  all- 
i-     gemeinen  Luftzirkulation  im   Sinne  Ferrels  in  Wirklichkeit  keine 
:^     Kede  sein  konnte,  und  es  entstand  die  Frage,  ob  eine  solche  ständige 
:i'     Zirkulation  infolge  einer  Temperaturabnahme  vom  Äquator  zum 
s      Pole  selbst  auf  einer  gleichartigen  Erdoberfläche  überhaupt  möglich 
j     sei.      Auf  der  Naturforscherversammlimg  zu  Wien  (1894)  konnte 
&      Prof.  Herrmann  aus  mathematischen  Gründen  nachweisen,  daß  dies 
in  der  Tat  nicht  der  Fall  sei.    Wenn  aber  der  notwendige  Austausch 
!:      der  Luft  infolge  der  Temperaturunterschiede  zwischen  dem  Äquator 
t      und  den  Polen  durch  beständige  Luftströmungen  nicht  möglich  ist, 
i     derselbe  also  nur  unter  zeitlichen  Veränderungen  sich  vollziehen 
kann,  so  bedingen  die  physikalischen  Eigenschaften  der  Luft  perio- 
p     disohe  Schwingungen  und  Wellen. 

Dies  folgt  sogar  aus  den  Ferrelsohen  mathematischen  Unter- 
^      suchungen,  wie  Prof.  Herrmann  speziell  zeigen  konnte.    Dann  hat 
Dr.  Margules  nachgewiesen,  daß  die  auf  einer  rotierenden  Kugel  in 
1^      einer  dünnen,  dieselbe  bedeckenden  Atmosphäre  möglichen  Wellen- 
I       bewegungen  und  Schwingungen  graphisch  ähnliche  Isobarensjrsteme 
und  Maxima  und  Minima  zeigen  müssen,  wie  unsere  Wetterkarten 
f      tatsächlich  enthalten.     Das  unterstützt  die  Schlußfolgerung^!  von 
;      Prof.  Herrmann  wesenthch,  und  sonach  darf  man  mit  einem  hohen 
Grade  von  Gewißheit  annehmen,  daß  die  veränderlichen  Vorgange 
in  der  Atmosphäre,  die  geschlossenen  Isobarensysteme  und  die  mit 
I      ihnen   verbundenen   Windsysteme,   abgesehen  von  lokalem  Modi- 
fikationen,   Teile    der    allgemeinen    atmosphärischen    Zirkulation 
zwischen  Äquator  und  Pol  sind. 

Natürlich  handelt  es  sich  in  der  Atmosphäre  nicht  um  eine 
Welle  oder  Schwingung,  sondern  um  viele,  die  sich  summieren  oder 


344  KlimatologiBehM  nnd  WetterprognoBan. 

auch  aufheben,  und  es  entsteht  jetzt  die  Aufgabe,  die  Penodizitäten 
derselben  festzustellen.  Diese  Aufgabe  ist  mathematisch  zonadist 
unlösbar,  man  muß  sich  vielmehr  an  eine  praktische  Prüfung  halteiL 
Dabei  entdeckte  Prof.  Herrmann,  daß  die  großen  Zonen  der  Luft- 
druckrerteilung,  die  in  ihrer  Veränderlichkeit  wohl  als  Schwingong» 
aufzufassen  sind,  und  auch  die  Bewegungen  der  fortschreit^ideB 
Wellensysteme  sich  auf  der  nördlichen  Hidbkugel  um  einen  Pül 
gruppieren,  der  aber  nicht  mit  dem  geographischen  Pole  zusammen- 
fallt, sondern  nicht  weit  vom  magnetischen  NordxK>le  zu  suchen  ist 
In  meteorologischer  Beziehung  ist  dadurch  verständlich,  weshalb  die 
Bahnen  der  Minima  über  dem  nordamenkanischen  FesUande  vor- 
zugsweise von  West  nach  Ost  gerichtet  sind,  über  dem  Nordatianti- 
sehen  Ozeane  immer  mehr  nach  Norden  abbiegen  und  über  Europa 
vorwiegend  gegen  Nordosten  fortschreiten. 

Um  zu  zeigen,  bis  zu  welchem  Grade  es  ihm  schließlich  gelungen 
ist,  Periodizitäten  der  Luftdruckverteilung  festzusteUen,  gibt  Prof. 
Herrmann  Karten  der  Luftdruckverteilung  für  zwei  verachiedene 
Tage  mit  gänzUch  verschiedenen  Wetterlagen.  An  dem  einen  ist 
der  Ozean  in  den  mittlem  Breiten  von  einer  gewaltigen  Depieasicn 
überdeckt,  während  das  Azorenmaximum  und  Tslandminimum  ver- 
schwunden sind.  Am  andern  Tage  zieht  sich  in  nahezu  gleicher  Lage 
ein  Hochdruckgebiet  quer  über  den  Ozean,  und  sowohl  das  Azoren- 
maximum als  auch  das  Islandminimum  ist  vorhanden. 

Man  muß  gestehen,  daß  die  theoretisch  festgelegten  Isobarai 
mit  den  wirklichen  sehr  gut  übereinstimmen,  unvergleichlich  besser, 
als  es  nach  dem  bisherigen  alten  Systeme  der  täglichen  Wetterprog- 
nosen überhaupt  zu  erreichen  wäre.  Würde  ein  solches  Zutreffen 
allgemein  und  für  jedes  Datum  vorhanden  sein,  so  wäre  für  die  See- 
schiffahrt das  Problem  gelöst;  daran  kann  aber  natürlich  zuneit 
noch  nicht  gedacht  werden.  Immerhin  handelt  es  sich  um  eine 
hochwichtige  Anbahnung  neuem  Fortschrittes  auf  diesem  Gebiete, 
denn  für  den  Seefahrer  ist  die  beiläufige  Kenntnis  der  in  der  nächsten 
Woche  auf  dem  Meere  zu  erwartenden  Luftdruckverteilung  von 
höchstem  Werte,  da  Richtimg  und  Stärke  des  Windes  für  ihn  in 
erster  Linie  wichtig  sind.  Was  in  dieser  Beziehung  die  von  Amerika 
ausgehenden  monatUchen  PUot  Charts  und  ähnliche  Unternehmungen 
in  Europa  leisten,  ist  unwesentüch.  Sie  enthalten  nämhch  nur  die 
durchschnittlichen  Wind-  und  Strömungsverhältnisse  nach  den  bis- 
herigen Beobachtungen.  Die  tatsächliche  Luftdruckverteüung  und 
die  Winde  weichen  aber  so  wesentlich  von  den  mittlem  ab,  daß  den 
Schiffsführer,  der  sich  auf  diese  Angaben  allein  verließe,  die  bedenk- 
lichsten Überraschungen  treffen  würden.  Selbst  die  beständigem 
Winde  der  Passate  und  Monsune  erfahren  mannigfache  Störungen. 
Auch  die  Häufigkeitszahlen  der  Winde  haben  für  den  Fall  der  ein- 
zelnen Reise  doch  nur  einen  sehr  bedingten  Wert. 


Druck  von  Oskar  Leiner  in  Leipzig,    mm 


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