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JAHRBUCH
der
Astronomie und Geophysik.
Enthaltend die wichtigsten Fortschritte auf den Gebieten
der
ÄstropliyBik, Meteorologie und pliysikaliselien Erdkunde.
Unter Mitwirkung von Fachmännern
herausgegeben
von
Prof. Dr. Hermann J. Klein.
xm. Jalirgang 1902.
Mit 5 Tafeln.
EDUARD HEINRICH MAYER
Verlagsbuchhandlung
Uiinifim.
Inhaltsübersicht
Seite
Inhaltsübersicht III— Vm
Astrophysik.
Sonne 1—89
SomieDstatistik 1901 1
Beobachtnngen über die grosse Sonnenfleckengrappe 1901 Mai 19.
bis Juni 28., von P. A. Z. Ck>rti8 3
Die SonneDflecken und Fackeln nach den photographischen Auf-
nahmen zu Greenwioh, Dehra Dun (Indien) und auf Mauritius 8
Die Sonnenthatigkeit von 1888 bis 1900, von William J. S. Lockyer
studiert 5
Die Wölfischen Tafehi der Sonnenfleckenhäufigkeit, neu berechnet
von Prof. A. Wolfer 18
Die Sonnenphänomene als Folgen anomaler Dispersion des Lichtes 20
Die Doppelfinien im Spektrum der Ghromosphare, von W. H. Julius 24
Protaberanzen, beobachtet 1888—1890 am Haynaldobservatorium,
▼on P. Fenyi 28
Die Sonnenfinsternis vom 28. Mai 1900 in ihrer Einwirkung auf
die meteorologischen Verhältnisse in Nordamerika, von Prof.
Frank H. Bigelow 81
Die letzten und ersten Strahlen der Sonne bei totalen Sonnen-
finsternissen 82
Eine merkwürdige Erscheinung in der Sonnenkorona während der
totalen Finsternis am 18. Mai 1901, von G. D. Perrine . . 88
Das Wesen der Sonnenkorona, von Prof. Frank H. Bigelow . . 84
Aussendung Hertzscher Strahlen durch die Sonne, von H. Des-
landrä und Dto)mbe 86
Die Temperatur der Sonne 88
Zodlakalllcht 89-44
Das Zodiakallicht, von Prof. Seeliger 89
Planeten 44-58
Planetoidenentdeckungen im Jahre 1901 44
Messungen der Planetendurchmesser, von Prof. Bamard . , . . 46
BeobaStonsen des Jupiter, von J. Gleshill 49
Saturn durch die Gassmische Spalte sichtbar 49
Der Schatten der Satumkugel auf den Ringen des Saturn ... 49
Die Durchmesser der Satumsmonde Titan und Japetus, von Dr.
J.J.See 52
Spdctrographische Aufnahmen des Planeten Uranus, von H. Des-
*^ laiSSs 52
Mond 58-62
Untersochungen über die westlichen Randgegenden der Mond-
sobeibe, von Prol Dr. Franz 58
363016
IV Inhaltsübersicht.
Ober den Bau und die Bildungsgesohiohte der Mondrinde, von
Loewy und Poiseux 60
Bestimmungen der Grössen von 130 Eraterdurchmessem auf der
Mondobeifläche, von E. Graff 61
Kometen 68—67
Die Kometenerscheinungen des Jahres 1901 68
Definitive Bahnelemente des Kometen 1898 I, von H. D. Curtis . 66
Die Arrheniussche Theorie der Kometenschweife 67
Sternschnuppen und Meteoriten 67—78
Die ^osse Feuerkugel vom 3. Oktober 1901 67
Die Perseiden des August 1901 68
Die Bewegung des Badiationspanktes der Perseusmeteore, von
W.P. Denning 68
Creschichtliches über das Auftreten der Perseusmeteore, v. H. Bomitz 71
Das Meteoreisen von Mukerop 76
Der Meteorit von Felix 78
Fixsterne 78-129
Der Stemkatalog der Astronomischen Gesellschaft 78
Die photometrischen Grossen von 928 Fixsternen, deren Hellig-
keitsfolgen John Herschel 1886—1838 bestimmt hat, von
W. Doberck untersucht 78
Der gegenwärtige Stand der Erforschung der farbigen Sterne mit
Berücksichtigung des Spektraltypus, von Friedrich Krüger . 79
Temperaturbestimmung der Fixsterne auf photometrischem Wege 84
Die photographischen Spektra der heilern Sterne des südlichen
Himmels 8B
Der Veränderliche o Ceti (Mira) 92
Der Veränderliche C Geminorum, von E. P. McDermott ^r. beobachtet 97
Die Lichtkurve von ß Persei (Algol), von Prof. G. Muller ... 97
Neue Veränderliche der Algolklasse 100
Der Lichtwechsel des Veränderlichen ^ Carinae, v. Alex.W. Roberts
untersucht 101
Der Lichtwechsel des Veränderlichen ü Cephei, von H. Bohlin
beobachtet 101
Der Veränderhche Y Lyrae, von A. Stanley Williams beobachtet 101
Beobachtungen über die Helligkeit von v Argus, von R. T. v. Innes 102
Zwei veränderliche Sterne in dem Nebelflecke N. G. K. 7028 . . 102
Beobachtung einer wahrscheinlichen Nova im Bootes 1877 . . 102
Die Nova Cygni 1876, von Prof. E. E. Bamard beobachtet ... 108
Die Nova Persei 1901 108
Das Spektrum der Nova Persei 112
Die Parallaxe von /i Cassiopejae und das Vorhandensein eines
engern FixBternsystemes in diesem Sternbilde 112
Untersuchungen über die Parallaxe des Zentralstems im Ring-
nebel der Leyer von Burt L. Newkirk 114
Kosmische gemeinsame Bewegung der Fixsterne H^
Neue Doppelsteme 11^
Die Neumessungen der. Pulkowaer Doppelsteme auf dem Lick-
observatorium UÖ
Der Doppelstem 68 Comae Berenicis (2 1689) H^
Ein neuer Doppelstem mit rascher ümlaufsbewegung des Begleiters H^
Der Stern 88 Aquaiii als Doppelstem H^
Die Bewegungsverhältnisse im Sterasysteme 70 Ophiuchi . . . 1^
Die Bahn des Doppelstems ß Delphini 1^
Inhaltsübersicht. V
Nene spektroskopische Doppelsteme 128
Das spektroskopische Doppelstemsystem Mizar 125
Der spektroskopische Doppelstem ß Gephei 127
Die Bewegung von % Cygni in der Gresichtslinie znr Erde . . . 128
Sternhaufen und Nebelflecke 129—147
Der allgemeine Helligkeitseindruck von Sternhaufen, von Dr. J. Holet-
schek behandät 129
Triangulation der Hyadengnippe, von Carl W. Wirtz 196
Die Bewegung des Orionnebels in der Gesichtslinie zur Erde, neue
Untersuchungen über diese Bewegung auf dem astrophysi-
kalischen Observatorium zu Potsdam 140
Spektrographische Geschwindigkeitsmessungen an Gasnebeln, von
Dr. Hartmann 142
Beobachtungen über das Aussehen der Milchstrasse mit blossem
Auge, von T. W. Backhouse 147
Geophysik.
Allgemeine Eisrenschaften der Erde 148—158
Über das Alter der Erde seit der Bildung ihrer festen Oberfläche,
von Lord Kelvin 148
Die Variation der geosraphischen Breiten, zwei neue Abhand-
lungen, von Dr. Gnandler 150
Die Lot^lenkun^en und das Geoid in der Schweiz, von Dr. B.
Messerschmitt 150
Die Ablenkung des Lotes in Indien 155
Die Reduktion der auf der physischen Erdoberfläche beobachteten
Schwerebeschleunigung auf ein gemeinsames Niveau, von
F.R.Hehnert 157
Bestimmung der Schwerkraft auf dem Atlantischen Ozeane . . 157
Oberflächengeetaltung 158—185
Das Siebengebirge am Rhein 158
Das Antlitz der Alpen, von Prof. Penck 163
Das Karwendelgebirge, von Dr. 0. Ampferer 164
Cber die Verbreitung der Karren und karrenähnlicher Gebilde, von
Dr. M. Eckert 165
Die Gebirgssysteme der Balkanhalbinsel, von Prof. Dr. OTijic . . 170
Der Aufbau Eurasiens, von E. Suess 178
Die Bewegungsgesetze des Flugsandes, von Eugen v. Chohdoky . 177
Die Erosionserscheinnngen in der Wüste Gobi, von Prof. Futterer 181
Die Rias der Westküste Galiciens, von H. Schurtz 182
Erdmasmetlsmus 185—190
Die magnetischen Beobachtungen der norwegischen Polarezpedi-
tion 1899-1900 185
Erdmagnetische Polsationen, von Dr. W. van Bemmelen .... 188
Erdbeben 190^198
Das Eärdbeben von Sini am 2. Juli 1896 190
Geschichtliches über EHbeben in Schlesien 192
Die vogüändischen Erderschütterungen vom September 1900 bis
Mitte März 1902, von H. Credner 194
Brdbebenstorungen zu Triest, von E. MazeUe 195
Das Erdbeben in Guatemala am 18. April 1902, von Prof. K. Sapper 195
Erdbebenbeobachtungen in Japan, von Prof. Omori 196
Ober das behauptete regelmässige Fortschreiten des Epizentrums
bei Erdbeben mit zahlreichen Nachbeben, von Montessus
deBallore 197
VI Inhaltsübersicht
Vulkanismus 196—229
Die Insel Martiniaae und ihr Vulkanismus 196
Die vulkanischen Vorgänge auf der Insel St. ^^cent 206
Die Zusammensetzung des bei den Ausbrüchen auf den Antillen
ausgeworfenen Staubes 212
Die geographische Bedeutung der mittelamerikanischen Vulkane,
von Prof. Karl Sapper 218
Der Cotopaxi und die umgebenden Vulkanberge 214
Die Verbreitung der hauptsachlichsten Eruptionszentren in Süd-
amerika, von Dr. A. Stübel 223
Ein porphyrischer Stratovulkan in Südwestafrika, von Dr. Schenck 227
Der Ausbruch des Vulkans Keloet auf Java 228
Über den Sitz der vulkanischen Kraft, von G. de Lorenzo . . . 229
Inseln 230-245
Die Insel Veglia, von Dr. L. Waagen 230
Die Insel Syra (Syros) 232
Die Insel Portorico 233
Die Erforschung der Malediven-Insehi, von Prof. A. Agassiz . . 235
Die Insel Sumatra, von Dr. B. Hagen 236
Die Crozetinseln 238
Die Insel Rota, von H. Fritz 240
Die Insel Nauru im Stillen Ozeane, von Prager 241
Die Samoainseln, von Dr. G. Wegener 242
Eine neu entstandene und wieder verschwundene Insel .... 245
Das Meer 245—261
Die Verteilung des Salzgehaltes im Oberflächenwasser des
Ozeans, von Dr G. Schott 245
Neue Tiefsedotungen im Atlantischen und Indischen Ozeane von
Dr. G. Schott 249
Die ozeanischen Ergebnisse der deutschen Südpolarexpedition
von Kiel bis Kapstadt 251
Grundproben aus dem Atlantischen Ozeane 254
Die Grenzlinien der Sichtbarkeit des Landes im Mittelländischen
Meere 254
Die Wärmeverteilung in dem Wasser der südpolaren Meere auf
Grund der Beobachtungen der »Valdiviac, von Dr. G. Schott 255
Quellen und Höhlen 262—266
Die Quellen des Kantons Aargau, von F. Mühlberg 262
Unterirdische Wasser in Westaustralien 262
Über das Wesen der heissen Quellen, von Prof. B. Suess . . . 262
Höhlenforschungen in der Nähe von Mentone 266
Flüsse 266-274
Die Wasserverhältnisse der Zwickauer Mulde bis Zwickau, von
Prof. Dr. Schreiber 266
Veränderung im Laufe des blauen NU 269
Das Flussgeoiet des Lukuledi, von A. Adams geschildert . . . 269
Der obere Yangtsekiang, befahren von Archibald Little im Jahre
1901 271
Seen 274-288
Der Pleskauer (Pskower) See und seine Inseln, von P. v. Stenin 274
Seiches im Madüsee in Pommern, von Dr. W. Halbfass .... 275
Der Iseosee, von A. Baltzer untersucht 276
Die warmen Salzseen von Szoväta 276
Das Bodenrelief des Skutarisees, von Prof. Gvijiö erforscht . . 282
Inhaltsilbenloht Vn
Der See von Ohrida und der Prespa in Makedonien, von Dr.
EL Oestreich 282
Die abflnsslosen Seen auf dem Annenischen Hochlande, von Dr.
Rohrbach 283
Die Kästenbildunjg des Aralsees, von L. S. Berg 285
Der See Telezkoje im Altai, von P. Ignatow besucht .... 286
Der fffOBse Bärensee 286
Die Callabonna-Salzpfanne in Südaustralien, von B. C. Stirling
und H. Zietz 287
Gletscher und Glazialphysik 288—305
Die Schneegrenze in den Gletschergebieten der Schweiz, von
Dr. J. Jegerlehner 288
Moränen und Diluvialterrassen in Khanat Bochara, von A. v. Kraff t 292
Die Moränen, von Dr. August Böhm von Böhmersheim .... 2d2
Die Ursache der Eiszeit, von Prof. F. Frech 301
Die LufthQlle im allgremeinen 305—312
Die Mengen der neuentdeckten Gase in der Atmosphäre . . . 305
Über die Höhe der homogenen Atmosphäre und die Masse derselben,
von Dr. Nils Ekhohn 306
Labile Gleichgewichtszustände in der Atmosphäre, von Prof.
A. Schmidt 300
Die Verteilung der atmosphärischen Ionen in den hohem Luft-
schichten 310
Lufttemperatur 312—821
Die normalen Morgen- und Nachmittagstemperaturen der deutschen
Stationen in den täglichen Wetterberichten der deutschen
Seewarte 312
Die Abnahme der Lufttemperatur mit zunehmender Höhe, von
L. Teisserenc de Bort 813
Eine wärmere Luftströmung in 10—15 hm Höhe, von Prof. Ass-
314
Luftdrucic 321—322
Ober den täglichen Gang des Luftdruckes in Moskau, von Prof.
Dr. Ernst Leyst 321
Die Veränderlichkeit der täglichen Baromeierbewegung «auf dem
hohen Sonnblick, von A. v. Obermayer 322
Woiicen 323-330
Die Wolkenbeobachtungen zu Toronto während des internatio-
nalen Wolkenjahres 323
Über Bildung und Konstitution der Wolken, von Prof. W. Trabert 328
Untersuchungen über die Nebelverhältnisse der Schweiz, von
G. Streun 325
Beobachtongen über Nebelbildung 380
Nlederschl&fire 880-838
Untersuchungen über die Verdunstung, von Prof. G. Schwalbe . 380
Die Häofigkeit des Regens in Paris nach den Beobachtungen von
1878—1900 im Parc S. Maur 881
Der Wolkenbruch in Berlin am 14. April 1902, von Prof. G. Hell-
Die 85 jähxige Periode der Regenschwankung, von Prof. E. Brückner 833
Der grosse StanbfaU vom 9.-12. März im 884
Vni InhaKaäbmlohlt.
Winde und StOrme 888—848
Ober die Beziehung zwischen Temperatur und Luftbewegung in der
Atmosphäre unter stationären Verhältnissen, y . J.W. Sandström 888
Die tägliche Bewegung der Luft über Hamburg, von Professor
Dr. J. Schneider 842
Die Geschwindigkeit und Richtung des Windes, von A. Berson . 345
Über die tägliche Drehung der mittleren Windrichtung und über
eine Osdllation der Luftmassen von halbta^dger reriode auf
Berggipfeln von 2—4 km Seehöhe, von J. Uum .... 347
Stunntage an der deutschen Küste im Jahre 1901, von Dr.E. Hermann 848
Elektrische Lufterscheinungren . 849—368
Die Bedeutung vertikaler Luftströme für die atmosphärische Elek-
trizität, von F. Linke 349
Beobachtungen über die Zerstreuung der Elektrizität in der Luft,
von K. V. Wesendonk 349
Messungen der Elektrizitätszerstreuung in freier Luft, von J. Elster
und Geitel 860
Über die tätliche Periode der Luftelektrizität, von F. Exner . . 861
Cber die Richtung der elektrischen Strömung in Blitzen, von
Max Toepler 352
Das Spektrum des Nordlichtes 866
Das Nordlicht vom 9. September 1898, von W. Schaper .... 366
Katalog der in Norwegen bis Juni 1878 beobachteten Nordlichter 867
Optische Erscheinungren der Atmosphäre .... 368—861
Kimmtiefenbeobachtungen, von Karl Koss 868
Die tägliche Variation der atmosphärischen Strahlenbrechung,
von V. E. Boccara 368
Der Regenbogen in Russland, von Ernst Leyst 369
Kllmatolosie 361-866
Ober klimatologische Mittelwerte für ganze Breitenkreise, von
W.v.Bezold 361
Verzeichnis der Tafeln.
Tafel I: Strahlungen in der Sonnenkorona am 18. Mai 1901.
„ U: Typische Stemspektra nach den photogr. Aufnahmen in Arequipa.
, ni: Isonypsen des Geoids der Schweiz entw. von Dr. B. Messerschmitt.
„ IV: Flugsandformationen nach E. v. Chobioky.
„ V: Pyramidenförmige Nebelkuppe. Aufgenommen vom Mount Tamal-
pais in Califomien.
Astrophysik.
Sonne.
Sonnenstaüstik 1901. Die RelativzaMen der Sonnenflecke
sind auch für dieses Jahr von A. Woller festgestellt worden.^) Die
nachstehende Tabelle enthalt die Ergebnisse auf Grund der in Zürich
und an fünfzehn andern Orten angestellten Beobachtungen. Es be-
zeichnet darin n die Zahl der Beobachtungstage, m die Zahl der
fleckenfreien Tage, und r die mittlere Relativzahl.
1901
n
m
r
Januar
31
30
0.2
Februar
28
20
2.4
März
31
23
4.5
April
80
31
30
18
0.0
mL
102
Juni
30
15
5.8
JuJi
81
31
28
27
0.7
August
1.0
September
30
28
0.6
Oktober
31
21
3.7
November
80
16
3.8
Dezember
31
31
0.0
Jahr
365
287
2.7
Das Jahresmittel r = 2.7 ist gegenüber dem Voijahre (r = 9.5)
noch etwas starker gesunken als von 1899 auf 1900, und die Ab-
nahme erstreckt sich auf alle einzelnen Monate. Nicht weniger be-
zeichnend für die ungewöhnlich geringe Thätigkeit ist die auf voUe
287 angestiegene Zahl der fleckenfreien Tage, und eine Vergleichung
mit frühem Minimaljahren ist in beiden Richtungen nicht ohne
Interesse.
„Es steht das Jahr 1901 sowohl nach Massgabe der Relativzahl
als aach des Verhältnisses der fleckenfreien Tage zu den vorhandenen
^ Astron. Mitteilungen von A. Wolfer, No. 93. Vierteljahrsschrift der
Naturforsch. Gesellachaft in Zürich 1902, p. 58.
Klein, Jahrbuch Xm. 1
Sonne.
Beobachtungstagen noch unter dem Minimum von 1878, das doch
ein sehr ausgeprägtes war, und man muss bis auf 1823 zurück-
gehen, bevor man zu einem ebenso niedem wie das gegenwärtige
gelangt Übrigens scheint es, soweit die bis jetzt vorliegenden
Beobachtungen von 1902 zeigen, durch seine lange Dauer nicht
weniger als durch seine Tiefe sich bemerkbar zu machen« Da&s die
Minimumepoche in das Jahr 1901 fällt, ist wohl ziemlich sicher;
gegenüber dem normalen 11 -jährigen Periodenwechsel ist sie aber
auch so schon stark verspätet; denn nach normalem Verlaufe hätte sie,
wenn man vom letzten Minimum aus rechnet, auf 1889,6 -|- 11,1 =
1900,7, und wenn man vom letzten Maximum ausgeht, d. h. diesem
das mittlere Zeitintervall zwischen einem Maximum und dem folgen-
den Minimum (6.0 Jahre) hinzufügt, auf 1894,1 -f 6,0 = 1900,1
also im Mittel noch etwas vor Mitte 1900, fallen müssen. Dass dies
nicht zutrifft, steht ausser Frage und wird am besten durch die
nachstehenden ausgeglichenen Relativzahlen, soweit sie zur Zeit sich
berechnen lassen, bewiesen:
Jahr
.J_
n
in
rv
V
Moi
VI
Qat
vn
vin
IX
X
XI
XU
1900
1901
10.7
4.8
10.5
4.4
10.6
3.9
10.6
8.2
10.4
2.8
9.9
2.8
9.1
8.2
7.6
6.8
6.9
5.4
Hiemach ist in der Abnahme der Zahlen erst gegen Mitte 1901
ein Stillstand eingetreten; es liegt somit eine Verspätung von min-
destens einem Jahre gegenüber der normalen Epochenfolge vor. Dass
anderseits die Minimumepoche nicht ausserhalb 1901, also nicht
erst 1902 zu erwarten ist, scheint daraus hervorzugehen, dass die
Flecke hoher Breite, als erste Anzeichen der neuen Thäügkeitsperiode,
sich merklich zahlreicher als 1900 — 8 gegenüber 2 — eingestellt
haben. Es ist also anzunehmen, dass mit dem Jahre 1901 auch die
Minimumepoche überschritten wurde; ihre definitive Festsetzung wird
jedoch vor Ablauf von 1902 nicht möglich sein.
Die Fleckenkurve zeigt 1901 einen äusserst wenig bewegten
Verlauf. Drei kleinen Erhebungen am Anfange des Jahres, die je auf
den Anfang der Rotationspenoden 540, 541 und 542 fallen, also
derselben Rotationsphase entsprechen, folgt eine Periode gänzlicher
Ruhe vom 11. März bis 18. Mai, also während vollen 68 Tagen.
Die nächste, zugleich grösste Erhebung in der zweiten Hälfte des
Mai ist durch die damals vorhandene, vom 19. — 31. Mai sichtbare
ziemlich grosse Fleckengruppe verursacht, und es folgt ihr in Rotation
546 eine nochmalige, der Rückkehr der gleichen Gruppe entsprechende,
aber schon bedeutend verminderte Wiederholung; in Rot 547 war
die betreffende Stelle wieder fleckenleer. Es begann damit eine
zweite lange Periode der Ruhe, die nur von einigen kleinen
Sonne. 3
sporadischen Flecken von kurzer Dauer unterbrochen wurde; die
Mehrzahl von diesen gehörte aber bereits den hohen Breiten, also
der neu beginnenden Thätigkeitsperiode an. Gegen Ende des Jahres
traten nochmals einige etwas grössere Gruppen von mehrtägiger
Dauer, namentlich ein Hoffleck in der zweiten Hälfte November auf,
denen die 3 Erhebungen der Kurve in Rot. 550 und 551 entsprechen,
und denen sodann von Ende November bis zum Jahresschlüsse wieder
eine ganzlich fleckenfreie Zeit folgte. Die fleckenbildende Thätigkeit
der Sonne hat sonach im Jahre 1901 nur noch dreimal während je
ungefähr 2 Monaten einen nennenswerten Grad erreicht, einmal
im Februar und März, das zweite Mal im Mai und Juni, das dritte
Mal im Oktober und November; diese 3 Thätigkeitsperioden sind
durch Zeiträume getrennt« in denen die Thätigkeit entweder gänzlich
erloschen war oder doch nur noch zu einigen sporadischen, minimen
Fleckenbildungen führte, die zum Teil bereits als vorläufige Symptome
der neu beginnenden 11 -jährigen Thätigkeitsperiode zu betrachten sind.
Die geringe Zahl der Fleckengruppen lässt keine stark hervor-
tretenden Anhäufungen an bestimmten Stellen erkennen; immerhin
bemerkt man, dass die Flecken der Rotationen 540 — 542 alle auf
demselben Gebiete entstanden sind, dass femer in den Rotationen
545 — 548 zwei solche Gebiete in annähernder Diametralstellung vor-
handen waren, und auch für die Rotationen 549 — 551 eine ähnliche
Verteilung wenigstens angedeutet ist.''
Beobaehtungen fiber die grrosse Sonnenfleckengruppe 1901
Mai 19. bis Juni 26. hat P. A. Z. Cortis S. J. am New-York College
Observatorium angestellt.^) Die grösste von der Gruppe eingenommene
Flache zeigte sich Mai 22. und betrug 0.00152 der sichtbaren Sonnen-
scheibe. Die Gruppe war dem blossen Auge sichtbar, ein seltener
Fall zur Zeit eines Sonnenfleckminimums. Aus den Beobachtungen
ergiebt sich, dass die gestörte Region der Sonnenkorona 1901 am
18. Mai dem Auftreten der Flecke entspricht Der Aufbruch derselben
geschah von einer Stelle der Sonne, welche schon zur Zeit einer
Rotationsperiode früher gestört war. Eine Beziehiing des Auf-
tretens dieser Gruppe zu magnetischen Störungen fand nicht statt.
Im Spektrum der Flecken zeigten sich gegen das rote Ende hin die
meist verbreiteten Linien fein, sie gehörten meist dem Vanadium und
Titanium an. Endlich kommt der Beobachter noch zu dem Schlüsse,
dass das Niveau der Flecken dem Niveau der hohem, mehr diffusen
Gase entspricht, wie das Flashspektrum bei totalen Sonnenfinster-
nissen liefert
Die Sonnenfleeken und Fackeln nach den photogpaphlschen
Aufnahmen zu Greenwich, Dehra Dün (Indien) und auf Hau-
*) Monthly Notices 7. Mai 1902. 62. p. 516.
Sonne.
ritius. Die Sternwarte zu Greenwich veröffentlichte^) eine Zusammen-
stellung der Flächen, welche die Flecken, Gruppen und Fackeln auf
der Sonne im Jahre 1901 bedeckten. Zunächst werden diese Flächen
für jede Rotationsdauer der Sonne während des genannten Jahres
mitgeteilt, wobei die Zahl der Rotationen von 1853 Nov. 9 ab ge-
rechnet wird, als R. G. Garrington seine berühmten Sonnenbeobachtungen
zu Redhill begann. Als erster Meridian ist derjenige angenommen, der
1854 Januar 1. mittags den aufsteigenden Knoten passierte, und als
Rotationsdauer der Sonne ist der Wert von 25.38 Tagen angesetzt.
Hiernach war der Anfang der Rotation No. 633 1901 Januar 20.98
mittlerer Zeit von Greenwich. Im folgenden wird die gleichfalls
angegebene mittlere tägliche Fläche (in Millionstel der Sonnenober-
fläche) mitgeteilt, welche die Flecken, Gruppen und Fackeln in den
Jahren 1889 — 1901 umfassten, korrigiert für die Projektion:
J&hr
Zahl der Tage,
an denen photogr.
MitÜere tägUche Flächen der
«IWll
Aufnahmen
gemacht wurden.
Flecken
Gruppen
Fackeln
1889
360
13.1
78.0
131
1890
861
15.5
99.4
304
1891
868
86.2
569
1412
1892
362
186
1214
8270
1893
362
234
1464
2404
1894
364
231
12R2
1877
1895
364
169
974
2278
1896
364
90
543
1410
1897
364
88
514
1149
1898
363
64
875
891
1899
364
18
111
337
1900
360
17
75
180
1901
359
8.6
29
29
Die folgende Tabelle giebt für die nämlichen Jahre die Flecken-
verteilung mit Rücksicht auf nördliche und südliche Hemisphäre und
die heliographische Breite. Die einzelnen Kolonnen bezeichnen:
a das Jahr, b die Zahl der Tage, an denen die Sonne photographiert
1) Monthly Notices 1902. 62. No. 5. p. 378.
Sonne.
wurde, c das mittlere tagliche Areal, d die mittlere heliographische
Breite der Flecken, e die mittlere heliographische Breite des ganzen
mit Flecken besetzten Güxtels der Sonne, f den mittlem Abstand aller
Flecken vom Sonnenäqnator.
Flecken nördlich
Flecken südlich
vom Sonnenäqaator
vom Sonnenäquator
a
b
c
d
c
d
e
t
1889
360
6.0
726
78.0
11.90
—10.68
0
11.61
1890
361
53.1
22.20
46.8
21.76
+ 1.78
21.99
1891
363
401
20.49
169
19.91
+ 8.52
20.81
1892
362
607
15.09
607
21.69
-8.29
18.89
1893
360
617
14.91
941
14.26
-8.93
14.49
1894
364
548
12.31
739
15.66
— 8.75
14.18
1896
864
565
14.26
409
12.54
+ 8.01
18.54
1896
364
208
18.60
840
1477
— 4.15
14.38
1897
864
196
8.82
318
7.78
— 1.62
7.96
1896
368
110
9.82
266
10.77
— 4.75
10.49
1899
364
23
6.18
88
10.48
-6.95
9.54
1900
360
26
6.61
49
8.84
— 8.12
7.74
1901
359
22
8.59
6.6
16.27
+ 2.82
10.87
Die Sonnenthätlgrkeit von 1888—1900 ist von William J.
8. Lockyer studiert worden. ^) Folgendes giebt den hauptsächlichsten
Inhalt dieser Abhandlung wieder.
Die genaue Untersuchung der Kurven, welche die verschiedene Grösse
des durch Flecken bedeckten Teiles der Sonnenoberfläche darstellen, ergiebt,
dass zwei aufeinanderfolgende Cyklen der Sonnenflecke weder in Bezug auf
die Form, noch in Bezug auf die Grösse der bedeckten Fläche einander
^totch sind. Die Individualität der Cyklen scheint bei fernerer Untersuchung
aber nach einer bestimmten Zeit wiederzukehren, und diese Eigentümlichkeit,
welche sich in gleicher Weise bei der Variation der magnetischen Elemente
zeigt und auch bei verschiedenen andern terrestrischen Erscheinungen ver-
mutet wird, gab die Veranlassung zu einer neuen Untersuchung, deren erste
Resultate hier vorgelegt werden.
Prof. Rudolf Wou") in Zürich machte in einer frühem Untersuchung
aufmerksam, dass die Häufigkeit der Sonnenflecken seit ihrer Entdeckung
im Jahre 1610 sich fortwährend periodisch ändert; dass die mittlere Länge
') Proceed. Royal Society 68. No. 446. Sirius 1902. Heft 6 u. 7.
*) Mem R. Astron. Soc. 48. p. 200.
6 Sonne.
einer Periode 11 ^/^ Jahre beträgt, und dass dieselbe Periode den Änderungen
der magnetischen Variationen und selbst der Häufigkeit der Nordlichter
entspricht. Er bemerkte vorsichtig, dass nur die mittlere Länge der Periode
11 ^/^ Jahre beträgt, während die wirkliche Länge jeder Periode von diesem
Werte bis zu einem Betrage von 2 Jahren abweichen kann.
Er bemerkte femer, dass die Eintrittszeiten des Maximums nicht in
einer festen Anzahl Jahren nach dem vorausgehenden Minimum eintrifft,
und bestimmte die mittlere Dauer vom Minimum zum nachfolgenden Maxi-
mum zu 4.6 und von diesem wieder zum darauffolgenden Minimum zu
6.6 Jahren.
Auch war er anfangs der Ansicht, dass die ganze von Flecken be-
deckte Fläche für jede Periode konstant sei, doch konnte er später^) diese
Ansicht nicht aufrechterhalten, weil die Grösse der bedeckten Fläche sich
nicht nur änderte, sondern »eine bestimmte Gesetzmässigkeit« zeigte. Die
Länge der Periode dieser Variation bestimmte er zu ungefähr 178 Jahren;
sieumfasst also sechzehn gewöhnliche Sonnenfleckenperioden zu 11.1 Jahren.
Später kam Prof. Wolf dazu, eine kürzere Periode von 66.6 Jahren
anzunehmen, welche also fünf gewöhnliche Perioden zu 11 Jahren umfasst.
In einer kürzlich erschienenen Abhandlung hat Prof. Simon Newcomb ')
die Resultate seiner Untersuchung über die Unregelmässigkeiten in den auf-
einanderfolgenden Sonnenfleckenperioden mitgeteilt, wobei er Wolfs Zahlen
bis Ende 1872 und die Fleckenflächen, wie sie nach den Greenwicher
Sonnenphotographien sich ergaben, benutzt.
Er gelangte schliesslich zu folgendem Satze : »Die periodischen Ände-
rungen der Sonnenfleckenthätigkeit sind überlagert von einem gleichförmigen
Cyklus, welcher in der Zeit (innerhalb der gewöhnlichen Sonnenflecken-
Perioden) unverändert bleibt und nur das allgemeine Mittel der Sonnen-
thätigkeit beeinflusst.«
Indessen hat Prof. Newcomb nicht die Länge der Perioden für diesen
Cyklus im Auge, sondern indem er über dessen Ursprung schreibt, macht
er die Bemerkung : »Wir haben gegenwärtig keine Mittel, um zu entscheiden»
ob die Ursache dieses Cyklus ausserhalb oder innerhalb der Sonne zu suchen
ist, ob sie thatsächlich in der Natur eines Cyklus von Änderungen in der
Sonne liegt <
In den Untersuchungen über Perioden der Sonnenthätigkeit haben sich
die meisten Forscher einfach auf die Zahlen von Wolf gestützt, die von
ihm bis zum Jahre 1749 zurück, ermittelt worden sind. Indessen weiss man»
dass diese Zahlen erst seit der Zeit, als systematische Beobachtungen der
Sonnenfläche durch Schwabe (1833) begonnen wurden, mit den wirklichen
Thatsachen genau übereinstimmen; vor dieser Zeit jedoch sind sie nicht
auf Beobachtungen allein gestützt, sondern beruhen auf gewissen An-
nahmen,") welche aus den Resultaten der Beobachtungen von 1888— 187&
gewonnen wurden. Obwohl also Prof. Wolf eine Kurve lieferte, welche die
von Flecken bedeckten Flächen seit dem Jahre 1749 darstellt, habe ich
doch für die vorliegende Abhandlung die Diskussion nur auf jene Relativ-
zahlen beschränkt, welche wirkliche systematische Beobachtungen seit 1888
zur Grundlage haben. Dadurch wurde die Untersuchung allerdings auf eine
verhältnismässig kurze Zeit beschränkt, nämlich auf 66 Jahre (1888 — 1899)»
doch lag die Meinung zu Grunde, dass die Auffindung von Änderungen,
wenn sie grösser wären als solche, welche als Beobachtungsfehler betrachtet
werden könnten, nur auf richtige Beobachtungen gestützt werden müsste
und nicht auf thatsächlich etwas unsichere Angaben.
^) Astron. Mitteü. 1876. p. 47 ff.
T The Astro-Physical Journal 1901. 18. No. 1. p. 1.
») Astron. MitteiL von Rudolf Wolf, Zürich, 1876. p. 39 ff.
Sonne. 7
Die wichtigen Resultate, welche WiUiam ElUs^) aus einer Diskussion
der magnetischen Beobachtungen von Greenwich ableitete, gaben mir sehr
wertvolle Daten an die Hand bei der Forschung nach Änderungen, welche
aus den Sonnenfleckenkurven sich möglicherweise ergeben könnten, denn
Elfis hat gezeigt, dass die Kurven für die magnetischen Elemente in sehr
genauer Obereinstimmung stehen mit jenen, welche Wolf für die Sonnen-
flecken erhalten hat.
EUis bemerkt darüber: »Erwägt man, dass die Unregehnässigkeiten
in der Länge der Sonnenfleckenperiode durchaus mit ähnlichen Unregel-
mässigkeiten der magnetischen Periode übereinstimmen, und dass auch die
Erhebungen und Senkungen der Extreme der Sonnenfleckenkurve von ähn-
lichen Hebungen und Senkungen in den magnetischen Kurven begleitet sind,
so dürfte es scheinen, dass die Voraussetzung, dieses sei nur ein zufälliges
Zusammentreffen, kaum aufrecht erhalten werden kann, und man notwendig
den Schluss ziehen muss, dass eine solche Übereinstimmung, sowohl der
Dauer wie der Amplitude der Schwankungen, auf eine unmittelbare Beziehung
zwischen den beiden Erscheinungen hinweist oder wenigstens auf das Vor^
handensein einer gemeinsamen Ursache, welche beide hervorbringt. Das
rasche Ansteigen vom Minimum zum Maximum und das mehr stufenweiBe
Abfallen vom Maximum zum Minimum ist für alle 3 Kurven charakteristisch.«
Die benutzten Sonnenflecken- und magnetischen Epochen.
Da diese Ahandlung hauptsächlich von den Eintrittszeiten der Maxima und
Minima sowohl für die Sonnenflecken- wie für die magnetischen Kurven
handelt, war es notwendig, die Resultate der ausgeglichenen Kurven zu
benutzen, weil die Originalkurven sekundäre Schwanlningen, insbesondere zur
Z^ des Maximums, aufweisen.
Bis zum Sonnenfleckenmaximum von 1870.6 hat Dr. Wolf die Daten
dieser Epochen publiziert ; ^) diese wurden hier benutzt. Die neueren Epochen
sind durch Ellis') zusammengestellt worden, und sie vervollständigen die
brauchbaren Daten bis zur letzten Epoche, insbesondere geben sie das
Maximum von 1894.0.
Die hier benutzten magnetischen Epochen sind jene, welche Ellis publi-
ziert hat; sie sind in ähnlicher Weise aus ausgeglichenen Kurven abgeleitet,
wie die der Sonnenfleckenkurven. Doch beginnen die Beobachtungen,
welche er diskutiert, erst mit Anfang 1841, so dass ein Vergleich nur bis zu
diesem Datum gemacht werden kann.
Die Sonnenfleckenkurven. Vom Minimum bis zum Maximum.
In folgender Tabelle sind die Epochen der Maxima und Minima dargestellt :
Sonnenfleckenepochen (Wolf) Anzahl der Jahre
Maximum — Minimum
3.3
4.6
4.1
3.4
6.0
3.8
Maximum
1.
1833.9
1837.2
2.
43.5
48.1
3.
56.0
60.1
4.
67.2
706
5.
79.0
84.0
6.
90.2
94.0
Mittel 4.03
Wenn die Zahlen der letzten Kolumne als Ordinaten und die Zeiten
als Abedssen aufgetragen werden, so erhält man die Kurve der Verände-
rangen. Charakteristisch für diese Kurve ist das schnelle Aufsteigen zum
Maximnm im Jahre 1843 und das langsame Abfallen zum Minimum im
Proc. Roy. Soc. 63. p. 64.
Mem. Roy. Soc. 43. p. 2Ü2.
Proc. Roy. Soc. 63. p. 67.
1.
2.
Minimum
Mazunum
18^66
1848!55
8,
56.15
60.40
4.
67.55
70.85
5.
78.85
88.90
6.
89.75
93.75
8 Sonne.
Jahre 1867. Dem letztern folgt ein ähnliches rasches Ansteigen zum
nächsten Maximum im Jahre 1879 und ein langsames Abfallen, soweit die
gegenwärtigen Beobachtungen reichen. Die Kurve weist also darauf hin,
dass irgend eine Ursache thätig sein muss, welche eine Säkularvariation
veranlag indem die Sonnenfleckenmaxima in Bezug auf die vorausgehenden
Minima verzögert werden.
Die Periode dieser Verzögerung lässt sich ermittehd, indem man das
Intervall zwischen den Zeiten der Maxima oder Minima der Kurve dieser
säkularen Variation nimmt. Zieht man die Minima in Rücksicht, d. h. die
Zeit von 1883.9—1867.2, so hat man eine Periode von 88.8 Jahren, und
wenn man die Maxima um 1848.5 und 1879.0 nimmt, so erhält man 35.5 Jahre.
Das Mittel dieser 2 Werte giebt eine Periode von 84.4 Jahren.
Die magnetischen Kurven. Vom Minimum bis zum Maximum. Die
von Ellis erhaltenen Werte für die magnetischen Epochen wurden in der-
selben Weise wie die Sonnenfleckenepochen untersucht. Bildet man wie
oben die Tabelle Maximum-Minimum und setzt in der letzten Kolumne die
Werte Maximum-Minimum der Sonnenfleckenkurve aus der vorausgehenden
Tabelle zum Vergleiche, so ergiebt sich:
Magnetische Epochen (Ellis) Maximum-Minimum
''^EJJln^' Sonnenflecken
— 8.3
4.95 4.6
4.25 4.1
3.30 8.4
5.05 5.0
4.00 8.8
Der fast vollständige Parallelismus der Zahlen in den letzten zwei
Kolumnen zeigt ihre genaue Übereinstimmung untereinander.
Der Wert für die Länge der Periode, der sich aus dem Intervall zwischen
den beiden Maximis dieser Periode um 1848.60 und 1878.85 ergiebt, ist 35.25
Jahre, was nicht viel von dem Werte abweicht, welcher aus den Maximis
der korrespondierenden Sonnenfleckenkurve abgeleitet wurde, nämlich
85.5 Jahre.
Die Sonnenflecken- und magnetischen Kurven vom Maxi-
mum bis zum Minimum. Stellt man die Werte der Intervalle vom Minimum
bis zum Maximum aus den beiden Sonnenflecken- und magnetischen Kurven
zusammen, so kann ihr Mittelwert gebildet werden, welcher in der letzten
Kolumne der folgenden Tabelle gegeben ist, wo auch noch das Gesamt-
mittel für die ganze Periode unten beigefügt ist:
bis zum nächsten Maximum:
Mittel der Sonnenflecken- und
magnetischen Intervalle in
Jahren
3.8
4.77
4.17
8.35
5.02
3.90
Mittel 4.08
Da diese Zahlen mehr als einen vollständigen Gyklus umfassen, so
können sie so kombiniert werden, dass man Mittelwerte der Intervalle
Minimum«Mayimum für jene Epochen erhält, für welche die Intervalle ihre
grössten, mittlem und Kleinsten Werte haben. So folgten in den Jahren
1848 und 1879 die Maxima den Minimis in 4.77, bezw. 5.02 Jahren, das
Vom Minimum,
welches eintraf
um das Jahr
1.
1833
2.
43
8.
56
4.
67
5.
79
6.
90
Sonne. 1)
mitüero Intervall ist also 489 Jahre. Für die Mittelstufe, durch Zusammen-
fasBiing von 3. und 6. ergiebt sich der Wert von 4.03 Jahren, während für
das kleinste Intervall durch Zusammenfassung von 1. und 4. der Wert 3.32
Jahre resultiert
Die wirkliche Epoche des Maximums in Bezug auf das vorausgehende
Minimum schwankt um den Mittelwert, die grösste ^plitude der Schwankung
beträgt im Mittel 0.8 Jahre.
Die totale Sonnenfleckenfläche. Vom Minimum zum Mini-
ma m. Der grosse unterschied in der Grösse der von Sonnenflecken bedeckten
Fläehe während aufeinander folgender Perioden von 11 Jiüiren liess vermuten,
dass dieperiodische Verzögerung der Majüma in Bezug auf das unmittelbar
vorausgehende Minimum von Variationen begleitet sei, welche deiselben
Gesetzmässigkeit folgen würden. Man bemerkte, dass, wenn ein Maximum
verhältnismässig früh nach einem Minimum auftrat, die Tendenz vorhanden
war, dass die ganze von Sonnenflecken bedeckte Fläche für diese Sonnen-
fleckenperiode vergrössert wird.
Zu dieser Untersuchung konnte ich die Werte benützen, welche am
>Solar Physics 0bservatoi7< aus einer neuen Reduktion der Kurven, welche
die von Flecken bedeckte Sonnenoberfläche darstellen, erhalten wurden.
Diese Werte sind in der letzten Kolumne der folgenden kleinen Tabelle
wiedergegeben, und zwar geben sie die von Flecken bedeckte Fläche in
millionsten Teilen der sichtbaren Sonnenhemisphäre von einem Minimum
bis zum darauffolgenden:
Sonnenfleckenperiode
Ganze von Flecken
bedeckte Fl&ohe
86003
85201
111514
126188
78853
96734+
Die Zahlen der letzten Kolumne zeigen eine ähnliche, jedoch um-
gdiehrte Reihenfolge wie jene der vorhergehenden Tabellen. So hat man
vom MLinimum 1867.2 bis zum folgenden Maximum 1870.6 ein kurzes Zeit-
intervall; die von Flecken bedeckte Fläche für diese Periode ist aber sehr
gross. Werden obige Werte der letzten Kolunme graphisch dargestellt und
die Kurve umgekehrt, so zeigt sich eine auffallende Ähnlichkeit mit den
Kurven, von denen oben die Rede war. Besonders bemerkenswert ist das
langsame Abfallen von 1843 bis zum Minimum im Jahre 1867.2 und das
schnelle Ansteigen bis 1879.0.
Es muss bemerkt werden, dass der Wert für die Grösse der von Sonnen-
flecken bedeckten Fläche für die Periode 1833.9 — 1843.5, der zeitlich erste
Wert, welcher in Betracht gezogen wurde, nicht ganz in Obereinstimmung
ist mit den andern Werten. Es ist wahrscheinlich, dass, obwohl bei dieser
Periode die Zeit des Maximums und Minimums genau bestimmt werden
konnte, die Werte zu klein sind, weil die Beobachtungen von Schwabe in
dieser Periode nicht ganz nach einem einheitlichen Plane angestellt worden
suuL
Bezüglich des in der letzten Zeile der letzten Kolumne der Tabelle
ang^ebenen Wertes ist zu bemerken, dass er zwar wahrscheinlich sehr nahe
der Wrklichkeit liegt, jedoch ist es noch unmöglich, das Datum des gegen-
wärtigen Minimums genau festzustellen. Alle seit dem Minimum von 1890
bis zum Anfange des Jahres 1900 registrierten Sonnenflecken wurden zur
Bestimmung desselben benutzt; doch ist dieser Wert nur wenig kleiner als
der wirkliche, deshalb wurde das ± Zeichen beigefügt.
vom Minimnm
bis zum Minimnm
1833.9
1843.5
43.5
56.0
56.6
67.2
67.2
79.0
79.0
90.2
90.2
1901.+
10
Sonne.
Wenn man diese beiden Umstände berücksichtigt, erkennt man, dass
die umgekehrte Kurve für die ganze von Sonnenilecken bedeckte Fläche
thatsächlich als genaues Gegenbild der andern 2 Kurven betrachtet
werden kann.
Der vollständige Verlauf der magnetischen Kurven. Vom
Minimum zum Minimum. Die auffallende Ähnlichkeit zwischen den
magnetischen Kurven und der Sonnenfleckenkurve, besonders in den letzten
Jahren, wo diese Beobachtungen natürlich genauer waren, liess es überflüssig
erscheinen, die Variation in Bezug auf die ganze Ausdehnung der Kurven
von einem Minimum zum folgenden zu untersuchen (wie bei der Ausbreitung
der Sonnenflecken). Diese Variation erscheint mehr ausgesprochen bei der
Kurve, welche die Horizontalintensität darstellt, als bei jener für die Dekli-
nation. Stellt man die Werte zusammen, welche für die Länge der Säkular-
periode der untersuchten Variation gefunden wurden, so ergiebt sich die
lolgende Tabelle:
Maximum
zum Maximum
Jahre
Sonnenfleckenkurve 35.5
Magnetische Kurve 35.25
Totalfläche der Sonnenflecken als Periode 35.5
Mittel 35.41
Minimum
zum Minimum
Jahre
33.3
33.2
Gesamtmittel
34.89
Die Thatsachen führen uns also zum Schlüsse, dass die gewöhnliche
Sonnenfleckenperiode von ungefähr 11 Jahren von einem Cyklus grosserer
Länge, nämlich von ungefähr 35 Jahren, überlagert wird. Dieser Cyklus
beeinflusst nicht nur die Eintrittszeit der Maxima in Bezug auf die vor-
ausgehenden Minima, sondern bringt auch Änderungen der Totalfläche der
Sonnenflecken von einer elfjährigen Periode zur andern hervor.
Änderung der Längedes Intervalls vom Minimum zu Mini-
mum. Neben der verschiedenen Variation der Länge des Intervalls vom
Minimum bis zum Maximum zeigen die Kurven eine weitere Variation, wenn
man das Intervall vom Minimum zum Minimum betrachtet Deshalb wurde
der Versuch gemacht, eine Gesetzmässigkeit hierin zu entdecken, doch
führte die Untersuchung zu einem negativen Resultate.
Minimum,
beginnend
im Jahre
18381
43
56
67
79
90
Mittel
Sonnenflecken
Minimum Abweiohg.
Bum
Minimum
Jahre
9.6
12.5
11.2
11.8
11.2
vom
Mittel
Jahre
—1.7
4-1.2
-0.1
+0.5
-0.1
Magnetismus
Minimum Abweiohg.
2um vom
Minimum Mittel
Jahre Jahre
Kombination
Minimum Abweichg.
11.8 —
12.55
11.40
11,30
10.90
11.54
+L0
-0.14
0.24
-0.64
Minimum
Jahre
9.6
12.52
11.80
11.55
11.05
11.20
vom
Mittel
Jahre
—1.7
+1.32
+0.10
+0.35
-0.15
Es scheint also sowohl bei der magnetischen, wie bei der Sonnen*
fleckenperiode eine Variation der Länge vorhanden zu sein (wenn man von
einem Minimum zum folgenden rechnet), welche in einer Vergrösserun^ und
Verkleinerung des Mittelwertes in den abwechselnden elfjährigen Penoden
besteht, doch erstrecken sich die Beobachtungen nicht über ein hinreichend
grosses ZeitintervaJl, um einen sichern Schluss zu ermöglichen.
Beziehung zwischen der Sonnenfleckenkurve und der
Lichtkurve von ^ Aquilae. Es wird meist angenommen, dass die
Flecken an der Oberfläche der Sonne das Resultat grösserer Aktivität in der
Sonne. 1 1
Girindation der Sonnenatmosphäre sind, daher grössere Hitze und deshalb
iQch mehr Licht anzeigen. Wenn es sich thatsächlich so verhält, kann die
Kurve, welche die von Flecken bedeckte Fläche darstellt, auch als eine
Lichtkurve der Sonne angesehen werden.
Die Sonne darf also als ein veränderlicher Stern betrachtet werden,
dessen Licht (von einem Minimum zum folgenden gerechnet) veränderlich ist
ond eine Periode von ungefähr 11.1 Jahren hat; das Maximum tritt nicht
eine konstante Zahl von Jahren nach dem vorausgehenden Minimum ein,
sondern die Eintrittszeit desselben ändert sich regelmässig, wobei der Cyklus
dieser Variationen ungefähr 35 Jahre umfasst.
Es ist deshalb von Interesse, zu untersuchen, ob es Sterne giebt, welche
ähnliche Variationen wie die oben angegebenen zeigen.
Im Jahre 1897 unternahm ich eine Bearbeitung aller Beobachtungen
über den veränderlichen Stern ij Aquüae,*) welche zwischen den Jahren
1840 und 18d4 angestellt worden sind.
Für die gegenwärtige Untersuchung ist die Lichtkurve dieses Sternes
von grossem Interesse, da die Haupteigentümlichkeiten derselben ähnlich
deojeni^n der Sonnenfleckenkurve sind.
Nicht nur das raschere Ansteigen zum Maximum und das langsame
Abfallen zum Minimum sind ausgesprochene Eigentümlichkeiten der Kurve,
sondern die Perioden ändern sich (vom Minimum ab gerechnet) etwas in
ihrer Dauer während vieler mittlem Perioden. Noch wichtiger ist, dass
die Eintrittszeit des Maximums in Bezug auf das vorausgehende Minimum
verhältnismässig grosse Schwankungen im Verlaufe von einigen mittlem
Perioden erleidet. Diese Eigentümlichkeiten der Sonnenfleckenkurve und
der Lichtkurve von 17 Aquilae zeigt die nachstehende Zusammenstellung.
In derselben sind die verschiedenen Zeitintervalle in Teilen und Vielfachen
der Sonnenfleckenperiode (Q) und der von ^ Aquilae (P) in besondern
Kolumnen wiedergegeben.
Lichtkurve
der Sonne von rj Aquilae
Jahre
MitÜere Dauer . . 11.20 Q 7d4ii 14.4m P
Periode der Varia-
tion unbekannt ? — 2400 P
Variation des Maxi-
mums vom Mittel ±>1.4 ±>0.12Q ±8h 0.017P
MitÜere Dauer . . 4.12 (ungefähr) 0.37 Q 2.5^ 0.81 P
Periode der Varia-
tion 34.8 , 3.10Q — 400P
Variation des Maxi-
mums vom Mittel ±0.8 ±0.07 Q ±5b ±0.03 P
Stellt man gegebene Variationen der Eintrittszeiten der Maxima und
Sfinima ^aphisch dar, so fällt die regelmässige Variation der Eintrittszeit
des Maximums gegenüber der Konstanz der Eintrittszeit des Minimums auf;
ebenso ist das rasche Ansteigen der Kurven der verschiedenen Grappen zum
Maximum, sovrie das langsame, stufenweise Abfallen zum Minimum sehr
deutlich ausgeprägt.
Andere Gy klen von ungefähr 85 Jahren. Nachdem wir gefunden
haboi, dass ausser der bekannten elfjährigen Periode der Häufigkeit der
Sonnenflecken noch ein anderer Cyklus vorhanden ist, welcher ungefähr
85 Jahre umfasst, und welcher, wie gezeigt, sowohl in der Änderung der
""3
i 9
i §
SSB
531
95 »
^) «Resultate aus den Beobachtungen des veränderlichen Sternes
^ Aquilae*, Inaogural-Dissertation, Universität Göttingen, 1897 (Dulau and
Co., London).
12 Sonne.
Eintrittszeiten der Maxima wie in den Variationen der Fläche, welche in auf-
einanderfolgenden Perioden von den Sonnenilecken- und magnetischen Kurven
eingeschlossen wird, deutlich hervortritt, ist es natürlich, anzunehmen, dass
diese langperiodische Variation die Wirkung eines Cyklus von Störungen in der
Sonnenatmosphäre selbst ist. Gin solcher Cyklus müsste, bei genügender Inten-
sität, eine Änderung der normalen Cirkulation der Erdatmosphäre hervorbringen
und in allen meteorologischen und ähnlichen Phänomenen zum Vorscheme
kommen. Es ist indessen nicht meine Absicht, in dieser Beziehung auf
Details einzugehen, doch möge an die Arbeiten Prof. Eduard Brückners^)
erinnert werden. Prof. Brückner beschränkte seine Untersuchung nicht auf
Beobachtungen, welche auf einer kleinen Fläche oder nur während eines
kurzen Zeitintervalles gemacht wurden, sondern benutzte möglichst aus-
gedehnte Beobachtungen aus fast jedem Teile der zivilisierten Welt. Auch
beschränkte er die Diskussion der Beobachtungen nicht auf eine oder zwei
meteorologische Erscheinungen, sondern untersuchte in kritischer Weise
alle möglichen Beziehungen; so suchte er Variationen in den Wasserständen
der Landseen und Flüsse, des Niederschlages, Luftdruckes und der Temperatur,
der Bewegung der Gletscher, der Häufigkeit kalter Winter, die Erträgnisse
der Weinkultur u. s. w. Die Untersuchung führte ihn zu dem Schlüsse,
dass auf der ganzen Erde eine periodische Variation der Klimate existiert,
deren mittlere Periodenlänge 34.8+0.7 Jahre beträgt.
Es ist wichtig zu bemerken, dass Prof. Brückner so sehr von der
Existenz dieser Klimaschwankung überzeugt und so sicher war, dass solche
Änderungen nur durch einen äussern Einfluss hervorgebracht sein können,
dass er £e WoUschen Sonnenfleckzahlen einer Untersuchung unterzog, um
zu sehen, ob ein solcher Cyklus in dcDselben ebenfalls zu fmden sei.
Er kam aber zu dem Schlüsse, dass die Klimaschwankungen unabhängig
seien von der Häufigkeit der Sonnenflecken, und fasste das Resultat seiner
Untersuchungen in folgenden Worten zusammen:*)
,Die Klimaschwankungen vollziehen sich unabhängig von den Schwan-
kungen der Sonnenfleckenhäufigkeit; eine 55 jährige Periode der Witterung,
wie sie der letztern entsprechen würde, ist in unsern Zusammenstellungen
nicht zu erkennen.''
Indessen stellte er die kühne Behauptung auf, dass eine derartige
Variation doch thatsächlich in der Sonne vorhanden sein müsse, aber
mö^cherweise von den Sonnenflecken unabhängig sein könne. Er kam
schliesslich zu der Oberzeu^ng, dass die Klimaschwankungen das erste
Anzeichen einer langperiodischen Veränderung auf der Sonne sei, welche
wahrscheinlich später entdeckt würde. In Bezug auf vorliegende Abhandlung
sind Prof. Brückners Ergebnisse von grösstem Interesse, weil nicht nur die
Periodenlänge, sondern auch die kritischen Epochen seines Cyklus vollständig
mit denjenigen übereinstimmen, welche in der vorliegenden Untersuchung
der Sonnenflecken- und magnetischen Kurven gefunden wurden.
Eine graphische Vergleichung der meteorologischen Kurven mit jenen,
welche die Sonnenflecken- und magnetischen Beobachtungen ergaben, zeigt,
dass die langperiodische Kurve des Regenfalles in ihrem Maximum ist, oder
dass wir einen Cyklus nasser Witterung haben, wenn der Eintritt des
Maximums der von der Sonnenfläche bedeckten Fläche verhältnismässig
spät nach dem vorangehenden Minimum foljgt (1843, 1878), oder wenn die
von Flecken bedeckte Fläche von einem Minimum bis zum nachfolgenden
Minimum am geringsten ist.
Wenn anderseits das Maximum bald nach dem vorausgehenden Minimum
(1867) folgt, und die von Flecken bedeckte Fläche für diesen Cyklus ihr
^) Geogr. Abhandlungen, Wien. 4» Heft 2, 1890. Klimaschwankungen
seit 1700 nebst Bemerkungen über die Klimaschwankungen der Diluvialzeit.
*) Brückner, , Klimaschwankungen " p. 242.
Sonne. 1 3
Mairiinnin hat, zeigt die Regenfallkurve ihr Minimum, oder es herrscht ein
Cyklus trockener Witterung.
Beachtenswert ist auch, dass Prof. Ed. Richter in seiner eingehenden
Untersuchung über die Gletscherbewegungen eine Periode von 35 Jahren
findet. In seiner „Geschichte der Änderungen der Alpengletscher*' ^) fasst
& 8»ne Ergebnisse in folgende Worte zusammen: »Die Gletschervorstösse
wiederholen sich in Perioden, deren Länge zwischen 20 und 45 Jahren
schwankt und im Mittel der drei letzten Jahrhunderte genau 35 Jahre betrug.«
Pemor hob er hervor, dass diese Veränderungen im allgemeinen mit Brückners
Elimaschwankungen übereinstimmen, indem die Bewegung der Gletscher
während der nassen und kalten Perioden beschleunigt wird.
Charles Egesons hat Untersuchungen über solare und terrestrische
Meteorologie *) nur wenige Monate vor dem Erscheinen der Arbeit von
Prof. Brückner publiziert. Er findet nicht nur eine Säkularperiode von
nngefähr 88 — 34 Jahren bei mRegenfalle, den Grewittem und den westlichen
^^^den im Monate April für Sydüae^, sondern auch der Eintritt der Mazima
der letzten beiden Erscheinungen stimmt gut mit den Epochen der 35 jährigen
Periode, welche in der vorliegenden Abhandlung für die Sonnenflecken ab-
gelötet wurden. So findet er, dass die jährliche Zahl der Tage mit Gewittern
1839 und 1873 ihre grössten Werte erreichte, die der Tage mit W- Winden
im April in den Jahren 1837 und 1869. Da die Säkularvariation der
Sonnenflecken in den Jahren 1837.2 und 1870.8 Maxima aufweist, so ist
die Übereinstimmung gut. Es scheint kaum zweifelhaft, dass die meteoro-
logischen Erscheinungen, die Zahl der Polarlichter und magnetischen Stürme
während des Zeitintervalles, welches vorUegende Untersuchung umfasst, eine
Säkulaiändenmg in einer Periode von ungefähr 35 Jahren zeigen, deren
Phasenzeiten mit jenen der Säkularvariation der Sonnenflecken über-
einstimmen.
Da wir uns gegenwärtig einem Minimum der Sonnenflecken nähern,
welches jenem von 1870.8 entsprechen sollte, so wird es von Interesse sein,
darauf zu achten, ob alle solaren, meteorologischen und magnetischen Er-
scheinungen jener Periode sich wiederholen werden.
Schlussfolgerungen: 1. Es giebt eine abwechselnde Zunahme und
Abnahme in der Länge der Sonnenflec^enperiode, von einem Minimum zum
folgenden gerechnet.
2. Die Eintrittszdt des Maximums ändert sich regelmässig in Bezug
auf das vorausgehende Minimum. Die Amplitude dieser Schwankung um
den Mittelwert beträgt ungefähr +0.8 Jahre. Der Cyklus dieser Änderung
betragt ungefähr 35 Jahre.
8. Die Gesamtfläche der Sonnenflecken zwischen zwei aufeinander
folgenden Minimis ändert sich regelmässig. Der Gyklas dieser Variation
beträgt unwahr 85 Jahre.
4. Kern Anzeichen einer 55 jährigen Periode ist vorhanden, wie solche
von Prof. Wolf angenommen wurde.
5. Die von Prof. Brückner angeführten Klimaschwankungen stehen im
allgemeinen in Überemstinmiung mit der 35 jährigen Periode.
6. Die Häufigkeit der Polarlichter und magnetischen Stünne seit 1833
enthält Anzeichen ^er säkularen Periode von 35 Jahren.
Die Wolfsohen Tafeln der Sonnenfleckenhäuflgkeit. Ver-
gleichiuigen, welche Prof. A. Wolf er zwischen mehrem der gedruckten
Tabellen und den auf der Züricher Sternwarte aufbewahrten Manu-
skripten Wolfs bezüglich der Tafeln der Sonnenfleckenhäufigkeit angestellt
^) Zeit d. Deatsch-Osterr. Alpen-Vereines 1891. 12.
*) Egesons, »Weather-System of Sunspot Causality«. Sydney 1889.
14 Sonne.
hat, ergaben eine nicht geringe Zahl von Abweichungen (Druckfehlem).
Dieses und der Umstand, dass das seit 1877 bekannt gewordene
Material aus älterer Zeit, namentlich die Beobachtungsreihen von
Kremsmünster 1802 — 1830, noch nicht für die definitiven Relativ-
zahlen dieser Jahre verwertet waren, bestimmte Prof. Wolfer zu einer
neuen berichtigten und bis zum Jahre 1901 fortgeführten Ausgabe
der Wolfschen Tabellen, die nunmehr an Stelle der letzten tritt. ^)
Diese Tabellen sind drei an der Zahl. In Tafel I sind die beobachteten
Relativzahlen enthalten, die in Klammern gegebenen Werte sind
solche, die zum Teil auf Interpolation beruhen. Tafel II enthält die
ausgeglichenen Relativzahlen nach folgender Methode: je zwölf zeitlich
aufeinanderfolgende Monatsmittel der beobachteten Relativzahlen
werden zu einem Mittel zusammengefasst und aus je zwei auf-
einanderfolgenden dieser Gesamtmittel abermals das Mittel gezogen,
welches dann für die Mitte des mittlem der dreizehn so vereinigten
Monate gilt, z. B.
1- (ffl-hiv+v4-vi+vn+vin+ix+x+xi-fxn + i-hii) = mi
12
gültig für Anfang IX,
-L (iv+v+vi-hvn+vm+ix+x-hxi+xn-hi + ii + ra) = iis
12
gültig für Anfang X,
i- («1 + »H) = m
gültig für Mitte IX.
U. 8. W.
Diese Ausgleichung hat den Zweck, die kurzperiodischen
Schwankungen des Fleckenphänomens, die innerhalb der elfjährigen
Hauptperiode auftreten, zum Verschwinden zu bringen und den
mittlem Verlauf allein hervortreten zu lassen; den Untersuchungen
über säkulare Schwankungen und Perioden höherer Ordnung des
Phänomens wird man also mit Vorteil die Zahlen der Tabelle n zu
Grunde legen.
Auf ihr beruht auch die Tafel m der Maximum- und Minimum-
epochen, welche somit die Wendepunkte des mittlem Verlaufes der
Fleckenhäufigkeit giebt. Sie enthält gegenüber derjenigen, die Wolf
1882 publizierte, nur eine wirkliche Abänderung, nämlich die Ver-
legung des Maximums von 1804.2 auf 1805.2, die durch die
Beobachtungen von Kremsmünster bewirkt worden ist; alle übrigen
Abweichungen, durch welche die anderweitig publizierten Reproduk-
tionen dieser Tafel von der hier gegebenen neuen sich unterscheiden,
haben ihren Grund in Dmckfehlem. Den einzelnen Epochen sind
sodann Gewichte beigeschrieben, nach denen sich ihre Zuverlässigkeit
und also ihre Brauchbarkeit für bestimmte Zwecke wird beurteilen
lassen. Die Epochen seit den zwanziger Jahren des XIX. Jahrhunderts,
>) MeteoroL Zeitschr. 1902. p. 193.
15
'^^^K iW^^^H"^ y leichnungen begann,
|^S^^Si|l^ttjH''ii täglichen Beobach-
" " #
ht 10 erhalten; es
Monaten,
des mittlem
sekundären
Für alle frühem
^UlTenden Beobachtungs-
ansteigen mag, sind
tisfiAllje^ die jenen je weilen
ip^pt und verglichen und
^^b^]^|chätzt worden.
und unter Berück-
der Hauptperiode,
li)rmalmaximums neu
ijft^ H'ill|| i^ii Wolf und Spörer *),
liPB^B jBrflfcwP modifizierter Form
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57.7
67.9
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l^eliene Relativzahlen.
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2
18 Sonne.
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583
56.7
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46.1
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373
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110.4
115.7
1123
109.4
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123.4
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863
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793
793
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783
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8B
13.9
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223
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323
34.4
863
89.5
413
433
313
£ <7.o
49.7
493
493
513
53.5
543
553
573
69.5
623
62.4
543
5 ®*
56.4
573
573
583
593
603
603
68.1
66.5
543
64.6
66.1
88 573
59.0
59.0
503
603
623
66.0
673
71.4
733
743
74«6
65*4
2 72.4
71.7
72.4
713
673
643
61.4
663
663
543
683
653
683
» 57.1
67.4
563
543
54.4
583
613
493
473
47.4
453
41.1
613
» 37J2
34.3
323
303
27.5
253
243
233
20.5
16.7
14.7
133
25.1
87 13.1
13.0
123
113
12.1
12.7
133
13.0
123
133
12.4
11.5
123
88 10.3
83
73
73
73
73
63
53
63
63
53
5*8
73
2 5-«
6.6
73
7.1
6.7
63
6.5
63
53
5.7
5.7
63
6*8
2 53
5.0
5.0
5.8
63
7.0
7.4
83
93
103
18.1
163
8.4
« 39.5
233
26.0
293
323
343
373
42.5
463
603
68.7
66.6
37.7
s »•-•
62.0
65.2
66.4
68.1
713
733
73.4
733
763
783
77.0
703
« 78.0
79.7
81.5
82.5
833
843
863
86.1
863
853
853
88.7
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«87.»
86.2
833
82.5
813
79.4
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753
753
75.4
733
713
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05 jS
643
643
63.5
63.5
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583
56.1
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61.5
« 513
49.6
48.0
46.5
44.5
433
423
413
39.5
383
37.1
353
43.1
£ 323
32.0
31.2
30.1
283
263
253
25.7
263
28.0
253
263
28.1
s »<>
25.6
25.4
25.7
27.5
273
263
24.7
22.7
213
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203
243
JS ^^
19.4
17.1
15.1
13.2
123
11.7
11.5
113
103
113
113
133
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10.5
103
103
10.4
93
9.1
83
73
63
53
5.4
83
MOl 43
4.4
33
33
23
23
—
—
Tabelle HL Epoehen der Sonnenfleekenmaxima und -minima.
lümma Gewicht Maadma
Gewicht
Minima
Gewicht
Maxima Gewicht
16103
5
1615.5
2
17563
9
17613
7
S'^
1
16263
5
1766.5
5
1789.7
8
5^
2
1639.5
2
1776.5
7
1778.4
5
KftD
5
1649.0
1
1787.7
4
1788.1
4
ffiJt^
1
1680.0
1
17983
9
18053
6
25j^
2
1075.0
2
18103
8
1816.4
8
m3
2
1665.0
2
18233
10
18293
10
s^
2
1668.0
1
18333
10
1837.2
10
Ä^
l
1706.5
4
1843.5
10
1848.1
10
ES^
3
17183
6
18663
10
1860.1
10
S?Ä
2
1727.6
4
18873
10
18703
10
ra43
2
1738.7
2
18783
10
18833
10
17463
2
17503
7
1869.6
10
1894.1
10
20 Sonne.
a
Normalepoche des Minimums 1744.21 ± 0.30,
> » Maximums 1749.37 + 0.43.
a a
Periodenlänge aus den Minima = 11.141 + 0.036, Gewicht 2,
> > > Maxima= 11.091 + 0.053, » 1,
im Mittel = 11.124 + 0.030.
a
Mittleres Intervall vom Minimum zum Maximum =5.16,
» » > Maximum zum Minimum == 5.96.
Die Sonnenphänomene als Folsren anomaler Dispersion
-des Lichtes. Die Oesetze der gekrümmten Strahlen waren, nament-
lich durch das Studium der Brechung in der Erdatmosphäre, schon
längst bekannt; den ersten wichtigen Versuch aber, den Einfluss zu
untersuchen, den die Strahlenbrechung in der Sonne selbst auf den
Lauf der Strahlen, die unser Auge erreichen, also auf das von uns
empfangene optische Bild, ausgeübt haben muss, verdanken wir
Prof. A. Schmidt. Dessen bemerkenswerte Abhandlung: »Die Strahlen-
brechung auf der Sonne, ein geometrischer Beitrag zur Sonnenphysik c,^)
hat jedoch die gebührende Beachtung bis jetzt kaum gefunden, was
vielleicht darin begründet sein dürfte, dass die Schmidtsche Theorie
einerseits den herrschenden Anschauungen über Gestalt und Natur
des Sonnenkörpers kühn entgegentritt, anderseits aber gerade von
denjenigen speziellem Sonnenphänomenen, welche die Aufmerksam-
keit der Beobachter immer am meisten in Anspruch genommen haben,
eine genügende Erklärung nicht giebt.
Bekanntlich hat Schmidt dargelegt, dass die scharfe Begrenzung^
der Sonnenscheibe eine optische Täuschung sein kann. Wäre die
Sonne eine unbegrenzte leuchtende Grasmasse von nach aussen hin
stetig abnehmender Dichte, so würde nach dem einfachen Gesetze
der regelmässigen Strahlenbrechung einem entfernten Beobachter ein
Bild erscheinen, wie es uns die Sonne thatsächlich zeigt: ein heller»
scharf begrenzter Kern, von einer schwach leuchtenden Hülle um-
geben. Gegen die Behauptung Schmidts, die Sonne sei nun in der
That ein unbegrenzter Himmelskörper, lässt sich also nicht einwenden,
dass man doch deutlich eine begrenzte Photosphäre sieht.
Wenn es aber keine Photosphäre gäbe, so wäre den herrschendea
Vorstellungen über das Wesen der Packeln, der Flecken, der
Protuberanzen zugleich die Grundlage genommen. Man muss also<
von der Schmidtschen Theorie fordern, dass sie auch diese viel-
bekannten verwickelten Erscheinungen auf einfache und plausible
Weise in ihr Schema hineinpasse. Der darauf gerichtete Versuch
bildet nun die schwächere Seite der oben angeführten Abhandlung,.
') Stuttgart, J. B. Metzlerscher Verlag. 1891.
Sonne. 21
und dieser Lücke wird es wohl hauptsächlich zugeschrieben werden
müssen, dass der von Schmidt hervorgehobene grosse Einfluss der
Strahleobrechmig auf den Anblick des Sonnenkörpers nicht sofort
allgemein anerkannt wurde.
Ohne sich auf die Schmidtsche Ansicht, betreffend das Zustande-
kommen des Sonnenrandes, zu stützen, zeigt nun Prof. W. H. Julius,
dass die meisten Eigentümlichkeiten des Protuberanzen- und des
Chromosphärenlichtes sich in ganz ungezwungener Weise als Folgen
der Strahlenbrechung deuten lassen, wenn man die Gesetze der
anomalen Dispersion in Betracht zieht Indem er nachher diese
Gesetze mit der Schmidtschen Theorie in Verbindung bringt, gelangt
er auch hinsichtlich vieler Fleckenphänomene und anderer Erschei-
nungen innerhalb des scheinbaren Sonneniandes auf Erklärungen,
die sich durch Einfachheit des Zusammenhanges empfehlen.
Im Anschlüsse und durch weitere Ausführung eines von Becquerel
zuerst angestellten Versuches gelang es Prof. Julius, beim glühenden
Natrium zu zeigen, dass das Absorptionsspektrum eines Dampfes
breite dunkle Bänder enthält, welche nicht als Absorptionsbänder
zu betrachten sind, sondern dadurch entstehen, dass Strahlenarten
viel weiter als die übrigen von dem geraden Wege abgelenkt wurden.
Daraus geht hervor: Wenn Licht, von einer Quelle mit kontinuierlichem
Spektrum herrührend, einen Raum durchsetzt, in dem Natriumdampf
ungleichmässig verteilt ist, so werden die Strahlen in der Umgebung
der D-Linien in weit stärkerem Masse als alle übrigen ihre Richtung
ändern. Vor allem bezieht sich das auf solche Lichtarteu, deren
Wellenlänge denjenigen von D^ und D, so nahe ist, dass dieselben
von dem Natriumlichte kaum zu unterscheiden sind. Dem schwach
leuchtenden, vom weissen Lichte einer starken Quelle durchstrahlten
Natnumdampf kann also in schiefer Richtung (d. h. unter einem
gewissen Winkel mit der Richtung der einfallenden Strahlen) ein
ziemlich intensives Licht zu entspringen scheinen, das dem Natrium-
licht täuschend ähnlich ist und dennoch in einer fremden Quelle
seinen Ursprung hat Untersucht man das Licht, das den mit Natrium-
dampf erfüllten Raum nahezu geradlinig durchsetzt, spektroskopisch,
so kann der Fall eintreten, dass die Absorptionslinien stark ver-
breitert erscheinen infolge des Umstandes, dass das dahin gehörige
Licht zum grössten Teile seitwärts abgelenkt wird und also den
Spalt des Spektroskops nicht erreicht
Prof. Julius wendet die erste dieser Folgerungen auf Erscheinungen
in der Umgebung der Sonnenscheibe, die zweite auf Eigentümlichkeiten
der Fleckenphänomene an und zeigt weiter, dass die Ghromosphären-
linien thatsächlich die aus den Gesetzen der anomalen Dispersion
folgende Gestalt besitzen. Die Linien sitzen gewöhnlich breit auf und
laufen pfeUförmig zu. Namentlich bei den Wasserstofflinien im Ghromo-
spbärenspektrum fällt diese charakteristische Gestalt gleich auf. »Es
22 Sonne.
liegt kein Grund vor, den Betrachtungen anlässlich des Natriumdampfes
jede Gültigkeit in Bezug auf andere Gase und Dämpfe abzusprechen.
Für einige wurde die anomale Dispersion schon dargethan^) für
andere gelang dies noch nicht; die Dispersionstheorien aber deuten
auf das Vorkommen derselben in höherem oder geringerem Masse bei
allen Substanzen hin.
Die eigentümliche Gestalt der Chromosphärenllnien lässt sich
freilich auch, wie es gewöhnlich geschieht, erklären aus der Annahme,
dass sich in der Ghromosphäre intensiv strahlende Gase und Metall-
dämpfe befinden, deren Dichte nahe an der Photosphäre sehr be-
deutend ist und nach aussen hin schnell abnimmt Das beobachtete
Licht würde nach dieser Anschauung ausschliesslich von den leuch-
tenden Dämpfen herrühren. €
Das neue Erklärungsprinzip des Chromosphärenlichtes schliesst
die Annahme, dasselbe entspringe thatsächlich teilweise der Eigen-
strahlung glühender Gase, keinesfalls aus; Verfasser behauptet nur,
dass es sich in den meisten Fällen als abgelenktes Photosphären-
licht auffassen lässt, und man also eine intensive Eigenstrahlung
nicht anzunehmen braucht. Eine nähere Zusammenstellung der ver-
schiedenen Sonnenphänomene muss entscheiden, welche Erklärung
uns das beste Gesamtbild gewährt.
öfters erscheinen die Chromosphärenllnien in sonderbarer Gestalt,
mit Verdickungen, Ästen, Büscheln, abgelösten Teilen u. s. w. Bis
jetzt hat man dies nur nach dem Dopplerschen Prinzip erklärt, also
durch die Vorausetzung, die stralilenden Gase näheri^n oder ent-
fernten sich mit ungeheuren Schnelligkeiten, bis über 200 Jcm in der
Sekunde. Wie von den Astronomen allgemein anerkannt wird, stösst
man mit dieser Erklärung indessen auf viele und grosse Schwierig-
keiten, auf die wir hier nicht näher einzugehen brauchen.
Neben dem Dopplerschen Prinzip können wir jetzt, sagt ProL
Julius, in dem der anomalen Dispersion ein anderes anführen, das
gleichfalls einem Gase die Fähigkeit beilegt, uns unter gewissen Um-
ständen Licht zugehen zu lassen, das von den für diesen Stoff
charakteristischen Strahlenarten in der Wellenlänge abweicht.
In einiger Entfernung über dem Sonnenrande befinde sich z. B.
Wasserstoff von an verschiedenen Stellen sehr ungleicher Dichtigkeit.
Derselbe wird alsdann nicht bloss sein eigenes Licht ausstrahlen^
sondern auch stellenweise Photosphärenlicht von benachbarten Wellen-
längen nach der Erde hinbiegen. Im Spektrum zeigt sich dies selbst-
verständlich als Auswüchse oder Verzweigungen der Wasserstoff-
linien oder als isolierte Lichtflecken in deren Nähe. Diese Erschei-
nungen wird man insonderheit erwarten können, wenn der Spalt auf
Protuberanzen, wo heftige Bewegungen stattfinden und also auch wohl
bedeutende Dichtigkeitsdifferenzen vorkommen, eingestellt worden ist.
^) Winkelmann, Wied. Ann. 32. 489.
Sonne. 23
Obgleich nun diese neue Erklärung dieser Unregelmässigkeiten
im Spektrum gleichiims auf der Voraussetzung beruht, dass mit
demselben heftige Bewegungen in der Sonnenatmosphäre verbunden
seien, so brauchen wir dennoch offenbar die ungeheuren Geschwin-
digkeiten, welche die Erklärung nach Dopplers Prinzip erfordern
würde, keineswegs anzunehmen.
Von all dem Lichte, das Chromosphäre und Protuberanzen uns
zusenden, mag also ein Teil von der Eigenstrahlung der daselbst
befindlichen Gase herrühren — ein anderer, wahrscheinlich sehr
bedeutender Teil ist als gebrochenes Photosphärenlicht zu deuten,
das auf eine Weise zu uns kommt, welche uns an Toplers bekannte
»Schlierenmethode« erinnert Es giebt aber einen Unterschied. In
der Schlierenmethode trägt jede der Quelle entsprungene Strahlenart
dazu bei, die Ungleichmässigkeiten des Mediums hervortreten zu
lassen; man sieht fast nie Farbenerscheinungen, da im Vergleiche zu
der mittlem Abweichung der Strahlen die Dispersion bei den meisten
Medien gering ist Die Ghromosphärengase dagegen sind in eigen-
tömlicheii Farben sichtbar, weil sie für spezielle Lichtarten einen
besonders grossen oder einen besonders kleinen Brechungsindex
haben; in diesem Falle ist eben die Dispersion gross gegen die mittlere
Abweichung der Strahlen.
Lassen wir momentan die eigene Strahlimg der Gase in der
Sonnenatmosphäre ausser Betracht, so werden bei radialer Lage des
Spaltes diejenigen Chromosphärenlinien am längsten und am hellsten
sein, die den Absorptionslinien, für welche die Erscheinung der
anomalen Dispersion am kräftigsten hervortritt, entsprechen. Wir
erwähnen, dass die beiden Natriumlinien die Fähigkeit, diese Phäno-
mene hervorzurufen, in sehr verschiedenem Grade besitzen. Setzen
wir voraus, was gewiss nicht zu kühn ist, dass auch die Linien
des Wasserstoffes und der andern Ghromosphärengase ähnliche
individuelle Unterschiede darbieten, so wissen wir gleich, weshalb
im Chromosphärenspektrum einige Linien eines Elementes lang, andere
kurz sind, und weshalb daselbst die Intensitäten der Linien eines
nämlichen Elementes sich oft so durchaus anders zu einander ver-
halten als im Emissionsspektrum oder im Fraunhoferschen Absorp-
tionsspektrum. Freilich wird man die anomale Dispersion einer
grossen Anzahl Substanzen vorerst gründlich untersuchen müssen,
um bestimmen zu können, inwiefern unsere Betrachtung im stände ist,
die schon bekannten oder noch aufzufindenden Einzelheiten im
Chromosphärenspektrum zu deuten. Es wird sich z. B. zeigen müssen,
ob jene Elemente, deren Linien im Ghromosphärenlichte am meisten
hervortreten, auch in der That besonders starke anomale Dispersion
veranlassen, was bis jetzt noch unerforscht ist.€
Bezüglich der Erklärung der Sonnenflecke, wobei sich Verf. zum
Tea auf die Schmidtsche Sonnentheorie stützt, ist auf das Original
XU verweisen.
24 Sonne.
Doppellinien im Spektrum der Chromosphäre. Die von
W. H. Julius entwickelte Theorie,^) nach welcher eine grosse Anzahl
Sonnenphänomene als Folgen anomaler Dispersion des Lichtes zu be-
trachten sind, hat durch ein sehr merkwürdiges Ergebnis der am
18. Mai 1901 von der holländischen Expedition in Sumatra ange-
stellten Sonnenfinstemisbeobachtungen, eine ungemein kräftige Stütze
erhallen.
In der erwähnten Arbeit hat er die Überlegungen mitgeteilt,
welche ihn zu der Annahme führen, dass das Lacht der Ghromo-
sphäre^ zum grossen Teil von Photosphärenlicht herrührt, das
anomale Dispersion in den absorbierenden Dämpfen der Sonne er-
litten hat. Die Wellenlängen der hellen Linien im Spektrum der
Protuberanzen, der Ghromosphäre und der sogen, umkehrenden Schicht
können nach dieser Hypothese nicht genau identisch sein mit den
Wellenlängen der korrespondierenden Absorptionslinien des gewöhn-
lichen Sonnenspektrums. Denn von jeder hellen Linie, welche einer
Absorpüonslinie von der Wellenlänge X entspricht, muss man an-
nehmen, dass sie von 2 Gruppen von Strahlen herrühre, deren
Wellenlängen alle beziehungsweise kleiner oder grösser als l sind.
Das Licht auf der roten Seite der Absorptionslinien wird vielleicht
in den meisten Fällen ein klein wenig intensiver sein als das auf
der violetten Seite, da, so verschieden, was Ort und Raum an-
betrifft, die Dichte der Sonnengase sein mag, es immer ein klein
wenig wahrscheinlicher ist, dass die mittlere Dichte der Schichten,
welche von dem zu uns gelangenden Lichte durchdrungen werden,
nach dem Sonnenmittelpunkte zunimmt, als dass das Umgekehrte
der Fall ist. Wo starke »Schlieren« auftreten, da können aber
stellenweise die Wellengruppen auf der violetten Seite die inten-
sivem sein.
Femer leuchtet ein, dass die Strahlen von jeder Gruppe, deren
Wellenlängen sehr von k abweichen, nur in nächster Nähe des
Sonnenrandes gesehen werden können, denn nur dort genügt eine
kleine Abnormität im Brechungsindex, um Photosphärenstrahlen
nach unserem Auge gelangen zu lassen. Licht, dessen Wellenlänge
weniger von X abweicht, kann zu uns von einem breitem Streifen
der Ghromosphäre gelangen; weit vom Sonnenrande werden wir im
allgemeinen nur Strahlen zu sehen bekommen, deren Wellenlängen
nur sehr wenig von X abweichen.
^) Sitzungsberichte der Eon. Akad. v. Wetensch. Amsterdam VIII, 510
—528 (24. Febr. 1900). Vgl. den vorhergehenden Artikel.
') Verf. bemerkt, dass er häufig die Ausdrücke Photosphäre und Ghromo-
sphäre gebrauche, möchte aber ausdrücklich betonen, dass er hienmter nur
die weisse Scheibe der Sonne und den mehr oder weniger gefärbten Rand,
wie er unserem Auge erscheint, meine. Eine scharf begrenzte Kugel,
welche weisses Licht aussendet, und welche von einer durchsichtigen
Schale, die ihrerseits farbiges Licht aussendet, umgeben ist, brauche er
sich dabei nicht vorzustellen.
Sonne. 25
Auch Ton dieser Regel können Abweichungen dort auftreten,
wo gewaltige Protuberanzen uns das Vorhandensein von grossen
Unregelmässigkeiten in der Verteilung der Dichte der Sonnengase
anzeigen.
Dr. Julius zeigt nun, dass die Verteilung der Helligkeit in den
Chromosphärenlinien eine solche sein muss, nach welcher sich eine
solche Linie als Doppellinie darstellt, deren Komponenten eine nach
beiden Seiten hin abnehmende Intensität zeigen, so dass noch Licht
von beträchtlicher Helligkeit in dem Zwischenräume vorhanden ist.
Er fahrt dann fort:
»Einen zwingenden Beweis für die Richtigkeit unserer Erklärung
würden wir erhalten, wenn wir nachweisen könnten, dass alle
Chromosphärenlinien wiridich Doppellinien von der oben beschriebenen
Art sind.
Ich habe deswegen schon öfters nach dunklen Kernen in den
Chromosphärenlinien auf Photographien gesucht, die während früherer
Sonnenfinsternisse aufgenommen wurden, und habe in der That ver-
schiedene iVnzeichen derselben gefunden. Eine Platte aber, auf der
diese Eigentümlichkeit die Regel war, wo alle Chromosphärenlinien
doppelt waren, ist sicherlich noch nicht erhalten worden, da sonst
die Erscheinung die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte.
Die niederländische Expedition hatte das Glück, die ersten
Platten zu erhalten, welche deutlich zeigen, dass alle Chromosphären-
linien doppelt sind!
Dies wichtige Resultat verdanken wir zunächst der grossen
Sorgfalt, mit der Prof. Nyland den ganzen Plan zur Beobachtung
mit der schönen Prismenkamera von Cooke entworfen und aus-
gearbeitet hat, und femer der aussergewöhnlichen Exaktheit, mit
der alle Handgriffe und Beobachtungen von ihm ausgeführt wurden.
Möglicherweise wurde das Resultat ausserdem auch durch den in
jeder andern Hinsicht so ungünstigen nebligen Himmel günstig be-
einflusst Denn wäre das Licht nicht geschwächt worden, so wären
auf der Platte breitere und zahlreichere Linien aufgetreten, und die
Verdoppelung wäre vielleicht nicht ausgeprägter hervorgetreten als
bei den frühem Gelegenheiten.
Kurz nach der zweiten Berührung wurden 5 Aufnahmen auf
einer Platte, und zwar eine jede während ^/^ Sekunde gemacht.
Eine jede zeigt nur 9 Linien, aber alle doppelt. Auf den vier für
das KoTonaspektrum bestimmten Platten werden einige der starkem
Chromosphärenlinien durch oft unterbrochene Bogen dargestellt Das
licht derselben rührt offenbar von Protuberanzen her, welche ziemlich
weit über die Photosphäre reichen. Hier ist, wie wir nach unserer
Theorie erwarten durften, die Verdoppelung nicht so augenscheinlich ;
an fast allen SteUen ist sie aber doch sichtbar.
26 Sonne.
Auf der sechsten Platte wurde eine andere Reihe von fünf
Aufnahmen von je ^/^ Sekunde kurze Zeit nach dem dritten Kontakte
gemacht Auf dem ersten der so erhaltenen Spektra, welches von
i, 3880 — l 5000 reicht, konnten 150 Doppellinien zwischen Ji 3889
und X 4600 gezählt werden; diese sind auch auf den andern vier
Spektren sichthar, soweit als das zunehmende zerstreute Licht die
Zählung erlaubt^)
In dieser ersten Aufnahme zeigen sich die Doppellinien am
deutlichsten in einiger Entfernung von dem kontinuierlichen Spektrum
des soeben erschienenen Sonnenrandes. Wir finden dort, parallel
zum Spektrum, einen hellen schmalen Streif, welcher auf den fol-
genden Aufnahmen breiter wird, und welcher wahrscheinlich von
einer kleinen Einbuchtung des Mondrandes oder einer kleinen Aus-
buchtung des Sonnenrandes herrührt. Auf der fünften Aufnahme
erscheint unter der so erhaltenen Lichtbande wiederiun ein ähnlicher
Streifen. Diese Banden geben sozusagen Wiederholungen des >Flash<-
Spektrums (ein glücklicher Umstand, denn die Totalität war früher
vorbei, wie man berechnet hatte, und die Aufnahme wurde daher
etwas später gemacht, als ursprünglich beabsichtigt war), so dass
wir auf einer und derselben Aufnahme sowohl das reine Flash-
Spektrum, als auch das kontinuierliche Spektrum der Sonne erhalten.
Mit Prof. Nyland habe ich ausführlich die Frage diskutiert, ob
es möglich sei, den Ursprung der Doppellinien auf Fehler der In-
strumente, wie ungleichmässige Bewegung des Siderostaten , Er-
schütterungen der Prismenkamera, Lichtreflexe u. s. w. zurückzuführen^
aber wir vermochten keine solche Fehlerquelle zu entdecken, und
wir müssen daher schliessen, dass wir es hier mit einer Eigenschaft
der chromosphärischen Linien zu thun haben.
Die Fraunhoferschen Linien sind im kontinuierlichen Spektrum
nur schwach. Dies mag zum Teil von der Diffusion des Lichtes
an den Wolken herrühren. Die Wolken können jedoch nicht die
einzige Ursache für die Schwäche der Absorptionslinien in dem
ersten Stadium nach der Totalität sein, da diese Erscheinung auch
bei klarem Himmel^ beobachtet worden ist Es muss daher noch
ein anderer Grund für das teilweise Fehlen der Linien vorliegen.
Aus unserer Theorie folgt der Grund unmittelbar. Denn das Spektrum
der Ghromosphäre wird am Ende der Totalität mehr und mehr wie
ein kontinuierliches Spektrum erscheinen, da immer mehr helle
Linien auftreten, in denen eine jede nach unserer Hypothese eine
doppelte Bande bildet, in welcher das Fehlen der absorbierten
^) Auf den ursprünglichen Negativen kann man die Verdoppelung nur
mit der Lupe beobachten. Vergrösserungen werden demnächst veröffentlicht
werden.
') Campbell, Astrophys. Joum. 11. p. 228.
Sonne. 27
Wellen nicht so leicht beobachtet wird. Sobald aber ein Teil der
Photosphäre erscheint, wird das schon vorhandene, scheinbar kon-
tinuierliche Spektrum beherrscht durch das mehr wesentlich kon-
tinuierliche Photosphärenspektrum, dessen »Spalt« durch zwei bei-
nahe scharfe Kanten (die der Photosphäre und des Mondes) be-
grenzt wird.
In diesem Spektrum muss sich das Fehlen der absorbierten
Wellen in der gewöhnlichen Form als Fraunhofersche Linien zeigen.
Das Licht der Ghromosphäre wird natürlich diese Linien zum Teil
verdecken, aber im Vergleiche mit dem direkten photosphärischen
Lichte ist es schwach genug, um die Linien dunkel erscheinen zu
lassen. Unabhängig von der Gegenwart der Wolken müssen also die
Absorptionslinien beim Übergange vom »Flash «-Spektrum zum Fraun-
hoferschen Spektrum anfangs schwach sein und abnorme relative
Intensitäten zeigen, dann stärker werden, wobei die Intensitäten normal
werden.
Da die Doppellinien nicht scharf definierte Objekte sind, so
lässt sich die Breite dieser Systeme nur schwer angeben. Aber
wir können auf die hellsten Teile der Komponenten einstellen und
ihre Entfernung mit einem Mikrometer bestimmen. Dieselbe weicht
für die verschiedenen Doppelhnien ab, sie liegt jedoch ^in dem unter-
suchten Teile des Spektrums zwischen 0.7 und 1.6 Angströmschen
Einheiten (oder Zehnmillionteln des Millimeters). Breitere imd
schmälere Systeme folgen aufeinander in unregelmässiger Reihen-
folge, aber im Durchschnitte scheint die Entfernung zwischen den
Komponenten abzunehmen, wenn wir vom Grün zum Violett weiter-
schreiten.
Bei einigen Linien ist die intensivere Komponente diejenige mit
der grossem Wellenlänge, in andern die mit der kürzern. Manchmal
treten sogar in einer Linie beide Fälle dicht bei einander auf
(z. B. bei den Linien H d und H y auf unserer Platte). Dies be-
deutet, dass in benachbarten Stellen der Sonnenatmosphäre die
Dichteverteilung im absorbierenden Gase eine verschiedene ist, dass
nämlich die mittlere Dichte längs des Strahlenganges an der einen
Stelle nach dem Sonnenzentrum hin zunimmt, an der andern Stelle
nach dorthin abnimmt.
Campbell^) giebt an, dass in manchen Fällen, wo dimkle und
helle Linien zusammen auftreten, sie voneinander um 0.4 — 0.5 Ang-
strömsche Einheiten entfernt sind. Dies ist ungefähr die Hälfte
der Entfernung der Komponenten unserer Doppellinien. Wahr-
scheinlich hat es Campbell mit Fällen zu thun gehabt, wo eine der
Komponenten stark markiert war. Ein ähnlicher Fall tritt auf
unserer Photographie in Hß auf, wo die Komponente mit der
^) Campbell, Astrophys. Jouni. U« 229.
28 Sonne.
grossem Wellenlange beinahe auf ihrer ganzen Länge starker ist,
als die mit der kleinem Wellenlange, und dies ist der Fall nicht
nur bei der dritten Berührung, sondem auch bei der zweiten und
ebenso auf den 4 Platten, welche für das Eoronaspektmm bestimmt
waren, und die bez. 5, 20, 190 und 60 Sekunden exponiert wurden. c
Dr. Julius hat in keiner Ghromosphärenlinie eine Eigentümlichkeit
entdeckt, die zwingen könnte, auch nur einen Teil des Lichtes
Strahlungen zuzuschreiben, welche von selbstleuchtenden Chromo-
sphärengasen herrühren sollten. Nun können wir freilich kaum an-
nehmen, dass diese Gase thatsächlich kein Licht aussenden. Es
fragt sich daher nur, in welchen Fällen und inwieweit die Intensität
der wahren chromosphärischen Emission gegen die viel grössere
Intensität des anomal gebrochenen Lichtes der Photosphäre in
Betracht kommt. Vielleicht sind die oben erwähnten Photographien
nur zufälligerweise so ausserordentlich geeignet, um die durch
anomale Dispersion bei der Erzeugung des Lichtes der Ghromosphäre
gespielte Rolle zu zeigen, dass sie dadurch veranlassen, den Einfluss
der anomalen Dispersion zu überschätzen. Es wäre daher sehr
interessant, wenn die Platten anderer Expedition von diesem Gesichts-
punkte aus untersucht würden.
Protuberanzen, beobachtet 1888—1890 am Haynald-
observatorloiIL^) P. Fenyi, S. J., hat in dieser Publikation in
Tabellen alle Protuberanzen registriert, die mindestens 20'' Höhe er-
reichten, und deren Position am Sonnenrande, sowie die daraus
berechnete heliographische Breite angegeben. In Heliogravüre aus-
geführte Zeichnungen geben das Aussehen des Sonnenrandes mit den
darauf befindlichen Protuberanzen wieder, so wie dieselben unmittel-
bar am Okular gezeichnet wurden. Die kostspielige Reproduktion
in Heliogravüre geschah zu dem Zwecke, die Beobachtungen möglichst
getreu und vollständig wiederzugeben, damit die Tafeln selbst für
die verschiedensten Untersuchungen betreffs der Formen, Verteilung,
Dauer u. s. w. der Protuberanzen dienen können. Es sind deshalb
auch die kleinen Gebilde eingezeichnet worden, welche zwar notiert,
aber nicht in das Verzeichnis der Protuberanzen aufgenommen wurden.
In Hinsicht auf diesen Zweck bemerkt indessen der Herausgeber,
dass es nicht möglich ist, all das feine Detail zeichnend wiederzu-
geben, das bei vorzüglichem Luftzustande sichtbar ist Manches
ging wiederam durch die bedeutend verkleinerte Umzeichnung auf
etwa ^/j Grösse verloren. Ein weiterer Verlust ist der Verkleinerung
durch die Photographie auf etwa '/^ zuzuschreiben und endlich noch
der Mangelhaftigkeit des Abdmckes. Speziell hebt P. Fenyi folgendes
hervor: »Im einzelnen ist zu beachten, dass die so vielfach zer-
rissenen Formen, welche hier die Protuberanzen zeigen, durchaus
^) Publ. des Haynaldobseryatoriums Heft 8. Kalocsa 1902.
Sonne. 29
nicht durch UnvoUkommenheit des Abdruckes entstanden sind. Die
Protuberanzen haben genau so zerrissene Formen, ja noch kleiner
urstückelte, da kleineres Detail durch die Darstellung verloren ging.
Die Abtrennung von der Ghromosphare, das Schweben der Protuberanz,
ist ebenfalls, wo immer es noch zum Ausdrucke gelangte, keines-
wegs als Fehler der Darstellung aufzufaßsen. Die Erscheinung des
Schwebens ist überhaupt eine so häufige, dass man darin eine all-
gemeine Eigenschaft ruhender Protuberanzen erblicken könnte, in der
Weise wie beim Nordlichte, da das in der Regel beobachtete Auf-
sitzen derselben am Sonnenrande ohne Zwang dahin gedeutet werden
könnte, dass das beobachtete Gebilde nicht genau am Sonnenrande
steht und so der untere Teil durch Projektion unsichtbar, nicht
wahrnehmbar ist, oder durch die langgestreckte Ausdehnung im
Parallel verdeckt wird. Die Struktur der Protuberanzen ist, obwohl
nicht immer, doch fast immer, eine aus Streifen, Bändern, Fäden
bestehende. Die gestreiften Formen sind durchaus nicht als Erzeug-
nisse der Zeichnungsschablone anzusehen; es ist damit die Struktur
der beobachteten Protuberanz getreu wiedergegeben. Wo diese nicht
derartig war, ist auch die Darstellung verschwommen, wolkig.
Um die Beziehung zwischen Fackeln und Flecken übersichtlich
zu zeigen, wurden jene Stellen, wo eine Fackel über den Rand trat
oder von demselben zur Zeit der Beobachtung ungefähr bis 13 Grade
entfernt stand, durch eine punktierte Linie unter dem Sonnenrande
bezeichnet; in derselben Weise wurden auch die Obergänge der
Flecken durch ein Strichlein angezeigt Bei 13^ Entfernung müsste
eine Protuberanz von 30" Höhe am Rande schon sichtbar werden.
Wenn man die Tafeln in dieser Hinsicht durchmustert, so sieht man
so^ich, dass Fackeln und Flecken zu den Protuberanzen in keines-
wegs so enger Beziehung stehen, als man aus der üblichen Betonung
derselben schliessen möchte. Es ist gar nicht ungewöhnlich, dass
ein solcher Obergang ganz ohne irgend eine Protuberanzerscheinung
vor sich geht namentlich sind jene Fackeln, welche ausserhalb der
thätigen Fleckenzone vorkommen, eben nur zufällig bisweilen von
Protnberanzen begleitet.«
Eine Beziehung der magnetischen Störungen zu den Protube-
ranzen lässt sich nicht wahrnehmen. Oberhaupt bemerkt Pater Fenyi,
dass gel^e die grossartigsten Protuberanzen, die er im Laufe von
16 Jahren beobachtete, wenn es nicht eben metallische Eruptionen
bei grossen Flecken waren, mit keinerlei magnetischen Störungen zu-
sanunentrafen.
Was die Verteilung der Protuberanzen über die verschiedenen
Breiten der Sonne anbelangt, so ergab die Beobachtung ein Minimum
der Häufigkeit am Sonnenäquator und ein Maximum derselben auf
40 — 50* nördlicher wie südlicher heliographischer Breite. Der Ver-
gleich mit den zu Kalocsa angestellten Beobachtungen 1884 — 1887
zeigt, dass sich von 1884 an ein Minimum der Protuberanzhäufig-
80 Sonne.
keit am Sonnenäquator ausbildete, das 1887 schon scharf ausgeprägt
war. Im letztem Jahre trat das Maximum in 50^ Breite zuerst her-
vor. Dieses wuchs in den Jahren 1888, 1889, 1890 zu enormer
Grösse an, ohne dass das Minimum am Äquator sich weiter vertiefte,
und ohne ersichtlichen Unterschied auf der Polarkalotte von 60 bis
90^ Man erkennt auch ein schwaches sekundäres Maximum, welches
dem Hauptmaximum gegen die Pole nachfolgte und im Jahre 1890
auf der nördlichen Halbkugel mit dem enorm grossen Hauptmaximum
zusammenfb'esst.
Besondere Tabellen zeigen die Verteilung der Protuberanzen in
Länge und Breite über der ganzen Sonnenoberfläche. Daraus ergiebt
sich, dass nicht so sehr die Anhäufungen, als vielmehr ein Fehlen
der Protuberanzen an gewissen Stellen der Sonne eine auffallende
Beständigkeit zeigt. So finden wir ein Gebiet um 180^ Länge herum
in allen 3 Jahren ziemlich frei von Protuberanzen. In den Breiten
zeigen die Protuberanzen im Jahre 1890, zwischen -|- 40^ und -f- 45^
eine ganz abnorme Anhäufung. Betreffs der Flecken ist zu bemerken,
dass ihre Häufigkeit sich keineswegs an die der Protuberanzen
anschliesst, auch wenn wir nur die Fleckenzone beachten. Ihre
Wanderung gegen die Pole tritt offenbar hervor.
Über besondere Bewegungen der Protuberanzengebilde bemerkt
Pater Fenyiu. a.: >Ein Herabfallen, ein Sinken einer Protuberanz,
wird nicht beobachtet, wenn wir die grossen Gebilde im Auge haben;
namentlich wird ein Herabsinken bei sehr grossen Protuberanzen,
die rasch emporsteigen, niemals beobachtet. Bei gewöhnlichen
Gebilden scheint es bisweilen vorzukommen, bei sehr kleinen ist es
aber nicht mehr selten. Wenn man die über der Chromosphäre
schwebenden Flämmchen oder Streifen etwas länger beobachtet, so
wird man häufig nach ein paar Minuten merken, dass das Gebilde
der Chromosphäre sich nähert und alsbald auch damit zusammen-
fliesst und verschwindet Am 20. August 1889 konnte ich eine im
Gesichtsfelde seitwärts gerichtete Bewegung konstatieren, das ist
eine in die Richtung des Meridians fallende. Solche Bewegungen
müssen wohl auch gewöhnlich vorkonmien, werden aber nicht be-
obachtet, weil die Messung nicht darauf gerichtet wird. Im vor-
liegenden Falle erhob sich ein Stück, trennte sich von der Chromo-
sphäre und bewegte sich gegen eine grössere Protuberanz, um mit
derselben scheinbar zusammenzufliessen. Soweit sich die Geschwindig-
keit aus den Dimensionen der Zeichnung entnehmen lässt, betrug
sie 25 km in der Sekunde ; ebenso gross war die Erhebung. Würde
sich eine Protuberanz mit der zehnfachen Geschwindigkeit, d. i. mit
250 km, seitwärts bewegen, so würde sie in 6 Minuten 7^ am
Sonnenrande durchlaufen; eine solche Bewegung müsste auffallen.
Es ist nun beachtenswert, dass solche Fälle nicht verzeichnet werden,
während doch derartige Geschwindigkeiten von 250 km in der
Gesichtslinie, wie sie aus den Verschiebungen der Linien bestimmt
Sonne. 31
werden, zur Zeit des Fleckenmaximums vielmal in einem Jahre be*
obaehtet werden. Es ist dies ein Umstand, der bei der Interpretation
der linienyerschiebungen schwer ins Gewicht fallt; denn es lässt
sich kein Grund angeben, warum horizontale Bewegungen im Meridian
und im Parallelkreise solche Verschiedenheit zeigen sollten. Man
wird daher gedrängt zu vermuten, dass nicht jede Linienverschiebung
anf eine entsprechende Geschwindigkeit der Lichtquelle zurück-
zuführen ist.c
In neuester Zeit hat H. Michelson gezeigt,^) dass durch das
blosse Dazwischentreten einer Masse in den Lauf eines Lichtstrahles,
infolge der verschiedenen Brechbarkeit des dazwischentretenden Gases
eine Linienverschiebung eintreten muss. »Es ist sehr bemerkenswert, c
sagt Pater Fenji, »dass diese Erklarungsweise gerade in den Be-
obachtungen, welche sich gegen die andern Erklärungen so ab-
lehnend verhalten, in frappanter Weise Bestätigung findet. Schon
seit Jahren habe ich bemerkt, dass helle hervortretende Punkte in
der Ghromosphäre , welche eine kleine Verschiebung gegen blau
zeigen, der Ort sind, wo alsogleich der Aufstieg einer Flamme oder
einer kleinen Protuberanz erfolgt Das ist es aber gerade, was zu
erwarten steht, wenn die Erklärung H. Michelsons richtig ist Die
frappanteste Erscheinung dieser Art gelangte am 20. September 1893
zur Beobachtung. Eine höchst auffallende Verschiebung in der
Gbromospliare fesselte meine Aufmerksamkeit, und so war ich Zeuge
des Aufstieges einer Protuberanz bis zu 11' 30", das ist bis zu
500000 km Höhe, vom ersten Anfange an. Eine eingehende Unter-
sachung der zum Zustandekommen der beobachteten Erscheinungen
notwendigen Bedingungen führt aber auch bei dieser Erklärungs-
weise auf bedeutende Schwierigkeiten, deren besondere Behandlung
ich auf spätere Gelegenheit verschieben muss. Es genüge hier zu
bemerken, dass, wenn auch manche Linienverschiebungen auf andere
Weise erklärt werden können oder müssen, die Erklärung nach dem
Dopplerschen Prinzip nicht abgeschafft werden kann, da die Be-
obachtung selbst Beweise liefert, dass ganz bedeutende Linien-
Verschiebungen solcher Art zur Beobachtung gelangen müssen.
Die SoimeilflnsterniS vom 28. Hai 1900 in ihrer Einwirkung
auf die meteorologischen Verhältnisse in Nordamerika ist von Prof.
Frank H. Bigelow eingehend studiert worden.^) Der Mondschatten
durchzog damals in den Vereinigten Staaten eine Zone, in welcher
sich zahlreiche meteorologische Stationen befinden, und Prof. Bigelow
hat sämtliche Beobachtungen derselben innerhalb 500 Miles von der
ZenU'allinie der Verfinsterung gesammelt und untersucht Zur Zeit
^) Astroph. Journal 1901. p. 63.
^ Eclipse Meteorology V. 5. Departement of agriculture Weather
Bureau, BoUetin I, Washington 1902.
32 Sonne.
der Mitte der Finsternis war auf den Grenzen dieser Zone die Sonnen-
scheibe bis zu 0.9 ihrer Fläche verdeckt. Die Beobachtung wurde
durch die Witterung begünstigt, so dass es leichter ward, den Ein-
fluss der Verfinsterung, von lokalen Störungen frei, zu erkennen«
Das Barometer stieg um die Zeit der Finsternis meist, und an mehrem
Stationen stieg es um die Mitte der Totalitat am schnellsten, doch
ist dieser Gang nicht ausgesprochen genug, um ihn in Beziehung
zur Finsternis zu bringen. Deutlicher trat der Einfluss der letztem
auf das Thermometer hervor. Es begann durchschnittlich 45™ vor
der Totalitat merklich zu sinken und erreichte den tiefsten Stand
etwa 15°^ nach der Totalität Die Differenz betrug auf der Zentral-
linie etwa 4^ F. und war ebenso gross 150 Miles rechts und
links davon, dagegen in 500 Miles Distanz von dieser erreichte sie
nur 2^ F. Nach Verlauf von ungefähr 2 Stunden war der Einfluss
der Finsternis völlig verschwunden und die normale Tageswärme
der Temperatur wieder aufgekommen. Der Dampfdruck verminderte
sich, als die Temperatur im Minimum war, um O.Ol Zoll, was etwa
^/g des theoretischen Wertes beträgt. Prof. Bigelow vermutet, dass
der Schatten zu rasch vorüberzog, um ein vollständiges Gleichgewicht
herzustellen; es entstand vielmehr eine rasche Folge von kleinen
Luftströmen, und diese turbulente Wirkung längs dem Rande des
Schattenkegels verursachte nach seiner Meinung jene rasch auf einander
folgenden Schattenbänder, welche man bei mancher Sonnenfinsternis,
und auch diesmal gesehen hat Sie waren bei der behandelten Finsternis
übrigens nicht sehr augenfällig; ihre Geschwindigkeit betrug 6.5 Fuss
in der Sekunde, ihre Breite P/^ Zoll und ihr Abstand voneinander
2.2 Zoll. Sie wurden ^/^ Minute vor und nach der Totalität gesehen.
Die meisten Beobachter geben an, ihre Bewegung sei in beiden Fällen
nordöstlich gewesen, andere geben genau die entgegengesetzte Richtung
an. Die Erklärung dieser Erscheinung, welche Bigelow giebt, und
die vorstehend erwähnt wird, ist sehr wahrscheinlich, jedenfalls
hat die Erscheinung nichts mit Diffraktion am Mondrande zu thun,
denn dafür ist ihre Bewegung weitaus zu langsam.
Die letzten und ersten Strahlen der Sonne bei totalen
Sonnenfinsternissen zeigen eine von den Astronomen mit dem
englischen Worte Flash (Aufleuchten) bezeichnete Erscheinung. Über
dieselbe bemerkt Prof. A. Schmidt (Stuttgart) in Anknüpfung an die
Untersuchungen von Prof. Julius (Utrecht): »Der äusserste Rand der
Sonnenscheibe, genauer der tiefste Teil der die Sonnenscheibe um-
rahmenden Chromosphäre, erstrahlt in purpurrotem Lichte, einem
Lichte, dessen Spektrum aus vielen hellen Einzellinien besteht und
sich wie eine Umkehrung des vom richtigen Sonnenlichte erzeugten
Spektrums darstellt, das von den Fraunhoferschen dunkeln Linien
durchsetzt ist, den Produkten der Absorption, die das weisse Sonnen-
licht in den Gasen der Sonnenhülle erleidet. Nach Prof. Julius ist
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05
c3
00
03
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Sonne. 33
dieses Licht des Flash nicht, wie nach Kirchhoffscher Vorstellung,
das direkte Licht glühender Gase, das, zerlegt, ein Linienspektrum
bildet, als genaue Umkehrung der Absorptionslinien des Sonnen-
spektruins; sondern seine Linien sind nur das Nachbarlicht dunkler
Fraunhöferscher Linien. Von Prof. Ebert und R Wood wurde der
Juliusschen Theorie eine experimentelle Stütze geliefert So wie
Kirchhoff am Natriumdampfe die helle gelbe Doppellinie als Eigen-
licht, die dunkle Doppellinie des durch Natriumdampf gegangenen
weissen Lichtes als Absorptionswirkung desselben Dampfes nach-
gewiesen hat, so haben diese Physiker das vom Nathumdampfe durch
anomale Dispersion abgelenkte Licht dargestellt, das einer weissen
Lichtquelle entstammte. Sie haben Erscheinungen hervorgebracht,
die ganz den Eindruck von Nachbildungen der Sonnenphanomene
machen, des Flash, der Protuberanzen, der verzerrten und verschobenen
Spektrallinien der Sonnenflecke, aus denen man bisher glaubte, auf
ungeheure Bewegungsgeschwindigkeiten der Sonnengase schliessen zu
müssen. Da eine Farbenzerstreuung durch Gase nur auftritt als
Begleiterscheinung der Strahlenbrechung, der Erzeugung krummliniger
Strahlen, so führt die Voraussetzung der neuen Theorie der Sonnen-
phänomene von selbst auf diejenige Erklärung des Sonnenrandes, die
der Verfasser dieses Berichtes zuerst vor nun 10 Jahren gegeben
hat Zweifellos ist die Juliussche Theorie berufen, dessen Gedanken
zu vervollständigen und zu verbessern, aber für die Erklärung des
Flash neigt Schmidt doch lieber zur Kirchhoffschen Anschauung. Sollte
das licht des ersten und letzten Sonnenstrahles bei Finsternissen
durch anormale Dispersion erzeugt sein, so müsste es doch durch
Gasmassen passiert sein, welche die Dämpfe all der Metalle enthalten,
die sich in den Fraunhoferschen Linien verraten. Gasmassen, in
denen Eisendampf aufgelöst ist, kann er sich nur lebhaft selbst-
leachtend vorstellen. Dazu kommt, dass nach seiner Theorie das
dem Sonnenrande nächste Licht durch alle Wirkungen der Schlieren
in den lichtbrechenden Gasen eine Sichtung erfährt, bei welcher
gerade seine stärkst brechbaren Bestandteile mehr nach dem Innern
der Sonne, die schwächer brechbaren nach aussen abgelenkt werden
and also nicht Grünblau, sondern Rot erzeugen. Das ist der Unter-
schied zwischen Flash und grünem Strahle.
Eine merkwürdige Epschelnangr in der Sonnenkorona
während der totalen Finsternis am 18. Hai 1901 behandelt
G. D. Perrine.^) Die Erscheinung glich einem Kegel, dessen Spitze im
oder am Sonnenrande lag. Dem Anscheine nach bestand sie aus einer
wolkenförmigen Materie, die so angeordnet war, als wenn sie durch
eine Eniption von der Sonne emporgeschleudert würde. Nahe der
') Publ Astr. Soc. of the Pacific No. 83.
Klein, Jahrbuch XIU
34 Sonne«
Spitze des Kegels zeigte sich eine lange dünne Protuberanz, tangen-
tial zum Sonnenrande, die ihren Ursprung anscheinend an der näm-
lichen Stelle wie der Kegel hatte. Vor Beginn der Finsternis waren
weder Sonnenflecke, noch ungewöhnliche Sonnenfackeln gesehen worden.
Zu Dehrar-Dun in Indien sind BCai 17. bis 22., 26. und 28. Photo-
graphien der Sonne aufgenommen worden, welche den Sonnendurch-
messer in Grösse von 7.5 Zoll zeigen. Auf den Qlasnegativen dieser
Aufnahmen fand Perrine für den 17. und 18. Mai weder Sonnenflecke,
noch sonstige Anzeichen ungewöhnlicher Sonnenthätigkeit, dagegen
zeigt die Photographie vom 19. Mai einen Fleck von mittlerer Grösse,
der eben am Ostrande der Sonne auftaucht und infolge der perspek-
tivischen Verkürzung als Strich von 0.5' Länge, von Fackeln umgeben
sich darstellt. Am 20. Mai erscheint er 0.75' lang und in einem
Abstände von 0.5' gefolgt von verschiedenen kleinen Flecken, die eine
geschlossene Gruppe bilden. Der Hauptfleck zeigt sich als kompaktes
Ganzes, von einer deutlichen Penumbra umgeben, und wies während
der folgenden Tage keine Veränderung auf, während die nachfolgenden
kleinen Flecken sich beträchtlich vergrösserten. Die auf Grund der
Photographie ausgeführte Berechnung ergab, dass der Hauptfleck am
17. Mai 17^ 40.6°^ mittL Zt v. Greenwich 4<^ vom Baude auf der
abgewandten Seite der Sonne stand im Positionswinkel von 60.2®
des Sonnenrandes. Die Spitze der kegelförmigen Erscheinung der
Sonnenkorona lag ihrerseits im 60® Positionswinkel des nämlichen
Sonnenrandes. Hieraus ergiebt sich ein Zusammenfallen dieses
Phänomens mit dem Ort des Fleckens auf der Sonne, und dies wird
durch die Abbildung (Tafel I) noch deutlicher. Die Flecken auf der
Sonne sind hier in ihrem Fortschreiten über die Scheibe so dargestellt,
wie sie die Photographien ergeben, und die Strahlung in der Korona
ist nach der photographischen Au&iahme mit der 40füssigen Kamera
eingezeichnet Es kann hiemach wohl kaum einem Zweifel unter-
liegen, dass die Erscheinung in der Korona wirklich unmittelbar über
der in Rede stehenden Gruppe von Flecken und Fackeln stand und
ihren Ursprung derselben Störung auf der Sonnenoberfläche verdankte.
Die lange fadenartige Protuberanz deutet in gleicher Weise ihren
Ursprung aus dem nämlichen Vorgange an. Diese Beobachtungen
zeigen also in sehr augenfälliger Weise den intimen Zusammenhang
dieser Erscheinungen an und bezeugen, dass Flecken, Fackeln,
Protuberanzen und Koronastrahlen wenigstens in gewisser Beziehung
einen gemeinsamen Ursprung haben.
Das Wesen der Sonnenkorona. Prof. Frank H. Bigelow
betont,^) dass die Polarstrahlen der Sonnenkorona in Wirklichkeit
magnetische Kraftlinien sind, die wir von der Erde aus in Projektion
sehen. Die Fläche auf der Sonne, von der diese Linien aufsteigen,
1) Eclipse Meteorologie and allied Problems. Washington 1902.
Weather Bureau, Bnlletin I.
Sonne. 35
ist auf eine Zone von 10^ Breite beschränkt, deren Zentrallinie 32^
von den Polen der Sonne entfernt ist. Nach Bigelow rotiert die
Korona in 26.68 Tagen, was er aus dem Aussehen verschiedener
Koronen und zum TeU aus der magnetischen Variation schliesst. In
letzter Beziehung ist dagegen Prof. A. Schuster zu dem Ergebnisse
gekommen, dass ein Einfluss der Sonnenrotation auf die erdmagne-
tische Variation nicht besteht^)
Aussendungr Hertzscher Strahlen dureh die Sonne.
E Deslandres und Decombe haben sich hierüber verbreitet.*) Die
Frage, ob die neue Art von Strahlung, welche von der gleichen
Natur ist wie die Wärme- und Lichtstrahlung, von der Sonne der
Erde ebenfalls zugesandt werde, wurde schon bald nach der Hertzschen
Entdeckung (1889) aufgeworfen. Eine Antwort darauf gaben die
Untersuchungen über die drahtlose Telegraphie mittels Hertzscher
Wellen. Auf die Stange der Empfangsstation wirkt während des
Tages fortwäiirend die Sonnenstrahlung, trotzdem zeigt sich beim
Rezeptor keine dauernde Einwirkung, und die Beobachtungen unter
den verschiedensten Verhältnissen berechtigen zu dem Schluss: Die
Erde empfängt nicht kontinuierlich messbare Hertzsche Wellen von
der Länge der WeUen der Telegraphie ohne Draht (zwischen 10 und
1000 m). Dieses negative Resultat ist nicht auffallend, wenn man
erwägt, dass die weissglühenden Körper auf der Erde in der Regel
mit Licht und Wärme nicht zugleich auch Hertzsche Wellen aus-
senden. Bei der Sonne sind zwei verschiedene Strahlungsquellen zu
onterscheiden : die Oberfläche und die Atmosphäre über derselben.
Erstere, welche den grössten Teil der Wärme xrnd des Lichtes liefert,
besteht aus weissglühenden Teilchen, kann mit den irdischen Strahlungs-
quellen verglichen werden und sendet unter normalen Verhältnissen
sehr wahrscheinlich keine elektromagnetischen Wellen aus. Für die
Sonnenatmosphäre, deren Licht elektrischen Ursprunges sein muss,
besteht aber die entgegengesetzte Wahrscheinlichkeit. Es ist auch
wahrscheinlich, dass die obersten Schichten der Sonnenatmosphäre
Kathodenstrahlen aussenden. Arrhenius hat bekanntlich diese Hypo-
these ausgearbeitet, um alle Einzelheiten der Kometen, Polarlichter
und erdmagnetischen Stürme zu erklären. Man kann also ähnlich
wie bei den elektrischen Entladungen in unserer Atmosphäre
annehmen, dass die Ghromosphäre und die Protuberanzen Hertzsche
Wellen aussenden. Die obern verdünnten Schichten der Sonnen- uud
Erdatmosphäre (auf der Erde von 100 — O.Ol mm Druck) absorbieren
stark diese besondere Art von Wellen, und deshalb ist es unter
normalen Verhältnissen wenig wahrscheinlich, dass ein messbarer
Teil dieser Energie den Erdboden erreicht Bei den grossen erup-
^ Obeervatory 1902. No. 828. p. 858.
^ Compt. rend. 1902. 1B4. No. 9, p. 527.
36 Sonne.
tiven Protaberanzen aber, welche sich manchmal bis zu mehr als
^/g des Sonnendurchmessers erheben und wahrend kurzer Zeit eine
intensive Beleuchtung grosser Massen weit ausserhalb der Grenzea
der Ghromosphäre zeigen (?), müssen die elektromagnetischen Wellen,
eine grössere Rolle übernehmen als die auf der Erde untersuchten
Wellen. In diesem aussergewöhnlichen Falle könnten sie teils wegea
der grossen Länge, teils wegen ihrer Intensität das Hindernis,
welches unsere Atmosphäre bietet, überwinden und bis zum Erd-
boden dringen; sie würden dann auf die Empfangsapparate der
Telegraphie ohne Draht oder auf geeignete Apparate einwirken, sich
jedoch hierbei mit den Wellen vermischen, welche den irdischen
Gewittern zugeschrieben werden. Die Unterscheidung zwischen
irdischen und kosmischen Wellen ist jedenfalls schwierig; das
sicherste Mittel zu diesem Zwecke wäre es, an mehrem Punkten
der Erde Empfang- oder Registrierapparate für die Wellen aufzustellen
und die Einwirkungen herauszusuchen, welche simultan sind, und
denen daher eine allgemeine Ursache für die ganze Erde zugeschrieben
werden kann. Nach dieser Methode wurde der Zusammenhang der
Sonnenflecken mit gewissen erdmagnetischen Störungen festgestellte
An der gleichen Stelle^) verbreitet sich auch Charles Nordmann
über denselben Q^genstand. Wenn, sagt er, die elektromagnetische
Liichttheorie richtig ist, erscheint es äusserst wahrscheinlich, dass
die Sonne elektrische Wellen aussendet. Die Oberfläche der Photo-
sphäre muss eine Quelle elektromagnetischer Strahlung sein, ebensa
wie sie Licht- und Wärmestrahlen aussendet Die Spektralunter-
suchungen der Ghromosphäre und der eruptiven Protuberanzen haben
dagegen gezeigt, dass der untere Teil der Sonnenatmosphäre Sitz
ungemein heftiger elektrischer Entladungen ist, welche besonders im
Gebiete der Flecken und Fackeln stattfinden, wo unter dem Einflüsse
heftiger Bewegungen der Sonnenoberfläche eine Scheidung positiver
und negativer Elektrizität eintritt Bei diesen Entladungen müssen
häufig Hertzsche Wellen entstehen wie bei den Entladungen eines
Erregers unter Einwirkungen einer elektrostatischen Maschine.
Daraus folgt, dass die Sonnenfläche Hertzsche Wellen aussendet,
und diese Strahlung besonders intensiv in den Gebieten ist, wo an
der Oberfläche heftige Eruptionen stattfinden, und zu den Epochen,
wo die Intensität dieser Eruptionen ihr Maximum erreicht, d. h. in
dem Gebiete der Sonnenflecken und -fackeln und zur Zeit des
Maximums der Sonnenthätigkeit
Hierin findet Nordmann die Erklärung einer Anzahl bisher
rätselhafter Himmelserscheinungen bis in die kleinsten Details.
»Man weiss nach den Beobachtungen von Sonnenfinsternissen,
sagt er, dass die Sonnenkorona zum Teil aus glänzenden Strahlen
von veränderlicher Form besteht, welche sich bis auf grosse Ent^
») c. 1. p. 580.
Sonne. 37
femungen von der Sonne erstrecken, und deren kontinuierliches
Spektnim zeigt, dass sie aus weissglühenden , festen oder flüssigen
Teilchen bestehen — zum Teil aus einer Atmosphäre leuchtender,
um die Sonne sehr gleichmässig verteilter Oase, welche im Spektro-
skope die hellen Linien des Wasserstoffes und die charakteristische
^^e Linie des Eoroniums zeigen, welche man bis zu einer bedeutend
grossem Entfernung von der Sonne als die andern Linien wahr-
nehmen kann. Diese Gasatmosphäre scheint von den Lichtstrahlen
unabhängig zu sein, denn die Linien, welche sie zeigt, sind im
dunkeln Zwischenräume zwischen 2 Strahlen ebenso intensiv wie
in der Mitte derselben. Die Phasen dieser beiden Bestandteile der
Korona sind übrigens einander gerade entgegengesetzt; die Sonnen-
finstemisbeobachtungen der Jahre 1867, 1878, 1888, 1900, welche
zur Zeit eines Sonnenfleckenminimums gemacht wurden, haben
dentlich gezeigt, dass der Gasbestandteil der Korona zur Zeit eines
Maximums viel intensivere Linien zeigt, welche auf eine bedeutend
grössere Entfernung von der Sonnenscheibe sichtbar sind, als zur
Zeit eines Sonnenfleckenminimums. Die Strahlen der weissglühenden
Teilchen der Korona dagegen erstrecken sich zur Zeit eines Sonnen-
fleckenminimums auf eine viel grössere Entfernung von der Sonne
als zur Zeit eines Maximums. Young hat diese Thatsache aus den
Sonnenfinstemisbeobachtungen von 1867 und 1878 abgeleitet, jene
von 1889 und 1900 haben sie vollständig bestätigt Endlich weiss
man, dass die Sonnenstrahlung (nicht die elektromagnetische Strahlung)
zur Zeit eines Sonnenfleckenmaximums weniger intensiv ist als zur
Zeit eines Minimums. Dies geht hervor aus der bolometrischen
Untersuchung der Flecken durch Langley, aus den Arbeiten von
Stone, Grould, Piazzi Smith und in letzter Zeit von Koppen, welche
festgestellt haben, dass die mittlere Erdtemperatur in den Jahren
der Sonnenfleckenminima ein wenig höher ist als zur Zeit der Maxima.
Alle diese Einzelheiten der Korona erklären sich nun leicht:
a) Der Druck der Strahlung oder Kraft von Maxwell - Bartoli
muss die Hauptursache dafür sein, dass die Strahlen weissglühender
Teilchen der Korona von der Sonne auf grosse Entfernungen hinaus-
gestossen werden; da die Energie der Sonnenstrahlung zur Zeit
eines Sonnenfleckenmaximums vermindert ist, muss es ebenso der
Strahlungsdruck sein, welcher ihr proportional ist, und die Strahlen
sind weniger lang, was mit den Beobachtungen gut übereinstimmt.
b) Anderseits zeigt der eben bewiesene Satz, dass die elektro-
magnetische Strahlung der Sonne zur Zeit des Sonnenflecken-
maximums vergrössert sein muss. Das Leuchten des Gasbestand-
teiles der Korona kann nicht der Sonnenwärme zugeschrieben werden,
denn dieses Leuchten hat die grösste Ausdehnung und Intensität
gerade zur Zeit, wenn die Sonne am wenigsten Wärme ausstrahlt,
tbiigens haben die neuesten Versuche über die Emission von Gasen
gezeigt, dass die Wärme allein bei den höchsten erreichten Tempe-
38 Sonne.
raturen nicht im stände ist, Gase zum Leuchten zu bringen. Die
Ursache, welche die Gase der Korona leuchtend macht, muss die
Elektrizität sein : diese Gase werden von der Sonne durch Hertzsche
WeUen nach der bekannten Eigenschaft dieser Wellen beleuchtet,
und diese Beleuchtung muss zur Zeit des Sonnenfleckenmaximums
am intensivsten sein, weil diese Wellen zu dieser Zeit ihre grösste
Intensität haben. Dadurch werden die beobachteten Erscheinungen
vollkommen erklärt.
Übrigens ist der Strahlungsdruck infolge der Hertzschen Wellen
zu vernachlässigen, da die kürzesten Hertzschen WeUen, welche man
kennt, eine bedeutend grössere Wellenlänge haben, als dem Durch-
messer der weissglühenden Teilchen der Korona nach der Rechnung
zugeschrieben werden kann.
Das Spektrum der Kometen war Gegenstand eingehender Arbeiten
verschiedener Astronomen, insbesondere von Vogel und Hasselberg.
Diese Arbeiten haben folgende Thatsachen sicher festgestellt:
1. Ausser dem kontinuierlichen Spektrum, welches der Kern der
Kometen zeigt, und welches zum Teil auf reflektiertes Sonnenlicht
zurückzuführen ist, zum Teil dem Eigenlichte des Kernes, zeigen alle
Kometen ein Bandenspektrum, welche von einem leuchtenden Gas-
gemische von Kohlenoxydgas und Kohlenwasserstoffgas herrührt
2. Die Laboratoriumversuche, um künstlich ein dem Kometen-
spektrum identisches hervorzubringen, haben gezeigt, -dass die
leuchtenden Gase der Kometen eine relativ niedrige Temperatur
besitzen, und dass das Gasspektrum identisch ist mit jenem, welches
eine disruptive Entladung bei tiefer Temperatur zeigt, und ver-
schieden von jenen Spektren, welche durch eine kontinuierliche Ent-
ladung oder einen Verbrennungsprozess hervorgebracht werden.
3. Das Gasspektrum ändert sich bei Annäherung des Kometen
an die Sonne, wie das unter obengenannten Verhältnissen erzeugte
künstliche Spektrum sich ändert, wenn man die Intensität der
disruptiven Entladung vermehrt (dies zeigt, dass die Ursache des
Leuchtens des Gasgemisches des Kometen in der Sonne liegt).
Nun haben die Arbeiten von Ebert und Wiedemann festgestellt,
dass die Lichterscheinungen von Gasen infolge Hertzscher Wellen
stets den Charakter jener Erscheinungen haben, welche disruptive
Entladungen bei tiefen Temperaturen hervorbringen.
Man sieht also, dass durch obigen Satz auch alle Details des
Kometenspektrums erklärt werden können. Dieser Satz hat zwar
den Charakter einer Hypothese, doch ist er logisch von der elektro-
magnetischen Lichttheorie und den Spektraluntersuchungen der
Sonne abgeleitet; keine Thatsache widerspricht ihm, und er erklärt
eine ganze Reihe von bis jetzt unerklärten Erscheinungen.«
Die TemperatUF der Sonne. In einer frühem, mit Gray
ausgeführten Untersuchung über die Temperatur der Sonne hatte
W. E. Wilson sich des Boysschen Radiomikrometers bedient, das
Sonne. 89
einerseits durch ein Bündel Sonnenstrahlen, anderseits durch einen
gjnheoden Platinstreifen von bekannter Temperatur bestrahlt wurde.
Die Öffnung für die künstliche Wärmequelle war so reguliert,
dass sie die Erwärmung durch die Sonnenstrahlen kompensierte;
als Resultat fand sich die effektive Temperatur der Sonne gleich
6200^ In diesen Versuchen bildete die Möglichkeit störender
Reflexionen von selten des den glühenden Platinstreifen umgebenden
Schutskastens und von Änderungen der Platinoberfläche eine Ursache,
welche die Wiederholung der Messungen mit einer andern künst-
lichen Wärmequelle wünschenswert erscheinen liess. Wilson berichtet
jetzt über eine derartige, am 19. und am 30. September 1901 aus-
geführte Untersuchung, bei welcher als Vergleichswärme die eines
»absolut schwarzen Körpers« zur Verwendung kam, zuerst eine
Porzellan-, sodann eine Eisenröhre, die einseitig geschlossen in
einem Fletcherofen erhitzt, aus ihrem Innern die Strahlen des
schwarzen Körpers in die Öffnung des Radiomikrometers sandte,
unter Zugrundelegung des Rosettischen Koeffizienten für die Durch-
gangigkeit der Atmosphäre ergaben die an den beiden Tagen aus-
geführten Messungen im Mittel die effektive Sonnentemperatur zu
5773^ abs. Ninmit man Langleys Transmissionskoeffizienten statt
des Rosettischen an, so erhöht sich der Wert auf 6085^ abs.
Pur die Mitte der Sonnenscheibe berechnet sich die Temperatur zu
6201® abs., und wenn man die Absorption in der Sonnenatmo-
sphäre berücksichtigt, erhält man die effektive Temperatur des
Sonnenkörpers = 6863<* abs. oder 6590<>G.^)
Zodiakallicht.
Das ZodlakalUcht. Prof. Seeliger verbreitete sich über kosmische
Staubmassen und das Zodiakallicht. ") Schon früher hat er die
Theorie der Beleuchtung staubförmiger Massen in zwei Abhandlungen^)
entwickelt. Veranlasst wurden diese Untersuchungen durch den
Wunsch, über die Verhältnisse, welche der Saturnring darbietet, ins
einzelne gehende Aufschlüsse zu erhalten. Hierzu waren ziemlich
weitgehende Entwickelungen nötig, die Prof. Seeliger in solcher All-
gemeinheit durchgeführt hat, dass in der Hauptsache die betreffenden
Ph>bleme als gelöst betrachtet werden können.
»Unter staubförmigen kosmischen Massen oder kosmischen
Staubwolken hat man«, sagt Prof. Seeliger, »Aggregate von Massen
zu verstehen, deren gegenseitige Entfernungen im Vergleiche zu ihren
Dimensionen gross sind. Dabei wird man in den meisten FäUen
^ Prooeedings of the Royal Society 1902. e». p. 312—320.
<) Sitznngsber. d. math.-phys. Klasse d. Kgl. bayr. Akad. 1901. 81. fleft3.
p. 286 ff.
^ L Zar Theorie der Beleuchtung der grossen Planeten, insbesondere
des Satoniringes. Abhdl. der baVr. Akademie der W., 16. München 1887.
B. Theorie der Beleuchtung staubförmiger kosmischer Massen etc. Ebenda,
la München 1893.
40 Zo(|iakallicht.
die Theorie nur unter der Voraussetzung zu entwickeln haben, dass
das genannte Verhältnis sehr gross ist, da es sich um ganz genaue
Formeln nicht handeln kann. Nichts hindert indessen, dass man,
ähnlich wie in der kinetischen Gastheorie, einen Schritt weiter geht.
Ganz genaue Formeln, die also auch auf Ansammlungen dicht ge-
drängter Teilchen anwendbar sind, aufzustellen,' dürfte indessen be-
deutende Schwierigkeiten darbieten. Solche weitergeführte Ent-
wickelungen verlangt die Astronomie zunächst nicht, denn die bisher
bekannt gewordenen kosmischen Staubwolken enthalten nur sehr
dünn verteilte Materie.
Die Theorie erfordert nicht die Annahme kugelförmiger Gestalt
der einzelnen die Staubwolke zusammensetzenden Teilchen, man darf
aber diese Annahme machen, ohne die Allgemeinheit zu gefährden.
Bei der obigen Definition der Staubwolken umfassen diese sehr
verschiedene kosmische Gebilde, z. B. den Satumring und das Zodiakal-
licht, aber auch, gewissermassen als Spezialfälle, selbstleuchtende
oder teilweise selbstleuchtende Massen, wie die Sternhaufen, wahr-
scheinlich auch die sogenannten Spirakebel, und schliesslich gehört
der ganze sichtbare Fixsternkomplex dazu«. In der vorliegenden
Abhandlung führt Prof. Seeliger zunächst einige Punkte der frühern
Entwickelungen in Betreff der Beleuchtung an sich dunkler Staub-
wolken weiter aus. Aus den von ihm entwickelten Formeln ergeben
sich Werte für die Flächenhelligkeit der sich als Nebelmassen in
der Nähe von Sternen darstellenden Staubwolken, speziell einer
solchen, welche eine Parallaxe von höchstens nur O.Ol" besitzt Es
handelt sich nun um die Frage, ob Nebelmassen von der gefundenen
Flächenhelligkeit, welche 10 — 7 der mittlem Flächenhelligkeit des
Vollmondes gleich ist, überhaupt bemerkbare Objekte sind. In dieser
Beziehung bemerkt Prof. Seeliger folgendes: »Die Bestimmung der
Flächenhelligkeit von ausgedehnten lichtschwachen Gebilden am
Himmel ist nur in wenigen Einzelfällen und auch hier nur mit ge-
ringer Zuverlässigkeit durchgeführt worden. Namentlich ist man
nur sehr selten über relative Helligkeitsschätzungen von Gebilden
unter sich hinausgekommen, und Beziehungen auf bestimmte, also
gewissermassen absolute Einheiten sind fast gar nicht vorhanden.
Als eine solche Einheit empfiehlt sich die oben benutzte, nämlich
die mittlere Flächenhelligkeit der Vollmondscheibe oder diese Helligkeit
mit einer negativen ganzen Potenz von 10 multipliziert Behält
man die erstere als Einheit bei, so werden die reziproken Flächen-
helligkeiten, die ich mit A bezeichnen will, selbst der hellsten Nebel-
flecke und noch mehr minder heller Objekte, wie der Milchstrasse,
allerdings durch grosse Zahlen dargestellt, was indessen wohl kaum
bedenklich sein dürfte.
Es mag nun das Wenige, was in dieser Beziehung bekannt ist,
hier erwähnt werden. Es ist sehr zu bedauern, dass man kaum
über sehr vage und unsichere Angaben hinaus gelangen kann, denn
Zodiakallicht 41
die obigen Bemerkungen dürften, abgesehen von andern Fragen,
darauf hinweisen, dass mit besser begründeten Feststellungen von
solchen Flächenhelligkeiten ein recht erhebliches Interesse verbunden ist.
Der Hinunelsgrund ist durch die Sonne oder durch den Voll-
mond nicht gieichmässig erhellt, vielmehr hangt, wie selbstverständlich,
die Flächenhelligkeit der einzelnen Teile des Himmels von ihrer Lage
som erleachtenden Gbstime und von der Höhe des letztem über dem
Horiionte ab. Einen genauem Nachweis hierüber hat Prof. Wild ^)
g^ben. Danach ist z. B. im Azimuthe 90® von der Sonne entfernt
das Verhältnis der Flächenhelligkeit der Sonnenscheibe zur Flächen-
heDigkeit des Himmelsgrundes = ^ . 10^ wo y eine nicht sehr von
der Einheit verschiedene Zahl bedeutet. Ungefähr dieselbe Zahl
wurde hieraus für die in den obigen Einheiten ausgedrückte reziproke
HeOi^eit des Himmelsgrundes bei Vollmond folgen, da Vollmond
nnd Sonne nahe von gleicher scheinbarer Grösse sind.
Statt dessen führt aber Olbers^ — wohl eine der frühesten
Angaben in diesem Oebiete — für A die Zahl 10*^ an. Da indessen
diese Angabe ohne nähere Begründung gemacht ist, dürfte wohl die
«wähnte Wildsche zuverlässiger sein. Bei Vollmond verschwindet
nun für das freie Auge die Milchstrasse überall, vielleicht mit Aus-
nahme der allerhellsten Partien. Hier ist die Helligkeit des Himmels-
gnmdes um die der Milchstrasse vermehrt Bleibt diese Helligkeit
unbemerkt, so muss der Quotient aus der genannten Vermehrung
dividiert durch die Helligkeit des Himmelsgrundes kleiner als e sein,
wo c eine Zahl ist, die man wohl kleiner als etwa ^io fi^miehmen
kann. Danach würde also für die Milchstrasse für A der Wert
— •10*, bezw. — 10^ folgen, also werden voraussichtlich auch die
t e
hellen Partien der Milchstrasse ein A aufweisen, das vom Range 10^ ist.
Die hellen, besonders einige kleine planetarische Nebel, scheinen
eine viel grössere Helligkeit zu besitzen, doch lassen sich nur ganz
unsichere Angaben in dieser Richtung machen. Die wenigen hierher
gehörenden Angaben, deren Nachprüfung und Vermehrung dringend
erwünscht wäre, hat Prof. G. Müller in seiner Photometrie der Ge-
stirne zusammengestellt.
Nach E. Pickering sendet der helle planetarische Nebel G. G. 4964
80 viel Licht aus, wie ein Stern von der Grösse 8.6. Die Lichtmenge,
welche der mittlere Vollmond der Erde zusendet, ist gleich derjenigen,
welche ein Stern von der Grösse — 11.77 besitzen würde. Der
genannte planetarische Nebel ist ungefähr kreisrund und hat nach
onier von Dr. Villiger angestellten Messungeinen Durchmesser von
2\". Hiermit ergiebt sich A für diesen Nebel zu rund 18000.
*) Bulletin der Akademie in Petersburg 1876 u. 1877.
") Olbera' Werke L p. 189.
42 Zodiakallicht.
Die genauere Bestimmung der relativen Flächenhelligkeiten
nebeliger Objekte bereitet bekanntlich praktische Schwierigkeiten, die
noch nicht überwunden sind. Aber man kann doch mit verhältnis-
mässig einfachen Hilfsmitteln zu einer rohen zahlenmässigen Ab-
schätzung gelangen. Will man dann die Zahlen A gewinnen, so wird
man gegenwärtig noch am besten den Wert von A für den von
Prof. Pickering bestimmten Nebel G. C. 4964 zu Grunde legen, da
dieser Wert verhältnismässig nicht so grossen Unsicherheiten aus-
gesetzt zu sein scheint. Die Abschätzung der relativen Flächen-
helligkeit anderer Nebel im Vergleiche zu dem genannten kann in
der zunächst geforderten Annäherung mit Hilfe eines Eeilphotometers
erfolgen. Ich habe nun Dr. Villiger ersucht, mit dem schönen
Töpferschen Keilphotometer «welches mit dem lO^/^-zölligen Refraktor
der Münchener Sternwarte in Verbindung gebracht werden kann,
einige passend ausgewählte Nebelobjekte zu vergleichen, was auch
im Dezember 1900 und Mai 1901 geschehen ist. Auf die Detaüs
dieser Messungen soll hier nicht eingegangen werden. Ich führe
nur die resultierenden Mittelwerte von A an, wobei für den Nebel
G. C. 4964 der obige Wert A = 18000 angenommen wurde.
G. C. 4628 A = 18900
Ringnebel in der Leyer. . 61800
DumbbeUnebel 138000
G.G. 4964 18000
G.G. 6826 82100
Andromedanebel .... 16100
Sternhaufen im Herkules I 45700
Messier 18 f
Zu Gunsten der oben angeführten Zahlen dürfte der für den
Sternhaufen im Herkules gefundene Wert von A sprechen. Nach
dem von Prof. Scheiner gegebenen Katalog ergiebt sich, dass in
dem innersten und dichtesten Teile des Sternhaufens (80 Bogen-
sekunden im Quadrate) im Mittel 0.1067 Sterne von der Grösse 12.7
auf dem Areale oiner Quadratsekunde stehen. Hieraus ergiebt sich
A zu 22000. Bei der Unsicherheit, die immerhin der Grössen-
schätzung anhaftet, dürfte die Übereinstimmung der beiderlei Zahlen
befriedigend sein, immer vorausgesetzt, dass man nur die Grössen-
ordnung von A zu bestimmen versucht.«
Auch auf Grund der von Prof. Seeliger früher veröffentlichten
Betrachtungen über die räumliche Verteilung der Fixsterne kann man
die mittlere Flächenhelligkeit nicht zu kleiner Teile der Milchstrasse
bestimmen, allerdings nicht ohne Zuhilfenahme hypothetischer An-
nahmen. Alle diese Erwägungen lassen nun kaum bezweifeln, dass
kosmischer Staub in der Nähe leuchtender Massen sich als auf nicht
unbeträchtliche Strecken ausgebreitete schwach leuchtende Nebel-
materie darstellen kann. >Sind die einzelnen Staubteilchen überaus
klein, vom Range der Wellenlänge des Lichtes, so werden bekanntlich
Zodiakallicht. 43
die kurzwelligen Strahlen in stärkerem Masse reflektiert als die
langweiligen, und die Staubwolke wird sich dann leichter auf der
photographischen Platte zeigen als dem Auge direkt bemerkbar
machen, c
>Es scheint,« bemerkt schliesslich Prof. Seeliger, »nicht un-
wahrscheinlich, dass gewisse Teile der Spiralnebel auf solche er-
leuchtete Staubwolken zurückzuführen sind. Unsere Sonne ist,
worauf das Zodiakallicht hindeutet, von einer dünnen Staubwolke
umgeben, welche über die Erdbahn hinausreicht. Sie wird den
nächsten Fixsternen deshalb als ein nebliger Stern erscheinen. Die
Nebelhülle ist freilich wenig ausgedehnt, hat aber, wie leicht zu
sehen, für ausserhalb des Sonnensystemes gelegene Beobachter durch-
aus noch merkliche HeUigkeit, insoweit sie natürlich nicht durch den
in ihrer Nähe stehenden Stern überstrahlt wird.« —
Wie erwähnt, zählt Prof. Seeliger das Zodiakallicht zu den
staubförmigen kosmischen Massen. Unter den mancherlei Hypothesen,
welche zur Erklärung dieses Phänomens aufgestellt worden sind,
scheint ihm die einfachste folgende zu sein : >Der Raum des Sonnen-
systemes in der Nähe der Sonne bis zu Gegenden, welche die Erd-
bahn jedenfalls noch umschliessen , ist ausgefüllt mit Teilchen kos-
mischen Staubes, welche das Sonnenlicht zurückwerfen. Diese
Staubwolke wird sich um eine Ebene, in welcher die Axe des
Zodiakallichtes liegt, gruppieren, so dass sie in einer auf die Ebene
senkrechten Richtung eine relativ geringe Ausdehnung besitzt In
der genannten Ebene selbst wird sie, da das Zodiakallicht ständige
Unterschiede im Aussehen, die von der Jahreszeit abhängen, nicht
zu zeigen scheint, nach allen Richtungen gleich ausgebreitet sein.
In der Hauptsache wird also diese Staubwolke die Form einer
Rotationsscheibe aufweisen, deren Mitte in der Sonne liegt, und die
über die Erdbahn hinausreicht. Die Dichtigkeit der Massenverteilung
wird wahrscheinlich von der Sonne nach aussen zu abnehmen, und
es wäre möglich, dass sich die staubförmige Materie bis zu grossen
Entfernungen von der Sonne nachweisen liesse, aber in viel grösserer
Sonnenentfemung als die der Erde wird sie jedenfalls überaus dünn
und ihr Einfluss also sehr gering sein müssen.
Ob die Axe des Zodiakallichtes wirklich in der Ekliptik liegt,
und also die Rotaüonsaxe der Scheibe senkrecht darauf steht,
bleibt dahingestellt Früher hat man daran nicht gezweifelt, neuer-
dings aber haben zuverlässige Beobachter dies gethan. So hat
Marchand ^) und ganz neuerdings Prof. M. Wolf^ gefunden, dass die
Axe des 2^diakallichtes eher in der Ebene des Sonnenäquators als
in der Ekliptik liegend anzunehmen sei.
') Compt rend. 1896. 121. p. 1134.
*) Über die Bestimmung der Lage des Zodiakallicbtes und den O^en-
schein. Sitzber. d. Münchener Akademie d. Wissensch. 1900. p. 197—207.
44
Zodiakallicht.
Die oben erwähnte Ansicht über das Zodiakallicht drängt sich
von selbst auf, wenn man sich erinnert, dass auch sonst verschiedene
astronomische Erfahrungen auf die Anwesenheit kosmischen Staubes
namentlich in der Umgebung der Sonne unzweideutig hinweisen.
Vor 9 Jahren^) habe ich mich ausdrücklich zu dieser Ansicht be-
kannt, die auch von anderer Seite, so von dem um die Erforschung
des ZodiakaJlichtes hochverdienten A. Searle verfochten worden ist,
und eine nähere Begründung in Aussicht gestellt Dass eine solche
bisher nicht erfolgt ist, lag einmal dann, dass ein Jahr später Prof.
Searle^ die Sachlage eingehend beleuchtet hat, und femer darin,
dass zuverlässige photometrische Angaben über die Helligkeitsver-
teilung im Zodiakallichte nicht zu beschaffen waren, und meine
eigenen dahin gerichteten Versuche einen Erfolg nicht hatten.
Eine Änderung dieser Sachlage ist zwar bisher nicht eingetreten,
aber es ist durch die neuesten Arbeiten von M.Wolf die Aussicht
eröffnet worden, eine solche erwarten zu können. Prof. Wolf ist
es in der That gelungen, eine photographische Methode zu finden,
welche die Helligkeitsverteilung im Zodiakallicht zu erforschen erlaubt,
und diese scheint mir demnach einen höchst bedeutungsvollen Fort-
schritt auf diesem Gebiete anzubahnen. Man darf also hoffen, in
nicht zu femer Zeit die erforderlichen photometrischen Daten zu er-
halten, welche über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der einzelnen
Ansichten über das Wesen des Zodiakallichtes im grossen und ganzen
zu entscheiden gestatten werden, c
Planeten.
Planetoldenentdeckungren Im Jahre 1901. Nach der Zu-
sammenstellung von Paul Lehmann^ sind folgende kloine Planeten
seit dem letzten Berichte als neu entdeckte eingereiht worden:
(464) FV 1901 Jan. 9 von Wolf
465) FW
Jan.
13
),
II
466) FX
Jan.
17
ti
Wolf-Camera
467^ FY
Jan.
9
ti
Wolf
468 FZ
Jan.
13
if
11
469 GB
Febr.
18
II
Wolf-Carnera
Heid(
470 KiUa
r
21
II
Camera
471) GN
18
II
11
472 GP
JuU
11
II
II
478) GC
Febr.
18
11
Wolf
474) GD
Febr.
13
II
11
47B HN
Aug.
14
,.
Stewart, Arequipa
476 Hedwig
Aug.
17
11
i477) GR
478) Gü
Aug.
Sept.
28
21
II
«1
Camera, Heidelberg.
479) HJ
Nov.
12
11
^) über allffemeine Probleme der Mechanik des Himmels. München 1892.
*) Researcnes on the Zodiacal Light. Annales of the Harvard College
Observatory 19. H. 1898.
*) Vierteljahrsschrift der Astron. Gesellschaft 1902. 37. 1. Heft. p. 65.
ß
*
9
a
(464)
103» 443
100 5r8
14*400
2.84
(465)
305 M2
4 37.8
13 45.8
3.19
466)
291 45.0
19 22.4
3 37.9
8.34
467)
323 48.5
6 24.4
6 20.3
2.94
|468)
22 28.8
0 29.7
11 47.2
3.14
469)
88 47.6
12 49.1
8 28.9
3.38
470)
182 56.0
10 34.6
20 9.8
2.72
471)
84 9.8
17 52.7
19 56.2
2.96
472)
127 4.5
15 87.8
5 54.8
2.55
478)
333 27.6
27 46.5
14 48.7
2.96
474)
475)
162 47.8
7 32.4
8 27.4
2.46
35 48
18 38
22 8
2.57
476)
286 38.7
10 567
4 17.0
2.65
477)
478)
10 58.5
5 12.4
10 56.2
2.40
235 0.8
13 3.7
4 45.1
3.01
479)
136 28.6
8 39.5
12 42.7
2.78
Planeten. 45
P. Lehmann bemerkt ferner: Ausser diesen sind noch etwa
21 scheinbar neue Planeten aufgefunden worden, doch ist das über
dieselben vorhandene Beobachtungsmaterial nicht ausreichend, um
einigermassen sichere Bahnen daraus abzuleiten. Die Hauptelemente
der für die oben genannten 16 Planeten berechneten Bahnen lauten:
Berechner
Berberich
Bauschinger
Winther
Berberich
Bauschmger
Bauschinger
Möller
Bauschinger
Paetsch
Berberich
Berberich
Miss Winlock
Berberich
Maubant
Mello e Simas
Bauschinger
Bemerkenswert sind hierunter die Planeten (470) und besonders
(475) durch ihre grosse Exzentrizität Beide können auch der Erde
▼eriiältnismässig nahe kommen:
(470) mit J = 0.88 zur Oppositionszeit Jan. 14
(475) „ ^=0.69 „ „ Aug. 31
ausserdem auch noch
(477) mit ^ = 0.98 „ „ Aug. 28.
Der Planet (475) zeichnet sich femer dadurch aus, dass er zur
Oppositionszeit in hohe Deklinationen gelangen kann, und zwar in:
^=^48^7 zur Oppositionszeit Jan. 7
— 60.2 „ „ Juli 8.
Ihm schliessen sich in dieser Beziehung an die Planeten:
(466) mit ^=+41<>l zur Oppositionszeit Nov. 28
-42.1 „ „ Mai 22
und:
(478) mit ^= + 66.5 „ „ Dez. 8
— 60.8 „ „ Juni 7.
Annähernde Ähnlichkeit zeigen die Bahnelemente der Planeten:
(467) Ä = 32808 * = 6»4 9> = 6»8 a = 2094
(188) 821.3 7.2 8.0 8.06.
Von den 10 Planeten, welche seit dem letzten Berichte zum
erstenmal seit der Entdeckung wieder in Opposition getreten sind,
wurden nur die Planeten (449), (458), (454), (455) und (456) be-
obachtet; von altem bisher nur in einer Opposition beobachteten
und seitdem vergeblich gesuchten Planeten wurden wiedergefunden:
(443^ in der dritten Erscheinung
(429) „ „ vierten
fünften
sechsten
achten
neunten
46 Pianoten.
Die Zahl der bisher nur in einer Erscheinung beobachteten
Planeten, mit Einschluss der neu entdeckten, beträgt daher gegen-
wärtig (Anfang Februar 1902) 79.
Von den in frühern Berichten noch nicht mit Namen ver-
sehenen Planeten sind nunmehr die folgenden benannt worden:
(353) Ruperto-Carola, (355) Gabriella, (356) Liguria, (358) Apollonia,
(361) Bononia, (362) Havnia, (363) Padua, (364) Isara, (365) Corduba,
(366) Vincentina, (367) Amicitia, (370) Modestia, (371) Bohemia,
(372) Palma, (373) Melusina, (374) Burgundia, (375) Ursula, (376)
Geometria, (377) Gampania, (378) Holmia, (379) Huenna, (380) Fiducia,
(381) Myrrha, (382) Dodona, (386) Siegena, (387) Aquitania, (388)
Charybdis, (389) Industria, (390) Alma, (393) Lampetia, (397) Vienna,
(399) Persephone, (402) Chloe, (403) Cyane, (404) Arsinoe, (405)
Thia, (407) Arachne, (408) Fama, (409) Aspasia, (415) Palatla,
(417) Suevia, (418) Alemannia, (419) Aurelia, (423) Diotima, (424)
Gratia, (425) Cornelia, (432) Pythia, (435) Ella, (436) Patricia,
(442) Eichsfeldia, (443) Photographica, (446) Aeternitas, (447) Valen-
tine, (448) Natalie, (449) Hamburga, (450) Brigitta, (451) Patientia,
(454) Mathesis, (455) Bruchsalia, (457) Alleghenia.
Hessungren der Planetendurehmesser. Sowohl auf der
Licksternwarte als auf dem Yerkesobservatorium hat Prof. Barnard
zahlreiche Messungen der scheinbaren Durchmesser der Hauptplaneten,
sowie der grössern Planetoiden und Trabanten des Sonnensystemes
ausgeführt. Diese Messungen dürften sowohl in anbetracht der
ausserordentlichen teleskopischen und mikrometrischen Hilfsmittel als
der Erfahrungen des ausgezeichneten Beobachters und ebenso infolge
ihrer Anzahl, den meisten andern Bestimmungen dieser Grössen an
Genauigkeit überlegen sein. Prof. Barnard hat nunmehr diese sämt-
lichen Messungen zusammengestellt und Mittelwerte daraus ab-
geleitet,^) welche wohl bis auf weiteres als Normalwerte bettachtet
werden können.
Merkur. Die Beobachtungen wurden im Juli 1898 und im
August 1900 am 40-zolligen Refraktor bei Tage ausgeführt, wenn
der Planet gut sichtbar war, so dass sie als nahezu frei von Irra-
diation betrachtet werden dürfen. Auf die mittlere Distanz der Erde
von der Sonne reduziert, ergeben sie als definitiven Wert für den
Durchmesser des Merkur 6.591" oder 2965 englische Miles
= 4780 km. Am 40-zolligen Refraktor zeigte sich auch unter den
besten Luftverhältnissen keine Spur von jenen eigentümlichen Linien,
welche andere Beobachter auf der Scheibe des Merkur gesehen haben
wollen. Am 31. August 1900, als die Luft ausgezeichnet war, wurden
drei oder vier dunkle Flecken auf der Merkurscheibe erkannt, ahn-
lich den Flecken, welche der Mond darbieten würde, wenn er so
^) Astron. Nachr. No. 3760.
Planeten. 47
weit entfernt wäre, dass er den nämlichen Winkeldurchmesser wie
Merkur zeigte, und er durch den 40-zolligen Refraktor betrachtet
worde. Einer der dunklen Flecken, welcher dem Zentrum der Merkur-
scheibe südlich vorauf stand, war besonders augenfällig; ein Versuch,
ihn zu zeichnen, gelang nicht, da die Luft schlecht wurde.
Venus. Messungen an 8 Tagen, bei Sonnenschein, ergaben als
scheinbaren Durchmesser 1 7. 1 43" == 77 1 8 Miles = 12 400 km. Flecken
anf der Venusscheibe waren stets angedeutet, aber immer so schwach
und unbestimmt, dass eine befriedigende zeichnerische Wiedergabe
derselben nicht möglich war. Diese dunklen Flecken waren ähnlich
denjenigen des Merkur, aber weit schwächer, keine Spur dagegen
von schmalen dunklen Linien, wie solche einige Beobachter in den
letzten Jahren gesehen haben wollen. Vergeblich war auch jeder
Versuch, durch teilweise Bedeckung des Objektivglases, Benutzung
von farbigen Schirmen und Veränderung der Vergrösserung ein deut-
licheres Sehen solcher dunklen Flecken zu erzielen. Auch am
4*zolligen Sucher des grossen Refraktors war mit den verschiedensten
Vergrösserungen nichts auf der Venusoberfläche zu erkennen, genau
so wie auch die frühem Versuche Bamards am 12-zolligen Refraktor
vergeblich wraren. Die Meinung, dass in kleinen Instrumenten die
Venusflecken besser sichtbar seien, eine Ansicht, die von mehrern
Beobachtern ausgesprochen worden ist, muss also aufgegeben werden.
Mars. Im Mittel aus 9 Beobachtungsabenden ergiebt sich für
den Äquatorialdurchmesser: 9.673" = 4852 Miles = 7004 km; aus
11 Beobachtungsabenden für den Polardurchmesser 9.581" = 4812
Miles = 6940 km.
Für die vier grössten Planetoiden giebt Prof. Barnard folgende
Durchmesser;
Geres: 1.060" = 477 Mües == 770jbm
PaUas: 0.675 =804 > = 490 >
Juno: 0.266 =120 > = 190 »
Vesta: 0581 =289 » = 880 >
Setzt man die lichtreflektierende Kraft (Albedo) der Marsober-
fläche = 1, so erhält man für diejenige der vorgenannten Planetoiden
nach Prof. Bamard folgende Werte: Ceres 0.67, Pallas 0.88, Juno
1.67, Vesta 2.77. Hiemach findet sich, worauf Prof. Bamard schon
früher hinwies, für Vesta eine äusserst starke Lichtreflexion, während
diese für Ceres relativ gering ist, auch erklärt sich weshalb Pallas
immer als der grösste der kleinen Planeten betrachtet wurde, während
in Wirklichkeit Ceres erheblich grösser ist. Diese Verschiedenheit in
der Stärke der Lichtreflexion steht nicht ohne Analogie da, denn
bei den vier hellen Jupitermonden finden sich ähnliche grosse Unter-
schiede.
Jupiter. Äquatorialdurchmesser: 38.522'' = 90190 Miles
= 146100 km\ Polardurchmesser: 86.122" = 84570 Miles =
136100 Jbn.
= 160480 >
> =242600
» 148260 >
> —288600
= 145990 :
> —288900
— 110070 .
► = 177100
-» 88190 >
> = 142000
= 2220 >
^ — 8600
— 2720 1
> = 4400
48 Planeten.
1. Japitermond: 1.048'' = 2462 HUes » 8960 km
2. > 0.847 = 2045 > = 3290 >
3. > 1.512 = 3658 > = 5720 >
4. > 1.430 = 3345 > = 5380 >
Wenn der 5. Jupitermond, wie angenommen wird, einen Durch-
messer von 100 Miles (161 km) besitzt, so würde sein scheinbarer
Durchmesser 0.04'' betragen, viel zu klein, um in unsem heutigen
Teleskopen messbar zu sein.
Das Saturnsystem. Äquatorialdurchmesser des Saturn: 17.798"
= 76470 Mües = 123000 km; Polardurchmesser: 16.246" = 69780
Mües= 112800 A:m.
Ring des Saturn
Äusserer Durchmesser des äussern
Ringes 40.186'' = 172610 Mües— 277800 Jbm
Innerer Durchm. d. äussern Ringes 35.034
Mitte von Cassinis Trennungslinie . 34.517
Äusserer Durchm. d. innem Ringes 34.000
Innerer > > > > 25.626
> > > Crapringes . . 20.528
Breite der Cassinischen Trennung 0.715
Satummond Titan: Durchmesser . 0.633
Bei allen Beobachtungen des Crapringes am 36-Zoller erschien
der innere Rand desselben bestimmt und scharf abgegrenzt; ebenso
zeigte er sich am 40-Zoller. In der Nacht des 7. Juli 1898 bei
ungewöhnlich guten Luftverhältnissen sah Prof. Bamard am 40-Zoller
auf der Nordhemisphäre des Saturn und diese kreuzend zwei feine,
schmale dunkle Streifen, die gegen die Ränder des Saturn in stärkerem
Kontraste hervortraten. Der Nordpol des Planeten zeigte eine kleine
dunkle Kappe, die aber nicht so dunkel erschien als im März und
April 1895 am 36-Zoller. Von der Enckeschen Trennungslinie war
keine Spur zu sehen.
Uranus. Äquatorialdurchmesser: 4.150" = 35 820 Miles =
57 600 km; Polardurchmesser: 3.930'' = 33921 Miles = 54600 km.
Der Planet erschien auch ohne Messung deutlich abgeplattet
Neptun. Durchmesser: 2.433" = 32 900 Miles = 52 900 Am.
Auf der Scheibe dieses Planeten wurden keinerlei Flecken gesehen,
auch erschien sie stets völlig rund.
Bezüglich des Aussehens der kleinen Planeten, welche messbare
Scheiben in dem grossen Femrohre zeigen, bemerkt Prof. Bamajrd:
»Dieselben erschienen bei guter Luft stets gut begrenzt und rund
ohne Spur von fragmentarischer Form, wie solche beim Eros infolge
von dessen Helligkeitsschwankungen vermutet wurde. Auf ihren
Scheiben zeigte sich keine Spur von Flecken. Bei der grossen An-
näherung des Eros an die Erde im Jahre 1924 muss dieser in Tele-
skopen, wie der 36-Zoller der Lickstemwarte oder der 40-Zoller des
Yerkesobservatoriums , deutlich erkennen lassen, ob er ein runder
Körper ist oder ein Fragment aus solchem oder aus zwei Körpern
besteht, wie vermutet worden ist
Planeten. 49
Beobaehtungen des Jupiter während des Juli bis Sept. 1901
wurden von J. Gleehill auf E. Grossleys Observatorium, Bermesidd,
Halifax, angestellt. Als Instrument diente ein 9-zolliger Cookescher
Refraktor mit 150- bis 240faGher Vergrosserung. Der tiefe Stand des
Planeten und ungünstiges Wetter beeinträchtigten die Beobachtungen
sehr. Die einzige in die Augen springende Formation auf der
Jnpiterscheibe war ein breiter, dunkler Doppelstreifen südlich vom
Äquator. Der Raum zwischen diesem Streifen war nicht hell, und
die Trennung überhaupt schwer wahrzunehmen. Der rote Fleck
wurde nicht gesehen, wohl aber an seinem Orte einige Male ein graues
Fleckchen, das wahrscheinlich dem östlichen Ende des Fleckes ent-
spracL In der äquatorialen Zone konnte auch kein bestimmtes Detail
wahrgenommen werden. Die nördliche Komponente des oben ge-
nannten Doppelstreifens war gewöhnlich dunkler als die andere und
zeigte mehrere dunkle Fleckchen, von denen eins etwas in die hellere
Zentralzone hineinragte.
Saturn durch die Cassinlsche Spalte sichtbar. G. T.
Whitmell hat darauf hingewiesen, dass um die Zeit des 17. Juli 1902
der Ring des Saturn eine solche Lage gegen die Erde besitzen
werde, dass man von dieser aus durch die Cassinische Trennungs-
linie auf den Planeten herabsehen könne. Demnach werde diese
Trennungsspalte vor der Satumscheibe nicht wie sonst (wegen des
Schattens, den sie auf Saturn wirft) schwarz erscheinen. Diese
Vorausbestimmung hat sich bestätigt. Der Präsident der Astron.
Gesellschaft zu Leeds, Mr. Townshend, hatte Gelegenheit, bei gün-
stiger Witterung den Saturn und seinen Ring am 15. Juli 1902 zu
beobachten und sah die Cassinische Linie über die ganze Ringober-
fläche, auch vor der Scheibe des Saturn. Am 17. Juli war sie
dagegen vor der letztem unsichtbar. Auch Mr. Whitmell hat am
17. Juli mit einem 9-zolligen Refraktor vergeblich nach der Fort-
setzung dieser schwarzen Linie auf der Strecke vor der Scheibe des
Saturn gesucht.
Der Schatten der Saturnkugrel auf den Ringen des
Satonu Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts haben verschiedene
Beobachter die Wahrnehmung gemacht, dass der Schatten, welchen
Saturn auf seinen Ring wirft, nicht selten eine Begrenzung zeigt,
die mit der Voraussetzung einer ebenen Ringfläche perspektivisch
nicht zu vereinigen ist Einzelheiten hierüber sind in zahlreichen
Bänden des »Sirius« enthalten. Auch die dort gelegentlich gegebenen
Abbildungen des Saturn und seiner Ringe zeigen fast alle eine
anormale Begrenzung des Schattens der Saturnkugel, die haupt-
sächlich darin besteht, dass dieser Schatten auf der Ringfläche
konkav gegen den Saturn hin gekrümmt erscheint ; zu andern Zeiten
5Eeigt er sich entschieden dreieckig. In neuerer Zeit hat sich nun
Klein, Jahrbuch XTU. 4
50 Planeten.
Dr. Wonaszek auf der Sternwarte Kis-Kartal in Ungarn eingehend
mit Beobachtungen dieser Schattengestalt beschäftigt und ist nun-
mehr zu dem Ergebnisse gekommen, dass diese anormale Schatten-
form periodisch wiederkehrt^) Aus seiner Abhandlung sei folgendes
hier hervorgehoben: Den Beobachtungen gemäss ist die Erscheinung
vor und nach der Quadratur, wenn Saturn und Sonne 90® in Länge
voneinander abstehen, möglich. Die anormale Schattenerscheinung
zeigt sich frühestens, wenn Saturn noch um einen Bogen von 56®
10.6' von der Quadratur entfernt steht, und spätestens wenn er 34®
16.6' über die Quadratur hinaus ist Der konkave Schatten erscheint
also vor der Quadratur bei grösserer Elongation als nach derselben.
Die Beobachtungen zeigen, dass die Schattenerscheinung zwischen
den Grenzen der grössten Elongationen um die Quadraturen herum
in jeder Lage vorkommen kann.
Es fand sich aber auch, dass der konkave Schatten in einer
Reihe von Jahren nicht regelmässig bei derselben relativen Lage des
Planeten vorkommt; vielmehr zeigen die Beobachtungen, dass der
konkave Schatten einige Jahre nacheinander vor der Quadratur,
dann aber einige Jahre nacheinander nach der Quadratur auf-
getreten ist
Dieser Wechsel um die Quadratur herum weist eine Regel-
mässigkeit auf, die auf eine weitere Periodizität der Erscheinung deutet
Der konkave Schatten erschien im Jahre
1895 nach der Quadratur 2 Tage
1896 > > > 28 >
1897 vor der Quadratur 4 >
1896 > > > 27 »
1899 > > > 56 »
1900 nach der Quadratur 4 >
Eine hiemach gezeichnete Kurve zeigt also einen minimalen
Wert im Jahre 1896 und einen maximalen Wert im Jahre 1899.
Demnach deutet sie auf eine fünfjährige Periode der Erscheinung,
wobei der konkave Schatten 3 Jahre nacheinander vor der Quad-
ratur bei stetig wachsender Elongation, 2 Jahre nacheinander aber
nach der Quadratur zu beobachten wäre.
Im Jahre 1901 war demnach ein Minimum der Kurve zu er-
warten, das heisst, die Schattenerscheinung musste nach der Quad-
ratur um 28 — 30 Tage zu beobachten sein, bei einer maximalen
Elongation von 34® 16.6'.
Die Erscheinung besitzt nicht eine blosse optische Bedeutung,
sondern hängt mit der Frage der Oberflächengestalt der Ringe eng
zusammen, worüber Dr. Wonaszek sich wie folgt äussert:
^) A Kis-Kartalu Csillaquizsgälo-Intizet Tevekenysege m. Buda-Pest 1901.
Planeten. 51
Wäre die Oberfläche des Ringsystemes beständig eine Ebene
oder beständig cylindrisch, so müsste der Schatten der Kugel auf
den Ringen auch beständig dieselbe Form zeigen gegen die Erde um
die Quadraturen herum«
Die Projektion einer Kugel auf die Ebene kann nur eine zu
der Kugel gekrümmte Begrenzung haben, deren Ejummung je nach
der Lage der Ebene und nach der Richtung der Projektion wechselt.
Wäre also die Flächengestaltung des Ringsystemes beständig
eine Ebene, dann hätte der Schatten der Kugel auf der Ebene
beständig eine zu der Kugel gewendete krumme Begrenzung, deren
Krümmung sich je nach der Lage der Ebene und nach der Richtung
der Sonnenstrahlen ändern müsste.
Die konkave Schattenerscheinung deutet eine konische Flächen-
gestaltung des Ringsystemes an; es scheint auch, dass die Ebenen
der einzelnen Ringe zeitweise gegeneinander Neigungen haben, die
sich bisweilen bilden und wieder verschwinden.
Das Bingsystem des Saturn würde dann als ein Gardanisches
System einer Bussole aufzufassen sein, wobei die einzelnen Ringe,
wie an Axen befestigt, kleine Schwingungen ausüben. Die Axen
der einzelnen Ringe können miteinander einen rechten oder einen
nach Umstanden wechselnden Winkel bilden, der durch wahrscheinlich
periodisch wirkende Attraktionen periodische Schwankungen aufweist.
Die verschiedene Beleuchtung der einzelnen Ringe würde auch
ganz ungezwungen zu deuten sein durch die Annahme einer konischen
Flächengestaltung des Ringsystemes.
Wenn die Ebenen der Ringe gegeneinander veränderliche
Neigungen haben, werden auch die einzelnen Flächen entsprechend
wechselnde Beleuchtung von der Sonne empfangen; es entsteht also
eine verschiedene Belichtung der Flächen, wodurch wir die einzelnen
Ringe in verschiedener Beleuchtung sehen, was die Beobachtungen
bestätigt haben.
Das Ringsystem besteht nach der Maxwellschen Theorie aus
onermesslich vielen kleinen Körperchen, es ist eine Art leuchtende
Wolke.
Die Verteilung der Partikelchen in den Ringen hängt teils von
Attraktionen, die dem Systeme innewohnen, teils von solchen ab, die
in den kosmischen Verhältnissen ihren Ursprung haben. Da sich
die Attraktionsverhältnisse des Systemes und auch der Umgebung —
durch Veränderung der Lage der Massen — mit der Zeit um-
gestalten, wird sich auch die Verteilung der Partikelchen in den
Ringen zeitweise ändern. Demzufolge unterliegt die ganze Oberfläche
des Ringsystemes gewissen Veränderungen, die durch die Verteilung
der kosmischen Massen bedingt sind.
Der verschiedenen Beleuchtung der einzelnen Ringe gemäss
würde der dunkle Ring aus weniger dicht zusammengedrängten Par-
4»
52 Planeten.
ükelchen bestehend anzunehmen sein, dagegen enthalten die hellen
Ringe die Partikelchen mehr gedrängt.
Das Auftreten und Verschwinden der Teilungen in den Ringen
ist durch die wechselnden Neigungen der Ringebenen leicht ver-
ständlich. Wenn die Attraktionsverhältnisse die Verteilung der
Partikelchen und die Neigungen der Ringebenen günstig gestalten,
wird sich eine Zweiteilung der Ringe bilden; sobald sich aber die
Attraktionsverhältnisse ändern, schliessen sich die Ringe wieder zu-
sammen.
Die Theorie über die Flächengestaltung des Ringsystemes wäre
also in den folgenden Punkten zu ergänzen:
1. Die Flächengestalt der Saturnringe besitzt eine konische
Krümmung.
2. Die konische Krümmung der Ringfläche ist veränderlich,
wegen der Veränderungen der innern und äussern Attraktions-
verhältnisse.
3. Die Ebenen der einzelnen Ringe haben zeitweise wechselnde
Neigungen zu einander, wodurch sich die Ebenen auch teilweise
decken können.
4. Die Verteilung der Partikelchen in den einzelnen Ringen
kann sich auch derart ändern, dass in den Ringen Trennungen ent-
stehen, die wieder verschwinden, wenn sich die günstigen Attraktions-
verhältnisse geändert haben.
Die Durchmesser der Saturnsmonde Titan und Japetus
sind von Dr. J. J. See am 26-zolligen Refraktor zu Washington
untersucht worden.^) Er findet, dass beide in dem grossen Refraktor
messbare Scheiben zeigen, und giebt als definitiven Mittelwert für
Titan 0.73" entsprechend einem wahren Durchmesser von 5049 km.
Der Durchmesser des Japetus ist erheblich kleiner und steht ziem-
lich an der Grenze der Wahmehmbarkeit, doch hält Dr. See für
sicher, dass dieser Mond im Washingtoner Refraktor eine kleine
Scheibe zeigt Den Scheibendurchmesser desselben schätzt er auf
0.19", was auf einen wahren von 1300 km führen würde.
Spektrogrraphische Aufnahmen des Planeten Uranus
hat H. Deslandres in Meudon bei Paris ausgeführt zu dem Zwecke,
aus der etwaigen Verschiebung von Spektrallinien Auskunft über
die Rotation dieses Planeten zu gewinnen.^ Diese Aufnahmen er-
gaben, dass der nordöstliche Rand der Uranusscheibe eine von der
Erde abgewandte, der südwestliche eine auf diese hin gerichtete Be-
wegung besitzt Hieraus folgt, dass Uranus in der Richtung von
Ost nach West rotiert, und der Äquator desselben sehr stark gegen
') Astron. Nachr. No. 3764.
«) Compt. rend. 135. p. 472.
Mond. 53
die Bahnebene geneigt ist. Es findet also Übereinstimmung der Ro-
tationsrichtnng des Planeten mit der Umlaufsrichtung seiner Trabanten
statt Auch den Planeten Neptun hat Deslandres in der nämlichen
Absicht untersucht, ohne jedoch zu sichern Ergebnissen bis jetzt
gelangt zu sein.
Mond.
Unterauchungren über die westlichen Randgregenden der
Mondscheibe« Die starken optischen Verzerrungen, in denen sich
für uns die Randpartien des Mondes darstellen, geben natürlich auf
der Mondkarte ein ganz unrichtiges Bild der wirklichen Gestalten
der randlichen Gebirgseriiebungen. Wie sehr dieses der Fall sein
muss, erkennt man sofort, wenn man etwa die östliche Halbkugel
der Erde in orthographischer Projektion mit derjenigen in stereo-
graphischer Projektion, welche sich in den Erdatlanten findet, ver*
gleicht Diese letztere giebt eine richtige perspektivische Darstellung,
welche in den kleinsten Teilen ähnlich und ohne Verzerrung erscheint
Es ist nun aus selenographischen wie selenologischen Gründen sehr
wichtig, wenigstens die uns noch sichtbaren Randpartien des Mondes
so weit aufzudecken, dass sie in stereographischer Projektion neben
den mehr zentralen Teilen dargestellt und mit diesen verglichen
werden können. Wollte man dies auf dem Wege der unmittelbaren
Messung und Zeichnung an der Mondscheibe selbst erreichen, so
würde die Arbeit sehr weitschweifig und auch wesentlich ungenau
werden, was auch einer der Gründe war, welche die bisherigen
Selenographen bestimmte, ihre Karten in orthographischer Projektion
zn entwerfen. Die photographischen Aufnahmen des Mondes, welche
in neuester Zeit erhalten wurden, haben jedoch nach dieser Richtung
hin bessere Aussichten eröffnet Prof. Dr. Julius Franz in Breslau
ontemahm es nun, die Randgegenden des Mondes in stereographischer
Projektion darzustellen. Den bis jetzt ausgeführten Teil seiner
Arbeit hat er in der Pestschrift veröffentlicht, welche die Universitats-
Stemwarte in Breslau zum 90. Geburtstag des Prof. Galle diesem ge-
widmet hat
Um das angedeutete Ziel zu erreichen, sind Messungen der Rand-
gegenden bei günstigen Librationen erforderlich, und von solchen ist
in der erwähnten Arbeit ein Anfang gemacht worden. Zugleich
worden die Lücken ausgefüllt in der erwähnten Arbeit, welche die
früher von Prof. Dr. Franz bestimmten 150 Krater besonders in der
Umgebung von Tycho zeigen, weil auf den dort angewandten photo-
graphischen Vollmondplatten wegen Dberstrahlung kaum Objekte
anbofinden waren. Nachdem nämlich durch jene 150 Krater jetzt
genügende Fixpunkte gewonnen sind, ist es möglich» sie als Normal-
54 Mond.
punkte zur Ausmessung von Mondbildem anzuwenden, die nur einen
Teil der Oberfläche beleuchtet zeigen.
Die neue Arbeit von Prof. Dr. Franz soll nur als Anfang der
auf das genannte Ziel gerichteten Untersuchungen dienen, da sie nur
den südwestlichen Teil des Mondrandes behandelt Auch sollen die
in ihr gemessenen 160 Mondobjekte durch weitere Messungen an
andern Platten wiederholt bestimmt werden« Wenn also die Arbeit
das gesteckte Ziel noch nicht ganz erreicht, so ist es doch wichtig,
die Ausmessung eines Mondbildes in sich abzuschliessen , um aus
derselben für die weitem Untersuchungen Erfahrung und Lehre zu
ziehen. Ober die den Messungen zu Grunde liegenden photographischen
Platten bemerkt Prof. Franz folgendes:
»Als ich im Oktober 1901 die neuen grossen Repsoldschen
Meridianinstrumente der Breslauer Sternwarte, für die leider der
Platz zur Aufstellung noch fehlt, besichtigt hatte, übergab mir auf
der Rückreise in Potsdam der Direktor der dortigen Sternwarte, Prof.
Dr. H. C. Vogel, zwei von seinem Assistenten I^rof. Dr. J. Hartmann
am grossen Refraktor von 80 cm Öffnung aufgenommene schöne Mond-
bilder, Originalnegative auf Glasplatten vom 9. und 13. Januar 1900.
Sie sind scharf auf Kontrast entwickelt und mit äusserst feinem
Korne in der Gtelatineschicht, so fein, dass es schwierig ist, das Mikro-
skop auf das Korn zu fokusieren. Freilich waren die Platten
hauptsächlich mit Rücksicht auf die Deutlichkeit der Gegenden bei
der Lichtgrenze entwickelt, und es mussten die lichtreichen und im
Negativ zu dunklen Gegenden des Westrandes durch Anwendung von
Gasglühlicht aufgehellt werden. Von diesen beiden Bildern liegt das
erstere, weil es eine stärkere Libration zeigt, der folgenden Aus-
messung allein zu Grunde. Es wird hier als Platte VI bezeichnet,
weil es die sechste in Breslau ausgemessene Mondphotographie ist.
Die Konstanten der Platten VI sind u. a. : Aufnahmezeit = 1900
Jan. 9., b^ 40>» M. E. Z. Alter des Mondes — 8.12 Tage. Durch-
messer = 113132 mm. Positionswinkel des Mondnordpols an der
Mitte der Mondscheibe = — 20^ 24'.57. Selenographische Koordinaten
der Mitte der Mondscheibe A0-f-5<>57'.06./J«—3<>56Ml, welche auch
Libration in Länge und Breite genannt werden. Gesamtlibration ==
7^ 8'.07 nach dem Positionswinkel 123^ 28'.5, so dass am günstigsten
der Punkt des Westrandes aufgedeckt wurde, der die Breite — 33^
28'.5 hatte, und bei welchem der Mondfleck Marinus E liegt Hier-
nach war das Mare Australe, besonders sein nördlicher Teil, in ziem-
lich günstiger Libration; auch das Marc Smythii hatte fast eine
ähnlich günstige Lage. Oberhaupt konnte der Westrand luid besonders
der Südwestrand des Mondes durchforscht und hier mancherlei Neues
gefunden werden. Dagegen musste im Nordwesten vermieden werden,
zu nahe an den Rand zu gehen, weil bei dieser Platte VI hier die
Messungen wegen ungünstiger Libration keine befriedigenden Resultate
hätte liefern können, c
Mond. 55
Der Abhandlung ist ein Lichtdrack der ausgemessenen Platte VI
beigefügt Er giebt, durch ein Vergrösserungsglas betrachtet, Aus-
konft über die Qualitäten der gemessenen Objekte.
Ferner hat Prof. Franz ein Bild des Mondes und der gemessenen
FiHrmationen in stereographischer Projektion gezeichnet. Dies soll
keine Mondkarte sein, sondern als Schlüssel zum Kataloge, als
Legende oder Indexmap dienen und enthält deshalb hauptsächlich
die gemessenen Gebilde. Zur Orientierung sind auch die Meere mit
ausgezeichnet, und zwar die der Westseite genauer nach Platte VI,
während die Meere der Ostseite nur ungefähr angedeutet werden
konnten, da er diese später bei Durchforschung des Ostrandes ge-
nauer darausteilen gedenkt Am Ostrande sind auch zwischen — 15®
und — 30^ einige neue Meere angedeutet, die Prof. Franz mit dem
Fernrohre aufgefunden hat Die jetzt gemessenen Objekte sind im
Kataloge mit No. 151 — 808 numeri^, und kommen unter ihnen auch
von den früher gemessenen 160 Kratern 59 Hansen A und 126
Seneca A vor, so dass im ganzen 160 Objekte für diese Abhandlung
gemessen sind.
Es zeigte sich notwendig, einige neue Namen und Buchstaben
einzuführen, weil ohne solche die gemessenen Gebilde nicht zu be-
zeichnen waren. Oberhaupt hat Prot Franz das Fehlen von Namen
oft als Hindernis empfunden und öfter schöne Objekte nur deshalb
nicht in das Messungsprogramm aufgenommen, weil ihnen Namen
fehlten, und er sie nicht gleich zu bezeichnen wusste.
Für 4 Meere, welche von den frühem Zeichnern der Mond-
oberfläche teils nicht gesehen, teils unbeachtet gelassen wurden, weil
diese meist in der Nähe der Lichtgrenze zeichneten, und dort die Meere
kaum sichtbar bleiben, mussten neue Namen eingeführt werden. Die-
sdben sind mit * bezeichnet, neue Buchstaben ebenfalls mit*. Diese sind:
1. Marc Spumans * in A -}- 63® ß -|- 1®, ein am Rande des
M. Foecunditatis liegendes, sehr dunkles Meer. Sein Hauptkörper a*,
b^, c*, d* gleicht einer Blume (Gampanula) oder einem vierblättrigen
Kleeblatte, mit Stengel nordwärts bis e*, und ist von vielen Krater-
meeren, zu denen man auch 264 Apollonis und vielleicht 271 Firmicus
mit seiner nordöstlichen dunklen Nachbarfläche rechnen kann, wie
von brandenden Schaumtropfen tungeben. Man könnte dies Meer
freilich auch als einen Ausläufer des Marc Foecunditatis betrachten,
doch hebt es sich so charakteristisch von diesem ab, dass es und
seine einzelnen Teile zur Bezeichnung Namen erfordern. Prof. Franz
hat es auf allen ihm zugänglichen Mondkarten vermisst und nur auf
Schmidts Karte die »Blume« angedeutet gefunden.
2. Mare Undarum * in Jl -|- 68^ /S -|" 7®. Auch dieses ist sehr
dunkel und schön ausgeprägt und besteht der Hauptsache nach aus
vier von Nord nach Süd sich erstreckenden wellenähnlichen Streifen,
nttnUch 1. h* und i*, 2. a*, 3. b* mit f* und g*, 4. c* und e*, von
öeaen sich die drei letzten wellenförmigen Streifen in der Nordspitze d*
56 Mond.
vereinigen. Der Anblick im Femrohre bei günstiger Libration zeigt, dass
das Mare Undarum eine homogene dunkle Fläche ist, die nur durch
einzelne helle Gebirge in vier streifenförmige Wellen zerteilt ist.
3. Mare Marginis * von l -\- 76® bis über 90® hinaus, und von
ß -{-9^ bis -f- 24®, das umfangreichste der vier neuen Meere. Die
Ostseite zeigt wegen ihrer günstigen Sichtbarkeit interessante Einzel-
heiten, so die Figur a* b*, zwei flügeiförmige nach West konvexe
Bogen, dem Abbilde eines fliegenden Vogels vergleichbar (Taube mit
Olblatt d*). Besonders dunkel sind an der Nordseite die Nuss
A + 83®, /8 -f- 18® im Rachen und die ähnliche Nuss X + 87®,
/}-|- 17® am Halse unter der Kinnlade, auch die Nase von g* bis
in die Mitte der Ostküste. Der Schopf bei f * erschien im Fernrohre
mehr rund als auf der Figur. Auch 273 Neper ist zu den Aus-
läufern dieses Meeres zu rechnen, obgleich dies Gebilde von dem
Hauptkörper des Meeres deutlich getrennt ist. Denn Neper ist eine
isolierte, unregelmässige dunkle Fläche, deren helles Zentralgebilde
als 273 gemessen ist. Es ergab sich Platte VI: A -|- 84® 12'.0,
/8 + 80® 40'.0, Platte ffl (bisher unveröffentücht) : i -|- 84® 6',30,
^4-8^ 42'.56.
4. Mare Anguis * in A + 67^ ß + 23®. Es besteht aus drei nach
West konvexen Windungen, von denen die beiden südlichen die
grössten und dunkelsten sind. Die südliche Windung biegt an ihrem
Südende ganz nach Nordwest um. östlich von dieser Umbiegung ist
in einem dunklen Kopfe ein heller Augenpunkt, als 280 gemessen.
284 ist das Nordende der dritten nördlichsten und weniger dunklen
Windung. Das Meer hätte, wie sich später bei günstiger Libration
im Femrohre zeigte, in stereographischer Projektion doppelt so breit
gezeichnet werden sollen, als es geschehen ist. Man kann es als Ausläufer
des Mare Grisium betrachten. Es verdient aber besondere Bezeichnung.
Über die andern Westmeere bemerkt Prof. Franz folgendos:
Mare Smythii ist heller als die vier oben genannten Meere und enthält
eine grosse Anzahl heller Punkte. Schmidt nennt es Kästner und
sagt Erläuterungsband pag. 208: »Das Mare Smythii der englischen
Selenographen ist nur bei günstiger Libration des Mondes sichtbar
westlich vom Mädlerschen Kästner. Mir scheint aber Schröter das
Mare selbst mit Kästner zu bezeichnen.« Mädler zeichnet Kästner
von — 9® bis — 4® Breite, Schmidt von — 8® bis + 6® Breite, und
bei ihm hebt sich ein Kratermeer (vielleicht Mädlers Kästner) von
— 8® bis — 5® Breite deutlich von dem schmalen gleichmässigen
Randstreifen des Hauptmeeres ab.
Mare Humboldtianum hat Prof. Franz nach dem Fernrohre ge-
zeichnet imd bei abnehmendem Monde gesehen, dass es in einem
grossen Ringgebirge liegt. Dies zeichnet Mädler auf der letzten
Tafel am Schlüsse seines Werkes: »Der Mond«, und eine von ihm
dort hell gezeichnete Bergader giebt ziemlich genau den Ostrand des
dunklen Mare an.
Mond. 57
Mare Australe konnte wegen ziemlich günstiger Libration der
Platte VI detailliert gezeichnet werden, doch hofft Prof. Franz, die
sudwestlichen Teile bei günstigerer Libration später noch vermessen
und besser darstellen zu können. Die Namen c, d, e, sind von
Stadler, der diese zu Vega rechnet, e wird von Gaudibert und Schmidt
Brisbane genannt, d von Schmidt Peirescius. Schmidt zeichnet aber
beide hell, während sie dunkel sind, f* ist sehr klein, h* und be-
sonders g* sind sehr schöne neue gefundene Meeresteile. An der
Ostseite von g befindet sich ein Einschnitt (Kap oder Landzunge)
186 s*. Dieser Einschnitt ist vielleicht nur scheinbar und kann
vielleicht die Verdeckung des Randes durch einen hellen Gipfel sein.
A* und D* sind helle Punkte in dunkler Umgebung. Die gleichfalls
kellen ß und y fand Prof. Franz auf Nelsons Karte. Zu den Aus-
läufern des Mare Australe kann man ausser dem runden Hanno und
dem unregelmässig geformten Oken noch Marinus d und das neue
runde Meer Abel* rechnen, südwestlich von Legendre. Dies hat
ProL Franz zum Andenken an den norwegischen Mathematiker be-
nannt der die Ei-weiterung der von Legendre zuerst behandelten
elliptischen Integrale und ihre Umkehrungen, jetzt als Abelsche
Funktionen bezeichnet, gegeben hat. Nordwestlich von Abel* befindet
sich noch ein noch unbenanntes Meer, im Innern und am Südost-
rande heller. Endlich hat der Innenrand von W. Humboldt in Jl -f" Ö^^»
ß — 28® stellenweise auffallend dunkle Meeresfarbe. Diese 7 West-
meere haben neue Gebilde in unerwartet reicher Fülle enthüllt.
Auch einige Krater mussten wegen Fehlens der Namen hier neu
bezeichnet werden. So liegt jenseits Boguslawski ein grosser
Krater, den auch Schmidt auf seiner Mondkarte ausführlich zeichnet.
Sein Mittelpunkt berechnet sich mit Hilfe sphärischer Dreiecke aus
den gemessenen Scheiteln der Projektionsellipse zu A -|- 59® 5'.3,
ß — 78®50'.2. Prof. Franz wollte diesen Krater ursprünglich Galle
nennen, weil Galle Nachfolger von Boguslawski als Direktor der
Breslauer Sternwarte ist; doch bemerkte er darauf, dass Schmidt für
Lohrmanns Mondkarte den Krater Aristoteles B in A = -{- 22® 14'.9
und ^=-|-55®43'.6 schon >Gallec benannt hatte und im Erläuterungs-
band Seite 228 hervorhebt, dass er auf diesen Namen nicht ver-
zichten kann. Deshalb wurde für 294 Schmidts Name Galle bei-
behalten und der Krater am Südpole jenseits Boguslawski mit Jungnitz
benannt, zum Andenken an den Vorgänger von Boguslawski und
ersten Direktor der Breslauer Sternwarte, über dessen Leben und
Thätigkeit Galle in seinen Mitteilungen der Breslauer Sternwarte von
1879 Bericht erstattet hat
Der durchweg sehr helle Krater 212 westlich von Oken wurde
Kelvin* genannt, weil Lord Kelvin (früher W. Thomson) auch über
Naturphilosophie geschrieben hat, wenn auch in ganz anderer Richtung
als Oken.
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88 24
83 14
93 24
30 18
18 18
56 27
18 18
34 18
16 16
31 18
30 15
89 24
20 16
19 16
32 21
36 21
60 18
32 22
33 21
43 16
78 26
16 16
34 21
39 26
63 16
38 27
22 19
42 27
109 37
40 29
23 18
34 33
126 38
29 17
39 44
S 27
42 27
26 18
82 27
21 20
29 21
15 16
28 25
23 23
18 18
62 33
38 32
8.7 in 7.0
8.7 7.0
9u.0 0u.5
8.6 0
0.7 8.0
0 7.8
7 1
7 1
9u.l 6.2
9.6 7.0
8.8 6.5
8.0 7.6
83 7.7
7.5 6.8
1.7 7.7
6.2 2.2
8.0 6.0
0.5 6.5
8.6 6.6
8.8 6.8
5.8 5.0
8.2 5.8
7.8 35
7.8 6J5
1.5 6.5
5.0 3.2
55 dB
7.8 5.0
4.0 3.0
7.2 4.0
5.2 3.8
3.0 5.3
3.0 5.2
5.2 3.5
3.2 5.0
4.0 5.0
3.0 5.2
2.8 5.8
7.5 5.5
9.6 7.2
6.1 4.0
6.5 3.8
3.3 5.3
2.8 5.2
5.6 3.8
9.2 7.0
6.8 5.8
4.0 5.0
5.0 3.6
7.3 63
8.2 5.5
5.0 3.0
8.2 bH
8.4 6.6
8.2 5.5
1.7 6.3
8.2 5.7
7.2 5.2
5.0 3.8
8.8 7.8
7.2 3.8
sli 6.2
8.8 5.2
6.0 3.8
8.2 6.2
8.6 6JS
3.8 7.6
7.6 4.2
8.2 6.2
4.5 8.6
10.0 9,0
4.6 8.5
6.8 3.8
6.0 4.2
9.9 8.9
9.2 7.4
6.0 4.5
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S.3in6.6
Ö.& 4.0
4.0 2.2
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ae 5.5
7.5 4.0
0,0 7.8
8.7 5.7
T.B 6.8
ÜB 5.Ü
8.0 4.2
7.8 6.8
9,0 7,0
3.5 6,5
2.8 5,7
6.5 4B
3.8 S.&
3.0 5.0
3.S 5.5
2.5 5.0
4.y 2.7
3.B 5.0
3.0 4.5
23 Q.a
2.8 4.S
2.B 2.0
2.8 5.5
8.0 5.0
3.2 5.2
8.8 7.2
3.0 4.8
3.5 5.0
3.0 5.0
2.8 7.0
3.0 6.0
3.3 6.3
3.5 5.5
3.8 5.0
3.0 6.8
3.0 6.0
2.3 7.0
8.0 5.0
0.0 6.7
3.0 5.0
8.0 6.0
4.0 6.3
8.0 5.0
9.0 7.5
3.6 7.0
4.0 6.3
6.7 3.3
7.5 4.5
3.1 2.8
9.0 7.5
4.0 6.0
6.2 4.7
9.6 8.8
7.2 4.8
7.5 5.0
6.2 4.8
7.5 bJÜ
3.0 6.0
9.6 2.8 6.0
8.5 6.6
8.8 3.0
6.0 4.2
4.5 3.0
6.2 4.2
6.5 6.0
7.5 6.0
6.5 3j2
7.6 4.5
7.6 6.0
7.6 6.2
8.0 6.8
6.7 4.7
si 65
9.0 8.0
9.4 9.0
60 Mond.
Der Krater Gauss in A = + 73^ ^ = + 34® ist von Mädler
und Neison zu lang und zu weit nördlich gezeichnet. Randwärts
von ihm und etwas nördlicher liegt ein mindestens ebenso langer,
aber schmalerer Krater, den man nach dem gleichfalls Göttinger
Mathematiker mit Riemann* bezeichnen könnte. Letzterer fehlt bei
Lohrmann, Mädler und Neison; beide Krater werden aber von Schmidt
und Gaudibert richtig gezeichnet. Beide sind nur in der Nähe
der Lichtgrenze sichtbar, verschwinden daher vollständig auf der
Photographie. Prof. Franz hat am 23. April 1902 Riemann* bei
Sonnenuntergang, am 24. April Gauss auch bei Sonnenuntergang und
am 10. Mai letztern bei Sonnenaufgang im Femrohre gesehen. Der
Name Neumayer ist von Schmidt für den Krater jl == -j- 77®,
/8 = — 7P eingeführt
Prof. Franz giebt alles nötige Detail über seine Ausmessungen
der Platten und einen Katalog der neu bestimmten Krater und Rand-
punkte, welcher deren selenographische Länge, Breite und Durch-
messer, sowie die geschätzte Helligkeit der Umgebung enthält
Im Anschlüsse an den ersten Katalog von 150 neu bestimmten
Objekten ^) folgt auf S. 58 und 59 auch dieses 2. Verzeichnis.
Ober den Bau und die Bildungrsgresehiehte der Hond-
rinde stellten Loewy und Puiseux gelegentlich der Ausgabe des 5.
und 6. Heftes des Pariser photographischen Mondatlas einige Be-
trachtungen an.^ Sie finden, dass die Oberflächenfaltungen, die so
ausgedehnt und so mannigfaltig auf der Erdkugel angetroffen werden,
auf dem Monde nur eine verschwindende Rolle spielen. Von einem
Pole zum andern sind es vielmehr die Streckungen (etirements) und
die Dislokationen, welche vorherrschen.
Der Grund für diesen Unterschied kann erkannt werden, wenn
man von einer bemerkenswerten Abhandlung ausgeht, die G. Davison
vor einigen Jahren veröffentlicht hat, und deren Schlüsse die Billigung
der Mehrzahl der Geologen gefunden haben. Man nimmt nämlich
nach diesen an, dass für eine Kugel, deren Oberflächenabkühlung
beendet ist, die Neigung zur Faltung auf eine verhältnismässig dünne
Rinde lokalisiert ist, die unten durch eine Schicht von der Spannung
Null begrenzt wird. Darunter zeigt sich die Tendenz zur Streckung,
sie erreicht ein Maximum und erlischt darauf nach dem Zentrum
hin. Die thermischen Angaben, die man bisher für die Erdkugel
gesammelt hat, gestatten, die Tiefe der Schicht mit der Spannung
Null auf S km zvL schätzen und auf 110 At» diejenige der Schicht
grösster Streckung. Diese Zahlen müssen, wenn keine Störung von
aussen eingreift, wachsen wie die Quadratwurzel der Zeit, die seit
dem Erstarren der Oberfläche verflossen ist. Dass Temperatur-
messungen der Mondkugel, wenn sie möglich wären, zu ähnlichen
1) Dieses Jahrbuch 12. p. 42.
■) Compt. rend. 185. p. 73.
Mond. 61
Zaiilen führen "wnirden, hat man Grund zu bezweifeln. Wenn man
nämlich annimmt, dass eine Ursache zu stärkerer Abkühlung sich
aussen bemerkbar macht, dann wird die Schicht, in welcher der
grösste Wärmeverlust stattfindet, an die Oberfläche verlegt, und die
Tendenz zur Faltung wird gehindert sein. Damit sie wieder auf-
trete, muss die Oberfläche einen neuen Gleichgewichtszustand an-
nehmen. Aber noch für lange Zeit werden die Faltungen auf eine
sehr dünne Schicht lokalisiert und durch das Strecken der darunter
liegenden Schichten vollkommen unterdrückt sein. Es scheint nun,
dass das Relief des Mondes eine schnellere Oberflächenabkühlung
andeutet als die, welche durch den Verlust der Innern Wärme be-
dingt sein würde. Gewisse Anzeichen haben zu der Annahme
geführt, dass in einer entlegenen Zeit, die aber der Erstarrung der
Oberfläche folgte, der Mond eine Atmosphäre von sehr merklicher
Dichte besessen hat, und dass diese Atmosphäre in der Folge ver-
schwunden ist Dieses Verschwinden hatte zur notwendigen Folge
ein allgemeines und von der Sonnenstrahlung unabhängiges Sinken
der mittlem Temperatur. Man kann sich von dieser Wärmeabnahme
eine Vorstellung machen aus derjenigen, welche auf unserer Erde
zwischen dem Meeresniveau und den Gipfeln der höchsten Berge
stattfindet. Die Folgen des Verschwindens der Mondatmosphäre
sind nun sehr merkwürdig. Zunächst wird sich die Wärmeabnahme
auf die ganze Kugel erstrecken, aber nach den Breiten sehr ungleich
verteilt sein; die Äquatorialzone des Mondes wird sich unvergleichlich
mehr abkühlen als die Polarkalotten, welche bereits nur noch wenig
Wärme in den Raum zu senden hatten. Sie wird also eine Streckung er-
leiden, welche strebt, ihre Krümmung zu verringern, und eine ein-
gesunkene Zone bilden. Hieraus resultiert ein Strömen der flüssigen
Massen, die noch in hohem Breiten existieren könnten, in der
Richtung gegen den Äquator.
Das Vorherrschen der Meere in den niedem Breiten, das teil-
weise Untertauchen der Gebirgsmassive in der Gegend des Äquators
sind seit lange bekannte und leicht zu verifizierende Thatsachen.
Anderseits weisen die Blätter des Atlas in grosser Zahl Spuren von
Oberflächenströmungen nach, welche auf beiden Hemisphären von den
Polen nach dem Äquator gerichtet sind. Die Peristenz und die All-
gemeinheit dieser Züge müssen dazu beitragen, dass wir die Verdünnung
der Mondatmosphäre als eine verhältnismässig rezente Erscheinung
betrachten, die vielleicht noch nicht ihr letztes Ende erreicht hat
Bestimmungren der Grössen von ISOKraterdurchmessern
auf der Hondoberfläche hat K. Graff in Berlin ausgeführt^) Der
Monddurchmesser wurde bei der Berechnung zu 3482 km angenommen,
ond die Messungen beziehen sich durchschnittlich auf die Offnungen
der Krater. Folgendes sind die erhaltenen Resultate.
») Aßtron. Nachr. No. 8780.
Formatiau
.$?■
Duroh-
26.1
76.5
47.6
38.6
45.2
137
39.7
27
80.8
14.9
60.7
24.8
27.8
29.4
86.7
50.3
42.8
73.0
Kometen. 63
Kometen.
Die Kometenersehelnungren des Jahres 1901. Professor
IL Kreutz hat wie in frühem Jahren so auch für 1901 eine Zusammen-
stellung der Eometenentdeckungen und Beobachtungen gegeben,^) der
das folgende entnommen ist
Komet 1900 III (Giacobini). Die letzte Beobachtung des licht-
schwachen Kometen ist am 15. Februar 1901 von Aitken auf der
lickstemwarte angestellt worden. Als derselbe Beobachter am
8. liän mit dem 36-Zoller abermals nach dem Kometen ausschauen
wollte, war keine Spur mehr von ihm vorhanden.
Giacobini hat aus drei, sich über den ganzen Beobachtungs-
zeitraum erstreckenden Normalörtem die folgenden Elemente abgeleitet:
Epoche 1901 Jan. 14.5 M. Z. Berlin
lf=, e» 63' 48.1«
»»171 19 27.1)
i2==196 36 12.3} 1901.0
»=: 29 52 16.5
9= 47 38 21.5
^ = 525.007-
log a — 0.553227
T= 1900 Nov. 28.210 11 Z. BerUn.
17=6.758 Jahre.
Die Umlaufszeit scheint sich bei diesem Kometen, wie die gute
Obereinstimmung mit den im vorigen Berichte mitgeteilten vorläufigen
dementen zeigt, trotz der kurzen Beobachtungszeit relativ sicher
zu bestimmen.
Komet 1901 I. Die erste Nachricht über diesen hellen Süd-
kometen erhielt die Zentralstelle am 25., resp. 26. April durch zwei
Telegramme von den Sternwarten Gapetown und Melbourne, welche
die Entdeckung am 23. Aprü durch A. Hill in Queenstown, Cape-
colony, und den Leuchtturmswärter Tattersall in Gap Leeuwin an
der Südwestküste Australiens meldeten. Erst 2^/, Monate später
wurde durch ein Schreiben von Kropp in Paysandü bekannt, dass
der Komet im Staate Uruguay schon am 12. April durch Viscara,
den Verwalter eines Landgutes in der Nähe von Paysandü, entdeckt
worden sei, dass aber in Paysandü selbst erst vom 20. April an
Beobachtungen möglich gewesen wären. EndUch sollen Eingeborene
in Südaustralien den Kometen am 21. April gesehen und dem
Telegraphenbeamten in Belladonia am 22. d. Mts. davon Mitteilung
gemacht haben, ohne dass aber der letztere die Nachricht weiter
verbreitet hätte.
Der Komet war zur Zeit der Entdeckung nur in der hellen
Morgendämmerung kurz vor Aufgang der Sonne am Osthorizonte
sichtbar. Innes am Kap schildert ihn am 24. April als ein helles
Objekt mit deutlichem Kerne und einem 10^ langen Schweife. Der
Kern war noch nach Sonnenaufgang einige Zeit sichtbar, konnte aber
1) Viert^jahraschrift d. astron. Ges. 1903. 87. p. 61.
(54 Kometen.
nicht bis zum Meridiandurchgange verfolgt werden. Da keine Vergleichs-
steme zugleich mit dem Kometen zu sehen waren, mussten sich die
Ortsbestimmungen auf die Ablesung der Kreise der benutzten
Instrumente beschranken. Am 27. April kam der Komet in Konjunktion
mit der Sonne und wurde für einige Tage ganz unsichtbar, bis er
Anfang Mai am Abendhimmel wieder auftauchte und für die Bewohner
der Südhalbkugel längere Zeit hindurch ein glänzendes Objekt
am Westhimmel wurde. Die Gesamthelligkeit war vom 3. — 5. Mai
1. — 2. Grösse; der scharfe Kern hatte die Helligkeit eines Sternes 3. — 4.
Grösse. Neben einem glänzenden Hauptschweife von 6^ Länge besass
der Komet, zuerst am 3. Mai, einen viel schwachem, 20 — 30^
langen Nebenschweif, der einen Winkel von 40^ mit dem Hauptschweife
bildete. Im Laufe der nächsten Woche wurde der Nebenschweif
heller und kürzer, bis er am 16. Mai die Helligkeit und Kürze des
Hauptschweifes erlangt hatte. Auch der Winkel beider Schweife
zeigte eine allmähliche Abnahme, bis auf 16^ am 18. Mai. Eine
am 6. Mai auf der Kapstemwarte aufgenommene Photographie zeigt
zwischen beiden Schweifen noch zwei schwächere Lichtstrahlen, welche
mit dem Auge nur mit Anstrengung zu sehen waren. Zeichnungen
von wissenschaftlichem Werte sind in A.N. 3763 (Nijland, Sumatra),
M.N. 61 p. 509 (Kapstemwarte) und Bull. Soc. astr. de France 1902
p. 75 (Morize, Rio de Janeiro) veröffentlicht worden.
Das Spektrum des Kometen war nach den Beobachtungen am
Kap, die aber nur mit einem kleinen Spektroskop angestellt werden
konnten, kontinuierlich ohne helle Linien.
Mit zunehmender Entfemung des Kometen von Sonne und Erde
verminderte sich rasch seine Helligkeit. Anfang Juni war der Komet
nur noch von der 9. Grösse mit einem Kerne 10. — 11. Grösse und
einem 2 — 3^ langen Schweife. Zudem näherte er sich, nachdem
er gegen den 20. Mai mit 2^^^ seine grösste Elongation in RA. von
der Sonne erlangt hatte, wieder den Sonnenstrahlen, so dass aus beiden
Gründen schon Mitte Juni die Beobachtungen ihr Ende finden mussten.
Am 14. Juni wurde von Innes am Kap die letzte Beobachtung an-
gestellt, einen Tag früher schliessen die Beobachtungen von Tebbutt
in Windsor.
Auf der Nordhalbkugel war es selbst zu der günstigsten Zeit,
Mitte Mai, nur einigen wenigen, südlicher gelegenen Sternwarten
vergönnt, des Kometen auf kurze Zeit ansichtig zu werden. Er er-
schien hier, wegen des tiefen Standes am Abendhimmel, nur als
ein Objekt 8. Grösse; ein Schweif war nicht zu erkennen. Orts-
bestimmungen sind auf der Nordhalbkugel nur an der Licksternwarte
am 15. und 16. Mai, und an der Sternwarte Algier von Mai 17 bis
Mai 20 in einer Höhe von 3^ über dem Horizonte angestellt worden.
Die folgenden Elemente sind von H. Thiele aus 3 Normal-
örtern, die die meisten Beobachtungen am Abendhimmel bis Juni 12
umfassen, abgeleitet worden. Sie stellen die Beobachtungen so
Kometen. 65
nahe dar, dass sie kaum mehr einer grossem Korrektion bedürfen
werden.
T= 1901 April 24.28845 M. Z. Berlin
ai=:203« 2* 16. rj
i? = 109 38 53.1 }1901.0
t=13l 4 49.8 I
log 9 =»9.388 827
Enckescher Komet 1901 II. Nach der Vorausberechnung
von Tbonberg wurde der Komet am 5. August von Wilson in North-
field am Morgenhimmel aufgefunden. Wie die analoge Erscheinung
1868 ni (Periheldurchgang Sept. 14.6) zeigt, hätten die Beobachtungen
beträchtlich früher beginnen können, wenn die Ephemeride zeitiger
veröffentlicht worden wäre. Der Komet wurde, allmählich heller
werdend, bis zum Verschwinden in den Sonnenstrahlen, Anfang
September, beobachtet. Die letzte Beobachtung ist von Postelmann
in Königsberg am 4. September angestellt worden.
Beobachtungen des Kometen nach dem Periheldurchgange auf
der Südhalbkugel sind auch diesmal, wie 1868, nicht möglich gewesen.
Nach Holetschek betrug die (xesamthelligkeit am 18. August
8"^ 1 und wuchs bis zur 6. — 7. Grösse am 2. September. Der Kern
hatte während dieser Zeit von 9™ 5 — 8°* zugenommen. Der Durch-
messer der Koma betrug 1'. Spuren eines Schweif ansatzes schienen
besonders in den letzten Tagen der Sichtbarkeit vorhanden zu sein.
Die Elemente, welche Thonberg der Vorausberechnung zu Grunde
gel^ hat, sind die von Iwanow für die Erscheinungen 1898 11
berechneten, mit Hinzufügung der Jupitersstörungen 1. Ordnung.
Sie lauten:
Epoche und Oskulation 1901 Juli 8.0 M. Z. Berlin.
3f=339» 20' 39.4"
»=188 68 59.4 |
i2 = 884 48 58.1 1901.0
«= 12 58 38.5
9= 57 46 44.8— 2.394t''
ii*= 1073.87571''+0.0e9299T''
log a» 0.846085
T:= 1901 Sept 15.245 M. Z. Berlin
JJz^ 3.304 Jahre.
Zur Darstellung der Beobachtungen war eine Korrektion der
mittleni Anomalie von — 4' 24" erforderlich.
Im Jahre 1891 war die Wiederkehr des periodischen Kometen
1894 I (Denning) zu erwarten. Die Erscheinung gestaltete sich sehr
nngünstig; nur wenn der Periheldurchgang wesentlich früher als
nach den Schulhofschen Elementen stattgefunden hätte, wäre der
Komet überhaupt sichtbar gewesen. Unter dieser Annahme hatte
P. V. Neugebauer einige Ephemeriden gerechnet, die aber zur Auf-
fi&dung nicht geführt haben.
Klein, Jahrbuch Xm. 5
66 Kometen.
Zu der »Zusammenstellung der Kometenerscheinungen des Jahres
1900 c (dieses Jahrbuch p. 12.) sind nach den Angaben von Prof. Kreutz
folgende Nachtrage zu machen.
Komet 1900 I. Perrine auf Mount Hamilton hat den Kometen
noch länger, als wie im vorigen Berichte angegeben, nämlich bis zum
17. August 1900, verfolgen können.
Komet 1900 II. Eingehende Helligkeitsbestimmungen des
Kometen sind nachträglich von Holetschek und Qraff veröffentlicht
worden. Nach denselben hat Anfang August keine so rapide Hellig-
keitsabnahme stattgefunden, wie Prof. Kreutz im vorigen Berichte auf
Grund anderweitiger Notizen angenommen hatte. Die Abnahme ist
im Gegenteile ziemlich regehnässig gewesen, indem nach Holetschek
die Helligkeit Juli 25 6.7°", Aug. 27 8.2'°, Sept. 27 9.5>», Okt 28
11*/^™ betragen hat.
Die letzte Ortsbestimmung des Kometen ist Okt. 27 von Chofardet
in Besannen angestellt worden. Die Beobachtungen auf Mount
Hamilton schliessen schon mit dem 21. Oktober; am 22. Dezember
konnte der Komet von Aitken im 36-Zöller als ein Objekt 15. Grösse
noch erkannt, aber wegen aufsteigenden Nebels nicht beobachtet
werden. Die Beobachtungen des Kometen sind also mindestens zwei
Monate früher geschlossen worden, als die Sichtbarkeit in den Riesen-
femrohren ihr Ende erreicht hat; im Interesse der genauen Bestimmung
des Charakters der Bahn ist dies sehr zu bedauern.
Sechs Photographien des Kometen, die Palmer auf der Lickstem-
warte von Juli 25 — ^Aug. 3 aufgenommen hat, finden sich in Publ.
A.S.P. 13. p. 48.
Über den Holmesschen Kometen 1899 II ist nichts Neues zu
bemerken; der Komet 1900 HI (Giacobini) ist schon weiter oben
besprochen worden.
Endlich wäre noch dem vorigen Berichte hinzuzufügen, dass
Dr. Delisle Stewart in Arequipa am 23. und 24. Okt 1900 nach
dem de Vico-E. Swiftschen Kometen, von Nov. 9 — 19 nach dem
periodischen Kometen 1884 II (Bamard), endlich von Dez. 828
nach dem Brorsenschen Kometen auf photographischem Wege, leider
ohne Erfolg, gesucht hat.
Deflnitive Bahnelemente des Kometen 1808 1 hat H. D. Curtis
abgeleitet. ^) Dieser Komet blieb im ganzen 9 Monate lang sichtbar
und beschrieb währenddessen heliocentrisch einen Bogen von 110^; seine
Helligkeit wechselte von der eines Sternes 6.5 bis zu 16.7 Grösse,
ohne dass das Gesetz, dem die Helligkeitsveränderung folgt, sich
aus dem Abstände des Kometen von Sonne und Erde ableiten liess.
Nur eine empirische Formel konnte Curtis der beobachteten Helligkeit
') Astron. Abhdlgn. No. 3.
Kometen. 67
anpassen, die aber auch noch beträchtliche Abweichungen übrig lässt.
Jhe unter Berücksichtigung der Planetenstörungen abgeleiteten end-
gültigen Bahnelemente des Kometen sind folgende :
T = 1896 März 17.19078 M. Z. Gr.
«7 = 470 19* 11^//
12 = 262 26 19.06
t = 72 31 47.01
log q = 0.0395112
e = 0.9603862
ümlaufszeit 417.2 + 2,2 Jahre.
Eine Ähnlichkeit dieser Bahn mit der eines andern bekannten
Kometen besteht nicht
Die Arrhenlussche TheoFie der Kometensehweife. Prof.
Anhenius hat darauf hingewiesen, dass die abstossenden Wirkungen
der Sonne auf die Schweife der Kometen von dem Drucke herrühren
könnten, welchen gemäss der Maxwellschen Lichttheorie die Sonnen-
strahlen auf alle reflektierenden und absorbierenden Körper ausüben
müssen. K. Schwarzschild hat eine genauere Untersuchung von diesem
Gesichtspunkte aus angestellt^) Er kommt zu dem Ergebnisse, dass
eine Zurückführung der grössten beobachteten Abstossungskräfte auf
den Druck der Sonnenstrahlung eben noch möglich erscheint Noch
grossere derartige Kräfte, welche die Schwere um mehr als das
20- oder 30 fache übertreffen, würde man aber nicht erklären können,
ohne unwahrscheinlich kleine spezifische Gewichte für die Schweif-
tauchen anzunehmen.
Sternschnuppen und Meteoriten.
Die grosse Feuerkugel vom 8. Oktober 1901. Über die
Bahn dieses Meteors hat Hofrat G. v. Niessl in Brunn eine genaue
Untersuchung ausgeführt Infolge eines in mehrern Wiener Tages-
blättem veröffentlichten Aufrufes des Direktors der Wiener Sternwarte
Hofrat Prof. Dr. Edmund Weiss, sowie auch von andern Seiten her,
kamen über 200, allerdings nicht durchaus brauchbare Nachrichten
über das Meteor zusammen. Dasselbe ist in besonderer Grösse und
Aufsehen erregender Lichtstärke am 3. Oktober 1901, 7^27.5°* mittl.
Wiener Zeit oder 6^*22"* mittl. Greenwicher Zeit auf einer Fläche
von bedeutender Ausdehnung (etwa 800 km und 630 km nach den
ittssersten Erstreckungen) sowohl auf dem Adriatischen Meere unweit
Abbazia, als in der Gegend von Magdeburg, von Bayern bis Galizien
ond Ungarn beobachtet worden.
Die geographische Lage des Hemmungspunktes, welcher sich
AZA km hoch über der Gegend von 32« 7.6' östl. v. F. und 49^
36.5' n. Br., d. i. südlich von Prag nahe über dem Dorfe Jessenitz
^ Sitzgb. d. KgL Ak. München 31. p. 293.
68 Sternschnuppen und Meteoriten.
zwischen Seitschan und Sedletz befand, konnte aus 58 Angaben
ermittelt werden.
Der Radiant, zu dessen Bestimmung 42 scheinbare Bahnbogea
benutzt werden konnten, lag in 327.6^ Rektaszension und 33.8® nördL
Dekl. im Pegasus, nahe an der Grenze gegen den Schwan. Di&
Bahn war gegen die Erde, insbesondere gegen den Horizont des
Endpunktes, aus 300.4® Azimut, also ungefähr aus Ostsüdost her
gerichtet und 65.3® gegen den Horizont geneigt.
Das erste Aufleuchten wurde wie gewöhnlich an verschiedenen
Orten sehr ungleich wahrgenommen, durchschnittlich als das Meteor
sich in lß4: km oder rund 22 g. M. Höhe befand. Dabei erschien
die Feuerkugel noch sehr klein. In 120 — 130 km Höhe wurde
sie hinsichtlich ihrer scheinbaren Grösse schon vielfach mit dem
Vollmonde verglichen, woraus, im Mittel weit auseinandergehender
Schätzungen, ein wahrer Durchmesser der Lichtsphäre von 1250 99»
folgen würde. An einigen Orten erschien das Meteor schon in 300 km
Höhe wie eine gewöhnliche Sternschnuppe oder wie ein Stern zweiter
Grösse.
Dem Beobachtungsmateriale konnten 64 Schätzungen der Dauer
(von 1 — 10^) entnommen werden. Die relative oder geozentrische
Geschwindigkeit ergab sich zu 36 km, die heliozentrische zu 51.7 km.
Unter Voraussetzung dieser Geschwindigkeit erhält man folgende-
Elemente der hyperbolischen Bahn:
a = —0.98 q = 5.850
e = 1.87 ß = 189.5»
n == 4ß^ » = 30.5«; rechtläufig.
Nach diesen Ergebnissen wäre das Meteor aus dem Welträume
in einer heliozentrischen Bewegungsrichtung gekommen, welche durch
die Koordinaten: 288® Länge und 30® nördl. Breite bestimmt ist
Alle Nachrichten über Fundstücke aus diesem Falle erwiesen
sich als irrtümlich.
Die Perseiden des Augrust 1901 sind auf dem astrophysika-
lischen Observatorium zu Heidelberg am 8., 9. imd 10. August be-
obachtet worden.*) Trotz der unvollständigen Reihen, bemerkt Prof.
Max Wolf, lassen sich ganz sicher wieder die merkwürdigen Maxima
und Minima der Häufigkeit erkennen, auf die derselbe 1899 auf-
merksam gemacht hat.*) Die beiden Minima fallen auf IIV4 ^^^
13^/j Uhr, die Maxima etwas nach 12 Uhr und besonders auf 14 Uhr.
Auch sonst scheinen sich noch Gesetzmässigkeiten zu ergeben, doch
hält Prof. Wolf es für verfrüht, bei dem spärlichen Materiale darauf
einzugehen.
Die Bewegung* des Radiationspunktes der Perseus-
meteore« Schon vor Jahren hat W. F. Denning aus seinen Be-
») Astron. Nachr. No. 3806.
') Astron. Nachr. No. 3604.
Stenisohnuppen und Meteoriten. 69
obachtoBg nachgewiesen, dass diese Bewegung in den Nächten vom
25. Juli bis zum 19. August mehr oder weniger deutlich erkennbar
ist, und der Punkt im Stembilde des Perseus» von dem sie aus-
zustrahlen scheinen, wahrend dieser Zeit seinen Ort am Himmel um
mehr als 40^ verändert Er hat zuerst diese Bewegung im August
1877 erkannt und sie 1878, 1880, 1885, 1886, 1887 und in ver-
schiedenen darauf folgenden Jahren abermals konstatieren können.
Die von ihm in Bristol erhaltenen Ergebnisse wurden 1888 und
1891 durch Beobachtungen und Untersuchungen von D. Booth zu
Leeds bestätigt, ^) indessen galt dieses Resultat noch immer als
zweifelhaft, um so mehr, als in einem bestimmten andern Falle Prof.
von Niessl nachweisen konnte, dass die lange Thätigkeitsdauer
eines Radiationspunktes nur scheinbar sei, indem 2 Ausstrahlungs-
punkie von Meteoren nahe bei einander liegen, und der eine davon
im November, der andere im Dezember Sternschnuppen aussendet.
Bei weniger zahlreichen iind sorgfältigen Beobachtungen hätte man
in diesem Falle also glauben können, es sei nur ein Radiationspunkt
vorhanden und dieser während der Monate November und Dezember
anhaltend thätig. W. F. Denning hat nunmehr, um die Frage bezüglich
der aus dem Perseus kommenden Sternschnuppen zu entscheiden,
die zahlreichen in den letzten Jahren von erfahrenen Beobachtern
gemachten Aufzeichnungen der im Juli und August wahrgenommenen
Perseiden einer neuen und eingehenden Untersuchung unterzogen.^)
Hierbei ist es, wie er hervorhebt, notwendig, die Beobachtungen
jeder Nacht getrennt zu bearbeiten, während man sonst im all-
gemeinen aus den Aufzeichniuigen über Meteore in verschiedenen
aufeinander folgenden Nächten ein Durchschnittsergebnis für die Position
des Radianten abzuleiten pflegt Für die Perseusmeteore hat Denning
diese Beschränkung auf die Beobachtungen einer und derselben
Nacht zur Ableitung des Radianten seit dem sehr günstigen Jahre
1893 als nützlich erkannt, und gleichzeitig ergab sich auf diesem
Wege eine gegen Ostnordost gerichtete Bewegung des Radiations-
pankies. Während der verflossenen 10 Jahre hat eine Anzahl er-
fahrener Beobachter diese Bewegung aus ihren Beobachtungen eben-
falls erkannt, so dass dieselbe als Thatsache betrachtet werden
rnnss. Ja es kann nicht zweifelhaft sein, dass die Bewegung des
Radianten keineswegs auf die Perseusmeteore beschränkt ist, sie
findet nach Denning auch für die Meteore, die aus dem Sternbilde
der Leyer kommen (die Lyriden), statt und wahrscheinlich bei ge-
wissen andern Meteorschauem; indessen entwickeln sich diese ge-
wohnlich so wenig, dass es schwer hält, Nacht für Nacht eine
hinreichend genaue Position des Radiationspunktes aus den Be-
obachtungen festzustellen. Anderseits ist aber eine Bewegung des
') Obsenratonr IL p. 380.
*) Monthly Notices «S. p. 161.
70 Sternschnuppen und Meteoriten.
Radiationspunktes keineswegs für alle Meteorschauer allgemein
anzunehmen, denn gewisse gut bestimmte RadianteUi wie z. B. der
der Orionmeteore, sind stationär. Es handelt sich hier um eine
Eigentümlichkeit, die durch spätere Untersuchungen genauer erforscht
werden muss, vor allem scheint es wünschenswert, dass die im
Januar erscheinenden Meteore (die Quadrantiden und die Sternschnuppen
aus dem Bootes), die Lyriden des April, die Aquariden des Mai und
Juni, die Orioniden des Oktober, die Leoniden und Andromediden
des November und die Geminiden des Dezember zukünftig mit grösster
Sorgfalt überwacht werden, um festzustellen, wie lange sie auftreten,
und ob sie feste oder bewegliche Radianten zeigen.
Bei seiner vorliegenden Untersuchung benutzte Denning nicht
nur seine eigenen Beobachtungen in den Nächten des 11. Juli bis
22. August während der Jahre 1869 — 1901, welche 2856 Perseus-
meteore betreffen, sondern auch die Ableitungen der Radianten
durch zahlreiche fremde Beobachter, wie Antoniadi (Juvisy), Booth
(Leeds), Doberck (Hongkong), A. S. Herschel (Slough), Perrine (Mount
Hamilton) und andere.
Bezüglich der theoretischen Schlussfolgerungen über die Orts-
Veränderung scheinbarer Radianten verweist er auf eine Untersuchung
von Josef Kleiber,^) welcher für den Radianten der Persei'den fol-
gende Positionen ableitete:
AR
D
Juli 8.
9«
+ 46»
August 8.
41.5
57.3
August 9.
42.9
57.6
August 10.
44.2
67.9
August 16.
54
59
Le Verrier hat zuerst theoretisch nachgewiesen, dass eine solche
Ortsveränderung des Radiationspunktes stattfinden muss und 1859
wurden Anzeichen derselben auch von Prof. A. C. Twining in Amerika
vermutet, doch waren die Beobachtungen nicht zahlreich genug, um
sichere Schlüsse zu ziehen.
Denning giebt nun zunächst ein Verzeichnis der aus seinen eigenen
Beobachtungen abgeleiteten Radiationspunkte der Perseiden für di&
Zeit vom 8. Juli bis 23. August. Aus demselben ist eine fort-
schreitende Änderung der Lage des Radianten von etwa AR 11^ und
D + 48® Mitte Juli bis AR6OO und D + 59« im 2. Drittel des
August sogleich erkennbar. In einem 2. Verzeichnisse giebt er
dann eine Zusammenstellung der von den andern Beobachtern in
^em nämlichen Zeiträume bestimmten Radianten, welche die gleich»
Ortsveränderung dieses Punktes erkennen lassen. Indem er alle
Beobachtungen in fünftägigem Mittelwerte zusammenzieht, erhält er
folgende Positionen des Radiationspunktes der Perseiden für die
beigesetzte Zeit:
') Monthly Notioes 52. p. 341.
AR
D
20.5«
+ 51.0
24.7
53.8
31.6
54.1
88.1
55.7
43^
56.5
50.9
57.4
56.2
59.4
Sternschnuppen und Meteoriten. 71
Juli la— 22.
Juli 23.-27.
Juli 28.— Aug. 1.
August 2.-6.
August 11.
Ai^ust 12.— 16.
August 22.
GefiGhichtUehes fiber das Auftreten der Perseosmeteore.
H. Bomitz giebt eine sehr reichhaltige Zusammenstellung und Kritik
der sämtlichen Aufzeichnungen über Beobachtungen der Persei'den.^)
Nach den uns überlieferten Berichten muss der Perseidenstrom
schon im hohen Altertume eine sehr bemerkenswerte Himmelserscheinung
gewesen sein. Freilich lassen die allerältesten Berichte, im Zweifel
darüber, ob diese Beobachtungen sich wirklich auf den Auguststrom
beziehen, da sie genauerer Zeitbestimmung, Monat und Tag, fast
gänzlich entbehren.
Die am weitesten (bis 1808 vor Chr.) zurückgehenden Be-
obachtungen über Meteorfälle, Steinfalle und Feuerkugeln stammen
grösstenteils aus chinesischen Quellen. Höchst wahrscheinlich sind
manche der in jenen Berichten aufgezeichneten Phänomene mit denen
des Pers^denstromes identisch. Wenigstens lassen mehrere brauch-
bare Angaben aus späterer Zeit vorchristlicher Zählung annähernd
diesen Schluss zu. Ebenso wenig wissenschaftlichen Wert bieten
die Berichte der alten griechischen und römischen Chronisten. So
fehlen bei erstem nicht allein die Angaben des Monats und der Tage,
sondern oft ist bei ihnen sogar das Jahr der hinterlassenen Be-
obachtungen zweifelhaft. Auch die Aufzeichnungen aus den bis 844
vor Chr. hinaufreichenden römischen Quellen (Ldvius und andere
Schriftsteller) ermangeln meist der Genauigkeit, so dass man in ein-
zelnen Fällen kaum erkennen kann, ob sich die beschriebenen Natur-
ereignisse nicht auf Hagelfälle beziehen. Mit grosser Mühe und
Sorgfalt hat Dr. Faust durch Kombination^) in 4 Fällen das genaue
Datum ermittelt, so für einen Strom, vom Jahre 188 vor Chr., der
mit dem Auguststemschnuppenfalle identisch zu sein scheint
Das in Bezug auf die Ungenauigkeit der Berichterstattung im
AHertume^ Gesagte trifft auch auf die zahlreichen im Mittelalter in
Deutschland beobachteten Fälle zu. Besonders dürftig sind in den
Jahren 1600 — 1799 nach Chr. die Nachrichten über einzelne grosse
Feuerkugeln des Laurentiusstromes.
Im grossen und ganzen kann man aus dem vorhandenen Ma-
teriale die Erscheinung des Perseidenstemschnuppenfälles mit einiger
Sicherheit nicht viel über 1000 Jahre zurückverfolgen. Verf. giebt
M Gaea 1902. p. 267.
*) Astron. Wochenschrift 1890. p. 261.
72 Sternschnuppen und Meteoriten.
das von Quetelet ^) aufgestellte Verzeichnis der aller Wahrscheinlich-
keit nach mit dem Augaststrome identischen Fällen, denen er das
Datum unserer Zeitrechnung, sowie beschreibende Einzelheiten aus
Quetelets und seinem Kataloge beifugt
nach Christus:
811, 25. Juli » 8. August.
820, 25.— 80. Juli = 8.— 13. August
824, 26.-28. Juli = 9.— 11. August, nach Quetelet: Erscheinung in China.
880, 26. Juli, korrigiert für August 9.2. Viele grosse und kleine Stern-
schnuppen in China von Beginn der Dunkelheit bis 4 Uhr
nachts. Man konnte die Anzahl der Sternschnuppen, die er-
schienen waren, nicht zählen.
888, 27. Juli, korrigiert für August 10.4. Grosser StemschnuppenfaU vom
Anfange des Abends bis zum Morgen. Die Sternschnuppen
liefen in geraden und in schiefen Reihen mehr als 100.
885, 26. Juli, korrigiert für August 8.9. Grosser StemschnuppenfaU in
China. Es erschienen mehr als 50 Sternschnuppen m gerader
und in schiefer Richtung, auch quer laufend. Viele Hessen
Schweife von 20—80 Grad zurück.
841, 25. Juli, korrigiert für August 8.4. Viele kleine Sternschnuppen in
China von Beginn der Dunkelheit bis zur 5. Stunde der Nacht.
924, 27.— 30. Juli nach Quetelet, dagegen nach Newton 26.-28. Juli,
(Julianisches Jahr, Juli 21.— 29.), korrigiert für August 8.1—10.1.
Vom 21.— 23. nachts eine Menge Sternschnuppen in China.
925, 27. und 28. Juli, korrigiert für August 8.8 und 9.8. Am 22. Juli,
Julianische Zeitrechnung, während der Nacht viele Stern-
schnuppen in China mit leuchtenden Schweifen — den 28. Juli.
Julian. Zeitrechnung, grosse Zahl von Sternschnuppen, liefen
von Südost aus.
926, 27. Juli, korrigiert für August 8.6. Eine grosse Zahl Sternschnuppen
in China.
naoh Christus:
938, 25. — 30. Juli, korrigiert für August 5.8 — 10.8. In meinem Kataloge
nur 20. und 25. Juli, Julian. Zeitrechnung, angegeben. Den
20. Juli grosse Anzahl kleiner Sternschnuppen, den 25. Juli,
eine Zahl Sternschnuppen »im selben Augenblicke.«
1248, 2. August, korrigiert für August 10.6. StemschnuppenfaU wahrschein-
lich in Italien. »In demselben Jahre nämlich am 7.^ des
Monates war eine sehr helle Nacht, die Luft ganz klar, der
Mond schien um die achte Stunde, wie es in klaren Winter-
nächten zu geschehen pflegt, milchweiss. Da wurde beobachtet,
wie Sterne vom Himmel herab durcheinander wirbelten, hier-
hin und dorthin. Jedoch stürzten sie nicht, wie es gewöhn-
lich geschieht, wie Fackeln herab, sondern sie sprangen oder
vielmehr fielen, gar nicht wie sonst beobachtet^ m einem fort
zu 80 oder 40, so nämlich, dass zwei oder drei in einer Flug-
bahn zusammen sich zu bewegen schienen. Es wax so, dass
wedn dies alles wirklich Sterne gewesen wären (was kein ver-
ständiger Mensch anzunehmen geneigt ist), kein einziger mehr
am Hmimel hätte verbleiben können.c
*) Sirius 1888. p. 271.
. Die Zahlen scheinen nicht zu stimmen, ich habe es nicht aufklären
können, wo der Fehler liogt Silliman sagt 1248, Juli 26., was jedenfalls
alter Stil ist, auch Prof. Newton war das unklare Datum aufgefallen.
Sternschnuppen und Meteoriten. 73
1461, 5. August, korrigiert für August 10.0. Stemschnuppenfali in China.
Man sah mehr als 80 Sternschnuppen.
1709, 8. August. Nach Scheuchzer und nach Wolf bemerkte man in Zürich
von 11— 12Vt nachts viele fallende Sterne.
1779, 9. und 10. August. Nach Hamilton in England viele glänzende, schnell
verschwindende Meteore mit leuchtenden Schweifen.
1781, 8. August Nach Herrick in Boston eine grosse Zahl von Meteoren,
welche meistens in Nordost erschienen und nach Südwest sich
bewegten.
1781, 6. und 9. August. Am 6. Fall in grösserer Menge allenthalben ge-
sehen. Den 9. Sternschnuppen häufig beobachtet Nach
Dr. Herm. J. Klein vom 6.-9. August zahlreiche Sternschnuppen.
1789, 10. August. Nach Dr. Henn. J. Klein zahlreiche Sternschnuppen von
Spallazani auf dem Mt. Gimone gesehen. Nach Quetelet in
den Morgenstunden des 10. imd 11. August fliegende Flammen
beobachtet mit nicht grosser Geschwindigkeit. Der grosste
Teil zeigte sich im Zenith.
VerL führt aus seinem Kataloge die folgenden hierher gehörigen
Fälle an:
911 nach Chr. zur Zeit des Paulus, vor dem Tode des Sergius (Tod August 911)
wurden schinmiemde und durcheinander laufende Stern-
schnuppen in ganz ungewöhnlichem Masse beobachtet
1029, Ehde Juli in Ambien, Ranzende Sternschnuppen mit grossem Geräusche.
(Nach Soyuti.)
1192, August. Feuererscheinung von grossem Umfange am Westhimmel.
Wo?
Hiermit ist die Reihe der bis nahe an die Wende des 19. Jahr-
hunderts dem genauen Datum nach bekannten Fälle des August-
Phänomens erschöpft Diesen Stemschnuppenfällen fügt Verf. folgende
an 2^ahl und Glanz hervorragende neuern Fälle zu:
1798, den 9. August,
1799, den 9. August,
1800, den 10. und 11. August,
1801, den 9. August,
1806, den 10. und 11. August,
1811, den 10. August,
1813, den 11. August,
1815, den 10. August,
1819, den 6. und 18. August,
1820, den 9. Auffust,
1822, den 9. und 10. August,
1823, den 10. August,
1824, den 12. August,
1826, den 10. August,
1831, den 10. August,
1833, den 10. August,
1884, den 9. und 10. August,
1836, den 8. und 10. August,
1836, den 8., 9. und 10. August,
1837, den 9., 10. u. 11. August,
1838, den 10. und 11. August,
1889, den 9.^11. August
Unter den altem Fällen macht sich die zwei und ein halbes
Jahrhundert umfassende Lücke von 1451 — 1709 auffällig bemerkbar,
MS der folgende Berichte vorliegen, ohne Bezeichnung von Monat
und Tag, in einem Falle sogar mit zvireifelhaften Jahresangaben:
Nach Lycostenes 1478 Meteore mit Spuren, auch Kreuze in der Schweiz.
Nach demselben 1531 zu Lissabon. Feurige und blutrote Gestirne wurden
sichtbar.
Kadi demselben und Quetelet 1635 oder 1636, im Sommer. Ein grosses
Gewirr von Sternen wurde sichtbar, die aufloderten und am
Himmel hin und her irrten.
Nach Biot 1642, im Sommer: Stemschnuppenfali in China.
Nach Schnurrer 1675, im Sonmier: Fall m Frankreich, kann auch ein ein-
zelnes Meteor gewesen sein.
74 Sternschnuppen und Meteoriten.
Auffallend erscheint es, dass die sonst so aufmerksamen
Chinesen bei den Meteorfällen von 838, 885 und 1451 jedesmal
nur eine so geringe Anzahl von Sternschnuppen gesehen haben
wollen, eine Zahl, die in jetziger Zeit schon in gewöhnlichen Augusi-
nächten beobachtet wird.
Bomitz giebt endlich folgendes von ihm gesammelte Verzeichnis von
Feuerkugeln, die in den Tagen des 9. — 12. August gesehen wurden.
Die Daten entsprechen dem julianischen Kalenderjahre.
Nach Christas :
81, Juli 20. Gross wie eine Faust
268, Juli« Zwei grosse Sternschnuppen, jede wie ein Scheffelmass. Sie
teilten sich beide, die eine flog nach Süd, die andere nach
Nord. Ihr Licht erleuchtete die Erde, und man vernahm ein
wiederholtes Geräusch.
362, Juli 21. Morgens zwischen 9—11 Uhr, gross wie ein Drittelscheffel.
578, Juli 21. Gross wie ein Ei, mit einem etwa 10 Grad langen Schweife,
erlosch gegen den Mond hin.
585, Juli — . Ein Lichtschein durchzog den Himmel.
642, Juli 22. Gross wie der Mond, lief eine Strecke von 80 Grad und
verschwand dann.
718, Juli. Eine Sternschnuppe fiel.
841, Juh 23. Erleuchtete (üe Erde und fiel mit Donner.
852, Juli oder August Ein Meteorstein fiel in Persien, Provinz Tobarestam
oder Mansemdaran am Kaspischen Meere, der dem Kalifen
gesandt wurde. Getöse wurde weithin gehört
896, Juli. In einer finstem Nacht fiel unter Blitz und Donnerschlag ein
Stern, gross wie eine Schale, war von Farbe wie Strohfeuer,
mit Geräusch wie ein Schwärm fliegender Enten.
960, Juli 23. Gross und rot
992, Juli 29. Blauweisslich, von 10 Grad Länge, teilte sich in 8 Sterne.
998, Juli. Bei einem grossen Erdbeben durch ganz Sachsen fielen zwei
Steine unter Donner herab, der eine in die Stadt Magdeburg,
der andere jenseits der Elbe.
1006, Juli 24. Teilte sich in mehrere Sterne, sein Licht erleuchtete die Erde.
1006, Juli 24. Von gelbrötlicher Farbe mit Ranzendem Schweife, lief schnell
und teilte sich zuletzt in mehrere Sterne.
1010, Juli 28. Lief bis zum Stier.
1011, Juli 23. Gross wie ein Zehntelscheffel.
1016, Juli. Teilte sich in mehrere Sterne.
1019, Juli 24. Gross wie eine Tasse, lief sehr schnell.
1082, Juli 28. In Italien; ein zweites Meteor nachts in Deutschland,
glänzend, erleuchtete die Erde.
1087, Juli 23. Ein Stern erschien.
1042, Juli 28. Gross wie Venus, blauweisslich mit Schweif, lief langsam,
Licht erleuchtete die Erde.
1045, Juli 28. Gross wie Venus, mit Schweif, lief sehr schnell, erleuchtete
die Erde.
1045, Juli 24. Gross wie Venus, mit Schweif und ausserordentlich schnellem
Laufe, war von rotgelblicher Farbe, Licht erleuchtete die Erde.
1048, Juli 24. Lief sehr schnell.
1048, Juli 25. Mit Schweif, Licht erleuchtete die Erde.
1052, Juli 25. Von Venusgrosse, lief sehr schnell.
1052, Juli 27. Von Venusgrösse.
1053, Juli 23. Stern erschien.
Sternschnuppen und Meteoriten. 75
Naeb Christai:
1063| Juli 24. Von Vennsgrosse, mit sehr schnellem Laufe. — In derselben
Nacht ein anderer rotgelblicher Stern mit Schweif, lief sehr
schnell und erleuchtete die Erde.
1068, Juli 25. Stern erschien.
1069, Juli 24. Zwei in derselben Nacht, wovon der eine sehr schnell lief.
1060, Juli 24. Zwei in einer Nacht
1060, Juli 26. Gross wie eine Tasse.
1061, Juli 28. 2 Sterne in derselben Nacht. Der zweite war so gross wie
ein Becher, von raschem Laufe und rotgelber Farbe.
1061, Juli 24. Stern erschien von rotgelber Farbe mit glänzendem Schweife.
1061, Juli 28. Stern erschien und verschwand schnell in den Dünsten des
Horizontes.
1063, JuU 27. Von rotgelber Farbe.
1066, Juli 28. 3 Meteore in einer Nacht: Das erste von der Grösse
Jupiters mit glänzendem Schweife, rotgelb, das zweite rotgelb
mit Schweif, das dritte, von Yenusgrösse von rotgelber Farbe,
bewegte sich sehr schnell.
1068, Juli 25. Gross wie die Öffnung einer Tasse, von rotgelber Farbe,
mit glänzendem Schweife, lief langsam.
1068, Juli 27. Jupitergrösse, lief sehr schnell, war von rotgelber Farbe.
1069, Juli 28. Yenusgrösse, von blauweisser Farbe, lief sehr schnell.
1069, Juli 27. Yenusgrösse, rotgelb, mit glänzendem Schweife, bewegte
sich sehr schnell.
1070, Juli 28. Mit langsamem Laufe.
1071, Juli 28. Stern erschien.
1071, Juli 27. Yenusgrösse, blauweisslich, mit glänzendem Schweife und
langsamem Laufe.
1072, Juli 29. Stern erschien.
1075, Juli 28. 8 Meteore in einer Nacht: Das erste von Yenusgrösse
mit glänzendem Schweife, das zweite genau wie das erste, das
dritte ebenso, sein Licht erleuchtete die Erde.
1076, Juü 28. Gross wie eine Tasse, rotgelblich, mit glänzendem Schweife,
erleuchtete die Erde.
1076, Juli 24. Yenusgrösse, ro^elblich, mit briUantem Schweife.
1076, Juli 25. Gross wie eine Tasse, rotgelbhch mit Schweif.
1076, Juli 28. Yon Yenusgrösse, rotgelblich mit glänzendem Schweife.
1076, Juli 80. 8 Meteore in einer Nacht: 1. rotgelblich mit glänzendem
Schweife; 2. von Yenusgrösse, rotgelblich mit leuchtendem
Schweife; 8. gross wie Yenus mit glänzendem Schweife, er-
leuchtete die Erde.
1077, Juli 22. Yenusgrösse, rotgelblich, mit glänzendem Schweife, lief
sehr schnell.
1077, Juli 24. Yenusgrösse, durchschoss schnell die Wolken und verschwand
am südlichen Himmel, war von rotgelblicher Farbe mit glän-
zendem Schweife. Ein anderes Meteor war von Yenusgrösse
mit glänzendem Schweife und rotgelblicher Farbe, lief sehr schnell.
1077, Juli 28. Genau wie das vorhergehende.
1080, Juli 24. Gross wie eine Tasse, rotgelblich, mit glänzendem Schweife,
erleuchtete die Erde.
1082, Juli 27. Yenusgrösse, rotgelblich mit glänzendem Schweife, erleuchtete
die Erde.
1062, Juli 29. Genau wie vorbeschriebene Feuerkujgel.
1084, Juü 25. Grross wie eine Tasse, rotgelblich, mit glänzendem Schweife,
erleuchtete die Erde.
1067, Juli 24. Wie vorhergehend.
1090, Juli 26. Yenusgrösse, blauweisslich.
76 Sternschnuppen und Meteoriten.
1090, Juli 27. Venusgrösse, blauweisslich mit glänzendem Schweife, ein 2.
Meteor von Venusgrösse. rotgelblich, mit glänzendem Sch'freif e,
erleuchtete die Erde.
1091, Juli 24. 2 Sterne, jeder von Venusgrösse, rotff eiblicher Farbe und
glänzendem Schweife. Beide verschwanden zu gleicher Zeit.
1092, Juli 26. Von Venusgrösse, rotgelblich, mit glänzendem Schweife, er-
leuchtete die Erde.
1097, Juli 24. Von Venusgrösse, rotgelblich, mit glänzendem Schweife, er-
leuchtete die Erde.
1098, Juli 25. Wie vorhergehend.
1096, Juli 26. Wie vorhergehend.
1106, Juli 27. Stern erschien.
1181, Juli 26. Stern erschien.
1205, Juli 25. Von Venusgrösse, rot.
1212, Juli 80. Erschien im Zenith.
1285, Juli 26. Erschien am Tage.
1241, Juli 26. Von Venusgrösse.
1248, Juli 26. Stern.
1249, Juli 26. Wahrscheinlicher Meteoritenfall mit Donnergetose bei Qued-
linburg.
1268, Juli 25. Stern fiel.
1264, Juli 8L Stern fiel.
1267, Juli 27. Venusgrösse, rotgelblich, mit glänzendem Schweife.
1866, Juli 29. Gross wie eine Tasse, blauweiss, mit langem Schweife.
1581, Juli 26. Steinfall zu Niederreisen mit Detonation und Beben der Erde.
1585, Juli 28. Gross wie eine Faust.' Der Tambour des Himmels Hess sich
vernehmen.
1708, Juli 81. Meteor in Scheemess.
1762, Juli 29. Wo? (Kämtz).
1778, August 8. In England, Detonation mit Erschütterung.
1779, August 5. Zu Pecking von Mondgrösse, zersprang mit grossem Ge-
töse und nachiolgender Erschütterung.
Nach dieser Zeit, selbst bis weit ins 19. Jahrhundert hinein,
werden die Beobachtungen von Feuerkugeln während des Laurentius-
stromes immer seltener und beginnen eigentlich erst seit 1832
wieder sorgfältiger zu werden.
Auch in dem vorstehenden Verzeichnisse sind wie bei den Stern-
Schnuppenströmen die grossen Lücken von 1866 — 1581 und 1585
bis 1708 auffallend.
DaB Heteoreisen von Hukerop. Die Kaiserl. Meteoriten-
sammlung im naturhistorischen Hofmuseum zu Wien gelangte in den
Besitz eines 61 kg schweren Stückes eines ursprünglich etwa 160 kg
wiegenden Meteoreisenblockes, der in Mukerop bei Tsess im Bezirke
Gibeon in Deutsch-Südwestafrika (187^ « östl. L. und 257^ ^ südl. Br.)
gefunden wurde. Aussen ist der Block abgerundet und zeigt an
seiner Oberfläche nichts Bemerkenswertes. Dagegen bietet die dem
grössten Querschnitte parallel geführte und präparierte Aufschluss-
fläche, mit Durchmessern von 48 und 81 cm, nach den Unter-
suchungen von F. Berwerth zweierlei neue Erscheinungen, die man
an meteorischen Eisenmassen bisher nicht beobachtet hat Eine der
neuen Beobachtungen bezieht sich auf die Krystallstruktur des
Sternschnuppen und Meteoriten. 77
Eisenblockes und die zweite auf eine eigentümliche Umwandlungs-
erscheinung sekundärer Natur. Das Krystallgefüge des Eisens ent-
spricht wohl dem bekannten schaligen Baue nach den Oktaederflächen,
neu ist aber die Beobachtung, dass der Block nicht, wie dies
gewöhnlich der Fall ist, aus einem einzigen Individuum, sondern
aus deren vier besteht. Diese vier Individuen stossen in Ebenen
zusammen, die den Block quer der grössten Breite in ungleiche und
krystallographisch selbständige Teile trennen. Die Gegenwart von
vier Individuen bezeugen die in- 2 Schichten verschieden orien-
tierten Ätzfiguren und ausserdem die scharfen Grenzlinien zwischen
den Individuen, die durch den Wechsel der Lamellensysteme an den
Berührungsebenen hervorgerufen erscheinen.
Von den gewöhnlichen Begleitern des Meteoreisens wurde
Troilit nur in zwei kleinen Kugeln beobachtet, und auch der
Schreibersit ist nur in untergeordneter Menge vorhanden.
Die 2. Besonderheit des Blockes besteht in dem Erscheinen
einer vom Rande nach innen sich ausbreitenden Veränderungszone,
die sich nur in den Individuen III und IV über deren ganze Fläche
ausdehnt und gegen den unveränderten Teil des Individuums II
durch die quer verlaufende, scharfe Kluft, die wir oben kennen gelernt
haben, abgedämmt ist und selbe nur am Rande des Blockes über-
schreitet. Diese veränderte Zone erscheint im geätzten Zustande
ganz matt mit schwachem Schimmer, der sich schleierartig über 'die
Lamellensysteme legt, die man am Rande nur ganz wenig, im Kerne
noch deutiich wahrnimmt.
Das Erscheinen dieser schleierigen Schicht und der Randzone
ist zweifellos die Folge einer Erhitzung des Blockes, der er nach
seiner Entstehung auf irgend eine Art ausgesetzt wurde. Ganz
ähnlich sind die Veränderungszonen der im Falle beobachteten
Meteoreisen beschaffen. Beide Male wird das Balkeneisen beim Ätzen
flittrig, und die Ätzgruben sind unregelmässig. Das Ätzbild deutet
auf Änderung des Molekularzustandes des Eisens, die durch eine
unter dem Schmelzgrade bleibende Erhitzung veranlasst wurde. Beim
künstlichen Eisen ist bekannt, dass es bei einem bestimmten Hitze-
grade, »dem kritischen Punkte«, seine Struktur ändert und in einen
andern Molekularzustand übergeht Hier im Meteoreisen liegt dessen
molekularer Veränderung wohl ein ähnlicher Vorgang zugrunde.
Diese durch einen sekundären kosmologischen Prozess eingeleitete
Erhitzung und Umänderung des Meteoreisens bietet im vorliegenden
Beispiele das erste bekanntgewordene Gegenstück zu dem bei den
Meteorsteinen durch Umschmelzung des Tuffes entstandenen Ghon-
driten. Auf diese Erkenntnis darf man- auch die Ansicht stützen^
dass manche sogenannte »dichte Eisen« durch Erhitzung, resp. Um-
schmelzung umgewandelte Meteorsteine sind. ^)
^ Anzeiger der Kais. Ak. d. Wiss. in Wien 1902. No. 6.
78
Fixsterne.
Der Meteorit von Felix. Am 15. Mai 1900 gßgen IIV, Ubr
vonnittags fiel nahe bei dem Orte Felix (Alabama) unter Detonivtionen
ein Meteorit zur Erde. Das Hauptstück desselben wiegt 7 Pfand
and war bis zu einer Tiefe von 6 Zoll in den Boden gedrungen.^)
Die mineralische Zusammensetzung wird wie folgt angegeben:
Olivin 73»/o
Aagit und Enstatit 18
Troilit ..... 5
Eisen und Nickel . 8
Gr^bit .... 0.4
Die Farbe des Meteoriten ist infolge des Graphitgehaltes dunkel ;
unter dem Mikroskop zeigt es tuffähnliche Struktur.
Zone.
76» -
80» .
70 —
75 .
65 —
70 .
55 —
65 .
60 -
55 .
40 -
60 .
85 —
40 .
30 -
86 .
24V4-
81 .
20 -
25 .
15 -
20 .
10 —
15 .
5 -
10 .
1 —
5 .
_2 -■
fl .
Geliefert toh der PabU-
Stemwarte. dert
Ka«an 1896 . . 4,281
Dorpat restiert noch
Fixsterne.
Der Stemkatalogr der Astronomisehen Gesellsehaft. Der
gegenwärtige Stand dieses grossen Unternehmens wird durch die nach-
stehende Obersicht der bis heute erschienenen Publikationen dargestellt.
Zahl
der
Sterne.
4,281
loch
3,949
14,680
8,627
18,457
11,446
10,289
14,464
9,206
10,161
9,547
12,786
8,241
5,954
Sobald die Zone 70 — 75^ nördl. Deklination, welche die Stern-
warte Dorpat liefern wird, publiziert ist, werden die genauen Posi-
tionen von 130 000 Sternen vorliegen. Die Fläche des Himmels zwischen
80^ nördl. Deklination und dem Nordpole ist durch Carringtons Katalog
von 3735 Circumpolarstemen(1857) so gut dargestellt, dass von Anfang
an davon abgesehen war, sie nochmals aufzunehmen. Eine südliche
Fortsetzung des Katalogs über — 2^ Deklination hinaus ist in Arbeit.
Die photometrischen Grössen von 928 Fixsternen, deren
Helligrkeitsfolgren John Herschel 1885—1888 bestimmt hat,
wurden von W. Doberck mit Benutzung der Messungen der Harvard-
Photometrie abgeleitet^ Die Sterne sind 1. — 6. Grösse, und die ge-
fundene photometrische Helligkeit dürfte bei den Sternen 1. — 4. Grösse
Chnstiania 1890
Helsingfors und Gotha 1890
Harvard 1892
Bonn 1894
Lund 1902
Leiden 1902
Cambridge, Eng. . . . 1897
Berlin 1895
Berlin 1896
Leipzig 1900
Leipzig 1899
Albany 1890
Nicolajew 1900
Ball. Societe a«tron. de France 1902. p. 508.
Annais Harvard CoU. Obs. 1902. 4L No. Vm. p. 213.
Fiiffiteme. 79
bis auf wenige Hundertstel eiuer Grössenklasse genau sein, bei denen
5. Grösse bis auf 0.1, bei denen 6. Grösse bis auf 0.15 Grössenklasse.
Den gegenwärtigen Stand der Erforschung der farbigen
Sterne mit Berficksichtigung des Spektraltypus hat Friedrich
Kroger dargestellt.^) Er hebt zunächst hervor, wie der Umstand,
dass ausgesprochen grüne oder blaue isolierte Sterne bisher nicht
aufgefunden worden sind, dass es rein weisse und rote Sterne nicht
giebt, und die Grundfarbe des Kemlichtes bei allen Sternen stets
gelb ist, allerdings nur die Deutung zulasse, dass im allgemeinen
die Farbenfolge der Sterne von Weiss über Gelb zu Rot einer
stetigen Folge im Sinne einer successiven Verminderung der Eigen«
temperatur entspreche. Im besondern seien aber in den Spektren
so viele verschiedene und auffällige Unterschiede vorhanden, dass
diese Deutung allein für die Genesis der Fixsterne nicht ausreiche,
und man noch innere Gründe für diese Wesenverschiedenheiten wird
heranziehen müssen ; mit andern Worten: der genetische Zusammen-
hang der einzelnen Sterntypen ist aus den bis jetzt gewonnenen
Beobachtungen nicht zuverlässig abzuleiten, ein systematischer Zu-
sammenhang der Typen aber als sicher vorhanden anzunehmen.
Bei dem noch herrschenden Widerstreite der Meinungen hat Krüger
sich bei seinen Arbeiten über farbige Sterne der historisch ältesten
Einteilung der Stemspektra in Klassen, nämlich der Secchischen Ein-
teilung bedient Bei den farbigen Sternen, sagt Krüger, handelt es
sich fast ausschliesslich um den III. und IV. Spektraltypus, und
gerade für diese ist die Frage noch unentschieden, ob die Klasse IV
der Klasse III nebenzuordnen ist, oder ob sie bloss eine Weiterent-
wickelung von in ist Während man zwischen dem I. und II. Typus
und dem n. und m. Typus sich alle Zwischenstufen eines kontinuier-
lichen Überganges leicht zurechtlegen kann, so dass es oft schwer
zu entscheiden ist, zu welchem Typus ein Stern zu zählen ist, sind
solche Übergangsglieder zum IV. Typus noch nicht aufgefunden,^
Die völlig abweichende Form des Spektralbildes, das bei manchen Sternen
dieser Art nur noch aus drei bis vier hellen Streifen in Gelb und
Grün zu bestehen scheint, die entgegengesetzte Schattierung und die
abweichende Lage der dunklen Banden von denen des III. Typus
lost diese Sterne gewissermassen aus dem Verbände der andern heraus.
Über die Farben der Fixsterne und ihre Beobachtung sind
in neuester Zeit zwei ausführliche Abhandlungen von H. Osthoff')
veröffentlicht Derselbekommtindiesen Abhandlungen auf Grund seiner
langjährigen und zahlreichen Beobachtungen zu dem Schlüsse, dass sich
ZOT Beschreibung der Stemf arben am besten die Schmidtsche Skala eignet,
in der die Farben durch Zahlen bezeichnet sind. Dieser Skala hat Krüger
sich bereits in seinem Kataloge der farbigen Sterne zwischen dem Nord-
^) Farbiffe Sterne, Mitteilungen der Sternwarte zu Altenburg, S.-A. 1902.
*) J. Scheiner, SpektralanaTvse der Gestirne p. 321.
•j Astron. Nachr. No. 3667—3658.
80 Fixstenie.
pole und 23. Grade südlicher Deklination (Kiel 1893) bedient Die von ihm
gebrauchten Zahlen für die Farbenstulen hatten die folgende Bedeutung:
Oc= rein weiss, ^) 6 = orange,
1 = bläulich weissgelb, 7 = goldgelb
2 = gelblich weiss, 8 = rötlich,
3 s= gelblich, 9 = kupferrot,
4 = reingelb, 10 «= reinrot.
5 «- strohgelb,
Die Wortbeschreibung ist vieldeutig, Krüger hat sie nach Ver-
gleichung seiner Beobachtungen in Zahlen mit den Anmerkungen
über die Farben einer Anzahl auffälliger Sterne von Eduard Schönfeld,
A. Krueger und A. Auwers aufgestellt Osthoff definiert die Farben-
stufen folgendermassen:
Oc BS weiss,
1 =3 gelblich weiss,
2 B. weissgelb (weiss und gelb zu gleichen Teilen),
3 = hell- oder blassgelb,
4 a= reingelb,
5 =3 dunkelgelb,
6 a=> rötlich gelb (gelb überwiegt),
7 s» rotgelb (gelb tmd rot zu gleichen Teflen; orange),
8 a> gelblich rot (rot überwiegt),
9 BS rot mit geringer Spur gelb,
10 » rot.
Eine von Osthoff durchgeführte Vergleichung seiner Beob-
achtungen mit 169 von Krüger und 84 von Duner nach der Schmidtschen
Skala beobachteten Sternen ergiebt, dass Krüger die Farben im
Mittel um 1 ^^ 3 und Duner um 0,83^ heller als Osthoff geschätzt hat.
Die umfangreichsten Farbenschätzungen liegen bis jetzt von
Müller und Kempf in der Potsdamer Photometrischen Durchmusterung
vor. Die Potsdamer Farbenskala umfasste ursprünglich die sieben
Stufen Weiss (W), Gelblich-Weiss (GW), Weisslich-Gelb (WG), Gelb (G),
Rötlich-Gelb (RG), Gelblich-Rot (GR) und Rot (R), und wurde für
den n. Teil der Potsdamer Photometrischen Durchmusterung, welche
alle Sterne bis zu 7,5 Grösse zwischen 20 und 40 Grad nördl. Dekl.
enthält, in der Weise vervollkommnet, dass diesen Stufen ein -|- oder —
angehängt und die Skala als von Weiss nach Rot hin ansteigend
aufgefasst wurde, so dass die neuen Intervalle durchweg einem Drittel
der alten Stufen entsprechen.
Um eine leichte rechnerische Vergleichung der Resultate der
Farbenbeobachtungen zu ermöglichen, wäre sehr erwünscht, dass
sich alle Beobachter der jetzt mehrfach als zuverlässig erprobten
Schmidtschen Skala nach der Osthoffschen Definition der Farben
bedienen wollten. In der Definition 1® = gelblich -weiss vermag
Krüger sich der Osthoffschen Bezeichnung allerdings nicht anzu-
schliessen, denn viele Sterne des I. Spektraltypus, die auch einen bläu-
^) Mit dem kleinen c (<-» color) oben rechts neben der Zahl ist die
Farbe bezeichnet, ähnlich wie durch m (^ magnitudo) die scheinbare Grösse
bezeichnet wird.
Fixsterne.
81
liehen Farbenschein mitbesitzen, scheinenihm besserdurch 1 ^ = bläulich-
weissgelb als bloss durch gelblich-weiss beschrieben zu sein.
Das Studium der Sternfarben ist, wie Krüger betont, nicht bloss
um ihrer selbst willen wünschenswert, sondern auch als Hilfsmittel
zur Aufklärung mancher noch nicht hinreichend erforschter Gebiete
der Astronomie erforderlich; so ist z. B. die Farbe eines Sternes von
wichtigem Einflüsse auf die photometrischen Beobachtungen,^) bei den
mehr oder minder rötlichen Sternen besteht zwischen dem photo-
graphischen und dem visuellen Bilde ein grosser Unterschied u. s. w.
Untersuchungen über die Verteilung der Sterne auf die einzelnen Farben-
stufen und über den Himmel konnten bisher aus Mangel an zuverlässigen
Beobachtungen nur in geringem Umfange gemacht werden, dagegen liegen
schon umfangreiche spektroskopische Beobachtungen vor. Aus diesen Be-
obachtungen ergiebt sich, dass der Zusammenhang zwischen der Farbe
und dem Spektraltypus eines Sternes viel geringer ist, als man unter
Amiahme des entwickelungsgeschichtlichen Gesichtspunktes zu erwarten
geneigt ist. Es zeigt dies deutlich die folgende Tabelle, welche eine
Übersicht über den Umfang der Farbengrenzen nach Krügers Beob-
achtiingen für die einzelnen Secchischen Spektraltypen giebt:
Typ. I
Diff.
Typ. n
Diff.
Typ. in
Diff.
Typ. IV
Diff.
Oc.6-6c^
5C.6
20.0-80.0
60.0
4c.6-^c.6
4C.1
70.2—90.4
20.
Ans den Arbeiten über die Verteilung der Sterne auf die Spektral-
typen lässt sich mit ziemlicher Sicherheit entnehmen, dass etwa die
Hälfte aller Sterne dem I. T3rpus angehört, und dass von dem Reste
etwa */^ auf den H. und ^/^ auf den HL Typus entfallen. Auf den
IV. Typus kommen nur sehr wenige lichtschwache Sterne; keiner
überschreitet die 5.5 Grösse. Ober die Verteilung der roten, bezw.
der veränderlichen und der IV. Typus -Sterne haben bisher Unter-
suchungen angestellt: C. F. Pechüle^ N. C. Duner ^) und T. E. Espin ^)
Beim Tode d' Arrests (1878) waren 150 Sterne vom ÜI. und
28 Sterne vom IV. Typus bekannt, beim Erscheinen von Duners
Untersuchungen (1885) kannte man 475 Sterne vom III. und etwa
56 vom rV. Typus. Bei der Herausgabe seines Kataloges der farbigen
Sterne (1893) konnte Krüger 950 Sterne des IE. Typus und 103 des
rV. Typus zwischen dem Nordpole und dem 28. Grade südl. Deklination
an&Eählen. In der Zwischenzeit sind, besonders diirch die eifrigen
Nachforschungen von T. E. Espin, die Zahlen wieder bedeutend ge-
stiegen. In einem neuen Kataloge der Sterne vom III. und IV. Typus
zwischen dem Nordpole und dem 28. Grade südl. Deklination, den Krüger
^) G. Müller, Die Photometrie der Gestirne p. 463.
*) Expedition Danoise pour rObservation du Passage de Venus 1882.
p.dlff., Copenhague 1888.
1 Sor les etoiles a spectres de la in. dasse p. 126 ff. Stockhoün 1885.
*) Astroph. Joum. 10. p. 168.
Klein, JalirlroohXni. 6
82 Fixsterne.
soeben vollendet hat, konnte er 8773 Sterne vom III. Typus und
186 vom IV. Typus verzeichnen.^) Vergleicht man diese Zahlen mit-
einander, so sieht man, dass seit 1878 sich die Zahl der bekannten
m. Typus-Sterne veifünfundzwanzigfacht hat, während die Zahl der
IV. Typus-Sterne sich nur verachtfachte. Es kam 1878 ein FV. Typus-
Stern auf etwa 6.5 III. Typus-Sterne, 1885 war das Verhältnis
1:8,6, 1892 1:9, und gegenwärtig ist es 1:20.2. Durch weitere
Beobachtungen wird sich dies Verhältnis noch mehr verringern, so
dass die von Duner ausgesprochene Annahme, dass die FV. Typus-
Sterne mindestens 50 mal seltener sind als die des III. Typus, der
Wirklichkeit nahe kommen dürfte.
Die in seinem neuen Kataloge bearbeiteten Beobachtungen
schienen Krüger genügend, einen Beitrag zur Frage nach der
Verteilung der farbigen Sterne zu geben. Bei der Herstellung der
erforderlichen Tabellen hat er dieselben Einteilungsprinzipien walten
lassen, wie sie H. Seeliger in seinen beiden Abhandlungen : Über die
Verteilung der Sterne auf der nördlichen und südlichen Halbkugel
nach der Bonner Durchmusterung^) angewandt hat. Dies Verfahren
rechtfertigt sich von selbst dadurch, dass es eine leichte und über-
sichtliche Vergleichung seiner Abzahlungen mit denen von Seeliger
ermöglicht. Krüger hat zunächst eine Abzahlung nach folgenden
Orössenklassen vorgenommen:
1. Klasse 1.0m bis 6.5m 4. Klasse 7.6m bis 8.0m
2. „ 6.6m „ 7.0m 5. „ 8.1 m „ 8.5m
3. „ 7.1m „ 7.5m 6. „ 8.6m „ 9.0m
7. Klasse 9.1m und schwächer.
Die Anzahl der Sterne jeder dieser Grössenklassen wurde von
20 zu 20 Zeitminuten in Rektaszension und von Grad zu Grad in
Deklination aufgesucht und dann in Tabellen auf Intervalle von 40
zu 40 Zeitminuten in Rektaszension und von 5 ^ zu 5 ^ in Deklination
zusammengezogen. Als Grösse wurde überall die Angabe der Bonner
Durchmusterung angesetzt Ausser den Durchmusterungsstemen sind
in diesen Tabellen noch 104 Anonyma enthalten, die in die 6. und
7. Klasse nach Krügers eigenen mit seinem Heeleschen Refraktor von
172 mm Objektivöffnung vorgenommenen Stufenschätzungen ein-
gereiht sind. Die Veränderlichen wurden über die Klassen nach
ihrem grössten Lichte verteilt. Im ganzen enthalten diese Tabellen
Krügers für den nördlichen Himmel 3509 farbige Sterne mit Banden-
spektrum, darunter 123 vom IV. Typus und 147 veränderliche, von
denen 21 dem FV. Typus angehören.
Eine oberflächliche Betrachtung der Tabellen zeigt schon das
grosse Anwachsen der Stemzahl mit der Annäherung an die Milch-
strasse. Nach dem Vorgange von Seeliger hat Krüger zur Ent-
scheidung der Frage, wie sich der Verlauf der Milchstrasse in den
M Dieser Katalog wird in kurzer Zeit publiziert werden.
München 1884 und 1886.
Fixsterne»
83
Zahlen aoaspricht, den nördlichen Himmel in 8 Zonen geteilt Die
erste Zone liegt lun den Nordpol der Milchstrasse (a =» 12^49™,
^ = -l- 27^30') nnd ist begrenzt von dem um 20 Grad von diesem
abstehenden Parailelkreise. Die 2. Zone liegt zwischen 20 und
40 Grad gallaktischer Poldistanz u. s. f. Die 8. Zone enthält die
Sterne, welche um mehr als 140 Grad vom Pole der Milchstrasse
abstehen. Die 5. Zone ist also diejenige, welche die Milchstrasse
enthält Die folgenden Tabellen enthalten das Ergebnis dieser Ein-
teilung: Tabelle a umfasst alle Sterne mit Bandenspektren und
Tabelle b die IV. Typus-Sterne gesondert
SL
Klasse
1
2
3
4
5
6
7
Summe
Zone I
9
3
2
1
5
4
_
24
Veränderliche
1
1
Zone II
35
24
37
50
41
22
7
216
Verändeiüche
4
2
2
2
1
1
12
Zone m
45
32
66
53
78
40
18
382
Veränderiiche
—
4
2
3
2
2
3
16
Zone IV
54
69
65
117
167
178
107
757
Veränderliche
6
8
2
5
4
8
33
Zone T
52
61
86
174
272
389
453
1487
TertaderUebe
8
7
3
6
6
11
4
45
Zone VI
22
27
63
93
114
135
69
523
Veränderliche
9
2
2
4
6
2
25
Zone VII
23
18
36
14
19
22
9
141
Veränderliche
5
1
2
2
2
2
14
Zone VIII
5
4
5
2
3
6
4
29
Veränderliche
—
—
1
—
—
—
—
1
Summe
245
238
360
504
699
796
667
3509
Veränderliche
32
22
14
20
19
30
10
147
Klasse
1
2
8
4
5
6
7
Summe
Zone I
Veränderliche
Zone II
Veränderiiche
Zone III
Veränderliche
Zone rV
Veränderliche
Zone V
Terlnderliehe
Zone VI
Veränderiiche
Zone vn
Veränderliche
Zone vm
Veränderiiche
1
~2
1
1
1
1
1
2
1
1
1
1
1
1
1
1
3
3
2
1
4
4
1
3
2
4
3
11
1
1
1
1
5
64
2
7
2
1
3
2
17
9
84
10
12
2
2
Summe
Veränderliche
6
3
6
3
2
3
6
12
1
19
4
77
2
123
21
84 Fixsterne.
Man sieht, dass sowohl die m. Typus-Sterne, als auch die
IV. Typus-Sterne und die Veränderlichen von langer Periode sich in
derselben Weise über den Himmel verteilen, wie dies die Sterne der
Bonner Durchmusterung thun. Krüger stellt deshalb den Satz auf:
Es findet eine Anhäufung der Sterne mit Bandenspektren nach der
Milchstrasse zu statt, die selbst an Sternfülle die andern gallak-
tischen Zonen bedeutend übertrifft An diesem allgemeinen Ergebnisse
dürfte durch die Auffindung weiterer Sterne mit Bandenspektren nichts
mehr geändert werden.
Einige scheinbar vorhandene eigentümliche Unregelmässigkeiten
und Abweichungen in der Verteilung der Sterne mit Bandenspektren
von der allgemeinen Verteilung, wie diese sich aus der Bonner Durch-
musterung ergiebt, z. B. die Armut in den Klassen 5 — 7 zwischen
0 — 20® Deklination und das Anschwellen zwischen 25 — 60® Dekli-
nation, lassen sich zwanglos erklären aus der Art, wie die farbigen
Sterne aufgesucht wurden, und aus den Beobachtungszeiten, die
hauptsächlich in den Herbstmonaten liegen.
Eine Eigentümlichkeit der Sterne mit Bandenspektren aber, die
aus den Tabellen nur sehr schwer und zum Teil gar nicht ersichtlich
ist, und die auf innem Gründen zu beruhen scheint, erwähnt Krüger
noch kurz. Es ist die auffällige Erscheinung, dass sie häufig zu
Ansammlungen zusammentreten, und dass in diesen Anhäufungen
nicht selten auch ein bis zwei IV. Typus-Sterne je nach der Anzahl
der m. Typus-Sterne mit enthalten sind. Solche Gruppen können
direkt zum Aufsuchen der IV. Typus-Sterne dienen. Oft ist die An-
ordnung dieser Gruppen eine reihenförmige und stimmt überein mit
der von M. Wolf beobachteten und als Schnüre- oder Kettenbildung
beschriebenen Anordnung. ^) Es handelt sich bei diesen Reihen vor-
wiegend um schwache Sterne, die in enggliedrigen Ketten stehen.
An ein paar Stellen finden sich starke lokale Anhäufungen von
farbigen Sternen, so z. B. zwischen 10 — 12^ Rektaszension und
51 — 58® Deklination und zwischen 10 — 13^ 20°* und 52—58®, wo-
rauf schon T. E. Espin*) hingewiesen hat; anderseits aber fehlen auch
ganz arme Partien nicht. Eine Katalogisierung und Beschreibung^
der Ketten und Gruppen von Sternen mit Bandenspektren hat
Fr. Krüger auf seiner Sternwarte in Vorbereitung.
Tempepaturbestimmung: der Fixsterne auf photo-
metrischem Wege. Baron B. Harkänyi hat hierüber eine wichtige
Arbeit veröffentlicht.') Er stützt sich dabei auf die vor kurzem von
Prof. Lummer und Dr. Pringsheim veröffentlichten Untersuchungen,^)
^) Astron. Nachr. 185*
*) Astron. Nachr. 134. p. 127.
«) Astron. Nachr. No. 8770.
*) Verhdl. d. Dtsch. Phys. Ges. HI. No. 4. Verhdl. des internat. Physiker-
kongresses zu Paris 1900. p. 95.
Fixsterne. 85
^mäss denen sich die Temperatur hoch erhitzter Körper aus der
Energieverteilung ihrer Spektra hestimmen lasst. Die dort gegebenen
Bechnungsvorschriften hat er dann auf die von Prof. Vogel ausge-
führten spektralphotometrischen Messungen ^) angewandt. Auf diesem
Wege sind Näherungswerte für die Fixstemtemperaturen zu erhalten
unter der Voraussetzung, dass sich deren Spektra durch die von
Wien gegebene Spektralgleichung ebenso darstellen lassen, wie dies
bei den bis jetzt untersuchten irdischen Lichtquellen der Fall ge-
wesen ist. Spezieller bezeichnet, ergeben sich Grenzwerte, zwischen
denen die absoluten Temperaturen enthalten sind, wenn die Strahl-
Imgseigenschaften des Körpers zwischen denen des blanken Platins
and eines absolut schwarzen Körpers liegen, was in der That an-
genommen werden darf. Bezeichnet man die Wellenlänge des Maxi-
mums der Energie im Spektrum eines Sternes mit y, die absolute
Temperatur desselben mit T, so ist nach Wien das Produkt y . T
eine konstante Grösse, die für blankes Platin durch die Zahl 2630,
für einen absolut schwarzen Körper durch die Zahl 2940 angegeben
wird. Schwierig ist nur die genauere Ermittelung der Wellenlänge
des Maximums der Spektralintensität. Baron Harkänyi hat dieselbe
auf rechnerischem Wege abgeleitet und ferner auf ältere Messungen
von Mouton^ gestützt für die Wellenlänge dieses Maximums im
Sonnenspektrum den Wert 0.54 /i (540 Milliontelmillimeter) abge-
leitet Berechnet man hiermit die Sonnentemperatur nach dem oben
angegebenen Verfahren von Wien, so findet man als Maximum der-
selben rund 5450, als Minimum 4850^. Dies ist merklich weniger
als der von Prof. Scheiner früher auf einem andern Wege gefundene
Wert 7000^, aber anderseits genügend, um zu erweisen, dass auf
dem neuen Wege annähernd richtige Werte zu erhalten sind. Mit
HUfe des für das Sonnenspektrum angenommenen Wertes der Wellen-
länge der maximalen Energie (0.54 /i) berechnet Baron Harkänyi die
Temperaturen für Sirius im Maximum zu 7950, im Minimum zu
5700«, für Wega 6400—5700, Arktur 2700—2450, Aldebaran
2850—2560, Beteigeuze 3150— 2800 <>. Für das elektrische Bogen-
licfat ergaben sich auf demselben Wege Temperaturen zwischen 3500
ond 2850®.
Die photographisehen Spektra der heilern Sterne des
Bfidliehen Himmels. Der erste Versuch einer Klassifikation der
photographischen Spektra der Fixsterne wurde von Mrs. Fleming im
27. Bande der Annalen der Harvardsternwarte veröffentlicht. Dann
pQbUzierte Miss Antonia Maury eine detaillierte Studie über die
photographischen Spektra der zu Cambridge (N.-A.) am nördlichen
Himmel sichtbaren Sterne im 1. Teile des 28. Bandes der genannten
') Monatsber. der Kgl. Prenss. Akad. der Wiss. 1880. p. 801. Diese
^ntMsQchg. Vogels finden sich mitgeteilt im Sirius 1881. p. 76.
*) Comp. rend. 1879. 89. p. 2d5.
86 Fixsterne.
Annalen. Jetzt hat nun Miss Annie J. Cannön im 2. Teile des
nämlichen Bandes der Harvard-Annalen eine ähnliche Untersuchung
bezüglich der Sterne des südlichen Himmels veröffentlicht. In diesen
3 Untersuchungen wurde das Prinzip festgehalten, die Sterne
nach dem Grade der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit ihrer Spektra
aneinander zu reihen, ohne Berücksichtigung theoretischer Vor-
stellungen oder früherer Studien der sichtbaren Spektra derselben
von Seiten anderer Astronomen. Die Arbeit von Mrs. Fleming
konnte sich nur auf photographische Aufoahmen stützen, die mit
geringer Grösse der Spektra erhalten waren, folglich konnten
geringe Unterschiede im Aussehen der Spektra nicht wahrgenommen
werden; die beiden andern Untersuchungen verfügten dagegen über
ein Material an photographierten Spektren, die mit starker Disper-
sion erhalten waren, und folglich wurden nun auch geringere Unter-
schiede bemerkbar. Miss Maury unterschied im ganzen 22 Spektral-
klassen, welche sich eng aneinanderschliessen , so dass fast alle
Sterne mit fast unmerklichen Übergängen ihrer Spektra aneinander
gereiht werden konnten. Miss Cannon ist dagegen bei ihrer Unter-
suchung der Spektra südlicher Sterne wieder zu der Klassifizierung
von Mrs. Fleming zurückgekehrt, hat aber zwischen die Klassen
desselben noch eine Anzahl von Zwischenklassen eingeschoben. Ehe
wir hierauf eingehen, mögen zunächst die von ihr angewandten
allgemeinen Bezeichnungen der Spektrallinien hervorgehoben werden.
Sie bezeichnet als Wasserstofflinien die bekannten Spektrallinien,
welche gewöhnlich die Buchstaben Ha, H)3 bis Ht; haben, als
additionale Wasserstofflinien dagegen die 2. Reihe der Wasser-
stofflinien (H /?' bis H <5'), welche zuerst im Spektrum von f Puppis
identifiziert worden ist. Mit dem Namen Orionlinien werden alle
dunklen Linien (mit Ausnahme der des Wasserstoffs und Calciums)
bezeichnet, die in den Spektren von Sternen der (weiter unten
beschriebenen) Spektralklassen Oe, Oe5B, B, BIA, B2A, B3A
und B5A auftreten. Diese Orionlinien können allgemein in zwei
Klassen geschieden werden, nämlich diejenigen, welche dem Helium
und Parhelium angehören, und solche, welche durch andere Gase
und Substanzen hervorgerufen werden. Einige von den Orionlinien
sind jüngst mit solchen des Sauerstoffs und Stickstoffs identifiziert
worden, so die dreifache Linie (A = 4069.4, 4072.0 und 4075.9)
in den photographischen Stemspektren mit Sauerstofflinien, die
Linien >t = 3994.9 und 4630.5 mit solchen des Stickstoffs. Die
intensivsten Orionlinien, welche nicht dem Helium und Parhelium
angehören, sind bis jetzt noch nicht sicher mit Linien bekannter
irdischer Stoffe identifiziert worden. Die Bezeichnung Sonnenlinien
wurde gebraucht für alle Linien des Sonnenspektrums mit Ausnahme
der Wasserstoff- und Galciumlinien. Die Bezeichnung Calciumlinien
bezieht sich auf die Linien oder Banden der Wellenlängen X =
3933.8 und 3968.6, die erstere wird oft durch den Buchstaben K
Fixsterne.
87
die andere mit H bezeichnet. Die Bande G bezeichnet die Sonnen-
linien zwischen ;i = 4299.2 und 4315.2.
In der frühesten Arbeit von Mrs. Fleming über die photo-
graphischen Spektra der Sterne wurden diese in Klassen eingeteilt»
welche mit grossen lateinischen Buchstaben bezeichnet waren. Es
ist zunächst ¥richtig, die Beziehung dieser Klassen zu den fünf von
Prof. £. Pickering aufgestellten Fizstemtypen , welche lediglich auf
das Aussehen der direkt sichtbaren Spektra der Sterne (nicht aber
der photographischen Spektra) begründet sind, kennen zu lernen.
Es entspricht
Flemings Klasse A u. B. dem Typus I
F
G
K
M
N
0
I— II
n
n— ui
in
IV
V
identisch
Die Pickeringschen Typen I, 11, III aber sind identisch mit Vogels
Spektralklassen I, II, III, der Typus IV entspricht der Vogelschen
^asse Illb, und Pickerings Typus V enthält nur die wenigen Sterne,
deren Spektrum allein aus hellen Linien besteht.
Miss Gannon macht nun zwischen den Klassen A, B. u. s. w.
eine Anzahl Unterabteilungen. So gehören z. B. in Klasse B Sterne,
deren Spektra die dunklen Wasserstofflinien zusammen mit Linien
des Oriontypus von gleicher Intensität enthalten; die Klasse B 1 A
umfasst nur solche Spektra, die sehr nahe derjenigen der Klasse B
sindy während in die Klasse B 9 A diejenigen Spektra gehören , die
nur wenig von denjenigen der Klasse A verschieden sind. Die
Spektra der Klasse B5A fallen in ihrem Aussehen und den Inten-
sitäten ihrer Linien nahezu in die Mitte zwischen die Spektren der
Klassen A und B. Die stufenweise Abnahme der Intensitäten der
Orionlinien fällt zusammen mit der stufenweisen Zunahme der
Intensität der Wasserstofflinien und dem Auftreten feiner Sonnen-
linien, so dass in den Spektren der Klassen B 8 A und B 9 A Sonnen-
und Orionlinien vermischt auftreten.
Der Buchstabe A in dieser Klassifikation bezeichnet Spektra
des Siriustypus, wovon a Canis majoris und a Lyrae Beispiele
bflden. Diese Spektra kann man definieren als solche, in welchen
die Orionlinien im allgemeinen fehlen, die Linie K und die Sonnenlinien
schwach, dagegen die Wasserstofflinien von grosser Intensität erscheinen.
Der Buchstabe F bezeichnet die Spektra, in welchen die breiten
Banden K und H des Calciums die augenfälligsten Streifen sind,
während die Wasserstofflinien gleichzeitig noch immer intensiver als
die Sonnenlinien erscheinen. Die stufenweisen Übergänge der Klassen
A und F werden durch die Kombinationen A2F, ASF und A5F
angezeigt
88 Fixsterne.
Der Buchstabe Q bezeichnet Spektra des charakteristischen
Sonnentypus I wovon das Spektrum von aAurigae als bestes Bei-
spiel hervorgehoben werden kann. Es ist bis in die kleinsten
Eigentümlichkeiten mit dem Sonnenspektrum übereinstimmend. Diese
Spektra können definiert werden als solche, in denen die Linien K
und H des Calciums und die Bande G die augenfälligsten Linien
bilden, während die Wasserstofflinien noch ebenso intensiv als
irgend eine der Sonnenlinien sind. Spektra, welche Zwischenstufen
von F bis G entsprechen, sind als F 2 G, F5G und F8G unter-
schieden worden.
Der Buchstabe K repräsentiert Spektra, die zwischen dem II.
und m. Typus liegen, und die kurz definiert werden können als
solche, in welchen die Banden K und H, die Bande G und die
Linie von der Wellenlänge / = 4227.0 die augenfälligsten sind, und
in welchen das gegen die kürzern Wellenlängen hin liegende End-
teil des Spektrums schwach ist, ausserdem die Verteilung der
Helligkeit in den verschiedenen Teilen des Spektrums ungleich ist.
Die Wasserstofflinien in dieser Spektralklasse sind schwächer als
zahlreiche Sonnenlinien. Spektra zwischen der Klasse G und K
Wurden mit G 5 K bezeichnet.
Der Buchstabe M bezeichnet im allgemeinen Spektra, die sich
von denjenigen der Klasse K hauptsächlich durch plötzliche Ver-
minderungen der Intensität mit zunehmender Wellenlänge , bei Jl =
4762, 4954, 5168 und 5445 auszeichnen. Spektra zwischen K und
M sind mit K 2 M und K 5 M bezeichnet Da keine Spektra gefunden
wurden, welche auf diejenigen der Klasse M folgen, in welche
dieser Spektraltypus weiterhin übergeht, so wurden die hierher
gehörigen Spek^a nur in 2 Unterklassen Ma und Mb unter-
schieden, so dass mit Mb die Reihe der verschiedenen, unmerklich
ineinander übergehenden Spekra schliesst. Die Buchstaben Md
repräsentieren Spektra des HI. Typus, welche eine oder mehrere
hellen Wasserstofflinien zeigen. Spektra des IV. Typus, für welche
im Draper-Kataloge der Buchstabe N gewählt worden ist, kommen
auf den von Miss Gannon untersuchten Platten nicht vor.
Sterne des V. Typus sind solche , deren Spektra hauptsächlich
aus hellen Linien bestehen; sie sind vorzugsweise charakterisiert
durch helle Banden der Wellenlängen X = 4633 und 4688, auch ist
die Linie bei X = 5007 , welche für die Gasnebel charakteristisch
ist, bisweilen vorhanden. Die Sterne dieses Typus sind im Draper-
Kataloge mit 0 bezeichnet worden. In der von Miss Gannon
gewählten Klassifikation hat dieser Typus 5 Unterabteilungen,
die nüt Oa, Ob bis Oe bezeichnet sind. Einige wenige Spektra
zwischen der Klasse Oe und B wurden durch das Symbol Oe5B
bezeichnel Sie unterscheiden sich von denjenigen der Klasse Oe
hauptsächlich dadurch, dass die Linie >l = 4685.4 dunkel ist, und
durch die Anwesenheit der dunklen Linie Jl:»» 4649.2 statt des
Fixsterne. 89
hellen Bandes Jl = 4633; von den Spektren der Klasse B sind sie
durch die grossem Intensitäten der additionalen Wasserstofflinien
und der Linie 4685.4 unterschieden. Der Buchstabe P bezeichnet
die Spektra planetarischer Nebel, Q dagegen eigentümliche Spektra
mit hellen Linien. Endlich blieben noch einige Spektra übrig,
welche dem Oriontypus angehören, aber gleichzeitig eine oder
mehrere helle Wasserstofflinien zeigen; dieselben zeigen keine deut-
liche Beziehung zu andern. Zuletzt wurden dann noch einige
wenige Spektra gefunden, die deutlich eine Übereinanderlagerung
zweier verschiedener Spektraltypen zeigen, so dass sie als kombi-
nierte Spektra bezeichnet wurden. Darunter fanden sich fünf
Spektra, welche eine periodische Verdoppelung ihrer Linien zeigen,
deren Sterne also spektroskopische Doppelsteme sind. Es sind
folgende:
a) kombinierte Spektra:
Rektasz. (1900.0) Dekl. Grösse Spektrum
«Garinae. . . 8^ a0.4m — 69M1' 1.74 K
lyCentauri . . 14 29.2 —41 43 2.54 BSA
Idrdm ... 15 15.4 —58 58 4.41 B5A
« Scorpü ... 16 28.2 —26 13 1.06 Ma
c*Aquarii . . 28 4.5 —23 0 4.89 A2F oder A3F
b) spektroskopische Doppelsterne:
-Poppis - . 71» 55.3m —48« 58' 4.50 BSA
(Centanri . . 13 49.3 —46 47 2.81 B2A
«Scorpü . . 15 52.8 —25 49 3.08 B2B
/»»Scorpü . . 16 45.1 -37 53 3.26 B3A
Die Periode des Sternes in Puppis beträgt 1.454 Tag, diejenige
von CCentauri 8.024 Tage, jene von tt Scorpü 1.571 Tag und die-
jenige von /i^ Scorpü 1.446 Tag.
Die Gesamtzahl der von Miss Cannon bezügUch ihrer photo-
graphischen Spektra untersuchten Sterne beträgt 1122, von denen
zu Areqnipa 5961 Platten aufgenommen wurden, sämtlich mit dem
ISzoUigen Boydenteleskop, Die erste Platte wurde am 29. Novbr.
1891, die letzte am 6. Dezember 1899 exponiert Die untersuchten
Sterne stehen auf dem Räume des Himmels südUch von 30^ südl.
Deklination und sind 5. Grösse oder heller, auch sind lichtschwächero
danmter und endlich auch einige, die nördlich von jener Grenzlinie
stehen. Die photographischen Aufnahmen wurden gemacht, nachdem
entweder 1, 2 oder 3 Prismen vor dem Objektive des Refraktors
angebracht waren. Die Dispersion dieser Prismen ist eine solche,
dass die Spektra in jedem der 3 Fälle zwischen den Linien Ue
ond Rß eine Länge von resp. 2.24, 4.86 und 7.43 cm besitzen, bei
einer Höhe von nicht unter 0.5 cm je nach der Helligkeit des Sternes.
Ue Zeitdauer der Exponierung betrug im allgemeinen eine Stunde.
Die Klassifizierung der 1122 Spektra ergab nun, dass die
meisten in einer Reihenfolge mit mehr oder weniger allmählichen
Übergängen untergebracht werden können, so dass die Spektra der
90 Fixsterne.
Klasse Oe am einen und diejenigen der Klasse Mb am andern
Ende der Reihe zn stehen kommen, wobei jedoch die physische
Aufeinanderfolge der Entwickelung auch umgekehrt sein kann. Nimmt
man aber diejenige von Oe bis zu Mb, als wahrscheinlich mit
Laplaces Entwickelungstheorie übereinstimmend, an, so hat man
kurz folgende Aufeinanderfolge: Breite, verwaschene, helle Banden,
welche mit beiden Reihen der Wasserstoffiinien korrespondieren, und
zwei helle Banden bei den Wellenlängen >l = 4606 und 4688 sind
vorhanden. Die Wasserstofflinien und Band X = 4638 werden
schmaler. Band 4606 wird ersetzt durch ein Band mit der Wellen-
länge 4633. Demnächst werden die beiden Reihen der Wasserstoff-
linien dunkel, während die Banden 4688 und 4688 noch hell bleiben,
wenngleich weniger breit und intensiv. Während diese Banden ab-
nehmen, beginnen die Helium- und andere Orionlinien sichtbar zu
werden. Zwei wohl markierte dunkle Linien bei Jl = 4649.2 und
4685.4 sind sichtbar, während die hellen Banden verschwinden. Die
Linie 4685.4 scheint mindestens die Umkehrung eines Teiles der
hellen Bande 4688 zu sein. Die Linien 4649.2 und 4685.4, zu-
sammen mit 4089.2 und 4116.2, von denen keine dem Helium oder
Parhelium zuzuschreiben ist, werden jetzt die am meisten charakte-
ristischen Orionlinien, da sie im ganzen augenfälliger erscheinen als
die Heliumlinien. Die additionalen Wasserstofflinien nehmen an
Intensität ab, bis sie unsichtbar werden, während die Heliumlinien
das Maximum ihrer Intensität erreichen. Die Linien 4089.2, 4116.2
und 4649.2 nehmen rapid ab, so dass sie unsichtbar sind, während
die Heliumlinien am intensivsten erscheinen. Diese letztem bleiben
länger sichtbar als die übrigen Orionlinien, und einige von ihnen
zeigen sich noch in Spektren, welche bereits schwache Sonnenlinien
besitzen. Das Eingehen der Heliumlinien tritt ein, wenn die Wasser-
stofflinien das Maximum ihrer Intensität erreichen. Jetzt nehmen die
Sonnen- und Galciumlinien rapid an Intensität zu, während gleich-
zeitig eine korrespondierende Abnahme der Wasserstofflinien eintritt
Die Bande G wird sichtbar. Die Lichtverteilung in verschiedenen
Teilen des Spektrums ist jetzt ungleichmässig. Zwei bestimmte helle
Banden erscheinen zwischen H^^ und H/S, und das Spektrum wird
gegen das Ende der kurzem Wellenlängen so schwach, dass die
Banden K und H kaum noch auf Platten von normaler Exponierung
gesehen werden können. Die Galciumlinie 4227.0 wird augenfälliger
als die Bande G. Das Spektrum wird gegen das Ende der grossem
Wellenlängen hin bandenreich, plötzliche Änderungen der Intensität
entstehen bei den Wellenlängen 4762, 4954, 5168 und 5445. Diese
Änderungen sind zuerst kaum merklich, aber später werden sie
immer deutlicher, bis sie zuletzt die augenfälligsten Züge des
Spektrums bilden.
Miss Cannon giebt für die einzelnen von ihr unterschiedenen
Spektralklassen die folgenden Sterne als typisch an:
Fixsterne.
91
typischer Stem
Klaase
typischer Stern
. Garinae AGC 15806,
A2F .
. » Gentauri,
. Ganis mal. AGC 8631,
A8F .
. T^Eridani,
. Scorpü AGC 22768,
A5F .
. a Pictoris,
. CPuppis,
P . .
. a Garinae,
. 29 Ganis majoris,
F2G .
. ^rSagittarii,
. T > >
F5G .
. a Ganis minoris,
. 9 Orionis,
F8G .
. a Foraacis,
. ß Gentanri,
G . .
. a Aurigae,
. y Orionis und a Lupi,
G5K .
. « Reticuli,
. a Pavonis,
K . .
. a Phoenicis und « Scorpü,
. yVelomm,
K2M .
. V Librae,
. yGruis,
K5M .
. a Tauri,
. 1 Gentauri,
Ma .
. rHydri,
. a Ganis majoris,
Mb .
. y Grucis.
Oa .
Ob .
Oc .
Od .
Oe .
0e5B
B . .
BIA .
B2A .
BdA .
B5A .
B8A .
B9A .
A . .
Um die verschiedenen Typen der Stemspektren vorzuführen,
wurden Vergrösserungen verschiedener Originalnegative von Edward
S. King hergestellt und Lichtdrucke derselben der Abhandlung von
Miss Gannon beigefügt. Man findet auf Tafel 11 einen Teil der-
selben in Reproduktion. Die Orientierung der Spektra ist derart
getroffen, dass in allen untereinander dargestellten Spektren die
Endpunkte der H;^- Linien aufeinander treffen. Es ist nur der Teil
des Spektrums zwischen den Wellenlängen X = 8800 und 5000
dargestellt. Links neben den Spektren ist die Bezeichnung der
Klasse, zu welcher sie gehören, angegeben; rechts am Rande der
Name jedes der 6 Sterne; die Bezeichnungen der Wasserstoff-
linien H«, d, 7, ß sind oben über dem ersten Spektrum den be-
treffenden Linien beigefügt Im Spektrum von £ Orionis ist nahe
der Mitte zwischen H« und Hd die Heliumlinie A = 4026.4 stärker
als auf dem Originalnegative. Von den drei stärksten Linien zwischen
y und ß ist die erste und letzte eine Heliumlinie.
Das Spektrum von a Garinae zeigt die Wasserstofflinien weniger
intensiv als dasjenige von a Ganis majoris. Die breite dunkle Linie
links neben e ist eine Galciumlinie.
Im Spektrum von a Aungae, welches völlig dem Sonnenspektrum
entspricht, sind die Linien K und H des Calciums und die Bande
6 links neben y am meisten hervortretend.
Im Spektrum von a Bootis erreichen die Banden K und H das
MaTJmum ihrer Intensität, während die Wasserstofflinien sehr schwach
sind. Der Teil des Spektrums zwischen Ry und ß ist heller als
derjenige von kurzem Wellenlängen.
Im Spektrum von a Orionis ist der Teil mit kürzern Wellen-
Hmgen schwach infolge der roten Farbe dieses Sternes; auch enthält
dasselbe zahlreiche, schmale, helle Linien, von denen schwer zu
entscheiden ist, ob sie infolge von wirklicher Lichtzunahme oder
zonehmender Absorption der benachbarten dunklen Linien so er-
scheinen. Die Helligkeit des Spektrums zeigt eine plötzliche Vei-
nmdenmg zwischen den Wellenlängen 4762 und 4954.
92 Fixsterne.
Der Veränderllehe o Ceti (Mira)« Eine möglichst voll-
standige Bearbeitung aller über diesen Stern vorhandenen Be*
obachtungen hat Dr. GKithnick unternommen und durchgeführt^)
Die meisten Beobachtungen über die Helligkeit von Mira sind
nach der von Argelander eingeführten Methode der Stufenschätzungen
angestellt worden. Im ganzen ist Mira etwa 4 Monate lang dem
blossen Auge sichtbar, dann sinkt der Stern an Helligkeit bis unter 9.5
Grösse herab. Indessen sind die Beobachtungen aus dieser Phase
seines Lichtwechsels nur spärlich; die meisten Beobachtungen be-
ziehen sich auf die Zeit, wenn der Stern dem blossen Auge sichtbar
ist. Um die einzelnen Helligkeitsschätzungen der Beobachter unter-
einander vergleichbar zu machen, musste Dr. Quthnick zuerst eine
Normalskala für die durch Stufen ausgedrückten Helligkeiten der
Vergleichsteme aus allen Beobachtungsreihen ableiten.
Nachdem auf diese Weise die Möglichkeit gegeben war, die je-
weilige Helligkeit von Mira nach einem fortlaufenden einheitlichen
Systeme von Stufen auszudrücken, wurden alle vorhandenen Be-
obachtungen auf dieses System reduziert und dadurch eine umfassende
Tabelle der in Stufen ausgedrückten Helligkeit dieses Veränderlichen
erhalten, so weit darüber Beobachtungen von 1596 bis zum März
1900 vorhanden sind. Daraus wurden weiter die Zeiten bestimmt,
wann der Stern in seinem grössten Lichte (Maximum) und in seiner
geringsten Helligkeit (Minimum) war, und Kiuren gezeichnet, welche
den Gang des Lichtwechsels im einzelnen darstellen. Es fand sich,
dass manche dieser Lichtkurven einander sehr ähnlich sind, und
nach vielen Versuchen kam Dr. Guthnick auf folgende 4 Gattungen
oder Klassen dieser Lichtkurven.
1. Gattung: 1660, 1779, 1839, 1898. Helle Erscheinungen
mit schneller Lichtänderung auch im Maximum. Aufstieg der Kurve
sehr schnell, Abfall langsamer; sekundäre Erscheinungen bei allen
Vertretern angedeutet, am schwächsten bei 1779. Die Helligkeit
im Maximum schwankt zwischen rund 35 und 45 Stufen. Die Dauer
der Erscheinung für das blosse Auge ist immer sehr gross; bei 1898
beträgt sie sogar 150 Tage, gerechnet von 6.0 zu 6.0 Grösse. Vier
beobachtete Maxima dieser Gattung zeigen, dass die diesem Kurven-
typus zu Grunde liegende Ursache eine Periode von ungefähr 65 Yt
Einzelperioden hat, und das Maximum ihres Einflusses traf zeitlich
am nächsten mit dem Maximum von 1779 zusammen. Die nächste
Erscheinung dieser Gattung wird voraussichtlich im Jahre 1958, resp.
1957 eintreten; da dieselbe auf einen der 3 Monate September,
Oktober oder November fallen dürfte, so wird sie gut zu be-
obachten sein.
^) Nova Acta. Abhandl. d. Kais. Leop.-Carol. Dtsch. Akad. d. Natur-
forscher 79. No. 2. HaUe 1901.
Fixsterne. 9 3
2. Gattung: Sehr schwache Erscheinungen, 1867, 1868, 1886
nnd 1887. Die Helligkeit im Maximum ist sehr gering; am kleinsten
1868 mit -j- 8.5 Stufen; die obere Grenze wird man etwa bei 15
Stufen zu setzen haben. Die Zunahme des Lichtes ist schneller bis
gleich schnell wie die Abnahme. Die Dauer der ganzen Erscheinung
mit blossen Augen von 6.0 bis 6.0 Grösse ist sehr kurz, in 1867
kaum 70 Tage. Das paarweise Auftreten, durch je eine hellere Er-
scheinung voneinander getrennt, ist möglicherweise charakteristisch.
Leider scheint dieser Typus ausserdem noch nicht beobachtet worden
zu sein, wenigstens kann man keine der altern Beobachtungen mit
Sicherheit dazu rechnen. Das Gesetz derselben wird deshalb vor-
laufig noch nicht ermittelt werden können. Sehr schwache Maxima
waren ausser diesen noch in den Jahren 1884 (?), 1880, 1780,
1729, es ist aber zweifelhaft, ob sie zu den obigen zu rechnen
sind. Wahrscheinlich sind sie nur extreme Glieder des folgenden
Typus, am ehesten gehört 1729 noch zur Gattung 2.
3. Gattung: Erscheinungen von mittlerer bis ziemlich geringer
Helligkeit im Maximum. Der Unterschied zwischen der Geschwindig-
keit von Zunahme nnd Abnahme ist gross, erstere viel schneller als
die letztere, das Verweilen im Maximum kurz, die Dauer der ganzen
Erscheinung infolge der langsamen Lichtabnahme zuweilen sehr lang.
Die Helligkeit ist zuweilen so gering, dass ein Übergang zur
2. Gattung einzutreten scheint, da auch die Eurvenformen einander
sehr ähnlich sind; bei keiner Erscheinung wurde die Helligkeit 30
Stufen erreicht Der Typus ist sehr rein in dem Maximum 1886 b
erhalten. Die Vertreter dieser Gruppe sind: 1819, 1869, 1877a,
1879, 1880 (?) (unvollständig) 1889. Die Erscheinungen 1702, 1847,
1849 mögen ebenfalls hierhin als eine Untergruppe gehören. Ausser-
dem gehört vielleicht noch eine Anzahl der übrigen Erscheinungen
dazu, die nicht so vollständig beobachtet sind, dass man mit Sicher-
heit darüber entscheiden könnte.
4. Gattung: Die Zunahme des Lichtes ist meist sehr schnell,
dann aber tritt eine mehrere Monate dauernde Konstanz des Lichtes
ein; darauf beginnt die Abnahme, die um so schneller ist, je länger
die Konstanz gedauert hat. Die Helligkeit ist sehr verschieden,
geht jedoch nicht unter 20 Stufen herunter. Manchmal ist eine
scharfe Unterscheidung von der vorigen Gattung schwierig. Dieser
Typus scheint am meisten sekundären Abweichungen unterworfen
zu sein. Sehr rein erhalten ist er z. B. in den Erscheinungen 1848
und 1897.
Die Häufigkeit ihres Vorkommens lässt diese Kurvenform als die
für den Veränderlichen typische erscheinen, woraus alle andern
Formen durch irgend welche störenden Einflüsse entstehen. Wenn
dem so ist, so wird man nur aus der Untersuchung der drei ersten
^SHUungen und der sekundären Erscheinungen für die Zukunft neue
Aufschlüsse über den Stern erhalten können.
94 Fixsterne.
Die beiden letzten Kurvenfonnen scheinen gruppenweise aufzu-
treten. Ausser diesen Formen sind jedoch noch zwei vorhanden,
auf die besonders hingewiesen werden muss, weil sie ebenfalls
möglicherweise für eine dereinstige Erklärung des Lichtwechsels
wichtig sind. Die Erscheinungen 1866 und 1867 b weisen beide
eine sehr merkwürdige Eigentümlichkeit auf, die sonst nicht wieder
beobachtet ist Nach schneller Zunahme ward die Helligkeit plötzlich
eine Zeitlang konstant, noch lange ehe das Maximum erreicht ist,
um dann nach einiger Zeit wieder merklich zuzunehmen. Auf 1866
folgte mit 60 Tagen Verspätung ein ausserordentlich schwaches
Minimum und auf dieses das schwache Maximum 1867 a von der
Gattung 2. Dem Maximum 1867 b ging ein sehr schwaches Minimum
voraus, und es folgte das Maximum 1868 ebenfalls von der Gattung 2.
Dagegen zeigen die Maxima in der Nachbarschaft von 1886 a und
1887 nichts Besonderes.
Schliesslich macht Dr. Guthiück noch auf die kontinuierliche
Änderung der Schnelligkeit der Lichtzunahme in den Maximis 1857 a
bis 1861, deren grösster Wert 1858 stattfand, aufmerksam. Man
habe es hier möglicherweise mit einer Erscheinung zu thun, die für
die Erklärung des Sternes von grosser Wichtigkeit ist Auch bei
den Minimumkurven ist sie angedeutet
Was die Periode des Lichtwechsels anbelangt, so ist sie, wie
schon bemerkt, sehr schwankend, als Mittelwert für ihre Dauer
findet Dr. Guthnick 331.7018 Tage. Teilt man die Beobachtungen
in 3 Zeitabschnitte, so ergiebt sich als mittlere Dauer der Periode
des Lichtwechsels:
Von 1660 bis 1720 : 382.188 Tage
1720 « 1839:331.569 «
1839 « 1898:331.471 <
Aus dieser Zusammenstellung ist die Abnahme der mittlem
Periode sehr deutlich zu erkennen, man sieht aber auch, dass die
Abnahme in der Gegenwart beträchtlich langsamer geworden ist
Die mittlere Periodendauer erleidet nun beträchtliche Störungen, mit
denen sich Dr. Guthnick eingehend beschäftigte. Er findet, dass eine
Störung während 79 Lichtwechseln ihren Cyklus durchläuft und
eine andere während 93 Perioden des Sternes. Femer fand sich
eine Stömng, deren Cyklus während 200 Einzelperioden des Licht-
wechsels abläuft Die mittlere Helligkeit des Sternes im Maximum
beträgt 26.2 Stufen der oben erwähnten Normalskala, jedoch finden
starke Schwankungen statt, die sehr komplizierten Gesetzen ge-
horchen. Es scheint Dr. Guthnick nicht unwahrscheinlich, dass diese
Schwankungen in Gyklen von langer Dauer wiederkehren, eine
Ungleichheit vielleicht auch nach je 2 Lichtwechselperioden, doch
bleibt diese zweifelhaft Schliesslich verbreitet er sich über das
Spektrum von Mira und über die Ursache des Lichtwechsels. > Be-
kanntlich treten in dem Spektrum der Mira, wahrscheinlich nur zur
Fixsterne. 95
Zeit der Maxima, die WasserstoffUnien H y und H <), sowie vielleicht
noch einige andere Linien hell auf (die Linie He dagegen scheint
nie hell zu sein); dies ist wahrscheinlich zuerst von Duner bemerkt
worden« Femer ist sehr wichtig eine Beobachtung, die Campbell
während des Maximums der ersten Gattung von 1898 gemacht hat.^)
Er sah während der betreffenden Erscheinung die Linien H y und H i
in drei ungleiche Komponenten zerlegt. Die dunklen Linien des
Miraspektrums waren 1898 gegen das rote Ende verschoben und
ergaben eine Geschwindigkeit in der Gesichtslinie zu der Erde von
-|- 62.3 hm. Dagegen waren die hellen Linien gegen das violette
Ende verschoben. Im Gegensatze hierzu haben Vogel und Wilsing ^
bei der Untersuchung von 11 Spektrogrammen , die während des
Maximums 1896 a aufgenommen wurden, gefunden, dass die hellen
Wasserstofflinien wahrscheinlich gegen Rot verschoben waren. Eine
Verdoppelung derselben ist nicht angedeutet gewesen. Ausser den
hellen Wasserstofflinien (He dunkel, resp. von der Sonnenlinie H
überdeckt?) wurden 1896 a keine andern hellen Linien gesehen. Es
ist allerdings im Auge zu behalten, dass die Kraft der angewandten
Instrumente bei diesen Untersuchungen sehr ins Gewicht fällt und
daher nicht notwendig alle angeführten Veränderungen im Spektrum
der Mira reell sein müssen.«
Zur Erklärung der Lichtschwankungen veränderlicher Sterne wie
Mira hat Klinkerfues im Jahre 1865 folgende Hypothese aufgestellt.
Diese Sterne sind Doppelsteme, bei denen der Hauptstem von einer
sehr dichten Atmosphäre umhüllt wird. Der umlaufende Begleiter
erzeugt in dieser Atmosphäre gewaltige Flutwellen, und wenn er dem
Hauptsteme am nächsten ist und dabei auf der von der Erde abge-
wendeten Seite desselben steht, so muss die lichtabsorbierende Atmo-
sphäre des I^uptstemes zum grossen Teile von der uns zugewandten
Seite fortgezogen werden. Wir sehen dann die leuchtende Photo-
sphäre des Sternes ungehinderter, und dieser muss dadurch heller
»scheinen. Natürlich müssen die auf solche Weise entstehenden
Deformationen in der Atmosphäre eines veränderlichen Sternes sehr
bedeutend sein, um grosse HeUigkeitsschwankungen zu erklären. Was
Mira anbelangt, so hält Dr. Guthnick dafür, dass die Klinkerfuessche
Hypothese geeignet ist, die Beobachtungen zu erklären. Bezüglich
des merkwürdigen Verhaltens der hellen und dunklen Linien zu ein-
ander müsse man sich fragen, ob dieselben nicht zwei verschiedenen
übereinander gelagerten Spektren angehören. Die regelmässige Wieder-
kehr der Maxima der ersten Gattung, sowie die anscheinend diesen
eig^tümiiche Spaltung der Wasserstofflinien wird nach Guthnick
am zwanglosesten durch die Annahme eines ausser dem gleich zu
^) Astroph. Journal 9. p. 81.
*) Vogel : Ober das Spektrum von Mira Ceti , Sitzungsber. der Berl.
96 Fixsterne.
besprechenden Hauptbegleiter existierenden Trabanten erklärt, dessen
Umlauf szeit etwa 59 Y^ Jahre beträgt, und dessen Bahn so elliptisch
ist, dass in der Nähe des Periastrums merkliche Deformationen der
Atmosphäre hervorgerufen werden. »Zu dieser speziellen Annahme,«
sagt er, >zwingt die Thatsache, dass der Einfluss, welcher die
Maxima erster Gattung hervorbringt, nur an diesen selbst sich zeigt.
Bezüglich der Lage der Bahn kann man natürlich nichts Bestimmtes
sagen. In letzterem Punkte hat man etwas mehr Anhalt bei dem
Hauptbegleiter, dessen Einfluss der Lichtwechsel in der Hauptsache
zugeschrieben werden muss. Da einerseits nämlich eine Ungleichheit
von 2 Perioden in der Periode nicht, oder nur sehr schwach, an-
gedeutet ist, anderseits aber die Minima nicht die Mitte halten
zwischen den benachbarten Maximis, indem nach den vorliegenden
Beobachtungen der Zeitraum von einem Maximum zum folgenden
Minimum im Mittel 211.55^, derjenige zwischen einem Minimum und
dem folgenden Maximum aber 118.94^ beträgt, so ist man zuerst
gezwungen, die Umlaufszeit des Begleiters gleich der einfachen
mittlem Periode anzunehmen; ferner lassen sich die Erscheinungen
nur dann erklären, wenn man annimmt, dass wir unter einem etwas
spitzen Winkel auf die Bahnebene sehen, und die Apsidenlinie eben-
falls unter einem massig spitzen Winkel gegen die Absehenslinie
geneigt ist. Die Bahn müsste wiederum so exzentrisch angenommen
werden, dass in der grössten Entfernung des Begleiters kein be-
deutender oder vielmehr gar kein Einfluss auf die Atmosphäre des
Hauptstemes ausgeübt wird.«
»Man kann sich nicht verhehlen,« schliesst Dr. Guthnick, »dass
die Annahme dieser 2 Begleiter wohl nicht ausreichen wird, alle
Erscheinungen des Lichtwechsels unseres Sternes zu erklären, und
dass sie auch sonst noch manche Schwierigkeiten in sich birgt, die
nur durch neue Hypothesen beseitigt werden können. Eine Folge
der oben angedeuteten Konstitution des Systemes wird z. B. sein,
dass der Stern im Minimum längere Zeit absolut konstant sein
müsste. Da dies aber in Wirklichkeit nicht oder doch nur selten
der Fall ist, so müsste man weiter annehmen, dass jedes Maximum
auch noch von besondem Wärme- (und Licht-)erscheinungen (Erup-
tionen von Gasen aus dem Innern und dergl.) begleitet ist, was
allerdings angesichts der jedenfalls gewaltigen Druckdifferenzen,
welche ein Ort auf der Oberfläche des Sternes in kurzer Zeit durch
die Höhenänderung der Atmosphäre erleidet, und angesichts des Um-
standes, dass die Anziehung auch auf die im Innern des Sternes
gelegenen Massen wirkt, sehr plausibel scheint Solche Wärme-
erscheinungen würden einerseits die schnelle Zu- und langsame Ab-
nahme des Lichtes, anderseits die unsymmetrische Lage der Minima
zwischen den Maximis mit erklären. Man sieht aus diesen letzten
Bemerkungen, wie wichtig und wahrscheinlich auch erfolgreich es
sein würde, den Stern einmal konsequent durch eine Reihe von Er-
Fixsterne. 97
scheinuDgen mit dem Spektrographen zu verfolgen, jedoch sind zu
solchen Untersuchungen die allerstarksten Instrumente unbedingt
notwendig.«
Der Veränderliche C Gemlnorum ist von März 10 bis
Mai 23 1902 nach Argelanders Methode durch E. P. McDermott jr.
beobachtet worden.^) Diese Beobachtungen machen wahrscheinlich,
dass 3 Tage vor dem Hauptmaximum ein sekundäres Maximum ein-
tritt, in welchem der Stern 3.88 Grösse ist, sowie ein sekundäres
Minimum 1.6 Tage vor dem Hauptmaximum mit einer Helligkeit
3.93 Grösse. Der Vergleich mit den nach Ghandlers Elementen
berechneten Minimis ergiebt, dass die beobachteten Minima im Mittel
1.04 Tage früher eintrafen.
Die Lichtknrve von ß Persei (Algol). Eine möglichst ge-
naue Darstellung des Verlaufes der Lichtkurve, welche dieser Ver-
änderliche zeigt, ist besonders seit der Entdeckung der wahren Ur-
sache seiner Lichtanderungen von hoher Wichtigkeit , weil auf diese
Weise die Dimensionen Algols und seines dunklen Begleiters abge-
leitet werden können. Die bisherigen Angaben über den Verlauf
des Lichtwechsels beruhen hauptsächlich auf Schätzungen der Hellig-
keit nach Argelanders Methode, wobei der Veränderliche mit be-
nachbarten Sternen verglichen wird.
Zwar haben Lindemann und Pickering auch photometrische
Messungen dieses Veränderlichen ausgeführt, doch sind dieselben
mcht zahlreich genug, um die Lichtkurve genauer darzustellen. Nun
ist aber im vorliegenden Falle die genaue Ermittelung der Form der
lichtkurve von grösster Wichtigkeit, und diese kann nur durch
photometrische Messungen mit grösserer Schärfe ermittelt werden.
Deshalb hat Pro! G. Müller vom Astrophysikalischen Observatorium
Kii Potsdam schon 1878 regelmässige Messungen des Algol in den
verschiedenen Phasen seiner Lichtänderung angestellt, über die er
nunmehr berichtet.^ Sein Plan war, während einer langem Reihe
von Jahren eine sehr grosse Zahl von Algolminimis so vollständig
als möglich zu beobachten, ausserdem die Helligkeit ausserhalb des
eigentlichen Lichtwechsels im Hinblicke auf etwaige sekundäre Minima
andauernd zu verfolgen. Auch beabsichtigte er, ähnlich wie Linde-
mann, gelegentlich eine Anzahl von Minimis gleichzeitig mit dem
Photometer und nach der Stufenschätzungsmethode zu beobachten,
um weiteres Bfaterial zur Vergleichung der beiden Methoden zu
sammeln. Doch hat er dieses Programm nur bis zum Jahre 1881
einigermassen konsequent durchführen können. Die genaue Be-
arbeitung hat indessen gezeigt, dass das Material durchaus aus-
reichend ist zu einer sichern Bestimmung der Liphtkurve für den
>) Astrophys. Journal. 1& p. 117.
<) Artron. Nachr. No. 8782.
Klein, Jahrbuch XIU.
98 Fixsterne.
Zeitraum von 1878 — 1881, und da eine Neubestimmung dieser
Lichtkurve, zumal auf Grund von photometrischen Messungen, immer
von Interesse ist, so hat er sich zur Veröffentlichung des gesamten
Materiales entschlossen.
Die Messungen sind mit dem ZöUnerschen Photometer der
Berliner Sternwarte angestellt worden. Als Vergleichstem wurde
stets 6 Persei benutzt, dessen Helligkeit, bezogen auf das System
der Potsdamer Durchmusterung, als 3,27 Qrössenklasse angenommen
wurde. Im Maximum ist Algol um 0.8 Gr. heller, im Minimum um
0,3 Gr. schwächer als d Persei.
G. Müller giebt in Tabellen eine Zusammenstellung seiner
sämtlichen Helligkeitsbestimmungen des Algol, welche im ganzen
16 Minima umfassen. Da es ihm in erster Linie auf eine genaue
Ermittelung der Form der Lichtkurve und insbesondere auch auf
die Feststellung der Dauer der eigentlichen Lichtänderung ankam,
80 wurde von vornherein darauf geachtet, entweder den aufsteigenden
oder den absteigenden Zweig der Lichtkurve möglichst weit zu
verfolgen. Natürlich ist dies nur in einzelnen Fällen geglückt, und
die Beobachtungen sind in der Nähe des Minimums am dichtesten
zusanunengedrängt. Immerhin zeigen seine Messungen mit einiger
Sicherheit, dass die ganze Zeitdauer vom Beginne der Lichtabnahme
bis zur Wiedererreichung des vollen Lichtes nicht, wie man bisher
gewöhnlich angiebt, 9 — 10 Stunden beträgt, sondern merklich länger,
und zwar zu 12 — 13 Stunden, angenommen werden muss.
Zur definitiven Entscheidung der Frage nach etwaigen Unregel-
mässigkeiten während der Dauer des vollen Lichtes oder nach einem
sekundären Minimum ist die Zahl der Müllerschen Messungen bei
weitem nicht ausreichend, aber so viel geht doch mit einiger Sicher-
heit aus denselben hervor, dass, wenn wirkliche Lichtschwankungen
ausserhalb der Minima vorkommen sollten, dieselben den Betrag von
0.1 Gr, schwerlich überschreiten können, also selbst durch die sorg-
fältigsten Messungen nicht mit Gewissheit nachzuweisen sind.
Aus den mitgeteilten Beobachtungen lassen sich durchweg
regelmässige Kurven des Lichtwechsels darstellen und aus diesen
die Zeiten des kleinsten Lichtes bis auf 6 oder 8 Minuten abschätzen.
Früher hat Chandler aus allen von 1782 — 1887 beobachteten
Algolminimis eine Formel abgeleitet, um die Zeitpunkte der Minima
zu berechnen. Diese berechneten Minima stimmen indessen mit den
aus Müllers Beobachtungen abgeleiteten nicht überein, und zwar ist
die Abweichung zu gross, um sie durch Unsicherheit der Be-
obachtungen des letztem zu erklären. Müller sagt: »Wie Chandler
in seiner ausführlichen Bearbeitung einer ausserordentlich grossen
Zahl von Algolminimis aus den Jahren 1782 — 1887 nachgewiesen
hat, lassen sich die Änderungen der Periodenlänge durch seine
Formel in grossen Zügen ausreichend darstellen; aber damit ist
nicht gesagt, dass nicht in kurzem Zeiträumen unregelmässige
Fixsterne. 99
Schwankungen der Periodendauer vorkommen können, die sich durch
keine allgemeine Formel ausdrücken lassen. Es ist schon mehrfach
darauf hingewiesen worden, dass die Periodenläage bisweilen für
einige Zeit konstant zu bleiben scheint, und dass die Änderungen
mehr sprungweise vor sich gehen. Auch meine Beobachtungen, die
sich der Ghandlerschen Formel nicht recht anpassen wollen, lassen
sich durch Annahme einer innerhalb mehrerer Jahre konstanten
Periode sehr gut darstellen. <
Müller findet aus seinen Beobachtungen eine für 1878 März 9
berechnete Periodendauer des Algol von 2^ 20'» 48"* 56.853«, mit
der er seine sämtlichen Messungen 1878 — 1881 genügend darstellen
kami. Eine Messung aus dem Jahre 1887 zeigt dagegen so grosse
Abweichungen, dass man auf eine seit 1881 eingetretene Verkürzung
der Periode schliessen muss.
Aus seinen sämtlichen 355 Einzelbestimmungen hat Dr. Müller
eine Tabelle der Helligkeitsänderungen des Algol zusammengestellt,
welche diese Änderungen für die Zeit von 8^ vor bis 8^ nach dem
Minimum enthält Mit Hilfe dieser Normalwerte ist die Lichtkurve
Algols konstniiert worden. Es hat sich dabei folgendes ergeben:
1. Die Helligkeitswerte schliessen sich sowohl für den ab*
steigenden als für den aufsteigenden Zweig überall bis auf wenige
Hmidertstel einer Grössenklasse ungezwungen einem gleichmässigen
Eurvenzuge an. Es werden also Einbiegungen der Lichtkurve, wie
sie von verschiedenen Beobachtern aus Stufenschätzungen vermutet
worden sind, durch die photometrischen Messungen, wenigstens für
das in Betracht konmiende Zeitintervall, nicht bestätigt
2. Die beiden Zweige der Lichtkurve sind bis zu einer Ent-
fernung von 2 Stunden vom Minimum vollkommen symmetrisch. Von
da an scheint die Helligkeit im aufsteigenden Aste etwas schneller
anzuwachsen als im absteigenden. Etwa 3^/, Stunden vom Minimum
entfernt ist die Helligkeit im aufsteigenden Zweige um 0.07 Gr.
grosser als im absteigenden; dann vermindert sich die Differenz, und
6 Stunden vom Minimum entfernt ist die Helligkeit in beiden Zweigen
wieder die gleiche. Der ganze Unterschied ist so geringfügig, dass
er kaum als sicher verbürgt anzusehen ist; man wird jedenfalls
keinen merklichen Fehler begehen, wenn man vollständige Symmetrie
annimmt
3. Der Zeitpunkt des Überganges vom vollen Lichte zu dem
eigentlichen Lichtwechsel lässt sich natürlich nicht auf einige Minuten
genau angeben; indessen kann man aus der photometrischen Licht-
kurve so viel entnehmen, dass die ganze Dauer der Lichtänderung
etwa 18 Stunden umfasst, jedenfalls grösser ist, als man bisher
gewöhnlich angenommen hat
4. Für die Minimalhelligkeit Algols ergiebt sich aus der Kurve
der Wert 3.55 Gr. (im Systeme der Potsdamer Durchmusterung). Die
100 Fixsterne.
Werte, welche sich für die 16 beoba4;hteten Minima direkt aus den
zugehörigen Kurven ablesen lassen, schwanken nur zwischen 3.36'
und 3.64 Gr. Im Minimum scheint also Algol während der Jahre
1878 — 1881 stets dieselbe Helligkeit gehabt zu haben.
5. Für das voUe Licht Algols folgt aus den Messungen der
Wert 2.43 Gr. Bemerkenswert dürfte sein, dass die Beobachtungen
für die Zeit von etwa 11 — 12 Stiinden vor und nach dem Minimum
auf etwas grössere Helligkeit (2.38 Gr.), dagegen für die Zeit nah»
in der Mitte zwischen zwei aufeinander folgenden Minimis auf etwas
geringere Helligkeit (2.48 Gr.) schliessen lassen. Es dürfte aber bei
dem geringen Betrage des Unterschiedes und mit Rücksicht auf di&
unzureichende Zahl der Messungen gewagt sein, daraus ein schwaches
sekundäres Minimum ableiten zu wollen. Sorgfältige Helligkeits-
messimgen, speziell zu den angeführten Zeiten, sind aber in hohem
Grade erwünscht.
Neue Veränderliehe der Algrolklasse. Aus der Vergleichung:
photographischer Aufnahmen an der Harvardstemwarte hat Mrs.
Fleming gefunden, dass ein Stern im Schwan, dessen Position (für
1900) ist: R A. 21^ 55.2"^ DekL = + 48» 52', zu den Veränder-
lichen des Algoltypus gehört Er steht nicht weit von dem merk-
würdigen Veränderlichen SS Gygni, der ähnliche unregelmässige Licht-
änderungen zeigt wie U Geminorum. Die Gegend um SS Gygni ist
auf der Harvardstemwarte sehr oft photographiert worden, um den
Lichtwechsel dieses Veränderlichen zu untersuchen; diese Aufnahmen
sind nun verwertbar, um auch die Lichtänderungen des neuen
Veränderlichen festzustellen. Im ganzen finden sich seit 1880 388
Platten, auf denen der Stern in vollem Lichte (8.9 Gr.) erscheint,
sowie 19, auf denen er 9.3 Gr. oder schwächer ist Die Periode^
des Lichtwechsels findet sich zu 31.304 Tagen. Während 28 Tagen
verharrt der Stern in seiner vollen Helligkeit, 8.9 Grösse (photo-
graphisch); aber 1 Tag vor dem kleinsten Lichte beginnt er abzu-
nehmen, erreicht 1.05 Tag vor dem Minimum die Grösse 9.0, 0.94
Tag vor demselben die Grösse 9.5, 0.84 Tag vor diesem die Grösse
10.0 und bleibt über einen halben Tag lang konstant in dem kleinsten
Lichte von 11.6 Gr. Die Zeitdauer der Lichtzunahme ist anscheinend
die gleiche wie die der Abnahme.
A. Stanley Williams hat im Perseus einen neuen veränderlichen
Stern der Algolklasse entdeckt, der die provisorische Bezeichnung
14, 1902 Persei erhält Der Ort desselben am Himmel ist: A. R.
= 2*> 30"^ 50» D. = 4- 41^ 34.3' (1855). In seiner normalen Hellig-
keit ist der Stern 9.4 Grösse, im Minimum sinkt er dagegen bis zur
12. Grösse. Die Veränderlichkeit wurde durch photographische Auf-
nahmen der betreffenden Himmelsgegend entdeckt. Die Dauer der
Penode des Lichtwechsels ist 3 Tage 1^ 21°^ 32.23«.
Fixsterne. 101
Der Liehtweohsel des Veränderlichen 6 Carlnae ist von
Alex. W. Roberts zu Lovedale untersucht worden.^) Es ist einer der
von D. Gould zu Ck>rdoba entdeckten und bereits untersuchten Veränder-
lichen. Die Beobachtungen von Roberts erstrecken sich über den
Zeitraum von 1896 — 1902 und umfassten 20 volle Lichtperioden
des Sternes. Aus ihnen ergiebt sich als mittlere Periodendauer 148.72^
und unter Hinzunahme der Gouldschen Bestimmungen der Maximum-
und Minimumphase 1872, der nahe damit übereinstimmende Wert von
148.9^. Die Dauer der Ab- und Zunahme des Lichtes ist nahezu
^eieh, ein unbestimmtes sekundäres Maximum zeigt sich etwa 40 Tage
vor dem Hauptmaximum. Im Maximum ist der Stern etwa 6., im
Minimum 9. Grösse.
Der Liehtweehsel des Veränderliehen U Cephei ist von
K. Bohlin in Stockholm im Frühling und Herbst 1896 beobachtet
worden. Aus der Untersuchung dieser BeobachtungeUi die er unlängst
veröffentlichte,^ zieht Bohlin als Ergebnis, dass die Periode der
Lichtänderung 2 Tage 11^ 49°^ 44.5^ beträgt. Im Maximum ist der
Stern etwa 7.7 Gr., im Minimum 9.1. Kurz nach dem Minimum
wird der Stern ein wenig heller, bleibt dann etwa 80 Minuten un-
verändert, sinkt wieder etwas und steigt dann rasch zu seiner
grössten Helligkeit an.
Der Veränderliche Y Lyrae ist von A. Stanley Williams
während des Jahres 1901 beobachtet worden.^ Sein Ort am Himmel
ist (1900,0) a \&^ 34™ 12» d + 43<> 51.8'. Die Beobachtungen
wurden angestellt mit einem 6 -zolligen Spiegelteleskop und
110-facher, selten 225-facher Vergrösserung und bestanden in
Schätzungen des Helligkeitsunterschiedes gegen benachbarte Sterne,
geschahen also nach der alten Argelanderschen Methode. Bei der
Diskussion hat St. Williams auch mehrere frühere Beobachtungen
von Prof. Hartwig in Bamberg benutzt Er findet als Periode des
Lichtwechsels 12^ 8°^ 52.21 "; Epoche des Maximums: 1901 Septbr. 4.
13^ 20°^ m. Zt. V. Gr. Im Maximum der Helligkeit ist der Stern
11.32, im Minimum 12.35 Grösse. Die Zeit vom Minimum zum
Maximum beträgt 1"* 40™, vom Maximum zum Minimum 10^ 2™,
das Verhältnis der Zeitdauer der Zunahme zu dem der Abnahme ist
0.16. Zeichnet man die Kurve des Lichtwechsels, so fällt das
rasche Ansteigen der Helligkeit vom Minimum zum Maximum auf,
während der Stern geraume Zeit unter 12. Grösse bleibt Die Licht-
korve hat ungemeine Ähnlichkeit mit derjenigen, welche gewisse
veränderliche Sterne im Sternhaufen Messier No. 5 nach den Unter-
suchungen von Prof. V. J. Bailey zeigen.
>) Monthly Notices 02. p. 419.
^ Astron. Nachr. No. 8762.
*) Monthly Notices 62. p. 200.
102 FixBterne.
Beobaehtungen über die Helligkeit von y Argus hat
R. T. y. Innes in den Jahren 1900 — 1902 angestellt^) Er giebt
folgende Mittelwerte:
1900.8 : 7.68 Grösse Farbe: 6.3
1901.8 : 7.78 „ „ 6.8
1902.1 : 7.72 „ „ 6.5 '
Demnach ist der Stern während der angegebenen Zeit praktisch
ziemlich unverändert geblieben.
Zwei veränderliche Sterne in dem Nebelfleeke N. G. K.
7028. Dieser Nebel steht im Stembilde des Gepheus in a 21^ 0.4°>
^ _|_ 670 4ßf (^ 1900) und zeigt eine unregelmässige Gestalt von
1 5 ' Durchmesser. Er steht nahe bei einem Sterne 7. Grösse, aber sonst
in einer auffallend stemarmen Gegend des Himmels. Auf der Lick-
stemwarte wurde am Grossleyreflektor mit dreistündigem Exponieren
1901 Nov. 7 eine Aufnahme des Nebels gemacht; die Sterne erschienen
jedoch darauf nicht gut, und es wurde eine neue Aufnahme 1902
August 27 ausgeführt mit 5 stündigem Exponieren. Eine Vergleichung
beider Negative führte Prof. C. D. Perrine zur Entdeckung zweier
Veränderlichen in diesem Nebel.') Von dem zentral in dem Nebel
stehenden Sterne aus haben beide Veränderliche folgende Position:
A p = 6.2« d = 107.1"
B 188.C 87.4
Eine am 1. Sept aufgenommene 3. Photographie lässt ver-
muten, dass die Periode des Lichtwechsels dieser beiden Sterne
vergleichsweise kurz ist. Mit dem Auge konnte am Grossley-
reflektor der Stern A am 1. Sept. noch eben erkannt werden, und
wurde seine Helligkeit auf 16.5 Grösse geschätzt Folgende Helligkeiten
sind aus den photographischen Aufnahmen abgeleitet:
1901 Nov. 7. A.: 14Vb Grösse B: I6V4 Grösse
1902 August 27. I6V4 » IB»/* n
1902 Sept. 1. 16Va „ 15V, »
Beobachtung: einer wahrscheinlichen Nova Im Bootes
1877. In mehrem Schreiben an Prof. H. Kreutz hat F. Schwab in
Ilmenau Mitteihmgen über einen 1877 von ihm beobachteten Stern
gemacht. Prof. Kreutz teilt ^) einen Auszug daraus mit. Hiernach
hatte F. Schwab im Januar 1877 den Stern d Bootis im Verdachte
der Veränderlichkeit, und um diese zu prüfen, zeichnete er, da ihm
keine bessere Himmelskarte zur Verfügung stand, in den kleinen
Littrowschen Atlas einen nahe bei d stehenden Stern von gleicher
Helligkeit ein, dem er die Bezeichnung d' gab. Dieser Stern stand
nicht auf der Littrowschen Karte, was aber auch nicht auffallen
Monthly Notices 62. p. 425.
Lickobs., BuUetin No. 24.
AstroD. Nachr. No 8742.
Fixsterne. 103
kann, da diese Karte nicht den Anspruch erhebt, alle Sterne 5.5 Gr.
zu enthalten. Die Beobachtungen geschahen vom 30. Mai bis 14. Juli
mit blossem Auge, dann mit einem kleinen gewöhnlichen Fernglase
von etwa 1 Zoll Objektivöffnung. Von Mai bis Juli blieb der Stern
d' zwischen 5, und 5.4 Gr. Am 9. Januar 1878 fiel dem Beobachter
das Verschwinden von d' auf, und er sah eifrig mit seinem Taschen-
fernrohre nach ihm aus, ohne ihn indessen wieder zu sehen. Ebenso
vergebHch waren 1879, 1882 und 1883 Nachforschungen mit dem
4 zolligen Refraktor der Marburger Sternwarte. Unter Zugrundelegung
der Karte der Bonner Durchmusterung hat F. Schwab dann die Um-
gebung des ehemaligen Sternes d' eingezeichnet, ohne diesen zu
finden. Der Ort desselben fällt innerhalb der Grenze der Unsicherheit
der Zeichnung mit dem Sterne 9.8 Gr. der Bonner Durchmusterung
(B D) -|- 21^ 2606 zusammen. Prof. Kreutz findet nach diesen An-
gaben für unzweifelhaft, dass 1877 im Bootes ein Stern 5. Gr.
sichtbar -war, der später in dieser Helligkeit nicht mehr gesehen
worden isl Prof. Deichmüller in Bonn hat die Originalaufzeichnungen
der B. D. geprüft und findet, dass in der Gegend von Schwabs Stern
kein anderes Objekt als B D -f- 21^ 2606 beobachtet worden ist, so-
wie dass die Beobachtungen des letztem 1853, 1854 und 1858
durch Schoenfeld, Argelander und Krüger der Vermutung, dieser
Stern sei veränderlich, einigen Raum geben.
Die Nova Cy gtd 1876 ist im Dezember 1901 und im Januar
1902 von Professor E. E. Bamard am 40-zolligen Yerkesrefraktor
beobachtet worden.^) Sie war vordem zuletzt von Prof. Bumham
am Lickrefraktor, und zwar 1891 Juli 31. gesehen und 13.5 Gr.
geschätzt worden. Nach den Beobachtungen von Prot Bamard ist
der Stern jetzt 15.7 Gr. und zeigt keine Abweichung vom Aussehen
anderer Sterne derselben Helligkeit.
Die Nova Persel 1901. Eine photographische Aufnahme
der Gegend um die Nova Persei kurz vor deren Aufleuch-
ten ist am 20. Februar 1901 von A. Stanley Williams gemacht
worden.^ Er benutzte dabei eine 44-zollige Grubbsche PortraiÜinse
und exponierte 47™ lang. Die Aufnahme geschah 1901 Febr. 20.
10 h 40™— 11^* 27™ m. Zt. v. Greenwich. Auf der Platte sind
Sterne 12.5 Grosse nach der photographischen Skala sichtbar; wenn
die Nova nicht rötlich war, musste sie damals also schwächer als
12.5 Gr. gewesen sein. Die Entdeckung derselben durch Dr. Anderson
geschah Febr. 21. 14^ 40™ m. Zt. v. Greenwich. Ähnliche Auf-
nahmen machte Stanley Williams am 15. und 25. Januar, sowie am
11. Febr. 1901^ und auch auf diesen ist keine Spur der Nova ange-
') Monthly Notices 62. p. 405.
^ Monthley Notices 61. p. 387; 02. p. 534.
104 Fixsterne.
deutet. Prof. Geraski macht ^) auf ein Sternchen 12. Gr. aufmerksam,
welches auf einer zu Moskau 1899 Januar 30. erhaltenen Photo-
graphie der Umgebung der Nova sichtbar ist, aber 1901 im Dezember
an dem dortigen 15-zolligen Refraktor nicht wahrgenommen wurde.
Dieses Sternchen erscheint auch auf der Photographie von Stanley
Williams. Am 36 -Zoller der Lickstemwarte ist es im Frühjahre
1901 von Aitken nicht wahrgenommen worden, dagegen hat es
Bamard am 40-Zoller der Yerkesstemwarte 1901 Febr. 20. gesehen
und seinen Ort bestimmt Am 40-zolligen Refraktor der Yerkes-
stemwarte hat Bamard das teleskopische Aussehen der Nova unter-
sucht. ^) In diesem Refraktor zeigt sich zwischen einem kleinen
Steme und einem kleinen planetarischen Nebelflecke sofort der Unter-
schied, dass, wenn das Okular scharf auf den Fixstern eingestellt
ist, der sonst von einem Sterne nicht zu unterscheidende Nebel erst
dann am schärfsten erscheint, nachdem das Okular noch tun
0.25 Zoll herausgezogen worden ist. Die Ursache hiervon liegt,
wie Prof. Haie gezeigt hat, in der Verschiedenheit des Spektmms
eines Fixsternes und eines planetarischen Nebels. So zeigte sich
der neue Stern im Fuhrmann, der im November 1900 etwa 13. Gr.
war, erst dann am 40-zolligen Refraktor am schärfsten, wenn das
Okular um 0.27 Zoll weiter herausgezogen wurde als für gewöhnliche
Fixsterne , ein Beweis , dass jene Nova in Wirklichkeit ein planeta-
rischer Nebel ist, dessen Scheibe aber unmerklich klein erscheint.
Das Spektroskop bestätigt diese Schlussfolgemng. Prof. Bamard
hat nun auch im August und September 1901 den neuen Stern im
Perseus nach dieser Richtung hin am 40-Zoller untersucht, konnte
aber keinen Unterschied von gewöhnlichen Fixsternen finden. Seit
Ende August 1902 zeigt dagegen die Nova das gleiche Verhalten
wie ein planetarischer Nebel. Als Prof. Bamard sehr starke Ver-
grösserungen anwandte, erschien die Nova auch nicht mit dem
stechenden Lichte eines Fixsternes, sondem verwaschen und ähnlich
einem planetarischen Nebel, so dass sie sich sogleich von andern
Stemen unterschied. In ihrer Umgebung zeigte der grosse Refraktor
5 Steme 13. Gr. und einen Stem 15. Gr. Von einer nebeligen
Hülle um die Nova war mit Sicherheit nichts zu sehen, obschon
Prof. Barnard die Photographie dieses Nebels, welche Dr. Ritchey
erhalten, zur Hand hatte. Dagegen sah er etwa 1^ südlich von
der Nova einen Nebel von 30" Durchmesser nicht heller als ein
Stemchen 13.5 Gr. und bestimmte dessen Ort am Himmel zu a = 3^
21« 50.5», <5 = -|-42« 18.7' (1860.0).
Die Ortsbestimmungen der Nova gegen eine Anzahl benach-
barter Steme, welche von Prof. Bamard ausgeführt wurden, zeigen
in Obereinstimmung mit den Messungen auf der Lickstemwarte mit
Sicherheit keine Spur von Eigenbewegung des neuen Sternes an.
*) Astron. Nachr. No. 3755.
^ Astrophys. Journal 14 No. 3 p. 149.
PixBterne. 105
Schätzungen der Helligkeit der Nova wurden am 4-zolligen
Sucher des grossen Refraktors bei 50facher Vergrösserung durch
Veigleich mit benachbarten Sternen angestellt. Sie ergaben, dass
die Nova Mitte April 1902 bis zur Grösse 9.0 herabgesunken war.
Das Aussehen des neuen Sternes bei guter Luft und starker Ver-
grösserung war sehr verschieden von demjenigen eines gewöhnlichen
Fixsternes, sein Licht war matt und planetarisch im Oegensatze zum
stechenden Lichte der andern Fixsterne. Bei verschiedenen günstigen
Gelegenheiten hat Prof. Bamard während des vergangenen Winters
sehr aufmerksam nach der Nebelhülle um die Nova gesucht, aber
nichts davon mit Sicherheit wahrnehmen können, was nicht auffällig
ist, da dieser Nebel überaus schwach und sein Licht hauptsächlich
photographisch wirksam ist Ein von Geraski auf einer Photographie
vom 30. Januar 1899 bemerkter Stern 12. Gr., der in Rektaszension
0.31' dem heutigen Orte der Nova folgt und 7" südlich davon
steht, ist von Prof. Bamard trotz sorgsamster Nachforschung nicht
gesehen worden; derselbe hält es nicht für ausgeschlossen, dass
dieser angebliche Stern bloss ein photographischer Defekt auf der
betreffenden Platte sein könnte. Prof. Kreutz hält zwar diese Stemspur
for wiridich vorhanden, bezweifelt aber, dass das Sternchen mit der
heutigen Nova identisch sei. Von anderer Seite wird dagegen diese
Identität für sehr wahrscheinlich gehalten.
Über die Farbe der Nova sind zahlreiche Angaben gemacht
worden. W. Osthoff hat^) dieselben geprüft und verglichen. Indem
er, vom reinen Weiss ausgehend, den Farben Zahlenwerte beilegt,
so dass gelb mit 4, schwachrot oder goldgelb mit 6, rot mit 8
bezeichnet wurde, ergab sich, dass die Farbe der Nova am
23. Februar = 1 war und dann zuerst langsam , vom 25. Februar
ab dagegen bis zum 1. März rasch auf 6,8 sank, während die
Abnahme der Helligkeit nur eine Grössenklasse betrug. Mehrere
Beobachter glaubten, einen periodischen Farbenwechsel der Nova zu
erkennen, und vom 22. März ab zeigen nach dem Urteile Osthoffs
die Schätzungen mehr oder weniger deutlich die Periodizität des
Farfoenwechsels parallel mit den Änderungen der Helligkeit
PhotogTFaphlsehe Aufnahmen der Nebelflecke um die
Iloya. Am 17. November 1901 gelang Prof. Wolf in Heidelberg wieder
eine vorzügliche Aufiiahme der Nebel um den neuen Stern. Sie zeigt
abermals grosse Veränderungen, die dort seit der Aufnahme auf der
Yerkesstemwarte am 20. September stattgefunden haben. Der
Nebel, bemerkt Prof. Wolf, bestand im wesentlichen aus einzelnen
konzentrischen Hüllen von ziemlich ovaler, aber unregelmässiger
Form und aus mehr oder weniger dicken Wolken, die besonders
1) Astron. Nachr. No. 3751.
106 Fixsterne.
südlich und südöstlich von dem neuen Sterne heu ausgebildet sind.
An verschiedenen Stellen sind hier die Wolkenknoten besonders
dicht Alle die Gebilde haben sich seit dem 23. August, wo Prof.
Wolf zuerst eine photographische Aufnahme erhielt, mehr oder
weniger verändert. Besonders auffallend war nach Prof. Wolf von
Anfang an die äusserste Hülle, die wohl am hellsten ist und eine
ziemlich zusammenhängende ovale Schale von etwa 6 Bogenminuten
Abstand von der Nova zu bilden scheint. Dieser Abstand ist gemäss
der Photographie vom 23. August bis zum 20. September und von
da bis zum 17. November fortwährend gewachsen. »Sie besteht
aus hellen und dunklen Wölkchen, und man kann die Bahn ver-
folgen, die diese beschrieben haben. Die Wölkchen standen am
20. September fast genau auf der Mitte des Weges, den sie vom
23. August bis zum 17. November durchlaufen haben. Daraus
scheint zu folgen , dass ihre Geschwindigkeit im Abnehmen begriffen
ist Interessant ist femer zu bemerken, dass die Wölkchen sich
nicht senkrecht zu der Fläche der ovalen Schale bewegt haben,
sondern dass sie .fast genau radial von der Nova aus fortgeeilt
sind.c Prof. Wolf bemerkt, dass während dessen natürlich nicht
nur die Form der äussern Hülle, sondern auch die Gestalten der
einzelnen Wölkchen ziemlich starke Veränderungen erlitten. Die
Bewegung des fast genau südlich von der Nova liegenden Schalen-
teiles betrug in der Zeit vom 23. August bis zum 17. November
etwas mehr als eine Bogenminute, der besonders stark entwickelte
Teil genau südöstlich von der Nova hat sich dagegen, in radialer
Richtung gemessen, etwas über 1^/, Bogenminuten fortbewegt.
Auf dem Yerkesobservatorium wurde am Abende des 9. No-
vember 1891 eine zweite photographische Aufnahme des Nebeis bei
der Nova Persei erhalten ^) am zweifüssigen Reflektor mit 90 Minuten
Exposition der Platte. Das erhaltene Negativ ist schwach, allein die
hauptsächlichsten Kondensationen des Nebels sind deutlich, und auf
den ersten Blick, ohne Vergrösserungsglas, zeigte sich, dass seit der
ersten Aufnahme (am 20. September) merkliche Veränderungen in der
Form der Nebelgestaltungen eingetreten waren. Am 13. November
wurde nach siebenstündiger Exponierung ein drittes, vortreffliches
Negativ gewonnen, welches die Schlüsse aus der Aufnahme vom
9. Nov. völlig bestätigt. Von Wichtigkeit ist auch, dass damit direkt
der Beweis geliefert wurde, dass Verstärkungen eines schwachen Nega-
tivs durchaus statthaft sind, indem die Details de sverstärkten Nega-
tivs von jenem Tage mit demjenigen vom 13. November durchaus
harmonieren. Die beiden Negative vom 20. Sept und 13. Nov. wurden
nun in achtfacher Vergrösserung und dreifach reproduziert, um sicher
zu gehen, dass keine falschen Details eingeführt wurden. Dann
wurden daran vorläufige Messungen der Positionen von 6 Haupte
^) Astroph. Journal 1901. p. 293.
Fixsterne. 107
kondensationen des Nebels ausgeführt Die Vergleichung der Inten-
sitäten der Kondensationen auf den Negativen No. 1 und 3 ergiebt,
dass die äussern Teile des Nebels rapide abgeblasst sind, während
die Nebelzunge, welche anscheinend von der südlichen (obem) Seite
der Nova ausgeht und sich nach Westen (nach links) krümmt, auf
dem Negativ No. 2 stärker herauskommt als auf No. 1, obgleich
letzteres viel länger exponiert war; auf den Negativen No. 2 und 3
ist dieser Zweig der intensivste der ganzen Nebelpartie. Diese
beträchtliche Veränderung der Intensität macht es nach Ritchey sehr
schwer, zu einem endgültigen Schlüsse zu gelangen darüber, ob
dieser Nebelzweig seine Gestalt und Position geändert hat.
Eine genaue Untersuchung der auf der Lickstemwarte am
Crossleyreflektor in den Monaten Februar und März 1901 auf-
genommenen Photographien der Nova durch H. P. Pahner und
C. G. Dell hat ergeben,^) dass auf einer am 29. März 1901 er-
haltenen Platte von nur 10 Minuten Expositionsdauer die Nova von
zwei feinen Nebelringen umgeben erscheint, und dass ausserdem
verschiedene Nebelmassen in der Nähe erkennbar sind. Dies ist
eine wichtige und erfreuliche Thatsache, denn sie konstatiert die
Anwesenheit der Nebel 6 Monate früher als die früheste Wahr-
nehmung derselben von Prof. Wolf auf der Heidelberger Photographie
vom 23. August Seitdem sind auf der Lickstemwarte in der Zeit
vom November 1901 bis 1902 Januar 11 verschiedene Aufnahmen
der Nova und ihrer Umgebung erhalten worden, über welche G. D.
Perrine in dem bezeichneten Bulletin berichtet Er konmit zu dem
Ergebnisse, dass die sämtlichen während des letztgenannten Zeit-
raumes erhaltenen Photographien eine allgemeine Ausbreitung des
Nebels nach aUen Nichtungen hin beweisen. Die Bewegungen ver-
schiedener der am deutlichsten dargestellten Nebelmassen südlich von
der Nova geschehen in der Bewegungsrichtung des Uhrzeigers, im
Westen der Nova scheint wenigstens eine Nebelmasse eine entgegen-
gesetzte Bewegungsrichtung zu besitzen. Es ist wahrscheinlich, das
die beiden am 29. März 1901 vorhandenen Nebelringe sich ausdehnten
und in Stücke zerfielen, von denen zwei, die dem äussern Ringe
angehörten, auf den Photographien des Dezember und Januar nach-
weisbar sind. Eine einfache Rückrechnung auf Grund ihrer schein-
baren Bewegungen lehrt, dass dieselben gegen den 16. oder 17. Februar
die Nova verlassen haben müssen. Perrine fügt seiner Mitteilung
noch hinzu, dass, wenn die Nebelfragmente sich ununterbrochen mit
der gleichen Geschwindigkeit nach allen Richtungen ausdehnen würden,
einige derselben das Sonnensystem in 250 Jahren erreichen müssten.
Eine lichtvolle Zusammenstellung und kritische Untersuchung
aller bisherigen Wahrnehmungen über die veränderlichen Nebel bei
der Nova Persei hat Dn A. Berberich gegeben.^
^) Ldckobsenratory, Bulletin No. 14.
*) Natorwiss. Rundschau 1902. No. 38. 39.
108 Fixsterne.
Er weist zunächst darauf hin, dass nach der Theorie von Prof.
Seeliger über das Aufleuchten neuer Sterne man eigentlich hätte er-
warten können, um die Nova Persei Spuren von Nebel zu entdecken,
besonders da die Aufnahmen an photographischen Apparaten mit
Doppelobjektiven, die bei kurzer Brennweite eine sehr grosse Flächen-
helligkeit liefern, schon seit Jahren den Beweis erbracht hatten, dass
langdauemde Aufnahmen mit ihnen überaus schwache, sonst unwahr-
nehmbare Nebel an das Licht bringen. Die Photographie vom 20. Sept.
1901 durch Ritchey verrät schon beim blossen Anblick eine direkte
Beziehung der Nebelmassen zur Nova, die man freilich nach der
Seeligerschen Theorie nicht vermuten sollte. Denn hiemach wäre
die Begegnung von Stern und Nebel ein reiner Zufall; thatsächlich
zeigt jedoch das photographische Bild ein System von konzentrischen
Nebelbogen oder spiralig gewundenen Streifen und im ungefähren
Mittelpunkte dieses Systemes die Nova selbst Die Bogen scheinen
drei oder vier einander umschliessenden Kreisen anzugehören, die
vielfach unterbrochen und unregelmässig verzerrt sind. Mehrere
hellere Stellen oder Lichtknoten fallen namentlich im Süden und Süd-
osten auf.
Die in der Himmelskunde völlig überraschende, im November
aus Amerika von der Lick- und der Yerkesstemwarte anlangende
Kunde, dass die Nebelknoten in rascher Bewegung begriffen seien,
und die Dimensionen des ganzen Nebelsystemes sich erweitem, spricht
sich deutlich in fortgesetzten Aufnahmen in Heidelberg und am
Yerkesreflektor an einer Nebelzunge aus, die südöstlich von der
Nova stand und scheinbar eiue Vereinigungsstelle mehrerer Nebel-
stretfen war. Wolf und Ritchey fanden übereinstimmend, dass der
Abstand von der Nova vom August bis November täglich um 1.2''
wuchs. Einige andere Lichtknoten im äussersten südlichen Nebel-
bogen entfemten sich etwas langsamer von dem Sterne, dafür war
ihr Abstand auch selbst schon geringer. Diese Verschiedenheiten
der Distanz und Bewegung konnten allerdings durch die Perspektive
bedingt sein, da die einzelnen Nebelgebilde nicht in einer Ebene,
Sondern diesseits und jenseits der Nova sich befinden; sie sind als
Stücke mehrerer die Nova einhüllender Kugelschalen zu betrachten.
Eine ganze Reihe weiterer Aufnahmen Ritcheys zeigt mit Sicherheit
die Existenz einiger sehr schwacher und unregelmässiger Nebel in
unveränderter Lage und Form vom September 1901 bis Februar 1902.
Diese Nebel, sagt Berberich, gehören also wohl zu den überall ver-
breiteten kosmischen Staub- oder Dunstmassen, nur lässt sich nicht
erkennen, ob sie in gleicher Raumgegend wie die Nova stehen oder
nicht Namentlich ist hier ein 16 — 20 Minuten südlich der Nova
befindliches (Gebilde gemeint, dessen Form auch keinerlei Beziehung
zu diesem Sterne vermuten lässt In ähnlicher Entfernung von dem
Sterne stand im gleichen Zeiträume gegen Südosten ein sehr matter
Nebel, der allerdings später sein Aussehen verändert hat, vielleicht
Fixsterne. 109
nur infolge Vermischung mit den von der Nova herkommenden Licht-
gebilden. Direkt neben dem Sterne im Südwesten verharrte in kaum
einer Minute Entfernung ein sehr heller Nebel, dessen Form starke
Veränderungen erfuhr; er vergrösserte sich etwas durch Entwickelung
mehrerer Ausläufer, namentlich nach Süden zu. Sehr wichtig ist
anch die Thatsache, dass zugleich mit dem Verblassen des äussern
Nebelringes vom September in weit grösserer Entfernung und durch
beträchtlichen Zwischenraum getrennt Nebelstreifen aufleuchteten. So
war seit Januar 1902 an einer zuvor ganz leeren Stelle 14' süd-
westlich der Nova ein Nebelstreifen aufgetaucht, der im Februar
heller als alle andern Nachbarnebel der Nova geworden war, aus-
genommen den vorhin erwähnten, dicht an die Nova angrenzenden
Nebel und die noch immer im Südosten vorhandene Nebelzunge, deren
Ort sich zuletzt kaum noch verschoben hat In der Richtung ihrer
ursprünglich so raschen Bewegung hatte sich der bereits im Septeipber
photographierte sehr schwache Aussennebel, wie schon bemerkt, in-
zwischen in der Form verändert Die Gegend nördlich von der Nova
enthielt im September ebenfalls mehrere Nebelbogen, die sich im
November erheblich weiter vom Sterne entfernt hatten. Im Dezember
war von den äussern dieser Bogen nichts vorhanden, im Januar
imd Februar 1902 standen dagegen in doppelt so grosser Distanz
als im Anfang mehrere Nebelstreifen, die deutliche Bewegungen er-
kennen liessen ; auch war ihr Licht in Zunahme begriffen. Berberich
fasst die Thatsachen wie folgt zusammen: »Um den neuen Perseus-
stem breiteten sich nebelartige, leuchtende Erscheinungen aus, mit
ungleichen Greschwindigkeiten in den verschiedenen Richtungen und
wiederholt sprungweise auf grössere Distanzen übergreifend. Die
Bewegungen einzelner Nebelknoten geschahen nicht streng in der Rich-
tung vom Sterne her, sondern auch mehr oder weniger seitlich.
Eine Erklärung dieser Vorgänge würde natürlich auch für die Deutung
des Aufleuchtens der Nova von grossem Werte sein. Ob jedoch ein
einziges derartiges Ereignis schon eine eindeutige Erklärung ge-
statten und ermöglichen wird, ist zweifelhaft. Zwar sind auch bei
der Nova Aurigae Nachbamebel nachgewiesen, aber ihr Verhalten
scheint nicht näher untersucht worden zu sein, und sonstiger Be-
obachtungen über Veränderungen an Nebeln giebt es nur wenige,
die einer strengen Kritik standhalten. Zur Lösung einer so inter-
essanten wie schwierigen Frage nach der Natur der Novanebel dürfte
aber eine Zusammenstellung verwandter Beobachtungen nicht ohne
Wert sein.
Die nächstliegende Folgerung aus der Entfemungszunahme der
Novanebel ist die, dass bei einem gewaltigen Ausbruche heisser Massen
«IS dem Innern eines äusserlich ganz oder fast ganz erkalteten
Sternes grosse Mengen von Dämpfen oder Staubteilchen nach allen
Seiten in den Raum ausgestossen worden seien. Die Eruptions-
theorie hat zur Erklärung der neuen Sterne vieles für sich, wenigstens
110 Fixsterne.
aus Analogiegründen; sie wurde auch beim Aufleuchten der Nova
Persei wieder von namhaften Forschem zur Deutung der Einzel-
erscheinungen herangezogen. Will man hiemach die Ortsändemngen
der Novanebel für wirkliche Bewegungen von Stoffmassen ansehen,
so kommt man zu ganz riesigen Geschwindigkeiten, es sei denn, dass
der neue Stern nur in sehr geringer Entfernung vom Sonnensysteme
sich befände. Allein die Heliometermessungen zu Bamberg und
New-Haven haben dargethan, dass die Nova weit jenseits der durch-
schnittlichen Region der Steme erster Grösse stehen muss. Daraus
ergiebt sich für jene Nebelgebilde eine Geschwindigkeit von wenigstens
20 000 hm in der Sekunde. Wilsing in Potsdam hat^) diese Schwierig-
keit durch eine Ergänzungshypothese zu beseitigen versucht. Er
nimmt an, dass von dem neuen Steme ähnliche Repulsivwirkungen
auf sehr dünne Nebelmassen in seiner Nachbarschaft ausgeübt werden,
wie von der Sonne auf die feinen Schweifteilchen der Kometen. Es
bedürfe nur massiger elektrischer Ladungen der Nebelteilchen, um
ihnen im leeren Räume Geschwindigkeiten ähnlich der des Lichtes
zu erteilen. Für ein Wasserstoffteilchen würde diese Ladung nicht
mehr als ^lo derjenigen des geriebenen Siegellacks zu betragen
brauchen. »Man wird sich vorstellen können, dass die unter starkem
Drucke, doch mit verhältnismässig geringer Geschwindigkeit empor-
gepressten, gasförmigen Massen sich im leeren Räume bald aus-
dehnen und an Dichtigkeit verlieren werden. Erst in stark ver-
dünntem Zustande unterliegen sie dann den vom Steme ausgeübten
Repulsivkräften und erlangen schnell die ausserordentliche Geschwin-
digkeit, mit der sie sich im leeren Räume merklich gleichförmig fort-
bewegen. Die bereits sehr geringe Leuchtkraft der fein verteilten
Materie nimmt mit der weitem Ausbreitung ab, so dass der Nebel
schliesslich in seiner äussern Begrenzung verblasst, während er in
den tiefern Schichten durch die vom Steme nachströmende Materie
einige Zeit lang ergänzt wird.«
Dr. Berberich ist der Meinung, es sei am einfachsten, die
Bewegung der Novanebel als nur scheinbar und durch die Ausbreitung
und Wanderung des Novalichtes im Räume erzeugt anzusehen. Das
Licht des aufleuchtenden Sternes kommt uns nach seiner Reflexion an
den unregelmässig um die Nova zerstreuten Dunst- und Staub-
wolken indirekt zu Gesicht. Diese von Kapteyn und Wolf ausge-
sprochene Ansicht muss als sehr wohl zulässig erachtet werden,
nachdem Seeliger den Nachweis erbracht hat, dass sich kosmische
Staubmassen allerdings durch den Reflex des Lichtes benachbarter
Sterne dem Auge und noch mehr der die schwachen Lichteindrücke
bei langer Exposition summierenden photographischen Platte be-
merkbar machen können. Von dieser Anschauung ausgehend, be-
trachtet Dr. Berberich die Erscheinungen um die Nova näher. »Der
") Astron. Nachr. 157. p. 349.
Pxsteme. 111
Stern war am Abende des 21. Februar 1901 sicher nicht bis zur
4. Gr. gelangt, da er sonst Hartwig, F. Schwab und andern bei
ihren Algolbeobachtungen aufgefallen wäre. Nach Mittemacht, gegen
3 Uhr früh des 22. Februar fand ihn Th. Anderson (Edinburgh) als
Stern 2.7 Grösse. Die Helligkeit erreichte am 23. Februar mit
0.1 Gr. (etwas heller als Gapella) ihr Maximum. Heller als 1. Gr.
war die Nova vom 22. — 25. Februar, also 3 Tage lang, über
2. Gr. blieb sie bis zum 1. März, über 3. Gr. bis zum 6. März und
über 4. Gr. bis etwa zum 24. März. Inzwischen hatten die periodischen
Lichtschwankungen begonnen, bei denen der Stern anfänglich nur
ausnahmsweise kurze Minima unter 4. Gr. zeigte, während er später
nur noch ausnahmsweise zu einem kurzen Maximum 4. — 5. Gr. anwuchs.
Schichtenweise breitete sich das Licht verschiedener Helligkeit
um den Stern aus. Die 3 Tage dauernde, intensivste Strahlung
erfüllte eine Kugelschale von 75 Milliarden km Dicke; die Strahlungen
1.— 2., 2. — 3. und 3. — 4. Gr. folgten in Schichten von 105, 130
und 470 Milliarden km. Insgesamt mass die Eugelschale, welche
ständig sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitend, die Strahlungen
der Nova im ersten Monate ihres Leuchtens in den Raum trug, kaum
0,8 Billioaen km in Dicke, was ungefähr O.Ol der Entfernung des
Sirius von uns ausmacht. Die spätem Strahlungen waren schwerlich
noch ausreichend, um nach ihrer Reflexion an entferntem Nebel-
massen uns noch sichtbar zu sein. Was wir auf den photo-
graphischen Platten wahmehmen, wäre daher der Widerschein jenes
hellem Teiles des Novalichtes an den dunklen Staubwolken in der
Umgebung der Nova. Im Febmar 1902 hatte die äussere Grenze
der hellsten Lichtschicht Gebiete in der Entfernung vom achten Teile
einer Siriusweite erreicht. Innerhalb dieses Raumes müssen jene
sich scheinbar fortbewegenden und ihre Formen verändemden Nebel
sich befinden, und zwar in Gestalt mehr oder weniger ausgedehnter,
durch grosse, leere Zwischenräume getrennter Wolken. Die Ent-
fernung der Nova und der sie umgebenden Nebel von uns berechnet
Bidi zu etwa 30 Siriusweiten. Denn das Licht, das täglich einen
Weg von 175 Erdbahnradien zurücklegt, hatte im Herbste 1901 von
der Nova bis zu den äussersten Novanebeln eine Strecke von etwa
420" in rund 200 Tagen durchmessen. Einem Erdbahnradius ent-
spricht daher der kleine Winkel 0,012", und dies wäre die Nova-
parallaxe, während die Siriusparallaxe nach Gill und Elkin 0,38"
beträgt. Diese Beleuchtungstheorie ist vielleicht nicht ganz zu-
reichend, um alle Erscheinungen an den Novanebeln zu erklären.
So scheint die oben erwähnte, südöstlich der Nova befindliche Nebel-
zonge den letzten Winter hindurch nur eine geringe, jedoch zweifel-
los« Ortsänderung erfahren zu haben. Der hellere Teil des Nova-
tidites musste inzwischen längst weiter fortgeschritten sein und
sdieint sich auch, wie schon gesagt wurde, im Februar 1902 durch
Veränderungen im Aussehen doppelt so weit als die > Zunge c ent-
112 Fixsterne»
femter Nebel geltend gemacht zu haben. Nun dürfte aber kein
triftiger Einwand gegen die Annahme zu erheben sein — im Gegen-
teil, es sprechen viele Erfahrungen der Experimentalphysik dafür,
dass infolge der intensiven Bestrahlung durch das Novalicht in den
Nebeln innere, mit Entwickelung von Eigenlicht verbundene Be-
wegungen oder Molekulanimänderungen ausgelöst wurden, die an
einzehien Stellen begannen und von da sich verhältnismässig langsam
ausbreiteten. Für die südöstliche Nebelzunge glänzte die Nova im
Maximum etwa in der Starke des Vollmondlichtes, wozu vermutlich
eine hohe Wärmestrahlung kam. Noch energischer mag die violette
Strahlung der Nova gewirkt haben. Der Nebel dicht neben der
Nova im Südwesten dürfte einer noch ungefähr hundertmal kräftigem
Strahlung ausgesetzt gewesen sein. Entsprechend längeres und
intensiveres >Nachleuchten< wäre somit bei diesem Objekte leicht
zu erklären. Vielleicht hängt das Auftreten der Hauptnebellinien
in den Spektren neuer Sterne damit zusammen, dass in der nächsten
Nachbarschaft dieser Weltkörper befindliche Nebel zu hellem Auf-
leuchten gebracht worden sind.c Die Vorstellung, dass ein Welt-
nebel zu einem vorübergehenden Aufleuchten veranlasst werden
könnte, ist freilich eine ungewohnte. Indessen macht Dr. Berberich
auf gewisse Wahrnehmungen an Nebelflecken aufmerksam, die kaum
eine andere Deutung zulassen, so besonders die Wahrnehmungen
von Nebeln in der Nähe des Veränderlichen T Tauri. In diesem
Beispiel, sagt er, ist vielleicht eine gewisse Analogie zu dem neuen
Sterne im Perseus und zu den Veränderungen in der Helligkeit und
scheinbaren Lage der Novanebel zu finden, sei es, dass es sich
nur um einfache Lichtreflexe oder aber um Leuchtvorgänge handelt,
die angeregt oder ausgelöst werden durch die Bestrahlung von Seiten
des nahen, lichtschwankenden Sternes. Vielleicht werden durch
exakte Messungen von Nebelhelligkeiten mit geeigneten Instrumenten,
z. B. mit Prof. Deichmüllers Photometer, weitere Beispiele von licht-
änderungen an Nebeln bekannt werden. Zweifellos werden die an
der Nova Persei gemachten unerwarteten Entdeckungen Anlass geben,
beim etwaigen Aufleuchten eines andern neuen Sternes sofort die
Umgebung nach schwachen Nebelmassen zu durchforschen.
Das Spektrum des Nova Persei ist seit Sept 1901 bis
Februar 1902 von P. W. Sidgreaves vielfach photographiert worden.^)
Die sämtlichen (40) Platten zeigen das Spektrum in seinen all*
gemeinen Zügen unverändert; die Linien erscheinen breit und in
ihren relativen Intensitäten nicht geändert
Die Parallaxe von fx Cassiopejae und das Vorhanden-
sein eines entern Fixsternsystemes in diesem Sternbilde.
^) Monthly Notices 62. p. 521.
Fixsterne. 113
Die von L. M. Rutherfurd in Cambridge u. a. hinterlassenen zahlreichen
photographischen Aufnahmen von Stemgruppen bieten ein überaus
wichtiges Material, mit dessen Auswertung die Golumbiastemwarte
in New- York seit mehrem Jahren beschäftigt ist So sind auf
diesen Aufnahmen Vermessungen der Plejaden, der Hyaden u. s. w.
ausgeführt worden, und es hat sich dabei die Verwendbarkeit dieser
schon altem Aufnahmen im günstigsten Lichte gezeigt. In den
neunziger Jahren hat H. Jacoby auch die von Rutherfurd gemachten
Aufnahmen des Sternes fi Gassiopejae und seiner Umgebung bearbeitet
und dabei die Distanzen dieses Sternes von acht benachbarten
Sternen ausgemessen. ^) Er fand dabei als Parallaxe von /i den Wert
0.275" 4: 0.024''. Von den angeschlossenen Sternen zeigte d Gassio-
pejae ein abweichendes Verhalten, welches auf eine merkliche Parallaxe
desselben schliessen liess, die sich zu 0.23" -^ 0.007" ergab. Nun-
mehr hat G^org N. Bauer eine neue Vermessung von 22 Rutherfurdschen
Aufnahmen aus den Jahren 1870 — 1872 ausgeführt^ Seine Messungen
erstrecken sich auf die Bestimmung der Positionswinkel von /i
gegen elf benachbarte Fixsterne, wodurch ebensoviele unabhängige
Bestimmungen des Parallaxenwertes und eine sehr erwünschte Ver-
^eichung mit den Ergebnissen von Prot Jacoby gewonnen wird. Die
elf erhaltenen Werte für die Parallaxe von fi stimmen mit Ausnahme
eines einzigen gut miteinander überein, und dieser abweichende Wert
hat kein grosses Gewicht. Lässt man ihn unberücksichtigt, so schwanken
die übrigen zehn Werte zwischen 0.332" und 0.134", und als wahr-
scheinlichster Wert wird von Bauer angegeben n = 0.247" ± 0.014".
Dies steht in guter Cbereinstimmung mit der von Jacoby gefundenen
Parallaxe für /(, und wir dürfen daraus schliessen, dass die wirkliche
Parallaxe dieses Sternes nur wenig von ^/J' entfernt sein wird. Es
ist interessant, dieses Ergebnis mit den frühern durch direkte
Uessung erhaltenen zu vergleichen. 0. Struve fand für die Parallaxe
von ßi Gassiopejae aus Messungen der Distanz von zwei benachbarten
Sternchen n = 0.251", aus den Positionswinkeln n = 0.425", Peter
in Leipzig aus Heliometermessungen jr = 0.12"; die sonstigen Be-
stimmungen weichen völlig ab und mögen unberücksichtigt bleiben.
Die Bestimmung der Parallaxe liefert auch einen Wert für die Grösse
der jährlichen Eigenbewegung; der Zeitraum, über welchen sich die
photographischen Aufnahmen Rutherfurds erstrecken, ist aber zu kurz,
lUD daraus diese Eigenbewegung mit genügender Schäxfe abzuleiten.
Indessen hat Bauer die Rechnung doch ausgeführt und findet eis
jährliche scheinbare Eigenbewegung des Sternes in Rektaszension
+ 0.3845», in Deklination — 1.519". Dies stimmt mit den auf
direkten Ortsbestimmungen in der Zeit von Bradley bis zur Gegen-
wart beruhenden Ergebnissen sehr gut überein, und man kann an-
*) Gontrib. from the Observ. of Golumbia üniversity New-York No. 5.
•) ibid. No. 18.
Klein, Jahrbacb xm. 8
1 14 FixBteme.
nehmen, dass die scheinbare jährliche Eigenbewegong von fi Gassio-
pejae am Himmelsgewölbe ZJW' beträgt Unter Annahme der obigen
Parallaxe entspricht dies einer linearen (Geschwindigkeit von 70 hm
in der Sekunde. Dies ist aber nicht die wahre Geschwindigkeit des
Sternes, sondern nur der senkrecht zur Gesichtslinie nach der Erde
hin entfallende Teil derselben. Durch die spektralphotographischen
Messungen von Campbell auf der lickstemwarte ist der in die Richtung
der Gesichtslinie zur Erde fallende Teil der Eigenbewegung von fA
Gassiopejae zu — 97 Ärni in der Sekunde ermittelt worden. Die
Kombinierung beider Werte ergiebt daher für die wahre Geschwin-
digkeit dieses Sternes im Welträume 120 A:m in der Sekunde, was die
Geschwindigkeit der Erde um die Sonne vierfach übertrifft Wie
oben bemerkt, zeigt einer der 11 Vergleichssteme für die Parallaxe
ein abweichendes Verhalten, was darauf hindeutet, dass derselbe
ebenfalls eine merkliche Parallaxe besitzt; das Gleiche fand Jacoby
bei dem als Vergleichsstem benutzten Sterne 6 Gassiopejae. Hiemach
ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Sterne mit fi zusammen
ein gemeinsames System bilden, und man kann zu diesen auch noch
den Stern i; Gassiopejae hinzufügen, da dessen Parallaxe nach den
photographischen Messungen von H. S. Davis, die ebenfalls an
Rutherfurdschen Photographien ausgeführt wurden, 0.44'' beträgt.
Sonach befindet sich also in der Gassiopeja in einer Entfernung von
uns, die etwa 8 — 12 Billionen Meilen betragen mag, ein engeres
Stemsystem, bestehend aus mindestens 3 oder 4 Fixsternen.
Untersuehungren ttber die Parallaxe des ZentFalstemes
Im Ungnebel der Leyer hat Burt L. Newkirk angestellt^) Die-
selben beruhen auf Ausmessungen von fünfzehn photographischen Auf-
nahmen mit dem 10 7t -zolligen Refraktor der Sternwarte der Universität
von Minnesota (Vereinigte Staaten von Amerika). Das Bild des
Zentralstemes ist auf allen Platten leicht sichtbar und ist nicht von
dem irgend eines andern schwachen Sternes zu unterscheiden. Es
wurden 16 Vergleichssteme, in 8 Paaren verteilt, benutzt
Die Platten wurden mit dem Repsoldschen Messapparate der
Sternwarte der Universität von Minnesota ausgemessen. Als End-
resultat ergab sich für die Parallaxe der Wert 0.104'' + 0.017.
Im Jahre 1891 wurden Distanz und Positionswinkel des Nebelstemes
von einem (mit a bezeichneten) benachbarten Sterne durch Burnham
mit dem 86-zolligen Refraktor der Lickstemwarte gemessen. Diese
Messungen wurden von Bamard') mit dem 40-zolligen Refraktor
der Yerkesstemwarte in den Jahren 1898 und 1899 wiederholt
Es schien eine Änderung in Distanz und Positionswinkel sich zu
zeigen, und nachher wurden ebensolche Messungen auf photographischen
^) Inaugoral-Dissertation, München 1902.
>) Monthly Notices eo. p. 848.
Fixsterne. 115
Platten von Prof. Leavenworth ^) in lünneapolis und Prof. Scheiner.
in Potsdam veröffentlicht Die Möglichkeit ist also vorhanden, die
ESgenbewegung des Nebels zu bestimmen, sobald die Eigenbewegung
des Sternes a bekannt ist Diese Bestimmung wird möglich durch
Vergleichung einer Reihe von Hall ^ in Washington gemachter mikro-
metrischer Messungen dieser und benachbarter Sterne mit später
wiederholten Messungen derselben.
Daraus ergiebt sich nach der Rechnung von Newkirk, dass der
Stern a keine beträchtliche Eigenbewegung besitzt Auf diesen Stern
bezogen, liegen nun Messungen der Distanz und des Positions-
winkels des Nebelstemes in der Leyer aus den Jahren 1891 — 1899
vor von Bumham, Scheiner und Leavenworth. Die Berechnung
dieser Daten durch Newkirk lieferte für die Eigenbewegung des
Nebelstemes folgenden Wert: in Rektaszension — 0.012" + 0.0012",
in Deklination + 0.10" + 0.029''. Ferner bemerkt Newkirk, dass
der Zentralstem des Ringnebels in der Leyer mit dem Nebel physisch
verbunden ist, werde dadurch einigermassen wahrscheinlich gemacht,
dass fast alle ähnlichen Objekte »Zentralsteme« besitzen. Bei ge-
nauer Fokusiemng hat sich herausgestellt, dass die Einstellungen
für den Zentralstem etwa in der Mitte liegen zwischen denen für
den Nebel und denen für einen gewöhnlichen Fixstern, was beim
Vorherrschen kurzwelliger Strahlen im Nebellichte für die Annahme
einer nebeligen Struktur des Zentralstemes spricht.
Kosmisehe (femeinsame Bewegung der Fixsterne. Aus
der sehr sorgfältigen Vergleichung des Kapkataloges von 8560
Sternen, der demnächst erscheinen wird mit einigen andern Stem-
katalogen, hat Sir David Qill, der als einer der genauesten Beobachter
und in seinen Schlussfolgerungen vorsichtigster Astronom bekannt
ist, eine überaus merkwürdige und weittragende Schlussfolgerung
gesogen.^ Er kommt nämlich zu dem Ergebnisse, dass wahrscheinlich
die heUem und uns im allgemeinen nähern Sterne des Himmels,
hoaptsädilich diejenigen, die man mit blossem Auge sehen kann,
solche Eigenbewegungen zeigen, als wenn sie als Ganzes eine Drehung
um ein gemeinsames Zentmm vollführten. Die entfemtem licht-
schwächem Steme zeigen Bewegungen, die hiermit nicht überein-
stimmen, und die sie als diesem Stemsysteme fremd charakterisieren«
Neue Doppelsterne. William J. Hussey hat auf der Lick-
stemwarte am 36-Zoller eine systematische Durchforschung des
Himmels nach neuen Doppelstemen begonnen. Als Grundlage der-
selben dienen Karten, in welche alle Steme der Bonner Durchmusterung
eingetragen sind. Sobald der in einer dieser Karten dargestellte Teil
') Monthly Notices $L p. 2ß,
^ Astron. Nachr. No. 2186.
>) Astron. Nachr. No. 8800.
116
Fixsterne.
des Himmels durchbeobachtet ist, wird das Datum der Untersuchung
und alles sonst Nötige der Karte beigeschrieben, so dass eine genaue
Kontrolle und Identifizierung der Sterne möglich ist Prof. Hussey
macht darauf aufmerksam, dass, nachdem nimmehr schon eine grosse
Anzahl Sterne unter starken Vergrösserungen und guten atmo-
sphärischen Verhältnissen in verschiedenen Regionen des Himmels
untersucht worden ist, sich bei ihm der Eindruck befestigt habe,
als wenn die engem Doppelsteme, beispielsweise diejenigen mit
Distanzen unter 5", über die ganze Himmelssphäre nicht proportional
der Anzahl der Sterne bis zu einer gegebenen Grössenklasse (hier
bis zu 9,1 Gr.) verteilt seien.^) An gewissen Stellen des HimmelB
könne man alle Sterne bis zu dieser Grösse auf einer beträchtlichen
Anzahl von Quadratgraden des Himmels untersuchen, ohne einen
neuen Doppelstem zu finden, und auch von bekannten fänden sich
dort nur wenige, während in andern Regionen des Himmels die
Zahl der Doppelsteme beträchtlich ist. Das ist nach Hussey wahr-
scheinlich nicht zufällig, sondern hat eine kosmische Bedeutung, indem
vermutlich die Ursachen, welche die Existenz von Doppelsternen be-
dingen oder nicht gestatten, in enormen Räumen des Himmels gleich-
massig walten.
Im ganzen hat Hussey 500 neue Doppelsteme entdeckt und in
5 Verzeichnissen veröffentlicht. Verteilt man dieselben nach der
Distanz ihrer Begleiter in Klassen, so ergiebt sich folgendes:
Distanz des
1. Ver-
2. Ver-
3. Ver-
4. Ver-
6. Ver-
Zu-
Begleiters vom Haupt-
zeich-
zeich-
zeich-
zeich-
zeich-
sam-
steme in Bogensekonden
nis
nis
nis
nis
nis
men
0.25" oder weniger
8
9
5
18
8
38
0.26" bis 0.50"
12
16
12
80
23
93
0.61" bis 1.0Ü"
24
22
20
24
24
114
1.01" bis 2.00"
29
26
25
18
22
120
2.01" bis 5.00"
31
27
88
15
28
139
über 5.00"
1
—
—
l
Neumessungren der Pulkowaer Doppelsterne auf dem
Llckobservatorlum. Wahrend des 19. Jahrhunderts bildete die
Messung der Doppelsteme und die Untersuchung ihrer Bewegungen
einen wichtigen Teil der astronomischen Arbeiten, aber ein halbes
Jahrhundert hindurch war die Zahl derjenigen, die auf diesem Gebiete
thätig waren, nur gering. Bis 1848 war ziemlich alles, was von
Doppelsternbeobachtungen Wert hatte, von den beiden Herschel, dea
beiden Struve, South und Dawes geliefert worden, und das meiste,
was bis 1873 weiter auf diesem Gebiete geschah, bewegte sich in
der Richtung, welche von den genannten Astronomen vorgezeichnet
war. Dagegen wurde während der letztverflossenen 8 Jahrzehnte
^) Lickobservatory Bulletin No. 12.
Fixsterne. 117
das Grebiet der Doppelstembeobachtung durch Entdeckung von fast
4000 neuen Objekten ausserordentlich erweitert, und unter diesen
finden sich gerade die interessantesten Doppelsterne, nämlich solche
mit sehr kurzen Umlaufsperioden. Mit der Zahl der Beobachter ist
auch die Anzahl der Publikationen über Doppelstemmessungen ge-
wachsen, und es ist keineswegs leicht, bezüglich der einzelnen hierhin
gehörigen Objekte festzustellen, was an Messungen darüber überhaupt
vorliegt. Eine Folge davon ist, dass manche Doppelsteme Jahr für
Jahr ziemlich überflüssigerweise gemessen werden, während andere,
bei denen Messungen höchst erwünscht sind, unbeachtet bleiben.
Unter diesen Umständen wäre es von grösster Wichtigkeit, dass die
einzelnen Messungen von Doppelstemen, die jetzt in Hunderten von
Poblikationen zerstreut sind, gesammelt und in geeigneter Form zum
Zwecke praktischer Benutzung gedruckt würden. Ein wichtiger Bei-
trag nach dieser Richtung hin ist von der Lickstemwarte geliefert,
indem dort die Beobachtungen der meist 1841 und 1842 zu Pulkowa
entdeckten Doppelsterne gesammelt und neue Messungen aller im
9. Bande der Pulkowaer Beobachtungen aufgeführten Doppelsteme
angestellt wurden. Seit diese Sterne zuerst von Otto Struve und
Mädler gemessen wurden, ist ein Zeitraum von mehr als 50 Jahren
verflossen und etwa 30 Jahre seit den Beobachtungen Dembowskis.
Während W. J. Hussey auf der Lickstemwarte mit den Vorarbeiten
zu dieser neuen Arbeit beschäftigt war, trat immer deutlicher hervor,
dass dieselbe erheblich an Wert gewinnen würde, wenn sie alle
überhaupt in Pulkowa entdeckten Steme umfasse. Die ursprüngliche
Arbeit würde etwa 1200 neue Beobachtungen erfordert haben, die
in etwa einem Jahre zu gewinnen waren; durch die Ausdehnung
des ursprünglichen Programmes wurde diese Zahl erheblich ver-
grössert In der vorliegenden Publikation^) beträgt die Zahl der
Messungen Husseys 2109, ungerechnet 65 Untersuchungen, in denen
die Steme nur als einfache konstatiert wurden. Die Veröffentlichung
dieser Beobachtungen ist in einer Form geschehen, die sich genau
an diejenige anschliesst, welche Prof. Bumham für die Gesamt-
paUikation seiner Doppelstemmessungen gewählt hat, und die im
1. Band der Publikationen der Lickstemwarte erschienen ist. Als
Instramente für die Beobachtungen dienten der 36-zollige und der
12-aoüige Refraktor der Lickstemwarte, ersterer mit Vergrössemngen
von 270- bis 2600fach, letzterer mit solchen von 175- bis 600fach.
Mdstens wurden Vergrösserungen von 500- bis löOOfach angewandt.
Prof. Hussey giebt im Vorberichte eine genaue Darstellung des Verlaufes
der alten Pulkowaer Arbeiten über Doppelsteme, der wir Nach-
stehendes entnehmen.
Die Sternwarte zu Pulkowa war 1839 vollendet worden und
mit den ausgezeichnetsten Instrumenten der damaligen Zeit, darunter
^) Poblications of the Lickobservatory 1901. b.
118 Fixsterne.
einem 15-zolligen Refraktor von Merz & Maiüer und einem Rep-
soldschen Meridiankreise mit 5.8 zolligem Femrohre versehen. Wilhelm
Struve, der neue Direktor der Sternwarte, stellte als Arbeitsplan
auf: die Ortsbestimmung aUer Sterne 1. — 7. Gr. einschliesslich^
vom Nordpole des Himmels bis zu 15^ südlicher Deklination am
Meridiankreise. Als Vorarbeit hierzu war bei dem damaligen Mangel
genügend vollständiger Himmelskarten eine sog. »Revision« der nörd-
lichen Himmelssphäre erforderlich, und diese wurde vom 26. August
1841 bis zum 7. Dezember 1842 in 109 Beobachtungsnächten durch-
geführt. Es wurde dabei jeder Stern der oben angegebenen Grössen-
klassen am Sucher des 15-zolligen Refraktors eingestellt, seine
näherungsweise Position an den Kreisen des Instrumentes abgelesen
und im Refraktor selbst der Stern an 412facher Vergrösserung genau
daraufhin angesehen, ob er einfach, doppelt oder mehrfach sei.
Struve ging dabei von der Ansicht aus, es würde infolge der starken
Vergrösserung des mächtigen neuen Refraktors mancher Stern, der
im 9-zolligen Dorpater Refraktor früher nicht als Doppelstem er-
kannt worden war, sich als solcher erweisen. Diese Hoffnung er-
füllte sich in der That. Als die Arbeit durchgeführt war, lieferte
sie eine Liste von 514 Objekten, die nicht im Dorpater Kataloge
enthalten waren, und ebenso eine Liste von 256 hellen Sternen mit
entfernter stehenden Begleitern, von denen die meisten früher von
andern Beobachtern notiert worden waren. Im Jahre 184S erschien
der Pulkowaer Katalog,^) und derselbe zerfällt in 2 Teile. Der erste
umfasst alle engen Doppelsteme, der zweite die Sterne mit weiter
abstehenden Begleitern, von denen manche so weit abstehen, dass
sie kaum zu den Doppelstemen zählen können. Bei den neuen
Untersuchungen auf der licksternwarte sind deshalb auch nur die
(engen) Doppelsteme des ersten Teiles des Pulkowaer Kataloges
Iderücksichtigt worden. Im Jahre 1850 erschien eine neue Ausgabe
dieses ersten Teiles,^ welche noch 16 zwischen 1848 und 185(>
entdeckte Doppelsteme enthält Ausserdem waren noch 17 ander-
weitige angezeigt, so dass die Gesamtzahl der Objekte 547 beträgt»
Bei Zusammenstellung der 2. Ausgabe des Pulkowaer Kataloges
hat jedoch Otto Strave 106 Steme zurückgestellt, nämlich alle die-
jenigen, deren Distanz vom Hauptsteme 32" überstieg, und diejenigen,
welche bei einer Distanz von mehr als 16" Begleiter von unter
9. Gr. zeigten; endlich wurden mehrere Steme als sicher irrtümlich
aufgeführt ausgeschlossen. Prof. Hussey hat durch genaue Ver-
gleichung alles vorhandenen Materiales gefunden, dass eine Anzahl
der in Pulkowa entdeckten Doppelsteme schon früher von andern
Beobachtern gefunden worden war, und giebt ein Verzeichnis der-
^) Catalogue de 514 fitoiles Doubles et Multiples decouvert sur Themis-
phere Celeste boreal par la grand lunette de TObserv. Central de Poulkowa*
') Catalogue revu et corrige des fltoiles Doubles et Multiples döcouv.
a rObserv. Centr. de Poalkowa.
Fixsterne. 119
selben. Femer verbreitet er sich eingehend über die systematischen
Messungsfehler bei 0. Strave und die Untersuchungen, durch welche
letzterer zu den Korrektionen gelangte, die er an seinen unmittel-
baren Messungen anbrachte. In dem nun folgenden Verzeichnisse
führt er die einzelnen Sterne nach der Ordnung, wie sie im Pulkowaer
Kataloge stehen, auf und teilt für jeden zunächst seine auf der
lickstemwarte ausgeführten Messungen mit, sowie alles zur Be-
urteilung derselben erforderliche Detail. Daran schliessen sich die
Messungen Stnives, sowie etwaiger anderer Beobachter, so dass das
gesamte über jeden einzelnen Stern vorhandene Material übersichtlich
zur Hand ist
Der Doppelstern 68 Comae Bereniels (2* 1689). Dieser
Stern, dessen Position am Himmel (für 1900,0) ist: a 12^ 19°^ 25 »
i-}- 63® 52', wurde von F. W. Struve 1827 zuerst beobachtet Der
Hauptstem ist 6.7, der Begleiter 7.9 Qr. Damals betrug die Distanz
des Begleiters von seinem Hauptsteme 1.3", sie nahm aber fortwährend
ab und betrug 1889 nach H. Struve nur noch 0.2'', in den folgenden
Jahren war der Stern selbst am 36 -Zoller nur völlig einfach und
nmd. Er^ 1895 konnte der Begleiter wieder gesehen werden, und
1901 betrug die Distanz nach Aitken etwa 0.3". Thomas Lewis
hat alle brauchbaren Messungen gesammelt und daraus die Bahn des
Begleiters berechnet^) Er findet als Zeit des Periastrons 1892.0,
als Umlaufsdauer 180 Jahre, als Exzentrizität der Bahn 0.70 und
als scheinbare halbe grosse Axe derselben 0.71".
Ein neuer Doppelstern mit raseher Umlaufsbewegrungr
des Begleiters wurde am 36-zolligen Refraktor der Lickstemwarte
entdeckt. Er steht im Sobieskischen Schild in a 18^» 33"» 9»
a_30 i7# (für 1900) und besteht aus 2 Sternen 6.9 und 7.1 Grösse.
Nach den Messungen von Aitken beträgt die Distanz nur 0.13"; der
Positionswinkel des Begleiters ändert sich rasch, wie folgende
Messungen des genannten Astronomen zeigen:
1900.46 p = 8580.2
1901.56 838.8
1902.66 818.1.
Der Stern 88 Aquarii als Doppelstern. Dieser Stern
6. Grösse, dessen Ort am Himmel ist a 22^* 59"^ 57» d — S^W
(für 1900), erschien bei der Untersuchung durch den 12-zolligen Re-
fraktor der Lickstemwarte in der Nacht des 29. Juli 1902 augenschein-
lich länglich. Am 16. August imtersuchte ihn deshalb R. G. Aitken
not dem 36-zoUigen Refraktor und erkannte ihn jetzt deutlich als
Doppelstem. Diese beiden Komponenten sind nahezu gleich hell und
6. Grösse, ihre Distanz voneinander beträgt nur 0.19''.
') Monthly Notices 62. p. 200.
120 Fixsterne.
Die Bewegttngsverliältiilsse im Steragysteme 70 Ophiachi.
Dieser Doppelsiem wurde als solcher schon von Christian Mayej
erkannt Sein Ort am Himmel ist (für 1900.0) a: 18^ 0'
d: -{- 2^ SB'. Der Hauptstem ist 4. Grösse und gelblich, der Be-
gleiter 6. Grösse und rot. Dieses Doppelsystem hat den Ver-
suchen einer Bahnbestimmung des Begleiters stets grosse Schwierig-
keiten bereitet Die bedeutende Helligkeit der beiden Komponenten,
sowie die rasche Eigenbewegung von 1.2'' im Jahre liessen auf eine
geringe Entfernung des Systemes schliessen, was auch durch die
Parallaxenmessungen bestätigt wurde, und so hatte man die Hoffnung
gehegt, gerade bei diesem Systeme eine besonders genaue Bahn-
bestimmung durchfuhren zu können. Diese Hoffnung wurde aber
getauscht, und keine der vielen berechneten Bahnen reichte hin, die
Bewegungsverhältnisse dieses interessanten Stempaares darzustellen.
Als Schur seine ersten Untersuchungen darüber durchführte, konnte
er bereits ein Verzeichnis von vierzehn frühem Bahnbestimmungen zu-
sammenstellen.^) Seither hat sich diese Zahl noch bedeutend vermehrt.
Der Vergleich der einzelnen Elemente lässt sofort erkennen,
welche bedeutenden Unterschiede sich namentlich bei den früher
berechneten Bahnen finden. Die Beobachtungen der Jahre 1818 —1823
und 1823 — 1827 zeigen ein so verschiedenes Verhalten, dass, je
nachdem auf die erstem oder die letztem das grössere Gewicht
gelegt wird, die Bahn sehr verschieden ausfällt Mit dem Hinzu-
kommen der spätem Beobachtungen tritt natürlich das Gewicht
der frühern mehr und mehr zurück, und die Elementensysteme werden
ähnlicher. In den Umlaufszeiten aber bleibt ein auffallender Gang.
Da infolge dieser merkwürdigen Erscheinungen 70 Ophiuchi ein
Gegenstand der aufmerksamsten ununterbrochenen Beobachtung war,
so konnte Schur, als er seine 2. Untersuchung begann, über eine
stattliche Anzahl von Beobachtungen verfügen. Unter diesen Um-
ständen musste es natürlich Wunder nehmen, dass auch diese Bahn-
bestimmung, welche auf ein so umfassendes Material gegründet war,
schon nach wenigen Jahren bedeutende und unerklärliche Abweichungen
im Positionswinkel zeigte. Es war daher sehr naheliegend, hier den
störenden Einfluss einer dritten unsichtbaren Masse zu vermuten,
worüber sich schon bei Mädler eine Äusserung findet^ Wenn
es auch nicht bezweifelt werden kann, dass eine Bahnbestimmung
nach den Keplerschen Gesetzen wieder die grossen Differenzen ver-
schwinden lassen wurde, so ist doch damit nicht erklärt, warum
die frühem Bestimmungen, speziell die Schursche, dies nicht auch
leisten, nachdem doch das Beobachtungsmaterial nach gewöhnlichem
Massstabe weitaus ausreichend wäre.
Der erste, der den Versuch machte, die Bewegungsverhältnisse
*) Afitron. Nachr. 7L
^ Astron. Nachr. 19.
Fixsterne. 121
einer dritien Masse in diesem Systeme festzustellen, war Jacob, ^)
doch wurde damals wenig Gewicht darauf gelegt Erst in neuester
Zeit, als sich die Abweichungen von der Schurschen Bahn gezeigt
hatten, griff See wieder auf diese Hypothese zurück. Danach soll
die 3. Masse in einer engen Bahn um den Hauptstem kreisen mit
einer Umlaufszeit von 36 Jahren.
Die Elemente, von denen See ausging, waren durch einen An*
schluss an die Distanzen allein gewonnen worden.^ Doolitüe, der
die nötigen numerischen Rechnungen durchführte, machte einen zweiten
Versuch, indem er die Elemente aus Distanzen und Positions-
winkelngleichmässig herleitete. Er fand so für den 3. Körper eine
etwas längere Periode. Nach den Untersuchungen von Moulton*)
ist aber die Stabilität dieses Systemes stark in Frage gestellt, da sich
die lange Umlaufszeit mit der grossen Masse, die der 3. Körper
haben muss, nicht vereinbaren lässl
Bumham hat auch bei seinen Nachforschungen mit dem 18-zolligen
Dearborn- und dem grossen Lickrefraktor von einem 3. Sterne in der
Nähe der beiden andern nichts entdecken können.
Dr. Adalbert Prey hat nun abermals versucht,^) die Anomalien der
Bewegung in diesem Stemsysteme durch die anziehende Wirkung
einer dritten, unsichtbaren Masse zu erklären, jedoch macht er dabei
die Annahme, dass diese 3. Masse sich nicht um eine der sicht-
baren Komponeoten des Doppelstemes bewegt, sondern um den Schwer-
punkt beider eine Bahn von sehr grossem Halbmesser beschreibt.
Er nimmt diesen Halbmesser sogar so gross an, dass die Umlaufs-
dauer des 3. Körpers, also seine Ortsveränderung, überhaupt nicht
in Betracht kommt Diese, die Rechnung vereinfachende Annahme
lässt die Untersuchung eigentlich in dem Lichte einer Prüfung der Zu-
lässigkeit dieser Hypothese überhaupt erscheinen, führt aber schliesslich
zu einer Bejahung derselben. In späterer Zeit müssen die Rechnungen
unter den jetzt gewonnenen Gesichtspunkten wiederholt werden.
Nach Aufstellung der zur Berechnung nötigen Formeln giebt
Dr. Prey zunächst eine Zusammenstellung der bisher vorliegenden
Beobachtungen, wobei er das von Schur zusammengestellte Material
benutzt und es durch die seitdem gewonnenen Beobachtungen ver-
mehrt Auch für die Bahnelemente wurde das von Schur berechnete
System als Ausgangspunkt gewählt und für die fernem Rechnungen
27 Normalpositionen des Begleiters gebildet, die den Zeitraum von
1790 — 1898 umfassen. Nach wiederholten Ausgleichsrechnungen
kommt Dr. Prey zuletzt zu folgenden Bahnelementen, die er als
definitive bezeichnet:
>) Monthly Noticee 15.
*) Astron. Journal 16.
*) Astron. Journal 20.
«) Denkschriften d. mathem.-naturwiss. Klasse d. Kaiserl. Akad. d.
Wies, in T^en 72. p. 77 ff.
122 Fixsterne.
Halbe grosse Axe der Bahn a = 4.4879"
Exzentrizitätswinkel 9 = 29.372^
Neigung der Bahn gegen Himmelskugel »>o: 56.788*
Positionswinkel der Knotenlinie i2=120.867<^
Winkel zwischen der Apsiden- und der Knotenlinie . w = 169.771®
Mittlere jährliche Bewegung des Begleiters .... /»«« 4.18568®
Die Umlaufszeit des Begleiters beträgt hiemach 87.1 Jahre.
Dr. Frey giebt nun weiter die bei Berechnung der Darstellung ver-
wendeten Werte der Störungen, die sich aus diesen Elementen ergeben,
und zeigt, dass die Positionswinkel genügend dargestellt werden,
selbst die bedeutende Abnahme derselben von 1897 auf 1900 spiegelt
sich in der Rechnung wieder. Weniger gut werden die Distanzen
dargestellt, und es muss unentschieden bleiben, ob diese Abweichungen
reell sind oder nicht. Was die 3. Komponente des Systemes an-
belangt, so findet Dr. Prey es nicht unwahrscheinlich, dass ein von
Secchi und DoolitÜe beobachteter Stern, dessen Eigenbewegung
nahezu gleich der des Hauptstemes von 70 Ophiuchi erscheint, diese
3. Komponente sein könnte. Die nächste Aufgabe wird also darin
bestehen, durch Eigenbewegungs- oder Parallaxenbestimmungen fest-
zustellen, ob dieser Stern wirklich zum Systeme von 70 Ophiuchi gehört
Die Bahn des Doppelsternes ß Delphini. Dieser von Bum-
ham 1873 entdeckte sehr enge Doppelstem hat den Beobachtungen
zufolge seit jener Zeit bereits einen vollen Umlauf um den Schwer-
punkt der beiden Komponenten ausgeführt Die grösste gemessene
Distanz beider voneinander ist etwa 0.7", die geringste 0.2'', so dass
für die stärksten Femrohre das System inuner messbar blieb. Auch
ist dieser Doppelstem sehr fleissig beobachtet worden, und selbst
eine Anzahl von Bahnberechnungen darüber liegt vor. Die beiden letzten
derselben, von See 1895 und von Bumham 1898 veröffentlicht,
stimmen gut überein mit Ausnahme der halben grossen Axe der
Bahn. R. G. Aitken hat jetzt eine neue Bahnberechnung veröffentlicht,^)
bei der er sich auf neuere Beobachtungen besonders von Bumham
und Schiaparelli stützen konnte. Indem er von den durch See be-
rechneten Bahnelementen ausging und alle bessern Beobachtungen
mit denselben verglich, leitete er 6 Normalwerte für die Positions-
winkel des Begleiters in dem Zeiträume von 1876 — 1899 ab und
fand daraus rechnerisch folgende Bahnelemente desselben:
Zeit des Periastrums 1888.10
Umlaufsdauer 27.66 Jahre
Exzentrizität 0.868
Halbe grosse Bahnaxe 0.475
Knoten 178.90« .
Neigung 60.90
Winkel der grossen Axe mit der Knotenlinie 851.96.
Der Wert für die scheinbare Grösse der halben grossen Axe der
Bahn wurde aus verschiedenen Normalwerten von durch Bunham,
') Astron. Society of Pacific 1902. No. 86. p, 158.
Fizgteme.
128
Bamard, Schiaparelli, Comatocki Hussey und Aitken gemessenen
Distanzen des Begleiters abgeleitet Gemäss diesen Bahnelementen
mnss die Distanz des Begleiters vom Hauptsteme anfangs 1903 etwa
0.48'' betragen, dann aber bis 1907 auf 0.19" abnehmen.
Neue spektposkopisehe DoppelBterne. Auf der Lickstem-
warie sind mit Hilfe des Millsschen Spektrographen weitere 6 Sterne
mit veränderlicher Eigenbewegung in der Gesichtslinie zur Erde ent-
deckt worden. Dieselben sind also spektroskopische Doppelsteme,
und Prof. W.W. Campbell macht darüber folgende Mitteilungen.^) Es
bedeutet dabei — Annäherung an die Erde, -|- Entfernung von der-
selben in der Sekunde.
9 Persei (a = Ih 37», 8 = + W^ W)
Die veränderliche Greschwindigkeit dieses Sternes wurde bei der
2. Aufnahme entdeckt
Datum Geschwindigkeit
1898 September 5. . . — 2 km
1900 Dezember 16. . . 4-24 <
1900 Dezember 16. . . +2S €
1901 Oktober 15. . . — 10 <
1901 November 11. . . - 12 <
Das Spektrum des Sternes zeigt helle Wasserstofflinien, von
denen Hß von Espin zuerst gesehen worden ist Die Linie H^ kann
vielleicht am treffendsten beschrieben werden als schmale Absorptions-
linie mit sehr hellen Rändern. Die Messungen bezogen sich auf die
Mitten der dunklen Linien.
^ Geminonim (a = 6^ 9». ^ = -}- 22» 830
Hierüber liegen folgende Aufnahmen und Messungen vor:
Datum
Geschwindigkeit
1900 Januar 15. ... -f
15.8 Am
- < 15. .
-.
•14.0 ^
- « 21. .
..
15.0 <
1901 Oktober 13. . .
--
-22.1 <
— November 6.
■20.3 i
— Dezember 4.
■22.8 <
1902 Februar 2. .
, - -
■25 <
- € 2. .
-.
-28 <
Die veränderliche Geschwindigkeit wurde auf der 3. Platte ent-
deckt
r Canis minoris (o = 1^ 28™, ^ = + 9« 80
Folgende Aufnahmen und Messungen über diesen Stern liegen vor:
Datum Geschwindigkeit
1900 Oktober 29. . . .
- - 44 ICM
- «29..
--44 <
1901 November 6.
--41 <
— 1 6.
--40 «
— Dezember 22.
--54 .
- « 22.
--68 «
- « 80.
-^50
K
f) Lickobservatory Bulletin No. 20.
124 Fixsterne.
C Herculis (a = Ißh 38m, S = 4.310 47)/
Im Mai und Juni 1893 haben Belopolslr)r zu Pulkowa, Campbell
auf der lickstemwarte und Newall zu Cambridge die radiale Ge-
schwindigkeit dieses Sternes spektrographisch bestimmt Die Messungen
Belopolskys in den Monaten Mai und Juni 1893 ergaben im Mittel:
— 70.4 km. Diejenigen von Campbell im April 1897, sowie im Mai
und August 1898 lieferten den Wert — 70.1, endlich die von Newall
im Juni 1897, Mai 1898 und April 1899 ergaben im Mittel — 71.4 km.
Diese sämtlichen Aufnahmen zeigen keine Spur von Veränder-
lichkeit der Geschwindigkeit des Sternes. Die jüngsten Beobachtungen
auf der Lickstemwarte ergaben dagegen folgendes:
Datum Geschwindigkeit
1901 Juü 1 —74 km
— « 1 —73.9 «
— August 6. ... — 75.8 €
1902 April 13 —74.2 c
Mittel — 74.6ÄW
Demnach hat sich die Geschwindigkeit des Sternes seit 1898
um 4 km geändert. Dieser Stern ist auch ein optischer Doppelstem,
dessen Begleiter etwa 33 Jahre Umlaufsdauer hat.
o Equulei (a = 211» lim. ^ = + 4» 5O0
Die veränderliche Geschwindigkeit dieses Sternes wurde gemäss
der dritten der nachstehend erwähnten Beobachtungen erkannt:
Datum Geschwindigkeit
1900 Juni 25. . . .
— 26 fem
— Juli 18. . . .
— 22 «
1901 Juni 25. . . .
— 2 €
— September 1. .
— 14 €
— Oktober 15. . .
— 12 c
1902 Juni 2
-26 €
Der Stern hat, wie zuerst Miss Maury gefunden, ein zusammen-
gesetztes Spektrum.
0 Andromedae (a = 22ii 57ni, ^ = + 41« 471
Die folgenden Aufnahmen undMessun
gen über diesen Stern liegen vor :
Datum
GeBohwindigkeit
1900 Oktober 9. . . .
— 11 km
— Dezember 17. .
-15 «
— € 17. . .
— 17 €
1901 Juni 25. . . .
— 20 <
— August 12. . .
— 12 «
Die Messungen beziehen sich auf die ausgezeichnet hervortretende
Uy-Linie, Wie Miss Maury zuerst gefunden, hat auch dieser Stern
ein zusammengesetztes Spektrum. Schliesslich bemerkt Prof. Campbell:
Vor Entdeckung von 38 spektroskopischen Doppelsternen mit Hilfe
des Millsschen Spektrographen sind drei andere von Belopolsky in der
nämlichen Liste von Sternen gefunden worden, im ganzen 41 unter
350 untersuchten Fixsternen. Das Verhältnis ist also ein spektro-
skopischer Doppelstern auf etwa 8 Sterne, eingerechnet die vermutlich
doppelten, aber noch nicht bestätigten Sterne. Hieraus darf man
schliessen, dass möglicherweise Sterne, welche keine spektroskopischen
Doppelsterne sind, zu den Ausnahmen gehören.
Fixsterne. 125
Das spektroskopische Doppelsternsystem Hizar. Im
Jahre 1901 hatte Prof. Vogel der Königl. Preuss. Akademie der Wissen-
schaften eine Abhandlung vorgelegt, in welcher aus den Messungen
der sich zeitweise verdoppelnden Linien im Spektrum des Hauptstemes
des Doppelstemes C Ursae majoris (Mizar) unter der Voraussetzung,
dass diese Erscheinung durch einen periodischen Umlauf zweier
Sterne mit nahezu gleichen Spektren gedeutet werden kann, vorläufige
Bahnelemente dieser Sterne abgeleitet worden waren. ^) Die früher
aus Beobachtungen auf der Sternwarte des Harvard College ge-
wonnenen Anschauungen über dieses schon längere Zeit bekannte
spektroskopische Doppelstemsystem sind durch jene zu Anfang 1901
am Astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam angestellten Be-
obachtungen wesentlich umgestaltet worden.
Die von Prof. Vogel ausgeführten Messungen bezogen sich auf
25 Spektrogramme, die zwischen März 24. und Mai 1. an 22 Abenden
von Dr. Eberhard und Dr. Ludendorff mit einem neuen, von Vogel
konstruierten Spektrographen, der in Verbindung mit dem photo-
graphischen Refraktor des Observatoriums von 33 cm Objektivöffnung
gebracht worden war, angefertigt worden sind. Bei den ausser-
ordentlich günstigen Witterungsverhältnissen im Frühjahre 1901 konnten
aber bis zum 23. Juni noch weitere 30 Spektrogramme an eben-
sovielen Abenden von den genannten Astronomen zu Potsdam auf-
genommen werden, deren Ausmessung dann Geh.-Rat Vogel vor-
genommen hat Die Resultate dieser Messungen, über die er nunmehr
berichtet, ^ geben eine schöne Bestätigung der früher erhaltenen,
und damit haben die Beobachtungen über diesen interessanten Doppel-
stem einen gewissen Abschluss erlangt Erst nach Verlauf grösserer
Zeiträume werden genauere Werte über die Periodendauer und über
etwaige Veränderungen im Elementensysteme erlangt werden können.
Über die Aufnahmen bemerkt Prof. Vogel, dass es recht schwierig
gewesen sei, die richtige Expositionszeit einzuhalten, und dass nur
bei besonders vorsichtiger Entwickelung schöne, zur Messung ge-
eignete Platten erhalten werden konnten. Die mit Ausnahme der
Wasserstofflinien äusserst zarten Linien im Spektrum würden bei
kraftiger Entwickelung leicht überdeckt Am stärksten sei die
Magnesiumlinie 3i 4481. Wenn die Linien doppelt erscheinen, pro-
jizieren sie sich auf dem hellen Spektralgrunde des Spektrums des
andern Sternes und würden dadurch meist so schwach, dass die
Messungen grosse Schwierigkeiten bereiten. Ausser bei den Magnesium-
linien sei es nur noch in einzelnen Fällen bei einigen Eisenlinien
gelungen, Messungen der Linienabstände auszuführen. Wenn die
Spektra nahezu zusammenfallen, so treten die Linien deutlicher hervor,
sind aber immer etwas verwaschen und bei der Messung sehr schwer
*) Vergl. über diese Abhandlung dieses Jahrbuch 12. ^. 97.
*) Societe Hollandaise du Sciences ä Harlem Extrait des Archives
Keeriuidaises des sciences exactes et naturelles 1901. p. 661.
126
Fixsterne.
aufzofaBsen. Derartige Aufnahmen sind nach Vogel zoi Bestimmnng
der Bewegung des Systemes in der Gesichtslinie am geeignetsten;
die zu erlangende Messungsgenauigkeit sei jedoch im Vergleiche mit
Messimgen an Platten von den Spektren anderer Sterne, die mit dem
vorzüg^chen Apparate aufgenommen worden waren, wenig befriedigend.
Prof. Vogel kann nur die in seiner ersten Publikation über Mizar
über diesen Punkt gemachte Bemerkung wiederholen: >es mag das
darin begründet sein, dass bei der nicht vollkommenen Deckung der
Spektra die Komponenten verschiedener Linienpaare nicht dieselben
Intensitatsunterschiede besassen, dass also bei einer der einfach
erscheinenden Linien die mehr nach Rot gelegene Komponente die
stärkere, bei einer andern Linie die mehr nach Violett gelegene
Komponente die stärkere war und dadurch eine verschiedene Auf-
fassung der Linienmitte verursacht wird.c
Für die Bewegung des Systemes in der Sekunde relativ zur
Sonne erhielt Prof. Vogel folgende Werte aus seinen Messungen.
Bewegnng
Bewegung
Datum
relative
Datum
relatiTe
1901
ZOT Sonne
1901
zur Sonne
km
km
April 5
• 5
— 15.5
— 17.2
April 27
Mai 17
— 12.7
— 11.7
. 16
-16.9
. 18
— 11,5
. 17
— 18.0
. 29
— 16.8
. 18
— 17.9
Juni 5
— 12.7
. 20
-19.6
. 6
-12.6
. 21
— 14.7
, 7
-11.6
. 23
-16.1
. 8
— 10.8
. 26
-16.1
. 9
Mit
— 11.4
tel - 14.2
Über die Verschiedenheit des Aussehens der Komponenten der
Magnesiumlinie auf verschiedenen Aufnahmen hat Prof. Vogel auch
schon in dem ersten Berichte über die Beobachtungen von Mizar
gesprochen. Die weitem Beobachtungen haben keine Entscheidung
darüber bringen können, dass die Veränderungen mit der Periode in
Zusammenhang ständen.
»Seltene, sagt Prof. Vogel, »sind die Komponenten der Magnesium-
linie in Bezug auf Intensität und Breite gleich, gewöhnlich ist die
brechbarere der Komponenten die breitere; nach einer Deckung der
Spektra hat mit Bestimmtheit kein Wechsel im Aussehen nach-
gewiesen werden können. Unter den neuern Beobachtungen sind
einige, bei denen beide Komponenten wieder doppelt sind. Die
Linien der 2 Linienpaare sind dann sehr scharf und schmal Die
Ungleichheiten als zufällige Veränderungen im Korne der photo-
graphischen Schicht anzusehen, scheint wohl ausgeschlossen, da die
Fixsterne. 127
Ungleichheiten im Aussehen der Magnesiumlinien sich auch zuweilen
in demselben Sinne bei einigen Eisenlinien zeigen, freilich» wegen
der Schwäche derselben, nur mit geringer Sicherheit. Es scheint
mir aber die Annahme nicht ausgeschlossen, dass bei den stark
▼ariierenden Abständen der beiden Körper bei ihrer Bewegung um
einander (16 — 51 Millionen km) gegenseitige Störungen in den
Atmosphären der Weltkörper entstehen, die zeitweilig Umkehrungs-
erscheinungen oder Verbreiterungen zur Folge haben, c
Aus dem Vorstehenden geht zur Genüge hervor, dass die
Messungen aussergewöhnlich schwierig sind, und Prot Vogel schätzt
ans der Übereinstimmung der einzelnen Beobachtungen deren Sicher-
heit auf J^ 5 km,
»Die Periode ergiebt sich aus sämtlichen Beobachtungen 0.1 Tag
kleiner, als nach den ersten Beobachtungen angenommen worden war.
Sie wird wahrscheinlich zwischen 20.5^ und 20.6^ gelegen sein,
und unter dieser Annahme und der Voraussetzung, dass die auf
dem Astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam 1889 Mai 25.49
und 1890 Juli 9.45 erhaltenen Spektrogramme von Mizar,^) auf denen
die Magnesiumlinie X 4481 scharf erscheint und noch mehrere
schmale Linien zu erkennen sind, nicht weit von der Zeit der Deckung
der Spektra erhalten wurden, lässt sich ein Anschluss an die frühern
Beobachtungen machen. Die 9 Beobachtungen aus den Jahren 1889
mid 1890 stinmien unter sich und im Anschlüsse an die Zeit der
Deckung der Spektra 1901 Aprü 7.7 mit der Periode 20.55* gut
überein. c
Mit Benutzung der sämtlichen Beobachtungen und unter An-
nahme der Periodendauer zu 20.5* ergiebt sich nach der Methode
von Lehmann-Filhes nachstehendes, von Dr. Eberhard berechnetes
Elementensystem, das nur wenig von dem früher abgeleiteten abweicht:
T« » 1901 März 28.82 m. Zt. Potsd. (Relat. Bew. im Visionsradius = 0).
T == 1901 März 29.01.
Exzentrizität der Bahn = 0.521.
Halbe grosse Aze der Bahn = 83 Millionen km.
Gesamtmasse beider Sterne = 3.6 Sonnenmassen.
Ist die Bahnebene gegen die Gesichtslinie geneigt, so sind die
wahren Dimensionen entsprechend grösser.
Der spektroskopische Doppelstern ß Cephei. Auf der
Terkesstemwarte wurden während des letzten Winters von W. S.
Adams am Brucespektrographen Photogramme von ß Cephei er-
halten, über deren Ausmessung durch Adams und Edwin B. Frost
letzterer berichtet*)
Das Spektrum ist im allgemeinen ein solches des Oriontypus
Vogels Klasse Ib oder Miss Maurys Klasse III a, von welcher Gruppe
^) PubL des Astrophys. Obs. 7 I. Teil p. 144.
*) Astrophys. Journal 1902 June. 15. No. 5 p. 340.
128 Fixsterne.
das Spektrum des Sternes ß Ganis minoris als typisch betrachtet
werden kann. Die HaupÜinien des Spektrums auf den obigen Platten
gehören dem Sauerstoff, Silicium, Helium und Magnesium an und
sind ziemlich breit, obgleich schärfer als in manchen Untergruppen
dieses Sterntypus. Die Messungen von 6 Platten, die in der Zeit
vom 18. Dezbr. 1901 bis zum 16. April 1902 aufgenommen wurden,
lieferten für die Geschwindigkeit des Sternes in der Gesichtslinie
zur Erde Werte, die zwischen — 4 und + 20Ä»i pro Stunde schwanken.
Es kann also kein Zweifel bestehen, dass diese Geschwindigkeit ver-
änderlich ist, d. h. dass der Stern sich in kurzer Periode um einen ihm
benachbarten Punkt bewegt, also ein spektroskopischer Doppelstern ist.
Um die Dauer seiner Umlaufsbewegung zu ermitteln, hat Prof. Frost
noch 5 Platten ausgemessen, die in der Zeit vom 23. April bis
23. Mai erhalten worden sind. Dieselben ergaben das merkwürdige
Resultat, dass am 14. Mai innerhalb 5.5 Stunden die sekundliche
Geschwindigkeit des Sternes sich von — 2.2 bis — 16.3 km änderte,
so dass die Umlaufsperiode nur kurz sein kann, doch müssen neue
Aufnahmen gemacht werden, um für die Dauer derselben einen be-
stimmten Wert angeben zu können.
Die Bewegrung von % Cygrnl in der Gesichtslinie zur
Erde. Auf dem Astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam hat
Dr. G. Eberhard am dortigen 32.5 zentimetrigen photographischen
Refraktor diese Bewegung mit einem vorzüglichen Spektrographen
untersucht^) Dieser veränderliche Stern hat ein recht schwaches Ab-
sorptionsspektrum, über welches ein Emissionsspektrum aus den sehr
hellen Wasserstoff- und einigen schwachem Eisenlinien gelagert ist.
Es wurden die hellen H}/-Linien und die Eisenlinien X 4308 gemessen.
Auf Grund dieser kommt Dr. Eberhard zu dem Ergebnisse, dass die
Bewegung desjenigen Teiles von % Cygni, welcher helle Linien besitzt,
konstant gleich — 20 /;m in der Sekunde relativ zur Sonne ist. Die
Bewegung des Teiles, welcher das kontinuierliche Spektrum mit dunklen
Linien besitzt, ergab sich zu -|- 2.4 km. Dr. Eberhard fügt noch
hinzu: »Sehr bemerkenswert ist, dass % Cygni das gleiche Verhalten
wie o Ceti zeigt, nämlich dass bei beiden Sternen das Emissions-
spektrum eine Verschiebung nach Violett gegen das Absorptions-
spektrum hat, während es bei den neuen Sternen umgekehrt zu sein
pflegt Von X Cygni sind 1899 Juni 1 (90 m Exposition) und Juni 9
(150 m Exposition) von Dr. Ludendorff und mir 2 Aufnahmen ge-
macht worden, die Hy, H<J, Hf, H#, H* hell zeigen, Hc fehlt in-
folge der starken Calciumabsorption. Hd ist bei weitem die stärkste
Linie. Zu diesen kommt noch eine helle Linie mit der Wellenlänge
3905.8 hinzu, welche also mit der Hauptlinie des Bogenspektrums
von Silicium 3905.7 (Rowland) koinzidiert Ich habe diese inter-
M Astron. Nachr. No. 3769.
Fixsterne. 129
essante Thatsache weiter verfolgt und gefunden, dass auch in einer
von Dr. Ludendorff und mir gefertigten Spektralaufnahme von Mira
Ceti aus dem Jahre 1899 diese Linie vorkami wie sie auch zweifellos
in altem Aufnahmen dieses Sterns von Vogel gemessen worden ist
(1 3906). Dass die helle H^-Ldnie nicht vorhanden war, obwohl
Miss Maury dieselbe konstatiert hat, ist darauf zurückzuführen, dass
sowohl für den photographischen Refraktor, als auch für den eben
erwähnten Spektrographen Licht dieser Wellenlänge zu weit ab vom
Fokus der sonst benutzten Spektralgegend (Ry bis H^) vereinigt wird.
Zum Schlüsse möchte ich noch anführen, dass die hellen Linien
Uy^ Hd und Fe X 4308 ihre Intensitäten in verschiedener Weise
änderten. Von August 2 bis September 19 ist Hd beträchtlich
heller als Hy, von Oktober 3 bis Oktober 15 sind H^ und Rd wenig
voneinander verschieden, Oktober 26 sind sie einander gleich, No-
vember 9 und 23 ist Ey heller als US.
Die Fe-Linie X 4308 nimmt dagegen an Helligkeit zu, je schwächer
der Stern wird. Während sie August 24 und 31 bei einer Exposition
von 60 Minuten noch nicht vorhanden war, tritt sie von September 7
an bei gleich langer Belichtung schon hervor, und in dieser Stärke
etwa blieb sie bis zur letzten Platte, auf welcher sie mit Uy gleich
hell ist. Die andern hellen Fe -Linien, z. B. X 4202, waren bei den
gewählten Belichtungszeiten nur äussert schwach sichtbar, jedenfalls
nicht messbar.« Die bisher erhaltenen Resultate veranlasste Dr. Eber-
hard, die spektrographischen Untersuchungen über x ^Yff^ auch in
der nächsten Erscheinung fortzusetzen.
Sternhaufen und Nebelflecke.
Der allsremelne HelligkeltselndFuck von Sternhattfen.
Die Frage, wie weit die beobachtete Gesamthelligkeit eines Stemhaofens
(Comiiliis) durch Summierung der Helligkeiten der einzehien Sterne, welche
denselben bilden daigestellt werden kann, ist von Dr. J. Holetschek ein-
g^end behandelt worden.^)
Zar Bestimmung des Helligkeitseindrackes eines Sternhaufens bietet
sieb, wie Dr. Holetschek einleitend hervorhebt, die bekannte Wahrnehmung
dar, dass mehrere Sterne, falls sie einander hinreichend nahestehen, für das
Auge als ein einziges Objekt erschemen können, zu welcher noch die andere
hinsalritt, dass auch schwächere, einzeln nicht sichtbare Sterne wenijgstens
in ihrer Yereinigung gesehen werden können, falls sie nicht nur hinreichend
nahe aneinander stehen, sondern auch genügend zahlreich sind. Diese Er-
Hcheinung lässt sich zur Bestimmung des Helligkeitseindruckes in der Weise
benutzen, dass man den Cumulus mit dem schwächsten optischen Instru-
mente, in welchem er noch sichtbar ist, eventuell auch mit blossen Augen
>) Mathem.- natnrw. Klasse der Kais. Akad. der Wissensch. in Wien
Dezember 1901. 110. Abt Ha.
Klein, JahrbaehXm. 9
130 Sternhaufen und Nebelflecke.
betrachtet und diejenigen Fixsterne angiebt, welche so leicht oder so schwer
wie der Cumulus gesehen werden können. Auch die Verschiedenheit der
Schärfe der Augen liefert noch eine Fortsetzung der Skala, denn was vom
Femrohre, gilt in dieser Beziehung auch vom Auge: Ein schärferes unter-
scheidet oder trennt, ein schwächeres unterscheidet nicht, sondern vermengt,
trennt nicht, sondern vereinigt Infolgedessen ist ein schwächeres Auge
im Stande, auch von relativ weit ausgebreiteten Sternhaufen, z. B. von der
Plejadengruppe, ja sogar von der Coma Berenices oder von den Sternen im
Kopfe der Hydra, den GesamtheUigkeitseindruck wenigstens angenähert zu
bestimmen. Es brauche, fährt er fort, aus diesem Grunde aucn gar nicht
zu überraschen, dass ein schwächeres Auge einen Sternhaufen im allgemeinen
grösser sehe, allerdings minder deutlich, als ein schärferes; es zeifft sich,
ier dasselbe, was bei der Betrachtung eines Kometenkemes mit Instru-
menten von verschiedener optischer Kraft beobachtet wird. Mit stärkerem
Instrumente und starkem Vergrösserungen lassen sich von dem Keme mehr
Hüllen trennen, und man sieht ihn deshalb kleiner als mit einem schwachem,
das die Hüllen mit dem Keme zu einem einzigen, viel ansehnlichem Körper
vereinigt
Beim Beobachten eines Sternhaufens mit successive schwachem In-
strumenten rücken die Sterne optisch immer näher zusammen und ver-
einigen sich schliesslich zu einem einzigen Gestime. Doch werden solche,
die zu weit abstehen, zu lichtschwach oder zu wenig zahlreich sind, in
schwachem Instmmenten unsichtbar, ohne sich früher untereinander oder
mit andem Stemen zu einem einzigen Objekte vereinigt zu haben; diese
Steme dürfen also bei der Berechnung der Gesamthelligkeit eines Cumulus
aus den einzelnen Stemen nicht mitgezählt werden, sondem nur diejenigen,
welche zum Gesamthelligkeitseindrucke thatsächlich beitragen.
Wie weit zwei oder mehrere Steme voneinander abstehen dürfen, da-
mit sie noch als ein einziges Objekt erscheinen können, hängt von ihrer
Helligkeit, von der Schärfe der Augen oder des optischen Instramentes und
schliesslich auch vom Luftzustande ab. So z. B. sind die Steme a^ und a,
Gapricomi, welche die Helligkeiten 4.7 1^ und 8.8 m besitzen, von Heis, dessen
Auge von besonderer Schärfe war, stets getrennt, von Argelander dagegen,
dessen Auge nur von mittlerer Schärfe war, als ein einziges Gestirn 3. bis
4. Gr. gesehen worden. Die 2 Steme 4 und 5 Lyrae sind von Heis nur
bei reiner Luft getrennt gesehen worden. Es können aber auch Steme, die
weiter voneinander abstehen, als ein einziges, zusammenhängendes Objekt
erscheinen, wenn ein zwischenliegender Stern von hinreichender Helligkeit
gewissermassen eine verbindende Brücke bildet. So ist in der von Houzeau
imter den mit blossen Augen nicht auflösbaren Sternhaufen u. a. auch die
Yereinigunff der Steme 4 und 5 Vulpeculae angeführt, die mehr als 20^ von-
einander aibstehen und in der Uranometria nova von Argelander und im
Atlas coelestis novus von Heis einzeln angegeben sind; es scheint hier,
dass die Vereinigung, also eigentlich das undeuüiche Sehen, durch einen
etwas seitlich von der Verbindungslinie stehenden Stem 6. bis 7. Gr. ver-
ursacht worden ist
Zur Berechnung der Helligkeiten der Steme verschiedener Grössen-
klassen geht Dr. Holetschek von der gegenwärtig allgemein angenommenen
Voraussetzung aus, dass jede folgende, schwächere Klasse der Stemgrössen V4
(genau ^ ^ \ der Intensität der vorhergehenden hat Er setzt die Inten-
sität eines Stemes O.Qm Mer also eine Grössenklasse heller ist als ein Stern
1 . Gr.) gleich 1 und berecnnet nun zunächst die verhältnismässigen Inten-
sitäten der Steme bis zur 12.6 Grössenklasse. Aus der von ihm gegebenen
ausführlichen Tabelle mögen hier folgende Helligkeiten für einige Grössen-
klassen der Steme hervorgehoben werden.
Sternhaufen und Nebelflecke. 131
0. Grösse:
Intensitäl
, = 1
1. »
= 0.89811
2. »
= 0.15849
8. »
^ 0.06810
4. »
= 0.02512
5. »
«. 0.01000
6. »
»»0.00698
7. »
» 0.00158
8. »
»0.00068
9. »
= 0.00026
10. »
= 0.00010
11. »
= 0.00004
12.5 >
= 0.00001
Man ersieht, beiläufig bemerkt, aus dieser Tabelle, dass ein Stern der
noimaien 1. Gr. hundertmal mehr Lichtintensität besitzt als ein solcher
6. Gr., und dieser hundertmal mehr als ein Stern 11. Gr.
Dr. Holetschek betrachtet nun zunächst einige Gruppen, welche in den
Karten von Argelander und Heis als Sternhaufen (Cumulus) verzeichnet sind,
die aber in Wirklichkeit nur Gruppen von sehr wenigen und wahrscheinlich
physisch gar nicht zusammengehörenden Sternen sind. Hierzu gehört die
Gruppe im Einhorn (o = 6*» 17™, ^ = 4- 11.1"), die Gruppen in den Jagd-
hunden a = 12li 28m , 9 =4- 87.2» und a = 12^ 8 m , J = -i- 47.9» in der
Schlange (a = 151^ 48» ,S = + 9.7»).
^^h diesen stemarmen, vielleicht nur zufäUigen Gruppen untersucht
er nun einige von den eigentlichen Sternhaufen bezüjy;lich aer Berechenbar-
keit ihrer Helligkeit, darunter hauptsächlich die bei Argelander und Heis
vorkommenden, also schon für das blosse Ange, wenn auch zum Teile nur
unter besonders günstigen umständen sichtbaren Sternhaufen.
Dem Zuge der Milchstrasse in der Richtung von Nord nach Süd
folgend, beginnt Holetschek mit dem nördlichsten der bei Argelander und
Heis vorkommenden Sternhaufen, nämlich mit dem im Camelopard, General-
katalog No. 802 (a = 8li 50m ,d = + €2.1% Seine Helligkeit ist nach den
Messungen der Harvard Photometry 6.15 m, nach den Schätzungen 5.5 m.
Was die einzelnen Sterne anbelangt, so ist der hellste derselben der Doppel-
8teni^485, dessen GesamtheUigkeit 6.27 m ist. Dieser giebt in Verbindung
mit seiner nähern Umgebung, zu welcher nebst mindestens 12 Sternen 9.
bis 10. Gr. noch ein 5' abstehender Stern 8.8m und ein T abstehender
8.0m gerechnet werden kann, als Helligkeitssumme 5.9 m und noch mehr, also
schon eine zur Erkennbarkeit für das blosse Auge hinreichende Helligkeit.
Unter Zuziehung eines 20' abstehenden Sternes (7.um) erhält man 5.6m , nnd
damit ist die aus Schätzungen abgeleitete, grössere Helligkeit schon so
weit eireicht, dass es nicht mehr nötig erscheint, auch noch andere Sterne
in Betracht zu ziehen.
Eine ausgedehntere Untersuchung widmet Dr. Holetschek dem grossen
Doppelcumolus im Perseus h und z Persei. Position für 1900 :
a = 2h 12m, ^ = 4- 56.7«
und a = 2li 15m, ^ = 4- 56.7*
Distanz der beiden Sternhaufen von Mitte zu Mitte ungefähr 25'.
Nach Houzeau liegt die Helligkeit emes jeden dieser beiden Stern-
haufen zwischen 5. und 6. Gr., so dass also in dieser Beziehung zwischen
ihnen kein erheblicher Unterschied wäre. Nach den Schätzungen in der
Harvardphotometry ist die Helligkeit des vorangehenden h 5.0m , <iie des
nachfolgenden % 5.dm , also der vorangehende auffallender als der nach-
folgende. Diese Differenz, sagt Holetschek, zeigt sich besonders bei ungün-
stigen Sichtbarkeitsverhältnidsen, also z. B. bei tiefem Stande, indem hier
der nachfolgende mehr geschwächt erscheint als der vorangehende, und man
kann für jede der beiden Komponenten, namentlich wenn die Randpartien
9»
182 Sternhaufen und Nebelflecke.
mitgerechnet werden, so dass jeder Gumulus unter einem Durchmesser vod
etwa 20' erscheint, auch eine bedeutendere Helligkeit ansetzen, und di»
beiden Sternhaufen erscheinen, insbesondere bei klarer Luft und grosser
Höhe, durch die Angaben 4.3m und 4J7^ noch immer nicht zu hell geschätzt.
Dr. Holetschek untersucht nun, durch welche Sterne und durch welche»
Areal diese Helligkeitsangaben dargestellt werden können.
Zu dieser Untersuchung hat er für h Persei hauptsächlich die Arbeit
von Oertel,^) für % Persei die von Vogel ^ benutzt. Die erstere erstreckt
sich auf 126 Sterne, unter denen 2 Sterne 6.5m, 1 Stern 6.6m, 3 Sterne
von 7.1nL_7.7m, 8 Sterne von 8.1m— 8.9m, 51 Sterne von 9.0m— 9.9m,
41 Sterne von 10.0m— 10.8m und 20 Sterne von 11.0m— 12.5m sind, die
letztere auf 176 Sterne, unter denen man 1 Stern 6.6 m, 1 Stern 7.7 m, 9 Stern»
von 8.0m— 8.9m, 24 Sterne von 9.0m— 9.9m, 59 Sterne von 10.0m— 109m,
42 Sterne von 11.0m bis 11.9m und 40 Sterne von 12.0m— I3.2m findet.
Addiert man die Helligkeiten dieser Sterne, so erhält man als Helligkeits-
summe für h Persei 4.(5m, für x Persei 4.4m, und damit erscheint zunächst
bestätigt, dass der letztere Sternhaufen weniger hell ist als der erstere.
Holetschek führt nun die Untersuchung unter Ausschluss der Sterne,
die wegen ihrer grossem Distanz oder isolierten Stellung bei der Sichtbar-
keit des Gumulus für das blosse Auge nicht mitwirken, nochmals durch.
Bei h Persei, sagt er, bietet sich als eine inniger zusammenhängende
Gruppe diejenige dar, welche von der anscheinend dichtesten Stelle einer-
seits bis 6', anderseits bis zu 8' absteht. Sie hat einen Durchmesser von
10—14', und zwar findet man hier 78 Sterne mit Helligkeiten von 6.5™»
bis 12.5 m, und die Summe dieser Helligkeiten ist nach der Rechnung 4.6 m^
Berücksichtigt man nur die 88 Sterne von 6.5 m— 9.8m, so erhalt man
4.85m und, wenn man nur die 28 Sterne von 6.5 m~ 9.5m in Rechnung,
zieht, den noch immer beträchtlichen Wert 5.0m. Durch diese Zahl er-
scheint die in der Harvardphotometry für h Persei angegebene Helligkeit
vollständig dargestellt.
Anders ist es in dieser Beziehung bei % Persei. Hier sind die Sterne
der dichtem Partie wesenüich schwächer, indem selbst der ansehnlichste
nur die Helligkeit 8.8 m hat, und die Sununierang der 11 heUsten (8.8 m bis
9.6 m) bloss 6.3 m giebt. Man muss daher, um die Auffälligkeit dieses Gumulus
für das blosse Auge darstellen zu können, auch nocn weiter entlegene
Steme, insbesondere den mehr als 6' nördlich stehenden hellsten Stem 6.6 m
und die nordöstlich stehenden Steme 7.7 m und 8.0m üi Rechnung ziehen
und wird dadurch auf ein Gebiet von 12' — 15' Durchmesser geführt.
Nimmt man die genauere Abgrenzung des in Rechnung zu ziehenden Ge-
bietes in der Weise vor, dass an den Rändern entweder nur helle Steme
oder Grappen von schwächern Sternen, also in keinem Falle vereinzelte
schwächere Steme stehen, so fallen von den auf der Elarte von Vogel dar-
gestellten 176 Stemen 73 weg, und die übrigbleibenden 108 Steme geben
als Helligkeitssumme 4.8 m. Scbliesst man unter diesen die 80 schwachem
aus, so geben die jetzt noch übrigbleibenden 28, nämlich die Steme von
7.7m— 9.6m in Verbindung mit dem hellsten Steme 6.6m als Helligkeits-
summe 5.1m. Um die in der Harvardphotometry für % Persei angegebene
Helligkeit 5.8 m zu erhalten, braucht man nur die 14 Steme von 6.6m bis
9.0m in Rechnung zu ziehen. Damit erscheint auch die allgemeine Angabe,
dass die Helligkeit von % Persei zwischen der 5. und 6. Gr. hegt, dargestellt.
^) Neue Beobachtung und Ausmessung des Stemhaufens 88^ Persei
am Münchener grossen Refraktor von K. Oertel. Neue Annalen der k. Stern-
warte in Bogenhausen bei München, 2.
*) Der Stemhaufen % Persei, beobachtet am 8-zolligen Refraktor der
Leipziger Stemwarte von H. C. Vogel. Leipzig 1878.
Sternhaufen und Nebelflecke. 133
Nahe zu demselben Resultate führt auch die Beobachtung dieses
Steinhaufens von Pihl.^)
Wenn nun, fährt Dr. Holetschek fort, so wie bei h Persei auch hier
bei X Persei untersucht wird, durch welche Sterne der Haupthelligkeits-
eindrack des Cumulus bewirkt wird, so zeigt sich, dass dies durch die
Vereinifi;ung des Lichtes der dichtem Partie (6.8 m) mit dem des Sternes 6.6 m
geschieht. Die Helligkeitssumme dieser ein Gebiet von etwa 8' umfassenden
Vereinigung ist demnach 5.7 m, und auch von dieser Zahl kann man sagen,
dass sie die Angabe, die Helligkeit des Cumulus liege zwischen der 6. und
6. Gr., darstellt. Die andern Sterne tragen zum Hem^keitseindrucke haupt-
sächlich nur in der Weise bei, dass sie den Cumulus für das Auge zu einem
verschlungenen Stemgewebe machen.
Nach diesen Darlegungen erschemt die hellste Partie bei % Persei auf
«ine grössere Fläche verteilt als bei h Persei, hat aber eine geringere
Fiächenhelli^eit
Südlich von dem grossen Doppelcumulus steht im Perseus noch ein
anderer, dem blossen Auge erkennbarer Sternhaufen, nämlich G. K. 584
(M. 34). Position für 1900:
a = 2Ii86m. ^= + 42.3«,
dessen Helligkeitseindruck nicht weit von 5.7 m ist. In diesem Cumulus
sind von Pinl') 85 Sterne beobachtet worden. Diese würden den ange-
gebenen Grössen zufolge (7.2m— 10.7 m), zusammen einen Stern von der
Helligkeit 4.4m Uefem. Da diese Helligkeit im Vergleiche mit der be-
obachteten viel zu gross ist, so können bei der Sichtbarkeit des Cumulus
für das freie Auge nicht alle diese Sterne mitwirken, und es zeigt sich in
der That, dass das in Rechnung zu ziehende Gebiet bis auf etwa 7* Durch-
messer eingeengt werden darf. Man findet hier 13 Sterne mit Helligkeiten
von 7.7m — 10.3m, und die Summierung derselben giebt 5.6m. Die
schwachem Sterne sind aber hier so wenig und stehen so isoliert, dass
sie zum Gesamthelligkeitseindmcke so gut wie gar nichts mehr beitragen
and daher von der Rechnung ausgeschlossen werden können. Werden
demgemass nur die neun heUem Sterne, nämlich 2 Sterne 7.7 m, 2 Sterne
8X)m, 3 Sterne 8.3m, je ein Stern 8.4m und 8.7m in Rechnung gezogen,
so cffgiebt sich die HeUigkeit 5.7 m, und damit erscheint der beobachtete
Hellij^eitseindruck völlig dargestellt.
Im Fuhrmann trifft man auf den auffallendsten Cumulus, G. K. 1451.
Position für 1900:
a«61i40m, ^«. + 41.2«
welcher zwar nicht bei Argelander, wohl aber bei Heis vorkommt und
somit für schärfere Augen ohne Femrohr zu erkennen ist. Diese bedeutende
Anffäliigkeit können aber nicht ausschUessUch die Sterne des eigentlichen
Cnmolus — etwa 6 Sterne 9. Gr. nebst einigen noch schwachem —
bewirken, da dieselben eine zur Erkennbarkeit für das blosse Auge unzu-
reichende Helli^eitssumme geben, sondem es müssen noch entferntere helle
Sterne in Betracht kommen, und zwar insbesondere der vorangehende 8.5 m,
der südlich stehende 8,5m und der nördlich stehende 8.0m, der letztere
sdion deshalb, weil Heis die Position dieses Sternes als Position des Cumulus
angesetzt hat Es ergiebt sich durch diese Erweitemng der Grenzen ein
<iwiet von ungefähr 20' Durchmesser, welches neun hellere Steme enthält,
nämlich einen Stern 8.0m, 2 Steme 8.5m, einen Stern 8.9m, 3 Steme
9X)in und 2 Steme 9.1m, ausserdem als schwächere Steme einen Stem
^•3ia, 4 Steme 9.4m und 6 Sterne 9.5m. Addiert man diese Helhg-
^ *) The stellar Cluster % Persei, micrometrically surveyed by 0. A. L.
^ Chri8tiania.l891.
*) Micrometnc ezamination of stellar Cluster in Perseus by 0. A. L.
^l Christiania 1869.
134 Sternhaufen und Nebelflecke.
keiten, so erhält man als Summe 6.8m und, wenn man die schwächers
Sterne nicht berücksichtigt, 6.8 m. Durch dieses Resultat erscheint nicht
nur der Umstand dargestdlt, dass der Cumulus zwar bei Heis, aber nicht
bei Argelander vorkommt, sondern auch die in der Harvardphotometry
angegebene, aus Schätzungen abgeleitete Helligkeit 6.4m. Dagegen kann
die andere, In der Harvardphotometry angegebene, aus Messungen abge-
leitete wesentlich ffrössere Helligkeit 5.84 m durch diese Sterne in keiner
Weise erklärt werden, und man müsste, um diese bedeutende Helligkeit
darzustellen, noch vid weiter südlich stehende helle mitrechnen. Das ist
übrigens der einzige Fall, dass in der Harvardphotometry die durch
Messungen gefundene Helligkeit eines Sternhaufens grösser ist als die durch
Schätzungen gefundene.
Der ebenfalls im Fuhrmann stehende Cumulus G. K. 1119 (M. 88) Posi-
tion für 1000: a — 5li22m,^»^35.7^ ist ein Beispiel dafür, dass nicht
jeder Sternhaufen bei Betrachtung mit schwachem optischen Mitteln eine
einzige Gruppe bleibt, die schliessüch als Ganzes unsichtbar wird, sondern
dass es auch Sternhaufen giebt, welche bei Betrachtung mit schwachem
Instarumenten in mehrere Gmppen zerfallen, die einzela schwächer und
unabhängig voneinander unsichtoar werden.
Dieser Cumulus nimmt zwischen den dicht gedrängten und den weit
zerstreuten Sternhaufen eine Mittelstellung ein; während die erstem bei
Betrachtung mit schwachem optischen Mitteln als Ganzes unsichtbar werden
und bei den letztem die Sterne einzeln verschwinden, werden sie hier
grappenweise unsichtbar.
In ähnlicher Weise verbreitet sich Dr. Holetschek eingehend über eine
Anzahl noch anderer Sternhaufen. Er zeigt, dass es bei allen mögUch ist,
die beobachtete Gesamthelligkeit durch die Summiemng der Hemgkeiten
der einzeben Steme darzustellen, ohne dass es nötig wäre, die Frage zu
entscheiden, ob durch Verteilung einer Helligkeit auf eine grössere Fläche
der Gesamthelligkeitseindmck derselbe bleibt oder andernfalls vei^grössert
oder verkleinert wird.
Fechner ist in seiner bekannten Abhandlung: »Cber ein psychophy-
sisches Gmndgesetz und dessen Beziehung zur Schätzung der Stemgrössen«
zu der Folgerung gelangt, dass die Helligkeitssumme einer starken Intensität
durch Verteilung, wenn solche nicht zu weit geht, wächst, anderseits aber,
wenn eine schwache Intensität von einem Funkte auf mehrere Punkte
verteilt wird, oder die Verteilung einer starken Intensität zu weit getrieben
wird, eine Abnahme der Helligkeit im ganzen erfolgt Wo aber die Grenze
zwischen diesen beiden Fällen, d. h. zwischen starker und schwacher Inten-
sität liegt, lässt sich nicht ziffermässig feststellen, und überhaupt kann von
vornherein auch ein Gleichbleiben des Helligkeitseindrackes ebensowenig
in Abrede gestellt werden, wie ein Zu- oder Abnehmen desselben. Wer
behauptet: Grösseres fällt mehr in die Augen, auch wenn es weniger hell
ist, kann ebenso recht haben, wie der, welcher sagt: Helleres fällt mehr in
die Augen, auch wenn es kleiner ist, oder wie der, welcher meint, für ihn
sei der Helligkeitseindmck in beiden Fällen derselbe.
Wenn man nun aber doch, fährt Dr. Holetschek fort, die hier unter-
suchten Sternhaufen auf die beiden Fälle verteilen soU, so wird man die
meisten derselben als Beispiele für den zweiten Fall bezeichnen können,
indem bei ihnen der durcn direkte Beobachtung bestimmte Helligkeits-
eindmck geringer ist, als die durch Addition der Helligkeiten sämtlicher
Steme erhaltene Helligkeitssumme. Als Beispiel für den ersten Fall drän^
sich der Doppelcumulus im Perseus auf, und ebenso wird man hier die
Pleiaden^ppe nennen dürfen, bei welcher die berechnete GesamtheUigkeit
nicnt weit von 2.0m, die beobachtete dagegen zwischen Im und 2m, also
etwas bedeutender ist.
Die Krippe im Krebs, deren Steme nach der Rechnung sehr nahe die
4. Gr. geben, kann nach Houzean (4m — 5m) zum zweiten Falle, nach
Sternhaufen and Nebelflecke. 185
Holetschek {S^j^^ — 4m) zum ersten gerechnet werden, zeigt also, dass
eine solche Unterscheidung zwischen den beiden Fällen in einem hohen i
Grade durch die verschiedene Auffassung der Beobachter bedingt ist. Sicher
ist, dass diese Unentschiedenheit umsoweniger auftreten kann, je gedrängter
ein Sternhaufen ist, und in demselben Grade zei^ sich aucn che Wider-
standsfähigkeit eines Sternhaufens gegen das ünsichtbarwerden. Ein ge-
dingter, fast wie ein einziger heller Fixstern erscheinender Sternhaufen,
der genau so viele und so helle Sterne enthält wie ein anderer, aber zer-
streuter Sternhaufen, kann viel länger sichtbar bleiben als der zerstreute,
und dieser Unterschied macht sich nicht nur dann bemerkbar, wenn ein
Sternhaufen mit schwachem optischen Mitteln betrachtet wird, sondern
auch bei irgendeiner andern Schwächung seines Lichtes, so durch Trübung
der Atmosphäre oder durch Mondschein, oder auch dann, wenn ein Stern-
haufen in der Morgendämmerung immer mehr vom Tageslichte überstrahlt wird.
Es zeigen sich hier Eigentümlichkeiten, die auch an Kometen beob-
achtet werden. Sowie in einem Sternhaufen, der gegen die Mitte reichlich,
gegen die Ränder zu aber nur spärlich mit Sternen besetzt ist, bei Erhellung
des Himmelsgrandes, z. B. in der Morgendämmerung, zuerst die Sterne an
den Rändern unsichtbar werden und die mittlere, dichtere Partie am läng-
sten sichtbar bleibt, so wird auch ein Komet unter denselben Umständen
zuerst an den Rändern unkenntlich, während die am hellsten erscheinende,
den Kern bildende Partie am längsten der Extinktion widersteht, und zwar j
ist diese Widerstandsfähigkeit gegen die Auslöschung durch das Tageslicht |
umso grösser, je konzentrierter, je fixstemartiger der Kern erscheint. !
Uurch den Umstand, dass in einem zerstreuten, verhältnismässig spar- i
lieh mit Sternen besetzten Cumulus, z. B. M. 88 oder 25, die Sterne gruppen-
weise oder gar einzeln, ihren Helli^eiten entsprechend, verschwinden und
daher der Cumulus viel früher unsichtbar wird, als nach der berechneten I
Helligkeitssumme zu erwarten wäre, wird man an die häufig beobachtete j
Th&tsache erinnert, dass ein Komet, der im Nachtdunkel auffallender er-
scheint, als ein in seiner Nähe stehender Fixstern, bei Tagesanbruch eher
unkenntlich wird als der Stern.
Sternhaufen dieser Art bilden einen Übergang zu denjenigen, welche
wie der im Bootes a== 14^ Im, ^=^29.0^ der grosse Nebel im Triangel
M. 83 a = lh2Bni, ^=+30.1* oder der planetarische Nebel im Grossen
Bären M. 97 a= llbSm ^=-|.55.6o ziemlich gleichförmig erhellt, aber im
Verhältnisse zu ihrer Grösse so lichtschwach sind, dass die Bestimmung !
der Gesamthetligkeit unthunUch wird, indem die FlächenheUigkeit mehr zur i
Geltung gelangt, und die Sichtbarkeit hauptsächlich davon abhängt, in
welchem Grade sich das GebUde vom Himmelsgrunde abheben kann. Auch j
diese Sichtbarkeitsverhältnisse können an Kometen beobachtet werden,
wenn dieselben das hier angedeutete Aussehen zeigen.
Wenn wir nun die hier dargelegten Untersuchungen von Sternhaufen j
nochmals überblicken, so zeigt sich, dass das Verhältnis, in welchem die
hellem und die schwachem Sterne zum Totaleindracke eines Sternhaufens
beitragen, im Grunde genommen überall dasselbe ist: Die schwachem
Sterne kommen neben und zwischen den hellem so wenig zur Wirksam-
keit, dass der beobachtete Helligkeitseindmck schon durch die hellem
Sterne allein dargestellt wird, und zwar genügt es im allgemeinen, nur die
Sterne in Rechnung zu ziehen, welche von dem hellsten Steme des Cumulus
an auf ein Helligkeitsintervall von 1 — 2 Grössenklassen verteilt sind.«
SchliessUch behandelt Dr. Holetschek noch die drei dichtgedrängten,
reichen Stemhaufen M. 18 Herculis, ot Centauri und 41 Tucanae. Für den
eisien ergiebt sich die GesamtheUigkeit = 5.7 Gr., was mit den Angaben
der Harvardphotometiy 5.9 Gr. nahe übereinstimmt Als durchschnittliche
Helligkeit aller (888) inBetracht gezogenen Steme findet Dr. Holetschek 18.0Gr.
Auf Photographien des Cumulus w Centauri a = 18*1 20.7™, ^ = + 46.8<>,
und zwar auf einer quadratischen Fläche von dCV Seitenlänge, sind von
136 Sternhaufen und Nebelfiecke.
S. J. Bailey gegen 6400 Sterne gezählt worden.^) Ober die Grossen der-
selben sind keine Angaben gemacht, und man ist daher nicht in der Lage,
aus den Helligkeiten der einzehien Sterne die Gesamthelligkeit zu berechnen.
Dr. Holetschek hat dafür umgekehrt versucht, aus der Anzahl der Sterne
und der Gesamthelligkeit des Cumulus die durchschnittliche Grössenklasse
dieser Sterne zu berechnen. Nach J. Herschel erscheint der Culumus für
das blosse Auge wie ein nebeliger Stern 4. oder 5. Gr., nach der üranometria
Argentina wie ein Stern 4. Gr. Man findet nun, dass 6400 Sterne, wenn
sie zusammen die Helligkeit eines Sternes 4. oder 5. Gr. geben, durch-
schnittlich von der Helligkeit 13.5 1», beziehungsweise 14.5 1^ sein müssen.
»Da aber von den zusammengezählten Sternen oei der Sichtbarkeit für das
blosse Auge, also beim GesamthelUgkeitseindrucke, gewiss nicht alle zur
Wirksamkeit gelangen, indem die photo^aphischen Aufnahmen weit über
die Grenzen des eigentlichen Cumulus hmausgehen, so müssen viele und
insbesondere die von der Mitte weiter abstehenden Sterne ausgeschlossen
werden. Diese dürften den 3. Teil aller Sterne betragen, so dass nur
etwa 4000 in Rechnung zu ziehen wären. Für diese findet man, wenn sie
zusammen die Helligkeit eines Sternes 4. oder 5. Gr. geben sollen, als
durchschnittliche Helligkeit 13.0m, beziehungsweise 14.0^.
Eine ähnliche Rechnung lässt sich für den Cumulus 47 Tucanae
a = 0b20m, St= — 72.6® machen, dessen Helligkeit nach der Üranometria
Argentina 14 ^/^m ist Man findet im 26. Bande der Annalen des Harvard
College Observatory die Resultate einer Abzahlung, nach welcher sich auf
einer quadratischen Fläche von 30' Seitenlänge 2673 Sterne und unter
diesen 1715 >helle« befinden. Dabei sind aber die Sterne in der Mitte des
Cumulus, nämlich auf einem quadratischen Felde von 3' Seitenlänge, weg-
gelassen, weil sie wegen ihrer zu grossen Gedrängtheit nicht mehr mit
genügender Sicherheit gezählt werden konnten. Unter der Annahme, dass
die hier fehlenden Sterne durch die weiter abstehenden, bei der Sichtbar-
keit für das blosse Auge nicht mehr in Betracht kommenden Sterne an
Helli^eit aufgewogen werden, können die angegebenen Summen gleich so,
wie sie sind, zur Rechnung benutzt werden.« Dr. Holetschek findet nun,
dass die 1715 als hell bezeichneten Sterne, wenn sie zusammen die Hellig-
keit eines Sternes 4.5°^ geben sollen, durchschnittlich von der Helligkeit
12.6m und sämtliche 2673 Sterne bei derselben Forderung von der Hellig-
keit 13.1m sein müssen.
J. Herschel hat in seinen Kapbeobachtungen die Sterne dieses Cumulus
einmal als Sterne 14. — 16. Gr., einmal als Sterne 14. Gr. und einmal als
Sterne 12.— 14. Gr. bezeichnet.
Für jeden der 3 Sternhaufen M. 13 Herculis, o^Centauri und 14 Tucanae
ergiebt sich, wie Dr. Holetschek betont, ungefähr dieselbe durchschnittliche
Stemhelligkeit, doch darf diese angenäherte Übereinstimmung nicht über-
raschen, weil die Rechnungsgrundla^en, nämlich GesamtheUigkeit und An-
zahl der Sterne, nicht so weit voneinander verschieden sind, dass eine
wesentliche Verschiedenheit der durchschnittlichen SternheUigkeit zu er-
warten wäre.
Triangrulation der Hyadengruppe. Die über ein an-
sehnliches Areal grob zerstreute Sterngruppe der Hyaden ist von
Carl W. Wirtz am 6-zolligen Heliometer der Bonner Sternwarte in den
Jahren 1898 und 1899 trigonometrisch vermessen worden.*) Diese
Gruppe wurde zu einer genauen Vermessung gewählt, weil sowohl die
bemerkenswerte Obereinstimmung der Eigenbewegungen ihrer meisten
^) Astronomy and Astrophysics 1893. 12. p. 689 und Annais of the
astronomical observatory of Harvard College 26. p. 213.
8) Astron. Nachr. No. 3818—4819.
Sternhaufen und Nebelflecke. 137
Glieder lehrt, dass diese ein kosmisches System höherer Ordnung bilden,
als auch, weil die Helligkeit und grosse Winkelentfemung der Sterne
es wahrscheinlich macht, dass jenes System von unserem Standpunkte
im Räume nicht weit abliegt, so dass es eine besondere Aufmerksamkeit
wohl verdient.
Die in Bonn ausgeführte Triangulation bedeckt etwa 20 Quadrat-
grad mit Durchmessern von 6®, also ein Stück der Sphäre, das zu
den grössten bisher heliometrisch durchbeobachteten gehört; die Durch-
schnittsgrösse der gemessenen Abstände liegt bei 4000'', ist also recht
erheblich, und eben darum war es auch von vorherein nicht zweifel-
haft, dass der Lösung der Aufgabe aus der Art des alten Instrumentes
Schwierigkeiten erwachsen wurden, deren völlige Überwindung sich
nicht verbürgen liesse.
Der Plan der Arbeit wurde, gemäss der beschränkten Bedeutung,
die dem Heliometer heute noch am Fixstemhimmel zukommt, so ab-
gegrenzt, dass in ein von achtzehn am Repsoldschen Meridiankreise zu
Bonn scharf bestimmten Hauptstemen gebildetes Netz erster Ordnung
nur so viele weitere Sterne eingemessen wurden, dass auf einem Felde
von je 80 Bogenminuten im Quadrate mindestens drei günstig ver-
teilte Sterne unterhalb der 5. Qrössenklasse vorkamen. Hierbei lag
der Gedanke zu Grunde, dass am neuen Bonner photographischen
Refraktor, der die angegebene Plattengrösse besitzt, später einmal
eine Detailvermessung vorgenommen werden könnte, deren Skelett
dann wieder die Triangulation am Heliometer bilden würde.
Der Beobachter teilt in seiner Abhandlung als nötige Details
über das Instrument und die Untersuchung desselben zum Zwecke
der vorgesetzten Messungen, sowie über Genauigkeit der Messungen
selbst, die Triangulation, die Ableitung der Distanzen u. s. w. mit.
Die Arbeitsliste erstreckt sich über 69 Sterne, nämlich alle Sterne
der BD. bis zur Grösse 8.0 und einige schwächere, die teils dem
Zwecke der vorteilhaftem Gestaltung des Netzes dienen, teils auf-
genommen sind, um für eine photographische Detailvermessung die
Zahl der Anhaltssteme zu vervollständigen. Die angenommenen
Grenzen der Gruppe umschliessen das bekannte V und ausserdem
einen 1 ^/j® breiten Streifen südlich davon. Nach ihrem Range
innerhalb der Vermessung zerfallen die Sterne in 2 Klassen, deren
erste repräsentiert wird durch die achtzehn am Repsoldschen Meridian-
kreise der Bonner Sternwarte festgelegten Hauptsteme, die ihrerseits
durch sämtliche 80 dem Heliometer erreichbaren Abstände verbunden
sind. Die Hauptsteme bilden das Netz erster Ordnung. Die 51 übrigen
Sterne gehören dem aus 160 Distanzen bestehenden Netze zweiter
Ordnung an und sind durch Anschluss an drei oder seltener vier
Hauptsteme bestimmt. Das Ergebnis der umfassenden Arbeit von
^irtz gipfelt in dem nachfolgenden Kataloge, über dessen Begründung
^^ooglich der Eigenbewegungen, der Präzessionen und ihrer Säkular-
variation die Originalabhandlung zu vergleichen ist.
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Sternhaufen und Nebelflecke. 139
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S3S6!8S$99qi3!99Q:99SSSSSSS&aSS8S@S3 8S6SS
140 Sternhaufen und Nebelflecke.
Die Bewegrung des Orionnebels in der Gesichtslinie
zur Erde. Neue Untersuchungen über diese Bewegung sind auf dem
astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam angestellt worden, und
Prof. H. G. Vogel hat darüber der Preuss. Akad. der Wiss. in Berlin
berichtet Diesem Bericht ^) ist folgendes entnommen :
>Mit Hilfe des grossen Doppelrefraktors des Astrophysikalischen
Observatoriums zu Potsdam hat Dr. Hartmann Aufnahmen der
Spektra von einigen planetarischen Nebeln unter Anwendung stärkerer
Zerstreuung gemacht^) Angeregt durch diese Beobachtungen, ver-
suchte Dr. Eberhard mit unserem photographischen Refraktor von
32.5 cm Öffnung und 3.4 m Brennweite, der ihm seit mehr als einem
Jahre zur Ausführung spektrographischer Beobachtungen behufs Be-
wegungsbestimmungen an Sternen überwiesen worden ist, auch das
Spektrum des Orionnebels aufzunehmen. Für ausgedehntere Objekte,
wie der Orionnebel, ist das Instrument infolge des grossem Ver-
hältnisses zwischen Öffnung und Brennweite und der damit in Ver-
bindung stehenden grössern Intensität der Flächeneinheit des Brenn-
punktbildes dem grossen Refraktor überlegen. Da das für chemische
Strahlen achromatisierte Objektiv dieses Instrumentes aber keine
Korrektionslinse besitzt wie das Objektiv des grossen Refraktors
von 80 cm Öffnung , durch die dasselbe in ein Objektiv verwandelt
wird, welches die optischen Strahlen gut vereinigt, musste allerdings
von vornherein darauf verzichtet werden, die beiden im Grün gelegenen
hellsten Linien des Nebelspektrums (l 5007 und l 4959), sowie die
Wasserstofflinie H ^ zu erhalten, durch die Spektralaufnahme konnte
vielmehr nur die 4. Linie des Nebelspektrums, die Wasserstoff-
linie Hy fixiert werden.
Der erste Versuch gelang Dr. Eberhard am 23. November des
vorigen Jahres. Mit dem Spektrographen IV mit 3 Prismen hatte
sich bei einer Expositionszeit von 180 Minuten die H}^-Linie des
Nebelspektrums sehr deutlich abgebildet. Beiläufig erwähne ich
hierbei, dass die bei so langen Expositionen unausbleiblichen Tem-
peraturänderungen keinen schädlichen Einfluss ausüben können, da
es durch die elektrische Heizvorrichtung, die der Apparat besitzt,
ohne Mühe gelingt, die Temperatur im Prismengehäuse mehrere
Stunden hindurch innerhalb eines Zehntelgrades konstant zu erhalten.
Leider war es durch die Ungunst der Witterung erst am
31. Januar 1902 möglich, eine 2. Aufnahme zu erhalten, und
bisher konnten im ganzen nur an 9 Abenden Beobachtungen aus-
geführt werden, von denen sechs als gelungen zu bezeichnen sind.
Prof. Vogel teilt zunächst die Resultate der Messungen mit,
welche von ihm und Dr. Eberhard unabhängig voneinander mit
verschiedenen Messapparaten ausgeführt worden sind. Sie beziehen
>) Sitzungsber. d. K. Preuss. Akad. der Wiss. Berlin 1902. p. 259.
*) a. a. 0. 1902. p. 237 ff.
Sternhaufen und Nebelflecke. 141
sich auf ein Stück der H^-Linie, das von dem Lichte herrührt,
welches von einer in der Nähe des bekannten Trapezes gelegenen
Stelle des Nebels ausgeht. Es ist das ungefähr dieselbe Stelle, auf
welche sich die in den Jahren 1890 und 1891 von Prof. J. E.
Keeler^) mit dem grossen Refraktor des Lickobservatoriums am Orion-
nebel ausgeführten direkten spektroskopischen Geschwindigkeits-
messungen bezogen. Die Potsdamer Aufnahmen ergeben nun als
Geschwindigkeit des Nebels relativ zur Sonne nach Vogel im Mittel
-{- 17.5, nach Eberhard im Mittel -{- 17. S km pro Sekunde.
Die Beobachtungen sind wie bei den Stemspektren so angestellt
worden, dass vor und nach der Exposition auf den Nebel zwei ^/^^ mm
breite Vergleichsspektra (Fe) in einem Abstände von ^/^ mm auf-
kopiert wurden. Die Nebellinie H^ wurde aber durch Wegklappen
der vor dem Spalte des Spektrographen befindlichen Blende, durch
welche die Vergleichsspektra abgegrenzt werden, in ihrer ganzen
Lange erhalten. Sie erschien also nicht nur in dem ^/^ mm breiten
Zwischenräume zwischen den Vergleichsspektren, sondern durchsetzte
sie und erstreckte sich zu beiden Seiten derselben. Dr. Eberhard
hatte diese Anordnung getroffen, um etwaige Ungleichmässigkeiten
in Bezug auf Lage oder Intensität der H^^-Linie gleichzeitig zu
erhalten. Die Linie erschien bei guten Aufnahmen 2 — 2.5 mm lang
entsprechend 2'. Prof. Vogel wähnt, dass der Nebel bei der Expo-
sition so genau gehalten wurde, dass eine Obereinanderlagerung
verschiedener Teile möglichst ausgeschlossen war, und dass die auf
2 Platten befindlichen Spektra von Sternen im Nebel linienartig er-
scheinen. Die Messungen bezogen sich aber für die obenstehenden
Beobachtungen nur auf das kleine Stück der Linie zwischen den
Vei^eichsspektren; es entspricht dasselbe einer dem Sterne &^ Orionis
etwas vorausgehenden Stelle im Nebel.
>Die oben mitgeteilten Beobachtungen«, sagt Prof. Vogel, »geben
eine recht schöne Bestätigung der Eeelerschen Geschwindigkeits-
messungen am Orionnebel und sind deshalb von grösserer Bedeutung,
weil gerade die Messungen am Orionnebel die Grundlage für die
klassischen Untersuchungen Eeelers über die Bewegung von vierzehn
hellern Nebeln bilden. Die Beobachtungen an der Wasserstofflinie
H/? im Orionnebel setzten Eeeler in den Stand, die Wellenlängen
der bis dahin nur angenähert bekannten hellsten Linien im Nebel-
spektrum (l 5007 und X 4959) sehr sicher zu bestimmen und auf
diese, besonders auf die erste (l 5007), dann alle weitem Messungen
zu begründen. €
Die Keelerschen Beobachtungen über die Bewegung des Orion-
nebels, basiert auf die Verschiebung der H/S-Linie, ergaben im
Mittel als Geschwindigkeit relativ zur Sonne: -{-17.7 ± 1.28 km.
*) Publication of the Lickobservatoiy S. 1894.
142 Sternhaufen und Nebelflecke.
Die H y-JÄaie des Nebelspekirums war bei einigen Aufnahmen
von ungleicher Intensität; sie erschien dort, wo sie die Vergleichs-
spektra durchsetzte, etwas intensiver und breiter als zwischen den
Vergleichsspektren, was nach Prof. Vogel seinen Grund in einer
geringen Vorbelichtung der Schicht durch die Spuren kontinuier-
lichen Spektrums im Vergleichsspektrum hat »Die Linie war im
untern Spektrum (wenn das Violett rechts war) jedoch ausge-
sprochen intensiver als im obem, auch ausserhalb des Vergleichs-
spektrums weiter nach unten. Die grösste Intensität der Wasser-
stofflinie, also wohl auch des von dem Spalte ausgeschnittenen
Streifens des Nebels, lag 0.6' von dem Sterne ^ ^ entfernt, und zwar
im Parallel vorausgehend oder im Positionswinkel 270 ^. Die Linie
H y macht nun auf diesen Platten den Eindruck , als wenn sie schief
gegen die Längsausdehnung der Vergleichsspektra stände, oder als
wenn ihr Scheitelpunkt (die Spektrallinien sind sehr merklich ge-
krümmt) nicht zwischen den Vergleichsspektren, sondern im obem
Spektrum gelegen wäre. Eine optische Täuschungc, fährt Prof. Vogel
fort, »ist ausgeschlossen; die Verschiebungsmessungen im untern
Vergleichsspektrum und im obem Spektmm, die zahlreich von mir
und Dr. Eberhard unabhängig ausgeführt wurden, weichen um einen
Betrag ab, der einem Bewegungsunterschiede von etwa 6 km ent-
spricht. Es wurde aus den Beobachtungen zu folgern sein, dass
die Nebelmaterie an der intensivsten Stelle, dem Steme d ^ 0.6' vor-
aus, relativ gegen die Nebelpartien in nächster Nähe des Stemes^^
sich um 5 — 6 An» auf den Beobachter zu bewegte Spätere Auf-
nahmen haben diesen Schluss bestätigt
Eeeler hatte schon Versuche gemacht, relative Bewegungen in
verschiedenen Teilen des Orionnebels aufzufinden. Er kam zu dem
Resultate, dass Verschiebungen durch relative Bewegungen im Nebel,
die 18 miles (21 km) in der Sekunde entsprächen, deutlich hätten
erkannt werden müssen, und dass in den hellem Partien des
Nebels sogar Verschiebungen von einem Drittel dieses Betrages wohl
entdeckt worden wären. Femer hat er versucht, eine Rotation des
Nebels G. G. 2102 aufzufinden, hält es aber für zweifelhaft, ob
eine kleinere Geschwindigkeit als 7 — 8 miles (11 — 16 Ann) mit seinen
Hilfsmitteln hätte gefunden werden können, ganz abgesehen davon,
dass es wohl unwahrscheinlich sei, dass ein Nebel so starke rota-
torische Bewegung haben sollte.
Die von Prof. Vogel gegebene Deutung der oben beschriebenen,
in Potsdam beobachteten Deformationen und Anomalien der H ^-Linie
im Spektrum des Orionnebels als Folge relativer Bewegung der
Nebelmaterie wird durch die Bemerkungen Keelers nicht ausge-
schlossen, da die in Potsdam gefundenen Bewegungsänderungen meist
unter der für Keeler erreichbaren Grenze der Wahrnehmung liegen.
SpektFographisehe Geschwindigkeitsinessunffen an Gas-
nebeln hat Dr. Hartmann auf dem Astrophysikalischen Observatorium
Sternhaufen und Nebelflecke. 143
in Potsdam ausgeführt^) Die Linienspektra von Gasnebeln sind schon
häufig photographisch aufgenommen worden, jedoch hat man bisher
noch nicht den Versuch gemacht, diese Aufnahmen zur exakten
Messung der Bewegung in der Gesichtslinie zu verwenden. Es
mag dies seinen Grund darin haben, dass die betreffenden Spektro-
gramme entweder ohne nebengelagertes Vergleichsspektrum aufge-
nommen wurden, oder dass der Massstab der Aufnahmen für die Ge-
winnung genauer Resultate zu klein war. Die epochemachende Arbeit
Keelers^ hat zwar für vierzehn hellere Nebel, die ein Gasspektrum
zeigen, schon verhältnismassig genaue Werte der Geschwindigkeiten
festgelegt; allein wer die Schwierigkeit dieser auf optischem Wege
ausgeführten Messungen kennt, wird zugeben müssen, dass durch
Anwendung der modernen spektrographischen Methoden auch hier
eine ganz wesentliche Steigerung der Genauigkeit zu erreichen sein
muss. Dies hält Dr. Hartmann mit Recht für ausserordentlich
wichtig; >denn,c sagt er, > gelingt es, an Nebeln Geschwindigkeits-
messungen mit einer Fehlergrenze von wenigen Zehntelkilometern
auszuführen , so ist mit Bestimmtheit zu erwarten, dass man inner-
halb jedes einzelnen dieser Objekte relative Bewegungen auffinden
wird, deren eingehendes Studium von grundlegender Bedeutung für
die Kenntnis dieser Systeme, sowie für unsere kosmogonischen Vor-
stellungen ist«
Eine gelegentUche Aufnahme des planetarischen Nebels G. G.
4390, ^ die Dr. Hartmann mit dem photographischen 80 cm-Refraktor
machte , ergab bereits bei einer Belichtung von 15 Minuten ein sehr
kräftiges Bild dieses Objektes, und dies brachte ihn auf den Gedanken,
dass es schon mit den vorhandenen Stemspektrographen möglich
sein müsse, wenigstens von den hellsten Nebeln Spektralaufnahmen
zu erhalten.
Zu seinen Versuchen hat Dr. Hartmann die beiden für den
80 cm-Refraktor konstruierten Spektrographen No. I und No. UI
benutzt Der Apparat I ist wegen der geringen Dispersion und der
langen Kamera für die Nebelaufnahmen ungeeignet, derselbe hat
jedoch den Vorzug, dass er die ganze Strecke des Spektrums
zwischen den Wellenlängen X 3600 — X 5900 scharf abbildet, und
hat daher die gleichzeitige Aufnahme der Linie Uy mit den grünen
Nebellinien ermöglicht Der Apparat IH ist in der Form, wie
Dr. Hartmann ihn benutzt hat, zur Aufnahme der Nebelspektra
schon besser geeignet Die Kamera, deren Objektiv immer nur eine
kurze Strecke des Spektrums scharf zeichnet, hat Dr. Hartmann so
eingestellt, dass die Gruppe der Eisenlinieu von X 4860— X 5006,
^) Sitzungsber. d. K. Preuss. Akad. d. Wiss. 1902. p. 237.
*) J. E. Eeeler, Spectroscopic Observations of Nebulae. Publications
of the Lickobservatory 3. 1894. (Wiedergegeben im Sirius 1895. p. 10
and 37.)
>) im Ophiachus, N. G. K. 6672.
144
Sternhaufen und Nebelflecke.
die aJs Vergleichsspektrum für die drei hellsten Nebellinien sehr
geeignet ist, in der Mitte der Platte völlig scharf abgebildet wurde.
Mit diesen beiden Apparaten hat Dr. Hartmann unter Mitwirkung
von Dr. Ludendorff an 4 Gasnebeln Aufnahmen ausgeführt, nämlich
3 Aufnahmen des Nebels G.C, 4390, 2 Aufnahmen des Nebels G. C.
4373 (im Drachen) und eine Aufnahme des Nebels N. G. G. 7027
(im Schwan).
Als Vergleichsspektrum diente das Bogenspektrum des Eisens
unter Zwischenschaltung einer Mattscheibe, und es wurden folgende
Wellenlängen (nach Rowlands Sonnenspektrum) angenommen:
4294.30, 4315.26, 4337.22, 4352.91, 4376.11, 4736.96, 4859.93,
4878.41, 4903.50, 4920.68, 4957.67 (Doppellinie), 5006.12.
Jede Platte wurde viermal ausgemessen. Um die beste Platte
(III 392) gehörig auszuwerten , hat Dr. Hartmann für dieselbe eine
achtmalige Ausmessung des Spektrums durchgeführt. Diese beiden
Messungsreihen wurden im folgenden als HI 392 a und III 392 b
bezeichnet. Es ergaben sich folgende Wellenlängen der auf jeder
Platte gemessenen Linien N^, N,, Uß und Hy:
Platte
N,
N.
Uß
Hy
I 120
5007.86
I 128
5007.25
4959.84
4861.71
4340.86
I 127
5006.10
4958.26
4860.58
4889.65
I 144
5007.44
4959.58
m 889
5005.89
m 390
5007.30
4959.46
4861.79
m 392a
5007.81
4959.42
4861.79
111392b
5007.27
4959.48
4861.76
Diese Wellenlängen hat Dr. Hartmann in folgender Weise benutzt:
Zuerst wurde aus den Messungen der Wasserstofflinien H/? und Ry
auf den Platten I 123, III 390, m 392 a und m 392 b die
Geschwindigkeit des Nebels G. C. 4390 abgeleitet. Mit der so
gefundenen Geschwindigkeit wurden dann die Wellenlängen der
Linien N^ und N, bestimmt, und mit diesen Wellenlängen ergaben
sich dann endlich die Geschwindigkeiten aus sämtlichen Zahlen.
Aus den Wasserstofflinien erhält Dr. Hartmann als Geschwindig-
keit in der Gesichtslinie für den Nebel G. G. 4390 den Endwert
V= — 10.75 km mit dem wahrscheinlichen Fehler ^ 0.56 Am,
während der auf 13 Beobachtungstagen beruhende Endwert, welchen
Keeler für die Geschwindigkeit des Orionnebels aus den optischen
Messungen der Linie H/3 ableitete, noch einen wahrscheinlichen
Fehler von ± 1.29 Amt besitzt. Man darf daher wohl behaupten,
sagt Dr. Hartmann, dass selbst mit den bei diesen vorläufigen Ver-
suchen von mir benutzten, durchaus nicht gerade zweckmässigen
Apparaten. schon die Genauigkeit der Keelerschen Messungen über-
Sternhaufen und Nebelflecke.
145
trotten worden ist In Verbindung mit einem für diesen besondem
Zweck konstruierten Apparate würde daher das photographische
Verfahren zu noch ganz wesentlich genauem Resultaten führen.
Für die relative Bewegung des in Rede stehenden Nebels gegen
den Beobachter hat man nunmehr, gemäss den 3 Platten:
I 123
Bewegung des Nebels gegen km
die Sonne — 10.75
Bahnbewegung der Erde . . +25.66
Brdrotation + 0.16
m 390
m 393
km
km
—10.75
—10.75
+25.53
+25.43
+ 0.20
+ 0.18
V +15.07 +14.96 +14.88
Das Vorzeichen + bedeutet, dass der Nebel sich von der Erde
entfernt, während durch — eine Annäherung bezeichnet wird. Für
diese 8 Geschwindigkeiten ergiebt sich die Korrektion der Wellen-
länge der beiden Nebellinien N^ und N^ zu — 0.25; aus den in obiger
Tabelle aufgeführten scheinbaren WeUenlängen erhält man daher die
folgenden wahren, vom Einflüsse der Bewegung befreiten Werte:
Platte
Nx
N.
I 128
m 890
in 892a
m892b
5007.00 (VJ
6007.06
6007.06
5007.02
4959.09 (V,)
4959.21
4869.17
Mittel
5007.04
4959.17
Auch hier ist die Obereinstimmung der unabhängig voneinander
gefundenen Zahlen so gut, dass die Mittelwerte trotz des geringen
Beobachtungsmateriales Vertrauen verdienen.
»Die von mir gefundene Wellenlänge der Hauptnebellinie N^,€
fahrt Dr. Hartmann fort, »stimmt fast vollkommen mit dem von
Keeler aus seinen Beobachtungen des Orionnebels abgeleiteten Werte
l = 5007.05 + 0.03 überein. Dagegen finde ich die Wellenlänge
der 2. Linie merklich grösser als Keeler, der dafür den Wert
4959.02 + 0.04 giebt Dieser Wert beruht auf 5 Vergleichungen
der Nebellinie mit der Doppellinie l 4957.480 und l 4957.785 des
EiBenspektrums. Keeler sah bei seinen Beobachtungen dieses Linien-
paar nicht getrennt, und er benutzte daher als Wellenlänge für seine
Vo^eichslinie das arithmetische Mittel 4957.63. In Rowlands Sonnen-
spektnim haben die beiden Linien die Intensitäten 5 und 8; bildet
man mit Benutzung dieser Intensitäten als (Gewichten das Mittel, so
erlialt man für die Wellenlänge der durch Verschmelzung beider
entstandenen Linie den Wert 4957.67, welchen ich bei meiner
Rechnung angenommen habe. Durch Benutzung dieses Wertes würde
Keelers Wellenlänge der 2. Nebellinie übergehen in 4959.06, ein
Wert, der immer noch 0.11 von meinem Resultate abweichte
Da Keeler nicht das Spektrum des Bogens, sondern das des
Funkens angewandt hat, so vermutete Dr. Hartmann, dass der Inten-
Klein, Jahrbuch XIII. 10
146
Sternhaufen und Nebelflecke.
sitatsunterschied der Linien im Funkenspektrom ein anderer sein
könne. Dies hat sich in Versuchen, die er anstellte, völlig bestätigt.
Im Funken, der durch einen grossen Induktionsapparat und zwei
Leidener Flaschen erzeugt wurde, war die Linie 4957.480 so schwach,
dass sie neben der Hauptlinie kaum zu sehen war. Bei dem weniger
hellen Funken, den Keeler für sein Vergleichsspektrum benutzt hat,
ist es darnach sehr wahrscheinlich, dass er überhaupt nur die Linie
4957.785 gesehen und an diese die Nebellinie angeschlossen hat.
Nimmt man aber für Keelers Vergleichslinie die Wellenlänge 4957.78
statt 4957.63 an, so erhält man für die 2. Nebellinie nach Eeelers
Messungen die Wellenlänge 4959.17; dieser Wert stimmt genau mit
Dr. Hartmanns Residtat überein.
Unter Benutzung der von ihm abgeleiteten Wellenlängen von N^
und N, erhält nun Dr. Hartmann für die Geschwindigkeiten (V) der
Nebel G. C. 4390, 4373 und N. G. C 7027 folgende Mittelwerte:
V
V
Nebel
Platte
nach
nach
Hartmann
Keeler
km
G.G. 4390 Rand
I 120
— 6.7
MiUe
I 123
-l3.3(Vi)
ra390
- 9.3
m 392a
-9.8
in 892b
Mittel
-11.0
km
-10.5
-9.7
G.G. 4373 Mitte
I 127
-59.5 (V.)
Rand
in389
Mittel
—69.0
-66.8
-64.7
N. G.G. 7027 Mitte
l 144
+ 4.9
+10.1
>0b,€ sagt Dr. Hartmann, >der geringe Unterschied, den ich
für den Rand und die Mitte der Nebel G. G. 4390 und G. G. 4373
gefunden habe, auf relative Bewegungen in diesen Nebeln zurück-
zuführen ist, möchte ich nach den über die Genauigkeitsgrenze der
mit Apparat I gemachten Aufnahmen noch nicht mit Sicherheit be-
haupten. Wichtiger erscheint mir der Umstand, dass auf fast allen
Aufnahmen des Nebels G. G. 4390 die Linien eine schwache Krümmung,
sowie eine geringe Neigung gegen die Richtung der Linien des Ver-
gleichsspektrums besitzen, wodurch mir das Vorhandensein relativer
Bewegungen in diesem Nebel sehr wahrscheinlich geworden ist
Wegen des Verschwindens des Objektes in der Abenddämmerung war
es mir bis jetzt nicht möglich. Gewissheit über diese Frage zu er-
langen. Ich hoffe jedoch, dass es mir mit speziell für diesen Zweck
konstruierten Spektrographen gelingen wird, die hier angedeuteten
Untersuchungen mit Erfolg weiter zu führen. Auf Veranlassung
des GeL-Rat Vogel, der den kleinem photographischen Refraktor
des Observatoriums wegen des grössern Verhältnisses von Öffnung
Sternhaufen und Nebelflecke« 147
zu Brennweite für geeigneter zur Untersuchung der Spektra aus-
gedehnter Nebel hielt, hat im November vorigen Jahres Dr. Eber-
hard mit diesem Instrumente Au&ahmen des Spektrums des Orion-
nebels begonnen, die in Bezug auf die Nachweisung relativer Be-
wegungen im Nebel zu Resultaten von grösserer Sicherheit geführt haben.
Beobaehtungren fiber das Aussehen der Hilchstrasse
bei Betrachtung mit blossem Auge hat T. W. Backhouse angestellt^)
Er bestimmte dabei hauptsächlich die Lage der hellem Flecke und
Striche im Zuge der Milchstrasse tmter den Sternen. Dass auch
dunkle Stellen in der Milchstrasse nördlich vom Äquator vorkommen,
bezeugt die Region zwischen a Cygni und Gepheus, sowie die dunkle
SteUe zwischen ß und i Tauri. Der Beobachter glaubt, dass die
Annahme, diese dunklen Stellen seien durch eine nicht leuchtende
oder schwach schimmernde Nebelmatrie hervorgerufen, nicht gerade
zu verwerfen sei.
M Publications of the West Hendon House Observatory, Sunderland
1902. No. 2.
10»
Geophysik.
Allgemeine Eigrenschaften der Erde.
Ober das Alter der Erde seit der Bildung Ihrer festen
Oberfläche verbreitete sich neuerdings wieder Lord Kelvin.^) Als
Minimum hatte er 20 Millionen Jahre angenommen, da bei einem
geringem Alter die Erdwärme jetzt grösser sein müsste, als es der
Fall ist Das früher gefundene Maximum von 400 Millionen Jahren
ist infolge der jetzt auf experimentellem Wege gefundenen Ergeb-
nisse über das thermische Verhalten der Gesteine auf 40 Millionen
reduziert, so dass man guten Grund zu der Behauptung hat, dass
das Alter der Erde zwischen 20 und 40 Millionen Jahren liegt Be-
rücksichtigt man die Resultate, zu denen G. Barus bei seinen Ex-
perimenten über das physikalische Verhalten der Gesteine bei hohen
Temperaturen gekommen ist, so kann man sagen, dass das Erdalter
nicht über 24 Millionen Jahre reicht Aller Wahrscheinlichkeit nach
war unmittelbar vor dem Erstarren der Oberfläche das Innere bis
fast an die Oberfläche schon fest Nimmt man an, dass der Erd-
kern mit flüssiger Lava bis zu 40 hm tief bedeckt war, und betrug
der Druck 10000 Atmosphären in dieser Tiefe, so kann die Tem-
peratur dieses Lavaozeans nur wenig niedriger als 1420^ gewesen
sein. Durch Ausstrahlung in den Raum würde nach den Berech-
nungen des Verfassers der 40 km tiefe Lavasee in 12 Jahren er-
starrt sein. Nach einer kurzen Darlegung der Art, wie sich wahr-
scheinlich die Granite und Basalte gebildet haben, folgt eine
Auseinandersetzung über den Vorgang bei der Differenzierung der
Erdoberfläche in Kontinente und Ozeane. Die Entstehung von
Unregelmässigkeiten ist in erster Linie durch die Heterogenität in
verschiedenen Teilen der Flüssigkeit bedingt gewesen, welche die
Erde vor der Erstarrung bildete. War aber einmal über grosse
Flächen die Lava erstarrt, während an andern Stellen noch ein
ca. 40 km tiefes Lavameer lag, so war auch dieses nach den obigen
Annahmen in etwa 12 Jahren ausgefüllt Die mit dem Erstarren
verbundene Kontraktion muss die Niveauunterschiede weiterhin ver-
^) Phil. Mag. 47. p. 66, Auszug daraus Petermanns Mitt., litteratur-
bericht von Rudolph 1^92. No. 16, woraus oben der Text
Allgemeine Eigenschaften der Erde. 149
stärkt haben. Die Dicke der ganz festen Rinde nahm anfangs mit
grosser Geschwindigkeit zu, so dass sie im Laufe von 3 — 4 Tagen
etwa 1 m dick war. Nach einem Jahre betrug die Dicke 10 ifti nach
100 Jahren war sie zehnmal, nach 25 Millionen Jahren 5000 mal
so dick als nach einem Jahre. Wenn diese Zahlen auch nur eine
Vorstellung von dem Verlaufe des Erstarrens vermitteln sollen, so
weichen sie doch nach dem Verfasser nicht sehr von der Wahrheit
ab. Die Temperatur, bis auf welche die Erdoberfläche in wenigen
Jahren, nachdem die Erstarrung sie erreicht hatte, abkühlte, muss
eine solche gewesen sein, dass die Temperatur, bei welcher in der
Nacht Wärme in den Raum ausstrahlte, diejenige, welche während
des Tages von der Sonne empfangen wurde, um die kleine Differenz
übertrifft, welche von der von innen nach aussen geleiteten Wärme
herrührt Ohne auf die Frage nach der Beschaffenheit der Ur-
atmosphäre näher einzugehen, sucht der Verfasser nachzuweisen,
woher der Stickstoff, Sauerstoff und die Kohlensäure der Atmosphäre
stammen. Es ist ganz sicher, dass Stickstoff, Kohlensäure und
Dampf vor der anfänglichen Erstarrung aus der granitischen Mutter-
flüssigkeit in Blasen entwichen sind und ebenso später bei Erup-
tionen basaltischer Laven; denn alle bisher untersuchten Oranite und
Basalte haben in kleinen Hohlräumen grosse Mengen von Stickstoff,
Kohlensäure und Wasser kondensiert enthalten, dagegen keinen freien
Sauerstoff. Wenn auch nicht wahrscheinlich, so ist es doch möglich,
dass in der Uratmosphäre freier Sauerstoff vorhanden war. Aber,
ob mit oder ohne Sauerstoff, sobald das Sonnenlicht vorhanden war,
können wir die Erde als geeignet für ein Pflanzenleben, wie es jetzt
in einigen Arten bekannt ist, betrachten überall da, wo Wasser die
Rinde befeuchtete, ein oder 2 Jahre, nachdem die Erstarrung der
ursprünglichen Lava die Oberfläche erreicht hatte. Der dicke, zähe,
samtartige Überzug lebender Pflanzen, welcher unter warmem Wasser
ohne Zuthun der Atmosphäre gedeiht, bezieht aus dem Wasser und
der Kohlensaure oder den im Wasser gelöst vorhandenen Karbonaten
den Wasserstoff und Kohlenstoff zum Wachstume; den freien Sauer-
stoff überlässt er dem Wasser, aus dem er schliesslich in die
Atmosphäre übergeht. Solche Vegetation findet sich in Banff (Canada)
und im Yellowstone National Park. Vor dem Ende des Jahrhunderts
musste bei hinreichendem Sonnenscheine, Sonnenwärme und Regen
die ganze Erde, soweit sie nicht unter Wasser stand, für alle Arten
von Landpflanzen, welche nicht viel Sauerstoff in der Luft verlangen,
geeignet gewesen sein. Wenn hingegen in der Uratmosphäre oder
dem Urozeane kein freier Sauerstoff war, dann mussten Tausende
und Hunderttausende von Jahren verstreichen, bis genug Sauerstoff
für das Tierleben vorhanden war. Eine andere Frage ist, ob die
Sonne schon genügend Wärme spendete. War die Erstarrung der
&de vor 20 — 25 Millionen Jahren beendet, so war die Sonne
wahrscheinlich bereit, doch vielleicht nicht so warm wie jetzt, aber
150 Allgemeine Eigenschaften der Erde.
warm genug, um einiges Pflanzen- und Tieiieben auf der Erde zu
unterhalten.
Die Variation der greographischen Breiten. Hierüber sind
zwei neue Abhandlungen von Dr. Ghandler erschienen. In der ersten^)
behandelt er die Bewegung des Poles während des Zeitraumes von
1890 — 1901 und kommt zu dem Ergebnisse, dass dieselbe aus
drei voneinander unabhängigen Bewegungen zusammengesetzt ist,
nämlich: 1. einer Kreisbewegung mit einer Periode von 14 Monaten»
2. einer Jahresbewegung in einer flachen Ellipse und 3. einer Be-
wegung in einer wenig exzentrischen Ellipse mit einer Periode von
etwa 13 Monaten. In der zweiten Abhandlung erörtert Ghandler
die Möglichkeit noch eines weitem Gliedes in der Bewegung des
Poles, das eine Periode von 15 Monaten besitzt, aber äusserst klein
ist, indem es im Maximum nur 0.025^ erreicht. Prof. IQmora sucht
dagegen zu zeigen, dass eine Variation der Breiten in jährlicher
Periode mit einer halben Amplitude von nur 0.03" bestehe, von der
alle Radien in ähnlicher oder gleicher Weise betroffen werden ohne
Unterschied der geographischen Länge. Diese Wirkung müsste ein-
treten, wenn der Schwerpunkt der Erde längs der Rotationsaxe eine
jährliche Verschiebung erlitte.
Die Lotablenkungen und das Geoid in der Schweiz.
Dr. B. Messerschmitt giebt im 9. Bande des grossen Werkes: »Das
Schweizerische Dreiecknetz, herausgegeben von der schweizerischen
geodätischen Kommission,« die Zusammenstellung der Polhöhen und
Azimutmessungen und diskutiert die Ergebnisse der Ortsbestimmungen.
Aus der Zusammenstellung der Lotablenkungen ergiebt sich wiederum
auf das deutlichste, dass die Stellung des Lotes in dem hier be-
handelten Gebiete der Alpen, welches die gesamte Schweiz umfasst,
stets nahe senkrecht zum Striche des Gebirges ist. »Würde man
daher auf einer Karte alle Punkte mit gleich grosser Lotablenkung
verbinden, so ergeben diese Linien ein Bild, das der orographischen
Karte sehr ähnlich wäre. Verbindet man alle die Punkte, welche
gleich grosse Störung in Breite aufweisen, so erhält man Linien, die
nahe parallel zur Richtung des Gebirges verlaufen. Sie lassen be-
sonders auffälUg den verschiedenen Einfluss der beiden Gebirgsketten
der Alpen und des Jura erkennen, indem, wie es ja angesichts der
grössern Massen der Fall sein muss, die Anziehung der Alpen bis
nahe an den Fuss des weniger mächtigen Jura reicht Nimmt man
als den wahrscheinlichsten Wert der Lotabweichung in Bern (dem
Ausgangspunkte der geodätischen Vermessung) -f- 4".0 in Breite und
•^ B'\0 in Länge an, so verläuft die Nulllinie, längs welcher sich die
Anziehung beider Gebirge das Gleichgewicht hält, vom Genfersee
aus etwas südlich von Moudon, über Payeme, Murten gegen Zürich
') Astron. Journal No. 522.
Allgemeine Eigenschaften der Erde. 151
hin, und zwar in einer Entfernung von etwa 12 km vom Fusse des
Jura, dem sie nahe parallel geht. Sowohl nach Norden als nach
Süden zu nimmt die Anziehung rasch zu und erreicht am Jura ihr
Maximum auf der ersten Kette» bevor sie dessen Gipfel erreicht hat,
wie sich besonders aus den Beobachtungen am Chaumont ergiebt,
wo die astronomische Station nicht ganz am Gipfel liegt. Für
letztem ergiebt die entsprechende aus den Massen berechnete relative
Lotablenkung bereits einen kleinern Wert.
Nach Süden, gegen die Alpen hin, nimmt die Anziehung ähnlich
wie der Anstieg des Gebirges zunächst langsam zu; mit der grossem
Annäherung an das Massiv wachsen die Zahlen rascher. So beträgt
sie z. B. auf Naye und Berra 14", während in einer Entfernung von
noch nicht 80 km gegen den Jura zu, auf den Stationen Chalet und
Moudon nur 5'' und 4" gefunden wird. In der Gegend der Bemer
Alpen findet man wenig nördlich von Bem, im sog. Seelande, fast
keine Anziehung, infolge der beiden Gebirge, Alpen und Jura; in
Bem beträgt sie etwa 4" ; 30 — 40 km südlicher, im Thale ebenso
wie auf der Höhe wächst die Anziehung mehr und mehr. In Spiez
ergab sich in Breite 18", am Gumigel 21" (Gesamtanziehung), noch
südlicher, am Männlichen, in Breite allein 18"; während sie wieder
nördlicher davon, also entfemter vom Zentralgebirge, am Brienzer
Rothhome nur 8" im ganzen ist. Noch tiefer im Gebirge nimmt sie
rasch ab und geht durch Null hindurch, um dann wieder stetig auf
der andern Seite des Gebirges entsprechend der Entfernung von der
Mitte desselben wieder zuzunehmen. Dies lässt sich am besten längs
der Gotthardlinie verfolgen.
In der Gegend von Zürich herrscht nur eine geringe Anziehung, in
Luzem ist sie bereits 6"; am Zugerberg in Breite allein schon fast 9";
am Rigi, auf Hammetschwand, also nur 86 km südlicher, dagegen schon
17" — 18". Wieder näher dem Alpenzentrum nimmt die Anziehung
ab und ist wenig südlich vom St. Gotthard etwa Null (Göschenen
+ 1 1", Andermatt + 9", Gotthard + 4", Airolo + 2", Biasca — 2".)
ßdtsprechend zeigt sich der gleiche Vorgang auf der Südseite der
Alpen. In Biasca ist die Anziehung noch ganz gering, südlicher in
Lugano z. B. beträgt sie in Breite schon gegen 17", auf dem frei
gelegenen Ausläufer der Alpen, dem Monte Generoso, beläuft sich
der Gesamtbetrag immer noch auf fast 19"; am Fusse desselben, in
Capolago 14" in Breite allein; in Mailand 18" in Breite. Weiter
entfernt nimmt sie dann rasch ab.
Im Innem des Gebirges ist im einzelnen die Stellung des Lotes
nicht so ausgesprochen, da dort die lokalen Verhältnisse sehr herein-
spielen, was namentlich in den tief eingeschnittenen Thälem hervor-
tritt Anders dagegen ist es auf den frei gelegenen Stationen, be-
sonders den Gipfeln. So findet man am Simplon eine Anziehung
von 12", welche hauptsächlich ihren Gmnd in der südlicher gelegenen
Monte Rosa-Grappe hat; im Rhonethaie und in den südlich aus-
1 52 Allgemeine Eigenschaften der Erde.
laufenden Thalem dagegen wird je nach der Lage Anzieh^ung nach
Norden oder Süden beobachtet
Mehr im Osten wiederholt sich das gleiche Spiel. In der
Gegend des Bodensees findet man an der Ostseite, auf dem Pfänder,
eine starke Anziehung der Tyroler Alpen (13''), etwas entfernter
davon auf Hohentannen, nördlich von St. Gallen, und Gäbris nur
noch 6" — 7"; noch entfernter auf Hömli 2" — 3". Am nördlichen
Ufer des Sees dagegen dominieren die, wenn auch wenig mächtigen
Massen des Allgäus, des Hegaus und der südlichen Ausläufer der
Rauhen Alp, wie unter anderem die Anziehung von fast 7" in Hersberg,
9'' auf Hohentwiel zeigt
Weiter westlich ist der Schwarzwald massgebend, wie die Lot-
abweichungen auf Egg (14") und Achenberg (11'') zeigen, da dieses
Gebirge mächtiger ist als die etwas südlicher liegenden Juraketten.
In Basel, das sich in einem Thalkessel befindet, wird entsprechend
seiner Lage nur eine geringe Anziehung des Jura (3") erhalten.
Südlich von den oben genannten Punkten Gäbris und Hörnli
treten wieder die Alpen in ihre Rechte ein, so zeigt sich am Säntis,
dem vorgeschobenen, fast isolierten Bergmassive, schon eine Anziehung
von 9". Wieder tiefer im Gebirge selbst sind die gefundenen Zahlen
im allgemeinen klein, wie die oben mitgeteilten Werte im Engadin
ergeben.
Die geschilderten Verhältnisse beschränken sich jedoch nicht nur
auf die Schweiz, sie gelten für das ganze Alpenmassiv, wie die
Beobachtungen in den österreichischen, italienischen und französischen
Teilen der Alpen ergaben, deren Anzahl allerdings bis jetzt noch
nicht zahlreich genug ist, um dies ebenso im einzelnen, wie für die
Schweiz, nachweisen zu können. Immer steht das Lot nahe senk-
recht zum Gebirge; die Anziehung nimmt rasch mit der Annäherung
an die Alpen zu, wobei Lotablenkungen bis zu etwa 30" im Maximum
beobachtet werden; in der Schweiz selbst ist nur wenig mehr als
20" gefunden worden. Rechnet man gleichviel auf beiden Seiten
der Alpen, so erhält man etwa 50" Lotablenkung bei einer Ent-
fernung von 100 km. Wenn man berücksichtigt, dass 1" in Breite
rund 31 m auf der Erde entsprechen, so würde aus den astronomischen
Bestimmungen die Entfernung zweier nördlich und südlich gelegenen
Punkte um ca. 1.5 km, das ist mehr als 1^/^ anders gefunden wer-
den, als es die direkte, geodätische Messung ergiebt«
Die Diskussion von 5 Geoidschnitten ergiebt genügendes Ma-
terial, um ein Bild der Isohypsen des Geoids in der Schweiz mit
Höhenunterschieden von 0.5 m zu entwerfen.
»Damach stellt das Geoid in der Schweiz in dem Gebiete
zwischen Bodensee, Zürichsee bis westlich vom Sempachersee eine
grosse Ebene von fast gleicher Höhe dar, welche nur im westlichen
Teile eine kleine wannenartige Vertiefung aufweist, im Maximum
0,3 m tief. Verfolgt man das Geoid auf der schweizerischen Hoch-
Allgemeine Bigenschafien der Erde. 153
ebene weiter gegen den Neuenburger- und Qenfersee hin, so steigt
die oben genannte Gegend allmählich an und bildet ein ziemlich
breites Thal, welches in der Gegend des Neuenburgersees etwa
1.5 m höher ist als am Bodensee. Nach der nördlichen Seite hin,
gegen den Jura und Schwarzwald, steigt das Geoid langsam an und
erreicht eine Höhe, die 2 m nicht viel übersteigt Etwas schneller
ist die Steigung nach Süden, gegen die Alpen zu. In der Mitte der-
selben bildet sie einen etwa 40 — 50 km breiten Rücken, dessen
Höhe 4 — 5 m über dem angenommenen Nullpunkte liegt. Im Westen,
bei der Monte Rosa-Gruppe, ist die Erhebung etwas grösser (5 m)
als mehr östlich am Gotthard (Maximum 4.8 m). Nach der Südseite
der Alpen hin findet dann ein rascher Abfall statt, der auch in der
Poebene noch anhält. In der Gegend zwischen Mailand und Gomo
erreicht das Geoid wieder dieselbe Höhe, welche als Ausgangspunkt
genommen wurde, und sinkt dann zunächst noch mehr und erreicht
mindestens in seinem tiefsten Punkte 3 m Tiefe unter dem Ausgangs-
punkt Man erkennt daraus, dass das Geoid in der Schweiz ein
schwaches Spiegelbild der sichtbaren gewaltigen Bergmassen ist unter
AusserachÜassung des aufgeschwemmten Pothales. Soweit aus den
anderweitigen Angaben über Lotablenkungen entnommen werden kann,
gilt dies für das ganze Alpengebiet
Das Geoid der Alpen bildet eine grosse bogenförmige Welle,
welche sich nach Norden zu langsam abflacht, während sie nach
Süden verhältnismässig steil abfällt Dass der Abfall in der Poebene
zunächst noch in gleichem Masse fortbesteht, ist leicht dadurch zu
erklären, dass gerade diese Ebene nur ein aufgeschwemmtes Land
ist, während in Wahrheit das Gebirge hier noch tief hinabreicht.
Erst mit der Annäherung an die Apenninen ist wieder ein Steigen
des Geoids zu erwarten.
Wenn hier die geometrischen Verhältnisse der mathematischen
Gestalt der Erdoberfläche so deutlich dargestellt werden können, so
hat dies seinen Grund in dem einfachen BUdungsgesetze des ganzen
Alpenmassivs. Durch gewaltige Schubkräfte, welche von der Süd-
seite her die Erdkruste zusammenpressten, ist der steilere Absturz
der Südseite der Alpen bedingt; analog verläuft hier das Geoid steiler
als im Norden. Vergleicht man damit die Resultate, welche aus
den Beobachtungen der Intensität der Schwere folgen, so findet man
manche interessante Übereinstimmung, aber auch ganz charakteristische
Abweichungen. Betrachtet man die im Original gegebenen Linien
gleicher Schwereabweichung (Isogammen), so ist auf der Südseite
der Alpen eine rasche Änderung der Schwere vorhanden, weshalb
die Unterschiede zwischen der beobachteten, auf Meereshöhe redu-
zierten Schwere gegenüber der theoretischen rasch kleiner werden,
also ganz analog dem Verlaufe des Geoids. Ebenso bleibt im
Innern der Alpen weithin der Unterschied nahe gleich, und zwar
ist die beobachtete Schwere geringer als die theoretische. Ganz
154 Allgemeine Eigenschaften der Erde.
abweichend aber vom Geoid verhält sich die Schwere in den öst-
lichen Schweizer Alpen gegen Tirol zu, im Engadin, wo die Be-
obachtungen beider Länder zusammenstossen. In Martinsbnick ist
von Oberst von Stemeck und vom Verf. unabhängig beobachtet und
das gleiche Resultat erhalten worden; zwei weitere Beobachtungs-
punkte, St Maria im Münsterthale und Mals, sind nur in geringer
Entfernung voneinander und können daher leicht aufeinander reduziert
werden. Auch sie stimmen gut miteinander überein. Die Verbindung
der beiderseitigen Messungen ist daher vollständig gesichert. Während
die Schwere in dem übrigen Teile der Alpen nur etwa 1,20 mm
kleiner als die normale gefunden wird, kommt die Differenz in diesem
Gebiete auf 1,6 — 1,7 mm.
Im nördlichen Teile der Alpen und auf der schweizerischen
Hochebene bis zum Bodensee wird durchgehends eine mittlere Ab-
weichung von nahe der gleichen Grösse gefunden; im östlichen Teile
der Schweiz gehen dabei die grossem Abweichungen mehr nördlicher
als im Westen, ja hier, in der Gegend des Genfersees, findet sich
eine grössere Stelle, wo die Unterschiede zwischen beobachteter und
berechneter Schwere am kleinsten werden. Der Jura tritt bei der
Intensität der Schwere gar nicht hervor, indem dort nahe die
gleichen Werte wie in der schweizerischen Hochebene gefunden
werden. Dies ist sehr charakteristisch im Vergleiche zum Geoid.
Die geringsten Unterschiede werden am Rhein in der Gegend
von Basel bis Schaffhausen gefunden, ebenso am Hohentwiel, während
wieder im Schwarzwald die Unterschiede zunehmen. Bezeichnet man
die Abweichungen als Defekte, wenn die Schwere kleiner beobachtet
wird, als es die Theorie erfordert, so erscheint der schweizerische
Jura im Vergleiche mit dem schweizerischen Mittellande, der sog.
Hochebene, gar nicht kompensiert, indem hier überall nahe der
gleiche Massendefekt, entsprechend einer Mächtigkeit von 800 bis
400 m Höhe bei einer Dichte von etwa 2,3 gefunden wird. Es
hängt dies mit der Natur des Jura und seiner Entstehung innig zu-
sammen. Der Jura ist kein Faltengebirge, welches durch Auslösen
gewaltiger Spannungen entstanden ist, sondern mehr ein einfaches
Hebungsgebiet. Es sinkt daher, trotz der kolossalen Mächtigkeit der
Kalkablagerungen, das Gebirge nicht tief in die Erdrinde ein, sondern
es ist in verhältnismässig geringer Tiefe eine normale Schichtung des
Gesteins zu erwarten. Anders bei den Alpen und auch dem Schwarz-
wald, welche, Dank ihrer Entstehungsgeschichte, noch tief hinab ihre
Wirkung hinterlassen haben und so durch die verminderte Stärke
der Schwerkraft nachgewiesen und gewissermassen abgewogen wer-
den können. Es dringen die weniger dichten Gesteine hier noch in
Tiefen hinab, die sie bei normaler Lagerung nicht haben, und des-
halb erscheinen in ihrer Wirkung auf die Schwingungszeiten des
Pendels die oberirdischen Massen unterhalb kompensiert. Die stärkere
Abweichung im Engadin wäre dann dadurch zu erklären, dass dort
Allgemeine Eigenschaften der Erde. 155
die Falten des Gebirges noch tiefer hinabreichen als in andern
Teilen der Alpen, speziell der Bemer und Freiburger Alpen. Es ist
ja nun auch in der That der geologische Aufbau des Gesteins in
dieser Gegend komplizierter als in den eben angeführten andern
Teilen der Schweiz. Wahrend die Zentralalpen aus Gneiss und
Glimmerschiefer aufgebaut sind, treten hier neben dem Bündnerschiefer
und andern Gesteinsformationen besonders noch die krystallinischen
tiefen Gesteine, Granite und verwandte Arten auf. Ein Eindringen
derselben in noch grössere Tiefen erscheint aber sehr gut möglich
und giebt sich eben bei den Pendelmessungen durch eine schwächere
Intensität der Schwere zu erkennen.
Auf die Richtung des Lotes jedoch sind diese tiefer gelegenen
Schichten nur von untergeordneter Bedeutung. Wie Dr. Messerschmitts
Berechnungen der Lotabweichungen in der Schweiz ergeben haben,^)
erhält man aus den sichtbaren Massen im Umkreise von etwa 35 km
nahe die richtige Lotablenkung. Das nämliche Ergebnis fand sich
auch für die bayerischen Alpen aus den Rechnungen C. von Orffs
und für die Tiroler Alpen nach den Rechnungen von Pechmann, es
gilt also wohl für die ganzen Alpen. Auch für den Harz') erhält
man ähnliche Resultate, während ein solch einfaches Gesetz für
andere Gegenden, ganz abgesehen von den unsichtbaren Störungs-
gebieten, wie denjenigen bei Berlin und Moskau, nicht nachgewiesen
werden konnte. So geben die Berechnungen in England^) eine
weniger gute Übereinstimmung. Es hängt eben ein solches ein-
faches Verhalten von der geologischen Struktur der betreffenden
Gegend ab. Sobald in kürzerer Entfernung die Dichtigkeitsverhält-
nisse namentlich in geringerer Tiefe sich rasch ändern, kommt dies
auch in der Lotstellung zum Ausdrucke, und es kann ein verhältnis-
mässig kleiner Störungskörper, wenn man sich so ausdrücken darf,
durch das Lot erkannt werden, w^ährend er wegen seiner Gering-
fügigkeit auf die Intensität der Schwere zu wenig einwirkt, um dort
noch messbare Wirkungen zu hinterlassen. Im Gegensatze hierzu
fällt der grosse Massendefekt in den Alpen bei der Lotstellung ganz
ausser Betracht, da er eben überall nahe gleich stark hereinspielt
Die Ablenkung des Lotes in Indien. Diese Frage ist noch
keineswegs genügend beantwortet, doch hat Major S. G. Burrard in
einem unlängst erschienenen Werke ^) den Gegenstand so weit geklärt,
dass fernere Arbeiten in zielbewusster Weise darauf begründet werden
können. E. A. Reeves giebt von diesem Werke und dem ganzen
^ Astron. Nachr. 1896 14L No. 3865. p. 75.
*) Über den Einfluss der sichtbaren Massen des Harz auf die Stellung
des Lotes. Zeitschiift für Vermessungswesen 1899. 28. p. 634.
*) Helmert, Die math. und physik. Theorien der hohem Geodäsie.
Leipzig 1884. 2. p. 376.
*) The Attraction of the Himalaya Mountains 1901.
156 Allgemeine Eigenschaften der Erde.
Problem eine äusserst fesselnde Darstellung,^) der folgendes ent-
nommen ist. Ehe es möglich wird, festzustellen, um welchen Betrag
der Himalaya die Lotlinie durch Indien ablenkt, ist es notwendig,
die Beobachtungsstation von dem Einflüsse der Lokalattraktion zu
befreien, und um dieses auszuführen, schlug General Walker ein
System der Gruppierung vor, d. h.. dass jede Station von andern
in geringer Entfernung liegenden Stationen umgeben werden soll, und
dass Beobachtungen an allen diesen Stationen zu machen sind,
aus denen die Lokalattraktion abgeleitet werden könnte. In der-
selben Abhandlung versuchte er das Überwiegen von nördlichen Ab-
lenkungen durch Indien zu erklären, indem er annimmt, dass Lokal-
attraktion eine südliche Ablenkung in Ealiänpur hervorbringt, welche
Station als Reverenzstation für die indische Vermessung ange-
nommen wird.
Durch die indische Landesvermessung wurde beschlossen, die
Vorschläge Walkers in Ausführung zu bringen und eine »Gruppierungc
von Beobachtungsstationen einzurichten rund um Kaliänpur, um die
Lokalattraktion an diesem Platze festzustellen. Das Resultat der
an diesen Stationen gemachten Beobachtungen ist in Major Burrards
Bericht enthalten, der die nachfolgenden Werte der Breite von
Kaliänpur mitteilt:
In der Berechnung der Triangulation angenommener Wert 24^7' 11.20''
Mittlerer beobachteter Wert von sechs verschiedenen Be-
obachtungen in Kaliänpur selbst ausgeführt von verschie-
denen Beobachtern zwischen 1824 und 18d9 (die grösste
Differenz zwischen diesen ist O.85'0 24«7' 10.97"
Von der >Gruppierung€ abgeleiteter Wert 24*7' 11.57"
Unter der Annahme, dass der durch die »Gruppierungc abgeleitete
Wert von Lokaleinfluss befreit ist, wird gefolgert, dass das astro-
nomische Zenit von Kaliänpur um 0.60'' nach Norden verschoben
ist. Dieses Resultat ist überraschend, denn statt der südlichen Lokal-
ablenkung in Kaliänpur, wie sie Walker annahm, findet sich eine
nördliche. Danach musste der ganze Gegenstand wieder aufgenommen
werden, und es giebt der Bericht Major Burrards das Endergebnis
dieser neuen Arbeit, so dass der Bericht eine grosse Masse der
peinlichsten Arbeit darstellt.
Die Hauptergebnisse, zu denen Burrard gekommen, fasst er in
folgender Weise zusammen:
Die Umkehr der Lotablenkung längs des Parallels von 24^ n. B.
(der Breite von Kaliänpur) ist einer grossen unterirdischen Kette oder
Masse von ausserordentlicher Dichte zuzuschreiben, die sich quer
durch Indien von Ost nach West über 1000 englische Meilen weit
erstreckt; die Einflüsse der Anziehung sind von Breite 10^ bis
Breite 30^ bemerkbar.
^) Geograph. Journal 1902. No. 615, deutsch in Annaien der Hydro«
graphie 1902. p. 284.
Allgemeine Eigenschaften der Erde. 157
Diese Gebirgskette ist die waJbrscheinliche Ursache der positiven
Ablenkung im Norden von 24^ Breite und der negativen Ablenkung
südlich davon.
Sie bezeichnet den wirklichen Einfluss der Himalaya- Anziehung:
Der Himalay-Einfluss leidet auf diese Weise sowohl durch Kompen-
sation wie durch Verdeckung.
Die Langenbogen des Punjab lassen vermuten, dass der unter-
irdische Gebirgszug in Rajputana nach NW. sich erstreckt und einen
Parallelverlauf mit dem Himalaya innehält.
Die Einflüsse der Gebirgskette sind überlagert über jenen der
weit sich erstreckenden Himalaya- Attraktion; der letztere verursacht
wahrscheinlich eine Ablenkung der Lotlinie in Kap Oomorin um den
Betrag von 1 oder 2 Bogensekunden.
Südlich von der Gebirgskette, von der Breite 20 ® bis zu der Breite 8 ^
wurde beobachtet, dass die nördliche Ablenkung der Lotlinie nach
und nach abnimmt auf eine Entfernung von 800 Meilen, indessen
die Totalabnahme sich auf 10" von — 8" in der Breite 20^ zu 2"
in der Breite 8^ erhält Diese Abnahme ist möglicherweise ein
Himalaya-Einfluss.
Die Reduktion der auf der physischen Erdoberfläche
beobachteten Schwerebeschleunigrungr auf ein gemeinsames
Niveau behandelte F. R. Helmert ^) Er stellt darin fest, dass die
Bouguersche, eigentlich erst von Young eingeführte Methode bei
gehöriger Änderung der Auffassung ein sehr genaues Verfahren vor-
stellt und nebenbei auch Werte liefert, die die Grundlage für mathe-
matische Betrachtungen über die Erdfigur bilden können. Der Ver-
such, das Meeresniveau als äusseres Potentialniveau innerhalb des
Festlandes fortzusetzen, zeigt, dass dies nur in ziemlich roher An-
näherung möglich ist.
Bestlmmungr der Schwerkraft auf dem Atlantischen
Ozeane. Nachdem H. Mohn in Ghrisüania kürzlich gezeigt hatte,
dass man die Schwerekorrektion des Quecksilberbarometers auf Land-
stationen bis auf einige Hundertstelmillimeter genau mittels des
Siedethermometers bestimmen könne, ^ fasste Prof. Helmert den Ent-
schluss, aus vergleichenden Beobachtungen an Quecksilberbarometern
und Siedethermometem die Grösse der Schwerloraft auf dem Ozeane
bestimmen zu lassen, falls Vorstudien dieser Absicht günstig aus-
fielen. Mit diesen betraute er den ständigen Mitarbeiter Dr. Hecker
im Geodätischen Institute zu Potsdam, welcher zunächst im Labora-
torium für ruhende Instrumente noch wesentlich günstigere Ergebnisse
erzielte, über die in der Meteorologischen Zeitschrift und der Zeit-
1) Sitzungsber. d. K. Preuss. Akad. d. Wissensch. Berlin 1902. p. 848.
^ Das Hypsometer als Luftdruckmesser und seine Anwendung zur
Bestimmung der Schwerekorrektion. Christiania 1899.
1 58 Allgememe Eigenschaften der Erde.
Schrift für Instromentenkunde von 1901 berichtet ist Nach weitem
Erkundigungen und Studien über die instrumenteilen Bewegungen
auf den fahrenden grossen Dampfern, sowie nach Auswahl einer
Linie mit möglichst ruhiger Fahrig, unternahm Dr. Hecker eine Be-
obachtungsreise nach Südamerika im Juli und August 1901.
Er benutzte 4 Barometer und 6 Siedethermometer. Diese Instru-
mente, besonders die Barometer, wurden gemäss Vorversuchen gegen-
über den üblichen wesentlich verändert Zwei der Barometer re-
gistrierten photographisch. Die Ergebnisse aller Instrumente zeigen
eine befriedigende Übereinstimmung. Die Hinreise erfolgte bei besserer
Witterung als die Herreise; auf diese Hinreise erstrecken sich daher
die bis jetzt ausgeführten Reduktionen allein. Die Ergebnisse wurden
von Dr. Hecker mit Helmerts Formel für die normale Schwere ver-
glichen, welche Formel bekanntlich der kontinentalen Schwere entspricht
Das Ergebnis der Heckerschen Arbeit ist folgendes : Die Schwer-
kraft auf dem tiefen Wasser des Atlantischen Ozeans zwischen
Lissabon und Bahia ist nahezu normal (entsprechend Helmerts kon-
tinentaler Schwereformel von 1901).
Hierdurch wird also die Hypothese von Pratt über die Lagerung
der Massen der Erdkruste glänzend bestätigt Nansen hatte gelegent-
lich seiner Polarfahrt auf dem tiefen Polarmeere bei festgefrorenem
Schiffe relative Sohweremessungen mit einem Pendelapparate aus-
führen lassen. Nach 0. E. Schiötz zeigte sich auch hierbei die Schwer-
kraft der Hypothese von Pratt entsprechend nahezu normal^)
Die beiden Erfahrungen zusammengenommen geben dieser Hypo-
these, für die auch andere Anzeichen sprechen, eine kräftige Stütze,
und man wird von nun ab mit derselben (wenn auch nur im Sinne
einer allgemeinen Regel) als einer Thatsache rechnen dürfen. Die
radialen Abweichungen der wirklichen Erdfigur im Vergleiche zu der
rechnungsmässigen mittiem (Gestalt des Erdellipsoides werden sich
daher innerhalb der von Helmert schon früher vermuteten Grenzen
von + 100 m bewegen.
Oberflächengrestaltunff.
Das Siebengebirge am Rhein. Der erste Versuch einer
wissenschaftlichen Beschreibung des Siebengebirges wurde von
C.W. Nose vor 112 Jahren gemacht, die eigentliche Erforschung be-
ginnt indessen mit Heinrich v. Dechen, der 1829 ein geologisch
koloriertes Modell desselben anfertigte und 1852 seine »geognostische
Beschreibung des Siebengebirges am Rheine zuerst veröffenüichte.
Auf dieser Grundlage haben G. vom Rath, v. Lasaulx, Laspeyres,
Pohlig, Grosser und andere weiter gebaut und an der Hand der
^) Physikalische Zeitschrift 1901. p. 567.
Oberflächengestaltung. 159
fortgeschrittenen Gesteinskunde den Aufbau dieses Gebirges immer
weiter ins einzelne hinein festgestellt Die zahhreichen Untersuchungen
dieser Forscher sind in der umfangreichen Fachlitteratur zerstreut/
und seit der letzten Ausgabe des v. Oechenschen Werkes, also seit
40 Jahren, wurde eine zusammenfassende Beschreibung des Sieben-
gebirges nicht mehr versucht Zum Teil lag dies daran, dass es an
zuverlässigen, ins einzelne eingehenden Karten dieses Gebietes fehlte,
ein Mangel, dem erst 1895 abgeholfen war, als das Blatt »Eönigs-
winterc der Messtischblätter der königl. preuss. Landesaufnahme
erschien. Jetzt konnte an eine Verwertung des durch so viele
Geologen und Mineralogen angesammelten Beobachtungsmateriales ge-
dacht werden, und diese Arbeit nahm ein Mann in die Hand, der ein
Dritteljahrhundert früher schon durch v. Dechen selbst in die geo-
logische und mineralogische Durchforschung des Siebengebirges ein-
geführt worden war. Prof. Hugo Laspeyres in Bonn hat diese seine
erschöpfende Bearbeitung des gesamten über das Siebengebirge vor-
liegenden Materiales daher auch pietätvoll der Erinnerung an v. Dechens
hundertsten Geburtstag gewidmet und in diesem Werke (»Das Sieben-
gebiige am Rheine, Bonn 1901.) den gegenwärtigen Standpunkt der
Wissenschaft über den geologischen Bau und die Bildungsgeschichte
desselben dargelegt
Die massigen Gesteine, aus denen das Siebengebirge im wesent-
lichen besteht, sind Trachyt, Andesit, Dolerit und Basalt in zahlreichen
Übergängen, Gesteine, die voreinst in glühendflüssigem Zustande dem
Erdinnem entquollen. Unermessliche Zeiträume hindurch, bevor dieses
geschah, bedeckten mächtige, horizontal gelagerte Schichten uralter
Meeresabsätze die ganze Gegend und einen grossen Teil Westdeutsch-
lands. Diese Schichten gehören der devonischen Formation an, und
an der Westseite des jetzigen Siebengebirges zeigen sie sich heute
als breite Sockel mit steilen Weinbergsgehängen nach dem Rhein hin
und ebener, terrassenförmiger Stufe, über der sich, etwas abgerückt
vom Rhein, die vulkanischen Kegel erheben. Cber den Schichten-
köpfen des Devon liegen tertiäre Ablagerungen, und zwar auf beiden
Rheinseiten in gleicher Höhe und Ausbildung, da das Rheinthal erst
später entstand und sich in sie eingeschnitten hat. Diese ältesten
tertiären Schichten sind vor den vulkanischen Ausbrüchen, welche
das Siebengebirge schufen, zur Ablagerung gekommen, denn sie ent-
halten kein vulkanisches Bildungsmaterial, sondern sind fast ganz aus
der mechanischen und chemischen Zerstörung des Devongesteins her-
vorgegangen. Während dieser Epoche kamen dann die Trachyttuffe,
das mächtigste und verbreitetste Gebirgsglied des Siebengebirges, zur
Ablagerung. Es sind vulkanische Trümmergesteine, die aus der Tiefe
stammen, und Einschlüsse des von ihnen durchbrochenen devonischen
Grandgebirges, des tertiären Gesteins, und sogenannte vulkanische
Brocken, aus Trachyttrümnunern und Bimsstein bestehend, enthalten.
Diese Tuffe sind durchweg geschichtet, die tiefsten, unmittelbar auf
160 Oberflächengestaltung.
dem Devon liegenden sind grob im Materiale und unregelmässig ge-
lagert; diese befinden sich dem Eruptionsschlunde, dem sie entstiegen,
offenbar am nächsten, während in grösserer Entfernung mit der
Verfeinerung des Trümmermateriales die Schichten an Regelmässigkeit,
Ausdehnung und Ebenflächigkeit zunehmen. Die Verfestigung des
ursprünglich schüttigen Trümmermateriales zu den heutigen Tuffen
ist nach Laspeyres wohl weniger durch den Druck der überliegenden
Massen als infolge einer überall eingetretenen und oft sehr weit vor-
angeschrittenen chemischen Änderung ihrer Feldspatbestandteile vor
sich gegangen. Diese Trachyttuffe haben ihre grösste Mächtigkeit
und Höhenlage im Siebengebirge selbst, erstrecken sich aber weit
über dasselbe hinaus, besonders auch auf die linke Rheinseite, und
es ist wahrscheinlich, dass es ein oder mehrere Ausbruchsschlünde
im Siebengebirge waren, welche diese Auswürflinge lieferten. Von
diesen frühesten Kratern aber hat sich keiner erhalten; nur eine
trichterförmige Einsenkung zwischen Petersburg und Drachenfels, am
Austritte des Nachtigallenthales, die bis unter die Sohle des gegen-
wärtigen Reinthaies niedersetzt, und wo der Tuff unmittelbar auf dem
devonischen Grundgebirge abgelagert ist, leitet auf die Vermutung,
dass dort ein alter Tuffkrater zu suchen ist Am besten aufgeschlossen
ist der Tuff daselbst in dem tiefen Hohlwege, welcher den Namen
die Hölle führt. Der Wanderer betritt dort, links neben dem Ein-
gange in das Nachtigallenthal, eine 300 m lange bis 20 m tiefe,
von fast senkrechten Tuffwänden gebildete Schlucht, deren Entstehung
nicht leicht zu begreifen ist, und die schon dem Laien auffällt In
jener uralten Zeit, als diese Tuffe ausgeworfen wurden, befand sich
an Stelle des heutigen Rheinthaies eine Meeresbucht, deren Wasser-
spiegel in 180 nt Höhe lag. Soweit die Tuffschichten unterhalb dieser
Höhe liegen, sind sie also in Wasser zum Absätze gekommen. Doch
so tief liegende Tuffe finden sich, und zwar auf beschränktem Gebiete,
fast nur ausserhalb des Siebengebirges; die meisten vulkanischen
Trümmermassen sind mithin auf dem Lande abgesetzt worden, und
durch sie wurden die stehenden Gewässer immer weiter nach Nord
und West zurückgedrängt Von jener Zeit an ist, wie Laspeyres aus->
drücklich hervorhebt, das Siebengebirge Land geblieben. Seine Ober-
flächengestaltung unmittelbar nach dem Tuffausbruche war nach der
Darstellung von Laspeyres die einer vulkanischen Hügellandschaft,
deren Höhen bis 250 m über die Küste der Tertiärbucht sich erheben
mochten, und mehrere kleine Tuffkrater zeigten das Ganze vielleicht
ähnlich den phlegräischen Feldern bei Neapel, aber mit geringem
Abmessungen. Wie lange dieser Zustand gedauert hat, ist unbekannt;
jedenfalls aber war es in der tertiären Epoche, als infolge unbekannter
Vorgänge aus dem Erdinnern vulkanische- Massengesteine als Lava
hervorquollen, am frühesten Trach3rte, dann Andesite und zuletzt
Basalte. Sie durchbrachen dabei die Schichtgesteine und bildeten
darin Gänge oder Kuppen, die Basalte vielleicht auch Ströme oder
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OberflächeDgestaltiing. 161
Decken auf den Tuffen. Die Lavagänge zeigen in den meisten Fallen
Richtungen ihres Streichens, welche eine Abhängigkeit der Ausbrüche
von den im Grundgebirge vorhandenen tektonischen Spalten hervor-
treten lassen, und auch in der Reihe der Lavakuppen scheinen diese
Richtungen sich bemerkbar zu machen. Die Kuppen bilden kegel-
oder glockenförmige Massen, welche innerhalb des durchbrochenen
Gesteins, also mit der Tiefe, an Umfang abnehmen, wie aus den
Steinbruchbetrieben sich ergiebt, Sie haben also die Gestalt eines
Pilzes, dessen Stiel der mit Lavamasse ausgefüllte Ausbruchskanal
bildet, doch ist bis jetzt ein solcher Eruptionskanal noch an keiner
Kuppe durch Steinbruchbetrieb wirklich freigelegt worden. Indessen
macht Prof. Laspeyres auf einzehie Punkte, z. B. beim Dechendenkmal
an der Wolkenburg, aufmerksam, woselbst mit basaltischem Tuffe
und auch mit Basalt ausgefüllte, weder gang-, noch kuppenförmige,
sondern mehr schlotartige Gebilde sich finden, die er nur als
Eniptionsprodukte deuten kann, bei denen die Lava oben über dem
Stiele durch Erosion im Laufe der Zeit verschwunden ist. Aus Trachyt
bestehen folgende Kuppen: der Drachenfels, der Schallen- und Geisberg,
der Lohrberg, Eugenienruhe, der Remscheid; aus Andesit: die Wolken-
burg, der Hirschberg, der Stenzelberg, von dem sich ein mächtiger
Andesitgang über die grosse Rosenau und den Wasserfallberg bis
an die Strasse des Mittelbachthales verfolgen lässt; endlich der grosse
und kleine Breiberg und der ölender. Basaltkuppen sind: der
Petersberg, der Nonnenstromberg, der Gipfel des grossen Olberges;
die basaltische Kuppe der Löwenburg hat einen Kern von Dolerit,
den man anstehend nur auf der Spitze dieses Berges findet, ausser-
dem so im ganzen Siebengebirge nur an einem kleinen Küppchen
am Nordabhange des Brüngelsberges.
Was den Vorgang bei der Entstehung dieser Lavakuppen im
allgemeinen anbelangt, so stellt diesen Prof. Laspeyres an einer
Basaltkuppe in Trachyttuff — solche sind beispielsweise der Peters-
berg, der Nonnenstromberg, der grosse Weilberg — in folgender
Weise dar: »Zuerst bildete sich um die Ausbruchsstelle über den
Trachyttuffen ein mehr oder minder deutlich geschichteter Vulkan-
k^l mit eingesenktem Krater. Die tiefsten dieser vulkanischen
Schichten werden vorwaltend aus den ausgeblasenen Trümmern
des Trachyttuffes bestehen, untermischt mit vereinzelten Schlacken,
Bomben vl s. w. des basaltischen Ausbruches, sowie mit Brocken
von den durchsetzten Tertiär- und Devonschichten. Nach oben hin
werden sie aber immer mehr Basaltmaterial neben dem trachytischen
führen und schliesslich fast ganz aus basaltischen Trümmern bestehen.
Zum Schlüsse der Eruption wird der Krater und Kraterschlund von
der ruhiger aufsteigenden Basaltlava mehr oder weniger hoch erfüllt
worden sein. Diese erstarrte im Krater, bevor ein Lavastrom sich
durch den Kraterwall Bahn brechen oder über den Kraterrand sich
ergiessen konnte. Damit war der vulkanische Ausbruch an dieser
Klein, Jahrbuch Xin. 11
162 Oberflächengestaltang.
Stelle beendete Die alten Vulkankegel sind wahrscheinlich ursprünglich
nicht viel höher gewesen als die der jetzigen Kuppen, weil an dem
Gipfel der Berge die Lava lediglich durch den Schlagregen nur wenig
zerstört und abgetragen worden sein kann. Was die Veränderungen
dieses Landschaftsbildes durch die Thätigkeit des Wassers, die Erosion,
anbelangt, so stellt Prof. Laspeyres diese in etwas anderer und
wahrscheinlicherer Weise dar, als meist angenommen wird. »Die
Herausschalung des jetzigen Siebengebirges, c sagt er, »aus dem
frühem Zustande erfolgte zunächst nicht mittels grosser tertiärer
oder nachtertiärer Wasserfluten, sondern durch den auffallenden und
abfliessenden Regen, denn das Gebiet über 180 m Höhe war seit
dem Beginne der Tuffbildung bis heute Land. Die lockern Tuff-
schichten wurden zunächst von der Erosion betroffen, in sie schnitten
sich die Thaler bis zu 180 m Höhe ihrer Sohle ein. Eine weitere
Vertiefung der Thäler in und durch die Tuff- und Tertiärschichten,
sowie in die Devonschichten konnte erst beginnen, als zur Diluvial-
zeit der Rhein sich tiefer und tiefer unter die 180 m- Sohle ein-
schnitt. Die Kuppen, soweit sie über 180 m emporragen, erhielten
ihre jetzige GestsJt mithin in der Weise, dass zuerst die an der
Aussenböschung der Vulkankegel ausgehenden Grenztuffe mehr und
mehr fortgewaschen wurden, bis dadurch die den Krater erfüllende
Lavamasse so stark unterwaschen war, dass sie von den Rändern
zu Bruche ging und an den Abhängen der sich so bildenden glocken-
und domförmigen Erosionskegel die Blockhalden lieferte. Die die
Lava früher bedeckenden Stromschlacken, die an der DoUendorfer
Hardt noch jetzt teilweise erhalten geblieben zu sein scheinen, sind
an allen übrigen Kuppen fortgewaschen worden. Die grossen Basalt-
kugeln, welche den Gipfel des Petersberges bedecken und sich, nur
kleiner, in den vermeintlichen Stromschlacken der DoUendorfer Hardt
finden, sind vielleicht Überreste jener Stromschlackenbedeckung. c
Während der Diluvialzeit hat der Rhein sein Bett nach und nach
beträchtlich unter die heutige 65 m hoch liegende Thalsohle ein-
geschnitten und dadurch die beiderseits von ihm liegenden Züge von
plateauartigen Vorbergen gebildet, die wir heute dort sehen.« Aus
jener Periode stammt auch die Ablagerung des Rheinlöss, dessen
Auftreten in den diluvialen und jetzigen Thälem an eine bestimmte
Höhenlage zwischen 65 und etwa 240 m gebunden ist Dadurch verrät
sich, wie Prof. Laspeyres ausführt, diese Lössbildung als der Absatz
äusserst feiner Sinkstoffe des Rheinwassers, und zwar des auf-
gestauten Rheines. »Der Absatz begann nach Eintritt einer Thal-
sperre im Unterlaufe des Rheines in den Thälem, nach Vollendung
der gesamten diluvialen Erosion in allen diluvialen Schotter-
ablagerungen und stieg mit den gestauten Fluten allmählich immer
höher bis gegen 240 m hoch.« Nachdem die Stauwasser 100 bis
120 m hoch standen, und die ersten Lössabsätze schon erfolgt waren,
fand nach Laspeyres der Ausbruch des Rodderberges statt. Als
Oberflächengestaltong. 163
Ursache der Thalsperre des Rheines ist die letzte Vereisung Nord-
deutschlands zu betrachten, während deren das nordische Inlandeis
eine machtige Barriere bildete; auch bezeichnet von Schlesien bis
nach Belgien hin überall Löss das Abzugsthal der mit den Gletscher-
strömen vereinigten aus dem mittlem Deutschland kommenden Flüsse.
Welche Jahresreihe verflossen ist, seit die norddeutsche Eisbedeckung
geschwunden, und der Rhein wieder seinen Ablauf finden konnte,
weiss man nicht; wahrscheinlich fällt diese Epoche zusammen mit
dem frühesten Auftreten des Menschen in dieser Gegend. Aber so
weit liegt diese Zeit hinter der Gegenwart, dass seitdem die Bäche
aus dem Siebengebirge am Austritte ihrer Thaler die breiten in die
Rheinthalsohle auslaufenden Schuttkegel absetzen konnten, auf denen
sich Honnef, Rhöndorf, Ramersdorf und andere Orte erheben.
Das Antlitz der Alpen bildete den Gegenstand von Aus-
führungen Prof. Pencks (Wien) in der geographischen Abteilung der
Naturforscherversammlung zu Eieurlsbad (1 902). Obgleich geologisch jung,
bemerkte Penck, könnten die Alpen im Sinne der neuem Geomorpho-
logie doch nur als reifes Gebirge gelten; denn ihre Oberflächen-
gestaltung werde nicht mehr beherrscht von der Regel: was am
höchsten gehoben, ist am jüngsten, sondern von der andern Regel:
was fest ist, ist hoch. Einzelne Teile des Gebirges trügen sogar
morphologisch Züge hohen Alters, wie z. B. das Rumpfvorland in
Oberbayem; vereinzelt nur seien wirklich junge Erhebungen, die
bisher nur im Yorlande nachgewiesen werden konnten und bemerkens-
werterweise dort fehlten, wo eine Stauung des Gebirges an vor-
gelagerten Erhebungen angenommen wird. Wenn die Alpen gewisse
Züge der Jugendlichkeit tragen, so hänge dies nicht mit ihrer jungen
Entstehung, sondern mit der Vergletscherung zusammen, die sie be-
troffen hat Deutlich könne man erkennen, dass in den Alpen der
glaziale Formenschatz jünger ist als der für den Reifezustand einer
Landschaft charakteristische, welch* letzterer in den nicht ver-
gletscherten Teilen des Gebirges herrscht und sich in Spuren weit-
hin in das ältere Gletschergebiet verfolgen lä.sst. Aus diesen reifen
Formen mit gleichsinnigen Böschungen sind die glazialen durch eine
grossartige Erosion herausgescimitten, welche die Böschungen abstufte
und gelegentlich verkehrte, so dass in den Thalem und an den Ge-
hängen Seen entstanden. Dabei ist aber der Grundriss vom Ge-
wässernetze der Alpen nur wenig verändert worden. Er spiegelt
direkt oder indirekt den Gbbirgsbau; was aber reizvoll ist im Antlitze
der Alpen , der Spiegel ihrer Seen, die Pracht ihrer Wasserfälle, die
Kühnheit ihrer Gipfel, das alles ist der Eiszeit zu danken. Penck
kommt auf Grund neuester Forschungen zu dem Ergebnisse, dass
in den Alpen wenigstens vier verschiedene Kälteperioden statt-
gefonden hätten, die durch wärmere Epochen, interglaziale Perioden,
voneinander geschieden waren. Die Hauptkälteperiode sei die zweite
II»
164 Qberflächengestaltung.
gewesen, während ihrer Dauer habe die Eisbedeckimg Europas ihr
Maximum erreicht Was den Urmenschen anbelangt, so stellt Penck
die Funde aus der ältesten Steinzeit in die früheste Interglazial-
epoche, die Funde, welche man der sogenannten neolithischen Peripde
zugeteilt hat, entstammen dagegen nach seiner Ansicht der ^st-
glazialen Epoche. Letztere umfasst, im Vergleiche zur paläolithischen
Periode , nur einen relativ kurzen Zeitraum ; das erste Auftreten des
Menschen in Europa verlegt Penck dagegen um 40 — 50 Jahrtausende
hinter die Gegenwart.
Das KarwendelgeblrgrO. Über den Bau desselben, auf Grund
der geologischen Neuaufnahmen, gab Dr. 0. Ampferer eine Übersicht^)
Der südlichste Kamm der Innthalkette ist sehr steil aufgerichtet, der
nächste, der Gleierschkamm, steht saiger, ja ist auf grosse Strecken
überkippt und überschoben, was im folgenden Suntigergrat noch
deutlicher ausgedrückt ist. Der gewaltige Hinterauthalkamm aber
ist in seiner ganzen Erstreckung von Schwaz bis zum Scharnitzerpass&
stellenweise bis 4 km weit über das nördliche Gebirge vorgeschoben^
so dass auf einer langen Strecke zumeist sein Muschelkalk auf
ganz zerknetete Juraschichten zu liegen kommt. Der nun folgende
Karwendelkanun, der grösstenteils in einzelne Stöcke aufgelöst ist,
besteht fast durchwegs aus 3 Schollen, die alle überkippt und
ausserdem schuppenartig übereinander hinaufgedrängt sind. Aus
dieser Überkippung und Schuppenstruktur folgt die ausserordentlich
zerstückelte und verworrene Lagerung. Es stellt somit das Kar-
Wendelgebirge im wesentlichen das Gebiet einer Überschiebung dar»
deren Intensität in der Mitte am grössten ist und sowohl nach
Norden als Süden rasch abnimmt. Die Überschiebung ist an zahl-
reichen Stellen aufs klarste erschlossen, wurde aber trotzdem, selbst
bei der unter Leitung Prof. Rothpletz in den Jahren 1886 — 1887
erfolgten Aufnahme, vollständig übersehen, was nur zu verstehen
ist, wenn man bedenkt, dass viele entscheidende Stellen teils
schwierig, teils mühsam zugänglich sind. Ebenso wiu^en bisher
die interessanten glazialen Bildungen nicht recht beachtet, die fast
in allen Karwendelthälern zu finden sind und von einer ganz selb-
ständigen Vereisung Zeugnis ablegen, die erst an den Pforten des
Gebirges mit den grossen inneralpinen Eisströmen zusammensUess.
Die grossen Längsthäler bilden hier im Vergleiche zu den in sie
mündenden Querthälem übertiefte Thalfurchen, in welche dieselben
mit engen Felsklammen niederbrechen. Das ist besonders schön
auf der Nordseite des Hinterauthales und auf der Südseite des
Rissthaies entwickelt. An der Innthalfurche und an der Tiefenzone
des Seefeld-Schamitzer Passes haben die grossen, aus dem Innern
der Alpen kommenden Eismassen die Karwendelgletscher überwältigt,
und zwar scheinen die letztern keilförmig unter die erstem hinein-
') Verhdlg. d. k. k. geol. Reichsanstalt 1902. p. 274.
Oberflächengestaltung. 165
gedrungen zu sein. Grossartige TrogthäJer sind besonders die Quer-
thäler im Norden, die fast eben zu den gewaltigen Wänden der
Hinterauthalkette hinführen und in der Tiefe von mächtigen glazialen
Schuttmassen ganz bedeckt sind. Die meisten Thäler dieses Ge-
birges sind so mit Schutt und Blockwerk ausgefüllt, dass die Bäche
häufig nur an den äussersten Enden der Thalungen in den Felsgnmd
nagen, sonst aber von den Quellen an auf glazialem Schutte hinlaufen.
Dabei sind oft im Innern der Thaler nahe an den Jöchern, wie am
Hochalpsattel, am Spielistjoch oder bei der Stallen- und Ladizalpe
hoch aufgestaute Schuttstufen vorhanden, die sich fast eben weit
zurückdehnen, gegen vom aber mit jähen Runsen abstürzen, aus
denen starke Quellen hervorbrechen. Diese Stauböden aus Schutt
in den hohen Thalgegenden sind ebenfalls ohne Hilfe der Gletscher
in ihrem Entstehen nicht zu begreifen. An den Südrändem des
Kstfwendels gelang es, an einigen Stellen in sehr hohen Lagen noch
erratische Gesteine zu entdecken, so das höchste Vorkommen in
diesem Gebirge überhaupt am Südhange des Brandjochkreuzes bei 1980 m.
Ober die Verbreitungr der Karren und karrenähnlieher
Gebilde handelt Dr. M. Eckert in einer grossen Studie über das Gottes-
ackerplateau, ein Karrenfeld im All^äu.^) »Die Karrenc, sagt er, »sind Detail-
formen der Erdoberfläche, die bei einer Ästhetik des Gebirges nicht ver-
nachlässigt werden dürfen. Der mannigfaltige Reichtum und die grosse
Vergesellschaftung dieser Formen eines Karrenfeldes sind für die ganze
landschaftliche Scenerie der Kalkalpen so typisch, dass man von einer
»Karrenlandschaft« rpden kann. In einer Landschaft, in der die Karren
weithin gebreitet auf&eten, bestimmen sie den geographischen Gesamttypus.
Zu den Formen gesellen sich die Farben ; und wo beide wiederkehren,
werden sie oft von merkwürdigen Eigenschaften des Bodens begleitet, für
die sie wahrhaft »leitend« werden können. Der vorherrschende Farbeton
ist das charakteristische, in verschiedenen Helligkeitsstufen wechselnde
Grau des Kalksteins. Dieser Ton ist wieder mannigfach modifiziert durch
die Teilnahme des Humusbodens mit seiner Pflanzenwelt als Staffage einer
Earrenlandschaft Wohl tritt die Vegetation nicht zu üppig in einem
Karrenterrain auf, und dennoch giebt sie dem hellen Kaikiels an vielen
Stellen einen dunkeln braungrünen Hauch, der der Stimmung des ganzen
Landschaftsbildes unter Umständen einen eigentümlich trüben Charakter
verleiht. Der Ausdruck der Karrenlandschaft ist dann düster, »kirchhofs-
artig«.
Wenn die Karrenlandschaft wesentlich an dem charakteristisch grauen
Tone des Kalkfelsens partizipiert, der nicht bloss in den Alpen, sondern
auch im Apennin, Jura una Karst wiederkehrt, und ihr dadurch einen
eigenen Typus aufzuprägen sucht, so wird sie durch ihren Formenreichtum
von allen den Gebilden, die Ergebnisse irgend einer Verwitterung sind,
bestimmt als Individuum hervorgehoben. Diese äussere Gestaltung findet
aber viele Analoga; und so führt die äussere Ähnlichkeit auf die tiefere
Übereinstimmung seltsamer Formen der Erdoberfläche.
Die Eigentümlichkeit eines Karrenfeldes als Individuum spricht sich
flchon darin aus, dass das Volk dieser Oberflächenerscheinung einen be-
sondem Namen beigelegt hat. Das Karrenphänomen trägt wohl bei den
^) Wissenschaftl. Ergänzungsheft zur Zeitschrift des deutschen und
österreichischen Alpenvereins 1. 3. Heft. Innsbruck 1902.
166 Oberflachengestaltang.
verschiedenen Völkern verschiedene Namen, aber im Grunde genommen
kommt in allen fast derselbe Gedanke zum Ausdrucke. Etymologische
Schwier^keit verursacht die Bezeichnung > Karren«. Manche ^uben, dass
sie mit Darren, Schubkarren, zusammenhänge, insofern den Geleisen, Furchen
des Karrens, die Karren der Felsoberfläche ähnlich seien. Verf. hält das
Wort Karren für eine figürliche Ausdehnung des Wortes >Kar< = Gefäss,
Geschirr, bei ülfilas >ka8«, ahd. »char«, mhd. »kar«, mit welchem Worte
auch das Kar der Hochgebirge zusammenhängt. Bei C. Escher von der
Linth tritt der Ausdruck >Karren« zuerst in der Wissenschaft auf, nicht
bei Agassiz, wie Simony angiebt und viele andere, die sich an diesen an-
lehnen.
Das Wort »Schratten« kann ebenso zweierlei Urrorung haben; ent-
weder hängt es zusammen mit »Schratt«, »Schrättel« = Kobold, Poltergeist,
— die Scnrättel sind sagenhafte, struppige, zwergähnHche Geister, die die
Felsen durchbohren, durchwühlen; »Schrattenberg« in Niederösterreich,
1298 schon urkundlich — oder mit »schroten« = schneiden, hauen, zer-
schneiden. Schneider (Schnyder) von Wartensee anno 1733: »Schratten«
= was zerschrunden ist. Grimm weiss keine genügende Wurzel für »Schratt«
(Deutsche Mythologie). Verf. vermutet, dass »Schratte« durch eine Ver-
setzung des »r« aus dem schriftdeutschen Wort »Scharte« sich gebildet hat.
Wichtig ist es, für die Auffassimg des Karrenphänomens, sein Ver-
breitungsgebiet festzulegen. Dabei kann nicht untersucht werden, ob auch
all die beschriebenen Erscheinungen die Bezeichnung »Karren« verdienen.
Die ersten und meisten Beobachtungen über die itarren liegen aus den
Alpen, den Schweizer Alpen insbesondere, vor. In den östlichen Schweizer
Alpen beobachtete man Karren auf dem Säntis, dem Kurfirsten, dem
Kerenzerberg, dem Rieseltstock, der Karrenalp, der Silbern, den Muottatbaler-
bergen, der Schächenthaler WindgäUe, den Waggithalerbergen, dem Fluhbrig,
der Fronalp, dem Bauen, dem Sättelistock , Rigidalstock , Wellenstock,
Zindelnstock, dem Brünig, dem Kaiserstock, der Lidemen (Keller, Tschudi).
Einzelbeschreibungen wurden der Schrattenfluh und deft Karren am Räderten-
stock und auf der Höhe der Silbern durch Schnyder von Wartensee, Hirzel,
Heim und Becker zu teil. Heim berichtet femer von Karren zwischen der
Seewelialp und dem Hohen Faulen, des Belmistockes, der Jägemstöcke des
Glatten, der Kammlialp, des Kistenpasses, des Gran- und Mattstockes.
Karren schmücken die Sulzfluh. 0. Heer erzählt von Schratten am Axen-
stein bei Brunnen. Die Karren des Glämisch finden wir auch bei Heim
erwähnt, dann bei Baltzer. Wir finden eben die Karren in der ganzen
Kette von Unterwaiden bis Glarus, wie Christ bemerkt — Beobachtungen
aus den westlichen Alpen liegen vor von dem Raviel, dem Sanetsch, der
Tour d'Ay, der Tour de Mayen durch Keller, der Gemmi durch Scheuchzer,
De la Borde, Ebel, Keller, der Saleve durch De Saussure. Die Schratten
des Faulhoms erwähnt Keller, Studer die auf der Bättenalp am Faulhom.
Agassiz machte seine Karrenstudien auf der Scheideck zwischen Mevringen
und Grindelwald, auf dem Kirchet bei Mevringen, vor dem Gletscher am
Rosenlaui, nahe am Gletscher von Grindelwald. Karrenfelder vor den
Gletschergebieten: Miet, Zanfleuron, Verlorenerberg, Cheville, Audannes«
Wildhom sah Renevier. Charpentier beschreibt Karrenbildungen unter dem
Gletscher der Diablerets. Mousson nimmt Karrenrinnen in den altrömischen
Steinbrüchen zu Aix in Savoyen an. Der zerfurchten Oberfläche der
Felsen im Thale Ollivules und bei den Städtchen Cujes und Gemones in
Südfrankreich gedenkt De Saussure.
Eine ausführliche Monographie über das Karrengebiet des »Desert de
Plate« (Hochsavoyen) bringt E. Chaix. Er hat auch das des Parmelan be-
obachtet. J. Briquet, der Savoyen betreffs botanischer Untersuchungen
kreuz und quer durchstreift hat, teilt Chaix Orte und Höhenlagen von
Karren mit.
Oberflächengestaltang. 167
Fr. Mader berichtete von E^arrengebilden auf den Hocbfläehen der
östlichen Provence bei Grasse, bei Coursegoulee, um den Cheiron, am Ab-
hänge des Calern ; im kleinem Massstabe treten solche bereits um Tourrettes
bei Vence auf. Er sa^, dass die westfranzösischen Alpen reich an Karren-
feldem seien, namentlich die Gebiete Vercors, Devolu^, Vauduse, dagegen
die südlichen Kalkalpen Liguriens nur an sehr wenigen Stellen die Be-
dingung zur Karrenf eldentwickelung besitzen. Rothpletz hatte 1895 Gelegen-
heit, auf dem Gipfelkamme von Ste. Beaume in der Provence (1035 m hoch),
der aus nach Süden geneigten Bänken des cretaceischen Schrattenkalkes
gebildet ist, Karren zu beobachten.
Ober Karren und Karrenfelder der deutschen Alpen liegen mancherlei
Bemerkungen und Untersuchungen vor. Die Karren des Hohen Ifengebiets
werden bereits geschildert von Gümbel, später von Waltenberger und Katzel.
Das Gottesackerplateau ist nicht der einzige Träger von Karren auf dem
Ifenstocke. Am Thorkopfe, an den Untern Wänden, 1840 m, an der Kepler-
wand, am Gatterkopfe, 1670 m, Musberge, Kühberge, 1530 m, Engenkopfe,
1480 m, an den Kackenköpfen, 1580 m, lassen sich Karrenbildungen be-
obachten. Im Mahdthale ziehen sich die Karren von einer Höhe von 1700 m
herab bis 1140 m. In der mittlem Erstreckung 1450 — 1500 m, sind be-
sonders Karren mit abgerundeten Firsten anzuixeffen. Noch schöner ab-
gerundet sind die Karren, denen man oberhalb der obem Kepleralpe be-
gegnet, im Norden der Ifennuppe. Wo nur der Schrattenkalk zu Tage
tritt, stösst man auch auf Karren. Von diesen Erhebungen ziehen sich
die Karren in die Thäler hinab. Der ganze Ostabhang der Ifengruppe zei^
Karrengebilde bis zur Isohypse von 1100 m; die tiefste Stelle erreichen sie
im Norden des Engenkopfes (920 m). Im Kürenwalde sind sie fast ganz
durch Humus und Wald bedeckt. Ebenso finden sich vereinzelte Karren
im Norden der Kengruppe bis in die Nähe der Starzla<ih und des Hirsch-
gunderbaches. Auf dem Wege von Rohrmoos nach Sibratsgfäll stehen
Karren. Ihre grösste Tiefeneratreckung ist da ungefähr durch die Isohvpse
1000 m gegeben. Im Süden lassen sie sich noch im Ifertsgundthale bei 1840 m
Höhe beobachten. Der Westabfall der Ifengruppe ist auf seiner Südhälfte
ein sehr steiler und zeigt gar keine Karren, nur hie und da einen verlorenen
Karrenstein oder Schrattenkalkblock, der von dem in der Höhe lagernden
Schrattenkalke abgewittert ist. Bei den Rubachalpen finden sich Karren
bis zu einer Tiefe von 1150 m.
Gümbel berichtet von Karrenf eldem im WettersteinA:ebirge , in den
Schwangauer Gebirgen und in den Vilser Bergen. Ratzel bringt den Namen
der Rifiel im Wettersteingebirge mit der Riefelung und Karrenrinnenbildung,
die sich auf dem dem HöUenthale zugekehrten östlichen und nördlichen
Abhänge der Riffel zeigt, in Zusammenhang. Gruber konstatiert Karren-
bfldungen im Karwendel, im Riss- und Dürrachgebiete. Chr. März, der die
Kare des Karwendeis studierte, fand in allen Karen karrige Bildungen, so
dass er von einer Karrenzone der Karwendelkare spricht, die sich am
typischsten von 2000— 2200 m ausbreitet Bis 2000 m geht das Krumm-
holz mit Karrensteinen. Mehr zufällige Beobachtungen über Karren machte
Schwaiger ausser am Hochglück noch im Gruben- und Lamsenkar. Barg-
mann sah hin und wieder karrenähnliche Bildungen im Samer- und Gleiersch-
gebiete. Klengel berichtete mir mündlich von Karren auf den Höhen, die
den Achensee umgrenzen.
Die Karren des Kaisergebirges untersuchte Verf. im Jahre 18d3, sodann
m den Jahren 1894 und 1900. Hier findet sich das grösste Karrenterrain
auf dem linken Flügel, dem Westflügel des Zahmen Kaisers; es breitet
ach plateauartig aus, besitzt eine Grösse von 0,7—0,8 qkm und eine
mittlere Erhebung von 1780 m. Wichtige Karrenpartien reichen bis 1500 m
hinab, so in der Nähe der Naunspitze.
1 68 Oberflachengestaltang.
In der Nähe der Feldalpen (westlich vom Feldberge) breiten sich Kairen
aus, die wegen ihres grossem und reichem Auftretens den Namen Karren-
feld verdienen. Dies Karrenf eld hat eine Ausdehnung von 96 — 100 m und
eine Breite von 20 — 40 m: Es senkt sich nach Norden und hat eine durch-
schnittliche Meereshöhe von 1360 1». Ausser diesen orössem zusammen-
hängenden Karrengebieten kann man einzelne Karreniormen allenthalben
an den verschiedenen Orten und Höhen beobachten.
Von den klassischen Karrentypen des Steinemen Meeres berichten
Gümbel und Penck, R. Keil und besonders anziehend G. v. Bezold, Richard
von Frey von denjenigen auf der üntem Wildalm am Steinemen Meere.
Herm. v. Barth schildert sehr gut das Eigentümliche des Karrenterrains
des Steinernen Meeres, ohne den Ausdruck Karren zu gebrauchen. Aus
dem Gebiete der Übergossenen Alm liegen auch Beobachtungen von
H. Grammer vor. Das weitgedehnte Karrengebiet des Steinernen Meeres
ist von elliptischer Gestalt mit einer mittlem Erhebung zu 2100 m.
Fugger, Karsten u. a. berichten von den Karren auf dem Plateau
des Unterberges zwischen der Schweigmülleralpe und dem Muckenbründl
und auf andern Stellen desselben Gebietes. Die ausgedehnten Vorkomm-
nisse von Karren auf dem Dachsteinmassive und Toten Gebirge und Priel-
stocke haben eine eingehende Erörtemng durch Simony gefunden. Die
Karrenplateaus des Tennengebirges werden schon 1861 von Lipoid ge-
schildert, wenn dabei auch die Bezeichnung »Karren« vermieden wird.
Von den Südtiroler Alpen liegen in Bezug auf Karrenfelder nur spärliche
Beobachtungen vor. Penck hebt in den Mitteilungen der k. k. geographischen
Gesellschaft zu Wien die karrengleichen Gebilde der Slavini di San Marco
bei Roverto hervor. Karl Schulz, ein bekannter Alpinist, erzählte dem Verf.
von prachtvoll entwickelten Karrentvpen in der Brentagrappe.
Martonne berichtet von den Karrenfeldem und klemen DoUnen im
Cipollinmarmor, der mit die bedeutenden Zirken von Gauri et Galcescu
(etwa 2200 m) in dem Massive von Paringu der romanischen Karpathen
aufbaut.
Ein bestrittenes Ausbreitungsgebiet haben die Karren im Jura gefunden.
Von altem Forschem erwähnt Agassiz zuerst die Karren im Jura bei
Chatillon oberhalb Bevaix, an dem Abhänge von Bötzingen, neben der
Strasse von Biel nach Sonceboz, und auf Gipfeln im waadtländischen Jura.
Dieselben Orte werden von Tschudi und Berlepsch wiederholt. In neuerer
Zeit haben Ratzel und Schardt die vergessenen Karren des Jura wieder
ans Tageslicht gebracht. — Kurz nach einer Wanderang im Karste kam
Ratzel nach dem Westjura zwischen der Dolo und dem Noirmont; ihn
überraschte die Obereinstimmung der Natur mit dem Karste. Besonders
fielen ihm die Karren auf, die im Jura wohl nicht so ausgedehnt wie in
den Alpen als Karrenfelder zu finden, aber wohl an jeder über 1000 m sich
erhebenden Höhe nachzuweisen sind. Ganz typische Karren sah Ratzel
am Westabhange der Dole gegen Poiechaud zu, am Col de Marcheiruz,
am Mortmont ^460—600 m) bei Eclepends zwischen Yverdon und Lausanne
und auf dem scnwach nach Südosten einfallenden ürgon des sub jurassischen
Neocomplateaus (550—700 m) zwischen Orbe und Cuamens. — Schardt
beobachtete gut entwickelte Karren im Bois de la RoUaz bei 1841 m Höhe
südlich von der Strasse zwischen Les grands Pres de Biere und La Mey-
lande, femer im Thale von Les Ambumex und Les Seches. Karren von
echt alpiner Beschaffenheit zeigen sich im Gebiete zwischen Lons-le-Saulnier
und Valfin im französischen Jura. Dieser hat einen ausgesprochenen
Plateaubau und ist daher besser für zusammenhängende Karrenfelder ge-
schaffen als der schweizerische Jura.
In deutschen Juragebieten sind bis jetzt noch keine Karren beobachtet
worden, trotzdem Ammon bei seinen Untersuchungen über dieselben auf
Karrengebilde achtete. Die Möglichkeit von karrenfeldähnlichen Bildungen
im Frankenjura leugnet Ammon nicht.
Oberflächengestaltungt 169
In neuerer Zeit hat man vor allem von selten der Karstgeologen die
Karren als ein wesentliches Karstphänomen beansprucht Fast auf der
ganzen Erstreckung des Karstes lassen sich Karren oder besser karrige Ge-
bilde beobachten. Philippson berichtet von den Karren der Kalkplateaus
des Peloponnes, Partsch von denjenigen auf dem Aenos, dem höchsten
Gipfel der Insel Kephallenia. Auf dem Karste zwischen Blagai und Nevesinje
OBoue), im Velebit (Zittel), im Karste von Krain (Zippe) sind Karren-
bildungennichts Seltenes, ebenso im Kuöaj^ebirge Ostserbiens, im'Rauchthale
und Bragser^ebiete, in den Kalkgebirgen bis zur Linie Kljuc-Petrovac-Kuien-
Vakuf (MojsisoTics). Cvijic beschreibt die Karren in der Herzesovina in
der Gegend Ljut, im Südwesten des Gacko Polje (930 m); nach demselben
Beobacnter konunen sie im nordwestlichen Montenegro in einer Höhe von
600 — 1500 m vor. Hassert erzählt von den Karren in Montenegro, so von
denen am Durmitor in 2114 m Meereshöhe. Nördlich von Fiume liegt das
Bisnjakgebirge, das Karrenbüdungen verstreut aufweist (Hirz). Überhaupt
lassen sich auf den mittlem und grossem Höhen des ganzen adriatischen
Karstes Karren finden, am schönsten entwickelt bei Osli Dol (560 m), unweit
Bersek in Istrien und bei Duare (= Zadvarje) im Karstboden (240 m), links
von der Getina (GvijiÖ).
Aus dem Karstgebiete liegen noch Beobachtungen vor von Karren
an der Meeresküste. Wir wollen diese Oberflächenerscheinungen »Litorale
Karrenformen« nennen, Boblaye spricht von einer kontinuierlichen Karren-
zone an der Kalkküste des Peloponnes. An der Küste der jonischen Inseln
zeigen sich Karren, so z. B. im Meeresniveau der Kalkfelsen von Ithaka
(Partsch). HUber schreibt von Karren in der Bucht zwischen Punta Pizzale
und Punta Maturaga im Norden von Parenzo; Stäche schreibt über die
an der Westküste von Istrien zwischen Stignano und Fasano.
Wir kennen nicht bloss den Karst als einen nächsten Verwandten der
Alpen, sondern auch die Pyrenäen. Dass hier Karren vorkommen, wissen
wir von Penck, der femer auch von solchen auf Gibraltar berichtet. Von
andern europäischen Gebieten scheinen einige Stellen in Sizilien durch
karrenähnliche Bildungen ausgezeichnet zu sein (Heim). In die neueste
Zeit gehören die Beobachtungen über norwegische Karren durch J. H. L.
Vogt Karrige Gebilde reinen Kalkes kommen im Erzgebirge vor (Sauer
und Beck). Von ksurenähnlichen Erscheinungen im Sandsteme der Säch-
sischen Schweiz reden Gutbier und Hettner, und von gleichen Grebilden in
den Gres cretaces des Massivs von Bucegiu in Rumänien spricht E. de
Martonne.
Es liegen auch Angaben über Karrengebilde ausserhalb Europas vor.
Im Libanongebirge konnte Diener Karren konstatieren, und zwar die entr
wickeltsten Karren in einer Höhe zwischen 1000 und 1600 m; auch im
Antilibanon treten sie zwischen Rahleh und Raschäja auf. Karrenähnliche
Grebilde werden auf alle Fälle noch im Sinaigebiete gefunden werden; denn
die Kreideverwitterungen bei Ras Abu Jenüne zeigen so ganz etwas den
Karren Verwandtes, wenn diese Grebilde auch in wesentlich grossem
Dimensionen vor unser Auge treten (L. Rütimeyer). Karrenähnliche BUdungen
wurden in den Kalksteinen von Mexiko beobachtet (Felix, Lenk). Dass
auf den regenreichen Kalkplateaus der Staaten Kentucky und Tennessee
ebenfalls Karrenfelder vorkommen, hält Ratzel für wahrscheinlich, er spricht
von Karrenfeldem und Karrenbildungen, die in allen geologischen Forma-
tionen vom Silur bis zum jungen Korallenkalke verbreitet sind und im
Xordland sowohl, wie in IncUen, Jamaika, Kuba und Yukatan vorkommen.
Ein Überblick über die gesamten jetzt vorliegenden Beobachtungen
lehrt, dass die Verbreitung von Karren und karrenähnlichen Gebilden sehr
aoflgedehnt ist, sowohl im horizontalen wie im vertikalen Sinne — ; er
drangt vorderhand zu den Schlüssen, dass die Karren weder ein spezielles
Alpen-, noch ein spezielles Karstphänomen sind, dass sie in verschiedenen
170 Obcrflächengestaltimg.
Klimaten yorkommen, dass de auch nicht an bestinunte Höhenlagen ge-
bunden sind, dafis aber ihr typisches und zaMreichstes Auftreten an die
Nahe der untern Schneegrenze geknüpft und in der Gestalt von Karren-
feldem am besten auf der nördlichen Kalkzone der Alpen entwickelt istc
Die Gebirgrssysteme der BalkanhalblnseL Prof. Dr. Cvijia
hat sich über die Ergebnisse seiner Untersuchungen der tektonischen
und geomorphologischen Verhaltnisse der Balkanhalbinsel verbreitet
Was die tektonischen Probleme anbelangt, so äusserte er sich im
wesentlichen wie folgt :^)
Es kommen auf der Balkanhalbinsel vier selbständige Falten- und
Gebvossysteme vor: das dinarische, das griechiBch-albaniscne, der Balkan
und die Transsylvanischen Alpen; zwiscnen denselben befindet sich die
Rhodopemasse.
Die Falten des dinarischen Systemes zeigen zahlreiche, gleichsinnige
Abweichungen von der Nordwest- Südostrichtung, welche bisher als die
Leitlinie des ganzen Systemes galt, und sie setzen sich von der Ebene von
Skutari nicht weiter nach Süden fort.
Die dinarischen Falten biegen oft, selbst im Norden des Systemes,
nach Osten und Nordosten um, und diese Erscheinung wiederholt sich
immer häufiger, je weiter man nach Süden fortschreitet. Einzelne Gruppen
der Falten verhalten sich dabei selbständig: die einen biegen nach Osten
und Nordosten um, die andern ^ehen weiter in der Nordwest-Südostrichtung
vorbei Dadurch erhalten die dinarischen Falten eine kulissenförmige Auf-
einanderfolge. Der Faltungsvorgang hat sich also wesentlich anders gestaltet
als im Juragebirge oder in den AUeghanies, deren Falten eine und dieselbe
Richtung konstant behalten.
Der Umbiegungsvorgang hat die ganze Schichtserie vom Paläozoicum
bis zum Neogen ergriffen, dasselbe zeigen selbst die sarmatischen Schichten
an der Drina. Weiter sieht man, wie die Schichten einer und derselben
Formation aus der Nordwest- Südost- in die Nordostrichtung übergehen.
Die 2 FaltenrichtuDgen können also nicht auf zwei, dem Alter nach
verschiedene Faltungsvor^ange zurückgeführt werden, sondern auf einen.
Dieselbe Umbic^ng in die östliche und nordöstliche Richtung zeigen auch
die Brüche und Oberschiebungen. Es ist^ wahrscheinlich, dass einige als
transversal bezeichnete Brüche des dinarischen Systemes zu dieser Kategorie
gehören.
Beinahe alle äussern östlichen Falten des dinarischen Systemes biegen
in eine östliche oder nordöstliche Richtung um und treffen in Westserbien
mit der alten Masse zusammen. Die jungen Falten stossen aber quer, in
der Richtung ihrer Längsaxe, auf die alte Masse. Durch die Aufstauung,
die sie dabei erfuhren, wurde ihr Verlauf in der Horizontalen zickzackförmig,
ihre Leitlinie bekam also einen gewundenen Verlauf. Wir nennen sie ge-
wundene Falten. Sie sind vorzugsweise in den paläozoischen Schiefem, in
den Werfener Schiefem und Sandsteinen, dann im Flysch entwickelt,
kommen aber auch in den Kreidekalken vor. Beim Zusammentreffen der
2 Systeme von jungen Falten, wie bei Alessio, entstehen keine gewundenen
Falten. An das erwähnte bestimmte Zusammentreffen gebunden, sind diese
Falten eine neue tektonische Form; man beobachtete bisher nur jene
Störangen, welche beim Zusammentreffen einer alten Masse und jener jungen
Falten entstehen, die parallel ihrer Längsaxe an eine alte Massestossen.
An der Grenze zwischen dem dinanschen Systeme und der alten Masse
finden sich oft Brüche, welche eine Nordwest-Südost- oder Nord-Süd-
richtung haben, wie jene von Afitrovica, dann die im Ibarthale und im
^) Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin 1902. p. 210ff.
OberflächengestaltuDg. 171
Westen vom Rudnikgebirge. Längs derselben fanden Ergüsse von jung-
eruptiven Gesteinen statt, so dass die dinarischen Falten von der alten
Masse oft durch solche Zonen von eruptiven Gesteinen getrennt sind. Diese
Thatsache ist auch dadurch auffaJlend, dass jungeruptive Gesteine inner-
halb des dinarischen Systemes beinahe vollständig fehlen.
Die Störung der normalen dinanschen Leitlinien, welche durch die
Umbiegungen entsteht, kommt auch im Gebirgsstreichen zum Ausdrucke.
Sie hat eine Bedeutung für die Plastik des dinarischen Gebirgssystemes. In
Westserbien haben a^Ue östlichen dinarischen Gebirge ein westostliches
Streichen. In Bosnien, in der Herzegovina, insbesondere in der südöstlichen
Hälfte von Montenegro, kommen kleine Gebirge vor, deren Gebirgskämme
ein Nordoststreichen zeigen, und die als eingeschaltet zwischen den Graten
mit dinarischer Richtung erscheinen. Es scheint femer, als würde durch
dieses abweichende Schichtstreichen die Plateaubildung gefördert; die
Plateaus sind im Gebiete der umgebogenen Falten besonders häufig. Man
bemerkt auch eine, freilich nicht bedeutende Wirkung dieses Schichtstreichens
auf die Thalbildung, eine weit grössere dagegen auf die Karstformen.
Die Erscheinung des Umbiegens der Falten verstärkt sich gegen Süd-
ost Von Getinje und Tarabos an biegen alle Falten nach Nordosten um,
nicht aber alle unter derselben geographischen Breite; bei einer Gruppe
vollzog sich dieser Vorgang nördficher, bei der andern weiter im Süden,
so dass auch diese FsJten eine kulissenförmige Aufeinanderfolge zeigen. Es
verstärkt sich also der Vorgang, und es verdichten sich die umgebogenen
Falten in solcher Weise, dass sie jene grosse Scharung zustandebringen,
welche in den Prokletije auftritt Die Höhe der Gebirgsketten des dinariscnen
Systemes steigt in der Südostrichtung, und es ist merkwürdig, dass die
gescharten Ketten die grössten Höhen erreichen. Mit diesen endet das
dinarische System, weil es weiter im Süden keine andere orographische
noch geologische Fortsetzung hat.
Im Süden kommen zuerst die 3 Scharungsbecken von Medua, von
Scatari und von Metohija, dann ein einheitliches Falten- und Gebirgs-
system, welches sich durch ganz Albanien nach Griechenland fortsetzt Wir
nennen es das griechisch-albanesische System. Seine Falten und Gebirgs-
züge haben in der Regel eine NS- oder NNW— SSO-Richtung, zeigen aber
3 Abweichungen von dieser normalen Richtung. In Mitteigriechenland
bieg^ die Falten nach Osten und in den akrokeraunischen Gebirgen nach
WnW um. Viel wichtiger aber ist die dritte Umbiegung; sie vollzieht
sich im Flussgebiets der vereinigten Drim. Alle albanesischen Falten von
Valona im Süden bis an den Drim im Norden streichen normal. Hier biegen
sie nach Nordosten um und bilden die hohen Gebirge: den Pastrik, den
Koritrik, vielleicht auch das Sar-Gebirge, dann die weit niedrigem Känmie
von Haimelit, Kalmetit und Selbumi. Das sind die gescharten albanesischen
und altserbischen Gebirge, welche zu den höchsten des albanesisch-griechischen
Systemes gehören. Sie erheben sich als ein Pendant gegenüber den ge-
scharten cünarischen Ketten, sind aber weniger hoch als diese.
Prof. Cvijiö weist weiter auf einige geologische Unterschiede zwischen
dem dinarischen und dem griechisch-albanesischen Systeme hin. »Das erstere
ist im grossen und ganzen symmetrisch gebaut. Durch die Mitte desselben
ziehen die höchsten Gebirgszüge, in ihnen treten die paläozoischen und
Triasffesteine zu Tage; beiderseits folgen die jurassischen und tertiären
Schichten. Die vollständige Symmetrie wird durch die verschiedenartige
Ausbildung der Flysch- und Neogenablagerungen gestört Der eigen-
tümliche bosnische Flysch mit zahlreichen Serpentinmassen tritt im Süd-
westen des dinarischen Systemes nicht auf, erscheint aber merkwürdigerweise
jenseits des Adriatischen Meeres, in Italien. Weiter fehlt im Südwesten
der dinarischen Zentralaufwölbung das marine Neogen, es erscheint aber
ebenfalls wieder auf dem andem Gestade der Adria. — Im Gegensatze dazu
172 Oberfläohengestaltung.
hat das albanesische Gebirge, soweit es bis jetzt bekaant ist, einen
asymmetrischen geologischen Bau. Die ältesten, die paläozoischen und
triadischen Gesteine, treten im äussersten Osten des Gebirgssystemes, in der
(jaliöica, dann im Pastrik, Koritrik und Sar auf. An diese Zone lehnt sich
im Westen zuerst eine breite Flyschzone, dann ein schmaler Streifen des
marinen Neogen. Dieser Flysch mit Serpentinen zeigt den Charakter des
bosnischen Flysches und unterscheidet sich wesentlich von den als Flysch
bezeichneten Gesteinen im Südwesten der dinarischen zentralen Auf-
wölbungszone, also von den Flyschvorkonmmissen in Montenegro, Dal-
matien u. s. w. Das marine Neogen, das im Westen des albanesischen
Systemes auftritt, steht ebenso im Gegensatze zu den neogenen Süsswasser-
Ablagerunffen, die in den Becken der südwestlichen Hälfte des dinarischen
Systemes hier und da zum Vorscheine kommen.
Der am meisten auffallende Unterschied aber zwischen diesen beiden
Gebirgssystemen liegt in der Kaikentwickelung. Die triadischen, jurassischen,
cretacischen und eocänen Kalke und Dolomite erreichen im dinarischen
Systeme eine solche Verbreitung und Mächtigkeit, wie in keinem andern Ge-
birgssysteme Europas. An sie ist jene reiche und ausgeprägte Entwickelung
des ^arstphänomens geknüpft, das den wesentlichsten Charakterzug der
Formen des dinarischen Systemes bildet. Im albanesischen Systeme treten
Schiefer, Sandsteine, Konglomerate, mergelige Kalke, selten und in geringer
Mächtigkeit die reinen Kalke auf; eine Ausnahme bilden die bekannten
mächtigen Kalkinseln vom Sar, Korab und von der Galicica. Der geringen
Kalkverbreitung entsprechend, tritt das Karstphänomen hier nur sporadisch
auf; seine Formen und Erscheinungen bleiben auch an Grösse weit hinter
jenen des dinarischen Systemes zurück. Dasselbe gilt für die Karstgebiete
m Epiros, von denen ich einige aus eigener Anschauung kenne, selbst für
die Karsi^ebiete Griechenlands.«
Eine merkwürdige Erscheinung sind jene, aus Radiolitenkalk auf-
gebauten Känmie, die sich aus der Ebene von Scutari erheben, und die
zwischen dem dinarischen und griechisch-albanesischen Faltensysteme ein-
geschaltet sind. Prof. Cvijic bezeichnet sie als resistente dinarische Kämme.
»Sie stimmen in der Richtung der Falten, in ihrem geologischen Aufbaue
und in der Plastik mit den dinarischen Gebirgen überein, stehen aber im
grössten Gegensätze zu den albanesischen Gebirgen, mit welchen sie bei
Alessio unmittelbar zusammentreffen.
Der Balkan und die Transsylvanischen Alpen gehen nicht durch Torsion
ineinander über. Der westliche Balkan stellt eine selbständige Faltenzone
gegenüber dem zentralen und dem östlichen dar; überdies bildet er nicht
eine Kette, sondern wird in zahlreiche Virgationsketten zerlegt. Seine Leit-
linien biegen in Ostserbien nach Westen um und stossen unter merk-
würdigen Erscheinungen auf die alte Masse. Die Transsylvanischen Alpen,
die sich tektonisch vom westlichen Balkan wesentlich unterscheiden, ins-
besondere einen unbedeutenden Faltungsvorgang aufweisen, biegen in Ost-
serbien nach Osten um und tönen in den ungestörten sarmatischen Schichten
der bulgarischen Donauplatte aus. Zwischen diesen beiden Faltensystemen
befmdet sich das geräumige, mit zahlreichen Andesiteruptionen ausgefüllte
Becken der Cma-Reka (mit der Stadt Zajeöar).
Die Rhodopemasse zeichnet sich durch zwei tektonische Vorgänge
aus; durch die Faltung und durch die Senkungen. Die erstere hat alle
Schichten bis zum Oligocän, stellenweise auch das untere Oligocän ergriffen.
Der Senkungsvorgang begann im Oligocän und setzt sich auch heute fort.
Es scheint, dass seine Intensität von Norden nach Süden zunahm. Die
Oberflächengestaltung des Rhodopesystemes ist von der Faltung unabhängig,
die Brüche und Senkungen schufen die heutige Plastik, das Gtebirgs- und
das Schichtstreichen stimmen nur ausnahmsweise überein ; durch den letztem
tektonischen Vorgang sind die zahlreichen Becken entstanden, und ins-
Oberflächengestaltung. 178
besondere durch diese unterscheidet sich die Rhodopemasse morphologisch
von den junggefalteU^n Gebirgssystemen der BaUcaDhalbinsel. Die Rand-
partien der l^odopemasse im Osten der griechisch-albanischen und im
Süden des balkaniscnen Svstemes verhalten sich in solcher Weise, dass man
sie als ein Zwischenglied oder als eine Cbersangszone zwischen den ge-
falteten Gebirgen und der echten alten Masse oetrachten muss. Durch die
erwähnten Eigenschaften unterscheidet sich die Rhodopemasse wesentlich
von der böhmischen Masse und von der Meseta.«
Der Aufbau EuraBlens. Die erste Hälfte des 3. Bandes des
grossen Werkes: »Das Antlitz der Erde« von E. Suess, beschäftigt
sich mit dem Aufbaue der grossen nordöstlichen Festlandmasse der
Erde, welche man als Eurasien bezeichnet Es ist zwar auch in
diesem Bande viel Hypothetisches, über das man sich durch die
Form der Darstellung nicht täuschen lassen darf, allein das Werk
selbst hat doch eine grosse Bedeutung.
Suess teilt die Dislokationen der Erde in 2 Gruppen, in solche,
die aiis Faltung, und jene, die aus Senkung hervorgehen; in seinen
hier besprochenen Studien behandelt er zwar nicht ausschliesslich,
aber doch der Hauptsache nach die Faltung, während die nähere
Betrachtung von Bruch, Riss, Senkung, sowie der Beziehungen der
geschmolzeneu Felsarten zur Stratosphäre spätem Abschnitten vor-
behalten bleibt.
Er bezeichnet es als Aufgabe der heutigen Geologie , die in der
Gestaltung der Erdoberfläche erkannten Faltenzüge zu grössern
Einheiten zu vereinigen, auf dem Wege dieser Synthese fortzu-
schreiten und den von der Natur auf das Antlitz der Erde ge-
schriebenen Plan der Leitlinien zu ermitteln. Das hat seine grossen
Schwierigkeiten und ist bezüglich der von einem zusammenhängenden
Ozeane bedeckten südlichen Hälfte der Erde zur Zeit überhaupt
unausführbar. Der Versuch, den Suess unternimmt, beschränkt sich
deshalb auf den Norden, nämlich auf die nördlich von der Süd-
grenze Eurasiens und vom karaibischen Golfe gelegenen Teile der
Erde. Auch hier sind die Schwierigkeiten noch sehr gross und die
Ergebnisse mehr oder minder hypothetisch. Als Grundthatsache
betont Suess, dass alle ältesten Felsarten der Erde Faltung oder
eine der Faltung gleichwertige Pressung erfahren haben. An manchen
Stellen, z. B. bei St Petersburg, wo kambrische Sedimente flach
auflagern, schlummert die faltende Kraft der Erde seit uralten Zeiten,
während wieder in andern Gegenden selbst junge Sedimente an der
Faltung teilnehmen. Das beweist, dass die faltende Kraft einst
über den ganzen Erdball thätig war, heute aber örtlich beschränkt
ist, oder auch, wie man sagen kann, dass sie mit dem zunehmenden
Alter der Erde an Ausdehnung abgenommen hat In seinen frühem
Arbeiten konnte Prof. Suess nur Bruchstücke der von ihm soge-
nannten Leitlinien ohne Zusammenhang darbieten; eine Verbindung
und eine synthetische Zusammenfassung derselben war aber damals
unmöglich, weil die mittlem Teile Asiens, in welchen der Zu-
174 Oberflächengestaltuiig.
sammenscMuss der Bogen gesucht werden müsste, Sibirien und die
Mongolei, geologisch noch undurchforscht waren. Das hat sich seit-
dem durch die unermüdliche Thätigkeit russischer Forscher geändert,
und auf deren Arbeiten baut nun Suess seine weitern Schlüsse auf,
aber unter dem ausdrücklichen Vorbehalte vielfacher späterer Richtig-
stellung derselben. An solcher wird es auch zweifellos nicht fehlen,
denn man darf keinen Augenblick vergessen, dass die Schluss-
folgerungen, welche Prof. Suess zieht, zum Teil doch nur auf hypo-
thetischen Unterlagen beruhen. Die Annahme, dass alle Dislokationen
der Erde lediglich aus Faltung und Senkung hervorgehen, mag ja
sehr vieles für sich haben, aber in dieser Beschränkung bleibt sie
immerhin hypothetisch, weil kein Beweis beigebracht werden kann,
dass Bewegungen anderer Natur notwendig ausgeschlossen werden
müssen. Eine fernere Grundlage der Schlüsse bilden die geographi-
schen Karten der Bodengestaltung Asiens, und sie sprechen so beredt,
dass ohne sie Schlüsse über die bogenförmige Aneinanderreihung
der vertikalen Erhebungen nicht zu ziehen wären, allein ihre Sprache
ist keineswegs eindeutig, sondern lässt verschiedene Auffassungen
zu ; endlich bildet die Erforschung der Beschaffenheit und Natur der
Felsmassen, die eigentliche geognostische Durchforschung der be-
handelten Gebiete, die zweite notwendige Unterlage, und diese ist
noch weit davon entfernt, genügend durchgeführt zu sein. Diese
Umstände darf man keinen Augenblick ausser acht lassen, wenn
man die richtigen Gesichtspunkte für eine kritische Würdigung der
grossen Arbeit von Suess festhalten will.
»Legt man eine Karte Asiens vor sich , so erblickt man in der
vertikalen Konfiguration dieses Erdteiles im Osten überall Bogen-
stücke, am Meeresufer wie in den Kränzen von Inseln, Bogenstücke
im Süden, dann am Ganges, am Indus, weiter im Innern auch in
Iran, im westlichen Kuenlun; dann folgen die ausstrahlenden Äste
des Tian-shan. »Bald sind die Bogen stärker, bald minder stark
gekrümmt, bald gegenseitig sich hemmend, bald abgelenkt an
zwischenliegenden Schollen, aber doch sichtlich harmonisch, d. i.
nach einem einheitlich die Gesamtheit beherrschenden Plane gelagert,
welcher das Vorhandensein eines gemeinsamen Scheitels im Innern
des ganzen Aufbaues vermuten lässt Dieser einheitliche Scheitel
liegt in der Nähe eines bogenförmig geordneten Bruches, welcher
wie ein Amphitheater die Gegend von Irkutsk umgiebt. Nahe dem
östlichen Rande dieses Amphitheaters liegt der Baikalsee.c Diese
bogenförmige Anordnung der Gebirgsmassen Asiens spielt in der
Suessschen Auffassung die grösste Rolle. »Könnte man,c sagt er,
»das Meer entfernen, so würden diese aus grossen Tiefen auf-
steigenden Inselbogen alle als gewaltige Gebirgsketten erscheinen.
Bogen reiht sich an Bogen. Man kennt gegen den Ozean hin keine
Grenze der wunderbaren bogen - gebärenden Macht, welche vom
eurasiatischen Scheitel ausgeht, c
. Oberflächengestaltung. 175
Von den gefalteten Bogen der Peripherie gegen das Amphitheater
von Irkutsk vordringend, erkennt man, wie nach innen hin die
typischen Grestalten der Berge sich verändern. Draussen am Rande
des grossen Aufbaues sehen wir in der Nähe des Meeres zahlreiche
Vulkane, dann gegen die Mitte hin folgen »die weiss erglänzenden
Riesen der Hochgebirge, behängt mit Gletschern, Gauri sänkar,
Mustag Ata, die tibetanischen Ketten. Dann die nackten langen
Felsmauern der Gobi, sich erhebend über ihren Bei, d. h. über einen
horizontal geschichteten Sockel, welcher unter scharfem Gegensatze
der Umrisse jede einzelne dieser Felsmauem umgiebt Dann, wenn
wir in die nördliche Mongolei gelangt sind, begegnen wir Gegenden,
welchen das Alter die Reize genommen hat Von den hohem Re-
gionen des Altai bis in den Süden des Baikal und bis gegen den
obem Amur und das Ochotskische Ufer sieht man entweder völlig
abgetragenes oder in stumpfe Horste aufgelöstes Gebirgsland oder
endlich die bezeichnenden »monomorphen Gestalten <, wie sie Radde
nennt. Es sind mehr oder minder vereinzelte oder gruppenweise
nebeneinander stehende stumpfe, gerundete Kegel, von einer breiten
Grundfläche hoch aufragend über die Grenze des Waldwuchses.
Schutt und Blöcke, dazwischen Striemen und Flecken von Schnee
bedecken ihre Abhänge. »Goletzc, d.h. Glatzkopf, nennt man sie
in Sibirien. Die Gipfel der Bjelucha im Altai, Munku Sardyk am
See Kossogol, Sochondo und viele höhere Gipfel dieser alten Ge-
birge nehmen mehr oder minder diese Gestalt an. Dann, jenseits
der Quellen des Wilui, weit draussen in der nordischen Einöde,
werden wir ausgedehnte Tafelberge kennen lernen, deren Fuss und
Abhänge aus flachgelagerten altpaläozoischen Sedimenten bestehen,
während das Dach von einer Decke von basischem Effusivgesteine
gebildet wird. Oft ist dieses Dach eben wie ein Brett, oft auch
durch Klüftung und Ausspülung aufgelöst in eine Krone von wilden
und gespensterhaften Zacken, an welchen der Aberglaube der Tun-
gusen haftet Endlich ist die Tundra erreicht mit den flachen meso-
zoischen Transgressionen und das Gestade des Eismeeres.«
Die Felsarten und Faltungen des Scheitels sind von sehr hohem
Alter; Granit, Gneis und Homblendegneis bilden den grössten Teil
seiner langen Rücken, und die Falten selbst sind ohne Zweifel älter
als die ältesten (cambrischen) Sedimente in dem uralten Erosionsthale
der Lena Neben den archäischen Felsarten finden sich dort ver-
einzelt eruptive mit wenigen Schollen jüngerer Süsswasserbildungen,
ohne jede fossilführende Meeresablagerung mit Ausnahme von
devonischen Schichten in der äussersten Peripherie des Südostens.
Der Osten des Scheitels ist durch sehr lange Gräben in lange, mehr
oder minder parallele Horste zerteilt Diese Gräben folgen bald auf
lange Strecken den baikalschen Falten, bald durchschneiden sie die-
selben. Es ist, als wäre der alten Faltung eine Spannung oder
Zerrung in annähernd ähnlicher Richtung nachgefolgt. Junge Laven
1 76 OberflächengestaltuDg.
in Kratern deuten an, dass dieser Vorgang, welchen die neuem
russischen Forscher, und ihnen sich anschliessend Suess, als »dis-
junktive Dislokation € bezeichnen, noch nicht abgeschlossen ist
Der Baikalsee dürfte nach Suess durch einen solchen disjunktiven
Vorgang während der mitüern Tertiärzeit entstanden sein. Ein
grosser Teil der westlichen Hälfte des Scheitels wurde in früher
Zeit versenkt, und dadurch wurde das Amphitheater von Irkutsk
gebildet. Suess behandelt eingehend das grosse Gebiet von der
untern Schilka bis zum Ostufer Sachalins und vom Thale der Ochota
bis zum Fusiyama. Über die fruchtbaren Ebenen des Amur hin bis
zu den Einöden Sachalins und den grossen Meerestiefen der japa-
nischen Küste findet er eine gemeinsame Anordnung der LeiÜüiien,
welche^ indem die Richtung sich mehr und mehr gegen Norden
wendet, in der Konvergenz aller Ketten gegen den Norden des
Ochotskischen Meeres Ausdruck gewinnt. Das Bild erweitert sich
noch wesentlich durch Einbeziehung der Bonininseln, die wahr-
scheinlich einen ähnlichen Bau besitzen wie Liukiuinseln und die
Marianen.
Auf Grund älterer Forschungen ist anzunehmen, dass ein Teil
des mittlem Afrika, Madagaskar und das Inselland der Indischen
Halbinsel, seit dem Schlüsse der Karbonzeit ein Festland bildeten,
das Suess Godwänaland nennt Es war im Norden begrenzt durch
eine breite Zone von Meeresbüdungen der mesozoischen Epoche, die
sich von Sumatra und Timor über Tonkin, Yünnan zum Himalaya
und Pamir, Hindukusch und nach Kleinasien erstreckte. Sie ist in
ihrer Gesamtheit als der Rest eines Meeres anzusehen, welches quer
über dem heutigen Asien lag. Dasselbe wurde von dem berühmten
österreichischen Geologen Neumayr als das zentrale Mittelmeer be-
zeichnet Suess giebt ihm den Namen Tethys. Das heutige Mittel-
ländische Meer ist noch ein Rest dieser Tethys. Die pflanzen-
führenden Schichten Chinas, der Mongolei und Sibiriens beweisen die
voreinstige Existenz eines zweiten grossen Festlandes der mesozoischen
Zeit , nördlich von der Tethys ; nach dem nahe seiner Mitte gelegenen
Flusse Angara nennt Suess dasselbe Angarafestland. Das heutige
Asien ist nun durch das Verschwinden des Tethysmeeres und durch
die Vereinigung des alten Angarafestlandes mit dem indischen Bruch-
stücke des Godwäna-Konünents entstanden.
Folgende Einzelheiten unterscheidet Suess im Baue und der Ge-
schichte Asiens : zuerst den alten Scheitel mit der cambrischen Insel,
die sinische Scholle von Ordos bis Korea und das indische Bmch-
stück des Godwänalandes, hierauf den Jarkendbogen , dann den
jungem Scheitel mit den Altaiden, im Osten ausströmend bis zu
den Philippinen und der Bandasee, im Westen sich öffnend in den
Tian-schan und eintretend nach Europa, im Südwesten sich ziemlich
nahe verbindend mit dem iranischen Bogen. Zwischen beiden durch
den indischen Horst getrennten Teilen wird in Fortsetzung des
Oberflacheiigestaltung. I77
Jarkendbogens der Himalaya aufgebaut Die schichtförmigen Decken,
welche an diesem Baue teilnahmen, sind, abgesehen von den archäi^
sehen Felsarten und den vulkanischen Produkten, normale Meeres-
bildungen, Bildungen in abgetrennten und verdampfenden Meeres-
teilen, limnische Transgressionen , dargestellt durch grosse Flächen
von süssem Wasser und Wüstenbildungen. Die pflanzenführenden
Schichten lehren, dass der östliche Teil des Angaralandes seit
ausserordentlich langer Zeit , in gewissen Gebieten seit der Karbon-
epoche, als weites Festland bestand, allerdings oftmals bedeckt von
ausgedehnten Flächen süssen Wassers. Im Laufe der Zeiten hat
sich dieses Gebiet trockenen Landes schrittweise ostwärts hin
erweitert, wie die mesozoischen Meeresablagerungen gegen den
Stillen Ozean hin erweisen. Hier also ist es ausnahmsweise möglich,
mit etwas mehr Bestimmtheit die Stetigkeit des Festlandes zu
ermitteln, und jene Region der Erdoberfläche war demnach ziemlich
während des ganzen Ungeheuern Zeitraumes, welchen die fossil-
ftthrenden Sedimentärformationen umfassen, eine Zufluchtsstätte der
Landtiere und der Bewohner des Süsswassers, wenn auch, wie Suess
betont, nicht die einzige Region, von der, je nach Gunst der Ver-
hältnisse, neue Besiedelungen ausgehen konnten.
Vom Eismeere bis zum Mittelmeere besteht keine natürliche
Grenze zwischen dem östlichen und westlichen Eurasien, tektonisch
sind beide Teile untrennbar. Der Ural ist eine Gruppe posthumer
Schuttfalten. So wie in Ostasien die faltende Bewegung gegen
Ost, in den Grenzbogen gegen Süd, so richtet sie sich im Ural gegen
West, aber er ist kaum als peripherische Bildung zu betrachten,
weil die grosse russische Tafel, daher ein beträchtliches vorcambri-
sches Stück, noch westwärts von ihm liegt Sie aber ist, wie
Suess findet, ein Teil des alten vorcambrischen Scheitels, der sich
ostwärts bis ins pazifische Meer ausdehnt Der Kaukasus gehört
za den Asten des Thian-schan.
Die Bewegnngsgesetze des Flugsandes. Auf Grund ein-
gehender Untersuchungen in Asien und Ungarn hat Eugen v. Gholnoky
in der ungarischen geologischen Gesellschaft eine Darstellung der
Bewegungen und Formen des freien Flugsandes gegeben, die die
bisherigen bekannten Thatsachen und Folgerungen in wesentlichen
Stücken ergänzt und berichtigt^) Er hebt zunächst hervor, dass die
vollkommen gleichmässige Färbung des Sandes und seine weichen
Formen Anlass geben zu den grössten perspektivischen Täuschungen.
Die überaus flachen, kaum mit 2—3® geneigten Böschungen, die
auf dem grössten Teile der Flugsandhügel beobachtet werden können,
nimmt das ungeübte Auge kaum war. Bei hochstehendem, strahlendem
Sonnenlichte sieht man keinerlei Unebenheiten auf den Sandböschungen,
<) Foldtani Közlöny 1902. 82. p. 106ff.
Kletn, Jalurlmoh Xm. 12
178 Oberflächengestaltang.
nur jene verhältnismässig steilen, etwa 33 — 34^ geneigten Böschungen
bemerkt man, die sich von den überaus flachen Abhängen der Hügel
scharf abheben. Wenn aber die Sonne sinkt, so dass die sanft ge-
böschten Hügel eine stärkere Seitenbeleuchtung erhalten, belebt sich
mit einem Male der vorher flach erschienene Abhang der Hügel, und
man erhält ein Bild, das dem wogenden Wasser verglichen werden
kann, umsomehr, da sich diese Hügel mit dem Winde fortwährend
vorwärts bewegen, ihren Ort, ihre Form und Grösse verändernd.
Schon die feine Rippelmarkung erinnert lebhaft an die auf der Ober-
fläche des Wassers entstehenden Ereiselungen ; die wunderbare
Gleichmässigkeit der Rippelmarken lässt aber diesen Vergleich
ziemlich oberflächlich erscheinen.
Die Barkhane (d. i. die langgezogenen Sandhaufen) und Dünen
werden im allgemeinen so gezeichnet, dass ihr höchster Punkt dort
liegt, wo die dem Winde zugekehrte, sanft geböschte Seite sich mit
der steilen Sturzhalde berührt. Nennen wir diese Ldnie der Kürze
halber Gesimslinie. Den höchstgelegenen Teil dieser Gesimslinie
pflegt man als den höchsten Punkt des Sandhügels zu bezeichnen
und darzustellen. Wo aber von sorgfältigerer Beschreibung oder
Messung die Rede ist, zeigt sich sofort der Irrtum ; nur in Ausnahms-
fällen ist dem so.
Auch Sven Hedin bestätigt dies, der über die Sandhügel in der
Wüste Takla-makan folgendes schreibt: > Gegen die vorherrschende
Windrichtung ist der Abhang sehr langsam, oben +0® oder sogar
— 3^ und mehr, d. h. die Düne fällt ein wenig nach der Leeseite
über, sonst fallt der Abhang der Luvseite allmählich zum Fusse des
steilen Abhanges der nächsten Düne.c Täuschungen dieser Art ist
auch die Entstehung der stark halbmondförmigen Zeichnung von
Barkhanen zuzuschreiben. Je vollkommener ein Beobachter ist, desto
gestreckter zeichnet er die Barkhane, jedoch nur die Photographie
ist im Stande, die Form derselben naturgetreu wiederzugeben.
Bei Betrachtung der schönen Barkhane in der mongolischen
Steppe und der über die riesigen Schuttkegel des Hoang-ho und
Pei-ho ziehenden Sandhügel überzeugte sich E. v. Gholnoky davon,
dass der Barkhan die Grundform oder vielmehr die endgültige Form
der Sandhügel ist und während seines Vorrückens ohne ausser-
gewöhnliche Einflüsse diese Form nicht mehr ändert. Dies war eine
Erfahrung, die den bisherigen schnurstracks zu\%äder scheint, da
bisher jeder Naturforscher die auf die Windrichtung vertikal stehenden
langen Wälle, die sogenannten Dünen, für die Grundform hielt
E. V. Gholnoky untersucht nun genauer die Sandformen und
gelangt dazu, jede einzelne Form genetisch zu klassifizieren. »Wenn
sich.c sagt er, »auf einem ganz freien, flachen Terrain ein Sandhügel
erhebt und denselben ein Wind von konstanter Stärke und Richtung
angreift, beginnt der Hügel sofort seine Form zu verändern. Jede
Unebenheit wird geglättet, auf der Luvseite dadurch, dass der
Oberflächengestaltung. 179
Wind die unregelmässigen Erhebungen wegfegt, auf der Leeseite
hingegen die Unregelmässigkeiten mit dem von der andern Seite
gebrachten Sande verschüttet. Dabei wird der Hügel, wenn er zu
hoch war, niedriger; etwas Sand aber fegt der Wind ganz fort.
Sehr grosse Stürme reissen auch vom Gipfel des Hügels Sand fort
und tragen denselben in der Luft über weite Strecken; die grösste
Menge des Sandes aber wird am Fusse zu beiden Seiten des Hügels
weggetragen. Schliesslich nimmt der Hügel eine Form an, an welcher
der Wind nichts mehr ändert; er verringert höchstens nur die
Dimensionen desselben, indem er ihm Sand entführt, oder aber er
vergrössert ihn, wenn in der Umgebung andere Hügel vorhanden
sind, dadurch, dass er von denselben mehr Sand bringt, als er von
dem untersuchten Hügel fortträgt. Von der Luvseite führt der Wind
den Sand immerwährend fort und lagert ihn auf der andern Seite
ab. Dadurch bewegt sich der Hügel beständig vorwärts, verändert
aber seine Form nicht. Diese Form ist der Typus der Sandhügel,
der jede Form zustrebt. Nennen wir dieselbe typischen Barkhan.
Wir finden sie in der Wüste selten, da verschiedene andere Umstände
mitwirken, wie: die Unebenheiten des Bodens, die überdichte An-
ordnung der Barkhane, die Feuchtigkeit des Bodens und des Sandes,
die Vegetation u. s. w. ; typische Barkhane finden sich hauptsächlich
an solchen Stellen, wo sie die eigentliche Wüste bereits verlassen
haben, an den Rand derselben gelangten und noch nicht gebunden
wurden. Kleinere sind weniger selten, wir treffen sie als sekundäre
Bildungen auf den Rücken grosser Dünen oder aus dem Sande der
Flüsse aufgetrieben; die grossen aber sind nicht häufig. c
Den Gegensatz zum Barkhan bildet eine Formation, für welche
£. V. Cholnoky den Namen Garmaden vorschlägt, nach dem ungarischen
Worte Gannada, welches Fruchthaufen bedeutet. >Wenn,c sagt er,
>auf dem Sandgebiete sich aus reinem und freiem Flugsande ein Hügel
erhebt, so wird ihn der Wind zu einem Barkhan formen. Befindet
sich nun lungekehrt auf dem Sandterrain eine Senke, in die der
Wind einzudringen vermag, so wird eine ganz andere, gewisser-
massen umgekehrte Form entstehen. Während der Barkhan nämlich
die Luftströmung zu einer Zerteilung und abermaligen Vereinigung
zwingt, treibt die grabenartige Vertiefung den Luftstrom quasi zu-
sammen, wodurch sich der dynamische Druck desselben erhöht,
so dass er dazu befähigt ist, eine, nach einer gewissen Gesetzmässig-
keit erfolgende Ausweitung des Grabens zu verursachen.
Eine solche grabenartige Vertiefung entsteht z. B. zwischen zwei
einander nahestehenden Barkhanen oder aber auf einer langen Düne
infolge ihrer sattelförmigen Ausbildung. Besonders die Sättel der
Dünen geben Anlass zur Entstehung solcher grabenförmigen Ein-
senkungen und der damit verbundenen Erscheinungen. Ähnliche
Bildungen treten auf gebundenen Sandhügeln auf, wenn der Wind die
bindende Decke aufbricht und eine grabenartige Vertiefung hervorbringt.
12»
180 Oberflächengestaltimg.
Die Aasbildung eines solchen Grabens ist bei weitem nicht so
einfach wie die Barkhanbildung, So viel ist sicher, dass am Ende
desselben eine Erhebung ist, die an die sanft ansteigende hintere
Böschung des Barkhans erinnert
Eine 3. Grundform bildet die Düne, als welche v. Gholnoky
alle gegen die Windrichtung quer gestellten, in die Lange gezogenen,
vom Winde aufgebauten Sandwalle bezeichnet Er betont, dass die
Dünen mit der Küste immer parallel laufen. Es könne demnach
nicht behauptet werden, dass diese Dünenreihen gegen die Wind-
richtung vertikal ständen, da der herrschende Wind nicht überall
senkrecht zur Küste ist
»Die mit der Küste parallele Richtung der Dünen wird nicht
von dem Winde, sondern von der Verteilung der Ursprungsorte des
-Sandes bedingt Der Sand taucht am Küstenrande auf, die Auf-
häufung desselben durch den Wind geschieht in Form eines der
Küste parallelen Walles, der Vordüne, welcher der Wind den Sand
zum Baue der wirklichen Düne entnimmt Wenn der Sand nicht an
der Küste, sondern an dem Ufer eines Flusses erscheint, so wird
die Vordüne und auch die erste Dünenkette eine mit der Richtung
des Flusses parallele Lage einnehmen.
Fasst man alles zusammen, so hat man nach v. Cholnoky
folgende 3 Grundformen (mit Ausnahme der Rippelmarkung):
1. Den Barkhan, der das Endresultat jedes auf vollkommen
freiem Sandgebiete entstandenen Gebildes ist;
2. den Garmaden, der mit den Windgraben Hand in Hand geht
und eine sehr charakteristische Form halb gefestigter Sandgebiete ist;
3. die Düne, die. sich als kein bestandiges Gebilde, sondern
nur als erste Anhäufung erwies, die sich zu Gannaden und Barkhanen
umgestaltet und schliesslich ganz zerstückelt wird.
Ausser denselben kommen durch Bindung zustande:
1. Die Anhäufungen um Hindemisse;
2. die feingeschichteten Formen des ausgewehten feuchten Sandes;
3. die Windgraben und ihre Gannaden, die das Relief des ge-
festigten Sandgebietes verwandeln und in der Richtung des Windea
langgestreckte Rücken ergeben.
Die freien Flugsandgebiete zeigen demnach folgende Umwandlung:
1. Am Ursprungsorte des Sandes sehen wir Dünen in mehr
oder minder parallele Reihen angeordnet
2. Diese Dünen zerfallen während ihres Vorrückens in Barkhano
und wandern als solche weiter, und zwar bis dahin, so weit sie
seit ihrer Entstehung überhaupt gelangen konnten (z. B. bei Dolon-nor
oder auf dem Alluvialplateau des Hoang-ho), in welchem Falle wir
die regelmässigsten Formen zwischen den am weitest gewanderten
finden. Derartiges sehen wir auf der hohen Hügellandschaft zwischen
den Flüssen Donau und Tisza, die sich erst heute im Stadium einer
neuen Umwandlung befindet Oder aber:
Oberflächengestaltung. 181
3. Die Barkhane erreichen eine Stelle, wo sie sich festigen
können, und in diesem Falle werden sie durch Windgraben in die
Form langgestreckter Rücken überführt Ein Beispiel dafür ist die
Pnszta von Deliblat
4. Wenn sich das Klima auf dem ganzen Flugsandgebiete mit
einem Male ändert, so dass dieses sich in seiner ganzen Ausdehnung zu
festigen vermag, dann entstehen auf demselben in der Richtung des
leistungsfähigsten Windes langgestreckte Rücken.
Die EFosionserschelnungren in der Wttste Gobi hat ProL
Futterer gelegentlich einer Forschungsreise nach Zentralasien studiert
und darüber in der geologischen Abteilung der deutschen Natur-
forscherversammlung zu Hamburg berichtet Seine Untersuchungen
erstrecken sich auf die Teile der Wüste zwischen dem östlichen
Auslauf er des Thian-schan, dem E[arlük-tag und dem Nan-schan,
also über den mittlem Teil der Gk)bi. Dieses Gebiet ist ein be-
sonders interessantes Stück der zentralasiatischen Depression, das
durch Naturkrafte , wie sie auch sonst in der Wüste wirksam sind,
ein eigenartiges Gepräge erhalten hat Zu diesen Agenzien gehören
extreme Schwankungen der täglichen und jährlichen Temperatur der
Luft, Trockenheit der Luft, starke Wirkung der strahlenden Sonne,
wodurch die kahlen Felsoberflächen bis zu 80^ erhitzt werden, das
bedeutende Überwiegen der Verdunstung über die äusserst geringen
und nur sporadisch auftretenden Niederschläge, endlich die Abfluss-
losigkeit des Gebietes, dessen Gewässer austrocknende, immer stärker
salzig werdende Seen in der Mitte der Depression bilden und nach
gänzlichem Verschwinden salzdurchtränkte Lehm- und Sandflächen
hinterlassen. Als Folge des Mangels an Wasser fehlt die Vegetation,
und die kahlen Oberflächen des Wüstenbodens werden von den
Winden, die den Sand wie ein Schleifmittel am Boden dahintreiben,
auf das mannigfaltigste umgebildet Höhlungen und bizarre Gestal-
tangen werden durch den Windschliff und durch die Winderosion
an weichem und hartem Gesteine hervorgebracht, doch sind diese
Crebilde je nach der Natur der Felsart sehr verschieden. Aber auch
auf chemischem Wege entstehen in granitenen Gesteinen sowie in
krystallinen Schiefem tiefe Löcher. Zunächst werden durch die
Sonne an der Gesteinsoberfläche dünne Plättchen abgesondert, der
Wind treibt in die Risse und Sprünge feinen Lössstaub, und dieser
bewirkt eine chemische Umsetzung. Es bildet sich ein Loch, und
die chemische Wirkung geht immer weiter. Die grossen Höhlungen,
welche schliesslich entstehen, sind mit Salzen und andern Ver-
witterungsprodukten ausgekleidet Die Analysen derselben ergaben,
dass hier hauptsächlich Kochsalz (im Mittel 88.20 ^o) ^^^ ^^ ^
geringer Menge Glaubersalz (6.22 7o) ^^^ ^^ps (6-3 7o) neben Kalk
(mit 2.31%) gebildet werden. Bei den Salzen dagegen, die sich
auf dem Lehmboden ausscheiden oder in Tümpeln und Seen Salz-
1 82 OberflächeDgestaltang.
laugen bilden , überwiegt das Glaubersalz (38.36 ^o)» Kochsalz tritt
zurück (7.57 %), Gips noch mehr (2.3 ^1^), ebenso Bittersalz (1.83%),
und von Kalk sind nur Spuren vorhanden. Es sind das funda-
mentale Unterschiede, die auf der Verschiedenheit der Gesteinsarten,
welche den chemischen Prozessen unterliegen, beruhen. Die schwarzen
Überzüge oder » Schutzrinden c bei Gesteinen entstehen dadurch, dass
der Wind mittels feinen Staubes die Gesteinsoberfläche poliert.
Die Rias der Westküste Galieiens schilderte H. Schurtz. ^)
Die Westküste Galieiens steht der galicischen und asturischen Nord-
küste wie eine andere Welt gegenüber. »Einen Übergang zwischen
beiden Küstenformen bildet die südwestlich gerichtete Eüstenstrecke
zwischen Kap Ortegal und Kap Finisterre mit den Rias von Coruna,
Betanzosi Ares und Ferrol, die ein zusammengehöriges System dar-
stellen und von den Landbewohnern als die Rias altas, die obem
Rias, den Rias bajas der Westküste gegenübergestellt werden.
Gerade dieses Übergangsgebiet ist der Aufmerksamkeit besonders wert.
Die Art des Gebirges ist nicht ohne Einfluss auf die Küstenbildung.
Es sind Urgesteine, in der Hauptsache Granit, die hier an das
Meer herantreten, und daraus ergiebt sich schon, dass phantastische
Uferbildungen fast ganz fehlen. Wie Galicien überhaupt den Charakter
eines deutschen Mittelgebirgslandes mit abgerundeten Höhenzügen
und bald breiten, bald schluchtartig verengten Thälern zeigt, so
auch die Küste, der die Nähe der Salzflut wohl das grüne Kleid
der Wälder und Wiesen zu rauben vermag, bis nur eine kümmer-
liche Vegetation zurückbleibt, oder der nackte Fels hervorstarrt, aus
dessen Granitklippen aber die Brandung doch nur sanftgerundete
Blöcke formen kann. Nur wo der Wogenprall des Biskayischen
Meeres am ungehemmtesten gegen die Küste schlägt, entstehen steilere
Uferbildungen, die aber nie die gewaltige Höhe und den fast senk-
rechten Absturz der Kreideklippen Rügens oder Südenglands erreichen.
Der Granit trotzt dem Meere ganz anders als die weichem Gesteine
und weicht nur Zoll für Zoll dem Nagen der Brandung. In den
stillem Buchten der Rias hat man thatsächlich noch ganz den
Eindmck eines überschwemmten Thaies, dessen sanftgeneigte Hänge
fast ohne Übergang in den seeartigen Fluten verschwinden. Das9
auch die Felsenrippen des innem Landes nicht allzu trotzig zum
Himmel starren, dafür sorgt die Feuchtigkeit des Klimas, der sich
der Granit weniger gewachsen zeigt als dem Anpralle der Wogen.
Wie rasch er verwittert und dann allerlei Flechten und Gräsern
einen gedeihlichen Nährboden gewährt, zeigen die alten Granitkirchen
Corunas. So führen denn auch die Flüsse reichlich Sand und Schlick
dem Meere zu und füllen allmählich die vom Meere wenig bewegten
Hintergründe der Rias aus, während sie dort, wo die Brandung
sich ihnen entgegenstellt, zu charakteristischen Strandbildungen ge-
zwungen werden.
^) Deutsche geographische Blätter 1902. 2&. p. 50.
OberflachengestaltüDg. 183
An den Buchten, die nach dem Meere hin geöffnet sind und
von der meist aus Westen oder Nordwesten heranrollenden Dünung
des Ozeanes getroffen werden, hat der Kampf zwischen Fluss und
Meer zu Bildungen geführt , die man wohl am richtigsten als kleine
Haffe und Nehrungen bezeichnet. Vielleicht nirgends so klar und
schön wie an diesen Miniaturausgaben kann man das Wesen und
Entstehen dieser wichtigen geographischen Gebilde studieren. Sie
sind hier stets Ergebnisse der Wirkungen, die einerseits der schutt-
beladene Gebirgsfluss in seinem Streben nach dem Meere hin und
anderseits die ihm entgegenarbeitende Brandung hervorbringen,
entstehen also aus einer Art Parallelogramm der Kräfte. Die Ein-
flüsse der Dünung werden hier dadurch vereinfacht, dass die Buch-
ten immer nur ganz bestimmten Richtungen der Meeresbewegung
Einlass gewähren, andere dagegen abhalten, so dass alle starken
Wellen, die die Küste und die Flussmündungen überhaupt erreichen,
stets aus der gleichen Richtung kommen. Je nach der Kraft der
Meereswogen sind die Nehrungen am Ausgange des Flüsse mehr oder
weniger stark entwickelt^)
In den Hintergrund der Ria von Ares mündet der Eume. Dort,
wo es den Wellen des Meeres gerade noch möglich ist, zu wirken,
hat sich quer vor die Mündung vom Nordufer her eine breite, drei-
eckige Sandbank geschoben, die im Laufe der Zeit eine ganz feste
und dauernde Bildung geworden ist
Eine klassische kleine Haffbildung hat der Bannnobrefluss her-
vorgerufen, der am Ostufer der Ria von Betanzos mündet Beim
Austritte aus den Bergen ist er noch ein lustiges Gewässer, wenige
Schritte breit und ein paar Fuss tief. Dann aber bildet er, sobald
er das Bereich der Ebbe und Flut betritt, ein breites, morastiges
Thal, durch dessen Moderbänke er bei niedrigem Wasser in mehrem
Armen dahinschleicht Vor der Mündung liegt eine starke Sandbarre,
eine echte Nehrung, und hinter ihr ist der Fluss zu einem kleinen
Haffe aufgestaut, das je nach der Höhe des Meeresspiegels bald
breiter, bald schmäler erscheint. Hart am rechten oder nördlichen
Ufer liegt die schmale Stelle , durch die das Flusswasser in die Ria
hinausströmt
In den Hintergrund der Ria von Betan zosmünden zwei Wasser-
läufe, der kleine Rio von Oporco und der Mandeo oder Rio von
Betanzos. Der erstere wird noch stärker von den Dünungswellen
erreicht, und so hat sich denn auch eine kleine Nehrung gebildet,
die diesmal vom rechten Ufer her etwa die Hälfte des Mündungs-
trichters abschliesst Am Mandeo tritt die Erscheinung schon
schwächer auf; vom linken Ufer her schiebt sich eine dreieckige
*) In Ratzeis: >Die Erde und das Lebent, befindet sich (1. p. 480) eine
Karte der Rias altas, die ganz leidlich die zu schildernden Verhältnisse
zeigt.
i84 Oberflächeiigestaltong.
Sandbank in die Ria vor, der von der andern Seite ein felsiger
Vorsprung des Landes entgegenkommt; so wird auch hier eine Art
Haff abgeschlossen, das Schlickbänke enthält, aber nicht als besonders
typisch gelten kann. Dafür wirken Ebbe und Flut ungewöhnlich
weit das Mandeothal hinauf.
Der Rio del Burgo endlich, der in den Hintergrund der Ria von
Goruna eintritt, hat wieder eine echte Nehrung vor seiner Mündung.
Die Richtung des Flusses ist genau südnördlich, und die Nehrung
geht vom rechten Ufer aus, um bis nahe an den Felsenhang des
linken vorzustossen. So bleibt für den Fluss nur ein schmaler
Durchgang, den das Wasser mit merklicher Gewalt durchströmt,
während es hinter der Nehrung seeartig aufgestaut ist.
So zeigt sich auch an den Flussmündungen die charakteristische
Eigenart der Rias altas: sie sind dem Meere weit geöffnet, und
zwar einem unruhigen, von starker Dünung und häufigen Stürmen
bewegten Meere, das gegen die einströmenden Flüsse ankämpft.
Diesem Charakter der Rias entspricht der ernste Zug der Landschaft,
das Fehlen der Wälder und freundlicher Dörfer an dem felsigen, von
der Brandung benagten Gestade. Nur an den geschützten Stellen
entfaltet sich reicheres Leben, aber nirgends so bunt und fröhlich,
wie es die südliche Lage des Landes erwarten liesse. Einzig die
Ria von Ferrol bietet ein mehr heiteres Bild und ähnelt auch darin,
wie in ihrer Richtung und sonstigen Beschaffenheit, den Rias bajas
der galicischen Westküste.
Die Rias bajas unterscheiden sich von den Rias altas durch
ihr südwestlich gerichtetes Streichen. Schon diese Eigenart hat ihre
bedeutsamen Folgen: Die Buchten stehen infolgedessen der aus
Nordwesten oder Westen heranbrausenden Dünung nicht offen, sondern
nur der seltenern südwestlichen, und sie sind durch die zwischen
ihnen in gleicher Richtung hinziehenden gebirgigen Halbinseln auch
gegen die Nord- und Westwinde gut geschützt Dazu kommt noch,
dass der Eingang der meisten Rias bajas durch vorgelagerte Klippen-
inseln gegen den Andrang der Wellen noch mehr gesperrt ist,
während in den Rias altas höchstens dürftige Felsenbrocken, wie
die bei Goruna, auf denen das Fort St. Antonio erbaut ist, in das
Meer vorspringen. Nur die Ria von Noya ist ohne Inselschutz ; vor
der voa Arosa liegt dagegen die Insel Salvora und weiter im
Innern Doch die Insel Arosa, die von Pontevedra ist durch die Ons-
insel gedeckt, tmd die von Vigo vollends ist durch eine Kette
felsiger Eilande, die Gies- oder Bayonainseln, vor den Stürmen des
Meeres geschützt
Dass alle diese Vorzüge auf den Gharakter der Landschaft
günstig wirken müssen, ist leicht zu ermessen. Wer die Rias altas
besucht und dann auf der Hochebene von Santiago die Rauheit des
galicischen Binnenlandes mit seinen Heide- und Moorflächen, seinen
kahlen Bergen und sumpfigen Thälem kennen gelernt hat, betritt
Oberflächengestaltang. 185
beim Hinabsteigen zu den Rias bajas eine neue, schönere Welt;
ähnlich den norditalienischen Seen breiten sich die stillen blauen
Fluten der Rias im Sonnenscheine vor ihm aus, fröhliche Fischer-
dörfer haben sich dicht an den freundlichen Gestaden angebaut,
Wein und Obst wachsen in Fülle an den Hängen der Berge, und
weisse Landhäuser, die allenthalben aus dem Grün hervorlugen,
lassen ericennen, dass sich die Spanier der heissen Hochebene im
Sommer gern nach diesen lachenden Buchten retten, wo der kühle
Seewind die Glut der Sonne mildert, und die lauen Wogen zum
Bade einladen.
Dem Charakter der Rias bajas entsprechend, zeigen die in sie
einmündenden Flüsse keine eigentliche Haffbildung, wenn auch An-
sätze dazu vorhanden sind. In die nördlichste der Rias, die Ria de
Huros 7 Noya, wie sie auf den Karten heisst, ergiesst sich der
Tambre; die südliche Hälfte der ursprünglich wohl trichterförmigen
Mündung ist hier durch eine Sandbank ausgefüllt, die noch zungen-
förmig ein wenig in die Ria vorspringt
Die Ulla, die in die Ria von Arosa fliesst, durchströmt in
ihrem Unterlaufe eine sumpfige Thalebene, die offenbar ^rst aus
Anschwemmungen des Flusses entstanden ist. Der Fluss hält sich
meist an der rechten Seite dieses versumpften Bettes, das bei Flut
vom Stauwasser überströmt wird. Im ganzen hintern Teüe der Ria
treten bei Ebbe an den Ufern Streifen von Schlick und Sand hervor.
Die Ria selbst ist in ihrer Mitte verhältnismässig tief; noch hinter
der Insel Arosa finden sich Tiefen von fast 89 m, unmittelbar vor
ihr solche von 55 m»
In die landschaftlich wunderbar schöne Ria von Pontevedra
ergiesst sich der kleine Fluss Lerez, dem sich in seinem untersten
Laufe noch die Alba und die Tomeza zugesellten. Auch er fliesst
schon oberhalb der Mündung durch ein versumpftes Thal, eine be-
stimmte Mündung ist überhaupt kaum nachweisbar, da die Ria in
ihrem hintersten Teile einen ganz flussartigen Charakter hat und von
Sandbänken erfüllt ist*
Erdmagnetismus.
Die magrnetischen Beobachtangren der norwegrischen
PolarUehtexpeditlon 1899—1900. Während des Winters 1899
bis 1900 hat diese Expedition zwei Observatorien mit vorzüglichen
Registrierapparaten in 1000 m Höhe bei Bossekop im nördlichen
Norwegen etabliert Die Aufzeichnungen derselben ergaben,^) dass
während bestimmter Tagesstunden viele sehr kleine Schwank-
ungen der Deklination und der Horizontalintensitat auftreten, die
einzehi nur einige Sekunden währten und gleichzeitig in Bossekop
^) Archives des sciences physiques et naturelles (4) 12. p. 566.
186 Erdmagneftismus.
und in Potsdam aufgezeichnet wurden. Diese Schwankungen er-
scheinen in den Polargegenden mit überraschender Regehnässigkeit
und als reine, pendelartige Schwingungen; ihr genaueres Studium
zeigt, dass ihre Ursache an beiden Stationen die gleiche sein muss,
die Zeitunterschiede sind trotz der grossen Entfernung zwischen
Bossekop und Potsdam zu klein, um gemessen werden zu können.
Sie müssen die Wirkung variabler elektrischer Ströme sein, da ein
anderes Agens sich nicht so schnell fortpflanzt.
Diese bezüglich der sehr kleinen Schwankungen des Erdmagnetis-
mus erzielten Resultate gestatten eine Anwendung auf die Erforschung
der Ursache der grossen magnetischen Störungen, welche mehrere
Stunden anhaltende Wellen bilden. Wie die kleinen machen sie sich
über weite Strecken der Erde bemerkbar, wenn sie auch nicht überall
gleichzeitig auftreten, und die entsprechenden Ausschläge der Magnet-
nadel oft um mehr als 20 Minuten differieren können. Die Ver-
gleichung der täglichen, registrierten Photogramme der Observatorien
von Pawlowsk, Kopenhagen, Potsdam, Paris und Toronto, sowie der
Beobachtungen an den Termintagen während der Polarexpeditionen
1882 — 1883 mit den Kurven von Bossekop hat ganz ähnliche
Schwankungen von allen möglichen Amplituden ergeben, die eine
Tendenz zur Gleichzeitigkeit aufweisen, ebenso sehr bezüglich der
grossen Störungen wie der kleinsten Schwankungen. Wenn man
daher als Ursache für letztere variable elektrische Ströme annimmt,
so darf man für die grossen Störungen im wesentlichen die gleiche
Ursache annehmen, sofern eine solche Annahme die beobachteten
Erscheinungen erklärt. Weiter wird man annehmen dürfen, dass die
Richtung des störenden Stromes wenigstens annähernd durch das
Amperesche Gesetz bestimmt wird.
Aus den Aufzeichnungen der magnetischen Beobachtungen in
Bossekop und Jan Mayen an den Termintagen von 1882 — 1883 er-
giebt sich, dass die Ströme in der Atmosphäre existiert haben müssen.
Mittels der graphischen Methode hat Prof. Birkeland die Richtung
dieser in den hohem Luftschichten fliessenden Ströme aus den Auf-
zeichnungen der magnetischen Elemente an den genannten Stationen
abgeleitet. Jedes Diagramm für sich betrachtet zeigt, dass im allge-
meinen die des Morgens aufgenommenen Ströme sich in der Richtung
des Uhrzeigers drehen, wenn man sie mit denen vergleicht, die zu
einer spätem Stunde entstehen, während jede Gmppe entsprechender
Vektoren für die 6 Stationen ergiebt, dass die Ströme sich im
Sinne des Uhrzeigers drehen, wenn man von einer östlichen zu
einer westlichen Station übergeht. Die für Mittemacht (Greenwicher
Zeit) auf einer Karte verzeichneten Richtungen der Sü*öme lassen
erkennen, dass sie zunächst in einem engen Bündel nach Südwesten
längs der Küste des nördlichen Norwegens hinziehen; später zerstreuen
sie sich stark, die östlichsten Stromlinien biegen sehr scharf nach
Osten ab, die westlichen Linien weniger stark nach Westen; es
Erdmagnetismus. 187
scheint eine Neigung zur Bildung von Wirbeln, eines östlichen und
eines westlichen, vorhanden zu sein. Die Thatsache, dass die Ströme
sich stark zerstreuen, wenn sie von dea Polargegenden nach Süden
ziehen, stimmt vollkommen mit der relativen Abnahme der Störungen
der Vertikalintensitat. Auch eine Reihe besonderer Erscheinungen,
welche die magnetischen Ströme darbieten, findet bei dieser Auf-
fassung eine leichte Erklärung. Wenn nun die magnetischen
Störungen auf ein weites System von elektrischen Strömen in den
obem Regionen der Atmosphäre bezogen werden können, so liegt
es nahe, zu vermuten, dass die Polarlichter gleichfalls mit diesen
Strömen in Beziehung stehen. In der That gelingt es, das Polarlicht
künstlich nachzubilden in einer Röhre mit verdünntem Gase, die von
einer elektrischen Entladung durchsetzt und einem kräftigen Magneten
ausgesetzt wird. Von den vielen Versuchen, die Birkeland in dieser
Richtung angestellt hat, beschreibt er einen. Die Kathode befand
sich in einer zweimal rechtwinklig gebogenen Glasröhre von 3 cm
Durchmesser, die in eine Glaskugel von 15 cm Durchmesser endete,
in welche die Kathodenstrahlen nicht dringen konnten. Die Anode
befand sich in einer kleinen Kugel von 4 cm Durchmesser, an welche
eine enge Röhre von 5 mm Durchmesser angeschmolzen war, die in
der Mitte der grossen Kugel endete. Unter der grossen Kugel lag
der Pol eines kräftigen Elektromagneten, den Entladungsstrom lieferte
eine Holtzsche Maschine. Unter der Einwirkung starker magnetischer
Kräfte nahm der positive Entladungsstrom die Gestalt einer Bande
an, die von oben gesehen sich in eine normale Spirale aufrollte.
Kehrte man die Magnetpole um, so kehrte sich auch die Spirale
um. Von dem Lichtbande strahlten leuchtende Nadeln längs der
magnetischen Kraftlinien. Wurde der Entladungsstrom stärker, dann
sah man oft eine Reihe von zu Spiralen aufgerollten Lichtbanden
nebeneinander. Diese künstlichen Polarlichtbanden waren sehr be-
weglich und sehr wechselnd; die Strahlen, die sich bildeten, hatten
verschiedene Längen und »tanzten«, so dass die Analogie mit wirk-
lichen Polarlichtem vollkommen wurde. Verf. schliesst diesen Ab-
schnitt seiner Mitteilung, indem er sagt: »Alle elektrischen Theorien
der Polarlichter, welche seit den fundamentalen Untersuchungen von
Auguste de la Rive aufgestellt [worden, nehmen an, dass die
elektrischen Ströme, welche diese Erscheinungen in den Polargegenden
erzeugen, senkrecht von der Erde nach der Atmosphäre oder um-
gekehrt fliessen; die Theorie, welche ich auseinandergesetzt habe,
nimmt hingegen an, dass diese Ströme in den obern Luftschichten
horizontal gerichtet sind. Um zu zeigen, dass die neue Theorie den
frühem Theorien vorzuziehen ist, muss daran erinnert werden:
1. dass die Existenz der angenommenen Ströme erwiesen ist durch
die magnetische Wirkung, die sie ausüben; 2. dass es experimentell
erwiesen worden, dass unter dem Einflüsse magnetischer Kräfte ein
in verdünnter Luft fliessender positiver Strom zu einem schmalen
188 firdmagnetismiLs.
Bande verdichtet bleiben kann, dass er folglich sich nicht immer in
dem ganzen, ihm zur Verfügung stehenden Räume ausbreitet; 8. dass
der Versuch ebenso erwiesen hat, dass ahnliche Ströme parallel zur
Erdoberfläche sekundäre Eathodenstrahlen aussenden müssen, welche,
durch magnetische Kräfte gezwungen, Lichtstrahlungserscheinungen
geben müssen, welche den Polarlichtem mit strahliger Struktur
gleichen.«
EFdmagrnetische Pulsationen. Schon 1899 hat Dr. w. van
Bemmelen seine Wahrnehmung regelmässiger kleiner Pulsationen
der magnetischen Horizontalkraft zu Batavia in einer Mitteilung
an die Amsterdamer Akademie der Wissenschaften erwähnt, jetzt
teilt er weitere Beobachtungen für die Periode 1899 Dezember bis
1900 Dezember mit.^) Eine jährliche Periode der Häufigkeit dieser
Pulsationen ergiebt sich nicht, wohl aber weist die Schwingungs-
dauer eine solche auf, nämlich ein Minimum für Ende Dezember und
ein Maximum Ende Juni. Auch eine tägliche Periode existiert: die
Schwingungsdauer ist am kürzesten gegen 1 Uhr nachts, während
2 Maxima, gegen 8 — 4 Uhr a. m. und 10 — 11 Uhr p. m. eintreten. Eine
Vergleichimg der Beobachtungen in Zikawai zeigt einige Ähnlichkeit
mit denjenigen in Batavia. Die Untersuchung der Registrierungen zu
Eew während des Jahres 1890 ergab bezüglich der täglichen Un-
gleichheit der Frequenz fast das Entgegengesetzte von der zu Batavia
beobachteten. Was Potsdam anbelangt, so beschreibt Dr. Arendt
(1896) eine Art »m-strichförmige Bewegung, welche mitunter durch
einen glatten Verlauf der Kurve unterbrochen wird und in den meisten
Fällen von einer nicht unbeträchtlichen Standänderung des magne-
tischen Elementes begleitet ist Dieselbe äussert sich bei der
Horizontalkomponente als Vergrösserung, bei der VertikalkompQuente
und der Deklination durch eine Verkleinerung des ursprünglichen
Wertes. Die Dauer der magnetischen Unruhe schwankt zwischen
einer halben Stunde und ungefähr 2 Stunden; gewöhnlich spielt
sich die Störung in dem Zeiträume einer Stunde ab. Die grössten
Abweichungen vom ruhigen Verlaufe der Kurve betrugen nicht selten
in den einzelnen Fällen: bei der Deklination: über 3^ bei der
Horizontalintensität: 0.0003 C. G. S., bei der Verükaüntensität: 0.00005
C. G. S.€
Arendt findet eine ausgeprägte jährliche und tagliche Periodizität
in der Häufigkeit Die erste mit Maximum im Dezember und Minimum
im Juli (857o ^^^ 2l7o); di© zweite mit Max. um 10^ p. m. und
Min. um Mittag (8.87^ und 0.07^).
Die Beschreibung dieser Bewegungsform deckt sich mit der der
Pulsationen zu Batavia* nur teilweise; besonders die Standänderung
^) Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch- Indien. Deel LXII.
Weltenyreden 1902.
Erdmagnetismus. 189
und die jährliche Periodizität fehlt in Batavia gänzlich; trotzdem hat
man wohl hier mit verwandten Erscheinungen zu thun.
Die Registrierung der Y-Eomponente zu Batavia auf stark ver*
grösserter Skala hat die Pulsationen in dieser Komponente (d. h. in
Batavia in Deklination, weil der absolute Betrag der Deklination nur
1^ ist) in grosser Menge ans Tageslicht gebracht Dagegen haben
die Versuche für die Vertikalintensität zu negativen Resultaten geführt.
Während des Auftretens natürlicher Pulsationen in X und Y
hat die Vertikalkomponente (Z) sich vollständig ruhig verhalten. Aus
der Registrierung der beiden Komponenten X und Y auf derselben
Rolle ergab sich das Vorkommen aller möglicher Kombinationen. Bei
regelmässigen Pulsationen in X zeigte zuweilen die Y- Komponente
ein vollständig ruhiges Verhalten, das Umgekehrte war z. B. in der
Nacht vom 30. — 81. August 1901 sehr auffallend, öfters waren schön
ausgebildete Pulsationen in einer Komponente von unregelmässigen
Bewegungen in der andern Komponente begleitet; und waren auch
regelmässige Pulsationen, gleichzeitig für die beiden Komponenten,
zahlreich, so zeigten sie jedoch alle möglichen Unterschiede in Phase.
Was die Ursache dieser Pulsationen anbelangt, so bemerkt
Verfasser: Die simultane Registrierung der Pulsationen in Batavia und
Karang Sago wie auch in Batavia und Zikawai lässt für zwei
Hypothesen Raum. Die erste ist: Das Phänomen, welches die Pulsa-
tionen verursacht, wandert rasch an der Erdoberfläche entlang; die
zweite: Sein Einfluss gilt simultan für die ganze Erde, jedoch wegen
Verschiedenheit dieses Einflusses an verschiedenen Orten korrespondieren
die Umkehrpunkte der Pulsationen nicht und sind deshalb nicht
simultan. Die Ruhe der Vertikalkomponente möchte sich mit der
ersten Hypothese vereinigen lassen durch die Annahme vertikaler,
elektrischer Stromsäulen, welche einander mit abwechselnder Strom-
richtung durch die Atmosphäre folgen, und es ist nicht schwierig,
für jeden Fall einer Pulsaüonsreihe den Durchschnitt der Stromsäulen
zu konstruieren. Bei den gefundenen Unterschieden der Anfangs-
zeiten darf man einen Durchmesser dieser Ströme von einigen
Hunderten von Kilometem annehmen. Für den Fall eines Pulsations-
vektors von 2 y und eines Durchmessers von 500 Amt findet man
eine mittlere Stromstärke von der Ordnung: 1 X 10"^ Ampere pro ^Amt.
Es ist diese Stromstärke sehr gering den Zahlen gegenüber,
welche z. B. Bauer für die vertikalen elektrischen atmosphärischen
Ströme findet: —740 bis + 1640 X lO-* Amp.*)
Das ruhige Verhalten der Vertikalkomponente lässt sich jedoch
mit der zweiten Hypothese in Einklang bringen durch die Annahme,
dass die Pulsationen von rhythmischen Änderungen in elektrischen
Strömen, welche in sehr breiten Flächen über dem Beobachtungsorte
^) L. A. Bauer. Vertical earth-air electric currents. Terrestr. Blagnetism
1897. TL n.
190 Erdbeben.
fUessen, herrühren. Untersuchungen der Stönmgsphanomene führten
Verf. schon langst zu der Annahme eines Systemes zirkularer elektrischer
Ströme, die parallel den Isochasmen, den Erdkörper, umkreisen, und
konnte er zeigen, wie diese Annahme das Anwachsen und Abnehmen
. der Horizontalintensitat und Deklination bei magnetischen Störungen^
ein Phänomen, von ihm Nachstörung genannt, am besten erklärt^)
Erdbeben.
Das Erdbeben von Sinj am 2. Juli 1898. Auf Veranlassung
der kais. Akademie zu Wien und der k. k. geologischen Reichs-
anstalt haben Fajdiga vom Triester Observatorium und v. Kerner,
eine eingehende Untersuchung über die Wirkungen und die wahr-
scheinliche Ursache des genannten Erdbebens angestellt und ver-
öffentlicht. Dr. Binder giebt von den Ergebnissen dieser Arbeit einen
kurzen übersichtlichen Bericht, dem wir folgendes entnehmen.*) Die
Wirkungen des Erdbebens zeigten sich an den Oebäuden und auf
dem Boden, welch letztere sich teils in Lagenveränderungen von
Gesteinsstücken, teils als Formveränderungen der Oberfläche infolge
von Spaltenbüdung und lokaler Senkung darstellten. Lagenverän-
derungen von Oesteinen wurden besonders am Vojnicki brig, am
südöstlichen Rande des Sinjer Beckens, beobachtet Spalten und
Risse bildeten sich an verschiedenen Stellen im Umkreise von Voj-
nicki, welche aber in der Mehrzahl infolge der Durchweichung des
Bodens verschwanden, den das auf das Erdbeben folgende Regen-
wetter bedingte. Die Wirkungen auf Wasserläufe zeigten sich in
der milchigen Trübung zahlreicher Quellen und Brunnen. Aus der
Betrachtung der geologischen und morphologischen Verhältnisse ergiebt
sich, dass das Schüttergebiet in den Bereich eines Erdkrustenstückes
fällt, das durch ein Netz von Längs- und Querbrüchen in zahlreiche
Schollen zerteilt ist, die gegeneinander in horizontaler und vertikaler
Richtung verschoben sind. Ein das ganze Gebiet durchsetzender
Querbruch ist durch den Lauf der Cetina gegeben. Die durch seit
Jahren währenden Vorbeben eingeleitete jetzige Schütterperiode ist
als eine neue Phase der in die Neogenzeit zurückreichenden Be-
wegungen im Schollengebiete der Umgebung am Trilj zu betrachten.
Die Ursache des Bebens vom 2. Juli ist in einer Bewegung der
zwischen zwei Radialklüften gelegenen Gebirgsmasse zu suchen. Es
liegt dort eine jener Schollen, die schon in der jungem Neogenzeit
tiefer als ihre Umgebung lagen und seit jener Zeit wahrscheinlich
weitere Senkungen erfahren haben. Es ist möglich, dass wieder
eine geringe Abwärtsbewegung stattgefunden hat, welche sich den
umgebenden Schollen mitteilte. Dass sich diese Veränderungen
^) Meteorologische Zeitschrift 1896; Terr. Magn. V. p. 123; Observations
22. Batavia 1900. Appendix II.
*) Die Erdbebenwarte 1902. p. 31 ff.
Erdbeben. 191
nicht bis auf die Oberfläche fortsetzten, mag seinen Grund darin
haben, dass das bewegte Gelände von weichen, bildsamen (plastischen)
Bildungen bedeckt ist, in denen eine von der unterliegenden Felsen-
flache etwa gebildete Stufe ausgeglichen wurde. Das Beben hatte
überwiegend wellenförmigen Charakter. Die zahllosen Nachbeben
erscheinen durch die zur allmählichen Herbeiführung eines neuen
Gleichgewichtszustandes notwendigen weitem Lagenveränderungen
der Massen bedingt. Der Untersuchung v. Kemers über die Be-
ziehungen des Erdbebens zur Tektonik seines Gebietes geht eine
genaue geologische Beschreibung der südlichen Umrandung des Sinjer
Feldes voran, dann folgt auf Grund dieser geschilderten Verhältnisse
die Darstellung des Aufbaues, in welcher auf das Vorhandensein
von Längs- und Querbrüchen hingewiesen wird, die dieses Gebiet
durchsetzen, und es wird geschlossen, dass diesem Beben ein tek-
tonischer Vorgang zu gründe liegt, welcher mit der sich langsam
vollziehenden Erweiterung des Einbruchsfeldes von Sinj zusammen-
hängt. Diese Vorgänge haben sich im Innern abgespielt zu beiden
Seiten des Horstes des Vojnißki brig. Aus den verschiedenen Be-
obachtungsaussagen, welche der Verfasser an Ort und Stelle ge-
sammelt hat, geht hervor, dass die Richtung der Schwingungen
meist meridional war, dass sich die Schwingung als eine transversale,
d. h. als Wellenschwingung, bemerkbar machte. Der Verfasser fasst
die Ergebnisse zusammen dahin: 1. dass sich das am heftigsten
erschütterte Gelände im Bereiche der südlichen Randzone des Senkungs-
feldes von Sinj über einen schmalen Horst (dem von Vojniöki brig)
und die NachbarschoUen erstreckte; 2. dass es in einer quer zur
Streichungsrichtung der Schichten erfolgten Schwingung des Bodens
bestand, und 3. dass eine merkliche Senkung des Geländegebietes
nicht erfolgte. Man hat sich demnach vorzustellen, dass die Ge-
birgsmasse am Südrande der Sinjer oder Getina-Ebene längs einer
der beiden dort verlaufenden alten Störungslinien einen neuen plötz-
lichen Riss bekam, und dass die in diesem Augenblicke aus ihrer
Ruhelage gebrachten Gebirgsteile zu beiden Seiten des Risses in
elastische Schwingung gerieten, die sich an der Oberfläche zu einer
transversalen Wellenbewegung gestaltete. An welcher von den beiden
Seiten des Vojniöki brig der Riss erfolgte, ist kaum zu entscheiden.
Schollensenkungen haben jedenfalls, wenn auch in beschränktem
Masse, stattgefunden, aber ein merkbarer Fortschritt in der Er-
weiterung des Senkungsfeldes von Sinj ist durch diese Vorgänge
nicht erzielt worden. Schliesslich macht Dr. Binder folgende An-
merkung, bezüglich deren wir ihm völlig beipflichten: »Je trefflicher
solche Darstellungen sind, desto peinlicher wird man berührt, wenn
man beobachten muss, wie in neuerer Zeit die gelehrte Zunftsprache
wieder anfängt sich bemerkbar zu machen, und zwar gerade in dem
jüngsten Zweige der Wissenschaft, dem der Erdbebenkunde, indem
sie aus altklassischen Sprachwurzeln Worte knetet, welche unser
192 Erdbeben.
»geliebtes Deutsche unootigerweise entstellen. Ein solches Wort-
gebilde ist das Wort »pleistoseistische Region« ; könnte es nicht
ebensogut »Hauptschüttergebiet« heissen? — Wie trefflich hat da-
gegen Prof. Suess in dem Wörtchen »Blattbeben« 5= tektonisches
Beben, als Wortschöpfer sich erwiesen. — Hoffentlich wird sein
Beispiel auch in dieser Richtung bahnbrechend sein.«^)
Geschlehtliches fiber Erdbeben in Schlesien. Das älteste
bekannte schlesische Erdbeben fand im Jahre 1011 statt und setzte
die am Saume des Riesengebirges gelegenen Ortschaften in Schrecken,
richtete jedoch keinen grossen Schaden an. Im 14. Jahrhunderte wurde
die Stadt Breslau zweimal erschüttert, am 1. Juni 1872 und 1364
zu Weihnachten, ebenfalls ohne irgend welchen Nachteil davon-
zutragen. Bedeutender scheinen drei Beben gewesen zu sein, die aus
dem 15. Jahrhunderte überliefert sind. Vom Jahre 1488 berichtet
der Breslauer Geschichtsschreiber Nikolaus Pol: »Vor dem Fest
Maria Reinigung entstand ein grosser Komet, brannte fast bei
8 Monat, streckte den Schwanz nach Mittemacht Darauf entstand
in Schlesien ein grosses Erdbeben, dadurch dem Lande grosser
Schaden ist zugefügt worden«. 9 Jahre später erfolgte in Brieg
— wahrscheinlich auch an andern Orten — ein so heftiger Erd-
stoss, dass ein Teil des Gewölbes über dem Hochaltar der Pfarr-
kirche einstürzte. Schon im nächsten Jahre bewegte sich von neuem
der schlesische Boden. Am 5. Juni 1448 trat in Böhmen, der Graf-
schaft Glatz und Schlesien ein so starkes Beben ein, »dass alles
stark bewegt wurde, jedermann sich darob entsetzte«.
Nunmehr verstrichen über hundert Jahre, bis am 10. Febr. 1562
die Grafschaft wieder von einem Erdstosse betrotten wurde«
Sturm und Gewitter begleiteten angeblich den Eintritt dieser Er-
schütterung, die viele Häuser beschädigt und zu Glatz den Knopf
vom Rathause herabgeworfen haben soll Das erste Beben, über
das eingehendere Nachrichten vorliegen, fand am 15. September 1590
statt Sein Verbreitungsbezirk muss sehr ausgedehnt gewesen sein,
denn es wurde ausser in Schlesien auch in ganz Böhmen wahr-
genommen und richtete in Wien, wo es insbesondere den Stephans-
turm beschädigte, arge Verheerungen an. In der Grafschaft er-
folgten an diesem Tage zwei so heftige Stösse, dass sich angeblich
die Menschen nicht aufrecht erhalten konnten, die Häuser wankten,
und geschlossene Thüren aufsprangen. Der Laubaner Ratsturm
wurde durch den ersten Stoss derart erschüttert, dass die Glocke
um 5 Uhr nachmittags dreimal laut anschlug, und die Bürger in dem
Glauben, es sei plötzlich Feuer ausgebrochen, erschreckt zusammen-
liefen. Der zweite Stoss war schwächer; in der darauffolgenden
Nacht aber, gegen 1 Uhr, trat eine neue heftige Erschütterung ein,
^) Jahrbuch der k. k. geolog. Reiohsanstalt M. Heft 1.
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Erdbeben. 198
durch die viele Leute aus dem Schlafe geweckt wurden und die
Wohnhäuser» sowie die Pfarrkirche in schwankende Bewegung ge*
rieten. Nach 5 Stunden schloss ein vierter Stoss, durch den von neuem
die Gebäude der ganzen Stadt erschüttert wurden, das Erd-
beben. In Breslau scheint dasselbe viel schwächer gewesen zu sein,
denn Pol berichtet nur ganz kurz: >Ist das Erdbeben auch zu
Breslau um 12 Uhr des Nachts von etlichen vermerket worden«.
Genau 4 Jahre später wurde in Goldberg ein Stoss gefühlt» dem
ein heftiger Sturmwind vorausging.
Einen ähnlichen Verbreitungsbezirk wie die Erschütterungen
von 1590 hatten die heftigen Erdstösse, die 100 Jahre darauf, am
4. Dezember 1690, in Steiermark, Niederösterreich, in der Grafschaft,
welche inzwischen schon 1615 wieder einmal bewegt worden war,
und in vielen Ortschaften Schlesiens, wie Neisse, Brieg, Breslau u. a.,
bis in die Oberlausitz hin überall die Bewohner in Schnecken ver-
setzten. Während die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Periode
grösserer Ruhe gewesen zu sein scheint, finden wir in seiner zweiten
Hälfte, besonders in den drei letzten Jahrzehnten, Nachrichten über
eine ganze Reihe von Beben. Am 31. Juli 1751 bewegte sich der
Boden des Hirschberger Kessels; 24 Jahre darauf, am 24. Januar
1775, nahm der Professor Zeplichal auf seinem Zimmer im Breslauer
Universitätsgebäude eine schwache Erschütterung wahr. Einen stich-
haltigem Grund vermochte man für die Erschütterungen zu finden,
die am 10. Mai 1778 das im Eatzbachgebirge, in der Nähe des
Hogulje gelegene Tiefhartmannsdorf betrafen. Ein Beobachter, der
sich gerade auf dem Gipfel eines benachbarten Berges befand, hörte
plötzlich gegen 1 Uhr mittags bei heiterem Himmel unter sich ein
starkes Krachen und bemerkte, wie auf einmal ein heftiger Wirbel-
wind losbrach, welcher jedoch keine Beschädigungen an Gebäuden
oder im Freien anrichtete. Dieses Beben brachte man, vielleicht mit
Recht, in Zusammenhang mit dem Einstürze unterirdischer Höhlen,
an denen die dortige Gegend reich ist
Weit stärker als diese Stösse und ein Beben, das im Februar
1786 die Grafschaft bewegte, waren die Erschütterungen, die am
3. Dezember 1786 Schlesien heimsuchten und zugleich in einem Teile
von Polen und Ungarn wahrgenommen wurden. In Breslau, ins-
besondere in der Ohlauer Vorstadt, auf dem Dome und auf dem Sande,
fühlten gegen 5 Uhr nachmittags verschiedene Personen ein merkliches
Schwanken des Erdbodens. Dasselbe war in Tarnowitz und Pless
so stark, dass einzelne Häuser Risse bekamen, und die Stubenöfen
beschädigt wurden. Besonders heftige Stösse erfolgten auch in Brieg,
Neisse, Leobschütz und Münsterberg. In Ratibor soll eine 2 Fuss
dicke Mauer gesprungen sein, und in Namslau der Klöppel der Schlag-
glocke des Rathauses sechs« bis siebenmal von selbst angeschlagen
haben. Das letzte Beben des 18. Jahrhunderts fand am 11. Dezember
1799 statt und erstreckte sich längs des Sudetenzuges von der
Klein, Jahrbuch XIQ. . 18
194 Erdbeben.
Grafschafti wo man mehrere Stosse beobachtete, über die Gegend
um das stark erschütterte Kloster Grüssau bis in den Hirschberger
Thalkessel, den schon im Oktober desselben Jahres ein Erdbeben
betroffen hatte.
Im letzten Jahrhunderte sind die Jahre 1885, 1637, 1858, 1872,
1878, 1888 und 1895 durch Erdbewegungen ausgezeichnet, von
denen sich aber nur die von 1858 und 1888 über die Ghrenzen der
Provinz Schlesien erstreckten.
Die Yogrüändlsehen Erdersehtttterungren vom September
1900 bis Mitte Harz 1902 behandelte H. Gredner.^) Den folgenden
Auszug aus dieser grossen Abhandlung giebt D. Binder.^ Seit 1875
kennzeichnet sich das sächsische Vogtland und das ihm benachbarte
und geologisch verwandte böhmische Nachbargelände als »chronisches
Schüttergebiet«. Als solches bewährte es sich von 1900 — 1902.
Der Verfasser betont ferner, dass er den augenblicklichen Zeitpunkt
zur Berichterstattung deshalb wähle, weil einerseits die Periode der
makroseismischen Beobachtungen (durch die Bewohnerschaft) ab-
schliesst, anderseits die Reihe der mikroseismischen (durch Beben-
messer) beginnt, nachdem nun ein selbstregistrierendes Wiechertsches
Pendelseismometer in Leipzig zur Aufstellung gelangt ist, infolge-
dessen eine Zeit genauerer Bebenforschung für Sachsen zu erhoffen
sei. Es folgen dann die Beobachtiingen vom 19. September 1900
bis 18. Februar 1901. Dann setzt der südvogtländische Erdbeben-
schwarm ein, der vom 8. Mai bis 26. Juni dauert; auf einem sorg-
fältig ausgeführten Kärtchen ist das Schüttergebiet besonders kenntlich
gemacht Schliesslich fasst er das Ergebnis seiner Beobachtungen
in 4 Sätzen zusammen: 1. Bezeichnend ist für das südvogtländische
Gebiet das Auftreten von Schwärmen, in denen Hunderte von Stössen
sich aneinanderreihten, und zwar im Herbste 1897 in 87tägiger,
im Sommer 1900 in 52tägiger und im Mai- Juni 1901 in 58tägiger
Periode; 2. die Epizentren sind im südlichen Vogtlande zu suchen;
8. dieses birgt aber zwei Erdbebenherde, einen in der Gegend
von Brambach-Schönberg, den andern in der Gegend von Graslitz-
Untersachsenburg; 4. die Mittelpunkte (Epizentren) beider Herde liegen
auf Granit oder auf dessen Grenze gegen die an ihn abstossenden
Schiefer. Der Erdbebenschwarm von 1901 ging von dem erstem
Herde aus imd berührte einen Kreis im Durchmesser von 17 km.
Die Stösse werden weniger heftig als 1897 und 1900 und dürften
nur den 4. — 5. Grad der Erdbebenskala erreicht haben. Auffällig
ist die exzentrische Lage des Epizentrums innerhalb der Schütter-
fläche, in welcher es fast an die südliche Grenze gerückt erscheint.
Auch die Erscheinung wurde bemerkt, dass sich an zerstreuten
Orten innerhalb des Schüttergebietes der Hauptstösse lokal beschränkte
^) Ber. d. mathem.-phys. Klasse d. Kgl. Sachs. Ges. d. Wiss. 1902.
*} Erdbebenwarte 2. p. 84.
Erdbeben« 196
stossförmige Erhebungen bemerkbar machten, welche zeitlich ganz
mial>hängig von jenen andern auftreten, und die man nach Uhlig
^Seismische Ereignisse des Jahres 1900 in Deutschböhmen) »lokale
Distalbeben« nennen könnte. An 8. Stelle endlich behandelt der
Verfasser die vogtländisch-egerlandische Erdbebenperiode vom 25. Juli
bis 31. August, wobei ein zweites Kärtchen des Schüttergebietes dem
Leser eine leichte Übersicht bietet Das Schüttergebiet erstreckt
sich elliptisch in einer Länge von 46 und einer Breite von 17 km.
Der Ausgangsort dieses Bebens dürfte in einer dem erzgebirgischen
Abstürze parallelen Diskontinuität zu suchen sein,, die sich freilich
in dem Aussehen des Geländes oberflächlich nicht verrät; sie ent-
spräche einer jener Erdbebenlinien, wie sie Becke bei Erörterung
des böhmisch -sächsischen Bebens von 1897 zu erkennen glaubte,
und welche das Ostende des Fichtelgebirgsgranits mit dem Südwest-
rande des Neudecker Granitstockes verbinden. Auf den Hauptstoss
vom 25. Juli folgte dann im Laufe der nächsten Wochen ein weit-
läufiger Schwann meist schwacher Erschütterungen, bis mit Ende
August allmählich Ruhe eintritt. Nur im Dezember (8. und 9.)
machte sich noch ein kräftiger, mit Donnerrollen verbundener Stoss,
und zwar bei Markneukirchen, fühlbar.
Erdbebenstörungen zu Trlest. Ober diese, am Rebeur-
Ehlertschen Horizontalpendel im Jahre 1901 beobachteten Störungen
berichtet E. Mazelle.^) Es gelangten in diesem Jahre 187 Störungen
nach Zeit und Grösse zur Aufzeichnung.
Aus sämtlichen bisher veröffentlichten Beobachtimgen — 602
Seismogramme seit 31. August 1898 — lässt sich vorerst ent-
, nehmen, dass im Mittel jeden zweiten Tag eine seismische Störung am
Horizontalpendel zu erwarten ist
Die Beobachtungen lassen ausserdem nicht nur eine regelmässige
jährliche Verteilung ihrer Häufigkeit entnehmen, sondern auch eine
auffallende tägliche Periode.
Der jährliche Gang zeigt eine doppelte Schwankung mit den
Frequenzmaxima im Februar (14.2 Störungen) und im September
(18.1) und den Minima im April (12.5) und Dezember (13.3).
Die Trennung nach den einzelnen Tagesstunden ergiebt recht
deutlich eine regelmässige doppelte tägliche Periode mit der grössten
Häufigkeit der Störungen um 6^ und 22^ (51.2 und 54.0) und der
kleinsten um 2^ und 14^ (49.0 und 46.9), wozu erwähnt werden
soll, dass bei der täglichen Periode des Luftdruckes in Triest die
Maxima auf 10^ und 23^, die Minima auf 5^ und 16^ fallen.
Das Brdbeben in Guatemala am 18.Aprill902. Über
dasselbe macht Prot E. Sapper einige MitteUimgen,*) die zwar nur
auf Zeitungsberichten beruhen, aber in der kritischen Beleuchtung
des erfahrenen Kenners von Mittelamerika, Beachtung verdienen. Die
M 6«r. d. Kais. Akad. d. Wiss. m Wien 1902. No. 18.
^ Petermamis Mitteilungen 1902. p. 198.
196 Erdbeben,
Zeit des Hauptstosses war 8^20™ — 30"* abends. Die entferntesten
Orte, von denen dem Verf. Nachrichten über die Wirkungen des Erd-
bebens zukamen, sind Managua (Nicaragua), Gomayagua (Honduras)
und Mapastepek (Chiapas), die wirkliche Ausdehnung des Bebens
war aber sicherlich grösser. Die Verluste an Menschenleben sind
bei weitem nicht so gross, als man nach dem enormen Material-
schaden (die Städte Quezaltenango und S. Marcos, sowie viele Dörfer
wurden fast ganz zerstört) erwarten konnte. Die Grösse dieser
Verwüstungen wird vielfach von der Bauart der Häuser bedingt,
doch glaubt Verf., dass auch lokale Verschiedenheiten der Intensität
des Bebens angenommen werden müssen. Eine nacli den vorliegenden
Nachrichten von ihm entworfene Erdbebenkarte zeigt »die Zone des
grössten Schadens fast ganz auf die Nähe der guatemaltekischen
Vulkanreihe beschränkt, während die salvadorenische Vulkangegend
verhältnismässig ruhig blieb. Der Schluss der Guatemalteken, dass
das Beben ein vulkanisches wäre, ist wohl verständlich; aber es
fällt auf, dass ein zweiter schmaler Streifen grösster Intensität auch
am pazifischen Meeresstrande sich ausdehnt, und die Schilderung, die
Karl List von den Erscheinungen bei Ocos giebt, lässt darauf schliessen,
dass in der Nähe jenes Platzes der Sitz des Erdbebens gewesen
sein muss. Das Erdbeben äusserte sich hier als ein einziger heftiger
Stoss aus SSW nach NNO, der alles in lebhafte Schwingungen ver-
setzte, die Holzgebäude, je nach ihrer Schwere, um wenige Zoll bis
zu 2 Fuss verschob, die Eisenbahngeleise verbog, die Brücke über
den Estero ins Wasser warf und den 348 m langen, auf Stahl-
pfeilern stehenden Landungssteg nach allen Richtungen so verbog,
dass sein > Profil nicht mehr eine gerade Linie wie vorher ist, sondern
eine Wellenlinie, genau angepasst der Form und Länge der (Erd-
beben-) Welle«. Das Merkwürdigste ist aber, dass diese Erdbeben-
welle sich in dem Sandboden sogar plastisch ausprägte. Karl List
schreibt darüber: »Ocos liegt auf einer langgestreckten, ca. 300 bis
400 m breiten Sanddüne, oder besser gesagt Insel Jenseits des
Esteros besteht das Gelände aus hartem Lehme, Gerolle etc., während
der Untergrund von Ocos leichter vulkanischer Sand ist. Gleichwie
die Meeresbrandung auf sanft abfallendem Strande sich bricht, so
brach sich die Flutwelle (Erdbebenwelle) beim Übergänge vom
Sandboden zum harten Lehme, und zwar das 1. Mal in I, ein 2.
und 3. Mal in II und III, rollte dann weiter inland, überall Spuren
ihrer Bewegung hinterlassend, bis die Bewegung vollständig und
gleichmässig in den harten Untergrund des festen Landes über-
gegangen war (ca. 300 m jenseits des Esteros), wo sie dann in der
Küstenebene ohne weiter sichtbaren Schaden sich fortpflanzte.«
Erdbebenbeobachtungen in Japan.^) Professor Omori unter-^
zog 18.279 Erdbebenbeobachtungen, die in Japan auf 26 Erdbeben-
^) Die Erdbebenwarte 2« p. 85.
Erdbeben. 197
warten innerhalb eines Zeiti*aumes von 27 Jahren gemacht worden
sind, einer kritischen Untersuchung in Bezug auf deren Auftreten
in Hinsicht auf die Jahres- und Tageszeiten. Er findet, dass eine
Anzahl von Erdbebenwarten das Maximum der Beobachtungen in
den Sommermonaten, eine Anzahl von Erdbebenwarten das Maximum
der Beobachtungen in den Wintermonaten aufweist. Die Stationen
der erstem Qruppe liegen in dem östlichen, dem Stillen Ozeane zuge-
kehrten Teile des Inselreiches, jene der letztern Gruppe an der West-
küste, gegenüber dem asiatischen Kontinente. Vergleiche mit den
Barometerstanden ergaben, dass bei hohem Luftdrucke häufiger Erd-
beben auftreten als bei niederem. Da in Japan im Sommer niederer,
im Winter hoher Luftdruck herrscht, sind die in den Wintermonaten
beobachteten Erdbeben auf den Einfluss des Luftdruckes zurückzu-
führen und haben ihren Herd auf dem Festlande. Die Erdbeben der
Sommermonate sind hingegen Folgeerscheinungen submariner Vor-
gänge. Was die Tageszeit des Auftretens anbelangt, so konnte
Professor Omori keine bestimmten Gesetze aufdecken.
Ober das behauptete regrelmässigre Fortsehreiten des
Epizentrums bei Erdbeben mit zahlreichen Nachbeben hat
Montessus de Ballore eine Untersuchung ausgeführt^) Hervorragende
Seismologen, wie Perrey und Suess, haben die Vermutung aus-
gesprochen, dass in sehr unruhigen Gegenden das Epizentrum die
Tendenz zeigt, in einer ganz bestimmten Richtung fortzuschreiten.
Man hat diese interessante Erscheinung dahin erklärt, dass es sich
so verhalt wie bei einem Felssprunge, der gegen sein Ende zu sich
immer weiter fortsetzt, wie man dies auch oft bei Sprüngen der
Fensterscheiben beobachten kann. Wie weit ist nun diese Ver-
mutung richtig, die bisher keiner exakten Untersuchung unterworfen
worden ist und daher jeder nähern Begründung entbehrt? Das grosse
Beben im nordöstlichen Indien vom 12. Juni 1897 kam gerade recht,
um diese Frage ziffermässig behandeln zu können.
Dieser Erschütterung folgte eine ausserordentlich grosse Anzahl
von Nachbeben, und zwar mehr als 5200, d. i. bis 31. Dezember 1898.
Nach der Abhandlung Oldhams (Liste der dem Erdbeben vom 12. Jimi
1897 nachfolgenden Erdstösse) hat Verf. für 5238 dieser Stösse bei-
läufig 243 verschiedene Epizentren bestimmen können. Aus ihren
geographischen Koordinaten war es möglich, für jeden der 19 Monate
dieser Schütterperiode das »Zentrum der mittlem Abstände« der
thätigen Erdbebenherde herauszufinden, und zwar nach Massgabe der
Zahl der Stösse, welche in jedem Monate von ihm ausgegangen
sind. Dieses monatliche Zentrum der mittlem Abstände kann streng
genommen als das Zentrum der monatlichen Bodenunruhe angesehen
werden, obgleich in Wirklichkeit dieser Punkt nur eine rein geo-
metrische Bedeutung besitzt Man muss jedoch zugeben, dass, wenn
^) Belar, Die Erdbebenwarte 2. p. 15.
198 Vulkanismus.
die oben angeführte Vermutung richtig ist, das Zentrum einen regel-
mässigen und in einem bestimmten Sinne systematischen Gang bei-
behalten wird. Das Ergebnis der Berechnung zeigt nun, dass die
Vermutung nicht zutrifft Die monatliche Lage der Zentren ergiebt
kein Gesetz. Das beweist übrigens noch nicht, dass dem immer so
sein müsse, aber diese Feststellung stellt ein vermeintliches regel-
mässiges Fortschreiten jedenfalls ernstlich in ZweifeL
Vulkanismus.
Die Insel Hartinique und ihr Vulkanismus. E. Deckert
giebt^) eine Beschreibung dieser Insel mit besonderer Berücksichtigung
der vulkanischen Verhältnisse. Der Norden der Insel wird vom
Mont Pele (im Lande Montagne Pelee, kahler Berg genannt) beherrscht,
der 1360 m hoch ist und den jüngsten Vulkanherd der Insel bildet.
Die Aufechüttungen aus den Eraterschlünden dieser Bergmasse (meist
Bimsstein, vulkanische Konglomerate, trachytische und doleritische
Lava), stammen teils aus der Quartärzeit, teils aus Epochen, die
offenbar der historischen Zeit der westlichen Erdhemisphäre ent-
sprechen. Während der historischen Epoche Westindiens, war
der Berg ziemlich träge und wurde einer grossem Aktion kaum noch
für fähig gehalten. Er trug auf seiner Höhe einen kleinen Kratersee
(Lac des Palmistes), auch existierten mehrere heisse Schwefelquellen
an einem Quellflüsschen der Riviere Blanche, sonst war von einer
Solfatarenthätigkeit des Berges nichts zu spüren. »In sehr auffälliger
Weise durchsetzten die Gipfelregion des Berges aber (vorwiegend
in der Richtung von SW nach NO) tiefe und mehr oder minder
breite Spalten, aus denen an verschiedenen Stellen stechende, den
Atem versetzende Dünste emporstiegen, und daraus konnte man
schliessen, dass der Vulkanismus des Mont Pele unter der Ober-
fläche noch keineswegs vollkommen tot war. Dicht neben den er-
wähnten Schwefelquellen im Quellgebiete der Riviere Blanche aber
lagen die zwei kleinen Krater, aus denen im Jahre 1851 der letzte
unbedeutende und wenig beachtete Aschenausbruch stattgefunden
hatte, und unterhalb derselben befand sich eine ganze Reihe weiterer
Krater, die weniger gut erhalten war, und deren unterste unter dem
Namen des £tang See zusammengefasst wurden. Wann die letztem
Krater entstanden und thätig gewesen sind, ist schwer zu sagen»
jedenfalls waren sie aber kaum viel älter als wenige Jahrhunderte»
und der eine oder andere stammte vielleicht aus dem Jahre 1792,
wo der Vulkan in ähnlicher Weise wie 1859 eine kleine Eruption
gehabt haben soll; denn die westindischen Atmosphärilien zerstören
und maskieren solche Spuren vulkanischer Thätigkeit im Vereine mit
der üppig wuchernden Vegetation und den zahlreichen Erdbeben
immer sehr rasch.«
^) Petermanns Mitteilungen 1902 p. 138.
Vulkanismus. 199
Diese Eratergegend scheint nach Deckerts Annahme bei der
grossen Eruption am 8. Mai der Hauptausgangspunkt der Aktion
gewesen zu sein. Dort stiegen am 24. April die ersten auffälligen
Dampfsäulen empor, nachdem man am Abende vorher mehrere starke
Detonationen aus dieser Richtung in Precheur und St.-Pierre ver-
nommen hatte. Am 26. April fand Leon Sully bei einer Expedition
in diese Gegend in 600 m Seehöhe umfangreiche neue Krater- und
Spaltenbildungen und in einem langgestreckten neuen Krater an Stelle
des £tang See Kochen, Brodeln und Qasaufsteigen aus 4 Schlünden.
Aus dieser Gegend kam auch die Ascheneruption vom 3. und 4. Mai
und am 6. Mai der erste heisse Schlammstrom, der sich in der
Riviere Blanche pfeilschnell zur Küste herabwälzte. Die Explosion
vom 8. Mai hatte dagegen nach Deckert ihren Ursprung in der
nächsten Nachbarschaft der alten Kratergegend.
Folgende Berichte von Augenzeugen der Katastrophe, durch die am
8. Mai St. Pierre samt seinen Bewohnern vernichtet wurde, sind geeignet,
über den Vorgang Klarheit zu geben.
Roger Arnaux, Mitglied der französischen astronomischen Gesellschaft,
schreibt : Am Pfingstmontage 1900 besuchten mi den Gipfel der Montagne
und konnten das Vorhandensein von zwei kleinen Solfataren im Krater kon-
statieren. Die Vegetation, welche an dieser Stelle ein Jahr vorher sehr
reich gewesen, war zum grossen Teile verbrannt, und auf dem Boden zeif^e
sich hm und wieder eine gelbliche Materie, die wir für Schwefel hielten. Kerne
^ur von Dampf war zu erkennen. Im Jahre 1901 machten mehrere Freunde
eine neue Besteigung des Berges und fanden fünf oder sechs kleine Fu-
marolen, welche grünliche Dämpfe ausstiessen. Indessen zeigten sich erst
im März des gegenwärtigen Jahres Erscheinungen, durch die man in
St. Pierre aufmerksam wurde. Gegen Ende dieses Monates sah ein zu-
verlässiger Beobachter nachts ein recht lebhaftes Licht von der Kraterhöhle
ausstrahlen. Erst am 25. April aber war man überzeugt, dass der Vulkan
wieder erwacht seL In der Nacht vom 25. zum 26. April bemerkte der
Berichterstatter eine starke Detonation und sah aus dem Krater eine immense
Rauchsäule aufsteigen, und in den folgenden Tagen lagote über dem Berge
eine gewaltige Wolke gleich einer Gewitterwolke, ohne dass aber sonstige
Anzeichen auf die Thätigkeit des Vulkanes deuteten. Am Morgen des 2. Mai
gegen 9 Uhr erschollen Detonationen, und fiel Asche; dem Berichterstatter
Semen es, als wenn neue Schlünde in dem Krater sich geöffnet hätten;
aber erst am 5. Mai floss schwärzlicher Schlamm, von dichtem Dampfe
überdeckt, von der Höhe durch das Thal der Riviere Blanche herab und
vernichtete nachmittags die Fabrik Guerin. Am Morgen des 6. Mai schien
die Eruption sich zu beruhigen, aber am Morgen des 7. vernahm der
Berichterstatter, dass die Telegraphenverbindung mit den benachbarten
Inseln unterbrochen sei, nach Aiächt des Telegraphendirektors infolge sub-
mariner Bodensenkungen. Nachmittags vernahm man zu St. Pierre Deto-
nationen in kurzen Intervallen, aber aus südlicher Richtung, und glaubte
an eine Schiffsübung bei Fort de France. Der Berichterstatter fand indessen
die Luftvibrationen befremdlich stark. Gegen 5 Uhr abends verliess er
St. Pierre und sah, wie aus dem Krater enorme Felsmassen emporgeschleudert
wurden, die etwa V« Minute gebrauchten, um wieder zurückzufaUen. Gegen
8 Uhr abends erblickte er zum erstenmal auf dem Gipfel des Berges zwei
fixe Feuer von weisser Farbe. Am Morgen des 8. gegen 7^/^ Uhr sah der
Krater ziemlich ruhig aus, die Dämpfe wurden von östUchem Winde fort-
fetrieben. Gegen 8 Uhr erblickte der Beobachter aus dem Krater eine
leine Wolke aufsteigen, die 2 Sekunden später von einer grossen Masse
200 . Vulkanismus.
(Nappe) gefolgt wurde, die in weniger als 3 Sekunden alles bis Pointe
de Garbet bedeckte, gleichzeitig aber auch bis zum Zenith des Beobachters
anstieg. Es waren Dämpfe, ganz ähnlich denjenigen, die während der
ganzen Zeit aus dem Krater aufgestiegen waren. Sie schienen sehr dicht
zu sein, denn sie behielten bis zum Scheitel ihre rundlichen Gipfel. Aus
diesem Dampfchaos heraus strahlten zahllose elektrische Funken, und gleich-
zeitig erscholl entsetzliches Getöse. Als die Erscheinung sich näherte,
erhob sich plötzlich ein heftiger Wind, der die Äste der Bäume brach, und
unmittelbar darauf wurde die Sonne verhüllt, es entstand eine fast völlige
Finsternis. Steine von 2 em Durchmesser fielen aus der Luft. In der
Richtung von St. Pierre sah man eine Feuersäule, die sich fortbewegte
und gleichzeitig rotierte, deren Höhe der Beobachter auf 400 m schätzte.
Diese Erscheinung dauerte 2—3 Minuten. Bald nach dem Steinfalle er-
goss sich ein Schlammregen während etwa einer halben Stunde. Die
ganze Erscheinung hatte ungefähr 6 Stunden gedauert , als die Sonne
wieder hervorkam. * Die Wolke, welche der Beobachter über St Pierre sich
niedersenken sah, musste aus einer flüssigen Materie von sehr hoher Tem-
peratur bestanden haben, welche Flüssigkeit in der Luft aber verdampfte.
Auch der Bhtz wird zur Entzündung der Feuersbrunst in der Stadt bei-
getragen haben. Von einem Feuerregen über der Stadt hat der Beobachter
nichts bemerkt. Was die vulkanische Materie (Asche, Schlamm und Steine)
anbelangt, die in Fort de France und fast aui der ganzen Insel niederfiel,
so muss sie raketenförmig vom Vulkane ausgeworfen worden sein, wenige
Sekunden nach der Zerstörung von St. Pierre, denn der Beobachter hat
zu keiner Zeit eine vertikale Eruption wahrgenommen. Die Gase, die sich
auf St. Pierre stürzten, haben nach wenigen Sekunden die ganze Insel
überdeckt; der Beobachter hält sie für erhitzte Wasserdämpfe.
Ein anderer Augenzeuge, M. Molinar, giebt folgende Schilderung des
Vorganges: Am 7. Mai gegen 7 Uhr abends, als der Berg schrecklich
§ rollte, begab ich mich ans Fenster und sah glühende Lava in der Richtung
er drei Brücken herabfliessen. Sofort machte sich alles auf die Flucht
nach dem Pamasse, einer Besitzung in 200 oder 300m Höhe, 200m höher
als die drei Brücken. Um Mittemacht kamen wir daselbst an. Zu dieser
Zeit war der Berg in voller Eruption und warf Lava, Rauch und brennen-
des Gestein aus. Am 8. Mai 6 iJhr morgens hatte er sich beruhigt, und
wir betrachteten die Flagge von Rauch und Dampf, welche er gegen das
Meer hin entsandte. Gegen 8 Uhr, ohne dass irgend etwas Besonderes
sich vorher zeigte, öffnete sich der Berg von oben bis unten und sandte
wie ein ungeheurer Blitz einen Flanmienstrahl in der Richtung auf St. Pierre
hin. Während etwa einer Viertelstunde schickte er seine Flammen stets
successive in der Richtung auf diese Stadt und ihre Umgebung. Wir, die
vom Pamasse aus das Schauspiel betrachteten, befanden uns nicht in der
Flanmienzone, dank einem Winde, der ihr entgegenblies und unsere
Rettung gestattete. Nach dem Aussenden dieser Flammen beruhigte sich
der Berg vollständig, entsandte weder Flanmien, noch Lava, aber gegen
11 Uhr fing er von neuem an, Rauch und Lava auszuwerfen. Ich habe
seitdem gehört, dass auf der Seite gegen Macouba und der Grand Riviere
(der Noraseite der Montagne Pelee) sich Spalten gebildet haben, die
glühende Lava aussandten. Er gab schlanmiige Lava, welche sogleich er-
härtete, und feine flüssige, die bis zum Meere herabfloss. Beide Lavamassen
haben die Wege dort völlig unpassierbar gemacht, und die Bevölkerung
musste übers Meer sich nach Dominica retten.
Th. Gelestin hatte sich am 7. Mai nach Bourg de Garbet geflüchtet
und sah von dort aus den Vorgang am nächsten Tage. Er berichtet:
Am 7. schienen sich neue Krater zu bilden, und der Rauch wurde
stärker. Um 3 Uhr abends vemahm man dumpfe Detonationen wie regel-
rechte ArtiUeriesalven. Die einzelnen Schläge folgten in Intervallen von
otwa 6 Sekunden aufeinander. Die Bewohner von St. Pierre waren be-
Vulkanismus. 201
stürzt, aber niemand wollte an unmittelbare Gefahr glauben; eine wissen-
schaftliche Kommission, die die Situation studieren sollte, war am 6. zu
der Überzeugung gekommen, dass keine Gefahr drohe, und dieses Gut-
achten wurde am 7. veröffentlicht. Die Nacht vom 7. zum 8. Mai war
stürmischer als die vorhergehenden, und intensive Flammen schienen aus
dem Krater aufzusteigen. Der Berichterstatter war tags vorher nach dem
Städtchen Carbet geflohen, bkm südlich von St. Pierre, von wo aus er
das Schauspiel beobachtete. Am Morgen des 8. ist der Vulkan schrecklich
anzusehen, er ist vollkommen schwarz, und allenthalben erheben sich von
ihm ungeheure Dampfsäulen. Der Himmel ist grau und die Sonne ver-
schleiert. Kein Lufthauch, alles ruhig, die Natur scheint zu trauern. Es
ist 8 Uhr. Aller Bhcke sind gegen St. Pierre hingewandt, und man ist
voll tiefer Angst. Während man gegenseitig seine mehr oder minder
irrigen Meinungen austauscht, verändert sich plötzlich das Aussehen des
Vulkanes. Man konnte sagen, er sei ganz in Bewegung geraten ; überall Rauch ;
Tausende von Rauchstreifen erheben sich in die Luft. Plötzlich durch-
leuchtet ein Blitz diese Damnfmassen. Was geht vor sich? Eine, zwei
Sekunden verfliessen .... >Wir sind verloren, der Berg stürzt zusammen«,
ertönt es von allen Seiten, »fliehen, fliehen!« Der Beobachter bringt seine
Familie gegen Süden hin an einen sichern Platz und kehrt zurück, um
zn sehen, was vor sich geht. Der Berg als solcher ist nicht mehr zu
sehen, statt seiner erblickt man eine Lawine, einen Wall schwarzen
Dampfes, erhellt durch Tausende von Blitzen, und das Ganze stürzt auf den
Beobachter zu mit erstaunlicher Geschwindigkeit. »Der ganze Himmel ist
in Mitleidenschaft gezogen, wir befinden uns unter einem in Feuer stehenden
Gewölbe. Schreckliches Rollen begleitet den Marsch der Erscheinung.
Das Meer ist schwarz und nach allen Richtungen in Aufruhr, lange Wogen
in das Land hinein entsendend, die den Weg überschwenmien. Wir sind
verloren; es bleibt nur, resigniert den Tod zu erwarten. Plötzlich aber
macht sich eine lebhaite Reaktion in der Luft bemerkbar, ein heftiger
Wind setzt von Süden ein , so stark, dass die Bäume unter seiner Wirkung
zur Erde geneigt werden, der Fortschritt des Verderbens wird gehemmt,
dOOm von uns entfernt. Wir sind gerettet I Der Sturm verminderte sich
allmählich und höi*te nach 2 oder 3 Minuten auf. St. Pierre war während
dessen am Brennen, man sah dort eine ungeheure Feuerwand. Ein schreck-
liches Gewitter entlud sich nun über uns, Tausende von Blitzen durch-
zuckten die Luft, und während einer halben Stunde ergoss sich über uns
ein Regen von Steinen und Schlamm.«
Bin Beobachter, mit Namen Fernand Gleve, hatte sich aus St. Pierre
auf ein Landgut geflüchtet, welches zwischen dieser Stadt und dem Mome
Rouge auf einem Berge, der den Namen Pamass führt, liegt. Am Donnerstag
morgens gegen 8 Uhr befand er sich dort an einem Fenster und beob-
achtete die Montagne Pelee, welche jetzt viel mehr als früher donnerte.
Plötzlich, nach zwei furchtbaren Detonationen sah er, wie sich von oben
herab längs dem Vulkane eine Spalte bildete, aus der mit schrecklichem
Geräusche ein ungeheurer Feuerstrahl entwich. Der Beobachter floh von
dannen, kam aber nicht weit, sondern wurde, er weiss nicht wie, zu Boden
geworfen. Als er sich wieder erhob , war die Stadt St. Pierre vernichtet ;
etwa 25 m hinter ihm lagen die ersten Leichen. Weiter vordringend bis
zur Bannmeile der Stadt, zeigte sich weder ein Baum, noch irgend ein Ge-
bäude. Das Terrain schien wie mit der Walze geebnet, keine Trümmer,
kein Schutt, nur etwas Asche war zu erblicken. Leichen fanden sich nur
an der Grenze der Feuergarbe, auf der von ihr bestrichenen Fläche blieb
nichts mehr, und hier herrschte das völlige Schweigen des Todes. Bei
ihrem Austritte aus dem Vulkane hatte die Feuergarbe die Gestalt eines
Fächers.
Dr. Masurel, Arzt auf dem französischen Kreuzer »Suchet«, dessen
Kommandant den ersten telegraphischen Bericht über das Unglück von
202 Yulkaiiismus.
St Pieire an den französischen Minister sandte, berichtet: Es fanden bei
dem Vorgange mehrere Erscheinungen statt; eine furchtbare elektrische
Entladung, welche den nördlichen Teil der Stadt vollständig wegfegen
musste, und ein von dem Gipfel des Vulkanes herabkommendes Aufblitzen,
hervorgebracht durch ein detonierendes Gtemenge, welches die ganze Be-
völkerung getötet hat. Nach einer Wolke von Dampf und Schlamm erhob
ddi aus dem Krater eine Garbe geschmolzener Materie in Gestalt eines
Fächers, die sich über die Stadt niedersenkte.
Ainadee Enight, Senator von Martinique, befand sich zu Lorrain am
Ostgestade der Insel zur Zeit der Katastrophe. Er hörte dort dumpfes,
schreckliches Grollen des Berges und Detonationen gleich Kanonenschüssen.
Gleichzeitig sah man über dem Vulkane eine ungeheure Garbe von schwarzem
Rauche aufsteigen, während der Horizont sich in hässUcher Beleuchtung
dagegen abhob. Es waren wie Lichtbanden, welche ihn in jedem Augen-
blicke erhellten, und von welchen sich an mehrem Punkten und gleich-
zeitig Blitze in Form eines doppelten Z ablösten. »Mein erster Gedanke
war an die armen Bewohner des Ortes Precheur. Ich hatte denselben am
29. April und am 4. Mai besucht und schon damals dort auf den Feldern
eine Aschenschicht von 80 om Dicke gefunden. Auch waren von den
Höhen der Montagne Pelee seit mehrern Tagen 2000 Schwarze herab-
gekommen, deren Eigentum zerstört war. In aller Eile begab ich mich
nach Fort de France, wo ich den Untergang von St. Pierre vernahm. Die
Leichen fanden sich vielfach in Lagen, welche bewiesen, dass die Personen
plötzlich getötet sein mussten; so eine Gruppe von 5 Personen, die auf
der Strasse geplaudert haben mussten, als das verderben über sie kam. In
einer Wohnung fand sich die Leiche eines Mannes vor seinem Schreibtische
sitzend, eine junge Frau, wohl seine Tochter, hat den Arm um seinen Hals
geschlungen, wahrend ein junger Mensch knieend ihn wie gleichsam um
Schutz anflehte. Alle müssen im gleichen Momente vom Tode dahin-
gerafft worden sein. In den Strassen wurden 2000 Leichen gefunden, die
meisten mit dem Gesichte gegen die Erde liegend. In einem Berichte heisst
es, dass heisse oder giftige Gase dem Vulkane entströmt sein mussten, denn
fast alle Opfer des Ausbruches in St. Pierre hatten die Hände vor dem
Munde, wie um Erstickung zu verhindern, c
Der zweite Befehlshaber der Goelette >Gabriell<, G. M. Sainte schreibt
über seine Wahrnehmungen folgendes : Um 7 Uhr 50 Minuten machte sich
ein heftiges Grollen im Berge wahrnehmbar, und es zeigte sich vom Gipfel
bis zum Fusse gleichsam wie ein gewaltiger Riss. Dann sah man inmitten
schwarzen, dem Auge undurchdringlichen Rauches eine ungeheure, un-
förmliche Masse, die sich mit gewaltiger Schnelligkeit thalabwärts bewegte
und in ihrem Wirbel alles verschlang, ganz St. Pierre. Auf der Rhode
verloren 2 Drittel der Schiffe ihre Masten und versanken, die einen mit
dem Vorder-, die andern mit dem Hinterteile. Nur 3 Schiffe, worunter
2 Dampfer, vermochten dem Choc zu widerstehen, aber ihre Bemannung
kam bis auf ein paar Köpfe um. Der Berichterstatter verdankt sein Leben
nur dem Umstände, dass er sofort untertauchte, indessen war das Wasser
um ihn herum so heiss, dass er stark verbrüht wurde, ebenso wie noch
vier andere von der Bemannung des Schiffes, die sich auch retteten. Wieder
auftauchend, sah er vor sich ein Glutmeer, das die Ruinen der schon ein-
gestürzten Stadt verschlang. Ein furchtbarer Regen glühender Lava, ein
unnennbares Gemisch von Schlamm und vulkanischen Bomben senkte sich
auf die brennende Stadt und ihre Umgebung, zischend und prasselnd fuhren
diese Geschosse bis auf das Meer hinaus. Bei einer kurzen Erhellung
gegen 9 Uhr nachmittags sah der Berichterstatter, dass der Gipfel des
Vulkanes wie ausgezackt und die Abhänge tief ausgefurcht waren.
H. Thomson befand sich auf der >Ronuma< und betrachtete die
grossartige Erscheinung des Ausbruches, während der dritte Ingenieur eben
Vulkanismiis. 208
dabei war, eine Photographie des raachenden Berges aufzunehmen. Es
war einige Minuten vor 8 Uhr. Plötzlich machte sich ein furchtbares
Brüllen bemerkbar, gefolgt von einer gewaltigen Explosion. Der Donner
dieser letztem kann nur vergtichen werden mit der gleichzeitigen Ent-
ladung Yon tausend Kanonen des grössten Kalibers. Der ganze Himmel
war wie eine einzige Flanune. Als der Donner einen Moment schwieg,
stürzte sich der Kapitän auf die Brücke und schrie der Bemannung zu,
die Anker zu lichten. Allem es war zu spät Ein Wirbelsturm von Dampf
fiel auf die Schiffe, und eine Lawine von Feuer fegte über Stadt und Rhede
mit der Greschwindigkeit eines Orkanes. Der Dampfer stiess mit dem Hinter-
teile auf den Grund, und Masten und Kamine gingen über Bord. Augen,
Ohren, Mund und Kleider der Bemannung waren mit Asche und Lava
bedeckt, die Finsternis so gross, und der Donner so stark, dass niemand
sehen oder hören konnte, was einige Fuss von ihm entfernt vorging, und
man wörtlich dem Ersticken nahe war. Der Feuerorkan dauerte nur
einige Minuten.
Ein Kaufmann aus Fort de France schrieb nach Paris: In St. Pierre
hat das Feuer alles vernichtet, aber nicht ein gewöhnliches Feuer, sondern
gewissermassen ein Strahl glühenden Gases von ungeheurer Temperatur.
Einer der wenigen Überlebenden aus St. Pierre, ein 88 Jahre alter
Neger, hat folgendes dem Korrespondenten des »Temps« erzählt : > Am 8. Mai
gegen 8 Uhr morgens befand icn mich auf der Schwelle meiner Wohnung
im Südosten der Stadt an der Strasse de la Trace. Plötzlich hörte ich das
Pfeifen eines furchtbaren Windes, die Erde begann zu zittern, und der
Himmel verdunkelte sich. Ich wollte ins Haus zurück und machte mit
grösster Schwierigkeit die 3 oder 4 Schritte, welche mich von meinem
Zimmer trennten, ich fühlte meine Arme, meine Beine und mein Gesicht
brennen. Ich liess mich unter einen Tisch fallen, und in diesem Momente
sachten vier Personen in meinem Zimmer Zuflucht, welche vor Schmerz
schrieen, ohne dass aber ihre Kleider die Wirkung von Feuer zeigten. Nach
10 Minuten fiel eine davon, ein 10 jähriger Knabe, tot nieder, die [andern
verliessen den Raum. Ich erhob mich und trat in ein Zimmer, wo ich
den Vater Delavaud ganz angekleidet tot auf seinem Bette fand; er
war blau und aufgeschwollen, aber seine Kleider waren unverletzt. Ich
wollte heraus, aber im Hofe stiess ich auf zwei Leichen, die einander um-
schlungen hatten, es waren die der beiden jungen Leute, die vorher in
mein Zimmer gekommen waren. Ich kehrte nunmehr ins Haus zurück; in
einem Räume traf ich auf 2 Leichen von Leuten, die sich im Garten
befanden hatten, als ich am Beginne der Katastrophe ins Haus ging. Er-
schöpft und ohne Besinnung Hess ich mich auf mein Bett fallen und
erwartete den Tod. Nach einer Stunde kam ich wieder zu mir und sah
das Dach brennen, fand aber Kn^ davon zu eilen und Fond-Saint-Denis,
6 hm von St Pierre, zu erreichen. Gegen 11 Uhr morgens war ich gerettet.
Ich kann behaupten, dass ich, mit Ausnahme der oben genannten Personen,
niemand schreien gehört habe; ich habe auch keinen Erstickungsanfall ge-
habt, noch fehlte mir die Luft, nur war sie brennend heiss. Es gab weder
Asche, noch Schlamm. Die ganze Stadt brannte.«
Man kann nach allem Deckert wohl beistimmen, wo er sagt:
»Dass die Stadt St.-Pierre den allergrössten Betrag von dem mit
der Eruption verbundenen Unheil über sich ausgeschüttet erhielt, ist
zum Teil wohl aus dem von dem Mont Pele auf die Stadt zu
wehenden Passatwind zu erklären, zum viel grossem Teile aber ohne
Zweifel aus der der Stadt zugewendeten Lage des eigentlichen
Bnipiionsherdes.«
204 Vulkanismus.
Ein neuer heftiger Ausbruch des Vulkanes fand am 20. Mai
statt, wodurch auch der Ort Garbet zum Teil zerstört wurde, und
Lavamassen auf Precheur zu flössen. Den Nachrichten zufolge
erhob sich eine Wolke glühender Asche aus dem Krater und erregte
durch ihr Aussehen selbst in Fort de France Schrecken. Gleichzeitig
wurden in Florida Erdstösse wahrgenommen, die in St. Augustine
von unterirdischen Detonationen begleitet waren. Die düstere Wolke,
die über dem Mont Pele sichtbar war, entsandte auf Fort de France
dichten Aschenregen, während Lavaergüsse aus dem Berge west-
wärts das Meer erreichten, iind angeblich eine Flutwelle vom Meere
her kam.
Am 22. Mai war der Mont Feie wieder ruhig, und der amerika-
nische Geologe Hill besuchte die nördliche Küste der Insel auf
einem Dampfer. Es fand sich, dass die Umrisse der Ufer sich nicht
wesentlich geändert haben, und der nordöstliche Teil der Insel prangte
im Schmucke seiner Vegetation, auch waren die Ansiedlungen daselbst
nicht von den Bewohnern verlassen worden. Die beiden Ausbrüche
sind eben relativ nicht bedeutend gewesen und durchaus nicht mit
dem grossartigen Krakatauausbruche in Vergleich zu stellen. Am
26. Mai fand wiederum ein Ausbruch des Mont Feie statt, der einen
starken Aschenfall nordwärts bis nach Lorrain hervorrief; auch in
der folgenden Woche zeigte der Berg zeitweise lebhafte Thätigkeit.
Am 7. Juni erfolgte eine sehr starke Eruption, durch welche selbst
in Fort de France 4 Stunden lang fast nächtliche Dunkelheit er-
zeugt wurde.
Nach Dr. Heilprin ist das Lac des Palmistes verschwunden,
dagegen nördlich von ihm ein neuer Krater von 150 m Länge und
50 m Breite entstanden, und ein ähnlicher neuer Krater hat sich im
Quellgebiete des Riviere Falasse in der Gegend von Ajoupa-Bovillon
gebildet Die von der Kgl. Ges. d. Wissenschaften in London nach
Westindien entsandten Geologen J. Anderson und John S. Flett kommen
zu dem Ergebnisse, ^) dass bei der Eruption vom 8. Mai eine Lawine
glühenden Sandes gegen die Stadt St Pierre geschleudert wurde. Im
nördlichen Teile der Stadt, der in der Richtung auf den Vulkan hin
liegt, wurden die Bewohner augenblicklich getötet, die Wände der
Häuser wurden dem Boden gleich gemacht, und die Stadt war in
einem Momente weggeblasen. Am Südende der Stadt war die Zer-
störung geringer. Die Wände der Häuser, die dem Krater zugewandt
waren, waren demoliert, die, welche nordsüdlich orientiert waren,
standen noch, selbst nach der zweiten Eruption. ,,In diesem Viertel
waren gleichfalls alle Menschen getötet, ausser einem Gefangenen,
der in einer schlecht ventilierten Zelle im Gefängnisse eingesperrt war;
aber man sagte uns, dass man einige Minuten., nachdem die Glut-
wolke vorübergegangen war, Menschen in den Strassen herumlaufen
') Proceedings of the Royal Society 1902. 70. p. 423 ff.
Vulkanismus. 205
sah, die laut vor Schmerzen schrieen, und viele warfen sich ins
Meer, um den Todesqualen ihrer Verbrennungen zu entgehen. Es
muss daran erinnert werden, dass ein schrecklicher Brand der Erup-
tion folgte, und dass 36 Stunden lang die Stadt ein brennender
Haufen gewesen. Eine andere Eruption folgte am 18. Mai und warf
viele Gebäude nieder, die stehen geblieben waren. Es ist daher
schwer, genau festzustellen, welches die Wirkungen der vulkanischen
Glutwolke gewesen, und was dem Brande zugeschrieben werden muss.
Aber wir sahen genug, um uns zu überzeugen, dass die heisse Wolke
hier wahrscheinlich nicht minder heftig gewesen als auf St. Vincent
Eine eiserne Statue der Jungfrau, die auf einem Steinpiedestal auf
der bewaldeten Klippe gestanden, welche die Stadt überragt, wurde
abgebrochen und 40 Fuss weggeführt. Sie liegt mit dem Kopfe nach
dem Berge zu, und die Richtung der Statue zeigt, dass die Wolke
geradenwegs vom Krater über die Stadt zog. Die Bäume, die in den
Strassen wuchsen, waren entwurzelt und niedergebrochen. Viele
von ihnen zeigten Verkohlung und Erosion an der dem Krater zuge-
kehrten Seite, während die Leeseite noch mit der ursprünglichen
Rinde bedeckt ist. Während der einen oder zwei Minuten, die der
Glutsturm gedauert, ist so viel Staub auf den »Roddam« gefallen,
dass der Hafenmeister zu St. Lucia angab, es seien 120 Tonnen vom
Decke entfernt worden, als das Schiff dahin gekommen war."
Vulkanische Wovg&nge auf der Insel St. Vincent fanden
nahe gleichzeitig mit den Eruptionen auf Martinique statt. Zunächst
wird über St Vincent folgendes berichtet:
Am 6. Mai wurde der See im alten Krater der Soufriere unruhig, und
am 6. Mai gegen 2 Uhr nachmittags verspürte man heftige Bodenerschütte-
ningen und vernahm unterirdisches Getöse. Gegen 7 Uhr abends entstieg
dem Krater eine ungeheure Dampfwolke bis Mittemacht. Am 7. Mai
wiederholten sich die Erdstösse und Dampfausbrüche. Gegen Mittag
schienen sich 3 Krater zu öffnen, die Lava ausspieen: 6 Lavaströme
flössen gleichzeitig an den Hängen des Berges nemnter. Nach dem
ersten Erscheinen der Lava arbeitete der Berg eine haJbe Stunde lang
heftig, während Blitze um die Ränder des Kraters zuckten. Die schnell
aufeinander folgenden Knalle gingen bald in ein ununterbrochenes Getöse
über. Dieser Zustand dauerte bis Freitag Morgen an. Den Donner hörte
man im ganzen karibischen Meere. Der eigentliche Ausbrach begann am
Mittwoch. Eine gewaltige Wolke stieg in dunklen Säulen, mit vulkanischer
Materie geladen, iSkm hoch von der Bergspitze auf und verbreitete eine
Dunkelheit, als wäre es Mittemacht. Die nüt Schwefel (? ?) angefüllte
Luft war mit feinem Staube geschwängert. Einem schwarzen Regen folgte
ein weiterer Regen von Schlacken, Felsstücken und Steinen. Zahlreiche
furchtbar helle Blitze wurden beobachtet und erhöhten das Entsetzen, das
durch das Erdbeben, das Getöse, die Lava und die fallenden Steine her-
vorgerufen wurde. Grosse Strecken bebauten Landes wurden begraben.
Die Pflanzungen von Valibou und Richmond wiurden mit den Dörfem voll-
ständig zerstört, die erstem zum Teil von der See überflutet. Alles
Land m diesen Bezirken wurde durchgehend 1 m hoch mit Asche und Lava
bedeckt. Es war nichts Grünes mehr zu sehen. Mit dem Pflanzenwuchse
ist der ganze Viehbestand vemichtet Die Gebäude wurden zerstört, die
Wasserläufe und die Flüsse versiegten.
206 Vulkanismus.
Am 10. Mai war der Vulkan wieder in Thätigkeit, Asche und Steine
üelen bis in das 19 Jan entfernte Eangstown nieder. Der Annahme nach
ist der frühere See auf dem Vulkane verschwunden. Am 12. Mai war die
ganze Insel in Rauch, Dampf und Nebel gehüllt.
Ein Zeitungskorrespondent, der sich an Bord des Dampfers »Wearc
befand, meldet: »Der »Wearc verliess Santa Lucia am 8. Mai abends.
Während der ganzen Reise waren die furchtbaren Flammen auf St Vincent
sichtbar. Nach Mittemacht geriet der »Wearc in heftige Regen von grauer
Asche, um 5 Uhr morgens erreichte der Dampfer Kingstown. Man sah
jetzt, dass sich der Vulkan im Zustande andauernder Eruption befand.
Unaufhörlich erscholl fürchterlicher Donner, und Blitze zuckten ohne Unter-
lass über die Stätte der Verwüstung. Die Zahl der Blitzschläge belief sich
auf 60—100 in der Minute. Kingstown, das zwölf englische Meilen von
dem Vulkane entfernt liegt, war am Donnerstag 3 ZoU hoch mit Asche
und Steinen bedeckt; das Thal vor dem Vulkane bildete zu dieser Zeit einen
drei englische Meilen breiten See. Der Ausbruch wurde zuerst am Montag
beobachtet, wobei grosse Wassermassen emporschössen. Die Bevölkerung
in der nächsten Umgebung des Vulkanes floh. Seither ertönte das Donnern
unaufhörlich weiter. Die Lavaströme machen es unmöglich, nach Norden
zu eine Linie zu überschreiten, die Chateau Beiair und Georgetown ver-
bindet. Wo vorher ein Thal war, sieht man jetzt einen riesigen Hügel.
Der ganze nördliche Teil von St. Vincent steht in Rauch. 50 Menschen
wurden, wie berichtet wird, bei dem Versuche, sich zu retten, vom Blitze
erschlagen. Am Dienstag und Mittwoch war die Insel völlig mit Asche
überschwemmt. Am Donnerstag ging ein anhaltender Regen von heissem
Sande und Wasser nieder. Eäne grosse Anzahl Menschen wurde längs der
Küste von Booten aus Kingstown aufgenommen. Zahlreiche Flüchtlinge
waren bei ihrer Ankunft an der Küste dem Verschmachten nahe. Viele
von ihnen waren seit 36 Stunden ohne einen Tropfen Wasser. Infolge
des Wassermangels ist alles Vieh umgekommen. Wieviel Menschenleben
verloren sind, lasst sich vorläufig noch nicht mit Sicherheit angeben;
ihre Anzahl dürfte wahrscheinlich mehrere Hundert betragen. Der » Wear«
verliess Kingstown um 8 Uhr morgens mit dem Auftrage, ein Hilfsschiff
von Beiair nach Owia Carib zu schleppen. Auf der Höhe von Barroulie
erhielten wir von der Küste die Meldung, dass die Passage unmöglich sei.
Wir setzten trotzdem unsere Fahrt fort und hatten dann gegenüber Beiair
einen grossartigen Ausblick auf die Westseite des Kraters. Lavaströme
flössen in allen Richtungen den Berg herunter in die See. Der ungeheure
Krater warf ohne Unterlass riesige Aschenmengen aus, die, von ihm hoch
in die Luft geschleudert, in die See niederfielen. Dann bemerkten wir
einen neuen We^, der sich eine halbe Meile breit zur See hinabzoj^. Es
war wahrscheinhch vom Wasser abgekühlte Lava. Es war unmöglich,
nahe an die Stadt heranzukommen. Die See war dicht mit Bäumen und
Trümmern bedeckt. Wir versuchten, durch den Aschenregen hindurch nach
der Stadt Santa Lucia vorzudringen, fanden es aber unmöglich, da wir
Oefahr liefen, zu ersticken. Am Horizonte war nichts weiter als ein dichter
Guss von Asche, Schlamm und andern Dingen zu sehen, der wie eine
riesige Mauer aussah. Wir machten Kehrt und dampften luvwärts um die
Insel. Gegenüber Georgetown gerieten wir in einen Sturmwind, der Rauch
und Trümmer nordwärts trieb und uns einen klaren Überblick über den
heimgesuchten Bezirk in seiner ganzen Ausdehnung gestattete. Ausser dem
grossen Krater waren noch viele kleine in Thätigkeit Eine Anzahl Lava-
ströme sah man in einer Breite von einer halben Meile der See zufliessen.
Wir fuhren dicht bei Georgetown vorbei die Küste entlang nach Santa
Lucia, entdeekten aber kein Lebenszeichen. c
Der Vulkan auf St. Vincent warf bei dieser Gelegenheit eine unge-
heure Menffe Asche aus, so dass auf Barbados Strassen, Häuser und
Bäume zollhoch mit vulkanischem Staube bedeckt wurden.
Valkanismus. 207
Um 3 Vi Uhr nachmittags am 7. Mai begann auf Barbados ein dichter
Aschenregen zu fallen, der den Tag in Nacht verwandelte und ununter-
brochen bis zimi Mittage des 8. anhielt. Am Nachmittage des 7. Mai hatte
man in Barbados entfernten Donner gehört, und dann brachte der Telegraph
die Nachricht von dem um Vi 2 Uhr erfolgten Ausbruche der Soufriere auf
St Vincent. Der aus pulverförmiger Lava bestehende Staub muss von dem
Vulkane bis über den Passatwind hinaus in eine höhere Luftströmung ge-
schleudert worden sein, die sie dann entgegen der Richtung des untern
Passats 100 Meilen weit nach Barbados getragen hat Der Staub drang
überall ein, selbst in festverschlossene Wohnräume, und draussen bedeckte
er alles mit einer 2 Zoll hohen gjrauen Schicht. Zeitweise erfolgten auch
elektrische Entladungen. Ein gleicher Aschenregen entlud sich über Bar-
bados am 1. Mai 1812, ebenfalls nach einem Ausbruche der Soufriere.
Am 18. und 19. Mai war die Soufriere von neuem thäüff, der Boden
der Insel zitterte, und Aschenmassen sowie Lava entstiegen dem Schlünde
und ungeheure Steinmassen wurden ausgeworfen. Seitdem ist der Berg
von mehrem Personen bestiegen worden, die den See auf seinem Gipfel
nicht mehr vorfanden, sondern an seiner Stelle eine 600 f» tiefe Höhlung.
Auch bemerkten sie einen neuen Krater, der Dampf ausströmte.
Im Auftrage der Egl. Ges. der Wissenschaften zu London haben
Tempest Anderson und John S. Flett die Insel St. Vincent besucht
und einen wissenschaftlichen Bericht über die Vorgänge daselbst
erstattet, ^) dessen wesentlicher Inhalt nachstehend wiedergegeben ist
Das Rückgrat der Insel St Vincent bildet einen bis zu 1300 m
Höhe aufsteigenden Gebirgszug, der aus vulkanischem Gesteine be-
steht, doch ist die unterirdische Thätigkeit im Süden der Insel an-
scheinend völlig erloschen. Im Norden erhebt sich dagegen der
Vulkan Soufriere bis zu 1230 m Höhe und tragt in seinem Gipfel
einen nahezu kreisförmigen Krater von etwa 1600 m im Durchmesser.
Auf dem Nordostwalle dieses Kraters befindet sich ein zweiter,
kleinerer, von etwa 500 m Durchmesser, und es wird behauptet,
dass dieser .neue*^ Krater bei einer Eruption im Jahre 1812 ent-
standen sei. Den Ausbrüchen des gegenwärtigen Jahres gingen
wiederholte Erderschütterungen vorauf. Am 6. Mai bemerkten die
Anwohner auf der Leeseite des Vulkanes die ersten Zeichen der
Thätigkeit desselben in Gestalt von Dampf ausströmungen ; an der
entgegengesetzten Seite aber war der Berg in seinen obem Teilen
von Wolken verhüllt Auf dieser Seite hatte man deshalb keine
Ahnung von der bevorstehenden Gefahr, und als man diese am fol-
genden Tage erkannte, waren die sonst gewöhnlich trocken liegenden
Schluchten und Rinnsale bereits mit heissem Wasser gefüllt, das
vom Vulkane herabgekommen war. So wurde vielen Menschen der
Weg zur Rettung abgeschnitten, und die folgende Katastrophe ver-
ursachte den Tod von über 2000 Personen. Nach dem Zeugnisse
der an der Südwestseite des Vulkanes wohnenden Ansiedler vernahm
man am 6. Mai 2 Uhr 40 Min. nachmittags eine heftige Explosion,
nach der mächtige Dampfwolken aus dem grossen Krater sich
^) Prooeedings of the Royal Society 1902. 7a p. 428—446.
208 Vulkanismus.
in die Luft erhoben. Zwei Stunden später leuchtete der untere Teil
dieser Wolken in rotem Feuer, und um Mittemacht erblickte man
Flammen am Rande des Kraters. Als der Morgen des 7. Mai an-
brach, zeigten sich über dem Vulkane ungeheure pilzförmig gestaltete
Rauchmassen, die bis zu gewaltigen Höhen emporstiegen und vom
Nordostpassate fortgetragen wurden. Mit zunehmender Tagesstunde
wurde der Ausbruch heftiger, und die Dampfwolken erschienen von
Blitzen durchzuckt, gleichzeitig sah man, dass dunkle Materien und
Steine aus dem Hauptkrater geschleudert wurden. Um Mittag stürzten
durch mehrere Schluchten grosse Mengen siedenden Wassers herab,
jedoch weder Schlammmassen, noch Laven. So blieb unter furchte
barem Getöse die Thätigkeit des Vulkanes bis 2 Uhr nachmittags,
dann aber ereignete sich ein Vorgang, der noch niemals beobachtet
worden war. Man hörte, so berichtete den beiden Forschern ein
Augenzeuge, heftiges Poltern und sah dann eine schwarze Masse,
die einen Hagel von Steinen ostwärts hin entsandte und gleich einem
unermesslichen, rötlichen Vorhange gegen Richmond Estate heran-
rückte. Es war ein Strom heisser Luft, beladen mit glühendem
Sande, der verderbenbringend mit ungeheurer Geschwindigkeit vom
Berge herabkam, alle lebendigen Wesen, die in seiner Bahn waren,
erstickend oder verbrennend und die Vegetation vernichtend. Auf
der Leeseite der Küste waren die Anwohner schon vorher geflohen,
aber wer noch in den Bereich des heissen Luftstromes kam, musste
sterben. Bei Richmond lag ein Boot am Ufer; als die Wolke kam,
regnete sie Sand in dasselbe, der glühend heiss war, und wo er
in die See fiel, das Wasser zum Aufzischen brachte. Es herrschte
währenddessen vollständig nächtliches Dunkel, und die Insassen des
Bootes vermochten sich nur dadurch vor der Hitze der Luft zu retten,
dass sie im Wasser untertauchten und dies so lange wiederholten,
bis die Luft wieder atembar wurde. Sie gaben diesen Zeitraum auf
2 Minuten an, höchstwahrscheinlich aber war er selu* viel kürzer.
Auf der Windseite der Insel hatte man noch am Morgen des 7. Mai
die Wolken um den Gipfel des Vulkanes für gewöhnliche Gewitter-
wolken gehalten, aber mittags war diese Täuschung geschwunden,
und die noch anwesenden Arbeiter in den Pflanzungen flohen auf
Georgetown zu. Um 2 Uhr begann feine Asche zu fallen, dann
kamen auch grössere Steine, zuletzt aber sah man die schwarze
Wolke mit rasender Schnelligkeit den Berg hinabstürzen, und nun
flüchtete alles in die nächst gelegenen Häuser und Schutzstätten,
wo die Menschen sich so zusammendrängten, dass später in einem
einzigen kleinen Zimmer 87 Leichen gefunden wurden. Augenzeugen
versicherten, die schwarze Wolke sei, von Blitzen durchzuckt, ins
Meer hinabgerollt, und während ihres Vorüberganges war auch in
gewisser Entfernung von ihr der vorbeifegende Luftstrom tödlich
heiss und mit heissem Sande beladen. Manche überdauerten den
nur wenige Minuten anhaltenden Vorgang, um doch nach kurzer
Vulkanismus. 209
Zeit zu sterben; viele, besonders solche, welche sich in die Keller
geflüchtet oder Thüren und Fenster verschlossen hatten, kamen mit
dem Leben davon, offenbar weil sie die glühend heisse Luft nicht
eingeatmet hatten. Der ganze nördliche Teil der Insel war in dichte
Finsternis gehüllt, und aus der Luft regneten Sand, Asche und Steine,
letztere so heiss, dass sie die Dächer einzelner Hütten bei George-
town in Brand setzten. Ununterbrochen zitterte die Erde. Die vom
Vulkane ausgeworfene Asche wurde zum Teile bis in die Region des
obem Passats geschleudert und von diesem ostwärts getragen, so
dass sie gegen 5^/^ Uhr nachmittags die Insel Barbados erreichte,
wo am andern Morgen der Boden damit bedeckt erschien. Während
dieser ganzen Zeit stiess der Vulkan schiefergraue Dampfwolken aus,
und selbst aus den Schluchten auf seiner Südseite stieg Dampf auf.
Man glaubte anfangs, dort hätten sich Spalten gebildet, denen Lava
entstiegen sei, allein der Dampf entstand lediglich aus dem Wasser,
welches den heissen Sand durchströmte, der die Abläufe verstopfte.
Am 15. Mai war der Berg ruhig und wolkenfrei, nur in den Schluchten
machten sich noch Dampf explosionen bemerkbar, aber am 18. geriet
er wieder in Aufruhr. Heftige Detonationen erschollen, Finsternis
herrschte an der Leeseite des Vulkanes, und Aiehrere Stunden lang
fielen Sand und Asche in reichlicher Menge. Am 8. Juni langten
die beiden von der Königlichen Gesellschaft abgesandten Geologen
auf der Insel an und nahmen zunächst ihren Aufenthalt in Ghateau-
belair, wo ihnen für ihre Arbeiten ein Haus zur Verfügung gestellt
wurde. Sie fanden die Umgebung des Vulkanes mit feinem dunkeln
Sande bedeckt, der viele vulkanische Bomben und Blöcke aus den
Gesteinen des Berges umschloss. Das gröbere Material bestand aus
Andesit, und die ausgeworfenen Blöcke waren verwitterte Andesite
oder Andesittuffe , wie sie an den Kraterwänden zutage treten; die
grössern Bomben erschienen stark glänzend und auf dem Bruche
glasig. Bimsstein wurde nur wenig gefunden, dagegen vielfach fein-
kömiges, erhärtetes Sediment, das wahrscheinlich dem Schlamme am
Boden des frühem Kratersees oder Schichten, die in altern vul-
kanischen Bänken eingelagert waren, entstammt. An andern Stellen
fanden sich Blöcke, die ein grobkörniges Aggregat von Feldspat
und Hornblende bilden, sehr brüchig sind und den Saniditen der
Eifel und anderer vulkanischer Gegenden ähneln. Die Aschen-
ablagerungen erreichten in der Nähe von Georgetown eine Mächtig-
keit von 0,3 — 1 w, an den höhern Gehängen des Berges aber das
Vier- oder Fünffache. Ein breites, tiefes Thal auf der Südseite der
Soufriere hat den grössten Teil der Auswürflinge des Vulkanes auf-
genommen und erschien mit Sand, Bomben und Blöcken angefüllt,
ebenso eine früher 65 m tiefe Schlucht auf der Westseite und an
den Thälem. Die beiden Forscher kommen zu dem Schlüsse, dass
unter heftigen Windstössen eine ungeheure Menge glühend heissen
Sandes dort lawinengleich herabgestürzt sei, die Schluchten ausge-
Klein, Jahrbuch Xm. 14
210 Vulkanismus.
füllt und auf dem trennenden Bergrücken alles fortgefegt habe,
worauf ein stundenlanger Regen vulkanischen Materiales folgte, der
die ganze Gegend mit Staub und Schlacken bedeckte. Als die beiden
Geologen den Vulkan bestiegen, fanden sie zunächst in den Zucker-
rohrfeldem von Rabaca den Boden über 1 m hoch mit Sand und
Schlacken bedeckt und die Bäume durch die gefallene Asche der
Blätter beraubt, aber sonst nur wenig beschädigt. Das Holz der
dort stehenden Häuser erschien nicht verbrannt, aber manche Dächer
waren infolge des Gewichtes der darauf gefallenen Aschenmassen
eingedrückt. Zahlreiche Menschen waren in diesem Gebiete umge-
kommen, und die Überlebenden schilderten die grauenhafte schwarze
Wolke, welche das Verderben brachte. Höher hinauf fanden sich
an vielen Bäumen die Äste gebrochen, auch die Negerhütten ver-
brannt; offenbar war dort der Luftstrom heisser gewesen, doch
nicht so sehr, dass er das grüne Holz der Bäume verkohlen konnte.
In noch grossem Höhen, von etwa 350 m, waren dagegen die Bäume
niedergebrochen und die Äste fortgefegt; schwarzer Sand bedeckte
den Boden der Zuckerfelder, und es zeigte sich deutlich, dass hier
die heisse Luft mit Sturmesstärke aufgetreten sein musste. Weiter
aufwärts fanden sich die grössten Bäume entwurzelt, selbst solche
mit Stämmen von 3 m und darüber im Durchmesser ; alle wiesen mit
den Kronen thaJwärts, während die Wurzeln dem Berggipfel zuge-
kehrt waren. Die meisten Stämme erschienen oberflächlich verkohlt,
manche aber auch bis tief ins Innere. Wo an der untern Grenze
dieser Region hin und wieder Stämme oder Äste stehen geblieben
waren, zeigten sich diese ausnahmslos an der dem Krater zuge-
wandten Seite verbrannt und verkohlt, an der andern war dagegen
die Rinde nur abgeschält und trocken. In der Höhe von 500 m
waren von der üppigen tropischen Vegetation, die ehedem den Berg
bis zum Gipfel bedeckte, nur noch Reste abgebrochener und im
schwarzen Sande vergrabener Baumstämme zu finden. Die obersten
Teile des Berges endlich stellten eine völlige Wüste dar, bedeckt
von 2 — 4 m mächtigen Schichten feinen vulkanischen Sandes, in
dem sich Bomben und Blöcke zeigen, hier und da auch die in Kohle
verwandelten Reste verbrannter Baumstämme, aber nichts, was einen
Anhalt bieten konnte zur Beurteilung der Geschwindigkeit des Stromes
glühender Luft, der über diese Region hinweggefegt war. In einer
Entfernung von vier englischen Meilen vom Krater wurde diese Ge-
schwindigkeit zu 30 — 60 Am in der Stunde geschätzt, tiefer unten
verlangsamte sie sich. Die beiden Forscher betonen, dass dieser
Schwall bei seinem Hinabsausen von den Unregelmässigkeiten des
Bodens beeinflusst wurde. Der Kraterwall ist im Norden höher als
auf der südlichen Seite; infolgedessen hat sich die Lawine heissen
Sandes fast wie eine Flüssigkeit über diesen Teil des Kraterrandes
ergossen und stürzte, dem steilsten Gefälle folgend, durch das tiefe
offene Thal zwischen der Soufriere und dem Morne Garu abwärts,
stets am Thalboden klebend, wie ein reissender Strom. Derselbe
Vulkanismus. 211
folgte weiter den Thälem der Flüsse, die von dem Berge herab-
kommen, und füllte sie aus, aber ein Teil der Sandmassen stieg in
seinem rasenden Laufe an den Flanken des Morne Garu wieder
empor und verheerte dort die Waldungen. Aus den Richtungen der
gefällten Stamme lässt sich schliessen, dass der heisse Sand- und
Luftstrom sich hier spaltete, ein Teil drang ostwärts, der andere
westwärts nach oben. Der Berg aber schützte die hinter ihm
liegende Gegend : auf der Nordseite ist alles verbrannt und vernichtet,
die südlichen Abhänge aber prangen im Glänze der tropischen Vege-
tation. Die Bewegung der vulkanischen Sandmassen zeigte in diesem
Falle die vollständigste Übereinstimmung mit den Bewegungen , die
man in der Schweiz gelegentlich mancher Bergstürze beobachtet hat,
bei denen ebenfalls die zu Thale donnernden Massen an entgegen-
stehenden Höhen emporbrandeten. Auch die stürmischen Luftstösse
sind in diesen Fällen wesentlich auf die gleichen Ursachen zurück-
zuführen, nur war beim Ausbruche der Soufriere die Luft sehr heiss,
weil sie durch die glühenden Sandteilchen erhitzt wurde. Der
Vulkan selbst hat seine Gestalt infolge der Eruption nur äusserst
v^enig geändert. Selbst der grosse und der kleine Krater haben ihre
frühere Form und Grösse bewahrt, und von der Insel ist nur an
einer Stelle der Küste ein schmaler Streifen verschwunden.
Anderson und Flett finden, dass der Vulkan Soufriere und der
Mont Pelee dem gleichen Typus angehören; es sind einfache Kegel
mit einer grossen Esse nahe dem Gipfel und ohne parasitische
Krater. Sie sind beide tief eingekerbt durch Schluchten, und an
ihren Südwestseiten liegt ein breites Thal, das auf Martinique von der
Stadt St. Pierre, auf St. Vincent von dem Wallibuthale eingenommen
wird. In diesen Thälem war die Zerstöning am umfangreichsten.
Auf beiden Inseln waren die jüngsten Eruptionen charakterisiert durch
paroxysmenartige Entladungen von heissen Aschen und ein voll-
ständiges Fehlen von Lavaströmen. In St Vincent aber war die Masse
des ausgeworfenen Materiales viel grösser, und ein beträchtlich grösseres
Areal des Landes ist zerstört worden als auf Martinique. Dass der Ver-
lust an Leben nicht so gross gewesen, kann erklärt werden durch das
Fehlen einer volkreichen Stadt am Fusse des Berges. Wäre St. Pierre an
der Mündung des Wallibuthales angelegt, es wäre zweifellos nicht minder
vollständig zerstört worden. Auf dem Mont Pelee hat sich ein Spalt an
der Südseite des Berges geöffnet zwischen dem Gipfel und St. Pierre, aus
dem die Glutwolke ausgestossen wurde, die die Stadt erdrückte, während
auf der Soufriere die alten Offnungen verwendet wurden. Die Eruption
des Pelee begann mit dem Fliessen von Schlammlaven, in St Vincent
hingegen wurden keine solchen gesehen. Anderseits war die Glut-
wolke, die über die dem Verderben geweihte Stadt niederfegte, im
wesentlichen derjenigen der Soufriere ähnlich. Beide Eruptionen er-
zeugten hauptsächlich heissen Sand unil Staub, mit einer kleinen
Menge von Bomben und ausgeworfenen Blöcken.
14*
212
Vulkanismus.
Der eigentümlichste Charakterzug dieser Eruption ist aber die
Lawine glühenden Sandes und die grosse, schwarze Wolke, die sio
begleitete. ,yDie Vorstadien der Eruption, welche einige Tage oder
nur einige Stunden einnehmen können, bestehen in Ausbrüchen von
Dampf, feinem Staube und Steinen und in der Entladung der Krater-
seen als Ströme von Wasser oder Schlamm. Hierin ist nichts Un-
gewöhnliches, aber sobald der Kraterschlund vollständig entleert
und der Höhepunkt der Eruption erreicht ist, hebt sich eine Masse
glühender Lava und quillt über den Kraterrand in Form einer Lawine
von rotglühendem Staube. Es ist eine Lava, die in Stücke geblasen
ist durch die Ausdehnung der Gase, die sie enthält. Sie stürzt an
den Gehängen des Hügels nieder und führt mit sich einen schrecken-
verbreitenden Blast, der alles auf seinem Wege niedermäht. Das
Gemisch von Staub und Gas verhält sich in vielen Beziehungen wie
eine Flüssigkeit. Die genaue chemische Zusammensetzung dieser
Gase ist noch unbestimmt. Sie bestehen scheinbar hauptsächlich
aus Dampf und schwefliger Säure. Viele Gründe machen es un-
wahrscheinlich, dass sie viel Sauerstoff enthalten hat, und das Atmen
war daher in ihnen ganz unmöglich.'*
Die Zusammensetzung des bei den Ausbrüchen auf
den Antillen ausgeworfenen Staubes« Eine Zusammenstellung
der in englischen und französischen Berichten gegebenen Daten über
diese Auswurfserzeugnisse giebt folgende Tabelle.^)
Staub von
St. Vincent
Staub Ton
Asche vom
Mont Pel6
Andesit
vom 7. Mal iwsi
nach L. Smith.
Barbados
von 1902
von 1851
(Hypersth.)
vom Mount
insgesamt
hierv. ISsl.
vom 12. Mai
nach
Shasta in
i. Salzsäure
1902
A. Lacroix
Kalifornien
Kiesel-
Reat
51.523
erde
be-
stimmt
11
—
0.108
53.00
59.40
60.15
62.00
Titanoxyd
1.000
8. Thonerde
—
0.30
0.39
0.17
Eisenoxyd
6.372
2.890
2.95
0.77
2.79
3.33
4.40
Eisenoxvdul
Thonerde
—
1.630
4.45
4.59
21.648
12.460
20.75
18.51
18.31
17.84
Magnesia
4.716
0.778
3.50
2.45
2.88
2.64
10.000
5.940
10.00
6.87
5.75
5.37
Ka.1i
0.675
0.085«)
1.10
0.86
1.61
1.47
Natron
3.551
1,155
3.10
3.77
3.11
4.29
Phosphor-
0.141
0.038«)
Spuren
—
—
0.29
säureanhydrid
Schwefel-
0.124
0.124
—
—
—
—
Bäureanhydrid
G]ühverlu8t
0.060
3.12
3.00
1.66
Wasser
Sui
0.190
—
—
—
—
—
nme
100.000
25.208
99.35
100.64
101.32
100.13
») Potonies Wochenschrift 1902. p. 621.
«) Hiervon 0.028 in l^/^iger Citronensäure löslich.
«) Hiervon 0.022 in l^^/^iger Citronensäare löslich.
Vulkanismus. 213
Über die am 7. Mai vom Vulkan Soufriere ausgeworfene vul-
kanische Asche macht auch G. Klein einige Mitteilungen. ^) Hiernach
ist dieselbe in Bezug auf ihre mineralogische Zusammensetzung nicht
wesentlich verschieden von der des Gesteins vom Fort de France
und der Soufriere (Guadeloupe).
Die geographische Bedeutung der mlttelamerlkanlschen
Vulkane. Die Erdbeben und Vulkanausbrüche, die im Jahre 1892
auf den Antillen und in Mexiko so grosse Verheerungen angerichtet,
haben die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf die zahlreichen Vulkane
gelenkt, die das östliche und vor allem das westliche Gestade des
Karibischen Meeres umsäumen. Die schlimmen Wirkungen dieser
Feuerberge wurden dabei so gut wie ausschliesslich in Betracht ge-
nommen. Inzwischen hat sich einer der besten Kenner der mittel-
amerikanischen Vulkane, Professor Karl Sapper in Tübingen, in
einer Fachsitzung der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin über die
Bedeutung verbreitet, welche die mittelamerikanischen Vulkane als
gewaltige Oberflächengebilde auf das Klima und die biologischen
Verhältnisse ihrer Umgebung ausüben, sowie über die wirtschaftlichen
Folgen, die unmittelbar oder mittelbar durch die vulkanische Thätig-
keit veranlasst werden. Unter diesen bisher wenig beachteten, rein
geographischen Gesichtspunkten erscheinen die mittelamerikanischen
Vulkane trotz ihrer gelegentlichen Verheerungen geradezu als Wohl-
thäter dieser Gebiete. Ihre Entstehung hat zunächst einen bedeutenden
Einfluss auf den Verlauf der Küstenlinie ausgeübt und nennens-
werte klimatische Differenzierungen zustandegebracht Die höchsten
Vulkangipfel Mittelamerikas reichen bis in die Region gelegentlichen
Schneefalles, und die Besiedlung ihrer Abhänge durch Pflanzen
brachte eine bunte Mannigfaltigkeit in die streckenweise recht ein-
förmigen biologischen Verhältnisse der benachbarten pazifischen Ge-
biete. Die reihenförmige Anordnung und enge Zusammendrängung
der mittelamerikanischen Vulkane bewirkt weiter, dass diese an
vielen Stellen geradezu als Klimascheiden auftreten, und dass die
natürliche Klimagrenze zum Teil wesentlich verschoben ist. Auf
die Entwickelung des Verkehrswesens wirken die Vulkanberge meistens
hindernd ein, zwingen, besonders wo sie eng gedrängt stehen, den
Verkehr zu beträchtlichen Umwegen und veranlassen auch bedeutende
Steigungen. In einzelnen Fällen kommt es sogar vor, dass ein Weg
leichter über den Vulkanberg hinweg als an ihm vorbeigeführt
werden kann, und Professor Sapper weist als Beispiel auf die
Hauptverkehrsstrasse von Cartago nach dem Tieflande von St Clara
in Costarika hin, die über den Gipfel des Irazu hinwegführt. Lava-
ströme verursachen in frischem Zustande oft beträchtliche Er-
schwerungen des Verkehrs, auf der andern Seite bilden alte Laven
^) Sitzber. der K^. Preuäs. Akad. der ^iss. 1902. 4L p. 998.
214 Vulkanismus.
aber auch sehr geschätzte Materialien für die verschiedensten Bauten.
Die Verwüstungen, welche die noch thätigen Vulkane gelegentlich
anrichten, sind in Bezug auf Verluste von Menschenleben oft recht
traurig, aber Professor Sapper betont, dass die nachhaltige Wirkung
dieser Ereignisse geringfügig ist, indem rasch neue Lebewesen an
Stelle der umgekommenen treten, eine neue Pflanzendecke sich wieder
einstellt und oft sogar mit erhöhter Üppigkeit gedeiht, weil die an
Nährsalzen reichen Aschen bei genügender Feuchtigkeit als Düngung
wirken. In dem wirtschaftlichen Leben und den Siedlungsverhältnissen
der Bevölkerung zeigt die vulkanische Thätigkeit die deutlichste
Einwirkung. Erdbeben im Gefolge der Ausbrüche haben wiederholt
zur Verlegung von Städten geführt, und ganz allgemein beeinflusst
die stete Gefahr plötzlicher und grosser Erderschütterungen die Bau-
weise der Häuser. Die meisten Wohngebäude sind einstöckig, und
für grössere Gebäude werden vielfach besondere Konstruktionen
gewählt, um den Erdbeben bessern Widerstand zu leisten. Ungleich
bedeutender als die Thätigkeit der Vulkane in historischer Zeit ist
der Einfluss, den die lockern vulkanischen Auswürflinge auf Verkehrs-
wesen, Wirtschaftsweise und Bevölkerungsdichtigkeit ausgeübt haben,
sowohl infolge ihrer ungemeinen Verbreitung als auch wegen ihrer
Eigentümlichkeiten. Die starke Wasserdurchlässigkeit dieser Ab-
lagerungen hindert da, wo sie in grosser Mächtigkeit auftreten, den
Baumwuchs, und Ackerbau ist dort nur in feuchten Klimaten, oder
wo künstliche Bewässerung angewandt werden kann, ertragreich.
Aber selbst, wo in jenen Gebieten starke Niederschläge fallen, herrscht
Wasserarmut, und manchmal muss das Trinkwasser meilenweit durch
Lasttiere herbeigeschafft werden. Wegen ihres Reichtums an Nähr-
salzen wirken indessen leichte Lagen feiner vulkanischer Aschen,
wo sie den Pflanzen den Zugang zu minder durchlässigem feuchten
Boden gestatten, höchst günstig. Es ist, wie Professor Sapper
hervorhebt, bezeichnend, dass der wichtigste Ausfuhrartikel Mittel-
amerikas (Kaffee) vorzugsweise von vulkanischem Boden herstammt
Diese Bodenart ist unter sonst günstigen physikalischen Bedingungen
und bei hinreichender Feuchtigkeit geeignet, viele Jahre hindurch
immer wieder mit gutem Erfolge den Anbau von Feldfrüchten zu ge-
statten, während der nicht vulkanische Boden vielfach nach ein-
maligem Anbaue beim Fehlen der Düngung eine mehrjährige Brachzeit
verlangt. Deshalb übt der vulkanische Boden einen stark verdichtenden
Einfluss auf die Bevölkerung aus. In der Nähe der Vulkanreihe
zieht sich weithin durch Mittelamerika eine ziemlich breite Zone
dichtester Bevölkerung, und selbst in vulkanfemen Gegenden ruft
das Auftreten vulkanischen Bodens gleichzeitig auch Inseln grösserer
Bevölkerungsdichtigkeit hervor.
Der Gotopaxi und die umgrebenden Vulkanberge. Eine
geologisch-topographische Beschreibung des Gotopaxi und seiner Um-
Vulkanismus. 215
gebung gab W. Reiss, ^) der Begleiter A. Stübeis auf der so ergebnis-
reichen Forschungsreise beider in Südamerika.
Der Cotopaxi (5943 m hoch) gehört seiner Grösse und schönen
Form wegen zu den bedeutendsten vulkanischen Gebilden Ecuadors
und bietet sich als grossartiger, schneebedeckter Kegel, von allen
Seiten freistehend, den Blicken dar. Wie Trabanten sind ihm gegen
Norden und Nordwesten die vulkanischen Berge: Sincholagua (4988 m),
Ruminahui (4757 nt) und Pasochoa (4255 fn) vorgelagert, Berge,
welche in anderer Umgebung sowohl ihrer Höhe, als ihrer Gestaltung
wegen eine hervorragende Stellung einnehmen wurden. Gegen Osten
schliesst sich an den Cotopaxi noch ein schneebedeckter Vulkanberg,
der Quilindana (4919 m), au, ringsum freistehend, aber für den be-
wohnten Teil des Landes durch den gewaltigen Ck)topaxi - Kegel
völlig verdeckt.
Die gleichmässig vollendete Form des Berges wird nur durch
den auf der Südseite hervortretenden Picacho unterbrochen. Es ist
schwer, den eigentlichen Fuss des Berges zu bestimmen. An der
Nordseite ruht derselbe auf einem Plateau alter Gesteine in etwa
3700 m Höhe. Hier wird durch die Nordabhänge des Cotopaxi und
die Süd- und Ostgehänge des Sincholagua und Ruminahui ein ge-
waltiger interkolliner Raum umschlossen, in welchem von Osten,
von Riuni-urcu her, der Rio Pita, von Süden, von Limpio-pungu
her, der Rio Pedregal gegen Norden sich wendend herabfliessen,
um, zum Rio Pita vereinigt, durch den Engpass zwischen Sincholagua
und Pasochoa nach der Mulde von Quito, nach dem Chillo - Lande
abzufliessen. Der ganze Raum zwischen den drei mächtigen Vulkan-
bergen ist mit den neuen Ausbruchsmassen des Cotopaxi, namentlich
mit den durch die Schlammströme herabgeführten Schuttmassen erfüllt,
alles bedeckt von der einförmigen, fast schwarzen Aschenschicht
der letzten Ausbrüche : eine grossaxtige Einöde von ernstem, düsterem
Charakter. Aus der hier bis etwa 4700 m herabreichenden Schnee-
hülle des obem Kegelteiles treten schwarze Lavaströme hervor, die,
meist dem Laufe alter Wasserrisse folgend, nach dem interkoUinen
Räume zwischen Cotopaxi, Ruminahui und Sincholagua sich ergossen
haben. Manche der Ströme erscheinen wie schwarze Leisten; sie
lassen sich als dunkle Streifen oder kammartige Rücken oft noch
weit in die Schneeregion verfolgen. Enge, von steilen Wänden be-
grenzte Wasserrisse, welche gegen den Fuss des Kegels hin sich
rasch erweitem und verflachen, ziehen an den Abhängen herab.
Der Cotopaxi ist kein vollkommener Kegel, er ist von Nord nach Süd
etwas gestreckt, so dass in der Nordansicht die schmale Seite des
Kraterrandes dem Beschauer zugewendet ist.
Qbsxz anders stellt sich die Westseite des Cotopaxi dar: hier
sind keine Vulkanberge vorgelagert Aus dem bebauten, ca. 3000 m
^) W. Reiss und A. Stübel, Reisen in Südamerika. Das Hochgebirge
der Republik Ecuador 42. p. 68—189. Berlm 1902.
216 Vulkanismus.
hohen Grunde des interandinen Hochlandes steigt in mächtiger Breite
der gewaltige Berg vor dem Beschauer auf. Weite Aschenfelder
dehnen sich unterhalb der Schneegrenze aus, und auf begrünten, dem
Fussgebirge des Cotopaxi angehörigen Vorhügeln ruht der Fuss des
verderbenbringenden Vulkankegels. Grüne Felder, Haciendas, kleine
Ortschaften ziehen sich am Fuss des Berges hin, sie bilden den be-
lebten Vordergrund zu einer der grossartigsten und schönsten Vulkan-
landschaften der Erde. Von keiner andern Seite erscheint der Berg
so breit, so mächtig, mit so gleichmässigem , weit herabreichendem
Schneemantel, von keiner andern Seite zeigt sich so schön die
regelmässige Form des Kegels, dessen abgestumpftem Gipfel fast
stets eine Dampfwolke entsteigt.
Man darf dabei nicht an einen Kegel denken, wie Humboldts
Abbildung ihn darstellt, ein Bild, welches ein halbes Jahrhundert lang
in allen Lehrbüchern der Geologie reproduziert und in den Wieder-
holungen noch an Steilheit übertrieben wurde. In sanft geschwungener
Linie zieht von Süden her der Abhang des Cotopaxi ganz allmählich
in die Höhe, geht aufwärts in steilere Gehänge über, die in dem
mit Schnee bedeckten Teile 30, dann 32 und 35 ^ Neigung erreichen.
An diesem scheinbar ganz gleichmässigen Gehänge ragt unvermittelt
die schwarze Felsmasse des Picacho empor, der von Westen gesehen
in seiner ganzen Breite zur Ansicht gelangt. Der Gipfel des Cotopaxi
wird durch den fast horizontalen Kraterrand gebildet, an dessen
Süd- und Nordseite als kleine Erhöhungen die beiden höchsten
Gipfel (6922 m und 5943 m) des Berges aufragen. Das Eigentüm-
liche in dem Bilde, welches der Cotopaxi von der Westseite bietet,
liegt darin dass, während sonst die Profillinien in Höhen von
3900 — 4000 m Höhe endigen, der dem Beschauer hier gerade gegen-
überliegende Westabhang des Berges sich bis zu nahe 3000 m herab-
zieht So glatt sich nun auch die Konturen des Kegels zeigen, so
ist doch, ebenso wie die Nordseite, auch der ganze Westabhang
durch tiefe Wasserrisse zerschnitten, in welchen weithin sichtbar
schwarze Lavaströme die Schneemassen durchbrechen und bis tief
am Abhänge herabsinken. Der Fuss des Berges ruht hier im Westen
mit seinen Aschenfeldern auf flachen, durch Quebradas getrennten
Rücken, unter welchen namentlich der »Las Planchasc (3547m)
gensüinte Teil mit dem darüber hervorragenden Cerro de Ami in die
Augen fallen. Diese Vorhügel sind steil gegen Westen, gegen den
Rio Cutuchi zu, abgeschnitten. Es dürften dieselben Überreste des
Cotopaxi - Fussgebirges sein, das hier noch nicht ganz unter den
neuem Ausbruchsmassen begraben ist.
Gegen die Südseite des Berges nehmen die alten Vorhügel
anHöhe zu, Schluchten, 200 — 300 m tief eingeschnitten, durch-
furchen die Abhänge. An ihren Wänden sieht man gewaltige Tuff-
und Schuttmassen, im Grunde der Thäler Schutt und Schlamm der
Avenidas , während der Bach selbst meist in einem engen, in Lava-
Vulkanismus. 217
felsen eingeschnittenen Kanal verläuft. Weiter gegen Osten treten
grosse Bimssteinablagerungen in den Thälem auf und in der Nähe
des Picacho rote Aschen- und Schlackenschichten, sowie auch feste
Lavabänke. Wie eine Insel der alten Formation erhebt sich der
Picacho aus dem gleichmässigen Abhänge des neuen Kegels. Der
Südabhang des Kegels ist sehr steil und mit einer vielfach zer-
rissenen Eismasse bedeckt, deren rauhe, zackige Oberfläche einer
Besteigung von dieser Seite unüberwindliche Hindemisse bereiten
dürfte. So gleichmässig ist der Eismantel, dass nur vereinzelte
schwarze Felszacken daraus hervorragen. Hier fehlen die tiefen
Rinnen und Risse, welche an den übrigen Seiten des Kegels den
Abhang durchfurchen, denn nach dieser Seite haben sich seit langen
Zeiten keine Lavaströme ergossen.
Die Ostseite ist dagegen wieder wild zerrissen. Eine ganze
Reihe frischer Lavaströme ziehen aus der Schneebedeckung herab,
erfüllen die Schluchten und liegen wie schwarze Dämme auf den
gegen Osten steil abgeschnittenen, wohl dem Fussgebirge zugehörigen
Rücken. Es ist wohl die steilste und am wenigsten ausgedehnte
Seite des Berges. In den Schluchten lassen sich deutlich die Laven
und Aschenschichten erkennen, aus welchen der ganze Ausbruchs-
kegel aufgebaut ist Die durch die Schlamm- und Wasserströme
erzeugten Wasserrisse vertiefen sich am Fusse des Kegels zu Schluch-
ten und Thälem, in welchen flachliegende Laven, oft 70 — 80m
mächtig, aufgeschlossen sind. Es muss aber zweifelhaft bleiben, ob
diese mächtigen Lavenbänke dem eigentlichen Gotopaxi oder dem
Fussgebirge zuzurechnen sind.
Der auf dem Gipfel des Berges eingesenkte Krater ist, wie der
ganze Berg, von Süd nach Nord langgestreckt Seine Innenwände
begrenzen in steilen, hier und da wohl senkrechten Abstürzen die
trichterförmige Vertiefung. Feste Lavabänke herrschen unbedingt
vor, Schutthalden bedecken zum Teil die Felswände und ziehen sich
nach dem engen, von grossen Blöcken erfüllten Grunde. Gänge sind
in der Kraterwandung nicht beobachtet worden. Während Gestalt
und Grösse des Kraters durch die Eruptionen der letzten Jahrzehnte
nur wenig verändert erscheinen, wechselt das Aussehen des Innern
und selbst der Kraterränder mit den einzelnen Ausbrüchen. Bei
dem Besuche von Reiss im Jahre 1872 (28. November) zeigte der
Krater nur geringe Fumarolenthätigkeit Der Krater erschien von
elliptischer Form, breiter von Nord nach Süd, als von Ost nach West.
Von seiner ganzen Umfassung senkten sich sehr steile Felswände
und vereinigten sich am Gmnde beinahe in einem Punkte, so dass
dort keine Fläche gebildet wurde. Den Nordostteil bedeckte, beinahe
von oben bis unten, eine grosse Schneemasse, während ausserdem
in dem Krater nur einige wenige, unbedeutende Eismassen sichtbar
waren. Die vielen, auf allen Seiten erfolgten Bergstürze Hessen den
eigentlichen Bau der Wände nicht unterscheiden. Ungemein häufig
218 Vulkanismus.
sind solche Loslösimgen besonders im westlichen Teile ; fortwährend
hörte man das Getöse der herabrollenden Steine. Die am wenigsten
steile Wand, an welcher man vielleicht in den Krater hätte gelangen
können, war die südwestliche; dort gewahrte man auch einige
ziemlich ansehnliche Fumarolen, die ohne irgend welches Geräusch
dicke Wolken eines weissen Dampfes, der stark nach schwefliger
Säure roch, ausströmten, wäiirend sich über den Fumarolen ein
kleiner Schwefelherd (homillo de azufre) gebildet hatte. Übrigens
entwichen an diesem Abhänge an mehrem Stellen heisse Dämpfe;
doch konnte man weder Ablagerungen von Sublimationen, noch
jene vielfach in Kratern beobachtete starke Färbung wahrnehmen. c
Nach der trigonometrischen Messung von W. Reiss hatte der
Krater 1872 einen Durchmesser von 776 m, die Tiefe schätzt er
auf 500 m. Der Eis- und Schneemantel spielt im Aussehen des
Berges eine grosse Rolle, er trägt dazu bei, diesem seine oft be-
wunderte Gestalt zu geben. Es handelt sich aber, sagt Reiss, auch
hier nicht um mehr oder weniger mächtige Schneelager, es ziehen
vielmehr gewaltige Gletscher von unbekannter Mächtigkeit an den
Abhängen herab. Freilich sind sie nur an wenigen Stellen der Be-
obachtung zugänglich, da sie durch die sich oft wiederholenden
Ausbrüche stets mit Aschenablagerungen bedeckt sind, die oft eine
Mächtigkeit von mehrem Metern erreichen können. Nun schneit
es fast zu allen Jahreszeiten am Gotopaxi; die warmen, aus den
Tiefebenen des Amazonas - Beckens aufsteigenden Luftströmungen
setzen ihre Feuchtigkeit in Form von Schnee an den in die kaltem
Luftschichten aufragenden Kegel ab. Aber auch die Ausbrüche des
Gotopaxi wiederholen sich in steter Wiederkehr, so dass bald der
Schnee unter Asche, bald die Asche unter frisch gefallenem Schnee
begraben wird. So bilden sich mächtige Schichtenfolgen von weissem
Schnee oder blauem Eise mit schwarzen Zwischenlagem von mehr
oder minder dicken Aschenstreifen. . . •
Oft wird, selbst bei ganz geringfügigen Ausbrüchen, die sonst
die Aufmerksamkeit der Anwohner in keiner Weise erregen würden,
eine ganze Seite des Berges mit Asche überschüttet. Dann heisst
es in Ecuador: Der Gotopaxi hat in einer Nacht all seinen Schnee
verloren. So mag es sich auch im Jahre 1803 bei dem am 4. Januar
erfolgten Ausbrache, von welchem A. v. Humboldt nach Hörensagen
berichtet, verhalten haben. Eine solche Aschenbedeckung scheint
sehr bald wieder zu verschwinden, da entweder die dunklen Aschen-
und Schlackenteile durch die Sonne in die alte Schneedecke einge-
schmolzen oder, bei frischem Schneefalle, unter einer neuen Schnee-
schicht begraben werden. Bei frischem Schneefalle überzieht sich der
ganze Berg mit einer gleichmässigen weissen Decke, deren unteres
Ende in 3700 — 3800 m Höhe ohne jede Ausbuchtung oder £in-
zackung verläuft, aus der nur die durchwärmten Kraterteile und
die an den Gehängen herabziehenden neuen Lavaströme dunkel her-
Vulkanismus. 219
YOiragen. Der Schnee kaom auf der Oberfläche der neuen Laven
nicht alle Rauheiten ausfüllen, und manche der Ströme sind noch
in ihren innem Teilen so warm, dass der Schnee rasch wieder
weggeschmolzen wird. Bei solch einem frischen Schneefalle kann
man den Verlauf der neuen Ströme gut verfolgen und auch den
Verlauf der Lavaströme an der Westseite entwirren, was sonst bei
der gleichmässigen, dunklen Farbe dieses Teiles des Abhanges recht
schwierig ist.
Unter gewöhnlichen Verhältnissen, d. h. wenn kein frisch ge-
fallener Schnee die Abhänge bedeckt, zeigt sich die untere Schnee-
grenze als eine vielfach auf- und absteigende Linie. Die Schnee-
und Eisbedeckung reicht auf den Höhen zwischen den Schluchten,
sowie auf den langgestreckten, von nahe dem Kraterrande herab-
ziehenden Rücken weiter herab als in den Thälem und Schluchten.
Das hat darin seinen Grund, dass bei den in verhältnismässig
kurzen Zwischenräumen sich wiederholenden Ausbrüchen die Schnee-
ablagerungen in den Thälem und Schluchten durch die vom Krater
kommenden Lavaströme oder durch die bei den Ausbrüchen erzeug-
ten Schlammströme immer wieder zerstört und weggeführt werden
und es so zu keiner Eisbildung kommen kann. Auf den Rücken
und Höhen zwischen den Thälem ist oft der untere Teil der Glet-
scher und Schneebildung mit Asche überschüttet, so dass alsdann die
richtige Bestimmung der untern Schneegrenze mit Schwierigkeiten
verknüpft ist, da es sich nicht immer feststellen lässt, ob man es
mit einem vorgeschobenen Gletscher oder mit Firnschnee zu thun hat,
imd oft mögen die Gletscherenden unter der alles bedeckenden
Asche noch weiter herabreichen, als die Messungen angeben. Am
klarsten liegen die Verhältnisse auf der Ost- und Südseite, da der
herrschende Wind die Ausbruchsmaterialien gegen Westen und Nord-
westen treibt.
Nach den (wenigen) Messungen von Reiss liegt die Schneegrenze
an der Ostseite des Berges 100 — 200 m tiefer als an den übrigen
Abhängen, offenbar infolge der aus der feuchtwarmen Tiefebene
des Amazonenbeckens aufsteigenden Luftströmungen, deren Wasser-
dampf dort niedergeschlagen wird. Das Volum der Eis- und Schnee-
kalotte des Gotopaxi kann man nach Reiss auf 0.5 bis höchstens
0.75 Kubikkilometer veranschlagen.
Die der geschichtlichen Zeit angehörigen Lavaströme reichen an
den Abhängen des steilen Kegels herab bis zu 4365 und 4071 m,
ja, nach Dr. Stübels Messung, im Minas-Volcan sogar bis 3762,
weisen also zwischen ihrem Ursprungspunkte und ihrem Fussende
Höhendifferenzen von 1534 — 2030 m auf, Differenzen, welche mehr
als die anderthalbfache Höhe des Vesuvs erreichen, und dabei haben
die Laven doch nur eine horizontale Entfernung von 6 — 8 hn durch-
messen. Alle die neuem Lavaströme nehmen, wie Dr. Stübel
zuerst richtig erkannt hat, und wie dies durch die Ausbrüche von
220 Vulkanismus,
1868 und 1877 bestätigt wird, ihren Ursprung vom Gipfelkrater aus»
auch dann, wenn ihr oberes Ende, also ihr Anfang, 500 oder mehr
Meter tiefer zu liegen scheint: Der oberste Teil der Ströme ist an
dem steilen Abhänge abgeflossen oder abgerutscht Daraus kann
man aber wohl nicht schliessen, dass seitliche Eruptionen über-
haupt nicht vorgekommen seien oder nicht vorkommen können; denn
fehlen auch seitliche Schlackenkegel am Cotopaxi, so lehren doch
die Lavaausbrüche des Antisana zur Genüge, dass solche zähflüssige
Laven an den Gehängen der Gebirge auftreten können, ohne dass
Schlackenanhäufungen am Ausbruchspunkte aufgeworfen werden.
Dann liegen aber auch 2 Beobachtungen über die Bildung seit-
licher Boccen vor: Bouguer sagt ausdrücklich, dass 1742 »bei dem
Ausbruche, der in unserer Gegenwart stattfand«, eine seitliche Aus-
bruchsöffnung etwa in halber Höhe des schneebedeckten Teiles des
Berges sich geöffnet habe, während die Flammen noch immer dem
Gipfelkrater entstiegen. La Condamine und Ulloa bestätigen diese
Angabe, und Wagner hat ebenfalls die einer seitlichen Ausbruchs-
öffnung, etwa 500 m unter dem Gipfel, entsteigende Dampfsäule auf
der von ihm veröffentlichten Abbildung des Cotopaxi angegeben.
Aus dem von Reiss gegebenen Verzeichnisse der Ausbrüche des
Cotopaxi geht unzweifelhaft hervor, dass dieser Berg seit den
vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts in einer Phase erhöhter
Thätigkeit sich befindet. »Es wechseln Zeiten grösserer Ruhe mit
gewaltigen Ausbrüchen ab, ohne dass irgend eine Gesetzmässigkeit
in den zwischen den grössern Ausbrüchen liegenden Intervallen zu
erkennen wäre. So folgten auf die Eruptionen in den Jahren
1742 — 1744 die Ausbrüche der Jahre 1766 — 1768 nach einer Ruhe-
pause von 24 Jahren, dann 35 Jahre später der Ausbruch vom
Jahre 1803. 50 Jahre ruhte nun der Vulkan oder beschränkte
seine Thätigkeit auf Aschenauswürfe, zwischen welchen 1853 ein
Ausbruch von mittlerer Stärke stattfand, auf welchen dann 1877
eine der gewaltigsten Eruptionen folgte, welche die Geschichte des
Cotopaxi zu verzeichnen hat. Seitdem verhält der Berg sich ruhig,
und nur kleinere Eruptionen scheinen stattgefunden zu haben. Doch
darf dabei nicht übersehen werden, dass es glückliche Zufälle sind,
wenn wir überhaupt Nachrichten über Ausbrüche erhalten, welche
keine Verwüstungen in den bewohnten Gegenden verursachen. Die
grossen Cotopaxi - Ausbrüche erfolgten, nach einer Ruhezeit von
mindestens 218 Jahren, in Intervallen von 24, 35, 50 und 24 Jahren.
Es ist nicht bekannt, ob zwischen dem Aschenregen im Jahre
1534 und den Ausbrüchen von 1742 kleinere Eruptionen stattge-
funden haben, oder ob der Berg in vollkommener Ruhe verharrte;
denn eigentlich beginnt für den Cotopaxi die historische Zeit erst
mit der französischen Gradmessung, t
Die grossen Ausbrüche des Cotopaxi zeigen mehrere Eigen-
tümlichkeiten, und Reiss giebt davon folgende allgemeine Schilderung:
Vulkamsmus. 22 1
»Gewöhnlich wird die Katastrophe durch gewaltige Dampf- und
Aschenausbrüche eingeleitet, die oft mit heftigen Detonationen aus
dem Krater sich entwickeln ; dann fliesst die Lava entweder an einer
oder zu gleicher Zeit an mehrern Stellen über den Rand des Kraters
aus, stürzt mit Blitzesschnelle die steile Wand am obersten Teile
des Berges hinab, staut sich beim Beginne des sanftem Gehänges
an und bewegt sich auf den noch über 30^ geneigten Abhängen
rasch abwärts. Die Lavaströme bilden die Bausteine, aus welchen,
im Vereine mit den zu Schichten vereinigten losen Auswurfsmassen,
der ganze, gewaltige Cotopaxi - Kegel aufgebaut ist, das sind die
Laven, welche wir als pseudo- parallele Lagen in den Wänden der
Schluchten, der Huaicos oder Quebradas, aufgeschlossen gesehen
haben, deren neueste Ströme sich als mächtige, aus der Schnee-
und Eisdecke hervortretende Wülste an den Abhängen verfolgen
lassen. An andern Vulkanen, am Vesuv, am Ätna, sind es die
Lavaströme, welche, über das bebaute Land sich ergiessend, Städte
und Dörfer begrabend^ Schrecken und Verwüstung verbreiten. Hier
am Cotopaxi erreichen die Laven kaum den Fuss des steilen Kegels,
sie erstarren an den kahlen, öden Abhängen, ohne die bewohnten
Teile des Landes zu erreichen; doch aber sind die Verwüstungen,
welche sie verursachen, furchtbar, denn die glühendflüssigen Ge-
steinsmassen müssen sich einen Weg bahnen durch den Schnee-
und Eismantel, welcher den obem Teil des Berges in einer verti-
kalen Höhe von ungefähr 1400 m umhüllt. Schnee und Eis müssen
in Berührung mit der Lava schmelzen, Dampfmassen, gewaltige
Wasserfluten werden erzeugt. Die an den steilen Gehängen herab-
stürzenden Wasser reissen alles mit sich fort, unterwühlen sowohl
die mit Aschenschichten durchzogenen Eismassen, als auch die parallel
dem Abhänge lagernden alten Lavenströme und wälzen sich als alles
vernichtende Schlammströme dem Fusse des Berges zu, Eisblöcke,
Blöcke glühender Lava und grosse Gesteinsstücke mit sich führend.
Die Schluchten in den untern Teilen des Berges können die Menge
der mit ungeheurer Geschwindigkeit sich bewegenden Schlammströme
nicht fassen, ihre Seitenwände werden überschritten, die Schlamm-
massen ergiessen sich in die benachbarten Schluchten und breiten
sich in den flachem Landesteilen am Fusse des Berges aus. Rings
um den Cotopaxi lassen sich die Schuttmassen beobachten, welche
den Schlammströmen ihre Entstehung verdanken. Von jeder der
neuen Laven geht eine solche Avenida aus ; die ganzen interkollinen
Räume zwischen Cotopaxi, Sincholagua und Ruminahui sind damit
erfüllt; die Weideländereien in Valle-viocoso sind durch sie zerstört;
am ausgedehntesten aber finden sich die Ablagerungen westlich und
südlich vom Berge in der Thalfläche des Rio Cutuchi, in der Um-
gebung von Mulalo und Latacunga. Die grossen , 3 «n im Durch-
messer haltenden, durch die Avenidas herabgeführten Blöcke in
Valle-vicioso werden noch übertroffen von einem Blocke gleichen
222 Vulkanismus.
Ursprunges an der Westseite des Berges, von welchem Dr. Stübel
eine Abbildung, sowie die Masse veröffentlicht hat Danach betragt
der Umfang des Blockes 45 m, seine Höhe 8,5 m. Wenn man be-
denkt, dass solche Blöcke durch die Schlammströme fortbewegt
wurden, kann man sich ungefähr einen Begriff von der Wucht und
Gewalt machen, mit welcher die mit grossem und kleinem Gesteins-
materiale beladenen Gewässer an den Abhängen des Berges nieder-
gehen, c
Über die Höhe der Aschen- und Dampfsäule bei Ausbrüchen
liegen uns Schätzungen vor, unter denen die zuverlässigste wohl
jene von Whymper ist (bis 12 000 1» absolute Höhe beim Ausbruche
am 3. Juli 1880). Was die Detonationen des Vulkanes anbelangt, so
hält Reiss dafür, dass die grosse Mehrzahl der in Ecuador gehörten
»Bramidosc Getöse sind, deren Schallwellen durch die Luft und
nicht unterirdisch sich verbreiteten. Selbst bei den Erdbeben, welche
man do gerne von unterirdischem rollenden Donner begleitet dar-
stellt, hat er stets die Empfindung gehabt, dass es sich um Schall-
erzeugung handelt, hervorgerufen durch die durch das Erdbeben
verursachte Bewegung der an der Erdoberfläche befindlichen Gegen-
stände. Die Erdoberfläche spielt eben hier die Rolle des letzten
Billardballes in dem bekannten physikalischen Versuche : ihre letzten
Teile, seien es Häuser, Steine, Felsen oder Bäume, werden gegen-
einander bewegt; es sind unzählige kleine Geräusche, welche in
ihrer Summierung donnerähnliches Rollen und Brausen erzeugen.
Am stärksten empfand Reiss diesen Eindruck bei einem nächtlichen
Erdbeben, inmitten des Urwaldes, an dem dem Stillen Ozeane zuge-
wandten Gehänge der Westcordillere. Auch die Bramidos der
Vulkane, sagt er, sind keine unterirdischen Geräusche. Wie bei dem
Abschiessen eines Gewehres der Schall an der Mündung des Laufes,
also an der Stelle erzeugt wird , an welcher die bis dahin zusammen-
gepressten Gase sich plötzlich ausdehnen und mit gewaltsamem
Stosse die umgebende Luft erschüttern, so erfolgen auch bei den
Vulkanen die Detonationen an der Mündung des vulkanischen
Schlotes, am obem Ende der Lavasäule, also am Ausbruchspunkte,
in dem hier vorliegenden Falle im Gipfelkrater des Berges. Von
dort aus werden sich die Schallwellen nach allen Richtungen hin
ausbreiten, die Entfernungen, bis zu welchen sie gelangen, werden
abhängen von dem Zustande der Atmosphäre, von den Widerständen,
welche sie auf ihren Wegen antreffen. Unter normalen Verhältnissen
dürfte der Schall den Weg vom Gipfel des Gotopaxi bis nach Guaya-
quil in etwa 10 — 12 Minuten zurücklegen, also eine so kurze Zeit
gebrauchen, dass für ecuadorianische Verhältnisse die Detonation in
Guayaquil in demselben Momente gehört wird, in welchem der Aus-
bruch stattfindet.
Erdbeben werden bei Gelegenheit von Gotopaxi-Ausbrüchen nur
selten erwähnt, und zerstörende Wirkungen haben sie nie geübt.
Vulkanismus. 223
All^ zusammenfassend, was wir bis jetzt über den Verlauf eines
Cotopaxi-Ausbruches wissen , so wiederholt Reiss im allgemeinen
das Bild, welches er bereits im Jahre 1874^) entworfen hat:
»Nach einer Zeit der Ruhe wird die wiedererwachende vul-
kanische Thätigkeit durch das häufige Auftreten von Dampfsaulen
sich bemerkbar machen. Aschenauswürfe verwandeln bald die weisse
Dampfsäule in dunkle schwarze Wolken, die, hoch in die Atmo-
sphäre sich erhebend, vom Winde weithin verführt werden. Die Lava
steigt bald langsamer, bald rascher im Schlote auf, erfüllt den Krater
und beleuchtet mit ihrem Widerscheine die über dem Krater schwebende
Dampfsäule. An der Oberfläche der den Krater mehr und mehr er-
füllenden Lava werden Schlacken sich bilden, die zusammen mit
^übenden Lavafetzen als Auswürflinge und Bomben von den durch-
brechenden Dämpfen ausgeschleudert werden. Unter heftigen Detona-
tionen erfolgen die einzelnen Dampf- und Aschenausbrüche, bis end-
lich die Lava, an den niedersten Stellen des Kraterrandes über-
fliessend, sich als gewaltige Lavaströme am äussern Abhänge herab-
stürzt oder , wie dies 1877 der Fall gewesen zu sein scheint, durch
einen aussergewöhnlichen Dampfausbruch in grossen Massen auf ein-
mal ausgeschleudert wird. In beiden Fällen kommt nun die glühende
Gesteinsmasse mit dem Eis und Schnee, welche den obem Teil des
Berges umgeben, in Berührung und giebt dadurch Veranlassung zu
den gewaltigen Schlamm- und Wasserfluten, die vernichtend und
zerstörend nach den bewohnten Teilen des Landes am Fusse des
Vulkanes sich ergiessen. Gewöhnlich endet damit der ganze Aus-
bruch, und nur in seltenen Fällen dauert der Lavaerguss tage- oder
wochenlang. Darin und in dem auf den Gipfelkrater beschränkten
Austritte der Lava unterscheiden sich die Gotopaxi - Eruptionen von
den so bekannten und vielfach beschriebenen Ausbrüchen des Vesuv
und der Hawaii- Vulkane, in allen andern Einzelheiten ist der Mecha-
nismus der Ausbrüche genau derselbe; denn die so gefürchteten
Schlammströme sind kein vulkanisches Phänomen, sie sind einzig
und allein bedingt durch die hohe Lage des Gotopaxi und finden
sich an allen Vulkanen, deren Abhänge mit Eis und Schnee bedeckt
sind, in Ecuador sowohl, wie auf Island und im Süden Chiles.
In Zeiten der Ruhe entsteigen den Spalten des Kraters schweflige
Säure und Schwefelwasserstoff, bei erhöhter Thätigkeit werden
salzsaure Dämpfe in grosser Menge zugleich mit gewaltigen Massen
von Wasserdampf ausgestossen, ganz wie dies bei den europäischen
Vulkanen der Fall ist. Kohlensäure wird in den Exhalationen des
Cotopaxi sicherlich nicht fehlen , ist aber bis jetzt noch nicht direkt
nachgewiesen worden, c
Die Verbreitung: der hauptsächlichsten Eruptions-
zentren in Südamerika. Dr. A. Stübel giebt eine Karte und Er-
*) Reiss, Zeitschrift d. Dtsch. geoL Gesellsch. 1874. 26. p. 912—918.
224 Vulkanismus.
läuterungen über diese Zentren und die sie kennzeichnenden Vulkan-
berge, ^) die natürlich bei der gegenwärtig noch sehr mangelhaften
Kenntnis der geologischen und topographischen Beschaffenheit Süd-
amerikas nicht vollständig sein können. Die genauere Durchforschung
dieser Vulkangebiete hat ergeben, dass die scheinbar der Gordillere
parallele und lineare Anordnung ihrer einzelnen Vulkanberge verloren
geht infolge der grossen Zahl wirklich vorhandener, auf Karten aber
bis zum heutigen Tage nicht eingetragener Berge und eine ganz
unregelmässige Verteilung der vulkanischen Schöpfungen auf scharf
umgrenzten Eruptionsgebieten an ihre Stelle tritt, die Stübel als
Vulkanbezirke bezeichnet, und von denen er vier grosse, durch breite,
vulkanfreie Zwischenräume getrennte unterscheidet.
»Das erste dieser Gebiete — das colombianisch-ecuadorianische — ,
mit dem Päramo de Ruiz, in ungefähr 5^ n. Br. wenig nördlich
von Bogota beginnend, erstreckt sich in west-nordwestlicher Richtung
900 km lang bis zum Gebirgsstocke des Azuay bei Cuenca (5^ s. Br.).
— Nun folgt auf eine fast doppelt so grosse Erstreckung hin —
auf etwa 1600 km — ein von vulkanischen Schöpfungen gänzlich
freier Zwischenraum.
Das zweite Vulkangebiet — das peruanisch-bolivianische — be-
ginnt in der Gegend von Arequipa und Puno (ca. 16^ s. Br.) und
verläuft in südöstlicher Richtung, das nördliche Chile mit erfassend,
etwa 1300 km lang bis zum Südende der Wüste Atacama in 26^
s. Br. — Der nun folgende vulkanfreie Zwischenraum von ungefähr
800 km Länge endigt in der Gegend von Santiago unter dem
34. Breitengrade.
Es folgt das dritte, von N nach S gerichtete Vulkangebiet —
das mittel-chilenische — in einer Längenausdehnung von 1100 km.
Es scheint in der Breite des Südendes der Insel Chiloe (43^/,^ s. Br.)
abzuschliessen.
Das vierte Vulkangebiet — das patagonische — lässt sich eigent-
lich nur anhangsweise erwähnen, da wir über dessen Ausdehnung
derzeit auch nicht annähernd unterrichtet sind. Zwischen dem
49.^ und 55.^ s. Br. wurden grosse Ablagerungen jung-vulkanischer
Gesteine nachgewiesen, aber als »Vulkane« werden auch auf den
neuesten Karten nur ein paar verzeichnet, der letzte an der Nord-
seite des Beagel-Kanales im südlichen Feuerlande. Für allgemeine
Betrachtungen über die Verteilung der Vulkanberge Südamerikas kann
daher dieses 4. Gebiet noch nicht herangezogen werden.
Es darf aber ferner nicht unbeachtet bleiben, dass auch inner-
halb der genannten grossen Vulkangebiete die Gebilde der eruptiven
Thätigkeit häufig nur vereinzelt liegen, durch weite Flächen und
hochgebirgiges Terrain nicht-vulkanischer Entstehung voneinander
getrennt werden. Dieses inselartige, in genetischer Hinsicht überaus
^) Fetermanns Mittl. 1902. p. L
Vulkanismus. 225
beachtenswerte Auftreten der vulkanischen Baue inmitten älterer und
ältester Formationen war es, das die weitere Einteilung der Vulkan-
gebiete in Vulkanbezirke vorschrieb.
Die Vulkanbezirke ihrerseits zerfallen in solche, in denen nur
ein Ausbruchszentrum vorhanden ist, und in solche, in denen ver-
schiedene, mehr oder weniger benachbarte Ausbruchszentren die Auf-
schichtung vulkanischer Berge bewirkt haben.« Stübel betont, dass
aus dem Vorhandensein benachbarter Ausbruchszentren wir jedoch
noch nicht berechtigt sind, darauf zu schliessen, dass jedes Aus-
bruchszentrum, das durch einen vulkanischen Bau als solches ge-
kennzeichnet wird, auch einen eigenen Herd besitzt. In vielen Fällen
dürfte dies allerdings der Fall sein, in andern lässt sich mit grosser
Wahrscheinlichkeit annehmen, dass mehrere Ausbruchszentren einem
gemeinschaftlichen Herde angehören.
Das colombianisch-ecuadorianische Vulkangebiet zerfällt nach
Stübel in 2 Hälften, eine nordöstliche, colombianische, und eine
südwestliche, ecuadorianische. In jener unterscheidet er folgende
Vulkanbezirke:
1. Herveo-Tolima-Bezirk mit 4 — 5 Eruptionszentren (Herveo,
Santa Isabel, Quindiu, Tolima u. s. w.)
2. Huila-Bezirk mit 1 Eruptionszentrum.
3. Purace-Bezirk mit 4 — 5 Eruptionszentren (Purace, Pan de
Azücar, Silvia- und Coquiyö-Gebirge, Sotarä).
4. Tajumbina-Bezirk mit 4 — 6 Eruptionszentren (Tajumbina, Cerro
de las Petacas, Paramo de las Animas, Juanoi u. s. w.)
5. Pasto-Bezirk mit 3 Eruptionszentren (Vulkan von Pasto,
Bordoncülo, Paramo el Frailejon u. s. w.).
6. Azufral-Cumbal-Bezirk mit 6 — 8 Eruptionszentren (Azufral,
Gumbal, Chiles, Cerro Negro, Cerros de Contrayerba, Paramo de Quan,
Paramo del Anjel u. s. w.)
'Für die ecuadorianische Hälfte des Gebietes scheint es topo-
graphisch nicht unbegründet, wenigstens drei Bezirke anzunehmen,
einen nördlichen, einen mittlem und einen südlichen. Auf diese
verteilen sich 30 — 40 Eruptionszentren in der Art, dass sich die
über ihnen aufgeführten vulkanischen Baue gegenseitig begrenzen
und nur an wenigen Stellen Teüe des Grundgebirges als hohe Scheide-
wände zu Tage treten lassen. Quilotoa, Sangay und Azuay können
aber als solche Berge gelten, bei denen es am deutlichsten hervor-
tritt, dass sie sich über gesonderten Ausbruchszentren erheben.
In dem peruanisch-bolivianischen Gebiete sehen wir das Auf-
treten der Vulkanberge in einzelnen Bezirken, die von Gebietsteilen
nichtvulkanischer Entstehung unterbrochen sind, ebenso scharf aus-
geprägt, wie in dem colombianischen Gebiete, jedoch mit dem Unter-
schiede, dass sich die Bezirke hier, nicht wie es in Colombia der
Fall war, nur in einer Längenrichtung aneinander reihen, sondern
sich auch nach der Breite hin verteilen. Es giebt Vulkangruppen,
Klein, Jahrbuch XITI. 15
226 Vulkanismus.
die senkrecht zu dem Verlaufe der Küstenlinie an 200 km ausein-
ander liegen.
Im nördlichen Teile dieses Gebietes, soweit wir von demselben
Kenntnis erlangt haben, unterscheiden sich 8 Vulkanbezirke:
1. Arequipa-Bezirk (Misti, Pichupichu, Charchani, Ubinas u. s. w.).
2. Goropuna-Bezirk (Goropuna, Solomani u. s. w.).
3. Puno-Bezirk (Cerro Lurine, ausgebreitetes vulkanisches Gebiet).
4. Yunguyo-Bezirk (Gerro Gapira und andere kleine Berge).
5. Oruro-Bezirk (Gerro Sillota, Quimsachata u. s. w.).
6. Sajama-Bezirk (Sajama, Gerros Pachachata, Anallajache.
Hinchuascota, Gerros de Gunturere, Antacollo u. s. w.).
7. Guallatiri-Bezirk (Berggruppe des Guallatiri).
8. Tacora-Bezirk (Ghipicani, Quenuata, Gacarani, Guarguarini,
Huarahuara [Pallagua?], Gerros de Ancara u. s. w.).
Der südliche Teil des Gebietes, an den sich die Wüste Atacama
mit ihren zahlreichen Vulkanbergen anschliesst, dürfte sich in. nicht
weniger Bezirke gliedern lassen, doch ist Stübel nicht in der Lage,
dieselben auf Grund eigener Forschung feststellen zu können.
Während in den zuletzt erwähnten Gebieten die Vulkanberge
bis weit in das Innere des Landes, bis auf eine Entfernung von
über 300 km von der Küste auftreten, reihen sich in dem mittel-
chilenischen Gebiete die Berge kettenförmig auf eine Länge von etwa
1100 Am aneinander. Aber auch hier dürfte sich nach Stübels ge-
nauerer vulkanologischer Durchforschung des Landes herausstellen,
dass die Vulkanreihe durchaus nicht so einfach ist, wie sie sich
jetzt auf einer Karte kleinen Massstabes zeigt, sondern sich in
meridianal aufeinander folgende Gruppen auflösen lässt, ähnlich wie
in Ecuador, Peru, Bolivien und dem nördlichen Ghile.
Die einzelnen Vulkanbezirke, die sich nicht allein aus grossen,
sondern oft auch aus sehr kleinen Bauen der vulkanischen Kräfte
zusammensetzen, sprechen nach Stübel in Verbindung mit dem Um-
stände, dass ihre Entstehung nur einer ephemeren Thätigkeit zu-
geschrieben werden kann, ganz unverkennbar für lokalisierte und
zugleich erschöpfliche Ursprungsorte der Gesteinsmassen, aus denen
sie aufgeworfen worden sind.
Indem Dr. Stübel sich über und gegen die Hypothese aus-
spricht, dass die Vulkane auf langen, tief in das Erdinnere
hinabreichenden Spalten aufsitzen, sagt er: »Rein topographisch ge-
sprochen, bilden die südamerikanischen Vulkangebiete einzelne, kürzere
und längere Stücke in dem Rande, der das grosse Becken des
Stillen Ozeanes gegen SO begrenzt. Die Bildung dieses Beckens —
der umfänglichste Schauplatz des irdischen Vulkanismus — reicht
aber unzweifelhaft in eine Zeit zurück, in der atmosphärische Nieder-
schläge noch nicht eintreten konnten, Meere noch nicht vorhanden
waren. Und ebensowenig, wie wir die Ursache für die Lage der
Hunderten von vulkanischen Bildungen zu ergründen vermögen, deren
Vulkanismus. 227
höchste Teile als Inselgruppen über den Wasserspiegel des Stillen
Ozeans emporragen, dürfen wir hoffen, die Anordnung der süd-
amerikanischen Eruptionszentren mit erforschbaren Ursachen in Ver-
bindung bringen zu können, Dass auch der Atlantische Ozean, gleich
dem Stillen, in seiner ganzen Erstreckung von den nördlichsten Breiten
bis zu den südlichsten, in einem Becken mit vulkanischem Untergrunde
flutet, dafür geben zahlreiche Insehi sichern Beleg. Welcher Geolog
aber möchte, voll eingedenk der ursprünglichen Glutflüssigkeit des
Erdkörpers, wohl noch der Ansicht sein, dass das Meer die Lage
der Vulkane bestimme, und nicht vielmehr die Überzeugung hegen,
dass die vulkanischen £[räfte durch ihre gewaltigen Schöpfungen in
onermesslicher Vorzeit auch den Meeresbecken ihre Grenzen gezogen
hatten, noch lange bevor das Wasser vorhanden war, das diese
Becken füllen konnte Ic
Ein porphyrischer Stratovulkan in Südwestafrika ist
von Dr. Schenck nachgewiesen worden.^) Sein Name wird ge-
schrieben Geitse 1 gubib. Dieser isolierte Berg erhebt sich aus der
Ebene des Fischflussthaies, welches tektonisch einem Graben entspricht,
etwa 15 km nördlich von der Missionsstation Bersaba zu einer Höhe
von etwa 1740 m oder 680 m über jener Ebene. Er wurde vom
Verf. am 7. Februar 1886 bestiegen und in frühern Veröffentlichungen
als Porphyrstock bezeichnet. Die mikroskopische Untersuchung der
mitgebrachten Gesteine ergab indessen, dass diese sich nicht als
massige Porphyre, sondern als klastische Gesteine vom Charakter
der Porphyrtuffe erweisen. In einer Grundmasse, die hauptsächlich
aus einem kieseligen Cemente zu bestehen scheint, sind enthalten
staubartige Partien, unter denen besonders Eisenoxyd durch seine
rötliche Färbung hervortritt, femer Bruchstücke von Orthoklas,
Plagioklas, Quarz, Magnetit u. s. w. In den dichten, sehr harten
und muschelig brechenden Gesteinen, welche eine Schichtung erkennen
lassen, treten die letztem zurück, und die Grundmasse mit ihren
staubartigen Ausscheidungen überwiegt, in den grobkörnigem Ge-
steinen von arkoseartigem Typus dagegen sind sie zahlreicher vor-
handen. Manche Tuffe enthalten auch Bruchstücke anderer Gesteine,
darunter von Granit, der in den benachbarten Tafelbergen des Ami-
plateaus nicht vorkommt und daher wohl aus der Tiefe hervor-
gebracht wurde. Berücksichtigt man nun ausser der Gesteins-
beschaffenheit auch die Form des Berges, der sich im Gegensatze zu
den ihn umgebenden, aus Schichten der Kapformation aufgebauten
Tafellandmassen als kegelförmiger Einzelberg aus der Ebene des
Fischflussthaies erhebt und in seinem Innem eine kesseiförmige Ein-
senkung besitzt, gegen welche der äussere Wall in steilen Wänden
abfällt, und die in einem tief einschneidenden Erosionsthale einen
Ausgang nach aussen (und zwar nach Süden) besitzt, so gelangt
Zeitschr. d. Dtsch. geol. Gesellsch. 1902. 58. p. 64.
15*
228 Vulkanismus.
man zu der Überzeugung, dass der Geitse ! gubib einen porphyrischen
Stratovulkan mit noch wohl erhaltenem Krater darstellt, der seine
Form bewahren konnte, weil seit seiner Entstehung die Oberfläche
des Landes grössere Veränderungen nicht mehr erfuhr, und weil die
durch kieseliges Cement in harte Gresteine umgewandelten Tuffe der
Denudation kräftig zu widerstehen vermochten. Es dürfte daher
der Geitse! gubib der älteste noch wohl erhaltene Stratovulkan
sein, dessen Alter sich zwar nicht genau feststellen lässt (nur so
viel lässt sich sagen, dass er postcarbonisch ist), dem aber, wie
aus der Gesteinsbeschaffenheit sich schliessen lässt, ein höheres
Alter zuzuschreiben sein wird, als den bekannten tertiären und
quartären Vulkanen.
Ausbruch des Vulkanes Keloet auf Java. Dieser 1731 nt
hohe Vulkan liegt im östlichen Teile von Java und gehört zu den
Vulkanen von reger Thätigkeit, denn während des 19. Jahrhunderts
hatte er 6 Ausbrüche. Am 23. Mai 1901 fand wiederum eine Eruption
desselben statt, wobei auf dem SO- Abhänge ein Lavaerguss stattfand,
während bei den frühem Ergüssen lauwarmes, mit Sand und Stein
vermengtes Wasser von der Flanke des Berges herabkam. Derselbe
begann in der Nacht vom 22. zum 23. Mai 1901 gegen 3 Uhr früh
mit einem gewaltigen Regen glühender Steine, während dunkle Aschen-
wolken in westnordwestlicher Richtung zogen. Lava wurde nicht zu
Tage gefördert Das gesamte ausgeworfene Gestein und Aschen-
material berechnet L. Houwink auf 200 Millionen Kubikmeter, wovon
120 Millionen auf eine quadratische Fläche von Ib km um den Vulkan
herum niederfielen. Aus dem Herabkommen der vulkanischen Asche
zu Samarang, Pekalongun und anderer Punkte berechnet sich die Ge-
schwindigkeit mit der die Aschenwolken westwärts zogen auf 30 bis
40 km pro Stunde; beim Krakatauausbruche betrug sie nach Archibald
Douglas im Mittel 55 km^ wahrscheinlich weil bei diesem die Aschen-
teile in höhere Regionen der Atmosphäre geschleudert worden waren.^)
G. Du Bois hat den Keloet kurz nach der Eruption besucht und macht
darüber Mitteilungen.^ Der Keloet besass bisher im tiefsten Kegel
einen ca. 1 km breiten, nahezu runden See. Aus seinem dunklen
Wasser stiegen von Zeit zu Zeit kleine Rauchwolken auf, das Wasser
war jedoch nicht warm, etwa 30® G. Nach diesem letzten Ausbruche
ist das Niveau des Sees um ungefähr 50 m gesunken; auch im
Durchmesser ist der See zurückgegangen, er dürfte jetzt etwa 350 m
betragen. Das Wasser sieht dunkelbraun, ja in der Nähe der ein-
gestürzten westlichen Kegelwand sogar schwarz aus.
Den Vorgang dieser Eruption könne man sich etwa folgender-
massen vorstellen : Durch Erweiterung von Spalten und Rissen infolge
der fortwährenden Gasexhalationen und Ergüsse von kochendem
1) Natuurkundig Tijdschrift voor Ned. Indie 1902. Deel XVII afl. 2 S. 17U
^ Petermanns Mittl. 1902. p. 44.
Vulkanismus. 229
Wasser wurde eine Verbindung zwischen dem glutflüssigen Innern
des Berges und dem grossen Wasserreservoir auf demselben bewerk-
stelligt Diese nach dem heissflüssigen Magma führenden Spalten
und Risse dürften sich im Laufe der Jahre so sehr erweitert und
eine so grosse Wasserzufuhr gestattet haben, dass die Spannung
des sonst ruhig verlaufenden Verdampfungsprozesses überschritten
wurde, und ein explosionsartiger Ausbruch stattfand. Der Einsturz
der einen westlichen Kegelwand in den See und der vermutlich
plötzliche Einbruch grosser Wasserquantitaten in den Krater dürften
vielleicht der letzte direkte Anstoss zu dieser Explosion gewesen
sein. Nach Ansicht von Du Bois hat, abgesehen von dem un-
bedeutenden Lavaausbruche, ein Aufwerfen von warmem Wasser und
von Schlammanhäufungen im See stattgefimden.
Ober den Sitz der vulkanischen Kraft verbreitet sich
G. de Lorenzo.^) Er verlegt diesen in oberflächliche Schichten der
Erdrinde und versucht, die Tiefe dieses Grundes zu berechnen.
Er unterscheidet dabei 3 Haupttypen von Vulkanen: Explosions-
krater (Maare), Tuffvulkane (Puy-Typus) und Lavavulkane (Massen-
ergüsse). Die Mehrzahl der Vulkane stellt jedoch nicht einen dieser
Typen rein dar, sondern ist, wie etwa der Vesuv, aus Tuffen
(Schlacken) und Lava aufgebaut, entsprechend einer Mischung des
2. und 3. Typus. Die Berechnung der Tiefenlage des Herdes ge-
staltet sich nun für die verschiedenen Typen verschieden, führt aber
zu wesentlich übereinstimmenden Ergebnissen.
Am einfachsten und direktesten ist das Verfahren bei den reinen
Explosionskratem, die lediglich von einem Kranze der aus dem
Eruptionskanale ausgeschleuderten Gesteinsfragmente umgeben sind.
Das Volum dieses ausgeworfenen Materiales muss den Dimensionen
des Schlotes entsprechen, und da dessen Durchmesser bekannt ist,
kann darnach seine Tiefe berechnet werden. In Wirklichkeit be-
stehen die Auswurfsmassen allerdings wohl niemals ausschliesslich
aus dem früher den Eruptionskanal erfüllenden Materiale, sondern es
sind diesem in grösserer oder geringerer Menge Teile des Magmas
beigemengt. Es wird demnach die in der angedeuteten Weise be-
rechnete Tiefe stets grösser sein als die wirkliche: der berechnete
Wert stellt ein Maximum dar. Der Umstand, dass bei dieser Methode
das in den Schlund zurückgefallene Material nicht in Anrechnung
kommt, soll nach dem Verfasser ni^ den durch die Einberechnung
des ausgeworfenen Magmas sich ergebenden Überschuss kompensieren;
das kann natürlich in einzelnen Fällen zutreffen, in andern wird
bald der eine, bald der andere Fehler überwiegen, so dass die Tiefe
bald zu gross, bald zu gering gefunden wird.
*) Atti delle Sc. tia. et mat di Napoli (2) IL auszügUch mit Kritik in
Petermanns Mitteilungen 1902. Litteraturbericht No. 572, von A. Dannen-
berg, wonach oben der Text.
230 Insdn.
Inseln.
Die Insel Veglia. Auf Grund seiner (geologischen) Unter-
suchungen veröffentlicht Dr. L. Waagen mehrere Mitteilungen über
diese Insel.^) Durch die ganze Insel zieht sich von Nordwest nach
Südost ein Eocängebiet, welches dieselbe in zwei ungleiche Teile
nicht nur dem Räume, sondern auch der topographischen Beschaffenheit
nach teilt Im Osten breitet sich eine typische Karstlandschaft aus;
soweit man blickt, nichts als der kahle Fels, kein Baum, kein
Strauch, nur in den grossem Dolinen versteckt, gleichsam ver-
schämt, etwas Feldkultur. Dagegen im Westen in der Niederung
Weingärten und Maisfelder, dazwischen Feigen- und Olivenbäume und
auch auf dem Kreiderücken ein spärlicher Buchenwald, untermischt
mit magern Wiesen. Der eben genannte Eocänzug birgt an seinen
beiden Enden zwei der besten Hafenplätze der Insel, jenen von
Gastelmuschio und den südlichen von Besca nuova.
Das Thalgebiet von Gastelmuschio wird nach den orographischen
Verhältnissen wieder in 4 Teile geteilt; den ersten Abschnitt bildet
das VaUone di Gastelmuschio, bis zu der Anhöhe, auf welcher
der Ort liegt, und dem Hügel Forticin, südlich schliesst sich daran
das »Thal von Nogherac, welches bei Regenzeit gegen West in das
Querthal Valle Noghera von einem Bächlein entwässert wird. Die
3. und 4. Einsenkung sind eigentlich t3rpi8che Poljen; die west-
liche, der Jezero, eine Seepolje, und die östlich davon gelegene
wenigstens zum Teil eine periodisch inundierte Polje.
Das VaUone di Gastelmuschio ist ganz vom Meere erfüllt, es
ist ein Längsthal und wird im Südwesten von der zungenförmigen
Halbinsel Ert begrenzt, die sehr steil und ziemlich geradlinig unter
das Wasser taucht. Die nordöstliche Begrenzung steigt zu viel
grossem Höhen an, doch verläuft hier die Uferlinie nicht so gerad-
linig, sondem bildet, buchtartig zurücktretend, den Porto Lucica,
wahrscheinlich durch Auswaschung der weichen eocänen Mergel-
gesteine. Das Vallone lässt an seinem Abschlüsse eine kleine Auf-
wölbung hervortreten, den Hügel Forticin, dessen Höhe einst von
einem römischen Tempel gekrönt worden sein soll, und der die Ab-
grenzung gegen das Thal von Noghera bildet. Dieses wird infolge
der allgemeinen Abdachung der Insel nicht nach Nordwest, sondem
nach West in der Regenzeit von einem Bächlein entwässert, das,
die eocäne Einsenkung durchquerend, auch die angrenzende Kreide
durchbricht und in der Ebene Dobrovica alles Anstehende mit Allu-
vien bedeckt. Die beiden südlich anschliessenden Einsenkungen sind
echte Poljen. Die Seepolje > Jezero c ist eine Isoklinalpolje an der
Grenze zwischen Eocän und Kreide. Die Wassermenge stammt aus
dem Zusammenflusse einiger Quellen und weniger Regenbäche. Ein
1) Verhdlg. der k. k. geoL Reichsanstalt. Wien 1902. p. 68.
Inseln. 231
oberirdischer Abfiuas ist nicht vorhanden, und nach Lorenz^) werde
die Schwankung des Spiegels nur durch Verdampfung herbeigeführt
Die Bevölkerung allerdings glaubt an einen unterirdischen Abfluss.
den sie bald mit den Quellen von Malinska, bald mit jenen von
Dobrigno in Verbindung bringt. Die östliche Polje wird durch einen
Rücken fast vollständig geteilt Sie gehört zu den typischen Mulden-
oder Grabenpoljen. Der Boden, der sich bald nach dieser, bald nach
jener Richtung etwas senkt, ist von Rasen überzogen, wahrend die
Randpartien von Maisfeldem eingenommen werden. In dem Teile
südlich von dem erwähnten Höhenrücken sammelt sich in der Regen-
zeit das Wasser zu einem kleinen See, der erst im Sommer wieder
verschwindet.
Im Osten, wo der Anprall der Bora am stärksten ist, zieht
sich fortgesetzt eine vollkommen kahle Steinwüste der Küste ent-
lang, und nur zwischen Porto Sulinj und der Gegend von Verbenico
findet sich vereinzelt kümmerlicher Eichenwald und spärlicher Feld-
bau auch etwas näher dem östlichen Eüstensaume.
Eine Viertelstunde nördlich von Rudin befindet sich eine Höhle,
die beim Volke die Bezeichnung »Slivainska jamac führt. Ein
Schacht von etwa 3 m Tiefe, der dem Fusse nur wenige Tritte
bietet, bildet den Zugang. Durch ein niedriges Felsthor beginnt
man sodann die unterirdische Wanderung, und mittels eines engen
Schlufes, der auf allen Vieren passiert werden muss, gelangt man
in einen herrlichen Saal. Von der Decke hängt ein reicher Spitzen-
voiiiang von Tropf steingebilden, und Säulen von 1 m Mächtigkeit
und mehr tragen das Gewölbe dieses ansehnlichen Raumes, der 10 m
im Durchmesser besitzen mag. Bedeutender jedoch ist noch die
Höhe dieser Grotte. Sehr steil senkt sich der Boden gegen die
Mitte hinab, welche von einem Bachbette eingenommen wird, und
nur mit grösster Vorsicht ist die Fortbewegung möglich, da ein
zäher roter Lehm den Tritt noch unsicherer macht Zweimal muss
im Sprunge der Wasserriss passiert werden, dann erreicht man eine
Galerie, die nach NW gerichtet längs der Schlucht sich hinzieht.
Entlang der Felswand bewegt man sich dort iort, während auf der
Seite des Abgrundes zarte Pfeiler, oft mehrere Meter hoch, den Pfad
begrenzen, welche das Licht der Laternen durchscheinen lassen
und den Zauber der unterirdischen Architektur noch erhöhen. Es
folgen dann in nordwestlicher Richtung noch Grotten und Galerien,
so dass der zugängliche Teil des unterirdischen Höhlenzuges eine
Länge von etwa 800 m besitzen mag. Am Ende trifft man in der
gleichen Richtung auf eine etwa ^/^ m im Durchmesser haltende Öffnung,
und die hineingehaltene Laterne lässt eine fernere Grotte ahnen. Schliess-
lich sei noch bemerkt, dass die Richtung des Höhlenzuges an der Ober-
fläche durch eine Anzahl kleiner Dolinen markiert erscheint
M Dr. J. R. Lorenz: Die Quellen des hbum. Karstes und der vor-
liegenden Inseln. Mitteil, der k. k. geogr. Ges. Wien 1859. & p 107.
232 Inseln.
Die Wasserverhältnisse Veglias sind, wie in einer Karstgegend
begreiflieb, örtlicb sehr verschieden und vielfach ungünstig. Regen-
wasser wird häufig in Gistemen aufgefangen. In Dobrigno ist keiu
Wasser zu finden, doch sprudelt 1 km südlich davon in 200 m Höhe
eine starke Quelle, die durch Wasserleitung ilemnächst nach dem
Orte geführt werden soll. Verbenico hat am Hafen zwei gute Quellen,
die vom Meere gar nicht beeinflusst werden, doch liegt der Ort
50 m höher. Die Inner- und Plateaugebiete von Veglia sind stets
wasserlos, ja selbst Gistemen sind nur äusserst selten anzutreffen.
So ist denn auch der ganze Westen der Insel vollkommen quellenlos.
Erst bei Veglia ist am Hafen ein Süsswasserbrunnen, der jedoch
zur Zeit der Flut brackisches Wasser giebt und daher ungesund ist.
Eine zweite , sehr starke Quelle ergiesst sich unter der Südwestecke
des bischöflichen Palais ins Meer, und diese könnte eventuell zu
einer Wasserversorgung der Stadt herangezogen werden. Weitere
kleine Quellen finden sich am Ostufer der Bucht von Ponte, wie
auch bei Ponte selbst, jedoch sind diese alle von mehr unterge-
ordneter Bedeutung. Überaus wasserreich ist das Thal der Piumera.
Hier entströmen links und rechts die Wässer den Thalgehängen und
eilen in kleinen Kaskaden dem Bache zu, der bald kräftig genug ist,
um Mühlen zu treiben ; ein eigentümlicher Anblick in dieser wasser-
armen Gegend. Das Plateau im Osten weist wieder gar keine Quellen
auf, und erst nahe dem Kanäle della Morlacca, bei Vinca, an der
Grenze von oberer und mittlerer Kreide, findet sich wieder eine Quelle.
Die Insel Syra (Syros). Auf Grund der neuesten Ermittelungen
bringen die Annalen der Hydrographie^) Mitteilungen über die geo-
graphischen und nautischen Verhältnisse dieser Insel. Sie ist die
wichtigste Insel der Kykladengruppe im Ägäischen Meere. Infolge
ihrer zentralen Lage wird sie von Schiffen aller Flaggen sehr häufig
angelaufen. Die grösste Länge der Insel zwischen den Hukeu
Strimessos im Norden und Vinglostasi im Südwesten beträgt 9^/^ See-
meilen, die grösste Breite im südlichen Teile 5Ys Seemeilen, im
nördlichen Teile 2^^ Seemeilen. Die Küsten der Insel sind stark
gezackt, wodurch viele kleinere und die beiden grössten Buchten
Hermupolis und Phönix (Palmenbucht, in der englischen Karte
Krasibucht genannt) gebildet werden, die jedoch gegen Wind und
Seegang ungeschützt sind. Die Küste ist meist steil und mit wenigen
Ausnahmen rein von Untiefen. Das Land ist hügelig. Die höchsten
Punkte sind der Nites-Berg an der Südküste und der 432 m hohe
Pyrgos-Berg nordwestlich von der Stadt Syra. Die Insel ist wohl
bebaut und bringt Gerste, Baumwolle, Südfrüchte, Weizen, Wein,
Reis und dergl. hervor. Grosse Mengen Gemüse werden frühzeitig
nach Athen und Konstantinopel verschifft. Nach der Zählung von
1896 betrug die Anzahl der Bewohner der Insel 27 774.
^) Ann. d. Hydrogr. 1902. 1. p. 1.
Inseln. 233
Der Hauptort Hermopolis hat etwa 22 000 Einwohner, grössten-
teils Kaufleute. Schöne Häuser aus weissem Marmor und Landungs-
anlagen mit zahlreichen Lagerhäusern geben Zeugnis von dem
herrschenden Wohlstande. Inmitten der Stadt, auf einem freien
Platze, liegen das Rathaus und mehrere andere öffentliche Bauten.
Die Strassen der Stadt sind eng und gewunden, jedoch gut ge-
pflastert, erleuchtet und reingehalten. Das Klima ist auffällig gesund,
Frost giebt es nicht, Schnee fällt äusserst selten und schmilzt dann
sofort wieder. Ausser im Winter regnet es nur selten; man fängt
daher, da die Quellen nicht genug Wasser liefern, das Trinkwasser
in Cistemen. Die alte griechische Stadt Syra stand an der Stelle
des heutigen Hermopolis. Im Mittelalter zogen sich die Bewohner
der Stadt weiter ins Innere der Insel zurück, um den Angriffen der
Seeräuber zu entgehen, und gründeten auf einem auffälligen kegel-
förmigen Hügel eine neue Stadt, die heute Ober-Syra genannt wird.
Während der Revolution fanden hier viele Flüchtlinge ein Asyl und
gründeten die Stadt Hermopolis. In neuerer Zeit hat sich die Stadt
auch noch über einen zweiten Hügel ausgedehnt.
Die Insel PortOPico. Über dieselbe verbreitet sich Korv.-
Kapitän Jachmann. ^) Die Insel gehört zu den tropischen west-
indischen Insehi. Sie liegt zwischen 17^ 50' und 18® 30' nörd-
licher Breite und 65® 30' und 67® 15' w. L. v. G.; sie wurde am
16. November 1493 von Golumbus auf seiner zweiten Reise nach der
westlichen Hemisphäre entdeckt und von ihm San Juan Baptista
genannt, die Eingeborenen nannten sie Borinquen. Die Insel hat
eine rechteckige Gestalt und einen Flächeninhalt von 3600 Quadrat-
meilen. Eine unregelmässige Kette von niedrigen Bergen und Hügeln
durchzieht sie von Ost nach West etwas südlich in ihrer Mitte,
dehnt sich nordöstlich über den östlichen Teil aus und endet nahe
der nordöstlichen Ecke in der Spitze von El Yunque (Avoil), welche
die Insel in einer Höhe von 1100 m überragt. Im allgemeinen sind
diese Berge 600 — 900 m hoch. Diese Bergkette bildet die Wasser-
scheide von Portorico und ist in den verschiedenen Teilen der
Insel unter verschiedenen Namen bekannt: Gordillera central, Sierra
de Cayey und im Nordosten der Insel Sierra de Luquilla. Nördlich
and südlich von dieser Gebirgskette fällt das Land wellenförmig ab,
von tiefen Schluchten und Gebirgsbächen durchbrochen, von denen
einige nach den schweren tropischen Regengüssen zu unpassierbaren
Strömen anschwellen. Die grössten Flüsse sind der Rios Loiza,
Bayamon, Morovis, Arecibo und Blanco, von denen einige mit
kleinen Booten auf eine kurze Strecke von der Mündung schiffbar
sind. Das Innere der Insel wird im allgemeinen von steilen Hügeln
ausgefüllt, welche sich nach der Küste hin abflachen. Die Küste
selbst ist niedrig und hat wenige gute Häfen, der beste ist der von
') Deutsche geogr. Blätter 1902. Heft 1. Nach Montbly Weather Review
1901. August
234 Inseln.
San Juan. Ostlich von Portorico liegen die kleinen Inseln Vieques
und Gulebra, westlich in der Monastrasse die Insel Mona mit einigen
andern kleinen Inseln, welche alle derselben Regierung unterstehen.
Das Klima ist nicht so drückend, wie man es in den Tropen
erwarten sollte. Eine kühle, sehr angenehme und höchst gesunde
Brise weht gewöhnlich über die Insel, besonders am Nachmittage und
in der Nacht, welche sehr viel zu dem Wohlbehagen der Einwohner
beiträgt. Wolkiger Himmel mit gelegentlichem Nebel in den Bergen
ist vorherrschend. San Juan hat eine durchschnittliche Jahres-
temperatur von 25.8^ C. Die wärmsten Monate sind der Juni bis
Oktober; während dieser Zeit schwankt die normale Temperatur
zwischen 26.9 und 27.4^ C. mit der höchsten Temperatur im August;
in den Bergen ist ein etwas kühleres Wetter vorherrschend. Die
kühlsten Monate sind der Dezember, Januar und Februar, während
derselben beträgt die normale Temperatur zwischen 24 und 24.7^,
die niedrigste ist im Februar. Wenn die tagliche Temperatur zwischen
12.7 und 18.3^0. beträgt, wird das Wetter als kalt bezeichnet,
und solche Temperaturen sind den Eingeborenen sehr unangenehm.
In den Gebirgsgegenden der Insel sind Temperaturen von 10^ C. und
etwas darunter beobachtet worden, auch wird berichtet, dass auf
einigen der höchsten Punkte leichter Frost bemerkt worden ist, die
meteorologischen Aufzeichnungen jedoch geben keine Angaben darüber.
Die höchste Temperatur in San Juan während der letzten 2 Jahre
seit der Besitzergreifung der Insel durch die Vereinigten Staaten
war 34^0. am 2. Mai 1901 und 33.9^0. am 25. April 1900; die
niedrigste war 18.3^ G. am 26. Dezember 1899. Die Temperaturen
in San Juan, der einzigen Station mit fortlaufenden, selbstregistrierenden
Temperaturmessungen, liegen im allgemeinen zwischen 18.3^ und
31.7^ G. während des Januar, Februar, März, November und Dezember
und von 18.9 — 33.9® G. während der übrigen Monate des Jahres.
Januar, Februar und März sind die trockensten Monate, und
während dieser Zeit ist die monatliche Niederschlagsmenge geringer
als 76 mm. Der grösste monatliche Niederschlag tritt im Oktober
und November ein, aber die sogenannte nasse Jahreszeit beginnt
gewöhnlich im April und dauert bis zum Dezember. In einigen
Jahren sind Dürren vorgekommen, welche der Vegetation sehr
schädlich waren. Die mittlere jährliche Niederschlagsmenge in San
Juan beträgt 1384 mm, während sie auf »Hacienda Perla«, einer
Station im nordöstlichen Teile der Insel auf dem El Yunque, die
Höhe von 2402 mm erreicht. Die grösste jährliche Niederschlags-
höhe in San Juan während einer Beobachtungsperiode von 25 Jahren
war 2100 mm im Jahre 1878 und die niedrigste 930 mm im Jahre 1893.
Die grösste monaÜiche Niederschlagshöhe hatte der Dezember 1893
mit 449 mm und die niedrigste (6,1 mnC) der Februar 1896.
Die Waldgebiete der Insel sind klein und fast gänzlich auf
die höchsten Berge beschränkt mit wenigen zerstreuten Oberresten
Inseln. 235
ans den Urwäldern. Bauholz ist sehr spärlich vorhanden, das zum
Häuserbaue notwendige wird grösstenteils eingeführt. Mehr als der
fünfte Teil der Insel ist bebaut, und die Ernten sind sehr einträglich,
wenn man in Betracht zieht, wie die Felder bestellt werden. Die
Berge werden bis zum Gipfel bebaut. Auf der Insel wä.chst viel
Kaffee, und die Pflanzer suchen die Kaffeebäume durch Schutz-
schirme vor schädlichen klimatischen Einwirkungen zu bewahren.
Der ausgewählte und berühmte Kaffee wird in Landstrichen gebaut,
welche zwischen 200 und 800 m über dem Meeresspiegel liegen.
Der Kaffeebau nimmt ungefähr 41 Prozent des gesamten bebauten
Flächenareals in Anspruch, Zuckerrohr 15, Bananen 14 Prozent, und
der Rest wird von fast allen tropischen Früchten und Pflanzen, darunter
Tamarinde und Baumwolle, ausgefüllt, unter denen sich auch einige
subtropische wie die Melone, Kastanie, Feige, Weintraube, Tomate und
Orange befinden, aber auch mehrere unserer heimischen Früchte, wie
Bohnen, Kohl, Rüben, Sellerie, Radieschen, Karotten, Wasserkresse,
Pflaume, Johannisbeeren, Kirschen und Erdbeeren. Die Baumwollen-
pflanze wächst zu einem Baume von beträchtlicher Grösse, von der
Faser wird jedoch nur wenig Gebrauch gemacht. Auch Kakao, Indigo
und viele Pflanzen, die zum ärztlichen Gebrauche dienen, gedeihen
auf Portorico, letztere finden jedoch keine ausgedehnte Verwendung.
Eine Erforschung: der Malediven-Inseln hat Prof. A.Agassiz
ausgeführt. Einige vorläufige Ergebnisse derselben sind bis jetzt
bekannt gew^orden.^) Die Hauptatolle sind durch verhältnismässig
seichtes Wasser in dem Zentralteile der Gruppe voneinander getrennt,
während nach Süden zwischen Hadumati, Suadiva und Addu die
Tiefen viel grösser sind, nahezu 1000 Faden. Ein Lot wurde
westlich vom An- Atoll bis zu 1500 Faden herabgelassen, und eine
südlich von South Male bis 1200 Faden; hieraus folgt, dass das
Plateau der Malediven an der Westseite viel steiler ist als an der
Ostseite. Sondierungen wurden auch zwischen den nördlichen Male-
diven und Golombo vorgenommen und zeigen, dass die Malediven von
dem Indischen Kontinente durch eine tiefe Rinne des Ozeans von
mehr als 1500 Faden Tiefe getrennt sind. Die Atolle der Malediven
sollen nach Agassiz die einfachsten und primitivsten Bedingungen
für die Bildung der Atolle zeigen, die man überhaupt finde, ausser
in einigen Teilen des Yucatan-Plateaus in Westindien. Atolle können
in allen Wachstumsstadien angetroffen werden, von einer blossen Bank,
die sich wenige Fuss über das Plateau erhebt, bis zu Bänken, die bis
5 und 6 Faden unter die Oberfläche reichen, oder Bänken, die soeben
die Oberfläche erreicht haben, und auf denen Sandbänke und Inselchen
sich zu bilden anfangen. Prof. Agassiz schreibt den Erfolg seiner
Expedition dem Umstände zu, dass die vor mehr als 70 Jahren ver-
öffentlichten Karten heute noch so genau sind, als sie damals waren.
') Nature 1902. <&. p. 896.
236 Inseln.
Die Insel Sumatra. Auf Gnmd eigener Reisen verbreitete sich
Dr. B. Hagen in der geographischen Gesellschaft zu Hamburg über
Sumatra, besonders die nördlichen Batak-Länder.^) Sie ist mit
14000 qkm Areal die viertgrösste Insel der Erde. Geologisch besteht
sie aus zwei gänzlich verschiedenen Längshälften, die sowohl in ihrem
Aufbaue wie in ihrer Pflanzen- und Tierwelt voneinander abweichen.
Während die Osthälfte eine grosse, weit ausgedehnte, flache und
sumpfige Alluvialebene darstellt, welche sich nur wenig über das
Niveau des Meeresspiegels erhebt und mit dem dichten, üppigen
Universalkleide der tropischen Monsunflora bedeckt ist, zwischen der
eine Tierwelt haust, welche an Reichhaltigkeit der Arten kaum von
irgend einem Teile der Erde übertroffen wird (die Insel Sumatra be-
sitzt die meisten und grössten wilden Tiere), tritt uns in der West-
hälfte der Insel ein hohes, wildromantisches Bergland mit Hoch-
gebirgszügen und Gipfeln bis zu 3800 m entgegen, die grosse, weit-
ausgedehnte Hochebenen und Hochthäler umfassen, mit einer ganz
andern Vegetation und einer gegenüber der Tiefebene bedeutend
veränderten Tierwelt Die Ursache dieser Verschiedenheit ist, dass
die Westküste Sumatras fast schutzlos dem Wogenpralle des Indischen
Ozeans ausgesetzt ist, welcher sich bis dicht an den Fuss des Zentral-
gebirges herangenagt hat Die Osthälfte dagegen ist der stillen,
ruhigen, seichten Strasse von Malakka zugekehrt, und so war es
möglich, dass sich hier die grossen, ausgedehnten Alluvialebenen
bilden konnten, welche in den letzten 30 Jahren einen Weltruf als
Produktionsland des berühmten Sumatra-Tabaks erlangt haben. Hier
auf der Ostseite konnten sich denn auch die grossen Stromsysteme
entwickeln, welche der Westküste vollständig abgehen, und welche
wieder das ihrige dazu beitragen, diese Anschwemmungsebenen zu
vergrössem und zu verbreitern. Wie schnell dies vor sich geht, mag
1 man daraus entnehmen, dass die Stadt Palembang, welche nach-
1 weislich vor etwa 400 Jahren dicht am Ufer des Meeres gegründet
I wurde, heute 80 km landeinwärts liegt. Man sollte meinen, dass
I bei solchen Verhältnissen die Strasse von Malakka immer mehr sich
I verschmälem und verseichten würde, so dass in absehbarer Zeit Sumatra
I und die Halbinsel Malakka ein zusammenhängendes Ganzes bilden;
I aber es existieren wieder andere Faktoren (z. B. gewisse Strömungen),
welche einen derartigen gänzlichen Zusammenschluss verhindern.
Wenn man die Karte betrachtet, erscheint nichts natürlicher,
als dass Sumatra und Malakka früher einmal wirklich ein solches
zusammenhängendes Ganzes gebildet haben; und doch ist dieser Schluss
falsch. Natürlich stehen beide auf ein und demselben Granit- und
Schiefersockel und haben in den allerfrühesten Perioden unserer
Erdgeschichte auch wirklich einen zusammenhängenden Bestandteil
des alten südhemisphärischen Godwana-Landes bis in die mesolithische
^) Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlm 1902. p. 460.
Inseln. 237
Zeit hinein gebildet; aber seit dem Beginne der Tertiärperiode ist die
geologische Geschichte eine ganze andere als diejenige von Malakka.
Während die Entwickelung von Malakka bis heute ziemlich
ruhig und ungestört verlief, wurde Sumatra der Schauplatz gross-
artiger vulkanischer Veränderungen. Es brach im Eocän die ungeheuere
Erdspalte auf, welche von Sumatra an den ganzen Malayischen
Archipel umschlang und sich einesteils über die Philippinen bis hin-
auf nach Japan und andernteils über Neu-Guinea bis tief in die
Südsee hinein fortsetzte. Diese Spalte durchzog die Westhälfte
Sumatras in ihrer ganzen Länge, und aus ihr quollen grosse Massen
trachytischer Gesteine empor, welche das Urgestein, Granit und
ältere Schiefer teils überdeckten, teils hoch emporpressten, hohe
Eruptionskegel darauf aufschütteten und so das Rückgrat Sumatras
bildeten, das Bansangebirge. Nun folgte eine Zeit der Ruhe, bis
zu Anfang unserer jetzigen Erdperiode (der quartären) neben dieser
ersten altem Spalte eine zweite jüngere Parallelspalte aufbrach, die
von zahlreichen Querspalten unterbrochen und durchkreuzt wurde.
Auch auf dieser zweiten Spalte schütteten sich zahlreiche, heute
noch thätige Vulkane auf, und ihre Eruptionsprodukte, vulkanische
Asche und Sand, füllten allmählich die zwischen den beiden Gebirgs-
systemen befindliche Vertiefung aus, so dass dieselbe heute ein grosses,
fast über die ganze Länge Sumatras ausgedehntes, von zahlreichen
Quergängen durchbrochenes und abgeteiltes, flaches Hochthal darstellt
Da wo die Querspalten sich mit den Hauptspalten kreuzten, fanden
Einbrüche und Einsenkungen in grösserem Masse statt; dieselben füllten
sich mit Wasser, und auf diese Weise entstand auf dieser Hochfläche
eine Kette von Seen, zum Teil von bedeutendem Umfange, wie der
Danausee, die Seen von Singhara, Manindjo, der Tobasee u. a.
Der Tobasee ist der grösste, aber auch noch am wenigsten
bekannte dieser Seen, wenn man von einem nur durch Hörensagen
bekannten gleichnamigen See, welcher weiter im Gajugebiete an der
Südgrenze von Atjeh liegen soll, absieht.
In etwa 600 m Höhe trifft man die Vegetationsgrenze, wo die
Flora der tropischen Tiefebene sich mit der Flora des Hochgebirges
berührt
Die Hochebene von Toba, welche bei 1200 — 1400 m erreicht
wird, bietet einen eigentümlichen Anblick. Es ist eine anscheinend
völlig flach, weit ausgedehnte Ebene, nur mit kurzem, hartem Grase
bestanden, über welche der Blick frei und ungehindert hinschweift,
eine endlose Balanggrassavane. Diese sterile Grassteppe sagt
deutlicher als Worte, dass wir es hier mit einem alten, durch viel-
leicht Jahrtausende langen Ackerbau ausgemergelten Kulturboden zu
thun haben; die Bewohner, die Bataks, sind ein altes Ackerbauer-
volk, das aber keine Ahnung von Düngung oder Bodenmelioration hat.
Der ganze, nur aus lockerer Asche und vulkanischen Sand auf-
geschüttete Boden ist durch tiefe, senkrecht abstürzende Erosions-
238 Inseln.
spalten die Kreuz und Quer durchzogen, und hier hat sich die ur-
sprüngliche Vegetation vor dem alles überwuchernden Balanggras
hinabgeflüchtet Mit freudiger Verwunderung findet man hier blühende
Veilchenbeete, Erdbeeren, Vergissmeinnicht, Geissblatt, Immortellen,
Alpenrosen und dergl, uns aus Europa wohlbekannte Pflanzen. Der
Gharakterbaum der Hochebene ist aber die düstere Areng- oder
Zuckerpalme, welche für den Batak geradezu Lebensbedingung ist;
sie liefert ihm Holz, Umzäunungsmaterial, Wein, Zucker, Zunder,
Dachbedeckung, Stricke u. s. w.
Auf den Savanen sieht man grosse Rinder-, Büffel- und Pferde-
herden weiden, deren Besitz das Batakvolk zu einem reichen und
glücklichen machen würde, wenn der ganze Gewinn hieraus nicht
wieder durch die drei Hauptlaster dieses Volkes in die Brüche ginge,
nämlich durch das Opium, die Spielwut und den Kriegsport
Die Crozetlnseln. Diese im südlichen Indischen Ozeane
liegenden Inseln wurden 1772 durch Marion und Crozet entdeckt
und die Possessioninsel von ersterem auch betreten; Cook ist 1773
südlich von ihnen vorübergefahren, J. G. Ross hat später trotz fünf-
tägiger Versuche eine Landung nicht bewerkstelligen können. Die
deutsche Südpolarexpedition hat dagegen am 25. Dezember 1900 die
Possessioninsel betreten können. In dem Berichte^) heisst es: >Am
25. Dezember gleich nach 5^ morgens kamen in etwa 20 Seemeilen
Abstand Possession -Island und East-Island in Sicht Bei der An-
segelung von Süd unterschieden wir auf Possession-Island zwei
Kuppen von stumpfer Kegelfonn, eine höhere im Westen und eine
niedrigere von rötlicher Farbe im Osten, und zwischen beiden über
einer weiten und flachen Scharte, die sie trennt, einen hohem, tafel-
förmigen Berg, der in Stufen nach Süden abfiel, und in dessen vielen
Rinnen sich Schneestreifen zur Tiefe zogen. Nach Osten wie nach
Westen senkten sich die Abhänge der Berge in massiger Neigung
und wurden im Westen im Meere von zwei Klippen fortgesetzt Bei
der wachsenden Annäherung löste sich der erste Anblick in einen
NO und einen zweiten WzuN rechtweisend streichenden Teil auf,
welcher an einem flach verlaufenden, im Meere wiederum durch eine
ganz nahe dem Lande gelegene Klippe fortgesetzten Kap aneinander
stiessen. WzuN von dieser lagen vor der Küste noch verschiedene
andere Klippen. Auch East-Island trat mittlerweile klarer aus dem
Nebel hervor, und man erkannte darin einen hohen, steilen, aber
nicht angegliederten Felsklotz, an dessen Westseite sich mindestens
zwei tief und steilwandig die Felsen durchschneidende Thäler er-
kennen Hessen. Im Westen und Südwesten der Insel waren vor der
Küste Klippen sichtbar. Jenseits des östlichen Endes dieser NO
streichenden Küstenstrecke, wo diese Küste bereits einen nördlichen
Verlauf angenommen hat, fand sich eine Bucht, auf welche wir zu-
^) Veröff . d. Instituts f. Meereskunde v. Richthofen 1902. Heft 2.
Inseln. 239
hielten. Dieselbe hat im Hintergrunde flache Ufer, an welchen ein
breites Thal endigt, das sich in massiger Neigung von der oben
erwähnten, niedrigem rötlichen Kuppe herabzieht. Die Ufer waren
von Pinguinen und Seeelefanten reich bevölkert; zahlreiche Kormo-
rane, die auf den Felsen dort nisten, umschwärmten das Schiff. Die
Landung im Boote gelang in einer Bucht, welche > Weihnachtsbucht <
genannt wurde. Die Insel baut sich dort nach dem Berichte des
Geologen der Expedition der an der Landung teilnahm, aus flach-
gelagerten Strömen von basaltischer Lava auf, welche mit Bänken
von grobem, vulkanischem Agglomerat wechsellagern. Feinere Tuffe
konnte man nirgends beobachten. Die Lava- und Agglomeratbänke
fallen mit 5—7^ nach dem Meere zu ein, ihr Neigungswinkel ent-
spricht also ungefäkhr dem Böschungswinkel der Hochfläche. Daraus
ergiebt sich mit Wahrscheinlichkeit, dass ein Lavastrom von geringer
Mächtigkeit oft über weite Flächen den Untergrund der Hochfläche
bildet. Die Aufeinanderfolge der einzelnen Ströme und Agglomerate
ist vorzüglich an der steilen Abrasionsmauer zu beobachten, welche
4ie Brandung überall geschaffen hat. Bei der Einfahrt in die »Weih-
nachtsbucht« zählte Dr. Philippi 8 Lavaströme, welche mauerartig
aus den leichter verwitternden Agglomeraten herausragen. Ein
rötlicher Kegel einige Kilometer in NO wurde als Krater erkannt.
Allerdings ist nur der östliche Teil des Kraterrandes zu erkennen,
welcher schliessen lässt, dass der Krater die bekannte Lehnstuhlform
besass. Das Innere des Kraters und die Aussenfläche des Kegels
sind jedoch so dick mit losen Auswürflingen überdeckt, dass weiteres
über seine einstige Gestalt nicht zu erkennen ist. Die Auswürflinge
bestehen meist aus Fetzen einer ziegelroten, grossblasigen, seltener
^us solchen einer dunklen, dichten Lava. Daneben sind echte Bomben
von ellipsoidaler Gestalt nicht selten. Am Fusse des rötlichen Vulkan-
kegels tritt ein eigentümliches, dichtes, graugeflecktes Gestein auf;
Verf. konnte aber nicht entscheiden, ob es sich um Brocken eines
dort anstehenden Gesteines oder um lose Auswurfsmaterialien handelt.
Spuren einer Gletscherwirkung konnte Verf. nirgends wahrnehmen,
ebensowenig Flussschotter. Die losen Gesteinsblöcke, welche das Pla-
teau und seine Abhänge bedecken, entstammen der unmittelbaren Nach-
barschaft und sind höchstens durch Verwitterung kantengerändert.
Die Gesteine der Possessioninsel sind durchweg noch sehr
frisch. Der leicht zersetzbare Olivin der Dolerite ist meist noch
intakt, die Hohlräume der blasigen Lava sind noch nicht mit Zeolithen,
Kalkspat oder Kieselsäure ausgefüllt. Dies lässt auf ein sehr
jugendliches Alter der Laven schliessen. Verf. vermutet, dass die
geschichteten Laven und Agglomerate nicht älter als diluvial, liöchstens
pliocän sind, dass die Ausbrüche des roten Vulkankegels aber dem
Alluvium zufallen, vielleicht sogar nur wenige Jahrhunderte zurück-
liegen. Dass die Laven subaerisch abgelagert wurden, schliesst er
4hU8 den fladenförmigen Oberflächenzeichnimgen der untersten Lava,
240 Inseln.
die z. B. von den Vesuvströmen so wohl bekannt sind; sie wären
für submarine Laven nicht zu erklaren.
In Übereinstimmung mit der Frische der Laven, die auf ihr
jugendliches Alter schliessen lässt, steht die gesamte Oberflächen-
gestaltung der Insel. Der flache Kegel des Hauptgipfels stellt wohl
zweifellos die ursprüngliche Oberfläche des Stratovulkanes dar. Die
Thäler sind, trotz des grossen Wasserreichtumes der Insel, meist noch
flach, die Thalbildung befindet sich überall noch im Anfangsstadium.
Sehr bezeichnend ist, dass Fjordbildungen, durch die Kerguelen so
ausgezeichnet ist, dem von der Expedition gesehenen Teile der Posses-
sioninsel gänzlich fehlen, und dass der Haupünsel keine kleinern Inseln,
sondern nur Riffe in unmittelbarer Nähe der Küste vorgelagert sind.
Die Insel Rota. H. Fritz macht Mitteilungen^) über diese
südlichste der deutschen Marianeninseln. Sie liegt unter 14^ 7' 30"
nördl. Br. und 145® 18' östl. L. v. Gr. und ist nach der Seekarte
etwa 12 500^ gross. Sie besteht im wesentlichen aus einem wohl
300 m hohen Berge, der nach W, S, 0 in scharf abgesetzten Terrassen,
nach N sich allmählich zum Meere senkt. Im SW ist eine kleinere
Insel Taipingot vorgelagert, die sich gleichfalls in steilen, konzen-
trischen Terrassen aufgebaut und durch eine Düne mit der Hauptr
insel verbunden ist. Taipingot bietet von weitem den Anblick eines
liegenden Rades und hat vielleicht dem Portugiesen Magalhaes den
Anlass zu der Bezeichnung >roda< gegeben. In der Sprache der
Eingeborenen (welche keiner kennt) heisst die Insel Luta, und es ist
nicht ausgeschlossen, dass die Spanier wie bei vielen Ortsbezeichnungen
dieses 1 in r verwandelten. Der Pater Sanvitores (1668) führt
Zärpana (Satpana) als ihren — heute vergessenen — Eingeborenen-
namen an, während spätere Reisende von einer Insel »Botahac reden.
Der einzige bewohnte Ort liegt auf der Düne zwischen der
Hauptinsel und Taipingot. In 0 und W ist dieselbe von Riffen
umsäumt, welche bis dicht an die Küste herantreten und Booten
eine enge, zuweilen schwierige Einfahrt gewähren, die indessen un-
schwer durch Sprengung erweitert werden kann. Auch grosse
Schiffe können bei allerdings wenig günstigem Ankergrunde nahe der
Küste vor Anker gehen. Die grosse Bucht im SSW, Sasanh&ia,
bietet Schutz gegen den herrschenden Nordostwind.
Der vulkanische Kern der Insel ist bis in den Gipfel mit ver-
witternden Korallen bedeckt, deren oft glasharte, schlackenähnliche
Beschaffenheit die Vermutung unterstützt, dass sie von den Lava-
strömen späterer Vulkanausbrüche ausgeglüht seien. Das Ver-
witterungsprodukt der Lava bedeckt als ein tiefgründiger roter Thon
die Terrassen; die handgrossen Korallensteine sind in ihm eingelagert
oder bedecken als GeröUe die Hänge, nachdem die Regengüsse den
Thon abgeschwemmt haben. Dieses oberflächliche Gerolle bietet in-
^) Mitteil, aus den deutschen Schutzgebieten 1901. No. 3.
Inseln. 241
dessen dem Eindringen der Wurzeln keinen Widerstand, die Vegetation
seheint sogar reicher und kräftiger zu sein als auf den übrigen
Inseln, die Bäume erreichen hier durchweg eine grössere Höhe. Auf
der Süd- und Ostküste, wo der Korallenmantel durchbrochen ist, und
das Urgestein zu Tage tritt, bilden sich Flüsse, welche das ganze
Jahr hindurch Wasser führen.
Auf dem übrigen Teile der Insel versickern die reichlichen Regen-
güsse durch den porösen Untergrund der Koralle. Auf der Süd-
westseite sind zwei geräumige Höhlen mit grossen Tropfsteinbildungen,
verborgenen Gängen und Hallen. Sie dienen den Eingeborenen vor
Not, früher vor der spanischen Verfolgung, heute bei grossen Stürmen,
als Zuflucht. Die eine derselben ist von einer kleinen Fledermaus
bewohnt, und die Reste ihrer Nahrung und Verdauung bedecken in
mehr als meterhoher Schicht den Boden.
Das Klima ist wie auf den übrigen Marianen heiss und feucht,
Regen fällt das ganze Jahr hindurch, in grösserer Menge etwa von
Juli bis November, aber auch während des übrigen Jahres genügend,
um eine tiefe Austrocknung des Bodens und ein Absterben selbst
der flachwurzelnden Vegetation zu verhindern (Tinian in seiner
nördlichen Hälfte bildet hierin eine Ausnahme).
Der Pflanzenwuchs ist im allgemeinen derselbe wie auf den
übrigen Inseln; doch sind, wie erwähnt, die Bäume höher, die Steppe
ist von geringerer Ausdehnung. Rota macht daher den Eindruck einer
jungfräulichem Erde als etwa Saipan.
Die Insel Nauru im Stillen Ozeane. Über dieselbe macht
Prager einige Mitteilungen.^) Diese Insel wurde von mehrem Ent-
deckern mit verschiedenen Namen belegt als Nawodo, Shank-Island
und Pleasant-Island, von denen sich die letzte Bezeichnung lange
Zeit behauptet hat. » Nauru c ist der Name, mit welchem die Ein-
geborenen ihr Heimatland bezeichnen, welcher der gültige bleiben
wird, nachdem die Insel deutscher Besitz geworden ist. Entdeckt
wurde Nauru zuerst im Jahre 1798 von Kapt Feam, der ihr auch
den Namen Pleasant-Island beilegte.
Nauru, auf 0^ 25' s. Br., 167^ 2' ö. L. gelegen, erscheint jedem
dort anlaufenden Seefahrer als ein mit voller Tropenpracht ge-
schmücktes Fleckchen Erde, was um so auffallender ist, als gleich
einsam, ebenfalls nahe dem Äquator gelegene Inseln, wie Baker-
Island 0« ir n. Br., 1580 40' w. L. und Jarvis-Island 0» 22' s. Br.
1590 58' w. L. wenig oder keine Vegetation aufweisen. Der Grund
dafür, dass auf Nauru sich eine so blühende Flora entfalten konnte,
liegt in der Beschaffenheit des Bodens, der vulkanischen Ursprunges
ist. Dazu tritt der für Nauru charakteristische Umstand, dass, so
klein diese Landfläche auch ist, daselbst ausreichender Regen fällt
Die beiden inmitten der Insel befindlichen 150 Fuss hohen Hügel
*) Ann. der Hydrographie 1902. p. 906.
Klein, J&hrbuch Xm. 16
242 Inseln.
sind ehemalige Krater, in deren Vertiefungen heute sich kleine Krater-
seen befinden. Die etwa 15 Seemeilen im Umfange grosse Insel
mngiebt ein 200 m breites Korallenriff, das steil zu grosser Tiefe
abfällt und einem Schiffe nirgendwo Ankergrund darbietet. Steile,
5 — 7 m hohe Korallenklippen geben Zeugnis davon, dass vulkanische
Kraft die früher viel kleinere Landfläche gehoben hat.
Die Bevölkerung der Insel Nauru hat sich aus vor langer Zeit
auf See vertriebenen Gilbert-Insulanern entwickelt; namentlich waren
es Bewohner der unter dem Äquator gelegenen Inseln dieser Qruppe,
die einstmals in leichten Kanus, durch die starke Äquatorialströmung
abgetrieben, dem Zufalle danken konnten, dass sie diese kleine Insel
erblickten und dort Rettung fanden.
Dementsprechend sind Sprache, Sitten und (Gebräuche der Be-
wohner Naurus die gleichen wie die der Gilbert-Insulaner, ebenso
ist die Kampf- und Rauflust der in 11 Stämme geteilten 1200 Ein-
geborenen eine vererbte Eigenschaft, wodurch, ehe die deutsche
Herrschaft auf Nauru zur Geltung kam, viel Unheil und grosser
Schaden am Bestände der Kokosnusskultur angerichtet wurde.
Aber nicht allein den Eingeborenen jener Gegend wird die
äquatoriale Meeresströmung verhängnisvoll, sondern fast alle Segel-
schiffe, die nach Nauru bestimmt sind und an der Westseite dieser
Insel mehrere Tage sich aufhalten müssen, treiben ab. Gelingt es
dann nicht, schnell auf 3 — 4^ n. Br. zu gelangen und mit dem
äquatorialen Gegenstrome gegen den oft leichten Nordostwind auf-
zukreuzen, dann können Wochen vergehen, ehe Nauru wieder er-
reicht wird.
Vorherrschend in der Nähe Naurus ist der Nordost- bis Ost-
nordostwind, dessen durchschnittliche Stärke selten 4 — 5 übersteigt.
Bemerkenswert aber ist, dass die kleine Insel auf die Luftströmung
gewissen Einfluss ausübt, denn in bestimmter Jahreszeit, Mai bis
August, sind in der Äquatorialgegend Windstillen oder sehr leichte
Winde vorherrschend; in der nähern Umgebung der Insel findet man
jedoch fast immer eine stärkere Luftströmung vor. Auch des Nachts
ist eine Windstärke bis 3 meistens zu erwarten, seltener sind
plötzlich eintretende Windstillen.
Die Samoalnseln. Über dieselben verbreitete sich Dr. G.
Wegener.^) Dieser Archipel liegt annähernd in der Mitte der Insel-
wolke, die den Europa am meisten abgewandten Teil der Erde
überdeckt
Die Inseln liegen in sehr flachem, leicht nach Norden konkavem
Bogen, der von OSO nach WNW zieht und rund 500 km lang ist.
Er besteht aus 5 Inseln oder Inselgruppen. Ihr Gtesamtflächeninhalt
steht in der Mitte zwischen demjenigen von Mecklenburg-Strelitz
und Luxemburg.
^) Zeitschr. der Ges. für Erdkunde zu Berlin 1902. p. 411.
Inseln. 248
Die Entstehung der Samoainseln ist aufs innigste mit dem
Problem der Entstehung der ganzen Inselwelt des Grossen Ozeans
verknüpft. Gewisse Grundzüge in letzterer lassen auf die Wirk-
samkeit grosser Gesetzmässigkeiten schliessen. Die Inselschwärme
lassen sich in drei grosse Linienzüge ordnen. Eine Richtung geht, die
Umrisse Australiens nachahmend, von Neu-Guinea über die Salo-
monen bis nach Neu-Seeland, eine zweite folgt der Ostküste dieses
Landes und zieht geradlinig über die Kermadek- zu den Tongainseln.
Die dritte besteht aus losen Zügen von vorwiegend OSO —
WNW-Richtung, die in breitem Bande über den Ozean dahinziehen.
Letzterer Gruppe gehören die Samoainseln an.
Für die besonders von der Darwinschen Eorallenrifftheorie
ausgehende Hypothese, dass wir in den Inseln Ozeaniens es mit den
Resten eines versunkenen Kontinentes zu thun haben, leistet die
Beobachtung der Meerestiefen gewissen Vorschub. Im grossen und
ganzen sinkt der Boden von Australien aus nach Osten und Norden.
Die grossen Inseln des Gebirgsbogens, der von Neu-Guinea bis nach
Samoa zieht, liegen im allgemeinen auf einer flachern Stufe, die
2000 — 3000 fff tief ist, und die Zusammensetzung ihrer mannigfaltigen
archäischen und sedimentären Gesteine macht es ziemlich wahr-
scheinlich, dass hier ehedem ein Kontinent gewesen ist. Jenseits
davon liegt der Bereich, wo so gut wie gar kein anstehender sedi-
mentärer Fels mehr bekannt ist, sondern fast nur noch jüngere Vulkane
und Korallenbauten die Inseln zusammensetzen. Aber auch hier
lässt sich noch eine zweite, etwas tiefere Stufe erkennen, deren
Rand von den Kermadek- und Tongainseln über die Karolinen zieht,
und die mit einigen Unterbrechungen oberhalb von 3000 m liegt
Erst jenseits von ihr beginnen die ganz grossen Meerestiefen von 4000,
6000, 6000 m. Ja hart neben dieser Grenzlinie kommen an einzelnen
Stellen die gewaltigsten Tiefen vor, die wir überhaupt kennen —
^^wischen Karolinen und Marianen von mehr als 8000 m, und dicht
neben den Tongainseln liegt sogar die tiefste bisher überhaupt be-
obachtete Stelle, wo bei ungefähr 9 km Tiefe noch kein Grund ge-
funden worden ist. Diese Erscheinung giebt dieser unterseeischen
Stufe eine besondere Ähnlichkeit mit Kontinentalrändem, wo wir
ähnliche Höhenunterschiede beobachten.
Auch zu der zweiten Stufe sind die Samoainseln anscheinend
nicht mehr zu rechnen, sondern zu dem ganz ozeanischen Reste,
dessen Inseln aus Tiefen von 4000 m und mehr aufsteigen. Auch
hier aber zeigt die Tiefenlotung, dass jede dieser Inselgruppen auf
einer gemeinsamen Erhebung aufsitzt, die oft, wie z. B. bei den
Paumotu, bis auf weniger als 1000 m dem Meeresspiegel sich nähert
So erscheint es fast, als ob der Meeresboden in dem Gebiete, dem
Samoa angehört, in grosse parallele Wellen gelegt ist, wie wir es
.ähnlich in dem uralten Faltungsgebiete des innem Asien finden.
Der gemeinsame Rücken der Samoainseln steigt aus Tiefen von
16^
244 Inseln.
4000, auf der Südseite 5000 m an und bildet einen unterseeischen
Plateaustreifen von 2000 — 8000 m Tiefe. Da die Inseln sich in Sawaii
bis zu etwa 1700 m Höhe über See erheben, so hätten wir, wenn
wir den Ozean von Wasser entblössen könnten, eine in westostlicher
Richtung ziehende Gebirgskette vor uns mit Höhen von 5000 — 7000 m^
d. h. gleich den gewaltigsten Gebirgen der Erde.
Von den Schichten der Erdrinde, die den Sockel dieses Gebirges
zusammensetzen, sehen wir nichts mehr; nur* noch die Gipfel voa
Vulkanen schauen über die Meeresfläche empor, die dem unterseeischen
Gebirgsrücken in ähnlicher Weise aufgesetzt erscheinen, wie die
Vulkane der Andes den Plateaus der Kordilleren.
Das Gestein besteht vorwiegend aus einem Basalt, dessen
Entstehung grösstenteils bis in die Tertiärzeit zurückzureichen
scheint, doch lässt sich erkennen, dass die vulkanische Thätigkeit
noch bis in die jüngste Zeit fortgedauert hat. Sie ist augenschein-
lich successive von Osten nach Westen erloschen. Je weiter wir in
dieser Richtung wandern, um so besser sind die Kraterformen noch
erhalten. In Manua und Tutuila erkennt man kaum noch solche,,
und das Gestein ist tiefgründig zersetzt. Auch die Ostseite von
Upolu ist noch ein meist bis zur Unkenntlichkeit zerstörtes Trümmer-
werk alter Krater. In der Mitte der Insel treten sie uns aber noch
wohlerhalten entgegen, und der westliche Eckpfeiler der Insel, ^der
Tofua, ist ein Vulkanberg von grösster Regelmässigkeit. Ebenso-
nimmt die Zersetzung der Basaltmassen des Bodens von Westen
nach Osten sichtlich ab. Sawaii vollends ist eine der typischsten
Vulkaninseln, die es giebt. Hier ist überdies der Boden noch fast
durchweg mit einem wenig zersetzten Blockgerölle überdeckt. Ja an
mehrem Stellen sind noch frische Lavaergüsse zu erkennen. Einen
solchen gewahrt man hier auf der Nordseite schon von weitem, vom
Schiffe aus, sehr deutlich. In das dichte grüne Waldkleid, das die
sanftgeneigten Gehänge der Insel überzieht, ist eine lichtere Fläche
eingebettet, die in Dreiecksform sich aufwärts nach dem Krater des
Mua zieht. Hier liegt die Spitze. Das Ganze ist ein noch sehr
wenig zersetzter Lavastrom, welcher den Wald zerstört hat, und
den eben erst eine niedrige Vegetation zu erobern beginnt Die Ein-
geborenen haben dafür den merkwürdigen Namen 0 le Mu, das
Glühende, so dass ihre Vorfahren den Fluss der Lava noch mit an-
gesehen zu haben scheinen. Ein zweiter, etwas älterer Erguss ähn-
licher Art und gleichen Namens existiert auf der Südseite.
Auch ein anderer Umstand ist Zeugnis dafür, dass der Vulkanis-^
mus von Osten nach W^esten erloschen ist, nämlich die Entwickelung
der Korallenbauten; diese können sich natürlich immer erst eine
geraume Zeit nach der Beruhigung des Gebietes bilden. Und nun
zeigt es sich, dass Sawaii erst nur Ansätze zur Korallenriffbildung
besitzt. Upolu hat ein weit reicher ausgebildetes Riff, das aber
streckenweise fehlt Die folgenden Insehi haben noch intensivere Korallen-
bildung, und Rosa ist vollends eine fast ganz reine Koralleninsel.
Inseln. 245
Erdbeben werden in Samoa noch sehr häufig beobachtet, die
Erschütterungen kommen meist aus Südwest, sind aber durchgängig
gering. Immerhin sind sie als Zeugen dafür interessant, dass die
unterirdischen Kräfte, welche die Inseln aufgetürmt haben, noch
immer nicht zur Ruhe gekommen sind.
Wenn hier wirklich das Versinken eines Kontinentes stattgefunden
hat, so lässt sich aus dem rein kolonialen Charakter der Lebewelt
schliessen, dass derselbe bereits völlig untergetaucht gewesen sein muss,
ehe die Vulkane der heutigen Inseln auf ihrer Unterlage entstanden; denn
sonst müssten sich auf den Inseln wohl Reste der originalen , von der
westlichen abweichenden Lebewelt dieses Erdteiles erhalten haben.
Eine neu entstandene und wieder versehwundene Insel.
In der Nähe von Pelican Point, etwa 6^/, Meilen westlich von der
Walfischbai-Niederlassung, entdeckte die Tochter des englischen Resi-
denten mit dem Femglase am 1. Juni 1900 einen Gregenstand im
Meere, der einem Schiffsrumpfe glich. Man begab sich mit einer
Dampf pinasse an Ort und Stelle und fand dort eine etwa 150 Fuss
lange, 30 Fuss breite Insel, die, sich 15 Fuss über den Meeres-
spiegel erhebend, so steilen Absturz zeigte, dass eine Landung un-
möglich war. Indessen schwamm ein Offizier bis an das Eiland
heran und brachte eine Probe des Materiales, aus dem dasselbe
bestand, mit zurück. Diese Probe erwies sich als Schlamm, auch
schienen an einigen Punkten Dämpfe von der Insel aufzusteigen,
und ein Geruch nach Schwefelwasserstoff machte sich bemerkbar.
Als man am 7. Juli die Insel näher untersuchen wollte, war sie
verschvninden. Nach Waldron und Schenck ist es wahrscheinlich,
dass sich in der Walfischbai nahe bei Pelican Point ein unter-
meerisches Schlammvulkangebiet befindet, dem hauptsächlich Schwefel-
wasserstoffgas entströmt. Mit eigentlichen Vulkanen, die glühende
Massen aussenden, haben solche Schlammvulkane nichts zu thun.
Der Wasserstoff verdankt vielmehr seinen Ursprung wahrscheinlich
organischen Stoffen, die auf dem Meeresboden unter einer Schlamm-
schicht begraben liegen. Jedenfalls aber ist die Thatsache, dass
auf diese Weise eine Insel gebildet worden ist, bis dahin noch nicht
beobachtet worden, falls nicht die vor mehr als 40 Jahren im
Kaspischen Meere aufgetauchte und später wieder verschwundene
Insel den gleichen Ursprung gehabt hat.
Das Meer.
Die Vertellungr des Salzg^ehaltes Im Oberflächenwasser
des Ozeans ist von Dr. G. Schott kartographisch dargestellt und
erläutert worden.^) Es wurden dabei alle zuverlässigen Beobachtungen
benutzt, und die Obersichtskarte muss als sehr wertvoll bezeichnet
^) Petermanns Mittl. 1902. p. 217.
246 Das Meer.
werden. Maxima des Salzgehaltes (mit über 36^/^) zeigen sich im
Grossen Ozeane zwischen 10 und 30^ s. Br. und 80 — 165^ w. L.
V. Gr., zwei kleinere Gebiete ausserdem östlich von Australien und
östlich von Neu-Guinea zwischen 160 und 170^ w. L. Nördlich
vom Äquator zwischen 20 und 30® n. B. und 155* w. L. bis 145*' ö. L.
V. Gr. liegt eine Fläche mit Salzgehalt bis zu 35.9®/^. Im Indischen
Ozeane findet sich ein Maximum von über 36^00 westlich von Australien
zwischen 75 und 110*^ ö. L., dann im Arabischen Meere vom Äquator
nordwärts die ganze Küste Arabiens umsäumend. Im Atlantischen
Ozeane findet sich das Maximum des Salzgehaltes über 37%^ ostwärt»
von der Küste Brasiliens zwischen 10 und 25® s. Br. bis 10® w. L.
V. Gr., nordwärts vom Äquator eine andere elliptische Fläche mit
37— 37.9®/^j^j zwischen 20 und 30® n. Br .und 20—55® w. L.; endlich
ist das Mittelländische Meer (mit Ausnahme der Nordwestecke des
Adriatischen Meeres) ein Gebiet maximalen Salzgehaltes. Der an sich
bestechende Gedanke, sagt Verf., dass bestimmten Stromgebieten
des Meeres unter allen Umständen ein ganz bestimmter »imma-
nentere Salzgehalt als solcher zuzuweisen sei, hat keine Geltung»
und lediglich die ausserhalb des Meeres liegenden meteorologischen
Einflüsse werden den Schlüssel sowohl für die schwachsalzigen
wie starksalzigen Gebiete abgeben. Wenn wir die Karten der Wind-
verhältnisse in den bekannten Atlanten zu Rate ziehen, so finden
wir, dass im äquatorialen Stillen Ozeane, zumal im nördlichen Hoch-
sommer, unter etwa 10® n. Br., eine bandförmige, breite Zone vor-
wiegender Windstillen gerade dort lagert, wo das Minimum des
Salzgehaltes mitunter 34.5, ja 34.0 ®/^q Salzgehalt beobachtet wird^
dass femer im äquatorialen Indischen Ozeane zu allen Jahres-
zeiten in breiter, nach W keilförmig abschneidender Zone vorwiegend
auf südlichen Breiten, und zwar auf der hinterindischen Ozeanseite^
Windstillen über gewaltigen Flächen äusserst häufig sind, wiederum
in Deckung mit der Lage des äquatorialen indischen Minimums des
Salzgehaltes ; wir finden schliesslich, dass im äquatorialen Atlantischen
Ozeane auf nördlicher Breite der Windstillengürtel die relativ geringste
Ausdehnung hat, und demgemäss auch die äquatoriale Salzgehalts-
verminderung nur nach der afrikanischen Seite unter 35®/^^ in vielen
Fällen herabgeht, dagegen im übrigen mit 35.5 und 35.0®/^ vergleichs-
weise am wenigsten bemerkbar wird, weil in einem nach W, nach
den Antillen hin, sich immer steigernden Masse zur Zeit des nördlichen
Winters an die Stelle von Windstillen ein kräftiger Nordostpassat
tritt, der die Konzentration vermehrt. Was dann die Flächen höchsten
Salzgehaltes anbelangt, so lassen sich auch da die absoluten Beträge
in ziemlich klarer Weise in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis von
der Windstärke bringen. Im Nord- und im Südatlantischen Ozeane
steigt der Maximalwert des Oberflächensalzgehaltes bis auf 37. 5®/^^ und
etwas darüber, und zwar findet sich die Maximalzone nicht etwa
im Rossbreitengürtel, d. h. in den Gegenden höchsten Luftdruckes
Das Meer. 247
und leichter Winde, sondern da, wo der Nordost-, bezw. Südost-
passat am frischesten ist; besonders aber möge man beachten, dass
in beiden Ozeanhälften jahraus jahrein der Passat in der fraglichen
Meeresgegend (unter dem nördlichen Wendekreise, bezw. 20 — 10® s. Br.)
als durchstehende Brise vorhanden ist: daher hier das absolute
Maximum des Salzgehaltes der Hochsee.
Dass die Maximalwerte der übrigen Ozeane nicht so hoch an-
steigen, wird auch erklärlich. Im südlichen Stillen Ozeane kann man
unter 20® s. Br. bis auf 36.5 ^/^^^ Salzgehalt und etwas darüber
rechnen, im südlichen Indischen Ozeane zwischen 30 und 25® s. Br.
auf nur 36.0 bis höchstens 36.5 %g, ganz begreiflicherweise; denn die
Südostpassate sind in diesen Gegenden entweder nur von massiger Starke,
oder es herrschen gar in einem Teile des Jahres daselbst Windstillen.
Man sieht, dass in der Hauptsache die wichtigsten Qrundzüge
der Salzgehaltsverteilung allein durch die von den Windstärken
regulierte Verdunstung erklärt werden können.
Der Einfluss der durch Festlandsströme dem Meer zugeführten
Süsswa.ssermengen lässt sich an vielen Stellen nachweisen, so z. B.
im Gelben Meere (unter 32®/^^^), in der Bai von Bengalen in be-
sonders hohem Grade; im Arabischen Meere ist die in der Nähe der
Indusmündungen bis auf unter 34®/^^ gehende Herabsetzung gegen-
über der in der westlichen Hälfte dieses Meeresteiles besonders
grossen Salinität von über 36®/^^ beachtenswert Genauer fest-
gelegt ist die horizontale Ausbreitung des Kongowassers, welche
in der Richtung der Benguelaströmung vorwiegend nach W und NW
hin erfolgt Aus der dem Auge sichtbaren Verfärbung des Ozean-
wassers ist auf eine Ausdehnung von etwa 550 Ļn in Westost-
richtung und von 180 km in Nordsüdrichtung zu schliessen, was
eine Fläche von rund 100 000 qkm oder einem Fünftel des Areales
von Deutschland bedeutet; das Aräometer als Messinstrument für den
Salzgehalt beobachtet aber noch bedeutend schärfer, und man kann,
wemi man alle Süsswasserzuflüsse vom Niger bis zum Kongo zu-
sammenf asst, aus den unter den normalen Wert herabgehenden Beträgen
der Konzentration einen Einfluss dieser Süsswassermengen für ein dem
Flächeninhalte Deutschlands gleichkommendes Areal feststellen.
Die Herabsetzung der Salinität durch schmelzendes Eis wird in
der Neufundlandgegend, an der ostgrönländischen Küste, auch im
nördlichen Beringmeere und im Ochotskischen Meere bemerkbar. Im
hohen Süden sind die seitens der »Valdivia« -Expedition zwischen
Bouvetinsel und Enderbyland gemessenen Konzentrationswerte von
unter 84, ja unter 33.5®/^,^ zum Teil durch Schmelzwasser zu er-
klären, wennschon in der Hauptsache die bei dem stark bedeckten
Himmel wohl geringe Verdunstung und die Häufigkeit des atmo^
sphärischen Niederschlages massgebend sind; jedenfalls sind die Salz-
gehalte recht niedrig, man bedenke, dass die Nordsee einen erheblich
grossem Salzgehalt aufweist
248 I^as Meer.
Dort, wo grosse Süsswasserzuflüsse mit grossen Eismassen
sich vereinigen, findet man eine für die offene See beispiellose Ver-
minderung des Salzgehaltes. Das grossartigste Beispiel hierfür sind
die Gewässer des nördlichen Eismeeres im N von den sibirischen
Strommündungen. Offenbar wird dort durch die ausgedehnte Be-
deckung mit Eisschollen der Seegang in den meisten Fällen sehr
vermindert; niemandem, der im Eismeere gefahren ist, wird die auf-
fällige Beruhigung der Wasseroberfläche zu einem glatten, wenn
auch vielleicht von Dünungen durchzogenen Spiegel entgangen sein.
Eine notwendige Folge dieser Wellenberuhigung ist, dass das Süss-
wasser zwar in äusserst dünner Schicht, aber auf sehr grosse Ent-
fernungen hin wie ein feines Häutchen über dem schweren See-
wasser sich ausbreitet, und zwar wird nur schwer und langsam
eine Vermischung beider Wasserarten stattfinden.
Dr. Schott führt dann auch Beispiele an, in denen das Ober-
flächenwasser bestimmten Salzgehaltes über die ihm normalerweise
gesteckten Grenzen hinaus durch Meeresströmungen fortgeführt wird.
»Das grossartigste und bekannteste Beispiel ist der im Gefolge der
Golf Stromtrift bis zum europäischen Nordmeere, ja bis nach Spitz-
bergen und weiterhin vorhandene hohe Salzgehalt, welcher auf 34.5,
35^/qq und darüber zu beziffern ist. Auch weit nach 0, nämlich
bis zur Westküste Nowaja-Semljas, gelangt manchmal Golfstrom-
wasser von 84 — 35®/^.
Sehr deutlich wird femer das Eindringen von ozeanischem Salz-
gehalte mit der an der Westküste Grönlands nordwärts setzenden
Triftbewegung; Salzgehaltswerte von über 33 ^/^^ noch auf der
Höhe von Umanak würden sonst unerklärbar sein. Im nördlichen
Stillen Ozeane Hegt infolge der Salzgehaltsverteilung die Vermutung
nahe, dass ein Eindringen von Kuro-siwo-Wasser in das Beringmeer
doch stattfindet, obschon man sonst dafür wenig Anzeichen hat;
man beachte auch die auffällige Ausbuchtung der Isohalinen im
Bereiche der kalifornischen Küstenströmung. Auf südlichen Breiten
ist der Einfluss der Brasilienströmung bis etwa zum 50. Breiten-
parallele offenbar. Merkwürdig gering erscheint dagegen im Karten-
bilde der entsprechende Einfluss des mächtigen und salzreichen
Agulhasstromes. Es hängt dies offenbar mit seiner durch die schweren
Westwinde und die Benguelaströmung bewirkten vollkommenen
Zersplitterung in einzelne Fäden zusammen, mit einem Vorgange also,
welcher das gewaltige Bilischwassergebiet hervorbringt. Dagegen ist
sehr auffällig und deutlich die im SO von Kerguelen bis nach
Terminationland hin sich erstreckende Ausbuchtung der 847oo-
Isohaline, welche nur durch eine von NW kommende, vergleichs-
weise salzreiche (und warme) Trift erklärt werden kann.c
Die Orundproben aus der Tiefsee, welche die deutsche
»Valdivla« -Expedition gfesammelt hat^ sind von John Murray
und E. Philippi in Edinburgh untersucht worden. Es sind 166 Proben
Das Meer. 249
von 155 Stationen. Sie verteilen sich^) wie folgt: Globigerinen-
schlämm 55 Stationen, blauer Schlick 20 Si, Diatomeenschlamm
17 St, Pteropodenschlamm 12 St, vulkanischer Schlick 9 Sl, roter
Thon 7 St, Grünsand 5 St, vulkanischer Sand 4 St, grüner Schlick
4 St, Korallenschlick 3 St., Radiolarienschlamm 2 St, grober Kalksand,
grober Quarzsand und Korallensand je 1 Station. Die Grundproben
aus dem Atlantischen und Indischen Ozeane bieten wenig Neues; hin-
gegen sind die Lotproben aus den antarktischen Gewässern zwischen
dem Kap und Kerguelen höchst interessant Neu erscheint hier der
ganz kaikfreie Diatomeenschlamm, der in grosser Ausdehnung die
Tiefe von 5000 m bedeckt; femer ein Radiolarienschlamm aus ver-
hältnismässig riesigen Radiolarien. Auffallend ist ein isoliertes Anf-
ügten eines kalkreichen Globigerinenschlammes zwischen gänzlich
kalkfreien Schlicken und Schlammen.
Neue Tiefseelotungren Im Atlantischen und Indischen
Ozeane behandelte Dr. G. Schott^ Zunächst weist er dabei auf die
grosse Wichtigkeit der Tausende von Messungen der Kabeldampfer für
unsere Kenntnis der Tiefe der Weltmeere hin. Neuerdings sind
es die Tiefseemessungen für das rund um die Erde zu ziehende
englische Kabel, welche wichtige neue Aufschlüsse brachten. Sie sind
unlängst vom Londoner Hydrographischen Amte veröffentlicht worden.^)
Das neue Kabel geht von St Vincent (Kap Verden) über Ascension
und St Helena nach dem Kaplande, von dort über Mauritius und
Rodriguez nach den Kokos- (Keeling-) Inseln, von hier nach Fremantle
an der Westküste Australiens; bis hierher ist das Kabel seit dem
1. März d. J. in Betrieb. Der Abgangsort in Australien ist Brisbane;
über Norfolk, die Fidjünseln und Fanninginsel soll Vancouver erreicht
werden. Im Stillen Ozeane hat die notwendigen Vermessungen der grosse
Kabelleger »Britannia« ausgeführt, im Indischen Ozeane der Kabelleger
»Sherard Osbom«, im Atlantischen Ozeane waren »John Pender c und
»Anglia« thätig; die Vorarbeiten fallen in die Jahre 1898 — 1901.
Dr. Schott stellt zunächst die Messungen im Atlantischen Ozeane
zusammen und bemerkt dazu: »Diese Messungen berühren zwei von
den deutschen Geographen seit vielen Jahren mit besonderer Auf-
merksamkeit betrachtete Meeresgegenden, einmal den halbwegs zwischen
Kapstadt und St Helena gelegenen sogenannten > Walfischrücken c,
auf welchem s. Zt. die deutsche Tiefseeexpedition (D. S. »Valdivia«)
im Oktober 1898 gearbeitet hat, und sodann die Gegend der »Ro-
manchetiefe« nahe dem Äquator, da, wo jüngst die deutsche Süd-
polarexpedition auf der » Gauss c ebenfalls gelotet hat. Es stellt
sich heraus, dass mit 936 m die flachste Stelle in diesem Teile des
»Walfischrückens« von der »Valdivia« wahrscheinlich angelotet
^) Gentralblatt für Mineralogie 1901. p. 525.
*) Ann. der Hydrographie 1902. p. 487.
*) List of oceanic depths received at the Admiralitv during the vear
1901. (H. D. No. 188.) London 1902.
250 ^^ Meer.
worden ist, da sowohl im SW wie im NO dieser Stelle die Tiefen
nach den englischen Lotungen zunehmen. Mit Recht wird man
daher denjenigen Teil, der geringere Tiefen als 1000 m aufweist,
»Valdiviabankc benennen dürfen, wie es in dem wissenschaftlichen
Werke über die Tiefseeexpedition vorgeschlagen worden ist« Eine
Skizze von Dr. Schott lässt erkennen, dass der Walfischrücken eine
NO bis SW-Richtung verfolgt, sowie dass der gesamten Anschwellung
innerhalb der 4000 m-Isobathen eine Breite von rund 140 Seemeilen
oder 250 km zukommt.
>Was die »Romanchetiefe« (7370 m) nahe bei dem atlantischen
Äquator anlangt, so ist ihre Existenz durch zwei Lotungen des
Südpolarschiffes »Gauss« bestätigt worden; anderseits führen aber
die neuen Tiefenmessungen von >J. Pender« und »Anglia« so nahe
an den tiefsten Stellen vorbei, mit Ergebnissen von nur rund 3800 m,
dass es lohnend schien, das Bodenrelief der gesamten kritischen
Gegend kartographisch unter Heranziehung aller verfügbaren Tiefen-
messungen abzubilden. Die Gegend ist von besonderem Interesse,
da sie das Grenzgebiet zwischen den tiefen nordatlantischen und
südatlantischen Becken bildet (Zentrale Schwelle); sie ist von zahl-
reichen wissenschaftlichen Expeditionen gekreuzt worden, vom
»Ghalienger« zweimal, von der »Gazelle«, dem »Buccaneer« u. a. m.
Es wird immer deutlicher, dass eine wahrscheinlich ganz lokale
Einsenkung, ein tiefer Kessel vorliegt, durch Absenkung an der
centralatlantischen Schwelle entstanden. Die Grundprobe aus 7230 m
(Station IV der »Gauss«) deutet auch auf starke Dislokationen und
vulkanische Ausbrüche daselbst hin. Bisher dürften allerdings solche
Kessel mitten im Ozeane weitab von jedem Lande kaum anderwärts
aufgefunden sein. Nur 28 Seemeilen oder 41.4 km entfernt von der
tiefsten Stelle sind 3824 m gelotet worden ; es ergiebt dies eine mitüere
Böschimg von 1:11 oder einen Neigungswinkel von reichlich 5®.
Die atlantische Bodenschwelle wird durch die »Romanchetiefe«
zwischen 18 und 19® w. L. so stark eingeschnürt, dass ihre Breite nur
20 Seemeilen oder etwa 35 km daselbst betragen dürfte — die Tiefen
mit weniger als 4000 m gerechnet — ; ja man hätte, wenn nicht
die neue Lotung des »John Pender« in 0® 25' n. Br. und 18® 14'
w. L. mit 8758 m vorliegen würde , Berechtigung zur Annahme
gehabt, dass der zentrale Rücken hier vollkommen unterbrochen,
durch eine tiefe Absenkung abgeschnürt sei, was aber offenbar doch
nicht der Fall und für die Auffassung der Morphologie des gesamten
Atiantischen Ozeans von erheblicher Bedeutung ist.«
Von den im Indischen Ozeane ausgeführten Tief seelotungen
der oben genannten Kabeldampfer im Mai und Juni 1900 zwischen
Fremanüe, den Kokosinseln (Keeling) und Rodriguez giebt Dr. Schott
auch eine tabellarische Zusammenstellung und eine kartographische
Skizze. Er hebt hervor, dass diese neuen Lotungen eine seit Jahren
nicht dagewesene bedeutende Förderung der Erforschung der indischen
Das Meer. 251
Tiefen darstellen, die Lotungsreihe der »Sherard Osbom« sei (von
Spezialuntersuchungen natürlich abgesehen) sogar unerreicht in der
Hinsicht, da bisher auf keiner Durchquerung des Indischen Ozeanes
die Tiefenmessungen so dicht aneinander gereiht worden sind wie
hier. Dazu komme, dass die Reiseroute gerade über die unbekanntesten
Regionen hinwegführte, und endlich, dass auch häufig die Temperatur
des Meerwassers am Grunde bestimmt worden ist.
»Die gangbaren Tiefenkarten, sagt Dr. Schott, mussten natürlich
irgend eine Auffassung des unterseeischen Reliefs im allgemeinen
bekunden, um so mehr, als man eine sehr grosse Eintönigkeit der
Bodengestaltung annehmen zu dürfen meinte. Die Lotungen der
»Sherard Osbom c haben von neuem den Beweis geliefert, wie ge-
waltige Täuschungen dabei vorkommen können. Auch im zentralen
Indischen Ozeane zwischen den Maskarenen und der W-Küste Australiens
wechseln Berg und Thal in bunter Reihenfolge, imd man muss
durchaus weitere Lotungen abwarten, ehe man mit einiger Zuversicht
wagen kann, die neu zu Tage getretenen Tiefenlinien mit denen der
übrigen Teile dieses Ozeanes in Zusammenhang zu bringen.
Bis 1900 kannte man aus dem Bereiche des Indischen Ozeanes
nur eine Tiefe von mehr als 6000 m; es war die vom Kabeldampfer
»Recorder« im Jahre 1888 mit 6205 m 150 Seemeilen im S von Lombok
gemessene Tiefe. Nunmehr tritt als grösste Tiefe an ihre Stelle die
Station 82 der >Sherard Osbom« : 6459 m in 18<> 6' s. Br. und 101^
54' ö. L. ; die Position liegt etwa 850 Seemeilen östlich von der durch
die »Valdivia« -Expedition gefundenen grössten Tiefe von 5911 m in
18<* 18' s. Br. und 9ß^ 20' ö. L., so dass eine recht ausgedehnte
maximale Einsenkung zwischen den Kokosinseln imd Westaustralien
vorhanden zu sein scheint. Übrigens kommen auch im W von den
Kokosinseln Tiefen von über 6000 m vor. Damit vergesellschaftet
ist eine ganze Reihe von auffälligen mehr oder weniger lokalen Er-
hebungen, wo man nur 2000 — 3000 m Tiefe, ja sogar nur 1700 m
mitten im Ozeane antrifft; meist wurde an diesen relativ flachen
Gegenden feiner weisser Sand als Grundmaterial festgestellt, auch
>Mud« in einzelnen Fällen.
Die Bodentemperaturen liegen nach den Beobachtungen an Bord
der »Sherard Osbom«, soweit wir Tiefen von mindestens 4000 m
in Betracht ziehen, fast ohne Ausnahme zwischen 1 und 2^ Im
Mittel dürfte 1.6^ C. sich ergeben; geographische Besonderheiten in
der Verteilung der Bodenwärme werden nicht erkennbar. Grosse
Ansprüche an die Genauigkeit dieser Messungen darf man nicht
stellen, wie ja überhaupt vielfach die meist geringfügigen Unter-
schiede in der Bodentemperatur der tiefsten Meeresbecken nur durch
Messungsfehler entstehen und nicht thatsächlich vorhanden sind.«
Ober die ozeanischen Ergrebnisse der deutsehen Süd-
polarexpedition von Kiel bis Kapstadt, soweit sie zur Zeit
252 Das Meer.
bekannt gemacht sind, macht Prof. Dr. Krümmel einige Bemerkungen.^)
Was zunächst die Beobachtungen an der Meeresoberfläche anbetrifft,
so sind die beiden Salzgehaltsmaxima des Atlantischen Ozeanes bei
80<> n. Br. (=^B7.1^U und 20« s. Br. (=36.80/J angeschnitten, das
der äquatorialen KaJmenzone eigene Minimum tritt zwischen 8« und
5« n. Br. mit weniger als 36^00 cL^utlich hervor. Auch die Thatsache,
dass südlich von 30« s. Br. der Salzgehalt knapp 35«/^^, stellenweise
auch etwas weniger beträgt, findet von neuem (immer noch ganz
erwünschte) Bestätigung. Die absoluten Dichten (S^) zeigen einen
regelmässigen Abfall von 1.0255 in der spanischen See bis 1.022
in der äquatorialen Kalmenregion bei 7« n. Br. und erneutes Ansteigen
bis 1.026 in30«s. Br., worauf entlang 35«s.Br. die gleiche Dichte
mit geringen Schwankungen bis Kapstadt festgehalten wird. Mit
dem Minimum der absoluten Dichte fällt das Maximum der Ober-
fiächentemperatur zusammen: 28.7« in 7« n. Br. Entlang 35« s. Br.
werden beträchtliche Schwankungen der Wasserwärme (zwischen 13
und 18.5«) beobachtet; in 10« ö. L. hebt sich diese von 14 auf
18.5« innerhalb weniger Stunden.
Auch die Wasserfarbe und Durchsichtigkeit wurden in der jetzt
üblichen Weise beobachtet; eine einfache Forelsche Skala ergab, wie
auch sonst bekannt, nur geringe Abweichungen vom reinen Blau,
mit nur 1 — 3«/^^ Gelb, in den tropischen und subtropischen Gebieten,
bei den Kapverden kamen einmal 6«/^ Gelb, auch noch in 36« s. Br.,
5« ö. L. nur 1«/^^ Gelb zur Beobachtung.
Die Tiefiotungen, bemerkt Prof. Krümmel, bringen eine sehr er-
wünschte Vervollständigung des vorhandenen Materiales und füllen
in den Stationen VIII— XV (zwischen 1.3« s. Br. und 16.9« w. L. und
25.9« s. Br. und 20« w. L.) eine sehr empfindliche Lücke in dankens-
wertester Weise aus. Die eigentliche Schwelle des Walfischrückens
ist zufällig nicht angelotet, aber wahrscheinlich zwischen Station
XXIV und XXV (33.6« s. Br., 5.1« w. L. und 34.1« s. Br., 3« w. L.) über-
schritten worden, was aus dem Temperaturabfalle bei nahezu gleicher
Bodentiefe geschlossen werden könnte.
Besonders wichtig sind die Lotungen IV und XXIX. (0« iV s.Br.,
18« 15' w. L. und 35« 52' s. Br., 13« 8' w. L.). Die erstere bestätigt
die mit 7370 m angegebene Tiefenlotung der »Romanchec. »Ist an
der Thatsache nicht mehr zu zweifeln, dass mitten im Atlantischen
Ozeane nur 11 Seemeilen südlich vom Äquator die gewaltige Tiefe
von 7200 — 7400 m existiert, so bleibt doch, bemerkt Prof. Krümmel,
immerhin sehr bemerkenswert, dass diese Tiefe keine übermässig
grosse Fläche beherrschen dürfte, nach Norden und Osten vielmehr
sehr rasch in den relativ sehr schmalen zentralen Äquatorialrücken
von stellenweise noch nicht halb so grosser Tiefe übergeht Das
Bodenrelief sieht danach aus, als wenn im Süden von diesem Rücken
^) Ann. der Hydrographie 1902. p. 391.
Das Meer. 253
ein Bruchrand läge. Schon die Thatsache, dass gerade diese Gegend
längst durch ihre Seebeben wohl bekannt und selbst vulkanischer
Eruptionsthätigkeit verdächtig ist, würde mit der eben ausgesprochenen
Deutung in Einklang sein. Nun aber berichtet Dr. Philippi über die
aus 7230 m Tiefe heraufgeholte Grundprobe, dass sie, eine Säule
von etwa 46 cm Höhe, in fünf deutlich abzugrenzende verschiedene
Schichten zerfiel: zu oberst 13 cm gewöhnlicher roter Tiefseethon
mit ziemlich groben Fragmenten vulkanischer Auswürflinge; dann
12 cm bräunlichgraue und fast 8 cm graubraune, deutlich gebänderte
Schlickschichten; endlich 12 cm einer dunkelgrauen und zuletzt fast
2 cm einer hellgrauen Schicht, die allein etwas Kalk enthielt, während
alle andern kalkfrei waren. Die mittlem Schlicksschichten er-
innerten Dr. Philippi an küstennahe Sedimente, insbesondere an den
sogenannten blauen Schlick der westafrikanischen Tropenküste; er
schliesst aus der ganzen Probe, dass diese Bodenregion »in junger
Zeit tiefgreifende Änderungen erfahrene, d. h. der Meeresboden unter
vulkanischen Ausbrüchen eine starke Absenkung erlitten hat Sind
die untersten kalkhaltigen Schichten etwa ein Derivat des Globige-
rinenschlammes, so ist dieser Senkung eine Hebung vorangegangen.
Die Grundprobe der Lotung XXIX bestand in ihrer ganzen Säule
von 69 cm Höhe überwiegend aus feinem Quarzsande mit nur spärlich
beigemengtem vulkanischen Materiale oder Kalk, in den tiefem Teilen
mit etwas mehr thonigen Beimengungen.«
Bezüglich der Temperatur- und Salzgehaltsbestimmungen in der
Tiefe bemerkt Dr.Krümmel: >Die Beobachtungen bestätigen von neuem
die lange bekannten Gmndzüge in der Wärmeschichtung der Tropen-
und Subtropenmeere. Nach den mitgeteilten Proben ist, wenn man
von den Temperaturen der obersten überall klimatisch stark beein-
flussten Schicht absieht, diese Schichtung im Brasilianischen Becken
und im Nordteile der Kapmulde in den Grundzügen ganz gleich:
erst rascher Abfall der Temperatur bis in 800 oder 900 m Tiefe,
wo 3 — 4^ herrschen, dann ganz ausserordentlich verlangsamte
w^eitere Abnahme bis zum Grunde in 4000 oder 5000 m. Das sind
Zustande, wie sie G. Schott kürzlich noch in besonders klarer Weise
in seinem Berichte über die »Valdivia« -Expedition dargestellt hat
Neu aber, und bisher allen Tiefseeexpeditionen entgangen, ist der
Grundzug in der Salzgehaltsschichtung des Südatlantischen Ozeanes.
Das südatlantische Salzgehaltsmaximum von mehr als 36^/^^ be-
herrscht nur die obersten 100 m, was schon J. Y. Buchanan als ein
Ergebnis der >Challenger« -Expedition gefunden hat; der Salzgehalt
nimmt aber noch weiter ab, sinkt in 300 — 400 m Tiefe unter den
normal ozeanischen von 35^/^^, bis er in 800 m sein Minimum mit
34.3— 34.4 ®/^^j erreicht; dann folgt wieder eine Vermehmng des
Salzgehaltes bis 1500 m Tiefe, wo ein zweites Maximum von etwa
34,75^/q^ liegt, und endlich erneute ganz langsame Abnahme oder
Konstanz bis zum Boden mit 34.70^00* ^^ ^^^ Hauptsache liegt
254 Das Meer.
also eine dichohaline Salzgehaltsschichtung vor. Diese durchaus
neue Thatsache, die übrigens einstweilen nur für den Südatlantischen
Ozean erwiesen ist, giebt dem Ozeanographen, der sie erklären will,
eine harte Nuss zu knacken. Der niedrigste Salzgehalt von 34.35^/^
ist kombiniert mit einer Temperatur von etwa 4^; beide Merkmale
zusammen dürften nur in den höhern südatlantischen Breiten jen-
seits 45^ Süd an der Oberfläche vorkommen. Zu einer annehmbaren
Erklärung fehlt uns übrigens zur Zeit noch die Kenntnis vom Stick-
stoffgehalte der in diesen tiefen Wasserschichten absorbierten Luft;
Proben davon sind jedenfalls an Bord der > Gauss c gesanunelt und
werden es später ermöglichen, die Temperatur, bei der diese Luft
vom .Wasser absorbiert wurde, namhaft zu machen, wodurch dann
ein ziemlich exakter Anhaltspunkt für die Abkunft dieser interessanten
Wasserschicht zu erhalten sein wird. Diese Thatsache enthüllt zu
haben, ist aber bereits eine der wesentlichsten Leistungen, auf welche
die deutsche Südpolarexpedition als Ergebnis ihrer ozeanographischen
Thätigkeit hinweisen darf.«
Orundproben aus dem Atlantischen Ozeane hat die deutsche
Südpolarexpedition auf ihrer Ausreise bis Kapstadt wiederholt ge-
wonnen.^) Dieselben entstammen Tiefen von 3165 — 7230 m. Von
ihnen gehören elf dem Globigerinenschlamme und fünf dem roten Thone
an, zwei stellen einen Übergang zwischen beiden Ablagerungen dar, und
eine musste als thoniger Sand bezeichnet werden. Die Durchschnitts-
tiefe des Globigerinenschlammes betrug 3850 m, die des roten Thones
6000 m, die beiden Obergangssedimente stammten aus Tiefen von 4630
und 5281 m, und endlich der thonige Sand aus 4957 m Tiefe.
Diese Lotungen der »Gauss« im Südatlantik sind geeignet, die
Darstellung in den »Deep Sea Deposits« des Challenger Reports in
einigen Punkten zu ergänzen. Als neu erscheint der »rote Thon«
der unter dem Äquator gefundenen Tiefe , ob er mit dem Bezirke des
roten Thones im Brasilianischen Becken in Verbindung steht, bleibt
noch nachzuweisen. Völlig neu ist femer das sandige Sediment am
Ostrande der Kapmulde. Im Brasilianischen Becken scheint die nach
Osten geöffnete Einbuchtung des roten Thones zwischen 8 und 18®
s. Br., die J. Murray an giebt, nicht zu existieren. In allen übrigen
Punkten lassen sich die Resultate der bisherigen »Gauss «-Lotungen,
soweit sie die Grundproben betreffen, gut mit den Angaben des
Challenger Reports in Einklang setzen.
Die Grenzlinien der Sichtbarkeit des Landes im Mittel-
ländischen Meere. Wenn man auf dem Meere sich vom Fest-
lande entfernt, so sinken die Gestade des letztern infolge der
Kugelgestalt der Erde allmählich unter den Horizont, nur die obem
Teile etwaiger Gebirge bleiben vom Schiffe aus sichtbar, und zuletzt
verschwinden auch die höchsten Gipfel hinter der Trennungslinie von
Himmel und Meer. Erst von diesem Punkte an beginnt die offene
^) Veröff. des Inst, für Meereskunde v. Richthofen 1902. Heft 1. p. 50.
Das Meer. 255
See, der ungehinderte Meereshorizont. Abgesehen von den Sicht-
barkeitskreisen um Leuchttürme, die man auf Seekarten findet, ist
eine kartographische Darstellung des Verlaufes der Linie auf dem
Meere, welche die Grenze der Sichtbarkeit der höchsten Landmarken
bezeichnet, nicht vorhanden. Dr. L. Henkel hat indessen jüngst den
Verlauf dieser Linie für das Mittelländische Meer berechnet und auf
einer Karte dargestellt, die in Petermanns Mitteilungen erschienen ist.
Diese Karte ist von aussergewöhnlichem Interesse, besonders, wenn
man sie in Beziehung bringt zur Entwickelung der Schiffahrt von den
ersten Anfängen im Altertume an. Die Gebiete, in denen auf dem
Mittelländischen Meere kein Land gesehen wird, sind sehr erheblich.
Eine zusammenhängende Fläche dieser Art erstreckt sich von der
Levantischen See bis zur kleinen Syrte, und sie hat ihre grösste
Breite zwischen der grossen Syrte und dem Jonischen Meere. Eine
kleine Fläche mit völligem Wasserhorizonte befindet sich auch im
Zentrum des Tyrrhenischen Meeres und eine zweite grössere zwischen
der Insel Sardinien und den Balearen. Bei diesen Bestimmungen
hat Dr. Henkel freilich nur die geometrischen Verhältnisse, welche
aus der Kugelgestalt der Erde und der Höhe der Festlandspitzen
hervorgehen, berücksichtigt; in Wirklichkeit kommt auch noch die
Strahlenbrechung hinzu, infolge deren Teile der Erdoberfläche, die
wirklich unter dem Horizonte liegen, optisch über denselben gehoben,
d. h. einem Auge auf dem Meere selbst sichtbar gemacht werden.
Dadurch werden die Flächen der völligen Unsichtbarkeit des Landes
natürlich kleiner. Im ganzen Adriatischen Meere giebt es keinen
Punkt, von welchem aus man nicht wenigstens eine Landspitze
sähe, und in noch höherem Grade ist dies bei dem Ägsdschen
Meere der Fall, dem klassischen Gebiete der Küstenschiffahrt. >Der
karthagische Schiffer verlor bei der Fahrt nach Sardinien wie nach
Sicilien das Land nicht aus dem Gesichte. Auch die römischen
Konsuln, die im Jahre 253 v. Chr. gegen den Rat ihrer Piloten die
verhängnisvolle Fahrt von Panormos durch das offene Meer nach
der italienischen Küste machten, blieben dabei wohl innerhalb der
Sichtweite des Landes, c Auf dem Schwarzen Meere verursachen die
hohen Gebirge im Osten und Südosten, dass dort weithin Land
sichtbar bleibt, dagegen hat ein grosser Teil der westlichen Hälfte
des Pontus vollen Wasserhorizont, ebenso das kleine Asowsche Meer
wegen seiner flachen Umgebung.
Die WäFmeyerteilungr in dem Wasser der sfidpolaren
Heere auf Grund der Beobachtungen der »Valdiviac behandelte
Dr. Gerhard Schott^)
1. Oberflächentemperaturen im Südatlantischen und
Indischen Ozeane. Schon südwärts von 50^ ja von 45^ s. Br. sind im
Indischen Ozeane nicht mehr aus allen Monaten des Jahres Bestimmungen
der Temperatur des Oberflächenwassers vorhanden ; es lässt sich eben noch
>) Ann. d. Hydrographie 1902. p. 215.
256 Das Meer.
sagen, dass auf ungefähr 48^ s. Br. die Jahresisotherme von 5® zu liegen
scheint. Je weiter nach Süden, desto mehr beschränken sich die Be-
obachtungen auf solche im südlichen Frühjahre und Sommer. Die Einzel-
beobachtungen der >yaldivia< und diejemgen der > Ghalienger« sind die
einzigen langem und zuverlässigen Reihen von Messungen in den letzten
Jahrzehnten aus dem antarktischen Meere des Indischen Ozeanes. — Die
>Valdivia«-Beobachtungen ergeben folgendes Bild von den Wassertempera-
turen im antarktischen Frühlmge (November und Dezember) 1898.
Von 46® 8. Br. ab fiel der Salzgehalt zum erstenmal auf B4®/eo ^^^
weniger, somit auf den Betrag, der für die ganze Eismeerfahrt im Afittel
gilt (38.6— 83.8*/oo). Es ist dieser Grenzwert von 34.0*/oo auch von Pettersson
und andern Ozeanographen im arktischen Meere zur Trennung des nord-
polaren Stromwassers vom nordatlantischen Mischwasser benutzt; dort
liegen in dieser Beziehung die Verhältnisse also ganz ähnlich. Man kann
daher sagen, dass, da zugleich die Wasserwärme ziemlich gleichmässig, aber
stark sank, unter mindestens 50® s. Br. am 22. November mit 2.5 ®, wenn
nicht schon unter 47<^s. Br. am 20. November mit etwa 5.5® rein polares
Wasser unter den Längen der Bouvetgegend an der Oberfläche vorhanden
war. Im Osten, bei der Fahrt nordwärts nach Kerguelen, war die Grenze
deutlicher markiert, sie wurde am 81. Dezember unter 46® s. Br. überschritten,
als die Temperatur innerhalb 8 Stunden von 4.5 auf 9.4® und der Salz-
gehalt von 33.7 auf d4.3®/pp stieg.
Unter 58® s. Br. war in der Bouvetgegend die Temperatur bereits auf
0® herabgegangen, eine Temperatur, die im Osten auf der Kerguelenseite
erst unter 60® s. Br. herrschte, so dass schon hierdurch auf die thermische
Begünstigung des letztgenannten Eismeergebietes und die Benachteiligung
des erstgenannten ein Licht fällt. Als die >Va]diviac in der Nähe der
Bouvetinsel dem ersten Bise begegnete, fand sich zeitweise nur noch — 1®;
das am 1., 2., 3. und 16. Dezember erreichte Minimum ist — 1.8®, ein
Temperaturwert, der sowohl kurz nach dem Verlassen der Bouvetgegend
unter 56® s. Br. als auch 8 Breitengrade südlicher, in 64® s. Br. vor Enderby-
land. gemessen wurde; es fiel ungefähr mit dem jeweiligen, besonders
starken Auftreten von Treibeis und Eisbergen zusammen, was nach den
nundlegenden Untersuchungen und Beobachtungen von Pettersson und
Buchanan über die bei dem Schmelzen von Eis in Seewasser auftretenden
Temperaturen und Salzlösungen durchaus erklärlich ist. Während der Zeit,
in welcher die »Valdivia« im Eismeere fuhr, zeigte die Oberfläche des Meeres
im grossen Durchschnitte — 1.0® Wasserwärme, und die Temperatur nahm
deutlich zu bis auf — 0.5®, ja 0.0®, wenn das Schiff aus dem Eise ganz
oder fast ganz heraus war.
Eine regelmässige tägliche Periode der Oberflächentemperaturen des
Wassers im Eismeere iät daher nicht bemerkbar, bei dem ewig bedeckten,
mit schweren Schneewolken erfüllten Himmel ist eine solche auch um so
weniger zu erwarten, als die Sonne tief steht, und die Nacht kurz ist.
Wenn man die von der »Valdiviac gemessenen Temperaturen des
antarktischen Oberflächenwassers überblickt, so muss mit Kücksicht auf
die in Frs^ge konmienden geographischen Breiten das Wasser der gesamten
Bouvetregion abnorm kalt erscnemen : Temperaturen von 0® und beträchtlich
darunter auf einer der geographischen Lage von Hamburg entsprechenden
Breite im südlichen Frühlinge oder Sommer! Gewiss findet man zur Zeit
des nördlichen Frühlings an der Küste von Neufundland unter gleicher
Breite auch Wassertemperaturen von 0®, aber doch nur in ganz schmaler
Zone von etwa 100— 150 Am Breite, und im Sommer herrschen daselbst
Wärmegrade von über 5®. In der Bouvetgegend handelt es sich aber nicht
um eine lokale, durch einen kalten Triftstrom oder Eisstrom genügend
erklärbare Erscheinung, sondern um den klimatischen Charakterzug einer
über Tausende von Kilometern sich erstreckenden Meeresgegend, und es kann
kaum ein Zweifel bestehen, dass man zur Erklärung dieses Verhältnisses
Das Meer. 257
die Erforschung der noch unbekannten Verteilung des Festlandes und
Meeres, sowie der Wind- und Wasserbewogun^en abwarten muss.
Gerade bei der Bouvetinsel ist die negative Anomalie der Temperatur
sehr gross. Denn östlich von der Bouvetregion kann bereits für die Längen
von Kerguelen (im Dezember) eine Wassert^peratur von 2fi für die Bouvet-
breite angesetzt werden, und südlich von Australien fehlen zwar direkte
Schiffsbeobachtungen von dieser Breite, doch darf aus den Isothermen
des 50. ParalleUoreises mit grosser Wahrscheinlichkeit auf 4® Wasser-
wärme geschlossen werden. Westlich von der Bouvetregion ist die Zunahme
der Wasserwärme im Vergleiche zur Bouvetinsel noch beträchtlicher. Das
Novembermittel der Wassertemperatur an der Küste von Südgeorg^en
beträgt, wie wir durch die sorgfältigen Messungen der deutschen Expedition
im internationalen Polarjahre 1882/88 wissen, 2.2 ^ und von der Gegend des
Kap Hörn stehen uns zahlreiche Schiffsbeobachtungen zur Verfügung,
welche für November, den Monat der »Valdivia«-Reise, auf der Breite der
Bouvetinsel über 5®, bei Stateninsel 5® und auf 60<> s. Br. noch 3.3 <> ergeben.
2. Antarktische Tief seetemperaturen. Dr. Schott giebt um-
stehende Tabelle (S.258) über Temperatur, Salzgehalt und Dichtigkeit des
Tl^seewassers des südpolaren Meeres, der zum Vergleiche auch ein Beispiel
aus dem nördlichen Eismeere beigefügt ist.
Lässt man, sagt Dr. Schott, die Wärmeverhältnisse in der Nähe des
Meeresgrundes ausser Acht, so erkennt man, dass die vertikale Temperatur-
verteilung in den Reihen I und FV einander ähnlich ist, sie ist dichothermen
Charakters, indem oben relativ warmes Wasser sich befindet, dann eine
kalte Schicht folgt, welche wieder von wärmerem Wasser unterlagert wird ;
andererseits sind die Reihen U, III, V und VI untereinander ver^eichbar,
sie zeigen eine kathotherme Schichtung, da die obersten Wassermassen
vergleichsweise kalt, die darunter befindlichen warm sind. Die Reihen I — IV
sina sämtlich in der Nähe des 60. südlichen Breitengrades gewonnen, sie
sind in der Aufeinanderfolge von Westen nach Osten angeordnet und geben
unmittelbar die geographischen Verschiedenheiten dieses Meeresstriches
unter den verschiedenen Längen an; Reihe V mit rund 70^ s. Br. und VI
mit über 80 ® n. Br. liegen wesentlich weiter polwärts.
Unter diesen Umstanden wird die vergleichsweise ausserordentliche Kälte
der gesamten Wassermassen in der Bouvetregion deutlich. Die grosse negative
Temperaturanomalie der Oberfläche wurde bereits nachdrücklich hervorge-
hoben. Aus der >Valdivia«-Reihe (No. II) lernen wir nun, dass die abnorm
niedrigen Wassertemperaturen derBouvetgegend bis zum Meeresgrunde in ihren
Wirkungen verfolgbar bleiben ; unter den 4 Temperaturserien auf rund 60<^ s. Br.
ist innerhalb der Reihe 11 in fast jedem Niveau das Wasser am kältesten,
dies gilt sowohl von dem Wasser über 0®, wie von demjenigen unter 0®.
Südlich vom Kap Hom ist warmes Wasser bis 50 m Tiefe vorhanden,
und die kalte Zwischenschicht ist nur rund 75 m mächtig, bei Termination-
land ist die oberste warme Schicht 25 tn mächtig, die kalte gar nur 50 m;
in der Nähe der Bouvetinsel aber bis nach Enderbyland fehlt die oberste
wanne Schicht gänzlich, und das kalte Oberwasser erreicht eine Mächtigkeit
von 150, bezw. 100 m; endlich steigt in dem warmen Unterstrome die Wasser-
erwärme in den Reihen I, III und IV mindestens bis auf -f- 1.7^ nur in dem Pro-
file der Bouvetgegend ist -|- 0.8** das Maximum innerhalb dieser wannen Unter-
strömung. Dazu muss noch bedacht werden, dass gerade die Bouvetstation
unt«r den vier ersten Stationen die am weitesten zum Äquator vorgeschobene
ist, wodurch die augenfälligen Gegensätze noch weiter verschänt werden.
So kommt es, dass die Temperaturreihe der Bouvetgegend auf 56^ s. Br.
ähnlich ist der Reihe V auf 70° s. Br. im Stillen Ozeane, ja sogar der
Nansenschen Reihe von 82 <^ n. Br. vergleichbar bleibt! Diese Angaben lassen
einen ungefähren Rückschluss auf die Grösse und die Ausdehnung der
enorm mächtigen, abkühlenden Einflüsse zu, die in der Bouvetgegend und
polwärts davon eine Rolle spielen müssen.
Klein, Jahrbuch XIII. 17 .
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Das Meer. 259
Die Station der »Valdivia« vor Enderbyland nimmt eine vermittelnde
SteUnitg zwischen der Bouvetstation und der Terminationstation ein ; Reihe in
«rmangelt zwar noch der wannen Oberschicht, aber die nntere Grrenze des
kalten Oberwassers ist etwa 50 m der Oberfläche näher als bei der Bouvet-
ffegend, auch zeigt hier der warme Unterstrom höhere Temperaturen als
deijenige der Bouvetgegend.
Betrachtet man dagegen Reihe I und IV, so stellt die hier auftretende
oberste, 25 — 50 m mächtige Schicht mit Wärmegraden über 0® ganz zweifellos
«in Element vor, das mit den eigentlichen antarktischen oder überhaupt
polaren Verhältnissen nichts zu thun hat, im Gregenteil, hierin sind oie
Reste oder letzten Ausläufer von Oberfläohenströmungen zu erblicken, deren
Verlauf im einzelnen nicht näher bekannt ist, die aber jedenfalls von
niedrigem Breiten polwärts, in unserem Falle nach Süden vordringen. Der
vergleichsweise genngere Salzgehalt der »Challengerc -Stationen ist aller-
dings durch die Beimengungen von Schmelzwasser des Treibeises und Pack-
eises zu erklären, aber dass das Wasser trotzdem nicht lokal oder zeitlich
vorübergehend erwänntes Polarwasser sein kann, dafür ist die bis auf
50, bezw. 25 m Tiefe sich ausdehnende Erwärmung ein Beweis, die in diesen
Breiten nur in wirklichen Oberflächenströmungen ihren Ursprung haben
kann; und wie sich die Insolationswirkung an der Oberfläche in polaren
Meeren äussert, zeigt die Reihe VI der »FVam«. Ausserdem ist ja auch,
was Reihe IV bei Terminationland betrifft, bekannt, dass man hier seit
Neumayers Arbeiten aus der relativen Eisfreiheit der Gegend und aus andern
Oründen eine südöstlich setzende Oberflächentrift vermutet; am Kap Hörn
mag Wasser aus niedrigem Breiten des Stillen Ozeanes südwärts gelangen.
Kurzum, man ist wohl berechtigt, bei der Reihe I und IV den obersten,
.anothermen Teil in Oedanken zu streichen; man erhält dann für die Be-
sprechung der Wärmeverteilung in der antarktischen Tiefsee fünf unter-
einander generell ähnliche Reihen ^-^y) mit katothermer Schichtung: für
diese Schichtung eine eingehende Erklärung aber zu geben, ist nach den
Arbeiten Buchanans und zumal Petterssons unnötig; dieses Thema ist All-
gemeingut bis m unsere Lehrbücher hinein geworden. Es sei nur gestattet,
auf folgende Punkte kurz hinzuweisen.
..Wenn man in der Tabelle mit den Temperaturreihen auch die neben
stehenden Reihen der Salzgehalte vergleicht, so wird man finden, dass
auf den Stationen der »Valdivia« und des »Chalienger« an der südpolaren
Eisgrenze der grosse Sprung der Salinität, welcher den Unterschied
gegenüber den Oberflächenverhältnissen herbeiführt, beide Male in rund
100 m Tiefe liegt; wennschon das Maximum des Salzgehaltes erst in 400 m
Tiefe, stellenweise vielleicht sogar erst in 1500 — was aber zweifelhait
ist — erreicht wird, so ist doch eine Salinität von über 34.25<^/oo bei der
geographischen Verteilung der Salzgehalte der Oberfläche ein unverkenn-
bares Zeichen dafür, dass bedeutende Wassermengen von dem salzreichen
Unterstrome in dem betreffenden Niveau von 100 m vorhanden sein müssen,
selbst wenn die Temperatur noch unter 0^ liegen sollte. Es ist verständlich,
dass bei dem Prozesse der Eisschmelze sowohl wie bei den konvektiven
Bewegungen, von welchen gleich die Rede sein soll, eine weitgehende
Durchmischung von OberQächenwasser und Tiefenwasser die Folge sein
muss, dass daher weder die Temperatur, noch der Salzgehalt eine klare,
eindeutige Scheide^enze beider Wasserarten werden zu erkennen geben.
Interessant sind dabei die Zahlen der »Fram« -Station vom nordpolaren
fiismeerbecken. Den obersten 50 m ist eine beträchtiich ^össere Ansüssung
des Meerwassers eigentümlich, aber bereits in 75 m Tiefe ist mit genau
34.00^ die Übereinstimmung mit den südpolaren Werten eine vollkommene,
eine Übereinstimmung, welche in grossem Tiefen von 800— 1500 m sogar
von einem kleinen, aber sehr charakteristischen Cberschuss an Salzgehalt
zu Gunsten des nordpolaren Meeres abgelöst wird. Dieser grössere Salz-
gehalt der warmen Mittelschicht, bei dessen Abschätzung man auch die
IT
260 Das Meer,
beträchtlich höhere geographische Breite der »Frame-Station nicht vergessen
wolle, darf als ein neuer Beweis für die oft konstatierte Thatsache gelten»
dass im Nordatlantischen Ozeane fast alle Vorgänge, zumal auch diejenigen
der Vertikalzirkulationen , der Strömungen u. s. w., immer ihre jeweiSge
grösste Intensität erreichen. Im vorliegenden Falle ist das warme Tiefen-
wasser der Golfstromtrift in besonders kräftigem Vordringen von niedern
Breiten her begriffen ; der Umstand, dass auf gleicher Breite der Salzgehalt
des Wassers der Nordhalbkugel schon an der Oberfläche meist etwas höher
ist als derjenige auf der südlichen Halbkugel, kommt hinzu.
In den Reihen der Tabelle, welche der Dichte des Meerwassers gewidmet
sind, ist zwar eine Korrektion für den Tiefendruck nicht angebracht, aber es
ist gleichwohl aus ihnen ersichtlich, dass nicht durchweg ein stabiles Gleich-
gewicht zwischen den einzelnen Schichten besteht; der Satz gilt auch von der
nordpolaren Reihe. Es wird hierdurch die Neigimg zu konvektiven Ausgleichs-
bewegungen antjedeutet. Ich möchte nämlich annehmen, dass das Vorhanden-
sein des Eises allein die katotherme Temperaturverteilung nicht zur Folge hat.
Gewiss veranlasst der an der Grenze der Eismeere vor sich gehende
Schmelzprozess ein Sinken der Temperatur zunächst des Tiefenwassers,
dann auch desjenigen der Oberfläche; ich glaube jedoch nicht, dass man
lediglich durch diese mit dem Eise zusanmienhängenden Vorgänge in ge-
nügender Weise die vertikale Temperaturverteilung der antarktischen Tiefsee
erklärt. Auch der Einfluss der direkten Wärmeleitung, sowie der Konvektions*
bewegungen, ähnlich denen, die die Entstehung der Sprungschicht in den '
Binnenseen herbeiführen, muss herangezogen werden; die Kältegrade der
Luft in den polaren Gegenden müssen als primärer Faktor abkühlend
wirken, und cßese Abkühlung kann, entsprechend dem Gefrierpunkte des
Seewassers, bis auf — 1^ und darunter vorschreiten, ohne dass Eisbildung
eintritt ; zugleich werden die abgekühlten Partikelchen vermöge ihrer Schweiz
untersinken und andere, etwas wärmere, leichtere Teilchen zum Aufsteigen
veranlassen, ein Vorgang, der hier in Seewasser auch bei Temperaturen
unter 4^ und unter 0^ möglich ist, da ja das Dichtigkeitsmaximum von
Seewasser mit rund 35^/oo Salzgehalt noch tiefer liegt als der Gefrierpunkt.
Dies Absinken der kalten Wasserteilchen würde bis zum Meeresboden sich
erstrecken können, wenn nicht die Zwischenschicht des salzreichen, extra-
polaren Stromes vorhanden wäre, es wird daher nur bis in diejenige Tiefe
reichen, in welcher das spezifische Gewicht gleich demjenigen des zwar
warmen, aber relativ sehr salzreichen Unterstromwassers wird: so wird die
kalte, obere Wasserschicht oft unmittelbar auf der warmen auflagern wie
auf einer festen Unterlage, und es w^ird bis zu einem gewissen Grade zur
Ausbildung einer Sprungschicht kommen können.
Dass die Eisschmelze allein für die Temperaturen der obem eiskalten
Wasserschicht nicht ausschlaggebend sein kann, wird auch aus einem
Vergleiche der untern Grenze des kalten Wassers an den verschiedenen
Stationen ersichtlich. Offenbar spielen doch im Südlichen Eismeere die
Eisberge eine vorherrschende Rolle, der gegenüber das Meerwassereis
zurücktritt, während in dem Nördlichen Eismeere das Packeis oder Meer-
wassereis überwiegt. Die Eisriesen des Südpolarmeeres reichen wohl bis
400, ja 500 m Tiefe mit ihrem Fusse hinab, während das Packeis im
Durchschnitte nur 7— lOm Tiefe gewinnen dürfte. Hiemach müsste man
schliessen, dass, wenn das Eis allein massgebend wäre, in der Antarktis die unter
0® liegenden Wassertemperaturen beträchtlich tiefer hinab sich erstrecken
als in der Arktis ; in Wirklichkeit ist aber die Mcu:htigkeit des obern kalten
Wassers in beiden Meeren ungefähr gleich, sie beträgt nämlich 100—150 w.
Diese Tiefe von rund 150 w giebt ungefähr die Grenze an, bis zu
welcher die eben geschilderten Konvektiousbewegungen hinabreichen.
Ferner hat die »Valdi via« -Expedition bei der Bouvetinsel nicht diejenige
Menge und diejenige Grösse der Eisberge beobachtet, die vor Enderbyland
reichlich 8 Breitengrade südlicher zur Beobachtung kamen : gleichwohl lag
Das Meer. 261
vor Enderbyland die untere Grenze der Kaltwasserschicht schon in 100 m,
bei der Bouvetinsel erst in 150 m Tiefe. Man wird aus allen diesen Einzel-
heiten entnehmen müssen, dass man nicht mit den kurzgefassten Worten:
>die Eisschmelze verursacht die katotherme Schichtung«, den ganzen Komplex
der Erscheinungen Dach Ursache und Wirkung fasst, dass vielmehr auch
im Eismeere, vom Eise abgesehen, die Wärmeleitung und damit zusammen-
hängende konvektive Bewegungen bei der Ausgestaltung der Temperatur-
verteilung in hervorragendem Masse mitwirken.
Die Wirkung, welche das treibende Eis auf die Temperatur speziell
der Meeresoberfläche ausübt, wird je nach der Anfangstemperatur und dem
Salzgehalte des Meerwassers, sowie je nach der Natur des Eises (Meereis,
Süsswassereis) verschieden sein müssen. Dass da, wo das bei — 2.5^
schmelzende Meerwassereis, im besondem also das wirkliche Packeis beider
polarer Zonen, in gewaltigen Feldern auftritt, die Wassertemperatur bis
auf — 1® und darunter herabgedrückt werden kann, ist nur natürlich.
Dass aber auch durch Süsswassereis, also durch Gletscherreste oder Eis-
berge, die Temperatur von Seewasser auf Grade unter Null, den sonstigen
Schmelzpunkt des Süsswassereises, abgekühlt werden kann, wäre nicht an-
zunehmen, wenn es nicht durch experimentelle Beobachtungen über allem
Zweifel sicher wäre, und zwar ist die Temperatur, welche bei dem Schmelzen
von Süsswassereis in Seewasser entsteht, für ozeanischen Salzgehalt nahezu
konstant — 1.8 ^ Natürlich gilt dies nur für Meeresgegenden, denen der
Charakter eines wirklichen Eismeeres zukommt. Aber auch da darf man
£ich den thermischen Wirkungsbereich eines noch so gewaltigen Schmelz-
Srozesses nicht zu gross vorstellen. Das Mischungsprodukt, welches aus
em warmem, salzreichen Seewasser und dem kaltem, leichten Schmelz-
wasser des Eisberges rund um dessen Fuss in der Tiefe entsteht, unterliegt
seinerseits bei dem Aufsteigen zur Oberfläche noch wieder einer weit-
gehenden Vermischuug mit Oberflächenwasser, welches an sich schon Teim)e-
raturen unter 0^ aufweisen kann, so dass es schwer ist, den Einfluss der Eis-
schmelze an solcher zu begrenzen. Ist es doch auch in den Gewässem, die
von der SeeschiffsJirt regelmässig befahren werden, bisher nicht gelungen,
eine messbare abkühlende Wirkung der Eisberge auf nur massig grosse Ent-
fernungen selbst in vergleichsweise hohen Temperaturen festzustellen, so dass
sich aus fleissigen Messungen der Wasserwärme für die Navigierung in diesen
Gewässem eine Warnung vor Eisgefahr leider nicht erhoffen lässt.
Wenn man sich die ausserordentlich grosse Wärmekapazität des
Wassers vergegenwärtigt, die grösser ist als diejenige der festen Körper,
und man sich klar macht, welche ganz gewaltigen Wärmemengen dem
Meerwasser bei seinem geringen Leitun^vermögen entzogen werden müssen,
um die Temperatur nur um ^/^o^ auf weite Strecken hin m direkter Wirkung
zu erniedrigen, so erkennt man, dass in der Wirklichkeit der thermische
Einfluss des Schmelzprozesses auf das Meerwasser der Oberfläche in un-
gemein engen Grenzen sich halten muss. Pettersson, welcher die rein
mechanischen Vorgänge bei dem Schmelzprozesse von Meereis im atlantischen
Wasser mit Hinsicht auf die dabei entwickelten Energiemengen untersucht
hat, nimmt schätzungsweise an, da.ss das Wasser des isländischen Polar^
Stromes zu "li^ aus atlantischem Wasser und nur zu Vis ^^^ Schmelz-
wasser bestehe. Diese Überlegungen bildeten auch eine Ursache, weshalb
vom Verf. bei der Erklärang der antarktischen, unmittelbar unter der Ober-
fläche herrschenden Wasseitemperaturen die Einwirkung der polaren Luft-
temperaturen nachdrücklich betont wurde. Derselbe Gesichtspunkt ver-
bietet es auch schliesslich, anzunehmen, dass Schmelzwasser, welches
von der Oberfläche der Eisberge selbst, an den Gehängen derselben, oft
in vergleichsweise grossen Mengen herabstürzt, einen nennenswerten er-
wärmenden Einfluss auf die Temperaturen der Meeresoberfläche gewinnt,
wenn letztere an sich unter 0^ liegt. Es ist nur die theoretische Möglich-
keit einer Erwärmung zuzugeben."
262 Quellen und Höhlen*
Quellen und Höhlen.
Die Quellen des Kantons Aargrau. F. Mühlberg hat auf
Grund sehr umfassender, mit Hilfe zahlreicher Einwohner durchge-
führter Aufnahmen das Material zur Herstellung einer Quellenkarte
des Kantons Aargau zusammengebracht, über das er vorlaufig be-
richtet. ^) Hiernach besitzt der 1404 qkm grosse Kanton Aargau in
248 Gemeinden 2977 ungefasste Quellen mit einer Minimai-Wasser-
führung von 186 527 Min.-Liter, 5484 gefasste Quellen mit minimal
68797 Min.-Liter, und 3974 Sodbrunnen.
Unterirdische Wasser in Westaustralien. In dem Bezirke
von Eukla sind viele unterirdische Wasserbecken in 9 — 10 w Tiefe
entdeckt worden. Zahlreiche Flüsse dieses Landgebietes verlieren
sich im Boden, und es ist daher wahrscheinlich, dass sie das Wasser
für jene unterirdische Becken liefern.*)
Ober das Wesen der heissen Quellen hat Prof. E. Suess
auf der Naturforscherversammlung zu Karlsbad (1902) seine An-
schauungen entwickelt, mit besonderer Berücksichtigung der Karlsbader
Thermen. Er betonte wie nach den altem Vorstellungen die Thermen
durch einsickernde Tagwasser, die in der Tiefe die Temperatur des
Erdinnem annehmen, gespeist werden und dem Gesteine durch Lösung
ihre festen Bestandteile entnehmen. Indessen erklärten F. v. Hauer,
F. V. Hochstetter und H. Wolf, dass sie auch nicht einmal an-
nähernd das Infiltrationsgebiet der Karlsbader Thermen in dem aus-
gedehnten vorherrschend granitischen Grundgebirge anzugeben ver-
möchten. G. Laube erklärte es für rätselhaft, woher die Menge des
kohlensauren Kalkes in der Sprudelschale und die Wassermasse des
Sprudels überhaupt stamme; Ludwig und Mautner sprachen in
Rücksicht auf die grosse Menge Natrium ihre Meinung dahin aus^
dass die Karlsbader Thermen ihre festen Bestandteile aus tiefem
Erdregionen unterhalb des Granits heraufbrächten. Auch bezüglich
der Herkunft der Kohlensäure glaubte man, auf das Magma des
Erdinnem zurückgreifen zu müssen. Prof. Suess unterscheidet zu-
nächst nach älterem Vorgange zwei Klassen von Wasserquellen:
vadose und juvenile; zur erstem rechnet er nicht nur die infiltrieren-
den Wasser, sondem geradezu alle Teile der Hydrosphäre, zu den
juvenilen dagegen solche, welche, als Wirkungen vulkanischer Thätig-
keit aus dem Erdinnern kommend, an das Tageslicht treten. Es giebt
vadose Wasser, die erwärmt in artesischen Brunnen aufsteigen, andere
vadose Wasser dringen mit Kohlensäure beladen von Tag aus in die
oberen Horizonte der Erzgänge und veranlassen durch Lösung und
Niederschlag dort Umlagerung der mineralischen Substanzen. Es
giebt femer vadose Chlor-, Schwefel-, Brom- und Jodverbindungen
^) Mittl. d. Aargauischen Naturforsch. Gesellschaft 1901. 9»
*) Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde in Berlin 1902. 2. p. 175.
Quellen und Höhlen. 263
in dem Ozeane und den Salzablagerungen; vados endlich ist der
Schwefelwasserstoff, der unter dem Einflüsse von Bakterien ab-
geschieden in den Tiefen des Schwarzen Meeres vorhanden ist. Die
heissen, unter dem Namen Geysire bekannten Quellen pulsieren in
ihrer Thatigkeit, indem Explosionen heissen Wassers mit Ruhe-
zustanden abwechseln. Auch die Quellen von Karlsbad pulsieren, aber
dieses Pulsieren ist weniger regelmässig, erfolgt in kurzem Zeit-
räumen, und seine Ursache ist eine andere als die der Geysire. Über
dem Karlsbader Quellgebiete liegt die von zahlreichen Hohlräumen
unterbrochene Sprudelschale. In diesen Hohlräumen sanmielt sich das
kohlensaure Gas an, bis es durch seinen Druck das heisse Wasser
aufwärts treibt; so entstehen die Sprudelquellen. Artesische Wasser
stehen unter konstantem hydrostatischem Drucke, sie fliessen daher
gleichförmig; Siedequellen stehen nicht unter solchem Drucke, wenigstens
würde man einen solchen für Karlsbad nicht zugeben können, hier
ist der Druck der Kohlensäure die treibende Kraft Die Wasser
des Karlsbader Sprudels sind juvenile Wasser, und es ist völlig
aussichtslos für diese Quellen an der Oberfläche ein Infiltrations-
gebiet abgrenzen zu wollen, ebenso unzulässig ist es, die Tiefe
ihres Ursprunges aus ihrer Temperatur abzuleiten; endlich ist es
auch vergeblich, ihre Bestandteile aus der Beschaffenheit des Granites
zu deuten. Das Erzgebirge, welchem seinem Baue nach auch der
Granit von Karlsbad angehört, wird von zahlreichen Gängen oder
Spalten durchschnitten, welche mit Quarz oder Homstein, zum Teile
auch mit den verschiedenen Erzen ausgefüllt sind, denen das Gebirge
einst seinen Reichtum und heute noch seinen Namen verdankt.
Bezüglich der Vulkane liegen zahlreiche Thatsachen vor, die be-
weisen, dass das eigentliche Agens der Eruption in dem Drucke des
Wasserdampfes zu erblicken ist Neben andern Thatsachen deuten
die ausgeworfenen Schlammmassen, sowie die gleichzeitig mit der
Lava ausgestossenen Wasserdämpfe hierauf hin. Wie bei den Quellen
hat man auch in der Thätigkeit der Vulkane ganz regelmässige
rhythmische Pulsationen beobachtet Solche in regelmässigen Zeitab-
ständen sich wiederholenden Ausstossungen von Gasen, Asche u. dergl.
hatte Prof. Suess Gelegenheit, am Hauptkrater des Vesuv und an
einem kleinen Nebenkrater, dem cratero parasitico, dieses Vulkanes
im Jahre 1871 zu beobachten. Indessen ist es nicht das Eindringen
des Meerwassers in die Tiefen, welches den Anlass zum Zustande-
kommen der Eruption giebt, sondern das Wasser, welches durch
Cberführung in Wasserdampf die Eruption herbeiführt, stammt nach
Suess aus tiefen Schichten des Erdinnem und hat noch niemals die
Oberfläche erreicht Entgegen den altern Anschauungen sind unsere
heutigen Vulkanausbrüche als der Rest eines mächtigen Prozesses
der Entgasung des Erdkörpers aufzufassen* eines Prozesses, der schon
seit Jahrtausenden vor sich geht, ohne doch bis heute seinen Abschluss
gefunden zu haben.
264 Quellen and Höhlen.
Schon vor 40 Jahren hat Hermann Müller in Freiburg mit
genialem Blicke gewisse Beziehungen erkannt, welche zwischen den
Erzgängen des sächsischen Erzgebirges und den heissen Quellen in
Böhmen bestehen. Zur Aullösung der in den Erzgängen enthaltenen
mineralischen Substanzen ist Wasser oder Wasserdampf von überaus
hoher Temperatur notwendig, wie man sie nur in grossen Tiefen
unter der Erdoberfläche annehmen kann. Die Zinnerzlagerstätten
bezeichnen die heissesten Phasen der Gangbildungen; im Gegensatze
zu ihnen sind als Vertreter der jüngsten Phasen in den zahlreichen
Vorgängen, welche die heutigen Erzgänge schufen, die Thermen zu
betrachten, die hier und da auf den Gängen erschrotet wurden. Die
meisten dieser Quellen sind alkalisch und manchmal auffallend reich
an Ghlornatrium, ja, wir wundem uns über den Gehalt an Kochsalz,
den die Karlsbader Quellen aus dem Granit zu Tage fördern. Die
Alkalien sind aber in den Erzgängen nicht zur Ablagerung gelangt,
nicht weil sie während der Bildung der Gänge gefehlt hätten, sondern
wegen der grössern Löslichkeit So zeigen uns die Erzgänge als
Extreme auf einer Seite den zinnernen Hut und auf der andern
Seite die von freier Kohlensäure begleiteten alkalinischen Thermen.
Vadose Einflüsse fehlen in den obem Horizonten nicht, aber sie
sind Nebenerscheinungen, und die alkalinischen Thermen der Gruben
sind nur das Endglied einer Reihe von Vorgängen, welche ihre
Ursache in der Tiefe des Erdkörpers haben. Karlsbad liegt auf dem
Ausgehenden eines Ganges. Könnten wir alle Verhüllungen, alle
Zu- und Überbauten entfernen und das Quellsystem samt seinen
eigenen Absätzen nackt vor uns sehen, so würden wir wahrnehmen,
dass es zweierlei Varietäten von Granit in gerader Linie durch-
schneidet. Auf einer gewissen Strecke ist es von eigenen Kalk-
absätzen, der Sprudelschale, bedeckt, und Lagen der Sprudelschale
sind auf dem Turmplatze noch 17 m über dem heutigen Sprudel von
Knett beobachtet worden. In der Tiefe der ganzen Strecke aber
sieht man einen altern Absatz der Quelle, nämlich Hornstein, welclier
zahlreiche Blöcke von Granit zu einer Breccie verbindet, ganz wie
an den auch sonst trotz ihrer Armut an gelösten Stoffen vielfach
verwandten Quellen von Plombieres in den Vogesen. Die Beziehungen
der Thermen zu den Erzgängen sind zugleich massgebend für die
Beurteilung der chemischen Zusammensetzung. In neuerer Zeit ist
von sachkundiger Seite der Versuch wiederholt worden, die Füllung
der Erzgänge durch Auslaugung der Nachbargesteiiie zu erklären;
indessen haben genaue Prüfungen gezeigt, dass die Füllung auf diesem
Wege und ohne Zutrag aus der Tiefe nicht erklärt werden kann.
Ahnlich verhält es sich mit den Thermen von Karlsbad. Am Vesuv
konnte, als die heissen Auswürflinge sich mit sublimiertem Kochsalz
bedeckten, Redner wegen der Nähe des Meeres anfänglich im Zweifel
bleiben, ob das Kochsalz nicht aus einer marinen Infiltration stamme,
aber hier, mitten im Festlande, findet man das Kochsalz wieder,
Quelleoi und Höhlen. 265
sowohl in Thermen, welche der Bergbau auf Erzgängen erschlossen
hat, als auch in Karlsbad. Die aus der Tiefe stammefaden Stoffe
erscheinen in der Form der am leichtesten löslichen Verbindungen,
während andere, leichter sich abscheidende, namentlich metallische
Verbindungen, in der Tiefe zurückbleiben. Dieses ist die Bedeutung
der Mengen von Glaubersalz, Soda und Kochsalz, welchen die Heil-
kraft unserer Quellen in erster Linie zugeschrieben wird. Die grosse
Menge halbgebundener und freier Kohlensäure ist ohne Zweifel
juvenilen Ursprunges, und wir wissen, dass sie einer späten Phase
vulkanischer Emanation entspricht Betrachtet man aber nicht die
Verbindungen, sondern die Elemente, die in den Karlsbader Thermen
vertreten sind, so zeigen sich auch die Anzeichen der andern Phasen.
Chlor, Fluor, Bor und Phosphor sind aus der heissesten Phase
anwesend, während die Metalle dieser Phase (Zinn, Wismut,
Molybdän u. a.) fehlen. Schwefel ist vorhanden, daneben Selen und
Thallium, Rubidium und Cäsium, die Begleiter der sulfidischen Vor-
kommnisse in verschiedenen Vulkanen, ebenso Arsen und Antimon,
die gewöhnlichen Begleiter der sulfidischen Erze, und auch Zink als
eine Spur der Erze selbst. Nun bleiben noch Natrium, Kalium und
Lithium, Calcium, Magnesium und Strontium, Eisen und Mangan,
Aluminium und Silicium, aber darunter ist kein Element, das nicht
aus den Erzgängen ,und kaum eines, das nicht auch aus den Vulkanen
bekannt wäre. Prof. Suess giebt nun eine Zusammenfassung. Die
Temperatur der Gase, welche in den Vulkanen aufsteigen, steht
dem Schmelzpunkte der meisten irdischen Gesteine nahe oder über-
steigt ihn, diese Gase können daher nicht aus vadoser Infiltration
hervorgehen. Die heissesten Fumarolen sind trocken; Wasserdampf
und thermale Lösungen gehören nachfolgenden Phasen an. Der
zinnerne Hut über sulfidischen Gängen des Erzgebirges entspricht der
heissesten sublimierenden Phase solcher Thätigkeit; die andern
Gangausfüllungen, namentlich auch die sulfidischen Erze, entsprechen
spätem Phasen. Die Thermen, welche heute auf den Erzgängen
erschrotet werden, sind ein Nachklang. Ein Nachklang vulkanischer
Thätigkeit sind auch, wenigstens hier, die zahlreichen Ausströmungen
freier Kohlensäure, wie sich bis nach Schlesien aus ihrer räumlichen
Verbindung mit der grossen nordböhmischen Basaltzone ergiebt
Im allgemeinen unterscheidet Prof. Suess fünf Gruppen von
Quellen, nämlich 1. süsse Trinkquellen, gleichgültig ob Hoch- oder
Tiefquellen, mit Temperatur des Bodens, wo sie zu Tage treten, Kalk
und Magnesia als Hauptbestandteile enthaltend; sie werden zur
Bewässerung unserer Städte benutzt 2. Quellen mit ähnlicher
Temperatur, aber von besonderem Mineralgehalte, so die Jodwasser
von Hall, die Bitterwasser von Saidschütz und Püllna. 3. Wildbäder,
mit wenigen gelösten Bestandteilen, sogenannte indifferente Thermen.
4. Juvenile Quellen mit den verschiedensten, aber von der Jahres-
zeit unabhängigen Temperaturen. 5. Siedequellen, den Übergang zu
266 Flüsse.
der sogenannten strombolischen Phase der Vulkane bezeichnend. Das
Wasser des Karlsbader Sprudels ist juveniles Wasser und bringt
jährlich mehr als eine Million Kilogramm juvenilen Kochsalzes herauf.
Der Ozean ist nicht mehr allein der abgebende, sondern auch der
empfangende Teil, und auch die Atmosphäre empfängt juvenile Be-
reicherung durch die aus dem Boden entweichende Kohlensäure.
Höhlenforschungen in der Nähe von Hentone. In der
Nachbarschaft dieser Stadt liegen mehrere Höhlen, die bereits früher
interessante paläontologische und urgeschichtliche Ausbeute geliefert
haben. Neuerdings sind dort die Nachgrabungen auf Anlass des
Prinzen von Monaco durch den Abbe von Villeneuve wieder auf-
genommen worden. Bei dieser Gelegenheit wurde eine als Grotte
der Kinder bezeichnete und schon 1874 — 1875 oberflächlich erforschte
Höhle bis auf den felsigen Boden blossgelegt Damals hatte man
dort die Skelette zweier jugendlichen Personen gefunden, jetzt ent-
deckte man in 1.9 m Tiefe ein drittes Skelett, dann in 7.05 tn Tiefe
ein riesenhaftes Skelett und zuletzt in 7.8 m Tiefe ein Grab mit
zwei kleinen Skeletten. Von Tierknochen wurden solche des Hirsches,
des Ochsen, des Pferdes und der Höhlenhyäne angetroffen. Das
grosse Skelett gehört ohne Zweifel einem Menschen der vorgeschicht-
lichen Gro-Magnon-Rasse an, die beiden andern Skelette aber weichen
davon typisch ab. Sie zeigen eine kleine Rasse, deren Typus bis
jetzt in der Quartärformation noch nicht angetroffen worden ist, von
1.5 — 1.6 m Grösse, mit unsymmetrischem Kopfe, sehr langschädelig,
mit negerähnlicher> sehr prognather unterer Gesichtsbildung und mit
stark entwickelten obem Gliedmassen. Dieser offenbare Negertypus
ist bis dahin noch niemals bei den vorgeschichtlichen Menschen des
westlichen Europas angetroffen worden und steht zunächst völlig
vereinzelt und rätselhaft da.
Flüsse.
Die Wasserverhältnisse der Zwickauer Mulde bis Zwickau
sind von Prof. Dr. Schreiber untersucht worden,^) doch hebt der-
selbe hervor, dass die von ihm mitgeteilten Resultate nur als vorläufige
anzusehen sind, und er mit der Publikation derselben nur bezweckt, seine
Absichten bei diesen Arbeiten darzulegen.
Bereits 1896 waren zu Zwickau die Vorrichtungen angebracht, um an
der Mulde (bei der Bierbrücke) ohne weiteres das GefsUle des Wasser-
spiegels und die Oberflächengeschwindigkeit des Flusses zu bestinunen.
Die um das Ende des Jahres 1899 sich darbietenden starken Änderungen
in der Wasserführung der Mulde gaben die Möglichkeit, eine Anzahl von
Messungen zwischen + 18 und -f 104 cm Stand des Pegels auszuführen.
Hierbei wurden alle die Arbeiten verwendet, welche von der königl.
Wasserbaudirektion an dieser Stelle ausgeführt worden sind und sich in
den >Hvdrologischen Jahresberichten für die Elbec pubUziert vorfinden.
Gs wurden Tabellen und graphische Darstellungen hergestellt, aus denen
man für jeden Pegelstand die in gegebener Zeit abfliessenden Wassermengen
^) Jahrbuch des kgl. sächs. meteorol. Instituts 17« 3. Abtl. Chemnitz 1902.
Flüsse. 267
und die sonstigen hierbei in Frage kommenden Zahlen entnehmen kann.
Darnach wurden dann nach den Pegelbeobachtungen vom Jahre 1872 an
die täglich abgeflossenen und in Millimetern Abflusshöhe auggedrückten
Wassermengen bestimmt.
Das Niederschlagsgebiet umfasst bis zur Bierbrücke 1019 qkm, Fliesst
also im Laufe des Tages eine Wassermenge ab, welche einem täglichen
Niederschlage von 1 mm oder 1 Liter auf 1 qJan entspricht, so werden
dies 1019 X 1000000 = 1019000 Liter = 10190C00 cbm, oder 1,019 cbkm
(l d>hm = 1 Million cbm) sein. Im allgemeinen werden 8 mm Niederschlag
beim vollen Abflüsse in der Mulde bei Zwickau 1.019 8 cbhm Wasser
hefem, oder umgekehrt werden w c^Am* täglicher Abfluss: «^^ 0.981 wmm
täglichem Niederschlage entsprechen. Weiter findet man, dass jeder Kubik-
meter, welcher in einer Sekunde abfliesst, 0.0848 mm täglichem Nieder-
schlage entspricht, also q chmlsec auch 0.0848 q mm. Umgekehrt wird der
Abfluss von 1 mm täglicher Niederschlagsmenge eine Wasserführung von
11.79 (^milsec erzeugen. Aus den täglichen Abflusshöhen lassen sich durch
einfache Addition die monatlichen und aus diesen die jährlichen Abfluss-
höhen ableiten. Alle diese Zahlen kann man direkt mit den Niederschlags-
messungen vergleichen. Um' auch hierüber einen Überblick zu erhalten,
wurden die Beobachtungen der sämtlichen im Gebiete der Mulde bis Zwickau
liegenden Stationen zusammengestellt und vorläuflg nur deren einfache Mittel
als ein Mass der über dieses Gebiet gefallenen Wassermengen betrachtet.
Zunächst giebt Verf. eine Tabelle, welche die Tiefe des Wassers in
Zentimetern, bei den verschiedenen Pegelständen über dem tiefsten Sohlen-
punkte enthält. Bei dem tiefsten Wasserstande sind dies nur 40 cm, bei
dem höchsten der beobachteten Stände aber nahezu 5 m. Die Breite des
Wasserspiegels schwankt zwischen 36 — 90 m, ergiebt also f ür 1 Äcm Länge
des Flusses Flächen zwischen 3.6—9 ha. Die Grösse des Querschnittes
des Wasserkörpers liegt zwischen 11 und 291 gm, das Volum, des Wassers
im Flusse auf 1 km Länge mithin zwischen 0.011 und 0.291 cbhm. Die
grösste dieser Menden entspricht ungefähr einer Niederschlagsmenge von
3 Zehnteln eines Millimeters über dem ganzen Niederschlagsgebiete.
Die Senkung des Wasserspiegels auf l km Länge beträgt, je nach
dem Wasserstande, 0.12— 2.94 m; diese Zahlen beruhen aber mehr auf
Schätzung als auf direkter Messung. Die mittlere Geschwindigkeit der
Strömung des Wassers ist bei tiefem Stande desselben sehr klein. Die
grösste Geschwindigkeit von nahe 2.4 m/sec tritt bei 250 cm Pegelstand
auf, bei hohem Standen geht diese Geschwindigkeit wieder zurück. Dann
treten wahrscheinlich grössere Widerstände durch die Brücke etc. in Thätig-
keit. — Das Niederschlagsgebiet hat eine zwischen etwa 650—700 m li^ende
mittlere Höhe, während der Spiegel des Flusses bei Zwickau bei ca. 260 m
liegt Das Niederschlags wasser wird demnach durchschnittlich etwa 400 m
niederfallen, ehe es bei Zwickau im Flusse abströmt. Würde diese Abwärts-
bewegung aller Wasserteilchen auf ihren verschiedenen Wegen ohne einen
jeden noch so kleinen Widerstand vor sich gehen, so würden sie in der
Mulde bei Zwickau mit einer Geschwindigkeit von circa 90 m/»ec ankommen.
Jeder Kubikmeter Wasser würde dann eine Arbeitsgrösse von ca. 5000 Pferde-
kräften verrichten können. Die thatsächlichen Geschwindigkeiten sind
dieser Grösse, welche die freie Bewegung erreichen könnte, gegenüber fast
verschwindend klein, es wird dem sich dem Flusse zu niederbewegenden
Wasser also fast der ganze Arbeitsinhalt durch die Widerstände geraubt,
die es auf seinen Wegen zu überwinden hat, wobei es teils mechanische
Arbeit durch Zerstörungen der Ufer, Bewegen von Steinen und Erdmassen
etc. verrichtet, teils Wärme erzeugt
Die in 1 Sekunde abfliessende Wassermenge beginnt bei dem tiefsten
Wasserstande mit dem wahrscheinlich etwas zu grossen Werte 1 cbm und
steigt bis zu nahe 500 cbml8ec bei 400 cm Pegelstand. Der Arbeitsinhalt
des fliessenden Wassers als das Produkt der halben Masse und dem Quadrate
268 -Flüsse.
der Gaschwindigkeit in Pferdekräften berechnet, würde bei 250 cm Pegel-
stand am grössten sein und über 1400 PS. betragen, während bei voll-
ständig widerstandslosem Zuflüsse diese Grösse nahezu 2 Millionen PS. er-
reichen würde.
Im Laufe eines Jahres fallen über dem 1019 qkm grossen, in einer
mittlem Höhe von 650—700 m über dem Meeresspiegel liegenden Fluss-
gebiete 910 mm oder Liter pro Quadratmeter Niederschlag. Die kleinste
Niederschlagssumme kommt auf den Februar mit 56.8 mm, die grösste,
106.4 mm auf den Juli. Von dem Niederschlagswasser fliessen im Laufe
eines Jahres 375.5 mm oder 41®/o in der Mulde bei Zwickau vorüber. Die
grössten Abflusshöhen haben die Monate März und April, die kleinsten die
Monate Oktober und November.
Die Abflusskoeffizienten, oder das prozentische Verhältnis des Abflusses
zum Niederschlage sind in den Monaten März und April, wahrscheinlich
wegen der Schneeschmelze, am grössten, im Juni und Juli am kleinsten.
Es stehen sich hier 2d^/o und 86^/^ gegenüber, während das Jahresmittel
41<>/o beträgt.
Nach den mitgeteilten Beziehungen zwischen den Niederschlags- und
Abflusshöhen einerseits und den diesen entsprechenden Wassermengen
anderseits findet sich, dass ein Millimeter Abflusshöhe in einem Durch-
schnittsmonate 0.886 c2m»/8ec. und 1.019 c&^ monatliche Abflussmenge erzeugt
Damach beträgt die Wasserführang im April durchschnittlich 21.0 c&m/sec,
im November aber nur 8.3 cbm. Das Jahresmittel stellt sich auf 12.1 cbmjsec.
Man erkennt aus der Tabelle, dass nur in den Monaten März bis mit Mai
die Wasserführung den Durchschnittsbetrag übersteigt, in allen andem
Monaten aber kleiner ist.
Die im Laufe eines Monates abfliessenden Wassermassen betragen
durchschnittlich nahe 32 cbhm oder Millionen d>m. Im November sind £es
nur 22, im April aber nahe 56 cblwiu
Besondere Tabellen enthalten etwas eingehendere Angaben über den
Niederschlag und Abfluss. Zuerst erscheinen die Lustren- oder fünfjährigen
Mittel für die Monate und Jahre.
Die Zahlen für die einzelnen Monate zeigen bedeutende Unterschiede,
trotzdem es sich um fünfjährige Mittel handelt. Die grössten dieser Mittel
erreichen bei einigen Monaten oft das 2 — 3 fache der kleinsten zu gleichen
Monaten gehörigen Werte. Irgendwelche Gesetzmässigkeit in der Folge
der Mittel für die Monate lässt sich nicht ersehen. Wohl aber ist dies
bei den Jahresmitteln der Fall. Während der ersten 3 Lustren nahmen
dieselben zu, zeigten während des nächsten Decenniums einen schwachen
Rückgang und stiegen dann wieder stark. Das Lustrum 1896—1900 zeichnet
sich durch ganz hervorragende Niederschlagsmengen aus. Ähnlich ist der
Verlauf der Abflusshöhen. Auffallend klein waren dieselben im ersten und
auffallend gross, fast das Doppelte betragend, im letzten Lustrum. Der
Anstieg vom Beginne der Beobachtungsperiode an wird hier nur durch das
Lustmm 1891 — ^1895 unterbrochen. Die Lustren, in denen die Monats-
abflüsse Maxima oder Minima zeigten, stimmen oft, aber durchaus nicht
stets, mit den entsprechenden Erscheinungen beim Niederschlage zusammen.
Die Unterschiede dieser Extreme der Monatsmittel sind noch bedeutender
als beim Niederschlage, die Maxima haben hier vielfach die 3 — 4 fachen
Werte der Minima.
Recht gross sind auch die Schwankungen in den Abflusskoeffizienten
gewesen. Im allgemeinen scheinen diese Zahlen anzudeuten, dass der von
dem Niederschlage in der Mulde abfliessende Bruchteil um so grösser ist,
je stärker der Niederschlag fällt. Das tritt wenigstens aus den Jahres-
mitteln hervor, die eine ähnliche Schwankung wie die Grundursachen zeigen
und zwischen 87 und 48 ^/o liegen.
Flüsse.
Zuletzt giebt Verf. eine Obersicht der während der einzehien Monate
und Jahre der Beobachtungszeit von 29 Jahren beobachteten kleinsten und
grössten Niederschlags- und Abflusshöhon, sowie der Abflusskoeffizienten,
Als kleinste selbst über einem Gebiete von über 1000 gXcm gefallene Monats-
menge des Niederschlages erscheinen darnach 4 mm. Diese Höhe entspricht
einem Wasserzuwachs von über 4 Millionen cbm und einer Wasserfimrung
von nur 1.5 cbmlsec. Dagegen fielen im Mai 1899 als eine der grössten
Monatsmengen 229 mm oder über 230 Millionen cbm auf dem Niederschlags*
gebiete und hätten beim vollen gleichmässigen Abflüsse eine Wasserführung
von 8B cbmlsec bei 110 cm Pegelstand erzeugen können. Noch grösser,
236 mm betragend, war die Niederschlagshöhe im Juli 1897.
Als kleinste monatliche Abflusshöhe erscheinen 9 mm, die einer durch-
schnittlichen Wasserführung von 3.5 cbmlsec entsprechen. Die grösste
Abflusshöhe hatte der Mai 1899 mit 160 mm, die mittlere Wasserführung
war in diesem Monate also 61.8 cbmlsec. Abgeflossen sind mehr als
160 Millionen cbm Wasser in diesem Monate. Bei vollständig gleichmässigem
Abflüsse hätte der Pegel 88 cm über Null zeigen müssen. Der mitüere
Pegelstand war aber nur 79 cm, was einer durchschnittlichen Wasserführung
von 58 cbmlsec entspricht.
Die Rechnimg mit Pegelständen einerseits und mit Abflusshöhen
anderseits kann sonach bei starker Schwankung in der Wasserführung
recht verschiedene Resultate bezüglich der abgeflossenen Wassermenge
ergeben. Diese Schwankungen waren im Mai 1899 wirklich auch recht
gross , dem Pegelstande 82 cm am 24. des Monates stehen 203 cm am 7. und
175 cm am 26. gegenüber. Die Abflusshöhen waren demnach am 7. Mai
20.9 und am 26. Mai 16.2 mm. Abgeflossen sind während dieser 2 Tage
21, resp. 17 Millionen dmt, und dleWasserf ührungen waren 244, resp. 192 cbmlsec.
Auch die Abflusskoeffizienten zeigen rechte Verschiedenheiten. Die
kleinsten Werte gehen im Juh auf lO^/o, im April aber nur auf 35% zurück.
Als grösster Wert erscheinen 1075 ^/o in dem niederschlagsarmen April 1893.
In diesem Monate wird zweifeUos fast alles Wasser aus dem Schneevorrate
der frühern Monate hergerührt haben.
Bezüglich der Jahresresultate stehen sich beim Niederschlage 630 mm
im Jahre 1874 und 1148 mm im Jahre 1899 als Extremwerte gegenüber.
Der gesamte Abfluss war im Js^re 1872 am kleinsten, 1899 am grössten»
die Mengen waren entsprechend 230 und 619 mm. Der erstere Wert
entspricht 7.3, der letztere aber 20.1 cbmlsec durchschnittlicher Wasser-
führung. Die jährlichen Abflusskoeffizienten schwankten zwischen 31 ^/g
11877—1893) und 54% (1899). Diese Ergebnisse können, wie dies schon
lervorgehoben wurde, nur als vorläufige gelten.
Veränderung Im Laufe des blauen NIL Der französische
Reisende Hugues Le Roux hat ^) die von 0. J. Grosby auf der Reise
von Zeila bis Chartum entdeckte Verschiebung des blauen Nil gegen
Süden auf einem Teile seines Laufes durch das abessinische Hoch-
land bestätigt Le Roux zog südlicher als Grosby und fand die
Verschiebung des Flusslaufes noch grösser als dieser, der südlichste
Punkt liegt in 9 <» 58 ' n. Br.
Das Flussgebiet des Lukuledi in Deutsch-Ostafrika ist vom
Missionar P. A. Adams geschildert worden.^ Den Fluss begleiten
Terrassen, die von Plateauvorstufen überhöht werden, gegen welche^
^) La Geographie 1901. Oktober.
*) Mittl. aus dem deutschen Schutzgebiete 1902. Heft 3.
270 Flüsse.
die Hauptplateaumassen wieder scharf abgesetzt sind. Die ursprünglich
zusammenhängenden Terrassen- und Vorstufenflächen sind jetzt durch
Bachthäler mannigfach zerschnitten, und das Gelände hat dadurch
stellenweise einen sehr unregelmä^sig hügeligen Charakter gewonnen.
Die grösste Mannigfaltigkeit in der Abstufung herrscht im mittlem
Flussgebiete des Lukuledi. Am deutlichsten sind die Terrassen und
Plateauvorstufen in ihrem ursprünglichen Zusammenhange erhalten in
geringen Resten südlich des Lukuledi bei Nawelewele Mbemba, nörd-
lich des Lukuledi, am rechten Ufer des Nyangaobaches aufwärts.
Hier steigt von der Flussterrasse, auf welcher die Mission in 200 w
Seehöhe liegt, das Gelände allmälilich bis zur deutlich aufgesetzten
Plateauvorstufe Nakadi-Mpeme in etwa 400 m Seehöhe, dann immer
mehr nordwärts bis zum Ansätze des Muera-Ilondo- Plateaus im
Mioliberg zu 700 m Seehöhe. Selbst von hier aus nimmt die
Steigerung des Plateaus unausgesetzt zu, bis zu einer Seehöhe von
etwa 850 m. Gegen Südwest tritt mit dem allmählichen Anstiege
der oft 6 — 10 hm breiten Thalsenke auf 200 — 300 w Seehöhe eine
Vereinfachung der Geländeformen ein; es treten die Plateaumassen
nach Norden und Süden zurück und verflachen sich teilweise in
westlicher Richtung in die wellige, mit Inselbergen besetzte Hoch-
ebene des Hinterlandes. Sehr interessant sind die weiten, schroffen
Auswaschungen der Bachthäler, die oben meist in einem steil-
wandigen Kessel endigen. Steht der Laie am Rande solcher senk-
rechten Thalkessel, so ist er sehr geneigt, diese mächtigen Zer-
störungen der Plateauvorstufen und der obersten Plateauränder
lediglich auf Rechnung der Erosion zu setzen. Infolge dieser Ero-
sionen bilden die Plateaulandschaften kein so geschlossenes Ganzes,
wie das aus der Ferne erscheinen mag. Wie der Nordrand des
Makonde-Mpatila- Plateaus durch gewaltige Einbuchtungen, welche
wiederum ihre eigene kleinere Gebirgs- und Hügelwelt in sich bergen,
eine linienreiche Form erhält, so wird der Südrand des Muera-Üondo-
Plateaus durch tief einschneidende Bachthäler sehr stark zerrissen
und bildet eine Anzahl massiver, halbinselförmiger Plateauvorsprünge.
Die Beobachtung, dass die beiden in Süd-Nordrichtung sich gegen-
überliegenden Plateauränder Ilondo und Ungulue-Makonde genau die-
selbe Seehöhe aufweisen, dass ferner die beiden Plateaumassen einen
einheitlichen Schichtenaufbau besitzen, lässt auf die Möglichkeit eines
vorzeitlichen Zusammenhanges der beiden jetzt durch die Thalsenke
getrennten Hochlandschaften schliessen.
Die unterste Terrasse der grossen Thalsenke besteht grossenteils
nur aus lockern Bodenarten, aus mehr oder weniger lehmigen Sauden
und sandigen Lehmen, zu denen sich in nächster Nähe der Plateau-
vorstufen mächtige Gerölllagen hinzugesellen. Zwischen Lukuledi
und Ungulue kommt eine feste Gesteinsunterlage sowohl in den
Terrassenbildungen wie auch selbst in den zerstörten Plateauvor-
stufen zum Vorscheine. Msbchtige Gneissfelsen liegen hier oft so
Flüsse. 271
wild und romantisch aufeinander und getürmt umhergeworfen, wie
w^enn vorzeitliche Riesen ihr Spiel getrieben. Nicht nur die Erden
der Terrassen, die Sandsteinschichten der Vorstufen, sondern auch die
der obem Kreide augehörigen »Makondeschichtenc liegen unmittelbar
auf Gneiss. An Mineralien finden sich in diesem Qebiete schwarze
Turmaline, Bergkrystalle, Granaten, Graphit, eisenhaltige Thone und
Glimmer.
Der obere Yangtsekiangr ist bei hohem Wasserstande von
Archibald Little im Jahre 1901 befahren worden,^) auf einer Dschunke.
Der Fluss bietet zur Winterszeit, wenn der Dschunkenverkehr am
regsten ist, ein ganz anderes Bild als im Sommer, wenn die zahl-
reichen kleinen Nebenflüsse infolge des Regens angeschwoUen sind.
Wahrend er im Winter wie ein klarer Gebirgsstrom dahinfliesst,
dessen ruhige Flussstrecken hier und da durch Wasserfälle unter-
brochen werden, ist er im Sommer ein äusserst reissender Strom,
dessen braune Wasser das allenthalben tiefe Bett ganz ausfüllen
und über Klippen oder zwischen steilen Felsabhängen dahinbrausen,
Klippen, die dann mehr als 10 m unter Wasser liegen. Die un-
zähligen Stromschnellen des Winters sind entweder ganz verschwunden
oder zu reissenden Strömen geworden. Meist liegt der Fluss jedoch
tot da, das rege Leben bei den Stromschnellen des Winters ist
völlig verschwunden, auch die zerstreut liegenden Dörfer und Städte
erscheinen wie ausgestorben. Der Verkehr im Sommer ruht weniger
der Gefahren halber, die eine solche Fahrt mit sich bringt — die
Engpässe sind in der That äusserst gefährlich — , als der erhöhten
Unkosten halber. Mehr Mannschaft ist erforderlich und muss statt
eines, zwei oder zeitweise drei Monate lang bezahlt und beköstigt
werden; infolgedessen steigen auch die Frachten, was wiederum den
Frachtverkehr ungünstig beeinflusst. Während von November bis
April grosse Dschunken beim Nordostpassat die sonst unpassierbaren
Engpässe passieren können, müssen sie im Sommer oft tagelang auf
günstigen Wind warten. Kurz, wenn der obere Yangtse von Dampfern
passiert werden kann, ist er für Dschunken unbefahrbar, und umgekehrt.
Die Fahrt mit der Dschunke flussaufwärts durch die Strom-
schnellen begann am 14. Juni 1901. Archibald Littie erreichte die
starke Stromschnelle Yehtan, etwa 60 Seemeilen oberhalb Itschang,
in sechs Tagen. Am dritten Tage nach der Abfahrt erreichte man
die Tunglingstromschnelle, 35 Seemeilen von Itschang; diese Strom-
schnelle ist der Ausfluss des Grand Mitan-Engpasses, der hier über
zahlreiche Klippen hinwegfliesst, durch die der Strom im Winter in
vielen Windungen seine Bahn sucht Im Juni sind diese Klippen
tief unter Wasser und nur an den durch den mit 7 Seemeilen
Geschwindigkeit darüber hinwegsetzenden Strom erzeugten Strom-
kabbelungen kenntlich. Die beschwerliche Fahrt in dem 15 See-
^) Ann. der Hydrographie 1902. p. 11.
272 Flüsse.
meilen langen, gewundenen Yaotsahostriche, der die Itschang- und
Mitanstromengen verbindet, trug die Hauptschuld an der Länge der
Reise. Das Flussthal erweitert sich hier. Während der Strom sich
in den Engen ein Bett durch die 300 — 600 m hohen Kalkstein-
gebirge gegraben hat, muss er sich in dem zwischenliegenden Striche
durch gigantische Granitfelsen seinen Weg suchen. Der Yaotsaho-
strich ist infolgedessen eine ununterbrochene Stromschnelle. Gleich
oberhalb des Mitanengpasses erweitert sich das Flussthal wieder,
obgleich es noch von steilen, 900 — 1200 tn hohen Bergen begrenzt
wird. Auf dem Ufer zu beiden Seiten ist die rege Stadt Hsintan
erbaut, deren wohlhabende Farmer und Rheder von Dschunken hier
malerische Häuser angelegt haben. Frau Bishop, die Hsintan im
Januar besuchte, schreibt darüber: »Der Lärm Hsintans spottet aller
Beschreibung. Mein Gehör war noch tagelang davon erfüllt Das
Rauschen und Tosen des Wasserfalles, die Rufe der die Dschunken
ziehenden Männer, sowie das unaufhörliche Schlagen von Pauken und
Gongs, das teils als Signal, teils zum Vertreiben der bösen Geister
dienen soll, machen einen nie zu vergessenden Höllenlärm.« Im
Sommer ist das Landschaftsbild ganz verändert. Die Klippen liegen
unter Wasser, die im Winter darauf stehenden Hütten sind ver-
schwunden, die Dschunkenleute treiben Ackerbau. Das Wasser des
^/^ Seemeile und mehr breiten Flusses ist schlicht, und nur selten
wird eine Dschunke sichtbar.
Die Dschunke, die nur geringen Tiefgang hatte, wurde ohne
Schwierigkeit über den etwa 2^/, m hohen, steilen, kurzen, ruhigen
Yehtan-Wasserfall hinweggezogen. Die 22 Seemeilen lange Fahrt
flussaufwärts durch den grossen Engpass von Wuschan nahm drei
volle Tage in Anspruch und war sehr beschwerlich. Der dann
folgende Flussstrich, der diese Enge mit der letzten der vier Engen,
dem Hello wsengpass, verbindet, der 3 Seemeilen unterhalb der be-
rühmten Stadt Kweifu liegt, war verhältnismässig frei. Unterhalb
der untern Einfahrt in den Bellowsengpass und gegenüber von
Hoangtsangpei befindet sich eine sehr merkwürdige Schlucht in den
900 m hohen Bergen am rechten Ufer. Diese etwa ^/^ Seemeilen
breite Schlucht führt bei den Eingeborenen den Namen Tsokia Hsia
oder Falscher Pass, da der Sage nach der Kaiser Yü, als er die
Engpässe aus den Bergen aushauen liess, die Setschuan vom übrigen
China trennen, diese Schlucht zuerst in Angriff nehmen liess. Diese
Durchfahrt bildete jetzt einen reissenden Strom, den Ausfluss des
seearügen obern Flusses.
Der Bellowsengpass ist durchschnittlich P/, Kabellängen breit,
wird jedoch durch felsige Untiefen bis auf ^/^ Kabellängen an drei
Stellen versperrt, auch ist er zu dieser Jahreszeit voll von Strom-
wirbeln. Der Felsen, hinter dem die Dschunke eine Nacht über lag,
besteht aus sehr hartem Kalksteine und Feuersteine und hatte das
Aussehen von Essenschlacken. Zur Zeit war die Spitze 9 — 15 m
Flüsse. 273
über Wasser, im Spätsommer ist sie jedoch ganz unter Wasser, so
dass die ganze Oberfläche vom Wasser allmählich weggewaschen
wird. Der Felsen ist aber zu hart, um ihn zu zerbröckeln, wie es
bei unzähligen andern Klippen im Strome der Fall ist. An der
engsten Stelle dieses Passes, nahe bei seiner obem Einfahrt, sind
bei niedrigem Wasserstande die Pfeiler und Löcher in den Felsen
noch sichtbar, von denen aus Ketten über den Yangtse gezogen
waren während des sagenhaften Krieges der »drei Königreiche«, der
im dritten Jahrhunderte mit dem Falle der grossen Han-Dynastie
endigte. Diese ganze Gegend ist an Sagen reich. Unterhalb dieser
Stelle sind 40 cm breite und 60 cm tiefe viereckige Löcher aus dem
etwa 150 ffi hohen Kalksteinfelsen geschlagen, die als Mengliangs-
leiter bekannt sind. Liupeh, der letzte Kaiser der Han-Dynastie,
erbaute hier den prachtvollen Tempel Pehtitscheng oder die Stadt
des Weissen Kaisers, so genannt nach dem himmlischen Qründer
und Schutzheiligen. Von den mit Holz belegten Terrassen gewinnt
man eine herrliche Aussicht über den Engpass, dessen höchster
Felsabhang etwa 900 m hoch ist, und über die malerische Stadt
Kweifu, 3 Seemeilen flussaufwärts, am linken Ufer des seeartigen
Flussstriches.
Da der Fluss in der Nacht um 3 m stieg, mussten die Ver-
täuungen des Bootes beständig verlegt werden. Bei Tagesanbruch
fuhr Archibald Little im Rettungsboote nach dem linken Ufer hinüber
und erklomm es bis zur Neuen Strasse. Die Strasse wurde im Jahre
1888 durch einen Vizekönig von Kweifu westwärts nach der etwa
50 Seemeilen entfernten Grenze Hupehs angelegt, wo sie beim
Passieren der Engpässe aus den Kreidefelsen ausgehauen ist und
durch eine niedrige Steinwehr begrenzt wird. Diese Strasse ist jetzt
wertlos ; sie endigt plötzlich in der Mitte des Wuschan-Engpasses und
beginnt bereits zu zerfallen. Sie würde, wenn sie bis zu dem 80 See-
meilen entfernten Itschang fortgeführt würde, einen unschätzbaren
Wert für die Verbindung mit Setschuan dargestellt haben, für die
jetzt nur der Wasserweg auf dem Yangtse besteht.
Die Stadt des Weissen Kaisers, das westliche Ende der Neuen
Strasse, ist nur noch ein kleines Dorf. Ein Teil der alten konkreten
Mauer besteht noch, durchbrochen durch ein altes Thor, durch das
der Weg nach der 3 Seemeilen entfernten, mit einer hohen Mauer
umgebenen Stadt von Kweifu führt. Eigentümlich berührt den Be-
schauer der Anblick, wenn er zu dieser Jahreszeit den 60 m zu
seinen Füssen liegenden ruhigen See sieht und nichts darin von
einer fleissigen Stadt bemerkt, die jeden Sommer unter Wasser ist
und im Winter, wenn der Flusswasserstand niedriger ist, wieder
aufgebaut wird.
Von Kweifu nach Wan Hien wurden Stromschnellen nicht be-
merkt Die flaschenhalsförmige Bellowsenge hatte das Wasser hier
au^estaut, der reissende Miaochi und der gefürchtete Hsinlungtan
Klein, Jahrbuch Xm. 18
274 Seen.
waren nicht vorhanden. Der Wasserstand im Flusse betrug jetzt
30 m über dem im Winter. Der */, — '/^ Seemeilen breite Fluss
lief ruhig zwischen grünen Abhängen hin, keine Klippe war sichtbar.
Der Farbenunterschied zwischen dem Dunkelgrün des Mais, der die
niedrigem Abhänge bedeckte, und dem schokoladebraunen Wasser
an deren Fusse war sehr aulfallend, sowie auch das Fehlen jeglichen
Lebens an der Stelle der neuen grossen Stromschnelle, die durch
den Erdrutsch im Jahre 1Q96 entstand. Von einer Stadt war keine
Spur zu finden, die Häuser waren meist fortgeschafft, die Stelle
war ganz unter Wasser. Auf dem hohen Lande darüber steht je-
doch ein schöner, grosser Buddhistentempel, der dem Wangse, dem
Schutzheiligen der Bootsleute, geweiht ist, und zu dessen Unter-
haltung von den Besatzungen der Dschunken beigesteuert wird.
Im Winter ist diese Stromschnelle eine ständige Gefahr und könnte
doch durch einige Tonnen Dynamit leicht beseitigt werden.
Seen.
Der Pleskauer (Pskower) See und seine Inseln wurden von
P. V. Stenin geschildert^) Der 3513 qkm grosse Peipussee bildet in
seinem südlichen Teile den kleinen (etwa 750 qkm grossen) Pleskauer
(Pskower) oder Talabskischen See, welcher mit seinem grossem
Nachbarn durch eine 4 km breite und circa 15 Ami lange Strasse
verbunden ist. Während der Peipussee einen steinigen, unebenen
Grund und eine Tiefe von 40 m besitzt, hat der Pleskauer See
einen schlammigen, mit Wasserpflanzen reichlich bewachsenen Grund,
und seine Tiefe übersteigt nicht 10 m. Das Wasser des Peipussees
ist rein und durchsichtig, das Wasser des Pleskauer Sees dagegen
trübe und von zahllosen Organismen belebt; der letzte Umstand und
namentlich die reiche Wasserflora des Pleskauer Sees und die von
ihr sich ernährenden Weichtiere erklären die Anwesenheit einer
Masse von Fischen im kleinen See. Auch sind die Fische, von bei
weitem bessern Geschmacke als diejenigen im grossen See. Die
Ufer des Pleskauer Sees sind flach, sumpfig und wenig bewaldet;
lange Uferstrecken liegen brach, unbewohnt und unbebaut. Die Be-
völkerung gruppiert sich an den Mündungen der Flüsse und auf
den Inseln. Von Süden ergiesst sich in den See der Fluss Welikaja;
18 Arm im Nordosten von seiner Mündung liegen die Talabskischen
Inseln, während nahe dem Westufer des Sees einige, teils nur
spärlich bevölkerte, teils unbewohnte Inseln (Ssemsk, Issad, Kortschma,
Waranje etc.) aus dem Wasser hervorragen. Die Talabskischen
Inseln sind stark bevölkert und bilden das Zentrum der Fischerei
auf dem Pleskauer See. Drei Inseln: Talabsk, Talawenez und Werchny
(die obere Insel) bilden diese, von circa 4000 Menschen bewohnte
^) Umlaiifts geograph. Rundschau 2L p. 70.
Seen. 275
Crnippe. Die Strassen, welche die ganze Gruppe vom Festlande
imd die Inseln voneinander trennen, tragen folgende Bezeichnungen:
der 8 km breite Sund zwischen dem Festlande und Talabsk heisst
4er »Bolschoi (Grosse) Esutc, der 1^^ km messende Sund, welcher
Talawenez und Talabsk trennt, heisst der »Maly (Kleine) Ksutc,
•derjenige zwischen Talawenez und der obem Insel, welcher ebenso
breit ist, tragt den Namen >Maly]a Worotac (das kleine Thor) und
deijenige zwischen der obem Insel und dem Festlande, welcher
eine Breite von 7 hm misst, >Bolschija Worotac (das grosse Thor).
Die beiden erstem Strassen trocknen in manchen Jahren aus, und
dann kann man trockenen Fusses von Talabsk nach Talawenez und
zum östlichen Ufer des Sees gelangen.
Die grösste Insel — die obere — Werchny — besitzt einen
grossen Fichten- und Tannenwald von 98.4 Morgen; alle Talabski-
schen Inseln zusammen umfassen ein Areal von 526 Morgen. Alle
drei Inseln sind im Süden niedriger und im Norden höher, wobei sie
eine Höhe von 20 m über dem Seespiegel erreichen. Der sandige
Boden mit dem lehmigen Untergründe wirkt hemmend auf die Pflanzen ;
der Strand ist mit erratischen Blöcken übersäet. Das Wort Talabsk
«oll vom esthnischen »Talluc, d. i. Bauernhof, Wohnung, abstammen.
Selehes im Hadfisee in Pommern. Der grosse südöstlich
von Stettin gelegene Madüsee ist von Dr. W. Halbfass mit einem
Sarasinschen registrierenden Limnimeter während der Monate Oktober
1901 bis Febraar 1902 auf stehende Schwankungen seines Wasser-
spiegels untersucht worden.^) Es konnten sehr deutlich ausgeprägte
Schwingungsformen von durchschnittlich 85.5, resp. 20.1 Minuten
Schvnngungsdauer konstatiert werden. Erstere stimmt mit der
mittels der P. du Boysschen Formel berechneten theoretischen
Schvnngungsdauer einer Längsschwingung des ganzen Sees einiger-
massen überein, letztere muss als erste Oberschwingung angenommen
werden, obgleich sie nicht unerheblich länger als die halbe Dauer
der ersten Schwingungsform ist Neben diesen Schwingungen treten
noch Oberschwingungen von kürzerer Dauer auf, die als Trinodal-
allgemein als Plurinodalschwingungen zu bezeichnen sind. Das
Maximum des Ausschlages der Grundschwingung erreicht 60 mm, das
der ersten Oberschwingung 20 mm^ bei steigendem Luftdmcke nehmen
die Amplituden der Schwingungen im allgemeinen ab, bei abnehmendem
zu. Länger andauernder Stillstand aller Schwingungen kam nur bei
sehr konstantem Luftdmcke vor. Die Stärke des Windes übt auf
die Dauer weder der einzelnen Schwingung, noch ganzer Schwingungs-
reihen irgendwelchen nennenswerten Einfluss, und es scheint, dass
die Periodendauer der Grundschwingung, und seiner ersten Ober*
Schwingung eine nur von der Natur des betreffenden Sees abhängige
') Zeitschrift für Gewässerkunde & p. 1.
18»
276 Seen.
feste Zahl, ihre Form und Art dagegen von Veränderungen des
Luftdruckes und der Windstärke abhängig zu sein.
Der Iseosee ist von A. Baltzer untersucht worden.^) Dieser
See hat in der Mittellinie eine Länge von 24.8 und eine grösste Breite
von 4.5 km; seine maximale Tiefe beträgt 250.7, die mittlere nahezu
123 m. Die Hauptversenkung stellt eine 237 — 250 m unter dem
Seespiegel befindliche Ebene dar, von der auf beiden Seiten die
Felsen wandartig aufsteigen. Den Ursprung dieses von Wasser
erfüllten Felsentroges dürfte ein Flussthal gebildet haben. Dass er
von Gletschern ausgekolkt wurde, bestreitet Verf.; tektonische
Hebungen, noch wahrscheinlicher Senkungen, haben nach seiner
Ansicht den bestimmenden EinfLuss geäussert. Heim hat hypothetisch
ein Zurücksinken der Alpen angenommen, welches die Büdung der
Randseen zur Folge hätte. Baltzer bietet dazu mit seiner Arbeit
einen Beleg für die Südseite der Alpen. Die Bildung des Iseosees
ist ein komplexes Phänomen« Das vorliegende Becken ist eine alte
Thalfurche mit vielen Umwandlimgen, auf welche Gesteinsart, Tektonik^
Eisdenudation und Dislokationen ihre Wirkungen geübt haben.
Letztere drei haben die Trogform geschaffen, und in der Ausbildung
derselben steht Baltzer die dritte Art obenan. Es ist eine selb-
ständige, äussere Zone von Moränenbögen vorhanden, die durch
verwaschene, mehr oder weniger abgetragene Wallmoränen, sowie durch
Ferrettisierung der Gesteine ziemlich wahrscheinlich gemacht wird»
Es wurden drei übereinander liegende Terrassenniveaus festgestellt»
von denen Verf. zwei als selbständig, eine als erodiert ansieht.
Jene zwei werden den Hoch- und Niederterrassen verglichen; für
noch ältere Schotter, im Sinne einer besondern Eiszeit, sind nur
schwache Anhalte. Die Niederterrasse ist, wie auf der Nordseite
der Alpen, schön ebenflächig ausgebildet und lässt sich Iß km weit
verfolgen. Die Hochterrasse konnte nur teilweise nachgewiesen
werden, ihre Geschiebe sind kräftig ferrettisiert. Deckenschotter
sind nur fragwürdig entwickelt, an einigen Stellen finden sich feste
Konglomerate mit Anzeichen hohem glazialen Alters.
Die warmen Salzseen von Szoväta. Etwa eine Stunde ent-
fernt von der Ortschaft Szoväta im Eomitate Udvarhely in Siebenbürgen
befindet sich eine der interessantesten Naturerscheinungen, die ausser-
halb des Landes allerdings noch wenig bekannt ist. Nordöstlich
von jenem Orte erhebt sich ein Salzrücken (Söhät), nämlich ein etwa
2 Stunden im Umfange haltendes Salzgebiet mit 30 — 50 m hohen,
teils freistehenden, teils mit dünnen thonigen Erdschichten bedeckten
Salzfelsen, zwischen denen an vielen Punkten starke Salzquellen zu
Tage treten. Die freistehenden Salzfelsen sind im Laufe unzähliger
Jahre von den Regenmassen erodiert und geklüftet worden, so dass-
^) Koken, Geolog, u. paläontol. Abhandig. N. F. & Heft 2.
Seen. 277
sie in den verschiedensten Formen sich zeigen. Während der trockenen
Jahreszeit stellen sich viele dieser Felsen in der thonigen, mit Salz
imprägnierten Umgebong als weisse Flächen dar, so dass man auf einem
eisbedeckten, gefrorenen Gebiet zu sein glauben könnte. An gewissen
Stellen zeigen sich kleine Weiher oder Seen, die nicht nur rück-
sichtlich der Konzentration des Salzes, sondern mehr noch wegen
ihrer abnorm hohen Temperatur überaus merkwürdig sind. Der
Ohef-Ghemiker der kgL ungar. geologischen Anstalt, A. v. Kalecsinsky,
hat in der Fachsitzung der ungarischen geologischen Gesellschaft
(am 6. November 1901) über seine Untersuchungen dieser warmen
und heissen Eochsalzseen und über die Ursachen ihrer Temperatur
berichtet.^)
Hiemach ist die Erdschicht, welche das Salz bedeckt, da, wo
sie überhaupt vorhanden, oft kaum über 1 m mächtig ; dieser Boden
aber trägt eine prächtig gedeihende Vegetation, insbesondere Eichen-
bäume, deren Wurzeln stellenweise beinahe bis zum Salze hinab-
reichen. Einige kleine, den Salzrücken durchschneidende Wasserläufe
verschwinden unter der Oberfläche, um aber alsbald wieder als Salz-
quellen zu Tage zu treten und sich in den Szovätabach zu ergiessen.
Diese Wasser kommen nun mit dem unterirdischen Salze in Be-
rührung, lösen sich auf und geben dadurch Anlass ziir Bildung von
unterirdischen Kanälen und Hohlräumen, ja selbst von unterirdischen
Teichen.
Haben die Hohlräume endlich einen solchen Umfang erreicht,
dass die ihnen aufgelagerte thonige Erde, besonders in durchnässtem
Zustande, ihren Halt verliert, so stürzt diese Oberdecke ein. Man
kann dies aUjährlich im Frühlinge, nach der Schneeschmelze oder nach
längerem Regen beobachten. Auf solche Art entstanden nun zahl-
reiche trichterförmige Dolinen des Salzrückens und die Salzseen, so
bereits in uralter Zeit der Schwarze See, der Mogyoröser See und
am Schlüsse der siebziger Jahre der ansehnliche und tiefe Medve-
oder Illyessee mit zwei Verzweigungen : dem Roten See und dem Grünen
See. Andere Seen verschwanden dagegen nach längerem Regen.
Diese Salzseen, sagt v. Kalecsinsky mit Recht, suchen auf dem
ganzen Kontinente ihresgleichen nicht nur bezüglich ihrer Ausdehnung
und Konzentration der Salzlösung, sondern auch femer durch jene
spezieUe Eigenschaft, dass sie zwischen zwei kaltem Wasserschichten
warmes bis heisses Wasser einschliessen.
Dies veranlasste ihn, die Salzseen einem genauen Studium zu
unterwerfen und der Ursache nachzugehen, woher das warmheisse
Wasser stamme, da die bisherigen Erklärungen in dieser Hinsicht keine
befriedigenden Beweise geliefert haben.
Im Sommer 1901 hatte er Gelegenheit, einige Wochen hindurch
4ie Salzquellen und Salzseen von Szoväta gründlich zu studieren
1) Földtani Közlöny 80. Badi4>est 1901.
278 Seen.
tmd Messungen, sowie andere Beobachtungen anzustellen, die ihn zu
bestimmten Folgerungen führten.
Der höchstgelegene, grösste, tiefste und zugleich wärmste See
ist nach seinen Angaben in Szovata der sogenannte Medvesee, so-
wie die mit ihm, wenigstens während der nassen Jahreszeit, durch
ein schmales Rinnsal verbundenen, gleichfaUs sehr warmen und tiefen
Seen: der Rote und der Grüne See. »Der Medvesee — dessen
Form die Ortsbewohner mit einem ausgebreiteten Bärenfell vergleichen
— ist von einem schönen Eichenwalde (eine Seltenheit auf Salz-
gebieten) umgeben. Gegen Norden erhebt sich der Gseresnyes Berg,
aus dessen Umgebung zwei kleine Süsswasserbäche sich in den See
ergiessen. Ostlich vom See befindet sich ein kleines altes Badehaus^
unweit einer aus Andesitbreccie bestehenden Felswand; südlich vom
See wurden in diesem Jahre (1901) 9 — 10 Wannenbäder gebaut, zu
deren Speisung man das warme Wasser aus der Tiefe des Sees
pumpt; daneben befindet sich eine mit 20 Kabinen ausgestattete
Schwimmschule. Südwestlich erhebt sich der höchste Teil des Salz-
rückens, 563 m, und an einigen Stellen sind Salzfelsen sichtbar.
Im Westen befindet sich der Ausfluss des Medvesees, der neuestens
mittels einer Schleuse regulierbar ist
Sämtliche oben erwähnten Seen liegen in einer kleinen, vor
Winden geschützten Vertiefung, etwa 520 m über dem Meere.
Die Fauna und Flora dieser Seen ist sehr arm. Bloss an ihrer
Oberfläche leben einige kleine Wanzen- und Krebsarten, sowie einige
Algen, längs der Bäche, deren Wasser weniger salzig ist (4 — 57o^&C^)>
rote und grüne Formen von Salicornia herbacea. Die mit dem Salz-
wasser begossenen Rasenplätze oder Bäume welken und sehen schon
nach einigen Tagen wie abgebrüht aus.
Der Flächeninhalt des Medvesees beträgt etwa 39 000— 42 000 gm,
die Tiefe ist in der Nähe des neuen Badehauses 3.5 m, in der Mitte
des Sees 20 ifi, 20 — 30 m weit von der Andesitbreccien -Wand da-
gegen 34 m als tiefster Punkt des Sees. In der Nähe des Roten
Sees beträgt die Tiefe mehr als 15 m und ebenso unweit des Aus-
flusses. Die mittlere Tiefe kann man auf 10 m veranschlagen.
Den Roten und den Grünen See umgeben fast von allen Seiten
freistehende, 10 — 40 m hohe Salzfelsen, welche in der Nähe des
Roten Sees vordem eine rötliche Färbung besassen und dem See
seinen Namen gaben. Die Tiefen- und Temperaturverhältnisse waren
bisher noch nicht genau bekannt Man wusste bloss, dass unter
der kalten oberflächlichen Wasserschicht sich eine Schicht heissen
Wassers befindet
Am obem Ende des Roten Sees fand Verf. in einer Tiefe von
ungefähr einem halben Meter das spezifische Gewicht von 1.068, das
in der Mitte des Sees in gleicher Tiefe 1.062 betrug, also beides
ungefähr 9^0 Ghlomatrium entsprechend.
•Seen. 279
Unterhalb des Ausflusses des Medvesees befindet sich in einer
schluchtenartigen Vertiefung der Mogyoröser See, durch welchen der
Abfluss des Medvesees erfolgt. Das Salzwasser ist in diesem See
in der Tiefe viel weniger warm.
Die Tiefe dieses, ca. ein Joch grossen Mogyoröser Sees ist
unmittelbar neben dem Badehause 1.3 m, in der Mitte über 6 m;
im Mittel daher 4 — 5 m. Der Überschuss des Wassers fliesst in
einem Salzgraben an jener Stelle vorbei, wo sich in frühem Zeiten
der Weisse See befunden hat In seinem weitem Verlaufe wird
dieser Salzbach durch einige Salzquellen gespeist, wodurch das
Wasser des Baches an Konzentration und Salzgehalt bedeutend zu-
nimmt
Südlich vom höchsten Punkte des Salzrückens und unweit des
im Jahre 1901 erbauten Gasthauses liegt in einer beträchtlichen
Vertiefung der Schwarze See, der keinen standigen Wasserzufluss
besitzt, sondem bloss durch Schmelze und Regenwasser gespeist wird.
Die WasseroberflsLche ist weniger salzig , die Tiefe 5 — 6 m, der
Flächenraum ungefähr 1 Joch.
Verf. hat nun genaue Messungen der Temperatur und des
spezifischen Gewichtes des Medve-, Mogyoröser und Schwarzen Sees
ausgeführt und spricht sich über die Ergebnisse wie folgt aus:
»Die Temperatur des Wassers an der Oberfläche ist nach der
Jahres- und Tageszeit veränderlich, sie stimmt beinahe mit der
Lufttemperatur überein (im Sommer 20 — 30^ C), dann steigt sie
(obere warme Sprungschicht) mit der Tiefe gradatim und erreicht
beim Medvesee in einer Tiefe von 1.32 m ihr Maximum (55—70^ C,
— heisse Sprungschicht) ; von hier an sinkt dann die Temperatur
wieder stufenweise (untere warme Sprungschicht) bis zur untersten
kalten Schicht (kalte Sprungschicht).
Die heisseste Schicht liegt, schwimmt, also zwischen zwei
kalten Flüssigkeitsschichten. Die Mächtigkeit derjenigen Salzsolen-
schicht, deren Temperatur wärmer als 40^ C. ist, beträgt bei-
läufig 2 m.
Was das spezifische Gewicht anbelangt, so ist dasselbe an der
Oberfläche, nahe am Einflüsse des kleinen Baches = 1.00, beim
Ausflusse wegen der Diffusion und kleinerer Wellenschläge =1.016
= 2 ^/^ Chlomatrium ; es ist dies also beinahe Süsswasser. Mit
der Tiefe nimmt das spezifische Gewicht gradatim zu und demzufolge
auch der prozentuelle Gehalt an Chlomatrium.
In der Tiefe von 1.32 m ist nicht nur das spezifische Gewicht
und der Salzgehalt am höchsten, sondem dort befindet sich auch
die grösste Temperatur. Nach dem Erreichen des Maximums ändert
sich das spezifische Gewicht und die Konzentration kaum, sie sind
nur um ein Geringes höher.
Der wärmste See ist der Medvesee, weniger warm der Mogyo-
röser See; der Schwarze See hingegen ist kalt
280 Seen«
Auf der Oberfläche des Mogyoroser Sees liegt eine dickere
Schicht einer 2 — 3^/^ igen Salzlösung, in einer Tiefe von 0.5 m
enthält das Wasser schon 6 7^, bei 1 w 9 ^/^ und bei 1.5 m 23 7^
Chlomatrium. Die höchste Temperatur ist in 1,82 m zu beobachten
und ist daselbst bedeutend niedriger (38 ^ C), als im Medvesee.
Im Schwarzen See endlich enthält das Wasser bis 2 m 2 — 3^0
Chlornatrium, und erst bei 3 — 4 m Tiefe erreicht die Lösung ihre
Konzentration. Bei diesem See findet man oben keinen warmen
Sprung der Temperaturen, die mittlere warme Schicht fehlt voll-
ständig, und das Wasser erwärmt sich im Sommer beinahe ebenso,
wie das eines jeden andern homogenen Sees; die Oberfläche ist am
wärmsten, und von da ab sinkt die Temperatur mit der Tiefe.
Es sind über diese warmen Salzseen nur zwei Arbeiten bekannt,
die vom wissenschaftlichen Standpunkte in Betracht kommen. Die
eine stammt aus der Feder des Prof. Dr. A. v. Lengyel und behandelt
hauptsächlich die chemische Analyse des Wassers,^) die andere hat
den Chefgeologen, Oberbergrat L. Roth v. Telegd zum Verfasser, der
sich mit der Geologie dieser Seen befasste.^ Überdies sind noch
einige kleine Mitteilungen vorhanden, deren Temperaturmessungen
jedoch nicht immer zuverlässig sind.
Die Ansichten und Vermutungen über die Entstehungsursache
der zwischen zwei relativ kalten Flüssigkeitsschichten schwebenden
warmen oder heissen Schichten waren bisher sehr verschieden. Die
einfachste und allgemein verbreitetste Ansicht war die, dass die
warme Salzwasserschicht einen thermalen Ursprung habe. Andere
dachten später — nachdem es bereits bekannt wurde, dass die
Temperatur mit der Tiefe wieder sinke — an einen chemischen
Prozess, an eine Oxydation von Pflanzenresten, Bitumen, Pyrit u. s. w.
Alle diese Erklärungen sind irrig, vielmehr fand Verf., dass sich
konzentriertes Salzwasser, wenn es von einer spezifisch leichtem
Süsswasserschicht bedeckt und von der Sonne längere Zeit beschienen
wird, erwärmt Daraus lässt sich mit Sicherheit schliessen, dass
die mittlere warmheisse Schicht des Medve- und Mogyoroser Sees
weder thermalen Ursprunges, noch die Folge eines Oxydationsprozesses
ist, sondern ihre Wärme ebenfalls nur von der Sonne erhält. Femer
folgt, dass mit dem Verdunsten des auf der Oberfläche schwimmenden
Wassers die Temperaturunterschiede der obern und untern Flüssig-
keitsschichten geringer werden, und dass nach dem vollständigen
Verdunsten des Süsswassers die Differenz (wie Verf. an einem an-
dem kleinen Teiche beobachtete) nach einigen Tagen überhaupt
verschwindet.
^) Der Illyes-Teich bei Szoväta und seine Umgebung vom geologischen
Gesichtspunkte. Földtani Közlöny 1899. 29. Heft 1—4. p. 130.
*) Der myes-(Bären-)See bei Szoväta. Földtani Közlöny 1898. Supplbd. 28.
Heft 7-9. p. 280.
Seen. 281
»Zur ErwärmuDg der Salzseen ist somit, ausser der Sonne, eine
auf der konzentrierten Salzlösung schwimmende Süsswasser- oder
schwach salzige Wasserschicht eine wesentliche Bedingung, sie ist
die Vermittlerin und dient gleichzeitig als Schutz.
Die Erfahrung lehrt, dass die Temperatur unten um so höher
steigt, je grösser die spezifische Gewichtsdifferenz der beiden Flüssig-
keiten ist; mit der Differenz verringert sich auch die Temperatur.
Nimmt das obere Süsswasser, eventuell die sehr verdünnte Salz-
wasserschicht an Mächtigkeit zu, so ist dementsprechend die Maximal-
temperatur der mittlem Schicht niedriger, wie dies der Mogyoroser
See zeigt Ist jedoch die spezifisch leichte Schicht über dem kon-
zentrierten Salzwasser sehr mächtig, übersteigt sie 2 m, wie beim
Schwarzen See, so unterbleibt die Erwärmung der mittlem Schicht
beinahe vollständig, und das Wasser des Sees erwärmt sich annähernd
so wie in den bisher bekannten Seen. Unsere Seen, fahrt Verf.
fort, sind ein schönes Beispiel dafür, wie geringfügig die Wärme-
leitung in Flüssigkeiten ist; kann Wärme in einer Flüssigkeit nicht
durch Strömung sich ausbreiten (wie z. B. wenn man Wasser in
«inem Becherglase über der Flamme erwärmt, wo dann die unten
beiss gewordene Flüssigkeit sofort aufsteigt — da sie leichter ge-
worden — und so die Wärme durch das ganze Volum der Flüssigkeit
mitteilt), so kann sie überhaupt nicht von der Stelle, und es können
dann an dem Orte, wo die Wärme in die Flüssigkeit hineingebracht
wird, sehr hohe Temperaturen entstehen.
Diese Salzseen werden durch die Strahlung der Sonne erwärmt,
die von oben ins Wasser dringt Die Sonnenstrahlen, sichtbare und
auch ultrarote zusammengenommen, werden von Wasser und Koch-
salzlösung absorbiert, besonders die ultraroten Teile, aber nicht so
staric, dass das Eindringen der Strahlen nicht bis zu einer gewissen
Tiefe stattfinden könnte. Die Hauptsache ist, dass die Sonnenstrahlen
nicht die äusserste Oberfläche der Seen allein erwärmen, sondern
eine ganze grosse, dicke Schicht an der Oberfläche. Wäre nun die
Flüssigkeit homogen, so würde die Wärme nach oben steigen und
sich dort immer ansammeln. Die Oberfläche ist aber ein Ort starken
Wärmeverlustes durch Verdunstung, wobei ja Wärme verbraucht
wird. Jedoch auch ohne Verdunstung wird Wärme an die Luft
abgegeben und durch die Luftströmung gleich fortgeführt. Dies ist
der Grund, warum in gewöhnlichen Seen und im Meere keine so
starke Erhitzung des Wassers resultiert, wie in jenen Salzseen. In
diesen Seen ist nun das Salzwasser, welches durch die Verschluckung
der Sonnenstrahlen warm wird, durch sein hohes spezifisches Ge-
wicht verhindert, aufzusteigen und an den Ort des Wärmeverlustes,
d.h. die Oberfläche, zu konunen; es kann die tagsüber ihm fort-
während zugeführte Wärme nur durch Leitung nach oben und unten
hin weitergeben. Eben die wässerigen Flüssigkeiten leiten jedoch
die Wärme schlecht, fast so viel wie gar nicht, und daher ergiebt
282 Seen.
sich die grosse Anfispeichening der Wärme in der obersten Salz-
solenschicht.
Das Bodenrelief des Skutarlsees ist von Prol Cvijiö im
Sommer 1901 erforscht worden. Im ganzen wurden 240 Tiefsee-
messungen ausgeführt Es ergab sich, dass dicht an dem steilen
südwestlichen Ufer zahlreiche Locher vorhanden sind, ähnlich den-
jenigen, welche früher A. Delebecque im See von Annecy nachgewiesen
hat. Die grösste dieser Vertiefungen findet sich nahe dem Dorfe
Radus gegenüber und beträgt 44 m. Die Höhe des Seespiegels über
dem Meere ist 6 m. Der Verf. glaubt, dass der See aus der diluvialen
Periode stammt und eine beständig überschwemmte Earstpolje vorstellt
Der See von Ohrida und der Prespa in Makedonien.
In einer zum Teile auf eigenen Studien an Ort und Stelle beruhenden
Arbeit über die Geomorphologie Makedoniens behandelt Dr. K. Oestreich
auch die oben genannten Seen.^) Der See von Ohrida hat in der
grössten Länge 30 km, im mittlem Teile ist er 10 km breit, und
sein Flächeninhalt umfasst 275 qkm. Er gabelt sich in die Buchten
von Ohrida und von Struga, die durch ein auf der Qen.-Karte
Kopamica genanntes, 1200 m hohes Gebirge getrennt werden. Die
Bucht von Struga setzt die allerdings verringerte Breite des Sees
als Flachland des Drin noch einige Kilometer weit in das Innere
des Landes fort; von der Bucht von Ohrida ist nur noch der flach
halbkreisförmige Ansatz einer Bai erhalten, die eigentliche Bucht ist
bis Kozel, wo die Opandka reka aus dem Gebirge heraustritt, zu
einem breiten Flachboden geworden.
Was bei einem Überblicke der Karte des Ohridasees am meisten
auffallen muss, ist der fast vollständige Mangel an Zuflüssen,
wenigstens solcher, die der Grösse und Tiefe des Sees entsprechen.
Doch strömt ihm, gewissermassen aus allen Poren des Gebirges,
das Wasser in reichem Masse zu. Im Kalkgebirge des Mali Thot,
dem »Trockenen Gebirgec , sinkt das Wasser auf Klüften und
Sprüngen in die Tiefe. Unbekümmert um das Einfallen der Schichten,
durchsinkt es den einheitlichen Schichtkomplex der mesozoischen
Kalke. Die Basis dieser unterirdischen Erosion auf der West-
abdachung der Galiöica ist der Ohridasee, und so bildet das Steil-
ufer der Ostküste einen wahren Quellenhorizont. Bereits südwestlich
von Ohrida, wo jenseits der zum Teile verschilften Bucht die Kalk-
hügel an den See herantreten, fliesst bei Studenadista unter mächtigen
Platanen kaltes, klares Wasser in starken Quellen aus den Kalk-
felsen hervor.
Das eigentliche Wunder des Ohridasees sind aber die Quellen
von Sveti Naum. Sie bilden einen wahren See von etwa 1 qkm
Flächeninhalt, den in seinem obem Teile flussartig gewundenen,
^) Abhandig. der K. K. geogr. Gesellsch. in Wien 1902. 4. No. 1.
. Seen. 288
im Unterlaufe seeartig erweiterten Abfiuss eines weitausgedehnten
Quellenhorizontes.
Der Spiegel des Ohridasees liegt in 687 m Seehöhe, und seine
Tiefe beträgt bis zu 200 m. Er scheint der langsamen Austrocknung
und Verlandung zu verfallen.
Der Prespasee bedeckt eine Fläche von etwa 300 qhm. Seine
Küstenlinie ist entwickelter als die des Ohrida; auch enthält er vier
kleine Inseln. Kleine Zuflüsse empfängt er von allen Seiten, be-
sonders wasserreiche auf der Ostseite vom Peristerigebirge herab.
Die längste und am meisten verzweigte Wasserader strömt ihm
jedoch von Norden zu, also von der Seite her, nach welcher hin
der Nachbarsee entwässert wird. Er empfängt hier die Lareka,
welche die Gewässer der die Ebene von Resna umgebenden Berg-
länder sammelt. Mit der reichem Küstengliederung geht auch eine
grössere Mannigfaltigkeit der vertikalen Küstenformation Hand in
Hand. Ursache für beides ist, dass im Gegensätze zu der ein-
förmigen geologischen Lage des Ohridasees der Prespasee auf einer
Formationsgrenze liegt
>Er stellt in seiner Gesamtheit ein von Wasser erfülltes Becken
dar, das zwei Ausgänge hat: einen thalartigen, nur zeitweise vom
Wasser benutzten oberirdischen und einen perennierenden tmter-
irdischen Abfiuss. Wir haben hier den Fall einer Seebifurkation
durch unterirdische Anzapfung, eine typische Karsterscheinung.
In alter Zeit mag der Prespasee seinen Ausfluss durch die
Wolfsschlucht von Tren in das Devolthal genommen haben, ein fast
stehendes, kanalartiges Gewässer. Erst als die Perioden der Trocken-
heit häufiger und länger wurden, und dieser flussartige Ausgang
allzuoft aussetzen musste, suchten die Wasser des Sees unter dem
Drucke, den sie auf die Wände desselben ausübten, einen Ausgang
und fanden ihn in dem unterirdischen Abflüsse der Bucht von
Gorica in das Gebirge.
Wohin der Prespasee abfliesst, ist freilich noch nicht mit
Bestimmtheit zu sagen. Allerdings liegt der Ohridasee 200 m tiefer,
und gerade 15 /nn in der Richtung des Seeabflusses nach Westen
befinden sich die Quellen von Sveü Naum. Es hat viele Wahr-
scheinlichkeit für sich, dass der Ohridasee die Erosionsbasis auch
für den Abfiuss des Prespasees darstellt Seine grössere Wasser-
masse und seine tiefere Lage mögen ihm den Vorzug gegeben haben
vor dem von der Bucht von Pustec nur 6 km e&tfemten Maliksee.
Aber die Art und Weise und die Anordnung dieser unterirdischen
Entwässerung ist ims begreiflicherweise verborgen. Die Meeres-
höhe des Seespiegels hat sich aus den Ablesungen des Verfassers
zu 906 m ergeben.
Die abflusslosen Seen auf dem Armenischen Hochlande
schilderte Dr. Rohrbach. ^)
^) Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde in Berlin 1902. No. 4.
284 Seen.
Es giebt dieser Seen drei, die sich gewissermassen um den
Ararat gruppieren, nämlich der Urmia- und Wansee, sowie der
Gok-Tschai.
Der Urmiasee ist ausserordentlich seicht, im Mittel nur etwa
5 m tief und eine jener flachen Depressionen, die sich auf dem
Iranischen Hochlande nicht selten finden. »Die Wasserläufe streben
von allen Seiten dem Boden dieser abflusslosen Becken zu und bilden
dort Seen oder Sümpfe, deren Salzreichtum wegen fehlenden Abflusses
des Wassers in steter Zunahme begriffen ist. Gleichzeitig erfolgt
der ununterbrochene Transport des Verwitterungsschuttes der um-
gebenden Gebirge nach dem Boden der Senke zu, wodurch eine
allmähliche Ausgleichung der vertikalen Unterschiede stattfindet Die
Folge dieser Verhältnisse ist, dass sich rings um die Gewässer im
Zentrum der Becken ausgedehnte Sumpfstrecken bilden, und dass der
Stand des Wassers je nach den Jahreszeiten ausserordentlich ver-
schieden ist Alle iranischen Binnenseen überschwemmen im Früh-
jahre weithin ihre flachen Ufer und ziehen sich dann bis zum Ein-
tritte der herbstlichen Regenzeit wieder zusammen. So auch der See
von Urmia, über dessen Salzgehalt die Angaben zwischen 14 und
28^/q schwanken.
Der See von Wan entstand wahrscheinlich infolge einer grossen
vulkanischen Neubildung an seinem jetzigen Westufer, dem Nimrud-
Dagh. Früher bildeten sein jetziges Becken und die westlich, jenseits
des Nimrud-Dagh, gelegene grosse Ebene von Musch einen zusammen-
hängenden weiten Thalboden inmitten der umgebenden Gebirge, ähnlich
mehrem andern Hochebenen innerhalb der armenischen Gebirgs-
systeme. In das äusserste Westende dieser grossen Ebene trat der
Murad, der linke Quellfluss des Euphrat, ein und verliess sie alsbald
wie noch heute durch eine tief eingerissene und enge, unzugängliche
Felsenkluft Der heutige Kara-Su, der die Ebene von Musch be-
wässert, entsprang damals weit ostwärts in den Bergen, die das
alte Thal von Wan umgeben. Jener Ausbruch, welcher den Krater-
berg des Nimrud-Dagh aufschüttete, teilte die Ebene in zwei ungleiche
Teile und verwandelte die grössere östliche Hälfte in ein ringsum
geschlossenes Becken. Die von den umliegenden Bergen herab-
kommenden Flüsse und Bäche füllten dieses Becken mit Wasser,
bis Gleichgewicht zwischen Wasserzufluss und Verdunstung eintrat
Es hätte, wie Dr. Rohrbach bemerkt, nur noch des Steigens des
Seespiegels um 15 — 20 m bedurft, um dem See von Wan einen
Abfluss nach Süden zu eröffnen. Nach Dr. Beck ^) hat der Bohtan-Su
(der östliche Tigris) einen Zufluss, der südlich vom See von Wan
nur 15 — 20 m über dessen heutigem Niveau entspringt und durch
die Tauruskette den Weg zum Tigrissysteme hin findet Diese
bedeutsame Thatsache ist lange unbemerkt geblieben. Möglicher-
^) Beiträge zur alten Geographie und (beschichte Vorderasiens 2. p. 81.
Seen, 285
weise haben Nachrichten aus dem Altertume Recht, die behaupten»
der eine Quellarm des Tigris fliesse durch den See von Wan. Da
sämtliche Hochlandseen dieser Gegend starke Niveauschwankungen
aufweisen, so wäre es denkbar, dass der See von Wan zeitweise ein
Niveau gehabt hat, das ihm einen Abfluss an dieser Stelle ermöglichte.
Der Salzgehalt des Wansees ist bisher noch sehr gering und beträgt
etwa die Hälfte von dem des offenen Meeres.
Der Gök-Tschai (See von Sewan) ist wie der See von Wan
durch Abdämmung entstanden. An seiner Stelle breitete sich früher
ein zum Araxes hin entwässertes Hochthal aus, dessen Abdämmung
durch ausfliessende vulkanische Massen am Westende des heutigen
Sees erfolgt. Bei der geringern Grösse des Beckens hat der Wasser-
zufluss hingereicht, es so weit zu füllen, dass der See heute noch
bei Hochwasser einen Abfluss über jenen vulkanischen Damm findet,
und dieser intermittierende Abfluss hat hingereicht, das Wasser des
Gök-Tschai süss zu erhalten. Der Urmiasee ist fischlos, und im See
von Wan lebt nur eine einzige kleine Fischart, während der Gök-
Tschai noch einen Überfluss an prachtvollen Forellen hat.
Die KÜStenbildung des Aralsees. L. S. Berg machte hier-
über auf der 11. Versammlung der russischen Naturforscher (1902)
interessante Mitteilungen.^) Die äolische Denudation dort wird
durch die Trockenheit des Klimas, die Abwesenheit einer Vege-
tation und die lockere Natur des die Oberfläche bildenden Gesteins-
materiales begünstigt. Durch die Thätigkeit des Windes entstehen,
besonders an den Nordufem des Aralsees, Reliefformen ganz ähnlich
denen, die Walther in den Wüsten von Ägypten und Arabien beob-
achtet hat: Tafelberge (Kara-Sandyk und Perowskybucht), Nischen,
Amphitheater, Säulen. Durch Einwirkung der Insolation zerfallen die
Sandsteinblöcke in zahlreiche scharfkantige Stücke, die allmählich
zerstört werden und in Sand zerfallen. Weniger zugänglich einer
derartigen Zerstörung sind jene Blöcke, die von einer braunen Schutz^
rinde bedeckt sind. Mitten in den Sauden bläst der Wind häufig
Mulden aus, die sich mit Grundwasser füllen und zu äolischen
Seen werden.
Was die Arbeit des Wassers anlangt, so üben die beiden Flüsse
Amu-Daija und Syr-Darja infolge der ungeheuren Menge der von
ihnen transportierten Sedimente einen merklichen Einfluss auf die
Morphologie der Küsten aus. Der Syr-Daija vergrösserte in den
letzten 53 Jahren sein Delta um 36 qkm, d. h. um 0,7 qkm jährlich,
wobei es jährlich um 97 m vorrückt. Wir können am Aral folgende
Küstenformen unterscheiden: 1. im Osten gebuchtete, die stark ein-
geschnitten, sandig und flach und von zahlreichen Inseln begleitet
sind ; 2. im Westen glatte, nur wenig durch die Thätigkeit der Ab-*
>) Geogr. Zeitschrift 1902. p. 596.
286 Seen«
rasion modifiziert; 3. im Norden gelappte, durch grössere Buchten
in eine Reihe von Halbinseln zerlegt; 4. an den Flussmündungen
potamogene, stark entwickelt infolge der intensiven AUuvion durch
die Flüsse. Die heutige Morphologie ist im hohen Masse durch die
von Berg festgestellte positive Strandverschiebung mitbedingt Die
Zunahme des Wasserstandes betragt 20,5 cm im Jahre, nach einer
Vergleichung des Seeniveaus von 1901 mit den Aufnahmen Tillos
aus dem Jahre 1874. Durch das Ansteigen des Seeniveaus bilden
sich lange schmale Kanäle, die zu den weiten, fast ganz abge-
schlossenen Buchten und Seen führen; einer dieser Kanäle erreicht
eine Länge von 20 Werst Auch die ausserordentliche Gliederung
der Ostküste ist ein Ergebnis der Meeresingression in ein von
äolischen Agenzien modelliertes hügeliges Land. Sehr stark ist die
Abrasion an den Nordufem. Trotz ihrer lehmigen Natur sind die
Ufer hier ausserordentlich steil, und ihre jährliche Abtragung betragt
mehrere Meter. Endlich ist noch die starke Abrasionsthätigkeit der
Eisdecke zu erwähnen, die etwa drei Monate lang den See fesselt.
Der See Telezkoje im Altai ist im Sommer 1901 von
P. Ignatow besucht worden.^) Er ist eine der Hauptquellen des Ob
und liegt etwa 460 m über dem Meere. Seine Länge beträgt 78.5,
seine Breite zwischen 0.3 und 5 km^ seine grösste Tiefe 318 m.
Die Ufer sind sehr steil imd bis zu 2000 m ansteigend. Die Wasser-
temperatur betrug Ende Juli nur 4^ C. Das Wasser ist sehr klar. Seinen
Hauptzufluss erhält der See durch einen in der Nähe der chinesischen
Grenze aus einem Bergsee kommenden Strome.
Der grosse Bärensee zeigt bisher auf unsem Karten eine
Gestalt, die im wesentlichen auf die Aufnahmen John Franklins
zurückgeht Franklin ging auf seiner zweiten Reise den Mackenzie
hinunter, überwinterte an der Südwestküste des Sees und kreuzte
ihn dann in nordöstlicher Richtung. Einige weitere Beiträge lieferten
später noch Simpson und Dease und Dr. Rae und Richardson, welche
letztere 1851 auf ihrer Suche nach Franklin an der Nordostecke des
Sees ihr Fort Gonfidence genanntes Winterlager aufschlugen. Dieser
also in gewissem Sinne klassische Boden um den Grossen Bärensee
ist erst im vorigen Frühjahre und Sommer wieder von einem wissen-
schaftlichen Reisenden betreten worden, und zwar von einem Mit-
gliede der Geological Survey von Canada, J. M. Bell, der über seine
Reise im Septemberhefte des »Geographical Journale einen Bericht
und eine Karte (in 1 : 200 000) veröffentlicht hat Bell verliess
Anfang April Fort Resolution am Grossen Sklavensee, ging den
Mackenzie abwärts und erreichte Ende Juni den Grossen Bärensee,
dessen Eis bis Anfang Juli noch fest liegen blieb. Hierauf umzog
Bell das West- und Nordufer des Sees bis Fort Gonfidence, wanderte
') Petermanns Mittl. 1902. p. 19.
Seen. 287
Ton da zum Kupferminenflusse und diesen abwärts bis zur Küste»
kehrte wieder nach Fort Gonfidence zurück und erforschte das bisher
nur ungenügend bekannte Ostufer des Grossen Barensees. Schliesslich
erreichte Bell, die zwischen dem Grossen Bären- und Grossen Sklaven-
see liegende Seenreihe verfolgend, Anfang September wieder Fort
Resolution. Sowohl am Grossen Bärenflusse, welcher den Grossen
Bärensee zum Mackenzie entwässert, wie im Grossen Bärensee selber
fand Bell alte Hochwassermarken, bezw. Strandlinien, die auf einen
Rückgang des Sees schliessen lassen; so liegen die Strandlinien am
Nord- und Ostufer des Sees bis zu 2^/, km von der heutigen Wasser-
fläche entfernt und bis zu 90 m höher als sie. Das Ufer im Süd-
osten fällt oft fast senkrecht 300 m tief zum See hinab. Die von
Rae errichteten Holzhäuser am Fort Gonfidence fand Bell noch ziemlich
unversehrt vor; sie enthielten keine Eisenteile und hatten daher die
Eskimos zur Plünderung nicht reizen können. In der Nähe des Forts
traf Bell auf ein Eskimodorf, dessen Bewohner beim Nahen der
Weissen schleunigst das Weite suchten; man betrat ihre Hütten und
fand keinerlei Geräte, die auf Beziehungen mit den Weissen hin-
deuteten. Südlich vom Grossen Bärensee wohnen die Dogrib-Indianer,
die dort grosse Verheerungen unter dem Garibou, dem amerikanischen
Rentiere, anrichteten, weshalb sich dieses schöne und dem Aussterben
nahe Wild immer mehr nach Norden zurückzieht. Das Tierleben ist
dort überhaupt sehr reich, und die Bären, nach denen der See seinen
Namen führt, kommen überall vor.^)
Die Callabonna- Salzpfanne In Südaustralien schilderten
£. G. Stirling und H. Zietz *) auf Grund der Erlebnisse der dorthin
entsandten Expedition. Die Pfannen bilden in der Kolonie Südaustralien,
im Norden von Adelaide, ein System von der Form eines nach N
konvexen Bogens, welcher den nördlichen Teil der meridionalen
Flinderskette einschliesst Eine der kleinem östlichen Pfannen dieses
Systems ist die früher Lake Mulligan, jetzt Lake Gallabonna genannte,
auf welche sich die vorliegende Arbeit bezieht. Mehrere gewöhnlich
ganz trockene, stellenweise deutlich als intermittierende Wasserläufe
erkennbare Gräben imd flachere Senkungen führen von der Flinders-
kette im W und dem gewöhnlich ganz wasserlosen Barcooflusse im
N in die GaUabonna-Pfanne hinein, ausserdem steht sie durch eine
Depression mit der weiter südlich gelegenen Pfanne des Lake Frome
in Verbindung. Die Gallabonna-Pfanne dürfte etwas unter dem
Meeresniveau liegen, sie ist meridional in die Länge gestreckt, etwa
80 km lang, im N 16 und im S 5 — 8 km breit. Ihr Boden liegt
nur wenig tiefer als die Umgebung. In dieser Pfanne findet sich
') Globus 80. p. 248.
*) Mem. R. S. South Australia 1. p. 41. Kurzer Auszug in Petennanns
Mitteilungen 1902 von R. v. Lendenfeld, Litteraturberioht p. 197, woraus
oben der Text.
288 Seen.
ein System von meridional verlaufenden Sanddünen, die eine Höhe
von 10 m erreichen. Der Boden der Pfanne besteht aus einer ober--
flächlichen, etwa 30 cm dicken Schicht von rotem, sandhaltigem
Lehme. Darunter folgt eine etwa 60 cm mächtige Schicht von blauem,
sandfreiem Lehme, dann eine dünne Flugsandschicht und dann wieder
blauer Lehm. Die Oberfläche ist mit weissen Salzeffloreszenzen be-
deckt Nach den seltenen, ausgiebigem Regenfällen ist der Boden
der Pfanne vielerorts ein äusserst klebriger, schwer zu passierender
Morast. Die Kamele, welche die Gallabonnaexpedition begleiteten,
versanken in diesem Moraste zuweilen derart, dass sie sich nicht
selbst befreien konnten und ausgegraben werden mussten. Während
des Aufenthaltes der Expedition in der Callabonna-Pfanne trieb die
Trockenheit grosse Scharen von Kaninchen nach den tiefem, feuchtem
Stellen, wo sie die in kleinen Tümpeln und Bodenspalten zurück*
bleibende Salzlake aufsuchten, um ihren Durst zu stillen. Viele
starben, ohne dieses Wasser zu finden, die andem infolge des Gre-
nusses desselben. Die massenhaft in der Umgebung des Lagers ver-
endeten Kaninchen, deren Leichen dort faulten, verpesteten die Luft
derart, dass die Mitglieder der Expedition sie fortwährend begraben
mussten, um sich einigermassen vor dem Gestanke zu schützen. Es
wurden täglich ungefähr 50 in der nächsten Nähe des Lagers ver-
storbene Kaninchen beerdigt Und so wie jetzt die Gallabonna-
Pfanne eine böse TierfaUe ist, ist sie es auch in der Pliocänzeit
gewesen: ungeheure Mengen der damals lebenden Tiere sind in ihrem
zähen Lehme stecken geblieben oder durch die trügerische Hoffnung,
dort ihren Durst stillen zu können, dahin gelockt worden und dort
verendet Allenthalben erfüllen die Knochen solcher ausgestorbener
Tiere, des Diprotodon australis. des Grenyornls Newtoni u. a. in
grossen Massen die über dem Flugsande gelegene Lehmschicht, und
vielerorts findet man mehr oder weniger metamorphosierte Skelette
von solchen Tieren, welche frei zu Tage liegen. Der unter dem Flug-
sande befindliche Lehm ist frei von Knochen. Um solche Knochen
zu sammeln, entsandte das Adelaider Museum eine Expedition nach
der Callabonna-Pfanne, welche längere Zeit dort verweilte und eine
reiche paläontologische Ernte einheimste.
Gletscher und Glazialphysik.
Die Schneegrenze in den Gletschergrebieten der Schweiz.
Während für die Ostalpen Eduard Richter schon 1888^) die Lage
der Schneegrenze eingehend verfolgt hat (Rhätische Alpen 2900 m,
Stubaier Alpen und Tauem 2800 t», Zugspitze, übergossene Alp,
Dachstein 2500 m), fehlt eine ähnliche Darstellung der Schneegrenze
in der Schweiz. Diese Arbeit hat nun Dr. J. Jegerlehner in muster-
*) in seinem Werke: „Die Gletscher der Ostalpen".
Gletscher und Glazialphysik. 289
hafter Weise durchgeführt^) Das von ihm in Betracht gezogene
Gebiet erstreckt sich von der Dent de Midi im Westen bis zu den
Spöllalpen im Osten, und auf diesem bedecken die gesamten Gletscher
einen Flächenraum von 2029 qkm. Davon fallen 188 qkm auf ita-
lienischen Boden, indem namentlich die Matterhom-, Monte Rosa-,
Blindenhom-, Disgrazia- und Beminagruppe über die Landesgrenze
hinübergreifen. Zieht man diesen Betrag von der Gesamtsumme ab,
so verbleiben für die Vergletscherung der Schweiz 1841 qfcm. Diese
Zahl weicht fast gar nicht von derjenigen ab, die im Jahre 1877
vom schweizerisch-statistischen Bureau durch Messung auf den
Blättern des Sigfriedatlas erhalten wurde (1838,8 qkm)% Man hätte
eine weit grossere Differenz, und zwar in anderem Sinne erwarten
können, da die Gletscher nach 1877 zurückgegangen sind. Allein
dieser Rückgang konnte in des Verf. Zahlen nicht zur Geltung
kommen, da die Gletscherenden nur auf einigen Blättern nach 1877
neu aufgenommen, resp. korrigiert wurden. Die Gleichheit des Re-
sultates führt sich also darauf zurück, dass des Verf. Messung zum
allergrössten Teile auf den gleichen Kartenblättem erfolgte, wie die
des statistischen Bureaus. Die Zahl der Gletscher in den Schweizer-
alpen beläuft sich auf 1077; dabei sind auch die Firnflecken, die
keinen Namen tragen, mit einbegriffen. Thalgletscher zählten wir 174.
Auf italienisches Gebiet fallen im ganzen 104 Gletscher.
Bei Feststellung der Lage der Schneegrenze müssen die Begriffe
lokale und klimatische Schneegrenze scharf auseinander gehalten
werden. Auf erstere wirkt zunächst die Bodengestalt, dann die
Exposition des Gletschers, so dass z. B. auf der Südseite der Alpen
infolge der Insolation die Fimmassen bis weit hinauf abgezehrt
werden, und Kämme, deren nördliche Abdachung völlig unter Eis liegt,
auf der Südseite mit Vegetation bedeckt sind. Im südlichen Alpen-
zuge tritt die Differenz viel kräftiger und auffallender hervor als im
nördlichen, in beiden Zügen am schärfsten in den höchst gelegenen
Gebirgsmassiven des Finsteraarhorns, des Monte Rosa und des
Bemina. Die Ursache hierfür liegt darin, dass mit wachsender Höhe
sowie mit dem Vorschreiten nach Süden die Insolation zunimmt und
damit die Differenz zwischen Schattentemperatur und Temperatur in
der Sonne. Diese lokalen Einflüsse bestimmen die Höhe der lokalen
Schneegrenze. Dieselben kann man eliminieren, indem man für ganze
Gruppen das Mittel bildet und auf diese Weise zur klimatischen
Schneegrenze gelangt Über die Lage der klimatischen Schneegrenze
orientiert eine vom Verf. gegebene Tabelle. Zur Veranschaulichung
und raschen Obersicht hat er jedoch auch eine Karte der Schnee-
isohypsen (Pencks-Isochionen) entworfen, indem er die Gebiete mit
^) Gerlands Beiträge zur Geophysik b* p. 486.
*) Statist. Jahrbuch d. Schweiz 1891. 1. p. 3 und Heim, Handbuch der
Gletscherkunde, Stuttgart 1885. p. 76.
Klein, Jahrbuch Xni. 19
290 Gletscher und Glazialphysik.
gleichhoher Schneegrenze durch Linien verband, also Linien gleicher
Höhe der Schneegrenze zog, und zwar von 100 zu 100 m. Hierbei
wurden kleine Unregelmässigkeiten der Kurven ausgeglichen.
Auf der Karte macht sich nun sofort eine Reihe von Thatsachen
geltend: einmal die durch die Isohypsen scharf ausgeprägten riesigen
Unterschiede in der Höhe der Schneegrenze von Ort zu Ort auf dem
Boden der Schweiz. Während die Schneegrenze am Säntis bei
2400 — 2450 m liegt, befindet sie sich in der Monterosagruppe in
3260 m. Es ergiebt sich also die Thatsache, dass im Gebiete der
Schweizeralpen der tiefste und der höchste Stand der Schneegrenze
um 800 m auseinander liegt
Es ändert sich die Höhe der Schneegrenze deutlich in der Längs-
richtung des Gebirges. Sieht man von den nördlich vorgelagerten
Gruppen ab, so bewegt sich im nördlichen Zuge der schweizerischen
Alpen die klimatische Schneegrenze innerhalb einer Höhenzone von
350 m Mächtigkeit auf und ab, d. h. zwischen 2950 und 2600 m.
Von der Dent de Morcles-Moeverangruppe im Westen steigt sie über
das Wildhom-, WildstrubeU und Balmhorngebiet immer höher empor,
bis sie im Finsteraarhom kulminiert Von hier senkt sie sich plötzlich
um 200 m ins Triftgebiet herab, um weiter östlich mit dem Niedriger-
werden der Gebirgsmassive noch weiter hinunter zu steigen. Am
Ostende des Zuges, in der Sardonagruppe, liegt sie in 2630 m. Sie
fällt also von der Zentralmasse des Finsteraarhoms nach W und 0,
doch ungleichmässig. Sie folgt daher durchaus der Massenerhebung
der Gruppen, steigt und fällt mit dieser.
Im südlichen Alpenzuge beginnt die Schneegrenze auf der Schweizer-
seite der Dent du Midi gleich in 2900 m Höhe, steigt dann über die
Montblanc-, Gombin-, AroUa-, Matterhorngruppe an und kulminiert in
der erstaunlichen Höhe von 3260 m im Monte Rosamassiv; dann fällt
sie über die Fletschhom-, Monte Leone- und Blindenhomgruppe ab
und erreicht im Gotthard-Basodinogebiete den tiefsten Stand (2700 m),
hebt sich über der Camadra-, Rheinwaldhorn- zur Tambohomgruppe
etwas und senkt sich über die Suretta- zur F^^ Stellagruppe noch
einmal auf denselben Stand wie im Gotthardmassiv; dann folgt noch
einmal eine Hebung, indem die Schneelinie sowohl nördlich der Inn-
thalfurche über Piz d'Err, Piz Kesch und Piz Vadred zur Silvretta-
gruppe, als auch südlich derselben über die Disgrazia zum Bemina-
massiv ansteigt. Die Penninischen Alpen einerseits, die Rhätischen
Alpen anderseits sind Gebiete der höchstgelegenen Schneegrenze.
Sie bewegt sich hier im südlichen Alpenzuge um einen grossem
Betrag auf- und abwärts wie im nördlichen, nämlich um 560 m.
Die Schneelinie sinkt aber auch in der Richtung senkrecht dazu
von den zentral gelegenen Gebirgskomplexen gegen den nördlichen
Alpenrand hin. Die Höhenzahlen 2950 (Finsteraarhom), 2750 (Trift),
2610 (Titüs), 2560 (ürirothstock), 2500 (Glämisch) und 2400—2450
(Säntis) bezeichnen den starken Abfall. Die Differenz macht sich
Gletscher und Glazialphysik. 291
hier starker geltend, weil der Unterschied der Massenerhebung grösser
ist Im Triftgebiete erheben sich noch Gipfel von 3500 und 8600 m,
im TiUis ragt ein einziger bis zu 3200 m auf, im Urirothstock giebt
es schon keinen 3000er mehr. Im Glämisch erreicht die höchste
Spitze kaum 2900 m und im Säntis sogar nur 2500 m. Vom Säntis
gegen den Gotthard und von hier nach Süden beträgt der Anstieg
der Schneegrenze viel weniger, nämlich 250 — 800 in.
Die Gebiete stärkster Massenerhebung, die Walliser Berge wie das
£ngadin, haben die höchste Schneegrenze, das viel niedrigere Gebirge
am den Gotthard herum eine viel tiefere, ebenso die niedrigen Berg-
züge am Nordsaume der Alpen. Man kann geradezu aussprechen:
je grösser die Massenerhebung, desto höher die Schneegrenze, ein
Resultat, das Imhof auch für die Waldgrenze gefunden hat
Die Ursache der Differenzen in der Höhe der Schneegrenze von
Gruppe zu Gruppe entsprechend der Massenerhebung, findet Verf. in
der Abhängigkeit von Niederschlag und Temperatur. Bisher nahm
man besonders nach dem Vorgange von A. Woeikoff an, dass die
absolute Niederschlagsmenge unter den die Schneegrenze bestimmen-
den Faktoren der wichtigste sei. Wenn man auch der Temperatur
einen gewissen Einfluss zuerkannte, so wurde dieser in seiner Be-
deutung doch geringer geschätzt Dem Verf. scheint eher, dass
gerade die Temperatur der ausschlaggebende Faktor ist Ein Ver-
gleich der Karte der Schneeisohypsen mit der Regenkarte der Schweiz
von Billwiller, zeigt die relative Unabhängigkeit der Höhe der Schnee-
linie von der Niederschlagsmenge.^) Maxima der Regenmenge von
ungefähr gleichem Betrage finden sich im Finsteraarhorn- (über 200 cm)^
Rheinwaldhom- (220 cm) und Säntisgebiet (200 cm), also in Gebirgs-
massiven, wo die Schneegrenze sehr verschieden hoch steht In der
Finsteraarhorngruppe liegt sie hoch (2950 m), am Rhein waldhorn
mittelhoch (2760 m) und am Säntis ganz tief (2450 tu). Das beweist,
dass die Niederschlagsmenge wenigstens in den Alpen für die Lage
der Schneegrenze von geringerem Einflüsse ist als die Temperatur.
Wir dürften in den Alpen dieselben Erscheinungen finden wie in den
Plateaulandschaften, wo in gleicher Seehöhe die Temperatur grösser
ist als in der freien Atmosphäre. Es findet im Bereiche der hoch-
gelegenen Gebirgsgruppen eine Hebung der isothermischen Flächen
statt, speziell in den Sommermonaten. Das bewirkt für gleiche Höhe
erstens eine Abnahme des Anteiles des Schnees am gesamten Nieder-
schlage, d. h. auch bei gleich grossem Niederschlage eine Minderung
des SchneefaUes. Zweitens aber nimmt die zur Schneeschmelze
disponible Wärmemenge zu. Es wird daher in gleicher Höhe, in
welcher in hohen Gebirgsteilen der Schnee noch geschmolzen werden
^) La repartition des ploies en Suisse par R. Billwiller, Archives des
^. phys. et nat Gteneve 1897. Allerdings kennen wir die Regenmenge der
flocbgebirgsregion nm* schätzungsweise, wie Billwiller selbst betont, weil
Beobachtungstationen hier sehr spärlich sind.
19»
292 Gletscher und Glazialphysik.
kann, in Gruppen mit geringer Massenerhebung bei ebenso grossem
Schneefalle noch Schnee liegen bleiben.
Moränen und DiluYlalterrassen In Khanat Bochara schildert
A. V. Krafft.^) Reste alter Moränen wurden beobachtet am Pandsch,
wo von Dschorf an eine breite, etwa 100 m über dem Flusse gelegene
Terrasse den Pandsch auf seinem rechten Ufer in der Richtung gegen
den Eaiwanpass begleitet. Eine aufliegende Moräne ist durch einen
Seitenbach angeschnitten. Moränenreste kommen vor auf einem Passe
zwischen Reswai und Chevron, 1400 m, femer bei Kala-i-Ghumb auf
dem rechten Ufer in etwa 1500 m, ebenso auf dem linken Ufer gegen-
über Kala-i-Chumb am Knie des Pandsch eine etwa 1 m breite Terrasse.
Der Pandsch fliesst heute etwa 100 — 200 m unter dem Niveau des
alten Pandschgletschers. Die bisher erwähnten Moränenreste sind
aller Wahrscheinlichkeit nach Grundmoränen. In das Thal des
Karatagh-Darja reicht bei Labi-Dschai aus einem westlichen Seiten-
thale eine bedeutende Moräne herab, welche vom Flusse durchsägt
ist Der See Timur-dera-Eul nordöstlich von Chakimi in einem linken
SeitenthaJe des Karatagh-Darja wird durch eine Endmoräne gedämmt.
Am Iskander-Daija beobachtete der Verfasser zwei durch Endmoränen
hergestellte, steil abfallende Querstufen. Rings um den See ziehen
etwa 50 m über dessen Wasserspiegel deutlich ausgeprägte alte
Uferlinien. Im Thale Passrut-Su liegen analoge Querstufen in 2100 m
und 2300 m. Ein östlicher Nebenfluss des Woru zeigt eine seen-
bedeckte Querstufe westlich unterhalb des Lailakpasses in 2890 m.
Die Moränen« Schon längst war es Bedürfnis, alles, was über
Moränenkunde geschrieben worden ist, in einer historisch-zusammen-
fassenden und wissenschaftlich-kritischen Form darzustellen. Diese
grosse und schwierige Arbeit hat Dr. August Böhm von Böhmersheim
durchgeführt. Seine umfassende Darstellung wird auf lange Zeit
hinaus für alle speziellen Fragen ein unentbehrliches Quellenwerk
bilden. Folgendes ist eine kurze Analyse desselben.^) Bekanntlich
wird der Gesteinsschutt am Ende vorstossender Gletscher mit dem
Namen End- oder Stimmoräne bezeichnet, während die Schuttwälle,
die infolge der Bewegung des Eises sich an den Rändern desselben
in lange Reihen ordnen, Seitenmoränen genannt werden. Wo aber
zwei Gletscher sich vereinigen und die innem Seitenmoränen mitten
auf dem nun gemeinsamen Gletscher als eine einzige Schuttlinie er-
scheinen, führt diese den Namen Mittelmoräne. Auch am Boden,
unter einem sich abwärts bewegenden Gletscher, finden sich Trümmer
und Geschiebe, die meist durch den Druck des Eises zu feinem
^) Denkschrift d. Wiener Akademie. Mathematisch-Natuni«'. Klasse 70.
Durch Globus 81. und Gesellsch. f. Erdkunde zu Berlin 1902. p. 553.
^ Das Werk ist in den Abhandlungen der K. K. Geogr. Ges. in Wien
erschienen als 4. Stück des III. Bandes unter dem Titel Geschichte der
Moränenkunde von Dir. August Böhm Edlen von Böhmersheim. Wien 1901.
Gletscher und Glazialph^ik.
298
Sande oder Schlamme zermalmt sind; sie führen den Namen Grund-
morane. Auf der im August 1899 in der Schweiz abgehaltenen
Oletscherkonferenz ist bezüglich der Einteilung und speziellen Be-
nennung der Moränen eine bestimmte Normenklatur angenommen
worden, die sich in das folgende Schema zusammenfassen lässt:
Moränen
Die früheste Andeutung der Moränenbildung findet sich 1606 in
Hans Rudolph Räbmanns Gedicht »Gespräch zweyer Bergen c, wo es
▼om Untern Grindelwaldgletscher heisst:
bewegte Mor.
Obermor.
Innermor.
Untermor.
Seitenmor.
Mittehnor.
Längsmor.
abgelagerte Mor.
Wallmor.
Gnmdmor.
Rand- oder | Ufermor.
Endmor. { Stimmor.
Grundmor.-
Decke
Dnimlins
»Bey Petronell am berg fürwar
Ein grosser Glettscher hanget dar /
Hat gantz bedeckt dasselbig ort
Mit Heusren muss man rucken fort
Stosst vor im weg das Erderich
Böum / Heuser / Felsen / wunderlich.«
J. A. De Luc erwähnt die Mittelmoränen und gesteht, dass er
nicht wisse, wie sie entstanden sein mögen, Grüner dagegen meinte,
dass sie durch Zusammenschwemmung des beiderseits im Sommer
oder bei Föhnwind auf den Gletscher strömenden Wassers zu erklären
seien. Die wichtigste Bereicherung des Wissens über die Moränen
findet sich in Saussures berühmtem Werke (1779). Die heute ganz
allgemein verbreitete Benennung dieser Erscheinung findet sich hier
zum ersten Male richtig in der Litteratur verzeichnet. Von wesent-
licher Bedeutung ist dabei, dass sich die Beschreibung Saussures
einzig und allein auf jene Moränenarten bezieht, die man heute
Ufermoränen und Stimmoränen nennt, also auf die von dem Glet-
scher wallartig abgelagerten Moränen, nicht aber auf die auf dem
Gletscher von diesem mitgeführten Oberflächenmoränen; und dasselbe
gilt daher auch von dem Worte Moräne in seiner ursprünglichen
Bedeutung.
F. J. Hugi unterscheidet in seinem 1830 erschienenen Buche:
> Naturhistorische Alpenreise,«: »Gufferlinen« und » Gletscherwälle c«
Unter den ersten versteht er die Oberflächenmoränen (Mittel- und
Seitenmoränen), unter den zweiten die Umwallungsmoränen (Stim-
und Ufermoränen). Er sagt: »die Gufferlinien sind zusammenhängende,
über die Gletscher auslaufende Schuttlinien.« Bei vielen Gletschern,
»welche jederseits eine Gufferlinie, aber mehr am Rande als auf der
Mitte tragen, wird der Schutt bald beiderseits über die Ränder ge-
schoben und zu sogenannten Gletscherwällen aufgehäuft« Hier ist
abo deutlich zwischen Seitenmoränen (»Gufferlinien«) und Ufermoränen
(»Gletscherwällen«) unterschieden. Von den Gufierlinien bemerkt er
294 Gletscher und Glazialphysik.
lerneri dass sie in der Fimregion) wo sie von Jahr zu Jahr mit
neuem Firn bedeckt werden, noch nicht über die Fimfläche erhaben
sind, sich tiefer unten aber mehr und mehr über die Oberfläche des
Gletschers erheben. »Gegen den Ausgang der Gletscher < aber »sinkt
die oft gegen 80 Fuss hohe Gufferlinie wieder ganz zur Gletscher*
fläche herab. < Die Erhebung der Gufferlinien erklärt er durch.
»Ausdünsten der Gletscher, wenn man es so nennen will,« und ihr
Auftauchen an der Fimlinie dadurch, dass eben dort die Umbildung
des Firnes in ausstossendes Gletschereis die Oberfläche erreiche. Hugi
leugnete, dass die Gletscher an der Oberfläche schmelzen; er glaubt
auch an eine ausstossende Kraft des Eises.
Die Erscheinungen bei einem Gletschervorstosse hatte Hugi im
Jahre 1828 am Oberaargletscher Gelegenheit zu beobachten. Er be-
richtet: »Wohl eine Viertelstunde dem Zinkenstock nach hat er bereits
zwei alte Gletscherwälle zurückgeschoben, zerstört und über ihre
alte Basis sich hinausgedrängt. Nun aber hat er den Berg erreicht,
an dessen Fusse er mit solcher Kraft sich drängt, dass er im Andränge
selben kräftig aufwühlt. Der ganzen Länge nach, da der Zinkenstock
entgegen sich stemmt, treibt er nun die Erdmasse und gewaltige
Felslasten wellenförmig auf. Wall über Wälle hebt sich empor, und
die letzten so frisch, dass man glauben sollte, erst diese Nacht wären
sie emporgestiegen. Felsen werden dabei abgebrochen oder zerrieben
oder übereinander aufgestossen. Die Gewalt, welche hier die sich
ausdehnende Gletschermasse ausübt, übersteigt wirklich alle Begriffe.«
Böhm y. Böhmersheim bemerkt, dass Hugi wohl der erste Gletscher-
forscher gewesen sei, der Beobachtungen halber eine grössere Strecke
unter einem Gletscher vorgedrungen ist. Er that dies Mitte September
1828 am Urazgletscher unter dem Titlis.
Im Jahre 1837 hat L. Agassiz zuerst mit Nachdruck hervor-
gehoben, dass die Gletscher auch an ihrer Unterfläche Schutt trans-
portieren und ihn dabei in Geschiebe umwandeln; er beschreibt ganz
zutreffend eine alte, eiszeitliche Gnindmoräne. »Dass die »Entdeckung«
der Grundmoräne gegenwärtig so häuflg Charles Martins zugeschrieben
wird, sagt Böhm v. Böhmersheim, kommt daher, weil dieser erst
jene Bezeichnung hierfür ersonnen hat In Wirklichkeit ist Martins
nicht der wissenschaftliche Vater, sondern nur der Pate der Grund-
moräne. Sind wir auch schon bei mehrern altem Forschem auf
Äussemngen gestossen, die den Gedanken an etwas wie an eine
Grundmoräne notwendig in sich schliessen, so hat doch Agassiz deren
wesentlichen Erscheinungen zuerst näher erfasst und gekennzeichnet«
Louis Agassiz ist überhaupt derjenige Forscher, welcher eigentlich
die modeme Gletscherkunde begründet hat, und durch ihn wurde
auch die Bezeichnung Mittelmoräne in die Wissenschaft eingeführt
Er betonte (1838), dass die beiden sich vereinigenden Gletscher nicht
miteinander verschmelzen, sondem dass jeder Gletscher seine eigene
Bewegung behält, und dass sie durch die aus den beiden Seiten-
Gletscher und Glazialphysik. 295
moränen entstandene Mittelmoräne voneinander getrennt erscheinen.
Wenn aber die Geschwindigkeit der beiden Gletscher zu ungleich ist,
»il en resulte comme un dedoublement de la moraine, et on aperpoit
alors deux ou trois trainees paralleles, comme dans le glacier de
TAar.« Auch beschreibt er genau die Erscheinungen der Grund-
moräne, die Charles Martins 1842 benannt und 1847 näher geschildert
hat. Femer bemerkt Agassiz, dass kleine Steine infolge der Er-
wärmung durch die Sonne in das Eis einsinken. Als Frucht fünf-
jähriger Forschungen erschien 1840 das viel bewährte Werk von
L. Agassiz »Studien über die Gletscher c und ein Jahr später Jean
de Gharpentiers »Versuch über die Gletscher«, ein Buch, das nach dem
Urteile B. v. Böhmersheims in mancher Hinsicht gehaltvoller und tiefer
durchgearbeitet ist als die Schrift von Agassiz. Gharpentier leitet die
Mittelmoränen nicht notwendig aus der Vereinigung zweier Seiten-
moränen ab; es genügt ihm die Vereinigung zweier Gletscherarme,
von denen nur der eine schutttragend ist. Ist es der andere auch:
desto besser. J. de Gharpentier meinte auch, dass sich die Mittel-
moränen nur auf seitlich eingeengten Gletschern als solche erhalten
können; breitet sich der Gletscher aus, so thun die Mittelmoränen
desgleichen und überdecken fächerförmig mit Schutt des Gletschers Ende.
Das Erscheinen von vordem in der Gletschermasse eingeschlossen
gewesenen Steinen an der Oberfläche erklärte J. de Gharpentier durch
die vereinigte Wirkung der durch die vermeintliche Dilatation be-
wirkten stetigen Aufquellung des Gletschers, der Abschmelzung und
der thalabwärts gerichteten Bewegung. Dass die Fimmassen in ihrem
Innern häufig Erde, Sand und kleinere oder grössere Steine enthalten,
giebt J. de Gharpentier zu, meint aber, dass dies alles später an die
Gletscheroberfläche gelange. Die Sandschichten, die man oft ganz
unten am Gletscherende im Eise bemerke, hätten einen andern Ur-
sprung und rührten von dem Sande und Schlamme her, den die
Gletscherbäche mit sich geführt und in wenig geneigten Sprüngen
oder Klüften abgesetzt hätten.
J. de Gharpentier weist auch darauf hin, dass vor einem zurück-
weichenden Gletscher keine Moränendämme entstehen, da der vom
Gletscher aiif seiner Oberfläche herabgetragene Schutt entsprechend
dem Schwinden auf einer sich rückwärts immer weiter ausdehnenden
Fläche abgelagert wird. Ferner sagt er, dass bei Gletschern, die auf
einem steilen Abhänge enden, die Stimmoräne nicht am Gletscherende,
sondern erst am Fusse des Abhanges zur Ablagerung gelange. Auf
die Erscheinung der Grundmoräne ist von J. de Gharpentier nur
wenig eingegangen worden.
Arnold Escher von der Linth hat sich 1842 über die Verhältnisse
am Untergrunde der Gletscher geäussert Nach seinen Beobachtungen
sind es besonders die am Rande und an den untern Flächen des
Gletschers in das Eis eingefrorenen Gesteinsstücke, welche die Ab-
rundung und Ausfurchung des Gesteins bewirken.
296 Gletscher und Glazialphysik.
Im Jahre 1843 erschien die wichtige Arbeit von J. D. Forbes
über die Savoyer Alpen und 1847 das letzte Werk von Agassiz über
die Gletscher, dann 1854 Albert Moussons Buch »Die Gletscher der
Jetztzeit«, welches das damalige Wissen über dieselben zusammen-
fasst. Er unterscheidet: »Seitenmoranen oder Gandecken, Endmoränen,
Mittelmoränen oder Guffermoränen, endlich Grundmoränen. Den Ur-
sprung der Grundmoränen«, sagt Mousson, »muss man übrigens
mehr in den Schuttanhäufungen der Oberfläche als in einer Zer-
trümmerung der Felsen unter dem Gletscher suchen, welche durch
die lange Wirkung des Eises längst zu einem regelmässigen Bette
ausgeglichen worden sind.« Er verweist aber darauf, dass von den
Gufferlinien nur wenig Schutt auf den Grund des Gletschers gelangen
könne, da die Spalten gleichzeitig mit dem trümmerbeladenen Eise
fortrücken und zudem nur selten bis auf den Grund hinabreichen;
er schliesst sich der Ansicht von Agassiz an, dass die Grundmoräne
hauptsächlich von den »Randmoränen« stamme. An eine auch nur
einigermassen beträchtlichere, erosive Wirkung des Gletschers glaubt
Mousson nicht Friedrich Simony schilderte 1872 den Vorgang der
Moränenbildung eingehend. Wie v. Böhm zusammenfassend darstellt,
betont Simony, dass das Material der Seitenmoränen dreierlei Ursprung
habe. Es bestehe zunächst aus dem Schutte, der unmittelbar auf
die Gletscherzunge falle; dazu geselle sich der Schutt, der höher
oben auf den Firn gefallen, durch Ablagerung neuer Firnschichten in
das Innere des Gletschers gelangt sei und erst unterhalb der Fim-
linie nach und nach wieder ausschmelze. Ein weiterer Zuwachs
bestehe aus dem Schutte, den der Gletscher selbst von den Wan-
dungen seines Bettes losbricht, sowie aus all jenem Detritus, den
der Gletscher bei seinem Vordringen bereits an Ort und Stelle an-
trifft. Daher komme es auch, dass in den Seitenmoränen eckiges
und gerundetes Material gemengt sei. Besonders hervorgehoben wird
der Umstand, dass in dem Falle, wenn sich zwei Gletscherarme noch
über der Firnlinie vereinigen, die Mittelmoräne zwar erst weiter unten
auf der Gletscherzunge zu Tage tritt, dass aber nichtsdestoweniger
ihr Material »in den übereinander lagernden Firn- und Eisschichten
der zusammenstossenden Flanken der beiden Gletscherzuflüsse bereits
von deren erster Vereinigungsstelle an bewahrt liegt« Wenn sich
die beiden Gletscher nach ihrer Vereinigung nicht mit derselben
Geschwindigkeit bewegen, so können auch die an der Berührungs-
fläche noch im Eise eingeschlossenen Teile der Mittelmoräne durch
Reibung abgenutzt und mehr oder minder geglättet werden.
Ober die Grundmoräne bemerkt Simony^ dass darin »grosse
Blöcke nur verhältnismässig spärlich auftreten, dass dagegen die
weitaus vorwiegende Masse aus Schlamm, Sand und kleinen Stein-
splittem, dem Zermalmungs- und Schleifprodukt des hier mit voller
Kraft operierenden Gletschers besteht.« Das Material der Grund-
moräne stammt nach Simony zum Teile von dem auf dem Grunde
Gletscher und Glazialphyaik. 297
des Gletschers schon ursprünglich vorhanden gewesenen Schutt, zum
Teile von der erodierenden Thätigkeit des Gletschers; femer daher,
»dass durch das auch von unten stattfindende Abschmelzen der
Gletschermasse immer neue, in der letztern eingeschlossen gewesene
Schuttpartikel frei werden c, sowie endlich von dem Schutt, der von
der Oberfläche des Gletschers durch Klüfte auf den Grund gerät.
Albert Heim in seinem »Handbuch der Gletscherkunde < (1884)
unterscheidet: A. Moränen auf der Oberfläche der Gletscher (1. Seiten-
moränen, 2. Mittelmoränen); B. die Grundmoräne, deren Material nach
seiner Ansicht bei sehr vielen Gletschern (Alpen, Himalaya, Neusee-
land) zum grössten Teile von den > Obermoränen c stammt, sodann aus
dem »schon vor der Vergletscherung abgewitterten und im nun ver-
gletscherten Thale in loco oder auf Umladungsplätzen angehäuften
Schutte; ein »Abarbeiten des anstehenden Untergrundes c lässt Heim
»fast nur in Form von Schleif schlämm und Schleif sand« gelten.
Bezüglich der Frage, ob Grundmoräne zur Oberflächenmoräne
werden könne, neigt Heim zur Bejahung. Die Ansicht, dass manche
Mittelmoränen durch Empordrängen von Grundmoränenmaterial zwischen
den zusammenfliessenden Gletscherarmen entstehen, scheint ihm »um
80 eher denkbar, als es sich dabei nicht stets um Trümmer des
tiefsten Gletscherbettes, sondern auch um solche handeln kann, welche
an den Seitenwänden der Gletscherarme eingeschlossen lagen. < Er
berichtet femer, dass das Auftreten von Sand, Schlamm und auch
kleinern Steinen mitten auf der Zunge des Rhönegletschers auf
Ingenieur Held »den Eindruck machte, als seien diese Materialien
vom Grunde angenommen.« G. Endmoräne. Diese entsteht nach
Heim am Gletscherende durch Ausfegung der Grundmoräne und durch
Ablagerung des Oberflächenmoränenschuttes. »Bei den Endmoränen
jetziger alpiner Gletscher übertrifft in der Regel das Obermoränen-
material dem Quantum nach sehr bedeutend dasjenige der Grund-
moräne; der umgekehrte Fall kommt indessen in den Alpen eben-
falls vor.« Bei vielen eiszeitlichen Endmoränen »herrschen meistens
die Grundmoränentrümmer, worunter viel ausgeschürfter Kies, vor.«
Eduard Brückner beschrieb 1886 die Grundmoräne alpiner
Gletscher als eine »Eisschicht, die ganz und gar mit Gesteins-
fragmenten und Schlamm imprägniert ist; sie erscheint als ein
Konglomerat mit eisigem Bindemittel. Die Geschiebe sind bald grosse
Blöcke, bald nur kleine Brocken. Die Mächtigkeit der Gmndmoräne
ist sehr verschieden; sie betmg am Stampflkees, einem Hängegletscher
des Olperer im Zillerthale, 4 — 5 m, eine Mächtigkeit, die wohl nicht
allzuoft erreicht werden dürfte.« »Diese mit dem Gletscher fest
zusammengefrorene Grundmoräne wird, eigentlich selbst einen Teil
des Gletschers bildend, vom Gletscher unter dem Drucke der auf ihr
lastenden Eismassen über den Untergrund hinweggeschleift.« »Schmilzt
die Grundmoräne aus dem Eise heraus, in einer Lage, in der sie von
fliessendem Wasser nicht erreicht und gewaschen werden kann, so
298 Gletscher und Glazialphysik.
stellt sie sich als ein angeschichtetes Schlammlager dar, in dem
unregelmässig die Gletschergeschiebe eingelagert sind. In dieser
Form hat sie sich uns aus der Diluvialzeit erhalten, c Brückner ist
der Ansicht, dass die Grundmoräne ihr Material »nicht ausschliesslich
aus der Oberfiächenmoränec bezieht, vielmehr solches »aus dem
Gletscherbette empfängt, teils indem sie bereits vorhandenen Schutt
sich einverleibt, teils indem sie selbst Fragmente des Gletscherbodens
losbricht, c
Von den zahlreichen sonstigen Beiträgen zur Moränenkunde sind
diejenigen Finsterwalders, Eduard Richters und besonders die Be-
obachtungen von E. V. Drygalski an den grönländischen Gletschern
von Wichtigkeit.
Eine besondere Art von Moränenbildung sind die Drumlins (oder
Drums), parallele Hügelreihen, die zuerst James Bryce im Jahre 1833
im nördlichen Irland beachtete und beschrieb. Man hielt sie anfangs
für Erzeugnisse grosser Fluten, aber 1864 sprach Maxwell H. Close
entschieden aus, dass sie direkt dem Eise zugeschrieben werden
müssten, nämlich voreinstigen Gletschern, deren longitudinale Grund-
moränen sie seien. Später fand man ähnliche Bildungen auch in
Nordamerika, und dort hat zuerst Louis Agassiz sie nachgewiesen.
Close hat die Drumlins mit den Sand- und Schotterbänken von
Flüssen verglichen, andere Forscher wollen sie auf die Erosion alter
Grundmoränenmassen durch Gletscher zurückführen. A. v. Böhm
hält beide Entstehungsweisen für möglieb, also sowohl Ablagerung
als Abtragung. Er vermutet, dass die Drumlins eine bestimmte
Ablagerungsform der Grundmoräne darstellen: »einerseits deshalb,
weil Geschiebemassen denn doch zunächst imimer auf Anhäufung
beruhen, anderseits aber auch darum, weil die gegenteilige Vermutung
die nach dem heutigen Stande der Forschung nicht nur unbewiesene,
sondern auch durch gar keine Anzeichen begründete, daher voll-
kommen überflüssige Annahme in sich schliesst, dass sich an der
Zustandebringung der Drumlins zwei Vergletscherungen beteiligt hätten,
die sich zu einander wie »Handlangere zu »Baumeister« verhielten.
Dem Vergleiche der Gletscher mit Flüssen entspricht der Vergleich
der Drumlins mit Schotterbänken; daran wird am besten festgehalten,
so lange nicht triftige Gründe für das Gegenteil vorliegen. Freilich
ist dabei nicht zu übersehen, dass auch die Schotterbänke nicht
durchaus reine Ablagerungsformen darstellen. Es ist bekannt, dass
die Schotterbänke wandern: an ihrem obem Ende wird Material
weggenommen und am untern wieder abgelagert. Etwas ähnliches
möchte vielleicht auch bei den Drumlins vor sich gehen.«
Den Gebieten ehemaliger Gletscher geben die Endmoränen einen
eigentümlichen landschaftlichen Charakter, auf den H. Bach 1869
beschreibend hinwies. Er betont, »dass der eigentliche Gletscher-
boden oder das Terrain, welches vom Gletscher bedeckt war, die
sogenannte »Grundmoräne«, aus lauter kleinen Hügeln oder Häuf-
Gletscher und Glazialphysik. 299
werken besteht, die alle in ihrem Innern nur schuttigen Kies, Gerolle,
geritzte Steine und Irrblöcke bergen; während zwischen den Hügeln
selbst teils kleinere, teils grössere Moorgründe und Torflager sich
gebildet haben. Überall bekommt man schon äusserlich den Eindruck
eines Schuttgebirges, nirgends trifft man Merkmale einer durch Nieder-
schlag im Wasser entstandenen Formation.« Auch betont Bach den
Mangel eines regelmässig verzweigten Flussnetzes. > Dieses Hügel-
land«, sagt er weiter, »wird nach aussen durch den Zug der End-
moräne begrenzt. Die Endmoräne, eine doppelte Hufeisen- und Halb-
mondform bildend, erhebt sich wesentlich über das übrige Land,
das zur Grundmoräne des Gletschers gehört;« aus ihrer Anhäufung
folgert er, >dass der Gletscher eine lange Reihe von Jahren hier
gelagert und sich gleich geblieben sein muss.« Er macht ferner auf
den »verschiedenartigen Charakter der äussern Oberfläche der Terrain-
bildungen« inner- und ausserhalb des Endmoränenzuges aufmerksam,
wobei er sich dahin äussert, dass in der äussern Zone die Moränen
durch Fluten »abgewaschen« wurden.
E. Desor führte nun 1873 zuerst die Bezeichnung Moränen-
landschaft ein. Die hierbei zunächst ins Auge gefassten Landschafts-
formen entstammten sämtlich dem Gebiete alpiner Vereisung. Dagegen
unterschied K. Keilhack 1897 in den durch Grundmoränenablagerung
entstandenen Landschaftsformen in Norddeutschland drei Typen:
1. »ausgedehnte Ebenen«, wofür er die Bezeichnung »Grundmoränen-
ebene« vorschlägt; 2. die «Drumlinlandschaft;« 3. die »Moränen-
landschaft« im engem Sinne. »Alle drei Typen, die durch Über-
gänge miteinander verbunden sind, gehören nach ihrer Entstehung
unter den gemeinsamen Begriff »Grundmoränenlandschaft«. Die Be-
zeichnung »Moränenlandschaft für den Typus 3<, sagt er fortfahrend,
»hat sich so eingebürgert, dass sie bestehen bleiben muss.«
A. V. Böhm betont schliesslich, dass auf die allgemeine Bezeich-
nung »Moränenlandschalt« alle Landschaften Anspruch haben, die
aus irgendwelchen Moränen gebildet werden, denn, was den Moränen
recht ist, sei der Landschaft billig.
Er giebt im letzten Abschnitte seiner grossen Arbeit eine neue
Einteilung und Benennung der Moränen. Die eingehende Begründung
seiner Klassifizierung muss der Fachmann in dem Werke selbst nach-
lesen, hier kann nur kurz auf dieselbe eingegangen werden.
A. V. Böhm unterscheidet drei Hauptgruppen: Moränenbildungen
durch die fortschreitende Bewegung des Eises, durch die Aufstapelung
von Moränenwellen rings um die an Ort und Stelle verharrende Zunge,
und endlich die Ausbreitung von Moränendecken bei dem Zurück-
weichen, dem Schwinden des Gletschers.
Die Bildungen der ersten Art, welche vom Gletscher fortbewegt
werden, nennt er Wandermoränen. Die beiden andern Arten der
Moräne sind vom Gletscher abgelagert, die einen werden teils auf-
300
Gletscher und Glazialphysik.
geschüttet, teils ausgeschürft, und sie erhalten deshalb den Namen
Stapelmoranen; die andern bleiben nach dem Schwinden der Gletscher
zurück und heissen deshalb Schwundmoränen. »Diese Unterscheidung c ,
sagt A. V. Böhm mit Recht, »ist um so schärfer, als sie auch mit
einer örtlichen und zeitlichen übereinstimmt. Das Vorhandensein der
Wandermoränen ist an das Dasein des Gletschers gebunden; die
Stapelmoränen bezeichnen den Ort, wo die Grenze des Gletschers
verweilte; die Schwundmoränen bedecken den Weg, den der ge-
schwundene Gletscher genommen. Hiermit ist für die Einteilung der
Moränen ihre Entstehungsweise erschöpft
Die Wandermoränen sind nach dem Orte ihres Auftretens entweder
Oberflächenmoränen oder Grundmoränen oder Innenmoränen. Zu den
letztem gehört, »was in dem Gletscher steckt«, also gehen diese
oft in die Grundmoränen über. Für die zu den Innenmoränen gehörigen
Schutt- und Geschiebemassen führt er die Bezeichnung Sohlen-
moränen ein, für andere Formen die Namen Einscharungsmoränen
und Adermoränen, letztere beziehen sich auf die Schuttadem im Firn.
Die Stapelmoränen erscheinen als Ufermoränen und Stirnmoränen.
Die Schwundmoränen werden in Halden- und Feldmoränen unter-
schieden; erstere entstehen meist, wenn der Gletscher seitlich am
Gehänge schwindet, letztere stellt das Trümmerfeld dar, welches nach
dem Schwinden der Gletscherzüge auf dem Gletscherboden zurück-
bleibt. Aus dieser Darstellung ergiebt sich folgende Übersicht der
Moränen unserer heutigen Gletscher:
Wandermoränen
Oberflächenmoränen
Innenmoränen
Grundmoranen
Stapelmoränen oderUmwallungsmoranen
Haldenmoränen
Feldmoränen
Seitenmoränen
Mittelmoränen
Deckmoränen
Siebmoränen
I Adermoränen
Einscharungsmoränen
Sohlenmoränen
Ufermoränen
Stirnmoränen
Schwundmoränen
Es entsteht nun die Frage, wie weit die der Einteilung der
Gletschermoränen entsprungenen Begriffe auch eiszeitlichen Verhält-
nissen entsprechen. Die Wandermoränen kommen naturgemäss hier
mchi in Betracht, sondern nur die Stapelmoränen und die Schwund-
moränen. V. Böhm zeigt, dass den Ufer- und Stirnmoränen der
Gletscher die Rand- und Endmoränen der Eiszeit entsprechen. Den
Feldmoränen aber entsprechen aus der Eiszeit die Grundmoränendecke,
die Schwundmittelmoräne und die Drumlins.
Gletscher und Glazialphysik. 801
Die Ursache der Eiszeit. In seinen »Studien über das Klima
der geologischen Vergangenheit c ^) kommt Prof. F. Frech eingehend
auf die Eiszeit zurück. Gleichförmiges Klima der gesamten Erdober-
fläche ist nach seiner Ansicht die Regel für die Vergangenheit unseres
Planeten; Eiszeiten und die Ausbildung von Klimazonen wie die
heutigen bilden die Ausnahmen.
»Die Eiszeit am Schlüsse des Paläozoicum folgt, sagt er, wie
es scheint, ziemlich unvermittelt auf das gleichmässige, bis zur Stein-
kohlenzeit andauernde Klima. (Lethaea palaeozoica.)
Nachwirkungen der Eiszeit, d. h. starke Verschiedenheit in der
Verteilung der Meerestiere und der Landflora, machen sich noch bis
in den Anfang der mesozoischen Zeit (untere Trias) bemerkbar.
Im wesentlichen sind die ersten zwei Drittel der folgenden meso-
zoischen Ära durch gleichmässiges Klima ausgezeichnet. Etwa dem
letzten Drittel des Mittelalters der Erde entspricht die Herausbildung
von Klimazonen, die jedoch nicht in einer Eiszeit gipfelt, sondern
vielmehr am Beginne des Tertiär durch den Wiedereintritt einer all-
gemeinen verbreiteten warmem Temperatur beendet wird.
Von der Mitte des Tertiär (d. h. von dem Miocän der Geologie)
an lässt sich eine Wiederherausbildung und immer schärfer werdende
Herausprägung von Klimazonen verfolgen: 1. In der Mitte der Tertiär-
zeit herrscht tropisches Klima in unsern Breiten, warme gemässigte
Temperatur bis über 80 ^ n. Br. 2. Dann erfolgt eine allmähliche
Abkühlung bis zu einer mit der Gegenwart übereinstimmenden Aus-
bildung der Klimazonen.
Eine in beiden Hemisphären sowie in den Gebirgen der Tropen
nachgewiesene Eiszeit bildet das Ereignis, welches die geologische
Vergangenheit von der Gegenwart scheidet. Das heutige Klima ent-
spricht, wie die Vergleichung der Tier- und Pflanzenwelt lehi*t, etwa
demjenigen, welches unmittelbar vor dem Beginne der Eiszeit herrschte.
Wir leben also im Schatten der Eiszeit c
Bei Nachforschung nach den Ursachen dieser merkwürdigen Klima-
schwankungen bezieht sich Prot Frech auf die von S. Arrhenius auf-
gestellte Theorie, gemäss welcher der wechselnde Gehalt der Atmo-
sphäre an Kohlensäui'e die Wärmeleitungsfähigkeit der Luft bedingt.
»Die jetzige, in der Luft enthaltene Kohlensäuremenge beträgt
nur 0,03 Volumprozente der Atmosphäre. Eine Abnahme derselben
von 0,62 — 0,35 (im Mittel auf 0,6) des heutigen Betrages würde
nach den Berechnungen von S. Arrhenius Temperaturverhältnisse
schaffen, die zu einer neuen Vereisung Nordamerikas und Mittel-
europas führten ; d. h. es würde zwischen dem 40. und 60. Breiten-
grad eine Temperaturemiedrigung von 4 — 5^ C. eintreten. Die tropische
Temperatur einer Eocänzeit, in der die polaren Gegenden um 8 — 9^
wärmer waren als jetzt, würde eine Vermehrung des Kohlensäuregehalts
') Z«itschr. d. Ges. f. Erdkunde, Berlin 1902. p. 611. 617.
302 Gletscher und Glazialphysik.
um das 2, 2^/, — 3 fache des jetzigen Betrages voraussetzen. Diese
Veränderung des Eohlensäuregehalts geht nicht über die Grenzen der
Wahrscheinlichkeit hinaus und beeinträchtigt das Gedeihen höherer
Tiere in keiner Weise.
Die Quellen der atmosphärischen Kohlensäure sind die vul-
kanischen Ausbrüche und Exhalationen , während anderseits durch
chemische wie biologische Vorgänge im wesentlichen ein Kohlen-
säureverbrauch stattfindet«
Für eine geologische Prüfung dieser Theorie handelt es sich in
der Hauptsache um die Frage, ob die Wärme- und Kälteperioden
der Erdgeschichte in Zusammenhang mit Eruptionen stehen. Prof.
Frech giebt zu diesem Behufe zunächst eine Übersicht der zeitlichen
Verteilung der altem vulkanischen Ausbrüche und Wärmeerscheinungen
und zeigt des nähern, dass hier wenigstens keine prinzipielle Schwierig-
keiten der Bejahung obiger Frage entgegenstehen. Das Nämliche
ergiebt sich für die mesozoische Ära. Am eingehendsten behandelt
Verf. die klimatischen Änderungen der Tertiärzeit, die gleichfalls mit
der These übereinstimmen.
Eine ausgesprochene Wärmeabnahme kennzeichnet den letzten
Abschnitt des europäischen Tertiär (das Pliocän) und bedingt vor
dem Eintritte der Eiszeit ein dem gegenwärtigen entsprechendes Klima
in unsem Breiten. Die Flora und die Tierwelt der Küstengewässer
zeigen keine wesentlichen Unterschiede von der heutigen. Diese
Temperaturverminderung geht parallel der Abnahme der Eruptiv-
thätigkeit, die überall in Deutschland, in Frankreich, Ungarn und
Nordamerika ganz unverkennbar ist. Oberall in Hoch- und in Mittel-
gebirgen, wo die Eiszeit als solche unterscheidbar ist, lässt sich ein
gleichzeitiges Aufhören der Eruptionen nachweisen; allerdings fehlen in
arktischen (Island) wie in tropischen Vulkangebieten (z. B. Java) meist
die Handhaben, um die Eiszeit abzugrenzen. Angesichts der raschen
Zerstörung, welcher die Vulkangebirge infolge von Verwitterung und
Erosion ausgesetzt sind, sollte man eine Verminderung der altern
tertiären Eruptiva für wahrscheinlich halten. Trotzdem hält die Ver-
breitung und Mächtigkeit der Vulkanprodukte aus dem jüngsten
Tertiär nirgends einen Vergleich mit der der miocänen Ergüsse aus.
Die einzige Ausnahme bildet Zentralfrankreich, dessen Haupterup-
tionen pliocän sind. Jedoch ist die Bedeutung der jungtertiären Vul-
kane Frankreichs verschwindend im Vergleiche zu den 100 000 qkmy
welche die mitteltertiären Eruptivmassen auf den nordeuropäischen
Inseln noch jetzt bedecken, und noch verschwindender im Vergleiche
zu der gewaltigen, von Mitteldeutschland bis Transkaukasien —
wie es scheint ohne wesentliche Unterbrechung — ausgedehnten
Eruptivzone. Die pleistocäne Eiszeit selbst ist eine Periode des
ausgesprochenen Rückganges der Eruptivthätigkeit — auch gegen-
über dem Tertiär — und stimmt in dieser Hinsicht mit der paläo-
zoischen Kälteperiode vollkommen überein. Zwei ganz verschieden-
Gletscher und Glazialphysik. B03
artige Beobachtungsreihen, das Fehlen eruptiven Materiales in den
Grundmoränen und sonstigen Ablagerungen der Eiszeit einerseits,
die landschaftlichen Formen der jungem Vulkanberge anderseits,
berechtigen zu diesem Schlüsse.
Das Fehlen vulkanischer Ausbrüche lässt sich für den Löss
Mitteleuropas und für die nordische Grundmoräne unmittelbar nach-
weisen. Vulkanische Asche und Bimssteine sind chemisch und
petrographisch leicht kenntlich, fehlen aber in den zahlreichen vor-
liegenden Analysen von Loss und vor allem von den Geschiebelehm-
böden überall gänzlich. Hätte in der mitteleuropäischen Vulkanzone,
auf den Faröer oder auf Island, eine nennenswerte Thätigkeit ge-
herrscht, 80 wäre irgend etwas von dem leicht wahrnehmbaren
Eruptivmateriale erhalten geblieben.
Wenn nun auch die Wichtigkeit des allgemein wirkenden Faktors
verminderter Vulkanausbrüche für die Entstehung der Eiszeit unleug-
bar ist, so verweist Verfasser doch auch und mit Recht auf die
Bedeutung rein geographischer Einflüsse. »Vielleicht, sagt er, lässt
sich sogar die verschiedenartige Wirkung beider Faktoren näher dahin
bestimmen, dass die Temperaturverminderung durch die allgemeine
Abnahme der Kohlensäure, die besonders in Europa und im öst-
lichen Nordamerika weitausgedehnte Vergletscherung durch lokale Ver-
mehrung der Niederschläge bedingt ist; der Grund dieser letztem
ist wieder in »auffallenden Veränderungen in der Verteilung von
Festland und Meere zu suchen. Der schroffe Gegensatz, den im
Pleistocän die vollkommene Vereisung Nord- und Mitteleuropas und
das Fehlen des Eises in Nordasien darstellt, ist noch auffallender
als die Temperaturverschiedenheit zwischen der Nord- und Süd-
hemisphäre der Gegenwart (Rügen — Bouvetinsel). In beiden Fällen
kann der Einfluss geographischer Veränderungen nicht hoch genug
angeschlagen werden. Die bedeutendsten Veränderungen in der
Verteilung von Festland und Meer weist das nördliche und östliche
Europa auf, und zwar entspricht im allgemeinen ein Rückzug des
Meeres dem Vordringen der Gletscher und umgekehrt
Während der letzten interglazialen Episode (d. h. in der Zeit
zwischen der letzten und vorletzten Vereisung) nahm das Meer in
Schottland, Skandinavien, vor allem aber im nordöstlichen Russland
und dem angrenzenden Teile von Sibirien wesentlich grössere Flächen
ein als in der Gegenwart Diese bedeutendere Ausdehnung des
Ozeanes ist wohl auf Bewegungen der Erdrinde, auf »kontinentale
Hebungen und Senkungen« zurückzuführen. Der Betrag derselben
ist in den Fjorden von Skandinavien und Schottland schwerer fest-
zustellen als in Russland und Nordwestsibirien. Hier beträgt die
positive Niveauverschiebung nach Tschernyschew 150 ti». Im Timan-
gebirge lagern nach demselben Forscher die Ablagerungen des vor-
dringenden nördlichen Meeres auf eisgeschliffenen und geschrammten
Felsen. Am Timan ist also eine Vereisung älter als die arktische
304 Gletficher und Glazialphysik.
Transgression. Für Nordsibirien nimmt v. Toll ein unterpleistocanes
Alter des Vordringens des Eismeeres an, und da in Mitteleuropa ein
gewisser Wechsel in der Ausdehnung der Vereisung bekannt ist,
brauchen diese Angaben keinen Widerspruch zu enthalten.
Eine Gruppe weiterer geographischer oder klimatischer Ände-
rungen ist in ihrer Ursache weniger klar, muss aber die gleiche
Wirkung besitzen wie die Ausdehnung des Ozeanes in Nordeuropa;
ein Feuchterwerden des Klimas und somit ein Wachstum der
Gletscher in den Nachbargebieten zeigen an: 1. die kaspische Trans-
gression in Südostrussland und die Verbindung des Kaspi- und des
Aralsees während der letzten interglazialen Episode; 2. die Ausdehnung
von Binnenseen im Gouvernement Wjatka, welche eine Art von
Verbindung zwischen der arktischen und kaspischen Transgression
herstellen; <). die Ausdehnung ähnlicher Binnenseen im Westen der
Vereinigten Staaten (Lake Bonneville, Lake Lahontan u. a.), von denen
die jetzigen Salzseen und -sümpfe (Utah- und Monosee) nur die letzten
Überbleibsel sind; 4. das feuchtere Klima der Sahara. Das Auftreten
von Krokodilen in den Sümpfen des Irhahargebirges im Zentrum der
Sahara, das Vorkommen der mediterranen Steineiche (Hex) in jungen
Kalktuffen der Oase Dachel (Südostsahara) wäre bei der heutigen
Verteilung der Niederschläge unerklärlich; nehmen wir jedoch eine
der europäischen Eiszeit entsprechende feuchte Zwischenperiode in
Nordafrika an, so sind diese klimatischen Paradoxa erklärt
Viel schwieriger — ja bei der geringen Ausdehnung der geo-
logischen Forschungen fast unmöglich — ist die Erklärung der wieder-
holten Interglazialzeiten. In einer etwa gleichzeitig mit der vor-
liegenden Arbeit erscheinenden Studie weist E. Geinitz auf strati-
graphischem Wege nach, dass interglaziale » Zeiten € von allgemeiner
Bedeutung, während deren ein der Gegenwart entsprechendes Klima
herrscht, bisher nicht sicher festgestellt sind. Vielmehr haben klima»
tische Oszillationen von weniger einschneidender Wichtigkeit ent-
sprechende Schwankungen der Gletscherausdehnung bedingt. Es be-
darf keines weitem Hinweises, wie gut diese auf Grund eines
genauen vergleichenden Studiums der nordischen > Interglazial < -Profile
erwachsene Ansicht mit der hier auf ganz anderem Wege entwickel-
ten Theorie übereinstimmt.«
Schliesslich fasst Verfasser seine Ergebnisse in folgenden Sätzen
zusammen :
1. Die Frage nach der Entstehung des vorherrschend warmem
Klimas in geologischer Vorzeit kann nicht von dem Probleme der
Eiszeiten getrennt werden.
2. Die Verschiedenheit des Kohlensäuregehaltes der Atmosphäre
bildet die physikalische Erklärung für die Verschiedenheiten wärmerer
und kälterer Klimate in der geologischen Vergangenheit; höherer
Kohlensäuregehalt entspricht höherer Wärme.
4jrletscher und Glazialphysik. 305
3. Da durch organische und chemische Prozesse vorwiegend
Kohlensäure verbraucht wird, bilden vulkanische Exhalationen die
einzige Ersatzquelle für diesen Verlust.
4. Infolgedessen entspricht in allen geologischen Zeiten die Ab-
nahme der eruptiven Thätigkeit einem Sinken der Temperatur, welche
sich zweimal, am Schlüsse der paläozoischen Ära und am Beginne der
geologischen Gegenwart, bis zu einer Eiszeit herabbewegt. Jedem
Maximum der Eruptionen entspricht eine deutlich wahrnehmbare
Temperaturerhöhung.
5. Abgesehen von diesem das Klima der ganzen Erde beein-
flussenden Faktor ist die Verteilung von Festland und Meer, sowie
die hierdurch bedingte Richtung der Winde und Meeresströmungen
von ausserordentlicher Bedeutung für die Gestaltung des Klimas.
6. Doch ist anderseits das gleichmässige warme Klima, das
während der überwiegenden Zahl geologischer Perioden geherrscht
hat, lediglich durch eine andere Verteilung der gegenwärtig vor-
handenen Wärmemenge nicht zu erklären.
7. Die gesamten altern Perioden der Erdgeschichte — bis gegen
das Ende der Steinkohlenzeit — sahen ein warmes, ziemlich gleich-
massig über die Erde verteiltes Klima.
8. Nach dem Schlüsse der Steinkohlenperiode trat eine, vor-
nehmlich auf der Südhemisphäre ausgebildete, aber auch im Norden
angedeutete Eiszeit ein, die bald wieder verschwand.
9. Nachdem die Folgen der Eiszeit (in der mittlem und obem
Dyas) allmählich überwunden waren, herrscht in den ersten zwei
Dritteln des Mittelalters der Erde wieder gleichmässiges tropisches
bis subtropisches Elima. Vom obem Jura an, besonders aber in der
Kreidezeit, bildet sich eine Gliederung in klimatische Zonen aus.
10. Den beiden Höhepunkten der Eruptionen am Beginne und in
der Mitte des Tertiär entsprechen wiederum Höhepunkte der Tem-
peraturen.
11. Der Abnahme der Eruptionen im letzten Abschnitte des
Tertiär geht eine Wärmeverminderung parallel; die Eiszeit ist —
ganz wie die paläozoische Kälteperiode — durch ein fast voll-
kommenes Aufhören, die Gegenwart durch ein Wiedererwachen der
Eruptivthätigkeit gekennzeichnet.«
Die Lufthülle im allgremeinen.
Die Mensren der neuentdeckten Gase in der Atmosphäre.
Die in den letzten Jahren mit Hilfe überaus verfeinerter Methoden
in unserer Luft neuentdeckten Bestandteile sind nur in geringen
Mengen darin vorhanden. Am reichlichsten tritt Argon auf, und
zwar enthält die Luft in 100 Volumteilen 0,937 Argon. Nach den
neuesten Mitteilungen W. Ramsays finden sich dagegen in 100000
Teilen Luft nur 1 — 2 Teile Neon, 0,1 oder 0,2 Teile Helium, unge-
Klein, Jahrbucb Xm. 20
306 Die Lufthülle im aUgemeinen«
fähr 0,1 Teil Krypton und endlich in 20000000 Volumteilen Luft
nur 1 Teil Xenon. Ramsay halt für nicht ausgeschlossen, dass
Xenon noch ein schwereres Gas umschliesst, doch ist dies nicht
gerade wahrscheinlich.
Ober die Höhe der homogenen Atmosphäre und die
Hasse derselben hat Dr. Nils Ekholm eine Untersuchung ver-
öffentlicht. ^) Als solche Höhe bezeichnet man diejenige, welche die
Atmosphäre besitzen würde, wenn sie überall die gleiche Dichtigkeit,
und zwar die Dichte an der Meeresoberfläche besässe. Nennt man
diese Höhe K, so denkt man sich, um sie zu berechnen, die Luftmasse,
welche in einem sphärischen Erdsektor enthalten ist, der von der
Meeresoberfläche 1 qcm abschneidet, in der Weise zusammengedrückt,
dass diese Luft den Erdsektor von der Meeresoberfläche bis zu der
Höhe K genau ausfüllt und dabei überall die gleiche mittlere Dichte
annimmt Multipliziert man das so ermittelte K mit der der ange-
nommenen Dichte entsprechenden Masse 1 ccm Luft in Grammen und
das Produkt mit der Erdoberfläche in Quadratcentimetem, so be-
kommt man nach Berichtigung für die Erhöhungen der Kontinente
die Gesamtmasse der Atmosphäre. Bei dieser Berechnungsweise
nimmt man also Rücksicht auf die Vergrösserung der geozentrischen
Kugelflächen nach oben, was natürlich bei der Ermittlung der Masse
der Atmosphäre ganz richtig ist. Wenn es sich aber darum handelt,
die von Licht- oder Wärmestrahlen durchgelaufene Luftmasse zu
berechnen, so ist die obige Berechnungsweise der Höhe der homogenen
Atmosphäre nicht zulässig. In diesem Falle müssen wir uns um
den Strahl eine cylindrische Röhre gelegt und die in dieser Röhre
eingeschlossene Luftmasse zusammengedrückt denken, bis dieselbe
überall die gleiche mittlere Dichte annimmt. Steht der Strahl senk-
recht auf der Meeresoberfläche, so bekommen wir in dieser Weise
eine Höhe der homogenen Atmosphäre, die ein wenig kleiner als K
ist, und die wir mit Q bezeichnen wollen.
Anderseits nennt man reduzierte Höhe H der Atmosphäre die-
jenige Höhe, welche man dadurch berechnet, dass man die Höhe
des Quecksilberbarometers an der Meeresoberfläche mit dem Ver-
hältnisse der Quecksilberdichte zur Dichte der Luft an der Meeres-
oberfläche multipliziert. Für eine Lufttemperatur von 0^ und einen
Luftdruck gleich 760 mm bei 0^ und normaler Schwere ist bekannt-
lich H^ = 7991.0 m. Oberhaupt ist H dem Luftdrucke im Meeres-
niveau direkt und der absoluten Temperatur der Luft in diesem
Niveau umgekehrt proportional, und dasselbe gilt, wenigstens mit
grosser Annäherung, von K und Q. Man sieht ohne Schwierigkeit
ein, dass die zwei Höhen H und Q nicht genau gleich sind, weil
wir H unter der stillschweigenden Annahme einer für alle Höhen
^) Meteorol. Zeitschrift 1902. p. 249.
Die Lufthülle im aUgemeinen. 307
konstanten Schwere berechnen, wogegen Q mit Berücksichtigung der
Veränderlichkeit der Schwere mit der Höhe berechnet werden muss.
Deshalb ist Q unzweifelhaft ein wenig grösser als H, eben wie E
«in wenig grösser als Q ist Für die genaue Berechnung von E
und Q wäre es erforderlich, die Verteilung der Atmosphäre um die
Erdkugel zu kennen, was indessen nicht der Fall ist, da die Tem-
peratur der obem Luftschichten nur unvollkommen bekannt ist
Gewöhnlich aber nimmt man an, dass E und Q nur wenig von H
verschieden sind. Indessen ist Hr. E. Mascart^) zu einem ent-
gegengesetzten Resultate gekommen. Er findet nämlich für die Ge-
samtmasse der Atmosphäre einen Wert, der um ^/^ grösser ist, als
nach der angenäherten Berechnung sich ergiebt und für die Dichte
der Luft in 64 Am Höhe den verhältnismässig enormen Wert 0.0018
von derjenigen an der Meeresoberfläche.
Ekholm geht nun näher auf die Ableitung von Mascart ein und
zeigt, dass dieselbe auf hypothetischer Annahme beruht, welcher die
Beobachtungen nicht entsprechen. Ekholm berechnet unter der An-
nahme, dass die Temperatur nach oben innerhalb 0 — 20 Amt Höhe
pro 100 «1 um OAO^C. und innerhalb 20 — 70 Am Höhe um 0.16® C.
abnimmt, ferner die Temperatur der Luft an der Meeresoberfläche
15^0. und der Luftdruck daselbst 760 mn» Quecksilberdruck bei
O® und normaler Schwere beträgt, die Masse der Luft Werden
diese Zahlen durch 0.001298, d. h. die Masse in Grammen eines
Eubikcentimeters Luft bei 0 ® und 760 mm dividiert, so ergiebt sich
<J^> = 8011, Ho = 7992 und Eo = 8029 m.
Für die genaue Berechnung der mittlem Werte von H, Q und
E im Meeresniveau müssen wir den Luftdruck am Meeresniveau im
Mittel für die ganze Erdoberfläche kennen. Diese hat Ekholm aus
den von W. Ferrel^ gegebenen Daten berechnet. Diese Daten sind
in der folgenden Tabelle angeführt worden. Die zwischen Elammem
gesetzten Zahlen sind extrapoliert
Mittlerer jährlicher Luftdruck p der Breitengrade 99, auf 0^,
normale Schwere und Meeresniveau reduziert. Nach W. Ferrel.
N. Halbkugel S. Halbkugel Differenz
9 pNinmm psinmm pN—ps in mm
90* (761.0) (737.0) (+24.0)
~7.1) (4-!
86 (760.8) (787.1
80 60.5 (737.3) (-
75 60.0 (737.6 (-
70 58.6 38.0
65 58.2 39.7
60 58.7 43.4
■23.7)
23.2)
•22.4)
•20.6
-18.5
15.3
^) Mascart, Compt rend. hebd. des sceancee de TAc. des Sei. Tome
114 Janv.-Juin 1892. p. 93. Paris 1892.
*) W. Ferrel: »Meteorologioal Researches for the use of the ooast
pilot«, part I, Washington 1877; A. Sprung: >Lehrbuch der Meteorologie«,
Hamburg 1885. p. 193.
20»
808 I)ie Lufthülle im allgemeinen.
N.
Halbkugel
S. Halbkugel
Differenz
9
PN in ffm
ps in mm
PN— ps in
55
59.7
48.2
+11.5
60
60.7
53.2
-- 7.6
45
61.5
67.3
-- 4.2
40
62.0
60.5
+ 1.5
35
62.4
62.4
0.0
30
61.7
63.5
— 1.8
25
60.4
63.2
— 2.8
20
59.2
61.7
- 2.5
15
58.8
60.2
- 1.9
10
57.9
59.1
- 1.2
5
58.0
58.3
- 0.3
0
58.0
58.0
0.0
Ekholm findet hieraus den mittlem Luftdruck der nördlichen
Halbkugel =759.8 und denjenigen der südlichen Halbkugel =756.2,
folglich das Gesamtmittel ==758.0 mm. Der entsprechende Wert
des Kq ist gleich
-^||-X802900 = 800800 cm
760
und folglich die in Grammen ausgedrückte Masse einer Luftsäule,
deren Grundfläche 1 qcm beträgt =800800x0.001293 = 1035.4.
Die mittlere Höhe der Kontinente kann zu 500 m geschätzt
werden und die Oberfläche derselben zu 136 Millionen Quadrat-
kilometern oder 0.267 der Oberfläche der Erde. Um die Gesamtmasse
der Atmosphäre zu haben, muss man also 0.267x59.7 = 16.0
von der ZaJil 1035.4 abziehen und die Differenz mit 510xlO^^
was der Oberflächeninhalt der Erde in Quadratcentimetem ist, multip-
lizieren. Es ergiebt sich so für die Masse der Atmosphäre
520 X 10 *« Tonnen = 5200 Billionen Tonnen = 104000 Billionen Ztr.
Da die Gesamtmasse der Erde = 609x10^* Tonnen ist, so be-
trägt also die Masse der Atmosphäre 0.000000854 oder 1
von derjenigen der Erde. 1171000
Wenn man die Berechnung mit dem Werte H ausführt, d. h.
ohne die Abnahme der Schwere und die Vergrösserung der geozentri-
schen Kugelflächen nach oben zu berücksichtigen, so erhält man als
die Masse der Atmosphäre 517x10^* Tonnen oder 0.000000849
von derjenigen der Erde, folglich nahezu das gleiche Resultat Nach
den neuesten Schätzungen soll die mittlere Höhe der Kontinente etwa
750 m betragen. Demnach müssen wir 0.267 X 88.3 =: 23.6 von der
Zahl 1035.4 abziehen und die Differenz durch 510X10^* multipli-
zieren, wodurch für die Masse der Atmosphäre sich ergiebt
616x10" Tonnen, d. h. 0.000000847 oder von derjenigen
der Erde.
Pie Lufthülle im allgemeinen. 30^
Labile Glelehgrewlehtszustände In der Atmosphäre. Prof.
A. Schmidt verbreitete sich,^) anknüpfend an seine frühere Abhandlung:
>Das Wärmegleichgewicht der Atmosphäre«,^ über die heutige thermo-
dynamische Theorie der atmosphärischen Zustände als unzureichend,
um die Thatsache labiler Zustände in der Atmosphäre zu erklären.
»Das Endziel aller Strömungen in der Atmosphäre ist die stabile,
nicht die indifferente Lagerung. Alle horizontalen sowohl als vertikalen
Strömungen dienen der Herbeiführung stabiler Gleichgewichtszustände.
Wo man in der Atmosphäre indifferenten oder gar labilen Lagerungen
der Schichten begegnet, kann deren Ursache nimmermehr in den
Luftströmungen gesucht werden, sondern umgekehrt sind die Strömungen
die Polgen teils vorausgehender Gleichgewichtsstörungen, teils vor-
ausgehend erzeugter labiler Lagerungen, und ihre Tendenz ist die
Vernichtung der indifferenten und der labilen Lsvgerungen.
Die ganze Hülle des Planeten gleicht einer flüssigen moles iners,
stets bereit, in den Tod der stabilen isothermen Lagerung zu ver-
sinken, wenn nicht die Sonne durch Erwärmung der Erdoberfläche
und durch Erzeugung von Temperaturdifferenzen sie aufrüttelte. So
strömt sie oben und unten zwischen höhern und niedem Breiten
hin und her, überall, wo sie mit der Kruste in Berührung kommt,
als ein unelastisches, der Reibung unterworfenes flüssiges System,
die Geschwindigkeit des Ortes annehmend. Die ganze grosse Ökonomie
der doppelten Wirbelbewegung, der antirotatorischen, d. h. der Rotation
des Planeten entgegen gerichteten untern Passatströmung und der
Anticyklonen und anderseits der rotatorischen, d. h. der Erdrotation
vorauseilenden Polarströmungen und Cyklonen, bildet keine konser-
vative Ökonomie. Bei jeder Berührung mit der festen oder flüssigen
Erdoberfläche findet eine Hemmung der Bewegung unter Verbrauch
von Bewegungsenergie statt, die einer stetigen Erneuerung durch die
die Bewegung neu anspornende Sonnenwärme bedarf. Nur für den
Planeten selbst entspringt aus dem Kreislaufe der Luftströmungen
kein seine Rotation hemmendes Moment, weil das Moment der Be-
schleunigungen der hohem Breiten dem Moment der Verzögerungen
der niedem Breiten das Gleichgewicht hält.
Einen Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptung, dass unter
dem Einflüsse der Schwere die Molekularbewegung der Luft eine
Temperaturabnahme nach oben bewirke, mit der Tendenz zur Er-
zeugung eines Temperaturgefälles von 1.4^ pro 100 wi, aus Beob-
achtungen, hatte Prof. Schmidt kaum erwartet, da es zweifelhaft, war,
ob es je möglich sein werde, durch meteorologische Beobachtungen
labile Lagemngen der Luft zu entdecken, ohne dass für deren Ent-
stehung andere Ursachen wie erhöhte Temperatur des Erdbodens
oder durch Kondensation des Wasserdampfes erzeugte Unregelmässig-
^) Gerlands Beiträge zur Geophysik 5. Heft 3. p. 889.
') ebenda 4« p. 1. ^
SIC Die Lufthülle im allgemeinen.
keiten angenommen werden könnten. Möglichste Entfernung der
Beobachtungsstelle vom Erdboden und von den wolkenführenden
Schichten erschien als Hauptbedingung; kaum konnte aber gehofft
werden, dass in solchen Höhen die herrschenden horizontalen
Strömungen eine genügend grosse Überschreitung des indifferenten
Lagerungszustandes zustande kommen lassen werden, um sie zu
beobachten.
Jetzt berichtet nun Berson (in den »Wissenschaftlichen Luft-
fahrtent 3. p. 128) über Fälle von beobachtetem labilen Gleich-
gewichte in grosser vertikaler Erstreckung, welche für die theoretische
Deduktion von Prof. Schmidt höchst wichtig und bestätigend erscheinen
und von diesem diskutiert werden. Besonders gehören hierzu Fälle
adiabatisch rascher Temperaturabnahme, welche bei einer Anzahl
hoher Fahrten in dem allerobersten Teile der durchmessenen Luft-
säule angetroffen wurde. Unter sechzehn derartigen Aufstiegen mit
mindestens 5000 m Höhe zeigen nicht weniger als neun in dem
obersten 250 — 500 m Schichtenmittel eine Abnahme der potentieUen
Temperatur, d. h. eine Überschreitung des Gleichgewichtsgrenzwertes
des Temperaturgefälles von 0.99^ pro 100 m. Von diesen neun
Fällen rapider Temperaturabnahme in Höhen von 5000 — 9000 m
wurden sechs in Anticyklonen, einer im Übergangsgebiete, auch noch
bei schönem ruhigen Wetter, eher von Hochdruckcharakter, und nur
zwei bei cyklonischer Wetterlage beobachtet.
DieVertelluDgr der atmosphärischen Ionen in den höhern
Luftschichten* Die Untersuchungen von Lenard führten darauf, die
höchsten Schichten der Atmosphäre als möglichen Ursprungsort der
Ionen anzusehen. Beobachtungen^) im Gebirge zeigen in der That ein
Zunehmen der Entladungsgeschwindigkeiten. Auf Bergspitzen über-
wiegt die Entladungsgeschwindigkeit für negative Ladungen des
Zerstreuungskörpers a. bedeutend diejenige der positiven Ladungen
84.; das Verhältnis q = a_/ac{- nimmt sehr grosse Werte an, während
es in der Ebene nur wenig mehr als 1 beträgt. Dieses > unipolare c
Leitvermögen der Luft über Berggipfeln muss aber auf die Thatsache
zurückgeführt werden, dass der Erdkörper im Vergleiche zum Luft-
räume dauernd elektrisch geladen, und zwar vorwiegend negativ
geladen ist. Die Berge wirken dann wie Spitzen; die negative
Erdelektrizität wird sich auf ihnen besonders dicht anhäufen; aus
der umgebenden Luft werden daher die -|- Ionen herangezogen, und
ein — geladener Zerstreuungskörper wird rascher entladen als ein
-f* geladener, für den die zur Neutralisation seiner Elektrizität
nötigen — Ionen von der Erdladung aus der Umgebung der Berg-
spitze fortgetrieben werden. Eine Entscheidung der Frage, ob und
in welchem Sinne sich das elektrische Leitvermögen der Luft mit
^) vgl. dieses Jahrbuch 12. p« 407.
Die Lufthülle im allgemeinen. 311
der Höhe ändere, kann nur durch Messungen der Zerstreuung bei
Ballonfahrten herbeigeführt werden, wie dies Elster und Gheitel schon
in einer ihrer ersten Arbeiten hervorhoben. Zu diesem Zwecke hat
Prof. Ebert von München aus 3 Freifahrten unternommen, und zwar
bei möglichst verschiedenen Witterungslagen, um womöglich sogleich
darüber ein Urteil zu gewinnen, inwieweit der lonengehalt von
den meteorologischen Bedingungen abhangt, und insbesondere inwie-
weit die Ionen in die Zirkulationsprozesse des Luftmeeres mit hinein-
gezogen werden.
Die Resultate dieser 3 Ballonfahrten fasst Prof. Ebert in folgender
Weise zusammen:^)
1. Luftelektrische Messungen nach der neuen von Elster und
Geitel ausgearbeiteten Methode sind im Freiballon mit genügender
Sicherheit und mit verhältnismässig geringer Mühe neben den sonst
üblichen meteorologischen Beobachtungen ausführbar.
2. Mit zunehmender Höhe ergiebt sich auch unabhängig von der
unipolaren Einwirkung des Erdkörpers, wie sie sich besonders bei
Bergbeobachtungen störend bemerklich macht, eine unzweifelhafte Zu-
nahme der Zerstreuungsgeschwindigkeit
3. Die untern Luftschichten können sich bis hinauf zu 3000 m
Höhe qualitativ insofern den dem Boden unmittelbar anliegenden
ähnlich verhalten, als auch in ihnen im freien Lufträume die
— Ladungen schneller als die -f" zerstreut werden.
4. In grössern Höhen scheint sich mit der Zunahme der ab-
soluten lonenzahl diese unipolare Leitfähigkeit mehr und mehr dahin
auszugleichen, dass beide Ladungsarten etwa gleich schnell zerstreut
werden.
5. In trockener klarer Luft ist das Zerstreuungsvermögen in der
Höhe gerade so wie am Erdboden gross; in dem Grade, wie der
Wasserdampfgehalt zunimmt, und ganz besonders, wenn dieser sich
dem Kondensationspunkte nähert oder gar in Form feiner Nebel-
bläschen ausfällt, wird die Entladungsgeschwindigkeit für beide
Zeichen erheblich herabgesetzt.
6. Durch Einbauen des Zerstreuungsapparates in einen gleich-
namig geladenen Fangkäfig lässt sich die Zerstreuungsgeschwindigkeit
für beide Vorzeichen erheblich steigern; so wurde in 2375 m Höhe
eine 23 mal so grosse Entladungsgeschwindigkeit für -f- beobachtet,
als dasselbe Instrument am Boden (nach Ausweis eines Vergleichs-
instrumentes) mit Käfig ergeben haben würde. Dabei dürfte die
Genauigkeit nur unbeträchtlich vermindert sein; dagegen wird der
Vorteil erreicht, dass die Zahl der Einzelbestimmungen erheblich
I gesteigert werden kann.
7. Bei der dritten Fahrt haben sich sehr grosse Beträge der
I Zerstreuung in der Höhe ergeben, offenbar unter der Wirkung einer
^) Gerland, Beiträge zur Geophysik &• 8. Heft p. 887.
101 ipitriitiiifyi;^
Luftklarheit und ab-
Höhenluft dem In-
nicht nachweisbar.
,^
iQ#! SttifiittasTStemperaturen
w^ tt|§ben Wetterberichten
M'<#^Vl|itlichen Berichten, deren
Siirlich von den grossem
^^^P^H^flt^^ j^^^^^^®^ Tempera-
llJPpl^l^l^on 2 Uhr nachmittags.
Liüii IQ: iiL fi§treffenden Temperaturen
^ ' desselben Tages sind,
emperaturen zur Hand
^on der Seewsgrte ver-
Ifl^ihtungen um 8 Uhr nach
-- -^M''.:-rw .^^ mß'J9^^^ taglichen Berichten
|^^^"^^^i^^lC^ll^ Zeit an-
|Sb^;d^^pi^i^ig«£wIelle einer Neuberechnung
C^I€C?gäi£r:^^ß{^ürt,^) und zwar gestützt
^,. .. -^-.. J6:i:^1890. Sie folgt hier:
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S^öc^S^-^JM^pat^temperatur abgeleitet,
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13.1
13.7
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13.6
13.6
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14.5
13.6
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4.0
2.3
1.8
2.4
2.9
3.0
3.8
4.3
3.6
4.4
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4.9
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4.3
3.6
2.5
1.6
-1.0
-1.5
-1.9
-0.7
-0.1
0.0
1.1
1.8
0.9
2.1
3.2
1.5
2.3
2.3
1.0
1.7
0.4
—0.1
0.8
—1.3
-0.9
1.4
1.0
1.0
0.9
-0.3
-1.0
—2.1
-3.8
814 Lufttemperatur.
seit mehrem Jahren eifrig studiert worden. Von diesen Ballons
haben nicht weniger als 236 Höhen von 11 km und darüber erreicht,
74 sogar Höhen bis zu 14 km. Als Hauptergebnisse dieser Unter-
suchungen teilt der französische Forscher nach der Meteorologischen
Zeitschrift^) folgendes mit:
1. Die mittlere Wärmeabnahme nimmt von den tiefem zu den
hohem Schichten zu, wie schon bekannt, und erreicht nahe die-
jenige bei der adiabatischen Ausdehnung der Luft (d. i. 0.8 und
darüber). Hierauf aber, und das ist das Neue, nin^mt sie wieder
rasch ab, um in einer mittlem Höhe von circa 11 km nahezu
Null zu werden.
2. Oberhalb einer mit den atmosphärischen Zustanden schwanken-
den Höhe von 8 — 12 km beginnt eine Zone, welche durch sehr
langsame Wärmeabnahme charakterisiert wird, ja, es kommen selbst
geringe Temperaturumkehrungen vor. Die Mächtigkeit dieser Zone
hat sich noch nicht konstatieren lassen, nach den jetzt vorliegenden
Beobachtungen erreicht selbe mindestens mehrere Kilometer.
Nach den jetzigen Beobachtungen erreicht die Höhe der Zone,
wo die Inflexion der Kurve der Temperaturabnahme beginnt, ihren
grössten Wert von 8 — 9 km oberhalb der Barometerdepressionen
(an der Erdoberfläche), während in den Gebieten der Barometer-
maxima diese Zone erst in grossem Höhen zu finden ist.^)
Es ist den fortgesetzten Bemühungen Teisserenc de Borts ge-
lungen, Papierballons mit Registrierinstrumenten selbst bei schlechtem
Wetter bis zu Höhen von 13 — 14 km aufsteigen zu lassen und zu-
gleich die Registrierthermometer äusserst empfindlich zu machen.
Einer Tabelle, die er zum Schlüsse seiner kurzen Mitteilung
giebt, entnimmt Prof. J. Hann (durch Zusammenfassung in Mittel-
werte) die folgenden Daten:
Barometer- ßarometer-
Höhe der isothermen Zone 11.9 10.8 km
Höhe der Zone mit einer Temperatur-
abnahme unter 0.4® pro 100 m . . 11.1 9.6 Am
Höhe der Zone des Maximums der Wärme-
abnahme 8.3 7.9 Xcm
Temperaturabnahme daselbst (pro 100 m) 0.91 0.90 km
Eine wärmere Luftströmung in 10 — 15 km Hölie. Durch
die Beobachtungen in LuftbaUons. ist seit längerer Zeit erwiesen,
^) Compt rend. 134. 1902. April 28. Meteorologische Zeitschr. 1902.
p. 278.
*) In einer Seehöhe von 12 km etwa, wo der Luftdruck nur noch
154 mm circa ist, wird die thermometrische Wärmeleitungsfähigkeit der
Luft schon rund fünfmal grösser als bei 760m, beträgt demnach 0.173X5=0.865,
kommt also jener des Kupfers schon sehr nahe. Wenn sich deshalb in
solchen Höhen stagnierende Luftmassen finden, oder nur Strömungen im
gleichen Niveau vorkommen, so müssen dieselben in vertikaler Richtung
bald nahezu isotherm werden.
Lufttemperatur. 315;
dass die Temperatur der Luft durchschnittlich mit der Höhe über
dem Boden abnimmt, und zwar bis zu Kältegraden, die so be-
trächtlich oder noch bedeutender sind als die niedrigste Temperatur
im nordöstlichsten Sibirien. Indessen fand sich auch, dass die
Wärmeabnahme der Luft nach oben hin keineswegs regelmässig
erfolgt, sondern mehr oder weniger rasch, und endlich ergaben die
direkten Beobachtungen in Ballons bis zu 9000 m Höhe nach den
Untersuchungen von Berson und Süring das Vorhandensein von vier
Luftschichten, die sich durch Eigentümlichkeiten der Temperatur, der
Feuchtigkeit und der Bewegung unterscheiden, und deren oberste
durch nahezu adiabatisches Temperaturgefälle, geringen Qehalt an
Wasserdampf und beträchtliche Windgeschwindigkeit charakterisiert
ist Berson machte indessen darauf aufmerksam, dass die Temperatur-
abnahme der hohem Atmosphärenschichten von nahezu PC. auf
100 m Höhenzunahme schon in 80 Am Höhe auf — 278^ C, d. h.
auf den absoluten Nullpunkt der Temperatur führen würde, was un-
annehmbar sei, daher müsse man annehmen, dass die Wärmeabnahme
nach oben später langsamer werde. Auch weisen Berson imd
V. Bezold darauf hin, dass der Begriff » Lufttemperatur c bei einer
weitem Entfernung von der Erde überhaupt hinfällig werde, und
dass schon bei den alleräussersten Verdünnungen nur die Wärme-
absorption und -Omission des thermometrischen Körpers in Frage
komme, während die Wärmeleitung ausserordentlich zurücktrete.
Anderseits legt aber das vielfach festgestellte Vorkommen von
Cirraswolken in Höhen von 10 — 15 km den Schluss nahe, dass in
diesen Regionen jener Verdünnungszustand noch keineswegs erreicht
ist, zumal dort noch Wasserdampf und Staubkörperchen genug vor-
handen sind, um diese Wolkengebilde zu erzeugen. Nun hatte man
nach dem Vorgange von Hermite und Besan^on in Paris gelernt,
kleinere Ballons, die nur Registrierapparate tragen, in die fraglichen
Höhen emporzuschicken, und musste von deren Aufzeichnungen eine
Lösung dieser wichtigen Frage erwarten. In der That liessen schon
die ersten Versuche dieser Art nicht nur eine Verminderung der
Temperaturabnahme in den grössten Höhen, sondern sogar eine ganz
ausserordentliche Zunahme wahrnehmen, die bei manchen Aufstiegen
30^ und mehr betrag. Bald aber wurde sie als ein Produkt der
Sonnenstrahlung und deshalb als irrtümlich erkannt.
Die Bemühungen, diese Wirkung der Sonnenstrahlen auf die
Thermometer der Ballons zu verhindem, haben Prof. Assmann in
Berlin zur Konstruktion des Aspirationspsychrometers geführt, bei
welchem eine auch in grossen Höhen genügende künstliche Aspiration
von Luft hergestellt wird. Allein unter den aussergewöhnlichen
Verhältnissen sehr grosser Höhen funktionierten diese sinnreichen
Apparate nicht ununterbrochen und ausreichend. Prof. Assmann
versuchte deshalb, auf einem andern Wege zum Ziele zu gelangeUf
und hat darüber, sowie über die erhaltenen Resultate der Königl.
816 Lufttemperatur.
Akademie der Wissenschaften in Berlin berichtet^) Prof. Assmann
geht davon aus, dass ein abgeschlossener Ballon, der ein veränder-
liches Volumen besitzt, wie z. B. ein aus elastischem Paragummi
hergestellter, mit dem ihm gegebenen Anfangsauftriebe so lange weiter
steigt, bis er zerplatzt, er findet also keine Gleichgewichtslage. Bei
genauerer Überlegung sieht man femer, dass seine Aufstiegsgeschwindig-
keit mit zunehmender Höhe sogar nicht unbeträchtlich wachsen muss,
indem die Dichte der Luft schneller abnimmt, als seine Oberfläche
zunimmt: der Luftwiderstand, den er erfährt, muss deshalb kleiner
werden, und zwar ergiebt eine Rechnung, dass die Aufstiegsge-
schwindigkeit etwa proportional dem Durchmesser des Ballons wächst.
Bei einem Luftdrucke von 95 mm, entsprechend einem Achtel des
Atmosphärendruckes und gegen 15 000 m Höhe über dem Boden, ist
der Durchmesser eines Gummiballons doppelt so gross als beim
Verlassen der Erde, und seine Vertikalgeschwindigkeit ebenfalls nahezu
die doppelte. Giebt man ihm durch Einfüllen einer entsprechenden
Gasmenge an der Erdoberfläche eine Anfangsgeschwindigkeit von
I 5 m per Sekunde, so beträgt dieselbe in 15 /cm Höhe 10 m per
Sekunde. Trifft man ferner eine solche Einrichtung, dass das
Thermometer gegen die direkte Sonnenstrahlung durch ein hoch-
glanzpoliertes Doppelrohr geschützt ist, analog wie bei dem Aspirations-
thermometer, und giebt dem Ballon eine solche Aufstiegsgeschwindig-
keit, dass ein kräftiger Luftstrom durch das oben und unten offene
und trichterförmig erweiterte Strahlungsschutzrohr und an dem von
ihm umschlossenen Thermometer vorüberführt, der stark genug ist,
um jeden Strahlungseinfluss zu beseitigen, so hat man eine »natürliche
Ventilation c, die während des ganzen Aufstieges und bis zur grössten
Höhe in zunehmendem Betrage wirksam ist
Sobald der Ballon platzt, beginnt natürlich sofort der Absturz,
den man durch einen kleinen Fallschirm so weit ermässigen kann,
dass der Apparat ohne ernstliche Beschädigung an der Erdoberfläche
ankommt. Während des Falles tritt der umgekehrte Vorgang ein,
indem in den hohem Schichten ein schnelles, mit der zunehmenden
Luftdichte sich verlangsamendes Fallen erfolgt.
Man erkennt leicht, sagt Assmann, die wesentlichen Vorteile
dieser Methode, wenn man sich vergegenwärtigt, dass bei ihr eine
im gleichen Sinne mit der Strahlungsintensität wachsende Ventilation,
sowohl bei dem Auf- wie dem Abstiege, stattfindet, während sich
bei einem Ballon mit unveränderlichem Volumen umgekehrt die
Ventilation verringert und schliesslich dort gleich Null wird, wo die
Strahlungsintensität ihr der erreichten Höhe entsprechendes Maximum hat.
Als Prof. Assmann die von solchen Gummiballons herabge-
brachten Aufzeichnungen untersuchte, Hessen sich in allen denjenigen
Fällen, in denen die Ballons eine Höhe von 10 Äwi überschritten
^) Sitzber. d. Preuas. Akademie der Wiss. 1902. 28. 24. p 495.
Lufttemperatur. 317
hatten, un2weif elhafte Zeichen für das Vorhandensein einer Temperatur-
umkehr oberhalb dieser Grenze erkennen.
Prof. Assmann hat genauer die Aufzeichnungen von 6 Registrier-
ballons, die im Jahre 1901 emporgesandt wurden und 12 km Höhe
erreichten oder überschritten, untersucht. Die Aufstiege fanden statt
am 10. April bis zu 13 km Höhe, am 4. und 11. Juli bis zu 12.5,
am 31. Juli bis zu 17.5, am 1. August bis zu 13.5 und am 7. No-
vember bis zu 12 Am Höhe. Die Auswertung der aufgezeichneten
Temperaturen nach Stufen von je 500 m Höhenzunahme ergab nun
sehr interessante Resultate. »Man bemerkt zunächst, c sagt Prof.
Assmann, »dass bei den Aufstiegen vom 4. Juli und 1. August in
den untersten Schichten eine Zunahme der Temperatur mit der Höhe
stattgefunden hat, und ersieht aus den Aufstiegszeiten, dass diese
Erscheinung ausschliesslich den frühen Morgenstunden vor Sonnen-
aufgang eigentümlich ist: sie stellt sich als ein Produkt der nächt-
lichen Bodenausstrahlung bei heiterem Himmel dar.
In den Schichten über 1000 m Höhe findet man diese Temperatur-
inversion nicht mehr, wohl aber wiederholt sehr kleine Gradienten,
die einer Isothermie nahe kommen, zwischen erheblich grossem: sie
bezeichnen die thermischen Schichtungen der Atmosphäre und fallen
meist mit der obem Grenze von Wolkendecken zusammen. Sie sind
den untern und mittlem Regionen eigentümlich.
In den beträchtlichem Erhebungen, und zwar oberhalb von
5 — 7 kmt werden allgemein die Gradienten gleichmässiger und er-
heblich grösser, in einigen FäUen wird der adiabatische Grenzwert
für trockene Luft, 1^ per 100 m, überschritten, und zwar findet dies
ausschliesslich in den grossen Höhen zwischen 6 und 10 km statt.
Oberhalb dieser Zone ausserordentlich starken thermischen Ge-
fälles beginnt, schon auf den ersten Blick erkennbar, ein neues
Regime, das sich entweder in einer schnellen Verminderung der
Gradienten bis zur Isothermie oder in dem Auftreten einer mehr oder
weniger intensiven Temperaturinversion verrät
Betrachten wir nun unter diesem Gesichtspunkte die einzelnen
Aufstiege etwas nähen
Am 10. Aprü begann oberhalb verhältnismässig geringer Gradienten
ziemlich unvermittelt bei 10 km Höhe eine Temperaturumkehrung;
bei 10500 m Höhe war ihr Betrag am grössten und nahm bis zu
13 km Höhe völlig gleichmässig ab. Die hier gefundene Temperatur
von — 35^ war derjenigen gleich, die vorher bei 7800 m aufgezeichnet
worden war, und sie war um 9.4^ höher als die bei 9500 m registrierte.
Aus der sehr gleichmässigen Verminderung des positiven Gefälles
könnte man schliessen, dass bei 15 km volle Isothermie und viel-
leicht bei 18 — 19 km wieder die Temperatur der Höhe 9500 m an-
getroffen sein würde, wenn der Ballon weiter emporgedrungen wäre.
« Im vorliegenden Falle ist aber, gegensätzlich zu allen den
folgenden, der Gummiballon, der nur einen Durchmesser von 1200 mm
318 Lufttemperatur.
besass, nicht geplatzt; er hat viebnehr eine, wenn auch nur kurz-
währende Gleichgewichtslage gefunden, in welcher er mit einer
Geschwindigkeit von etwa 40 m per Sekunde nach Nordost getrieben
ist. In lehrreicher Weise lässt die hierbei gezeichnete Eunre den
mächtigen Einfluss der Sonnenstrahlung darin erkennen, dass die
Temperatur während der Zeit der mangelnden Vertikalbewegung und
Ventilation bis auf — 24^ gestiegen, aber bei dem infolge von Gas-
verlust allmählich schneller werdenden Fallen genau wieder der Spur
der Aufstiegsregistrierung gefolgt ist
Am 4. Juli setzte nach einer ganz ausserordentlich schnellen
Abnahme zwischen 9000 und 10500 m Höhe eine Temperaturumkehr
bei 11 Am Höhe ein; dieselbe stieg dann und ging bis zu 12 km
Höhe wieder zurück. Auch in diesem Falle wird man eine isotherme
Schicht bei etwa 14 km und die Wiederkehr der ungewöhnlich tiefen
Temperatur der untern Grenze der Umkehr (fast — 60*^) bei 16 — 17 km
vermuten können. Die höchste registrierte Temperatur lag um 7.7^
über der darunter gefundenen tiefsten.
In diesem Falle ist der Ballon, der einen Durchmesser von
1500 mm hatte, unzweifelhaft in der grössten Höhe geplatzt, wie
aus den die Abstiegkurve durchkreuzenden Federspuren mit Sicher-
heit zu erkennen ist; dieselben rühren, wie experimentell festgestellt
worden ist, von dem Flattern des Ballonstoffes her, der nach dem
Platzen als ein formloser Lappen an dem Fallschirme hängt und,
dessen gleichmässige Entfaltung hindernd, starke Pendelungen des
Apparates hervorruft.
Am 11. Juli wurde ein Gummiballon von 1800 «im Durchmesser
verwandt, der mit 4 dnn Wasserstoffgas gefüllt war; da sich aber
sein Aufstieg längere Zeit verzögerte, war wohl sein Gas durch
Diffusion so verschlechtert, dass er nur mit einem massigen Auf-
triebe stieg. Nachdem er in 7 — 8 km Höhe eine ausserordentlich
grosse Temperaturabnahme angetroffen hatte, verminderte sich diese
mit einigen Schwankungen von 10 A:m Höhe an beträchtlich und
ging zwischen 11 und 12 Arm in volle Isothermie über; da er hier
schon platzte, erreichte er die wahrscheinlich in grösserer Höhe
liegende Inversionsschicht nicht
Am 31. Juli, dem Tage der grossen Hochfahrt der Herren
Berson und Süring, die nahezu bis zur Höhe von 1 1 000 m, d. h.
bis zu unserer kritischen Temperaturumkehrsschicht, reichte (leider
waren in dieser Höhe beide Forscher bewusstlos, so dass keine Be-
obachtungen vorliegen), stieg abermals ein Gummiballon von 1800 mm
Durchmesser auf. An dem ungewöhnlich warmen Tage reichten die
Schichtungen in sehr grosse Höhen hinauf, was auch von den Be-
obachtern im Freiballon festgestellt wurde. Der thermische Gradient
überschritt bei 10 und 11 ^ nicht den adiabatischen Grenzwert,
sank aber darüber schnell bis zur Isothermie in 12 A»» Höhe herab^
um nun in eine äusserst gleichmässige Temperaturzunahme um 5.2^
Lufttemperatur« 319
überzogehen, die bis zur Höhe von 15000tii reichte. Leider verlieas
hier die Registrierfeder das Papier an seinem obem Rande. Da
indes bei dem Wiedereintritte der Kurve auf das Registrierpapier
nach dem unzweifelhaft erfolgten Platzen des Ballons eine um 2.5^
niedrigere Temperatur aufgezeichnet wurde, kann man mit grosser
Wahrscheinlichkeit schliessen, dass sich der Ballon thatsächlich der
obem Grenze des wärmern Luftstromes genähert hat, an der eine
um 2.5^ niedrigere Temperatur den Obergang zu einem abermaligen
negativen Gradienten verriet.
Am nächstfolgenden Tage, dem 1. August, wurde abermals ein
Gummiballon von gleicher Grösse aufgelassen, der indes schon bei
13 km Höhe platzte. Er fand zwischen 9 und \l hn Höhe ein die
Adiabate überschreitendes Temperaturgefälle, das sich bis 12 Am
schnell verminderte und darüber unvermittelt in eine starke Temperatur-
umkehr überging, deren Betrag nur zu 5.2^ gefunden wurde, da der
Ballon keine grössere Höhe erreichte.
Am 7. November endlich fand ein Gummiballon von 1800 mm
Durchmesser eine verhältnismässig geringfügige Schichtung in den
untern und mittlem Höhen, aber schon bei 6 km eine sehr starke
Temperaturabnahme, die mit geringen Schwankungen bis zu 8500 m
reichte, sich dort aber schnell verringerte, um bei 10 ^ einer vollen
Isothermie Platz zu machen. Bei 1 1 500 m schien dieselbe in eine
geringfügige Temperaturzunahme übergehen zu wollen, die jedoch,
da der Ballon bei 12 ^ platzte, nicht weiter erforscht wurde«.
Das sind die Thatsachen. Li einer besondern Tabelle stellt
Prof. Assmann die einzelnen Werte zusammen und schliesst daraus
imter Voraussetzung, dass die Aufzeichnungen der Apparate unbe-
einflusst von der Sonnenstrahlung waren, auf die Existenz eines
erheblich höher temperierten Luftstromes oberhalb der Zone von
10— 12 fem.
Es darf, sagt Prof. Assmann, nicht unerwähnt bleiben, dass
auch Herr Teisserenc de Bort in Paris, der an seinem Observatoire
in Trappes bereits gegen 500 Registrierballons (dort Ballons-sondes
genannt) emporgeschickt hat, schon vor einigen Monaten Beweise für
eine Verminderung des thermischen Gradienten oberhalb 10 km bei-
gebracht hat. In einer kürzlich^) erschienenen Mitteilung berechnet
er den thermischen Gradienten dieser Höhe auf — 0.3^ pro 100 m
und stellt fest, dass dieses Regime bei cyklonalem Wettertypus in
10 km, bei anticyklonalem in 13 /nn Höhe seinen Anfang nehme.
Da seine Ballons (er benutzt ausschliesslich solche aus Papier
von 50 — 60 dym Inhalt) die oben genannten Missstände des mit zu-
nehmender Höhe verlangsamten Aufsteigens besitzen und demnach
auch eine Gleichgewichtslage finden, lasst sich ein Beweis des
fehlenden Strahlungseinflusses nur bei denjenigen Aufstiegen erbringen,
^) Annuaire de la societe meteorologique de France 1902. 60. p. 49.
320 Lufttemperatur.
die während der Nachtzeit ihre grösste Höhe erreicht haben. Wegen
der erheblich langem Zeit aber, die ein allmählich seiner Gleich-
gewichtslage zustrebender Ballon gebraucht, um seine grösste Höhe
zu erreichen, kann diese Bedingung nur dann als erfüllt gelten,
wenn der Aufstieg schon 3 — 4 Stunden vor Sonnenaufgang vor sich
gegangen ist, oder wenn maji, wie dies nach dem Vorschlage des
Verfassers mittels einer Weckeruhr geschehen kann, den Aufstieg
erheblich unterhalb der Maximalhöhe abbricht.
So erfreulich nun auch diese Bestätigung der von Assmann mit
seiner unzweifelhaft vorteilhaftem Methode gefundenen Ergebnisse
ist, so ist doch darauf hinzuweisen, dass dessen Resultate einen
erheblichen Schritt weiter gehen, indem er nicht nur eine Wieder-
abnahme des Temperaturgefälles, sondern eine beträchtliche Zunahme
der Temperatur selbst, also einen wärmern Luftstrom, feststeUen
und auch in einigen FäUen dessen obere Grenzschicht erforschen
konnte.
Teisserenc de Bort fügte den oben erwähnten vier thermischen
Schichten Bersons eine fünfte hinzu; diese ist durch Assmanns
Experimente nicht nur bestätigt, sondern in ihrer Wesenheit als ein
absolut wärmerer Strom erkannt; ferner ist aber auch über dieser
eine sechste Schicht der Wiederabnahme der Temperatur festgestellt
worden.
»Die Ursachen dieser warmen Strömung zu erörtern,« sagt Prof.
Assmann, »dürfte verfrüht sein: es liegt nahe, dieselbe als einen
Teil der unzweifelhaft vorhandenen grossen atmosphärischen Zirku-
lation anzusprechen, die den obern Zweig des Luftaustausches
zwischen dem Äquator und den Polen vermittelt Wenn die über
den tropischen Meeren unter steter Kondensation ihres Wasserdampfes
zu grossen Höhen aufgestiegenen und deshalb relativ warmen Luft-
massen auf einer nach den Polen zu schräg abwärts geneigten Bahn
fliessen, so würden sie ihren durch Leitung und Strahlung erfolgen-
den Wärmeverlust durch den dynamischen Vorgang beim Niedersinken
wohl ersetzen und auch noch in höhere Breiten als relativ hoch-
temperierte Strömung vordringen können.
Durch die noch nicht erwähnte Thatsache aber, dass bei mehrem
unserer Aufstiege das Vorhandensein einer hohen Girrusdecke in an*
genähert gleicher Höhe festgestellt werden konnte, wird der femere
Schluss nahegelegt, dieselbe in einen ursächlichen Zusammenhang mit
unserer Diskontinuitätsschicht zu bringen. Die neuem Forschungen
haben unzweifelhaft festgestellt, dass wohl alle geschlossenen Wolken-
decken in den verschiedenen Höhen mit Diskontinuitäten zusammen-
fallen, mögen dieselben nach der geistvollen Theorie Hermann
V. Helmholtz* unter Wogenbildung ein Produkt des von der
Diskontinuität erzeugten labilen Gleichgewichtes sein, oder mögen,
wie Berson und Süring nachgewiesen haben, die Zonen höherer
Temperatur den aufsteigenden Luftmassen eine Eondensationsgrenze
Luftdruck. 821
ziehen. Wendet man diese Erfahrungsresultate auch auf die hier
nachgewiesene sehr beträchtliche Diskontinuität in grosser Höhe an,
so liegt kein Grund vor, an der Möglichkeit eines derartigen Zu-
sammenhanges zu zweifeln.
Vielleicht liefert der aus den tropischen Meeren stammende
warme Luftstrom einen Beitrag von Wasserdampf zur Kondensation,
deren Produkt die hohen Girruswolken sind. Bei der Unsicherheit,
die zur Zeit noch über die Entstehungsursachen dieser Wolken-
gebilde herrscht, dürfte ein jeder Beitrag zu deren näherer Erforschung
als willkommen anzusehen sein. Man wird dann vielleicht zu einer
scharfem Unterscheidung zwischen hohen Girren, die ein Produkt
der obem Allgemeinzirkulation sind und mit dieser vorwiegend aus
westlicher Richtung ziehen, und tiefem kommen, die mit den Drack-
zentren der untem und mittlem Regionen in ursächlichem Zu-
sammenhange stehen. Der Ausdruck »falsche Girren c, den man häufig
anwendet, deutet an sich schon auf eine grundsätzliche Unterscheidung
der Form nach hin.«
Luftdruck.
Ober den tägliehen Gang des Luftdruckes in Moskau
hat Prof. Dr. Ernst Leyst an der Hand der Lamhert-Besselschen Formel
eine genaue Untersuchung angestellt, und zwar auf Gmnd stündlicher
direkter Beobachtungen. Die Vergleichung der neuen Beobachtungs-
reihe 1893—1899 mit der alten 1863—1867 führt zu dem Ergebnisse,
dass der tägliche Luftdruckgang in Moskau sekulären Änderungen
unterliegt, und zwar treten die einzelnen Teile der Tageskurve
gegenwärtig früher ein als vor 30 — 35 Jahren. Vor 7 Jahren hat
Verfasser einen ebensolchen Schluss aus den Petersburger Beobach-
tungen gezogen. In seiner Arbeit:^) »Untersuchungen über den täg-
lichen und jährlichen Gang der meteorologischen Elemente an den
Cyklonen- und Anticyklonentagen, « hat er nachgewiesen, dass für
Petersburg in der Periode um 1866 herum die spätesten Eintritts-
zeiten der Extreme waren, die vorher und nachher auf frühere Stunden
fielen, und zwar betmg der Unterschied durchschnittlich 1.2 Stunden.
Von derselben Ordnung ist auch die Moskauer Verschiebung, die
auch in demselben Sinne stattgefunden hat. Femer zeigte es sich
für Petersburg, dass zur Zeit des späten Eintrittes der Tageskurve
1) niedriger Luftdmck herrschte, was für Moskau auch gilt, indem
der gegenwärtige mittlere Luftdmck um 0,3 mm höher ist als der
der alten Serie; 2) dass zur Zeit des späten Eintrittes der Tageskurve
nicht nur der Luftdruck etwas niedriger war als jetzt, sondem auch
die Jahresamplitude kleiner.
^) Repertorium für Meteorologie 16^ No. 8. St. Petersburg 1898.
Klein, Jahrbuch XIIL 21
322 Luftdruck.
Bei Berechnung der Konstanten der Besselschen Formel hat
Verfasser sämtliche 24 Koeffizienten, die man nach stündlicher Be-
obachtung überhaupt berechnen kann, berechnet, doch muss bezüglich
dieses ausführlichen Teiles auf die Arbeit selbst verwiesen werden.
Die Veränderlichkeit der täglichen Barometerbewesrungr
auf dem hohen Sonnblick ist von A. v. Obermayer an der
Hand 14 Jahre umfassender Untersuchungen dargestellt worden.^)
Der tagliche Gang des Barometers auf hohen Berggipfeln ist charak-
terisiert durch ein Morgenminimum, welches sich mit der Erhebung
des Gipfels über den Meeresspiegel vertieft, während das tiefe Nach-
mittagsminimum der Niederung sich mit der Höhe verflacht Das
Abendmaximum, welches in der Niederung unbedeutend ist, erhöht
sich mit der Erhebung über den Meeresspiegel. Für den Sonnblick
speziell ergeben sich nun folgende Thatsachen:
Das Morgenminimum des taglichen Barometerganges, welches
im Flachlande um 4^ a eintritt, verspätet sich auf dem Sonnblick in
den Monaten Dezember und Januar auf 15 — 20 Minuten nach
6^a, es weicht in den Monaten März und April auf 6^a, in den
Monaten Mai und Juni auf 5^ a zurück. In den Monaten Juli, August
September fällt es in die Zeit zwischen 5^a und 6^a, im Oktober
und November auf 6^a. Dieses Morgenminimum, im Thale wenig
ausgeprägt, wird auf den Gipfelstationen zum Hauptminimum. Das
Vormittagsmaximum, welches im Flachlande um 10^ a eintritt, er-
scheint auf dem Sonnblick ebenfalls verspätet, und zwar schwankt
es je nach der Jahreszeit zwischen ll^a und 2^p. Das Nach-
mittagsminimum, welches im Flachlande als Hauptminimum um 4^p
eintritt, weist auf dem Sonnblick nur sekundären Charakter auf. Das
Abendmaximum, welches im Flachlande als sekundäres Maximum um
10^ p auftritt, erlangt mit der Erhebung des Beobachtungsortes über
dem Meeresspiegel den Charakter eines Hauptmaximums, eine Er-
scheinung, welche sich auf dem Sonnblick recht deutlich ausspricht.
Der Verfasser hat im weitern Verlaufe der Arbeit den täglichen
Gang des Barometers auf dem hohen Sonnblick nach der Besselschen
Formel harmonisch analysiert. Einen sehr interessanten Teil der
Arbeit bildet femer die Untersuchung über die tägliche Schwankung
des Barometers an heitern und trüben Tagen. Es haben sich hier-
bei folgende Gesetzmässigkeiten ergeben: Das Morgonminimum tritt
an heitern Tagen früher ein als an trüben. Im Winter ist es an
trüben, im Sommer an heitern Tagen mehr vertieft. Das Vormittags-
maximum und Nachmittagsminimum zeigen an heitern und trübeh
Tagen ebenfalls charakteristische Unterschiede. Das Abendmaximum
tritt an heitern Tagen etwas verfrüht, sehr nahe um 9^p ein, an
trüben Tagen zur normalen Zeit um 10^ p.
^) Sitzber. d. k. k. Akademie d. Wiss. in Wien 110. Abt Ha p. 45.
Wolken. 32S
Wolken.
Die Wolkenbeobaehtungen zu Toronto während des
Internationalen Wolkenjahres sind in ihren Ergebnissen nun-
mehr veröffentlicht^) Einen das Wesentliche einschliessenden kritischen
Auszug daraus giebt R. Süring.^ Hiemach wurden vom 21. September
1896 bis 4. Nov. 1897 rund 500 Einzelmessungen gemacht, welche zu
122 Mittelwerten der Höhe, Richtung und Geschwindigkeit der Wolken
zusammengefasst sind. Süring giebt folgenden Auszug aus der Tabelle:
HShen in km
Mittel
Sommer Winter
Ol 10.90 9.98
Oi-S 8.94 8.53
a-Ca 8.88 8.25
A-S 4.24 4.18
A-Cu 8.62 2.50
S-Ca 2.00 1.54
Ca 1.70 1.33
Max. Min.
11.78 8.22
10.63 7.08
11.50 5.42
5.14 2.47
4.40 2.30
2.99 1.06
3.88 0.76
Mittel*
Som. Wint. M&x.
40 23 61
24 16 40
20 30 53
17 29 32
15 27 36
13 11 20
8 11 25
Min.
14
8
1
10
4
4
3
Zugriohtunff
Sonmier Winter
W47»N Wll'N
W49N S68W
W24N W12N
W23N S70W
W 6N S56W
S68W W 9N
W44 N W 6N
Als mittlere Zugrichtungen ergeb
en
sich für Toronto:
Sommer ....
Winter
O-IOOO
NNW
se8»w
1-3000
W97»N
W
3-5000
W2y>N
S71W
5—7000
W58«»N
W
7—10000 flb. 10000 m
W45PN NW
WH N W18»N
Hiemach ist im Sommer die Zugrichtung der obem Wolken
«rheblich nördlicher als über Blue Hill.
Nach Höhenschichten von je 400 m geordnet, ergiebt sieb eine
bemerkenswert gute Übereinstimmung der vertikalen Häufigkeits-
verteilung der Wolken über Toronto mit der über Washington und
Blue Hill. Im Jahresdurchschnitte sind für Toronto Zonen maximaler
Häufigkeit: 1200—1600 m, 4000—4400 w, 8400—8800 m und
10000 — 10400 m. Fast wolkenleer (6 Messungen im Jahre) ist die
Schicht von 5000 — 7600 m. Gruppiert man, sagt Süring, die Wolken-
geschwindigkeiten nach Schichten von je 2000 m, so sieht man recht
gut, wie im Winter die Geschwindigkeit grösser und die Zunahme
nach oben schneller ist als im Sommer.
Gesohwindigkeit
Schicht Sommer Winter
O-2000ffi 8.0 10.7
2000- 4000 15.2 20.9
4000- 6000 15.3 24.7
600O-. 8000 21.2 42.7
8000-10000 28^ 31.6
10000^12000 32.3 (18.4)
Ober Blldungr und Konstitution der Wolken verbreitet sich
Prof. W. Trabert ') Er hebt zunächst hervor, dass der Wasserdampf
seine wichtige Rolle in der Atmosphäre dem Umstände verdankt, dass
er als Dampf nur in beschränktem Masse einen gegebenen Raum zu
erfüllen vermag. Während wir in einen abgeschlossenen Raum von
den übrigen gasförmigen Bestandteilen der Atmosphäre so viel hin-
H&afigkeit
Sommer
Winter
19
28
13
7
7
3
4
3
6
15
18
5
^) Meteorol. Service of the Dominion of Ganada. Ottawa 1901.
<) Meteorol. Zeitschrift 1902. p. 142.
^ Emden, AeronautLsche Mittl. 1902. 2.
21»
324 Wolken.
einpressen können, als wir wollen, ist der Einfuhr von Wasser-
dampf sehr bald eine Grenze gesetzt. Haben wir einen abge-
schlossenen Raum über Wasser, so wird von letzterem ein Teil in
Dampfform in den darüber befindlichen Raum übergehen, bei einer
gewissen Dampf erfüllung des Raumes hört aber jede weitere Ver-
dampfung auf, wir nennen dann diesen Raum »gesättigt«, und es
lehrt die Erfahrung, dass dieser Maximalbetrag des aufgenommenea
Dampfes allein abhängt von der Temperatur des Raumes, von der
Anwesenheit anderer Gase aber völlig unabhängig ist.
Nicht bloss das flüssige Wasser, auch das Eis verdampft, und
auch über einer Eisfläche können wir einen Dampfdruck der Sättigung
herstellen ; wie die Erfahrung lehrt, ist derselbe aber kleiner als bei
Wasser von derselben Temperatur. Bringen wir somit ein Eisstück
von 0^ in einen Raum, der über Wasser von 0^ gesättigt war, so
werden auf die Flächeneinheit des Eisstückes mehr Moleküle auf-
prallen, als sich von ihr losrissen, es findet Massenvermehrung,
Kondensation auf dem Eisstücke statt ; es ist für das Eis der Raum
mit Dampf »übersättigt«. Die grossen, stets dem Winde entgegen
wachsenden Rauchreifbildungen, wie man sie auf den Gipfelstationen
so vielfach beobachtet hat, bilden eine schöne Illustration dieser
Thatsache. Wir sehen schon hier den Begriff der »Sättigung« als
einen relativen, je nachdem wir Wia.sser in fester oder flüssiger Form
verwenden. Aber auch bei flüssigem Wasser vermögen wir den
Dampfdruck der Sättigung durch Beimengungen (z. B. gelöste Salze)
zu modifizieren, und selbst bei reinem Wasser ist er abhängig von
der Oberfiächengestalt, welche wir der Flüssigkeit geben. Je stärker
die Krümmung der Wasseroberfläche, um so leichter vermögen die
Wasserteilchen die Oberfläche zu verlassen, um so mehr werden
aus derselben heraustreten, und um so grösser wird der Dampfdruck
der Sättigung sein müssen. Lord Kelvin hat zuerst für diese Ab-
hängigkeit einen analytischen Ausdruck abgeleitet
Wir haben in der freien Atmosphäre thatsächlich dampferfüllte
Luft und stark gekrümmte Wasserflächen nebeneinander und sehen
so bei den Wolken den Fall praktisch realisiert. Auch hier sprechen
wir dann von »Übersättigung« der Luft, können dies aber nur, so-
lange wir als »gesättigt« einen von ebenen Wasserflächen begrenzten
Raum definieren, welcher bei der gegebenen Temperatur keinen
Wasserdampf mehr aufzunehmen vermag. In Wahrheit hängt ja der
maximale Dampfgehalt eines bestimmten Raumes ganz von seiner
Begrenzung, von der Krümmung der vorhandenen Wasserflächen ab»
In der That sehen wir auch die Kondensation bei Überschreitung
des Sättigungspunktes an den ebenen Begrenzungen des gesättigten
Raumes oder an den in ihm schwebenden Staubteilchen vor sich
gehen, und Wilson hat experimentell gezeigt, dass in völlig staub-
freier Luft, also bei Fehlen von Kondensationskemen, auch noch
nach beträchtlichem Überschreiten des Sättigungspunktes keine Kon-
Wolken. 325
densation eintritt. In der freien Atmosphäre können es daher auch
nur die Staubteilchen sein, an denen Kondensation des Dampfes
möglich ist. Je grösser die Teilchen, um so früher wird Konden-
sation eintreten, je kleiner sie sind, um so später, um so mehr wird
die Luft »übersättigte werden. Inder freien Atmosphäre wird somit
zuerst an den grössten in der Luft vorhandenen Staubteilchen Kon-
densation eintreten, es werden sich um diese Kerne Tröpfchen bilden,
und es wird diese Kondensation in dem Momente erfolgen, in dem
die Luft für diese gegebene Tröpfchengrösse gesättigt ist Für eine
«bene Wasserfläche würde solche Luft stets »übersättigte erscheinen,
und wenn wir als relative Feuchtigkeit das Verhältnis des that-
sächlichen Dampfdruckes zum maximalen Dampfdruck über einer
ebenen Wasserfläche definieren, dann sehen wir, dass relative Feuch-
tigkeiten, die 100^ Iq um einen gewissen Betrag überschreiten, nicht
bloss möglich, sondern unmittelbar vor der Kondensation in der
ireien Atmosphäre theoretisch sogar stets vorhanden sein sollten.
Wir haben uns den Prozess der Wolkenbildung nun folgender-
massen vorzustellen: zunächst Zunahme der relativen Feuchtigkeit, Er-
reichung eines Wertes von über 100 ^/q, hierauf erstes Entstehen
kleinster Tröpfchen, die nun aber rasch anwachsen, wobei die Feuch-
tigkeit auf 100 ^/q zurücksinkt Bei eventueller weiterer Fortdauer
der Ursache für die Kondensation wird dann ein langsames weiteres
Wachstum der Tröpfchen inmitten gesättigter Luft stattfinden.
Leider ist das Beobachtungsmaterial, das wir zur Prüfung der
Theorie zur Verfügung haben, recht dürftig. Ob es thatsächlich Über-
sättigung in der Atmosphäre giebt, vermögen wir gegenwärtig aus
Beobachtungen nicht zu schliessen, da unsere Instrumente zur Messung
der Feuchtigkeit wenig verlässlich sind, dass die Beantwortung der
Frage nur sehr schwer möglich wäre.
Untersuchungren über die Nebelverhältnisse der Schweiz
hat G. Streun angestellt. Das Material lieferten die Annalen der
schweizerischen meteorologischen Zentralanstalt in Zürich und die
von der gleichen Stelle ausgegebenen Wetterberichte. Ursprünglich
beabsichtigte Streun, seinen Ausführungen die Beobachtungen der
10 Jahre 1884 — 1893 zu Qrunde zu legen. Bei der Aufstellung der
zehnjährigen Mittelwerte stellte sich aber heraus, dass die Nebel-
häufigkeit mit dem Jahre 1891 fast überall auffallend abnahm, in
Zürich z. B. von 132 jährlichen Nebeltagen (1884 — 1890) auf 43
(1891 — 1893) sank. Die Ursache liegt darin, dass mit dem Jahre
1891 eine Änderung im Modus des Zählens der Nebeltage eingetreten
ist Vorher wurden auch Tage, an welchen entweder bei den Termin-
beobachtungen oder in der Rubrik » Bemerkungen c i neblig« notiert
war, als Nebeltage gerechnet, seit 1891 hingegen nicht mehr, wenigstens
da nicht, wo die Beobachter starken Nebel, Nebel, leichten oder
schwachen Nebel und neblig genau auseinander halten. Der durch
826 Wolken.
diese Änderung im Zählen der Nebeltage in den Beobachtongsreihen
vieler Stationen entstandene Sprung von 1890 auf 1891, sowie auch
der Umstand, dass zur Bildung der zehnjährigen Mittel 1884 — 189B
nur für ca. 50 Stationen das Material voUständig erhältlich war,
veranlassten Streun, die Untersuchungen über die Nebelverhältnisse
der Schweiz ausschliesslich auf Grund der Beobachtungen im Lustnim
1891 — 1895 vorzunehmen. Soweit keine andern Zeitangaben gemacht
sind, beziehen sich denn auch alle Daten seiner Erörterungen auf
diesen Zeitraum. Derselbe ist zu einem ins einzelne gehenden
Studium aller Verhältnisse etwas kurz, und es schien anfangs zweifel-
haft, ob sich vergleichbare Resultate ergeben würden. Im Laufe der
Arbeit zeigte sich aber, dass die Angaben über Nebel für die Jahre
1891 — 1895 bei unter ungefähr * gleichen Bedingungen stehenden
Stationen recht gut miteinander übereinstimmen, und sich auf ihnen
eine zuverlässige Untersuchung wohl aufbauen lässt. Im ganzen
wurden die Aufzeichnungen von 98 Stationen der Schweiz benutzt
und als Nebeltag jeder Tag gezählt, an welchem die Station selbst
im Nebel lag. Über die zeitliche und räumliche Verteilung des Nebels
ergab sich nun folgendes:
In den tiefen Lagen, also beim Thalnebel, zeigte sich ein stark
ausgesprochenes Maximum der Nebelhäufigkeit am Morgen; Mittag
und Abend sind bedeutend ärmer an Nebel. Besonders scharf treten
diese Morgenmaxima im September und Oktober hervor. Die weit-
aus grösste Zahl der im Herbst so häufigen Nebeltage ist mithin
auf Morgennebel zurückzuführen. Dieses Maximum ist durch die
tägliche Temperaturschwankung bedingt Während der Nacht kühlt
sich die Erdoberfläche durch Wärmeausstrahlung ab und teilt ihre
niedrige Temperatur den untersten Luftschichten mit Sinkt diese
hier unter den Taupunkt, so muss Kondensation und damit Nebel-
bildung eintreten.
Anders gestaltet sich die tägliche Periode der Nebelhäufigkeit in
hohem Lagen, also bei Bergnebel. Die Qipfelstationen Rigi-Kuhn
und Säntis zeigen eine nur schwach ausgesprochene tägliche Periode
der Nebelhäufigkeit Auf dem Rigi verläuft dieselbe während 9 Monaten
und im Jahresdurchschnitte wie in der Niederung. Die andern Monate
zeigen andere Verhältnisse.
Stärker verwischt ist die tägliche Periode der Nebelhäufigkeit
auf dem Säntis, dessen Nebelbeobachtungen sich durch Genauigkeit
auszeichnen. Am häufigsten tritt hier der Nebel, besonders in der
warmen Jahreszeit, am Abende auf. Die Nebelhäufigkeit nimmt meist
vom Morgen zum Abende oder richtiger zum Nachmittage zu. Letzteres
zeigen die Beobachtungen, die 1888 — 1893 (dem Zeitpunkte der
Installierung selbstregistrierender Instrumente) an 8 Terminen an-
gestellt wurden.
Das häufigere Auftreten des Nebels auf Gipfeln am Nachmittage
hängt damit zusammen, dass Nebel am Gipfel seiner Entstehung nach.
Wolken. 327
etwas ganz anderes, als Nebel im Thale ist. Er wird notiert, wenn
Wolken den Gipfel einhüllen. Die tagliche Periode der Nebelhäufig-
keit entspricht daher hier der Periode der Bewölkung mit ihrem Nach-
mittagsmaximum.
Die Resultate kurz zusammenfassend resümiert Streun: Die
Nordabdachung des Jura, das MitteUand und die tiefen Alpenthäler
dies- und jenseits der Wasserscheide, also das Qebiet der Thalnebel,
haben infolge der nächtlichen Abkühlung des Bodens und der an-
lagernden Luftschichten ausgesprochene Morgennebel. Auf den Gipfeln,
die Bergnebel haben, ist die Häufigkeit des Nebels ziemlich gleich-
massig auf die einzelnen Tagesstunden verteilt. Ein nur schwach
hervortretendes Maximimi stellt sich in den Nachmittagsstunden ein.
Dasselbe wird hervorgerufen durch die Gumuli der im Thalwinde auf-
steigenden Luftmassen.
Es ergiebt sich femer, dass die Nebelhäufigkeit je nach der
Jahreszeit und der geographischen Lage ausserordentlich verschieden
ist. Doch weisen ähnlich gelegene Stationen in den meisten Fällen
eine mehr oder minder grosse Übereinstimmung auf.
Eine genauere Zusammenstellung über den jährlichen Gang der
Nebelhäufigkeit lässt dann die in den Niederungen deutlich aus-
gesprochene, mit zunehmender Höhe aber immer mehr verwischte
jährliche Periode erkennen. Im Jura nimmt die Nebelhäufigkeit im
Januar und Februar immer ab, erreicht im April ein erstes und im
Juni ein zweites Minimum, um im Herbste zuerst rasch, dann lang-
samer zum Novembermaximum anzusteigen. Im schweizerischen
Mittellande fällt das Minimum auf den Sommer; im Herbste steigt
die Häufigkeit des Nebels ziemlich gleichmässig und erreicht im
November ihr Maximum; dasselbe ist hier schärfer ausgesprochen
als im Jura und etwas gegen den Winter verschoben. In den tiefen
nördlichen Alpenthälem fällt die Nebelhäufigkeit in den ersten zwei
Monaten des Jahres rasch und gleichmässig ab, bleibt im Frühlingc
und auch im Sommer sehr klein, um im Herbste zuerst langsam und
dann rasch anzusteigen und im Dezember ihren scharf hervortretenden
höchsten Stand zu erreichen. Eine weit weniger deutliche jährliche
Periode trifft man bereits in einer Höhe von ca. 1000 m, wo Thal-
und Bergnebel nebeneinander auftreten. Die Häufigkeit des Nebels
nimmt hier vom Dezember bis zum August zuerst rascher, dann sehr
langsam ab und steigt bis zum November wieder gleichmässig an.
Unregelmässig ist der Gang der Nebelhäufigkeit in den Hochthälem.
Doch zeigt sich ein Minimum im Winter und ein Maximum im Oktober.
Auf den Gipfeln mit ihren Bergnebeln ist die jährliche Periode der
Nebelhäufigkeit fast ganz verwischt Zwei ganz schwache Maxima
entfallen auf Mai und Oktober. Das Winterminimum tritt etwas
deutlicher hervor als dasjenige vom August. Auf dem Säntis steigt
die Nebelhäufigkeit vom März bis Juni langsam an und fallt dann
ebenso langsam bis zum November wieder ab. Ein Maximum im
328 Wolken.
Sommer und ein Minimum im Winter lassen sich hier, allerdings nur
wenig ausgesprochen, erkennen.
Die dem Boden aufruhenden Nebel verdanken, wie Streun hervor-
hebt, ihre Entstehung wohl stets der Berührung der Luft mit dem
durch Ausstrahlung abgekühlten Boden. Bergnebel, d. h. die Wolken,
die die Berge einhüllen, sind dagegen meist das Resultat eines Auf-
steigens der Luft. Eine intensive Abkühlung durch Berührung mit
dem durch Ausstrahlung erkalteten Boden kann nur bei Abwesenheit
von Luftbewegung, also bei stiUem Wetter, stattfinden, wie es unter
dem Einflüsse einer Anticyklone sich einstellt Thalnebel sind daher
an anticyklonales Wetter geknüpft. Anders die Bergnebel. Ein Auf-
steigen der Luft, wie es zu Wolkenbildung führt, findet besonders
unter dem Einfluss von Gyklonen statt. Bergnebel sind daher be-
sonders an cyklonales Wetter geknüpft
Die speziellen Untersuchungen von Streun bestätigen diese
Schlussfolgerungen durchaus, und die erhaltenen Resultate zusammen-
fassend, giebt er für Nebel in tiefen Lagen einerseits und Nebel auf
hohen Bergen anderseits folgende Charakteristik der allgemeinen
Wetterlage:
Im Winterhalbjahre ist bei Nebel unten der Luftdruck sowohl in
Zürich als auch auf dem Säntis übemormal. Die Temperatur ist
unten etwas zu niedrig, oben beträchtlich zu hoch. Chaumont und
noch Rigi sind namentlich in den Wintermonaten wärmer als Zürich,
und Säntis ist nur wenig kälter. Die Temperatur der Luftsäule er-
giebt sich sowohl aus direkten Beobachtungen, als auch aus den
Abweichungen des Luftdruckes berechnet als viel zu hoch verglichen
mit der normalen. Die Temperatur nimmt mit zunehmender Höhe
zuerst zu, später etwas ab, die relative Feuchtigkeit dagegen sinkt
rasch. Die Windstärke ist oben und unten zu klein. Es existiert
ausgesprochen anticyklonales Wetter.
Bei Nebel in der Höhe ist der Luftdruck unten und oben unter-
normal; die Temperatur ist bis wenig über die Höhe des Chaumont
zu hoch, weiter oben zu tief. Die beobachteten und noch mehr die
berechneten Abweichungen der Temperatur der Luftsäule sind negativ.
Die Temperatur nimmt nach oben rasch ab, die relative Feuchtigkeit
langsam zu. Die Windstärke ist oben etwa normal, unten erheblich
zu gross. Das Wetter ist cyklonal.
Im Sommerhalbjahre hatte Zürich im Lustrum 1891 — 1895 sehr
wenig Nebel; die Anzahl der Morgentermine mit Nebel ist zur Bildung
zuverlässiger Mittelwerte zu klein. Eine im Mittel zutreffende
Charakteristik der Wetterlage bei Nebel in der Tiefe im Sommer
müsste sich über einen viel grössern Zeitraum erstrecken.
Bei Nebel in der Höhe ist das Wetter im allgemeinen von dem-
jenigen des Winterhalbjahres wenigstens dem Sinne nach nicht
wesentlich verschieden. Der Luftdruck ist unten und oben zu niedrig.
Die Abweichungen oben sind im Verhältnisse zu denjenigen unten
Wolken. 329
grösser als im Winterhalbjahre. Die Temperatur ist in allen Höhen-
lagen unter dem Mittel und weicht infolgedessen erheblich mehr von
der normalen ab als im Winter. Dies gilt auch von den berechneten
Temperaturen. Die Temperatur nimmt nach oben rascher ab, die
relative Feuchtigkeit langsamer zu als im Winter. Die Windstarke,
die bei Nebel auf dem Säntis unten das ganze Jahr hindurch zu
gross ist, ist gleichzeitig oben ziemlich normal. Alle Momente, die
cyklonales Wetter charakterisieren, treten in der warmen Jahreszeit
noch schärfer hervor als in der kalten. Nebel in der Höhe ist also
während des ganzen Jahres durch cyklonales Wetter bedingt
Streun hat auch Untersuchungen über die obere Grenze des
Nebelmeeres angestellt, auf Grund der Angaben der drei Gipfel-
stationen Säntis, Pilatus und Rochers de Naye. Dieselben erscheinen
gleichsam als Pegelstationen im Nebelmeer, indem sie dessen Stand
an den Beobachtungsterminen numerisch angeben.
Aus den direkten Zahlenangaben dieser Stationen berechnet er
die mittlere Höhe des Nebelmeeres zu rund 900 m, bemerkt aber,
dass das wahre Mittel etwas tiefer liegen dürfte als das berechnete.
Die obere Grenze des Nebelmeeres weicht von einer Niveau-
fläche erheblich ab. In der Zentralschweiz liegt sie 100 — 200 m
höher als am Bodensee und am Genfersee. Dieses Gefälle nach
Nordosten und Südwesten, sagt Streun, wird nicht etwa durch einige
extreme, die Mittel stark beeinflussende Einzelangaben hervorgebracht,
sondern zeigt sich — und das ist wesentlich — ohne Ausnahme in
allen zusammengehörigen Einzelwerten, ist also immer vorhanden.
Die Abnahme der Höhe des Nebelmeeres nach Nordosten dürfte
durch topographische Verhältnisse bedingt sein. Der Nordrand des
Beckens, welches die kalten, stagnierenden Luftmassen, die aus der
allgemeinen anticyklonalen Zirkulation ausgeschlossen sind, enthält,
wird in der Nordschweiz nach Osten hin immer niedriger. Es ist
infolgedessen ein Abfliessen der kalten Luft in geringem Höhen
möglich. Nach Südwesten hin trifft dies allerdings nicht zu.
Auch in die Thaler am Nordfusse der Alpen senkt sich die
obere Grenze des Nebelmeeres herab. Ghur und Meiringen mit
600 m Seehöhe waren im November 1897 meistens nebelfrei. Nach
MitteUungen R. Billwillers in Zürich an J. Hann in Wien ist diese
Nebelfreiheit der Alpenthäler einfach auf eine Föhnwirkung zurück-
zuführen.
Sehr häufig stand das Nebelmeer am Säntis in einer Höhe von
700 — 800 m, am Pilatus dagegen in einer solchen von 900 m. Ferner
lag an beiden Bergen der Nebelmeerspiegel oft bei 1100 nt, merk-
würdigerweise aber relativ selten bei 1000 m.
Die obere Grenze der Nebelschicht erleidet im Verlaufe eines
Tages Schwankungen. Am besten können diese Veränderungen im
Stande des Nebelmeeres an der Hand der täglich fünfmaligen An-
gaben der Station Säntis verfolgt werden. Vormittags scheint eine
330 WolkeiL
typische Änderang in der Höhenlage der obein Grenze des Nebel-
meeres nicht stattzufinden. Der Spiegel desselben behalt vielfach
(besonders in der Gegend vom Säntis) den ganzen Vormittag hin-
durch die gleiche Höhenlage beL Steigen und Sinken treten unregel-
massig, aber mit ziemlich gleicher Häufigkeit und auch nahezu
gleichen ahsoluten Betragen auf. Anders sind die Verhältnisse am
Nachmittage. Zwischen 1 und 4 Uhr zeigt in der Umgebung des
Säntis die obere Grenze der Nebelschicht eine entschiedene Tendenz
zum Steigen. Auf dieses AnschweUen folgt von 4 — 9 Uhr ein ebenso
deutlich ausgesprochenes Sinken des Nebelspiegels. Ob dieses Steigen
und FaUen auch am Pilatus sich einstellt, kann aus den vorhandenen
Angaben nicht ermittelt werden. Während der Nacht überwiegt am
Säntis sowohl als auch am Pilatus in der Häufigkeit und auch den
absoluten Beträgen nach das Steigen der obem Grenze des Nebel-
meeres etwas weniges über das FaUen derselben. Am tiefsten
steht der Spiegel des Nebelmeeres am Säntis um Mittag, am Pilatus
am Abende.
Beobachtungren über Nebelbildung* und photographische
Aufnahmen der obem Flächen ausgedehnter Nebel und Dunstmassen
hat Prof. Mc. Adie vom meteorologischen Observatorium Mount Tamalpais
in Galifomien in 2500 Fuss Höhe, gegenüber der Bai von San
Franzisko ausgeführt^) Von den interessanten Aufnahmen ist auf
Tafel V eine reproduziert Dieselbe wurde 1900 Juli 30 7^ 15™
nachmittags aufgenommen, bei Westwind in San Franzisko und
Südwind auf Mount Tamalpais. Im Vordergrunde liegt die Stadt
Mill Valey. Die Oberfläche des Nebels steigt an einer Stelle in
Gestalt einer Pyramide empor, während der Nebel des Hintergrundes
über dem Golden Gate und der Bucht von San Franzisko liegt Diese
Formation ist höchst eigentümlich, und es mag noch bemerkt werden,
dass der Boden unter der Nebelpyramide horizontal ist, und di&
Aufwölbung des Nebels durchaus nicht durch darüber liegende Höhen
bedingt wird.
Niederschläge.
Untersuchungen über die Verdunstung hat Prof. G. Schwalbe
ausgeführt.^) Zunächst weist er darauf hin, dass es sich bei allen
Verdunstungsmessungen nur um relative Werte handeln kann, d. h.
man kann bei möglichst gleichmässiger Aufstellung der Instrumente
an den einzelnen Stationen nur erzielen, dass die Beobachtungen
untereinander vergleichbar sind. Die absolute Grösse der Ver-
dunstung vermögen wir bislang nicht zu messen.
^) Proceedlnffs of the second Convention of Weather Bureau Officiale.
U. St Departm. of Agricultur BuUetin No. 81. Washington 1902.
*) Meteorol. Zeitschr. 1902. p. 49.
Niederschläge. 331
Zur Erlangung guter Relativzahlen dient bekanntlich das Eva-
porimeter, wie es besonders von Wild beschrieben worden ist. Da
jedoch nur eine verhältnismässig kleine Anzahl von Stationen mit
diesem Instrumente ausgerüstet werden kann, so erschien es wünschens-
wert, eine neue Grundlage zu schaffen.
Schwalbe hat nun den jährlichen Gang der Verdunstung einer
grossen Anzahl von Stationen untersucht, an welchen gleichzeitige
Beobachtungen am Evaporimeter und am Psychrometer vorhanden
sind, nämlich Potsdam, Gordoba in Argentinien, Madrid, sowie
neunzehn gleichmässig über das Russische Reich verteilte Stationen.
Für alle Stationen wurde zunächst festgestellt, ob der jährliche
Gang der Verdunstung dem jährlichen Gange der psychrometrischen
Differenz proportional war, d. h. ob bei Multiplikation der erstem
Werte mit einem geeigneten Proportionalitätsfaktor die so erhaltenen
Werte annähernd denen der psychrometrischen Differenz entsprachen.
Dieser Faktor muss natürlich für jeden Monat einer einzelnen Station
der gleiche sein. Bei der Verschiedenheit, welche der anzuwendende
Proportionalitätsfaktor für die einzelnen Stationen zeigt, war es
wichtig, zu untersuchen, inwieweit trotz dieser Verschiedenheit die
Stationen unter sich vergleichbar bleiben. Das Schlussergebnis lässt
sich in folgende Sätze zusammenfassen:
1. Die psychrometrische Differenz ist ein relatives Mass der
Verdunstung. An Orten, an welchen letztere gross ist, ist auch
erstere gross und umgekehrt.
2. Der jährliche Gang der psychrometrischen Differenz hängt
in derselben Weise vom Sonnenstande ab wie derjenige der Ver-
dunstung.
Hiernach gewinnt es den Anschein, als ob man sich mit Erfolg
bei Verdunstungsuntersuchungen der psychrometrischen Differenz be-
dienen kann, was besonders in der Frage nach der geographischen
Verteilung der Verdunstung, sowie bei Untersuchungen über den
täglichen und jährlichen Gang dieser Grösse von Wichtigkeit sein wird.
Die Häufigkeit des Regens in Paris nach den Beobach-
tungen von 1873 — 1900 zu Parc S. Maur ist von Angot unter-
sucht worden.^) Die folgende Tabelle enthält die Ergebnisse dieser
Untersuchung. Die erste Kolumne giebt die Zahl der Niederschläge
überhaupt, ohne Rücksicht auf die Quantität der Niederschlagsmengen.
Man sieht später die Unterschiede im jährlichen Gange je nach dem
Schwellenwerte der Niederschlagstage.
Die Tage, an welchen die Niederschlagsmenge 30 mm erreicht
oder überschritten hat, sind gering, man zählt deren nur sechzehn
in 28 Jahren. Die Tage, an denen mehr als 35 mm gefallen sind,
waren:
1) Meteorol. Zeitachr. 1902. p. 428.
832
Niederschlage.
Datum: Mai
Juni
Juli August August
Oktober
Menge
i.J^1881 (20J^1898 (8.JJ873 (20.j 1900 (1901875 (22.) 1890 (16.) 1896 (25.J| 1892
47.6
ä8.4
96.0
Hftillokelt der Regentage vereoh. Intensität zn
Paris i873
-1900 (Paro 8. Maar).
Nieder-
schlags-
tage
Überhaupt
Regexunasse gleich oder über
Wahrscheinüchkeit
0.6
Imm
5
10
15
20
25
über-
haupt
1mm
5mm
10 mm
Jan.
18.8
10.8
8.1
2.1
0.6
0.2
0.0
0.0
0.45
.26
.07
.02
Febr.
13.0
10.7
8.3
2.0
0.4
0.2
0.0
0.0
.46
.29
.07
.02
Mftn
13.0
10.6
8.9
2.6
0.7
0.8
0.1
0.0
.42
.29
.09
.02
ÄSf
12.5
10.2
8.9
2.9
0.6
0.2
0.1
0.0
.42
.30
.10
.02
12.7
10.2
8.5
2.9
1.1
0.3
0.2
0.1
.41
.27
.09
.04
Juni
13.2
10.6
9.1
3.9
1.7
0.9
0.5
0.2
.44
.30
.13
.06
Juli
12.9
10.6
9.1
3.9
1.4
0.7
0.2
0.1
.42
.29
.13
.05
August
12.2
10.1
8.3
3.2
1.6
0.8
0.5
0.2
.39
.27
.11
.06
Sept.
12.0
9.7
8.5
3.3
1.3
0.7
0.3
0.0
.40
.28
.11
.04
01^.
16.1
11.9
10.4
4.0
1.6
0.7
0.4
0.2
.49
.33
.13
.05
Nov.
15.5
11.9
9.9
3.0
0.9
0.3
0.1
0.1
.52
.33
.10
.03
Dez.
15.8
12.5
9.9
3.2
0.8
0.2
0.1
0.0
.51
.32
.10
.08
JahT
161.7
129.7
107.9
37.0
12.7
5.3
2.3
0.9
.44
.29
.10
.04
Der Wolkenbrueh In Berlin am 14. April 1902. Prof. G.
Hellmann macht über die UDgleiche Regendichtigkeit während dieses
Wolkenbruches in Berlin und der Umgebung interessante Mitteilungen.^)
In Berlin selbst schwanken die gemessenen Regenhöhen zwischen
166.0 und 42.1 mm, nördlich bis 9 km Entfernung von Berlin zwischen
98.0 und 14.3 wwn, östlich in 7.5 km wurden 4.0, westwärts bis
9 km Entfernung 54.0 mm gemessen. »Am grössten sind die Unter-
schiede im Regenfalle in der Richtung von W nach E. Am Ost-
rande der Stadt beträgt die Menge 10 — 20 mm, in 1 km Entfernung
nur 4 mm und östlich einer Linie, die etwa in der Richtung Jüter-
bog— Zossen — Wriezen, also nur 28 km östlich von Berlin, verläuft,
regnete es überhaupt nicht. Das Gebiet des Maximalregenfalles
mit beiläufig 150 — 170 mm liegt im nordwestlichen Teile der innern
Stadt und dürfte kaum einen halben Quadratkilometer gross sein.
Aber auch nach W hin ist der Abfall der Regenmenge gross;
denn nur 11km westlich vom Maximalgebiete, in Ruhleben bei
Spandau, werden bloss 29 mm gemessen. Am geringsten sind natürlich
die Unterschiede in der Richtung von NNE nach SSW, in der das
Unwetter fortgeschritten ist. Während des stundenlangen heftigen
Gewitters konnte man ein Fortschreiten desselben allerdings kaum
bemerken, es zeigt sich ein solches aber deutlich aus dem Ver-
hältnisse der vor und nach 7** gemessenen Regenmengen.
Der Regenfall scheint zwischen 5 und 6"- am ergiebigsten ge-
wesen zu sein. Bald nach 6 Uhr (6*** — 6^* wird notiert) fiel in
einem Teile der innern Stadt auch starker Hagel, der bis gegen 6^
^) Meteorol. Zeitschr. 1902. p. 463.
Niederschläge. 883
anhielt Er wurde von den Wasserströmen, die sich auf den Strassen
gebildet hatten, nach tiefer gelegenen Orten und in die Häuser fort-
geschwemmt, wo er bis gegen Mittag, ja stellenweise bis zum
nächsten Tage noch liegen blieb und in Dutzenden von Eimern
weggeschafft werden musste. Dieser Hagel hat durch Verstopfung
der Röhren etc. sicherlich auch dazu beigetragen, dass die enormen
Wassermassen langsamer abflössen und der durch sie angerichtete
Schaden, den man nach vielen Hunderttausenden von Mark bemessen
darf, noch grösser wurde, als er bei blossem Regenfalle gewesen
wäre. Der Strassenverkehr erlitt am Vormittage erhebliche Störungen,
und sogar der Schulimterricht musste ausfallen, was in Berlin wohl
noch nie dagewesen ist.«
Die hier dargelegten Verhältnisse bestätigen durchaus die bereits
früher von Prof. Hellmann wahrgenommene Thatsache , dass ein
Wolkenbruch räumlich wie zeitlich von sehr beschränkter Aus-
dehnung ist
Die 85 jährige Perlode der Regensehwankung. Vor
Jahren hat bekanntlich Prof. E. Brückner (Bern) den Nachweis ge-
liefert, dass die Landflächen der Erde um das Jahr 1880 herum
ein Maximum des Regenfalles aufwiesen, ebenso wie sie vorher um
1860 ein Minimum und um 1850 ein Maximum gezeigt hatten.
Später hat Brückner auch die Änderung des Regenfalles für Preussen
bis 1893 und für das europäische Russland bis 1890 untersucht
und gegen 1880 eine geringe Abnahme des Regenfalles gefunden.
Jetzt weist er nun^) an der Hand des zahlreichen, in Amerika
zusammengebrachten Beobachtungsmateriales nach, dass auch in den
Vereinigten Staaten in den Jahren 1877 — 1886 die Regenfälle am
ausgiebigsten waren, und dass darauf eine bedeutende Abnahme bis
1899 erfolgte. Im obem Ohio- und im mittlem Mississippi-Thale
herrschte um die Mitte der 30 er Jahre Trockenheit, dann nahm der
Regenfall zu und erreichte Ende der 40 er Jahre ein Maximum ;
hierauf nahm er wieder ab und sank nach längerem Schwanken
anfangs der 70 er Jahre auf das Minimum herab, dann begann eine
Zunahme bis anfangs der 80 er Jahre, und bis zum Schlüsse des
Jahrhunderts nahm er abermals bedeutend ab. Als Dauer einer
vollen Schwankung ergiebt sich ein Zeitraum von 34 — 35 Jahren.
Die Beobachtungen zu Bremen und Brüssel ergaben ein Minimum
des Regenfalles um 1833 — 1836, ein Maximum um 1850, dann ein
Minimum um 1872, worauf 1882 wiederum ein Maximum folgte.
Die Beobachtungen zu Köln zeigen, dass in den Jahren 1848 — 1854
der Mittelwert der Niederschläge erheblich überschritten ward, dann
folgte Abnahme in den Jahren 1855 — 1859, hierauf bis 1862 Zu-
nahme, der wieder einige Jahre verminderter Niederschläge folgen,
worauf abermals eine Reihe regenreicher Jahre von 1875 — 1884
*) Petermanns Mitteil. 1902. p. 178.
884 Niederschlage.
folgt Prof. Brückner zeigt, dass auch in Ostsibirien und am Amur
die 35 jährige Periode der Klimaschwankungen hervortritt Die
Epochen der grössten Regenhäufigkeit und Trockenheit stellen sich
in den einzelnen Fällen etwas unregelmässig ein, sie verfnihen oder
verspäten sich. Diese Verfrühung oder Verspätung wird dann von
der nächsten Epoche der betreffenden Reihe wieder eingeholt Auch
die Grenzen der feuchten und der trockenen Perioden zeigen derartige
Unregelmässigkeiten. Die Klimaschwankungen haben, wie Brückner
betont, eben eine meteorologische und keine mathematische Periode.
Der srrosse Staubfall vom 9.— 12. März 1901. Eine ein-
gehende Untersuchung dieser grossartigen und für Norddeutschland immer-
hin seltenen Naturerscneinung haben Q. Hellmann und W. Meinardus in ein-
gehendster Weise durchgeführt Sie erschien um so lohnender, weil das Be-
stehen eines wohlgeordneten Netzes meteorologischer Stationen in Nord-
deutschland, insbesondere eines dichten Netzes von mehr als 2000 Regen-
stationen, von vornherein die Möglichkeit in Aussicht stellte, die be-
sondem Eigentümlichkeiten eines solchen StaubfaUes, weni^ens für das
eben genannte Gebiet, des Niliem aufzudecken. Die mmeralogischen
Bestandteile des Staubes hat Prof. Dr. C. Klein an einer Auswahl von 52
Staubproben untersucht und Prof. Dr. J. Früh vom Polytechnikum in
Zürich hat seine diesbezüglichen Analysen zur Verfügung gestellt Femer liess
sich eine Reihe von Analysen dieses Staubfalles verwerten, die in Bremen,
Budapest, Fiume, Graz, Hamburg, München, Paris, St Petersburg, Tunis
und Wien gemacht worden sind.
Die Einzelheiten ihrer sehr umfassenden Arbeit haben Hellmann und
Meinardus in einer grössern Schrift veröffentlicht ^) in der die Hauptergeb-
nisse von den beiden Bearbeitern formuliert sind wie folgt:
A) Räumliche Verbreitung des Staubfalles. 1. Das Gebiet
des Staubfalles vom 9.— 12. März 1901 erstreckt sich in meridionaler Rich-
tung vom südalgerischen Wüstengebiete nordwärts bis zu den süddänischen
Inseln, d. i. über mehr als 26 Breitengrade oder 2800 km.
Versprengte Staubvorkommnisse sind noch in den russischen Gouverne-
ments Kostroma und Perm festgestellt, die, in der Luftlinie gemessen, mehr
als 4000 Am» vom südlichen Algier entfernt liefen.
2. Das vom Staubfalle betroffene Gebiet ist keine geschlossene Fläche,
es wird vielmehr von staubfreien Strecken durchsetzt; zu diesen gehört
der grösste Teil Süddeutschlands und der nordösterreichischen Kronländer,
Russisch-Polen u. s. w.
8. Der Flächeninhalt des vom Staube betroffenen Ländergebietes lässt
sich auf mindestens 800000 qkm schätzen. Dazu kommen noch annähernd
460000 gXcm Meeresfläche im Mittelmeergebiete.
B) Zeitliches Auftreten und Art des Staubfalles. 4. Der
erste Eintritt des Staubfalles verspätet sich von Süden nach Norden (1. Be-
weis für die afrikanische Herkunft des Staubes).
Im südal^erischen Wüstengebiete herrschten Staubstürme am 8., 9.
und 10. März, in Sicilien und Italien fiel Staub am 10., in den Ostalpen in
der Nacht auf den 11., im mitliem Norddeutschland am Vormittage des
11., in Nordwestdeutschland am Nachmittage und Abende des 11., im süd-
lichen Dänemark in der Nacht zum 12.
^) Abhandlungen des Königl. Preuss. Meteorologischen Instituts 2. No. 1.
Der grosse Staubfall vom 9.— 12. März 1901. Von G. Hellmann und
W. Meinardus. Mit 6 Tafehi, Berlin 1901.
Niederschläge. 385
Weiter östlich traten die Staubfälle später auf: in Ungarn am 11. vor-
mittags, in Galizien, Posen, Westpreussen am Nachmittage, in Ostpreussen
am späten Abende des 11. März, in den schon erwähnten russischen Gou-
yemements am Nachmittage und Abende des 12. März.
5. Der Staub fiel in Algier und Tunis trocken aus der stürmisch be-
wegen Luft, in Italien trat ausser trockenem StaubfaUe bei stürmischem
Scirocco auch von Staub durchsetzter wässeriger Niederschlag auf. In
Österreich-Ungam und nördlich davon war das Phänomen an atmosphärische
Niederschläge (Regen, Schnee, Graupel, Hagel und Eiskömer) gebunden.
C) Menge des Staubes. 6. Die Quantität des auf die Flächen-
einheit gefallenen Staubes (Staubfallintensität) nimmt im allgemeinen von
Süden nach Norden ab. (2. Beweis des afrikanischen Ursprunges.) Doch
treten infolge von Staubwirkung lokale Verdichtungen auf, wie auf der
Südseite der Ostalpen und in Holstein.
Die auf europäischem Boden niedergefallenen Staubmengen haben
schätzungsweise ein Gewicht von rund 1800 (XX) Tonnen. Zwei Drittel
davon fielen südlich der Alpen.
D) Beschaffenheit des Staubes. 7. Die Farbe des Staubes war
im allgemeinen rötlich - gelb - bräunlich. Durch lokale Verunreinigungen
haben einige Staubproben eine mehr ins Graue spielende Farbe bekommen.
Durch Befeuchten wird der Farbenton dunkelrostbraun.
8. Die mineralogischen Bestandteile des Staubes sind: Hauptbestand-
teil überall Quarz, femer Thon (Glimmer und Feldspat), Galcit und Eisen-
ozyde, letztere als färbende Substanz (Limonitüberzug). Seltenere accesso-
lische Bestandteile sind: Gips, Hornblende, Biotit, Turmalin, Granat, Magnetit,
Epidot, Titanit, Rutil und Zirkon. In keiner genauer untersuchten Probe
fehlt es femer an geringen organischen Bestandteilen, deren Charakter aber
von Ort zu Ort wechsell
Vulkanische Gemengteile fehlen durchaus.
9. Der Staub ist terrestrischen Ursprunges, stellt ein äolisches Sedi-
ment dar und wird von den meisten Sachverständigen nach seiner mikro-
skopischen Straktur und seiner Zusammensetzung als trockenes Verwitterungs-
produkt, als feinste Abwehung von Wüstensand, als Löss bezeichnet. (8. Be-
weis des afrikanischen Ursprunges.)
Die auch vertretene Annahme, es handle sich um Laterit aus den
tropischen Teilen Afrikas, ist aus meteorologischen Gründen abzuweisen.
10. Es war aus Mangel an genauen Analysen von Wüstensand nicht
möglich, die Ursprungsstätte des Staubes im afrikanischen Wüstengebiete
genauer zu bezeichnen.
11. Von Süden nach Norden hat eine Saigerung der Staubmassen
nach dem spezifischen Gewichte und der Komgrösse ihrer Bestandteile statt-
gefunden. (4. Beweis des afrikanischen Urspmnges.)
Die prozentische chemische Zusammensetzung des Staubes zeigt von
Süden nach Norden eine Abnahme des Quarzgehaltes, eine Zunahme des
Thongehaltes. Die Grösse der Bestandteile nimmt in gleicher Richtung ab.
Der Staub wird nach Norden hin feiner, die grossem Quarzsplitter und
Glimmerblättchen fallen heraus. In Palermo hatte die Mehrzahl der Staub-
teilchen eine Grösse von 0.011— 0.013 mm, in Bergedorf bei Hamburg von
0.0088— 0.(X)9 mm. Ein Quarzkömchen des in Norddeutschland gefaUenen
Staubes hatte durchschnittlich ein Gewicht von——-------—- g
3200000000 ^
E) Witterungs Verhältnisse während des Staubfalles.
12. Gleichzeitig mit der Ausbreitung des Staubfalles nach Norden zog vom
10. — 12. März eine Depression von Tunis nach der südlichen Ostseeküste
in nahezu nordnordöstiicher Richtung.
13. Die Ursprungsstätte dieser Depression lässt sich nicht ermitteln.
Die Wind- und Wetterverhältnisse am 9. März deuten aber darauf hm.
336 Niederschläge.
dass schon um diese Zeit eine Depression im südalgerischen Wüstengebiete
vorhanden war, die vielleicht bei ihrer Nordwärtsbewegung nach der Bai
von Tunis durch das Hinzukommen einer aus Nordwesteuropa stammenden
flachen Depression verstärkt wurde.
14. Die Lage einer Depression über Tunis scheint überhaupt für die
Entwickelung von Staubstürmen und eine nachhaltige Trübung der Luft
in der Wüste El Erg besonders günstig zu sein, da bei dieser Wetterlage
das Wüstengebiet in Lee des algerischen Hochlandes liegt und von fohn*
artigen trockenen Winden getreuen wird, so dass der dort aufgewirbelte
Staub von Niedersdtdägen nicht wieder zu Boden gebracht, sondern durch
die Winde in den östlichen Quadranten der Depression getragen wird.
15. Die Bewegung der Depression von Süden nach Norden lasst
erfahrungsgemäss auf die Ebdstenz einer allgemeinen, sie forttragenden süd-
lichen Luftströmung in den untern und mittlem Luftschichten schliessen.
16. Die Luftdnickverteilung in 2500 m Höhe deutet ebenfalls auf eine
Südströmung von Tunis nach dem mittlem Norddeutschland hin.
17. Die Beobachtungen bestätigen, dass am 10. und 11. März ein
breiter Luftstrom von Süden nach Norden Sicilien, Italien und Mitteleuropa
überweht hat.
In Sicilien und Italien herrschte am 10. März überall stürmischer
Scirocco aus Süd und Südost. Weiter nach Norden lässt sich der südliche
Luftstrom nur in den obem Schichten aus den Beobachtungen auf den
Gipfeln der Ostalpen und des Riesengebirges erkennen. In den untem
Schichten wehten schwache cyklonische östliche Winde. Stellenweise
durchbrach in Norddeutschland die obere Südströmung böenartig die seichte,
fast rahende untere Luftschicht und drang bis zur Erdobemache durch.
18. Das gleichzeitige Auftreten des starken Südstromes mit dem Staub-
falle von Algier nordw^ts beweist die afrikanische Herkunft des Staubes.
(5. Beweis für den afrikanischen Ursprung des Staubes.)
19. Mit dem Scirocco, bezw. der obem südlichen Luftströmung drang
eine an Intensität abnehmende Wärmewelle yon Nordafrika bis nach Nord-
deutschland vor. Die Wirkung des Scirocco reichte also fast bis an die
deutsche Ostseeküste.
20. Die Geschwindigkeit der obem südlichen Luftströmung ist auf
den Alpengipfeln und auf der Schneekoppe zwischen 6 und 10 der Beaufort-
skala geschätzt worden. Aus der Fortbewegung von Regenschauem in
Norddeutschland ergiebt sich eine mit jenen Windstärken übereinstimmende
Geschwindigkeit von 70 km in der Stunde oder rund 20 m pro Sekunde.
21. Durch die Kombination mehrerer genauer Zeitangaben über den
ersten Eintritt des Staubfalles oder der ersten Trübung der Atmosphäre
ergiebt sich, dass der Staub von Sicilien nach Norddeutschland sich eben-
faUs mit einer Geschwindigkeit von mindestens 70 Am verbreitet hat. Die
Geschwindigkeit der obem Südströmung und der Staubverfrachtung sind
demnach dieselben. (6. Beweis für den afrikanischen Ursprang des Staubes.)
22. Unabhängig von dieser Staubverbreitung in rein meridionaler
Richtung nach dem mittlem Norddeutschland trat weiter östlich zu einer
spätem Stunde eine Staubwolke auf, die in der Nacht vom 10. auf den
11. März die dalmatinische Küste bei Curzola berührte, über Bosnien und
Ungarn mit einer Geschwindigkeit von 70— 80 Am (20— 22 m pro Sekunde)
offenbar von einem östlichem Zweige der allgemeinen Südströmung fort-
getragen wurde. Auch der späte Staubfall in West- und Ostpreussen darf
als eine Fortsetzung des ungarischen angesehen werden.
23. Die Verbreitung des Staubfalles ist südlich der Alpen auf die
östliche Seite der Depressionsbahn beschränkt geblieben, nördlich davon
erstreckt sich aber das Gebiet mit Staubfall je nördlicher desto weiter
westlich von jener Bahn. Diese Erscheinung lässt sich durch eine von
Süden nach Norden zunehmende Verlangsamung der Depressionsbewegung
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.£5 ^
Niederschläge. 337
in dar Weise erklären, dass der stauberfüllte südliche Lnltstrom, vermöge
seiner nössem Geschwindigkeit voraufieiiend, von der Ostseite der Depression
allmähBch in den nördlichen und westlichen Quadranten der letztem über*
greifen konnte.
24. Im übrigen wurde das Phänomen in Deutschland nur dort wahr-
gedommen, wo es zur Zeit der Stauberfüllung zu atmosphärischen Nieder-
schlägen kam.
Zwischen dem Nordfusse der Alpen und Mitteldeutschland, sowie
nördlich der Sudeten in Schlesien erfolgte kein Staubfall, weil hier im Lee
des Gebirges am Vormittage des 11. März keine Niederschläge fielen. Im
mittlem und ösüichen Deutschland ist Staub bei schwachen Regenschauern
gefallen, die am Vormittage, bezw. Nachmittage des 11. März mit der obem
stauberfüllten Luftströmung aus Süden zogen. Im lUieinstromgebiete sind
trotz reichlicher Niederschlage nur sporadische Staubvorkommnisse zu ver-
zeichnen, weil dies Gebiet von der Hauptmasse des stauberfüllten Luft-
stromes unberührt blieb. Letzterer war gegen das nordwestliche Deutschland
(Hannover, Holstein) gerichtet, wo mit reichlichen Schneefällen auch grosse
Staubmassen zu Boden kamen.
25. Die mehrfache Unterbrechung des Staubfalles weist darauf hin,
dass der obere Luftstrom nicht gleichmässig mit Staub erfüllt war.
26. Der Staubfall vom 19.— 21. März war von viel geringerer Aus-
dehnung und Intensität als der vom 9.— 12. März. Auch bei ihm ist der
afrikanische Ursprung erwiesen.
F) Meteorologische Ergebnisse. 27. Weder beim ersten, noch
beim zweiten Staubfalle war die Luf tdruckverteüung im Meeresniveau mass-
gebend für die Verteilung der Niederschlagsmengen. Das von den be-
treffenden Depressionen am 11. und 21. März durchzogene Gebiet blieb in
beiden Fällen fast niederschlagslos.
Für die Niederschlagsverteilung war vielmehr die Luftdrackverteilung
in einem obem Niveau massgebend, denn das Grebiet grössten Nieder-
schlages lag nordwestlich von dem untern Luftdmckminimum, d. h. nach
der Richtung hin, nach welcher die Achse der Depression geneigt war.
28. Das Niederschlagsgebiet an der Nordwestseite der Depression war
in beiden Fällen streifenförmig lang gestreckt und scharf nach Nordwesten
hin g^en ein vollkommen niederschlagsloses Gebiet abgegrenzt. Der
Niederschla^sgradient betrug hier stellenweise nahezu 2 mm auf 1 km,
29. Die südliche Herkunft der Luftmassen, aus denen die Niedei^
schlage am 11. und 21. März in Norddeutschland herabfielen, ist durch die
Staubbeimengung erwiesen.
80. Die scharfe Nordwestgrenze des Niederschlags- und Staubfall-
gebietes beweist den heterogenen Ursprang der Luftmassen zu beiden Seiten
ieser Grenze. Die Luftdrackverteilung im obem und untem Niveau lässt
keinen Zweifel darüber, dass die L|iftmassen nordwestlich der genannten
Grenze aus einem Hochdrackgebiete im Nordwesten stammten und daher
trocken waren.
81. Eine ähnliche Erscheinung zeigt sich auch beim zweiten Staubfalle,
nur mit dem Unterschiede, dass das Hochdruckgebiet im Norden lag, und
die dadurch verursachten kalten, trockenen Nordostwinde in Norddeutschland
stürmisch waren.
82. Die ungewöhnlich grosse und scharf begrenzte Anhäufung von
Schnee- und Staubmassen am 11. März im nordwestlichen Deutschland
legt die Vermutung nahe, dass hier die südliche obere Luftströmung, die
am Vormittage des 11. März Mitteldeutschland überwehte, ohne an Staub-
und Wasserdampfgehalt nennenswerte Mengen zu verlieren, eine Hemmung
ihrer horizontalen Bewegung zu Gunsten einer vertikalen erfahren hat,
wodurch die Kondensation des Wasserdampfes und dannt zugleich reich-
licher StaubfaU veranlasst wurde.
Klein, Jahrbuch XHI. 22
338 Winde und Stürme.
83. Die Ursache dieser Bewegunffsändemng bestand entweder in einem
Aufstaue jenes Luftstromes an dem heterogenen, aus dem nordwestlichen
HochdrucKgebiete kommenden oder in einem Hinaufschieben der wasserdampf-
reichem Luftmassen des Südstromes auf die trockenen kaltem, aus
Norden stammenden. Letztere Anschauung wird durch die Beobachtung
eines Eiskömerfalles im nordwestlichen Deutschland besonders begünstigt
Beim zweiten Staubfalle ist eine ähnliche Argumentation möglich.
Oberhaupt dürften ähnliche Vorgange häufig als die Ursache reich-
licher Niederschlagsbildung in Mitteleuropa, namenthch in der kalten Jahres-
hälfte, anzunehmen sein.
34. Die vorliegende Untersuchung lasst es wünschenswert erscheinen,
in Zukunft alle Staubfälle in meteorologischer Hinsicht genauer zu er-
forschen, da sie ein vorzügliches Mittel darbieten, den Weg der obem
Luftströmungen zu verfolgen.
Winde und Stürme.
Ober die Beziehung zwischen Temperatur und Luft-
bewegungr In der Atmosphäre unter stationären Verhält-
nissen hat J. W. Sandström eine bemerkenswerte mathematische
Untersuchung veröffentlicht, wobei er von einer von Prot V. Bjerknes
gegebenen hydrodynamischen Formel ausgeht^) Wegen des mathe-
matischen Teiles muss auf das Original verwiesen werden, dagegen
seien hier die hauptsächlichsten Sätze mitgeteilt, zu denen Verf. gelangt:
L Wenn sich die Wolken schneller als der Wind an der Erd-
oberfläche bewegen, und man sich in die Richtung der Wolken-
bewegung stellt, so hat man die höhere Temperatur rechts und die
niedrigere links.
II. Wenn sich die Wolken langsamer als der Wind an der
Erdoberfläche bewegen, und man sich gegen die Richtung des Windes
stellt, so hat man ebenfalls die höhere Temperatur rechts und die
niedrigere links.
Bewegen sich die Wolken in derselben Richtung und mit der-
selben Geschwindigkeit wie der Wind an der Erdoberfläche, so treten
keine Temperaturdifferenzen ein.
Wir haben in unsem Breiten eine starke westliche Trift in den
höhern Luftschichten. Wenn wir uns in die Richtung dieser Trift
stellen, d. h. ostwärts blicken, so haben wir den Äquator rechts
und den Pol links, d. h. eine höhere Temperatur rechts und eine
niedrigere links. Dies stimmt mit dem ersten der eben angeführten
Gesetze.
Als Beispiel für die Anwendung dieses Gesetzes betrachten
wir eine Cyklone, in der die Wolken sich schneller als der Wind
bewegen. Wenn man sich nun irgendwo im cyklonischen Gebiete
^) Meteorol. Zeitschr. 1902. p. 161.
Winde und Stürme. 339
in die Bewegungsrichtung der Wolken stellt, so hat man immer das
Zentrum der Cyklone links und den Aussenrand der Gyklone rechts,
also nach der Regel I) eine niedrigere Temperatur im Zentrum als
4im Aussenrande der Cyklone.
Schliesslich betrachten wir eine Anticyklone, in der die Wolken
sich schneller als der Wind bewegen. Stellt man sich nun irgendwo
im anticyklonischen Gebiete in die Bewegungsrichtung der Wolken,
so hat man immer das Zentrum der Anticyklone rechts, d. h. es ist
nach der Regel I) wärmer im Zentrum der Anticyklone als an der
Peripherie derselben.
m. Wenn die Wolken sich schneller als der Wind an der Erd-
oberfläche bewegen, so haben die Gyklonen kalte Zentra und die
Anticyklonen warme Zentra; bewegen sich dagegen die Wolken lang-
samer als der Wind, so haben die Gyklonen warme Zentra und die
Anticyklonen kalte Zentra.
IV. Bewegen sich die Wolken schneller als der Wind an der
Erdoberfläche, so findet in den Gyklonen ein dynamisches Empor-
saugen, in den Anticyklonen ein dynamisches Herunterpressen der
Luft statt; bewegen sich dagegen die Wolken langsamer als der
Wind, so findet in den Gyklonen ein dynamisches Herunterpressen
und in den Anticyklonen ein dynamisches Emporsaugen der Luft statt
Über die Entstehung und Entwickelung der Gyklonen
bemerkt Sandström folgendes: »Die Gyklonen, welche über Mitteleuropa
ziehen, kommen grösstenteils von dem Atlantischen Ozeane, wo sie sich
ausgebildet zu haben scheinen. Ihr Anfans beruht aller Wahrscheinlichkeit
nach auf der Anhäufung wanner, feuchter Luftmassen über dem Golfstrome.
Diese Luftmassen fangen an, in die Höhe zu steigen, und es strömt dabei
längs der Meeresoberfläche warme, feuchte Luft von allen Seiten herzu,
um die aufsteigende Luft zu ersetzen, wobei die cyklonische Drehung um
das Zentrum in bekannter Weise entsteht. Die Gyklone hat noch keine
g-osse Höhe in der Atmosphäre erreicht, und die stärkste cyklonische
rehung um das Zentrum befindet sich in der Nähe der Meeresoberfläche.
Wir haben somit, infolge des Gesetzes (EI), eine Gyklone mit warmem
Zentrum. Nach dem Gamotschen Prinzipe wird in diesem Anfangszustaude
immer Wärme in Bewegungsenergie umgesetzt.
Je mehr Bewegungsenergie der Wirbel bekommt, desto unabhängiger
wird er vom Golfstromgebiete, und bald macht er sich los, um in bekannter
Weise ostwärts zu wandern. Wegen der Reibung gegen die Meeresober-
fläche und später* gegen die Erdoberfläche wird die unterste Luftschicht
retardiert, und die Luftschicht, wo die kräftigste cyklonische Drehung statt-
findet, steigt in die Höhe. Nach der Regel HI ist nun das Gyklonenzentrum
unterhalb cueser Schicht kalt und oberhalb derselben warm. Die Reibung
bewirkt also, dass eine Gyklone mit kaltem Zentrum entsteht. Diese
2 Gyklonen werden durch (üe Schicht der stärksten Drehung voneinander
getrennt.
Bei den wissenschaftlichen Ballonfahrten in Berlin hat man bis in die
erreichten Höhen eine immer mit der Höhe zunehmende Luftgesohwindig-
keit gefunden. Die Schicht der stärksten cyklonischen Drehung scheint
also noch nicht erreicht worden zu sein. Bei diesen Ballonfahrten hat
man sich aLso immer in der untern Gyklone mit kaltem Zentrum be-
funden. Es ist indes klar, dass die cyklonische Drehung nicht bis an die
Grenze der Atmosphäre zunehmen kann, sondern einmal mit der Höhe
22»
340 Winde und Stfirme.
almehmen muaa. Daselbst wird man dann notwendig eine Oykloae mit
wannem Zentrum finden.
Die amerikanischen Cykionen befinden sich offenbar in einem viel
frühem Entwickelungszustande als die europäischen. In den Cykionen,.
welche auf der Drachenstation Blue Hill untersucht worden sind, ist die
cyklonische Drehung meistens in 9000— 4000 m Höhe verschwunden.^) Di»
iLTäftigste cyklonische Drehung muss sich demnach nicht weit oberhalb der
Erdoberfläche befinden. Man hat auch in Amerika in der Regel Cykionen
mit warmem Zentrum. Das wärmste Gebiet befindet sich aber nicht in un-
mittelbarer N&he der Erdoberfläche, sondern in etwa 1000 m Höhe über
derselben. Es hat mithin schon eine Abkühlung in den untersten Schichten
begonnen, welche wahrscheinlich der Bildung des kalten Kernes daselbst
Yorausläuft.
Es wird aus dem hier Angeführten klar, wie wichtig es ist, die Cykionen
in allen Phasen ihrer Entwicklung zu studieren. Von besonderem Interesse^
dürfte es dabei sein, die Höhe der Schicht der stärksten cykionischen
Drehung, sowie die Temperaturverteilung relativ zu dieser Schicht za
beobachten.
Um zuletzt die Frage von den Energieumsetzungen in den CjrkloneD
zu berühren, so sei bemerkt, dass die Luft, wie man leicht findet, im An-
fangsstadium der Cyklone einen direkten, im Bndstadium desselben einen
umgekehrten Camotschen Kreisprozess durchläuft. Während der 1. Periode^
wird Wärme in Bewegungsenergie umgesetzt, während der 2. erhält sich
die Cyklone aus diesem Vorrate von Bewegungsenergie, bis alles wieder ia
Wärme verwandelt worden ist.
Man kann sich auch- die erste Entstehung der Cykionen in anderer Weis»
denken als durch Erwärmung an der Oberfläche der Erde. Es finde sich
z. B. in der Höhe ein kräftiger Luftstrom und auf der linken Seite des^
selben ein anderer, welcher sich in entgegengesetzter Richtung bewegt
Nach der Regel IV wird dann im Gebiete zwischen den 2 Strömen die
darunterliegende Luft emporgesaugt und die darüberliegende herabgCMsaugt,
und wenn sich dieses an einer Stelle stärker lokalisiert, so sind die Be-
dingunffen für das Zustandekommen einer regulären Cyklone gegeben. Auch
eine solche Cyklone hat ein kaltes Zentrum unterhalb und ein wanne»
oberhalb der Schicht der kraftigsten cykionischen Drehung. In einer solchen
Cyklone läuft die Luft immer in umgekehrtem Camotschen Kreisprozesse,
d. h. es wird immer Bewegungsenergie in Wanne umgesetzt. Wenn also
die Luftströme, welche die Cyklone erzeugt hat, nicht fortwähren, so wird
die Intensität der Cvklone nach und nach abnehmen. Die SchwächuQj^
kann indessen durch die bei der Kondensation des Wasserdampfes frei-
gewordene Wärme beträchtlich verzögert werden.
Wenn dagegen auf der rechten Seite eines Luftstromes in der Höhe
ein anderer in entgegengesetzter Richtung zieht, so wird nach der Regel IV
in der Schicht zwischen den 2 Strömen die darunterliegende Luft herunter-
gepresst und die darüberliegende in die Höhe getrieben, und wo sich dieses
am stärksten lokalisiert, bildet sich eine Anticyklone. Diese hat nach der
Regel ni ein warmes Zentrum unterhalb und ein kaltes Zentrum oberhalb
der Schicht der stärksten anticyklonischen Drehung. Die Luft durchläuft
in einer solchen Anticyklone immer einen umgekehrten Camotschen Kreis-
prozess, d. h. es wird immer Bewegungsenergie in Wärme umgesetzt Die
Sommerantioyklonen in unsem Breiten dürften in dieser Weise entstehen.
Prof. V. Bjerknes bemerkt in Anknüpfung an die Sandströmsche
Abhandlung, dass, nachdem hier gezeigt ist, wie man mit Hilfe der Zirku-
lationstheorie die Mechanik der Cyklone mit kaltem und die Anticyklone
^) H. Helm Clayton: »Studien cyklonaler und anticyklonaler Erschei-
nungen mittels Drachen.« lUustr. Aeron. Mittl. 1900. No. 8.
Winde und Stonne. 841
jDii wannem Zentnim erklären kann, ee auch keine Schwierigkeit hat, die
Erklärung in elementare Form zu kleiden, natürlich unter der Voraussetzung,
dass man sie nur in qualitativer und nicht in quantitativer Form sucht.
»Sandströms Entwickehingen zeigen, dass die Erscheinung in beiden Fällen
aol den schon vorhandenen horizontalen Bewegungen beruht, und zwar
«uf Unterschieden in der Intensität der horizontsden Bewegungen unten an
der Erde und in den hohem Luftschichten. Durch diese Bemerkung wird
man leicht auf die folgende Überlegung geführt.
Ein materieller Punkt, welcher sich in horizontaler Richtung bewegt,
vvird von der ablenkenden Kraft der Erdrotation nach rechts getrieben.
Die Bahn des Punktes sei nun kreisförmig; durchläuft der Puiüd; diese
Bahn in cyklonischer Richtung, so wird die Ablenkung nach rechts den
Radius des Kreises zu vergrössem suchen. Die ablenkende Kraft tritt als
«ine »zentrifugale« Kraft auf. Wenn dagegen der Punkt die kreisförmige
Bahn in anticyklonischer Richtung durchläuft, so wird die nach rechts
gerichtete Ablenkung den Radius des Kreises zu verkleinem suchen. Die
-ablenkende Kraft tritt als eine »zentripetale« Kraft auf.
in einer cyklonisch rotierenden Luftmasse wird die zentrifugale Kraft
unten an der Erde dem Zuströmen zum Cyklonenzentrum entgegenwirken,
in der Höhe dagegen das Abströmen von diesem Zentrum befördern. Ist
nun die Bewegung unten an der Erde intensiver als in der Höhe, so wird
die zentrifugale Kraft unten dem Zuströmen stärker entgegenwirken, als
«e in der Höhe das Abströmen befördern kann; unter solchen Umständen
kann ein Aufsteigen im Zentrum nur Zustandekommen unter der Bedingung,
•dass die dort befindliche Luft hinlänglichen Auftrieb hat, um den dyna-
mischen Widerstand zu überwinden, d. h. die Luft im Cyklonenzentrum
muss wärmer als in den Umgebungen sein. Wenn dagegen die Rotation
in der Höhe stärker ist als unten an der Erde, so wird die zentrifugale
Kraft das Abströmen in der Höhe stärker befördem, als sie dem Zuströmen
unten an der Erde entgegenwirken kann. Die Luftmassen im Cyklonen-
zentrum werden dann in die Höhe getrieben, selbst wenn sie schwerer als
die umgebenden sind; und wenn sie nicht schon von Anfang an schwerer
«ind, so müssen sie es zuletzt infolge der adiabatischen Abkühlung werden,
denn wenn man nicht ganz unmögliche Werte des Reibun^swiderstandes
annehmen will, so folgt, dass sich der stationäre Zustand erst einstellen kann,
nachdem die Cyklone ein kaltes Zentmm erhalten hat.
Wenn die Luftmassen anticyklonisch rotieren, so hat man die genau
«ntsprechende Überlegung mit der zentripetalen Kraft anzustellen. Ist die
anticyklonische Rotation der untem Schichten die stärkere, so wird die
centripetale Kraft unten an der Erde dem Abströmen der Luft stärker ent-
gegenwirken, als sie in der Höhe das Zuströmen befördern kann. Wenn
ledoch die Luftmassen im Zentram heruntersinken, so kann es nur darauf
beruhen, dass sie hinlänglich schwer sind, um den dynamischen Widerstand
zu überwinden. Die Anticyklone hat dann ein kaltes Zentram. Wenn da-
gegen die hohem Luftschichten stärker rotieren, so kehrt sich das Ver-
hältnis um. Die zentripetale Kraft befördert das Zuströmen der Luft in
der Höhe stärker, als sie unten dem Abströmen entgegenarbeiten kann, und
2war kann wieder der stationäre Bewegungszustand erst eintreten, nachdem
die abwärtsgetriebene Luft durch adiabatische Kompression hinlänglich «^
wärmt worden ist, um höhere Temperatur als die Umgebungen zu haben.
Die Anticyklone muss also schliesslich ein warmes Zentrum erhalten.
Man kann natürlich auch die Erklärang des kalten Zentrams der
€^vkIonen und des warmen der Anticyklonen auf die absolute, anstatt auf
die relative Bewegung der Luftmassen beziehen. Man löst dann die Rotation
der Erde in 2 Komponenten auf, eine längs und eine senkrecht zu der
Oyklonen- oder Anticyklonenaxe, und der wichtigste Punkt ist, dass in der
absoluten Bewegung alle Rotationen um die CyUonen- oder Anticyklonen-
342 Winde und Stürme.
aze in derselben Richtung stattfinden. Der Unterschied zwischen der
Gyklone und der Anticyklone ist nur, dass die Rotation der (>klone
schneller, die der Anticvklone langsamer als die der Erde ist. Hieraus
folgt auch, dass die absolute Rotation in den Anticyklonen dort am stärksten
ist, wo sie, von der rotierenden Erde aus gesehen, am langsamsten erscheint.
Hält man dieses fest, so findet man die oben entwickelten Resultate als
einfache Wirkungen der Zentrifugalkraft wieder. Es hat auch Interesse,
hervorzuheben, dass, wenn man der Erklärung der Cyklonen mit kaltem
und der Anticyklonen mit warmem Zentrum diese Form giebt, man der
Hauptsache nach auf die Eridärung zurückkommt, welche James Thomson
schon im Jahre 1857 von den über den Polargebieten lagernden Cyklonen
mit kaltem Zentrum gab.
Die tägliche Bewegung der Luft über Hamburg ist yod
Prof. Dr. J. Schneider untersucht worden auf Grund der anemo-
metrischen Aufzeichnungen auf der Deutschen Seewarte. ^) Infolge
des Einflusses der Sonne suchen die verschiedenen Schichten der
Erdatmosphäre taglich ihr Volum zu ändern. Diejenigen Luftteile^
die von den Sonnenstrahlen getroffen werden, streben, solange ihre
Erwärmung zunimmt, und solange ihr Wasserdampfgehalt wächst,
nach den verschiedensten Richtungen hin sich auszudehnen. Die-
jenigen Teile dagegen, welche dem Sonneneinflusse entzogen sind,
▼erkleinem wegen der eintretenden Abkühlung und Wasserdampf-
kondensation wieder ihren Rauminhalt. Im Zusammenhange damit
sind an einem gegebenen Erdorte, ganz unabhängig von der jeweiligen
Luftdruckverteilung, tägliche Verschiebungen der Luftmassen von W
nach E, sowie von S nach N und in den umgekehrten Richtungen
zu erwarten. Diese regelmässigen, horizontalen Bewegungen der
Luftteilchen in dem Chaos der veränderlichen Winde nachzuweisen
und ihrer Grösse nach zu ermitteln, ist der Zweck der bezeichneten
Arbeit.
Die Gesamtzahl der Registrierungen beträgt 85000, und bei der
Bearbeitung kam zunächst der Satz vom Parallelogramm der Ge-
schwindigkeiten zur Anwendung. Mit seiner Hilfe liess sich jede
für eine Nebenhimmelsrichtung verzeichnete Windgeschwindigkeit in
zwei neue Geschwindigkeiten zerlegen, bezogen auf 2 der 4 Haupt-
himmelsrichtungen. Es waren zu diesem Zwecke die vorkommenden
Geschwindigkeiten, je nach der zugehörigen Windrichtung mit dem
Sinus der Winkel von 22^/,, 46 oder 67^/g® zu multiplizieren. Dies
geschah mit allen für den Zeitraum von 10 Jahren angegebenen
stündlichen Werten. Die so erhaltenen Geschwindigkeiten wurden
dann in vier verschiedenen Rubriken für W-, E-, S- und N-Wind ge-
sammelt, für jeden Monat einzeln addiert und aus diesen Summen
durch Division mit der Zahl der Beobachtungstage das Mittel ge-
nommen. Aus den Monatsmitteln sind dann die Jahresmittel für
jede Tagesstunde gewonnen worden.
1) Meteorol. Zeitschr. 1902. p. 883.
Winde und Stürme. 343
Die in 4 Rubriken verteilten Jahresmittel der stündlichen Wind-
geschwindigkeiten liessen noch eine weitere Kürzung zu. Wurde
nämlich, weil die vorherrschende Windrichtung WSW ist, die Richtung
des W- Windes und die des S-Windes als positiv angenommen, so
war den E- und N- Windgeschwindigkeiten das negative Vorzeichen
zuzuschreiben. Alsdann aber konnten je zwei entgegengesetzt gerichtete
Geschwindigkeiten, algebraisch summiert, wieder zu einer einzigen
vereinigt werden. In dieser Weise haben sich für die Grösse der
W- und S- Windkomponenten in den einzelnen Tagesstunden der
verschiedenen Jahre Durchschnittswerte ergeben, die Aufnahme fanden
in 2 Tabellen.
Die Folgerungen, die aus ihnen gezogen wurden, sind:
1. Der W-Wind erreicht etwa 1 Stunde nach, der S-Wind
1 Stunde vor Mittag seinen grössten Wert Das Minimum der Ge-
schwindigkeit tritt für den W-Wind ungefähr um SP, das für den
Südwind um 6P ein.
2. Die mittlem taglichen Geschwindigkeiten können bei W-Wind
auf das Doppelte (1.16min 1889 und 2.34 min 1893), bei S-Wind
sogar auf das Zehnfache (0.14 m in 1887 und 1.36 m in 1894)
steigen«
3. Die Differenzen zwischen den eben angegebenen grössten und
kleinsten taglichen Mittelwerten der Windgeschwindigkeiten sind da-
gegen nahezu gleich, nämlich für den W-Wind 1.18 m, für den
S-Wind 1.22 m. Dem absoluten Betrage nach ist also die eine Kompo-
nente ebenso veränderungsfähig wie die andere.
Ausserdem zeigten die Tabellen für alle Jahre eine deutliche
tagliche Änderung der Windgeschwindigkeiten. Um diese noch besser
hervortreten zu lassen, sind aus ihnen Tabellen hergeleitet worden,
in denen die Abweichungen der stündlichen Geschwindigkeits-
komponenten von den täglichen Mittelwerten der einzelnen Jahre
verzeichnet sind. Diese geben gewissermassen die stündlichen Ge-
schwindigkeiten wieder, welche vorhanden gewesen wären, wenn
jede der mittlem täglichen Geschwindigkeitskomponenten den Wert
Null gehabt, wenn also tagsüber im allgemeinen Windstille ge-
herrscht hätte.
Uns belehren noch nachstehende Punkte:
1. Die mittlem täglichen Änderungen der Windgeschwindig-
keiten zeigen sich in den verschiedenen Jahren mit der gleichen
Deutlichkeit. Sowohl bei der Geschwindigkeit des W-Windes wie
auch bei der des S- Windes tritt im Laufe des Tages ein zweimaliger
Vorzeichenwechsel ein. Die Luftteilchen führen also in der Richtung
WE und SN vollständige Schwingungen aus.
2. Diese Schwingungen erfolgen ungleichmässig, das heisst das
Schwingen von einer äussersten Lage zur andem und wieder zurück
geht in ungleichen Zeiten vor sich. Während ein Luftteilchen etwa
844 Winde und Stönne.
10 Stunden lang nach £ oder S schwingt, erfolgt die Bewegung in
den entgegengesetzten Richtungen im Verlaufe von 14 Stunden.
3. Die Mittelwerte der gesamten taglichen Änderungen beider
Windgeschwindigkeiten sind nahezu gleich; sie betragen in der
Richtung W£ 1.20 m, in der Richtung SN 1.26 m.
4. Die grössten Unterschiede in der taglichen Gesamtanderung
zeigen bei W-Wind die Jahre 1889 und 1895 mit 0.53 m, bei S-Wind
die Jahre 1891 und 1892 mit 0.56 m Differenz.
5. Die weitesten Verschiebungen der Luftteilchen nach den 4
Haupthimmelsrichtungen treten in denjenigen Stunden ein, in welchen
sich die Geschwindigkeitsvorzeichen umkehren. Demnach eireichen
die Luftteilchen ihren westlichsten Ort um 7^ den östlichsten um 5p,
den südlichsten um Mittemacht und den nördlichsten um 2P.
Eine bestimmte Vorstellung von der Gestalt der ganzen Schwingungs-
bahn eines Luftteüchens ist in folgender Weise zu gewinnen. Durch
Multiplikation mit der Sekundenzahl einer Stunde lassen sich aus den
Geschwindigkeiten, welche in den Tabellen vermerkt sind, leicht die
Verschiebungen ermitteln, die ein Luftteüchen während einer jeden
Tagesstunde nach E oder N hin erfährt Wie weit sich dabei ein
Teilchen von seinem westlichsten, bezw. südlichsten Standorte zu
einer beliebigen Stunde entfernt hat, ergiebt sich durch A'ddition
der stündlichen Verschiebungen. Trägt man die hieraus gewoimenen
Abstände in ein Koordinatensystem ein, so erhält man ein Bild von
der Lage der einzelnen Punkte, welche ein Luftteilchen im Laufe
eines Tages durcheilt, und damit auch von dem Wege, welchen es
während einer vollständigen Schwingung zurücklegt.
Hiemach strebt ein Luftteilchen über Hamburg unter dem Ein-
flüsse der Sonne bei windstiller Witterung täglich eine in sich ge-
schlossene Bahn zu beschreiben.
Diese ist von ziemlich einfacher Form. Sie zeigt ungefähr die
Gestalt der Axenschnittfigur eines Eies. Die Spitze dieser eiförmigen
Kurve ist nach NE, das stumpfe Ende nach SW gewandt. Der
ganze Weg, den ein Luftteilchen täglich zurückzulegen bestrebt ist,
beträgt durchschnittlich 45 km. Beim Durchlaufen dieser Bahn wird
ein Gebiet von etwa 1 54 qkm Flächeninhalt umkreist Die Richtungen
des grossen oder des kleinen Durchmessers der Bahnlinie stimmen
mit der mittlem Windrichtung von Hamburg nicht überein. Während
diese nach 10jährigen Beobachtungen nahezu mit der Richtung WSW
zusammenfällt (ihr Winkel mit der WE-Richtung beträgt 21^/,^),
liegt der grosse Durchmesser der Luftbahn fast genau in der Richtung
von SW nach NE und hat eine Länge von Iß km; der kleine Durch-
messer, senkrecht dazu, misst 12 km. Aus den Abstanden der
einzelnen Orter ersieht man, dass die Bahn mit ungleicher Ge-
schwindigkeit durchlaufen wird.
Die grössten Geschwindigkeiten der Luftteilchen sind bei sonst
\vindstillem Wetter um 12P und 7P, die kleinsten um 4^ und 3P
Winde und Stürme. 845
vorhanden. Das Oeschwindigkeitsminimum am Tage ist weniger
deutlieh ausgeprägt wie das in der Nacht Namentlich frühmorgens
sind die Geschwindigkeitsänderungen gering.
Die Richtung der Bewegung ändert sich (abgesehen von einem
einzigen Werte um 4^) im Laufe eines Tages stets in demselben
Sinne, und zwar gemäss der Winddrehungsregel von Dove. Die
Grösse der Bichtungsänderung ist allerdings während eines Tages
ziemlich ungleich. Am geringsten ist sie nach Mitternacht Die
durchschnittliche Drehung während einer Stunde beträgt von 12^ — 6^
etwa 10^ von 12*^—6? dagegen 227^«. Von 6*— 12*» und von 6P
bis zur Mittemacht sind die stündlichen Drehungen im Mittel ungefähr
dieselben, nämlich gleich 14®. Es darf wohl angenommen werden,
dass auch an andern Orten solche regelmässige Bewegungen der
Luittdichen, wie sie hier für Hamburg nachgewiesen wurden, sieh
ti^ch vollziehen.
Die Geschwlndigrkeit und Richtung des Windes auf
Grund der Beobachtungen bei den Berliner wissenschaftlichen Luft-
fahrten ist von A. Berson dargestellt worden, ^) und Hergesell giebt
davon folgende kurze Darstellung.*) Folgende Fragen wurden bei der
Geschwindigkeit erörtert:
1. Die vertikale Änderung der Windgeschwindigkeit im allge-
meinen Durchschnitte.
2. Betrachtung nach den Hauptwetterlagen (Cyklone und Anti-
cyklone).
3. Eine Einleitung auf Grund der vorherrschenden untern
Richtungen nach den 2 Hauptwindsystemen: westliche und östliche
Winde.
Die mittlere vertikale Änderung giebt die folgende kleine Tabelle
wieder, die sich im wesentlichen auf 1000 m-Zonen beschränkt:
Mittlere Höhe Erde 500 1500 2500 8500 4500 5500m und höher.
Geschwindigkeit 1 1.75 1.95 2.15 2.5 8.1 45
Dieselbe möge noch durch folgende Bemerkungen ergänzt werden:
1. Die Windgeschwindigkeit nimmt alsbald nach dem Verlassen
der Erde in den untersten 500 m erheblich zu.
2. Das weitere Wachstum scheint besonders zwischen 500 und
1600 ein sehr geringes zu sein; doch ist auch darüber hinaus bis
mindestens 8000 m die Zunahme sehr gering. Demgemäss ist das
Wachstum der Windgeschwindigkeit nicht bloss innerhalb der ganzen
Zone, in welcher die früher beschriebenen Störungsschichten liegen,
also der Zone der hauptsächlichen Kondensation überraschend langsam.
3. Von 3000 — 4000 m an beginnt eine sehr schnelle Zunahme,
indem der Gradient ungefähr den dreifachen Wert verglichen mit dem
der darunter liegenden Schichten erhält
0 Wissenschaftliche Luftfahrten etc.
<) Meteorol. Zeitschr. 1901. p. 452.
346 Winde und Stürme.
»Die fortschreitende Abnahme der Reibung und Dichte der be-
wegten Massen, welche vor allem die Ursache bildet für das sprung-
hafte Anwachsen unter 500 m und über 3500 m, wird demnach in
der etwa 3000 m mächtigen Zwischenschicht durch Diskontinuitäten,
die in Eondensationserscheinungen und deren Begrenzung ihren
Hauptgrund haben, zum grossen Teile paralysiert €
Von besonderem Interesse ist das Studium der vertikalen Ge-
schwindigkeitsverteilung bei einer Gruppierung der Winde in Ost-
und Westströme. Hier erscheint ein gegensätzlicher Gang in der
schärfsten Form ausgeprägt. Bei den westlichen Richtungen findet
ein stetiges Wachstum mit steigender Höhe statt; während bei den
Ostrichtungen nur in den untern Schichten ein erhebliches Anschwellen,
von da an ein Stillstand, ja überwiegend ein Abflauen zu konstatieren
ist. Dieser Gegensatz ist ungezwungen durch die allgemeine Zirku-
lation zu erklären, bei der in unsern Breiten in den hohem Regionen
die W- Winde die vorwiegenden sind.
Bei der Erörterung der vertikalen Änderung der Windrichtung
giebt Berson zunächst die Gründe, warum bei der Bearbeitung die
Windrichtungen sämtlicher Höhen auf die Isobaren des untern
Niveaus bezogen sind, und warum nicht ein etwa bestehender
Zusammenhang mit der obern Druckverteilung aufgesucht wurde.
Hergesell glaubt, dass eine noch schärfere Gesetzmässigkeit zu Tag»
getreten wäre, wenn die Druckverteilung in den höhern Niveaus ins
Auge gefasst worden wäre. Anderseits will er aber die Schwierig-
keit gerade dieser letzten Behandlungsart durchaus nicht verkennen,
und immerhin sind die Resultate, die Berson durch seine Behandlungs-
weise findet, äusserst bemerkenswert.
Hergesell geht sogleich auf die Unterschiede ein, die sich für
die Winddrehung mit der Höhe bei der Betrachtung des anticyklonalea
und cyklonalen Regimes gezeigt haben. Bei der ersterwähnten
Druckverteilung (der Anticyklone) herrscht anhaltende starke Drehung^
des Windes nach rechts, die nur in mittelhohen Schichten vorüber-
gehend aufzuhören scheint Auf diese Weise erreichen die Strom-
bahnen die untere Isobarenrichtung schon in verhältnismässig geringer
Höhe, und schon über diesem Niveau schlagen dieselben eine Richtung
ein, die den zum Maximum zurückkehrenden Strom bildet
Die Drehung erfolgt in der Anticyklone im allgemeinen nicht
stetig mit wachsender Höhe, sondern ruckweise, und scheint an be-
stimmte Störungszonen, die sie hervorrufen, gebunden zu sein.
Dieses Resultat stimmt durchaus mit der Lage der besondem
Zonen, der Temperatur- und Feuchtigkeitsverteilung überein.
Bei den Cyklonen ergab sich ebenfalls im allgemeinen eine
Drehung nach rechts, jedoch von beträchtlich geringerem Ausmasse»
Diese Drehung nahm mit der Höhe nur wenig zu und erreicht
höchstens die Richtung der untern Isobaren, während der aus dem
Minimum ausströmende, zur Anticyklone hinführende Strom nie er-
Winde und Sturme. 347
reicht wurde. Im Gegensatze zur Anticyklone kam eine sprungweise
Änderung der Windrichtung im cyklonischen Regime fast nie vor.
Ober die tägUehe Drehung: der mitüern Windrlehtung:
und über eine Osclllatlon der Luftmassen von halbtäsriger
Periode auf BergrSTipfeln von 2—4 T&m Seehöhe hat J. Hann
Untersuchungen angestellt.^)
Er ermittelt aus den anemometrischen Aufzeichnungen die stündlichen
Werte der Windkraft nach den vier rechtwinkligen Richtungen N, E, S
und W für den Sonnblick, Süitis und Pikes Peak und berechnet deren
täglichen Gang mit Hilfe von trigonometrischen Reihen. Die Abweichungen
der Stundenmittel vom Tagesmittel, die auf diese Weise erhalten werden,
stellen die von der yorherrschenden Windrichtung befreite, nur vom Sonnen-
stande abhängige täghche Variation der Windkraft nach Richtung und
Stärke vor. Die Berechnung der Resultierenden aus diesen Daten ergiebt
die nur von dem Gange der Sonne abhängige täghche Drehung des Windes
auf den Berggipfeln.
Der Wind dreht sich hiernach im Laufe des Tages regelmässig mit
der Sonne ; er ist vormittags östUch, mittags südlich, nachmittags westlich
und nordwestlich, nachts nördUch. Er weht stets beiläufig von dem Orte
her, wo die Sonne steht rbleibt aber etwas zurück). Die Tendenz zu Ost-
winden am Vormittage erklärt das häufigere Zurückgehen des Windes am
Vormittage in den Gebieten der vorherrschenden Westwinde, während
dagegen nachmittags die direkten Drehungen überwiegen müssen (Regel
von Sprung). Das bemerkenswerteste Ergebnis ist dabei, dass in fünf von den
6 Reihen die stündlichen Azimute des Windes (Sonnblick 1887—1889 und
1891, Säntis 1883—1886 und 1887—1889, Obir 1887—1889) so genau überein-
stimmen, dass sie fast als Konstante betrachtet werden dürfen. Nur Pikes
Peak hat eine Phasendifferenz von 4 Stunden, der Gang ist aber derselbe.
Die anemometrischen Aufzeichnungen auf dem Eiffeltürme (302 m)
ergeben, wie Angot schon früher gezeigt hat, gleichfalls eine Drehung der
mittlem Windrichtung mit der Sonne. Es besteht aber gegenüber den
Berggipfeln vormittags eine Phasendifferenz von 6 Stunden und darüber
(es herrscht auf dem Eiffeltürme schon NE und ENE, wenn auf den Berg-
gipfeln noch WNW und NW weht), nachmittaffs ist der Unterschied gering.
Verfasser untersucht dann näher die tätlichen Änderungen der Wind-
komponenten, welche durch harmonische Reihen dargestellt werden. Das
wichtigste Ergebnis ist, dass bei allen 4 Komponenten, namentlich aber
bei der N- und S-Komponente, eine grosse halbtägige Periode vorhanden
ist, welche der ganztägigen gleichkommt oder sie selbst an Grösse über-
trifft. Die Winkelkonstanten der harmonischen Reihen stimmen für die
einzelnen Beobachtungsperioden, sowie für die verschiedenen Stationen in
auffallender Weise überein. NamentUch gilt dies von den zusammengesetzten
Komponenten S— N und W— E. Die Mittelwerte aus diesen Konstanten
können daher eine volle reale Bedeutung in Anspruch nehmen. Eine Tabelle
zeigt speziell, dass die doppelten Maxima und Minima der obigen Kompo-
nenten in jeder der 6 Reinen von Werten fast genau auf die gleichen
Tagesstunden fallen.
Die Konstanz der Phasenzeiten und die Grösse der halbtägigen Periode
macht es wahrscheinhch, dass diese regelmässige tägliche Oscillation der
Luftmassen in 2 — 4 km Seehöhe mit der regelmässigen täglichen Barometer-
schwankung in Beziehung stehe. Der Autor vergleicht deshalb seine Re-
sultate mit den Forderungen der mathematischen Theorie der täglichen
^) Anzeiger der Wiener Akad. 1902. p. 840.
348
Winde und Stünne.
Barometeroflcillation auf thennischer Gnmdlage von M. Margales und findet
eine sehr gute Obereinstimmung.
Verfasser untersucht auch die jahreszeitlichen Änderungen in dem
täglichen Gange der Windkomponenten, indem er denselben im Winter und
Sommer auf dem Säntisgipfel vergleicht Die S— N-Komponente hat Winter
und Sommer den gleichen Gang, die W— E-Komponente kehrt denselben
jaber nur bei Tag) gradezu um: im Winter Maximum um 2^ nachmittags,
im Sommer Minimum um Mittag; die nächtlichen Extreme bleiben dabei
unverändert. Hierbei ist wieder bemerkenswert, dass die halbtägige Periode
auch bei der Westkomponente Winter und Sommer recht nahe die gleiche
ist (Phasenunterschied l^t Standen Verspätung im Sommer).
Verfasser berechnet dann noch den täglichen Ganff der mittlem
Windstärke bei den verschiedenen Windrichtungen. Es steUt sich im allge-
meinen heraus, dass die Regel, welche für den täglichen Gang der Wind-
stärke an der Erdoberfläche gilt, und die dahin lautet, dass alle Richtungen
nahe zur selben Zeit das Maximum ihrer Stärke erreichen, auch für die
Berggipfel Geltung behält, auf welchen aber die Maxima bei Nacht eintreten
(in der Niederung bald nach Mittag). Der Verfasser macht nebenbei aaf
die merkwürdige Thatsache aufmerksam, dass auf dem Dodabetta Peak
(2648 m) in Sümndien zur Zeit der Herrschaft der Ostwinde, November bis
Mai, das Bfaximum der Windstärke kurz vor Mittag eintritt, zur Zeit der
Westwinde aber, Juni bis Oktober, gerade um diese Tageszeit das Minimum
sich einstellt. Das Maximum fällt bei den Westwinden auf die Nacht-
stunden, wie bei uns.
Sturmtage an der deutschen Küste im Jahre 1901. In
einer Arbeit über das Wetter in Deutschland giebt Dr. £. Herrmann ^)
folgende Übersicht der Sturmtage des Jahres 1901 an der deutschen
Küste:
Monat
Nordsee
Westliche Ostsee
(einschl. Rflgen)
östliohe Ostsee
Januar .
Febmar .
M&n . .
April . .
Mai . .
Juni . .
Juli . .
August .
September
Oktober .
November
iber
20, SWt 26, 8W, 27. SW
-NW
20. NO
4. 8W/NW
27. SW
18. NW
6. NW 7. NW, 9. NW
19. SW/NW, 28. NW
a SW, 9. NW
20. 8Wj21. JfW, 27. SW
—NW, 28. NW
24. NW
20. NO, 21. NO
4. SW/NW, 5. NW
27. SW
7. SW-NW, 8. SW-NW
8. NW, 14. SW, 17. SW,
19. S-vlr/NW, jrf7. NW,
28. NW, 30. NW
1. NW, & SW, 16. NO
ai.^Tr,22.SW,23.NW,
27. SW
9J3W, 10.NW^.SW/NW,
24. NW
20. NO, 21. NO
4. SW/NW, 5. NW
12.'SW
20. SWr». NW
7. SW-NW, 8. SW
6. SW—NW^, NW.
a SW/NW, 9. NW, 1Ö.SW,
17.SW,19.SW.20.NW,
27. SW, 28. NW. ÄÖ. NW,
ao.NÜr
l.NW,8.SW,9.SW— NW
Es berichtet an den kurs
der Signalstellen der Seewarte
stärke 8 der Beaufortskala und
die Hälfte.
i y gedruckten Tagen wenigstens ein Drittel
auf den einzelnen Küstenstrecken Wind-
darüber, an den andern Tagen wenigstens
^) Ann. d. Hydrographie 1902 p. 2D1.
Elektrische Lufteisoheiniingen. 349
Elektrische Lufterscheinunsren.
Die Bedeutung vertikaler Luftströme fUr die atmo-
sphärische Elektriätät erörterte F. Linke. ^) Die Atmosphäre stellt
ein elektrisches Feld dar, das von einer unendlichen, geladenen Fläche
(Erdoberfläche) ausgeht. Wenn keine Störungen vorhanden sind, ist
das Gefälle positiv und nimmt mit der Höhe ab. Die positiven
Massen, die entsprechend der negativen Ladung des Erdballes in der
Luft anzunehmen sind, haben Elster und Qeitel auf Grund der lonen-
theorie nachweisen können. In dem elektrischen Feld der Erde
befinden sich nun Leiter, wie Wassertropfen, Staub u. s. w. Wenn
sich diese Leiter aus irgend einer Ursache vertikal bewegen, so wird
sich freie Elektrizität auf ihnen bemerkbar machen müssen, auch
wenn alle andern Elektrizitätsquellen ausgeschlossen werden. Da
die Niveauflächen nach oben hin positivere Werte zeigen, werden
die leitenden Teilchen, wenn man von Zerstreuungsverlusten absieht,
bei Aufwärtsbewegung negative Ladung annehmen, positive dagegen
beim Sinken. Gewisse Beobachtungen vom Ballon aus, die über
die Ladung von Dunstschichten gemacht wurden, deren Höhe sich
in der Zwischenzeit zweier Beobachtungen geändert hatte, bestätigen
diese Annahme. Linke meint, dass sich auf solche Art das Zustande-
kommen viel grösserer Spannungen erklären lasse, als durch die
Reibung von Wasser an Eis (Sohncke) und auch durch Kondensationen
an Ionen (Wilson). Bei schnellem Aufsteigen eines Luftstromes könnten
nach Linke sehr wohl Blitzspannungen auftreten, die sich in der
Höbe ausgleichen mögen, so dass die Wolken die Spannung der hohem
Schichten annehmen und nun beim Herabsinken im absteigenden
Luftstrome der Böen gegen die Erde von neuem eine so hohe Spannung
zeigen, dass wiederum Blitzentladungen erfolgen.
Beobaehtungen ttber die Zerstreuung: der Elektrizität
In der Luft hat K. v. Wesendonk von Ende Oktober 1901 bis Ende
April 1902 zu Berlin mit einem nach Angabe von Elster und Geitel
gefertigten Elektrometer angestellt ^ Es fand sich, dass Sonnenschein
in keiner Weise schnellen Verlust der Ladung zur Folge hat, obwohl
man von vornherein geneigt wäre, anzunehmen, die Sonnenstrahlen
möchten ionisierend, resp. aktivierend auf die Luft einwirken. Von
grossem Einfluss ist sidier die Trübung der Atmosphäre, sie kommt
in erster Linie in Betracht, aber es will Verf. doch scheinen, als ob
man von Seiten einiger Beobachter diesen Einfluss vielleicht etwas
überschätze. Der Unterschied zwischen entschieden dunstigen und
relativ klaren Tagen ist doch häufig zu klein, um fast allein der
genannten UrsachiB die Variationen in der Elektrizitätszerstreuung zu-
Annalen der Physik 1902. 7. p. 281.
Naturw. Rnndsohaa 1902. 24. p. 801.
350 Elektrische LufterscheinnDgen.
schreiben zu können. Allerdings ist man bei Angaben über Dunste
gehalt, da strenge Messungen leider häufig fehlen, leicht Täuschungen
ausgesetzt Besonders will es Verf. scheinen, dass man an hellen,
sonnigen Tagen die Klarheit der Luft leicht überschätzt Auch der
Einfluss der Dunstmenge auf die Aktivität der Luft ist bisher noch
nicht genauer bestimmt Verf. will daher mit diesen Bemerkungen
auch wesentlich nur auf die betreffenden Fragen hinweisen.
Sehr wenig bestimmten Einfluss scheint der Barometerstand zu
besitzen. Bei etwa denselben mittlem oder tiefem Werten des-
selben traten die verschiedensten Grössen der Elektrizitätszerstreuung
ein, bei hohem Luftdracke allerdings fast nur kleine Abnahmen und
nur zweimal grosse, auch trat trotz recht hohen Barometerstandes
einmal eine weit über mittlere Abnahme auf. Dies Verhalten ent-
spricht dem Befunde, dass sogenanntes Aprilwetter der Aktivität der
Luft günstig ist, dabei herrscht ja bekanntlich vorwiegend niederer
Luftdruck. Mit einiger Bestimmtheit ist aber wohl zu schliessen,
dass anticyklonales Wetter, obwohl dabei anscheinend hoch aktivierte
Luft aus den Höhen dem Erdboden zuströmt, in keiner Weise die
Elektrizitätszerstreuung stark vermehrt Auch relativ hohe Luft-
temperatur allein genügt nicht dazu ; bei relativ warmem Wetter kann
die Abnahme der Ladung doch nur klein sein.
Wind befördert wohl im allgemeinen die Zerstreuung, sehr kleine
Abnahmen fanden sich nicht bei stark windigem Wetter, aber anderer-
seits ist sein Einfluss auch nicht gut bestimmt zu definieren. Ost-
und Nordwinde scheinen wenigstens bei Winterwetter relativ wenig
die Aktivität der Luft zu befördern, dagegen thim für gewöhnlich
solches in reichlichem Masse die West- und Südwinde.
Feuchtigkeit begünstigt an sich nicht die Zerstreuung, hoher
Wassergehalt der Atmosphäre scheint eher der Aktivität ungünstig,
aber es ist doch anderseits zu beachten, dass bei trübem und
regnerischem, ja selbst nebeligem Wetter gerade grössere Abnahmen
nicht zu selten sind.
Messungren der Elektrizitätszerstreuungr In freier Luft
haben J. Elster und Geitel ausgeführt ^) Die Beobachtungen geschahen
in Wolfenbüttel täglich von Ende 1898 bis Mai 1900 und wird das
Verfahren die Messungen der Elektrizitätszerstreuung von den aus
mangelhafter Isolierung des Versuchskörpers entspringenden Fehlem,
freizuhalten, beschrieben.
Es wird versucht, einen Zusammenhang zwischen der Elektri-
zitätszerstreuung und den meteorologischen Bedingungen zur Zeit der
Beobachtung zu erkennen.
Es ergiebt sich keine einfache Beziehung zur Temperatur, ab-
soluten Feuchtigkeit und Windstärke. Dagegen tritt deutlich die
^) Sitzber. d. k. k. Akademie d. Wiss. in Wien 1902. 18.
Elektrische Lufterscheinungen. 351
Abnahme der Zerstreuung mit wachsender relativer Feuchtigkeit, wie
mit zunehmender Trübung der Luft hervor. Winde aus nördlicher
Richtung bewirken in Wolfenbüttel im allgemeinen eine Steigerung
der Zerstreuung. Das Tagesmaximum liegt gegen Mittag, das des
Jahres fiel für den angegebenen Zeitraum in den ApriL
Es folgt dann die Besprechung zahlreicher auf Reisen ausge-
führter Messungen. Regelmässig zeigte sich der Einfluss des elek-
trischen Feldes der Erde auf Berggipfeln in der Weise, dass die Zer-
streuung der negativen Elektrizität gegen die der positiven vermehrt
erscheint Sehr hohe Zerstreuungskoeffizienten sind in Gapri und in
Spitzbergen beobachtet.
Die Voraussetzung der Gegenwart freier Ionen in der atmo-
sphärischen Luft bildet durchwegs die Grundlage, von der aus die
verschiedenen Eigenschaften des Zerstreuungsvorganges aufgefasst
werden.
Ober die tägllehe Periode der Luftelektrizität hat F. Exner
Untersuchungen angestellt ^) Die Luftelektrizität zeigt : 1. eine doppelte
täg^che Periode mit zwei Maxima, etwa um 8^ und 8 p Orts-
zeit, die durch eine starke Mittagsdepression getrennt sind; 2. eine
einmalige tägliche Periode mit einem flachen über alle Tagesstunden
sich erstreckenden Maximum und einem Nachtmaximum; 3. Fehlen
jeder wesentlichen Änderung des Potentialgefälles während 24 Stunden.
Ein Zusammenhang dieser Typen mit der geographischen Lage hat
sich bisher nicht ergeben; dagegen hatte sich gezeigt, dass der Typus
der täglichen Periode an manchen Orten mit der Jahreszeit wechselt,
so dass 1. im Sommer und 2. im Winter auftritt Eine Beziehung
zu dem einen ähnlichen täglichen Verlauf zeigenden Luftdrucke konnte
nicht angenommen werden, weil vielfach Orte mit gleichem Luftdrucke
verschiedene Typen der Luftelektrizität aufweisen und umgekehrt
Die Frage, ob ein anderes meteorologisches Element zur Er-
klärung der täglichen Periode der Luftelektrizität heranzuziehen sei,
lenkte die Aufmerksamkeit des Verf. auf eine Erfahrung, die er bei
elektrischen Messungen in Luxor gemacht. Dort hatte sich eine
besonders stark ausgeprägte, doppelte tägliche Periode ergeben, die
überraschend zusammenfiel mit einer mittägigen Depression der ultra-
violetten Sonnenstrahlung; mit der früher noch nie so deutlich be-
obachteten Strahlungsdepression fiel auch ein Minimum des Potential-
gefälles zusammen. Ähnliches fand Verf. auch für Ceylon, Delhi,
Luxor, Wolfenbüttel und einige andere Orte.
Da die Mittagsdepression der Strahlung wohl nur der Bildung
irgend einer absorbierenden Schicht zugeschrieben werden kann, die
gleichzeitige Depression des Potentialgefälles aber das Vorhandensein
negativer Ladungen über dem Beobachtungsorte vorausgesetzt, so muss
an Orten mit doppelter täglicher Periode eine solche Schicht zur
^) Sitzber. d. k. k. Akademie d. Wiss. in Wien 110« Abt Ha. p. 571.
362 Elektrische LuftersdiemiingeiL
Mittsugazeii sich bilden und nach der Eulmination der Sonne wieder
Terschwinden. Beachtet man, dass diese Depression in den besonders
trockenen (Gebieten von Liixor und Delhi besonders auffallend ist, in
den yegetationsreichen und feuchten von Ceylon und St. Gilgen hin-
gegen fehlt, so liegt es nahe, als Ursache der Erscheinung den Staub
anzunehmen, der mittags vom trockenen Erdboden durch die Luft-
strömungen emporgeführt wird. Erklärt diese Vermutung auch das
verschiedene Verhalten während des Sommers und des Winters in
unsem Breiten, so muss sich die weitere Eonsequenz anreihen, dass
die absorbierende Schidit und die durch sie bedingte Folgeerscheinung
nur zu einer geringen Höhe aufsteigen kann. In der That haben
Messungen bei Luxer, in Südindien, bei Rom und auf dem Eiffel-
türme eine bedeutende Verflachung der täglichen Periode des Potential-
gefälles in hohem Luftschichten ergeben.
Prof. Exner schliesst aus diesen Beobachtungen: »Gkinz ohne
über die Natur der absorbierenden Schicht iigend eine spezielle Aus-
nahme zu machen, was gegenwärtig wohl verfrüht wäre, kann man
die doppelte tägliche Periode als eine Störungserscheinung auffassen,
die aus der normalen, einfachen Periode durch das Auftreten einer
lokalen Mittagsdepression entsteht Der gleichen Ursache wäre auch
der Übeigang vom Winter- zum Sommertypus an ein und dems^ben
Beobachtungsorte, sowie die Änderung des täglichen Ganges mit der
Höhe zuzuschreiben. Die ungestörte, normale tägliche Periode der
Luftelektrizität wäre somit überall die einmalige, mit einem flachen
Tagesmaximum und einem flachen Nachtminimum.«
Ober die Richtung: der elektFischen Strömung in Blitzen
verbreitet sich Max Toepler.^) >Wie jeder elektrische Strom, so
erzeugt auch ein Blitz ein magnetisches Feld um seine Bahn; Körper,
welche sich in der Nähe der Blitzbahn befinden, können dauernd
magnetisiert werden. Aus der Art dieser remanenten Magnetisierung
lässt sich unter Umständen die Strömungsrichtung der Elektrizität
im Blitze nachträglich feststellen. Ein günstiger Umstand für diese
Untersuchung von Blitzen ist es, dass Basalt, Phonolith, Dolerit und
andere häufig vorkommende (Gesteine durch Blitzschläge magnetisiert
werden können. Zur Aufsuchung von Blitzspuren werden daher in
erster Linie solche Landstriche in Frage kommen, in denen an zahl-
reichen und ausgedehnten Gebieten Basalt, Phonolith oder andere
dauernd magnetisierbare (Gesteine in Qeröllform oder anstehend den
Erdboden bedecken. Auf wrldbedeckten (Gebieten konnten in einigen
Fällen die manchmal sehr deutlichen Spuren von Blitzschäden an
alten Bäumen als Wegweiser dienen; leider werden bei rationeller
Forstkultur stark beschädigte Bäume rasch beseitigt öfters war es
auch noch möglich, durch Ausfragen von Waldhütern oder dgl. die
') Meteorol. Ztschr. 1901. p. 481.
Elektrische Lufterscheinungen. 358
Orte, an denen früher Blitze eingeschlagen haben, festzustellen. Als
Beispiel führt Toepler folgenden Fall an. Auf einer Schonung am
Osthange des Geisingberges wurde ein Baumstumpf als der eines
früher vom Blitze beschädigten Baumes gezeigt Die Untersuchung
des magnetischen Verhaltens der umliegenden Basaltblöcke ergab, dass
die um den Stumpf gelegenen Blöcke fast unmagnetisch waren, und
dass dagegen ein benachbarter Baumstumpf von einem magnetischen
Ringfelde umgeben war; an letzterem Stumpfe war also der Blitz
entlang gefahren, und zwar in der Richtung von Erde zu Wolken.
Da sich der remanente Magnetismus in Basalt oder dgl. sehr lange
erhalt, so wird man manchmal auch bei Fehlen unmittelbar sicht-
barer Blitzspuren durch einfaches Absuchen einer von Geröll bedeckten
Fläche mit einem Kompasse die Ringfelder von Blitzschlägen auf-
finden können. Meist finden sich jedoch bei derartigem Absuchen
zwar zahlreiche, auch stark magnetische Blöcke, jedoch mit unregel-
mässiger gegenseitiger Lage der Magnetfeldrichtung; durch Witterung
und Menschenhand (beim Roden u. s. w.) sind die meisten Blöcke aus
ihrer ursprünglichen Lage gebracht. Felskuppen oder Klippen auf
Anhöhen werden besonders leicht eine Blitzbildung veranlassen oder
doch auf sich hinziehen. Ist der Enüadungsprozess einmal eingeleitet,
so findet dann die eigentliche Blitzentladung überwiegend nicht durch
das Gestein hindurch statt (auch wenn dieses selbst, wie z. B. Basalt,
relativ gut leitet), sondern längs der Oberfläche des blitzbetroffenen
Felsens ; der Blitz gleitet an der Gesteinsoberfläche entlang, um sich
dann in feuchten Felsspalten etc. zu verteilen. An grossem, expo-
nierten, magnetisierbaren Gesteinsblöcken beobachtet man dement-
sprechend in der That häufig, dass nord- und südmagnetische Gesteins-
gebiete längs einer oft sehr scharf ausgeprä^n Linie, der »Blitzspur c,
unmittelbar aneinanderstossen.
Bezüglich der Auffindung und Beurteilung von Blitzspuren der
letztgenannten Art längs Gesteinsoberflächen kann man zwei Haupt-
fälle unterscheiden. Liegt die mehr oder weniger senkrechte Gleit-
fläche parallel dem magnetischen Meridiane, so giebt die einfache
Beobachtung der Ablenkung der Magnetnadel vom Steine fort und
auf ihn hin die Lage der Blitzspur und den Strömungssinn. Etwas
schwieriger dagegen ist die Bestimmung beider, wenn die Gesteins-
fläche, an welcher der Blitz entlang fuhr, westöstliche Stellung besitzt.
In diesem Falle beobachtet man längs eines mehr oder minder breiten
Oberflächenstreifens eine Umkehr der Magnetnadel um 180^. Beider-
seits dieses Streifens ist zwar die ursprüngliche Richtung des magne-
tischen Feldes durch den Einfluss des* Cbsteinsmagnetismus in der
Regel nicht wesentlich geändert, dagegen aber seine Stärke. Die
Blitzbahn liegt auf derjenigen Seite des umkehrenden Streifens, welche
an dasjenige Oberflächengebiet grenzt, an welchem die nicht umge-
kehrte Kompassnadel die kürzere Schwingungsdauer besitzt, wie leicht
aus einer nähern Betrachtung der Intensitätsverhältnisse des resul-
K l«ixi , Jfthrbuoh Xm. 23
354 Elektrische Lufierschemungen.
tierenden magnetischen Feldes hervorgeht. Besonders exponierte Punkte
werden im Laufe der Zeit wiederholt von Blitzen getroffen. Liegen
die Blitzspuren zu nahe bei einander, oder kreuzen sich dieselben gar,
so ist ein Auseinanderkennen der einzelnen Spuren nicht mehr mög-
lich. Die Gesteinsoberfiäche zeigt wirr durcheinanderliegende süd-
und nordpolare Gebiete. Der ganze Fels wirkt dabei doch manch-
mal in grösserer Feme (bis zu 3 m Abstand und mehr) als einheit-
liches Gebilde; vermutlich sind in letzterem Falle unter den stattge-
habten Schlägen solche eines bestimmten Zeichens vorwiegend gewesen.
Schliesslich sei noch auf die Beobachtung aufmerksam gemacht,
dass manchmal bestimmte Felskuppen von wiederholten Blitzschlägen
getroffen erscheinen, während benachbarte, oft günstiger gelegene, ja
sogar höhere Klippen ohne Blitzspuren sind; erklären dürfte sich
dies aus der freilich unkontrollierbaren Feuchtigkeitsverteilung (Quellen
u. dgL) im Erdboden.«
' Toepler führt 92 von ihm aufgefundene Blitzspuren an, bei
denen sich mit Sicherheit der Sinn des Elektrizitätsflusses im Blitze
feststellen liess. Diejenigen Blitzspuren, welche auf eine Strömung
von Erde zu Wolke schliessen liessen, bezeichnet er als positive
(Erde-Anode), die Blitzschläge von Wolke zur Erde als negative (Erde-
Kathode). Es ergab sich hierbei die höchst auffallende Thatsache,
dass die positiven Spuren erheblich überwiegen, nämlich 59 gegen
33 negative. Eine Erklärung dieser Erscheinung liess sich in ver-
schiedener Weise geben. »Wie man sich leicht überzeugt«, sagt Toepler,
»finden bei Gewittern die weitaus meisten Entladungen zwischen
den Wolkon statt ; nur ein kleiner Teil der Blitze trifft den Erdboden.
Negativ geladene Wolkengebiete und positiv geladene werden hier-
nach vermutlich in nahezu gleicher Menge vorhanden sein. Zur Er-
klärung des auffallenden Überwiegens der Blitzspuren Erde — Wolken
könnte man annehmen, dass in der Mehrzahl der Fälle die negativen
Wolken tiefer schweben als die positiven. Diese Annahme erscheint
aber recht unwahrscheinlich. Eine andere, wahrscheinlichere Er-
klärung lässt sich aus der Art und Weise der Blitzbildung geben.
Blitze bilden sich wohl meist derart, dass an irgend einer Stelle
einer Wolke bei genügendem Spannungsgefälle ein Doppelbüschel
(einerseits positiv, anderseits negativ) entsteht. Beide Büschel
wachsen dann nach entgegengesetzten Richtungen gegen und mit dem
Gefälle weiter; der Entladungskanal zwischen den rasch vorwärts-
wachsenden Büscheln erscheint uns als (Linien-) Blitz. Überträgt
man nun die bekannten Eigentümlichkeiten der Büschelbildung, wie
wir sie bei Entladungen grosser Induktorien oder Influenzmaschinen
beobachten, auf die geschilderte Blitzbildung, so haben wir anzu-
nehmen, dass die Blitze die Tendenz zeigen werden, sich vorwiegend
leicht nach ihrer positiven Seite hin zu verästeln. Ein Blitz von
Wolke zur Erde wird hiemach letztere zumeist id zahlreichen, aber
relativ schwachen Ästen treffen, welche dann keine oder nur schwache
Elektrische Lufterscheiniingeii. 355
und daher schwer nachweisbare Spuren hinterlassen. Umgekehrtes
^t für die Blitze von Erde zu Wolke. Bei gleicher Häufigkeit
beider Strömungsrichtungen wird man hiemach doch eine überwiegende
Anzahl von Blitzspuren mit Strömungssinn Erde — Wolken auffinden. <
Das Spektram des Nordlichtes. Schon früher hat A. Paulsen
auf die Obereinstimmung des Nordlichtspektrums mit dem Kathoden-
lichtspektrum einer Mischung von Sauerstoff und Stickstoff auf-
merksam gemacht Sowohl das Nordlichtspektrum als das Eathoden-
lichtspektrum sind photographisch aufgenommen. Das Spektrum des
Nordlichtes umfasst, ausser der sogenannten Hauptlinie (ü s= 557 fifA)^
doch nur Linien, deren Wellenlängen zwischen 470 fx/x und 337 fifA
liegen. In diesem Teile des Spektrums sind 21 Linien photographiert
Spätere in Kopenhagen gemachte Untersuchungen erwiesen, dass
die Linien im brechbarsten Teile des in Island photographierten
Kathodenlichtspektrums dem Stickstoffe angehörig sind. Die Ver-
teilung der Linien ist in diesem Teile des Spektrums sehr charak-
teristisch, sowohl in Bezug auf die Gruppierung, als auf die Intensität,
so dass man nicht umhin kann, dem blossen Anblicke nach diese
Teile der beiden Spektren als identisch anzusehen. Auch die in
Island ausgeführten Bestimmungen der Wellenlängen deuten auf eine
vollständige Identität dieser Teile der beiden Spektra hin. Prof.
Scheiner in Potsdam hat die beiden genannten Spektra nun durch
Messungen verglichen. Die Spektra sind mit demselben Spektro-
graph (Linsen von Quarz und Prisma von Kalkspat) aufgenommen
und umfassen die Wellenlängen zwischen 426 fifi und 337 /i/i, also
^entsprechend dem Teile des Sonnenspektrums ungefähr von der Linie
G bis P. In diesem Teile des Nordlichtspektrums sind 15 Linien photo-
^aphisch aufgenommen. Prof. Scheiner hat die Messungen nur aus-
geführt, um die Identität der zwei genannten Spektra zu konstatieren.
Die Messungen sind daher nur komparativ.
Die Übereinstimmung der Linien ist eine sehr gute, und da
überdies die relativen Intensitäten der beiden Spektren, so weit sich
das beurteilen lässt, vollkommen übereinstimmen, so unterliegt es,
sagt Scheiner, keinem Zweifel, dass das Nordlichtspektrum das
Kathodenlichtspektrum des Stickstoffes enthält.
Die verglichenen Partien der beiden Spektren umfassen nur die
Strahlen von einer Wellenlänge von 426 fifi und darunter ; es ist
nicht gelungen, Strahlen von grösserer Wellenlänge als 470 fjifi auf-
zunehmen, mit Ausnahme der sogenannten Hauptlinie {X = 557 fifi).
Das photographische Spektrum des Kathodenlichtes des Sauer-
stoffes zeigt ein starkes Band, das Strahlen von der Wellenlänge
557 fifjL enthält Die Breite dieses Bandes ist aber bedeutend grösser
als die der Nordlichtlinie.
In der oben citierten Abhandlung, sowie aiich in seinem für
den internationalen physikalischen Kongress in Paris geschriebenen
356 Elektrische Lufterscheinungen.
Berichte der Ergebnisse der dänisdien Nordlichtexpedition ^) (Rapport»
presentes au CSongres international de Physique, T. m, pag. 488)
hat Paulsen bemerid, dass alle die photograpfaischen Spektra de»
Nordlichtes, die in Island aufgenommen sind, ein schwaches kon-
tinuierliches Spektrum zwischen den Linien von den Wellenlangen
470 fAfx und 407 fifA zeigen. Spatere in Kopenhagen gemacht»
Untersuchungen erwiesen, dass dieses scheinbar kontinuierliche Spektnua
nicht dem Nordlichte angehörig ist Es rührt her von dem diffusen
Himmelslichte der Dämmerung oder des Mondes, das nicht aus-
geschlossen werden konnte während einer Expositionszeit, die sich
bisweilen über einen Zeitraum von mehrem Wochen erstreckte.
Das Nordlicht vom 9« September 1898 ist bezüglich seiner
geometrischen Verhältnisse von W. Schaper untersucht worden.^ Dies»
Untersuchung wurde veranlasst durch den Umstand, dass der Nordlicht-
bogen an mehrem ziemlich weit voneinander liegenden Orten durch
eine gut definierte Linie bezeichnet war, die als Unterlage für zu-
verlässige Höhenschätzung dienen konnte. Aus den Höhenwinkel-
messungen zu Göttingen und Meldorf ergab sich, dass ein Punkt
des lichtringes 60 km vertikal von dem Erdorte, der 11® östL L.
nnd 54® 20' nördl. Br. hat, entfernt war. Andere Beobachtungen
ergaben einen Mittelwert von 72 hm.
In Göttingen wurde von verschiedenen Fachmännern konstatiert^
dass die Enden des Lichtbogens auf dem Horizonte lagen, und dass
diese Endpunkte eine Azimutaldistanz von 125® besassen. Giebt
man diesen beiden scheinbaren Grenzpunkten die Höhe von 70 km,
so kann man die wirkliche Lage der betreffenden Punkte im Räume
ermitteln. Hiemach lag das Westende ungefähr im Zeniih von
Liverpool, das Ostende ungefähr im Zenith von Libau (Kurland).
Aus 12 Punkten für die Südgrenze des Nordlichtringes findet sidi
eine krumme Linie, die nicht mit einem Hauptkreise der Erdkugel
übereinstimmt; wohl aber bildet sie eine orthogonale Trajektorie
zu den Richtungen der Deklinationsnadel an den bezeichneten Plätzen.
Strahlenrichtungen sind am 9. September nur ausnahmsweise
synchron aufgezeichnet worden; so zu Lübeck und zu Hirschberg
L Schi, für rote Strahlenbänder, welche sich deutlich von den übrigen
abhoben. Durch diese Eorrespondenzbeobachtimgen konnte ein weiterer
Punkt des Polarlichtes festgelegt werden, nämlich derjenige, dessen
Projektion auf die Erde in 18® 42' ö. L. und 56® n. Br. Uegt Ein
Punkt des roten Strahles, der, von Lübeck aus gesehen, durch den
Stem Q Persei ging, würde eine Höhe von 424 km besitzen. Eben-
derselbe erstreckte sich aber noch bis zu einer viel grossem, nahezu
20® mehr betragenden Höhe, entsprechend einer äussersten Erhebung
des Strahles über die Erde von rund 800 km. Entsprechend lässt
1) Meteorol. Zeitschr. 1901. p. 414.
^ Schriften des naturw. Vereins für Schleswig-Holstein 1901. 12.
Elektrische Luftersoheinongen. 357
sich zeigen, dass ein zweiter StraM, der in Lübeck und Wame-^
münde gleichzeitig gesehen werden konnte, bis zu einer Höhe von
670 km stiog. Das Licht war, wie gewöhnlich, nicht ruhig, sondern
flackerte stark; die Bewegung des roten Strahles würde sich dar*-
stellen lassen durch die Annahme, dass ein Punkt derselben in einer
Sekunde 70 m zurücklegte.
Katalogr der in Norwegen bis Juni 1878 beobachteten
Nordlichter« Sophus Tromholt hat 1879 eine Sammlung alles
dessen begonnen, was je über norwegische, mit Zeitangaben ver-
bimdene Nordlichter geschrieben, publiziert imd aufbewahrt worden.
Diese mühevolle Sammelarbeit hat er auch glücklich vollendet, aber
der Tod überraschte ihn (am 17. April 1896), ehe er dieselbe ver-
öffentlichen konnte. Dies ist jetzt durch J. Schroeter geschehen, in
einem stattlichen Bande auf Kosten zweier Institutionen.^) Das
Gebiet Norwegens, über welches sich die Beobachtungsorte verteilen,
ist dabei in 4 Unterabteilungen geteilt, nämlich: 1. nördlich von
68<> 30' n. Br. 2. zwischen 68^ 30' und 65^ n. Br. 3. zwischen
65® und 61 ö 30' n. Br. 4. südüch von 61® 30' n. Br.
Das Werk enthält thatsächlich sämtliche existierenden norwegischen
Nordüchtbeobachtungen mit allen ihren Einzelheiten, auch ist für
jeden Nordlichttag die Zahl der Tage angegeben, welche an dem-
selben seit dem letzten Neumonde verflossen war. Die früheste Be-
obachtung ist aus dem Gebiete 4 und datiert vom 22. September 1594.
Reduziert man die Summe der Nordlichttage auf 1000, so erhält
man folgende Verteilung derselben auf die einzelnen Monate sowohl
für das ganze Land T, als für jedes der oben erwähnten Gebiete 1 — 4.
T 1 2 8 4
JuU
August
Septbr.
Oktober
November
Dezember
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Diese Tabelle zeigt denselben Charakter der jährlichen Ver-
teilung des Nordlichtes, den man bereits kennt, wenn man das ganze
Land (T) in Betracht zieht; man hat ein Maximum um die Nacht-
gleichen (Oktober und März) herum, getrennt durch ein Minimum
mitten im Winter. Für die nördlichsten Teile (1) des Landes hat
^) Katalog der in Norwegen bis Juni 1878 beobacht. Nordlichter, za-
sammengeet. von S. Tromholt. Heraosgeg. von J. Schröter, Kristiania 1902.
1
0
0
0
8
88
4
8
27
52
112
74
83
185
125
138
146
117
181
184
126
145
188
128
110
128
163.
150
112
96
128
166
164
120
100
129
140
159
185
124
189
146
156
148
148
71
16
86
67
106
5
0
0
2
8
0
0
0
0
0
358 Optische Erscheiniingen der Atmosphäre.
die Periode dagegen einen völlig arktischen Charakter mit einem
Maximum um die Wintersonnenwende. In dem Gebiete (2) findet
dasselbe Verhältnis noch statt, während im Gebiete (3) und noch
starker in (4) die Periode denselben Verlauf hat wie in mittlem
Breiten. Zieht man den Rubensonschen Katalog der in Schweden
beobachteten Nordlichter noch hinzu, so erhält man sehr nahe das
gleiche Resultat bezüglich der jährlichen Periode, sowohl für das
ganze Land als für die einzehien Gebiete, so dass diese Verteilung
also für ganz Skandinavien gilt
Optische Erscheinungen der Atmosphäre.
Kimmtiefenbeobachtungen sind von Karl Koss auf der »Polac-
Expedition im Roten Meer und später von Verudella bei Pola aus
angestellt worden. Die Hauptergebnisse welche aus diesen Beobach-
tungen abgeleitet wurden sind folgende:^) Die Kimmtiefe ändert sich
mit dem Unterschiede zwischen der Luft- und der Wassertemperatur,
ohne dass Luftdruck, Feuchtfgkeit oder Bewölkung merklich darauf
einwirken. Die Hebung (Senkung) wird durch die Abnahme der Tem-
peratur mit der Höhe bewirkt; dieses Temperaturgefälle macht, wenn
Luft und Wasser gleich warm sind, eine Abnahme von 0.016® pro nt
aus (1 ® auf 60 m) und wird durch einen Unterschied zwischen Luft-
und Wassertemperatur geändert; ist das Wasser wärmer (kälter) als
die Luft, so wird durch den Wärmeaustausch, den der Wind fort-
während unterhält, die dem Wasser nächste Schicht erwärmt (ab-
gekühlt) und hierbei immer gewechselt, wodurch auch die Temperatur-
abnahme mit der Höhe vergrössert (verkleinert) wird. Diese Änderung
ist in den untern Luftschichten stärker als in den obem. Verf.
giebt Formeln und Tabellen, aus denen man gegebenenfalls den Be-
trag, um den die Kimm gehoben oder gesenkt ist, ableiten kann.
Die tägliche Variation der atmosphärischen Strahlen-
brechung ist von V. E. Boccara studiert worden.^) Schon 1890 hat
Prof. Riccö darauf aufmerksam gemacht, dass die Linie des Meeres-
horizontes merklich in ihrer Lage schwankt im Vergleiche zu den
Gipfeln der Häuser. Da diese Änderungen von der atmosphärischen
Refraktion abhängen, so kann man deren Schwankungen bestimmen^
wenn man jene kennt Dieses einfache Verfahren bietet ein Mittel^
die tägliche Variation der Refraktion zu studieren. Der Winkel, den
die Qesichtslinie in einem bestimmten Punkte des Meereshorizontes
mit derjenigen eines festen Punktes von einem dem Beobachter nahen
Objekte bildet, wurde möglichst oft gemessen und unter Berück-
sichtigung der auf dem Observatorium zu Gatania verzeichneten Un-
ruhe der Luft aus diesen Winkeln die jedesmalige Refraktion berechnet.
M Meteorol. Zeitschr. 1902. j>. 458.
^ n nuovo Gimento 1901. (5) 2. p. 204.
Optische Ersoheinungen der Atmosphäre. 359
Zunächst wurde allgeinein die bereits bekannte Thateache bestätigt,
dass in Sicilien die Refraktion kleiner ist als in andern Gegenden.
Eine genauere Beziehung der Refraktion zu den meteorologischen
Elementen liess sich aus den taglichen Beobachtungen nicht ableiten,
nur so viel ergab sich, dass die Refraktion abnimmt mit Zunahme
des Luftdruckes und mit der Abnahme des Temperaturunterschiedes
zwischen den Orten der Beobachtung und dem Meereshorizonte, und
zwar nimmt sie zu mit abnehmendem Drucke und zunehmendem Tem-
peraturunterschiede. Dieses Ergebnis stimmt mit der Hypothese, die
allgemein zur Erklärung der atmosphärischen Refraktion aufgestellt
wird. Sind Druck- und Temperaturunterschiede konstant, so ändert
sich die Refraktion mit der Luftunruhe, und zwar in umgekehrtem
Verhältnisse zu dieser. Die Feuchtigkeit übt nur geringen Einfluss und
strebt bei Zunahme die Refraktion zu steigern.
Über den täglichen Gang der Refraktion geben Aufschluss eine
Tabelle halbstündiger Werte von 7 — 18^ und die nach derselben ge-
zeichneten Kurven. Sie lehren, dass die Refraktion am grössten ist
gegen 8^, sodann sinkt sie schnell bis gegen llVs^ sie bleibt von
da konstant bis 15^ und beginnt dann langsam abzunehmen. (Vor
7^ und nach 18^ konnten keine Beobachtungen gemacht werden.)
Eine andere Zusamjnenstellung der Beobachtungen, in welcher für
die Tage 11. — 21. April die Refraktion der Vormittagsstunden mit
dem Mittel der Nachmittagsbeobachtungen verglichen sind, zeigt deut-
lich, dass die Depression des Horizontes an den Vormittagsstunden
kleiner ist als in den Nachmittagsstunden; die Refraktion war also
vormittags grösser als nachmittags. Das Mittel der Refraktionen, das
bei heiterem Himmel gewonnen wurde, war kleiner als das Mittel bei
bedecktem Himmel. Wenn dieses letztere Ergebnis sich durch weitere
Beobachtungen bestätigen würde, hätte man einen Grund für die ge-
ringere Refraktion Siciliens im Vergleiche zu andern Gegenden. Es
ist nämlich bekannt, dass im ganzen Mittelmeere und besonders in
Sicilien der Himmel klarer und heiterer ist als anderswo, und daher
muss die Refraktion hier kleiner sein.
Der Regenbogen in RuSSland. Ernst Leyst hat eine inter-
essante statistische Untersuchung über diese optische Erscheinung
an der Hand vieljähriger Beobachtungen an 69 Stationen Russlands
ausgeführt^) Diese Stationen umfassen zusammen 1111 Jahrgänge
und berichten über 4826 Wahrnehmungen von Regenbogen. Die Ver-
teilung dieser auf die einzelnen Jahre und das Zusammenlegen der-
selben zu fünfjährigen Gruppen für die einzelnen Stationen sowie die
Bildung vierjähriger Mittel zeigten, dass im Lustrum 1885 — 1889 und
insbesondere um die Jahre 1887 und 1888 viele Regenbogen zur
Beobachtung kamen, während vorher und nachher etwa um die Jahre
^) BulL de la Soc imper. des Naturalistes de Moscou 1901. p. 102.
360 Optische Erscheinnngeik der Atmosphäre.
1882 — 1888 und 1896 — 1897 ein Minimum war. Zur Prüfung dieses
ans dem Gesamtmateriale abgeleiteten ersten Schlusses diskutiert Leyst
die Beobachtungen einiger besonderes Vertrauen verdienender Stationen^
mit vollständigen 25 jährigen Beobachtungen, in denen 1350 Regen-
bogen angeführt sind. Diese 8 Stationen zeigen in den Jahren 1880
und 1887 starke Maxima und in den Jahren 1884 und 1897 BCinima;
femer ergeben sie fast zweimal so viel Regenbogen pro Jahr und
Station als die kurzem Beobachtungsreihen. Aber auch die übrigen
61 Stationen bieten allein noch für das Lustrum 1885 — 1889 ein
Maximum. Neben diesen diskutiert Verl einige vieljährige, aber nicht den
ganzen Zeitraum umfassende Beobachtungen, und zwar 16 Stationen mit
siebzehnjährigen Beobachtungen und neiin Stationen mit elfjährigen
Beobachtungen. Alle drei Reihen ergaben ein Maximum in den Jähen
1887 — 1888 und ein Minimum 1897 — 1898; ebenso zeigten alle drei
ein sekundäres Maximum in den Jahren 1892 — 1893. Da selbst
Stationen, die nicht zu den bessern gehören, einen ähnlichen Gang der
Regenbogenhäufigkeit erkennen Hessen, so kann aus der Gesamtheit der
4326 Regenbogenbeobachtungen als Ergebnis hingestellt werden, dass
Maxima der Häufigkeit in den Jahren 1876—1877 und 1887—1888,
hingegen Minima in den Jahren 1881 und 1897 eingetreten sind.
Eine Zusammenstellung lehrt femer, dass die meisten Regen-
bogen im Innern des Kontinents beobachtet werden, und zwar er-
geben sie mehr als dreimal so viel Regenbogen als die Küsten-
stationen; am häufigsten sind sie in den zentralen Gouvernements,
im Ural und in Westsibirien beobachtet worden; von da nimmt ihre
Zahl nach den Meeren hin sowie zum Gebiete der trockenen Sommer
und wahrscheinlich mit der Seehöhe ab.
Eine eingehende Diskussion des jährlichen Ganges zeigt, dass
das früheste Maximum in der jährlichen Häufigkeit in der kaspischen
und transkaspischen Gmppe auftritt, nämlich am 5. Juni; und dass
von dort die Verspätung desselben nach Norden, zum Ozeane und
sehr wahrscheinlich mit der Seehöhe geht.
Der tägliche Gang der Häufigkeit des Regenbogens ergiebt, dass
das Minimum der Anzahl der Regenbogen auf den Vormittag und
Mittag fällt und das Maximum auf den Nachmittag und auf den
Abend. Die Vergleichung der einzelnen geographischen Gmppen er-
giebt, dass alle Gruppen in der Nähe grosser Meere verhältnismässig
mehr Vormittagsregenbogen haben als die Binnenstationen. Die Be-
rücksichtigung der verschiedenen Jahreszeiten bei der Ermittelung
des täglichen Ganges lehrt, dass die Vormittagsregenbogen in den
3 Wintermonaten die häufigsten sind ; in den übrigen 9 Monaten des
Jahres liegt das Maximum des täglichen Ganges im Nachmittage.
Die Nacht- und die Morgenregenbogen sind relativ häufig im Herbste
und im Frühjahre. Das Jahresmaximum tritt bei den verschiedenen
Tageszeiten zu verschiedener Zeit ein, und zwar treten die Mittags-
regenbogen fast nur in der zweiten Jahreshälfte ein, mit einem Maxi-
Klimatologie. 861
nmrn Ende September, während die Abend- und Nachtregenbogen ihr
Maximum am 3. Juli haben.
Als Endresultat ergiebt sich, dass der Regenbogen in seiner
Häufigkeit einen säkularen Gang, einen jährlichen Gang und einen
täglichen Gang hat, und ausserdem seine Häufigkeit von der geo-
graphischen Lage des Beobachtungsortes abhängig ist, besonders von
4er geographischen Breite und von der Verteilung von Land und
Wasser, wie auch der Niederschlag.
Klimatolosrie.
Ober klimatologrische Hittelwerte für ganze Breiten-
kreise hat W. y. Bezold eine bemerkenswerte Arbeit veröffentlicht^)
Schon früher *) hat er auf das Unzweckmässige hingewiesen, das bei
tabellarischer oder graphischer Zusammenstellung von Mittelwerten
iÜT ganze Parallelkreise in der Anwendung der geographischen Breite
liegt, weil dabei die polaren Gegenden unverhältnismässig bevorzugt
werden. Eine nach Stufen von 10® angeordnete Tabelle räumt der
Zone von 0 — 10® nur ebensoviel Platz ein, wie der Polarkappe von
SO — 90®, während doch die erstere eine mehr als elfmal so grosse
OberQäche besitzt. In entsprechender Weise liefert auch eine graphische
Darstellung, bei welcher man die geographischen Breiten als Ab-
scissen wählt, ein gänzlich verzerrtes Bild, aus dem man erst nach
tieferer Überlegung richtige Vorstellungen gewinnen kann. Ganz
anders gestaltet sich die Sache, wenn man den Sinus der geo-
graphischen Breite als Argument oder als Abscisse einfuhrt
Thut man dies, dann entsprechen gleichen Stufen der Tabelle,
d. h. gleichen Differenzen des Argumentes oder gleichen Längen auf
der Abscissenaxe , auch gleich grosse Zonen, und die einzelnen
Werte, bez. die Ordinaten erscheinen alsdann, abgesehen von der
ihnen sonst anhaftenden Unsicherheit, mit dem Gewichte, das ihnen
naturgemäss zukommt
Dieser Gedanke ist nun durch v. Bezold weiter verfolgt, auf
verschiedene meteorologische Elemente angewendet und gezeigt worden,
in wie einfacher Weise sich der Zusammenhang zwischen den be-
treffenden Mittelwerten übersehen lässt, und welche eigenartigen Be-
trachtungen sich dabei nahezu von selbst aufdrängen.
V. Bezold giebt die Mittelwerte von Sonnenstrahlung, Luft-
temperatur. Luftdruck, Bewölkung und Niederschlag für das Jahr,
zuerst in tabellarischer Form und dann in graphischer Darstellung,
nach Sinussen der geographischen Breite geordnet, an.
Als Grundlagen benutzte er die in gewöhnlicher Weise an-
gegebenen Mittelwerte, und zwar für die Sonnenstrahlung die von
^) Sitznngsber. d. Preuss. Akad. d. Wissensch. 1891. p. 1880.
«) a. a. 0. 1900. p. 356.
362 Klimatologie.
Meech^) berechneten, für Lufttemperatur jene von Spitaler und
Batchelder,^) für Luftdruck die Zahlen von W. Ferrel, für die Nieder-
schlagsmengen jene von John Murray und endlich für Bewölkung
die von Svante Arrhenius aus der Karte von Teisserenc de Bort
abgeleiteten, die man sämtlich in Hanns Klimatologie abgedruckt
findet.»)
Aus diesen Zahlen wurden alsdann durch eine sehr sorgfältige
graphische Interpolation die Werte abgeleitet, wie sie den Sinussen
0.05, 0.10 u. s. w. bis 0.95 entsprechen.
Man findet die so erhaltenen Werte in Tabelle I zusammen-
gestern (S. 363).
Dabei wurden die auf die einzelnen Elemente bezüglichen Zahlen
so angeordnet, dass die Beziehungen im Gange derselben möglichst
klar hervortreten. Um dies auch in der Tabelle leicht erkenntlich
zu machen, sind die wichtigem Extremwerte durch den Druck
hervorgehoben.
D bezeichnet die Strahlensmnme des mittlem Äquatorialtages,
b den Barometerstand in Millimetern, t die Lufttemperatur, n die
Bewölkung in Prozenten und p die Niederschlagshöhe.
»Betrachtet man die nach diesen Zahlen entworfenen Kurven,
so gewinnt man vor allem den sehr bemhigenden Eindruck, dass
unsere Kenntnis von der Verteilung der wichtigsten meteorologischen
Elemente doch eine weit vollständigere ist, als man nach den ge-
wöhnlichen Zusammenstellungen schlechtweg vermuten möchte.
Der Teil der Polargegenden, für welchen man durch kühne
Extrapolationen die Mittelwerte für ganze Parallelkreise bilden könnte,
beträgt bei Temperatur und Luftdruck kaum 0.1 der ganzen Erd-
oberfläche, und auch für Bewölkung und Niederschläge dürfte das
Bild wenigstens nach den Hauptzügen nahezu in dem gleichen Umfange
zutreffend sein.
Femer aber ersieht man, und das ist die Hauptsache, sowohl
aus der Tabelle als aus der graphischen Darstellung vorzüglich, wie
die Verteilung der wichtigsten meteorologischen Elemente, die selbst-
verständlich in erster Linie durch die Sonnenstrahlung bedingt ist,
durch jene des Luftdmckes modifiziert wird.
Die Kurve der Mitteltemperaturen besitzt bei richtig gewähltem
Massstabe für die Ordinaten die grösste Ähnlichkeit mit jener der
theoretisch gewonnenen Strahlungssummen.
Aber während die letztere der Natur der Sache nach vom Äquator
nach beiden Seiten hin genau symmetrisch verläuft, mit einem
Maximum am Äquator, so ist das Maximum bei der Temperatur-
kurve nach der nördlichen Hemisphäre verschoben. Zugleich ist auf
der südlichen Halbkugel ein zweites symmetrisch gelegenes, freilich
M Hann, Klimatologie 2. Aufl. 1. p. 108.
') Ebenda p. 200.
*) Ebenda p. 217.
■^mt'^'
363
k«feVi||iflm$^iftuig des AbfaUes, d.h.
fflISv II^^fM'''^ Mitteltemperaturen für
>.^piffi|L.ÜcMB«1^9J5i|Üf^ hervor, wenn man
^^ii^ Wasser und Fesüand
Im. ^^-^^ '^ ♦^Ä.^eipgsweise zu eliminieren
gleicher nördlicher und
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60.3-0.8
60.3-1.0
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58.1—0.6
57.9 — 0.2
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67.9 0.0
58.0-1-0.1
58.0 0.0
58.3-1-0.3
58.5- -0.2
58.8- -0.3
50.5 --0.7
60.2- -0.7
61.0- -0.8
61.8- -0.8
62.6- -0.8
63.2- -0.6
63.6 -t- 0.3
63.0 — 0.5
61.7 — 1.3
59.9 — 1.8
67.2 — 2.7
64.0 - 3.2
50.0 — 4.0
44.5 — 5.6
40.3 — 4.2
Nieder-
COT
P Ap
86 —
6
10
8
58 ' 0
56— 8
53— 2
53 0
56+ 2
60-- 6
64-- 4
69-- 6
80--11
109--29
150--5O
185--26
196--10
196 4-1
196 0
196— 1
191— 4
186— 6
178—8
162 — 16
130 — 32
97 — 33
71-26
66+ 6
66 0
66+ 1
72-- 6
83--11
97--14
110 -J- 13
116+ 6
113— 3
106- 8
96 — 10
kling
%
nAu
60 —
61 + 1
80 --1
57 — 3
58 — 4
60 — 3
47 — 3
44-3
42 — 2
39 — 3
38-1
89+1
42--3
46--3
48--3
62.-4
64--2
57--3
58--1
60 -f 2
60 0
58 — 2
56 — 2
53 — 3
61 — 2
48 — 3
46 — 2
45 — 1
46+1
40--3
53--4
67--4
61 --4
65--4
69--4
74--5
'^'^^'^^-^^^^''^^'f^m weichen vielfach von
.^^ik^li.Srö^-i^afiäi^c^tgeteilten etwas ah. Der
. .^^^f^^S*^^* ''l'l* ^ll^'^'^S'^^^^ ^^^ sorgfältiger vor-
'M'^^^Wf^W^S^'^S^W^^f^ZViW^ ®io angenähertes Bild
©9 ©9 ^r
864
Klimatologie.
Man erhält durch dieses Verfahren liütielwerte, weiche im Gtegen*
satze zu den gewöhnlichen nur für die Breitenkreise einer Hemisphäre
gültigen » hemisphärischen € von Bezold als »holosphärische« bezeichnet
werden. Die nach diesen letztem gezeichneten Kurven zeigen noch
weit deutlicher, wie das eine Maximum der Strahlungskurye bei der
Temperatur wenigstens andeutungsweise in zwei getrennte zerfällt.
»Diese Trennung wurde noch schlagender hervortreten, wenn man
die Temperaturkurve durch Übereinanderlagerung zweier Systeme
entstanden dächte, von denen das eine, in seinem Verlaufe einfachere,
nur ein einziges Maximum am Äquator besässe. Das zweite darüber
gelagerte System würde alsdann zwei deutlich getrennte Maxima
zeigen. Qtehi man zu der Kurve des Luftdruckes über, so sieht
man die beiden bekannten Maxima, auf die zuerst W, Ferrel hin-
gewiesen hat Der Unterschied zwischen dieser Art der Darstellung
und der gewöhnlichen, wie man sie z. B. in dem Lehrbuche von
Sprung findet, besteht nur darin, dass die Maxima weiter aus-
einander gerückt, und dass die Gebiete niedrigen Druckes auf engere
Räume zusammengedrängt erscheinen als dort.
Diese Art der Zusammenstellung der verschiedenen Elemente
enthüllt den zwischen ihnen bestehenden Zusammenhang in wahrhaft
überraschender Weise und beleuchtet klar die hohe Bedeutung der
Ferrelschen Luftdruckzonen.«
V. Bezold giebt auch eine Tabelle der holosphärischen Mittel-
werte, welche zeigt, dass sogar die auf ziemlich schwankender Grund-
lage ruhenden Mittel für Niederschlag und Bewölkung bei Zusammen-
fassung zu holosphärischen Mitteln einen auffallend regelmässigen
Verlauf zeigen.
Holosphftrisohe Mittelwerte.
sin 9
Strahlung
Luftdruck
Temperatur
S. B.
Niederschlag
Bewölkung
0.9
189.8
749.8
— —
67
__
0.86
215.8
52.6
0.8 0.1
77
67
0.8
287.0
54.9
8.8 8.8
85
68
0.75
255.6
57.4
6.7 6.7
87
61
0.7
272.2
59.4
9.9 9.9
82
57
0.65
286.7
60.9
12.6 12.6
75
58
0.6
299.4
61.8
15.0 15.1
68
50
0.55
811.0
62.4
17.2 17.7
68
46
0.5
821.0
62.8
19.4 19.5
68
44
0.45
830.1
62.1
21.4 21.0
64
42
0.4
837.6
61.4
22.7 22.6
67
42
0.85
844.8
60.5
24.0 28.9
75
44
0.8
849.8
59.8
24.7 25.0
98
46
0.25
854.8
59.2
25.2 25.8
144
49
0.2
858.6
58.9
25.6 26.2
178
52
0.15
861.9
58.4
25.7 26.5
186
55
0.1
868.6
58.2
25.9 26.6
191
57
0.06
864.8
58.1
25.9 26.6
198
58
0.0
365.2
758.0
25.9 26.6
195
58
KUmatologie. 365
Die Zahlen für die SonnenstraMung (D) und die Müteltemperatur t
xeigen einen solchen Verlauf, daes sie sich durch eine empirische
Formel verknüpfen lassen« und v. Besold findet als letztere:
t = — — 42.5.
5.2
Diese Formel zeigt für die Zone von 20 — 50^, d. h. für 0.6
der ganzen Erdoberfläche eine sehr befriedigende Darstellung. »In
der Aquatorialzone sind die berechneten Temperaturen höher als die
beobachteten. Dies ist unzweifelhaft die Folge der hohen Bewölkung,*
die ja in niedrigen Breiten die Temperaturen herabdrückt, sowie des
früher angedeuteten Einflusses ^) der zusammengesetzten Konvektion,
wodurch Wärme aus dieser Zone auf die beiden sie einsddiessenden
Gürtel übertragen wird, so dass die Temperaturen in der eigentlichen
Aquatorialzone tiefer, in den beiden benachbarten Zonen aber höher
sein müssen, als man nach den Strahlungsverhältnissen vermuten
sollte. Da die Bewölkung in hohem Breiten die Ausstrahlung hindert,
80 wird man es diesem Umstände zuzuschreiben haben, wenn die
Temperaturen jenseits des 50. Grades höher sind, als man es nach
der Formel erwarten sollte.«
Die Formel giebt mithin die wirklich stattfindenden Verhältnisse
mit geradezu überraschender Genauigkeit wieder.
Das Ergebnis lässt sich demnach zusammenfassen wie folgt:
»Einer Änderung von 5.2 Thermaltagen beim Obergange von
einem Parallelkreise zu einem andern entspricht eine Änderung der
Mitteltemperatur um 1^ G.«
Ein grosser Vorzug der v. Bezoldschen Art der Darstellung
liegt auch darin, dass die Gesamtstrahlung, welche einer beliebig
ausgewählten Zone an dem betreffenden Tage zukommt, jederzeit
durch die Fläche dargestellt wird, welche von dem zugehörigen
Stücke der Kurve, der Anfangs- und Endordinate und dem dazwischen
liegenden Stücke der Abscissenaxe begrenzt wird.
»Verwandelt man nun diese Flächen, sei es mit Hilfe eines
Planimeters oder an der Hand der nach Sinusargumenten fort-
schreitenden Tabellen, durch mechanische Quadratur in Rechtecke,
so geben die Vertikalseiten dieser Rechtecke die mittlem Strahlungs-
summen für die ganze Erde, und ähnlich verhält es sich natürlich
mit allen Elementen, die sich in entsprechender Weise darstellen
lassen.
Durch Anwendung dieses Verfahrens auf die unter D stehenden
Zahlen der Tabelle I erhält man als mittlere Strahlungssumme im
Jahre den Wert 299.3 oder rund 300 Thermaltage. Denkt man sich
mithin die im Laufe eines Jahres der gesamten Erdoberfläche von
^) Sitzungsber. d. Preuss. Akad. d. Wissensch. 1900. p. 871.
866 Klimatologie.
der Sonne gelieferte Energie gleichförmig über diese Flache verteilt,
so trifft auf jedes Flächenelement so viel, wie auf ein gleich grosses
Flächenelement am Äquator in 800 mittlem Äquatorialtagen. Man
kann mithin auch ungemein leicht jene Breiten angeben, welche im
Jahre gerade jene mittlem Strahlungssummen erhalten. Man hat
nämlich nur in den Tabellen jene Stellen aufzusuchen, an denen
D = 300 ist. Diesen Wert findet man bei sin 9? = 0.6, oder
wenn man interpoliert , noch genauer bei sin 9 = 0.604 , d. h.
hei (p= ± 37» 9'.
Die zwischen den ParaUelkreisen 87» 9' Nord und Süd gelegenen
Punkte der Erdoberfläche, bezw. der obem Grenze der Atmosphäre
erhalten demnach mehr als die mittlere Strahlensumme, die polwärts
von ihnen gelegenen weniger.
Aus diesem Orunde kann man die beiden Parallelen passend
als die > Strahlungsnormalen < oder auch als »Mittellinien der Sonnen-
strahlung« bezeichnen.
Da nun überdies die Sinusse den Oberflächen der zugehörigen
Zonen proportional sind, so folgt unmittelbar, dass 0.604, d. h.
rund »/j^j oder '/^ der Erdoberfläche »mehr« und '/^ »weniger« als
die mittlere Strahlensumme im Jahre von der Sonne erhalten.
In ähnlicher Weise kann man aus der nämlichen Tabelle die
»Temperatumormalen« oder die »Mittellinien der Temperaturen« ent-
nehmen, indem man jene Breitenkreise aufsucht, die gerade die
Mitteltemperatur der ganzen Erde, nämlich 15», aufweisen.
Man findet diese auf der nördlichen Halbkugel bei sin 97 = 0.62,
d. h. bei <p = 38» 18' und auf der südlichen bei sin 9? = 0.57,
d. h. bei 9? = 35» 0^ so dass also auch wieder innerhalb eines
Ringes, der 0.6 der ganzen Erdoberfläche bedeckt, Temperaturen
herrschen, die über dem Durchschnitte liegen, während sie ausserhalb
desselben, also auf den zusammen 0.4 der Gesamtoberfläche ein-
nehmenden polaren Segmenten unterhalb des Mittelwertes bleiben.«
Druck von Robert Noske, Borna -Leipzig.
JAHRBUCH
der
Astronomie und Geophysik.
Enthaitend die wichtigsten Fortschritte auf den (Gebieten
der
Astrophysik, Meteorologie nnd pliysikalischen Erdkunde.
Unter Mitwirkung von Fachmännern
herausgegeben
yon
Prof. Dr. Hermann J. Klein.
XIT. Jahrgang 1903.
Mit sechs Tafeln.
EDUARD HEINRICH MAYER
|K Verlagsbuchhandlung
Ldpzif 1904.
Inhaltsübersicht
Seite
Inhaltsübersicht III— Vm
Astrophysik.
Sonne 1—21
Die Fleckentätigkeit der Sonne im Jahre 1902, von Prof. Wolf er 1
Die Verteilung der Flecken, Fackeln und Protaberanzen in den
Jahren 1893 bis 1896, von Prof. Wolfer 3
Die mittlem täglichen Flächengrößen der Sonnenflecke, für jeden
Grad heliographischer Breite in den Jahren 1874 bis 1902,
nach photographischen Aufnahmen auf der Sternwarte zu
Greenwich 7
Die Sonnenflecke und die magnetischen Schwankungen, beobachtet
zu Kew in den Jahren 1890—1900, von Ch. Ghree .... 9
Über den Zusammenhang der elfjährigen Sonnenfleckenperiode
mit der Bewegung des Jupiter, von H. Kloht 9
Über die etwaige Beziehung der Sonnenfackeln zu den Protu-
beranzen, von A. Mascari 11
Vennutete Identität von Fackeln u. Protuberanzen, von E. Tringali 12
Über eine Beziehung zwischen den Sonnenprotuberanzen und dem
Erdmagnetismus, von Lockyer 18
Die spektroskopischen Ergebnisse der Beobachtungen der Sonnen-
nnstemis vom 28. Mai 1900, zusammengestellt von J. Evershed 17
Die neuen Gase, Neon, Argon, Krypton und Xenon, in der Chromo-
sphäre bei Gelegenheit der totalen Sonnenfinsternis vom
18. Mai 1901 auf Sumatra, von S. A. Mitchell 18
Die periodischen Veränderungen der Sonnenkorona 19
Über den wahrscheinlichsten Wert der Sonnenparallaxe, von Boris
Weinberg 21
Planeten 21-42
Planetoidenentdeckungen im Jahre 1902, von Paul Lehmann . . 21
Die Neiffungen der Hotationsachsen der Planeten gegen ihre
Babnebenen, von Prof. W. H. Pickering 23
Die Rotationsdauer der Venus, von Prof. Schiaparelli .... 24
Die Beobachtungen des Mars in den Jahren 1896 und 1897 auf
der Lowellstemwarte zu Flagstaff und zu Tacubaya ... 24
Die südliche Polarkalotte des Mars, von Prof. Bamard .... 33
Eme Wolke auf dem Mars 83
Die Marskanäle als optische Täuschungen 83
Der Lichtwechsel der Jupitermonde beim Vorübergange vor der
Jupitersoheibe, von H. Kloht 36
Heller Fleck auf der Satumkugel 41
Der Durchmesser des Satummondes Titan, von W. J. Hussey . . 41
Der transaeptonsche Planet, von W. Lau dl
rv Inhaltsübersicht.
Seite
Der Mond 42-44
Der Dorohmesser des hellen Fleckes um den Krater Linne. . . 42
Heller Punkt in der Nachtseite des Mondes, von Prof. William
H. Pickering 43
Die Mondfinstenu^ am 11.— 12. April 1903 43
Kometen 45—60
Die Kometenerscheinungen des Jahres 1902, von Prof. H. Kreutz 45
Die scheinbaren Besaehnngen zwischen den heliozentrischen
Perihelbreiten und den Periheldistanzen der Kometen, von
Dr. J. Holetschek 47
Photographische Aufnahmen des Kometen b 1902 auf der Lick-
stemwarte, von R H. Curtiß 48
Transparenz des Kometen b 1902 49
Komet c 1908 (Borrelly) 49
Die mechanische Theorie der Kometenerscheinungen, von Prof.
Th. Bredichin 50
Sternsohnuppen und Meteoriten 60—85
Stemschnuppenhäufigkeit, von ProL Wolf 60
Bahnbestimmung des Meteors vom 27. Februar 1901 61
Die große Feuerkugel vom 16. November 1902, von Dr. F. Koerber 61
Das Meteoreisen von N'Goureyma im Sudan, von E. Cohen . . 63
Die Meteoritenfälle in Europa, Kleinasien und den afrikanischen
Küstengebieten des Mittelmeeres, von H. Boinitz .... 64
Fixsterne 86-148
Statistik der Sterne in der Zone von -j- 65 bis + 70® nördl. Dekli-
nation, nach den Aufnahmen für die photographische Himmels-
karte auf der Sternwarte zu Greenwich 85
Bestimmungen der Parallaxen von 10 Sternen 1. Größe an der
nördlichen Himmelshälfte, von W. L. EUdn 86
Die Parallaxe des Doppelstems ^ Equulei 86
Untersuchunffen über den Lichtwechsel des Algol von A. Pannekoek 88
Über die Lichtkurve von fi hytaj&t von W. Stratonow 94
Das Spektrum des Veränderlichen o Ceti (Mira), von J. Stebbins . 96
DerVeränderüche 10. 1903 Lyrae 99
Der Veränderliche SS Cygni, von E. Hartwig 100
Veränderlichkeit von a Orionis, von W. H. Robinson 101
Der Begleiter des Polarsternes als veränderlicher Stern .... 101
Ein neuer Veränderlicher von außergewöhnlich kurzer Periode . 108
Die veränderlichen Sterne des Orionnebels, von Prof. M.Wolf . 106
Die veränderlichen Sterne im Sternhaufen <o Gentauri .... 107
Bin neuer Katalog der veränderlichen Sterne 112
Der Farbenwechsel von a Ursae, von H. E. Lau 125
Die Helligkeitsbeobachtungen über die Nova Persei 1901 ... 127
Das Spektrum des Nebels um die Nova Persei 129
Die Nova Geminorum 1903 129
Ein Verzeichnis von 100 neu entdeckten und vermessenen Doppel-
stemen, von W. J. Hussey 133
Messungen von 117 neuen Doppelstemen, von B. G. Aitken . . 134
Die Bahn von £ Bootis, von vv. Doberck 134
Die Bahn des Donpelstemes • Hydrae, von Aitken 134
Die radialen G^eschwindigkeiten von 20 Sternen mit Spektren des
Oriont]rpus 135
Ein Stern mit großer Radialbewegung, von H. M. Reese .... 136
Fundamentalsteme zur Bestimmung der radialen Geschwindigkeiten 135
Inhaltsübersicht V
Seite
Spektroskopisohe Doppelsteitie 186
Die Bahnverhältnisse des spektroskopischen Doppelstemes 17 Orionis 145
Die HelligkeitsYerteiiuBg in der Milcnstraße verglichen mit der Ver-
teilung der in der nördlichen Milchstraße stehenden Sterne
der Bonner Durchmusterung, von C. Baston 146
Nebelflecke 148-159
Photographische Aulnahmen kosmischer Nebelflecke, von I. Roberts 148
Eine Eigentümlichkeit der großen Nebelflecke, von Prof. Dr. M. Wolf 149
Untersuchungen über die Gruppierung der Nebelflecke, von Prof.
M.Wolf 152
Geophysik.
Allfiremeine Eigenschaften der Erde 160--164
Ober die Polhöhenschwankung, von Dr. R. Schumann .... 160
Die Messung des Erdbogens zwischen der Fundy-Bai und dem Golfe
von Mexiko 161
Schwerebestimmungen in Württemberg 163
Bestimmung der Schwerkraft auf dem Atlantischen Ozeane, von
Prof. Dr. Hecker 164
Über die Reduktion der auf der physischen Erdoberfläche
beobachteten Schwerebeschleunigungen auf ein gemeinsames
Niveau, von Prof. Hehnert 164
Oberfläohengestaltunff 165—182
Gesetzmäßig wiederkehrende Hohenverschiebungen von Nivelle-
mentsfestpunkten, von W. Seiht 165
Die Felsbildungen der sächsischen Schweiz, von A. Hettner . . 165
Ober Bergstürze im norddeutschen Flachlande, von Prof. Jentzsch 168
Ober die Entstehung und Wanderung der Dünen, von 0. Basohin 169
Der Untergrund von Venedig, von Dr. Ochsenius 169
Ein merkwürdiger Fall von Erosion durch Stauhocbwasser bei
Schmarden in Kurland, von Dr. B. Doß 171
Ober das Relief von Norwegen, von H. Reusch 173
Die geomorphologischen Verhältnisse Ostasiens 174
Boden- und Erdtemperatur 188
Ober die Beeinflussung der geothermischen Tiefenstufe, von J. F. Hoff-
Erdmacmetlsmus 188—193
Ein Atlas des Erdmagnetismus für die Epochen 1600, 1700» 1780,
1842 und 1915, von Dr. H. Pritsche 183
Die Bedeutung der magnetischen Vermessung eines ganzen Parallel-
kreises zur Prüfung der Grundlagen der Gkiussschen Theorie
des Erdmagnetismus, von W. v. Bezold und A. Schmidt . . 186
Die Lehre von dem Wesen und Wandern der magnetischen Pole
der Erde, von Dr. E. H. Schütz 188
Die erdmagnetischenVerhältnisse auf Bomholm, von Prof. A. Paulsen 191
Die magnetische Inklination in vorgeschichtlicher Zeit .... 193
Erdbeben 194-226
Die Erdbebenforschung im deutschen Reiche 194
Messungen der Bodenbewegungen bei einer Sprengung auf dem
Sehießplatze Cummersdon, von Prof. 0. Hecker 195
VI Inhaltsübersicht
S«lt6
Das Erdbeben von Ceram am 80. September 1899, von Prof. E. Radolph 196
Das Erdbeben von Schemacha am 18. Febr. 1902, von F. Anderssonn 200
Das Erdbeben von Saloniki am 5. Juli 1902, von Prof. R. Hoemes 201
über die Erdbeben an der Küste Guatemalas im Jahre 1902 und
deren Folgeerscheinungen 208
Das Erdbeben im Vogtlande und dem nordwestlichen Böhmen im
Jahre 1908, von Prof. Dr. Diener 206
Über die Natur der Bodenbewegungen in großen Entfernungen von
dem Erdbebenherde, von Prof. Milne 209
Erdbebenherdlinien, von E. G. Harboe 210
Die ersten Resultate der Beobachtungen am Pendelseismographen
im Pribramer Bergwerke, von Dr. H. Benndorf 218
Die mikroseismische Pendelunruhe und ihr Zusammenhang mit
Wind und Luftdruck, von E. Mazelle 216
Ober die Ursachen der Erdbeben, von Prof. Branco 218
Vulkanismus 226-269
Der Ausbruch des Vesuv im Frühjahre 1908, von Prof. G. Mercalli 226
Besuch des Mont Pele, von Dr. K. Sapper 228
Die vulkanischen Vorgänge auf Martim^ue nach dem Ergebnis der
französischen geologischen Expedition, von A. Lacroiz . . 281
Die Wirkungsweise und das Wesen der vulkanischen Vorgänge des
Jahres 1902 auf den westindischen Inseln, von Dr. A. Stübel 284
Ersteigung des Puy de Dome, von Dr. P. Verbeek 246
DieViukane bei Karabunar im südöstlichen Kleinasien, von F. Schafler 246
Die vulkanischen und seismischen Vorgänge im Ostindischen Ar-
chipel während des Jahres 1901 247
Ausbruch eines Inselvulkans im Golfe von Tomini 248
Die tätigen Vulkane auf den Philippinen 262
Der vulkanische Ausbruch auf Sawaji 262
Die Eruption des Vulkans auf Toroshima in Japan im August 1902 268
Der Vulkan Izaico, von Dr. K. Sapper 266
Die Vulkangebiete in Chile und Araentinien, von Prof. R. Hauthal 266
Ober die Vuuane des nordwestlichen Patagoniens, von Dr. H. Steffens 267
Vulkanische Aschenfälle im Nordatlantischen Ozeane 868
Inseln 260—271
Die Insel Grimsey, von Th. Thoroddsen 260
Die geographische Stellung der Azorengruppe, von Prof. R. Sieger 260
Die Gilbertmsebi, von M. Präger 262
Cber die Marianen, von H. Seidelberg 264
Die Insel Ponape der Karolinengruppe, von K£4>itän M. Prager . 286
Die Insel Nauru der Marshalk^ppe, von Fr. Hemsheim . . . 267
Danunriffe und Atolle, von Alex. Agassiz 269
Das Meer 271-279
Eine Terminologie der wichtigsten tmterseeischen Bodenfonnen . 271
Die Beobachtung der Meereswellen 278
Die Stromversetzungen auf den internationalen Dampferwegen
zwischen dem Englischen Kanäle und New-York, von Prof.
Dr. Schott 274
Der Landverlust an der mecklenburgischen Küste, von E. Geinitz 276
Quellen und Höhlen 279-292
Quellen am Meeresgrunde, von Dr. F. J. Fischer 279
Die intermittierende Ldndwurmquelle bei Laibach, von W. Putiok 266
lahaltsaberaioht VII
Seite
ünterauchunffen über die Abnahme der Qnelleiitemperatiir mitS|
der Hone im Gebiete der mittlem Donau und des Inn, yon)B
Dr. P. V. Kemer 5287
Die Änderungen des Grundwasserstandes in Brunn, von J. Ldznar 288
Eine Theorie der Kohlensäure führenden Quellen, von Professor ^;
F. Henrich 289
Über die Entstehung und die Rolle des Erdöles, von H. Hofer . 290
Die Höhle von Padirac, von B. A. Martel und E. Fugger ... 291
Flüsse 292--816
Die Flußdichte im Eibsandsteingebirge und dessen nordöstlichen
Nachbargebieten, von Dr. G. Feldner 292
Weser und Ems, ihre Stromgebiete und ihre wichtigsten Neben-
flüsse, von G. Keller 295
Die Beziehungen zwischen Niederschlag und Abfluß in Mittel-
europa, von Prof. W. üle 810
Die Ausbildung des Rheintales zwischen dem Neuwieder Becken
und der Köhi-Bonner Bucht, von Dr. Kaiser 811
Die Entstehungsgeschichte des Rheines, von Schulz-Briesen . . 818
Die Veränderungen des Afississippideltas von Warren Upham . . 814
Das Mündungsgebiet des Orinoco 814
Veränderungen im Laufe des Hilmend, von P. M. Sykes . . . 815
Seen und Moore 816—885
Ober den Untergrund norddeutscher Binnenseen, yon Dr. Jentzsch 816
Der Schillingsee im Preußischen Oberlande, von G. Braun . . . 819
Das Seengebiet des nordwestlichen Rußland, von S. Tschulok . 819
Der Karaboghazbusen des Kaspisees, von A. Woeikof .... 822
Der Aralsee, von L. Berg 824
Der Tsohadsee, von Destenave 826
Die Seen in Tibet, von Dr. Sven v. Hedin 827
Die Moorgebiete Österreichs, von Dr. W. Bersch 881
Gletscher- und Glazialphysik 886—840
Die periodischen Schwankungen der Alpengletscher, von F. A. Forel 886
Die Bewegungen des Pasterzegletschers in den Jahren 1900, 1901
und 190^, von Dr. H. Angerer
Über den Schuttinhalt von Innenmoränen, von H. Heß ....
Die Gletscherbildungen in den Anden von Ecuador, von Prof.
Dr. H. Meyer 887
Die antarktische Eismauer 888
Die Beziehungen des alten Rheinlaufes zum Inlandeise, von J.Lori6 889
Die Lufthülle Im allgemeinen 840—860
Die Mengen der neuentdeckten Gase in der Atmosphäre, von
Ramsay 840
Die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft in verschiedenen
Höhen 840
Die Schwankungen der mittlem Lufttemperatur der Erde, von
Charles Nordmann 841
Lufttemperatur 841—848
Der antarktische Kältepol 841
Die Wärmeabnahme mit der Höhe an der schottischen Westküste,
von W. N. Shaw und W. H. Dines 842
Temperaturumkehrungen in der Höhe der Atmosphäre, von
Prof. R. Assmann 848
Die vertikale Wärmeleitung m der Atmosphäre, von A. Schmidt 847
Vin Inhaltsabenioht.
Seite
Luftdraok 349—660
Der hohe Luftdraok über Sibirien, von L. G. Danilow .... 848
Wolken 350-851
Morphologie der Wolken des aufsteigenden Luftstromes, vonK. Mack 860
Niedersohlägre und Verdunstungr 852—858
Die Periodizität der Niederschläge, von William J. S. Lookyer 852
Luftbewegrunff, Winde und Stürme 854—862
Untersuchungen über die allgemeine Bewegung in der Erdatmo-
sphäre auf Grund der Cirrusbeobachtungen , von H. Hilde-
brandsson 853
Über die Bewegungen der Zyklone und Antizyklone, von John
Aitken 880
Die Luftströmungen auf dem Gipfel des Säntis und ihre jahr-
liche Periode, von Prof. Hann 861
Elelctrlsche Lufterscheinunfiren 862—864
Die Elektrizitätszerstreuung in der Atmosphäre, von Professor
Dr. Czermak 862
Untersuchungen über die Schadenblitze in Ungarn, von L. v. Szalay 868
Optische Ersohelnunfiren der Atmosphäre .... 864—866
Außergewöhnliche Dämmerungserscheinungen im Jahre 1902,
von Prof. M. Wolf 864
Ober Luftspiegelungen in Ungarn, von P. J. F6nyi 865
laimatolofirie 866-868
Eine kartographische Darstellung der Sonnenscheindauer in
Deutscmand, von Dr. A. Eichhorn 866
Verzeichnis der Tafeln«
Tafel I: Der Komet b, 1902 (Perrine) nach photographischen Aufnahmen auf
der Lick-Stemwarte.
. n: Der Veränderliche 10 1908 in der Leyer. Photographische Auf-
nahme von Prof. M. Wolf.
. IQ: Lichtkurve der Nova Persei Nr. 2.
„ IV: Magnetische Karte der Erde. Linien gleicher magnetischer Dekli-
nation (Isogonen) für das Jahr 1915. Entworfen von Dr. H. Pritsche.
. V: Linien gleichen mittlem Luftdruckes in 4000 m Höhe im Januar
und Juli 1891 nach Teisserence de Bort.
. VI: Die geographische Verteilung der tödlichen Blitzschläge in Ungarn
1897—1901, zusammengestellt von Ladislaus von Szalay.
Astrophysik.
Sonne.
Die Fleekentätigrkelt der Sonne im Jalire 1902. Wie
seit Jahren so hat Prof. Wolfer in Zürich die Verfolgung der Flecken-
tatigkeit auf der Sonne im Jahre 1902 znm Oegenstand seiner be-
sondem Aufmerksamkeit gemacht. Die Ergebnisse derselben hat er
unlängst veröffentlicht Sie beruhen in der Hauptsache auf den an
der Züricher Sternwarte von Prof. Wolf er und dem Assistenten Broger
gemachten Beobachtungen, die sich zusammen auf 263 Tage des
Jahres 1902 erstrecken. Dazu kommen achtzehn fremde Beobach-
tungsreihen, welche die Züricher Beobachtungen ergänzen und die
Statistik zu einer alle Tage des Jahres umfassenden, lückenlosen
machen. In der nachfolgenden Tabelle sind die Resultate, welche Prof.
Wolf er gefunden, zusammengestellt, und zwar für die einzelnen Monate.
Es bezeichnet darin n die Zahl der Beobachtungstage, m die Zahl
der fleckenfreien Tage, r die berechneten Relativzahlen der Sonnen-
flecken.
1902
n
m
r
Januar
81
20
5.2
Februar
28
28
0.0
März
81
17
12.4
April
80
31
80
20
0.0
mL : . .
2.8
Juni
30
25
1.4
Juli
31
31
28
22
0.9
August
2.8
September
30
18
7.6
Oktober
81
4
16.8
November
80
17
10.3
Dezember
31
28
1.1
Jahr
865
267
5.0
Das Jahresmittel r =^ 5.0 weist zwar gegenüber 1901 (r »s 2.7) nur
eme geringe Zunahme auf, und auch die Zahl der fleckenfreien Ta^e ist
nur um 80 gesunken, indessen ist doch aus beiden, in Verbindung mit den
in der zweiten Hälfte des Jahres beträchtlich angewachsenen Monatsmitteln
Klein, Jahrbaoh XIV. 1
2 Sonne.
zu schließen, daß die Tätigkeit im Jahre 1902 entschieden gestiegen, das
Minimum also sicher überschritten ist; die seitherigen Beobachtungen ans
der ersten Hälfte von 1908 bestätigen dies. Die genaue Berechnung Prof.
Wolfers läßt darin keinen Zweifel mehr übrig; jedoch tritt nicht bloß
ein Minimum auf, sondern es sind deren zwei vorhanden, »das eine mit der
Relativzahl 2.8 um Mitte 1901, das andere mit 2.6 Anfang 1902, beide durch
ein leichtes, aber entschiedenes Ansteigen und Wiederabfallen der Zahlen
in der 2. Hälfte 1901 voneinander getrennt. Diese vorübergehende Zunahme
ist nun, yvie die Durchsicht der in Zürich beobachteten Fleckenpositionen
aus dem Jahre 1901 ergibt, zum Teil schon durch Flecken hoher Breite
bewirkt, die also bereits der neu beginnenden Tätigkeitsperiode angehören.
Es hat somit die abgelaufene Periode nicht erst nach dieser kleinen Zunahme
ihr Ende erreicht, sondern es würde das der letztem vorangehende erste
Minimum mit ebensoviel Grund wie das nachfolgende als eigentliche Minimal-
epoche betrachtet werden dürfen; der Unterschied von 0.2 Einheiten in den
beiderseitigen Relativzahlen ist selbstverständlich viel zu gering, um irgend-
welche Bedeutung für eine Wahl zwischen den beiden Teiäainima zu haben,
da er durch bloße ZufiUjgkeiten in den. Beol^aobtungen ebenso leicht in
sein Gegenteil verkehrt werden konnte. Sonach wird es das Richtige sein,
beiden Reiches Gewicht zu geben und ihr Mittel als mittlere Mimmums-
epoche anzusehen. Da das ei^te Minimum auf Anfang Juni 1901 — die
ausgeglichenen Relativzablen gelten je für die Mitte des Monats — d. h. auf
1901.41, das zweite auf Mitte Januar 1902, also auf 1902.04 fäUt, so folgt
als Epoche des Hauptminimums 1901.7. Sie stimmt genau mit derjenigen
überem, welche kürzlich Prof. Mascari aus seinen Fleckenbeobachtungen in
Gatania abgeleitet hat. Mit der ihr vorangehenden von 1889.6 ergibt sie
eine Länge der eben abgelaufenen Periode von 12.1 Jahren« d; h. ein volles
Jahr mehr als den Mittielwert 11.12 Jahre.,
Die Schwankungen der Fleckenkürven während des Jahres zeigten
sich auch jetzt wieder weni|^ns teilweiiie abhängig vH^n der Verteilung
der Fleckengebiete nach heliogranhiscbßr , Län^e in Verbindung mit der
Rotation der Sonne. >Die beiden kleihen Maxima im Januar und März haben
innerhalb der zugehörigen Rotationsperioden ähnliche Lage, d. h. entsprechen
ungefähr der gleichen Kotationsphase, steheA aber dennoch in keiner direkten
Verbindung, da das erste in der Hauptsache von einer großem Flecken-
gruppe der südlichen, das zweite von einer ebensolchen der nördlichen
Halbkugel, aber in der Nähe des gleichen Meridians liegenden herrührt
Auch die niedere Anschwellung im Mai fällt wieder nahe auf die gleiche
Rotationsphase wie die beiden ersten und stammt von einer Fleckengruppe
der südlichen Halbkugel von nahe derselben heliographischen Länge wie
die vorerwähnten. Es ergibt sich, daß in dei* Tat m der 1. Haute des
Jahres alle Fleckenbiklu4gehi sich auf die eine Halbkugel der Sonne zwischen
0 und 180 ^ Länge verteilten, währeud die gegenüberliegende gänzlich frei
blieb. Vom Juli ab begann dagegen die Tätigkeit auch in cueser zu er-
wachen und entwickelte sioh insbesondere in dem Gebiete zwischen 260 und
900* Länge, dem die 4 Erhebungen der Fleckenkurve je in der 2. Hälfte der
Monate September, Oktober^ November und Dezember entsprechen ; sie sind
durch eine Anzahl Bleckengruppen hervorgebraohtt die sich annähernd um
den gleichen Meridian herum, teils in der Nord-, teils in der Südhalbkugel
gruppiert hatten; diejenige von Mitte Oktober dagegen entspricht einer
Fleckengruppe auf der entgegengesetztMi Seite der Sonne. Von der in
frühem Jahren mehrfach erwähnten Verteilung der Tätigkeitsgebiete auf
diametral gegenüberliegende Meridiane der Sonnö scheinen auch diesmal,
wenigstens für die 2. Hälfte des Jahres Andeutungen enthalten zu sein ;
indessen gibt das Fleckenphänomen allein, ohne die Hinzuziehung der
Fackelgebiete, ein zu unvollständiges Bild von dcir Verteilung der gesamten
Tätigkeit, als daß diese sich mit genügender Sioberbe^t daraus feststellen üeße.«
Sonne. 3
Die Vertellungr der Flecken, Fackeln und Protuberanzen
In den Jahren 1898 bis 1895. Auf der Züricher Sternwarte hat Prof.
Wolfer die dort seit Jahrzehnten gepflegten Beobachtungen der Oe-
bilde auf der Sonnenoberfläche fortgesetzt. Über diese Beobachtungen
und Untersuchungen liegen zur Zeit 8 Bände vor, in welchen die
Verteilung der Sonnenfleckphänomene in den Jahren 1887 bis 1895
im einzehien dargestellt ist. Der jüngste Band ^) behandelt die Jahre
1898 bis 1895, welche das letzte Tätigkeitsmaximum der Sonne ein-
schließen. Prof. Wolfer hat demselben eine Einleitung voraufgeschickt,
^welche die Ergebnisse der Beobachtungen gemäß seinen Unter-
suchungen darlegt, und der das folgende entnommen ist
Die Angaben beruhen größtenteils auf den Beobachtungen zu
Zürich; zur Vervollständigung der durch bewölkten Himmel aus-
^fallenen Aufzeichnungen wurden solche aus Rom, Gatania und
Odessa benutzt. Im ganzen wurden 1898 an 828, 1894 an 840,
1895 an 336 Tagen Beobachtungen erhalten, so daß man wohl von
erschöpfender Vollständigkeit derselben sprechen kann. Die Ergeb-
nisse der Beobachtungen sind in einem Verzeichnis der berechneten
Positionen der Flecken, Fackeln und Protuberanzen auf der Sonnen-
oberfläche mitgeteilt, dann in heliographischen Karten niedergelegt,
von denen jede eine Rotationsperiode der Sonne umfaßt.
»Wie gewöhnlich,« bemerkt Prof. Wolf er, »sind unter den drei
Tätigkeitssymptomen die Fackeln das auffälligste ; keines der übrigen
kommt ihnen an Intensität, Beständigkeit und umfangreicher Aus-
"breitong gleich. In manchen Rotationsperioden bilden sie zu beiden
'Seiten des Äquators fast ununterbrochene Zonen; immerhin ist ihre
gruppenweise Anordnung auch hier, im Maximalstadium der Tätig-
keit, überall unverkennbar, und es macht in den meisten Fällen keine
'Schwierigkeiten, in den aufeinanderfolgenden Rotationsperioden die-
jenigen Fackelgruppen zu bezeichnen, die der Wiederkehr desselben
Tätigkeitsgebietes zuzuschreiben sind. Im aUgemeinen richtet sich
diese Gruppierung, wie bekannt, nach derjenigen der Fleckengruppen,
die von den Fackeln begleitet werden; ein charakteristischer Unter-
schied liegt aber in der sehr viel großem Ausdehnung, welche die
Fackelgruppen durchweg im Vergleiche zu den zugehörigen Flecken-
gruppen erreichen, und in der gleichmäßigem Entwicklung der ein-
zelnen Fackeln innerhalb jeder Gruppe. Manche von diesen erscheint
als ein umfangreicher zusammenhängender Komplex von gleichmäßiger
Dichte, über den eine ganze Anzahl von unter sich scharf getrennten
Fleckengruppen ohne irgendwelche Verbindung zerstreut sind. Da-
neben trifft man auch hier wieder zahlreiche Fackelgruppen, die zeit-
weise gar keine Flecken enthalten und dennoch durch mehrere
Rotationen hindurch in nahe unveränderter Stärke bestehen bleiben,
also neue Belege für die weit größere Beständigkeit der Fackeln im
*) Publikation der Sternwarte des Bidgen. Polytechnikums 8. Zur. 1902.
4 Sonne.
Vergleiche zu den Flecken liefern. Fälle, in denen die nnunterbrochene
Eidstenz einer solchen Fackelgmppe sich durch sechs, acht und mehr
Rotationen hindurch mit Sicherheit nachweisen läßt, gehören keines-
wegs zu den Seltenheiten.
Es ist bekannt, daß Fleckengruppen von hinreichend starker
Entwicklung sich gewöhnlich längs eines Parallelkreises auf der
Sonne anordnen und senkrecht zu diesem eine verhältnismäßig geringe
Ausdehnung haben. Ähnliches zeigt sich zwar auch bei den Fackel-
gruppen, aber die Entwicklung in der Richtung der heliographischen
Breite ist hier im Vergleiche zu derjenigen in Länge eine viel stärkere
als dort und erreicht in vielen Fällen 20, 30 und mehr Grade. Ver-
mutlich steht hiermit die häufig wahrzunehmende Eigentümlichkeit
in Verbindung, daß bei manchen Fackelgruppen die größte Längen-
ausdehnung nicht, wie eben bemerkt, in die Richtung des Parallels
fällt, sondern gegen diesen geneigt ist, und zwar in der nördlichen
Halbkugel von Südwest gegen Nordost, in der südlichen dagegen
von Nordwest gegen Südost. Es liegt darin wohl nur eine einfache
Konsequenz des Rotationsgesetzes der Sonnenoberfläche. Die Unter-
suchungen von Stratonoff ^) über die Bewegungen der einzelnen
Fackeln selbst, ebenso die von mir^ gefundenen Resultate hinsicht-
lich der Bewegung der Fackelgruppen, und die Anschauungen, zu
denen P. Sidgreaves ") auf Orund der Sonnenbeobachtungen in Stony-
hurst über die gleiche Frage gelangt ist, stimmen darin überein, daß
das Rotationsgesetz sich mit geringen Abweichungen ebensowohl in
den Bewegungen der Fackeln, wie in denen der Flecken zu erkennen
gibt. Alsdann ist die obige Erscheinung leicht zu erklären. Die
Objekte in den hohem Breiten haben einen kleinem Rotations-
winkel als jene in der Nähe des Äquators; sie bleiben also nach
und nach gegenüber den letztem in heliographischer Länge zurück.
Eine Fackelgruppe, die im Anfange ihrer Existenz gewöhnlich einen
mehr oder weniger abgemndeten Komplex von annähemd gleicher
Ausdehnung in allen Richtungen bildet, wird im Laufe der Zeit
vermöge der verschiedenen, in hohem Breiten kleinem, in niedem
Breiten großem Rotationsgeschwindigkeit ihrer Bestandteile in die
Länge gezogen, und die Richtung ihrer größten Ausdehnung neigt
sich hierbei mehr und mehr vom Meridian weg gegen den Parallel-
kreis hin, — in der Nordhalbkugel in nordöstlichem, in der Südhalb-
kttgel in südöstlichem Sinne — desto stärker, Je länger die Fackel-
gmppe fortbesteht. Die Erscheinung wird um so auffallender hervor-
treten, je größer die Breitenausdehnung der Qmppe, und je höher
die mittlere heliographische Breite der Gruppe als Ganzes ist.
*) Astrou. Nachr. Nr. 327B und 3344.
') Diese Publikationen Bd. I und II.
•) Monthly Notices 55. p. 6.
Sonne. 5
Was die Protuberanzen betrifft, so bestätigen die heliographischen
Karten auch hier wieder, wenigstens soweit es sich um die gewöhn-
lichen Wasserstoffprotuberanzen handelt, deren gruppenweises Auf-
treten, nämlich ihre Anhäufung an gewissen Stellen in Gestalt von
mehr oder weniger langen Reihen, die sich meist dem Parallelkreise
entlang ordnen. Daß letzteres zum Teil auf die Art der Berechnung
<ier heliographischen Längen der Protuberanzen und die dadurch be-
<iingte Unbestimmtheit dieser Längen zurückzuführen ist, wurde
schon in der Einleitung zu Band I der »Publikationen« bemerkt
Die Ortsberechnung versetzt eine Protuberanz jederzeit an den schein-
baren Sonnenrand, obschon sie je nach ihrer Höhe auch vor und
nach dieser besondern Stellung sichtbar sein kann, ohne daß der
Beobachter zu erkennen vermag, wo sie wirklich steht. Die Rech-
nungsmethode aber schreibt ihr Tag für Tag die Länge des schein-
baren Sonnenrandes zu, die wegen der Rotation der Sonne veränder-
lich ist. In den Karten stellt sich deshalb auch eine einzelne isolierte
Protuberanz als eine Reihe von solchen dar, die annähernd gleiche
Breiten, aber sukzessive abnehmende Längen haben. Indessen steht
die Längenausdehnung solcher Gruppen in den meisten Fällen nicht
im Verhältnis zu den Höhen der betreffenden Protuberanzen, sondern
sie ist größer, als man nach diesen zu erwarten hätte, und es ist
also das Auftreten dieser Gruppen in der Hauptsache der Existenz
von wirklichen Protuberanzenzügen zuzuschreiben, die sich vorwiegend
den Parallelkreisen entlang anzuordnen scheinen, ähnlich wie es bei
den Flecken und Fackeln wahrgenommen wird. Es zeigt sich nun,
daß manche dieser Protuberanzengruppen von größerer Beständigkeit
sind, als man nach dem sonstigen Verhalten dieser Gebilde, nament-
lich in Anbetracht der auch bei einfachen Wasserstoffprotuberanzen
manchmal sehr großen Veränderlichkeit ihrer Formen, annehmen
möchte, und es gibt Fälle, wo solche Gruppen sich durch mehrere
Rotationen hindurch als fortbestehend nachweisen lassen. Der hier
behandelte Zeitraum enthält zwei merkwürdige Beispiele dieser
Art, nämlich 2 Gruppen von Wasserstoffprotuberanzen, die in sehr
hohen südlichen Breiten von ca. — 60 bis — 70^ in den Jahren
1893 und 1894 aufgetreten sind, und deren jede fast einJalir lang
ununterbrochen fortbestanden zu haben scheint. Die erste von ihnen,
in ca. — 60^ Breite, fiel in das Jahr 1898, und ihre Existenz läßt
sich in sämtlichen Rotationsperioden nachweisen. Die zweite lag
noch etwas naher am Südpol, ihre mittlere Breite betrug ca. — 70 ^
und sie wurde während 10 Rotationen beobachtet Die beiden
Gruppen stellen eine ganz isolierte Tätigkeitsäußerung dieser Art vor,
wie sie in so polarer Lage und zugleich solcher Stärke und Dauer
nur selten aufzutreten scheint Von den Hauptzonen, in denen die
Protuberanzen sich sonst dichter anzusammeln pflegen, sind sie durch-
aus scharf geschieden, denn es liegt zwischen ihnen und diesen
Hauptzonen ein etwa 20 ^ breiter Raum, der von Protuberanzen fast
6 Sonne.
gänzlich frei ist. Man hat es vielleicht nicht als einen Zufall an-
zusehen, daß sie sich zeitlich gerade um das Tätigkeitsmaximum von
1894 herum gruppieren; wenigstens findet sich unter dem seit 1887
hier bearbeiteten Material kein ähnliches Beispiel. Beide stellen sich
als ungewöhnlich lange Reihen von Protuberanzen dar, die 2u Zeitäh.
fast den ganzen Umfang der zugehörigen Parallelkreise bedeckte^.
In Wirklichkeit ist aber ihre Ausdehnung jedenfalls beträchtlich ge-
ringer gewesen; denn wegen der hohen Breite kommt hier die bereits
erwähnte Unbestimmtheit der heliographischen Längen viel mehr zuir
Oeltung, indem eine Protuberanz in der Nähe der Pole bei einiger-
maßen bedeutender Höhe — sie betrug in den vorliegenden PälleA
im Maximum 2^^' — lange vor und nach der Zeit ihres Überganges
über den scheinbaren Sonnenrand sichtbar bleiben, und also ihre
wahre heliographische Länge von jener des Sonnenrandes, die dem
Orte in der Karte zugrunde liegt, weit verschieden sein kann. f)a
die vorhandenen Beobachtungen keine großen Lücken aufweisen, und
also in jeder Rotation so ziemlich die ganze Sicbtbarkeitsdauer def
Protuberanzen beim Eintritte und Austritte am Ost-, bezw. Westrand^
der Sonne umfassen, so wird als der wirkliche Ort des Mittelpunkte^^
jeder der beiden Gruppen etwa diejenige heliographische Länge ab-
zunehmen sein, die der Mitte der Protuberanzreihe in der Karte ent-
spricht Beide Gruppen lassen nun eine Veränderung ihres Ortes ^iä
den aufeinanderfolgenden Rotationsperioden erkennen, die mit einer
gewissen Regelmäßigkeit stattgefunden hat und auf eine Art eigener
Bewegung hindeutet. Sie tritt besonders bei der 1. Gruppe, i^oiji
Jahre 1893, sehr deutlich zutage; es ist deshalb nur diese hier nälief
untersucht Die ganze Gruppe zeigt eine starke rückläufige Be-
wegung, nämlich eine sukzessive Abnahme der heliographischen
Länge, ähnlich wie sie für Flecken- und Fackelgruppen an zahl-
reichen Beispielen in den Beobachtungen von 1887 bis 1898 kon-
statiert worden ist.«
Diese Gruppe war übrigens schon 1892 auf der Sonne vor-
handen. Prof. Wolfer hat genauer die Beziehung der Protubei^zen
zu den Flecken- und Fackelgruppen während des in Rede stehenden
Zeitraumes von 1893 — 1895 untersucht. Er findet, daß von zu-
sammen 815 metallischen Protuberanzen, die in den vorliegenden
39 Rotationsperioden beobachtet waren, 274 d. h. fast 90^0 ^^
Fleckengruppen oder doch deren nächster Nahe lagen, 27 oder 10^/^
in Fackelgruppen, die keine Flecken enthielten, und nur 14 oder
ca. 5^/^ erscheinen gänzlich unabhängig von Flecken- und Fackel-
bildungen. »Die wohlbekannte Erscheinung, daß metallische Pro-
tuberanzen fast immer nur an solchen Stellen des Sonnenrandes, wo
gerade Fleckengruppen ein- oder austreten, gesehen werden, erhält
damit auf der Grundlage vollständiger heliographischer Ortsbestim-
mung beider Arten von Objekten ihre volle Bestätigung; an der
Richtigkeit der längst bestehenden Annahme, daß diese besondere
Sonne. 7
Art von Protuberanzen ihre Entstehung den bei der Fleckenbilduug
stattfindenden Prozessen verdanke, ist offenbar nicht zu zweifeln.
>Was die gewohnlichen, der Zahl nach weit überwiegenden
Wasserstoffprotuberänzen betrifft, so ist bei diesen eine ausschließ-
liche Beschrankung auf gewisse Zonen der Sonnenoberfläche, wie sie
fär die übrigen Tätigkeitsprodukt^ )^t, nicht vorhanden; man findet
sie wie immer gleichzeitig an allen möglichen Stellen bis in die un-
mittelbare Nähe der Pole, allerdings in sehr verschiedener Dichtig-
keit. Zu den beiden andern Tätigkeitsformen, Flecken und Fackeln,
stehen sie entschieden nicht in direkter örtlicher Beziehung. Wenn
auch in manchen Fackelgruppen zugleich Wiebsserstoffprotuberanzen
vorhanden sind, so liegen doch weitaus die meisten von diesen
außerhalb jener, und selbst da, wo Fackeln und Protuberanzen zu-
sammen auftreten, erhält man aus den Karten den Eindruck^ daß die
letztem meist in der Umgebung der erstem, an den Rändem der
Fackelgmppen, und nicht in diesen selbst stehen. Gerade die um-
fangreichsten und dichtesten Fackelgruppen sind meist ganz frei von
Protuberanzen, und Umgekehrt findet man sehr starke Ansammlungen
großer Protuberanzen, in denen nicht die geringsten Fftckelspuren
zu bemerken sind. Ganz besonders entscheidend sind in dieser Hin-
sicht die oben schon erwähnten Protuberanzengmppen in hohen Breiten,
wo Fackelbildung nur in Spuren vorkommt, Fleckenbildung aber
jederzeit gänzlich fehlt. Es kann also nur wiederholt werden, daß
eine direkte nahe Beziehung der Wasserstoffprotuberänzen zu den
Flecken und Fackeln nicht existiert; noch viei^ weniger kann an eine
Identität von Fackeln und Wasserstoffprotubeftozen gedacht werden,
obiBchon sie mehrfach behauptet worden ist und auch jetzt noch
nicht aufgegeben zu sein scheint Wasserstoffprotuberänzen sind allem
Anscheine nach eine selbständige Klasse von Sonnenphänomenen, die
nur dem aUgemeinen periodischen Häufigkeitswechsel wie alle andern
unterliegen, im übrigen aber von diesen ganz unabhängig auftreten.«
Die Beobachtungen von 1887 bis 1893 haben hinsichtlich der
Verteilung der Flecken und Fackeln nach heliögra^hischer Länge zu
dem Resultate geführt, daß diese beiden Tätigkeitsformen während
des genannten Zeitraumes sich liii großen und ganzen dauernd um
2 Meridiane der Sonne herum anhäuften, die einander annähernd
diametral gegenüberlagen, jedoch im Laufe der Zeit gemeinsame Ver-
schiebungen in heliographischer Länge erfuhren.
Eine ähnliche vorläufige Untersuchung für die Zeit von 1893
bis 1895 ergab keine so deutliche Anhäufung wie gewisse Punkte,
wenngleich doch einige Andeutung zu solchen.
Die mltüera täglichen Fläehengrrößen der Soimenfleeket
für Jeden Grad heliographlscher Breite in den Jahren
1874 — 1902» nach photographischen Aufnahmen auf der
8 Sonne.
Sternwarte zu Greenwlch.^) Die Flächen werden in Müliont6ln
der sichtbaren Hemisphäre der Sonne angegeben, und zwar so, daß
für jeden Grad heliographischer Breite die während des Jahres ge-
messenen Flächengrofien addiert und durch die Zahl der Tage dividiert
wurden; dies ergab das mittlere tägliche Areal. Zunächst fand sichi
daß während der genannten Periode von 29 Jahren, von 1874 bis
1902, Flecken in einer hohem Breite als 33^ selten, und sehr selten
groß oder langdauernd waren. Faßt man sie als besondere Klasse
auf, so waren sie unregelmäßig und erschienen zuzeiten, welche
keine bestimmte Beziehung zu irgend einem der 4 Hauptstadien
des elQährigen Sonnenfleckenzyklus (Minimum, Zunahme, Maximum,
Abnahme) zu haben schienen. Läßt man diese Flecken in hohen
Breiten (welche auf jeder Hemisphäre eine 10^ breite Zone von 33^
bis 42^ umfassen, da in höhern Breiten als 42^ keine Flecken be-
obachtet worden) unberücksichtigt, so zeigten die Maximumjahre 1883
und 1893 Flecken in jeder Breite zwischen BO^ N und 30® S, und
sie waren zwischen etwa 8 bis 24® auf beiden Hemisphären zahlreich.
In den dem Maximum folgenden Jahren zeigten die Flecken eine
ausgesprochene Tendenz, in niedem Breiten zu erscheinen. So war
in den Perioden der Abnahme, 1885 — 1888 und 1898 und 1899, und
in der entsprechenden Periode 1874 — 1876 des vorangegangenen
Zyklus 22® gewöhnlich die höchste Breite. In den Jahren 1876,
1888 und 1899, also etwa ein oder 2 Jahre vor dem Minimum,
wurden keine flecke jenseits 18® vom Äquator gesehen. Aber un-
mittelbar nachdem das Minimum erreicht war, erstreckten sich die
Flecke in der Breite weiter infolge des Auftretens solcher in hohen
Breiten. So zeigte im Minimum jede Hemisphäre zwei scharf be-
grenzte Fleckenzonen, die voneinander durch einen breiten Gürtel
ohne Flecken geschieden waren. Dies war besonders ausgesprochen
in den Jahren 1889 und 1890, wo die Gegend, deren Mitte etwa
15® Breite ist, und die dem ganzen Zyklus die fruchtbarste der ganzen
Sonnenoberfäche ist, vollkommen frei von Flecken war. Von diesen
2 Fleckenzonen auf jeder Hemisphäre erscheint die niedrigere der
Reihe von Flecken des zu Ende gehenden Zyklus zu entsprechen.
Diese Reihe war 2 Jahre vor dem Minimum beschränkt innerhalb
der 18®-Grenze und scheint beim Minimum selten eine größere Breite
zu erreichen als 10 oder 12®. Die Flecken mit einer Breite von
18 bis 30® oder mehr scheinen die ersten Glieder des neuen Zyklus
zu sein.
Während der Perioden der Zunahme, 1879 — 1881 und 1890 bis
1892, war der Äquatorialgürtel fast ganz frei von Flecken, was viel-
leicht das vollkommene Verschwinden der letzten Glieder des alten
Zyklus andeutet Im Maximum jedoch waren die Flecken am weitesten
verbreitet, und sie wurden sogar in nächster Nähe des Äquators
') Monthly Notices 1908. 63. p. 452.
Sonne. 9
gesehen, so daß im Maximum und in dem ersten Stadium der Ab-
nahme, vyie in 1874, 1882—1886, 1893—1897, die Äquatorial-
gegend ihre größte Lebhaftigkeit zeigte. Eine Vergleichung der beiden
Hemisphären zeigt, daß im ganzen die südliche die fruchtbarere ge-
wesen, daß aber die kritischen Punkte des Fortsohreitens des Zyklus
früher durch die nördlichen Flecken ausgesprochen waren als durch
die südlichen. So hatte in den beiden Perioden der Zunahme 1881
und 1891 die nördliche Hemisphäre einen entschiedencA Vorsprung
vor der südlichen, und ähnlich war in den Perioden der Abnahme
das Sinken der Fleckenausdehnung 1885 und 1896 bedeutend stärker
sichtbar in der nördlichen Hemisphäre.
Die Sonnenfleoke und die masrneüschen Sohwankungen.
€h. Ghree hat die zu Eew in den Jahren 1890 — 1900 gewonnenen
magnetischen Registrierungen benutzt, um einen Vergleich derselben
mit den Relativzahlen der Sonnenflecken durchzuführen.^) Er fand,
daß die Sonnenfleckenhäufigkeit an einem bestimmten Tage kein Maß-
stab ist für den magnetisch stillen oder gestörten Charakter des Tages,
und daß selbst die Monatsmittel der Sonnenfleckenhäufigkeit und der
magnetischen Schwankung nur in losem Zusammenhange stehen. Ghree
meint, daß die beobachteten Erscheinungen mit der Anschauung sich
Teitragen, daß die gesteigerte Sonnenfleckentätigkeit und die erhöhte
magnetische Aktivität auf der Erde von einer gemeinsamen aber der
Sonne fremden Ursache herrühren, deren Wirkung im ganzen Sonnen-
systeme in demselben Augenblicke merklich variiert. Wenn aber die
i^uelle in der Sonne selbst liegt, muß man entweder schließen, daß
die Sonnenflecke keine befriedigende quantitative Messung derselben
geben, oder daß die Wirkung auf die Erde beeinflußt werde durch
das, was auf der Sonne während einer beträchtlichen Zeit vor sich
geht Wenn jedoch die Quelle der täglichen magnetischen Ungleich-
heit elektrische Ströme sind, die durch die Tätigkeit der Sonne in
der obem Atmosphäre erzeugt werden, so kömite die Ursache für
die Zunahme der Amplitude der Ungleichheit zur Zeit großer Sonnen-
fleckenhäufigkeit irgend eine Strahlungsform sein, welche den Wider-
stand der Atmosphäre gegen die von der Sonne erzeugten Ströme
vermindert
Ober den Zusammenhangr der elf jährigren Sonnenflecken-
periode mit der Bewegrungr des Jnpiter hat H. Eloht einige inter-
essante Rechnungen angestellt.^ Man hat bis jetzt angenommen, daß die
Fleckenbildung durch Einwirkung der planetarischen Anziehung auf
die Sonne beeinflußt werde. Danach müßte, da Jupiter der Masse
nach nahezu '/, mal größer ist, als alle übrigen Planeten zusammen,
1) Proceed. Roy. Soc. 1908. 72. p. 22.)
<) Sirius 1903 p. 123.
10 Sonne.
das Maximum einer Sonnenfleckeiiperiode im allgemeinen mit deiQ
Perihel, und das Minimum derselben mit dem Aphel dieses Planeten
zusammenfallen. Die annäkemde Übereinstimmung der Dauer einer
Periode mit einem Umlaufe Jupiters sprieht auch anscheinend für
die Richtigkeit dieser Annahme, aber bei näherer Untersuchung findet
dieselbe, was die abziehende Wirkung betrifft, doch keine Bestätigung.
Dagegen ist, wie die nachstehende von Kloht berechnete Tabelle zeigt,
hinsichtlich der Stellung Jupiters eine gewisse Obereinstimmung Vor-
handen, aber in einem der Annahme entgegengesetzten Sinne, d. h.
das Maximum einer Periode fällt statt mit dem Perihel annähernd
mit dem Aphel, und das Minimum statt mit dem Aphel im allgemeinen
mit dem Perihel Jupiters zusammen.
In der 1. Abteilung der Tabelle, welche die Maxima und Minima
der Jahre 1610 — 1766 umfaOt, ist diese Obereinstimmung zwar
nur unvollkommen, aber in der 2. Abteilung über den Zeitraum
von 1770 — 1902 tritt dieselbe schon mehr hervor, obwohl auch
hier, und zwar besonders für einige Maxima, noch größere Abwei-
ehungeü bestehen. Bei Beurteilung derselben ist jedoch zu be-
achten, idafi die altem Beobachtungen der Sonnenflecke lückenhaft
und unge&au sind, und den aus denselben abgeleiteten Epochen der
Maxima und Minima daher kein entscheidender Wert beigemessen
werden kann; auch darf anderseits die Wirkung der übrigen Planeten
nicht außer Betracht bleiben. In Ansehung der für eine größere
Anzahl Maxima und Minima bestehenden annähernden Obereinstimmung
wkd daher auch trotz der vereinzelten großem Abweichungen das
Vorhandensein eines parallelen Ganges zwischen den beiden Reihen
nicht von der Hand gewiesen werden können.
Aus der Tabelle geht demnach hervor, daß das periodische Auf-
treten der Sonnenflecke hauptsächlich von der Stellung Jupiters in
seiner Bahn abhängig ist, aber nicht direkt durch seine Anziehungs-
kraft, sondern, wie Kloht glaubt, durch seinen überwiegenden Einflud
auf die Bewegung der Sonne um den gemeinsamen Schwerpunkt des
Sonnensystems bedingt wird, und daß die Stomngen m der Sonnen-
masse bei den Perihel- und Aphelstellungen dieses Planeten im all-
gemeinen ihren geringsten, resp. größten Umfang erreichen, wenn sich
also der Mittelpunkt der Sonne annähernd in den gleichen Punkten
seiner Bahn befindet.
Das Maximum einer Periode ist demnach allgemein zu erwarten,
wenn der körperliche Mittelpunkt der Sonne bei seinem Umlaufe den
größten Abstand vom Schwerpunkte des Sonnensystems erreicht hat»
während das Minimum un'gefähc mit der größten Annäherung dieser
beiden Punkte zusammenfallen wird.
Die Länge einer Periode müßte wegen der überwiegenden Masse
Jupiters zwar annähernd mit einem Umlaufe dieses Planeten zusammen-
fallen, aber bei der geringen Exzentrizität seiner Bahn werden an-
scheinend durch die Einwirkung der übrigen Planeten Verfrühungen
Sonne.
11
und Vel;zogeningen 'det Mäxihial^ und HinfnCialEfonnentatigkeit herbei-
gdFührt, welche je nach der Stellung der Planeten einen großem nnd
geringem Umfang erreichen, so ^daß die wirkliche Lange der einzelnen
t'erioden doch ihehr oder weniger von einem Uihlaufe Jupiters abweidht.
Es ist indessen nicht zu übirdehen, daß die Einwirkung Jupiters auf
dfe Sonnentätigkeit nur indirekt! zur Geltung kommt, und daß auöh
aUs diesem Grunde Ungleichmäßigkeiten in der Länge der Perioden
entstehen können.
Bpoehen der
der Sonnen-
/leoke
Jupiter
im iphel
Abweichung
Epochen der
der Sonnen-
flecke
Jupiter
im Perthel
Abweichung
• . 1615.0
16143
«.
-0.7
1610.8
1606.3
-2.5
. 1626.0
1626.1
+0.1
1619.0
1620.2
+1.2
. 1639.6
1637.9
-1.6
1634.0
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1874.8
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-42
1879.0
1880.7
-1.7
* 1084.0
1886.6
-
-2.6
1890.2
1892.6
-2.4
1894.0
1889.5
-
-4.5
1901.5
1904.4
' -
-2.9
Über die etwaige Beziehung der Sonnenfackeln zu den
Protuberanzen ha^t A. Mascaij Uotersuchungeir .singestellt.^) Die-
selben beruhen auf den-Aufzeichliun^en über Prohifiefanzen ' und Von
ti'ackeln umgebene Fleckgruppen zu Catania, Rom iind Zürich während
der Jahre 1900 und 1901. Es ergab sich keine detctliche Beziehung
^) Memorie della Societä degli Spettroscopisti Italiani 82. p. 223. Natur-
wiss. Rundschau 1908 p. 161.
12 Sonne.
zwischen beiden Sonnenphanomenen, ja die Anwesenheit von Pro-
tuberanzen auf Fackelgebieten ist ein sehr seltener Fall. Die Beobach-
tungen der beiden genannten Jahre lehrten, daß unter 642 Fackel-
grappen, die in der Nähe des Sonnenrandes beobachtet wurden, und
von denen jede Gruppe mit den Beobachtungen der Chromosphare
an mindestens zwei folgenden Tagen verglichen wurde, nur 34 mit
Protuberanzen von mehr als 30" Höhe bemerkt wurden, während
die Protuberanzen, die an den Tagen der Fleckenbeobachtungen über-
haupt gesehen wurden, die Zahl 282 erreichen. Das heißt, daß
unter 282 Protuberanzen 34 sich über Fleckengruppen erhoben, und
248 von diesen unabhängig waren. Ferner wurde in 215 Fällen,
also in einem Drittel der Fackelgruppen, eine unruhige oder über-
mäßig hohe, oder mit Strahlen besetzte Chromosphare angetroffen,
aber die Ausdehnung der Grundflächen der Protuberanzen oder ge-
störten Chromosphare war stets um vieles kleiner als die der ent-
sprechenden Fackelgruppe. Aus seiner Untersuchung des Oesamt-
materials der Beobachtungen in den Jahren 1900 und 1901 schließt
Mascari: »Daß ebenso in den Gebieten der lebhaften Fackeln wie
in andern Fackelgebieten die Falle der Koinzidenz der Protuberanzen
mit den Fackeln selten sind. Daß in diesem seltenen Falle des Zu-
sammenfallens die Ausdehnung der Grundflächen der Protuberanzen
oder die der unruhigen Chromosphare längs des Sonnenrandes fast
immer kleiner ist als die der entsprechenden Fackelgruppe. Daß in
dem Falle, wo die Fackeln die Flecken begleiten oder umgeben, wenn
eine Störung in der Chromosphare existiert, gewöhnlich niedrige Pro-
tuberanzen oder einfache Strahlen, die aber einen eruptiven Charakter
haben, auftreten. Daß die Tätigkeit der beiden Erscheinungen,
Fackeln und Protuberanzen, sich in verschiedener Weise in den ver-
schiedenen Sonnenbreiten kundgibt und ein ganz verschiedenes Ver-
halten hat. Daß Fälle von anhaltenden Protuberanzerscheinungen
angetroffen werden ohne eine entsprechende Bildung von Fackeln und
umgekehrt. Alle diese Tatsachen zusammen können in keiner Weise
in Harmonie sein mit der Hypothese, welche behauptet, daß die
Fackeln Wasserstoffprotuberanzen sind, die man gewöhnlich am
Rande beobachtet, die aber nun auf die Scheibe projiziert sind; hin-
gegen scheinen sie zu beweisen, daß die Fackeln und jene Pro-
tuberanzen zwei getrennte und vollkommen unabhängige Erschei-
nungen sind.<
Vermutete Identität von Fackeln und Protuberanzen.
Im Mai 1901 beobachtete E. Tringali eine Gruppe von Sonnenflecken
und Fackeln fast von ihrem ersten Auftreten am Ostrande bis zu
ihrem Verschwinden am Westrande der Sonnenscheibe. Die Rück-
kehr dieser Gruppe wurde vom Beobachter um den 13. Juni erwartet
und überwacht. An diesem Tage zeigten sich da, wo am Rande der
Sonnenscheibe die Fleckengruppe auftauchen mußte, drei helle Pro-
Sonne. 13
taberanzen und am nächsten Tage die jetzt etwas kleiner gewordene
Pleckengmppe. Hierdurch wurde der Beobachter veranlaßt, nach-
zuforschen, ob die Protuberanzen nicht vielleicht bloße Fackehi sind,
welche den Ostrand der Sonnenscheibe noch nicht erreicht, oder den
Westrand eben verlassen haben. Er untersuchte, ob alle am Ost-
rande der Sonne sichtbaren Protuberanzen von Fackeln gefolgt wurden,
und ob diese ihrerseits allen am Westrande verschwindenden Fackeln
folgten. Eine Reihe von Beobachtungen aus der Zeit vom 30. De-
zember bis 27. August 1902 bestätigte im allgemeinen diese H3rpo-
these; doch kamen hin und wieder Ausnahmen vor, es erschienen
und verschwanden Fackeln ohne die entsprechenden Protuberanzen
und umgekehrt. Diese vereinzelten negativen Befunde widerlegen
aber die Hypothese von der Identität der beiden Phänomene nicht,
da sowohl ein Verlöschen oder eine Neubildung der Fackeln oder
Protuberanzen zwischen den beiden korrespondierenden Beobachtungen,
als auch ein Verschwinden der Fackehi am Ostrande oder der Pro-
tuberanzen am Westrande eintreten kann. Tringali glaubt, durch
seine auf dem Observatorium des CoUegio Romano ausgeführten
Beobachtungen die vermutete Identität zwischen Fackeln und Pro-
tuberanzen, welche sich somit nur durch ihre verschiedene Stellung
unterscheiden, erwiesen zu haben. ^) Dieser Zusammenhang ist
übrigens so naheliegend, daß jeder, der sich mit Sonnenbeobachtungen
befaßt, wohl von selbst darauf verfällt. In der Tat haben schon
frühere Beobachter wiederholt darauf hingewiesen xmd die Identität
der Fackeln und Protuberanzen behauptet. Am nachdrücklichsten
ist dies bereits vor 30 Jahren von Prof. Spörer geschehen, der direkt
aussprach, die flammigen Protuberanzen und die Sonnenfackeln seien
identische Erscheinungen.^ Tringali hat also durch seine oben er-
wähnte Untersuchung nur eine Bestätigung der Spörerschen Entp-
deckung geliefert.
Ober eine Beziehung: zwischen den Sonnenprotuberanzen
und dem Erdma^rnetlsmus verbreiteten sich die beiden Lockyer.
In einer frühern Abhandlung*) wurde konstatiert, daß bei einer
vorläufigen Reduktion der Beobachtungen der Sonnenprotuberanzen
von Tacchini in Rom sich herausstellt, daß außer den großen Epochen
der Maxima und Minima der Protuberanzen, welche der Zeit nach
mit den Maximis und Mi^imis der totalen von Sonnenflecken bedeckten
Fläche übereinstimmen, iioch deutliche sekundäre Maxima und Minima
vorhanden sind.
^) Memorie della Societa degli Spettroscopisti Italiani 1902. 8Lp. 184—190.
*) Monatsberichte der Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. 1871 p. 666; Astron.
Nachr. Nr. 1870.
*) MeteoroL Zeitschr., Sept 1902 p. 428.
14 Sonne.
Einer von uns (sagen die Verfasser) hat in einer vor kurzem
erschienenen Mitteilung an die Academie des Sciences^) darauf hin-
gewiesen, dafi ein Ve^rgleiph der Häufigkeit wahrnehmbarer Protu-
beranzen in jeder Sonnenbreite mit der Häufigkeit sehr heftiger mag-
netischer Stürme besagt: 1. daß magnetische Stürme, welche nach
Ellis als >groß< bezeichnet werden , gleichzeitig mit der größten
I Protuberanzentatigkeit an den Polen der Sonne, auftreten; 2. daß die
Kurve allgemeiner magnetisc}ier Tätigkeit nahezu gleich ist jener der
Protuberanzen, welche in der Nähe des Sonnenäquators beobachtet
werden.
In der vorliegenden Mitteilung sollen die detaillierten Angaben
der Untersuchung, soweit sie vorgeschritten ist, wiedergegeben werden.
Die Beobachtungen der Protuberanzen. Die gute Beobach-
tungsreihe von Tacchini, *) bezüglich der Zahl und Breite der Protube-
ranzen auf der Sonnenscheibe diente als Grundlage für die Untersuchung
der Kurven. Diese Beobachtungen begannen im Jahre 1872 und sind
bis heute fortgeführt worden, so daß wir wertvolle kontinuierliche
Aufzeichnungen haben. Sie wurden von Zeit zu Zeit in allen Details
publiziert, wodurch es möglich geworden ist, dieselben in jeder ge-
wünschten Weise zu verwerten. Bei der Reduktion der Beobachtungen
wurde jede Zone von 10^ untersucht und für sich diskutiert Die
Beobachtungen wurden zuerst in Gruppen von 8 Monaten geteilt und
die Häufigkeit der Protuberanzen dadurch bestimmt, daß die beob-
achtete Anzahl derselben durch die Anzahl der Tage dividiert wurde,
an welchen während dieser Periode Beobachtungen gemacht worden
waren.
Auf diese Weise wurde eine Reihe von 18 Kurven konstruiert,
neun für jede Hemisphäre, welche Jahr iür Jahr die Variation der
Häufigkeit der Protuberanzentatigkeit in jeder 10^ umfassenden Zone
zeigen.
Die Untersuchung dieser Kurven zeigt, daß sie sich sehr bedeutend
voneinander unterscheiden, wenn man von den Äquatorial- zu den
Polarzonen übergeht. Im allgemeinen stimmt die Variation für jede
Zone von 0 — 20® nördl. und südl. Br. mit der Sonnenfleckenkurve
überein, d. h. die Maxima und Minima treten ungefähr zu denselben
Zeiten auf wie die Sonnenfleckenmaxima und -minima. Jene für die
2 Zonen von 20 — 40® in beiden Hemisphären stimmen im großen
und ganzen ebenfalls mit der allgemeinen Sonnenfleckenkurve überein,
außerdem zeigen sie jedoch sekundäre Maxima oder Änderungen der
Krümmung, welche die Hauptkurve überlagern.
Die Kurven für die beiden Zonen von 40 — 60® nördL und
südl. Br. haben dagegen kaum eine Ähnlichkeit mit der Sonnenflecken-
kurve, sondern sind aus Reihen hervorragender Blaxima zusammen-
') Ck»mpt. rend. 18&. Nr. 8 26. August 1902.
*) Sodetä degli Spettroscopisti Italiani 1872. L 1900. 9k
Sonne. 1 5
gesetzt, welche ein besonders starkes Auftreten der Protuberanzen-
tätigkeit darstellen.
Die Kurven für die beiden 2ionen von 60 — 80^ nördl. und
südl. Br. zeigen für kurze Zeit zwei hervorragende Ausbruchsperioden,
diese Region der Sonne ist. also im allgemeinen nahezu frei von
der Protuberanzentätigkeit; in den übrigbleibenden Zonen von 80 bis
90® nördl. und südl. Br. ist die Variation gering und ein schwaches
Abbild des Zustaades in der benaehbapien Zone von 60 — 80®.
Die magnetischen Kurven. Die Daten bezüglich der mag-
netischen Phänomene, welche bei diesem Vergleiche herangezogen
wurden, sind von EUis zusammengestellt und in 2 Abhandlungen über
magnetische Phänomene publiziert worden.^)
Es werden dort 2 Klassen von magnetischen Phänomenen be-
handelt: die Variation des täglichen Ganges der Deklination und
Horizontalintensität von Jahr zu Jahr und die magnetischen Störungen.
Was erstere betrifft, so hat EUis gezeigt,^ daß die Kurven, welche
diese Änderungen darstellen, sehr ähnlich sind der allgemeinen Kurve
der Sonnenflecken; in der Tat ergab sich, daß. die Kurven Ia all ihren
kleinen Unregelmäßigkeiten nahezu identiaoh: sind.
Die 2. Kladse von Phwomenen, die magüeüschen Störungen,
welche in ihrem Auftreten unregelmäßiger sind, wurde von Ellis in
5 Gruppen geteilt und von ihm in fünf getrennte Abteilungen ein-
gereiht In der vorliegenden Arbeit soll nur die eine dieser Klassen
in Betracht gezogen werden, nämlich jene, welche mit »große be-
zeichnet ist und die größten Störungen enthält Die Kurve, welche
die Variation m der Zahl dieser Störungen angibt, zeigt kurze, inter-
mittierende ZsU^ken^ wirkliche Ausbrüche, mit raschem Anstiege zum
Maximum und Abfall zum Minimum und verhältnismäßig, langen Inter-
vallen von Ruhe.
Vergleich der Kurven der Häufigkeit der Protuberanzen und der
Variation der täglichen Schwankung des Erdmagnetismus. Ellis hat,
wie bereits bemerkt wurde, auf die große Ähnlichkeit zwischen der
Sonnenfleckenkurve und jener, welche die Variation der magnetischen
Elemente darstellt, aufmerksam gemacht; oben ist gezeigt worden,
daß die Kurven, welche die Häufigkeit der Protuberanzen in der Nähe
des Sonnenäquators wiedergeben, im allgemeinen mit der Sonnen-
fleckenkurve übereinstimmen.
Also besteht offenbar ein Zusanunenhang zwischen den Phäno-
menen, welche in den Äquatorialregionen der Sonne auftreten (welche
^) Phil. Trans.. 1846. Part IL »On the Relation between the Diumal
Range of Magnetip Declination and Horizontal Force, as observed at the
Royal Observatbry,' Greenwich, during the Jrears 1841 to 1877, and the
Period of Solar Spot Freqii^ncy«; Mdhthly Notices, R. A. S., Dezember 1899,
Wb Nr. 2. >0n the Relation between Magnetic Disturbanoe and the Period
of Solar Spot Freqnency«.
«) Phü. Trans. 1880. Part. H.
16 Sonne.
durch die Protuberanzenzonen in der Nähe des Äquators tind durch
die Sonnenflecken charakterisiert sind, weiche im allgemeinen auf diese
Zonen beschränkt sind) und der gewöhnlichen täglichen Schwankung^
der magnetischen Elemente.
Vergleich der Kurven für die Protuberanzen mit jenen der mag-
netischen Störungen. Wenn man die Kurve, welche die Anzahl der
Tage mit »großen c magnetischen Störungen darstellt, mit jenen für
die Häufigkeit der Protuberanzen vergleicht, so sieht man, daß erstere
ebenso unähnlich ist den Kurven, welche die Häufigkeit der Pro-
tuberanzen in der Nähe des Sonnenäquators darstellen, wie sie jenen
in der Nähe der Pole ähnlich ist. In der Tat treten Protuberanzen-
ausbrüche an den Polen fast gleichzeitig mit großen magnetischen
Störungen auf.
Das gleichzeitige Auftreten der Maxima deutet darauf hin, daft
eine Einwirkung auf die Erde darin besteht, daß sehr große magnetische
Störungen auftreten, wenn das Auftreten der Protuberanzen in den
Polarregionen der Sonne stattfindet
Femer sind nach Ellis^) »ungewöhnliche magnetische Störungen
zur Zeit der Sonnenfleckenmaxima häufig, während sie zur Zeit der
Sonnenfleckenminima nahezu ganz fehlen.«
Wir finden, daß nicht nur diese »großen« Störungen zu derselben
Zeit auftreten wie die Protuberanzen am Pol, die spektroskopischen
Beobachtungen der Sonnenflecken zeigen auch, daß sie nicht nur zur
Zeit des Fleckenmaximums auftreten, wie EUis festgestellt, sondern
auch wenn die Sonnenfleckenknrve sich einem Maximum nähert und
zur Zeit der {[reuzung der »verbreiterten« Linien,*) wenn die Kurve
für die »unbekannten« Ldnien im Ansteigen begriffen ist und die ab-
steigende für die »bekannten« Linien kreuzt. Bei der andern Epoche
der Kreuzung, d. i. wenn die Kurve für die »bekannten« Linien an-
steigt, und jene für die »unbekannten« fällt, sind nahezu keine
magnetischen Störungen vorhanden. Es wird die Aufmerksamkeit
wieder auf diese Kreuzungen gerichtet, um zu zeigen, daß diese
Störungen nur zu jenen Zeiten auftreten, wenn die Temperatur der
Sonne in Zunahme begriffen ist
Die erwähnten Umstände geben eine Erklärung, warum manchmal
magnetische Stürme auftreten, wenn keine oder nicht sehr große
Flecken auf der Sonnenoberfläche vorhanden sind. Da das Auftreten
von magnetischen Stürmen in engem Zusammenhange steht mit den
Sonnenprotuberanzen, können Protuberanzen und magnetische Stürme
vorhanden sein, wenn auch keine Sonnenflecken vorhanden sind.
Protuberanzen können auch manchmal gleichzeitig mit großen Sonnen-
flecken auftreten, und da die letztem beobachtet werden können,
während dies bei den erstem nicht der Fall ist, wird der davon
') Monthly Noüces. 00. p. 148.
•) Proceed. Roy. Soc. 67. p. 412.
Sonne. 17
herrührende magnetische Sturm im allgemeinen den Flecken zuge-
schrieben.
Femer scheint die Intensität der magnetischen Stürme mit der
Breite der Protuberanzen auf der Sonnenscheibe sich zu ändern. Je
näher dem Pol die Protuberanz auftritt, umso heftiger ist der mag-
netische Sturm; dies sind jedoch die Regionen, in welchen Flecken
nicht vorhanden sind.
Wir haben im vorausgehenden gezeigt, daß die Variationen der
allgemeinen magnetischen Erscheinungen, wie sie durch EUis gegeben
werden, mit dem Auftreten von Protuberanzen am Sonnenäquator
zusammenfallen, während die »großenc magnetischen Störungen der
Zeit nach mit dem Auftreten von Protuberanzen in den Polarregionen
der Sonne zusammenfallen.
Prof. Bigelow hat vor kurzem ^) die Variationen der magnetischen
Horizontalintensität untersucht und findet, daß die Kurve, welche
diese Änderungen darstellt, sekundäre Maxima zeigt, welche zusammen-
fallen mit jenen, welche in der Kurve auftreten, welche die mittlere
Variation der Protuberanzen für alle Breiten wiedergibt. So kann,
nach seinen Worten, ^der auffallende Synchronismus zwischen den
Kurven nicht verborgen bleiben, außer nach dem Jahre 1894, wo
ein besonders kleines Maximum in der Horizontalintensität aus-
gebildet istc.
Die spektroskoplsehen Ergebnisse der Beobachtunsren
der Sonnenfinsternis vom 28. Hai 1900 sind von J. Evershed
zusammengesteUt worden.^
Im allgemeinen wurden die aus den Beobachtungen 1898 ab-
geleiteten Schlüsse bestätigt Es ergab sich, daß während J der Tota-
sität jede starke Linie des normalen Sonnenspektrums, welche die
Intensität sieben von Rowland übersteigt, als helle Linie erscheint;
ferner fällt die große Mehrzahl der hellen Linien des Flashspektrums,
mit Ausnahme der Wasserstoff- und Heliumlinien mit dunklen Linien
von der Intensität nicht unter drei zusammen. Die meisten hellen
Bogen des Flashspektrums sind scharfe, schmale Linien, die be-
trächtliche Genauigkeit der Messungen gestatten, und die jetzigen
Bestimmungen der Wellenlängen deuten an, daß das Zusammenfallen
der hellen Linien mit den dunklen für alle gut bestinunten Linien bis
auf 0,5 /i (Zehnmilliontel Millimeter) genau ist. Bezüglich der
relativen Intensitäten der Linien eines Elements in den Flash- und
Fraunhoferschen Spektren müssen die frühem Resultate wie folgt
modifiziert und erweitert werden : Die relativen Intensitäten einzelner
Linien eines Elements im Flashspektrum sind allgemein, aber nicht
ganz genau, in Übereinstimmung mit denen desselben Elements im
*) Monthly Weather Review 90. Nr. 7. p. 852.
«) Proceed. Roy. See. 1908. 71. p. 228.
Klein, J&hrbuch XIV.
18 Sonne.
Sonnenspektrum, xmd diejenigen Linien, welche im Flash ausnahms-
weise stark sind, sind meist Linien, welche im Funkenspektrum des
Elements verstärkt auftreten. Alle hervoiragenden, verstärkten Linien
des Eisens und Titans, die Norman Lockyer bestimmt hatte, findet
man mit starken Linien im Flash zusammenfallend, aber wegen der
susammengesetzten Natur einiger dieser Linien ist es nicht sicher,
daß alle abnorme Intensitäten im Flash haben. Es ist kein Beweis
dafür vorhanden, daß die relativen Intensitäten eines Elementes in
den hohem und niedrigem Gebieten der umkehrenden Schicht ver-
schieden sind. Die verstärkten Linien scheinen in der ganzen Tiefe
der strahlenden Schicht vorzuherrschen , sie sind gleich ausgeprägt
in den Polargegenden wie in niedem Breiten, und das Flashspektrum
erweist sich als dasselbe in allen Breiten, es zeigt keine wesentliche
Änderung nach einem Intervall von 5 Jahren.
Die ganze Ghromosphäre besteht nach der Annahme von Evershed
aus zahllosen kleinen Emptionen oder Strahlen von hoch erhitzten
Gkisen, ähnlich den sogenannten metallischen Protuberanzen, welche
nur die ausgesprochenem Bestätigungen derselben eraptiven Agen-
zien sind.
Als Beweis hierfür weist er auf die charakteristischen Eigenschaften
der Ghromosphäre und die detaillierte Stmktur vieler Fraunhofer-
schen Linien hin, welche breite Emissionslinien zeigen, die unter den
schmalen Absorptionslinien liegen. Diese schlecht begrenzten, hellen
Linien des normalen Sonnenspektrums sind nach Violett verschoben
und deuten ein heftiges Aufsteigen der heißem Gase an, während
die schmalen Absorptionslinien fast in ihren normalen Stellungen
sind und ein langsames und gleichmäßiges Niedersinken der ab-
sorbierenden Gase anzuzeigen scheinen.
Evershed kommt zu dem Schlüsse, daß das Flashspektrum die
Emission der aufsteigenden und niedersinkenden Gase repräsentiert,
während das Fraunhofersche Spektrum nur die Absorption der ab-
steigenden Gase darstellt.
Die neuen Gase, Neon, Argron, Krypton und Xenon, in
der Ghromosphäre. S. A. Mitchell hat^) bei Gelegenheit der totalen
Sonnenfinsternis vom 18. Mai 1901 auf Sumatra das Spektrum der
umkehrenden Schicht der Sonnenatmosphäre (das sogenannte Flash-
spektmm) mit einem Apparat, der ein Rowlandsches Gitter und eine
Quarzlinse besitzt, photographiert Das Spektrum, welches erhalten
wurde, zählt nicht weniger als 374 Linien, die gemessen wurden
zwischen F und H. Die Vergleichung der Intensitäten und der Zahl
der den verschiedenen Elementen zugehörigen Linien im Flash- und
im normalen Sonnenspektram führt Prof. Mitchell zu einer Dreiteilung
derselben in 1. Linien, die in beiden Spektren stark sind, 2. die stark
^) Astrophysioal Journal 1908. 17. Nr. 8 p. 224.
Sonne. 19
im Flash- und schwach im Sonnenspektrum sind, und 8. solche, die
schwach im Flash- und stark im Sonnenspektrum erscheinen. Zur
2. Gruppe gehören die Elemente: Wasserstoff, Helium, Skandium,
Titan, Vanadin, Chrom, Mangan, Strontium, Yttrium und Zirkonium.
Infolge seiner geringen Dichtigkeit steigt das Helium bis zu be-
trachtlicher Höhe über die Sonnenoberfläche, und infolgedessen
sind weiterhin die Heliumlinien im Flashspektrum sehr hervortretend.
Man kann nun die Linien des Neon und Argon im Flashspektrum
ebeufalls erwarten, aber diejenigen der weniger fluchtigen Gase Krypton
und Xenon wahrscheinlich nicht. Im gewöhnlichen Sonnenspektrum ist
keines dieser Gase durch seine Linien nachweisbar, aber die genaue
Vergleichung ihrer Spektra mit den Aufnahmen des Flashspektrums
der Sumatra- Expedition hat Prof. Mitchell zu der Oberzeugung ge-
führt, daß gewisse Linien dieser neuen Gase tatsächlich in der
Sonnenatmosphäre sichtbar werden. Bezüglich des Neon und Argon
kommt er zu dem Ergebnis, dafi sie unzweifelhaft in der Chromo-
sphäre vorhanden sind, für Krypton und Argon halt er solches noch
nicht sicher erwiesen. Der Nachweis dieser Gase auf der Sonne
und die unzweifelhafte Gegenwart von freiem Wasserstoff in der Erd-
atmosphäre hat eine überaus große Wichtigkeit für die kosmische
Physik. Nach liveing in Dewar kann die Erde weder Wasserstoff
zurückbehalten, noch erzeugen, daher muß ein fortwährendes Zu-
strömen desselben aus dem Welträume in die Atmosphäre stattfinden,
«nd ein ähnlicher Zufluß bezüglich der andern Gase ist nicht abzu-
weisen.^) Sie spielen eine bedeutende Rolle in den Polarlichtem,
den kosmischen Nebelflecken und der Korona, doch hält Mitchell dies
bezüglich der Polarlichter für Krypton und Xenon noch nicht er-
wiesen. Helium und Neon können nach seiner Meinung ihren Ursprung
auf der Erde haben, allein für den freien Wasserstoff unserer Atmo-
sphäre ist solches nicht annehmbar, vielmehr meint Mitchell, in Über-
einstimmung mit Arrhenius, daß dieser mit kleinen ionisierten Par^
Ukelchen von der Sonne zur Erde herabkommt.
Die periodischen VerändeFun^en der Sonnenkorona.
Das Aussehen der Korona zeigte sich bei den verschiedenen Sonnen-
finsternissen sehr verschieden, doch ist auf die altem Zeichnungen
etwa aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur wenig oder
kein Gewicht zu legen, da man damals der Korona nicht diejenige
Aufmerksamkeit schenkte, welche sie beanspruchen darl Ranyard
hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß das Aussehen der
Korona um die Epochen der größten Fleckentätigkeit der Sonne
typisch von demjenigen verschieden sei, welches sie zeigt, wenn die
Sonnenflecke nahe dem Minimum ihrer Anzahl sind, ^ und begrün-
^) Proceed. Roy. See. 1900. 67. p. 468.
*) Memoirs of the Roy. Astron. Soc. 41.
20 Sonne.
dete diesen Schluß auf die Beobachtungen und Zeichnungen der
Korona während der Finsternisse von 1715 — 1878. Zu ähnlichen
Ergebnissen kam Hansky in seinem Berichte über die Ergebnisse der
russischen Sonnenfinsternis - Expedition 1896 nach Nowaja Semlja^
Jetzt hat E. D. Naegamvala, Direktor der Sternwarte zu Poona in
Indien, die Frage behandelt^) und kommt zu dem Ergebnis, daß es
verschiedene Typen der Sonnenkorona gibt, und daß deren Aussehen
nicht lediglich mit der Epoche der Maxima und Minima der Sonnen-
fiecke wechsele, sondern mehr noch den dazwischen liegenden Zeiten
entspreche, in denen die Fleckenkurve ihre mittlere Höhe hat und
von dieser entweder steigt oder fallt Der Astronom von Poona
hat das Aussehen der Korona bei 21 totalen Sonnenfinsternissen
von 1860 — 1898, wie es in Zeichnungen und Photographien ent-
halten ist, zusammengestellt Auf mehrem Tafeln zeigt er di&
Korona geordnet nach der Häufigkeit der Sonnenflecke gemäß den
Tabellen von Wolf und den mittlem jährlichen und monatlichen
Häufigkeitszahlen. Die regelmäßigste Entwicklung des Aussehens
der Korona zeigt die Aneinanderreihung der Zeichnungen derselben
von der größten absoluten monatlichen Fleckenhäufigkeit bis zur
geringsten. Man erkennt in dieser systematischen Nebeneinander-
reihung der Gestalten der Sonnenkorona tatsächlich typische Ver-
schiedenheiten. Vor allem sind die Koronen bei sehr niedrigem
Fleckenstande, 1889.97, 1867.66, 1889.00 und 1878.57 unterein-
ander sehr ähnlich, aber durchaus verschieden von den übrigen mit
Ausnahme der Korona von 1880.03, bei der aber auch der Flecken-
stand der Sonne gering war. Um die Zeit der geringsten Flecken-
häufigkeit zeigt die Korona hauptsächlich zwei breite Lichtstrahlen
parallel zur Ebene ihres Äquators, aber keine Strahlen an den Polen»
während um die Epoche der Fleckenmaxima herum am ganzen Um-
kreise der Sonnenscheibe Lichtstrahlen emporschießen. Die auffäl-
ligsten Formen aber zeigen sich in den Zeiten eines gewissen mitt-
lem Fleckenstandes. Freilich darf man nicht allzuviel Gewicht auf
die Einzelheiten legen, denn die frühem Photographien der Korona
sind zum Teil mangelhaft, und erst mit Einfühmng der Trocken-
platten ist ein wirklicher Vorzug der photographischen vor der zeich-
nerischen Reproduktion der Sonnenkorona zuzugeben. Dazu kommt,
daß in der Nähe der Sonne Kometen zirkulieren können, deren
Schweife sich mit den Koronastrahlen im Bilde vermischen, wie es
wahrscheinlich bei der Sonnenfinsternis am 21. Dezbr. 1889 wirklich
der Fall gewesen ist. Immerhin muß man zugeben, daß die Tätig-
keit der Sonne, welche sich in dem eUQährigen Fleckenzyklus offen-
bart, auch im Aussehen der Korona zutage tritt, wenngleich die*
Ursache dieser Verschiedenheiten noch völlig dunkel ist.
^) Publications of the Maharaja Takhtasingji Observatorv, Poona«
1. p. 67.
Sonne.
21
ObeF den wahrschelnlichBten Wert der Sonnenparallaxe
auf Grund der bis jetzt bekannten Bestimmungen derselben hat Boris
Weinberg in Odessa eine bemerkenswerte Studie veröffentlicht.^) Er
stellt 117 Bestimmungen der verschiedensten Art zusammen und leitet
deren Gewicht im einzelnen nach einem besondem Rechnungsver-
fahren ab. Auf diesem Wege erhielt er für die verschiedenen Methoden,
die Sonnenparallaxe zu berechnen, folgende Mittelwerte:
Methode
Parallaxe
Oppositionsbeobachtungen des Mars
Meridianbeobachtungen der Venus
8:8589
8.d48B
Durchgangsbeobachtungen der Venus
Bestimmungen der Distanzen der Centra der Sonne und der
Venus bei ihren Durchgängen
Oppositionsbeobachtongen von Asteroiden
0000 00
Masse der Erde
8.7591
Koeffizient der lunaren Ungleichheit der Erdbewegung .
Koeffizient der parallaktischen Ungleichheit der Mondbe-
wegnnff . - . t ............ .
8.8469
8.8026
Dichte der Venus
9.68
Generaimittel
8.8022
Der Verfasser stellt nun dieses Generaimittel mit den Mittel-
werten anderer Forscher zusammen, wie folgende Tabelle zeigt
Autoren und Literaturangaben
Newcomb, 1867
Powalky. 1872; Astr. Nachr., 80, 97—112 . . .
Stone, 1878; Menth. Not, 38, 279—295 ....
Faye, 1881
Harkness, 1881; Amer. Joum. of Sc, 22, 375—894
Harkness, 1891
Newcomb, 1895
Gill, 1897
Weinberg, 1901
Parallaxe
8:848
8.77
8.897
8.825
8.85
8.8185
8.7959
8.8021
8.8003
Als Endresultat seiner Untersuchung findet er schließlich als
wahrscheinlichstenWert der Sonnenparallaxe n = 8.8004" + 0.002 48".
Planeten.
Planetoidenentdeekungen im Jahre 1902. Nach der Zu-
sammenstellung von Paul Lehmann ^ sind folgende kleine Planeten seit
dem letzten Berichte als neu entdeckt eingereiht worden:
') Astron. Nachr. Nr. 8866.
^ Vierteljahrsschrift d. Astron. Ges. 1906. 88. p.
w .^•^. w .,^— . Ol
g M'll'fB Heidelberg
iii::
^iiaAl^^^^erechneten Bahnen sind:
Berechner
\4t Bauschinger
74 Osten
X) P. V. Neugebauer
13 Paetsch
]8 Berberich
r3 Bauschinger
B6 Berberich
B7 Millosevich.
ji^ «wenig Bemerkenswertes.
P:§?^«^£.'.ilM€^1Jl^t (483) sich bis auf den
S'^S^^'^^iW^^^^^^^' ^iö höchste Deklina-
■^'*^|tC^S§^^r5^i^e^pposition erreichen kann,
g^:#C!Wiilii§I^<tt^^^ahn und der ungünstigen
^^^CÜKiiJ^^iiSoßen Neigung gegen die
^if^i-#f^^ber) und— 250 6 (gegen
1^» «ja« M'^m •^» a^» «^» **«£*
WW^¥'M^m''^:!:WW'^^^^^^^^ (463) — (480), welche
i^^^^^mi^^'^lW^*^^^'^®^'^'^^^ d^^ Entdeckung wieder
"^i^-II^Sl^^^ Pl^««^^ (45Ö), (476)
P^^l^l'^S'^^^^^''^.^»^^^ in einer Opposition
lichten Planeten wurden
i'ii:l£liiihfliung
eo 00 00 00 ^
"•^ri-fflE- -'S» mvam ^jfa.t
> 09 00 00
II-S--S--S-
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*32i Qv 00 ooJQJwL «CST»
«^|k 9^^ja^% mixm «^» ' ^ «W» »jgj» *^» mixm • OMB •
v*-Sl^Ä?!^4l*^!SI3^^^ w»r schon im Jahre
:Jrl^t»^i;^.i&«Nssfti;:^if^.o^ ^ "^S^i^gKi^'s von Ebell in Kiel auf
'^'Ii4gl?g/!s3^an^ich für einen neuen
PlaneteD. 23
gehaltenen Planeten mit (156) hingewiesen worden, doch führten jene
ersten Untersuchungen noch zu keinem sichern Abschluß, wie er
seitdem nach der erneuten Beobachtung im Jahre 1902 ermöglicht
wurde.
In der 3 Opposition wurden die seit 11, bezw. 8 Jahren nicht
wiedergefundenen Planeten (289) und (300) beobachtet.
Die Zahl der bisher nur in einer Erscheinung beobachteten
Planeten, mit Einschluß der bis zum Ende des Jahres 1902 neu
entdeckten, betragt gegenwärtig (Ende Februar 1903) 72.
Von den in frühern Berichten noch nicht mit Namen versehenen
Planeten sind nunmehr die folgenden benannt worden: (472) Roma,
(475) OcUo, (477) Italia und (478) Tergeste.
Die Neigrungren der Rotationsachsen der Planeten gegen
ihre Bahnebenen spielen in der Eosmogonie bekanntlich eine große
RoUe, und ihre Erklärung bietet Schwierigkeiten. Prof. W. H. Pickering
gibt neuerdings in letzterer Beziehung einige interessante Erörterungen,
welche eine Erklärung der Erscheinung bieten. ^) Man denke sich
einen abgeplatteten Rotationskörper, ein Sphäroid, das eine Bahn
um die Sonne beschreibt und stets einem Sterne die gleiche Seite
zuwendet. Wenn dieses Sphäroid mit einer tiefen Flüssigkeitsschicht
bedeckt ist, so wird eine jährliche Flut entstehen, und diese mit der
Zeit das Sphäroid zwingen, sich um seine Achse so zu drehen, daß
es stets der Sonne die nämliche Seite zuwendet. Nehmen wir jetzt
an, dieses Sphäroid habe ursprünglich eine Rotation um seine kleine
Achse besessen, und diese liege in der Ebene seiner Bahn, wie
solches nahezu beim Planeten Uranus der Fall ist. In diesem Falle
finden 2 Rotationen statt, unabhängig voneinander und um die
beiden senkrecht zueinander stehenden Achsen. Daraus resultiert,
wie man am Gyroskop zeigen kann, eine Tendenz der kleinen Achse,
aus der Bahnebene herauszutreten^ und zwar derart, daß die Ebene
des Äquators des Planeten sich seiner Bahnebene nähert, so daß
Rotation und Umlauf sich in derselben Richtung vollziehen. Als ge-
mäß der Laplaceschen Weltbildungstheorie sich von dem Urnebel
Ringe ablösten und die Planeten bildeten, mußten diese in retro-
gradem Sinne rotieren. Infolge der oben erwähnten Flutwirkung
mußte aber die Ebene, in der ihre Rotation stattfand, sich stufen-
weise drehen, derart, daß sie ursprünglich der Ebene der Ringe
parallel, später senkrecht dazu stand und schließlich wiederum parallel
zu derselben wurde, aber jetzt mit Rotation in rechtläufiger Rich-
tung. Man findet eine fortschreitende Änderung dieser Ebenen bei
den Bahnen der Monde der vier großen Planeten. So ist beim
Neptun der Winkel, den beide Bahnebenen miteinander machen,
etwa 145 ®, für Uranus beträgt er 98 ^ für Saturn (bei den innern
^) AstroB. Joum. 1902.
24 Planeten«
SatelUteD) 27® und für Jupiter 2®. Auch bei den innem Planeten
findet dasselbe statt Für Mars ist der besagte Winkel 25 ^ für
die Erde 23 ®, für Venus ist er unbekannt, und bezüglich des Merkur
darf man nach den Zeichnungen seiner Oberfläche zu Mailand, Are-
quipa und Flagstaff annehmen, daß er kleiner ist
Die Rotationsdaaer der Venus. Prof. Schiaparelli hat im
Jahre 1890 als Ergebnis seiner eigenen Beobachtungen und auf
Grund einer eingehenden Diskussion des bis dahin vorliegenden
fremden Materials die Oberzeugung ausgesprochen, daß der Planet
Venus sich wahrscheinlich in der gleichen Zeitdauer um seine Achse
dreht, in welcher er seinen siderischen Umlauf um die Sonne voll-
führt, also in 224.7 Tagen« Bis dahin galt als wahrscheinlich, daß
die Umdrehungsdauer der Venus nahe 24 Stunden betrage. Das
Resultat von Schiaparelli entspricht auch den Beobachtungen, welche
Perrotin in Nizza an dem dortigen großen Refraktor angestellt hat,
aber andere Beobachter wollten Flecke auf der Venusscheibe ge-
sehen haben, deren Bewegung auf 24 stündige Rotation deutete.
Belopolsky hat vor einigen Jahren versucht, die Frage spektro-
skopisch durch Feststellung der Linienverschiebimg im Spektrum der
Venus zu beantworten, und kam zu dem Ergebnis, daß eine 24 stün-
dige Rotation am wahrscheinlichsten sei. Denselben Weg hat im
Jahre 1902 A. Lowell auf seinem Observatorium in Flagstaff be-
schritten. Er bediente sich dabei eines neuen Spektrographen, der
mit dem 24-zolligen Refraktor verbunden wurde, und dessen Dis-
persion sogar die des Millsspektrographen der Licksternwarte über-
trifft. Nach einer Anzahl von Vorversuchen an Fixsternen, um deren
Eigenbewegung in der Qesichtslinie und damit auch die Leistungen
des Spektographen zu ermitteln, begannen die Aufnahmen der Venus
im November 1902. Von da bis Ende März 1903 wurden 65 Spek-
trogramme des Planeten erhalten. Die Vermessung der darin sicht-
baren Linien ergab keine Andeutung zugunsten einer 24 stündigen
Rotationsdauer der Venus, wohl aber für die Annahme der Ober-
einstimmuug von Rotation und Umlaufsdauer dieses Planeten.
Im Mittel fand sich, wenn der Spalt des Spektroskops parallel der
Lichtlinie auf der Venus stand, als Rotationsgeschwindigkeit -\- 0,0 ib km
pro Sekunde. Würde die Rotationsdauer 24 Stunden betragen, so
würde die Geschwindigkeit 0.45 Ann in der Sekunde sein, bei einer
Umdrehungsdauer von 225 Tagen dagegen 0.02 km.
Die Beobachtungren des Mars in den Jahren 1896 und
1897 auf der Lowellsternwarte zu Flagrstaff und zu Tacu-
baya. im Winter 1893 faßte Percival LoweU den Entschluß,
während der nächsten Oppositionen des Mars diesen Planeten an
einem sehr mächtigen Femrohre unter möglichst günstigen atmo-
sphärischen Verhältnissen ausdauernd zu beobachten. In Ausführung
Planeten. 26
des Planes wurde bei Flagstaff in Arizona (36^ 11' nördl. Br.,
111^ 40' westl. L. V. Gr.) 2200 m über dem Meeresspiegel ein
provisorisches Observatorium errichtet und mit einem Refraktor von
18 Zoll Objektivdurchmesser ausgestattet Diese Beobachtungen über
den Mars während der Opposition 1894 bis 1896, an welchen sich
Prof. W. H. Pickering und A. E. Douglass beteiligten, lieferten eine
große Menge wichtiger und interessanter Tatsachen, welche P. Lowell
im 1. Bande der Annalen des Lowellobservatory mitteilte, und über
die früher an dieser Stelle näheres berichtet ist Die Opposition des
Mars 1896 bis 1897 bot Gelegenheit die Beobachtungen der vorher-
gehenden zn vertiefen und in manchem Punkte zu erweitem; auch
hatte Lowell mittlerweile ein noch größeres Femrohr beschafft, das
mit einem Objektiv von 24 Zoll Durchmesser und 32 Fuß Brenn-
weite zu den mächtigsten und gleichzeitig zu den vorzüglichsten
Refraktoren der Gegenwart zählt. Dazu kommt, daß in Tacubaya
(19<» 24' nördl. Br., 99 <> 12' westl. L. v. Gr.), 4 Meilen westHch von
der Stadt Mexiko in einer Höhe von 2600 m über dem Meere eine
Lokalität aufgefunden und vom Januar bis Ende März 1897 benutzt
wurde, die in mancher Beziehung für die Beobachtungen größere Vor-
teile gewährte als die Station Flagstaff. Die Beobachtungen wurden
hauptsächlich ausgeführt von Percival Lowell und A. E. Douglass,
einige Zeichnungen auch von Dr. J. J. See und W. A. Cogshall sowie
von gelegentlichen Beobachtern. Sämtliche Beobachtungen und Zeich-
nungen sind im 2. Bande der Annalen des Lowellobservatory ver-
öffentlicht, und aus diesem sollen die wichtigen Ergebnisse derselben
hier vorgeführt und besprochen werden.
Der scheinbare Durchmesser des Mars betrug 1896 Anfang
August 8", er nahm im Dezember bis 17" zu und ging bis März 1897
wieder auf 8" zurück. Im August 1896 war der Südpol des Mars
der Erde zugekehrt, doch wandte sich dieser mehr und mehr ab,
und beide Pole lagen vom September bis zum ersten Drittel des
Dezember 1896 ziemlich genau im Rande der Marsscheibe. Dann
neigte sich der Südpol des Planeten bis Ende Februar wieder gegen
die Erde, rückte also etwas in die Scheibe hinein, aber im März
lag er wieder im Rande derselben und wandte sich dann bis zum
Schlüsse der Beobachtungen mehr und mehr auf die abgewandte
Seite, so daß also nun der Nordpol des Mars zunehmend gegen die
Erde geneigt wurde und mehr und mehr in die Scheibe trat Zu
Anfang der Beobachtungen zeigte Mars noch eine sehr merkliche
Phase, und der dunkle Teil, welcher im Femrohre an der linken (vor-
aufgehenden) Seite lag, markierte eine starke Abweichung des Planeten
von der genauen Ereisform. Diese Abweichung wurde natürlich
immer kleiner, bis der Planet in der Opposition völlig rund erschien,
und später die Phase an der südlichen voraufgehenden Seite all-
mählich sichtbar ward. Das Wintersolstitium der nördlichen Hemi-
sphäre des Mars trat ein am 17. Juli 1896, das Frühlingsäquinok-
26 Planeten.
üam am 24. Dezember und das Sommersolstitium am 12. Juli 1897.
Die nördliche Hemisphäre des Mars hatte also an diesen 3 Tagen
astronomische Jahreszeiten, welche dem 20. Dezember, 20. März und
19. Juni der nördlichen Erdhälfte entsprechen.
Was die dunklen Flecke anbelangt, so wurden die hervor-
tretenderen durch Mikrometermessungen festgelegt und dazwischen
das Detail nach dem Augenmaße eingetragen. Zu diesem Ende ist
die sorgfältigste Prüfung und Vergleichung der Zeichnungen unter-
einander und mit der Skelettkarte, welche die festgelegten Positionen
enthält, nötig. Prüfungen ergaben, daß Personen, welche mit Mars-
beobachtungen nicht durchaus vertraut sind, die größten Irrtümer in
bezug auf Identifizierung der Details begehen. Betrachtet man über-
haupt die getreue Wiedergabe der unmittelbar am Fernrohre gezeich-
neten Skizzen der Marsdetails, welche Lowell mitteilt, so begreift
man gegenüber der Feinheit und dem schattenhaften Charakter der
meisten davon, weshalb Femrohre wie der große Refraktor zu
Washington oder der 18-Zoller zu Straßburg, die unter ungünstigen
klimatischen Verhältnissen benutzt wurden, nichts von dem feinen
Eanalnetze des Mars gezeigt haben.
Man kann hiemach aber auch beurteilen, was es mit manchen
Beobachtungen über den Mars auf sich hat, die von gelegentlichen
Beobachtern an kleinen Femrohren beiläufig angestellt werden, und
woraus diese flugs auf neue Formationen oder auf Änderungen der
Marsoberfläche mit jener Sicherheit schließen, welche lediglich in
der Unkenntnis und Unverantwortlichkeit solcher Beobachter ihren
Grund hat
Andernteils ist aber auch augenscheinlich, daß die Deutung der
wahrgenommenen Flecke und Striche und die Zusammenfassung des
einzelnen unter generelle Gesichtspunkte, wie sie Lowell unternommen,
ein höchst schwieriges Beginnen ist, bei dem Irrtümer unvermeidlich
sind. Wenn der Laie glaubt, daß der Anblick des Mars an einem
großen Femrohre unmittelbar über die Beschaffenheit oder Organi-
sation der Oberfläche dieses Planeten etwas Wesentliches lehren
könne, so dürfte ihn die Betrachtung der Lowellschen Zeichnungen
sehr bald von seinem Irrtume heilen. Es ist nicht möglich, anders
in dieser Beziehung weiter zu kommen, als durch vergleichendes»
systematisches Studium einer sehr großen Anzahl solcher Zeich-
nungen, wobei eine provisorische Hypothese zum Ausgangspunkte
gewählt werden muß. Im vorliegenden Falle wird die Hypothese
durch die Annahme gebildet, daß das Aussehen der Marsflecke und
die Veränderungen derselben in einer engen Beziehung zur Umlaufs-
zeit des Planeten um die Sonne, genauer: zu den Wärmeverhält-
nissen der beiden Hemisphären im Verlaufe ihres Jahres, stehen.
Diese Hypothese findet kräftige Stütze für ihre Berechtigung im V^-
halten der beiden weißen Flecke in der Nähe der Rotationspole des
Mars. Von diesem ausgehend, hat schon Mädler auf den Gang der
Planeten. 27
kfimatischen Verhältnisse in den beiden Marshälften geschlossen,
Schiaparelli ist ihm gefolgt, und jetzt gibt Lowell einen systematischen
Ausbau derselben, der sich auf die von Schiaparelli betonte Un-
gleichheit der Verteilung des flüssigen Elementes auf der nördlichen
und südlichen Marshemisphäre und auf die relativ geringe Menge
desselben auf diesem Planeten überhaupt stützt. Die speziellen
Ausführungen Lowells nach dieser Richtung hin sind im höchsten
Grade interessant und anregend, aber freilich auch am meisten hypo-
thetisch. Mancher wird diese letztere Tatsache vor allem betonen,
und sicherlich gibt es Astronomen, die diesen Ausführungen nicht
gerade sympathisch gegenüber stehen, weil sie eben ein Novum auf
dem Gebiete der Himmelskunde darstellen. Wir stehen auf diesem
letztem Standpunkte nicht, sondern sehen in den spekulativen
Forschungen, welche Lowell an seine unmittelbaren Wahrnehmungen,
Messungen und Zeichnungen knüpft, eine wichtige Ergänzung,
ja die eigentliche Fruktifizierung derselben, gleichgültig ob er im
einzelnen überall das Richtige getroffen hat oder nicht.
Die beiden weißen Flecke, welche zur Winterzeit jeder Mars-
hemisphäre um deren Pol seit 200 Jahren beobachtet worden
sind, und die schon W. Herschel für Schneezonen erklärte, hält auch
Lowell für Gefrierungsprodukte des Wassers und andere, schneller
veränderliche helle Flecke für Wolken, die aus Wasserdampf be-
stehen.
Die südliche Eiskappe fand Lowell bei dieser Opposition, als
sie in der Mitte ihres Sommers stand, klein und unveränderlich in
ihrer Größe, besonders in den Meridianen von 0^ bis 60^ und 270^
zwischen 70® und 90® südl. Br., in Gegenden, wo von ihm 1894
große Polarbuchten konstatiert worden waren. Mit dem Überschreiten
des Frühlingsäquinoktiums der nördlichen Hemisphäre beginnt für
den Südpol die lange Nacht Der südlichste Punkt an der Licht-
grenze zeigte sich gelegentlich weißlich, wie schneebedekt oderwolken-
beladen, und in Mitte des Winters ist die Oberfläche bis 25® vom
Südpol begraben in Schnee oder Gewölk. Die nördliche Schneekappe
wurde als kleines, glänzendes Fleckchen zuerst am 21. August von
Lowell bemerkt, und die Beobachtungen der nächsten Tage zeigten,
daß sie nicht überall gleichweit ab vom Pole reichte. Was die wahr-
genommenen Veränderungen an der nördlichen Polarkalotte anbelangt,
80 gibt Lowell davon eine übersichtliche Zusammenstellung. Im
Januar (hier wie im folgenden ist immer der dem unserigen ent-
sprechende Monat auf dem Mars gemeint), als der Nordpol 24® bis
16 ® jenseits der Lichtgrenze lag, erschien der nördlichste Teil der
letztem weiß, bläulichweiß oder grünlichweiß in den Regionen Aci-
dalius Lacus, Sirenius und Äthiops, und die Polarkappe war bis-
weilen breit und weiß mit dunkelgrünem Rande unter den Meridianen
durch Syrtis major, Aurorae Sinus und Titan. Dieses Aussehen
schreibt Lowell Wolken und vielleicht einer Vegetation zu. Im Februar
28 Planeten.
dehnte sich die weiße Kalotte bis 50^ oder 60^ nördL Br. aus
mit verschwommenen Grenzen, die als Bewölkung gedeutet werden,
doch auch mit hellen Stellen in 70 ^ nördl. Br., die Lowell für wirk-
lichen Schnee hält Von blauer oder grüner Färbung war nichts zu
sehen, wohl aber zwischen den Meridianen von Trivium Gharontis
bis Margaritifer Sinus zeigte sich ein grauer oder dunkler Rand.
Im März, nachdem das Frühlingsäquinoktium vorüber, und der Nord-
pol in das Sonnenlicht getreten war, zeigte sich die Eiskappe breit
und unveränderlich, umgeben von einem farbigen Saume und einge-
schnitten von dunklen Spalten. »Unzweifelhaft begann sich unter
dem Einfluß der vom Sclünelzen des Schnees herrührenden Feuchtig-
keit eine dichte Vegetation längs der Ränder der Schneezone und in
den tiefen Flächen zu entwickeln, c Während des April verhielt sich
die Polarkappe weiterhin wie schmelzender Schnee, sie wurde von
permanenten Spalten durchsetzt, langsam zog sie sich zusammen, und
ihr Rand lag etwa in 60 ^ nördl. Br. Ihr breitester Teil war in der
Richtung der Syrtis Major, einem Reservoir der Feuchtigkeit, und
am schmälsten war sie bei Issedon und Amystis. Eine merkwürdige
Tatsache ist, daß die großen dunklen Flecke unter dem Meridian
dieses schmälsten Teiles, namentlich Aurorae Sinus, um diese Zeit
fast völlig verschwanden und sich verhielten wie ein Vegetations-
gebiet, das aller Feuchtigkeit beraubt wird. Die Verminderung der
Ausdehnung der Polarkappe zu dieser Zeit und unter diesem Meridian
scheint in Beziehung zu diesem merkwürdigen Phänomen zu stehen.
Anfangs Juni war die Polarkappe auf einen sehr kleinen Fleck in
der Nähe des Nordpols reduziert, der umgeben wurde von einer be-
trächtlichen Wolkenzone, die vermutlich dem raschen Schmelzen des
Eises entsprang. Einige der nördlichsten Kanäle, welche im frühem
Stadium als Spalten in der Eiskalotte sich dargestellt hatten, er-
schienen jetzt gut entwickelt.
Ein Vergleich des Verhaltens der beiden Polarregionen des Mars
während des Jahreslaufes ist für das Verständnis seiner Klima-
tologie von besonderem Interesse. Die südliche Schneezone schmilzt
in der 2. Hälfte ihres Sommers fast ganz zusammen und wird erst
mit dem Marsmonate April, wenn sie in ihren Winter rückt, be-
trächtlich größer; die nördliche dagegen zeigt sich erst um die Mitte
des Winters und bleibt dann ziemlich permanent Dies deutet darauf,
daß im Herbste des Mars an seinem Nordpole die Wassermenge er-
heblich geringer ist, als in den südlichen Polargegenden, was in dem
Vorhandensein ausgedehnter, heller, kontinentaler Regionen auf der
nördlichen Marshemisphäre volle Bestätigung findet Wenn aber der
Nordpol des Mars mit den kontinentalen Flächen in seiner Um-
gebung für uns sichtbar wird, liegt der Wärmeäquator tief auf der
südlichen Hemisphäre, und infolgedessen muß ein mächtiger Strom
feuchter Luft nordwärts gerichtet sein. Zunächst wird sich deren
Feuchtigkeit auf den höher gelegenen Flächen verdichten und erst
Planeten. 29
nach und nach in die tiefem Gegenden gelangen, die als Reservoir
dienen. Dies wird durch die Beobachtungen tatsächlich durchaus
bestätigt Die Tatsache, daß im Januar grüne oder blaue Flächen
nahe der Polarkalotte der nördlichen Marshemisphäre gesehen werden,
zeigt nach Lowell an, daß die Temperatur dort in 40 bis 70^
nördL Br. um diese Zeit nicht zu niedrig ist, um die Existenz von
flüssigem Wasser und von Vegetation zu hindern; im Februar dagegen
zeigte sich nur einmal ein dunkler Fleck am südlichen Rande der
Kalotte in etwa 40 ® nördl. Br. Hieraus schließt der Beobachter, daß
der Monat Februar der kälteste war. In diesen beiden Monaten er-
schien die Eiskappe häufig besonders breit zwischen Trivium Charontis
und Aurorae Sinus und behielt diese größere Ausdehnung bis zum April.
Eine große Rolle unter den Eigentümlichkeiten der Marsober«
fläche, welche seit Schiaparellis Untersuchungen bekannt wurden,
spielen die sogenannten Kanäle. Mit ihnen beschäftigt sich Lowell
eingehend, und zwar vom Standpunkte seiner meteorologischen Grund-«
hypothese aus. Die Kanäle zeigten sich am deutlichsten in den hellen
(kontinentalen) Regionen der nördlichen Marshälfte. Auf der südlichen
Hemisphäre sind sie etwa um die Hälfte weniger zahlreich und dort
in abgedunkelten Regionen am besten erkennbar. Die Sichtbarkeit
der Kanäle auf der südlichen Marshälfte , etwa von 40 ® südl. Br.
an, nimmt von Januar bis April des Marsjahres, also während
der 2. Hälfte ihres Sommers, ab. In den äquatorialen Oegenden
zwischen 30^ südl. und 10 ^ nördl. Br. ist dagegen keine auffallende
Verschiedenheit in dieser Hinsicht wahrzunehmen. In den Gegenden
der nördlichen Marshemisphäre von 10 bis 40^ nördl. Br. nimmt die
Sichtbarkeit der Kanäle in den dunklen Regionen etwas, dagegen in
den hellen Flächen stark zu, und zwischen 40 und 60 ^ nördl. Br.
ist diese Zunahme der Deutlichkeit und Dunkelheit der KanäJe über
der ganzen Breitenzone des Planeten zu erkennen. Alles dieses be-
stätigt die frühem Schlußfolgerungen, daß diese Kanäle ihre Sicht«
barkeit für uns durch Feuchtigkeit und Vegetation erlangen. In dem
Maße als für die dunklen Flecken der südlichen Marshemisphäre die
Mitte des Sommers naht (vom Oktober bis zum Januar), verändert
sich ihre Farbe aus Grün in Bräunlich und zuletzt in Gelb. Die
hellen Regionen dieser Hemisphäre sind dunkelorange oder gelblich,
wozu sich im November, zur Zeit der Eisschmelze, oft etwas Grün
gesellt, im Dezember etwas Braun, im Februar Rötlich und im März
weiß. Dieser Übergang von Grün zu Braun und Gelb ähnelt dem-
jenigen unserer Vegetation während trockener Sommer und im Herbste.
Die großen dunklen Flächen der heißen südlichen Zone sind während
des ganzen Sommers bläulichgrün und werden im April gelblich, die
nördlichen dunklen Flecke sind grün oder bläulichgrün im Dezember
und Januar.
Eine große Rolle spielt die Verdoppelung der Kanäle in allen
Fragen über die wahrscheinliche Beschaffenheit der Marsoberfläche.
30 Planeten.
Prof. W. H. Pickering hat wichtige Grunde angegeben , wonach diese
Duplizität eine optische Täuschung ist, und Lowell ist geneigt, diesem
Schlüsse beizustimmen. Jedesmal, wenn er einen Doppelkanal wahr-
zunehmen glaubte, hat er sich genötigt, gesehen im Beobachtimgs-
buche beizufügen, daß ihm die Wahrnehmung nicht ganz sicher scheine,
nur ein einziges Mal schien ihm die Duplizität positiv sicher, aber
auch nicht während der ganzen Beobachtungsdauer. Auf eine un-
scharfe Einstellung des Fernrohres möchte Lowell die vorgetäuschte
Duplizität der feinen Marskanäle indessen nicht zurückführen, sondern
auf die falsche Auffassung des Beobachters, daB zwei sehr nahe bei-
einander befindliche, aber in ihrem Verlaufe etwas divergierende Kanäle
für einen Doppelkanal gehalten werden. Erwägt man, um welche
überaus feine Wahrnehmungen auf einem kleinen Flächenraume es
sich handelt, so wird man diese Erklärung sehr annehmbar finden
und auch begreifen, weshalb die Doppelkanäle immer an der Grenze
der Wahmehmbarkeit stehen, mag nun das Fernrohr oder die Mars-
scheibe größer oder kleiner sein. Diese letztere Tatsache wird durch
eine Zusammenstellung der mittlem Entfernung für beide Kom-
ponenten der Marskanäle bei verschiedenen Durchmessern der Mars-
scheibe gut illustriert Douglass gibt nämlich an, daß nach den Be-
obachtungen im August 1896, als die Marsscheibe 8.9" im Durch-
messer erschien, der Abstand der Komponenten der Doppelkanäle
durchschnittlich auf 0.304" oder in Graden der Marskugel auf 4.11^
geschätzt wurde, im Oktober und Januar 1897, als der Marsdurdi-
messer auf 13.5" gestiegen war, zu 0.35" entsprechend einem Bogen
von 2.9 ^. Mit dem Nachweise, daß die Verdoppelung der Marskanäle
lediglich optische Täuschung ist, verschwindet die größte Schwierig-
keit für die Deutung dieser Gebilde. Ein weiterer und wichtiger
Schritt in bezug auf letztere ist die Wahrnehmung, daß die Kanäle
sich auch in die dunklen Regionen hinein fortsetzen und dort über
lange Strecken hin verfolgt werden können. Dies war zu Flagstaff
in der Opposition des Mars 1894 — 1895 gelungen, und die Beobach-
tungen 1896 — 1897 haben weitere Bestätigungen dieser wichtigen
Tatsache geliefert Im Margaritif er und Aurorae Sinus und im Sirenum
Marc waren die Fortsetzungen der Kanäle in den dunklen Regionen
während der beiden Oppositionen im ganzen unverändert die näm-
lichen. Doch wurden im Sirenum Mare sowie in Atlantis und Cim-
merium Mare noch einige bis dahin unbekannte Kanäle wahrgenommen.
Von besonderem Interesse sind die Beobachtungen über Syrtis Major,
welche Lowell mitteilt und diskutiert. Diese dunkle Fläche ist eine
der größten und deutlichsten auf dem Mars, und sie hat schon 1659
Huyghens dazu gedient, die Rotation dieses Planeten zu erkennen.
Man hat sie als wirkliche See betrachtet, und in der Tat zeigt sie
sich in großen Ferngläsern unter sonst günstigen Bedingungen von
dunkel blaugrünlicher Farbe. Der wahre Charakter dieser Fläche
zeigte sich in den Beobachtungen zu Flagstaff während der Opposi-
Planeten. 81
tion von 1894. Zunächst ergaben die Untersuchungen von Prof.
W. H. Pickering keine Polarisation des Lichtes ihrer Oberflache,
während die südliche Polarsee des Mars solche zeigte, also hier das
Vorhandensein von Wasser erkennen ließ, das man auch aus andern
Gründen annehmen möchte. Dann erschienen, als die Jahreszeit auf
dem Mars f ortschritt, in der Fläche der Syrtis hellere und dunklere
Flecke ohne Veränderung der Position, und schließlich begann das
ganze blaugrünliche Areal zusammenzuschwinden , ohne daß dafür
in der Nähe oder anderwärts entsprechende dunkle Flächen sichtbar
wurden. Diese Umstände beweisen in ihrer Gesamtheit» daß die Syrte
kein Wasserozean sein kann, sondern wahrscheinlich eine mit Vegeta-
tion bedeckte Fläche ist, deren Aussehen sich der Jahreszeit ent-
sprechend ändert Lowell zeigt dies im einzelnen und behandelt dabei
auch die Wahrnehmungen von rhomboidalen, heilern Flächen und
langen, dammähnlichen Verbindungen, von denen er vier besonders
benennt: Solls Pons, Lunae Pons, Pons Gometarum und Pons Stellaxum.
Die Aufhellungen dieser Flächen schreibt Lowell der Auftrocknung
derselben zu und die reguläre Form der Umfassung durch Kanäle.
In den dunklen Regionen wurden letztere 1894 zuerst von Douglass
gesehen, und der deutlichste derselben ist der Dosaron, welcher die
große Syrte in gerader Linie durchschneidet und sich weithin zwischen
Hellas und Noachis fortsetzt. Er ist absolut geradlinig und überall
gleichförmig breit, mit andern Worten: sein Aussehen spricht durch-
aus für künstlichen Ursprung. In einer frühem Saison des Mars-
jahres sah man an dieser Stelle eine Art Band von dunklerer Farbe
als seine Umgebung, welches die Syrte mit der südlichen Polarsee
verband. Es war nicht gerade, noch gleichförmig breit, zeigte viel-
mehr zufällige Krümmungen, kurz es bot keinerlei Ähnlichkeit mit
einer künstlichen Anlage. Später verblich es mehr und mehr, und
nachdem die Polarsee verschwunden war, wurde es in seinem süd-
lichen Teile unsichtbar. Als es ziemlich abgebleicht war, zeigte sich
in seiner Mitte, dieser folgend, der Strich des Dosaron, vom untersten
Ende der Syrte beginnend und sich über das ganze Band als schnur-
gerade Linie forterstreckend und so seinen künstlichen Ursprung
deutlich zur Schau tragend (?). Wenn man sich vorstellt, daß zur Zeit
der Oberschwemmung Wasser von der Polarsee durch die mittlem und
daher wohl tiefem Teile der Syrte strömt und hier Vegetationen hervor-
ruft, so läßt sich nach Lowell der feine Strich des Dosaron erklären als
künstlich angelegter Kanal, der diesem Gebiete noch Wasser aus den
Polgegenden zuführt, wenn die natürliche Bewässerung versagt Eine
zweite Linie, welche von dem nämlichen Punkte wie Dosaron aus-
geht, aber sich südwärts nach dem mittlem Hellas hin wendet ist
der Orosines. Wie jener ist er vollkommen gerade, genau ebenso
breit (etwa 34 englische Meilen), und gleichmäßig und ebenfalls
offenbar künstlichen Ursprungs (?). Lowell bemerkt übrigens, daß die
^anze scheinbare Breite nicht die wahre der Kanäle zu sein braucht,
82 Planeten.
diese letztem sind weit schmaler, was wir sehen, ist eine breite
von Vegetation bedeckte Fläche rechts und links von dem eigent-
lichen Kanal. In seiner Verlängerung nach Süden trifft der Orosines
übrigens auf den großen breiten Kanal Alpheus, der Hellas in süd-
licher Richtung ganz durchquert und direkt mit der südlichen Polar-
region in Verbindung tritt. Noch andere Kanäle zeigen sich im Oe-
biete der Syrte, so der Hippus, Erymanthus, in der Syrtis minor der
Galaesus, femer Hylias und Aeolus. Wo solche Kanäle zusammen-
treffen, zeigen sich, wie Douglass gefunden, rundliche dunkle Flecke^
ähnlich den von Lowell als Oasen bezeichneten in den hellen
Regionen des Planeten. Es ist nach dem Beobachter sehr wahr-
scheinlich, daß es in der Tat Regionen sind, wo Vegetation vorzugs-
weise gedeiht, weil sich Wasser genug findet. Oberhaupt spielt das
Vorhandensein oder Fehlen des Wassers auf dem Mars eine augen-
fälligere Rolle in bezug auf Vegetation als bei uns , einerseits weil
es dort in geringerer Menge vorhanden ist als auf der Erde, dann
auch weil wahrscheinlich die mittlere Lufttemperatur nahe der Mars-
oberfläche höher ist als bei uns. Der äquatoriale Teil des Mars ist
eine Wüste, der aber, wie Lowell betont, zur Fruchtbarkeit nichts
fehlt als Wasser.
Sehr zahlreich sind auch die Beobachtungen über das Aussehen
der Lichtgrenze in den Randgegenden des Mars. Es wurden frei-
schwebende Wolken wiederholt wahrgenommen.
Im Monat Febraar des Mars wurden in 20 bis 30 ^ südL Br»
auf diesem Planeten ungeheure Wolkenzüge beobachtet, die sich von
S nach N bewegten, in einer Höhe von 13 bis 24 km über der Ober-
fläche und mit einer Geschwindigkeit von 30 km in der Stunde.
Wad man auf der Erde die Kalmenregion nennt, die Region der
stärksten Auflockerung der Luft infolge der Erwärmung, lag also
damals auf dem Mars in 20 bis 30 ^ südl. Br. Freie Wasserober-
flächen sind auf diesem Planeten nur vereinzelt vorhanden; bildeten
sie einen großem, zusammenhängenden Ozean, so müßte sich die
Sonne darin abspiegeln, und deren Spiegelbild würde im Femrohre
sehr deutlich sichtbar sein. Solches ist jedoch niemals beobachtet
worden. Die größte Menge von Feuchtigkeit findet sich in den Polar-
regionen, vor allem der südlichen; auch über der wärmsten Zone des
Mars muß, wie die Wolken ausweisen, die Luft sehr feucht sein;
die geringste Menge derselben enthalten die gemäßigten Zonen. Der
Kreislauf des flüssigen Elementes auf dem Mars wird durch die Luft-
ströme in der Atmosphäre und die Kanäle an die Oberfläche unter-
halten, die treibende Kraft ist natürlich wie bei uns die Sonnen-
wärme. Was die vertikale Oberflächengestaltung des Mars anbelangt,
so ist dieser Planet weit weniger bergreich als die Erde; es finden
sich auf ihm sehr ausgedehnte Ebenen, ohne welche das dortige weit
verzweigte Kanalnetz gar nicht möglich wäre; auch umfangreiche
Hochflächen kommen vor, besonders in den Polarregionen, daneben
Planeten. 83
aber nicht minder Einsenkimgen von beträchtlicher Ausdehnung. Lowell
hat auf Grund seiner Beobachtungen eine große Karte des Mars in
Merkatorprojektion entworfen, welche die sämtlichen wahrgenommenen
Oberflächenteile des Planeten und die ihnen beigelegten (335) Namen
enthält.
Die südliche Polarkalotte des Mars. Prof. Barnard machte^)
einige Mitteilungen über seine Beobachtungen der südlichen Eiszone
des Mars während der Erdnähe dieses Planeten in den Jahren 1892
und 1894. Neben den gewöhnlichen Zeichnungen des Aussehens
des Planeten hat Prof. Bamard sorgfältige Mikrometermessungen des
Durchmessers der Eiszone während beider Oppositionen ausgeführt
Die Berechnung dieser Messungen ergab, daß während beider Oppo-
sitionen die Ausdehnung der Eiszone sich in überraschend gleicher
Weise verminderte, und zwar bis etwas über einen Monat nach Be-
ginn des Sommers auf der südlichen Marshemisphäre. Daraus folgt,
daß die Zeit der höchsten Temperatur auf dem Mars, ähnlich wie
auf der Erde, einen oder mehrere Monate nach dem höchsten Sonnen-
stande eintritt. Prof. Barnard ist femer der Meinung, daß die weiße
Farbe der Polarzone tatsächlich von Schneemassen herrührt.
Eine Wolke auf dem Mars. Auf dem Lowellobservatorium
zu Flagstaff in Arizona hat Slipher am 26. Mai 8 ^ 35 "^ (Mountainzeit)
eine große Projektion auf dem Mars gesehen im Positionswinkel von
200 ^ sie war 35 Minuten lang sichtbar, ihre Position auf der
Marskugel war in 22^ nördl. Br. und 37^ westl. L. P. Lowell
erklärte die Erscheinung für eine ungeheure Wolke, die sich nord-
wärts bewegte und dabei auflöste. Höchst wahrscheinlich damit in
einem gewissen Zusammenhange steht eine von W. F. Denning zu
Bristol gemachte Wahrnehmung.^ Derselbe fand am 19. und 21. Mai
die Syrtis major auf dem Mars abnorm dunkel, fast schwarz. In
der letztem Nacht erschien die Region unmittelbar südlich davon
überaus hell und wie bedeckt mit kleinen lichten Wölkchen. Am
23. und 24. Mai schien Syrtis major eine merkliche Veränderung er-
litten zu haben, sie war ungewöhnlich schwach sichtbar, anscheinend
überzogen mit einem stark reflektierenden Material. Ihre Umrisse
waren nicht leicht zu erkennen, obgleich andere Details wie Nilo-
syrtis, Euphrates usw. leicht sichtbar waren.
Die Harskanäle ais optische Täuschungren. J. E. Evans
und E. W. Maunder haben Versuche angestellt, aus denen sie schließen,
daß die als Kanäle bezeichneten feinen Linien der Marsscheibe in
Wirklichkeit gar nicht vorhanden, sondern nur Augentäuschungen sind.^)
*) Astrophys. Journal 17. Nr. 4.
^ Astron. Nachr. Nr. 8874.
•) Monthly Noüces 1908. 6S. Nr. 8. p. 488. Sirius 1908 p. 200.
Klein, Jahrbuch XIV. 8
84 Planeten.
Die von den beiden genannten Astronomen yeranstalteten Versuche
wurden in folgender Weise ausgeführt: Eine kreisrunde Scheibe, die je nach
den Umständen zwischen 8.1 bis 6.8 Zoll Durchmesser hatte, wurde vor
einer Klasse von Schulknaben zum Abzeichnen aufgestellt. Die Knaben
waren in verschieden abgemessenen Entfernungen von der Scheibe postiert.
Jeder erhielt ein Stück Zeichenpapier, auf welchem ein Kreis gezeichnet
war, und sie wurden dahin unterrichtet, in diesen Kreis alle Einzdheiten
einzuzeichnen, die sie auf der Scheibe wahrnehmen könnten. Keinerlei An-
deutung war ihnen gegeben, ob auf dieser Scheibe Punkte, Fledce oder
Streifen zu sehen seien, auch wurden sie beim Zeichnen sorgfältig überwacht,
so daß niemand von seinen Nachbarn beeinflußt werden konnte. Alle waren
völlig unbekannt mit den Abbildungen des Mars, wie solche an den großen
Femrohren erhalten worden sind, und wußten überhaupt nicht, um was es
sich eigentlich handelte ; sie sollten lediglich nur das zeichnen, was sie auf
der entfernten Scheibe sahen. Auf dieser Scheibe war vorzugsweise der-
ienige Teil der Marsoberfläche gezeichnet, den Green auf seine Karte als
Beer-Kontinent eingetragen, und welcher die sehr charakteristischen dunklen
Flecken enthält, welche als Syrtis Major und Dawes Forked Bay bekannt
sind. Letztere entspricht dem in 2 Spitzen auslaufenden südlichen Ende
des von Schiaparelli als Sinus Sabaeus bezeichneten dunklen Fleckes. Die
Zeichnung dieser Flecken war dunkel auf hellem Grunde mit matten, unregel-
mäßig zerstreuten Punkten, aber alles bestimmt und hart gezeichnet, ohne
die leiseste Spur von dem, was man als Kanal zu bezeichnen pflegjk. Es
wurden übrigens zu den verschiedenen Versuchen auch verschiedene
Zeichnungen auf der Scheibe benutzt, nach Originalen von Schiaparelli und
Lowell aber mit Fortlassung der Kanallinien. Die Knaben zeichneten in
fast allen Fällen feine, geradlinige Kanäle, die durchaus mit deinenigen in
den Zeichnungen der Marskarte übereinstimmen. So zeichneten 20 iSiaben
in dem 1. Versuche folgende Kanäle : Argaeus, Amon, Deuteronilus, Kison,
Pierius, Protonilus, Pyramus.
Die sämtlichen Knaben, mit Ausnahme eines einzigen, zeichneten Dawes
Forked Bay als zweispitzig, während die Zeichnung der beiden Zweige ihnen
unter Sehwinkel von 280" bis 140^' erschien. Von kleinen runden Flecken
wurde keiner unter 84" isoliert erkannt, obgleich sie dunkelschwarz auf
hellem Grunde standen. In einem andern Versuche wurden die Knaben in
8 Reihen geordnet, die in verschiedenen Distanzen von der Scheibe sich
befanden.
Die nachstehende kleine Tabelle enthält unter I die Bezeichnungen der
8 Reihen, unter n die Zahl der Knaben in jeder derselben, unter m den
Abstand der Reihen von der Scheibe in englischen Fuß und unter IV den
Winkel, unter welchem die Scheibe in jeder Reihe erschien.
I u m rv
a 2 17 lOB'
b 3 19 94
c 4 22V9 80
d 8 24 75
e 8 28Vji 63
f 4 32V, 55
g 4 84Vfl 52
h 11 37V« 48
Die Ergebnisse aus diesen Versuchen sind höchst instruktiv. Die Knaben
in der Reihe a waren gerade in derjenigen Entfernung, in welcher das feine
Detail der Scheibe begann, das Aussehen von Linien (resp. Kanälen) an-
zunehmen. In der Reihe b sah ein Schüler das Detail in seiner wahren
Gestalt, einem andern erschien es kanalfönnig, dem dritten unvollkommen
als Kanallinien. In den Reihen c und d sahen alle einige Kanäle, mehrere
Knaben aber nur teilweise. In Reihe e waren die Kanäle nicht völlig so
Planeten. 85
gat dohtbar, ob|deioh jeder Schüler etwas davon sah. Die Reihe I sah sehr
wenige Kanäle, Reihe g eine ziemliche Anzahl derselb.en, die meisten in der
Reihe h sahen dagegen nichts von Kanälen oder diesen ähnlichen Figaren.
Die Zeichnungen der Knaben in den Reihen a und b waren besonders in-
struktiv, denn sie zeigten, daß die wirklichen Details, nämlich sewundene,
fiußähnliche Streifen und die zerstreuten Punkte als solche eben in die
Grenze der Wahmehmbarkeit traten oder sich in kanalähnliche Linien zu
verschmelzen begannen. Im ganzen wurden auf der vorgezeichneten Scheibe
12 Kanäle von den Schülern vermeintlich gesehen und nachgezeichnet, und
der Vergleich mit den Karten von Schiaparelli usw. ergab hinterher, daß
diese imaginären Kanäle sich tatsächlich auch meist auf diesen Karten
fanden.
Eine charakteristische Tatsache ist, daß 11 Schüler die abgetonte Land-
schaft Meroe durch eine Linie abschlössen, welche genau dem Laufe des
Kanals Astusapes entspricht. Die ganze Landschaft trat nicht klar genug
hervor, um in den entferntem Reihen deutlich e^annt zu werden, nur
ein Knabe in g, einer in h (aber keiner in f) erkannten den Kanal Astusapes
d. h. zeichneten einen solchen, erkannten aber nicht, daß Meroe eine ab-
geschattete Landschaft ist Von den näher sitzenden Knaben zeichneten
im ffanzen 50^/o den Astusapes und nur 15% die abgeschattete Fläche als
solcne. Eine Anzahl Knaben, die aus der Reihe b in die Reihe h versetzt
wurden, waren in dieser, sei es nach der Erinnerung oder durch die gewonnene
Praxis, besser imstande, Kanäle zu sehen, als die Knaben, die von Anfang
an in Reihe h gesessen hatten. Von einer Verdopplung der Kanäle war
im allgemeinen auf den Zeichnungen der Knaben mchts zu finden, nur in
2 Fällen hatte ein Knabe aus 91 ^j^ und ein andrer aus 25Vt Fuß Ent-
fernung einen Kanal doppelt gezeichnet, und zwar merkwürdigerweise in
beiden FäUen den Hiddekel. In einem Versuche, bei welchem eine Lowellsche
Maiszeichnung mit den Oasen aber ohne Kanäle vorgehalten wurde, sahen
und zeichneten die Knaben statt der Oasenfleckchen Kanäle, und zwar
sehr deutlich und scharf ausgesprochen. Nur ausnahmsweise, aus Ent-
fernungen von 28% und 37 V« Fuß, wurden auch Oasen gezeichnet. Auf
die Einzelheiten von vielen andern Versuchen, welche Evans und Maunder
mitteilen, braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden. Diese Astronomen
sagen, daß, indem sie die sämtlichen von ihnen veranlaßten Reihen von
Experimenten nochmals überschauen, es unmö^ch sei, der Schlußfolgerung
zu entgehen, daß Linien, welche alle charakteristischen Merkmale der Mars-
kanäle besitzen, von vollständig unbefangenen, scharfsichtigen Beobachtern
auf Objekten gesehen werden können, die tatsächlich durchaus keine solchen
Linien aufweisen. Es sind diese Wahrnehmungen dann keinesw^s Ein-
bildungen, sondern durch das Auge veranlaßte Verbindungen von Formen,
die tatsächlich einen ganz andern Charakter besitzen. Die Vermutung von
Green, daß die Kanäle durch die Aneinandergrenzung verschiedener ab-
geschatteter Flächen vorgetäuscht würden, gewinnt durch die Versuche von
Evans und Maunder eine Stütze. Die ergiebigste Quelle, aus der die kanal-
ähnlichen Eindrücke hervorgehen, ist aber die Tendenz der Wahrnehmung,
sehr kleine Punkte miteinander zu verbinden. Noch ist hervorzuheben, daß
bei Wiederholung der Versuche mit den nämlichen Knaben sich eine Tendenz
der letztem offenbarte, mehr Kanäle als früher zu zeichnen, obgleich sie
nicht wußten, worauf es ankam, und ihnen stets eingeschärft wurde, nur das
EU zeichnen, was sie deutlich sähen. Mehrere Knaben sahen später aus
größerer Entfernung mehr Kanäle als früher aus geringerer.
In Übereinstimmung mit mehrem andern Versuchen über die Grenzen
der Wahmehmbarkeit kommen Evans und Maunder zu dem Ergebnisse, daß
Objekte nahe dieser Grenze in 2 Klassen zu trennen sind, nämlich in
Punkte und Linien. Was die Sichtbarkeit einer geraden Linie anbelangt,
so ist dieselbe vorhanden, wenn bei einer genügenden Länge die Breite
8»
36 Planeten.
^/j. vom Durchmesser des kleinsten noch sichtbaren Punktes beträgt. Eine
solche Linie kann also noch wahrgenommen werden, wenn ihre Breite weit
unter der Sichtbarkeitsgrenze für jede andere Gestalt liegt. Wenn daher die
Oberfläche des Mars in Wirklichkeit mit einer Reihe gerader Linien bedeckt
ist, wie sie die Karten von Schiaparelli und Lowell zeigen, so könnte über
ihre Existenz als solche kein Zweifel sein, jeder Beobachter würde sie er-
kennen. Die Schlußfolgerung von Evans und Maunder iist aber, daß die
Marskanäle in einigeu Fällen, wie Green vermutete, durch die Grenze von
ungleich abgeschatteten Flächenteilen vorgetäuscht werden, in den meisten
Fallen aber einfach durch optische Aneinanderreihung (»Integration«) von
Details entstehen, welche zu klein sind, um einzeln wahrgenommen zu werden.
>Die Beobachter des Mars, welche während der letzten 25 Jahre dessen
Kanäle zeichneten, haben gezeichnet, was sie sahen, aber die Kanäle, welche
sie sahen, haben keine realere Existenz als die, welche die Greenwicher
Schulknaben sich einbildeten auf den Vorlagen zu sehen, und die sie dem-
gemäß zeichneten.« Das ist der Schluß, zu dem Evans und Maunder durch
ihre Experimente geführt worden sind.
Der Llehtwechsel der Jupitermonde beim Vorfibergangre
VOF der Jupiterscheibe ist von H. Kloht an Modellen studiert
worden.^) Die Jupitermonde sind beim Vorübergange vor der Jupiter-
soheibe bekanntlich zuerst als helle Scheibchen sichtbar, nehmen
dann schnell an Helligkeit ab, bis sie etwa bei Y15 ^^^ Durch-
messers der scheinbaren Jupiterscheibe unsichtbar werden und darauf
in der Mitte derselben als dunkle runde Flecke wieder erscheinen;
worauf im weitern Verlaufe des Vorüberganges der Lichtwechsel
in umgekehrter Reihenfolge auftritt.
Durch irgendwelche zeitweisen Veränderungen an den Monden
selbst, wie Fleckenbildung usw., kann dieser regelmäßige Wechsel
in der Helligkeit und Sichtbarkeit derselben nicht erklärt werden.
Das Zusammenfallen der ganzen Erscheinung mit der Dauer eines
Vorüberganges, und die umgekehrte Reihenfolge des Lichtwechsels
in der 2. Hälfte des Vorüberganges deuten vielmehr darauf hin, daß
der Lichtwechsel der Monde eine optische Täuschung ist, welche durch
die Kugeloberfläche Jupiters hervorgerufen wird.
Die Beleuchtung einer Fläche ist bekanntlich am stärksten,
wenn die Lichtstrahlen senkrecht auf dieselbe auffallen, während
bei schräg einfallendem Lichte die Beleuchtung sich verhält wie
der Sinus des Neigungswinkels, den die einfallenden Strahlen mit
der beleuchteten Fläche bilden.
Dementsprechend ist die Beleuchtung einer Kugel im Ober-
flächenmittelpunkte der der Lichtquelle zugewendeten Halbkugel, wo
die Lichtstrahlen senkrecht auffallen, am stärksten und wird nach
dem Rande derselben wegen der kontinuierlichen Abnahme des
Neigungswinkels, den die einfallenden Lichtstrahlen mit der Kugel-
oberfläche bilden, beständig schwächer, bis sie am Rande selbst,
wo die Oberfläche nur noch tangential von den Lichtstrahlen berührt
wird, gänzlich aufhört
1) Sirius 1908, p. 26.
Planeten. 87
Für die Erklärung der in Rede stehenden Erscheinung kommt
jedoch nicht das auffallende, sondern das reflektierte Licht in Be-
tracht. Wenn nun auch für die Beurteilung der von einer beleuch-
teten Eugeloberfläche reflektierten Lichtmenge kein ebenso einfacher
Satz zu Gebote steht, wie dies hinsichtlich der Beleuchtung der Fall
ist, 80 muß doch immerhin die Annahme als zutreffend angesehen
werden, daß von den einzelnen Punkten einer einseitig beleuchteten
total reflektierenden Eugeloberfläche nicht mehr Licht reflektiert
werden kann, als auffällt, und daß deshalb die Randzone der der
Lichtquelle und dem Beobachter zugewendeten Halbkugel, der schrägen
Beleuchtung entsprechend, weniger hell erscheinen muß, als die senk-
recht beleuchtete Zentralgegend derselben. Infolge seitlicher Reflexion
gelangt zwar nur ein Teil des auffallenden Lichtes in das Auge des
Beobachters, aber das Verhältnis dieser reflektierten Lichtmenge zur
gesamten auffallenden Lichtmenge muß bei einer gleichmäßig be-
schaffenen total reflektierenden Kugeloberfläche an allen Stellen der-
selben das gleiche sein, und die Helligkeit der beleuchteten Hemi-
sphäre deshalb nach ihrem Rande zu in demselben Verhältnis ab-
nehmen wie die Beleuchtung»
Diese Folgerung befindet sich zwar nicht in Übereinstimmimg
mit dem photometrischen Satze, nach welchem eine leuchtende Kugel
als gleichmäßig helle Scheibe erscheinen muß; aber für eine mit
reflektiertem Lichte leuchtende Kugel trifft dieser Satz nur dann zu,
wenn die beleuchtete Oberfläche derselben mit zahlreichen erheblichen
Unebenheiten besetzt ist Bei einer regelmäßig gekrümmten total
reflektierenden Eugeloberfläche ist der Lichtabfall nach dem Rande
der beleuchteten Halbkugel deutlich sichtbar. Um aber den ganzen
Umfang desselben wahrzunehmen, ist es notwendig, daß die Kugel
vor weißem und nicht vor schwarzem Hintergrunde aufgestellt wird.
Wird dieser Bedingung genügt, so tritt der Lichtabfall schon bei
gewöhnlichem Tageslichte deutlich hervor.
Wenn demnach ein Jupitermond vor der Mitte der scheinbaren
Jupiterscheibe vorübergeht, muß vermöge des hellen Untergrundes der
Lichtabfall an demselben sichtbar werden. Eine Lichtabnahme nach
dem Rande der scheinbaren Scheibe ist zwar auch bei Jupiter vor-
handen, obwohl dieselbe wegen des dunklen Untergrundes nur
schwach wahrnehmbar ist, aber bei einem Jupitermonde ist dieser
Lichtabfall wegen der starkem Oberflächenkrümmung weit größer,
als bei der dem Durchmesser desselben entsprechenden Scheibe der
zentralen Jupiteroberfläche; indem bei dem kleinem Monde der an
einer Halbkugel auftretende Lichtabfall in seinem vollen Umfange
zur Geltung kommt, während bei der zentralen Jupiteroberfläche,
auf welche der Mond projiziert erscheint, ein Lichtabfall nicht vor-
handen, oder wenigstens nicht wahrnehmbar ist.
Wegen des verhältnismäßig geringen Durchmessers des Jupiter-
mondes vermag aber das Auge den hellen zentralen Teil und die
38 Planeten.
dunkle Randzone des scheinbaren Scheibchens desselben nicht aus-
einander zu halten und sieht letzteres deshalb mit einer mittlem
Helligkeit, welche geringer sein muß, als die der zentralen Jupiter-
oberfläche. Der Mond muß daher vor der Bfitte der scheinbaren
Jupiterscheibe als dunkler runder Fleck erscheinen. Es sei denn,
daß der Vorübergang vor einem dunklen Streifen der Jupiterober-
fläche erfolgt, und hierdurch eine Modifikation der Erscheinung be-
dingt wird.
Wenn der Mond dagegen auf den Rand der scheinbaren
Jupiterscheibe projiziert gesehen wird, so tritt die umgekehrte Er-
scheinung ein. Die Beleuchtung des Mondes ist in dieser Stellung
dieselbe, wie in seiner Zentralstellung. Es muß daher auch seine
Helligkeit dieselbe geblieben sein. Dagegen ist die Helligkeit der
Jupiteroberfläche am Rande der sichtbaren Halbkugel wegen der
sehr schrägen Beleuchtung erheblich geringer, als im Oberflächen-
mittelpunkte derselben, und da femer der Mond in seinem Oberflächen-
mittelpunkte die gleiche Helligkeit hat, wie die Mitte der scheinbaren
Jupiterscheibe, so muß die aus Rand- und Zentralgegend der sicht-
baren Mondoberfläche resultierende mittlere Helligkeit des Mondes
die Helligkeit der Jupiteroberfläche am Rande der sichtbaren Halb-
kugel übertreffen. Der Mond muß demnach sowohl unmittelbar nach
seinem Eintritte in die scheinbare Jupiterscheibe, als auch unmittel-
bar vor seinem Austritte aus derselben als helles Scheibchen sicht-
bar sein.
Der Lichtabfall an der sichtbaren Jupiterhalbkugel ist wegen
des dunklen Hintergrundes zwar nur in geringem Grade wahrnehm-
bar, aber der zwischen dem Monde und dem Rande der scheinbaren
Jupiterscheibe in Wirklichkeit bestehende Helligkeitsunterschied wird
durch diese optische Täuschung nicht aufgehoben.
Zwischen Mitte und Rand der scheinbaren Jupiterscheibe muß
die Helligkeit der Jupiteroberfläche infolge der schrägen Beleuchtung
an einer bestimmten Stelle aber gerade so weit abgenommen haben,
daß dieselbe weder größer, noch geringer ist, als die mittlere Hellig-
keit des vorübergehenden Mondes. Letzterer kann daher an dieser
Stelle weder als dimkles, noch als helles Scheibchen erscheinen,
sondern muß unsichtbar bleiben.
Findet der Vorübergang lediglich vor hellem Untergrunde, also
nicht vor einem dunklen Streifen der Jupiteroberfläche statt, und
wird angenommen, daß letztere an allen bei dem Vorübergange in
Frage kommenden Stellen gleichmäßig gekrümmt ist und gleiche
Reflexionsfähigkeit besitzt, so ist sowohl die Lage der Stelle der
Jupiteroberfläche, an der das Unsichtbarwerden des Mondes eintritt,
als auch der Helligkeitsunterschied zwischen dem Monde und der
Jupiteroberfläche bei der Zentral- und Randstellung des erstem an-
nähernd bestimml
Planeten. 39
Die Oberfläche einer Kugel ist bekanntlich viermal so groß,
als die Flache eines größten Kreises derselben Kugel. Mithin ist
die Oberfläche der beleuchteten Halbkugel des Mondes zweimal so
groß, als der von demselben verdeckte kreisförmige Teil der zen-
tralen Jupiteroberfläche, wenn man letztem als eben betrachtet, was
ohne großen Fehler geschehen kann. Das den Jupitermond treffende
Sonnenlicht ist mithin auf eine doppelt so große Fläche verteilt, als
wie dies bei der dem Durchmesser desselben entsprechenden Scheibe
der zentralen Jupiteroberfläche der Fall ist Die aus Rand- und
Zentralgegend der beleuchteten Mondoberfläche resultierende mittlere
Helligkeit des Jupitermondes kann demnach auch nur gleich ^/, der-
jenigen der zentralen Jupiteroberfläche sein, wenn man für die Ober-
flächen beider Himmelskörper regelmäßige Krümmung und gleiche
Reflexionsfähigkeit anninmit
Bezeichnet man nun die Helligkeit der Jupiteroberfläche in der
Mitte mit 1 und am Rande der sichtbaren Halbkugel mit 0, so wird
die dazwischen liegende Oberfläche an derjenigen Stelle gleiche
Helligkeit mit dem Monde haben, an der die Beleuchtung wegen der
schräge auffallenden Lichtstrahlen bis zu ^/, der senkrechten Be-
leuchtung in der Mitte der sichtbaren Oberfläche abgenommen hat
Da aber die Beleuchtung einer Fläche bei schräge auffallendem
Lichte dem Sinus des Neigungswinkels proportional abnimmt, und der
Sinus von 30® gleich ^/^ ist, so muß die Beleuchtung, resp. Hellig-
keit der Jupiteroberfläche an deijenigen Stelle gleich ^/, der zen-
tralen Oberflächenhelligkeit des Planeten sein, an der die einfallenden
Lichtstrahlen die Oberfläche desselben unter einem Winkel von 30®
treffen. Die Orte der Jupiteroberfläche aber, welche unter einem
Neigungswinkel von 30® beleuchtet werden, liegen in einem Ab-
stände von 60® um den Oberflächenmittelpunkt der beleuchteten
Halbkugel
Den an dieser Stelle von dem Monde verdeckten Teile der
Jupiteroberfläche kann man ohne großen Fehler als eben und als
Ellipse ansehen, deren kleine Achse gleich dem Durchmesser des
Mondes, und deren große Achse gleich dem doppelten Durch-
messer desselben ist. Die Fläche dieser Ellipse ist demnach gleich
der Oberfläche der beleuchteten Halbkugel des Mondes. Die gleiche
Lichtmenge ist somit an dieser Stelle bei beiden Himmelskörpern
auf gleiche Flächen verteilt, und nimmt man für beide Oberflächen
regelmäßige Krümmung und gleiche Reflexionsfähigkeit an, so müssen
die gleich großen Flächen auch gleich hell erscheinen. Der Mond
kann an dieser Stelle mithin nicht wahrgenommen werden.
Für die Randstellung des Mondes, wenn derselbe eben voll in
die scheinbare Jupiterscheibe eingetreten ist oder unmittelbar vor
dem Austritte den innem Rand derselben berührt, ist die mittlere
Helligkeit der von dem Monde verdeckten Jupiteroberfläche ebenfalls
annähernd bestimmt
40 Planeten.
Nimmt man den Äquatorialdurchmesser Jupiters zu 145 100 km
und den Durchmesser des 1. Mondes zu 3950 km an, so ergibt sich
bei der Randstellung des letztem für diejenigen die Oberfläche
Jupiters treffenden Lichtstrahlen, welche den Mond an der der Mitte
der scheinbaren Jupiterscheibe zugewendeten Seite tangieren, ein
Neigungswinkel von rund 19^, dessen Sinus abgerundet gleich 0.32
ist. Die mittlere Helligkeit des vom Monde verdeckten Teiles der
Jupiteroberfläche beträgt demnach 0.16 der zentralen Helligkeit der-
selben, und da femer die Helligkeit des Mondes gleich 0.5 der zen-
tralen Helligkeit Jupiters ist, so erscheint uns der 1. Mond in
seiner Randstellung ungefähr dreimal so hell als die mittlere Hellig-
keit der dem Durchmesser des Mondes entsprechenden Randzone der
scheinbaren Jupiterscheibe, auf welche wir den Mond projiziert
sehen.
Die dieser Betrachtung zugrunde gelegte ideale Gestalt und
Beschaffenheit der Jupiteroberfläche kann zwar nicht als in Wirk-
lichkeit vorhanden angenommen werden, aber aus der Tatsache, daß
die Erscheinung des Lichtwechsels der Monde bei den Vorübergängen
— sofem letztere nicht vor einem dunklen Streifen der Jupiterober-
fläche stattfinden — im allgemeinen mit der vorstehenden Betrach-
tung übereinstimmt, muß doch entnommen werden, daß die Ungleich-
mäßigkeiten der Jupiteroberfläche im Verhältnis zur Größe und
Entfernung dieses Planeten in der Regel klein sind und deshalb
keinen erheblichen störenden Einfluß auf den Lichtabfall an der be-
leuchteten Jupiterhemisphäre haben.
Kann der zahlenmäßigen Erörterung über den zwischen Mond-
und Jupiteroberfläche an den verschiedenen Stellen des Vorüber-
ganges bestehenden Helligkeitsunterschied, wegen der in Wirklichkeit
vorhandenen Ungleichmäßigkeiten und Verändemngen der Jupiter-
oberfläche auch kein absoluter Wert beigemessen werden, so geht
aus der Betrachtung doch hervor, daß ein Lichtwechsel der Jupiter-
monde während ihres Vorüberganges vor der scheinbaren Jupiter-
scheibe in Wirklichkeit nicht besteht, sondern eine optische Täuschung
ist, welche dadurch hervorgerufen wird, daß der mit der Kugel-
gestalt verbundene Lichtabfall an den Monden so lange nicht wahr-
nehmbar ist, als selbige auf dunklem Untergrunde neben Jupiter,
oder vor dem dunklen Rande desselben gesehen werden, und während
des Vorüberganges um so mehr hervortritt, je mehr sich die Monde
der Mitte der scheinbaren Jupiterscheibe nähern, d. h. je mehr die
Helligkeit der letztem zunimmt.
Um die Richtigkeit dieser Erklärong zu prüfen, hat Kloht einige
Kugeln mit total reflektierender Oberfläche fertigen lassen, welche
in demselben Größenverhältnis zueinander stehen, wie Jupiter und
seine Monde, und hat an und mit denselben sowohl den Lichtabfall
von der Mitte nach dem Rande der scheinbaren Scheiben, als auch
die gleichen Helligkeitsschwankungen festgestellt, welche man bei den
Planeten. 41
Yorübergängen der Jupitermonde vor der scheinbaren Jupiterscheibe
wahmimnit.
Heller Fleck auf der SaturnkusreL Am 23. Juni sah
Prof. Barnard auf der Lickstemwarte, nördlich von der Mitte der
Saturnscheibe einen hellen Fleck, den nach telegraphischer Benach-
richtigung auch Dr. Hartwig auf der Remeissternwaite zu Bamberg
sah. Am 27. Juni moiigens 2 Uhr 20 Minuten mittlerer Zeit von
Bamberg stand dieser Fleck oder weiße Streifen mitten auf der
Satumscheibe.
Der Durchmesser des Saturnmondes Titan. In astrono-
mischen Schriften wird gewöhnlich angegeben, der Durchmesser dieses
Trabanten betrage wahrscheinlich 3- bis 4000 Miles (ä 1609.3 w).
Dieser Wert ist jedoch, wie W. J. Hussey bemerkt,^) viel zu groß.
Wenn am 36-Zoller der Lickstemwarte die Mikrometerfäden so weit
voneinander entfernt werden als dem Winkel entspricht, der am
Saturn 4000 Miles umspannt, und dann der Trabant Titan zwischen
die Fäden gebracht wird, so reicht bei guter Luft und sehr starker
Vergrößerung die Scheibe beiderseits nicht bis zu den Fäden. Selbst
wenn die Fädendistanz auf 3000 Miles eingestellt wird, ist der
Durchmesser des Trabanten noch etwas geringer. Direkte Messungen
bei guter Luft ergaben für den Durchmesser des Titan
1902 Juni 19:0.60" oder 2473 Miles
Oktober 2:0.53 „ 2332 „
Die 1. Messung wurde imter sehr guten Verhältnissen er-
halten; die Vergrößerung war 2400 fach, und Titan zeigte eine scharfe
Scheibe. Es ist selten, sagt Hussey, daß für derartige Beobachtungen
eine so starke Vergrößerung benutzt werden kann. Die 2. Mes-
sung wurde an 1 000 f acher Vergrößerung erhalten, die geringste,
welche vorteilhaft bei einem so kleinen Durchmesser benutzt werden
kann. In den Jahren 1894 und 1895 hat Professor Baruard in
5 Nächten den Durchmesser des Titan am 36-Zoller gemessen. Seine
Ergebnisse schwanken zwischen 2100 und 3200 Miles, sie ergeben
als Mittelwert 2720 Miles. Nimmt man den Durchmesser des Titan
rund zu 2500 Miles an, so wird man wahrscheinlich wenig von der
Wahrheit abweichen.
Der transneptunsche Planet« Die Frage nach der Existenz
eines solchen ist häufig von Laien diskutiert worden ; jetzt hat nun
W. Lau das Problem wissenschaftlich behandelt.^ Er weist zu-
nächst auf die bekannte Tatsache hin, daß die Tafeln der Bewegung
des Uranus und Neptun, welche Le Verrier berechnet hat, nicht mehr
genau sind. Deshalb hat Lau schon vor einigen Jahren diese Tafeln
1) Publ. Astr. Soc. of Pacific Nr. 88.
^ Bulletin Astronomique 1903. 90. p. 251.
42 Mond.
zu verbessern unternommen, wobei er sich bezüglich der Positionen
beider Planeten auf 3425 Meridianbeobachtungen zu Greenwich, Paris
und Königsberg stützte, welche die Jahre 1781 bis 1895 umftissen.
Die Untersuchung bezüglich des Uranus ergab, daß die Beobach-
tungen von 1836 bis 1895 vollständig der Theorie entsprechen und
keine Spur einer während dieser 60 Jahre von unbekannter Seite
auf die Bewegung dieses Planeten ausgeübten Störung andeuten.
Für den Neptun lagen Beobachtungen von 1846 bis 1895 vor, und
auch sie ergeben eine vollständige Obereinstimmung der Theorie mit
der wirklichen Bewegung des Planeten. Lau kommt zu dem Ergeb-
nis: 1. daß die Theorie Le Verriers vollständig die Bewegungen
des Uranus und Neptun darstellt; 2. daß die Hypothese eines ein-
zigen transneptunschen Planeten unzulässig ist ; 3. daß die Annahme
mehrerer unbekannter störender Planeten überflüssig ist, um die Be-
wegungen des Uranus und Neptun darzustellen, und 4. daß diese
Hypothese auch deshalb sehr unwahrscheinlich ist, weil in der Bahn
des Neptun keinerlei Störungen des Radiusvektors vorkommen.
Der Mond.
Der DurchmesseF des hellen Fleckes um den Krater
Linnö ist 1898, 1899 und 1902 auf der Harvardstemwarte gemessen
worden.^) Die Messungen 1902 wurden am 16. Oktober vor und
nach der Beschattung des Linne während der totalen Mondfinsternis
von Prof. W. G. Pickering am 15-zolligen Refraktor bei 550facher
Vergrößerung ausgeführt. Die Luftverhältnisse waren leidlich gut,
nach dem Vorübergange des Schattens vielleicht etwas weniger. Am
15. Oktober hatte die Sonne den Krater seit 7.4, am 16. bis zu
8.7 Tage beschienen. Die Messungen Oktober 15 von 11h 19 m bis
16h , als Linne noch im vollen Sonnenscheine lag, ergaben im Mittel
einen scheinbaren Durchmesser des hellen Fleckes von 2.69"; während
der Halbschatten den Fleck bedeckte, nahm dessen Durchmesser bis
3.22'' zu; als der Fleck nach Ende der totalen Finsternis wieder im
Halbschatten sichtbar wurde, hatte sein Durchmesser bis auf 5.73''
zugenommen und schwand dann während 39 Minuten auf 5.43"
zusammen. Leider verhinderten Wolken weitere Messungen. Die
Gesamtzunahme des Durchmessers betrug etwa 2^/3". Dies übertrifft
erheblich die Größenzunahme während der Finsternis von 1898, die
gemäß den Messungen von Douglass nach drei verschiedenen Methoden
0.82, 0.73 und 0.15" betrug, während nach W. H. Pickerings
Messimgen während der Finsternis von 1899 die Vergrößerung nur
0.14" erreichte. Die beträchtliche Zunahme am 16. Oktober 1902
ist aber nicht etwa ungünstigen Luftverhältnissen zuzuschreiben, denn
solche würden nach Prol Pickering die umgekehrte Wirlnuig aus-
üben. Die richtige Erklärung der ungewöhnlichen Vergrößerung sucht
derselbe in der Annahme, daß der Krater Linne am 15. Oktober
1) Harvard Coli. Obs. Gircular Nr. 67.
Mond. 43
letztem Jahres tatiger war als früher und daher mehr Feuchtigkeit
in seiner Umgebung kondensiert wurde. Eine Reihe von Messungen,
die Prot Pickering am 20. Oktober, 12.6 Tage nach Sonnenaufgang
über Lkme, vornahm, ergaben als scheinbaren Durchmesser des
weißen Fleckes 4.61''. 4 Messungen im Jahre 1898 zwischen 12.4
und 13.7 Tagen nach Sonnenaufgang über Linne ergaben für dessen
Durchmesser: 8.52", 8.24", 8.42" und 8.46". Die Messung am
20. Oktober 1902 zeigt also in Obereinstimmung mit derjenigen am
15. und 16., daß der Durchmesser des Fleckes in den drei letzten
Jahren größer geworden ist. »Bei zukünftigen Beobachtungen«, bemerkt
Prof. W. Pickering, »muß man darauf achten, vor der totalen Ver-
finsterung die genaue Position des Linne mit Bezug auf ostwärts
von ihm liegende Punkte festzustellen, damit bei seinem Wiederauf-
tauchen aus dem Schatten kein Augenblick mit Identifizierung des
Objektes verloren geht« Diese bei Ldnne nachgewiesene Vergrößerung
des weißen ihn umgebenden Fleckes ist die erste dieser Art und daher
von besondrer Wichtigkeit.
Heller Punkt in der Nachtseite des Mondes. Prof. William
H. Pickering veröffentlichte eine Mitteilung, welche ihm von einem
Herrn G. S. Jones in Philadelphia über einen hellen Punkt in der
Nachtseite des Mondes gemacht wurde. Am 12. August 7.5^ E. S.Z.
sah der Beobachter mit einem 6^/^- zolligen Reflektor und 250facher
Vergrößerung ein vollständig rundes helles Scheibchen in der Nacht-
seite des Mondes, das im Verlauf e von ein paar Stunden, in dem
Maße, als die Lichtgrenze vorrückte, sich zu einem sehr glänzenden
Flecke entwickelte. Seiner Lage nach schien es mit dem kleinen Krater
Lambert zusammenzufallen, doch war eine ganz genaue Identifizierung
wegen eintretender Bewölkung nicht möglich. In der Nähe des Kraters
Lambert, zwischen diesem und Timocharis, liegt ein isolierter Berg,
der ungemein stark leuchtet; mit diesem fällt der von Jones gesehene
helle Punkt nicht zusammen, denn er zeichnete beide als verschiedene
Objekte; anderseits liegt nordöstlich von Lambert der ebenfalls äußerst
helle Berg Lahire, der bisweilen gleich einem Sterne strahlt. Es scheint
nicht unmöglich, daß es dieser Berg Lahire war, den der Beobachter
Jones als hellen Punkt in der Nachtseite des Mondes sah; das Ring-
gebirge Lambert konnte ihm unmöglich als Punkt erscheinen, höchstens
könnte der unansehnliche Zentralberg desselben sich in dieser Weise
darstellen, doch hat diesen bis jetzt noch niemand in der Nachtseite
des Mondes wahrgenommen.
Die Mondfinsternis am 11. — 12. April 1908. Diese nahezu
totale Finsternis hat eine Reihe von Erscheinungen dargeboten, welche
von dem normalen Verlaufe der Beschattung bei Mondfinsternissen
abweichen. Die am 3. August 1887 von Dr. Klein zum ersten Male
wahrgenommene Ausdehnung des Erdschattens über die Mondscheibe
hinaus hat sich wieder gezeigt und ist von Prof. Deichmüller auf der
Bonner Sternwarte gesehen worden. In Frankreich war der Hinunel
44 Mond.
bis nach Mitternacht meist wolkenlos, aber weniger heiter als ge-
wöhnlich. Einige zu Paris auf dem Eifelturme stationierte Beobachter
konnten während der 1. Hälfte der Finsternis den im Schatten
der Erde befindlichen Teil des Mondes nicht wahrnehmen. In Bordeaux
war um die Mitte der Finsternis nur ein schwacher rötlicher Schimmer
sichtbar; in Madrid verschwand der verfinsterte Mond völlig, und
keine Spur von Rot konnte wahrgenommen werden. Der Beobachter
in Algier war erstaunt über die Schwärze des Erdschattens. In
Bayonne, wo der Himmel sehr heiter war, verschwand gleichwohl
der verfinsterte Teil des Mondes vollständig, ebenso in Montpellier.
In Marseille konnten nur einzelne Punkte der Mondscheibe wahr-
genommen werden. Denning in Bristol war von der tiefen Schwärze
des Erdschattens auf dem Monde überrascht Auch die Beobachter
in Rußland konnten diese Tatsache feststellen, und zu Orel war der
verfinsterte Mond im Femrohre völlig unsichtbar. Durch diese und
andre Beobachtungen ist festgestellt, daß bei der Mondfinsternis in
der Nacht vom 11. — 12. April der Erdschatten ungewöhnlich dunkel
war, so daß nicht nur die sonst bei Mondfinsternissen auftretende
tiefrote Färbung der Mondscheibe fast völlig ausblieb, sondern sogar
der verfinsterte Teil des Mondes unsichtbar wurde. Etwas Ähnliches
ist früher nur 1642, 1764 und 1816 eingetreten, aber damals bei
totalen Mondfinsternissen, während die April -Finsternis des gegen-
wärtigen Jahres nicht total war. Die Ursache der Erscheinung kann
nur in unserer Erdatmosphäre zu suchen sein, und zwar in einer
sehr dichten Bewölkung derselben oder in Staubmassen, die die
höhern Regionen derselben außergewöhnlich undurchsichtig machten.
Der Astronom Backhouse schreibt die Erscheinung direkt der An-
häufung vulkanischer Rauch- oder Staubmassen in unserer Atmo-
sphäre zu und denkt dabei an die vulkanischen Vorgänge des Jahres
1902. Daß letztere höchst fein verteilte Auswurfsprodukte bis in
sehr hohe Luftregionen emporgeschleudert haben, ist durch die starken
roten Färbungen des Abendhimmels hinreichend erwiesen. Auch ist
merkwürdig, daß die oben erwähnte Sichtbarkeit des Erdschattens
außerhalb der Mondscheibe im Jahre 1887 zusammenfiel mit dem
Auftreten von Lichterscheinungen (leuchtenden Nachtwolken) in den
höchsten Luftregionen, deren Ursache in dem Emporschleudem von
Staub- und Qasmassen durch den Krakatau-Ausbruch gesucht wird.
Sonach ist es in der Tat wahrscheinlich, daß die abnormen Er-
scheinungen während der letzten Mondfinsternis dadurch hervor-
gerufen wurden, daß in den hohem Luftregionen sehr fein verteilte
Materie vorhanden war, die dort gewöhnlich nicht anzutreffen ist.
Schließlich wird diese Ansicht bestätigt durch die Tatsache, daß
dem Verschwinden des Mondes bei der Finsternis von 1816 die un-
geheure vulkanische Katastrophe vom 5. April 1815 vorherging, bei
welcher der Vulkan Tambora so viel Material auswarf, daß in einer
Entfernung von 50 Meilen der Tag völlig zur Nacht wurde.
Kometen. 45
Kometen.
Die Kometenerocheinangren des Jahres 1902. Prof. H. Kreutz
gab^) eine Zusammenstellung der Kometenentdeckungen und Be-
obachtungen des Jahres 1902, der folgendes entnommen ist:
Komet 1902 I (1902a), wurde am 14. April 1902 in den
Morgenstunden von Brooks in Qeneva N. Y. entdeckt Der Komet,
der schon längere Zeit, ohne aufgefunden worden zu sein, am Himmel
gestanden hatte, verschwand bald in den Sonnenstrahlen, so daß er
nicht über den 19. April hinaus beobachtet werden konnte. In den
wenigen Tagen seiner Sichtbarkeit war der Komet hell 8. Größe, mit
einer kemartigen Verdichtung 9. Größe. Die Koma hatte einen Durch-
messer von 3', ein kurzer Schweif von 25' Länge war vorbanden.
Die folgenden Elemente sind von Kreutz und Strömgren aus
April 16 — 18 abgeleitet worden.
r=1902 Mai 7.159 M.Z.Berlin, co = 22B^ 22'7 1902.0,
fl=52<> 15'. 4 1902.0, t = 66<^ 30'. 4 1902.0, log g = 9.66436.
Komet 1902 II (1902c), entdeckt als schwacher Nebel am
28. Juli 1902 von John Grigg in Thames, Neuseeland, und aus-
schließlich vom Entdecker nur an wenigen Tagen bis August 3 be-
obachtet. Die 1. Nachricht von der Entdeckung gelangte erst am
6. August in die Hände der Astronomen des australischen Kontinents ;
die Bemühungen, den Kometen dann noch aufzufinden, sind zunächst
infolge des Mondscheins und später wegen zunehmender Lichtschwäche
leider erfolglos geblieben. Die Beobachtungen von Grigg sind nur
genäherte Einstellungen an den Kreisen eines 3 ^/^ zolligen Refraktors
und dürften beträchtlichen Unsicherheiten unterliegen. Demgemäß
werden auch die folgenden, vom Entdecker selbst abgeleiteten Ele-
mente nur eine rohe Näherung darstellen.
r=1902 Juni 20.37 M. Z.Berlin, a> = 301^ 46'1 1902.0,
fl = 217« 30'.8 1902.0, i=16^ 42'.9, log g=9.76618.
Komet 1902 III 1 1902b), wurde am 31. August 1902 von
Perrine auf Mount Hamilton und am 2. September von Borrelly in
Marseille ent4eckt. Der Komet hatte die Helligkeit eines Sternes
9. Größe; der Durchmesser betrug 4'; eine Verdichtung 11. Größe
und ein kurzer Schweif waren zu erkennen. Mit abnehmender Ent-
fernung von Sonne und Erde nahm die Helligkeit des Kometen
beträchtlich zu; gegen Ende September wurde er dem bloßen Auge
sichtbar und erreichte Mitte Oktober mit der Helligkeit eines Sternes
4. Größe das Maximum seines Glanzes. Das Aussehen des Kometen
änderte sich mit zunehmender Helligkeit nur unwesentlich. Auch der
Schweif blieb stets unansehnlich ; nur auf den photographischen Auf-
nahmen erschien er in mehrere, bis zu sieben, Teile geteilt und
konnte bis zu einer Länge von 3^ verfolgt werden.
*) Vierteljahisschrift d. astron. Ges. 1908. 88. p. 64.
46 Kometen.
Zufolge der Helligkeit und der günstigen Stellung am Himmel —
Anfang Oktober erreichte der Komet mit 57 ^ die nördlichste Deklina-
tion — sind die Beobachtungen außerordentlich zahlreich gewesen.
Mitte November mußten sie wegen Hineinrückens des Kometen ins
Tageslicht zunächst ihr Ende finden; die letzte Ortsbestimmung ist
November 17 auf der lickstemwarte angestellt worden. Cber die
weitem Beobachtungen auf der Südhalbkugel sowie das Wieder-
sichtbarwerden auf der nördlichen Hemisphäre Mitte Februar 1903
wird im nächsten Jahre berichtet werden.
Die folgenden von Strömgren aus 8 Beobachtungen September 1,
20 und Oktober 8 abgeleiteten Elemente schließen sich dem ganzen,
bisher beobachteten Laufe nahe an, so daß jedenfalls eine bedeutende
Abweichung von der Parabel nicht vorhanden sein wird.
T= 1902 Nov. 23.88925 M. Z. Berlin, co = 152<^ 57' 28.2"
1902.0, fl = 49» 21' 7.5" 1902.0, t=156« 21' 9.8" 1902.0. log
q = 9.603246.
Bemerkenswert ist noch eine große Annäherung des Kometen an
Merkur; die kleinste Entfernung, November 29, betrug nur 0.0233 Erd-
bahnhalbmesser. Eine beträchtliche Störung der Bahn des Kometen,
welche eine Bestimmung der Merkursmasse hätte herbeiführen können,
hat aber trotzdem wegen der Kleinheit der letztern nicht statt-
gefunden.
Komet 1903 . . . (1902 d), entdeckt 1902 Dezember 2 in 7^ AR.,
— 2^ Deklination von Qiacobini in Nizza als kleiner runder Nebel
11. Größe mit deutlichem Kerne, aber ohne Schweif. Wie die unten mit-
geteilten Elemente zeigen, besitzt der Komet die außergewöhnlich
große Periheldistanz 2.8, die nur von der des Kometen 1729 über-
troffen wird. Demzufolge blieb derselbe auch stets ziemlich weit von
der Erde entfernt und hat bis jetzt keine bemerkenswerte Erscheinung
dargeboten. Dagegen wird die Sichtbarkeitsdauer, zumal er fast
4 Monate vor dem Perihel entdeckt wurde, voraussichtlich eine un-
gewöhnlich lange sein; zurzeit ist ein Abbruch der Beobachtungen
noch nicht vorauszusehen.
Die folgenden Elemente von Ristenpart beruhen auf Beob-
achtungen von 1902 Dezember 3 — 1903 Januar 15 und werden vor-
aussichtlich nur mehr geringen Änderungen unterliegen.
r=1903 März 22.86660 M. Z. Berlin, a} = 5« 36' 17.7"
1903.0, 0=117» 27' 36.5" 1903.0, t = 43» 55' 26.9" 1903.0, log
g = 0.443683.
Im Sommer 1902 war der Komet 1895 U (Swift) nach der
Vorausberechnung von Schulhof wieder zu erwarten. Eine Auffindung
hat nicht stattgefunden, was wohl der Lichtschwäche des Kometen
in dieser Erscheinung zuzuschreiben ist.
Ein gleiches Schicksal erlitt der 3. Tempelsche Komet,
für den Bossert Aufsuchungsephemeriden gegeben hatte. Leider hat
Bossert über die Grundlagen seiner Ephemeride bis jetzt nichts mit-
Kometen. 47
geteilt, doch ist so viel aus den Werten von log r zu ersehen,
daß das Perihel in die Zeit des 24. Januar 1908 gefallen sein muß,
während man nach den für 1897 oskulierenden Elementen hierfür den
21. Dezember 1902 hätte erwarten sollen. Die Störungen haben also
offenbar das Perihel um mehr als einen Monat verschoben und damit
den Kometen aus seiner günstigen Stellung zur Erde, die er bisher
in jeder 2. Erscheinung, nämlich 1869, 1880 und 1891 inne hatte,
herausgerückt Diesem Umstände ist es wohl auch zuzuschreiben,
daß der Komet im Winter 1902 — 1903 nicht aufgefunden worden ist;
das Maximum der Helligkeit betrug nur 0.40 (Einheit der Helligkeit
r=A = l)y blieb also sehr beträchtlich hinter den für die oben ge-
nannten Erscheinungen geltenden Werten, die stets die Einheit über-
schreiten, zurück. Es hat hiemach fast den Anschein, als ob wir
auch diesen Kometen, wenigstens für eine längere Reihe von Um-
läufen, zu den verlorenen zu rechnen haben werden.
Die seheinbaren Beziehungen zwischen den heliozen-
trischen Perihelbreiten und denPeriheldistanzen der Kometen.
Dr. J. Holetschek hat an den bis 1900 beobachteten und berechneten
355 Kometen imtersucht, wie sich die heliozentrischen Breiten der
Perihelpunkte und die Periheldistanzen dieser Kometen bezüglich ihrer
Qröfle zueinander verhalten.^) Dabei zeigt sich, daß sehr kleine
Periheldistanzen (kleiner als etwa 0.3) fast ausschließlich mit stark
südlichen Perihelbreiten (von etwa — 30 bis — 90^, etwas größere
Periheldistanzen (imgefähr von 0.3 bis 0.8) hauptsächlich mit nörd-
lichen Perihelbreiten (und zwar nicht nur von 0 bis -|- 30 ^ sondern
insbesondere auch von -f- ^^ ^^ 4" ^^^) ^^^ ^^^^ größere Perihel-
distanzen (gegen 1.0 und größere als 1.0) am häufigsten mit niedrigen,
sei es nördlichen oder südlichen Perihelbreiten (0 bis -4" ^^ ^ und
0 bis — 30^ verbunden vorkommen.
Die zwei 1. Beziehungen lassen sich in folgender Weise noch
allgemeiner ausdrücken. Wir sehen auf der nördlichen Erdhemisphäre
von den Kometen mit stark nördlichen Perihelbreiten hauptsächlich
diejenigen, welche mit großem Periheldistanzen, und am wenigsten
die, welche mit ganz kleinen Periheldistanzen verbunden sind, von
den Kometen mit stark südlichen Perihelbreiten hauptsächlich die-
jenigen, welche mit ganz kleinen, und am wenigsten die, welche mit
großem Periheldistanzen verbunden sind. Auf der südlichen Erd-
hemisphäre ist für südliche, beziehungsweise nördliche Perihelpunkte
dasselbe zu erwarten.
Es sind also die zwei 1. Beziehungen eine Folge des Stand-
punktes der meisten Kometenentdecker unter hohem, und zwar
zumeist nördlichen geographischen Breiten, während die dritte von
der Erdhemisphäre unabhängig ist und auch bei Kometenentdeckungen
in Aquatorgegenden zu erwarten wäre.
^) Anzeiger der Wiener Akademie 1902. p. 320.
48 Kometen.
Die zweite und dritte dieser Beziehungen können als eine Folge
des Satzes erklärt werden, daß die Kometen desto leichter sichtbar
werden, je größer die Helligkeit ist, die sie für uns erlangen, und
daß diese Helligkeit desto größer wird, je mehr die Zeit der Erdnähe
mit der Perihelzeit zusammentrifft, während die erste, sich entgegen-
gesetzt verhaltende Beziehung dadurch entsteht, daß dieser Hellig-
keitssatz in seiner 2. Hälfte auf Kometen mit kleinen Periheldistanzen
keine Anwendung hat, indem diese Kometen nicht im Perihel, sondern
nur weit vom Perihel in die Erdnähe kommen und daher auch
meistens nur weit vom Perihel beobachtet werden können.
Pbotosrraphische Aufhahmen des Kometen b 1902 auf
der LickSternwarte. ^) Über diese Aufnahmen gibt R. H. Curtiß
Nachbildungen und Beschreibungen, von jenen sind einige auf Tafel
I wiedergegeben.
Auf der 1. Platte mit langer Exponierung (September 3) zeigt
der Komet einen sekundären Schweif.
Am 4. Oktober wurde 6 Stunden hindurch exponiert, während
deren der Schweif seine Position um 2.5^ änderte, und dement-
sprechend ist nur wenig Detail in dem Kometenbilde zu erwarten.
Der Hauptschweif erscheint schmal und gerade, der andere fast
ebenso hell, aber halb so lang und gekrümmt. Der Kern erscheint
umgeben von Nebel.
Oktober 26. Von dem sekundären Schweife ist mit Gewißheit
nichts zu erkennen, der Hauptschweif zeigt dagegen interessante
Formen. Der Kern ist groß, die Koma hat sich wenig geändert
Die Nebelmaterie erstreckt sich auf der der Sonne abgewandten Seite
weiter wie auf dieser.
Oktober 26. Während der letzten 24 Stunden hat der Schweif
seine Gestalt völlig geändert, er ist am Kopfe schmal, erbreitert sich
aber weiterhin plötzlich, und mitten in dieser Erbreiterung zeigt sich
ein dunkler Spalt.
Oktober 29. Der Schweif ist am Kopfe breit, wird darauf
schmäler und dann wieder breiter und umschließt einen schmalen
dunklen Strich.
Oktober 81. Diese Aufnahme lieferte das interessanteste Bild
des Kometen von allen. Der Hauptschweif zeigt nicht weniger als
acht feine Striche, die sich von ihm nach auswärts verlieren.
November 1. Die feinen Striche von gestern scheinen zu ver-
schwinden, doch sind noch vier oder fünf vorhanden, sonst hat sich
das Aussehen des Schweifes wenig geändert. Die Nebelmaterie um
den Kern ist in merklichem Maße geschwunden.
November 2. Der Schweif erscheint am Kopfe des Kometen
sehr scharf und schmal mit einem sehr schwachen, kurzen Ausläufer
an jeder Seite. Weiterhin zeigt sich ein schmaler Ausläufer vom
^) Lick-Observatory Bulletin Nr. 42.
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Kometen. 49
Hauptschweile getrennt, welch letzterer breiter wird, dann wieder
schmaler erscheint und sich in wechselnder Breite bis zum Ende der
Platte fortsetzt In einem gewissen Abstände hinter dem Kopfe
des Kometen zeigt sich eine ansehnliche Nebeligkeit rings um den
Schweif.
Transparenz des Kometen b 1902. Am 14. Oktober ging
dieser Komet in einer Entfernung von etwa 1' an einem Sterne
7.12 Größe vorüber, während die Koma einen Durchmesser von 5
oder 6 ' besaß. Prof. Wendeil hat gelegentlich des Vorüberganges
diesen Stern am 15-zolligen Refraktor, der mit einem Polarisations-
photometer versehen war, mit einem Sterne 8.19 Größe verglichen.
Im ganzen wurden 8 Reihen von Messungen ausgeführt, welche
übereinstimmend zeigten, daß eine Helligkeitsverminderung durch Ab-
sorption des Stemenlichtes in der Koma des Kometen nicht stattfand
oder höchstens nur O.Ol bis 0.02 Stemgröße betragen haben kann.^)
Komet C 1903 (Borrelly). Von diesem Kometen sind auf der
Licksternwarte photographische und spektroskopische Aufnahmen
gemacht worden.^ Die photographischen Aufnahmen daselbst begannen
gleich in der auf die Entdeckung folgenden Nacht, und bis zum
15. Juli waren 9 Exponierungen von 38 Minuten bis 4 Stunden
Dauer ausgeführt mit einer Dallmeyercamera von 15 cm Öffnung
und 82.6 cm Brennweite, sowie drei mit einer Floydcamera von
13 cm Öffnung und 178 cm Brennweite. Auf diesen Platten zeigt
der Komet 2 Schweife, von denen der eine nahezu gerade, der
andere gekrümmt erscheint Der letztere ist kurz und sehr hell,
der andere dagegen länger, aber schwächer. Eine 5^ lang exponierte
Platte vom 23. Juni zeigt beide Schweife weit getrennt, der gerade
ist am Kopfe des Kometen schmal, erbreitert sich aber später und
hat eine Länge von 1.5^. Auf der Platte vom 29. Juni erscheint
er in 2 Arme getrennt, die schon am Kometeukopfe getrennt sind und
etwas divergieren. Der sekundäre Schweif war am 30. Juni 1.5^
lang, der andere 5^ und wie in der vorhergehenden Nacht geteilt.
Ein Arm davon erschien gerade, der andere wellig gekrümmt und
breiter. In der darauffolgenden Nacht erschien dieser Schweif scharf
und einfach. Die Platten vom 12. und 13. Juli zeigen 2 Schweife,
den Hauptschweif schmal und gerade, den sekundären Schweif da-
gegen noch erheblich gekrümmt. Auf der Platte vom 12. Juli (mit
38°^ Expositionsdauer) ist der Hauptschweif 4^. der andre 1.5^^
lang. Die Platte vom 14. Juli (1*^48™ Expositionsdauer) zeigt
einen geraden , schmalen Schweif von 8.5 ^ Länge » der sich vom
Kopfe des Kometen ab ein wenig ausbreitet. Auf allen Platten ist
der Kern des Kometen scharf und zentral in der Nebelhülle (Koma)
>) Harvard-Observatory Bulletin Nr. 68.
■) Lick-ObBorvatory Bulletin Nr. 47.
Klein, Jahrbuch XIV.
50 Kometen.
des Kopfes. Während dieser Aufnahmen näherte sich die Erde rasch
der Ebene der Bahn des Kometen, und gleichzeitig nahm der Winkel
zwischen den beiden Schweifen scheinbar ab, bis beide auf der Platte
vom 14. Juli zusammenfallen. Das Spektrum des Kometen ist am
15. Juli auf der Lickstemwarte am Großleyreflektor mit fünfstün-
digem Exponieren aufgenommen worden.^) Es zeigt die gleichen
5 Banden, welche bei den Aufnahmen der frühem Kometen 1893
(Rordame) und b 1894 (Gale) von Campbell erhalten wurden. Auch
die relativen Helligkeiten dieser Banden sind die gleichen wie früher,
mit Ausnahme der Bande von der Wellenlänge ß 420, die diesesmal
überaus schwach erscheint Außer diesen Banden zeigt sich ein
sehr kleines kontinuierliches Spektrum. Am 36-zolligen Refraktor
war am 14. und 15. Juli ein relativ helles kontinuierliches Spek-
trum des Kometen mit den drei charakteristischen Banden zu sehen,
die hellste der letztem bei der Wellenlänge X 4700. Ein Versuch,
an diesem Refraktor das Spektrum zu photographieren, gelang nicht,
denn selbst nach sechsstündigem Exponieren waren auf der Platte
nur Spuren der Linie X 4700 zu sehen.
BFedlchlns mechanische Theorie der Kometenerschei-
nungren. Prof. Th. Bredichin hat vor einigen Jahren die Haupt-
ergebnisse seiner Untersuchungen über die Kometenerscheinungen in
einer Abhandlung veröffentlicht, die in russischer Sprache geschrieben
und deshalb der wissenschaftlichen Welt außerhalb Rußlands kaum
zugänglich ist. Von derselben gab ein R. Jaegermann eine vom Ver-
fasser gebilligte deutsche Übersetzung,^ welche im wesentlichen fol-
gendes enthält:
Die mechanische Theorie der Kometenerscheinungen nimmt an,
daß die Kometenausströmungen und die Schweife aus Teilchen von
wägbarem Stoffe bestehen, deren Verdünnung bis zu Atomen oder
Molekeln vorgeschritten ist Alle die Formen der Schweife, ihre Lage
und Veränderungen bedingenden Bewegungen dieser Teilchen im
Räume, sind dem Newtonschen Gesetze bei einer von der chemischen
Eigenschaft der Teilchen abhängigen Größe der Sonnenrepulsions-
kraft, unterworfen. Diese Repulsion erzeugt, zusammen mit der
Newtonsclien Sonnenattraktion, die effektive Kraft. Indem in die
Bewegungsformeln ein Impuls eingeführt wird, welchen die Kometen-
teilchen in Form einer Anfangsgeschwindigkeit in der Richtung zur
Sonne erhalten, konstruiert die Theorie völlig einfach alle durch die
Beobachtungen gegebenen Kometenformen. Sie setzt die physische
Natur der Sonnenrepulsion als unbekannt voraus und stellt sich
lediglich die Aufgabe, die Bewegung der ponderablen Teilchen der
^) Lick-Observatory Bulletin Nr. 47.
*) Naturwiss. Rundschau, Braunschweig 1906 Nr. 26 u. 27.
Kometen. 51
Materie zu verfolgen, welche den nach ein und dem^*elben Newton-
sehen (besetz wirkenden attraktiven und repulsiven Kräften unter-
worfen sind.
Die beobachteten komplizierten Formen der Kometen erhalten
eine einfache Erklärung und die Möglichkeit einer geometrischen
Konstruktion durch die aus den Beobachtungen festgestellte Tatsache,
daß verschiedenartige, vom Kometen sich loslösende Stoffe einer
verschiedenen Repulsionskraft unterworfen sind, wobei diese Ver-
schiedenheit sich sogar in einer verschiedenen Anfangsgeschwindigkeit
äußert Eine Komplikation der Form entsteht noch dadurch, daß die
Kometenausströmungen, gemäß den direkten Beobachtungen, ihre
Dichtigkeit entweder periodisch oder stoßweise ändern und dadurch
Unterbrechungen in der Ausströmung selbst und folglich auch im
Schweife hervorrufen. Endlich ist der Ausströmungssektor, den un-
mittelbaren Beobachtungen zufolge, periodischen Schwingungen um
den Radiusvektor sowie einer Verbreiterung unterworfen, welcher
Umstand großen Einfluß auf die Schweifform besitzt
Die Stofflichkeit der vom Kerne in der Richtung zur Sonne aus-
gehenden und darauf in den Schweif zurückbiegenden Ausströmung
ist auch durch die Spektralbeobachtungen erwiesen; die Spektarallinien
der Ausströmung und der durch dieselben gebildeten Anfangsform des
Schweifes, welche überhaupt der Kopf des Kometen genannt werden
kann, beweisen die Gegenwart bestimmter chemischer Elemente und
ihrer Verbindungen. Die Spektrallinien werden durch die im elek-
trischen Glühzustande sich befindenden Dämpfe und Gase hervor-
gerufen, wie in den Geißlerschen Röhren die Spektrallinien von den
chemischen Eigenschaften des das Rohr erfüllenden, verdünnten Gases
abhängen. Bei größerer Entfernung der Gase vom Kopfe, d. h. im
Schweife, verringert sich schnell der Zustand des Selbstglühens, und
das Polariskop weist im Schweife die Gegenwart von Sonnenlicht
nach, welches natürlich nur von irgend einer Materie reflektiert
sein kann.
Bredichin verweist bezüglich der neuem Kometen auf die Photo-
graphien der Kometen 189311 und 1893 FV und in betreff der altern
auf die Zeichnungen des großen Kometen 188211. Letzterer besaß
am Schweifende zwei ungeheure Verdichtungen, welche als Schmidtsche
Wolken bezeichnet werden, da dieser Beobachter am genauesten fast
jeden Tag im Laufe eines ganzen Monats ihre Lage zwischen den
Sternen bestimmte. Bredichin hat an mehrem Abenden ihre Form
gezeichnet und erkannt, daß ihre Struktur mit voller Deutlichkeit
sich als faserig erwies, so wie dieses oft bei unsem Federwolken
zu sehen ist Die gegenseitige Lage dieser zarten Fasern änderte
sich allmählich von Tag zu Tag infolge der ungleichen Geschwindig-
keit in den verschiedenen Teilen der Wolken. Die mittlere Ge-
schwindigkeit dieser letztem im Räume betmg ungefähr sechs geo-
graphische Meilen in der Sekunde.
52 Kometen.
Diese Wolken gehörten der Substanz und der Kraft nach dem
2. Bredichinschen Kometenschweiftypus an; wenn sie vom 1. Typus
gewesen wären, so würde die mittlere Geschwindigkeit auch nur
ungefähr dreizehn geographische Meilen in der Sekunde betrafen
haben.
Die von Prof. Hussey erhaltenen Aufnahmen des Kometen 189311
zeigen an einem Tage drei knotenförmige, unregelmäßige Verdichtungen;
am folgenden Tage ist auf der ganzen Schweiflänge keine einzige
Verdichtung mehr sichtbar, und der Schweif stellt sich als ein gleich-
mäßiger Streifen, als helles Strahlenbüschel dar. Auf den Photo-
graphien der Verdichtungen, welche nach je einer Stunde auf-
genommen sind, ist die Bewegung der Verdichtungen schon bemerkbar,
und Hussey bestimmte mikrometrisch die Größe dieser Bewegung.
Es ergab sich im Mittel aus den 3 Verdichtungen eine Geschwindig-
keit im Räume 12,8 geographische Meilen in der Sekunde.
Der Schweif des Kometen war überhaupt schwach und ziemlich
kurz, so daß die auf der Platte erhaltene Länge nur etwas mehr als
6 ^ betrug. Zieht man die lineare Länge des Schweifes und die oben
angeführte Schnelligkeit (12,8 geographische Meilen) in Betracht, so
ist sogleich ersichtlich, daß am andern Tage die Stoffverdichtungen
sich schon weit hinter dem Schweifende befinden mußten; aus diesem
Grunde konnten sie nicht mehr in den Grenzen der Platte, welche
den Kopf des Kometen enthielt, fixiert werden. Es ist klar, daß zu
einer solchen Metamorphose in der Schweiffigur durchaus nicht Licht-
geschwindigkeiten erforderlich sind.
Auf einer Reihe photographischer Aufnahmen vom Kometen
1893 IV wurden die ersichtlichen Formen und Lagen von Bredichin
mit der Theorie verglichen; es ergab sich, daß die wolkenartigen
Verdichtungen, welche sich von Tag zu Tag den Schweif entlang
bewegten, eine Bewegungsgeschwindigkeit im Räume besaßen, welche
der oben angeführten sehr nahe kommt. Natürlich können die Ge-
schwindigkeiten der Kometenteilchen unter Umständen erheblich größer
werden, als die angeführten. Dies kann dann stattfinden, wenn die
Periheldistanz des Kometen sehr gering ist; die Teilchen, welche den
Kometen auf sehr kleinen Entfernungen desselben von der Sonne
verlassen, erreichen alsdann sehr große Geschwindigkeiten. Es kann
z.B. für Kometen, deren Bahnen der Bahn des Kometen 1882 II
sehr ähnlich sind, leicht gefunden werden, daß die Teilchen des
1. Typus, welche den Kern bei einer Entfernung von der Sonne
gleich 0,005 verlassen haben, in einer Entfernung 0,2 vom Kerne
eine Geschwindigkeit von 360 geographischen Meilen in der Sekunde
erhalten können. Diese Größe unterscheidet sich nur sehr wenig von
der maximalen, möglichen Geschwindigkeitsgrenze, welche die Be-
wegung der Schweifteilchen erreichen kann.
Für das Maximum der Kraft des 2. Typus beträgt die Ge-
schwindigkeit der Schweifteilchen unter den obigen Bedingungen
Kometen. 58
115 geographische Meilen in der Sekunde; der Kern selbst besitzt
in der Entfernung 0,005 von der Sonne eine Geschwindigkeit von
82 geographischen Meilen in der Sekunde.
Es sei bemerkt, daß Schweife mit solchen Geschwindigkeiten
der Teilchen niemals beobachtet wurden. In der Tat durchlaufen
in einer solchen Nähe bei der Sonne die Kometenkerne einen Bogen
von 300^ in etwas mehr als 24 Stunden; die Teilchen reißen sich
also vom Kerne los mit einer ungeheuren Geschwindigkeit und in
äußerst schnell sich ändernden Richtungen. Es ist völlig begreiflich,
daß unter solchen Bedingungen die gewöhnlich sehr verdünnte Schweif-
materie im wahren Sinne des Wortes bis zur Unsichtbarkeit im
Räume zerstreut wird.
Eine andere Art schneller, sichtbarer Veränderungen der Lage
und zugleich der Form der Schweifbildungen finden wir eben-
falls bei frühem Kometen, und einfache Berechnungen erklären ihre
Ursache.
Der große Komet 1861 II besaß vor und nach Mittemacht am
30. Juni zwei regelmäßige Konoide des 1. und 3. Typus mit der
gewöhnlichen Verbreiterung zum Ende hin. Gegen 12^ 30°^ M. Z.
Greenwich bot der Komet nach den Beobachtungen und der Zeich-
nung von Williams in Liverpool, welche durch Webb in London be-
stätigt wurden, eine ungewöhnliche Erscheinung dar: sein Schweif
bildete eine Art Fächer, welcher in einem Winkel von 80^ geöffnet
war; in demselben befanden sich fünf einzelne, fast gleichmäßig
verteilte Strahlen oder Büschel von 45® Länge; der Raum zwischen
den Strahlen war namentlich in der Nähe des Kopfes von einem
weniger hellen Stoffe angefüllt. Die Strahlen änderten sehr schnell
ihre Lage am Himmel. Secchi in Rom beobachtete um 11^ 30°^
und Schmidt in Athen um 1 1 ^ 43°^ zwei dem äußern Ansehen nach
gewöhnliche Konoide. In Moskau beobachteten am 80. Juni bei
hellem Nordhimmel Schweizer und Bredichin eine Ausströmung
des Kernes, die aus fünf hellem, einzehien Strömen oder Strahlen
bestand. Ein Vergleich der 5 Büschel des Schweiffächers mit den
5 Ausströmungsstrahlen führte zur Oberzeugung, daß die Strahlen
der Ausströmung den Büscheln im Schweifkonoide entsprachen.
Während dieser ungewöhnlichen Erscheinung befand sich der
Kometenkem zwischen der Erde und der Sonne, in einer Entfernung
von der Erde, welche etwas mehr als 0,1 der Entfernung zwischen
der Erde und der Sonne betrug. Der lange Schweif zog sich nach
Norden derart über die Erde hin, daß seine nächsten Teile von der
Erde weniger als 0,02 Erdbahnradien, d. h. etwa 0,4 Million geogra-
phische Meilen abstanden. Eine einfache geometrische Zeichnung
genügt völlig, um zu zeigen, welchen Einfluß auf die Schweifrichtung
die Perspektive hervorrief. Bei der bedeutenden gegenseitigen Be-
wegung des Kometen und der Erde konnte eine solche Perspektive-
wirkung nicht lange anhalten, und in wenigen Stunden mußte der
54 Kometen.
Fächer sich so bedeutend zusammenfalten, daß der Schweif wieder
seine normale Figur annahm, welche vor dem Eintritte der durch die
Perspektive hervorgerufenen Eigentümlichkeiten beobachtet wurde.
Zugunsten der Materialität der Schweifteilchen spricht deutlich
die Notwendigkeit der Annahme einer Verschiedenheit der Molekular-
gewichte oder der Dichtigkeit, woraus umgekehrt die Verschiedenheit
der repulsiven Kraft und der Anfangsgeschwindigkeit der Ausströmung
aus dem Kerne sich ergibt Eine ungeheure Verschiedenheit äußert
sich, wie viele Beispiele zeigen, in den Schweifen verschiedener
Typen bei einem und demselben Kometen. Der große Komet 1861 11
besaß 2 Schweife (1. und 3. Typus), welche sich scharf von-
einander unterschieden, sowohl durch ihre Krümmung und Ablenkung
vom verlängerten Radiusvektor, als auch durch ihre Länge, ihr Licht
und ihre paraboloidförmigen Hüllen auf der Sonnenseite. Auf-
merksame Beobachtungen und genaue Zeichnungen zeigen, daß der
Radius der Hülle des 8. Typus zweimal größer war als der Radius
der Hülle des 1. Typus, so daß das Konoid des 3. Typus beim
Kopfe und auch weiterhin breiter war, als das des 1. Typus. Bei
einem bestimmten Verhältnis der Kräfte einerseits und der Anfangs-
geschwindigkeit anderseits ist auch die theoretische Möglichkeit
einer solchen gegenseitigen Lage der Stoffhüllen von verschiedener
Dichtigkeit gegeben. Als Illustration zu allem diesen sind die Zeich-
nungen des Kometen sehr wertvoll, welche J. Schmidt unter dem
klaren Himmel von Athen entworfen hat.
Auf einer gewissen Entfernung vom Kopfe brach das Konoid
des 1. Typus sich sozusagen seine Bahn durch das Konoid des
8. Typus und ließ letzteres im Sinne der Bewegung des Kometen
im Räume hinter sich zurück.
Äußert sich der Dichteunterschied der Teilchen in den repulsiven
Kräften und in den Anfangsgeschwindigkeiten nicht so stark und so
scharf, wie bei dem 1. und 3. Typus, sondern bildet sie vielmehr
eine gewisse Aufeinanderfolge nicht bedeutend voneinander sich unter-
scheidender Größen (verschiedene Kohlenwasserstoffe, leichte Metalle
usw.), so werden die entsprechenden Konoide auch nicht so stark
wie die Typen 1 und 3 auseinandergehen, sondern sich unbedeutend
voneinander trennen und wenig abgelenkt sein. In diesem Falle bildet
sich ein Konoidensystem, welches im ganzen mehr gegen sein Ende
hin ausgebreitet ist, als ein jedes einzelne Konoid des einen oder
andern Stoffes. Eine solche Form besaß im allgemeinen der Haupt-
schweif des großen Donatischen Kometen (1858 VI).
Wenn die Ausströmung aus irgend einem Grunde eine gewisse
Zeit hindurch unterbrochen wird, so muß im Schweife ebenfalls eine
Unterbrechung auftreten. Die Zeichnungen früherer Kometen geben
uns mehr ab ein Beispiel einer solchen Unterbrechung, ja sogar
mehrerer. Es ist unter anderem beim Kometen 1878 V auf den
prachtvollen Zeichnungen von Tempel in Florenz ein Schweif zu
Kometen. 55
sehen, welcher auf diese Weise vom Kometen abgerissen ist und
im Räume seine eigene Bahn — oder besser gesagt — ein System
von Bahnen beschreibt, nämlich jedes Teilchen eine andre. Die
Ausströmung ist allmählich versiegt, indem sie immer schmaler wurde,
weshalb auch der Schweif bis zur Trennungsstelle an Breite be-
ständig abnahm.
Unter den in den letzten Jahren sorgfältig photographierten
Kometen hat der Komet 1898 IV Wolkenbildungen aufzuweisen,
welche sich in der Schweifrichtung von ihm losgelöst haben. Diese
Wolken verbleiben aber innerhalb des theoretischen Konoids und
bewegen sich von Tag zu Tag auf ihren Bahnen mit Qeschwindig-
keiten, welche im Mittel zwölf geographische Meilen in der Sekunde
betragen.
Unter den alten Kometen gibt es ebenfalls Fälle der Trennung
des Schweifes in mehrere einzelne Stücke. Die Kurven, welche
letztere mit dem Kopfe des Kometen verbinden, geben die durch die
Theorie angezeigte Figur des Konoids.
Das Ausströmungsbüschel behält nicht immer eine unveränder-
liche Richtung in bezug auf den Radiusvektor; es können viele
Beispiele angeführt werden, wo es Schwingungen vollzieht, welche
in einigen Fällen eine gewisse Zeit hindurch unzweifelhaft periodisch
waren.
Wollte man annehmen, daß die Ausströmung und der Schweif Licht-
erscheinungen seien, d. h. daß sie aus Lichtstrahlen mit deren (Ge-
schwindigkeiten bestehen, so könnte man gegen die Schwingungen,
die wahrscheinlich von den Schwingungen des Kerns abhängen, nichts
Besonderes einwenden ; im Schweife könnte man aber bei der großen
Geschwindigkeit der Lichtstrahlen niemals diejenigen Formen kon-
statieren, deren Auftreten nur dank der mäßigen, im Vergleiche mit
der Lichtgeschwindigkeit sogar sehr kleinen Geschwindigkeit der vom
Kerne in den Raum sich fortbewegenden Schweifteilcheu sich als
möglich erweist.
Beim Kometen 1893 IV ist auf der Photographie vom 21. Oktober
der in der Nähe des Kerns befindliche Teil des Schweifes konkav,
und diese Konkavität ist im Sinne der Bahnbewegung nach vorn
gekehrt; in der Mitte des Schweifes ist die Krümmung der Figur
nach der entgegengesetzten Seite gewendet, und der Schweif liegt
zugleich an dieser Stelle vor dem verlängerten Radiusvektor ; gegen
das Ende hin ist der Schweif wieder hinter den Radius abgelenkt
Diese Krümmungen beweisen schon, daß im sichtbaren Teile des
Schweifes (auf der Photographie vom 21. Oktober) die Spuren dreier
Schwingungen, welche in den vorhergehenden Tagen stattgefunden
haben, nachgeblieben sind.
Beim Kometen 1862 in ist eine solche Welle auf der pracht-
vollen Zeichnung von Schmidt zu sehen. Dasselbe wurde beim
Kometen 1894 n (Gale) beobachtet. Bei diesen beiden letzten Kometen
56 Kometen.
wurde die Figur noch durch eine äußerst interessante Erscheinung
kompliziert, von der weiter unten die Rede sein wird, und welche
noch besser diese Betrachtungen bestätigt.
In alten Kometenzeichnungen finden sich Schweife, welche ihrer
ganzen Länge nach wellenförmig sind. Nach dem zu urteilen, was
uns über die Kometenerscheinungen des 19. Jahrhunderts bekannt ist,
muß man diesen Zeichnungen gegenüber mit wissenschaftlicher Kritik
verfahren und darf sie nicht grundlos verwerfen.
Schmidt in Athen beobachtete einige Male mit größter Deutlichkeit
die Knotenbildung beim Kometen 1862 lü. Der Schweif war nicht
lang, und seine Zweige kreuzten sich hinter dem Kerne derartig,
daß sie zusammen mit dem Kopfe die Form des griechischen Buch-
stabens Gamma (y) bildeten. Infolge der einige Male sich wieder-
holenden Ausströmungsschwingungen bewegten sich die Zweige bald
gegeneinander, einen Knoten bildend, bald wieder auseinander, so
daß der Knoten schweifabwärts sich bewegte. Es wiederholte sich
somit die Qammaform einige Male nach einer bestimmten Anzahl von
Tagen. In einer speziellen Abhandlung über diesen Kometen hat
Prof. Bredichin mit Hilfe der aus den Beobachtungen abgeleiteten
Schwingungsdauer, Anfangsgeschwindigkeit und Repulsionsgröße durch
Berechnung und graphische Konstruktion die Entstehung dieser sonder-
baren Schweiffigur erläutert.
In dem kleinen Schweife des Kometen 1894 II wurde ebenfalls,
und zwar von M. Wolf, die Gammaform beobachtet Es sind dieses
die Komplikationen, von denen bei Erwähnung der wellenförmigen
Struktur in diesem Kometen die Rede war. Die neue Theorie muß
ähnliche Formen im Auge behalten, da in ihnen die ponderable Aus-
strömungsmaterie sich sowohl durch ein verschiedenes Gewicht der
Teilchen, als auch durch verschiedene Anfangsgeschwindigkeiten
kundgibt.
Stellen wir uns noch eine Komplikation vor. Es möge die Aus-
strömungsmasse aus Stoffen von verschiedenem Molekulargewichte
bestehen; letztere mögen noch eine Reihe sich wenig voneinander
unterscheidender Größen, wie es sehr oft bei den Schweifen des
2. Typus der Fall ist, bilden. Teilchen von verschiedenem Gewichte
besitzen, wie schon oben bemerkt, auch verschiedene Anfangs-
geschwindigkeit und sind verschiedener Repulsionskraft unterworfen.
Es möge ferner die Materie aus dem Kerne nicht in kontinuierlichem
Strome entweichen, sondern stoßweise mit Unterbrechungen in Form
einzelner Wolken, welche aufeinander nach solchen Zeitintervallen
folgen, daß im Schweife selbst die Teilchen jeder Ausströmungswolke
sich nicht mit den Teilchen der vorausgehenden und nachfolgenden
Wolke mischen. Eine dem Kerne entströmte Wolke bildet um ihn
eine runde Nebelhülle, welche darauf in den Schweif übergeht. In
letzterem werden die Teilchen jeder Wolke von bestimmtem Gewichte,
einen entsprechenden Stoffring geben; die Ringe leichterer Teilchen
Kometen. 57
werden während eines bestimmten Zeitintei*valls sich am meisten
vom Kerne entfernen, werden sich aber zugleich näher beim ver-
längerten Radiusvektor befinden; je schwerer die Teilchen sind,
desto weniger werden sie sich in demselben Zeitintei-vall vom Kerne
entfernen, und desto weiter werden sie hinter der Verlängerung des
Radiusvektors des Kometen zurückbleiben. Das ganze System aller
voneinander wenig abstehenden Stoffringe einer und derselben Aus-
strömuugswolke bildet im Räume ein hoiües Konoid, welches sich in
einer zur Achse der allgemeinen Schweiffigur etwas geneigten Richtung
befindet, und diese allgemeine Schweiffigur würde im Falle einer
kontinuierlichen Ausströmung auftreten. Eine 2. Ausströmungs-
wolke bildet ein zweites ähnliches Konoid usw. Die vordere und
(im Sinne der Bewegung im Räume) nachfolgende Begrenzungslinie
des ganzen Schweifes werden durch die vordem und nachfolgenden
Enden der auf diese Weise gebildeten hohlen Konoide gehen. Ein
jedes Konoid besteht aus Stoffen, welche den Kern zu gleicher Zeit
verlassen haben; aus diesem Grunde kann es als ein Isochronen-
gebilde bezeichnet werden. Die in einer bestimmten Richtung in
demselben gezogenen Linien, unter anderem auch seine Achse, können
»Isochronen« genannt werden, zum Unterschiede von den Kurven,
welche durch Teilchen gehen, die den Kern in verschiedenen Momenten
verlassen haben, jedoch von ein und derselben Kraft in Bewegung
gesetzt werden, und welche deshalb »Isodynamen« genannt werden
können.
Sind die Zeitintervalle zwischen den Auswürfen der einzelnen
Wolken nicht groß genug, daß die Bildung einzelner, isochroner
Konoide ermöglicht ist, so werden diese Konoide in größerem oder
geringerem Maße miteinander zusammenfallen, und anstatt getrennter,
hohler Konoide werden im Schweife je nach der Lichthelligkeit mehr
oder weniger deutliche und mehr oder weniger verdichtete Isochronen-
streifen auftreten.
Bei ein und demselben Kometen kann die Ausströmung eine
Zeit kontinuierlich sein und darauf in Form mehr oder weniger ge-
trennter, wolkenförmiger Gebilde auftreten usw. Es ist klar, daß
auf Grund der Anzahl der einzelnen Isochronenkonoide im Kometen
ein Schluß auf die Zahl der einzelnen, d. h. nach genügenden Zeit-
intervallen ausgeströmten Wolken gezogen werden kann.
Ein schönes Beispiel der Entwicklung einzelner, isochroner
Konoide bietet der große Komet vom Jahre 1744. Er wurde von
De Cbeseaux, Kirch, De Tlsle und Heinsius sehr sorgfältig beob-
achtet und beschrieben, und diese Beobachtungen zeigen im Schweife
dieses Kometen fünf völlig getrennte, hohle Konoide. Als Ergänzung
zu diesem sind auf den Zeichnungen von Heinsius im Kometen-
kopfe 5 Ausströmungshüllen zu sehen, welche sich nacheinander
in bestimmten Zeitintervallen bildeten, sich immer mehr und mehr
vom Kerne entfernten und darauf in den Schweif übergingen.
58 Kometen«
Die isodynamen Konoide können ebenfalls bei einem bedeutenden
Unterschiede zwischen den Gewichten der Teilchen, welche auf-
einander sprungweise folgen, im Falle kontinuierlicher Ausströmung
in einer gewissen Entfernung vom Kerne als einzelne, getrennte Konoide
sich darstellen. Ihrer Lage in bezug auf den verlängerten Radius-
vektor und ihrer Form nach unterscheiden sie sich jedoch von den
isochronen Konoiden. Die Berechnung zeigt gleich, zu welcher Art
Erscheinung eine beobachtete Bildung zu zählen ist
Beim großen Kometen Donati (1858 VI) folgten die einzelnen
Hüllen im Kopfe, d. h. die einzelnen wolkenartigen Ausströmungen
der Materie, nach kleinem Zeitintervallen aufeinander, und die Folge
davon war, daß auf einer bestimmten Ausdehnung des Schweifes
Isochrouenstreifen auftraten, deren Enden dem vordem, hellem
Schweifrande einen etwas gezahnten Anblick verliehen. Man kann
sich leicht die Möglichkeit noch größerer sichtbarer Komplikationen
in der beobachteten oder photographierten Schweifstruktur vorstellen,
wenn die oben einzeln betrachteten Bedingungen entweder gleich-
zeitig oder in einer gewissen Reihenfolge auftreten werden. Auch
muß hier nochmals wiederholt werden, daß eine jede neue Theorie
die beschriebenen charakteristischen Bildungen, welche eben auf die
Verschiedenartigkeit der ponderablen Materie und auf maßige Ge-
schwindigkeiten im Räume hinweisen, nicht außer acht lassen darf.
Es könnten noch einige verhältnismäßig geringe Eigentümlichkeiten
angeführt werden, welche sich direkt aus den Grundprinzipien der
Bredichinschen Theorie ergeben.
Diese Theorie ist, wie im Anfange bemerkt, hauptsächlich eine
mechanische, die unter gewissen Annahmen über die Kräfte und die
Anfangsumstände der Bewegung, die Fortpflanzung ponderabler
Teilchen im Räume und die hierdurch entstehenden Formen und die Lage
des ganzen Ausströmungsbildes konstraiert Die physische Ergänzung
derselben gründet sich auf bekannte Analogien mit den elektrischen
Erscheinungen, wie sie sich in den verdünnten Gasen und Dämpfen
äußem. Es muß aufrichtig gewünscht werden, daß es der einen
oder andern aus physikalischen Experimenten oder Betrachtungen hervor-
gehenden Theorie gelingen möge, die in Rede stehende physische
Ergänzung genügend zu begründen und klar auseinanderzusetzen.
Da ferner aus den zahlreichen Beobachtungen eine lange Reihe
von Zahlenwerten für die Repulsionskraft erhalten worden ist, so
konnte die Theorie den Umstand nicht außer acht lassen, daß diese
Werte von selbst sich in einige Gruppen einteilen ließen, welche
durch die sie trennenden Zahlenlücken interessant sind. Gleichzeitig
wies das Spektroskop in den Ausströmungen vom 2. Typus, bei dem
die Repulsionskraft zahlenmäßig den weitesten Spielraum umfaßt,
die Gegenwart bekannter chemischer Verbindungen — der Kohlen-
wasserstoffe, leichter Metalle usw. — nach. Der Analogie gemäß
hat Prof. Bredichin eine Beziehung zwischen den maximalen Kraft-
Kometen. 59
großen und den kleinsten Gewichten der Molekeln bekannter Elemente
angenommen.
Auf diese Weise mußte die größte Repulsivkraft des 1. Typus
den Wasserstoffmolekeln zugeschrieben werden. Die Bildungen dieses
Typus sind von so geringer Dichtigkeit, daß es als ganz natürlich
ist, daß das Spektroskop bis jetzt nicht mit Genauigkeit die che-
mische Eigenschaft seines Stoffes feststellen konnte. Hieraus ist zu
ersehen, daß die untere Grenze der Molekulargewichte und der Kraft-
größen viel genauer als die obere festgestellt ist Die Analogie gibt
hier nur einen Fingerzeig: für die maximale, durch die Berechnung
der Beobachtungen gefundene Kraftgröße muß das minimale Atom-
oder Molekulargewicht angenommen werden.
Wird die Voraussetzung gemacht, daß die Kometen in unser
System kein unbekanntes Element mitbringen, so kann die Hoffnung
geäußert werden, daß die Frage über die obere Stufe der erwähnten
Skala in nicht sehr femer Zukunft eine Lösung erlangen wird.
Die Frage, ob die Kometen zu uns aus den Stemenräumen oder
aus den entfernten Gegenden unseres Systems kommen, oder Gruppen
von ihnen an den Grenzen dieses Systems existieren, ist noch lange
nicht gelöst, wenigstens nicht für alle Kometen. Können wir aber
verbürgen, daß jenseits der Grenzen unseres Systems sich keine
Elemente befinden, welche auf der Erde unbekannt sind ? Die Spektral-
linien der planetarischen Nebelflecke, d. h. der gasförmigen Nebel-
flecke erlauben es nicht, in dieser Hinsicht eine bestimmte Antwort
zu geben.
Zuweilen wurde die Meinung geäußert, bei einer Stoffausströmung
müsse der Komet an Größe abnehmen, was aber durch die Beob-
achtungen nicht bestätigt werde. Hier liegt jedoch ein bloßes Miß-
verständnis vor. In bezug auf jene Kometen mit großen Umlaufs-
zeiten, bei denen die Ausströmung und die Schweifbildung sehr be-
deutend waren, besitzen wir gar keine Anhaltspunkte, um über die
Un Veränderlichkeit ihrer Masse ein Urteil fällen zu können; es kann
eher angenommen werden, daß sie mit der Zeit schwächer werden,
wenn nicht an Masse, so jedenfalls doch in der Intensität der
Schweifbildungen; aber auch die Masse muß um die in den Schweif
ausgeströmte Materie geringer werden. Über die Kometen mit Umlaufs-
zeiten von hundert und mehr Jahren muß dasselbe bemerkt werden.
Für die kurzperiodischen Kometen endlich äußert sich der Massen-
verlust unter dem Einfluß verschiedener Umstände unzweifelhaft schon
in ihrem Zerfallen in Meteore.
Femer wird zuweilen noch darauf hingewiesen, daß die Aus-
strömung einer ponderablen Materie, welche vom Kometenkeme heraus-
geschleudert wird, von einer Reaktion auf den Kem begleitet sein
muß, welche wiedemm eine Änderung in der Bahn hervormfen kann,
daß aber eine ähnliche Reaktion sich in den Beobachtungen nicht
erkennen lasse. Aus diesem Grunde hauptsächlich müsse die Theorie,
60 Kometen.
in der die Ausströmung einer ponderablen Materie eine Rolle spielt,
durch eine Theorie der Lichterscheiniingen ersetzt werden.
Bessel hat bekanntlich Formeln abgeleitet, welche die thoretische
Wirkung der Ausströmungsreaktion auf die Elemente der Kometen-
bahn darstellt. Die Zahlengröße solcher Perturbationen der Elemente
hängt natürlich von dem Verhältnis der ausgeworfenen Masse zur
ganzen Masse des Kometen ab, welches jedenfalls infolge der äußersten
Verdünnung der Schweifmaterie sehr gering sein muß.
Um derartige äußerst geringe Störungen mit Hilfe der Beob-
achtung nachweisen zu können, ist eine sehr genaue Kenntnis der
Kometenbahn erforderlich, wobei alle störenden Wirkungen der
Planeten streng berücksichtigt werden müssen. Nun ist aber für
Kometen mit sehr langen Umlaufszeiten, deren Bahnen aus einem
kleinen Bogen und für einen Umlauf bestimmt sind, und unter denen
sich gerade Exemplare mit glänzenden Schweifentwicklungen befinden,
und sogar auch für die langperiodischen Kometen die Bahn nicht
mit der hierzu erforderlichen Genauigkeit bekannt. Besser sind die
Bahnen der kurzperiodischen Kometen bekannt; leider ist aber bei
diesen Kometen die Kraft, welche die Ausströmung und die Schweife
erzeugt, verhältnismäßig fast gänzlich versiegt, wenn sie überhaupt
in bedeutendem Grade jemals existiert hat. Das scheinbare Fehlen
der erwähnten Reaktion läßt sich daher nicht als ein Beweis für
oder gegen irgend eine Theorie der Schweifbildung ausnutzen.
Sternschnuppen und Meteoriten.
Sternsehnuppenhäuflgrkeit. Auf Veranlassung von Prof.Elkins
hat Prof. Wolf in Heidelberg alle dortigen Platten, die in den Monaten
August und September gemacht sind, auf Sternschnuppen hin absuchen
lassen. Es wurden in den 13 Jahren von 1890 — 1902 im ganzen
mit den verschiedenen kurzbrennweitigen Linsen 369 Aufnahmen mit
625.5 Stunden Belichtung gemacht. Auf allen diesen vielen Auf-
nahmen fanden sich nur neunzehn verschiedene Sternschnuppen photo-
graphiert. Im Durchschnitte kann man nach Wolfs Erfahrungen an-
nehmen, daß jede Sternschnuppe 4. Größe noch photographiert wird.
Das Gesichtsfeld der Platten beträgt im Durchschnitte 100 Quadrat-
grad. Der ganze Himmel hat 41 253 Quadratgrad Oberfläche; 100
Quadratgrad bilden also rund den 413. Teil des Himmels. Der
413. Teil des Himmels ist in Heidelberg 625 Stunden lang photo-
graphiert worden, und dabei wurden 19 Sternschnuppen erhalten.
Auf eine Stunde und den ganzen Himmel kämen daher rund 13 Stern-
schnuppen und auf den Tag 301. Diese Abzahlung hätte demnach
erwiesen, daß an einem Tage an dem ganzen Himmel 301 Stern-
schnuppen vierter oder hellerer Größe (im August und September) zu
fallen pflegen.
Sternschnuppen und Meteoriten. 61
Bahnbestlmmungr des Meteors vom 27. Februar 1901.
Die Bahn dieses um 7^ 18.5"^ mittlerer Wiener Zeit besonders in
den östlichen Alpenländern und benachbarten Gebieten bis nach
Ungarn und Galizien wahrgenommenen Meteors hat Prof. Dr. G. v. Nießl
mit Benutzung der Angaben aus 22 Beobachtungsorten abgeleitet.
Die betreffenden Nachrichten gelangten zumeist infolge eines Aufrufes
an die k. k. Wiener Sternwarte und wurden dann durch weitere An-
fragen und Messungen tunlichst ergänzt.
Der Radiationspunkt der geozentrischen scheinbaren Bahn befand
sich im Stembilde des Kleinen Löwen, in 157.2® + 2.3® Rekt-
aszension und 2B,ß^^ 1.6® nördl. Deklination. Die Bahn war gegen
den Horizont des Endpunktes aus dem Azimut 265.3®, also sehr
nahe von 0 her gerichtet und 28.2 ® geneigt. Das Aufleuchten wurde
frühestens in einer Höhe von 110.7 km über der Gegend südlich von
Birkfeld in Steiermark nachgewiesen. Von hier ging die Bahn 11 km
südlich an Brück a. d. M. vorbei, über Möderbruck im Pölstale, über
die Ober-Zeiringer und Sölker Alpen bis zum Hocheck, südwestlich
vom HochgoUing, wo das Meteor in 31.7 km Höhe erlosch. Detona-
tionen wurden nicht gemeldet, die Lichtstärke war jedoch ziemlich
bedeutend.
Aus 26 Dauerschätzungen konnte mit Sicherheit festgestellt
werden, daß die geozentrische Geschwindigkeit nicht unter 38 km
betragen hatte, woraus auch für diese Erscheinung wieder eine helio-
zentrische Bahn hervorgeht, welche ausgeprägt hyperbolischen Cha-
rakter zeigt Der nachgewiesene Radiationspunkt stimmt mit dem
aus Sternschnuppenbeobachtungen in nahe gelegenen Epochen ab-
geleiteten ungefähr überein.
Die große Feuerkugel vom 16. November 1902 ist
Gegenstand spezieller Untersuchungen durch Dr. F. Koerber ge-
worden.
Hiemach war dieselbe sichtbar auf einem Areal, das durch das
Fünfeck Groningen — Naugard i. Pr. — Starkenbach (Böhmen) —
Frankfurt a. M. — Nimwegen begrenzt ist. Wie die meisten hellen
Meteore hat auch diese Erscheinung bei vielen Beobachtern die
Illusion unmittelbarer Nähe der Flugbahn und des Niedergangspunktes
zur Folge gehabt. Vermeintliche Oberreste des Meteors wurden nicht
nur aus Steglitz eingesandt, während gleichzc^itig ein Beobachter in
Earlshafen a. Weser die Feuerkugel vor den Wipfeln dortiger Bäume
und ein anderer in Zellerfeld a. H. vor einem Bergzuge gesehen zu
haben meinte. Diese mit großer Bestimmtheit ausgesprochenen Be-
hauptungen wurden nach Eintragung sämtlicher beobachteter Azi-
mute des Hemmungspunktes in eine Landkarte durchweg als auf
Täuschung beruhend erkannt. Die Richtungslinien konvergierten nach
der Gegend von Marburg a. L., und Dr. Koerber legte deshalb der
weitem Bahnbestimmung als Koordinaten des Hemmungspunktes
62 Sternschnuppen und Meteoriten.
die Werte A == 26® 14' östL v. Ferro, ^ = 50« 48' zurunde, die
etwa dem Dorfe Gladenbach bei Bifarburg entsprechen. Leider
waren aus Marburg selbst keine zuverlässigen Angaben zu erlangen,
die das angegebene Resultat hätten bestätigen können.
Zur Ermittlung der Höhe des Hemmungspunktes konnten Höhen-
schätzungen und Beziehungen auf einige, bereits sichtbare Sterne
(namentlich Jupiter und Saturn) aus sechzehn verschiedenen Orten
verwendet werden. Es ergab sich für die Höhe des Hemmungspunktes
der Wert: = 60.1 ± 7.9 km.
Zeigt sich schon hier ein ungewöhnlich großer, wahrscheinlicher
Fehler, so konnte die Genauigkeit bei der Ermittlung des Radiations-
punktes ebenfalls nur eine sehr geringe sein. Es ergab sich als
definitives Resultat für den scheinbaren Radiationspunkt:
a = 89.30 j. 5.60^ ^ = + 32.2» + 0.8«
Dieser Punkt hatte zur Zeit des Meteorfalles vom Hemmungsort
aus das Azimut 247« und die Höhe 24«, so dafi danach in Ober-
einstimmung mit vielen, sonst nicht zur Ermittlung des Radiations-
punktes benutzten Berichten der Flug der Feuerkugel etwa in der
Linie Wittenberg — Marburg bei einer Neigung von 24« nach abwärts
erfolgte.
Der oben gefundene Radiationspunkt liegt nur 15« von dem-
jenigen der früher am 27. November mehrmals in großer Zahl er-
schienenen Sternschnuppen entfernt, welche die Überreste des Biela-
Bchen Kometen darstellen. Deren Radiant würde sogar der Berliner
Beobachtung (senkrechte scheinbare Bahn) noch besser genügen, als
der oben angegebene. Dr. Koerber hält es daher bei der Unsicher-
heit aller übrigen Einzelbeobachtungen für sehr wahrscheinlich, daß
die Feuerkugel vom 16. November mit dem Bielaschen Kometen zu-
sammenhängt, zumal das Zusammentreffen der Bieliden mit der Erde
sich nach neuem Berechnungen von Berberich, Abelmann u. a. infolge
von Störungen seitens des Jupiter auf den 17. November verschoben
haben sqll.
Die Dauer der Sichtbarkeit der Feuerkugel wird fast in allen
Berichten auf 8 — 4 Sekunden geschätzt; Koerber nahm aus 23 ver-
schiedenen Angaben den Mittelwert von 8.8 Sekunden an. Die
lineare Länge der Flugbahn fand sich im Mittel zu 18S km und dem-
nach die Geschwindigkeit zu 55.5 km.
Für die Höhe, in welcher die Feuerkugel vom 16. November
sichtbar geworden ist, fand sich unter Zugrundelegung der Bahn-
länge von 828 km der Wert von 200 km. Eine Detonation ist an
den meisten, in der Nähe des Hemmungspunktes gelegenen Beobach-
tungsorten nicht bemerkt worden, was bei der verhältnismäßig
großen Höhe des Hemmungspunktes nicht verwunderlich ist Die ein-
zigen, in dieser Hinsicht ernstlich in Betracht zu ziehenden Angaben
sind: in Brilon »nach 5 — 10 Minutenc ein femer Knall, in Höxter
Sternschnuppen und Meteoriten. 63
>nach ungefähr 5 Minutenc zwei kanonenschußartige Geräusche. Da
der Hemmungspunkt rechnungsmäßig von Brilon 109 /nn und von
Höxter 157 /m» entfernt war, so müßte der Schall Brilon nach etwa
5Yj Minuten, Höxter nach etwa 8 Minuten erreicht haben, was mit
den obigen Angaben hinreichend stimmt
Was die äußere Erscheinung der Feuerkugel betrifft, so ist
zunächst deren außerordentliche Helligkeit bemerkenswert Dieselbe
rief trotz der noch intensiven Dämmerung Schattenwirkungen hervor.
— Die Farbe der Lachterscheinung wird meist als grünlich-weiß,
mitunter auch als blau-weiß bezeichnet Die Gestalt des Licht-
körpers war birnförmig, sein Durchmesser wurde in Hamburg auf
etwa 15 Minuten geschätzt Femer wird von den meisten Beobach-
tern übereinstimmend und mit Nachdruck ein zweimaliges Aufleuchten,
resp. zweimalige Explosion konstatiert Nach Zurücklegung von
*/, ihres ganzen Weges stand die Kugel scheinbar einen Moment still,
und es lösten sich zahlreiche grüne Teile explosionsartig ab, der
Hauptkörper flog nun noch weiter und zeigte schließlich beim Ver-
löschen eine nochmalige Auflösung in viele kleine Teile. Der Schweif
wurde in der Regel noch 3 — 4 Sekunden lang gesehen.
Zum Schluß erwähnt Dr. Koerber, daß an demselben Abend
um 7h 2^1^1X1 bei Hämerten in Hannover noch ein zweites, sehr
helles Meteor beobachtet worden ist, über dessen Bewegung jedoch
nichts ermittelt werden konnte.
Das Heteorelsen von N'Ooureyma im Sudan. Über das-
selbe macht £. Cohen nähere Mitteilungen:^) Dieser am 15. Juni 1900
im Sudan bei N*Goureyma niedergefallene Meteorit im Gewichte von
377s ^9 besitzt ungefähr die Gestalt eines Tropfens oder einer flachen
keilförmigen Masse von 57^9 <^ Länge und 28 cm größter Breite.
Der Keil spitzt sich nach beiden Enden zu, so daß das scharfe
3'/^ cm und das stumpfe 14 cm breit ist. Zwischen 1 und 9 cm
Dicke variierend, wird die Masse so dünn, daß sie faktisch nur von
2 Flächen begrenzt ist, die sich an einer ziemlich scharfen Kante
treffen; die eine Fläche ist bedeutend konvexer als die andere. Aus
ihren Besonderheiten erkennt man, daß der Meteorit deutlich orientiert
gewesen, und zwar bildet die flachere Seite die Rücken-, die ge-
krümmtere die Stirnseite. Auf der erstem sind die Eindrücke flacher,
größer und meist in die Länge gezogen, die Kanten abgerundet, die
Oberflächen glatter, die Rinde weniger uneben und etwas heller mit
schärfer zugespitzten Hervorragungen, als auf der Stirnseite, welche
ihrerseits feinere und zahlreichere Driftwirkungen aufweist und eine
isolierte, tiefe Höhlung an dem schildförmigen Teile besitzt.
Diese Unterschiede sind durch die Orientierung während des
Fluges durch die Luft bedingt und verständlich; die schildförmige
^) American Journal of Science 1908 p. 254. Naturwiss. Rundschau 1908
p. 381.
54 Kometen.
Fächer sich so bedeutend zusammenfalten, daß der Schweif wieder
seine normale Figur annahm, welche vor dem Eintritte der durch die
Perspektive hervorgerufenen Eigentümlichkeiten beobachtet wurde.
Zugunsten der Materialität der Schweifteilchen spricht deutlich
die Notwendigkeit der Annahme einer Verschiedenheit der Molekular-
gewichte oder der Dichtigkeit, woraus umgekehrt die Verschiedenheit
der repulsiven Kraft und der Anfangsgeschwindigkeit der Ausströmung
aus dem Kerne sich ergibt. Eine ungeheure Verschiedenheit äußert
sich, wie viele Beispiele zeigen, in den Schweifen verschiedener
Typen bei einem und demselben Kometen. Der große Komet 1861 11
besaß 2 Schweife (1. und 3. Typus), welche sich scharf von-
einander unterschieden, sowohl durch ihre Krümmung und Ablenkung
vom verlängerten Radiusvektor, als auch durch ihre Länge, ihr licht
und ihre paraboloidförmigen Hüllen auf der Sonnenseite. Auf-
merksame Beobachtungen und genaue Zeichnungen zeigen, daß der
Radius der Hülle des 3. Typus zweimal größer war als der Radios
der Hülle des 1. Typus, so daß das Konoid des 3. Typus beim
Kopfe und auch weiterhin breiter war, als das des 1. Typus. Bei
einem bestimmten Verhältnis der Kräfte einerseits und der Anfangs-
geschwindigkeit anderseits ist auch die theoretische Möglichkeit
einer solchen gegenseitigen Lage der Stoffhüllen von verschiedener
Dichtigkeit gegeben. Als Illustration zu allem diesen sind die Zeich-
nungen des Kometen sehr wertvoll, welche J. Schmidt unter dem
klaren Himmel von Athen entworfen hat.
Auf einer gewissen Entfernung vom Kopfe brach das Konoid
des 1. Typus sich sozusagen seine Bahn durch das Konoid des
8. Typus und ließ letzteres im Sinne der Bewegung des Kometen
im Räume hinter sich zurück.
Äußert sich der Dichteunterschied der Teilchen in den repulsiven
Kräften und in den Anfangsgeschwindigkeiten nicht so stark und so
scharf, wie bei dem 1. und 3. Typus, sondern büdet sie vielmehr
eine gewisse Aufeinanderfolge nicht bedeutend voneinander sich unter-
scheidender Größen (verschiedene Kohlenwasserstoffe, leichte Metalle
usw.), so werden die entsprechenden Konoide auch nicht so staric
wie die Typen 1 und 3 auseinandergehen, sondern sich unbedeutend
voneinander trennen und wenig abgelenkt sein. In diesem Falle bildet
sich ein Konoidensystem, welches im ganzen mehr gegen sein Ende
hin ausgebreitet ist, als ein jedes einzelne Konoid des einen oder
andern Stoffes. Eine solche Form besaß im allgemeinen der Haupt-
schweif des großen Donatischen Kometen (1858 VI).
Wenn die Ausströmung aus irgend einem Grunde eine gewisse
Zeit hindurch unterbrochen wird, so muß im Schweife ebenfalls eine
Unterbrechung auftreten. Die Zeichnungen früherer Kometen geben
uns mehr als ein Beispiel einer solchen Unterbrechung, ja sogar
mehrerer. Es ist unter anderem beim Kometen 1873 V auf den
prachtvollen Zeichnungen von Tempel in Florenz ein Schweif zu
Kometen. 55
sehen, welcher auf diese Weise vom Kometen abgerissen ist und
im Räume seine eigene Bahn — oder besser gesagt — ein System
von Bahnen beschreibt, nämlich jedes Teilchen eine andre. Die
Ausströmung ist allmählich versiegt, indem sie immer schmäler wurde,
weshalb auch der Schweif bis zur Trennungsstelle an Breite be-
ständig abnahm.
Unter den in den letzten Jahren sorgfältig photographierten
Kometen hat der Komet 1893 IV Wolkenbildungen aufzuweisen,
welche sich in der Schweifrichtung von ihm losgelöst haben. Diese
Wolken verbleiben aber innerhalb des theoretischen Konoids und
bewegen sich von Tag zu Tag auf ihren Bahnen mit Geschwindig-
keiten, welche im Mittel zwölf geographische Meilen in der Sekunde
betragen.
Unter den alten Kometen gibt es ebenfalls Falle der Trennung
des Schweifes in mehrere einzelne Stücke. Die Kurven, welche
letztere mit dem Kopfe des Kometen verbinden, geben die durch die
Theorie angezeigte Figur des Konoids.
Das Ausströmungsbüschel behält nicht immer eine unveränder-
liche Richtung in bezug auf den Radiusvektor; es können viele
Beispiele angeführt werden, wo es Schwingungen vollzieht, welche
in einigen Fällen eine gewisse Zeit hindurch unzweifelhaft periodisch
waren.
Wollte man annehmen, daß die Ausströmung und der Schweif Licht-
erscheinungen seien, d. h. daß sie aus Lichtstrahlen mit deren Ge-
schwindigkeiten bestehen, so könnte man gegen die Schwingungen,
die wahrscheinlich von den Schwingungen des Kerns abhängen, nichts
Besonderes einwenden ; im Schweife könnte man aber bei der großen
Geschwindigkeit der Lichtstrahlen niemals diejenigen Formen kon-
statieren, deren Auftreten nur dank der mäßigen, im Vergleiche mit
der Lichtgeschwindigkeit sogar sehr kleinen Geschwindigkeit der vom
Kerne in den Raum sich fortbewegenden Schweifteilchen sich als
möglich erweist.
Beim Kometen 1698 FV ist auf der Photographie vom 21. Oktober
der in der Nähe des Kerns befindliche Teil des Schweifes konkav,
und diese Konkavität ist im Sinne der Bahnbewegung nach vorn
gekehrt; in der Mitte des Schweifes ist die Krümmung der Figur
nach der entgegengesetzten Seite gewendet, und der Schweif liegt
zugleich an dieser Stelle vor dem verlängerten Radiusvektor ; gegen
das Ende hin ist der Schweif wieder hinter den Radius abgelenkt
Diese Krümmungen beweisen schon, daß im sichtbaren Teile des
Schweifes (auf der Photographie vom 21. Oktober) die Spuren dreier
Schwingungen, welche in den vorhergehenden Tagen stattgefunden
haben, nachgeblieben sind.
Beim Kometen 1862 m ist eine solche Welle auf der pracht-
vollen Zeichnung von Schmidt zu sehen. Dasselbe wurde beim
Kometen 1894 n (Gale) beobachtet. Bei diesen beiden letzten Kometen
66
Sternschnuppen und Meteoriten.
&
Zelt des FaUes,
resp. Auffindung
der herabgefallenen
Tageszeit
Fallort oder Fundort
A
4
1011
_
In Burgund^)
5
1094 April 4
—
Frankreich, wo?*)
6
1190
—
Clermont, Oise u. Compiegne bei Beauvais *)
7
1198 Juni (Juli 8)
—
Zwischen Chelles und St Georgas de
Levejac, Seine et Oise*)
8
1540 April 28
—
Les Eglises, Haute Vienne
9
1560 Dezember
(November) 24
11— 121^ vorm.
Lillebonne bei H&vre, Seine inferieure^)
10
1600 gefunden
—
La Caille, Grasse, Alpe maritimes*)
11
1618 März 7
Ih vorm.
Paris T
12
1634 Oktober 27
8ii vorm.
Charollais, Saone et Loire
18
1637 November 27
10 ii vorm.
Mont Vaisien, unweit Nizza
14
1721 Juni 3
—
Lessay, Contance, La Manche
16
1738 Oktober 18
4h 50m nachm.
Carpentras bei Avignon, Vaucluse
16
1740 Febr. 23 (29)
31» vorm.
Bei Toulon in das Meer
17
1750 Oktober 11 (1)
12 — \^ nachm.
mittags
1^ nachm.
Nicor bei Gontances, La Manche
18
1753 September 7
1755 (1756) Nov. 4
Luponnas bei Pont de Vesle, de TAin
19
8—4 h nachm.
Bourbonnais ^)
Captieuz bei Bazas, Gironde*)
20
1759 Juni 13
91^ nachm.
21
1761 Nov. 11—12
4 h 45 m vorm.
Chamblons, Gote d'or
22
1768 September 13
4h 30™ nachm.
Luce en Maine, Sarthe
23
1768
—
24
1790 Juli 24
8h 30m nachm.
(9h nachm.)
Barbotan u. a. Orten, Landes
25
1798 März 8 (12)
6h 30m nachm.
Salles bei Lyon, Rhone
26
1803 April 26
1— 2 h nachm.
L'Aigle, Evreux, Orne*«)
27
1803 Oktober 8
10 h vorm.
Saurette, Apt, vaucluse
28
1805 November 1
Am Tage
Asco auf Korsika
29
1806 März 15
5h 30m nachm.
Alais bei St. Etienne de Lohn und Va-
lence, Gard
30
1810 September
—
Ghartres, Eure et Loir
31
1810 November 23
Ih 80 m nachm.
Gharsonville, Boisf ontaine , Meung, La
Touanne Loiret
32
1812 April 10
8h 15m nachm.
Burgau bei Toulousse und Prodere, Haute
Garonne
33
1812 August 5
2— 3h vorm.
Ghantonnay bei Nantes, Vendee
34
1814 September 5
kurz vor 12 h
mittags
Mouchar bei Agen und Le Temple, Lot
et Garonne
35
1815 Oktober 3
8 h vorm.
Chassigny, Haute-Mame
36
1816
—
Gonfolenz a. d. Vienne, Gharente
37
1817 November 17
—
Provence
38
1818 Februar 15
5h 26m nachm.
Limoges, Haute- Vienne
89
1819 Juni 13
ßh 15 m vorm.
Jonzac u. Barbezieux, Gharante-Inferieure
40
1821 Juni 15
3— 4 h nachm.
Juvinas bei Aubenas, Ardeche^^)
41
1822 Juni 3
8 h 20 m nachm.
Angers, Maine et Loire
*) Fielen Steine nach Schnurrer. — *) unter vielen Sternschnuppen fiel eine su Boden,
begossen zischte sie. — *) Entstand Brand. Raben mit glühenden Steinen. — *) Steine gefallen
nach Lycosthenes. — *) Angeblich ein Pulvermagazin anzündend. — *) cfr. 1828. — "O Verursachte
Brand im Justizpalast. — ^ Angeblich ein Stein, welcher mit Getöse in einen Sumpf fiel. —
^ Brand. — ^ 2000—3000 Steine, an einzelnen Stellen hageldicht mit furchtbarer Detonation.
~ >*) Nach Buchner: weniger richtig Juvenas.
Steroflchnuppen und Meteoriten.
67
Zeit des Falles,
resp. Auffindung
der herabgefallenen
Meteormassen
Tagesseit
Fallort oder Fundort
42
48
44
45
46
47
48
49
60
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
68
64
65
66
67
68
70
71
72
73
74
1822 Juni 21
1822 September 13
1825 gefunden
1826 Mai 25.
1828 gefunden
1831 Mai 13 (JuU 18)
1885 (1836) Jan. 31
1836 November 18
1836 Februar 12
1836 September 14
1837 März 28
1837 August
1838 Juli 22
1840 August 8
1841 Februar 26
1841 Juni 12
1841 September 6
1841 November 5
1841 November 18
1842 Juni 8 (4)
1842 November 18
1842 Dezember 5
1844 Oktober 21
1845 Januar 25
1845 Juli 14
1846 Januar 16
;i846 März 22
1848 Juli 4
1849 Juni 16
1851 Sommer
1853 Mai 4
1857 Oktober 1
1857 November 2
7 h vorm.
geg.Mittemacht
Ih nachm.
9^ nachm.
6 h 30 m nachm.
8 h nachm.
Am Tage
8 h nachm.
Ih 80m nachm.
9h 5 m nachm.
5 h 80m vorm.
Zwisch.6h80m
und 7 h vorm.
8h nachm.
3h nachm.
5 h 45 m nachm.
(3 h nachm.)
8 h nachm.
6— 7 h nachm.
4h 45m nachm.
4 h 45 m nachm.
Glohars, Touesnant
La Baffe bei Epinal, Vogesen
Bois-de-Fontaine, Meung, Loiret
Monte Galapian, Agen, Lot et Garonne
La Gaille, NW von Grasse, Alpes mari-
times ^)
Voinlle bei Poitiers, de la Vienne")
Mascombes, Correze
Belmont, Simonod, Ain")
In einem Sumpfe bei Orval, Constance,
Mance
Aubres, Nyons, Dröme
Lons-le-Saunier, Jura^)
Esnandes, Gharente inferieure
Momtilivault, Loire et Gher
Tamaville bei Volognes, La Manche
Les Bois-aux-Rouz b. Ghanteloup, de la
Manche ^)
Trigu^res, Ghäteau-Renard, Loiret
St Ghristophe la Ghartreuse, Vendee ^
Roche-Serviere bei Bourbon, Vendee^
Von Bethuns aus gesehen, stürzte ein
Meteor in den Pas-de-Gsdais ^
Aumi^res, Lozere*)
Montierender bei Vendome, Loir et
Gher«)
Eaufromont bei Epinal, Vogesen ^®)
Favars, Laissac, Dep. Aveyron
Le Pressoir, Louans, Indre et Loir
La Vivionniere, Teüleul, de la Manche
Bei Ghalons sur Saone, Saone et Lois^^)
St. Paul bei Bagneres-de-Luchon, Haute
Garonne *■)
Montignac, Aveyron, Marmande, Lot et
Garonne ^
Paris ")
Quinpay, Poitiers, Vienne
Geanges, Marne '^)
Les Osmes, Joigny, Yonne^*)
Ghamy, Tonne*')
') cfr. leOO. — ■) Nach Keeselmeyer Juli 18, ebenso nach Bachner mit Zusatz, nach dem
Kataloge des Pariser Museums, Meunier. Nach Brezina Mai 13. — *) Verursachte Brand eines
Strohdaches. 2 Steine gefunden. — *) Angeblicher Fall. — *) Verursachte Brand. — *) Nach
Bresina: September 6 Nr. 68. Beide wohl identisch, trotz des verschiedenen Datums. Nach
WÜlfing November 5 Nr. SO. — "*) Eine ungeheure Feuerkugel fiel mit Getöse in das Meer.
Büchner und Kesselmeyer 1841, Qreg 1842. — *) Buchner: Juni 4, Brezina und v. Boguslawki:
3. Juni. — ^ Verursachte Brand. — '<*) Das Meteoreisen wurde erst im Sommer 1851 gefunden.
Nach Buchner. — ^) Feuersbronst. — ^ Brand. — ^) Nach Buchner befinden sich Bruchstücke
im Britischen Museum. — ^^j Angeblicher SteinfaU, soll in ein Haus eingeschlagen haben. —
**) Nach Webers illustr. Kalender. Nirgend wo anders gefunden. — ^ Nach Brezina, Kessel-
meyer u. Buchner. Heis Wochensohr. 1857 fahrt einen Fall 1857 Aug. 5 bei Ormes, Bez. Oharle-
sant, Vienne auf. — ") Vielleicht mit obigem Falle identisch.
5»
68
Stern8chnupp«n und Meteoriten.
£'
Zeit des Falles,
«N
0
resp. Auffindung
der herabgefallenen
Tageszeit
FaUort oder Fundort
J.
Meteormassen
75
18B8 Dezember 9
7h 5m vorm.
Aussun, Montrejean a. d. Oaronne, Haute
Garonne ^)
76
1859 Maxz 12
—
Castillion, Gironde
77
1859 Mai
3*1 nachm.
Bueste, Fau, Pyrenees
78
1861 Februar 14
6iia0m nachm.
Tocane, St. Apre, Dordogne")
79
1864 Januar 10
91^ nachm.
Bei Brest»)
80
1864 Mai 14
S^ nachm.
Orgueil, Tarn et Garonne
81
1864 September 9
12t 12m mit-
tags, nachm.
9*» 30m nachm.
Tarbes, Pyrennees Hautes«)
82
1866 Mai 4
Vernicourt bei Nolay, Cote d'or»)
88
1866 Mai 80
3h 45m vorm.
St. Mesmin, Troyes, Aube
84
1868 JuU 11
11h nachm. (?)
Zwischen Omans und Salins, Doabs
86
1868 Septbr. 7 (6)
2h 80m vorm.
Sanguis-St Etienne, Basses PyrenSes
86
1869 Mai 22
9 h 15 m nachm.
Kemouve, Cleguerec, Bretagne
87
1871 Juni 14
8.h nachm.
Laborel, Dröme, Isere
88
1871 November
Bei Montereau, Seine et Marne«)
89
1872 Juli 28
5 -6h nachm.
Lamie b. Vendome, Loire et Cher^
Lanc6, Authon, Orleans«)
Nachher gefunden: de Saint Armand^
90
1874 November 26
10h 30m vorm.
Kerilis, Callas, CÖtes du Nord
91
1875 Februar 10
5 h 45 m nachm.
Insel Oleron, Vendöe
92
1875 März 9
8 h nachm.
Orleans, Loiret
98
1875 September
—
Mornans, Bordeaux, Dröme
94
1877 Juni 14
8h 46m nachm.
Chlermont, Enjouleme, Bordeaux")
95
1879 Januar 81
12 h 80m mit-
tags, nachm.
La Becasse, Dun le Poelier
96
1888 Januar 28
2h 45m nachm.
Saint Caprais deQuinsac, C. Greon, Gironde
Grazac b. Issingeaux, Haute Loire ^^)
97
1885 August 10
4 h vorm.
96
1892 Februar 29
Grazac und Montpelegry, Tarn*«)
oder März 1
—
Grande-Metaire b. Bourgos^)
99
1897 April 14
118h nachm.
Plaimpied b. Bourgos**)
Viervüle, Caen, Mdaros«)
100
1897 Juni 20
—
Lanpon, Bouches, du Rhone
101
gefunden
1900 September 7
—
Luchon in den Pyrenäen")
102
11h nachm.
Calvi auf Korsika
108
1901 Mw-z 17
—
Kerbriand, Bretagne
1111360
2 II gefunden
Grofibritannien und Irland
— I Yorkshire
— I Dunsinnan, Schottland ")
>) 2 Steine, von denen der eine auf das Strohdach eines Hauses fiel. — ") Nach
Waifing wohl Pseudometeorlt. — *) Detonierende Feuerkugel mit angeblichem Meteoritenfalle.
«) Sehr heftig detonierendes Meteor, das über Pau Pyrönöes platzte mit wahrscheinlichem
Niederfalle von Meteoriten. — *) Feuersbrunst. — *) Nach Flight Steinfall, nach »Comptes rendns«
angeblich Meteoritenfall. — ^ Nach Buchner 1873 Juli 13. — ") Nach Brestna. — *) Fortschritte
der Physik. (4, 5 und 6 gehören wohl zusammen, wohl verschiedene Lokalitäten?) — ^ Qrofie
detonierende Feuerkugel, von Nießl. etc. »Siriusc 1878: Viele Steine fielen im Osten Frankr. —
") 20 Steine gesammelt, ein Getreideschober wurde in Brand gesteckt. — >*) Nach Meunier. —
>*) Nach »Matinc. Verursachte Brand einer Scheune. — ^) Nach »Soleil«. Verursachte Brand
einer Scheune. — ^) Nach der Vossisohen Zeitung und »Fortschritte der Physik«. Unter starker
Detonation fiel ein 792 ^ schwerer Stein in einen Wassertrog, war so heiA, dafi er das Wasser
zum Verdunsten brachte. Fensterscheiben zersprangen. — *^ Nach E. Cohen eine harzige
Masse, die L. Meunier ftbr meteorischer Natur hält. — ^^ Stein, der in den Ruinen von Mac-
beths Schloß gefunden sein soll.
Sternschnuppen und Meteoriten.
69
Zeit des FaUes,
1
resp. Auttindang
der hetabgerallenen
Tageszeit
FaUort oder Fundort
A
8
1622 Januar 10
3b nachm.
Tregony, Comwall
4
1628 Apnl 9 März)
1642 August 4
5b nachm.
Vlat-ford bei Farington, Berkshire
6
4 b 80 IQ nachm.
Bei Woodbridge, Suffolk
Bei der Insel Copinska, Orkaden*)
6
zwisch. 1675 u. 1677
—
7
1680 Mai 18
—
Bei Gresham, London')
8
1723 gefunden
Comwall")
Mixbury, Bicester, Ozfordshire
9
1725 Juli 8
—
10
1731 März 12
l-.2b mittags
nachm.
Halstead, Colchester, Essex
11
1782 August 15
11— 12b mitr
tags, vorm.
Springfield b. Ghehnsford, Essex
12
1755 (1756) Jan. 2
1755 Mai 19
4 b nachm.
Tuam, Galway, Irland
13
Malow, Cork, Irland*)
14
1755 Oktober 20
3—4 b nachm.
Insel Jetlow
15
1779
—
Hügel Pettiswood, Mullinger, Westmeath,
Beeston, Notünghamshire
Shetland Inseln^^)
16
1780 April 11
9b nachm.
17
1788 August 18
9h iBm vorm.
18
1791 Oktober 20
—
Monabilly bei Lauceston, Comwall^
19
1795 Dezember 13
3h 50m nachm.
Wold-Cottage, Yorkshire
20
1800 April 1
1801 Oktober 28
VorMittemacht
Steeple-Bumstead, Ipswich, Essex ^)
Burv St. Edmunds, Colchester, Essex»)
Loch-Tay, Schottland
21
7 b nachm.
22
1802 Septbr. Mitte
18U3 Jui 4
—
28
—
East-Norton, Leicestershire *•)
24
1804 April 5
1806 Mai 17
11— 12b vorm.
High-Possil, Glasgow, Schottland
26
—
Basingstoke, Hantshire
26
1810 August 10
IIb 30m vorm.
Mooresfort, Tipperary, Irland
27
1813 Juli bis August
Ib nachm.
Malpas bei Chester, Chestershire
28
1813 September 10
8— 9b vorm.
(6 b vorm.)
An verschied. Orten d. Grafschaft Ldmerick,
wie Adare, Faha Scouph, Brasky Irland
29
1813
—
Pulrose, Insel Man
80
1816 Juli bis Anfang
August
—
Glastlebuiy, Somerset, Südschottland
(Glastonbury) ")
81
1820 gefunden
1821 Juni 21
—
Lead-Hills, Glasgow
82
—
Mayo, Irland")
88
1825 Mai 12
—
Bayden, Hungerfort. Hiltshire
84
1827 gefunden
1828 Ende August
1880 Februar 15
—
Newstead, Boxburgshire, Schottland
86
3b nachm.
Allport bei Castleton, Derby ^*)
86
7b 80m vorm.
Launton, Bicester, Oxfordshire
37
1830 Mai 17
12b30m nachm.
mittags
Perth, Nord-Inch of Perth, Schottland
88
1832 Juni 29
Zwischen Plymouth und Brest**)
Aldsworth, Cirencester
39
1835 August 4
4b 30m nachm.
>) An Bord eines Schiffes. — *) Angeblich. Nach Kesselmeyer nur Hagel. — ') Wohl
mit Tregony 1682 identisch. — *) Nach Kesselmeyer Regen von Schwefel, der in Masse ge-
sammelt wurde. — *) Ein Stein zerschlug das Joch der Pferde. — *) Angeblicher Steinregen.
— '0 Nach Ghreg, Keusch etc. Steinfall. ^ *) Chladny, Arago: eine Feuerkugel schlug unter
Detonation dicht bei der Kirche in die JSrde. — *) Verursachte Brand. — '°) Stein aus einer
Feuerkugel zerstörte Teile eines Hauses. — ") Zerschlug ein Fenster eines Hauses und fiel auf
die Hausflur. Als er aufgehoben wurde, war er noch heiß. — ^ Hagel mit Metallkemen. —
^ Nach Buchner zweifelhafter Fall. — ^) In das Meer.
70
Sternschnuppen und Meteoriten.
Zeit des Falles,
resp. Aulfinduiig
der herabgefallenen
Meteormassen
Tageszeit
Fallort oder Fundort
40
41
42
43
44
46
46
47
48
49
50
51
52
58
54
55
56
57
1838 (1846) gefund.
1842 August 5
1844 April 29
1846 August 10
1847 März 19 (2)
1860 Juni 9
1865 August 12
1866 gefunden
1869 November 6
1872 November 18
1874 August 1
1876 April 20
1881 März 14
1882 gefunden
1884 Februar 12
gefunden
1900 Juni 10
(?)
1902 September 13
5I1 nachm.
8—41^ nachm.
5 h nachm.
2^ nachm.
7^ nachm.
8^ 80m nachm.
2 h vorm.
11 h50m nachm.
8 h 40 11^ nachm.
3h45iii nachm.
IQh vorm.
Am Tage
Battersea Fiells bei London^)
Harrowgate bei Sheffield, Yorkshire
Kllleter bei Casüedery, Omagh, North-
Tyronne, Irland
Grafschaft Down, Irland^
Ostküste von Aberdeen*)
Raphoe, Denegal, Irland
Dundrum, Tipperary, Irland
Ben-Baigh, Berg bei Dalmellington, Ayi^
shire, Schottland^)
Tamley bei Southampton^)
Scilly-lsland«)
Hexham, Northumberland
Rowton, Wellington, Shropshire^
Pennymann's Siding, Middlesbrough,
Yorkshire
SeUdrk, Schottland
Im Atlantischen Ozean 49» 80'— 15 w. L.<^
Leadhills, Schottland
Stoke Doyla bei Oundle, England^
Tyree, Hebriden, Schottland
Grosshill-farm bei Crumlin, 20^ v. Belfast
Mederlande, Holland und Belgien
Grave, Nordbrabant, Holland'^)
Bergen (Mons), Hagenau, Belgien
Bei BrüsseP')
Zwischen Brüssel und Mecheln, Belgien.
Dortrecht, Holland^«)
Dortrecht
Staartie,Uden Herzogenbusch, N.-Brabant^
Holland
Blaauw-Kapel, Utrecht, Holland
Wedde bei Groningen, Nord-Holland
Saint-Denis-Westrem bei Gent, Belgien
Bei Bergeik, Herzogenbusch, Holland^)
Touriennes-la-Grosse, Tirlemont, Belgien
Namur, Belgien ^^)
Lesves bei Namur ^^)
In einem Haferfelde bei Namur ^')
Gemeinde Bois de Villers bei Namur ^^
*) In einem Weidenbaiune. — *) Zweifelhaft. — *) In das Meer. -^ *) Durch die Güte des
Kaiserl. deutschen Konsulats zu Leith und des Herrn Prof. Eggeling an der Universit&t su Edin-
bürg habe ich diesen Fall lieber feststellen können. — *) Naoh Flight: Feuerkugel mit
Meteoritenfall. — *) Nach Flight: Detonierende Feuerkugel mit mutmaßlichem Meteoritenfalle.
— ^ Eisen. — ^ Feuerkugel, welche über einem Fahrseuge platzte, mit mutmaßlichem Meteoriten-
fall. — ^ Entzündete ein Haas und zerstörte im ganzen 14 Häuser durch Feuer. — ^ Ein an-
geblich vom Himmel gefallener, im Chor der Kirche eingemauerter Stein. — ^) Ein vom Himmel
gefallener Stein, welchen Albrecht Dürer noch gesehen hat. — ") Stein schlug durch ein Fenster
und sank in den Fußboden eines Hauses. — ^ Ein von Professor Heis berechneter mutmaß-
licher Meteoritenfall. — ") In der Straße Saint Laup, Neues Jahrbuch der Physik, Wochenschrift
für Astronomie 1886 usw. — ») Ein Stein nach »Nature«. 18Q7 April 13 naoh Meunier. — >•) Nach
der Vossischen Zeitung 12Vt kg schwerer Stein, warf einen Arbeiter zu Boden und zertrümmerte
den Rechen, den jener in der Hand hielt. — ^^ Nach Meldung der Vossschen Zeitung und
anderer Tagesblätter ein 9.200 kg schwerer Stein.
1
11^ Juli 8
—
2
—
8
1500 (1520)
—
4
1564 März 1
—
5
1650 August 6
—
6
Zwisch.] 804 u. 1807
—
7
1840 Juni 12
10—11*1 vorm.
8
1843 Juni 2
S^ nachm.
9
1852 Jnli 8
9I1 vorm.
10
1855 Juni 7
7h45>^ nachm.
11
1863 März 4
6—7 h nachm.
12
1863 Dezember 7
11h 30m vorm.
18
1868 Juü 5—6
Ilh45m nachm.
14
1896 April 13 (1897)
71150 m nachm.
15
1896 vor 23. Septbr.
Am Tage
16
1899 September 28
11*1 vorm.
Sternschnuppen und Meteoriten.
71
Zeit des FaUes,
resp. Auffindung
der herabgefallenen
Meteormassen
Tageszeit
Fallort oder Fundort
Schweiz
1
1478
Schweiz *)
2
3
1499Aprill9(Mai21)
1526 Oktober 19
4b nachm.
Luzem*)
Bei Basel*)
4
1674 Oktober 6
—
Kanton Glarus^)
5
1674 Dezember 6
—
Näfels, Glanis«)
6
1608 Mai 18
7 h 15 m nachm.
Hinterschwendi bei Waltringen, Bern
7
1826 März 15
8 h nachm.
8
1886 Dezember 8
8 h nachm.
Zuz, Graubünden
9
1886 gefunden, soll
1856 gefallen sein
—
Auf dem untern Rafrüü, im Quellenge-
biete im Emmentale, Bem'^)
10
1879 Juni 7
9h 45m nachm.
Luganer-See bei Mehdi
Deatsohland
1
P)
—
Frauen-Breitungen *)
2
823 (822)
—
Gau von Frisatz, auch Frisazi, Visoedi^
8
951 (952)
—
Augsburg«)
4
998 JuU
—
Magdeburg
6
HOB
—
Würzburg*)
6
1185 1136)
—
Oldisleben, Thüringen^)
7
1164 Mai 11
—
Meißen '1)
8
1191
—
Thüringen
9
1229
—
Johannes-Kloster bei Hamburg ^•)
10
Mittelalter
—
HaUe")
11
1249 JuU 26
—
Zwischen Quedlinburg, Blankenburg und
Ballenstädt
Würzburg
Friedland in der Mark'«)
12
1257
Am Tage
13
1804
14
1304 Oktober 1
Friedland a. Saale bei Halle '<»)
15
1339 Juli 13
Schlesien ")
16
1361
—
Bei Zweti»«)
17
1368
—
Bei Blexen, Ausfluß der Weser, NNO von
Oldenburg
18
1879 Mai 26
—
Münden, Hannover
19
1480
—
Sachsen oder Böhmen'^
20
1492 November 16
11— 12h vorm.
(0.30h nachm.)
Rnsisheim, Elsaß
^) Nach Lycosthenes : Feurige Kugeln fielen auf die Erde und hinterließen Spuren ilires
Brandes. — ■) Ein von einem fliegenden Drachen herabgeworfener Stein. — *) Brand. — ^) Viel-
leicht Identisch. — *) Eisenmeteorit. — *) Nach einer Sage (Bechstein) ist daselbst ein groSer
schwerer Stein Tom Himmel gefallen. — "^ Durch glühende Steine wurden mehrere Gehöfte
angezündet. — ") Unter Donnergetöse ein glühender Stein. — ^ Nach Schnurrer. — ^^ Fiel ein
Stein aus der Luft herab, der lange Zeit glühend blieb. — ^) Eine vom Himmel gefallene
Bisenmasse. Vielleicht fielen zu derselben Zeit auch die Eisenmassen bei Rittersgrün und
Steinbach. -^ ^ Vor der Tür des Klosters fiel 1 Stein mit furchtbarem Geräusch. Er hatte
schwane Kinde, inwendig weiß mit goldgl&nzendem Strich durchzogen. Mecklenburg. Archiv.
— >*) Das frühere Kloster Neumark soll auf der Stelle erbaut sein, wo man eine goldene Egge
vom Himmel fallen tmd wieder aufsteigen sah. ~ ^) Brand, viele Steine; Kesselmeyer hält
beide Fälle nicht für identisch, ich möchte dem beipflichten. — ^) Nach Kesselmeyer:
800 Donnerkeile bei einem Gewitter gefallen. — *^ Es sollen 10 Ochsen erschlagen sein. —
>^ AngebUch 1 Stein.
72
Sternschnuppen und Meteoriten.
£
Zeit des FaUes,
1
resp. Atitfindung
Tagesseit
Fallort oder Fundort
Meteormassen
21
1496 Juü 18
Münchberg, Hof, Bayern^)
22
1496 Am Jacobi
(25. Juli)
1509
_
Schweizenbach a. d. Saale
28
—
Schwaben«)
24
1528 Juni (1529)
1580 Juni 28
-»
Augsburg»)
25
—
Elrfurt
26
1540 (1550)
—
Naunhof, Neuhobn, zwischen Grimma und
Leipzig*)
27
1548 Mai 4
—
Bayern*)
28
1548 November 6
2 b vorm.
29
1552 Mai 19
8 — 51^ nachm.
Schleusingen, Thüringen*)
80
Vor 1556
Holzsatz in Holstein
81
1561 Mai 17
—
Torgau, Siptiz und Eilenburg, Provinz
Sachsen')
82
1572 Januar 9
9^ nachm.
Thom, Westpreußen
Nörten, zwischen Nordheim und Göttingen
88
1580 Mai 27
2^ nachm.
84
1580 August 18
—
Wiche, Thüringen
85
1581 JuU 26
II18O111 nachm.
Niederreißen bei ßuttstädt, Thüringen
86
1596 Dez. 15 (8)
nachts
Werden a. Ruhr, Kreis Düsseldorf
87
1591 Juni 9
—
Kunersdorf»)
88
1686 März 16 (6)
6^ vorm.
Zwischen Sagan und Dubrow*)
89
1647 Februar 18
ll-12h nachm.
nachts
Pölau, Zwickau
40
1647 August
11— I2I1 vorm.
mittags
B^ nachm.
Zwischen Wermsen u. Schameele, Westf .
41
1649 Mai 11
Zwischen Dombach, Ebersheim u. Münster,
Elsaß
42
1671 Februar 27
12h vorm.
kurz vor Mittag
Oberkirch und Zusenhof en,- Ortenau, Baden
43
1678
—
Dietling, Ettlingen, Baden
Ermendorf, Dresden
44
1677 Mai 28 (26)
abends
45
1678 Februar 6
—
Frankfurt a. M.'«)
46
1690 Januar 2
10h 45m nachm.
Jena^')
47
1715 April 11
4h nachm.
Schellm, Stargard, Pommern
48
1722 Juni 5
8h 80m nachm.
49
1724
—
Grimma, Sachsen
50
1750 Februar 9
—
Schlesien^*)
51
1751 gefunden
1775 September 19
1783 (17y8) gefunden
Steinbach, Johanngeorgenstadt, Sachsen
Rodach, Koburg, Thüringen
52
10h vorm.
58
—
Aachen*»)
54
1785 Februar 19 (2)
12h 15» nachm.
mittags
Wittmers, Eichstädt, Bayern
55
1785 August 18
11h vorm.
Frankfurt a.M.'«)
56
1796 März 8
10h 15m nachm.
Oberiausitz bei dem Dorfe Storcha>»)
') Dreieckige und hOhnereiartige Steine. Wohl nur Hagel. — *) Hagel mit grofien
Steinen. — *) Nach Qreg. — «) Bisenmasse. — *) Nach Oreg, Kesselmeyer. — ^ Gewaltiger Stein-
regen nach Ghladni, wobei das Lieblingspferd des Fflrsten Georg Ernst verwundet wurde. —
^ 2 Steine, der eine fiel auf eine WindmQhle. — >) Unter Detonation, Hagel mit Steinen.
— *) 2 Zentner schwerer Meteorstein. — ") Nach Ghladni: SteinfaU, nach Greg und Kessel-
meyer: Feuerkugel. — ») Zweifelhaft ob SteinfaU. — ») MulmaAlicher MeteorfaU. — ») Unter
dem Pflaster eine Bisenmasse gefunden ; wird beaweif elt, ob meteorischer Ursprung. — ^) Gleich-
seitiger Brand zweier H&user. — **) Substanz.
Sternschnuppen und Meteoriten.
78
&
Zeit des FaUea,
1
resp. Auffindung
der herabgefailenen
Tageszeit
Fallort oder Fundort
s
Meteormassen
57
58
18ü2 gefunden
18(» Januar 21
11— 12li nachts
Albacher Mühle, Bitburg, Niederrhem')
nachm.
Bojanowo, Schlesien*)
59
IHÜB Dezember 18
(1815 ein zweiter
Stein gefunden)
10— 11h vorm.
St. Nicolas, Mäßing bei Eggenfelden,
Niederbayem")
60
?
—
Aus Sachsen?«)
61
1804 gefunden
1809 Juni
—
Bei Darmstadt
62
—
Oberpfalz
68
1811 Juni
Heidelberg»)
64
1812 AprU 15 (18)
4h nachm.
Erxleben, Magdeburg
65
1816 Juli 19
Starenberg bei Bonn
RottweU, Württemberg
66
1819 August 20
8 h vorm.
67
1819 Oktober 18
7 — 8 h vorm.
Politz bei Gera
68
1820 August 6
—
Ovelgönne, Oldenburg^
68
1821 März 5
—
Im Greifswalder Kreise, Pommern
70
1822 Juni 19 (Juli)
11— I2h nachm.
nachts
Allerhöhe bei Hamburg^
71
1826 gefunden
—
Neuheim bei Frankfurt a. M.
72
1831 gefunden
—
Bei Magdeburg
78
1833 gefunden
1834 Januar 1
—
Rittersgrün bei Schwarzenberg, Sachsen
74
5 h vorm.
Zeitz
75
1835 Januar 18
4— 5 h nachm.
Löbau, Lausitz
76
1888 Januar 2
7h nachm.
Bei Breslau»)
77
1841 März 22
3h 50m nachm.
Seiferholz und Heinrichsau bei Grünberg,
Schlesien
78
1843 August 7
1— 2 h vorm.
Reine, Westf.
79
1843 September 16
4 h 45 m nachm.
Klein Wenden, Erfurt
80
1845 Januar 20
5h aOm bis 6h
nachm.
Grünberg, Schlesien«)
81
1846 gefunden
1846 Dezember 25
—
Darmstadt*«)
82
2 h 45 m nachm.
Schöneberg, Schwaben, Bayern
83
1847 gefunden
—
Seeläßchen, Schwiebus, Frankfurt a. 0.,
Brandenburg
Meinberg, Pyrmont, Lippe-Detmold
84
1850 Februar 28
85
1850 ( 1852) gefunden
1850 gefunden
—
Mainz
86
—
Schwetz a. Weichsel, Marienwerder
87
1851 AprU 17
8 h nachm.
Gütersloh, Minden, Westfalen
88
1854 JuU 4 (2)
Strehla a. d. Elbe'')
89
1854 JuH 29
11— 12h nachm.
Gera
90
1854 Septbr. 4 (5)
kurz vor 8 h
vorm.
Linum bei Ferbellin
91
1854 gefunden
1855 Mai 13
—
Tabarz am Inselberge, Thüringen
92
5 h nachm.
Gnarrenberg, Bremervörde, Hannover
98
1856 gefunden
~
Hainholz bei Borgholz, Paderborn, West»
falen
>) Eesaelmeyer vermutet den Fall zwiechen 1600 und 1700. — ^ SubBtans. — *) 1 Stein
•ehlug dnroh das Dach eines Sehappens und wurde noch heiß aufgenommen. 1815 ist daselbst
nooh ein zweiter Stein gefunden. — *) Im Naturalienkabinet au Qotha. — *) Materie. — ^ Setste
einsn Heuschober In Brand. — "O Brand. — ^ Nach v. Boguslawski : Mutmafilloher Meteorlten-
fhll eines groAen leuchtenden Meteors. — ") Mulmafilicher Meteoritenfall. — ^ Nach v. Bogus-
lawski, ohne nähere Angaben. — *^) Nach Wolf; Kesselmeyer h< den Fall für zweifelhaft.
74
Sternschnappen und Meteoriten.
&
Zeit des Falles,
i
resp. AuffiDdung
der nerabgefallenen
Tagesaeit
Fallort oder Fundort
s
Meteormassen
94
1859 Aagust 7
ShdOmnacbm.
Egersdorf bei Celle, Lüneburger -Hei de*)
95
1861 gefunden
1862 Januar 1
—
Heidelberg, Großherz. Baden
96
l^ voruL
Breslau
97
1862 Oktober 7
12h 80m nachm.
mittags
Mehow, Mecklenbuiff-Strelitz
Bückeburg bei Oberkirchen, Schaumbui^
96
1868 gefunden
—
99
1867 gefunden
Nöderitz bei Altenbur^
Krähenberg, Zweibrücken, Bayr. Pfalz
100
1869 Mai 5
61^ 80m nachm.
101
1869 Juni 7
91^ nachm.
Bei Borkum über der Nordsee geplatzt")
102
1870 Januar 1
5 h 55 m nachm.
Marienhofe, N. von Emden')
103
1870 Juni 17
2 h nachm.
Ibbenbühren, Westfalen
104
1870 September 27
6 h nachm.
In das Meer zwischen Femem und Laar
land*)
Nenntmannsdorf b. Berggießhübel, Pirna,
105
1872 gefunden
Königr. Sachsen
106
1878 gefunden
1877 Mai 17
—
Eisenberg, Sachsen-Altenburg
107
7 h vorm.
Zwischen Steinheim und Borsdorf, bei
Hunffen in Hessen
Ermensdorf bei Dresden
106
1877 Mai 26
—
109
1877 August 21
6 h nachm.
Hanau, Hessen
110
1877 August 28
lüh 30m vorm.
Köln
111
1877 Dezember 26
8 h vorm.
Höhr, Nassau
112
1879 Mai 17
4h nachm.
Gnadenfrei und Schöbergrund, Sohlea.
Wylcacowa, Kreis Schroda
118
1880 JuU 10
114
1881 September 8
10h 24m nachm.
Zwischen Bomholm und Rügen in das
Meer«^)
115
1882 August
8— 4 h vorm.
Von der Metter a. d. Enz, Württemberg
116
1884 gefunden
—
Braunfels, Hessen-Nassau
117
1885
—
Pützchen bei Bonn, Rheinprov.
118
1886 Mai 28
2h SOm nachm.
Krähenholz, Bamtrup, Lippe-Detmold
119
1888Mäjrz 4
11h vorm.
Schwachenwalde, Kms Arenswalde
120
1888 Dez. 18/14
nachts
Niederplais, Kreis Sieg, Rheinprov.
121
1889 Dezember 18
6h 80m nachm.
Zwischen Boldenhagen und Kröpelin
Bei Freiburg a. U., Thüringen«)
122
1889 Oktober 15
6h 7m nachm.
128
1890 August 12
11h 17m nachm.
Plauen, Kreis Zwickau, Sachsen
124
1891 gefunden
1891 Januar 27
—
Neustadt, Mecklenburg-Strelitz
Holzkirch, Reg.-Bez. Liegnitz
125
—
126
1891 August 81
8 h nachm.
Renncher Mühle b. Jagstzelt, Württemb.
127
1892 März 81
8h 45m vorm.
Worms, Hessen-Dannstadt')
128
1892 Mai 26
Kurz nach 12h
vorm. mittags
Berlin-Schöneberg«)
129
1892 November 10
10h 45m nachm.
Altenburg, Sachsen«)
Rhündorf b. Lichtenfels
180
1894 Januar 6
7 h 58 m nachm.
181
1895 Juli 8
11h 40m nachm.
Neu Glienitz b. Freienwalde*«)
182
189b September 14
9 h nachm.
Waidenburg, Schlesien
i) Mutmaßlicher Meteorltenfall. — *) Große detonierende Feuerkugel mit mutmaßlichem
Meteoritenfall. — *) Mutmaßlicher Meteoritenfall eines großen Meteors. — *) Große detonierende
Feuerkugel mit mutmaßlichem Meteorltenfall. ~ *) Von vielen verschiedenen Orten Dänemarks
beobachtetes Meteor, platzte in 21 kleine Kugeln. — <) Ungeheuer große, platsende und deto-
nierende Feuerkugel mit mutmaßlichem Meteoritenfall. — ^ Stein traf den Daohstuhl eine«
Hauses. — ^ Fiel mitten auf das Straßenpflaster in Stücke. Von der Schuljugend nach allen
Richtungen zerstreut. Mir mitgeteilt. — ') Vossische Zeitung: Auf einem Felde vor einem
Dienstknecht ein glühender Stein gefallen. — ^) Zeitungsnachricht: In das Wasser fallend.
Steni8ohnapp«n nnd Meteoriten.
75
£
Zeit des FaUes,
1
resp. Auffindung
Tageszeit
Fallort oder Fundort
J^
183
1896 gefuDden
1896 Febmar 29
Bei Zwickau, Königr. Sachsen
Socham, Halle undDöbau, Greiz*)
IM
6h 48m nachm.
186
1896 gefunden
—
Weißen Hirsch, Dresdener Heide am H. G.
Wege
186
1896 September 15
—
Tuttlingen, bei dem Bahnwärterhause
Stuttgarter-Straße
137
1896 Dezember 26
Sil Im naohm.
Agnesruh bei Bad Elster")
138
1896 Dezember 80
9 h nachm.
Deggendorf, Bayern
139
1897 Januar (Febr.)
10h 30m vorm.
Liemiitz (Brieg)»)
Berün, in einem Garten Matthaikirch-
140
1897 Mai 18
4h 6m nachm.
Str. 16*)
141
1897 Mai 19
7h 45m nachm.
Katzhütte , Meuselbach , Schwarzburg-
Rudolstadt
142
1897 September 18
12 h vorm.
Engelsberg, Nordhausen*)
143
1898 August 9 (10)
8 h vorm.
Bei Kiel«)
144
1899 Februar 19
7 h 45m nachm.
Friedeberg a. Qu., auf dem Klötzenp]ane
der Bretscheide
145
1900 Oktober 19
4h 40m nachm.
Unweit Heidelberg')
146
1902 April gefund.
Osterfeld bei Zeitz
147
1902 August 20
10h 15m nachm.
Lennep, Rhemprovinz
Italien')
Rom«)
Albaner Gebirge (Mens Albanus)
östl. von Rom in Latium^^
Eretum in Sabinien^^)
Veii, nördl. von Rom, Etrurien
Italien wo?^*)
Ancona
Mars-See bei Crustumarium, Etrurien ^)
Italien wo?*<)
Lucanien (Neapel)
Italien wo?")
Nami, nördl. von Rom *«)
Italien wo?^')
Lombardei
Cremona *•)
Viterbo ")
^) Nach der Lelpz. Dl. Zeitung. — *) Angeblich ein 16 Pfund schwerer Stein. — *) Mir mit-
geteilt. — *) Angeblich ein 630 g wiegender Stein. — *) Zersprang noch heilt in viele Stücke.
— ^ 32 Pfund-Stein. — "^ Gewaltige Sxplosion : Wahrscheinlicher Niedergang eines Meteoriten.
— ^ Von den Tor Christo stattgefundenen Meteoritenf&llen sind nur die bemerkenswertesten
aufgeführt worden, andere sind wohl nur Sternschnuppenfalle gewesen. — ") Herabfallen eines
ehernen Schildes (wohl Eisenmasse) mit heftiger Detonation. — ^ Brennende Steine fielen vom
Himmel, wenn nicht Sternschnuppen. — ^) Es regnete Steine. — ^*) Es fielen feurige Steine
(Stemsoimuppen). Nach Greg. — ^) Livius : Ein Vogel ließ aus seinem Schnabel einen heiligen
Stein fallen. — **) Qet5se in der Luft. Man sah eine Keule vom Himmel fallen. — >*) Bisen
nach Kesselmeyer. — ^ Viele Steine, von denen der eine in den FluA fiel und eine Elle über
dem Wasserspiegel hervorragte. Nach Buchner. — ^^ Unter Sturm und Donner fiel ein großer
Stein vom Himmel. — ^ Nach Schnurrer ein großer Stein. ~ ^ Zwei große Steine.
Vor Christo
1
2
707 (705, 704)
654 (644, 642)
8
216
4
210
5
207
6
206
7
204
8
176
9
106
10
56
11
52 (51)
Nach Christo
12
921
18
956
14
1151
15
1286 (1240)
16
1474
76
Sternschnappen nnd Meteoriten.
£
Zeit des PaUes,
resp. Auffindung
Tageszeit
Fallort oder Fundort
Meteormassen
17
1491 März 22
Bei heiterem
Himmel
Rivolta de Bassi, Grema, Lombardei
18
1496 Jan. 26 (28)
^ vorm.
Valdinore, zwischen Gesena und Bertinoro
Porli
19
1511 September 4
8h nachm.
Grema *)
20
1525 Juni 28 (29)
Mailand
21
1545
—
Piemont
22
Zwisch. 1550 u. 1570
—
An mehrem Orten Piemonts*)
28
1557 November 25
—
Italien wo?
24
1569 Sept. 14 (15)
—
Venedig»)
25
1588 Januar 9
Bei heiterem
Himmel
Gastrovillari, Kalabrien
26
1588 März 2
—
Piemont*)
27
1596 März 1
5^80» nachm.
Grevaicore, Perrara
26
1685 Juli 7
—
Galce, Vicenca
29
1650 (1660) Sept 4
1668 Juni 19 ^1)
—
Bei Mailand *)
80
12— Ib vorm.
Vago, Galdiero, Verona*)
(nachts)
81
1672
nachts
Verona«)
82
1676 März
7 b vorm.
Livomo aus gesehen mit der Richtung
nach Korsika^)
88
1697 Januar 18
4 — 5 b nachm.
Pantolino und andern Orten bei Siena,
Toskana
U
1787 Mai 21
—
Zwischen Lissa imd Monopolii in das
Adriatische Meer fallend
86
1755 Juü
—
86
1755 Oktober 14
8b vorm.
Lucarno *)
87
1766 Mitte Juü
5 b nachm.
Aborretto, Modena*)
88
1766 August 16
Zwisch. 1769 u. 1779
—
Novellora bei Modena*)
89
gefunden
—
GoUina di Brianza, Mailand
40
1776 (1777) Ende Jan.
2— 4b nachm.
Sanatoglia bei Fabriano, Ancona
41
1782 Juli
nachts
Tata und Tamoretti bei Turin
42
1791 Mai 17
5b vorm.
Kastel-Berardenga bei Siena, Toskana
43
1794 Juni 16
7 b nachm.
Zu Pienza. Gosona u. zu Lucignan bei Siena
44
1808 April 19
12— Ib nachm.
(mittags)
Borge -San -Domino und Pieve di Gasig-
nova, Parma
45
1818 März 14 (4)
8 — 4 b nachm.
Gutro, zwischen Grotone und Ganton-Zera,
Kalabrien '<^
46
1819 Ende AprU
—
Massa Lubrense, Neapel
47
1820 November 29
7 b nachm.
Gosenza, Kalabrien ")
48
1822 Juni 17
—
Gastania, Sicilien ^"j
^) WiLbrend einer Sonnenfinsternis fielen viele Steine; auob soll ein Mönob ersoblagen,
VOgel und Sobaf e getötet sein. Der Fall des Meteors wurde von Raffael auf einem Bilde ver-
ewigt. — *) Eisen naob Kesselmeyer. — *) Es fielen Sterne und Feuer vom Himmel und soblugen
in 2 Pttlyertürme und in einen Scbwefelturm. Säcbsisohe Chronik. — *) Aus einer donnernden
Wolke fiel nacb Kesselmeyer ein Stein, der dem Herzog von Savoyen gebracht wurde. — ■) Ein
Stein fiel in das Kloster St. Maria della Face und tötete einen Fransiskanermönob. — ^ Viel-
leiobt identisch. Nacb Büchner wird in der Akademie su Verona ein Stück des Steines auf-
bewahrt. Kesselmeyer sagt: Januar 19. ~ "^ Mutmafilicher MeteoritenfaU in das Meer und mit
grofier Brschatterung einer serspringenden Feuerkugel. — *) Meteorstaub nach Gbladni. — ") Viel-
leicht identisch. Arago führt beide jedoch selbständig auf. — ^ Unter Donnersobl&gen : roter
Regen, Staub und mehrere Steine. — ") Nacb Greg: Casenza, Jonische Inseln. — ") Brand.
Sternschnuppen und Meteoriten.
77
Zeit des Falles,
resp. Auffindung
der nerabgefallenen
Meteonnassen
Tagesseit
Fallort oder Fundort
49
60
51
62
63
54
66
66
67
68
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
1824 Jan. 13 (15)
1834
1834
1836
1886
1839
1840
1841
1846
August 26
Dezember 15
Februar 8
September 18
November 29
Juli 17
Juü 17
Mai 8
1863 Februar 10
1855 Mai 24 (25)
1866 November 12
1860 Februar 2
1868 Januar 30
1868 März 1
1871 März 24
1872 August 31
1875 September 14
1880 März 29—30
1883 Februar 16
1885 Dezember 6
1886 Mai 24
1890 Februar 3
8h 80m nachm.
mitternachts
7 h nachm.
10 h vorm.
3 — 4 h nachm.
7h 30m vorm.
9 h 15 m vorm.
1 h nachm.
10h 20m vorm.
4 h nachm.
11 Ä 45m vorm.
7 h nachm.
Zwisch.l0h30m
u. 10h 45m vorm.
8 h 15 m nachm.
5 h 15 m vorm.
4h nachm.
11— 12hnachm.
nachts
2h 80m nachm.
10h 25m nachm.
Ih 30 m nachm.
Renazzo (Arenazza) nördl. von Genta bei
Ferrara «
Padua
Marsala, Sicilien
Rivoli, Piemont^)
Florenz «)
Neapel
Cereseto aei Ottiglio, Piemont
Mailand
Monte-Milone a. d. Potenza, Macerata,
Ancona
Girgenti, Sicilien
Bei Civita-Vechia •)
Trenzano, Brescia, Lombardei
Alessandria, San Giul. vechio, Piemont
Larioi, im Golf von Spezia
Motta di Conti, Casale
Urbino, Pesaro*)
Orvinio, ümbrien*)
Supino bei Frosione, ehemal. Kirchenstaat
Catania, Sicilien^)
Alfianello bei Brescia
Neapel, in der Straße Florentino
Torre, Assisi, Perugia
Antifona, Oollescipoli, Temi
Dänemark
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
1076
1646 Mai 16
1647 zu Pfingsten
1665 März 30(AprU6)
1817 März 2
1878 März 25
1876 September 7
1878 August 29
1881 September 8
8 h vorm.
12— Ih vorm.
8h 20m nachm.
1 h 30 m nachm.
2 h 30 m nachm.
10h 24m nachm.
Island^
Dänemark wo ? ^
Kopenhagen *)
Insel Falster ^^
örsted auf Fünen ")
Baltisches Meer^*)
Bei der Insel Samroe^)
Ringkjöbing ^)
Mem, Prästö auf Seeland
In die Ostsee zwischen Bomholm
Rügen gefallen^)
und
*) Detonierende Feuerkugel mit Meteorstaub. — *) Substanx. — ") Nach Büchner fiel
eine große Feuerkugel mit langem Schweif und unter heftigem Ger&usoh nur 16 Schritt von
einem Schiffe in dae Meer. Nach Kesselmeyer am 17. September 1866: 42^7' tmd 11* 46' westl. Br.
— *) Nach Flight: detonierende Feuerkugel mit Meteoritenfällen. — *) Brand. — *) Meteorischer
Staubregen. — "^ Nach Kesselmeyer: angeblich ein aus der Luft gefallener Anker, der angeblich
in der Kirche «i Klöna auf Island aufbewahrt worden war. — ^ Nach Greg und andern. —
*) Nach Kesselmeyer: ein vom Himmel gefallener Stein. — ^^ Steine zur Zeit eines Hagelfalles,
u) Nach Terwald Kohl hat der Steinfall bei örsted, NO von Assens stattgefunden. Der Stein
wurde längere Zeit aufbewahrt, nachher aber fortgeworfen. — ^*) Von Qothenburg in Schweden
und Odense auf Fünen sah man einen Feuerregen zwischen Bomholm und RQgen in das Meer
stOrzen. — **) Feuerkugel Deton. platzende Vt Mondgrofie mit vermutlichem Meteoritenfalle. -—
**) Stein nicht gefunden. — *») Nach T. Kohl von Kopenhagen und andern Orten Dänemarks
geaichtet.
78
Steni8ohnapp«n und Meteoriten.
vi
Zeit des FaUes,
resp. Auffindung
der Herabgefallenen
Meteonnassen
Tageszeit
FaUort oder Fundort
n
12
1888 gefunden
1895 gefunden
—
Nökjobing ')
Lysabilds bei Düppelburg*)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
18
14
16
16
17
1
2
8
4
6
6
7
8
9
10
11
12
18
1822 Juni 13
1822 September 10
1848 Dezember 27
1869 Januar 1
1873 Mai 14
1876 Juni 28
1877 März 18
1877 April 29
1882
1883 Juli 4
1884 Mai 20
1885 April 22
1886 März 11
1889 April 8
1889 April 26
? gefallen
1892 gefunden
1112 nach Chr.
1805 (1804) Okt. 1
Zwischen 1340 und
1520
1861
1559
1618
1618 Ende August
1642 Dezember 12
1728 Juni 22
1727 Juü 22
1751 Mai 26
1768 Juni 8 (JuU)
1768 November 20
Norwegen und Schweden
4^ nachm.
10h 80m
bis 11 h nachm.
6 h nachm.
12h 30m nachm.
mittags
10 h nacnm.
11h 80m vorm.
7h 52m nachm.
8h 37m nachm.
am Tage
8h 9m nachm.
6 h 15 m nachm.
7h 40m nachm.
Ghristiania')
Carlstadt*)
Schieshi, Akerhuus b. Kregstedt, Norwegen
Hessle, üpsala, Schweden
Norrbärke in Dalarma, Schweden*)
Ställdalen, nördl. y. FUipstadt, Schweden
Nordufer des Wenem-Sees, Schweden^
Zwischen Lulea und Pitea, Schweden^)
Högsby^)
Brodby, Westermanland, Schweden •)
Mildt V aage im östl. Teil der Tysnes-Inael,
Norwegen
Ostergötlaud, Eisenbahn-Station zu
Fogelsta, Schweden
Aastoedt, Bergen, Norwegen ^<J)
Lundgard, Kellena, Schonen, Schweden
Südliche Schweden
Ostra Ljemgby i. Sköne^^)
Morradal Grjotlien, zwisch. Skiakel u. Stryn
Österreich-Ungarn
10 — 11h vorm.
2h nachm.
Qh 50 m nachm.
8 h nachm.
4 h nachm.
Aquileja, Aglar, Dlyrien^^
Vandals, Südösterreich'*)
Elbogen, Böhmen ^^)
Zwettl. In Nieder- od. Oberösterreich
Miskolcz, Borschod, Ungarn
Böhmen^)
Musacöz, Mur-Insel, Ungarn
Zwischen Ofen und Gran, Ungarn^*)
Pleschkowitz, Reichstadt, Böhmen")
Liboschitz, Reichstadt, Kreis Bunzlau,
Böhmen ")
Hraschina, Agram, Kroatien
Hqf-Krawin b. Strkow, Plan, Böhmen**)
Mauerkirchen, Braunau, Osterr. ob. der Enns
') 500 kg nach der Zeitschrift >Natare< und anderen Autoren. — *) Stein in einer Weide
gefunden; soll nach T. K5hl kein Meteorstein sein. Angeblich 1843, August 12. gefallen. —
^ Bituminöse Masse. — *) Mutmaßlicher MeteoritenfaU. — *) Sirius 1873: Ebcplosion mit starker
Detonation. Meteoriten fielen in einem Walde nieder. — *) Vermutlicher MeteoritenfaU nach
Nordenskjöld. — "0 NordenskjSld : Meteoriten nicht gefunden. — ") >Fort8chritte der Physikc :
schlug Locher in das Eis. Weitere Angaben fehlen. — *) Steine und HageL — ^ Nach >Natttre« :
unter Detonation Löcher in das Eis. — ") Nach Cohen. — ^«) OlQhende Steine. — >*) Nach Kessel-
meyer, Greg sagt Lusatia, Saxony, wahrscheinlich 1304, Oktober 1. — ^) Bisenmeteor, unter
dem Namen: »Der verwunschne Burggraf c bekannt. — >*) Niederfall einer metallischen Masse.
— ») Weiches Bisen wahrscheinlich? — ^^ 8 Steine. — ^ 25 Steine. Jedenfalls beide identisch.
— ^ BreBina und WOlting: 3. Juni, Buchner und andre 8. Juli.
Sternschnuppen und Meteoriten.
79
Zeit des Falles,
resp. Auffindung
der herabgefallenen
Meteormassen
Tageszeit
Fallort oder Fundort
14
15
16
17
18
19
201
21
22
28
»
26
26
27
28
29
dO
31
82
88
84
85
86
87
88
89
40
41
42
48
44
45
46
47
49
1808 Mai 22
1808 September 8
1813 März 8
1814 (1815) gefund.
1819 September 5
1820
1824
1824
1829
1829
1881
1883
1838
1884
1886
1887
1837
Mai 22
Oktober 14
Dezember 17
November 19
gefunden
September 9
November 20
November 25
November 29
Januar 15
Juli 24
1840 gefunden
1841 August 10
1842 April 26
1848 November 10
1845 gefallen (gef.)
1847 Juli 14
1851 gefunden
1852 September 4
(?)
1852 Oktober 13
1854 Mai 10
1857 April 15
1857 Okt. 10 (11)
1858 Mai 19
1859 Juli 31
1861 gefunden
1862 gefunden
1866 Juni 9
1866 September 13
b^ 30m
bis 6^ vorm.
8 h 30m nachm.
2 b nachm.
11— 12h vorm.
mittags
11— 12t nachm.
&^ vorm.
6h 30m nachm.
10h 5m nachm.
3 — 4 h nachm.
7 h 80m vorm.
ßh 80m nachm.
5 h nachm.
llhSOm vorm.
10 h nachm.
8 h nachm.
5 h nachm.
3h 45 m vorm.
4 h 30 m nachm.
3 h nachm.
10h 80m nachm.
12— Ih vorm.
(mitternachts)
8 h vorm.
9 h 30 m nachm.
4 h 30 m nachm.
(6 Uhr)
In vorm.
Stannem, Iglau, Mähren
Wustra und Stratow, Lissa, Böhmen
Brunn*)
Lenarto, Saroher-Komitat, Ungarn
Studein, Teltsch, Mähren*)
Odenburg, Ungarn
Praskoles, Zebrak, Böhmen
Neuhaus, Böhmen^
Prag*)
Bohumilitz bei Winterberg, Böhmen
Znorow, Wessely, Mähren
Bei Preßburg*)
Blansko, Brunn, Mähren*)
Szala, Raffaden, Gespann Salad
Am Plattensee'')
Mikolowa am Plattensee, Grespann Salad ^
Groß-Divina bei Budetin, Gespann Trent-
schin, Ungarn
Magura, Szlanicza, Arva, Ungarn
Iwan, odenburg •)
Pusinsko-Selo, Milena, Kroatien
Auf der Donau, Osterreich
Siebenbürgen
Hauptmann sdorf, Braunau, Königgrätz,
Böhmen»)
Alt-Belä, Mähren
Fekete u. Teich Istento, Mezö Madarasz
Siebenbürgen
Deeresheim bei Hallerstadt *^)
Borkut, Szigeth, Marmaros, Ungarn
Iwan, Odenburg, Ungarn**)
Kaba, Debreczin, Nord-Bihar, Ungarn.
Veresegyhäza, Ghaba, Carlsburg. Sieben«
bürgen
Kakowa, Oravitza, Temeser Banat, Ungarn
Montpreis, Steyermark
Breitenbach, Bez. Platten, Kreis Elbogen
Rok3rtzau, Pilsen, Böhmen
Knyehinya, Ungarn*^
Tuschkau, Pilsen, Böhmen*')
*) Unter Detonation eines Meteors fiel Materie. — *) Erdregen und kleine Steinchen. -^
') Feuerkugel mit harziger Masse. — *) Nach Schwefel riechende kristallinische Masse. —
*) Kzplodierende Feuerkugel mit mutmaßlichem Meteoritenfalle. — *) Anfangs 3 Steine. Baron
Reichenbach ließ die Gegend planmäßig absuchen und fand noch 8 Steine. — "*) Jedenfalls
Identisch. Ein noch gldhender Stein. — ") Ein viel umstrittener Meteorstein. — ") 2 Eisen-
massen.— *^ Nach dem Jahrbuche der k. k. Geologischen Reichsanstalt: eweifelhafter Meteoriten-
fall. — ") Nach Charl Upan Shepard angezweifelt. Sollte der von 1841, August 10. mit diesem
Falle identisch sein ? — **) Nach Schätzung mehr als 1000 Steine. — ^) Feuerkugel von Sonnen*
große, detonierend mit Erschütterung und mutmaßlichem Meteoritenfalle.
80
Sternschnupp«! und Meteoriten.
i
Zeit des FaUes,
*o
resp. Auffindung
der herabgefallenen
Tageszeit
FaUort oder Fundort
A
Meteoimassen
50
1868 Mai 22
10h 80ni nachm.
Stavetic, Agram, Kroatien
51
1878 Mai (8)
—
Proschwitz 1)
52
1874 April 10
1875 M!arz 81
7^57''^ nachm.
Bei Majelevic, Tetschen, Böhmen«)
58
8— 4 h nachm.
Zsadany, Ungarn
54
1877 gefunden
—
Zwischen Mühlau und Weihenberg, Mechei^
bürg, Innsbruck
55
1878 Juli 15
Ih 46 m nachm.
Tieschitz und Tischtin, Prenao, Mähren
56
1882 Februar 8
8— 4h nachm.
Mocs und Umgebung, Ungarn
57
1883 Januar 17
Glogovacz bei Arad*)
58
1888 März 28
5 h vorm.
Smidar, Kreis Bildschow, Böhmen
59
1887 April 21
9— 10 h nachm.
In die Braunau, unweitWaidhof en a. Thaya,
Niederösterreich*)
60
1887 Oktober 28
4h 15m nachm.
Im Außenhafen von Pola*)
61
gefunden
—
Pniow, Böhmen
62
gefunden
—
Chotzeu bei Hohenmauth, und Chmdin,
Böhmen
63
1890 gefunden
—
Nagy-Üazsony, Veszprimo, Ungarn
64
1895 Mai 9
—
Nagy-Borove, Ungarn
Velika-Solina bei Agram«)
65
1896 April 18
7 h 30m vorm.
66
1898 gefunden
—
Wiener Prater^
67
1897 August 1
11h 6m vorm.
mittags
Zavid bei Rozany, Zvomik, Bosnien
68
1899 April 80
—
Außig, Böhmen
Kaschau, Ungarn
69
1901 September 14
—
Staaten der Balkan-Halbiiisel und grieehische Inseln
Vor Christo
1
1478
—
Cybellische Berge auf der Insel Kreta
Berg Ida, Insel Kreta
2
1408
—
8
?
—
Delphi «)
Orchomenes, Griechenland
4
1200
—
5
1168
— .
Berff Ida auf Kreta«)
Insel Kreta
6
670 (520)
—
7
476
—
Agos Potamos, Thracien^«)
8
?
—
Kassandria (Posidäa) Macedonien
9
465
—
Theben, Böotien ")
10
Anfang der 80 Jahre
Nach Christo
~~'
Athen nahe bei dem Jupiters-Tempel.
11
452
—
Thracien")
12
648
—
Konstantinopel
18
1472 November 8
—
KonstantinopeP*)
14
1514 September 7
—
SugoUe Grenze von Ungarn**)
15
1637 Dezember 6
—
Meerbusen v. Volo, Pelagas Sinus^Thessalien
>) MeteorkOgelchen. — ^ Qrofie detonierende Feuerkugel von Sonnengröße mit mutmaft-
lichem Meteoritenfalle. — *) Meteorit sohlug durch das Eis eines Sumpfes. — •) Fall wird be-
zweifelt. — *) Eine glühende Kugel bei hellem Sonnenscheine 20O m vom Soliulsohitf Venebech.
— * ^ Brand. — f) Harzige Substanz, welche Stanislaus Meunier fOr meteorischer Natur hUt. —
*) Nach Kesselmeyer: Angeblich ein vom Saturn auf die Erde geschleuderter Stein, der im
Appollotempel aufbewahrt worden war. — ") Nach Arago : Eisenmasse. — ^) Der berOhmteste
Steinfall des Altertums. Plinius bemerkt, daß der Stein die Qröße eines Wagens gehabt habe
und eine Farbe, als ob er ausgebrannt wäre. — ") Unter Feuer und Getose vom Himmel ge-
fallener als Mutter der Götter bewahrter Stein. — ^^ Nach Ghladni: drei große vom Himmel
gefallene Steine. — ") Dunkle Staubwolke. — ^) Nach S. Meunier.
Sternschnuppen und Meteoriten.
81
Zeit des Falles,
resp. Auffindung
der nerabgefaUene]
Meteormassen
Tagesseit
Fallort oder Fundort
16
17
18
19
20
21
22
28
24
25
26
27
28
29
80
dl
82
88
1706 Juni 7
1740 Oktober 25
1774
1805 Juni
1810 November 28
1818 Juni
1818 Oktober 81
1828 Mai
1850 August 29
1864 April 10
1878 gefunden
1874 Mai 20
1877 Oktober
1888 Juni 2
18
1889 Dezember 1
1891 Oktober 10
1894 Juli 19
1895 Juli 10
2— 8h nachm.
12^ Yorm.
mittags
am Tage
9— 10l> nachm.
am Tage
811 80m nachm.
10 h nachm.
6h 40m nachm.
2h nachm.
2h 80m nachm.
9 h nachm.
Larissa, Thessalien
Hasarsrad oder Rasgrad, zwischen Schumla
und Rustschuk^)
Tirgowiste, Rumänien*)
Konstantinopel, mitten in der Stadt auf
dem Fischplatz')
Zwischen der Insel Cerigo und Kap Ma-
tapan
Seres, Macedonien
Bei Bukarest^)
Tscheroi, zwischen Weddin u. Krojowa
Nauplia*)
Griechische Insel Polinos^
Wlaschka, Timowa, Rustschuck, Nord-
Rumelien
THrba, Weddin, Walachei, Rumänien.
Sarbanovac, Sokobanja, Alexinac, Serbien.
Im Walde bei dem Dorfe Urba bei Kon-
stantinopel
Kasak, Mittelpunkt des Falles im Zeliza-
Gebirge, Serbien
Guca, Cacat, Serbien
Surakina Gregonana auf Kreta
Szakal bei Temeswar
Rußland ohne Sibirien
Nowgorod
Wilikoi-Usting, Wologda
Nowgorod
Warschau 7)
Räuden, Kurland')
Simbirsk
Meteoritenfall in den Ostsee-Provinzen.
Riga«0
Obruteza, Volbypien
Jigalowka, Bobrik, Charkow
Bjelaja Zerkow, Kiew, Ukraine
Tunoschin, Smolensk
Kiking, Wiasemsk, Smolensk
Rokicky, Brahin, Minsk
Kuleschowska, Poltawa
Borodino, Moskau
Luotolaks (Lontalaz) Wiborg, Finnland
Scholakoff, Ekateriooslaw
^) 2 steine, 5 Tage nach dem Tode Karls VI. — *) Eine Notiz, die 1805 in Urkunden
gefunden. — *) Mehrere Steine. — *) Zweifelhafter Meteoritenfall. — *) Steine sind zwar auf-
gefunden, aber wieder verloren gegangen. — *) Angeblich 2 AeroUten. J. Schmidt gibt an,
daA ee die gröAte detonierende Feuerkugel gewesen, die er Je gesehen. Massen, wie Sohnüdt
sie Termutet hatte, sind jedoch nicht gefunden. — '>) Stein, welcher den Turm eines Gefäng-
nisses serstorte. — *) Meteorpapier. — *) Brand in der Peterskirche.
Klein, Jahrbuch XIV. 6
1
1212 Febraar 2
2
Zwisch. 1251 u. 1860
am Tage
8
1421 Mai 19
—
4
1600
6
1686 Januar 81
10h45mnachm
6
Fallzeit anbekannt
—
7
1704 Juli 19
8
1721
—
9
10
1776 (1776) Herbst
1787 Oktober 13
8 h nachm.
11
1796 Jan. 16 (1797)
—
12
1807 März 25
8 h nachm.
18
1809 gefallen
14
1810 gefunden
1811 März 12
—
15
11h vorm.
16
1812 September 5
12— Ih vorm.
17
1818 Dezember 18
(1814 März)
2— 8h nachm.
18
1814 Januar 28
—
82
Stornsohnuppen und Meteoriten.
£
Zeit dds FaUes,
1
resp. Auffindung
der herabgefallenen
Tagesseit
Fallort oder Fundort
3_
Meteormassen
19
1814 Februar 15
0—1*1 nachm.
mittags
Alezejewska, Bachmut, Ekaterinoslaw
20
1818 April 10 (11)
1818 August 10
—
Zaborzyka, Volhynien
Slobodka, Smolensk
21
—
22
1819 Mai 26 (19)
—
Paulowgrod
28
1820 Juü 12
Lasdany, Lizna, Witebsk
24
1820 November 12
4 h nachm.
Chotmischsk, Sterlitamansk
25
1822 gefunden
1828 Ende Dezbr.
Rokicky bei Brahin, Minsk')
26
Botechetschki, Kursk
27
1824 Oktober 20
—
Staütamank, Orenburg«)
28
1825 Juli 28
—
Chirokij unweit Gherson')
29
gefunden?
—
Gzartoya, Volhynien
80
—
Im €k)uvernement Poltawa
31
1826 Mai 19
—
Mordvinowska, Paulowgrod, Ekaterinoslaw
82
1827 Oktober 17
9—1011 vorm.
Bialystock, Kuasti-Knasti, Jasly
83
Vor 1828 Mai
—
Simbirsk
34
1829 September 9
2 b nachm.
Krasnoy-Ugol, Rjäsan
Okniny, Okaninah bei Kremenetz, Volhy-
86
1884 Januar 8
9— 10h vorm.
86
Vor 1838
nien
Slobodka, Rußland
87
1840 Mai 9
11— 12 h vorm.
mittags
Karakol, Kirgisensteppe
88
1848 gefunden
gefunden
1848 November 12
—
Bei Badjansk am Asowschen Meere^)
89
—
Im Gouvernement Kursk
40
11— 12h vorm.
mittags
Werchne Tschirskaja, Stanitza am Don
41
1846 gefunden
1846 (?) gefunden
Im Kreise Romy, Poltawa
42
—
Im Gouvernement Kursk*)
48
1846 gefunden
—
Netschaewo, Tula
44
1860 gefunden
—
Bei Abo, Finnland
46
1864 gefunden
1866 Mai 6
1865 Mai 11
—
Sarepta a. d. Wolga, Sarato.
46
47
5 h nachm.
8— 4 h nachm.
Igast, Livland*)
Kaande, Insel Osel
48
1867 März 24
5 h nachm.
Stawropol, Kaukasus
49
1858 August
—
Zmeny, Stolin, Pinsk, Minsk
60
1869 gefunden
1861 Juni 28
—
Czartorysk am Styr, Volhynien
51
7 h nachm.
Mikenskoi, Grosnaja, Kaukasus
52
1868 Juni 2
7 h 30m vorm.
Buschhof, Jakobstadt, Kurland
68
1868 August 8
Oh 80m nachm.
mittags
Aukoma u. a. Ort Pillistfer, Livland^
64
1864 AprU 12
1864 (1862) Juni 26
4 h 45n» vorm.
Nerft, Kurland
66
7 h vorm.
Dolgowoli, Volhynien
Pultusk, Sielce Nowy, Polen«)
Werchnedjeprowsk, Ekaterinoslaw
56
1868 Januar 80
6 h 45 m nachm.
57
1869 gefunden
—
58
Fallzeit unbekannt
—
Mohilew
69
Fallzeit unbekannt
Grodno
60
1871 gefunden
—
Oczeretna, Lipowitz (Lipowez), Kiew
>) Man vergleiche Nr. 14. — <) Bezweifelter Meteoritenfall. — *) Zweifelhaft nach Chladni.
— «) Nach Büchner. — ») Vielleicht identisch nüt Nr. 39. — «) Besweifelter Meteorstein. ~ ^ Ein
sehr reicher Fall. Ein Stein schlug in einen Schweinestall. — ^ Viele Tausend Steine, welohe
eine Strecke von 10 deutschen Meilen bedeckten. Nach Brezina soll dieser FaU mit dem an dem-
selben Tage, 7h naohm. erfolgten Steinfallebei Larioi im Golfe von Speoia, Italien, identisch sein.
Stecnachiiuppeii and Meteoriten.
88
J
Zeit des Falles,
resjp. Attfündang
der herabgefallenen
Meteormassen
Tageszeit
FaUort oder Fundort
61
62
68
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
88
84
85
86
1872 Juni 28
1878 Januar 9
1874 Mai 11
1876 Juni 17 (19)
1876 ffefunden
1877 Juni 17
1878 November 20
1881 November 19
1882 August 2
1886 September 16
1887 Januar 1
1887 Juli 8
1887 August 80
1888 gefunden
1889 Juni 18
1890 April 16 (10)
1891 April 9 (7)
1892 gefunden
?
1893 September 22
1894 Juli 27
1894 Dezember 7
? gefunden
1895 Mitte August
1899 März 12
1901 September 9
Vor Gbristo
Vor 1460
Vor 1180
Fallzett unbekannt
desgleichen
desgleichen
desgleichen
desgleichen
Qh 80™ nachm.
mittags
11 h45m nachm.
6 h 80m vorm.
4 — 5*» nachm.
7 h 18m vorm.
111» vorm.
Ih nachm.
41» nachm.
101» nachm.
9I1 47m nachm.
Sikkensaare, Tennasilm, Estland
Bei Abo in das Meer fallend
Sevrukof (Sewrjukowo) Belgorad, Kursk
Vanilowska, Cherson
Werchne Drieprowak, Ekaterinoslaw
Yodz6, Poneviej Kosno
Rakowka, Tula, Galun
Großliebenthal und Sitschawskab. Odessa^)
Pawlowka, Karai, Balaschew, Saratow
Nowy Urej, Krasnoslobadck, Pensa
Bielokrysnitchie, Zasland, Volhynien
Niederbartau, Kurland
Ochansk und Taborg, Perm
Bischtrübe (Bisch-T^ube) Nicolaew.Tourgais
Mighea, Elisawetpol, Transkaukasien
Mißhofi Kurland
Indarck, Elisabeth, Transkaukasien
Augustinowka, Ekaterinoslaw
Romy, Poltava
Zabordie, Wihia*)
Sawtschenskoje, Gherson
Buschany, Stonim, Grodno
Netschaewo, Tula
Kljutsch, Krassnowtimski, Perm
Stensbölle-Fjörde b.Bjjurbdle,Bor^a, Finnl.
Soll in einem russischen Dorfe em orofler
Brand durch einen fallenden A^teor-
stein entstanden sein')
Kleiii-Asien
Gibeon, nördl. von Jerusalem^)
Troja*)
Troja«)
Ephesus^)
Laodicea bei Ephesus")
Tyrus, Phönizien*)
Hierapolis, Syrien*®)
Babylon")
Paphos, Insel Kypem*")
*) An letzterem Orte wurde ein Postillion von einem fallenden Steine verwundet. — *) Ein
Stein fiel auf ein Bauemhaue. — *) Wisselinus, m. Band. — *) Nach Lyoosthenes: Hagel von
Steinen. — *) Nach Homers Dias h&ngte Jupiter der Juno zwei große Amboße an die Füße und
band mit goldenen Fesseln die H&nde der Gattin; sp&ter loste er aber die Fesseln und warf
die Klumpen nach Troja herab. Nach Bustathius wurden später 2 Klumpen von den Perle-
gaten in Troja gezeigt. — ^ Nach von Dalberg gab Apollo einen schwarzen Stein dem Trojaner
Helenes. — "*) Nach v. Hammer ein vom Himmel gefallenes Bild der Diana. — ") Nach
V. Dalberg: »B&tylos-Stein«, welcher am Eingange des Dianatempels zu Laodicea stand. —
*) Nach von Dalberg: der als Stern vom Himmel gefallene Stein, welchen die OSttin Astarte der
Stadt Tyros relohte. — ^ Nach von Hammer und andern: Angeblich vom Himmel gefallenes
Bild der Syrischen Liebeegöttin Derkato. — ^) Kesselmeyer: der in den Ruinen von Babylon
mit Keilschrift versehene Stein, welcher vielleicht ein Meteorstein gewesen ist. -- >^ Von
Hammer: angeblich vom Himmel gefallenes Bild der Aphrodite.
6»
84
Sternschnuppen nnd Meteoriten.
&
Zelt des FaUes,
1
resp. Auffindung
der herabgefallenen
Tageszelt
Fallort oder Fundort
s^
Meteozmassen
10
Fallzeit unbekannt
Cyricns, Mysion^)
Pessinus, Phiygien*)
Abydos am Hellespont, Myrnen
11
des^eiohen
—
12
desgleichen
—
18
76 bis 78
Nach Christo
—
Oti^al (Otryae) Phrygien
14
55
—
Libanongebirge
15
500
—
Emesa
16
898 (897)
—
Ahmed-Jad bei Kufah, Bagdad
17
1110 Winter
—
See Van
18
1180 März 8
—
Mosul am Tigris
19
20
1840
Um 1451
—
Birki (Birgeh), OSO von Smyma
Beth-Horon, SW von Jerusalem*
21
? gefunden
—
22
28
? gefunden
1888 Dezember 10
—
Berg Athos
oder 14
dh vorm.
Jagy bei Trapezunt
24
1870 gefunden
—
Nördl. von Renkioi am Hellespont
25
1878 gefallen
—
Aleppo (Haleb)
26
1881
—
Thymbra in der Ebene von Troja
27
1888 gefunden
1886 Februar 4
—
Adalia, Konia
28
61^ nachm.
29
1886 Februar 5
9l^20mnAohm.
Etwas südlicher als Thanax-Kalea^
Nord-Afrika
46 v. Chr.
481 n. Chr.
856 Dezember
1021 zwisch. Juli 24
und August 21
1280
1828 (1828) Jan. 9
1849 November 18
1860 Januar 25
1865 gefunden
1865 August 25
1867 Juni 9
1875 August 16
1888 gefunden
1892 gefunden
1892 Mitte März
? gefallen
6h 80"» nachm.
Acilla (Acilia) bei Thapsus, südl. v. Carthago
Afrika wo?')
Sawaida (Savadi) südl. von Kairo
Afrika wo?*)
Alexandria
Mortahiab und Dakhaliak, Egypten
Tripolis
Tripolis
Algerien
11h vorm.
10h80ninachm.
11—12^ vorm.
mittags
am Tage
DeUys»)
Senhadja, Aumale*)
Tadjera, Setif Konstantine
Feid-Chair, La Calle, Konstantine
Haniet-el-Beguel, Ghardaia M*Zab
Hessi Jekner
Stadt Algier^«)
Zu D'El Golea
1111868 Mai 29
Marokko
1 111^ 26m nachm. | Kap Spartel
*) Stein, welcher nach ApnlejuB daaelbst aufbewahrt worden. -> ^ Dieser Stein wurde
•p&ter nach Rom gebracht. — ") Hagel von Steinen. — *) Nach Buchner fraglich, ob ein Meteorit.
— *) Nach Galvert. — ^ Nach demselben. — "*) Vom Himmel gefallene feurige Steine. — ^ Viele
Steine bis 5 Pfund schwer aus einer mit Blitz und Donner geladenen Wolke. — *) Gehörem
vielleicht beide einem Falle an. — ^) Stein tötete einen Neger.
Sternschnuppen und Meteoriten.
85
Die Verteilung dieser Fälle auf die Monate ergibt folgendes:
Jüü 47 PäUe
August 49 „
September 45 „
Oktober 81 „
November 86 „
Dezember 81 ,,
Januar 89 Fälle
Februar 29 „
März 48 „
April 84 ,,
Mai 60 ,,
Juni 52 ,,
257 Fälle
241 Fälle
Mehrfache Meteoritenfälle fanden statt:
Im Jan. am 1. » 5Fälle
II ji 1» ^» ^^ ^ »»
tf I» I» *'• ^^ ^ »>
«« II ii81. = 8 ,,
Im April am 10.=4Fä]le
it >> !♦ 26. =8 „
Im Juli am 4. = 5 FäUe
Q
• *' »I
I« JI 11 *•'• ■"" Ö II
ImOktbr.am 1. =4Fälle
II II II ■**'*^^^ II
II II ,,tÄJ.^=ö f,
ImFebr.amlO.=8Fälle
„ 16. =8 „
„ 19. =8 „
II 1»
II II
11 11
II 11
Im Mai am 4. = 8 Fälle
„11. = 4 „
,il4. = 8 „
II 17. = 6 .,
11 18« — 8 11
1,19. = 5 ,,
„22. = 4 „
„26. = 5 „
Im Aug. am 1. = 8 Fälle
II II II Ö. = o ,1
II II 11 *"• *~" O ft
ImNov. am 12. = 8 Fälle
II 11 II lo.^^^^« I«
II II II 2ü. = ö „
II 1» II 29. = 3 „
Im März am 1 . = 8Fälle
II II 1» ö« ^= 4 ,1
II 11 ,|l«. = 4 fi
11 11 II 15. = 2 „
11 11 Ii22. = 8 n
Im Juni am 8. = 4FäUe
7 =4
n II 1» • • ^ II
11 11 II "• ^^^ ^ II
II II ,|13. = 8 „
I» 11 II '' '• ^^^ o ,f
11 11 11 *ö. ^= 4 },
Im Sept. am 5. = 8 Fälle
11 II 11 • • "^ ^ II
II 11 11 «•^^4 11
II 11 II Aö. = 4 „
II 11 11 *-^' ^^ Ö ,1
Im Dez. am 6. = 4Fälle
11 11 II *ö. = D I,
II II „24.^8 „
Fixsterne.
Statistik der Sterne in der Zone von + 65 bis 4- 70^
nördL Deklination, nach den Aufhahmen für die photo-
graphisohe Himmelskarte auf der Sternwarte zu Greenwich.^)
Diese Aufnahmen geschahen mit dem photographischen Refraktor von
88 cm Öffnung und 8.48 m Brennweite, nane dem Meridian. Die Platten
für die Karten haben E^roonierung von 40 Minuten, jene für die StemkataLoge,
solche von 6 Minuten, 3 Minuten und 20 Sekunden. Die Zählungen wurden
auf Flächen von je 46<^ in Rektaszension und 1^ Deklination vorgenommen.
Jede solche Fläche hat in der Zone von 65^ Dekl. ein Areal von 4.dy Quadrat-
ffrad, in 66* DekL von 4.48, in 67» von 4.31, in 68» von 4.12, in 6d» von
8,94 Quadratgprad. Aus den Tabellen der Abhandlung möge hier folgende
Übersicht hervorgehoben werden:
') Monthly Notices 1908. 68. p. 120.
86
Fixsterne.
Bei einer
ExpoBitionsdauer von
20 Sek.
3tt.6Min.
40 Min.
Zahl der Sterne
1 9.0 Größe
dieser Zone in der
u. heller
8094
Bonner Durch-
musterung
überhaupt
8162
Zahl der Sterne
auf den photo-
auf wenigstens
2 Platten
6663
6663
38262
199776
graphischen
Platten
überhaupt auf
allen Platten
11018
49014
229426
Bestimmungen der Parallaxen von 10 Sternen 1. Größe
an der nördlichen Himmelshälfte. Diese Untersuchungen hat
William L. Elkin am Heliometer der Yalestemwarte ausgeführt, ^) und
sie bilden gewissermaßen eine Ergänzung zu den Gillschen Messungen
der Parallaxen von Sternen 1. Größe des südlichen Himmels.
Die Untersuchung zeigt, daß die Elkinschen Messungen mit
großem zufälligen und systematischen Fehlern behaftet sind als die-
jenigen von Gill, doch verleiht ihre große Anzahl den definitiven
Werten für die Parallaxen ein beträchtliches Gewicht. Diese Werte
samt ihren berechneten wahrscheinlichen Fehlem sind:
a Tauri
a Aurigae
a Orionis
a Can. min.
ß Gemin.
a Leonis
a Bootis
a Lyrae
a Aquilae
a Cygni
n =
TT =
n =
n = ■
n = •
TT = ■
n =
0/'109
0."079
0."024
0."334
0."066
0."024
0."026
0."082
0."232
0."012
± 0."014
± 0."02l
± 0."024
± 0/^15
±0."020
± 0.''017
± 0.'^16
± 0."019
± 0.'"023
Von einigen dieser Steme liegen ältere Parallaxenbestimmungen
vor, unter denen aber nur bei a Ganis minoris einige Übereinstimmung
mit den neuen Gillschen Angaben gefunden wird. Man erkennt daraus,
wie gering unsere heutigen Kenntnisse der Fixstemparallaxen überhaupt
noch sind, und daß wir im Grunde genommen sicher nur wissen, daß
sie in einigen Fällen an der Grenze der Wahrnehmbarkeit für unsere
Instrumente stehen, in den meisten andern aber jenseits derselben.
Die Parallaxe des Doppelsterns d EquuleL Dieser Stern
4. Gr., dessen Position am Himmel (für 1900.0) ist: AR 21^ 10™
D + 9^ 36', wurde von W. Herschel im Jahre 1781 als doppelt
^) Transaotions of the Astr. Obs. of Yale University 1. Part. VL
New-Haven 1902.
Fixsterne. 87
erkannt, indem er einen Begleiter 10. Gr. in etwa 30 "Distanz sah.
Im Jahre 1852 erkannte 0. Struve am 15 zolligen Refraktor zu
Pulkowo, daß der Hauptstem für sich doppelt ist und aus zwei
Sternen 4.5 und 5. Gr. besteht, die nur ^/g" voneinander entfernt
waren. In den Jahren 1854 und 1855 konnten beide Sterne nicht
mehr getrennt werden, und erst 1880 sah Bumham die Trennung
deutlich; 1901 war sie auch am 36 -Zoller der Licksternwarte zeit-
weise nicht zu sehen. Die Beobachtungen lehrten, daß die Umlaufs-
zeit des Begleiters sehr kurz ist, und W. J. Hussey hat gezeigt, daß
sie von 5.7 Jahren nicht sehr verschieden sein kann. Die andern
Bahnelemente, welche derselbe für den Begleiter berechnete, sind
folgende:
Zeit des Periastrons T » 1901.5
Knotenlänge i?»24.1o (für 1900.0)
Winkel zwischen Knotenlinie und der großen Achse l = 179.0^
Neigung der Bahnebene i = 82^ oder 83^
Exzentrizität der Bahn e»s0.46
Scheinbare halbe große Achse der Bahn .... 8.^*0.28"
Diese Bahnelemente sind nicht sehr genau, indessen werden
sorgfältige Beobachtungen während der nächsten 3 Jahre hinreichen,
die Genauigkeit derselben wesentlich zu erhöhen. Auf der Lick-
sternwarte sind während der Epoche des letzten Periastrons mit dem
MiDsspektographen Bestimmungen der relativen Geschwindigkeit der
beiden Komponenten des Hauptstemes in der Richtung der Gesichts-
linie zur Erde erhalten worden, und es ergab sich dafür der Betrag
von 20,5 km pro Sekunde. Dieser Wert zusammen mit den Bahn-
elementen des Doppelstemes genügt, um daraus zunächst die in
Bogensekunden ausgedrückte halbe große Achse der Bahn in Kilo-
metern auszudrücken und weiterhin die Parallaxe des Doppelstem-
systems, also seine Entfernung von der Erde, zu berechnen. Prof.
William J. Hussey hat diese Rechnungen ausgeführt.^) Er findet für
die Parallaxe den Werter = 0.071", und diesem entspricht eine wahre
Entfernung von der Erde, welche 2 905 000 mal größer ist als die
Entfernung der Sonne oder 61 Billionen Meilen beträgt. Prof. Hussey
zeigt des nähern, daß der gefundene Wert für die Parallaxe schwer-
lich um 0.012" irrig sein kann. Die Gesamtmasse beider Sterne des
Systems ergibt sich weiterhin zu 1.89 Sonnenmassen, und wahr-
scheinlich ist der hellere an Masse unserer Sonne gleich. Der mittlere
Abstand, in welchem beide Sterne während ihres Umlaufs sich von-
einander befinden, ist etwa viermal so groß als die mittlere Ent-
fernung der Erde von der Sonne, beträgt also rund 80 Millionen
Meilen; da die Bahn beider Sterne indessen sehr exzentrisch ist, so
können sie sich bis auf 40 Millionen Meilen einander nähern, aber
bis zu 120 Millionen Meilen voneinander entfernen. Beide Sterne
zeigen Spektren, welche mit dem Sonnenspektrum typisch überein-
^) Lick-Observatoty Bulletin Nr. 82.
88 Fixsterne.
stimmen, und man kann annehmen, daß auch ihre mittlem Dichten
derjenigen der Sonne näherungsweise gleich sind. Der vorliegende
Fall ist der erste, in welchem die Entfernung eines (Doppel-)Stern8
von der Erde unter Zuhilfenahme seiner spektrographisch ermittelten
Bewegung bestimmt wurde, und diese Bestimmung erscheint mindestens
ebenso zuverlässig als die besten direkten Messungen von Fixstern-
parallaxen, die zurzeit vorhanden sind.
Untersuchungen über den LlehtwechseldesAlgt>L Dieser
Veränderliche ist nicht nur dadurch interessant, daß er der erste
Stern gewesen, an dem man einen auf wenige Stunden beschränkten
Lichtwechsel, der durch eine mehrere Tage dauernde Periode unver-
änderter Helligkeit von der nächsten Lichtabnahme getrennt ist, ent-
deckte, sondern auch gleichzeitig derjenige Stern, bei dem später
zuerst die Ursache seines periodischen Lichtwechsels mit Sicherheit
nachgewiesen werden konnte. Heute wissen wir, durch die spektro-
graphischen Aufnahmen und Untersuchungen von Prof. H. G. Vogel,
daß dieser Lichtwechsel lediglich die Folge einer periodischen Ver-
deckung des Algol durch einen Begleiter ist, der mit ihm um den
gemeinsamen Schwerpunkt kreist; wir wissen femer, daß dieser
relativ dunkle Begleiter im Durchmesser etwas kleiner sein muß als
der helle Hauptstem, daß beider Mittelpunkte nur etwa um das Vier-
fache ihres Durchmessers voneinander entfernt sind, und es ist wahr-
scheinlich, daß beide Weltkörper von mächtigen Atmosphären um-
hüllt werden. Die Periodendauer, also die Zeit von einem Licht-
minimum zum nächsten, beträgt im Durchschnitte nach Chandler
2 Tage 20^ 48°^ 55 b, allein sie ist veränderlich und schwankt
innerhalb eines Zeitraumes von 141 Jahren um etwa 3 Stunden;
1773 war sie nahezu 3 Stunden kürzer, 1843 um ebensoviel länger
als die mittiere Dauer, und gegenwärtig nimmt sie wieder ab, vor-
aussichüich bis zum Jahre 1914. Zur Erklärung dieser Erscheinung
nahm Chandler an, daß Algol samt seinem Begleiter um einen dritten
dunklen Körper in 141 Jahren eine kreisförmige Bahn beschreibt,
wodurch er der Erde während jedes Umlaufes bald näher, bald ent-
fernter steht. Der Durchmesser dieser Bahn würde der doppelten
Schwankung der Periodendauer entsprechen, d. h. so lang sein, als
die Strecke ist, welche der Lichtstrahl in 5 Stunden 46 Minuten
durchläuft Dies gibt eine Länge, welche etwa dem Durchmesser
der Uranusbahn gleichkommt Der französische Astronom und Mathe-
matiker Tisserand führte dagegen die Veränderlichkeit der Perioden-
dauer des Algol auf eine Abplattung desselben zurück, wodurch eine
Drehung der großen Achse der Bahn des Begleiters hervorgerufen
werden muß. Je nachdem die Achse in der einen Richtung oder in
der andern zur Qesichtslinie liegt, ist der Begleiter um einen ge-
wissen Betrag vorangerückt oder zurückgeblieben, und kommt die
Verfinsterung entsprechend früher oder später. Der Betrag dieser
Fixsterne. 89
Veifrühung oder Verspätung von 173 Minuten führt auf eine Ex-
zentrizität der Bahn von 0.132. In einer spätem Untersuchung hat
Chandler die Periode der großen Ungleichheit zu 118 Jahren be-
rechnet und ihren Betrag zu 147^^, dieses führt auf eine Exzentrizität
▼on 0.112.
Für alle diese Schlüsse ist eine möglichst genaue Kenntnis des
Verlaufes des Lichtwechsels von Algol von entscheidender Wichtigkeit.
Eine dahin zielende neue Untersuchung hat unlängst A. Pannekoek
in Leiden ausgeführt und darüber berichtet^) Er verbreitet sich zu-
nächst kurz über die Tisserandsche Erklärung. Die von diesem an-
genommene Drehung der Apsidenlinie als Folge der Abplattung des
Haupstemes wird als zutreffend vorausgesetzt Die Abplattung des
Hauptsteroes hängt aber von der Rotationsdauer, der Dichtigkeit etc.
ab, und daneben wird die weitere Deformation, besonders die Ver-
längerung der beiden Sterne in der Richtung ihrer Verbindungslinie,
-me sie durch die gegenseitige Anziehung bewirkt wird, auch eine
Drehung der Apsidenlinie verursachen. Pannekoek hat den Versuch
gemacht, die Gestalt der beiden Sterne, besonders die des leuchtenden
Hauptstemes, und die daraus daraus hervorgehenden Störungen der
Bewegung genauer zu berechnen, wobei die Rechnungen mit ver-
schiedenen Werten für die mittlere Entfernung und das Verhältnis der
Durchmesser durchgeführt wurden. Bei den Werten, die der Wahr-
heit ziemlich nahe kommen werden, nämlich: mittlere Entfernung 4.5,
Halbmesser des dunkeln Trabanten 0.44, den Halbmesser des Haupt-
stemes als Einheit gesetzt, findet sich die Abplattung ^Z^^, die Ver-
längerung ^Ij^^ ; die drei Halbachsen, welche nach dem dunkeln Körper
und senkrecht dazu gerichtet sind, und die Rotationsachse ver-
halten sich wie 1.0187:1.0005:0.9808. Diese Zahlen gelten für
homogene Stoffverteilung ; wenn die Oberflächenschicht eine geringere
Dichtigkeit hat als die mittlere, so ändern sie sich um einen be-
stimmten Wert Die Drehung der Apsidenlinie, welche sich aus
diesem bedeutenden Betrage der Deformation ergibt, ist viel großer,
als durch die Beobachtung angezeigt wird; es findet sich eine
Drehung von 360® in 7 statt in 140 Jahren, und nur wenn die
Oberflächendichte nicht größer als V^ ist, wird Übereinstimmung
zwischen Theorie und Beobachtung hergestellt.
Tisserand untersuchte in der oben genannten Arbeit, welchen
Änderungen dabei die übrigen Verhältnisse des Lichtwechsels unter-
worfen sein müssen. Von größter Bedeutung war sein Resultat,
daß eine mäßige Exzentrizität von ein paar Zehnteln keine Asym-
metrie der Lichtkurve vor und nach dem Minimum verursachen kann,
Die Asymmetrie, die sich aus den Beobachtungen von Schönfeld er-
geben hatte, war vielfach als Wirkung einer Exzentrizität der Bahn
gedeutet worden, obgleich schon die Rechnungen von Prof. Pickering
') Astron. Nachr. Nr. 3862.
90 Fixsterne.
ergeben hatten, daß nur eine sehr große Exzentrizität (von 0.5),
welche aus andern Gründen unmöglich war, imstande ist, eine
merkliche Asymmetrie zu geben. Namentlich waren es die von
J. Harting in seiner Dissertation und von J. Wilsing im 7. Bande
der Potsd. Publik, ausgeführten Berechnungen der Exzentrizität aus
der Asymmetrie, deren Fehlerhaftigkeit im allgemeinen durch diesen
Tisserandschen Aufsatz gezeigt wurde und jetzt in Einzelheiten in
der vorliegenden neuen Arbeit nachgewiesen wird. Für die beobachtete
Asymmetrie der Lichtkurve wird jetzt eine andre Erklärung gesucht
werden müssen.
Daneben berechnete Tisserand, ob in der 140- (oder 118 jährigen-)
Periode eine Schwankung in dem Betrage der Lichtschwächung, also
in der Helligkeit des Minimums und in der Dauer der Verfinsterung
vorkommen müßte. Erstere Schwankung übergeht er als »assez
faible«; Pannekoeks Rechnung ergab jedoch, daß sie einige Zehntel
Größenklasse betragen müßte, also für die jetzigen Messungen und
Schätzungen wohl merklich sei. Die berechnete Schwankung in der
Dauer der Verfinsterung glaubte Tisserand durch die Differenz
zwischen den Angaben für die ganze Dauer bei Wurm (6.5^) und
Schönfeld (9^) bestätigt zu finden. Der Wert dieser Bestätigung ist
aber zweifelhaft, da Wurm zweifelsohne nicht die ganze Dauer be-
obachtet hat und die äußersten Phasen, wo die Lichtstärke sich nur
wenig ändert, nicht beachtete.
Es war daher der erste Zweck von Pannekoeks Arbeit über
Algol, an dem zugänglichen Beobachtungsmateriale zu untersuchen,
ob Schwankungen in der Helligkeit des Minimums und in der Dauer
der Verfinsterung, wie sie die Theorie Tisserands fordert, nach-
zuweisen sind oder vielleicht durch die Beobachtungen widerlegt
werden ; daran wird man die Richtigkeit der Tisserandschen Theorie
prüfen können. Daneben war es seine Absiebt, den Betrag und den
Verlauf der Asymmetrie zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen
Beobachtungsreihen zu untersuchen, wodurch voraussichtlich ein
Beitrag zu ihrer Erklärung zu leisten war.
Für diese Untersuchung hat Pannekoek alle vorhandenen bessern
Beobachtungen, sowohl die Helligkeitsschätzungen nach Argelanders
Methode als die auf der Harvardstemwarte und in Potsdam ange-
stellten photometrischen Messungen benutzt. Es ergab sich, daß be-
züglich des Verlaufes der Lichtkurven große Verschiedenheiten unter
den Beobachtungsergebnissen stattfinden; selbst die Ergebnisse der
photometrischen Messungen weichen voneinander ab insofern, als bei
den Potsdamer Messungen die Abnahme, bei den Cambridger die Zunahme
des Lichtes langsamer ist Schließlich kommt Pannekoek zu der An-
nahme, daß die Ab- und Zunahme des Lichtes um das Minimum herum
vöUig gleichförmig erfolgt, die Lichtkurve also symmetrisch ist
Sehr schwierig gestaltet sich die Feststellung der Helligkeit des
Algol im Minimum. Die Resultate jedes einzelnen Beobachters, sagt
Fixsterne. 91
Pannekoek, sind in einer individuellen Skala von Stemhelligkeiten
ausgedrückt; um sie mit andern vergleichen zu können, hat man
die Skalen aufeinander zu reduzieren, und dazu muß man wissen,
aus welchen Ursachen die gegenseitige Helligkeit der Sterne von
verschiedenen Beobachtern verschieden geschätzt wird. Es ist be-
kannt, daß die Farbe dabei einen bedeutenden Einfluß hat; um
ihn genau feststellen zu können, ist aber eine genaue Kenntnis
der Stemfarben nötig, welche wir seit kurzem dem Farbenkataloge
von H. Osthoff entnehmen können. Da wir jetzt auch über be-
deutende und genaue photometrische Messungen der Fixsterne ver-
fugen, erscheint es möglich, eine allgemein gültige, genaue Vergleichs-
stemskalaaus diesen Messungen und den Stuf enschätzungen geübter Be-
obachter zu bilden, auf welche die schon abgeleiteten und benutzten
individuellen Skalen reduziert werden können.
Pannekoek teilt im einzelnen mit, auf welche Weise er zu der
von ihm aufgestellten Normalskala für die Helligkeiten der Vergleichs-
steme gelangte.
Pannekoek hat nun aus allen Beobachtungsreihen die Helligkeit
des Algol im kleinsten Lichte abgeleitet und auf diese Normalskala
reduziert Es findet sich im Mittel dafür die Sterngröße 3.42. Nach
der Tisserandschen Theorie sollte das Minimum im Jahre 1814 am
schwächsten, 1873 am hellsten sein. Von einem solchen periodischen
Wechsel zeigen die Zahlen aber keine Spur.
Findet sich hierin keine Bestätigung der Theorie, so doch auch
keine entschiedene Widerlegung; die Helligkeit zeigt sich nicht kon-
stant, sondern weist erhebliche Variationen auf. Weil die auf gleiche
Zeiten fallenden Resultate Unterschiede bis zu 0.14 aufweisen, wäh-
rend der größte überhaupt vorkommende Unterschied 0.18 ist, wird
man den Ursprung dieser Differenzen nicht in wirklichen Schwan-
kungen der Algolhelligkeit, sondern hauptsächlich in systematischen
Fehlem der Beobachtungen zu suchen haben. Die Hoffnung, daß
durch die Reduktion aller Beobachungsresultate auf eine feste und
genaue Normalskala ihre systematischen Differenzen verschwinden
würden, hat sich also nicht erfüllt. Ein Versuch, die systematischen
Differenzen zwischen den hauptsächlichsten Beobachtern aus den
gemeinsam beobachteten Minimis zu bestimmen, scheiterte an der
geringen Anzahl dies Minima. Daher war es auch nicht möglich,
geringere kurzperiodische Schwankungen, wie sie z. B. durch die
Schönfeldschen Reihen 1853 — 1875 angedeutet waren, unzwei-
deutig zu bestimmen.
Die Ursache dieser großen Abweichungen liegt zum Teile in einer
Befangenheit der Beobachter ; irrtümliche Erwartungen über die Hellig-
keit beeinflussen die Schätzungen. Daneben sind Unregelmäßigkeiten
des Lichtwechsels und Verschiedenheiten in Zeit, Helligkeit und Ver-
lauf zwischen den verschiedenen Minimis möglich. Obgleich solche
Anomalien in der einfachen Trabantentheorie keine Erklärung finden,
92
Fixsterne.
werden sie von verschiedenen Beobachtungsreihen angezeigt Um sie
über jeden Zweifel zu erheben, sind gleichzeitige Beobachtungen
mehrerer Astronomen notwendig, also eine viel regere Beschäftigung
mit diesem Sterne, wobei besonders photometrische Messungen wert-
voll sind, da sie nicht oder viel weniger unter dem Einflüsse vor-
gefaßter Meinungen stehen.«
»Die Dauer der Verfinsterung ist schwer zu ermitteln, da die
Willkür im Ziehen der Lichtkurve bei der langsamen Änderung zu
Anfang und Ende große Differenzen geben kann« Da es sich hier,
zur Prüfung der Tisserandschen Theorie, nur um relative Ergebnisse
handelt, wurde aus allen Beobachtungsreihen Anfang und Ende
bestimmt mittels derselben Kurve. Dazu wurden nur Schätzungen
oder Mittel benutzt, die weiter als 3^ von dem Minimum entfernt
waren, und es wurde ein Lichtkurvenstück aus einigen Reihen ab-
geleitet, wo 1 ^, 2 ^ und 2.5 ^ von dem Ende die Größe um 0.062,
0.229 und 0.361 Größenklassen unterhalb des vollen Lichtes lag.
Die Resultate sind:
Beobachter
Halbe
Dauer
MitÜ.
Fehler
Period.
Ghed
Argelander . . .
Schönfeld 1859bis 70
Sohönfeldl869bi875
Harvard ....
Müller
Plaßmann ....
Pannekoek . . .
h m
5 3
4 46
446
5 2
5 1«
5 20
r> 19
m
13
2.8
1.2
5
6
8
8
-
m
h 3
- 19
-21
-20
- 20
- 11
- 8
Nach der Tisserandschen Theorie sollten diese Werte für die
halbe Zeitdauer der Verfinsterung von einem Mittelwerte um Beträge
abweichen, die unter »Period. Glied c stehen. Es zeigt sich, daß
eine solche periodische Schwankung nicht zutrifft; die Ergebnisse
weichen um'egelmäßig voneinander ab um Beträge, die den mittlem
Fehler vielfach übertreffen.
Auch hier wird man die Differenzen nicht dem Verhalten des
Sternes, sondern systematischen Fehlem zuschreiben müssen, wenn
auch eine befriedigende Erklärung dafür noch nicht zu geben ist.
Eine Betrachtung der Beobachtungen Goodrickes zeigt, daß auch zu
seiner Zeit die halbe Dauer nur wenig von 5 Stunden verschieden war.c
Die Gestalt der Lichtkurve wurde aus verschiedenen Beobach-
tungsreihen abgeleitet und mit der Rechnung verglichen, wobei außer
mit der einfachsten Annnahme einer gleichmäßig erleuchteten Algol-
scheibe die Rechnung auch durchgeführt wurde mit einer Helligkeits-
verteüung gleich der auf der Sonnenscheibe stattfindenden.
Es zeigten sich in den Beobachtungsreihen merkliche Differenzen.
Die Lichtkurven aus Argelanders Beobachtungen und den photo-
Fixsterne. 93
metrischen Messungen zu Potsdam und Cambridge stimmen mit der
Rechnung gut überein unter der Annahme, daß der Durchmesser des
Algoltrabanten 0.9 von dem des Algol betragt, und die Helligkeits-
verteilung auf der Algolscheibe in bezug auf Schwächung seines
Lichtes am Rande etwas weniger ausgesprochen ist als auf der
Sonnenscheibe. Die große Halbachse der Bahn des Trabanten ergibt
sich = 4.0, wenn der Halbmesser Algols =1.0 gesetzt wird und
die Neigung der Bahn zu 6.7 ^ Die nachgewiesene Symmetrie der
Ldchtkurve vor und nach dem Minimum spricht völlig zugunsten
der Trabantentheorie, während die Tatsache, daß weder in der Hellig-
keit des Minimums, noch in der Dauer der Verfinsterung eine perio-
dische Schwankung erkennbar ist, geeignet erscheint, Zweifel an der
Richtigkeit der Tisserandschen Hypothese zu erwecken. Für die
Erklärung der großen Ungleichheit müßte man dann auf die Ghandler-
sche Theorie zurückgreifen, wobei die von Boß hervorgehobenen
Spuren einer unregehnäßigen Eigenbewegung wieder eine erhöhte
Bedeutung bekommen. Die Entscheidung darüber wird eine genaue
spektrographische Bahnbestimmung geben können ; diese kann zeigen,
ob die Exzentrizität der Bahn 0,11 oder bedeutend kleiner ist
Das Hauptergebnis dieser Untersuchungen liegt aber, wie Panne-
koek betont, »in dem Nachweise des Vorhandenseins unerwarteter
systematischer Fehler aller Art, sowohl in den photometrischen
Messungen wie in den Stufenschätzungen. Nur eine viel intensivere
und regelmäßigere Beschäftigung mit dem Lichtwechsel Algols wird
uns in den Stand setzen, diese künftighin zu bestimmen, ihren Ein-
fluß aufzuheben und das wirkliche Verhalten des Sternes kennen
zu lernen.«
Über die Dimensionen und Bahnverhältnisse des Doppelsystems
Algol hat G. Rödiger eine neue Untersuchung angestellt^) Nachdem
Prof. Vogel in Potsdam aus seinen spektrometrischen Aufnahmen er-
kannt hatte, daß die lange gehegte Vermutung, der veränderliche Stern
Algol sei ein Doppelsystem, bestehend aus einem hellen und einem
dunklen Sterne, der Wirklichkeit entspreche, hatte er auf Grund der
damals vorliegenden Beobachtungen der Lichtkurve Werte für den
Durchmesser Algols und seines dunklen Begleiters, sowie für den
Abstand beider in Kilometern berechnet Die Genauigkeit dieser be-
rechneten Werte beruht auf der Genauigkeit, mit der die Lichtkurve
Algols ermittelt ist In dieser Beziehung liegen gegenwärtig photo-
metrische Messungen von Prof. Müller in Potsdam vor, welche diese
Lichtkurve etwas anders und jedenfalls genauer darstellen, als man
vor 12 Jahren dieselbe kannte. Die Ab- und Zunahme der Helligkeit
des Sternes ist z. B. keineswegs gleichmäßig, d. h. die Lichtkurve ist
nicht symmetrisch, auch ist die Zeitdauer der ganzen Lichtschwankung
erheblich länger, als man früher annahm. Unter Berücksichtigung
^) Inaug.-Disseri;. Jena 1902.
94 Fixsterne.
dieser Tatsachen und unter gewisser provisorischer Annahme für den
Durchmesser des dunklen Begleiters hat nunmehr G. Rödiger die be-
obachteten Helligkeitswechsel mit der Theorie verglichen und der
besten Übereinstimmung gemäß neue Werte für die Dimensionen der
beiden Sterne und ihrer Bahn umeinander abgeleitet. Er findet für
den Algol einen Durchmesser von 1569000/»», für seinen dunklen
Begleiter einen solchen von 1 177 000 Ami und für den Abstand beider
eine Distanz von 5 562 000 /rm, während der Durchmesser unserer
Sonne 1 380 000 km beträgt. Diese Werte weichen wenig von den
früher durch Vogel und Wilsing gefundenen (1707 000, 1336000,
5 194 000 km) ab. Werden beide Weltkörper an durchschnittlicher
Dichte einander gleich angenommen, so besitzt der Hauptstern 0.588,
der Begleiter 0.248 von der Masse unserer Sonne und ihre mittlere
Dichte ist 0.25 von der Dichte der Sonne. Beide Weltkörper be-
wegen sich umeinander in einer nahezu kreisförmigen Bahn, denn die
Exzentrizität der letztern kann schwerlich größer als 0.0015 sein.
Der Winkel der Bahnebene mit der Gesichtslinie zur Erde beträgt
4.9 ^. Vogel und Wilsing haben angenommen, daß die beiden Sterne
des Algolsystems von sehr hohen Atmosphären umgeben seien, doch
ist es schwer, aus den Helligkeitsbeobachtungen am Algol darüber
Gewißheit zu erlangen. Besitzen beide Sterne in der Tat solche
Atmosphären, so muß ihre Dichte merklich geringer sein, als oben
angegeben, und ähnliche geringe Dichtigkeiten haben sich bei andern
spektroskopischen Doppelsternen in der Tat herausgestellt
Über die Lichtkurve von ß Lyrae macht w. Stratonow
auf Grund seiner Beobachtungen 1895 — 1898 mehrere wichtige Be-
merkungen.^)
Es ist wohl, sagt er, Argelanders hoher Autorität zuzuschreiben,
wenn alle Erforscher des Lichtwechsels von ß Lyrae hauptsächlich
nach einer Bestätigung der typischen, von diesem Astronomen
gegebenen Form der Lichtkurve des genannten Sternes streben, welche,
wie bekannt, zwei gleiche Maxima und zwei ungleiche Minima besitzt
Zwar wurden mehrmals Abweichungen von der Argelanderschen Licht-
kurve bemerkt, doch wurden dieselben teilweise durch Beobachtungs-
fehler, anderseits auch durch von der Zeit abhängige Veränderungen
in der Gestalt dieser Kurve erklärt, Meines Wissens war der ver-
storbene Ed. Lindemann der erste, welcher bei der Bearbeitung der
Plaßmannschen Beobachtungen gelegentlich die Hypothese aufstellte,
»daß das erste Maximum, wenigstens zu unserer Zeit, kein einfaches
ist, sondern aus zweien bestände, von denen das zweite ungefähr
in 5^4^ nach dem Hauptminimum aufträte, und daß zwischen
diesen beiden Maxima ein drittes Minimum (4^ 15^ nach dem Haupt-
minimum) lägec. Lindemann wies auch auf eine ähnliche Erschei-
») Astron. Nachr. Nr. 8871.
Fixsterne. 96
nuDg gegen das Ende des 2. Maximums hin. Jedoch entschloß er
sich nicht, diese Abweichungen in die Konstruktion seiner Licht-
kurve einzutragen, obgleich beide sekundären Minima auf Lindemanns
Karte recht deutlich hervortreten. Pannekoek bestätigte in seinen
> Untersuchungen über den Lichtwechsel von ß Lyrae« das Vor-
handensein dieser Lindemannschen Einbuchtungen, fand aber außerdem
noch »eine Unregelmäßigkeit in der Nähe des Hauptminimums, wo
der Stern vor der angenommenen Minimumzeit schwächer erscheint,
darauf bei ungefähr 0.0^ zunimmt, einen halben Tag konstant bleibt,
oder etwas abnimmt und dann erst schnell zu steigen anfängt.
Auch bei Argelander ist dasselbe zu bemerken. < Aber auch Panne-
koek führt die gefundenen Anomalien in die von ihm konstruierte
mittlere Lichtkurve nicht ein.
Es scheint aber, daß die Ausgleichung solcher Anomalien nur
bis zu einer gewissen Grenze getrieben werden darf, andernfalls
könnten beständige Vernachlässigungen für temporär angenommener
Unregelmäßigkeiten Eliminationen von reellen Details zur Folge haben«
Solche Anomalien nämlich, welchen man beständig in einer und der-
selben Lichtphase und dazu bei verschiedenen Beobachtern begegnet,
dürften schon in die Konstruktion der Lichtkurve eingeführt werden.
Anomalien dieser Art ergaben sich bei Bearbeitung meiner Beobach-
tungen von ß Lyrae während der Jahre 1895 — 1898.
Stratonow teilt nun die Daten zur Konstruktion der Lichtkurve
von ß Lyrae nach seinen Beobachtungen und ebenso nach dem Mittel-
wert aus den Beobachtungen von Schur, Plaßmann, Pannekoek,
Glasenapp, Menze und ihm selbst mit Schon beim ersten Blicke
zeigen sich Ähnlichkeiten in dem Verlaufe beider Kurven, aus denen
hervorgeht, daß der größte Teil dieser Biegungen sicher ist und
nicht Beobachtungsfehlem zugeschrieben werden kann.
Folgendes sind die hauptsächlichsten Abweichungen dieser Art, gerechnet
vom Augenblicke des Lichtminimums an:
1. Welle bei 0.2 d, von Pannekoek angezeigt. Man sieht sie nicht nur
in den angeführten Kurven, sondern auch in den Beobachtungen Arge-
landen und Schönfelds. Eine gewisse Andeutung dieser Welle ist auch bei
Oudemans zu sehen. Vollständig sicher.
2. Vertiefung bei 1.7 d Sehr schwach, auf Stratonows Kurve nicht
sichtbar. Wahrscheinlich.
3. Welle bei 2.0 d. Findet sich auch bei Argelander, Oudemans und
Schönfeld. Vollständig sicher.
4. Eine leichte Vertiefung bei 3.0 d. Zu sehen bei Argelander. Sicher.
5. Vertiefung bei 3.9 d. Bei Argelander, Oudemans und Schönfeld.
Vollständig sicher.
6. Nach dem Maximum bei 4.1 d ein neues Minimum bei 4.8 d. Bei
Lindemann angedeutet und von Pannekoek bestätigt; bei Argelander und
Oudemans. Vollständig sicher.
7. Konstante Lichtstärke (oder kleine Zunahme) neben dem Minimum n
von 6.0 d — 6.4 d. Bei Argelander und Oudemans. Ziemlich sicher.
8. Vertiefung bei 7.5 d. Bei Argelander (sehr schwach) und Oudemans.
Ziemlich sicher.
96 FixBteme.
9. Minimum bei 8.9 d. Bei Argelander (etwas später) und Schönfeld.
2^eml]ch sicher.
10. Ähnliches Minimum bei 9.5 d. Dem Minimum bei 8.0 d symmetrisch.
Bei Schönfeld. Ziemlich sicher.
11. Minimum bei 10.5 <1, von Lindemann angedeutet. Bei Argelander
unh Oudemans. Vollständig sicher.
12. Kleine Vertiefung bei 11.0^. Bei Stratonow schwach zu sehen;
gut sichtbar, bei Argelander. Sicher.
Das Spektrum des VeFänderllehen o Ceti (Mira) ist auf
der Lickstemwarte von Joel Stebbins beobachtet worden. ^) Das be-
nutzte Instrument war der MiUsspektrograph, aber nur mit einem
Prisma, das zwischen der Wellenlänge X 3700 und i, 5600 gute
Bilder liefert. Die Länge des zwischen diesen Grenzen erhaltenen
Spektrums betrsigt 28 mm, und obgleich die Dispersion nur etwa ein
Fünftel von der des 3 - Prismen - Instruments ist, genügt sie doch,
um recht gute Bestimmungen der Geschwindigkeit (durch die Linien-
verschiebungen) zu gestatten. Ferner gibt bei guter Luft die Expo-
nierung von 10 Minuten Dauer ein befriedigendes Negativ von Sternen
5. photographischer Größe. Das würde für einen Stern 10. Gr. eine
Expositionsdauer von 16 Stunden und darüber erforderlich machen.
In der Tat ergab sich, daß, als o Ceti im kleinsten Lichte war, unter
Benutzung der besten Platten eine Aufnahme von 6 Stunden Dauer
nicht ausreichte, ein meßbares Bild zu liefern, obgleich mancherlei
darauf gesehen werden konnte. Während jeder Aufnahme wurde
das Vergleichsspektrum mindestens viermal eingeschaltet und in be-
friedigender Schärfe mit aufgenommen. Die technischen Einzelheiten
bezüglich der Vergleichslinien und Messungsmethoden können hier
übergangen werden. Die Zahl der für die Untersuchung benutzten
Platten beträgt 22, und sie verteilen sich über die Zeit vom 27. Juni
1902 bis zum 5. Januar 1908, während deren der Stern von
3.8 Gr. bis zum Minimum 9.2 Gr. sank und wieder etwas an Hellig-
keit zunahm. Außerdem waren noch 8 Platten vorhanden, die im
August 1901 von Wright aufgenommen worden waren.
^ Es ist bekannt, daß o Ceti ebenso wie die andern Veränder-
lichen von längerer Periode ein Absorptionsspektrum vom 3. Secchi-
schen Typus zeigen. Einige Beobachter haben gefunden, daß die
Region des Spektrums von Hy gegen das rote Ende hin von einer
Reihe dunkler Streifen durchzogen ist, die gegen Violett hin scharf
abgeschnittene Begrenzung zeigen ; femer wird berichtet, daß von H y
gegen das ultraviolette Ende hin, daß Spektrum in bezug auf seine
dunklen Linien sehr große Ähnlichkeit mit dem Sonnenspektrum
zeigt. Auf den ersten Blick scheinen die von Stebbins erhaltenen
Platten diese Meinung zu bestätigen, allein ein genaues Studium
lehrt, daß in beiden Spektren die Details sehr verschieden sind. Die
bei Untersuchung der Spektra angewandte Methode bestand darin,
*) Lick-Observatory Bulletin Nr. 41.
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8
n
Mgder Leyer.
^%. M. Wolf.
Jahrbuch XIV, 1903.
Tafel II.
Fixsterne. 97
die Negative von 0 Ceti Seite an Seite unter dem Mikroskop mit
demjenigen der Luft (Sonne) zu vergleichen.
Die starken Kalziumlinien g, H und K sind in dem Spektrum
des Veränderlichen vorhanden, doch ist g sehr viel weniger intensiv
als im Sonnenspektrum. Die starken Eisenlinien des letztern sind
im Spektrum von 0 Ceti nicht so hervortretend, bei geringer Dis-
persion sieht man sie gar nicht Unter der großen Anzahl Linien
des Stemspektrums finden sich nur wenige, welche mit solchen von
ähnlicher Intensität im Sonnenspektrum zusammenfallen. Das Ab-
sorptionspektrum von Mira wurde auf 7 Platten genau vermessen,
jede davon unabhängig für sich. Es ergab sich, daß die Lage der
untersuchten Linien in bezug auf ihre Wellenlängen während der
ganzen Zeit der Beobachtung und ebenso seit August 1901 sich
nicht merklich veränderte, d. h. daß die Geschwindigkeit des Sternes
in der Qesichtslinie gegen die Erde unverändert geblieben ist. Mit
dem Helligkeitswechsel hängt dieselbe also nicht zusammen. Durch
Vergleich von bestimmten dunklen Linien mit solchen des Sonnen-
spektrums, die denselben Stoffen angehören, ergab sich, daß der
Stern 0 Ceti mit einer konstanten Geschwindigkeit von 66 km in
der Sekunde in der Gesichtslinie sich von der Sonne entfernt. Im
Jahre 1898 hatte Prof. Campbell mit dem 3 -Prismen- Spektro-
graphen diese Greschwindigkeit zu 62 km gefunden; die Oberein-
stimmung beider Ergebnisse ist also sehr befriedigend. Was die
einzelnen Elemente anbelangt, so sind in dem Spektrum des Ver-
änderlichen folgende mit der beigefügten Zahl von dunklen Linien
vertreten :
Kalzium mit 6 Linien
Eisen
,11
Chrom
, 9
Vanadiam
.11
Aluminium
. 2
Strontium
. 1?
Mangan
. 8?
Titan
. 2?
Die erstgenannten 4 Elemente sind wohl ohne Zweifel in der
Atmosphäre des Veränderlichen vorhanden, von den andern ist dies
ungewiß. Von wirklichen Änderungen im Aussehen sind nur solche
bei der Kalziumlinie g (l 4227.84) sicher; sie wird mit abnehmender
Helligkeit des Sternes breiter. Von andern dunklen Linien läßt sich
gleiches vermuten, aber nicht sicher beweisen. Die Linien H und K
sind auf den meisten Platten nicht erkennbar, und daher kann nichts
über etwaige Veränderungen ihres Aussehens gesagt werden. Einige
Linien, die auf frühern Platten nicht sichtbar waren, wurden später
deutlich, die folgenden vier haben die beigesetzten WeUenlängen:
A 3990.64, 4045.16, 4093.55, 4097.08, keine von ihnen kann mit
entsprechenden Linien im Sonnenspektrum identifiziert werden. Die
hervorragenden dunklen Banden im Spektrum der Mira sind von
Klein, Jahrbuch XIV. 7
98 Fixsterne.
einigen Beobachtern als Streifen mit scharfem Rande gegen Violett
und mit abschattendem gegen Rot hin betrachtet worden; andere
betrachten sie als helle Eannelierungen, ähnlich denjenigen im Bogen-
Spektrum des Kohlenstoffs. Stebbins sieht sie als dunkle Absorp-
tionsbanden an. Gleichzeitig mit o Ceti wurden auch Aufnahmen
der hellem veränderlichen Sterne a Herculis, ß Pegasi, ß Persei,
a Geü und a Orionis gemacht, um die Lagen der dunklen Banden
untereinander vergleichen zu können. Es ergab sich, daß die Posi-
tionen derselben bei allen diesen Sternen im Mittel mit denjenigen
in 0 Ceti genügend übereinstimmten, sobald die verschieden großen
radialen Geschwindigkeiten dieser Sterne berücksichtigt werden.
Pater Sidgreaves hat bereits gefunden, daß gewisse Regionen
des kontinuierlichen Spektrums der Mira in ihrer relativen Helligkeit
Veränderungen zeigen, wenn der Stern schwächer wird. Diese Ver-
änderungen sind durch die Untersuchungen von Stebbins bestätigt
worden.
Die bemerkenswertesten Erscheinungen im Spektrum der Mira
sind die hellen Linien, von denen es durchzogen ist. Mehrere Wasser-
stofflinien haben durch ihre Helligkeit, wenn der Stern nahe dem
Maximum ist, schon die frühem Beobachter in Verwunderung ge-
setzt Als eigentümlich wurde bemerkt, daß die Wasserstofflinien
Ha, Hß und H e fehlen, während andere der Wasserstoffserie, z. B.
H^ und Hd, sehr hell erscheinen. Im ganzen wurden von ihm auf
9 Platten nach und nach 23 helle Linien gefunden und deren Wellenlängen
gemessen, außerdem noch zehn helle Stellen, von denen es unent-
schieden bleiben muß, ob sie helle Linien sind oder lediglich Zwischen-
räume zwischen dunklen Banden. Die genaue Untersuchung ergab,
daß diese hellen Linien während der Periode des Lichtwechsels ihre
Positionen ebensowenig ändem als die dunklen. Unter den hellen
Linien ist die Wasserstoff serie unzweifelhaft vorhanden, aber ob
andere Linien, wie es scheint, dem Eisen und dem Mangan angehören,
muß noch offene Frage bleiben. Bemerkenswert ist, daß eine helle
Linie an jeder Seite der starken Ealziumlinien g, H und K erscheint,
aber allem Anscheine nach nicht eine doppelte Umkehr dieser Linien
darstellt. Versuche während der Monate Juni und Juli 1902, als
Mira die Helligkeit eines Sternes 4. bis zuletzt 5. Gr. zeigte, das
Spektrum mit dem 3 - Prismen - Instrument zu photographieren, miß-
langen, .da es unmöglich war, die Aufnahme lange genug fortzusetzen,
um das kontinuierliche Spektrum in genügender Intensität zu er-
halten. Nur die Linie H^ und zwei andere helle Linien erschienen;
Ry war auf allen Platten einfach, anscheinend nahe monochroma-
tisch, aber gegen die violette Seite des Spektmms hin etwas schärfer
abgeschnitten als gegen Rot So fand auch Campbell 1898 diese
Linie, nahe um die gleiche Zeit nach dem Maximum der Helligkeit
des Sternes; dagegen fand er sie von 5 — 2 Wochen vor diesem
Maximum dreifach. Messungen auf den mit dem 3-Prismen-Instra-
Fiasteme. 99
ment erhaltenen Platten ergaben für die Linie H y eine Verschiebung
von im Mittel + 0.65 zehnmilliontel Millimeter. Die dunklen Linien
dieser Region des Spektrums sind sowohl nach den Messungen von
Campbell (1898), als nach den neuen von Stebbins im Mittel um
+ 0.25 mehr (gegen die rote Seite des Spektrums) verschoben als
die hellen. Von besonderem Interesse sind darunter die beiden Linien
mit den Wellenlängen X 4308 und 4376, welche möglicherweise dem
Eisen zugehören. Sie erscheinen auf einigen Platten von Stebbins
jede als helle Linie mit einer dunklen an der Seite gegen Rot hin.
Wenn diese hellen Linien Eisenlinien sind, so sind sie um den gleichen
Betrag verschoben wie die Wasserstofflinien, imd wenn Eisendämpfe
die dunklen Absorptionslinien neben den hellen verursachen, so ist
die Verschiebung die nämliche wie die der andern dunklen Linien.
Die hellen Linien zeigen ebenfalls Veränderungen in ihrer Intensität,
ohne daß es jedoch gelang, etwas Gesetzmäßiges hierüber in Beziehung
auf den Lichtwechsel des Sternes zu ermitteln ; auch meint Stebbins,
daß zu einer befriedigenden spektrographischen Untersuchung des
Sternes in allen Phasen seiner Helligkeit, der große Refraktor der
Lickstemwarte nicht ausreiche, sondern der Spektrograph mit einem
großen Reflektor verbunden werden müsse.
Schließlich kommt er zu dej)»' Ergebnis, daß die Unverändert
lichkeit der radialen Geschwindigkeit von Mira den strengen Beweis
liefere, daß die Veränderungen der Helligkeit dieses Sternes nicht
durch die Einwirkung eines Begleiters desselben hervorgerufen werden,
falls nicht dieser Begleiter eine sehr geringe Masse besitzt, sich in
sehr exzentrischer Bahn bewegt und dem Hauptsterne sehr nahe
kommt. Die großen Unregelmäßigkeiten in der Lichtkurve schließen
die Annahme eines Doppelsystems bei Mira so wie so fast völlig
aus. Die bemerkenswerte Helligkeitsverteilung in dem Liniensystem
des Wasserstoffs, welches das Spektrum des Sternes zeigt, ist zur-
zeit noch nicht zu erklären, ebenso die Anwesenheit der hellen Eisen-
linien X 4308 und 4376, beim völligen Fehlen anderer Eisenlinien,
ebenso mehrere andere Umstände.
Die großen Veränderungen, welche in der relativen Intensität
der Wasserstoff- und anderer Linien und in dem kontinuierlichen
Spektrum beobachtet werden, zeigen aber, daß die Helligkeitsabnahme
des Sternes durch andere Vorgänge bedingt wird, als durch die all-
gemeine Absorption. Stebbins kommt schließlich zu dem Ergebnisse,
daß die Helligkeitsänderungen der Mira durch die Wirkimgen innerer
Kräfte dieses Sternes verursacht werden.
Der Veränderliche 10. 1908 Lyrae, den Prof. Seeliger an-
gezeigt,^) hat nach Dr. Hartwig ^) eine Periodendauer von 250 Tagen.
*) Astron. Nachr. Nr. 8857.
^ Astron. Nachr. Nr. 8873.
100 Fixsterne.
Die geringste Helligkeit scheint nicht unter 15.6 Ghröße herabzugehen.
Die Lichtzunahme verläuft rascher als die Abnahme.
Eine photographische Aufnahme der Umgebung dieses Sternes
hat Prof. W. Wolf 1903 Mai 30 mit vierstündiger Beleuchtung
des 16 -zolligen Bruceteleskops erhalten. Eine Reproduktion dieser
Aufnahme, die Prof. Wolf in Nr. 3884 der »Astronomischen Nach-
richten« gibt, ist etwas verkleinert auf Tafel II wiedergegeben. Der
Veränderliche, auf den ein Pfeil hinweist, ist in der Lichtzunahme
begriffen und etwa 13. Größe.
Der Veränderllehe SS Cygrnl* Dieser 1896 von Miß Luise
D. Wells auf photographischen Platten des Harvardobservatory ent-
deckte Veränderliche steht am Himmel in
AR 21^ SS^ 46», D-|-43^ 7.6'
(für 1900) und gehört nach E. Hartwig zu den merkwürdigsten ver-
änderlichen Sternen. Er leuchtet nach längerer Konstanz der Hellig-
keit plötzlich auf, innerhalb 24 Stunden um 2.5 Größenklassen, und
erreicht in abwechselnd 3 ^ und 6 ^ ein Maximum 8. Gr., in dem er
nur wenige Stunden verweilt, um in etwa 9^ auf das Minimum
(12.5 Größe) herabzusinken. Hartwig macht jetzt ^) auf eine neue
Merkwürdigkeit dieses Sternes aufmerksam. »Während«, sagt er,
»der ihm ähnliche Veränderliche U Geminorum alle 3 Monate auf-
zuleuchten pflegt, wobei aber Erscheiuimgen auch ganz ausfallen, hat
SS Gygni insofern gegensätzlich eine gewisse Regelmäßigkeit, als sein
Aufleuchten innerhalb eines Zeiüntervalles von mindestens 32 oder
höchstens 68 Tagen sich bestimmt wiederholt. Dabei hat seit 1896
mit nur 2 Ausnahmen eine lange Erscheinung mit einer kurzen
abgewechselt Eine Gesetzmäßigkeit hat sich aber für die Zwischen-
zeit noch nicht auffinden lassen.
Beiden Arten des Verlaufes war die außerordentlich rasche Licht-
zunahme gemeinsam, bei welcher der Stern von der Helligkeit
10.9 Gr. bis zu der von 8.9 Gr. in weniger als 18 Stunden aufstieg.
In den beiden letzten Erscheinungen (1903 Februar 12 und April 3)
hat sich aber eine höchst merkwürdige Abweichung gezeigt, die schon
einmal in der Erscheinung Ende November 1899 beobachtet wurde.
Aber neu ist die Wiederholung der Abweichung bei zwei aufeinander
folgenden Erscheinungen. Die Abweichung besteht darin, daß das
vorhin genannte Helligkeitsintervall zwischen der Größe 10.9 — 8.9
nicht mehr in weniger als 18 Stunden, sondern in länger als 6 Tagen
durchlaufen wurde, beide Male mit ausgeprägten Stillständen. Bei
der ersten Erscheinung im Februar zeigte auch das abfallende Licht,
das sonst stets ganz gleichmäßig verläuft, eine Verzögerung vom 15.
auf den 16. Februar.
1) Astron. Nachr. Nr. 8866.
Fixsterne. 101
Sollte den Lichtwechsel ein Meteorring veranlassen, in dessen
Bahnebene die Sonne gelegen ist, und der bei ungleichmäBiger Dichte
(wofür die kleinen Schwankungen des Minimallichtes sprechen) an
besonderer Stelle 2 Lücken besitzt, Lücken oder Auflockerungen,
die bei dem Umlaufe der Meteore Verschiebungen und verschiedene
Dichte vielleicht nicht ganz regellos im Laufe der Zeit erhalten, dann
erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß der Lichtwechsel einmal
das umgekehrte Bild, nämlich einen mäßigen Lichtaufstieg und einen
rapiden Abfall zeigt Auf jeden Fall verdient der merkwürdige Stern
beständige Oberwachung.c
Veränderlichkeit von a Orionis. W. H. Robinson bemerkt,^)
daß nach den Aufnahmen zu Oxford die photographische Helligkeit
dieses Sternes zwischen 1901 März 9 und 1902 Oktober 22 etwas zu-
genommen, seit dem letzten Datum jedoch merklich abgenommen habe.
Diese Nachweise sind durch Helligkeitsschätzungen unterstützt worden.
Der Begleiter des Polarsternes als veränderlicher Stern.
Der Polarstem besitzt einen Begleiter, den W. Herschel am 17. August
1779 zuerst sah; der Hauptstern ist 2. Gr., der Begleiter wird als
9. Gr. angegeben. Die Stellung des Begleiters scheint sich nur sehr
langsam zu ändern, die Distanz vom Hauptsteme ist 18.5", der Positions-
winkel 212.4® (nach Duners Messungen 1870). Schon Struve hat in
den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts darauf aufmerksam ge-
macht, daß der Begleiter des Polarsternes im 9-zolligen Dorpater
Refraktor sogar am hellen Tage gesehen werden könne, und Encke
sowie Mädler haben dies später bestätigt. Die Tatsache ist merk-
würdig, und zur Erklärung derselben hat man angenommen, die äußerst
langsame tägliche Bewegung des Polarsternes sei die Ursache, doch ist
diese Erklärung offenbar unzulänglich. Unter günstigen Umständen
kann man den Begleiter an einem Fernrohre von 2 Pariser Zoll Öffnung
in klaren Nächten gut sehen, ausnahmsweise ist er von Barnard sogar
an einem noch kleinem Femrohre gesehen worden. Die Sichtbar-
keitsverhältnisse dieses Begleiters des Polarsternes zeigen also etwas
Auffallendes, und E. Jost in Gotha macht nunmehr^) Mitteilungen,
aus denen hervorgeht, daß dieser Begleiter höchstwahrscheinlich
veränderlich ist. E. Jost bemerkt : »Gelegentlich meiner mehrjährigen
Arbeit am Heidelberger 3-zolligen Meridiankreise fiel mir an einigen
Tagen die besonders gute Sichtbarkeit des Polarisbegleiters auf. Der-
selbe gilt als Stern ca. 9. Gr., und seine Sichtbarkeit in dem für die
Polarisbeobachtung sehr hellen Felde war für das kleine Fernrohr
etwas Außergewöhnliches. Gleichwohl habe ich der Sache keine
weitere Beachtung geschenkt, bis ich im Herbste 1902 eine Reihe
^) Monthly Notices 63. p. 74.
") Astron. Nachr. Nr. 8876.
102 Fixsterne.
von Extinktionsbeobachtungeii anstellte, bei welchen der Polarstern
allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielte. Die gleichzeitigen
Neureduktionen der Müllerschen Säntisbeobachtungen durch Herrn
Dr. Bemporad, sowie besonders eine Mitteilung seitens des Herrn
Prof. Valentiner, welchem ebenfalls die veränderliche Sichtbarkeit im
frühem Karlsruher Meridiankreise aufgefallen war, veranlaßten mich,
die früher vielumstrittene Frage der Veränderlichkeit des Polarsternes
in andrer Form wieder aufzugreifen.
Die Beobachtungen wurden am 8-zolligen Merzschen Refraktor
in Verbindung mit einem ZöUnerschen Photometer angestellt Der
Hauptstern ist nicht abgeblendet worden, weil einmal der Begleiter
bei der schwachen Vergrößerung des Photometerokulars dem Haupt-
Sterne sehr nahe stand, und dann die ganzen Beobachtungen nur als
gelegentliche anzusehen waren, insofern als das Instrument seiner-
zeit in der Hauptsache der Beobachtung langperiodischer Veränder-
licher gewidmet war. Bei den Messungen wurde der künstliche Stern
des Photometers möglichst nahe dem Polarisbegleiter gebracht, und
zwar in radiale Entfernung vom Hauptstern wie dieser, schließlich
wurden in beiden Stellungen zu demselben die Messungen ausgeführt.
Als Vergleichssterne für die Helligkeit dienten 4 Sterne 9.3 bis
10.8 Gr., deren photometrische Größe Jost im Anschluß an Plejaden-
sterne, die Müller und Kempf in Potsdam vor einiger Zeit photo-
metrisch bestimmten, ermittelt hatte. Die nachfolgende Tabelle gibt
die von ihm abgeleitete Helligkeit des Begleiters des Polarsternes zu
den angegebenen Zeiten an.
Datum M. Z. Qrdfie
1902 November 8 eh 46.0m 9.46m
11
10 8
30.2
8.89
tl
11 6
42.0
8.98
11
11 8
50.7
8.85
15 10
56.4
8.63
1,
17 7
62.9
9.13
11
17 9
21.1
9.24
1903 November 21 9
5.9
9.02
1}
22 9
23.0
9.10
Dezember 22 9
39.8
8.91
1903 Januar
16 5
59.0
8.79
11
17 10
55.0
9.59
II
22 11
57.9
8.66
11
31 11
0.5
9.44
Februar
16 13
64.4
8.95
11
17 9
39.0
8.52
11
18 10
56.0
9.17
1,
19 10
23.0
9.64
11
24 8
16.2
9.39
11
26 11
51.9
9.49
In diesen Beobachtungen ist eine Schwankung der Helligkeit
des Sternes zwischen 8.52 und 9.64 Gr. ausgedrückt »Über eine
E
Fixsterne. 103
etwaige Periodizität, c sagt Jost, »läßt sich noch nicht entscheiden,
vielleicht ist eine siebentägige Periode angedeutet; einige Versuche
Ende Februar, den Stern eine ganze Nacht zu verfolgen, scheiterten
an den ungünstigen Witterungsverhältnissen. Da mir jetzt (in Gotha)
die weitere Verfolgung des Sternes unmöglich ist, möchte ich meine
Beobachtungen mit allem Vorbehalte, welchen angesichts der Schwierig-
keit der Messungen der Zweifel an der Realität der Resultate fordert,
bekannt geben und den Stern zur Beobachtung an geeigneten Instru-
menten empfehlen.«
Ein neuer Veränderlicher von außergrewöhnlleh kurzer
Perlode wurde von Prof. Q. Müller und P. Kempf auf dem astro-
physischen Observatorium zu Potsdam entdeckt. Es ist der Stern
der Bonner Durchmusterung B.D. -j- 56^1400 und sein Ort für 1900.0:
AR = 9^ 86"^ 448 D = + 56<^24.6'. Der Lichtwechsel vollzieht sich
in 4^ und schwankt zwischen 7.6 und 8.6 Größe. Die Entdecker
berichten darüber folgendes.^)
>Bei Gelegenheit der ZonenbeobachtuDgen für den 3. Teil der Pots-
damer photometrischen Durchmusterung stellte sich heraus, daß die beiden
programmmäßigen Helligkeitsmessungen des Sternes 7.5 Gr. B.D. -|- 66^1400
;« = 9h 36m ÖS, a = + 56 «24.6' [1900]) im Jahre 1899 und 1901 um mehr
als den bei der Durchmusterung für zulässig geltenden Betrag voneinander
abwichen. Die Revisionsbeobachtungen im Jahre 1902 in der Zeit vom
April 19 bis Juni 4 ließen zwar keinen Zweifel übrig, daß der Stern ein
Veränderlicher sei, gaben jedoch über die Art des Lichtwechsels keinen
Aufschluß. Die Messungen wurden 1902 bis Ende Juli fortgesetzt und
SDäter nach dem Aufstiege des Sternes am Osthimmel wieder aufgenommen,
onne daß es gelang, den Charakter der Veränderhchkeit aufzudecken. Erst
am 13. Januar dieses Jahres , nachdem der Stern im Laufe des Abends
während eines Zeitraumes von 3 Stunden mehrmals beobachtet wurde, konnte
ein Abnehmen und Wiederanwachsen des Lichtes konstatiert und daraus
angenähert auf ein Minimum für etwa 9^ 20^ m. Zeit Potsdam geschlossen
werden. Hierdurch war nachgewiesen, daß die Lichtänderungen in verhält-
nismäßig kurzer Zeit vor sich gehen mußten, und es wurde daher der Stern
noch in derselben Nacht bis kurz vor Sonnenaufgaog in Intervallen von
10 zu 10 Minuten beobachtet. Endgültige Entscheidung über die noch
immer nicht ganz klar zu erkennende Art der Lichtänderung brachten aber
erst die Beobachtungen vom 14. Januar, welche von 4^^ 48m bis 9^ 19m m.
Zeit Potsdam ohne Unterbrechung fortgesetzt wurden. Sie ergaben ein voll-
ständiges Bild der gesamten Lichtkurve und führten so zu der Entdeckung
eines Veränderlichen mit der außerordentlich kurzen Periode von nur
4 Stunden, der kürzesten bisher bekannten.« Die Entdecker geben ein voll-
ständiges Verzeichnis ihrer Beobachtungen des Veränderlichen.
Die graphische Darstellung der Beobachtungen von Januar 14, 17 und 18
gab die folgenden 4 Minimalzeiten, deren Unsicherheit auf höchstens
10 Minuten geschätzt werden kann.
Januar 14 4^^ 34m m. Z. Gr.
. 17 4 40 „ , „
» 17 8 31 , , ,
n 18 8 34 , , .
^) Sitzungsbericht der K. Preuß. Akademie d. Wiss. 1903. 7. p. 173.
104
FbDBtcnML
Die Vcrbindiuig dieser Daten lieferte als etste pioTisoriBdie '.
des Veränderiichen: Epoche des Minimnnw «* 1903 Januar 14, 4 ^ 34» m.
Z. Gr. Dauer der Periode des Lichtwechsels 4^ 0.0»
Man wird die Genauigkeit keinesfalls größer als 1 Minute annehmen
dürfen; die wahre Dauer der Periode muß also zwischen S^ 59» und 41^ 1»
liegen.
Zur Vefbesserung des 1. Nähenmgswertes der Periode konnten die
Beobachtungen ans dem Jahre 1902 herangezogen werden und ergaben als
2. Näherang die Elemente: Epoche des Vinimning b» 1903 Januar 14,
4h 32» m. Z. Gr. Dauer d^ Periode 4^ 0.21».
Diese Daten sind nun zur Bildung einer Lichtkurre des Veränderiichea
aus den Messungen von Januar 12 bis Januar 13 benutzt worden, indem
mittels derselben die Minimaepochen boechnet und die Zeitunterschiede
der einzelnen Beobachtungsdaten gegen das vorangehende Minimum gebildet
wurden. Im ganzen waren 143 Messungen dafür verwendbar. Aus diesen
wurde folgende Tabdie abgeleitet, die von 5 zu 5 Minuten die Helligkeit
des Veränderlichen in Größenklassen angibt
Abstand
Tom
Iftntmntn
Hellig-
keit
Abstand
vom
Minimum
HeUig-
keit
Abstand
Tom
Ifinimmn
Heilig-
keit
Oh 0»
8.58
lh2o»
7.93
2b 50»
7.96
0 5
8.54
1 30
7.96
2 55
7.98
0 10
8.49
1 35
7.94
3 0
8.00
0 15
8.43
1 40
7.93
3 0
8.00
0 20
8.38
1 45
7.92
3 5
8.02
0 25
8.33
1 50
7.91
3 10
ao4
0 30
8.29
1 55
7.90
3 15
8.07
0 ^
8.25
2 0
7.90
3 20
8.10
0 40
8.22
2 0
7.90
3 25
8.13
0 45
8.18
2 5
7.90
3 30
ai7
0 50
8.15
2 10
7.90
3 35
8.23
0 55
8.12
2 15
7.90
3 40
8.31
1 0
8.09
2 20
7.90
3 45
8.41
1 0
8.09
2 25
7.91
3 50
8.52
1 5
8.06
2 30
7.92
3 55
8.56
1 10
8.04
2 %
7.93
4 0
8.58
1 15
8.02
2 40
7.94
1 20
8.00
2 45
7.95
»Wie man ans der Helligkeitstabelle, € sagen die Entdecker, >und noch
besser aus einer Zeichnung ersieht, erfolgt die Lichtänderung um das Minimum
herum außerordentlich schnell, die Kurve läuft im Minimmn fast spitz zu.
Der Abfall zum kleikisten Lichte ist noch etwas steiler als der Aufstieg nach
demselben; die beiden Zweige sind nicht vollkommen symmetrisch. Das
Maximum ist bei weitem nicht so scharf ausgeprägt wie das Minimum, doch
scheint es durch die Beobachtungen ausgeschlossen, daß der Stern in der
größten HeUigkeit eine Zeitlang unverändert verharren sollte; man darf ihn
daher keinesfalls zum Algoltypus rechnen. Etwas auffallend ist, daß etwa
eine Stunde vor dem Maximum und ebenso einige Zeit nach demselben die
Normalwerte im allgemeinen unterhsdb der gezeichneten Kurve liegen. Es
niacht den Eindruck, als ob zu diesen Zeiten ein kleiner Stillstand in der
Lichtzunahme, bezw. Lichtabnahme einträte, und als ob die Kurve mit zwei
Einbiegungen gezeichnet werden sollte. Ob derartige Unregelmäßigkeiten
wirklich reell sind oder nur auf Unsicherheit oder Voreingenommenheit bei
Fixsterne. 106
den Beobachtangen zu schieben sind, läßt sich erst an einem viel großem
Beobachtungsmateriale nachweisen. Wir haben zunächst auf dieselben keine
Rücksicht genommen. Zu bemerken ist noch, daß aus den bisherigen Be-
obachtungen sich keine Andeutung für eine verschiedene Helligkeit in den
geraden und ungeraden Minimis ergibt. Ebenso wenig läßt sich irgend eine
UDgieichmäßigkeit in den Zeitintervallen zwischen je zwei aufeinander folgen-
den Minimis erkennen.
Die definitive Helligkeitstabelle ist noch |dazu benutzt worden, den
m 2. Näherung gefundenen Wert für die Dauer der Periode des Licht-
^irechsels in etwas engere Grenzen einzuschließen. Es konnten hierbei auch
die beiden ersten Beobachtungen aus den Jahren 18d9 und 1901 verwertet
Trerden, von denen die eine zur Zeit eines Maximums, die andere nicht weit
von einem Minimum liegen muß. Bei verschiedenen Versuchen zeigte sich,
daß der wahrscheinlichste Wert der Periode zwischen 4^ 0.210°^ und
4^ 0.220 m enthalten ist. Wir nehmen als die zur Zeit wahrscheinlichsten
Elemente des neuen Veränderlichen an : Epoche des Minimums = 1903 Jan« 14,
4^ 32m m. Z. Gr. Dauer der Periode: 4^ 0™ 12.8».
Der Fohler des Periodenwertes wird kaum mehr als 0.58 betragen, und
eine Verbesserung dürfte erst nach einer langem Reihe von Monaten zu
erwarten sein.<
»Unter den bisher bekannten Veränderlichen zeigen die schnellsten
Helligkeitsschwankungen 2 Sterne in dem an Variabein reichen Stern-
haufen (uCentauri; die Perioden derselben sind 7^ 11.4m und 7^ 42.8 m.
Dann folfft SAnÜiae mit einer Periode von 7^^ 46.8 m. Perioden zwischen
8^ und 9i^ finden sich bei mehrem Veränderlichen in dem obengenannten
Sternhaufen. Endlich ist noch UPegasi zu erwähnen, dessen Periode in
Chandlers 8. Kataloge zu 5^ 32.2 m angegeben ist, der aber nach
Pickerings Untersuchungen^) sekundäre Minima zeigt und eine Periode
von 8^ 59.7m besitzt.
Die Auffindung des neuen Veränderlichen regt die Frage nach der
Ursache des überaus schnellen Lichtwechsels an. Man könnte zunächst
mit Zöllner an einen rotierenden Körper denken, dessen Oberfläche infolge
starker Abkühlung eine sehr un^eiche Helligkeitsverteilung besäße. Dagegen
spricht aber die Farbe des Sternes, die weißlich ist, während man bei allen
Sternen, die in starker Abkühlung begriffen sind, eine gelbliche oder rötliche
Farbe voraussetzen kann. Eine andere naheliegende Annahme wäre es,
sich eine von der Kugelgestalt stark abweichende Form vorzustellen, etwa
ein langgestrecktes Ellipsoid oder einen den Darwinschen Gleichgewichts-
figuren ähnlichen Körper, welcher um eine der kleinen Achsen rotiert. Diese
Erklärung würde aber auf Schwierigkeiten stoßen, weil es kaum möglich
sein dürfte, die besondere Form der gefundenen Lichtkurve darzustellen,
besonders die sehr schnellen Helligkeitsänderungen zur Zeit des Minimums
und die sehr langsamen Änderungen um das Maximum herum.
Es ist endlich noch an die Hypothese zu denken, daß der Lichtwechsel
erzeugt werde durch zwei umeinander rotierende Himmelskörper von nahe
gleicher Größe und nahe gleicher Leuchtkraft, deren Oberfläcnen geringen
Abstand voneinander haben, und die sich zeitweilig fast zentral bedecken.
Die beobachtete Lichtkurve läßt sich in diesem Falle fast genau rechnerisch
darstellen. Die Tatsache, daß die Helligkeitsdifferenz zwischen Maximum
und Minimum etwas geringer ist als */« Größenklassen, würde darauf hin-
deuten, daß der eine Körper ein wenig kleiner ist als der andere, oder daß
die BededEung nicht ganz zentral verläuft. Eine nicht unerhebliche Schwierig-
keit bei dieser Hypothese bietet nur die Frage, ob ein solches System
^) Harvard Circular Nr. 28.
106
Fixsterne.
mechanisch möglich sei und anf längere Zeit stabil bleiben könne. Aber
wir haben ja in den spektroskopischen Doppelstemen bereits Weltsysteme
kennen gelernt, an deren Existenz früher aus ahnlichen Gründen gezweifelt
werden mußte, und es wird vielleicht gelingen, durch eingehendere theoretische
Untersuchungen auch die Zulässigkeit der Annahme noch engerer Doppel-
Sterne nach zuweisen. €
Die veränderlichen Sterne des Orionnebels. Bereits früher^)
hat Prof. M. Wolf mitgeteilt, daß der Stereokomparator zur Aufsuchung
veränderlicher Sterne besonders geeignet sei, und als Probe einige
neue Veränderliche nahe beim Orionnebel angegeben. Im Sommer 1903
hat er diese Nachforschungen mit einem neuen verbesserten Stereo-
komparator wieder aufgenommen und einige lange exponierten photo-
graphischen Platten jener Himmelsregion verglichen.*) Die Orter der
gefundenen Veränderlichen am Himmel hat er mit einem parallak-
tischen Meßapparate bestimmt. Folgendes ist die von Prof. Wolf ge-
gebene tabellarische Zusammenstellung der von ihm gefundenen Ver-
änderlichen.
A.
Sicher veränderliche Sterne.
&
Var.
Orionis
a 1900.0
9 1900.0
Beobachtete
Schwankung
Bemerkungen
1
S
5h 24m 4.9«
-40 46' 29"
9.0ni-ll.8m
nach Hartwig irregulär
2
82.1908
5
26
50.2
— 4 31 26
14.0- <15
8
38.1908
5
27
18.6
-5 7 1
11.3-15.0
interessanter Veränder-
4
84.1908
5
27
16.6
-7 82 45
13.3—14.0
[licher
5
85.1908
5
27
45.0
— 7 38 47
18.6- <14
6
86.1908
5
28
87.6
— 5 16 17
13.8-15.0
7
87.1908
5
28
59.5
— 4 52 3
13.0-15.2
sehr merkwürdig, nova-
wahrscheinlich kurz-
8
88.1908
5
29
28.8
-6 40 16
13.0-15.0
9
89.1908
5
29
55.8
-4 44 16
12.5—14.0
10
40.1908
5
80
05
-5 50 49
12,5-14.0
[periodlsch
11
41.1908
5
80
16.8
-5 50 86
12.0-14.6
merkwürdiger Verän-
12
42.1908
5
80
20.8
- 4 49 45
12.7— <14
[derlicher
18
48.1903
5
80
27.1
-6 88 48
12.3-<14
14
88.1901
5
30
40.8
-5 5 13
11.8-13.2
16
T
(5
30
56.5)
H5 82 34)
9 - ?
im dicken Nebel
16
44.1908
5
80
58.1
— 4 51 15
12.8-<lö
wahrsch. kurzperiod.
17
45.1908
5
80
58.9
-6 54 40
12.5-15.0
wahrsch. kurzperiod.
18
46.1903
5
31
8.4
-6 46 26
12.6-<14
19
85.1901
5
81
21.9
— 5 15 34
11.8-<14
20
47.1908
5
88
88.4
-7 19 14
13.5—15.0
21
86.1901
5
84
46.1
— 8 28 36
11.7-18.0
22
48.1908
5
85
57.8
— 8 8 32
18.0-15.0
nahe bei 34, s. unten
28
49.1908
5
86
36.0
-4 11 17
9.8-<15
sehr in teress. Variabler ;
24
88.1901
5
42
27.9
-6 14 48
13.2—14.5
schwer zu messen, da
zu schwach.
^) Astron. Nachr. Nr. 3749.
*) Astron. Nachr. Nr. 8899.
Fixstenie.
107
B.
Möglicherweise veränderlic
he Sterne.
^
Var.
Orionis
a 1900.0
^ 1900.0
Beobachtete
Schwankung
Bemerkungen
25
80.1901
5h 24m 47.08
— 8« 5' 14"
12.4m— 13.0m
26
81.1901
5 28 54.0
— 4 42 48
12.8-<14
27
82.1901
5 30 86.8
— 6 7 5
12.8-14.0
28
50.1903
5 80 39.4
— 6 49 14
12.5— <14
29
84.1901
5 31 04
— 5 0 49
13.0-18.8
30
51.1903
5 82 18.4
-3 35 15
13.0-14.0
31
52.1903
5 34 31.9
— 4 57 26
12.5-13.2
32
87.1901
5 35 101
— 5 24 24
13.0- ?
38
63.1908
5 85 89.4
-6 29 2
18.2-14.0
34
54.1903
5 85 57.9
-8 7 43
12.8-18.9
35
89.1901
6 43 16.1
— 5 48 36
12.7-13.5
Der Stern T Orionis Nr. 15 befindet sich in einer besonders
dichten Stelle des Nebels. Daher konnten keine Helligkeitsschätzungen
von ihm gemacht und die Position nicht auf der Platte B 118 ge-
messen werden. Sie wurde mit einer etwas dünnern Platte am
Stereokomparator angenähert bestimmt.
Prof. Wolf hat nur diejenigen Sterne als sicher veränderlich be-
zeichnet, die auf den 3 Aufnahmen (6 Platten) am Bruceteleskop un-
zweifelhafte Veränderungen großem Betrages gezeigt haben. Dagegen
sieht er sogar den Stern Nr. 26, trotzdem für ihn mit dem 6-Zoller
noch Schwankungen von mehr als einer Größenklasse erhalten sind,
nur als möglicherweise veränderlich an, weil der sichere Nachweis
der Veränderlichkeit mit dem 6-Zoller immerhin schwieriger zu leisten
ist Aus dem gleichen Grunde hat er weitere acht möglicherweise
veränderliche Sterne vorläufig ganz unterdrückt.
Die veränderlichen Sterne im Sternhaufen a> Centaori.
Dieser Sternhaufen steht am südlichen Himmel in AR 13h 20.8 m
und D. — 46® 57' (1900) und ist das prachtvollste Objekt seiner
Art, welches uns überhaupt an der Himmelssphäre sichtbar ist. Dem
unbewaffneten Auge erscheint er als nebeliger Stern 4. Größe, im
Femrohre dagegen bietet er den großartigen Anblick eines aus zahl-
reichen Sternen gebildeten kugelförmigen Haufens mit Verdichtung
gegen das Zentrum hin. Sir John Herschel hat früher eine Ab-
bildung dieses Sternhaufens gegeben, wie sich derselbe ihm im
20-füßigen Spiegelteleskop zeigte. Mit den neuem photographischen
Aufnahmen des Objektes verglichen, zeigt jene Abbildung nur eine
sehr geringe Ähnlichkeit und beweist aufs neue, daß die altem
Zeichnungen reicher Sternhaufen wertlos sind. Die früheste photo-
graphische Aufnahme des Sternhaufens a> im Gentauren wurde 1893
zu Arequipa * unter sehr günstigen Umständen erhalten. Im August
jenes Jahres entdeckte Madame Fleming auf dem Harvardobserva-
108 Fixstern».
torium zu Cambridge (N.-A.) beim Vergleiche dieser Photographien
einen veränderlicken Stern in dem Haufeni wenige Tage später
Prof. Pickering einen zweiten. Ungefähr um dieselbe Zeit fand
Prof. Solon J. Bailey zu Arequipa in dem Sternhaufen 47, Tucanae
drei veränderliche Sterne und Madame Fleming später noch drei in dem
nämlichen Haufen. Im Februar 1895 unternahm Prof. Pickering die
Vergleichung zweier Photographien dieses Sternhaufens, welche zur
Entdeckung von noch 6 Veränderlichen in demselben führte^). In
dem nämlichen Jahre untersuchte Prof. Bailey zu Arequipa eine
Anzahl photographischer Aufnahmen von co Centauri und fand etwa
20 Veränderliche darin, von denen drei identisch waren mit solchen,
die bereits in Cambridge entdeckt wurden.
Prof. Solon J. Bailey hat nun eine eingehende Prüfung und
Untersuchung der sämtlichen Photographien des großen Sternhaufens co
im Centauren ausgeführt,^ um die sämtlichen Veränderlichen dieses
Haufens aufzufinden und vor allem die Art und Weise ihres* Licht-
wechsels mit Genauigkeit festzustellen. Die Photographien, um deren
Prüfung es sich handelte, wurden fast sämtlich mit dem 13-zolligen
Boydenrefraktor erhalten, dessen photographische Brennweite 191.5 Zoll
beträgt Auf den Originalplatten ist daher die Länge von 0.1 cm
entsprechend 42.4" in Bogenmaß. Der durchschnittliche Durchmesser
der feinen Sterne beträgt etwa 2", doch variiert derselbe beträchtlich
auf den verschiedenen Platten. Einige Platten wurden auch mit dem
14-zolligen Bruce- oder dem 11-zolligen Draperteleskop erhalten, da
aber deren Brennweiten kürzer sind als die des 13-zolligen Boyden-
refraktors, so sind die Bilder des Sternhaufens, die in letzterm
Instrument erhalten wurden, etwas besser. Die Dauer, während
deren die Platten exponiert werden mußten, um die schwächsten Ver-
änderlichen im Minimum ihres Lichtes zu zeigen, betrug bei co Gen-
t-auri 30 Minuten (bei dem Sternhaufen Messier 5 50 Minuten, bei
Messier 3 sogar 100 Minuten). Nur sehr wenige der dichten Sternhaufen
können gut photographiert werden mit Exponierungen von weniger als
1 Stunde, manche erfordern, um die besten Resultate zu erhalten,
2 Stunden Exponierung. Da es unmöglich ist, bei so langen Expo-
sitionen das Femrohr durch Uhrwerk so genau der Drehung des
Himmels folgen zu lassen, daß die Bilder unverrückt auf der Platte
bleiben, so muß die Bewegung desselben überwacht imd sogleich
korrigiert werden. Der Beobachter stellt zu diesem Zwecke durch
ein an einer Seite des Gesichtsfeldes des Refraktors angebrachtes
Okular einen nahebei stehenden Stern hinter die Mitte des Faden-
kreuzes und hat nun darauf zu achten, daß dessen Stellung zu den
Kreuzfäden während der Expositionsdauer unverändert bleibt Von
der Sorgfalt, mit der diese Stellung erhalten und die geringste Ab-
^) Annals of the Harvard-CoU. Observatory 26. 206. 211.
*) Annals of the Harvard-Coll. Observatory 8ft» Cambridge 1902.
Fixsterne. 109
-v^eichung sofort korrigiert wird, hängt in sehr hohem Grade das
Gelingen scharfer Aufnahmen ab. Zum Zwecke der Auffindung ver-
änderlicher Sterne und des Studiums ihres Lichtwechsels wurden
in Arequipa zu verschiedenen Zeiten so viele Aufnahmen gemacht,
daß man mit Sicherheit darauf rechnen konnte, jede überhaupt merk-
bare Helligkeitsänderung der Sterne des Haufens zu entdecken. Die
Vergleichung der Aufnahmen miteinander geschah, indem der ganze
Sternhaufen in mehrere hundert Teile geteilt wurde, von denen jeder
etwa 10 Sterne enthält, und diese dann gemäß ihrer Helligkeit vom
hellsten bis zum lichtschwächsten in eine Reihenfolge geordnet wurden.
Diese Sterne wurden dann auf jeder Photographie sorgfältig ver-
glichen, so daß nur höchstens zufällig eine Veränderlichkeit der-
selben übersehen werden konnte, wenn nämlich ein Stern nur um
ein Geringes sein Licht wechselt, oder die Maximalphase sehr kurz
ist, oder die Periode 24 Stunden oder ein Vielfaches derselben sein
würde. Die Auffindung veränderlicher Sterne in Sternhaufen ist
gleichwohl schwierig, denn die Stembildchen sind klein und sehr
nahe beisammen, so daß sie imter starker Vergrößerung betrachtet
und verglichen werden müssen, was eine erhebliche Anspannung des
Auges verursacht, beeonders bei den dicht gedrängten Sternen nahe
dem Zentrum eines Haufens. In manchen der letztem verschwimmen
die Sterne in den zentralen Teilen völlig ineinander, so daß es nicht
möglich ist, auch dort Veränderlichkeit einzelner Sterne festzu-
stellen. Der Umstand, daß die Phase des hellsten Lichtes oft nur
sehr kurz ist, im Vergleiche zur Periode des Lichtwechsels, macht
die Auffindung der Veränderlichen auch nicht wenig mühevoll und
läßt erklärlich finden, weshalb die Anzahl dieser Sterne in dem
Haufen cd Gentauri nur nach und nach bis zu ihrer gegenwärtigen
Ziffer wuchs.
In der nähern Umgebung dieses Sternhaufens befinden sich
keine Sterne, die heller sind als 8. Größe. Im Jahre 1893 hat
Prof. Bailey eine Zählung der Sterne des Haufens ausgeführt und
fand auf den besten Platten, welche am 13-zolligen Teleskop expo-
niert waren, 6389 einzelne Sterne, doch ist die Gesamtzahl der in
diesen Sternhaufen überhaupt vorhandenen zweifellos beträchtlich
größer. Der scheinbare Durchmesser desselben beträgt 35'. Nicht
nur in diesem, sondern auch in andern Sternhaufen fanden sich ver-
änderliche Sterne von kurzer Periode des Lichtwechsels in größern
Entfernungen, als man gemäß den Zählungen überhaupt für die
Grenzen dieser Sternhaufen annehmen muß. Diese Sterne sind
aber doch wohl als wirkliche Glieder der betreffenden Haufen
zu betrachten, und erst sie bezeichnen daher die äußersten Grenzen
dieser letztem. Unter diesem Gesichtspunkte hat der Sternhaufen
€o im Gentauren eine scheinbare Ausdehnung von 40', und die
Durchmesser der Stemhaufen Messier 3 und 5 erscheinen sogar ver-
doppelt
110 Fixsterne.
Mit wenigen Ausnahmen sind die Sterne, welche den Haufen
CD Gentauri bilden, von ziemlich gleicher Helligkeit; mehr als 6000
derselben sind 12. — 14.5 Größe, weniger als 100 zwischen 8.und
12. Größe. Eine beträchtliche Zahl der mitgezäMten Sterne gehört
wahrscheinlich gar nicht dem eigentlichen Haufen an, sondern
projiziert sich nur auf demselben für den Anblick von der Erde
aus. Unter gewissen Voraussetzungen wird diese Zahl auf 1616
berechnet.*)
Die erste Platte, welche bei der spätem Forschung nach Ver-
änderlichen benutzt wurde, ist vom 15. Mai 1892, die letzte vom
16. August 1898, die Zwischenzeit umfaßt also 2284 Tage. Die
1. Platte erwies sich jedoch für die Untersuchung von geringer
Qualität, und die allgemeine Prüfung begann erst an der am 11. April
1893 erhaltenen Aufnahme. Es wurde auf 124 Aufnahmen der
Lichtwechsel von 128 Sternen verfolgt, durch etwa 30000 Ver-
gleichungen ihrer Helligkeit mit Normalstemen, die in dem Haufen
ausgewählt waren. Die meisten Messungen dieser Art sind von
Frln. E. F. Leland ausgeführt worden.
Die mit größter Sorgfalt durchgeführten Untersuchimgen lieferten
das Material zur Ableitung der Perioden und der Art und Weise des
Lichtwechsels für 95 Sterne. Manche dieser Veränderlichen besitzen
eine so rasche Zunahme der Helligkeit im Maximum, daß diese auf
photographischem Wege kaum genau festzustellen ist, da die Expo-
sitionsdauer der Platten durchschnittlich 40 Minuten beträgt. In
diesen Fällen ist offenbar die wirkliche größte Helligkeit, welche die
Sterne erreichen, beträchtlicher, als die photographische Aufnahme
zeigt
Unter den 95 Sternen, bei denen Dauer und Größe des Licht-
wechsels genauer bestimmt wurden, befinden sich nur fünf, bei denen die
Dauer dieses Wechsels länger ist als 24 Stunden. Unter diesen 5 Sternen
hat einer eine Periodendauer von 484 Tagen. Er ist im Maximum
11.2 Größe und einer der hellsten Sterne des ganzen Haufens, sinkt
dagegen im Minimum bis 14.8 Größe. Er scheint ein sekundäres
Maximum der Helligkeit zu haben, und die Periode ist vielleicht
nicht gleichförmig. Ein Veränderlicher mit einer Periode von
297 Tagen steht nahe dem Zentrum des Haufens, ist im Maxi-
mum 12.0 und im Maximum 14.3 Größe und zeigt auch ein sekundäres
Maximum seiner Helligkeit Der hellste Veränderliche in dem ganzen
Sternhaufen hat eine Periode von 29.3 Tagen, erreicht im Maximum
die Größe 9.8, im Minimum 11.1, und die Lichtkurve zeigt vom
Maximum zum Minimum 3 Wendepunkte. Prof. Bailey teilt die
90 Sterne, deren Lichtwechsel in kürzerer Zeit als 24 Stunden sich
vollzieht, in 4 Gruppen oder Unterklassen, nämlich:
^) Aonals of the Harvard-CoU, Observatory 26. p. 221.
Fixsterne. 111
a) Veränderliche, deren Periode und Lichtkurve gleichmäßig
verlauft. Die Lichtzunahme erfolgt rasch, ebenso auch die Abnahme,
doch diese langsamer als jene. Im Minimum bleibt die Helligkeit
während etwa der halben Dauer der Periode unverändert, oder
wenigstens ist keine Änderung derselben alsdann erkennbar. Der
Lichtwechsel umfaßt etwa 1 Größenklasse, und die Periodendauer ist
12 — 15 Stunden.
b) Periode und Lichtkurve sind wahrscheinlich gleichförmig, die
Zunahme der Helligkeit ist mäßig rasch, die Abnahme dagegen langsam
und wird langsamer bis zum Beginne der Lichtzunahme. Im Stern-
haufen (o Gentauri schwankt der Lichtwechsel der Sterne dieser
Gruppe um etwas weniger als 1 Größenklasse und die Dauer der
Periode zwischen 15 und 20 Stunden.
c) Periode und Lichtkurve sind vielleicht gleichförmig; die Hellig-
keit wechselt ununterbrochen und mit mäßiger Geschwindigkeit, und
die Lichtzunahme ist im allgemeinen rascher als die Abnahme, in
w^enigen Fällen sind beide gleichschnell oder erstere sogar etwas
weniger rasch. Die Helligkeitsschwankungen umfassen im allgemeinen
etwas mehr als ^/^ Größenklasse, tmd die Perioden schwanken
zwischen 8 und 10 Stunden, bisweilen sind sie auch etwas länger.
Im Sternhaufen co Gentauri gehören von den bekannten Ver-
änderlichen zu Gruppe a) 37, zu b) 19 und zu c) 34 Sterne. Bei
13 Veränderlichen dieses Sternhaufens war es nicht möglich, be-
stimmte Perioden ihres Lichtwechsels abzuleiten. Die Verteilung
der Veränderlichen dieser 3 Unterklassen zeigt keine Abhängigkeit
oder Beziehung zu der Verteilung der Sterne in diesem Sternhaufen
überhaupt.
Die oben erwähnten drei typischen Unterklassen sind bei den
Veränderlichen im Sternhaufen co Gentauri zahlreich vertreten, in
andern Sternhaufen scheint dagegen die Unterklasse a) so zu über-
wiegen, daß sie als typisch darin angesehen werden kann. Die
anscheinend vollkommene Gleichförmigkeit der Perioden dieser Sterne
scheint anzuzeigen, daß sie von einem gewissen regelmäßig wieder-
kehrenden Umstände bedingt ist, möge es sich nun um Achsen-
drehung oder Bahnumlauf handeln. Es dürfte nicht unwahrscheinlich
sein, daß die Umlaufsbewegungen aller mehrfachen Sterne in gewissen
Sternhaufen in nahezu parallelen Ebenen vor sich gehen, und daß
die Rotationsachsen' dieser Sterne auch näherungsweise einander
parallel gerichtet sind. Lichtänderungen, ähnlich denen des Algol
durch Verdeckung oder infolge ungleicher Lichtstrahlung verschiedener
Seiten der Sterne würden dann einem Beobachter nur in bestimmter
Stellung dort bemerkbar werden, in andern nicht, und dadurch könnte
man vielleicht die Tatsache erklären, daß einige Sternhaufen viele
Veränderliche aufweisen, andre ebenso reiche Haufen dagegen nur
wenige oder gar keine. Allein die Veränderlichen in den Sternhaufen
zeigen keinen Lichtwechsel, der demjenigen der Algolsterne typisch
112 Fixsterne.
gleicht, die Gestalt ihrer Lichtkurven verbietet diese Annahme durch-
aus. Aber auch eine andre Erklärung ist nicht leicht zu begründen,
und so muß die Deutung der wunderbaren Erscheinung zahlreicher
Veränderlichen in gewissen Sternhaufen der Zukunft überlassen
bleiben.
Ein neuer Katalog: der veränderlichen Sterne. Die
Anzahl der Fixsterne, bei denen eine periodische Änderung ihrer
Helligkeit nachweisbar ist, wächst in neuerer Zeit rasch, und das Be-
dürfnis eines möglichst umfassenden und zuverlässigen Verzeichnisses
derselben wird immer dringender. Von Seiten der Astronomischen
(Gesellschaft sind auch Schritte getan, um durch eine besondere
Kommission von Astronomen, die auf diesem Qebiete vorzugsweise
bewandert sind, einen neuen, umfassenden und kritisch bearbeiteten
Katalog der Veränderlichen herstellen zu lassen. Diese Arbeit er-
fordert naturgemäß eine geraume Zeit Mittlerweile ist auf der
Sternwarte des Harvard - College zu Cambridge (N.-A.) ein vor-
läufiger Katalog der Veränderlichen hergestellt worden, der in
Band XIjVIII Nr. III der Annalen dieser Sternwarte publiziert wurde.
Derselbe ist nicht absolut vollständig, enthält aber doch nicht weniger
als 1227 Veränderliche, von denen 694 auf dem Harvardobser-
vatorium und 509 darunter in kugelförmigen Sternhaufen von Prof.
Bailey, 166 von Madame Fleming (hauptsächlich durch die An-
wesenheit von hellen Wasserstofflinien in Spektren des 3. Typus)
entdeckt wurden.
Eine voUständige Bibliographie der Veränderlichen wurde von
Prot W. M. Reed begonnen und von Miss A. J. Cannon seit Sep-
tember 1900 fortgesetzt; sie umfaßt zurzeit nicht weniger als 34000
Nummern, und aus ihr hat jetzt Miss Cannon den in Rede stehenden
Katalog zusammengestellt Er soll zunächst nur ein vorläufiger sein,
denn ein solches Unternehmen birgt notwendig mannigfache Irrtümer;
für später ist ein endgültiger Katalog mit den erforderlichen biblio-
graphischen Nachweisen in Aussicht genommen. Das jetzt vorliegende
Verzeichnis ist jedenfalls eine überaus wichtige Arbeit, die auch dem
von der Astronomischen Gesellschaft eingesetzten Komitee manches
neue Material bieten wird. Da sie anderseits nur einem beschränkten
Kreise zu Oesicht kommen dürfte, so ist es angezeigt, an dieser
Stelle einen für die Freunde astronomischer Beobachtung berechneten
Auszug aus diesem Verzeichnisse zu geben. Derselbe ist im folgenden
enthalten und gibt sämtliche Veränderliche des Originalkatalogs,
jedoch mit Fortlassung einiger Angaben über die Bezeichnungen und
die Epochen des Lichtwechsels sowie der Spektralklassen der Sterne.
Die Maxima und Minima der Helligkeit sind in optischen Größen-
klassen ausgedrückt, außer bei den photographisch als veränderlich
erkannten Sternen, wobei photographische Größenklassen gegeben und
diese durch liegende Ziffern angedeutet sind.
Fizttenitt.
118
Name
R. A. 1900
Des. 1900
Max.
Min.
Periode
Jahr der
Bnt-
deoknng
Entdecker
VSculptoris.
S Sculptoris .
XAndromedae
TCeti . . .
T Andromedae
T Casalopejae
S Tucanae .
R Andromedae
SGeti . . .
B Gassiopejae
47 Tucanae .
T Seulptoria .
RR Sculptoris
TPhoenicis .
T PiBcium .
W Sculptoris
Y Cephei . .
a Caasiopejae
Z Sculptoris .
8 Andromedae
TJ Gassiopejae
—Cephei ,
Y Andromedae
X Sculptoris
RR Andromedae
W Camiopejae
TJGephei. .
— Tueanae .
— Tucanae .
U Sculptoris.
C Andromedae
8 Caasiopejae
SPiscium .
UPiscium .
R Sculptoris.
RPisdum
Y Andromedae
X Caasiopejae
UPersei . .
VPersei . .
SArietis . .
H Arietis . .
-Hydri. . .
W Andromedae
-Persei . .
TPersei . .
•Ceti . . .
SPersei . .
RCeti . . .
SHorologii .
R Fornacis .
-Hydrl. .
A Eridani
UCeü. . .
RTrianguU .
"~- Caasiopejae
-Persei . .
— Ceti . .
— Fornacis .
3.6
10.3
10.8
16.7
17.2
17.8
18.4
18.8
19.0
19.2
19.6
24.8
24.5
26.6
26.8
28.2
31.3
34.8
85.0
37.2
40.8
42.0
44.6
44.7
45.9
49.0
53.4
54.2
58.9
6.8
9.8
12.3
12.4
17.7
22.4
25.5
33.7
49.8
62.9
65.1
59.3
10.4
10.4
11.2
12.0
12.2
14 3
15.7
20.9
22.4
24.8
26.3
27.4
28.9
31.0
82.8
33.6
87.4
40.0
—39 47
—32 36
4-46 27
—20 37
+26 26
+56 14
—62 14
+38 1
— 9 53
+63 36
—72 38
—38 28
-88 36
—46 68
+14 3
—33 26
+79 48
+55 59
—34 30
+40 48
+47 43
+81 26
+35 6
—85 28
+33 50
+58 1
+81 20
—75 32
—71 28
—30 39
+40 11
+72 5
+ 8 24
+12 21
—33 4
+ 2 22
+38 50
+58 46
+54 20
+66 15
+12 3
+24 35
—71 57
+43 50
+66 41
+68 30
— 3 26
+68 8
— 0 38
—60 1
—26 32
—69 58
—41 54
—13 35
+83 50
+59 10
+41 46
—23 2
—82 8
8.5
6.6
8
6.1
8.0
7.2
8.7
6.0
7.9
>1
8.6
9
9.0
9.5
8
9
2.2
6
7
8.0
8.4
9
10
8.3
7.0
9.2
9.0
8.9
7.6
8.2
9.4
6.2
8
9
9.8
9.0
9.2
9.1
8
9.6
8
8.4
1.7
8.0
7.8
9.8
8.5
7.8
9
7.3
7.3
9.4
7.7
12.0
12.6
7.0
12.6
11.9
<11.S
<13.0
13.6
?
11.4
<11
<12
11.0
12
2.8
8
<15
<^5
<14
<13
<11
12.1
9.2
IS.O
<13V
<18
14.4
<14.7
14.7
8.8
13.6
<12
12
11.6
<:i6.2
14?
18.7
lOU^
14.0
8.8
9.5
10.3
13.5
12.6
<10
8.8
<n
12.7
11^
12
8.6
295
366
Irr.
281
445
240
410.7 +
320.2
201.6
Irr.
836
Irr.
276.0
263
260?
404?
2.6 +
258
828.0
856
609.6 +
404.3
172.7
376.4
344.1 +
217.9
380?
320
292.2
186.6 +
Irr.
881.6 +
838
167.0
838
386
236.8
268
8.0 +
1896
1894
1900
1881
1893
1870
1895
1868
1872
1672
1894
1895
1897
1897
1856
1896
1900
1831
1896
1886
1887
1882
1896
1896
1901
1894
1880
1898
1895
1896
1895
1861
1851
1880
1872
1850
1900
1895
1890
1890
1865
1858
1901
1899
1898
1882
1596
1874
1866
1896
1896
1901
1902
1886
1890
1902
1902
1901
1897
KUia, Jahrbuoh XIY.
Fleming
Fleming
Anderson
Chandler
Anderson
Erueger
Fleming
(Bonn)
Borrelly
R
Bailey
(Cordoba)
Innes
Fleming
Luther
(Cordoba)
L. CSeraski
Birt
(Cordoba)
Hartwig
Espin
R
Anderson
West
Anderson
Espin
W. Ceraski
Fleming
Bailey
(Cordoba)
Anderson
(Bonn)
Hind
Peters
Gould
Hind
Anderson
Espin
Fleming
Fleming
Peters
(Bonn)
Fleming
Anderson
Bailey
Safarik
Fabridus
Krueger
Argelander
Fleming
(Cordoba)
Fleming
R
Sawyer
Fleming
R
WiUiams
Fleming
(Cape)
114
Fixstenie.
Jahr der
Name
R.A.1900
Des. liNW
Max.
Min.
Periode
Ent-
deckung
Entdecker
h m
o r
d
— Horologii
2 41.2
—64 44
91
10.4
—
1901
Fleming
TArieÜs . . .
42.8
4-17 6
+66 84
7.9
9.7
818
1870
Auwers
W Persei .
48.2
7.9
10.6
Irr.
1898
Espin
-— Foinacis
47.6
—29 64
—
—
—
R
(Cape)
R Horologii
60.6
—60 18
6.9
11.8
406.0
1892
Fleming
T Horologii
67.7
—61 2
8.6
11.6?
218.2
1896
Eapteyxi
(f Persei .
58.8
4-88 27
3.4
4.2
Irr.
1864
Schmidt
^Peraei
3 1.7
--40 84
2.1
8.2
2.8 4-
1669
Montanari
UArietis
6.6
- -14 26
7.0
<"
361
1892
Schaeberle
XGeti .
14.3
— 1 26
99
18.8
182
1896
Wells
— Ceti.
17.6
—30 24
9.8
9.9
—
1897
(Cape)
T Persei
20.9
4-48 60
8
10
236?
1901
WUliams
R Persei
28.7
--86 20
7.7
18.6
210.1
1861
Schönfeld
Nova Persei
24.4
-1-48 84
00
<13
—
1901
Anderson
T Fomacis
26.4
-28 46
8
10
—
1902
R
— Persei .
26.6
4-46 44
6.4
6.7
—
1901
Deichmüller
— Tauri .
27.7
--28 10
13
<16
—
1901
WoU
U Camelop.
33.2
--62 19
10,8
12^
Irr.
1891
Fleming
— Persei .
34.1
-1-61 11
7.6
8.9
—
1896
Espin
— Reticuli
86.2
—66 48
8.0
8.9
—
1898
Fleming
S Fomaois
41.9
—24 42
5
9
—
1899
Abetti
UEridani
46.2
-26 16
8.6
<11.4
—
1896
(Cordoba)
— Eridani
46.4
— 1 41
8.8
9.2
—
1901
Fleming
X Tauri .
47.8
-t- 7 29
4-30 46
6.6
8.1
Irr.
1876
Gould
X Persei .
49.1
6
7
R
1898
M. u. Kempf
T Eridani
61.0
—24 20
7.6
11.7
262
1896
;i Tauri .
66.1
4-12 12
8.8
4.2
8.9 4-
1848
Baxendell
— Eridani
69.8
—22 28
—
1889
Kaptejm
V Eridani
69.8
—16 0
8.4
9.3
—
1898
Fleming
W Eridani
4 7.8
-26 24
8J
<12.6
869
1898
Fleming
— Persei .
9.1
-60 22
—
—
—
—
R
T Tauri .
16.2
-19 18
9.2
<13.6
Irr.
1862
Hind
W Tauri .
22.2
-16 49
8.0
12.2
Irr.
1886
Espin
R Tauri .
22.8
- 9 66
8
14
826
1849
Hind
— Per sei .
22.8
-39 38
—
.—
1898
Espin
S Tauri .
28.7
- 9 44
9.6
14.6
876.6
1866
Oudemans
T Camelop.
80.4
-66 67
7.0
<12
870
1891
Espin
R Reticuli
82.6
—68 14
7
12.0
278.4
1867
Ragoonath.
R Doradus
86.6
—62 16
4.8
6.8
346.0
1874
Gould
R Caeli .
87.0
—88 26
69
14.1
398.0
1890
Fleming
— Camelop.
40.8
4-68 0
—
—
—
1902
Backhouse
R Pictoris
43.6
—49 26
7,7
10 0
160.0
1896
Fleming
— Tauri .
46.2
4-28 21
4-17 22
—
—
—
—
R
V Tauri .
46.2
8.3
<18.6
170.1
1871
Auwers
ü Leporis
62.0
—21 23
9
10
R
1890
(Cape)
ROrionis
68.6
-f- 7 69
-HS 40
8.7
18.6
880.0
1848
Hind
e Aurigae .
64.8
—
—
Irr.
—
R
R Leporis
66.0
—14 67
6
8?
486.1
1866
Schmidt
W (Monis
5 0.2
4-1 2
6
7
Irr.
1894
R
T Leporis
0.6
—22 2
8,2
11.6
366
1896
Fleming
VOrionis
0.8
-f 3 68
8.4
<18
266?
1887
Boß
8 Pictoris
8.8
—48 38
8.4
<13 8
4286
1896
Fleming
R Aurigae
9.2
-f-63 28
6.8
13.8
4602
1862
(Bonn)
— Pictoris
12.8
-!-47. 2
8.4
<11,7
—
1898
Fleming
T Columbae
16.6
—88 49
7.6
11.8
226.0
1896
Fleming
8 Doradus
18.9
—69 21
8.2
9.8
—
1897
Fleming
W Aurigae
20.1
-f-36 49
8.7
16
294?
1898
L.Ceraski
— Leporis .
20.1
—24 37
—
—
—
1897
Bailey
8 Aurigae
20.6
H
-84 4
9.4
<14.6
Irr.
1881
Dun6r
Fiutenie.
115
Jahr der
Name
RA. 1900
Des. 1900
Max.
Min.
Periode
Ent-
deokung
Entdecker
h m
O 1
d
•
Y Aurigae . .
5 21.5
442 21
8
10
0.7 -f-
1901
Williams
S OrioniB .
24.1
— 4 46
8.8
13.0
418
1870
Webb
— Orionis
24.6
— 8 7
166
16.6
—
1901
Wolf
T Aurigae
25.6
4-30 22
4.5
<15
— .
1892
Anderson
— Orionis
28.8
~ 4 44
14.6
15.0
—
1901
Wolf
S. Camelop.
30.2
4-68 46
8.8
12
818
1891
Espin
— Orionis
30.5
— 6 6
14,5
15.5
—
1901
Wolf
— Orionis
80.6
— 6 5
IS.O
14.0
—
1901
Wolf
T Orionis . .
30.9
— 5 32
9.7
18
Irr.
1863
Bond
— Orionis
31.0
— 6 1
14.6
16.0
—
1901
Wolf
— Orionis
31.8
— 6 16
13.0
17.0
1901
Wolf
RKTauri
33.8
-f26 19
9
<12
—
1900
L Ceraski
— Leporis
83.3
—24 28
—
—
1897
(Cape)
— Orionis
84.7
— 8 28
13.0
15.0
—
1901
Wolf
— Orionis
35.4
— 5 27
14.6
16.5
—
1901
Wolf
UAnrigae
35.6
-31 59
8.6
12
407
1891
Espin
— Tanri .
39.1
-24 23
—
1902
Backhouse
YTauri . ,
39.7
-20 89
6
8
.^
1887
R
— Aurigae
41.7
-30 36
—
—
—
1902
Backhouse
— Orionis
42.6
— 6 14
—
—
—
1901
Wolf
8 Columbae
43.2
—31 44
9.0
<12.0
825.6
1896
(Cordoba)
— Orionis
43.3
— 5 43
14,6
15.0
—
1901
Wolf
— Tauri .
46.1
-1-15 51
-fl6 46
9
10
1908
R
ZTauri .
46.7
9
<11
840
1900
Anderson
R Colmnbae
46.7
—29 18
7.6
<12.3
388
1898
Fleming
— Tauri .
47.3
-16 42
10
12
294
1908
R
y Camelop.
49.4
-74 30
8
<14
—
1902
(Greenwich)
a Orionis.
49.8
- 7 23
1
1.4
Irr.
1840
J. Hersohel
U Orionis
49 9
-20 10
5.8
12.3
376
1886
Gore
— Aurigae
637
-53 18
9
11
1908
Anderson
R OctanÜs
56.8
—86 26
7.3
^ 12.2
330.0
1892
Fleming
8 Leporis .
6 1.6
-24 11
6.7
7.5
Irr.
1891
Sawyer
X Aurigae
4.4
-60 14
8
11
881
1900
Anderson
— Oeminorum .
4.7
-26 8
7.4
8.2
Irr.
1897
Backhouse
— Geminorum .
6.8
-21 64
6.7
79
Irr.
1897
Backhouse
11 Geminorum .
8.8
-22 32
3.2
4.2
281.4
1866
Schmidt
— Columbae
11.2
—33 2
9.2
10.0
—
1889
Eapteyn
V Aurigae . .
16.5
^-47 45
8.6
<11.5
389.4
1898
Espin
VMonooerotlB .
17.7
-2 9
7.4
<12.9
832.0
1883
Bchönfeld
TMonoceroÜs .
19.8
4-7 8
4-19 8
5.7
6.8
27.04-
1871
Gould
— Geminorum .
20.3
8.8
9.6
—
1896
Espin
ZMonooerotis .
28.0
— 8 48
9.0
<10.1
—
1898
Fleming
W Geminorum .
29.2
-16 24
6.7
7.5
7.7 +
1896
Sawyer
RMonoeerotis .
33.7
- 8 49
9.6
13
Irr.
1861
Schmidt
SMonocerotis .
35.5
- 9 59
4.9
6.4
1867
Winnecke
SLjncis . . .
35.9
-68 0
9.4
14
298?
1898
Anderson
X Geminorum .
40.7
-80 28
8
12
264
1897
Anderson
W Monocerotis .
47.5
— 7 2
8.8
<10
262.6
1887
Espin
— CanisMaJoris
60 6
—24 8
8.7
9.3
—
1898
Innes
TMonooerotis .
51.3
-fll 22
8
<Ji
—
1900
L. Ceraski
X Monocerotis .
52.4
— 8 66
8.3
<:ii.7
—
1898
Fleming
RLjnois . . .
53.0
-56 28
7.2
13.6
880.0
1870
Krueger
— Monocerotis .
63.0
- 6 18
__
^
—
1902
L. Ceraski
C Geminorum .
58.8
-20 43
3.8
4.3
10.1-4-
870.2-1-
1847
Schmidt
R Geminorum .
7 1.8
-22 62
66
18.8
1848
Hind
y Canis Minorls
1.6
- 9 1
8.8
<13.7
364
1896
Fleming
— Puppis . .
1.7
—86 47
8.0
8.6
-i-
1901
Fleming
R Canis Minorls
8.2
+10 11
7.2
10.0
887.7
1856
(Bonn)
— CanisMaJ<
>ris
8.4
-11 46
8.0
10.0
—
1901
Fleming
8»
116
Fixstane.
Jahr der
Name
R.A.im
I>w. IMO
Max.
IClii.
Periode
Bat-
dednms:
Enfdeeker
h m
o
d
SCanisMaJorit
7 6.7
—82 46
9
10
—
1897
(Gape)
RVolantiB . .
7 4
-72 61
8
<io
—
1899
(Gape)
L« Puppis . .
10.6
—44 29
3.4
6.2
140.1 +
1872
Gould
RCanlBMaJoriB
14.9
—16 12
6.7
6.3
1.1 +
1887
8awyer
VGeminonmi .
17.6
+13 17
8.2
14 6
276
1880
Bazendell
— Lyncis . .
20.9
+46 10
7,8
8.4
—
1901
Fleming
— Monooerotis .
22.4
-11 31
10.0
10.7
—
1898
Fleming
ÜMonooerotis .
26.0
— 9 34
6.7
7.6
Irr.
1873
Gould
8 CaniH Minoris
27.8
+ 8 82
7.2
12 2
830.3 +
1866
Hind
Z Puppis . . .
28.3
—20 27
7.6
11.1
603
1897
Perry
TCaniaMinoriB
28.4
+11 68
9
<13.6
322.7
1866
Schönfeld
X Puppte . . .
28.4
-20 42
8
9.6
R
1889
Eapteyn
SVolanÜs . .
31.4
•73 10
9.1
<13
400 +
1900
Innes
— Geminorum .
36.3
+20 39
—
—
1902
L. Geraski
ü Canis Minoris
36.9
+ 8 37
8.6
13.6
410
1879
Baxendell
8 Oeminorum .
37.0
+23 41
8.2
14.6
294
1848
Hind
W Puppte . .
42.6
—41 67
8.8
12.6
120.8
1896
Fleming
T Oeminorum .
43.3
+28 69
8.1
<18.6
288.1
1848
Hind
—Cante Minorte
43.4
+ 6 40
9.8
11.S
—
1896
Fleming
RR Puppis . .
43.6
—41 8
10.0
11.0
6.4 +
1899
(Gape)
8 Puppte . . .
43.8
—47 62
7.2
9
—
1873
Gould
— Puppte . .
46.0
—42 16
7.8
8.6
R
1899
Roberte
U Geminorum .
49.2
+22 16
8.9
14
Irr.
1866
Hind
— Puppte . .
49.2
—23 66
7.9
9.8
—
1889
Kapteyn
V Puppis . . .
66.4
—48 68
4.1
4.8
1.4 +
1886
Williams
ü Puppte . . .
66.1
-12 34
8.6
<u
316
1881
Pickering
RT Puppte . .
8 1.7
—88 29
8.9
<:io.6
—
1898
Weite
Rü Puppte . .
8.2
—22 87
9.4
11.6
—
1898
Weite
Y Puppte . . .
8.8
—34 60
8.8
9.2
Irr.
1896
(Gordoba)
RS Puppte . .
9.2
—84 17
7.0
8.6
41.2 +
1897
(Cape)
ROanori . . .
11.0
+12 2
6
11.6
862.8 +
1829
Schwerd
— Hydrae . .
14.9
+ 8 6
-.
—
—
1896
Backhouse
YCancri . . .
16.0
+17 36
7.6
12.8
272.1
1870
Auwers
— Hydrae . .
19.6
- 8 11
7.4
8.8
—
1901
Fleming
RChamaeleon .
24.0
—76 2
8.9
12.8
—
1901
Fleming
RT Hydrae . .
24.7
— 6 69
8.0
10.1
—
1898
Fleming
V Garinae . .
267
—69 47
7.4
8.1
6.6 +
1892
Roberte
X Garinae . .
29.1
—68 63
7.9
8.7
0.6 +
1892
Roberte
UGancri . . .
30.0
+19 14
8.4
<14
806.0
1868
Ghacomac
— ürsaeMaJorte
33.9
+60 29
—
—
1898
Fleming
T Velorum . .
34.4
-47 1
7.6
8.6
4.6 +
1892
Roberto
RV Hydrae . .
34.9
— 9 14
7.7
9.0
—
1901
Fleming
SGanori . . .
38.2
+19 24
8.0
10.2
9.4 +
1848
Hind
RPyxidte . .
41.3
—27 60
8.0
<11
866?
1890
Holetochek
8 Hydrae . .
48.4
+ 8 27
7.6
12.2
267.0
1848
Hind
X Gancri . . .
49.8
+17 87
6
8
—
—
—
T Hydrae . .
60.8
— 8 46
7.2
13.1
288.8
1861
Hind
T Gancri . . .
61.0
+20 14
8.0
10.6
482
1860
Hind
8Pyxldte . .
9 0.7
—24 41
8.9
11.1
218?
1896
(O>rdoba)
VUrsaeMaJoris
1.1
+61 81
—
—
—
1901
Anderson
W Ganori . .
4.0
+26 89
9.1
<13Jf
881?
1896
Fleming
— Pyzidte . .
4.9
—28 86
9.0
9.8
R
1898
Innes
RU Garinae . .
1S.4
—66 49
1C.9
12.1
—
1898
Fleming
RW Garinae
18.2
—68 20
..^
^
1901
Fleming
V Velorum . .
19.2
-^66 82
7.6
8.2
4.3 +
1892
Roberto
— Velorum . .
24.4
—48 26
9.6
<,1S.6
— '
1902
Fleming
T Velorum . .
26.7
—61 46
8.6
<1«
R
1901
Innes
SAnÜibe. . .
27.9
-28 11
6.8
6.8
0.3 +
1888
Paul
N Velorum . .
2S.2
—66 36
—
—
1871
Gtoaid
Fixatene.
117
Jahr der
Name
R.A.1900
Des. IWa
Max.
Min.
Periode
Ent-
deckung
Entdecker
h m
0 1
sa==
d
S Velomm . .
9 29.4
—44 46
7.8
9.3
6.9 +
1894
Woods
U Telorum . .
29.6
—46 4
8.2
8.6
Irr.
1895
Roberts
TAnÜiae. . .
29.7
—36 10
8.7
9.6
—
1897
(Cape)
Gould
R Carinae • .
29.7
—62 21
45
10.0
309.7 +
1871
XHydrae . .
30.7
—14 16
8.4
11.8
296
1894
Skinner
— Draconls . .
31.1
+78 18
+66 26
9.5
13
—
1903
L. Ceraski
— UrsaeMaJoris
86.7
7.9
8.6
0.1 +
1903
M. und K.
RSextantis . .
37.8
— 7 89
9.6
10.6
Irr.
1895
Wells
RLeonisMinoris
39.6
+34 68
7.6
12.9
370.5 +
1863
»chönfeld
RRHydrae . .
40.4
—23 34
8
<12
360
1898
(Cape)
RLeouis . . .
42.2
+11 64
4.6
10.5
812.8
1782
Koch
1 Carinae . . .
42.6
—62 3
3.6
6.0
85.5 +
1871
Gould
Y Hydrae . .
46.4
—22 33
7.6
10.1
—
1896
Wells
Z Yelorum . .
49.4
—63 42
9.3
R
360 +
1901
Innes
— Hydrae . .
60.9
—19 13
—
—
—
1889
Kapteyn
X Yelorum . .
61.4
—41 7
—
—
—
1901
Wells
V Leonis . . .
64.6
+21 44
8.6
<13.6
273.7
1882
Becker
RR Carinae . .
64.8
—68 23
8.0
101
365.0
1894
Fleming
RV Carinae . .
66.6
—63 26
9
<11
—
1899
Innes
RAnüiae . .
10 6.4
—37 14
7.2
7.8
Irr.?
1872
Gould
S Carinae . .
6.2
-61 4
6.8
90
148.7
1871
Gould
V ürsae Majoris
8.2
+60 29
7.0
8.7
—
1898
Fleming
Z Carinae . .
10.4
—68 21 *
8.8
13.4
394.0
1894
Fleming
W Velorum . .
11.6
—63 69
8.8
<11.4
186.8
1896
Kapteyn
RR Velorum
17.8
—41 61
10.0
10.9
1.8 +
1901
Innes
U Leonis . . .
18.7
+14 31
—
—
1876
Peters
Y Carinae . .
29.4
—57 69
8.1
8.6
3.6 +
1893
Roberts
üAntUae . .
80.8
—39 3
—
—
—
1901
WeUs
U Hydrae . .
32.6
—12 62
4.6
6.3
Irr.
1871
Gould
— Carinae . .
32.7
-70 11
8.8
<13.2
—
1902
Fleming
RX Carinae
38.2
—61 48
10.0
<12.6
—
1901
Piokering
R Ursae Majorig
37.6
+69 18
6.9
13.3
802.1 +
1853
Pogson
RT Carinae . .
40.9
—68 64
98
10.7
—
1898
Wells
11 Carinae
41.2
—69 10
>1
7.4
Irr.
1827
Burohell
RS Hydrae
46 6
—28 6
8
<11
339
1897
(Cape)
V Hydrae
46.8
—20 43
6.7
9.6
676
1888
Chandler
WLeoniB.
48.4
+14 16
9
<U
394.8?
1880
Peters
T Carinae
61.3
—69 64
6.7
7.0
—
1877
Gould
U Carinae
63 7
—69 12
6.8
8.0
88.7 +
1891
Roberts
RCraterifi
66.6
—17 47
>8
<9
—
1861
Winnecke
RW Centaurj
11 2.9
—64 36
—
1901
Wells
RS Carinae
3.9
-61 24
8
<i4
—
1895
Fleming
SLeoniB .
6.7
+ 60
9.0
<13
190.0 +
1856
Chacomac
RY Carinae
16.8
—61 19
10
<12
—
1901
Innes
RSCentauri
16.1
—61 20
9.2
<12.9
162
1896
Fleming
TLeonia .
33.3
+ 3 66
+72 49
—
—
—
1866
Peters
— Draoonia
89.8
9.9
12.4
1.3 +
1903
L, Ceraski
Z Hydrae
42.6
—32 43
9.2
10.0
62.5
1898
(Cape)
X Centauri
44 2
-41 12
7.3
13.0
313.9
1895
Fleming
W Centauri
60.0
—68 42
8.6
13.1
204.8
1896
Fleming
X Virginia
66.7
+ 9 38
--19 20
8
12
.—
1871
Peters
RCom. Beren. .
69.1
8
<H
361.8
1856
Schönfeld
RXVirglnlii. .
69.6
— 6 13
7.2
8.8
— -
1898
Fleming
RW Virginia .
12 2.1
— 6 12
7.1
8.3
. —
1898
Fleming
RU Centauri
4.2
—44 62
9
10
—
1897
(Cape)
BMuscae. . .
7.4
-69 86
6.4
7.3
9.6 +
1891
Roberts
T Virginia . .
9.6
— 6 29
8.7
13.6
S89.5
1849
Boguslawski
RCorvi . , .
14.4
—18 42
7.7
11.6
818.6
1867
Karlinski
— Virginia
> .
16.2
— 8 27
9.2
9.8
—
1901
Fleming
118
Fixsterne.
Jahr der
Name
R. A. 1900
Des. 1900
Max.
Min.
Periode
Ent-
deekung
Entdecker
h m
o ,
d
TCnicis . . .
12 15.9
—61 44
6.8
7.6
6.7 +
1896
Roberts
ROniois . . .
18.1
—61 4
6.8
7.9
6.8 +
1891
Roberta
S Centauri . .
19.2
-48 53
7
?
1889
Pickering:
— Virginia . .
20.1
4- 1 19
—
—
—
—
—
TCan.Venat. .
25.2
+32 3
8.6
12
281
1897
Anderson
üOrucia . . .
26.8
-57 2
10.8
<18.2
865?
1896
Fleming
ü Centauri . .
28.0
—54 6
8.7
12.6
216.8
1894
Fleming
Y Virginia . .
28.7
— 3 52
8.6
13.4
218.8
1874
Henry
T üraae Majoris
31.8
-1-60 2
6.4
13.1
257.2 +
1860
(Bonn)
R Virginia . .
33.4
-h 7 32
6.4
12.1
146.4 +
1809
Harding
— Centauri . .
35.5
—34 1
—
—
-.
1897
(Cape)
R Muaoae . . .
36.0
—68 52
6.6
7.6
0.8 +
1871
Gould
S Uraae Majoria
39.6
+61 38
7.3
12.5
226.1 +
1868
Pogson
RU Virginia. .
42.2
+ 4 42
8
12
466
1897
Roy
ü Virginia . .
46.0
+ 66
7.7
12.8
207.0
1831'
Harding
SCrucia . . .
48.4
—57 53
6.6
7.6
4.6 +
1891
Roberta
— Crucia . . .
50.7
—57 21
10,4
13.6
1902
Fleming
RT Virginia. .
57.6
+ 5 43
8.8
9,7
—
1896
Fleming
RV Virginia. .
13 2.7
—12 88
10
<14
1900
Schwaßman
— Centauri . .
6.8
—56 28
—
^^
1901
Wells
S Can. Venat. .
8.5
+37 54
7.3
9
R
— Virginia . .
8.9
— 2 16
—
—
—
1901
Fleming
UOctantia . .
12.3
—83 42
7.7
10.3
—
1900
(Cape)
— Centauri . .
15.1
—61 3
10.6
11,8
—
1898
Fleming
» Centauri . .
20.8
—46 57
—
—
—
1897
BaUey
W Virginia . .
20.9
— 2 52
8.7
10.4
17.2 +
1866
Schönfeld
V Virginia . .
22.6
— 2 39
8.0
<13
250.6
1867
Goldaohmidt
R Hydrae . .
24.2
—22 46
3.6
9.7
425.1 +
1670
Montanari
— Cliamaeleon.
24.6
—77 3
—
—
—
1901
Fleming
S Virginia . .
27.8
— 6 41
6.6
12.3
376.4 +
1852
Hind
RV Centauri
31.1
—55 58
9.0
<12,6
—
1897
Fleming
Z Centauri . .
34.3
—81 8
7
<16.5
—
1896
Fleming
T Centauri . .
36.0
—33 6
6.4
7.7
90.4
1894
Markwick
RY Virginia. .
36.3
—18 38
—
—
—
1901
Wells
— Can. Venat. .
37.6
+28 58
—
—
—
1896
BaUey
RT Centauri
42.5
—36 22
8.8
11.3
249.2
1896
Innes
WHydrae . .
43.4
—27 52
6.7
8.0
884
1889
Sawyer
R Can. Venat .
44.6
+40 2
6.1
11.5
388
1888
Eapin
RX Centauri
45.6
—86 27
9
<12
—
1902
R
T Apodia . . .
46.1
-77 18
8.6
<13
—
1900
Innes
^ Apodia .
55.6
—76 19
6.6
6.6
—
—
Gk>uld
RR Virginia
59.6
— 8 43
11
<14
217
1880
Peters
Zßootia .
14 1.7
+18 58
10,0
13.0
—
1898
Wells
Z Virginia
5.0
—12 50
9
15
806.6
1880
Pfliiaa
RU Hydrae
5.8
—28 26
8
<13
346?
1898
(Cape)
R Centauri
9.4
—59 27
5.6
11.8?
669.0
1871
Qould
TBootia .
9.4
+19 32
9.7
<14
—
1860
Baxendell
RR Centauri
9.9
—57 28
7.4
7.8
0.8 +
1896
Roberts
T Lupi .
15.7
—49 24
9.2
11.2
1896
Wells
— Lupi . ,
16.9
—47 4
—
—
—
1901
YBootia .
17.4
+20 16
8.0
8.6
2.6?
1894
Parkhurst
XBootifl .
19.4
+16 46
9.0
10.2
121.6
1859
Baxendell
SBootia .
19.5
+54 16
8.0
18.5
268.2 +
1860
(Bonn)
— Bootia .
19.7
+26 10
7
8?
R
1893
Hartwig
RS Virginia
22.3
+ 58
8.1
<12.8
864
1892
Fleming
R Camelop.
25.1
+84 17
7.9
13.7
267.6 +
1858
Henoke
Y Centauri
25.1
—29 89
7.7
8.8
—
1895
Fleming
V Centauri
25.4
—66 27
6.4
7.8
6.4 +
1894
Roberts
V Bootia .
25.7
+39 18
6.9
10.6
266
1884
Dun6r
Fizsteme.
IIÖ
Jahr der
Name
R.A.1900
Dei. 1900
Max.
Min.
Perlod«
Ent-
deckung
Entdecker
h m
o ,
d
RVUbrae . .
14 30.2
—17 36
8.3
9.6
1898
Leland
RBootis . . .
32.8
+27 10
6.8
12.9
223.4 +
1868
(Bonn)
y Ubrae . . .
34.8
—17 14
9.3
12.2
256
1882
Schönfeld
W BootiB . . .
39.0
+26 67
6.2
6.1
Irr.
1867
Schmidt
RApodis. . .
46.6
—76 15
6.5
6.2
—
1873
Gould
SLupi. . . .
46.7
—46 12
9,6
13.1
346.0
1894
Fleming
ÜBootis . . .
49.7
+18 6
9.1
13.6
176.7
1880
Bazendell
VLupi . . .
52.6
—53 0
—
—
—
1901
Fleming
dUbrae . . .
66.6
— 8 7
5.0
6.2
2.3 +
1869
Schmidt
8 ApodiB . . .
69.4
—71 40
8.6
<11.3
298.0
1896
Fleming
T Triang. Aust .
15 0.4
—68 20
6.9
7.4
0.9 +
1879
Gould
RT Librae . .
0.8
—18 21
8.6
<117
295?
1896
Skinner
— Triang. Aust
4.8
—69 42
9.1
9.8
—
1898
Wells
T Librae . . .
6.0
—19 38
10
<16
238
1878
PallRR
Y Librae . . .
6.4
— 6 38
8.2
12
272?
1887
Bauschinger
• Librae . . .
6.6
—19 26
4.3
5.0
—
1896
Pickering
WLupi . . .
8.6
-60 26
10.6
<13A
—
1901
Pickering
R Triang. Aust
10.8
—66 8
6.7
7.4
3.3 +
1871
Gould
— Librae . .
13.6
+ 2 27
—
—
^
1896
Bailey
U Cor. Borealifl
14.1
+32 1
7.6
8.7
8.4 +
1869
Winnecke
8 Librae . . .
16.6
—20 2
7.6
<13
192.1
1872
Borrelly
8 8erpenti8 . .
17.0
+14 40
7.8
12.5
365.4 +
1828
Harding
8 Cor. Borealis .
17.3
+31 44
6.7
12.3
360.8
1860
Hencke
RS Librae . .
18.6
—22 33
8.4
<11.0
221
1892
Fleming
R Gircini . . .
20.0
-67 22
—
—
__
1901
Fleming
NoTa Normae .
22.2
-60 14
7
13
.—
1893
Fleming
RU Librae . .
27.7
—14 69
8.6
<12.3
320?
1895
Fleming
R Normae . .
28.8
—49 10
7
11
610
1879
Gould
X Librae . . .
30.4
-20 60
9.6
14
163.6
1878
Peters
W Librae . .
32.2
—16 61
9.8
16
206
1878
Peters
8 Ursae Minoris
33.4
+78 68
8.4
11.4
328
1895
Fleming
U Normae . .
34.6
—54 59
8.8
10.4
12.7 +
1899
(Cape)
U Librae . . .
36.2
—20 62
9
<W
226.2
1878
Peters
T Normae . .
36.4
—64 40
7.0
<11.4
244.0
1899
Innes
— Lupi . . .
39.6
—37 26
—
—
1897
Bailey
Z Librae . . .
40.7
—20 49
11
<18
296
1879
Peters
R Cor. Borealls
44.4
+28 28
6.6
10.1
Irr.
1796
Pigott,
V Cor. Borealis
46.0
+39 52
7.2
12.0
356.6
1878
Dun6r
RSerpentis . .
46.1
+16 26
5.6
13
367.0 +
1826
Harding
RLupi . • .
47.0
—36 0
9.0
<12?
234.6
1884
Gould
R Librae . . .
47.9
—16 66
9.2
<13
R
1858
Pogson
RRUbrae . .
60.6
—18 1
8.4
14
277.0
1885
Peters
8 Triang. Aust .
62.2
—63 30
6.4
7.4
6.3 +
1879
Gould
ÜLupi . . .
64.6
—29 38
9.1
10.7
608?
1898
(Cape)
T Gor. Borealifl
66.3
+26 12
2.0
9.5
—
1866
Birmingham
ü Triang. Aust
68.4
—62 38
7.8
8.4
2.6 +
1893
Roberts
RZScorpii . .
68.6
—23 50
8.0
<13
156
1896
Innes
XHercuUs . .
59.6
+47 31
6.9
7.2
Irr.
1890
Gore
Z Scorpii . . .
16 0.1
—21 28
9.0
12?
370
1883
Peters
RR Herculis
1.6
+60 46
7.8
9.5
—
1894
Espin
R Herculis . .
1.7
+18 38
8.6
13.6
817.7 +
1856
(Bonn)
ÜSerpentis . .
2.6
+10 12
9.0
<11.9
—
1898
Fleming
V Normae . .
2.6
—48 68
—
—
—
1901
Fleming
XSoorpU . .
2.7
—21 16
10
<13
199.0
1876
Peters
W Scorpii . .
6.9
—19 63
10
<14.7
222.3
1877
Palisa
RX Scorpii . .
6.9
-24 38
9
<i2
—
1896
(Cordoba)
RU Herculis
6.0
+26 20
7.0
13.6
473?
1896
Anderson
W Normae . .
9.0
—62 21
—
—
—
1901
Fleming
8 Normae . .
10.6
—67 39
6.6
7.6
9.7 +
1892
Roberts
120
Fixften«.
Jahr der
Name
R. A. 1900
Dei. 1900
liax.
Min.
Periode
Ent-
deckung
Bntdeeker
h m
0 ,
d
TScorpü. . .
16 11.1
-22 44
7.0
<12
—
1860
Auwers
— Scorpii . .
11.1
—22 44
—
1898
Bailey
R Scorpii . . .
11.7
—22 42
9.8
16
224.6
1868
Ghacomac
S Scorpii . . .
11.7
—22 39
9.1
16
176.7
1854
Chacomac
— Coron. Bor. .
11.9
+38 1
8.Ö
13,0
244 +
1902
Anderson
— Normae . .
14.6
—60 14
—
—
—
1901
Fleming
W Ophiuchi . .
16.0
— 7 28
8.9
<13.6
831.8
1881
Schönfeld
U Scorpii . . .
16.8
—17 38
9?
<12
—
1863
Pogson
X Normae • .
17.7
—51 42
11.0
<:i2.3
—
1901
Fleming
V Ophiuchi . .
21.2
—12 12
7.0
10.5
802.5
1881
Dun6r
ÜHerculiß . .
21.4
+19 7
6.4
12.0
409
1860
Hencke
YScorpü . .
23.8
—19 13
10?
14
369?
1876
Peters
g Herculis . .
25.4
+42 6
4.7
6.0
Irr.
1857
Baxendell
T Ophiuchi . .
28.0
—15 55
10
<12.6
861?
1860
Pogson
SS Herculis. .
28.0
+ 73
9.0
<12
—
1901
Anderson
8 Ophiuchi . .
28.5
—16 57
8.3
<18
288.8
1864
Pogson
ST Scorpii . .
30.2
—31 2
7.8
9.7
—
1898
(Cape)
R ürsae Minoris
31.3
+72 28
9.0
10.8
Irr.
1881
Pickering
RArae . . .
31.4
—56 48
6.8
7.9
4.4 +
1892
Roberts
WHercuUs . .
31.7
+37 32
7.8
13.2
280.0 -f
1880
Dun6r
Y Herculis . .
32.0
-- 7 19
6.9
8.0
—
1882
Ghandler
R Draconis . .
32.4
+66 58
7.1
12.7
246.6
1876
Qeelmuyden
SüScorpü . .
84.2
—82 11
8
10
—
1896
Innes
— Herculis . .
38.1
+36 39
—
—
—
1898
Bailey
V Triang. Aust.
39.8
-67 36
—
—
1901
Fleming
S Draconis . .
40.8
+55 7
7.5
9.8
—
1892
Espin
RR Ophiuchi .
43.2
—19 17
8
<11
277?
1898
(Cape)
S Herculis . .
47.4
+ 16 7
7.3
12.6
808.1
1866
(Bonn)
RS Scorpii . .
48.4
-44 56
7.0
11,4
882?
1890
Fleming
SS Scorpii . .
48.8
—82 28
7
10
—
1897
(Cordoba)
RR Scorpii . .
50.2
—30 26
7.0
12.1
282.7
1894
Fleming
RV Scorpii . .
51.8
—33 27
6.7
7.4
6.0 +
1894
Roberts
— Ophiuchi . .
53.9
—12 44
6.6
12.5
—
1848
Hind
TArae . . .
64.4
—54 56
9.9
11.0
—
1898
Wells
— Ophiuchi . .
54.9
—29 58
—
—
—
1897
BaUey
RV HercuUs .
56.8
+81 22
9
16
200?
1897
Anderson
RT Scorpii . .
56.8
—36 40
9.2
<12.9
—
1893
Fleming
R Ophiuchi . .
17 2.0
—16 58
7.1
12.6
802.7
1853
Pogson
RT Herculis .
6.8
+27 11
9
<12
312?
189G
Anderson
RW Scorpii . .
8.3
—83 19
9.4
14.1
388
1895
Fleming
a Herculis . .
10.1
-14 30
3.1
3.9
Irr.
1796
Herschel
U Ophiuchi . .
11.4
- 1 19
6.0
6.7
0.8 +
1871
Gould
u Herculis . .
13.6
-33 12
4.6
6.4
Irr.
1809
Schmidt
Z Ophiuchi . .
14.5
- 1 37
8.4
12.6
348
1894
Fleming
RS Herculis. .
17.5
-23 1
8.0
11
220
1895
Anderson
SW Scorpii . .
18.1
—43 44
—
—
— .
1901
Fleming
Nova Ophiuchi
24.6
—21 24
>1
?
—
1604
R
S Octantis . .
25.9
-86 46
8.2
11.6
265
1892
Fleming
— Arae . . .
32.5
—53 37
—
—
—
1898
BaUey
V Pavoniß . .
34.7
—57 40
8.3
9.8
—
1898
Wells
RU Scorpii . .
35.1
—43 42
9.3
132
373
1895
Fleming
— Scorpii . .
35.7
—86 12
10.7
12.1
—
1901
Fleming
SXScorpü . .
40.8
—86 40
9,6
11.1
—
1901
Fleming
WPavonis . .
41.1
-62 22
9.1
<12.8
—
1898
Fleming
X SagittarU . .
41.3
—27 48
4.4
6.4
7.0 +
1866
Schmidt
SV Scorpii . .
41.6
—35 40
9
<11.4
245
1899
Innes
RYScorpü . .
44.3
—88 40
7.5
9.0
89.1 +
1896
(Cordoba)
RS Ophiuchi .
44.8
— 6 40
—
—
•"
1901
Fleming
ÜArae . . .
46.7
-51 40
8.9
12.4
1898
Fleming
Fizateme.
121
Jahr der
Vane
R.A.19M
Dm. 1900
Max.
Min.
Periode
Bnt-
deokung
b m
O /
d
TOpMuehi . .
17 47.3
— 6 7
6.1
6.6
17.1 +
1888
Sawyer
YAra« .
47.8
—48 17
9.7
<12.3
—
1901
Fleming
WArae .
49^
—49 47
—
—
-^
1901
Fleming
8 Arae
51.4
—49 26
8.9
9.7
R
1900
(Cape)
— Ophiuebi
51.7
+11 10
9.2
<10,1
—
1901
Anderson
ZHeraülB .
68.6
+16 9
7.1
7.9
8.9 +
1891
M. und K.
TDraoonis
54.8
<-58 14
7.6
12.2
435?
1894
Espin
— SagitUrii
56.0
—26 17
—
—
—
1890
Eapteyn
RY HereuUs
55.4
- -19 29
--54 58
9
14
—
1899
Anderson
YDraoonIs . .
66.3
9.8
14.1
268?
1900
Anderson
WCoroii.Aii8t..
58.2
—39 20
—
—
—
1901
Fleming
WSagittarU .
58.6
-29 35
4.8
6.1
7.6 +
1866
Schmidt
RW HeroiiliB .
18 1.7
+22 4
9
<12
1895
Becker
X GoTon. Amt .
2.6
—45 26
—
—
1901
Fleming
R FayoniB . .
3.8
—63 38
7.6
9.0
229
1893
Fleming
W Draeonis . .
54
-«6 56
9.0
<14
_
1902
(Oreenwiob)
T Heronlifl . .
5.8
-31 0
7.9
12.9
164.8 +
1867
(Bonn)
XDrtfeoniB . .
6.8
-66 8
9.Ö
14
—
1902
(Greenwioh)
Y Goron. Anst .
7.2
—42 58
11^
18.1
—
1901
Fleming
RSSagittarU .
11.0
-34 8
6.7
68
2.4 +
1874
Gould
WLyrae . . .
11.6
+86 38
7.6
12.5
200
1896
Anderson
— Serpenti» . .
13.6
—16 39
8.6
9.1
_
1901
Fleming
Y Sagittarii . .
16.5
—18 54
6.4
6.2
6.7 +
1886
Sawyer
— SagittarU .
18.4
—24 65
—
—
1897
Bailey
T TelesoopU . .
19.0
—49 42
U.S
<12.7
—
1901
Fleming
RVSagittarii .
21.4
—33 23
8.2
12.8
320
1895
Fleming
dSerpentU . .
22.1
+ 08
—
—
—
1891
B
— Coron.Aust.
23.7
-46 2
11.0
12.7
1901
Fleming
TSerpentia . .
28.9
+ 6 14
9.1
<13.6
342 8
1860
Baxendell
SSSagittarii .
24.6
—16 58
—
—
—
1901
Fleming
BX Heroulia .
26.0
+12 82
7.0
7.6
0.8 +
1898
Sawyer
ü Sagittarii . .
26.0
—19 12
6.6
7.8
6.7 +
1866
Schmidt
TLTrae . . .
28.9
+86 66
7.2
7.8
1876
Birmingham
^SagittarU
80.3
-23 59
—
—
1896
BaUey
RZHAroiüis. .
32.7
+25 68
9
12
840?
1900
Geraski
X Ophiueta . .
33.6
-- 8 44
6.8
9.0
886
1886
Bspin
YLyrae . . .
34.2
• •43 52
11.S
123
0.5 +
1900
WiUiams
U Goron. Au8t. .
34.3
•-«87 56
8.9
<11.7
146
1896
Fleming
— Coroa. Außt .
38.7
—38 52
...
—
1898
Fleming
Y Goron. AuBt .
40.7
—88 16
9
<10
—
1896
(Cordoba)
T Aquilae . .
40.9
+ 8 38
8.8
10.0
Irr.
1860
Winnecke
RScuti .
42.2
-- 6 49
4.8
7.8
Irr.
1795
Pigott
— lyme .
42.2
+43 32
9.0
<12
—
1902
Williams
SSeuti .
44.9
- 8 1
6
8
—
—
R
ßJ^yna .
46.4
+33 16
3.4
4.1
12.9 -f
1784
Gk>odricke
» Pavonia
46.6
^67 21
3.8
6.2
9.0 4-
1872
Thome
UScatf .
48.9
—12 44
9.1
9.6
R
1901
L. Geraski
TScuti .
60.0
— 8 18
—
—
—
1901
Fleming
R Lyrae .
62.3
+43 49
4.0
4.7
46.4
1866
Baxendell
^ Goron. AuBt.
52.8
-86 46
—
—
1897
Bailey
BGoronuAnat. .
54.4
—87 6
>9.6
13
— .
1866
Schmidt
R Goron. Auat .
66.2
—37 6
10.2
<11^
89.2
1865
Schmidt
T Goron. Attst .
66.2
-87 6
>9.8
18
—
1876
Schmidt
ST Sagittarii .
56.9
—12 64
7
<io
—
1901
Fleming
ZLyrae . . .
66.0
+84 49
9
tt
290
1900
WilUams
Nova Sagittarii
66.2
—18 18
4.7
<1S
—
1899
Fleming
SUSagittarU .
67.7
—22 61
^-
—
—
1901
Fleming
BT Lyrae . .
67.8
+87 22
10.6
<12.0
240
1902
Williams
VAquilM
•
1 6^.1
- 6 60 J
6.6
84)
Irr.
—
R
122
Fixsterne.
Name
R.A.ieoo
— Teleecopii
U Telescopii .
R Aquilae
T Aquilae
— Paronis .
VLyrae . .
RW Sagittarii
RX Sagittarii
XLyrae .
SLyrae .
Rü Lyrae
RS Lyrae .
U DraoonlB
W Aquilae
RT Sagittarii
T Sagittarii
y Telescopii
RSagittarU
RV Lyrae
TZCygni.
S Sagittarii
Z Sagittarii
USagittae
Nova Aquilae
ü Lyrae .
T Sagittae
RR Lyrae
U Aquilae
— - Draconis
— Cygni .
üVCygni
— Sagittarii
TY Oygni
U Yulpeoulae
RT Aquilae .
— Sagittarii
RCygni .
RV Aquilae
TT Cygni .
T Pavonis
— Sagittarii
RT Cygni
Sü Cygni
SY Cygni
W Telescopii
TU Cygni
11 Yulpeculae
S Yulpeculae
X Aquilae .
X Cygni . .
S Pavonis .
lyAquilae
RR Sagittarii
S Sagittae .
Rü Sagittarii
RR Aquilae .
RS Aquilae .
S Telescopii .
Z Cygni . .
h
19
m
0.1
0.6
1.6
2.3
2.0
5.2
8.1
8.7
9.0
9.1
9.1
9.3
9.9
10.0
10.0
10.6
10.6
10 8
12.6
13.4
13.6
13.8
14.4
16.3
16.6
17.2
22.3
24.0
25.1
25.8
28.0
28.6
29.8
32.3
33.3
33.7
34.1
36.9
37.1
39.6
40.6
40.8
40.8
42.7
43.1
43.3
43.6
44.3
46.6
46.7
46.8
47.4
49.7
61.6
61.8
62.4
63.7
68.4
58.6
Dez. 1900
—48 44
—49 4
+ 85
-hlO 55
—60 8
+29 30
—19 2
—18 69
+26 36
+26 60
+41 8
+33 16
+67 7
— 7 13
—33 42
—17 9
—60 38
—19 29
+32 16
+50 0
—19 12
—21 7
+19 26
— 0 19
+37 42
+17 28
+42 36
— 7 16
+76 28
+46 60
+43 26
—16 36
+28 6
+20 7
-f-11 29
—31 10
+49 68
+ 9 42
+32 23
—72 1
—41 26
+48 82
+29 1
+32 28
—60 16
+48 49
+27 4
+27 2
+ 4 12
+32 40
—69 27
+ 0 46
—29 27
+16 22
—42 7
— 2 11
— 8 10
—65 50
+49.46
6.8
9.2
9.7
9.9
8
9.5
11
10
9.0
7.6
6.6
6.6
9.j?
6.9
11.0
9
9.1
8.6
6.6
7
8.3
8.3
7,2
6.2
10
6.8
9
6.6
9
8.7
7,6
7
6.2
10
9.8
9
8
8.4
9,5
4.6
8.0
8.7
7.6
6.6
9
8.4
10.0
9
7.1
Min.
<12
16.6
11.1
18.8
10
16
<12
<12
136
11.2
<11.0
8.1
10,6
11.2
12.8
11
14.6
<12
9
<18
<11
9.9
8.1
6.9
9
7.6
<18
13.9
<12
10.8
12.1
UM
7.0
<i2
18,1
<13
?
10.0
<12.8
13.6
9.6
4.5
<12.6
6.1
18.1
<12.8
<12.4
11
- 13
I Jahr der i
Periode Ent- {
deckung '
360.6 +
871
820?
430
R
296?
834
490?
Irr.
884
268.7 -4-
8.6 +
230.6
452
8.3 +
467
166?
0.6 +
7.0 +
362
7.9 +
830
426.7
120?
248
191
8.8 +
6.0 +
218
67.5
348
406.0 +
389
7.1 +
888
8.3 +
239
899
266
1901
1901
1856
1897
1895
1896
1896
1897
1893
1902
1901
1897
1893
1896
1863
1901
1858
1902
1901
1860
1888
1901
1900
1894
1886
1901
1886
1896
1899
1901
1900
1897
1897
1898
1852
1900
1898
1896
1901
1890
1897
1900
1901
1900
1670
1862
1894
1686
1894
1784
1892
1886
1891
1896
1896
1896
1887
Entdecker
Fleming
Fleming
(Bonn)
R
Bailey
Anderson
Fleming
Fleming
Espin
Espin
Williams
L. Ceraski
Anderson
De Ball
Markwlck
Pogson
Fleming
Pogson
Williams
Anderson
Pogson
Peters
Schwab
Fleming
Espin
Espin
Fleming
Sawyer
Backhouse
R
Deichmüller
Wells
WiUiams
M. und K.
Anderson
Bailey
Pogson
Anderson
Wells
Fleming
Fleming
Fleming
M. und K.
L. Ceraski
Fleming
Hisgen
Anthelm
Bazendell
Fleming
Kirch
Fleming
Pigott
Fleming
Gore
Fleming
B
Fleming
Kapteyn
Espin .
Fixsterne.
123
Name
— Cygni .
— Sagittarii
X Pavonis
SCygni .
SWCyg:ni
R Oaprieomi
RYCygni
8 Aquilae
RW Aquilae
R Telescopii
RXGygni
RU Aquilae
RZ Sagittarii
W Gaprleomi
RSagittae .
RSC^gni.
Z Aquilae
R Delphin! .
RT S^ttarii
X Teleacopii
RT Gaprieomi
SXCygni
Y Teleseopii .
PQygnl . .
— Sagittae .
VCygni , ,
UWQygni .
T Microecopii
ü lücrosoopii
RWCygni .
RU Gaprieomi
— Delphin! .
8Z Gygni . .
STGygni. .
TV Gygni. .
W Delphin! .
R HioroBeopi!
— Delphin! .
VCygni . .
8 Delphin! .
T Aquari!
XCygni . .
T Delphin! .
ü Delphin! .
W Aqnarii .
V Aquari!
RRQygn!
U Capricorni
TCygni .
V Delphin! .
T Aquari!
T Vttlpeculae
U Pavonis .
— Cygn! . .
YCygni . .
RZ Gygni
Sind!. . .
X Delphin! .
Jahr der
ILA. 1900
Dm. 1900
Haz.
Ifin.
Periode
Ent-
deckung
Entdecker
h m
o /
d
20 0.8
+36 32
8.0
9.2
—
1894
Espin
0.8
—27 81
—
—
—
1901
Fleming
3.4
—60 14
9.0
10.2
—
1898
Fleming
8.4
+57 42
+46 1
9.2
<14.7
322.8 H-
1860
(Bonn)
3.8
9.0
11.7
4.6 +
1899
Gerask!
5.7
—14 34
8.8
<18
845?
1848
Hind
6.6
+47 35
8
9
Irr.
1886
Espin
6.6
+85 39
8.6
9.6
—
—
R
7.0
+16 19
8.4
11.8
146.7
1863
Baxendell
7.3
+16 46
8.4
9.2
7.8 +
1899
Parkhurst
7.7
-47 18
8.4
11.6
372
1896
Fleming
7.8
+47 31
+12 42
7.5
8.3
Irr.?
1893
Deichmüller
8.0
8.6
14.6
266?
1898
Anderson
8.6
—44 43
9.0
<11.4
—
1897
Stewart
8.6
—22 17
10.2
<14.7
207.7
1872
Peters
9.6
+16 25
+38 28
8.6
10.4
70.6 +
1869
Baxendell
9.8
6.7
8.4
Irr.
1887
Espin
9.8
— 6 27
8.8
13
130
1894
De Ball
10.1
+ 8 47
7.6
13.0
285.5
1861
Hencke
11.1
—39 26
7.7
10.7
301
1890
Fleming
11.2
—62 66
10.5
12.9
—
1901
Fleming
11.2
—21 38
8.6
10.4
—
R
11.6
+30 46
9
14.5
.—
1899
Anderson
12.9
—61 1
8.1
9.7
—
1901
Fleming
14.1
-37 43
3.5
<6
—
1600
Jansen
16.8
-20 47
9.5
11.6
—
1902
L. Ceraski
16.6
-47 36
6.7
10.8
463.6 +
1871
Knott
19.6
-42 66
10
12
3.4 +
1901
WUUams
21.8
—28 36
7.4
8.4
1896
Fleming
22.6
—40 46
8.5
<12.5
326
1898
Fleming
25.2
+39 39
7.7
10.5
—
1886
Espin
26.7
—22 2
9
<12
363?
1901
Innes
28.1
hl7 6
9
11
—
1902
L. Ceraski
29.6
-46 16
8
10
16.0 +
1900
WiUiams
29.9
-64 38
9
14
344?
1898
Espin
80.0
-16 13
9
10
—
1900
Eöhl
33.1
-17 66
9.4
12.1
4.8 +
1896
Welle
34.0
—29 9
9.2
<11.7
138.8
1894
Fleming
86.8
+11 30
—
—
—
1902
Anderson
38.1
--47 47
8.3
13.6
418
1881
Birmingham
38.6
+16 44
8.4
12.0
277.6
1860
Baxendell
39.2
— 6 12
8.8
<18
379
1896
Becker
39.5
4-36 14
6.0
7.0
18.3 +
1886
Chandler
40.7
4-16 2
8.2
<18
381.2
1863
Baxendell
40.9
+17 44
6.4
7.3
Irr.
—
R
41.2
— 4 27
83
9.6
881
1891
Fleming
41.8
+ 24
8.1
9.3
240
1891
De Ball
42.6
-H4 30
8.1
9.7
Irr.
1888
Espin
42.6
—16 9
10.2
<18
202.6 +
1867
Pogson
43.2
+34 0
1864
Schmidt
43.2
-1-18 58
7.8
<12
640
1891
Fleming
44.7
— 6 31
6.7
13.0
203.3 +
1861
Ctoldsohmidt
47.2
+27 62
6.6
6.2
4.4 +
1885
Sawyer
47.2
—63 5
9.6
<12.2
277
1896
Fleming
47.4
+45 60
12
13
—
1893
Wolf
48.1
-i-34 17
7.1
7.9
1.4 +
1886
Chandler
48.6
-f-46 69
9.1
13
280?
1893
Espin
49.0
—64 42
8.4
<12.4
406.7
1895
Fleming
60.3
H
-17 16
8
<13
276?
1896
Anderson
122
Fixsterne.
Name
R. A. 1900
— Telescopii
U Telesoopii .
R Aquilae
T Aquilae
— Pavonis .
VLyrae . .
RW Sagittarii
RX Sagittarii
XLyrae . .
S Lyrae . .
RU Lyrae
RS Lyrae . .
UDraoonis .
W Aquilae .
RT Sagittarii
T Sagittarii .
VTeleBCopii .
R Sagittarii .
RV Lyrae
TZ Cygni . .
S Sagittarii .
Z Sagittarii .
U Sagittae .
Nova Aquilae
ü Lyrae . .
T Sagittae .
RR Lyrae
U Aquilae
— Draconls .
— Cygnl . .
UV Cygnl .
— Sagittarii
TY Cygnl
U Vulpeculae
RT Aquilae .
— Sagittarii
R Cygnl . .
RV Aquilae .
TT Cygnl. .
T Pavonls
— Sagittarii
RT Cygnl
SU Cygnl
SY Cygnl .
W Telescopii
TU Cygni
11 Vulpeculae
S Vulpeculae
X Aquilae
X Cygni . .
S Pavonis .
lyAquilae
RR Sagittarii
S Sagittae .
RU Sagittarii
RR Aquilae .
RS Aquilae .
S Telescopii .
Z Cygni . .
h
19
m
0.1
0.6
1.6
2.3
2.0
5.2
8.1
8.7
9.0
9.1
9.1
9.3
9.9
10.0
10.0
10.6
10.6
10 8
12.6
13.4
13.6
13.8
14.4
15.3
16.6
17.2
22.3
24.0
25.1
26.8
28.0
28.6
29.8
32.3
33.3
33.7
34.1
36.9
37.1
39.6
40.6
40.8
40.8
42.7
43.1
43.3
43.6
44.3
46.6
46.7
46.8
47.4
49.7
61.6
61.8
62.4
63.7
68.4
68.6
Dm. 1900
—48 44
—49 4
+ 86
+10 66
—60 8
+29 30
—19 2
—18 69
+26 36
+26 60
+41 8
+33 16
+67 7
— 7 13
—33 42
—17 9
—60 38
—19 29
+32 16
+60 0
—19 12
—21 7
+19 26
— 0 19
+37 42
+17 28
+42 36
— 7 16
+76 28
+46 60
4-43 26
—16 36
+28 6
+20 7
+11 29
—31 10
+49 68
-f 9 42
-j-32 23
—72 1
—41 26
+48 32
t29 1
32 28
—60 16
+48 49
+27 4
+27 2
+ 4 12
-i-32 40
—69 27
+ 0 46
—29 27
+16 22
—42 7
— 2 11
— 8 10
—65 50
+49^46
Max.
Min.
Periode
I Jahr der
I Ent-
deckniiK
5.8
9.2
9.7
9,9
8
9.6
n
10
9.0
7.6
6.6
6.6
9^
6.9
11.0
9
9.1
8.6
6.6
7
8.3
8.3
7.2
6.2
10
6.8
9
6.6
9
8,7
7.6
7
6.2
10
9.8
9
8
8.4
9.5
4.6
8.0
3.7
7.5
6.6
9
8.4
10.0
9
7.1
d
<12
360.6 +
16.6
871
11.1
—
13.8
820?
10
—
16
480
<ia
R
<12
296?
186
S34
11.2
490?
<11.0
Irr.
8.1
384
10.6
—
11.2
268.7 4-
12.8
8.6 +
11
—
14.6
280.6
<12
462
9
3.8 +
<18
<11
467
9.9
166?
8.1
0.6 +
6.9
7.0 +
9
^■~
<u
862
7.6
7.9 +
<13
880
18.9
426.7
<12
120?
10.8
_
12.1
248
11.6
191
7.0
8.8 +
<ia
6.0 +
18.1
—
<13
218
?
—
10.0
67.6
<ia.8
348
18.6
406.0 +
9.6
889
4.6
7.1 +
<12.6
388
6.1
8.3 +
18.1
239
<ia.s
399
<12.4
—
11
—
- 13
266
1901
1901
1866
1897
1896
1896
1896
1897
1893
1902
1901
1897
1893
1896
1863
1901
1868
1902
1901
1860
1888
1901
1900
1894
1886
1901
1886
1896
1899
1901
1900
1897
1897
1898
1862
1900
1898
1896
1901
1890
1897
1900
1901
1900
1670
1862
1894
1686
1894
1784
1892
1886
1891
1896
1896
1896
1887
Entdecker
Fleming
Fleming
(Bonn)
R
BaUey
Anderson
Fleming
Fleming
Espin
Espin
WUUams
L.Ceraski
Anderson
DeBaU
Markwiok
Pogson
Fleming
Pogson
Willlanu
Anderson
Pogson
Peters
Schwab
Fleming
Espin
Espin
Fleming
Sawyer
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R
Deichmüller
Wells
WUUams
M. undK.
Anderson
BaUey
Pogson
Anderson
Wells
Fleming
Fleming
Fleming
M. und K.
L. Ceraski
Fleming
Hisgen
Anthelm
BaxendeU
Fleming
Kirch
Fleming
Plgott
Fleming
Gore
Fleming
R
Fleming
Kaptayn
1 Espin
Fixsterne.
123
Jahr der
Name
R.A.1900
Dei. 1900
Haz.
Min.
Perlode
Ent-
deckttns:
Entdecker
h m
O 1
d
-Qygni . .
20 0.8
+36 32
8.0
9.2
—
1894
Espin
— Sagittarii
0.8
—27 31
—
—
—
1901
Fleming
X PaTonifl . .
3.4
—60 14
9.0
10^
—
1898
Fleming
QCygDi . . .
8.4
+67 42
+46 1
9.2
<14.7
822.8 +
1860
(Bonn)
SWCygnl . .
8.8
9.0
11.7
4.6 +
1899
Ceraski
R Capnoorni
6.7
—14 34
8.8
<13
346?
1848
Hind
87 Gygni . . .
6.6
+47 36
8
9
Irr.
1886
Espin
RYCygni . .
6.6
--35 39
8.6
9.6
—
—
R
SAquUae . .
7.0
--16 19
8.4
11.8
146.7
1863
Baxendell
RWAquUae. .
7.8
+15 46
8.4
9.2
7.8 +
1899
Parkhurst
RTelescopii. .
7.7
-47 18
8.4
11.6
372
1895
Fleming
RXCygni . .
7.8
+47 31
-1-12 42
7.6
8.3
Irr.?
1893
Deichmüller
RüAquilae . .
8.0
8.6
14.6
266?
1898
Anderson
RZ Sagittarii .
8.6
—44 43
9.0
<11.4
—
1897
Stewart
WCapricsomi .
8.6
—22 17
10.2
<U.l
207.7
1872
Peters
R Sagittae . .
9.6
+16 26
+38 28
8.6
10.4
70.6 +
1869
Baxendell
RSCygni.
9.8
6.7
8.4
Irr.
1887
Espin
ZAquUae . .
9.8
— 6 27
8.8
13
130
1894
De Ball
RDelphlTii . .
10.1
+ 8 47
7.6
13.0
286.6
1861
Hencke
RT Sagittarii .
11.1
—39 26
Z7
10.7
301
1890
Fleming
XTelescopii
11.2
—62 66
10.5
12.9
1901
Fleming
RTCapricomi .
11.2
—21 38
8.6
10.4
R
SXOygni . .
11.6
+30 46
9
14.6
1899
Anderson
Y Teleacopii . .
12.9
—61 1
8.1
9.7
—
1901
Fleming
PCygni . . .
14.1
-
-37 43
3.6
<6
—
1600
Janson
— Sagittae . .
16.8
-
-20 47
9,5
UM
1902
L. Geraski
ÜCygni . . .
16.6
-
-47 36
6.7
10.8
463.6 +
1871
Knott
UWCygni . .
19.6
-
-42 66
10
12
3.4 +
1901
WUUams
TMicroBcopii .
21.8
—28 36
7.4
8.4
1896
Fleming
ÜMicroBcopli .
22.6
—40 46
8.5
<12.5
326
1898
Fleming
RWCygni . .
26.2
+39 39
7.7
10.6
—
1886
Espin
RUCapricorni.
26.7
—22 2
9
<12
363?
1901
Innes
— Delphinl . .
28.1
+17 6
9
11
—
1902
L. Geraski
SZOygni. . .
29.6
-f-48 16
8
10
16.0 +
1900
WiUiams
STCygni. . .
29.9
--64 38
9
14
844?
1898
Espin
TVCygni. . .
30.0
--46 18
9
10
1900
Kohl
WBelphiiü . .
33.1
+17 66
9.4
12.1
4.8 +
1896
WeUs
RMicroflcopii .
84.0
—29 9
9^
<11.7
138.8
1894
Fleming
-Delpbini . .
86.8
+11 30
—
^-
—
1902
Anderson
VCyjpai . . .
38.1
--47 47
8.3
13.6
418
1881
Birmingham
SDelphini . .
38.6
+16 44
8.4
12.0
277.5
1860
Baxendell
YAquarii . .
39.2
— 6 12
8.8
<13
879
1896
Becker
JS^ • • •
89.5
4-36 14
6.0
7.0
16.3 +
1886
Ghandler
TDelphini .
40.7
-hl6 2
8.2
<13
381.2^
1863
Baxendell
UDelphlni . .
40.9
+17 44
6.4
7.3
Irr.
R
WAquarii . .
41.2
— 4 27
8.8
9.6
881
1891
Fleming
V Aquarii . .
41.8
+ 24
8.1
9.3
240
1891
De Ball
RRCygni
jCapricorni \
42.6
-h44 30
8.1
9.7
Irr.
1888
Espin
42.6
—16 9
10.2
<13
202.6 +
1867
Pogson
43.2
+34 0
1864
Schmidt
▼Delphin!
T Aquarii . .'
J'^ulpeculae .
48.2
+18 68
7.5
<12
640
1891
Fleming
44.7
- 6 31
6.7
13.0
203.3 +
1861
Goldsohmidt
47.2
+27 62
6.6
6.2
4.4 +
1886
Sawyer
47.2
—63 6
9.6
<12.2
277
1896
Fleming
7^^ • • •
^Cygni
Slndi. ' •
X Delphin! ! '.
47.4
+46 60
12
13
—
1893
Wolf
48.1
+34 17
7.1
7.9
1.4 +
1886
Ghandler
48.6
+46 69
9.1
13
280?
1893
Espin
49.0
—64 42
8.4
<12.4
406.7
1896
Fleming
60.3
H
hl7 16
8
<18
276?
1896
Anderson
184
Fixttome.
Jahr der
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R.A.1900
Dei. 1900
Max.
Min.
Periode
Eat-
deekong
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h m
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d
UXGjgni . .
20 60.9
+ 30 2
9.7
<is
—
1901
Williams
UY Cygni . .
52.3
+ 30 3
9.6
10.4
0.6 +
1902
WiUianu
RR Gaprioorni .
56.4
-27 29
9
<io
240?
1896
(Gorddba)
TX Cygni . .
56.4
+ 42 12
8.6
10
14.7 +
1900
WiUiaina
T OctanÜB . .
57.4
—82 30
9.0
<12Ji
206
1896
Fleming
— Cygni , . .
58.9
+ 40 64
—
—
—
1901
Dünne
R VulpecaUe .
69.9
+ 23 26
7.6
12.1
136.9 +
1868
(Bonn)
— Gephei . .
21 0.4
+ 67 28
—
'
—
—
Perrine
RSOaprieorni .
1.7
—16 49
8.1
9.3
—
1898
Fleming
TW Cygni . .
1.8
+ 29 0
9
<12
347
1900
WiUiams
V Caprioorni .
1.8
—24 19
9
14?
167.1 +
1867
Peters
— Cygni . . .
2.8
+ 46 23
12.4
18.7
1.4 +
1902
L.Ceraski
X Caprioorni .
2.8
—21 46
9.6
<16.2
818.1 +
1866
Pogson
XCephei. . .
8.6
+ 82 40
9.7
<17
486?
1898
CerasU
Z Caprioorni
6.0
—16 36
9
<13
892?
1886
Borrally
RSAqnarii . .
6^
— 4 27
9
<u
214
1898
Bamard
— Aquarii . .
7.8
—14 48
8.4
9M
—
1898
Fleming
T Cephei . . .
82
+ 68 6
6.1
10.6
887
1878
W.Ceraaki
REquulei . .
8.4
+ 12 28
8
<11
818
1900
Anderson
RR Aquarii . .
9.8
— 3 19
8
18
190.5
1899
Abeld
TIndi. . . .
13.6
—46 27
7.2
8.9
—
1898
Wells
X Pegaai . . .
16.3
+ 14 2
8.6
13
204?
1898
Anderson
T Caprioorni .
16.6
—16 36
8.8
nA
269.2
1864
Hind
— Cygni . . .
18.6
+ 41 67
9
10
—
1901
DeiohmüUer
SMicroeoopii .
20.8
-30 17
8.0
11.6
216.1
1896
Innes
— Pegasi. . .
26.2
+ 11 44
—
—
— >
1897
Bail^
Y Caprioorni .
28.9
—14 26
10
14?
206
1884
Peters
— Aquarii . .
28.8
— 1 16
^~
—
—
1896
Bailey
W Cygni . . .
32.2
+ 44 66
6.0
6.7
131.5
1886
Gore
— Caprioorni .
34.7
-23 38
—
>-.
—
1896
BaUey
üü Cygni . .
36.7
+ 42 46
—
—
1901
Colson
S Cephei . . .
36.6
+ 78 10
7.9
13.1
484
1868
Henoke
RU Cygni . .
37.3
+ 63 62
7.6
9.2
448
1«90
Espin
Q Cygni • . .
37.8
+42 23
3
14.8
—
1876
Sehmidt
SS Cygni. . .
38.8
+43 8
8.4
12.0
Irr.?
1896
Wells
RV Cygni . .
39.1
+ 37 34
7.1
9.8
Irr.
1886
Safarik
RRPegasi . .
404)
+ 24 38
9
<12
—
1901
Anderson
^Cephei . . .
40.4
+ 68 19
4?
6?
Irr.
—
R
RGruis . . .
42.1
—47 22
8.4
12.6
334.8
1896
Fleming
UZ Cygni . .
66.2
+ 43 62
8.9
11.6
31.3 +
1902
Fleming
VPegaai . . .
66.0
+ 6 38
8.2
<18.0
306?
1896
Fleming
U Aquarii . .
67.9
—17 6
9.6
14?
268
1881
Peters
BPisoisAust .
68.0
—28 38
8.7
<11
272
1891
Holetsobek
— Pegasi. . .
69.8
+34 38
9.6
10.8
R
1902
Anderson
TPegaei . . .
22 4.0
+ 12 8
8.6
<13
873
1863
Hind
^Ootantia . .
6.7
-86 10
^>
—
—
1901
Fleming
YPegaai . . .
6.8
+ 13 62
9
<10
R
1900
Anderson
RSPegaii . .
7.4
+ 14 4
8
<10
—
1908
Graft
RPisdaAuat .
12.3
—30 6
8.6
<a.6
292.6
1884
Gould
X Aquarii . .
13.2
—21 24
8.4
11.6
311
1896
Fleming
— Aquarii . .
16.6
— 8 7
—
—
—
1898
Fleming
RT Aquarii . .
17.7
—22 34
—
—
—
1901
Fleming
TLaoertoe . .
17.9
+ 33 62
9
<12
—
1897
DeiohmüUer
TGruit . . .
19.8
—88 4
8.6
11.0
141
1896
Fleming
SGruifl . . .
19.9
—48 67
7.2
123
410
1896
Fleming
TPisoisAuBl .
20.6
-29 86
—
—
—
1901
Fleming
SLaoertee . .
24.6
+ 89 48
9.6
<12.9
233
1891
Fleming
JCephei . . .
26.4
+67 64
8.7
4.6
6.8 +
1784
Goodrieke
BlncU. . . .
28.9
—67 48
8
12.5?
208
1884
Gould
Fixsterne.
125
1
Jtlirder
Nune
R.A.1900
Dez. 1900
V»x.
Min.
Periode
deoknng
Entdecker
■ "
h m
O ;
~
—t
'■ "
WCephei . .
22 82.6
+57 64
7.8
8.8
6.4 +
1886
Espin
BLaoertae , •
8$.a
--41 61
8.4
<18.6
299.8
X9$»
DeiobniUler
ULaeerUe . .
49.6
-f 54 38
8
—
-r-
}894
ßspin
S Aqnarii • .
61.8
—20 53
8
14.2
279.7
1853
Argelander
^Pegaal . . .
68.9
-4-27 82
2.2
2.7
Irr.
1847
Behmldt
^P6g«Ä. . .
69.2
- -14 45
8,8
<X9,0
—
1901
HokariBg
RPegaai . • .
23 1.6
4-^0 0
7.6
13.2
88ao +
1848
Hind
Y Sculptoris .
8.7
—30 40
7.8
8.9
Irr.
1896
Fleming
VCawdopejae •
7.4
4-69 8
7.1
12.4
229
1898
Anderson
WPegaai. . .
14.8
- -26 44
7.6
12.4
841?
1896
Anderaon
SPegasi . . .
16.6
-f 8 22
8.4
12.9
817.6
^864
Hartt)
RUAquarii . .
19.2
—17 62
8.8
<;9.4
-^
1901
Fleminff
Z Andbromedae .
28.8
+48 16
—
—
1901
Fleming
RAqnafii . .
88.6
—16 60
6.2
9.8
887.1 +
1811
Hardlng
ZCa88i<9eiae .
89.7
+66 2
9.6
Xfi
—
W98
Andesipm
Z Aquarii . .
47.1
—16 25
841
9J3
216?
1896
Flemim;
e Caasiop^ae .
49.4
+66 66
—
— .
1901
Wells
— Andromedae
60.8
+48 6
+69 10
9,8
9.9
.^
1898
Ftoming
RR Caflsiopciae
60.6
9
n
1*7?
iOQO
AAderaon
R Ffaoenicis , .
51.8
—60 21
7.4
12.01
^70
1884
Goijld
V Cephei . . .
61.7
+82 38
6.2
7.1
860
1882
Chandlßr
R Tneanae .
62.2
—66 66
ie.2
<12.6
276
1892
Fleming
V Ceti ... .
62.8
— 9 81
8.6
14?
261
1679
"MMn
UPegaal . . .
62.9
+16 24
+50 60
9,3
?.P
0.3 +
189*
Chai^dlflr
ROasdopejae .
63.3
6.8
12.8
429.6 +
1858
Po^on
SPhoenidß . .
68.9
—67 8
7.2
8.7
161.2
1896
Fleming
ZPegaai . . .
66.0
+26 21
9
<11.6
—
1901
Fleming
WCeti . . .
67.0
—16 14
8.4
12.0
860
1894
Skinner
TCasBiopejae .
68.2
+65 7
9.8
<18.4
434?
1898
Fleming
Der Farbenweehsel von a Ursae. Der französischen astro-
nomischen Gesellschaft zu Paris hat H. E. Lau eine Reihe von Be-
obachtungen eingesandt über die Farbe von a im großen Bären. ^)
Er bemerkt, daß vor einem Vierteljahrhundeit Dr. Klein diesen
Farbenwechsel in seinen Beobachtungen erkannt ^^d die Periode
desselben auf 36 Tage festgestellt habe. Diese Schlüsse seien durch
zahlreiche Beobachtungen von W. Weber (zu Peckeloh) an einem
Refraktor von 70 mm Öffnung bestätigt worden. Nach diesem letz-^
tem Beobachter schwanke die Färbung von a Ursae regelmäßig
zwischen gelblichweiß und feuerrot. Dieses Ergebnis habe jedoch
Widerspruch gefunden, und u. a. Safarik behauptet, die Farben-
änderung sei nicht vorhanden, auch ständen die Beobachtungen
Webers sehr häufig in völligem Widerspruche piit denjenigen, welche
am Observatprium , zu Odder Prof. Eoehl erhielten habe; es handle
sich lediglich um eine physiologische Erscheinung. Um diese Frage
VI entBuheiden, habe Dr. von Konkoly, der in besug a^f dep lt>6haup-
teten Farbenweohsel etwas skeptiaab war, ^m Kolofimeter der St^ip-
^) Bulletki de la Soeiete Mtro^QSiique 4a FriMiQe ISOQ Mars p. )29.
126 Fixsterne.
warte 0-Gyalla eine Reihe von Messungen veranlaßt, welche deutlich
einen regelmäßigen Farbenwechsel erkennen ließen und die Periode
desselben zu 54.5 Tagen ergaben. Nachdem H. E. Lau diese Beob-
achtungen in den Annalen der Sternwarte 0-Gyalla kennen gelernt
hatte, untersuchte er seine eigenen Farbenschätzungen des Sternes
a Ursae. Diese sind an dem Fraunhof ersehen Äquatorial von S^s
Zoll Objektivöffnung der Sternwarte zu Kopenhagen bei lOOfacher
Vergrößerung angestellt worden. Unter den 4000 Beobachtungen
über die Farben der Fixsterne, welche Lau in seinen Beobachtungs-
registern niedergelegt hat, fanden sich etwa zwanzig von a Ursae,
die sich über zwei der angenommenen Perioden desselben erstrecken.
Um diese Schätzungen auf Ziffern zu bringen, hat Lau folgende
Skala angewandt : Weiß = 0 , gelblichweiß = 1 , gelblich = 2,
gelb = 3, topasgelb = 4, orange = 5, rötlichgelb = 6, gelb-
rot = 7, rotgelb = 8, gelblichrot = 9, rot = 10. Unter den
gleichzeitig mit a Ursae beobachteten Sternen fand er einige, die
sehr geeignet erschienen, den Einfluß der jeweiligen persönlichen Auf-
fassung in bezug auf die Farbenschätzung zu korrigieren. Es sind
folgende: ß Ursae minoris (Farbe im Mittel = 5.0) ^ Aurigae
(Farbe = 6.3), i Aurigae (Farbe = 5.2), a Tauri (Farbe = 5.9),
ß Qeminorum (Farbe = 3.8). Die auf diese Weise gewonnenen
Korrektionen belaufen sich bis zu ± 0.8 Einheiten der Farbenskala,
Folgendes sind diese von Lau ermittelten korrigierten Farbenzahlen
für a Ursae:
1902 Farbenskala
Januar 5 3.6
11 3.9
13 4.1
15 2.8
20 3.8
Februar 18 5.3
21 4.3
März 11 3.1
12 3.4
22 3.1
24 5.0
25 5.7
27 3.7
April 7 3.9
8 5.7
10 4.6
14 3.5
15 .4.3
Indem er diese Daten durch eine Kurve darstellt, findet Lau,
daß ein Minimum um den 20. Januar, ein anderes am 11. März,
ein Maximum der Farbe dagegen am 11. Februar und gegen den
2. April stattgefunden habe. Hiemach schätzt er die Dauer der
Fixsterne. 127
Periode zu etwa 50 Tagen und die Farbe wechselnd zwischen gelb
(2.8) und gelbröüich (5.4). Diese geringe Veränderung im Farben-
tone , sagt, Lau, zeigt, daß Weber die Veränderung übertrieben hat,
außerdem ist sie wegen ihres kleinen Betrages sehr schwer aufzu-
fassen und würde den meisten Beobachtern entgehen, weshalb auch
die entgegengesetzten Ansichten darüber verlautet sind.
Dr. G. Wirtz veröffentlichte ebenfalls Beobachtungen über den
Farbenwechsel von a Ursae. ^) Dieselben sind in den Jahren 1898
bis 1895 mit großer Sorgfalt angestellt worden und ergaben mit
zweifelloser Sicherheit eine Periode des Farbenwechsels, deren Dauer
im Mittel 41.1 Tage beträgt. Das Maximum der Farbe (rötliches
Licht) tritt 22.8 Tage vor dem Minimum (gelblichrötliches Licht) ein.
> Nimmt man«, sagt Dr. Wirtz, »die Eonstanz der Periode an, so drängt
sich zur Erklärung des Farbenwechsels die ungezwungene, kosmo-
gonisch plausible Hypothese auf, daß ein fast bis zur Rotglut ab-
gekühlter Begleiter den noch hellgelb glänzenden Hauptstem in 41 ^
umkreist. Träfe dies zu, so dürften wir aber auch einen dem Farben-
Tvechsel parallel gehenden Lichtwechsel erwarten, und zwar in einer
Weise, wie wir ihn bei ß Lyrae kennen. Eine einfache Oberlegung
lehrt nämlich, daß der Zusammenhang zwischen Farbe und Hellig-
keit wie folgt sich verhalten müsse: dem Minimum der Färbung
entspräche ein Minimum des Lichtes, letzteres stiege bei mittlerer
Färbung zu einem ersten Maximum an, sänke bei langsam zuneh-
mender Rotfärbung auf ein sekundäres Minimum herab, erhöbe sich
dann mit aufhellender Farbe wieder zu einem dem ersten gleichen
Maximum, um endlich wieder im Minimum der Färbung ein Minimum
der Helligkeit zu erreichen.«
Die Helligrkeitsbeobachtungren über die Nova Persei 1901.
Das Harvardobservatorium veröffentlicht eine sehr vollständige
Zusammenstellung und Diskussion der über diese Nova bekannt
gewordenen Helligkeitsbeobachtungen. ^ Dieselben wurden soviel
als möglich sämtlich auf die gleiche Skala reduziert und dabei die
Größenklassen, welche mit dem Meridianphotometer der Harvard-
sternwarte erhalten sind, adoptiert Die Ergebnisse dieser Unter-
suchung sind in Tabellen niedergelegt und in einer graphischen Dar-
stellung der Lichtkurve des Sternes, welche auf Tafel UI in ver-
kleinertem Maßstabe reproduziert ist Die horizontalen Ziffern 5400
bis 6100 geben das Datum nach der sogenannten Julianischen
Periode unter Fortlassung der konstanten Ziffer 2410000, und
zwar entspricht die Zahl 5400 dem 15. Januar 1901, 5600 dem
S.August 1901 usw. Die vertikalen Ziffern 1 — 11 bezeichnen die
Helligkeitsklassen der Nova zu der betreffenden Zeit Die Untersuchung
') Sirius 1908 p. 198.
^ Annals of Harvard Coli. Observatory 48. Nr. II.
}g8 Fixsterne«
dieser HelUgkeitskurve lehrt, daß die Nova von der UnsichtbarkeU
am 19. oder 20. Februar 1901 mindeetens zu Größe 2.7 angestiegen
war, als Dr. Anderson sie am 21. Februar zuerst sah. Am nächsten
Tage war sie 0.9 Größe, und am 23. Februar hatte der Stern sein^
größte Helligkeit erreicht. Sogleich begann jetzt die Lichtabnalune
um etwa 0.6 Größenklasse täglich bis eum 28. Februar, von wo ab
der Betrag sich verminderte. Die merkwürdigen Schwankungen in
Zu* und Abnahme der Helligkeit, denen der Stern während cler
Epochen 5455 — 5565 unterlag, sind in der abgebildeten Lichtkurve
deutlich su erkennen.
Uniersuehungen von Prof. Bamard ergaben bis Ende Janu^tr 1902,
daß am Yerkesrefraktor die Nova Persei in der gleichen Stellung
de9 Okulars wie jeder andre Stern am schärfsten erschien. Nach-
deiQ die Nova aus den Strahlen der Sonne herausgekommen up4
seit Juli H wieder beobachtet wer4en konnte, hat ProL Qarnaxd
seine Versuche wieder aulgenommen, konnte aber auch am 29. August
mit Sioherheit keinen Unterschied finden, obgleich ein solcher viel-
leicht angedeutet war. Die Farbe des Sternes war jetzt blaßweiß,
während sie fru)ier als grünlich- oder bläulichweiß bezeichnet worden
war. Auch im September erschien der Stern meist blaßweiß,
am 6. Oktober aber bläulichweiß. War das Femrohr an diesem
letztem Tage für einen gewöhnlichen Stern eingestellt, so war die
Nova deutlich nicht am schärfsten, sondem außerhalb des Bre^n-
punktes, sie erschien als Soheibdien mit einem hellen Punkte in der
Mitte, ähnlieh wie die Nova Aurigae in der letzten Hälfte des Jahres
1898. Am 6., 7. und 9. Oktober wurden soi^l^tige Einstellungen
gemacht, und es ergab sich, daß der Brennpunkt für die Nova durch-
schnittlich 0.22 Zoll (5.6 mm) entfemter lag als derjenige für die
sonstigen Sterne. Es hatte also eine Änderung dahin st^^ttgefunden,
daß sich das Licht der Nova jetzt wie dasjenige eines planetarischen
Nebels verhielt Wahrscheinlich datiert diese Veränderung aus einer
Zeit um den 29. August des Jahres.
Prof. G. Piokering macht ^) darauf aufmerksam, daß P. Zwack
vom Georgetown-CoUege-Observatorium bereits vor mehr als eipe^n
Jahre seine Aufmerksamkeit auf einen lichtschwachen Stern gelenkt
habe, der auf einer der frühem Photographien der Harvardstemwa^rte
so nahe an dem Orte der heutigen Nova im Perseus erscheint, dsfi
s(iigfältig^ Messungen erforderlich sind, um zu entscheiden, ob er
nicht völlig genau an diesem Orte stand. Prof. Pickering h^t nun
Photographien aus den Jahren 1890, 1891, 1893i 1894, 1897 und
1900 nach diesem Sternchen uQtersucht UAd gefunden, daß dasselbß
auf diesen in verschiedenen Helligkeiten von 18. bis zur 14. Größe
vorkommt, und daß sein Ort bis auf 1 oder. 2 Bogensekunden genau
mit dem Orte der heutigen Nova am Himmel übereinstimmt. Dieses-
>) Harvard Obs. Gircular Nr. i
B
i.
3
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L
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eipzig
r, ^
Jahr
buch
Tafel
XIV
111.
1904.
Fizsteme. 129
Sternchen ist überdies identisch mit einem solchen, welches M. Blajko
auf einer am 30. Januar 1897 erhaltenen Photographie sehr nahe
bei dem Orte der heutigen Nova entdeckte, das aber in einem
15-zolligen Refraktor gegenwärtig unsichtbar ist Aus allem ergibt
sich, daß während mehrerer Jahre ein Stern, dessen Licht zwischen
14. und 15. Größe schwankte, so nahe am Orte der heutigen Nova
Persei sich befand, daß es unentschieden bleiben muß, ' ob seine
Position überhaupt von derjenigen der letztern verschieden war oder
nicht Nach einer Angabe von £. E. Barnard ^) war die Nova zwischen
dem 9. und 16. September 1902 nur noch 9.8 Größe und von blaß-
weiJßer Farbe.
Das Spektrum des Nebels um die Nova PerseL Auf der
Lickstemwarte ist der Croßleyreflektor in Verbindung mit einem
Spektroskop, dessen Prisma und Linsen aus Quarz bestehen, be-
nutzt worden zum Versuche einer photographischen Aufnahme des
Spektrums des genannten Nebels. Es wurde durch Aufnahmen
am 31. Oktober, 1., 2. und 4. November 1902, die zusammen
einer Exponierung von mehr als 34 Stunden entsprechen, ein Negativ
erhalten von der mit D bezeichneten hellsten Stelle des Nebels. Das
Negativ zeigt ein sehr schwaches kontinuierliches Spektrum, dessen
Hauptteil zwischen den Linien Rß und Uy liegt. Dieses Band ist
am hellsten etwas oberhalb H^ und nimmt stufenweise ab, bis es
in der Gegend der Ealziumlinien H und E unsichtbar wird. An-
deutungen von ein oder zwei hellen Linien sind vorhanden, aber das
ganze Spektrum ist so schwach, daß sich darüber nur Vermutungen
gewinnen lassen. Wie C. D. Perrine bemerkt *) ergibt sich wenigstens,
daß die in Rede stehende Nebelmasse nicht das gewöhnliche Spektrum
der Nebelflecken (aus hellen Linien bestehend) zeigt.
Die Nova Geminorum 1908. Eine von Prof. Turner am
16. März aufgenommene Photographie eines Teiles des Sternbildes der
Zwillinge zeigte in a 6^ 37.8°^ und d + 30^ 2' einen Stern 7. Gr.,
der in keinem bisherigen Sternkataloge enthalten und daher eine Nova
ist Photographische Aufnahmen in Greenwich am 26., 27. und 29. März
zeigen den Stern in abnehmendem Lichte und völlig nebelfrei. Die
spektroskopischen Aufnahmen in Cambridge (England) durch Prof.
NewaJl ergaben ein Spektrum mit hellen und dunklen Linien, ähnlich
demjenigen früherer neuer Sterne.
Prof. John G. Hagen S. J., Direktor des Georgetown-College-
Observatoriums, hat ähnlich wie früher für die Nova im Perseus so auch
für die jetzige Nova in den Zwillingen, Karten und Kataloge der
umgebenden Sterne entworfen, welche die Mittel zu genauen Hellig-
1) Astron. Nachr. Nr. 8829. ,
«) Bull. Astr. Soc. Pacific Nr. 88.
Klein, Jalirbuoh XIV.
130 Fixsterne.
keitsvergleichungen liefern. Der Ort der Nova wird von ihm (für
1900.0) wie folgt angegeben:
AR ß^ 37"» 49.0«, D + 30® 2.6'.
Die telegraphische Nachricht von der Entdeckung des neuen
Sternes in den Zwillingen erreichte am 27. März die Yerkesstemwarte,
und noch . an dem nämlichen Abende wurde die Nova am 40-zolligen
Refraktor dort beobachtet^) Der Stern erschien augenfällig rot, und
zwar, wie eine spektroskopische Besichtigung sogleich ergab, infolge
der großen Intensität der Ha-Linie. Daneben waren verschiedene
helle Linien in Gelb und Blau sichtbar auf dem Hintergrunde eines
schwachen kontinuierlichen Spektrums. Die Umgebung der Nova
war am 21. Februar mit dem 2-füßigen Reflektor photographiert
worden, um einen nahestehenden veränderlichen Stern aufzunehmen,
jetzt wurde die damals erhaltene Platte nachgesehen und am Orte
der Nova ein Stern etwas heller als 15. Gr. gefunden, der entweder
mit der Nova identisch ist oder ihr innerhalb 3'' nahe steht Am
28. und 29. März wurde diese Stelle mit dem 2-fußigen Reflektor
wieder aufgenommen mit einer Gesamtexposition von 8^/^ Stunden.
Die äußern Verhältnisse waren gut, doch zeigt sich keine Spur von
Nebel um oder bei dem neuen Sterne. Prof. Bamard hat am 27. und
30. März den Ort der Nova bestimmt durch mikrometrischen Anschluß
an einen Stern der Bonner Durchmusterung und findet (für 1900.0)
AR = 61» 37°» 48.99« D = + 30<^ 2' 39.3". HeUigkeitsschätzungen er-
gaben die Nova am 4. April als 9. Gr.
Die photographische Aufnahme des Spektrums der Nova zeigt
ein sehr helles Band zwischen den Wellenlängen X 4598 und 4696
(Mitte desselben bei X 4647) und die starke H^-Linie von X 4839
bis 4886 (Mitte bei X 4862). Außerdem zeigen sich zwei schmale
helle Maxima nahe der weniger brechbaren Seite der Linie Rß bei
X 4877 und 4882. Am weniger brechbaren Ende der Platten er-
scheinen zwei ziemlich starke Banden, eine von X 5647 — 5685
(Mitte bei X 5666), die andre von X 5729—5775 (Mitte bei 5752).
Die minder brechbare dieser Linien ist an der violetten Seite scharf
abgeschnitten, so daß man dort eine dunkle Linie vermuten könnte.
Die Linie Ry ist als sehr feines Band sichtbar, das mit einem hellen
Bande von X 4347 — 4371 (Mitte X 4359) verschmilzt Das Spektrum
der Nova entspricht denjenigen der neuen Sterne im Perseus und
Fuhrmann in den spätem Stadien ihrer Entwicklung. Prof. Edw.
Pickering berichtet, ^) daß nach photographischen Aufnahmen auf der
Harvardstemwarte die Nova vom 17. — 21. April einen Helligkeits-
zuwachs zeigte, indem die photographische Größe derselben von
9.06 auf 8.80 zunahm, dann sank sie wieder bis zur 9.8 Größe. Am
») Terkes-Observatory Bulletin Nr. 19.
•) Astron. Nachr. Nr. 8867.
Fixsterne. 181
Abende des 1. Mai schien die Nova fast 7« Größenklasse heller als
24 Stunden vorher, nämlich 9.3 Gr.
Auf der Lickstemwarte konnte wegen ungünstiger Witterung
die Untersuchung der Nova erst am 1. April beginnen.^) An diesem
Tage wurden mit dem Großleyreflektor bei Expositionen von 1 Minute
bis 106 Minuten vier photographische Negative erhalten. Diese Auf-
nahmen zeigen, daß die Nova ungeachtet ihrer rotlichen Farbe
reich an aktinischen Strahlen ist Bei Schätzung der Helligkeit mit
bloßem Auge fand sich die Nova 0.1 — 0.2 Größenklasse heller als ein
benachbarter Stern, der in der Bonner Durchmusterung zu 8.6 Gr.
angegeben ist Die genaueste Untersuchung der Platten Ueß keine
Spur von Nebeligkeit um dieselbe erkennen, wie solche bei der Nova
im Perseus sichtbar war, was an und für sich nicht überraschen
kann, wenn man erwägt, wie viel heller diese war als die jetzige
Nova in den Zwillingen. Es wurde auf der Lickstemwarte be-
absichtigt, eine Aufnahme mit 4 oder 5 Stunden langer Exponierung
auszuführen, ein Plan, der aber leider durch anhaltend schlechtes
Wetter vereitelt wurde.
Die Position der Nova ergab sich aus der Photographie am
Großleyreflektor, auf der außer der Nova noch 13 Sterne sich be-
fanden, deren Orte anderweitig bekannt sind, ün Mittel (für 1903.0):
Rekt. 6^ 38«^ 0.5», Dekl. +30® 2* 28.7".
Auf den Platten erscheinen innerhalb eines Kreises von 2' Durch-
messer um die Nova 11 Sterne von 9.4 — 15. Gr., von denen einer
ein Doppelstern ist
Das Spektrum der Nova wurde zunächst am Großleyreflektor
mit dem kleinen spaltlosen Spektrographen aufgenommen, und zwar
6 Negative in der Nacht des 2. April mit Expositionen von 10 Sekunden
bis zu 19 Minuten. Mit 30 Sekunden Exponierung erschienen die
starkem Linien recht schwach, 5 Minuten Expositionsdauer gaben
dagegen ein gutes Negativ. Das Spektrum zeigte sich bestehend
aus hellen Ldnien und Banden, die einem kontinuierlichen Spektrum
überlagert sind, und ausgedehnt von der Ldnie B.ß bis zur Wellen-
länge i. 335. Im allgemeinen Aussehen ist es ähnlich dem Spektrum
der Nova im Perseus, wie dieses im April 1901 von Campbell und
Wright mit dem Millsspektrographen erhalten wurde, in demjenigen
Teile nämlich, wo die beiden Instrumente vergleichbare Bilder geben.
Da keine Aufnahmen des ultravioletten Spektrums der Nova im
Perseus aus der Zeit vor September 1901 vorhanden sind, als der
Stern keinen Nebel zeigte, so ist das frühere Verhalten der Spektral-
linien X 339 und i, 346 unbekannt Im Spektrum der Nova in den
Zwillingen zeigen sich diese Linien in den obigen Aufnahmen noch
nicht, doch ist das Spektrum an den betreffenden Stellen entschieden
^) Lick-Observatory Bulletin Nr. 87.
182 FixBteme.
kraftiger. Wenig Ähnlichkeit zwischen dem Spektrum der Nova Persei
im September 1901 und dem obigen Spektrum der Nova Geminonun
leigt sich in der Region oberhalb der Linie H d^ auch ist die Haupt-
nebellinie bei >l 601 im letzten Spektrum nicht zu sehen, während sie in
jenem der Nova Persei sehr deutlich war. Es ist wahrscheinlich,
daß diese Unterschiede beider Spektra von dem verschiedenen Stadium
der Entwicklung beider Sterne zur Zeit der Aufnahme herrühren, und
daß, sobald die Nova Geminorum das Nebelstadium erreicht hat, ihr
ultraviolettes Spektrum mehr und mehr mit dem der Nova Persei
übereinstimmen wird.
Am 8., 5., 6. und 8. April wurden weitere Spektrogramme er-
halten. Ein Vergleich der Aufnahme vom 2. mit derjenigen vom
8. April zeigt, daß innerhalb dieser 6 Tage Veränderungen im Charakter
des Spektrums stattgefunden hatten. Die bemerkenswertesten der-
selben sind im ultravioletten Teile erkennbar, wo das kontinuierliche
Spektrum schwächer geworden war. und folglich die Banden X 350»
874 und 884 deutlicher hervortraten. Femer sind Anzeichen vor-
handen über die Entwicklung der Linien bei X 389 und 846 ; unter-
halb der Linie Hd scheint dagegen keine merkliche Änderung im
Aussehen des kontinuierlichen Spektrums eingetreten zu sein. Die
Linie Hj? war dagegen schwächer geworden, und Spuren von Er-
hellung zeigen sich in der Region der Hauptnebellinie. Die Unter-
suchung des Spektrums mit bloßem Auge zeigte die Linie Ha stets
sehr augenfällig, und eine Zunahme der Helligkeit dieses Spektrums
in dem gelben Teile nahe der Natriumlinie wurde festgestellt Die
optische Helligkeit der Nova nahm vom 1. — 8. April langsam ab»
sie war am letzten Tage 8.6 Gr. Eine am 18. April erhaltene
spektrographische Aufnahme zeigte keine weitem Änderungen. Am
26. April wurden 2 Aufnahmen erhalten, davon eine mit 1^ Expo-
nierung. Dieses Negativ zeigt eine Linie von der Wellenlänge il 501»
wahrscheinlich die Hauptnebellinie. Eine am 11. Mai unter un-
günstigen Umständen erhaltene Aufnahme zeigt gleichwohl die Haupt-
nebellinien deutlicher als die frühere Aufnahme. Die Nova war an
diesem Abende etwa 9.5 Gr. Die vorstehend mitgeteilten Unter-
suchungen sind von C. D. Perrine ausgeführt worden.
Die Nachforschung in dem photographischen Materiale der Harvaitl-
Sternwarte ergab, ^) daß die Gegend der Nova 1903 März 1 15^ 3"^
m. Gr. Zt aufgenommen worden war, daß aber diese Platte, welche-
Sterne 11.9 Gr. enthält, keine Spur der Nova zeigt. Ebensowenig
findet sich solche auf 16 Platten zwischen dem 3. März 1890 und
dem 28. Februar 1903, obgleich alle diese Platten Sterne bis unter
12. Größe enthalten. Eine Platte aufgenommen 1908 März 2 13^19™-
zeigt Sterne 9. Größe, aber von der Nova nichts. Die nächstfolgende
Platte ist vom 6. März 14^ 28^^ und stellt die Nova als Stern
*) Harvard-Observatory Circular Nr. 70.
Fixsterne. 183
5.6 Größe dar. In den darauf folgenden Nächten des 11., 12., 13., 14.
und 15. März zeigt die Nova auf den Platten langsame Lichtabnahme
auf 6.8, 7.1, 7.15, 7.8, 7.4 Größe. Das Spektrum zeigt sich ähnlich
dem der Nova Sagittarii am 19. April 1898. Nach den Beobachtungen
von Bamard^) war die Nova Ende April bereits zur 10. Größe herab-
gesunken, stieg dann aber wieder etwas, um vom 18. Mai ab abermals
die 10. Größe zu erreichen.
Ein Verzeiclmis von 100 neu entdeckten und vermes-
senen Doppelsternen veröffentlicht W. J. Hussey.*) Es ist der
6. Katalog der von ihm am 12- und 36-zolligen Refraktor der Lick-
stemwarte entdeckten Doppelsterne, Die Distanzen der Begleiter
vom Hauptstem sind sämtlich geringer als 5''. Besonders interessant
ist der Stern Nr. 507 als ungewöhnlicher dreifacher Stern. Sein Ort
am Himmel (für 1900.0) ist:
AR 0^ 22"» 21«, D + 48« 28.2';
der Hauptstern A ist 9.3, die Begleiter sind: B 9.5, G 9.8 Gr.
Hussey gibt folgende Messungen (für 1902.75):
AB d = 1.55" p = 180.8«
BC 1.47 243.6
AC 1.61 188.7
Einen ahnlichen dreifachen Stern hat Hussey noch nicht ge-
sehen; die Helligkeit der Komponenten ist nahezu gleich, und sie
bilden fast ein gleichseitiges Dreieck.
Der Stern Nr. 580 des Verzeichnisses {i Serpentis) in
AR 15^ 37« 6«; D + 19<> 59.5'
besteht aus 2 Sternen 5.0 Gr. von nur 0.21" Distanz; nur die aller-
größten Refraktore können die Duplizität zeigen. Das Paar ist ähn-
lich d Equulei und x Pegasi, den beiden Systemen mit dem raschesten
Umlauf ihrer Begleiter.
Der Struvesche Doppelstem 0-? 128 (AR 5 ^^ 56™ 33», D + 51«
84.6') zeigte den Begleiter selbst doppelt (9.0 und 10,0 Gr.),
1902.76 :d = 0.52" p = 339.5®. Die Hauptkomponente des Struve-
schen Doppelstemes 2 608 in
AR 4^ 50»» 6»; D + 51» 56.2'
erwies sich ebenfalls doppelt (8.5 und 8.7 Gr.). Die Messungen
(1902.71) ergaben: d = 0.16", p = 309.6".
Der Herschelsche Doppelstem h 8196 in
AR 23^ 24™ 40«, D — 21<> 7,6'
zeigte den Hauptstern doppelt (8.5 und 8.8 Gr.), die Messungen
(1901.44) ergaben : d = 0.40" p = 85.4 ^. Der Herschelsche Be-
gleiter hat gegen den Hauptstern folgende Position (1900.776)
d =20.74" p = 19.6».
^) Astrophys. Journal 1908. p. 876.
■) Lick-Observatoiy Bulletin Nr. 27.
134 Fixsterne.
Hessungren von 117 neuen Doppelsternen an dem 12- und
dem 36-zolligen Refraktor der Lickstemwarte veröffentlicht B. Q. Aitken.^)
Was die Distanzen des Begleiters betrifft, so verteilen sich dieselben
in folgender Weise:
0.25^ oder weniger 8 Sterne
0.26" bis 0.50" 24
0.51 ., 1.00 28 ,.
1.01 „ 2.00 29
2.01 „ 6.00 28 „
Mit nur wenigen Ausnahmen sind die Hauptsterne dieser Paare
unter 8. Größe. Von hellen Sternen ist 88 Aquarü (A.R. 22^ 59"* 57«
D — 8^ 14' für 1900.0) bemerkenswert Dieser besteht hiemach
aus 2 Sternen je 6. Größe in folgender Position p = 61.0<> d = 0.19"
1902.64.
Die Bahn von S BootiS ist von W. Doberck neu berechnet
worden,*) nachdem die früher (1888) abgeleitete Bahn die beob-
achteten Distanzen gegenwärtig nicht mehr genügend darstellt Die
Beobachtungen, auf welche die neue Rechnung sich stützt, umfaßt
den Zeitraum von 1820 — 1900 und führten auf folgende Bahnelemente:
ß=1830 8' P= 140.84 Jahre
A=314» 6' T= 1907.10 .
y= 46« 8' a= 1.6115-
e==s 0.6163 Bewegung: rückläufig
Die Bahn des Doppelsternes e Hydrae. Dieser Stern
3.8 Gr. hat, wie P. W. Struve früher gefunden, einen Begleiter 7.8 Gr.
in 8.5" Distanz (H 1273). Schiaparelli entdeckte 1888, daß der
Hauptstem für sich doppelt ist und aus 2 Sternen 4.5 und 5. Gr.
besteht, die nur 0.2" voneinander entfernt sind. Die Messungen,
die Bumham in den Jahren 1888 — 1892 ausgeführt, zeigten, daß
dieser Begleiter seinen Positionswinkel in diesen 4 Jahren um 40^
änderte, und fernere Messungen auf der Lickstemwarte ergaben bis
1900 sogar eine Stellungsänderung bis zu 150 ^ Im Jahre 1901
konnte Aitken auch am 36 -Zoller der Lickstemwarte den Stern nur
einfach und rund sehen, aber im darauffolgenden Jahre und ebenso
1903 bot die Messung keine Schwierigkeiten dar. Auf Grund sämt-
licher Messungen findet Aitken jetzt,') daß die Umlaufsdauer des
Begleiters nur 15.7 Jahre beträgt, als Zeit des Periastmms 1901.1i
als halbe große Achse der scheinbaren Bahn 0.24" und als
Exzentrizität 0.685. Diese Ergebnisse können aber nur als pro-
visorische betrachtet werden. Die beiden Komponenten sind nach
Aitken in Helligkeit um 2 Größenklassen verschieden. Der Stnivesche
Begleiter hat seine Position seit 1830 um 38^ geändert, während
*) Lick-Observatory Bulletin Nr. 29.
•) Asiron. Nachr. Nr. 3900.
*) Publ. Astron. Soc. of the Pacific 1903. Nr. 89. p. 85. Lick-Observatory
Bulletin p. 36.
Fixsterne.
135
sein Abstand vom Hauptsteme unverändert blieb. Sonach ist er also
mit diesem physisch verbunden, und e Hydrae bildet optisch ein drei-
faches System. Die neuesten spektroskopischen Untersuchungen des
Hauptstemes zeigen, daß dessen radiale Geschwindigkeit (in der
Gesichtslinie zur Erde) veränderlich ist, vermutlich in verhältnismäßig
langer Periode. Es ist von Interesse, daß die Platten, welche die
größte Geschwindigkeit (-}- 43 Arm in der Sekunde) anzeigen, erhalten
wurden, als der innerste optische Begleiter naJie in der Linie der
Knoten stand, während die Platten mit der geringsten Geschwindig-
keit {-\- 28 km) erhalten wurden, nachdem derselbe einen Bogen von
180^ beschrieben hatte und wieder nahe der Enotenlinie stand. Dies
macht wahrscheinlich, daß der Hauptstem und sein sichtbarer Be-
gleiter identisch ist mit dem spektroskopischen Doppelsteme, doch
müssen weitere Beobachtungen abgewartet werden, ehe diese Tat-
sache als sicher betrachtet werden kann.
Die radialen Geschwindigkeiten von 20 Sternen mit
Spektren des Oriontypus wurden auf der Yerkesstemwarte mit
dem Bnicespektrographen bestimmt.^) Obgleich diese Spektra den
Messungen große Schwierigkeiten entgegensetzen, sind die erhaltenen
Resultate doch recht gut übereinstimmend. Zu den Messungen wurden
Spektrallinien des Heliums, Sauerstoffs, Siliciums, Stickstoffs, Wasser-
stoffs und Magnesiums benutzt. Die für die einzelnen Sterne erhaltenen
Resultate sind folgende in Kilometern pro Sekunde:
Y Pegasi .
+ 5.4
e Can. maj. . .
, + 27.2
C Cassiopeiae
+ 2.9
t] Leonis . .
. + 8.6
e Cassiopeiae
— 5.9
y Corvi . . .
— 7.0
f Persei . .
+ 22.1
T Herculis . .
— 12.7
ß Orionis .
-- 20.7
f Draconis . ,
— 14.4
y Orionis.
-- 18.0
( Herculis . .
. — 16.4
e Orionis
-- 26.7
67 Ophiuchi . .
, — 3.1
C Orionis
-- 18.8
102 Hercnlifl . .
, — 10.8
X Orionis
-- 17.1
Tj Lyrae . . .
— 9.1
ß Can. maj.
-- 32.6
e Delphini . .
. — 26.2
Ein Stern mit großer Radialbewegrang ist nach H. M. Reese
q>^ Orionis (a = 5^^ 31«* d = -j- 9® 15'). Dieselbe wurde im Herbst
1902 zu -j- 94 bis + 102 km von Curtis gefunden.*)
Fundamentalsterne zur Bestimmung der radialen Ge-
schwindigkeiten* Prof. Edwin B. Frost hat den Vorschlag gemacht,
behufs Vergleichung der Genauigkeit der Messungen eine Anzahl von
^Wdamentalsternen auszuwäMen, die von den verschiedenen Be-
obachtern welche sich mit spektroskopischen Ermittlungen der in die
*) PubL of the Astron. Soc. of the Pacific 1908. Nr. 89 p. 103.
") Lick-Observatory Bulletin Nr. 31.
136
Fixsterne.
Gesichtslinie zur Erde fallenden (radialen) Komponente ihrer Eigen-
bewegungen beschäftigen^) alljährlich und genau bestimmt werden
sollen. Er schlug zu diesem Zwecke die in nachstehendem Verzeich-
nis aufgeführten 20 Sterne vor. Die dabei angegebene Spektral*
klasse ist der Elassifikation von Miss Maury entnommen.
Sterne
R.A.
Dec.
Größe
Spektral-
ß Gassiopeiae
a Arietis . .
a Persei . .
a Tauri . .
ß Leporis . .
y Geminoram
ß Geminorum
ß Gancri .
o Hydrae .
a Crateris
ß Corvi .
a Bootis .
a Serpentis
ß Ophiuchi
17 Serpentis
y Aquilae .
fi Cygni .
« Pegasi .
a Aquarii .
y Pisci^ .
Oh 04na
2 02.
8 17
30
24
4
6
6
7
8 11
9 23
10 55
12 29
14 11
15 39
17 38
18 16
19 42
20 42
21 39
22 Ol
23 12
58* 36'
23 0
49 30
+ 16 19
20 51
+ 16 29
--28 16
-- 9 30
— 8 13
— 17 46
— 22 50
+ 19 44
+ 6 44
+ 4 36
— 2 56
+ 10 22
+ 33 36
+ 9 25
— 0 49
+ 2 44
2.4
2.0
1.9
1.0
8.0
2.0
l.l
3.8
2.2
4.1
2.8
0.0
2.7
2.9
3.4
2.8
2.7
2.4
3.2
3.8
XII ab
XVa
XUac
XVI a
XlVa
vina
XVa
XVa
XVa
XVa
XIV a
XVa
XVa
XVa
XVa
XVa
XVa
XVa
XIV ac
XVa
Dieser Vorschlag hat den Beifall der Hauptbeobachter auf diesem
Gebiete, Belopolsky, Campbell, Newall, Vogel gefunden und ist im
wesentlichen von diesen angenommen.
SpektFOSkopisehe Doppelsterne. Mit der Genauigkeit der
spektrographischen Apparate nimmt die Zahl der auf spektro-
skopischem Wege als Doppelsysteme erkannten Fixsterne stetig zu, und
es hat fast den Anschein, als wenn im Fixstemreiche die isolierten
Sterne wie unsere Sonne keineswegs die Regel bilden. Seit dem
letzten Berichte^ sind auf der Lickstemwarte folgende Sterne mit
veränderlichen Bewegungen in der Gesichtslinie zur Erde, die also
spektroskopisch nachweisbare Doppelsteme sind, entdeckt worden:^)
vAndromedae. Gemäß den Verschiebungen von Spektrallinien
des Heliums und Magnesiums betrug die Geschwindigkeit des Sternes
in der Gesichtslinie zur Erde am 8. Oktober 1902 — 17 A»» in der
Sekunde, am 5. November — 76 Am, am 14. Januar 1903 + 49 fe».
^) Astrophysical Journal 1903. 16. Nr. 8. p. 169.
^ Dieses Jahrbuch 18. p. 128.
*) Lick-Observatory Bulletin Nr. 81 u. 46.
Fixsterne. 137
js^ Orionis. Das Spektrum ist ähnlich dem des vorher genannten
Sternes. Die radiale Geschwindigkeit war 1902 Oktober 6 -f-^3 Acm,
1903 Januar 4 0 km, Januar 12 -|- 6 km.
a Geminorum. Das Spektrum eAthalt eine große Anzahl metal-
lischer Linien, doch sind die meisten nicht scharf, so daß die Messungen
weniger genau ausfallen, als sonst der Fall sein würde. Es ergibt
sich aus ihnen für 1902 März 16 eine radiale Geschwindigkeit von
-|- 74 km, 1903 Januar 12 von -|- 12 km, Januar 13 von -^-9 km.
i Argus. (a = 8^ 3.3»»; <J == — 24<> 1'). Von Prof. CampbeU
schon 1898 erkannt. Die Geschwindigkeit variiert nach den
Messungen von Reese zwischen -^ 41.9 und -|- 50.3 km.
y Gor vi. Gemessen wurden 5 Platten die, vom 30. Dezember
1902 bis zum 17. Mai 1903 aufgenommen waren. Die Geschwindig-
keit variiert zwischen — 20 und + ^ Am,
17 Virginis. 2 Aufnahmen (1903 Mai 17 und 24) lieferten Ge-
schwindigkeiten von -^Vl und -|- 4 Am.
a Draconis. Das Spektrum dieses Sternes wurde 1902 Juni 16
und 1903 April 29, sowie Mai 24 photographiert Die Untersuchung
ergab Veränderung der radialen Geschwindigkeit zwischen 0 und — 43 km.
cHerculis. 2 Aufnahmen im Mai 1903 zeigen Veränderungen
der Geschwindigkeit von — 70 und — 34 km.
dAquilae. 4 Aufnahmen in den Jahren 1900 — 1903 lassen
Geschwindigkeitsänderungen von — 2 bis — 35 /cm erkennen.
Auf der Yerkesstemwarte wurden durch Edwin B. Frost und
Walter S. Adams folgende Sterne mit veränderlichen Radialgeschwindig-
keiten entdeckt:^)
d Ceti. Die Geschwindigkeit wechselt zwischen -{-6 und
-f- 16 Acm in der Sekunde. Die Spektrallinien sind jedoch scharf
und relativ leicht messbar.
V Eridani. Ähnelt im Spektrum b Ceti; die Geschwindigkeit
wechselt zwischen -f- 3 und -|- 28 km.
7^ Orionis. Die Messungen sind schwierig. Der Wechsel der
Geschwindigkeit rangiert zwischen — 35 und -|' ^^ ^> ^^^ ^^®
Periode ist augenscheinlich kurz.
C Tauri. Das Spektrum dieses Sternes ist eigentümlich. Die
Linie YLy erscheint auf den Platten bemerkenswert scharf und intensiv«
Die Geschwindigkeit wechselt zwischen + 2 und -|- 34 km, und die
Periode scheint ziemlich lang zu sein.
17 Virginis. 3 Platten ergaben Geschwindigkeiten zwischen
— 31.5 und -|- 0.2 km. Der Stern zeigt ein zusammengesetztes
Spektrum, beide Komponenten gehören zu Vogels Typus la 2 oder
Miss Maurys Typus Villa.
u Herculis. Dieser Stern gehört zu den photometrisch ver-
änderlichen; seine Geschwindigkeit wechselte 1903 in den Monaten
') Astrophys. Journal 1908. 17. p. 160. 246. 881. 16. p.
138 Fixsterne.
Februar bis Mai zwischen — 66 und -[" ^^^ ^^^'^ ^^^ Linien seines
Spektrums sind breit und verwaschen, die Messungen daher um
mehrere Kilometer unsicher.
57 Gygni. 2 Aufnahmen im Mai 1903 lieferten Oeschwindig-
keiten von — 114 und — 23 km,
61 Gygni. Dieser Doppelstem ist bekannt als der erste Fix-
stern, dessen Entfernung von der Erde (durch Bessel) direkt gemessen
wurde, und ist daher die Bestimmung der radialen Geschwindigkeiten
seiner beiden Komponenten von besonderem Interesse. Die Anwen-
dung des Brucespektrographen mit einem Prisma bot die Möglichkeit,
für beide Komponenten gesonderte Bestimmungen zu erhalten. Diese Auf-
nahmen geschahen durch Walter S. Adams. Die Messungen des Haupt-
stemes 61^ Gygni an den Aufnahmen vom 11. August 1902, vom 17. Mai
und 6. Juni 1903 ergaben in guter Übereinstimmung als Geschwindig-
keit in der Richtung der Gesichtslinie zur Erde den Wert von — 62 km pro
Sekunde. Die Aufnahmen am 9. Januar, 7. Mai und 5. Juni 1908 er-
gaben für den Begleiter 61^ Gygni im Mittel eine Geschwindigkeit von
— 63 kni in der Sekunde. Die Unsicherheit beider Resultate übersteigt
wahrscheinlich nicht 8 km. Für den Stern 61^ Gygni hatte 1895 Belo-
polsky in Pulkowo aus Aufnahmen auf 2 Platten eine radiale Ge-
schwindigkeit von — 54 km erhalten. Diese Messungen sind nicht so
genau als die jetzt von der Yerkesstemwarte veröffentlichten, doch
stehen sie mit diesen in guter Übereinstimmung und beweisen, daß
die zuletzt erhaltenen Werte von der Wahrheit nicht weit abweichen
können. Femer lehrt die Übereinstimmiing der für die beiden Kom-
ponenten von 61 Gygni erhaltenen Radialgeschwindigkeiten, daß diese
Sterne physisch zusammengehören. Nimmt man für sie eine Parallaxe
von 0.4" und eine scheinbare Eigenbewegung von 5.2" jährlich an,
so ergibt sich als ihre wahre Bewegung im Räume eine Geschwindig-
keit relativ zur Sonne von 64 Avn in der Sekunde, während die
Geschwindigkeit der Erde um die Sonne nur 29.6 km pro Sekunde
beträgt.
eUrsae majori s. Die radiale Geschwindigkeit dieses Sternes
ist schon 1889 — 1890 in Potsdam zu — 30.4 km pro Sekunde
bestimmt worden. Eine Aufnahme mit dem Bruceschen Spektro-
graphen im April 1902 ergab dafür den sehr abweichenden Wert
— 8 km. Die Linien im Spektrum dieses Sternes sind zwar schwierig
zu messen, aber die gefundene Abweichung von den Ergebnissen der
Potsdamer Messungen erschien doch so erheblich, daß der Stern auf
der Yerkesstemwarte auf die Liste der noch weiter zu beobachtenden
Sterne gesetzt wurde. Infolgedessen sind in den Jahren 1902 und
1908 an 9 Abenden photographische Spektralaufnahmen desselben
ausgeführt worden, die im Büttel auf eine Geschwindigkeit von
— 9.4 km pro Sekunde führten. Sonach ist kein Zweifel, daß die
radiale Geschwindigkeit dieses Sternes erhebUch von derjenigen im
Jahre 1899 abweicht, und es wird wahrscheinlich, daß er ein spektro-
Fixsterae. 139
skopischer Doppelstern von wesentlich längerer Umlanfsdauer ist als
die bis jetzt bekannten.
^Scorpii. Es liegen 4 Aufnahmen aus 1902 und 1903 vor,
aus denen sich Geschwindigkeiten zwischen -[-19 und — 99 km
ergaben. Das Spektrum dieses Sternes gehört dem Oriontypus an,
aber alle Linien desselben sind ungemein breit, und daher die Messungen
am verschiedene Kilometer unsicher.
e Herculis. Dieser Stern besitzt ein zusammengesetztes
Spektrum, und dessen Veränderungen werden Gegenstand weiterer
Untersuchungen sein. 3 Aufnahmen aus den Monaten April, Mai
und Juni 1903 lieferten Geschwindigkeiten von — 58, —43 und
— 22 Äw, doch sind diese Angaben nur provisorische.
T Tauri. 3 Aufnahmen im Februar und März 1903 zeigten,
daß dieser Stern, der seinem Spektrum nach zum Oriontypus gehört,
Veränderungen der radialen Geschwindigkeit besitzt, die bis zu 75 km
sich belaufen.
yf 0 r i 0 n i s. Ebenfalls ein Stern des Oriontypus. 3 Aufnahmen
im Februar und März 1903 ergaben radiale Geschwindigkeiten von
— 122, -|-148 und — 13 Am, also eine ganz ungemein große und dabei
rasche Veränderlichkeit
Auf dem astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam sind
ebenfalls wieder mehrere spektroskopische Doppelsteme entdeckt
worden, worüber folgendes zu berichten ist:
o Per sei. Dieser Stern wurde 1877 von Burnham als Doppel-
stem erkannt, mit einem Begleiter 7. — 8. Größe. Die scheinbare
Distanz des letztem von seinem Hauptsterne beträgt etwa 1", und
geringe Bewegungen desselben im Positionswinkel sind angedeutet.
Im Frühjahre 1902 wurde von o Persei auf der Yerkessternwarte an
5 Abenden das Spektrum photographiert, und nach der Mitteilung
von W. S. Adams ^) zeigten sich dabei Verschiebungen der dunklen
Linien, welche auf Geschwindigkeiten des Sternes in der Gesichts-
linie zur Erde von mehr als 100 km pro Sekunde führten, und außer-
dem rasche Änderungen derselben. Dies veranlaßte H. G. Vogel, die
spektralphotographische Aufnahme des Sternes näher ins Auge zu
fassen. Die Ergebnisse, zu denen diese Arbeiten führten, hat Prof. Vogel
der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften unlängst vorgelegt,^
diese Abhandlung enthält im wesentlichen das Nachfolgende :
Einige Aufnahmen vom Spektrum dieses Sternes, von Dr. Eberhard
mit dem Spektrographen FV am photographischen Refraktor (32.5 cm)
des Potsdamer Observatoriums angefertigt, zeigten, daß o Persei auch
mit diesem Instrumente unter Anwendung stärkerer Zerstreuung, wie
sie der Spektrograph IV gibt, mit Erfolg zu beobachten ist. Bisher
sind von Dr. Eberhard unter Assistenz von Dr. Scholz 18 Spektro-
^) Astrophys. Journal 15. Nr. 8.
*) Sitzber. d. K. Preuß. Akad. d. W. 1902. 5a. p. 118 ff.
140 Fixsterne.
gramme hergestellt worden, deren Ausmessung und weitere Be-
arbeitung Prof. Vogel vorgenommen hat. Der Stern ist 4. Größe;
sein Spektrum ist ein schlecht ausgeprägtes Spektrum der Klasse Ib,
in dem Prof. Vogel nach frühern Aufnahmen bei geringerer Dispersion
16 Linien, meist dem Wasserstoffe und dem Cleveitgase angehorig,
messen konnte.^) Die Linien, besonders die des Wasserstoffes, waren
auch bei schwacher Dispersion sehr matt und überdeckt Bei der
starkem Zerstreuung des Spektrographen IV erschien in dem unter-
suchten Teile des Spektrums die Wasserstofflinie Hy als eine schwache
Aufhellung in dem kontinuierlichen Spektrum; die außerdem noch
sichtbare und meßbare, dem Gleveitgasspektrum angehörende Linie
l 4472 war matt und breit, und die auf den meisten Platten meßbare
Clevietlinie X 4388 war ihr ähnlich.
Die Messungen konnten sich nur auf die sehr breite, verwaschene
H^ -Linie und auf die beiden matten, breiten Gleveitgaslinien i, 4388
und l 4472 beziehen.
Dr. Eberhard hat sich die größte Mühe gegeben, die Expositions-
zeit den atmosphärischen Verhältnissen anzupassen, und hat besonders
auch große Sorgfalt auf die Entwicklung der Platten verwendet. Die
Expositionszeit schwankte zwischen 30 und 60 Minuten; im Durch-
schnitte war sie 40 Minuten. Die Spaltbreite betrug bei allen Auf-
nahmen 0.02 mm.
Ob bei der neun- bis zehnmal großem Lichtstärke des Instru-
mentes der Yerkesstemwarte und der dadurch bedingten kurzem
Expositionszeit die Aufnahmen bei derselben Dispersion erheblich
besser werden können, schien Prof. Vogel bei der Eigentümlichkeit
des Spektrums fraglich, sonst hätte er die Untersuchung nicht weiter-
geführt und würde sich damit begnügt haben, aus der Messung an
einigen Aufnahmen zu konstatieren, daß bei diesem Sterne innerhalb
einer Periode von 4.4 Tagen Ändemngen der im Visionsradius
gelegenen Geschwindigkeitskomponente von über 200 km pro Sekunde
vorkommmen.
Über die Messungen teilt Prot Vogel noch mit, daß er die Ver-
schiebungen der Linien im Stemspektrum aus der Messung der Distanz
der drei oben erwähnten Linien im Stemspektrum gegen benachbarte
Linien des Vergleichsspektmms (Fe) abgeleitet hat
Die Messungen auf den Platten sind ganz besonders schwierig,
und Prof. Vogel bemerkt in dieser Beziehung beispielsweise, daß unter
schwacher (zehnfacher) Vergrößerung auf einer Platte eine der Linien
ganz schief zur Längsrichtung des Spektrums zu stehen schien,
während unter Anwendung stärkerer Vergrößerung, bei welcher die
Struktur der Platte deutlich zu erkennen war, sich herausstellte, daß
durch einen kleinen schrägen Strich, der sich innerhalb der Spektral-
') Publik, des Astrophys. Obs. 12. p. 88.
Pixsteme. 141
Mnie des Sternes durch Zusammenfließen einiger Silberkömehen gebildet
hatte, der Eindruck des Schiefstehens der Linie bei schwächerer Ver-
größerung hervorgebracht wurde.
Im ganzen wurden 18 Platten untersucht, die in der Zeit vom
2. — 27. November 1902 aufgenommen waren. Die erhaltenen Er-
gebnisse für die Geschwindigkeiten und die Zeiten der Aufnahmen,
auf die sie sich beziehen, wurden durch eine Kurve verbunden, wo-
durch sich ergab, daß die Periode zu 4.39 Tagen anzusetzen ist.
Eine genauere Ableitung derselben ist erst auf Grund weiterer Be-
obachtungen nach längerer Zeit möglich. Die Annahme 4.39 Tage
hat jedoch genügt, die Reduktion der verschiedenen Beobachtungen
für eine übersichtlichere graphische Darstellung auf den Zeitraum
einer Periode auszuführen. Prof. Vogel fand weiter, daß eine
bemerkenswerte Abweichung von einer Kreisbahn nicht vorhanden ist
Was die Genauigkeit der Beobachtungen anbelangt, so ist die-
selbe zwar gering, aber doch größer ausgefallen, als Prof. Vogel
anfänglich erwartet hatte. Wenn man die Werte für die einzelnen
Linien auf einer Platte mit dem Mittel vergleicht, so ergibt sich der
wahrscheinliche Fehler der aus einer Linie auf einer Platte abgeleiteten
Qeschwindigkeitsbestimmung zu ^9 km; dem Mittel aus den Messungen
an einer Platte würde demnach der wahrscheinliche Fehler ^ b km
entsprechen.
Bei einer genauen Betrachtung der aus den 3 Linien auf einer
Platte abgeleiteten Geschwindigkeiten fiel es Prof. Vogel jedoch auf,
daß, mit Ausschluß derjenigen Platten, auf denen die Linien nur
eine geringe Verschiebung zeigen, mit wenigen Ausnahmen die aus
der Verschiebung der Linie H^ abgeleiteten Geschwindigkeiten, absolut
genommen, kleiner sind als das Mittel der aus den Messungen an den
Linien des Cleveitgasspektrums erhaltenen Werte.
Gibt man die B.ealität der Abweichungen zu, so gestattet, wie
Prof. Vogel zeigt, diese einen weitern Einblick in das untersuchte
Doppelstemsystem.
»Der Umstände, sagt er, »daß eine periodische Verdoppelung
der Linien nicht wahrnehmbar ist, könnte zu der Annahme führen,
daß der eine Körper dieses Systems dunkel sei. Die große Mattig-
keit der Linien des Cleveitgasspektrums läßt jedoch darauf schließen,
daß das Spektrum von einem zweiten überdeckt ist Die breiten
verwaschenen Wasserstofflinien passen ferner nicht zu dem typischen
Spektrum der Klasse Ib und führen weiter zu der Annahme, daß
das überdeckende Spektrum der Klasse I a 2 angehören müsse. Die
ganz zarten Metalllinien, welche neben den breiten verwaschenen
Wasserstofflinien bei dieser Spektralklasse auftreten, verschwinden
gänzlich durch die Überdeckung dieses Spektrums mit dem Spektrum Ib
des sich stark bewegenden Körpers. Unter diesen Annahmen erklärt
sich sehr leicht, weshalb die Messungen an der H;^- Linie geringere
142 FIxBtenie.
Geschwindigkeiten ergeben, als die an den Gleveitlinien. Die sdmial^e
und weniger verwaschene Linie des Spektmms Ib verbreitert und
verstärkt bei absoluter Deckung der Spektra beider Sterne das Ab-
sorptionsmaximum der sehr breiten und verwaschenen linie H^^ des
Spektmms la 2. Bei einer Verschiebung beider Spektra gegeneinander
bleibt die Linie des Spektrums Ib innerhalb der breiten Linie des
andern Spektrums, die Intensitätskurven beider Linien setzen sich
aber so aneinander, daß ein breiteres, unsymmetrisch zur Mitte des
Gesamtbildes beider Linien liegendes Maximum entsteht. Die Messung
der H^- Linie mit dem periodisch sich verschiebenden Spektrum Ib
wird also beeinflußt durch die H 7 -Linie des Spektrums Ia2, und
zwar in der Weise, daß die Messungen der Verschiebung, absolnt
genommen, zu klein ausfallen. In welchem Maße dies geschieht, ist
natürlich ganz von der relativen Intensität der Absorptionslinien
beider Spektra und von der Güte des Spektrogramms abhängig.
Trotz der Schwäche und der Breite dieser Absorptionslinien ist an-
zunehmen, daß 2 Maxima in der zusammengesetzten H}' -Linie zu
Zeiten der größten Verschiebungen erkennbar sein würden, wenn beide
Komponenten des Doppelstemes stärkere Verschiebungen erleiden«
Selbst bei einer geringen Bewegung des zweiten Sternes würde der
Einfluß auf die Auffassung der zusanunengesetzten H 7 -Linie ein
ein stärkerer sein müssen, als er tatsächlich gewesen ist. Nach den
Beobachtungen scheint demnach die Annahme ziüässig, daß der Schwer-
punkt beider Körper sehr nahe an dem Sterne mit dem Spektrum la 2
oder selbst noch innerhalb desselben gelegen ist*
Mit dem Werte für die größte Geschwindigkeit von 110 km,
der Annahme, daß der Schwerpunkt des Systems innerhalb des einen
Körpers, und die Bahnebene in der Gesichtslinie zur Erde liegt, und
mit der Periode 4.39 Tage berechnet Prof. Vogel den Abstand beider
Körper zu 6 640 000 Am, und die Masse des Systems ergibt sich zu
0.6 der Sonnenmasse. Legt man der Rechnung als größte Geschwindig-
keit 115 km anstatt 110 km zugrunde, so ergibt sich für den
Abstand beider Körper 6940000 km, für die Masse des Systems
0.7 Sonnenmasse.
e Aurirae. Über diesen Veränderlichen machte Prof. Vogel in
der Preuß. Akademie der Wissenschaften Mitteilungen.^) Bei den vor
einigen Jahren, sagt er, an Stemspektren angestellten Untersuchungen
über die brechbarem Teile des Spektrums fiel es Dr. Eberhard auf,
daß in dem an der Grenze zwischen der Spektralklasse I und 11
stehenden Spektrum des bekannten Variabein £ Aurigae die Serie
der Wasserstofflinien im Violett über die Linien H und K hinaus
deutlicher hervortrat, als es bei den Sternen von ähnlichem Spektral-
typus der Fall ist Er vermutete, daß das Spektrum des Sternes als
') Sitzber. d. K. Preuß. Akad. d. W. 1902. p. 1068.
Fixsterne. 143
-eine Übereinanderlagerung zweier Spektra von verschiedenen Typen
anzusehen sei.
Große Verändeningen im Spektrum von e Aurigae, die allein
bei der geringen Dispersion des von Dr. Eberhard benutzten Spektro-
^aphen (D) mit einem Prisma hätten erkamit werden können,
zeigten zu verschiedenen Zeiten gemachte Aulnahmen des Spek-
trums nicht
Von Prof. Hartmann sind mit dem großen Spektrographen (III)
in Verbindung mit dem 80 cm^Refraktor Ende April und Anfang
Mai 1900 3 Spektrogramme angefertigt worden, welche bei der Ver-
^leichung untereinander in der Gegend der Linien mit den Wellen-
längen i 415 fxfi — l 455 ju^/jt nichts Auffälliges zeigten. Dr. Eber-
hard hat dann weiter mit dem vor 3 Jahren von Prof. Vogel für den
photographischen Refraktor von 32.5 cm Öffnung konstruierten Spek-
trographen (IV) mit 3 Prismen das Spektrum von e Aurigae am
9. November 1901 und am 18., 19. und 22. November 1902 auf-
genommen, Schon eine oberflächliche Vergleichung der Spektra aus
diesem Jahre mit dem vorjährigen Spektrum ließ erkennen, daß das
Stemspektrum eine Veränderung erlitten hatte, und eine von Prof.
Vogel daraufhin sogleich an den Spektrogrammen begonnene ein-
gehende Untersuchung und Messung hat bisher ergeben, daß die
Vermutungen Dr. Eberhards begründet waren, und tatsächlich das
'Spektrum von e Aurigae durch Übereinanderlagerung zweier Spektra,
und zwar eines Spektrums, ähnlich dem von a Gygni, und eines
Spektrums, an der Grenze der I. und IL Spektralklasse (a Persei,
y Gygni) gelegen, gebildet ist.
Gegenwärtig ist das erstgenannte Spektrum, das intensivere,
relativ zum andern nach Violett um einen Betrag verschoben, der
einer Bewegung von 30 — 40 km in der Sekunde entspricht Das
Spektrum unterscheidet sich zur Zeit wesentlich dadurch von dem
vorjährigen (1901), daß nur einige wenige Linien des Eisenspektrums
darin zu erkennen sind. Die meisten sind wahrscheinlich infolge der
Verschiebung der Spektra gegeneinander verschwunden, und es sind
im wesentlichen nur die Linien eines Spektrums ähnlich dem von
a Cygni zu erkennen, die meist doppelt erscheinen und dadurch
charakterisiert sind, daß die nach Violett gelegene Komponente mit
wenigen Ausnahmen die stärkere ist, und die Begrenzung der oft
schwer zu trennenden Doppellinien nach Violett äußerst scharf
erscheint. Bei den Linien des Wasserstoffs ist das besonders auf-
fallend, wie eine von Prof. Hartmann am 22. November 1902 her-
gestellte, sehr gelungene Aufnahme mit dem nur mit einem Prisma
versehenen Spektrographen (I) in Verbindung mit dem 80 cm-Refrak-
tor zeigt
Es unterliegt hiemach wohl keinem Zweifel, daß e Aurigae ein
spektroskopischer Doppelstem ist und wahrscheinlich ein solcher mit
sehr langer Periode.
144 Fixsterae.
Die Vergleichungen und AuBmessungen der Spektra bieten erheb-
liche Schwierigkeiten, indem besonders in einigen Teilen des Spek-
trums durch die Ungleichariigkeit der beiden übereinander gelagerten
Spektra Komplikationen entstehen. Prof. Vogel behalt sich vor,
später eingehender über die recht interessanten Details des Spektrums
dieses Sternes, der andauernd auf dem astrophysikalischen Obser-
vatorium zu Potsdam beobachtet werden wird, zu berichten.
a Corona e. Durch Aufnahme mit dem Spektrographen I des
großen Refraktors des Potsdamer Observatoriums fand^) Prof. Hart-
mann, daß auch dieser Stern 1. Größe eine veränderliche Eigen-
bewegung besitzt Die 13 Aufnahmen, welche zwischen 28. Mai 1902
und 23. Juni 1903 erhalten wurden, zeigen Werte für die radiale
Geschwindigkeit dieses Sternes, die zwischen — 20 km und -}-38 km
variieren (das Zeichen — bedeutet Annäherung, -f- Entfernung von
der Erde). Die Periode dieser Veränderung ist 17 Tage. Das Spek-
trum gehört zur Vogelschen Klasse la 2.
)?Arietis. Die Bewegungsänderungen gehen nach den Pots-
damer Aufnahmen^) bis zu 60 km; es ist auch auf 2 Platten eine
Verdopplung der Magnesiumlinie X 4481 zu erkennen, die eine rela-
tive Geschwindigkeit der Komponenten von 70 hn, bezw. 60 km ergibt.
Weitere Untersuchungen sind in Potsdam in Aussicht genommen.
(o Ursae. Aufnahmen aus der Zeit vom 25. April bis 22. Juni
1903 machen eine relative Bewegung der Komponente von ca. 45 km
in der Sekunde wahrscheinlich. Auch dieser Stern ist vermutlich
ein spektroskopischer Doppelstern.
e U r s a e. Die Abweichung des von Adams gefundenen Wertes
für die radiale Bewegung von dem 1889 zu Potsdam ermittelten, hat
Prof. Vogel veranlaßt, die neuen im Frühjahre 1903 dort erhaltenen Auf-
nahmen des Sternes zu vermessen. Er fand im Mittel von 7 Spektrogrammen
eine Bewegung von 9 Am. Obgleich, sagt Prof. Vogel, die Ermittlungen der
Verschiebung bei den Spektren der Klasse I früher nur auf der Messung
des Abstandes der Mitte der meist breiten und verwaschenen H}' -Linie
von der künstlichen, das Stemspektrum durchsetzenden H}'- Linie
beruhten und daher keine große Genauigkeit besitzen konnten, so
übersteigt doch ein Unterschied von über 20 km erfahrungsgemäß
so erheblich das Maß der Unsicherheit, daß ich die Ansicht von
Adams, daß e Ursae majoris der variabeln Bewegung im Visionsradius
verdächtig ist, teilen möchte.
)8 Scorpii ist von V. M. Slipher auf der Lowellsternwarte zu
Flagstaff (Arizona) 1902 und 1903 in 12 Nächten spektrographisch
aufgenommen worden.^ Diese Aufnahmen ergaben eine ungewöhnlich
große Veränderlichkeit der radialen Bewegung dieses dem Oriontypus
*) Astron. Nachr. Nr. 3890.
«) Astron. Nachr. Nr. 8896.
•) Lowell-Observatory Bulletin Nr. 1.
Fixsterne. 145
angehörigen Sternes. Sie variieren zwischen — 109 und -|-140 km^
und die Beobachtungen deuten auf eine äußerst kurze Periode; doch
sind die Messungen offenbar mit Vorsicht aufzunehmen.
>lScorpii ist auf der Lowellstemwarte von V. M. Slipher in
der Zeit von 1903 Juni 8 bis April 24 spektrographisch beobachtet
w^orden. Diese Aufnahmen ergaben Radialgesohwindigkeiten, welche
zwischen — 42 und -}*38 km variieren.^)
Die Bahnyerhältnlsse des spektroskopischen Doppel-
Sternes 17 Orionis. Dieser Stern 3.4 Größe, dessen Ort am Himmel
(für 1900.5) ist:a = 5*^19«^d = — 2«29' besitzt, wie W. Herschel
1781 fand, einen Begleiter 10.5 Größe in etwa 110'' Abstand. Im
Jahre 1848 entdeckte Dawes, daß der Hauptstem selbst wiederum
doppelt ist und aus 2 Sternen 4. und 6. Größe besteht, die etwa
1" voneinander entfernt sind. Im Dezember 1901 fand man auf
der Yerkesstemwarte, daß der hellere Stern (4. Größe) eine ver-
änderliche Eigenbewegung in der Gesichtslinie zur Erde besitzt, in-
dem er sich bald der Erde mit einer Geschwindigkeit bis zu 60 km
nähert, bald mit ebensolcher Schnelligkeit entfernt Nach den bis-
herigen Erfahrungen war daraus zu schließen, daß dieser Stern mit
einem andern, unsichtbaren, eine Bahn mit wenigen Tagen Umlaufs-
dauer um den gemeinsamen Schwerpunkt beschreibt, und der Beobachter
Walter S. Adams begann eine Reihe regelmäßiger photographischer
Spektralaufnahmen des Sternes, um die Bahn desselben genauer zu
ermitteln. Die Ergebnisse dieser Arbeit liegen nun vor.*)
Der Stern gehört zur Klasse derjenigen Doppelsterne, bei welchen
die eine Komponente dunkel ist, denn keine der Aufnahmen zeigt
eine Spur davon, daß etwa 2 Spektra übereinander gelagert seien.
Das Spektrum gehört dem Typus der Orionsteme an, aber es enthält
außer den regelmäßig vorkommenden Linien des Heliums und des
Wasserstoffs 3 Linien des Siliziums und eine Anzahl von Linien
des Sauerstoffs und Stickstoffs, welche sich von großem Werte für
die Geschwindigkeitsbestimmung des Sternes erwiesen. Zu ge-
wissen Zeiten ist die Änderung dieser Geschwindigkeit so rasch, daß
sie sich um mehrere Kilometer während der Dauer der photographischen
Aufnahme ändert, wodurch das Aussehen der Linien auf den Platten
merklich beeinflußt wird.
Bei Untersuchung der Aufnahmen wurden in den meisten Fällen
die Positionsverschiebungen von 8 — 10 Linien gemessen, und die
einzelnen Werte stimmen im ganzen vorzüglich miteinander überein.
Die größten Geschwindigkeiten des Sternes waren -|- 179.0 km in
der Sekunde am 9. Januar 1902 und — 106.5 Am am 3. April, wobei
das Zeichen 4* bedeutet, daß sich der Stern entfernt, — daß er sich
») a. a. 0., Nr. 4.
■) Astrophys. Journal 1908. 17. p. 68.
Klein, Jahrbuch XIV. 10
146 FizBteme.
nähert Im ganzen wurden 28 Aufnahmen aus der Zeit vom
27. November 1901 bis zum 19. November 1902 zur Bahnberechnung
benutzt. Das Ergebnis derselben ist folgendes:
Dauer des Umlaufes um den gemeinsamen Schwerpunkt (P)
= 7.9896 Tage. Geschwindigkeit des Massenschwerpunktes des
Systems (V) = 35.5 km pro Sekunde. Durchgang durch das Periastmm
(T) = 1901 Dezember 1.821. Exzentrizität der Bahn (e) = 0.016.
Positionswinkel des Periastrums (a>) = 42^16'. Halbe große Achse
der Bahn (a sin i) = 15 901 000 km.
Die Helllgkeitsyertellungr In der MilchstraBe vergrllcheii
mit derVerteilimgr der in der nördlichen Milehstraße stehenden
Sterne der Bonner Durehmusterungr ist von C. Easton studiert
worden.^) Von dieser wichtigen, durch zahlreiche Tabellen und
statistische Zusammenstellungen ausgeführten Arbeit gibt A. Berberich
eine kritische Darstellimg, ^ der das Nachfolgende entnommen ist.
Um den Glanz der einzelnen Teile des Milchstraßengürtels durch
Zahlen auszudrücken, wäMte Easton 6 Helligkeitsstufen, von ganz
schwachem Lichte bis zu hellstem Glänze. Auf der von ihm selbst
gezeichneten Karte der Milchstraße wurden Linien gleicher Helligkeit
eingetragen, so daß für jede Stelle der Helligkeitsgrad angegeben
werden kann. Dann wählte er auf einer von Prof. M. Wolf ihm zur
Verfügung gestellten Aufnahme der Gegend um y Cygni 2 Stellen
aus, eine vom höchsten Glänze (Stufe f) und eine von ziemlich ge-
ringer Helligkeit (Stufe 6), zählte daselbst die Sterne in halben
Größenklassen ab und berechnete deren Gesamtlicht Das Licht der
schwächsten Sterne (13.6 — 14 Gr.) wurde als Einheit angenommen
und jede halbe Größe als 1.6 mal heller gerechnet. So fanden sich
folgende Zahlenwerte der 6 Helligkeitsstufen in der Milchstraße:
1, 1.37, 1.88, 2.58, 3.53, 4.85, also das Verhältnis einer Stufe zur
nächsten wie 1:1,37. Man könnte diese Helligkeiten auch ohne
weiteres und vielleicht noch übersichtlicher in Stemgrößen ausdrücken
und fände dann jene 6 Grade gleichwertig mit Sternen von ungefähr
5.4, 5.1, 4,7, 4.4, 4.0, 3.6 Größe.
Nun handelte es sich darum , die Verteilung der in der Bonner
Durchmusterung enthaltenen Sterne der Milchstraßenzone zu bestimmen
und mit der Verteilung des Glanzes längs dieser Zone zu ver-
gleichen. Easton stützte sich bei dieser Arbeit auf die Karten Strato-
noffs, faßte aber die Sterne nach ihren Größen in bloß 4, statt 8 Grup-
pen zusammen (0—6.5, 6.6 — 8.0, 8.1 — 9.0 und unter 9.0 Größe),
um die Unsicherheit der Abgrenzung und rein lokale Unregelmäßig-
keiten zu eliminieren. Die Milchstraßenzone zwischen 18^ südlicher
^) Verhandelingen d. Kon. Akad. van Wetensch. Amsterdam. Sekt. L
8. Nr. 8.
■) Naturwiss. Rundschau 1908. Nr. 16.
Fixsterne. 147
und 18 ^ nördlicher Breite von der Mittellinie aus wurde in Vierecke
von je 15^ Länge und 4^ Breite geteilt Für jedes Viereck wurde
die Dichte der Sterne jeder einzelnen Größengruppe aus Stratonoffs
Tabellen und Karten berechnet und der Zahlenwert des Helligkeits-
grades der Milchstraße aus der eigenen Karte entnommen.
Es ergab sich nun deutlich, daß die Dichte oder das Zusammen-
drängen der Sterne um so weniger dem eigentlichen Milchstraflen-
glanze parallel geht, je heller die Sterne sind. So erscheint es fast
als eine Regel, daß die Sterne der I. Größengruppe in Gegenden von
mäßigem Glänze der Milchstraße vorwiegen, wie sie überhaupt viel
gleichförmiger verteilt sind als die übrigen Sterne, namentlich die der
rV. Gruppe. Dieser Gegensatz ist leicht begreiflich, denn wenn auch
die Dimensionen und Strahlungsintensitäten der Fixsterne noch so
verschieden sind, so werden im Durchschnitte die hellem Sterne
doch näher sein als die schwachem und infolge der Perspektive
weiter auseinander treten als diese. Eine bedeutsame Ausnahme
jener Regel wird von Easton jedoch besprochen, nämlich die starke
Verdichtung von Stemen aller Größenordnungen, verbunden mit hohem
Milchstraßenglanze in der Gegend von a Gygni. Jene Regel spricht
sich auch in der Tatsache aus, daß die Stellen größten Glanzes im
Durchschnitte nur 4^ von der Mittellinie der Milchstraße abstehen,
während der Abstand regelmäßig wächst bei abnehmendem Glänze.
Das Verhalten der Sterne im Vergleiche mit dem Milchstraßenlichte
stellt Easton in verschiedenen Tabellen dar, von denen folgende die
anschaulichste sein dürfte. Er bildet 6 Abteilungen zu je 14 Vier-
ecken, ordnet die Abteilungen nach dem Glänze M der Milchstraße
und fügt die durchschnittlichen Sterndichten der 4 Größengmppen bei:
Abt.
M
IV.
m.
u.
I.
Ä
1.77
1.24
1.22
1.21
1.20
B
1.36
1.20
1.18
1.09
1.03
C
1.15
1.05
1.01
0.96
1.09
D
0.92
1.03
1.02
1.00
1.10
E
0.73
0.89
0.91
0.97
0.94
F
0.40
0.62
0.66
0.71
0.89
Das Verhältnis der ersten zur letzten Abteilung ist für den
Milchstraßenglanz 4.4 zu 1, während für die 4 Größengmppen der
Steme das Verhältnis von 2.0 bis auf 1.35 sinkt, sich also von dem
des Glanzes um so mehr entfernt, je heller die Steme sind.
Aus den gefundenen Regelmäßigkeiten folgert Easton zuerst, daß
die einzelnen Verdichtungen, die man im Verlaufe der Milchstraße be-
merkt, nicht ganz ohne Zusammenhang miteinander sein können.
Eine verhältnismäßig sehr weit entfemte Stemwolke würde nur
schwache Steme zu den sonstigen Stemen hinzufügen, bei gleichem
Abstände aller Wolken wäre auch eine, in Wirklichkeit nicht vor-
handene, völlige Gleichförmigkeit der Stemverteilung zu erwarten.
Für die Ungleichheit des Abstandes verschiedener Teile der Milch-
straße, die scheinbar beieinander liegen, lassen sich Beispiele an-
10»
148 Fizsterae.
führen. So erfahren die Sterne der hellsten Grupx>en in der Haupt-
▼erdichtang im Gygnus eine starke Zusammendrängong, an der sekun-
dären Verdichtung, die in den Sternbildern Auriga und Monoceros
liegt, nehmen sie dagegen nicht teil, sind vielmehr hier recht spärlich.
Andererseits treten gerade die hellen Sterne in der Perseusgegend
ungewöhnlich häufig auf, wo die schwachen Sterne in verhältnis-
mäßig geringerer Zahl zu finden sind. Es liegt kein Grund vor, den
Sternen dieser verschiedenen Regionen ungleiche wahre Größen oder
abweichende physische Beschaffenheit zuzuschreiben; der Unterschied
in der Häufigkeit der Größengruppen an solchen Stellen läßt sich,
jedenfalls am einfachsten mit der Verschiedenheit der Entfernung
jener Verdichtungen erklären. So bemerkt man gerade auch bei der
schon erwähnten großen Verdichtung im Gygnus einen auffallenden
Gegensatz, indem die hellen Sterne mehr im Norden, die schwachem
nach Süden hin vorwiegen. An eine tatsächliche Scheidung der
großen und kleinen Sterne im Räume, und zwar auf einer so be-
schränkten Fläche von der halben Breite der Milchstraßenzone, wird
man kaum glauben wollen. Die Regelmäßigkeit, mit der das Vor-
wiegen der hellen Sterne allmählich dem Vorwiegen der schwachem
Platz macht, wenn man von Gygnus weiter nach Gepheus, Gassiopeia,
Aquila bis Scutum geht, spricht dafür, daß die Änderung der Hellig-
keit von einer Zunahme der Entfemung herrührt Als das am besten
begründete Ergebnis seiner Untersuchung betrachtet Easton die Folge-
rung, daß von den 2 Ästen der Milchstraße, die von Deneb (a Gygni)
gegen Albireo {ß Gygni) und gegen y Aquilae ziehen, der letztere viel
weiter von uns entfernt ist als der erstere, wennschon der Glanz,
beider Äste durchaus nicht sehr verschieden ist. Einzelne der Stern-
gruppen, die man in diesen Ästen bemerkt, mögen allerdings nur
perspektivisch zu ihnen gehören, während sie räumlich weit vor
ihnen stehen. So braucht man auch nicht anzunehmen, daß die
Lichtbrücken, die vom einen zum andern Aste laufen, wirkliche
physische Verbindungen darstellen; sie dürften kürzere Zweige des
einen Astes sein, deren Endteile nur scheinbar im andern Aste liegen»
Nebelflecke.
Photogrraphlsche Aufnahmen kosmisoher Nebelflecke.
Dr. Isac Roberts veröffentlicht einige Ergebnisse seiner neuen photo-
graphischen Aufnahmen von Nebeln.^)
NGK. Nr. 7822 in der Gassiopeia. Es ist der Nebel h 2302
von John Herschel und wird von diesem als äußerst schwach, mndlich
imd 10' im Durchmesser haltend beschrieben. Die photographischen
Aufnahmen geschahen mit dem 20-zolligen Reflektor und 90^ Ex-
ponierung am 9. Oktober 1901, am 25. Oktober und 2. Dezember
') Monthly Notices 1903. 63. p. 301.
Nebelflecke. 149
1902. Sie zeigen das Objekt als eine feine Nebelwolke von unregel-
mäßiger Struktur und Helligkeit mit mehrem hellen Sternen. Diese
Nebelwolke hat 42' Ausdehnung von 0 nach W und 88' von N nach
S, auch sind Spuren von noch weiter reichendem Nebel vorhanden,
der bei längerer Exponierung der Platte wahrscheinlich sichtbar würde.
Die Gegend um den Nebel N. Q. K. Nr. 1665 im Eridanus zeigt
mehrere Nebel, darunter als hervorragendsten den Nebel W. Herschel II
457, der sich auf der Photographie als schräg liegende rechts gedrehte
Spirale mit sternförmigem Kerne darstelll
Der Nebel N. Q. K. Nr. 1659 im Eridanus erscheint ebenfalls
als Spiralnebel mit hellem, sternförmigem Kerne.
N. Q. K. 1643 wird von Herschel als äußerst schwach und sehr
klein bezeichnet sowie unregelmäßig rund; die Photographie zeigt
ihn hell und ziemlich groß.
N. G. K. 1656, den Herschel als äußerst schwach bezeichnet,
zeigt einen großen, stemigen Kern mit feinen nebeligen Ausläufern an
der nördlichen und südlichen Seite.
N. G. K. 1645 wird von d* Arrest als sehr lichtschwach be-
schrieben; die Photographie zeigt einen mäßig hellen Stern von
einer Nebelhülle umgeben.
N. G. K. 1667, von Stephan entdeckt, ist wahrscheinlich ein
Spiralnebel mit unregelmäßigem Kerne.
N. G. K. 1681, ebenfalls von Stephan entdeckt, zeigt einen hellen
stemigen Kern mit Nebelhülle.
N. G. K. 7492 im Wassermann, vonW. Herschel als lichtschwacher
Nebel bezeichnet, ist ein Haufen überaus feiner Sterne.
Außer diesen zeigen die Platten von Dr. Roberts noch eine große
Zahl feiner Sterne mit unregelmäßigen, verschwommenen Rändern,
die von andern Astronomen wohl als feine Nebel bezeichnet würden,
doch hält Roberts dies nicht für zulässig, da die erwähnten Unregel-
mäßigkeiten der Ränder durch Störungen in der Erdatmosphäre oder
instrumentale Einflüsse entstanden sein können.
Eine Eigrentümllehkelt der großen Nebelflecke. Prof.
Dr. Max Wolf (Heidelberg) macht hierüber folgende Mitteilungen:^)
>Die ausgedehnten Nebelmassen des Himmels bilden für die
Aufnahme mit den kurzbrennweitigen Porträtlinsen naturgemäß die
lohnendsten Objekte. Nur mit Hilfe dieser Instrumente lassen sie
sich auffinden, in ihrer Ausdehnung erkennen und in ihrem Zusammen-
hange mit den Sternen der umgebenden Himmelsräume studieren.
Daher habe ich auch, soviel es die andern Arbeiten und das geizige
Wetter gestatteten, lange dauernde Aufnahmen solcher mit Nebel
erfüllter Oegenden gemacht. Dabei bin ich auf die merirwürdige
Erscheinung aufmerksam geworden, daß diese Nebel stets zugleich
») Astron. Nachr., Nr. 8848.
150 Nebelflecke.
mit solchen Stellen vorkommen, wo die Sternzahl plötzlich geringer
wird, und fast gar keine schwachen Sterne vorhanden sind; stets
finden sich solche Nebel oder wenigstens ihre wahrnehmbaren Teile
zusammen mit ausgedehnten Stemleeren.
Zwei hervorragende Beispiele, den großen Orionnebel und den
Amerikanebel, hat Herr A. Kopf! auf meine Veranlassung hin zahlen-
mäßig untersucht^) Herr Eopff hat durch Aufzählen der Sterne
der Umgebung der genannten Nebel gezeigt, daß eine systematische
Beziehung zwischen Nebel und Stemwüste auch zahlenmäßig nach-
weisbar ist, und er hat graphische Darstellungen der Stemdichte um
die beiden Nebel gegeben. Die Nebel sind von Stemleeren umschlossen,
die sich besonders nach einer Seite hin weithin ausdehnen, und in
denen die schwachem Steme fast vollständig fehlen, während die
wenigen vorhandenen Steme den hellem Größenklassen angehören.
In den Nebelmassen selbst ist die Stemzahl so groß als sonstwo.
Die Stemleeren folgen dabei so genau den Nebelrändem, daß man
aus der graphischen Darstellung der Stemzahlen die Umrisse der
Nebel zeichnen kann, ohne die Nebel zu sehen. Herr Eopff hat
gleichzeitig gefunden, daß schon W. Herschel auf die stemarmen
Gegenden in Verbindung mit den Nebelflecken hingewiesen hat.
Bis jetzt sind uns folgende Beispiele dieser Gesetzmäßigkeit
näher bekannt In Verbindung mit dem großen Orionnebel stehen
die t Orionnebel und der Nebel NGO 2064 — 2068 und bieten die-
selbe Gesetzmäßigkeit. Der Nebel Messier 8 und die von mir gefundene
mehr als 10 Quadratgrad große Nebelmasse im Süden desselben
(a = 18.0h <J = — 26.4®)*) gehören ebenfalls hierher, femer der
Trifidnebel (Messier 20), die ausgedehnten Nebel bei y Scuti, bei
^Ophiuchi und nördlich von Antares; die Nebel bei v Scorpii, bei
^ Ophiuchi, bei 97 Garinae und, schwächer ausgesprochen, bei den
Plejaden.
Vollständig verschieden hiervon sind die Verhältnisse bei andern
Nebeln, deren Hauptrepräsentant der große Andromedanebel ist
Hierher gehören die vielen Spiralnebel, wie z. B. Messier 33, GG.
3249 usw., dann aber auch wohl Herrschel V 14 Gygni und ander-
seits die zahllosen kleinen Nebelflecken. Bei allen Nebeln dieser
Gattung scheinen die Stemleeren völlig zu fehlen. Es ergibt sich
mithin aus der beschriebenen Eigenschaft eine Systematik für die Ein-
teilung der Nebel.
In diesem Winter habe ich wieder zwei hervorragende Beispiele
für die Erscheinung photographiert, die mich veranlassen, hier eine
kurze Mitteilung zu machen.
Das eine Beispiel ist ein großer Nebel, der zwei hellere Nebel-
flecken verbindet, imd der sein Zentram etwa in a == 6 h 28 m
^) PubL d. Astrophys. Obs. Königstuhl-Heidelberg, L p. 177.
") Alle Koordinaten gelten für 1865.0.
Nebelflecke. 151
d = -^ 10^ in MoDoceros liegen hat. Die beiden Hauptverdichtnngs-
stellen liegen in
a = 6h 32m d = + 9.8«
und 6 23 + 10.0.
Die erste ist in Dreyers Katalog als Sternhaufen 15 Monocerotis,
Herschel V 27 = NQC. 2264 bezeichnet und schon oben als Bei-
spiel erwähnt, während die zweite, die ebenso hell und groß ist,
von P. Götz hier in diesem Winter am 6-zolligen Voigtländer zum
ersten Male bemerkt zu sein scheint. Die Nebel NGO. 2245, 2248
und 2261 bilden kleine Verdichtungsstellen bei hellem Sternen, von
denen aus sich die Nebelmaterie in der gewöhnlichen fächerartigen
Form in die allgemeine schwächere Nebelmasse verliert.
Der ganze Nebel liegt am südöstlichen Ende einer ausgedehnten
unregelmäßig geformten Stemleere, die ihren Mittelpunkt etwa in dem
veränderlichen Sterne BD. + 11.12040 (a = 6h 23.1m ^ = + 11«
21') besitzt
Das andere Beispiel ist der von Bamard zuerst gesehene, von
Archenhold zuerst photographierte und von Scheiner beschriebene aus-
gedehnte Nebel bei f Persei NGO. 1499 (a = 3h 51m ^ = + 35.8<>).
Dieser wundervolle Nebel liegt am südöstlichen Ende einer großen
Stemwüste, die ihren Mittelpunkt etwa in a = 3h 44m ^ = -|- 37.2«
liegen hat. Sie ist von Südost nach Nordost lang gestreckt und
von unregelmäßigen Umrissen begrenzt. Eine zweite ähnliche Stem-
leere ist von dieser durch ein stemreiches Band getrennt und liegt
mehr östlich. Der Nebel bildet das südöstliche Ende seiner Stem-
leere, und sie folgt aufs genaueste seinen Konturen.
Alle die erwähnten Beispiele haben nun eine auffallende Eigen-
schaft gemeinsam, die mir schon vor Jahren aufgefallen ist, und die
ich an anderem Orte^) berührt habe. Ich möchte hier ausdrücklich
und in besserer Form darauf aufmerksam machen.
Wie schon aus obigen Beschreibungen zu ersehen, liegen diese
Nebelmassen weder in der Mitte der mit ihnen verknüpften großen
Stemleeren, noch rings um dieselben, sondem stets am einen Rande
derselben. Sie bilden das Ende der langgestreckten Stemleeren. Um
jeden Nebel befindet sich zwar ringsherum, seinen Rändern genau
folgend eine schmale Zone ohne Sterne; aber die großen Höhlen finden
sich immer nur auf einer Seite. Die Nebel selbst stehen dabei
gewöhnlich in den dichtesten Stemgebieten, während ihr einer Rand
genau mit dem Ende der Stemhöhle zusammenfällt. Es läßt sich
deshalb diese merkwürdige Regel so formulieren, daß die Nebel
unsers Milchstraßensystems im allgemeinen den einseitigen Rand einer
ausgedehnten Stemleere bilden.
Man kann deshalb schwer eine andre Möglichkeit zulassen,
als daß uns diese Nebel eine sichtbare Äußemng bei jenem Prozesse
^) Akademische Rede 1886. p. 54.
152 Nebelflecke.
darstellen, durch den die Stemleeren entstehen, und daß sie uns
durch ihre Lage gegen die Höhlen die Bewegungsrichtung angeben,
in welcher der Prozeß unter den Sternen fortgeschritten ist
So scheint der Amerikanebel nach Nordosten fortgeschritten zu
sein ; die Orionnebel nach Nordwesten, die Monocerosnebel nach Süd-
osten oder Süden und der |Perseinebel nach Südosten, c
üntersuchungren über die Gruppierung: der Nebelflecke.
Prof. M. Wolf hat einige wichtige Ergebnisse seiner photographischen
Nebelaufnahmen veröffentlicht.^) Zunächst sind es seine Unter-
suchungen über die Nebelflecke am (nördlichen) Pole der Milchstraße,
auf welche hier einzugehen ist. Bei der Verwendung von Objektiven
mit großem Offnungsverhältnis für die Aufnahme der ausgedehnten
Nebel und der kleinen Planeten zeigte sich auf den Platten zu
Prof. Wolfs Überraschung, wie ungemein zahlreich allenthalben am
Himmel die kleinen Nebelflecken zu finden waren. Besonders ein
6-zolliges Porträtobjektiv, das ein Öffnungsverhältnis von 1 : 5 besaß,
gab manche Gegenden des Himmels ganz besät mit solchen kleinsten
Nebelfleckchen. Auf einer Platte vom 24. März 1892 mit 96 Minuten
Belichtung fanden sich in einem Kreise, mit dem Radius von 1^
um ff Virginis als Mittelpunkt, nicht weniger als 130 einzelne Nebel-
fleckchen. Ähnliche Zahlen, wenn auch selbstverständlich nur selten
so ungeheuer groß, ergaben sich an andern Stellen des Himmels
und es war damit gezeigt, daß die Dubletlinsen uns den Himmel
mit einer ungeheuer viel großem Zahl kleinster Nebelfleckchen er-
füllt erscheinen lassen, als seither bekannt war. Gleichzeitig wurde
aus den ersten Versuchen klar, daß sich diese kleinen Nebel, von
denen das Auge am Fernrohre im günstigsten Falle nur vorübergehend
erhaschbare Eindrücke erhält, auf der Platte mit großer Sicherheit
einstellen und beschreiben ließen. Diese Erfahrungen brachten PfoL
Wolf zu dem Entschlüsse, den »kleinen Nebelfleckenc des Himmels,
ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Er begann sofort mit
Aufnahmen von jenen Gegenden des Himmels, wo bekanntermaßen
die kleinen Nebel am reichsten und schönsten vertreten sind. Im
Laufe der nächsten Jahre wurden die Gegenden von Virgo, Leo und
Goma Berenices zum größten Teile mehr als dreimal mit Platten be-
deckt Es handelte sich dann darum, die Positionen dieser unge-
zählten neuen Objekte zu bestimmen, und auch diese Arbeit wurde
begonnen und Erfahrungen auf diesem Gebiete gemacht.
Mittlerweile wurde es Prof. Wolf durch die Hochherzigkeit der
unvergeßlichen Miss Kath. Wolfe-Bruce in New -York ermöglicht, ein
neues bedeutend größeres Femrohr zu benutzen. Die Aufnahmen
mit den 6-Zollern mit der kurzen Brennweite von ca. 80 cm gaben
natürlich alle Nebel ebenso kräftig, als sie jedes größere Instrument
^) Publik, des Astrophys. Observ. Königstuhl-Heidelberg. L
Nebelflecke. 153
geben konnte; allein es war oft recht schwierig, zu entscheiden,
ivenigstens bei den kleinsten Nebelflecken, ob man es mit schwachen
Sternchen oder mit kleinsten planetarischen Nebeln zu tun hatte,
Mit dem Bruceteleskop, dessen beide Objektive 202 cm Brennweite
haben (beim selben Öffnungsverhältnis wie die beiden 6-Zoller), sind
infolge dieser langem Brennweiten viel kleinere planetarische Nebel
noch als solche zu erkennen und von Fixsternen zu unterscheiden.
Da bei dem Bruceteleskop auch zwei gleiche Linsen vorhanden
sind, so können stets 2 Aufnahmen gleichzeitig gemacht werden,
was die Unterscheidung der Objekte von Plattenunreinlichkeiten
wesentlich erleichtert
Prof. Wolf hat zunächst ein Verzeichnis von 154 Nebelflecken
in den Sternbildern Krebs und Luchs, in welchem er die Orter und
kurze Beschreibungen der Formen gibt, veröffenthcht Von diesen
Nebeln sind nur sieben früher in seinem Generalkataloge der Nebel auf-
geführt worden, die übrigen also neu entdeckt. In weitem Ver-
zeichnissen werden jetzt die Positionen und Beschreibungen von 1528
Nebebi gegeben, die sich alle auf einer Platte finden, welche Prof .
Wolf mit dem Bmceteleskop (Objektiv a) am 20. April 1901 mit
150 Minuten Belichtung erhielt. Die gleichzeitig mit dem Objektiv b
aufgenommene Platte wurde nur zur Kontrolle benutzt, ebenso zwei
andere am 24. März aufgenommene Platten derselben Gegend. Das
Objektiv a von Brashear in Allegheny hat ca. 202 cm Äquivalent-
brennweite bei ca. 40 cm freier Öffnung. Einem Grade entspricht
auf der Platte eine Länge von ca. 85 mm, >Der schwierigste Teil
der Arbeit,« sagt Prof. Wolf, »war die Bezeichnung und Kritisierung
der Nebelobjekte auf der Platte. Dieselbe wurde mit der Vergleichs-
platte unter der Lupe verglichen und die sicher konstatierten Nebel-
fiecken durch kleine Tintenmarken auf der Glasseite bezeichnet.
Dies geschah zuerst auf einer Platte vom 24. März und dann erst
auf der für die Messung benutzten Platte. Diese Arbeit war äußerst
mühevoll und zeitraubend, besonders in den Gegenden, wo die Nebel
so dicht stehen, daß man keinen Raum findet, die Marken anzu-
bringen, und wo es kaum möglich ist, die Vergleichung streng aus-
zuführen. Jetzt ist diese Arbeit sehr erleichtert, da man den Stereo-
komparator dafür benutzen kann, aber bei der Bearbeitung der in
Frage kommenden Platte war derselbe noch nicht gebaut.«
Die Platte umfaßt einen Teil des Himmels im Sternbilde Goma
Berenices, der zwischen den Rektaszensionen 12^ 34™ und 13^ 2"^
und den nördlichen Deklinationen 60 und 64.5^ liegt Nicht weit
von der Mitte dieser Fläche liegt der gewöhnlichen Annahme gemäß
der nördliche Pol der Milchstraße. In bezug auf die Helligkeitsbe-
zeichnung der Nebel unterscheidet Prof. Wolf 12 Stufen, wobei 1 die
allerschwächsten, 12 die hellsten Nebel bezeichnet Bekanntlich hat
man schon vielfach versucht, die Nebel ihrem Aussehen nach in
Klassen einzuteilen. Prof. Wolf hat versucht, eine solche Klassi-
154 Nebelflecke.
fizierung durchzuführen, um eine rasche Übersicht über die Art der
Objekte zu ermöglichen und vielleicht daraus statistische Schlüsse
ziehen zu können. Er teilt die Nebel in 3 Klassen ein: in regel-
mäßig geformte Nebel, in unregelmäBig geformte und in diffuse, aus-
gedehnte Nebel ohne Struktur. Darin hat er noch Unterabteilungen
unterschieden, so daß folgende Bezeichnungen zustande gekommen sind :
I. Regelmäßig geformte Nebel.
Ii : rund mit zentraler Verdichtung,
!( : rund, Verdichtung, gewundene oder spiralförmige Schwingen von
der Verdichtung ausgehend,
Ig : andromedanebelartige und ovale Nebel mit zentraler Verdichtung,
I4: planetariBche und runde, kleine, diffuse Nebel ohne Kern,
I5 : längüche und ovale Nebel ohne Kern.
n. Unregelmäßig geformte Nebel.
U^ : unregelmäßige Form mit einem bevorzugten Kern,
11, : alle übrigen unregelmäßig geformten Nebel.
m. Strukturlose Nebel,
m : alle diffus ausgedehnten Nebel ohne erkennbare Struktur.
»Trotz der Benutzung dieser Systematik c, sagt Pr. Wolf, »ver-
hehle ich mir nicht, daß sie auf ganz schwachen Füßen steht, denn
die Übergänge finden am Himmel allmählich statt, so daß eigentlich
jeder Nebel eine Klasse für sich erfordern würde. Sehr oft sind
die Nebel kaum mit Sicherheit einzuordnen.«
Zu den von Herschel behufs Charakterisierung der einzelnen
Formen eingeführten Zeichen und kurzen Bezeichnungen hat Prof. Wolf
noch neue hinzugefügt, von denen mehrere erst durch die Photo-
graphien der Nebel nötig wurden. Unter einem Arme ist ein vom
Zentrum ausgehender, im wesentlichen geradliniger, nebeliger Strahl
zu verstehen; er ist nicht zu verwechseln mit der Zone, die nicht
in radialer Richtung verläuft.
Als Nebel von der Form des Andromedanebels sind alle solche
Nebel bezeichnet worden, welche die Struktur des großen Nebelflecks in
der Andromeda zeigen, wie sie aus den Photographien allgemein
bekannt ist. Solche Nebel sind sehr häufig, und die Lage ihrer
Achsen befolgt eine interessante (Gesetzmäßigkeit, wie man weiter
unten sehen wird. Mit Schwinge bezeichnet Prof. Wolf kurvenförmig
gebogene, nebelige Arme meist spiraliger Form, die stets vom Ver-
dichtungszentrum ausgehen. Unter Zone versteht er eine nicht radial
verlaufende, bandförmige, geradlinige Verdichtung in einem Nebel,
die gewöhnlich von einer Zone geringerer Intensität oder durch ein
ganz nebelfreies Band begrenzt wird.
Der Begriff Kette ist nach Prof. Wolfs Meinung der wichtigste
und interessanteste. »Eine sehr große Anzahl nebeliger Objekte und
Sterne besitzt Ketten. Sie gehen immer vom Zentrum des Sternes
oder des Nebels aus und verbinden oft weithin, stets kurvenförmig
verlaufend, ganz entfernte nebelige Objekte miteinander oder helle
Sterne mit nebeligen Objekten. Sie sind meist sehr dünn, sehen oft
Nebelflecke. 165
aus wie helle Schlieren^ dann wieder wie Fäden in der (Gelatine.
Oft bestehen sie aus vielen kleinsten Knötchen, die wie auf eine
Schnur gereihte Perlen aussehen, c
»Einen ganz überraschenden Anblick gewähren sie unter dem
Stereokomparator, durch den auch bereits in einigen Fällen erwiesen
werden konnte, daß solche merkwürdigen Objekte von Platte zu Platte
ungeändert bestehen bleiben und ganze Gegenden des Himmels wie
mit einem Netzwerke überspinnen.«
Auf der von dem Kataloge bestrichenen Fläche des Himmels
finden sich 82 Nebelflecke, welche der neue Generalkatalog der Nebel
und Sternhaufen enthält Von diesen aber sind nach Prof. Wolfs
Untersuchung drei nicht zu finden, und sieben sind unsicher. An Stelle
der vorhandenen 79 Nebel des N. G.-K. gibt Wolfs Katalog 1528 Posi-
tionen. Das Verhältnis der Zahl der bekannten zur Zahl der neuen
Nebelflecken ist daher 1:19, d. h. auf einen alten Nebelfleck kommen
19 neue NebeL Mit andern Worten, es waren 57o ^^^ Nebel in
dieser allerdings sehr eifrig von d'Arrest und Bigourdan durchsuchten
Gegend bereits bekannt. >Das Verhältnis«, sagt Wolf, »stellt sich also
hier etwas anders wie zwischen Praesepe und Milchstraße, wo nur
2^1^ der photographischen Nebel bekannt waren. Immerhin ist die
Anzahl der Nebel und die »Nebeldichte« in der behandelten Gegend
eine ungeheuer große. Besonders in den dichtesten Gegenden ist der
Anblick ein ganz eigenartiger und überwältigender, um so mehr als
dort diese kleinen Nebel keineswegs abnorm kleine und schwache,
sondern im Gegenteile meist recht kräftige und auffallende Ob-
jekte sind.
Erst nachdem Prof. Wolf dieses interessante Nebelnest gefunden
hatte, erinnerte er sich, daß dasselbe sich dicht beim Pole der Milch-
straße beflndet, und es trat daher die Frage hervor, ob nicht hier
im kleinen nochmals eine systematische Zunahme der Nebelhäuflgkeit
gegen ein Zentrum hin nachweisbar sei, und ob nicht vielleicht der
Pol der Milchstraße sich selbst durch Anhäufung von Nebelobjekten
unmittelbar kennzeichne. Deshalb hat Prof. Wolf die Verteilung der
Nebel über diese Himmelsfläche genauer untersucht Er gibt eine
Karte derselben, in welcher die Nebelhäuflgkeit durch Schraffierungen
angedeutet ist Wo die Zahl der Nebelflecke auf einer Fläche von
Im in Rektaszension und 15' in Deklination 0 — 5 beträgt, ist die
Fläche nicht schraffiert, wo sie 6 — 10 beträgt, ist sie einmal
schraffiert, wo 11 — 20 zweimal, 21 — 40 dreimal und über 60 vier-
mal schraffiert. Aus der Karte erhellt nun auf den ersten Blick,
daß eine systematische Verteilung der Nebel in dieser Gegend be-
steht. Auch die scheinbar leeren Stellen sind noch sehr dicht mit
Nebelflecken bestanden. Diejenigen Stellen, welche mehr als 5 Nebel-
flecken in der Flächeneinheit enthalten, sind, wie sich zeigte, in
ziemlich unregelmäßiger Form über die Fläche zerstreut Die haupt-
sächlichste Nebelanhäufung hat ihr Zentrum in AR = 12h 64.0 m
156 Nebelflecke.
NPD = 61.7®; eine zweite» aber viel schwächere, bildet eine von
Süden nach Norden lange Insel, deren Mittelpunkt etwa in 12 h
40.5ni und 62.5 ® liegt. Kleinere und unbedeutendere Inselchen liegen
alle rings lun den Pol der Milchstraße, dessen Lage auf der Karte
durch einen Ring angedeutet ist »Selbstverständliche, sagt Prof. Wolf,
»läßt sich von einem so komplizierten Gebilde, wie es die Milchstraße
ist, kein genauer Pol angeben. Nehmen wir für denselben den Ort
von Houzeau: AR = 12h 49m NPD = 62.5 ^ so schließen obige
Gruppen einen Gürtel um diesen Pol herum. Die Hauptnebelgegend
liegt aber 1^/^® nordöstlich von diesem Milchstraßenpole und zwar etwa
an der Stelle AR = 12h 53.5m NPD = 61^ 20'. Um diesen Punkt,
der also praktisch mit dem gegenwärtig für den Milchstraßenpol an-
genommenen Orte zusammenfällt, drängen sich nun die Nebelfiecken
gesetzmäßig zusammen.
Wir reden hier nur von Nebelflecken, weil sie auf den Platten
so aussehen. Es können aber sehr gut auch Sternhaufen sein, die
wir nicht aufzulösen vermögen. In vielen Fällen spricht sogar das
Aussehen sehr für diese Annahme.
Es ist sofort zu sehen, wenn man die Tafel betrachtet, daß das
Zusammendrängen der Nebel immer stärker wird, je weiter man ins
Innere der Hauptinsel eindringt Je näher man dem Punkte größter
Dichtigkeit kommt, umso dichter treten auch die Nebel aneinander,
so daß auf dem innersten Quadratgrade mehr als 320 einzelne Nebel-
flecken beisammen stehen! An der dichtesten Stelle dieses »Welt-
poles« finden sich mehr als 70 Nebel auf der Fläche von ^^^
Quadratgrad.
Wir finden also hier ein völlig gesetzmäßiges Verhalten in der
Anordnung dieser fernen Welten; und dieser ungeheure Reichtum
führt uns so eine Ordnung im Weltsysteme vor Augen, die sicher für
die Erkenntnis des Universums von aller größter Bedeutung ist, von der
wir uns aber auch zugestehen müssen, daß wir noch lange keine
erschöpfende Erklärung für sie werden finden können. Es wäre
interessant zu prüfen, fügt Prot Wolf bei, ob die dichteste Stelle
{AR= 12^^ 53.5"» D = + 28^ 40') den Müchstraßenpol nicht besser
darstellt, als der von Houzeau angegebene Punkt.
Bei der Ausmessung der Koordinaten der Nebel auf der Platte
und der gleichzeitig ausgeführten Beschreibung ihrer Gestalt fiel Prot
Wolf auf, daß die meisten andromedanebelartigen Gebilde ungefähr
dieselbe scheinbare Lage im Räume besitzen. Er hat deshalb nach
der Fertigstellung des Kataloges alle Nebel, die als länglich bezeichnet
sind, und bei denen er Positionswinkel geschätzt hatte, zusammen-
gestellt und geordnet, um zu sehen, ob sich wirklich eine derartige
Gesetzmäßigkeit entdecken läßt.
Es ergab sich in der Tat die merkwürdige Erscheinung, daß die
Richtungen der meisten länglichen Nebel sich um den Positionswinkel
von 60^ herum gruppieren, und daß diese Erscheinung am aus-
Nebelflecke. 157
gesprochensten ist in jener Gegend, wo die Zusammendrängung der
Nebelflecke auf dem engsten Räume stattfindet, je weiter man sich
vom Pole entfernt, umso mehr nimmt sie ab. Sehr richtig bemerkt
aber Prof. Wolf, daß es verfrüht wäre, an dieses merkwürdige
Resultat irgend welche Spekulationen zu knüpfen. Eine weitere sehr
merkwürdige und mit Sicherheit auch erst auf der Heidelberger Stern-
warte erwiesene Tatsache ist die, daß im allgemeinen um jeden
kosmischen Nebelfleck (d. h. um die hervorragenden, soweit sie bis
jetzt untersucht wurden) sich eine stemleere Zone zieht, während im
Nebel selbst die Anzahl der Sterne wieder zunimmt Schon dem
altem Herschel war etwas ähnliches aui^f allen. Auf Veranlassung von
Prot Wolf hat nunmehr A. Eopff die Verteilung der Fixsterne um den
großen Orionnebel und den Amerikanebel im Schwane gemäß den Auf-
nahmen zu Heidelberg genauer untersucht^) Auch der Nebel Messier 8 ist,
wie Kopff hervorhebt, ebenso wie die mit ihm zusammenhängende, mehr
als 10 Quadratgrad umfassende Nebelmasse im S desselben (die Mitte
liegt bei circa 18^ 0" und — 26.4^) von einem stemarmen Bande
umschlossen; bei dem nördlich davon gelegenen Trifidnebel (Messier 20)
tritt jedoch die Erscheinung weit weniger hervor. Die ausgedehnten
Nebel um y Scuti, sowie um q Ophiuchi und nördlich von Antares
sind von solchen Bändern ganz durchzogen. Besonders bei letzterem
sind — nach den Beschreibimgen und Bildern von Bamard — die
Streifen scharf begrenzt und vollständig schwarz. Sie enthalten
keinen einzigen Stern; bei sorgfältiger Prüfung erscheinen sie aber
mit feinen Nebeln ausgefüllt, durch welche da und dort der noch
schwärzere Himmelsgrund hindurchblickt. Auch hier ist die Ver-
bindung mit der Stemenleere um den nördlich gelegenen Nebel bei
V Scorpii ganz auffallend. Von kleinern Nebeln ist Herschel IV 74
Cephei besonders bemerkenswert Rings um diesen Nebel zieht eine
breite, beinahe stemenleere Zone, die sich nach N zu fortsetzt
Andere stemarme Stellen finden sich in der Milchstraße noch z. B.
bei den Nebeln um 15 Monocerotis, südlich von a Cephei, bei
# Ophiuchi, bei r\ Garinae usw. Schwach ausgesprochen ist die Er-
scheinung in der Umgebung der Plejaden; nur im NE ist eine Lücke
deutlich sichtbar. Allen diesen einzelnen Beispielen ist noch das eine
gemeinsam: wenn nicht, wie bei q Ophiuchi, eine vollständige Stem-
leere in den die Nebel umschließenden Stemwüsten eintritt, so ge-
hören die wenigen vorhandenen Sterne zu den hellem, so daß in
den Lücken eher eine Zunahme an hellem Sternen gegenüber der
Umgebung wahrzunehmen ist Besonders fallt dies in den Gegenden
der Milchstraße auf, wo die zahllosen kleinen Sterne ganz plötzlich
aufhören und dadurch die Lücke mit ihren hellem Sternen sich um
so mehr vom übrigen Teile des Himmels abhebt. Diese Tatsache
spricht gegen die Ansicht Ranyards, daß die Lücken durch vor-
^) E^iblikation d. astro-phys. Observat. zu Heidelberg 1. p. 177 u. ff.
158 Nebelflecke.
gelagerte dunkle Wolken zustande kommen. Aber schon das gemein-
same Auftreten von Nebel und Stemleere macht einen engen Zusammen-
hang beider sehr wahrscheinlich. Der langsam weiterziehende Nebel
hat — um die Worte Herschels zu gebrauchen — »die umliegenden
Himmelsräume verwüstete , er hat die kleinen Sterne auf seiner Bahn
verschlungen und neue, größere wieder gebildet Nebel, große und
kleine Sterne liegen alle in ziemlich derselben Entfernung von unserem
Sonnensysteme. Als ein gemeinsames Ganzes, das sich umgestaltet
und entwickelt nach uns unbekannten Gesetzen, sind sie Teile eines
einzigen Systems. Vollständig verschieden sind die Verhältnisse bei
andern Nebeln, deren Haupttypus der Andromedanebel bildet Bei
ihnen ist von einer Abnahme der Sterne um den Nebel nichts wahr-
zunehmen; die umliegenden Sterne scheinen ohne jeden Zusammen-
hang mit dem Nebel oder Sternhaufen zu stehen. Zu dieser Art
gehören außer dem Andromedanebel, um nur einige Beispiele an-
zuführen, noch der Spiralebel in Triangulum (Messier 33), der
Grabnebel im Taurus, der lang ausgedehnte Nebel Herschels V 19
Andromedae, der prachtvolle Nebel G.-K. 3249 oder auch die form-
lose Nebelmasse Herschels V 14 Gygni. Man hat es also hier mit
zwei ganz verschiedenen Gattungen von Gebilden zu tun: mit Nebeln,
die zu unserem Systeme gehören und mit den umliegenden Sternen
in engster Verbindung stehen, und mit Gebilden, die möglicherweise
mit unserem Systeme nichts zu tun haben. Über den Zusammenhang
der Nebelflecke mit den umliegenden Räumen kann uns so die Art
der Verteilung der Fixsterne um diese Nebel noch am leichtesten
einigen Aufschluß geben.
Aus diesem Grunde hat A. Eopff genaue Abzahlungen der Sterne
um den Orion- und Amerikanebel vorgenommen imd gibt darüber
Tabellen und Zeichnungen. Wir geben hier die Endresultate: »Es
findet sich unmittelbar, daß der Orionnebel von einer sternarmen
Zone umgeben ist Sie verbreitert sich gegen SE auffallend und er-
streckt sich, wie aus andern Aufnahmen zu ersehen ist, weit über
die dargestellte Fläche hinaus, indem sie sich nach S wendet Allent-
halben finden sich darin Spuren von nebligen Wolken, die stellen-
weise ziemlich kräftig hervortreten. Gegen NW teilt sie sich in
2 Arme, von denen der nördlichere noch in der nordwestlichen Ecke
der Karte bemerkbar bleibt Beide Arme sind durch ein Band feiner
Sterne getrennt, das die Nebelmasse mit den außen Uzenden Steinen
verbindet Im E und NE sind größere stemarme Stellen. Unmittelbar
im N des Orionnebels nimmt die Stemendichte zu; hier befindet
sich eine Gruppe heller Sterne, und erst nördlich von diesen ist die
wenn auch etwas schwächere Abnahme wahrzunehmen.
In der NE-Ecke des untersuchten Gebietes befindet sich wieder
eine Stemenleere, bedingt durch die südlichsten Teile des Nebels um
C Orionis. Beide Gegenden sind durch einen Streifen mit verhältnis-
mäßig wenigen Sternen (weniger als 20 im Quadrat) miteinander
Nebelflecke. 159
verbunden. Beide Nebel scheinen darnach also im Zusammenhange
miteinander zu stehen; tatsächlich zeigt die photographische Unter-
suchung der Gegend eine feine Nebelmasse, vom Nebel um C Orionis
ausgehend', die sich in einem nach SE ausgebogenen breiten Bande
in den Orionnebel erstreckt. Auf der Karte gibt sich dieses Nebel-
band durch eine mäßige Zunahme der Sterne zu erkennen.
Sogar die Verbindung beider Nebel tritt also in der Verteilung
der Sterne der Umgebung hervor, so daß ein Schluß auf die innere
Zusammengehörigkeit von Nebel und Stemenleere keinem Zweifel
unterliegt.«
Was den Amerikanebel anbelangt, so ergab sich, daß der Nebel
rings von stemärmem Gegenden umschlossen wird, die für sich
aUein fast genau dieselben Umrisse geben, wie sie der Nebel selbst
auf der Photographie zeigt. Schon beim bloßen Betrachten der Photo-
graphie tritt die Stemleere um den Nebel ohne weiteres hervor, so
daß es wenigstens für diesen Schluß kaum der mühsamen Abzahlung
bedurft hätte.
»Das interessanteste und für die Zukunft vielleicht wichtigste
Resultat der Abzahlung ist, daß dieser Nebel, obwohl er rings von
Stemwüste umgeben ist, ebenso wie der Orionnebel nicht in der
Mitte der Stemwüste liegt, sondern daß beide Nebel nahe am Ende der-
selben stehen. Der Orionnebel nahe dem nordwestlichen Ende, der
Amerikanebel nahe dem nordöstlichen Ende seiner Stemwüste.
Der ganze südwestliche Teil der abgezählten Gegend enthält
dementsprechend nur wenige Sterne, und diese Lücke breitet sich
noch weiter gegen a und y Cygni aus. Am Amerikanebel selbst
findet eine so plötzliche Zunahme der Steme statt, daß auf der Karte
die Grenze zwischen der Anzahl unter und über 20 Stemen mit der
Form des Nebels zusammenfällt Im NW und N ist ebenfalls eine
Abnahme der Sterndichte zu bemerken; 2 Lücken mit weniger als
20 Sternen im Quadrate treten besonders deutlich hervor. Von S zieht
anderseits die Stemenleere in nordöstlicher Richtung den Nebel ent-
lang und läßt ihre zwei nach NE und NW gerichteten Ausläufer in der
NE-Ecke der Karte erkennen. Ein ziemlich breites Band, das bis zu
100 Steme im Quadrate enthält, stellt im N die Verbindimg des Nebels
mit den umliegenden Stemen her. Im S des Nebels ist die Stemen-
leere durch eine mäßige Zunahme der Stemendichte unterbrochen. Im
Innem des Nebels nimmt die Anzahl der Steme sehr stark zu.
Wir finden so beim Amerikanebel dieselben Gesetzmäßigkeiten
wie beim Orionnebel, die darauf hindeuten, daß ein ganz enger,
innerer Zusammenhang zwischen unsem Fixstemen und diesen Nebel-
massen besteht. €
Geophysik.
Allgemeine Eigrenschaften der Erde.
Ober die PolhÖhenSChwankunsr hat Prof. Dr. R Schmnaim
einige Untersuchungen veröffentlichi ^) Den Einfluß von Massen-
bewegungen auf und auch in dem Erdkörper auf die Achsenlage
haben Darwin, Delaunay, Gylden, Hehnert, Hennessy, Hopkins,
Spitaler, Thomson u. a. untersucht Unter Heranziehung gewisser
Vorgänge in der zugängigen Erdoberfläche, namentlich von meteoro-
logischen Einflüssen und Massentransporten, sind mehrfach Erklä-
rungen für die Polhöhenschwankung unternommen worden. Über
die Konstitution des Erdinnem hat Wiechert eingehende Unter-
suchungen angestellt, deren Heranziehung zu einer Erklärung für das
genannte Phänomen dem Verf. nicht von vornherein so aussichtslos
erschien, daß nicht wenigstens ein Versuch gewagt werden dürfte.
Wiechertist der Idee einer Zweiteilung des Erdkörpers näher getreten
und gelangt am Schlüsse seiner Arbeit zu der plausiblen Vorstellung :
>daß die Erde aus einem Eisenkerne von etwa 10 Millionen Meter
Durchmesser besteht, den ein Gesteinsmantel von etwa 1^/, Millionen
Meter Dicke umgibt Der Mantel beansprucht etwa Vs ^^ Erdradius.
Dem Volumen nach kommt er dem Kerne etwa gleich, der Masse
nach steht er weit zurück, denn hier ist das Verhältnis 2 : 5.
Wiechert kam zu dem weitem Ergebnis, daß der Raum zwischen
Kruste und Kern nur eine plastische Schicht von verhältnismäßig
geringer Dicke sein kann. Die Möglichkeit von Verschiebungen
zwischen den beiden Körpern, sagt Prof. Schumann, ist nicht ohne
weiteres abzuweisen; die Kruste treffen die äußern Stöße und
Widerstände, und auf ihr finden Massentransporte teils periodischer,
teils fortschreitender Art statt Sind femer die Abplattungen ver-
schieden, so entsprechen den beiden Körpern verschiedene Nutationen.
Läßt die > plastische Schicht« überhaupt Verschiebungen zu, so kann
die Wiechertsche Hypothese wohl auch zur Erklärung dauernder, rela-
tiver Schwerpunktsverlegungen dienen, die, verbunden mit dem Auf-
hören eigener Rotation und ohne äußere Pormveränderung zu ver-
ursachen, bei einigen Planeten vermutet werden.
») Astron. Nachr. Nr. 3877.
Allgemeine Eigenschaften der Erde. 161
Unter der Annahme, daß zwischen den Gravitationszentren
zweier solcher (von Eugelilächen begrenzter) Körper Verschiebungen
von der GröBenordnung 5 m (oder ^/igooooo ^®^ Erdradius) möglich
sind, untersucht nun der Verfasser, wie aus zweckmäßig angeord-
neten Beobachtungen auf der Erustenoberfläche solche Verschiebungen
erkannt werden können, wobei er von der taglichen Drehung absieht.
Das Ergebnis ist, daß unter gewissen Verhältnissen solche in
der Tat nachweisbar werden.
Die Messungr des Erdbogens zwischen der Fundy-Bal
und dem Golfe von Mexiko. Ober dieses große von der Regierung
der Vereinigten Staaten angeordnete und jetzt glücklich durchgeführte
Unternehmen liegt der eingehende Bericht nebst den Rechnungsergeb-
nissen vor.^) Eine kurze kritische Obersicht des Inhaltes desselben
unter Berücksichtigung der frühern Arbeiten ähnlicher Art aber geringem
Umfanges gibt Prof. E. Hanuner,^ der das Folgende entlehnt ist Der
schief zu Meridianen und Parallelkreisen liegende Erdbogen hat folgende
Endpunkte: 46« 11' 9,4" Br., ßl^ 16' 57,9" w. L. (bei Calais in
Maine am St. Croix River, der kanadischen Grenze gegenüber) und
29® 57' 24.4" Br., 90» 4' 24.4" w. L. (bei New-Orleans in Louisiana).
Die geodätische Linie zwischen diesen beiden Punkten ist rund 2612 km
(gleich 23^/,») lang und hat (von S über W gezählte) Azimute von
rund 57® 31' im nördlichen und 223® 22' im südlichen Endpunkte.
Sie durchschneidet die Gebiete von 16 Staaten der Union. »Auf
die Verwendung von Gradbogenmessungen, die weder einem Meridian
noch einem Parallelkreise der Erde folgen, zur Bestimmung der Erd-
figur hatte schon Tobias Mayer hingewiesen, aber erst Bessel hat
die > Gradmessung in Ostpreußen c als erstes Beispiel dieser Art aus-
geführt. Vor der Möglichkeit der scharfen Längenunterschiedsbe-
stimmungen mit Hilfe des elektrischen Telegraphen standen Parallel-
kreisbögen und schiefe Bögen mit Recht nicht in hohem Ansehen
bei den Geodäten; heute ist dieses Urteil nicht mehr gerechtfertigt,
und besonders sind schief liegende Bögen von genügender Aus-
dehnung ganz geeignet zur Ableitung der Elemente eines >Spezial-
ellipsoids€, das die Krümmung der Erdoberfläche auf dem von jenem
Bogen überzogenen Teile der Erdoberfläche darstellt
Die ganze hier vorliegende Arbeit ist aus dem Wunsche und
Bedürfnisse entstanden, die kleinen Triangulationen zur Aufnahme der
Häfen u. s. f. längs der atlantischen Küste durch eine Haupttrian-
gulierung untereinander in systematische Verbindung zu bringen;
und von Anfang an stand als Ziel auch der Ausbau dieser Messung
zu einer Gradmessung fest Volle 2 Drittel des vorigen Jahrhunderts,
1833—1898, haben die Feldarbeiten gewährt.
^) The eastem oblique Are of the United States and osculating Sphe-
roid. Washington, Government Printing Office. 19Q2.
') Petermanns Mitteilungen 1908. [64].
Klein, Jahibuch XIV. 11
162 Allgemeine Eägeiischafteii der Erde.
Die Triangtüienuig stützt sich auf 6 Grundlinien, die dem
Bogen entlang etwas ungleichförmig verteüt und zusammen rund
68^3 ^ (= ^/s8 ^®' Langenerstreckung der Triangulierung) lang
sind. Die durchschnittliche Lange einer Basis ist also 11.4^, sehr
betrachtlich; die kürzeste ist die Eent Island-Qrundlinie mit rund
8.7 km (1844 von Ferguson gemessen), die längste die Massachusetts-
Grundlinie mit 17.8 km (ebenfalls 1844 von Blunt gemessen). Die
Horizontalwinkelmessung geschah mit 80 cm- Theodoliten und dem
75 cm- Theodolit; der wahrscheinliche Fehler einer beobachteten
Richtung geht in den verschiedenen Netzteilen von Hh 0.26'' (in den
Neuengland-Staaten) bis zu ^f: 0.79" (in Georgia und Alabama), im
Mittel betragt er ^O.bV\ Für genügende Verstrebung der Ver-
bindungen ist überall gesorgt; die Zahl der Dreiecke ist 483. Zum
Zwecke der Ausgleichung ist das ganze Netz in dreizehn einzelne Stücke
zerbrochen worden. Die (geodätischen) geographischen Positionen der
Dreieckspunkte sind mit Zugrundelegung des Clarkeschen Ellipsoids
von 1866 berechnet
An astronomischen Bestimmungen sind vorhanden: 71 Breiten-
stationen, 17 Längenunterschiede und 55 Azimutstationen. Die Pol-
höhen sind fast sämtlich mit dem Zenitteleskop (Horrebow-Talcotts
Methode) bestimmt, die LängendiEferenzen alle mit Hilfe des elek-
trischen Telegraphen, die Azimute meist durch Messung von Horizontal-
winkeln zwischen dem Polarsterne und einer vom Standpunkte aus-
gehenden terrestrischen Richtung. Die wahrscheinlichen Fehler der
geographischen Längen der 17 Punkte gehen über ^ 1.3" (^ 0.1")
nicht hinaus und sinken bis auf ^ 0.75" (+0.05*).
Am meisten Interesse bieten weitern Kreisen ohne Zweifel die
Ergebnisse des IV. Abschnittes: Ableitung eines oskulierenden Ellip-
soids für den von dem Bogen überspannten Teile der Erdoberfläche.
Mit verschiedenen Annahmen über das Gewicht der Azimutgleichungen
werden vier verschiedene solche Ellipsoide abgeleitet, deren große
Halbachsen zwischen
6877 966 und 6 378 208 m liegen
(der wahrscheinliche Fehler ergibt sich je zu rund ± 90 m) und für
die der Abplattungsnenner zwischen
307.6 und 303.7
(mit einer wahrscheinlichen Unsicherheit von je ^ 2) liegt Das
dritte dieser Ellipsoide mit
a = 6 878 157 + 90 m und — ^ = 804.5 + 2
— a — b —
wird als das beste angesehen; seine große Halbachse ist nur wenig
kleiner als die der Clarkeschen Ellipsoide von 1866 und 1880 und
wenig größer als die des Ellipsoids von Harkneß (aber 760 m länger
als Bessels a, das bekanntlich in der Tat sicher um 0.7 oder 0.8 km
zu kurz ist), die Abplattungsreziproke ist aber wesentlich größer
Allgemeine Eigenschaften der Erde.
163
(die Abplattung kleiner) als bei Clai-ke (295 — 298), sogar noch ziem-
lich größer als bei Bessel (299) und bei Harkneß (300).
Immerhin zeigt sich auch hier wieder, daß große Abweichungen
zwischen den Dimensionen solcher Ellipsoide, die der Krümmung
eines bestimmten kleinen Stückes der Erdoberfläche sich am besten
anpassen, und einem Erdellipsoid, das sich der Form der ganzen
mathematischen Erdoberfläche am genauesten anschmiegt, nicht vor-
handen zu sein scheinen.c
Sehwerebesümmungen In WürttembeFg:.^) Während der
Monate März und April 1902 wurden auf 10 Stationen, die in un-
gefähr 15 km gegenseitigem Abstände nahe auf dem Pariser Parallel-
kreise gelegen sind, Schwerebestimmungen mittels zweier Pendel
ausgeführt, während zwei andere Pendel zu den gleichzeitigen Be-
obachtungen in Stuttgart zurückgelassen waren.
Die Beobachtungen sind während der Nachtstunden von 9 bis
3 Uhr in Eellerräumen angestellt worden, deren Auswahl und Aus-
stattung mit einem Pendelpfeiler an den betreffenden Orten schon
wahrend des vorangegangenen Herbstes vorgenommen worden war.
Die östlichste Station (Bopfingen) an der Grenze des Ries (Nord*
lingen) liegt noch auf vulkanischem Untergrundgesteine. Die folgenden
Stationen gegen Westen liegen auf Jura und Keuper, wogegen die
zwei letzten Stationen der Reihe (Herrenalb und Liebenzeil) auf den
Sandsteinen des Schwarzwaldes sich befinden. Am höchsten über
dem Meere liegen die äußern Stationen im Osten und Westen, am
niedrigsten die mittlem. Die folgende Tabelle gibt nach E. R. Koch
für die einzelnen Orte die Höhe, die beobachtete Schwere, die Reduk-
tion auf Meereshöhe und die Abweichung der reduzierten Schwere
gegen die theoretisch berechnete:
Staüon
Bopfingen . .
Aalen . . .
Unterböbingen
Lorch . . .
Schorndorf .
Cannstadt . .
Stutteart . .
Leonber^ . .
Heimsheim
Ldebenzell . .
Henrenalb . .
Im allgemeinen sind also die Schwereverhältnisse auf dem ge-
wählten Parallelkreise innerhalb Württembergs ziemlich regelmäßig;
H5he
Schwere
Beduktton Abwelohung
464.8 m
9.80685 m -
h0.095ofii -
h 0.088 om
428.6
9.80685 H
-0.087
-0.027
888.5
9.80695 -j
-0.077
-0.028
288.5
9.80911
-0.058 J
-0.028
2526
9.80915 H
-0.062 H
-0.025
227.6
9Ä)926
-0.044
-0.028
247.8
9.80915
—
—
884.2
9.80893 H
h 0.074 -)
k 0.026
409.0
9.80685
-0.081
-0.024
884.5
9.80696
-0.069
-0.026
859.6
9.80912
-0.077
-0.048
^) Veröffentlichungen der Kgl. württemb. Kommission für internationale
Erdmessungen. Jahrbuch des Vereins für vaterl. Naturkunde in Württemberg
1903. Naturw. Rundschau 1908. p. 291.
11*
164 Allgemeine Eigenschaften der Erde.
nur Herrenalb weicht starker ab, was mit der Lage dieses Ortes in
der Sohle eines tiefen Schwarzwaldtales (die umliegenden Berge sind
360 — 500 m höher) zusammenhängen mag.
Bestimmungr der Schwerkraft auf dem Atlantischen
Ozeane. Wie bereits im 12. Bande dieses Jahrbuches^) mitgeteilt
wurde, hat Prof. Dr. Hecker durch Beobachtungen an Barometern
und Siedethermometem Bestimmungen der Schwerkraft auf dem
Atlantischen Ozeane ausgeführt Die definitive Berechnung dieser
Beobachtungen ist nun beendigt und publiziert.^)
Als endgültige Werte von Jg für Flachsee — Tiefsee wurden
ermittelt, ausgedrückt in Höhe des Quecksilberbarometers:
fMn mm
für die Ausreise: +0.017 ±0.015
für die Heimreise: -[-0.048 ±0.034.
Die mittlem Fehler sind so angegeben, wie sie sich aus der
Addition der letzten Normalgleichungen bei der Ausgleichung aller
Barometer für die Ausreise und ebenso für die Heimreise ergeben.
Es bestätigen also auch die Beobachtungen auf der Heimreise die
Hypothese von Pratt von der isostatischen Lagerung der Massen
der Erdkruste für dieses Gebiet des Atlantischen Ozeanes. Im Mittel
ergibt sich der Endwert, ausgedrückt in Störung A g der Schwerkraft
in Zentimetern. J^ für Flachsee— Tiefsee = + 0.028 cm ± 0.018 cw.
Ober die Reduktion der auf der physischen Erdober-
fläche beobachteten Schwerebeschleunigrunsren auf ein ge^
meinsames Niveau machte Prof. Helmert in der Preuß. Akademie
der Wissenschaften') weitere Mitteilungen. In derselben wird die
übliche Reduktion auf das Meeresniveau mit der normalen Höhen-
reduktion empirisch, sowie theoretisch aus der Gleichgewichtstheorie
der Erdkruste begründet; dagegen die neuerdings vorgeschlagene Re-
duktion auf ein die höchsten Berge überragendes Niveau als unzweck-
mäßig erwiesen.
Letzterer Vorschlag ist von Brillouin gemacht worden, der die
Reduktion auf ein in 10 Am» Meereshöhe gelegenes Niveau empfahl.
Prof. Helmert behandelt bei dieser Gelegenheit auch die Gleich-
gewichtstheorie von Pratt und gelangt zu einem neuen Nachweise
für die Zulässigkeit der Annahme, daß die kontinentalen Erhebungen
über das Meeresniveau nach Pratts Hypothese unterirdisch durch
Defekte der Dichtigkeit nahezu ausgeglichen sind, oder, anders aus-
gedrückt: daß sie im wesentlichen durch Massenverschiebungen aus
einer ursprünglich homogenen, bezw. homogen geschichteten Erdkruste
entstanden sind.
*) S. 1B7.
*) Vgl. Veröffentl. des K. Preuß. geodätischen Protokolls N. F. IS^
Potsdam 1903.
') Sitzungsber. d. K. Preuß. Akad. d. W. 1908. 31.
Oberflächengestaltung. 165
Oberflächengrestaltungf.
Gesetzmäßig: wiederkehrende Höhenverschiebungren von
Nlvellementsfestpunkten behandelte W. Seibt.^) Im Jahre 1897
zeigten sich zum ersten Male die merkwürdigen Erscheinungen, und
zwar bei Festlegung der selbsttätigen Gezeitenpegel an der Unterelbe
bei Granz und bei Brunshausen, daß die zur Aufstellung der Pegel
dienenden Häuser und die an ihnen befindlichen Höhenbolzen, wie
auch die Nullmarken der Pegellotvorrichtungen bei Niedrigwasser
eine um einige Millimeter andere Höhenlage hatten als bei Hoch-
wasser. Im folgenden Jahre wurde gefunden, daß die Höhenver-
schiebungen periodisch wiederkehren und genau dem Wasserstande
entsprechend eintreten. An beiden Punkten bewirkt das Ebben des
Wassers ein allmähliches Heben, die Flut ein allmähliches Sinken
des Pegelhauses.
Die Amplitude der Schwankungen beträgt etwa 3 mm, Beobach-
tungen im Mai 1901 bestätigten diese Ergebnisse vollständig. Eine
genügende Erklärung ist dafür noch nicht zu geben. Seibt glaubt,
daß in der Erscheinung die elastische Nachgiebigkeit des Untergrundes
der im Wasser erbauten Pegelhäuser zum Ausdrucke komme. Endlich
ergab sich auch noch, daß an den beiden genannten Punkten eine
fortschreitende Senkung des Bodens von einigen Millimetern pro Jahr
stattfindet
Die Felsbildungren der säehslsehen Schweiz waren Gegen-
stand einer Darlegung von Alfred Hettner.^ Diese Felsbildungen
sind durch ihren eigentümlichen Charakter weithin bekannt »Überall
treten dem Beschauer dort die seltsamsten, barocksten Felsgebilde
entgegen: wabenartige Zerfressungen der Felswände, Nischen, Höhlen,
Überhänge, Tore von den kleinsten bis zu recht beträchtlichen Aus-
maßen, schmale Felsmauem und isolierte Felspfeiler und Felsblöcke,
oft wunderlich modelliert, so daß eine kindliche Phantasie darin das
Qesicht Napoleons oder die Form einer Gans, eines Lammes, eines Kamels,
einer Lokomotive entdeckt Die Täler oder . Gründe '^ wenigstens
des rechten Eibufers haben steile, oft beinahe senkrechte Felswände,
an denen die Pflanzen nur mit Mühe haften. Die meisten Gipfel
sind ausgesprochene Tafelberge, sogenannte Steine, bei denen sich
eine Felskrone von einem sanfter geneigten Fußkegel abhebt In
andern Teilen finden wir ausgedehnte Felsplatten, die in steilen,
durch Felskessel und Felsrippen reich gegliederten Wänden abfallen.
') Zentralblatt der Baaverwaltung, herausgegeben im Ministerium der
dffenÜ. Arbeiten. Berlin 1902.
*) Geograph. Zeitschr. 1908. 9. p. 606.
/ r
166 OberfLächeDgestaltung.
Die Steine und die Felsmauem erheben sich über weit ausgedehnten
wagerechten oder sanft abgedachten .Ebenheiten", in die wieder die
Taler eingesenkt sind. Besonders im untern Teile der sächsischen
Schweiz sind diese Ebenheiten deutlich ausgebildet, und man sieht
hier mehrere Ebenheiten von verschiedener Höhe mit Landstufen an-
einander treten, c
Diese merkwürdigen Felsbildungen, die zum Teile an die Canons
des Coloradogebietes erinnern, beruhen auf der Beschaffenheit des
Quadersandsteines, der in unserem feuchten Klima ähnliche Formen
hervorruft, wie in der Wüste die Trockenheit des Klimas. Jedenfalls
hat bei der Herstellung der sächsischen Schweiz das Wasser eine
Hauptrolle gespielt, wenngleich anders als bei den meisten deutschen
Mittelgebirgen. »Die Zerstörung der sächsischen Schweiz durch die
Gewässer,« sagtHettner, »stimmt mit der der übrigen deutschen Mittel-
gebirge darin überein, daß sie nur ganz allmählich von den durch
die Verwerfungen und Flußlinien gegebenen Tiefenlinien aus ins Innere
vordringt, sie unterscheidet sich aber von den meisten dadurch, daß
dieses Vordringen nicht mit trichterförmigen, sondern, ähnlich wie in
der Wüste, mit kesseiförmigen Einsenkungen erfolgt. An Stelle flacher
Böschungen, die durch Trichter und dazwischen liegende gerundete
Bergrippen gegliedert sind, sind darum Felswände mit Felskesseln und
dazwischen sich vorstreckenden Felsmauern die vorwaltenden Formen.
Die erhalten gebliebenen Stücke der ursprünglichen Tafelfläche, mögen
sie noch eine weite Flächenausdehnung haben oder länglich gestreckte
Rücken oder einfache Berge bilden, sind stets durch solche Felswände
begrenzt und sind daher je nachdem Tafelmassen, die an den Rändern
in wirre Felsreviere aufgelöst sind, oder Felsmauern oder Tafelberge,
sogenannte Steine, bei denen sich eine Felskrone von einem Fußkegel
absetzt Felsmauem, die auf beiden Seiten von Kesseln angegriffen
werden, zeigen Einsattlungen, die nach den beiden Seiten aber nicht
allmählich, wie bei gewöhnlichen Kämmen, sondern treppenförmig
ansteigen. An der Spitze einer zwei benachbarte Kessel trennenden
Felsmauer stehen häufig isolierte Felssäulen oder Felspfeiler oder,
in größerem Maßstabe, eigentliche Vorberge, die immer die Form von
Steinen haben. Am Fuße der Tafelmassen und Tafelberge breiten
sich sanftwellige Felsplatten aus, die aus der Zerstörung hervor-
gegangen sind; die niedrigen Bodenschwellen entsprechen den ehe-
maligen Felsmauem.«
In der sächsischen Schweiz erfolgt die Abtragung also nach
ähnlichen Gesetzen, wie sie Powell und Dutton für das Canongebiet
des Colorado entwickelt haben: an den Seiten der Verwerfungen und
Tailinien bilden sich Felskessel aus, sie vergrößern sich allmählich
nach den Seiten und nach hinten, die trennenden Felsrippen werden
zerstört, und flache Schwellen treten an ihre Stelle, die Felswände
im ganzen weichen nach hinten zurück (Recession of Cliffs), die
ursprüngliche Tafel wird immer kleiner und verliert immer mehr den
f ^
Oberfl&chengestaltuDg. 167
ZusammenhaDg, vielfach bleiben nur noch einzelne Felsmauem und
Tafelberge davon übrig, bis auch sie verschwinden, und eine flach
gewellte Oberfläche zurückbleibt Es ist eine besondere Form des
allgemeinen Vorganges der Einebnung der Gebirge, der Peneplanation,
wie man heute oft mit einem von W. M. Davis eingeführten Ausdruke
sagt, der Abrasion, wie man, eine zunächst allerdings für die
Brandungswirkung geschaffene Bezeichnung v. Richthof ens erweiternd,
sagen könntet
Eine ganz klare Vorstellung von dem Vorgange der Abtragung
ist aber nach Hettner noch nicht zu gewinnen, der letzte Schlüssel
für das morphologische Verständnis der sächsischen Schweiz fehlt
uns noch. »Ihrem innem Baue nach«, sagt Hettner, »ist sie ein Block
von Sandstein, mit schwachen aber bedeutsamen Zwischenschichten
von Pläner und Mergel. Im Meere der obem Kreide abgelagert,
wurde sie gegen den Schluß der Kreidezeit über den Meeresspiegel
gehoben und in der Mitte der Tertiärzeit von großen Dislokationen
betroffen, die teils der sudetischen, teils der erzgebirgischen Streich-
richtung folgen. Ob das Land in der altern Tertiärzeit Tiefland
oder zu größerer Höhe gehoben war, und welche Fortschritte die
Abtragung schon gemacht hatte, können wir nicht sagen; in der
Hauptsache gehört die Abtragung wohl erst der Zeit nach der Dis-
lokation oder wenigstens nach der im sudetischen Sinne erfolgten
Dislokation, d. h. nach dem Einsinken des Quadersandsteinblockes
zwischen Erzgebirge und Lausitzer Platte, an, da der Sandstein
überhaupt nur in dieser Einsenkung erhalten, auf der Lausitzer Platte
und dem Erzgebirge dagegen abgetragen ist, und da auch die Land-
stufen ungefähr in der Richtung der durch die sudetische Dislokation
bewirkten Schichtenneigung verlaufen. In der Bildung dieser Land-
stufen und Ebenheiten, die in Abhängigkeit vom Gresteinswechsel
erfolgt ist, haben wir im ganzen wohl die älteste noch heute in
Betracht kommende Tatsache der Ausgestaltung des Bodens durch
äußere Kräfte zu erblicken. Auch die Zerstörung innerhalb des den
nordöstlichen Teil der sächsischen Schweiz einnehmenden obem
Quadersandsteines hat damals selbstverständlich schon eingesetzt, ist
aber, wie es scheint, erst später mit der Ausbildung der Talterrasse
der Kamnitzelbe und ihrer Zuflüsse und der darauf gerichteten Eben-
heiten zu einem vorläufigen Abschlüsse gelangt Diesen Zustand hat
die sächsische Schweiz in der großen Eiszeit gehabt Danach hat —
die Ursache muß dahingestellt bleiben, vielleicht hängt sie mit dem
Eintritte der böhmischen Elbe zusammen — die Erosion weiter in
die Tiefe schneiden können; aber dieser Vorgang ist noch nicht weit
gediehen, er beschränkt sich der Hauptsache nach noch auf die
Bildung von Gründen und Schluchten. Darum heben sich in der öst-
lichen sächsischen Schweiz 2 Höhenzonen, eine obere der über größere
Flächen sich erstreckenden Zerstörung, der über großen Felsplatten
aufsteigenden Felsreviere und Tafelberge, und eine untere der nur
168 OberflächeDgestaltoDg.
in einzelnen Linien erfolgten Zersidning, der Gründe, deutlich von-
einander ab. Es ist aber nur ein Gregensatz im Betrage, nicht in der
Art der Zerstömng. Es liegt kein Grrund vor, daraus auf einen
Wechsel des E^limas zu schliefien. Die eigentümliche Art der Boden-
gestaltung der sächsischen Schweiz ist nicht im Klima, sondern in
der Gesteinszusammensetzung begründet; ihre Felsbildungen sind nicht,
wie die der Wüste, die Folge einer Trockenheit des Klimas, sondern
der Trockenheit des Bodens.
Ober Bergstürze im norddeutschen Flaehlande machte
Prof. Jentzsch in der deutschen geologischen Gesellschaft Mitteilungen.
Ein langsam fortschreitender Erdrutsch findet sich bei Darkehmen in
Ostpreußen, über den Nachrichten seit 1811 vorliegen. Das Abrutsch-
gebiet liegt am rechten Ufer der Angerapp und hat die dort entlang
führende Fahrstraße, sowie ein Wohnhaus zerstört, auch Bäume fort-
gerissen. Solche Erdbewegungen sind an Steilgehängen außerordent-
lich verbreitet, am häufigsten an jetzigen oder frühem Prallstellen
der Flüsse bei Ton und Tonmergel. Neben diesen langsamen Erd-
bewegungen kommen auch schnelle Massenbewegungen vor, so 1878
am rechten Ufer des Memelstromes, 10 Ami östlich von Tilsit Dort
hatte der Strom bei Eisgängen und Hochfluten den Fuß der Tal-
böschung nach und nach so weit abgetragen, daß die geringe abnagende
Tätigkeit des Flusses im Sommer jenes Jahres genügte, um den
Sturz plötzlich auszulösen. Wie Prot Jentzsch vermutet, hat dabei
Quellenbildung die Wirkung des Stromes unterstützt. Durch ähnliche,
wenn auch kleinere Abstürze sind offenbar die zackenförmigen Klippen
von Geschiebemergel entstanden, welche das Weichselufer zahlreich
aufweist. Einen noch frischen Sturz sah Prof. Jentzsch im Juni 1900
an der Danziger Bucht nordöstlich von Hochredlau. An der Ober-
kante stehend, schaut man dort hinab in einen Kessel mit krater-
ähnlich abfallenden Steilwänden, während der Boden desselben von
einem schwer betretbaren Gewirre größerer und kleinerer Erdschollen
und hinabgestürzter Bäume und Sträucher bedeckt ist. Unterhalb
Schwetz am linken Ufer der Weichsel findet man einen der größten
Bergstürze des Flachlandes, dessen Datum aber nicht bekannt ist.
Überhaupt bestehen dort viele alte Sturzgebiete; einige davon sind
so ausgedehnt, daß sich auf ihnen Wohnhäuser und Gärten, ja kleine
Äcker finden. Wie in Ostpreußen, so sind auch an andern Strömen
und Flüssen des norddeutschen Flachlandes ältere und jüngere Berg-
rutsche viel verbreitet, und sie bilden einen wesentlichen Teil der
Vorgänge bei der Vertiefung und Verbreiterung der Taler. — Im
Siebengebirge am Rhein hat das Unwetter am 3. Juni vielfache Erd-
rutschungen verursacht. Sehr deutlich treten diese dem Wanderer
im Nachtigallentale vor Augen, wo die Q«hänge des Weges gegen den
Bach hin vielfach abgestürzt sind, und Längsrisse im Boden weitere
Abstürze in Aussicht stellen.
Oberflächengestaltung. 169
Ober die Entstehung und Wanderung* der Dttnen hat
0. Baschin an der Nordseeküste Beobachtungen angestellt/) und zwar
in der Nähe des Seebades Fand. Aus seinen Messungen geht hervor,
daß die Geschwindigkeit der Vorwärtsbewegung der dortigen kleinen
Dünen sehr beträchtlich ist und bis zu 3 m pro Tag beträgt. Der
Grund dafür, daß die hohen Wanderdünen langsamer vorrücken als
niedrige Dünen, liegt einfach darin, daß unter sonst gleichen Be-
dingungen bei einer hohen Düne eine längere Zeit erforderlich ist,
um an der Leeseite so viel Material anzuhäufen, daß eine merk-
liche Vorwärtsbewegung des Dünenkammes eintritt, als bei einer
niedrigen.
Die Sandzufuhr durch den Wind ist ja bei hohen und niedrigen
Dünen die gleiche, aber bei einer zehnmal höhern Düne muß die
zehnfache Menge Sand auf der Leeseite abgelagert werden, um ein
Vorrücken um den gleichen Betrag zu ermöglichen, so daß also die
Geschwindigkeit der Vorwärtsbewegung direkt proportional der Höhe
der Düne ist.
Auch die Form der Barchane läßt sich unter dem gleichen Ge-
sichtspunkte leicht erklären. Bei jeder Sandanhäufung werden nämlich
die nach der Mitte zu gelegenen hohem Teile langsamer in der
Richtung des Windes fortschreiten, als die peripherischen niedrigem
Partien, so daß sich aus einer rein kegelförmigen Sandanhäufung
bei konstanter Windrichtung ein vollständig symmetrischer, typischer
Barchan entwickeln muß.
Eine besondere Eigentümlichkeit der Dünen ist bekanntlich der
kurze, fast senkrechte Steilabfall, der den obersten Teil der Leeseite
bildet und dem Dünenkamme die Form eines scharfen Grates ver-
leiht Bertololy^ hebt hervor, daß bisher noch keine befriedigende
Erklärung dieses Profils gegeben worden ist; er versucht, den Steil-
abfall dadurch zu erklären, daß er annimmt, der Luftwirbel, der sich
an der Leeseite der Düne um eine horizontale Achse bilde, sei im-
stande, durch Erosion einen steilen, 2 — B m hohen Absturz zu
erzeugen. Dieser Anschauung kann Verf. nicht beipflichten, da er
sich bei seinen Beobachtungen direkt davon überzeugen konnte, daß
die Entstehung des kurzen Steilabfalles lediglich auf Abratschungen
an der Leeseite zurückzuführen ist.
Der Untergrrund von Venedigs* t^er denselben verbreitete
sich, aus Anlaß des Einsturzes des Markusturmes , Dr. Ochsenius. *)
Nach einigen Bemerkungen über abgeschlossene Wasseransammlungen
in aUen altem Schichtsystemen, welche der Bergmann mit dem
^) Zeitschr. der Gesellschaft f. Erdkunde. Berlm 1901. p. 422.
^ Ernst Bertololy, Rippelmarken und Dünen. (Münchener Geogra-
phische Studien, herausgegeben v. Siegmund Günther. 9. Stück.) München
1900. p. 187—189.
*) Zeitschr. d. Deutschen geol. Gesellsch. 54. p. 188.
170 OberflächeiigBsüdtiuig.
Namen »Wassersäcke« zu bezeichnen pflegt, eriaaterte er den Begriff
eines »Wasserkissens«, welchen Namen man denjenigen Wasser-
ansammlongen im Alluvinm beigelegt hat, die unter einer elastisch
gebliebenen Decke befindlich und unter Druck geraten sind.
Die Bildung ist mehrfach beobachtet worden. Tote Flußaime,
Teiche, Tümpel, sich selbst überlassen, werden von einer Schicht
schwimmenden Pfianzenmaterials überzogen, und diese Schicht wird
unter Umständen so dicht und fest, daß darauf gewehter Staub
und Sand nicht mehr untersiokt, sondern sich verfestigt Zuletzt
ist die ganze Vertiefung ausgefüllt und eingeebnet, der flüssige Inhalt
am Orunde ist total eingesperrt und trägt seine Decke, die vielleicht
nur wenig elastisch geblieben ist, ruhig weiter, solange keine
Störung eintritt
Derartige Formationen von Wasserkissen können sich sogar
übereinander wiederholen. Recht unliebsame Erfahrungen mit solchen
haben Eisenbahnen im norddeutschen Flachlande gemacht Verluste
an ganzen Dämmen sind zu notieren bei dem Baue der Berliner Nord-
bahn, der Bahn Köslin-Stargard, der Märkisch-Posener Bahn usw.
Für Wasserkissenbildung war und ist nun die norditalienische
Poebene wie geschaffen. Eine üppige Vegetation auf den zahlreichen
Tümpeln und Teichen, die der Po, dessen Niveau ja gegenwärtig
stellenweise höher liegt als die First der Häuser der benachbarten
Ortschaften, auf seinen beiden Ufern hinterließ, hat imter mildem
Klima dort förmliche Etagen von Wasserkissen zuwege gebracht
Das wird bewiesen durch die behufs Beschaffung von gutem Trink-
wasser ausgeführten Tiefbohrungen und deren Druckverhältnisse.
Offenbar gehören nun die AUuvionen in den Deltagebieten des Po,
der Etsch usw. zu den jüngsten. Die alte Küstenlinie historischer
Zeit kommt von Ravenna, geht durch Adria und Mestra (15 Arm vom
jetzigen Meeresufer, d. h. dem Venedig östlich vorliegenden Damme
Murazzi bei Malamacco) über Aquileja nach Duina bei Triest.
Dieser schmale Küstenstrich, der Ostsaum der norditalienischen
Ebene ist also in historischer Zeit von dem mineralischen Detritus
gebildet worden, welchen die Flüsse aus den Alpen anbrachten.
Triasdolomite, Juratone und -kalke, Kreidemergel, Tertiärmacigno,
sowie einige Trachytausbrüche lieferten kalkig-tonig-sandiges Mate-
rial für den Aufbau von soliden Decken über oberflächlich zuge-
wachsenen Tümpeln und Wasserflächen.
Auf solchen Mergelschichten (caranta) stehen Venedig (mit seinen
122 Inselchen), Padua, Adria, Vicenza, Verona usw.
Da ist eine Bildung von Wasserkissen und ähnlichen Hohl-
räumen, die mit Wasser und Gasen gefüllt blieben, vor sich gegangen.
Die Degousseeschen Venediger Straßenbohrungen in den Jahren 1S4G
bis 1849, sowie die von 1866 mit ihren üblen Folgen beweisen das.
Mit Gewalt wurden die schlammigen Gewässer an 40 tn hoch aus
den Bohrlöchern über die Hausdächer geschleudert, ganze Stadtviertel
Oberflächengestaltung. 171
erlitten Senkungen. Sueß schrieb: »Bei einem solchen Lande hat
man Grund zu staunen, daß sein Rücken durch so viele Jahrhunderte
die große Belastung mit Gebäuden verhältnismäßig ruhig getragen
und dadurch gestattet hat, daß an dieser Stelle eine so glänzende
Stätte menschlicher Kultur erblühte.
Allein die Zeichen der Unsicherheit des Baugrundes von Venedig
sind doch schon alten Datums. Das römische Pflastemiveau liegt
2 m, das des Mittelalters 1,7 m unter dem jetzigen.
1606 mußte das KauJQiaus der Deutschen aus dem 13. Jahr-
hunderte umgebaut werden. Im Dogenpalaste sind einzelne Mauern
mit Ketten an ihre fester stehenden Nachbarn gefesselt worden.
Im Juli 1902 stürzte der berühmte Glockenturm von S. Marco
in sich zusammen. Jetzt stellt sich heraus, daß sehr, sehr viele
andere Monumentalbauten demselben Schicksale entgegengehen, so
S. Stefano mit der großen Merosiniglocke, S. Donato, Miracoli, Maria
Mater Domini, Frari, S. Giovanni, S. Zacarria, Barnaba und viele
andere.
Die Existenz von Wasserkissen als Ursache der Einsturzepidemie
in dem armen Venedig und in seinen Leidensgenossen Adria, Verona,
Vicenza wird neben den Bohrresultaten bewiesen durch das Auf-
steigen von Wasser, das nach oben, dem einzigen Auswege, gepreßt
wird. Darüber berichtet Ugo Oretti, daß 1 m unter dem Funda-
ment des Kirchturmes der Frari sich jetzt Wasser zeigt.
An ein Faulwerden oder Nachgeben der Pfahlroste, deren Eichen-
stämme bis zu 9 m Tiefe die Venetianer Fundamente förmlich spickten,
ist nicht zu denken. Holz, namentlich das der Eiche, fault nicht
im Wasser, wohl aber verkohlt und verkieselt es. Das wird bewiesen
durch die alten Pfähle aus römischen Rheinbrücken, Bohlen aus phöni-
zischen, bezw. römischen Bleibergwerken an der Nordküste von
Spanien, z. B. bei Reocin, und durch die Funde von Eichbäumen in
Flußbetten, welche ein schwarzes, hartes und sprödes Holz lieferten,
das sich noch erfolgreich, wenn auch nur mühsam, bearbeiten ließ.
Die einzige Erklärung der Venetianer Verhältnisse besteht also
in der (bereits als richtig bewiesenen) Annahme von Stellen mit
hohlem, wassererfülltem Untergrunde, aus dem die solide Decke das
darin enthaltene Wasser und Gas jetzt langsam durch einen von
Überlastung herrührenden Riß nach oben, auf dem einzigen Auswege,
herausquetscht Mit andern Worten: es sind. Wasserkissen, deren
Kissenüberzug durch Anstechen, Anbohren oder Zerreißen von obcü
her durchlöchert worden ist und nun bei partieller oder kompletter
Entleerung des wässerigen (zum Teil auch gasförmigen) Inhaltes durch
die entstandene Öffnung mit seiner ganzen Belastung absinkt
Ein merkwürdiger Fall von Erosion durch Stauhoch-
wasser bei Schmarden in Kurland wurde von Dr. Bruno Doß
172 Oberflächengestaltung.
geschildert^) Dort hat im Frühjahre 1900 ein kleiner, durch Eis
gestauter Bach in 34 Stunden, während deren er gezwungen war.
sich einen seitlichen Ausweg zu suchen, canonartige Erosions-
schluchten gebildet, und zwar durch rückwärts einschneidende Wasser-
fälle. Das erodierte und abgebrochene Material (tonig- mergelige
Sedimente und Dolomittrümmer) wurde durch die starke Strömung
geradezu ausgefegt; im ganzen sind während der angegebenen Zeit
2250 c&m Dolomite, Mergel und Schutt durch die Stauwässer aus-
genagt und weiter transportiert worden. Das Oefälle betrug auf 100 m
etwa 1.7 m. Diese Tatsache lehrt, »daß Wasserschwellungen nicht
nur in denjenigen Erdgebieten eine große geologische Bedeutung be-
sitzen, woselbst fast beständige Dürren von nur seltenen, aber um
so heftigem Regengüssen unterbrochen werden, durch deren Trans-
portkraft z. B. die Physionomie der Wadis von Ägypten, Arabien usw.
erhalten bleibt, sondern daß dieselben auch in unsem gemäßigten
Breiten zu hervorragenden geologischen Faktoren werden können.
Was dort die heftig einsetzenden tropischen Regengüsse bewirken,
das erfolgt hier durch die Schwellung der Gewässer infolge Eis-
stauimgen. In der Hauptschlucht steht uns fernerhin ein Beispiel
dafür zu Gebote, daß die Erosion in der Horizontalen äußerst schnell
rückwärts schritt, obgleich die Tiefenerosion noch nicht ihr mögliches
Maximum erreicht hatte, dessen Ausmaß durch das Niveau der fluß-
abwärts gelegenen Strecke bedingt wird. Im Gegensatze hierzu beob-
achtet man ja bekanntlich im Schichtungstafellande bei einer einmal
eingeleiteten Rückwärtserosion meist eine schnell vor sich gehende
Ausfurchung nach der Tiefe , aber nur ein sehr langsames Wachsen
der Erosionsfurche nach rückwärts, so daß die Plattenränder von
sehr steilen, wilden, aber in der Horizontalen nur wenig entwickelten
Schluchten zersägt sind.c
Der abnorm große Betrag der erodierenden Tätigkeit des rück-
wärts schreitenden Wasserfalles bei Bildung des obigen Schluchten-
systems wird übrigens gut illustriert durch Vergleich mit einem
WasserfaUe der baldischen Provinzen, welcher in Gesteinen sich voll-
zieht, die keinesfalls härter sind als diejenigen des Dolomitmergel-
komplexes bei Schmarden. »Iii dem durch seine wilde Romantik
bekannten Tale der besonders im Frühjahre sehr wasserreichen Perse,
einem rechtsseitigen Nebenflusse der Düna, finden sich bei Koken-
husen viele kleinere imd größere Talstufen, über welche die Gewässer
in Kaskaden und kleinern Fällen abstürzen. An einem dieser Fälle —
Verf. schätzt seine Höhe aus der Erinnerung auf etwas über Im —
ist festgestellt worden, daß er in einem Zeiträume von 11 Jahren
um 6.8 m, im Durchschnitte also alljährlich um 0.48 m talaufwärts
rückte.*) Der petrographische Charakter der devonischen Schichten,
^) Zeitschrift d. deutschen geol. Gesellschaft 55. p. 1.
^ Korrespondenzblatt d. Natorf.-Ver. zu Riga 1888. 82. p. 29.
OberfiächeDgestaltung. 173
über welche sich dieser Wasserfall ergießt, ist folgender: zu oberst
eine Bank tonhaltigen dolomitischen Kalksteines, darunter Schichten
sehr feinkörnigen zerreiblichen tonhaltigen Sandsteines, an der Auf-
prallstelle feinkörniger tonig-kalkiger Sandstein. Der 6.2 m hohe
Fall des Jaggowal bei Jegelecht, 2dkm östlich Reval, soll in
100 Jahren um circa 10 m zurückschreiten.^) Hier werden die von
imtersilurischem Glaukonitkalk überlagerten Glaukonitsande und ober-
kambrischen Diktyonemaschiefertone imterwaschen. Ob bezüglich der
Größe des Rückwärtsschreitens des bedeutendsten ostseeprovinziellen
Wasserfalles, des Narowafalles bei Narwa, schon Bestimmungen
ausgeführt worden sind, ist Verfasser im Augenblick nicht bekannt
Fixpunkte hierfür hat bereits Helmersen 1861 angegeben.*) Zum
Vergleiche sei schließlich noch erwähnt, daß der Niagarafall jährlich
um ca. 1 m rückschreitet')
Welch gewaltige Stoßkraft endlich die im Schlockebette bei der
Schmardener Mühle sich stauenden Eisschollen entwickelten, wird
durch folgende Tatsache beleuchtet. Unter den im Bachbette direkt
unterhalb der Brücke liegenden erratischen Blöcken war einer durch
seine auffallende Größe bemerkenswert und allen Anwohnern bekannt
Nach Verlauf des Hochwassers bemerkte man, daß derselbe seine
Lage verändert hatte. Er war durch die andrängenden Eisschollen
20 m bachabwärts geschoben und gerollt worden. Mit derjenigen
Partie, welche früher im Boden steckte — es ist dies, wie aus der
hellem Farbe ersichtlich, knapp die Hälfte der gesamten Masse — ,
ragt der Stein jetzt nach oben. Er besitzt bei einer Länge von
2.6 m und einer größten Breite von 1.6 m einen Umfang von ß^/^mj
erhebt sich mit seinem freiliegenden Teile zurzeit 1 ^/^ m über das
Bachbett und besteht aus finischem Granite.«
Ober das Relief von Norwegen verbreitete sich Hans
Reusch.^) Er betont, daß die viel verbreitete Annahme, das skandi-
navische Hochgebirge sei ein Plateaugebirge, was den innem Bau
anbelangt, insofern unrichtig ist, als wir in einer breiten Zone der
Westküste entlang von dem Südende Norwegens bis zum Nordkap
ein ausgesprochenes Faltengebirge haben, ebenso gut wie in den
Alpen, nur daß die Faltung schon vor der Kohlenperiode abgeschlossen
war. »Die jüngsten gefalteten Gesteine sind fossilfreie Sandsteine
(nördlich von Bergen), in denen man devonische Ablagerungen zu
vermuten hat. östlich vom großen Faltenzuge, z. B. im mittlem
^) Rathlef, Skizze der orographischen und hydographischen Verhält-
nisse von Liv-, Esth- und Kurland. Reval 1852. p. 64.
^ Die geologische Beschaffenheit des untern Narowatales etc. Bull.
Acad. Sciences, Petersb. 1861. 3. p. 18.
*) Bakewell. Observations of the Falls of Niagara (Am. Joum. (2 1867
2S. p. 86) ; zitiert nach Penck, Morphologie der Erdobeiflache 1* p. 819.
^ Hettner, Oeogr. Zeitschrift 1903. p. 426.
174 Oberfläch^agestaltung.
Schweden, liegen die Silurschichten horizontal, sind aber durch verti-
kale Verwerfungen in verschiedene Höhe gebracht. Die Erdkruste
ist in dem westskandinavischen Gebirgszuge nicht nur in Falten zu-
sammengeschoben, auch große Überschiebungen haben stattgefunden.
Es scheinen sogar gewisse Teile der Erdkruste durch beinahe hori-
zontale Spalten von ihrer Unterlage abgelöst und danach durch
Schub in horizontaler Richtung viele Kilometer weit bewegt worden
zu sein. Archäische Gesteine sind dadurch über weite Strecken auf
silurische gekommen.
Die Gebirge Norwegens sind Rumpfgebirge. Durch ungezählte
Jahrtausende sind ungeheure Massen von der Erdkruste abgeschält,
so daß uns die gegenwärtige Oberfläche nur Gesteine zeigt, die einst
tief begraben lagen. €
Reusch zeigt an Beispielen und schematisch den Einfluß der
Erosion durch fließende Gewässer und die Arbeit der Gletscher auf
die Modellierung der paläischen Oberfläche Norwegens und betont
auch die Wirkung der marinen Denudation. Das Land hat durch
lange Zeiten am Ende des Tertiärs und in der Diluvialzeit um ein
Niveau, das nicht sehr vom gegenwärtigen abweicht, oszilliert; da-
durch ist eine wohl ausgebildete kontinentale Plattform entstanden.
Die höhern Teile der kontinentalen Plattform ragen aus dem gegen-
wärtigen Meere hinaus und bilden die Strandebene, den Wohnplatz
für einen bedeutenden Teil der norwegischen Bevölkerung. Die kon-
tinentale Plattform ist von unterseeischen Tälern gefurcht, die gebildet
wurden in Zeiträumen, wo die Plattform höher lag als jetzt Wie
bekannt, sind die Fjorde auffällig tief. Reusch ist geneigt, anzunehmen,
daß sich die Fjorde mehr oder weniger tief bis zu dem Abfalle der
Plattform fortsetzen, imd daß die äußern Partien, zum großen Teile
von loserem Materiale, vornehmlich von Moränenmassen, zugeschüttet
wurden. Die große Tiefe der Fjorde sei zum Teile durch die aus-
räumende Tätigkeit der Gletscher hervorgebracht, zum Teile aber
haben auch die Gletscher zu Zeiten, wo die Gletscherzungen nicht
aus den Fjordgegenden herausreichten, den Felsgrund beckenartig
ausgegraben. Die Möglichkeit dürfe auch nicht ausgeschlossen werden,
daß die Tiefe der Fjorde dadurch gesteigert werden konnte, daß die
letzte Phase der Krustenbewegung ein größeres Einsinken des Landes
im Innern wie an der Küste hervorgebracht haben kann.
Die greomorphologrischen Verhältnisse Ostasiens. Wie die
geographischen Karten zeigen, schneiden Ost- und Südostasien in
mehrern großen Bogen gegen das stille Weltmeer hin ab, ja diese
Neigung zur Bildung von nach auswärts gekrümmten, konvexen Bogen
zeigen auch viele der großen Gebirgszüge Ostasiens vom hohen
Norden bis herab zur Küste Hinterindiens. Auch die dem asiatischen
Festlande vorgelegenen Inselreihen zeigen diese bogenförmigen An*
x>rdnungen in mehrem Wiederholungen: so die Aleuten, Kurilen, die
Oberflächengestaltung. 175
japanischen Inseln und die Liukiu- oder Riukiuinseln, ja selbst
im Südosten wiederholt sich die bogenförmige Anordnung in den
großen Sundainseln und in den Philippinen. Wenn man noch
weiter in den Ozean vorschreitet, zeigt sich sogar die bogenförmige
Gruppierung von Inseln nochmals in der allgemeinen Anordnung der
kleinen Eilande, die südlich von Nippon mit den Siebeninseln be-
ginnend» die Ladronen- und Palauinseln umschließend auf die
Molukken hinziehen. Daß diese guirlandenförmige östliche Umrandung
Asiens nicht zufäUig sein wird, kann man wohl annehmen, allein
weiter zu gehen, lediglich auf Grund der kartographischen Dar-
stellungen, müßte zu Willkürlichkeiten führen. Nur an der Hand
geologischer Untersuchungen darf man höchstens einige Schritte in
das Dunkel der erdgeschichtlichen Vergangenheit wagen, um die Ent-
stehung der Gestaltung des asiatischen Kontinents vorstellig zu
machen. Mit Forschungen dieser Art hat sich seit mehrern Jahren
Prof. Dr. V. Richthofen beschäftigt und die Ergebnisse seiner bezüg-
lichen Kombinationen zu verschiedenen Zeiten der Kgl. Preuß. Akademie
der Wissenschaften in Berlin vorgetragen.^)
Schon vor 20 Jahren (in seinem Buche über China) hatte Prof.
V. Richthofen darauf hingewiesen, daß der von Nord nach Süd ge-
richtete Ostabfall des chinesischen G^birgslandes imd das schroffe
Ende des Kwenlun zwischen 118 imd 114^ östl. L. v. Gr., ferner
nördlich des Hwangho der Ostabfall des Tafellandes von Schanje,
dann der in einem nach Ost konvexen Bogen verlaufende große
Ghingan (der den Abfall des aufgebogenen Randes der mongolischen
Hochflächen gegen die tiefer gelegene Mandschurei darstellt), daß alle
diese Glieder sich in einer von SSW nach NNO gerichteten Linie
aneinander reihen und als Teile eines einzigen Bruchzuges aufzufassen
sein dürften. Seitdem haben sich unsere Kenntnisse jener Gegenden
merklich vermehrt, und Prof. v. Richthofen findet sie ausreichend,
um die Schlußfolgerung zu begründen, daß das östliche Asien vom
Südrande von Yünnan bis zur Tschuktschenhalbinsel, also in einer
Erstreckung von 44 Breitengraden, von zusammenhängenden, durch
Richtung, Form und gleichsinnige Tektonik ähnlichen bogenförmigen
Abfällen von Landstaffeln, welche sich zu einer einzigen, mehrfach
gebrochenen Linie aneinanderschließen, durchzogen wird. Die mor-
phologische Gleichsinnigkeit besteht darin, daß überall der östliche,
gegen den Pazifischen Ozean gerichtete Erdrindenteil tiefer steht als
der westliche, die tektonische darin, daß er in allen Fällen gegen
diesen abgesunken ist. Die Bedeutung der Einzelbrüche wird bei
einigen von ihnen durch das Vorhandensein gleichsinniger Parallel-
brücbe erhöht
1) Vergl. Sitzungsber. der K. Preuß. Akad. d. W. 1900. p. 888 u. ff.; 1901.
p. 782 u. ff.; 1902. p. 944 u. ff. Hieraus im Jahrbuche der Astronomie und
Geophysik 11. p. 154; 12. p. 199.
176 OberQächengestaltung.
Über das geologische Alter dieser tektonischen Bewegungen läßt
sich, wie v. Richthofen hervorhebt, schwer urteilen, da Meeres-
ablageningen aus jüngerer Zeit als der Trias fehlen, indessen macht
er auf die Bedeutung aufmerksam, welche die Landstaffeln für die
Ströme haben. Wenn die jetzige Erosionsbasis an den meridionaJen
Bruchrandern einen Bestand auch nur durch die Dauer der Tertiär-
periode gehabt hätte, so würden die Ströme ihre Betten rückwärts
in den leicht zerstörbaren Schichtmassen stärker vertieft haben, als
es ihnen tatsächlich gelungen ist. Da dies nicht geschehen, darf
geschlossen werden, daß an den südlichen Meridionalbrüchen der
Absenkungsbetrag sein gegenwärtiges Maß erst in später Zeit erreicht
hat, und es fehlt nach v. Richthofen nicht an Tatsachen, welche
darauf hindeuten, daß die Absenkung, wenigstens auf chinesischem
Gebiete, an den Ostseiten der Landstaffel noch heute fortdauert.
Der Reihe bogenförmiger nach Südost konvexer Randzonen von
Landstaffeln, welche das kontinentale Ostasien von der Tschuktschen
Halbinsel bis in das nordwestliche Tongking durchziehen und entlang
der ganzen Linie durch Absinken des östlich angrenzenden Erdrinden-
stückes charakterisiert sind, reiht v. Richthofen seewärts eine zweite
Reihe homolog gestalteter Bog^ngebilde an, welche die ozeanische
Grenze Ostasiens bilden. Die ostwärts benachbarten Teile des von
ihr niedergebrochenen Erdrindenstückes liegen nach ihm im Boden
des Meeres. »An der Stanowoiküste fallen beide Bogenreihen zu-
sammen; denn das Meer reicht bis an die Absenkungsbrüche der
binnenständigen Reihe hinan. Die die Festlandsgrenze bildenden
randständigen Glieder der 2. Reihe beginnen am Kap St Alexander,
in 44® 15' N, und endigen am Kap St. Jacques, in 10® 40' N. Die
aus dem Meere aufragenden Inselbogen gehören in die sich jenseits
derselben untermmeerisch fortsetzende Gesamtanlage der ostasiatischen
Absenkungen.
Nimmt man zum Anhalte der Betrachtung die auf den Land-
karten dargestellte Küste, als eine den Abfall der einzelnen Staffeln
umziehende Niveaulinie, so zeichnet sich in ihr auf das schärfste
ebenso die allgemeine Gestalt, wie jede Einzelabweichung von ihr.
Vier große Küstenbogen treten nun deutlich hervor : der tungusische,
der koreanische, der chinesische, der annamitische. Der dritte und
vierte sind völlig geschlossen ; der erste hat eine kleine, durch ört-
lichen Einbruch zu erklärende Lücke; der dritte ist nur in einem
Fragmente erhalten. Die lineare Gestalt jedes einzelnen dieser Küsten-
bogen nähert sich ungleich mehr der Kreisform, als dies bei den
Binnenlandstaffeln der Fall ist«
Es senkt sich also, sagt Prof. v. Richthofen, die Festlandsmasse
des östlichen Asien in großen Staffeln herab. Zwei von diesen werden
durch weitgedehnte, gegliederte, auf Bruchbüdung beruhende Bogen-
linien deutlich gezeichnet. Die gemeinsame Ursache der Erscheinung
sucht er in der Kombination von 2 Systemen zerrender Kräfte,
OberflachengeBtaltnng. 177
von denen eines ostwärts, das andere südwärts gerichtet ist Was
das Motiv für die Erregung der ostwärts gerichteten Zerrung anbe-
trifft, so dürfte es nach v. Richthofen in der in langen Perioden
fortschreitenden Vertiefung des Pazifischen Ozeanbeckens am Rande
des Eontinentahnassivs genügend gegeben sein. »Zwischen dem Fest-
lande, welches der Zerrung in der Form groß angelegter Staffel-
senkung und reichlicher Öffnung von Ausflußkanälen für Tiefen-
gesteine nachgegeben hat, und jenen Ozeantiefen liegt ein breiter
Raum. In ihm ist gegen den Rand der Tiefe hin diejenige Zone
zu suchen, wo durch Auswärtsdrängen des Eontinentalmassivs und
dessen Überwallen über den dadurch passiv weiter gesenkten Ozean-
boden der wachsende Massendeffekt des Festlandes durch wachsende
Massenanhäufung im äußersten Randgebiete oder die räumliche Er-
weiterung dort, durch räumliches Zusammendrängen hier kompensiert
wird, und wo mit großen Überschiebungen verbundene faltige Stau-
ung erwartet werden darf. Die ostasiatischen Inselkränze erscheinen
als die Krönung der durch solche überwallende Stauungen empor-
gewölbten äußersten Randgebiete der Kontinentalmassivs. Aber selbst
sie tragen den Charakter der Innenseiten von Faltungsgebirgen; die
gefalteten Außenzonen werden erst an den Abfällen gegen die
ozeanischen Tiefen hin zu suchen sein. Die Existenz anderer, noch
femer liegender, nur in kleinen Inselspitzen aufragender, sonst noch
unter der Meeresfläche verborgener Bogen, wie sie auf bathymetrischen
Karten hervortreten, läßt darauf schließen, daß die gleiche Tendenz
in diesem Teile der Erdrinde seit frühesten Zeiten wirksam gewesen ist«
Für die Erklärung der äquatorwärts gerichteten Zerrung und
Bewegung großer Erdrindenteile in Asien, vom Kwenlun-Tsinling an,
liegt das gleiche Motiv nicht vor ; v. Richthofen meint, »wenn auch
mit Zagen«, auf Änderungen in der Geschwindigkeit der Erdrotation
und dadurch bewirkte Massenumsetzungen hinweisen zu dürfen.
Dieses ist aber wenig mehr als eine Verlegenheitserklärung, die der
Geophysiker entschieden ablehnen muß.
Im Anschluß an seine Behandlung der »binnenständigen« und
»küstenständigen« Bogengebilde des asiatischen Festlandes behandelt
nun Prof. v. Richthofen in seiner neuesten Abhandlung die sich ihm
seewärts anschließenden, durch ihre schön geschwungenen Formen imd
ihre Umspülung durch den Ozean noch weit auffälligem Inselbogen,
welche sich von den Aleuten bis dicht an Formosa ohne Unter-
brechung aneinanderreihen und, indem sie die relativ seichten Rand-
meere der Innenseite von sehr tiefen Meeresgründen an der Außen-
seite trennen, längst als der eigentliche Kontinentalrand Asiens, im
Unterschiede vom Festlandsrande, erkannt worden sind. Sie endigen
mit dem Riukiuinselbogen im Angesicht von Formosa, welches ihnen
scheinbar fremdartig gegenüber steht
»Eine andere, weit mehr Zusammengesetze Reihe insularer
Bogengebilde,« fährt Prof. v. Richthofen fort, »beginnt südöstlich
Klein, Jahrbuch XIV. 12
178 OberQächengestaltattg.
von Formosa und umfaßt ganz Indonesien. In breiter Anlage um-
zieht sie den südöstlichen Teil des asiatischen Festlandes, Üln ihr
insulares Ende erst in der Bai von Bengalen, in der Fortsetzung der
Linie der Nikobareü und Andamanen, zu erreichen und, Wie 6ueß
vor Jahren gezeigt hat, hier wieder in den festländischen Bau ein-
zugreifen, in dem sie noch weithin ihre Fortsetzung findet. Einige
Züge in der Anordnung der einzelnen Bogengebilde liegen bei einem
Blicke auf die Landkarte klar vor Augen, andere, wie der die Baada-
see im Osten umfaßende Doppelbogen, sind erst durch die fort-
schreitende Forschung allmählich mit Sicherheit erschlossen worden;
noch andere verbergen ihren Gharaktet so weit, daß sie verschieden-
artigen Kombinationen Raum geben oder sich der Erklärung noch
gänzlich entziehen. Eine zusammenfassende Darstellung dieser Bogen-
linien hat Koto auf einer Karte niederzulegen unternommen. Eine
eingehendere, auf dem Studium der gesamten vorhandenen Literattti*
beruhende Übersicht derselben hat Sueß gegeben und in einer Karten-
skizze anschaulich gemacht. Charakteristisch ist das virgations-
artige Auseinandergehen verschiedener Linien vom nördlichen Luzon
aus nach Süden und die Tatsache, daß alle Bogenlinien, ganz wie
diejenigen im Norden von Formosa bis Alaska, ihre konkave Seite
dem asiatischen Kontinent zuwenden. Die angegebene Anordnung
ist jedoch im nördlichen Luzon nicht mehr mit Sicherheit Zu erkennen,
und sie fehlt, wenn man von dessen Nordküste Weiter nordwärts
geht. Dort ziehen zwei behachbarte geradlinige Reihen von Inseln,
eine längere östliche und eine kürzere westliche, meridional nach
Norden; aber sie stellen eine Verbindung mit der 875 km entfernten
Südspitze von Formosa nicht her. Diese liegt im Kap Garampi, in
120® 20' 0. Die östliche Inselreihe dagegen, welche die Babuyan-
und Bataninselgruppen umfaßt, folgt genau dem Meridiane 121® 56^
und die parallel gerichtete Linie der andern liegt mit den Inseln
Fuga und Galayan 50 km westlich ; ihre nördliche Verlängerung trifft
auf Gadd-Reef und Botel Tobago, 62 km östlich vom nächsten Punkte
der Küste von Formosa. Man ist versucht, sie bis zur Insel Sama-
sana zu verlängern.
Formosa nimmt daher eine unabhängige und eigentümliche
Stellung ein. Es paßt nicht in das einfache System der schön ge-
schwungenen nördlichen Bogenlinien hinein, wenn es auch vom
Riukiubogen in die Flanke getroffen wird, und ein ersichtlicher An-
schluß an das südliche Bogensystem ist überhaupt nicht zu bemerken.
Die Insel erscheint wie ein neutrales Zwischenglied zwischen beiden
Bogensystemen.«
Diese anscheinende Sonderstellung hat ihren bezeichnendsten
Ausdruck in der aus den Untersuchungen der letzten Zeit hervor-
gegangenen Ansicht gefunden, daß die Gebirge von Formosa einen
nach Osten konkaven Bogen bilden. Da diese Gestalt eine Ano-
malie in der Anlage aller morphologischen Linien Ostasiens bilden
Oberflächengestaltang. 179
wwde, so hat Prof. v. Richthofen übernommen, die Grundlagen, auf
welche die Ansicht sich stützt, zu prüfen und die Stellung der Insel
überhaupt, soweit die Beobachtungen es gestatten, ein^ Untersuchung
zu unterziehen. Die Aufgabe, sagt er, kann vollständig nur gelöst
werden, wenn auch die benachbarten über die Meeresfl&che auf-
ragenden Landgebilde in die Betrachtung einbezogen werden. Leider
ist dies betreffs der Insel Luzon nicht ausführbar, da die Lücken-
haftigkeit der Beobachtungen einen Einblick in ihren Bau nicht ge-
stattet Um so reichhaltiger ist das Material, welches über die Riukiu-
inseln vorliegt
Schon 1880 hat Dr. L. Döderlein erwähnt, dafi die nördlichen
Inseln in eine innere vulkanische und eine äußere nichtvulkanische
Reihe geteilt werden können. Diese Anschauung hat sich in der
Folge als richtig bewährt, und wenige Jahre nachher vermochte
Eduard Sueß den doppeltgereihten Riukiubogen mit den Bogengebilden
der kleinen Antillen, der Nikobar-Andamaninseln und der Bandamseln
2u vergleichen, sowie die Analogie mit der Anordnung in den Ear-
pathen hervorzuheben.
Prof. V. Richthofen findet, daß wir in dem äußern Riukiu-
inselbogen ein anderes Gebilde vor uns haben, als die früher im
Innern und am Rande des asiatischen Kontinents betrachteten. »Der
streng zonale Bau in dem Hauptteile des Bogens, die streifenförmige
Anordnung der einzelnen daselbst sichtbaren Formationen, die Kon-
formität ihres Schichtenstreichens mit dem Streichen der äußerlich
sichtbaren Zone, das konstante Einfallen der Schichtgebilde nach der
Innenseite hin — alles dies erweist klar, daß hier in der Tat ein
bogenförmiges Gebirge mit allen Merkmalen tangentialer Schiebungen
nach außen vorliegt. Ob Faltenbau oder schuppenartiges Überschieben
älterer Gebilde über jungem vorhanden ist, hat durch die Beob-
achtungen nicht festgestellt werden können. Das gleichförmige Ein-
fallen auf Okinawa macht letzteres wahrscheinlicher.« — Eine Reihe
jungvulkanischer Inseln, welche den betrachteten Bogen auf der
Rückseite begleiten, beginnt in geringer Entfernung (40 km) von dem
zur Linken des Einganges in die Bucht von Kagoschima aufragenden
Pfeiler des Kaimon-dake, mit den zwei kleinen Inseln Taki-schima
lind Iwo-ga-schima, deren letztere sich im Solfatarenzustand befindet.
Wie Glieder einer Perlenschnur sind sie von hier aus, mit flach-
bogiger Krümmung, in einer Länge von 240 km aneinandergereiht
Die ersten liegen im Rücken der Osumi-Gruppe, die nächsten hinter
der Lücke zwischen dieser und Oschima; sie werden als Tokara-
gmppe bezeichnet Wo jedoch die Außenreihe ihre bedeutendste Ent-
wicklung hat, ist das Vorhandensein der Vulkanreihe nur durch eine
einzige Insel (Tori^schima) angedeutet, imd im Rücken des kleinen
Inselschwarmes am Südostende von Okinawa treten noch einmal
2 Vulkaninseln auf. Aber so vereinzelt zuletzt das Auftreten wird,
und so sehr die Abstände wachsen, liegen doch bis hierher alle Inseln
12»
180 Obeifiächengestaltung.
in einer kontinuierlichen, flach bogenförmigen Zone, deren Abstand
vom sichtbaren Außenrande der paläozoischen Zone südwärts allmäh-
lich ein wenig zunimmt. Die Fortsetzung des Innern Vulkanbogens
sucht y. Richthofen in den Agincourtinseln.
Bezüglich des Verhältnisses des Riukiubogens zum südlichen
Kiuschiu, also zur japanischen Inselreihe, schließt Prof. v. Richthofen
u. a. folgendes:
»In der nördlichen Verlängerung der Riukiuvulkanlinie griffen
die ihrer Entstehung zugrunde liegenden oder sie begleitenden tek-
tonischen Vorgänge in das in schiefem Winkel zu ihr gestellte paläo-
zoische Gebirgsgerüst des südlichen Kiuschiu in solcher Weise ein,
daß sich der von der Verlängerung betroffene mittlere Teil hinab-
senkte, während die östlich und westlich daran grenzenden Teile als
Horste sehen blieben und ihre innere Struktur behielten.
Die Entstehung der langgedehnten, in der Nordhäifte durch vul-
kanische Massen, in der Südhälfte durch die Bai von Eagoschima
ausgefüllten Einsenkung erscheint nicht sowohl als das Werk eines
einheitlichen Vorganges als vielmehr einer Anzahl von Einzel-
senkungen.
Ein Merkmal früher, mit diesen Senkungen verbundener eruptiver
Ereignisse ist der Nagasakawall, welcher einen Teil der Umrandung
eines vulkanischen Einbruchskessels bildet und als Fragment einer
ausgedehntem, aus augit-andesitischen Ausbruchsgesteinen aufge-
bauten Region stehen geblieben ist.
Die nächste Reihe von Ereignissen gibt sich in lange fort-
gesetzten Ausbrüchen saurer Gesteiae an einem etwas weiter südlich,
vielleicht in der Nähe der jetzigen Eirischima gelegenen Orte zu er-
kennen. Schon zu dieser Zeit geschah die Eesselsenkung, von der
der Nagasakazug ein somma - artiger Zeuge ist. Die Ausbrüche
lieferten die ungeheuren Massen von Bimsstein, mit denen das Land
weithin überschüttet wurde. Neben den explosiven Ausbrüchen,
welche mit denen des Erakatau zu vergleichen sein dürften, diese
aber in Größe weit hinter sich zurücklassen, fand auch ein Aus-
strömen von rhyolithischen und trachytischen Laven statt Die Aus-
bruchsperioden waren durch solche der Ruhe getrennt, in denen die
erodierenden Eräfte zu äußerer Umgestaltung Zeit hatten, wie aus
der großen Unebenheit einzelner Auflagerungsflächen zu ersehen ist
Wahrscheinlich hatte, wie beim Erakatau, das Meer unmittelbar Zu-
gang zu den Ausbruchsstellen. Die Bimssteiaablagerungen dachten
sich von einer Gegend jenseits der Nordseite der jetzigen Bai süd-
wärts ab gegen Eagoschima und weiterhin, ostwärts gegen die jetzige
Westküste des von ihnen weithin bedeckten Eagoschimaflügels. Im
Norden überschütteten die Bimssteintuffe wahrscheinlich das dort
vorhandene Bergland, wurden aber nachher durch atmosphärische
Gewässer von ihnen abgeräumt und nordwärts im Schutte wieder
abgelagert
Oberfläohengestaltiing. 181
Unter den nachfolgenden Ereignissen lassen sich zwei der Zeit
nach noch nicht trennen. Eines von ihnen ist die Eröffnung der
Ansbruchstatigkeit der Eirischimavolkane, das andere der von NNO
nach SSW gestreckte große Einbruch im peripherischen Teile des Bims-
steinschuttkegels, aus welchem der Sakuraschimavulkan sich erhob.
Das Ausbruchsmaterial beider Vulkane ist Augit-Andesit
Wenn die vulkanische Innenzone des Riukiubogens weit hinein
in Eiuschiu fortsetzt und als eine mit Vulkanen besetzte Rinne in
dessen Gebirgsland einschneidet, so erreicht doch die Außenzone der
Inseln ihr Ende, ehe sie an Kiuschiu herantritt; denn es wechseln
völlig die Richtungen von Streichen und Fallen des paläozoischen
Schichtenbaues.«
Was das Verhältnis des Riukiubogens zu Formosa anbetrifft,
so sind folgendes die Schlußfolgerungen, zu denen Prof. v. Richthofen
gelangt
»Der Qrundbau von Formosa erscheint nach den vorliegenden
Beobachtungen als aus 2 Teilen bestehend, nämlich a) dem in
seiner Gesamtheit, in seinen einzelnen Qebirgsgliedem und im innem
Schichtenbaue (aber nicht in der Wasserscheidelinie) nach der Richtung
NNO bis SSW streichenden Taiwangebirge, welches der Haupt-
sache nach aus einem mächtigen Systeme für archäisch gehaltener
kristallinischer Schiefer und einem als paläozoisch geltenden, wesentlich
aus Tonschiefer bestehenden Schichtenkomplexe aufgebaut ist; b) einem
von Kap Dom-kaku am Setsu vorüber gegen den Eali-san hin, in
der Richtung OW streichenden Gebirge, in welchem Gesteine der
paläozoischen Ghichibuschichten erkannt worden sind.
Das Taiwangebirge verschwindet im südlichen Formosa; An-
zeichen einer Fortsetzung nach Süden sind nicht zu erkennen. Das
Gebirge ist aber in seiner Massenentwicklung so bedeutend, daß es
als das isoliert stehengebliebene Fragment eines sehr viel großem
bogenförmigen Faltungsgebirges angesehen werden muß, welches,
allen andern Bogengebilden Ostasiens analog, seine Außenseite dem
Pazifischen Ozeane zuwandte.
Der vulkanische Innenbogen der Riukiuinseln setzt westwärts
im Rücken des Dom-kakuzuges fort, wo ihm die Agincourtinselgruppe
und die Vulkangruppe im Westen von Kilung angehören. — Im
Rücken des Taiwangebirges befinden sich von vulkanischen Gebilden
nur die Pescadoresinseln, deren größere Achse ebenfalls nach NNO
gerichtet ist
Der Riukiubogen und das im Taiwangebirge vorhandene Bogen-
fragment haben die gemeinsame Eigenschaft, daß ihnen auf der
Außenseite eine von tertiären Sedimenten aufgebaute Zone vorliegt
Bei beiden befindet sich also der Grundbau an der Vorderseite in
relativ bedeutender Tiefe. Es läßt sich aber nicht entscheiden, ob
Flächen mariner Abrasion vorliegen, auf welchen die von den beiden
182 ObeiflächQDgestaltujQg.
Gebirgen herabgeschwemmten Trümmermassen bei aUmahlichor Senkung
sich ablagerten, oder ob ein Absenken an Brüchen gesckah. Für
Fonnosa ist letzteres wahrscheinlicher, weil vulkanische Gebilde im
Taitogebirge auftreten ; bei dem Riukiubogen sind solche nur in dem
alten Vulkane Nosoko auf der Insel Ischigaki vorhanden.
Die spätem Niveauverschiebungen sind bei beiden Bogen an*
nähernd gleichsinnig gewesen. Die Tertiärgebilde müssen mindestens
zu ihrer gegenwärtigen Meereshöhe aulgeragt haben und durch Erosion
eine der jetzigen annähernd entsprechende Gestalt erhalten haben,
als die Korallen bei nachfolgender Senkung die Biffe bauten, welche
dann durch abermalige vertikale Verschiebung freigelegt wurden.
Der Riukiubogen und das Taiwanbogenfragment unterscheiden
sich von den festländischen Bogengebilden durch die Konkordanz von
innerem Bau und Absenkungslinien in den der meridionalen Kom-
ponente entsprechenden Teilen. Sie erscheinen daher, ebenso wie
der japanische Bogen, als Gebirge, bei denen die äußere Gestalt mit
dem ftdtigen Zusammendrängen von innen nach außen in ursächlicher
Beziehung steht, während dort in der Regel nur mehr oder weniger
bogenförmige, zu den Streichrichtungen des innem Baues diskordante
Zerrungsbrüche als bestimmend erkannt wurden.
Die Erscheinung, daß Struktur und tektonische Linien des süd-
lichen Kiuschiu ohne jeglichen Einfluß auf die Gestaltung des Riukiu-
bogens waren, dagegen die nachträglichen Dislokationsvorgänge in
dessen nördlichem Teile auf die äußere Ausgestaltung des südlichen
Kiuschiu erheblich eingewirkt haben, findet ihre Analogie in dem
Verhältnisse des Riukiubogens zu Fonnosa. Denn im Taiwangebirge
lassen sich keine Spuren morphologischer Beeinflussung durch die
den tektonischen Linien des erstem zugrunde liegenden Vorgänge
erkennen; dagegen haben die Dislokationen, welche die Endgestalt
des Taiwangebirges herbeiführten, auch den Riukiubogen zerstückt,
das Dom-kakugebirgsstück auf Fonnosa von ihm abgetrennt und
wahrscheinlich jene Störungen veranlaßt, welche nur in der Formosa
benachbarten Sakischimagruppe des Riukiubogens auftreten.
Es mehren sich somit die Tatsachen, welche für eine Reihe der
verschiedenartigsten Bogengebilde Ostasiens nördlich vom 22. Breiten-
grade (also mit Anschluß des Annamitisohen Bogens) die Schluß-
folgerung gestatten, daß der normale Bau der der äquatorialen Korn*
ponente zugehörigen Teile jedes einzelnen Bogens früher fertig ge*
bildet war, als die in der meridionalen Komponente gelegenen ; und
daß nach dem bogenförmigen Zusammenschlüsse beider diejenigen tek-
tonischen Vorgänge, welche dem meridionalen Schenkel durch nach-
trägliche Längsabsenkimgen und dismptive Längsbrüche die normale
Grestalt gaben, in den äquatorialen Schenkel des zunächst nördlich
angrenzenden Bogens umgestaltend eingriffen, hier aber, als abnorm
verlaufende Dislokationen, abnorme Quergliederungen und transversale
Zerstücklung herbeiführten, c
Boden- und Erdtemperator. — Erdmagnetismus. 188
Boden- und Erdtemperatur.
Ober die Beeinflussung der geothermisohen Tief^nstufe
verbreitete sich J. F. Hoffmann.^) Zunächst be^^andelt er die Selbst^
erwärmung organischer Massen, dann die Beeinflussung der geother-
niisohen Tiefenstufe durch unorganische imd hierauf durch organische
Sedimente. Er findet, daß Sedimente anorganischer Natur, die nicht
mehr genügend Warme anzustauen vermochten, die nicht mehr im-
stande waren, wesentliche Umwälzungen in der Erdrinde hervor-
zurufen, wie in frühern Zeiten, als die Erde noch weniger abgekühlt
war, hierzu wieder befähigt wurden durch die Gegenwart der orga-
nisct^en Substanz, welche zwischen ihnen eingeschwemmt lag. Je
reichlicher diese vorhanden war, desto st^^rker konnte die Einwirkung
der Selbsterwärmung sich geltend machen. Wie die massenhafte
Anhäufung der Petrefakten an vielen Stellen der Erde lehrt, haben
die pflanzlichen und tierischen Lebewesen und damit auch ihre ab-
gestorbenen Überreste zu manchen Zeiten eine ungewöhnliche Ver-
breitung und Anhäufung erfahren. Unter solchen Umständen konnten
hochgradige Selbsterwärmungen auch in unmittelbarer Nähe der Erd-
oberfläche stattfinden.
Erdmagrnetismus.
Einen Aflas des Erdmagnetismus füp die Epochen 1600,
1700, 1780, 1842 und 1915 hat Dr. H. Pritsche hergestellt, >) nach
den von ihm mit Hilfe der Gaussschen Theorie berechneten Ele-
menten. Der um die Erforschung des Erdmagnetismus hochverdiente
Verfasser hat diese langwierige Arbeit nicht gescheut, weil die bisher
publizierten Karten der Epochen 1600, 1700, 1780 und 1842 —
z. B. die Karten Hansteens, von Bemmelens, Sabines u. a. — unvoll-
ständig und häufig unrichtig sind, indem sie ohne Hilfe der Theorie auf
Grund oft sehr spärlicher, ungenauer Beobachtungen entworfen wurden.
Für jede der 5 Epochen 1600, 1700, 1780, 1842 und 1915
hat Pritsche 3 Weltkarten mit Merkatometz zwischen den Breiten
-|-80 und — 80® gezeichnet, von denen eine die Isogonen von
5 zu 5 Grad^, die zweite die Isoclinen von 5 zu 5 Grad und die
dritte die Linien gleicher Horizontalintensität von 0,2 zu 0,2 Gauß-
scher Einheiten (Milligramm, Millimeter) enthält
Dazu war es notwendig, die früher von ihm gegebenen Tafeln für
die Deklination, Inklination und HorizontaUntensität durch Inter-
polation in die Mitte zu erweitem. Die Resultate dieser Rechnungen
sind in 30 Tafeln zusammengesteUi
^) Qerland, Beiträge zur Geophysik &• p. 667.
*) Riga, Druck der Müllerschen Buchdruckerei 1908.
^ An manchen Stellen, wo es nötig schien, auch von Grad zu Grad
oder von 2 zu 2 Grad etc.
184 ErdmagnetiBiniis.
Die tagliche Periode oder die während eines Sonnentages er-
folgenden Veränderungen in der Richtung und Stärke der Magnetkraft
der Erde hat Pritsche auf Grund stündlicher, Tag und Nacht an-
gestellter Beobachtungen an 27 Orten, welche über die ganze Erde
vom 80. Grad nördl. Breite bis zum 56. Grad südl. Breite verteilt
sind, ermittelt Die innem und ebenso auch die äußern Kräfte,
welche die tägliche Periode verursachen, lassen sich als aus 3 Teilen
bestehend betrachten: aus einem während des Sonnentages kon-
stanten, aus einem während dieser Zeit gesetzmäßig variierenden
und drittens aus einem lokalen Teile, der für jeden Ort besondere
Werte annimmt.
Die stündlichen Beobachtungen der 27 Orte wurden in Mittel
von 6 Gruppen (je 8 — 6 Orte in einer Gruppe) zusammengezogen,
in denen daher der lokale Teil der wirkenden Kräfte möglichst
eliminiert war, sodann mit Hilfe dieser 6 Gruppen und der Gauss'schen
Theorie die konstanten Kräfte berechnet und schließlich durch Abzug
des konstanten Teiles der Kräfte von den 6 (beobachteten) Gruppen
der variierende erhalten. Der konstante, äußere, von der Atmosphä.re
ausgehende Teil ist ein wenig größer als der innere, von der festen
Erdrinde bewirkte. Was die Summe der innem und äußern Kräfte
der täglichen Periode anbetrifft, so sind in der nördlichen Polarzone
(Breite von -|- 90 bis -f-^^^) die variierenden Kräfte durchschnitt-
lich sechsmal so groß als die konstanten; und endlich in der Zone,
welche zu beiden Seiten des Äquators von den Parallelen -|-60
und — 60^ begrenzt wird, sind die variierenden Kräfte den
konstanten an Größe nahezu gleich.
Dr. Fritsche verbreitet sich eingehend über seine Rechnungs-
methode und zeigt des Nähern, daß verschiedene Einwürfe die der-
selben gemacht worden sind, auf Irrtum beruhen. Den hin und
wieder auftauchenden Klagen über die Umständlichkeit der Rech-
nungen, welche die Anwendung der Gaussschen Theorie erfordert,
stimmt er nicht bei, sondern bemerkt, diese Klagen rührten meist von
Leuten her, welche nie astronomische Rechnungen ausgeführt haben.
Femer bemerkt Fritsche, daß zur Bestimmung der Position der mag-
netischen Erdpole die Gausssche Theorie sich viel besser eigne, als die
direkte durch magnetische Beobachtungen in ihrer Nähe, weil die Theorie
alle brauchbaren, auf der ganzen Erde gemachten Messungen benutzt, und
das Problem dadurch ein bestimmtes wird, indem die nach der Theorie be-
rechneten, auf der Erdoberfläche liegenden Linien, auf welchen die nörd-
lichen und westlichen horizontalen Komponenten X und Y der Erdkraft
gleich Null sind, sich in einem bestimmten Punkte, dem gesuchten Pole,
schneiden, während es bei der direkten Aufsuchung durch Beobachter an
Unbestimmtheit leidet, da die Inklination i im Pole ein Maximum erreicht
und dort auf einer ^ßen Fläche von ca. 25000 gÄmi zwischen etwaS^V«
und 90* unregelmäßig hin und her schwankt, indem die überall auf der
Erdoberfläche vorkommende Anomalie der Inklination von einem Orte zum
benachbarten in der Polarregion ca. V«^ betragt. »Auf einem so ausgedehnten,
den wahren magnetischen Pol einschließenden Räume müßten an einer be-
trächtlichen Anzahl (etwa 60 oder mehr) verschiedener, möglichst äquidistanter
Erdmagnetismus. 185
Punkte sorgfältige InklinatLonsmessungen angestellt und sowohl die dortigen
großen gesetzlichen tätlichen Variationen als auch die unregelmäßigen
Schwankungen durch Variationsbeobachtungen an einer ZentnUstation in
der Nähe des magnetischen Poles eliminiert werden, um den Ort des letz-
tem exakt zu bestimmen. Man würde dann sicher nicht an einem, sondern
an vielen Punkten der großen Flache von ca. 25000 qkm die Inklination
90 <^ erhalten, so daß man nicht wüßte, wo sich der wahre Ort des Poles
befände. Die von Ross im Jahre 1831 zur Feststellung der Lage des
magnetischen Nordpoles gemachten Messungen gehören nur vier verschiedenen
Punkten an, welche im SW, SE und E vom vermeintlichen Pole — dem
5. Beobachtungsorte Ross* — 100—150 hm entfernt lagen. Im Westen,
Nordwesten, Norden und Nordosten von seinem Pole hat Ross gar nicht
beobachtet, so daß seine Bestimmung des magnetischen Nordpoles unbrauch-
bar ist. Ebenso wird auch die Polarreise des Kapitän Amundson, welcher
im Frühlinge dieses Jahres (1903) zur Auffindung des magnetischen Nord-
poles ausgäahren ist, kein exaktes Resultat ergeben, wenn er nicht viel
mehr Beobachtungen an passend gewählten Orten als Ross erlangt. Die
Berücksichtigung der magnetischen Deklination in der Nähe des Poles wird
hieran nichts ändern, wcol die horizontale Kraft der Erde dort nahezu gleich
NuU ist. Ebenso werden uns auch die Südpolfahrten schwerlich direkte
sichere Auskunft über die Lage des magnetischen Südpoles geben können.
Nach der jetzt gültigen Definition ist der magnetische Pol der Erde ein
Punkt ihrer Obcurfläche, in welchem die Inklination = 90®. Der Korrekt-
heit wegen müßte hinzugefü^ werden, daß unter der Inklination 90® die
migestörte, normale, durch die ganze Erde aus der Feme am Polorte hervor-
febrachte zu verstehen ist, welche nur durch die Theorie bestimmt werden
ann. Es sind von verschiedenen Gelehrten — z. B. Tülo, Bezold etc. —
vergebliche Versuche gemacht, festzustellen, was der normale Erdmagnetismus
sei, welches seine sogenannten normalen Elemente seien, wie die einfachste
Magnetisierung der Erde beschaffen sein müßte, damit man, von ihr aus-
gehend, die wirklichen Erscheinungen darstellen und sich so eine Art von
Surrogat der Gaussschen Theorie, deren Reihen aus vielen Gliedern be-
stehen, verschaffen könnte. Man ist aber dadurch der Lösung des Problems
nicht näher gekommen, weil es unendlich viele verschiedene Arten (Typen)
der möglichen Magnetisierung der Erde gibt — von denen man z. B. mittels
des Gaussschen Potentialausdruckes, welcher eine Funktion von gh, der
Länge l und Breite 9> ist, so viele finden kann, als beliebt, indem man über
die Werte gh, A, 9 beliebige Annahmen macht — , und weil die Erde wegen
ihrer kompüzierten Zusammensetzung nicht einfach magnetisiert sein kann.
Die normalen magnetischen Elemente der Erde sind die wirklichen, durch
die Gausssche Theorie ermittelten, welche, von in der Nähe des Beobachtungs-
ortes befindlichen Ursachen ungestört, das Resultat der Femwirkungen der
ganzen Erde sind und sich von Ort zu Ort kontinuierlich, gesetzlich ändern.«
Den Versuch van Bemmelens, die Bewegung der magnetischen Erdpole
mit der der magnetischen Achse in Beziehung zu setzen, bezeichnet Fritsche
als verfehlt, weil die Lage der Pole von 46 Koeffizienten der Theorie, die
der magnetischen Achse aber nur von dreien abhängt. Femer sei die
neuerdings von van Bemmelen zur Bestimmung der Position des magne-
tischen Nordpoles angewandte Methode, welche Halley schon 1683 gebrauchte,
veraltet und oerahe auf dem falschen Satze, daß die magnetischen Meridiane
im magnetischen Pole konver^eren. So z. B. erhalte man mittels der
agonischen Linie, welche südöstlich vom magnetischen Nordpole liegt, offen-
bar nicht den magnetischen, sondern den astronomischen Nordpol.
Die Arbeit von Dr. Fritsche ist eine überaus verdienstvolle und der
von ihm gezeichnete Atias des Erdmagnetismus eine der bedeutendsten Be-
reicherungen unseres Wissens über die Verteilung der erdmagnetischen Kräfte
in verschiedenen Perioden. Als Probe folgt auf Tafel IV eine verkleinerte
Reproduktion der Karte der Linien gleicher magnetischer Deklination für 1915.
18ß Grdmagnetismus.
Die Bedeutung der magnetiechen Vermessungr eines
ganzen ParallelkFeises zur Prüfung der Grundlagen der
Gaussschen Theorie des Erdmagnetismus ist von w. v. Bezoid
und A. Schmidt ausführlich dargelegt worden.^) »Die von Gauss ent-
wickelte Theorie des Erdmagnetismus, so führen beide Forscher aus,
die für alle Forschungen auf diesem Gebiete die Grundlage büdet
und für alle Zeiten bilden wird, beruht auf der Voraussetzung, daß
das erdmagnetische Feld ein Potential besitze. Die unter dieser
Voraussetzung gezogenen Folgerungen haben sich in weitgehendem
Maße als richtig erwiesen. Sie gestatten, aus den Beobachtungen,
die doch nur einen mäßigen Teil der Erdoberfläche umfassen, den
Verlauf der magnetischen Kräfte nach Größe und Richtung für die
ganze Erdoberfläche und den sie zunächst umschließenden Raum mit
einer ziemlich weitgehenden Genauigkeit zu berechnen. Diese Me-
thode der Berechnung besitzt auch eine hohe praktische Bedeutung,
da die für die Seeschiffahrt unerläßlich notwendigen Karten wegen
der stetigen Änderung in der Verteilung der erdmagnetischen Kräfte
immer wieder neu aufgelegt werden müssen, und da man sich dabei
stets auf die von verhältnismäßig wenigen ständigen Observatorien
gewonnenen Beobachtungen stützen muß.
Wenn aber auch die Übereinstimmung zwischen Theorie und
Erfahrung eine ziemlich weitgehende ist, so kann sie doch keines-
wegs als vollkommen bezeichnet werden. Es ist demnach noch eine
offene Frage, ob nicht neben dem erdmagnetischen Felde, das ein
Potential besitzt, noch ein zweites, wenn auch viel schwächeres,
vorhanden ist, das diese Bedingung nicht erfüllt.
Das erstere Feld kann man sich hervorgebracht denken durch
geschlossene galvanische Ströme, die zum weitaus größten Teile ganz
in oder unterhalb der Erdoberfläche verlaufen, zum kleinern Teile
ganz außerhalb derselben, bezw. in der Atmosphäre. Kommen neben
diesen Strömen noch solche vor, welche die Erdoberfläche durchsetzen,
so besitzen die von ihnen herrührenden magnetischen Kräfte kein
Potential, und dann ist die Grundvoraussetzung der Gaussschen
Theorie nicht mehr streng richtig. Diese Frage ließe sich mit Sicher-
heit entscheiden, wenn genügendes Beobachtungsmaterial vorläge, c
Dieses können nur Messungen beschaffen, die nicht nur an sich
möglichst genau, sondern auch zweckmäßig verteilt und nahezu gleich-
zeitig ausgeführt sind. »Um bei einem so großen Unternehmen
innerhalb der Grenzen des Erreichbaren zu bleiben, wird man sich
im wesentlichen auf solche Beobachtungen beschränken müssen, die
zur Herbeiführung einer sichern Entscheidung unbedingt nötig sind,
d. h. auf Deklination imd Horizontalintensität Das schließt nicht
aus, daß es sich empfehlen dürfte, einige an sich wertvolle Arbeiten,
die bei Gelegenheit dieser Beobachtungen ohne Mehraufwand an Zeit
*) Sitzungsber. der K. Preuß. Akad. d. W. 1903. p. 670.
Erdmagnetismiis. 187
und Kosten erledigt werden köxmteni mit in das Programm aufiu*
nehmen. So wird man z. B., wenn irgend möglich, auch die Be^
Stimmung der Inklination, bezw. Vertikalintensitat nicht unterlassen,
obgleich für die vorliegende spezielle Frage nur die horizontale Kraft
nach Richtung und Größe in Betracht kommt Von diesen Gesichts-
punkten aus ergibt sich leicht der allgemeine Plan des empfohlenen
Unternehmens: es sind möglichst scharfe Bestimmungen der Dekli-
nation und der Horizontalintensitat an hinreichend zahlreicheUi an-
nähernd gleichmäßig verteilten Punkten einer Linie vorzunehmen, die
einen recht großen Flächenraum umschließt Dabei ist sowohl darauf
zu achten, daß eine im einzelnen recht genaue Ermittlung der mag-
netischen Elemente möglich ist, als auch darauf, daß der gewählte
Linienzug von vornherein ein entscheidendes Resultat erwarten läßt
In beiden Beziehungen erscheint eine Linie, die etwa längs des Parallel-
kreises von 50^ n. Br. verläuft, besonders gut geeignet, und es ist
ein günstiger Umstand, daß gerade diese Linie auch in praktischer
Hinsicht wohl die zweckmäßigste ist Verläuft sie doch zum weitaus
überwiegenden Teile über Festland und durch bequem zugängliche
Gebiete. Was zunächst die genaue Ermittlung der magnetischen
Elemente betrifft, so ist diese natürlich zu Lande in höherem Grade
möglich als auf dem Meere. Läßt sich also aus andern Gründen
kein ganz auf dem Kontinente verlaufender Weg wählen, so ist die
genannte Linie, die in mittlem Breiten verhältnismäßig am meisten
über Land zieht, zur Ableitung eines möglichst sichern Wertes be-
sonders geeignet Weiter nördlich, zwischen 60 und 70^ n. Br., ist
allerdings das Verhältnis zwischen den kontinentalen und den ozeani-
schen Abschnitten des Parallels noch günstiger, indem nicht viel
mehr als ^/^ des ganzen Kreises auf dem Meere verläuft. Aber
einerseits werden die Messungen wegen der Störungen in hohem
Breiten immer unsicherer, und anderseits sind die äußern Bedingungen
auf einem so hoch im Norden gelegenen, vielfach schon durch un-
wirtliche Gegenden ziehenden Kreise weniger befriedigend. Dazu
kommt noch, daß das gesuchte Ergebnis um so sicherer erhalten wird,
je größer der umschlossene Flächenraum ist, ein Umstand, der es
zweckmäßig erscheinen läßt, dem Äquator so nahe zu bleiben, wie
es andere Rücksichten irgend zulassen. Von wesentlicher Bedeutung
ist es weiterhin, daß die Messungen möglichst genau auf einen be-
stimmten Zustand des erdmagnetischen Feldes reduziert, d. h. also
vor allem von dem Einflüsse der Störungen, der täglichen Schwankung
und der Säkularänderung befreit werden können. Zu diesem Zwecke
ist es wünschenswert, daß längs des gewählten Linienzuges eine
größere Anzahl gut verteilter magnetischer Observatorien liegen. Das
ist nun bei der genannten Linie, die durch die Hauptkulturgebiete
der Erde führt, mehr als bei jeder andem der Fall, und es wird
sich vielleicht empfehlen, gerade bei der endgültigen Festsetzung der-
selben auf diesen Umstand besondere Rücksicht zu nehmen. Freilich
188 Erdmagnetisiiius.
wird es mindestens sehr wünschenswert, wenn nicht unerläßlich sein,
daB für die Dauer der Vermessung noch an 2 oder 3 Stellen, be-
sonders nahe der Ostküste von Asien und nahe der Westküste Nord-
amerikas, Observatorien in Betrieb gehalten werden.«
Die Verf. bezeichnen auf einer Erdkarte genauer den Weg, längs
dessen in Abständen von 60 — 80 km genaue Messungen auszu-
führen.
»Im südlichen England und nördlichen Frankreich beginnend,
müßte man durch Norddeutschland nach Rußland weitergehen, so
daß Moskau etwas südlich liegen bleibe, Bei dieser Linie könnten
alsdann die Observatorien von Kew, Greenwich, Paris, Utrecht,
Wilhelmshaven, Potsdam, in gewissem Sinne auch Pawlowsk bei
St. Petersburg, und endlich Moskau als Stützpunkte dienen, während
das außerordentlich stark gestörte Gebiet im Süden dieser Stadt ver-
mieden würde.
Von dem nördlich von Moskau gelegenen Punkte ginge es dann
nach Osten und Ostsüdosten südlich von Eatharinenburg weiter, um
etwa bei Omsk die transsibirische Eisenbahn zu erreichen, und dann
über Irkutzk nach der Küste des Großen Ozeans. Man könnte sich
hierbei auf die Mitwirkung der beiden schon längst bestehenden Ob-
servatorien in Katharinenburg und Irkutzk stützen, während an der
Ostküste Asiens, etwa in Wladiwostok, ein neues, wenn auch nur
temporäres Observatorium zu errichten wäre.
In Amerika kämen 2 Linien in Betracht: die eine längs der
kanadischen, die andere längs der nördlichen Pazifikbahn in den Ver-
einigten Staaten. Es dürfte sich empfehlen, beide Wege einzuschlagen,
um dadurch einen kleinen ausschließlich auf dem Festlande ver-
laufenden Polygonschluß zu gewinnen, der gerade dort von besonderer
Bedeutung wäre, da nach der oben angeführten Untersuchung in
dieser Gegend die stärksten vertikalen Ströme zu erwarten wären.
Die in Amerika in Betracht kommenden Observatorien von Washington
und Toronto bedürften allerdings noch einer Ergänzung in der Nähe
der Westküste. Der Verlauf der Linie über die Meere hin ist natür-
lich durch die Endpunkte der Landstrecken bestimmt«
Die Lehre von dem Wesen und Wandern der mag-
netischen Pole der Erde in ihrer historischen Entwicklung ist
von Dr. E. H. Schütz in einem großem Werke kritisch dargestellt
worden.^) Dr. H. Maurer^ gibt eine kurze Analyse des Inhaltes des-
selben, der das Folgende entnommen wurde.
Aus der Definition eines magnetischen Erdpoles als Berührungs-
punkt einer Potentialfläche und der Erdoberfläche wird dargetan, daß
in ihm die Horizontalkomponente des Erdmagnetismus verschwindet,
1) Berlin 1902. Verlag von G. Reimer.
<) Ann. d. Hydrogn^hie 1908. p. 62.
Erdmagnetiamas. 189
alle magnetischen Meridiane und alle Isogonen sich schneiden und
die Inklinationsnadel senkrecht steht Nach diesen Eigenschaften ist
die geographische Bedeutung der Pole zu würdigen; man darf ihnen
aber nicht zu viel Wichtigkeit zuerkennen, wozu die sonstige Be-
deutung des Wortes »Magnetpol« als eines Punktes, in dem man
sich den Sitz der Gesamtkraft denken darf, verleiten kann. Mit Recht
weist der Verfasser darauf hin, daß die gebräuchliche Mercator-
Projektion nicht imstande ist, ein anschauliches Bild von der Ver-
teilung der magnetischen Eigenschaften über die Erdoberfläche zu
geben, was auch für alle Isogonenkarten überhaupt gilt Da auf
diesen nur der Winkel zwischen dem magnetischen und astrono-
mischen Meridiane zur Darstellung kommt, spielen auf ihnen die
astronomischen Erdpole genau dieselbe Rolle wie die magnetischen,
während sie gar kein magnetisches Interesse haben. Dem Werte der
Isogonenkarten als graphischer Tabellen und für das Erkennen magne-
tischer Störungen wird Verfasser gerecht Wohl nicht ganz zutreffend
hält er die magnetischen Meridiane für weniger natürliche Linien als
ihre rechtwinkeligen Trajektorien, die Äquipotentiallinien. Beide liefern
bezüglich der magnetischen Gesamtkraft in gleicher Weise die Vertikal-
ebene, in die sie fällt Dagegen erkennt er den Wert der magne-
tischen Meridiane an, indem er ihre Einzeichnung in Karten ortho-
graphischer Projektion empfiehlt und die Definition der magnetischen
Pole, als der Schnittpunkte der magnetischen Meridiane, als zulässig
bezeichnet, wie sie denn auch van Bemmelen auf das glücklichst»
zur Konstruktion der Pole benutzt hat Die Erfahrung hat nur zwei
magnetische Erdpole ergeben. Sie können bestimmt werden: 1. durch
Beobachtung an Ort und Stelle; 2. durch Interpolation aus Beob-
achtungen in ihrer Nähe; 8. durch Berechnung aus polfemen Beob-
tungen. Alle 8 Methoden sind zur Anwendung gekommen.
Aus der geschichtlichen Darstellung, die von 1190 bis auf
unsere Zeit reicht, sei folgendes erwähnt:: 1492 findet Columbus
die räumliche, 1685 Gellibrand die zeitliche Veränderlichkeit der
Deklination. 1546 definiert Mercator den Pol als Schnittpunkt der
magnetischen Meridiane (eine Karte Mercators mit Angaben des
magnetischen Poles im Norden wird von Dr. Schütz reproduziert).
1581 verlegt Normann den Sitz der erdmagnetischen Kraft ins Erd-
innere und betrachtet die Pole lediglich als Treffpunkte der magne-
tischen Meridiane. Bond, 1668 und 1672, nimmt zwei magnetische
Pole und eine gegen die Erdachse geneigte magnetische Achse an.
1688 gibt Halley 4 Pole an, davon zwei fest in der Erdrinde, zwei
auf einem getrennt von der Rinde rotierenden Nukleus. Euler 1756
definiert die Pole als Punkte, in denen die magnetische Totalkraft
vertikal ist; er berechnet die magnetische Verteilung unter Annahme
eines exzentrisch in der Erde gelegenen Magneten. Hansteen (1819)
kehrt zu 4 Polen zurück, die er mit verschiedener Geschwindigkeit
umlaufend annimmt, so daß nach 25 800 Jahren immer dieselbe
190 Erdmagnedsmiis.
Konstellation wiederkehrt. Am 1. Juni 1881 erreicht J. Ross den
arktischen Magnetpol Auch für den Süden wird die Existenz nur
eines Mngnetpoles wahrscheinlich. Die Gaussschen Berechnungen
nach je 12 Stationen auf 7 Breitekreisen ergeben ebenfalls nur 2 Pole,
deren Bedeutung durch die Gaussschen Arbeiten selbst, wie durch
Amperes Theorie stark geschwächt erscheint Die magnetische Achse
nach Gauss als die Richtung, in der die Erde ihr maximales Moment
hat, f&llt nicht mit der Verbindungslinie der Pole zusammen. Sind
kosmische Kräfte die Ursache der Säkularänderungen 4es Erdmag-
netismus, so ist die größere Wichtigkeit der magnetischen Achse den
Polen gegenüber klar.
Von neuem, auf die Wanderung der Pole bezüglichen Arbeiten
bespricht der Verfasser genauer die von G. D. Weyer, > Astronomische
Nachrichten« 1894 Bd. 136 Spalte 209—222, von H. Pritsche: >Die
Elemente des Erdmagnetismus für 1600, 1650, 1700, 1780, 1842
und 1885 und ihre säkularen Änderungen, berechnet mit Hufe der
aus allen brauchbaren Beobachtungen abgeleiteten Koeffizienten der
Gaussschen Allgemeinen Theorie des Erdmagnetismus, St Petersburg
1899« und von W. van Bemmelen: »Die Säkularverlegung der mag-
netischen Achse der Erde. Observations made at Batavia, Vol. XXII,
Append. I, 1900.«
Weyer konstruiert Schnittpunkte der als größte Kugelkreise aus-
gezogenen Kompaßrichtungen von je 8 Paaren von Orten jeder Halb-
kugel für 1680, 1710, 1740, 1770, 1800, 1830, 1860 und 1890,
und findet so eine mittlere Polbahn. Schütz schließt sich der bereits
von andern Seiten gefällten ablehnenden Kritik dieses Versuches an,
und in der Tat ist es kaum verständlich, daß man die Schar der
magnetischen Meridiane zwischen den Polen, die in Länge nicht 120®
und in Distanz rund nur 160^ voneinander liegen, größten Kreisen
für so nahe kommend ansehen kann, daß man 8 Paare von Schnitten
von Punkten aus, die auf der Nordhalbkugel zwischen 89 und
59^ Breite, auf der Südhalbkugel gar zwischen 8 und 23® Breite
liegen, für eine Konstruktion der Pole für ausreichend erachtet.
Van Bemmelen hat nach alten Schiffsbeobachtungen Karten
magnetischer Meridiane für 1600, 1650 und 1700 konstruiert, die
zuverlässiger als die Karten von Halley und Hansteen erscheinen,
und nach ihnen die Bahn des Poles im Norden durch graphische
Extrapolation bestimmt. Seine Annahmen geben dabei wenig Anlaß
zu ernsten Bedenken.
H. Pritsche berechnet nach der Gaussschen Theorie die Koeffi-
zienten, und zwar nicht wie Gauss, Petersen, Neumayer 24, sondern
48 Glieder. Dabei sind seine Rechnungen auf je zwölf äquidistante
Beobachtungsorte auf 17 Parallelkreisen basiert und für die Epochen
1600, 1650, 1700, 1780, 1842, 1885 durchgeführt. Da das Beob-
achtungsmaterial für die Epochen vor 1842 nicht ausreicht, macht
Pritsche darüber eine Anzahl von Hypothesen, die dem Materiale eine
ErdmagneÜBmiis. 191
80 getiiige Zuverlässigkeit geben, daß sie zu der großen Mühe der
Berechnung in gar keinem Verhältnisse mehr steht. Immerhin schließt
sich Schüts der abfölligen Kritik, die die Fritscheschen Arbeiten des*
halb anderwärts gefunden haben, nicht an. Er zeigt vielmehr, daß
für 1700 die Angaben von Pritsche mit den Inklinationsbeobachtongen
von Feuillee besser übereinstimmen als die Hansteensche Inklinations'-
karte. Obereinstimmend finden van Bemmelen und Pritsche, daß der
Magnetpol im Norden seit 1650—1885 etwa von 80® N bis 70® N
gewandert ist. Q-egenwärtig nimmt van Bemmelen eine mehr nord*
wärts, Pritsche eine nach südwärts gerichtete Bahn des Poles an.
Die Deklination liefert nach Schütz am meisten Material zur
Untersuchung der Polwanderung. Pritsches Rechnungen, die auch
für 1900 die Lage des Poles geben, wären zur Vorausbestimmung
verwendbar, wenn sich noch weitere Oarantien für die Zulässigkeit
seiner Annahmen ergeben. Vielleicht läßt sich die Lage des Poles
einwandfrei mit der des Endpunktes der magnetischen Achse in Be*
Ziehung setzen (van Bemmelen fand ungefähr gleichbleibende Distanz
zwischen beiden). Experimentelle Festlegimgen der Pole sollten etwa
dreimal im Jahrhunderte stattfinden.
Die erdmagrnetlsehen VeFliältnisse auf Bomholm hat
Prof. Adam Paulsen untersucht und darüber neuerdings wiederum
berichtet^) Bomholm liegt in der Ostsee 41 km von der Südost-
spitze Schwedens und 155 Arm östlich von der Insel Seeland, in Form
eines Parallelogramms, dessen eines Seitenpaar von Nordwest nach
Südost, dessen anderes nordsüdlich verläuft Die Nordspitze hat
55^ 17', die Südspitze 55® 0' n. Br., während die Ost- und West-
spitze auf den Meridianen 15® 9' und 14® 42' 0. v. G. liegen. Von
der Südwestküste erstreckt sich bis zum Adlersgrund die flache
Rönnebank, während die drei andern Küsten von tiefem Meere um-
geben sind. Der Boden des großem Teiles der Insel besteht aus
eisenhaltigem Granit, der südliche aus Sandstein. Ein pflasterstein-
großes Stück diesen Granits brachte, dicht an das Kompaßgehäuse
gehalten, eine Ablenkung der Magnetnadel um 2® hervor. Seit 1890
hat Paulsen systematische Untersuchungen über die erdmagnetischen
Verhältnisse der Insel angestellt, insbesondere an 108 Stationen
Bestimmungen meist aller 8 Elemente des Erdmagnetismus vor-
genommen. Nach diesen verhält sich der Landklotz Bomholms im
großen ganzen qualitativ etwa so, wie eine Masse weichen Eisens
vom Erdmagnetismus beeinflußt werden würde. In dem aus dem
Meere emporragenden obem Teile des Klotzes überwiegt Südmagne-
tismus ; das Nordende der Nadel wird nach der Insel hingezogen, so
*) Congres maritime international de Copenhague 1902. Anomalies
de champ magnötique terrestre en Dänemark. Daraus in Ann. d. Hydro-
graphie 1908. p. 147, woraus oben der Text
192 Erdmagnetismus.
daß die westliche Deklination im Osten und Nordosten den normalen
Wert übertrifft, im Westen und Südwesten unter ihm bleibt Eine
Figur zeigt den Betrag dieser Abweichungen vom Normalen, der
im Nordosten -j- 2^, im Westen — 3^ übertrifft, und man ericennt
daraus, daß, während normal in dieser Gegend die westliche Dekli-
nation nach Westen zunehmen sollte, sie über Bomholm nach Westen
hin abnimmt, und zwar finden wir auf der Insel Unterschiede, die
im Maximum nahe an 5^ herankommen, während ein Änderungs-
betrag von nur 20', und zwar im entgegengesetzten Sinne, normal
wäre. Die Inklination ist der oben angedeuteten Grundvorstellung
entsprechend fast überall größer als die normale, da das Nordende
der Nadel von der Insel angezogen wird. Von den 76 Beobachtungs-
orten der Inklination zeigten nur fünf ein geringes Zurückbleiben
der nördlichen Inklination hinter dem normalen Werte , während im
Durchschnitte aller 76 Beobachtungsorte die vorhandene Inklination
den normalen Wert um 28' übertraf.
Die Horizontalintensität des Erdmagnetismus erscheint im Durch-
schnitte geschwächt Unter den 99 Beobachtungsstationen zeigen nur
24 einen etwas großem Wert der Horizontalintensität, als er nor-
mal wäre, während der Durchschnittswert aller 99 Stationen um
0.00065 cgs. Einheiten unter dem Normalwerte liegt.
Die Normalwerte sind auf Grund der Karten von Neumayer
unter Mitbenutzung eigener Beobachtungen in Kopenhagen und auf
JüÜand von Paulsen abgeleitet, und zwar gibt er für die Mitte von
Bomholm an:
Westl. DeklinftUon. Nördl. InklinAtion. HoiiBontaUntensit&t.
1891.6 ... 9« 20.2' 68» 16' 0.17672 cgs.
1900.5 ... 80 32.2' 68« 4' 017868 .
Aus den Unterschieden zwischen den wahren und den normalen
Werten der erdmagnetisehen Kraftkomponenten hat Paulsen audi
für jede Station die störende Kraft nach Größe und Richtung bestimmt.
Ihr mittlerer Wert beträgt 0.0079 cgs. -Einheiten, d. i. 17^0 der
normalen Totalkraft des Erdmagnetismus; auf einer Station steigt
er bis zu 0.0212 cgs.- Einheiten. Die Horizontalkomponente der
störenden Kraft hat einen mittlem Wert von 0.0089 cgs.- Einheiten,
d. i. 22®/^ des normalen Wertes der Horizontalintensität. Eine Dar*-
steUung dieser Horizontalkomponenten der störenden Kraft nach
Größe und Richtung gibt eine Figur. Die Neigung der störenden Total-
kraft gegen den Horizont ist an den West- und Nordostküsten ge-
ring, nimmt aber im Mittelpunkte und im Süden der Insel stark zu
und erreicht auf 2 Stationen 88^.
Nach den zahlreichen Deklinationsbestimmungen, die der Kapitän
zur See in der dänischen Kriegsmarine, Hammer, auf dem Meere um
Bornholm gemacht hat, nimmt die Deklination ab, wenn man sich
der Westküste der Insel nähert, in deren Nähe sie nahezu denselben
geringen Wert wie auf dem Strande erreicht. Von ihrem hohen Werte-
Ed. H<^ XIV, 1903.
ül IV.
;
Eidmagnetismos. 193
nimmt an der Ostküste die Deklination ziemlich rasch ab, wenn
man ostwärts fährt Die magnetische Einwirkung der Insel Bom-
holm erstreckt sich auf dem Meere bis in Entfernungen von etwa
15 km von ihren Küsten.
An der Südwest- und der südlichen Ostküste Bomholms ist die
Horizontalkomponente der störenden Kraft im allgemeinen nicht senk-
recht zur Küste gerichtet , sondern wir finden ähnliche Verhältnisse
wie im Innern der Insel vor. Die Rönnebank zeigt eben noch ähn-
liche Wirkungen wie Bomholm selbst, nur in etwas geringerer Stärke.
Auf der Insel selbst hat Paulsen sehr starke Unterschiede in
der Größe der störenden Kraft auf benachbarten Stationen gefunden.
Auch aus dem übrigen Gebiete des Königreichs Dänemark sind
magnetische Störungen bekannt geworden: Im nördlichen Teile von
Fünen ist die westliche Deklination 1^ größer als im Süden der
InseL Bei Korsör und Skelskör erreicht die Deklination beinahe
denselben Wert wie im nördlichen Fünen.
Die magrnetlsehe Inklination In vorgreschlchtilcher Zelt.
Bekanntlich hat^) Folgheraiter eine Methode hierzu angegeben, die
darauf beruht, daß Ton beim Brennen durch die erdmagnetische
Inklination einen von der Stärke des Erdmagnetismus abhängigen
Magnetismus annimmt und dauernd behält Diese Methode hat er
erfolgreich angewendet, und sie ist unlängst von Paul L. Mercanton
wieder aufgenommen worden^ an Resten gebrannten Tones, die
den Pfahlbauten der Schweizerseen entstammen. Alle ergaben Zeichen
von Magnetismus. Da indessen unter diesen Gefäßen nur sehr wenig
unversehrt erhalten sind, ihr Brennen ein sehr ungleichmäßiges ge-
wesen und spätere Einwirkungen von Feuer sich störend bemerkbar
machten, auch in den meisten FäUen selbst ungefähre Schlüsse über
die Orientierung der Gefäße beim Brennen ganz unmöglich waren,
blieb die Ausbeute für die Erkenntnis des Erdmagnetismus zur Zeit
der Herstellung der Gefäße eine sehr geringe. Mercanton behandelt
6 Fälle, in denen einige Anzeichen über die Richtung und den Sinn
des Magnetismus erhalten wurden; unter diesen sind zwei aus dem
Neuchateier See stammende Gefäße, welche zu dem Schlüsse berech-
tigen, daß in der Bronzezeit die magnetische Inklination eine nörd-
liche und ziemlich starke gewesen. Trotz der großen Schwierigkeiten
dieser Untersuchung und der sehr mäßigen positiven Ergebnisse seiner
Befunde hält es aber Mercanton für empfehlenswert, diese Arbeit
wieder aufzunehmen, da ein zufälliger glücklicher Fund, ein oder
zwei ganz sichere Resultate über die Richtung der Inklination für
die Verwertung der übrigen Objekte ungemein förderlich sein würden.
1) Vgl. dieses Jahrbuch 8. p. 112; 10. p. 178.
^ Bull, de la Societe vaudoise des sciences etc. Ser. 4. 88. p. 885.
Klein, Jahrbaoh XIV. 18
194 Erdbeben.
Erdbeben.
Die Erdbebenfonchung im Deutsehen Beiehe. Hierüber be-
richtete Prof. Dr. Gerland auf dem vierzehnten deutschen Oeographen-
tage in Köln.^) Das Deutsche Reich hat die unter der Leitung Gerlands
stehende Kaiserliche Hauptstation für Erdbebenforschung in Straßbu^
errichtet; es hat femer die erste internationale Konferenz für Erd-
bebenforschung im April 1901 in Straßburg ermöglicht und seismo-
graphische Stationen im ganzen Reiche für notwendig erkannt An
den Verhandlungen des der Kaiserlichen Hauptstation zur Seite ge-
stellten Kuratoriums nehmen auch Vertreter des Reiches teil. Nach
den vom Kuratorium gebilligten Vorschlägen soll die Seismizität
Deutschlands dauernd erforscht werden, die großen (makroseismischen)
und die kleinen (mikroseismischen) Beben, daneben die langsamen
Schwankungen der Lotlinie, sowie auch die Fembeben. Als Haupt-
stationen für die hierzu nötigen Beobachtungen sind in Aussicht
genommen: Aachen, Karlsruhe, Darmstadt, München, Göttingen,
Hamburg, Leipzig, Jena, Breslau, Königsberg, Potsdam, zu denen
zahlreiche Nebenstationen treten. Die Sammelberichte der Haupt-
stationen sollen sämtlich der Zentralstation in Straßburg zugehen.
Neben der lokalen Forschxuig hat das Reich namentlich die inter-
nationale gefördert So wird das gegenwärtige Jahr (1903) für die
Erdbebenforschung von besonderer Wichtigkeit werden, indem das
Auswärtige Amt des Deutschen Reiches die Anregung zum Zusammen-
tritte einer zweiten intemaüonalen seismischen Konferenz in Straßburg
gegeben hat. Dieselbe befaßte sich in erster Linie mit konstitutiven
Verhandlungen und wird, wo möglich, zur Konstituierung einer inter-
nationalen Staatenassoziation führen, die in einem internationalen
Zentralbureau ihr Arbeitsorgan erhält Bezüglich der Beobachtungen
der Assoziation sind ins Auge gefaßt: die Bewegungen, welche nicht
durch Erdbebenstöße veranlaßt sind, Gesamtbewegungen von Flächen-
teilen der Erdrinde, langsame Bewegungen solcher Teile, sodann die
mikroseismischen Flächenbewegungen (tremors), femer die Erdpulsa-
tionen oder pulsatorischen Oszillationen und die Niveauveränderungen
(Lotschwankungen). Sie sollen nach Art, Zeit und Dauer ihres Auf-
tretens festgestellt und die Ursachen ihrer Entstehung erforscht
werden. Ferner sollen die Bewegungen untersucht werden, die durch
Erdbebenstöße veranlaßt auftreten, nämlich die makroseismischen
Bewegungen, die direkt fühlbaren Erdbeben, die Lage des Epizentrums,
des eigentlichen Stoßgebietes des Erdbehens; die Tief enlage des Herdes;
das zeitliche Auftreten, eventuelle Perioden, die Ursachen der Erd-
beben; die mit Erdbeben häufig verbundenen Schallphänomene. Dann
handelt es sich um die geographische Feststellung der Hauptschütter-
gebiete der Erde; um kartographische Festlegung der geographisch-
Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde. Berlin 1908. p. 506.
Erdbeben. 195
seismischen Tatsachen, die schließlich zur Herstellung einer seis-
mischen Weltkarte führen werden. Einen weitem Beobachtungs-
gegenstand werden die Seebeben bilden. Hier handelt es sich um
AufsteUung und Beobachtung von Pegeln an besonders ausgewählten
Stellen. Endlich die Fembeben, die mikroseismische Fortleitung
makroseismischer Erdbebenstoße, mit genauen Zeitbestimmungen des
Eintrittes derselben an möglichst vielen Stationen, behufs der Berech-
nung des Ausgangspunktes der Bewegung.
Messungen der Bodenbewegrangen bei einer Sprengung
auf dem Schießplatze Oummersdorf hat Prof. 0. Hecker ausgeführt
und diskutiert^) Das Sprengmaterial war oberirdisch auf einer ebenen
Sandfläche untergebracht Die Instrumente verzeichneten ihre An-
gaben der horizontalen und vertikalen Komponente der Bewegung
automatisch und waren gegen die Einwirkung der durch die Explosion
erzeugten Luftwellen geschützt. Es waren 5 Stationen in Abständen
von je 70 m errichtet, doch wurden an der Station I durch hinein-
geschleuderten Sand die Apparate außer Funktion gesetzt, so daß nur
die Angaben von 4 Stationen zur Verfügung standen. Die Betrachtung
der registrierten Kurven zeigt, daß in der Horizontalrichtung zunächst
ein Ansaugen des Bodens nach der Sprengstelle hin erfolgt war, mit
welchem gleichzeitig eine vertikale Bewegung des Bodens nach unten
verbunden war; die folgenden horizontalen Schwingungen sind dann
regelmäßig von vertikalen Bewegungen begleitet, und zwar entspricht
einer Bewegung von der Sprengstelle weg eine Hebung des Bodens
und umgekehrt An Station II ist die Bodenbewegung noch ziemlich
regelmäßig einer einfachen Sinusbewegung mit schnell abnehmender
Amplitude ähnlich; an Station HI zeigt sich bereits eine Zersplitterung
der Hauptwelle, die an den weitem Stationen noch zunimmt Die
Größen der Bodenbewegungen an den 4 Stationen waren in horizon-
taler Richtung: U 1.67 mm, m 0.92 vnm, IV 0.54 mm und V 0.49 mm\
die vertikalen Bewegungen waren im Maximum bei Station III 0.70 mm,
bei y 0.20 mm. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Hauptwellen
in dem Sandboden wurde = 238 m ^ 7 m in der Sekunde berechnet,
in guter Übereinstimmung mit MaUet (250 m) und der frühem
Messung (205 m).
Vor der Ankunft der Hauptwellen traten kleine Wellen auf, die
sich an einigen Kurven erkennen lassen, deren Fortpflanzungs-
geschwindigkeit nicht abzuleiten war, weil ihr Eintritt sich nicht
scharf genug markierte. Sicher war nur ihre Geschwindigkeit sehr
viel größer als die der Hauptwellen, und in 500 m Entfernung von
der Sprengstelle war die Verspätung der Hauptwellen gegen die kleinen
schon sehr auffällig. G. H. Darwin definiert in semen theoretischen
üntersuchimgen die Erdbebenwellen als schnell sich fortpflanzende
^) Gerland, Beitrage zur Geophysik 1908, e. p. 87.
18«
196 Erdbeben.
Kompressionswellen und langsamer sich bewegende Verschiebungs-
wellen. Höchst wahrscheinlich sind die beobachteten vorauseilenden
Wellen wirklich Kompressionswellen; dafür spricht auch, daß bei der
Sprengung von 1897 die kleinen, vorauseilenden Wellen eine Cre-
schwindigkeit (1437 m) gezeigt, welche der Fortpflanzung der Schall-
wellen im Wasser (1418 m) nahe ist Sehr erwünscht sind nun fort-
gesetzte Experimente über die Fortpflanzung der Wellen an Orten
mit möglichst homogenen obern Schichten; denn wenn mit Sicher-
heit nachzuweisen ist, daß die vorauseilenden Wellen Kompressions-
wellen und die Hauptwellen Verschiebungswellen sind, ist »ein großer
Fortschritt zur Erweiterung unserer Kenntnisse des Erdinnem getane.
Ergibt sich nämlich aus den Beobachtungen, daß die Fortpflanzungs-
geschwindigkeit der Verschiebungswellen im Bogen des größten Kreises
gemessen konstant oder angenähert konstant sind, so folgt daraus,
daß die Verschiebungswellen sich nur in den obern Schichten der
Erdkruste fortpflanzen. Die Kompressionswellen hingegen werden
unter allen Umständen einen Teil des Erdinnem durchlaufen und nicht
in einer geraden Linie vom Entstehungs- zum Beobachtungsorte sich
fortbewegen, sondern sich nach Elastizität und Dichte nach den ver-
schiedenen Tiefen des Erdinnem richten. Ziemlich sicher ist bereits
mehrfach festgestellt, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der ersten
Erschütterungen des Bodens (der Vorbeben) eine mit der Entfernung
vom Herde stark wachsende Geschwindigkeit haben. Bewährt sich
dabei die konstante Geschwindigkeit der Verschiebungs wellen, so
würde das einen Beweis dafür erbringen, daß das Erdinnere nicht
fest ist
Das Erdbeben von CeFam am 80. September 1899 bildete
den Gegenstand einer eingehenden Studie von Prof. E. Rudolph. ^)^
Dieses Beben gehört zu den wenigen des Jahres, deren Epizentrum
bekannt ist, und deren Ausbreitung über die Erde hin sich mit ziem-
licher Sicherheit verfolgen läßt. Dank der Untersuchung von R D.
M. Verbeek,^ sind wir in der Lage, uns eine Vorstellung von dem
Auftreten des Bebens im makroseismischen Schüttergebiete und von
den Beschädigungen, welche durch dasselbe angerichtet worden sind,
zu machen. Prof. Rudolph gibt zunächst an der Hand dieser dankens-
werten Arbeit einen kurzen Überblick über den Verlauf und die
Wirkungen des Bebens, um sich dann der Betrachtung der Fort-
pflanzung der durch die Erschütterung veranlaßten seismischen Wellen
zuzuwenden.
Am stärksten machte sich die Erschütterung an der Südküste
von Ceram in der Umgebung der Elpaputibai geltend. In dem ge-
birgigen Lande westlich von der Bai wurden durch dieselbe zahl-
^) Gerland, Beiträge zur Geophysik 1903. 6. p. 238.
<) Natuurkundig Tijdschrift voor Ned.-lndie 1900. eO. p. 219— 228.
1 Karte 1:1000000.
Erdbeben. 197
reiche Erdrutsche verursacht, wie an den hellschimmemden, gelben
und weißen Stellen erkennbar /^ar, die sich nach dem Beben von
ihrer Umgebung deutlich abhoben. Während im allgemeinen der Stoß
auf Ceram als mittelmäßig stark bezeichnet wird, war er an der
Westküste der Elpaputibai sehr stark. Von hier als dem Mittelpunkte
hat sich der Stoß nach allen Seiten hin fortgepflanzt, am stärksten
aber nach Westen und Osten. In dem Kalkgebirge landeinwärts von
Eawa an der Westküste von Ceram waren überall die Spuren von
frischen Abstürzen sichtbar. Dasselbe war in dem gebirgigen Innern
der Kawa gegenüber gelegenen Insel Boano der Fall, woraus man
schließen muß, daß auch hier das Erdbeben noch ziemlich stark war.
Was die Verbreitung des Bebens außerhalb Ceram angeht, so
ergibt sich der bemerkenswerte Umstand, daß das Beben in Temate
und auf Halmahera äußerst schwach war, während es auf dem viel
weiter von Ceram entfernten Celebes sich ziemlich stark bemerkbar
machte. Da von den Kleinen Sundainseln, die gerade südlich von
Ceram liegen, keine Nachrichten über das Erdbeben eingelaufen sind,
so kann man annehmen, daß der Stoß sich nicht durch die Bandasee
südwärts ausgebreitet hat und im wesentlichen auf die Molukken
beschränkt war. Die Fortpflanzung einer starkem Bewegung in
nordwestlicher Richtung von Ceram über Gr.-Obi bis zur Minahassa
hat vielleicht in besondem tektonischen Verhältnissen ihre Ursache.
Es ist nun jedenfalls eine auffallende Tatsache, daß trotz der mäßigen
Stärke des Stoßes (etwa V — VI der Intensitätsskala de Rossi-Forel)
und trotz der verhältnismäßig geringen Ausdehnung der Schütterfläche
die durch den Stoß verursachten Erdbebenwellen eine so ungeheuere
Verbreitung gehabt haben. Wie sich aus der weitem Untersuchung
ergab, haben sich die seismischen Wellen nicht nur mnd um die
Erde fortgepflanzt, sondern wahrscheinlich auch durch das Erdinnere
hindurch, so daß wir uns vorstellen müssen, daß der ganze Erdball
in Schwingungen geraten ist.
Die Festlegung des Epizentmms ist mit großen Schwierigkeiten
verknüpft, weil die Anzahl von Europäem, die zuverlässige Beob-
achtungen über die Bewegungsrichtung des Stoßes hätten machen
können, auf Ceram eine sehr geringe ist In dem vorliegenden Falle
glaubt Verbeek nur 2 Beobachtungen verwerten zu dürfen, und
auch diese beiden sind nicht einmal über allen Zweifel erhaben. Sie
führen auf 128^ 30' E. L. und 3 <> 10' S. Br. Der epizentralen Fläche
gibt Verbeek eine elliptische Gestalt, deren große Achse eine Länge
von etwa 8 Bogenminuten hat
Die Ausbreitung der Bewegung von diesem pleistoseisten Gebiete
nach Westen und Osten ist nach Verbeek vor lülem durch eine alte
Brachlinie begünstigt, die der Südküste von Ceram parallel verläuft
und auch in der Topographie der Insel zum Ausdrucke kommt
Der durch die Erderschütterung allein verursachte Schaden wäre
nicht so bedeutend gewesen, und besonders wäre kein so schwerer
198 Erdbeben«
Verlast an Menschenleben zu beklagen gewesen, wenn nicht der Erd-
erschütterung eine Meeresbewegung gefolgt wäre, durch welche die
niedrig gelegenen Küstenstrecken überflutet und die Dörfer weg*
geschwemmt wurden. Die Zahl der auf diese Weise ums Leben ge-
kommenen Personen wird auf 3864 angegeben. Infolge des Erd-
stoßes lösten sich nämlich ebenso wie im Binnenlande auch an der
Küste an verschiedenen Stellen mehr oder minder große Massen
lockern Materials ab und verursachten durch die plötzliche Wasser-
verdrängung Wellen, welche mit einer Höhe von 2 — 6911, ja selbst
9 m gegen die Küste anstürmten und je nach der Beschaffenheit
dieser letztem bis zu 270 m landeinwärts alles überfluteten und mit
sich fortrissen. Verbeek liefert den ganz genauen Nachweis, daß
derartige WeUen nur dort entstanden, wo Landteile ins Meer sanken.
An andern Stellen, wo das Erdbeben zwar auch gefühlt wurde, aber
kein Abbruch und kein Erdrutsch an der Küste damit verbunden war,
bildete sich keine Welle; eine Überflutung dieser Stellen trat nur dann
ein, wenn die Orientierung der Küstenstrecke derart war, daß sie
durch eine von einer andern Seite herkommende Welle erreicht werden
konnte. Auch in dieser Hinsicht hatten die Meeresbuchten an der
Südseite von Geram, die Pirubai und vor allem die Elpaputibai am
meisten zu leiden. An der Küste der letztgenannten Bai sind allein
etwa 2460 Menschen ums Leben gekommen; und die Welle, welche
sich von hier aus in die offene Bandasee fortpflanzte, erreichte sogar
noch die 187 km entfernte Insel Banda Neira und verursachte hier
ein Steigen des Wassers um 1 m über Hochwasser. Diese Tatsachen
stützen die von Verbeek aufgestellte Behauptung, daß sich in der
Nähe der Elpaputibai das Epizentrum des Bebens befinden müsse.
In bezug auf die Angaben über den Augenblick, in welchem der
Erdstoß im Epizentrum oder an andern vom Epizentrum entfernt ge-
legenen Punkten eintraf, ist man ebenso übel daran, wie bei den
oben betrachteten Richtungsangaben.
Prof. Rudolph findet aus Kombination der entfernten Stationen, an
welchen das Beben registriert worden, als Zeit der Erschütterung im
Epizentrum 17^ 1.08™ mittl. Zeit von Greenwich. Er diskutiert nun
im einzelnen die Axifzeichnungen an 27 seismischen Stationen und
findet, daß, wenn man den Versuch macht, die im vorstehenden er-
wähnten zahlreichen Zahlenangaben übersichtlich zusammenzustellen
und diejenigen Daten auszusuchen, welche gleichen Phasen ent-
sprechen, um auf diese Weise eine Vorstellung von der Aufeinander-
folge der verschiedenen Wellen und ihrer verschieden großen Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit zu erhalten, man auf Schwierigkeiten stößt,
welche bei dem heutigen Stande der seismischen Beobachtungen nur
teilweise zu überwinden sind. »Diese Schwierigkeiten c, sagt er, »liegen
vor allen Dingen in den verschiedenartigen Systemen seismischer
Apparate, welche auf den Beobachtungsstationen in Gebrauch sind.
Es ist nicht bloß der den einzelnen Pendeln eigentümliche verschiedea
Erdbeben. 199
hohe Grad der Empfindlichkeit, welcher die Einreihung der Zeitangaben
in die ihnen zukommende Phase oft fast unmöglich macht; viel er-
schwerender wirkt der Umstand, daß nur die wenigsten Instrumente
Seismogramme liefern, denen man die beiden zur Charakterisierung
der Erdbebenwellen wichtigsten Eigentümlichkeiten, die Schwingungs-
periode und -amplitude entnehmen kann.
Die Stationen Kap der guten Hoffnung und Göttingen geben
allein ein vollständiges Bild der Störung. Indessen ist das Seismo-
gramm der erstgenannten Station so undeutlich, daß eigentlich nur
Göttingen als diejenige Station übrig bleibt, die ein brauchbares Bild
geliefert hat. Bei allen andern ist dagegen bald die eine, bald die
andere Phase nicht erkennbar.
Betrachtet man die Zeitangaben für die erste Störung, so ergibt
sich, daß auf einer ganzen Reihe von Stationen neben dem Anfange
der Störung noch ein 2. und 3. Einsatz bemerkbar ist Auf mehrern
Stationen beginnt die Störung des Pendels überhaupt erst mit dem
2. Einsatz oder gar erst mit dem dritten.
Mit wenigen Ausnahmen haben diejenigen Stationen, welche
einen relativ frühen Anfang der ganzen Störung verzeichnen, auch
für den 2. Einsatz einen relativ frühern Anfang. Femer kann
man beobachten, daß der Zeitpunkt des 2. Einsatzes in demselben
Maße später fällt, wie die Stationen weiter vom Epizentrum entfernt
liegen. Diese zeitliche Verschiebung des Einsatzes ist beim dritten
Einsätze noch viel schärfer ausgeprägt als beim zweiten, ja es liegen
Anzeichen dafür vor, daß es noch einen 4. Einsatz vor dem Beginne
der 2. Phase gab.
»Die beiden angeführten Umständec, fährt Prof. Rudolph fort,
> lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die wiederholten Ein-
sätze der Störung, drei im ganzen, oder vielleicht sogar vier, von
ebensoviel Stößen im Erdbeben herrühren. Wenn wir in den spätem
Phasen der Störung von diesen Stößen keine Spur mehr finden, so
ist dieses Fehlen wohl nur darauf zurückzuführen, daß der erste
Stoß der stärkste war. Die großen Schwingungsamplituden in der
2. — 5. Phase werden mit denjenigen der spätem Erdstöße interferiert
haben und dadurch nicht erkennbar geworden sein. Nur während der
1. Phase, in welcher die Schwingungsamplituden überhaupt klein
waren, konnten sich die spätem Stöße bemerkbar machen. So ent-
hüllen uns die Seismogramme eine Tatsache, von der wir in den
Berichten aus dem makroseismischen Schüttergebiete nichts hören. €
Prof. Rudolph hat für die einzelnen Stationen, soweit dies über-
haupt ausführbar war, die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten der Wellen
der 1. — 5. Phase berechnet
Überblickt man die Werte für die 1. Phase, so findet man die
schon seit langem bekannte Tatsache der Zunahme der Geschwindig-
keit mit der Entfemung vom Epizentrum in aller nur wünschens-
werten Bestimjntheit bestätigt.
200 Erdbeben.
Ganz normal ist die Zunahme der Werte fär die folgenden
Phasen. Die ganz unwesentlichen Schwankungen, welche auch hier
nicht fehlen, sind auf ungenaue Messungen des Seismogrammes zurück-
zufuhren und kommen gegenüber dem stetig wachsenden Werte der
Geschwindigkeit nicht in Betracht Am bemerkenswertesten ist es,
daß auch die Werte für die 5. Phase von Batavia bis Pavia fast
stetig anwachsen. »Ich sehe«, sagt Prof. Rudolph, »in dieser Tatsache
das wichtigste Ergebnis der Untersuchung. Freilich soll nicht be-
hauptet werden, daß dieser eine Fall maßgebend wäre. Es wird
noch vieler Untersuchungen bedürfen, bis sich eine endgültige Ent-
scheidung treffen laßt. In der demnächst erscheinenden Bearbeitung
der »Seismometrischen Beobachtungen von 1887 — 1897« werde ich
ein größeres Beobachtungsmaterial heranziehen, das -zu einem ge-
sicherten Resultate führen wird.«
Das Brdbeben von Schemacha, am 18. Februar 1902. Ober
dasselbe liegt ein vorläufiger Bericht von F. Anderssohn vor. ^) Die
Stadt liegt am Südabhange des östlichen Kaukasus, der dort in einem
Systeme OSO — ^WNW streichender Brüche zur Kuraniederung ab-
WüL Um einen Spannungsausgleich längs dieser Brüche handelt es
sich zweifelsohne bei den Erdbeben, die Schemacha bereits so häufig
beunruhigt haben. Ein besonders starkes Beben war im Juni 1869
Veranlassung, daß die Oouvemementsregierung, die ihren Sitz bis
dahin in Schemacha gegehabt hatte, nach dem 100 km östlicher
gelegenen Baku übersiedelte. Ein stärkeres Beben suchte die Stadt
im Jahre 1872 heim, wurde an Heftigkeit aber bei weitem über-
troffen von dem des Jahres 1902. Dieses letztere nahm seinen Aus-
gang von einer den Randbrüchen des Kaukasus parallelen, etwa
5 Meilen langen Mittellinie, dicht nördlich von Schemacha, die etwa
durch die Ortschaften Sundi und Baskai bezeichnet wird. Von diesa*
Linie aus nahm die Heftigkeit der Erscheinungen gegen das Gebirge
zu rasch ab, nach SW endigte die Zerstörungszone am Rande der
Kuraebene, so daß sie von SW nach NO nur 3 Meilen breit war
und im ganzen etwa 15 Quadratmeilen umfaßte. Da nähere geotek-
tonische Untersuchungen nach dem Beben durch Schneefall leider ver-
hindert wurden, auch keine Seismometer in dem Schüttergebiete auf-
gestellt waren, so beschränken sich die bekannt gewordenen Tat-
sachen auf die Schilderung des, übrigens durchaus typisch verlaufenen
Vorganges selbst und die Feststellung der Zerstörungen.
Schon eine Woche vor der Katastrophe hatte man in der Gegend
von Schemacha oft schwache Stöße wahrgenommen, ebenso am Vor-
mittage des 12. Februar. Am 13., kurz nach ^/^l Uhr mittags, machten
sich etwa 10 Minuten lang heftige Bodenschwankungen fühlbar, die
^) Geol. Förh. 24. p. 879. Auszug in Naturw. Wochenschrift 1908 p. 81.
woraus oben der Text
Erdbeben. 201
von NO nach SW gerichtet gewesen sein sollen, fast unmittelbar
darauf um 12 Uhr 53 Minuten erfolgte der Hauptstoß, der in senk-
rechter Richtiuig wirkte und die Holzhäuser Schemachas und der
Umgegend größtenteils zerstörte, dagegen die massiven Oebäude an-
scheinend wenig beschädigte. Ihm folgten wieder Schwankungen des
Bodens, und eine große Zahl schwächerer Erschütterungen wurde
noch bis zum nächsten Morgen verspürt. Vor dem Stoße war ein
schwaches Dröhnen aus nordwestlicher Richtung hörbar. Unmittelbar
nach dem Beben erfolgte am Ostrande des Zerstörungsgebietes, in
Marasi (25 km östlich von Schemacha) der Ausbruch eines dort ge-
legenen Schlammvulkans. Anderssohn sucht den Zusammenhang
zwischen beiden Erscheinungen wohl mit Recht in der Störung des
Gleichgewichtes, die das Beben in den Erdschichten über dem Schlamm-
herde hervorrief, östlich dieser Schlammausbruchsstelle hat das Erd-
beben keine dauernden Wirkungen mehr hinterlassen. In BaJni wurde
es jedoch um 12 Uhr 55 Minuten in Form starker Bodenschwan-
kungen gefühlt. Im ganzen sind etwa 1000 Menschen umgekommen,
gegen 4000 verletzt, während der Sachschaden auf ungefähr
18 Millionen Mark geschätzt wird. Doch scheint an der Größe dieses
Schadens weniger die Stärke des Bebens als die geringe Festigkeit
der Gebäude die Schuld zu tragen. Schwächere Erschütterungen .
sind in den folgenden Monaten übrigens mehrfach in unregelmäßigen
Zwischenräumen im transkaukasischen Gebiete wie auch in Grozny
nördlich des Kaukasus aufgetreten.
Das Erdbeben von Saloniki am 5. Juli 1902. Im Auftrage
der Wiener Akademie der Wissenschaften hat Prof. R. Hoemes (Graz)
das Gebiet, auf dem dieses Erdbeben sich bemerkbar machte, durch-
forscht Seinem Berichte an die Akademie^) ist folgendes ent-
nommen.
Von den über das Beben vom 5. Juli vorliegenden Nachrichten
wurden ztmächst jene eingehend erörtert, welche zu einer annähernd
genauen Zeitbestimmung der Haupterschütterung führen können. Da
in Saloniki, abgesehen von der türkischen Zeitrechnung, drei euro-
päische Zeitangaben in Gebrauch stehen (mitteleuropäische Zeit, nach
welcher die westlichen Bahnen: Saloniki — Monastir, Saloniki — ^Mitro-
vitza und Üsküb — Sibefde verkehren, und osteuropäische Zeit, welche
den Verkehr Saloniki — Konstantinopel regelt, während die Saloniker
Ortszeit gegen erstere rund um 32 Minuten vor, gegen letztere aber
um 28 Minuten zurückliegt), war diese Aufgabe keine ganz einfache.
Der Eintritt der Haupterschütterung konnte für Saloniki nur annähernd
mit 4 ^ 20™ p. m. Ortszeit ermittelt werden. Die Zeitangaben zahl-
reicher Stationen der Orientbahnen, welche dem Berichterstatter mit-
geteilt wurden, geben ein neues Beispiel für die Erfahrungen hin-
^) Wiener Akademischer Anzeiger 1902 p. 825.
202 Brdl>M>eii.
sichtlich der ungenügend genauen Zeitbestimmung des taglichen Lebens,
welche bei allen großem Beben zutage treten.
Prof. Hoernes erörtert dann die an den einzehien Orten ein-
getretenen Wirkungen. Von den stärksten Zerstörungen wurde das
Dorf Güvezne heimgesucht. Auch einige Orte in der Umgebung dieses
Dorfes, so namentlich Arakli, wurden starker beschädigt, Saloniki
hat viel weniger gelitten. In der makedonischen Metropole wurde
die hochliegende Türkenstadt fast gamicht beschädigt, nur der niedriger
am Meere gelegene Stadtteil hat zahlreiche Erdbebenschäden auf-
zuweisen. Zumal die Häuserreihe am Quai, welche auf jungen Auf-
füllungen steht und vielfach ungenügend fundiert sein dürfte^ hat
stark gelitten, femer jene Gebäude, welche besonders hoch oder schlecht
gebaut waren.
Als Herd der Erschütterung wird die Depression zwischen dem
Begikdagi und Horta^dagi, die Niederung von Langaza bezeichnet, in
welcher der gleichnamige See, der zuweilen auch nach dem an seinem
Südufer gelegenen Orte Ajvasil benannt wird, als Rest eines früher
viel ausgedehntem Binnengewässers liegt. Auf der Nordseite des
Sees, nahe bei Langaza liegen die warmen Quellen von Ilidze-Lutra,
welche 2 Tage nach dem Erdbeben eine bemerkenswerte Änderung
(Einsinken des Bodens im Bassin des Bades, Hervorbrechen eines
neuen Ausflusses etwa 200 m vom Badehause) und im Laufe späterer
Zeit auch eine geringe Erhöhung der Temperatur (um 1 ^ G.) erfuhren.
Auch die warmen Quellen von Bajnsko bei Stmmica und von Negorci
bei Gjevgjeli, sowie die kalten Quellen von Suputnik und Larigovo
im Kolomondagebirge sollen durch das Beben beeinfluBt worden sein.
Bei Güvezne, Arakli und Ajvatli erfolgte Austreten des Grundwassers
infolge der Erschütterung der Alluvionen und vordem trockene Bach-
rinnen wurden wasserführend.
Dem Beben vom 5. Juli lag eine Schütterlinie zugrunde, die sich
von Ajvasil am Südufer des Langazasees bis zur Bahnstation Doiran
am gleichnamigen See verfolgen läßt Sie hängt mit dem Graben-
bruche zwischen dem Hortaddagi und Besikdagi zusammen. Die Beein-
flussung der Thermen von Bajnsko bei Stmmica, welche freilich nicht
vollkommen sichergestellt ist, würde einen Zusammenhang mit der dem
Vaxdartale annähemd parallel laufenden » Thermenlinie c Dr. Karl
Ostreichs wahrscheinlich machen, wie denn Ostreich selbst eine Fort-
setzung seiner Thermenlinie nach SSO zu den Quellen von Langaza
(Ilid2e-Lutra) vermutet
Prof. Hoemes gibt eine Aufzählung größerer Beben, von denen
Makedonien im Laufe der Zeit betroffen wurde. Eines derselben,
am 26. Februar 1430, zerstörte teilweise die Stadtmauern Salonikis
und erleichterte so die Einnahme der Stadt durch die Türken. Die
aus neuerer Zeit vorliegenden Erdbebenverzeichnisse von J. Schmidt
imd C. W. G. Fuchs lehren, daß Erschütterungen in dem Gebiete
nördlich vom thermäischen Golfe häufig sind. Ihr Zusammenhang
Erdbeben« 203
mit den tektonischen Vorgängen in der Rhodopemasse, mit den Ein-
brüchen, mit welchen uns Prot Cvijid naher bekannt gemacht hat,
ist klar. Diese zur Tertiärzeit begonnenen gewaltigen Senkungen,
welche im Süden das Eintreten des Meeres in den thermäischen Golf
und die eigenartig zerschnittene Gestalt der Halbinsel Chalkidike ver-
ursachten, im Innern des Landes aber zahlreiche, teils von Seen
erfüllte, teils trockene Gräben schufen, waren auch die Veranlassung
für das Zutagetreten junger Eruptivgesteine auf den Bruchspalten.
Der ungemeine Reichtum an heißen Quellen, welcher Makedonien aus-
zeichnet, hängt gleichfalls mit diesen tiefgehenden Bruchlinien zu-
sammen, auf welchen an vielen Stellen »juveniles Wasser« dem Boden
entquillt. Daß die Rindenbewegungen, welche die eigenartige Boden-
plastik Makedoniens verursachten, auch heute noch andauern, be-
kunden die häufigen und starken Beben, von welchen das Land wie
in früherer Zeit so auch noch in der Gegenwart heimgesucht wird.
Ober die Erdbeben an der Küste Guatemalas im Jahre
1902 und deren FolgeerSCheinungren berichtet der Regierungs-
baumeister und Betriebsleiter der Ocos-Eisenbahn.^) Folgendes ist
diesem Berichte entnommen. Das Erdbeben vom 18. April 1902
wurde in Ocos am heftigsten an unserer ganzen Küste gefühlt; der
Stoß kam von SW oder SSW. Die Erdbebenwelle ist in unserem
Sandboden (etwa 800 — 400 m breit, feinster gleichmäßiger vulkani-
scher Sand), desgleichen in den Fußböden unserer Holzhäuser, sowie
auf der Plattform unseres eisernen Landungssteges heute noch zu
sehen; die Wellen sind 25 — 30 m lang und bis zu 15 und 20 cm
tief. Etwa 100 — 150 m vom Beginne des Festlandes (harter Lehm
mit Kies und Sand) brach sich die Erdbebenwelle in dem Sande
zwei- bis dreimal unter genau den gleichen Erscheinungen wie beim
Brechen der Brandungswelle auf dem Strande ; die dadurch entstan-
denen Gruben, welche bis zu Mannestiefe hatten, sind heute noch,
soviel mir bekannt, in meilenweiter Ausdehnung Küste auf und Küste
ab zu sehen; die Einzelheiten, wie sie kurz nach dem Erdbeben zu
sehen waren: Aufbrechen und Überfallen des Sandes sind natürlich
heute durch Regen und Wind zerstört. In unserem Eisenbahngeleise
ließen sich die Wellen des Erdbebens noch auf etwa 200 m auf dem
Festlande (der oben erwähnte harte Lehm) verfolgen, die Wellen
waren dort allerdings länger: 50 — 75 m und weniger tief (etwa
5 cm)\ weiter nach dem Innern waren keine Stönmgen mehr zu
beobachten.
Seit dem 10. Mai haben Störungen in dem normalen Verlaufe
der Fluten an imserer ganzen Küste, und davon herrührend, Ände-
rungen des Strandes stattgefunden, welche mit dem Gyklon vom
28. und 24. September ihr Maximum erreichten und allenthalben
schweren Schaden angerichtet haben.
^) Annalen der Hydrographie 1908 p. 62.
204 Erdbeben.
Die normale Flut ist hier etwa Iß m (5 Fuß engl); es begab
sich nun, daß während der Monate Mai, Juni, Juli und bis Mitte
August die Flut 2— 2,5 m (7 — 8 Fuß) betrug, wobei der normale
Ebbestand nie erreicht wurde, die Ebbe blieb stets etwa 0,3 m
(1 Fuß) über dem normalen Stande. Erst seit Mitte August ging das
Niederwasser auf seinen alten Stand zurück, dagegen ist aber das
Hochwasser immer noch 0,3 m (1 Fuß) höher als unter normalen
Verhältnissen.
Die ganze Küste von Guatemala bis Mexiko, von Acajutla bis
SaUna Cruz, ist sehr leichter fein- und gleichkömiger vulkanischer
Sand, ein Gürtel etwa 100 — 300 oder 500 m breit, dem nach innen
die brackische Lagune (estero) folgt, welche beinahe stets durch
eine der vielen Flußmündungen mit der See in Verbindung steht,
demnächst folgt das Festland mit seinem Gürtel von Mangrove-Busch :
Untergrund meist harter Lehm mit mehr oder weniger Kies und Sand
oder Steinen. Seit vielen Jahren zeigte der Strand kaum eine Ände-
rung, die Brandung fraß wohl einmal ein paar Meter Sand heute
weg, gab selben aber nach zwei oder mehr Tagen stets wieder auch
meist am gleichen Platz zurück. Das hat sich seit Mai gründlich
geändert, erst langsam, allmählich aber mit zunehmender Begierde
fraß die Brandung den Strand ab, gleichzeitig natürlich die Düne
überflutend, und an manchen Stellen, wie z. B. in Ocos, unbewohn-
bar machend. In den letzten Tagen vor und während des Zyklons
(23. September) ging es aber dann mit Riesenschritten, so daß an
manchen Stellen bis zu 50 und 60 m, in Salina Cruz bis zu 100
und 150 m Strand weggefressen wurden. Der Grund hierfür ist
natürlich die große Fluthöhe ; solange als diese jahrelang sich gleich
blieb, war alles im Gleichgewichte von dem Augenblicke an aber, wo
durch Eintritt der hohen Fluten das Gleichgewicht gestört war, mußte
so viel vom Strande zum Opfer fallen, als notwendig war, um einen
neuen Gleichgewichtszustand zu finden. Dies scheint nunmehr seit
Anfang Oktober der Fall zu sein, der Strand ist jetzt überall viel
flacher, fällt etwa 1:8 — 1:10, während er früher 1:5 abfiel,
es liegt ihm nunmehr eine Sandbank von durchschnittlich 100 m
Breite vor, welche bei Ebbe beinahe vollständig trocken liegt
Daß diesem Abfressen des Strandes eine Menge Gebäude allent-
halben zum Opfer fielen, ist um so natürlicher, als alle wertvollem
Gebäude in unsem sogenannten Hafenplätzen nach alter Gewohnheit
auf der äußerten Düne stehen, also dem ersten Anpralle des Meeres
ausgesetzt sind. Die größten Verwüstungen sind wohl in Ocos und
Salina Cruz vorgekommen, insbesondere an letzterem Orte, wo der
Zyklon vom 23. September in dem verrufenen Golfe von Tehuantepec
wüst gehaust hat; die neuen Hafenbauten, Magazine und Wohn-
gebäude, Wellenbrecher, Landungssteg, Leuchtfeuer etc., alles fiel
oder wurde von der See verschlungen.
Noch ein paar Worte über Erdbeben: Dasjenige vom 18. April,
Erdbeben. 205
höchstwahrscheinlich ausgelöst durch planetarische (Mond und Sonne)
Attraktion, ist, wie alle die vielen folgenden, ein rein tektonisches,
auf einer Scholle, welche abgesunken ist, auf unserer Vulkanlinie,
und abgebrochen auf einer dieser mehr oder weniger parallelen Linie
etwa 70 Meilen seewärts, dort, wo der seichte Meeresgrund plötz-
lich nach dem tiefen Ozeanbecken abfällt. Sowohl das große Beben
vom 18. April, als alle die vielen folgenden, haben hier, wo die
Richtung sich unverfälscht ohne alle lokale Ablenkung beobachten
läßt, dieselbe Richtung aus SW oder SSW gehabt.
Von Vulkanismus ist absolut keine Rede, an unsern Vulkanen
haben Bergstürze in Masse stattgefunden, aber die wenige vulka-
nische Tätigkeit, wie Fumarolen, heiße Quellen etc., haben absolut
keine Änderung erlitten. Es wird viel von erneuter Tätigkeit des
Vulkans Jzalco (in Salvador) und Golima (in Mexiko) geredet, wird
wohl aber auch damit, in der Nähe besehen, nicht anders sein, als
mit den vielen vollständig unwahren Gerüchten über den Ausbruch
der Vulkane : Tacanä, Tajamulco und Gerro Quemado , alle von hier
aus in Entfernungen von 60 — 80 hm täglich sichtbar.
Das Erdbeben oder die Erdbeben vom 23. und 24. September
waren in jeder Hinsicht total verschieden von denjenigen, welche
zur Serie des 18. April gehören. Es war keüi Stoß mit nachfolgender
scharfer Wellenbewegung, sondern ein langes langsames Wiegen. Das
erste dieser Beben, zugleich das längste und stärkste, war am 23. Sep-
tember 2^ 20°^ nachmittags, dauerte hier 65^, also in Wirklichkeit
wohl bedeutend länger, da Anfang und Ende zufolge unsers Sand-
untergrundes wohl nicht genau beobachtet werden konnten. Die
Empfindung war die eines langsam rollenden Schiffes, man sah die
langen langsamen WeUen auf dem Boden, man sah die Gebäude sich
langsam neigen, kurz es war von dem andern wohl stärker aber
rascher vorbeigehenden Beben total verschieden. Die Richtung dieses
Bebens war SO — ^NW, also mehr oder weniger senkrecht zur Küsten-
linie, und die Auslösung des Bebens war meiner Meinung nach ent-
schieden verursacht durch ein schweres tiefes barometrisches Minimum,
welches über dem Golfe von Tehuantepec oder etwas nördlich davon
lag, und seit dem 22. September mittags, aus Süden kommend, sm
Ocos vorbeiziehend sich seit Mitternacht 22./23. dort befand. Dieses
Minimum muß wie ein Schröpfkopf auf Atmosphäre, Wasser und Erde
gewirkt haben. Was die Verbreitungszone dieses Bebens anbelangt,
so ist selbe von derjenigen des 18. April sehr verschieden: das Haupt-
schüttergebiet des letztem lag von Tapuchulu bis San Salvador und
von der Höhe der Vulkane oder wenige Kilometer nördlich hiervon
bis zur Küstenlinie, also genau die oben beschriebene Scholle, wäh-
rend dasjenige vom 23. September als Zentrum die Gegend von SaUna
Cruz (Golf von Tehuantepec) hatte, es wurde sehr stark gefühlt in
Tonalä, desgleichen in TuxÜa Gutierrez und San Ghstobal, Gomitan,
Huehuetenango und in ganz Guatemala bis zur Hauptstadt Guate-
206 Erdbeben.
mala selbst, beschränkte sich also nicht nur auf die mehrfach
erwähnte Scholle, sondern griff insbesondere auch auf das granitische
Massengebirge von Comitan — Huehuetenango über, wo verhältnis-
mäßig der größte Schaden angerichtet wurde (z. B. Tuxtla Quiterrez
ist zur Hälfte zerstört).
Das Erdbeben im Vogrüande und dem nordwestliehen
Böhmen Im Jahre 1908. Über die Art und Weise, in welcher
diese Bodenerschütterungen auftraten, und ihre vermuteten Ursachen
hat sich Prof. Dr. Diener des nähern ausgesprochen. Er bemerkt,
daß 1875 die Aufmerksamkeit der Geologen zuerst auf diese seis-
mischen Erscheinungen gelenkt worden sind, die sich damals in dem
sächsischen und böhmischen Teile des westlichen Erzgebirges ab-
spielten. Seitdem habe sich das egerländisch-vogtländische Schütter-
gebiet zu einem der tätigsten chronischen Bebenherde in Europa
entwickelt. Es gehöre daneben aber auch zu den am besten bekannten
und in bezug auf ihre Eigentümlichkeiten am gründlichsten studierten
Erdbebengebieten. Von sächsischer Seite liegen über die seismischen
Ereignisse im westlichen Erzgebirge innerhalb der letzten 6 Jahre
mehrere zusammenfassende Darstellungen von Prof. H. Gredner, dem
Direktor der Geologischen Landesanstalt in Leipzig, vor, während von
Seite österreichischer Forscher diese Erdbeben durch Becke, Uhlig
und Enett in den Berichten der Erdbebenkommission der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften eine monographische Bearbeitung ge-
funden haben.
Die Erdbeben des egerländisch-vogtländischen Gebietes treten
hiemach in der Regel als Schwarmbeben auf. Das bemerkenswerteste
dieser Schwarmbeben spielte sich im Oktober und November 1897
ab. Vom 24. Oktober bis zum 25. November wurden in Graslitz
197 Stöße verzeichnet Nur 2 Tage, der 21. und der 22. November,
blieben erdbebenfrei. Auf diesen durch die große Zahl und Stärke
der einzelnen Stöße, sowie durch eine lange Dauer bis dahin im
sächsisch-böhmischen Schüttergebiete einzig dastehenden Erdbeben-
schwarm folgte eine zweieinhalb jährige, nur durch vereinzelt schwache
Stöße von ausnahmslos lokaler Natur unterbrochene Ruhe. Im
Juli und August 1900 begannen neue seismische Erscheinungen,
die jenen des Jahres 1897 durchaus ähnlich waren. Sie wurden
in den ersten Tagen des Juli in der Gegend von Graslitz und Bram-
bach mit schwachen Erschütterungen wahrgenommen, die an Stärke
bis zum 7. Juli zunahmen und dann allmählich auszuklingen
schienen. Eine Ruhepause von 7 Tagen bezeichnete das Ende dieses
1. Erdbebenschwarmes. Am 17. Juli begann eine 2. Erdbebenperiode,
die am 25. Juli ihre größte Schütterstärke in 2 Hauptstößen erreichte
und mit abnehmbarer Intensität bis zum 21. August anhielt Schon
im Mai und Juni 1901 wurde das westliche Erzgebirge zum dritten
Male innerhalb eines fünfjährigen Zeitraumes der Schauplatz einer
Erdbeben. 207
sich über mehrere Wochen erstreckenden seismischen Unruhe, die am
8. Mai anhob und sich mit Einschluß einer achttägigen Ruhepause
(12. — 19. Mai) bis zum 28. Juni erstreckte. Auch im Juli und August
erfolgten noch Stöße, die von Enett in ihrer Gesamtheit ebenfalls
als ein, wenn auch lockerer Schwärm aufgefaßt werden.
Sehr interessant ist, wie Prof. Diener hervorhebt, bei diesen
Erdbebenschwärmen die auffallende Verteilung der Stoßpunkte auf
bestimmte Zonen innerhalb des erschütterten Gebietes. »Wenn die
Erdbeben des westlichen Erzgebirges einen tektonischen Charakter
besitzen, das heißt, wenn wir sie uns entstanden denken wollen
durch Krustenbewegungen an Dislokationen oder Störungslinien im
Bau des Felsgerüstes, so müssen wir unter den Erdbeben solcher
lange andauernden Schwarmperioden gerade derartige in großer Zahl
erwarten, die durch Bewegungen in der Erdkruste an derselben
Störungslinie entstanden, jedesmal dieselben in der Nähe befindlichen
Ortschaften erschüttern. Solche bestimmte, wohl abgegrenzte Schütter-
zonen sind in dem egerländisch-vogtländischen Bebengebiete in der
Tat vorhanden. Sie ordnen sich in zwei quer auf das Hauptstreichen
des Erzgebirges gerichtete NNW — SSO verlaufende Zonen an. Das
Zentrum der östlichen Schütterzone ist Graslitz, jenes der westlichen
die Gegend zwischen Brambach-Fleißen und Asch. Die Längsachse
des Gebietes stärkster Erschütterung überschreitet in keiner dieser
beiden Regionen 20 /cm, was auf eine geringe Tiefe des eigentlichen
Erdbebenherdes schließen läßt. Beide Schütterzonen sind bis zu
einem gewissen Grade selbständig. In jeder derselben haben sich
zahlreiche Erschütterungen abgespielt, die keinen nachweisbaren Ein-
fluß auf das benachbarte Gebiet ausgeübt haben. Es ist aber auch
eine andere, sehr eigentümliche Art der seismischen Betätigung beider
Herde nachweisbar, indem sich in denselben häufig gleichzeitige Stöße
ereignet haben, deren Verbreitungsgebiete durch eine zwischen beiden
Herden eingeschaltete neutrale Zone geschieden werden. Bei den
Erdbebenschwärmen der Jahre 1897 und 1900 wurden wiederholt
in der Schütterregion von Brambach Erdbeben verzeichnet, die in
Graslitz ebenfalls wahrgenommen wurden, nicht aber in den da-
zwischen liegenden Stationen. Ebenso verblieb bei Erschütterungen,
die in Graslitz ihren Ausgang nahmen und in Brambach gefühlt
wurden, die Zwischenzone von Schönbach als eine erdbebenfreie
Brücke in vollständiger Ruhe. Uhlig deutet solche, in beiden Schütter-
zonen gleichzeitig auftretende, durch die Brücke von Schönbach
unterbrochene Stöße als Relaisbeben, indem von dem einen Herde
ausgehende seismische Bewegungen solche in dem andern Herde
auslösten.
Die Beziehungen der transversalen Schütterzonen zum Baue des
westlichen Erzgebirges sind unverkennbar. Eine ganze Reihe der
wichtigsten Gebirgsstörungen folgt der gleichen, quer auf das Haupt-
streichen des Gebirges sich erstreckenden Richtung. Die Lage solcher
208 Erdbeben.
Transversalstörungen wird bezeichnet durch die großen, das Erz-
gebirge gangförmig durchsetzenden Eruptivmassen, wie der Granii-
masse von Neudeck und der Porphyrzüge von EQostergrab und Graupen,
femer durch die Quarzgange oder Pfähle, die im westlichen Erzgebirge
und im Karlsbader Gebirge so häufig sind. Die Westhälfte des Erz-
gebirges ist ausgezeichnet durch das Auftreten zahlreicher Quarz-
gänge, die oft wie mit dem Lineale gezogen fast geradlinig die ver-
schiedenen archäischen Schichten durchsetzen. Manchmal haben sie
eine Mächtigkeit bis zu mehrem Metern und ragen als sogenannte
Teufelsmauem aus dem stärker abgewitterten Gesteine ihrer Um-
gebung wie Mauern heraus. Sie sind die Ausfüllung von Gang-
spalten und als solche die Denkmale großer linearer Dislokationen,
die das Gebirge quer auf seine Streichrichtung betroffen haben. Der
größte dieser Quarzgänge beginnt unweit Asch, zieht gegen Südosten
quer durch den Granit und Glimmerschiefer des Fichtelgebirges, dann
durch das Westende des Erzgebirges nördlich von Eger, verschwindet
unter den jungem Ausfüllungsmassen des Egerer Beckens, taucht
wieder auf bei Sandau im Karlsbader Gebirge und endet bei Königs-
waxt, 40 km von seinem nordwestlichen Endpunkte. Dem Streichen
dieser Quarzgänge entspricht der Verlauf der Schütterzonen des west-
lichen Erzgebirges.«*
Auch auf die Nähe jungvulkanischer Bildungen im Egerer Becken,
so der beiden Eraptionspunkte des Kammerbühls und des Eisenbühls
und der Kohlensäureezhalationen des Franzensbader Moors weist
Prof. Diener kurz hin.
»Bei dem Erdbebenschwarme des Jahres 1897 in Graslitzc,
sagt er weiter, »machte sich eine auffallende Periodizität der Stöße be-
merkbar, indem dieselben zumeist auf die Morgen- und Abendstunden,
seltener auf Zwischenstunden fielen. Eine Beeinflussung der Stoß-
häufigkeit durch die Stellung von Sonne und Mond nach Art der
Gezeiten im Sinne der Hypothesen von Perrey und Falb ließ sich
aber nicht nachweisen. Ebensowenig war ein Einfluß des Luftdruckes
auf die seismischen Erscheinungen zu erkennen. Während der Erd-
bebenperiode des Jahres 1900 traten Schallphänomene in sehr aus-
geprägter Weise hervor. Unterirdisches Rollen, auch ohne von wahr-
nehmbaren Erschütterungen begleitet zu sein, wurde außerordentlich
häufig beobachtet.
Mit dem Eintritte einer jeden der drei erwähnten Erdbeben-
perioden in dem egerländisch-vogtländischen Schüttergebiete sind
Befürchtungen über eine Einwirkung der Erdstöße auf die warmen
Quellen der Thermaizone am Südfuße des Erzgebirges ausgesprochen
worden. Diese Befürchtungen haben sich bisher als unbegründet
erwiesen und dürften nach Prof. Diener auch femer ohne Grund
bleiben. Im Jahre 1897 hat Knett an den Thermen von Karlsbad
sehr sorgfältige tägliche Temperatur- und Quantitätsmessungen vor-
genommen. Aus seinen Beobachtungen geht hervor, daß die Erd-
Erdbeben. 209
bebenschwanne des Oktober und November weder auf die Ergiebigkeit,
noch auf die Temperatur der Karlsbader Thermen den geringsten
Einfluß gezeigt haben. Ebensowenig hat sich ein solcher Einfluß
bei den Erdbebenschwärmen der folgenden Jahre nachweisen lassen.
Die Berichte aus Franzensbad, Marienbad und Konigswart lauten
ebenfalls durchaus negativ. Die volle Unabhängigkeit aller dieser
Quellen von den egerlandisch-vogUändischen Erdbeben, sagt Prof.
Diener, erscheint durch zahlreiche genaue Beobachtungen erwiesen.
Ober die Natur der BodeDbewegrongreii in grofien Ent-
fernungren von dem Erdbebenherde verbreitete sich Prof. Milne.^)
Er kommt zu dem Ergebnis, daß die von einem Fembeben stam-
menden langen Wellen, seien sie Oberflächen* oder Massenwellen,
die Horizontalpendel eher durch horizontale Bodenbewegung als durch
eine Bodenneigung in Schwingung versetzen. Blilne stützt den Schluß
auf folgende Wahrnehmungen:
1. Die E[linometer konnten bis jetzt eine Bodenneigung nicht
nachweisen.
2. Wenn wir annehmen, daß die Diagramme der Horizontal-
pendel die Grröße der Bodenneigung in Winkelmaß angeben, und wir
aus der Periode der Wellen, die diese Bodenneigung verursachen,
und aus der Qeschwindij^eit, mit welcher diese Wellen fortschreiten
— bei Annahme von einfacher harmonischer Bewegung — , deren
Länge berechnen wollen, so haben wir alle Elemente zur Ermittlung
der Wellenhöhe. Nun sind häufig die Höhen gleich ein oder zwei
Fuß und stellen anscheinend ein Fünfzigstel der Beschleunigung der
Schwerkraft dar. Die Größe dieses Maßes ist hinreichend, um den
Verdacht aufkommen zu lassen, daß das den langen Wellen bis jetzt
zugeschriebene Winkelmaß übertrieben hoch gehalten ist.
3. Der unbedeutende Nachweis einer Vertikalverschiebung auf
Grund der Experimente.
4. Die Wahrnehmung Dr. F. Omoris, daß die Amplitude nicht
abhängig ist von der Empfindlichkeit der Seismographen für Boden-
neigungen, daß die Bewegungserscheinungen von Fembeben eher auf
transversale Horizontalverschiebung als auf undulatorische Wellen-
arten schließen lassen.
5. Die wenigen und unbedeutenden Diagramme, die von Pendeln
nach dem Zweifadensysteme erhalten worden sind.
Von Wahrnehmungen, die aber das Gegenteil bekräftigen, daß
nämlich die Oberflächenwellen undulatorische Wellen wären, führt
Milne folgende an:
1. Undulatorische Oberflächenwellen treten in der innersten
Schütterzone auf; solche sind aus der Bewegung des Wassers in
Teichen und Seen, aus der Bewegung der Blasen in Wasserwagen,
^) Nature 1902 p. 202; Erdbebenwarte 2. p. 201.
Klein, Jahrbuch XIV. 14
210 Erdbeben.
aus der scheinbaren Bewegung der Sterne im Beobachtungsfelde der
Teleskope und aus andern Erscheinungen, die viele Hunderte von
Meilen außerhalb der innem Schütterzone nachgewiesen worden sind.
2. Die beinahe konstante Fortpflanzungsgeschwindigkeit, die bei
den langen Wellen ermittelt worden ist
3. Die Beobachtungen, die nachweisen, daß die Größe des
Seismogrammes abhängig ist von dessen Empfindlichkeit für Boden-
neigungen.
Dieser Schluß widerspricht scheinbar jenem des Dr. Omori.
4. Spuren einer vertikalen Bewegung, die von Müne nachge-
wiesen wurde.
Im Hinblicke auf diese letztem Bemerkungen scheint es nahe-
liegend, den Schluß zu ziehen, daß die langen Wellen einen gewissen
undulatorischen Charakter haben, daß aber die vorausgesetzte Boden-
neigung nicht von dem Ausmaße ist, wie sie gewöhnlich angenommen
wird. In diesem Sinne will Milne die oben angezogene Ansicht er-
gänzt wissen. In den Diagrammen der Fernbeben sind zumindest
zwei, wahrscheinlich 3 Bewegungsarten enthalten. Wie und auf
welche Weise dieselben auj^ezeichnet werden, hängt ganz vom
Charakter des Instrumentes ab, durch welches die Aufzeichnung er-
folgt Unter der Annahme, daß die Vorphase Druckwellen (Com-
pressions) darstellt, welche ihren Weg durch die Erde genommen
haben, dürfte bei einem gewöhnlichen, langperiodischen Horizontal-
pendel die Aufzeichnung der Vorphase durch eine Kreiselbewegung
von geringer Amplitude hervorgerufen sein. Die langen Wellen hin-
gegen, von denen man annimmt, daß sie als seichte Undulations-
wellen um die Erde in oder unterhalb der Rinde derselben ziehen,
zeichnen sich als weiterlaufende Verschiebungen, die als vergrößerte
Folgeerscheinungen von außerordentlich kleinen Bodenneigungen zu
betrachten sind. Ein Instrument von sehr kurzer Periode und starker
Vergrößerung wird für die gleiche Störung ein Bild au&eichnen, bei
welchem die einleitende Vorphasenbewegung auffallend groß ausfallen
wird, hingegen werden die langen Wellen ungemein klein sein oder
ganz fehlen.
ErdbebenheFdllnien. Bereits früher^) hat E. G. Harboe sich
bemüht, die Unhaltbarkeit der bisherigen Anschauung von einer
zentralen Ausbildung der großen Erdbeben, soweit die Erderschütte*
Hingen von einem einzigen Punkte, dem Epizentrum, ausgehen, be-
sonders mittels der Zeitangaben nachzuweisen. Daselbst wurde
deshalb als nächster Schritt der Übergang zur Annahme vorgeschlagen,
daß die Erschütterungen von Linien auf der Erdoberfläche, Erdbeben-
herdlinien, oder besser von senkrechten Flächen durch diese Linien
ausgegangen seien, und in betreff mehrerer Erdbeben ist nachgewiesen,
^) Vgl. dieses Jahrbuch 12. p. 244.
Erdbeben. 211
daß die Zeitangaben für dieselben sich sehr wohl in Übereinstimmung
mit dieser Annahme bringen lassen. Selbstverständlich muß daher
für jedes Erdbeben für sich ermittelt werden, auf welche Weise es
entstanden ist und sich ausgebreitet hat Der Umstand aber, daß
die Annahme der genannten, linearen Ausbildungsweise sich nun schon
für einander so fem gelegene Gegenden wie Japan, Vorderindien,
Osterreich -Ungarn, die Schweiz und Nordamerika als die annehm-
barste erwiesen hat, macht ihre große Anwendbarkeit sehr wahr-
scheinlich.
Von Harboe wurde femer die Möglichkeit einer Anwendung der
Isoseismen zum Einzeichnen der Herdlinien in Aussicht gestellt, spätere
Untersuchungen haben ihn indessen erkennen lassen, wie wenig tun-
lich dies ist, wenn man nicht nur die Hauptzüge, sondem auch die
Einzelheiten des Laufes der Isoseismen berücksichtigen will.
Die Hauptbedingung für die Anwendbarkeit des Verfahrens im
pleistoseisten Gebiete dürfte darin bestehen, daß die obersten Erd-
schichten in diesem Gebiete eine große Gleichartigkeit besitzen, und
die anscheinende Anwendbarkeit desselben beim Charlestoner Erd-
beben dürfte eben daher rühren, daß die Erdoberfläche durch das
ganze pleistoseiste Gebiet dieses Erdbebens hindurch und noch weiter
über dasselbe hinaus von mächtigen lockern Erdschichten gebildet
ist Außer den Wirkungen der Erschütterungen finden sich indessen
im pleistoseisten Gebiete bisweilen Spuren von Bewegungen, welche
nicht als Wirkungen der Erschütterungen betrachtet werden können,
dagegen aber eine tiefere Bedeutung haben und deshalb sehr zu-
verlässigen Aufschluß über die Lage der entsprechenden Herdlinien im
genannten Gebiete geben müssen. Hiermit sind besonders die großen
Bruchlinien in der Erde gemeint, welche bisweilen bei Erdbeben ent-
stehen und dann oft als die Ursache des betreffenden Erdbebens
betrachtet wurden. Übereinstimmung zwischen den gefundenen Herd-
linien imd den Terrainformen leitete Verfasser früher zur Vermutung,
daß die Herdlinien sowohl des Gharlestoner Erdbebens am 31. August
1886, des indischen Erdbebens am 12. Juni 1897, des Agramer Erd-
bebens am 9. November 1880 als auch die des piemontesisch- west-
schweizerischen Erdbebens am 20. Januar 1891 Zerbrechungen der
Erdrinde wegen Krümmung derselben über die Elastizitätsgrenze hinaus
angäben. Weiter deuteten die nähern Umstände beim Agramer Erd-
beben darauf, daß dieses Erdbeben durch eine Senkung der Erdrinde
in den betreffenden Gegenden vei'ursacht sei. Denmach liegt Ver-
anlassung zur Untersuchung vor, welche Verhältnisse sich überhaupt
bei Erdbeben geltend machen müssen, wenn dieselben durch lang-
same Niveauverändemngen der Erdrinde vemrsacht sind.
Hiermit beschäftigt sich Harboe in einer zweiten Studie.^) Er
kommt zu der Anschauung, daß man dann die Erdbeben in 2 Haupt-
^) Gerland, Beiträge zur Geophysik 1908. 6. p. 909.
14*
212 Brdbeben.
gruppen trennen muß, nämlich in »Hebungsbeben«, d. h. solche, die
durch mehr oder weniger örtliche Hebungen verursacht werden, und
in »Senkungsbebenc, d. h. solche, die durch mehr oder weniger ört-
liche Senkungen verursacht werden.
Bezeichnet man Krümmungen mit aufwärts gerichteter Kon-
vexität als positiv, solche mit aufwärts gerichteter Konkavität als
negativ, so entstehen, wenn die Hebung oder Senkung einer Fläche
bis zu einem gewissen Grade getrieben worden ist, »negative Brucfa-
linienc längs der negativen und »positive Bruchlinien« längs der
positiven Krümmungen.
Aus dieser allgemeinen Betrachtung geht also erstens hervor,
daß man bei Erdbeben positive und negative Herdlinien voneinander
unterscheiden muß, weil die Herdlinien für die Erdrinde die erwähnten
Bruchlinien werden. Die erstem können in der Erdobeifläche als
mehr oder weniger hervortretende Berstungslinien und die letztem
als mehr oder weniger hervortretende Zerquetschungslinien erkennbar
sein. Sie können aber auch in der Erdoberfläche ganz unsichtbar
sein. Die Zerquetschungen oder Berstungen finden sich in solchen
Fällen entweder an der innem Seite der Erdrinde oder in den tiefem
Schichten derselben. Selbst in den Fällen, wo die Herdlinien eigent-
lich in der Erdoberfläche erkennbar sein sollten, können sie jedoch
oft von den dickem oder dünnern Erdschichten, welche ja meistens
die eigentliche Erdoberfläche bilden, ganz verborgen werden, zu welcher
der beiden Arten sie auch gehören mögen.
Verfasser führt eine Reihe von Beispielen an, die als positive
und negative Erdbebenherdlinien gelten müssen. Er zeigt darin, daß
die Herdlinien eines Erdbebens sich in 2 Gruppen ordnen müssen,
indem die einen radiär vom pleistoseisten Gebiete ausgehen und des-
halb passend die »radiären Herdlinien« genannt werden können, die
andern aber dasselbe Gebiet umkreisen, weshalb man sie »periphe-
rische Herdlinien« nennen kann.
Eine sichere Auffassung des Charakters eines Erdbebens erhält
man erst mittels der Beschaffenheit der Herdlinien, wo diese mit
hinlänglicher Sicherheit beurteilt werden kann. Aus der Betrachtung
über die Verhältnisse beim Krümmen einer beliebigen Platte geht
hervor, daß die radiären Herdlinien bei Hebungsbeben hauptsächlich
positiv, die Senkungsbeben dagegen negativ, die peripherischen um-
gekehrt bei Hebungsbeben hauptsächlich negativ, bei Senkungsbeben
positiv sein müssen. Die beiden indischen Erdbeben am 16. Juni 1819
und am 12. Juni 1897, die beiden griechischen am 26. Dezember 1861
und am 15. April 1894, das Riku-U-Beben, das Shonaibeben und das
Mino-Owaribeben und wahrscheinlich auch das neuseeländische Erd-
beben 1855 werden sämtlich Senkungsbeben gewesen sein, dagegen
werden das kalabresische Erdbeben am 5. Februar 1783 und, weil
das kalabresische Erdbeben am 16. November 1894, wie es von
Erdbeben. 213
A. Riccö DAchgewieseü ist, ^) eine vollständige, wenn auch etwas ge-
schwächte Wiederholung desjenigen von 1783 war, auch dieses Erd-
beben Hebungsbeben gewesen sein.
Vulkanausbrüche und sekundäre vulkanische Erscheinungen müssen
an die positiven Herdlinien geknüpft sein, während die negativen
Krümmungen der Erdrinde dieselben unterdrücken müssen. Harboe
betrachtet diese Verhältnisse an der Hand vieler Beispiele näher und
stellt die Verbindung der Erdbeben mit den jetzt vorgehenden
Niveauveränderungen dar. Erschütterungen der Erdrinde können
indessen auch vielfach auf andere Weise als durch Niveauverände-
rungen hervorgerufen werden. Der Reichtum an Spalten in einer
verhältnismäßig sehr geringen Tiefe unter der Erdoberfläche, auf
welchem die Diamantbrunnen N. A. E. Nordenskjölds ^ basiert sind,
könnte z. B. für das Entstehen von Erdbeben durch Bewegungen
allein in den obersten Schichten der Erdrinde sprechen, welche durch
Temperaturveränderungen usw. verursacht wären. Erdbeben, welche
auf diese und auf andere denkbare Weise verursacht werden, sind
nach Harboe wohl nur unbedeutend im Vergleiche mit denjenigen,
welche durch Niveauveränderungen erzeugt werden. Verwechslungen
können jedoch keineswegs als ausgeschlossen betrachtet werden, wenn
man nur die Größe des Erdbebens berücksichtigt Die Herdlinien-
theorie möge nun entweder gar nicht oder nur in mehr oder weniger
geänderter Q«stalt auf diese andern Erdbebenursachen anwendbar
sein, so wird es doch sehr wahrscheinlich, daß sie ein wertvolles
Hilfsmittel abgeben wird, um die verschiedenen Erdbebenursachen
voneinander zu unterscheiden.
Die ersten Resultate der Beobachtungen am Pendel-
seismographen im Pribramer Bergwerke. Die Kaiserliche
Akademie der Wissenschaften in Wien hat veranlaßt, daß in zwei
verschiedenen Tiefen des Pribramer Bergwerkes Seismographen auf-
gestellt worden sind. Einen Bericht über diese und die ersten Ergeb-
nisse der Aufzeichnungen hat Dr. Hans Benndorf der Wiener Akademie
eingesandt, und teilt der Akademische Anzeiger daraus f olgendeff mit :
Die jüngst erfolgte Aufstellung zweier Seismographen in einer
nicht unerheblichen Vertikaldistanz an ein und demselben Orte darf
insofern als ein Fortschritt in der praktischen Seismik angesehen
werden, als damit überhaupt zum ersten Male der Versuch gemacht
wird, Aufschluß über die bei Erdbeben eintretenden Verschiebungen
im Innern der äußersten Erdrinde zu erhalten.
Bei der Auswahl der Apparate entschied man sich, da photo-
graphische Registrierung aus praktischen Gründen ausgeschlossen
war, für den Wiechertschen 1200 kg schweren Pendelseismographen.
^) Rendioonti della R. Accademia dei Lincei 1899. &•
^ Compt. rend. 1895. 120.
214 Erdbeben.
Es gelangten zwei im Wesen identische Apparate zur Aufstellung;
sie unterscheiden sich nur dadurch, daß der eine für dreitägige, der
andere für eintägige Registrierung eingerichtet ist
Die Montierung der Apparate, sowie die Einrichtung der ganzen
Station war mit mannigfachen, zum Teile unerwarteten Schwierig-
keiten verknüpft, so daß die Arbeit sich über ein Vierteljahr aus-
dehnte. Die Durchführung ist überhaupt nur möglich gewesen durch
die ausgiebige Unterstützung von selten der k. k. Bergdirektion in
Pribram.
Was zunächst den Aufstellungsort der Pendel anlangt, so ist
der oberirdische auf einer Anhöhe des Bickenberges , etwa 100 m
östlich vom Adalbertschachte des Pribramer Bergwerkes in einem
eigens erbauten steinernen Häuschen untergebracht. Das Instrument
steht auf einem Steinpfeiler, der auf dem 4 m unter der Erdober-
fläche anstehenden Felsen fundiert ist. In diesem Häuschen befindet
sich zugleich die Uhr, welche die Eontakte für die hintereinander
geschalteten Zeitmarkierungsvorrichtimgen beider Pendel liefert, die
verschiedenen Batterien und eine Telegraphenstation, mittels welcher
in späterer Zeit ein direktes Zeitsignal von der Wiener Sternwarte
zur Kontrolle der Uhr übermittelt werden soll. Auch die Fixierungs-
vorrichtung für die berußten Streifen ist im Häuschen untergebracht.
Die elektrische Verbindung der Magnete der Zeitmarkierer beider
Pendel ist durch 2 Kupferdrähte von je 2 qmm Querschnitt her-
gestellt und hat eine Länge von ca. 2600 m. Die Leitung geht vom
Pendelraume als Luftleitung zum Adalbertschachte ; im Schachte selbst
sind die Kupferdrälite durch Blei- und Eisenmäntel vor zerstörenden
Einflüssen geschützt Vom Grunde des Schachtes aus laufen die Drähte
in einfacher Quttaperchaumhüllung weiter bis zum 2. Instrumente.
Der obertags aufgestellte Apparat ist so justiert, daß die Periode
der Eigenschwingung etwa 18 Sek., die Vergrößerung 250 fach und
das Dämpfungsverhältnis 5 ist
Die Bedingungen für das Funktionieren des Seismographen sind
keine besonders günstigen; erstens bewirken die unvermeidlichen
Temperaturschwankungen ein dauerndes, sehr langsames Hin- und
Herwandem der Zeiger, das vom Beobachter täglich durch Aus-
balanzieren des Pendels mittels kleiner Gewichte ausgeglichen werden
muß; zweitens bewirken die Maschinen der Erzaufbereitung, die etwa
200 — 300 m entfernt ist, in den Tagesstunden ein fortdauerndes
Erzittern des Erdbodens, das fortdauernde Ausschläge des Instru-
mentes mit Amplituden von 2 mm und einer Periode von 8 — 9 Sek.
zur Folge hat
Außerdem werden durch das Wasch- und Quetschwerk sehr
rasche Erschütterungen des Bodens hervorgerufen, die an einer Ver-
breiterung der Kurven des Seismographen während der Tagesstunden
erkenntlich sind. Die Nachtstunden und die Mittagsstunde sind
störungsfrei.
Erdbeben. 215
Der Apparat registriert seit 1. Februar 1903; es liegen bis jetzt
Diagramme bis zum 7. März vor.
Das unterirdische Seismometer ist in einer eigens ausgesprengten
und ausgemauerten Kammer untergebracht; auf dem untersten Hori-
zonte des Pribramer Bergwerkes führt vom Adalbertschachte ein blind
endender Querschlag nach Osten ; etwa 200 m vom Schachte entfernt
ist von dem Querschlage ein 20 m langer Gang nach Süden zu
getrieben, der zu dem Pendelarme führt Das untere Instrument steht
etwa 1115m unterhalb und 50 m östlich von dem oberirdischen.
Die Qesteinsmasse zwischen beiden Pendeln ist Grauwacke und nicht
durch Erz führende Gänge unterbrochen,
Außer dem Seismographen, der vorläufig etwas geringere Empfind-
lichkeit besitzt als die obere, ist in der Kammer noch der Fixierungs-
apparat für die Diagramme aufgestellt.
Von der Feuchtigkeit abgesehen, die übrigens durch ausgiebige
Ghlorkalziumtrocknung bereits auf ein unschädliches Maß herabgedrückt
ist, sind die Funktionsbedingungen des untern Pendels sehr günstige
infolge der konstanten Temperatur (28^0.); auch hat sich die Be-
fürchtung, daß die Dynamitsprengschüsse im Bergwerke stören würden,
nicht erfüllt. Wohl infolge der kurzen Dauer und kurzen Periode
der durch die Schüsse ausgelösten Erschütterungen wurden sie vom
Apparate nicht aufgezeichnet.
Der unterirdische Seismograph registriert mit Zeitmarkierung
seit dem 24. Februar; Diagramme liegen bis zum 6. März vor.
Trotzdem die gleichzeitige Registrierung beider Pendel kaum
14 Tage läuft, läßt sich bereits eine Reihe interessanter Tatsachen
erkennen, die im folgenden kurz erwähnt werden mögen.
Die Zeitangaben beziehen sich auf mitteleuropäische Zeit und
können bis auf eine Minute falsch sein, da die Uhr nur durch das
ziemlich ungenaue Mittagszeichen der Zweigbahn Protivin-Zditz kon-
trolliert werden konnte.
I. Mikroseismische Bewegungen (Pulsationen). Vom 24. Februar
bis 6. März sind täglich an beiden Pendeln fortdauernde Pulsationen
zu beobachten, die an einzelnen Tagen besonders stark wurden
(25. Februar, 2. März).
Der untere Apparat zeigt entschieden schwächere Bewegungen
an als der obere. Lokale Stürme sind ohne Einfluß auf die Pul-
saüonen.
n. Fembeben. Es gelangten an beiden Apparaten eine Reihe
von Fembeben zur Registrierung, von denen das größte am 26. Februar.
Die Entfemung des Epizentrums dürfte nach Dr. Benndorf etwa
4000 km betragen. Das Beben begann am 26. Febmar um 14^ 7 '^
und dauerte etwa bis 16^ 10™. Vorbeben, Hauptbeben und Nach-
beben lassen sich etwa durch die Zeiten 14^7™, 15^ 12™, 15^*
25™, 16*» 10™ abgrenzen.
216 Brdbeben.
Vergleicht man die Kurven des Bebens am obern und untern
Apparate, so ergibt sich das interessante Resultat, daß sie in allen
Details genau miteinander übereinstimmen mit dem einzigen Unter-
schiede, daß die Amplituden unten etwas kleiner sind; ob dies auf
die geringere Empfindlichkeit des untern Pendels allein zurück-
geführt werden kann, können nur sorgfältige Ausmessungen der Kurven,
die viel Zeit in Anspruch nehmen, ergeben.
Auf jeden Fall ist diese Übereinstimmung der Diagramme ein
Zeichen für die staunenswerte Präzision, mit der die Apparate arbeiten,
und zugleich, was besonders wichtig erscheint, der erste Beweis da-
für, daß wirklich beträchtliche Massen des Erdbodens gleichmäßig
in Bewegung begriffen sind. Auch die andern Fembeben, die be-
deutend kürzer sind, geben beide Pendel identisch wieder.
III. Nahebeben. Es ist erwähnenswert, daß die Instrumente von
den nordböhmischen Erdbeben fast nichts erkennen lassen. Nur mit
der Lupe gelang es Dr. Benndorf, am 4. März um 13^^ 50°^ und am
T.März um 19^ 22™ charakteristische Verbreiterungen der Kurven
aufzufinden, die Nahebeben ihren Ursprung verdanken; sie wurden
von beiden Pendeln zur gleichen Zeit aufgezeichnet, und da die ganze
Verbreiterung nur etwa 1 mm lang und 0.3 mm breit ist, läßt sich
über das Intensitätsverhältnis nichts aussagen.
Die mikroselsmisehe Pendelunruhe und ihr Zusammen-
hang mit Wind und Luftdruck behandelt E. Mazelle.^) Die kon-
tinuierlichen Aufzeichnungen eines photographisch registrierenden
Rebeur-Ehlertschen Horizontalpendels, welches an der seismischen
Station der Akademie der Wissenschaften am k. k. astronomisch-
meteorologischen Observatorium in Triest aufgestellt ist, wurden
herangezogen, um außer der täglichen Periode der mikroseismischen
Pendelbewegung auch den eventuellen Zusammenhang dieser schwachen
Bodenoszillationen mit dem Winde und Luftdrucke festzustellen.
Nachstehend werden in knapp gefaßter Form die wichtigsten
Ergebnisse dieser Untersuchungen mitgeteilt:
1. Die mikroseismische Pendelunruhe zeigt eine ausgesprochene
jährliche Periode, das Maximum im Winter, fast gänzliches Fehlen
im Sommer.
2. Die tägliche Periode zeigt eine einfache Schwankung; das
Maximum ist vormittags zwischen 9 und 10 Uhr zu bemerken, das
Minimum am Abende zwischen 9 und 10 Uhr.
Wird dieser Gang durch Sinusreihen dargestellt, so zeigt das größere
erste Glied (ganztägige Periode) eine volle Obereinstimmung der Phasen-
zeit mit jener für die stürmische Bora in Triest berechneten Sinusreihe.
8. Die Pendelunruhe kommt im allgemeinen sowohl an Tagen
mit hohem, als mit tiefem lokalen Barometerstande vor; Tage ohne
Pendelanruhe sind jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit bei hohem
>) Anzeiger der Wiener Akademie 1908. 2. p. 10.
JSrdbeben. 217
Luftdrücke zu beobachten. Besonders ausgeprägte Pendelunruhe zeigt
sich mit einer etwas großem Wahrscheinlichkeit mit niederm Luft-
drucke verbunden.
4. Ein direkter Zusammenhang mit der im Orte herrschenden
Windstärke läßt sich nicht nachweisen ; es kann nur hervorgehoben
werden, daß starke Winde häufiger mit starker Pendelunruhe ver-
bunden auftreten. An Tagen mit äußerst schwacher Pendelbewegung
sind kleine Windgeschwindigkeiten vorherrschend.
5. Sowohl für die Tage mit Pendelunruhe als auch für die ohne
mikroseismische Bewegung wurden die Lage und Bewegungsrichtung
der Zyklonen und Antizyklonen über Europa aufgesucht. Es ergibt
sich, daß bei beiden Typen gut ausgeprägte barometrische Maxima
oder Bünima vorzufinden sind. Nur bei 2^/^ sämtlicher Tage mit
Pendelunruhe kommt keine besonders ausgeprägte Zyklone oder Anti-
zyklone vor, während solche an den Tagen ohne Pendelunruhe auch
nur bei 8 von 100 Beobachtungen fehlen. Bei einer weitem Trennung
der Fälle läßt sich auch kein Unterschied in der Luftdruckverteilung
nachweisen, im Gegenteil eine ganz auffällige Übereinstimmung bei
beiden Typen. So finden sich z. B. Antizyklonen mit einem Baro-
meterstande von 770 mm oder darüber mit einer Wahrscheinlichkeit
von 0.75 an den Tagen mit Pendelunruhe und mit einer Wahrschein-
lichkeit von 0.76 bei Pendelrahe. Für das gleichzeitige Auftreten
von barometrischen Maxima und Minima läßt sich eine Wahrschein-
lichkeit von 0.46 und 0.47 bei beiden Typen, Pendelunruhe und
Pendelruhe nachweisen. Nur für das Vorkommen einer starken Zyklone,
mit einem Barometerstande von 745 mm oder darunter, über Europa
ist die Wahrscheinlichkeit an den Tagen mit Pendelunruhe etwas
größer als an den mikroseismisch rahigen Tagen, 0.23 gegen 0.17.
Wenn die Extreme des Luftdrackes über Europa untersucht werden,
so zeigt sich, daß der außerordentlich hohe Luftdrack vorwiegender
an den Tagen ohne Pendelunruhe zu finden ist, die am stärksten
ausgebildeten barometrischen Depressionen hingegen an Tagen mit
mikroseismischer Bewegung; allerdings ist der resultierende Unter-
schied sehr klein, im ersten Falle 10 gegen 17^/^, im zweiten 31 gegen 25.
Werden die Luftdrackdifferenzen in Rechnung gezogen, so ergibt
sich, daß bei kleinem Luftdruckunterschieden die Wahrscheinlichkeit
für das Eintreffen von mikroseismisch ruhigen Tagen größer wird,
bei den großem Luftdrackdifferenzen hingegen die Wahrscheinlichkeit
für die mikroseismisch bewegten Tage zunimmt
Aus der Untersuchung der Lage der Zyklonen und Antizyklonen
läßt sich hervorheben, daß die Lage der barometrischen Maxima an
mikroseismisch ruhigen Tagen annähemd dieselbe ist, wie an mikro-
seismisch bewegten Tagen, nur die Luftdrackminima würden an
mikroseismisch bewegten Tagen mit größerer Wahrscheinlichkeit im
W, SW und S Europas vorzufinden sein, während eine nordöstliche
Lage der Minima eher an den Tagen mit Pendelrahe zu bemerken wäre.
218 BrdbebeiL
6. Um einen eventuellen Zusammenhang zwischen der Meeres-
bewegung und der mikroseismischen Pendelunruhe nachweisen zu
können, wurde für 12 Orte der österreichischen Küste der Seezustand
herangezogen. Es zeigt sich, daß sowohl an mikroseismisch ruhigen
als an mikroseismisch bewegten Tagen glatte, wie auch bewegte See
vorkommen können, doch läßt sich nachweisen, daß für die mikro-
seismisch unruhigen Tage mit größerer Wahrscheinlichkeit bewegtere
See zu finden ist, hingegen glatte See für die mikroseismisch ruhigen
Tage mit größerer Wahrscheinlichkeit vorkommt
7. Wenn berücksichtigt wird, daß, wie oben nachgewiesen,
starke barometrische Depressionen mit etwas größerer Wahrschein-
lichkeit an Tagen mit Pendelunruhe vorkommen, diese Depressionen
aber infolge ihres raschen Vorübergaoges heftige Luftdruckänderungen
mit sich bringen, daß außerdem, wie gezeigt wurde, die im W, SW
und S Europas liegenden barometrischen Minima eher an den Tagen
mit mikroseismischer Unruhe vorkonmien, gerade diese Zyklonen aber,
infolge ihrer gewöhnlich ostwärts gerichteten Fortpflanzungsrichtung,
starke Schwankungen des Luftdruckes über dem Kontinente hervor-
rufen, so drängt sich der Gedanke auf, daß vielleicht eine plötzliche,
starke Änderung des Luftdruckes als die primäre Ursache für die
mikroseismische Bodenbewegung anzunehmen sei. Um einen dies-
bezüglichen Zusammenhang nachzuweisen, wurde für siebzehn aus-
gewählte Orte Europas die Änderung des Luftdruckes von einem Tage
zum andern bestimmt und gefunden, daß jeder Zunahme der mikroseis-
mischen Pendelunruhe auch ausnahmslos eine größere Luftdruck-
änderung entspricht. Doch gibt es umgekehrt Fälle (24 unter 100),
an welchen bei größerer Luftdruckdifferenz eine mikroseismische Be-
wegung nicht zu bemerken ist, doch sind an diesen Tagen entweder
der lokale oder der allgemeine barometrische Gradient, meistenteils beide
schwach oder in Abnahme begriffen und die Windstärke zu Triest
stets klein, gewöhnlich von geradezu minimaler Größe.
Mit dieser Untersuchung wurde gleichzeitig der Vergleich mit dem
allgemeinen und lokalen barometrischen Gradienten verbunden und
gefunden, daß der Verlauf der mikroseismischen Bewegung mit diesen
Gradienten sich lange nicht so übereinstimmend ergibt, wie mit der
Änderung des Auftdruckes von einem Tage zum andern.
Wenn wirklich, wie es den Anschein hat, jede größere Luftdruck-
änderung über Europa eine mikroseismische Bodenbewegung mit sich
bringt, so müßte die davon abhängige Pendelunruhe auch an andern
Orten gleichzeitig zur Beobachtung gelangen. Vergleiche mit Straßburg
ergeben, aus den wenigen zur Verfügung stehende Daten, eine voll-
ständige Übereinstimmung.
Ober die Ursachen der Erdbeben hat Prof. Branco, gelegent-
lich einer Festrede in der Berliner Universität seine Anschauungen aus-
gesprochen. Nach ihm sind es die antogonistischen Kräfte des Wassers
Erdbeben. 219
und des Feuers, welche Erderschütterungen veranlassen. »Diejenigen
Beben, welche dem Wasser ihre Entstehung verdanken, sind nach
jeder Richtung hin minderwertig, an Zahl sind sie ziemlich gering,
ihre Intensität ist freilich manchmal recht groß, aber ihre Ausdehnung
an der Erdoberfläche ist verschwindend klein, ihr Ausgangsherd liegt
in geringer Tiefe und ist punktförmig. Die Entstehungsursache liegt
hier in dem Einstürze unterirdischer Höhlen, vielleicht auch einmal
in dem Sichsetzen ausgelaugter Schichten, die das Wasser durch
seine auflösenden Kräfte schul Man nennt sie daher Einsturz-
beben. Die zweite bebenerzeugende Kraft ist die vulkanische; nach
ihr bezeichnet man diese Art von Erderschütterungen als vulka-
nischeBeben. Wenn in den langen Ausbruchsröhren der Vulkane,
die in die Tiefe niedersetzen, der SchmelzfluB in die Höhe steigt
bezw. gepreBt wird, dann führt er meist große Mengen von ihm
absorbierter Gase mit sich.
Ein Teil derselben stammt von der Urzeit her, in der die Erde
ein ebenso heißer, feuerflüssiger Ball gewesen, wie die Sonne es noch
heute ist Wie deren Elemente heute noch fortwährend verdampfen,
so auch damals die der Erde; und hierbei wurden die Dämpfe
der Erde wiederum zum Teile vom Schmelzflusse festgehalten, ab-
sorbiert Ein anderer Teil der Gase jedoch entsteht wohl erst
durch die Berührung des aufsteigenden Schmelzflusses mit dem
Wasser, welches die Erdrinde durchtränkt, das sich aber auch bis-
weilen in weiten Hohlräumen der Erdkruste in großem Massen an-
gesammelt findet
Die plötzliche Verwandlung solcher großem Wassermassen durch
aufsteigenden Schmelzfluß in Dampf kann Explosionen so gewaltiger
Natur erzeugen, daß der Vulkanberg zum großem oder kleinem Teile
plötzlich in die Luft fliegt (Bandai San). Hierbei entsteht natürlich
eine starke Erschütterung des Berges. Nur ausnahmsweise aber
handelt es sich bei den Vulkanen um so gewaltige und folgenschwere
Explosionen.«
Eine 8. Art Erdbeben sind die Dislokationsbeben, ent-
stehend durch die Bewegung riesiger Erdschollen infolge des Prozesses
der Abkühlung des Erdballes. Diese Dislokationsbeben, die also
Folgen oder Begleiter gebirgsbildender Vorgänge sind, sind heute die
häufigsten imd ausgebreitetsten. Sie waren es zweifellos auch in
der Urzeit, ja damals in noch höherm Maße als heute. Sie haben
natürlich kein Zentrum, sondern ihren eigentlichen Herd bilden weit-
hin sich ziehende Spaltenwände, und man muß annehmen, daß diese
Erdbeben über gewissen Linien entstehen, die sich an der Erdober-
fläche durch das erschütterte Gebiet hinziehen.
Branco verwirft durchaus die Hypothese, welche die Erdbeben
auf gewaltige Springfluten des glühendflüssigen Erdinnem zurück-
führen will. »Trotzdem aber«, sagt er mit Recht, »besteht wirklich
die Möglichkeit, daß Sonne und Mond auf Erdbeben einwirken können.
220 Erdbeben.
Jedoch mcht in der Weise, daß sie die letzte Ursache derselben sind,
also dieselben erzeugen, sondern nur in der, daß sie beschleunigend
einwirken auf den Ausbruch eines tektonischen Bebens, welches auch
ohne dies, aber erst in späterer Zeit, eingetreten sein würde. Denn
die feste Erdrinde ist nicht absolut starr, sondern folgt der ver-
einigten Anziehung von Sonne und Mond, wenn auch nur in mini-
maler Weise. Ist die Konstellation nun so, daß besonders starke
Springfluten des Wassers entstehen (Neumond, Erdnähe des Mondes,
Sonnennähe der Erde), dann wird die ansaugende Kraft der beiden
Gestirne in stärkerer Weise auch auf die feste Erdrinde wirken. Wenn
daher die Schollen der Erdrinde an irgend einem Punkte infolge der
Abkühlung des Erdinnern derart in Spannung sich befinden, daß sie
in einiger Zeit eine der vorhin geschilderten Bewegungen oder einen
neuen Bruch erleiden würden, so kann durch die ansaugende Kraft
der beiden Gestirne diese Bewegung, bezw. der Bruch sofort bewirkt
werden. Gerade ebenso wie ein bis an die Grenze seiner Tragfähig-
keit belasteter Balken brechen wird, sowie die Belastung nur um
ein Geringstes noch vermehrt wird, so bricht dann die Erde.
Wenn aber die Erdrinde sich an dem betreffenden Punkte noch
nicht so nahe an diesem Stadium befindet, so ist alle ansaugende
Kraft von Sonne und Mond nicht imstande, ein Erdbeben zu erzeugen,
weil sie zu gering ist, um allein aus sich heraus solche Schollen-
bewegungen hervorzurufen. So kommt es, daß der Eintritt der Beben
sich eben nicht sicher vorher berechnen läßt, daß aber dennoch manch-
mal die Vorherberechnung wirklich eintreten kann.
Dieselbe Art und Weise der Wirkung hält Branco auch bei einem
Cyklon für denkbar. Diese Wirbelstürme von gewaltigem Durchmesser
führen in ihrem Innern einen wesentlich geringern Luftdruck mit sich,
als in ihrer Peripherie. Sie wirken daher ebenfalls, wie Sonne und
Mond, ansaugend auf die Erde, gleich einem riesigen Schröpfkopfe
von mehreren 100 Meilen Durchmesser. In der Tat sind nicht selten
Erdbeben eingetreten, während ein Cyklon über die betreffende Gegend
dahinraste, so daß man nicht immer an ein zufälliges Zusammen-
treffen denken kann, sondern das Beben bisweilen als Folgewirkung
des Gyklons betrachten darf.
Während so ein ohnehin bevorstehendes, tektonisches Beben
durch eine Veränderung des atmosphärischen Gleichgewichtes zum
sofortigen Losbrechen veranlaßt werden kann, ist, wie Branco meint,
auch umgekehrt das Erdbeben imstande, unter Umständen seinerseits
gewisse andere atmosphärische Veränderungen zu erzeugen. »Durch
die aus der Tiefe heraufkommenden Stöße erhält natürlich auch die
auf der Erdoberfläche ruhende Luftsäule die Stöße: Ober dem ganzen
Gebiete, das von dem Beben betroffen wird, muß also die Luft in die
Höhe geschleudert werden, und ganz besonders muß das im Epizen-
trum der Fall sein. Indem die Luft hier besonders stark in die Höhe
geschleudert wird, erleidet sie plötzlich eine entsprechend starke Ver»
Erdbeben. 221
dünnung. Damit aber geht eine plötzliche Temperaturerniedrigung Hand
in Hand. Wenn nun zufällig in hohem Luftschichten viel Wasser«-
dampf vorhanden ist, so wird dieser sich schnell kondensieren. So
laßt es sich erklären, daß der vor dem Beben klare Himmel sich nach
demselben bisweilen schnell mit Wolken überzieht, aus denen Regen«
bezw. Hagel niederfällt Auch das Aufzucken von Blitzen läßt sich
erklären durch die plötzliche Kondensation.«
Diesen Ausführungen dürften die Meteorologen aber schwerlich
großen Beifall schenken, denn die Bodenstöße sind in vertikaler
Richtung stets viel zu unbedeutend, um merkliche Luftdruckverände-
rungen oder Windstöße hervorzurufen, geschweige denn dadurch ver-
anlaßte Temperaturerniedrigungen.
Prof. Branco hält es für möglich, daß in unsem Vorstellungen
über die Entstehungsursache der Erdbeben sich vielleicht in Zukunft
eine Verschiebung in der Richtung vollziehen werde, daß, ganz wie
bei dem Vulkanismus, eine größere Unabhängigkeit von den gebirgs-
bildenden Vorgängen schließlich erkannt würde. Freilich nicht in
der Weise völliger Unabhängigkeit, wie bei dem Vulkanismus, welcher
auch durch eigene Kraft des Schmelzflusses und seiner Gase sich
zu befreien und zu betätigen vermöge, denn das Erdbeben werde
stets von einem der andern Faktoren abhängig bleiben; sondern nur
in der Weise, daß die Abhängigkeit bis zu einem gewissen Grade
verschoben würde von der gebirgsbildenden zu der vulkanischen Kraft.
Eine sehr wesentliche Stütze der jetzt herrschenden Anschauung, nach
welcher die ganz überwiegende Ursache aller Beben in Dislokationen
zu suchen sei, kommt, wie Branco glaubt, ins Wanken. Gestützt
auf die Methoden, die nacheinander besonders Mallet, v. Seebach,
Dutton und Hayden angegeben, hatte man die Überzeugung gewonnen,
die Ausgangspunkte der Erdbel^en seien in nur relativ geringer Tiefe,
zwischen 10 — 20 km zu suchen. Diese Tiefe aber ist so gering,
daß man unmöglich an die tiefer Jiegenden vulkanischen Kräfte denken
könnte, während hingegen eine so geringe Tiefe gerade auf absinkende
Schollen, also tektonische Vorgänge zurückführbar erscheint Indessen
sagt Branco mit Recht, es sei nicht einzusehen, warum eine ab-
sinkende Scholle erst in der Tiefe von 7 oder 10 — 20 hm eine Reibung
verursachen sollte. Es müsse doch bei Schollenbewegungen gleich
von der Tagesfläche an, oder doch nur wenig unterhalb derselben,
Reibung eintreten; und warum sollte diese Reibung nur bis höchstens
10 — 20 km Tiefe hinab sich geltend machen? Allerdings lasse sich
unmöglich diejenige Tiefe auch nur annähernd genau angeben, bis
zu welcher die Erdschollen noch hart und fest genug sind, um durch
ihre Reibung bei tektonischen Vorgängen noch erschüttert zu werden;
und unterhalb welcher die Schollen, durch die Wärme des Erdinnem,
bereits so erweicht sind, daß eine Bewegung derselben keine nennens-
werte Erschütterung mehr erzeuge, aber ungefähre Anschauungen
werde man sich doch bilden können.
222 Erdbeben.
Unter der Annahme, daß die Gesteine bei 1200® C. schmelzen,
und die Wärmezunahme nach dem Erdinnem (in den obem Teufen)
proportional der Tiefe wachse, für je 33 m Tiefe um 1 ® C. findet sich
eine Wärme von 1200® G. erst in ungefähr 40000 m Tiefe; ganz ab-
gesehen von der den Schmelzpunkt entweder erhöhenden oder er-
niedrigenden Wirkimg des mit der Tiefe wachsenden Druckes und
von der den Schmelzpunkt jedenfalls erniedrigenden Beimengung von
Wasser zum Schmelzflusse. Obgleich sich daher auch eine unterste
Grenze der Tiefe nicht genau angeben lasse, bis zu der hinab die
Schollen noch hart genug seien, um bei starker Reibung zu erzittern,
so spreche nach obigem die Wahrscheinlichkeit dafür, dafi diese Tiefe
immerhin größer sein müsse als 10 — 20000 m, in welcher etwa
800—600® C. Hitze herrschen.
Wenn mithin gefolgert wird, die bei einer Anzahl von Erdbeben
berechnete Tiefe des Herdes zwischen 10 — 20000 9n sei beweisend
dafür, daß hier ein tektonisches Beben vorliege, so erscheint Prof.
Branco dieser Beweis nicht recht einleuchtend; vielmehr müßte bei
tektonischen Beben der Ausgangspunkt in Tiefen zwischen fast Null
Meter und weit über 10 — 20000 m liegen.
Endlich bemerkt Prof. Branco, daß auch die ganze Berechnungs-
methode der Tiefe des Erdbebenherdes nicht einwurfsfrei ist, ja man
könne sie direkt als unrichtig bezeichnen. Sie gründe sich nämlich
auf die Voraussetzung, daß die Erdbebenwellen konzentrischen Kugeln
von gleichgroßen Abständen angehören und die Stoßstrahlen senk-
recht zu jenen stehen. Diese Annahme ist aber unzulässig, da die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wellen gleichzeitig von der Elastizität
und Dichte des Mediums, in dem sie stattfindet, abhängt. Es muß
aber der Elastizitätsfaktor mit wachsender Tiefe sich darum ändern,
weil mit dieser der Druck, welchem die Gesteine unterliegen, wächst.
Daraus folgerte Prof. A. Schmidt das Gegenteil von der bisher geltenden
Anschauung und zeigte, daß die Homoseisten nicht konzentrische,
sondern vielmehr exzentrische Flächen sind, deren Abstände nach
der Tiefe zu größer werden, weil die Elastizität mit der Tiefe wächst;
und daß die Stoßstrahlen nicht gerade, sondern krumme, nach unten
konvexe Linien sind. So ergab sich eine völlig andere Tiefe des
Bebenherdes als nach der bisherigen Auffassung. A. Schmidt fand
in zwei bestimmten Fällen statt der bisher berechneten geringen
Tiefe von 18 km eine solche von 37 — 74 Äw, nämlich bei dem
mitteldeutschen Beben von 1872. Sodann anstatt der bisher be-
rechneten von 13 — 19 km die großen Tiefen von 107 — 120 km bei
dem Gharlestonbeben 1886. Das aber, namentlich letztere, sind so
gewaltige Tiefen, daß Branco auf Grund obiger Ausführungen hier
entschieden weit mehr an vulkanische Kräfte als an absinkende
Schollen denken möchte. Dürfte man, sagt er, nun diese neue Auf-
fassung verallgemeinern, was aber natürlich nicht ohne weiteres an-
geht, dann würde sich allem Anscheine nach für sehr viele Beben
Erdbeben. 223
ein tiefgelegener Herd anstatt eines flachen, folglich keine tektonische,
sondern eine vulkanische Ursache ergeben. Namentlich für alle
Beben, welchen ein sehr großes Ausbreitungsgebiet zukommt, ist
überhaupt von vornherein eine große Tiefe des Herdes und damit
eine vulkanische Ursache des Bebens wahrscheinlich.
Maaß hat sich freilich gegen diese von A. Schmidt gegebenen
neuen Anschauungen gewendet. Er stützt sich auf einige Unter-
suchungen, die in Japan am Boden einiger 10 — 18 Fuß tiefen
Brunnen gemacht wurden. Dort soll sich auch gezeigt haben, daß
in diesen Tiefen die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wellen geringer
war, als an der Oberfläche, und er folgert aus diesen Angaben, daß
die Fortpflanzungsgeschwindigkeit allgemein mit der Tiefe abnehme.
Unter der willkürlichen Annahme, daß diese Abnahme pro-
portional der Tiefe stattfinde, erhält Maaß zwar natürlich auch
exzentrische Wellenflächen; aber deren Abstand wird, im Gegensatze
zu dem Verhalten von A. Schmidts Homoseisten, mit der Tiefe
kleiner; und die Stoßstrahlen sind dann nach unten konkav anstatt
konvex. Weil wir indessen über das Gesetz, nach welchem diese
Abnahme der Fortpflanzungsgeschwindigkeit nach der Tiefe hin er-
folge, noch nichts Sicheres wissen, so ist nach Maaß eine auch nur
angenäherte Bestimmung der Tiefe des Bebenherdes bisher unmöglich.
Indessen meint Branco, die unzureichenden Beobachtungen, auf
welche Maaß sich stützt, genügten doch keineswegs, um die Über-
zeugung zu entkräften, daß mit zunehmender Tiefe, ceteris paribus,
die Elastizität, folglich auch die Geschwindigkeit der Erdbebenwellen,
größer werde; und um die daraus sich ergebende festgestellte Tat-
sache zu entkräften, daß vielfach auch an der Oberfläche die Ge-
schwindigkeit mit der Entfernung vom Epizentrum größer wird. Sei
dem aber so, dann bleibe die durch A. Schmidt, im Gegensatze zu
Mallet, V. Seebach u. a. berechnete, sehr bedeutende Tiefe des Beben-
herdes völlig zu Recht bestehen. Damit jedoch wachse nun der
Anteil, welchen man den vulkanischen Kräften bei der Entstehung
der Erdbeben zuschreiben müßte. Ob man hierbei nur an Explosionen
vulkanischer Gase, bezw. von Wassermassen, oder ob man auch an
Vorgänge denken wolle, wie sie A. Schmidt auf dem Geographen-
tage in Jena als mögliche Ursache der Beben anführte — Ober-
kühlung flüssiger Silikatmassen, die unter rascher Volumenvergrößerung
erstarren — das ist nach Branco eine Nebensache. Denn auch in
letzterm Falle läge die Ursache des Bebens nicht etwa in Schollen-
bewegungen infolge von tektonischen Vorgängen, d. h. die betreffenden
Beben seien keineswegs als tektonische in dem bisherigen Sinne zu
betrachten; sondern sie läge in dem Verhalten des Magmas, sie wäre
ipithin als eine vulkanische anzusehen.
Auch Gerland vertritt jetzt die Ansicht von der vulkanischen
Natur vieler, bisher für tektonisch erklärter Beben, weil der Herd
derselben so tief liege.
224 Erdbeben.
Indessen betont Prof. Branco, daß mit dem G^agten nicht etwa
der Versuch gemacht werden solle, das Dasein tektonischer Beben
überhaupt gänzlich zu bestreiten. Vor allem in den Fällen, in
welchen bei einem Beben deutlich erkennbare Dislokationen sich
vollziehen, werde niemand bestreiten woUen, daß es sich hier um
ein tektonisches Beben handle, namentlich dann, wenn die Länge
der entstehenden Spalten eine sehr ansehnliche ist Bei dem Beben
in Beludschistan 1892 betrug an einer viele Kilometer langen Spalte
die seitliche Verschiebung des einen Flügels gegen den andern
0.2 — 0.3 m, die senkrechte 0.6 — 0.7 f». Das Beben vom Jahre 1894
in Lokris war verknüpft mit der Bildung einer Spalte von 55 km
Lange bei einem senkrechten Absinken des einen Flügels, welches
bis zu 2 M Höhe stieg. In Japan bildete sich 1891 bei einem Erd-
beben eine Spalte von 112 km Länge, an welcher der eine Flügel
gegen den andern sowohl um 4 m seitlich, als auch lokal bis zu
5 m senkrecht verschoben wurde. Die stärksten Sprunghöhen aber,
zwischen 4 und 8 m schwankend, zeigten sich an den Spalten, besw.
Verwerfungen, welche 1897 mit dem gewaltigen Beben am untern
Brahmaputra Hand in Hand gingen. In diesen Fällen ist die ent-
standene Dislokation eine so in die Augen springende, daß man die
tektonische Natur des Bebens nicht bezweifeln kann. In den über-
wiegend meisten andern Fällen von Beben aber, die als tektonische
erklärt werden, ist von der Verschiebung einer Scholle nicht das
mindeste zu bemerken. Es könnte hier also der Betrag der Ver-
schiebung, falls eine solche wirklich vorliegt, nur ein ganz mini-
maler sein.
Wie will man aber vollends, fährt Branco fort, mit einem so
unsichtbaren Betrage von Dislokation das Auftreten ganzer Erdbeben-
zeiten in Einklang bringen, welche Wochen, Monate, Jahre lang
dauern und zahlreiche Stöße liefern? Man sollte meinen, daß, wenn
in diesen Fällen die Stöße durch die Bewegung von Schollen ent-
stehen, dann auch die Zahl und Stärke der Stöße im Einklänge stehen
müßte mit der Größe der Bewegung der Schollen. Eine Scholle, die
Monate lang gleitet, wenn auch mit Pausen, sollte doch den Betrag
der Abgleitung erkennen lassen!
Man könnte freilich geltend machen, sagt er, daß der Betrag
in Wirklichkeit größer sei, als er erscheine, wenn er nämlich in der
mächtigen und aus lockerer Erde bestehenden Oberflächenschicht zum
Ersterben gebracht werde, so daß man die Verwerfung hier nicht
mehr sehe. Das ist denkbar, sagt Branco, aber soll es häufig der
Fall sein, z. B. bei den Tausenden von Beben Japans?
Jedenfalls ist in solchen Fällen, in denen man nichts von einer
Dislokation erkennen kann, obgleich doch zahlreiche Stöße erfolgten,
der Beweis, daß dennoch ein Dislokationsbeben vorliegt, nicht leicht
zu erbringen und die Möglichkeit hier immer noch vorhanden, daß
die Ursache eine andere, also eine vulkanische sein könnte.
Erdbeben. 226
Völlig außer Augen dürfe man aber auch die Möglichkeit nicht
lassen, daß selbst eine lange und mit deutlicher Senkung des einen
Flügels verbundene Spalte ihre Entstehungsursache nicht ausnahms-
los notwendig immer in seitlichem Drucke, also in gebirgsbildenden
Vorgangen haben müsse, sondern daß ihre Ursache auch in der
senkrechten Heraufwirkung vulkanischer Druck- oder Stoßkräfte
immerhin liegen könnte. Wenn nämlich beispielsweise die so-
genannten Lakkolithe wirklich die Kraft besitzen, die Erdrinde über
sich hochzuheben, werden sie natürlich ein Zerbrechen der über-
liegenden Erdrinde und damit ein Erdbeben verursachen müssen.
Das Beben wäre aber in diesem Falle, trotz Spaltenbildung, kein
tektonisches, d. h. durch Seitendruck hervorgerufenes, sondern beides,
Spalte wie Erdbeben, wären vulkanischer Entstehung !
Das alles sind nach Prof. Branco Gründe, welche später viel-
leicht einmal zu der Ansicht hinführen werden, daß man den Anteil
der tektonischen Vorgänge an der Erzeugung von Erdbeben jetzt
überschätzt und denjenigen vulkanischer Vorgänge dabei unterschätzt
Noch andere Gründe scheinen Prof. Branco für solche Auffassung
2U sprechen. Vulkanische Beben »im engem Sinnet sind solche,
deren vulkanische Ursache niemand bestreiten kann; von diesen möchte
er aber vidkanische Beben »im weitem Sinne« unterscheiden, weil
auch sie einen der Gründe für die Ansicht liefern, daß man in dieser
Frage nicht zu sehr das tektonische auf Kosten des vulkanischen
Prinzips vergrößem dürfe.
Unter vulkanischen Beben »im weitem Sinne« möchte er solche
verstanden wissen, die nicht an die nächste Nähe eines speziellen
tätigen Vulkanes geknüpft sind, sondem relativ fem von Vulkanen
vorkommen, aber dennoch durch den Schmelzfluß, bezw. seine Gase
oder den durch ihn erzeugten Wasserdampf hervorgerufen werden und
die Hömes kryptovulkanische nannte.
Das, was man bei einem Vulkane als mißglückte Ausbmchs-
versuche des Schmelzflusses bezeichnet, werde man vielleicht mit
demselben B>echte schon zu diesen Beben »im weitem Sinne«, wie
zu denen »im engern Sinne« rechnen können. Jedenfalls bildeten
sie den Obergang von der erstbetrachteten Gruppe zu der nun zu
betrachtenden zweiten. Solche mißglückten Ausbruchsversuche könnten
sich ereignen, sowohl bei nur scheintoten Vulkanen, als auch bei
solchen, die wirklich erloschen sind, in deren Tiefe aber der Schmelz-
fluß doch noch lebendig ist Beide Falle schließen sich so nahe an
die früher betrachteten vulkanischen Beben im engem Sinne an, daß
man sie von diesen gar nicht scharf abtrennen kann.
Zu dieser Klasse von Erdbeben rechnet Prof. Branco auch jenes
von Ischia, durch welches Gasamicciola zerstört wurde. Er meint,
dasselbe sei nichts anderes, als durch Explosionen ihrer Gase hervor-
gerufene Ausbruchsversuche, die schließlich auch von Erfolg gekrönt
sein würden und der Insel dann das gleiche Los bereiten könnten.
Klein, Jahrtrach XIV. 15
226 ^dbeben.
welches Hercolanum und Pompeji durch den Vesuv im Jahre 79 n. Chr.
erlitten haben.
Derartige Ausbnichsrerenache könnten natürlich nicht blofi unter
erloschenen Vulkanen sich vollziehen, sondern auch in irgend einer,
von Vulkanen weit entfernten Qegend und dann so lange fortdauern,
bis dort ein neuer Vulkan entstand. Das sei nun der Typus der-
jenigen Erschütterungen, die er mit dem Ausdrucke vulkanische
Beben »im weitem Sinne c beieichnen möchte. Ein solches Erdbeben
sei ürs&ohlioh ganz dasselbe, wie ein vulkanisches »im engem Sinnec,
nur die Lage sei eine verschiedene, da letzteres an einen beaümmteai
Vtdkanberg gebunden sei, ersters aber nicht, weil dort ein solcher
noch gar nicht vorhanden ist, und es fraglich bleibe, ob er sich da-
selbst jemals bilden werde.
Auch auf dem Meeresboden vollziehen sich Ausbrüche und Aus-
bruchsversuche, also vulkanische Beben im engem und im weitem Sinne.
Natürlich wird es häufig schwer sein, festzustellen, ob ein
vulkanisches Beben im weitem Sinne oder ein tektonisches vorliegt,
weil Vulkanbildung mit Spaltenbildung vielfach, aber nicht immer,
eng verknüpft ist. Wo entstehende und tief hinabgreifende Spalten
dem Schmelzfluß einen Ausweg von vornherein anbieten, wird dieser
Ausweg auch meist benutzt, dann steigt der Schmelzfluß auf, oder
er wird heraufgedrückt, und seine Gase explodieren. Wo dies aber
der Fall, tritt eine Verquickung von vulkanischen und tektonischen
Beben ein, und es wird häufig sehr schwer sein, zu entscheiden,
welches der beiden Momente den großem Anteil am Zustandekommen
des Erdbebens hat: ob die Erschütterung mehr eine tektonische, durch
das Aufreißen der Spalte hervorgerufene ist oder mehr eine vulka-
nische, durch Explosionen bedingte. Diese Schwierigkeit muß vor
allem da eintreten, wo sich die Vorgänge submarin vollziehen, man
sie also nicht unmittelbar beobachten kann.
Auch diese Betrachtungen über die Erdbeben führen schließlich
zu der Frage, ob denn die Spaltenbildung zu der Entstehung der
Erdbeben notwendig immer in einem und demselben konstanten Ver-
hältnisse von Ursache und Wirkung stehen müsse, und ob man not-
wendig immer folgern müsse, daß, wenn bei einem Beben eine Spalte
Aufreißt, das Beben die Folge dieser Spaltenbildung sei? Diese Frage,
sagt Branco, wird man geneigt sein, ohne weiters zu bejahen; dennoch
könnte sehr wohl auch umgekehrt einmal die Spaltenbildung Folge
eines Erdbebens sein.
Vulkanismus.
Der Attsbrueh des Vesuv im Frfibjahpe 1908. Prot
G. Mercalli gab hiervon eine Darstellung.') Im Januar und in der
1. Hälfte des Febraar war die Tätigkeit gering; am 20. Februar
^) Eidbebehwarte 2. Nr. 11 und 12.
lus. 227
bildete sich am Grunde des Kraters eine neue Öffnung, aus der leicht-
flässige Lava geschleudert wurde. Dieselbe bildete in einigen Tagen
einen Auswurfskegel neben dem Zentrum des alten Kratergrundes von
einer sehr regelmäßigen Form. Während dieser Ausbrüche, weldie
immer yon einer kurzen Detonation wie ron einem starken Gewehr-
schüsse begleitet waren, banerkte Mercalli auch das Auftreten von
Rauchringen. Die Entladungen nahmen gegen die ersten Tage des
Monats März an Stärke beständig zu, so daß am 6. März das Gktose
aus dem Krater bis St Vito, das ist 5 Am weit, vernommen wurde.
Die Kraftent£altung des Vulkanes erreichte eine außergewöhnliche
Heftii^eit vom 9. — 15. März, und zwar mit dem Maximum am
10. — 12. März. Innerhalb dieser 3 Tage wurde das Getöse aus dem
Krater in allen Orten am Fuße des Vulkanes wahlgenommen, in der
Nacht des 11. März sogar leicht in Neapel In Resina machten die
Detonationen Fenster und Türen zittern. Auf der untern Station der
Drahtseiibahn am Vesuv öffneten sich die Türen, der Boden zitterte
ganz deutlich, so daß die Betten und die aufgehängten Gegenstände
sohwankten; insbesondere wurde dies bei den zwei stärksten Ent-
ladungen beobachtet, welche am 10. März um 20^ 30"^ und am
12. Mära um 4^ 30''^ aufgetreten sind. In der Nacht wiederholten
«ich starke Entladungen in kurzen Intervallen von einer Minute etwa,
indem in hohen Säulen zusammenhängende glühende Massen aus-
:geworfen wurdki, gewöhnlich in eine Höhe von 200 m, oder besser,
es erfolgten Auswürfe (Explosionen) von glühenden Lavaschlaeken
von geringerer Höhe, aber m^r auseinandergestreut, so daß sie beim
Niederfallen den ganzen Kraterrand bedeckten, und der Krater danach
ringsherum glühend erschien, als wenn die Lava allseitig über den
Kraterrand ausgeflossen wäre. Häufig erschienen gleichzeitig 2 Streuten
iglühender Schlacken auf dem äußern Mantel des Auswurfekegels an
der N<Nrd« und Südseite. Dieser Umstand beweist, daß im Innern
des Kraters zwei tätige Eruptionsöffnungen vorhanden waren, und
erklärt auch, warum häufig nach einem Auswurfe glühender Massen
gleich darauf ein zweiter, häufig viel stärkerer folgte. Durch 3 Nächte
(10., 11. und 12.) war der Widerschein der glühenden Massen un-
unterbrochen sichtbar. Die Temperatur des ausgeworfenen Materiales
mußte bei dieser Eruptionsphase ungeheuer groß gewesen sein, da
Verf. auch bei Tage, insbesondere am 12. März um 8 Uhr von Neapel
aus, also auf eine Distanz von 14 Am, den vollkommen glühenden
Zustand der Eruptionsmasse beobachten konnte.
Am 13. naAunen die Entladungen an Heftigkeit ab, aber gleich-
zeitig änderte mA der Charakter derselben, indem große Mengen von
Asche sowie Steine, die nur t^welse glühend waren, ausgeworfen
wurden. Auch das Getöse, welches auf große Entfernungen hin
vemehmbtur gewesen war, hörte auf. Am 13. und 14. März waren
die Entladungen noch sehr stark und begleitet von hohen, dichten,
schwärzlichen Pinienbildungen bis zur blumenkohlartigen Form.
15»
228
In der Nacht des 14. Man mericte man eine deutliche Abnahme;
aber am 15. hatte die Kndi der Entladung wieder zugenommen,
immeihin verblieb sie aber schwächer als in den Tagen yom 10. — 12.
des genannten Monates.
Am 15. nnd 16. Mara stand Verl lange Zeit anf dem Gripfel
des Vulkanes, es war ihm aber unmöglich, den Rand des Kraters
vom Jahre 1872 zu überschreiten. Er konnte feststeUen, daß im
Innern des Kraters zwei tätige Offnungen vorhanden waren, aus
welchen hier und da gleichzeitig Eruptionen verschiedener Natur ei^
folgten, und zwar war die Öffnung im Norden vulkanisch tätig,
die im Buden gelegene warf kleine Fetzen von glühender und flüssiger
Lava aus.
Das ausgeworfene Material der großen Eruptionen am 9. und
13. März bestand zum großen Teile aus elliptischen, gedrehten Bomben
oder war von andern verschiedenartigsten Formen; die großen Stücke
der schlackenartigen Lava waren meistens ungeformt oder hatten die
Form von gequetschten Brotlaiben, deren Durchmesser häufig 1 m
und mehr, fast 2 m, betragen hat Nachdem sie auf den Boden
niedergefallen, waren sie noch immer ganz teigartig weich.
Außerdem gab es eine große Menge von äußerst porösen faserigen
Laven von zweierlei Farben; die eine graublau-gelblich, die andere
schwarzüch. Die erstem waren sehr leicht, wie fest gewordener
Schaum, die letztem fast ganz bedeckt von einem glasartig glänzenden
Anfluge, der in vielen Punkten in sehr lebhaften Farben irisierte.
Von den Farben war die violette, ins Grünliche, Blaue oder Gelbe
spielend, vorherrschend.
Schließlich wurden während der letzten vulkanischen Ausbrüche
am 14. März ausschließlich schwere Massenstücke ausgeworfen,
häufig nicht ganz kugelförmig, auch nicht gedreht, weil dieselben im
Innern noch glühend, beim Auswurfe aber oberflächlich schon eihärtet
und geborsten waren.
Diese Eraptionsphase hielt im letzten Drittel des März noch an.
Der Mont Pel6 ist im März 1903 von Dr. K. Sapper besucht
worden.^) Die Besteigung, die w in Begleitung von Dr. G. Wegener
ausführte, bot keine Schwierigkeiten dar, und die Reisenden waren
ganz erstaunt, als sie plötzlich vor sich die unheimliche, gewaltige
Felsnadel des Mont Pelekraters erblickten. Noch ein paar Schritte
in beschleunigter Chuigart, und sie befanden sich auf der etwa 150 m
breiten, von Gesteinsblöcken und Bomben übersäeten Fläche, an deren
Stelle sich ehemals der Lac des Palmistes ausgedehnt hatte, und
sahen vor sich in voller Größe das mächtige, eigenartige Felsgebüde
des Konus, das einen gewaltigen Eindrack machte. Zur Rechten
erhob sich ein gekrümmter Berggrat, der eine Art Ringwall um den
^) Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde, Berlin 1908. p. 375.
Vulkaniamus. 229
Krater darstellt und damit diesem gegenüber dieselbe RoUe spielt,
wie die Somma dem Vesuv gegenüber. Die Reisenden gingen an
den Eraterrand selbst heran und betrachteten die merkwürdige Bildung
des Kraters. Vor ihnen dehnte sich ein sichelförmig gekrümmter
Graben von etwa 100 m Breite und 50 m Tiefe aus; daraus stiegen
weiAe Dampfwolken und bläuliche Qasexhalationen an bestimmten
Stellen auf, und starker Schwefelwasserstof^ruch verriet die Natur
eines Teiles der geförderten Gase. Jenseits des Grabens erhob sich
aus dem Gipfel eines Schuttkegels mit ungeheuer steilen WändeUi
die auf der Südseite sogar senkrecht waren, die großartige Felsnadel
des Pele noch etwa 250 m frei in die Lüfte. »Wie glatt gemeißelt
sieht man die Felswände emporstarren, ein langer Vertikalriß zog sich
weithin durch die einheitliche Felsmasse hin; ihre gelbbraune Ober-
fläche ist vielfach unter einem weißen Anfluge versteckt, der von
weitem sich wie Schnee präsentiert Woraus dieser weiße Anflug
besteht, weiß ich nicht zu sagen; die Anwohner versichern, daß die
weißen Flächen sich bei anhaltendem Regenwetter wesentlich ver-
ringern. Der Anflug wird also zum Teil abgewaschen, löst sich aber
offenbar in Wasser nicht oder nicht leicht auf. Von Zeit zu Zeit
stürzten größere Felspartien in Form kleiner Bergstürze von der Fels-
nadel ab und rollten ihre Trümmer auf dem Schuttkegel abwärts
unter lautem Gepolter — aber sonst war alles still und ruhig; nur
die Nebel wogten ruhelos über uns hinweg, und leider dauerte es
nicht lange, so hatten sie auch den Krater und die stolze Felsnadel
unsem Blicken entzogen. Ich ging den südlichen Kraterrand ent-
lang, später auch den nördlichen, um noch einen Blick auf den
Krater zu erhaschen; es war vergeblich, und so blieb uns denn nichts
übrig, als nach einem behaglichen Frühstücke an der Stelle des ehe-
maligen Lac des Palmistes wieder den Rückweg anzutreten.
Ein paar Tage später hatte Dr. Sapper Gelegenheit, vom Obser-
vatorium von Fonds S. Denis aus einen Ausbruch des Mont Pele zu
beobachten. »Wir saßen, c sagte er, »im Freien vor den Gebäuden des
Observatoriums, als ich plötzlich einen Glutschein an der Felsnadel
des Pele wahrnahm. Bald darauf stieg auch unter leichtem Geräusche
eine beträchtliche grauweiße Aschen- und Dampfwolke mit großer
Geschwindigkeit, wirbelnd und quirlend, empor, und wenige Sekunden
später sahen wir unter der weißen Nebelwolke, die den Fuß des
Konus verhüllte, eine ähnliche bräunlichgraue Aschenwolke mit der
charakteristischen wirbelnden Oberfläche der Eruptionswolken hervor-
brechen und mit großer Geschwindigkeit im Tale der Riviere Blanche
abwärts rollen, während die aufsteigende Wolke sich in den bekannten
blumenkohlähnlichen Formen höher und höher erhob und dabei zu-
gleich immer weiter ausbreitete, bis sie in einer Höhe von etwa
8400 m über dem Krater stationär wurde. Gleichzeitig war aber die
absteigende Wolke, die nach meiner Schätzung kaum mehr als etwa
50-100 911 Höhe besaß, rasch und lautlos talabwärts gerollt Ihre
280 Vulkanismus.
Bewegung glich, abgesehen von den sekundären Wirbehi, ganz und
gar der einer Flüssigkeit; als die Wolke ein etwas höher aufragendes
Hindernis traf, teilte sie sich und umging dasselbe auf beiden Seiten
und schloß sich dahinter wieder zusammen, bis die nachfolgend^i
machtigen Wolkenteüe die so gebildete Insel überfluteten und die
Einheit des ganzen Gebildes wiederherstellte. Die ganze Erscheinung
zeigte ein Bild, wie wenn schwere Qase mit Asch«i und sonstigen
Auswiurfsstoffen beladen hier abwärts flössen; jedoch mochte gerade
die Wucht der festen Auswtirfsstoffe an der bedeutenden Anfangs*
geschwindigkeit schuld sein. Daß die schweren Gase aber auch
große Mengen leichterer Gase und Dämpfe mit sich gerissen hatten,
zeigte sich bald. Denn als die absteigende Wolke etwa in halber
Höhe des Berges mit Erreichen der flachern Böschung langsamer
▼orzuschreiten begann, löste sich eine aufsteigende Wolke gleicher
Farbe und mit gleicher wirbelnder, blumenkohlähnlicher Oberfläche
von ihr los und stieg höher und höher, bis sie schließlidi die Krater-
wolke ganz wesentlich an Höhe übertraf. Da der Nachschub für die
absteigende Wolke allmählich an Masse und Schnelligkeit nachließ,
so stiegen nun auch von dem rückwärts liegenden Teile der ab-
steigenden Wolke Gase und Dämpfe auf, die allmählich eine Brücke
zwischen den beiden Wolkengipfeln herstellten. Die absteigende Wolke
rollte inzwischen immer langsamer und langsamer abwärts, indem
sie mit ihren Wirbein alle Unebenheiten des Bodens vollständig aus-
füllte. Allmählich wurde ihre Bewegung scheinbar schleichend lang-
sam, die oberflächlichen Wirbel verloren ebenfalls immer mehr ihre
Energie, und als die Gesamtwolke endlich nach mehrem Minuten
das Meer erreicht hatte, schob sie sich nur noch ganz allmählich in
dasselbe hinaus, wobei sie aber schließlich doch eine ganz ansehn-
liche Entfernung von der Küste erlangte — ich sdiätzte sie auf
etwa 3 — 4 km. Die oberflächlichen Wirbel hatten aufgehört, die
ganze Wolke hatte ein gleichförmiges Grau angenommen und begann
sich da und dort vom Boden zu erheben, wobei die weißschimmemde
Asche, die sich eben abgelagert hatte, sichtbar wurde. Mit großer
Aufmerksamkeit hatten wir alle die Bewegungen der absteigenden
Wolke verfolgt, waren doch alle Beobachter darüber einig, daß die
fatale Glutwolke vom 8. Mai, trotz ihrer unvergleichlich viel großem
Wucht und hohem Temperatur, doch in ganz gleicherweise zu Tal
gestiegen war. Als wir die Wolke so lautlos niederrollen sahen,
mußten wir daran denken, wie trefflich Kapitän Freeman von der
»Roddam« die Sache charakterisierte, als er sagte, er müßte beim
Herannahen der Wolke an die Katze denken , welche die Maus be-
schleicht 1
Leider wissen wir noch immer nicht, aus welchen Gasen die
Ausbrachswolken des Mont Pele bestehen, und es scheint mir, daß
es nur dadurch möglich sein würde, dem Geheimnis auf die Spur
zu kommen und etwas Näheres über die Wolke zu erfahren, wenn
Vulkanismas. 231
besonders konstruierte Registrieiinstrumente und mit R^agens-
flussii^eiten gelülhe Gefäße in der Bahn der absteigenden Ausbruchs-
wott:en aufstellte und nach den einzebien Eruptionen genau prüfte.
Hereinbrechende Dunkelheit verhinderte uns, die weitem Schick-
sale unserer Ausbruchswolke im einzelnen zu verfotgen, und wir
konnten nur noch bemerken, wie die Winde anfingen, ihr Spiel damit
2u treiben und ihre stolzen Formen mehr und mehr zu verzerren
und aufzulösen. Um so deutlicher ließ dagegen die Dunkelheit das
Aufglühen zweier langen Risse oder Spalten an der Felsnadel des
Pele hervortreten. Nicht selten lösten sich aus diesen Spalten
glühende Felsstücke los, die man dann an dem Schuttkegel weit
hinabspringen und gleiten sah. Noch nach Stunden bemerkte man
die glühenden Spalten des merkwürdigen Felsgebildes, und dann und
wann sprühten auch höher oben, manchmal selbst nahe der Spitze
der Nadel, glühende Punkte auf: wahrscheinlich hatten sich hier
Steine von der Nadel losgelöst und hatten so für Augenblicke das
glühende Innere derselben bloßgelegt Angesichts der beobachteten
Erscheinungen waren wir zu der Ansicht gelangt, daß das Innere der
Felsnadel glühend sein müsse, und nur die Oberfläche hart und er*
kältet sei. Ob das Innere nur zeitenweise oder dauernd glühend sei,
die Frage zu entscheiden, fehlte uns freilich jeder Anhaltspunkt
Jedenfalls ist aber die Felsnadel des Pele eines der merkwürdigsten
Gebilde, die bisher in der Geschichte unserer Erde beobachtet worden
sind: sie ändert ihre Höhe, ohne ihre Gestalt zu ändern; sie wächst
über Nacht 2, 4, 10 m und verliert dann wieder zuweilen durch
Einsturz einen großen Teil der gewonnenen Höhe. So hatte die Fels-r
nadel durch den von uns beobachteten Ausbruch wieder 25 m von
ihrer Höhe eingebüßt, wie Hauptmann Perney am nächsten Morgen
feststellte, und ragte mit ihrer Spitze nur noch 1570 m über den
Meeresspiegel empor. Diese eigentümlichen Höhenänderungen kann
man sieh nur durch die Annahme erklären, daß die Felsnadel von unten
her höher und höher emporgepreßt werde, und wir müssen daher die
Beobaohtungsreihen der Peleobservatorien mit dem größten Interesse
erwarten, da wir dadurch einen genauen Einblick in eine Wirkunga-
art der Natur gewinnen können, die wir bisher kaum für möglich
gehalten hätten.«
Die vulkanlseheii Vorgrängre auf Martinique naeh dem
Ergebnis der fipanzösisehen greologrisehen Expedition. Über
die Resultate der von der Pariser Akademie nach Westindien ent-
sandten wissenschaftlichen Expedition hat A. Lacroix offiziellen
Bericht erstattet^) Er teilt darin die auf vulkanischem Wege ent-
standenen Bildungen in 8 Hauptgruppen, die aber nicht immer streng
voneinander su trennen sind, nämlieh: Kraterkegel oder Auf-
1) Gompt rend. 1906. Nr. 6. p. 4.
232 VulkanismiiB.
schüttungskegel, bestehend aus Reihenfolgen von Schichten aus-
geworfenen Materiales, die unregehnäßig ein- oder auswärts geneigt
sind und durch Gänge von Lava Festigkeit erhalten. Dieser Typus
entspricht geometrisch einer Reihe von nacheinander folgenden Erup-
tionen von mäßiger Stärke.
Calderas oder steile Abbruche von großen Dimensionen, wahr-
scheinlich Erzeugnisse von ausnahmsweise heftigen, von Einstürzen
begleiteten Explosionen. Die innem Wände der Calderas sind nahezu
senkrecht und zeigen den Durchschnitt der vulkanischen oder sedi-
mentären Ablagerungen des ehemaligen Bodens, der wie mit dem
Messer abgeschnitten ist Nach außen wird die Einfassung der Cal-
deras von einer flach kegelförmigen Bekleidung gebildet, die durch
Anhäufung von ausgeworfenem Materiale (Bruchstücke des alten
Bodens und Laven von mit der Explosion gleichzeitiger Bildung)
entstanden ist.
Weniger bekannt als die vorgenannten ist ein 8. Typus, den
die gegenwärtige Eruption des Mont Pele verkörpert Er entsteht
durch Anhäufung von Lava an der Mündung des Vulkanschlotes,
bei der Eruption saurer Laven (Trachyt, Andesit, Rhyolith). Das
Innere der Anhäufung wird von in Schmelzfluß befindlicher Lava
erfüllt, welche sehr zähflüssig ist; die Oberfläche wird von Blöcken
bedeckt, die in dem Maße, als die Erstarrung fortschreitet, abstürzen
und dann für das Innere eine Art steinigen Panzers bilden. Zu
diesem Typus sind die Dome der erloschenen Vulkane, im besondem
die trachyiischen der Puyskette zu rechnen. Die Eruption von San-
torin bot 1866 den Beobachtern Gelegenheit, dem Aufbaue eines
solchen Domes beizuwohnen, dem man die Bezeichnung Cumulovulkan
gab. Da sich der Georgios von 1866 schnell in einen Vulkan mit
Krater umwandelte, fehlte fast vollkommen die Kenntnis, in welcher
Weise eine solche Bildung sich entwickelt nnd funktioniert; vor allem
verstand man die Entstehung der bizzarren Formen nicht, welche die
Oberfläche aufweisen kann, und von denen Stübel einige, durch er-
loschene Vulkane in Ecuador vertretene schöne Beispiele abgebildet
hat Auf diese Fragen geben jetzt die Beobachtungen am Mont Pele
Antwort
In den ersten Tagen der Eruption hatte sich im alten Krater
(fitang-Sec) eine Lavamasse au^^estaut, deren Verhältnisse Lacroix
bei seinem ersten Besuche wegen eingetretenen Nebels nicht genau
erkennen konnte; dagegen konnten die amerikanischen Geologen
Heilprin und Hovey einen flüchtigen Blick auf diesen Gipfel werfen
und beschreiben ihn als Schuttkegel. Bei den Besteigungen seit
Oktober gelang es Lacroix nachzuweisen, daß diese Anhäufung in
Wirklichkeit nicht aus Trümmern und Schutt sondern aus kompakter
und zusammenhängender Lava besteht Seitdem wurden Tag für
Tag die Entwicklungsfortschritte dieses in der Bildung begriffenen
Domes verfolgt, vor allem die Entstehung jener Art von Zahn, der
Vulkanismus. 233
auf seinem Gipfel steht und heute den Beigkajnm um mehr als 300 m
überragt So oft als möglich wurden die Teile desselben gemessen,
photographiert oder gezeichnet, und hieraus ergab sich dessen Empor-
steigen manchmal zu mehr als 10 m innerhalb 24 Stunden, das
übrigens oft teilweise durch Ab- oder Einstürze ausgeglichen wurde.
Dieser Dom wächst durch aus der Tiefe kommende Schmelz-
masse, aber mittels zweier verschiedener Vorgänge: einmal durch
Zufluß von viskoser Lava auf den Eegelspalten, die bei Nacht
leuchtend sichtbar ist, dann aber durch langsame Erhebung der
ganzen Masse oder wenigstens eines Teiles derselben. Der Gipfel-
zahn zeigt sich bei der Betrachtung von den Eraterrändern aus nicht
mehr in der Gestalt eines spitzen Obelisken, wie er vom Meere aus
erscheint, sondern ist in Wirklichkeit nach Südwest gekrümmt,
während er nach Norden, Osten und Südosten eine zylindrische,
polierte und durch Reibung senkrecht gestreifte Oberfläche besitzt
Seine südwestliche Seite allein folgt nicht regelmäßig der aufsteigenden
Bewegung der andern Seiten, auch zertrümmert sie andauernd zu
gleicher Zeit, in der sich die Krümmung des Zahnes deutlicher aus-
bildet Daraus erklären sich die ruinenförmige Struktur des süd-
westlichen Eegelteiles, die ununterbrochenen dort stattfindenden Ab-
stürze und der Umstand, daß der Gipfel die von ihm mehrmals
erreichte Höhe von etwa 1550 tu (13. März 1568 m) nicht erheblich
zu überschreiten vermag.
Zu Santorin verbarg das unzusammenhängende Material, das
durch Absturz von der in Bildung begriffenen Lavaanhäufung ent-
standen war, letztere den Augen der Beobachter, weshalb das Ganze
sehr wohl den ihm beigelegten Namen Gumulovulkan verdiente; da-
gegen rollte auf Martinique, infolge der Lage der auf dem Gipfel des
Berges gelegenen Lavamasse, der größte Teil des sich jeden Tag
bildenden Vulkanschuttes die sehr abschüssigen Gehänge abwärts,
entweder in das Tal des Blancheflusses oder in die Eraterrille
(zwischen Zentralkegel und Eraterrand); der massive Fels lag fast
überall nackt
Die Beobachtung von Lacroiz ist um so interessanter, als der
neue Dom sich inmitten einer alten Caldera erhebt; nach und nach
füllt er deren Höhlung und ist schon mit ihrer westlichen V^and
verschweißt Man hat also das ziemlich seltene Beispiel zweier
vulkanischer Typen von sehr verschiedenem Alter und abweichender
Bildungsweise vor Augen, die aufeinander gepfropft sind und viel-
leicht miteinander verschmolzen werden, sobald die Eraterrille voll-
ständig ausgefüllt sein wird.
Man wußte längst, daß sich bei frühern Eruptionen einiger
Vulkane dichte Wolken von hoher Temperatur gebildet hatten, die
den Boden abgeschert und ihre Verwüstungen weithin erstreckt hatten,
wobei sie auf ihrer Bahn alles Leben zerstörten (so die Eruptionen
von San Jorge auf den Azoren 1580 und 1808), von ihrem Wesen
234 Vulkanigmos.
und ihren mechanisch ausgeübten Wirkungen besaß man jedoch keine
zuverlässige Kunde. Die Bildung feuriger Wolken war nun einer
der wesentlichen Züge der letzten Eruption des Mont Pel6, und die
zahlreichen Eruptionen dieser Art, welche Lacroix vom Oktober bis
zum Februar aus der Nähe beobachtete, haben ihm gestattet, fest-
zustellen, daß sie gebildet werden durch den Auswurf von Oasen
und Dämpfen, welche eine ungeheure Menge von Asche und neu-
gebildeten Andesitblocken mit fortrissen, und zwar in abwärts ge-
neigter Richtung. Gegenwärtig gehen sie von der südwestlichen Basis
des Gipfelzahnes des Domes aus, von dem sie fast immer einen Teil
fortreißen. Im Laufe der während des Winters beobachteten Eruptionen
blieb die Bahn dieser dichten Wolken beständig auf das Tal des
Blancheflusses beschränkt, und es läßt sich nachweisen, daß ein Er-
eignis gleicher Art auch bei den großen Eruptionen vom 8. und 20. Mai,
vom 9. Juli und 80. August eintrat, doch erstreckte sich damals die
Wolke über eine bedeutend größere Fläche und nahm ihre Bahn zum
Teile über die unglückliche Stadt Saint-Pierre, deren Zerstörung sie
herbeiführte. Am 90. August sind die feurigen Wolken sogar über
sämtliche äußere Abhänge des Kraters gerollt, und solches war auch
bei den zerstörenden Eruptionen auf St Vincent der FalL Sie haben
damals ihre Verheerungen auf Mome Rouge und Ajoupa Bouillon
ausgedehnt, obwohl das Maximum ihrer Wirkung noch gegen Süd-
west gerichtet blieb. Dabei waren alle diese großen Eruptionen von
jenen heftigen senkrechten Auswürfen von Asche, Lapillis und Bomben
begleitet, wie solches bei normalen vulkanischen Eruptionen statt-
findet Diese vertikalen Auswürfe, welche auf der Insel Schrecken
verbreiteten, sind indessen nicht von erheblichen Schädigungen gefolgt
gewesen und haben bei den Eruptionen dieses Winters ganz gefehlt»
wo die feurigen Wolken allein zerstörend wirkten.
Die WlFkungswelse und das Weaen der vulkaniseken
VoFgängre des Jahres 1902 auf den westlndisehen Inseln
bildete den Gegenstand einer Untersuchung von Dr. A. Stübel.^) Dieser
berühmte Vulkanologe ist bekanntlich durch seine Forschungen an den
europäischen, besonders aber an den andinischen Feuerbergen und
durch kritische Vergleichung der irdischen mit den Kraterbergen des
Mondes zu der Überzeugung gelangt, daß es Vulkanberge geben muß,
die durch eine einzige Eruption gebildet wtirden, daß andere durch
zwei — und diese bilden vielleicht die Mehrzahl — , manche durch
drei oder vier große Ausbrüche ihre jetzige Gestalt erhielten, und
daß wieder andere durch eine lange Reihe von verhältnismäßig kleinen
Eruptionen, wenn auch nicht vom Grunde aus aufgebaut, so doch
vergrößert worden sind. Diesen letztern mißt er unter den vulka-
^) Veröffentlichung der vulkanologischen Abteilung des Grassi-Museums
in Leipzig. 1906.
Vulkanismus. 235
nischen Schöpfungen die geringste Bedeutung bei, obgleich sie bisher
die Auünerksamkeit am meisten auf sich gezogen haben. Er gelangte
dadurch aber auch zu der Oberzeugung, daß die Vulkanberge (die
mächtig großen Abraumhaufen der unterirdischen Werkstatten) als
solche unser Interesse nur in bedingtem Maße verdienen, daß man
ihre Größe, ihre Formen, ihre Tektonik und ihr Material hauptsächlich
deshalb studiert, weil man aus diesen erforschbaren Dingen sichern
Aufschluß über die Vorgänge erhält, die sich in jenen Werkstätten
abgespielt haben. In diesen Werkstätten muß man nach Stübel Herde
unterscheiden, die sich durch einen Ausbruch, durch zwei oder mehr,
immer aber durch eine nur kleine Zahl von Ausbrüchen erschöpfen,
und dies überzeugt dann davon, daß die scheinbar permanente
Tätigkeit nur als eine ausnahmsweise in die Länge gezogene 2.,
3. oder 4. Ausbruchsperiode betrachtet werden kann. Dr. Stübel
zeigt femer, daß infolge dieses Verhsdtens der Herde gewisse Berg-
formen und gewisse Kombinationen immer wiederkehren, und daß
unter den einfachen Bergformen die Dome und die Galderen die
Hauptrolle spielen, die steilen Eegelberge dagegen nur den langsamen
Sterbeprozeß eines Herdes zu charakterisieren scheinen, und unter
den Kombinationen die des Somma -Vesuvtypus am häufigsten auf-
tritt. An der Hand dieser Ergebnisse und mit Rücksicht auf
die gewaltigen Ausbrüche von Martinique und St Vincent fragt es
sich nun, welcher Art von Herden die vulkanischen Schöpfungen
dieser beiden Inseln angehören? Die Ausbruchserscheinungen beim
plötzlichen Wiedererwachen des Mt Pele und der Soufriere, die für
die Bewohner der beiden Inseln so verhängnisvoll geworden sind,
konunen für die Beantwortung der Frage an erster Stelle nicht in
Betracht, denn jeder Fachmann weiß, daß diese Erscheinungen selbst
und die Produkte, die sie zutage fördern, unsere Kenntnis von dem
Wesen des Vulkanismus nur wenig zu bereichem vermögen. Dagegen
ist, wie Dr. Stübel betont, ein genaues Studium der topographischen
Verhältnisse der beiden Inseln, zumal die Untersuchung ihrer von der
erneuten Tätigkeit völlig verschont gebliebenen Teile am ehesten ge-
eignet, Aufschluß darüber zu geben, inwieweit die gegenwärtige
Tätigkeit der Ausbmchszentren Mont Feie und Soufriere von der hier
früher entfalteten abhängig ist
Auf Grund des kartographischen Materials kommt Dr. Stübel zu
dem Ergebnis, daß Martinique zu denjenigen vulkanischen Inseln
gehört, die sich aus mehrem dicht benachbarten und scharf indivi-
dualisierten Vulkanbauen zusammensetzen. »Jeder derselben gibt sich
als die Schöpfung eines besondern Emptionszentrums auch jetzt
noch deutlich zu erkennen, nachdem die Tätigkeit der Atmosphärilien
die ehedem konischen Bergmassen in mehr oder weniger radial an-
geordnete Qebirgszüge aufgelöst hat, in Gebirgszüge, die von ihren
Zentren aus gegen die Küste zu verlaufen und zugleich an Höhe ab-
nehmen. Die etwa 68 Ann lange Insel zerfällt zunächst in 2 Teile,
236 VulkanismiiB.
in einen nördlichen großem und einen südlichen kleinem. Da, wo
diese beiden Teile zusammenstoßen, ist die Insel am schmälsten und
auch am niedrigsten. Und allein der Umstand, daß sich hier die
Baue von verschiedenen Empüonszentren mit ihren weit vorgeschobenen
Ausläufern im Niveau des Meeresspiegels nicht ganz berühren, scheint
die Bildung der großen Bucht zu erklaren, welcher die Stadt Fort-
de-France ihren geraumigen Hafen verdankt Der nördliche Teil von
Martinique setzt sich auch seinerseits wieder aus zwei scharf ge-
trennten Bergmassiven zusammen, aus dem des Mont Garbet und
dem des neuerlich so viel genannten Mont Pele. Die beiden Massive
werden gegen Osten durch das Tal der Riviere Capot und gegen
Westen durch das der Riviere Roxelane, an deren Mündung St. Pierre
gelegen war, getrennt Das an Umfang größte topographische Glied
im Aufbaue der Insel Martinique bildet der Gebirgsstock, dessen höchste
Punkte Les Pitons du Garbet genannt werden, und dessen Durch-
messer etwa 23 km bei einer Höhe von 1207 m beträgt Wir
glauben, sagt Dr. Stübel, diesen Bau nicht nur seiner äußern Er-
scheinung nach, sondern auch hinsichtlich der Lagerungsverhältnisse
der Gesteinsbänke, die ihn zusammensetzen, richtig zu beurteilen,
wenn wir ihn als den Übeirest eines flachen Kegelberges auffassen,
in dessen zentralen Teil eine gegen Süden weit geöffnete Galdera
von etwa 8 km Durchmesser eingesenkt ist Die Pitons du Garbet,
Morne du Lorrain und andere Felsspitzen mehr sind dem Anscheine
nach Höhenpunkte auf dem Kamme dieser Galdera, nicht die Gipfel
genetisch selbständiger Berge. Demnach würde das Massiv des Garbet
eine Art Somma darstellen und als die Schöpfung eines einzigen ge-
waltigen Ausbmches, als ein monogener Bau zu betrachten sein.c
Der Mont Pele im Norden der Insel ist ein typischer Vulkan-
kegel, dessen Abhänge freilich einen merkwürdig geringen Neigungs-
winkel zeigen; befremdlich ist dies deshalb, weil Ausbmchskegel,
die eine so flache Gestalt zeigen, nicht wohl durch eine große Zahl
relativ kleiner Ausbrüche im Laufe der Jahrtausende au^eschichtet
werden können, während doch die tektonische Beschaffenheit des
Mont Pele seine Aufschüttung aufs deutlichste bekunden solL Dieser
Widerspmch läßt sich nach Dr. Stübel nur durch die Voraussetzung
erklären, >daß die Hauptmasse des Berges das Produkt eines einzigen
großen Aufschüttungsvorganges gewesen ist, und daß Inder ungeheuren
Masse des dabei ausgestoßenen Materiales das glutflüssige, leicht
bewegliche Magma gegenüber zähflüssigen Agglomeratlaven und losen
Auswurfsprodukten die Oberhand gewonnen haben muß.c »Der flache
Konus des Mont Pele«, fahrt Dr. Stübel fort, »setzt sich in der
Hauptsache aus radial angeordneten Bergrücken zusanunen, deren
Verlauf nicht nur auf eine vielfach ungleichmäßige Anstauung der
Eruptivmassen, sondern auch auf sekundäre Ausbruchszentren schließen
läßt, die ihre Herde in der Bergmasse selbst hatten, und die mit
der Erkaltung der Bergmasse ihre Aktionsfähigkeit einbüßten. Diese
ValkamBmus» 237
Bergrücken sind durch tiefe Taler voneinander getrennt Was die
Täler anbetrifft, welche schon während des großen Auf stauungsprozesses
vorgezeichnet und später durch Erosion nur erweitert worden sind,
so verdient die Südwestseite des Berges unsere Beachtung am meisten.
Hier liegt das weite Tal der Riviere Blanche, welches bei der letzten
Eruption eine HauptroUe gespielt hat und schon vorher auch dadurch
bekannt war, daß in seinem obem Teile eine geringe Fumarolen-
tatigkeit fortbestand. Wir tragen kein Bedenken, diese unverkennbar
größte Einsenkung am Abhänge des Mont Pele als eine Art Calderatal
au&ufassen. Der Ausbruch des Jahres 1902 hat gerade an der Stelle
seinen Anfang genommen, wo diese Fumarolen lagen.«
Die Aufschichtung der Bergmasse des Mont Pele in ihrer Er-
streckung über wie unter dem Meeresspiegel schreibt Dr. Stübel
der 1. Ausbruchsperiode eines lokalisierten Magmaherdes zu. Schon
vor den geschichtlichen Ausbrüchen war er hiemach nahe bis zu
seiner jetzigen Höhe emporgewachsen. »Der Eintritt der 2. Eruptions-
epoche seines Herdes, durch die der Berg zugleich in die Zahl der
tätigen Vulkane übergeführt worden ist, fällt jedenfalls in eine sehr
weit zurückliegende Zeit In welchem Größen- und Volumenverhältnisse
diese jüngere Schöpfung zu ihrem Fundamentalbaue steht, und in
welcher Art sie sich demselben anschließt, bleibt für den Mont Pele
noch zu ermitteln, doch dürfte die tropische Vegetation, welche seine
Abhänge bedeckt, die Lösung dieser Aufgabe sehr erschweren. Die beiden
einzigen geschichtlich bekannten Ausbrüche fanden in den Jahren
1792 und 1851 statt, der erstere aber ist nicht einmal sicher be-
glaubigt, imd jeder dieser Ausbrüche hat zur Vergrößerung des in
vorgeschichtlicher Zeit gebildeten E^raterkegels wohl nur wenig bei-
getragen. Das gleiche gilt aber auch von dem neuesten Ausbruche
trotz der ungeheuren Masse der Auswurfsprodukte, die aus seinem
Krater hervorgegangen sind.«
Die vier bis sechs großem vulkanischen Baue, aus denen
Martinique zusanmiengesetzt ist, stehen nach Stübel höchst wahr-
scheinlich über einem großen horizontal ausgedehnten Herde, der
nicht von einem Punkte aus den Oberfluß seines Magmas abzuführen
vermocht hat. Was den neuesten Ausbrach des Mont Peleherdes
selbst anbelangt, betont Dr. Stübel, daß derselbe keine Erscheinungen
hervorgerufen habe, die nicht auch anderwärts beobachtet worden
wären. Als auffallend sei aber hervorzuheben, daß Lavaergüsse weder
aus dem wiedergeöffneten Krater, noch am Abhänge des Berges statt-
gefunden haben. Die zuerst als Feuerstrom beschriebene Ergußmasse^
welche ihren Weg durch die Riviere Blanche nahm und die Zucker-
fabrik des Dr. Guerin zerstörte, hat sich später als Schlammstrom
erwiesen. Um das Auftreten solcher Schlammergüsse zu erklären,
bedarf es aber nach Stübel nicht der Voraussetzung, daß Meerwasser
in den Herd eingedrungen sei ; vielmehr sei die in dem vielleicht nur
scheinbar flachen Kratersee (Lac des Palmistes) angesammelte Wasser-
238 yulkaiuflmiifl.
menge gewiß für die einmalige Hervorbringung eines solchen Stromes
völlig ausreichend gewesen. Die Lawine scheint ihren Ursprung etwas
unterhalb des Gipfelkraters, am Etang sec, dem/Schauplatxe alter
Fumarolentati^eit, genommen zu haben und hat, da sie sich bis
ins Meer ergoß, einen Weg von etwa 6 km zurückgelegt
Daß aber bei dem Maiausbruche der Mont Peleherd glutflüssiges
Magma überhaupt nicht ergossen haben sollte, hüt Dr. Stüb^ für
in hohem Grade unwahrscheinlich ; vermutlich hat es sich unterseeisch
einen Ausweg gebahnt Er weist auf Beispiele hin (auf Hawaii,
Reunion und Santorin) in d^ien submarine Lavaergießungen in großem
Maßstabe stattfanden, ohne daß sie sich an der Oberflache des Meeres
auch nur im geringsten bemerkbar machten. Die Zerstörung des
Telegraphenkabels bei Martinique ist nach Stübel sehr wahrscheinlich
auf einen solchen unterseeischen Lavaerguß zurückzuführen, und
zwar muß derselbe bereits vor dem großen Ausbruche des Mont Pele
eingetreten sein, denn schon am 7. Mai war der Dampfer Pouyer-
Quertier damit beauftragt, das schadhaft gewordene Kabel aufzusuchen
und zu heben.
Auch ist bekannt, daß submarine Lavaergüsse lokale Flutwellen
hervorrufen können, wie solche am 8. Mai bei Martinique stattgefunden
haben und sich auch nach dem bei jeder großen Kraterexplosion des
Mont Feie wiederholten. Man kann daher nach Dr. Stübel mit größter
Wahrscheinlichkeit die Kraterexplosionen nur als Begleiterscheinungen
von unterseeischen Lavaergüssen an einer und derselben Ausbruchs-
stelle ansehen. »Wenn«, sagt er, »der Ätna anstatt 8B00 m nur
(wie der Mont Feie) 1350 m über den Meeresspiegel emporragte, so
würde man den vermutlichen submarinen Lavaerguß des Mont Pele
von 1902 seiner Tiefenlage nach — das zerrissene Telegraphenkabel lag
in 2600 m Tiefe und 26 km von der Küste entfernt — mit dem Flanken-
ausbruche vergleichen können, der im Jahre 1669 Gatania zerstörte, c
Neben der Schlammergießimg hat die Tätigkeit des Mont Feie-
kraters nur bestanden in rasch vorübergehender, überaus gewaltsamer,
mit Feuererscheinung und furchtbaren Detonationen verbundener Aus-
stoßung von totem Materiale, von glühenden Schlacken, Gesteinsstücken
und großen Blöcken, besonders aber von fein zerstäubter Gesteins-
masse, der sogenannten Asche. Wirkliche Höhenpunkte in dieser
Art von Tätigkeit scheint der Herd des Mont Feie außer am 8. Mai,
der für die Bewohner der Umgegend so verhängnisvoll geworden ist,
auch noch mehrmals, z. B. am 20. Mai, 6. Juni, 9. Juli, in den
letzten Tagen des August und am 3. September erreicht zu haben.
Kürzere oder längere Fausen, in denen der Berg fast nur noch rauchte,
liegen zwischen diesen Zeitpunkten des Parozismus. So war es
bereits am 16. Mai möglich, den Berg wieder zu besteigen.
Alle Aufeeichnungen, welche über die Tätigkeit des Mont P^
gemacht wurden, stimmen genau mit der Tätigkeitsart anderer Vul-
kane überein, so daß der Berg keine Sonderstellung unter diesen
lus. 239
einnimmt. Über die genaue Lage des Ortes, an welchem die Ex*
plosion erfolgte, durch die Saint «Pierre zerstört wiirde, gehen die
Ansichten der Fachleute, welche der wissenschaftlichen Untersuchungs-
kommission angehörten, auseinander. Im Oktober 1902 war nach
dem Berichte von Lacroix im Innern des Kraters die Bildung eines
Ausbruchskegels im Gange, was nach den Erfahrungen an andern
Vulkanen auf einen nahen Absdüuß der neuesten Tätigkeitsperiode
hinzudeuten scheint. Im übrigen weist Dr. Stübel darauf hin, daß
der Mont Peleherd offenbar zu denjenigen Vulkanherden gehört, die
nur sehr selten von den Vorgängen Zeugnis zu geben haben, die sich
in ihrem Innern gleichwohl ständig abspielen. Aber gerade deshalb
bleibt er ein gefährlicher Vulkan für die Bewohner seiner nächsten
Umgebung^ denn häufige kleine Eruptionen bieten erfahrungsgemäß
eine gewisse Gewähr gegen plötzliche Gewaltäußerungen großen
Maßstabes.c
»Sollte nicht«, sagt Dr. Stübel weiter, »in dieser letztem längst
bekannten Tatsache eine unbewußte Beglaubigung des lokalisierten
Herdes, selbst seitens derjenigen liegen, die sonst noch immer in
den Vxdkanen die Sicherheitsventile des tiefen Erdinnern erblicken
möchten? Im übrigen aber müssen die Geologen, so schwer es sie
auch ankommt, leider doch zugeben, daß sich ihre Hoffnung, Erup-
tionen und seismische Erscheinungen voraussagen zu lernen, wo-
durch so großem Unheile vorgebeugt werden könnte, in dem Maße
vermindert, in dem ihr Einblick in den Mechanismus der vulkanischen
Kräfte an wissenschaftlicher Grundlage gewinnt.«
Daß der Ausbruch des Mont Pele am 8. Mai 1902 für Saint-
Pierre so verhängnisvoll wurde, ist nach Dr. Stübels Ansicht wohl
hauptsächlich dem Nordostpassate zuzuschreiben, der, wie so oft in
solchen Höhen der tropischen Zone, wahrscheinlich auch an diesem
Tage eine sturmartige Heftigkeit erlangt hat E. Deckert, der den
Mont Pele im Jahre 1898 bestieg, hat ähnliches selbst erprobt, denn
er schreibt in seinem Berichte: »Unsere Träger werden mit ihren
Kopflasten Dutzende von Malen von dem Passatwinde, der zeitweise
Sturmstärke entfaltet, zu Boden geschleudert, ab und zu auch wir
selbst« Ein Wind von ähnlicher Stärke mußte natürlich ausreichen,
um die Auswurfsprodukte des Vulkanes in wenigen Sekunden, noch
völlig glühend, nach dem kaum 8 km entfernten Saint- Pierre zu
tragen« Erst als der Passat bei den gewaltigen Eruptionen, die
Ende August und in den ersten Tagen des September aufs neue
«rtattfanden, vermutlich von seiner Hauptrichtung aJi^gewichen war,
wurden auch die bis dahin verschont gebliebenen Landstriche der
Umgebung von Mome Rouge im Süden und bis gegen das Kap St. Martin
hin im Norden von den Auswurfsprodukten des Mont Pele schwer
beimgesuoht
»Ein Rückblick auf den Verlauf der neuesten Mont Peleeruption
u»d auf die dabei zutage geförderten Auswurfsprodukte muß uns
240 Volkamsmus.
sagen«, fährt Dr. Stübel fort, >daB selbst eine tausendfache Wieder-
holung solcher und ähnlicher Ausbrüche nicht genügt haben würde,
um einen Mont Pele hervorzubringen, auch wenn wir von dem im
Meere untergetauchten, wahrscheinlich seinem Volumen nach noch
weit großem Teile des Massivs ganz absehen wollten. Die vul-
kanische Tätigkeit ist auch hier in ihrer schöpferischen Kraft unver-
kennbar zurückgegangen, aber nicht erst jetzt, sondern sie war es
schon damals, als sie dem flachen Dome des Mont Pele den heutigen
Kraterkegel aufsetzte, der im Laufe der Zeit nur noch geringen Zu-
wachs erfuhr. Die Bildung dieses Kegels in vorgeschichtlicher Zeit
spricht dafür, daß auch der Mont Peleherd seine 2. Ausbruchs-
periode scharf markiert hat, und in seiner heutigen Beschaffenheit
als ein Doppelberg des Somma- Vesuvtypus, wenn auch als solcher
von weniger ausgeprägter Form, betrachtet werden muß.«
Die Insel St Vincent gleicht in ihrer äußern Gestalt der nörd-
lichen Hälfte von Martinique. Der Vulkan Soufriere steUt nach Stübel
ein vollendetes Gegenstück zur Somma des Vesuvs dar, auch fehlt
der zentrale Ausbruchskegel nicht, nur ist er in sich zusammen-
gebrochen, und sein wallartiger Oberrest umschließt einen Kraterkessel,
der vor dem Eintritte der neuesten Eruption das Becken eines Sees
von über 1000 m Durchmesser bildete. Die Höhe dieses Sees über
dem Meere wird auf der englischen Admiralitätskarte zu 596 m an-
gegeben. Dieser wassererfüllte Kraterkessel war der Schauplatz der
gewaltigen Eruptionen, die in den ersten Tagen des Mai 1902 be-
gannen, und deren Wiederkehr auch jetzt noch ebensowenig ausge-
schlossen ist, wie beim Mont Pele. Aus dem Berichte Hoveys, dei
den Krater wiederholt (am 81. Mai und 4. Juni) besuchte und zuletzt,
am 9. Juni, sogar bis zum Gipfel erstieg, ist zu entnehmen, daß
weder die Dimensionen des Kraters, noch die topographischen Ver-
hältnisse seiner Umgebung, trotz der furchtbaren Krafälußerung der
Explosionen und der ungeheuren Massen der hier abgelagerten Aus-
wurfsprpdukte, eine wesentliche Umgestaltung erfahren haben. An
Stelle des Sees im alten Krater zeigte sich (am 81. Mai) eine trichter-
förmige Einsenkung von etwa 200 m Tiefe unter dem Niveau des
frühem Sees und auf dem Boden derselben eine kleine Ansammlung
brodelnden Wassers, aus der eine weiße Dampfsäule emporstieg.
Der Ausbruch des Soufriere begann 2 Tage früher als der
des Mont Pele und wurde durch lokale Bodenerschütterungen ein-
geleitet Auch auf St. Vincent fanden Lavaergießungen aus dem Krater
nicht statt, sondern es handelte sich nur um Schlammströme, Daft
mit Erguß von solchen der Ausbruch der Soufriere begann, darf, wie
Dr. Stübel hervorhebt, nicht befremden, da zunächst die großen
Wassermassen entfernt werden mußten, die den See gebildet hatten^
Sind aber auch dem Krater keine Lavaströme entquollen, so ist nach
Stübel doch auch hier als das wesentlichste Moment im Eruptions-
vorgange die angestrebte Abführung glutflüssigen Magmas zu be-
Vulkanismas. 241
trachten und anzunehmen, daß bei der Soufriere^ wie beim Mont Pele
der Eraterschacht zwar die Rolle eines riesigen Schornsteines für den
Abzug von Gasen und Dämpfen spielte, die schweren Schmelzmassen
aber an einer tiefem, unterseeisch gelegenen Stelle des Berges ihren
Ausweg zu finden wußten. Allerdings vermißt man an der Küste
▼on Sl Vincent Angaben über untrügliche Anzeichen eines submarinen
Ausbruches, wie für Martinique. Da aber unterseeische Lavaergüsse
sehr geräuschlos vor sich gehen können, und Temperaturbeobaohtungen
in den tiefem Meeresschichten der Umgebung von St Vincent nicht
angestellt worden sind, ist die Annahme Dr. Stübels nicht widerlegt,
vielmehr dürfte die imterseeische Austrittsstelle des Magmas nach
seiner Ansicht am ehesten in der Verlängerung des Walliboutales,
das genetisch Ähnlichkeit mit der Riviere Blanche aufweist, vermutet
werden. Sehr auffällige Verändemngen, bis auf 3 km ausgedehnte
Bodenrutschungen, haben nämlich gerade in diesem Teile der Küste,
zwischen Wallibou-River und Morne Ronde-Village, stattgefunden;
jedenfalls, sagt Dr. Stübel, besitzt der Soufriereherd seine eigene
unterseeische Mündung, aus der die Lava a,bfUeßt; es wäre durchaus
unzulässig, anzunehmen, daß die mit aller Sicherheit am Mont Pele
vorhandene Ergußstelle dazu ausreichen könnte, auch den weit ent-
fernten Soufriereherd zu entlasten. Das Verhalten beider Emptions-
zentren im Verlaufe ihrer neuesten Tätigkeitsperiode ist nach Stübel
in allem wesentlichen völlig gleichartig gewesen. »Die Eraptlonen
stimmen namentlich auch in der Plötzlichkeit überein, mit der sie
die, in der Geschichte der Vulkanausbrüche beispiellosen Verheerungen
innerhalb scharf umgrenzter Gebiete verursacht haben. Unverkenn-
bar deutet die scharfe Abgrenzung der Verheerungsgebiete darauf
hin, daß neben dem Ausbmchsvorgange ein äußerer Umstand hinzu
kam, der sowohl für Martinique als auch für St. Vincent derselbe
gewesen ist Als solcher kann aber, um es nochmals zu erwähnen,
nur der Nordostpassat angesehen werden; er trägt offenbar die
Hauptschuld an der Größe des Unglückes. Ohne ihn wären die festen
und gasförmigen Auswurfsprodukte des Kraters nicht in solcher Menge,
nicht so versengend heiß und in so wenigen Sekunden nach Saint-
Pierre oder Wallibou, nach Ghateau Beiair und Georgetown gelangt;
ohne ihn würde einem großen Teile der Bevölkerung dann hinlängliche
Zeit zur Flucht geblieben sein. Der Nordostpassat steigert sich in
den hohem Regionen tropischer Breiten, besonders in Höhen von
über 1000 m, gar nicht selten, wie Reisende zu ihrem Nachteile
oft genug in Erfahrung gebracht haben, zu sturmartiger Heftig-
keit Ein solcher Sturm im Kampfe mit der ungeheuren Gewalt
der vertikal emporgetriebenen Explosionsgase ist aber wohl geeignet,
das Ungewöhnliche der Erscheinung, aus dem der größere Teil des
Unheils für beide Inseln hervorging, einigermaßen begreiflich zu machen.
St Vincent hat bei den Ascheausbrüchen der Soufriere weit
mehr unter der verheerenden Wirkung des Passats zu leiden, als
Klein, Jalirbuch XIV. 16
242 Vulkanismus.
Martinique bei solchen des Moni Pele, weil die Soufriere so gelegen
ist, daß der über den Krater hinwegwehende Wind die Insel fast in
ihrer Längenausdehnung bestreicht, während auf Martinique nur noch
ein kleiner Teil der Insel von dem den Moni Pele passierenden Winde
gestreift wird.«
So verheerend nun auch die Ausbrüche auf Martinique und
St. Vincent waren, denen sich geringe vulkanische Regungen auf
Dominica und Barbados anschlössen, so sind sie im geologischen
Sinne doch sehr unbedeutend, und Dr. Stübel ist durchaus berechtigt,
auszusprechen, daß sie keineswegs mit der Tätigkeit des großen
Zentralherdes der Erde in Verbindung gebracht werden dürfen. Ander-
seits aber sind diese Erscheinungen doch so gleichzeitig an den ver-
schieden Punkten eingetreten, daß ihnen ein innerer Zusammenhang
nicht wohl abgesprochen werden kann. »Wenn es schon auffällig
sein mußte«, sagt Dr. Stübel, »daß die neuesten Tätigkeitsperioden
beider Zentren ihren Anfang fast gleichzeitig nahmen, so wird dem
Glauben an das Walten eines Zufalles der Boden dadurch entzogen,
daß die Ausbrüche vom 3. September, die der Katastrophe vom 7. und
8. Mai an Intensität kaum nachstanden, ja hier und dort wiederum
gleichzeitig eintraten, diesmal sogar auf den gleichen Tag fielen.
Durch diese gewiß sehr merkwürdige Tatsache könnten wir zu dem
Schlüsse verleitet werden, daß beide Ausbruchszentren einem gemein-
schaftlichen Herde angehören müßten, wenn nicht zugleich auch der
Anachronismus ihrer Tätigkeit für das Gegenteil spräche. Daß beide
Herde, der des Mont Pele und der der Soufriere in der Tat als un-
abhängig voneinander betrachtet werden müssen, bekunden außer
den kleinem, nichtkoinzidierenden Eruptionserscheinungen in noch
schlagenderer Weise die frühem, in historische Zeit fallenden Aus-
brüche beider Vulkane, die, obgleich sie große Ausbrüche gewesen
sind, dennoch nicht koinzidierten. Für Biartinique kommt, neben dem
zweifelhaften Datum von 1792, mit Sicherheit allerdings nur eine
Jahreszahl, 1851, in Betracht, für St Vincent dagegen deren zwei,
1718 und 1812. Dieses schwankende Verhalten beider Vulkane in
ihren Beziehungen zueinander führt uns zu der Ansicht, daß die hier
in Frage stehenden Inseln sicherlich über getrennten Herden liegen,
daß diese aber auch noch mit einem ihnen gemeinschaftlichen, wahr-
scheinlich weit aktionsfähigem und tiefer gelegenen Herde in Ver-
bindung stehen. Bei dem neuesten Ausbruche im karibischen Meere
möchten wir nun annehmen, daß es nicht die Einzelherde gewesen
sind, welche aus eigener Ejaftentfaltung in Tätigkeit traten, sondern
gewaltige Expansionsvorgänge, die sich in einem tiefem Herde voll-
zogen und auf die höher gelegenen Herde in verschiedenem Grade,
je nach der Gangbarkeit der Verbindungskanäle einwirkten. Und
nichts könnte diese Auffassung der Verhältnisse besser stützen, als
die ungeheuren Massen toten Materiales die zunächst ausgestoßen
werden mußten, um dem von unten wahrscheinlich nachdringenden
VolkaniBmus. 243
Blagma Raum zu schaffen. Was ein solcher Raum nicht zu fassen
vermag, fließt dann in Strömen über, sei es durch den Schacht eines
alten Kraters, oder sei es durch einen neu erbohrten seitlichen Aus-
weg. Auf diese Weise würde sich wenigstens das gleichzeitige Ein-
treten von vulkanischen Reaktionen verschiedener Intensität und
Äußerungsart an weit auseinander liegenden Orten möglicherweise am
einfachsten erklären lassen, c
Schließlich wirft Dr. Stübel die Frage auf, was die Ausbrüche
des Jahres 1902 im Karibischen Meere bezüglich der Frage lehren,
ob die Tätigkeit vulkanischer Kräfte eine Herstellung permanenter
Verbindung mit dem tiefem Erdinnem anstrebe, oder ob es sich dabei
nur um Gewaltäußerungen handle, die von einem enger umgrenzten
Ursprungsorte ausgehen?
>Wäre das erstere der Falle, sagt er, >so würde das Wieder-
erwachen eines Vulkanes nur die Fortsetzung seiner frühem Tätigkeit
sein, es würden an einem und demselben Ausbmchsorte unermeß-
lich große Eraptionen mit verschwindend kleinen in willkürlicher
Reihenfolge miteinander abwechseln können; jeder Lavaerguß würde,
auch wenn er zu den größten der irdischen Vulkane gehörte, doch
nur einen Tropfen der ungeheuren Magmamasse darstellen, die der
unerschöpfliche Behälter des Erdinnem birgt
Dies wäre die Folge der Tätigkeitsart, die man bisher sehr
allgemein als die der irdischen Vulkane vorausgesetzt hat.
Ihr gegenüber steht eine andere, auf neuere, vergleichende Be-
obachtungen gegründete Ansicht (nämlich eben die Dr. Stübels), die
der vulkanischen Tätigkeit in der Gegenwart bestimmte Grenzen zieht
Nach ihr schöpfen die emptiven Kräfte, im Vergleiche mit den Er-
zeugnissen ihrer frühem Tätigkeit am gleichen Orte, nicht mehr aus
dem vollen einer uneingeschränkten Leistungsfähigkeit, sondem das,
was sie an glutflüssigem Magma unter sonst nebensächlichen Gewalt-
äußerungen ausstoßen, ist das Maximum ihrer Leistungsfähigkeit für
einen bestimmten Herd und für ein ebenso bestinmites Stadium im
Absterben desselben. Infolgedessen läßt sich der Eintritt von uner-
meßlich großen Ausbrüchen aus noch fortwirkenden Emptionszentren
nicht erwarten; die Aktionsfähigkeit der Vulkanherde muß sich viel-
mehr, wie es scheint, immer innerhalb gewisser Grenzen halten, die
für das eine Eraptionszentmm weiter, für das andere enger gezogen
sind. Sofem also plötzliche Steigerungen in der Tätigkeitsart eines
Vulkanes eintreten, können auch sie diese Grenzen nicht überschreiten.
Die wissenschaftliche Bedeutung, die der neueste Mont Pele-
ausbruch für sich in Ansprach nehmen darf, ist in der Bestimmt-
heit zu suchen, mit der er auf das lokale Wirken der vulkanischen
Kräfte in der Gegenwart hinweist Und dies geschieht um so nach-
drücklicher, als auch ein zweites, benachbartes Zentram, das von
St Vincent, zugleich in Aktivität versetzt worden ist In dieser
Oleichzeitigkeit liegt also der Schwerpunkt der vulkanischen Begeben-
16»
244 Vulkaiusmas.
heit des Jahres 1902 an dieser Stelle. Beide Eruptionszentren arbeiteten
unverkennbar, wenn auch gleichzeitig, so doch völlig unabhängig
voneinander, was sicherlich nicht stattgefunden hätte, wenn nur ein
in unendlicher Tiefe gelegener Herd in Frage gekommen wäre, dess^i
Leistungen auch dynamisch dieser Tiefe entsprochen haben müßten.
Und um das Bild eines so unbedeutenden Wirkens der vulkanischen
£[räfte, das die letzten Ausbrüche im Karibischen Meere vor unsem
Augen aufgerollt haben, zu vervollständigen, darf auch die Gering-
fügigkeit der Reaktionen auf andern Inseln der Antillengruppe der
jetzigen und früliem Ausbruchsperioden nicht übersehen werden. Alle
Erscheinungen deuten darauf hin, daß es sich auch in diesem aus-
gedehnten Vulkangebiete nur um das Wirken lokalisierter, im Ersterben
begriffener Herde handeln kann. Daß glutflüssiges Magma aus bereits
vorhandenen Kratern ergossen worden, ist nicht zu beobachten ge-
wesen, daß aber solches dennoch als die eigenüiche materia peccans
aqgesehen werden muß, und auch in diesem Falle, wie ao häufig,
unterseeisch zum Austritte gelangt ist, kann nicht bezweifelt werden.
Es wird also durch die neusten Eruptionsvorgänge auf den Kleinen
Antillen die Richtigkeit des Satzes keineswegs in Frage gestellt, daß
der Zweck aller vulkanischen Tätigkeit die Ausstoßung einer ge-
wissen Menge glutflüssigen Magmas ist, die sieh für einen bestimmten
Herd und vielleicht nur für eine bestimmte Stelle desselben vorüber-
gehend notwendig macht, nicht aber die Schaffung einer bleibenden
Verbindung mit dem Ursprungsorte dieses Magmas angestrebt wird.
Die Ausstoßung eines solchen Quantums glutflüasigen Magmas allein
vermag den Gleichgewichtszustand im Innern des Herdes auf längere
oder kürzere Zeit wieder herzustellen, je nach dem Grade der Er-
schöpfung, in der er sich bereits befindet
Es war zu erwarten, daß die Herde des Mont Pele und der
Soufriere diese Erkenntnis gleichfalls bestätigen würden, und die»
ist aud^ soweit sich der Verlauf der Begebenheit bis jetzt über-
blicken läßt, wirklich der Fall gewesen.
Nichts aber vermag beweiskräftiger für das Vorhandensein be-
grenzter, peripherischer Herde zu sprechen, als die Erzeugung toten
MaterialeB, der Schlacken und Asche in so ungehewen Mengen, wie
sie besonders beim Beginne einer Eruptionsepoche zur Auastoßong
gelangen und auch hier wieder gelangt sind. Schlacken bilden sich
bei der Erstarrung gasreichen Magmas durch Abgabe von Wärme,
die, wenn auch weit langsamer als in freier Luft, gleichfalls in den
geschlossenen Räumen peripherischer Herde vor nch gehen muß. Da
abear Magmamassen, die peripherischen Horden angehdrea, euae Er-
gänzung der von ihnen abgegebenen Wärme aus der Tiefe des etwaigen
Zenlralherdes wahrscheinlich nicht in gleichem Maße ihres Verluflrtes
erfahren, so liegt es auf der Hand, daß diese Heide zugleich «uch
Erzeugungsorte großer Schlackenmassen sein müssen. Und von dem
quantitativen Verhältnis, in welchem der Rest der giutflüasigea Füll-
i
Valkanismos. 245
masse solcher Herde zu der bereits in Erstarrung übergegangenen
oder übergehenden steht, wird im allgemeinen die größere oder ge-
ringere Menge des toten Materiales abhängen, daß wir bei Eruptionen,
wie auch jetzt wieder bei denen des Mont Pele und der SouMere
ausgestoßen sehen. Je länger die Pausen zwischen den einzelnen
Ausbruchsperioden währen, umsomehr wird, wie man voraussetzen
darf, das Quantum des toten Materiales in der Tiefe anwachsen; seine
Ausstoßung ist daher keineswegs ein Beweis für die vitale Kraft
eines Herdes, sondern für dessen Siechtum, das einen letalen Aus-
gang unfehlbar nehmen muß.
Die eigentliche, weithin schreckenverbreitende Eratertätigkeit der
auf der Erde noch vorhandenen Ausbruchszentren entspringt lediglich
dem Kampfe des energiebegabten Magmas mit dem toten Materiale,
durch dessen bergartige Aufschichtungen es selbst der Äußerung seiner
Kraft im Laufe der Zeit feste Schranken zieht, und die es bei jeder
aufs neue erzwungenen Durchbrechung nur noch verstärkt, indem es
ihnen weitere tote Blassen hinzufügt, c
>Die Tätigkeitsperioden ersterbender Herde pflegen mit Schlacken-
und Aschenauswürfen zu beginnen und schließen auch zumeist mit
solchen ab, doch zeigen sie sich dann von geringerer Heftigkeit und
Dauer. Die so vorherrschend aus totem Materiale aufgeschichteten
Kegel sind die Schlußstücke der gewaltigen Grabmonumente, die sich
die vulkanischen Kräfte dort, wo sie ihre einstige Tätigkeit walten
ließen, errichteten oder zu errichten noch fortfahren.«
Der Puy de Dome ist von Dr. F. Verbeek auf Grund eigener
Ersteigung geschildert worden.^) Seine Höhe beträgt 1466 m, und
sein Besuch wird von Clermont-Ferrand aus unternommen, eine Stadt,
die von den Puys in weitem, nach Osten geöffnetem Halbkreise um-
lagert ist, aus dessen Mitte die beherrschende Kuppe des Puy de Dome,
von allen Plätzen der Stadt sichtbar, hervorragt Der oberste Teil
des Berges ist waldlos, die obem Hänge sind mit spärlichem Grase
bedeckt, der Gipfel selbst bildet ein kleines Plateau, das wieder von
einem Hügel überragt wird. Oben befindet sich (seit 1876) ein
meteorologisches Observatorium, das mit Glermont telephonisch und
telegraphisch verbunden ist »Vom Puy de Dome, der wie ein mäch-
tiger Aussichtsturm diese interessante Welt überragt, lassen sich be-
sonders schön die Kratere erkennen, die in den verschiedensten Formen
die alten Feuerberge krönen. Da senkt sich nach Norden der Blick
steil hinab in den Krater des kleinen Puy de Ddme, dessen Wände
fast gänzlich aus Schlacken bestehen, und der wegen seiner regel-
mäßigen Form Hennennest — nid de la poule — genannt wird.
Weiter nördlich erhebt sich der Puy de Pariou mit seinem kreis-
runden, 810 m im Durchmesser und 93 m in die Tiefe messenden
') Deutsche Geogr. Blätter 1908. 2«. p. 106.
246 Vulkanismus.
Erater« der wieder von einem teilweise erhaltenen, sommaartigen
Eraterrande umgeben ist. Aus ihm hat sich yoreinst ein mächtiger
Lavastrom ergossen, der sich die Hänge des Plateaus herunter bis
nach Giermont zieht Noch größer ist der Lavastrom, der aus dem
westlich danebenliegenden Puy de Gome geflossen ist. Von seinem
Ausgangspunkte bis zum Bette der Sioule, wo er sein Ende nimmt,
mißt er 10 km. Weiter nördlich sieht man de Puy Ghopine, der mit
seinem Krater in den großem Schlund des Puy de la Qoutte einge-
schachtelt ist Auch nach Süden hin erhebt sich noch eine Reihe
von Puys, zwischen denen der Lac d*Aydat hervorblitzt, dessen
Spiegel der Stauung des Veyrebaches durch einen Lavastrom sein
Dasein verdankt. Was diese vulkanische Gegend so anziehend macht,
das ist der Schein der Neuheit, der über ihr liegt; die öden Krater-
berge scheinen noch zu drohen, die tief zerrissenen Lavaströme sehen
aus, als wären sie erst jetzt geflossen. Das Volk betrachtet sie
daher auch mit Mißtrauen, da sie ihm einen großen Teil anbaufähigen
Bodens rauben ; und es werden noch Jahrtausende vergehen, ehe der
Pflug über diese Steinwüsten geführt werden kann. Der Name Gheires,
womit es sie benennt, ist auch auf die Karten übergegangen.
Über die südlichen Puys hin schweift das Auge auf die mit
Hügeln besäte und von Tälern zerrissene Hochebene, die sich nach
Osten hin langsam abfallend in die weite Ebene von Limousin verliert
Nach Süden findet der Blick auf die Hochebene eine Schranke
durch das mächtige Massiv des Mont Dore. Das treffUche Fernrohr
des Observatoriums läßt die Einzelheiten deutlich erkennen ; die tiefen
Täler, die von den Flüssen in seine Flanken eingegraben sind; die
nadelscharf aufsteigende Pyramide des Puy de Sancy, seine felszer-
rissenen Hänge nach dem Val d'enfer. Dskhinter aber, schon in be-
trächtliche Feme gerückt, erhebt sich breit und massig der Rücken
des Gantal. Weiter im Südwesten zieht sich ein langgestrecktes,
nach Nordwesten gerichtetes Gebirge hin ; in seiner mauerartigen Er-
hebung erinnert es an den Schweizer Jura. Doch das Femrohr löst
es in eine Menge von Kegelbergen auf; mit seinen zahlreichen krater-
tragenden Puys gleicht es einer großen Fabrikstadt, in der sich Esse
an Esse reiht Es sind die zwischen den Quellen von Loire und
Allier gelegenen Gevennen von Velay.«
Die Vulkane bei Karabunar im südöstUchen Klelnasien
sind von F. Schaffer besucht worden.^) Die Stadt Karabunar liegt
ganz im vulkanischen Randgebiete der lykaonischen Senke, umgeben
von Tuffhügeln und Anhäufungen vulkanischen Schlammes, der zur
Gewinnung von Salpetersäure auf primitive Weise ausgelaugt wird.
Die jungen Miniaturvulkane, die sich östlich von Karabunar erheben,
gehören nach Schaffer zu den interessantesten Beispielen von Eruptions-
') Mitt d. k. k. geogr. Ges. in Wien 1908. p. 76.
Yulkanismus. 247
Zentren und sind als wahre Musterbeispiele den Vorkommnissen der
Umgebung von Glermont an die Seite zu stellen, bieten aber noch
größere Abwechslung als diese. »Hier liegt ein einfaches oblonges
Maar mit senkrechten Wänden und ebenem Boden in den Unter-
grund der von ausgeworfener Asche bedeckten Ebene eingebettet,
daneben befindet sich ein viel größeres rundes Maar, das einen Salz-
tumpel birgt, aus dem sich ein Aschenkegel mit einem wohlerhaltenen
Krater inselartig bis über das Niveau der Umgebung idrhebt. Wir
müssen uns wohl vorstellen, daß hier zuerst eine große Explosion
stattgefunden hat, die das Maar schuf, und erst später Asche ge-
fördert wurde, die sich zu dem Kegel anhäufte.
In nächster Nähe erhebt sich ein Vulkanberg mit 2 Kratern,
einem altem flachen, auf der Spitze gelegenen und einem Jüngern
sehr tiefen, der nach Norden gerückt ist und das Felsgerüste des
Berges bloßlegt Im Osten und Westen liegen noch andere, zum
Teil prächtig erhaltene erloschene Vulkane.« Der Karadscha Dagh,
der sich wie ein Glebirgszug nordöstlich von Karabunar erhebt, scheint
ein stark erodiertes Vulkanmassiv, nicht eine Kette von Eruptions-
kegeln zu sein, wovon der Reisende sich durch den Anblick, den er
von verschiedenen Seiten bietet, überzeugt zu haben glaubt
Die Yulkänisehen und seismischen Vorgängre im Ost-
indischen Archipel während des Jahres 1901 behandelt eine
Publikation des magnetischen und meteorologischen Observatoriums
zu Batavia.^) Der bedeutendste Ausbruch fand statt beim Kelvet am
28. Mai 1901. Der Smeroe verursachte am 29. und 30. Januar
starken Aschenregen, am Sapoetan erschütterten in den Tagen vom 6. bis
9. Februar starke Erdbeben die weitere Umgebung, am Vulkane von
Banda und am Rendjani hörte man einen starken Knall und ver-
spürte schwache Beben, bei ersterm am 18. und 19. Mai, bei letzterm
am 1. Juni. Der Ausbruch des Kelvet begann unter starkem Getöse
in der Nacht vom 22. zum 23. Mai ; leuchtende Wolken trieben unter
heftigen elektrischen Entladungen mit dunklen Aschenwolken vereinigt
gegen WNW^ und bald begann ein stärker werdender Stein- und Aschen-
regen. Durch den westwärts getriebenen Aschenregen wurden be-
sonders die Gegenden um Kedivi und Paree geschädigt Der tätige
Krater enthielt einen See, aus dem sich bei dem Ausbruche ein
Schlammstrom längs der Ravinen des Berges gegen Blitor ergoß und
die Plantagen der Umgegend verwüstete. Wirkliche Lavenergüsse
traten nicht aut Das Material der gefallenen Steine ist Pyroxen-
andesit; die gleichen Mineralkomponenten enthalt auch die gefallene
Asche, sehr ansehnlich ist ihr Gehalt an Magnetit, der stellenweise
bis 46% betragt Die Verbreitung des Aschenregens umfaßt ein
^) Natark. TijdBsohrift voor Ned. Indie 1902. 02. p. 162. VgL Natorw.
Rundschau 1908. p. 886.
248 Valkaiiismus.
elliptisches Oebiet, dessen Längsachse ungefähr N 75^ W yerläuft
und ungefähr 750 &m lang ist, und dessen Größe etwa 115065 qkm
beträgt In der dem Vulkane nächsten Zone ward ein Gebiet von
75 qkm 2 m hoch durch die Asche bedeckt; etwa 150 qkm zeigten
eine Aschenhöhe von 0.5 m, 247.5 qkm eine solche von 0.05 m,
2497.5 qkm eine von 0.02 m und das übrige Gebiet eine von 0.001 «k
Unter den zahlreichen gemeldeten Erderschütterungen, die in jedem
Monate auftraten, sind keine von größerer Tragweite gewesen.
AusbFuoh eines Inseivulkanes im Golfe von Tomlni. Die
große ostindische Ineel Celebes läuft nordostwärts in zwei schmale
Lappen oder Finger aus, welche den Meerbusen von Tomini (oder
Gt)rontalo) umschließen. Dieser Meerbusen zerfällt in zwei annähernd
kreisförmige Becken, welche durch die Togean- oder Schildpadinseln
gegeneinander abgegrenzt sind. Die Anzahl dieser Inseln beträgt etwa
30, und die größten davon heißen: Togean, Binang^Unang, Mas&pi,
Lebiti, Batudata, Malingi, Walea kiki und Walea daä. Die Gebrüder
P. und F. Sarasin, welche Celebes Mitte der 90 er Jahre besuchten,
sagen über die Togeaninseln: »Dieselben sind nach den Angaben ver-
schiedener Berichterstatter vulkanischer Natur, und die Gestalt der
Hügel spricht in der Tat dafür. Wenn man von Westen her nach
der Togeangruppe schaut, erblickt man ein ausgedehntes flaches Land,
vermutUeh eine Korallenbildung, über welches östlich in der Feme
Hügel emporragen, die sehr wohl als Vulkanruinen angesehen werden
können. Una Una oder Binang Unang gleicht einem umgekehrten
Teller, dessen Mitte zerrissene Felsen, wohl Reste eines Vulkanes, ein-
nehmen. €
Dieser Vulkan ist nun in den letzten Jahren zu großer Tätigkeit
erwacht, und Arthur Wichmann (Utrecht) hat jetzt alles darüber be-
kannt gewordene Material gesammelt und veröffentlicht^) Hiemach
begann die Tätigkeit am 10. April 1898 durch Erdstöße auf Una Una,
welche 24 Stunden andauerten und ab und zu von heftigen Deto-
nationen begleitet waren, deren Ursprungsort nicht ermittelt werden
konnte. Auch an den nächsten Tagen dauerten diese Erdstöße fort
In der Nacht des 2. Mai gegen 1 Uhr sah man eine gewaltige schwafze
Rauchsäule unbeweglich über der Insel stehen. Am folgenden Tage
suchte infolgedessen ein Dampfer die Insel anzulaufen, vermochte
aber nicht, Anker zu werten, da Aschen und Steine unter heftigen
Datonationen ausgeworfen wurden. Auf See wurden einige Prauen
mit flüchtenden Bewohnern angetroffen. Während der Weiterfahrt
nach Parigi herrschte ein starker Aschenregen, so daß die Sopne un-
sichtbar blieb. Als man 8 Tage später nach Una Una zurückkehrte
und dort vor Anker ging, befand sidi zwar der Vulkan noch in Tätig-
keit, doch rieselten nur noch geringe Aschenmengen hernieder. Zu
^) Zeitschr. der deutschen geolog. Gesellschaft ML p. 144 ff.
Vulkanismus. 249
Gorontalo hörte man am Abende des 11. Mai gegen 10^/^ Uhr 2 Schüsse,
die von einem Erzittern der Luft begleitet waren. Es ist unbekannt
geblieben, ob dieselben mit einem erneuten Ausbruche im Zusammen-
hange standen. Gewiß ist aber, daß ein solcher in der 1. Hälfte des
Juni erfolgte, denn am Morgen des 14. Juni wurde in der Palosbai
(Bai von Palu), an der Westküste von Celebes, ein Aschenregen be-
obachtet Derselbe war aus dem Nordosten, einer dichten Nebel-
wand gleichend, allmählich herangerückt Infolge des später sich
auftuenden Seewindes wurden die Aschenmassen wieder zurück-
getrieben. Am frühen Morgen des 16. Juni wiederholte sich zu Dongala
an der Palosbai dasselbe Schauspiel. Am 20. Juni, um 1 '/^ Uhr
nachts, hörte man an demselben Orte dreimaliges Getöse, dem Donner
schwerer Geschütze gleichend. Zwischen der 1. und 2. Detonation
trat eine Pause von 20 Sekunden ein, während die zweite und dritte
unmittelbar aufeinander folgten. Zu derselben Zeit wurde zu Gorontalo
ein Erdstoß bemerkt Augenscheinlich stehen diese Ereignisse mit
4ler Tätigkeit des Vulkanes in Verbindung, doch fehlen nähere An-
gaben. Dagegen wird aus Samarinda im Reiche Kutei, an der
Ostküste von Bomeo, gemeldet, daß am Morgen des 27. Juni sämt-
liche Pflanzen und Häuser mit einer dünnen Aschenschicht bedeckt
erschienen.
In der Nacht vom 28. zum 29. Juli wurde zu Dongala ein nur
wenige Sekunden währendes Erdbeben, in der Richtung 0 — W, be-
obachtet An den Tagen des 1., 6. und 7. August gingen zu
Dongala ziemlich heftige, aus NO kommende Aschenregen nieder, die
von den Seewinden später wieder zurückgetrieben wurden«
Als der Dampfer »ReaeU am 8. August sich in der Nähe der
Palosbai befand, wurde derselbe des Morgens um 8 Uhr von einem
Aschenschauer überrascht, der bald darauf in einen Schlammregen
überging. Es herrschte Dunkelheit und zugleich hoher Seegang.
Der Regen hielt während der nach Süden gerichteten Fahrt noch
bis 11 Uhr des Vormittags an« Auf Deck, sowie auf den Masten
hatten die Aschen- und Schlammmassen eine Dicke von ^/, Fuß
erreicht
Einen Tag später befand sich das Schiff »Sri Bomeo c unter
2^ 5' westl. Br. und 118^ 52' östl. L., als es in den Aschenregen
geriet, der bis zum Morgen des 9. August anhielt Bei der Ankunft
in Dongala vernahm der Kapitän, daß der Ort jene Tage 4 Stunden
lang in Finsternis gehüllt gewesen sei, sowie daß der zeitweilig von
Schlamm- und Gewitterregen begleitete Aschenfall 2 Tage — einige
Ruhepausen abgerechnet — gewährt hatte. Als die »Sri Bomeo c
um 4 Uhr nachmittags die Reede verließ, fielen noch immer Aschen*
massen hernieder und begleiteten den Dampfer auch auf seiner Fahrt
nach Kutei an der Küste von Bomeo. Bei der Ankunft in Samarinda
waren die Bäume mit feiner Asche bedeckt, während das Schiff aus*
sah, als sei dasselbe einem Schneesturme ausgesetzt gewesen.
250 Valkanumiifl.
Zu Bontok, Abteilung Dussunlande der Süd- und Ostabteilung
von Bomeo, begann der Aschenregen am 16. August gegen Abend
und hörte erst an dem darauffolgenden Morgen auf.
ZuMuwaraTeweh, ebenfalls in denDussunlanden gelegen, wieder-
holte sich ein Aschenregen am Morgen des 80. August
In einem Briefe an A. Wichmann aus Posso d. d. 1. September
heißt es: »Die letzten Nachrichten aus Una Una lauten dahin, daß
der Berg noch fortwährend aus Erateröffnungen raucht Wir haben
hier keinerlei Unannehmlichkeiten davon, da die Aschen infolge der
herrschenden Ostwinde nach Parigi und Sausu getragen werden«
Das Eiland ist von seinen Bewohnern gänzlich geräumt worden,
sämtliche Süßwasserquellen sind versiegt und die ausgedehnten An-
pflanzungen von Kokospalmen vernichtet worden. Ein Stück Land,
wie ich glaube im nordwestlichen Teile, ist in das Meer gesunken.«
Endlich heißt es in einem undatierten Berichte, augenscheinlich aus
dem Anfang des Oktober, daß die vulkanische Tätigkeit auf der Insel
noch fortdauere. Zwar erfolgten keine Aschenregen mehr, aber un-
ausgesetzt fänden Erderschütterungen statt
Im Juni des Jahres 1899 besuchte der Kontrolleur von Posso,
Herr F. Dumas, die Insel Seinem von einem Kärtchen begleiteten Be-
richte entnimmt A. Wichmann folgendes : »Vor dem Ausbruche, ergoß
sich in die an der Nordostseite befindliche Bai, wo die Schiffe vor
Anker gehen, ein Bach, dessen Bett kaum 1 Faden breit war, und
dessen Wasser eine Tiefe von nur 1 — l^j Fuß besaß. An Stelle
desselben hat sich nunmehr ein Flußbett von ansehnlicher Breite ge-
bildet, das sich vom Strande aus in südwestlicher Richtung verfolgen
läßt Dasselbe ist erfüllt von feuchten dunkelgrauen Sanden, auf
welchen zahlreiche Brocken eines ausgeglühten Sandsteines (sie!)
von derselben Farbe und außerdem vereinzelte Fragmente eines roten
Sandsteines zerstreut umherliegen. Bei der Wanderung längs des
Flußbettes wird man überrascht durch den Anblick der ihrer Rinde
und Zweige beraubten Bäume. Viele Stämme sind zu Boden geworfen
und zerbrochen ; dabei liegen sie an vielen Stellen, Holzscheiten gleich,
um Ufer des Flusses aufgeschichtet Es hat den Anschein, als ob
infolge der Gewalt des Stromes Felswände abgestürzt und die früher
die Abhänge bedeckenden Bäiune gegen das Ufer geschleudert worden
seien. In allen höher gelegenen Teilen ist die Pflanzenwelt einer
vollständigen Vernichtung anheimgefallen, wie dies auch vom Meere
aus deutlich zu beobachten ist. Die Strauchgewächse, welche hier und
da zwischen den stehengebliebenen Baumstämmen angetroffen werden,
können erst nach dem Ausbruche zur Entwicklung gelangt sein. Als
eine sehr eigentümliche und zugleich charakteristische Erscheinung ist
es zu bezeichnen, daß die in der Nähe des Strandes befindlichen
Kokospalmen erhalten geblieben sind. Wohl hängen die untern
Blätter traurig herab, und sind die Nüsse außerordentlich klein geraten,
vernichtet aber ist kein Baum.
Vulkanismus. 251
Den Mitteilungen der Eingeborenen zufolge konunen von Zeit zu
Zeit noch Erdbeben vor, und finden auch noch Schlammergüsse statt,
die sich durch ein unterirdisches Rollen ankündigen. Diesen Ausbrüchen
geht außerdem Rauchentwicklung am Berge vorher. Der größte Teil
der nach Togian geflüchteten Bevölkerung ist wieder zurückgekehrt,
doch hat dieselbe viel von Unterleibskrankheiten zu leiden, deren
Ursache auf die schlechte Beschaffenheit des Trinkwassers zurück-
geführt wird. Sowohl das Wasser der warmen, als das der kalten
Quellen besitzt einen schwach alkalischen Geschmack.
A. Wichmann teilt femer noch einige Bemerkungen mit über
einen flüchtigen Besuch, den ein Bergingenieur (M. Eoperberg) im
September 1900 der Insel abgestattet hat »Die Tätigkeit be-
schränkt sich seit dem Ausbruche von 1898 auf das Aushauchen von
Dämpfen durch den Kegel, der sich damals in dem gegenwärtigen
Krater gebildet hat, während aus dem Kraterboden an einer einzigen
Stelle periodisch Dampf unter Getöse ausgestoßen wird. Die jüngste
Eruption hat ausschließlich Sand und Asche geliefert, und dasselbe
scheint auch, nach den noch vorhandenen Überbleibseln älterer Ränder
zu urteilen, mit frühem Ausbrüchen der Fall gewesen zu sein. Festes
Eruptivgestein scheint sich lediglich an der Zusammensetzung des
ältesten Kraterrandes, der an der betretenen Südseite des Kegels
sichtbar ist, zu beteiligen.«
Aus allem schließt Wichmann, daß dem Ausbmche auf Una Una
von unterirdischem Getöse begleitete Erschütterungen vorhergingen,
welche die Mehrzahl der Bewohner bereits veranlaßten, das Weite
zu suchen. In der Nacht des 1. zum 2. Mai 1898 erfolgte der erste
und augenscheinlich heftigste Ausbmch, dessen Gewalt sich inner-
halb dreier Tage erschöpft hatte. Femer stehe fest, daß in den
Nächten des 13.— 14., 15.— 16. und 19.-20. Juni die Emp-
tionen sich wiederholten. Die bei der letzten Gelegenheit heraus-
geschleuderten Aschen erreichten in der Nacht des 26. — 27. Juni
die Ostküste von Bomeo. Erneute Ausbrüche hätten sodann noch
in den Tagen des 1., 5. und 7. August stattgefunden, wobei die
Aschen abermals nach Bomeo, und zwar weit in das Innere hinein
(Buntok, Muwara Teweh) getragen wurden. An dem letztgenannten
Orte wurde sogar noch am 80. August Asche bemerkt, so daß
der Vulkan auch noch in der 2. Hälfte des August eine lebhaftere
Tätigkeit entfaltet haben muß. Damit scheinen aber die eigentlichen
Explosionen ihr Ende erreicht zu haben, wenngleich der Vulkan noch
bis in den Oktober hinein geraucht hat, und auch Erschütterungen
des Bodens bemerkt wurden. Die letztgenannten Erscheinungen hatten
im Lauf des Jahres 1899 noch nicht aufgehört, wie denn auch von
Zeit zu Zeit Schlammergüsse stattfanden.
Wichmann macht besonders auf die Verbreitung der Aschen auf-
merksam und erläutert dieselben durch ein Kajrtchen. Hiemach dehnte
sich der Aschenfall westwärts über die Makassarstraße nach dem
252
.Vi
US.
östlicheii Borneo hinaus über 800 km weit über ein (lebiet von
803000 qJcm, Wichmann bemerkt, daß gemäß der Beschaffenheit
der Asche diese nicht als Zerstaubungsprodukt eines flüssigen Magmas
angesehen werden könne, da Scherben und Splitterchen eines reinen
Glases völlig fehlen, auch sei das vollständige Fehlen von Oasein-
schlüssen bemerkenswert. »Bei Vulkanen c, sagt er, »die sich seit
langer Zeit in einem Zustande solfatarer Tätigkeit befinden — und
nur diese — lassen eine tief bis ins Mark des Berges eindringende
chemische und damit im Zusammenhange stehende mechanische Zer-
setzung erkennen. Erfolgt nunmehr eine Explosion, ohne von flüssiger
Lava begleitet zu sein, wie dies gegenwärtig bei weitaus den meisten
tätigen Vulkanen des Indischen Archipels der Fall ist, so wird das
durch und durch morsche Material in Gestalt von Aschen, Sanden
und großem Gesteinsfragmenten auseinander gesprengte
Einen Zusammenhang des Vulkanes von Una Una mit andern in
benachbarten Gebieten auftretenden Vulkanen hält Wichmann für un-
wahrscheinlich. Nach seiner Ansicht hat man es mit einem für sich
allein stehenden Vorkommen zu tun, und zwar habe der Vulkan von
Una Una sich inmitten des Tominibusens autgebaut, in ähnlicher
Weise, wie dies mit dem in der Bandasee isoliert sich ertiebenden
Gunung Api der Fall ist
Die tatigen Vulkane auf den Philippinen. In dem großen
von Jesuitenpatres herausgegebenen Werke El Archipielago filipino^)
wurden u. a. auch tätige und eiioschene Vulkane dieser Inselgruppen
aufgezählt
Von den erstem folgende: .^
Viükan
Hdhe
m
Inael
Provlns
1. Mayon oder Albay .
2. Tail
8. Baoon oder Pocdol .
4. Bulusan
5. Babuyan
6. CamiguindeBabuyanes
7. Didica
8. Canala6nod.Mala8pina
9. Camiguin del Sur . .
10. Macaratorln ....
11. Apo
2784
820
1400
?
?
786
eo
1400
840
?
8800
Luzön
Babuyan
Camiguin
Didica
Negros
Camiguin
Mindanao
Albay
Batangas
Albay
if
Archipel d. Babuyanen
Grenze von Neffros
Oriental u. Occidental
Cottabato
Dävao
Der vulkanische Ausbruch auf Sawajl. im November 1902
haben auf dieser zur deutschen Samoagruppe gehörigen Insel vulkanische
Erscheinungen stattgefunden. Dieselben waren indessen nicht be-
') 2 Vol. Washington 1900.
>
Ynlkaniwniis. 253
deutend. Ein wissensohaltliches Gutachten des Geologen Dr. Paul Großer,
der um die Zeit des Ausbruches in der Nähe der Insel verweilte, be-
sagt im wesentlichen folgendes:^) 9 Die der Durchsichtigkeit nach
verhältnismäßig kleine Menge des aus dem tätigen Vulkane auf-
steigenden Rauches, seine, von fem gesehen, fast weiße Farbe und
daher geringe Beladung mit festen (Aschen-) Bestandteilen, sowie
Dr. Tetens Mitteilungen von den geförderten E^eugnissen lassen die
Phänomene als unbedeutend bezeichnen.
Schon dem Auge des gebildeten Laien entgeht es nicht, daß
Sawajji eine jüngere geologische Geschichte besitzt als Upolu. Seine
noch von wenig Humus bedeckten Laven und unzähligen wohlerhaltenen
Sekundärkegelchen, im höchsten Maße aber das »Mut, der von den
Atmosphärilien noch fast unzersetzte Lavastrom, welcher am Nord-
gehänge der Insel herabfloß und sich an der Küste weit ausbreitete,
lassen die Oberflächenformen als geologisch ganz jugendliche erkennen.
Aber selbst am Maßstabe der gegenüber der Erdgeschichte verschwindend
kleinen Geschichte der Menschheit gemessen, muß das letzte Auftreten
vulkanischer Erscheinungen, der Erguß des »Mu«, in nicht allzu
ferne Zeit zurückgelegt werden, so daß wahrscheinlich die Jahrhunderte
ihres Alters an den Fingern einer Hand abgezählt werden können.
So nimmt es nicht wunder, daß gerade Sawaji der Schauplatz
neuer vulkanischer Reaktionen ist Wie bekannt, traten dieselben
ohne Verderben bringende Vorboten auf — gegenüber dem in der
Regel beobachteten Verhalten nach jahrhundertelangem Schlummer
wiedererwachender Vulkankräfte eine durchaus auffallende Erscheinung.
Sie drängt den Schluß auf, daß der Vulkanismus keinen großen
Widerstand zu überwinden hatte, um seinen Zweck, nämlich die
Ausstoßung vom feuerflüssigen Magma und von Dämpfen, zu erreichen.
Vielleicht ist dies ein gutes Vorzeichen für den Verlauf des derzeitigen
Ausbruches, weil es der begründeten Hoffnung Raum gibt, daß die
vulkanischen Kräfte in aller Ruhe sich ausgeben und nicht durch
gewaltige Erderschütterungen oder aus solchen hervorgehende Flut-
wellen Verderben bringen werden. Auch die zentrale Lage des Feuer-
herdes mitten in den Bergen gebietet eine durchaus ruhige Auflassung
der Lage.
Das viel größere Alter des Antlitzes von Upolu deutet auf ganz
getrennte Herde der beiden Inseln, und die Erfahrungen auf dem
Gebiete der Vulkanologie lassen es als ausgeschlossen erscheinen, daß
auch hier neues Leben unterirdischer Mächte erregt wird.c
Die BriiptloB des VulkaiieB auf TofroBhima In Japan im
Augmk 1902.*) Diese Insel, auch Ponafidin genannt, liegt zwischen
Hottdo und den Bonininseln. Sie ist 2.4 km lang, + 1.8 Am breit und
^) Gaea 1908 p. 186.
^ Umlauft, Dtsoh. Rundschan f. Geogiaphie 1906. fl^ p.
254 Vulkamsmiis.
wurde von etwa 125 Leuten bewohnt, die sich mit dem Fange von
Albatrossen beschäftigen. Geologisch betrachtet ist sie ein Strato«*
Vulkan, welcher aus Pyroxenandesit und dessen Agglomeraten auf-
gebaut ist Der Berg besteht aus 2 Teilen, dem zentralen Eruptions-
kegel und der äußern Somma. Zwischen beiden ist das Atrium,
ein ringartiges flaches Stück Land, etwa 250 m über dem Meere,
auf welchem eine Eisenbahn für den Transport der Vögel angelegt
worden war. Der zentrale Kegel, 352 m hoch, welcher den Namen
Komochiyama führt, war durch die Eruption zum großem Teile
zerstört worden. Die Sonmia wird in 2 Teile getrennt durch
2 Barrancos, von welchen der eine vom Atrium nach Norden,
der andere nach Süden verläuft Der Teil westlich von den Barrancos
ist 840 in hoch und heißt Tsukimiyama, der östliche Teil, 800 m
hoch, heißt Asahiyama. Auf dem zentralen Kegel lagen zwei alte
Krater, die noch nebeneinander existieren, der eine nördlich vom
andern. Der nördliche heißt Naka-no-kubo (d. L mittlere Depression),
der südliche Minamikubo (d. i. südliche Depression). Beide haben
einen Durchmesser von ca. 150 m und sind beiläufig 80 m tieL Im
Norden von diesen Kratern liegt noch ein Krater, der Kitano-kubo
(d. i. nördliche Einsenkung) gerade auf der äußern Grenze des
Atriums. Er ist von derselben Größe wie die beiden andern. Ein
4. Krater liegt südlich vom Komochiyama an einer Stelle, die
etwas niedriger als das Atrium ist Er führt den Namen Buta-no-
kubo (d. i. Schweinssenkung) und ist kleiner als die andern. In
der Linie dieser 4 Krater lag die Bai von Ghitose-ura, welche
von einem steilen Abhänge begrenzt wurde, dem früher eine Terrasse
vorgelagert war. Diese Bucht wird als ein alter Krater angesehen.
Am 10. August 1902 sah man von einem vorüberfahrenden Dampfer
aus, daß von dieser Insel Rauch aufstieg, und das Meer von Asche
getrübt war. 8 Tage früher war dergleichen nicht wahrgenommen
worden. Am 16. August hatte sich der AnbUck der Insel sehr ver-
ändert; der zentrale Kegel war verschwunden, und an seiner Stelle
hatte sich ein weiter E[rater geöffnet, aus dem dichte Rauchmassen
aufstiegen. Die Oberfläche des Eilandes, welche vorher von Pflanzen
begrünt war, war nun größtenteils in ein Aschenfeld verwandelt
Überdies stieg eine Seemeile südwestlich von der Insel alle 12 bis
20 Minuten eine ca. 200 m hohe Wassersäule auf.
Eine vor Tagen abgesandte wissenschaftliche Kommission fand
-den Krater 500 m lang, 200 m breit und 80 — lOOm tiet Wasser-
dampf und schweflige Gase entströmten ihm. Ein 2. Krater hatte
sich an der Küste an einer Stelle gebildet, welche Hyoryu-Sato
genannt wird. Es ist dies ein tiefer, fingerartiger Einschnitt in
die Küste, 100 m lang, 30 m breit und 20 Faden tief, begrenzt von
einer senkrecht abfallenden, säulenförmigen, 50 m hohen Wand. An
diesen Stellen strömen Schwefelgase mit solcher Gewalt aus, daß
das Wasser fußhoch emporgeschleudert wird. Der Abhang hinter
Vulkanismus. 255
Chitose-ura war abgerutscht und hatte das Dorf auf der Terrasse
und einen Teil der Bucht bedeckt So war eine Böschung von ca.
40^ mit einer Höhe von 150 m entstanden, und an der Küste hatte
sich eine halbmondförmige Sanddüne von 5 — 6 m Breite gebildet,
die eine Flache von 56 qm bedeckte. Auch an den Gipfeln des
Tsukimiyama und Asahiyama hatten Erdrutschungen stat^efunden.
Auch Spalten waren durch die Eruption entstanden, am zahl-
reichsten bei Meiji-ura.
Der Auswurf beschränkte sich auf Steine und Asche. Am
tiefsten, ca. 3 cm, lag die Asche bei Hyoryu-Sato und in der Um-
gebung. Die Steine, welche der neue Krater des Komochiyama
ausgeschleudert hatte, erreichten 2 — 3 m im Durchmesser.
An Stelle der submarinen Eruption, welche am 16. August im Süd-
westen der Insel beobachtet worden war, waren nunmehr nur noch
Exhalationen von schwefligen Gasen, welche vom Grunde des Meeres
aufstiegen, zu beobachten. Von den Bewohnern der Insel, deren
Zahl auf 125 angegeben wurde, war keine Spur mehr zu entdecken.
Der Vulkan Izaleo ist im Dezember 1902 von Dr. K. Sapper
besucht worden.^) Dieser Feuerberg hat im Jahre 1770 seinen An-
fang genommen auf einer Viehweide am Südabhange des Vulkanes
Lamatepec (oder S. Ana) durch Aschenauswürfe, die zuerst einen
kleinen Hügel bildeten, der durch stetig fortdauernde Eruptionen und
durch Aussenden von Lavaströmen allmählich zu einem stattlichen
Berge von ungefähr 800 m relativer Höhe und 1880 m absoluter Höhe
heranwuchs. Erst 1865 gönnte sich der Feuerberg ein wenig Ruhe,
um 1868 abermals seine gewohnte Tätigkeit in zahlreichen kleinen
Eruptionen aufzunehmen. Im Januar 1901 aber ruhte der ruhelose
Berg, bis er im Mai 1902 wieder aküv wurde.
»Grau und ernst», sagt Sapper, »mit straffgezeichneten steilen
Eonturlinien steigt der vegetationslose Feuerberg inmitten der lachen-
den grünen Landschaft auf, und schon aus weiter Feme erblickt
man die warnenden Rauchwolken, während bei Nacht die wie ein
Feuerregen niedersprühenden und am Berghange niedergleitenden
glühenden Steine und Aschen ein Feuerwerk darstellen, wie es so
schön und groß keine menschliche Kunst zu bereiten vermöchte. So
herrlich dies Schauspiel schon aus der Ferne erscheint, so gewinnt
es doch an eindringlicher Wirkung noch außerordentlich, sobald man
es aus der Nähe betrachten kann. Das ist hier sehr leicht möglich,
da kaum ly^ km vom Ausbruchspunkte entfernt, in gleicher Höhe
wie dieser, am Abhänge des S. Anavulkanes eine kleine bewohnte
Hütte sich findet, in der ich während der Tage meines Aufenthaltes
Quartier bezog und in den Rastpausen zwischen den Exkursionen
bei Tag und Nacht die prächtigen Ausbrüche mit aller Ruhe und
^) Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde. Berlin 1908. p. 878.
256 Vnlkapiwnus.
Bequenüichkeit betrachtete. Die Ausbrüche erfolgen nicht mehr wie trüber
aus einem der 3 Gipfelkrater, sondern aus einer neuen Boca in
einer Art Nische des Nordabhanges. Ein offenes Mundloch existiert
nicht, sondern vor Beginn der Eruptionen beginnt gewöhnlich aus
einer Anzahl stets neu sich bildender, radial angeordneter Spalten
etwas Rauch auszuschwitzen, dann öffnet sich plötzlich eine größere
Spalte oder sonstige Öffnung und stöfit unter starkem Getöse einen
Aschen- oder Dampfballen und zahlreiche große und kleine Steine
aus, die im Bogen 100 — 200 m hoch über die ursprüngliche Wolke
hinausfliegen, oft einen feinen Rauchstreifen nach sich ziehend und
nach allen Richtungen hin sich verbreitend. Während diese Steine
nun in langen Sprüngen den Berghang hinabsetzen oder sanft auf
weicher Asche abwärts gleiten, breitet sich der Gas- und Aschenballen
unter wirbelnder Bewegung nach der Seite und nach oben hin zu
einer einheitlichen riesigen Wolke von beträchtlichen Dimensionen
aus, die von den Winden entführt wird und nun ihren Gehalt an
Asche zu Boden fallen läßt.
So schön diese kleinen Eruptionen schon bei Tage sind, so
werden sie durch die nächtlichen Ausbrüche doch noch weit an
Wirkung übertroffen. Man kann sich kaum etwas Schöneres denken
als diese gewaltigen glühenden Blöcke, die Steine und Aschen, welche
urplötzlich durch die Lüfte fliegen und springend und gleitend noch
lange ihren Glutsohein durch die finstere Nacht hinaussenden. Oft
sind sie noch immer rotglühend, wenn eine neue Eruption beginnt,
und das ganze Schauspiel, verstärkt oder abgeschwächt, sich wieder-
holt. Immer freilich behalten diese Eruptionen mehr oder weniger
nas Ansehen eines Feuerwerks, und man wird sich der Großartigkeit
dud Gewalt der Eruptionen eigentlich erst bewußt, wenn man bis
an den Fuß des Berges vordringt, die kanonenschuflähnlichen Detona-
tionen bei Beginn der Ausbrüche hört und die mächtigen Steine
polternd und rauchend die Hänge niedersausen und erst in geringer
Entfernung vom Beobachter zur Ruhe kommen sieht. Wenn man
dieses Schauspiel einige Male aus der Nähe betrachtet hat und be-
merkt, daß die Eruptionen eine etwas größere Heftigkeit zeigen, so
zieht man sich doch nicht ungern wieder in etwas sicherere Entfernung
zurück und begreift, daß dies Schauspiel doch nicht ganz so un-
schuldig ist, wie es in der Feme sohien.c
Die Vulkangebiete In Chile und Argentinien sind von
Prof. R. Hauthal statistisch behandelt worden,^) wobei er sich viel-
fach auf eigens im Gebiete beider Länder gesammeltes Material
stützte. Am Schlüsse macht er auf 4 Punkte aufmerksam. Diese
Punkte sind:
»1. Das Zurücktreten und plötzliche Fehlen von Yulkanbergen in
der Eordillere des patagonischen Gebietes. Im nördlichen Teile dieses-
^) Petermanns Mitteilungen 1906. p. 97.
Vulkanismus. 257
Gebietes sind bisher nur 6 Einzelvulkane sicher na4digewie8en ; die
drei im mittlem Teile gelegenen sind sehr zweifelhaft, und im süd-
lichen Teile fehlen Vulkane in der Kordillere ganz. Es ist auch
nicht sehr wahrscheinlich, daß hier noch Vulkane entdeckt werden
— gerade dieses Gebiet ist in den letzten Jahren gut durchforscht
worden, und diese Erforschung hat ergeben, daß früher für Vulkane
gehaltene Berge nicht Vulkane sind, sondern Lakkolithe, so der
Fitzroy und der Paine (51^ s. Br. 73^ w. L.>, deren granitische Natur
Verf. nachgewiesen hat
2. Der Umstand, daß eigentliche Vulkanberge («trigonometrische
Eruptionssignale") fast ausschließlich in der Kordillere sich finden,
Ausnahmen bilden nur 4 Gruppen und die Vulkanberge im südöst-
lichen Teile des patagonischen Gebietes.
Dagegen sind die großen Deckenergüsse ausschließlich außerhalb
der Kordillere im patagonischen TafeUande, das zum größten Teile
aus nahezu horizontal lagernden Sedimenten besteht
3. Die Vulkane in der Kordillere sind in Reihen angeordnet, die
oft unter sich parallel, in ihrer Richtung den Hauptleitlinien der
andinen Tektonik entsprechen.
4. Am dichtestgedrängten und am massigsten entwickelt sind
die Vulkane da, wo die Gebirge aus parallel verlaufenden N — S
streichenden Faltenzügen bestehen, wie in der Puna de Atacama
zwischen 22 — 27 ^ S. Br. Hier tritt auch die geradlinig reihenweise
Anordnung der Vulkane mit fortschreitender Kenntnis immer klarer
hervor. Hier ist überhaupt das klassische Land des Vulkanismus,
wo die vulkanischen Erscheinungen in einer solchen Großartigkeit
und Mannigfaltigkeit auftreten, daß ihr genaues Studium viel, sehr
viel zur Lösung der vulkanischen Probleme beitragen wird.«
Diese 4 Punkte enthalten für den Verf. eine Bestätigung der
Ansicht derjenigen Forscher wie Fuchs, Gredner, Reyer, Bergeat,
Felix, Lenk, Volz, Branco und anderer, welche das Auftreten von
Vulkanen mit der Tektonik der betreffenden Gegend in Zusammen-
hang bringen. Er neigt sich der Ansicht zu, daß dieser Satz vielleicht
noch in dem Sinne erweitert werden könne, daß auch die Verschieden-
heit der Formen, in welchen uns die vulkanische Tätigkeit auf der
Erdoberfläche entgegentritt, in gewissen ursächlichen Beziehungen
stehe zu den speziellen Strukturverhältnissen, dem besondem geolo-
gischen Aufbaue einer Gegend ; wenigstens scheinen die vulkanischen
Erscheinungen in Argentinien nach den bisherigen Beobachtungen
darauf hinzuweisen.
Ober die Vulkane des nordwestlichen Patagroniens macht
Dr. H. Steffens auf Grund eigener Forschungen bemerkenswerte Mit-
teilungen.^) Bei der Fahrt durch die breite Fjordstraße des Moraleda-
kanals und den Corcovadogolf fesselten die in ziemlich regelmäßigen
^) Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin 1901. p. 167.
Klein, Jahrbuch XIV. 17
258 Vulkamsmus.
Abständen von etwa ^/, Breitengrad aus der Masse der küstennahen
Kordilleren hervorragenden Vulkanberge den Blick. »Unvollkommene
Beobachtung hat die lange Reihe dieser Vulkanberge als auf eine
nordsüdlich verlaufende KordiUerenkette aufgesetzte Gebilde ange-
sehen; ja man hat sogar von einer > vulkanischen Kette« gesprochen,
welche der sogenannten »zentralen Hauptkette« der patagonischen
Kordillere nach Westen vorgelagert sein und dieselbe in gewissen
Breiten an absoluter Höhe übertreffen soll. Diese Auffassung ist
indessen durchaus unbegründet. Schon während der Fahrt längs der
Küste und durch die großem Meereseinschnitte wird es deutlich,
daß weitaus die meisten Vulkanberge in gar keinen orographischen
Zusammenhange untereinander, dagegen in engster Beziehung zu den
meist südöstlich und in auffallendem Parallelismus streichenden Kor-
dillerenzügen stehen, welche die Fjordsenken und ihre Inlandfort-
setzungen begleiten. Besonders schön ließ sich dies mit Bezug auf
den Macä vom AisenQord aus beobachten. Von irgend welcher Ver-
knüpfung des Berges mit dem nächsten Vulkane der Reihe, dem
Mentolat, ist gar keine Rede; die an ihrer engsten Stelle noch 4 km
breite und über 100 m tiefe Fjordstraße des Puyuguapikanals unter-
bricht hier nach Norden zu den Zusammenhang ebenso scharf wie
der Aisenljord nach Süden zu. Dagegen erkennt man deutlich einen
hohen Strang, der den Maca in östlicher Richtung mit dem gletscher-
reichen Massive des Mte. Gay verbindet und in derselben Richtung
in Form einer wenig gescharteten Kette, mit kurzen spornarügen
Ausläufen zum AisenQord und untern Aisentale, fortstreicht. Eine
ähnliche Beobachtung konnten wir in etwa 43^ 20' südl. Br. betreffs
des Yanteles machen, der sich als ein stark gegliederter, mehr-
gipfeliger vulkanischer Kegelberg darstellt. Von seinem nächsten
nördlichen Nachbarn, dem Corcovado, durch die tiefe und breite
Depression des untern Rio Gorcovadotales getrennt, und nach Süden
zu durch die gleiclifalls tief einschneidenden Senken von Tictoc,
Pichi-Palena und Rio Rodriguez aus jedem Zusammenhange mit dem
in 44^ aufragenden Vulkanberge Melimoyu herausgelöst, erscheint
derselbe als der nach dem Meere vorgeschobene Eckpfeiler einer scharf
ausgeprägten, südöstlich streichenden Schneekette, welche die vor-
erwähnte Talsenke des Rio Corcovado nach Süden zu abgrenzt
Ganz analog ist der in 41 ^ 45' gelegene Vulkanberg Yate als nord-
westlicher Eckpfeiler der langen, mauerartig geschlossenen Schnee-
kette anzusehen, welche der nahezu das ganze Gebirge durchsetzenden
Depression des Puelotales parallel, in südöstlicher Richtung verläuft,
wäiirend der Gedanke an einen kettenartigen Zusammenhang mit den
Nachbarvulkanen Galbuco, Osorno usw. schon durch den Einschnitt
des ReloncaviQords, ohne andere weniger ausgeprägte Quersenken zu
erwäimen, unmöglich gemacht wird.
So läßt sich in der Tat eine auffallende Regelmäßigkeit in der
räumlichen Anordnung der westpatagonischen Vulkanberge feststellen.
Vulkanismus. 269
aber nicht in dem Sinne einer meridionalen kettenariigen Aneinander-
reihung, sondern in bezug auf ihr parasitenhaftes Auftreten am West-
abbruche mächtiger, aus kristallinischen Massengesteinen und Schiefem
bestehender Kordillerenzüge. Übrigens scheinen sich bei vielen großen
Vulkanbergen des mittlem Chile, beim Villarica, Llaima, Antuco,
Chillan u. a., ganz ähnliche Beziehungen zum Hauptgerüste der Kor-
dilleren nachweisen zu lassen.«
Vulkanisehe Asehenfälle im Nordatlantisehen Ozean. Der
deutschen Seewarte sind Berichte mit Proben über 2 Asehenfälle
zugegangen, die offenbar mit den Ausbrüchen auf Martinique in Zu-
sammenhang stehen. Der erste derselben fand über 500 Seemeilen
weit nordöstlich von dieser Insel statt; die vulkanische Asche ist
also gegen den Passat, offenbar durch eine obere südwestliche Luft-
strömung fortgetragen worden: a) Das deutsche Schiff »Kaiser«, auf
der Reise von Bremen nach New-Orleans begriffen, befand sich im
Mai im Nordostpassat und hatte den Kurs auf Sombrero - Island
gesetzt. Am 20. Mai, in 19<> 0' nördl. Br. und 54 <^ IT westl. L.,
zeigte sich um Sonnenuntergang ein Dunstschleier am Himmel, der
jene eigenartige Färbung der Luft hervorbrachte, die als Anzeichen
eines nahenden Orkans gilt. Ein solcher war um diese Jahreszeit
völlig ausgeschlossen, und Wind und Barometer zeigten auch keine
Veränderungen. Der Wolkenschleier nahm schnell an Dichtigkeit zu
und senkte sich anscheinend tiefer und tiefer, bis er als feiner, an-
haltender Aschenregen auf das Schiff fiel, alles mit einer leichten
Staubschicht, starrem Rauhfrost ähnlich, überziehend. Der Wind war
während der ganzen Zeit OSO, Stärke 3. Gegen 4 Uhr nachts war
die Erscheinung vorbei, die Luft zeigte wieder das gewöhnliche Aus-
sehen des Passats, b) Die Deutsche Bark > Gapella« befand sich
am 9. Juli unterwegs von Port of Spain nach Bremen, auf 14® 20'
nördL Br., 62® 45' westl.L., etwa 100 Seemeilen westlich von Martinique,
als bei Sonnenuntergang, bei mäßiger Brise aus ONO, im Nordosten
und Norden die Luft ein drohendes Aussehen annahm, und Blitze
sich zeigten. »Seit 8^/, Uhr große grelle Flächenblitze, bald hoch
oben, bald tiefer in den untern Wolken. Kleine Segel fest, 9 Uhr
Bö von ^/^ stündiger Dauer, Stärke 6. Seit Mittemacht Blitzen
mäßiger. Um 1 Uhr beginnt Asche zu fallen; die Luft ist so sehr
damit angefüllt, daß man nicht gegen den Wind sehen kann. Die
Leute auf Deck sehen aus wie Müllerknechte, Takelung wie beschneit.
Von 5 Uhr vormittags ab fällt keine Asche mehr; vormittags häufige
leichte Regenschauer.«^)
^) Ann. d. Hydrographie 1908. Nr. 21.
ir
260 Inseln.
Inseln.
Die Insel Grlmsey, nördlich von Island, schilderte Th.Thoroddsen.')
Die Insel ist vom nächsten Lande etwa 40 km entfernt, 5 km lang
und 2 km breit. Die ganze östliche Seite besteht aus steilen,
50 — 100 m hohen Vogelbergen ohne irgend welche Einschnitte, die
von der Westküste durch eine Einsenkung getrennt werden, in der
sich mehrere kleine Seen befinden. An der nur etwa 10 — 20 m hoben
Westküste liegen die 10 Höfe der Insel. Diese besteht aus älterm
Basalt, der hier und da von Schlacken und Lavabreccie unterbrochen
wird; doch liegt sie außerhalb des vulkanischen Gürtels und ist
vielleicht der Rest eines gesunkenen Teiles des Basaltrückens des
Nordlandes. Auch die etwa 75 km im NNW von Grimsey gelegene
Insel Kolbeinsey (Möwenklippe) scheint aus Basalt zu bestehen; sie
steigt steil vom Meeresgrunde auf und ist etwa 16 m hoch. Der
Pflanzenwuchs von Grimsey ist sehr dürftig und ausgesprochen polar;
von strauchartigen Pflanzen gedeiht nur die Polarweide, die ^j^— 1 Zoll
hoch wird. Unter den überaus zahlreichen Seevögeln verdient be-
sonders der Königsalk (Mergulus alle) Erwähnung, der sonst nirgends
auf Island brütet. Die Vogelberge bilden die wichtigste Einnahme-
quelle der Bewohner, die auch Tausende von Eiern nach Nordisland
ausführen. Die Fischerei wird in offenen Booten betrieben. Die
Einwohnerzahl schwankte im 19. Jahrhunderte zwischen 46 (1855)
und 96 (1880). Das Klima ist verhältnismäßig mild. Der Jahres-
durchschnitt ist nach 21jährigen Beobachtungen -{- 1.5^ der
August ist der wärmste Monat mit einer Mitteltemperatur von 6.9 ^
der März der kälteste mit einer solchen von — 4^. Die höchste
Wärme, die beobachtet wurde, ist 26.2 ^, die größte Kälte — 30 ^,
aber das sind bloße Ausnahmen. Frost wurde beobachtet an 191,
Niederschläge an 143, Schnee an 56 Tagen. Die Niederschläge
betragen 374 mm. Das Meer um Grimsey hat im Januar durch-
schnittlich 0 ®, im Juli 6 — 7 ®. Bei Westwind ist in der B.egel
trockenes Wetter, während der Ostwind Regen und Feuchtigkeit
bringt (an 53 Tagen Nebel). Ortliche Winde sind am häufigsten
(NO 18 %, SO 16 7^), Südwinde am seltensten (4 7^).
Die greographisohe Stellung der Azorengruppe behandelt
Prof. R. Sieger.*) Diese Gruppe gehört zu den ozeanischen Inseln,
die durch ihre Lage keinem Kontinente zugehören und nur aus Zweck-
mäfiigkeitsgründen in die herkömmliche Einteilung nach Erdteilen ein-
gestellt zu werden pflegen. Sie ist (nach E. Reclus) von dem
nächsten Punkte des europäischen Festlandes 1380 km, von der
nächsten Stelle des afrikanischen Kontinentes 1550 km, von Neufund-
*) Geogr. Tidsskrift 1901/02 Nr. 7 und 8, daraus in Globus 83. p. 162,
«) Mitteilgn. d. k. k. geogr. Ges. in Wien 1903. p. 190.
laselD. 261
land — der nächstliegenden Küsteninsel Amerikas — 1800 km ent-
fernt Somit liegt sie am nächsten an Europa und überdies in der
geographischen Breite Südeuropas, verdient somit den altem Namen
der »westlichen Inseln«. Andererseits aber stellt die Madeiragruppe
und die Ganarien eine nähere Verbindung durch Inselgruppen mit der
Küste Afrikas her, während zwischen Europa und den Azoren solche
Zwischenstationen fehlen. Von den Festlandssockeln der beiden Erd-
teile werden die Azoren durch tiefe Meeresbecken getrennt, ebenso
auch von Amerika. Der »Atlas des Atlantischen Ozeans« der Deutschen
Seewarte (1902) zeigt, daß sie einer Bodenschwelle des Atlantischen
Ozeans angehören, die sich etwa in der Mitte zwischen der alten
und der neuen Welt hinzieht und von beiden Seiten durch Tiefsee
begrenzt ist. Das »Azorenplateau« ist auch gegenüber den Boden-
schwellen von Madeira und den Ganarien durchaus selbständig.
Dagegen liegt es auf der erwähnten Schwelle gemeinsam mit St. Helena
und Ascension, die ebenfalls ozeanische Inseln sind, aber herkömm-
licherweise zu Afrika gerechnet werden.
Die Zugehörigkeit der Gruppe zu dem einen oder dem andern
Erdteile geht somit nicht aus ihrer Lage bestimmt hervor, ebenso-
wenig aus ihrer Beschaffenheit. Der geologische Bau der Inseln
zeigt keinen deutlichen Zuhammenhang mit Europa und dem in seinem
Gebirgsbaue europäischen Nordafrika (Kleinafrika), aber auch nicht
mit den Tafelländern des eigentlichen Afrika. Es finden sich nur
jungvulkanische Bildungen und etwas marines Miocän, durch welches
das Alter dieser vulkanischen Bildungen ebenfalls als mittel- oder
Jungtertiär bestimmt wird. Alle Schlüsse, die man aus der Be-
schaffenheit der atlantischen Küsten über die einstige Verteilung von
Wasser und Land (sowohl für die Kreidezeit wie für den Anfang
des Tertiär) gezogen hat, schweben daher, soweit die Azoren in Frage
kommen, ganz in der Luft. Durch ihre vulkanische Beschaffenheit
werden sie mit afrikanischen Küsteninsehi und dem afrikanischen
Kontinente enger verknüpft, und die Auffassung von Sueß, daß diese
und die andern sichtbaren vulkanischen Inseln nur einen Teil einer
ausgedehnten vidkanischen Region unter dem Meere bilden, die
noch in der Nähe des Äquators vermutet werden kann, käme hier
in Betracht
In klimatischer Beziehung gehören die Azoren zum mittel-
ländischen Klima, welchem sowohl Südeuropa als auch Kleinafrika
zugehört, und haben ein feuchtes Seeklima infolge ihrer ozeanischen
Lage, aber ein extremeres Klima als Madeira. Die Tier- und Pflanzen-
welt ist fast ganz europäisch. Doch mag dies zum großen Teile
späterer Einwanderung zuzuschreiben sein, da die Inseln es Pflanzen
verschiedener Gebiete leicht ermöglicht haben, sich zu akklimatisieren,
und da von der Fauna bekannt ist, daß sie vor der europäischen
Besetzung sehr arm an großem Tieren war. Tropische Pflanzen,
die sich finden, kommen zum Teile auch in Südeuropa vor; speziell
262 Inseln.
a&ikanische Formen fehlen nidit, sind aber wenig zahlreich und
treten vor einer ziemlich großen Zahl solcher Formen zurück, die
den Azoren eigentümlich sind. Der Reichtum an Wiesen, eine Folge
des ausgesprochenen Seeklimas, unterscheidet das Landschaftsbild
scharf von demjenigen der afrikanischen Steppenvegetation, die schon
auf den Ganarien beginnt
Die heutige landwirtschaftliche Produktion verknüpft die Inseln
eng mit dem südlichen Europa. Neben der Viehzucht spielen Süd-
früchte — früher besonders Orangen, jetzt namentlich Ananas —
die erste Rolle, und man kann die Hauptprodukte der Insel auf die
Einbürgerung durch Europäer zurückführen. In anthropogeographischer
Beziehung zeigen die Azoren überhaupt engem Zusanunenhang mit
Europa als mit Afrika, vor allem durch die rein weiße (portugiesische)
Bevölkerung, und das ist wohl auch der Grund, weshalb die Portu-
giesen sie politisch-administrativ zum Mutterlande selbst, also zu
Europa rechnen. Das gleiche ist übrigens auch mit Madeira und
seitens der Spanier mit den Canarien der Fall Diese administrative
Zuteilung veranlaßt manche Handbücher, die Azoren zu Europa zu
rechnen.
Die Gilbertinseln bildeten den Gegenstand einer meteorologischen
Studie von M. Prager, der eine Übersicht über die Geographie und
Bevölkerung dieser Inselgruppe beigegeben isi^) Hiemach besteht diese
Gmppe aus sechzehn mehr oder weniger ausgedehnten Atollen, die
zwischen B^ 20' nordl.Br., 2« 40' südlBr. und 172 ^ 40' östl.Lg.bis 177«
10' ösÜ. Lg. zerstreut sind. »Die Hauptrichtungslinie der ganzen Gruppe
verläuft in nordwestlicher Richtung, welche auch bei der Lagerung
fast aller Atolle die vorherrschende ist Die Bezeichnung »Gilbert-
inseln« für die ganze Gruppe gab Krusenstem mit dem Unterschiede,
daß er näher zusammenliegenden Atollen eine besondere Benennung
erteilte, und zwar »Scarboroughinseln« für Makin und Butaritari,
»Simpsoninseln« für Maraki, Apaiang, Tarawa, Maiana, Apamama,
Aranuki und Euria; südlich vom Äquator »Kingsmillinseln« für Nanuti,
Tapetuwea, Pem, Nukenan, Onoatoa, Tamana und Arrorai. Der
Name Kingsmill für die ganze Gmppe ist der bekannteste geblieben
und gilt in der Südsee, namentlich für die Amerikaner, noch immer
als der allgemein anerkannte. Die erste Entdeckung der Gilbertinseln,
namentlich der mit dem Namen »Eingsmül« bezeichneten AtoUe, wird
Kapt Byron im Juni 1765 zugeschrieben; 1788 sahen die Kapitäne
Marshall und Gilbert mit den Schiffen »Scarborough« tmd »Charlotte«
einen Teil der nördlich vom Äquator gelegenen Atolle. 10 Jahre
später, 1799, berichtete Kapt Bishop, Führer des »Nautilus«, daß
er noch weitere Atolle entdeckt habe. Erst 1824 untersuchte Kapl
Duperre mit der Korvette »Goquille« die bis dahin bekannten AtoUe
näher, fand aber auch nicht alle auf, was später erst der amerikanischen
>) Ann. d. Hydrographie 190B. p. 898.
Inseln. 268
Entdeckungsexpedition unter Kapt. Hudson und Leutnant Knox mit
den Schiffen »Peacockc und >Flyingfish« vorbehalten blieb. Das
regste Interesse der verschiedenen Entdecker, namentlich von Duperre
und Hudson, wandte sich jedoch mehr den großem Atollen zu, während
die kleinem, besonders die südlich vom Äquator zwischen 2 — 3®
siidl. Br. gelegenen Inseln und Atolle, noch lange unbekannt blieben;
nähere Angaben über diese liegen erst aus den Jahren 1850 — 1870
vor, als Ergebnis aus den Beschreibungen von Walfischfängem, die
in dieser Gegend dem Fange des Spermwals bis zu dessen Verschwinden
oblagen.
Auf eine vieltausendjährige Arbeit der winzigen Korallenpolypen
ist der Aufbau aller Atolle zurückzuführen, die erst zum Abschlüsse
gelangt, wenn die gewaltigen Bauten zwischen Wind und Wasser
hochgeführt sind. Die steilansteigenden Riffe liegen bei allen Atollen
fast immer an der Wind- oder Wetterseite, während an der Lee-
oder geschützten Seite, auf flacherm Meeresgrunde aufgebaut, sich
ausgedehnte Korallenfelder befinden. Der unausgesetzte und zu Zeiten
gewaltige Anprall der Merreswogen gegen ein hochgeführtes Korallen-
riff bedingt ein fortwährendes Abbröckeln kleiner und kleinster Korallen-
teilchen, deren Anhäufung schließlich zu einer Erhöhung über dem
Meeresspiegel führt. Auch der Wind ist ein Mitarbeiter an dem Auf-
baue einer solchen Inselwelt, indem er die zu Atomen zerstäubten
Kalkteilchen hinwegführt und an den höchstgelegenen Punkten ab-
lagert, selbst über weite Lagunen trägt, wo der feine KoraUenstaub
Erhöhungen auf über Wasser ragenden Riffen fest verbindet. Alle
fast immer langgestreckten, dabei schmalen inselartigen Bodener-
höhungen finden sich denn auch an der Seite vor, wo Wind und
Meereswogen die kalkartigen Gebilde der Korallenpolypen am ehesten
anhäufen können.
Was die Bevölkerung der Gilbertinseln anbelangt, die noch auf
einer niedrigen Kulturstufe steht, so ist es auffällig, daß im Gegen-
satze zu andern Gmppen, z. B. zu den Marshall- und zum Teile zu
den Karolineninseln, hier eine große Menschenmasse auf verhältnis-
mäßig engem Räume lebt. Erklärlich wird dies dadurch, daß die Be-
wohner der Gilbertinseln nicht durch die von den Weißen eingeführte
Syphilis dem Untergange geweiht wurden. Kennt man den kriegerischen
Sinn dieser Insulaner, so wird es verständlich, wie sie durch ihr
feindliches Verhalten und durch ihre große Zahl namentlich die Wal-
fischfänger, die so vielen andern Insulanem verhängnisvoll geworden
sind, von ihren Gestaden femgehalten haben. Aus diesem Gmnde
lernten sie den Weißen und seine Leidenschaften nicht so genau
kennen, wie z. B. die Marshallinsulaner, die Bewohner der Insel Kusai
u. a., die viel friedfertigem Sinnes gewesen sind und dadurch zu Schaden
kamen. Glühende Rachsucht gegen den weißen Mann erfüllte des-
halb auch nicht die Herzen der Bewohner der Gilbertinseln, was zur
Rettung vieler Schiffbrüchiger wesentlich beitrug, die das Unglück
264 Insdn.
hatten, durch Verlust ihrer Schiffe den Händen der Eingeborenen
wehrlos überantwortet zu. werden. Wenn dennoch einzelne Schiffs-
besatzungen gelegentlich vernichtet wurden, lag die Ursache in dem
törichten Verhalten einzelner Mitglieder. Überall in der weiten Gruppe
drängt sich dem Beobachter die Frage auf, wie es möglich ist, dafi
auf den mit sehr spärlichem Humus bedeckten Koralleninseln eine
80 überaus zahlreiche Menschenmenge ausreichend sich ernährt. Die
Beantwortung dürfte damit zu geben sein, daß die Not die beste
Lehrmeisterin gewesen ist; sie hat die Eingeborenen nicht nur zu
äußerst geschickten Fischern, sondern auch in gewissem Sinne zu
Ackerbauern gemacht, denn das Wachstum jeder Nährpflanze auf
diesen Inseln, als Taro, Pandanus Kokospalmen usw., ist von
der Sorgfalt abhängig, mit welcher die Frucht in den steinigen
Korallenboden gebettet wird. Als Ersatz für die mangelnde Humus-
erde dienen zerkleinerte Wurzeln und Blätter, untermischt mit Erde,
die oft weither mühsam herangeschafft wird.
Ober die Mariaiieil macht H. Seidelberg einige Bemerkungen.^)
Diese Inseln liegen auf einer Spalte, die vom japanischen Bonin-
archipel in nordsüdlicher Richtung bis Yap und Palau deutlich zu
verfolgen ist Trotz ihres gemeinsamen Ursprunges zerfallen sie äußer-
lich in zwei scharfgetrennte Gruppen. Zur erstem, die man wegen
ihrer Lage die südliche nennt, gehören Guam, Rota, Agiguan, Tinian,
Saipan und Medinilla. Sie haben sämtlich nur mäßige Erhebungen
und sind durchweg mit Madreporenkalk überkleidet, der vereinzelt
von vulkanischen Kuppen durchbrochen wird und an den Außen-
flanken steil abgesetzte Terrassen bildet. Im Gegensatze zu ihnen
besteht die nördliche Ghruppe, die mit dem 16. Breitenkreise beginnt,
rein aus vulkanischen Gesteinen. Ihre Gipfel steigen kegelförmig
bis zu 500 und 800 m auf, sind mit Laven, Aschen und Schlacken
bedeckt, und ihre Kratere befinden sich meistens in lebhafter Tätig-
keit Die Gruppe hat daher am häufigsten von Erdbeben zu leiden,
obschon diese, wie die jüngsten Ereignisse lehren, auch auf den süd-
lichen Inseln in verheerender Weise auftreten können.
An Flächenraum messen die Marianen 11 40 qkm, wovon 200 qkm
auf die nördliche und 940 qkm auf die südliche Reihe entfallen.
Nun hat Guam allein 514 qkrHj so daß für den deutschen Besitz ins-
gesamt nur 626 qkm mit etwa 2200 Bewohnern übrig bleiben. Der
Sitz unserer Verwaltung befindet sich in Saipan. Dieses ist etwas
über 22 km lang, 1 1 ^m breit bei 60 Ami Umfang und einer Boden-
fläche von 185 qkm. Das Gelände ist schwach gebügelt mit kaum
150 m Erhebung. Nur am Nordende ragt der abgestumpfte, erloschene
Vulkankegel Tapochao bis 400 m empor. Die Westseite ist nament-
lich zum Strande hin flach und sandig und eignet sich deshalb sehr
^) Deutsche KoloDialzeitung 1908. Januar 1.
Inseln. 265
gut zur Anpflanzung von Kokospalmen. Im Süden herrscht Weide-
land vor, während der Norden ausgedehnte Waldbestande trägt, die
auf gutem, fruchtbarem Erdreiche wurzeln.
Die Bevölkerung setzt sich überwiegend aus Nachkommen (aller-
dings nicht reinblütigen) der alten Chamorro und aus eingeführten
£[aroliniem zusammen. Von den erstem zählt man etwa 700, von
den letztem 500 Seelen. Eine Vermischung beider Elemente findet
anscheinend nicht statt, wäre aber im Interesse der zwar geistig
regsamen, aber körperlich minderwertigen Chamorro dringend zu
wünschen. Die Sprache dieser Leute, ein mit dem Malayischen ver-
wandtes Idiom, wird allgemein verstanden imd angewandt Sie ist
daher auf Anordnung der Deutschen dem Volksschulunterrichte zu-
grunde gelegt
Saipan hat nur zwei größere Siedelungen, nämlich Tanäpag und
Gärpan. Der Hafen ist in Tanäpag. Er wird durch ein Riff und
eine vorgelagerte kleine Insel gebildet, ist geräumig und ohne Untiefen
und hat ausreichenden Schutz gegen die vorherrschenden Ostwinde.
Die Insel Ponapö der Karolinengruppe schildert Kapitän
M. Präger.^) Sie ist wohl die größte Insel dieser Grappe. Etwa
zwölf kleine Inseln liegen an der Nord- und Ostseite verteilt; gänz-
lich von der Hauptinsel abgesondert und voneinander noch durch
tiefe Riffpassagen getrennt Dazu das gewaltige Riff, das gleich
einem Schutzwalle meerwärts diese Inseln, sowie auch die ganze
Hauptinsel gleich einem Kranze umschließt, auf dem wiedemm
wohl an zwanzig kleine Inseln verteilt liegen, deren langgestreckte,
verhältnismäßig schmale Formation von Busch besetzt und von hohen,
zahlreichen Bäumen gekrönt wird, so daß von der See aus gesehen
die Ufer der Hauptinsel vielfach verdeckt bleiben.
Die Höhe dieser Koralleninseln, die namentlich von der Ostseite
nach Süden herum verteilt sind, ist nicht sehr verschieden, was be-
sonders bei der höchsten Flut bemerkbar wird; denn dann erheben
sie sich nur einige Fuß über die Wasserfläche, und die am Korallenriffe
brechenden Wogen des Ozeans bespülen die äußersten Sträucher und
Stämme der schlanken Kokospalmen..
Gleich allen niedrigen Koralleninseln ragt auch das Ponape um-
gebende Riff steil aus großer Tiefe auf; 400 — 500 m von diesem
entfernt findet das Lot selten noch Grund; höchstens strecken sich
einzelne Spitzen etwas weiter hinaus, doch so steil, daß nirgendwo
Raum für ein darauf Ankergrund suchendes Schiff vorhanden ist.
Innerhalb dieses Riffkranzes aber, der im Durchschnitte eine halbe
deutsche Meile von der Insel entfernt sich erhebt und sozusagen
überall, wo eine Durchfahrt im Riffe gefunden wird, zu Ankergrund
und gesicherten Häfen führt, erheben sich von tiefem Gmnde herauf,
^) Umlauft, Deutsche Rundschau für Geographie 1903. 25. p. 503.
266 Inseln.
oft von 60 — 100 m, iingezählte große und kleine Korallenblöcke,
zwischen denen hindurch gewundene, tiefe Fahrstraßen führen.
Die ganze Insel ist ein gewaltiger, zerklüfteter Steinbau aus
Basaltgebilden; die einzelnen Höhenzüge fallen sehr steil, oft senk-
recht ab, was auch die Ursache ist, daß heute noch das Innere von
keinem Europäer und auch von keinem Eingeborenen ganz durch-
forscht worden ist.
Der höchste Berg ist der Monte Santo, 892 m hoch, fast in
der Mitte der Insel gelegen, dem sich weniger hohe, jedoch immer
noch beträchtliche Bergmassen angliedern. Eine zusammenhängende
Bergkette erstreckt sich von dem Uu- bis zum Wannadistrikte und
von dort westwärts nach Paleka im Jokoitsdistrikte im Norden der
Insel. Die Bekränzung dieser Bergkette besteht aus stufenartigen
Abhängen^ die teils zum Meere abfallen, teils zu weiten, von steilen
Bergwänden eingefaßten, gewundenen Tälern führen. Der östliche
Teil dieses in einer Kurve auslaufenden Höhenzuges, der etwas
schmäler erscheint als die übrige Bergmasse, ist beinahe ebenso
steil, wie der in der Richtung Nord-Süd verlaufende; namentlich
im Uudistrikte ragen vereinzelte Bergkegel gleich nahezu senkrechten
Pyramiden auf.
Überhaupt ist das ganze Berggefüge eine zerklüftete, viel durch-
brochene Gesteinmasse, besät mit Trümmern und säulenartigen Stein-
gebilden. Entkleidet der überreichen Vegetation und des fruchtbaren
Erdbodens, müßten diese Bergmassen wie ein über- und durcheinander
geworfenes Lavafeld dem Auge erscheinen, was es in der Tat auch
einst gewesen ist
Zwischen dem Haupthöhenzuge und den vorgelagerten Neben-
hügeln befinden sich zwei breite, über eine Meile weite und 1^/, bis
2 Meilen lange Täler, zugängig von der Nordostseite, dem Metalanim-
hafen. Neben diesen aber sind noch eine ganze Anzahl kleinerer
Einsenkungen, zwischen hohen, steilen Bergkuppen gelagert, vor-
handen, von denen aus man den gewaltigen Aufbau dieser Fels-
massen beurteilen und auch die Kraft fließender Wasser im Gesteine
verfolgen kann, die sich hundertfältig oft in Kaskaden von den
höchsten Bergspitzen herabstürzen. Naturgemäß müssen diese Wasser-
massen, die bei jedem starken Regenfalle gleich einer Hochflut an-
schwellen, einem Sammelbecken zufließen; das Geeignetste dazu ist
das Metalanimtal, durch welches denn auch ein kurzer, aber oft
reißender Fluß seine Wasser dem Meere zuwälzt Auch durch das
nach Norden sich öffnende Nuttal fließen die von den Höhen sich
stürzenden Wasser ab; überhaupt, was Ponape an nennenswerten
Flüssen aufzuweisen hat, findet, mit Ausnahme eines nach Süden
abfließenden Gewässers, den Ausweg zum Meere nach der Ostseite hin.
Eine ganz besondere Eigenschaft besitzen jedoch die kurzen, zu-
zeiten reißenden Flüsse und Bäche, nämlich die, daß die ungezählten
Quellen, gespeist durch häufige Regenfälle, eine große Masse des auf
Inseln. 267
den Bergen lagernden Humus fortreißen und dem in der Tiefe zum
Strome anwachsenden Flusse zuführen, der infolgedessen schwarze
Humuserde und roten Latent an seiner Mündung ablagert Diese
Ablagerungen erscheinen wie ein ausgedehntes flaches, mit Man-
grovengebüsch und Wald bestandenes Vorland, durch das der Fluß
sich eine nur schmale und meistens flache Rinne offen hält, und es
bedarf meistens kleiner Kanus, um zu der eigentlichen Mündung des
Flusses und bis zu den Bergen zu gelangen. •
Zwei Jahreszeiten, eine Trocken- und eine Regenperiode, sind
auch für Ponape zu unterscheiden, und zwar gilt für erstere die
Zeit von Dezember bis Ende Mai, sie richtet sich nach dem Einsetzen
des Passatwindes. Die Regenzeit umfaßt die Monate Juni bis Ende
November, in welcher häufiger westliche Winde auftreten. Eine
strenge Unterscheidung dieser Perioden idt jedoch selten zutreffend;
denn nicht nur setzt der Passatwind oftmals schon im November
ein, sondern er erstreckt sich manchmal bis zum Juli hinaus, bleibt
sogar unter Umständen der vorherrschende Wind während eines
ganzen Jahres. Man kann also sagen, daß die Regenperiode unter
Umständen eine nur kurze Dauer hat, mithin starke westliche Winde
zu dieser Zeit nur seltener auftreten. Der Durchschnitt dreier Jahre
ergibt, daß 110 klare, 149 Tage, an welchen Regenschauer fielen,
43 Regentage und 62 veränderliche zu verzeichnen gewesen. Während
3 Jahren wurde nur an 28 Tagen der Donner gehört und Blitzen
nur achtmal gesehen.
Die Temperatur zeigt sehr geringe Änderungen, der Unterschied
zwischen Morgen und Abend beträgt selten mehr als 6^, eine
Tagestemperatur von + 26 bis 27 ^ dürfte das richtige Maß der Luft
wärme sein. Starke, selbst stürmische Winde treten nur in der
Regenzeit auf, sind jedoch von kurzer Dauer; dagegen kann häufig
dem Passatwinde die Bezeichnung >sehr stark« beigelegt werden,
namentlich wenn er eingesetzt hat und für die Dauer der Winter-
monate recht frisch weht Obgleich Ponape nur eine kleine Land-
masse darstellt, kann man doch die Beobachtung machen, daß während
des größten Teiles des Jahres nachts ein Landwind sich erhebt,
dessen Einfluß bis auf eine deutsche Meile Entfernung von der Insel
wahrgenommen werden kann. Das Aufsteigen der wannen Luft vom
Lande hat denn auch zur Folge, daß während längerer oder kürzerer
Dauer die Nächte auf der Insel fast windstill sind, eine merkbare
Abkühlung der Tagestemperatur mithin nicht möglich wird. Orkane,
Zyklone, überhaupt Wirbelstürme, treten fast nie auf.
Die Insel Nauru der Marshallgruppe schilderte Fr. Hems-
heim in der Greographischen Gesellschaft zu Hamburg.^) Als im
Jahre 1885 eine Abgrenzung der deutschen und englischen Interessen-
1) Referat i. d. Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin 1008. p. 465,
woraus ob der Text.
268 Inseln.
Sphären in der Südsee vereinbart und durch die nenbestimmte De-
markationslinie Nauru oder Pleasant-Island den deutschen liarshall-
inseln angegliedert wurde, war das Eiland eine der berüchtigtsten
Inseln der Südsee. Die Bewohner, etwa 1500 Köpfe, lebten in steter
Fehde, und die unter ihnen niedergelassenen weißen Händler waren
meist von Walüschfängem entlaufene Matrosen oder gar entsprungene
Sträflinge, welche auf mysteriöse Weise ihren Weg von Australien
nach dieser entlegenen Insel gefunden hatten. In guten Jahren, d. h.
wenn reichliche Regen gefallen waren, lieferten die Kokospalmen,
welche das steinige Innere der Insel in einem breiten Gürtel um-
säumen, etwa 150 — 200 Tonnen Kopra. Diese, von den Händlern
im Tauschhandel erworben, wurden an die Schiffe verkauft, welche
die Insel berührten. Freilich einen Hafen oder auch nur eine offene
Rheede, auf welcher geankert werden könnte, besitzt Nauru nicht; die
Schiffe müssen daher unter Segel bleiben und kreuzen, oft eine
schwierige Aufgabe bei dem hier laufenden Strome von 3 — 4 Meilen
in der Stunde und den nur leichten Brisen, die häufig ganz weg-
sterben. Die Tauschartikel dieses beschwerlichen Handels bildeten
außer etwas Proviant, Eisenwaren und Tabak fast lediglich Waffen
und Schnaps. Die Einfuhr der letzten beiden Artikel wurde mit
Hissung der deutschen Flagge auf den Marshallinseln verboten, mußte
also auch auf Nauru verhindert werden.
Was die Bodenkonfiguration Naurus betrifft, so haben wissen-
schaftliche Untersuchungen ein sehr interessantes Ergebnis gezeitigt
Mit Ausnahme des niedrigen, mit Kokospalmen bewachsenen Küsten-
striches besteht das ganze steinige Innere der Insel aus einer An-
häufung hochgradiger Phosphate. Nach Ansicht eines dort hin-
gesandten Mineningenieurs ist dieses Phosphat ursprünglich zweifellos
von Vögeln hierher gebracht worden, welche die damals wohl un-
bewohnte Insel als Brutplatz benutzt haben werden, wie wir es heute
noch in allerdings kleinerm Maßstabe auf andern Inseln der Südsee
beobachten können. Das in dem Guano enthaltene lösliche Phosphat
sickerte mit dem Regen auf den Korallenuntergrund, sättigte sich
hier mit dem erforderlichen Kalke und bildete so das hier heute an-
stehende Phosphatgestein. Die zahlreichen, über die ganze Insel
vorgenommenen Bohrungen haben bis zu einer Tiefe von 3 — 5 m
überall das gleiche Material ergeben, und die dadurch nachgewiesenen
Vorräte sind so gewaltig, daß ihr Abbau für mehrere Generationen
ausreichen wird.
Was nun die Ausnutzung dieser Funde betrifft, so besaß eine
englische Gesellschaft das Privileg bezüglich Ozean-Islands, während
die Ausbeute etwaiger Funde auf den Marshallinseln eines der Privi-
legien bildet, welche seinerzeit der Jaluit- Gesellschaft verliehen
worden sind. Wirtschaftliche Erwägungen und der Umstand, daß
gewaltige Einrichtungen geschaffen werden müssen, um über Riff und
Brandung hinweg Massenverladungen zu bewerkstelligen, haben nun
InselD. 269
vor Jahresfrist zu einer Vereinigung der deutschen und englischen
Interessen geführt, und beide Inseln werden nunmehr gemeinsam aus-
gebeutet Diese Ausbeutung der Phosphatlager gefährdet die auf den
Inseln vorhandenen Eokosbestände in keiner Weise, und die Ein-
geborenen beteiligen sich willig an den Arbeiten, welche ihnen einen
guten Lohn eintragen.
Dammriffe und Atolle. Alex. Agassiz hat auf Grund der
während eines Zeitraumes von 25 Jahren in Westindien, Australien,
in dem tropischen Pacific und dem Indischen Ozeane angestellten
Beobachtungen Folgerungen über die Bildungsweise der Korallenriffe
abgeleitet, die von großer Bedeutung sind. ^) Nach seiner Ansicht ist
die Darwinsche Theorie der Entstehung der Koralleninseln nicht zu-
treffend. Agassiz gibt zunächst eine Beschreibung der verschiedenen
Typen der Koralleninseln. Er beginnt mit den Dammriffen und
bemerkt, daß diejenigen von Fiji, den Hawaiischen Inseln und West-
indiens gewöhnlich vulkanische Inseln flankieren und von vulkani-
schen Gesteinen unterlagert sind. Die Dammriffe von Neukaledonien,
Australien, Florida, Honduras und den Bahamas sind unterlagert
von den Ausläufern der benachbarten Landmassen, welche als Inseln
und Inselchen an dem äußersten Rande der Wallriffe enden. Einige
der Dammriffe der Gesellschaftsinseln, von Fiji und der Karolinen
lassen erkennen, daß die breiten und tiefen Lagunen, welche sie von
der Landmasse trennen, durch Erosion aus einem breiten, üachen
Saumriffe gebildet worden sind. Ringriffe, wie sie besonders die
Sozietätsinseln charakterisieren, behalten zu ihren zentralen Insebi
dieselbe Beziehung wie ein Dammriff zur angrenzenden Landmasse.
Abnagung und submarine Erosion erklären vollkommen die Bildung
der Plattformen, auf denen Korallenriffe und andere Kalksteinorga-
nismen entweder WaU- oder Ringriffe bauen können , oder selbst
Atolle, die sich auf einer vulkanischen Basis erheben, deren Zentral-
masse verschwunden sein kann, wie in Fiji, den Sozietäts- und
Karolineninseln.
Agassiz betrachtet dann den Typus der gehobenen Inseln, den
der Paumotus, der Fiji, der Gilbertinseln und der Ladronen, von
denen viele nur aus tertiären Kalksteinen zusammengesetzt sind,
andere zum Teile aus Kalkstein bestehen , zum Teile vulkanischen Ur-
sprunges sind. Man kann hiemach die Umwandlungen von einer
gehobenen Insel, wie Niue oder Makatea der Paumotus, zu einer Insel
wie Niau verfolgen, durch ein Stadium gleich Rangiroa zu dem der
großen Mehrzahl der Atolle in den Paumotus. Die Riffebenen und
Außenriffe, welche die gehobenen Inseln flankieren, behalten eigen-
tümliche Beziehungen zu ihnen; sie sind teils die von Dammriffen
und teils von Saumriffen. Man kann auch den Übergang der gehobenen
1) Proceedings Royal Society 1908. 71. p. 412.
270
Plateaus, wie Tonga, Quam und Inseln in Fiji, die teils vulkanisch,
teils aus Kalkstein sind, in Atolle verfolgen, in denen nur ein kleines
Inselchen oder eine größere Insel entweder aus Kalkstein oder vulkani-
schem Gesteine übrig geblieben ist, um ihren Ursprung anzudeuten.
Atolle können auch auf dem entblößten Rande eines vulkanischen
Kraters entstanden sein, so in Totoya oder Thombia in Fiji, sowie
in einigen Vulkanen im Osten von Tonga. In der Ellice- und Marshall-
gruppe und den Line-Islands ist eine Anzahl von Atollen voriianden,
deren Liegendes nicht bekannt ist, und wo man nur die Bildung des
Landsaumes des Atolles verfolgen kann, soweit sie von der Wirkung
der Passate oder der Monsune bedingt ist, die beständig das durch
bohrende Organismen aufbereitete oberflächliche Material forttreibt,
welches dann den Damm bildet Viele Atolle im Pacific sind nur
flache Rinnen, die durch die hohen Sandbänke gebildet werden, welche
um ein zentrales Gebiet aufgeworfen wurden.
Im ganzen Pacific, im Indischen Ozeane und Westindien findet
man den positiven Beweis einer mäßigen rezenten Hebung der Korallen-
riffe, in den Buckeln, Zacken und unterminierten Massen von modernem
oder tertiärem Kalksteine, die als Zeugen dessen zurückgeblieben sind.
Die Existenz von marinen Gipfeln aus Kalkstein in den Lagunen der
Atolle als Untiefen, Inseln oder Inselchen, zeigt den Umfang der lösenden
Wirkung des Meeres auf die Landgebiete, die früher eine größere Aus-
dehnung hatten als gegenwärtig. Zeichen dieser Wirkung können
überall zwischen den Korallenriffen erkannt werden. Atmosphärische
Denudation spielt eine bedeutende Rolle bei der Verkleinerung der zu
dem Niveau des Meeres gehobenen KaJksteininseln, indem sie dieselben
mit Höhlen durchsetzte und ausgedehnte Senken bildete, die oft für
gehobene Lagunen gehalten wurden.
Daß abgeschlossene Atolle existieren, kann man kaum behaupten;
Niau in den Paumotus nähert sich solchen am meisten, aber seine
seichte Lagune wird durch seinen porösen Saum vom Meere gespeist
Meerwasser kann auch bei Ebbe frei in eine Lagune über ausgedehnte,
seichte Riffebenen eindringen, wo für ein Boot kein Durchgang ist
Die Landfläche eines Atolls ist verhältnismäßig klein, verglichen mit
der der halbuntergetauchten Riffebenen. Dies ist besonders der Fall
bei den Marshallinseln und den Malediven, in denen die Landflächen
auf ein Minimum reduziert sind.
Das Maledivenplateau mit Tausenden von kleinen Atollen, Ringen
oder Lagunenriffen, die aus einer zwischen 20 und 30 Faden wech-
selnden Tiefe aufsteigen, ist ein überwältigender Beweis dafür, daß
Atolle von einem Plateau in passender Tiefe aufsteigen können, wie
immer dasselbe gebildet, und was auch seine geologische Struktur sein
mag. Auf dem Yukatanplateau bestehen ähnliche Verhältnisse bezüg-
lich der Bildung von Atollen, nur in höchst beschränktem Maßstahe.
Die großen Regionen der Korallenriffe liegen innerhalb der Grenzen
der Passate und Monsune und sind Erhebungsgebiete mit Ausnahme
Inseln. 271
der Ellice- und Marshallinseln und einiger der Line-Islands. Den Um-
fang der Erhebung zeigen die Terrassen der gehobenen Inseln unter
den Paumotus, Fiji, Tonga, Ladronen, Gilbert und westindischen, oder
die Reihen der Klippenhöhlungen, welche die Niveaus der Meereserosion
andeuten.
In den Regionen, die Agassiz untersucht hat, ist das moderne
Riffgestein von sehr mäßiger Dicke innerhalb der Tiefengrenzen, in
denen die Riffbauer zu wachsen beginnen, und innerhalb welcher die
Landsäume der Atolle oder der Dammriffe von mechanischen Einflüssen
erreicht werden. Dies beeinflußt nicht die Existenz von solitaren Tief-
seekorallen oder ausgedehnter Felder von Oculina oder Lophohelia in
großen Tiefen oder beeinträchtigt in irgend einer Weise die Bildung
von dicken Schichten korallenführenden Kalksteines in den Perioden
des Sinkens.
Die Marquesas, Qalapagos und einige der Qesellschafts- und west-
indischen Inseln haben keine Korallen, obwohl sie innerhalb der Grenzen
der Korailengebiete liegen. Ihr Fehlen rührt von der Steilheit ihrer
Küsten her und von dem Fehlen oder der krümelnden Beschaffenheit
ihrer submarinen Plattformen. Korallenriffe können ferner nicht wachsen
weit von den steilen Klippenflächen der gehobenen, korallenführenden
Kalksteininseln.
Die Korallen erlangen ihre vollste Entwicklung an den dem Meere
zugekehrten Seiten der Riffe; sie wachsen spärlich in den Lagunen,
wo gleichwohl Korallenalgen sehr üppig gedeihen. Nulliporen und
Korallinen bilden einen wichtigen Teil des riffbauenden Materiales.^)
Das Meer.
Eine Termlnologrie der wichtigsten unterseeischen Boden-
formen ist im Auftrage der internationalen Kommission für unter-
seeische Nomenklatur von Prof. Supan deutsch ausgearbeitet worden.
Dr. H. R. Mill in London hat dazu die englischen und Prof. J. Thoulet
in Nancy die französischen Termina geliefert.^ Nachstehend ist
diese Terminologie wiedergegeben.
I. Großformen, d. h. Formen von weiter Erstreckung und daher Be-
standteile der Hauptgliederang:
1. Von dem Kontinentalrande gewinnt nur der Schelf (engl. Shelf,
franz. Socle oder Plateau continental) selbständige Bedeutung. Er ist jener
Teil des Kontinentalrandes, der sich von der Grenze der dauernden Meeres-
bedeckung ganz allmählich in der Regel bis 100 Faden oder 200 m Tiefe
senkt und dann plötzlich in einen steuern Abfall übergeht. Beispiele : der
britische, der Sunda-, der Neufundlandschelf.
2. Die allseitig von Erhebungen eingeschlossenen Vertiefungen sind:
a) Becken (engl. Basin, franz. Bassin) von annähernd rundlicher Ge-
stalt, in denen also beide Horizontaldimensionen nahezu gleich sind.
^) Naturwissensch. Rundschau 1908. Nr. 81.
*) Petermanns Mitteilungen 1908. p. 151.
272 Das Meer.
b) Mulden (engl. Trough, franz. Vallee) oder langgestreckte, breite
Verüefungen mit saät ansteigenden Rändern. Durch Qaererhebongen können
die Mulden in Becken zerfallen, wie z. B. die beiden atlantischen«
c) Gräben (engl. Trench, franz. Ravin), auch langgestreckte, aber yer-
hältnismäßig schmale Vertiefunsen mit steUen Rändern, von denen der eine
(der kontinentale) höher liegt als der andere (der ozeanische). Sie sind die
Abschlüsse einseitig gebauter Becken und liegen an Kontinentakandem oder
Inselreihen; nur der Caymangraben schiebt sich zwischen Inseln ein, aber
auch hier sind die Ränder ungleich hoch. Eigentlich ist der Graben nur
eine Sekundärform der großen Vertiefungen des ozeanischen Flachgnindes,
aber wegen seiner bedeutenden Längserstreckung, seiner Tiefe and seiner
genetischen Wichtigkeit entschieden den Großformen zuzurechnen.
Die Ausläufer der Mulden und Becken, die mit gleichbleibender oder
allmählich abnehmender Tiefe in die Festlandmassen oder in unterseeische
Erhebungen eindringen, oder einerseits von Land, anderseits von unter-
seeischen Erhebungen begrenzt werden, sind
a) entweder breit, von rundlicher oder dreieckförmiger Gestalt und
heißen dann Buchten (engl. Embayment, franz. Golfe ; z. B. die ostaustralische
Bucht), oder
b) langgestreckt und heißen dann Rinnen (engl. Gully, franz. Chenal;
z. B. die Färöer- und die norwegische Rinne).
3. Die Erhebungen sind entweder allseitig von Vertiefungen einge-
schlossen oder gehen von dem Kontinentalrande aus.
a) Alle Erhebungen, die ganz allmählich unter Böschungswinkeln von
einigen Bogenminuten ansteigen, heißen Schwellen (engl. Rise, franz. Seuil),
geicbgültig, ob sie langgestreckt oder breit sind, und wie ihre vertikale
ntwicklung ist. Sie spielen wegen ihrer Flachheit anscheinend nur eine
untergeordnete Rolle, sind aber doch die Träger der Hauptgliederung des
ozeanischen Bodens, was man daraus erkennt, daß sie, wenn der Meeres-
boden in Land verwandelt würde, als Hauptwasserscheiden funktionieren
würden.
b) Langffestreckte Erhebungen, die sich durch ihre steilem Böschungen
kräftiger markieren, heißen Rücken (engl. Ridge, franz. Grete). Sie sind
daher schmäler als die langgestreckten Schwellen; der Unterscnied ist be-
sonders dort deutlich, wo eine Schwelle streckenweise die Gestalt eines
Rückens annimmt, wie z. B. der atlantische Äquatorialrücken. Im übrigen
gehören der Kategorie der Rücken sowohl Groß- wie Kleinformen an.
c) Plateaus (engl. Plateau, franz. Plateau) sind steilere Erhebungen
von größerer Ausdehnung, in denen die Längs- und die Breitendimension
nicht erheblich voneinander abweichen. Sie können sich sowohl aus den
Vertiefungen des Meeresbodens erheben, wie über den Schwellen (z. B. das
Azoren-Plauteau).
4. Die tiefsten Stellen der Vertiefungen heißen Tief (engl. Deep, franz.
Fosse; z. B. Nerotief), die höchsten der Schwellen, Rücken und Plateaus,
soweit sie nicht dem Sockel von Inseln angehören oder als selbständige
Kleinformen betrachtet werden können. Höh (engl. Height, franz. Haut;
z. B. Valdiviahöh des Walfischrückens).
n. Kleinformen von geringer Ausdehnung, aber sich stets durch steilere
Böschung von der Umgebung deutlich abhebend:
1. Erhebungen:
a) Erhebungen von langgestreckter Form und meist mit unruhiger
Oberfläche, die sich im raschen Wechsel der Tiefe kundgibt: Rücken.
b) Einzelerhebungen oder unterseeische Berge, und zwar:
a) Kuppen (engl. Dome, franz. Dome), von kleiner Grundfläche, aber
mit steilen Böschungen in Tiefen von mehr als 200 m (z. B. Faradaykuppe).
ß) Bänke (engl. Bank, franz. Banc), die sich bis zu Tiefen von wenigem
als 200, aber mehr als 11 m erheben (z. B. Porcupinebank westlich von
Irland oder Princesse-Alice-Bank südlich von Fayal).
Dm Meer. 273
y) Riffe oder Gründe (engl. Reef oder Shoal, franz. Reeif oder Haut
fttnd], die sich wenigstens bis zu 11 m dem Meeresspiegel nähern und da-
duren der Schiffahrt gefährlich werden (z. B. ParacelBriff e , Adlergnmd).
2. Vertiefungen:
a) Kessel (engl. Caldron, franz. Caldeira), sind mehr oder weniger steile
Eiostärze von verhältnismäßig geringer Ausdehnung, wie der Monacokessel
auf dem Azorenplateau.
b) Furchen (en^ Furrow, franz. Sillon) sind tal- oder kanalartige Ein-
schnitte in den Kontinentalrand und mehr oder weniger senkrecht zu diesem
gestellt (z. 6. Indusfurche, Gangesfurche usw.).
Die Beobachtung der HeereswelleiL Was wir zur Zeit
über die Wellenbewegung großer Wassermassen wissen, beruht meist
auf theoretischen Untersuchungen, während die Beobachtungen be-
sonders auf dem Meere noch sehr unvollkommen und lückenhaft sind.
Der Grund hiervon liegt in den ungünstigen Verhältnissen, unter
denen von dem bewegten Schiffe aus die Meereswellen beobachtet
werden, und in dem Umstände, daß es sich dabei immer nur um
Schätzungen handelt, da ein Instrument für genaue Weüenbeobachtungen
fehlt Jetzt hat nun Geh. Admiralitätsrat Rottok ein Verfahren zur
genauen Messung der Wellendimensionen vorgeschlagen,^) das auf
photographischen Aufnahmen an Bord und nachheriger Ausmessung
der ertialtenen Bilder an Land mittels des Stereokomparators oder
des Stereoplanigraphen beruht Zur photographischen Aufnahme der
Wellen an Bord sind 2 Kameras erforderlich, die in genau ge-
messenem Abstände voneinander so aufgestellt sind, daß die photo-
graphisehen Platten in einer der Standlinie parallelen Ebene liegen,
und die optischen Achsen der Objektive senkrecht zur Plattenebene
stehen. Diese Aufnahmen in Verbindung mit Bestimmungen der Ge-
schwindigkeit oder der Periode der Wellen liefern alle Daten, die zur
Charakteristik und Darstellung der Wellen erforderlich sind; sie werden
noch besonders dazu dienen können, die verwirrenden Erscheinungen
der sieh durchkreuzend^i Wellenzüge an dem ruhigen Bilde zu ent-
wirren und dadurch das Studium der Interferenz der Wellen, wie
diese sich tatsächlich auf dem Ozeane abspielt, zu ermöglichen. Die
nautische Abteilung des Reichsmarineamtes beabsichtigt, demnächst
Versuche nach dem hier kurz geschilderten Verfahren anstellen zu
lassen. Inzwischen gibt Rottok eine sehr dankenswerte Zusammen-
stellung des Wichtigsten, was die bisherigen Beobachtungen über die
Meereswellen ergeben haben. Dieselbe enthält im wesentlichen fol-
gendes : Die Wellenhöhe oder der senkrechte Abstand vom höchsten
Punkte, dem Wellenkamme, bis zum tiefsten, dem Wellentale, beträgt
in keiaem Falle mehr als 16 m, die alten Angaben von türm- und
häuserhohen Wellen sind durchaus übertrieben. Als größte Wellen-
hohen wurden von Abercromby 14 m, von Skoresby 13 m, von der
Novaraexpedition 11 m, von der »Ghalienger« 7 m gemessen. Im
') Ann. der Hydrogr. 1906. p. 829 ff.
Klein, J&hrbuch XIV. 18
274 Das Meer.
Durchschnitte betragt nach den zahlreichen Beobachtungen, die Leut-
nant Paris 1867 — 1870 an Bord der französischen Kriegsschiffe
>Dupleix< und > Minerve c angestellt hat, die Wellenhöhe im Atlantischen
Ozeane im Gebiete der Passatwinde 1.9 m, im Westwindgebiete des
Südatlantic 4.3 m, im Gebiete der Passatwinde des Indischen Ozeanes
2.8 m, im Westwindgebiete desselben 5.3 m, im chinesischen und
japanischen Meere 3.2 m, im westlichen Stillen Ozeane 3.1 m. Unter
Wellenlänge versteht man den Abstand von einem Wellenkamme bis
zum nächsten. Diese Längen der gewöhnlichen Sturmwellen betragen
im offenen Ozeane durchschnittlich 90 — 100 m, der höchste Wert
dürfte auf 400 m zu veranschlagen sein. Das Verhältnis der Wellen-
höhe zur Wellenlänge nimmt mit der Zunahme der Wellenlänge ab,
die Wellen werden also flacher, je weiter die Wellenkämme ausein-
ander liegen. Im Durchschnitte verhält sich die Wellenhöhe zur Wellen-
länge wie 1 : 30, sie kann aber bis 1 : 10 steigen. Unter Wellen-
geschwindigkeit versteht man den Weg, den die Welle in einer Sekunde
durchläuft. Sie liegt auf den offenen Ozeanen gewöhnlich zwischen
11 und 15 m, und als größte Geschwindigkeit ist 24 m anzunehmen.
Die Wellenperiode ist die Zeit, welche die Welle braucht, um einen
Weg zu durchlaufen, welcher der Wellenlänge gleich ist ; sie beträgt
im Durchschnitte 7.5 Sekunden, ihr oberer Grenzwert ist 15 Sekunden.
Mit der Andauer und der Stärke des Windes nehmen auf offener
See alle Wellondimensionen, Höhe, Länge und Geschwindigkeit, zu ;
die Höhe wächst am schnellsten, die Länge zuerst langsam, dann
aber schneller als die Höhe. Die Geschwindigkeit ist am wenigsten
veränderlich, sie wächst allmählich mit der Dauer und Stärke des
Windes und erreicht bald eine konstante Größe. Bei gleichbleibender
Richtung und Stärke des Windes hört nach einer bestimmten Zeit
die Zunahme der Wellendimensionen auf, und die Wellen nehmen
einen konstanten Charakter an, man nennt sie dann ausge-
wachsene Wellen. Flaut der Wind ab, so nehmen auch die Wellen-
elemente ab, am schnellsten die Höhe, langsamer die Länge und
Geschwindigkeit Dies setzt sich fort, wenn der Wind zuletzt ganz
aufhört, und die durch ihre abgerundeten Wellenkuppen gekenn-
zeichnete »Dünung« eintritt Während aber die Höhe der Wellen in
der Dünimg sich schnell vermindert, behält sie ihre Länge und Ge-
schwindigkeit noch lange Zeit und in großem Abstände von dem
Orte, an dem die Windstille eintrat, bei.
Die Stromversetzungen auf den InternatioiialenDampfer-
wegen zwischen dem Bngrlisehen Kanäle und New-Tork be-
handelte auf dem 14. deutschen Geographentage Prof Dr. Schott^)
Es handelt sich um die Versetzungen auf der wichtigsten Dampfer-
linie der Welt Der Weg ist genau festgesetzt und muß von den
>) Zeitschr. der Ges. f. Erdkunde zu Berlin 1908 p. 609.
Das Meer. 275
Schiffsführern streng eingehalten werden, und zwar ist von Mitte
August bis Mitte Januar der nördliche und von Mitte Januar bis
Mitte August der südliche Weg festgelegt. Der Schnelldampferverkehr
braucht eine genaue Kenntnis der Versetzimgen, mit denen er rechnen
muß. Dem Studium der Strömungen in den Ozeanen widmet sich
die Deutsche Seewarte immer mehr, wobei sie wesentlich von der
Hamburg -Amerikalinie und vom Norddeutschen Lloyd unterstützt
worden ist Die Größe der Stromversetzungen steht im umgekehrten
Verhaltnisse zu der Schiffsgröße. Die > Deutschland«, unser schnellstes
Schiff, ist einmal nach einem orkanartigen Nordwest lun 48 Seemeilen
außer Kurs gekonunen, das ist eine Strecke von 80 — 90 km. Von
den untersuchten Fällen waren in 64 ^^^ die Dampfer mit dem Winde
nach Lee oder rechts nach Lee versetzt worden. Von einer erheb-
lichen Unabhängigkeit des Qolfstromes vom Winde kann keine Rede
sein. Prof. Schott kommt zu folgenden Schlußsätzen als Ergebnis
seiner Forschungen:
1. Die Größe der Versetzungen von Dampfern steht im um-
gekehrten Verhältnisse zur Schiffsgröße, scheint dagegen kaum von der
Schnelligkeit und Maschinenkrait der Schiffe abzuhängen. 2. Aus-
nahmsweise große Versetzungen, die meist durch besondere Natur-
ereignisse, schw^e Stürme, gewaltige Strömungen u. dergl. hervor-
gerufen werden, kommen bei Schiffen jeder Größe fast im gleichen
Maße vor. 3. Alle Schiffe werden am häufigsten nach Lee oder nach
dem Quadranten rechts von Lee versetzt 4. Die Versetzungen im
Sinne der herrschenden Stromrichtung pflegen die größten zu sein.
5. Die Versetzungen sind im Durchschnitte auf der westlichen Hälfte'
der Dampferwege wesentlich größer als auf der östlichen ; die Grenze
der schwachen und starken Versetzungen liegt im Mittel bei 40 ^ westL L.
für die südlichen, bei 30® westl. L. für die nördlichen Wege. 6. Auf
der östlichen Hälfte beider Wege sind die Versetzungen nach allen
Kompaßrichtungen ziemlich gleichmäßig verteilt. 7. Auf der west-
lichen Hälfte der südlichen Wege überwiegen bei Windstille überall
Versetzungen nach Norden und Osten« 8. Auf der westlichen Hälfte
der nördlichen Wege von 30 — 70** westL L. wechseln die vorwiegenden
Richtungen zweimal, und zwar zwischen NO und SW.
Der Landverlust an der mecklenburgfisehen Kfiste ist
von Prof. E. Geinitz untersucht und gegliedert worden.^) Die ganze
deutsche Ostseeküste ist gegenwärtig im Abbruche, alljährlich geht
von dem Steilufer, dem »Klint« oder »Eliff<, etwas verloren, bald
größere Schollen, bald kleine Partien. An verschiedenen Stellen ist
dieser Rückgang ungleich groß; die 5 m hohe Diluvialküste des Sam-
landes bei Cranz weicht durchschnittlich jährlich um 1.8 m zurück,
die 16 — 20 m hohe Diluvialküste Pommerns bei Colberg nur um 0.42 m,
^) MitteiL der Großh. Mecklenb. GeoL Landesanstalt 1& Rostock 1906.
18*
276 I>M Meer.
die bia 16 m hohe Diluvialküate der Stoltera hei Wamemtode um
1 m. Prot Greimtz hat seine Unterauohimgen auf die meddenburgiscbe
Küste beschrankt, doch sind die von ihm gezogenen Folgerongen auch
für die übrige deutsche Ostseeküste von Geltung. »Der Prozeß des
LaodverlU9tes wird nach der im Binnenlande yerhreiteten Ansicht
gewöhnlich auf die Tätigkeit des Meeres Euruckgeführt, doch spielen
auch andere Faktoren, gleichseitig oder vorbereitend, eine wichtige
Rcdle dabei. Wir können bei dem Zerstörungsprozesse unserer, wie
überhaupt der ganzen deutschen Ostseeküste ä Momente unterscheiden,
die für sich oder ineinander eingreifend, zur Aktion gelangen: die
Arbeit der Atmosphärilien (und des Grundwassers) und diejenige der
Wellen. Einsn ganz erheblichen Anteil an der Zerstörung unserer
Steilufer haben die Atmosphärilien, insbesondere der Frost und Antau.
Das Tagewasser dringt längs der Absonderungsfugen des Ge-
schiebemergels ein, und bei der exponierten Lage an der Wasserkante
ist es nicht zu verwundem, daß der Frost hier die Quader mehr oder
weniger leicht von der Wand ablöst.
So finden wir jedes Frühjahr den Strand mit einer Schutthalde
belegt von soharfeckigen, großen und kleinern Bruchstücken des Ge-
schiebemergels, mit Brde oder Sand, bis die Halde schließlich durch
weitere Wasserbewegung gänzlich weggeführt wird, und die senkrechte
Wand wieder frei erscheint, scheinbar in der frühem Gestalt, aber
etwas weiter zurückgerückt. Dieses Abbröckeln durch den Frost
und die Pflanzenwurzeln macht auch das Betreten der obem Kante
des Landes gefährlich und ist eine treffliche Vorarbeit für die folgende
Wirkung des Meeres.
Weiter spielt das Auftauen des Bodens eine wichtige Rolle.
Der aufgeweichte Boden, Geschiebemergel oder Sand und Ton, ratscht
und fließt die Halde abwärts, hier in geringem Maße, dort (und be-
sonders bei Sandmulden) in mächtigen Schlammströmen oft bis ins
Meer hinaus, so daß ein Passieren der Stelle unmöglich wird.
Die direkte Arbeit der Wellen setzt alljährlich mit den Herbst-
und Frühjahrsstürmen oder auch in größern Pausen bei den Sturm-
fluten ein. Letztere arbeiten natürlich in sehr energischem Stile und
erzielen oft in einem Tage den Betrag von Jahrzehnten. Aber auch
die jährlichen Anschwellungen des Wassers sind wohl zu beachten,
da sie gerade den dauernden Landverlust vermitteln und bedingen.
Die verschiedensten Formen des Steilufers werden hierbei ge-
schaffen, von denen als Grundtypus immer die senkrechte Wand er-
scheint Auch bei dem Heidesande oder bei angefressenen Dünen
erscheint diese senkrechte Wand und hält sich oft recht lange Zeit,
bis schließlich nach Austrocknen des Sandes eine der Korngröße entr
sprechende Böschung angestrebt wird.
Die Abspülung spielt auch an den Stellen eine Hauptrolle, wo
der petrographische Charakter des Ufers den Angriff begünstigt, also
Das Meer. 277
z. B. in den Sandmulden, welche z. B. in so eigentümlicher Art dem
G^schiebemergel an der Stoltera bei Wamemünde eingelagert sind.
Wenn man ein klares Bild über den Landverlust uhd übto die
etwa dagegen vorzuschlagenden Mittel gewinnen will« muß man bu^
nächst die Beschaffenheit der Ufer genau untersuchen.
An der mecklenburgiBchen Küste tritt der diluviale Geschiebemergel
siebenmal in flachwelligen Erhebungen hervor, im Klützer Ort, Pol,
Wustrow, Alt-Gaarz, Brunshaupten, Rethwisch-Stoltera und Fischland.
Hier bildet der Geschiebemergel die steilen hohen Ufer, die Verf. im Gegen-
satze zu den Dünen als »Elint« bezeichnet. Die schmalen oder weiten
Zwischenräume zwischen diesem Hervortreten des Geschiebemergels
sind von alluvialen Moorniederungen mit Dünenabschluß oder Wasser
erfüllt, in der nordöstlichen Heide (Müritz-Gelbensande) aber von dem
bekannten, feinen Heidesande; auch dieser bildet niedere Elintufer.
Wesentlich nur an den hohen Ufern findet Abbruch statt. Übrigens
darf man nicht ohne weiteres diese hohen Ufer als »Lehmufetc be-
zeichnen, wenn auch der Geschiebemergel seiner Verbreitung nach bei
weitem den Hauptanteil an der Zusammensetzung hat. Im einzelnen
zeigen sich sehr große Verschiedenheiten in der Beschaffenheit des
Ufers, die nur in Karten von großem Maßstabe vollständig wieder-^
gegeben werden könnten.«
Aus den sehr sorgfältigen und umfassenden Zusammenstellungen
aller Einzelheiten über den Landverlust der mecklenburgischen Küste
findet Prof. Geinitz, daß dieser in 100 Jahren 30 637 000 dm be-
trägt und jedenfalls in frühern Zeiten nicht geringer war. Die Frage,
was aus dieser Masse des abgebröckelten Landes wird, beantwortet
er wie folgt: Geschiebemergel und Ton werden von den WeUen auf-
gearbeitet und einem natürlichen Sohlämmprozesse unterworfen; die
feinsten Teile und der Sandbestand werden gesondert, die großen
Blöcke bleiben mehr oder weniger unverändert an der Stelle liegen,
wohin sie gefallen sind, bis vielleicht Wellenschlag oder Eisschiebung
ihren Ort langsam und um geringen Betrag ändert, oder der Mensch
sie ausfischt und zerklopft. Wie wenig sie angegriffen werden, er-
hellt daraus, daß sich ihre Gletscherschliffe und Schrammen noch lange
erhalten. Die Feinteile werden weit hinausgeführt, der Sand durch
Küstenströmungen transportiert, bis er als Sandbank oder flaches
Neuland an den Stellen ruhigen Wassers zur Ruhe kommt oder auch
bald von neuem zur Wanderung gezwungen wird. Die störenden
Sandbänke und die langen Sandzungen, die sich an die Landvorsprünge
anlagern und endlich als Nehrungen vorspringende Halbinseln mit der
benachbarten Küste wieder verbinden, sind sprechende Beweise dafür.
Die GeröUe werden wohl auch zu Uferwällen aufgeworfen vor der
Mündung von Niederungen (Heiliger Damm) der am Strande getrock-
nete Sand endlich zu Dünen aufgeweht. Dort, wo der Oeschiebe-
mergel stark ausgewaschen wird, sieht man am Strande und vor
demselben in See reichlich Steingerölle angehäuft oder zu Steinriffen
278 Das Meer.
angereichert, die Steiniiffe in See sind die Reste ehemaliger Geschiebe-
mergelerhebungen.
Nach der mechanischen Zusammensetzung des Geschiebemergels
kann man annähernd annehmen, daß der Greschiebemergel bei seiner
Ansschlammnng zerfallt in
1% große Blöcke und Steine,
B^Iq Kies and groben Sand«
55% Sand,
16^0 »Staube, d. i. feinsten Sand,
25% feinste Teile, d. i. Ton.
Legen wir unsere obige Zusammenstellung zugrunde, so finden
wir, daß die mecklenburgische Küste jährlich über 300 000 cbm Masse
verliert, von welcher beim Ausschlämmen erhalten werden rund
200000 cbm Sand und 100000 dm Ton und feinste Teile.
Gewissermaßen als Trost wird auf die Beobachtung hingewiesen,
daß das Meer dafür, daß es an der einen Stelle Land abspült, an
andern wieder neues Land anlagert
Auch an unserer Küste ist dergleichen zu beobachten. Aber
was ist der Gewinn ? Statt des fruchtbaren Bodens niedriges Ödland,
aus dem sich höchstens nach Jahren ein dürftiges Weideland ent-
wickeln kann. Und außerdem steht die Größe des neuen Areals in
keinem Verhältnis zu dem Verluste. Es wurde bei Erwähnung des
Ufers von Redentin darauf hingewiesen, daß dort die Neulandbildung
nicht als Meeresanschwemmung zu betrachten ist, sondern als Zu-
wachs vom Lande her. Vom Meere geliefertes Neuland sind die
niedem Landzungen, die sich an manche Vorsprünge anlehnen, so
ist die sandige Niederung des Priwalls in vorhistorischer Zeit durch
Versandung einer tiefen Meeresbucht entstanden, von dem zerstörten
Brothener und vielleicht auch Klützer Ufer hergeführt, so scheint im
Süden der Insel Pol ein flacher sandiger Zuwachs zu erfolgen, ebenso
wie die am Kieler Ort an der SW- Spitze von Wustrow; und endlich
ist die Sandniederung zwischen Dierhagen und Fischland die alte
Ausfüllung eines Mündungstrichters, welche die Insel Fischland land-
fest gemacht hat
Dagegen ist eines Vorteiles zu gedenken, den die Zerstörungs-
produkte uns bieten, der Dünenbildung. Der ausgewaschene feine
Sand wird an den Strand geworfen, unter dem Schutze von Buhnen-
bauten aufgehäuft, so daß oft der früher steinige Sand später ebener
Feinsandboden wird (bis größere Wellen den Sand wieder wegführen),
an den trockenen Stellen wirft der Wind den Sand zu den Dünen
auf, welche ihrerseits für spätere Fluten als Wellenbrecher dienen;
daher das Bestreben, zum Uferschutze Dünenbildung, wenn auch nur
in kleinem Maßstabe, am Strande zu befördern und zu erhalten. An
den Mündungsgebieten von Moomiederungen ist der eigentliche Ort
für Bildung von Dünen, die nun für die meisten Falle genügenden
Schutz bieten gegen andringendes Hochwasser.
Das Meer. 279
Gelegentlich werden die Sandanschwemmimgen am Strande durch
Verbreiterung oder Aufhöhung des Strandes von Nutzen gegen die
andringenden Wellen.
Endlich muß noch einer schädigenden Einwirkung gedacht werden,
der Versandung von Fahrrinnen. Die Wismarsche Einfahrt erleidet
keinen Schaden durch Sandvorlagerung, dagegen die Wamemünder.
Die soi^ältigen, von Baudirektor Eemer geleiteten, laufenden Mes-
sungen des Seegrundes bei Wamemünde haben die Veränderungen
deutlichst vor Augen geführt, gegenwärtig ist dem Übelstande auf
eine Reihe von Jahren durch die Fangvorrichtungen der Buhnenbauten
und den verlängerten Molenkopf mit Erfolg entgegengearbeitet, der
von Westen herangeführte Sand wird auf der Westseite der Mole ab-
gelagert Auf die Dauer der Zeit wird aber diese Arbeit nicht helfen,
und der Sand später sich doch wohl wieder vor die Ausfahrt ab-
lagern.
So sehen wir, das Meer bietet für seinen Abbruch der Ufer nur
recht mäßige Entschädigung in Neulandbildung, und daneben noch
direkten Schaden durch Versandungen.
Von der Menge der gelieferten Auswaschungsmassen der Zer-
storungsprodukte wird aber bei weitem nicht aller Sand wieder an
die Küste getrieben, und der Ton und staubfreie Sand findet sich
hier überhaupt nicht Dieser Rest der Ausschlämmassen muß also
in die See hinausgeführt werden. Da er nicht am Strande bleibt,
würde man denken können, daß die See allmählich in der Nähe des
Strandes flacher werden müßte und dadurch einen selbstgeschaffenen
Schutz gegen starken Wellengang liefern. Aber auch hiervon ist nichts
zu bemerken. Man könnte deshalb vermuten, daß das Küstengebiet
sich in langsamer Senkung befindet, wodurch die Aufhöhung des
Bodens ihr Gegengewicht fände.« Die Zusammenfassung der bis-
herigen Beobachtungen durch das K. Preuß. Geodätische Institut sagt,
»daß, wenn überhaupt von einer Hebung oder Senkung der deutschen
Ostseeküste die Rede sein kann, sie wenigstens gegenwärtig an der
ganzen Küste gleichmäßig erfolgt«; und weiter, »daß zur Zeit die
relative Lage des Mittelwassers der Ostsee gegen die Küste als un-
veränderlich angesehen werden kann.« Perioden hohem und niedem
Mittelwassers wechseln miteinander ab, die zum großen Teile meteoro-
logischen Einflüssen zuzuschreiben sind.
Quellen und Höhlen.
Quellen am Heeresgrunde. Es ist wissenschaftlich von Inter-
esse, eine Zusammenstellung der Lokalitäten zu besitzen, an denen
submarine SüßwasserqueUen sich befinden, allein bis in die jüngste
Zeit waren nur vereinzelte Angaben in dieser Beziehung zu finden.
Jetzt hat nun Dr. F. J. Fischer in, einer großen Arbeit »Meer und
280 Quellen and Höhlen.
Binnengewässer in Wechselwirkungen) eine reichhaltige Zusammen-
stellung solcher Lokalitäten geliefert und erläuternde Bemerkungen
beigefügt
Hiemach zeichnen sich besonders die nördlichen Gestade des
Mittelmeeres, besonders diejenigen, wo Kreidekalke vortierrschend ver-
breitet sind und große Störungen ihrer Lage erlitten haben, durch
submarine Quellen aus. Dr. Fischer bemerkt, man könne die ver-
borgenen Wege, welche die Gewässer des Landes auf ihrer Bewegung
zum Meere hin verfolgen, vor allem an dem Quellenphänomen an den
provengalischen und ligurischen Küsten ersehen. Die Provence wird
von mehrem Bergketten der Kalkalpenzone der Südwestalpen, die
sich gegen Westen zu den Ketten von Sainte-Victoire und Sainte-
Baume absenken, durchsSogen, und wo dieser poröse Kalkstein un-
mittelbar ans Meer herantritt, der Meeresboden aber schroff gegen
die Küste hin abfällt, da sind die Bedingungen für die Entstehung
submariner Quellen besonders günstig. »Schlotförmige Dolinen oder
Sauglöcher auf dem Rücken des Kalkgebirges schlucken das nieder-
fallende atmosphärische Wasser auf, das in unterirdischen Hohlräumen
dem Meere zufließt. In den Buchten von Cannes, Jouan und Antibes,
sowie vor der Mündung des Var finden sich submarine Quellen,
die sich bei ruhiger See durch ihr Aufwallen verraten. In der Salz-
lagune von Thau bei Getto, einer tiefen Stelle von Avysse, sprudelt
eine Säule Süßwasser mit solcher Gewalt empor, daß sie Wellen
schlägt Sie könnte den Einwohnern der Stadt Cette dieselben Dienste
leisten wie ehemals den Bewohnern von Syrakus die süße Meeres-
quelle im Hafen ihrer Stadt, von der sie ihr Trinkwasser bezogen.
Zahlreiche submarine Quellen weist nach Dr. Fischer die Um-
gebung der Rhonemündungen in verschiedenen Entfernungen von der
Küste und oft in bedeutender Tiefe auf. Die mächtigste derselben,
die von Port-Miou bei Gassis, bricht aus einem mindestens 2 fm
großen Felsentore mit solcher Gewalt hervor, daß sie auf der Meeres-
oberfläche einen Strom erzeugt, der schwimmende Gegenstände oft
über 2 km weit mit sich fortreißt Ein Lot, das man in einen Bohr-
brunnen nahe der Austrittsstelle dieser Quelle hinabließ, konnte erst
nach einer Belastung mit einem Gewichte von 38 kg der starken im
Brunnen herrschenden Strömung widerstehen und in vertikaler Rich-
tung verharren. Nahe der Bai von La Giotat oder Leques treten auf
dem Meeresgrunde so viele Quellen hervor, daß das Meerwasser dort
drei Viertel seines Salzgehaltes verliert; das gleiche ist der Fall südlich
von Mentone an der Riviera. Westlich von Saint-Nazaire, an der Küste
von Portissol, ist das Aufquellen von Süßwasser im Meere so all-
gemein bekannt, daß man eine Landzunge als »Pointe de Sourcec
(Quellenspitze) bezeichnet Auf ähnliche Erscheinungen trifft man
nach Dr. Fischer an der atlantischen Küste von Südfrankreich, wo
^) Abhandlung der k. k. geogr. Gesellschaft in Wien 1902. 4 Nr. 6.
Quellen und Hdhira. 281
sich das Wasser des großen Sumpfes von Ossegore durch die Sand-
massen des Gestades in einen unterirdischen Kanal, der wahrscheinlich
einer alten Mündung des Adour entspricht, ins Heer ergießt und unter
dessen Oberfläche austritt. Besonders kann man im Seebade Biarritz
diese Verhältnisse in nächster Nähe beobachten. Weitere Beispiele
finden sich in andern europäischen Seestaaten, so an dem Meer-
busen des Humber in England und weiter südlich an der St. Margaret-
bai, wo große Süßwassermassen durch Spalten des Erdbodens unter-
irdisch ins Meer geleitet werden.
Besonders interessante Verhältnisse zeigt der Golf von Spezia,
wo eine Anzahl submariner Quellen auf einer Verwerfungsspalte nach-
weisbar sind. Die mächtigste davon ist die Quelle Polla de Gadimare
südöstlich von Spezia. Dort steigt ein starker Wasserquell bis 18 m
hoch über den Meeresboden auf und erzeugt an der OberQäche des
Golfes einen kleinen Wasserhügel, der für kleinere Fahrzeuge un-
nahbar ist. Das Wasser, welches diese Quelle speist, rührt her von
atmosphärischen Niederschlägen, die in einer Entfernung von 4 Ya km
auf die Höhen des Apennins niederfallen und dort von vielen Karst-
trichtem und Ponoren , welche auf der großen Verwerfungsspalte von
NW bis SO liegen, aufgeschluckt und weitergeführt werden, bis sie
im Golfe von Spezia als Quellen wieder hervorbrechen. Infolge der
200 m hohen Lage des Niederschlagsgebietes bei San Benedetto steigt
das Wasser als eine kräftige Wassersäule über die Meeresfläche
empor. Aus welcher Tiefe solche unterseeische Quellen oft herauf-
kommen, zeigt die Tatsache, daß die Quelle von Cannes 162 m, die
von San Remo 190 m, die am Kap St Martin sogar 700 m unter
dem Meeresniveau mündet
Dr. Fischer weist auf den großen Reichtum submariner Quellen
längs der Karstküsten von Istrien und Dalmatien hin. »Das Karst-
plateau,« sagt er, »welches den quamerischen Golf umgibt, besitzt
mit Ausnahme der Rijeka oder Fiumara bei Fiume nur temporäre
Bäche und Flüßchen, welche an der Oberfläche des Terrains zu ihrem
gemeinschaftlichen, natürlichen Mündungsgebiete gelangen. Die ganze
Niederschlagsmenge, welche auf das Plateau und die Abhänge jener
Karstgebirge fällt, wird von vielen großen und kleinen Dolinen und
Ponoren aulgeschluckt und erscheint als Quellwasser im quarnerischen
Golfe, wo untergetauchte oder submarine, trichter- und brunnenförmige
Dolinen vorhanden sind, aus deren Spalten am Meeresboden Süß-
wasser hervorquillt. Die eine derselben befindet sich bei Mosenica,
gegenüber der kleinen Bucht von Jelensica, deren Zentrum sich bis
180 m tief senkt, während rings um den Trichter der Grund der
Doline mit 45 — 66 m erreicht wird. Aus diesem Trichter strömt
eine gewaltige Süßwassermasse hervor, die zwar in trockenen Zeiten
nur durch die Strahlenbrechung ihrer aufsteigenden und über dem
Meere sich ausbreitenden Schichten erkennbar ist, nach Regengüssen
aber mit solcher Kraft aufwallt, daß auf einem Kreise von über
282 .Quellen und Höhlen.
500 m Durchmesser keine Barke darüber fahren kann. Eine andere
submarine Doline liegt bei der Hafeneinfahrt von Ika in Istrien und
hat etwas kleinere Dimensionen. Aus einer 60 m tiefen Spalte des
Grundes kommt eine ähnliche, kleinere, jedoch stetig aufwallende
Quelle hervor. Auch an einigen Stellen zwischen Fiume und Volosca,
sowie an der Küste bei Senj, südwestlich von Porte Cigale auf
Lussin und südwestlich von Sansego sind ähnliche Quellen bekannt«
Bezüglich des Vranasees auf der Insel Cherso, der nur durch
eine schmale Hügelreihe vom Meere getrennt und ohne sichtbaren
Zu- und Abfluß ist, hat Lorenz auf Grund seiner Temperaturmessungea
zu beweisen versucht, daß der See sein Wasser nicht von der Insel
Gherso, sondern vom Festlande her, und zwar wegen seiner niedrigen
Temperatur (8^ C. im Mittel) nur von einer der höchst gelegenen
Gegenden des Velebit oder des Monte Maggiore erhalten könne, so daß
das Wasser unter dem Meeresboden durchfließe und durch irgend eine
Spalte in jenem Seepolje aufsteige. Wie der Zufluß, so sei auch
der Abfluß des Sees untermeerisch. Der Spiegel des 56 m tiefen Sees
liegt 13 m über dem Meere; wäre also die Insel Gherso an jener
Stelle um etwas mehr als diese 18 tu niedriger, so hätte man anstatt
des Sees eine untermeerisch austretende, sehr beträchtliche, kalte
Wassermasse.
Dr. Fischer bemerkt femer, daß man in der Bucht von Vrullia
zwischen Abmissa und Makarska bei Windstille deutlich das Auf-
sprudeln untermeerischer Quellen bemerkt, im Kanäle Gastelli bei
Spalato dagegen nur nach vorangegangenem Regen. Auch in den
Häfen von Gattaro und Avlona ist diese Erscheinung nicht unbekannt.
Im Marc piccolo oder dem großen Hafen von Tarent, in einiger Ent-
fernung von dem Galesus, springt Süßwasser in solcher Menge empor,
daß man es ohne die geringste Beimischung von Brackwasser ab-
schöpfen kann. Gleiches soll nach Brydone der Fall sein bei einer
Quelle, die gegenüber der Arethusaquelle aus bedeutender Meerestiefe
heraufkommt (Occhio di Zilica). »Selbst den Bohrer«, sagt er, >hat
man auf dem Meesesboden angesetzt, um Wasser zu finden. Beim
Vorgebirge Uncino, nicht weit vom neapolitanischen Städtchen Torre
del Annunziata, kannte man seit langer Zeit eine Stelle, wo in un-
gefähr 30 m Entfernung von der Küste Luftblasen aus dem Wasser
aufstiegen. Die Erscheinung erregte Aufmerksamkeit, und so wurden
denn an einem sich ins Meer hinabsenkenden Felsen von vulkanischem
Tuffe unter Wasser Bohrversuche angestellt Als 2 Lagen von 16 m
Dicke durchstoßen waren, stieg eine Wassersäule von 14 cm Durch-
messer gewaltsam empor. Man trieb noch mehrere Bohrlöcher nieder;
bei den meisten war der Grund ein sehr fester Lavaboden, nur beim
letzten floß Wasser über ein mit Lavabruchstücken und vulkanischer
Asche untermengtes Tonlager, welches ohne Zweifel als das Bett
des unterirdischen Stromes gelten muß. Aus einer aufgesetzten Röhre
sprang das Wasser anfangs 5 m hoch und so kräftig, daß es nicht
Quellen und Höhlen. 283
bloB kleines Gerolle, sondern auch Lavabrocken von ansehnlichem
Gewichte mit heraufriß. Nach einiger Zeit sank die Wassersäule bis
zu 3 m, auf welcher Höhe sie sich dann erhielt.«
Längs der Küste von Argolis gibt es eine Reihe untermeerischer
Quellen, und sie entsprechen den auf dem Festlande in den sogenannten
Katavothren verschwindenden Wassermassen. Auf der Insel Cerigo
entspringt in der Bucht von Kapsali unter dem Seespiegel aus Kalk-
felsen eine reichlich fließende süße Quelle und bleibt bei ruhiger See
so unvermischt, daß man fast ganz reines Wasser von ihr schöpfen
kann. »Bei der Insel Milo, der südwestlichsten der Kykladen, ent-
quellen dem Meeresboden sogar Thermen. An der Karstküste von
Kephallenia kommen untermeerische Quellen in der Lagune Kutavos,
dem südlichen Teile der Bucht von Argostoli, und vor der Ostküste
von Erisos vor, gegen welche der Schichtenfall die Gewässer, welche
das poröse Gestein aufnimmt, hinabzuführen scheint Besonders
zahlreich erheben sie sich aus dem Grunde der Euphimiabucht und
lassen das im Tale versiegte Süßwasser zutage treten. Auch weiter
südlich, im Busen von Samos, gewahrt man nach Migliaressi drei
bedeutende unterseeische Quellen, und Ansted beobachtete halbwegs
zwischen Samos und PhyUaro eine so mächtige hervorsprudelnde
Quelle, daß sie auf dem glatten Seespiegel einen Hügel von 1 Fuß
Höhe aufwarf.«
Zahlreich sind auch die Beispiele submariner, mächtiger Quellen,
die Dr. Fischer von der Südküste der Vereinigten Staaten beibringt
So sprudelt an der Mündung des St Johnflusses eine untermeerische
Quelle völlig süßen Wassers 1 — 2 m hoch über die Meeresfläche
empor. >An den Küsten von Yukatan scheinen die Süßwasserquellen,
die unterirdisch dem Meere zufließen, nicht die Form eigentlicher
Flüsse anzunehmen, sondern vielmehr ausgebreiteten Seen ohne merk-
liche Strömung zu gleichen. In ihrer Gesamtheit sind diese sub-
marinen Quellen mächtig genug, um dem Meerwasser auf weite
Strecken von der Halbinsel entfernt das Gleichgewicht zu halten.
Infolge des Gegendruckes, den die an der Küste hinströmende Meeres-
strömung ausübt, hat sich zwischen dem hohen Meere und dem vom
Festlande her fließenden Süßwasser eine ähnliche Barre gebildet,
wie sie sonst die Wogen vor den Flußmündungen aufbauen. Der
Kanal, der sich wie ein breiter Fluß zwischen der Anschwemmung
und der Küste Yukatans hinzieht, wird in der Tat nicht mit Unrecht
von den Anwohnern als »rio« (Fluß) bezeichnet Noch 400 m von
der nördlichsten Spitze der Halbinsel, dem Kap Catoche, steigen
Süßwasserquellen vom Meeresboden auf.
Die reichen Süßwasserquellen in der Bucht von Xagua auf Kuba
sind durch v. Humboldt bekannt geworden. Die Kraft, mit der diese
Quellen zutage treten, ist dermaßen groß, daß sie einen für kleine
Kähne oft gefährlichen Wellengang verursacht Schiffe, die nicht in
Xagua einlaufen, holen zuweilen ihren Wasservorrat an diesen Quellen,
284 Quellen und Höhlen.
deren Wasser um so süßer und kalter ist, je tiefer es geschöpft wird.
Durch Instinkt geleitet, haben auch die Manatis (Lamantins) dieses
Süßwasser entdeckt, und die Fischer, welche diesen grasfressenden
Getaceen nachstellen, finden und erlegen sie dort in Menge auf
offener See.
Ebenso quillt zwischen den Riffen, welche die höhlenreichen
Bahamainseln umgeben, klares, frisches, süßes Quellwasser empor.
Zur Zeit der Ebbe kann man die Quellen deutUdi sehen und das
Wasser da schöpfen, wo es aus dem Boden emporsprudelt.
In der Nähe der Insel Saba in den Kleinen Antillen entdeckte
Kapitän Luger mitten im Meere das Vorhandensein einer beträcht-
lichen Süßwassermasse, die in konzentrischen Kreisen vom Meeres-
boden aufzuquellen schien.
Bei den Antillen St. Jacques und Guadeloupe finden sich im
Meere warme Quellen. Auch bei der Insel Jamaika, auf der die
Karstphänomene so mannigfaltig entwickelt sind, daß dieses Gebiet
ein Seitenstück zu den stark verkarsteten, aus Kreide und Eocänkalk-
steinen zusammengesetzten Ländern des adriatischen Karstes bildet,
stieß man auf eine untermeerische Quelle.
Ein gleiches findet nördlich von der durch ein furchtbares Erd-
beben seinerzeit (1868) bekannt gewordenen Orte Arika in Chile,
früher zu Peru gehörig, statt, wo ein Fluß plötzlich im Sande
verschwindet und unsichtbar dem Meere zueilt, um einen breiten
unterseeischen Fluß zu bilden. Ein anderer Fall ist westlich des
peruanischen Hafens Talora zu beobachten, wo sich auf dem Meeres-
boden in 18 m Abstand von der Küste ein echtes Flußbett gebildet
hat. Im Hinterlande der Küste befindet sich dort eine Reihe von
Seen, deren Gewässer in eine Felsspalte abfließen imd wahrschein-
lich am Meeresgrunde erst wieder den Boden verlassen. €
Von Interesse ist, daß an der ostafrikanischen Küste der Rowuma
eine unterirdische Flußmündung besitzt, noch merkwürdiger aber die
folgende von Dr. Fischer mitgeteilte "Tatsache. »Das zwischen dem
Grünen Kap (Kap Verde) und der brasilianischen Küste vollendete
Kabel aus ganz neuem und vorzüglichem Materiale versagte mehrmals
hintereinander den Dienst, und die Untersuchung stellte fest, daß es
immer ungefähr an derselben Stelle gerissen war. Man prüfte nun-
mehr den Meeresboden aufs genaueste, um die Ursache dieser Störung
zu erfahren, und fand, daß sich dort am Meeresboden die Quelle
eines Flusses befand, der das Kabel mit Schuttmassen überschüttet
und zum Reißen gebracht hatte. Die Herkunft dieses Süßwasser-
stromes blieb nicht lange im Unklaren, denn man fand, daß sich an
der afrikanischen Küste, gerade in gleicher Höhe mit der fraglichen
Meeresstelle, ein Fluß in die Sümpfe von Yof ergießt und sich dort
in den Sand des Bodens verliert Es konnte kaum ein Zweifel
darüber obwalten, daß es das Wasser des Flusses war, das sich in
einer Entfernung von 24 km von der Küste unterirdisch ins Meer
Quellen und Höhlen. 285
ergieBt und zum Reißen des Kabels Veranlassung gegeben hatte.
Diese Vennutung wurde dadurch noch wahrscheinlicher, daß sich das
mit der Reparatur beschäftigte Schiff eines schönen Tages plötalich
mit einer Menge von Orangesohalen, Kalebassen, Zeugstücken usw.
umgeben sah, die wohl keinesfalls von der 140 Am entfernten Mün-
dung des Senegal kommen kounten, sondern wahrscheinlich aus der
unterirdischen Flußmündung in die Höhe gestiegen waren, c
Ein Beweis, wie weit wasserdichte Schichten sich unter dem
Meere fortziehen können, ist der von Dove angeführte Fall, daß
ein englisches Konvoi im Indischen Ozeane 125 Meilen entfernt von
Ghittagong eine mächtige Süßwasserquelle entdeckte. Umgekehrt hat
A. V. Humboldt die Tatsache, daß sich auf einigen der kleinen,
felsigen, nur wenig über dem Meeresspiegel erhabenen Eilande, den
Kayen oder Kagos bei Kuba, völlig süßes Wasser vorfindet, dadurch
erklärt, daß sie infolge der Verlängerung der Schichten des jurassi-
schen Kalksteins und der Auflagerung des Korallenkalksteins auf
demselben von der benachbarten Küste und den Gebirgen Kubas ihr
Trinkwasser erhalten. Dr. Fischer bemerkt, daß die nur 15 qkm
große Insel Nordemey an allen Stellen, die nicht von der täglichen
Flut erreicht werden, süßes Wasser hat, und man sah, sobald Ebbe
ist, außerhalb der Dünen sogar Süßwasser emporsprudeln. Femer
sollen nach ihm einzelne Granitklippen der Ostsee, Ertholmen genannt,
selbst im trockensten Sonmier Überfluß an Süßwasser haben, das
ebenfalls nur unter dem Meere her vom Festlande kommen kann.
Im Gegensatze hierzu berichtet Dr. Lersch, daß die Bewohner
Yukatans größtenteils längst verschmachtet seiu müßten, wenn sich
dort nicht tiefe Höhlenbrunnen fänden, zu denen sie auf Leitern
durch künstliche und natürliche Schächte von mehr als 800 m Tiefe
hinabsteigen.
Die InteFmitüerende Lindwupmquelle bei Laibaeh. Über
diese schon seit Jahrhunderten den Umwohnern als intermittierend
bekannte, dennoch aber wissenschaftlich noch wenig erforschte Quelle
berichtet W. Putick.^) Ihrer wird zuerst von Frhr. v. Valvasor (1689)
gedacht, der dieselbe einige Jahre vorher, von den Landleuten auf-
merksam gemacht, besuchte. Die abergläubischen Bauern glaubten,
in der Quelle hause unterirdisch ein Drache, der von Zeit zu Zeit das
Wasser herauswerfe. Erst in neuester Zeit ist die Quelle leichter
zugänglich und die Quellenöffnung freigemacht worden, so daß man
den Wasserspiegel am Ursprünge der Quelle sehen kann. Die Quelle
liegt in 482 m Meereshöhe ; dagegen hat der höchste Funkt des Berg-
landes, in welchem die unterirdischen Zuflüsse der Lindwurmquelle
verborgen liegen, in der Bergkuppe »Zaplana« 800 m Meereshöhe.
Hinsichtlich der geologischen Verhältnisse des Sammelgebietes der
1) Erdbebenwarte a^ p. 18.
286 Qttellea und HohleiL
Lindwunnquelle ist za bemerken, daß das Gebiet der Tiiasfonnation
angehört und vorwiegend aus Saudstein und dolomitischem Kalke
besteht Was femer die Terrainbeschaffenheit anbelangt, so ist das
Einziehungsgebiet der Quelle ein vorherrschend bewaldetes Bergiand,
das unbedeutende Karsterscheinungen zu verzeichnen haL
Der Berichterstatter war Augenzeuge eines starken Ausbruches der
Quelle. Er schreibt:
»Am 80. Mai kam der Berichterstatter nach Oberlaibach und erfuhr dort,
daß Herr Gabriel Jelovsek seit 8 Tagen die Feistrümmer beim Lindwurm
durch 4 Arbeiter entfernen ließ und am 29. Mai nachmittags zwischen 8 und
4 Uhr Augenzeuge eines vehementen Wasserausbniches war. An den friihem
Tagen wurde von den Arbeitern am Ursprünge der Quelle außer dem kon-
stanten Abflüsse ein Wasserausbruch nicht beobachtet, obschon sie tä^ch
von 6 Uhr fnih bis zur Abenddämmerung an Ort und SteUe ununterbrochen
beschäftigt waren. Doch erfuhren die Arbeiter von Hirten, die schon im
ersten Morgengrauen in der Nähe der Lindwurmauelie das weidende ^eh
bewachten, daß Tag für Tag vor 4 Uhr morgens der Lindwurm tätig wäre.
Die Arbeiter hatten tatsächnch jeden Moraen die zurückgebliebenen Spuren
des Wasserausbruches schon auf dem Wege zum Quellenursprunge ¥rahi^
genommen. Sie näherten sich deshalb, aber^äubisch , wie die Landbe-
völkerung ist, ängstlich der Stelle ihrer Tätigkeit und verließen dieselbe
auch jeden Tag in aller Stille. Diese erzählten Herrn Jelovsek täglich am
Abende von ihren Wahrnehmungen und von den Nachrichten, die sie von
den Hirten erfahren hatten. Herr Jelovsek kam wiederholt und zu ver-
schiedenen Tagesstunden zur Quelle, um den Fortschritt der von ihm an-
geordneten Arbeiten zu besichtigen und weitere Anordnungen zu treffen.
Am 29. Mai begab er sich wieder auf den Weg zur Lindwurmquelle. Um
8 Uhr nachmittags dort angekommen, ließ er einen Felsblock knapp am
Ursprungspiegel zur Sprengung derart anbohren und laden, daß der gewaltige
Minenknall den QueUspiegel traf. Ungefähr eine Viertelstunde nach der
Detonation des Sprengschusses trat die sonst ruhig fließende QueUe in die
Erscheinung eines rauschenden und stürmenden Gießbaches, worauf die
Sprengarbeiten an der Quelle unterbrochen wurden. Infolgedessen unternahm
Verf. gleich am andern Tage einen Besuch der Quelle. Er kam 20 Minuten
vor 4 Uhr beim Quellursprunge an. Nach curfolgter Besichtigung und
Markierung des Quellspiegels an den Felstrümmem, zwischen welchen etwa
4 Sekundenliter Wasser aus der Quelle zum felsigen Waldgraben kon-
tinuierlich herabrieselten, wurde ein Flintenschuß zwischen dem Quellspi^el
und der Felsendecke der Ursprungshöhle in das Berginnere abgefeuert. Der
Pulverrauch wurde mit einem bereitgehaltenen Buchenaste zerstreut. Als
der QueUspiegel wieder sichtbar wurde, zeigte er die ursprüngliche Höhe.
Es war 12 Mmuten vor 4 Uhr. Kaum eine Minute darauf wurde wahrge-
nommen, daß der QueUspiegel um 1 cm gestiegen war und anfangs ^eiä-
mäßig, dann aber progressiv weiter emporstieg, bis er nach 12 Minuten
die Höhe von 42 cm über Null erreicht hatte. Inzwischen mericte man
augenscheinUch die Zunahme des Wasserabflusses im QueUgraben unterhalb
der Trümmergesteinbarre des Quellspiegels, welcher auf dieser Höhe den
Scheitel der Barre erreichte und rasch überzulaufen begann. Der QueU-
spiegel erhöhte sich durch weitere 6 Minuten progressiv und erreichte
endhch 82 cm Höhe über NuU, blieb auf dieser Höhe 10 Minuten konstant,
fiel nachher von 82 auf 42 cm gleichmäßig durch 26 Minuten und fiel
ebenso gleichmäßig durch weitere 19 Minuten von 42 em auf den NuUpunkt
zurück, so daß die Erscheinung des Wasserausbruches insgesamt 72 Minuten
in Anspruch nahm, wovon gegen 80 Minuten der auffaUendsten Intensität
anffehorten. Der Quellspiegel war von NuU auf 42 cm und umgekehrt je
höher, desto heftiger pulsierend und von 42 cm auf 82 am Höhe und um-
Quellen und Höhlen. 287
gekehrt in analoger Weise je höher, desto heftiger bewegt und in sprudelnder
Tätijgkeil Das durch den im Mittel 70 cm breiten, mit 4<^/o geneigten Quell-
schlitz hinablaufende Wasser hatte eine durchschnittliche (jeschwindigkeit
von 1.5 — 1.8 offt, so daß während der maximalen Tätigkeit der Quelle un-
gefähr 400—450 Sekundenliter, d. i. 0.40—0.45 (inn per Sekunde, derselben
entsprangen. Der Quellschlitz mündet nach 12 m Länge in einen steilen
und felsigen Graben, wohin das stürzende Wasser dahinrausoht und eine un-
unterbrochene Reihe von kleinen Wasserfällen bildet, bis es tiefer im Graben
nach ruhigerm Laufe durch das primitive Wehr der außer Betrieb stehenden
»Alten Mimle« eine Zeitlang aufgehalten wird. Insgesamt lieferte der einmalige
Ausbruch der Lindwurmquelle B500— 4000 AI, d. i. 850—400 obm Wasser.
Weitere Beobachtungen und Messungen der Wasserausbrüche an der
Lindwurmauelle stehen nunmehr im Plane. Was den oben geschilderten
Wasserausbruch betrifft, so wird femer bemerkt, daß es noch öfters zu
versuchen sein wird, ob die Erscheinung durch ähnhche Detonationen vor
der Höhlenmündung zu beliebiger Zeit beschleunigt wird, wie es am 29. und
80. Mai auffallenderweise erzielt wurde, oder ob das Phänomen selbsttätig
nur zu gewissen Tagesstunden, von den gefallenen Niederschlägen abhängig,
einzutreten pflegt. Der am 80. Mai beobachtete Wasserausbruch der Quelle
brachte am QueUspiegel beständig klares Wasser zum Vorscheine, dessen
Temperatur 9^ C. betrug.«
Untersuchungen über die Abnahme der Quellentempe-
ratur mit der Höhe im Gebiete der mittlem Donau und
des Inn hat Dr. F. V. Eemer angestellt^) Diese Untersuchung basiert
auf einer großen Zahl von Quellenmessungen, welche vom Vater des
Autors vor vielen Jahren in Niederösterreich und Nordtirol ausgeführt
worden sind. Es wurden zunächst die Fehlergrenzen bestimmt für
die Ableitung des Jahresmittels der Quellentemperatur aus nur zwei
zu passend gewählten Zeitpunkten angestellten Messungen. Hieran
schließt sich eine Erörterung der Korrektionen, welche an den Quellen-
temperaturen anzubringen sind, um den Einfluß der orographischen
Lage und Bodenbeschaffenheit zu eliminieren und die Temperaturen
als alleinige Funktionen der Seehöhe zu erhalten. Alsdann folgt die
Ableitung von Gleichungen für die -Abnahme der Quellentemperatur
mit der Höhe, und zwar getrennt für drei verschiedene Regionen im
Stromgebiete der mittlem Donau und für zwei verschiedene Gebirgs-
züge im Flußgebiete des Inn. Diese Gleichungen sind (h in Hekto-
metern ausgedrückt):
Südrand des böhmischen Massivs:
^= 11.75— 0.85Ä + 0.04Ä«.
Niederösterreichische Voralpen:
<= 10.21— 0.15Ä—0.04Ä«
Niederösterreichische und obersteirische Ealkalpen:
< = 9.93— 0.37 Ä.
Nordtiroler Kalkalpen:
t= 13.91— O.BOÄ+O.OIÄ«.
Tiroler Zentralalpen (nordwärts der Hauptwasserscheide):
^= 12.11— 0.44Ä.
^) Kais. Akad. d. Wiss. in Wien. Sitzung der mathem.-naturwis8. Klasse
V. 2. AprU 1906.
288
QaaUen imd Höhlen«
Diese Formeln werden sodann, besonders insoweit sie quadra»
tische Glieder enthalten, näher diskutiert und mit den geognostischen
und den mit diesen eng verknüpften morphologischen Verhältnissen
der betreffenden Gebiete in Beziehung gebracht Den Schlofi bildet
ein Vergleich der Abnahme der Quellenwärme mit der Abnahme dtf
Lufttemperatur.
Die Anderungren des Grundwasserstandes in Brttim. in
den Jahren 1866 — 1880 hat Mendel daselbst sehr genaue und lücken-
lose Beobachtungen des Wasserstandes im Koaventbrunnen des Stiftes
St Thomas, der eine Tiefe von ca. 7 m besitzt, ausgeführt Diese
wertvolle Messungsreihe ist von J. Liznar bearbeitet worden.^) Es
wird wenige Orte geben, von welchen eine so homogene Reihe von
Beobachtungen über den Grundwasserstand vorliegt, weshalb die von
Liznar veröffentlichten Taten von besonderm Werte sind, indem sie
auf das deutlichste nachweisen, daS der Grundwasserstand tatsächlich
von der Niederschlagshöhe abhängig ist.
Die folgende Tabelle zeigt den jährlichen Gang des Grundwassers
und Niederschlages in Zentimetern.
I
o
SB
I
-6.0
6
5«
153
6
6
25.2
6
6
29.8
12
12
-i2.e
14
14
-24.0J
5«
7
aB.7*
7
7«
-ao.9
8
8
-7.2
7
6
826.0
651
510
Grondwasser
Nieder80bl«g |
Der jährliche Gang des Niederschlages ist durch 2 ZaMenreih^
dargestellt, wovon die erste der Periode 1865 — 1880, in welcher
die Beobachtungen über den Grundwa^serstand ausgeführt worden
sind, entspricht, während die zweite aus den Niederschlagsmessungen
der Jahre 1848 — 1882 abgeleitet worden ist Beide stimmen fast
vollkommen überein. Der Niederschlag zeigt im Laufe des Jahres
2 Mazima im Juni und August, die durch ein kleines Minimum im
Juli getrennt erscheinen, ferner ein sekundäres Maximum im November.
Das Hauptminimum tritt im Januar oder Februar ein» ein zweites
sekundäres Minimum zeigt der September, bezw. Oktober.
Der jährliche Gang des Grundwasserstandes und des Nieder-
schlages ist demnach sehr verschieden, so daß es den Anschein hat,
als ob beide Erscheinungen nichts miteinander zu tun hätten. Bei
näherer Überlegung kommt man aber zu einem ganz andern Schlüsse.
Berücksichtigt man nämlich, daß nicht das ganze Niederschlagswasser
in den Boden eindringen kann, da eine größere Menge desselben ober-
flächlich abfließt, und ein beträchtlicher Teil verdunstet (besonders
im Sommer), daß ferner im Sommer durch die Vegetation dem Boden
Wasser entzogen wird, ehe es in tiefere Schichten gelangen kann,
^) Meteorol. Zeitschr. 190B. p. 537.
QaeUen and Höhlen. 289
so wird man einsehen, daß die angeführten Umstände für den Grund-
wasserstand von großer Bedeutung sein müssen.
Der Wasserabfluß ist im Sommer, in dem die Niederschläge mit
größerer Intensität auftreten (d. h. es fällt mehr Regen in kürzerer
Zeit), bedeutend größer als im Herbste oder Frühjahre, zu welcher Zeit
das Niederschlagswasser (oder auch Schmelzwasser) mehr Zeit findet,
in den Boden einzudringen. Im Sommer ist aber auch die Ver-
dunstung viel größer, denn bei den hohem Temperaturen enthält die
Luft immer weniger Wasserdampf, als sie im Maximum enthalten könnte,
so daß stets ein Sättigungsdefizit vorhanden ist, von dessen Größe
die raschere oder langsamere Verdunstung abhängt Beachtet man
noch, daß auch mehr Wasser im Sommer verbraucht wird, so läßt
sich durch das Zusammenwirken aller angeführten Faktoren der jähr-
liche Gang des Grundwassers leicht erklären. Es steigt zwar der
Niederschlag vom Winter zum Sommer und erreicht sein Maximum
im Juni und August, aUein es ist im Sommer nicht nur der ober-
flächliche Abfluß und der Wasserverbrauch, sondern auch die Ver-
dunstung am größten. Überwiegen nun die letztem, dann muß im
Sommer ein Sinken des Grundwassers eintreten, wie es aus den
mitgeteilten Zahlen zu ersehen ist Dieses Sinken dauert so lange,
bis Wasserzufuhr (durch den Niederschlag) und Verlust gleich groß
werden, dann trifft der tiefste Stand ein. Von da an überwiegt die
Wasserzufuhr, das Grundwasser steigt bis zum Mai, zu welcher Zeit
wieder Zufuhr und Verlust gleich werden.
Nicht überall tritt der jährliche Gang des Grundwasserstandes
in der hier beschriebenen Form auf, weil die beeinflussenden Faktoren
andere Werte annehmen können. Dort z. B., wo die Sommemieder-
schläge größer werden, die Verdunstung aber verhältnismäßig klein
bleibt wird der jährliche Gang des Grundwasserstandes die Form
der jährlichen Periode des Niederschlages annehmen, wie dies z. B.
in München der Fall ist.
Eine Theorie der Kohlensäure führenden Quellen hat
Professor F. Henrich aufgestellt^) Die Entstehung der Säuerlinge
erklärte G. Bischof 1863 in folgenden Worten: »Die Säuerlinge sind
stets aufsteigende Quellen. Sie können nur entstehen, indem in
größerer oder geringerer Tiefe die aufsteigenden Quellen mit Kohlen*
säureexhalationen in Berührung kommen. Aufsteigende Quellen aber
sind mit Wasser gefüllte kommunizierende Röhren, deren einer Schenkel
höher ist als der andere, aus dessen Mündung das Wasser fließt.«
Hiervon geht der Autor bei seinen weitem Besprechungen aus, in-
dem er sich besonders gegen den Schlußpassus dieser Definition
wendet Henrich nimmt nicht zwei, »sondern eine in die Tiefe
^) Zeitschr. f. d. Berg-, Hütten- u. Salinenwesen im preuß. Staate
BerUn 1902 60« p. 681—657.
Klein, Jahrbnoh XIV. 19
290 Quellen und Höhlen.
gehende Röhre oder Spalte an, die ihr Wasser durch zahlreidie ein-
mündende Seitenspalten oder Haarspalten erhält. Diese ersetzen die
kommunizierende wasserliefemde Röhre. Der Wasserspiegel in den
Seitenspalten muß nicht über dem der Quelle, er kann selbst unter
diesem liegen.« Diese Theorie wird sodann auf mathematischem
Wege bewiesen, indem die einzelnen Größen , wie Wassermenge,
Druckhöhe usw., in Formeln gebracht werden. Daraus ergibt sich
dann auch, weshalb solche Quellen bei abnehmendem Luftdrucke
mehr Wasser liefern. Der Grund ist ein doppelter: erstens, weil
aus dem mit Kohlensäure gesättigten Wasser mehr Kohlensäure ent-
bunden, folglich ebensoviel Kubikmeter Wasser verdrängt werden,
dann aber, weil das Volumen der frei durchströmenden Kohlen-
säure größer wird. Der 1. Grund kommt nur zu Anfang des
sinkenden Barometerstandes in Betracht, der 2. Grund dagegen bleibt
während des ganzen niedrigen Luftdruckes aufrecht Femer wird
mathematisch bewiesen, daß »alle Sauerquellen durch Kohlensäure
derart aufgetrieben« werden, »daß die in der Quellenröhre i^i auf-
steigende Kohlensäure so viel Wasser verdrängt, als sie selbst Raum
einnimmt,« daß dagegen ein Auftrieb in der Weise, daß die Wasser-
säule durch die Gasblasen gehoben würde , nur in ganz verschwin-
dendem Ausmaße zu beobachten ist. Diesen Ausführungen schließen
sich dann noch noch zwei weitere Kapitel an, in welchen zahlreiche
bestätigende Versuche besprochen und eine Anwendung der Theorie
auf erbohrte Säuerlinge gemacht wird.
Ober die Entstehung: und die Rolle des Erdöles hat
H. Höfer weitere Studien veröffentlicht^) Zunächst knüpft er an
seine frühem Ergebnisse an, in welchen darauf hingewiesen wurde,
daß die Erdöl begleitenden Wasser meist vollständig frei von Sulfaten
gefunden wurden, da Erdöl und dessen Gase auf das Wasser redu-
zierend wirken, und der Schwefel bei Hinzutritt der Luft aus dem
sich bildenden Schwefelwasserstoffe ausscheidet Diese Erscheinung
bringt es mit sich, daß die Ghlorbaryumprobe bei Schürfungen auf
Petroleum einen wichtigen Behelf abgibt
Bezüglich des Einflusses der Bitumen auf die Sulfate im Wasser
wird gezeigt, daß dabei eine Umwandlung der Sulfate in Sulfide
oder Karbonade (Bikarbonate) und begleitenden Schwefelwasserstoff
vor sich geht.
Was die Entstehung des Erdöles anbelangt, so wird jene als
die zutreffendste hingestellt, welche die Bildung der Erdöllagerstätten
auf die plötzliche Massenvertilgung von Meerestieren zurückzuführen
sucht. Daß solche Massenmorde nicht einmal besonders selten vor-
kommen, zeigen viele Beobachtungen, und sind in dieser Richtung
die Aufzeichnungen von Prof. A. Agassiz von besonderm Interesse.
^) Abh. d. Kais. Akad. d. W.Wien. Mathm.-naturw. Klasse 61. Abt 1. p. 616.
Quellen und Höhlen« 291
Schließlich verbreitet sich Höfer über die große Rolle, die dem
Bitumen als ein Reduktionsmittel, respektive Präzipitators der Metall-
sulfide zufällt. Während es aUgemein bekannt ist, daß durch die
Einwirkung von Kohlenwasserstoffen die gelösten Sulfate der schweren
Metalle zu unlöslichen Sulfiden reduziert werden, gelang es Höfer
nachzuweisen, daß mitunter auch diese auf gleichem Wege in
Metalle verwandelt werden können, wobei Kohle ausgeschieden wird«
Die Vorkonmmisse in den Kongsberger SUbergängen brachten Höfer
zur Vermutung dieses Vorganges, und die angestellten Experimente
haben denselben nicht nur vollauf bestätigt, sondern auch die vielfache
Auffindung von »Organolithen« erklärt Als weitere Belege für diese
Ansichten werden zahlreiche Bitumenvorkommen in Erzdistrikten und
ebenso Bitumeneinschlüsse in Mineralien zusammengestellt und um-
gekehrt auch angeführt, daß nicht selten Schwefelkies, Bleiglanz und
Zinkblende in Mineralkohlen anzutreffen sind.
Die Höhle von PadiPac schildert E. A. Martel/) und E. Fugger
gibt von diesen Schilderungen folgenden, das Geologische be-
treffenden Auszug.*) Ein nahezu kreisrundes Loch von 90 m Umfang
öffnet sich in fast horizontalem Boden und reicht, sich nach abwärts
noch mehr erweiternd, als senkrechter Schlund in die Tiefe. Der
Einstieg geschieht durch einen künstlichen, seitwärts angelegten
Schacht von 14 m Tiefe auf eisernen Stiegen und führt dann durch
eine natürliche Qrotte auf eine Terrasse in dem eigentlichen Schlund,
wo sich eine Restauration befindet Von hier gelangt man auf einer
eisernen Treppe von 37 m Höhe zum untern Ende des vertikalen
Teiles des Schlundes auf den hier abgelagerten Schuttkegel; über
diesen geht ein bequemer Weg in Serpentinen, an Seitenhöhlen vor-
über, in die Tiefe, etwa 100 iti unter der Oberfläche. An der West-
seite des Schuttkegels öffnet sich eine »Galerie du Ruisseau« von
ca 120 — 150 m Länge, an der Ostseite desselben beginnt die eigent-
liche, in ihrer Hauptrichtung nach N ziehende Galerie. In der Galerie
du Ruisseau befindet sich der Oberlauf, in der Hauptgalerie der
Unterlauf des unterirdischen Flusses. Letztere beginnt mit der
Galerie de la Fontaine (280 m lang, 3 — 8 tn breit), in welcher der
Padirac in so bescheidener Breite dahinfließt, daß neben ihm noch
reichlich Raum bleibt für einen festen, trockenen Pfad. Nun folgt
die Riviere Plane, eine Strecke von abermals 280 m Länge und
ca. 8 t» Breite, in welcher jedoch der Fluß die ganze Breite der
Galerie derart ausfüllt, daß man nur zu Schiff vorwärts dringen
kann; die Höhe der Galerie schwankt zwischen 6 und 60 m.
Tiefe des Wassers zwischen 1 und 4 in. Nachdem sich weiterhin
die Höhle bald unregelmäßig erweitert und ebenso unregelmäßig ver-
^) Le Gouffre et la Riviere souterraine de Padirac. Paris 1901.
^ Petermanns Mitteilg. 1908. Literaturberioht p. 101.
19*
292 ^ueUeo and Hohlen.
engt hat, während sich an den Wänden Tropfsteinbiidungen der
verschiedenartigsten Gestalten zeigen, erreicht man den Grrand Ddme,
einen Raam von 90 m Höhe, der an der Seite, 20 fii über seiner
Sohle, einen kleinen See, den Lac Superietir, enthält In diesen
Teile der Galerie tritt der Felsboden stellenweise am Rande derselben,
stellenweise inselartig, dann wieder in Form von Querriegeln aus
dem Wasser hervor. Etwa 220 m innerhalb des innern Endes der
Riviere Plane ist eine Kaskade von mehrem Metern Höhe, längs
welcher Stufen abwärts führen, und nun geht die Fahrt wieder va
Schiff weiter über zahlreiche Querriegel in der bald weiten, bald
engen, bald hohen, bald sehr niedrigen Galerie, wobei der Flufi den
ganzen Bodenraum derselben ausfüllt Diese Strecke hat eine Länge
von ungefähr 600 m. Der Fluß verengt sich nun, bald tritt auf
der einen, bald auf der andern Seite desselben, endlich auch zu
beiden Seiten fester Felsboden auf (durch ca. 120 m), dann wird der
Fluß wieder breiter, und nur die steilen Felswände bilden seine
Ufer, bis er nach weitem 100 m in einem unzugänglichen Schlünde
verschwindet Die äußere Erdoberfläche steigt vom großen Schlünde
an in der Richtung der Hauptgalerie, also gegen N, anfangs um
20 m und senkt sich von da ab bis zum Ende der GbJerie um
40 m ; der Punkt, wo der unterirdische Fluß verschwindet, liegt
106 m unter der Erdoberfläche, daher 125 fi» unter der Schlund-
öffnung, und das ganze Gefälle der Höhle vom Fuße des Schutt-
kegels bis zum Nordende beträgt 25 m. Die Länge der Höhle von
der Tiefe des Schlundes bis zum Verschwinden des Flusses beträgt
gegen 1700 m, die Chüerie du Ruisseau samt dem Zugange zu der-
selben etwas über 200 m, so daß die Länge der ganzen Höhle
mindestens 1900 m mißt mit einer durchschnittlichen Tiefe von 100 m
unter der Erdoberfläche. Das mittlere Gefälle beträgt beiläufig 1.5 Proz.
Flüsse.
Die Flufidlehte im Elbsandstelngrebirge und dessen
norditotlichen NaehbaFgebieten bildete den Gegenstand einer
Untersuchung von Dr. G. Feldner.^) Es besteht, bemerkt einleitend
der Verf., eine Wechselwirkung zwischen dem Wasser und den Ober-
flächenformen des Landes, indem beide Erscheinungen einander bedingen.
Hierbei ergeben sich als Resultate einmal eine beständige Niveau-
umgestaltung des Landes, im andern Falle eine Änderung von Form
und Zahl der Wasseradern. Die Menge der Wasserfäden wird in
einem bald mehr, bald weniger reichverzweigten Netze zusammen-
gefaßt, das fast alle Teile der Erdoberfläche, wo Niederschläge statt-
finden, überzieht. Dieses Netzwerk von Wasserläufen prägt nicht
nur durch die verschiedene Form, Länge und Breite der einzelnen
^) Mitt. des Vereins f. Erdkunde zu Leipzig 1902. Leipzig 1908. p. 1 ff.
Flüsse. 293
Ruinen, sondern vor allem auch durch die wechselnde Größe seiner
Maschen der Bodenfläche eine von Ort zu Ortsich ändernde Physiognomie
auf. Je enger die Maschen des Gtewässemetzes, je geringer die Ab-
stände zwischen den einzelnen Wasserfäden sind, desto mehr wird
die scheinbar starre Erdkruste belebt, verändert Mit der steigenden
Zahl der Wasseradern, die den Boden durchfurchen, und mit der
Entwicklung der einzelnen Wasserläufe wächst die Zahl der Punkte,
an welchen das flüssige Element mit seiner zerstörenden, umformenden
und neubildenden Tätigkeit einsetzen kann.
Bisher sind, wie Neumann bemerkt, noch wenig Untersuchungen
über die Dichte des Gewässernetzes in bestimmten Landgebieten an-
gestellt worden. Penck berührt diesen Gegenstand in seiner > Morpho-
logie der Erdoberfläche. Er stellt fest: In den Zentralalpen sind
aller 5 — 6 km größere Flüsse anzutreffen. Aller 2 — 3 km münden
in diese wieder Nebenflüsse, so daß auf 4 — 9 qkm ein Flußlauf zu
rechnen ist. Bäche münden in Abständen von ungefähr 250 m in
die Hauptläufe.
Bezüglich der Flußdichte Deutschlands bemerkt Ratzel, daß hier
aller B km em Bach, aller 100 — 150 km ein Strom anzutreffen ist
Femer weist Ratzel hin auf die ungleich größere Zahl der Wasser-
fäden in den Alpen, auf der süddeutschen Hochebene und auf dem
größten Teile des baltischen Landrückens, im Gegensatze zur Wasser-
armut im Sandboden der Mark und der Pegnitz. Als interessante
Beispiele für den auf engem Räume bestehenden Gegensatz von Armut
und Reichtum an Quellen nennt Ratzel Teutoburger Wald und Haarstrang.
Nach Gavazzi sind in Kroatien-Slavonien 9373 qkm (24 ^/^ des
Landes) und nach Müllner im österreichischen Traungebiete 785 qkm
(18.3^/^ des Gebietes) ohne oberirdischen Abfluß. Abflußlos sind von
Australien 51.9%, von Afrika 32.9 7^^, von Asien 30.6%, von
Europa 17.1%, von Südamerika 6.6% und von Nordamerika 4.4%
des betreffenden Festlandes. Cber Areal- und Längenverhältnisse der
Ströme hat v. Klöden eine Tabelle veröffentlicht Endlich sei noch
hingewiesen auf Strelbitzkys Messungen für Europa
Eingehende Untersuchungen über die Dichte des Gewässernetzes
in einem verhältnismäßig engbegrenzten Gebiete enthält eine Arbeit
Neumanns: »Die Dichte des Flußnetzes im Schwarzwalde«.
Das Eibsandsteingebirge stellt eine geographische Einheit dar
und zeigt eine ausgeprägte hydrographische Zentralisation. Es umfaßt
einen Flächenraum von ca. 464 qkm und hat die Gestalt eines recht-
winkligen Dreiecks, dessen Hypotenuse, von 41 km Länge, gebildet
wird durch die Linie: Bonnewitz bei Pirna — Dittersbach i. S. —
Rathewalde — Hohnstein — Altendorf — Sternberg — Neu-Daubitz
— Kreibitz. Die südliche Kathete, mit einer Länge von 32 Am, ver-
bindet die böhmischen Orte: Kreibitz — Tetschen-Bodenbach — Königs-
wald, während die Westkathete, 29 Am, von Königswald über Tyssa,
Berggießhübel nach Pirna führt.
294 Flüsse.
Der vergleichenden Betrachtung dienen die im Nordosten an das
Quadersandsteingebiet angrenzenden Teile des Lausitzer Oranitgebietes
und das Zittauer Braunkohlenbecken. Jene umfassen die Gebiete
der Kimitzsch, Sebnitz und Polenz und bilden mit dem Quadergebiete
rechts der Elbe eine hydrographische Einheit. Die Untersuchungen
im Zittauer Tertiäprbecken erstrecken sich auf das Neißegebiet von
Grottau bis Hirschfelde und auf die angrenzenden Areale der Mandau,
des Landwassers und des Eipperbaches.
Bezüglich der Methoden der Arbeit bemerkt Dr. Feldner fol-
gendes: »Die einfachste Art und Weise, ein Bild von der Dichte des
Flußnetzes zu geben, ist die von Penck angewandte, alle zwischen
einmündenden Nebenläufen liegenden Teilstrecken der Flüsse und
Bäche zu messen. Die Flußdichte ist umso größer, je kleiner diese
Strecken sind. Einen Durchschnittswert für die Flußdichte innerhalb
eines bestimmten Gebietes findet man, wenn die Gesamtlänge aller
Teilstrecken durch deren Anzahl dividiert wird.
Eine andere Darstellungsweise der Flußdichte wendet Neumann
in der schon genannten Arbeit an. Nach Neumanns Begriffsbestim-
mung ist »die Flußdichte der Quotient aus der Länge aller natürlichen
Wasserläufe des betreffenden Flußgebietes durch das Areal desselben«.
Beide Methoden kommen auch in dieser Arbeit zur Anwendung ;
sie vermögen aber nicht, ein vollständig zutreffendes Bild von der
Verteilung der Wasserfäden über ein Landgebiet zu geben. Bei der
zuerst genannten Darstellungsweise kommen die so wichtigen Gebiete
der Wasserscheiden überhaupt nicht in Betracht. Es fehlt hierbei
ganz die so wichtige Beziehung zur Gesamtfläche des Untersuchungs-
gebietes. Die 2. Darstellungsweise ist zwar vollkommener, denn
die hier gewonnenen Relativwerte beziehen sich auf die ganze unter-
suchte Fläche ; sie sind aber immerhin nur Durchschnittsgrößen, deren
Bedeutung für das so wichtige Detailstudium nicht ausreicht. Die
nach der 2. Methode gefundene Flußdichte wird nun, ohne Rück-
sicht auf die verschiedene Bewässerung beider Teilgebiete, den
durchschnittlichen Wert für die Gesamtfläche angeben. Diese Unge-
nauigkeit kann auf ein geringes Maß zurückgeführt werden, wenn
man die Hauptgebiete in möglichst kleine Teilflächen zerlegt Dies
geschah auch in vorliegender Arbeit
Zu einer genauem Darstellung der Flußdichte ist noch ein
3. Verfahren möglich. Die Größe der einzelnen Bodenflächen, die
von Wasserfäden umsponnen werden, also der Flächeninhalt der
Maschen des Gewässernetzes, wird gemessen. Diese Flußnetzmaschen
stellen Halbinseln dar, deren offene Seiten nach der Wasserscheide
zu gelegen sind. Es erscheint nun unnatürlich, die Maschen an
dieser Seite durch die Wasserscheiden abzugrenzen ; vielmehr werden
erstere durch direkte Verbindungslinien zwischen den Quellpunkten
geschlossen. Die abflußlosen Gebiete der Wasserscheiden können so
an die Nachbargebiete ungezwungen angegliedert werden.
Flüsse. 295
Die wechselnde Größe der einzelnen Flußnetzmaschen ist der
Ausdruck für das DichteverhäJtnis. Die Flußdichte ist umso größer,
je kleiner die Flußnetzmaschen sind.«
Als Resultat ergibt sich» daß die Darstellung der Flußnetz-
maschen am deutlichsten die auffallenden Gegensätze in der Fluß-
dichte der kleinsten Gebiete erkennen läßt Besonders scharf tritt
der Unterschied zwischen dem Lausitzer Granitgebirge auf der einen
Seite und dem Eibsandsteingebirge und Zittauer Becken auf der
andern Seite in der Weise hervor, daß die größte Flußnetzmasche
im erstgenannten Areale 1,260 qhm mißt, während der größte Teil
der beiden andern Gebiete aus Maschen von 1 — 36.712 qhm Flächen-
inhalt zusammengesetzt ist. Am auffälligsten tritt der Unterschied
in der Größe der Flußnetzmaschen dort zutage, wo Lausitzer Granit-
gebirge und Quadergebiet aneinander grenzen.
Weser und Ems, ihre Stromgrebiete und Ihre wichtigsten
Nebenflüsse« Das auf staatliche Veranlassung begonnene und durch-
geführte Unternehmen einer eingehenden hydrographischen, wasser-
wirtschaftlichen und wasserrechtlichen Darstellung der einzelnen Haupt-
stromgebiete Preußens ist nunmehr beendigt mit der Publikation über
die Weser und Ems, welche letztere in 4 Bänden, 1 Tabellenband
und einem Atlas von G. KeUer herausgegeben vorliegt^) Wie gelegent-
lich des Erscheinens der Werke über Rhein, Elbe und Oder, so wird
nachstehend auch über die allgemeinen geographischen, geologischen
und hydrographischen Verhältnisse der beiden Ströme Weser und Ems
gemäß den Darlegungen des genannten Werkes hier berichtet.
In orographischer Beziehung zerfällt das Gebiet der Weser und Ems
in 2 Hauptabscnnitte, von denen der erste zur mitteldeutschen Gebirgs-
schwelle gehört, welche nicht nur die Berglandschaften Mitteldeutschlands,
sondern auch diejenigen Norddeutschlands, wie den Harz, die Wesergebirgn
und andere umfaßt Der 2. Hauptabschnitt liegt im norddeutschen Flach-
lande, dem sich naturgemäß die zur Ems entwässernden kleinen Moorteile
Hollands anschließen. Auch in geologischer Beziehung ist diese Einteflung
eine gut begründete. Während die Gesteine der mitteldeutschen Gebirgs-
schwelle vorwiegend paläozoischen, mesozoischen oder tertiären Alters sind,
ist fast das ganze Flachland von mächtigen diluvialen und aUuvialen Ab-
lagerungen bedeckt.
Der höchste Punkt des Emsgebietes, auf der Wasserscheide unweit der
Emsouelle und des hydrographischen Knotenpunktes zwischen Ems-, Weser-
und tiheingebiet gelegen, hat 4- 898 m Meereshöhe. Im Wesergebiete da-
gegen, dessen größerer Teil auf der mitteldeutschen Gebirgsschwelle liegt,
reicht mehr als die Hälfte über die 4- 100 m-Ldnie, und der höchste Punkt,
der Brocken (-|- 1142 m), der ebenfalls auf der Wasserscheide, aber weitab
von den Quellen der Werra und Fulda, ja noch nördlicher als die Vereinigung
dieser Flüsse liegt, hat fast die dreifache Höhe wie jener des Emsgebietes.
In dem Gesamtgebiete der beiden Ströme sind Vertreter der ganzen
in Deutschland bekaonten geologischen Formationsreihe vorhanden. Die
paläozoischen Formationen treten hauptsächlich im Harze, im Thüringer-
walde und im rheinisch -westfälischen Schiefergebirge auf. Die ältesten
^) Berlin, Verlag von Dietrich Reimer»
296 Flüsse.
Schichten, die dem Kambrium und der Silurformation angehören, kommen
nur in geringer Ausdehnung vor. Großem Anteil an der Bildung der Ober-
fläche hat die Devonformation. Die Schichten dieser ältesten Formationen
sind hier durchweg Meeresabsätze. Die Steinkohlenformation dagegen be-
steht sowohl aus marinen wie aus terrestem Bildungen ; jedoch nehmen die
erstem den ffrößem Raum ein, wogegen die letztem, das produktive Karbon,
nur in der Umgebung Osnabrücks zutage treten. Zur Zeit der Ablagerung
der auf das Karbon folgenden Formation traten in dem hier behandelten
Gebiete große Umwälzungen in der Erdrinde ein; während die untere Ab-
teilung der Dyas, das Rotliegende, sich noch in regelmäßiger Weise auf den
altem Schichten ablagert, legt sich die jüngere Abteilung, der Zechstein,
diskordant auf. Vorwiegend wohl der leichten Zerstörbarkeit seiner Gesteine
wegen, hat der Zechstem keinen sehr großen Anteil an der Bildung der Ober-
fläche. Großen Raum nimmt dagegen die Trias in dem Lande zwischen den
obenerwähnten aus paläozoischen Gesteinen bestehenden Gebirgen ein.
Die Trias besteht aus den 3 Gliedem: Buntsandstein, Muschelkalk,
Keuper. Die Hauptmasse des Buntsandsteins besteht, dem Namen entsprechend,
vorwiegend aus Sandstein; nur die oberste Abteilung, der Röt, wird aus
Mergeln und weichen, stark tonhaltigen Sandsteinen gebildet Während die
beiden untern Abteilungen in ihren Yerwitterungsprodukten einen sandigen,
durchlässigen Boden bUden, der vorwiegend Waldungen trägt, entsteht aus
den Gesteinen des Röt ein 'schwer durchlässiger, guter Ackerboden. Bei
dem Muschelkalke, ebenfalls dem Namen entsprechend vorwiegend aus Kalk-
gestein zusammengesetzt, ist die mittlere Abteilung diejenige, welche infolge
ihrer tonigen Schichten Undurchlässigkeit zeigt, und den bessem Ackerboden
liefert unter der im Gebirge gewöhnlich zutreffenden, auch für den Röt
gültigen Voraussetzung, daß das Wasser den nötigen Abfluß hat. Wechsel-
voller ist meist die Zusammensetzung des Keupers, aus Mergeln, Letten,
Sandsteinen, Kalken und Gips bestehend.
Auch in der Juraformation, die zwar im Grebiete weit verbreitet ist,
aber doch nicht in so ausgedehntem Maße an der Bildung der Oberfläche
teilnimmt, befindet sich ein großer Wechsel in den (Gesteinen. Ton, Eisen-
stein, Kalk, Mergel, Dolomit und Sandstein sind die Hauptgesteine. Für die
Wasserverhältnisse sind insbesondere die Tone, die hauptsächlich in der
untem Abteilung, dem Lias, vorkommen, wegen ihrer Undurchlässigkeit von
Wichtigkeit, namentlich in der Gegend zwischen dem Teutoburgervralde
und Wiehengeblrge. Im allgemeinen sind die Gesteine des Lias weicher und
leichter zerstörbar als diejenigen des Braunen und des Weißen Jura.
Gegen Ende der jurassischen Zeit zog sich das Meer, dessen Sedimente
die Gesteine der altem Formationen bildeten, aus einem Teile des hier in
Fra^e kommenden Landes zurück; daher finden sich zwischen Jura und
Kreide wieder vorübergehend terrestrische Bildungen, Kohle und Süßwasser-
sedimente, eingeschaltet, die als Wealden oder Wälderformation bezeichnet
werden. Der Deister, die Rehburger Berge sind z. B. aus solchen Gesteinen
aufgebaut Während der Kreidezeit traten erneut größere Umwälzungen
ein, infolge deren wieder marine Ablagerungen diejenigen des Wealden be-
deckten. Unter den mannigfaltigen Gesteinen herrschen im Hils und Gault
die man als Untere Kreide zusammenfaßt, Sandstein, Ton und Mergel vor,
während in der Obem Kreide, un Genoman, Turon, Senon, verschiedenartige
Kalke den größten Anteil an der Zusammensetzung ha^n. — Im Tertiär
wechsehi mehrfach marine und terrestre Bildungen ; erstere sind vorwiegend
Sande und Tone, letztere Braunkohlen ; daneben besitzen im Wesergebiete
die eraptiven Basalte große Bedeutung besonders im Vogelsberge und in
der Rhön.
Der Wechsel zwischen marinen und teirestren Ablagerungen erlangt
mit Beginn der Düuvialzeit eine Bereicherang, da nunmehr Ablagenuigen
des Inlandeises und seiner Schmelzwasser hinzutreten. Seit dem Beginne
Flüsse. 297
der 80er Jahre ist man zu der wohl begründeten Überzeugung gekommen,
daß eine mächtige Eisdecke bis in die Täler unseres Mittelgebirges hinein
vorgedrungen ist und das Flachland unter sich begraben hat, nachdem vorher
bereits ihr Schmelzwasser über dasselbe fortgeströmt, und der in ihm ent-
haltene Schutt als Sand und Ton abgesetzt worden war. Für die östlicher
gelegenen Teile Norddeutschlands ist man genötigt, eine mehrmalige Eüs-
bedeckung anzunehmen; in den zu Weser und Ems gehörigen Gegenden
hat man jedoch bislang nur Spuren einer einmaligen Vereisung gefunden.
Neben den Ablagerungen des Schmelzwassers beim Vor- und Ruckgehen
des Eises erlangen die Moränen große Bedeutung, insbesondere der Geschiebe-
lehm und Geschiebesand, sowie die stellenweise vorhandenen Anhäufungen
von mächtigen Blöcken. In den südlichem Gegenden, die von der glazialen
Ablagerung nicht erreicht wurden, gelangte während dieser Zeit der Löß
zur Ablagerung, ein schwach toniger Lehm, der vielfach die Gehänge der
Täler bedeckt. Die Jetztzeit oder Alluvialperiode, welche mit dem Diluvium
als Quartär zusammengefaßt wird, setzt an dem Zeitpunkte ein, als die
Wirkung der nordischen Eismassen sich im deutschen Flachlande nicht mehr
bemerkbar machte, als selbst ihr Schmelzwasser dasselbe nicht mehr er-
reichte, und die einheimischen Gewässernetze, unbeeinflußt durch jene fremden
nordischen Wassermassen, sich in ihrer heutigen Gestalt ausbilden konnten.
Reste diluvialer Wasserläufe finden sich auch im Gebiete der Weser, und
zwar gehören hierher jene Niederung, die im Drömling von der Wasser-
scheide zwischen Aller und Elbe überschritten wird, imd das breite Tal des
Oscherslebener Bruches, das die Harzer Vorberge von Westen nach Osten
durchzieht Im allgemeinen weist das Flachland im Westen weniger solch
langgestreckte breite Rinnen auf wie die Gegend östlich der Elbe; vielmehr
traten an deren Stelle ausgedehnte Ebenen von unregelmäßigem umrisse und
mit mehrfachen Ausgängen. Als Ablagerungen der Jetztzeit kommen in
Frage: die Sedimente der Flüsse, der Torf der Moore und der Sand der
Dünen. Alle drei nehmen im Weser- und Emsflachlande verhältnismäßig
großen Raum ein.
L Die Weser. Die Weser, aus der Vereinigung von Werra und Fulda
entstehend, wurzelt in der Mitte Deutschlands und bleibt ebenso wie die
Ems in ihrem ganzen Laufe auf deutschem Boden. Das Gebiet beider
Flüsse hat eine Größe von 58080 qkm^ wovon auf die Weser 45548 qkm
entfallen.
Der Hauptquellfluß der Weser ist die Werra und deren Hauptquellbach
die »Trockene Werra« oder Saar, die in -|- 780 m Höhe unter 50^ 28' nördl.
Br. und 28^ 42' 20^' östl. L. etwa 10.5 km ostnordöstlich vom Eisfeld entspringt.
Dafür, daß die Werra das erste Anrecht hat, als Hauptquellfluß der
Weser zu gelten, sprechen hauptsächlich die an den Namen geknüpften
historischen Oberlieferungen, da Werra und Weser nur mundartlich ver-
schieden entwickelte Formen desselben Wortes (Wisaraha, Wirraha) sind.
Auch verfolgt die Weser unterhalb Münden zunächst dieselbe Richtung,
die vorher von der Werra eingeschlagen worden ist, und deren Länge ist
beträchtlich größer als die der Fulda. Unter gewöhnlichen Verhältnissen führt
sie etwa gleich viel Wasser ab wie die Fulda, obgleich ihr Niederschlagsgebiet
fast ^/4 kleiner ist; nur bei Hochwasser bringt die Fulda eine bedeutend größere
sekundliche Abflußmenge und übernimmt die Führung der Flutwelle in der
Weser. Beide Flüsse können als annähernd gleichwertig gelten, und wir
folgen dem heutigen Sprachgebrauche, indem wir als Anfangspunkt der
Weser ihren Zusammenfluß ansehen, die Gebietsilächen der beiden Qe-
schwisterflüsse aber als gemeinsames Quellgebiet des Weserstromes betrachten.
Der Teil der Weser vom Vereinigungspunkte der Werra und Fulda bis
zum Austritte aus dem Mittelgebirge heißt von jeher Obere Weser. Der
Teil bis zur Einmündung der AUer kann füglich als Mittlere Weser und der
unterhalb befindliche als untere Weser bezeichnet werden, während die
Bremer nur den im Gebiete der Ebbe und Flut liegenden Teil der Weser
298 Flüsse.
als Unterweser und den ganzen Binnenstrom als Oberweser bezeichnen.
Die beiden größten Nebenflüsse der Obern Weser sind die aus dem rheinisch-
westfälischen Schiefergebirge stammende Diemel und die nahe beim Teato-
burgerwalde entspringende Werre. Das mittlere Wesergebiet umfaßt die
Gebietsflächen aller teilweise noch aus dem Mittelgebirge kommenden Wasser-
läufe des Flachlandes, die sich oberhalb der Allermündung in die Weser
ergießen. Während rechts durch die Nähe der Leine das Gebiet schmal ist,
besitzt links namentlich das Gewässernetz der Großen Aue eine reiche
Gliederung und ansehnlichen Flächeninhalt. Beträchtlich umfangreicher ist
das Untere Wesergebiet, dessen namhafte Wasserläufe jedoch erst in die
der Tideerscheinung unterli^ende Strecke des Weserstromes unteriialb Bremen
münden, so auch die vom Wiehengebirge kommende Hunte, die von Olden-
burg ab ein Tidefluß ist. Die Gebietsflächen der Flüsse, die sich zur Aller
vereinigen, zeigen auf etwas engerm Räume ähnliche Gegensätze, wie sie
zwischen dem Weserquellgebiete und Obern Wesergebiete einerseits, dem
Mittlem und Untern Wesergebiete anderseits bestehen. Die Leine mit der
Innerste und die Oker sind Abkömmlinge des Gebirges und unterscheiden
sich wesentlich von der dem Flachlande angehörigen Aller. Schon in der
Niederung des Drömlings, wo Oberlauf und Mittellauf der Aller sich ge^en-
einander abgrenzen, gewinnt der Fluß die Eigenart der Flachlandgewässer
in so hohem Grade, daß auch die weiter unterhalb links mündenden Neben-
flüsse aus dem Gebirgslande hieran nichts ändern können, zumal diese selbst
bereits vorher in das Flachland eingetreten sind, und die rechtsseitigen Zu-
flüsse sämtlich dem Flachlande entstammen. Als Unterlauf der Aller gilt
zweckmäßig die schiffbare Strecke von Celle abwärts.
Die Werra erhält im Mittellaufe ihren größten Zuwachs durch die
Hörsei und später durch die Frieda. Der 2. Quellfluß der Weser, die Fulda,
entsteht an aer Hohen Rbön durch die Vereinigung mehrerer kleiner Bäche,
von denen der Hauptquellbach (im Fuldabrunnen) bis 4- 856 m hinaufreicht
In ihrer ganzen Länge ist die Fulda mit Ausnahme des geräumigem Tal-
kessels bei Kassel mehr oder weniger tief in den Buntsandstein der von ihr
durchflossenen Berg- und Hügelzüge eingeschnitten. Die TaJwände, die teils
sanfte, teils schroffe Hänge aufweisen, nehmen flußabwärts im allgemeinen
an Höhe zu und steigen in dem engen Tale der untersten Strecke zu den
Kuppen der naheliegenden Höhen bis zu 180 m auf. In den zahlreichen
Schleifen, die darauf hinweisen, daß es sich um ein Erosionstal handelt,
sind die einspringenden Talwände meist steil, die vorsprii^enden aber meist
flach geböscht Im Mittellaufe, der bis zu dem größten Zuflüsse der Fulda,
der Eder, reicht, wie auch in der obersten Strecke des Unterlaufes bis Kassel
hin verändert sich die Breite des Talkessels wiederholt, bei Kassel selbst
besitzt die im Tale eingebettete Alluvialniederan^ eine Breite von 2—3 km.
Gleich unterhalb, bei Wolfsanger, tritt die Fulda m ein Bngtal, das schließ-
lich in den 1 km breiten Mündener Talkessel übergeht, in dem sich Werra
und Fulda zur Weser vereinigen.
Von Münden aus nimmt der Strom, welcher jetzt den Namen Weser
führt, zunächst seinen Weg in nordnordwestlicher Richtung, umgeht dann
aber bald den vortretenden SoUing mit scharfem Doppelknick auf der West-
seite. Nach einem kurzen nach Norden gerichteten Laufe schwenkt er
darauf aber, durch die Richtung der vom Harze herüberstreichenden Berg-
züge versinlaßt, in einem weit ausholenden Bogen mit ziemlich gleich-
mäßiger Krümmung allmählich in westliche Richtung herum. Der Bogen
endet kurz vor der Weserscharte, durch die der Strom nach wiederholten
kurzen Biegungen nach Osten nordwärts in das Flachland eintritt. Die
Stromentwicklung beträgt auf der 198.6 km langen Strecke im Verhältnis
zur Luftlinie 86.0^/o, ^^ ^^^ üi einzelnen kurzem Strecken noch größer.
Die Talentwicklung oberhalb Veitheim wird dadurch bedingt, daß der Strom
hier nicht einem selbstgebildeten Wege, sondern den Spuren eines vor-
geschichtlichen Stromes folgt. Schroffe Richtungsändemngen kommen
El
Flüsse. 299
nicht nur in weitausholenden Schleifen, sondern auch in kurzem Biegungen
vor; indessen gehen hierbei die Halbmesser der Stromkrümmung selten unter
200 m hinunter. Stromspaltungen kommen nur an wenigen Stellen vor und
sind hier meist durch Ablagerungen schwerer Geschiebe, die entweder von
den Talwänden unmittelbar oder durch wildbachartige Seitengewässer in
den Strom gelangt sind, entstanden. Auch die Stromspaltung oei Hameln
ist wahrschemlich dadurch verursacht, daß der Strom durch die Schutt-
ablagerung der Hamel hart gegen den Klütberg gedrängt worden ist.
Das Stromtal ist an der Obern Weser überall, auch wo es sich niede-
rongsartig erweitert, von deutlich ausgeprägten Talwänden begrenzt, die
nur an der Einmündung von Seitentälern durch mehr oder minder breite
Einsenkungen unterbrochen werden.
Die ursprünglich vorhanden gewesene Breite des Stromes ist durch
den Ausbau verwischt worden ; man kann sie jetzt nur noch schätzen nach
der Breite zwischen den Uferrändem, die sich inzwischen nur wenig ver-
ändert hat. Diese ergibt sich im Mittel für die Strecke bis Karlshafen zu
etwa 100 m, von da bis zur Emmermündung zu etwa 120—180 m und weiter
unterhalb zu ungefähr 130—140 m.
Das Gebiet der Mittlern Weser umfaßt das Einzugsgebiet aller Seiten-
zuflüsse der Weser, die zwischen der Weserscharte und der Allermündung
hinzutreten. Es gehört fast vollständig dem Flachlande an. Nur im Süden
wird es von großem Erhebungen begrenzt, und zwar östlich der Weser durch
die Weserkette und westlich des Stromes durch das Wiehengebirge; davor
breitet sich im Osten das Aller -Weserflachland aus, in dem nur einzelne
;eringe Erhebungen vorhanden sind, und im Westen die Minden-Diepholzer
Ibene, die im Norden durch die nordwestdeutsche Bodenschwelle abge-
schlossen wird.
Das weite Flachland von der Weserscharte ab durchfließt die Weser
in nordnordöstlicher Richtung fast in der ganzen Länge des hier in Betracht
stehenden Gebietes. Erst in der Nähe von Hoya bic^ der Strom nach
Nordwesten um, wendet sich dann aber scharf nach Norden und bleibt in
dieser Richtung bis zur Einmündung der Aller. Trotz dieses nur wenig von
der die Endpunkte verbindenden Luftlinie abweichenden Laufes besitzt der
Strom auf der ganzen hier betrachteten Strecke eine sehr starke Entwick-
lung, die bei 1^.8 km Lauflänge und 79.8 km Entfernung in der Luftlinie
60.ö»/o beträgt.
Eine ausgeprägte Talbildung findet sich an der Mittlem Weser nur
auf der obersten Strecke bis unterhalb Ovenstädt. Dann verflacht sich das
Tal, indem es sich nach beiden Seiten zu weiten Ebenen ausdehnt; erst
unterhalb Liebenau, wo auf der linken Seite die nordwestdeutsche Boden-
schwelle bis an die Weser herantritt, ist wieder eine schärfere Begrenzung
des Tales bemerkbar. Der Boden innerhalb der Talstrecke bis Ovenstädt
besteht fast durchweg aus Lehm, dessen Zusammensetzung aus Ton und
Sand stark wechselt. Auch weiter unterhalb findet sich vielfach tiefgründiger,
frachtbarer Lehmboden. Unter diesen nicht unter 1.5 m mächtigen Lehm-
schichten ist feinsandiger Grand vorhanden, der aber in der Tiefe allmäh-
lich gröber wird; nur selten reicht indessen der Lehm bis zum Niedrig-
wasserspiegel abwärts. Anderseits bestehen die hochwasserfreien Ufer
unterhalb Schlüsselburg gewöhnlich aus Sandboden. Die Stromsohle ist
meist mit wandernden Geschieben bedeckt; nur an einzelnen Stellen sind
ältere Bildungen vertreten; so sind bei Schlüsselburg dunkle Tone der
Kreideformation vorhanden. Die Ablagerungen der Eiszeit sind meist aus-
gewaschen; eine bedeutende Anhäufung von Geschieben bilden die Liebe-
nauer Steine, mehrere aus grobem Geschiebe bestehende Riffe, die aber zur
Verbesserung der Schiffahrtsstraße schon teilweise beseitigt worden sind.
Die AUer ist der Hauptnebenfluß der Weser. Sie entspringt auf den
Helmstedter Höhen in Egwenstedt, durchfließt auf ihrer obersten Strecke
die Ausläufer der Harzer vorberge, tritt dann aber bei Obisfelde vollständig
800 Flüsse.
in das Flachland ein, indem sie hier nach Nordwesten umschwenkt und
nunmehr ohne wesentliche Änderung dieser Richtung der Weser zufließt,
die sie unterhalb Verden erreicht. Trotz dieser einfachen Gnindrißgestaltung
ist die Entwicklung des Flußlaufes nicht unbedeutend; sie beträgt für den
ganzen 262.9 km langen Fluß bei einer Entfernung zwischen Quelle und
Mündung in der Luftlinie von 171.0 km 53.7 ^/q.
Das Tal der Aller ist nur an ihrem Oberlaufe enger; doch sind auch
hier die Talwände im allgemeinen nicht steil geböscht. Nach Eintritt des
Flusses in das Flachland breitet sich das Tal weit aus, namentlich nach
Süden zu, wo es ganz allmählich in die Harzer Verberge übergeht, im
Norden wird das Tal durch die Lüneburger Heide begrenzt, die aber mit
ihren Abhängen meist nicht bis an den Fluß heranreicht, d& sich hier am
Fuße der Heide ausgedehnte Moore hinziehen. Nur an wenigen Stellen
treten einzelne Ausläufer bis hart an den Fluß heran und bilden dann hier
steil abfallende Hochufer. Im Mittel- und Unterlaufe werden die Ufer viel-
fach von dünenartigen, sandigen Erhebungen begleitet, die im Anfange
ziemlich nahe am Flusse bleiben, nach der Mündung hin sich aber mdir
von ihm zurückziehen.
Das Bett der Aller ist in ihrem Oberlaufe in leichtem Lehm- oder
Sandboden eingeschnitten; da aber die lehmigen Bestandteile vom Wasser
leicht ausgewaschen und fortgeführt werden, besteht die Sohle des Bettes
hier meist aus Sand. Nach dem Eintritte des Flusses in den Dromling
durchschneidet er Moorboden; doch findet man auch hier auf der Sohle Sand,
der aus den obem Strecken hineingetrieben ist. Weiter unterhalb, wo der
Talboden sandig wird, bestehen auch Sohle und Ufer meist aus Sand ; doch
ist hier auch Kies vorhanden, der durch die Nebenflüsse, namentlich durch
die Oker, zugeführt wird.
Der bedeutendste Zufluß der Aller ist die Oker, deren Hochfluten bis-
weilen nicht unbeträchtliche Anschwellungen in der Aller hervorrufen. Als
eigentlicher Quellbach der Oker kann die Große Oker angesehen werden,
die am Fuße des Bruchberges im Oberharze in -f* S39m Höhe entsteht
Indessen wird dieser Quellbach sehr bald durch den Dammgraben abgefangen,
der das Wasser einer Anzahl kleinerer Wasserläufe aufnimmt und zu einer
großem Zahl von Sammelteichen, die im Gebiete der Innerste liegen, führt,
von denen aus es dann in den dort vorhandenen Bergwerk- und Hütten-
betrieben zur Verwendung gelangt. Die Große Oker vermag daher nur bei
starkem Regenfällen Wasser an die unterhalb gelegenen Strecken abzugeben.
Im allgemeinen nimmt die Oker schon in ihrer Harzstrecke die Nord-
richtung auf, die sie später, ohne wesentlich von der Luftlinie abzuweichen,
auch beibehält. Trotzdem sie viele kleinere und größere Biegungen im ein-
zelnen macht, ist deshalb ihre Entwicklung nicht gerade sehr erheblich; sie
beträgt für den ganzen 125.2 km langen Lauf 49.9^/o. Außerordentlich
stark ist das Gefälle des Flusses im Oberlaufe, noch stärker aber in ein-
zelnen kurzem Strecken. Auch in dem Vorlande des Harzes ist es zunächst
noch immer recht beträchtlich, vermindert sich aber später erheblich. Im
Harze ist das Okertal schmal und von steilen Wänden eingefaßt; dabei
nimmt die Tiefe desselben nach dem Harzrande zu, so daß die Talsohle hier
stellenweise bis zu 400 m unter den benachbarten Kuppen liegt Nach dem
Austritte aus dem Harze erweitert sich das Tal sofort erheblich und flacht
sich auch ganz bedeutend aus. Die Sohle ist hier mit Schottermaasen be-
deckt die der Fluß aus der Harzstrecke mitgeschleppt hat. Weiterhin in
den Harzer Vorbergen weitet sich das Tal mehr una mehr aus und geht
bald unterhalb Braunschweig völlig in die Ebene über. Das Flußbett ist
dabei im Harze meist in das feste Gestein eingeschnitten und mit gröberm
Gerolle, das von den steilen Hängen des Tales herabgerollt ist, übersät.
In der folgenden flachem Strecke liegt das Bett durchgehends in Schotter-
ablagemngen, in denen es sich vielfach verzweigt, auch mancherlei Ver-
änderungen ausgesetzt ist Unterhalb Vienenburg nehmen die Ablagerungen
Flüsse. 301
an Umfang und Größe der Geschiebe ab, und bald darauf bewegt sich der
Fhiß in abgeschwemmtem Boden.
Der Lauf der Untern Weser ist wesentlich yorgezeichnet durch das
rechtsseitige Höhenland der Lüneburger Heide und ihrer Ausläufer, die sich
als Geestrücken mehrfach bis an den Strom heranziehen und ihn auf langem
Strecken begleiten. Der Weserlauf ninmit hier von der Mündung der Aller
ab die nordwestliche Richtung auf, die dieser bedeutendste Nebenfluß in
seiner untersten Strecke hat. Erst bei Elsfleth wendet sich die Weser nach
Norden und nimmt ihren Weg in dieser Richtung nach der Nordsee zu. Von
Geestemünde ab, wo der Strom zuletzt den Rand des Geestlandes berührt,
fließt er schließlich in einem durch die Wirkung von Ebbe und Flut mächtig
erweiterten Bette durch das Wattenmeer als Außenweser nach Nordwesten
in das freie Meer hinaus. Die Laufentwicklung des Stromes von der Aller-
mündung ab ist beträchtlich geringer als in der vorhergehenden Strecke
des Flachlandes. Die Krümmungsverhältnisse sind in dem obern Abschnitte
bis zur Tidestrecke nicht wesentlich anders als an dem oberhalb gelegenen
Laufe des Stromes; auch hier finden sich noch scharfe Ausbuchtungen,
deren Halbmesser nicht selten bis auf 250, ja 200 m hinabgehen. Im Tiede-
gebiete finden sich dagegen nur noch an einzelnen Stellen oberhalb Bremen
Stromkrümmungen mit etwa 400 m Halbmesser, während unterhalb Bremen
die Halbmesser nicht unter 1000 m hinabgehen. Das Gefälle des Stromes,
das schon an der Mittlem Weser stromabwärts allmählich mehr und mehr
abnahm, wird unterhalb der Allermündung noch geringer; während es für
die ganze Mittlere Weser bei Mittelwasser im Durchschnitte 0.280 ^/^ (1:4848)
betrag, sinkt es an der Untern Weser oberhalb des Tidegebietes bis auf
durohschnittlich 0.188o/op (1 : 6806).
Der größte Nebenfluß der Untem Weser ist die Hunte. Sie entsteht
auf der Südseite des Hauptzuges des Wiehengebirges, zwischen diesem und
dem südlich davor gelagerten Osnabrücker Höheniande bei O.-Holsten aus
mehrem Quellbächen , von denen der Hauptbach in -f- 170 m Höhe ent-
springt. Der aus der Vereinigung der QueUbäche hervorgehende Wasser-
lauf nimmt zunächst seinen Weg nach Osten parallel zum Zuge des Wiehen-
gebirges, wendet sich aber baJd nach Norden und durchbricht dieses in
einem engen, schluchtartigen Tale. Die nordnordwestliche Richtung, mit
der die Hunte aus diesem Durchbmchstale heraustritt, behält sie im
allgemeinen bis in die Gecend von Bohmte bei; hier macht sie zunächst
eine scharfe Biegung nach Westen, biegt dann aber rechtwinklig nach Norden
um und fließt in dieser Richtung dem etwa 15 qkm großen Dümmersee zu,
aus dem sie auf seiner Nord- und Ostseite mit mehrern Armen austritt.
Abgesehen von vielen kleinem Wasserläufen, sind es folgende 4 Haupt-
läufe, mit denen sie den See veriäßt: die Alte Hunte (Wäteringe), die Lohne,
die Grawiede und der Omptedakanal. Wahrscheinlich ist früher die Alte
Hunte der einzige größere natürliche Abzug des Sees gewesen ; nichtsdesto-
weniger haben die künstlich hergestellte Lohne, die den Fle<^en Diepholz
dorcbfließt, und Grawiede jetzt für die Wasserabführung mehr Bedeutung.
Nach und nach vereinigen sich die Arme wieder miteinander, so daß der
Fluß von unterhalb Heede, nördlich von Diepholz wieder in einem einheit-
lichen Bette fließt. Bald darauf wendet er sich aus der nordöstlichen Rich-
tung, die er zuerst nach der Wiedervereinigung aller Arme hat, nach Nord-
westen und durchfließt in dieser Richtung die nordwestdeutsche Boden-
sohwelle, sowie das nordwärts davon gelegene flache Gelände bis Olden-
burg hin ; hier wendet er sich in großem Bogen nach Ostnordost und erreicht
in meser Richtung die Weser jenseits der Tidegrenze bei Elsfleth.
Unterhalb der AUermündung, bei Achim, beginnt eine schmale Dünen-
zunge zwischen Weser- und Wümmeniederang, die zwischen Dünen mit
Deichen und hochwasserfreien Dämmen abgeschlossene Einsenkungen auf-
weist, die mit den benachbarten Marschen in gleicher Höhe liegen. Auf
einer Verbreiterung des Dünengeländes ist die Stadt Bremen erbaut worden,
302 Flusse.
zwar mitten in ehemals sumpfigen Niederungen, aber doch an der für den
Verkehr bestgeeigneten Stelle, da hier das linksseitige Höhenland dem rechts-
seitigen Sanastreifen ziemlich nahe kommt und wegen seines flachen An-
stieges zur Herstellung von Verkehrswegen gut geeignet erscheint
Das ganze Gebiet hier war in der Vorzeit eine Meeresbucht, und noch
vor wenigen Jahrhunderten führten einige Mündungsarme der Weser nach
dem Jadebusen. Auch laßt das starke Talgefälle bei Bremen vermuten,
daß hier das von den Schwankungen des Meeres abhängige Mündungsbecken
des Stromes seit langer Zeit sein oberes Ende gefunden hat; am Fuße des
vom Binnenstrome geschütteten Schuttkegels begann hier seewärts das
eigentliche Delta. Wahrscheinlich hat die Weser, ais ihre innere Delta-
bildung derartig weit vorangeschritten war, daß sie einen kräftigen Haupt-
arm schaßten konnte, diesen zunächst auf dem kürzesten Wege nach dem
äußern Mündungsbecken, d. h. nach der bei Bremen beginnenden Nordsee-
bucht, längs der linksseitigen Talwand hergestellt. Die vom Hauptkanale
der Bruchhausen — Syker Melioration durchzogene Bodensenke, das Bruch-
gelände bis zur Ochtum und an diesem Wasserlauf e entlang würde dann
en Zug des ursprünglichen Weserbettes anzeigen, dem noch in den 40er
und 50er Jahren zuweilen ein namhafter Teil des Weserhochwassers gefolgt
ist Aller und Weser flössen damals bis in die Gegend von Bremen ge-
trennt und vereinigten sich erst an der Südspitze jener Nordseebucht oder
kurz zuvor. Je mehr die Ausfüllung dieser Bucht mit Marschinseln vor
sich ging, umsomehr wurde der alten Weser die Weiterführung ihrer Ge-
schiebe bis zum Meere erschwert und umso großer das Bestreben, aus ihrem
hierdurch höher geschütteten Bette nach rechts auszubrechen, wo die minder
geschiebereiche Aller in einem damals tiefer liesenden Teile der Niederung
floß. So mag die Vereinigung von Weser und Aller nach Dreye und später
nach jener breiten, offenbar lange Zeit von großen Wassermassen benutzten
Bruchsenke, die jetzt von der Eyter durchzogen wird, verlegt worden sein.
Hiermit war die Grenze des deutlich ausgeprägten Schuttkegels erreicht
und nunmehr waren die Hindemisse auf den zum Meere führenden Wegen
überall gleich groß. Einige Zeit hindurch scheint der Hauptarm von Hoya
nordwärts nach der Emte zur Aller geflossen zu sein, mit der er sich am
Badener Berge vereinigte. Auch gegen Nordosten dürfte die Weser zeit-
weise ihren Lauf genommen haben, um bei Wahneber^en ob^halb Verden
das AUertal zu erreichen. Grerade der südöstliche Teil der Niederung ist
mit einem solchen Gewirr von Altläufen durchsetzt, daß hier gewiß sehr
oft Verlegungen des Stromlaufes stattgefunden haben. Seine jetzige Lage
hat er vermutlich erst eingenonmien, nachdem die Geschiebeführung bereits
viel geringer als früher geworden war, weshalb das hierdurch weniger als
zuvor beanspruchte Arbeitsvermögen des Stromes in dem gefällreichen Hange
des Schuttkef^els überaus scharfe Schleifen ausnagte.
Immerhm brachten die Weser und Aller gemeinschaftlich genügende
Massen von Sand und tonigen Sinkstoffen nach der vorher schon in Auf-
höhung begriffenen untern Strecke des Oberlaufes (Baden— Bremen), um
diese und den neben ihr liegenden Teil der Niederung auf der rechten Seite
höher auf zulanden, als die linke Seite lag. Umgekehrt wie in der Vorzeit
bestand deshalb nun das Bestreben, von rechts nach ünks auszubrechen,
und bei großem Hochfluten hat dies der Strom durch Rückstau in die Eyter
und Abfluß nach der Ochtum auch öfters getan, zuletzt noch im März 188L
Hier war demnach wiederum eine größere Stromverlegung in Aussicht, als
durch Anlage der Deiche der Zustand, wie er sich zufällig bis zur Zeit der
Eindeichung entwickelt hatte, festgelegt und späterhin verteidigt wurde.
Ebenso vmrde in der obern Strecke der Hoya— Bremer Niederung die Weser
voraussichtlich neue Verschiebunffen ihres Laufes erfahren haben, wenn nicht
durch Eindeichung dem stetigen Wandel ein Ziel gesetzt worden wäre.
Mindestens ebenso große Veränderungen haben sich im äußern Mün-
dungsbecken vollzogen, das vor Entstehung der Marschen und Moore zwischen
Flüsse. 303
dem beiderseitigen Geestlande bis nach Bremen hinauf eine große Wasser-
fläche war. AUmählich entstanden dann aus den Anschwemmungen des
Stromes und des Meeres umfanmiche Bänke, die am Rande der Mündungs-
arme infolge der reichlichen Schlickzufuhr höher anwuchsen, während sich
in den zurückliegenden Teilen anfangs schwache Dargschichten und darüber
die Hochmoore entwickelten. Schon in sehr alter Zeit eigneten sich diese
Moore zu Niederlassungen vorzüglich, da ihre höhere Lage den Bewohnern
der Marschinseln »eine gesicherte Stätte bot, wohin auch das Weidevieh
gerettet werden konnte, wenn einbrechende Fluten das benachbarte niedrige,
nur durch schwache Deiche geschützte Marschland überschwemmten; auch
bot das Moor zugleich Gelegenheit, einigen Ackerbau zu treiben. So sind
die ältesten Niederlassungen kranzartig auf der Grenze zwischen Maxsch
und Moor entstanden, und die Häuser wurden anfangs auf das Moor gebaut <
Die alten Mündungsarme sind durch ihre Klaiablagerungen zwischen den
Mooren des Stad- und Butjadingerlandes zu erkennen und ihre Grenzen
nach den teilweise noch erhaltenen alten Deichen derart zu bestimmen, daß
Lasius eine Karte des Weserdeltas um das durch eine verheerende Sturm-
flut berüchtigte Jahr 1511 entwerfen konnte.
Bei Bremen beginnt das Gebiet der eigentlichen Marschen, die durch
gemeinsame Wirkung des sinkstofff ührenden Binnenstromes und der Meeres-
strömung entstanden sind. Uneigentlich werden an der Weser bis weit in
das Binnenland hinein auch die aus tonigen und feinsandigen Ablagerungen
des Stromes entstandenen Böden als Marschen bezeichnet. Der Boden der
Unterwesermarschen besteht an der Obeifläche und oft bis zu großer Tiefe
aus Klai oder aus einer meist schwachen Schicht von Moor, dessen Unter-
grund im Mündungsbecken der Weser gewöhnlich Klai bildet. Zwischen
dem Klai und seinem sandigen Untergrunde lagert an vielen Stellen der
sogenannte Darc, d. h. eine torfähnliche Verfilzung von Schilfpflanzen und
Moosen, oder Knick, d. h. eine äußerst feste, völlig unfruchtbare Tonart.
Der mit Kieselerde, Kalkteilen, Salzen und organischen Resten gemischte,
vorzugsweise tonige Klai bildet den größten Teil des Marschlandes. Er ist
sandiger, wo seine Ablagerung unter Einwirkung des den sandigen Meeres-
grund aufwühlenden WeSenscUages stattgefunden hat, z. B. auf dem Mittel-
rücken des Butjadingerlandes von Tossens bis Blexen und im Marschlande
bei Geestemünde. Er ist fetter, wo die Ablagerung an besser geschützten
Stellen erfolgte, z. B. in den erweiterten Teilen der frühem Mündungsarme.
Moorboden findet sich hauptsächlich in den ehemaligen Hochmooren,
die ehemals auf den Inseln des Mündungsbeckens entstanden waren, aber
infolge der alten Kultur jetzt meistens wenig oder gar nicht höher als die
angrenzenden Marschen liegen und vielfach mit einer mäßig starken Klai-
schicht bedeckt sind. »Seit dem Anfange des 18. Jahrhunderts €, sagt Salfeld,
»rückt man hier von den Rändern unausgesetzt mit einer Melioration nach
dem Innern zu, welche man Wühlen (oder Umschießen) nennt. Überall,
wo unter dem Hochmoore fruchtbare Klaierde lagert und genügende Ent-
wässerung zu beschaffen ist, wird Jahr für Jahr der schwarze amorphe
Torf zu Brennmaterial hergerichtet, der obere geringwertige Moostorf zurück-
geworfen und dann durch Rigolen 0.45 m mit Klaierde bedeckt. Der Boden
wird durch diese mühsame Arbeit in kurzer Zeit so fruchtbar, daß er in
seinen Erträgen auf die Dauer dem besten Marschlande gleichkommt.« Un-
kultiviertes Hochmoor nimmt jetzt nur noch verhältnismäßig geringe Flächen
des Mündun^beckens ein.
Der weitaus größte Teil der Wesermarschen wird durch Deiche gegen
Tidehochwasser und Sturmfluten geschützt; die Vorländer der beiderseits
den Stromlauf begleitenden Deichzuge und der eingepolderten Inseln haben
überall nur geringe Breite. Aber nicht allein diese Vorländer, sondern auch
die eingedeichten Flächen dienen ganz überwiegend aJs Grünland, bloß in
hohem Lagen ständig oder vorübergehend zum Ackerbau. Die unein-
gedeichten Uferländereien an der (Jnterweser, die weniger als etwa 0.1 m
304 Flüsse.
über gewöhnlichem Tidehochwasser liefen, meistens junge Anschwemmangen,
sind in der Regel mit Schilf oder Weidenboschwerk bewachsen.
Die wichtigsten Abflußvorg&nge bei der Weser werden in der in Rede
stehenden großen Monographie sehr ausführlich unter Mitteilung vieler bis
i'etzt noch unveröffentlichter Daten besprochen. Hier kann nur das wichtigste
[urz angeführt werden.
In der Gebirgsstrecke des Weserstromes nimmt seine Wasserfülle zur
Niedri^asserzeit erheblich mehr zu, als dem Zuwachse an Crebietsfläche
entspncht. Die Speisung findet alsdann offenbar großenteils durch Quellen
und Grundwasserströme statt, die in dem Strombette oder unmittelbar am
Stromlaufe selbst und wohl auch an den untern Strecken einiger Seiten-
{;ewä8ser hervortreten. Das bis zur breiten Rintelner Niederung vorwiegend
m die meist durchlässigen Gesteine der Buntsandstein- und MuschelkiaJk-
f ormation tief eingeschnittene Wesertal wirkt fl^eichsam wie ein mächtiger
Sickergraben auf das angrenzende Berg- und dfügelland. Alles dort in den
Boden eingedrungene, dem offenen Abflüsse verloren gegangene, der Ver-
dunstung und dem Verbrauche durch den Pflanzenwuchs entzogene Wasser
gelangt durch jene Quellen- und Grundwasserströme in die Weser, die es
aufsammelt una dem Meere zuführt. In der Regel zeigt sich diese Speisung
bis zum Herbste hin ausdauernd ergiebig, beginnt aber gegen Ende eines
lan^n regenarmen Sommers allmählich ai>zunehmen, und zwar umso früh-
zeitiger, je schneeärmer der vorangegangene Winter war, oder wenn vor dem
Schneefalle ein harter Frost den Boden undurchlässig gemacht und die Ver-
sickerung der Niederschläge gehemmt hatte.
Wärend also zur ^edngwasserzeit die Abflußmenge der Obern Weser
von ihrem Anfange bei Münden bis etwa zum Vlothoer Engtale und zur
Werramündung in viel größerm Maße zunimmt als die Gebietsfläche, verhält
sich die Vermehrung der Abflußmenge bei Hochwasser cerade umgekehrt
und wächst in ^eiingerm Maße. Am deutlichsten zeigt sich dies bei solchen
HochfluterscheiDungen, deren Ursachen ziemlich gleichzeitig auf das ganze
Niederschlagsgebiet einwirken, wie z. B. plötzlich eingetretenes Tauwetter
nach vorheriger allgemein verbreiteter Schneebedeckung, oder wie z. B.
starke Niederschläge von ungewöhnlich großer Ausdehnung, die im Weser^
Stromgebiete fast nur in der winterlichen Jahreshälfte stattfinden. In solchen
Fällen bringen die gefällreichen Nebenflüsse wegen ihres kurzen Laufes den
Scheitel ihrer Flutwellen erheblich rascher in den Hauptstrom als die beiden
Quellflüsse Werra und Fulda, in denen die Flutmassen längere Wege zurück-
zulegen haben. Wenn der Scheitel der von ihnen ausgehenden Welle an
der Mündung eines Nebenflusses vorüberzieht, so pflegt gewöhnlich der
Nebenfluß bereits im Fallen begriffen zu sein und vermehrt die dem höchsten
Wasserstande, dem Scheitel der Flutwelle, zugehörige größte Abflußmenge
nicht in solcher Weise, wie dies dem Flächeninhalte seines Gtebietes ent-
sprechen würde, sondern mit einem geringem Betrage.
In dem Zeiträume von 1841—1900 entfielen die meisten Hochwasser
auf den Februar (26<^/o), März (22o/o), Januar (le^/o) und Dezember (17%),
keins auf den September und nur je I^Jq auf die Monate Juni, Juli und
August. Von altem Hochfluten blieb besonders das unheilvolle Ereignis
von 1842 lange in schreckensvoller Erinnerang. Von jenem Jahre berichten
>in allen Landen« zuverlässige Chroniken der deutschen Städte und Land-
schaften übereinstimmend von Dresden wie von Mainz, von Regensburg wie
von Minden und von vielen andem Orten in den Gebieten des Rheines, der
Donau, der Weser und der Elbe über verheerende Hochwasser. Die Zer-
störung der Brücken zu Würzburg, Frankfurt, Bamberg, Regensburg und
Dresden, sowie der Einsturz eines Teiles der Mainzer Stadtmauer bezeugt
die unerhörte Gewaltsamkeit, mit der die Fluten überall hereinbrachen. Im
Wesergebiete richtete schon die Werra arge Verwüstungen an »und warff
der Stadtmauren oben zu Greutzbur^ ein stuck nyder, das mann mit schiffen
ynn die Stadt fuere, und thatt großen schaden«. In Münden hatten die
Flüaee. 305
»Weser und Fulda«, wie die Inschrift an der Hochwassermarke sagt, die
ganze Stadt mit Ausnahme der Höhe bei der Ägidienkirche mehrere Tage
lang unter Wasser gesetzt, viele Häuser zum Einstürze gebracht und auch
sonst yiel Gut vernichtet. Kaum besser sah es in Hamdn aus. In Minden
drang nach dem ausführlichen Berichte eines Zeitgenossen, Heinrichs von
Herford, das Wasser durch den Dom bis auf den Markt; es überstieg die
hohe Weserbrucke und riß sie teilweise mit sich fort. Auf den Fluten sah
man Hausrat aller Art, Vieh, Bäume und >große Häuser« hinabtreiben.
Auch die kleinem Wasserläufe waren zu reißenden Strömen angeschwollen,
z. B. die Bega bei Lemgo, wo die Stadtmauer überströmt und großer Verlust
an Gebäuden, Vieh und Menschenleben angerichtet wurde, da die Über-
schwenmiung mit großer Gewalt plötzlich eintrat. Wie eine Sturmflut des
Meeres (»instar fluctuum maris undantes<) stürzten die Wassermassen über
Fluren und Felder dahin und überstiegen die Mauern, die sich ihnen ent-
gegenstellten; »muros, turres, portas et domos lapideas et pontes in totum
subverterunt, lapides murorum et pontium ad spatia magna subvehentes et
abducentes«. Das Unwetter, in dessen Folge die Hochfluten der Weser und
anderer deutschen Ströme plötzlich entstanden, scheint unser ganzes Mittel-
gebirge fast genau gleichzeitig betroffen zu haben. Denn als Tag des
Hochwassers wird für Erfurt der 21. Juli (Praxedis), für Kreuzberg und
Minden der 22. Juli (Mariae Magdalenae) angegeben. Eine Aufzeicmnung
des Limburger Chronisten von 1860, die über eine Rheinhochflut »in den
jairen uns herren 1342 up sente Jacobs dach« (26. Juli) berichtet, stimmt
auf den Tag mit dem Gedenkverse seines Kölner Genossen überein: »In
Jacob! feste magnae lymphae memor esto«.
An der Obern W<9ser und bis über Hameln hinaus war die Hochflut
vom Juli 1842 zweifellos die höchste aller geschichtlich bekannten Hoch-
fluten dieses Stromes. Leider ist über die meteorologischen Vorgänge, welche
dieselben erzeugten, nichts bekannt. Jedenfalls bildet diese niemals auch
nur annähernd wieder erreichte Sommerhochflut für das Wesergebiet eine
der wundersamsten ^Erscheinungen der an außergewöhnlichen kosmischen
Vorgängen reichen Zeit um die Mitte des 14. Jahrhunderts.
Was die Wassermenge der Weser anbelangt, so werden die größten
Abflußmengen der Hochflut vom Januar 1841 folgendermaßen rechnerisch
bestimmt:
für das Engtal Münden— Karlshafen auf 2860 cbm pro Sekunde,
für die Engtalstrecke PoUe— Bodenreder zu 2700 cbm pro Sekunde.
Die Hochwassermenge von 1799 hat oberhalb Minden rund 8000 cbm
pro Sekunde betragen. Die kleinste Abflußmenge im Juli 1898 ist unter-
halb Münden auf 9— 10 cbm pro Sekunde, imterhalb Karlshafen auf 28, bei
Baden auf 78 cbm pro Sekunde zu veranschlagen.
Die Weser ist im allgemeinen ein recht wasserreicher Strom, der aber
seine Abstammung aus teilweise undurchlässigem Gebirge nicht verleugnet,
wie aus dem sehr großen Unterschiede zwischen der kleinsten und größten
Abflußmenge bei Karlshafen (1 : 282) hervorgeht Von oben nach unten
verringert sich die entsprechende Verhältniszahl Jedoch bedeutend, nämlich
auf 1 : 120 bei Hameln, 1 : 64 bei Hoya und 1 : 67 bei Baden, da die Abfluß-
mengen bei niedrigen Wasserständen in weit größerm Maße als der Gebiets-
zuwachs, bei hohen Wasserständen in weit kleinerm Maße zunehmen. Das
Verhältnis zwischen Abfluß- und Niederschlagsmenge ist bei Hoya und
Baden nicht wesentlich größer als bei Münden, und zwar im Jahre £^eicher-
maßen wie in beiden Halbjahren; es beträgt bei Münden im Jahre 84.8,
im Sommer 20.2 und im Winter 62.6<^/o, bei Hoya im Jahre 86.8, im Sommer
21.1 und im Winter 68.9*/p, bei Baden im Jahre 84.7, im Sommer 21.1 und
im Winter 62.6 ^Z«. Dadurch, daß die auf den verstärkten Abfluß hinwirkende
Regenzeit in das Halbjahr der Schneeschmelze fällt, erhält die Weser eine
ähnliche Verteilung des Abflußverhältnisses wie der aus viel reichhaltigem
Klein, Jahrbuch XIV. 20
806 Flusse.
SchneeYotraten gespeiste Memelstrom, der im Jahre 83.9, im Sommer 26.6
und im Winter 66.2 % des Niederschlages abführt
Die Mündung der Weser, wie der Elbe, liegt im Gebiete der Geseiten-
bewegnng der Nordsee. Durch die zahlreichen Spaltungen und sonstigen
Hindemisse der Flut- und Ebbebewegung hat aber in der Unterweser vor
der Korrektion trotz der sehr kräftigen Flut unterhalb Bremertiayen die
Flutwirkung und das Abfallen der Ebbe oberhalb dieses Punktes weit raacher
abgenommen als in der Unterelbe, die in mehrfacher Beziehung dem Ein-
dringen der Tidewelle günstigere Vorbedingungen gewährt
2. Die Ems. Dieser Fluß gehört mit dem weitaus größten TeQe seines
(Gebietes dem Flachlande an, und sein ganzes Stromgebiet umfaßt 12482 qkm.
In der dem südwestlichen Abhänge des Teutoburgerwaldes vorgelagerten,
sanft geneigten Ebene, der Senne, entspringen zahlreiche Bäche, die teils
zum Lippe-, teils zum Emsgebiete gehören. Der südlichste im Emsgebiete
liegende Bach ist die Ems selbst, die hier bei dem Dorfe Hövelhof in
4- 184 m Höhe entspringt Anfangs folgt die Ems der allgemeinen Richtung
aller hier von der Senne herabkommenden Bäche nach Südwest, wendet
dann aber ihren Lauf vorübergehend nach Nordwest, so daß er etwa dem
Zuge des Teutoburgerwaldes parallel läuft Diese Richtung behält sie in-
dessen auch nur vorübergehend bei, fließt vielmehr bald über Warendorf
nach Westen und schwenkt dann in großem Bogen nach Nordnordwest
um. Auf einer langem, bis unterhalb Rheine reichenden Strecke folgt sie
nunmehr dieser Richtung und geht dann in die Nordrichtung über, aus
der sie wieder kurz oberhalb Emden nach Westen ausbiegt, um hier in
den Dollart auszumünden. Da der Fluß auf diesem Wege vielfache Win-
dungen und Schleifen macht, ist seine Entwicklung nicht unbeträchtlich;
so beträgt diese im Verhältnisse zur Luftlinie auf der Strecke zwischen der
Brücke bei Schöneflieth und Rheine 86.8 ^/q und von der Hasemündung
bis zur Mündung des Schleusenkanals bei Herbrum 75.0 ^/q. Sie ist in diesen
kurzem Strecken sogar stärker als auf großem zusammenhangenden Strecken,
obgleich auf ihnen zum Teil nicht unerhebliche Ausweichungen von der all-
gemeinen Hauptrichtung vorkommen, denn es ist die Entwicklung der
Obera Ems, die bis Rheine hin gerechnet ist, 75.2 ^^Z^, die Entwicklung
der Mittlem Ems bis zur Hasemündung 62.6% und der Untern Ems
67.0 ^/o. Da die Schleifen vielfach sehr Kleine Krümmungshalbmesser be-
sitzen, sind sie der Schiffahrt sehr hinderlich; einige der starkem Krüm-
mungen sind daher an der Mittlem und Untern Ems, hier namentlich für
den Schiffahrtsweg des Dortmund-Ems-KanaLs, durch kurze Seitenkanäle
umgangen worden; doch gibt es immer noch Krümmungen, die nur etwa
200 m Halbmesser haben.
In der obersten Strecke der Obem Ems werden die zahlreichen neben-
einander herlaufenden Sennebäche durchaus nicht durch dazwischen liegende
Bodenerhebungen voneinandw geschieden ; auch die Ems hat hier kein aus-
geprägtes Tal ; erst weiterhin bildet sich eine fest umgrenzte Mulde, in der
die Wassermassen zusammengehalten werden; unterhalb Warendorf endlidi
schneidet sich der Wasserlaui immer mehr in das flache Gelände ein, so
daß bis Rheine hin ein schmales, aber verhältnismäßig tiefes Flußtälchen
entsteht Auch an der Mittlem Ems bleibt die Hochwassemiulde zunächst
noch eng und stellt sich hier als eine etwa 10 m tiefe Rinne dar. Von
Listrop abwärts erweitert sich das der Gberschwemmun^ ausgesetzte Ge-
lände zu einer etwa 1 km breiten Niederung, die 2—3 m über Mittelwasser
liegt Unterhalb Haneckenf ähr wird dann das Überschwemmungsgebiet von
Dirnen, die in Entfemung von 1.5—3 km voneinander liegen, begrenzt Im
allgemeinen sind diese Dünen flach gebösoht; nur dort, wo der Fluß oder
ehemalige Schleifen sie anschneiden, bUden sich Steilränder; besonders ist
dies der Fall von Lingen bis Dedum, wo die Dünen am linken Ufer auf
etwa 6 hm Länge Steilrander zeigen und mehrfach scharf an den Fluß heran-
Flüsse. 307
treten. Auch am Unterlaufe ist ein ei^entliohes Flußtal nicht vorhanden.
Das Überschwemmungsgebiet breitet sich hier meist weit aus und vnrd
nur an einzelnen Stellen von hohem, meist dünenartigen Erhebungen ab-
geschlossen.
Das Flußbett der Ems ist iast überall sandig; nur an einzelnen Stellen
finden sich auch andere Bildungen vor; so sind an einzelnen Stellen Mergel
der jungem Kreide und Planerkalke vorhanden. Auf der Flufistrecke von
Rheme bis Bentlage wird das Bett von Riffen aus Gesteinen der Kreide-
formation durchquert, wahrend an der Untern Ems Klai- und Eisenerz-
schichten Sohle und Ufer durchsetzen; außerdem kommen hier auch ver-
einzelt Findlinge auf der Sohle vor.
Wie schon oben erwähnt, fließen zahhreiche kleine Bäche in ziemlich
gleichgerichtetem Laufe von der Senne herab; teilweise erhebt sich die Sohle
der Wasserläufe über das umgebende Gelände, so daß etwa ausgetretenes
Wasser nicht mehr zu demselben Laufe zurückgelangen kann, sondem ent-
weder in einen tiefer gelegenen Wasserlauf übergeht, versickert, verdunstet
oder stagniert und niedrige Stellen versumpft. Dadurch entstehen mannig-
fache Verbindungen zwischen den Wasserläufen, die das Gewässernetz hier
sehr verwickelt machen. Größere Wasserläufe können sich indessen hier
nicht ausbilden, da die Ems parallel mit dem Teutoburgerwalde läuft und
daher die herabkommenden Bäche auffängt. Erst dort, wo sie sich aus
dieser Richtung westwärts wendet, entsteht der Raum zur Entwicklung
^ößerer Bäche.
Erst weiter abwärts finden sich auf der rechten Seite größere Seiten-
zuflüsse, die große Aa, die Hase und Leda.
Von den Quellen der Ems bis in die Gegend zwischen Rietber^ und
Wiedenbrück ist ein eigentliches Flußtal nicht vorhanden. Bis hierher
besteht das ganze umliegende Gelände aus einer schwach geneigten Ebene,
die zumeist niedriger liegt, als der gewöhnliche Wasserspiegel der Ems. Die
Hochfluten der Ems breiten sich hier meilenweit überall hin aus, besonders
in der Niederung von Mastholte oberhalb lüetberg. Die Breite des Fluß-
tales oder vielmehr der Flußmulde zwischen Wiedenbrück undRheda schwankt
zwischen 100 und 500 m. Unterhalb Rheda beträgt sie im allgemeinen
300 m, wächst stellenweise bis 500 m und erreicht in der Nähe der Lutter-
mündung den Größtwert von etwa 800 m. Nach Warendorf zu nimmt die
Breite wieder auf etwa 450 m ab. Auch hier am Mittellaufe liegen die Ufer-
ränder durchgehends höher als das Seitengelände, so daß die Flutmassen
eine vom Flußlaufe abweichende Richtung einschlagen müssen, hin und
wieder auch, wenn die seitlichen Erhebungen bis an den Fluß herantreten,
diesen zu kreuzen gezwungen sind. Unterhalb Warendorf bis Schöneflieth
ist die Breite des Tales, welches in das flache, nur zwischen 4- 50 m und
-|- Ö5 m wechselnde Gelände eingeschnitten ist, sehr veränderlich. Bald
treten hier die Ufer bis unmittelbar an den Flußschlauch heran, bald sind
besondere Flutwege vorhanden, welche die Krümmungen des Flusses ab-
schneiden, bald dehnen sich breitere und niedrige T/^esengründe zu beiden
Seiten des Flusses aus. Ein zusammenhängender Talboden fehlt, und manche
Flächen werden zwar von den höchsten Wasserständen überschwenmit,
können aber wegen ihrer hohen Lage nicht dem Talboden zugerechnet
werden. Sowohl in Rietberg, wie in medenbrück führen hochwasserfreie,
mit engen Stauanlagen ausgestattete Wege durch das Flußtal. Auch unter-
halb Schöneflieth bleibt das Emstal durchgehends schmal. Die eigentlichen
Hochufer berühren zwar nicht in großer Länge unmittelbar den FluBschlauch,
aber das Gelände steigt meistens langsam an, so daß ein flacher Talboden
nur selten und meistens in kesseiförmiger Ausbildung vorhanden ist.
Infolge der vielen und starken Krümmungen hat die Ems im Mittel-
laufe einen ziemlich unregelmäßigen Querschnitt. Die Breite schwankt bei
niedrigem Wasserstande zwischen 20 und 80 m, ebenso wechseln Tiefe und
20»
308 Fläffie.
Geechwindi^eit fortwährend. Bei mitüerm niedrigen Sommerwaeserstande
schwanken die Tiefen zwischen 0.75 und S.1 m.
Die großem Ortschaften fiepen sämtlich an oder auf dem Tahande.
Auch Gehöfte, außer den Pährhaasem, finden sich nur vereinzelt in der
Flußniederunfl. Die Stadt Rheine ist auf hohen üfem beiderseits des
schmalen Flulschlauches erbaut, der sich hier durch die hügelartigen Aus-
läufer des Teutobui^erwaldes windet Salzbergen liegt auf dem Hochufer
hart am Flusse. Die Stadt Lingen ist durch den Emskanal, der in eine
alte Flutmulde verlegt ist, und durch eine Düneninsel vom Flusse getrennt.
Die Stadt Meppen U^ auf einer inseif örmigen Erhöhung, welche durch die
Ems von der großen Esterfelder Düneninsel und durch die Hase vom rechts-
seitigen Höhenrande abgetrennt wird. Die Vorstadt am rechten Haseufer
steht auf einem, wie es scheint, künstlich aufgehöhten Ausläufer der rechts-
seitigen, zum Hümmlinge gehörigen Höhen.
Der Unterlauf der Ems reicht von der Hasemündung bis zum Dollart
Bis zum Dorfe Herbrum besitzt der Fluß noch die Eigenschaft eines Binnen-
landflusses. Er war bis zur Erbauung; des Kanals von Dortmund nach den
Emshälen für die Kleinschiffahrt, wie sie auf den ostfriesischen und hol-
ländischen Moorkanälen landesüblich ist durch Regulierungswerke schiff-
bar erhalten worden. Da die Abflußmenge und die Stromloraft nicht aus-
reicht um für die Großschiffahrt einen ausreichenden Querschnitt offen
zu halten, so ist der Oberlauf kanalisiert worden und gilt seitdem als ein
Teil des Dortmund-Ems-Kanals. In der Strecke von Herbrum bis zur Mün-
dung des Papenburger Kanals, wo die Ems nach Ostfriesland übertritt ist
bereits so viel Tideströmung vorhanden, daß sie für die Binnenschiffahrt
des neuen Kanals den Flußschlauch genügend tief erhalten kann. Daher
ist diese Strecke für die Zwecke der Kanalschiffahrt in solcher Weise reguliert,
daß das Auflaufen der Flutwelle mögUchst befördert wird. Im Unterlaufe
von der Papenburger Schleuse bis zur Mündung in den Dollart schafft und
erhält die Tideströmung eine für die kleine Seeschiffahrt genügende Tiefe.
Bei Leerort zerlegt sich der Unterlauf in 2 Unterabschnitte, einerseits, weil
hier der wichtigste Nebenfluß, die Leda, mündet, anderseits, weil die Ver-
hältnisse in der untern Strecke für die Seeschiffahrt erheblich günstiger
liegen, wie in der obem Strecke.
Der Scheitel der Flutwelle trifft bei Papenburg etwa l'/« Stunden
später ein als an der Emsmündung, der Wellenfuß verzögert sich noch mehr,
nämlich um 2^9 Stunden. Wenn also Hochwasser an der Mündung ein-
tritt, hat der Wasserspiegel bei Papenburg noch etwa ^/, des Anstieges zu
machen, wodurch das Gräälle des Flutstromes nach stromaufwärts zustande
kommt. Wenn der Flutscheitel in Papenburg eingetroffen ist, hat sich der
Wasserspiegel an der Mündung bereits wieder um etwa Vt ^^^ Flutgröße,
oder im Mittel um 0.90 m gesenkt. Das größte Gefälle des Ebbestromes
bildet sich aus, wenn an der Flußmündung Niedrigwasser eintritt
Die Ems erreicht unterhalb Herbnim, nachdem die das Dorf Rhode
berührende Flußschleife durch einen Durchstich totgelegt ist das Geest-
felände nicht mehr. Die Ufer sind flach, werden aber vom gewöhnUchen
idehochwasser oberhalb Tunxdorf nicht überschwemmt Von hier nimmt
die Breite der bei der Flut unter Wasser kommenden Vorlandsflächen all-
mählich zu. Die Flußufer erhidten dadurch einen seeküstenartigen Charakter.
Bei Jemgum beträgt die Breite der wattähnlichen Fläche etwa 100 m, und
sie wächst nahe der Mündung auf etwa 800 m. Auf den Wattstreif en
bilden sich zwei verschiedene Uferlinien aus, von denen die für Hoch-
wasser die vorwiegend ausgebaute und festliegende ist. Langgestreckte
Buhnen begrenzen mit ihren Köpfen vielfach die Uferlinie des Niedrig-
wassers, am Mittellaufe ist dieselbe auch auf verschiedenen Strecken
durch Leitdämme festgelegt, deren Krone in Höhe des gewöhnlichen
Niedrigwassers liegt.
Flusse. 309
Die Ortschaften liegen hier fast sämtlich am Rande des Flußtales
oder auf der Geest, seltener auf inselartig aus der Niederung aufragendem
Gelände, wie z. B. Steinbild, Borsum und mehr oder weniger auch Meppen.
Einzelgehöfte, besonders Fährhäuser und Gruppen von Gehöften hegen
mehrfach auf erhöhten Sandschollen mitten im Überschwemmungsgebiete.
Am Unterlaufe sind Weener und Bunde auf Geestinseln, Emden auf einem
Warfhügel erbaut, während Leer auf einem Geestvorsprunge liegt. Die
ältesten Teile von Papenburg sind an der Stelle angelegt, wo die vom
Hümmlinge ganz allmählich zum Flusse abfallende Mooroberfläche den
Spiegel der höchsten Flut erreicht. Die untern Stadtteile, welche auf dem
abgetorften Sanduntergrunde oder Leegemoore stehen, liegen unter Fluthöhe.
In den Marschen Ostfrieslands stehen manche, beäonders die ältesten Orte,
auf Warthügeln. Die meisten Marschdörfer und die großen Einzelgehöfte,
die sogenannten Plaatsen, liegen dagegen tief und sind auf die Deiche als
Schutz gegen Hochfluten angewiesen.
In Ostfriesland trägt die Niederung das Gepräge des ursprün^chen Meeres-
bodens. Die Viehzucht ist Haupterwerbszweig, und da das Rindvieh in der
milden Jahreszeit meistens unbeaufidchtigt und auch des Nachts auf der
Weide verbleibt, und die gemeinschaftlicheWeidebenutzung mehrerer Besitzer
nach der Markenteilung fast ganz aufgehört hat, so ist die Einfriedigung
der WeideparzeUen unerläßUch. Die Niederung des Endlaufes ist hier netz-
artig überzogen mit leichten Zäunen, vorwiegend Drahtzäunen, welche über
Leinpfade und Nebenwege hinweggehen und dort mit leichten sell^chließenden
Türen versehen sind. Die Einzäunung nach dem Ufer hin und die Abgrenzung
bestimmter Tränkestellen fehlt meistens noch zum Nachteile des Fiußufers.
Um die zum Uferschutze angelegten Pflanzungen vor der sonst unvermeid-
lichen Zerstörung durch das Weidevieh zu bewahren, wird die Einfriedigung
des Ufers von der Bauverwaltung nach Möglichkeit gefördert. Die Unter-
haltungsarbeiten an den Zäunen, besonders nach großem Hochwassem,
sind aber nicht unerheblich. Am Unterlaufe in den ostfriesischen Marschen
werden die Zäune mehr oder weniger durch die zahlreichen Gräben ersetzt,
welche in engen Maschen die Grandstücke umschließen.
Zwischen den Orten Pogum und Jarssum tritt die Ems in den Dollart
ein. Der Spiegel des Tidehochwassers erfährt hier eine plötzliche, fast
schrankenlose Erweiterang, während das Niedrigwasser zwischen den großen-
teils trocken laufenden Wattflächen einen zwar vielfach verzweigten, aber
doch einigermaßen geschlossenen Querschnitt einhält Die an dieser Stelle
in die Ems eintretende Flutwelle macht sich bei gewöhnlichem Zuflüsse
von Oberwasser bis zum Schützenwehre bei Herbmm deutlich bemerkbar.
Die Länge dieser von der Flutwelle durchlaufenen Flußstrecke beträgt un-
gefähr 51 km. Vor der Ausführung der Durchstiche zwischen Herbrum
und Papenburg, welche als Teilanlagen zugleich mit dem Dortmund-Ems-
Kanale hergestellt wurden, lag die Flutgrenze bei niedrigem Oberwasser
kurz oberhalb Herbrum. Nach jener Begiadigung und der gleichzeitig aus-
geführten Räumung des Fahrwassers, jedoch vor Inbetriebsetzung des
Wehres zu Herbrum, welches die untere Begrenzung der für die Zwecke
des Dortmund-Ems- Kanals kanalisierten Flußstrecke bildet, hatte sich die
Flutgrenze bis zum Unterwasser - der Schleuse zu Bollingerfähr oder etwa
6 km nach stromaufwärts verschoben.
Von den Nebenflüssen der Ems hat nur die Leda Flutwechsel. Die
mittlere Flutaröße belauft sich für den Zeitraum von 1871—1900 an der
Knock, der den DoUart nach der See hin abgrenzenden Landspitze, auf
2.78 m, und 88 km stromaufwärts in der Ems an der Papenburger Schleuse
noch auf 1.4D m; ferner in der Leda zu Leer 4.4 km oberhalb der Mündung
auf 2.10 m, und zu Potshausen an der Leda und zu Stickhausen an der
Jümme 28, bezw. 25.8 km oberhalb der Ledamünduna noch auf 0.80 m.
Der Unterschied zwischen dem Flutwechsel bei Springflut und Nippflut be-
trägt im Dollart nur etwa 0.80 bis 1.0 m.
f'sehlag und Abfluß in
.wobei er die Flüsse Saale,
Die 20 Jahre 1882—1901
er und AbfluB im Saale-
^ *iä' ^ M II. ffP M .?!: *~ '"^^
ltS*ß^!5i||c ^3|i|ähre, so bekommt man im
— '■^'^•^ilg:4^5^jf||6ommer einen solchen von
der Gegensatz zwischen
^^ -^^ i^Mte hervor. Der Sommer
ii^l|l@Td^^€^^^enarm und abflußreich.
.^u^^u%|||>i^^P j!^4^^ im Mai, die winter-
i:s:-^Ar^'Ji^^^y^2»i^drographisch das Jahr in
^Mllf^^lsWjahre teilen; das eine um-
^ _ .l«%^^*^*5löerö die Monate November
l^2jilft^*li^ii^)Ai^*Qi5%;>Ausdruc^^ in den Zahlen,
Sg1tl:]S§!&!g^|id^3<^ liefern. Berechnet
i?'e>i^,tS:«Po« ••^» «^^ «^^ «^^ •^» «^» -32; *y£'
IiC.^^|^i^^||5?i?^ so großer, daß er nicht
^^^^-^^^^^^^^^Q^^ß^ erklärt werden kann.
es keinen
_ •^'ü^Zu^Aitl^kdC ^^ti^e Jahresperiode aufwiese.
!l2liä!i&fl^3lE^£^^$^-^6^ ^0° ^^^ Witterungs-
i^^;^fi^*^n|S3^*noch eine Menge anderer
'2p|i'^<(^^^££i*Sh^^^ Wasseraufnahmefähigkeit
iia!li*Sl|SI§aJ|;ßiä;|5 und die Vegetation. Der
M§:Öpb!^l^k^3^^alte liefert uns daher ein
_'^»^l|;elwCll)^5iS^^5S?®'^ Natur überhaupt Der
^ ^«|H»||rif öH^il^ mit seiner größern Fülle
|vu}ji;riii{|^^ħy^*iJM andere Abflußzustande
^jMti*iÄ3^§2Ji;i§iC,g3reite Flächen des Pflanzen-
rgJT^aS jflpl !^rSr^^^ ^" "" ^'^^^ lyftfrorftn ist.
^^»si^sp^l^l?«!^!^ gibt
l#A#^«l'ü'i!utt>A<t#6i^^^ü^^ Jahresperiode
L^nge Zeit gefroren ist.
f^^m^^lHi^^zelnen nachzuforschen und
'^^^W^'^^^^^^^IMS'^!^ d®^ Betrage nach fest-
MC^^WO^Sä^»älsi^kL wird.
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*'"''^*"'^"]|e;5i5nd Volkskunde U. 5. Heft.
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811
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1881—1890
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mm^^mm^^^M, und überdies mehr
aMfw'^-Cffl.^jggj^Igjlurchaus nicht einfach
'"" §?si&I Verf. hat viebnehr,
:a^i?Jl9^P#!i^#^ dem Neuwieder
nieder-
:m,-^-jsr ^j?.*- --»- .^.-0' Niederung, die, mit
oS^^^^lC^'^SBraEcSidQ^bengebirge weit nach
Rhein heute (in einer
^^^«ner Bucht bezeichnet
il!i^i'>C^^i>c^^ tektonische Ein-
QO 0V9 ^SRh** *'S^'* ^tfiin'* ^S 0^ w
pi^ix^zimgMm'^tjgi^Z'isJiden. Das RheintaL
r5S;IS54l^'*lo'>'^gEp||'*nischen Vorgangen zu
^li ein Erosionstal, das
jiichten des Devon und
£g!i:gbG^Si|£C|;^) eingeschnitten hat.
9sfi:eSE"^ii^^^^|f ^M^^*§5n am heutigen Rheine
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312 Flüsse.
entlang verfolgen. Aul den Terrassen liegen Schotierablageningen,
die der Rhein in den Ruhepausen zwischen dem Einschneiden ab-
setzte. In dem Materiale, welches verschiedenen Ursprungsgebieten
entstammt, zeigen sich Unterschiede der einzelnen Terrassen. Die
älteste Terrasse liegt an der Ahrmündung etwa 210 — 240 m über
dem Meere, sinkt aber nach Norden beträchtlich. Ihr Material weicht
sehr von dem der andern Diluvialbildungen ab. An der Oberfläche
ist sie nicht scharf getrennt von der nächst jungem Terrasse, der
Hauptterrasse, die sich am besten zu beiden Seiten des Rheins vom
Neuwieder Becken (bei Linz in einer Höhe von 180 — 200 m) bis in
die Kölner Gegend (Vorgebirge bei Königsdorf-Horrem, 120 — 130 m)
verfolgen läßt Tiefere Terrassen treten mannigfach auf, sind jedoch
zumeist nicht durch das ganze Gebiet verfolgbar. Die Gegend von
Linz und Remagen bietet gute Beispiele. Weit verfolgbar ist aber
eine Terrasse, die bei Remagen in einer Höhe von 70 m gut aui^-
schlössen ist, die nach Norden hin an Höhe abnimmt, bei Köln nur
noch 55 — 60 m hoch liegt und hier die ausgezeichnete ebene Terrassen-
fläche bildet, die von der Eisenbahn zwischen Müngersdorf und
Königsdorf westlich von Köln überschritten wird. Nachdem sich der
Rhein bis in dieses Niveau eingeschnitten hatte, wurden die Gehänge
mit Löß überdeckt, jenem feinstaubigen gleichmäßigen Gebilde, das
in der Umgebung des Rheintales viele der Gesetzmäßigkeiten wieder
erkennen läßt, die schon aus andern Lößgebieten bekannt sind. Bei
noch tieferm Einschneiden entstand die heutige Talfläche, in der
noch eine Terrasse, die Niederterrasse, von dem jetzigen Ober-
schwemmungsgebiete des Rheins zu unterscheiden ist. Alte veriassene
Flußrinnen lassen sich in der Niederterrasse, namentlich auf der
linken Rheinseite von Bonn nach Köln, verfolgen. Die Tiefe, bis
zu der sich der Rhein unter sein heutiges Bett eingeschnitten hatte,
liegt bei Honnef bei 38 m über dem Meere, bei Bonn bei 36 m, bei
Widdig bei 35 m, bei Weiß unter 18 m, bei Köln unter 7 m über
dem Meeresspiegel, so daß die Aufschüttungen in der Form von
lockern Sauden und Geschieben, sowie Lehm bei Honnef 20 m, bei
Bonn 17V, ^' ^^^ Widdig 21 m, bei Weiß 34 m, bei Köln 37 m
mächtig sind. Im südlichen Teile des besprochenen Gebietes nehmen
noch Erzeugnisse jüngerer Vulkane an der Ausbildung des Rheintales
teil. Ein großer Teil, namentlich der lockern Auswurfsprodukte, ist
jedoch schon wieder durch die Erosion fortgeführt Die genaue
Altersstellung der einzelnen Vulkanausbrüche, namentlich im Laacher
Seegebiete, gegenüber den verschiedenen Phasen in der Entstehung
des Rheintales, ist bisher nicht erforscht worden. In der Ausbildung
des Rheintales zwischen Neuwieder Becken und Köln-Bonner Bucht
zeigen sich Analogien zu andern Gebieten, wie namentlich zu dem
Oberrheintale und dem Mainzer Becken, doch sind die bisherigen
Untersuchungen nicht weit genug vorgeschritten, um genauere Ver-
gleiche zu ermöglichen.
Flüsse. 313
Die Bntstehungrsgresehlehte des Rheines. In seinen Unter-
suchungen über das Deckgebirge der rheinisch-westfälischen Kohlen-
f ormation spricht sich Generaldirektor Schulz-Briesen (Düsseldorf) über
die Urgeschichte des Rheinstromes aus, also über ein Problem, bezüglich
dessen die Ansichten der Geologen noch sehr auseinandergehen. Er
sagt: Die Ufer des Kreidemeeres sind deutlich auf der geologischen Karte
erkennbar, sie decken sich zwischen Mülheim a. d. R., Siegburg, Bonn,
Euskirchen, Aachen annähernd mit denjenigen des spätem nieder-
rheinischen Tertiärdeltas, welches seine Entstehung dem Rheine in
Gemeinschaft mit der Maas verdankt. Der Rhein dürfte sich in der
Kreideepoche und bis in die Tertiärzeit hinein sein heutiges Bett
zwischen Bingen und Koblenz noch nicht gegraben, und die in der
oberrheinischen, ausgedehnten Terraindepression, sowie in den Seiten-
tälern bis weit in die Gebirge hinein seeartig aufgestauten Wasser-
massen werden vielleicht durch eine schmale Rinne Abfluß in das
jetzige Stromgebiet der Donau gefunden haben, denn im andern Falle
würde die festgestellte ungestörte Ablagerung der Kreideformation
im Bereiche des niederrheinischen Tertiärdeltas nicht möglich gewesen
sein. Es ist dabei immerhin nicht absolut ausgeschlossen, daß der
Abfluß eines Teiles der überschießenden Gewässer auch durch eine
schmale Rinne nach Norden erfolgte.
Erst nach dieser Epoche hat sich der Rhein, möglicherweise
unterstützt durch eine Spaltenbildung, allmählich einen breiten Weg
zur Nordsee gebahnt und sein Bett tief in die Schichten des mittel-
rheinischen Devons eingegraben. Mit seinen gewaltigen, in dem ober-
rheinischen Seebecken aufgestauten Wassermassen hat er, teils voll-
ständig wie bei Wesel, oder nur teilweise wie an den Rändern seiner
Erosionstätigkeit, die Kreideablagerung auf weite Ausdehnung im
niederrheinischen Tieflande zerstört
Auf der Linie Goch-Wesel-Dorsten ist zu erkennen, daß der alte
Rheinstrom etwa 120 km vom letzten Katarakte oberhalb Bonn ab-
wärts, wahrscheinlich vereint mit der Maas, bereits ein Delta von
ca. 100 km Breite gebUdet hat, dessen Material aus dem Detritus
besteht, den diese Ströme mit sich führten. Die Erosionsprodukte
dieser Wasserläufe sind ohne Frage noch mindestens 100 km weiter
nach Norden bis an die jetzige holländische Küste getragen worden.
Verlängert man die Ränder des Deltas konisch bis dahio, so gelangt
man zu der Annahme, daß dasselbe dort etwa 200 km Breite gehabt
haben muß. Derartige Bildimgen findet man übrigens auch heute
noch in größerm Maßstabe in der Entstehung begriffen. Auf der
Grundlage dieser Anschwemmungen bildete sich dann in der folgenden,
ruhigem Epoche die mächtige Braunkohlenablagerung der untern
Rheinebene, die wieder zum Teile in der pliocänen und postpliocänen
Periode fortgewaschen und später von diluvialen und ^uvialen Ge-
rollen, Lehmen und dem Löß überdeckt wurde. Die letztgenannten
Schichten besitzen im Bereiche des Tertiärs häufig eine nicht unerheb-
814 Flüsse.
liehe Biachtigkeit, während dieselbe innerhalb des sog. Kreidebeckens
selten über 2 — 8 m beträgt. Diese Ablagerungen spielen daher
eine ganz untergeordnete Rolle in der Zusammensetssung des Deck-
gebirges.
Die tertiäre Erosion hat in den Kreide- und Triasschichten im
minimo 5 Milliarden Kubikmeter Material zerrieben und ins Weltmeer
hinausgetragen, jedoch als Ersatz annähernd die gleiche Menge Material
zur Ausfüllung der Stromrinne wieder zugeführt.
Die Veränderungren des Mississippideltas sind von Warren
Upham an der Hand der geschichtlichen Überlieferungen studiert worden.^)
Die frühesten Darstellungen von Hylacomylus (1513), die auf den
Angaben von Amerigo Vespucci beruhen, sind natürlich höchst un-
genau, erst seit 1699 liegen zuverlässigere Daten über die Mündungs-
arme vor, und 1722 gab Coxe eine Karte, die bessere Details enthielt.
Die einzige wirklich zuverlässige Karte aus früherer Zeit ist jedoch
diejenige von Beilin 1744. Der Vergleich derselben mit der Karte
von 1885 ergibt, daß während 141 Jahren die Mündungen um ca. 6 — 8
Miles weiter in den Mexikanischen Meerbusen vorgerückt sind.
Hieraus könnte man schließen, daß zur Zeit der Entdeckung Amerikas
das heutige Mississippidelta überhaupt noch nicht bestand, sondern
ein anderes gegenwärtig 20 — 30 km weiter landeinwärts liegendes,
was auch durch die Messungen von Humphrey und Abbots wahr-
scheinlich gemacht wird.
Das Hündungfsgfebiet des Orinoco. Dem Berichte S. M. Schiff
»Pantherc ist folgendes hierüber entnommen:*) Die ganze Küsten-
strecke des Orinocodeltas besteht aus flachem, dichtbewaldetem Lande
und bietet keine markanten Punkte, welche zur Orientierung dienen
könnten. Die Wassertiefen nehmen schon auf Entfernungen vom
Lande, auf welchen dieses noch gar nicht gesichtet wird, stark ab,
so daß für Schiffe, welche an dieser Küste zu fahren haben, ein
dauernder Gebrauch des Lotes durchaus erforderlich ist, zumal da
man hier mit beträchtlichen Stromversetzungen zu rechnen hat Die
Flußufer an der Boca Grande sind in der Nähe der Mündung mit
undurchdringlichem Urwalde bestanden, welcher nur durch die vielen
Flußarme unterbrochen wird. Die erste Lichtung ist durch das Dorf
Curiapo gebildet, welches aus einigen wenigen festen Häusern, sonst
nur aus Indianerhütten besteht. Oberhalb Curiapo setzt sich der
dichte Urwald bis Imitaka fort In der Nähe dieser Insel treten die
Ausläufer der Berge von Britisch-Guiana bis nahe an den südlichsten
Arm des Deltas heran. An den Bergen bei dem Orte Imataka liegt
eine Eisenerzmine, die durch einen Arm, der für 3.8 m (IV) tief-
gehende Schiffe befahrbar ist, mit dem Boco Grandearme verbunden
^) American Geologist 80. p. 103.
") Annalen der Hydrographie 1908. p. 169.
Floase. 815
ist Hinter Imataka wird der Wald etwas lichter als unterhalb« und
die Ufer sind stellenweise mit Zucker- und Bananenpfianzungen be-
baut. Die Anwohner sind meist Indianer, welche in niedrigen offenen
Hütten wohnen. Die nächste größere Ansiedlung oberhalb Ouriapo
ist Barancas, ein Ort mit festen Steinhäusern, aus denen sich ein
größeres, die Eirche, abhebt Zurzeit ist dort ein deutscher Händler
und Pflanzer, Namens Lehmann, ansässig. Die Ufer haben von hier
an kein urwaldartiges Aussehen mehr; der Wald besteht meist aus
hohem Buschwerke mit vielen weiten Lichtungen dazwischen. Von
Barrancas ab aufwärts läuft der Fluß zunächst südwestlich bis an
die Bergkette, welche im Süden das Delta begrenzt, und welcher er
stromabwärts in Ost — ^Westrichtung bis Ciudad BoUvar folgt Von
der Bergkette treten an einigen Stellen Ausläufer direkt an das rechte,
also das Südufer des Flusses heran, während die eigentliche Kette
mehr oder weniger von dem Flußbette zurückliegt Das linke, d. i.
das Nordufer, ist durchweg flacher. Dort dehnt sich, etwa 70 m
höher als das Flußtal liegend, eine weite Ebene (Savannah) aus,
deren Abhänge steil abfallen, aber an keiner Stelle bis direkt an
das Flußbett herantreten. Von hohem besonders markanten Bergen
liegen am nödlichen Ufer nur der Sorondohügel unterhalb Guiana
Vieja und der Quarampahügel oberhalb Las Tablas.
Auf einem der erwähnten Ausläufer der Bergkette am Südufer
liegt der Ort Guiana Vieja mit 2 Forts. Die Hügel, auf denen die
Forts liegen, sind nicht, wie auf den Karten angegeben, 500 und
300 Fuß hoch, sondern nur etwa 120, bezw. 50 m hoch. Das Fort
auf dem hohem Hügel ist ein quadratisches Mauerwerk, über welches
einige Häuser hinwegragen, mit der Hauptfront nach Nordost Es
schien in ziemlich verwahrlostem Zustande zu sein. Das Fort auf
dem kleinem Hügel, mit der Hauptfront nach Norden, war anscheinend
besser erhalten. Zwischen beiden Hügeln liegt die Ortschaft, von
der vom Flusse aus jedoch nur einige Lehmhäuser und Hütten zu
sehen sind.
Zwischen Guiana Vieja und Guidad Bolivar liegt als einziger
größerer Ort, gleichfalls am Südufer, Las Tablas. Derselbe ist an
einer Bucht angelegt, in welcher der Strom nicht besonders stark
ist, und die guten Ankergrund bietet Der Ort besteht aus steinernen
Wohnhäusem, aus denen sich die Kirche als größeres Gebäude mit
flachem Dache abhebt Las Tablas ist für den Verkehr insofern
von Bedeutung, als von hier aus eine Verkehrsstraße nach den Erz-
und Goldminen im Süden des Landes führt
Veränderungren im Laufe des Hilmend. P. M. Sykes gibt
eine Darstellung der Veränderungen des Hilmendbettes und der diesen
entsprechenden Änderungen in den Verhältnissen der Landschaft Sistan.
Das teilweise sehr fmchtbare Sistan umfaßt in der Hauptsache das
Delta des in den gleichnamigen See mündenden Hilmendflusses ; es
wurde durch das Auftrocknen des Sees infolge der Volumenabnahme
316 Flüsse.
des Flusses und vielleicht auch durch die Ausnutzung des Wassers
für Zwecke der Kultivierung gebildet. Im Südosten von Sistan liegt
das Gaud-i-Zirra, eine Bodenvertiefung, die durch den 850 m breiten
und mit bis zu 15 m hohen Rändern eingefaßten Schela mit dem
See in Verbindung steht. Das ganze Gaud ist wenigstens 160 Ann
lang und etwa 50 km breit und scheint das alte Flußbett des Hilmend
zu sein. Heute birgt das Gaud nur an der tiefsten Stelle einen
Sumpf, und auch im Frühjahre ist noch nicht der 10. Teil seines
Areals mit Wasser bedeckt Im 14. Jahrhunderte regulierte ein
östlich des heute verlassenen Hausdar liegender Damm, der Band-
i-Rustam, den Hilmend in der Weise, daß ein tiefer Kanal, der
Rud-i-Hausdar, sich nach Westen abzweigte und die fruchtbare
Ebene von Hausdar bewässerte, während der Hauptstrom als Rud-
i-Nasru nordwärts floß, vorbei an den großen, heute verlassenen
Städten Schahristan und Sahidan. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts
zerstörte Timur den Damm, und die Hausdarebene wurde eine wasser-
lose Wüste ; aber auch der Hilmend selbst wurde in Mitleidenschaft
gezogen, und er schuf sich neben dem Rud-i-Nasru weiter nördlich
einen andern nach Westen gehenden Arm, den Rud-i-Sistan, der
das bis dahin nicht bewohnte Gebiet von Sehkuha bewässerte. Bis
zum Beginne des 19. Jahrhunderts scheinen weitere Änderungen nicht
stattgefunden zu haben; dann bildete sich das Wasser im Osten
des Rud-i-Nasru einen neuen Kanal, den von Nad-i-Ali. Dadurch
drohte der unter Kultur stehende Teil trocken zu werden, und des-
halb schnitt man mit vieler Mühe den Rud-i-Sistan nördlich von
Sehkuha ab. 1896 endlich begann der Hilmend auch den Nad-i-
Ali-Kanal zu verlassen und sich zwischen ihm und dem Rud-i-Nasru
noch ein Bett zu eröffnen; so entstand der heute als Rud-i-Perian
bekannte Arm, ein schöner wasserreicher Fluß nach Sykes, der ihn
1899 kreuzte. Die alten Leute von Sistan meinten jedoch, daß der
Hilmend wohl wieder sich dem Rud-i-Nasru zuwenden würde, und
in der Tat hörte man Anfang November v. J. von Grenzstreitigkeiten
zwischen Persien und Afghanistan, die infolge Veränderungen im
Flußbette des Hilmend ausgebrochen seien. ^)
Seen und Moore.
Ober den Untergrund norddeutscher Binnenseen ver-
breitete sich Dr. Jentzsch.*) Derselbe hatte im Sommer 1902 Ver-
anlassung, mehrere dieser Seen zu untersuchen. »Der Untergrund
ist nicht nur in den verschiedenen Seebecken verschieden, sondern
wechselt auch innerhalb fast jedes einzelnen Sees bedeutend. Ähn-
lich wie beim Meere kann man auch bei Binnenseen Zonen unter-
scheiden, welche im allgemeinen (aber nicht immer) durch die Wasser-
') Globus 88. p. 52.
>) Zeitschr. d. deutsch, geo). Gesellschaft &4. p. [144].
Seen und Moore. 317
tiefe und die Entfernung vom Ufer bedingt werden. In der Anordnung
dieser Untergrundzonen findet sich manche Analogie mit den Ver-
hältnissen der Meeresböden, aber auch mancher tiefgreifende Unter-
schied. In der Uferzone fehlt den Binnenseen, wie Ebbe und Flut,
so in der Regel auch der schnelle, mit der Drehung des Windes
umsetzende Wechsel der Wasserstande, die tiefgreifende Wirkung der
Wogen. Die für den Meeresstrand und die Küstenzone bezeichnenden
Untergrundsformen kehren daher an den Binnenseen nur in stark
verkleinertem Maßstabe wieder. Dagegen besitzen die Binnenseen
fast ringsum dichten Pflanzenwuchs, welcher das Ufer bekleidet, als
Schilf, Rohr oder Binsen die flachem Teile des Wassers bis zu
2 oder 3 m Tiefe erfüllt und etwas tiefer oft als unterseeische, teil-
weise Schwimmblätter emporsendende Wiesen von Elodea, Cerato-
phyllum, Myriophyllum, Potamogeton, Ohara Nymphaea usw. große
Flächen einnimmt Diese Pflanzendecken, welche stellenweise sehr
dicht werden, liefern naturgemäß beim Absterben massenhafte Pflanzen-
trümmer, welche den Seeboden zwischen den Pflanzen und in der
Nähe der Uferzone erhöhen. Sie wirken aber auch chemisch auf
die Abscheidung gewisser Stoffe, insbesondere des Ealkkarbonats,
und mechanisch auf den Schutz des Ufers vor Abwaschung und
auf die Festhaltung eingeschwemmter Sinkstoffe und herbeigewehter
Staubteilchen. Noch häufiger als bei den deutschen Meeren ist die
Wirkung des Eisschubes, welche an manchen Binnenseen sehr merk-
lich wird.
In jedem hinreichend großen und tiefen Binnensee finden wir
in der Mitte eine weite, offene Wasserfläche, deren Boden in den
großem Tiefen frei von hohem Pflanzen ist: die limnetische Region.
In dieser Region setzt sich allerwärts ein feiner, lockerer Schlamm
ab, dessen Herkunft gemischt ist aus den herabgesunkenen Leichen
des tierischen und pflanzlichen Plankton, Koniferenpollen, Auswurfs-
stoffen größerer und kleinerer Tiere und sonstigem organischem, ein-
gewehtem Staube, feinsten tonigen Trübungen und chemischen Nieder-
schlägen, unter denen Schwefel- und Phosphoreisen hervorzuheben
sind. Vom Ufer her wird dieser Tiefenschlamm allmählich durch
Torf, Kalkschlamm oder mechanische Sedimente überdeckt. Er wird
dann in seiner typischen, an Organismen reichen Fazies zu Leber-
torf, bei reichlicherer Beimengung mineralischer Stoffe zu Gyttja,
während er in seinen Endgliedern einerseits in Diatomeenerde, anderer-
seits in Schwefeleisen und Seeerz (Eisenoxydhydrat) übergehen kann,
letzteres natürlich erst, wenn der Sauerstoff (z. B. durch Trocken-
legung des Sees) vermehrten Zutritt erhalten hat Sowohl Lebertorf
wie Gyttja enthalten in ihrer organischen Substanz — weil reich
an Tierleichen — verhältnismäßig mehr Stickstoff als eigentlicher
Torf. Ein großer Teil dieses Stickstoffs ist aber in einer außer-
ordentlich widerstandsfähigen Form gebunden, nämlich als Chitin im
Panzer der Gmstaceen.
318 Seen und Moore.
Da in der limnetischen Region das Plankton allerorten nieder-
regnet, so muß sein feiner Schlamm dort eine zusammenhängende
Decke am Seegrunde bilden. Trifft inmitten derselben das Lot auf
Grand oder auch nur auf Sandboden, so folgt, daß an den betreffen-
den Stellen ein mechanischer Abtrag vom Boden stattfindet, daß also
dort eine Abrasionsfläche, eine verschwindende Insel oder Untiefe
vorliegt Selbstredend gilt dieser Schluß nur dort, wo keine Mög-
lichkeit dafür vorliegt, daß Sand vom Ufer nach der Mitte des Sees
vorgeschoben wird. Letzteres kann stellenweise in schmalen Streifen
erfolgen, da an den Ufern der Binnenseen die Bildung von Haken
(,, Kliffhaken*' usw.) durch die mit den Winden auftretenden Strömungen
in ähnlicher Weise, wenn auch kleinerm Maßstabe, wie an den Meeres-
küsten stattfindet. Strömungen sind in Binnenseen — obwohl bisher
gewöhnlich übersehen — doch weit verbreitet Sie können zeit-
weilig zu einem Kreislaufe des Oberflächen wassere führen und sind auf
den Absatz der Seesedimente, wie auf die Umgestaltung der Ufer von
Einfluß.
Da das Plankton der Binnenseen kalkarm ist, und auch kalk-
schalige Mollusken in den Tiefen nur spärlich vorkommen, sind kalk-
reiche Seenabsätze au flacheres Wasser gebunden. Untergetauchte
Wiesen von Ohara oder von Gefäßpflanzen bewirken teils unmittel-
bar, teils mittelbar (durch die Ernährung zahlreicher Mollusken) die
Anhäufung von Kalkkarbonat Wo solches erst reichlich vorhanden,
werden (vermutlich unter gleichzeitiger Bildung von Nitraten) die
abgestorbenen Pflanzen- und Tierleiber rasch verzehrt, und es kann
zur Anhäufung fast reiner Kalklager kommen, die somit im allgemeinen
Absätze aus flachen Gewässern sind.
Vom Ufer her wächst dagegen ein mit Schilf oder andern Mono-
cotyledonen dicht bestandener Pflanzenwald nach der offenen See-
fläche vorwärts, dessen Absterben zur Torfbildung führt, die als
Endziel den ganzen See überwältigt Dieser als „Schaar'* bekannte
Uferstreifen neigt sich meist sehr allmählich, um am Rande plötzlich
steiler zur Tiefe abzusinken. Dieser oft sehr auffällige Knick des
Bodenprofils bezeichnet somit eine natürliche, mehr oder minder
scharfe Grenze zweier Regionen des Seeuntergrundes. Gewöhnlich
folgt nach der Mitte zu zunächst ein Streifen, in welchem der Unter-
grund aus mazerierten Pflanzentrümmem besteht. An den Schilftorf
reihen sich andere, aus den Moorforschungen bekannte und hier nicht
näher zu schildernde Torfarten räumlich und zeitlich an. An den
Ufern der Binnenseen finden sich teils (vor den Kliffufem) Abrasions-
flächen, die meist als grandiger Sand mit eingestreuten Blöcken er-
scheinen, teils Aufschüttungsmassen. Letztere können neben den
weit verbreiteten Torflagern stellenweise als Muschelwälle erscheinen,
häufiger als sandige Sedimente verschiedener Korngröße, endlich als
Flugsand, der in Gestalt von Dünenwällen Föhrden zu Küstenseen
abschnürt, aber auch sonst hin und wieder an Binnenseen auftritt
Seen und Moore. 319
So zeigt jeder einzelne See in sich eine Reihe verschiedener
Untergrundzonen; aber je nach der besondem Ausbildungsweise, dem
Zurücktreten oder Überwiegen einzelner dieser Zonen erhalten die
verschiedenen Seen einen z. T. völlig verschiedenen Charakter, der
auf deren Fauna und Flora, wie aui ihre Nutzbarkeit zu Fischerei,
Pflanzenbau, zu hygienischen und technischen Zwecken zurückwirkt.«
Der Sehilllngsee Im Preußisehen Oberlande ist von G. Braun
ausgelotet und kartographisch dargestellt worden.^) Er bemerkt hierzu:
Der Schillingsee liegt auf der Preußischen Platte in der Provinz
Ostpreußen. Sepezieller, in dem das »Oberland« genannten westlichen
Teile des preußischen Landrückens. Er gehört hier ursprünglich dem
Flußgebiete der Drewenz an, kann aber jetzt mit einer Reihe anderer
Seen dem großem Begriffe »Gebiet des Oberländischen Eanales«
untergeordnet werden. Gemeinsam ist allen diesen Seen eine scharf
ausgeprägte NW-Richtung, die hier noch besser hervortritt als in
Masuren. Gemeinsam ist allen, daß die Wasserstände durch das
Eingreifen des Menschen reguliert werden, daß also Seiches und
ähnliche Erscheinungen höchstens ganz verwischt zum Ausdrucke
gelangen. Alle diese Seen waren bis vor kurzer Zeit hinsichtlich
ihrer Tiefenverhältnisse gänzlich unbekannt. Da war es dem Verf.
vergönnt, ein reiches handschriftliches Material zu benutzen, das sich
im Besitze des ostpreußischen Fischereivereins vorfand. Zu gleicher
Zeit erhielt er auch von der Kanalbauverwaltung in Zölp eine Reihe
von Tiefenkarten. Nachlotungen ergaben die nötigen Korrekturen,
und so ist unsere Kenntnis jetzt weit gesicherter als im Sommer 1902,
zu welcher Zeit Verf. das »Verzeichnis der Ostpreußischen Seen bis
0.50 qkm€ (Beil. z. Nr. 8 d. Ber. d. Fischereiver. f. d. Prov. Ostpreußen
1902/08) zusammenstellte. Die Seen im Gebiete des Oberländischen
Kanales können wir jetzt nach ihren Tiefenverhältnissen in zwei große
Gruppen teilen, welche östlich und westlich in einer Linie liegen,
deren Verlauf etwa durch die Orte Liebemühl — Groß-Samrodt und
in nördlicher Verlängerung Preußisch Holland bezeichnet ist. Die
Seen östlich dieser Linie sind im allgemeinen tief mit sehr deutlicher
Rinnenform, die westlichen sind flach, und runde Formen herrschen
vor. Parallel im 0, aber nicht mehr in Verbindung mit dem
Oberländischen Kanäle zieht sich eine 8. Seenreihe hin. Genauer
bekannt sind von ihr nur das nördlichste und südlichste Glied: der
Nariensee mit 50 m und der kleine Langguthersee mit 25 m Maximal-
tiefe. Von den übrigen wird eine gleichfalls sehr beträchtliche Tiefe
angegeben.
Das Seengebiet des nordwestllohen Rußland behandelt
auf Grund russischer Quellen S. Tschulok, ") und zwar die Seen der
4 Provinzen Petersburg, Pskow, Nowgorod und Olonetz. Die Seen
^) Petermanns Mittelungen 1908. p. 64.
<) Hettners Geogr. Ztsohr. 190a p. 266.
320 Seen und Moore.
sind nicht gleichmäßig über dieses Gebiet verteilt; die meisten ge-
hören dem Nordwesten an: im Gouvernement Olonetz zahlt man bis
zu 2000 Seen, die im ganzen etwa 19^0 ^^^ Areals einnehmen,
darunter auch die beiden größten Süßwasserbecken Europas, der
Ladoga- und der Onegasee. Die Seen stellen bald unregelmäßig
begrenzte, gelappte, weite und flache Mulden, bald schmale lange
Furchen, bald runde kesselartige Vertiefungen dar. Die Grundzüge
der Hydrographie des Gebietes sind folgende. Der Norden, das
Gebiet der kristallinischen Gesteine, erhält durch die zahlreichen
Seen, Flüsse, Wasserfälle und Stromschnellen ein ganz eigenartiges
Gepräge. Hier ist alles Wasser ; das allbeherrschende flüssige Element
drängt sich auf Schritt und Tritt in seiner ganzen Machtfülle dem
Bewußtsein der Bewohner auf und ruft begreiflicherweise sehr be-
zeichnende Vorstellungen über das Wasser als den Ursprung aller
Dinge der Welt hervor.
Mächtige Felsen und kleine Blöcke ragen überall aus dem
Wasserspiegel der Seen heraus. In einem See, dem »Eontschesero«,
soll man so viele vereinzelte Felseninseln zählen, als es Tage im
Jahre gibt; dabei liegen alle mit ihrer Längsachse den Seeufem
parallel, nur eine legt sich querüber, weshalb sie die » Dumme c ge-
nannt wird.
Unter allen diesen Seen ist der Onega am größten. Bei 9751 qkm
Oberfläche erreicht er die größte Länge von 220 und die größte
Breite von 75 Werst Seine mittlere Tiefe beträgt etwa 160 «h, die
maximale geht bis 400 m. Mit seiner südlichen Hälfte ragt er in
das Gebiet des Devonkalkes hinein und berührt ein Gebiet, dessen
Hydrographie einen ganz andern Charakter hat.
Von Südosten her ragen in das Gebiet die von zahlreichen
Nebenflüssen und Seen gespeisten und ruhig dahinfließenden Ober-
und Mittelläufe zweier Wolganebenflüsse, der Scheksna und Mologa,
herein. Der von Südosten in den Onegasee mündende Wytegrafluß
teilt sein Quellgebiet mit der Kowscha, und hier wurden sie durch
einen Kanal verbunden. Die Kowscha fließt daim fast genau in
N — S-Richtung dem Bjeloosero (Weißen See) zu, aus dem dann die
Scheksna austritt, um sich bei Rybinsk, dieser wichtigsten Handels-
stadt des Wolgaoberlaufes, in diesen mächtigen Strom zu ergießen.
Dies ist das >Marienkanalsystem€, der hochwichtige Verbindungsweg
zwischen dem Wolga- und Kaspisysteme einerseits und dem Finnischen
Busen andererseits. Denn aus dem Onega führt der Swirfluß zum
Ladoga, und von da die Newa nach Petersburg. Alle 3 Seen stehen
aber nicht direkt im Dienste des Verkehres, sondern werden auf
großartigen Kanälen in weiten Bögen umfahren.
Der Onegasee wird im Süden von einer Gruppe kleiner Seen
umkränzt, welche durch eine Menge interessanter Erscheinungen die
geologische Natur ihrer Unterlage verraten. Bald wird der eine,
bald der andere See trockengelegt, um sich in den Weißen oder
Seen und Moore. 321
in den Onegasee zu ergießen durch einen unterirdischen Kanal, dessen
Verlauf durch eine Reihe von Einsturztrichtem markiert wird; bald
tritt ein sonst harmloses FlüBchen, von unterirdischen Zuflüssen ge-
speist, mit verheerender Kraft aus seinem Bette heraus. Von zwei
dicht nebeneinander liegenden Seen ist der eine dem Weißen, der
andere dem Onegasee tributar, je nach dem Verlaufe seines unter-
irdischen Abflußkanales (wir befinden uns hier auf der Wasserscheide
zwischen dem Kaspi- und dem Ostseebecken). Noch mag kurz er-
wähnt werden, daß im äußersten NO (Kreis Kargopol) der zum
Flußsysteme des Weißen Meeres gehörende Onegastrom in unserm
Gebiete seinen Anfang nimmt; an seinen Oberlauf schließen sich
südlich 2 Seen an, der Latscha- und der Woschesee, von denen
kleinere Wasseradern einerseits zum Weißen, anderseits zum Kubinskoje-
see führen. Dieser letztere, der Suchona und weiterhin der Dwina
und dem Weißen Meere tributär, ist seinerseits mit dem Mittellaufe
der Scheksna durch einen Kanal (bei Kirilow) verbunden.
Neben dem Marienkanalsysteme besteht noch eine zweite kürzere
Verbindung zwischen dem Wolgabecken und dem Finnischen Busen,
das sogen. Tichwinsche Kanalsystem. Aus der oben erwähnten
Mologa gelangen wir in deren Nebenfluß, die Tschagodoschtscha,
dann in die Ssomina; diese ist durch den Tichwinschen Kanal mit
der Tichwina verbunden, welche durch den Ssjaßfluß in den Ladoga-
see mündet.
Die Tichwinsche Wasserstraße bildet die Grenze zwischen der
nordöstlichen und der südwestlichen Hälfte des Seengebietes. Während
die Hydrographie des nördlichen Drittels des Gebietes durch den
Seenreichtum und die kristallinische Unterlage einen besondem
Charakter gewinnt, während die zentrale Partie durch die mehr ver-
bindende als trennende Wasserscheide zwischen dem Wolga- und
dem Newabecken beherrscht wird, bildet das dritte südwestliche
Drittel die Durchgangspforte der Gewässer, die vom zentralrussischen
Plateau herunterkommen und zum finnischen Busen hin ihren Lauf
nehmen. Kein Wunder, daß dies Durchgangsland, der große Now-
gorod, schon frühe seine Selbständigkeit aufgeben und sich dem all-
gemach erstarkten, nach dem Meere hin drängenden moskowischen
Staatswesen fügen mußte. Bei Betrachtung einer Karte fällt uns
sofort der Ilmensee als der Sammelpunkt aller vom zentralrussischen
Plateau herabkommenden Wasseradern auf. Msta, Pola, Lowatj, Polista,
Schelon — alle diese Gewässer treten dann durch den Wolchowfluß
aus dem Ilmensee aus, um sich nach einem Wege von etwa 115 Am
in gerader Richtung in den Ladogasee zu ergießen. Hier am Aus-
fluß des Wolchow liegt die einst so wichtige Handelsstadt Nowgorod,
die im Mittelalter als Vermittler der Handelsbeziehungen zwischen
dem Osten und Westen eine so große Bedeutung erlangt hatte.
An der Westgrenze des Gebietes liegen zwei miteinander ver-
bundene Seen, der Pskowische See und der Peipussee. Der Wjelikaja-
Klein, Jahrbuch XIV. 21
322 Seen und Moore.
fluß (große Fluß) führt dem Pskowischen See die vom Witebsk-
Newelschen Plateau herabkommenden Gewässer zu ; entwässert wird
der Doppelsee durch die in den finnischen Meerbusen mändende
Narowa. In ihrer Nähe ergießt sich selbständig ins Meer der Luga-
fluß, der das ganze Gouvernement Petersburg in der Richtung SO — ^NW
durchschneidet.
Im Norden wird dieses westliche, weitaus wichtigste Drittel des
Crebietes von mächtigen Wasserbecken begrenzt. Der Ladogasee,
mit mehr als 18000 qkm Oberfläche, das größte Süßwasserbecken
Europas, nimmt im Osten die vom Onega herkommende Swir, im
Süden die bereits erwähnten Flüsse Ssjaß und Wolchow auf und
wird von der nur 75 A:m langen, aber außerordentlich wasserreichen
(über 100000 Eubikfufl in der Sekunde) Newa entwässert. Er wird
im Süden von flachen, aus Sand, Lehm und Eies bestehenden, un-
bewaldeten, im Norden dagegen von steilen, felsigen, bewaldeten
Ufern begleitet; seine Tiefe ist im Süden unbedeutend, nimmt aber
nach Norden fortwährend zu, um westlich von den Walaamsinseln
265 in zu erreichen; die mittlere Tiefe wird auf etwa 110 m ge-
schätzt, was ein Wasserquantum ergibt 24 mal so groß wie das
des Genfer Sees. Die Wasserstandsschwankungen erreichen den
Betrag von 7,8 m. Die ganze Wassermasse befindet sich in einer
Bewegung : den östlichen Ufern entlang nach Norden, am westlichen
nach Süden.
Der Karabogrhazbusen des Kaspisees ist neuerdings durch
eine russische Expedition erforscht worden, und A. Woeikof gibt von
deren Ergebnissen einen übersichtlichen Bericht.^) Jener merkwürdige
Busen des Kaspi, nur durch eine enge und seichte Straße mit dem
Hauptkörper des Sees verbunden, beschäftigte schon lange die Phan-
tasie der Völker und die Gelehrten. Bis zu der Expedition des
Jahres 1897 war nur ein Schiff dort (1847 Leutn. Scherebzow), und
zwar gar nicht ausgerüstet für wissenschaftliche Forschungen« Die
Karaboghazenge (oder -straße) hat beständig, außer bei starken
£- Winden, eine Strömung vom W, d. h. das Wasser fließt vom Kapsi
in den Earaboghaz, wo es verdunstet. Eine Rücksirömung schweren
salzhaltigen Wassers, wie im Bosporus, den Dardanellen, der Straße
von Gibraltar und Bab-el-Mandeb gibt es nicht, wegen der Seichtig-
keit der Straße. Sorgfältige Messungen der Tiefe und der Strom*
stärke in der Straße gaben folgende Resultate: Sektion 1159^^.
Geschwindigkeit 0.559 m p. s., Menge des durchfließenden Wassers
645 d>m p. s.
In den Wintermonaten fand Maximowicz im Mittel eine Ge-
schwindigkeit 0.423 m p. s.; Spindler nimmt seine Beobachtungen als
für das ganze Sommer- und diejenigen von Maximowicz als für das
^) Meteorol. Zeitschr. 1908 p. 54.
Seen und Moore. 823
ganze Winterhalbjahr geltend und findet somit, da£ durch die Strafte
folgende Wassermasse fließt:
Sommerhalbjahr 10263 dm
Winterhalbjahr 7668 „
Jahr . . . 17930 cbm
Die Oberfläche des Busens ist 18 346 qkm (also ungefähr so
groft wie der Ladoga, der größte Süßwassersee Europas), das würde
also im Jahre 0.98 m oder in runder Zahl 1 m auf die Oberfläche
des Busens geben. Ist das Wassemiveau konstant, so muß also
ebensoviel im Jahre verdunsten. Das würde also dieselbe Ver-
dunstung geben, wie von Woeikof für den Easpi berechnet ist.
Die Evaporationskraft in den Verhältnissen des Earaboghaz muß
größer sein, als für den Easpi, wenn trotzdem die Verdunstung nur
ebenso groß ist, so wird diese durch den großen Salzgehalt des
Earaboghazwassers erklärt. (Etwa 16%.)
Der Earaboghaz ist nicht eine Salzpfanne in Hinsicht des NaCl,
wie man früher glaubte. Dieses Salz findet sich nicht als Boden-
satz, sondern Gips (GaSO^) und Glaubersalz (Na^SO^). Das Wasser
des Easpi enthält weniger NaGl als das Wasser des Ozeans (selbst
im Rest des Salzes), und selbst auf 20^0 konzentriert, würde das
Easpiwasser nur 15% NaGl enthalten, während die Löslichkeit dieses
Salzes im Wasser 26.7 bei 25 <> und 26.3 bei 0^^ ist. Das Glauber-
salz wird, nach Lebedinzew, durch doppelte Zersetzung von NaCl
und MgSO^ gebildet
Die Zusammensetzimg der Salzlauge des Earaboghaz gibt im
Liter wiegend 1.1360^, 186^ Salze und in 100 2 Wasser 5.71%
NajSO^ + 10 H,0 oder 2.51% Na^SO^ und 19.6% andere Salze.
Im Winter muß eine Ausscheidung von Glaubersalz stattfinden,
und das Wasser des Earaboghaz ist durch Eonzentration des Easpi-
wassers auf ^/^^ durch Verdunstung entstanden, dann durch Aus-
scheidung von Gips und nach doppelter Reaktion zwischen NaGl und
MgSO^ auch von Glaubersalz.
Es ergibt sich femer, daß der bis jetzt als typisch geltende
Vorgang des Absatzes von Salzlösungen, wobei der Earaboghaz
immer zitiert wurde, irrtümlich ist — es sind Hypothesen ohne
sichere Grundlagen. Nur eins ist an diesen Meinungen richtig, daß
der Earaboghaz eine Masse Salze aus dem Easpi aufnimmt; dies ist
schon von Baer in seinen »Easpischen Studien c behauptet worden.
Die jetzt gesammelten Tatsachen zeigen, daß der Earaboghaz den
Salzgehalt des Easpi um 0.000 89% jährlich oder um 1% in
2564 Jahren erniedrigt
Es ist schon wiederholt der Plan eines Dammes in der Straße
von Earaboghaz ventiliert worden, um dem Verluste des Wassers
durch Verdunstung im Busen vorzubeugen, und eine der Aufgaben
<ler Expedition von 1897 war, ein Gutachten über diese Projekte
21»
324 Seen und Moore.
auszusprechen. Das Resultat ist negativ; die Steigung des Wassers
des Easpi wäre nur unbedeutend, die Verwertung der enormen Ab-
lagerungen eines für viele Industrien so notwendigen Salzes wie
Na^SO^ würde sehr erschwert werden; jetzt sind sie zu Schiffe sehr
zuganglich.
Woeikof gibt noch einige Zahlen. Die Wassermasse des Kara-
boghaz ist 188 465 000 000 dm und enthält ungefähr 84 178 000 000
Metertonnen Salze. Aus dem Kaspi fließen jährlich ein 83 257 Mill.
Kubikmeter, welche 428 000 000 Metertonnen Salze enthalten; sie also
vermehren den Salzgehalt des Earaboghaz um 1.25^/0 jährlich und
100% ui 80 Jahren, im Falle keine Salze ausgeschieden würden.
Lebedinzew berechnet ferner, daß, wenn die Verhältnisse so bleiben
wie jetzt, nach 200 Jahren die Konzentration des Wassers des Kara-
boghaz so zunehmen wird, daß eine Ausscheidung von NaCl beginntt
später auch von KCl, also ein russisches Staßfurt in großem Bfaß-
Stabe. Er findet, daß im großen und ganzen der Karaboghaz günstig
auf den Kaspi wirkt Schon jetzt nimmt das organische Leben nach
der Tiefe ab. Würde keine Ablagerung der Salze nach dem Kara-
boghaz stattfinden, so würde die vertikale Zirkulation der Gewässer
noch schwächer werden als jetzt, die Menge Sauerstoff abnehmen,
die schon jetzt vorhandenen Bakterien würden die schwefelsauren
Salze zersetzen und Schwefelwasserstoff bilden, welcher sich bei
Mangel an Sauerstoff ansammelt, bis das Leben schon in einer kleinen
Tiefe unmöglich würde, wie schon jetzt im Schwarzen Meere von
100 Faden (188 m) an.
Der Aralsee ist auf Veranlassung der Königl. Russ. geogr.
Gesellschaft in den Jahren 1900 — 1902 von L. Berg erforscht worden.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in einer Anzahl russisch ge-
schriebener Abhandlungen des Genannten niedergelegt Dr. M.Friederichsen
gibt davon einen übersichtlichen Auszug,^) dem das Nachfolgende
entnommen ist: Der Aralsee liegt zwischen 43^80' und 46^51'
nördL Br. und 58<>18' und 61« 56' östl. L. v. Gr. Sein Areal beträgt
nach Berg ungefähr 67 962 qkm. Er nimmt also unter den großen
Binnenseen der Erde die dritte Stelle ein (hinter dem Kaspisee mit
486 846 qkm und dem Obern See Nordamerikas mit 80 800 qkm).
Sein Spiegel liegt nach dem genauen Nivellement Tillos aus dem
Jahre 1874 48 m über dem Meeresspiegel.
Das Wort Aralmeer bedeutet »Inselmeer«. Die größte dieser
Inseln, Kug-aral, liegt vor der Nordküste; kleiner ist die Insel
Nikolaus I. in dem mittlem Teile des Sees. Die Oberfläche aller
Inseln zusammen beträgt aber nur 2.8 «/^ des gesamten Seeareales.
Die größte Tiefe des Sees (68 m) liegt im Westen unmittelbar
an der Küste, während die mittlere Tiefe nur 15 m beträgt Im
zentralen Teile des Sees herrschen Tiefen von 20 — 30 m. Die west-
^) Petermanns Mitteilungen 1908. p. 120.
Seen und Moore. 325
liehen und nördlichen Ufer sind steil, und hier finden sich bereits
wenige Werst vom Strande Tiefen von 20 — 30 tti, dagegen sind die
westlichen und südlichen Gestade niedrig und sandig, und die
10 m-Isobathe verläuft hier oft bis 63 Am weit von der Küste.
Die Nordufer des Sees werden durch die 4 Halbinseln: Eulandy,
Kara-tübe, Tschubar und Kuk-tschemak in 5 Buchten zerteilt. In
das Arahneer münden die 2 Binnenströme Amu-daija (mit 2512 km
Lauflänge) und Syr-darja (mit 2863 km Lauflänge).
Die Gestaltung der Ufer ist folgende:
1. Im Westen werden die Ufer von dem niedrigen Ust-Urtplateau
gebildet, welches sich aus den horizontalen sarmatischen Schichten
aufbaut und steil zum Aralsee als echtes Schichtungstafelland ab-
bricht.
2. Im Süden und Nordosten bestehen die Seeufer aus den Delta-
AUuvionen des Amu- und Syr-darja (Stromflachland).
3. Im Osten ercheint an den Seeufem Lehm- und Sandwüste.
Die Spiegelschwankungen des Aralsees sind im wesentlichen
abhängig von den folgenden Hauptursachen:
1. Dem Schlammtransporte der Flüsse (Amu- und Syr-darja) in
den See, durch welchen das Seebecken einer allmählichen Ausfüllung
entgegengeht. Nach Bergs Berechnung machen die Sinkstoffe des
Amu-darja in 2200 Jahren das Aralseeniveau um 1 m steigen. Bei
dieser Berechnung ist der Syr-darja unberücksichtigt geblieben. Das
uns gut bekannte Wachsen seines Deltas läßt auf eine dem Amu-
darja analoge bedeutende Schlammführung schließen.
2. Den periodischen Schwankungen in der Menge des zugeführten
Flußwassers. Denn Syr- und Amu-darja bringen im Mai, Juni und
Juli das meiste Wasser zum See, dagegen Ende des Winters und
im Anfange des Frühjahres das wenigste.
3. Dem jährlichen Gange von Verdunstung und Niederschlag.
Nach den Beobachtungen in Kasalinsk fällt das Maximum der Nieder-
schläge mit 202 m/m im Juli, das Minimum mit 2 mm im Januar.
4. Den Klimaschwankungen. Entgegen den altem Angaben
von Butakow und Makschejew, Sjewerzow, Schulze u. a., welche
stets von einem Sinken des Aralseespiegels berichteten, konstatiert
Berg in neuester Zeit deutliche Anzeichen eines Ansteigens. Viele
Inseln, welche auf Butakows Karte 1848 — 1849 noch mit dem Lande
in Zusammenhang waren, sind jetzt völlig vom Ufer getrennt Im
Jahre 1874 hatte General Tillo am Nordwestufer eine Marke 4.5 m
über dem Seespiegel angebracht Ein von Berg dort vorgenommenes
Nivellement am 30. Juli 1901 ergab, daß sich der Seespiegel seitdem
1.21 m gehoben hatte. Diese Erscheinung ist indessen am Aralsee
nicht eine lokale, sondern wurde von Berg und Ignatow auch an
andern Binnenseen, z. B. im Gouvernement Omsk, für 1900 nach-
gewiesen. Für den Aralsee begann diese Periode anscheinend 1880 und
steht nach Berg einer Periode der Austrocknung in den Jahren 1850
326 Seen und Moore.
bis 1880 gegenüber. Die Erscheinungen harmonieren mit den Brückner*
sehen Klimaperioden.
Eine merkwürdige Eigentümlichkeit des Aralsees ist sein geringer
Salzgehalt Nach Bergs Bestimmungen im Jahre 1900 enthalten 100
Teile Seewasser nur 1.05 ^/^ Salz. Dementsprechend ist das mittlere
spezifische Gewicht des Aralseewassers 1.0080.
In bezug auf die Verteilung der Temperatur im Wasser herrscht
beim Aralsee eine ähnliche Schichtung, wie bei allen Süßwasserseen.
Die Oberflächentemperatur des Wassers schwankt von BAai bis Sep-
tember zwischen 7 und 27^ C. Das Maximum auf dem offenen
See beobachtete Berg Mitte Juli mit 26.8®. Die mittlere Oberflächen-
temperatur für Juli beträgt 23.8.
Das Charakteristische der Temperaturverteilung in den ver-
schiedenen Tiefen ist aber das Auftreten einer sehr deutlichen Sprung-
schicht Nach einer Mitte Juli 1900 am Westufer des Sees um
S^t^ a. m. gemessenen Temperaturreihe herrschte in 9 m 22.2® C.
während bereits 1 m tiefer, in 10 m, die Temperatur auf 14® ge-
sunken war.
Nahe den Ufern ist der Grund des Sees überall sandig, weiterhin
aber schlammig. Die Grenze zwischen beiden Bodenarten bildet unge-
fähr die 10 ii»-Isobathe. Nahe den Flußmündungen hat dieser Schlamm
eine graugelbe Farbe, weiter hinaus eine grauschwarze. In den
größten Tiefen (40 — 68 m) findet sich ein sehr zäher, blauschwaner
Schlamm.
Der Tschadsee ist, soweit seine Küste in französischem Besitze
ist, von französischen Offizieren erforscht worden. Destenave gibt
hiemach eine Schilderung desselben.^) Der See hat näherungsweise
die Gestalt eines Dreieckes, dessen Grundlinie ungefähr 170 km, und
dessen Höhe ISO km beträgt, und bedeckt eine Fläche von annähernd
20 000 qkm. Er ist in einer Wanderung nach Westen begriffen,
deshalb ist der seichten Ostküste von Eanem ein dichter Inselkranz
vorgelagert, und die Tiefe des Sees überschreitet in seiner östlichen
Hälfte nicht 5 — 6 m, beträgt vielmehr meistens nur 1 — 1,5 m; die
westliche Hälfte ist 10 — 12 m tief, an der Westküste gibt es nur
einige flache und sumpfige Inseln. An der Südostküste bei Hadjer-
el-Hamis hat sich der See in den letzten 10 Jahren um ungefähr
1 km vom Ufer zurückgezogen. Wegen der fortschreitenden Ver-
landung und der damit eintretenden Verödung ist das Küstenland
Eanem fast ganz von seinen Bewohnern verlassen, die mit ihren
zahlreichen Rinderherden auf den sich vor der Küste bildenden
Inselgürtel übergegangen sind. Von den Inseln sind nur die hohem,
16 — 20 m aus dem Wasser hervorragenden, bewohnt Auf ungefähr
80 solcher Inseln wohnen 50 000 Menschen mit 70 — 80 000 Rindern,
welche sie auf den niedrigem Inseln weiden lassen; die niedrigsten
^) La Geographie 1908 p. 421. Hettners Geogr. Ztschr. 1903. p. 470.
Seen und Moore. 327
Inseln ragen kaum über den Wasserspiegel empor und werden von
den Inselbewohnern nicht benutzt Die Bewohner der hohem süd-
lichen Inseln sind seßhaft, sie beschäftigen sich außer mit Viehzucht
mit Hirse- und Baumwollbau, deren Produkte sie nach Eanem ver-
kaufen. Die Bewohner der niedrigem nördlichen Insehi sind nomadi-
sierende Viehzüchter, die mit ihren Herden schwimmend von Insel
zu Insel ziehen. Je nach der Wassermenge, die der Schari dem
See zuführt, verändert sich sein Niveau; im Dezember erreicht der
See seinen höchsten Stand, der das gewöhnliche Niveau bis 120 cm
übersteigt; dann fällen sich die Strandseen mit Wasser, das zur
Sommerszeit verdunstet und eine Salzkmste zurückläßt, die von den
Eingeborenen gesammelt wird. Der See ist ziemlich fischreich, die
Inselbewohner liegen jedoch nur vereinzelt dem Fischfange ob.
Die Seen in Tibet schilderte auf Grund seiner Forschungen
an Ort und Stelle Dr. Sven v. Hedin. ^) Auf seiner Reise im Jahre 1896
entdeckte er im ersten großen Längentale südlich des Arka-tag
23 Seen. Fast jeder von diesen Seen bildet den Mittelpunkt eines
kleinen abflußlosen Beckens und ist deshalb salzig. Die meisten
von ihnen sind langgestreckt und wie die Gebirge von Westen nach
Osten ausgezogen. Die Ufer sind flach, nur selten fallen die Gebirge
steil ins Wasser hinab. Die mittlere absolute Höhe der Seen beträgt
4913 m. Die verschiedenen Becken sind durch ganz niedrige Schwellen
voneinander getrennt.
Während im nördlichen Teile von Tibet die Salzseen als Regel
betrachtet werden können, finden sich in andem Gegenden des Landes
nicht selten Süßwasserseen, die dort fast immer mit einem Salz-
wassersee in Verbindung stehen. Von dieser gewöhnlichen Kombi-
nation führt der Reisende einige Beispiele an.
Zwischen den beiden Kwen-lun-Ketten Ealta-aiagan und Arka-
tag findet sich zuerst das große ausgedehnte Becken der beiden Seen
Kum-köll. Der obere östliche Basch-kum-köU, auf 3882 m Höhe
gelegen, ist süß und hat eine Maximaltiefe von 3.73 m. Fast aus-^
schließlich von Quellen gespeist, entleert sich der See durch einen
Flußarm, der in den untem salzigen Ajag-kum-köll ausmündet, seit-
dem er einige Nebenflüsse, wie Sassik-jar und Petelik-darja auf-
genommen hat. Ajag-kum-köll ist höchstens 16 Am breit und 44 Arm
lang. Am 18. November 1900 unternahm Sven v. Hedin eine Fahrt
diagonal über den See. Die größte Tiefe auf dieser ersten Linie
betrug 19.63 m. Ungefähr ein Siebentel der ganzen Seeoberfläche
war jetzt mit einer 1 em dicken Eiskruste bedeckt. Das offene
salzige Oberflächenwasser hatte jetzt eine Temperatur von — 0.3^
und hinderte also die Schmelzung der Eisrinde. Das Süßwasser,,
welches von dem obem See und den ausmündenden Flüssen stammt,.
breitet sich in einer dünnen Schicht über das Salzwasser hin auft
^ Zeitschr. d. Oes. f. Erdkunde. Berlin 1908. p. 844.
328 Seen und Moore.
und gefriert um so schneller, als der See eben im Osten sehr seicht
ist Wenn das Wetter ruhig bleibt, kann sich diese Eisrinde lange
genug erhalten und sich vielleicht weit in den See hinaus er-
strecken.
Nach Nordwesten stiegen die Tiefen schnell von 5 m bis
24.03 m Maximaltiefe. Noch in der Nähe des Nordufers betrug die
Tiefe 19 m. Die Ufer des Ajag-kum-köll sind flach und fast steril, nur
spärliche, trockene Steppenpfianzen kommen vor. Im Osten und
Südwesten sind die Ufer sumpfig, sonst bestehen sie aus alluvialem,
trockenem Tone oder Schutte. Hier und da steht eine ein paar Meter
hohe Uferterrasse. Im Gegensätze zu den südtibetischen Seen, die
sich in einem Zustande von starker Desikkation befinden, scheint
die Niveaulage des Ajag-kum-köll ziemlich konstant zu sein; die
Austrocknung geht jedenfalls verhältnismäßig langsam vor sich.
Im östlichen Tibet erreichte der Reisende einen sehr großen See
auf ziemlich flachem Lande, der in einer Höhe von 4765 m gelegen
ist. Sein Becken ist im Norden von einer Kette, deren Paßhöhe
5111 m beträgt, begrenzt, und im Süden von einer gleichen mit
5426 m; beide Ketten liegen jedoch in ein paar Tagereisen Entfernung
von dem See. Er steuerte nach Südosten über den höchst merk-
würdigen See. Im Osten war kein Land zu sehen. Schon von der
Wasserlinie an beginnt eine 2 — 4 cm dicke Salzkruste, welche den
ganzen Seeboden bedeckt und allmählich mächtiger wird. Sie ist
hart wie Stein \md liegt auf rotem Lehme und Schlamme. Noch
1^/3 km vom Nordufer ist der See so seicht, daß man zu Fuß gehen
muß, und dann trifft das 2 m lange Ruder fast überall auf den
Grund, nur im Süden gibt es 2^/, m Tiefe. Der Boden ist außer-
ordentlich eben, und stundenlang beträgt die Tiefe 2,2 — 2,3 m; er
ist beinahe ebenso horizontal wie die Wasserfläche. Im Vergleiche
mit der Ausdehnung breitet sich diese dünne Wasserschicht wie ein
Papierblatt über das Hochlandsbecken aus. Das klare Wasser ist
so salzhaltig, daß die Skala des Aräometers mehrere Zentimeter über
der Wasserfläche stehen blieb. Boot, Werkzeuge und Instrumente
wurden kreideweiß, als ob sie in Kartoffehnehl getaucht worden
wären; nach Wassertropfen bildeten sich kleine runde Erhöhungen
wie aus Stearin. Der See ist auch ebenso steril wie das Tote Meer.
Am Nordufer treten einige Süßwasserquellen zutage. Der Salzsee
wird hauptsächlich von einem weiter westlich gelegenen Süßwasser-
see gespeist; dieser empfängt eine Anzahl Bäche, besonders von einem
nordwestlich davon gelegenen, sehr mächtigen Gletschermassiv. Der
Verbindungsarm zwischen den Seen ist an der engsten Stelle 58 m
breit, hat eine Maximaltiefe von 3.34 m und eine Wassermenge von
47.67 dm in einer Sekunde. Obgleich das Oberflächenwasser mit
einer Geschwindigkeit von bis zu 0.85 m in einer Sekunde gegen den
Salzsee strömt, ist es absolut untrinkbar und hat schon weit von
der Mündung ein spezifisches Gewicht von 1.036. Das Salzwasser
Seen und Moore. 329
steigt also offenbar im Flußarme bis zu einer Schwelle hinauf, um
von dort wieder zum Salzsee mitgeschleppt zu werden. Kleine
Crustaceen und andere Wassertiere, die mit dem Wasser fortgerissen
werden, sterben schon weit von der Mündung.
Ein anderer Salzsee, kleiner als der vorige und mit geringerm
Salzgehalte (spez. Gewicht 1.021), ist auch das Endprodukt einer
hydrographischen Kombination. Südöstlich davon findet sich nämlich
ein Süßwassersee mit sehr geringer Tiefe (selten 3 m), östlich von
diesem liegt noch ein Süßwassersee, aber viel größer. In diesem
'lotete der Reisende die größte Tiefe, die er in den tibetischen Seen
überhaupt gefunden hat, nämlich 48.67 m, und zwar in der Nähe
des Nordufers, wo rote Sandsteinfelsen steil hinabfallen. Die beiden
Süßwasserseen sind miteinander durch einen Flußarm verbunden, der
zur Zeit 23.7 cbm Wasser in einer Sekunde führte; in den Salzsee
entleeren sich dort die beiden Seen mit 31.7 cbm in der Sekunde.
Die Seen, die Sven v. Hedin während der Sommerreise 1900 in Tibet
besuchte, liegen auf einer mittlem Höhe von 4906 m, nur mit einer
Ausnahme höher als der Mont Blanc. Die mittlere Paßhöhe der
Parallelketten des Hochlandes beträgt 5220 m.
Auf der Reise, die er im August 1901 gegen Lassa unternahm,
kreuzte er mit Lebensgefahr einen außerordentlich mächtigen Fluß,
der, mit Lehm und Schlamm beladen, gegen Südwesten strömte. Es
hatte andauernd geregnet, und die Wassermenge war deshalb maxi-
mal. Dieser Fluß, der die Nordgrenze der Provinzen Nakktsong und
Namru bildet, wurde früher und ungefähr in derselben Gegend von
den Reisenden Bonvalot mit dem Prinzen Heinrich v. Orleans und
Rockhill gekreuzt. Weiter unten, in der Nähe seiner Mündung in
den Selling-tso, haben ihn Dutreuil de Rhins und Littledale passiert.
Aber noch auf den letzten Karten von Tibet sind Oberlauf und Unter-
lauf als zwei verschiedene Flüsse gezeichnet, es ist aber ein und
derselbe und heißt Satju-sangpo. Ln allgemeinen ist das ganze hydro-
graphische System in der Qegend von Selling-tso, Nakktsong-tso,
Tjargut-tso und Addan-tso auf den Karten falsch gezeichnet. Sogar
die Namen sind unrichtig, nur Littledale nennt den Selling-tso.
Addan-tso fehlt ganz und gar; der See, der den 1^'argut-tso vor-
stellen soll, liegt 30 km zu weit vom Selling-tso entfernt, und zwischen
beiden ist eine Bodenerhebung gezeichnet, anstatt des Tales, welches
von einem Flusse durchströmt wird, der das Wasser des Tjargut-tso
dem Selling-tso zuführt.
Südlich des Selling-tso liegt der Nakktsong-tso, ein pittoresker
See mit Inseln, Halbinseln und tief eingeschnittenen Busen. Die
Landschaft erinnert stark an die nordischen Fjorde, und die Annahme
liegt ja nahe, daß die Entstehung der tibetischen Seen einer frühem
Eisbedeckung des Landes zu verdanken ist Ebensowenig wie den
Gebrüdem Schlagintweit ist es Sven v. Hedin jedoch gelungen, Spuren
einer Glazialzeit zu entdecken. Nach v. Richthofen fehlen sie auch
380 Seen nnd Moore.
in Nordchina. Die noch vorhandenen Moränen in Tibet sind in der
unmittelba^n Nähe der jetzigen Gletscher, die freilich im Zurück-
gehen begriffen sind, zu suchen; sonst finden sie sich nirgends.
Erratische Blöcke hat er niemals in diesem Hochlande gesehen, und
von Gletscherschliffen ist überhaupt nicht die Rede, auch nicht in
Gegenden, wo man Veranlassung haben könnte, solche zu erwarten.
Es ist aber sehr leicht möglich, daß etwaige Gletscherspuren schon
längst verwischt und verschwunden sind. Eine Tatsache ist jeden-
falls auffallend, nämlich daß die meisten Seen in der Nähe der
höchsten und mächtigsten Gebirgsketten gelegen sind.
In Westtibet, nördlich des Kara-korum-Gebirges, sind die Seen
zahlreich, in dem östlichen Gebiete, nördlich und südlich der Fort-
setzung des Kara-korum*Gebirges, findet sich ein ganzes Labyrinth
von Seen, wovon einer, der Selling-tso, zweifelsohne der zweitgrößte
von ganz Tibet ist, wenn Tengri-nor als der größte betrachtet wird.
Je weiter man sich gegen Norden und Süden von diesem Gebiete
entfernt, desto seltener werden auch die Seen. Ganz und gar hören
sie nirgends auf, wie auch überall Gebirgsketten das Hochland durch-
ziehen. Weit von den Hauptketten entfernt tauchen auch einzehie
isolierte Gletschermassive auf, deren Gletscherzungen, obgleich kurz,
doch ziemlich mächtig sind. In dem südlich des Arka-tag gelegenen
Längentale fand Sven v. Hedin endlich eine Reihe von 23 Seen, dar-
unter neun große. In dem noch südlicher gelegenen Längentale war
die Zahl der von Wellby entdeckten Seen schon geringer. Noch sind
viel zu große Teile von Tibet unbekannt, als daß man etwas mit
vollkommener Sicherheit aussprechen dürfte; aber so viel hat Sven
V. Hedin doch gefunden, daß die meisten Seen in der Nahe der größten
Gebirge liegen. Da fragt es sich, sagt er, ob nicht die Gebirge etwas
mit den Seen zu tun haben, oder, mit andern Worten, ob nicht die
Seen ihre Entstehung einer Glazialperiode zu verdanken haben. Nicht
einer kältern Periode, denn die Kälte ist noch heutzutage streng
genug, sondern einer feuchtem Periode. Daß Himalaya, Tien-schan
und Hindu-kusch bedeutend stärker vergletschert waren als jetzt,
wissen wir. Und daß auch die Seen sich in einem Zustande des
Verschwindens befinden, zeigt Sven v. Hedin selbst. Schon die Ufer-
linien des Selling-tso beweisen, daß dieser See sich verkleinert.
Sven V. Hedin schildert noch mehr Seen, die zur Familie des
Selling-tso gehören. Die meisten Salzseen in Westtibet sind kilo-
meterweit vom Ufer mit weißem Salze bedeckt; der Boden sieht oft
während mehrerer Tagereisen aus, als ob er mit pyramidenförmigen
Schneehaufen bedeckt wäre. Weim der Wind über diese Salzflächen
weht, wirbelt er das staubfeine Salz in Wolken auf, die ebenso
intensiv weiß sind wie die Dampfwolken einer Lokomotive.
Die tibetanischen Seen sind sämtlich in Austrocknung begriffen;
der Wasserspiegel des Lakkor-tso, der in 4578 m Seehöhe liegt, muß
voreinst 133 m höher gestanden haben als jetzt In der 2ieit, wo
Seen und Moore. 381
die höchste Abrasionsterrasse von den Wellen des Sees beaj*beitet
wurde, waren die relativen Höhenunterschiede weniger ausgeprägt;
denn man kann als sicher voraussetzen, daß die Austrocknung des
Sees schneller vor sich geht als die Zersetzung der umstehenden
Gebirge und die Erosion der Täler. Ebensolche, verhältnismäßig tief
gelegene Salzbecken finden sich an den Seen Perutse-tso, Luma-ring-
tso und Tsollaring-tso und mehrem andern. Alle sind von kolossalen
Salzablagerungen umgeben, und überall finden sich die alten Ufer«
linien. In einigen Busen sind nur einige kleine Tümpel zurück-
geblieben, andere sind gänzlich ausgetrocknet, die Seen von der
Erdoberfläche schon verschwunden.
Schließlich gedachte Sven v. Hedin der Seen Tso-ngombo und
Panggong-tso im äußersten Westen des tibetischen Hochlandes. Diese
Seenkombination hat eine Länge von vollen 140 /m» und eine Breite
von höchstens 10 km, gewöhnlich viel weniger, manchmal nur sogar
von 100, ja von 20 m. Der Länge nach sind sie natürlich mit den
Gebirgen in diesem Teile Hochasiens parallel orientiert, d.h. NNW — SSO.
An beiden Ufern verlaufen mächtige Gebirgsketten, und das enge Tal
äimelt einem gewaltigen Flusse oder einem norwegischen Fjorde oder
schottischem Firth. Der Tso-ngombo ist süß und zerfällt in drei
kleinere und ein großes, sehr langes Bassin. Diese verschiedenen
Becken stehen miteinander durch kurze schmale Flußarme in Verbindung.
Auch am Tso-ngombo sind Uferterrassen deutlich. Die höchste
von ihnen, die am Nordufer deutlich sichtbar war, liegt 19.5 m über
der Seeoberfläche und ist im harten Granite so scharf und deutlich
ausgemeißelt, daß man glauben könnte, sie sei ein alter, künstlich
ausgehauener Weg, eine Vermutung, die natürlich ausgeschlossen ist,
da diese Terrassen an beiden Ufern und immer auf genau derselben
Höhe sichtbar sind.
Der Panggong-tso hat salziges Wasser, obgleich bei weitem nicht
so salzig wie in den zentralen Seen, das spezifische Gewicht war
nur 1.0102. Die größte Tiefe betrug 47.5 m.
Durch klimatische Veränderungen hat sich dieser See wie alle
übrigen in Tibet allmählich verkleinert. Die Desikkation ist so schnell
vorgerückt, daß die Erosionsarbeit des abfließenden Wassers damit
nicht hat gleichen Schritt halten können. Das Verhältnis ist endlich
so weit gekommen, daß der Süßwassersee vom Lidussystem ab-
geschnitten worden ist. In dieser Weise ist der Indus eines be-
deutenden Teiles seines Flußgebietes beraubt worden. Der große
Süßwassersee dagegen hat sich immer weiter verkleinert; heutzutage
finden wir denselben in 2 Seen geteilt, von denen der untere, abfluß-
lose, bei fortschreitender Austrocknung immer salzreicher werden wird.
Die Hoorgeblete Österreichs behandelt Dr. W. Bersch.^) Im
Vorarlberg finden sich im Flußlaufe des Rheines und den den Bodensee
*) Umlauft, Geogr. Rundschau 1903. 2&. p. 197.
332 Seen und Moore.
umgebenden Niederungen Moore von vielen hundert Hektaren Ober-
fläche. Sie tragen den Charakter der Flachmoore, sind heute schon
zum Teile kultiviert oder werden zur Gewinnung von Brenntorf
herangezogen. An vielen Stellen sind sie durch periodisch wieder-
kehrende Überflutungen mit Erde, Sand oder Gerolle bedeckt, an
andern wogen auf ihnen Wälder von Schilfrohr und Riedgräsern, die
ihnen ein eigentümliches Gepräge verleihen. Häufig werden die ge-
nannten Gräser gewonnen, um nach dem Trocknen als Einstreu in
Stallungen verwendet zu werden. Neben diesen Flachmooren gibt
es, wie überhaupt in allen Gebirgsländern, auch Hochmoore, die jedoch
zumeist in dem gebirgigen Teile des Landes zerstreut liegen.
Tirol ist ein moorreiches Land, dessen Moorreichtum jedoch gegen-
wärtig weder genau bekannt, noch gebührend ausgenutzt wird. Die
zahlreichen Moore wechseln sehr in der Größe, von kleinen Flächen
angefangen, die kaum ein Joch groß sind, bis zu ansehnlichen Hoch-
mooren mit einer Ausdehnung von 100 Aa und darüber sind alle Zwischen-
stufen vorhanden. Manche dieser Moorfiächen sind in Kultur genonunen
worden und haben dadurch ihren ursprünglichen Charakter vollständig
eingebüßt Das interessanteste Moorgebiet Tirols ist im untern Etsch-
tale. Dort zieht sich entlang dem Flußlaufe der Etsch ein fast
ununterbrochenes Moorband, das südlich von Bozen beginnt, bis
Salum, bezw. S. Michele hin. Diese Flachmoore verdanken ihr Dasein
der Etsch, die, bevor sie reguliert war, das von hohen, steil abfallenden
Felswänden eingefaßte Tal in zahlreichen Armen durchströmte und
dadurch alle Bedingungen schuf, unter denen sich die Flora der
Niederungsmoore mächtig entwickeln konnte. Freilich besitzen die
Torfablagerungen nur eine geringe Mächtigkeit, die nur selten 2 m
erreicht, und an vielen Stellen ist durch Oberflutungen, die ansehn-
liche Lagen von Gerolle zurückließen, die Moorsubstanz ganz dem
Auge entzogen worden. An andern Stellen wieder hat die ihre Ufer ver-
lassende Etsch Lücken in die Torflager gerissen, oder hat den Torf
derart mit ungemein feinen Mineralteilchen verschlänunt, daß er nur
als »anmoorig« bezeichnet werden kann. Selbstredend haben diese
regelmäßig wiederkehrenden Überflutungen schon während des Auf-
baues dieser Torflager eine Rolle gespielt, und darauf ist der ver-
hältnismäßig bedeutende Aschenreichtum des Torfes aus dem Etsch-
tale zurückzuführen.
Dieser Reichtum des Moorbodens im untern Etschtale an Mineral-
stoffen ist die Ursache, daß an eine technische Verwertung des Torfes,
beispielsweise zu Heizzwecken, nicht oder doch nur in Ausnahme-
fällen gedacht werden kann. Doch bedingt sie wieder, daß, üu
Vereine mit dem ausgesprochen südlichen Klima, das Etschtal in
landwirtschaftlicher Beziehung mehr einem lachenden Garten gleicht,
als einem Moorgebiete, unter dem man sich gewöhnlich, wenn auch
zumeist mit Unrecht, nur eine traurige, eintönige Fläche vorzustellen
pflegt
T
Seen und Moore. 333
In den andern österreichischen Alpenländem gibt es auch zahl-
reiche Torflager, deren Größe ungemein wechselt, und die bald ver-
einzelt in ein stilles Hochgebirgstal eingebettet sind, bald in größerer
Häufigkeit aufeinanderfolgen. In der Mehrzahl der Fälle haben wir
es hier mit ausgesprochenen Hochmooren zu tun, die nicht nur durch
ihre Ausdehnung und Mächtigkeit, sondern auch durch den Reichtum
ihrer Flora überraschen. Wir treffen solche Moore ebenso in den
Tälern der Flußläufe, wie im Ennstale, an der Salzach, der Mur u. v. a.,
als auch hoch im Gebirge, nahe der Baumgrenze, oft eingebettet
zwischen herrlichen Waldungen, über welche die Gipfel hoher Berge
oder mit ewigem Eise bedeckte Flächen herüberblicken. Doch fehlt
es in den Alpenländem auch nicht an geschlossenen Moorgebieten.
Ein solches zieht sich beispielsweise von Hieflau ennsaufwärts, ein
anderes umgibt Salzburg (Leopoldskronmoos, Bürmoos, Waidmoos usw.).
Mächtige Torflager finden sich in der Umgebung von Zell am See,
in den steierischen und den kämtnerischen Alpen, auch im Drau-
und Glantale. Wohl das moorreichste der Alpenländer dürfte Salz-
burg sein, und darunter wieder jener Teil, den man als präalpines
Hügelland anzusprechen pflegt
Nicht nur das größte, sondern wohl auch das bekannteste ge-
schlossene Moorgebiet Österreichs besitzt Krain in seinem Laibacher
Moore. Es lagert in dem ungeheuren Talkessel, den die Karawanken,
aus denen der Mangart und der Triglav hervorrageui die Steiner- und
die Julischen Alpen um Laibach bilden, und bedeckt eine Fläche von
16 000 ha. Umrahmt von hohen, bewaldeten Bergen, nur selten
unterbrochen von Felsinseln, die in ihrer abgerundeten Form den
Begräbnisstätten nordischer Helden gleichen, bietet die ungeheure,
gleichmäßig grüne Fläche, auf der sich nur wenige armselige Dörfer
erheben, keinen dem Auge besonders erfreulichen Anblick. Würde
nicht die Triester Linie der Südbahn im weiten Bogen das Moor
durchziehen, so würde das Laibacher Moor wohl ebenso ungekannt
sein wie zahlreiche andere Moore.
Ursprünglich war das Laibacher Moor ein Hochmoor. Doch ist
man allem Anscheine nach schon vor Jahrhunderten daran gegangen,
den Torf zu gewinnen, und darauf, daß schon zur Zeit der Römer,
ja noch viel früher die Laibacher Moorebene besiedelt war, deuten
zahlreiche und mitunter kulturgeschichtlich wertvolle Funde, die im
Laibacher Moore gemacht wurden. Durch Abtorfung und durch die
Brandkultur, wobei die Oberfläche des Moores im Sommer entzündet
wurde, um in der Asche einige armselige Buchweizen- und Haferemten zu
erzielen, wurde die Hochmoordecke bis auf wenige Stellen fast voll-
ständig entfernt Heute sehen wir fast überall nur mehr das Niederungs-
moor, auf dem sich das jetzt zum größten Teile verschwundene
Hochmoor aufgebaut hatte. . Durch rationelle Kultur, durch Ent-
wässerung und Düngung könnte das Laibacher Moor in üppige Wiesen
umgewandelt werden, deren Heu im südlichen Osterreich, Vorzugs-
334 Seen und Moore.
weise in Dalmatien, hochwillkommen wäre. Niederösterreich besitzt,
wenn auch nicht ausgedehntOi doch immerhin bemerkenswerte Torf-
lager. Sie befinden sich zum Teile im südwestlichen, gebirgigen, zum
Teile im nordwestlichen Viertel. Auch unmittelbar vor den Toren
Wiens liegt eine rund 800 ha bedeckende Mooifläche, die von
der Piesting, der Fischa und dem Kalten Gang durchströmt wird
und sich bis nahe zum Leithagebirge erstreckt Wohl das größte,
zusammenhängende Moorgebiet Niederösterreiohs ist das Schremser
Moor, ein Mischmoor von rund 300 ha Fläche, das sowohl zur
Gewinnung von Torfstreu als auch von Brenntorf herangezogen wird.
Böhmen ist nicht nur ein ungemein moorreiches Land, sondern
auch jenes, das sich der umfassendsten Moorstatistik Österreichs
erfreuen kann. Das Verdienst, die zahlreichen Moore Böhmens sowohl
in naturwissenschaftlicher, besonders botanischer und geologischer
Beziehung, als auch in Hinblick auf ihre Lage, Fläche und mögliche
Nutzung erforscht zu haben, gebührt Prof. F. Sitensky. Er berechnet
die mächtigem Torflager Böhmens auf 15 000^, werden auch
alle kleinen Torflager mit berücksichtigt, so ergeben sich 26000 ha.
Werden aber auch jene Torfmoore dazu gerechnet, die durch Ent-
wässerung, Kultur oder durch natürliche Überdeckung mit mineralischem
Boden in ihrer Flora das Gepräge der reinen Torfmoore verloren
haben, und werden ihnen die vielen Torfwiesen imd jene anmoorigen
Stellen neuem Ursprunges zugezählt, auf denen die Torfflora noch
heute üppig gedeiht, so ergibt sich, daß die Torfmoore Böhmens
insgesamt eine Fläche von weit über 30 000 ha bedecken. Von
dieser Summe entfallen auf den Böhmerwald über 5000 Aa, auf das
böhmische Erzgebirge gegen 4000 ha, auf das Isergebirge 2000 ha
und auf das Riesengebirge über 1500 ha. Im böhmisch-mährischen
Grenzgebirge sind über 2000 ha und im Tepler Gebirge ebenfalls
etwa 2000 ha Torfmoore vorhanden. Auch in den Niederungen
Böhmens befinden sich ausgedehnte Torfmoore, so in der Budweis-
Witüngauer Ebene gegen 4500 ha, in der Gschitz-Niemes-Hirschberg-
Habstein-Böhmisch-Leipaer Ebene 1500^ und im mittlem Elbetale
etwa 1000 ha. In den Randgebirgen Böhmens herrschen die Hoch-
moore vor, während im flachem Teile des Landes die Flachmoore
weitaus häufiger sind. Selbstredend werden viele Torflager Böhmens
auch ausgebeutet, obgleich die Nutzung noch lange nicht auf jener
Stufe steht, auf welcher sie nach Ausdehnung und Beschaffenheit der
Torflager stehen sollte und könnte.
Eine Eigentümlichkeit Böhmens bilden die sogenannten Mineral-
moore, die zu Heil- und Badezwecken benutzt werden. Solche
Mineralmoore liegen bei Franzensbad, Marienbad, Soos usw., und
sie haben zum Teile auch dazu beigetragen, den Ruf böhmischer
Bäder über die ganze Erde zu verbreiten. Von den andem gewöhn-
lichen Mooren imterscheiden sie sich vornehmlich durch ihren Gehalt
an gelösten Mineralstoffen, unter denen an erster Stelle Eisensalze,
Seen und Moore. 335
und zwar vorzugsweise schwefelsaures Eisenoxydul (Eisenvitriol) zu
nennen sind. Ihre Heilkraft beruht darin, dafi sie zusammenziehend
auf die Haut wirken und dadurch einen Reiz hervorrufen, der jeden-
falls noch durch die gleichmäßige Temperatur unterstützt wird, in
der sich ein im Moorbade Liegender befindet.
Auch Mähren ist ein an Mooren reiches Land. Zwar mangelt
hier noch eine Statistik, doch ist wenigstens schon der Anfang einer
solchen gemacht worden. Es wurde festgestellt, daß sich in 111
Oemeinden Moore befinden.
In Galizien sind die zahlreichen, sich in vielen Windungen durch
die Ebene hinziehenden Flüsse, von denen viele gewaltige Wasser-
massen mit sich führen, wie geschaffen, ansehnliche Moore entstehen
zu lassen. Wir treffen sowohl Hochmoore am Nordabhange der
Karpathen, als unzählige Flachmoore verteilt im ganzen Lande, und
fast jeder der zahlreichen Flüsse hat zur Entstehung eines Moorgebietes
Anlaß gegeben. Den Flußläufen folgend, sowohl am San als am
Dniester und am Prut, am Bug und am Styr und ihren Zuflüssen,
überall treffen wir typische Flachmoorbildungen, die dem Lande einen
eigenen Charakter verleihen. Eines der interessantesten Moorgebiete
Oaliziens ist jenes, das in dem durch die Weichsel und dem San gebildeten
Winkel liegt, denn hier wurde nicht nur ein hervorragendes Stück kultu-
reller Arbeit verrichtet, sondern auch der Grundstein zur zweckmäßigen
Kultivierung der galizischen Moore überhaupt gelegt. Ein Teil dieses
Moorgebietes, die sogenannten Rudniker Sümpfe, wurde im Jahre 1886
von dem Grafen Hompesch übernommen. Damals waren die Rudniker
Sümpfe ein wüstes Stück Land, durch das keine Straßen führten,
und das nur wenige Monate des Jahres betreten werden konnte. Der
Tatkraft des Grafen Hompesch, im Vereine mit seinem getreuen
Mitarbeiter J. Koppens, gelang es, mit Unterstützung des Landes und
des Staates binnen wenigen Jahren ein vollständig verändertes Bild
zu schaffen. Wo früher unwegsame Stellen waren, erblicken wir
jetzt üppige Wiesen ; prächtig gepflegte Straßen durchziehen das Moor
nach allen Richtungen, und aus der unwegsamen Wildnis sind Moor-
kulturen geschaffen worden, die nicht nur für Galizien, sondern auch
für das übrige Osterreich und für jene Teile anderer Länder, in denen
ähnliche klimatische Verhältnisse herrschen, zum Vorbilde wurden.
Die Bukowina, ein ausgesprochenes Wald- und Gebirgsland,
besitzt Moore, unter denen sich zahlreiche Hochmoore befinden. Man
geht nun auch daran, sie auszubeuten, genau so, wie es in Galizien
schon seit längerer Zeit geschieht. In vielen Moorgebieten Galiziens
wird Brenntorf in großem Maßstabe gewonnen, so in Korsow in
Ostgalizien, wo man sich maschineller Einrichtungen bedient, und in
der Bukowina gedenkt man der Ausnutzung der Hochmoore zum
Zwecke der Streugewinnung volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Nicht
unerwähnt wollen wir es lassen, daß die Bukowina auch zu Doma-
watra ein mit allem Luxus und Komfort eingerichtetes Moorbad besitzt.
336 Gletscher und Olazialphysik.
Gletscher und Glazialphysik.
Die periodlsehen Schwankungren der Alpengrletscher
wurde von F. A. Forel behandelt.^) Er findet folgende Perioden
derselben :
20—30 Jahre ( 7 FaUe)
30—40 . (11 . )
40—50 n ( 6 , )
50—60 „ ( 5 , )
Daraus würde im Mittel eine Periodendauer von 38 Jahren
resultieren, was genügend mit der Brücknerschen (35 jährigen) Periode
der Klimaschwankungen übereinstimmt.
Indessen hält Forel einen Zusammenhang mit dieser nicht für
wahrscheinlich, da die bei weitem meisten Alpengletscher so langsame
Schwankungen zeigen, daß dieselben sich nicht in eine kurze Periode
fügen.
Die Bewegrungren des Pasterzegletschers in den Jahren
1900, 1901 und 1902 ist von Dr. H. Angerer in Klagenfurt fest-
gestellt worden.*) Von 1879 — 1899 waren die Beobachtungen an
diesem Gletscher von F. Seeland verfolgt worden; um nach dessen
Tode die Messungen nicht zu unterbrechen, hat Verfasser dieselben
wieder aufgenommen und teilt seine Ergebnisse mit. Aus den von
ihm mitgeteilten Zahlen ergibt sich, daß sich die Pasterze auch gegen-
wärtig noch im Rückgange befindet, der schon um die Mitte des
19. Jahrhunderts (1856) begonnen hat. Ganz vereinzelt findet man
in Seelands Messungen bei einer oder der andern Marke gelegent-
lich Zeichen des Vorstoßes, die sich aber stets als vorübergehende
Verhältnisse erwiesen und alsbald wieder ausgeglichen haben. Ob
sich das an 3 Marken im Jahre 1902 beobachtete Vorrücken
gleichfalls auf örtliche Umstände wird zurückführen lassen oder das
erste Zeichen eines nunmehr beginnenden Vorrückens der Pasterze
bedeutet, müssen die Beobachtungen in den kommenden Jahren er-
geben.
Ober den Schuttinhalt von Innenmoränen verbreitete sich
H. Heß.') Man kann, sagt er, 2 Arten solcher Innenmoränen unter-
scheiden. Die eine wird aus dem Schutte gebildet, welcher an
der eisfreien Oberfläche einer über die Firaoberfläche emporragenden
Felsinsel durch mechanische Verwitterung entsteht, am Gletscherrande
vom Eise aufgenommen und, vereinigt mit dem auf den eisbedecktea
Flanken der Insel erodierten Materiale, der Gletscherzunge zugeführt
wird. Der gegen das Ende des Gletschers zutage tretende Moranen-
streifen enthält also Rand- und Ghnindschutt. Die andere Art der
^) Annuaire du d. A. C. 87. Bern.
") Mitteil. d. deutsch, u. österr. Alpenvereins 1903. p. 231.
>) Petermanns Mitteil. 1903. p. 34..
Gletscher und Glazialphysik. 337
Innenmoränen bildet eine ebenfalls auf der Gletscherzunge aus-
mündende Schuttwand im Eise, welche von einem unter der Fim-
oberfläche verborgenen Felshindernis ausgeht und den Gletscher der
Länge nach durchzieht. Ihr Schuttinhalt besteht nur aus Grundschutt.
Daß solche, von unsichtbaren Felsrücken herstammende Innen-
moränen vorkommen, ist außer Zweifel, und schon Forbes und
Tyndall haben auf dieselben aufmerksam gemacht Die Moränen der
norwegischen Plateaugletscher, sowie die des grönländischen Inland-
eises verdanken ihre Existenz zum großen Teile den vom Eise ver-
deckten Unebenheiten des Untergrundes, um die die Eisströme herum-
fließen müssen. Das Auftreten derartiger Innenmoränen ist ein
direkter Beweis für die auf dem Untergrunde der Gletscher vor-
kommende splitternde Erosion, bei welcher größere, mehrere edm
messende Trümmer vom anstehenden Gesteine abgelöst werden. Ge-
lingt es, die Größe des Schuttinhaltes einer solchen Innenmoräne zu
bestimmen, so kann daraus ein annähernd sicherer Schluß auf den
Betrag der Erosion gezogen werden, wenn Bewegungs- und Ab-
schmelzungsverhältnisse des in Frage kommenden Gletschers hin-
reichend genau bekannt sind.
Die Gletseherbildungen in den Anden von Ecuador.
Prof. Dr. H. Meyer hat eine Reihe der ecuadorianischen Schneeberge
bestiegen ,^) wochenlang in Höhen über 4000 m kampiert und die
Gletscher und Firnfelder untersucht Im Gegensatze zu Whymper hat
er gesehen, daß sich Schnee und Eis im äquatorial-amerikanischen
Hochgebirge beträchtlich von den Gletschern und Fimfeldem unter-
scheiden und oft ganz eigenartig sind; nicht nur in ihrer innem
Struktur, Schichtung, Bänderung, Korngröße, nicht nur in ihren
Oberflächenformen — z. B. in den ungeheuren nieve-penitente-Feldem
auf den Gipfeln und höchsten Hängen des Ghimborazo und Antisana
und in den schuppen- oder schindeiförmigen Firnmodellierungen auf
dem Gipfel des Cotopaxi rund um den Krater — , sondern auch in
der Gestalt und Erstreckung ihrer Moränen, in der Art der Wirkung
auf den Untergrund u. a. m. Von den Gletschern des Kilimandjaro
weichen nach Meyer die der ecuadorianischen Kordilleren in mancher
Beziehung ab; in viel mehr Punkten aber ähneln oder gleichen sie
einander, z. B. den nieve-penitente-Oberflächenformen und der Moränen-
bildung. Hier wie dort findet gegenwärtig ein starker Rückgang der
Gletscher, eine weitgehende Abschmelzung der Fimdecken statt Der
Stübelgletscher z. B. am Norwest-Ghimborazo hat seine Zunge 400 m
hinter die äußerste seiner jungem Erdmoränen zurückgezogen, und
am sudwestlichen Antisana sowie am Altar ist das Maß des rezenten
Gletscherrückganges noch größer.
^) ZeitBchr. d. Ges. f. Erdkunde, Berlin 1903. p. 528.
Klein, Jahrbuch XIV. 22
388 GHetBcher und GfauEülphyok.
Ganz analog den Veriiältnissen in Aqnaiorialafrika fand Meyer
das Vorkommen unzweifelhafter älterer Glazialbildnngen tief unter-
halb der rezenten« Wie am Kilimandjaro und Kenia, sagt er, so
liegen auch hier im Hochgebirge des äquatorialen Amerika konzen-
trische Endmoränen, geschliffene und geschrammte Felsen usw. als
Hinteriassenschaft von Gletschern der jüngsten geologischen Ver-
gangenheit 700 — 800 m unter den jungem Endmoränen. Sehr gut
kann man sie am östlichen Chimborazo, am Altar im Gollanestale^
am nordwestlichen Quilindana, am südwestlichen Antisana beobachten.
IMe Ursachen der aus diesen Dingen sich ergebenden einstigen großen
Klimaschwankung halt Meyer nicht für örtliche, sondern für kosmische,
von denen die ganze Erde gleichzeitig betroffen wurde.
Die antarkUsehe Eismauer. Während die deutsche Süd-
polarezpedition, an der Grenze der südlichen Polarzone eingefroren,
sich mit meteorologischen und magnetischen Beobachtungen begnügen
mußte und nur ein unmittelbar vor ihr liegendes Stückchen Land zu
Gesicht bekam, ist es der englischen Expedition auf der » Discovery c
unter Scott gelungen, unsere geographischen Kenntnisse der Antaridis
in großartiger Weise zu erweitem. Vor allem war es die yon Roß
in den 40er Jahren entdeckte geheimnisvolle Eismauer, deren Aus-
dehnung und geophysikalische Stellung die jetzige englische Ex-
pedition untersuchen konnte. Scott erreichte das Kap Crozier und
fuhr von hier 1000 km den Eiswall entlang nach Osten, entdeckte
dort das neue König Eduard-Land und kehrte dann zur Viktoriaküste
zurück. Es gelang ihm, an einer Stelle an der Eiskante anzulegen,
das Eis selbst zu betreten und eine kurze Strecke weit über dasselbe
nach Süden vorzudringen, sowie auch durch einen Aufstieg mit dem
Fesselballon einen weitem Überblick zu gewinnen. Auf der Suche
nach einem passenden Winterhafen in der Nähe des Kap Crozier entdeckte
er, daß die beiden berühmten Vulkankegel Erebus und Terror nicht dem
Viktorialande selbst, sondem einer Insel angehören, die von jenem
durch einen schmalen Meeresarm getrennt ist In den letztem fuhr
er ein und ließ die >Discovery< einfrieren. Im Südherbste und im
Südfrühlinge 1902 untemahmen dann Scott und seine Gefährten von
dieser Stelle aus eine Reihe von Ausflügen mit Hundeschlitten. Der
bedeutendste von diesen war nach Süden gerichtet, währte 94 Tage
und erstreckte sich bis 82® 17' südl. Br. Die »Discovery < konnte
im Südsommer 1902 — 1903 aus dem Eise, das sich im Winter 1902
gebildet hatte, nicht befreit werden und sitzt vermutlich jetzt noch
darin fest. Es ging aber inzwischen eine Hilfsexpedition im »Momingc
nach dem Süden ab, fand die > Discovery < aul, verproviantierte sie
und kehrte dann nach Neuseeland zurück. Scotts Berichte, die dieses
Schiff mitgebracht hat, und die jetzt von der Londoner Geographischen
GteseUschaft veröffentlicht worden sind, geben eine ziemlich gute
Vorstellung von der Natur der großen Eismauer und der hinter ihr
liegenden Gletschermasse. Die Eismauer ist der obere, über dem
Gletscher und Glasüalphysik« 889
Meeresspiegel gelegene Teil des Randes einer Hunderte von Metern
mächtigen und hei 1000 km breiten Eisplatte, die sich südlich von
einer gegen Nord konkaven zwischen 77 und 79^ südL Br. gelegenen
Linie zwischen dem Viktoria- und Eduardlande ausbreitet. Die
Mauer ist bald nur 10, bald bis 90 m hoch. Das Meer ist vor der
Mitte der Eismauer bei 600 m tief und wird gegen die Länder, die
sie im Osten und Westen berühren, seichter. Eine vertikale Bewegung
des an der Eismauer verankerten Schiffes wurde nicht beobachtet,
woraus zu schließen ist, daß die Eismasse, deren Rand die Mauer
bildet, nicht am Meeresgrunde festsitzt, sondern schwimmt und, geradeso
wie das Schiff, von der Flut gehoben wird, bei Ebbe aber sich senkt.
Die Oberfläche der Eisplatte ist im ganzen horizontal, im Norden
wellenförmig, im Westen aber flach. Eine deutliche Randkluft trennt
die ganze Eismasse von dem Viktorialande. Diese hatte an einer
Stelle weit im Süden eine Breite von 1^/, km und war hier mit
Eistrümmem erfüllt Aus diesen Entdeckungen ist zu entnehmen,
daß sich zwischen dem Viktoria- und dem Eduardlande eine unter
der Meeresfläche liegende Senkung ausdehnt, und daß diese Depression
von einer auf dem Meere schwimmenden, stellenweise, wo die Tiefe
geringer ist, wohl auch unmittelbar dem Meeresgrunde aufruhenden
Eisplatte eingenommen wird, die sich — wie jene große Randkluft
zeigt — anders als das dem Lande aufsitzende Eis bewegt Der
Schneezuwachs an ihrer Oberseite überwiegt die Abschmelzung an
ihrer Unterseite, was zu einer, der Bewegung unserer Alpengletscher
ähnlichen Bewegung der ganzen Eismasse von Süden nach Norden
führt In dem Maße, wie die Eismasse von Süden her anrückt,
brechen im Norden kleinere und größere Teile von ihr ab, um dann
in Gestalt jener großen tafelförmigen Eisberge, die bis in ziemlich
niedere Breiten hinab angetroffen werden, davon zu schwimmen. In
kalten und weniger stürmischen Perioden wird die Linie, der entlang
diese Abbrechung stattfindet, weiter nach Norden vorrücken, in
warmem und stürmischen Perioden aber nach Süden zurückweichen
und so in bezug auf die Lage ähnliche Schwankungen zeigen wie
die Stirnen unserer Alpengletscher. Immer aber wird das Ende, der
Rand der ganzen Eismasse, eine Bruchfläche sein, deren oberer Teil
in Gestalt einer Eismauer über die Oberfläche des Meeres emporragt
Die Beziehungen des alten Rheinlaufes zum Inlandeise
der Glazialzeit hat J. Lorie untersucht und dargestellt^) Von Godes-
berg bis zur holländischen Grenze konnte er drei diluviale Terrassen
erkennen, von denen die untere bei Bonn in 62 m, bei Brühl in
25 m, bei Köln in 50 m, bei Crefeld in 25 m und an der holländischen
Grenze in 20 m Höhe liegt Die mittlere Terrasse liegt einige Meter
liöher, und beide sind nach Lorie durch Erosion entstanden. Die
mittlere Terrasse wird vielfach von einer obem, steil geböschten Terrasse
') Tydschr. K. Ned. Aard. Gen. 1902 Nr. 2 u. 8.
22^
340 ' Die Lufthülle im allgemeinen.
begrenzt, westwärts die bei Bonn in 162 m, bei Köln in 120 m, bei
Suchtebi in 87 nt und an ihrem Endpunkte bei Weeze in 32 m See-
höhe liegt Die Ostseite der Terrasse zeigt unregelmäßige Höhenlage.
Nach dem Verf. sind diese Terrassen Überreste alter Flußbetten in der
Eiszeit
Die LufthQIle im allgemeinen.
Die Mengen der neuentdeckten Gase In der Atmosphäre
sind wiederholt von Ramsay untersucht worden. Da diese Gase nur
in sehr geringem Verhältnisse der Luft beigemischt sind, so ist ihre
quantitative Bestimmung überaus schwierig. Mit Hilfe eines neuen
Apparates gelang es nun kürzlich Professor Ramsay, nicht weniger
als 11. B kg flüssiger Luft herzustellen und deren Zusammensetzung
zu ermitteln. Es fand sich, daß dieselbe 21.3 ^ Argon enthielt, d. h.
0.0118^0 d^^ gasförmigen oder 0.1885 ^/^ der flüssigen Luft; femer
0.028 y Krypton, also 0.000 014^0 vom Gewichte der gasförmigen
Luft; endlich 0.0005 g Xenon, gleich 0.0000026 Gewichtsprozente
der Luft. Sonach ist ein Gewichtsteil Krypton in 7 000 000 Gewichts-
teilen atmosphärischer Luft enthalten, ein Gewichtsteil Xenon konmit
dagegen erst auf 40 000 000 Gewichtsteile der Luft. Nimmt man
an, daß beide Gase durch die ganze Atmosphäre gleichmäßig verteilt
sind, so sind nach diesen neuesten Bestimmungen in der gesamten
Erdatmosphäre doch nicht weniger als 800 000 000 000 kg Krypton
und von dem seltenen Xenon ist noch immer ein Quantum von etwa
140 000 000 000 kg Gewicht vorhanden.
Die Zusammensetzung* der atmosphärischen Luft in
verschiedenen Höhen. Die Luft enthält nach unserer heutigen
Kenntnis im wesentlichen acht gasförmige Elemente : Stickstoff, Sauer-
stoff, Argon, Kohlensäure, Wasserstoff, Neon, Helium, Krypton. An
der Erdoberfläche sind sie in Volumprozenten wie folgt verteilt : Stick-
stoff 78.03, Sauerstoff 20.99, Argon 0.94, Kohlensäure 0.03, Wasser-
stoff 0,01, Neon 0.0015, HeUum 0.00015, Krypton 0.00010. Da
nach physikalischem Gesetze Gase, die nicht chemisch aufeinander
wirken, sich in einem gegebenen Räume unabhängig voneinander ver-
teilen, d. h. so, als wenn jedes Gas nur für sich allein vorhanden
wäre, so muß die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft sich mit
der Höhe ändern, und zwar in der Weise, daß die leichten Gase
mit zunehmender Höhe immer mehr das Obergewicht über die schweren
erhalten. Professor Hann hat einige Berechnungen über die Luft in
verschiedenen Höhen veröffentlicht.^) Hiemach hat der Wasserstoff
in 50 km Höhe schon ^/g der Menge des Sauerstoffes erreicht, in
100 Am» Höhe überwiegt er schon so weit, daß die Atmosphäre dort
zu 0.9 aus Wasserstoff besteht. Auch der Heliumgehalt ist dort
größer als der Sauerstoffgehalt der Luft. Kohlensäure ist schon in
^) Meteorol. Zeitschr. 1908.
Lufttemperatur. 341
50 km Höhe da43 seltenste Gas geworden. Diese Angaben gelten unter
Zugrundelegung einer Lufttemperatur von 0^. In Wirklichkeit sind
aber die mittlem Temperaturen der Luft in Höhen von mehrem
Kilometern erheblich niedriger, in 50 ftm Höhe etwa — 60^, in 100 A;y»i
Höhe vielleicht — 80^. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache findet
Professor Hann, daß 100 Ä:m über dem Erdboden die Luft fast nur
noch aus Wasserstoff (99.4 Volumenprozente) und Helium (0.45 Vo-
lumenprozente) besteht. Mit diesem Ergebnis stimmen die spektro-
skopischen Befunde von Lichterscheinungen in sehr großen Höhen
der Atmosphäre überein. Das Spektrum einer Feuerkugel zeigte die
Linien des Wasserstoffes und des Heliums, diese Feuermeteore aber
leuchten in Höhen von 100 — 200 Äw auf. Außer den oben ange-
gebenen 8 Gasen findet sich in der Atmosphäre noch als überaus
seltenes Element das Xenon; es ist bei weitem das schwerste aller
atmosphärischen Gase und auf die untersten Luftschichten beschränkt
Im Spektrum des Blitzes fand Pickering hauptsächlich die Linien des
Argons, Kryptons und Xenons, und die Spektrallinien des Nordlichtes
entsprechen nach Ramsay den grünen Linien, die das Spektrum des
Kryptons charakterisieren.
Lufttemperatur.
Die Schwankungen der mittlem Luftemperatur der
Erde sind von Charles Nordmann untersucht worden.^) Er beschränkt
sich dabei auf die tropischen Regionen und benutzte die seit 1870
angestellten Beobachtungen folgender Stationen : Mauritius, Rodriguez,
Bombay, Batavia, Zi-ka-Wei, Hongkong, Manila, Havana, Jamaika,
Trinidad, Port-au-Prince, Riff von Pernambuco, Sierra Leone. Für
jedes Jahr wird vom Verl das allgemeine Mittel der Abweichungen
vom Mittel aller Stationen, sodann das ausgeglichene Mittel angegeben.
Damit wird die Schwankung der Relativzahlen der Sonnenflecke ver-
glichen. Entwirft man eine Kurve, deren Abszissen die Jahre, deren
Ordinaten die Zahlen der ausgeglichenen Temperaturmittel bilden, und
eine zweite, deren Ordinaten die Sonnenflecke sind, und zwar negativ
genommen, so erhält man 2 Kurven von vollkommen parallelem Gange.
Auch die eingehendere Prüfung der Kurven bestätigt den Parallelismus
beider. Verf. leitet aus dieser Untersuchung folgenden Schluß ab:
»Die mittlere Temperatur der Erde ist einer Periode unterworfen, die
ziemlich gleich ist derjenigen der Sonnenflecke; die Wirkung der
Flecke besteht in der Verringerung der mittlem Erdtemperatur, d. h.
die Kurve, welche letztere darstellt, ist parallel der umgekehrten Kurve
der Häufigkeit der Sonnenflecke, c
Der antarktische KältepoL Die englische Südpolarexpedition
des Schiffes Discovery hat auf ihrer Winterstation in 77® 49' südl. Br.
und 166® ösÜ. L .,21 englische Meilen von dem Vulkane Erebus entfernt,
^) Compt rend. 80. p. 407.
342 Lufttemperatur.
von Februar 1902 bis Ende Januar 1903 regelmäßige meteorologische
Beobachtungen angestellt. Dieselben ergaben als tiefste Temperatur
(im August) — 45.8 ^ als höchste -|-3.9* (im Dezember) und als
jährlichen Durchschnitt — 17.8^ Diese Bütteltemperatur ist überaas
niedrig; zwar hat man in den dem Nordpole nahen Gegenden
noch um einige Grade tiefere Mitteltemperaturen beobachtet, allein
diese Gegenden liegen alle dem Pole weit näher, als die Station der
Discovery. H. Arctowski, der Meteorologe der Belgica auf ihrer Süd-
polarreise 1898 und 1899, schließt deshalb, daß der antarktische
Kältepol eine bedeutend tiefere Temperatur aufweisen muß als der
sibirische oder grönländische Kältepol der Nordhemisphäre. Das oben
angegebene Temperaturminimum wurde an Bord beobachtet, 3 km
entfernt fand sich dagegen eine Temperatur von — 52^. Der tiefste
auf der Discovery beobachtete Barometerstand war 713.6 mm, und
Arctowsky schließt daraus beim Vergleiche mit den Beobachtungen der
Belgica (1898—1899) und am Kap Adare (1899—1900), daß der
Barometerdruck gegen den Südpol hin zunimmt Er kommt zu dem
Ergebnis, daß die groBe antarktische Eiskalotte von einem Gürtel
niedrigen Luftdruckes umgeben ist, innerhalb dessen Zyklone von West
nach Ost ihre Bahn beschreiben, also in derselben Richtung laufen
wie die Zyklone der nördlichen Gegenden. Im Winter der südlichen
Polarzone dreht sich der Wind von Ost gegen Süd und verharrt in
Südwest mit der größten Stärke, dann dreht er gegen Ost zurück.
Nördliche Winde kommen dort nur im Sommer vor. Die größten
Geschwindigkeiten des Windes erreichten 65 — 70 englische Meilen
in der Stunde. Im Winter gab das Barometer keinerlei Andeutungen
vom Herannahen eines Sturmes. Die Station der Discovery befand
sich in der Nähe der beiden von Roß entdeckten Vulkane Erebus und
Terror, die sich aber nicht, wie der Entdecker glaubte, auf einem
Festlande, sondern auf einer Insel erheben. Südlich von dieser Insel,
in der Nahe einer Landspitze, die den Namen Armitage erhielt, lag
die Discovery fest. Westlich davon erstreckte sich die Verlängerung
des Viktorialandes: gegen Süden, sie erschien sehr bergig, und das
Binneneis erreichte 80 Meilen von der Küste 3000 m Höhe, in Gestalt
eines ungeheuren Plateaus, das sich gegen Osten und Süden aus-
dehnte. Der Rauch des 3800 m hohen Vulkanes Erebus bildete für
die Beobachter der Discovery eine ausgezeichnete Windfahne, und es
ergab sich daraus, daß in der Höhe hauptsächlich südwestliche und
westliche Winde vorherrschend waren, übereinstimmend mit dem, was
früher die Belgica aus den Bewegungen der obern Wolken er-
schlossen hatte.
Die Wärmeabnahme mit der Höhe an der schottischen
Westküste. Im Jahre 1902 wurde von W. N. Shaw und W. H.Dines
auf Veranlassung der Kgl. Meteorol. Gesellschaft von der Insel Crinan
und vom Deck eines Dampfers im Jura Sund aus (40) Drachenaufstiege
Lufttemperatur. 343
geleitet, um die Luftverhältnisse in der Höhe zu untersuchen.^) Die
mittlere Wärmeabnahme für je 500 m betrug für Intervalle zu 500 m:
0-600 500-1000 1000-1600 15OO-2000 2000-2600 2500-8000 8000-3600 m
Juü 3.0 2.8 2.2 2.0 2.0 — —
August 2.6 2.8 2.3 2.1 2.0 2.0 L7
Die Extreme pro 500 m waren 4^ und 1^, letzteres mit einer
Umkehrung der Temperatur. Es gab eine Temperaturumkehrung mit
sehr trockener Luft oberhalb einer Wolkenschicht, bei gleichzeitigen
steilsten Gradienten an der Erdoberfläche. Die steilsten Gradienten
in den untersten Schichten traten ein bei antizyklonalen Verhältnissen,
die dem Herannahen einer Depression vorausgingen. In 50 ^^ der
Fälle waren die Depressionen mit einer Verminderung der Wärme-
abnahme verbunden. Beim Vorübergange einer Depression auf der
Nord- wie auf der Südseite wurde die Luftsäule über Grinan relativ
gleichförmiger in ihrer Temperatur und deshalb wohl relativ warm.
Die mittlere Wärmeabnahme mit der Höhe über Grinan pro
100 m war folgende:
Höhe der Luftsäule ... 500 1000 1500 2000 2500 3000 86OO911
Wärmeabnahme per 100 m 0.56 0.56 0.52 0.50 0.48 0.46 0.43o
Diese Ergebnisse beziehen sich auf einen mäßig heftigen Wind,
also auf bestimmte Wettertypen. Die Gradienten für die hohem
Schichten sind deshalb nicht so allgemein anwendbar, als jene für
die untern.
Die mittlere Wärmeabnahme aus diesen Beobachtungen ist gleich
jener in gesättigt feuchter aufsteigender Luft von 12^ bis zu 2000 m.
Sie entspricht auch der in England üblichen Temperaturreduktion
auf ein anderes Niveau, d. i. 1^ F. pro 300 engl Fuß. Zum Schlüsse
werden die Temperaturunterschiede zwischen dem Gipfel des Ben-Nevis
und der Atmosphäre in gleicher Höhe untersucht Es ergibt sich» daß
diese Differenzen stets positiv sind, d. h. daß die freie Luft im Mittel
um 2.3^ wärmer ist als die Luft auf dem Berggipfel. Die Erklärung
wird darin gesucht, daß die Luft von der See her infolge der vor-
wiegenden W- Winde an dem Berge aufsteigen muß und sich dabei
dynamisch abkühlt Diese adiabatische Temperaturabnahme wird aber
über der See in der freien Luft nicht erreicht
TemperatuFumkehrungren in der Höhe der Atmosphäre.
über diese früher nur gelegentlich an Gebirgen beobachtete Erschei-
nung haben die Beobachtungen am aeronautischen Observatorium
bei Berlin zahlreiche Daten geliefert Prof. R. Assmann berichtet dar-
über:") Als Temperaturumkehrung wurden alle diejenigen Fälle an-
gesehen, bei denen eine Temperatur vorgefunden wurde, die tatsäch-
lich höher war als die der angrenzenden tiefem Luftschicht; auf den
Betrag dieses Unterschiedes wurde keine Rücksicht genommen, ebenso
1) Meteorol. Zeitschr. 1903. p. 418.
*) Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. 1908. p. 296.
344
Lufttemperatur.
wurden »Isothennien« au£er Betracht gelassen, obwohl sie genetisch
mit den Inversionen zusammenhängen.
Eine Obersicht über die Anzahl und Verteilung der aufgefundenen
Inversionen gibt folgende Tabelle:
1902
August Sept. Okt.
Nov.
Des.
1908
Januar Febr.
SniDBBe
Zahl der Aufstiege
Zahl der Inversionen
Inversion In Pros.
24
3
12
8
24
11
25
20
80
28
17
65
31
21
88
38
17
45
205
97
47.3
»Die Zusammenstellung lehrt, daß bei 47.3% der zugrunde ge-
legten Aufstiege Temperaturumkehrungen angetroffen wurden.
Ein starkes Anwachsen der Häufigkeit während der Wintermonate
ist sehr deutlich ausgesprochen; bei näherer Betrachtung aber erkennt
man, daß nicht so sehr die Jahreszeit als der Charakter der Witterung
und besonders die Druckverteilung die Häufigkeit der Inversionen be-
herrscht Im November und Dezember 1902 und im Januar 1903,
welche mehrere längere Frostperioden bei antizyklonaler Druckver-
teilung hatten, wurden bei ^/^ bis ^/^ aller Aufstiege Umkehrungen
vorgefunden, in den übrigen Monaten bei zyklonaler Witterung erheb-
lich seltener. Über die Höhen, in denen die Inversionen angetroffen
wurden, gibt die nachfolgende Tabelle Aufschluß, in der dieselben
Höhenstufen zugrunde gelegt wurden, wie sie für die täglichen Ver-
öffentlichungen des aeronautischen Observatoriums üblich sind.
Um auch über den Betrag der Umkehrung ein wenigstens an-
genähertes Bild geben zu können, wurden die » Inversionsgradienten c
zwischen den untern und obern Grenzen der Inversionsschichten für
die hierzu geeigneten Fälle ermittelt, wobei alle diejenigen Umkeh-
rungen außer Betracht blieben, bei denen die Mächtigkeit der Inver-
sionsschicht eine geringe war.
Hdhenstufen in Metern
40 (Station)
bis 200
200
bis 600
500
bis 1000
1000
bU1500
1500
bis 2000
aooo
bis 2500
Zahl der F&Ue
Zunahme auf 100 m Erhebung .
27
1.74«
ae
1.38»
35
1.210
23
1.07»
14
1.53»
6
0.78P
Da die Aufstiege in den Vormittagsstunden zur Ausführung
kamen, fallen diejenigen Temperaturumkehrungen fort, welche nach
jeder klagen Nacht in den ersten Morgenstunden auftreten und nur
auf die unterste Luftschicht beschränkt sind.
Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Anzahl der Auf-
stiege bis zu 200 m Höhe die größtmögliche, d. h. gleich der Gre-
samtzahl aller Aufstiege ist, erscheint es bemerkenswert, daß die
größte Häufigkeit der Inversionen nicht in diese unterste Schicht,
sondern in die beiden darüberliegenden, 200 — 500 und 500 — 1000 m
umfassenden fällt; mit wachsender Höhe scheint dieselbe schnell ab-
zunehmen, obwohl man den dort gefundenen Werten wegen der ge-
ringem Zahl der Aufstiege ein geringeres Gewicht beilegen muß.
Lufttemperatur.
345
Immerhin wird man nicht allzuweit fehl gehen, wenn man die
zwischen 200 und 1500 m liegenden Schichten als diejenigen ansieht,
in denen Inversionen am häufigsten aufzutreten pflegen.
Oberhalb von 2500 m Höhe wurden solche überhaupt nicht an-
getroffen, obwohl die Zahl der Fälle, in denen diese Höhe über-
schritten wurde, 33 beträgt
Der Betrag der Inversionen nimmt recht regelmäßig mit der Höhe
ab; das Wiederanwachsen bei 1500 — 2000 m Höhe muß als unsicher
erscheinen, obgleich 2000 m in 65 Aufstiegen überschritten wurden;
ein gleiches gilt von der Verminderung bei 2000 — 2500 m Höhe.
Die vertikale Mächtigkeit der Umkehrschichten, welche sich nicht
gut in Durchschnittswerten ausdrücken läßt, scheint im Winter, und
besonders während der Frostperioden, eine größere gewesen zu sein:
am 6. Dezember erstreckte sie sich vom Erdboden bis zu 1000 m
Höhe, ebenso vom 20. — 23. Januar; auch bis zur Höhe von 2000 m
kamen Inversionsschichten von 1000 m Dicke vor. Gemeinhin aber
blieb ihre Mächtigkeit unter 500 m.
Zur Untersuchung der Beziehungen zwischen den Inversionen
und der Verteilung des Luftdruckes wurden dieselben nach den baro-
metrischen Typen und deren Lage zum Beobachtungsorte, Berlin,
angeordnet Die folgende Tabelle gibt hierüber Aufschluß unter Hin-
zufügung der Häufigkeit in Prozenten, des mittlem Inversionsgradienten
auf 100 m Erhebung und der mitÜern Höhe, in der die Umkehrungen
angetroffen wurden.
Rand der Antizyklonen . .
Zentr.
N
NE
intia
E
syklc
SE
men
s
sw
w
NW
Über-
gangs-
gebiet
Häufigkeit in Prozenten . .
MitÜere Zunahme auf 100 m
Mittlere Höhenlage in Metern
11
0.7»
650
14
1.40
800
5
2.0»
960
5
1.20
780
3
1.3«
890
6
1.70
480
6
0.90
570
11
1.90
380
8
2.20
330
26
1.4«
680
6
2.80
380
Wenn man auch diesen Werten eine allzugroße Beweiskraft nicht
zuerteilen darf, geht doch aus denselben das große Übergewicht der
Übergangszoneu zwischen einer Antizyklone und einer Zyklone deutlich
hervor, der sich das Zentrum sowie der Nord-Nordwest- und West-
rand der Antizyklonen zunächst anreihen. Der Betrag der Inter-
version schließt sich der Häufigkeit ziemlich gut insofern an, als er
am Nord- und Westrande erheblich größer ist als am Ost- und Süd-
rande. Die Ubergangszone weist einen mittlem Betrag, das Zentrum
der Antizyklone den kleinsten aul
Sehr merkwürdig und neu ist die starke Temperaturumkehrung
in der Nähe der Zyklonen, welche die aller übrigen Lagen übertrifft.
Die mittlere Höhenlage der Inversionsschicht scheint in der Nähe
der Zyklonen und am West-, sowie am Nordrande der Antizyklonen,
d. h. dem Gebiete der Zyklonen zunächst, am geringsten, an deren
Nord- und Ostseite am größten zu sein; die Obergangszone und das
Zentrum der Antizyklone zeigen eine mittlere Höhe.
iitensiven Temperatur-
02 angetroffen wurde
am 13. in 700 m Höhe
Verfasser auf das an
derschläge aufmerksam
beerende Oberschwem-
»
mcheinungen einen Zu-
"Srund des vereinzelten
werden, und deshalb
ein Zusammentreffen
n durchmustert. Bei
wartenkarte im Süden
wirkliche Ausbreitung
werden; es wurden
I***"!! mehrere benachbarte
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|Ddi||S!pj3!Si«f|ifc|gi||pa niedergegangen sind.
li^rtt^lils^Llf^C^ große Regenfälle, und
f«iyC^^I|3> einer mittlem Entfer-
so dürfte der
^ ^ _ beträchtlich über dem
£äii]^^t^aMiw^^ liegt, und daß man
Lufttemperatur. 347
Eine nähere Untersuchung läßt erkennen, daß der Rand der
Antizyklone, an welchem die Inversionen beobachtet wurden, meist
derjenigen Gegend gegenüber liegt, in der die Niederschläge stattfinden:
am Nord- und Nordwestrande der Antizyklonen fallen am häufigsten
im Westen, d. h. in Irland und England, große Regenmengen, am
Ost- und Südrande meist in Spanien und Italien; am Westrande und
im Zentrum einer Antizyklone sind die entsprechenden Werte ziemlich
gleich verteilt Das Nämliche gilt für die Übergangszonen. Es dürfte
daher nicht ganz unbegründet sein, anzunehmen, daß eine gewisse
Beziehung zwischen den beiden Vorgängen wirklich besteht <
Um nun einen, wenn auch nur annähernd richtigen Maßstab für die
Bewertung der d3mami8chen Vorgänge bei den am aeronautischen Obser-
vatorium ermittelten Temperaturinversionen zu gewinnen, wurden diejenigen
Fälle ausgesondert, bei denen am nächstgelegenen Ursprungsorte der herr-
schenden Luftströmung, d. h. in der den Strom speisenden Antizyklone,
eine nennenswert höhere Temperatur geherrscht hat als in Berlin.
Das Ergebnis ist, daß dies bei 12 Fällen von 93, d. h. bei 18% dei^
selben festgestellt werden konnte, und daß dieselben fast ausschließlich bei
südwestlicher und südlicher Lage der Antizyklone und in der Nähe von
Depressionen gefunden wurden.
Eiine Auszählung derjenigen Inversionen, die unmittelbar über einer
geschlossenen Wolkendecke angetroffen wurden, ergab 32 von 79 Fällen,
d. h. 40.5®/^ und zeigte, daß dieselben vornehmlich den Übergangszonen,
den Zyklonen und dem Nordrande der Antizyklonen angehörten. Nach dem
oben Ausgeführten wird man nicht umhin können, dieselben dem Vorhanden-
sein einer obem, aus der Antizyklone stammenden niedersinkenden, über
einem dem Zyklonenregime angehörigen aufsteigenden Luftstrome zuzu-
schreiben. Dieselben lassen auch erkennen, daß der Luftaustausch zwischen
den Antizyklonen und Zyklonen keineswegs nach dem gewöhnlichen Schema
erfolgt, das ein Ausstromen aus der Antizyklone und ein Zuströmen zur
Zyklone nur in den untersten Schichten anmmmt, sondern daß auch bis zu
großem Höhen absteigende Luftströme sich dem Zyklonenkörper nähern
und mannigfache Überlagerungen und Einkeilungen von Luftmassen beider
Regime vorkommen.
Die vertikale Wärmeleitungr In der Atmosphäre. Prof.
A. Schmidt gibt auf Grund seiner Untersuchungen eine von der bis-
herigen wesentlich abweichende Darstellung dieses Vorganges.^) Er
entwirft schließlich folgendes Bild der tatsächlichen Verhältnisse und
ihres Kausalzusammenhanges : »Aus dem Vorrat der der Atmosphäre
besonders durch Strahlung zugeführten Wärmemengen, für welche
eine mit der Dichte nach oben abnehmende Volumenkapazität besteht,
bildet sich ein ununterbrochen fortdauernder Strom geleiteter Wärme
von oben nach unten. Nur in sehr seltenen lokalen und vorüber-
gehenden Fällen hört dieser Strom auf, es besteht an den betreffenden
Orten thermisches Gleichgewicht mit einer Abnahme der Temperatur
von unten nach oben um 1.4^ pro 100 m. An Orten, wo der
Wärmestrom aufhört oder sich vermindert, weil durch Konvektion
Wärme von unten nach oben geführt wird, findet solange eine Verschiebung
^) Gerland, Beiträge zur Geophysik 1903. 6. p. 166.
348 Lufttempwatar.
der Isothennenflächen statt, die sich über diesen Orten nach oben
zusammendrängen. Durch jede Vergrößemng des vertikalen Iso-
thermenabstandes wird der Wärmestrom yertsärkt, durch jede Ver-
minderung veriangsamt In den Höhen unter G km findet sowohl
wegen der freiwerdenden latenten Wärme des Wassers als anch
wegen der erhöhten Absorption von Wärmestrahlen durch den
Wasserdampf der Luft eine mit der Jahreszeit yeränderliche Wärme-
zufuhr statt unter nach unten zunehmender Verstärkung des nächt-
lichen Leitungsstromes, besonders in der wannen Jahreszeit und bei
einer mit der Jahreszeit und Tageszeit sckwankenden Höhe der
Isothermen. Ober dieser Höhe sind die Orte häufigster Verzögerung
des Leitungsstromes unter teilweiser Ausbildung labiler Gleich-
gewichtslageningen.
Da die Wärmeleitungsfähigkeit der Luft von ihrer Dichte unab-
hängig ist, aber mit der Temperatur, bezw. mittlem molekularen
Geschwindigkeit wächst, so erfordert dieselbe Stromstärke eine um
so größere Entfernung der Isothermen bis zu Temperaturumkehrungen,
um so stärkere Abweichung vom thermischen Gleichgewicht, je
niederer die Temperatur ist In den Höhen von 6 — 8 km bei etwa
— 30^ nimmt die Temperatur rascher ab als in 13 — 14 km mit
Temperaturen von etwa — 60^. Dort entspricht einem niittlem
Temperaturgefälle von 0.7 — 0.8" pro 100 m eine Entfernung von nur
0.6 vom thermischen GleichgewichtsgefäUe, hier bei fast 0^ Tem-
peraturabnahme eine etwa doppelt so starke Abweichung. Es sind
also die labilen Lagerungen zwischen 6 und 8 Arm als Hemmungen
des vertikalen Wärmestromes zu deuten, die besonders zur Zeit des
Spätsommers unter damit verbundener Erhöhung der Isothermen ein-
treten. Das annähernde Verschwinden aber des Temperaturgradienten
in Höhen über 13 km (nach Assmann sind bis 19^/, km auch wieder
Temperaturabnahmen konstatiert worden) entspringt einer Verminderung
der Leitungsfähigkeit der Luft in sehr tiefer Temperatur.
Von dem in unbekannter Höhe über dem Erdboden entspringenden
breiten und trägen Strome abwärts geleiteter Wärme kann die Existenz
so lange nicht erkannt werden, als ein falsches Wärmeleitungsgesetz
den Einfluß der Schwere auf die Wärmeverteilung leugnet Noch
nicht lange ist es her, daß selbst die Erscheinungen an der Mündung
des Stromes falsch gewürdigt wurden, und es fast als ein Dogma
galt, daß die Atmosphäre außerordentlich diatherman sei, und weitaus
den größten Teil ihrer Wärme nicht der direkten Absorption der
Sonnenstrahlen, sondern der mit Konvektion verbundenen Leitung
vom Erdboden verdanke.«
W. von Bezold hat am Verlaufe des Temperaturganges in den
untern Atmosphärenschichten bei Veranlassung der theoretischen
Bearbeitung der Berliner wissenschaftlichen Luftfahrten unwiderleglich
nachgewiesen, daß der Boden erheblich mehr abkühlend als erwärmend
auf die untern Luftschichten einwirke. »Das ist<, sagt Prof. Schmidt,
Luftdruck. 349
»das Morgenrot einer richtigen Erkenntnis. Die Frucht der wissen-
schaftlichen Ballonfahrten und Drachenversuche wird weiter reifen
zu der Überzeugung, daß auch das , adiabatische' Gleichgewicht
noch der Ausdruck einer vertikal von oben kommenden Wärme-
leitung ist.
Des Rätsels Lösung aber haben wir erst zum kleinern Teile, die
Wärmeleitung der Luft zum Boden genügt bei weitem nicht, die
ganze Quantität der der Atmosphäre fortlaufend zugeführten Energie
ihr fortlaufend zu entführen.«
Luftdruck.
Der hohe Luftdruck über Sibirien.^) Aus den in den
Annalen des physikalischen Zentralobservatoriums publizierten Beob-
achtungen der sibirischen, zentralasiatischen und zum Teile west-
europäischen Stationen sucht L. G. Danilow an Hand der synoptischen
Karten über Entstehung und Entwicklungsgang der sibirischen winter-
lichen Antizyklone, sowie über die Bedingungen, die an ihr Störungen
hervorrufen, Aufschluß zu gewinnen. Die Ergebnisse faßt er so zu-
sammen: a) Die Fälle, wo auf der ganzen Erstreckung des asiatischen
Kontinents der Luftdruck nicht über 760 mm steigt, sind sehr selten
und dürften bei der Vermehrung der Zahl der Stationen noch seltener
werden, ja ganz verschwinden, b) Im Gegensatze zu den Forderungen
der thermischen Theorie stellten sich sowohl die herbstliche Ver-
stärkung der Antizyklone, als auch ihre Vorlagerungen und die Ent-
stehung lokaler Hochdruckgebiete als ganz unabhängig von den
vorangehenden Temperaturemiedrigungen heraus; letztere sind viel-
mehr eine Folge der thermodynamischen Vorgänge der adiabatischen
Kompression und Dilatation der Luftmassen, die die Antizyklone als
mechanisches System charakterisieren, c) Die sibirische Antizyklone
ist nicht stationär im Sinne einer Fixierung der geographischen
Lage ihres Zentrums, ist aber sozusagen zeitlich stationär, indem
ihr die Eigenschaft einer dynamischen Stetigkeit des Vorganges zu-
kommt, was sich unter anderm daraus ergibt, daß die sie bildenden
lokalen Maxima, von seltenen Ausnahmen abgesehen, nicht ver-
schwinden, sondern auf die eine oder andere Art umgeformt werden,
d) Alle Verlagerungen der sibirischen Antizyklone stehen im innigsten
Zusammenhange mit den vorangehenden Veränderungen der zyklonischen
Tätigkeit, wobei eine Verstärkung der zyklonischen Tätigkeit im S
eine nördliche Verschiebung der Antizyklone, die Verstärkung im N
eine südliche und jedenfalls eine Steigerung des Luftdruckes in ihrem
Zentrum bewirkt.
Da nun dieselben Eigenschaften auch einem konstanten Maximum
zukommen, dessen dynamische Entstehung außer jedem Zweifel ist,
hält es Danilow für möglich, besondere Entstehungsbedingungen für
^) Meteorol. Zeitschr. 1902. p. 577.
360 Wolken.
die Halbjahrsmaxima anzunehmeiii und hält die sibirische Antizyklone
für einen Teil des subtropischen Hochdruckringes, der durch die
Bedingungen der Zirkulation über den Kontinentalmassen modifiziert
erscheint
Wolken.
Horphologrie der Wolken des auflstelgenden Luft-
StFOmes.^) K. Mack ist schon früher durch die Untersuchung ge-
wisser Wolkengebilde von überraschend regelmäßiger Form zu dem
Schlüsse geführt worden, es sei mit großer Wahrscheinlichkeit anzu-
nehmen, daß durch atmosphärische Vorgänge horizontale Wirbelringe
im großen sich bilden können. Seinen damaligen Untersuchungen lag
die Voraussetzung zugrunde, daß dieselben Strömungsgebilde, welche
wir im kleinen bei Laboratoriumsversuchen an Flüssigkeiten und
Gasen unter gewissen Bedingungen wahrnehmen, auch in der Atmo-
sphäre im großen unter ähnlichen Verhältnissen zustande kommen.
Diese Voraussetzung hat seitdem durch Beobachtungen an vulkanischen
Rauchwolken eine weitere Stütze gefunden. Da bei solchen Strömungs-
gebilden den Wirbelbewegungen um horizontale Achsen eine wichtige
Rolle zukommt, und da anderseits in Wolkengebilden die von ihm
in deren Innern vorausgesetzten Wirbelringe nicht direkt sichtbar
waren, so hat er sich in den letzten Jahren bemüht, durch systematisch
angestellte Wolkenbeobachtungen womöglich das Vorkommen von
Wirbelringen im großen bei Wolkenbildungen direkt festzustellen. Zu-
gleich war seine Absicht, weiteres Beobachtungsmaterial auf dem
Gebiete deijenigen Wolkenformen zu sammeln, die mit jenen uns ex-
perimental bekannten Strömungsgebilden Ähnlichkeit haben.
Wenn in einer Flüssigkeit oder in einem Gase imter geeigneten
Umständen Wirbelringe sich bilden, so müssen für deren Sichtbarkeit
besondere Bedingungen erfüllt sein. Diese können durch die Färbung
ausströmender Flüssigkeit oder durch die Beimengung von Rauch
oder kondensiertem Wasserdampf zu strömender Luft gegeben sein.
Aber auch dann sind die Wirbelringe nur in speziellen Fällen als
solche sichtbar ; in zahlreichen andern Fällen sind sie verhüllt durch
anders geformte charakteristische Gebilde, deren Gestalt in gesetz-
mäßiger Weise durch die Wirbeh*inge bedingt ist. Es kommen hier
hauptsächlich pilzförmige und zylindrische Gebilde in Betracht, zu
denen noch Kuppen- und Hornbildungen treten können. Aus dem
Auftreten solcher Gebilde ist es möglich, einen Rückschluß auf das
Vorhandensein oder Vorhandengewesensein der Wirbelringe zu ziehen.
Die Wolken des auf steigenden Luftstromes sind diejenigen, welche
unter günstigen Umständen die Formen jener Strömungsgebilde zeigen
werden. Nach vorstehenden Darlegungen kann man unterscheiden:
a) ringförmige Wolken, b) pilzförmige Wolken, c) Zylinder- oder türm-
^) Meteorol. Zeitschr. 1908. p. 289.
Wolken. 361
förmige Wolken, d) Wolken mit kuppen- oder hornförmigen Bildungen.
Als 5. Gruppe mögen noch beigefügt werden: e) kalottenförmige
Wolkenschleier.
Diese 5 Gruppen behandelt Verf. in der Weise, daß aus dem vor-
liegenden Beobachtungsmateriale charakteristische Beispiele für die ein-
seinen Gruppen gegeben werden, und die Entstehung der betreffenden
Wolken mit bekannten Laboratoriumsversuchen in Parallele gesetzt wird.
Auf die Einzelheiten der Ausführungen des Verf. kann hier nicht
eingegangen werden, es genügt, die folgende von ihm gegebene Zu-
sammenfassung der Resultate anzuführen: »Daß zuweilen Wolken-
Gebilde vorkommen, die lebhaft an Strömungsfiguren erinnern, die
durch Auftrieb in sonst ruhenden Flüssigkeiten und Gasen gebildet
werden, ist eine langst bekannte Tatsache ; man begnügte sich jedoch
damit, solche Wolkengebilde als vereinzelte Merkwürdigkeiten zu
registrieren, ohne aus der in solchen Einzelfällen zutage tretenden
Analogie allgemeinere Analogieschlüsse zu ziehen. Wenn man bis
jetzt Bedenken trug, die Bewegungsvorgänge bei der Bildung der
Wolken des aufsteigenden Luftstromes — regelmäßig wie unregel-
mäßig geformter — durchgehends in Parallele zu setzen mit jenen
experimentell studierten Vorgängen in Flüssigkeiten und Gasen, so
lag dies wohl in erster Linie daran, daß das Beobachtungsmaterial
an charakteristisch geformten Wolken noch nicht ausreichend erschien,
um Schlüsse allgemeiner Natur darauf zu gründen. Die hier vor-
handenen Lücken suchte ich auszufüllen durch die in den letzten
Jahren von mir angestellten Wolkenbeobachtungen; ich glaube, daß
das ursprünglich von andern Beobachtern zusammengetragene, von
mir ergänzte Material nunmehr dazu berechtigt, den Satz als erwiesen
anzusehen, daß die atmosphärischen Bewegungsvorgänge, welche zu
der Bildung der Wolken des aufsteigenden Luftstromes führen, der-
selben Art sind, wie die bei jenen Laboratoriumsversuchen auf-
tretenden. Hieraus ergibt sich das weitere Resultat, daß Wirbel-
bewegungen um horizontale Achsen bei der Bildung der Wolken des
aufsteigenden Luftstromes und überhaupt bei aufsteigenden Luftströmen
eine wesentliche Rolle spielen, welche nicht außer acht gelassen
werden darf.
Unter diesen Umständen erwächst die Verpflichtung, die Ver-
haltnisse, die bei solchen im großen vor sich gehenden Wirbelbewegungen
um horizontale Achsen vorliegen, genauer zu untersuchen. Daß durch
die kreisende Bewegung in solchen Wirbeln ein gestaltbildender Einfluß
auf etwa vorhandene Hagelkörner ausgeübt wird, ist sehr wahr-
scheinlich; aber auch Wirkungen anderer Art sind nicht ausgeschlossen.
Eine der nächsten Aufgaben ist wohl, eine genauere Vorstellung von
den Geschwindigkeiten zu gewinnen, welche im aufsteigenden Luft-
strome vorkommen, da von diesen die Geschwindigkeiten in den Wirbeln
abhängen. Manche Umstände scheinen dafür zu sprechen, daß man es
hier zuweilen mit recht erheblichen Geschwindigkeiten zu tun hat.c
352 Niederschläge und Verdunstang.
Niederschlflgre und Verdunstung.
Die Periodizität der Niederschlägre ist von William
J. S. Lockyer untersucht worden^) unter Bezugnahme auf die Brückner-
sche Periode von 85 Jahren. Lockyer vergleicht die Regenaufzeich-
nungen auf den Britischen Inseln, in Brüssel, Madras, Bombay, Kap-
stadt und im Ohiotale, nach den Schwankungen, welche sie anzeigen,
mit den Schwankungen der Sonnenflecke. Beide werden durch Kurven
dargestellt und deren Verlauf untereinander verglichen. Ein allgemeiner
Überblick dieser Kurven, sagt Lockyer, zeigt, daß ohne Zweifel eine
langperiodische Variation an allen Stationen vorhanden ist; femer
daß die Maxima des Regenfalles im allgemeinen in den Jahren 1815,
1845 und 1878 — 1883 eintraten, die Minima in den Jahren 1825
bis 1830, 1860 und 1893—1895.
,,Bei der Existenz dieser sehr deutlichen Schwankungen ist es
wichtig, zu bemerken, daß das letzte Minimum oder die letzte trockene
Periode, welche sehr deutlich ausgeprägt ist in den Kurven für den
britischen Regenfall, soeben vorbei oder an dem Wendepunkte zu sein
scheint, und daß in allen Fällen eine allgemeine Tendenz zum Auf-
steigen der Kurve für die lange Periode vorhanden ist. Wenn diese
Gesetzmäßigkeit weiterbesteht, ist es wahrscheinlich, daß das Ansteigen
bis zum Jahre 1913 andauert, welches Jahr die Mitte der nächsten
feuchten Epoche darstellen dürfte. Es ist jedoch zu bemerken, daß
diese Zunahme wegen der starken oszillatorischen Natur des Regen-
falles von einem Jahre zum andern nur einem Mittelwert für mehrere
Jahre darstellt ; es können verhältnismäßig trockene Jahre auftreten,
während die Kurve für die Säkularvariation ein Bfaximum zeigt, aber
im allgemeinen Mittel werden sie wahrscheinlich naß sein.
Welche Ursachen diese lange Witterungsperiode hervorbringen,
ist noch nicht ganz bekannt, doch ist es für die Meteorologie von
größter Wichtigkeit, daß die Frage sobald als möglich aufgeklärt
werde, denn sie bezieht sich nicht nur auf den Regenfall, sondern
auch alle andern meteorologischen Elemente zeigen ähnliche Schwan-
kungen.
Brückner suchte den Ursprung dieses langperiodischen Wetter-
zyklus in Änderungen auf der Sonne, und er untersuchte die damals
vorliegenden Sonnenfleckendaten bezüglich einer Periodizität von
ungefähr 35 Jahren. Seine Untersuchung war nicht erfolgreich, er
schloß jedoch, daß trotzdem diese Variation in der Sonne tatsächlich
vorhanden sein müsse, wenn sie auch nicht durch die Sonnenflecken
zum Ausdrucke kommt. Vor kurzem hat eine eingehende Untersuchung
der Sonnenfleckenbeobachtungen seit dem Jahre 1832, in welchem
eine systematische Beobachtungsmethode begonnen wurde, zur Entr
deckung einer solchen Periode geführt.*) Dort wurde gezeigt, daß jede
>) Nature 1903 7. Mai p. 8; Meteorol. Zeitschr. 1908. p. 423.
^ Vgl. dieses Jahrbuch 13. p. 5.
LuftbewegUDg, Winde und Stünne. 353
Sonnenfleckenperiode (von Minimum zu Minimum gerechnet) sich in vielen
Punkten von der unmittelbar vorausgehenden oder nachfolgenden
unterscheidet. In manchen Perioden waren nicht nur die Flecken
zahlreicher als in andern, d. h. die Summation der ganzen von Flecken
bedeckten Fläche von einem Minimum zum folgenden änderte sich
regelmäßig, aber mit diesen partikulären Perioden war ein verhältnis-
mäßig rasches Ansteigen vom Minimum zum Maximum eng verbunden.
Diese Änderungen endlich schienen einer regelmäßigen Variation zu
unterliegen, deren Zyklus zu ungefähr 35 Jahren ermittelt wurde.
Der Zusammenhang zwischen der Brücknerschen Periode und
dieser langen Periode von Sonüenänderungen in 85 Jahren wurde
dort in Kürze festgestellt und gezeigt, daß zu jenen 2 Epochen
der Sonnenfleckenminima, 1843 und 1878, welche den Zyklen mit
der größten Fleckenfläche folgen, der Brücknersche Zyklus für liegen-
fall ein Maximum hatte.
Die nahe Übereinstimmung der Epochen dieser beiden Zyklen
läßt es wahrscheinlich erscheinen, daß sie in ursächlichem Zusammen-
hange stehen, was Brückner selbst vermutet und gesucht, aber nicht
gefunden hat«
LuftbewefiTungr, Winde und Stürme.
Untersuchungen über die allsremelne Bewegrung in der
Erdatmosphäre auf Grund der Cirrusbeobaehtungen hat
H. Hildebrandsson angestellt
Die an der Erdoberfläche auftretenden allgemeinen Windverhältnisse
sind im großen und ganzen genügend bekannt, allein die obem Luftströme
sind es umso weniger. Bezüglich dieser hat man mehr oder weniger plausible
Hypothesen aufgestellt, die sich auf die folgenden Grundtatsachen stützen :
1. Die Lufttemperatur, welche durch die Wärme der Sonne bedingt
wird, nimmt vom Äquator gegen die beiden Pole hin ab, daher muß in der
Höhe der Atmosphäre ein ununterbrochener Wind vom Äquator her statt-
finden, an der Erdoberfläche aber umgekehrt ein Wind von den Polen gegen
den Äquator hin. 2. Welches immer die Richtung einer Luftströmung, also
eines Windes an der Erdoberfläche sein mag, so wird dieselbe durch die
Achsendrehung der Erde auf der nördlichen Ebrdhälfte nach rechts, auf der
südlichen nach links abgelenkt.
Der erste Grundsatz wurde von Halley 1686 in die Meteorologie eingeführt,
um den Ursprung der Passatwinde zu erklären; der zweite von Hadley 1785
zur Erklärung des ümstandes, daß die Passatwinde aus NO und auf der
BÜdUchen Erdhälfte aus SO wehen, statt, wie es nach Hidleys Theorie sein
soUte, aus N und S.
Nach Dove erhebt sich die in der äquatorialen Zone stark erwärmte
Luft in Masse bis zu den hohen Regionen der Atmosphäre, und dieses Empor-
steigen veranlaßt unten ein Zuströmen der Luft beiderseits gegen den
Wärmeäquator hin. Daher fließen die Passatwinde am Boden, indem sie
den Gegenden des Wärmeäquators zuströmen. Die solcher Art nach dem
Äquator transportierte Luftmenge wird polwärts durch die Antipassate
wieder zurückgeführt, die sich von den Tropen polwärts hin mehr und mehr
herabsenken, bis sie endlich den Erdboden erreichen. Dann strömt, nach
Dove, ein Teil dieser Luft wieder gegen den Äquator hin, indem er die
Passate speist, der andere Teil aber setzt seinen Lauf gegen die Pole hin
Klein, Jahrbuch XIV. 28
364 Luftbewegang, l^^de und Stürme.
fort. Winde ans SW oder W henschen in der nördlichen Erdhälfte auf
den Meeren der gemäßigten Zone vor, in der südlichen dagegen Winde ans
NW and W, and beide Iiaft8ü>dme sind als Fortsetzungen der zum Boden
herabgestiegenen Antipassatwinde zu betrachten. Dieser äquatoriale Luft-
strom wird von seinem Ursprünge über den tropischen Meeren her durch
hohe Temperatur, große Feuchtigkeit und niedrigen Luftdruck charakterisiert.
Während er gegen die Polarregionen vordringt, fließt ein polarer Luftstrom
in entgegengesetzter Richtung nach den Tropen zu, und dieser ist kalt,
trocken und bringt hohen Luftdruck. Die Witterungsänderungen der ge-
mäßigten Zone sind eine Folge des steten Kampfes zwischen dem Polar-
und Äquatorialstrome der Luft Solcherweise gibt es nach Dove auf jeder
Erdhenüsphäre eine doppelte atmosphänsche Zirkulation. Die eine regel-
mäßig und vertikal genchtet, vollzieht sich zwischen dem thermischen
Äquator und den Wendekreisen, die andere vom Pole bis zu dem nächsten
Wendekreise ist horizontal und unregelmäßiger. Gewöhnlich ist dieser
ganze Raum in breite, schräg gerichtete Streifen zerlegt, innerhalb deren
die Luft in entgegengesetzten Richtungen dahinströmt, wobei die einzelnen
Ströme einander zu verdrängen suchen, und bald der eine, bald der andere
vorherrscht.
Der berühmte Hvdrograph Maury stellte seinerseits als allgemeine aus
den Beobachtungen abgeleitete Tatsachen folgendes auf:
1. Eine Kalmenzone in der Gegend des Äquators. 2. Passatwinde, die
aus nördlichen und südlichen Gegenden gegen den Äquator hinströmen.
3. Zonen veränderlicher Winde etwa unter dem 30. Grade nördlicher und j
südlicher Breite. 4. Antipassate oder Äquatorialwinde, die über den Zonen
der Veränderlichen herabsteigen und ihren Weg an der Erdoberfläche bis
60 oder 70* nördlicher, resp. südlicher Breite fortsetzen. 5. Näher ge^en
die Pole hin sind infolge der Annäherung der Meridiane aneinander diese
äquatorialen Winde gezwungen emporzusteigen. 6. Sie kehren als oberer
Polarstrom ihre Bewegungsrichtung um, steigen in den tropischen Kalmen-
zonen wieder gegen die ErdoberQädhe herab und unterstützen die Passatwinde.
Hiemach oszilliert jede Luftmenge unaufhörlich von einem zum andern
Pole: vom nördlichen Pole ausgehend wird sie nacheinander oberer Polai^
Strom, NO-Passat, nordwestlicher Antipassat auf der südlichen Erdhälfte
und Äquatorialstrom.
In der Nähe des südlichen Erdpoles steigt die Luft von neuem auf,
um als oberer Polarstrom zurückzukehren, als SO-Passat, Antipassat aus
SW und Äquatorialstrom.
Die beiden obem Luftströme, der Polarstrom und der Antipassat, be-
gegnen sich über den Kalmengürteln unter den Parallelkreisen von etwa 80«.
Dort rufen sie eine Luftanhäuiung und hohem Barometerstand hervor, dann
aber — sonderbarerweise! — kreuzen beide Ströme herabsteigend einander,
ohne sich miteinander zu vermischen, und setzen hierauf ihren Weg fort,
der eine indem er die Passate, der andere indem er den Äquatorialstrom
nährt. Ebenso steigen die beiden Passate über den Gegenden des Wärme-
äquators empor, weil sie mehr und mehr warm und feucht geworden, und
durchkreuzen einander wiederum, ohne ihre Luftmassen zu vermischen.
Der SO-Passat setzt z. B. seinen Weg in der hohen Region der Atmosphäre
fort und tritt als Antipassat auf die nördliche Hemisphäre der Erde.
Die im vorstehenden kurz mitgeteilten Theorien von Dove und Maury
haben gegenwärtig unter den Meteorologen wohl kaum noch Anhänger. Es
genüfft zu ihrer Charakterisierung daraiu hinzuweisen, daß es durchaus den
Grundgesetzen der mechanischen Wärmetheorie en^egen ist, anzunehmen,
der äquatoreale Luftstrom könne die Wärme und Feuchtigkeit, welche er
ursprün^oh über den tropischen Meeren besitzt, behalten, nachdem er in
die Höhe emporgestiegen; vielmehr muß er infolge dieses Aufsteigens er-
kalten und den größten Teil seiner Feuohti^eit einbüßen. Diese Folge-
absolute Feuchtigkeit
relative
Luftbewegung, Winde und Stürme. 365
rangen ans der Theorie werden übrigens durch direkte Beobachtungen durch-
aus bestätigt. Hier nur ein Beispiel. Während Angström und Edelstan
flieh auf der Insel Tenerife aufhielten, um die Stärke der Sonnenstrahlung
in verschiedenen Höhen zu bestimmen, haben sie gleichzeitige meteorologische
Beobachtungen in diesen Höhen angestellt. So fand sich z. B. am 27. Juli
9 Uhr vormittags zu Sitio de CuUen, nahe dem Meeresstrande und auf dem
Gipfel des Pico de Teyde in 8692 m Höhe folgendes:
Barometer unten 762.2 mmt oben 491.6 mm
trockenes Thermometer ... , +23.3» „ +4.7<»
, +19.7 . -3.5
, 14.6 , 1.9
. 680/, ^ aoo/o
Gramm Wasser pro Kubikmeter , 14.2 . 2.0
Demnach nahm also die Temperatur für je 100 m Höhenzunahme
durchschnittlich um 0.51^ ab, und die Feuchtigkeit war oben sehr gering.
Wenn die Luft von dem Gipfel des Pico bis zur Meeresoberfläche herah-
gesunken wäre, so würde sie sich außerordentlich erwärmt haben und gleich-
zeitig überaus trocken geworden sein, ein wahrer Föhnwind! Was weiter
die Maurysche Theorie anbelangt, so ist es unverständlich, wie die beiden
entgegengesetzten Luftströme einander durchkreuzen könnten, ohne sich zu
vermischen.
Außer den obigen sind noch von Ferrel und James Thomson Theorien
der allgemeinen Luitzirkulation aufgestellt worden. Ferrel hat drei ver-
schiedene Hypothesen veröffentlicht, und zwar in den Jahren 1856, 1860
und 1884, wahrend Thomson schon 1857 eine Theorie aufgestellt hat, die
fast übereinstimmend mit der letzten von Ferrel ist
Dafl Ergebnis, zu welchem 1856 Ferrel hauptsächlich auf dem Wege
mathematischer Betrachtungen gelangte, ist kurz folgendes. Er nahm
2 Gürtel hohen Luftdruckes rings um die Erde 28® nördlich und südlich
vom Äquator und zwei andere, sekundäre unter den Polarkreisen an; da-
gegen unter dem Äquator ein Gebiet mit niedrigerm und um die beiden
Pole zwei andere Gebiete mit noch niedrigerm Drucke. So erschien die
Erdoberfläche in 6 Zonen geteilt, jede mit emer ihr eigentümlichen verti-
kalen Zirkulation der Luft. Nordwärts vom Äquator steigt die vom Passate
dorthin transportierte Luft empor und fließt als Antipassat oben bis zu
28^ nördl. Br. zurück, sinkt herab und macht den Kreislauf von neuem
durch. Nordwärts von der Zone hohen Luftdruckes unter 28® nördl. Br.
muß sich die Luft nach NO bewegen, und dadurch entstehen die vorherr-
schenden SW- Winde unserer gemäßigten Zone. Etwas südlich vom Nord-
polarkreise findet sich ein barometrisches Minimum, dort steigt die Luft
empor und kehrt als oberer nördlicher Luftstrom zu dem tropischen Gebiete
zurück, wo er herabsteigt, und die nämliche Zirkulation wiMerum beginnt
Nördlich vom arktischen Polarkreise nimmt Ferrel abermals eineLuftzirkuiation
an, wobei die Luft gegen den Pol ab- und gegen den Polarkreis hin wieder
emporsteigt um als oberer Luftstrom von neuem gegen den Pol hinzufließen.
In ähnlicher Weise würden sich die Loftbewegungen auf der südlichen Brd-
hälfte vollziehen.
James Thomson setzte 1857 seine Theorie der atmosphärischen Zirku-
lation vor der Britischen Gesellschaft der Wissenschaften auseinander. Er
nimmt über jeder Erdhemisphäre zwei übereinander befindliche Hauptluft-
strömungen an. Die Luft, welche in den äquatorialen Regionen empor-
steigt, fließt als oberer Luftstrom bis m die Gegend des Polarkreises und
dann als unterer Polarstrom wieder gegen den Äquator hin. Da indessen
die Beobachtungen zeigen, daß im allgemeinen an der Erdoberfläche in den
gemäßigten Zonen südwestliche Winde vorherrschen, nimmt Thomson an,
daß diese Luftströme hur einer dünnen Schicht der Atmosphäre angehören
und eine Art Reaktionsstrom zwischen der nördlichen Luftströmung und
28*
366 Lttftbewegang, Winde und Stürme.
der Erdoberfläche bilden. Diese sämtlichen übereinander gelagerten Luft-
slvömungen erleiden eine Ablenkung gegen Ost und werden darnach sud-
westlich, nordwestlich und südwestlich. Augenscheinlich könnte man Rauben,
daß der Polarstrom seine Ablenkung in einen Nordostwind gemäß dem
Hadleyschen Gesetze erhielte; allein Thomson nimmt an, daß er gegen 0 ab-
gelenkt wird, infolge eines aus den äquatorialen Regionen mitgebrachten
und noch nicht erschöpften Rotationsmomentes. Die spätem Vorstellungen
von Ferrel, besonders dessen Entwicklungen aus dem Jahre 1889, weichen
nur in unbedeutenden Details von derjenigen Thomsons ab, und diese Theorie
wird noch von mehrern Meteorologen festgehalten. Indessen sind die obem
Luftströmungen in den gemäßigten Zonen ganz und gar hypothetisch, und
man hat nicht einmal yersucht, ihr Vorhandensein durch direkte Beobach-
tungen zu erweisen.
Im vorhergehenden ist mit den Worten von Prof. H. Hildebrandsson ^)
der gegenwärtige Zustand der Vorstellungen, welche in der Meteorologie
über die allgemeine Luftzirkulation herrschen, dargelegt worden. Er geht
dann dazu über zu prüfen, was die Beobachtungen über die Luftbewegun^
in den hohen Regionen der Atmosphäre lehren. Diese Beobachtungen
können sich natui]gemäß nur auf die Feststellung des Zuges der höchsten
Wolken, also der Gimiswolken, beziehen, und hierüber hat Prof. Hildebrandsson
schon früher mehreres veröffentlicht.
Diese frühem Untersuchungen ergaben ihm folgendes : 1. In den hohen
Regionen der Atmosphäre über den gemäßigten Zonen herrschen Luftströme
vor, deren Bewegung durchschnitthch von West nach Ost gerichtet ist.
2. Zwischen den Wendekreisen ist die Bewegung dieser Ströme umgekehrt
oder von Ost nach West gerichtet 3. Die Richtung der obem Luftströ-
mungen scheint im allgemeinen die nämliche zu sein, wie die mittlere Fort-
bewegungsrichtung der barometrischen Depressionen. 4. Die durchschnitt-
liche Richtung der obem Luftströme steht in keiner direkten Beziehung zu
den mittlem Luftdrackverhältnissen an der Erdoberfläche. Die mittlem
Luftdmckverhältnisse in einer Höhe von 4000 m, wie sie Teisserence de Bort
abgeleitet und gezeichnet hat, entsprechen dagegen gut jener obem Luft-
bewegung, jedoch nicht vollständig, da die Cirruswolken in Höhen von
7000 — 9000 m dahinziehen. Die betreffenden Karten von Teisserence sind
reproduziert. Die den Isobaren beigeschriebenen Ziffem bezeichnen den
Luftdrack in Millimetern. Die Pfeile zeigen die Richtungen, aus denen an
den betreffenden Punkten die Girmswolken ziehen.
Die Richtung 0 bis W der obern äquatorialen Luftströmung ist durch
die Wolkenbeobachtungen erwiesen, daneben hatte indessen der Ausbruch
des Krakatau 1883 dieselbe Tatsache erkennen lassen durch optische Er-
scheinungen, welche der vulkanische Staub in den höchsten Luftregionen
verursachte, und die sich von 0 nach W in 12—13 Tagen um die ganze
Erde zogen. Dies gibt für die Geschwindigkeit der obem Luftströmungen
87 m pro Sekunde, was mit den direkten Wolkenbeobachtungen in Washington
sehr nahe übereinstimmt.
Prof. Hildebrandsson teilt nunmehr die Ergebnisse seiner Berechnung
aller bekannt gewordenen Beobachtungen über die Bewegungen der höchsten
Wolken mit
a) Die Beobachtungen aus der heißen Zone erffeben sowohl für das
Gebiet des Atlantischen wie des Großen Ozeans, daß die höchsten Luft«
schichten der Tropenzone sich fast ohne Ausnahme von Ost nach West be-
wegen, bisweilen zeigen sich geringe Schwankungen zwischen NO und SO;
aber die Beobachtungen sind nicht zahlreich genug, um das Gesetzmäßige
dieser letztem erkennen zu lassen.
^) Rapport sur les Observations intemationales des Nuages, au Comite
internationales meteorologique par Hildebrand Hildebrandsson I. Upsalal903.
LuftbeweguDg, Winde und Stürme. 357
b) Die Zonen der Passatwinde. Es wird angenommen, daß der Anti-
passat auf der nördlichen Erdbälfte überall aus SW, auf der südlichen aus
NW weht, und man hat, wie oben mitgeteilt, sogar behauptet, daß dieser
Antipassat in den höhern Luftregionen bis zu den Polarkreisen vordringe.
Im Atlantischen Ozeane gibt es innerhalb der Region der Passate keine Beob-
iushtungsstation für die obem Luftströme, dagegen befindet sich im Gebiete
des SO-Passates das ausgezeichnete Observatorium der Insel Mauritius. Die
20jäfarigen Beobachtungen von 1877 — 1897 ergaben, daß daselbst der Anti-
passat ungefähr aus NW weht, und wir dürfen demnach schließen, daß auf
<ier nördlichen Erdhälfte mitten über dem Gebiete der Passate die obere
Luftströmung aus SW kommt. Beobachtungen auf Tenerife ergaben als
Richtung des Girruszuges W 15^ S, und 10 Jahre fortgesetzte Cirrus-
beobachtungen zu San Fernando (36<^ 37' nördl. Br.) westlich von der Gibraltar-
straße, zeigen, daß der Antipassat dort noch mehr gegen rechts abgelenkt
und fast zu einem reinen W- Winde geworden ist. La Lissabon schwankt
der Zug der Girruswolken zwischen W 84* S und W 10* N; es scheint
wahrscheinlich, daß diese Station zu Zeiten unter den äußersten nördlichen
Ausläufern des Antipassates, bald unter den Regionen der obem Winde der
gemäßigten Zone steht Die Passate, ebenso wie die hohen Luftdrucke der
Wendekreise, durch welche sie verursacht werden, schwanken bekanntlich
im Jahre auf und ab, indem sie der Sonne nach Norden und Süden folgen.
Auf diese Weise wird ein breiter Streifen nördlich vom Wärmeäquator im
Winter vom NO-Passat überweht, im Sommer dagegen in die tropische
Kalmenzone aufgenommen. In der Höhe herrscht über diesen Streifen bald
der südwestliche Antipassat, bald der östliche Luftstrom der Tropen. Dieser
Streifen bildet eine Region oberer Monsune.
In Mexiko ist dieser letztere sehr deutlich entwickelt; in den Monaten
November bis Mai strömt die Luft in den obem Regionen aus W 63^ S bis
W 320 S, in cien Monaten Juni bis Oktober aus 0 14« S bis 0 63« S. Der
Passat weht in Mazatlan (an der pazifischen Seite) während der kalten
Jahreszeit aus NO, während des Sommers ist er dagegen nach rechts ab-
gelenkt und schwankt zwischen ONO und 0. In Havanna (23® 9' nördl. Br.)
ziehen die Girruswolken im Winter und Frühlinge aus SW, im Sommer aus
O; im Herbste ist der obere Wind NW.
Ostindien. Ober der Region der Monsune und dem Arabischen Meer-
busen ist das Rej^e der Winde sehr kompliziert. Indien wird von dem
«igentlichen asiatischen Festlande durch Bergketten geschieden, deren Gipfel
die mittlere Höhe der obem Wolken überragen. Südlich von diesen Hoch-
gebirgen, im Gangesgebiete, sind die Monsune sehr abgelenkt; im Winter
weht dort der Wind aus NW, statt aus NO, und im Sommer wird der NW-
Monsun ein Wind aus S in den Gegenden nördlich vom Bengalischen Meer-
busen, steigt als NO die Gangeemündung hinauf und weht zu Allahabad
sogar aus NO. Diese Unregehnäßigkeiten zeigen sich selbst in den hohen
Regionen der Atmosphäre. Indessen weht in diesen über dem zentralen
Ostindien von Kurachee bis Guttack fast das ganze Jahr südlich ein obe rer
Wind aus W, ebenso in Assam. Im Süden des bengalischen Meerbusens
zwischen 0 und 10 ^ südl. Br. ist der Zug der Cirraswolken in den Monaten
November bis Febraar aus S 31® 0, dagegen zwischen 0 und 10<^ nördL
Br. S 39* W. Im Indischen Ozeane liegt also im Winter der Wärmeäquator
mit seinem obem östlichen Luftstrome südlich vom geographischen ^i^uator,
und dies ist die Ursache des NW-Monsuns in diesen Gegenden. Im Arabischen
Meere finden sich östliche obere Luftströme im Frühlinge zwischen 4 und 16*
nördl. Br. ; sie verlegen sich im Sommer bis nördlich über den Wendekreis
des Krebses und kehren im Herbste wieder gegen den Äquator zurück. In-
dessen scheint dieses Kommen und Gehen in verschiedenen Jahren ver-
schieden zu sein, doch reichen die bis jetzt vorhandenen Beobachtungen
nicht hin, die Erklärang im einzehien zu studieren.
358 Loftbewegong, Winde ond Stünne.
Die gemäßigten Zonen. Pater Marc Dechevrens hat im Jahre 1885
nachgewiesen, dan in der gemäßigten Zone die ndttlere Richtung des obem
Wolkenzuges das panze Jahr hindurch eine westliche ist Dies hat sich
für die ganze gemäßigte Zone in Europa, Nordamerika und Asien bestätigt,
und die Monsune Asiens, welche dort das Klima an der Erdoberfläche be-
stimmen, sind nur Luftbewegungen, welche kaum bis über 4000 m Höhe
hinaufreichen. Aus der gemäßigten Zone der südlichen Erdhälften liegen
nur wenige und unvollständige Beobachtungen vor, sie zeigen aber, daß die
Beweffunff der Girruswolken dort auch aus W stattfindet. Sonach ist also
zu schließen, daß über den beiden gemäßigten Zonen die größte Masse der
Luft bis zur Höhe der Girruswolken (8000— 11000 m) sich in einer Bewegung
Ton W nach 0 befindet Mit Ausnahme der tiefem Schichten, besonders
in der Region der Monsune, bildet also auf jeder der beiden Erdhemisphären
die Luftmasse einen ungeheuren Wirbel um ein den Polen nahes Zentrum.
Und femer, gleich wie in den gewöhnlichen barometrischen Depressionen,
bewegen sich die untern Luftmassen gegen das Zentram hin, während die
obem sich davon entfemen. Diese letztere Ablenkung tritt um so mehr
hervor, je mehr man sich der Cirrasregion nähert. Die Luftmassen über
dieser endlich zeigen keine Wolken mehr. Indessen haben die von Teisserenoe
de Bort emporgesandten kleinen Luftballons in einigen Fällen die Ciiros-
region erheblich überschritten und ergaben, daß die Luftbewegung in diesen
größten Höhen noch mehr rechts von der in der Cirrusregion herrschenden
abgelenkt ist, der Wind dort also aus der westlichen mehr in die nordwest-
Uohe Richtunff übergeht Hildebrandsson faßt alles in den Satz zusammen:
In den Höhen der Atmosphäre bis zu den höchsten, welche bis jetzt
erreicht wurden, ist die Luft in einer von W nach 0 gerichteten Bewegung
bemiffen, mit einer nördlichen Ablenkung oder Komponente, die mit der
Hone zunimmt.
Von den obem südlichen Luftströmungen, die in dem Systeme von
Ferrel und Thomson eine so große Rolle spielen, wird also bis in Höhen
von 16 und selbst 18 km keine Spur angetroffen, und die Luftmasse, die
sich über diesen Höhen befindet, ist offenbar sehr unbedeutend. »Man muß
daher«, sagt Prof. Hildebrandsson, »ein für allemal die Idee eines vertikalen
Luftaustausches zwischen den Tropen und den Polen fahren lassen, einer
Zirkulation, die übrigens auch praktisch unmöglich wäre, wenn man bedenkt,
wie außerordentlich gering die Höhe dieser Luftschicht im Vergleiche zu den
horizontalen Entfernungen ist. Hoffen wir, daß von nun an die »polaren«
und »äquatorialen« Luftströme, welche schon so viele Konfusion in der
dvnamischen Meteorologie angerichtet haben, endlich vollständig aus dieser
Wissenschaft verschwinden oder mindestens in dem Sinne, in welchem sie
bis jetzt benutzt wurden.«
Die subtropische Zone. Bis jetzt hat man angenommen, daß der
Antipassat sich über die Zone hohen Luftdruckes des Wendekreises fort-
setzt, um als Äauatorialstrom gegen den Pol hin längs der Erdoberfläche
zu fließen oder als oberer Strom. Indessen wurde jetzt konstatiert: 1. daß
der Antipassat, sobald er über der Nordgrenze des Passates anlan^ also
nahe dem Gipfel des hohen Luftdmckes des Wendekreises (Tenenfe, San
Fernando, Lissabon) schon so weit nach rechts abgelenkt ist, daß er zum
Westwinde wurde; 2. daß die Luft über der gemäßigten Zone in einem ge-
waltiffen Wirbel fortgerissen wird, dessen Zentrum sicn in den Polargegenden
befindet, wo der Luftdruck am niedrigsten ist, und welcher von W nach O
rotiert, während dessen die Luft der untern Schichten sich diesem Zentrum
nähert, die der obem da^^egen wie bei einem gewöhnlichen Zyklone sich
davon entfernt Unter diesen Verhältnissen müssen wir erwarten, daß die
obem Luftströme, die aus dem großen polaren Wirbel heraustreten, dem
nördlichen Abfalle der Zone hohen Drockes unter dem Wendekreise zu-
streben, und diese Region also von 2 Seiten gespeist wird, nämlich südwärts
LuftbewegUDg, Winde und Stürme. 859
von dem Antipassat und nordwärts von der nordwestlichen Luftströmung.
Das findet nun in der Tat statt, wie die Beobachtungen in Europa, in
Indien und Nordamerika klar zeigen.
Prof. Hildebrandsson faßt schließlich das Ergebnis seiner wichtigen
Untersuchung in folgenden Sätzen zusammen:
1. Über den Wärmeäquator und der ä(]|uatorialen Kaknenregion ist in
der Höhe der Atmosphäre das ganze Jahr hindurch ein östlicher Luftstrom
vorhanden, welcher in großen Höhen eine beträchtliche Geschwindigkeit zu
besitzen scheint. 2. Ober der Region der Passate herrscht ein Antipassat,
der auf der nördlichen Hemisphäre aus SW, auf der südlichen aus NW
kommt. 3. Dieser Antipassat überschreitet nordwärts nicht die Polai^^enze
des untern Passates und wird auf der nördlichen Erdhälfte, je weiter er
vordringt, mehr und mehr nach rechts, auf der südlichen nach links ab-
gelenkt, so daß er schließlich zum Westwinde wird über der Zone des hoben
Harometerdruckes der Wendekreise, woselbst er herabsinkt und den Passat
speist 4. Die Regionen an der äquatorialen Grenze des Passates treten
je nach der Jahreszeit bald in den Passat, bald in die äquatoriale Kalmen-
zone ein. Darüber in großer Höhe weht ein oberer Monsun, nämlich der
Antipassat im Winter und der östliche Äquatorialstrom im Sommer. 5. Von
der Zone hohen Druckes unter den Wendekreisen nimmt der Luftdruck
durchschnittlich kontinuierlich gegen die Pole hin ab, mindestens bis jen-
seits der Polarkreise. Dabei ist die Luft der gemäßigten Zonen in einer
allgemeinen Wirbelbewegung von W nach 0 begriffen. Diese Wirbelbewegung
scheint von derselben Natur zu sein wie diejenige der gewöhnlichen Zyklone,
indem die Luft in den untern Schichten sich dem Zentrum nähert, die der
obem aber davon entfernt, und zwaf zunehmend mit der Höhe über dem
Boden bis zu den höchsten Regionen, über die uns noch Beobachtungen
zur Verfügung stehen. 6. Die obem Luftschichten der gemäßigten Zonen
breiten sich über die Regionen des hohen Luftdruckes der Wendekreise
hin aus und sinken dort herab. 7. Die Unregelmäßigkeiten der Luft-
bewegung, welche man an der Erdoberfläche besonders in der asiatischen
MoDSunregion antrifft, verschwinden im allgemeinen schon in den Regionen
der mittlem Wolken. 8. Die Ferrellsche und Thomsonsche Hypothese der
vertikalen Zirkulation der Luft zwischen den Wendekreisen und den Polen
muß völlig aufgegeben werden.
Prof. Hildebrandsson geht nicht auf die Ursache der von ihm nach-
gewiesenen Luftzirkulation in der Atmosphäre ein, doch hebt er hervor,
daß Prof. Duner durch seine spektroskopischen Untersuchungen ^) eine ganz
ähnliche Zirkulation in der Sonnenatmosphäre nachgewiesen hat, nur sind
dort che Luftströme die entgegengesetzten. Duner hat bewiesen, daß die
Rotationsgeschwindigkeiten unter den verschiedenen Parallelkreisen auf der
Sonne verschieden sind, die Geschwindigkeit ist am größten unter dem
Äquator und nimmt gegen die Pole hin ab. Dies beweist, daß dort unter
dem Sonnenäq[uator eine von W nach 0 gerichtete Strömung vorhanden ist
und polare Wirbel, die sich von 0 nach W drehen.
Schließlich bemerkt Prof. Hildebrandsson, daß die Richtung, in der
sich die obem Luftströme in der Erdatmosphäre bewegen, nahezu mit der
der durchschnittlichen Bewegungsrichtung der barometrischen Depressionen
zusammenfällt. Daher sei es wahrscheinlich, daß diese letztem oder
wenigstens ein großer Teil derselben als SateUiten der großen atmosphärischen
Strömungen entstehen. Zu diesem Zwecke würde es genügen, daß ein Teil
irgend einer Strömung eine größere Geschwindigkeit besitzt als die vor ihm
befindlichen Massen, um den Überschuß an Energie dieses Teiles in drehende
Beweffung zu verwandeln, gerade so, als wenn dieser Teil auf eine Wand
gestoßen wäre. Übrigens habe man schon beobachtet, daß die Geschwindig-
^) Acta Soc. Reg. Sc. Upsala 1891.
360 Luftbewegong, Winde und Stürme.
keit der obem Luftströme oft größer auf der Rückseite als auf der Vorder-
seite einer Depression sei. Auf diese wichtigen Fragen gedenkt Prof. Hilde-
brandsson später zurückzukommen.
Ober die Bewegrangren der Zyklone und Antizyklone
machte John Aitken einige Bemerkungen.^) Er weist darauf hin,
wie die taglichen Wetterkarten zeigen, daß wenn eine Depression
aufgetreten ist, die von Winden umweht wird, welche ungleich
heftig sind, sie sich nach der Richtung fortbewegt, in welcher die hef-
tigste Luftströmung liegt Mit andern Worten heißt dies: die Be-
wegung des Zentrums der Zyklone erfolgt parallel den Isobaren, die
an der Seite des stärksten Gradienten liegen. Die Bewegung ist
femer um so rascher, je größer der Unterschied in den Gradienten
an den beiden entgegengesetzten Seiten der Zyklone ist, während bei
nahezu gleicher Windstarke die Zyklone stationär bleibt Diese Schluß-
folgerungen von Aitken sind übrigens in solcher Allgemeinheit nicht
zutreffend, wie jeder weiß, der die täglichen synoptischen Wetter-
karten auch nur eines einzigen Jahres durchstudiert Auch beschränkt
Aitken schließlich seine Behauptung auf die Zyklone mit kreisförmigen
Isobaren, meint aber die Zyklone mit elliptischem Querschnitte,
welches die meisten sind, verlängern sich diese nach der Richtung
der stärksten Winde. Die Frage, weshalb die meisten über Europa
hinwegziehenden Zyklone sich in nordöstlicher oder östlicher Richtung
bewegen und rascher in dieser statt in anderer, beantwortet er durch
den Hinweis auf eine besondere Disposition der Lage der Antizyklone.
Die beiden barometrischen Hochdruckgebiete, welche die Bewegung
der über Nordwesteuropa ziehenden Zyklone regeln, liegen das eine
südwestlich von Spanien, das andere über Nordasien. Das eine
wirkt daher durch die Luftströme seiner nördlichen Seite, das andere
durch diejenigen seiner südlichen. Im ersten Falle sind es also
Winde, die ursprünglich aus niedrigen Breiten kommen und daher
eine größere östliche Bewegung besitzen, als derjenigen entspricht,
welche der Gegend angehört, über der sie herabkommen, außerdem
partizipieren sie an der in der Höhe herrschenden Luftbewegung vom
Äquator gegen die Pole. Im südlichen Teile einer Antizyklone sind
diese Verhältnisse ganz andere ; daher wirkt die südwestlich liegende
Antizyklone durch ihre intensivsten Luftströme auf die Bewegung
der Zyklone, die nordöstlich liegende durch ihre schwächsten. Der
Einfluß der erstem muß also überwiegen, und die barometrischen
Blinima, welche zwischen beiden passieren, werden daher die von
der ersten ihnen aufgedrückte Bewegungsrichtung einschlagen, voraus-
gesetzt, daß die Winde, welche sie bedingen, aus W und SO kommen.
Außerdem ist die nördliche Antizyklone im allgemeinen weniger be-
deutend und fehlt bisweilen ganz.
>) Transact. Royal Soc. of Edinburgh 40. part. I Nr. 7.
Luftbewegang, Winde und Stürme. 361
Die Luftströmungen auf dem Gipfel des Sänüs und
ilire jährliche Perlode sind von Prof. Hann untersucht worden.^)
Der Säntisgipfel (2504 m über dem Meere) ist die einzige meteorolo-
gische Gipfelstation 1. Ordnung, von welcher eine längere Reihe von
^anemometrischen Aufzeichnungen publiziert und teilweise bearbeitet
vorliegt Der Verf. hat deshalb diese wertvolle Beobachtungsreihe
zu einer Untersuchung benutzt nach der Richtung, inwieweit sich
AUS derselben einige Resultate betreffend die Zirkulation der Atmo-
sphäre ableiten lassen möchten. Es wurden zu diesem Zwecke zu-
nächst aus den für 16 Windrichtungen publizierten Windwegen die
Größe der 4 Komponenten für die 12 Monate berechnet, und zwar
für jedes der 3 Lustren 1886—1890, 1891—1895 und 1896—1900
besonders, um die Tragweite der Mittelwerte für die gesamten
15 Jahrgänge beurteilen zu können. Es zeigte sich dabei, daß die
Übereinstimmung der jährlichen Periode der Komponenten in jedem
4eT 3 Luslren eine sehr große ist, und deshalb folgende allgemeine
Resultate feststehen.
Die Nordkomponente erreicht ihren größten Wert im Januar
und Februar und den kleinsten im Juli und August Sie bleibt in
den 6 Monaten Juni bis November unter dem Jahresmittel, von
Dezember bis Mai hält sie sich über demselben, im April ist die
Abweichung nahezu Null. Die Ostkomponente hat fast dieselbe jähr-
liche Periode wie die Nordkomponente, das Maximum im Winter ist
aber viel stärker ausgeprägt, ebenso das Minimum vom Juni bis
zum September. Der Gegensatz zwischen Winter- und Sommerhalb-
jahr tritt entschieden hervor (April bis September bleibt unter dem Mittel).
Die Südkomponente hat einen noch stärker hervortretenden
jährlichen Gang, sie bleibt unter dem Jahresmittel von März bis
August und hält sich über demselben von September bis Februar.
MaTimum Oktober und November, Minimum Juni.
Bei der Westkomponente ist die jährliche Periode weniger regel-
mäßig, aber ganz entschieden treten auf: ein sehr großes Maximum
im Juli und August und ein ebenso großes Minimum im April und
besonders im Mai.
Der Verfasser sucht auch die Beziehungen aufzudecken zwischen
'dieser jährlichen Variation der Windkomponenten und der Luftdruck-
verteilung im Meeresniveau, die im allgemeinen ziemlich gut zu er-
kennen sind, so daß also im Niveau von 2^/, km die Druckverteilung
nicht viel abweichen kann von jener am Meeresniveau.
Von den zwei zusammengesetzten Komponenten S — N und
W — 0 erreicht erstere ihren kleinsten Wert im Mai und ihren größten
im Oktober, letztere hat ebenfalls ihr Minimum im Mai, ihr Maximum
aber im Juli und August.
>) Kaiserl. Akad. d. Wissenschaften in Wien, Sitzung v. 2. April 1908
10. p. 87.
362 Elektrische Lufterscheinungen.
Die Hauptresultierende ist W29^ S und yariiert nur wenig im
Jahre. Sie ist am südlichsten im Oktober und November (W41^S)
und am meisten rein westlich im Juni und Juli (W20^S).
Aus den Abweichungen der Monatswerte der Komponenten vom
Jahresmittel werden dann gleichfalls die resultierenden Windrichtungen
berechnet, welche den Einfluß der Jahreszeiten auf die Ablenkung
der Windrichtungen vom Jahresmittel rein zum Ausdrucke bringen,
also die Winde der Jahreszeiten darstellen, nach Eliminierung des
mittlem Druckgefalles. Dabei ergibt sich, daß im Winter die mitt-
lere Windrichtung nordöstlich wird, im Sommer ziemlich rein westlich,
im Herbste (September bis Oktober) südlich bis südöstlich. Die Jahresseit
allein würde vom Dezember bis zum Mai inklusive 0- und NO- Winde
hervorrufen, während im Sommer fast rein westliche Winde, im
September SW- Winde und im Oktober und November Südwinde mit
leichter Ablenkung nach 0 wehen würden.
Es wird femer gezeigt, daß es sich in Wien ganz ähnlich ver-
hält, den Winter ausgenommen, der hier SW-Winde hat (oben NO),
sonst ist die Obereinstimmung auffallend groß.
Der Verfasser weist dann nach, daß die monatlichen Abweichungen
der Druckverteilung über Europa vom Jahresmittel mit diesen »Winden
der Jahreszeiten« in guter Übereinstimmung sich befinden, wenn auch,
im einzelnen wenigstens scheinbare Abweichungen vorkommen.
Elektrische Lufterscheinungren.
Die Elektrizitätszerstreuungr in der Atmosphäre ist von
Prof. Dr. P. Gzermak seit Dezember 1901 in Innsbruck systematisch
studiert worden. Er stellt nun die Ergebnisse von etwa 1800 Einzel-
beobachtungen zusammen, begleitet von vielen Diagrammen, welche
den Verlauf der Elektrizitätszerstreuung in der täglichen und in der
jährlichen Periode und bei verschiedenen Witterungsverhältnissen zur
Anschauung bringen. Die wichtigsten Ergebnisse sind: 1. Die Elek-
trizitätszerstreuung besitzt einen deutlichen jährlichen Gang, im Winter
treten die kleinsten, im Sommer die größten Werte auf. 2. Des-
gleichen ist ein deutlicher täglicher Gang ausgesprochen mit einem
auffälligen Minimum zwischen 11 und 12 Uhr mittags und einem
Maximum am Nachmittage zwischen 3 — 5 Uhr. 8. Kurven, die
vielleicht als normal betrachtet werden dürfen, scheinen für eine
doppelte tägliche Periode der Elektrizitätszerstreuung zu sprechen,
mit einem 2. Minimum in der Nacht und einem 2. Maximum um
8 Uhr morgens herum. 4. Bei Föhn tritt eine starke Zunahme der
Zerstreuung ein, am deutlichsten in den Wintermonaten ; die größten
Werte der Zerstreuung treten aber an Tagen mit starker Kumulus-
und Gewitterbildung auf, also bei lebhafter aufsteigender Luft-
bewegung. 5. Korrespondierende Beobachtungen auf dem Patscher
Kofel und zu Innsbruck ergeben die schon bekannte Zunahme der
Elektrische Lufterscheinongen. 368
Elektrizitatszerstreuung in der Höhe mit starkem Oberwiegen der
Zerstreuung negativer Elektrizität und eine Verspätung der taglichen
Extreme. Der Verf. ist geneigt, der aufsteigenden Luftbewegung eine
große Rolle zuzuschreiben bei den Änderungen der Elektrizitatszer-
streuung und weist dabei hin auf die von Elster und Geitel, sowie
von Ebert nachgewiesene starke Ionisierung der Bodenluft Im Winter»
wenn der Boden kalter als die Luft und mit Schnee bedeckt ist,
kann die Wirkung der Bodenluft nicht zur Geltung kommen.
Untepsuchangen über die Schadenblitze in Ungrarn hat
L. von Szalay angestellt^) als Fortsetzung seiner vor 2 Jahren ver-
öffentlichten Blitzstatistik Ungarns in den Jahren 1890 — 1900. Im
ganzen stand ihm jetzt eine Reihe von 29 Jahren zur Verfügung,
doch beschränken sich seine Untersuchungen zum Teil auf die Jahre
1897 — 1901. Die Gesamtzahl der zündenden Blitzschläge während
der Jahre 1873 — 1901 beträgt für Ungarn 6790, in den Jahren
1696—1900 beträgt sie 1607, im Jahre 1901 allein 996, darunter
197 Fälle mit tödlichem Ausgange. Verl faßt seine Ergebnisse in
folgendes SchluiSresultat zusammen:
A. Tödliche Blitze. 1. In den Jahren 1897—1901 hatte
der Blitz 798 Menschen getötet; dies entspricht einem jährlichen
Mittel von 159.6 Fällen. 2. Die im Jahre 1901 vorgekommenen töd-
lichen Blitzschläge zeigen — im Verhältnis zu den frühern Jahren
— ein Ansteigen der Fälle, indem deren Zahl zwischen 147 — 158
variierte, hingegen im Berichtjahre sich auf 197 erhöhte. 3. Die
Einwohnerzahl in Ungarn betrug nach der Volkszählung vom Jahre
1901 16 721 574 Seelen, daher entfallen auf 1 Million Einwohner
9.57 tödliche Fälle. 4. Durch Blitz wurden im Jahre 1901 127
Männer, 11 Knaben, 46 Frauen und 13 Mädchen getötet 5. Die
größte Zahl lieferten hierzu die mit Landwirtschaft sich beschäftigenden
Leute. Es waren unter diesen 10 Landwirte, 48 Landmänner, 28
Peldarbeiter, 9 Knechte, 7 Schäfer, 4 Hirten, 3 Ochsenhirten, 1
Schweinehirte, 1 Roßhirte, 1 Kutscher, 1 Gärtner; außerdem waren
29 Landmannsfrauen, 15 Feldarbeiterinnen und 2 Schäferinnen; ins-
gesamt 159 Personen. Von einem andern Berufe Angehörenden wurden
2 Kaufleute, 1 Zimmermann, 5 Grubenarbeiter, 2 Töpfer, 2 Glöckner,
1 Straßenräumer und ein Bettler, also zusammen 14 Erwachsene,
femer 3 Schulknaben, 1 Schulmädchen, 8 kleinere Knaben und 12
kleinere Mädchen vom Blitze getötet Die gesamte Zahl der männ-
lichen Opfer betrug 138, die der Frauen 59. 6. Die Opfer wurden
unter folgenden Umständen vom Blitze ereilt: 106 im Freien, 43
unter Dach, 28 unter Bäumen, 4 unter Tristen, Schobern und unter
Pruchtgarben, 2 unter getrockneten Maisstengeln, 2 in Türmen während
des Läutens, 3 während der Flucht auf offenem Felde, 2 an die
^) Jahrbuch der Königl. ungar. ReichsanBtalt f. Meteorologie 1908.
Sl.Teüm.
864 Elektrische Lnfteraoheiiiaiigen.
Wand sich lehnend, 1 unter der Türschwelle, 2 im Bergwerke, 1 im
Wagen während der Fahrt. 7. Der Anzahl nach kamen im Komitat
Pest während der 5 Jahre die meisten (87) Fälle vor, hingegen
nach der Dichtigkeit der Bewohner steht das Eomitat Gömör und
Szilagy am ersten Platze, denn im erstem entfallt auf 88 283, im
letztem auf 88 327 Einwohner ein tödlicher Blitzschlag. Am glück-
lichsten ist das Eomitat Esztergom, denn hier kam während der
yerflossenen 5 Jahre kein einziger Fall mit tödlichem Ausgange vor.
B. Sonstige Schadenblitze. 1. Indem Zeiträume der Jahre
1878 — 1901 kamen in Ungarn 6790 zündende Blitzschläge vor.
2. Aus dem 29 jährigen statistischen Resultate der zündenden Blitze
ergibt sich ein Jahresmittel von 284 Fällen. 3. Im Jahre 1901
kamen in Ungarn 502 Brand und 494 sonstigen Schaden verur-
sachende Blitze vor. 4. Der durch Blitz in beweglichem und unbe-
weglichem Gute, sowie im Viehstande verursachte Schaden beträgt
951 670 Kronen. 6. Die Blitzschläge waren nach Zahl im letzten
Jahre am häufigsten im Eomitate Bihar, wo insgesamt 45 Fälle
vorkamen, darunter 28 solche, die Brandschaden verursachten. Die
Eomitate Lipto, Maros-Torda, Säros und Udvarhely wurden von
zündenden Blitzschlägen in diesem Jahre verschont Die kleinste
Anzahl der zündenden und sonstigen Schadenblitze haben die Eomitate
Csik, Moson und Turocz aufzuweisen. 6. Am häufigsten kamen die
Blitzschläge im Monate Juli vor, und zwar mit 828 Fällen, welche
bereits das Drittel der jährlichen gesamten Fälle betragen. Dagegen
sind die Monate Januar, Febmar, Oktober, November, Dezember von
solchen frei geblieben. 7. Die meisten Fälle hat der 24. Juli aufeu-
weisen, denn an diesem Tage kamen insgesamt 80 Fälle vor.
8. Nach Stunden des Tages konzentrierten sich die meisten Fälle
(247) auf die Nachmittagsstunden von 2—4 Uhr, die wenigsten (11)
Fälle auf die Morgenstunden, ebenfalls zwischen 2 — 4 Uhr.
Eine Earte gibt die Verteilung der 1897 — 1901 vorgekommenen
Blitzschläge auf die verschiedenen Eomitate Ungarns nach ihrer
Häufigkeit an.
Optische Erscheinunsren der Atmosphäre.
Außergrewöhnüehe Dämmerungserscheinungren im Jahre
1902. Prof. M. Wolf vom astronomischen Observatorium in Heidel-
berg berichtet:^) Die interessantesten Ereignise für die meteorologische
Beobachtung waren im Jahre 1902 die zu ungeahnter Pracht ent-
wickelten Dämmerungserscheinungen, die beinahe dieselbe Stärke wie
im Jahre 1884 erreichten. Die erste purpurne Dämmerungserscheinung
wurde von uns am 17. Juni beobachtet Die Erscheinungen spielten
sich in der bekannten, durch W. Bezold in so meisterhafter Weise
^) Vierteljahrsschr. d. astronom. Gesellschaft 88. p. 117.
Optische EischeinuDgen der Atmosphäre. 865
beschriebenen Folge ab. Vom 17. Juni ab zeigten sie sich an jedem
einigermaßen klaren Abende bis zum 6. Juli, von wo ab nur noch
die rubinrote Färbung, allerdings viel stärker als in andern Jahren,
beobachtet werden konnte. Die 2 Purpurlichter und die purpurne
Gegendämmerung waren um den 26. Juni am stärksten entwickelt.
Am 24. Juli begann eine zweite schwächere Periode der Purpurlichter,
die das ganze Jahr anhielt, bald schwächere, bald stärkere Entwick-
lung äußernd. Besonders im Oktober war ein Maximum ausge-
sprochen. Der Bishopsche Ring konnte aber merkwürdigerweise erst
im Januar 1903 gut erkannt und an Sonne und Mond gemessen
werden.
Selbstverständlich wird man die Erscheinungen mit dem Aus-
bruche der westindischen Vulkane in Verbindung zu bringen suchen.
Der erste heftige Ausbruch des Mont Pele erfolgte am 8. Mai 1902.
Es währte also fast 6 Wochen, bis der Staub bei uns in diejenigen
Luftschichten kam, wo die Purpurlichter entstehen.
Andere Beobachtungen sprechen aber dafür, daß er bereits früher
über uns schwebte ; nämlich die täglichen Beobachtungen der Sonnen-
strahlung. Das Strahlungsthermometer zeigte nämlich nach Pentaden-
mitteln:
Mai 26.— 81. mittlere MaximaLstrahlung .... 45.8o
Juni 1.— 5.
6.-10
11.-15.
16.— 20.
21.-26.
26.-80.
49.9
89.8
89.1
40.0
41.2
46.4
Damach ist es wahrscheinlich, daß die Staubtrübung bereits
gegen den 10. Juni bei uns eingetreten ist, was einer Geschwindig-
keit von 5 Wochen entsprechen würde.
Auch die astronomische Durchsichtigkeit des Himmels war in
der ganzen 2. Hälfte des Jahres schlechter als sonst
Ober Luftspiegrelungren in Ungarn hat P. J. Fenyi, auf
der Sternwarte in Ealocsa Beobachtungen angestellt.^) Luftspiegelungen
sind eine dem Landvolke auf der großen ungarischen Tiefebene wohl-
bekannte Erscheinung, welche auch mit eigenem Namen »delibab«
bezeichnet wird.
P. J. Fenyis Standpunkt war der Balkon der Sternwarte, der 15 m
über der Straße sämtliche Gebäude der Stadt in den Richtungen,
in welchen beobachtet werden mußte, überragt; die Höhe über der
großen Ebene beträgt um ein paar Meter mehr. Obwohl von den
Höhen der Sternwarte aus der ganze Horizont frei ist, kann doch
nur im Quadranten SO — ^NO Luftspiegelung gesehen werden, weil in
den übrigen Richtungen teils ferne Hügelzüge jenseits der Donau den
Horizont abschließen, teils die Bewaldung der Donauufer oder auch
') Meteorol. ZeitBchr. 1902. p.ßOT.
366 Optische Erscheinuiigeii der Atmosphäre.
die zeratrenten Bäome auf den Gtefilden eine Spiegelung nicht su-
stande kommen oder nicht beobachten lassen. Die Spiegelungen
sind an jedem besonnten Tage an denselben Stellen in derselben
Form zu sehen, nur mehr oder weniger ausgeprägt, je nadi der
Klarheit und Ruhe der Luft und Stärke der Insolation. Ein scharfes
Auge sieht schon ohne Femrohr am Horizonte scheinbare Wasser-
flächen, aus welchen dahinterstehende Bäume oder Häuser henror-
ragen; letztere sind wegen der großen Helligkeit der Wände auch
in den Wasserflächen verlängert, gespiegelt zu sehen« Die Erschei-
nung hat nichts weniger als etwas Zauberhaftes, ist vidmehr
sehr unklar und unscheinbar. Objekt und Spiegelbild ersduoien
oft in gleicher Weise verschwommen und stark dubios. Manch-
mal war das Objekt in die Länge gezogen und das Spiegelbild zu-
sammengedrückt In einem andern Falle sah der Beobachter in einer
langen schmalen Wasserfläche ein Haus und mehrere Bäume in der-
selben Linie, doch aUe nur teilweise, soweit es die Breite der
Spiegelfläche gestattete, gespiegelt Diese sind die günstigsten Fälle,
welche er zum Beweise einer wirklichen Spiegelung anführen kann.
Eine klare, vollkommene Spiegelung kann nie beobachtet werden,
weil bei der Insolation die Bilder äußerst unruhig und verschwommen
sind, so daß es unmöglich ist, das Spiegelbild mit Evidenz zu
identiflzieren. Der Mangel liegt aber keineswegs in der Unvoll-
kommenheit des Spiegels ; das Objekt selbst erscheint um gar nichts
schärfer noch klarer, als sein Spiegelbild.
Betreffs der Tageszeit der Erscheinung kann Verf. über die Morgen-
stunden keinen Aufschluß geben, da er gegen 0, also gegen die
Sonne beobachten müßte. Etwa von 10^ — 4P sind die Luft-
spiegelungen zu sehen. Ein Wind von etwa Stärke 3 scheint nicht
eben hinderlich zu sein. Die günstigste Jahreszeit ist das Frühjahr,
was sich aus der kräftigen Insolation und auch aus dem Umstände
erklärt, daß die (Gefilde noch ohne Vegetation sich darbieten. Auch
in der Epoche der höchsten Sommerhitze, im Juli und August, ist die
Luftspiegelung keineswegs so glänzend, als zu erwarten wäre, nament-
lich weil da die Stoppelfelder noch unbewachsen sind. Es ist auch
sehr bemerkenswert, daß überhaupt keine hohe Temperatur notwendig
ist; Verf. hat die Spiegelung gerade sehr schön im März bei einer
Temperatur unter dem Oefrierpunkte beobachtet.
Klimatologie.
Eine kaFtogrraphlsehe Darstelluns^ der Sonnenschein-
daueF in Deutsehland hat Dr. A. Eichhorn gegeben.^) In den
Erläuterungen dazu bemerkt er, daß zurzeit in Deutschland 36 Stationen
vorhanden sind, an denen die Dauer des Sonnenscheines durch dem
*) Petermanns Mitteilungen 1903. p. 102.
Klimatologie. 367
Campbell-Stokesschen Apparat regelmäßig registriert wird, doch geben
diese Apparate naturgemäß zu wenig Sonnenschein an. >Ein Blick
^uf die Karte«, sagt Dr. Eichhorn, »bestätigt zum Teil die allgemeine
Erfahrung, die längst einen sonnigen Süden und trüben Norden
kennt, und auch das für Europa als allgemein gültig angenonunene
Grundgesetz, daß der Abnahme der geographischen Breite die Zu-
nahme der Insolationsdauer parallel gehe, allerdings mit gewichtigen
Ausnahmen in Deutschland. Die Sonnenscheindauer beträgt an den
für Schottland charakteristischen Stationen Stomoway 3.4, Aberdeen
3.5, Glasgow 2.9, mithin durchschnittlich 3.3 Stunden pro Tag;
ebensoviel in Dänemark (Kopenhagen 3.3). In Irland steigert sie
sich — Dublin 4.0, desgL Valencia — auf 4.0; für England möge,
London und die Industriegebiete ausgenommen, Oxford mit seinen
4.0 Stunden als Normalstation gelten. In Deutschland sind, abge-
sehen von Orten mit eigenartigen, abnormen Verhältnissen, die Grenz-
werte der täglichen Sonnenscheindauer 4.2 und 4.8 im Mittel ; erstere
Zahl gilt für Aachen und Kassel, letztere für Jena, Samter und
Leobschütz; die durchschnittliche Dauer beträgt also 4.5 Stunden
pro Tag. Im Schweizer Hügellande steigt sie von 4.7 in Basel,
Zürich, Bern auf 5.2 in Lausanne. In den Alpen hält sie sich
zwischen 4.9 (Davos) und 5.7 (Bozen); sie kulminiert am südlichen
Fuße derselben mit 6.1 in Lugano. Während sie im sonnigen Italien
in Padua 5.6, in Rom 6.7 und jenseits der Adria, in Pola sogar
7.6 Stunden durchschnittlich währt, erreicht sie im sonnenschein-
reichsten Teile Spaniens — Gordoba hat nur 7.2 Stunden — , in
Madrid mit 8.0 Stunden pro Tag den Höchstbetrag in Europa.
Das für ganz Europa im allgemeinen gültige Gesetz der Zunahme
der Sonnenscheindauer von N nach S kommt keineswegs an allen
deutschen Stationen zum Ausdrucke; die Wirkungen anderer, durch
lokale Einflüsse bedingter meteorologischer Verhältnisse, so infolge
<ler Lage der Stationen der See oder in einem Industriezentrum, in
«inem engen Talkessel, auf einem Berggipfel usw., überdecken häufig
obiges Grundgesetz.
Es ergibt sich, daß in Deutschland im Jahresdurchschnitte die
Oegend um Jena, dann eine breite Zone, die fast ganz Hinterpommem
und die Provinz Posen umfaßt und der südöstlichste Teil von Schlesien
den meisten Sonnenschein genießen, nämlich durchschnittlich täglich 4.8
Stunden lang. Ihnen folgt eine breite Fläche vom nordwestlichen
Holstein über die Lüneburger Heide bis Hannover, und eine zweite
Fläche, die sich vom Taunus durch die oberrheinische Tiefebene bis
Oftenburg in Baden erstreckt, mit 4.7 Stunden täglichem Sonnenscheine.
Die an Sonnenschein ärmsten Gebiete sind das mittlere und östliche
Westfalen, Hessen, besonders das Gebiet um den Inselsberg, das
südwestliche Sachsen mit Chemnitz im Büttelpunkte und die Gegend
um Aachen; endlich ein kleiner Bezirk um Kiel Im allgemeinen
konunt den Gegenden in der Nähe des Meeres mehr Sonnenschein
868 KUmatologie.
zu als den bümenlaiidischen Bezirken; aber den größten Verlust,
ganz unabhängig von ihrer geographischen Lage, weisen die Großstadt-
und Industriebezirke auf. Wie Dr. Eichhorn nachweist, kann hier
ein Verlust bis zu 75% eintreten; der aufsteigende Ruß der Schorn-
steine verursacht diesen ungeheuren Verlust an Sonnenschein. »Die
Physiognomie, die Sheffield eigen ist — eine Stadt, die sich, aus
der Feme gesehen, einfach als ungeheure Rauchwolke in einer
sonniglachenden Landschaft präsentiert — , paßt zu Zeiten auch auf
manche Teile deutscher Industrie- und Ghroßstädte.c Am ungünstigsten
steht in dieser Beziehung unter den deutschen Großstädten Hamburg^
da; es hat eine mittlere tägliche Sonnenscheindauer von nur 3.5
Stunden. Berlin hat 4.5 Stunden, undGlan hat nachgewiesen, da&
dort infolge des Staub- und Rauchgehaltes der Luft der Lichtverlust
viermal größer ist, als in freier Luft Abends tritt Aufhellung ein,
da dann viele Fabrikschomsteine keinen Rauch mehr entsenden. Di»
Höhe der lichtverschlingenden Schicht ist nicht groß, sie beträgt etwa
das Dreifache der Höhe der Wohnhäuser. Im Winterhalbjahre zeigt nach
der Karte von Eichhorn die Sonnenscheindauer in Deutschland eine wesent-
lich andere Verteilung. Es ergibt sich für die Südküste der Ostsee ein
sonnenscheinarmes Gebiet, und Hamburg erleidet unter allen deutschen
Städten den größten Ausfall an Sonnenschein auch im Winter. Ein
2. Gebiet mit Sonnenlichtmangel im Winter liegt in Ostpreußen um
Margrabowa herum, infolge der Nebelbildung über der preußisdien
Seenplatte. Am sonnenscheinreichsten ist im Winter das Rheinland
von Norden nach Süden zunehmend, Elsaß und Lothringen, ein Teil
von Württemberg und Franken, sowie das südwestliche Schlesien
und die Grafschaft Glatz. Da es keinem Zweifel unterliegen kann, daß
die sonnenscheinreichsten auch die von Krankheitskeimen am freiesten
Gegenden. Deutschlands sind, so geben die Untersuchungen Eichhoms
auch wertvolle Fingerzeige für die Anlage von Tuberkuloseheilstätten»
Baohdraokerei Robert Noske, Borna -Leipiig.
JAHRBUCH
der
Astronomie und Geophysik.
Enthaltend die wichtigsten Fortschritte auf den Gebieten
der ' •■ .
Agtropilygik, Meteorologie and physikalischeii Erdlmiide.
\T Mitwirkung von Fachmännern
herausgegeben
Prof. Dr. Hermam J. Klein.
XV. Jabriaii 1904.
Mit eecha Tafeln.
EDUARD HEINRICH MAYER
Verlagsbuchhandlung
X«lpBir 1906.
Inhaltsübersicht.
Bette
Inhaltsüberaiolit HI— Vm
Astrophysik.
Sonne 1—14
Die Fleckentätigkeit der Sonne im Jahre 1903 1
Die Verteilung der Flecke und Fackeln auf der Sonne während
der elfjährigen Fleckenperiode, von A. Mascari untersucht. . 3
Die Verteilung der Sonnenflecke in heliographischer Breite von
1874 bis 1902, von Walter Maunder 3
Das Spektrum der Sonnenflecke, durch A. L. Gortie beobachtet . 4
Umkehr der Linie D, im Sonnenspektrum, beobachtet von
H. Kreusler 6
Kalzium- und Wasserstofflockeln in der Sonnenatmosphäre, von
Prof. Haie und Ellermann 6
Eine Schwankung der Sonnenstrahlung, von S. P. Langley wahr-
scheinlich gemacht 9
Die Sonnenfinsternis vom 28. Mai 1900, von der Smithsonian-
Expedition beobachtet 10
Sonnentätigkeit und Erdmagnetismus, von Prof. Ricco .... 12
Planeten 14—39
Planetenentdeckungen im Jahre 1903 14
Beobachtungen des Planeten Venus 1903, von Peroival Lowell 17
Eine neue Bestimmung der Richtung der Rotationsachse des Mars
von P. Lowell 18
Bamards Beobachtungen über die südliche Polarzone des Mars 19
Marsbeobachtungen während der Opposition von 1903, von T.-E.-
R. Phillips 22
Die Kanäle Thoth und Amenthes auf dem Mars, von P. Lowell
untersucht 23
Veränderungen im Mare Er3rthraeum, von Percival Lowell entdeckt 28
Neue Untersuchungen über die jahreszeitlichen Veränderungen auf
dem Mars und das Wesen der Marskanäle, von P. Lowell 30
Lichtwechsel des Planeten Iris 36
Lichtänderungen des Planeten Hertha (135) 35
Das Spektrum des Jupiter, von Bdillochau auJ^enommen ... 35
Veränderliche Bewegung des roten Fleckes auf dem Jupiter, von
W. F. Denning 36
Der fünfte Jupitermond, von Bamard beobachtet 37
Rotationsdauer des Saturn . . . , 37
Der Satumsmond Phöbe 38
Die Spektren des Uranus und Neptun, von V. M. Slipher unter-
sucht 39
Der Mond 39^14
Der photographisohe Mondatlas der Pariser Sternwarte .... 39
Der photographisohe Mondatlas von Wüliam H. Pickering ... 40
Neubildung auf dem Monde, von Prof. Wflliam Pickering entdeckt 41
Die vulkanischen Bildungen der Mondoberfläche, von Prof. Klein 42
Kometen U-^W
Die Kometenerscheinungen des Jahres 1903 44
Bahnbestimmung des Bielaschen Kometen aus den Beobachtungen
1846 bis 1862, von Prof. v, Hepperger 49
IV InhaltBfiberaichi.
S«lto
üntersachungen über die Grofien und Helli^ceiteii der Kometen
und ihrer Schweife, von Dr. J. H<det8chek 49
Die Bredichinachen Schweiftypen der S^meten von R. Jaegennann 51
Meteoriten 55-^9
Der Meteorit von Peramiho 65
Eine neue Gruppe von Meteoreisen 56
Tektite von beobachtetem Falle» eine neue KlawBft von Meteoriten 57
Fixsterne 59—99
ibrganzunff zum ELatalog der veranderiichen Sterne der Sternwarte
des Harvard-College 59
Veränderliche Sterne in den |Magellani0ohen Wolken» von Ptoi
Pickering 61
Der LichtweohBel von 6 Cephei, von S. Beliawsky untersucht . . 64
Der Lichtwechsel des Granatstemes m Oephei, von D. Plaßmonn 64
Der Veränderiiche X Aurigae, von Dr. K. Graff beobachtet . . 66
Der Lichtwechsel des Veranderiichen V Ursae majoris, von Dr. K.
Graff untersucht 66
Ein Zwischenminimum des langperiodischen Veranderiichen UZ
C^rgni, von Ebmst Hartwig l^bachtet 66
Benennungen von neu entdeckten veranderiichen Sternen ... 67
Eine spektroRraphische Studie über ß Lyrae, von W. Sidgreaves 70
HelligkeitsbecKNiohtungen der Nova Persei, von M. Esch .... 70
Neue Deutung der Spektra der neuen Sterne, von Prof. G. Ebert 70
Beobachtungen von 100 neu entdeckten Doppelstemen auf der
lickstemwarte, von W. J. Hussey 75
Doppelstemmessungen am 40-zolligen Refraktor der Terkesstem-
warte, von S. W. Bumham 75
Das Massenverhältnis der Komponenten des Doppelstemes p
Ophiuchi, von Adalbert Prey bestimmt 76
Die Bahn des Siriusbegleiters, von Dr. 0. Lohse neu berechnet . 76
Spektroskopische Bestimmungen der radialen Geschwindigkeit von
ücstemen, durch Prof. Frost und Walter S. Adams ... 77
Spektroskopische Beobachtungen von Normalstemen in Pulkowa
in den Jahren 1902 und 1903, von A. B^lopolsky .... 79
Bestimmungen der radialen Geschwindigkeiten von 20 Sternen des
Oriontypus auf der Yerkeestemwarte 80
Spektroskopische Doppelsteme 83
Spektroskopische Beobachtungen der Millsezpedition ... .85
Tiet spektroskopische Doppelstem ß Aurigae 88
Das Spektrum und die Bahn von S Orionis 92
Die Bahn des spektroskopischen Doppelstemes * Pegasi, von
D. Gurtis berechnet 95
Sterne mit eigentümlichen Spektren, auf der Harvardstemwarte
entdeckt 96
Der Ringnebel in der Leyer, von Prof. Schaerberle photographiert 97
Die Position der Ebene der Milchstraße, von Prof. Simon Newoomb 98
Geophysik.
Allgemeine Bisenschaften der Brde 100—116
I>er Zustand des Eisens im Erdinnem, von G. Tarn mann . . . 100
Vorläufige Ergebnisse des internationalen Bieitendienstee in der
Zeit von 1903.0 bis 1904.0, von Prof. Th. Albrecht .... 101
Die Schwankungen der Polhöhe 101
Über die Ursache der Breitenvariation, von Dr. A. Caspar . . . 102
Über die Reduktion der Schwerebeobachtungen auf das Meeres-
niveau, von Albert Prey 103
Untersuchung der Oszillationen der Lotlinie auf dem Astrometrisohen
Institut der Sternwarte bei Heidelberg, von W. Schweydar . 104
InhAltBÜbersioht. V
Seite
Beetimimingen der relativen Schwere im östliohen Sizilien, auf
den äousohen Inseln und in Kalabrien, von A. Rioco . . . 109
Der Langenunterachied zwischen Potsdam und Greenwich . . . 111
Längenbestimmung im Großen Ozeane .112
Die franzöflisohe Gradmessung in Ecuador 113
Ausfi^eichung des zentraleuropäischen Langennetzes, von Prof. Th.
Albrecht 114
Oberflächengeataltung 116—142
Bau und Bild der böhmischen Masse, von Franz £. Sueß . . . 116
Die finnische Skärenküste von Wiborg bis HangÖ, von F. O. Kar-
stedt 118
Die mittlere Höhe Asiens, von R. Tronnier 120
Die geomorphologischen Verhältnisse Ostasiens, von Fr. v. Richt-
hofen 122
Eine meridionale Bruchzone in Mittelasien, von Prof. v. Richthof en 130
Die Baraba und die Kulundinskische Steppe im westlichen Sibirien,
von G. J. Tanfüjew 131
Die Dünenbildungen in der Tschertschenwüste, von Sven v. Hedin 132
Die Ammonsoase Siwe, von Prof. Dr. G. Steindorf f 134
Über Inselberglandschaften im tropischen Afrika, von Dr. S. Passarge 136
Das Gebiet des Orinoko zwischen den Flüssen Guchivero und
Oaura, von Dr. S. Passarge 137
Vorgeschichtliche Beigstürze im Inntale 139
Brdmag^etlsmiis 142—149
Die Mißweisung der Magnetnadel in Deutschland, von Dr. J. B.
Messerschmitt 142
Die Verteilung der erdmagnetischen Kraft im Pariser Becken,
von Th. Moureaux 145
Die Änderung des horizontalen erdmagnetischen Feldes mit der
Höhe über dem Meeresspiegel, von A. Pochettino untersucht 146
Die Abhängigkeit des täglichen Ganges der erdmagnetischen Ele-
mente in Batavia vom Sonnenfleckenstande, von Prof. J. Liznar 146
Die großen magnetischen Störungen Ende Oktober 1903 .... 147
Brdbeben 149—174
Der gegenwärtige Standpunkt der Erdbebenkunde als Wissenschaft,
von A. Sieberg 149
Große Erdbeben und Schwankungen der Erdachse 167
Die jüngsten Erdbebenereignisse am Ätna, von S. Aroidiacono 158
Das Erdbeben von Schemacha, am 13. Februar 1902 160
Das Erdbeben vom 26. November 1902 am Böhmischen Pfahl, von
J. Knett studiert 161
Die Erdbeben Bayerns im Jahre 1903, von Dr. J. Reindl behandelt 162
Das Erdbeben am 4. April 1904 163
Die Erdbeben von Konstantinopel, Studie von Johannes Duck 165
Die Erdbeben in Japan, von Omori 168
Seismometrische Beobachtungen über japanische Fembeben 1893
bis 1897, von E. Rudolph 170
Höhenänderungen des Bodens infolge des Erdbebens vom 28. Ok-
tober 1891 in Japan 172
Über die Energie großer Erdbeben, von Prof. R. v. Kövesligethy 173
VttlkattismiM 174—208
Die Anordnung der Vulkane, literarische Studie von Wächter . . 174
Die alten viSkanischen Phänomene im Nördlinger Ries, von
W. V. Knebel 175
Die Ausbruchsperiode des Mont Pel^ 1902 bis 1903 und ihre Be-
deutung für die Vulkanforschung, von Dr. A. Stübel . . . 180
Der Felazaoken des Mont Pel6, besprochen von A. Heilprin . . 190
Die Hauptgruppe der Vulkanbeige Ecuadors, von Dr. A. Stübel 190
VI Inhaltflfiberaicht
Seit»
Die Vnlkanberge der ecuatoriamachen Anden» von Dr. P. Grosser
untersucht 197
Das vulkanisdie Wrangellgebii]^ in Alaska, behandelt von W. O.
MendenhaU 203
Das Vulkangebiet des zentralafrikanischen Grabens, geschildert \non
Hauptmann Hermann 203
Die Vulkane des Ostgriqualandes 204
Vulkanischer Ausbrudi auf der Insel Comom 206
Der Kilauea auf Hawaii, von Dr. O. Kuntze 206
Inseln 208—224
Über die Abrasion Helgolands, von W. Wolf 208
Der Rockallfelsen 200
Die Insel Gotland, von G. Schoener 210
Die Strophaden 211
Die Comoren, von A. Voeltzkow geschilrlert 213
Die neu entstandene Insel bei Bomeo, von Oarl Schmidt . . . 217
Die Insel Simalur, von L. C. Westenenk 219
Saipan, die Hauptinsel der deutschen Marianen, geschildert von
H. Seidel 220
Die Karolinen 221
Die Insel Mocha, von C. Reiche 222
Das Jaluitatoll, von Dr. med. Schnee untersucht 222
ßohrungen auf dem Atoll von Funafuti 224
Das Meer 224—256
Schwankungen des Meeresspiegels in der Nähe von New - York, von
George W. Tuttle 224
Beeinflussung der Gezeiten durch Wind und Luftdruck .... 225
Die Höhe des Mittelwassers bei Ri^usa und die Ebbe und Flut
im Adriatischen Meere, von R. von Stemeck 226^
Eine allgemeine Karte der Meerestiefen 226
Die Tiefenverhältnisse der nordpolaren Meere, von E. Nansen . . 227
Die physische Geographie des finnischen Meerbusens, von E. F. Rccard 232
Das Barentsmeer, 1902 von der wissenschaftiichen Murman-
e3nf>edition erforscht 232
Über die Strömungen im Nordmeere, von Johan Hjort .... 233
Die große Eistrift bei der Neufundlandbank im Jahre 1903, von
Professor Gerhard Schott 236
Das Tiefenstromsystem des Stillen Ozeanes und die Entstehung
der Kalifomienströmung, von S. E. Bishop 245
Die Beziehungen zwischen der Luftdruckverteilung und den Ets-
verhältnissen des Ostgrönländischen Meeres, von W. Brennecke 245
Die Meeresströmungen im Golfe von Guinea, von Dr. E. Wendt 24S
Die niederländische Tiefseeexpedition der „Siboga** in die Ge-
wässer des hinterindischen Archipels 250
Über Alter und Entstehung der Tiefseebecken, von J. Walther . 255
Quellen und Höhlen 256—265
Argon und freier Schwefel in Mineralquellen 256
Untersuchung des Gasteiner Thermalwassers auf Emanations-
gehalt, von Dr. G. Mache 256
Radioaktivität der Königsquelle in Bath, von Strutt nachgewiesen 257
Das Versickern des meteorischen Wassers im Boden, von W. Spring
studiert 256
Die Karsthydrographie, von Dr. A. Grund 258
Der gegenwärtige Zustand der isländischen Geysire 259
Die neue Tropfsteinhöhle bei Kiritein in Mähren, von R. Trampler 262
Der unterirdische Abfluß des Säntisersees 264
Flftsse 265—274
Über die Beschaffenheit des Wassers der Oder, von Dr. Lüdeoke 265
Das Stromgebiet des Dniepr, von R. v. Wybranowski .... 265
Inhaltoübexaioht. VII
Seite
Die Hochwasser des Mississippi im Frfihjahr 1003, von H. C.
Frankeofield untersucht 265
Das Mündungsgebiet des Amazonas und Tooantins, von Hartt und
Huber studiert 266
Die Schwarzwasserflüsse Südamerikas, von Josef Beindl .... 268
Seen und Moore 274—290
Morphometrie der europaischen Seen, von Dr. W. Halbfaß . . . 274
Die Farbe der Seen, von Frhr. O. von und zu Aufseß .... 278
Der Okullsee im südlichen Ostpreußen 279
Seiches im Chiemsee, von A. Endrös untersucht 279
Über stehende Seespiegelsohwankungen, von Prof. Dr. W. Halbfaß 279
Die Seen des Karstgebietes, von A. Gavazzi 280
Die wissenschaftliche Untersuchung der schottischen Seen . . . 283
Der Balkaschsee 283
Der Kossogolsee 284
Seiches in japanischen Seen 284
Der Tsadesee und seine Veränderungen 284
Der Schirwasee in Afrika 287
Der Eyresee in Australien 287
Die Auftrocknung des großen Salzsees .... 287
Ein heißer See auf Dominica 289
Das lAibacher Moor 290
Gletscher und Glazialphysik 290—297
Eis> und Gletscherstudien, von H. Grammer 290
Die Abschmelzung der Gletscher im Winter, von B. v. Lendenfeld 291
Die Eiszeit in den Alpen nach dem gegenwärtigen Standpunkte
der Forschung, von Prof. Brückner 292
Die Eiszeit auf der Balkanhalbinsel, von Prof. J. Gvijic .... 294
Über die Eiszeit in den Tropen, von Dr. Hans Meyer .... 296
Die I^ttfthülle im allgemeinen 297-- 299
Zusammensetzung der atmosphärischen Luft 297
Die Radioaktivität der Atmosphäre, von S. J. Allan untersucht . 297
Der Wärmeaustausch im festen Erdboden, in Gewässern und in
der Atmosphäre, von J. Schubert 298
Imlttemperatnr 299—307
Die Hebung der atmosphärischen Isothermen in den Schweizer
Alpen und ihre Beziehung zu den Höhengrenzen, von A.
de Quervain 299
Die Temperaturumkehr in der Höhe, von R. Aßmann untersucht 301
Die Temperaturabnahme mit der Höhe in der Gegend von Paris,
von Teisserenc de Bort dargestellt 304
Die Temperaturabnahme mit der Höhe bis zu 10 km nach den
Ergebnissen der internationalen Ballonaufstiege, von Prof. Hann 304
Imndmck 307—310
Die täglichen Schwankungen des Luftdruckes in Berlin, von Prof.
R. Bernstein 307
Die Beziehung zwischen Bewölkung und Luftdruckverteilung, von
Dr. Felix Exner untersucht 308
Über die atmosphärische Ebbe und Flut, von Prof. Möller . . . 309
Niederschläge 310—320
Versuche und Beobachtungen über R^entropfen, von Prof. P.
Lenard angestellt 310
Die unmittelbaire Kondensation der atmosphärischen Feuchtigkeit
aus Wolken auf hochlieffenden Flächen 316
Der Schneesturm vom 18. bis 20. April 1903 in Ostdeutschland,
von Dr. G. Schwalbe dargestellt 315
ym Inhaltsabenioht.
Seito
Die Stanbfalle vom 19. bis 23. Februar 1903 über dem nord-
atlantischen Ozeane, Großbritannien und Mitteleuropa, von
Prof. Dr. E. Herrmann untersucht 316
Der Staubfall des 19. April 1903 im mittlem Eibgebiete, von
Dt. Meinardus untersudit 318
Ein sogenannter Tintenregen 319
Einfluß des Mondes auf <&e Niederschlage, von Guido Lampiecht 319
Irnftbewegung, Wind und Sturm 321—^326
Die allgemeine Zirkulation der Atmosphäre, von W. Hüdebrandsson
und Teisserenc de Bort dargestellt 321
Untersuchungen über vertikale Luftströmungen, Ton Dr. Felix
M. Ezner 322
Über die Mechanik der Luftbewegung in Z3^onen und Anti-
zyklonen, von Frank H. Bigelow 325
Der Qiinookwind, von A. Burrow 325
ImltelektHzität 32^-^1
Über die Ursache des normalen atmos^iarischen PotentialgefiLlles
und der negativen elektrischen Entladung, von Professor
H. Ebert 326
Die tägliche Schwankung der Elektrizitätszerstreuung in der
Atmosphäre, von Albert Gkxskel 329
Die Elektrizitätszerstreuunff in der Atmosphäre, von P. G^ermak 330
Das Spektrum des Nordlichtes 331
Optische Brscheinungen der Atmosphäre 331—335
Die Intensität der durch die Sonne hervorgerufenen Beleuchtung,
von Charles Fabry 331
Über neue Refraktionstafeln, von Dr. L. de Ball 332
Die Extinktion des Lichtes in der Erdatmosphäre, von Dr. A.
Bemporad 332
Mittlere Extinktion 334
Das Wiedersichtbarwerden des Bishopsohen Ringes im Jahre 1903 334
Klimatoiogisches und WetterproffnoBen 335—344
Die Klimatographie von Österreich 335
Die Witterunffsverhältnisse auf Island und deren Beziehungen zu
den gleichzeitigen Witterungsanomalien in Nordwesteuropa,
von Prof J. Hann 33a
Ein neues System allgemeiner Luftdruokprognoeen auf längere
Zeit für den Nordatlantischen Ozean, von Prof. Herrmann . 341
Verzeichnis der Tafeln.
Tafel I. Allgemeines Aussehen der Sonnenkorona am 28. Mai 1900.
» n. Isoplethen für Deutschland, nach Dr. J. B. Messersohmitt.
» m. Abb. 1. Chimborazo (Ecuador). Die Westkordilleren krönend
über den Wolken der interandinen Talmulde von der Ost-
Kordillere aus.
Abb. 2. Der Sincholagua (Ecuador) von NNO (vom Hato Anti-
sanilla) aus. Photognmhische Aufnahmen von Dr. P. Großer.
» IV. Steilwand an der Nordflanke des Caümborazo mit schichtiger
Lava und dem Austrittspunkt (rechts) eines jungem Lava-
stroms. Photographische Aufnahme von Dr. Paul Großer.
* V. Die Missouri-Paoific-Eisenbahnbrücke über den Kansasfluß bei
Kansas-City, nachdem das Wasser um 8 Fuß gefallen war.
» VI. Isobaren Nordamerikas für den 3. Februar 1903 am Meeresspiegel, in.
3500 sowie in 10000 Fuß Höhe, nach Frank H. Bigelow.
Astrophysik.
Sonne.
DieFleekentätigkeit der Sonne im Jahrel908. Prof. Wolfer inZürich
hat auch für dieses Jahr in altgewohnter Weise die Fleckentätigkeit
der Sonne festgestellt. ^) Von ihm und seinem Assistenten wurden
während dieses Jahres an 255 Tagen Beobachtungen in Zürich ange-
stellt, außerdem konnten auch achtzehn seiner Beobachtimgsreihen be-
nutzt werden. In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse zusammen-
gestellt. Es bezeichnet darin n die Anzahl der Beobachtungstage, m
die Zahl der fleckenfreien Tage und r die berechnete Belativzahl der
Sonnenflecke, „^as definitive Jahresmittel,'* sagt Prof. Wolfer,
,,stellt sich auf r = 24.4 und ergibt somit gegen 1902 (r » 5.0) eine
Zunahme von 19.4 Einheiten, die in Verbindung mit der rapiden Ab-
nahme der Zahl der fleckenfreien Tage von 257 auf 45 das erwartete
raschere Ansteigen der Tätigkeit bestätigt. Immerhin kann man
diese Zunahme, wenn man sie dem durchschnittlichen Verlaufe des
aufsteigenden Zweiges der elfjährigen Fleckenkurve gegenüberhält,
noch nicht als eine starke bezeichnen. Von der Belativzahl des letzten
Minimumjahres 1901 (r = 2.7) aus gerechnet, beträgt die Gesamt-
zunahme bis 1903 nur 21.7, und diese ist für ein zweites Jahr nach
dem Minimum so auffallend gering, daß sie zu einer Vergleichung mit
den entsprechenden Verhältnissen in frühem Perioden auffordert,
auch wenn es noch verfrüht erscheinen mag, schon jetzt eine Vermu-
tung über den Verlauf der gegenwärtigen Periode und namentlich
über die Höhe des kommenden M^Timnmfl daran zu knüpfen. Zieht
man nur die sieben letzten Perioden in Betracht, in denen sowohl
hohe, als mittlere und niedere Mazima vorkonmien, und bildet in
jeder von ihnen je für das erste und zweite Jahr nach dem Minimum
die Überschüsse der betreffenden jährlichen Relativzahlen über die-
jenige des Minimumjahres selbst, so erhält man die nachstehenden
Zahlengruppen:
^) Astron. MitteiL fS. Vierteljahraschr. d. Naturf. Ges. in Zürich 1904. 49.
Klein, Jahrbuoh XV. 1
2 Sonne.
BeUtiT- Zuwachs B«l*tiT- Zuwachs
■ahl gcg.Min. aahl geg.lCin.
Min 1823 1.8 ^^ Min. 1867 7.3 ^^
1824 8.5 ,7i 1868 37.3 S«
1825 16.6 **•* 1869 73.9 ^^
Min. 1833 8.5 .- Min. 1878 3.4 »«
1834 13.2 ^l 1879 6.0 ^l
1835 56.9 **•* 1880 32.3 ^'^
Min. 1843 10.7 .o Min. 1889 6.3 ^^
1844 15.0 *"4 1800 7.1 ^%
1845 40.1 ^'^ 1891 35.6 "^"^
Min. 185.. 4.3 ,q. Min. 1901 2.7 90
1857. 22.8 *^2 1902 5.0 of?
1858' 54.4 ^'^ 1903 24.4 ^^'^
Daraus geht hervor, daß die auf daa Minimum von 1901 be-
zogene Zunahme der Relativzahl von 1903 kleiner ist ab alle ent-
sprechenden Betrage in den übrigen Dreijahrgruppen, mit einziger
Ausnahme von 1823 bis 1825. Y^Ieicht man nun mit dieser Tat-
sache die einzelnen Fleckenkurvwi, die den genannten Minima folgen,
so dürfte sich mit einiger Wahrscheinhohkeit vermuten lassen, daB
die auf 1901 folgende sich etwa denen von 1823 bis 1833, 1878 bis
1880 und 1889 bis 1901 nahem, d. h. verhältnismäßig flach verlaufen
und kein hcheß Maximum erreichMi werde, faUs nicht die nächsten
Jahre noch einen unerwarteten plötzlichen Ansti^ der Kurve
bringen, wie er z. B. im Jahre 1847 einem erst ganz allmählichen lang-
samen Aufwärtsgehen folgte. Jedenfalls aber ist es vorläufig wenig
wahrscheinhch, daß das kommende Maximum sich etwa ähnlich wie
jene v(m 1837 und 1870 gestalte, die beide dem vorangehenden Minima
in der kurzen Zeit von 3 bis 4 Jahren folgten, und wo in beiden Fällen
das Au&teigen der Kurve vom Minimum zum Maximum mit starken,
nahe konstanten jährlichen Gradienten sich vollzog.
Die Fleckenkurve zeigt wahrend des Jahres 1903 schon ein sehr
viel bewegteres Bild ab im vorigen Jahre. „Wo sie auf Null sinkt,
geschieht es jedesmal nur für wenige Tage; die sekundären Schwan-
kungen von kurzer Periode mnd lebhafter und zahlreicher geworden,
und ihre Amj^tuden wachsen mit zwei Unterbrechungen im Mai und
September beständig von Anfang bis Ende des Jahres. Die Zunahme
fand intermittierend statt, in drei Erhebungen von längerer Dauer,
deren jede eine Gruppe aufeinanderf(dgender sekundärer Wellen um-
faßt. Die erste Gruppe trat im April auf, die zweite von Juni bis
August, die dritte von Oktober bis Dezember; dazwischen liegen zwei
IntervaUe geringerer Tätigkeit im Mai und September. Die dritte,
letzte Gruppe sekundärer Mazima begann Anfang Oktober mit einem
plötztichen, rapiden Steigm, veranlaßt durch die bekannte große
Fleckengruppe, die am 5. Oktober eintrat, und der sodann eine Reihe
weiterer ebenfalls stark entwickelter Tätigkeitsherde folgte.
Vergleicht man aber die einzehien sekimdären Maxima in bezug
auf ihre zeitHche Lage innerhalb der Botationsperioden, zu denen sie
Sonne. 8
gehören, so bemerkt man, daß sie von Ende Mära an fast regelmäfiig
mit geringen Abweichungen je auf dieselbe Botationsphase der Sonne,
und zwar nahe auf die Anfangsepoohen der einzdnen Rotations-
Perioden fallen, und daß sie nur nach und nach gegen das Sode des
Jahres hin sich gegen diese etwas verspäten. Daraus ist zu schließen,
daß diese sekundären Maxima einer überwiegenden und ungewohnliob
lange andauernden Konzentration der Tätigkeit auf einem begrenzten
Gebiete der Fleckenzonen zuzuschreiben sind."
Die Verteilung der Flecke und Fackeln auf der- Sonne während
der eUJfthrigen Fleckenperiode ist von A. Mascari m faucht worden. ^)
Er benutzte hierzu die Beobachtimgen Tacchinis von 1879 bis 1900 zu
Born und seine eigenen, von 1893 bis 1903 zuCatania angestellten, eben-
so wurden die Beobachtungen der Protuberanzen zu Catania zu-^
gezogen. Es ergaben sich folgende Tatsachen : 1. Die Gebiete größerer
Lebhaftigkeit der äquatorialen Fackeln und der Flecken zeigen von
einem elfjährigen Minimum bis zum nächstfolgenden eine Bewegung
aus den Zonen + 20 bis + 30^ nach dem Äquator hin; hingegen
wandern in der gleichen Zeit diejenigen der Protuberanzen fast von
denselben Zonen größerer Tätigkeit der Fackeln und Flecken fort,
richten sich aber nach den polaren Gebieten und bleiben noch be-
stehen bis fast zur Epoche des folgenden Maximums des ersten
Zyklus. Dies liefert eine Stütze für die Unabhängigkeit der beiden
Sonnenerscheinungen, Fackeln und Wasserstoffprotuberanzen, die
auch anderweitig nachgewiesen ist. 2. Die Zonen größerer Tätigkeit
der Protuberanzen entwickeln sich in den Zonen der geringem Tätig-
keit der FackehL Man kann also sagen, daß die Zonen größerer
Tätigkeit der Fackelgrupx>en, die zwischen der mittlem Breite
+ 45^ und dem Äquator liegen, eine parallele und mit der der Flecken
zusammenfallende Bewegung, aber eine umgekehrte zu der der Pro«
tuberanzen ausführen. Die Fackeln jenseits des Hauptmaximums
in den Äquatorialgegenden jeder Hemisphäre hingegen zeigen ein
sekimdäres Maximum in den Polargegenden (das keine Verschiebung
erkennen läßt und dem Äquator parallel bleibt). Das Zentrum
größerer Tätigkeit der Protuberanzen fallt allgemein in die Gegenden
der geringem Tätigkeit der Fackeln.
Die Verteilung der Sonnenfleeke in heliographiseher Breite von
1874 bis 1902. Walter Maunder hat vor einiger Zeit die während
dieses Zeitraumes auf der Sternwarte Greenwich fortlaufend auf-
genommenen Sonnenphotographien in bezug auf die Verteilung der
Flecke über beide Hemisphären der Sonne nöidUch und südlich vom
Äquator untersucht. >) Seitdem ist eine Arbeit von Dr. W. J.
S. Lockyer erschienen, welche sich mit dem nämlichen Gegenstande
beschäftigt, aber zu Schlüssen führt, die naoh Maunder unzulässig
1) Memorie della SocietÄ degli Spettroecopisti Italiani 1904. 9S. p. 46.
>) Dieses Jahrbuch 14. p. 9.
4 Sonne.
sind. Letzterer kommt deshalb auf den Gegenstand nochmals zu-
rück^) und stellt fest:
a) Die beiden Sonnenhemispharen unterscheiden sich während
der ganzen Periode sehr wesentlich voneinander in bezug auf die
gesamte von den Flecken eingenommene Flache: die südliche war
fleckenreicher, indem sie 56.5% der samtUchen Fleckenareas aufwies.
b) Die Wendepunkte während des Sonnenzyklus waren auf der
nördlichen Hemisphäre früher erkennbar ab auf der südlichen, so-
wohl bei der Zunahme, als bei der Abnahme der Flecke.
c) Die nördUche Hemisphäre zeigte während der beiden Flecken-
X>erioden, die in den Zeitraum von 1874 bis 1902 fielen, ein doppeltes
Maximum der Flecke, von denen das erste drei Jahre vor dem
zweiten eintrat. Die Fleckenkurve zeigt deshalb in ihrer allgemeinen
Form ein lang hingezogenes, aber nicht sehr ausgezeichnetes Flecken-
maximum.
d) Die südliche Hemisphäre der Sonne zeigt im Gegensätze dazu
ein sehr scharf ausgesprochenes Fleckenmaximum, das zwischen die
beiden Maxima der nördlichen Hemisphäre fällt.
Spörer hat früher nachgewiesen, daß nach der Zeit des Flecken-
minimums die Flecke, welche seit geraumer Zeit in hohem Breiten
verschwunden waren, plötzlich in etwa 30° nördlicher wie südlicher
Breite auf der Sonne wieder auftauchten. ^) Dieses sogenannte Gesetz
findet auch Maunder im allgemeinen bestätigt, während die Schluß-
folgerungen Lockyers von ihm und von A. L. Cortie ') abgelehnt
werden.
Das Spektrum der Sonnenfleeke, und zwar die Region zwischen
den Linien B bis D, ist durch A. L. Cortie auf der Sternwarte
des Stonyhurst-College in der Zeit von 1890 bis 1901 beobachtet
worden^) im Anschlüsse an ähnliche Beobachtungen in den Jahren
1882 bis 1889.^) Die Identifizierung der einzelnen Linien geschah
mit Hilfe der photographischen Darstellungen von Higgs. Als Er-
gebnis wird eine Tabelle von 300 Linien der bezeichneten Spektral-
region mitgeteilt, die in den Sonnenflecken Veränderungen erleiden.
Aus den Beobachtungen ergibt sich, daß die hauptsächlichsten Ver-
änderungen bestehen in Erbreiterung der Linien oder zunehmender
Verdunklung ohne Erbreiterung, im Verschwinden derselben in den
Flecken, in Verschiebungen ihrer Lage, Umkehrungen, Ausfran-
zungen usw. Besonders sind es die Linien des Natriums (die D-Linien)
Vanadiums, Chroms imd Titaniums, welche Veränderungen ihres
Aussehens erleiden, bisweilen auch die dem Sauerstoffe zugeschrie-
benen Linien und die atmosphärischen Wasserdampf linien. Außer
i) Monthly Notices 64. p. 747.
«) Oompt. rend. 10S. p. 486.
s) Monthly Notioee 64. p. 762.
«) Monthlv Notioes 63. p. 468.
^) Mem. AfltroiL Soo, 60. p. 90.
Sonne. 5
den oft umgekehrten Linien C und D wurde einmal in einem Hecke
auch die Kalziumlinie X 6122.43 umgekehrt gesehen, sowie bisweilen
die Eisenlinien X 6393.82 und X 6400.54. Diese drei Linien sind
chromosphärisohe Linien.
Umkehr der Linie D3 im Sonnenspektrum« Hierüber berichtete
H. Kreusler in der deutschen physikalischen Gesellschaft. ^)
Die dem Helium angehörige, gewöhnUch als D3 bezeichnete
Linie, heißt es in dem Berichte Kreuslers, zeigt sich stete hell im
Spektrum der Chromosphäre und der Protuberanzen, sowie zuweilen
in den Lichtbrücken der Sonnenflecke. Sie ist leicht wahrzunehmen,
wenn man auf die Spaltebene eines stark zerstreuenden Spektroskops
ein Sonnenbild entwirft. Tangiert der Spalt das Sonnenbild, so
sieht man D, je nach der Größe des letztem als mehr oder weniger
lange, helle Linie; stellt man den Spalt radial, so erscheint sie als
kurze, spitze Hervorragung aus dem kontinuierlichen Spektrum,
wenn der Spalt nicht gerade auf eine ausgedehnte Protuberanz trifft.
Li letzterm Falle korrespondiert ihre Länge mit der Höhe der Pro-
tuberanz an der betreffenden Stelle.
Eine dunkle Linie vom Charakter einer gewöhnlichen Fraun-
hoferschen am Orte der hellen Dß-Linie existiert nicht.
Bicco, Belopolski und Woods sahen allerdings an der Basis von
Protuberanzen innerhalb der hellen D 3 eine sehr feine, dunkle Linie,
die aber wahrscheinlich nicht auf einer Umkehr beruht, sondern
darauf zurückzuführen ist, daß die gelbe HeUumlinie in Wahrheit
doppelt ist.
Indessen hat Young schon am 22. September 1870 in der Pe-
numbra eines Fleckes D3 als grauen Schatten beobachtet. Letztere
Erscheinung, eine unzweifelhafte Umkehrung der D 3-Linie, ist selten ;
über spatere Beobachtungen ähnlicher Art hat Verf. in der Literatur
keine Angaben finden können.
Am 12. Juni 1904 zwischen 12 und 2 Uhr beobachtete Verf. im
Physikalischen Institut zu Berlin die Sonne an einem 6-zölligen
Reflektor mit einem Spektroskop, dessen Dispersion der von neun
Schwefelkohlenstoffprismen von 60^ gleichkommt. Der Durch-
messer des auf die Spaltebene projizierten Sonnenbildes betrug 8 bis
9 cm; das Femrohr des Spektroskops hatte etwa achtfache Ver-
größerung.
Zwischen dem Zentralmeridiane und dem Westrande der Sonne
befand sich eine Gruppe von vier kleinen, trapezartig angeordneten
Flecken. In der nächsten Umgebung dieser Flecken waren die Fraun-
hoferschen Linien C und F unsichtbar, in den Flecken selber hell.
Die beiden D-Linien zeigten in den Flecken außer der gewöhnUch
beobachteten Verbreiterung keine AnomaUen. ( Young sah bei der
vorher erwähnten Gelegenheit die D-Linien in der Penumbra hell.)
1) Ber. d. Dtsoh. physik. Ges. 1904. p. 197.
6 Sohn«.
Die Linie D ^ war in den Flecken selbst nicht zu sehen, dagegen zeigte
sie sich in der Umgebung, wo C und F unsichtbar waren, als dunkles,
etwas verwaschenes, an beiden Enden spitz auslaufendes Band, und
zwar nicht schwarz, sondern mattgrau.
Die Erscheinung war sehr augenfällig; Dr. Starke» der zu-
fällig hinzukam, S€^ die dunkle Linie auf den ersten Blick. Leider
wurde die Beobachtung durch Bewölkung vielfach unterbrochen, so
daß eine genauere Okularbeobachtung der Flecke und ihrer Um-
gebung, b^nders mit Bücksicht auf die Anwesenheit von Fackeln
nicht angestellt werden konnte.
Am 13. Juni war D3 noch dunkel zu sehen, allerdings viel
weniger deutlich. Das Aussehen der Linien C und F war von ihrem
gewöhnlichen AnbUck nicht mehr verschieden. Fackeln von be-
sonderer Helligkeit waren an diesem Tage in der Umgebung der
Flecke nicht zu bemerken.
Kalzium- und Wasserstofflockeln in der SonneoatmosphAia.
Die vor mehr als zwölf Jahren von Prof. Haie begonnenen Unter-
suchungen der Sonnenoberfläche mittels des mit zwei beweghchen
Spalten versehenen Spektroheliographen sind von ihm und EUer-
mann fortgesetzt worden, und beide berichten jetzt über die Ergeb-
nisse derselben.^) Dieselben beziehen sich auf die Verteilung der
glühenden Dämpfe des Kalziums auf der Sonne, auf Erscheinungen,
die sonst weder mit bloßem Auge, noch mit den gewöhnlichen photo-
graphischen Methoden gesehen werden können.
Wie aus den Resultaten dieser Untersuchung ersichtlich wird,
befinden sich die Kalzium- und Wasserstoffdampfe in der Photo-
sphäre der Sonnenatmosphäre in hohem Schichten als die dichten
Kalzium- und Wasserstoffwolken. Es ist darum vorteilhaft, mit
dem Namen „Flockein" die Dämpfe zu bezeichnen, die sich von den
„Fackeln" erheben, welche über oder unter jenen liegen. Die Fackeln
sind die Erhöhungen in der Photosphäre, die durch direkte optische
und photographische Beobachtungen gesehen werden können, und
die sich durch das kontinuierliche Spektrum kennzeichnen. Die
Flockein dagegen sind die Gase imd Dämpfe, die in großem Höhen
liegen, die durch direkte Beobachtungen nicht gesehen, aber durch
spektroholiographische Photographien nachgewiesen werden können.
Zu den Flockein gehören alle hellen oder dunkeln Dämpfe, die ohne
Unterschied ihrer Höhe sich auf die Sonne projizieren. Das heißt,
eine Flookel kann sich in der absorbierenden Schicht, in der Chromo-
Sphäre oder in der Protuberanz der Sonne befinden. Die Formen
der Kalzium- und Wasserstofflockeln unterscheiden sich voneinander,
so daß man sie als Kalzium- und Wasserstofflockeln bezeichnen kann.
Zur Untersuchung der Flockein ist eine Methode sehr vorteilhaft^
1) ABtrophysical Joum. 1904. Januar.
Sonne« 7
die einzelne Durcbsolmitte der Gase und Dämpfe in venohiedenen
Höhen über der Photoeph&re zu photogn^hieren erlaubt.
Es ist bekannt, dafi die Spektrallinien der Dampfe im eiek-
triachen Funken, die mit dem Spalte senkrecht zur Längsriohtung
des Funkens erzeugt sind, yersohiedene Breite haben, je nachdem sie
den mittlem oder &ufiem Partien des Funkens gehören. In der
Mitte des Funkens sind die Metalldampfe dicht und darum die zu-
gehörigen TeQederf^ktrallinien breit. Li den äußern Partien sind die
Dämpfe verhältnismäßig dünner und darum diese Teile der Linien
enger. Die Breite der dazwischenliegenden Teile der Linien ändert
sich mit der Dichte des Dampfes. Es ist oft möglich, noch eine
schmale schwarze Linie in der Mitte der hdlen zu beobachten, die
durch den kalt^i dünnen Dampf in den äußersten Schichten des
Fimkens gebildet ist.
Ahnliche Verhältnisse existieren auf der Sonne. Die H- und
K-Linien der Kalziumdämpfe zeigen im Sonnenspektrum eine zu-
sammengesetzte Struktur, bestehend aus drei Teilen: aus einem
breiten dunkeln Bande, das alsH^ K^ bezeichnet werden mag; aus
einer verhältnismäßig schmalen hellen Linie, die sich oft in Mitte
des dunkeln Bandes befindet, H2K2, und aus einer noch schma-
lem dunkeln Linie, die sich selten in der hellen befindet, H3 K3.
Das diffuse dunkle Band H^ K| wird durch die dichten Dämpfe, die
sich in unmittelbarer Nähe der Photosphäre befinden, gebildet. Im
allgemeinen, wie es aus Finstemisbeobachtungen bekannt ist, hegen
die dichten Kalziumdämpfe so niedrig in der Chromosphäre, daß sie
nicht sich projizierend am Rande der Sonne beobachtet werden
können. Die helle Linie H2 K2, wie es aus Spektralbeobachtungen
der Chromosphäre ersichtUch ist, gehört zu Dämpfen, die sich am
Sonnenrande hell projizieren, obgkach sie nicht die höchsten Teile
der Chromosphäre erreichen. Die dunkle Linie Hs K^ ist durch die
kaltem Dämpfe gebildet, die sich in höchsten Teilen der Chromo-
sphäre befinden.
Es ist klar, daß, wenn der zweite Spalt des SpektroheUographen
auf das äußerste Ende der Linie H^ K^ räigestellt wird, er das
Licht nur von den Dämpfen erhalten kann, die dicht genug sind, um
so breite Linien zu bilden. Die dünnem Dämpfe in großem Höhen
erzeug«! engere Linien, und folglich senden sie ihr Licht durch den
zweiten Spalt nicht. Wenn der Spalt die Linie näher der Mitte
schneidet, so daß die Linie H2K2 im Spalte sich befindet, so be-
kommt er das lacht von den hellen Dämpfen, die noch genug dicht
sind, um eine Linie von der kleinem Breite zu bilden, und die sich in
großem Höhen befinden. Schneidet der Spalt die Mitte der Linie,
so bekommt er in den Fällen, wo die Linie H3 Kj stark genug ist,
dagegen Hg Kg undeutlich erscheint, das schwache Licht von den
dünnsten Dämpfen, die sich in noch großem Höhen befinden.
Es folgt daraus, daß, wenn der erste Spalt des Spektrohelio-
S Sonne.
graphen durch das ganze Sonnenbildchen verschoben wird, die dnei
Photographien nacheinander folgende Dorchschnitte der flockehi
in verschiedenen Höhen über der Photosphäre liefern.
Gemäß solchen Untersuchungen zeigen die Photographien der
niedrigsten Durchschnitte eine Menge von verhältnismäßig kleinen,
aber sehr deutlichen Elementen an der Basis der Kalziumflockeln,
an die sich in den Photographien der hohem Durchschnitte mehr
ausgedehnte, größere Flächen bedeckende Gebilde angliedern.
Aus mehrem Photographien, die bei sehr günstigen atmosphärischen
Verhältnissen erhalten wurden, ergibt sich, daß wahrscheinlich die
Kalziumflockeln aus einer Menge von Gas- und Dampfsaulen be-
stehen, die sich ausdehnen, sobald sie die großem Höhen erreichen,
und in vielen Fällen in ihren höchsten Teilen sich seitwärts aus-
breiten.
Bei Anwendung des SpektroheUographen zum Photographieren
der Flockein anderer Gase als Kalzium ist es unbedingt notwendig,
daß die Spektrallinien dieser Gase durch starke Dispersion auch so
breit gemacht werden, daß sie den zweiten Spalt ganz bedecken
werden. Wenn das nicht der Fall ist, so wird das licht des kon-
tinuierUchen Spektrums von beiden Seiten der dunkeln Linie zur
photographischen Platte durchdringen, und es wird die kleinste Menge
dieses Lichtes ausreichen, um den Effekt, hervorgebracht durch die
Intensitätsänderung der dunkeln Linie, ganz zu vernichten. Denn
obgleich diese Linie nur durch Kontrast dunkel ist, so ist doch ihr
Licht viel schwächer als das des kontinuierlichen Spektrums, auf
welchem sie hegt.
Die mit den Wasserstofflinien H^, 2', d gemachten Photographien
zeigen breite dunkle Gebilde, die den hellen mit Kalzinmfinien
H2 K2 erzeugten ähnlich sind, obgleich sie sich von jenen in manchen
Fälen durch andere Formen unterscheiden. Mehrere solcher Photo-
graphien führen zu dem Resultate, daß ohne Zweifel im allgemeinen
die Wasserstofflockeln dunkel und den hellen Kalziumflockeln
ähnlich sind, doch können sie sich von letztem oft unterscheiden.
Da die Wasserstofflockeln hauptsächlich emptiver Natur sind, so
ist die Temperatur des Wasserstoffgases, die für eine Lichtstrahlung
maßgebend ist, durch heftige Strömung so weit herabgesunken, daß
sie sich von der Temi>eratur der umgebenden Wasserstoffgase nicht
unterscheidet, oft aber unter dieser normalen Temperatur liegte-
Darum erscheinen die Wasserstofflockeln im allgemeüien dunkel.
Man könnte aber erwarten, daß in sehr aktiven Regionen der Sonnen-
Oberfläche die hellen Wasserstofflockeln erscheinen werden. Und
wirklich ist es möglich, in unmittelbarer Nähe der Flecke die hellen
Wasserstofflockeln nachzuweisen, die in großem Entfernungen
dunkel erscheinen.
Aus dem Vergleiche der Photographie, bei der der Spalt auf die
Wellenlänge X » 3966 in der mittlem Breite der dunkebi Linie Hi>
Sonne. 9
mit der, wo er auf X = 3968.6 in der hellen Linie Hg eingestellt war,
wird ersichtlich, daß in den untern Schichten die lichten Kalzium-
dampfe große Partien der Flecke bedecken, und in den hohem
Schichten die dünnem Kalziumgase über den Halbschatten und
Schatten der Flecke sich erheben.
Eine Schwankung der Sonnenstrahlung ist von S. P. Langley
wahrscheinlich gemacht worden. ^) Nach seinen Beobachtungen mit
dem verfeinerten Bolometer (dem Bolographen) ergab sich der Wert
der Sonnenkonstante im Jahre 1902 an drei Tagen des Oktober gleich
2.18, am 19. Febmar 1903 gleich 2.26. Zwei Reihen vom 25. und
26. März liefern die rasch sinkenden Werte 2.26, 2.21 und 2.10, 2.08,
die nächsten Beobachtungen vom 29. April 1.94 und 1.97. Nach
einem etwas hohem Werte (2.14) am 7. Juli verharrte die Konstante
am 24. August, 14. und 29. Oktober, 7. und 23. Dezember 1903 und
27. Januar 1904 auf Werten zwischen 1.93 und 2.06 oder, wenn man
nur die Tagesmittel vergleicht, zwischen 1.94 und 2.01, hatte dagegen
am 11. Februar den altem Wert von 2.26 wieder erreicht. Während
die Luftdurchlässigkeit in der zweiten Jahreshälfte von 1903 nahezu
wieder ihre unverminderte Größe erreicht hatte, war die Sonnen-
strahlung außerhalb der Erdatmosphäre um dieselbe Zeit um etwa ein
Zehntel herabgegangen. Hätte man die Sonnenkonstante für April
bis August 1903 mit der normalen Luftdurchlässigkeit berechnet, so
wäre sie noch kleiner gefunden worden.
Eine Abnahme der imabsorbierten Sonnenstrahlung um etwa
10% ist daher für einen Zeitraum von mehrem Vierteljahren höchst
wahrscheinlich. Langley zeigt weiter, daß nach dem Stefanschen
Strahlungsgesetze die mittlere Temperatur der Erde bei Empfang
einer um 0.1 verminderten Erwärmung um 7.5^ fallen müßte,
nämlich von 17 auf 10°, aber erst nach einiger Zeit bei dauernder
Abnahme der Sonnenstrahlung. Handelt es sich um kürzere Schwan-
kungen, so kann diese Wirkux^ nicht ganz eintreten. Die Abnahme
dürfte sich aber vielleicht zeigen an Orten mit kontinentalem Klima,
während Orte in der Nähe der See erst nach länger dauernder Strah-
lungsänderang eine Wirkung verspüren dürften, da die großen Wasser-
massen ausgleichend auf die Temperatur einwirken.
Langley hat nun zehntägige Temperaturmittel von 89 Stationen
der nördlichen gemäßigten Zone geprüft. Die Stationen wurden in
sieben Gruppen eingeteilt unter Berücksichtigung ihrer geographi-
schen Lage, ihrer Entfernung vom Meere und ihrer Höhe über der
Meeresfläche. Die Abweichungen der Temperaturen von ihren Nor-
malwerten zeigen in allen Gruppen vom April bis November 1903 ein
Sinken um mehrere Gelsiusgrade. Der Temperaturfall spricht sich
am deutlichsten aus bei den Stationen des europäiBchen und asiati-
schen Rußland, also den am weitesten vom Meere entfernten Ge-
^) Astrophysioal Joum. 19. p. 306.
10 Sonne.
bieten. Daß die Temperataren schon gegen Ende 1903 wieder nonnal
wurden, w&hrend die Sonnenstrahlung noch bis in den Januar 1904
nntemormal blieb, könnte durch die wieder erhöhte Durchlässigkeit
der Atmosphlire erklärt werden.
Dieses Verhalten der irdischen Temperaturen spricht für die An-
nahme einer wirklichen Abnahme der Sonnenstrahlung vom April 1903
an. Künftige Beobachtungen müssen zeigen, ob nur eine auf kaum
ein Jahr beschränkte Strahlungsänderung vorliegt, oder ob diese mit
dem Beginne der neuen Fleckenperiode auf der Sonne zusammenhangt
Die Sonnenfinsteniis vom 28. Mid 1900. Daa Smithsonian-
Institut in Washington hatte zur Beobachtung dieser Finsternis eine
eigene Expedition ausgerüstet, die in der Nähe von Wadesboro ihre
Station aufeohlug. Der offizielle Bericht über diese Expedition ist
jetzt erschienen. ^)
Die Aufgabe der Expedition bestand darin : 1. die feinere Straktar
der innem Korona photographisch aufzunehmen und zu beobachten;
2. die äußere Korona und etwaige Objekte in der Nähe der Sonne zu
photographieren ; 3. die Wärmestrahlung der innem Korona zu messen
und, wenn möglich, mittels des Bolometers die Energieverteilung im
Spektrum derselben festzustellen; 4. das sogenannte Flashspektnun
zu photographieren; 5. die Zeiten der Berührungen des Sonnen- mid
Mondrandes genau zu beobachten.
Die Wahrnehmung der sehr merkwürdigen Struktur des innem
Teiles der Korona, welche Prof. Langley und andere gelegenthch der
Finsternis von 1878 machten, ließ es wünschenswert erscheinen,
während der Totalität von 1900 eine genaue Darstellung der innem
Korona zu erhalten. Selbstverständlich war solches nur durch photo-
graphische Aufnahmen zu erzielen, und um mögUchst große Bflder
zu erlangen, mußte ein photographisches Femrohr mit sehr langer
Brennweite zur Anwendung kommen. Prof. E. Pickering vom
Harvard-College-Observatorium stellte zu diesem Zwecke der Ex-
pedition ein Objektivglas von 12 Zoll Durchmesser und 135 FuB
Brennweite nebst den erforderlichen Nebenapparaten zur Verfügung,
und neben diesem großartigen Instrumente konnte noch eine von
Prof. Young vermittelte Linse von 5 Zoll Durchmesser und 38 Fufi
Brennweite verwendet werden. Zum Zwecke der Beobachtungen mit
bloßem Auge dienten ein 5-zölliges und mehrere kleinere Teleskope,
zur photographischen Aufnahme der äußern Korona verschiedene
Kameras mit Linsen von kurzen Brennweiten, die zu möglichst lang
dauernden Aufnahmen Verwendung finden soUten, um die äußersten
Grenzen der Korona noch darzustellen. Untersuchungen über die
Wärmestrahlimg der Korona mittels des Bolometers bildeten natür-
lich die Hauptaufgabe für Prof. Langley. Zur Nachforschung nach
1) The Solar Eclipse Expedition of the astrophys. Obeervatory of the
Smithsonian Institute by Langley. Washington ltt)4.
Smum. 11
einem etwaigen intramerkniialen Planeten diente der von Profeesor
£. Pickering angegebene photographische Apparat, der aus mehiem
Kameras besteht, deren Achsen so gegeneinander geneigt sind, daß sie
zusammen eine Fläche des Himmels aufnehmen, die sich östlich und
westlich bis zu 15^ und nördlich wie südlich bis zu 6^ vom Mittel-
punkte der Sonne erstreckt.
Der 28. Mai war meteorologisph den Beobachtungen sehr günstig,
wolkenlos blaute der Himmel über der Station, und alle projektiertoi
Beobachtungen konnten ausgeführt werden.
Was zunächst die Dunkelheit wahrend der Totalität anbelangt,
so wurde sie ungefähr gleich derjenigen geschätzt, die in einer klaren
Vollmondnacht henrecht; indessen konnten von Planeten und Sternen
nur wen^ der heDsten gesehen werden. Die äquatoriale Ausdeh-
nung der Korona an jeder Seite der Sonne wurde von den Beob-
achtern mitfalofiem Auge auf zwei bis fünf Monddurchmesser geschätzt.
Ein mitbeobachtender Maler schätzte die Farbe des äußern Korona-
lichtee i^elgrün, und sie erstreckte sich bis zu einem halben Sonnen-
durchmesser gegen den Rand hin, von wo an die Färbung mehr gelb-
lich war, während die innere Korona Uaßgoldfarbig erschien. Die
teleskopischen Beobachtungen ließen eine große Menge Detail in der
Korona erkennen, doch erschien dasselbe weniger scharf und bestimmt
als bei der Finsternis von 1878, welche Prof. Langley auf Pikes Peak
beobachtete. Große Protuberanzen waren sichtbar, imd sie schienen
im Zusammenhange mit Regionen der Korona zu stehen, die ein ge-
störtes Aussehen zeigten. Die äquatorialen Koronastreifen konnten
auf der Photographie bis zur Entfernung von vier Sonnendurchmessem
verfolgt werden, und in dieser Entfernung wurden sie offenbar nur
wegen Lichtschwäche unsichtbar, keineswegs aber zeigten sie dort ein
bestimmtes Ende der Ausdehnung. Die Koronastrahlen in den Polar-
gegenden der Sonne waren augenfällig und vielfach in derselben Weise
in Kurven geordnet wie die bekannten E^aftlinien eines Magneten.
Mit den Kameras von langer Brennweite wurden Photographien mit
zahlreichen Details erhalten, die zum Vergleiche mit den Aufnahmen
zukünftiger Finsternisse von höchstem Werte sind. Besonders die
Linse von 135 Fuß Brennweite erwies sich für die Finstemisphoto-
graphie äußerst wertvoll.
Die Bolometerbeobachtungen zeigten die Wärmewirkung der
innem Koronastrahlung, doch war dieselbe unerwartet schwach. Die
Ergebnisse deuten eine verhältnismäßige Schwäche des infraroten
Teiles des Koronaspektrums an, was unvereinbar ist mit der Hypo-
these, daß die Strahlung eine Folge hoher Temperatur ist oder haupt-
sächlich aus reflektiertem Sonneiüichte besteht. Dies zusammen mit
dem Aussehen der Korona scheint die Hyx>othese zu begünstigen,
welche die Hauptquelle dieser Strahlung in einer Art elektrischer
Entladung erblickt. Die wohlbekannte Polarisation des Lichtes der
äußern Teile der Korona und das Vorhandensein feiner dunkler Linien
12 Bonne.
im Spektrum derselben, welche Janssen vor Jahren entdeckte, und
die durch Perrotines Photographien der Finsternis von 1901 bestätigt
wurden, beweisen, daß ein kleiner Teil der KoronaBtrahlung durdi
reflektiertes Licht der Sonnenphotosphare zustande kommt. In-
dessen lehren die photographischen Aufnahmen des Koronaspek-
trums durch Campbell (1898) und Perrine (1901), daß die Hauptmasae
des Lichtes der Korona keineswegs reflektiertes Sonnenlicht ist.
Manche neigen zu der Annahme, die Hauptquelle des Lichtes da
Korona sei in glühenden Partikelchen zu suchen, die sich nahe der
glühenden Sonnenphotosphare befinden, indessen ist Prof. Langley
überzeugt, daß der spektroskopische Befund gleich gut auch mit dar
Annahme elektrischer Entladungen übereinstimmt.
Die Nachforschung nach intramerkurialen Planeten ei^b die
UnWahrscheinlichkeit der Existenz von solchen, die heller als 5. Größe
erscheinen, doch könnten immerhin schwächere vorhanden sein.
Auf einer Platte fanden sich verschiedene Andeutungen solcher Ob-
jekte, da aber kein Duplikat zur Verfügung vorhanden ist, so muß es
unentschieden bleiben, ob es sich um Plattenfehler handelt oder um
wirkliche Objekte. Bei künftigen Finsternissen wird man mit ge-
eigneten Apparaten wahrscheinlich Sterne bis zur 9. Große photo-
graphieren können.
Von den zahlreichen und prachtvollen Tafeln, welche die Publi-
kation des Astrophysik. Obs. des Smitbsonianinstituts bringt, möge
hier eine reproduziert werden. Die Tafel I gibt das aUgemeine
Aussehen der Korona wieder, gemäß der Aufnahme mit der Kamera
von 11 Fuß Brennweite bei 82 Sekunden Exponierung.
Sonnentätigkeit und Erdmagnetismus. Prof. Ricco gibt folgende
Zusammenstellung der bisher aufgestellten Hypothesen über die Be-
ziehung der Sonnentätigkeit zum Erdmagnetismus. ^) Man hat zu-
nächst angenommen, daß der Eigenmagnetismus der Sonne Schwan-
kungen erleide, welche auf den der Erde Einfluß üben; aber man
bemerkte, daß es unwahrscheinlich sei, daß die Sonne mit ihrer Tem-
peratur von 6000° und mehr eigenen Magnetismus besitze. Femer
hat Lord Kelvin bewiesen (und dies ist zwingender), daß auch for
eine mäßige Störung die Sonne so viel von ihrer Energie in Gestalt
von elektromagnetischen Wellen aufwenden müßte, als sie in vier
Monaten in Form von Licht und Wärme aussendet, was ganz unwahr-
scheinhch, auch unmögUch ist.
Nachdem Faraday bewiesen hatte, daß der Sauerstoff magnetisch
ist, und daß seinMagnetismus beim Erwärmen abnimmt, hat man an-
genommen, daß die Sonnenstrahlung, die nacheinander auf ver-
schiedene Teile der Atmosphäre einwirkt, hier eine Verschiebung der
magnetischen Kraftlinien erzeugt, welche auf die Magnetnadel wirkt.
Aber C. Nordmann, der sich eingehend mit dieser Frage beschäftigte,
1) Memorie delle Sooiet^deUe spettrosoopiBti Italiani SS. p. 38.
Sonne. 13
hat bewieeen, daß die magnetisohen Eigenschaften der Atmosphäre
nur einen minimalen Einfluß auf die Bewegungen der Magnetnadel
haben können.
Man hat sich gedacht, daß die erdelektrischen Ströme mit ihren
Schwankungen die des Erdmagnetismus erzeugen können; aber
Schuster hat unwiderlegbar bewiesen, daß die Ejräf te, welche es auch
sein mögen, die diese Schwankungen des Erdmagnetismus erzeugen,
außerhalb der Erde existieren müssen; und femer hat Airy bewiesen,
daß kein Zusammenhang existiert zwischen den magnetischen
Schwankungen und den Erdströmen, welche regelmäßig auf der Stern-
warte in Greenwich registriert werden.
Balfour Stewart hat zur Erklärung der Schwankungen des Erd-
magnetismus angenommen, daß in der Atmosphäre elektrische
Ströme kreisen, deren Intensität modifiziert werde durch die Sonnen-
strahlung. Solche Ströme könnten wirkUch erzeugt werden von der
Induktion der Erde auf die Massen der Luft, welche in den hohen
Regionen der Atmosphäre sich bewegen; aber einerseits ist das erd-
magnetische Feld zu schwach, um induzierte Ströme zu erzeugen, die
fähig sind, die Schwankungen des Erdmagnetismus zu erklären;
anderseits folgt aus den Versuchen von Bouty, daß in den verdünnten
Gasen die Elektrizität nicht wandern kann infolge von Potential-
differenzen, die unter einer bestimmten Grenze hegen.
Nordmann nimmt an, daß die Sonne zugleich mit andern Mani-
festationen ihrer Tätigkeit Hertzsche Wellen aussendet, die man je-
doch an der Erdoberfläche nicht hat nachweisen können, auch nicht
auf dem Montblanc, wie er es versucht hat, weil sie von den hohem
Luftschichten absorbiert werden. Darum würde diese verdünnte
Luft unter der Wirkung der Hertzschen Wellen fähig werden (in ge-
wissen Fällen, wie es Righi nachgewiesen), auch intensive Ströme
unter kleiner Potentialdifferenz zu erzeugen; von diesen Strömen
würden sich Schwankimgen der Intensität des Erdmagnetismus ab-
leiten. Aber die Hertzschen Wellen pflanzen sich mit Geschwindig-
keiten fort, gleich der des Lichtes, und sie pflanzen sich nach allen
Richtungen fort; somit müßten die magnetischen Störungen un-
mittelbar auftreten bei der Bildung und Umbildung der Flecke oder
bei der Entstehung eines andern Phänomens der Sonnentätigkeit,
und zwar in jedem Punkte der Sonnenkugel, in dem es auftritt; dies
entspricht nicht dem, was Marchand, Maunder, Ricco u. a. gefunden
haben.
Goldstein und Deslandres nehmen an, daß die Sonne in normaler
Richtung zu ihrer Oberfläche Kathodenstrahlen aussendet, welche
auf den Erdmagnetismus wirken, was sicherhch wahrscheinUch ist;
aber es scheint, daß auch die Geschwindigkeit dieser Strahlen größer
ist als diejenige, mit welcher die Fortpflanzung des Einflusses der
Sonnenflecke ai^ den Erdmagnetismus wirkUch stattfindet.
Arrhenius hat eine ähnliche Hypothese aufgestellt, nämUch, daß
14
die Sonne Ionen «oisendet» d. h. eUktriaierte TeQehen, wekhe rem
der Sonnenobeifl&ohe abgestofien weiden info^ des Starmhhingi-
druckes (Bartoli-Maxwell) ; indem diese Ionen die Eide eneiolMo,
erzeugen sie hier die Polarlichter und die magnetischen Stönmgen.
In der Tat ist zu bemerken, daß die Geeohwindigkeit der Ionen eiwa
die Oiöfienoidnung erreichen kann, die man for das Sonnanagens
gefunden, welches die magnetischen Störungen erzeugt.
Bigelow glaubt, daß man a priori die Magnetisierung der Sonne
nicht leugnen könne wegen ihrer hohen Temperatur, da die Km-
stitution der Sonne sehr yersohieden sei von derjenigen der Magnete,
an denen das Experiment das Verschwinden des Magnetismus beim
Erwärmen auf hohe Temperatur bewiesen hat, und dies ist ganz
richtig. Er behauptet, daß wegen der yersohiedenen Rotations-
geschwindigkeiten unter den yersohiedenen Breiten in den die Sonne
zusammensetzenden Materien Wirbel entstehen, in denen dektnsohe
Ströme kreisen, so daß sie magnetisch polarisierte Röhren bildm, und
die ganze Masse der Sonne magnetisch wird und daher fähig, auf den
Erdmagnetismus zu wirken. Er nimmt auch in Teilen der Sonne eine
Emission Ton Katiiodenstrahlen und von Ionen an, die auf den Mag-
netismus und die Elektrizität der Erde und der Atmosphäre wirken.
Aus allen diesen Hypothesen ergibt sich, daß es an Mitteln, die
Wirkung der Sonne auf den Erdmagnetismus zu erklären, nicht fehlt;
es ist gleichfalls klar, daß die genannten Theorien Schwierigkeiten
darbieten, welche asu ihrer Überwindung weitere Studien Ton selten
der Physiker und Astronomen verlangen.
Planeten.
Planetenentdeckungen im Jahre 1908. Nach der Zusammen-
stellung von Paul Lehmann ^) sind folgende kleine Planeten seit dem
letzten Berichte ak neu entdeckt eingereiht worden:
Bexeichnaxig Entdeckung
Kreusa . . . 1902 Juni 26 Ton Wdf
JM . . . . 1902 Sept 3 „ Oamer»
. 1902 „ 3 „ Weil
(488)
(489)
(490)
(491)
(492)
(493)
(4W)
(4Ö6)
(496)
(497)
(498)
(499)
(000)
(601)
(Ö02)
(603)
JP .
Gorina
JR .
Griseldis
JV .
KG .
KH .
KJ .
Tokio
KX .
LA .
LB .
LC .
Evelyna
1902 „
1902 „
1902 „
1902 Okt.
1902 „
1902 „
1902 Nov.
1902 Dez.
1902 „
1903 Jan.
1903 „
1903 „
1903 „
3
3
3
3
7
7
26
26
4
2
24
16
18
19
19
Konigptuhl
Dugan
C3im(M8 Nizza
Wolf
Dugan
Konigstuhl
^) VierteljahnBohr. d astron. QeB, St. p. 36.
PUiMtn.
15
BaBttiohnixnff
Entdeokonfl:
(604) LE . .
.. 1902 Juni 90 ,, Baüey \
. . 1902 Aug. 21 „ Frort f
Harvard
(505) LL . .
GoUege
(506) LN . .
. 1903 Febr. 17 „ Dugan ^
(507) Laodioa.
. . 1903 „ 19 „
(508) LQ . .
. . 1903 April 20 „
(509) LR . .
. 1903 „ 28 „ Wolf
(510) LT . .
. 1903 Mai 20 „ Dugan
(511) Lü . . .
. 1903 „ 30 „ „
(512) LV . . .
. 1903 Juni 23 „ Wolf
Köniflit
LY . . .
. 1903 Aug. 24 „ „
o^
MB . . .
. 1903 „ 24 „ „
ME . . .
. 1903 Sept. 20 „ „
MG . . .
. 1903 „ 20 „ Dugan
MO . . .
. 1903 Okt. 20 „
MP . . .
. 1903 „ 20 „ „ ^
sind:
Die Hauptelemente der für diese Planeten berechneten Bahnen
Sl i tp B. Berechner
(488) 87« 21.0' 11« 20.3' 6« 41.4' 3.14 Berberich
(489) 167 30.4 13 25.0 3 47.3 ai5
(490) 179 6.3 9 21.4 4 48.4 3.18 Münch
(491) 175 54.6 18 56.8 3 42.9 3.20 Lassen
(492) 47 8.3 1 39.5 10 34.3 3.10 Hessen
(493) 358 34.6 15 25.6
(494) 38 57.0 7 10.1
14.3
(495) 186 20.9
(496) 206 38.0
(497) 6 55.1
(498) 98 7.9
(499) 256 38.0
(500) 290 23.0
(501) 357 35.6 20
(502) 132 37.8 25
(503) 69 15.9 5
(504) 106 15.0 12
(505) 89 58.0 9
(506) 313 30.9 16
(507) 295 7.9 9
(508) 45 15.0 13
(509) 218 50.9 19
(510) 203 17.0 9
9 17.9 3.13 Berberich
3 47.0 2.98 P. V. Neugebauer
8 28.4 2.48
3 37.2 4 15.5 2.18 Berberioh
4 53.7 17 25.7 2.84
9 29.7 12 26.0 2.64 P. V. Neugebauer
2 0.4 13 34.5 3.92 Berberich
9 47.2 8 8.4 2.61
55.6 8
3.6 10
3.2 10
58.9 12
34.0 17
53.3 8
5
0
0.5
20.9
8.1
30.6
37.8
3.16
2.38
2.73
2.72
2.96
33.4
24.0
26.4 13
29.0 11
11
19.8 3.04
47.8 3.16
40.8 3.16
30.5 3.06
31.3 2.63
Berberich
Osten
Berberich
Osten
9t
Berberioh
Bauschinger
Berberich
6.8 3.16 Wegener
8 40.0 14 23.6 2.17 Berberioh
9 28.5 5 0.2 3.01 P. V. Neugebauer
t3.6 3.06 Berberich
3.6 3.11
(511) 108 47.2 15 49.5
(512) 107 3.9
(LT) 185 43.2
(MB) 270 27.4
(ME) 122 2.2
(MG) 330 29.9 13 3.9 16 64.1 2.68 Berberich
(MO) 203 51.6 6 37.8 12 42.5 2.52
(MP) 45 21.7 10 53.0 10 31.0 2.78
„Bemerkenswert unter diesen Elementen, sagt Lehmann, sind be-
sonders diejenigen des Planeten (499), nach denen der letztere in
seinem Aphel dem Jupiter außerordentlich nahe kommen kann.
3 52.2 2
2 0.9 10
3.9 16 64.1 2.
16
Planeten.
Orofie Annäherung an Jupiter können erreichen:
(488) mit Jo » 1.71
(505) mit Jq « 1.64
(492) 1.79
(506) 1.82
(493) 1.96
(509) 1.76
(497) 1.74
(511) 1.68
(499) 0.61
(ME 1.80
(501) . 1.87
(MG) 1.82
wo i^o ^^ kleinste Entfernung vom Jupiter bedeutet, in welche ^bt
Planet in seinem Aphel gelangen kann.
Größere Ähnlichkeiten der Bahnelemente zeigen sich bei den
Planeten:
(488)
(269)
(469)
ft- 87.3« i
88.6
88.8
"*
11.3«
10.7
12.8
9» 6.7»
6.3
a4
« 3.14
3.15
3.33
(491)
(483)
a = 176.9 i
176.6
=
18.9
18.7
9= 3.7
3.0
= 3.20
3.43
(492)
(223)
ß= 47.1 J
48.7
l -=
1.7
1.9
ip = 10.6
7.0
= 3.10
3.09
(496)
(124)
ft = 186.3 1
188.6
l =
2.2
2.9
7= a5
4.5
« 2.48
2.63
(498)
(410)
<a= 98.1 I
96.4
=
9.5
9.5
^ = 12.4
12.5
» 2.64
2.83
(603)
(394)
ft= 69.3 1
68.2
=
5.1
6.3
<P = 10.1
13.2
= 2.73
2.77
(606)
(286)
Sl = 313.6 1
312.2
=
16.9
17.3
9>= 8.3
11.9
» 3.04
3.06
(LY)
(69)
Sl = 186.7 1
186.7
l =
9.5
8.5
9» 5.0
9.7
» aoi
2.98
(ME)
(268)
ft = 122.0
121.8
l =
2.0
2.4
<P = 10.1
7.8
= 3.11
3.09
(MO)
(67)
Sl = 203.9
202.9
l =
6.6
6.0
ip = 12.7
10.8
= 2.52
2.42
Von den 15 Planeten (475) und (481) — (494), welche seit dem
letzten Berichte zum ersten Male seit der Entdeckung wieder in Oppo-
sition getreten sind, wurden nur die Planeten (482), (483), (4d4),
(491), (492), (604) und (505) in der zweiten Erscheinung beobachtet;
von altem bisher nur in einer Opposition beobachteten und seitdem
vergebUch gesuchten Planeten wurden wiedergefunden:
(470)
in
der
3.
Ersoheinimg
(406)
»t
»»
7.
>f
(399)
ft
»»
8.
»>
(383)
»»
»
9.
»»
(327)
ft
»»
10.
9t
Die Zahl der bisher nur in einer Erscheinung beobachteten Pla-
neten, mit Einschluß der bis zum Ende des Jahres 1903 neu entdeckten,
beträgt somit gegenwärtig 00.
Planeten. 17
Von den in frühem Berichten noch nicht mit Namen versehenen
Planeten sind inzwischen (bis Februar 1904) die folgenden benannt
worden :
(357) Ninina (456) Abnoba
(360) Gariova (458) Heroynia
(368) Haidea (462) Eriphyla
(383) Janina (482) Petrina
(305) Delia (483) Seppina
(396) Aeolia (484) Pittsburghia
(440) Theodora
Beobachtungen des Planeten Venus 1908. Vom 18. bis 25. Juli
1903 hat Percival Lowell den Planeten Venus bei jeder günstigen
Gelegenheit an seinem großen Refraktor beobachtet. Mit Rücksicht
auf die Schwierigkeit zuverlässiger Wahrnehmungen an diesem Pla-
neten und die MögUchkeit psychischer Illusionen hat der Beobachter
alle Sorgfalt angewendet, um sich vor Selbsttäuschungen zu schützen.
Man weiß, daß die Scheibe der Venus nur höchst selten matte Stellen
zeigt, die sich durch Dunkelheit oder HelUgkeit von dem Hinter-
grunde abheben, und daß es Prof. SchiapareUi nur mit Mühe ge-
lungen ist, zu dem wahrscheinlichen Ergebnisse zu kommen, daß (wie
beim Merkur) die Umdrehungsdauer der Venus um ihre Achse der
Umlaufsdauer um die Sonne gleich ist. Dieses Ergebnis ist von an-
dern, meist jedoch von Nicht-Fachastronomen, die zudem an kleinen
Instrumenten ihre Wahrnehmungen machten, bestritten worden, in-
dem sie auf Grund derselben behaupteten: Venus zeige eine Um-
drehung von etwa 24 Stunden ähnlich der Erde. Dagegen hat
Percival Lowell schon im Herbste 1896 Flecke auf der Venusscheibe
gesehen, aus denen er auf die gleiche Rotationsdauer wie SchiapareUi
schloß. Die Flecke erschienen damals lang und schmal, und Lowell
hat danach eine Karte der Venusoberfläche entworfen, die auf Tafel IV
des Sirius, Jahrgang 1897, wiedergegeben ist. Dort finden sich auch
die Namen, welche P. Lowell den einzelnen Flecken und Streifen
beigelegt hat. Im Jahre 1903 hat er nun abermals Beobachtungen
der Venus bei günstigem Stande derselben unternommen, um die
Frage der Rotation dieses Planeten einer neuen Prüfung zu unter-
ziehen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Sicherung vor sub-
jektiven Täuschungen, besonders solchen, welche verursachen, daß
einzelne schwache Eindrücke zu einer Linie summiert werden. Dieses
wird nach den Erfahrungen von Lowell völlig vermieden dadurch,
daß man das Auge nicht schweifen läßt, sondern still hält. Dies ist
schwieriger, als man sich vorstellt, denn das Auge hat ein natürhches
Bestreben, behufs Wahrnehmung herumzuschweifen, und es ist
schwer, dasselbe im Zaume zu halten.
Von den Eigentümlichkeiten, welche die Venusscheibe zeigt,
gibt es nach Lowell zwei Arten. Die Einkerbungen an der Licht-
grenze und das Band um den Südpol mit den beiden Flecken darauf
wie Perlen gehören zu der erstem und am meisten augenfäUigen
Klein, Jahrbuch XV. 2
13 Planeten.
Klasse. „An ihrem Vorhandensem'S sagt Lowell, ,^abe ioh nie ge-
zweifelt, und sie allein genügen, um zu zeigen, daß dieser Planet eine
Rotation von 225 Tagen besitzt. Die zweite Art von Flecken ist
weit schwieriger zu jaehen; hierhin gehören lange Schatten, welche vcxn
der Lichtgrenze ausgehen und sich gegen den Mittelpunkt der Scheibe
hin erstrecken. Diese letztem, sowohl wegen ihrer Schwäche, aJs
wegen ihrer verdächtigen Gestalt, sind am meisten fragUch und er-
fordern kritische Aufmerksamkeit.
Die Beobachtimgen des Jahres 1903 bestätigen das Vorhanden-
sein mehrerer Flecke beider Gattungen, die früher, 1896 bis 1897 und
1901, von Lowell gesehen worden waren. Das Band am Südpole und
die beiden Flecke Astoreth und Ashera, welche in der Venuakarte
von 1897 figurieren, wurden auch dieses Mal sehr bestimmt wieder
erkannt, und ähnhch zeigten sich auch die dunkeln Auszahnungen
an der Lichtgrenze in den äußern Enden von Anchises regio und Hero
regio. Was die andere Art von Flecken anbelangt, so war der Nach-
weis ihres wirklichen Vorhandenseins ein doppelter. Zunächst er-
schienen die Linien, welche die eigentümlichen Konfigurationen
^gen, genau wieder an der Stelle der Venusoberfläche, wo sie sich
1897 und 1901 gezeigt hatten. Dieses alles ist schon ein strenger
Beweis ihrer Realität. Dann erschienen sie aber auch zuzeiten mit
einer solchen Deuthchkeit und Bestimmtheit, daß jeder Verdacht,
es könne sich um eine optische Illusion handeln, fortfallen mußte.
Am 27. Mai fand Lowell, ab er das Femrohr von Venus auf Mars
richtete, die Details auf der Scheibe des letztem nicht so scharf als
die der Venus, doch stand Mars tiefer als letztere. Lowell fand
dieses Mal auch wieder bestätigt, was er schon 1896 bis 1897 erfahren
hatte, nänüich : daß die Flecke um so leichter sichtbar sind, je mehr
die Venusscheibe voll beUchtet erscheint. Diese Eigentümlichkeit
war unabhängig von der Höhe des Planeten über dem Horizonte, sie
hängt also nicht von den irdischen Luftzuständen, sondern von der
mehr oder weniger senkrechten Beleuchtimg der Venusoberfläche
durch die Sonne ab ; je senkrechter die Sonnenstrahlen auffallen, um
so besser werden diese Streifen sichtbar. Dies ist augenscheinUch
der Grund, weshalb gewisse Streifen unsichtbar werden, wenn sie
von dem Mittelpunkte der Scheibe fortrücken und andere in Sicht
treten, wenn sie sich diesem Teile derselben nähern. Mit Bücksicht
auf diesen Umstand ist es unabweisbar, bei Zeichnungen nur solche
untereinander zu vergleichen, welche nahe bei gleicher Phase auf-
genommen wurden. Geschieht dieses, so findet man vollständige
Übereinstimmung der Zeichnungen der Venusoberfläche, welche
SchiapareUi 1877 Dezbr. 9., 14., 21., 1895 JuU 5. und 30. angefertigt
hat, mit derjenigen, die Lowell 1903 Juni 23., 12b 6m M. Z. erhielt.
Eine neue Bestimmung der Bichtung der Rotationsaehse des
Mars hat P. Lowell ausgeführt. Es gibt bekanntUch zwei Methoden,
li
4.-
Flftneten. 19
liun die Lage der Botationsaohse des Mars im Räume zu bestimmen;
iK die eine besteht darin, die Veränderung in der Position der Flecke
.£ auf der Marsscheibe bei der Umdrehung des Planeten festzustellen,
die andere ist indirekt durch Berechnung aus der Prazession der
Knoten- und Apsidenlinie der Bahnebenen seiner beiden Monde.
SchiapareUi hat erstere Methode mit Erfolg angewandt, Struve in
seiner trefflichen Abhandlung die letztere. Die Ergebnisse beider
Untersuchungen stehen jedoch nicht in besonders guter Überein-
stimmung, und Lowell hat deshalb eine neue Bestimmung unter-
nommen. Er benutzte dabei die Methode der direkten Beobachtung
der Flecke auf der Marsscheibe, wobei besonders der nördhche
Polarfleck, der sehr nahe beim nördlichen Umdrehungspole des Mars
liegt, vortrefOiche Dienste leistete. Ganz besonders war die Oppo-
sition des Mars in den Jahren 1901 und 1003 für eine solche Unter-
suchung günstig, denn der nördhche Polarfleck war damals nahe am
kleinsten und auch sonst für die Beobachtungen günstig gelegen.
Die Berechnung der Beobachtungen Lowells während der beiden
Oppositionen ergab diesem folgende definitiven Mittelwerte:
Projektion des Nordpoles des Mars auf die Himmelskugel (für
1903), Rektaszension 315"" 32', Dekl. + 54"^ 61'. Durchschnitt des
^ Marsäquators mit der Marsbahn: Rektaszension 86° 66' Dekl. + 24°
^ 32'. Neigung des Marsäquators gegen die Marsbahn 22° 66'. Diese
'^ Ergebnisse stimmen mit den von SchiapareUi 1882, 1884 und 1886
erhaltenen befriedigend überein, während die Struveschen merkhch
von beiden abweichen.
Bamards Beobachtungen über die 8ü41iehe Polanone des Mars.
In den Jahren 1892 und 1894 hat Prof. E. E. Bamard am 36-zöUigen
und ebenso am 12-zöUigen Refraktor der Lickstemwarte die südliche
Polarkappe des Mars, die uns bei den großen Annäherungen des Mars
zur Zeit von dessen Opposition sehr günstig zu Gesicht kommt, ge-
nauer beobachtet. „Obgleich, sagt dieser berühmte Beobachter in
dem Berichte über diese Untersuchungen,^) die allgemeinen Details
der Marsoberfläche unrichtig wiedergegeben (misrepresented) seien,
imd obgleich die meisten Kanäle, einfache wie doppelte, nur Illusionen
sein mögen, so sind die beiden Polarkalotten doch dieser allgemeinen
Flut von Unsicherheit und Mißdarstellung entgangen. Sie bürgen
für ihr Aussehen, mag ihre Beschaffenheit sein, welche sie wolle. Die
südUche Polarkalotte hat seit den ersten teleskopischen Beobach-
tungen derselben Veränderungen ihrer Ausdehnung gezeigt, welche
schon früh auf die Vermutung führten, daß diese durch Anhäufung
von Schnee im Winter und durch Schmelzung desselben im Sommer
der südUchen Marshemisphäre entstehen. Der Verlauf dieser Än-
derungen in der Größe der Polarzone ist bisher aber wohl nur an
^) Aatrophysioal Joom. 17. p. 249.
20 Planeten.
Zeichnungen studiert worden, die bloß nach dem Augenmaße ent-
worfen waren, und Prof. Bamard beschloß deshalb, die Ausdehnung
des südlichen Polarfleckes durch Messungen mittels des Mikro-
meters festzulegen. Diese Aufgabe hat er während der Oppositionen
des Mars in den Jahren 1892 und 1894 an dem großen Instrumente
der lickstemwarte durchgeführt und auch eine Reihe von Zeich-
nungen des Aussehens des Planeten erhalten, die er aber bisher noch
nicht veröffentlichte. Die Messungen begannen am 12-zölligen Re-
fraktor im Jahre 1892 am 3. Juh, 102 Tage vor dem Sommeranfänge
auf der südlichen Marshemisphäre, und wurden fortgesetzt bis zum
6. November, 24 Tage nach dem Sommeranfange für die erwähnte
Halbkugel des Mars. Im Jahre 1894 wurde der 36-zöllige Refraktor
benutzt, und die Messungen begannen am 21. Mai (103 Tage vor dem
Sommeranfange der südUchen Marshalbkugel) und endigten am
11. November (71 Tage nach dem Sömmersolstitium der Südhemi-
sphäre des Planeten). Die Untersuchung ergab, daß die Abnahme
der Ausdehnung des weißen Polarfleckes in beiden Jahren völlig über-
einstimmend erfolgte, und femer, daß die Abnahme über den Tag des
Sonmieranfanges hinaus nochfortdauerte, also über dieZeitder größten
Erwärmung durch die Sonne. Dies entspricht durchaus den Ver-
hältnissen auf der Erde, wo die höchste Lufttemperatur erst einige
Zeit nach der stärksten Sonnenbestrahlung eintritt, und spricht sehr
für das Vorhandensein einer Atmosphäre auf dem Mars. Dieselbe
scheint zwar sehr viel weniger dicht zu sein als unsere irdische Luft-
hülle, allein sie ist dennoch hinreichend, um die Erscheinungen der
Kondensation und Verdunstung der Feuchtigkeit herbeizuführ^i
und ebenso, wenngleich selten, WolkenbUdungen zu erzeugen."
Es wäre von Interesse, auch die Zunahme der südlichen Schnee-
kappe beim Herannahen des Winters beobachtend zu verfolgen, allein
dies scheint nach Lage der Verhältnisse unmögUch. Obgleich Mars
im Jahre 1894 sorgfältig beobachtet wurde, so war doch nach dem
19. November keine Spur der südlichen weißen Kalotte zu sehen,
sie schien völlig verschwunden zu sein. Bei verschiedenen Gelegen-
heiten war ein Teil der Grenze des weißen Polarfleckes von einem
verdunkelnden Medium bedeckt, welches zu andern Zeiten ver-
schwunden war, und das man mit guten Gründen für wolkenartiger
Natur halten kann. Im Mai 1894 bedeckte der Polarfleck eine Flache
von etwa 960 000 qkmy aber Ende November war derselbe völlig ver-
schwunden, anscheinend weggeschmolzen. Die rasche Abnahme des
Fleckes scheint anzudeuten, daß, wenn er aus Schnee besteht, dieser
nicht in dichten Schichten aufliegen kann, sondern nur als dünner
Überzug besteht. Schnee, der auf der Erde nicht selten bis in mitüeie
Breitengrade hinab sich ausdehnt und dann in wenigen Tagen
schmilzt, würde von der Venus aus gesehen eine ähnUche rasche Ver-
änderung in der Ausdehnung der irdischen Polarzonen her-
vorrufen.
Planeten. 21
1 Die äußere Begrenzung der Polarkappe des Mars erschien oft
i unregelmäßig. Häufig konnte Prof. Bamard auf der Oberfläche der-
t selben hellere Flecke, breite helle Linien und wechsehide dunkle
>. Flecke erkennen. Ein großer, zeitweise dunkler Fleck war nahe in
f. der Mitte der Polarkappe sowohl 1892 als 1894 sichtbar, um die Zeit,
r: wo die Ausdehnung der weißen Kappe am größten erschien, er schien
i: ZU verschwinden wenn letztere abnahm. Einmal zeigte sich dieser
L- zentrale Fleck von röthcher Farbe, ähnUch derjenigen der sonstigen
c Oberfläche des Mars, und zu verschiedenen Malen erschien die Kappe
deuthch doppelt. Die merkwürdigste Erscheinung aber war das
^ Auftreten einer spitzigen Hervorragung am Bande der weißen Ka-
j/ lotte, und zwar an der nämUchen Stelle 1892 und 1894. Diese Hervor-
ragung bUeb als heller Punkt bestehen, nachdem die weiße Kalotte
^ schon merklich zusammengeschmolzen wsur, und offenbar wird sie
'i^ durch irgend eine EigentümUchkeit der Oberfläche des Mars an jener
ij Stelle verursacht. Man kann vermuten, daß sich daselbst eine große
l Bergkette befindet, auf deren Gipfel der Schnee noch Hegen bleibt,
[ wenn er ringsherum am Fuße schon geschmolzen ist. Auf solche
Weise enthüllt uns wahrscheinlich die Schneeschmelze auf dem Mars
l das Vorhandensein dortiger Gebirge, die für uns sonst unwahmehm-
bar bleiben würden. Bei Durchsicht der altem Marsbeobachtungen
, fand Prof. Bamard, daß schon 1845 Mitchel in Cincinnati (mit einem
^ 10^-zöUigen Refraktor) diese weiße Hervorragung an der nämhchen
, Stelle des Mars gesehen hat, und zweifellos erscheint sie in jedem
j Marsjahre wieder, sobald die Schneekappe sich genügend zusammen-
? gezogen hat. Ihre Sichtbarkeit beginnt etwa 60 Tage vor dem
Sommeranfange der südhchen Marshemisphäre und durchläuft ihre
Veränderungen während des Zeitraumes von etwa einem Monate. Prof.
Bamard macht auch darauf aufmerksam, daß schon N. E. Green bei
I seinen Marsbeobachtungen auf Madeira im Jahre 1877 jene weiße
Spitze gesehen und einer Bergkette auf dem Mars zugeschrieben hat.
Green gab einem der hellen Flecke den Namen Mitchelberg.
Im Jahre 1895 war die nördliche Polarzone am 6. Mai deutlich
und bestimmt zu sehen, spurweise glaubte Prof. Bamard sie schon
mehrere Monate früher erkannt zu haben. So bemerkte er am
23. Dezember 1894 einen starken bläuUchen Glanz am Nordrande der
Marsscheibe, und dieser wurde später wiederholt notiert, bis endlich
die deutUche Spur der weißen Zone am Rande sichtbar wurde. Um
einige EigentümUchkeiten, welche die südliche Polarzone darbietet,
vorzuführen, hat Prof. Bamard acht Zeichnungen aus den Jahren
1892 und 1894 ausgewählt und reproduziert, aber ohne die Details der
umgebenden dunkeln Teile des Planeten. Die Zeichnungen von
1892 sind am 12-zölligen, diejenigen von 1894 am 36-zölligen Re-
fraktor erhalten worden. Prof. Bamard bemerkt noch, daß während
jener Opposition bei günstigen Luftverhältnissen die Details auf
der Marescheibe so zahlreich und kompliziert waren, besonders in
22 Planeten.
den dcmkeln Regionen des Planeten, daß es unmöglich wurde» sie
genau zu zeichnen. Von dem Netzweike der feinen Euuiale, welches
andere und minder erfahrene Beobachter schcm mit 6-zolligen Fern-
rohren gesehen haben woDen, hat Bamaid am großen Lickrefraktor
nichts wahrgenommen.
Marsbeobachtongen während der Opposition von 1908 hat T.-E.-
R. Phillips zu Croydon (England) an einem 9-zolligen Silberspi^el-
teleskop bei 217- und 450-facher Vergrößerung angestellt. ^) Infolge der
günstigen Witterung konnte sehr gut beobachtet werden, obgleich
die Marsscheibe im Maximum nur 14.6^ Durchmesser zeigte. Das
Zentrum der Scheibe hatte bei der Opposition 22.6^ nördl. Br. auf dem
Mars, gegen Mitte Mai 25°. Im ganzen wurde von Februar bis
Ende Mai vom Beobachter 66 mal die Marsscheibe untersuoht. Er
fand die großen Flecken gut begrenzt, manchmal von hellen Regionen
umgeben; sie waren nicht gleichförmig im Ton, sondern mit hellen
und dunkeln Flecken besät. Mehrere Kanäle wurden gut gesehen,
und der Beobachter zweifelt durchaus nicht an ihrer reellen Existenz,
meint aber, bei genauer Betrachtung aus größerer Nähe würden sie
merkUch weniger regelmäßig (geradhnig) erscheinen. Die Versuche
von Maunder *) und Evans beweisen nach ihm nur, daß wahrscheinlich
einige dieser Kanäle optische Illusionen sind. Die Kanäle sind nach
Phillips im einzelnen aber wahrscheinUch Gebilde von verschieden-
artiger Beschaffenheit. Gesehen hat er deuthch u. a. die Kanäle:
CaUirhoe, Casius (hatte nicht das Aussehen eines Kanals), Gephissos,
Ceraunius, Cerberus (doppelt und geradlinig, so wiederholt und unter
den günstigsten Verhältnissen), Ghaos, Ghoaspes, Ghrysorrhoas,
Cyclops (breit und leicht sichtbar), Deuteronilus, Erebus (sehr deut-
hch), Euphrates, Ganges, Gigas, Hades, Hyblaeus, Indus, Iris (als
schmale Verlängerung von Ceraunius), Jamuna, Laeetrygon, Magnes,
Marsyas, Nepenthes (kurz, zeigt eine Anschwellung beim Durch-
schneiden von Lacus Moeris) Nilokeras (scharf im Norden, ver-
waschen im Süden, bei frühem Beobachtungen war er anormaler
Weise doppelt erschienen), Nilosyrtis, Phison (schien die ziemlich
scharfe Begrenzung des orangefarbenen Tones der Scheibe zu sein),
Pierius, Protonilus (sehr dunkel und sehr leicht sichtbar; erschien
am 12. Mai in einem 12j4'ZÖUigen Reflektor doppelt und ebenso am
14. Mai im 9-Zoller des Beobachters), Periphlegethon (breit und
diffus), Thoth (schöne gerade Linie). Am 10. und 11. März, sowie
am 17. April erschien ein neuer Kanal von Nilosyrtis (Länge 282°,
Breite + 38°) gegen die kleine Syrte hin ziehend. Er wurde später
nicht wieder gesehen, obgleich am 19. Apnl Thoth sehr gut sichtbar
^) Monthly Notioes. 64. p. 39.
"} Dieses Jahrbuch. 14. p. 33.
Planeten. 23
war. Die bekannten dunkeln Flecke oder Seen wurden ebenfalls ge-
sehen, ein neuer dunkler Fleck, groß und schlecht begrenzt, bei der
Vereinigung von Erebus und Titan (Lange löS"*, Breite + 35**), So-
wie ein anderer großer dunkler fleck in 27*7° Länge tmd -h 6€f° Breite,
der möglicherweise neu ist.
Was die nördliche Polargegend anbelaagt, so erschienen die
Regionen von + 70^ Breite bis gegen den Pol hin im allgemeinen iKel
^ heller als das Zentrum der Scheibe und wurden gewöhnlich Von einem
^ dunkeln Saume begrenzt. Die Polarkalöttö erschien am hellsteil ini
^ Februar, anfangs März aber dunstig. Der Beojsachter besteht nach-
drücklich auf der Richtigkeit der Schiaparellischön Marsdarstellungen
;2 seit 1877.
Die Kanäle Thoth und Amenthes auf dem Mars sind von P. i^owell
. bezügUch ihrer Sichtbarkeitsverhältnisse untersucht worden. ^) Die
Erscheinung, um die es sich handelt, ist zuerst von Schiaparelli kon-
statiert worden; ein augenfälliger Vorgang dieser Art ereignete sich
:^ aber jüngst bei der Marsopposition von 1903, und Lowell bezeichnet
^ ihn als t)berwinterung (hibemation) eines Kanales während einer
!^ langem oder kurzem Zeit des Jahres, wofür man vielleicht besser
Altemierung eines Kanales sagen könnte. Was die Beobachtung in
dieser Beziehung ergeben hat, ist jedenfalls seltsam. Während einer
Anzahl nacheinander folgender Oppositionen wird nämhch ein ge-
wisser Eamal in einer bestimmten Marsregion deuthch und unzweifel-
haft gesehen und stets wieder aufgefunden, aber bei einer folgenden
günstigen Gelegenheit nicht mehr gesehen und bleibt mehrere ^lars-
jahre hindurch unsichtbar, bis er plötzUch wieder in der alten Gestalt
und DeutUchkeit da ist. Für dieses Verschwinden kann aber weder
das Äbbleichen der betreffenden Marsgegend, noch irgend ein anderer
plausibler Grund angeführt werden, sondern der Kanal ist einfach
verschwunden und kommt ebenso wieder zurück, scheinbar ohne
Regel und Recht. Dieses Versteckenspiel steht auch völlig außer
Beziehung zu der jahreszeitlichen Sichtbarkeit, welcher alle Mars-
kanäle unterworfen sind, und deren spezielles Verhalten Xiowell jüngst
aufgedeckt hat. In den Sichtbarkeitswandlungen der hier ins Auge
gefaßten Kanäle ist durchaus keine jahreszeitliche Periode nachweis-
bar, sondern eine solche von längerer Dauer. Rings um diese Kanäle
vollzieht sich der jahreszeitliche Wandel der andern, sie selbst aber
bleiben ausgeschlossen und verschwunden. Dieses sonderbare Ver-
halten hat schon Schiaparelli als eine nicht zu bezweifelnde Tat-
sache erkannt, obgleich es sehr schwierig zu erkennen und unbegreif-
lich erscheint. Bei der letzten Opposition des Mars aber ereignete
sich ein Vorgang dieser Art, der infolge seiner Deutlichkeit und des
1) Lowell Obseryatory BnlL Nr. 8.
24 Planeten.
langen Zeitraumes, über den sich die Beobachtungen Lowells er-
strecken konnten, diesem, seiner Überzeugung nach, den Schlüasel
zur Lösung in die Hand gegeben hat.
Die Tatsachen sind folgende. Unter den ersten Kanälen, die
SchiapareUi 1877 entdeckte, befinden sich drei, welche eine drei-
schenkehge Figur bUden; sie hegen öetUch von der großen Syrte
(Syrtis major) und erhielten von SchiapareUi die Namen Thoth,
Triton und Nepenthes. Ausgehend von einem Punkte des Sinus
Alcyonius, der jetzt den Namen Aquae Calidae trägt, zieht sich der
Thoth südwärts und gegen Westen, bis er in 267^ Länge und 15^
nördl. Breite den Triton schneidet, der aus der Syrtis minor kommt
und ebenfalls sich westwärts hin fortsetzt. La der gleichen Weise
verhält sich Nepenthes. Auf dessen Wege hegt ein dunkler Fleck,
der den Namen Lacus Moeris erhalten hat. Einige dieser Ober-
flächenteile sind leichter zu sehen als andere, der deuüichste von
allen ist der Lacus Tritonis, ein dunkler Fleck im Schnittpunkte der
drei Kanäle; aber daß keiner dieser Kanäle und Flecke sehr schwierig
zu erkennen ist, ergibt sich daraus, daß diese Kanäle schon in den
frühesten Beobachtungen Schiaparellis erwähnt werden. Er ent-
deckte den südhchsten zuerst, Thoth wutde erst im März 1878 ge-
sehen, als die Länge der Sonne für den Mars 7° über den Frühlings-
punkt hinaus betrug (dem 27. März bei uns entsprechend). Damals
müssen diese Kanäle zu den deutlichsten überhaupt sichtbaren ge-
hört haben, denn SchiapareUi sah bei jener Opposition weder den
Phison, noch den Euphrates, die doch relativ leichte Objekte sind.
Ungefähr den nämlichen Anbhck boten die drei Kanäle, als Schia-
pareUi sie bei der Opposition des Mars 1879 beobachtete. Die einzige
wichtige Veränderung bestand darin, daß die Syrtis major sich west-
wärts bis zu Nepenthes hin ausgedehnt hatte. Lacus Moeris war
noch vorhanden, während Triton sich wie früher von der Spitze der
Syrtis minor gegen Heeperia hin erstreckte, und zwar gegen die
Bucht auf der östUchen Seite der Halbinsel. Bei der nächsten
Opposition des Mars zeigte sich eine bemerkenswerte Veränderung,
deren voUe Bedeutung damals nicht erkannt wurde. SchiapareUi
sah an dem Orte, wo Thoth sich befunden, zwei Linien, die er für eine
Verdopplung dieses Kanales hielt, und von denen eine dem alten Ver-
laufe des Thoth folgte, während die andere geradenwegs von Sinus
Alcyonius zur Syrtis minor Uef oder genauer zum Vereinigungspunkte
von Triton und Lethes. Diese Linie war nicht der alte Thoth, sondern
etwas Unerwartetes von größerer Wichtigkeit. Die Zeiten des Er-
scheinens von Thoth waren: 1881 November (Sonnenlänge auf dem
Mars 351^ vom Frühlingspunkte), im Dezember (Sonnenlänge 6°),
und darauffolgend 1882 Januar 29 (Sonnenlänge 27°), Februar 6
(Sonnenlänge 31°) und März 10, 11 (Sonnenlänge 46° und 46°). Am
3. Februar 1882 (Sonnenlänge auf dem Mars 30°) erschien der Kanal
SchiapareUi doppelt wie oben angeführt wurde.
Planeten. 25
Im Jahre 1884 erschien Thoth in Wirklichkeit doppelt, und die
westUche Linie war nach Schiaparelli beträchtlich stärker als die
andere. Daß kein Arm weiter als bis zur Vereinigung mit Nepenthes
sich erstreckte, beweist, daß wirklich der Thoth gesehen wurde. Im
Jahre 1886 war Thoth sichtbar vom Februar bis Mai (Sonnenlänge
auf dem Mars 68° bis 117°) als verwaschener Streifen; 1888 zeigte
er sich April 29 (S. L. 126°), Mai 8 (S. L. 131°), Juni 2 bis 13 (S. L.
146°), JuU 21 (S. L. 169°). Im April war er verwaschen, im Juni
doppelt, anfangs zweifelhaft, später, am 12. und 13. Juni bestimmt.
„Hier haben wir demnach, sagt Lowell, ein System von Kanälen
und Flecken, welche sechs Marsjahre hindureh dauernde und im
wesentlichen unveränderliche Bildungen der Marsoberfläche dar-
stellten. Man mag sich daher mein Erstaunen ausmalen, ab ich am
Beginne meiner Beobachtungen 1894 keine Spur dieses ganzen Kom-
plexes wahrzunehmen vermochte. Weder von Thoth, noch von
Triton, noch von Nepenthes oder dem Lacus Moeris war eine Spur
zu sehen, dennoch aber bewiesen die Sichtbarkeitsverhältnisse der
übrigen Marskanäle, daß ich die Marsscheibe wohl so deutUch sah,
als sie von Schiaparelli gesehen worden ist. Denn nicht nur waren
tatsächlich alle sonstigen Kanäle, die dieser Astronom wahrge-
nommen, vorhanden, sondern auch noch schwächere. Und das näm-
liche galt von den dunkeln Flecken, von denen eine Anzahl solcher,
die Schiaparelli nie gesehen, über der Marsscheibe zerstreut waren.
Statt des Thoth zeigte sich ein anderer Kanal in gerader Erstreckung
über die Scheibe von Syrtis minor bis Aquae CaUdae. Dieser Kanal
war so unzweifelhaft vorhanden, wie Schiaparelli den Thoth früher
wahrgenommen; er war unter den ersten, die gesehen wurden, und
bheb mit unverminderter Deuthchkeit bis zum Ende der Beobach-
tungen sichtbar. Die Daten für seine Wahrnehmung sind: Juli 10
(S. L. 240°), August 14 (S. L. 262°) und Oktober 21 (S. L. 304°). Ich
bezeichne ihn als Amenthes, indem ich ihn mit dem von Schiaparelli
in der Karte seiner Beobachtungen von 1877 bis 1878 so genannten
Kanal identifiziere. Übrigens erwähnt er ihn im Texte zu seinen
Karten nicht, denn er sah ihn nur 1881 und 1882 und hielt ihn dann
für den Thoth. Ungeachtet dessen war er 1894 der augenfäUigste
der Kanäle in jener Marsgegend. Die Unsichtbarkeit des Thoth
dauerte nach meinen Beobachtungen während der folgenden Oppo-
sition des Mars 1896 bis 1897 und 1901 fort; 1898 bis 1899 war ich
durch Krankheit verhindert zu beobachten. Ich zeichnete den Kanal
1896 am Juh 28 (S. L. 279°), August 26 (S. L. 297°), September 2
(8. L. 301°), Oktober 5 bis 9 (S. L. 321°) als einfach; 1897 Januar
12 bis 19 (S .L. 13°), Februar 21 (S. L. 30°) und März 1 (S. L. 34°)
auch noch als einzeln, aber im Januar war er anscheinend im Begriffe,
sich zu verdoppeln, und im Februar war er wirklich doppelt. Im
Laufe dieser Oppositionen haben einige andere Beobachter den Thoth
wahrgenommen und ebenso den Lacus Moeris, ich selbst habe sie
26 Planeten.
trotz aller Mühe nicht geeehen und kam zu dem EigebniBae, dafi
Thoth und Amenthes ein und derselbe K!anal seien, und deren Ver-
schiedenheit nur im Irrtume der Zeichnung zu suchen wäre. Der
Amenthes erschien mir während der ganzen Zeit als die augenfälligste
Linie oder richtiger als Linienpaar, denn er war 1901 meistenteils
doppelt. In der Opposition von 1903 zeigte sich Amenthes anfangs
als verwaschener, schmaler Doppelkanal, am 16. Februar vermutet,
wurde er vom 18. bis 23. bestimmt gesehen. Von Thoth geschieht
dagegen keinerlei Erwähnung, weder in den Beschreibungen, noch
auf den Zeichnungen. Als die in Rede stehende Mareregion im Man
wieder sichtbar wurde, war Amenthes wieder da, aber schwächer als
im Februar. Der Kanal war am Verschwinden, wie eine spezielle
Bemerkung im Beobachtungsjoumal hervorhebt, von Thoth da-
gegen keine Spur zu sehen. Die Beobachtungen geschahen in der
Zeit vom 18. bis 23. Februar (S. L. 87'') und vom 19. bis 28. Man
(S. L. 106^). Mit dem Monate April zeigte sich eine neue Ordnung
der Dinge. Als die betreffende Marsregion am 16. zuerst wieder
sichtbar wurde, war Amenthes noch zu sehen und allein; aber am 19.
als diese Gegend näher auf der Mitte der Scheibe stand, war ihm
längsseitigThoth ebenfalls sichtbar. Am 20. April (S. L. 114^) zeigte sich
Thoth allein, genau so, wie ihn Schiaparelli gezeichnet hatte, begleitet
von Triton und dem gekrümmten Nepenthes. Es war wie eine Offen-
barung. „Was ich", fährt Lowell fort, „vorher nur geistig in den 2Seich-
nungen anderer gesehen, stand mir offen vor meinen Augen, und
Amenthes, an den ich solange gewöhnt gewesen, war verschwunden,
nur ab und zu konnte eine Spur von ihm gesichtet werden. Die
ganze Metarmophose machte mich so stutzig, daß ich anfangs meinen
Augen nicht traute, aber es blieb kein Zweifel, der Amenthes war
verschwunden, und Thoth statt seine rsichtbar geworden. So fuhr er
fort zu erscheinen bis zum 30. April, und auch Lacus Tritonis war deut-
Uch zu unterscheiden. Bei der nächsten Sichtbarkeit dieser Gegend,
vom 26. Mai bis 8. Juni (S. L. 133^), wiederholte sich die Erscheinung
mit zunehmender DeutUchkeit, und plötzhch am 29. Mai sah Lowell
auch den längst aufgegebenen Lacus Moeris. Er war es unbestreitbar,
und seine Deutlichkeit nicht das am wenigsten Auffidlende dieses
Phänomens". So oft hatte Lowell vergebUch danach gesucht, jetzt
stand er plötzhch vor seinen Augen, ungesucht, als kleiner runder
Fleck wie jede ändere „Oase", mittels des Nepenthes wie eine Perle
am Ohr der Syrtis minor hängend. Denn die Lybiabai zeigte eine
dunkle Hervorragung von der Art der hoch oben an der ösüichen
Syrte, von welcher Nepenthes, genau wie Schiaparelli ihn gezeichnet,
in gekrümmter Linie zu dem Punkte zog, wo Thoth und Triton zu-
sammentreffen. Alle drei Kanäle erschienen doppelt, die Doppd-
linien etwa 3^ der Marskugel voneinander entfernt. Nun ereignete
sich der letzte Akt des Dramas. Im Juh erschien der Kanal Amentiies
wieder, Seite an Seite mit Thoth-Triton, auch war er in der Zwischen-
Planeten. 27
* zeit (Juni, Juli) starker geworden, während Thoth-Triton abge-
'^' nommen hatte. Die Linie war im Begriff, in den frühem Status
^' zurückzusinken. „Wären", sagtLowell, „diese drei Erscheinungen nicht
^ beobachtet worden, und wäre die kurze Sichtbarkeit des Thoth-
'•- Triton unbeachtet geblieben, so würde damit das Verständnis dieser
^ Vorgänge nicht möglich sein.'' Zunächst findet Lowell die von ihm
v schon lange gewonnene Überzeugung bestätigt, daß, wenn eine augen-
'^^' fälUge Diskordanz in den Darstellungen des Verlaufes eines Kanales
^ besteht, dies gewöhnUch nicht auf einem Irrtum oder einer Ver-
f- änderung beruht, sondern auf unrichtiger Identifizierung; der Kanal
^ hat weder seinen Ort verändert, noch der Beobachter sich geirrt,
^ vielmehr ist das eine Mal ein bestimmter Kanal sichtbar gewesen,
:i das andere Mal ein anderer. So war es auch im obigen FaJle, und
ik unter diesem Gesichtspunkte werden die altem wie die neuem Wahr-
^' nehmungen übereinstimmend. Die genauere Untersuchung der Auf-
I' Zeichnungen über die Sichtbarkeits Verhältnisse der beiden Kanäle
e5 zusammen mit ihrem Verhalten in bezug auf den jahreszeitlichen
1^. Charakter der Region, in der sie sich befinden, enthüllt weiter eine
[c merkwürdige Beziehung zwischen beiden. Die Jahreszeit (wie sie
i in den Sonnenlängen für Mars sich ausspricht) ist entscheidend für
2 die Vorgänge wälurend des Marsjahres überhaupt. Gemäß diesem
0 geordnet, läßt das sukzessive Aussehen eine saisonmäßige Ändemng
^ bei jedem der beiden Kanäle erkennen, überdies aber noch eine
II andere von säkularem Charakter, d. h. von langer Periode. Diese
'f, letztere Veränderung ist es eben, welche verursacht, daß die beiden
^ ELanäle in ihrer Sichtbarkeit alternieren; ist der eine vorhanden, so
;} fehlt der andere und umgekehrt. Nur zwei scheinbare Ausnahmen
^ von dieser allgemeinen Regel ereigneten sich. Die eine trat 1881
; ein, wurde aber nicht erkannt als solche, und es fehlte an Daten zu
f! ihrer Erklärang; die zweite ereignete sich 1903, bezügUch ihr liegen
i Beobachtungsdetails vor, und diese werfen ein helles Licht auf den
i ganzen Gregenstand. Aus der großen Zahl von Zeichnungen des Mars
während der Opposition von 1903 hat Lowell Kurven der Sichtbar-
r keit für 85 Kanäle abgeleitet, welche die Zeit angeben, zu welcher
jeder derselben im Minimum seiner Sichtbarkeit sich befand. Werden
diese Angaben über das Verhalten der Kanäle nach deren Abstand
von der nördUchen Schneezone auf dem Mars geordnet, so findet sich
für jenes Minimum ein stetig späteres Datum, je weiter man sich von
dem Pole gegen den Äquator hin entfernt. Von dieser allgemeinen
Regel machten Thoth, Triton, Nepenthes und Amenthes eine augen-
fällige Ausnahme. Die Breite, unter der auf dem Mars der Kanal
Thoth hegt, ist 21° nördl., bei Amenthes ist sie 15° nördl. Nun sollte
nach obiger Regel von 21 bis 15° mittlerer nördl. Breite auf dem
Mars das Minimum der Sichtbarkeit 42 Tage nach dem Sommer-
solstitium eintreten. Für Thoth aber ergaben sich dafür nur 26, für
Amenthes 68 Tage, beide erschienen also außer der Regel, Thoth-
28 Planeten.
Triton zu früh, Amenthes zu spät, während der Mittelwert aus beiden
Angaben genau dem Datum für jene nördliche Breite entspricht.
Weiter ergab die Prüfung durch Lowell, daß zuerst Amenthes allein
gesehen war, und zwar im Stadium der Abnahme, dann ab letztere
fortschritt, wurde Thoth zunehmend sichtbar, und als dieser endlich
wieder abnahm, begann Amenthes zuzunehmen. Diese Tatsachen
führen zu bedeutungsvollen Schlüssen. Da wir gegenwärtig wissen,
daß Wasser in flüssiger Gestalt in großen Meeresbecken auf dem
Mars nicht vorhanden ist und verhältnismäßig wenig auch in fester
Form, so können wir die lokalen Veränderungen von Jahr zu Jahr
nicht erklären. Auch lassen sich die oben angegebenen Änderungen
durchaus nicht durch etwaige Überschwemmungen deuten, denn
wenn durch solche auch ein neuer Kanal gefüllt uns dadurch sichtbar
würde, so würde deshalb der andere nicht verschwinden, auch
können rein meteorologische Verhältnisse keine Erklärung liefern,
welche die alternierende Sichtbarkeit der beiden Kanäle verständlich
macht. Lowell kommt daher zu dem Schlüsse, daß die abwechselnde
Ab- und Zunahme der beiden Kanäle überhaupt aus natürlichen Ur-
sachen nicht zu erklären ist, sondern nur durch künstliche Ver-
anstaltungen seitens der Marsbewohner. Diese haben nach seiner
Überzeugung Vorrichtungen getrogen, um die relativ geringe Waaser-
menge, welche ihnen zu Gebote steht, möghchst auszunutzen, so daß,
wenn ein Distrikt bewässert ist, die kostbare Flüssigkeit einem be-
nachbarten zugeführt wird, um auch diesen zu befruchten, und wieder
umgekehrt.
Veränderungen im Mare Erythraeum hat Percival Lowell im
Frühjahre und Sommer 1903 entdeckt und beobachtend verfolgt.
Es handelt sich um einen sehr entschiedenen Farbenwechsel. I>ie
Farbe der großen dunkeln Flecke auf der Marsscheibe ist gewöhnlich
deutUch blaugrün, und diese Färbung wird dunkler oder heller je
nach der Jahreszeit, und in den südlichen Polargegenden nimmt sie
im Herbste derselben einen ockerfarbigen Ton an. An diese Färbung
gewöhnt, war P. Lowell überrascht, am 19. April 1903 das ganze
Mare Erythraeum bis zum Süden von Syrtis von schokoladebrauner
Färbung zu erbhcken, während Syrtis selbst wie gewöhnlich aussah.
Der Unterschied der Färbung war höchst auffallend und durchaus
nicht zu übersehen; es war, als wenn eine Decke über diese ganze
Region gezogen wäre von der Spitze der Lybia im Osten bis zur Mitte
von Aeria im Westen. Bei der letzten Beobachtimg dieser Region
unter ähnhchen günstigen Verhältnissen, am 22. März, war keine be-
sondere Eigentümlichkeit ihrer Färbung wahrnehmbar gewesen. Am
20. April war die schokoladebraune Färbung über dem Mare Ery-
thraeum abermals deutlich und wurde noch wahrgenommen, als der
Meridian von 310° auf der Mitte der Marsscheibe stand; am 21. und
22. April zeigte sich das gleiche, als der Meridian der Mitte der Scheibe
Planeten. 29
248° war. Als dieselbe Gegend aber am 26. Mai wiederum zu Gesicht
kam, hatte sie ihre braune Färbung verloren, außer im südlichen
Teile in der Umgebung von Hellas. Auch in den folgenden Tagen
wurde das Fehlen der Färbung konstatiert bis zum 20, Mai, an dem
die Aufzeichnungen schUeßen. Beim nächsten Sichtbarwerden dieser
Region, vom 30. Juni bis 7. Juli, konnte auch keine Spur der Färbung
gesehen werden. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß die
schokoladebraune Färbung des Mare Erythraeum zwischen Syrtis
major und Hellas im Norden und Süden und Syrtis minor bis Deu-
caUonis regio im Osten und Westen während des Monates März 1903
nicht so merklich hervortrat, daß sie beachtet wurde ; daß sie dagegen
augenfäUig war im April, während sie im Mai abzubleichen begann
und in den Monaten Juni und Juli völlig verschwand. Um das rich-
tige Verständnis für diesen Wechsel zu gewinnen, ist zu bemerken,
daß das Maximum der schokoladebraunen Farbe zusammenfällt mit
dem Minimum der blaugrünen Färbung, indem eine an Stelle der
andern tritt. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die dunkel-
braune Färbung zuerst im nördlichen Teile des Mare abzubleichen
begann, im südlichen sich aber eine gewisse Zeit länger erhielt, teilt
Lowell die ganze davon betroffene Region in einen nördlichen und
einen südlichen Teil und verfolgt das Verhalten jedes derselben durch
Zeichnung von Kurven. Die Daten dafür sind: Im März war die
blaugrüne Färbung vorhanden, im April bedeckte sie nicht mehr die
ganze Fläche, im Mai ist die dunkelbraune Färbmig im südlichen
Teile verschwunden, zeigt aber noch im nördlichen eine gewisse
Ausdehnung. Mai 26 14h 23in M. Z. von Greenwich konnte der Beob-
achter die braune Färbung im Mare Erythraeum mit Sicherheit nicht
erkennen, aber die Kanäle, besonders Orosines, waren deuthch, der
Hintergrund muß also weniger dunkel gewesen sein. Am 28. Mai
heißt es: „Brauner Schleier über das Mare Erythraeum nicht so aus-
gedehnt und dicht im Tone als früher, zieht sich nahe bei Hellas
herum;'' etwas später: „Neue Spuren der Färbung des Mare Ery-
thraeum unter Hellas herum." Mai 29: „Mare Erythraeum etwas
schokoladefarbig im Süden, bei längerm und besserm Sehen größten-
teils jedoch verschwunden. Am 5. Juli erschien der nördüche Teil
des Mare Erythraeum wieder in seiner normalen Farbe, der südliche
in der Nähe von Hellas ungewöhnlich bleich. Aus einer genauen
Diskussion schheßt Lowell, daß die Zunahme der blaugrünen Färbung
nur durch Ausbreitung von Vegetationsprozessen erklärhch sei, da
große Wasserbecken auf dem Mars nicht vorausgesetzt werden
können. Die dunkeln Flecke, die man ehemals für Meere ansah, sind
flache, tiefer liegende Regionen, eine Art Ufergelände, in welche die
vorhandene Feuchtigkeit zusammenfließt oder abgeleitet ist. Wenn
dieselben von Vegetation bedeckt sind, so zeigen sie uns eine blau-
grüne Färbung, verdorrt aber der Fflanzenwuchs, so wird dadurch
die Farbe der Landschaft tiefbraun oder, was Lowell für wahrschein-
30 PlanetaD«
lioh hSiif 66 wild dann der Marsboden selbBt aichtbar. In frucht-
barem Gelände wird derselbe hiernach schokoladebraun aussehen
und nicht ockergelb wie in den Wüsten. Auf diese Weise erklärt der
amerikanische Marsbeobachter dies schokoladefarbene Aussehen
des Mare Eiythraeum auf der Höhe seiner toten Saison. Dieselbe
Erklärung läßt sich nach Lowell auch auf die von SchiapareUi entdeckte
fotbraune Farbe einiger Kanäle anwenden, die er ebenfalls (im Mai
1903) 'wahlgenommen hat. Diese Färbung ist nämUch nicht die des
eigentUchen Kanales, den wir von der Erde aus vermutUch gar nicht
sehen können, sondern der Umgebung desselben rechts und links auf
seiner ganzen Erstreckung, die in großer Breite periodisch von
Pflanzenwuchs bedeckt ist.
Neue Untersuchungen &ber die Jahresseitliehen Verftndeningen
auf dem Mars und das Wesen der Marskanlle. P. Lowell hat hierübw
eine große Abhandlung veröffenthcht. ^) Die auf der Oberfläche des
Mars stattfindenden Veränderungen sind jedem bekannt, der längere
Zeit hindurch diesen Planeten studiert hat. Nicht nur nehmen die
weißen Polarflecke an Größe in regelmäßigem Wechsel zu und ab,
sondern auch die dunkeln Flecke, mit denen die Marsscheibe übersät
ist, werden schwärzer oder bleicher, wie die Monate einander folgen.
Die unter dem Namen „Kanäle" bekannten Linien sind gleichfalls
der Veränderung imterworfen; zuzeiten sind sie sehr augenfällig, zu
andern Zeiten dagegen unsichtbar. Was aber noch bemerkenswerter
ist: jeder Kanal hat seine eigenen Zeiten des Hervortretens und
Zurücksinkens der Sichtbarkeit, das Verhalten des einen entspricht
nicht demjenigen seines Nachbarn und noch weniger dem seiner
Antipoden. Der Kanal Ganges wird gesehen, während der Kanal
Titan unsichtbar ist, und dieser letztere wiederum ist sehr augen-
fällig, während man den andern kaum unterscheiden kann. Diese
Veränderungen beschränken sich nicht auf einzelne, bestimmte
Kanäle, sondern gelegentUch scheinen die Kanäle ganzer Land-
schaften wie ausgelöscht, so daß selbst mit aller Anstrengung bei
größter Nähe des Mars und bester Luft keine Spur derselben wahr-
genommen werden kann, während kurz vorher und nachher dieselben
Regionen des Planeten mit Kanallinien übersät waren. Um die in
diesen Erscheinungen herrschende Gesetzmäßigkeit zu ergründen,
hat P. LoweU aus seinen Marszeichnimgen das prozentische Verhällaiis
der Sichtbarkeit dieser Formationen in bestimmten Abschnitten
während einer Opposition des Mars festzustellen versucht. Da die
Anzahl seiner Marszeichnimgen sehr bedeutend ist, so konnten auf
diesem Wege Ergebnisse von großer Zuverlässigkeit von vornherein
erwartet werden. Er verfuhr dabei in folgender Weise. Aus der
Marskarte ergab sich unmittelbar die Position (Länge) der zu unter-
suchenden Region, imd es wurden nun alle diejenigen Zeichnungen
1) l*roo. Amer. Phüoe. Soc. 42. Nr. 174. — Sirius 1904. p. 97.
Planeten. 31
n:
geprüft^ auf denen diese Region sichtbar sein mußte. Dabei wurden
^ drei Zonen unterschieden: die erste erstreckte sich bis zu 20° rechts
^ und links von dem während der Zeichnung auf der Mitte der Mars-
^ Scheibe stehenden Meridian, die zweite von 20 bis 40°, die dritte end-
1' lieh von 40 bis 60° von dem Meridian der Mitte. Diese Dreiteilung
c hatte beiläufig den von vornherein beabsichtigten Vorteil, eine Ver-
gleichung zwischen der Sichtbarkeit der Flecke in verschiedenen Ab-
T. ständen vom Zentrum der Marsscheibe zu ermöglichen.
S Das ganze Verfahren ist sehr einfach, solange Mars eine volle,
z^ runde Scheibe zeigt, sobald er aber (vor oder nach der Opposition)
^x eine Phase zeigt, muß darauf Bücksicht genommen werden, daß die
Erleuchtung der Scheibe von dem Punkte, über welchem die Sonne
senkrecht steht, bis zur Lichtgrenze abnimmt, so daß allein aus
"^ diesem Grunde die Flecke gegen diese Grenze hin weniger gut unter-
5 scheidbar werden, bis sie in gewisser Entfernung von der Lichtgrenze
*f efxdlich ganz verschwinden. Deshalb hat Lowell seine Untersuchung
^^ nur bis zu 25° Entfernung von dieser Lichtgrenze ausgedehnt, eine
^ Annahme, die sich aus seinen Beobachtungen ab die richtigste ergeben
^ hatte. Da der Planet Mars ungefähr 40 Minuten mehr Zeit gebraucht
^ zu einer Umdrehung um seine Achse als die Erde, so ändert sich der
'^ auf der Mitte seiner Scheibe stehende Meridian nach Ablauf von
^ 24 Stunden um 9.6°, und deshalb vollzieht derselbe eine scheinbar
i rückläufige Rotation in etwa 38 Tagen, da 9.6° in 360° nahezu 38mal
^ enthalten ist. Nach Ablauf dieser Zeitraumes zeigen beide Planeten
y Mars und Erde einander wieder das nämliche Gesicht zur nämlichen
? Stunde. Während 1/7 dieser Zeit steht Mars für Beobachtungen
^ günstig, während ^/^ aber ist er entweder unter dem Horizont oder
i' stehtzu tief, um gut beobachtet zu werden. Solcher Art bieten sich also
^ natürliche Epochen dar, um die einzelnen Oberflächenteile mit sich
^ selbst zu vergleichen und etwaige eingetretene Veränderungen wäh-
^ rend des Zeitintervalles festzustellen. Die zur Untersuchung vor-
i handenen Zeichnungen des Mars, welche Lowell benutzte, entstam-
[' men der Marsnahe (Opposition) von 1903 und belaufen sich auf 375
» vollständige Darstellungen, die vom 2L Januar bis zum 26. JuU er-
^ halten worden sind. Aiif diesen Zeichnungen wurden 85 Kanäle rück-
! sichtlich ihrer Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit untersucht, und zwar
f wurde die prozentuale Häufigkeit der Sichtbarkeit derselben innerhalb
{ der Zone von 60° rechts und links vom Zentralmeridian festgestellt.
i Schon dieses Ergebnis ist bezeichnend, aber Lowell hat, um größere
I Sicherheit zu erlangen, daran Korrektionen angebracht. Die Ent-
fernung des Mars war nämlich während der ganzen Beobachtungszeit
I nicht unverändert und ebensowenig der Zustand der Luft immer
gleich gut gewesen; beides berücksichtigt er durch gewisse, nicht un-
zulässige Annahmen und bezieht alles auf die kürzeste Entfernung
des Mars, bei welcher 1903 der scheinbare Durchmesser der Scheibe
desselben 14.6^ betrug.
32 Planeten.
Er entwarf nun für die 85 einzelnen Kanäle Tabellen, welche die
wirkliche Sichtbarkeit derselben in Prozenten der möglichen Sichtbar-
keit überhaupt während der ganzen Beobachtungadauer dauBteDen.
Wurden dann die Beobachtungszeiten vom Moment des Sommer-
solstitiums der nördUchen Marshemisphäre an als Abszissen und die
Prozentzahlen der Sichtbarkeit jedes Kanales als Ordinaten aufge-
zeichnet, so heferten die Endpunkte der letztem, durch eine Lönie ver-
bunden, Kurven der Sichtbarkeitsverhältnisse, die für jeden Kanal
typisch sind. Lowell nennt sie Cartouchen des Kanales, ein Wort,
das im Deutschen nicht gut bezeichnend wiederzugeben ist, und wofür
man am einfachsten Deuthchkeitskurven sagen kann. Wenn ein
Kanal vöUig unverändert blieb während der ganzen Beobachtungs-
dauer, so muß seine DeutUchkeitskurve als gerade Linie erscheinen
(sobald die optischen Beeinflussungen der Sichtbarkeit abgezogen
worden sind), und ihr Abstand von der Abszissenachse ist außerdem
proportional der Stärke oder Deuthchkeit des Kanales überhaupt.
Ändern sich dagegen die Sichtbarkeitsverhältnisse, so steigt die Kurve,
wenn der Kanal deuthch hervortritt, und fällt, wenn er schwächer wird.
So zeigen diese Deuthchkeitskurven nicht nur die scheinbare Verände-
rung in der Sichtbarkeit der Kanäle, sondern auch deren wirkliche
Änderungen in der Entwicklung während der Beobachtungszeit an.
Untersucht man nun die Sichtbarkeitskurven der einzelnen
Kanäle genauer, so findet man, daß von den 85 dargestellten nur zwei
oder drei einigermaßen sich einer geraden Linie nähern, während alle
andern gewissermaßen im Flusse waren. Die Opposition des Mars
trat 1903 ein am 30. März, die größte Erdnähe des Planeten am 3.April,
das Sommersolstitium der nördUchen Marshemisphäre am 28. Februar,
während früher Lowell den Zeitpunkt des ersten Frostes auf 126 Tage
nach dem nördhchen Sommersolstitium festgestellt hat. Wirft man
einen Bhck auf das alphabetisch geordnete Verzeichnis der Kanäle, so
erkennt man weder Gesetz, noch Ordnung in der Entwicklung ihrer
Sichtbarkeitsverhältnisse; ganz anders gestaltet sich die Sache, sobald
man die Kanäle nach der (areographischen) Lage auf der Oberfläche
ihres Planeten ordnet. Da die Kanäle keine Punkte, sondern Linien
sind, so ist von Lowell die Mitte aller sichtbaren Punkte eines jeden
als Bezeichnung seines Ortes auf der Marskugel angenommen worden.
Nach diesem Prinzip hat er die Kanäle über die verschiedenen Breiten
verteilt und unterscheidet folgende Zonen:
Die arktische Zone zwischen 86® bis 65^ nördl. Br.
Die subarktische Zone zwischen . . .
Die nördlich gemäßigte Zone zwischen .
Die nördlich subtropische Zone zwischen
Die nördliche tropische Zone zwischen .
Die nördliche Äquatorialzone zwischen .
Die südliche Äquatorialzone zwischen
Die südliche tropische Zone zwischen
Die südliche subtropische Zone zwischen
65 „ 50
>f
9«
60 „ 35
»»
99
35 „ 25
»»
>»
25 „ 10
»»
»>
10 „ 0
9»
99
0 und 10
südl.
Br.
10 „ 26
Jf
9t
26 „ 36
>»
>»
Planeten. 33
Der Breitengrad von 86° nördlich wurde zum Ausgangspunkte
gewählt, weil bis zu dieser Breite während der Beobachtungszeit die
Eisbedeckung herabreichte. Anderseits bildete 36° südl. Br. die
äußerste Grenze nach dieser Richtung, weil wegen der Neigung des
nördlichen Marspoles gegen die Erde (die zwischen 21.1° und 25.9°
während der Beobachtungszeit wechselte) die Mitte des am meisten
südwärts hegenden Kanales in 27° südl. Br. lag. Lowell gibt nun zu-
nächst das Datum, an welchem jeder Kanal im Minimum der Sichtbar-
keit war, und zwar verteilt auf jede der oben bezeichneten Zonen. Im
Mittel aus diesen 86 Angaben findet sich folgendes, wobei die bei-
gefügten Ziffern die Anzahl der Tage bezeichnen, um welche die Ent-
wicklung der Kanäle jeder Zone nach dem Tage des nördhchen
Sommersolstitiums des Mars erfolgt:
Arktische Zone 0 Tage
Subarktische Zone 13 „
Nördliche gemäßigte Zone 22 „
Nördliche subtropische Zone .... 34 „
Nördliche tropische Zone 40 „
Nördliche äquatoriale Zone 43 „
Südliche äquatoriale Zone 66 „
Südliche tropische Zone 08 „
Südliche subtropische Zone 06 „
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich augenfäUig eine zu-
nehmende Verspätung in der Zeit der Entwicklung der Kanäle von
der nördhchen Eiszone gegen den Äquator hin, und zwar macht diese
Zunahme am Äquator nicht halt, sondern geht darüber hinaus auf die
südhche Marshemisphäre. Was immer, sagt Lowell, die Kanäle sein
mögen, so ist gemäß diesem Nachweise sicher, daß ihre Entwicklung
vom Nordpole herab auf der Scheibe des Mars fortschreitet und zudem
in einem zienüich regelmäßigen Tempo über die Oberfläche des Pla-
neten. Sie beginnt beim Sommersolstitium, d. h. sie folgt dem
Schmelzen des Polareises. Dies führt auf die Vermutung über die
Ursache der Erscheinung: Wasser spielt bei dem Sichtbarwerden der
Kanäle eine Rolle, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt als Ver-
mittler von Vegetationsprozessen. Wir erbUcken in dem Vorgange
jahreszeitUche Veränderungen, aber diese zeigen in ihrem Verhalten
einen weeentUch andern Gang als auf unserer Erde.
Könnten wir unsem irdischen Standpunkt verlassen und von
einem Punkte außerhalb der Erde auf diese herabsehen, so würden
wir bemerken, wie bei Ankunft des Frühlinges eine grünUche Welle
über ihr AntUtz hinwegzieht, die von der äquatorialen Gregend höher
und höher gegen den Pol hin zieht. Hier würden wir, deutücher ab
auf dem Mars, eine Verdunklung wahrnehmen, das Blaugrün der
Vegetation, das sich über die ockergelbe Grundfarbe ausbreitet; aber
die beiden Welten Erde und Mars würden einen fundamentalen Gegen-
satz darin zeigen, daß die Vegetationswelle auf der Erde vom Äquator
Klein, Jahrbuch XV. 8
34 Planeten.
gegen den Pol hin flutet, auf dem Mars dagegen vom Pol gegen
den Äquator hin. Woher dieser Gegensatz? Einfach: infolge der
Gegenwart oder Abwesenheit von Feuchtigkeit! Zwei Agenzien sind
erforderUch zum Hervorrufen des vegetativen Lebens, das Roh-
material und die wirkende Kraft. Sauerstoff, Stickstoff, Wasser und
verschiedene Salze bilden das erstere, die Sonne liefert die andere.
Auf der Erde ist, mit Ausnahme der Wüste, Wasser überall anzu-
treffen, die Einwirkung der Sonne aber nimmt zu und ab, und ent-
sprechend vollzieht sich jährhch der Kreislauf des vegetativen Lebens.
Auf dem Mars dagegen fehlt vielfach das Wasser, es gibt dort im
wesentUchen nur solches, welches von dem Schmelzen der Schnee-
und Eismassen herrührt. Vegetation kann in nennenswertem Maße
dort nur aufblühen, nachdem das Wasser angekommen ist. Daher
muß dort die Vegetation vom Pole ausgehen und gegen den Äquator
hin vorschieben, während auf der Erde genau das entgegengesetzte
stattfindet. BezügUch des Mars stimmen damit die Sichtbarkeits-
kurven der Kanäle genau überein. Zeitlich hauptsächlich bestimmt,
nicht durch das Kommen der Sonne, sondern durch das des Wassers,
folgt das vegetative Leben auf dem Mars nicht den zunehmenden
Breitengraden, sondern bewegt sich die Scheibe hinab. Wir schließen
daraus, sagt Lowell, daß die Kanäle Streifen von Vegetation sind, die
genährt wird von dem Wasser, das von der polaren Eiszone kommt.
Wie bemerkt, schreitet das Aufblühen des vegetativen Lebens auf
dem Mars rasch und zienüich gleichförmig vom Pole her über die Ober-
fläche des Planeten fort. Die Verdunklung braucht etwa 50 Tage, um
vom 75° nördl. Br. bis zum Äquator zu gelangen, eine Strecke von
2600 engl. Meilen. Im Durchschnitte entspricht dies 53 engl. Meilen
pro Tag oder 2.2 enghsche Meüen in der Stunde. Unter dem Ein-
flüsse der Schwere auf dem Mars würde aber Wasser keineswegs vom
Pole gegen den Äquator hin fließen, am wenigsten mit der wirklich
vorhandenen Geschwindigkeit, und daher scheint der Schluß unab-
weisbar, daß es dazu auf künsthchem, nicht auf natürlichem Wege
gezwimgen wird. Daher, sagt Lowell, werden wir darauf geführt,
an einen künsthchen Ursprung und künsthche Erhaltung der so-
genannten Kanäle zu denken, deren Benennung dadurch gerecht-
fertigt erscheint, und ich sehe keine Möglichkeit, dieser Schluß-
folgerung zu entgehen. Diese wird noch unterstützt durch eine
wichtige Tatsache. Der Fortschritt in der Entwicklung, der sich vom
Pole gegen den Äquator in immer späterer Epoche vollzieht, macht
am Äquator selbst nicht Halt, sondern die Verspätung schreitet auch
auf der südUchen Hemisphäre fort. Hinge sie aber von der physischen
Beschaffenheit der letztem ledigHch ab, so müßte mit dem Über-
schreiten des Äquators eine Umkehr eintreten, weil die natürlichen
Verhältnisse jetzt die entgegengesetzten sind. Das ist aber durchaus
nicht der Fall, und so stehen wir hier vor einer Erscheinung, die nicht
n^, einfach unerklärbar aus Naturgesetzen ist, sondern diesen absolat
;1.
Planeten. 35
entgegensteht. Die hier vorgelegte Studie, schließt Lowell, führt
Zx demnach zu folgenden drei Schlußfolgerungen:
p „1. Die Kanäle entwickeln sich über die Scheibe des Mars aus
, ii einem Materiale, welches vom Schmelzen der Polarkappe des Planeten
fc herstammt, und die Entwicklung überschreitet den Äquator und
2, greift in die andere Hemisphäre hinüber.
& 2. Die Kanäle deuten ihrem ganzen Verhalten nach auf Vege-
s_z tationsvorgänge und
£; 3. sie sind künstUchen, nicht natürUchen Ursprunges."
^. Lichtweehsel des Planeten Iris. Prof. Wendell hat mit dem
rf Polarisationsphotometer der Harvardstemwarte eine Reihe sehr
. genauer Helligkeitsmessungen des Planetoiden Iris (7) angestellt. Durch
dieselben ist eine Veränderlichkeit desselben, ahnUch wie beim
Planeten Eros, erwiesen, deren Periode ungefähr 611 13m beträgt.
Die Größe der Lichtschwankung beträgt nur 0.2 bis 0.3 einer Größen-
klasse, und nur die sehr genauen Messungen Wendells haben sie mit
Sicherheit erkennen lassen. Die Lichtkurve zeigt zwei Mazima und
zwei Minima der Helligkeit, welche so nahezu gleich sind, daß es
zweifelhaft bleibt, ob die Unterschiede reell sind oder nicht. In
letzterm Falle würde die wirkliche Dauer des Lichtwechsek natür-
lich nur halb so groß sein, als oben angegeben ist.
LIehtftnderungen des Planeten Hertha (185). J. Palisa macht
darauf aufmerksam, ^) daß dieser Planet deutliche Helligkeitsschwan-
kungen von kurzer Periode zeigt. Am 16. Februar fand er ihn um
11^4*» gleich hell wie ein benachbarter Stern 10.6 Größe; um 12^4*»
war er ein wenig, um 13^4^ ^i^^ halbe Größenklasse heUer als dieser
Stern, während er 14^h schon wieder schwächer, jedoch noch heller
als der Vergleichsstem erschien. Am 19. Februar konnte Dr. Pahsa
den Planeten Hertha von 8 bis 16h verfolgen und feststellen, daß
dessen Helligkeit kontinuierhch von 10.7 bis 10.0 Größe stieg.
Das Spektrum des Jupiter ist von Millochau auf dem Observa-
torium zu Meudon am 29. Dezember 1903, sowie am 2., 16., 26. und
29. Januar 1904 photographisch aufgenommen worden. ^) Die £z-
poeitionsdauer betrug 90 Minuten, und als Vergleichsspektrum wurde
das des Mondes am 26. Januar photographiert. Der Spektrograph
war so montiert, daß sein Spalt nach allen Richtungen eingestellt
werden konnte, und besonders in den drei Stellungen: parallel zur
Verbindungslinie der Jupiterpole, parallel zum Äquator des Planeten
und 46° zu diesen beiden Stellungen. Die erhaltenen Bilder wurden
viermal vergrößert, und nach einem besondem Verfahren konnten in
1) ABtron. Naohr. Nr. 3032.
s) Compt. rend. 188. p. 1477.
36 Planeten.
aufeinanderfolgenden Positionen die relativen Intensitäten veischie»
dener Teile eines Klischees variiert und hierdurch die schwachem
Details des Bildes leicht sichtbar gemacht weiden.
Die erhaltenen Spektren zeigen deutlich fünf der Jupiteratmo-
Sphäre eigentümhche Absorptionsstreifen; sie hegen bei X 618, 607,
600, 578 und 516 und entsprechen den Streifen, die Keeler im Uranus-
spektrum beschrieben. Femer erscheinen die dem Spektrum des
Wasserdampfes entsprechenden Streifen und der Streifen a bedeutraid
verstärkt. Alle Absorptionsstreifen sind verhältnismäßig viel inten-
siver in dem Teile des Spektrums, der von dem sädhchen Äquatorial-
streifen Jupiters herrührt, welcher in diesem Jahre allein breit und
stark war.
Die hier spektroskopisch gewonnenen Resultate bestätigen die
von den Astronomen ausgeführten Okularbeobachtungen, sowie die
aus denselben abgeleiteten Schlüsse. Zunächst, daß die Atmosphäien
der Hauptplaneten des Sonnensystems in großen Zügen derjenigen
der Erde ähnhch sind und dieselben Hauptbestandteile enthalten wie
diese. Die schwachen, neuen Streifen, welche im Jupiterspektrum
sich zeigen, und das Vorkommen des Streifens l 618, der schon lange
im Spektrum der obem Planeten gefunden war, zeigen, daß femer in
den Atmosphären dieser Welten ein Gras vorhanden ist, das in denen
der untern Planeten nicht oder nur in sehr geringen Mengen existiert.
Hiermit ist eine weitere Verwandtschaft zwischen den obem Planeten
außer den bereits bekamiten zu verzeichnen.
Veränderliche Bewegung des roten Fleekes auf dem Jupiter.
W. F. Denning macht darauf aufmerksam ^), daß die Rotationsperiode
dieses Fleckes während der letzten Jahre eine merkwürdige Verände-
rung erhtten habe. Von 1877 bis 1900 nahm die Geschwindigkeit
seiner Bewegung ununterbrochen ab, seitdem trat indessen Zunahme
ein, und diese war besonders merklich seit dem Jahre 1901. Denning
gibt folgende Tabelle der jovizentrischen Länge des Fleckes und der
entsprechenden Botationsdauer während der letzten zehn Jahre.
Jfthr lAngd Botationsdanor
1894 0« 9h 56« 41.0«
1896 6 9 65 41.1
1896 10 9 56 41.3
1897 16 9 55 41.5
1898 23 9 55 41.6
1899 33 9 55 41.7
1900 42 9 55 41.5
1901 46 9 55 40.7
1902 44 9 55 39.4
1903 33 9 56 40.8
1904 (bis Augost) . 32 9 56 39.3
Seit 1900 sieht man in der südUchen tropischen Zone des Jupiter
eine große dunkle Masse, die sich rascher bewegt als der rote Fleck,
1) Obflervatoiy 1904. p. 343.
Planeten. 37
z indem sie ihre Rotation in 22 Sekunden kürzerer Zeitdauer vollführt.
c Man hat vermutet, daß die Bewegung dieser dunkeln Masse die Be-
wegung des roten Fleckes beeinflusse, und Denning stimmt dieser Ver-
r mutung bei.
Der fflnfte Jupitermond ist im Sommer 1902 von Bamard am
c Yerkesrefraktor beobachtet worden, nachdem seit 1899 keine Messun-
H gen desselben erhalten werden konnten. ^) Auch dieses Mal waren die
:t Messungen wegen des südlichen Standes des Planeten schwierig. Die
i; Dauer des siderischen Umlaufes des SateUiten ergibt sich mit großer
« Genauigkeit zu 11h 57m 22.7«. Von den beiden Bahnberechnungen
desselben durch Tisserand^) und Dr. Clohn*) erwies sich die erstere
■g, als genauer. Zwischen den Messungen des SateUiten von Bamard und
^ denjenigen von Hermann Struve zeigte sich eine ausgesprochene
^ systematische Differenz.
^ Rotationsdauer des Saturn. Im Jahre 1903 ist auf der nördlichen
^ Hemisphäre des Saturn eine Anzahl heller Flecke sichtbar gewesen,
2 deren Beobachtung wesentliche Beiträge zur Bestimmung der Ro-
^ tationsdauer dieses Planeten geUefert hat. Die hellen Flecke wurden
a zuerst von Prof. E. £. Bamard am 40-Zoller der Yerkesstemwarte
'^ gesehen, und es scheint, daß wenigstens einer davon während der
1^ ersten zwei oder drei Wochen außerordentUch hell gewesen ist. Der-
selbe wurde frühestens am 15. Juni gesehen, aber erst am 23. konnte
er wieder beobachtet werden, und eine zweite genauere Beobcushtung
t geschah in der darauf folgenden Nacht. Unabhängig hiervon ent-
t deckte F. W. Denning in der Nacht des 1. Juli einen andern hellen
i Fleck, dem eine dunkle Masse folgte, und in der nämhchen Nacht sah
f diesen hellen Fleck auch J. Comas Sola zu Barcelona. Die folgenden
r Beobachtungen lehrten, daß tatsächlich eine Anzahl heller Flecke nahe
t in der gleichen nördUchen Breite (36°) auf dem Saturn sichtbar war,
•' von denen der zuerst gesehene der bei weitem hellste war. Die beiden
ersten Beobachtungen desselben überzeugten Prof. Bamard davon,
daß die Rotationsdauer entschieden länger als 10h 14m sein müsse,
welche Zeitdauer die Beobachtungen des Fleckes von 1876 ergeben
hatte. Unabhängig hiervon hatte Dr. R. Graff in Hamburg bereits
die Dauer der Rotation aus den Beobachtungen Juni 23, 26 und
Juli 4 zu 10b 39.01m bestimmt. Dieses unerwartete Resultat wurde
von Comas Sola und Denning bestätigt, und eine genauere Unter-
suchung aller Beobachtungen des hellen Fleckes bis Ende August
durch Dr. H. C. Wilson dürfte als definitiven Wert der Rotations-
dauer: 10b 38 m 4.8s ergeben. Prof. O. W. Hough fand dagegen als
1) Afltron. Joum. 1903.
>) Oompt. lend. 11».
») Astron. Naohr. Nr. 9403.
38
BotationsdAiier 10h 38m 18« + n x 0.1856t, wo n die Zahl der Ro-
(aüoiien seit Juni 27. Dieses letztere Ergebnis wnide vaa Deasnug
bestritten und auf unrichtige Identifizierung der kleinen hellen Flecke
zurückgeführt. In der Tat ist es schwierig, die Fleckch^i bei ihrem
Wiedererscheinen auf der der Erde zugekehrtoi Seite der Saturn-
Scheibe genau wieder zu erkennen. Im Mittel aus den Beobachtung^
Ton 15 hellen und dunkeln Flecken während der Monate Juli bis De-
zember ergab sich eine Botationsdauer von 10h 37 m 56i. Eb kann
jedenfalls kein Zweifel daran sein, daß der zuerst von Bamard ent-
deckte helle Fleck zu einer voUen Rotation nahezu 10b 38m bedurfte,
erheblich mehr als die früher bestimmte Botationsdauer. Von den
altem Beobachtungen sind nur die eines hell«i Fleckes auf der sud-
lichen Hemisphäre des Saturn in 40 oder 50^ sudL Br. durch Dawes
bekannt, aus denen eine Rotation von etwa 10h 24m folgt. Sonach
ergibt sich, daß auf dem Saturn gleich wie auf dem Jupiter eine große
äquatoriale Strömung von beträchtlicher Geschwindigkeit vorband^
ist, und zwar in der Richtung der Umdrehung des PlaneteiL Dieselbe
beträgt auf dem Saturn etwa 1300 bii 1400 km pro Stunde, auf dem
Jupiter 400 hß, ein merkwürdiges und überraschendes Resultat.
Denn wenn auch die oberflächlichen Teile des Saturn wahrscheinhch
in einem flüssigem (weniger dichten) Zustande sein sollten als die auf
dem Jupiter, so ist doch eine stärkere Bewegung derselben (in der
großem Entfemung der Sonne) a priori nicht sehr wahrscheinlich.
Der Satumsmond Phöbe ist durch neue Aufnahmen auf der Aie-
quipastation der Harvardstemwarte seit dem Frühlinge 1900 definitiv
nachgewiesen worden. ^) Im ganzen wurden bis 1902 60 Aufnahmen
des Saturn und seiner Umgebung gemacht, von denen 42 den Satelliten
zeigen. Eine merkwürdige und unerwartete Tatsache stellte sich bei
der genauen Untersuchung heraus, daß dieser Mond des Saturn rück-
läufig ist, während die andern acht Satummonde rechtläufig sind
Folgende Bahnelemente des neunten Satelliten wurden abgeleitet:
Umlaufsdauer 546.4 Tage
Exzentrizität der Bahn 0.22
Neigung der Bahn gegen die Ekliptik . 5.1®
Neigung der Bahn gegen die Satumsbahn 6.0®
Lange dee aufsteigenden KnoteDS . . 220®
Lange des Perisatumiums 289.7
Epoche 1900 März 28.0 M. G. Z.
Infolge der großen Exzentrizität der Bahn variiert der Abstand
des Trabanten vom Zentrum des Saturn zwischen 6 210 000 und
974 000 Meilen. Die scheinbare Helligkeit von Phöbe ist 14.0 Größe,
der wahre Durchmesser kann daher nicht viel von 200 Meilen ver-
schieden sein. Der neue Trabant ist von Bamard am 40-Zoller der
Yerkesstemwarte aufgesucht *) und am 8. August, sowie am 3. und
1) Harvard CoUege Observatory 63. IH. — Sirius 1905. Heft 1.
•) Astron. Naohr. Nr. 3969.
Planeten. 39
12. September tatsächlich gesehen worden. Bamard schätzte die
Helligkeit desselben August 8 zu 16.5 bis 16. Größe, September 12
zu 16.7 Größe.
Die Spektren des Uranus und Neptun sind von V. M. Slipher
untersucht worden. ^) Es wurde dabei der große Spektrograph des
Lowellobservatoriums am 24-zöUigen Refraktor benutzt. Vom Spek-
trum des Neptun wurden zwei gute Photographien erhalten. Die
lineare Dispersion beträgt für die Entfernung zwischen F und der
Mitte von H und K nur 11 mm, die Aufnahmen geschahen auf iso-
chromatischen Platten nit Expositionen von 14 und 21 Stunden.
Auf der ersten Platte, welche viel Detail zeigt, erstreckt sich das
Spektrum von der Linie D bis ^ 4400, die zweite, länger exponierte
zeigt das Spektrum von D bis X 4300. Die Aufnahme I zeigt, wie
wenig das Spektrum des Neptun dem der Sonne gleicht. Es erscheint
abnorm hell bis zum Violett der b- Gruppe, als wenn der Planet ein
gewisses eigenes Licht ausstrahle, doch ist der Kontrast sehr wahr-
scheinlich den starken Absorptionsbanden zuzuschreiben. Eine
starke, schmale Linie bei F ist sichtUch die Wasserstofflinie H/3. Die
zweite Platte zeigt noch die Wasserstofflinie H z- Das Spektrum des
Uranus erscheint auf einer der Platten bis nahe zur Linie D. Es zeigt
eine Linie in der Position der Heliumlinie D3, die vielleicht reell ist,
und endigt plötzUch bei X 501. Die Linie F ist stärker im Uranus-
spektrum als im Spektrum des Mondes, aber nicht so stark wie im
Spektrum des Neptun; ebenso sind die Banden bei den Wellenlängen
X 610, 543 und 577, welche beiden Planeten gemeinsam sind, im
Neptunspektrum stärker als in dem des Uranus, doch ist der Ursprung
dieser Banden nicht bekannt.
Der Mond.
Der photographisehe Mondatlas der Pariser Sternwarte, welcher
unter Leitung des Direktors der Pariser Sternwarte M. M. Loewy und
M. P. Puiseuz herausgegeben wird, ist bis zur Ausgabe der sechsten
Lieferung fortgeschritten. Dieser Lieferung enthalt außer dem Texte
und einer Phasenkarte sechs vergrößerte Heliogravüren nach Auf-
nahmen aus den Jahren 1897, 1899 und 1901. Es ist unzweifelhaft,
daß diese Mondkarten alle andern nicht darauf basierenden Mond-
kartierungen völlig überflüssig machen. Weitere Arbeiten, die an den
verschiedenen Stellen ins Detail eingehen, können sich nur auf diesen
Karten aufbauen. Die Herausgeber kommen in dem erläuternden
Texte zu den einzelnen Blättern zu dem Ergebnisse, daß die Mond-
oberfläche, wie sie uns erscheint, das Ergebnis einer bestimmten Ent-
wicklungsreihe ist, die durch Intervalle von Ruhe in einzelne Phasen
abgetrennt wird. Nach ihrer Anschauung zeigt die Umgebung des
1) LoweU Obeervatory Bulletin Nr. 13.
40 Mond.
Sädpok des Mondee einen der früheeten Zustande nach der Elr-
starrang der Oberfläche. Dag^en datieren die Meere der äquato-
rialen Regionen aus weit jüngerer Epoche. Die großen ringförmigen
Formationen sind meist alter als die Maren, nur wenige mögen nach
diesen entstanden sein; die eruptiven Kräfte der jungem Zeit haben
nur kleine und kleinste Formationen geschaffen, die zuletzt den irdi-
schen Vulkanen ähnlich sind. Wer den Mond hinlänglich aus eigener
Anschauung kennt, kann diesen Schlußfolgerungen wohl zustimm^i.
Der photographische Mondatlas von Wlliam H. Piekering. Der-
selbe ist in den Annalen der Harvardstemwarte erschienen, 80 Blatter
umfassend. Schon früher hatte Prof. William Pickering auf die Vor-
teile hingewiesen, welche ein Teleskop von 12 bis 15 Zoll Öffnung und
einer sehr langen Brennweite von ein paar hundert Fufi für die photo-
graphische Aufnahme des Mondes darbieten würde. Diesen Plan
auszuführen, bot sich dank der Liberalität zweier Freunde der Astro-
nomie (die ihre Namen nicht genannt wünschen) im Jahre 1900 Ge-
legenheit. Die zur Verfügung gestellte Geldsumme gestattete die
Herstellung emes Objektivs von 30 cm (12 engl. Zoll) Öffnung und
einer Brennweite von 41.25 m (135.3 engl. Fuß). NatürUch mußte
bei einem Objektiv von dieser ungeheuem Brennweite der Tubus
eine feste, unbewegUche Lage erhalten, während das licht der zu
photographierenden Objekte durch einen bewegUchen Spiegel in das
Femrohr geschickt wurde. Eine Expedition nach der Insel Jamaica,
auf der ein 5-zölliger Refraktor an verschiedenen Stationen zur Prü-
fung der Luftverhaltnisse aufgestellt worden war, hatte ergeben, daß
dort während des Sonmiers äußerst günstige Luftverhältnisse herr-
schen, und es stand zu hoffen, daß solches auch in den Wintermonaten
der Fall sein werde, die dort vielfach wolkenloses Wetter bringen.
Doch ergaben später die Erfahrungen, daß zu astronomischen Zwecken
die Luft im Winter zwar gut, aber weniger vorzügUch als während des
Sommers ist. Im Oktober 1900 kam Prof. William Pickering mit
seinem Begleiter zu MandeviUe auf Jamaica an und errichtete seine
Station zwei Meilen östhch von dieser Stadt auf dem Landgute Wood-
lawn (18° 1' nördl. Br., 6h lOm 2.6« m. L. v. Gr.) 2080 engl. Fuß über
dem Seespiegel. Schon am 31. Dezember, wenige Minuten nach Beginn
des neuen Jahrhunderts, konnte der erste Blick durch das Teleskop
geschehen, und acht Tage später wurde die ersts Mondphotographie
erhalten. Die erste vöUig brauchbare photographische Aufnahme des
Mondes geschah am 29. Januar, die letzte am 31. August 1901, so daß
das gesamte Material in sieben Monaten erhalten wurde. Leider
erwies sich der Spiegel nicht fehlerfrei, indem er nicht vollkommen
eben war, und dieser fatale Umstand zwang dazu, die benutzbare Öff-
nung des Femrohres auf 150 mm (6 eng. Zoll) zu reduzieren. Indessen
wurde dieser ungünstige Umstand durch die lange Brennweite des
Objektivs einigermaßen kompensiert, und nach Prof. Pickerings Angabe
Mond« 4X
sind die besten von ihm erhaltenen Photographien denjenigen der
Pariser Sternwarte, die mit einem Objektiv von 540 mm (26 Zoll)
Durchmesser erhalten wurden, an Schärfe vergleichbar. Die Wieder-
gabe der Platten in dem Mondatlas ist in dem Maßstabe von 35 bis
40 cm für den Monddurchmesser, so daß 1 mm = 5 Sekunden im Bogen
umfaßt, wobei viele feine Details verloren gegangen sind. Was die An-
ordnung der Karten betrifft, so wurde die sichtbare Mondscheibe
senkrecht zum Äquator in acht gleichbreite Streifen zerlegt, die vom
Äquator in der Mitte durchschnitten 16 Regionen ergeben, von denen
acht die nördliche und acht die südliche Hälfte der Mondscheibe um-
fassen. Die Aufnahmen geschahen soweit als tunlich bei den gün-
stigsten Ldbrationen des Mondes, damit die Gegenden 10 bis 20^ vom
Rande entfernt so gut als mögUch zur Darstellung kommen konnten.
Die Polargegenden des Mondes sind nicht zur 2#eit des Vollmondes,
sondern wenn der Mond nahe den Vierteln ist, am besten sichtbar.
Zur Zeit des Vollmondes, wenn die Idbration in Breite beträchtlich
ist, bleibt der eine Pol von der Erde abgewandt, während die Gegen-
den um den andern im Schatten liegen. Obgleich unter diesen Ver-
hältnissen die Sonnenhöhe für den sichtbaren Mondpol am größten
ist, 1.5^, so kann dennoch dieser Pol selbst sowohl ab seine Umgebung
besser gesehen weiden bei niedrigem Sonnenstande, wenn die Rich-
tung der Erleuchtung südlich ist. Der Ost- und Westrand des Mondes
kann an der Lichtgrenze nur gut gesehen werden bei Vollmond. Auf
einer Darstellung des Mare Imbrium bei Abendbeleuchtung sieht man
die Regionen um den Mondrand und viele Berge des Apenninen-
gebirges sehr glänzend, wie solches immer bei dieser Beleuchtung der
Fall ist. Prof. Pickering erklärt diese weiße Färbung für Schnee,
worin Prof. Klein ihm nicht beistimmen kann. Er macht femer auf die
dunkeln Flecke im Atlas und Herkules aufmerksam, die er auf
Vegetation zurückführt und damit die Veränderlichkeit dieser Flecke
erklärt. Weit größere Veränderungen in Farbe und Gestalt dunkler
Flecke hat Klein früher in den mitÜemRegionen der Mondscheibe nach-
gewiesen, doch möchte er dieselben nicht ohne weiteres vegetativen
Vorgängen zuschreiben. Die Anzahl der großen und kleinsten Ejrater,
die unter günstigen Umständen für uns sichtbar sind, schätzt Prof.
W. Pickering auf mehr ab 200 000, aber geringer als 1 000 000.
Die photographische Mondkarte von Prof. W. Pickering ist eine
längst erstrebte Ergänzung der gezeichneten Mondkarten, sogar die
einzige bis jetzt vorhandene, welche die ganze Mondoberfläche und
dazu unter fünf verschiedenen Beleuchtungswinkeln umfaßt.
NeubUdung auf dem Monde. Prof. WiUiam Pickering macht die
Mitteilung, daß von ihm auf der innem Fläche der Wallebene Plato
eine Neubildung konstatiert worden ist. Er sah dort am 31. Juli
ein helles, dunstiges Objekt von etwa 4000 m im Durchmesser, das
in der Zeit vom 21. bis 28. Juli nicht gesehen worden war. Am
42 Mond.
2. August ersohien an Stelle des hellen Fleckes ein dunkler, lan^ch-
runder Schatten, ähnlich einem Krater mit einem Durchmeeeer von
ungefähr 3000 m, und nördlich wie nordöstlich davon ein großer
weißer Fleck. Das Objekt befindet sich in der Nahe eines sehr
keinen, schon früher bekannten Kraters, der in der Pickeringschen
Spezialkarte der Fläche des Plato, welche auf Tafel XII des „Sirius^',
Jahrgang 1901, reproduziert ist, die Nummer 3 trägt. Ein T^e-
gramm vom 22. August bestätigt die Wahrnehmung und enthalt die
Angabe, daß der neue Krater einen Durchmesser von etwa drei eng-
lischen Meilen (ungefähr 6000 m) zeigt, und daß die helle Fläche
sich seit dem 3. August merklich verändert habe. Weitere Beob-
achtungen werden zeigen, wie es sich mit diesem Ejrater verhält;
nach den Wahrnehmungen aller frühem Selenographen ist ein ahn-
liches Objekt vordem dort nicht sichtbar gewesen.
Die vulkanischen Bildungen der M ondoberflftehe waren G^en-
stand einer Untersuchung von Prof. Klein. ^) Als Ergebnis sein»
dreißigjährigen Beobachtungen hebt er zunächst die Tatsache hervor,
daß zwischen den Formationen der Mondoberfläche und den heutigen
Vulkanbildungen der Erde im allgemeinen keine Ähnlichkeit besteht.
Besäße die Mondoberfläehe Millionen von Kratern, jeder so
groß wie der Durchmesser des Kraters auf dem Eruptionsk^el des
Vesuv, so würden wir von der Erde aus selbst mit den größten Tele-
skopen nicht einen davon wahrnehmen können; dagegen kann uns
auch an gewöhnlichen Ferngläsern ein Berg von dem Umfange und
der Höhe des Vesuv auf dem Monde in keiner Weise entgehen. Auch
die £a*ateröffnung des Ätna wäre von der Erde aus auf dem Monde
nicht zu erkennen, wohl aber würde der ganze Berg sich als imposantes
Objekt darstellen. Ebenso hohe und ebenso isoherte Kegel finden sich
aber auf dem Monde nur sehr selten. Die Formationen der Mondober-
fläche sind also von denjenigen der Erde toto genere verschieden, und
die von vielen Qeologen behauptete Übereinstimmung der irdischen
mit den lunaren Kratern beschränkt sich im allgemeinen auf die
nahezu kreisförmige Gestalt der Offnungen. Nur bei einer gewissen
Klasse von sehr kleinen Kratern ist die Ähnlichkeit mit den irdischen
Vulkanen in der äußern Gestalt ausgeprägt, aber diese Gebilde sind
auf dem Monde durchweg minimal, und der Nachweis ihres Vor-
handenseins ist hauptsächUch erst durch die Beobachtungen von
Jul. Schmidt und Prof. Klein erbracht worden. Auf den Mond-
photographien zeigt sich davon keine Spur.
Wollte man annehmen, daß in einer gewissen Periode der Vor-
zeit solche große lunare Formen auch auf der Erde als vulkanische
Gebilde vorhanden gewesen seien, und zwar um die Analogie aus-
1) Gaea 1904, p. 393. Koemischer u. irdiBoher Vulkanismus von Prof.
Klein, Leipzig 1904.
Mond. 43
reiohend zu machen, in verhältnismäßig ebenso großer Anzahl wie
auf dem Monde, so müßte man ein Maß von Zerstörung dieser Ge-
bilde durch die Atmosphärilien annehmen, für welches wir sonst
keine Andeutung besitzen. Wenn auch der Mond jünger ist als die
Eide, und wenn er auch gegenwärtig weder Wasser noch Luft in
nennenswerter Weise mehr an seiner Oberfläche besitzt, so weicht
doch die typische Form seiner Oberflächengebilde so vöUig von der-
jenigen der Erdoberfläche ab, daß man ohne Willkür nicht annehmen
kann, diese Verschiedenheit sei innerhalb der hier überhaupt zu-
lässigen Zeiträume lediglich durch Nivellierung auf der Erde ent-
standen. Dies um so weniger, als eine Verwandtschaft der jüngsten
vulkanischen Gebilde des Mondes mit den Vulkanen der Erde sich
tatsächlich aufdrängt. Anderseits zweifelt kein Kenner des Mondes
daran, daß die dortigen großen Formationen durch solche Kräfte
entstanden sind, welche wir auf der Erde vulkanische nennen, wo-
nach der Schluß unabweisbar wird, daß der irdische und der kos-
mische (lunare) Vulkanismus sich in sehr verschiedener Art und Weise
geltend gemacht haben.
Als Ursache dieser Verschiedenheit weist Verf. die fluterzeugende
Einwirkung der Erde auf die glühendflüssige Mondmasse nach. Die
störende Wirkung der Erde auf die glühendflüssige Mondmasse be-
wirkte in dieser ein Emporsteigen der innem, heißen Materie, d. h.
gestaltete dieselbe ausbruchsfähiger, und zwar ist diese Einwirkung
nach Zeit und Ort von sehr veränderhcher Intensität. Auch zeigt
die Laplacesche Theorie der Ebbe und Flut, sobald sie auf den Um-
stand ausgedehnt wird, daß bei diesen Oszillationen der Gleich-
gewichtszustand erstrebt, aber tatsächlich nie erreicht wird, daß die
gesamte Schwankung sich aus mehrem Oszillationen mit verschie-
denen Perioden zusammensetzt, so daß nicht nur sehr beträchtliche,
sondern auch überaus komplizierte Bewegungen der flüssigen Mond-
materie entstehen mußten, alle aber mit der schließlichen Wirkung:
heißflÜBsige Materie aus tiefen Schichten in höhere zu bringen, d. h.
deren Ausbruchsfähigkeit zu vermehren.
Die Mondmaterie aber muß, als unser Trabant nahezu in seine
heutige Entfernung von der Erde gelangte, noch heißflüssig gewesen
sein, weil er andernfalls in der Richtung gegen die Erde hin eine meß-
bare Verlängerung besäße. Die Formen seiner festen Obeifläche haben
sich also erst herausgebildet, als der Mond schon nahe seine heutige
Entfernung von der Erde besaß. Diese Schlußfolgerungen enthalten
nichts Hypothetisches, sie sind lediglich der Ausdruck der mathe-
matischen Untersuchungen.
Wegen der einzelnen Details muß auf die Schrift des Veif . ver-
wiesen werden. Die Schlußfolgerungen, zu denen er kommt, formu-
liert er dahin: 1. daß auf dem Monde vulkanische Vorgänge von un-
gleich großartigerm Charakter erfolgt sind als jemals auf der Erde,
2. daß der Sitz der vulkanischen Kraft in der glühenden Materie des
44 Mond.
Mondinnem sich befand, 3. daß die Ungeheuern vulkanischen Wir-
kungen, welche die Mondoberflache im Gegensatze zur Erdoberflache
offenbart, ledigUch eine Folge der starkem, fluterzeugenden Kraft
sind, welche die Erde auf dem Mond ausübte, und indirekt: 4. daß die
vulkanische Kraft der Erde ebenfalls der ursprünglich Ruhend-
flüssigen Materie des Erdinnem entstammt, und diese Kraft auf der
Erde sowohl, als auf dem Monde bis zur Gegenwart stetig an In-
tensität abgenommen hat. Der tellurische Vulkanismus ist eine
Wirkung des Bestes der kosmischen Glut, in der sich voreinst die
Gesamtmasse der Erde befand, imd sein Ursprung hegt in dem ur-
sprüngUchen Ballungsakte der Materie. Dieses ist die unabweisbare
Schlußfolgerung, zu welcher eine möglichst hypothesenfreie Unter-
suchung der Vulkanphanomene, welche der Mond darbietet, be-
züglich der Erde führt.
Kometen.
Die Kometenerseheinungen des Jahres 1908* Prof. H. Kreutz
gab ^) eine Zusammenstellung der Kometenbedeckungen und Beob-
achtungen des Jahres 1903, der folgendes entnonmien ist.
Komet 1902 HI (1902b). Auf der Nordhalbkugel ist der
Komet vor dem Verschwinden in den Soimenstrahlen außer auf der
Lickstemwarte auch von Howe in Univeraity Park (Golo.) am
17. Nov. zum letzten Male beobachtet worden. Auf der Südhalb-
kugel, wohin sich der Komet nach dem Perihel wandte, konnte am
11. Dez. in Santiago die erste Ortsbestimmung angestellt werden;
der Komet wurde in Cordoba endlich bis zum 5. März verfolgt. In-
zwischen war derselbe, nachdem er am 19. Januar mit — 46^ die
südlichste Deklination erreicht und wieder seinen Lauf gen Norden
gerichtet hatte, auch auf der nördhchen Halbkugel abermals sicht-
bar geworden. Die südlicher gelegenen Sternwarten Mt. Hamilton
und Universitär Park konnten schon am 29. Januar Beobachtungen
anstellen; im übrigen beginnen die Ortsbestimmungen erst gegen
Anfang oder Mitte Februar. In dieser zweiten Sichtbarkeitsperiode
hatte der Komet die Helligkeit eines Sternes 11. bis 12. Größe.
Wirtz in Straßburg schildert ihn als zerflossene, rundliche Nebelscheibe
mit einer mäßig ausgeprägten Verdichtung. Länger als bis Ende
März haben wegen zunehmender Lichtschwäche sich die Beob-
achtungen nicht fortsetzen lassen; die letzte Ortsbestimmung hat
Howe in Univerity Park am 30. März angestellt. Am 27. April war
im 36-Zöller der Lickstemwarte keine Spur des Kometen mehr zu
erbhcken.
Aus der ersten Sichtbarkeitsperiode ist nachträgUch noch außer
zahlreichen Ortsbestimmungen eine größere Anzahl von Mitteilungen
^) ViorteLjahrasohr. d. astron. des. 39. p. 42.
Kometen. 45
über die Helligkeit und das Aussehen des Kometen veröffentlicht
worden. Besonders eingehende visuelle Beobachtungen in dieser
Hinsicht haben Holetschek in Wien (A. N. 161.273) und Nijland und
V. d. Bilt in Utrecht (162.44) angestellt. Von großer Wichtigkeit
sind femer die photographischen Aufnahmen auf der Lickstem-
warte (Lick Obs. Bull. 42 und Publ. of the Astr. Soc. of the Pacific
15.149), von J. Roberts (Knowledge 26.9), in Meudon (C. B. 136.696)
und auf der Sternwarte in Dorpat (162.101). Auf den Lickphoto-
graphien ist die Zunahme des Schweifes, der anfangs kaum angedeutet
ist, mit der Annäherung aus Perihel deuthch zu verfolgen; gegen
Ekide Oktober hatte er sich bis an den Band der Platte in einer Ent-
fernung von 11° ausgedehnt. Spektroskopisch ist der Komet am
24. Okt. von de la Baume Pluvinel (C. B. 136.743 und Bull, de la soc.
astr. de France 17.117) beobachtet worden. Es zeigten sich die ge*
wohnlichen drei Kometenbander mit völliger Abwesenheit des kon-
tinuierlichen Spektrums.
Die folgenden Elemente von Aitken unterscheiden sich nur un-
wesentlich von den im vorigen Bericht mitgeteilten Strömgrenschen,
sind aber aus einer großem Zwischenzeit, von Sept. 1 bis Nov. 1, ab-
geleitet.
T = 1902 Nov. 23.8923Ö M. Z. Berlin, a> = 162° 67' 60.5' 1902.0,
ß = 49° 2V 17.3' 1902.0, i = 166° 21' 6.1' 1902.0, log q = 9.603212.
Komet 1903 I (1903 a), entdeckt von Giacobini in Nizza am
16. Januar 1903 in 23b +l°als eine kleine Nebelmasse 10. Größe
ohne Schweif. Infolge abnehmender Entfernung von Erde und
Sonne nahm die Helligkeit rasch zu. Gegen Ende Februar besaß
der Komet schon die Helligkeit des Andromedonebels und erreichte
Anfang März die fünfte Größenklasse. Leider näherte er sich immer
mehr dem TagesUchte, so daß er im März nur noch in der Abend-
dämmerung beobachtet werden konnte. Die letzten Ortsbestim-
mungen smd am 19. März in Genf und Kasan angestellt worden.
Eine Schweifentwicklung, die überhaupt erst Ende Februar
einsetzte, hat nur in beschränktem Maße stattgefunden, doch hat
immerhin auf den von Qu6nis8et aufgenommenen Photographien
(BuU. de la soc. astr. de France 17.160, 206) trotz des tiefen Standes
des Kometen die Schweiflänge bis zu 4° betragen, während visuell
der Schweif nicht über 1° hinaus verfolgt werden konnte. Hand in
Hand mit der Schweifentwicklung ging die Kondensation des an-
fangs sehr unscheinbaren Kernes, der sich allmählich zu einem
stemähnlichen Punkte von 2^ bis 3' Durchmesser verdichtete.
Nach dem Perihel ist der Komet noch eine Zeitlang auf der
Südhalbkugel sichtbar gewesen. Im Einklänge mit der .theoretischen
Helligkeit schildert ihn David Boss in Melbourne ( Joum. of British
Astr. Ass. 14.77) April 9 als hell und soeben mit bloßem Auge zu er-
kennen, während im Gegensatze hierzu die Beobachter auf der ELap-
stemwarte bei Gelegenheit der von April 6 bis Mai 4 reichenden
46 Kometen.
Ortsbestimmungen — der einzigen, die wir von der Südhalbkngel
besitzen — den Kometen ausdrücküoh als sehr schwach bezeichne
Die folgenden Elemente von Ebell sind aus sechs Beobachtungen
von Jan. 19 bis März 9 abgeleitet worden und werden sich nur noch
wenig von den definitiven entfernen:
T =. 1903 März 16.03160 M. Z. Berün, a> = 133° 41' ir.T 1903.0.
ß « 2° 17' 66. r 1903.0, i = 30° Ö6' 28.8^ 1903.0, log g = 9.613450.
Komet 1903 II (1902 d). Die im vorigen Berichte ausge-
sprochene Vermutung, daß die Beobachtungsdauer des Kometen
eine ungewöhnlich lange sein würde, hat sich nicht in vollem Um-
fange bestätigt. Bis Ende Februar 1903 ist allerdings die HeUigkmt
ziemlich konstant 11 bis 12. Größe geblieben ; dann aber hat sie
rasch abgenommen, so daß selbst die Beobachtungen auf der Lick-
stemwarte nicht über den 26. Juni hinaus sich erstrecken konnten.
Der Komet war an diesem Tage als ein Objekt 13.6 Größe mit
einem Kerne 16. Größe und einem Durchmesser von 2^ im 36-Zöller
noch soeben zu erkennen.
Die folgenden Elemente von Aitken, abgeleitet aus Dez. 6, 30,
Jan. 17. mögen der Vollständigkeit wegen hier Platz finden, obwohl
sie kaum genauer als die im vorigen Berichte mitgeteilten Risten-
partschen sein werden.
T = 1903 März 23.31679 M. Z. Berlin, co = 6^ 46' 4.4' 1903.0.
^ = 117° 28' O.O' 1903.0, i = 43° 63' 67.9^ 1903,0, 1(^. q = 0.443156.
Komet 1903 III (1903b), entdeckt April 17 von Grigg in
Thames, Neuseeland. Die ersten Beobachtungen auf dem australi-
schen Festlande wurden von Tebbutt in Windsor April 27, 30 und
Mai 2 ausgeführt. Die Helligkeit des an sich schwachen und kern-
losen Nebels, der schon Ende März sein Perihel passiert hatte, nahm
rasch ab, so daß Tebbutt seine Beobachtungen schon am 28. Mai
abbrechen mußte. Mit dem gleichen Tage schließen die mit dem
4. Mai begonnenen Beobachtungen auf der Kapstemwarte; ander-
weitige Beobachtungen von der Südhalbkugel liegen nicht vor.
Die folgenden Elemente haben Kreutz und Ebell aus den oben
angeführten ersten Beobachtungen auf der Sternwarte in Windsor
abgeleitet.
T = 1903 März 26.6486 M. Z. Berhn, co = 186° 40.7' 1903.0,
^ = 213° 14.6' 1903.0, i = 66° 29.6' 1903.0, log q = 9.71054.
Komet 1903 IV (1903 c), entdeckt 1903 Juni 21 von Bonrelly
in Marseille als heller Nebel 8.9. Größe mit scharfem Keine von
1"^ Durchmesser und einem kurzen, fächerartigen Schweife. Für den
Kometen waren alle Bedingungen, eine glänzende Erscheinung am
Nordhimmel zu werden, gegeben. Die Annäherung ans Penhel und
die relativ große Erdnähe von 0.24 um l^tte Juli bewirkten eine
ungewöhnlich rasche Zunahme der Helligkeit; am 26. Juni war der
Komet bereits dem bloßen Auge sichtbar; Anfang Juh hatte er die
4. bis 6. Größe erreicht, und in der Zeit seiner größten Helligkeit,
Kometen. 47
gegen den 20. Juli die 3. Größe. Dagegen hat die Schweifentwick-
lung nicht ganz den gehegten Erwartungen entsprochen. Visuell
konnte der Schweif selbst in der dritten JuUwoche nicht weiter als
6^ verfolgt werden, während er allerdings auf den photographischen
Platten sich bis zu 17° Länge ausdehnte. Eine Zweiteilung des
Schweifes wurde dem Auge erst gegen Mitte August sichtbar. Auf
den Platten war eine Mehrteilung bedeutend früher zu erkennen, so
z. B. zeigt eine in Greenwich am 1. August aufgenommene Photo-
graphie neben dem Hauptschweife bis zu acht Nebenschweife. Eine
eigentümüche Erscheinung hat der Schweif am 24. JuU dargeboten,
die durch einen günstigen Zufall auf der Yerkesstemwarte von
Bamard und Wallace photographisch durch 5.4 Stunden hindurch
verfolgt werden konnte. Auf den beiden dort aufgenommenen
Photographien (Mitte der Expositionszeiten 16h 15m und Idh 14m M.
Z. Gr.) zeigt sich nämlich neben dem eigentlichen Schweife eine zweite
Lichtlinie, die ihm genau parallel ist, aber gar keine Verbindung mit
dem Kopfe hat, sondern erst 2° von demselben entfernt ihren Anfang
nimmt. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als ob irgend
eine Kraft plötzUch einen großen Teil des Schweifes abgebrochen
und ihn zur Seite, und zwar nach der Richtung hin, von welcher der
Komet herkam, geschleudert hätte. Die gleiche Erscheinung findet
sich auf einer von Qu6nisset in Nanterre um 11h 30m M. Z. Gr. auf-
genommenen Photographie; doch ist hier die Entfernung des Kopfes
von dem nächst hegenden Ende des abgebrochenen Schweifstückes
wesenthch kleiner als auf den amerikanischen Platten. Bamard hat
hieraus^) abgeleitet, daß die Trennimg dieses Schweifteiles vom
Kopfe am 24. Juh 2h 30m M. Z. Gr. vor sich gegangen sei, und daß der
Abstand vom Kerne sich stündUch um 10.7' vergrößert habe. Es
wäre von großer Wichtigkeit, auch andere an diesem Tage auf-
genomm^ie Photographien auf diese merkwürdige Erscheinung hin
zu prüfen. Auf einer von J. Roberts wiedergegebenen Photographie
ist sie ebenfalls zu erkennen, doch ist hier leider die Expositionszeit
nicht angegeben. Das gleiche gilt von einer Photographie von
F. Smith auf dem Yale College Observatory. Auch in Greenwich
ist der Komet an diesem Tage photographiert worden, doch ist von
dieser Aufnahme bisher nur bekannt geworden, daß sie eine der besten
des Kometen gewesen ist. Sicher ist jedenfaUs, daß, wie die Auf-
nahmen auf der Yerkesstemwarte an den Nachbartagen zeigen,
am 23. und 25. Juh nichts von dieser eigentümhchen Erscheinung
vorhanden war.
Ebenso wie das Aussehen ist auch die HeUigkeit des Kometen
eingehend studiert worden. Es mag hier genügen, auf die Beob-
achtungsreihen von Ebell in Kiel, von Holetschek in Wien und von
Wirtz und Roeenberg in Straßburg hinzuweisen; sie alle lassen un-
^) Astrophisykal. Joum. It. p. 213.
48 Kometen.
zweifelhaft erkennen, daB die Formel lir^J^ zur Darstellung der
Gesamthelligkeit ausreichend gewesen ist.
Spektroskopische Beobachtungen des Kometen liegen von
Deslandres in Meudon und von Pernne auf der Lickstemwarte vor.
Visuell zeigten sich neben einem relativ starken kontinuierlichoi
Spektrum die charakteristischen drei Kometenbänder. Photo-
graphisch war das Spektrum dem der Kometen 1893 11 und 18d4 11
außerordentUch ähnlich, mit der einzigen Ausnahme, daß das Band
X » 420, das bei diesen Kometen sehr stark hervortrat, sich jetzt
ganz besonders schwach zeigte.
In der dritten Augustwoche verschwand der Komet, der bis zu-
letzt die HeUigkeit eines Sternes 4. Größe besessen hatte, in d^i
Sonnenstrahlen; die letzte Ortsbestimmung ist am 23. August v<hi
Cerulli in Teramo angestellt worden. Nach dem Perihel ist noch der
Komet als schwaches Objekt auf der Kapstemwarte von Sept. 30
bis Okt. 22 beobachtet worden. Weitere Beobachtungen auf dar
Südhalbkugel liegen noch nicht vor, doch ist wegen der stark zu-
nehmenden Lichtschwäche kaum anzunehmen, daß der Komet
anderswo länger als auf der Kapstemwarte beobachtet worden ist.
Die folgenden Elemente sind von Aitken aus drei Beobachtungen
Juni 22, 30 und Juli 10 abgeleitet worden.
T - 1903 Aug. 27.6428 M. Z. Berlin, co = 127° 19' 25.6'' 1903.0,
ß = 293° 32^ 66.0^ 1903.0, i- 84° 69' 46.3" 1903.0, log q =9.618126.
Brooksscher Komet 1903 V (1903 d). Der Brookssche
Komet ist nach der Vorausberechnung von P. Neugebauer am
18. August 1903 von Aitken auf der Lickstemwarte wieder auf-
gefunden worden. Er war klein und schwach, 14. Größe, mit einem
Durchmesser von 3' und einer geringen Verdichtung. Die Hellig-
keit nahm rasch ab, so daß er bald selbst im 36-Zöller ein schwieriges
Objekt wurde imd nur bis zum 24. Oktober verfolgt werden konnte.
So weit bis jetzt bekannt, ist der Komet außer auf der Lickstem-
warte nur noch auf dem Navalobservatory in Washington am 20. und
21. Aug. beobachtet worden. Nach der Theorie sollte der Komet
ein wenig heller als zur Zeit der Entdeckung 1889 Anfang JuU, also
ca. 11. Größe sein. Daß er so sehr viel schwächer erschienen ist, laßt
sich wenigstens zum Teil durch die große südliche Deklination,
welche in der ganzen Sichtbarkeitsperiode 21 bis 27° betragen hat,
ungezwungen erklären.
Die Elemente, welche Neugebauer seiner Ephemeride zugrunde
gelegt hat, sind die von Bauschinger aus den Erscheinungen 1889 V
und 1896 VI abgeleiteten, mit Hinzufügung der Störungen bis zur
Epoche 1903 Nov. 26.0.
Epoche und Osk. 1903 Nov. 26.0 M. Z. Berlin, M = 368° 24' 36.6'
1900.0, CO = 343° 37' 46.2^ 1900.0, ß = 18° 3' 64.4' 1900.0, i = 6° 3'
44.1' 1900.0, 9? = 28« 1' 12.6" 1900.0, ju = 499.64776', log a =
0.667662, T =- 1903 Dez. 6.4642 M. Z. Berhn, U = 7.10 Jahre.
Kometen. 49
Bahnbesttmmujig des Bielasehen Kometen aus den Beobach-
tungen 1846 bis 1852. Eine solohe hat Prof. v. Hepperger unter-
nommen. Er hat aus den im Jahre 1852 angesteUten Beobachtungen
die Normalörter gebildet und die Resultate der Störungsrechnimg
mitgeteilt, welche die Erscheinungen des Kometen in den Jahren
1846 und 1852 verbindet. Femer wurden die unter verschiedenen
Annahmen über die Zeit der Trennung erhaltenen Elemente des
Kometen berechnet, welche die Normalörter am besten darstellen.
Die Summe der Fehlerquadrate wird am kleinsten, wenn man 1844
September 13 als Zeit der Trennung annimmt. Die Darstellung der
Bektaszensionen ist nicht ganz befriedigend und wird auch nicht
merkUch besser, wenn man die wechselseitigen Störungen beider
Kometen berücksichtigt. Hierdurch erscheint aber die Möglichkeit
geboten, eine obere Grenze für die Masse des Bielasehen Kometen
zu fixieren, deren Wert, die Erdmasse als Einheit angenonunen, den
Betrag von 1 Milliontel nicht zu erreichen scheint.
Untersuehungen über die Oröfien und Helligkeiten der Kometen
und ihrer Sehweife hat schon vor längerer Zeit Dr. J. Holetschek
begonnen.^) Jetzt veröffentUchte er eine Fortsetzung derselben,
welche die Kometen der Jahre 1762 bis 1799 behandelt. ^) Es werden
darin wie früher die in den Kometenberichten enthaltenen Angaben
über die HeUigkeit auf dieselbe Distanz von der Sonne und von der
Erde reduziert (reduzierte Helligkeit H^, ausgedrückt in Größen-
klassen m), die etwa vorhandenen, meist in Bogenminuten ausge-
drückten Angaben über den scheinbaren Durchmesser eines Kometen
auf die Distanz 1 von der Erde reduziert (D^) und die Angaben über
die scheinbare Schweiflänge in wahre Längen c umgerechnet (aus-
gedrückt in Teilen der mittiem Entfernung der Erde von der Sonne).
Die erhaltenen Resultate lassen noch bestimmter als früher die
Tatsache erkennen, daß zwei oder mehrere Kometen mit derselben
Periheldistanz q, wenn sich für sie nahe dieselbe reduzierte Helligkeit
H i ergibt, auch nahe dieselbe Mächtigkeit der Schweifentwicklung
erreichen, daß also diese letztere — abgesehen von ihrem schon lange
bekannten Zusammenhange mit der Annäherung eines Kometen an
die Sonne — nahe gleichen Schritt hält mit der durch H i definierten
Mächtigkeit eines Kometen. Ein solcher Parallelismus zwischen
verschiedenen Kometen mit demselben q und H^ ist auch bezüglich
der Abweichungen der Helligkeitsänderungen von dem durch die
Entfernung von Sonne und Erde bedingten Verhältnisse zu bemerken.
Die für die einzelnen Kometen gefundenen Hauptresultate sind
in der hier beigefügten Übersicht zusammengestellt, zu welcher noch
folgendes bemerkt werden soll.
1) Denkschrift d inAthem.-Daturw. Klaase d k. Akad. d. Wisseos. 69.
<) Wiener Akad. Anzeiger 1904. p. 314.
Klein, Jahrbnoh XV. 4
50 Kom«Cen.
Von den für einen Kometen gefundenen Schweifiängen ist nur
die größte und ebenso von den reduzierten Helligkeitrai H^, faUs
dieselben einen Grang zeigen, nur die bedeutendste angesetzt.
War der Schweif eines Kometen so hell, daß er mit bloßen
Augen gesehen werden konnte, so ist der Lange ein * beigesetzt. In
allen andern Fällen war somit der Schweif nur im Femrohre zu seh^L
War er selbst im Femrohre so lichtschwach, daß er eigentlich nur
zu vermuten oder bloß unter sehr günstigen Umstanden zu erkenn^i
war, so ist der Lange, ebenso wie auch einigen der Werte c =» 0, ein
Fragezeichen beigesetzt.
Bei den Kometen 1769 und 1770 1 sind die Zahlen der ersten
Zeile aus den Beobachtungen vor, die der zweiten aus den Beob-
achtungen nach dem Perihel abgeleitet.
Zum Enckeschen Kometen (£), der in diesem Zeiträume in zwei
Erscheinungen beobachtet worden ist, sei bemerkt, daß die für 1795
gefundene Helligkeit 8%m aus Beobachtungen zu der Zeit abgeleitet
ist, in welcher sich der Komet der Sonne von r = 1.0 bis r = 0.7 ge-
nähert hat, während die für 1786 gefundene bedeutendere Helligkeit,
7.7m, zu der Zeit gehört, in welcher er der Sonne schon bis r » 0.45
nahe gekommen war.
Komet q Di Hi g
1762 1.01 — 31/2°* 0.01
17Ö3 0.60 3' 8V2 0
1764 0.66 4 6V2 0.01
17661 ... 0.61 — 61/, 0?
1766 II .... 0.40 — 6 0.08*
1769 0.12{ f 3.6 0.6-
17701 .... 0.67 { 1« l,^ l^,,
1770 II .... 0.63 3.6 8 0.07
1771 0.90 > 2.6 4 0.16
1772 (B) . . . . 0.99 — 7 0.001
1773 1.13 7? 31/2 0.04
1774 1.43 6? 60 O.Ol
1770 0.71 — 68 0.006
17801 .... 0.10 — 6 0?
1780 II .... 0.62 — 6 0
17811 .... 0.78 2 71/2 0.001?
1781 II .... 0.96 3.6 6 0.03
1783 1.46 2 7 0
1784 0.71 2? 31/2 0.08*
1786 1 .... 1.14 — 8 0
1786 II .... 0.43 3.6 4^/. 0.2
1786 1(E) ... 0.34 — 7.7 0?
1786 II .... 0.39 — 6 0.06?
1787 0.36 — 6 ?
17881 .... 1.06 — 8 0.02?
1788 n .... 0.76 6? 71/2 0
17901 .... 0.76 47 0
1790 II (Tu) . . 1.04 — 8V2 0
1790 ni .... 0.80 4 6 0.06
Kometen. 51
Komet q Dx H| e
17Ö2 I . . . . 1.29 5 6V2 0.006?
17Ö2 n .... 0.97 3.4 6 0.61
1793 I .... 0.40 — 6 0
1793 n . . . . 1.60 — 6V2 0
1796 (E) . . . . 0.34 1.4 8V4 0
1796 1.68 0.7 8 0?
1797 0.63 0.8 9 0
1798 I . . . . 0.49 — 8 0
1798 II ... . 0.78 0.6 IOV2 0
1799 I .... 0.84 4 6V2 0.06
1799 II .... 0.63 — 6V2 0.03
Die Zahlen Hx und c sind in der Abhandlung gemeinschaftlich
mit denen des I. Teiles in einer Tabelle zusammengestellt, welche
dazu benutzt weiden kann, für irgend einen Kometen, falls man in
der Tabelle schon einen andern oder auch mehrere mit nahezu der-
selben Periheldistanz q und derselben reduzierten Helligkeit H]^
findet, die zu erwartende Schweifentwicklung wenigstens versuchs-
weise vorauszubestimmen.
Daß das Verhältnis zwischen H^ und c hier und da nicht völlig
bestätigt erscheint, laßt sich fast überall auf die Stellung der be-
treffenden Kometen gegen den Beobachter zurückführen, indem ein
Kometenschweif, der unter günstigen Sichtbarkeitsumstanden sehr
weit zu verfolgen ist, unter ungünstigen, namentlich in großen
Distanzen von der Erde, in geringer Höhe über dem Horizonte und
besonders in der Dämmerung, sehr verkürzt erscheinen kann.
Die Nachforschungen, die zu diesen Untersuchungen erforder-
lich waren, haben auch zu einigen Berichtigungen und Ergänzungen
der Kometenliteratur geführt und insbesondere dazu Veranlassung
gegeben, daß Beobachtungen des Kometen 1793 I, die in der astro-
nomischen Literatur so gut wie ganz unbekannt waren, an das Licht
gebracht worden sind.
DieBredlehinschen Schweiftypen der Kometen behandeltR.Jaeger-
mann. ^) Bredichin hat die erste Mitteilung über Kometenschweife
am 17. September 1878 der K. Akad. der Wissenschaften in Petersburg
gemacht. Sie bezeichnet den Anfang der Untersuchungen desselben
über die Mechanik der Schweifbildung. Ähnliche Arbeiten, jedoch
von engerm Gesichtspunkte aus, waren bis dahin nur für .den Halley-
schen Kometen in der Erscheinung von 1835 durch Bessel und für
den Donatischen Kometen 1858 von Peirce, Norton und Pape aus-
geführt worden. Bredichin gelangte zur Unterscheidung von drei
Schweiftyx>en. Bezeichnet man die Anfangsgeschwindigkeit der von
dem Kometenkeme in der Richtung gegen die Sonne hin ausge-
schleuderten Materie mit g, die unbekannte repulsive Sonnenenergie
1) Naturw. Rundschau 1904. Nr. 3.
52
Kometen.
mit 1 — |i, so ergaben die ersten numerischen Bestinunungen Bre-
diohins folgende Resultate für die Schweif typen:
L TypuB 1 — ^ = 11.0 g = 0.16
n. „ 1—^= 0.7 =0.03
III. ,. 1— ^ = 0.1 =0.01
wobei g = O.Ol der Geschwindigkeit von 295 m in der Sekunde ent-
spricht. Der Wert von 1 — /u war für den Typus I schwer mit Ge-
nauigkeit zu bestimmen. Bredichin fand durch seine Bearbeitung
des großen Kometen von 1811, der sich zu jener Bestimmung ganz
besonders eignet, den obigen Wert = 17.5, und mit diesem Werte,
rund 1 — /i =» 18, stimmen die Schweife des Typus I von 40 Kometen
innerhalb der Grenzen der Beobachtungsfehler völlig überein. IMe
seit 1892 erhaltenen photographischen Aufnahmen von Kometen
haben die Bredichinsche Typeneinteilung, sowie überhaupt die
mechanische Kometentheorie außer allen Zweifel gesteUt. Ja^;er-
mann gibt eine Tafel aller von Bredichin untersuchten Kometen, die
nachstehend folgt. Sie sind in chronologiBcher Reihenfolge geordnet;
femer sind angegeben : die Lange des aufsteigenden Knotens (^), das
Argument des Perihels (co), die Neigung (i), die Periheldistanz (q).
Durch die Buchstaben (v) (vor dem Perihel) und (n) (nach dem
Perihel) ist die Beobachtungszeit angegeben.
Nr.
Ko»et
Soh
weiftypen
tangsaeit
4
«1
n
i
1
1472
I
V,
0.486
246®
286^63'
170« 60-
2
1677
—
II
III
n.
0.178
266
26
20
104 50
8
1680
—
II
V.
0.602
89
19
7
64 S4
4
1682
—
III
n.
0.169
382
227
14
118 34
6
1618 II
—
II
—
n.
0.890
287
76
44
37 12
6
1662
—
II
n.
0.848
800
88
10
79 28
7
1664
—
II
—
n.
1.026
811
81
16
158 42
S
1666
I
..
—
V.
0.107
166
228
2
103 55
9
1680
—
II
—
v.n.
0.0062
361
272
9
60 40
10
1682
I
—
-—
V,
0.683
109
61
11
162 15
11
1744
I
II
v.n.
0.222
161
46
46
47 7
12
1769
I
II
—
V,
0.123
329
176
4
40 46
13
1807
I
II
—
n.
0 646
4
266
47
63 10
14
18111
I
IIod.III
n.
1.036
66
140
26
106 57
16
1819 II
—
II
—
n.
0.841
18
273
42
80 46
16
1823
—
—
III
n.
0.227
28
308
8
103 48
17
1826 IV
I
II
—
V.
1241
267
216
43
146 27
18
1836 III
I
—
III
V.
0.687
111
66
10
162 16
19
18431
I
II
—
n.
0.0066
88
1
16
144 19
20
1844 III
—
II
III
n.
0.262
178
118
19
45 39
51
1853 II
III
V.
0.909
199
40
68
122 11
22
1863 in
I
—
III
V,
0.807
170
140
31
61 31
23
1863 ly
—
—
III
V.
0.173
278
220
6
119 0
.24
1864 II
—
II
—
n.
0.277
102
816
28
97 28
:25
1864 lU
—
II
—
fi.
0.648
76
847
40
108 41
Kometen.
53
Nr.
Kom«t
8ohw«iftjpm
BeobMh-
tanguelt
4
m
n
i
26
1867 III
_
_
III
V.
0.368
134
230 42'
121« V
27
1868 VI
I
II
—
n.
0.679
129
166
19
116 68
28
1860 III
—
II
—
n.
0.293
77
84
41
79 16
29
1861 II
I
—
III
n.
0.822
330
278
69
86 26
30
1862 III
I
—
III
v,n
0.963
163
137
27
113 34
81
1863 IV
I
__
__
n.
0.707
867
97
29
78 6
32
18661
II
III
n.
0.0268
112
262
66
92 80
33
1874 III
I
II
—
V. n.
0.676
162
118
44
66 21
34
1877 II
I
n.
os:o
63
316
27
121 9
36
18801
II
_
n.
0 0066
86
6
10
144 40
36
1881 III
I
II
n.
0.736
364
270
68
63 26
37
1881 IV
I
II
v,n.
0.634
122
97
3
140 14
38
18821
I
II
III
n.
0.0608
209
204
66
73 49
39
1882 II
I
II
III
n.
0.0077
69
346
1
142 0
40
18841
I
II
—
V.
0.776
199
264
6
74 3
41
18861
_
II
n.
0.642
127
36
23
82 37
42
1886 II
—
II
n.
0.479
120
68
19
84 26
48
1886 IX
I
II
III
v,n.
0.663
86
137
23
101 38
44
18871
—
III
n.
0.0066
66
339
38
187 87
46
18891
III
n.
1.816
340
367
26
166 22
46
1892 III
IW
—
—
n.
2.142
14
331
38
20 47
47
1893 II
I
n.
0.676
47
337
21
169 68
48
1893 IV
I
II
n.
0.812
347
174
66
129 60
49
1894 II
— II(?)III(?)
n.
0.983
324
206
21
87 4
60
18991
I
—
III
V. n.
0.327
9
24
69
146 16
61
19011
—
II
III
n.
0.246
203
109
39
181 6
Neben dem großen, vollständig entwickelten Schweife desl. Typus
waren beim Kometen 1811 1 schwache Spuren von Nebenausläufem
hinter dem Hauptschweife vorhanden; doch kann infolge mangels
des BeobachtungsmaterialeB ihre Zugehörigkeit zum U. oder III. T3rpus
nicht festgestellt werden. Dasselbe laßt sich vom äußerst schwachen
Schweife des Kometen 1892 lU (Holmes) sagen, dessen sehr große
Periheldistanz eine bedeutendere Schweifentwicklung verhinderte.
Die von Max Wolf gegebene Beschreibung seiner vom Kometen
1894 II erhaltenen Photographie kann ebenfalls nicht zur genauen
Bestimmung der Schweiftypen ausgenutzt werden. Dagegen ist sie
in der Hinsicht sehr wertvoll, indem sie die für die mechanische
Theorie sehr wichtige Wellen- und Gammaform der Schweife nach-
weist.
Wie aus der Tafel zu ersehen, treten die verschiedenen Schweif-
typen bei Kometen mit den verschiedenartigsten Elementen auf.
Es kann somit das vorwiegende Auftreten des einen oder andern
Typus nur von Unterschieden im physikahsch - chemischen Bau der
Kerne herrühren. Sieht man von den Kometen 1892 III, 1894 11 ab,
und läßt man ebenfalls den II. oder III. Typus des Kometen 1811 1
beiseite, so besaßen 49 von Bredichin mechanisch untersuchte Ko-
54 Kometen.
meten zusammen 75 Schweife, von denen 26 dem I. Typus, 30 dem
II. Typus und 19 dem in. Typus angehören. Die Schweife des
ni. Typus wurden also weniger als die der andern Typen beobachtet
Die Ursache hiervon liegt wahrscheinlich in der allgemeinen Schwache
und Verschwommenheit dieser Schweife. Unter BerucksichtiguDg
dieses letzten Umstandes kann der allgemeine Schluß gezogen werdeo,
daß die drei Schweiftyx>en im Durchschnitte gleichmäßig bei aDen
Kometen auftreten, daß die Kometen somit in physikalisch-chemi-
scher Einsieht identisch untereinander sind, was mit den Resultaten
der Spektralanalyse übereinstimmt.
Die den drei Schweiftypen entsprechenden Werte von 1 — /i
undg sind:
I. Typos U. Typus Ul. Typus
1 ^ft: 18; von 2.2 bis 0.5; von 0.3 bis >0.
g: von 0.34 bis 0.1; von 0.07 bis 0.03; von 0.02 bis O.Ol.
Ak Zeiteinheit für die Anfangsgeschwindigkeit g sind 1 :»
= 68.13244 Tage angenommen (« ist die Gaußsche Konstante). Als
Distanzeinheit gilt die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne
(149 480 976 ibn), entsprechend der Parallaxe 8.80' und den Beaael-
sehen Erddimensionen. Die repulsive Kraft 1 — fjt der von der
Sonnenriohtung ausgehenden, unbekannten Energie ist in Einheiten
der gewöhnlichen Attraktion ausgedrückt.
Brediohin erklärte die strenge Qetrenntheit der Schweiftypen
durch die Annahme, daß die Schweife I. Typus aus den Molekeln von
reinem Wasserstoff, die des II. Tjrpus aus den Molekeln von Kohlen-
wasserstoff, Natrium usw., die des HE. Typus aus den Molekeln von
Eisen und andern schwerem Metallen gebildet sind.
Bredichin hat also die später in den Kometen 1882 1 und 1882 11
entdeckten Elemente Natrium und Eisen schon 1879 auf Grund
seiner Typeneinteilung nachgewiesen; das Element Wasserstoff
konnte dagegen, abgesehen von zwei zweifelhaften Fällen: beim
Kometen 18821 (beobachtet von Bredichin), 1893 IV (beobachtet
von Campbell), spektroskopisch bisher nicht nachgewiesen werden.
Bredichin erklärt dieses dadurch, daß die verhältnismäßig schwach^i
Wasserstofflinien von den entsprechenden Fraunhofeischen Linien
des vom reflektierten Sonnenlichte herrührenden, kontinuierlichen
Spektrums verdunkelt werden. Selbst bei einer großen relativen
Biewegung des Kometen zur Erde werden die Wasserstofflinien,
sowie auch die Fraunhoferschen Linien, dem Dopplerschen Prinzip
gemäß, eine gleichförmige Verschiebung erleiden, so daß nur in äußerst
günstigen Fällen bei besonderer Intensität der Wasserstofflinien letztere
sichtbar werden können.
BeieinigenKometen(ungefahrsechs), darunter auch Komet 189311,
ergaben sich für den I. Schweiftypus Größen der repulsiven Kraft,
welche bedeutend den Wert 1 — u = 18 übertreffen. Diese Werte
Meteoriten. 55
gruppieren sieh (innerhalb der Grenasen der dem I. Typus eigenen
Fehler) um die Zahl 40.
Sollte sich dies bestätigen, also zwei sehr voneinander verschiedene
Werte von 1 — fi für den Typus I sicher hervorgehen, so müßte man
da« Vorhandensein eines Stoffes noch leichter als Wasserstoff oder
eine Dissoziation der Molekeln von HeUum und Wasserstoff an-
nehmen.
Meteoriten.
Der Meteorit von Peramiho. Der neue Eukrit, von dem ein
einziges Exemplar bekannt wurde, das sich jetzt in der Meteoriten-
sammlung des naturhistorischen Hof museums befindet, ist am 24. Ok-
tober 18M, 1^ morgens, in nordwestUcher Richtung, drei Stunden
weit von der katholischen Missionsstation Peramiho im Gebiete von
Ungoni, Bezirk Songea in Deutschostafrika, niedergefallen. Der
Stein ist kinderfaustgroß und hat ein Gewicht von 165 g. Sein
Äußeres zeigt viel Ähnlichkeit mit den Steinen von Stannem. Die
wesentUchen Gemengteile des Steines bestehen aus Anorthit, mono-
klinem und rhombischem Pyroxen, während Magnetkies und Magnetit
als untergeordnete Nebengemengteile vorhanden sind.
Nach der Berechnung der von Hofrat E. Ludwig ausgeführten
Analyse ist der Stein aus 30% Anorthit und 70% Pyroxen zusammen-
Bezüglich seines Gef üges zeigt der Stein eine zusammengesetzte
Struktur. Es sind Gesteinspartien mit ophitischer Struktur und mit
Trümmerstruktur zu unterscheiden. Aus dem petrographischen Ver-
hältnisse beiderlei Teile lassen sich drei Zustandsphasen erkennen, die
der Stein durchgemacht hat. Als unterste erkennbare Entwicklungs-
stufe des Steines hat ein Trümmergebilde vorgelegen, das wahr-
scheinlich einem breccienartigen Zustande entsprochen hat. Zu einer
spätem Zeit hat die Eukritbreccie eine durch Erhitzung bewirkte
Umwandlung erfahren, wobei der Anorthit vollständig und der
Pyroxen teilweise zur Schmelzung kam, und die rekristallisierten
Anorthite mit den regenerierten Pyroxenen in Gestalt von Ein-
schlüssen angefüllt wurden. Nach dieser Entwicklungsphase hat der
Stein starke Pressungen erfahren, die am deutlichsten in den Ver-
werfungen der Anorthitzwillingslamellen und auch sonstigen Erschei-
nimgen von Kataklase zum Ausdrucke kommen. Der Periode me-
chanischer Veränderungen ist dann eine zweite Einschmelzung ge-
folgt, von der der Stein jedoch nur partienweise ergriffen wurde.
Bei dieser Einschmelzung, wo sich Schwefelkies in den Schmelzherden
ansiedelte, der Feldspat in Kömerform wieder kristallisierte und die
Pyroxene sich in Kömer und Fetzen auflösten, ist es auch zur Bildung
von glasigen Adern gekommen, jenem Geästel, das auf der Bruch-
56 Meteoriten.
flache die dem freien Auge erkennbare graue Verfärbung der sonst
hellfarbigen Steinmasse hervorbringt.
Eine neue Gruppe von Meteoreisen. Prof. Friedrich Berwerih
hat der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien eine Abhand-
lung überreicht, in der er eine neue Gruppe von Meteoreisen, die
Metabolite, schildert. Im Jahre 1902 hat Prof. Berwerth gelegentlich
der Besprechung des Meteoreisenzwillings von Mukerop zum ersten
Male die Ansicht ausgesprochen, daß die am Mukeropeiaen partien-
weise vorhandene, durch einen matten Schimmer gekennzeichnete
Verschleierung des oktaedrischen Gefüges als eine Folge von Er-
hitzung des Blockes aufzufassen und die Quelle der Erwärmung oder
scharfem Anheizung desselben außerhalb unserer Atmosphäre zu
suchen sei. Zu dieser Ansicht führte ihn der Vergleich des dunst-
artigen Schleiers bei Mukerop mit dem Gefüge der an ganz wenigen
Meteoreisen erhaltenen randUchen Veranderungszone, deren Ent-
stehen durch Erhitzung in unserer Atmosphäre von niemand an-
gezweifelt wird. Die Gleichartigkeit der Erscheinungen, in beiden
Fällen in einer Umkristallisierung, resp. Kömmig der Eisenmasse
bestehend, veranlaßte ihn dann notwendigerweise zu dem Ausspruche,
daß die meisten sogenannten „dichten Meteoreisen" auf dem W^e
der Erhitzung im festen Zustande umgewandelte oktaedrische Eisen
seien.
Seither sind ihm die auf chemisch-physikalischen Arbeitsver-
fahren beruhenden wichtigen Resultate metallographischer For-
schungen bekannt geworden, und die bisherigen experimentellen
Erfahrungen über die beim Abkühlen oder Erwärmen im festen Zu-
stande vor sich gehenden Umwandlungen in den Metallegierungen
bieten eine ausreichende Analogie, um die bei vielen oktaedrischen
Eisen vorhandene feine bis grobe Körnung auf eine Anwärmung oder
schärfere Erhitzung des betreffenden Eisens zurückzuführen, ein
Vorgang, wie er eben an künstilichen Metallegierungen genügend er-
härtet ist. Um sich über das erwartete Vorhandensein des oktaedri-
schen Netzgefüges bei den dichten und kömigen Eisen zu orientieren,
hat er alle ihm zur Verfügung stehenden dichten und kömigen Eisen-
proben einer kritischen Besichtigung unterzogen. Er ist dabei zu
dem Resultate gelangt, daß unter 36 Fällen an 27 dichten oder kör-
nigen Eisen die oktaedrische Netzstruktur mehr oder weniger voll-
kommen erhalten und genügend deutiich nachweisbar ist. Zur Beob-
achtung genügt für gewöhnUch die Anwendung einer Lupe. Voll-
kommen erhaltene oktaedrische Balkennetze oder nur Relikte oktaed-
rischer Struktur wurden in folgenden Beispielen beobachtet: Cacaria,
Campo del cielo, Chesterville, Chile, Deep Springs Farm, Forsyth
County, Howard CJounty, Iquique, Kapeisen, Linnville Mountain,
Locust Grove, Morradal, Nenntmannsdorf, Oktibbeha County, Primi-
tiva, Rafrüti, Rasgata, San Francisco del Mezquital, Santa Rita
Moteoriten. 57
( (Signeteisen), Senegal, Shingie Springs, Sierra de Deesa, Smithland,
Summit, Tombigbee River, Tucson (Carleton Tucson), Willamette.
Sichtbare oder sichere Spuren oktaedrischen Gefüges fehlen in den
i Proben: Aubum, Bingera, Ganada de Hierro, Cincinnati, Hollands
i. Store, Illinois (Julch, Kendall, NedagoUa, San Cristobal. Damit
K will Prof. Berwerth aber nicht ausgesagt haben, daß der oktaedrische
s Bau in diesen Eisen ursprünglich nicht vorhanden gewesen ist. In
i allen diesen Fällen ist er der Meinimg, daß oktaedrische Bändersysteme
I nur nicht auffindbar sind, weil selbst die letzten Spuren eines solchen
g. bei der Umkristallisierung vollständig aufgezehrt wurden. Das Eisen
^ von Willamette vermittelt in ausgezeichneter Weise den Übergang
vom oktaedrischen Qefüge zur reinen, stets zyklopenartigen Körnung,
und das Eisen von Hammond und das Kapeisen sind als Beispiele
zur Beobachtung der Umwandlung von feinen Lamellensystemen in
den fein kristallinischen Zustand zu empfehlen. Die Ableitimg de»
jetzigen feinkristallinen oder kömigen Zustandes von der oktaedri-
schen Primärstruktur muß einer eingehenden Darstellung jeden ein-
zelnen Falles vorbehalten bleiben. Die sekundär erworbene, fein-
oder grobkörnige Struktur erscheint hier ebenso als Deckstruktur
über der oktaedrischen Struktur, wie bei den Chondriten das durch
Schmelzung entstandene kristallinische Gefüge über der Tuffstruktur.
Aus den tatsächlichen Beobachtungen geht also hervor, daß die
dichten und kömigen Eisen als Derivate von oktaedrischen Eisen zu
definieren sind, aus denen sie durch eine außerhalb unserer Atmo-
sphäre eingetretene stärkere Erhitzung oder Anwärmung im festen
Zustande umkristallisiert sind.
Für ein durch Umkristallisierung hervorgegangenes Eisen wählt
Prof. Berwerth die Bezeichnung „Metabolit** und wird deren Gesamt-
heit dem Rose-Tschermakschen Meteoritensysteme als „Gruppe der
Metabolite" einfügen. Da bei den Meteorsteinen dargetan ist, daß
eine große Reihe von Steinen durch Schmelzung umgewandelte
Trümmerprodukte sind, so wird im revidierten Systeme neben der
Gruppe „der Eisenmetabolite** eine große Gruppe der „Steinmeta-
bolite" zu unterscheiden sein.
Tektite von beobachtetem Falle, eine neue Klasse von Meteoriten.
Dr. A. Brezina hat der Wiener Akademie der Wissenschaften eine
Mitteilung über den wirklich beobachteten Niederfall von Aerolithen
gemacht, welche zu den Moldaviten zu stellen sind, deren meteorische
Natur zuerst Verbeek und später Franz E. Sueß behauptet haben. ^)
Im Jahre 1897 hat R. D. M. Verbeek den Moldaviten, Billitoniten
und AustraUten einen gemeinsamen außerirdischen Ursprung (aus
den Mondvulkanen zugeschrieben), und 1898 hat Dr. Franz E. Sueß
^) Wiener Akad. Anz. 1904. Nr. 6.
58 Meteoriten.
sie als eine eigene Klasse der Meteorite unter dem Namen der Tektite
angesprochen und ihre Eigenschaften sehr eingehend untersucht.
Die Argumente für die aerolithische Natur dieser eigentümhcheii
Gläser waren hauptsachlich folgende:
1. Ihre Oberflächenbeschaffenheit läßt sich weder durch Ab-
rollung, noch durch Abwitterung erklären, sondern entspricht voD-
kommen der der Meteorite.
2. Ihr chemisches Verhalten und ihre Zusammensetzung unter-
scheiden sich wesenthch von denen der natürUchen und künstlichen
Gläser irdischer Herkunft; die Tektite sind wasserfrei und scheinai
sich in einer wasserdampffreien Atmosphäre gebildet zu haben.
3. Auch die physikalischen Eigenschaften unterscheiden die
Tektite sowohl von den natürhchen als den künstUchen irdischen
Gläsern.
Trotzdem haben sich die fachmännischen Kreise der Anschauung
von der aerolithischen Natur dieser Körper bisher größtenteils ver-
schlossen.
In der Literatur ist seit nahe 60 Jahren der Fall eines Tektites
unter den bei Meteoritenfällen gewöhnlichen Erscheinungen ver-
zeichnet.
Am 17. Mai 1865, nachmittags 6 Uhr, fielen auf dem Hofe des
Gutes Igast bei Walk in Livland unter öT" 60 N, 26"" 13 O. Gr. mit
einer gewaltigen Lichterscheinung und einer furchtbaren Detonation
etwa zwei Hände voll bimsstein- oder lavaähnlicher Körper von dunkel-
brauner, aschgrauer oder braunroter Farbe, welche „Übergänge von
einer feinlöchrigen oder feinzelligen, geschmolzenen oder gefritteten
Masse bis zu einer blasenreichen, vollkommen entwickelten, gleich-
artigen Lava*' zeigen. Sie besitzen meist eine zusammenhängende,
glatte Schlackenrinde.
Das spezifische Gewicht der gepulverten und ausgepumpten
Masse war 2.679, das der unveränderten, gekochten Masse 2.310 und
das der unveränderten, nicht gekochten Masse 1.640. Die Moldavite
haben 2.318 bis 2.386, die Billitonite 2.443 bis 2.603, die Australite
2.419 bis 2.470 spez. Gewicht.
Die Fallerscheinungen von Igast sind durch verläßhche Zeugen
beobachtet.
Die chemische Zusammensetzung des Igaster Tektites fällt voll-
ständig in die von Sueß veröffentlichte Reihe von sieben neuem Ana-
lysen Budweiser und Trebitscher Moldavite, wie die nachfolgende
Zusammenstellung zeigt.
I bis III Moldavit von RadomiUtz bei Budweis, Analysen von
C. V. John.
IV Moldavit von Wittingau (?), Budweis, Analyse von J. Hana-
mann.
V Moldavit von Budweis, Analyse von C. v. John.
VI und Vn Moldavite von Trebitsch, Analyse von C. v. John.
Meteoriten.
59
3
VIII Igast, Analyse von Grewingk Schmidt.
Igast wurde zumeist als Pseudometeorit angesehen.
Am 24. Januar des laufenden Jahres, abends 8 Uhr, fiel nach
brieflicher Mitteilung des Herrn Dr. G. Brandes, Privatdozenten der
Zoologie, in Halle a. S. ein Meteorit auf den gepflasterten Hof eines
Bankhauses vor der Wohnung des Hausmannes, dessen Frau mit ihren
beiden Kindern durch die Lichterscheinung erschreckt wurde. Erst
am andern Morgen fand der Hausmann den Stein in der Größe einer
Feige auf einem verkohlten Papier hegen. Auf Anfrage in der
Zeitung meldeten sich noch vier Personen, die vom Zimmer aus die
Lichterscheinung wahrgenommen hatten, und zwar von SO nach NW.
Eine FamiUe (fünf Personen), die sich außerhalb der Stadt befand,
hat auch eine Detonation gehört, die sie aber gar nicht in Verbindung
mit der Lichtersoheinung brachte, weil sie eine geraume Zeit später
erfolgte (^4 Minute). Der Stein ist durch und durch glasig, er gleicht
einem Obsidian.
Die beiden sichern Fälle von Igast und Halle dürften nunmehr
die letzten Zweifel an der aeroUthischen Natur der Tektite beseitigen.
I
II
ni
IV
V
VI
vn
VIII
Igast
SiO, . . .
82.28
77.76
77.69
81.20
82.68
78.61
77.96
80.87
Al.0,
10.08
12.90
12.78
9.66
9.66
12.01
12.20
9.93
Fe,0,
—
—
2.06
^ 2.26
—
0.16
0.14
} 2.46
FeO .
2.03
2.60
1.46
L13
3.09
3.36
MnO.
0.11
0.18
0.11
0.10
0.20
CaO . .
2.24
3.06
1.26
2.66
2.06
1.62
1.94
0.76
MgO.
0.08
0.22
1.16
1.80
1.62
1.39
1.48
1.68
KgO .
2.20
2.68
2.78
2.34
2.28
3.06
2.70
3.13
NajO
0.28
0.26
0.78
—
0.63
0.44
0.61
0.76
Glühv.
0.06
0.10
—
—
—
—
—
0.32*
100.16
99.46
99.94
100.00
100.04
100.49
100.49
99.99
Fixsterne.
Der Katalog der veränderlichen Sterne der Sternwarte des
Harvard-College zu Cambridge. ^)
Zu diesem Verzeichnisse gibt Prof. Pickering bereits ein Supple-
ment,') das seinem wesentlichen Inhalte nach hier folgt.
1) Vergl. dieses Jahrbuch 14. p. 112.
«) Harvard Observatory Bull. Nr. 77.
60
Fixsterne.
Jahr der
Name
B. A.
1900
Dekl. 1900
Max.
Min.
Periode
Bnt-
dec^aog
Entdecker
— Pisdum . . .
b m
017.2
. 0 '
+ 6 7
_
^^,
d
1903
Koea
— Unae MlnoriB .
122.6! +88 46
—
—
—
1903
Joat
— Boulptoris . .
22.6 —83 26
98
11.0
—
1903
de Sitter
RUAndromedae .
82.8 -
-8810
9
18
266?
1908
WiUiama
-> Andromedke .
211.4 -
-48 61
8.8
9.9
—
1903
Hagea
ZCephei . . .
12.8 -
-8118
9.6
<12.6
—
1903
L.Cera8iEi
RRCephei . . .
29.4! -
-80 42
9
<18
390?
1903
L.Cera8ki
X Camelopardall .
4 82.6, -
-74 66
9
13
162
1903
L.Oeraaki
— OrioDis . . .
5 27.0, — 4 81
14.0
<15
—
1903
Wolf
— OrioniB . . .
27.2 — 6 7
11.8
16.0
—
1903
Wolf
— Orionia . . .
27.3 — 7 88
18.8
14.0
—
1903
Wolf
— Orionii . . .
27.8 — 7 89
13.6
<1*
—
1903
Wolf
— Orionia . . .
28 6 — 6 16
18.8
16.0
—
1903
Wolf
— Oriooia . . .
29.0 — 4 62
13 0
16.2
1903
Wolf
— Orionia . . .
29.4| — 6 40
13 0
16.0
—
1903
Wolf
— Orionia . . .
29.9; — 4 44
12.6
14.0
1903
Wolf
— Orionia . . .
30.0 — 6 61
12.6
14 0
1903
Wolf
— Orionifl . . .
80.3 — 6 60
12.0
14.6
-^
1903
Wolf
— Orionia . . .
80.8 — 4 60
12 7
<1*
—
1903
Wolf
— Orionifl . . .
80.4 — 6 89
12.3
<1*
—
1903
Wolf
— Orionia . . .
80 7 — 6 49
12.6
<1*
—
1908
Wolf
— Orionifl . . .
6 81.0 — 4 61
12.8
<16
—
1903
WoU
— Orionia . . .
81.0
— 6 66
12.6
16.0
—
1903
Wolf
— Orionia . . .
31.2
— 6 46
126
<1*
—
1908
Wolf
— OrioniB . . .
32.8
— 8 86
18 0
14.0
—
1908
Wolf
— Orionia . . .
38.6
— 719
13 6
160
—
1908
Wolf
— Orionia . . .
84 6
— 4 67
126
18.2
—
1903
Wolf
— Orionia . . .
86.7
— 6 29
13.2
14.0
—
1903
Wolf
— Orionifl . . .
86 0
— 8 9
130
16.0
—
1903
Wolf
— Orionifl . . .
36 0
— 8 8
12.8
18.9
—
1903
Wolf
— Orionifl . . .
36.6
— 411
9.8
<16
—
1903
Wolf
— Tauri ....
46.8
"
-16 68
—
—
1903
Fleming
— Oeminomm
619.8
-19 86
—
—
—
1903
Graff
Nova Oeminorum
378 H
-80 3
60
?
—
1903
Turner
RSGeminorum .
66.2 -
-80 40
9.6
11
116?
1908
L Ceraaki
ZGeminomm . .
7 1.6 -
-22 41
9.6
12
—
1908
Graff
RRMonocerotifl .
12.4 -
- 117
93
<16
S36f
1908
L. Ceraaki
RR Oeminorum .
16.2^ -
-31 4
10
11.6
0.8+
1903
L. Ceraaki
— Caniß Majoria .
17.3^
— 2616
8.7
10.2
1903
de Sitter
Y Camelopardali .
27 6
+ 7617
9.6
<11
s7+
1908
L. Ceraaki
— Puppifl . . .
8 218
— 39 48
—
1903
de Sitter
— Gentauri . . .
18 7.6
— 66 26
—
1903
Brealin
TUrsaeMinorifl .
82.6
+ 73 66
+ 48 47
9
<13
823?
1908
L.Cera8ki
ST Hercuiia . .
16 47.8
7.4
8.1
R
1903
M. and K.
— Normae . . .
16 26.6
— 46 43
8.8
10.0
1908
de Sitter
S U HeronliR . .
17 44.7
+ 22 84
10
<12
—
1908
L. Ceraaki
- Sagittarii . .
48.2
— 24 49
98
<10.6
—
1903
de Sitter
— Sagittarii . .
17 67.2
— 24 30
11.2
13.8
—
1908
Wolf
— Lyrae . . .
18 87.6
H
-28 43
—
—
—
1908
Fleming
RZ Lyrae
89.9 -
-82 42
9.9
11.2
0.6+
1998
Williama
RY Lyrae
41.2 -
-84 34
10
12
848?
1908
WiUiama
RX Lyrae
60.4 1 -
-82 42
11
<16
260
1903
Seeliger
— Lyrae .
1910.4; -
-46 49
9.2
10 3
—
1903
Anderson
— Aquilae
27.8 -
-1019
11.6
16
1903
Wolf
— Aquilae
80.4
H
- 72
12.6
14
—
1903
Wolf
Fixsterne.
61
B. A.
Jahr der
Name
1900
Dekl. 1900
Max.
Min.
Periode
Bnt-
Entdecker
deoknng
ih m
0 t
d
— Aquilae . . .
33.2
+ 12 42
13
<u
1903
Wolf
— Aqullae .
84.0
-1-12 33
11.0
14 6
—
1003
Wolf
— Aquilae .
34.3
-
-11 1
13
<H
—
1903
Wolf
— Aquilae .
36.4
-
- 7 40
11.6
14
1903
Wolf
>- Aquilae .
38.1
-
-1312
12.0
14.6
—
1903
Wolf
— Aquilae .
40.4
H
- 8 22
11.0
<16
—
1903
Wolf
— Aquilae .
41.8
_
-1013
13.6
<16
—
1903
Wolf
— Aquilae .
41.9
-
-10 33
14
<16
—
1903
Wolf
— Aquilae .
42 4
H
- 714
11.6
13.6
1903
Wolf
— Aquilae .
42.6 -
-12 22
11.6
<16
—
1903
Wolf
— Aquilae .
42.8; -
- 917
12.0
<16
—
1903
Wolf
— Aquilae .
19 43.7
-
-1147
10 0
12.0
1903
Wolf
— Aquilae . .
44.6
-
-1214
11.0
13
1903
Wolf
— Aquilae . .
46.0
-
-12 8
11.6
14
—
1903
Wolf
— Aquilae . .
46.3
-
-12 34
11
<1*
—
1903
Wolf
— Aquilae . .
48.7
-
- 9 61
12
14
1903
Wolf
— Aquilae . .
49.0
-
-10 4
12
13
1903
Wolf
— Aquilae . .
49.1
-
- 9 27
11
13
1903
Wolf
— Aquilae . .
49.4
.
- 7 24
11.6
12.6
1903
Wolf
— Aquilae . .
49.5
H- 7 46
13
<14
—
1903
Wolf
VWCygni . .
2011.4
+ 34 12
9.8
11.8
8.4-f
1903
Williams
— Caprioorni .
13.3
— 1610
—
—
—
1903
Fleming
— Cygnl . . .
14.8
-|
-37 8
—
—
—
1903
Wolf
VXCygni . .
63.6
-
-39 48
9
10
20
1903
WilUama
— Cygni . . .
21 0.4
>
-39 36
8.8
9.6
7.8+
1903
Williams
— Pegaai . .
2311.8
-
-10 4
__
—
1903
Fleming
— Ceti . . .
64.6
—
-26 0
9.7
<11.6
—
1903
de Sitter
Zu dieser Ergänzung ist folgendes zu bemerken: Der Stern
ITrsae minoris in AB Ih 22.6m D + 88° W ist der Begleiter des
Polarsternes. Seine Veränderlichkeit ist neuerdings wieder zweifel-
haft geworden. Der Stern Oeminorum AB 6h 19.8m D + lO"" 31' ist in
der Bonner Durchmusterung enthalten, aber vielleicht nur irrtümlich.
Er fehlt am Himmel.
Veränderliche Sterne in den llagellanischen Wolken. Das von
Prof. Pickering gegebene ^) Verzeichnis der veränderlichen Sterne in
der kleinen Magellanischen Wolke ist folgendes:
Nr. [r.A.1900
Dekl. 1900
Max.
Min. ,| Nr. ; R.A.1900
Dekl. 1900
Max.
1 Min.
h m
0 '
||
h m
0 '
1
0 9.6
— 73 11
11.8
13.4 ' 30
0 62.4
— 73 44
13.6
149
2
0 18.9
— 72 40
11.4
13.3 1 31
0 63.6
— 71 48
13.4
14.3
3
0 20.2
— 72 27
11.6
12.4 ! 32
0 64.6
— 72 67
12.6
13.2
4
0 20.2
— 72 38
11.7
12.3
33 1 0 54.9
— 72 19
14.0
14.9
5
0 20.7
— 72 36
11.4
12.4 1
34 1 0 66.0
— 72 58
13.8
16.0
6
0 24.4
— 72 44
11.9
12.6 1
35 0 55.1
— 72 69
12.9
14.6
7
0 33.6
— 74 31
13.9
14.7
36 0 65.4
— 72 27
14.0
14.9
8
0 34.7
— 74 30
13.8
14.7 i
37
0 56.4
— 73 26
13.1
14.0
^) Harvard Obaervatory Circular Nr. 79.
62
Fixitemo.
Nr. BA.1900
Dekl. 1900
Max.
Min.
"nT
B.A.1900
D«kl. 1900
Max
Min.
'K
m
0
j
T
m
0
,
9
0
36.4
-72
34
12.0
13.2
38
0
66.6
— 73
69
13.9
14.6
10
0
36.7
— 74
14
13.0
14.4
39
0
67.7
— 72
44
11.8
13.4
11
0
37.1
— 74
16
12.0
13.7
40
0
67.8
— 72
42
14.5
15.0
12
0
37.6
— 71
10
13.6
14.4
41
0
68.4
— 70
34
10.8
<14.5
13
0
38.0
— 74
17
10.8
12.1
42
0
69.4
— 72
31
13.7
15.2
14
0
38.3
— 74
6
13.0
13.8
43
0.7
— 73
7
13.4
14.9
15
0
40.1
— 74
10
12.1
13.3
44
2.6
-72
56
13.7
14.5
16
0
43.3
— 73
16
11.1
12.0
46
2.7
— 74
11
13.4
14JZ
17
0
44.8
— 73
0
12.6
13.7
46
3.8
— 73
48
11.9
13.2
18
0
46.6
— 73
66
13.6
14.3
47
4.4
— 73
45
12.0
12.9
10
0
46.9
— 73
3
12.7
13.9
48
4.8
-72
3
12.9
13.7
20
0
46.4
— 73
46
13.6
16 0
49
6.0
— 74
16
12.9
13.5
21
0
46.8
— 73
18
11.1
12.1
60
5.8
— 72
35
13.4
14.7
22
0
47.2
— 74
6
14.2
16.0
61
7.6
-73
8
13.3
14.3
23
0
47.7
— 74
8
14.4
16.0
52
7.9
— 77
23
11.0
ia4
24
0
47.8
— 73
11
12.3
13.6
63
10.4
— 73
3
13.4
14.3
26
0
49.3
— 70
26
9.4
14.3
64
10.8
-72
13
12.9
14.7
26
0
60.3
— 72
49
11.1
12.0
65
26.1
— 74
18
11.2
12.0
27
0
60.7
— 73
10
13.2
13.9
66
32.0
— 75
43
11.0
12.5
28
0
62.4
— 72
6
12.8
13.7
67
38.9
— 75
1
11.6
12.5
29
0
62.4
-72
31
11.7
12.8
Folgendes ist das von Prof. Pickering gegebene
der neu entdeckten Veränderlichen in der großen'
sehen Wolke:
le^) Verzeichnis
Magellani -
Nr.
E.A.1900
Dekl.
1900
|M«r
Min. ||Nr.
B.A.1900
Dekl. 1900
Max.
Min.
1
m
66.2
-6^7
3is
13.9
II 1^
14.8 , 24 ' 5
m
6.8
-S8
»
48
13.7
14.8
2
55.4
-71
4
12.7
14.7 25 5
7.1
-68
33
14.4
15.0
3
56.8
— 70
25
14.3
15.0 26 6
7.2
-70
66
13.7
15.0
4
67.1
-69
31
13.0
13.7 1 27 6
7.3
-68
44
14.3
15.0
6
67.3
-67
31
14.0
14.9 ! 28 5
7.4
-69
1
13.0
14.7
6
67.6
-68
8
13.8
14.7 ^ 29 5
7.7
-70
10
12.2
13.6
7
68.6
-70
7
12.8
14.5 ;, 30 i 6
8.4
-69
22
13.9
14.9
8
58.8
-69
36
12.8
14.7 : 31 : 5
8.6
-70
34
13.0
13.8
9
69.2
-67
62
13.9
14.9 . 32 5
8.7
-70
47
13.7
14.8
10
59.6
— 70
29
13.3
14.8 33 6
8.8
-68
54
12.2
14.4
11
6
0.3
-69
36
12.0
14.0 1 34 i 5
9.8
— 68
52
13.6
15.0
12
6
0.6
— 68
36
11.7
13.9 ' 36 j 5
9.9
— 69
2
13.9
15.0
13
6
1.9
-68
14
11.4
16.5 1 36 6
10.4
-67
58
13.8
14.1
14
6
2.3
-69
3
13.0
14.0 i 37 6
10.6
— 69
7
14.4
14.9
16
5
2.9
— 66
22
12.8
14.2 1 38 ' 5
10.5
— 70
34
12.6
13.7
16
6
2.9
-69
41
13.8
14.9 ,1 39 6
10.6
-68
48
14.3
15.0
17
6
4.3
-67
24
12.7
14.8 i 40 5
11.2
— 69
16
13.3
14.6
18
6
4.3
-69
4
13.1
14.7 H 41 5
14.6 , 42 6
11.4
— 68
14
13.9
14.4
19
6
4.6
-69
14
14.0
12.6
-69
13
14.1
(14.8
20
6
4.7
-69
10
13.0
15.0 1 43 5
13.4
-69
13
14.4
[15.0
21
6
4.8
-68
62
13.8
14.5
44 6
14.9
— 69
19
14.2
14.7
22
6
6.6
-69
15
13.4
14.91
46 6
16.0
-67
34
13.6
14.8
23
6
6.7
-70
42
14.0
|15.0
46
6
15.9
— 69
20
14.6
15.0
1) Harvard Obeervatory Oircular Nr
Fixsterne.
63
Nr.
|B.A.1900
Dekl. 1900
Max.
Min.
Nr. |B.A.1900
DekL 1900 1 Max.
Min.
TT
m
0
f
h
m
0
1
47
6
16.0
-69
11
14.3
16.1
100 6
28.4
-67
8
13.9
147
48
6
16.1
— 70
14
13.9
16.0
101 6
28.4
— 69
66
14.2
147
49
6
16.3
— 69
22
14.4
16.0
102 6
28.8
-70
6
13.2
148
50
6
16.4
-69
10
14.3
149
103 6
29.0
— 69
63
14.1
16.0
61
6
16.6
-69
34
14.2
16.01
104 6
29.6
— 69
46
14.4
<16.6
62
6
17.0
-69
39
14.3
14.91
106 6
29.6
— 69
46
14.8
16.2
53 6
17.0
— 70
42
13.0
140
106 6
29.6
— 69
46
14.8
<16.6
54- 6
17.2
-69
60
14.7
16.3
107,6
29.6
— 70
2
13.8
16.0
66 \ 6
17.4
— 70
24
14.6
16.1
108 6
29.8
— 69
66
14.1
16.1
66 6
17.6
— 69
26
14.4
16.1
109 6
30.2
— 67
37
14.4
16.0
57 6
17.9
— 70
62
13.6
14.6
110 6
30.2
— 69
60
14.1
149
58 6
18.7
— 67
19
12.9
140
111*6
30.5
— 69
13
13.8
141
50 6
19.3
-68
20
14.1
14.7,
112 6
30.6
-70
18
147
16.2
60 5
19.4
— 70
62
144
16.0
113; 6
31.0
— 69
31
13.3
14.2
61 6
19.9
— 69
42
13.6
14.6'
114 6
31.0
— 69
67
140
16.0
62 6
20.6
— 69
16
14.0
14.9 116 6
31.2
— 67
30
13.1
14.3
63 5
20.6
— 68
2
14.2
14.7
116 6
31.3
-70
9
14.6
16.2
64, 6
20.8
— 68
10
14.2
1461
117.6
31.3
— 70
42
144
16.1
66
6
20.9
-69
42
141
14.9 1118 6
31.4
— 70
1
141
16.2
66
6
21.3
— 70
8
14.3
16.1 ! 119 6
31.6
— 66
34
12.4
142
67
5
21.7
— 69
9
12.9
14.0:
120,6
31.6
-70
2
146
14.8
68
6
21.8
— 69
64
13.9
16.0
12116
31.6
— 70
10
144
16.1
69
6
22.8
— 69
3
14.2
16.0
122" 6
31.7
— 70
0
148
16.2
70
6
22.9
— 69
28
14.8
16.1; 123, 6
32.2
— 70
9
147
16.1
71
6
22.9
— 70
16
146
16.2
124 6
32.7
— 70
0
147
16.2
72
6
23.0
-69
4
14.4
16.1
126 6
33.1
-67
69
13.1
141
73
6
23.1
-69
4
14.3
16.0
126 6
33.4
-68
16
13.6
14.8
74
6
23.6
-70
41
14.7
16.4 i 1271 6
34.3
-67
41
13.7
147
76
6
23.6
— 69
43
14.2
148
128 6
34.6
-67
63
13.6
14.4
76
6
24.2
-69
69
13.9
148
129 6
34.6
— 68
3
14.0
148
77
6
24.6
— 70
6
14.7
16.2
130 6
36.6
— 67
48
13.6
14.2
78
6
26.1
— 68
16
14.9
16.3,
131
6
36.9
-66
46
12.2
13.8
79
6
26.1
— 69
64
143
149!
132
6
36.1
— 68
36
12.3
13.4
80
6
26.2
— 68
17
14.8
16.2
133 6
36.2
— 67
0
13.8
148
81
6
26.4
— 69
18
14.1
16.0
134 6
36.8
— 68
63
13.0
146
82
5
26.4
— 67
44
11.7
12.8
136 6
38.1
— 69
32
13.4
148
83
6
26.6
— 70
1
143
16.0
136 6
38.6
— 68
8
13.9
149
84
6
26.0
— 67
26
12.8
146
137' 6
38.6
-70
19
14.6
16.0
85
6
26.3
— 69
49
14.8
16.1
138 i 6
38.7
— 70
18
14.9
16.2
86
6
26.4
— 69
10
13.8
148
139! 6
39.0
-70
6
144
16.1
87
6
26.8
— 69
69
143
14.9 140,6
40.0
— 70
22
14.2
16.1
88
6
26.9
— 69
66
146
16.1 141! 6
40.0
— 70
42
14.4
16.2
89
6
27.2
— 69
41
13.9
16.0 ' 142:6
40.3
— 67
63
13.2
14.2
00
6
27.2
— 69
63
148
16.2, 143! 6
40.4
— 70
23
14.6
16.0
Ol
6
27.4
— 69
48
144
14.9 14416
40.6
— 69
6
14.0
146
92
5
27.6
— 66
68
13.0
14.1, 146, 6
40.7
-70
24
14.6
16.1
93
6
27.7
— 67
21
13.8
<16.6, 14616
14.8'! 1471 6
41.7
-69
21
144
149
94
6
28.0
— 69
66
143
43.7
— 66
62
146
16.0
96
6
28.0
— 71
16
13.8
<16.2;148;6
44.0
-70
10
13.9
147
96. 5
28.1
— 70
24
149
16.3 1 149 6
44.3
— 68
43
142
14.7
97 6
28.1
— 69
66
143
14.8 1; 160 6
46.3
-69
34
14.6
16.1
98 6
28.1
— 68
28
13.8
14.4:161 6
46.3
— 69
16
14.4
149
99j
6
28.3
— 69
48
14.7
16.1
162
•
47.2
-68
12
13.2
144
54 Fixfterne.
Der liehtweelisel von d Cephei ist von S. Beliawsky unteisucht
worden ^) auf Grund von Beobachtungen, die Prof. S. P. v. Glaaenapp
1896 bis 1902 nach der Methode der StufenBchätzungen über diesen
Veränderlichen angestellt hat. Es ergab sich, daß die Lichtkurve des
Sternes Abweichungen von dem regulären Umlaufe zeigt, die nicht
recht durch Beobachtungsfehler zu erklären sind. Schon Schoenfeld
und Wilsing hatten ähnliche Wahrnehmungen gemacht. Nach doi
obigen Untersuchungen ist der Stern im Maximum 3.57, im Minimum
4.37 Größe, und die Zwischenzeit zwischen beiden beträgt Id 11.184il
Die Dauer der Periode beträgt 5d 8h 47m 38.697i, oder 1.277» weniger
als nach Argelanders Bestimmung.
Der Lichtwechsel des Granatsternes fi GepheL Dieser Stern
4. Größe in A. R = 21h 40m 27» D. = + 68^ 19.3 (für 1900.0) hat von W.
Herschel wegen seiner roten Farbe den auszeichnenden Beinamen er-
halten. Vermutungen über eine Veränderlichkeit seiner Helligkeit
sind schon früher ausgesprochen worden. Eine genauere Unter-
suchung des Sternes nach dieser Richtung hin hat nunmehr Dr. J. PUB-
mann ausgeführt. Gerade wegen der roten Färbung ist der Stern
immer als ein schwieriges photometrisches Objekt angesehen worden.
Der Lichtwechsel solcher Sterne kann nur bei anhaltender, eifrige
Verfolgung das Gesetzmäßige allmählich erkennen lassen. Da
Dr. Plaßmann bereits im Jahre 1896 durch die Diskussion seiner
eigenen, damals 569 Beobachtungen umfassenden Reihe von dem
Bestehen einer kleinen, aber deutlichen kurzperiodischen Schwankung
Kenntnis erhielt, neben welcher größere säkulare Änderungen einher-
gehen, hat er die Argelanderschen Beobachtungen in derselben Weise
berechnet und auch hier die Schwankung nachweisen können; ferner
tritt sie in der Beobachtungsreihe von Julius Schmidt, der längsten
von allen, deutlich zutage, und Plaßmanns fortgesetzte Beobach-
tungen, die die eigene Reihe nahezu auf die doppelte Länge der frühem
Vorlage ausgedehnt haben, lassen das Fortbestehen des Gesetzes
erkennen. KJeinere Reihen und zerstreute Beobachtungen von Heis,
Gore, Hartwig, v. Stempell u. a. bestätigen mehr oder weniger gut
die aus den großem gezogenen Ergebnisse.
1. Die größte in den 50er, 60er und 70er Jahren von Argelander
festgestellte Helligkeit des Granatstemes beträgt etwa 3.7, die
kleinste 4.7 Größenklasse der Potsdamer Skala. Für die Zeit von
1871 bis 1888 ist sie nicht zu ermitteln, weil die Beobachtungsleihe
von Schmidt für die Ableitung absoluter Helligkeiten nicht brauchbar
ist. Li der Zeit von 1888 bis 1903 hat die Helligkeit sehr nahe die-
selben Extreme gehabt wie bei Argelander; das folgt aus des Ver-
fassers Beobachtungsreihe unter Berücksichtigung des systematischen
Fehlers in der Rotauffassung.
^) Afitron. Nachr. Nr. 3961.
Fixsterne. 65
2. Es besteht ein Lichtwechsel von langer Periode, die zu Arge-
landeis Zeiten 400 bis 460 Tage betrug, nun aber auf etwa 1000 Tage
angewachsen ist. Die AmpHtude dieses Wechsels betrug damals und
heute etwa eine halbe Größenklasse. Da die Maxima verschiedene
Höhen erreichen, und zwar vermutlich in Abhängigkeit von einer
großem Periode, wächst die Schwankung im ganzen auf eine volle
Klasse an.
3. Neben den großen Perioden besteht eine kleinere, die um 1860
etwa 82d betragen hat, von 1872 bis 1876 etwa d3d mit progressiver
Verlängerung, von 1888 bis 1903 recht genau 91. 5d. Dire Amplitude
ist von der Größenordnung der photometrischen Stufe. Zur Zeit, wo
Schmidt beobachtete, und auch heute, scheinen zwei oder mehr
Wellenreihen dieser Schwankung zu bestehen, von denen bald diese,
bald jene deutlicher erkennbar ist. Die kleinen Variationen hängen
nach Amplitude und Epoche von den großen ab, und die Abhängig-
keit ist nicht einfach epizyklisch zu erklären.
4. Die Rotauffassung geübter Beobachter zeigt auch beim Granat-
steme ziemlich konstante systematische Unterschiede; es wird daher
unter gehörigen Vorsichtsmaßregeln erlaubt sein, gleichzeitig ent-
standene größere Beobachtungsreihen solcher zur Kurvenziehung zu
kombinieren. Die Botauffassung ungeübter Beobachter unterliegt
systematischen Schwankungen, die aber den wahren Lichtwechsel
des Granatstemes nicht ganz verdecken.
Neben fortlaufenden Beobachtungen der Helligkeit nach Arge-
Janders Methode hält Plaßmann mit Recht eine genaue spektnüe
Untersuchung des Sternes für wichtig.
Der Verftnderllehe X Aurigae, den Dr. Anderson auf Grund seiner
Beobachtungen von April bis Mai 1900 als solchen erkannte, ist be-
züglich seines Lichtwechsels, der sehr merkwürdig erscheint, von
Dr. K. Graff genauer verfolgt worden. ^) Der Ort des Sternes am
Himmel ist für (1855.0)
AR=6hOm54fD=-H50** 15.1'.
Die Beobachtungen von Dr. Graff erstrecken sich über den Zeit-
raum 1902 Februar 26 bis 1903 September 19, während dessen die
Helligkeit des Veränderlichen zwischen 8.5 und 12.3 Größe schwankte.
Die Dauer der Lichtwechselperiode fand sich zu 161 Tagen mit einem
Minimum 1902 Oktober 6. Die Lichtkurve des Sternes hat große
Ähnlichkeit mit derjenigen des Veränderlichen W Ursae majoris. Bei
X Aurigae erfolgt die Zunahme des Lichtes schneller als die Abnahme
(etwa 68 : 93 Tage), während bei W Ursae majoris das Umgekehrte
der Fall ist. Sonst sind die Hauptmerkmale der Veränderiichkeit:
ein fast ununterbrochener Lichtwechsel, die ungewöhnlich kurze
Dauer des Minimums, sowie die langsame Hellig^eitsänderung im
1) Astron. Naohr. Nr. 3925.
Klein, Jahrbnoh XV.
66 Fborttra«.
Maximum, beiilen Sternen gemeinaam. Aus Angaben PickeiingB
geht herror, daB auch der orsprünglich dem Algoltypus zugezahlte
Verandeiliche 8 Aniliae eine ähnliche Lichtkurve besitzt wie W Ursae
majoris und X Aurigae. „Von den beiden andern Veränderlichen/*
bemerkt Dr. Oraff, „unterscheidet sich der letztere durch die lange
Dauer der Periode und durch seine intensive gelbe Farbe. Die Er-
klärung seines Lichtwechsels auf Grund der ZöllnerBchen Hypothese,
deren Annahme in den beiden andern Fällen wegen der unauffälligen
Farbe von 8 Antliae und W Ursae majoris unzulässig ist, würde daher
hier auf keinerlei Schwierigkeiten stoßen. Es wäre jedoch müßig,
schon jetzt Erklärungsversuchen für den eigenartigen Lichtwechsel
der VeränderUchen von dem oben erörterten Typus nachzugehen,
bevor man sich darüber Gewißheit verschafft hat, daß diese neue Art
von Veränderlichen auch tatsächlich von einheitlichen Gesichts-
punkten aus betrachtet und behandelt werden darf.**
Der Uehtwechsel des Verftnderliehen V Ursae majoris ist von
Dr. K. Graft untersucht worden. ^) Er findet aus der von ihm er-
mittelten Lichtkurve zwischen 1902 Dezember 11 und 1903 Oktober 7,
daß der Stern bis Anfang März eine konstante Helligkeit besaß, um
nach Abnahme derselben um eine Größenklasse Anfang Juni wieder
die ursprüngliche Helligkeit anzunehmen. Eine weitere Lichtabnahme
machte sich erst wieder nach Mitte September bemerkbar. Das
gleichmäßige Leuchten des Sternes wird somit von einem rund
98 Tage dauernden Lichtwechsel unterbrochen, so daß man den Ver-
änderlichen den Algolstemen zuzählen könnte. „In bezug auf die
Länge der Periode übertrifft der neue Algolveränderliche V Ursae
majoris die längste bis jetzt bekannte (UZ Cygni mit 31d) um mehr als
das Sechsfache. Weit merkwürdiger ist die Tatsache, daß der eigent-
liche Lichtwechsel fast die Hälfte der ganzen Periode beansprucht,
und daß diese Erscheinung bei der übUchen Deutung der Helligkeits-
änderungen der Algolsteme durch ein Doppelstemsystem eine un-
gewöhnlich geringe Distanz der Komponenten voraussetzen würde.
Da der Stern weiß, höchstens gelblichweiß ist, so kann auch anderseits
die Rotation eines zum Teil mit einem Erstarrungsprodukte bedeckten,
selbstleuchtenden Körpers hier kaum zur Erklärung des Lichtwechsels
herangezogen werden.**
Bin Zwisehenminimum des langperlodisehen Veränderllehen
UZ Cygnl hat Ernst Hartwig beobachtet.*) Der Veränderiiche gehört
zum Typus der Algolsteme, und seine Periode ist die längste unter
den bekannten dieses T3rpu6, nämlich 31.4 Tage, auch der Licht-
wechsel erheblich, indem er 2.7 Größenklassen beträgt. Dr. Hartwig
1) Astron. Nachr. Nr 3041.
») Astron. Nachr. Nr. 3944.
Fixsterne. 67
fand 1004 April 3 früh morgens, daß der Stern ein Zwischenminimum
von einer kaum mehr ab 0.4 Größenklasse betragenden Schwächung
des gewöhnlichen Maximallichtes zeigte. Am 4. und 5. April war der
Stern wieder in seinem größten Lichte. Eine ähnliche Erscheinung
hat Dr. Hartwig am 23. März 1903 beobachtet. Derselbe Beobachter
bemerkt, daß dieser Lichtwechsel nu)ht durch den Umlauf eins Tra-
banten erklärt werden könne. „Dagegen'', sagt er, „scheint die birnen-
förmige Poincar6sche Gleichgewichtsfigur den Lichtwechsel dieses
schon wegen der langen Periode außerordentUch interessanten Algol-
stemee darstellen zu können. Der Durchmesser des Teiles beim
Stiele müßte zu dem des abgestumpften Teiles das Verhältnis 0.06 : 1,
die Längsachse zur Querachse etwa das Verhältnis 1.7 : 1 haben, und
das Stielende relativ dunkel gegen die HeUigkeit der übrigen Ober-
fläche sein.
Jedenfalls scheint nach den bis jetzt bekannten Lichtverhalt-
nissen kein getrenntes Doppelstemsystem in diesem bisher als Algol-
stem angesehenen VeränderUchen vorzuliegen, sondern ähnhch wie
beim ß Lyratypus die Rotation einer Art ungetrennten Doppel-
körpers die Ursache des Lichtwechsels zu bilden, deren Dauer wenig
größer als die der Rotation der Sonne ist.'*
Benennungen von neu entdeckten verftnderlichen Sternen hat
die von der astronomischen Gesellschaft zur Herstellung eines
Normalkataloges der Veränderlichen eingesetzte Kommission bei
den in den letzten Jahren neu entdeckten Sternen dieser Klasse
vorgenommen. ^) Die Kommission ist bei der Benennung sehr
vorsichtig verfahren; sie hält es für richtiger, die nicht vollkommen
gesicherten Sterne noch etwas länger zurückzustellen als sie vor-
zeitig in das Verzeichnis der bekannten VeränderUchen einzureihen,
auf die Gefahr hin , sie später vielleicht wieder daraus entfernen
zu müssen. Die zahlreichen Veränderlichen, welche gruppenweise
vor einiger Zeit im Orionnebel, in den Magellanischen Wolken und
an einigen andern Stellen am Himmel entdeckt worden sind,
sollen nicht in der gewöhnlichen Weise mit Buchstaben benannt,
sondern in Gruppen zusanmiengefaßt und innerhalb der einzelnen
Gruppen mit fortlaufenden Nummern versehen werden, ähnlich
wie es bei een Veränderlichen in den Sternhaufen beabsichtigt ist.
Die Anordnung in dem folgenden Verzeichnisse ist dieselbe, wie
in den früher von der Kommission veröffentUchten Benennungs-
listen. Am Schlüsse des Verzeichnisses sind noch kurze Bemerkungen
hinzugefügt, welche alles wesentliche enthalten, was bisher über
die einzelnen Objekte bekannt geworden ist, die aber hier fort-
bleiben. In der letzten Spalte bedeutet v, daß die HelUgkeit für
das Auge gilt, ph, daß es sich um photometriscbe Größen handelt.
t) Astion. Nachr. Nr. 3984.
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70 FfzsteriM.
Eine spektrographisehe Studie Ober ß Lyne veröffentlichte W. Ski-
greaves S. J. ^) Er betont in derselben, daß, je langer das Spektrom
dieses Steines studiert wird, um so deutlicher die Notwendigkeit er-
scheine, die photographischen Auibahmen zu verm^iren. Nach
seiner Ansicht muß ein entsprechend eingerichteter Telespektrograph
so häufig zu diesen Beobachtungen angewandt weiden, bis für jeden
Tag des Lichtwechsels von ß Lyrae eine Reihe von Aufnahmen zum
Vergleiche untereinander vorhegen. Es scheint, daß auf der Ober-
flache dieses Sternes temporare Störungen vorkommen, ahnlich den-
jenigen auf unserer Sonne, wodureh die Wasserstofflinien distoidiert
werden.
Helligkeitsbeobaehtangen der Nova Penei hat M. Esch S. J. in
der Zeit von 1901 JuU 8 bis 1902 März 2 durch Stufenschatcungen
gegen benachbarte Sterne angestellt.') Die Nova war anfangs noch
6.3 Große, sank dann aber im zweiten Drittel des März 1902 zur
9. Größe herab.
Eine neue Deutung dw Spdrtra der neuen Steine gab Prof.
G. Ebert.
Die BpektzoBkopiBohenUntersachungen des Lichtes der neuen Steine haben
bekanntlich ergeben, daß in diesen Spektren die hellen Linien gegen das rote,
die dunkeln gegen das violette Ende des Sp^ctrums venchoben ermmeinen. Die
Deutung dieser stets wiederkehrenden llrscheinung hat nicht nur die anfiüig-
liche ^^these eines Zusammenstoßes zweier mit entgegengesetzten Be-
wegnngsrichtungen ven^ener Weltkörpra EurückffeechobOT, sondern über-
haupt Schwierigkeiten gemacht, die noch nicht gäoben sind Sie werden
dieses erst auf Grund umfassender Versuche im physikalischen Laboratorium,
zu denen man in der Tat übergegangen ist über solche Versuche hat Dr.
H. Ebert bereits vor zwei Jahren der l&gl. bayerischen Akademie berichtet^ und
derselbe gibt jetzt eine Darstellungi die sich auf diese und ähnliche Versuche
stützt und gleichzeitig die von Prof. v. Seeliger aufgestellte Hypothese über
das Wesen Ser neuen Sterne bestätigt. Aus der Abhandlung von Dr. Ebert ist
nachstehend das wesentliche mitgeteilt
f,Zu den eigentümlichsten Phänomenen der gesamten Astrospektralana-
lyse'S safft er, „gehören unzweifelhaft noch immer die Spektren der neuen
Sterne. Je mehr Einzelheiten die großen spektrophotogcapnischen HiKsmittel
der Neuzeit in diesen Spektren, namentlich in denen der Nova Auiigae und der
Nova Persei kennm gelehrt haben, um so weniger erscheinen dieselben mit-
einander vereinbar und durch einlache Annahmen erklärbar. Schon der Grund-
typus dieser Spektren, das aus hellen« gegen das Rot zu verschobenen Linien
und gleichzeitig damit auftretenden dunkeln, gegen das Violett hin ver-
schollenen Linien desselben Stoffes bestehende kombinierte Doppelspektrum,
schien nach dem Dopplerschen Prinzip das Vorhandensein von mindestens zwei
Weltkorpem zu fordern, von denen der eine sich mit großer Gieschwindig^ceit
von uns weg, der andere zu uns her bewegen mußte; warum der eine aber nur
durch Emissions-, der andere durch Absorptionslinien ausgezeichnet sein sollte,
bot wiederum der Erklärung große Schwierigkeiten. Als sich vollends heraus-
1) Monthly Notioes 1904. $4. 3. p. 168.
«) Astron. Nachr. Nr. 3943.
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^4&ben mit abgeflachten
auftretenden Spektral-
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^^^»^Cl^Drucksteigerungen und
,^iai(||uterungen zur Deutung
»••OUDt «00»
CiSg^^frWBften mich meine «genen
IScefSiWfSb^äe'^&nkenstrecke am Boden
l'l'^'ll^^'H^^^^'^^^^ Haltern von oben
^Ä-Bi- VHS ♦»öi^^9>^i|5HöSt'>fä^^el befestigte und diesem
gi:;y^Ce5^*<WlW#^:fi«i^*eine Spieffdglasscheibe
"'^M^^ttMl^Ü^l ZmCmtm^iMgC^ wurde aJso durchweg
'^^S^B^ftifi^s'laifÜJiSlas Licht auf- den bald
"^^^^^rlfi^'^^fS^^^C^vl^^^®^ bei den Versuchen
|tC^lQ^^i^^^^V*^&q^Qr<^it^ten ein Rohr angelötet,
rliriAi^NiSo^iS'^^^S'^S^^icati^ mit dem die
'^^3^fäiSi>>^C^^^3^föfieherst^^ Durch
"l^iilgk^^^^ili^^^s^Sssi^eitsniveau in dem
^••II^I^VW^^P^-^®^^^»« 2^ studieren,
mvf-m mvf-m •Vf-m mvf-m mvf-m a^» «vy»
^f-ä
72 Fizfteme.
während die Fnnkenbahn mehr oder weniger tief in die Flnwiglreit vecaenkt
war, oder die Flüeei^eiteoberfl&che eben berührte, oder endlich ganz anßeriialb
denriben Lag. Die Entladungen wurden durch eine große Töplersche Inflnenz-
maechine geliefert; vor die Funkenatrecke wurde ein Funkenmikrometer ge-
schaltet, duroh welches die EntladungBspannung immer auf dieselbe Höhe ein-
reguliert wurde. Das Ergebnis vieler Versuche mit dieser Anordnung war, dafi
Dnickwirkungen zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreichen.*'
Dr. Ebert greift daher auf ein anderes Erklärungsprinzip zurück, welches
die bei den Versuchen auftretenden enormen Linienveraohiebungen und ebenso
das Auftreten der charakteristischen Doppelspektren in ungezwungener Weise
deutet. Es ist die anomale Dispersion, welche gewisse absorbierende Medien auf
den Gang der Lichtstrahlen ausübcm^-und wel(£e W. H. Julius berdts wiederholt
zur Erklärung Ton Erscheinungen auf der Soime, besonders der Protuberanaen
mit Glück herbeigezogen hat. Ebert zeigt nun, dafi anomale Brecd&UQgen
des lichtes in absorbierenden Damj^üUen unter Umständen auch die Helhg^
keitsTorteilung im Spektrum in der Umgebung der Gebiete stärkster Absorption
sehr wesentlich beeiiälnssen, und zwar derart, daß das Spektrum so erscheint^
wie man es bei den neuen Stauen als t^misch festgestält hat Bei der An-
wendung auf die Phänomene der neuen Sterne gewinnt die vorgetragene An-
schauung deshalb noch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, wdl sie die unmittel-
bare Er^nzung und eine notwendige Konsequenz derjenigen Theorie darstellt»
welche seither sich dem genannten Phänomene gegenüber in allen übrigen
Punkten als am meisten stichhaltig erwiesen hat, nämlich der Seeligerschen
Theorie der neuen Sterne. Ebert erläutert dies in folgender Weise naher:
„H. V. Seeliger nimmt an, daß beim Aufleuchten eines neuen Sternes ein
an sich bereits dunkler oder nur schwach leuchtender kompakter Weltkörper
mit kosmischer Geschwindigkeit in eine an sich ebenfalls nicht oder nur schwach
leuchtende ausgedehnte Staubwolke hineinfihrt Fast täglich belehrt uns die
Himmelsphotographie, daß kosmische Staub- oder Nebelgebüde vid häufiger
im Welträume vorhanden sind, als man früher nur irgend geahnt hat. Ander-
seits hat besonders die Nova Persei die enge Beziehung der neuen Sterne zu
solchen Nebelgebilden auf das augenfälligste dargetan.
Bei den großen relativen Geschwindigkeiten zwischen Weltkörper und
Staubteilchen geffeneinander, muß sich der Körper an seiner Stirnseite ober-
flächlich stark erhitzen; aber auch die von ihm getroffenen und vor ihm ver-
dichteten Teile der Staubwolke müssen eine große Temperaturerhöhung er-
fahren, wie sie Seeliger a. a. 0. unter durchaus plausiblen Annahmen für einige
Fälle berechnet. Diesen Erhitzungen müssen Verdampfungen parallel gc^en.
Am ehesten und am reichlichsten werden diejenioen Substanzen verdampfen,
welche den niedrigst gelesenen Kondensationspuiuct besitzen, das sind HdUum
und Wasserstoff. Von cQesen muß zuerst eine dichte Hülle den Körper be-
gleiten, später kommen Metalldämpfe in reichlicherm Maße hinzu. Das Phä-
nomen stellt hiernach im Bereiche des Fixstemsystemes im Großen das dar,
was wir im Kleinen beim Aufleuchten eines Meteors in den hohem Schichten
unserer Erdatmosphäre beobachten. Auch hier müßten daher ähnliche Spektral-
erscheinungen zu finden sein wie bei den neuen Sternen, da die Ursachen der-
selben — nach unserer Auffassung die Lichtbrechungen in den Dampfhüllen —
wohl dem Grade, nicht aber der Art nach verschieden sind. Freilich sind sie
hier ungleich schwieriger zu beobachten und daher wohl auch noch nicht, soviel
mir wenigstens bekannt ist, beobachtet. Der Grund liegt in der großen Flüch-
tigkeit der Erscheinung; während die neuen Sterne oft über Jahresfrist hinaus
helleuchtende Objekte am Himmel darstellen, ist die Dauer selbst der hellsten
Boliden oder Feuerkugeln nur auf Sekunden beschränkt. Solange also, als
nicht einmal der ZufaU ein Meteor von genügender Helligkeit über die Platte
einer stemspektrographischen Aufnahme führt, muß diese Prüfung d^
Theorie abgewartet werden.
Verfolgen wir den Entwicklungsgang einer Nova etwas näher: Zunächst
Fixsterne. 73
t wird bei dem Eintreten des Körpers in die kosmische Staubwolke ein ziemlich
li plötzliches Aufleuchten am Himmd uns den Eintritt dieser Kollision anzeigen;
b: dieselbe ist, wie schon Seeliger hervorhob, unendlich yiel wahrscheinlicher als
3 die zweier Weltkörper gegeneinander oder auch nur die eines solchen Körpers
mit den Gliedern eines andern Sonnensystemes. Dabei wird sich im wesent-
lichen zunächst nur ein kontinuierliches Spektrum mit immer weiter ins Ultra-
violett sich erstreckendem Strahlenbereiche ergeben. Sehr bald müssen aber
in der Staubwolke Vergasungen der kleinen Partikeln eintreten; eine meLur und
mehr sich ausdehnende absorbierende Dampf hülle zunächst von Helium und
Wasserstoff, dann von Metallen, legt sich um den Körper. Die Anordnung der-
selben müssen wir uns ähnlich wie die der Verdichtnngswellen um ein mit
großer Geschwindigkeit durch die Luft fliegendes RundgMchoß vorstellen, wie
sie durch photographische Momentaufnahmen bei Funkenlicht vielfach veran-
Z schaulicht worden ist. Stellt in Fig. 1 W den in der Pfeilrichtung durch den
Nebel sich bewegenden Körper dar, so wird auf der in der Bewegungsrichtung
liegenden Kalotte 0, der Stirnseite, die maximale Lichtentwicklunfl stattfinden.
Außer in dem an sich nur wenig wahrscheinlichen Falle, daß der Körper genau
auf uns zukommt, werden wir diese hellste Partie C immer nur mehr oder
weniger schräg durch die Hülle verdichteter Gase und Dämpfe hindurch er-
* blicken. Steht also die Erde etwa in der Richtung £, so werden die in die
'^ Ügur 1 eingezeichneten Strahlen den lichtweg belehnen, den die von den
'' einzelnen Absorptionslinien eines bestimmten Stoffes, etwa des Wasserstoffes,
*' nach dem Rot zu gelegenen Spektralfarben nehmen. Selbst für den Fall, daß
^ der Beobachter hinter dem Sterne in der Richtung irgend einer der in der Figur
*^ angedeuteten Schichtfläohen selbst steht^ wird nodi ein ähnlicher Strahlen-
f sang resultieren. Denn ein von ihm gegen den Stern gezogen gedachter Strc^,
^ der in die tangentiale Trennungsfläche zweier Schichten eintritt, wird nach der
^ Seite der wamsenden Brechungsexponenten, im vorliegenden Falle also nach
•- innen hin gebogen. Umgekehrt werden die von den erhitzten Oberflächen-
^ Partien emittierten Strahlen durch die entsprechende Umbiegung in das Auge
* oes Beobachters gelangen.
^ Ganz anders liegt der Fall für die hohem Schwingungen, für welche die
äußersten Schichten die optisch dichtesten, die weiter nach innen gelegenen
^ aber solche mit immer kleinem Brechungsexponenten sind. Strahlen dieser
Art, die von E kommen, müssen in der Dampfhülle etwa den durch die ge-
I ' strichelten Linien angedeuteten Weg nehmen, für sie verdeckt also der kompakte
I Körper W selbst den größten Teil der an der Stirnfläche C sich entwickelnden
^ Leudiunrozesse. Sellwt in dem Falle, daß E der Bewegpingsrichtnng von W
* viel näher liegt, als in der Figur angenommen ist, werden die Strahlen, für die
^ der Brechunfflindex n orößer als I ist, mehr Licht dem Beobachter zuführen
( als die Strahlen mit solchen imter 1. In dem Spektram müssen also die Ab-
sorptionslinien derjeniffen Stoffe, aus denen die Hülle hauptsächlich zusammen-
^ sesetzt ist, stark nach dem Violett zu verbreitert erscheinen; ein dunkler
Schatten legt sich hier scheinbar über das dem ganzen zugrunde liegende kon-
tinnieriiche Spektrum; die Mitte der Linie ist stark nach dem Violett zu ver-
schoben. Nach dem Rot hin scheint dagegen dem hellen Hintergrunde ein noch
helleres Band aufgesetzt zu sein, dessen Litensität nach dem Rot hin sich all-
mählich verliert und nach dem Violett zu, also gegen die Absorptionslinie hin
scharf abfällt; die hellste Kante dieses Bandes liegt dem normalen Linienorte
sehr nahe mit einer nur geringen Verschiebung gegen das Rot hin. Die Hellig-
keit dieses Bandes kann fast so steil ansteigen wie die Dispersionskurve selbst.
Es kann für diese Strahlen mit einem n > 1 bei der Schichtung der Dampf-
hülle aber noch ein anderer Fall eintreten, der besonders im Auge zu behalten
ist, nämlich der, daß die Strahlen mit höchsten n- Werten überhaupt nicht aus-
treten« sondern total reflektiert werden. Hier wächst dann die Helli^eit nur
bis zu einem bestimmten maximalen Betrage, der für einen großem Wellen-
längenbereich etwa der gleiche bleibt; es entsteht ein breites helles Band von
'tf
74 Fixsterne.
nahoEU gleichmaßiger Intensität, welches gegen Violett su aoharf begrenzt ist,
sich gegen das Rot hin allmählich in der allgemeinen HeUe des kontinaier-
liehen Spektrums verliert. Die Mitten dieser Bander sind dann stark gegen
Rot zu verschoben.
Für alle diese im vorstehenden skizzierten Falle finden sich in der Liteiator
über die verschiedenen Novae zahlreiche Beispiele, die einzeln hier zu biegen,
zu weit führen würde.
Neben den verbreiterten, verwaschenen und staik verschobenen heUen
und dunkeln Linien, die wir uns in dieser Weise entstanden denken, können
natürlich auch schule und schmale eigentliche Emissions- und AbaorptionB-
linien auftreten, die teils von der Gashülle, teils von dem Weltkörper selbst
herrühren. Die aus diesen schmalen und aus den breiten Linien nach dem
Dopplersohen Prinzip hergeleiteten Bewegungsgesohwindigkeiten werden aber
im allgemeinen niemals identische Werte ergeben können.
Ein wesentlichervorteil der Seeligerschen Theorie liegt außer in ihrer großoi
Einfachheit und Natürlichkeit in der Ungeheuern FiUle von Einzelmögli«^-
keiten, welche sie zuläßt. Kommt der Weltkörper auf uns zu, haben wir vor
ihm also eine verhältnismäßig dünne Dampfschicht, so kann das kontinuier-
liche Spektrum und einzelne helle Linien vollkommen dominieren, die Linien-
verdopplung ist nur angedeutet. Bewegt er sich von uns weg, so sehen wir ihn
durch immer dicker werdende Dampfschichten hindurch, so daß die Linien-
verschiebung sich bis zu einem außerordentlichen Betrage stdgem kann. Es
kann dann ein sehr plötzlicher Wechsel eintreten, indem sich Damphnaseen
losreißen und zurückbleiben, ja es kann zu periodischen Aufhellungen kommen,
wie wir dies auch bei den Meteorerscheinungen in unserer Atmosphäre beob-
aditen; mit diesen AufheUungen können entsprechende periodische Ändeningen
im Spektrum parallel gehen.
Aber auch durch me verschiedenen Dichten der kosmischen Staubwolken
und Dichtevariationen innerhalb derselben Wolke längs der Bahn, in der sie
der Körper passiert, und dessen relativer Geschwindi^eit sind neue Möglich-
keiten der Einzelerscheinungen gegeben. Die Stellen relativer MazimalcSchte
einer solchen Wolke werden sich im allgemeinen auf einer Oberfläche doppelter
Krümmung vorfinden, so daß der Körper mehrere Gebiete eriiöhter Dichte-
werte nacheinander durchstoßen kann. Für uns lagern sich dann mehrere der
geschilderten Spektralerscheinungen übereinander. Daduroh erklären sich
sehr leicht die sekundären Intensitätsmaxima und -minima, welche sich den
verbreiterten hellen und dunkeln Linien in den Spektren der neuen Sterne
gelegentlich superponieren.
Hat der Weltkörper die Staubwolke verlassen, so kann seine Heiligst
verhältnismäßig sehr rasch wieder sinken, wenn es, wie hier angenommen,
wesentlich nur seine oberflächlichsten Schichten waren, die bei der Kollision
mit den Staubteilchen erhitzt wurden, eine Erscheinung, die ebenfalls für die
neuen Sterne sehr charakteristisch ist.
Auf eins soll noch hingewiesen werden, was die hier entwickelte Ansicht
von einer ganz andern Seite her stützt: die innige Beziehung der neuen Sterne
zu Nebelgebilden, wie sie namentlich bei der ^va Persei zutage getreten ist
und die entsprechende große V«*wandtschaft der Spektren der neuen Sterne
mit denen verschiedener NebeL
Auch auf eine Reihe von veränderlichen Sternen von kurzer Periode, in
deren Spektren periodische Linienverschiebungen vorkommen, kann die hier
auseinandergesetzte Vorstellung Anwendung finden. Ist die Lichteraission
eines Weltkörpers an verschiedenen Punkten seiner Oberfläche wesentlich ver-
schieden, und ist er von einer dichten Dampfatmosphäre umhüllt, so muß er bei
seiner Rotation einem fernen Beobachter ein in seiner Ausbildung wechselndes
Phänomen von der Art des geschilderten mit sdnen Linienverschiebungen und
Verdopplungen darbieten; die Periode desselben wird dann diejenige seiner
Achsendrehung sein. Wir bedürfen also in diesem Falle nicht unbedingt der
Fixsterne. 75
Annahme zweier Weltkörper, von denen aich der eine auf uns zu, der andere von
uns weg bewegt.
Es soll indessen durchaus nioht geleugnet werden, daß in allen den ge-
nannten Fällen daneben tatsachlich auch Idnienverschiebungen eine Rolle
spiel^ welche teils aus Bewegungen im Visionsradius nach dem Dopplersohen
Prinzip, teils aus Drucksteigerungen zuf(^ge der darüber bekannten Labo-
ratoriumserfahrungen resultieren. Durch das Vorstehende sollte hauptsachlich
gezeigt werden, daß neben Bewegung und Druck auch die anomalen Brechungen
bei der Deutung der Spektralerscheinungen cölestischer Objekte mit in Betracht
zu ziehen sind.
Baobaehtungen von 100 neu entdeekten Doppelsternen auf der
Lieksternwarte. W. J. Hussey veröffentlichte den siebenten Katalog
Ton Doppelatemen, die am 12- und 36-zölligen Refraktor, sowie bei ge«
I^^ntlicher Benutzung anderer großer Instrumente von ihm ent-
deckt worden sind. ^) Es sind sämtlich Paare, deren Hauptstem in
der Bonner Durchmusterung vorkommt und höchstens siebenter
Größe ist. Bei 47 Paaren betragt die Distanz weniger als 1^, bei
27 unter 0.5^. Unter ihnen befindet sich der Struvesche Doppel-
stem S 1718 (a = 13h Im 7b <$ » + bV 31.4'), dessen Hauptstem
neunter Größe von Hussey in zwei Sterne 9.5 und 10.6 Größe
zerlegt wurde, deren Distanz 0.34"^ beträgt.
Doppelstemmessungen am 40-zöiligen Refraktor der Terkes-
stemwarte. ') In den Jahren 1900 und 1901 hat S. W. Bumham eine
große Anzahl von Doppelstemmessungen ausgeführt, die sich auf
solche Paare bezogen, welche lange nicht beobachtet worden sind.
Dieselben gehören meist den Katalogen von Herschel und South an,
bezieben sich aber auch auf Doppelsteme, die in Cincinnati und
Cambridge (N.-A.) gefunden worden sind, auch einige neue Paare
hat Bumham bei dieser Gelegenheit entdeckt, obgleich er nicht be-
absichtigte, nach neuen Doppelsternen zu suchen. Im ganzen ist da-
durch die Anzahl der von ihm selbst entdeckten und meist sehr
schwierigen Doppelsteme, auf 1308 gestiegen. Von den neu ent-
deckten sind folgende Hauptsteme dem bloßen Auge sichtbar.
ß 1295. 2 Camelopardali (a » 4h 60m 27>d » + e^"" 14').
Der Hauptstem ist 6. Größe und hat einen Begleiter 7. Größe
in d » 0.2r Distanz p » 140.4'' (1901.80). Ein von Stmve
entdeckter Begleiter steht in d » 1.54^ p » 288.7^, ein anderer
in d » 23.26"" p » 212.8^. Letzterer wurde von Bumham am
36-ZölIer entdeckt.
ß 1300. 30 Sagittarii a » 18h 43m 38i d » — 22"^ 16'). Der
Hauptstem ist 6. der Begleiter 13. Größe. Bumhams Messungen
ergaben für 1901.18 folgende Stellung des Begleiters.
d = 21.46^ p = 246.6°.
^) lick Obeervatory Bulletin Nr. 57.
s) Publications of äie Yerkee Obeervatory. 2.
76 FlzBtenie.
ß 1307. ö3 Aquarii (a = 2^1 20m 3b iJ = — l?** 210. Von
Herachel und South als Doppelstem erkannt A 6., B 6. Gr. Bumham
entdeckte noch zwei Begleiter C und D 12.9 und 13.9 6r. und gibt
folgende Messungen:
A und B 1900.73 d » 6.93" p » 309.4»
B und C 1901.09 « 46.66 » 339.1
C und D 1901.08 « 1.83 » 101.4
C und D bilden ein sehr schwierig zu messendes Paar.
Das Massenverhiltnis der Komponenten des Doppebtwnes p
Ophinehi ist von Adalbert Prey bestimmt worden. ^) Er kommt
zu dem bemerkenswerten Resultate, daß der Schwerpunkt in ^/^
der Distanz, dem Begleiter also naher liegt als dem Hauptsteme,
so daß die Masse des Begleiters viermal so groß ist als die des
Hauptstemes. Mit Schurs Parallaxe 0.16' sind die beiden Maiwen
bezüglich gleich 0.32 und 1.28 Sonnenmassen. Wir finden somit
hier wieder eines jener Beispiele, welche zeigen, daß in der Fizstem-
welt Masse und Helligkeit keineswegs proportional sind. Der be-
kannteste Fall dieser Art ist Sirius, dessen Begleiter, obwohl nur
2i4mal kleiner, ein Stern der 9. Größe ist. Auch Procyon üb^tnfft
seinen Begleiter, der 13. Größe ist, nur siebenmal an Masse. Im
vorliegenden Falle ist die größere Masse die Uchtschwächeie.
Die Bahn des Siriusbegleiten ist von Dr. O. Lohse neu berechnet
worden.*) Da dieser Begleiter nach dem Periastron (1894) bereits
im Jahre 1896 wieder mit Sicherheit gesehen werden konnte, und
seit dieser 2!eit bis 1903 zahlreiche Beobachtungen mit den mächtige
amerikanischen Instrumenten vorUegen, so ist es interessant, eine
Bahn zu ermitteln, bei deren Berechnung die neuem Beobachtungen
samüich berücksichtigt sind. Es hat der Siriusbegleiter seit seiner
Entdeckung 1862 nun bald einen ganzen Umlauf vollendet, und es ist
nur noch ungefähr ^1x2 ^^ Weges zurückzulegen. Man sollte daher
erwarten, daß die gegenwärtig zu ermittelnde Bahn auch in bezug
auf die dynamischen Elemente nicht mehr sehr weit von der Wirk-
lichkeit abweichen könne. Dr. Lohse hat nach Aufzeichnung der
Beobachtungen und Konstruktion einer passenden Ellipse die
Methode von Zwiers benutzt, um die geometrischen Elemente zu
finden. Die dynamischen Elemente wurden aus zwei mittlem Ano-
malien bestimmt, die ungefähr um einen halben Umlauf voneinander
entfernt waren. Zur möglichst sichern Feststellung dieser mittlem
Anomalien verwertete Lohse alle vorhandenen Poeitionswinkel-
messungen, die einesteils vor, andemteils nach dem Periastron an-
1) Astron. Naohr. Nr. 3946.
2) Astron. Nachr. Nr. 3966.
Fixsterne. 77
gestellt worden sind. Er erhielt so folgendes Elementensystem für
1900.0:
T = 1894.337 (1844.966), ü = 60.381, n =. — 7.14669°, e = 0.698
ß = 44.12^ i = 39.91°, a> = 212.20° a = 7.427^
Um diese Bahnelemente mit den Beobachtungen vergleichen zu
können, hat Verf. die Normalörter des Siriusbegleiters von Zwiera
mit denjenigen von Bumham zu Mittelwerten vereinigt und die so
erhaltenen Positionswinkel und Distanzen mit den aus obigen Ele«
menten berechneten zusammengestellt.
Es ergab sich bis zum Jahre 1903 eine befriedigende Überein^
Stimmung zwischen Rechnung und Beobachtung. „Vergleicht man,'^
sagt Dr. Lohse, „die oben mitgeteilten Bahnelemente mit dem Systeme
II von Zwiers, bei dem auch schon Beobachtungen von 1897 und 1898.
mit berücksichtigt wurden, so muß die gute Übereinstimmung der
Größen T, e, Sl und a> auffallen. Stärkere Abweichungen zeigen die
Neigung i und die Umlaufszeit U.' Die letztere erscheint um 2.26
Jahre gegen die erste Bestimmung von Zwiers verlängert und ist
auch 1.70 Jahre größer als die von Auwers aus Meridianbeobach^
tungen abgeleitete, die sich über mehr als zwei Umläufe des Sirius
um den gemeinsamen Schwerpunkt erstrecken. Diese Abweichung
deutet bereits an, daß die nach dem Systeme II von Zwiers berechneten
Korrektionen für die Position des Sirius in geringerm Grade genügen
würden, als das modifizierte Elementensystem V* von Auwers, bei
dem die Umlaufszeit von 49.4 Jahren beibehalten war.
Wäre es gestattet, das Mittel aus den beiden Zwiersschen Werten
für U zu nehmen, so würde eine Zahl resultieren, die vermutlich der
wirklichen Umlaufszeit des Begleiters, resp. der Umlaufszeit dea
Hauptstemes um den Schwerpunkt ziemlich nahe liegt.
Spektroskopische Bestimmungen der radialen Gesehwindigkeit
von Fixsternen sind seit dem letzten Berichte wieder in größerer An^
zahl veröffentlicht worden. Von den dort^) erwähnten Normal*
Sternen haben Prof. Frost und Walter S. Adams auf der Yerkes^
Sternwarte zehn genauer beobachtet. ^) Die Aufnahmen geschahen
durchweg zu der Zeit, wo jeder Stern um Mittemacht im Meridiane
stand und 30 Tage früher, sowie SO Tage später. Mit geringen Aus-
nahmen konnten diese Zeiten genau eingehalten werden. Die Auf-
nahmen geschahen mit dem Brucespektrographen, der am großen
Refraktor der Yerkesstemwarte angebracht wurde unter allen
Vorsichtsmaßregeln, welche die lange Erfahrung und der Scharf-
sinn der Beobachter an die Hand gaben. Die erlangten Aufnahmen
und die Ausmessungen der Platten sind daher von großer Zuver^
lässigkeit, und die innere Übereinstimmung derselben läßt nichts zu
^) Dieses Jahrbuch. 14. p. 136.
*) Astrophye. Joorn. 18. Nr. 4. p. 237.
78 Fixsterne.
wünschen übrig. Die AoBmessungen der einzelnen Platten geschahen
unabhängig von jedem der beiden Astrophysiker, um über die
etwaigen persönlichen EigentümUohkeiten in der Auffassung beim
Messen der Spektrallinien Aufschluß zu erhalten. Es ergab sich eis
kleiner Unterschied in dieser Beziehung, und zwar so, daß nach den
Messungen von Frost die Geschwindigkeiten der Sterne durch-
schnittUch 0.10 km größer ausfielen ab nach denjenigen von Adams,
doch ist es zweifelhaft, ob diese geringe Differenz wirklich besteht
oder nur durch die verschiedene Auffassung bei einigen wenigen
minder scharfen Platten (mit dem Spektrum von t Aquilae) be-
dingt ist.
Zur Kontrolle wurden auch die Spektra des Mondes, sowie der
Planeten Mars und Venus aufgenommen und die Linienverschiebungen
infolge ihrer Bewegung auf denselben gemessen. Da diese Be-
wegungen bekannt sind, so mußte der Grad der Übereinstimmung
dieser bekannten mit den aus den Spektralaufnahmen berechneten
Bewegungen ein gutes Urteil über die Genauigkeit der Aufnahmen
gestatten.
Es ergab sich, daß die Messungen und Rechnungen bis auf 0.1 i»i
genau miteinander übereinstimmen, so daß man also bei dem Spektio-
graphen keine systematischen Fehlerquellen voraussetzen kann, und
auch bezügUch der Fixsterne den Messungsresultaten ein hoher
Grad von Zuverlässigkeit zuzuschreiben ist.
Die Ergebnisse aus allen Platten und für die Ausmessungen
beider Beobachter sind in ihren Mittelwerten folgende, wobei das
Vorzeichen — ein Annähern, + ein Entfernen des Sternes von der
Erde bedeutet, und die Geschwindigkeiten in Kilometern pro Sekunde
ausgedrückt sind.
a ArietiB
— 1.3.7 km
o Bootis
— 4.8 km
aPeraei
- 2.1 „
ß Ophinohi
7 Aquilae
-11.1 „
ß Leporis
-12.4 „
- 1.8 „
ß Geminorum
-H 8.4 „
f Pegftsi
+ 6.2 „
« Cratorifl
+ 47.4 „
r Pisdum
-10.» n
Außer diesen Sternen haben die beiden Astrophysiker, einem
Wunsche von Prof. Belopolsky folgend, noch folgende drei Sterne
mit den beigefügten Ergebnissen aufgenommen und vermessen:
t Aurigae + 19.0 ktn
c Leonis -j- 6.6 „
T Oephel —41.2 „
Die Resultate für e Leonis, welcher Stern an drei Abenden auf-
genommen wurde, stimmen für jeden Abend untereinander sehr gut
überein, ergeben aber für die verschiedenen Zeiten etwas verschied^ie
Werte der Geschwindigkeit (nämlich + 4.3, 4.6 und 6.4 km\ so daß
möglicherweise dieser Stern eine veränderUche Radialgeschwindig-
keit besitzt. Darüber können jedoch erst weitere Beobachtungen
die Entscheidung geben.
FizBteme.
79
Von einigen der angeführten Sterne haben schon früher ver-
fichiedene Astrophysiker ebenfalls Bestimmungen ihrer radialen Qe-
sohwindigkeit ausgeführt, und es ist von Interesse, diese mit den
neuesten Ermittlungen von Frost und Adams auf der Yerkesstem-
T^arte zu vergleichen.
KamA
des StemM
Beobachter
Ghesohwin-
digkeit
Epoche
a ArlÜes . . .
CampbeU
Adams
Newall
Frost und Adams
— U.l ibfl
-18.7 „
-14.3 „
-18.7 „
1896
1901
1902
1902
« Penei . . .
Campbell
Vogel
Newall
Frost und Adams
- 2.4 „
- 8.2 „
- 2.6 „
- 2.1 „
1897
1901
1902
1902
o Bootls . . .
Frost und Adams
Newall
Frost und Adams
- 4.8 „
- 5.8 „
- 4.8 „
1902
1903
1908
t Pegasi . . .
Campbell
Frost und Adams
-•- 6.2 „
1897
1902
« LeoniB . . .
Wright
Adams
Frost und Adams
+ 6.1 „
-h 4.0 „
-f 6.6 „
1899
1900
1908
Die vorstehende kleine Tabelle gibt eine ZusammensteUung der-
selben nebst den Namen der Beobachter mit Zufügung der oben mit-
geteilten neuesten Ermittlungen auf der Yerkesstemwarte.
Diese Angaben stimmen im allgemeinen gut miteinander über-
ein, nur bei a Bootis ist der Unterschied der frühem mit den neuesten
Messungen auf der Yerkesstemwarte, obgleich nur 0.5 hm be-
tragend, etwas größer, als man erwarten durfte, da die Linien im
Spektrum dieses Sternes recht scharf erscheinen. Vielleicht gehört
a Bootis zu den Sternen mit veränderlicher Eigenbewegung, worüber
sich in wenigen Jahren ein sicherer Entscheid wird herbeiführen
lassen.
Spektroskopische Beobachtungen von Normabteroen in Pulkowa
sind in den Jahren 1002 und 1003 von A. B^lopolsky mit einem
neuen, nach dem Muster des Potsdamer angefertigten Spektro-
graphen ausgeführt worden. ^) Als Vergleichspektrum zur Bestim-
mung der Linienverschiebungen diente meist das Eisenspektrum.
Die Messimgen auf den Platten wurde mit aller möglichen Sorgfalt
ausgeführt, und bei der Berechnung der Verschiebungen die Rowland-
sehen WeUenlangen zugrunde gelegt. Um sich von der Leistungs-
^) Astroph. Joum. 19. p. 86.
80 Flxiterne.
fähigkeit des neuen Spektrographen zu überzeugen, hat Professor
B^lopolsky das Spektrum des östlichen und westlichen Bandes der
Sonne im Äquator aufgenommen und findet auf einer Platte aas den
Messungen der Verschiebungen von 21 Linien für die Geschwindigkeit
der Sonnenrotation im Äquator 1.84 hm mit einer Unsicherheit von
+ 0.09 km, aus einer zweiten Platte den nämlichen Mittelwert mit
einer Unsicherheit von 0.06 km. Beim Planeten Mars ergab eine
Aufnahme 1903 März 29 als Radialgeschwindigkeit — 2.06 km pro
Sekunde, während die Berechnimg auf Grund der Ephemeriden da-
für — l.Sl km ergab. Andere Aufnahmen ergaben noch bessere Über-
einstimmung, und bei Jupiter war der Unterschied zwischen Beob-
achtung und Rechnung im Mittel nur — 0.06 km. Sonach kann man
als erwiesen betrachten, daß die Messungen der LinienverschiebongBn
in diesen Sj>ektrogrammen zuverlässige Werte der Größe der Eigien-
bewegung in der Richtung der Gesichtslinie zwischen Stern und
Beobachter hefem. Es wurden folgende Werte für die bezeichneten
Normalsteme erhalten, wobei — Annäherung, + Entfernung des
Sternes von der Sonne bedeuten. Die Geschwindigkeiten sind aus-
gedrückt in Kilometern pro Sekunde, + bezeichnet den wahrschein-
Uchen Fehler des angegebenen Mittelwertes.
a Persei . . . ■— 2.89 ± 0.4
a Booüfl ... — 6.07 +0.4
f Pegasi . . . -f 5.99 ±0.2
ß GremiDomm . . +3.87 ±0.1
r Aquüae ... — 1.98 +0.4
r Cephei . . . —39.94 +0.6
Die starke radiale Eigenbewegung des Sternes t Cephei war
schon 1897 durch die Aufnahme des Spektrums in Pulkowa erkannt
worden.
Bestimmungen der radialen Geschwindigkeiten von 20 Stomen
des Oriontypus auf der Yerkesstemwarte. Der kurzen Mitteilung
über die Ergebnisse dieser Untersuchung^) haben Edwin B. Frost
. und Walter S. Adams nunmehr eine ausführUche Darstellung folgen
lassen. ^) Die Spektra des Oriontypus sind für den Astrophysiker
von besonderm Interesse, denn sie bezeichnen un&^Uch ein sehr
frühes Stadium in der Entwicklung der Sterne. Ihre chemische
Zusammensetzung ist einfach, die hauptsächlichsten ihrer Spektral-
linien gehören dem Wasserstoff, Hehum, Sauerstoff, Silizium, Stick-
stoff und Magnesium an. Die Anwesenheit des Hehums ist
dasHauptcharakteristikum dieses Typus, weshalb die Sterne desselben
bisweilen auch als HeUumsteme bezeichnet werden. Das breite
und etwas verwaschene Aussehen der meisten dieser Linien macht
die Spektra zur genauen Ausmessung der Lage der Linien alleidings
weniger geeignet, so daß die Genauigkeit derselben nicht diejenige
der Sterne des Sonnentypus erreicht.
1) Dieses Jalirbuc^14. p. 135.
>) Decennial Pablications of the University of CSiioago 1903. 8l
Fizstenii^.
81
Die beiden öbengeihaAUiten Astronomen sind durch eine Reihe
ähnlicher Arbeiten bekannt , und die ihnen zur Verfügung stehenden
instrumentellen Hilfsmittel zählen zu den vorzüglichsten, welche
zurzeit vorhanden sind, nämlich der 40-zollige Refraktor und
der große Brucespektrograph. Sie teilen in ihrer Abhandlung aus-
führlich alle Details über die Art und Weise der Aufnahme, die
Apparate zum Ausmessen der Spektrallinien, die Messungs- und
Rechnungsmethode mit, ebenso ihre Untersuchungen über die mög*
licherweise vorhandenen Fehlerquellen, die in dem Spektrographen,
der Adjustierung, den Aufnahmen und Messungen vorhanden sein
können. Sie gehen auch näher auf die mögHchen Fehler ein, welche
BadiAl.
Zahld.
Bigen-
Groß«
Name des Stamei
B. A.
Dekl.
OMohwin-
digkeit
Mea-
Bungen
Epoohe
bt»we-
gnng
h m
0 '
km
1 - ,
3:0
y Pegari ....
0 08
+ 14 38
+ 5.4
+ 2.»
12
1902.06 0.013-
3.7
C Gassiopeiae
0 31
4-63 21
6
1902.10 0.028
3.6
t GasBiopeiae
1 47
--63 11
— 5.9
8
1902.08
0.043
3.1
C Porsei . .
3 48
+ 31 36
+ 22.1
7
1901.95
0.020
0.3
ß Orionia .
6 10
— 8 19
.
1-20.7
24
1901.95
0.002
19
f Orionis
b 20
4- 6 15
.
-18.0
10
1901.98
0020
1.8
< Orionis . .
5 31
- 1 16
-
-26.7
7
1902.06
0.002
1.9
C Orionis
6 36
— 2 00
-
-18.8
7
1902.52
0.010
2.^
u Orionis
6 48
— 9 42
-
-17.1
10
1901.88
0.005
2.0
ß Canis Majori«
6 18
— 17 54
-
-82.6
6
1901.84
0.006
1.6
« Oanis Majoris
6 56
— 28 50
-
-27.2
4
1902.61
0.005
3.6
^ Leonis . .
10 02
+ 17 15
-
- 8.5
6
1902 31
0.012
2.8
r Oorri . .
12 11
— 16 69
- 7.0
6
1902.27
0.162
3.9
V HsrciiliS' .
16 17
.
-46 33
-12,7
6
1902.21
0.033
3.3
t Draconis . .
17 08
-
-66 50
-14.4
8
1902.19
0.024
3.9
* Hereulis . .
17 37
_
-46 04
-16.4
6
190192
0.012
4.0
67 Opbiuehi .
17 66
-
- 2 56
- 8.1
4
1902.47
0 017
4.«
102 Hereulis .
18 04
-h20 48
-10.8
6
190262
0.012
4.5
tl Lyme . .
19 10
+ 38 68
— 0.1
6
1902.74
0.005
4.1
» Delphin! .
20 28
H
-10 58
-
-26.2
4
1902.56
0.027
aus den Annahmen für die Wellenlängen der Linien nach Bowlandä
System resultieren, die sich aber so unbedeutend erweisen, daß sie
vernachlässigt werden können. Die 20 Sterne, mit denen sich ihre
Untersuchung beschäftigt, sind nicht etwa nach einem bestimmten
Systeme ausgewählt worden, sondern nur solche Sterne des Orion-
typus, von welchen in dem letzten Jahre drei oder mehrere Spektro-
gramme auf der Yerkesstemwarte erhalten worden waren. Um
unabhängige Proben der Zuverlässigkeit und Genauigkeit ihrer
Messungen zu gewinnen, haben die beiden Beobachter Aufnahmen
des Mondes und der Venus gemacht, die Vierschiebungen der Linien
in deren Spektren gemessen und die so erhaltenen Geschwindigkeiten
mit den anderweitig bekannten radialen Geschwindigkeiten beider
Planeten verglichen. Diese Prüfungen sind im allgemeinen sehr be-
friedigend ausgefallen. So ergab eine Aufnahme des Mondspektrums
Klein. Jahrbaoh XV. 6
82 Fixsterne.
am 27. September 1901 aus den Messungen der LinienverBchie-
bungen eine radiale Geschwindigkeit des Mondes von — 0.5 km pro
Sekunde, während für den gleichen Moment die Rechnung auf Grund
der Mondtheorie — 0.6 km ergibt. Eine Spektralaufnahme der V^ius
am 8. Januar 1902 ergab deren radiale Geschwindigkeit zu — 10.5 km,
während die Rechnung den Wert — 11.3 km Uefert. Auch von
einigen Fixsternen, die anderwärts bereits aufgenommen und be-
stimmt waren, ergaben die Aufnahmen und Messungen von Frost
und Adams gute Übereinstimmungen. Man darf daher den neuen
Ergebnissen, welche die genannten Astronomen erhielten und publi-
zieren, großes Vertrauen entgegenbringen. Die nachstehende Tabelle
enthält die Endergebnisse ihrer sämtUchen bezüghchen Messungen.
Die angegebenen Geschwindigkeiten in der Richtung zur Ehde, also
die radialen Geschwindigkeiten, sind in Kilometern und Zehnten
derselben pro Sekunde ausgedrückt. Das Vorzeichen + bedeutet, dafi
der Stern sich von der Erde, oder vielmehr der Sonne, entfernt, — ,
daß er sich nähert. In der letzten Kolumne ist auch für jeden Stern
die jährliche scheinbare Eigenbewegung in Bruchteilen der Bogen-
sekunde angegeben, so wie sich dieselbe aus vieljährigen Positions-
bestimmungen dieser Sterne ergeben hat.
Die Verteilung der positiven und negativen Geschwindigkeiten
dieser 20 Sterne läßt deutlich den Einfluß der Richtung der Sonnen-
bewegung durch den Raum erkennen. Doch kann man einen ge-
nauen Wert dieser Richtimg aus dem vorliegenden Materiale nicht
ableiten, weil die Zahl von nur 20 Sternen dazu zu gering ist. Ninunt
man dagegen mit Prof. Newcomb an, daß der Zielpunkt der Sonnen-
bewegung am Himmel in 277.5^ Rektaszension und 35° nördl. Dekl.
liegt, imd daß die Geschwindigkeit ihrer Bewegung, wie Prof.
Campbell gefunden, 19.9 km in der Sekunde beträgt, so kann man
die wirklichen, vom Einflüsse der Sonnenbewegung befreiten Ge-
schwindigkeiten dieser 20 Sterne berechnen. Es ergibt sich dafür
eine mittlere Geschwindigkeit von 7.0 km pro Sekunde, oder wenn man
berücksichtigt, daß ein Teil dieser Sterne sich entfernt, ein Teil sich
nähert, ein durchschnitthches Entfernen derselben von uns um 4.6 km
in der Sekunde. Die außerordentlich schwachen scheinbaren Eigen-
bewegungen so heller Sterne (im Mittel 0.023'' pro Jahr) bleiben er-
hebhch zurück hinter denjenigen gleich heller Sterne vom Spektral-
typus der Sonne und zeigen, daß die Sterne des Oriontypus außer-
ordentlich weit von uns entfernt sein müssen. Die hellen Sterne in
der Konstellation des Orion bilden augenscheinlich eine besondere
Gruppe darunter, sowohl in bezug auf Richtung, als Größe ihrer
Bewegung.
Von den obigen 20 Sternen sind vier bereits früher von Vogel und
Scheiner auf ihre Radialbewegungen untersucht worden, nämlich die
folgenden mit den beigefügten Ergebnissen :
Fizaterne. g3
ß Orionis + 16.3 km
r » + 8.9 M
' „ +26.7 „
t „ +14.8 „
Mit Ausnahme von r Orionis stimmen diese Resultate mit den
obigen gut überein, wenn man den Charakter der Spektra berück-
sichtigt, die schwer zu messen sind. Im Verlaufe ihrer Untersuchungen
haben Frost und Adams noch gefunden, daß die folgenden Sterne
yeranderUche Eigenbewegungen besitzen, also spektroskopische
\ Doppelsteme sind: d Ceti, v Eridani, t} Orionis, /^Cephei, o Persei,
^* Orionis, C Tauri.
Auf der Sternwarte zu Bonn sind im Sommer 1003 spektro-
\ graphische Aufnahmen und Untersuchimgen derselben zum Zwecke
der Bestimmung der radialen Geschwindigkeiten bei achtzehn hellen
Fixsternen von Prof. F. Küstner ausgeführt worden. ^)
Die Ergebnisse der sehr sorgfältigen Messungen und eine genaue
^ Diskussion derselben enthält folgende Tabelle. Die Qeschwindi^eiten
' pro Sekunde sind wie immer in Kilometern und den Dezimalteilen
ausgedrückt, und + bezeichnet Entfernen, — Annähern des Sternes
an die Sonne.
a ürsae mlnorls 1908 . . JuU 2.4 — 14.22
; „ . . „ 4.6 -16.12
' • Leonis Mal 24.4 + 6.61
^ r „ (Hauptstern) . . „ 4.4 —86.16
^ « Uraae majoria .... Juni 27.4 — 7.24
t Virginia Mai 29.4 --11.84
«y BootU „ 23.4 + 7.69
i „ (Hauptatem) . . „ 81.6 —16.19
ß üraae minoria .... Juli 2.6 +- 18.10
ß Bootia Mai 22.6 — 20.29
„ JaU 16.4 —19.28
^ „ Mai 24.6 —12.64
a Serpentia „ 26.6 + 4.48
„ , 80.6 + 6.02
ß Herculia Juni 26.4 — 12.20
t „ Mai 21.6 —78.16
n 81.6 -74.97
^ Ophiuohi Juni 16.6 —11.67
„ „ 27.6 — 9.88
r Draconia „ 11.6 —27.10
/9 Cygni (Hauptatem) . . JuU 1.6 —22.86
r Aquilae Juni 28.6 + 0.04
r Cygni „ 25.6 — 7.68
Spektroskopisehe Doppelsteme. Die systematischen Untersuch-
ungen von Sternen mit Spektren des Oriontypus, welche während der
letzten Jahre auf der Yerkesstemwarte von Prof. Edwin B. Frost
und Walter S. Adams angestellt worden sind, haben als Neben-
ergebnis zur Entdeckung einer nicht geringen Anzahl spektroskopi-
1) Aatron. Naohr. Nr. 3972.
6*
34 FLnIecBe.
acher Doppekteme geführt. Ein weiteres VerzeichniB solcher Ent-
deckungen, das von den genannten veröffentlicht wurde, ^) bringt die j
Anzahl derselben, welche mit dem Brucespektrographen gefundrai {
wurden, auf 23, abgesehen von vier andern, welche Spektra anderer
l^rpen besitzen. Aus den bisherigen Aufnahmen ergibt sich, d&ß
unter den (63) Sternen des Oriontypus, die untersucht worden sind,
die Zahl derjenigen mit veränderlicher Eigenbewegung sich zu den
andern nahezu wie 1 : 3 verhält. Dabei ist zu beachten, dafi bei
manchen dieser Sterne die Spektrallinien so breit und schlecht be-
grenzt erscheinen, daß Geschwindigkeitsänderungen von geringer
Größe sich dem Nachweise entziehen. Dazu kommt, daß die Z^t-
intervaüe zwischen den einzelnen Aufnahmen noch zu kurz sind, um
Geschwindigkeitsänderungen von längerer Pertode als einige Tage
oder Wochen erkennen zu können. Schließlich sind auch drei Af&
nahmen eines Sternes keineswegs genügend, um die Unverandeifieh-
keit der Geschwindigkeit eines Sternes während eines gewissen
Zeitintervalles zu gewährleisten. Sonach kaim man sdilieSen,
daß unter den Sternen mit Spektren des Oriontypus jeder zweite
oder dritte einen Doppelstem oder ein mehrfaches System hSdet
Folgendes ist das Verzeichnis der von Frost und Adams auf
diese Weise entdeckten (spektroskopischen) Doppelsteme.
jT Andromedae, 4.^ Größe, a = Oh 32m <) := + 33"^ lO'.
Drei Aufnahmen 1903 September 25, Oktob^ 10 und- 17 ergeben
als radiale Geschwindigkeit — 2, +32, +60 km. Die Linien im
Spektrum des Sternes sind schärfer als bei den meisten anden
Sternen dieser Klasse.
( Cassiopejae, 4.8 Größe, a » Ob 37 m ^=- + 49'' 58'.
Die Geschwindigkeit^! variieren zwischen — 5 und — 35 Im-
Die Linien im Spektrum dieses Sternes sind zwar nicht sehr breit,
aber sehr schlecht begrenzt und verwaschen, daher die Messung^
unsicherer als bei manchen andern Sternen.
o 0 r i o n i s , 4.6 Größe, a = öh 17m ^ = — 0"^ 29.' tt«
Veränderungen der Geschwindigkeiten hegen zwischen + 19 und
+ 33 km. Das Spektrum eignet sich sehr zu genauen Messungen»
da die meisten Linien, besonders die des Heliums, stark, schmal und
gut begrenzt sind.
X Aurigae, 6.0 Größe, a = 6h 26m ^= + 22"* 8'. Dw
Spektrum ist ähnlich dem von o Orionis, obgleich die Linien
weniger stark sind. Die Geschwindigkeiten liegen zwischen + 12
und -^ 2S km,
i O r i o n i s^, 3.0 Größe, a » 6k 30m d » — 6"^ 69". 1>^
^ektrum dieses Sternes ist sehr kompliziert; Es liegen sieben
Aulnahmen von September und Oktober 1903 vor. In deo
meisten Fällen erscheinen die HeUumlinien und Hf^ außeronkntiidi
1) ABtrophys. Joum. H. p. 383.
Fiisteme. 85
breit und verwaschen, und auf ihnen «mscheinen zuzeiten zwei bis drei
Mazima, von denen noch nicht bestimmt werden kann, ob sie Kom-
ponenten mit veränderlich«! Geschwindigkeiten angehören oder durch
physische Zustande des Hauptstemes verursacht werden. Die Ge-
schwindigkeiten variieren zwischen + 28 und + 90 km. Weitere
Aufnahmen dieses fitemspektrums sind erforderlich.
t; O r i o n i s , 4.4 Größe, a = 6h 2m <) = + 14'' 47'. Die
Geschwindigkeiten liegen zwischen + 81 und + 12 km.
18 Aquilae, 5.1 Grefe, a » 19h 2m <) - + IG"" 55'. Die
IdBien «nd schwer £a messen; die Oesohwiodigkeiteii Vtariieren
zwwohea -^ 12 und — 28 Im».
2Lacerta«, 4.8 Gröfie. tx - 22h 17« ^ « h|- 46'' 2^. Dm
Spektrum der ersten Platte ist viel schwächer als das der Mden
andern, und eine wiederholte Untecsuohung desselben gab An-
deutungen der Gegenwart von Linien, die einem zweiten leuchten-
den Komponenten angehören, welche auf der zweiten Platte meßbar
waren (mit — 185 km Geschwindigkeit). Diese Linien konnten auf
dar dritten Platte nicht gesehen weri^i. Die Geschwindigkeiten
variieren zwischen + 1 und — 86 Jbn.
6Lacertae,4.6 Große, a » 22h 26m t) » + 42"" 24'. Die
Geschwindigkeiten liegen zwischen — 3 und — 24 km.
1 Hev.Caasiopejae, 4.8 Größe, a» 23h25md» + 58''0'.
Die Spektrallinien sind ziemlich breit und verwaschen. Die Ge-
schwindigkeiten variieren zwischen — 2 und — 70 km.
( P e r s e i , 4.1 Große, a » 3h 53m ^» + 35'' 30'. Dieser
Stern hat eine sehr große radiale Geschwindigkeit, nämlich
im Mittri + 85 km. Daa Spektrum ist wegea Breite und dem
sehr verwaschenen Charakter der Linien schwer zu messen. Daher
bleibt bei der Schwankung von 9 ihn, um welche die Messungen
variieren, zweifelhaft, ob eine veränderliche Geschwindigkeit vor-
handen ist oder nicht. Beobachtungen, die über einen langem Zeit-
raum ausgedehnt sind, werden hierüber entscheiden.
Schließlich machen Frost und Adams noch darauf aufmerksam,
daß die folgenden Sterne mit Spektren des Oriontypus helle Linien
besitzen: c Persei, 4.3 Größe; 25 Orionis, 4.6 Größe; ß Piscium,
4.6 Größe. Charakteristisch für diese Sterne mit dieser eigentüm-
lichen Variierung des Oriontypusspektrums ist, daß die Wasserstoff-
linien eine doppelte helle Komponente zeigen, welche nahezu zentral
auf der breiten dunkeln Linie oder Bande steht.
Die 0. milsezpeditlon, welche die Lickstemwarte auf den Cerro
San Cristobal bei Santiago in Chile behufs spektrographischer Beob-
achtimgen am südlichen Himmel entsandte, hat dort bei folgenden
Sternen veränderliche Eigenbewegungen aL9o dieselben als spek-
troekopische Doppelsteme, nachgewiesen:
86 Fixsterne.
ß DoraduB («ai5lx 32.7m d b — 62<» 33'.
ndlAl« Gwöhwindigkdt
1903 September 29. -4- 1.4 ibn
Deiember 21. --16.1 „
1904 Juni 12. --28 „
22. +2«-6 „
w Velorum (a= 8h 66.3m a = 40^62').
1904 Januar 21. -f 3 ibm
M&n 8. -1-13.7 „
28. + 7.6 .,
1 Carinae (a » 9ii 42.6m ^ » — 63" 3').
Dies ist ein veränderlicher Stern, desäen Lichtperiode nach
W. Roberts 36.623 Ta^ umfaBt. Auch ist nach demselben Beob-
achter der Lichtwechsel unregelmäßig. Die spektrographischen Auf-
nahmen ergaben:
1904 April 18. 4- 10 ifcm
„ 30. +22 „
Hai 8. —15 „
n Pavonis (a = ISn 46.6m ^ = — 67*» 21').
Ebenfalls ein Veränderlicher, aber von regelmäßigem lichi-
wechsel und einer Periode von 9.091 Tagen.
1904 Mai 12. +40.1 km
Juni 6. 28.9 „
„ 22. +26.6 „
TSagittarii(a=- 19h 0.7m J = — 27** 490-
1902 Auguet 17. +34 km OM^^ S***»/, "'*•"'
1904 Mai 12. +61.0 „ Hamut«)
Juni 7. +69.7 „
a Centauri.
Beobachtungen der radialen Geschwindigkeiten der beiden
Komponenten von a Centauri ergaben folgendes:
a Centauri (schwächere Komponenten).
1904 Februar 26. — 18.90 km
Man 4. —18 69 „
Juni 23. —19.70 „
a2 Centauri.
1904 Februar 21. —24.02 Jfcm
März 4. —24.20 „
Juni 23. —24.68 „
Außer diesen Aufnahmen wurde am 29. Mai mit einer kurzen
Kamera photographiert, die für schwächere Sterne bestimmt ist
Die Negative sind mangelhaft, da die Spektra überexponiert er-
scheinen, indessen ergaben die Messungen folgende Resultate:
1904 Mai 29.
«4 Centauri — 19.70 km
04 „ —24.30 „
Dies stimmt gut mit den obigen Angaben überein. Man erkennt
aus den Messimgen, daß die beiden Komponenten von a Oentaun
eine verschieden schnelle Radialbewegung besitzen.
Fixsterne. 87
Die Differenzen der Geschwindigkeit beider Sterne sind:
nUfenns der ndialen
GMohwindigkeit«n
1904 Februar 21.-26 5.12 km
März 4 5.61 „
Juni 23 4.88 „
Diese Unterschiede können davon herrühren, daß entweder die
relative Bahnbewegong der beiden Komponenten ungleich ist, oder
wenigstens einer der beiden Sterne für sich wiederum einen spektro-
graphischen Doppelstem bildet. Nimmt man die erstere Hypothese
an und erinnert sich, daß die scheinbare Bahn des Doppelstemes
a Centauri genau bekannt ist, so läßt sich aus dieser und den radialen
Geschwindigkeiten die Parallaxe von a Centauri leicht berechnen.
Nach Roberts sind folgendes die wahrscheinlichsten Elemente der
Bahn von a Centauri.
Zeit des Periastrons T = 1876.715
Umlaufsdauer P » 81.186 Jahre
Exsentrizitftt der Bahn e = 0.62866
Neigung der Bahn i = 79 <^ 21' 86"
Anfeteigender Knoten der Bahn . . . J2 = 26 6 60
Halbe große Achae der Bahn . . . . a = 17.71"
Entfernung des Knotens Tom Periastron l => 52^ 0' 58"
Aus diesen Bahnelementen ergibt sich unter Benutzung der oben
angegebenen Differenzen in der Badialgeschwmdigkeit der beiden
Sternkomponenten als Parallaxe von a Centauri der Wert n » 0.76^
und diesem entsprechend die mittlere Distanz der beiden Kom-
ponenten in Kilometern => 3.46 x 10* oder 3460 MiUionen Kilo-
meter. Die Massen beider Sterne sind =1.9 Sonnenmassen. Aus
direkten Beobachtungen haben Gill und Elkin die Parallaxe von
a Centauri zxxn ^ 0.75 + O.Ol'' bestimmt, ein Wert, der nunmehr auf
einem ganz andern Wege die vollste Bestätigung findet. Infolge der
sehr exzentrischen Bahn sind beide Komponenten im Periastron nur
wenig weiter voneinander entfernt als bei uns Sonne und Saturn, im
Apastron dagegen ist ihre Entfernung größer als die Entfernung des
Neptun von der Sonne. Die oben genannte zweite Hypothese zur
Erklärung des Unterschiedes der relativen Bahnbewegungen der
beiden Komponenten, also die Annahme, daß eine derselben ein
spektroekopischer Doppelstem sei, ist an und für sich zwar wenig wahr-
scheinlich, doch kann sie nicht ohne weiteres abgewiesen werden.
Denn die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, daß unter den
Fixsternen von je sieben wenigstens einer veränderUche Radial-
bewegung besitzt, groß genug, um mit den mächtigen heutigen Spek-
trographen erkannt zu werden. Nimmt man dieses Verhältnis an, so
ergibt sich, daß die Wahrscheinlichkeit, bei einem optischen
Doppelstempaare sei wenigstens eine der beiden Komponenten auch
noch ein spektroekopischer Doppelstem, etwas über 34 ^^- ^^
diese nun größer oder kleiner sein, Tatsache ist, daß eine Anzahl
optischer Doppelsteme auch bei einer ihrer Komponenten veränder-
88 FUsterne.
liehe Radialbewegong zeigt, ßo d$fi .dia^e wiedanun al» ^^txoekopi-
sehe Doppelateme anzusehen sind, so bei tk ürsae majoiis, a Gemi-
norum, n Pogasi und andern. Dies muß zur Vorsicht mahnen gegen-
über der Bestimmung yon Btemparallazen aus Beobachtungen der
radialen Geschwindigkeit, die sich nur über einen kurzen Zeitraom
erstrecken. Betcadhtungen .dieser Art mnd in gleipher Weise aber
auch anwendbar aul .die idte Meithode der direkten Messung von
Fixstecnparallazen, da .die ißunensiouen der Bahnen manohtf spdEtio-
skopiscfaen Doppelsteme von ahnlicher Große sind wie diejenigeijL der
Erdbahn.
Sejr «paktroakoiiiselia I>opi»eliteEii ß Ajuigae. Diaser Dogfi-
Stern, der ab solcher im Jahre 1S9Q auf dem Harvardohservatwnm
erkannt wurde, ist nahe um dieselbe Zeit auch zu Potsdam beobadbtet
worden, und Prof. Vogel fand damals, daß die relativen Intensitäten
der (Magnesium-) Doppellinie l 4481 veränderlich sind, indein aof
einigen Platten die nach Rot gelegene Komponente, auf andern die
gegen Violett hin hegende starker erscheint. Aus den Aufnahmen
am Harvardobservatorium ergab sich als Umlaufszeit von jß Aurigae
3d 23b 36.7m, und diese wird auch in einer spatun Publikation (1898)
von Miß Mttury festgehalten. In.difiaer Abhandtoag Aber die K-Iinien
im fipektrum von ß Auiigae wild erwähnt, daA auf den» Sai?i^-
Observatorium in den neun Jahi»n 1869 bis 1808 200 ^ot^og/i^^f^
des Sternes erhalten woiden seien, daß die xdativje GesohwiAdigt^t
240 biUy die Entfernung beider Körper yorowalander mindestens
8 Millionen engl. Meilen, und die Masse der einzelnen Komponenten
1.25 Sonnenmassen betragen. Der Wechsel in der Intanaität wurde
von Miß Maury auch für die Linie K (X 3934) nachgewiesen. Sqoac^
konnte es scheinen, als sei die obige, von P]?9f . Pic^riflig berechneto
Periode des Sternes sehr nahe richtig, um so mehr, alpieinige gelegent-
liche Aufnahmen zu Potsdam damit in Übeneinstimjmu^g ziii bringen
war^. Später erschien eine Arbeit von G. A. Tikhoff, d^r d^rch
Ausmessung der von Bäopolaki zu Pulkowa 1902 und 1903 erhaltenen
Spektrogramme eine Periodendauer von 3a dt SO.im fand und «aßerr
dem in ß Aurigae ein Stemsystem erkennen zu xnüssm glaubt, 4^
nicht aus zwei, sondern aus vier Körpern besteht. Aus der j^tweisen
Verdc^plung der Komponenten der einzelnen Linien, die er ^
einigen Aufnahmen wahrgenommen hat, wonach z. B. am 21. J^P^ar
1904 H;^ in vier Komponenten zerfällt, mit iß bn, 224 ktßy 43 km \M
221 km relativer Geschwindigkeit, kommt Tikhoff zu der Ansicht, d%B
ß Aurigae aus zwei Gruppen von Körpern zDsammengeeetzt sei, von
denen jede aus einem Steine mit starken und einem zweiten sut
schwachen Spektrallinien bestehe. Die Umlaufszeit der Sterse
innerhalb einer jeden Gruppe sei 19.1b, wahrend jede Gruppe eine
Umdrehung um den Schwerpunkt des Systomes in 3d 23.5h yollendis-
Das Verhältnis der Msssen der zwei Gruppen sei nahe =t }; der
FizitenM. 89
SohieeEpiiiikt .des Systemes bewege aioh mit ein^ Oeaohwindig^it
von — 16 fon in der Gesichtslinie zur EIrde.
Diese ikgebnisse waxen Veranlaasimg, daß Prof. Vog^l auf
dem Potsdamer Observatorium neue Aufnahmen des Spektzums von
ß Aurigae machen zu lassen beschloß, worüber er nunmehr benohiet
hat. ^) Infolge der ungünstigen Witterung konnte der Han nicht
nadh Wunsch ausgeführt werden, doch gelangen 1904 Januar 27 und
$un nächsten Ab^de eine Anzahl Aufnahmen aufleTOFdentiiGh be*
iäedigend. Die ITnteiBudQLung ergab nun, dafi die von Prof. Pickering
ang^^bene Periode unrichtig iat, vielmehr die wahre Dauer deraeifoen
3d 23b 2m 16b betragt, wodurch nicht nur die aamtliofaen Potsdamer
aondem auch die Tikhoffschen Messungen vorzüglich dargestellt
WMxlen, aber auch aile Anomalien, die Tikhoff wA die Vbratellung
emesvieifachen Systemes bei ß Aurigae gebracht hatte^i, verachwinden.
Ferner ergibt sich nach Prof. Vogel, daß die Becbachtungen darauf
hindeuten, dafi .die Bahn des Sternes nur wenig von der Kreisform
abweichen kann. Unter der Anaahme einer kreisförmigen Bahn,
einer relativen /Geschwindigkeit beider Körper «von 2^2 km und der
oben mitgeteilten Periode resultiert für die Masse das Systemes ein
Wert y(m mindestens 4.5 Sonnenmassen, und für die Entfernung
beider Körper Argeben sich -mindestens 12 Millionen Käometer. Wie
die Beobachtungen über die Radialgescfawindigkeit das Syatomes fae»-
sjbaliigen, sind die Massen der beiden Komponenten des Boppelstem-
^ystemes nicht viri voneinander verschiedan.
Durch Anachhifi der Messungen der Magnesiumlinien an dae
Verj^chsqMktrum <Eiaen) hat Prof. Voge} nodi aus den Potsdamer
Beobachtung«! yon 1903 und 1904 die Bewegimg des Systames in
dar Gesichtslinie aus 35 Platten abgeleitet und im Mittel ans allen
Beobachtungen für die Qeeehwindig^it des Systemes gefunden:
T- 21 ihn + 1 J:fii.
IKeaer Wert ist in guter Übereinstimmung mitisinem von S, Dea-
landses 1892 gefiondenen Werte — 19 hm^ mit dem aus den vier Pots*
(lamer Aufnahmen aas dem Jahre 1901 sich ^nrgebenden, der im Mittel
— \% km betragt, und mit der Tikholfadien Bestimmung — 16 km.
Dia Beobachtungen in der einen Hälfte der Bahn, von Deckung
zu Deckung der Linien gelegen, geben im Mittel für die Geschwindigp
keit des Systemes — 19.4 ibn, die Beobaohtun^n aus der andern
Hälfte der Bahn — 22.7 km. Eine weitere Bestätigung dafür, dafi
beide Komponenten des Systemes sehr nahe ^eiohe Masse haben,
konnte durch die direkte Beveohnung der Geschwindigkeit der eiui-
zelnen Körper relativ zur Sonne aus den Verschiebungen der Magnci*
siumlinien gegen die Linien des Vergleichsspektrums abgeleitet werden.
Die Rechnung und graphische Darstellung hat Dr. Schweydar aus-
geführt. Mit der Annahme einer Mazimalgescbwindigkeit vcm liXkm
M Sitzungsber. d. K^ Praofi. Akad d m». 1904. p. 497.
90 Fixsterne.
stellt ein und dieselbe Kurve die für jeden der Körper gefundeoeii
Geschwindigkeiten sehr gut dar.
Wie oben angegeben, hatte Prof. Vogel schon bei den eisten
Beobachtungen die Wahrnehmung gemacht, daß die eine Kom-
ponente der Magnesiumlinie breiter und etwas verwaschener, wohl
auch etwas kräftiger als die andere erschien, und ein Wechsel insofeni
stattfände, daß einmal die stärkere, ein andennal die schwächere
Komponente mehr nach Rot zu gelegen war. Diese Beobachtang
ließ den Gedanken aufkommen, daß das Spektrum des einen KöipeiB
etwas kräftiger sei als das des andern, und daß der Wechsel dann mit
der Stellung der Körper in der Bahn zusammenhänge.
Prof. Vogel hat indessen später keinen regelmäßigen Wechsel,
der von der Lage der Körper in der Bahn abhängig ist, nachweisen
können; im Gegenteil ist er durch die neuesten Beobachtungen, be-
sonders durch die in der Nacht vom 27. zum 28. Januar 1904
ohne Unterbrechung ausgeführten Aufnahmen überzeugt worden,
daß der Wechsel ganz unregelmäßig erfolgt.
Auch bei C Ursae majoris findet ein Wechsel in der relativen In-
tensität der Komponenten der Magnesiumlinien statt; ee ist Prof.
Vogel aber ebensowenig wie bei ß Aurigae möglich gewesen, einen
Zusammenhang mit der Phase, in welcher sich die den Doppelstem
bildenden Körper befinden, zu entdecken.
Was die Größe der relativen Intensitätsänderungen der Hag-
neeiumlinie, auf die sich vorwiegend Prof. Vogels Beobachtungen
erstreckt haben, anbelangt, so ist dieselbe oft recht bedeutend. „Auf
einigen Platten," sagt er, „ist die eine Komponente scharf, sehr deut-
lich und gut begrenzt, die andere dagegen sehr breit, verwaschen and
so schwach, daß eine Messung ihrer Lage nur schwer auszuführen ist.
Einmal erscheint die eine Linie doppelt, zuweilen auch beide; sie be-
stehen dann entweder aus einer breitem und einer ganz schmalen
Linie, oder aus zwei gleich breiten Linien, deren Abstand einer rela-
tiven Bewegung von 40 ib» bis 60 ihn entspricht. Manchmal stimmen
die Magnesiumlinien und die Ti-Linien im Aussehen ganz überein,
häufiger sind sie gänzlich verschieden. Die Wasserstofflinie H;" er-
scheint auf einigen Platten deutlich vierfach. Es treten zuweilen im
Spektrum neue einfache, oft ganz scharfe Linien auf, zu denen aioh
keine Komponenten finden lassen, während die Magnesiumlinien
getrennt sind."
Das sind, fährt Prof. Vogel fort, alles Erscheinungen, die icb
auch schon im Spektrum von C Ursae majoris beobachtet habe. Der
darauf bezügliche Passus seiner zweiten Abhandlung über C Ursae
majoris lautet:
„Selten sind die Komponenten der Magnesiumlinie in bezug auf
Intensität und Breite gleich, gewöhnlich ist die brechbarere der Kom-
ponenten die breitere; nach einer Deckimg der Si)ektra hat mit B^
stimmtheit kein Wechsel im Aussehen nachgewiesen werden können*
Fixsterne. 91
Unter den neuem Beobachtungen sind einige, bei denen beide Kom-
ponenten wieder doppelt sind. Die Linien der zwei Linienpaare sind
dann sehr scharf und schmal. Die Ungleichheiten als zufällige Ver-
änderungen im Korne der photographischen Schicht anzusehen,
scheint wohl ausgeschlossen, da die Ungleichheiten im Aussehen der
Magnesiumlinien sich auch zuweilen in demselben Sinne bei einigen
Eisenlinien zeigen, freDich, wegen der Schwäche derselben, nur mit
geringer Sicherheit. Es scheint mir aber die Annahme nicht aus-
geschlossen, daß bei den stark variierenden Abständen der beiden
Körper bei ihrer Bewegung umeinander (16 bis 51 Millionen Kilometer)
gegenseitige Störungen in den Atmosphären der Weltkörper entstehen,
die zeitweilig Umkehrungserscheinungen oder Verbreiterungen zur
Folge haben."
„Wenn es nun*', sagt Vogel, „bei ( Ursae majoris berechtigt er-
schien, Störungen in den Atmosphären bei der starken EUiptizität
der Bahn (e » 0.602) anzunehmen, so liegt hier bei einer fast
kreisförmigen Bahn kein Grund zu einer solchen Annahme vor.
Die von Tikhoff ausgesprochene Ansicht, daß jede der Kom-
ponenten wieder ein Doppelstem sei, ist ja nicht direkt ab-
zuweisen; sie erhält aber durch das ähnliche Verhalten der
Linien bei C Ursae majoris meiner Ansicht nach keine Stütze. Ich
möchte daher die Aufmerksamkeit auf folgende Überlegung lenken :
Die Spektra der EJasse la 2 zeigen außer den breiten Wasserstoff-
linien, den Linien des Kalziums, Magnesiums, Eisens und Titans nur
eine mehr oder minder große Anzahl ganz schwacher Linien. Im
Spektrum von ß Aurigae erscheint zu der Zeit der vollkommenen
oder nahezu vollkommenen Deckung beider Spektra das kontinuier-
liche Spektrum durchzogen von einer sehr großen Anzahl feiner
Linien, so daß dem kontinuierlichen Spektrum das Aussehen einer
feinen, stellenweise nicht aufzulösenden Schraffierung verliehen wird.
Bei der Verschiebung zweier solcher übereinander gelagerter Spektra
gegeneinander, projizieren sich die Linien des einen Spektrums auf den
durchaus nicht gleichmäßigen Spektralgrund des andern Spektrums,
und es können und müssen dadurch Linien, die man in dem einzelnen
Spektrum kaum erkennen konnte, plötzlich stärker hervortreten;
andere aber werden, wenn sie gerade mit einer hellem Stelle des
superponierten Spektrums zusammenfallen, stark geschwächt werden.
Ich bin der Ansicht, daß sich möglicherweise damit auch die zeitweisen
Verdopplungen, der Wechsel der relativen Intensität oder der Schärfe
der breiten, getrennt erscheinenden Magnesiumlinien oder Ti-Linien
oder der Linie K erklären lassen. Es kommt femer noch hinzu, daß
die Absorption in den Atmosphären der Körper von der Spektral-
klasse la 2, vielleicht mit Ausnahme der Kalziumabsorption, keine
so kräftige ist, so daß die Linien im allgemeinen bei der Übereinander-
lagerung zweier Spektra noch zum Teil aufgehellt werden, wenn die
Spektra sich nicht vollkommen decken. Darauf beruht es auch, daß
92 Ffzflterne.
das Oelingen spdLtrograplüsclier AulnahKieB derartiger Spridx& ee
■ehr von der richtigen Exponticnifizeit aMk&ngt. Ohne Zweifel «pielt
femer die Stroktur der photographisc^en Sofaiicht hier ^eiae viel
gröfi^re Rolle als bei der Aufnahme nioht übereinander liegender
Spektra. Zur Ergründung der besprobhenen Erachemungen eind nur
Spektrogramme, die mit Hilfe -räieB sehr staik zerstreuenden Spefctro-
graphen JMif möglichst feinkörnigen Platten hergestellt sind, ver-
wendbar. Es wird erforderlich sein, häufige Aufhahmen in fcuzaen
Zwischenräumen vorzunehmen und die Veränderungen an der Mag-
nesiumlinie l 4481 mit denen an andern Linien zu veri^eichea.*'
Das Spektrum und die Balm von d CMoids. Dieser Stern 2.5 Orofie
gehört zu denjenigen Fixsternen, welche einen geringen Liditwe^disel
eikennen lassen. Im Jahre 1834 wurde John Herschel zuerst auf
dessen Helligkeitsänderungen aufmeiksam, und M Jahre sp&ter
bestätigte Sulzer die letztem. Auwers glaubte aus seinen BeobiM^-
tungen 1854 bis 1858 sogar eine bestimmte Idchtperiode ableiten «u
können und fand dieselbe zu 16.08 Tagen bei einer Hdligk^ts-
schwankung von 0.5 Größenklasse. Schönfeld hat diesen lichi-
wechsel im allgemeinen such erkannt und den Stern bestimmt zu den
VeränderUchen gerechnet.
Im Winter 1899 bis 1900 hat H. Deelandres mit dem grofien
photographischen Teleskop zu Meudon bei Paris das Bp^tmm von
d Orionis an eü Abenden aufgenommen und fand bei Yergleichimg
der Platten deuthche, periodisohe Verschiebungen der Spektarallinien.
Er erklärte infolgedessen den Stern für einen solc hen mit veränder-
licher Geschwindigkeit in der Gesichtslime, also für einen spektro-
skopischen Doppelstem. Aus seinen Messungen leitete Deslandres
eine Umlaufszeit des sichtbaren Sternes um den mit seinem unnebt-
bar^i Begleiter gemeinsamen Schwerpunkt von nur 1.92 Tagen ab.
Mit dieser Umlaufsdauer ließen sich jedoch die nahe gl^hzeitig^Ei
Aufnahmen auf dem Astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam
nicht vereinigen, und Prof. J. Hartmann beschloß deshalb» den Stern
weiter zu beobachten. Da die Spektrallinien desselben sehr ver-
waschen sind, so erschien es vorteilhafter, die Aufnahrnwi mit ge-
ringerer Dispersion (an einem Spek<ax)graphen mit nur einem Prisma)
zu machen. Solche hat Prof. Hartmann in d^i Wintermonaten 1901
bis 1902 und 1902 bis 1903 in größerer Anzahl ausgeführt, und ihre
Bearbeitung hat ihn dann zu sehr interessanten Ergebnissrai geführt. ^)
„Der Stern d Orionis", bemerkt Prof. Hartmann, „gehört zum
Typus der Ononsteme (I b), deren Spektrum neben den Linien des
Wasserstoffes hauptsächlich die des Hehums zeigt. Im vorliegenden
Falle sind alle diese Linien äußerst verwaschen und matt, so daß ihre
Messung sehr schwierig und unsicher ist. Wegen der geringen
1) SitzungBbar, d. Kgl. Akad d Wies, in Bwlin 1004. p. 527.
FlxBttriie. 93
Intenaitäfc den Linien sind alle Plattenfehler sehr störend, und infolge
iin^eichmäßiger Kom&blagerung erscheinim die Linien häufig krumm
«ndi unsymmetrisch, bisweilen sogar verdoppelt. Duroh eine he-
sondeare Untorsuchung habe ich mich davon überzeugt, daß die An-
deutungen von Verdopplungen und unsymmetrischen Verbreiterungen
nicht dusch Linien veranlaßt sein können, welche der zweiten Kom-
ponente des Systemes angehören; jedoch halte ich es nicht für aus-
geschlossen, daß. die Form der Linien, vielleicht infolge heftiger
Bewegungen in der GaahüUe des Sternes, kleinen reellen Änderungen
unterworfen ist. Muß man hiemach d Qrionis für ein Doppelstem-
system halten, dessen eine Komponente, wie man sich auszudrücken
pflegt, „dunkel** ist, so möchte ich doch darauf aufmerksam machen,
daßman hier unter „Dunkelheit^'nur einen relativ genngenHelligkeits-
unterschied zu verstehen hat. Schon ein Unterschied von etwa, einer
Größenklasse würde ausreichen, um das Spektrum der schwachem
Komponente fast zum völligen Verschwinden zu bringen, und bei
einem Unterschiede von zwei Größenklassoa ist es unmögUch, daß
auch nur eine Spur des schwachem Spektrums erscheint. In dieser
geringen GrößendifferBxiz, die zur Auslöechung dee schwachem. Spek-
trum» genügt, liegt auch die Erklaiiing der Tatsache, daß sich unter
den zahlreichen bisher entdeckten spektroskopischen Doppelsystemen
nur raie sehr kleine Anzahl solcher befindet, bei denen sich auch die
zweite Komxx>nente im Spektrum nachweisen läßt.**
Die Ausmessung der Position der einzelnen Linien auf der Platte
hat Prof. Hartmann mit ganz besonderer Sorgfalt durchgeführt, um
von Fehlem in der persönUchen Auffassung des Messenden mögUchst
frei zu bleiben. Auch hat er sich dabei nicht auf die Wasserstofflinie
Ht* beschrankt, sondern im ganzen die Position von 23 verschiedenen
Linien gemessen, darunter die Hauptlinien des Wasserstoffes und
HeUums, sowie Linien des Siliziums und eine Kalziumlinie (k 3934).
Die samtlichen Linien zeigen periodische Verschiebungen ihrer Lage,
welche eine Bahnbewegung des Sternes dOrionis offenbaren; nur
allein die Kalziumlinie macht davon eine Ausnahme, indem sie über-
raschender Weise an der durch die Bahnbewegung des Stemes ver-
ursaohten periodischen Linienverschiebung durchaus nicht teil-
nimmt. Prof. Hartmann hat diese Tatsache außer jeden Zweifel ge-
stellt, und es fragt sich jetzt, wie sie zu erklären ist. „Das die dieser
dunkeln Linie entsprechende Absorption,** sagt Prof. Hartmann,
,,erst in der Erdatmosphäre stattgefunden habe, ist schon wegen der
Art dieser Absorption ganz unwahrsoheinlich. Auch würde dann
die betreffende Linie überhaupt in jedem Stemspektrum auftreten^
und die aus ihrer Lage berechneten Geschwindigkeiten müßten durch
Anbringung der Reduktion auf die Sonne in schlechtere Überein-
fltimmung kommen. Allein gerade das Gegenteil ist der Fall; erst
durch Reduktion auf die Sonne wird der Wert völlig konstant, und
hierdurch ist der kosmische Ursprung der Linie bewiesen. Die zu-
94 Fixsterne.
nächst liegende Annahme, daß die beobachtete Linie der zweiten
Komponente des Doppelstemsystemes angehöre, führt aal zwei
Schwierigkeiten. Man müßte naänlich für die zweite, lichtBchwachere
Komponente eine mindestens zehnmal so große Masse annehmen als
für den hellen Stern. Ist dies schon sehr unwahrscheinlich, so ist es
noch auffäUiger, daß sich von dem Spektrum des zweiten Körpers keine
einzige weitere Linie verraten sollte. Das Auftreten einer solchen
einzelnen Linie würde sich durch keinen der bisher bekannten Spektral-
tjrpen erklaren lassen, und es weist vielmehr mit ziemlicher Sicher-
heit auf das Vorhandensein einer mit dem Sterne nicht unmittdbar
zusammenhängenden absorbierenden Gasschicht hin.
Man wird hierdurch zu der Annahme geführt, daß sich auf der
Gesichtslinie zwischen der Soime und d Orionis an irgend einer Stelle
des Baumes eine Wolke befindet, welche jene Absorption hervor-
bringt und sich mit 16 km Geschwindigkeit von uns ^itfemt, falls
man noch die nach der Natur der beobachteten Linie sehr wahrachein-
hche Annahme zuläßt, daß die Wolke aus Kalziumdampf besteht.
Diese Folgerung findet eine wesentUche Stütze in einer ganz ähnhchen
Erscheinung, die das Spektrum der Nova Persei im Jahre 1901 zeigte.
Während in diesem Spektrum die Linien des Wasserstoffes und
anderer Elemente durch ihre enorme Verbreiterung und Verschiebung
und den fortwährenden Wechsel ihrer Form auf stürmische Vorgange
in der Gashülle des Sternes schUeßen Ueßen, wurden während der
ganzen Dauer der Erscheinung die beiden Kalziumlinien X 3934 und
1 3969, sowie die D-Linien als völlig scharfe Absorptionslinien beob-
achtet, welche die konstante Geschwindigkeit -f 7 hm ergaben.
Schon damals äußerte ich den Gedanken, daß die genaimten scharfen
Linien wahrscheinlich ihre Entstehung nicht auf der Nova selbst,
sondern in einer in der Gesichtelinie liegenden Nebelmasse hätten,
eine Ansicht, die durch die spätere Entdeckung der Nebel in der
Umgebung der Nova nur an Wahrscheinhchkeit gewonnen hat.
Auch bei d Orionis ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Wolke in
Zusammenhang mit den ausgedehnten Nebelmassen steht, welche
von Bamard in der Umgebung nachgewiesen wurden. Die zweite
Kalziumlinie X 3969 wird im Spektrum von d Orionis durch die breite
WasserstoffUnie He überdeckt und kann daher nicht beobachtet
werden.
An welcher Stelle der Visierlinie die Nebelmasse liegt, läßt sich
nicht ermitteln; um ihre seitliche Ausdehnung zu bestimmen, wird
man die Spektra der benachbarten Sterne, namentlich solcher mit
veränderlicher oder stark abweichender Geschwindigkeit, auf das
Vorkommen der Kalziumlinie zu prüfen haben. In den Spektren
von i und e Orionis ist diese Linie vorhanden, doch kann man, da die
Geschwindigkeit dieser Sterne nur wenig von der oben angegebenen
Bewegung der Wolke abweicht, ihre Zugehörigkeit zum Spektrum
des Sternes oder der Wolke nicht entscheiden.''
Fixsterne. 95
Indem Prof. Hartmann zur Bestimmung der Bahn überging,
die d Orionis mit seinem Begleiter um den gemeinsamen Schwerpunkt
beschreibt, fand er auf Grund des einen großem Zeitraum um-
fassenden Materiales, daß die von Deslandres vermutete Umlaufs-
dauer nicht zutreffend ist, sondern die wahre Umlaufszeit 6d 17h
34in 48s beträgt mit einem wahrscheinlichen Fehler von ±_ 17«. Die
weitere Rechnung ergab folgendes:
Bewegung des Sobwerpunktos der Bahn (Vi) r= -|-23.1 kwy
Zeit des Periastrums (T) = 1902 Februar 12.36,
Epoche, in welcher Y = Null (to) = 1902 Februar 11.13,
Län^ des Perihels Yom Knoten an (••) = 339® 18.9',
LSnge des entferntesten Punktes der Bahn (u^) = 95® 32.9',
Länge des nächsten Punktes der Bahn (u,) = 264® 27.1',
Exzentrizität (e) » 0.103 34.
Projektion der großen Halbachse der Bahn auf die Gtesiohts-
linie zur Erde (a-sin i) = 7906600 km.
Die Neigung i der Bahn bleibt unbekannt, imd daher kann man
den Wert der halben großen Achse nicht direkt ermitteln. „Dagegen
kann man die Distanzen angeben, bis zu welchen sich der sichtbare
Stern hinter und vor diese Ebene bewegt, denen also die oben mit u ^
und U2 bezeichneten Langen entsprechen. Es ergibt sich, daß sich
der Stern bis 8 069 400 ibii hinter diese Ebene und bis 7 498 500 km
vor die Ebene bewegt. Macht man folgende Annahmen für die
Neigung der Bahn gegen die Gesichtslinie zur Eide, nämlich i =» 46°,
60°, 75° und 90°, so erhält man folgende Werte für die große Halb-
achse ader Bahn:
für i
460
a s=
11182000 km
60
9129800 „
75
8185600 „
90
7906600 „
Man erkennt aus dieser Zusammenstellung, daß die Bahn, falla
man i nicht sehr klein annimmt, etwa den sechsten Teü des Durch-
messers der Merkurbahn hat. Sind die Massen der beiden Kom-
ponenten des Doppelsystemes nahezu gleich, so würde hiemach der
Abstand der Sterne voneinander ungefähr ein Drittel des Abstandes.
des Merkur von der Sonne sein.
Da über die Bewegung des Begleiters nichts bekannt ist, so
kann man bezüglich der Masse des Systemes nur unter gewissen An-
nahmen zu näherungsweisen Schätzungen gelangen. Prof. Hartmann
kommt hiemach zu dem Ergebnisse, daß bei d Orionis die beiden
Massen nahezu gleich sein dürften, und die Gesamtmasse des Systemes
wahrscheinlich fünf- bis zehnmal größer als die Masse unserer Sonne ist.
Die Bahn des spektroskopisehen Doppelstemes i PegasL Die
Tatsache, daß i Pegasi ein spektroskopischer Doppelstem ist, wurde
von Campbell entdeckt und im Mai 1899 veröffentUcht. Jetzt hat
Heber D. Curtis von der Lickstemwarte eine genaue Bahn-
berechnung dieses Binarsystemes ausgeführt, und zwar gestützt auf
96
Fizflenia.
die Meesongeii der LinienveisohiebiiiigBn sai 48 photogiaphificbea
Platten» die zwischen 1897 Oktober 7 uiid 1903 Dezember 1 auf d»*
Lickstemwarte eriialten wurden. Diese Mbssungeü liefern für die
Geschwindigkeiten des sichtbaren Hauptstones in der Gesichtriinie
größtenteils sehr genaue Werte, und infolgedessen konnte die Bahn
dieses Doppelsystemes mit einem hohen Grade von Zuveriaesig^t ab^
geleitet werden. Nachstehend sind die endgültigen Werte für die
einzelnen Bahnelemente, zu denen der Berechner gelangte, angegeben:
Dauer d« Umlaufes um den gemeinsamen Schwerpunkt P ■> 10.21312 Tage
+ 0.0006 „
Geschwindigkeit des Massenschwerpunktes des Sjslemes Y = — 4.12 km
+ 0.11 „
Zeit des Periastrums T = 1899Junil4.9€6
±0 362 Tage
Exzentrixiat der Bahn e :== 0.0086 ±0.0<MO
Positionswinkel des Periastrums m ^ 261.807<^
+ 1.378 •
Halbe grofle Aehse der Bahn a sin i s= 6.740000 km
Die Geschwindigkeit von i Pegasi in der Gesichtalinie variiert
zwischen + 43.7 und — 52.1 km in der Sekunde. Die genauesten
Untersuchungen des Sternes am 36-zölligen Refraktor haben keine
Spur des Begleiters oder einer Verlängerung der runden Scheibe des
Sternes erkennen lassen.
Sterne mit elgentflmlleheii Spektren. Bei Untersuchung der
photographischen Platten der Harvardstemwarte hat Mrs. Fleming
wieder eine Anzahl von Sternen mit eigentümlichen Spektren
8t«nbild
B. A. 1900
D«. iHe
Gros«
Spektnun
*^-
Taams
h m
6 46.9
+ 16 67
Verfinderlicfa
W.P.Fleming
Aurigra
6 27.6
+ 42 34
93
N.'
9t
W.P. Fleming
OanU Minor
7 42.8
+ 6 44
. ,
...
t|
L. D. Wftllft
Vela
8 11.7
— 46 10
7.1
B3A
Bß B. hrtl
A. J. Cannon
Vela
9 20.4
-48 26
10.0
lld.
Verftnderlioh
W.P.Fleming
Carina
9 85 9
— 69 38
, ,
helle Lin.
Gatoebel
W.P.Fleming
Carina
10 8.3
— 67 33
6.7
B3A
H/9 B. hell
W.P.neming
Carina
10 32.8
— 70 12
. ,
Md.
Verftnderlioh
W.P.Fleming
Vela
11 8.6
— 47 40
9.9
P.
dunkle Band.
W.P.Fleming
Ürsa Major
11 61.3
+ 68 26
7.6
Md.
rerftnderlleh
E. S. Klag
Orux
12 60.7
— 67 21
, ,
P.
99
W.P.Flendng
OentauruB
13 7.6
— 66 26
9.4
• . •
99
S. E. BresllB
Virgo
13 31.0
-19 6
9.0
• . .
9*
W.P.Fleming
Ära
17 11.6
— 46 62
10.0
N.
99
L. D. Wells
Lyra
18 37.6
+ 28 48
9.3
Me.
99
W.P.Fleming
Telescoplnm
20 12.9
— 60 8
10.0
N.
•9
L. D. Wells
GapricomuB
20 13 3
— 16 10
8.0
Me.
99
W.P Fleming
CygnuB
20 68.9 •
-f 48 64
8.4
. . .
99
J. A. Dünne
Indus
21 3.1
— 64 7
10.0
P,
dunkle Ban4.
W.P.Fleming
Oepheus
22 12.9
+ 66 7
, ,
helle Lin.
Typ. V.
W.P. Fleming
Laoerta
22 19.9
+ 60 28
, ,
>» >»
Gasnebel
W.P.Fleming
Pegasus
22 69.2
-f 14 46
• •
Verinderlloh
E.CPickerlng
FlzBteme. 97
% entdeckt, von denen Prof. Piokering ein Verzeichnis gibt, i) Das-
I.' selbe ist hier wiedergegeben. Die Orter gelten für 1900, die
t Si>ektralkla438en sind die von der Harvardstemwarte adoptierten.
^ Auf einer am 15. Juli 1898 aufgenommenen Platte zeigt das
'' Spektrum des Veränderlichen RS Ophiuchi den Typus III mit den
^ Linien HC, Hß, Hd, H;' und Hß hell mit den Intensitäten resp. 2, 1,
' 6, 10 und 20, außerdem zwei helle Linien mit den Intensitäten 7 und
^ 14. Sie scheinen zusammenzufallen mit den hellen Linien im Spek-
j trum von y Velorum, deren Wellenlängen sind: A4656 und >14691.
^ Bis jetzt ist kein anderer veränderlicher Stern mit einem solchen
L' Spektrum bekannt.
II:
^^ Der Ringnebel in der Leyer ist von Prof. Schaerberle auf der
r Sternwarte zu Ann. Arbor (N.-A.) photographiert worden. Derselbe
1^ bediente sich dazu eines Spiegelteleskops, dessen parabolischer Spiegel
bei 33 cm freier Öffnung nur eine Brennweite von 0.5 m besitzt, also
^ in bezug auf Lichtstärke alle gleichzeitigen photographischen Fem-
e. röhre übertrifft. Von dem Zentralsteme des Nebels gehen auf der
^ Photographie zwei spiralige Streifen aus, die sich ihrerseits wiederum
verzweigen und einander durchkreuzend den bekannten nebligen
Bing bilden. Auch über diesen hinaus zeigt die Photographie noch
' feine Nebelbogen, so daß dieses Gebilde im großen und ganzen an die
^ Spiralnebel erinnert. Das nämliche gilt nach Schaerberles Auf-
nahmen von dem Nebel im Fuchs (N G K 6853), den Rosse unter dem
Namen Dumbbellnebel beschrieben und gezeichnet hat. Auch der
große Sternhaufen im Herkules (N G K 6205) zeigt nach Schaerberles
Photographie fein spiralige Nebel, auf denen sich die Sterne proji-
zieren, obgleich bis jetzt weder die großen Teleskope, noch andere
Photographien in diesem Haufen die geringste Spur von Nebligkeit
gezeigt haben. Allerdings ist das Schaerberlesche Instrument in-
folge seiner kurzen Brennweite so außerordentlich lichtstark, daß es
nach einer Belichtung von nur wenigen Minuten auf der photo-
graphischen Platte die feinsten Sterne hervorruft, die nur am Yerkes-
refraktor direkt gesehen werden können, und insofern hat das Er-
scheinen jener feinen Nebligkeiten in dem großen Sternhaufen im
Herkules durchaus nichts Auffallendes. Indessen ist doch zu wünschen,
daß die von Schaerberle mit seinem Instrumente erhaltenen Resultate
von anderer Seite Bestätigung finden. Dieses photographisohe
Spiegelteleskop hat übrigens infolge seiner kurzen Brennweite nur
ein sehr kleines, unverzerrtes Gesichtsfeld (etwa von 30' Duroh-
messer), und auch die Dauer der Belichtung darf eine Stunde nicht sehr
übersteigen, da sonst Schleierbildung eintritt.
^) Harvard OoUege Observatory Gircular Nr. 76.
K 1 e i n y Jahrbnoh XV.
98 Fixsterne.
Die Positton der Ebene der MOehstrafie. Prof. Simon Newcomb
hat hierüber eine wichtige Untersuchung veröffentlicht. „Es ist", sagt
er, „eine bekannte Tattache, daß dasEUmmelsgewölbe in derRichtong
der Pole der Milchstrafie am stemarmsten erscheint, und daß die
Zahl der sichtbaren Sterne zuerst langsam, dann aber rascher in der
Richtung gegen die Milchstraße hin zunimmt. Innerhalb des Milch-
etraßengürtels scheint die Stemdichte zienüich gleichmaßig zu sein,
aber in der Milchstraße selbst stehen die Sterne dichter, und es zeigen
sich oft Stemanhäufungen mit bestimmten Begrenzungen'*. Die
Hauptaufgabe der vorUegenden Untersuchung ist die Bestimmung
der Hauptebene der Milchstraße und die Erörterung der Frage, ob
die nicht zu dieser gehörigen Sterne in der Richtung gegen die Ebene
derselben dichter stehen oder in bezug auf irgend eine andere Ebene.
Prof. Newcomb geht von keiner Hypothese über die wirkliche Dichte
der Stemanhäufung im Räume aus, sondern betrachtet ledigUch die
scheinbare Verteilung der Sterne am Himmelsgewölbe. „Wir denken
uns", sagt er, „eine beliebige Ebene durch unsem Standpunkt gelegt,
der den Anfangspunkt der Koordinaten bildet, und diese Ebene un-
begrenzt in den Raum hinaus erweitert. Dieselbe schneidet dann die
Hinmielssphäre in einem größten Kreise. Die senkrechte Entfernung
eines Sternes von dieser Ebene wird der Sinus seines Winkel-
abstandes von dem erwähnten größten Kreise sein. Bildet man die
Summe der Quadrate dieser Sinusse für das ganze betrachtete System
der Sterne, so wird der Wert dieser Summe sich ändern mit der Lage,
die wir jener Ebene zuweisen. Die Hauptebene der Stemdichte wird
weiter diejenige sein, für welche die erwähnte Summe der Quadrate
am kleinsten ist. Die Ausführung dieser Rechenoperation führt auf
eine kubische Gleichung, deren drei Wurzeln die drei Hauptebenen
des betrachteten Stemsystemes bezeichnen, und zwar entspricht die
kleinste der Ebenen der Verdichtung, während die andern Ebenen
rechtwinklig dazu stehen. Wenn das betrachtete Stemsystem auf
einem größten Kreise liegt, so wird der Wert der kleinsten Wurael
der Gleichung gleich Null. In Anwendung dieses Gedankenganges
auf die Milchstraße entsteht eine Schwierigkeit dadurch, daß letztere
zwischen den Sternbildern Adler und Schwan eine große Trennung
oder Bifurkation zeigt. Prof. Newcomb betrachtet deshalb zwei
Fälle, indem er einmal den abgetrennten Zweig der Milchstraße mit
in Rechnung zieht, in dem zweiten Falle ihn dagegen unberück-
sichtigt läßt. In keinem von beiden Fällen findet sich indessen, daß
die mittlere Ebene der Milchstraße genau einen größten Kieis des
Himmelsgewölbes darstellt, und daraus folgt weiter, daß unsere Erde
nicht im Mittelpunkte des Milchstraßengürtels sich befindet. Prof-
Newcomb geht daim zur Untersuchung des Streifens oder Gürteb
heUerer Sterne über, welchen zuerst Sir John Herschel erkannte, und
der später von Gould ebenfalls hervorgehoben wurde. Dieser Gürt^
zieht sich in einem größten Kreise über den Himmel, welcher die
Fixsterne.
99
Ebene der Milchstraße unter einem \^^nkel von etwa 20^ schneidet.
Aus der Berechnung der scheinbaren Lage am Himmelsgewölbe von
36 hellen Sternen mit schwachen Eigenbewegungen findet Prof.
Newcomb, daß dieser Gürtel die Milchstraßenebene unter einem
Winkel von 11^ kreuzt. Dann untersucht er weiter, ob sich die
Sterne bis einschließlich 2.6 Größe um eine Hauptebene gruppieren,
hierauf diejenigen bis 3.5 Größe, dann alle hellen Sterne, und zuletzt
dehnt er diese Untersuchung auch auf die Sterne des 6. Spektral-
typus aus, welche imter der Bezeichnung Sterne des Wolf-Rayet-
Typus zusammengefaßt werden. Die nachstehende Tabelle enthält
die Ergebnisse dieser Rechnungen, indem sie die Position der Pole
der Hauptebenen, um welche sich die betreffenden Sterne gruppieren,
angibt. Die entsprechende Hauptebene liegt also am Himmel in
einem größten Kreise, der überall 90^ von dem zugehörigen Polpunkte
entfernt ist.
Ebene der MUohBtraße (ohne Berücksichtigung der
Trennung im Schwan)
Ebene der Milchstraße (einschliefilich der Trennung)
Qoulds Stemengürtel (nach Gould)
Derselbe, aus 36 Sternen mit schwacher Eigenbewegung
Ebene der Sterne bis 2.5 Größe
»f n »» »> *•" »»
„ aller hellen Sterne
„ der Sterne des fOnften Tjpu8
Polpunkt
192.8«
191.1
171.2
179.6
181.2
180.0
180.0
190.9
DeUln.
+ 27.2 0
+ 26.8«
+ 80.0
+ 26.4
+ 17.4
+ 21.6
+ 21.5
+ 26.7
Aus einer Prüfung des Stemreichtumes der Milohstraiienregion
schließt Prof. Newcomb, daß, wenn die galaktischen Agglomerationen
außer Betracht bleiben, die Zusammendrangung der hellen Sterne
um ihre Hauptebene kaum größer erscheint eis bei zufälliger Orup-
pierung, und daß inmier noch eine Zunahme des Stemenreichtumes
des Himmelsgewölbes von den Polen gegen die Ebene der Milch-
straße hin stattfindet, etwa bis zum doppelten Betrage des an den
Milchstraßenpolen bestehenden.
Geophysik.
Allgemeine Eigenschaften der Erde.
Der Znsland des Etoens im Erdinneni« Das mittlere spezifische
Gewicht der Erde laßt es überaus wahrscheinlich erscheinen, daß das
tiefe Erdinnere aus Schwermetallen besteht, darunter wahrscheinlich
auch Eisen in großen Mengen vertreten sein dürfte. Über den Zu-
stand, in welchem dann letzteres sein müßte, hat sich 6. Tammann
verbreitet, i)
Man kennt vom Eisen drei allotropische Zustande. Bei
Erhitzung des reinen Eisens absorbiert dieses bei 770° eine er-
hebliche Wärmemenge, ohne sein Volumen merkUch zu ändern,
und verUert die Fähigkeit, der Magnetisierbarkeit fast voUständig;
das bei gewöhnUcher Temperatur beständige a-Eisen wandelt sich in
/3-Eisen um. Bei weiterer Temperatursteigenmg absorbiert das
^- Eisen bei 800° nochmals Wärme, jetzt unter nicht unerheblicher
Volumenänderung, indem es sich in das bis zum Schmelzpunkte be-
ständige ;'-EiBen umwandelt. Diese Umwandlungen sind reversibel,
sie treten bei der Abkühlung im entgegengesetzten Sinne wieder ein,
so daß also bei dem Übergange von f -Eisen in ß- oder a-Eisen infolge
der Abkühlung eine Volumenvermehrung stattfindet. Die Tem-
peratur der Umwandlung wird durch steigenden Druck, sowie durch
Zusatz anderer Elemente, so insbesondere von Kohlenstoff oder Nickel,
erniedrigt. Vom Nickel wurde überdies ermittelt, daß sich durch Zu-
satz von bis zu 30% Nickel der Umwandlungspunkt und hiermit der
Verlust der Magnetisierbarkeit unter deutlicher Verkürzung bis auf
Zimmertemperatur erniedrigen lasse, diese Umwandlung jedoch nicht
bei gleicher Temperatur reversibel ist, sondern bei der Abkühlung
die Verlängerung zusammen mit der Wiederkehr der Magnetisier-
barkeit erst bei einer bis um 400^ niedrigem Temperatur eintritt;
wogegen Zusätze von 40 bis 100% Nickel zur Folge haben, daß der
wiederum reversible Verlust der Magnetisierbarkeit ohne merkliche
Volumenänderung erfolgt. Infolge dieser Abhängigkeit vomDruck und
von Beimengungen wird sich das Eisen in der Erde schon in nicht er-
^) Zeitsohiift f. unorgan. Qiemie 37.
Allgemeine gigenediaften der Erde. 101
heblicdier Tiefe im f-Ziistande befiodKi. DasinTiefenüber^/i^oBird-
ndiQB (bei über 16000 kg Drack und über 600"" Tempemtiir) in der
Erde vorkommende Eisen« welohee wohl niokel- und kohlfinetoff-
haltdg ist, konnte sieh nur im f -Zustande befinden, in dem es mir
schwach magnetisierbar ist. Bei sinkender Temperatur der Eide
würde dann das Eisen unter Volumenvergröfierung in den stArker
magnetisierbaien Zustand übergehen.
Vorläufige Ergebnisse des Intemaflenalen Brrttendlenslas in der
Zelt von 1908.0 Mb 1904.0 hat Prof. Th. Albrecht veröffentiidit. i)
Hiemach hat sich der Moment^l während des Jahres 1903 rom
mittlem Pole noch weiter entlemt als in den Vorjahren, und es ist
anzunehmen, daß wir uns gegenw&rtig in einer Periode des Maximums
r; der Breitenvariation befinden.
i^ Die Schwankungen der Polhöhe. Prof. Albrecht hat zur*) Dar-
{ Stellung der Polhöhenanderung für die sechs Stationen des Breiten-
t dienstes der internationalen Erdmessung eine Formel gegeben, in
welcher sich ein Glied (z) findet, dessen Existenz zuerst von
Dr. Kimura ') nachgewiesen worden, und das einen mit der Zeit ver-
I änderlichen, aber für die sechs Stationen gleichen Wert hat. Von
i verschiedenen Seiten hat man versucht, die Ursache der von diesem
^ OUede abhängigen Breitenänderung zu bestimmen. Chandler be-
c rechnet in Astr. Joum. Nr. 630 den Einfluß eines Fehlers in der be-
nutzten Aberrationskonstante und einer mittlem Parallaxe der beob-
f achteten Sterne. Nach seinen Formeln ist es möglich, den Wert von
z durch eine mittlere Parallaxe dieser Sterne im Betrage von 0.128^
^ darzustellen, aber die wirkliche mittlere Parallaxe ist ohne Zweifel
, viel kleiner, so daß in dieser Weise nur ein sehr kleiner Teil der beob-
; achteten Breitenänderung erklärt werden kann. Durch einen Fehler
in der Aberrationskonstante läßt sich der beobachtete Wert von z
gar nicht darstellen.
Eine Bewegung des Erdschwerpunktes in der Richtung der Erd-
achse würde eine für alle auf demselben Parallel liegenden Stationen
gleiche Breitenänderung hervorrufen. Nimmt man nach dem von
Albrecht bestimmten Werte eine jährliche periodische Änderung mit
einer Amplitude von 0.04^ an, so würde die jährliche periodische
Bewegung des Schwerpimktes eine Amplitude haben von ungefähr
1.6 fii; die Verschiebung des Schwerpunktes zwischen den äußersten
Lagen wäre also 3 m. Will man diese Bewegung durch Abschmelzen
von Eis in den Polargegenden erklären, so muß man annehmen, unter
der Voraussetzung, daß durch den Druck des Eises das Festland sich
1) Astron. Naobr. Nr. 3045.
*) Resphate des intematiOBBlen BreitendieoBtes 1.
s) Astaron. Naohr. 158. p. 233.
103 Allg«iii«l]ie BigMiiidliafteii der Erde.
nicht deformiert (auf diesen Umstand hat Helmert hingewiesm), daB
auf dem Polarkontinente eine Menge von ungefikhr 3 Millionen Kubik-
kilometer Eis abschmelzen sollte. Das ist eine Eisdecke von 1 km
Dicke auf einem Festlande von ungefähr 244 Quadratgrad oder auf
einem Teile der Erdoberfläche innerhalb eines Kreises von ungefähr
9^ Radius. Betrachtet man die Wärmemenge, welche die Erde jähr-
lich von der Sonne empfängt, so leitet man daraus Imcht ab, daß
eine solche jährUche Umwandlung von Eis in Wasser in den Polar-
gegenden nicht möglich ist. Es ist jedoch nicht unmög^ch , daß
durch andere uns bis jetzt unbekannte Ursachen eine solche Sdiwer-
punktsverschiebung hervorgerufen wird.
Prof. H. 6. van de Sande Bakhuyzen in Leiden versuchte nun
zu zeigen,^) daß unter den verschiedenen Hypothesen zur Erklärung
der durch z in Albrechts Formel dargestellten Breitenänderung von
dem jetzigen Standpunkte diejenige als die meist wahrscheinliche
oder am wenigsten unwahrscheinliche erscheint, welche diese Än-
derung für nicht reell, sondern als durch Befraktionsanomalien her-
vorgerufen betrachtet. Bevor man über die Zulässigkeit dieser
Hyxx>these ein bestimmtes Urteil fällen kann, muß jedoch noch ver-
schiedenes untersucht werden. Es sind dazu nötig einerseits
Bestimmungen der Breitenvariation an Stationen unter sehr ver-
schiedenen Breiten auch in der südlichen Hemisphäre, anderseits
Untersuchungen über die Neigungen der Luftschichten gleicher
Dichte, deren Einfluß schon früher bei den allgemeinen Refraktions-
theorien u. a. von Gyld6n und Radau erwähnt worden ist. , ,
Ober die Ursache der Breitenvariation bemerkt Dr. A. Caspar
am Schlüsse seiner Abhandlung über die Polhöhe der Sternwarte
zu Heidelberg^) folgendes:
„Daß die Breitenvariation nicht allein durch äußere Einflüsse
sondern hauptsächlich wohl durch Massenverschiebungen in und auf
der Erde bedingt wird, ist schon verschiedentlich diskutiert worden.
Die Bewegungen von zur Erde gehörigen Massen kann man in
säkulare und periodische trennen. Die säkularen Massenbewegungen
werden wegen der verhältnismäßigen Geringfügigkeit der dabei in
Betracht kommenden Massen einen kaum merklichen Einfluß auf
die jährliche Breitenvanation ausüben. Sie werden zum größten
Teile von dem allmählichen Ebenen der Erdoberfläche durch die
Flüsse und durch die Handelstätigkeit des Menschen verursacht.
Hinsichtlich der letztem wiQ ich nur auf die Ausfuhr von Kohlen
und Petroleum hinweisen, deren Verbrennungsprodukte sich dann
nahezu gleichmäßig über die ganze Erdoberfläche ausbreiten werden,
während die Ausfuhrländer hauptsächlich auf der nördlichen Halb-
») Astron. Nachr. Nr. 3937. p. 9.
*) Bestiminuiig der Polhöhe der Sternwarte zu Heidelberg. Ham-
burg 1903. *
Allgemeine Eigenechaften der Erde. 103
« kugel liegen. Zu den säkularen Massenbewegungen könnte man
si allenfalls noch die Staubfalle, verursacht durch vulkanische Erup-
r. tionen oder durch Sturmwinde, rechnen; doch sind die auf diese
ti Art und Weise bewegten Massen sehr gering. Verf. selbst befand
c: sich vor etwa sechs Jahren zwischen Kap Verde und den kanarischen
r; Inseln sieben Tage lang in einem dichten Staubregen, so daß man
t;, nur etwa 100 m weit sehen konnte; dennoch betrug die Dicke der
^ Staublage, die sich in den sieben Tagen gebildet hatte, nur wenig
über 1 mm.
Periodische Massenbewegungen im Innern der Erde sind wegen
der Unbeweghchkeit dieser Massen infolge des auf ihnen lastenden
großen Druckes ziemlich unwahrscheinlich. Tatsächlich vor-
handen sind solche periodische Massenbewegungen bei der Luft und
besonders beim Wasser.
^ Schon bei mäßigen auflandigen Winden kann man an den Küsten
^ ein Steigen, bei ablandigen Winden ein Fallen des Wasserstandes
bemerken. Bei schweren Stürmen können die dadurch verursachten
Meeresniveaudifferenzen beispielsweise an der Nordküste Deutsch-
lands bis zu 4 m betragen. Es ist daraus ersichtUch, daß Winde,
wie die Monsune und Passatwinde, die ausgedehnte Gebiete be-
herrschen und teilweise ganz bedeutende Geschwindigkeiten haben, im-
stande sind, große Wassermassen zu verschieben. Im allgemeinen
haben, wie aus den Strom- und Windkarten zu erkennen ist, Meeres-
und Windströmungen dieselben Richtungen. Nur wenn das auf-
gestaute Wasser keinen Abfluß findet, kaim es vorkommen, daß eine
Meeresströmung ihren Weg direkt gegen den Wind nimmt, dem sie
I ihr Entstehen zu verdanken hat. Man hätte also an den Strömungen
I ein Mittel, um Meeresniveaudifferenzen konstatieren zu können. Da
aber untere Strömungen, deren Vorhandensein und Natur nur sehr
f ungenau zu bestimmen ist, die Wirkung der obem Strömungen ab-
( schwächen und sogar aufheben können, so wird man dieses Mittel
[ nur für Wasserflächen in Anwendung bringen, deren Niveauände-
rungen man auf andere Art und Weise nicht bestimmen kann; also
für große MeereeteUe, innerhalb deren keine Inseln vorhanden sind.
Allein zuverlässig sind nur solche Bestimmungen der jährlichen
Niveauschwankungen der Ozeane, die durch direkte Wasserstands-
messungen gewonnen sind. Solche Bestimmungen werden aber auch
eine Handhabe geben, um die Genauigkeit der durch Richtung der
Oberströmungen gewonnenen Resultate zu prüfen.
Schließlich sind noch für die nördliche Halbkugel die sich im
Winter aufhäufenden Schneemassen in Betracht zu ziehen.*'
Ober die Redaktion der Sehwerebeobachtungen auf das Meeres-
nlvean hat Albert Prey eine Untersuchung ausgeführt. ^) Indem er
^) Anzeiger der Wiener Akad. 1904. Nr. 1. p. 234.
104 Allcemaliie Bigaiiehafteii dar Erde.
sich die Unebenheiten der Erdoberfläche durch eine Entwiddmig
nachKugelfimktionen dargesteUt denkt, wird von ihm for dieSohiwe-
beschleunigung eine Formel abgeleitet, wriche den EinflnB aDer
sichtbaren Massenunregelmaßigkeiten der Erde auf die Schwese-
reduktion berücksichlagt. Es ergibt sich, daß unter Vemachl&asigoiig
der Ton der zweiten Potenz der Meereahöhen abhangigen (Shedor für
die Reduktion der Schwere auf das Meeresniveau ohne Verändenmg
in der Lage der sichtbaren Massen eine der bekannten Toimg-
Bouguerschen analoge Formel maßgebend ist, welche nur die Reduk-
tion wegen der Meereshöhe und wegen der Plattenanziehung gibt.
Soll die Anziehung der sichtbaren Massenunregelmaßigkeitrai in
Abzug gebracht werden, so genügt bei derselben Genauigkeit die An-
wendung einer Entwicklung nach Kugelfunkticmen bis einachliefflich
fünfter Ordnung. Die von den Kugelfunktionen höherer Ordnung
herrührenden Glieder summieren sich zu der Anziehung einer hori-
zontal begrenzten, unendUch ausgedehnten Platte, deren Dicke von
jenem Teile der Höhe des angezogenen Punktes gebildet wird, weMier
nicht der allgemeinen kontinentalen Erhebung angehört, d. h. durch
obige Entwicklung nach Kugelfunktionen nicht mehr dargestellt wird.
Eine Untersuchimg der Glieder mit der zweiten Potenz der Er-
hebungen über dem Meere zeigt die Konvergenz des Verfahrens für
die Verhältnisse der Erde, wobei sich ergibt, daß diese Glieder mit
der topographischen oder Geländereduktion identisch smd.
Die vom Verf. abgeleitetenFormeln sollen dazu dienen, den Einfluß
der kontinentalen Massen auf die Schwere zu berechnen, und weiden
erlauben, die Frage genauer zu untersuchen, inwieweit die sichtbaren
Kontinentalmassen durch sogenannte unterirdische Defekte kom-
pensiert sind.
Eine Untersuchung der Oszillationen der Lotlinie auf dem Astro-
metrischen Institut der Sternwarte bei Heidelberg hat W. Schweydar
ausgeführt. ^) Vor mehr als zehn Jahren hat E. v. Rebeur-Paach-
witz den Vorschlag gemacht, die Oszillationen der Lotlinie mittels
zweier Horizontalpendel, die in ein und demselben Gehäuse in zwei
zueinander senkrechten Ebenen aufgestellt sind, näher zu studieren.
Diese Kombination mußte von vornherein aus manchen Gründen
gegenüber dem einfachen Apparate von hoher Wichtigkeit erscheinen.
In erster Linie ist durch sie die Möglichkeit geschaffen, die Verände-
rung der AmpUtude der periodischen Bewegung des Zenitpunktes
mit der azimutalen Richtung zu untersuchen und somit, wenn es sich
um elastische Deformationen handelt, zu konstatieren, ob die Elasti-
zität des Erdbodens vom Azimut abhängig ist. Femer erhält man
durch dieses zweifache System eine gewisse Kontrolle für die Realität
^) Gerlands Bextzäge Etir Geophysik 7. p.
Allgemeine EigensehafteB der Erde. 105
IS der Resultate. In der vorliegenden Arbeit ist die Untereuchiing fik
h jedes Pendel getrennt durchgeführt.
1 ^ Über die Art und Weise der Aufstellung derselben ist das Original
li> nachaniseh^i. Die Beobaohtungen, d. h. die photograplÜBohen Be-
{^ gistrierungen der Bewegung des Pendels begannen im Juni 1001 und
wurden bis Ende Juli 1902 fortgesetzt.
Das Instrument war so aufgestellt, daß der Vertikalkreis des
ein^i P^idek in die Südostrichtung, der zweite in die Nordostrichtung
fiel. Das erstere wird immer kurz als Süd-, das letztere als Nord-
pendel bezeichnet werden. Zahlt man die Azimute im astronomischen
Sinne von Süden über Westen nach Norden, so ist das Azimut des
Südpendels — 45^ und das des Nordpendels — 136''.
^ In der registrierten Bewegung der Pendel fällt sofort eine Perio-
^ dizitat auf, bei der alles darauf hindeutet, daß sie der Sonnenwii^ung
zuzuschreiben ist. Schon der AnbUck der Kurv^i zeigt, daß sich
dieselben nicht auf einer zur Abszisse parallelen, sondern auf einer
gegen diese mehr oder minder geneigten Linie abwickeln. Die ge-
samte Pend^bewegung ist demnach eine Superposition von periodi-
schen Oszillation^! tmd einem fortschreitenden Gange. Diese un-
^ periodische Veränderung in der Stellung der Pendel nennt man den
V Nullpunktsgang. Daher hängt die Genauigkeit, mit der man die
ii9 Sonnenwelle, wie überhaupt alle periodischen Bewegungen ableiten
i kann, von der Sicherheit ab, die der Elimination des Nullpunkts-
ganges zugrunde liegt.
li Der Verfasser findet, daß bei dem Südpendel das Maximum der
l< nördlichen Ablenkung fast das ganze Jahr hindurch um 4Uhr nachmit-
i tags eintritt; das der südlichen Stellung ist bezügUch des Zeitpunktes
\i nicht SO konstant; es schwankt zwischen 6 und 9 Uhr morgens. Das
Nordpendel dagegen hat das Maximum der südlichen Ablenkung,
abgesehen vom Monate Dezember, während des ganzen Jahres um
)l die Mittagszeit; das der nördlichen findet, wenn man die unsiohem
^ Wintermonate ausnimmt, zwischen 4 und 8 Uhr morgens statt. Im
I Frühjahre, Sommer und Herbste entspricht bis auf eine Stunde dem
) nördlichen Maximum des Nordpendeb das südliche Maximum des
I Sudpendels; das Umgekehrte tritt nicht ein. Während nun der Ver-
I lauf der Südpendelbewegung sehr einfach ist und darin mit den Beob-
achtungen von V. Rebeur und Ehlert in Straßburg übereinstimmt,
ist dies beim Nordpendel nicht der Fall. Dies ist darauf zurück-
zuführen, daß hier die hohem GUeder gegenüber der ganztägigen
Periode sehr groß sind und in den Wintermonaten dieser sehr nahe
kommen, ja sie teilweise übertreffen.
Im ganzen übertrifft die Bewegung des Südpendels die des Noid-
})endels, doch ist diese Erscheinung nicht etwa auf eine eins^tige
Erwärmung der Mauern des Gebäudes zurückzuführen, vielmehr
muß man eine allgemeine Bodenausdehnung annehmen, wie schon
V. Rebeur und Ehlert aus ihren Beobachtungen geschlossen haben. Nur
106 Allgemein« Kigeoieluifleii der Erde.
fragt sich, ob man es zu tun hat mit einem allgemein terreatriflchen
Phänomen, das verschiedene Orte nach bestimmten Gesetzen beein-
flußt, oder mit einer über gröSeie Gebiete sich erstreckenden Massen-
bewegung, deren Amplitude und Gesetzmäßigkeit ganz und gar von
den TerrainTerhältnissen abhängt.
Ehlert hat in seiner Abhandlung: „Das Horizontalpendel**, die
Annahme gemacht, daß unter dem Einflüsse der Sonnenstrahlrai die
Erde so deformiert wird, daß die der Sonne zugewandte Halbkugd
in ein halbes EUipsoid übergeht, dessen Scheitel auf der Verbindun^B-
ünie des Erdmittelpunktes mit der Sonne liegt, und sucht durch geo-
metrische Betrachtungen das Phänomen zu erklären.
Schweydar zeigt aber, daß sich die ganztägige Periode in der
Hauptsache nicht durch die Annahme einer allgemeinen Aufwölbung
erkl&ren läßt, sondern im vorliegenden Falle nur ein geringer Bruch-
teil der Amplitude hierin seine Ursache haben kann.
„Wir müssen daher'*, sagt er, „dieselbeinerster Linieais einelokale
Bewegung der großen Gebirgsmassen ansehen. Hierfür spricht schon
der völlig parallele Gang der Amplitude mit der Temperaturoezilla-
tion; auch hegt das Maximum der ganzen Bewegung nicht im Früh-
jahre und Herbste, vielmehr fällt es in die wärmsten Monate."
Demnach registriert das Nordpendel die Bewegung der großen
Massen in ihrer Längs-, das Südpendel in ihrer Querrichtung. „Denkt
man sich das Gebirge aus lauter parallelen Schichten bestehend, so
sind dieselben in ihrer Südostrichtung weit ausgedehnter ab senk-
recht zu diesem Azimut. Man kann daher wohl annehmen, daß die
Komponente der Bewegung des Gebirges in der erstem Richtung
kleiner sein wird als in der letztem, da die Massen im erstem Falle
mehr zusammenhängen und daher schwerer zu bewegen sind. Hierzu
kommt noch, daß der südliche Abhang mehr erwärmt wird als der
nördliche, wodurch der ganze Gebirgszug in der Richtung ON' mehr
gehoben wird ab in seiner Längsrichtung.
Liegen abo nur lokale Undulationen vor, so müssen die beob-
achteten Erscheinungen eintreten. Die Periode wird ganztägig sein."
Was die halbtägige Welle anbelangt, so tritt bei dieser eine halb-
jährige Periode der Amplitude mit Maximums im September und
März deutlich hervor, und alles deutet bei ihr auf eine andere
Entstehungsursache. Schweydar glaubt, daß sie ihre Erklärung in
der oben erwähnten Aufwölbung findet. Was die drittel- und vi^tel-
tagige Periode anlangt, so kann man dieselben nicht ab ein Rechnungs-
resultat ansehen. Für ihre ph3n3ikaliBche ReaUtät spricht beeonderB
beim Nordpendel der Gang in den Amplituden, der den entsprechen-
den Größen der ganztägigen Welle püaUel geht. Dieser ParalldUs-
mus läßt es ab wahrscheinlich erscheinen, daß diese Wellen lokaler
Natur sind.
Der Gang in den Phasen läßt sich in der Weise erklären, daß bei
geringer Zufuhr von Wärme und somit kleiner Amplitude die Ver-
AUgemeine Elgensehafteii der Erde. 107
sp&tang der Bewegung in den tiefem Sohichten des Erdbodens größer
wird. Die direkte Anziehung der Sonne erzeugt ebenfalls eine ganz-
nnd halbtägige Periode in der Lotbewegung; doch sind diese zu klein,
um einen Beitrag zur Erklärung der beobachteten Werte zu Uefem.
Was den Einfluß des Mondes anbelangt, so stellt Verf. zunächst
den theoretischen Ausdruck für diese Art von Lotstörung fest. Die
Behandlung der Beobachtungen ergibt dann, daß ebenso wie bei der
Sonnenwelle die Oszillationen des Nordpendek sich komplizierter
gestalten als die des andern. Überraschend ist auch eine dabei auf-
tretende ganztägige Periode, die sich aus der Theorie der Mond-
attraktion nicht erklären läßt. „Es muß also auch hier die lokale
Massenverteilung maßgebend sein; dies kann aber nur dann der Fall
sein, wenn es sich um elastische Deformationen handelt. Wir müssen
daher diese Periode dem Installationseinflusse oder elastischen Reak-
tionen, die durch die Deformation der halbtägigen Welle erzeugt
weiden, zuschreiben. Sie hat daher vom allgemeinen Standpunkte
weniger Literesse." Die halbtägige Welle setzt sich aus zwei ein-
ander entgegengesetzten Wirkungen zusammen: aus der Anziehung
des Mondes und der durch diese hervorgerufenen elastischen Defor-
mation des Bodens. Auch bei der halbtägigen Welle zeigt es sich,
daß die elastische Bewegung in der Richtung der Südpendel-
komponente größer ist als in der der Nordpendelkomponente.
Sowohl die ganztägige wie halbtägige Welle beweisen, daß der
Erdboden in der Richtung des Gebirgszuges weniger elastisch ist als
in der hierzu senkrechten Richtung. Wäre dies nicht der Fall, so
müßten die Amplituden bei beiden Pendeln gleich sein, wie uns die
theoretischen Ausdrücke lehren. Hiermit stimmt auch die Tatsache
gut überein, daß in der erstem Richtung die Verfrühung kleiner ist;
eine Deformationswelle von geringerer Amplitude wird sich auch
langsamer fortpflanzen.
Während bei dem Einflüsse der Sonne die Amplitude der halb-
tagigen Welle in Heidelberg die in Straßburg bedeutend überwiegt,
sind beide hier nahezu gleich. Man kann hieraus schließen, daß
der Elastizitätskoeffizient des großen (Gebietes, das Baden und Elsaß-
Lothringen umfaßt, nahezu derselbe ist; der thermische Ausdehnungs-
koeffizient hat dagegen in Heidelberg einen viel großem Wert.
Verf. behanddt nun den Einfluß der Rotation der elastischen
Eide. „Nimmt man", sagt er, „an, daß der Schwerpunkt der Eide
nicht mit ihrem Mittelpunkte zusammenfällt, so müssen, wenn die
Erde Elastizität besitzt, unter dem Einflüsse der Zentrifugalkraft
Oszillationen der Lotlinie entstehen. Da die Periode der Rotation
der Eide ein Stemtag ist, so werden auch die Perioden jener Oszilla-
tionen aliquote Teile derselben Zeiteinheit sein.''
Es ergibt sich, daß ein beträchtlicher Teil der beobachteten
Amplituden auf elastische Wirkungen der Drehung der Erde zurück-
sufühien ist. Man könnte die Größe dieses Einflusses berechnen»
103 Allgemeliie EigeiiMli^leB der Srd«.
wenn es möglich w&re, aus dem Werte der Monduiziehung die .
tude und Verspätong d^ elastischen Deformation sso finden.
Wahrscheinlich ist, dafi durch die 2l^trifugalkraft der Rotatkm
elastische Bodenbewegungen hervorgerufen werden, deren Wot
0.004' nicht übersteigt.
Schließlich bemerkt Verf. : „Das Charakteristische an allen den
periodischen Bewegungen der Lotlinie, die wir untersucht haben, ist,
dafi dieselben in der Richtung der Gebirgsmassen weit komplizierter
sind als in der senkrechten Richtung. Während die Ordinaten der
Oszillationen des Südpendels sich mit Hilfe von zwei Perioden meist
gut darstellen lassen oder, wie bei der Sonnenwelle, nur sehr kleine
Glieder höherer Ordnung enthalten, sind beim Nordpendel drittel-
und vierteltagige Perioden zur Darstellung der Beobachtungen er-
forderUch. Femer konnten wir stets konstatieren, daß die elasti-
schen Schwankungen das Nordpendel oft bedeutend weniger beein-
flußten als das Südpendel. Der Erklarungsgrund, den wir bei der
Diskussion der tägUchen Periode der Sonnenwelle angegeben haben,
gewinnt daher an Wahrscheinlichkeit.
Wenn wir auch in jedem Palle, abgesehen von der Sonnen-
periode, nicht feststellen konnten, ob die kurzperiodischen Glieds
Rechnungsresttltate darstellen, oder ob sie ihre physikalische Berech-
tigung besitzen, so scheint es doch wahrscheinlich, daß ihre Existenz
reell und die Entstehungsursache in den öriUchen Verhaltniasen der
Pendelstation zu suchen ist. Dieselben sind stets beim Nord^^endel
ausgeprägt vorhanden und übertreffen in allen Fällen an Große die
entsprechende Südpendelbew^gung. Es sei auch darauf aufmerksam
gemacht, daß bei der Erscheinung der mikroeeismischen Unruhe die
Bewegung mit sehr kurzer Periode mehr hervortritt in der Nord-
pendel- als in der Südpendelkurve, während die langem Wellen dai
umgekehrte Verhalten zeigen.
Vielleicht darf man diese Wellen mit dea zusamm^ngeeetaten
Tiden der Gezeiten vergleichoi. Wenn in einem Kanäle mehrere
Tiden gleichzeitig existieren, und das Verhältnis der Einzeltide zur
Tiefe groß wird, so ist das Gesetz d&t Supeipoeition der Wellen gestört,
und es entstehen neue Wellen, die von der Summe und DüSerenz der
Argumente der Einzeltiden abhängen. Die Höhe dieser „Compound
tides'* wird daher ganz und gar durch die Küstenverhältnisse be-
stimmt.
In der Richtung des Gebirgszuges werden ankommende elastisdie
Wollen auf großen Widerstand toeffen und weniger tief dndringea
können. Berücksichtigt man noch, daß hierbei größere Reflex-
erscheinungen eintreten müssen, so ist leicht anzunehmen, daß ähn-
lich wie bei Gezeiten das Gesetz der Supeipoeition seine Gültigkeit
verliert, und die rechnerische Anatyse der ganzen Bewegung die kiuzen
Perioden liefert."
[{
Allgemeine Eigeniohaften der Erde. 109
Baftttmmuiigen der relattven Sehwere im östliehen Sizilien, auf
den ioilsehen Inseln und in Kalabrien hat A. Bicco ausgeführt, ^)
und zwar nach der Stemeckschen Methode . Im ganzen wurden diese
Pendehnessungen an 43 Stationen durchgeführt, und ihre Unter-
suchung ergab folgendes: Die Anomalien sind sämthch positiv. Die
größten Anomahen finden sich in StromboU und in Augusta, in der
Nähe großer Meerestiefen. Die kleinste AnomaUe trifft man auf dem
Observatorium des Ätna (2943m Seehöhe) nahe dem Gipfel des Berges.
Ein anderes sekundäres und unerwartetes Minimum zeigt sich in der Nähe
der Ostküste vom jenseitigen Kalabrien ; ein anderes auf den Nebrodi-
bergen, ein weiteres schwaches nahe dem Monte Lauro. Der größte
Gradient oder Wechsel der Anomalien findet sich vom Gipfel des
^ Ätna zum Ufer des Jonischen Meeres, etwa 140 auf 20 km, wo übrigens
^ auch der topographische Gradient, d. h. der Niveauunterschied sehr
'i' groß ist, nämlich 2000 m vom Gipfel des Ätna bis zum Ufer des
^ Meeres in 20 km, und 6000 m vom Gipfel des Ätna bis zur Tiefe von
( 3000 m im Jonischen Meere in nur 25 km Abstand von der Meeres-
f küste, d. i. auf 75 km vom Ätnagipfel, also ein mittleres Gefälle von
13%. Große Unregelmäßigkeiten im Gange der Isanomalien sind
; vorhanden in der Gegend zwischen Catania, dem Ätna imd Taormina
^ und besonders in Giarre, wo die Schwere im Verhältnisse zu den be-
f nachbarten Orten stark und plötzlich abnimmt; aber man kennt die
{: großen orographischen, geologischen und tektonischen Besonder-
I heiten jener Gegend; und Giarre hegt am Ausgange des Valle del
i Bove, d. h. in der Verlängerung des enormen Risses des Ätna; daher
^ ist es sehr natürhch, daß hier die bedeutendsten Unregelmäßigkeiten
j der Schwere vorkommen.
( Eine andere EigentümUchkeit im Gange der Isanomahen wurde
( in der basaltischen Gegend der erloschenen Vulkane von Val di Noto
I nachgewiesen.
Durch Anschluß der erhaltenen isanomalen Linien an die sechs
Stationen Venturis ergibt sich folgendes: 1. Die Isanomale 180 geht
von Stromboh nach dem Norden von Ustica über tiefes Meer fort.
2. Die Isanomale 120 geht durch die Spitze der Pharusmeerenge, von
da durch die Ägatischen Inseln, dann bei PanteUeria vorbei und
wendet sich nach SiziUen im Süden vom Ätna, über wenig tiefe Meere
hinlaufend. 3. Die Isanomale 140 erstreckt sich vom Basaltmassiv
des Monte Lauro nach Malta über wenig tiefes Meer. 4. Im Innern
von SiziUen hat man ein Minimum.
Verlängert man endhch die Schwereisanomalien, so daß man sie
möglichst mit denen verbindet, welche die österreichische Marine für
Süditalien gefunden, so erhält man folgende Resultate: 1. Die Ano-
malien sind noch sämthch positiv bis nahe bei Campobasso, wo die
Schwere normal ist. 2. Die isanomalen Linien laufen parallel dem
1) n naovo Cimento (5) 6. p. 297. — Naturw. Rundschau 19. p. 337.
110 Allgemeine Elgepflehaften der Erde.
Jonischen und dem Tyrrhenischen Meere. 3. Von beiden Meeren, dem
Tyrrhenisohen und Joniachen, wo sie über 180 erreichen, nehm«i die
Isanomalien ab nach den Monti Erei, Nobrodi und Peloritani auf
Sizilien, nach dem Gebirge La Sila und den Kämmen der Apenninen;
und auf diesen Gipfeln hat die Schwereanomalie den kleinsten Weit.
Dies trifft nicht zu für Aspromonte. 4. Im Adriatischen Meere sind
die AnomaUen kleiner als im Tyrrhenischen und Jonischen; oberhalb
des Vorgebirges des Monte Gai^gano sind sie nicht größer ab 100; dies
entspricht der kleinem Tiefe der Adria an jenem Orte; hingegen
wächst nach Osten vom Vorgebirge nach den großem Tiefen des
Meeres zu die Anomalie über 140 hinaus.
Aus der vorstehenden Diskussion der Schwereanomalien in Süd-
italien und den angrenzenden Inseln kann man schließen, daß die
Anomalie Null oder fast Null ist im Innern der Länder, auf den Gipfeln
der Berge; sie nimmt zu nach den Meeresküsten und auf den benadi-
barten Meeren, besonders wenn diese tief sind.
Um eine bestimmte Vorstellung zu geben von dem Massenüber-
Schuß, welcher den Schwereanomalien entspricht, wird daran er-
innert, daß nach Helmert jede Einheit der fünften Dezimale der Ano-
malie einer Dicke der störenden Schicht (der Dichte 2.5) von 10 m ent-
spricht, die man sich im Meeresniveau kondensiert denkt. Die
großem, von Ricco an den Küsten Süditaliens und auf den anliegen-
den Inseln beobachteten AnomaUen deuten also auf einen Massen-
Überschuß hin, der einer Schicht von der Mächtigkeit 1.5 km und
mehr entspricht.
Diese Ergebnisse bestätigen die Tatsache, daß über dem Meere
keine Schweredefekte vorhanden sind, also unter dem Meeresgrunde
ein Massenüberschuß existiert, der den Defekt, den das Wasser durch
sein geringeres Gewicht hervorruft, ausgleicht.
Beim Ätna nimmt die Anomalie ringsherum schnell ab und wird
auf dem Gipfel fast Null; aber auch auf nichtvidkamschen Beigen
der Apenninen hat man eine ähnUche Abnahme der Anomalie, wenn
auch eine weniger schnelle, vom Meere zu den Hauptgipfeln in einer
dem Ätna vergleichbaren Höhe. Daher verhält sich dieser Vulkan
bezüglich der Schwere wie ein beliebiger Berg. Noch könnte die
stärkere Abnahme der Schwereintensität von der besondem vulkani-
schen Struktur abhängen, d. h. von der Anwesenheit von leeren
Räumen, die für den Mechanismus der Eruptionen notwendig sind.
Bei den andern tätigen Vulkanen Pantelleria, Vulcano und Strom-
boU, bemerkt man keine stärkere EigentümUchkeit im Gange der isano-
malen Linien; und dasselbe findet beim Vesuv, wenigstens in Neapel
und in Castellamare di Stabia statt, wo Schwerebestimmungen ge-
macht sind. Dasselbe ergibt sich auch für die erloschenen Vulkane
des Monte Lauro und Ustica und von dem basaltischen Gebiete von
Noto und Pachino. Indessen sind die Bestimmungen der Schwere
nicht am Fuße und in der Nähe des Gipfels der Vulkane ausgeführt,
Allgemeine Eigemchafteii der Erde. 111
flondem gewöhnlich wurde nur eine Bestinuni^ng gemacht; daher
bleibt zweifelhaft, ob auf ihnen eine Abnahme der Anomalie der
Schwere stattfindet, ahnlich und proportional der auf dem Ätna an-
getroffenen. Femer ergibt sich, daß eine starke Abnahme der posi-
tiven Anomalie der Schwere stattfindet von den Inseln des Golfes von
Neapel nach Neapel selbst und noch weiter nördlich vom Vesuv, auf.
vulkanischem Boden. Besondere Untersuchungen werden nötig sein,
um zu erfahren, ob wirklich auf allen Vulkanen eine schnelle Abnahme
der Schwere stattfindet, wie sie auf dem Ätna beobachtet worden ist.
r
Der Längenuntersehied zwischen Potsdam und Oreenwieh ist
durch das Kgl. Preuß. Geodätische Institut unter Leitung von Prof.
Albrecht jetzt mit einem hohen Grade von Genauigkeit festgestellt
worden.^) Dadurch ist Greenwich als Ausgangspunkt der geo-
graphischen Lange erst definitiv mit der Hauptl&igenstation des
westlichen Kontinentes verbunden, da die Langenunterschiede von
; Greenwich und Paris imd ebenso der früher von Greenwich aus be-
, stimmte Langenunterschied Greenwich — ^Potsdam nicht denjenigen
^ Grad von Genauigkeit besitzen, der heute verlangt werden muß.
Unter Berücksichtigung und Ausschaltung aller überhaupt mög-
lichen FehlerqueUen ist als Endresultat der Langenbestimmung
I Potsdam — Greenwich der Wert anzusehen:
I Transit Girole der Sternwarte in Greenwich westlich vom östlichen^
Meridianhause des Geodätischen Institutes in Potsdam:
62m 16.001I
mittlerer Fehler: + 0.005t«. au^^a^
wahrsohl. „ +0.008 ^* A^e^de-
Dieses Resultat ergibt, vergUchen mit dem Ergebnisse der im
Jahre 1896 von englischer Seite ausgeführten Langenbestimmung
Greenwich — ^Potsdam, eine Verbesserung jenes Wertes von:
+ 0.098«.
Da femer der Langenunterschied Potsdam — ^Berlin im Jahr 1891
durch zwei unabhängige Langenbestimmungen des Geodätischen
Institutes zu:
Im 18.721b
ermittelt worden war, entspricht der obige Wert einem Langenunter^
schiede Berlin — Greenwich von:
63m 34.772..
Die im Jahre 1876 ausgeführte Längenbestimmung Berlin —
Greenwich würde hiemach um — 0.127« zu korrigieren sein, und es
läge somit nahezu eine Kompensation der für die Längenbestimmun-
gen in den Jahren 1876 und 1896 abgeleiteten Verbesserungen vorn
1) Sitenncpber. d. K. FteusB. Akad. der ^bs. 1904. p. 296.
112 Allgemeine Eigwuehiffen der Brde.
Verbindet man ßen obigen Längenunteraohied Berlin — Gvean«
wich Uli dam Endresultate der im Jahre 1877 vom Qeodafeiaelien
Institute ausgeführten Langenbestimmung Berlin — ^Paris:
44m 13.860b,
so würde sich für den LangenunterBchied zwischen Paris und Green-
wich der Wert 9m 20.912» ergeben, welcher sich auf 9m 20.882^ redu-
ziert, wenn man an Stelle des direkt beobachteten Langenunter-
schiedes Berlin — Paris den Betrag 44m 13.890b einführt, welcher auB
der Ausgleichung des europaischen Längennetzes von Prof. van de
Sande Bakhuyzen entnommen werden kann.
Dieser Wert ist in befriedigender Obereinstimmung mit dem
Werte:
9m 20.887b,
welchen man erhält, wenn man die beiden niederländischen Bestim-
mungen: Leiden — Greenwich = 17 m 56.100> und Leiden — Paris
= 18 m 35.213b miteinander kombiniert.
Daß dem oben abgeleiteten Resultate für den Längenunterschied
Potsdam — Greenwich in der Tat ein hoher Grad der Zuverlässigkeit
innewohnt, kann außer den einzelnen Ergebnissen auch aus der guten
Übereinstimmung der Resultate der im Jahre 1902 sowohl von
deutscher, als auch von russischer Seite ausgeführten Längenbestim-
mung Potsdam — Pidkowa gefolgert werden. Diese Längenbestim-
mungen wurden streng nach dem Verfahren des Geodätischen Li-
stitutes, zwar nahezu gleichzeitig, im übrigen aber völlig unabhängig
voneinander ausgeführt. Sie haben trotz der Schwierigkeiten des
Signalwechsels auf der 1696 km langen und recht unvollkommen
isolierten Leitung eine Übereinstimmung der beiderseitigen Resultate
innerhalb der Grenze von O.OIIb ergeben; man wird daher auch in
dem Resultate der Längenbestimmung Potsdam — Greenwich die
Hundertstelsekimde als nahezu verbürgt ansehen können.
Längenbestimmung im Oroßen Oieane. Die nordamerikanische
Vermessimgsbehörde (U. S. Coast and Geodetic Survey) hat mit
allen Mitteln der modernen Präzisionsmessung den Unterschied der
geographischen Längen zwischen San Franzisko und Honolulu
auf telegraphischem Wege ermittelt und dabei das Resultat
gefunden, daß Honolulu lOh 31m 27.2s westlich von Greenwich
(11h 26 m 2.18 westlich von Berlin) liegt. Damit ist die genaue Be-
stimmung der geographischen Koordinaten für die Hauptstadt jenes
hawaiischen Inselreiches als abgeschlossen zu betrachten, da die
geogra]^ische Breite von Hcmolulu durch die Arbeiten der vor
13 Jahren dorthin entsandten vereinigten Expedition der Liter-
nationalen Erdmessung und der Nordamerikanischen Vermessung
(unter A. Marcuse und E. Preston) mit größter Schärfe er-
mittelt wurde. Von besonderm Literesse für die Erkenntnis der
AUgemeine Eigenschaften der Erde. 113
^ methodischen und instnimentellen FortBchritte bei der astronomisch-
ü» geographischen Orientierung dürfte ein Vergleich der modernen,
oben erwähnten nunmehr abgeschlossenen genauen Ortsbestimmung
für die Hawaiischen Inseln mit den altem Bestimmungen dieser Art
sein. Danach verlegten spanische Karten aus der Mitte des 18. Jahr-
hunderts jene Inseln im Stillen Ozeane noch um 17^ zu weit nach
^ Osten, allerdings nicht auf Grund von Messungen, da schon Kolumbus
^ im 16. Jahrhunderte eine Genauigkeit von y^ bei seinen Ortsbestim-
' mungen erzielte. Der große Weltumsegler Cook verstand es, die
'^ Küstenpunkte Hawaiis am Ende des 18. Jahrhunderts bis auf ^/^^
genau zu orientieren, und der französische Entdeckungsreisende
^ Freycinet er^elte zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Ortsbestim-
mung auf den Hawaiischen Inseln bis auf ^ Bogenminute oder
^/240^* ^^ engUsche Marinekapitän Tupmann bestimmte bei Ge-
i& legenheit der vorletzten Venusexpedition die Länge innerhalb weniger
X Zehntel der Zeitsekunde sicher. Die moderne astronomische Orts-
bestimmung endlich liefert aus einer großem Reihe von Beobach-
<: tungen die geographische Breite eines Ortes am Lande innerhalb
^ weniger Hundertstel Bogensekunden und die geographische Länge
bis auf wenige Hundertstel der Zeitsekunde genau. Diesen Genauig-
^ keitszahlen in Winkelmaß entsprechen auf der Erdoberfläche für
i mittlere Breitenzonen gerechnet die folgenden Linearwerte: Genauig-
^ keit der Orientierung in Breite etwa 1.2 m, in Länge ungefähr 12 m.
Die französische Gradmessung in Ecuador. Über den Fortgang
der französischen Gradmessung in Ecuador während des Jahres 1903
hat Poincar6 der Pariser Akademie der Wissenschaften einen Bericht
^ erstattet. Danach umfaßt das Arbeitsprogramm jenes Jahres die
Beendigung der Beobachtungen im Norden, die geodätische Ver-
messung auf dem Stücke Riobamba-Cuenca, astronomische Orts-
bestimmungen in Cuenca, magnetische Beobachtungen und den Be-
ginn des Nivellements. Verschiedene Hindemisse stellten sich aber
der vollständigen Ausführung dieses Programmes entgegen. So waren
die Witterungsverhältnisse im Norden ebenso ungünstig wie im
Jahre 1902, und so wurde man dort an drei Stationen 80 Tage auf-
gehalten. Ebenso wurden auch wieder vielfach die Signale von den
ungebildeten Bewohnern zerstört, obwohl die ecuatorische Regierung
sich alle Mühe gab, dem Unfuge zu steuern. Doch wurde hier die Arbeit
im Februar d. J. vollendet. Eine vorläufige Berechnung, die jetzt
wohl im großen und ganzen endgültig sein dürfte, ergab durch Ver-
bindung der Basis von Riobamba mit der von Tulcan 6604.83 m für
die nördliche, während die Messung selbst 6604.77 m als Resultat
geliefert hatte. Der Grad der Zuverlässigkeit wird als hoch bezeichnet.
Im Süden wurden in Cuenca Breitenbestimmungen begonnen, auch
war man dabei beschäftigt, die Längendifferenz zwischen dieser
Station und Quito zu ermitteln. Das ursprüngUche Triangulations*
Klein, Jabrbaoh XV. S
114 AUgemeine BigraaabaftaB der Eede.
netK mufite naoh Westen verschoben weiden; Die GTadmeastxog
über Bechs Breitengrade soUte nämlich auch etwas nach Oolaiik-lw
übergTMfen. - Da aber dort Unruhen herrsditen, so hielt man es for
nützlicher, südHoh bis nach dem westUcher hegenden Payta zu gehen,
um die 'erwähnte Länge herauszubekommen. Hier> in der westiichea
Bergkette, ist übrigens das Klima trockener und daruin günstiger.
Die NiyeUements sind auf der nordsüdUchen Sektion zwischen Kio-
bamba und Alausi mit bestem Erfolge ausgeföhrt worden, uacL es
bleibt noch die ostwesüiche Sektion zwischen Alausi und Guayftqiiil
übrig, die wohl Schwierigkeiten mach^i wird. Die PendeUbeobac^
tungen sind nicht erhebhch gefördert worden, doch hat sich ein
interessantes Resultat ergeben, nämlich der Nachweis, daß die Bou-
guersbhe Formel für die Anden zutrifft, während sie für die Alpen und
den Himalaja nicht anwendbar ist. Es hegt das an tektonischen Ver-
schiedenheiten. Mit Ablauf dieses Jahres sollen die Oradmessungs-
arbeiten abgeschlossen werden.
Ausgleichung des lentraleuropftisoheii Lftngenneties. ProL
Th. Albrecht hat eine neue und zunächst als definitiv anzunehmende
Ausgleichung der geographischen Längen innerhalb des mittel-
europäischen geodätischen Netzes vorgenommen, i) und zwar auf
Grundlage aller neuem Bestimmungen, bezügUoh deren eine ge-
nügende Anzahl zuverlässiger Kontrollen vorUegt. Diese Be-
dingung war erfüllt für das Gebiet, welches zwischen den Stationen
Greenwich, Madrid, Rom, Odessa, Moskau, Fulkowa und Stockholm
gelegen ist. Aber auch innerhalb dieses Gebietes erwies es sich als
notwendig, eine sorgfältige Auswahl des vorhandenen Beobachtungs-
materiales vorzunehmen und gl^chwie beiden frühem Ausgleichungen
alle diejenigen Längenbestimmungen auszuschließen, gegen deren
Resultate Bedenken gewichtiger Art vorlagen. Im ganzen lagen
176 Längenbestimmungen zwischen 79 Stationspunkten vor, von
denen 149 zwischen 56 Stationspunkten auf das Größennetz ent-
fallen. Die nachstehende Tabelle enthält die Ergebnisse der Aus-
gleichung. Sämtliche Längen sind vom Meridian des Pasaagen-
instrumentes zu Greenwich aus gezählt. Hinzugefügt sind einige
Angaben in betreff weiterer in der Nähe gelegener astronomischer
Hauptpunkte, insoweit solche durch strenge geodätische Über-
tragung mit den Netzpunkten in Verbindung gebracht werden
konnten.
m 8
Algier, Cfelonne Voirol 12 11.903
Algier, Sternwarte 12 8.37Ö
Altena, Meridiankreis 39 46.186
Bambevg, Pfeiler im MeridianBaale 43 33.670
Bergen, Sternwarte, Passageninstrument 21 12.721
Berlin, Zentrum der Sternwarte 63 34.796
( i) Aatran. Nachr. Nr. 3903, 94.
Allgemeine EigeudbalttiL ösr Erde.
m ■
BiairitK, Neuer Lenchttunn ......;«...... .^ . . --r^ 131494
Bologna, Zentrum der Sternwarte ........:. i. . 46 24.478:
Bonn, Zehtrum der Sternwarte .*. v . . . . • 28 23.174
Bregenzy Trig. Punkt Pfander ; . : 39 6.244
Breslau, Zentrum der Sternwarte 68 &716
Brest, Tour Saint Louis :.■ '...;.. —-17 57.682
Brocken, Trig. Punkt 42 2^386
BrÜBsri, Alte Sternwarte, Passageninstrument . . ' 17 28.T09
Bukarest, Obeetv. des MiL-Geogr.-Inst. 104 27^003
Desibrto, Trig. Punkt 0 8.107
Dorpat, Meridiankreis « 106 53.222 .
Dresden, Math. Salon, Passageninstrument' ..... 54 65.826
Florenz- Arcetai, Zentrum der' Sternwarte ^45 1.298
Florenz, Mil.-Geogr. -Inst., Observatorium ..... 46 2.615'
Genf, Meridiankieis ;. 24 36.610
Genua, Meridiankreis 36 41.27:8
Göteborg, Trig. Punkt : . . 47 61^34
Göttingen, Meridiankreis 30' 46.215
Goldaperberg, Trig. Punkt 89 10.138
Gotha, Zentrum der Sternwarte 42 60.440
Greenwieh, Transit Gircle 0' 0.000
Großianhain, Basiszwischenpunkt 54 13.032
Hamburg, Sternwarte, Meridiankreis 39 63.60
Hamburg-Bergedorf, Meridiankreis 40 57.74
Helgcrfand, Trig. Punkt 31 31.775
Helsingfois, Meridiankreis 99 ^.097
Kiel, Alter Meridiankreis 40 36.566
Kiel, Neuer Meridiankreis 40 36.449
Kiew, Meridiankreis .. 122 0.664
Knivsberg, Trig. Punkt 37 46.424
Königsberg, Reps. Merid. -Kreis, bis 1898 :...... 81 68.969
Köm'gsberg, Reps. Merid. ^Kreis, nadi 1898 81 58.974
Kopenhagen, Zentrum der Sternwarte ......... 60 18.689
Kower, Kathedrale 98 46.979
Krakau, Meridiankreis 79 60.272
Kremsmünster, Meridiankreis / . . . 66 31.677
Kristiania, Meridiankreis 42 63.604
Laaerberg, Trig. Punkt 65 36.163
Leiden, Meridiankreis 17 56.149
Leipzig, Zentrum der Sternwarte 49 33.926
Livomo, Aste band, dell' Accad. Navale ....... 41 13.654
Lund, Zentrum der Sternwarte 62 44.965
Madrid, Zentrum der Sternwarte — 14 45.090
Mailand, Großer Turm der Sternwarte ..... -36 45.883
Mannheim, Trig. Punkt der Sternwarte 33 60.400
Mannheim, Zentrum der Sternwarte ; * . . . . 33 60.412
Marseille, Meridiankreis 21 34.564
Memel, Besselscher Punkt am Leuchtturme .... 84 23.174
Moskau, Meridiankreis 160 17.026
München, Trig. Punkt der Sternwarte 46 26.016
ragl6ieh westl. Kuppel
Nienport, T(mr des Temptiers 11 1.767
Nizza, Kleiner Meridiankreis 20 12.160
Odessa, Univ. -Sternwarte, Meridiankreis 123 2.040
Odessa, Filiale Pulkowa, Passageninstrument ... 123 2.186
Padua, Quadranto murale 47 20.148
Paris, Meridien de Cassini 9 20.032
8*
115
106 Allgemeine EigenMhaften der Erde.
fragt sich, ob man es zu tun hat mit einem allgemein terrestrischen
Phänomen, das verschiedene Orte nach bestimmten Gesetzen beein-
flußt, oder mit einer über größere Gebiete sich erstreckenden Massen-
bewegung, deren AmpUtude und Gesetzmäßigkeit ganz und gar von
den Terrainverhältnissen abhängt.
Ehlert hat in seiner Abhandlung: „Das Horizontalpendel^\ die
Annahme gemacht, daß unter dem Einflüsse der Sonnenstrahlen die
Erde so deformiert wird, daß die der Sonne zugewandte Halbkugel
in ein halbes Ellipsoid übergeht, dessen Scheitel auf der Verbindungi-
linie des Erdmittelpunktes mit der Sonne liegt, und sucht durch geo-
metrische Betrachtungen das Phänomen zu erklären.
Schweydar zeigt aber, daß sich die ganztägige Periode in der
Hauptsache nicht durch die Annahme einer allgemeinen Aufwölbung
erklären läßt, sondern im vorliegenden Falle nur ein geringer Bruch-
teil der Amplitude hierin seine Ursache haben kann.
„Wir müssen daher", sagt er, „dieselbeinerster Linie als einelokafe
Bewegung der großen Gebiigsmassen ansehen. Hierfür spricht schon
der völlig parallele Gang der AmpUtude mit der Temperaturoszilla-
tion; auch liegt das Maximum der ganzen Bewegung nicht im Früh-
jahre und Herbste, vielmehr fällt es in die wärmsten Monate."
Demnach registriert das Nordpendel die Bewegung der groß^i
Massen in ihrer Längs-, das Südpendel in ihrer Querrichtung. »»Denkt
man sich das Gebirge aus lauter parallelen Schichten bestehend, so
sind dieselben in ihrer Südostrichtung weit ausgedehnter als senk-
recht zu diesem Azimut. Man kann daher wohl annehmen, daß die
Komponente der Bewegung des Gebirges in der erstem Richtung
kleiner sein wird als in der letztem, da die Massen im erstem Falle
mehr zusammenhängen und daher schwerer zu bewegen sind. EGerzn
kommt noch, daß der südliche Abhang mehr erwärmt wird als der
nördliche, wodurch der ganze Gebirgszug in der Richtung ON' mehr
gehoben wird als in seiner Längsrichtung.
Liegen also nur lokale Undulationen vor, so müssen die beob-
achteten Erscheinungen eintreten. Die Periode wird ganztägig sein."
Was die halbtägige Welle anbelangt, so tritt bei dieser eine halb-
jährige Periode der AmpUtude mit Maximums im September und
März deutlich hervor, und alles deutet bei ihr auf eine andere
Entstehungsursache. Schweydar glaubt, daß sie ihre Erklärung in
der oben erwähnten Aufwölbung findet. Was die drittel- und viertel-
tägige Periode anlangt, so kann man dieselben nicht als ein Rechnungs-
resultat ansehen. Für ihre physikalische Realität spricht besonders
beim Nordpendel der Gang in den AmpUtuden, der den entsprechen-
den Größen der ganztägigen Welle parallel geht. Dieser ParalleUs-
mus läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß diese Wellen lokaler
Natur sind.
Der Gang in den Phasen läßt sich in der Weise erklären, daß bei
geringer Zufuhr von Wärme und somit kleiner Amplitude die Ver-
AUg«3iei]ie Eigengdhaften der Erde. 107
e spatung der Bewegung in den tiefem Schichten des Erdbodens größer
g wird. Die direkte Anziehung der Sonne erzeugt ebenfalls eine ganz-
i und halbtägige Periode in der Lotbewegung; doch sind diese zu klein,
i um einen Beitrag zur Erklärung der beobachteten Werte zu liefern.
Was den Einfluß des Mondes anbelangt, so stellt Verf. zunächst
I den theoretischen Ausdruck für diese Art von Lotstörung fest. Die
^ Behandlung der Beobachtungen ergibt dann, daß ebenso wie bei der
3 Sonnenwelle die Oszillationen des Nordpendels sich komplizierter
^ gestalten als die des andern. Überraschend ist auch eine dabei auf-
j tretende ganztägige Periode, die sich aus der Theorie der Mond-
attraktion nicht erklären läßt. „Es muß also auch hier die lokale
I Hassenverteilung maßgebend sein; dies kann aber nur dann der Fall
^ sein, wenn es sich um elastische Deformationen handelt. Wir müssen
daher diese Periode dem Installationseinflusse oder elastischen Reak-
tionen, die durch die Deformation der halbtägigen Welle erzeugt
^ werden, zuschreiben. Sie hat daher vom allgemeinen Standpunkte
weniger Literesse.'* Die halbtägige Welle setzt sich aus zwei ein-
' ander entgegengesetzten Wirkungen zusammen: aus der Anziehung
des Mondes und der durch diese hervorgerufenen elastischen Defor-
mation des Bodens. Auch bei der halbtägigen Welle zeigt es sich,
daß die elastische Bewegung in der Richtung der Südpendel-
komponente größer ist als in der der Nordpendelkomponente.
Sowohl die ganztägige wie halbtägige Welle beweisen, daß der
Brdboden in der Richtung des Gebirgszuges weniger elastisch ist als
I in der hierzu senkrechten Richtung. Wäre dies nicht der Fall, so
müßten die Amplituden bei beiden Pendeln gleich sein, wie uns die
theoretisohen Ausdrücke lehren. Hiermit stimmt auch die Tatsache
gut überein, daß in der erstem Richtung die Verfrühung kleiner ist;
eine Deformationswelle von geringerer AmpUtude wird sich auch
langsamer fortpflanzen.
Während bei dem Einflüsse der Sonne die Amplitude der halb-
tägigen Welle in Heidelberg die in Straßburg bedeutend überwiegt,
Bind beide hier nahezu gleich. Man kann hieraus schließen, daß
der Elastizitätskoeffizient des großen Gebietes, das Baden und Elsaß-
Lothringen umfaßt, nahezu derselbe ist; der thermische Ausdehnungs-
koeffizient hat dagegen in Heidelberg einen viel großem Wert.
Verf. behandelt nun den Einfluß der Rotation der elastischen
Eide. „Nimmt man", sagt er, „an, daß der Schwerpunkt der Erde
nicht mit ihrem Mittelpunkte zusammenfällt, so müssen, wenn die
Eide Elastizität besitzt, unter dem Einflüsse der Zentrifugalkraft
Oszillationen der Lotlinie entstehen. Da die Periode der Rotation
der Eide ein Stemtag ist, so werden auch die Perioden jener Oszilla-
tionen aliquote Teile derselben Zeiteinheit sein."
Es ergibt sich, daß ein beträchtlicher Teil der beobachteten
Amplituden auf elastische Wirkungen der Drehung der Eide zurück-
Bufühien ist. Man könnte die Größe dieses Einflusses berechnen»
IIB ObtrfHohftngeB»ltttng.
• mannen BUdungen dee Cambriüms, da» SilUrs und des Devons und
' : 'dteen der Kreide liegt eine lange ZynaohenpetiodB^ in der das Gebiet
r Festland war.
. (Segen die benachbarten Gebiete hin tanoht die böhmische Masse
teils unter die mioz&ne Decke, teils bridht sie in tektonisehen Linien
' gegen sie ab. Der ganKe Westrand gehört einem nordwestlich ge-
:. richteten Systeme von Störungen an, das die große mesozoiaohe Tafel
,: diBS BÜdifohen Deutechland zum Kiedenünkein brachte; im öetlii^en
Thüringen bildet die Transgressionslinie von Zechstein und THas
' die Grenze; in Sachsen verschwinden die variscisoh«» Falten all-
- . mählich unter der Ebenö, und auch im sohlesisoh*galiziBehen Kohien-
- levier ist die Grenze keine tektomsche. Ebensowenig ist dieses der
:> Fall im 80 von der Landecke bei Mahridch-Ostrau bis gegen St.
:: Polten. Im Süden taucht das Massiv unter das Mw»an bis in^^die
; Gegend von Paidsau, erst von hier: bis Itegensburg bildet der -Doaau-
: lauf eine tektonische Grenslinie. Nicht das StreiGh^i der varis-
1 . eischen Faltenzüge bestimmt also Umriß des Massives und An-
■ Ordnung des Flußnetzee, sondern das bewirkten erst die jungen
Brüche (Elbbruoh, Erzgebirgsbruoh) in Verbiiidung mit den Trans-
: gressionen. Über die Einzelheiten muß auf das Original verwiesen
i\ werden.
< ' 01e finnbeh^ Skftrenkttsle von Wiborg bis fiango bildet den
< Gegenstand einer Studie von F. O. Karstedt. i^) Er unterscheidet
^ Idrei hititereinander liegiende Streifen, die er wie folgt bezeichnet:
- 1. Der Skärg&rdvd- h. die Summe der vor der Festlaadskuste hegen-
' den Inseih und Kl!px)eif. Hinterihm2.d€fr Saum, der sein zerrissenes
• Geixr&ge durch die mehr oder weniger tief einschneidenden FjIMe
i erhält, und 3. der Landstreifen, der nach seinem Aufbaue noch un-
inittdbar zu^ Küste gehört, den er als Küstenlandschaft bezeichnet.
' Der Skärg&rd beginnt mit unterseeischen Klippe. „Seheinbar
'regellos verstreut, von Eis und Wasser poliert, glatt und -eckenlos
auf der Nordseite, zerblockt und von Rissen durchsetzt auf der Süd-
seite, so tauchen im äußern Skarg&rd diese Klippen empor. H&ufig
fast kreisrund, ötheb^n sie sich bei Normalwasserstand meistens nur
wenige Fuß über den Meeresspiegel. Ununterbrochen nagen Wetter
und Wasser an dem Gesteine, das deshalb auch nur selten Gletscher-
spuren, häufiger aber dafür Treibeisspuren aufweist. Eine unend-
hohe, grause Starrheit liegt übet diesen Skäreü, die namentlich bei
ruhiger See den Eindruck eines in leichter Dünung plötzlich er-
starrten Meeres machen.^'
Auf den hohem Klippen, deren Oberfläche nicht mehr von der
Brandung erreicht wird, findet sich zwischen Strandgeröll und
erratischen Blöcken gelegentlich eine kümmerliche Birken- oder
1) Deutsche geogr. Blätter. Bremen 1004. p. 170.
Oberfiftohengestaltang. 119
Kiefemkolonie^ an Tier^i eine Anzahl flügelloser KMer,- mehrere
Seevögel und einige Schlangenarten. „Häufig begegnet man schon
im äußern Skärg&üd inaelartäg hervorragenden, meist langgestreckten
Blockanhaufungen, die von der. Brandung nicht mehr versetzt werden
können. Liegen sie im Lee irgend einer großem Klippe, s6 siedelt
sich zwischen ihnen bald eine kräftige Vegetation von Schilf und
Binsen an; und nach einigen Jahren gibt es hier vielleicht schon
eine kleine Schwemmsandinsel, deren Bod^i bald mit einem leichten
Bickengestrüppe überzogen ist. Das sind die untermeerischen Fort-
setzungen der sogen. Asar. Landschaftlich ein ganz anderes Bild
bietet der innere Skärg&rd. Herrschten bisher die kahlen, immerhin
. niedrigen, fast vegefiationialosen Klippen vor, gestattete die Land-
schaft im äußern Skärgard einen freien Bundblick, so reiht sich
jetzt eine mit dichtem Nadel- oder Birk^enwalde bestandcQc Lisel an
die andere, überall; den ungehinderten Ausblick versperrend.
Gleichzeitig sind diese !(|iseln bedeutend höher und größer, Während
im äußern Skärg&rd Inseln von 20 m Höhe und 1 qkm Oberfläche
doch immerhin zu den Seltenheiten gehören, kommen hier solche
von 10 bis 20 qkm Oberfl|U)he und 30 bis 40 m Höhe häufig vor,
weshalb sie vom Volke und auf den Karten auch gern mit der Be-
, ^iohnung „Land'' belogt werden. Auch bei diesen Inseln läßt sich
immer in den Konturen des Waldes die weniger steile und ebe7:ke
!Nord(Stoß)8(^te von der zerblockten und zerrissenen Süd(Lee)seite
unterscheiden, . Die Größe der meisten Inj^eln des innem Skärg&rds
erklärt sich aus der durch die Hebui^ des Land^ resultierenden
Zusiammenscbmelzung mehrerer Inselkeme zu einer Insel.*'
. Der Fjärdsaum wird charakterisiert i, durch seinedurch Hunderte
von primären und. sekundären Buchten hervorgebrachte ZerochUtzt-
heit« Seine Breite variiert an der südfinnischen; Küste von 2 See-
meilen bis 12 Seemeilen. Er stellt in. den.Fjärden die Fortsetzung
der festländischen Täler ins Meer, in den zwischen ihnen hegenden
.Halbinseln und halbinselartigen Bildungen die Fortsetzung der
Hügelkettein des I^mdes seewärts dar."
Das Charakteristikum, der Skärenküste gegenüber der Fjord-
küste hegt nach Karstedt nicht so sehr in d^ Fjärdbildung als viel-
mehr in der reichlichen Skärenbildung vor einem flachen Lande.
„Die Fjärde sind noch nicht genügend untersucht, als daß man
schon mit genügender Sicherheit auf ihre Bildung sohheßen könnte,
wie bei den Fjorden. Größtenteils dürften sie vielleicht schon im
Beginne des Paläozikums durch Erosion des fließenden Wassers
ihren Anfang genommen haben."
Die westUchen Fjärde sind sämthch lang und schmal, die öst-
hchen kurz und haben meist die Gestalt eines gleichseitigen Drei-
eckes. Die südfinnische Küstenlandschaft ist gegen das Landes-
innere durch das Überwiegen der quartären Ablagerungen gekenn-
zeichnet. „Während nämlich das iimere Finnland seinen geographi-
120 ObeifULohengMtaltang.
sehen Charakter durch die Moränenzüge bekommt, fehlen diese an dar
Küste vollständig. Hier, dem Schauplatze ewiger Küsteni^chwan-
kungen, hat das Meer seine Zeichen in seinen Sedimenten eingegraben,
die als Tonablagerungen sich niedergeschlagen haben."
Der Skärg&rd vor der südfinnischen Küste schützt als natür-
liches Bollwerk diese vor der abradierenden Wirkung der Brandan^
und ist anderseits gleichsam ein Sieb für die durch die Flüsse ins
Meer geschwemmten Schlammteile. Die Wellenwirkung des Meen»
reicht selten in den Skarg&rd hinein, hier ist das Wasser meist voll-
kommen ruhig.
Die mittlere Höhe Asiens bildet den Gegenstand einer Studie
von B. Tronnier, 1) der zu dem Ergebnisse gelangt, daß man von
einer zufriedenstellenden Beantwortung der Frage nach der mittlem
Erhebung der Landflachen überhaupt noch sehr weit entfernt ist.
„Die Flache eines Landes ist verhältnismäßig leicht und sicher
zu b^timmen; die ganze Schwierigkeit besteht in der Beetifnmnng
des Volumens. Man hat nun in der Volumetrie durch Anpassung der
betreffenden topographischen Körper an die verschiedensten mathe-
matischen Körper (Prisma, Pyramide, Kegelstumpf usw.), deren
Formeln eine leichte Berechnung gestatten, dieses Ziel erreichen wollen.
Aber die Natur bietet keine mathematischen Körper dar, so daß alle
diese Versuche nur mehr oder minder genaue Annäherungen darstellen
können. Penck, Neumann und v.Tillo gaben 1888/89 unabhängig
voneinander ein anderes Verfahren, die hypsographische Kurve, an,
das aber, da es ein Idealgelände voraussetzt, an demselben Übel
krankt wie jene obigen Versuche. Alle diese Methoden gehen wie
Parallelkreise um den Pol herum, bald näher, bald femer, gelegentlich
auch einmal mit ihm und der Wahrheit zusammenfallend, ohne daß
dafür aber ein Beweis erbracht werden könnte. Der direkte Weg,
den man mit einem Meridiane vergleichen könnte, findet sich, soweit
dem Verf. bekannt, nirgends deutlich angegeben. Es ist die Be-
stimmung des Volumens durch die Wage, nach der Formel
Volumen »
spez. Gewicht,
sei es, daß man einBelief des betreffenden Landes aus einer homogenen
Masse von bekanntem spezifischen Gewichte oder nur eine Form (z.
B. aus Metall getrieben) herstellt, die man mit irgend einem Stoffe
von bekanntem spezifischen Gewichte (z. B. Wasser) anfüllt. Der
Herstellung eines einigermaßen genauen Reliefe fremder Länder
stehen zwar zurzeit noch unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen,
aber trotzdem sollte man sie als Ziel stets vor Augen haben. Sdioa
die Herstellung selbst eines (rohen) BeUefe gewährt einen wichtigen
1) Gerlands Beiträge zur Geophysik VI. p. 694.
Oberflftcbengeetaltuiig. 121
Fingerzeig für den Weg, den man vorläufig einzuschlagen hat. Man
kann ein solches Relief im wesentlichen auf zwei Weisen entstehen
lassen : einmal, indem man eine sehr grofie Zahl von Vertikalschnitten
aneinander setzt; anderseits, indem man eine sehr große Zahl von
Honzcmtalschnitten aufeinanderlegt. Das erste Verfahren würde
das Profil-, das zweite das Isohypsenverfahren sein. In der Praxis
^wird kaum jemand in Zweifel kommen, nach welchem von beiden er
verfahren soU. Denn ein Land kann viele Tausende Kilometer lang
und breit sein, die höchste Landerhebung und die größte Seetiefe
aber stehen nur 18^ km voneinander in der VertikcJen ab.
Wohl unwillkürlich hat sich die Mehrzahl der Forscher auch bei
der Volumenbestimmung eines Landes für das Isohypsenverfahren ent-
schieden. Die h3qpsographische Kurve basiert bewußt ganz darauf
(vgl. z. B. Penck, Morphologie I. p. 80). Trotzdem findet sich
auch die Profilmethode. Sie tritt schon bei v. Humboldt auf, der
ja die ersten Berechnungen von Mittelhöhen der Kontinente über-
haupt ausführte, kommt spater bei Leipoldt und Chavanne wieder
vor, und Heidereich hat sogar seine ganze Arbeit darauf aufgebaut.
Theoretisch genommen sind beide Arten gleich berechtigt, aber die
Forderungen der Praxis machen es ganz unumgänglich, sich für die
Isohj^psenmethode zu entscheiden. Daß bei der Konstruktion von
Profilen und Isohypsen heute noch die Willkür oder der geographische
Takt des einzelnen eine recht große Rolle spielt, wird allseitig zu-
gegeben. Existieren diese Schwierigkeiten einmal nicht mehr, so
wird es ebenso gut möglich sein, ein hinreichend genaues Relief her-
zustellen."
In einem historischen Überblicke stellt Verf. die bisherigen An-
nahmen über die mittlere Höhe Asiens zusammen und gibt folgende
Tabelle:
T. Humboldt
1843, 1853
351 m
de Lapparen t Murray
1883, 1885 1888
879 m 943 m
Heiderioh
1891
920 m
Murray
1888
943 m
Penck Supan v. Tillo
1889 1889 1889
950 m 940 m 957 m
Penok
1893
1010 m
Waffner
1895
950 fif
Penck Krümmel
1899 1879
980 M 0. 500 m
Penok
1884
c. 750 m
Alle diese Angaben, auch die letztem, sind nach Verfassers sehr
begründeter Ansicht äußerst unsicher. „Ob,'* sagt er, „die mittlere
Höhe Asiens näher an 900 m oder 1000 m liegt, darüber eine Ent-
scheidung zu treffen, erscheint nach ernsthafter Prüfung des vor-
liegenden Materiales aussichtslos. Vorläufig, zu dieser Erkenntnis
drangt auch diese Untersuchung, tut man am besten, sich mit dem
1895 von Wagner vorgeschlagenen Mittelwerte von ca. 950 m zu
begnügen.*'
112 Allgtmeiae ElgimuhifUm der Brda.
Verbindet man den obigen Läi^nunteFBohied Beriin — Gkeea-
wioh mit dem EndrsBiiltate der im Jahre 1877 vom Qeod&fciiwhen,
Institute anageführten Langenbeetimmang Berlin — ^Paiis:
44m 13.8a0i,
so würde sich für den Langenunterschied zwischen Paris und Green-
wich der Wert 9m 20.912» ergeben, welcher sich auf 9m 20.882i redu-
ziert, wenn man an Stelle des direkt beobachteten Langenunter-
schiedes Berlin — Paris den Betrag 44m 13.890i einführt, welcher aus
der Ausgleichung des europaischen Langennetzes von Prof. van de
Sande Bakhuyzen entnommen werden kann.
Dieser Wert ist in befriedigender Übeieinstimmux^ mit dem
Werte:
9m 20.887«,
welchen man erhält, wenn man die beiden niederländischen Bestim-
mungen: Leiden — Greenwich = 17m 56.100« und Leiden — Paris
=» 18 m 35.213s miteinander kombiniert.
Daß dem oben abgeleiteten Resultate für den Längenunterschied
Potsdam — Greenwich in der Tat ein hoher Grad der Zuverlässigkeit
innewohnt, kann außer den einzelnen Ergebnissen auch aus der guten
Übereinstimmung der Resultate der im Jahre 1902 sowohl von
deutscher, als auch von russischer Seite ausgeführten Längenbestim-
mung Potsdam — Pulkowa gefolgert werden. Diese Längenbestim-
mungen wurden streng nach dem Verfahren des Geodätischen Li-
stitutes, zwar nahezu gleichzeitig, im übrigen aber völlig unabhängig
voneinander ausgeführt. Sie haben trotz der Schwierigkeiten des
Signalwechsels auf der 1696 km langen und recht unvollkommen
isoUerten Leitung eine Übereinstimmung der beiderseitigen Resultate
innerhalb der Grenze von O.Olh ergeben; man wird daher auch in
dem Resultate der Längenbestimmimg Potsdam — Greenwich die
Hundertstelsekunde als nahezu verbürgt ansehen können.
Längenbestimmung im Großen Oieane. Die nordamerikanische
Vermesstmgsbehörde (U. S. Coast and Geodetic Survey) hat mit
allen Mitteln der modernen Präzisionsmessung den Unterschied der
geographischen Längen zwischen San Franzisko und Honolulu
auf telegraphischem Wege ermittelt und dabei das Resultat
gefunden, daß Honolulu 10h 31m 27.28 westlich von Greenwich
(11h 25m 2.1> westlich von Berlin) hegt. Damit ist die genaue Be- |
Stimmung der geographischen Koordinaten für die Hauptstadt jenes
hawaiischen Inselreiches als abgeschlossen zu betrachten, da die
geographische Breite von H(molulu durch die Arbeiten der vor
13 Jahren dorthin entsandten vereinigten Expedition der Inter-
nationalen Erdmessung und der Nordamerikanischen Vermessimg |
(unter A. Marcuse und E. Preston) mit größter Schärfe er- ,
mittelt wurde. Von besonderm Interesse für die Erkenntnis der
Allgemeine Eigenschaften der Erde. 113
methodisohen und instrumentellen Fortßohritte bei der astronomisch-
geographischen Orientierung dürfte ein Vergleich der modernen,
oben erwähnten nunmehr abgeschlossenen genauen Ortsbestimmung
für die Hawaiischen Insehi mit den altem Bestimmungen dieser Art
sein. Danach verlegten spanische Karten aus der Mitte des 18. Jahr-
hunderts jene Inseln im Stillen Ozeane noch um 17^ zu weit nach
Osten, allerdings nicht auf Grund von Messungen, da schon Kolumbus
im 15. Jahrhunderte eine Genauigkeit von ^^ bei seinen Ortsbestim-
mungen erzielte. Der große Weltumsegler Ck>ok verstand es, die
Küstenpunkte Hawaiis am Ende des 18. Jahrhunderts bis auf ^/q^
genau zu orientieren, und der französische Entdeckungsreisende
Freycinet erzielte zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Ortsbestim-
mung auf den Hawaiischen Inseln bis auf ^ Bogenminute oder
^/24o^' ^^^ englische Marinekapitän Tupmann bestimmte bei Ge-
legenheit der vorletzten Venusexpedition die Länge innerhalb weniger
Zehntel der Zeitsekunde sicher. Die moderne astronomische Orts-
bestimmung endlich liefert aus einer großem Reihe von Beobach-
tungen die geographische Breite eines Ortes am Lande innerhalb
weniger Hundertstel Bogensekunden und die geographische Länge
bis auf wenige Hundertstel der Zeitsekunde genau. Diesen Genauig-
keitszahlen in Winkelmaß entsprechen auf der Erdoberfläche für
mittlere Breitenzonen gerechnet die folgenden Linearwerte : Genauig-
keit der Orientierung in Breite etwa 1.2 m, in Länge ungefähr 12 m.
Die französisehe Gradmessang in Ecuador. Über den Fortgang
der französischen Gradmessung in Ecuador während des Jahres 1903
hat Poincar6 der Pariser Akademie der Wissenschaften einen Bericht
erstattet. Danach imifaßt das Arbeitsprogramm jenes Jahres die
Beeidigung der Beobachtimgen im Norden, die geodätische Ver-
messung auf dem Stücke Riobamba-Cuenca, astronomische Orts-
bestimmungen in Cuenca, magnetische Beobachtungen und den Be-
ginn des Nivellements. Verschiedene Hindemisse stellten sich aber
der vollständigen Ausführung dieses Programme» entgegen. So waren
die Witterungsverhältnisse im Norden ebenso imgünstig wie im
Jahre 1902, und so wurde man dort an drei Stationen 80 Tage auf-
gehalten. Ebenso wurden auch wieder vielfach die Signale von den
ungebildeten Bewohnern zerstört, obwohl die ecuatorische Regierung
sich alle Mühe gab, dem Unfuge zu steuern. Doch wurde hier die Arbeit
im Februar d. J. vollendet. Eine vorläufige Berechnung, die jetzt
wohl im großen und ganzen endgültig sein dürfte, ergab durch Ver-
bindung der Basis von Riobamba mit der von Tulcan 6604.83 911 für
die nöriliche, während die Messung selbst 6604.77 m als Resultat
geliefert hatte. Der Grad der Zuverlässigkeit wird als hoch bezeichnet.
Im Süden wurden in Cuenca Breitenbestimmungen begonnen, auch
war man dabei beschäftigt, die Längendifferenz zwischen dieser
Station und Quito zu ermitteln. Das ursprüngliche Triangulations-
Klein, Jabrbaoh XV. 8
124 OberfUohengestaltDiig.
aber sind entweder in unzureichenden Fragmenten oder gar nüdit
aichtbar, da das Meer sie verbirgt. Unter den Bogengebilden des
ostasiatischen Festlandes ist keines, welches einen einwandfreien
Anhalt für seine Zurechnung zum Alpentypus gibt."
2. Aus der bogenförmigen Verbindung durch tektoniache T^fnisn,
welche auf der Wirkung zerrender Kräfte beruhen, geht der Zemings-
bogen oder der ostasiatische Typus hervor. Prof. v. Richthof«! hat
friiher gezeigt: „1. daß sich nördlich von der Linie des Tiainling-
gebirges seit voralgonkischer Zeit in gewissen Breitenznnen d»
Tendenz zur Bildung von Rupturen, welche auf Zug nach SSO be-
ruhen und der den Orundbau von Ostasien beherrBchenden mniflchwi
Richtung (im Mittel W W 8—0 20"" N) folgen und damit die Zer-
legung von Tafeln oder Abdachungen in rostartig aogeordnele,
parallele, annähernd in derselben Richtung streichende GSebirgs-
streifen bis in die Tertiäizeit hinein geltend gemacht hat; 2. daß eine
in ihrem Anfangsstadium wahrscheinlich erst nach der pennischen
Zeit herausgebildete, vermutlich aber noch jüngere, anacheinend
auf östlichem Zuge, nach dem Pazifischen Becken, beruhende Bruch-
Zone im Bogen eines größten Kreises das kontinentale östliche Asien
durchzieht und bei der Interferenz mit den einzelnen gelockerten
Zonen des erstgenannten Systemes eine Zerlegung in einzelne ho-
molog gestaltete, kettenförmig aneinander gegliederte Teile erfahren
hat, wobei sich die Linien der beiden Systeme in jedem einzelnen Fall e
zu einem gegen den Ozean konvexen Bogen verbanden; 3. daß diese
Bogen gebirgsartige Randanschwellungen großer, nach innen schilssel-
förmig sich abdachender Schollen, sogenannter „Landstaffeln*',
bilden, während der Außenrand steiler zu der zunächst nach außen
folgenden, entlang dem Rande tiefer abgesenkten Landstaffel ab-
fällt; 4. daß die zweite, durch das Herrschen einer meridionalen
Komponente ausgezeichnete Bruchzone das Tsinlinggebirge durch-
schneidet, und die Tendenz zur Bogenbildung auch südlich von diesem
fortsetzt, in Gegenden, wo jene rostförmige Zerlegung nicht mehr zv
beobachten ist; 5. daß im Gegensatze zu den aus Stauung hervor-
gegangenen Faltungs- oder Überschiebungszonen die Bogengebüde
des ostasiatischen Typus von Ausbrüchen von Tiefengesteinen ver-
schiedener Altersstufen begleitet sind."
Eine andere bemerkenswerte Eigenschaft dieser Bogengebüds
findet v. Richthofen in dem Umstände, daß, während die Storungs-
linien in den äquatorialen Schenkeln ganz oder nahezu in der Richtung
des Streichens der vorkambrisch zusammengefalteten archaischen
Schiefer liegen, die Bruchlinien der meridionalen Schenkel in der
Gesamtheit der Erscheinungen von der innem Anordnung unabhängig
sind und Erdrindenteile vom verschiedensten geologischen Baue un-
beirrt durchschneiden. Li einigen Fällen ist letzterer wenigstens
streckenweise den Brüchen parallel; aber in der R^gel verlaufen diese
widersinnig zu den Streichrichtungen.
OberflftohengeBtaltnng. 125
Ptof. Y. Richthofen schließt hieraus, daß die deformierenden
Bewegungen in der Erdrinde, welche sich in Ostasien in der Tendenz
zur Bogenbildung äußern und zur Umspannung verschiedenartiger
Gebilde durch einheitliche Bogen geführt haben, von einer Art sind,
clie mit denen, welche dem Alpentypus zugrunde liegen, nur die
resultierende Form gemeinsam hat, vom geogenetischen Gesichts-
punkte aber davon abweicht: „Dort ein Hinüberquellen und Über-
^wallen über ein meist tief versenktes Vorland durch eine von der
Hückseite nach der Außenseite gerichtete Kraft; hier die Tendenz
zum Zurückweichen des Vorlandes durch eine Ejraf t, welche von Orten
jenseits des Außenrandes her zerrend wirkt."
'Prot. V. Richthofen geht nun genauer auf die Form der Kette der
selbständigen Bogengebilde ein. Er hat früher gezeigt, daß die Reihe
der innem Staffelrandbogen Ostasiens in sehr großer Ausdehnung
meerfemes Binnenland von dem ozeanischen Lande scheidet, und
dieses wiederum vom Ozeane selbst durch die Reihe der Küstenbogen
geschieden wird. Die Reihe der ostasiatischen Inselkranze bildet die
Grenze des Kontinentalmassives gegen das tiefe Becken des Pazi-
fischen Ozeanes. „Bezeichnet man*', sagt er, „als Kettung die Ver-
bindung von je zwei selbständigen orographischen Einzelgebilden,
so sind dies drei augenfällige Kettimgsreihen. Die binnenländische
Reihe ist fortlaufend und vollständig; denn sie zeigt keine Unter-
brechung, ein Glied schließt sich unmittelbar an das andere. Die
Kettungsreihe der Küstenbogen hingegen ist fortlaufend, aber un-
vollständig, da ein Teil des koreanischen Bogens durch Bruch
verschwunden ist. Die Kettungsreihe der Inseln ist unterbrochen;
denn zwischen Formoea und den Philippinen ist ein Anschluß
nicht erkennbar; es scheint, als ob eine Reihe ihr Ende erreicht
habe, und eine andere beginne."
Eine fortlaufende Kettungsreihe nennt v. Richthofen har-
monisch, wenn, von einer außerhalb gelegenen, mit ihr parallelen
Linie aus gesehen, die einzelnen Glieder, so verschieden sie im Baue
sein mögen, analoge Bogenrichtung haben. „In diesem Sinne", sagt er,
„herrscht harmonische Anordnung im ganzen östUchen Asien; denn
alle Bogen haben ihre konvexe Seite nach dem tiefen Ozeanbecken
gerichtet, allerdings mit einer Ausnahme im südlichen Japan, welche
als die Harmonie störend sehr auffällig ist, aber ihre Erklärung in
mechanischer Umformung eines harmonischen Bogens findet.'' Dis-
harmonisch nennt v. Richthofen eine Kettimgsreihe, wenn die
Richtung der Bogen dem Sinne nach wechselt, wie es in Amerika
bei dem gegen den Pazifischen Ozean konkaven karibischen Bogen,
im Gegensatze zu dem peruanisch-ekuadorischen, nach demselben
Ozeane konvexen Bogen, oder bei dem dinarischen im Gegensatze zum
Alpenbogen der Fall ist.
Femer nennt v. Richthofen eine harmonische Kettungsreihe
konkordant, wenn ihre einzelnen Komponenten tektonisch gleich-
126 . Obgrfiftebengwttttong;
artig sind, das heißt, ^säkntUclie entweder doroh Zerrung oder dvd
Stauung ihre Bogenfonn erreicht haben. Die KettiingBieihen dv
Binnenlandbogen und der Küstenbogen im Norden der Tonliog-
linieamd hiemaehkonkordant, da J^tetehung durch Zenrung bä
alkn das genetiache Motiv ist; beim südlichem Bogen beider ReU»
gilt es für die Ostoeits^ ab«r nicht mit Sicherheit für die Südseite, and
der annamitische I^^üstenfoogNi, obgleich in die hamuxiische As-
ordnong sich einfügend, erscheint doch nach seiner ganzen bnsair
artigen Erscheinung als ein diskordantes Glied.
,,Bin Bück auf Karte oder Olobus'S fährt v. Riohthofen fort, ,,läilt
eine gewisse Gleichartigkeit in der Aneinandeneihung der das mocpho-
graphische Bild Ostasiens in erster Linie behenrechenden Bo|^
gebilde erkennen. Für die Inselzüge ist das BUd aufgehangts
Blumenkränze gebraucht worden, und oft hat man es daigesteOt,
wie der Aleutenbogen den KamtschatiEa-Kurilen^Bogen in die Seite
trifft, dieser sich ebenso zum japanischen Bogen verhalt u. fl. i
Ebenso nähert sich der Winkel, unter welchem jeder einzelne Küsten-
bogen mit dem nächsten zusammenkommt, einem rechten, md dtf
gleiche Verhalten waltet bei den Landstaffelbogen. Man kann ab
diese Formen der Kettung, wo die Linie eines Bogens quer aaf die
Linie eines andern Bogens trifft, als flankenständige Bogenkettung
oder Flankenkettung bez^chnen. Weniger auffällig sind andere
Kettungen, welche mit dem morphologisch vc«i den BogengebiUen
abweichenden, geradlinig fortstreichenden, gewaltigen Stamm de>
Tsinlinggebirges. verbunden sind. Als mi langgedehntes, stams
Gebilde erstreckt er sich in westösthchem Verlaufe in das Gebiet dff
erwähnten Bogengebilde fremdartig hinein, versdiwindet aber, wo
er die binnenländisohe Bogenreihe erreicht, indem er selbst dvicb
einen ihrer Bogen abgeschnitten wird. Er ist von bogenförmigen Ge-
bilden an der Nordseite und an der Südseite begleitet. Sie a^
beiderseits ihrem Wesen nach verschieden und unterscheiden sich
ebenso von den Gliedern der genannten meridionalen Bogenreihe^-
Auf beiden Seiten sind sie nach dem Gebirge konvex. Daher ist so
der Nordseite ihre Krümmung nach Südost, an der Südseite nadi
Nordwest gerichtet. An der erstem verwach»ni sie mit dem Tsinling*
an der letztem bewahren sie ihre Selbständigkeit und verstärken ^
Stamm des Gebirges dadurch, daß sie ihm längaständig gleicbsam
angeschweißt werden. Dort scheinen sie genetisch in einer Schlep-
pung begründet zu s^n, hier erhielten sie ihre Form durch passive,
von der Vorderseite herkommende, also nach rückwärts gerichtete
Stauung. Wir werden daher eine geschleppte bogige Kettung oder
Schleppkettung und eine rückgestaute bogige Kettung oder Böcs-
staukettung unterscheiden. Endlich ist noch eine Form der Kettong
zu nennen. Sie wird dadurch hervorgebracht, daß ein jüngeres Ge-
birge inkongruent über einem altem steht, in welchem es wvit»^*
und ihm gegenüber eine neue, von ihm abweidiende, selbstandiC^'
Oberfliehengestaltang. 127
q: bogige oder gestreckte Gebirgsfonn hervorralt. Vulkanische Kräfte
^ haben solche Gebilde geschaffen. Man kann sie als epigenetische
{ Gebirge und ihre Verbindung mit der Unterlage als epigenetische
;» Xettung bezeichnen. Ein ty^Hsches Beispiel, bei dem <fie Unterlage
^ sichtbar ist, werde ich aus Japan abzuführen haben; die Form aber
,^ ist sonst in/ Berknschnüren vulkanischer Inseln vertreten/'
^ Pas sind die vier Kategorien der Kettung, die v. Richthofen
pg unterscheidet, imd die er dann an Beispielen erläutert. Hier möge
nur von seinen Ausführungen über die Inseibogen einiges hervor-
^ gehoben werden. Die Aleuten bilden einen fast geometrisch regel«
mäßig geschwungenen Kreisbogen, deren sichtbarer westlicher Eck-
pfeiler die Insel Agattu ist. „Nur wenig innerhalb des Bogens bleibt
die etwas weiter westUch hinausgerückte Insel Attu. Es ist be-
merk^iswert, daß, während die in dem Bogen gelegenen Inseln
Vulkane tragen, auch wenn der Unterbau noch andere Gebilde auf-
weist, die 925 m hohe Insel Attu frei von jegUchen vulkanischen Ge-
steinen ist und aus altem Formationen beet^t als alle andern aleu*
tischen Inseln. Noch weiter innerhalb des Kreisbogens, in beinahe
100 km Abstand von ihm, bleiben die Beringinsd und die Kupfer-
insel, in den^i ältere basische Eruptivgesteine nebst Basalten und
tuffigen mitteltertiären Sedimenten vorkommen. Alle im Westen
- von 168° westl. L. gelegenen Inseln erheben luch auf einem schmalen
Rücken, welcher von der 1000 m-Linie umzogen wird. Bald ist die
Inseli^ihe einfach, bald tritt da^ eine Innenreihe, besonders gegen
das westliche Ende hin. Die Länge der den Aleutenbogen fortsetzen-
den Halbinsel Alaska, von Kamishak-Bay bis zur Spitze, ist 765 km;
der Kreisbogen von dort bis Agattu mißt 1720 km. Verlängert man
den Bogen mit gleichen Krümmungsradius westwärts, so trifft er
nach einem Verlaufe von 780 km durch inselleeren Raum, also nach
einer Gesamtlänge von 3267 km, die Halbinsel Kamtschatka am Kap
Kronotski.
Zwei Breitengrade weiter nördlich beginnt mit dem Schiwelutsch
die nicht ganz regelmäßig gestellte Doppelreihe von Vulkanen, wdche
mit einer Breite von durchschnitthch etwa 100 km und der Länge von
700 km das östUche Kamtschatka in der allgemeinen Richtung
NNO — SSW durchzieht. Die Linie büdet einen sanftgekrümmten,r
nach Ost konvexen Bogen. Die Aleutenlinie trifft auf sie unter einem
Winkel von 70 bis 80°. Sie erreicht die Küste, wo diese in breitem
Wulste vorspringt und ausnahmsweise wesentlich aus vulkanischem
Gesteine zu bestehen scheint. Dazu kommt, daß gerade an dieser
Stelle weiter landeinwärts eine bedeutende Verbreiterung der vul-
kanischen Zone stattfindet, indem drei Vulkane merkhch nach Osten
aus ihr heraustreten; fast genau in der weitem Verlängerung der
Aleutenlinie ist, weit im Westen der Zone der Kamtschatkavulkane,
der nach Erman zu 16 920 Par. Fuß oder 5500 m aufsteigende Vulkan
Itsoha oder Itschinskaja Sopka, der höchste Berg Kamtschatkas,
CS
i'-
10
128 OberflMMDgwlaltaBg.
dem kristallinisclieii AchaeiigBbirgB der Halbineel aa^^eoetEt. Di»
um ly^ bis 2^ weiter nördlich «af der Westseite zerstieat liegenden
▼ier erioscbenen Vulkane lassen in ihrer Anordnung keine BeziehuDg
SQ den beiden grofien yalkanischen Zonen erkennen.*'
»»Obg^ich ein 780 km langer Teil des Aleatenbogens nicht sichibar
ist, erscheint der Schluß gerechtfertigt, dafi die durch ihn bezeichnete,
mit erloschenen und rezenten Vulkanen besetzte tektonische linie
unter nahezu rechtem Winkel auf die KamtschatkavulkanzcMie und
die ihr wahrscheinlich parallelen Strukturlinien der Halbinsel stößt,
und in der Nahe der erstem die Eruptionstatigkeit des Aleuten-
bogens selbst einen erneuten Antrieb erhalt. Es ist ferner wahr-
scheinlich, daß die BogenUnie quer durch jene Zkme hindurch fort-
zieht, und der gewaltige vulkanische Kegel der Itscha ihr angehörl
Es würden sich also die beiden Vulkanlinien schneiden und einander
durchsetzen'^
An das Südende der Vulkanzone Kamtschatkas setzt sich in
einer 60 bis 60 km breiten DoppeDinie vulkanischer Insdn der Ku-
rilenbogen an, 1270 km lang. „Bald verschwindet die innere Reihe,
die äußere setzt sich wie eine Perlenschnur vcm Inseln allein fort
Aber in der letzten Strecke von 190 km ist wieder eine Doppellinie
vorhanden, indem, wie es scheint, eine innere parallele Insellinie zur
foflem hinzutritt; ihr gehören die großem Inseln Urup, Itump und
Kunaschiri an. Mit der Streichrichtung WSW tritt der Bogen in
Yesso ein, welches jetzt mit seinem Zubehör kleinerer Inseln als
administrativer Bezirk den amtlichen Namen Hokkaido fuhrt. Hier
endet die Linie nicht. Nach den Anschauungen von Milne und den
Forschungen von K. Jimbo setzt der Bogm in der Insel Yesso 200 km
weit fort und bildet hier einen breiten, aus mehrem Vulkanen auf-
gebauten, zuletzt von O nach W streichenden Rucken, welchen Jimbo
das Tschischimagebirge nennt. Hit dieser Richtung trifft er auf
die aus palaozoiBchen und wahrscheinhch algonkischen Schiefem,
duroh Granitmassen und, im südlichen Teile, einen langgedehnten
Oranitrücken ausgezeichnete Achsenkette der Insel, welche im ELap
Erimo in das Meer auslauft.
Wo die Tschischimalinie unter einem Winkel von 76 bis 80° auf
den achsialen Zug stößt, erhebt sich die vulkanische Masse des
Optateschke, und diese betrachtet Jimbo ab das Ende des Kurilen-
b^ns.
Bemerkenswert ist die außerordentliche Analogie der Kettungen
des Aleutenbogens mit ELamtschatka und des Kurilenbogens mit
Yesso. Überhaupt weisen beide Bogen mandie Ähnlichkeit auf.
Beide beginnen in langen Halbinseln und werden dann selbständig;
beide weisen in ihrem Unterbaue Eruptivgesteine von älterm Charakter
auf, und in beiden deuten Sedimentgesteine darauf hin, daß wir es
mit kontinentalen Gebilden zu tun haben, in denen die Vulkane nur
eine omamentale Rolle spielen. In den Kurilen ist nur Tertiär- und
Oberfllohengoftaltiuig. 1^
ELreideformatioii bekannt. In den Aleuten reicht der Grundbau in
köhere geologiBche Zeit hinauf. Beide haben auf der Außen0eite das
vulkanischen Bogens kein Land aufzuweisen; bei beiden treten auf
der Innenseite OUeder von abweichendem Streichen auf. Dies gilt
ebenso für Kupferinsel und Beringsinsel wie für die rein nordöstlich
gerichteten Gebilde in der Nahe des Westendes des Kurilenbogens.*'
In einer besondem Untersuchung beschäftigt sich Prof. v. Bicht-
bofen mit den Gebirgskettungen der japanischen Bogen. „Nach den
heute herrschenden Anschauungen ist der japanische Bogen am
durch eine Grabenversenkung (Naumanns bekannte Fossa magna)
in zwei Stücke getrenntes Faltungsgebirge vom Alpentypus. Eine
scharfgezeichnete Linie, die „Medianlinie/' durchzieht den Bogen
in seiner ganzen Länge und trennt eine durch reichliche Granite aus-
gezeichnete, der Kemzone der Alpen entsprechende Innenzone von
einer aus stark gefalteten paläozoischen Schichtgebilden bestehenden
Außenzone, in welcher stellenweise auch mesozoische Schichten in
schwächerer Faltung auftreten. In jedem der beiden Flügel erfahren
die beiden Zonen bei der Annäherung an die Fossa eine Bückbeugung,
und es entsteht dadurch eine Form der Kettimg, welche an die indische
Scharung erinnert und von Harada mit ihr vergUchen wird, wahrend
Naumann die Ähnlichkeit der Form zwar zuerst gefunden hat, den
Vergleich aber abweist. In Nordjapan wird die Außenzone durch
die Gebirge von Eatakami und Abukuma gebildet; ihre Bäck-
beugung geschieht im Kwantogebirge.
Untersucht man die Insehi nach dem jetzigen Stande ihrer Einzel-
kenntnis, so verwischen sich einige wesentliche Züge dieses durch
seine Einfachheit bestechenden Bildes, und damit schwindet die
Ähnlichkeit mit dem wohlbekannten Bilde der Gebirgsbogen vom
Alpentypus, und verwickelte Probleme stellen sich ein."
Prof. V. Richthofen zeigt dies des nähern, indem er zunächst den
Grundbau von Nordjapan, dann d^ijenigan von Südjapan und end-
lich den Gesamtbau und seine Störungslinien betrachtet. Er kommt
zu dem Ergebnisse, daß die Insel Tsuschima und die Gruppe der Gtoto-
Inseln nicht zum japanischen Baue gehör^i, sondern Glieder des
koreanischen Bogens sind. Südjapan besteht nwik v. Richthofen
aus zwei verschiedenen selbständigen Gebirgen, nämlich 1. einem
äquatorial gerichteten, aus Gneisen und paläozoischen Schiohtgebilden
aufgebauten, postkarbonisch gefetteten und von wahrai^inlioh zu-
meist poetkarbonischen Graniten reichlich durchsetzten, sehr siMk
abgetragenen Hauptstamme, welcher in seiner Gesamtheit nach
Süden verschoben worden ist, wobei sein an einem nicht sichtbaren
Wideriager geschlepptes östUches Ende eine schflkrfe, nach SO konvexe
Krümmung erfuhr; und 2. einer nur noch in einem Streifen erhaltenen,
aus gefalteten paläozoischen und vielleicht algonkischen Schicht-
gebilden mit spärlichen Granitintrusionen bestehenden, breit ange-
legten Gebirgszone« deren ursprünglich in sinisoher Richtoog (etwa
Klein, Jahrbuoh XV. 9
130 Oberflittbengesttatang.
W W 8 bis O 30" N) streichende Faltungen durch die südw&rts be-
wegte Noidzone zu einem nach NW konvexen Bogen deformiert and
mit innerer Stauung in langer, scharf gezeichneter Linie an das
stauende Gebirge der Nordzone angeschweißt worden sind.
Der äquatoriale Hauptstamm ist wahrscheinlich eine Ver-
längerung des Tsinlinggebirges, das Kuma-Eäigebirge ein ostüches
OUed des südchinesischen Bei^landes.
Der Grundbau von Nordjapan, einschließlich Yesso, ist be-
zeichnet durch das Vorhandensein von drei breiten, einander paral-
lelen, geradlinig verlaufenden, in der Richtung NzW bis SzO streichen-
den, stark gefalteten Zonen, welche von Richthofen nach den Namen
ihrer als selbständige Gebirgsmassen auftretenden Teile, aJs EUdakm-
zone, Kitakamizone und Abukumazone bezeichnet.
Zwei durch Vulkane bezeichnete tektonische Züge greifen van
außen her in den Bau von Japan ein; nämlich der Riukiuzug und der
mit den Volkanoinseln, Bonininseln, Schitschito- und andern aus-
nahmslos vulkanischen Inseln besetzte Zug des Boninrückens. In
seiner nach NNW abgelenkten Fortsetzung erheben sich die Vulkane
der Fudjireihe.
Die aufragenden Teile entsprechen nicht den bekannten Eigen-
schaften gestauter Bogengebirge vom Alpentypus. „Südjapan", sagt
V. Richthofen, „zeigt in der Front einen gegen den vorhegenden £ni-
räum konkaven Bogen; Nordjapan und Yesso hingegen erscheinen
als Fragmente eines quer gegen die äquatorialen Züge von Südjapan
gestellten alten Festlandes von ganz anderer Art. Denkt man sich
die beiden Festlandsteile, von denen die Bruchstücke sichtbar sind,
noch nicht von Vulkanen durchspickt in größerer Ausbreitung wieder-
hergestellt, so könnte kaum ein Erdraum weniger geeignet erscheinen,
um daraus einen Gebirgsbogen herauszugestalten. Aber gerade wie
auf dem Festlande und an den Küsten gab das Zusammenwirken
tellurischer Kräfte den durch sie hervorgerufenen, großen, gestalten-
den Brüchen die Tendenz, sich unabhängig vom innem Baue zu
großen BogenUnien zusammenzufügen und ein ausgedehntes Gebilde
von der Art eines Landstaifelblockes, mit sichelförmigem, auf gewölbtem
Randgebiete und schüsseiförmiger Senkung nach innen, hervorzu-
bringen. Diesen Bedingungen entspricht das japanische Inselland in
seiner Gesamtheit; dasjapanischeMeer erfüllt den Boden der Schüssel".
Daß den über den Spiegel des Ozeanes aufragenden japanischen
Bogen unterseeische gestaute Faltenbogen umspannen, halt Prof.
V. Richthofen auf Grund seiner jetzigen Studie nicht mehr für wahr-
scheinUch, obgleich solche in den ostwärts gerichteten Abdachungen
des Großen Ozeanes zurTuskaroratiefe wohl vorhanden sein mögen.
Eine meridlonale Bruchzone in Mittelasien. Prof. v. Richthofen
hat untersucht i), inwieweit westlich von den früher nachgewiesenen
1) Sitzun^sber. K Pieuß. Akad. der Wiss. 32. p. 977
OberfläehengeBtaltaiig» 131
Reihen von Landstaffelabfällen Ostasiens ähnliche Abfälle bestehen.
Morphographisch erkennbar war seit längerer Zeit um den Meridian
von Lan-tschou-fu, zwischen den Breitengraden von Laang-tschou-fu
und Ti-tau-tschou, ein rascher Abfall der hohen Nanschanketten
gegen ihre nur noch in niedem Zügen nachzuweisenden, zum Teil
nach NO umbiegenden Fortsetzungen. Viel weiter südhch läßt sich
in der Nähe desselben Meridians zwischen den Breiten von Tschöng-
tu-fu und Tung-tschwan-fu ein bedeutender, streckenweise in Staffeln
sich vollziehender Abfall des tibetischen Hochlandes aus der Kom-
bination verschiedener Beobachtungen ableiten. JegUcher Anhalt
fehlte bisher für das 400 km messende Zwischenstück, wo die Gebirge
der tibetischen Anschwellung in dem breit angesetzten Tsinling-
gebirge sich weit nach Osten fortsetzen. Es wurde erwiesen, daß
dort, östhch von Kiu-ting-schan und Min-schan, dieselbe Bruchzone
der Anf ügimgslinie entlang das ganze Gebirgsland quer durchzieht
und mit östJicher Absenkung verbunden ist. Wie die andern
Meridianbrüche Ostasiens, so ist auch dieser von den Gefügelinien
des innem Gebirgsbaues unabhängig.
Die Baraba und die Kulundinskische Steppe im westliehen
Sibirien behandelt G. J. Tanfiljew^) auf Grund eigener Unter-
suchungen in den Jahren 1899 bis 1901.
„Die zwischen Irtysch und Ob gelegene Baraba ist ein überaus
ebener, etwa 100 m Meereshöhe besitzender, seen- und waldreicher
Teil des westsibirischen Flachlandes. Südlich daran grenzt die
Kulundinskische Steppe, welche ihren Namen von dem großen
Bittersaizsee in ihrer Mitte, dem Kulundinskischen See, hat.
In der Baraba hegt der große Steppensee Tschany, in welchen,
von O kommend, die Flüsse Kargat und Tschulym einmünden. Die
Ufer dieser Flüsse sind teils flach und salzhaltig, teils steil und aus
Löß aufgebaut. ÄhnUche Steppenflüsse sind Bagan, Karassuk und
Burla. In dem Mündungsgebiete der Burla hegen mehrere Seen, von
denen der größte der Topolnoje Osero bis 1896 leer stand und als
Wiesenland benutzt wurde.
In den großen, bittersalzigen und abflußlosen See der Kulun-
dinskischen Steppe münden Sujotka und Kulunda. Der Kutschuk
mündet in den gleichnamigen See im SO.
Zahlreich sind die linken Zuflüsse des Ob; die durch sie, sowie
den Hauptfluß angeschnittenen Uferprofile gelangen zu eingehender
Beschreibung. Daraus, wie aus allem sonst durch Tanfiljew ge-
sammelten Material ergibt sich über den geologischen Bau dieser
Steppengebiete das folgende: Die älteste geologische Ablagerung
scheint ein blaugrauer, plastischer Salzton zu sein, welchen N.
1) In nun. Sprache. Deatscher Auszug von M. Ftiedriohson in Peter-
mannB MitteiL 1904. litteraturber. Nr. 390. p 119. .
9*
132 -Ob«rfl&olieDgeitaltang.
WyasotBky für untertertiär und marin halt. Die in der Barab» tot-
kommenden braunen, plastischen Töne halt derselbe Gewahznnans
für Mioste. Über den untertertiären Tonen hegt in der Kulosdinaki-
schen Steppe heller, stark sandiger Lehm, welehen WyssotAj für eine
miozäne Süßwasserbildung hält.
Nördlich einer Linie, welche den See Tschany mit dem obem Akt
verbindet, erscheinen auf postpUozänen Sauden ruhende LoAab-
lagerungen.
Die absolute Höhe der westsibirischen Ebene schwankt an der
Eisenbahnlinie zwischen 225 m in Tschdiabinsk am Ural und 100 »
in den mittlem Teilen der Baraba. Nach SO hebt sich das Tenam
allmählich bis etwa 230 m. Die tiefsten Punkte der Kulundinakinchea
Steppe haben eine Höhe von nur ca. 117 m, die höchsten van etwa
310 m. Sehr charakteristisch und bereits von Middendorff hervor-
gehoben sind für diese Steppen die von NO nach SW laufenden,
einander parallelen Täler und dazwischen liegenden flach^i Land-
rücken.
Über das Einschrumpfen der Seen Weetsibiriens hat man schon
seit Falks Reise im Jahre 1772 berichtet. Auch aus dem Vei^g^cfae
der an Seen reichem altem Karten mit neuem glaubte man dasselbe
sohlieSen zu können. In der Tat läfit sich denn auch heute an alten
Terrassen und Salzstellen ein Sinken der Seespiegel vielw weetr
sibirischer Seen konstatieren, indessen halt Tanfiljew dies für eine
nur periodische Erscheinung im Sinne der Brücknerschen ELüma-
Schwankungen. Im Sinken befindliche Seen könn^i nach Ablauf
einer solehen Trockenperiode wieder steigen. In der Tat hat noaa
dies jüngst am Aralsee wie an vielen Steppenseen beobaohtet
Die Baraba, sowie der nördliche Teü der KulundiiwkiBcben
Steppe ist von einem SüdrulUand ähnlichen Schwarserdebodwa be-
deckt. Doch unterscheidet sich die Westsibirisdbe Steppe dozoh das
häufige Vorkommen kleiner Birkenwäldchen in flachen Boden-
vertiefungen vor dem europäischen Analogen. Daneben durchziehen
ausgedehnte Salzstellen und Bohrsümpfe das Land. Im europaiachen
Rußland pflegen letztere dagegen meistens zu fehlen. Unter der
Steppe geht der schwarze Boden allmählich in den gelbgefia*bten
Untergrund über."
Die Dflnenbildiingea In der TBehertsetenwüste besprach Sven
V. Hedin. ^) „Dmr Sand'S sagt w, „liegt in der Wüste in W^len ge-
ordnet, die gerade so aussehen wie die Weiden eines Meeres, über das ein
beständiger, heftiger Wind hinstreicht. Anfangs erschien es mir
eigentümlich, daß diese Sandrücken im nördlichsten Teile der Wüste
nach SW laufen, diese Richtung dann aber allmählich in SSW und S
übergeht, um in der Nähe des Tschertschen-darja nach SSO umzu-
^) PetermaimB Mittefl. 1904. p. 168.
OhwtUUbMkgßtMUing. 133
biegen. Sie bilden aLso Bogen. Die Ursache der Entstehung dieses
' Reliefo gkrabe ich jedoch gefunden zu haben. Die größte Schwierig*
keit bot die Erklärung, wie es möglich sei, daß die ungeheuer kraftigen
Stürme (bis 27 m in der Sekunde an der Erdoberfläche), die bescxiderB
» im Frühlinge über das Lopkmd und seine Umgegend hinfahren, die
Sandanhaufungen so anordnen, daß die Windrichtung und die Diknen-
• kämme einen spitzen Winkel bilden, während man doch natur-
t gemäß erwarten müsse, daß die Windrichtung der Dünenkämme
unter rechten Winkeln treffe. Nur im südlichsten Teile der Wüste,
I» wo die Kämme der Dünenanhäufungen nach SSO laufen, scheint
i: dieses physische Gesetz befolgt worden zu sein. Dieser scheinbaren
) AnomaUe im nördlichen Teile der Wüste muß eine besondere Ursadie
f zugrunde liegen. Betrachtet man hier die Lage der EinzeldüneB,
* so findet man, daß ihre Elämme, wie es sich gehört, rechtwinklig gegen
i die Windrichtung liegen. Die ircm mir gefundene Erklärung ist, daß»
t «nter Voraussetzung gleicher Windstärke und gleicher Windrichtung
f über der ganzen Wüste, die Deviation oder die bogenförmige Orien*
tierung der Sandrücken darauf beruht, daß die Sandmenge der Dünen-
I anhättfungen im N größer ist als im S, und die Dünen im sikiliohen
r Teile der Wüste also schneller wandern müssen als im nördlichen.
ü Im nördlichen Teile der Wüste müssen Winde die Längsachsen der
,{ Dünenanhäufungen abo unter spitzen Winkeln treffen. VoUkommeB
I regelmäßige Bogen bilden diese Sandrücken natürlich nicht; aber ab
i Regel läßt sich sagen, daß der Winkel nach S hin größer wird.
,. Zwischen diesen Ungeheuern Sandwogm, deren Inhalt die un-
glauUich beständigen ONO- Winde weitertragen, und die selber von
I dem zerfallenden, vermorBcfaten Kuruk-tagh herstammen, bilden sich
, Wellentäler, ganze Ketten von DepresMonen, die durch verhältniB-
, maßig niedrigero Sandschwellen yoneinander getrennt sind. Jede
, derartige Depression wiid von den Eingeborenen Bi^ir genannt und
bildet ein kMnes Becken für sich mit Lehmboden und von Sand um-
geben, der auf der Ostseite steil abfällt, auf der Westseite aber langsam
nach dem nächsten Kamme emporsteigt. Die Seen auf dem rechten
Tarimufer sind nichts anderes als solche Bajirdepressionen, die durch
reinen Zufall mit Wasser gefüllt worden sind, und dieser Zufall besteht
darin, daß der Tarim, der in frühem Zeiten gerade nach O durch das
Bett desKuruk-darja strömte und sich in den alten SeeLop-nor ergoß,
seither seine Richtung nach O in eine südöstliche verändert und dabei
ungeheuere Sandmassen aus der Wüste fortgespült hat. In der Lage,
die der Fluß in diesem Augenblicke einnimmt, setzt er seine Spülarbeit
fort; er wandert nach rechts, unterwäscht die Giebel der Sandrücken
und zehrt an ihnen, spült neue Sandmassen fort, gewinnt Terrain
und nivelliert die Wüste. Eine Bootfahrt flußabwärts auf diesem
Teile seines Laufes ist höchst interessant und bildet eine Reihe groß-
artiger, malerischer Perspektiven. Dann und wann dringen die nach
S gerichteten Flußwindungen tief in den hohen Sand ein; 90 m hohe
134 OberflichmgwUllong. '
Dünenmaasen fallen am rechten Ufer in Winkeln von 33^ gerade nach
dem Waaser ab. Wie iat es möglich, daß die Dünen gerade hier, wo
sie ihre Giebel der vorherrschenden Windrichtong direkt zukehren,
so steil sein können, da man doch erwarten müßte, daß das Gefalle
hier sehr langsam abgedacht wäre! Die Erklärung hegt in der un-
unterbrochenen Bewegung des Flusses nach SW. Der Wind arbeitet
wohl in den obem Schichten der Dünen daran, ihr Gefalle immer
flacher zu machen, anderseits aber arbeitet an ihrer Basis die unter-
waschende, fortschwemmende Ej^aft an der Erhaltung der Steilheit,
und da diese Ej-aft starker ist, bleibt sie Sieger.
Die Seen hindern die Wanderung der Dünenmassen in keiner
Weise. Aus einer mitgeteilten TabeUe geht hervor, daß ihr Volumen,
mit dem der Dünenmassen vergehen, unbedeutend ist. Letztere
setzen ihr langsames Vorrücken nach W ungehindert fort. Die
charakteristische Depressionsform der Seen bildet einen der besten Be-
weise für die Wanderung der Dünenanhaufungen. Dieselbe Form
findet sich bei jeder der unzahUgen Bajirdepressionen der Waste
wieder, d. h. sie sind stets am tiefsten längs der Basis der steilen Lee-
seite, die sich am Ostrande der Bajir erhebt. Dieser Teil der Depression
ist derjenige, welcher während des längsten Zeitraumes der Korrosion
und Deflation, der aushöhlenden Tätigkeit des Windes ausgesetzt ge-
wesen ist. Der Westteü einer Bajir ist weniger tief ausgemeißelt, weil
es verhältnismäßig kurze 2^it her ist, daß der unterste Teil der Wind-
seite der westUchen Dünenanhäufung ihn verlassen hat. Die Bajir-
depressionen wandern demnach mit den Dünenanhäufungen nach W;
nach Jahrhunderten und Aberjahrhunderten erneuert sich der Unter-
grund, der ihren Boden bildet, sie selbst aber behalten ihre Indivi-
dualität und verändern ihre Form wenig und langsam.
Sie verschwinden jedoch schon vollständig, ehe sie noch den
Kerija-darja imd meine Route dureh die Wüste von da, wo dieser Fluß
verschwindet, bis an den Tarim (im Februar 1896) erreicht haben.
Der Grund ihres Verschwindens hegt natürUch darin, daß die Winde
in diesem westhchem Teile der Wüste weniger regelmäßig und be-
ständig als im Loplande sind. In der Taklamakanwüste war von dem
unglaubhch regelmäßigen Rehef der Tschertschenwüste keine Spur
vorhanden.''
Die Ammonsoase Siwe wurde von Prof. Dr. O. Steindorff auf einer
archäologischen Zwecken dienenden Reise besucht. ^) Er bemerkt,
daß sich für den Namen keine Erklärung geben lasse, doch sei die
gewöhnUche Schreibweise Siwah oder Siouah nicht richtig. Die
Oröße von Siwe lasse sich ebensowenig wie die anderer Oasen be-
stinmien, da man die Grenzen der Einsenkung nicht genau festlegen
kann. Am klarsten lägen sie im N, wo der Steilabfall des marma-
^) Petermaiins Mitteil. 1004. p. 179.
Oberflftohengestaltang. 135
riBchen Hoohplateaus das Oasenbecken in sicherer Linie abschließt.
Im O beginnt die Senke schon mit dem Wadi Umm huemil und wird
weiterhin durch den Gebel Temire begrenzt; im SO geht sie, ganz all-
mählich ansteigend, in die Wüste über. Die südUchen und westhchen
Grenzlinien hat Verf. nicht genauer verfolgen können. Auch über
die Ausdehnung des kulturfähigen Bodens, dessen grüne Inseln sich
klar vom gelben, unfruchtbaren Wüsten- und Sumpfboden abheben
und von dem höchsten der Inselberge, dem Gebel el-hemmadat, vor-
trefflich übersehen lassen, kann er keine zuverlässige Angabe machen.
Er hat das Fruchtland einmal auf 15 bis 20 qkm geschätzt.
„Auf dem Boden der Oase erhebt sich eine größere Zahl sog.
Inselberge. Die größten, die auch besondere Namen tragen, sind
die folgenden : im Mittelpunkte der Oase die Hügel, welche die beiden
Hauptorte des Ammoniums tragen: der zweikuppige Berg von Siwe
und der im N steil abfallende Berg von Aghurmi; femer der schon
erwähnte Gräberberg Qarit el-musabberin und der Gebel el-hemmadat
oder, wie er siwisch heißt, Adrar embrik. Im W der Oasen erheben
sich zwei größere Inselberge, der Adrar amilal, der „weiße Berg", und
der Adrar gari. Beide Namen sind siwisch.
Das Hauptkulturgebiet schließt sich in einem Kreise um die Berge
von Siwe und Aghurmi und wird im SO durch den Gebel el-Hemmadat
abgeschlossen. Zwei andere Kulturinseln hegen im W der Oase bei
den Weilern Meschindid und Chamise, zwei kleinere auf dem Wege
' dorthin bei Dobbu und Deheba. Endhch hegt im SO der Einsenkung
das Kulturgebiet von Zetun. Die Lebensadern dieser Vegetations-
gebiete, auf denen hauptsächUch Palmen und Ölbäume gedeihen, sind
die süßen Quellen, die unmittelbar unter der Oberfläche empor-
sprudeln. Sie werden in Becken, die wohl schon im Altertume mit
Kalksteinquadem sauber ausgemauert worden sind, aufgefangen und
in Gräben weitergeleitet, um die Gärten zu tränken. Über 30 solcher
Quellen soll es in der Oase geben. Die berühmteste von allen ist die
Ain el-hammam, „die Badequelle", die wahrscheinUch mit der von
Herodot, Arrian, Diodor und andern Klassikern wegen ihrer wechseln-
den Temperatur geschilderten „Sonnenquelle" identisch ist.
Der Größe der Kulturinseln entsprechen natürUch die in ihnen
gelegenen Ansiedlungen. Die beiden größten Ortschaften sind das
eigenthche Siwe und Aghurmi. Siwe erhebt sich auf einem durch
einen Sattel in zwei Höhen, den West- und Ostberg, geteilten Insel-
berge. Am Ostabhange des Ostberges hegt der Markt mit dem ganz
ansehnUchen Bazar. Dann setzt sich der Ort noch ostwärts in der
Ebene zwischen dichten Palmengärten fort und bildet mehrere Ort-
schaften. Sie führen die Namen Edarra, Sibuche und Menschije.
Alle zusammen sind nach der letzten Volkszählung von 6680 Menschen
bewohnt. Wesenthch kleiner ist der zweite Ort Aghurmi, dessen
Wohnplätze fast nur auf dem Berge hegen; seine Einwohnerzahl be-
trägt 620. Ganz unbedeutend sind die übrigen Ortschaften. Zetuu
136 ObeiflielieiigefttaltaBg.
soll nur 60 Einwohner haben. Meschindid und Chamise sind wolil
noch kleiner. Dobbu und Deheba bestehen nur aus wenigen Hauaem;
sie standen bei unserm Besuche in der kalten Jahreszeit leer und sdlen
nur in den heißen Monaten von ihren in Siwe wohnenden BesitKeni
als Sommerfrische aufgesucht werden.
Die Siwis gehören zu den heUfarbigrai (libyschen) Berberstammea
Nordafrikas und unterscheiden sich in ihrem Aussehen deutlich yon
den M»bischen Beduinen der Wüste und den schwarzen Negera
Zentralafrikas, von denen eine ganz beträchtliche Zahl durah Sklaven-
handel auch in diese Oase gekommen ist. Auch in der Sprache haben
sie sich ihre Eigenart bewahrt. Sie sprechen einen Berberdialskt,
der mit andern in Nordwestafrika noch gesprochenen Berbeidiafekten»
dem Kabylischen und verschiedenen marokkanischen Dialekten in
naher Verwandtschaft steht. Die Männer sprechen daneben meist
auch noch Arabisch, besonders im Verkehr mit den arabiachen Be-
duinen, die von 0 und W mit ihren Karawanen zur Ammansos»
kommen.
Im Altertume ist das vegetationsfähige Gebiet der Oase wcitl noch
größer gewesen als heute; durch Versiegen der Quellen und durch
Versumpfung sind die Kidturinsehi im Laufe der Jahrhunderte sehr
zusammengeschrumpft und haben gewiß nicht unbeträchäicfae
fruchtbare Stücke verloren. Außerdem scheinen auch gaaxe Oebiete
der Kultur verloren gegangen zu sein, wie die GegMid bei dem Qaff
el-ghaschscham, die heute verödet ist, und wo, nach den eihaltenea
Ruinen zu urteilen, in griechisch-römischer Zeit eine größere An-
siedlung, die doch ohne Kulturboden nicht doikbar ist, gelegen habea
muß."
Ober Inselberglandsehaften im tropfsehen Afrika verbratet sich
Dr. S. Passarge. ^) Die Benennung stammt von Bomhatdt*) uimI
bezieht sich auf Berge und Gebirgsstöoke, die wie Inseln aus der
ebenen Fläche emporragen. „Oft dehnen sich die Ebenen meilenivei^
aus, ohne jede Erhebung, ohne wesentliche Eins^ikungen, nur hier und
und dort, oft 20, 90, 40 und mehr Kilometer voneinander getrennt,
oft aber auch dichter gedrangt, stehen die isolierten Berge, kleine
Kuppen von hundert und viel weniger Metern Höhe bis zu Massiven
von der Größe des Harzes und größer. Der Ubeigang von der Ebene
zu den Bergen ist oft absolut scharf und unvermittelt. Die Ebene
tritt an das steil aufsteigende Gehänge heran, höchstens vermitteit
eine schmale Böschung von Blockschutt und Grus, der vom Gehifig^
stammt, den Übergang zwischen beiden. In andern Fällen wetd^
die Gebirgsstöcke von einem alluvialen Mantel umgeben, die aus den
Gebirgen herausgeschwemmt und auf den primär vorhandenen
1) NatnrwiflB. WochenscAr. 1904. Nr. 42.
s) Zur Oberflfioh^igestaltiuig Deateok-Oetalrikas. Beilin 190(K
Oberfllohengestaltimg. 137
Ebenen zur Ablagerung gelangt sind. Der Qiarakter der Ebene
bleibt darum immer erhalten."
Dieser Landschaftstypus findet sich in zwei Zonen: einer, die
am Boten Meere zwischen Abessinien und Sunkin b^innt und sich
über Kordofan und Wadai nach Dar Fertit zieht und im zentralen
Sudan wahrscheinüch stark ausgeprägt ist, und einer zweiten, die mit
der Massaihochsteppe in Deutschostafrika beginnt und sich gegen das
Schirehochland hinzieht. Dort wurde sie von Bomhardt studiert.
Paasaige unterscheidet verschiedene Typen dieses Landschaft«-
Charakters und bes}xricht die möglichen Vorgange, welche ihre Ent»
stehung bedingt.
Das Gebiet des Orinoko zwischen den Flüssen Cuchiveio und
Caura bereiste im Winter 1901 bis 1902 Dr. S. Passarge, i) Die
Reise begann in Las Bonitas am 22. November 1901 und endete
ebendaselbst am 7. März 1902. Von den Hauptflüssen des unter-
suchten Gebietes hat der Orinoko eine Breite von 3 bis 4 hm, entliUt
jedoch zahlreiche Inseln und Sandbänke, die ihre Form und Lage
häufig zu verändern pflegen. Dennoch ist er auch wahrend derTrocken-
zeit noch für 1 m tiefe Fahrzeuge befahrbar. Der Caura hat an seiner
Mündung eine Breite von 1100 m, weiter oberhalb jedoch von 600 bis
800 m. Er hat fast auf der ganzen Strecke seines Laufes hohe Steil«
ufer, die mit dichtem Walde besetzt sind. Zur Regenzeit, während
welcher ihn Dr. Passaige befuhr, war er stark angeschwollen und
reißend, deshalb schwierig zu befahren. Der Cuchivero kommt für
die Schiffahrt wenig in Bedacht, ist aber dafür ausgezeichnet durch
die hohe landschafUiche Schönheit seiner Ufer, die von hohen, mit
dichten Urwäldern bedeckten Bergen gebildet werden.
Die Südgrenze des bereisten Gebietes wird von einem Gebirge
gebildet, das zu dem Hochlande von Guayana gehört. Es ist ein aus
niedrigen Rücken und welligen Ebenen zusammengesetztes Gneis*
land, das mit hohem Grase und zerstreuten Steppenbäumen bestanden
ist und sich in dem fraglichen Gebiete höchstens 100 bis 200 m über
die Ebene des Cuchivero erhebt. Aus diesem Gneislande ragen hohe,
mit sohwarzgrünem Urwalde bedeckte Gebirgsmassive heraus, die
voraussichtlich aus Granit bestehen. Nach Norden hin senkt sich
allmählich das Land. Die Gneisplatte taucht unter das Niveau der
Llanosebene imter, dagegen setzen sich die gewaltigen Granitstöoke
als hohe Gebirgsmassive noch weit nach Norden fort. Ein Gesamt-
name fehlt dem großen.Südgebirge zwischen Caura und Cuchivero und
westlich des letztem, im allgemeinen hat jede Gruppe einen eigenen,
ja zuweilen mehrere Namen. Zwischen dem Nordrande des eben
geschilderten Südgebirges und dem Südrande der KordiUere von
Nordvenezuela erstreckt sich die weite Fläche der Llanosebene. Die
i) Mitteil. d. Vereios f. Erdkunde in Leipzig 1904. p. 33.
138 OberfliohengeBtaltmig.
LIanoB gewähren nicht durchweg den gleichen Anblick. Der HaopU
Bache nach sind sie eine Buschsteppe, mit Chaparro, Aloomo tmd
andern Steppenbaumen bewachsen. Das am meisten veibroiteto
Oras ist das Saetagras, Trachypogon polymorphos. Der Boden iit
meist ein gelber bis roter Lehm und lehmiger Sand. Die Uanos
werden in ausgiebigster Weise von Wasserlaufen durchsetzt» die eineQ
verschiedenartigen Charakter haben. Zum großen Teile sind es Bäche,
die in einer flachen, sumpfigen Mulde beginnen. Von dieser aus zieht
sich eine schmale, sumpfige Wasserrinne entlang, die von einer Isagee
Reihe schlanker Mauritiapalmen begleitet wird. Diese BinneD«
„Morichales genannt," sind für die Landschaft außerordentlich
charakteristisch und von hoher Schönheit. Ebenso wichtig sind sk
in wirtschaftlicher Hinsicht, denn sie versorgen das Land mit Wasser,
und in ihrem Bereiche wächst auch während der Trockenzeit meist
frisches, grünes Gras. Dagegen setzen sie dem Verkehre große Binder
nisse entgegen. Denn die mit schwarzem, weichem Sumpfboden ge-
füllten Talrinnen sind nur an einzelnen Pässen zu überschreiten, die
oft nur wenigen Kundigen bekannt sind.
Nähert man sich, vom Orinoko nach S gehend, dem Gebirge, so
beginnt eine Änderung in dem landschaftlichen Bilde. Rundliche
schwarze Granitfelsen tauchen unter der Lehmdecke auf, ronde,
mächtige Buckel, aus Blöcken aufgetürmte Felsburgen, Hagel
Rücken, Platten aus bis faustgroßen, glatten Quarzgeröllen folgen.
Schließlich beginnen die mächtigen Gebirgsmassive, die meist mit
steilen, bewaldeten Hängen recht unvermittelt aus der Ebene sof-
steigen. Die Llanossteppe endet vor dem Erreichen der Gebiiga-
wände als ein flaches Plateau. Zwischen dessen Rand und den Ge-
birgen ziehen sich Niederungen hin, die mehrere Kilometer Durch-
messer haben können. Diese bilden die für das Land außerordentlich
wichtigen Potreros, das beste Weideland des Cauragebietes. Denn d»
sie unter einer grauen humosen Lehmdecke eine Schicht wa88e^
undurchlässigen Tones besitzen, bleibt während der Regenzeit das
Wasser auf ihnen stehen und macht sie sumpfig, und wenn dann iin
Sommer die Llanossteppe längst verdorrt und als Weide unbrauchbar
geworden ist, sind die feuchten Protreros ein prachtvolles grones,
frisches Weideland, auf dem das Vieh nicht nur die Dürre übeistehfe
sondern sogar dick und fett wird. Li den Potreros fehlen nicht Klippen
von Granit, flache Hügel und Platten aus zelligem Brauneisenstein,
Eisensandstein und Geröllagem aus abgerundeten, bis faustgroßen
Quarzsteinen. Solche Erhebungen haben zum Teil nicht unbe-
deutende Ausdehnung und heißen „Livemaderos"*, d. h. tJber-
winterungsplätze, weU auf ihnen das Vieh während des Winters, d. ^
während der Regenzeit, wenn die Ebenen sumpfig sind, lebt. ^^
anderes Gebiet, das für die Trockenzeitweide ganz besonders wichtig
ist, ist das Überschwemmungsgebiet der großen Flüsse, von den ^'
wohnem RebaJce genannt. Solche Überschwenmiungsflächen haben
Oberfläohengestaltung. 139
innerhalb des untersuchten Gebietes Orinoko und Cuchivero in großer
Ausdehnung, während sie dem Caura fehlen.
Das mima des Cauragebietes ist selbstverständlich nicht ab-
weichend von dem des übrigen Guyana. Die Regen fallen haupt-
sachlich von Ende Mai bis Ende November. In den folgenden
Monaten herrscht vorwiegend trockenes Wetter.
Die Vegetation zerfällt in drei verschiedene Typen: Waldland,
Steppenland und Sumpfgebiet. Urwald bedeckt die meisten Granit-
massive. Er ist sehr dicht, sehr hoch und meist mit erhebUchem
Unterholze erfüllt. Der Reichtum an Arten ist außerordentUch groß.
Palmen spielen in ihm eine große Rolle, und zwar besonders die Palma
de agua, eine Eiederpalme. Innerhalb der Ebene findet sich Wald
am Rande der Bäche und Müsse. Die Steppenvegetation hat ihre
hauptsächlichste Verbreitung in den Llanos. Harte Gräser in
Büschelform, knorrige niedrige Bäume mit oft hartem Holze sind die
Hauptcharakterpflanzen. In scharfem Gregensatze zu der dürren
Steppe steht die Vegetation des Sumpf landes, der Morchalen, Potreros
und Überschwemmungsgebiete. Zwei Palmen sind charakteristisch
für sie. Die eine, die Morichepalme, gedeiht nur auf dauernd feuchtem
Boden an den sumpfigen Bachläufen, denen sie ihren Namen ver-
dankt, und in den Potreros. Die andere, die Macanillopalme, wächst
dagegen mit Vorliebe im Überschwemmungsgebiete. Von der reichen
Tierwelt des bereisten Gebietes erwähnte der Reisende besonders die
den Boden durchwühlende und umgestaltende Arbeit der Ameisen und
der Sump&childkröten (Morokois). Außerdem wird das Cauragebiet
bevölkert von roten Brüllaffen, blutsaugenden Fledermäusen, großen
Hirschherden, Pekaries, Chiguires und Tapiren. Süßwasserdelphine
schwärmen in Scharen im Orinoko. Die Vogelwelt ist fast noch reicher
als die der Säugetiere. Schwarze Aasgeier, Papageien, mehrere Arten
von Laufhühnem, zahlreiche Sumpf- und Wasservögel wären zu
nennen. Die Flüsse und Sümpfe beherbergen zahlreiche Fische,
unter ihnen die berühmten Zitteraale, zwei Arten von Alligatoren,
mehrere Arten von Schildkröten usw. Für den Reisenden bilden be-
sonders in den sumpfigen Gebieten Moskitos, Zancudos (Mücken)
und Garapatas (Holzböcke) eine beständige, lästige Plage.
VorgeschiehtUche Bergstürze imlLnntale. Zu den gewaltigsten
Ereignissen dieser Art, von denen kein Sang und keine Sage etwas
meldet, sondern die ledigUch in ihren ungezählte Jahrtausende über-
dauernden Wirkungen zu uns sprechen, gehören die vorhistorischen
Beigstürze an der Mündung des Otztales und am Fempasse, welche
großartige Sohuttlandschaften geschaffen haben, die der Landschaft
dort einen romantischen Charakter verleihen. Schon wiederholt ist
diese Landschaf t Gegenstand wissensohaftUcher Untersuchungen und
140 OberfliolieiigetUltiuig.
beflchreibemder ScbilderuDgen gewesen. JetKt hat Dr. O. Ampienc
eine neue Studie über dieee Gebiete geliefert. ^)
Ein Bergkamm, der im Tschirgant (2372 m) seine höchste Er-
hebung erUngt, begleitet das Inntal auf seiner Nordseite von Imst
bis gegen Tel&. Er wird von einem eng zusammengepreßten Ttias-
sattel gebildet, an dessen Aufbau sich ein schmaler Kern von Muschel-
kalk, dann Wettersteinkalk und Dolomit, Raibler Schichten, sovie
Hauptdolomit beteiligen. Dieees Gewölbe ist nur im Gebiete des
Ttohirgant im Westen ziemlich vollständig erhalten, während es gogn
Osten immer tiefer hinein vom Inn angeeohnitten wird. Ds
Abhang gegen das Inntal ist durchweg sehr steil und weist auf der
kurzen Strecke von Haiming bis Roppen innerhalb 5 km ErstnckoDg
drei große und selbständige Bergstürze auf, von den«i der westUobste
bei weitem am mächtigpten enthaltet ist.
Sein Abrißgebiet greift am Ostgrate des Tschiigant an einer StA
nahezu bis auf die Kammhäie und umfaßt von 2200 m bis abwärts o
1100 fn Höhe mit Einschluß der ösUichen zugehörigen Bunseii ödb
Fläche von ungefähr 1.8 ^ibm. Der größte Teil dieses Gebietes hestebt
aus WettersteinkaUL und I>olomit. Nur am untern Ende und in dff
nördlichsten obem Ecke werden auch schmale Züge von BmUbc
Schichten (gelbliche Bauhwacken, schwarze Schiefer, bräaiiiici|*
Sandsteine, dunkle Kalke), sowie Hattptdolomit mit ergriffen. D*
grelle, weißlichgraue Farbe der steilen, wQdzerfurohten Wände vai
Rinnen hat für die volkstümliche Bezeichnung „weiße Wand" de»
Anlaß geboten. Am untern Rande ver^igen sich diese weiten Bacta
zu schmalen Schlünden» die von einer Zone v<m Haiiptdokas^
begrenzt werden, welche kleine gerundete Wandstufen bildety nn^
denen die großen Schuttkegel ansetzen, die bis zum Inn in ^
gleichmäßiger Neigung hinabetrömen. Der Inn selbst ist von des v»
untern Teile vereinigten Schutticegdn kräftig zurüdcgedräiigt w
zeichnet ihnen die Südgrenae vor, wobei zu bemerken ist, daß dtf
Schuttkegel fast üb«all aUmählidi oder mit niedriger AbschweffiD'
stufe dem Flußbette naht.
Bezüglich des Alters und der Entstehung dieses BeigstnrEes, d^
nach der Definition von Heim als Felssturz zu bezeichnen ist, vxA
verschiedene Ansichten ausgesprochen wordeni wefehe Fendc ifi ^
Werke: „Die Alpen im Eiszeitalter", bei derBesprechung dieser Schutt-
landschaf t zum Vortrage bringt. Halbwegs sichere Schlüsse zu sdeheo,
gestatten nur die Aufschlüsse nördlich vom Lm, wo deutlidie ^
ausged^mte Beste von typischer Grundmoräne in naher I^
beziehung zu den Bergsturzmassen erhalten sind. Die Qrundmori^'
massen ziehen nimlich am Westrande des großen Schuttkegf^
„breite Muhre** bis zum Innbette hinab, es findet sich jedoch jen«^^
des Inn keine Spur einer Fortsetzung. Der Inn beschreibt gerade ao
^) Verhaadlg. d. k. k. gecdog. ReiohsaiiBtalt 1904. p» 78.
OberflflolieiigeBtaltiiiig. 141
i dieser Stelle (nördlich vom Mairhof) eine scharfe Biegung gegen
Norden, so daß die mächtigen Grundmoränen entlang der äußern
B Uferlinie enden, während ihnen gegenüber das grobe Trümmerwerk
ä und der feinere Dolomitgries am andern Ufer eine weit vorspringende
^ Landzunge ausschließlich zusammensetzen.
et Diese Verhältnisse führen zu der Annahme, daß die überaus
«£i mächtigen Grundmoränen vom Inntalgletsoher vor dem Loebruche
V des Bergsturzes abgelagert wurden. Durch die nach dem Eisrück-
U gange eingreifende Erosion wurden die meisten dieser Ablagerungen
if wieder entfernt. Nun lösten sich die Bergsturzmassen ab, fuhren
$ über die Reste von Grundmoränen zu Tale und warfen den weitaus
,; größten Teil ihrer Trümmer gegen den Eingang des Otztales. Die
it gewaltige Wucht der hohen Sturzfahrt trieb die ganze Masse so kräftig
von dem Berghange weg, daß zwischen diesem und der mächtigen
fi Anhäufung der Trümmer ein ziemUch schuttfreier, daher auch relativ
ii niedriger Streifen verbUeb. In dieser Zone entlang dem Berghange
^ schuf sich der Inn seinen Durchbrach.
p Der Talzug des Fempasses besteht aus zwei nordsüdlich und quer
I cum Streichen angelegten Teilen, denen eine dem Gebirgsstreichen
, folgende Strecke zwischengeordnet ist. Bedenkt man, daß knapp
I unterhalb des eigentUch<^n Paßwalles an seiner Westseite Taltiefen
I von nur 960 m zwischen mächtigen Schutthaufen vorhanden sind, so
^ wird die Annahme nicht unwahrscheinlich, daß hier vor der Ein-
^ lagerung der Schuttmassen eine vöUig dem Inntale zu geneigte Tal-
- Verbindung bestand. Heute ist dieser Talzug durch ungeheuere lose
I Gesteinsmassen so erfüllt, daß der höchste Wall eine Wasserscheide
zwischen Loisach und Inn bildet.
Allee weist darauf hin, daß es sich hier um die Schuttmassen
eines uralten Bergsturzes handelt. In der Tat findet man am Ost-
gehänge des Loreakopfes, gerade gegenüber der Paßschwelle, die ge-
waltige Ausbrachsnische eines Bergsturzes (Felssturzes nach Heim)
klaffen. Der Paßwall liegt derselben gleichsam zu Füßen.
Diese Nische hat eine ziemlich symmetrische Grestalt, besitzt in
der Tiefe die größte Ausdehnung und verschmälert sich dann gegen
oben zuletzt in eine schmale Runse. Die größte Höhe erreicht der
Ausbrach bei etwa 2100 m, seine aufgeschlossene Tiefe reicht bis
gegen 1100 m herab, doch ist eine beträchtliche weitere Senkung
seiner Bahn sicherlich anzimehmen. Dafür spricht vor allem die
breite, gar nicht eingeengte Mündung, die eben nicht die wirkliche
Endigung der Ausbrachsnische darstellt, welche ganz von Schutt ver-
hüllt ist. Neben dieser breiten untern Öffnung ist noch die nicht be-
sonders steile Neigung des umgebenden Berghanges, sowie der Um-
stand auffallend, daß der Abbrach sich ungefähr in der Streichrichtung
der Hauptdolomitschichten vollzog. Die Öffnung des Ausbraches ist
gerade gegen Osten gerichtet, und dem entspricht auch die Haupt-
massenanhäufung in dieser Richtung, während fast senkrecht dazu,
142 Erdmagnetlfiiivs.
gegen Süden, nur ein unverhaltniBmäßig kleiner Teil, vielleicht V^,
vorgetrieben wurde.
Entsprechend der siemlich geringen Neigung der AuahnK^ie-
flache, die nur ein Gefälle von etwa 1100 m auf 3 km {22") aufweist,
lagert auch der mächtigste Schuttwall schon knapp vor der Mündung,
und nimmt die getriebene Masse mit der Entfernung viel rascher ab
als beim Tschirgantsturz.
Dafür steht hier einer Sturzbahn von 3 km Lange und 1100 m
Fall eine Treibbahn von 7 km gegenüber, die allerdings entweder nur
wenig ansteigend oder, wie in der südlichen Richtung, sogar durchaus
flach abfallend ist.
Das auffallendste ist neben der eigentümhchen Grestalt der
Schutthügel wohl die große Entfernung, bis zu wricher der Beiiggtun
gleichmäßig in zwei nahezu senkrechten Richtungen seine Masaep
auseinandertrieb.
Die streuende Gewalt dieses Sturzes bleibt trotz der scheinbar
so bedeutenden erzielten Entfernungen hinter der des Tschirgant-
sturzes zurück. Die langen Bahnen sind wohl dadurch zu erklären,
daß die rasch bewegten Massen in verhältnismäßig schmalen KajiSImi
vorwärtsgedrängt wurden.
Was das Alter des Sturzes anbelangt hat, halt ihn Dr. Ampferer
zum mindesten für jünger als die letzte Veigletscherung (das so-
genannte Bühlstadium).
Erdmagnetismus.
Die Mißweisung der Magnetnadel In Deutschland bUdet den
Gegenstand einer Erörterung von Dr. J. B. Messerschmitt, i) Er
gibt in derselben eine Tabelle der Mißweisung für Mitte 1005, in der
die Werte ausgegUchene, nach den sogenannten terrestrischen Iso-
gonen gefundene Zahlen bedeuten.
Infolge der Unsicherheit in der säkularen Variation, wozu noch
lokale Störungen kommen, können die gegebenen Werte in einzelnen
Fällen um ± 0.2^ bis +^ 0.3' von der wahren Deklination abweichen.
Diese zu ergründen, bildet aber die Hauptaufgabe der magnetischen
Landesaufnahmen.
Die jährUche (säkulare) Abnahme der Deklination betrug in
Deutschland vor 50 Jahren T bis 8', hat seitdem beträchtlich
abgenommen und darf jetzt zu 5' angenommen werden.
In München läßt sich die westUche Deklination nach den Beob-
achtungen der letzten vier Jahre durch die Formel
D = 10^ 27.9' + 6.20' (1900.5 — t) + 0.442' (1900.6 — t) «
darstellen, worin t das betreffende Jahr bedeutet.
1) Zeitaohr. f. VermeflBongiweeen 1903. p. 681.
Erdmagnetismiu.
143
Prof. Ad. Schmidt hat für Potsdam aus den Beobachtungen der
letzten zwölf Jahre die Formel
D = — 10° 27.24' + 6.14' (t — 1896.0) — 0.104' (t — 1896.0) «
abgeleitet, welche nahe mit der von E. Hammer abgeleiteten überein-
stunmt.
MUwelBiuiir 4er MagnetDadel, wesilioh, für die Mitte des Jahres 1905.
Geograph.
Breite
Geographiselie Länge, ron Ferro tue gezählt
23«
24 <
25®
26«
27«
29 •
30«
31«
66«
64
63
62
61
60
49
48
47
46
13.6«
13.6
134
13.1
13.2
13.1
13.1
13.0
12.8
12.7
12.9«
13.0
12.9
12.8
12.8
12.8
12.7
12.6
12.4
12.3
12.6«
12.6
12.6
12.4
12.6
12.3
12.3
12.2
12.0
11.9
12.1«
12.2
12.2
12.1
12.1
12.0
11.8
11.7
11.6
11.4
11.4«
11.7
11.7
11.6
11.6
11.6
11.3
11.2
11.0
10.9
10.8«
11.0
110
11.0
10.9
10.8
10.7
10.6
10.6
10.4
10.3«
10.4
10.4
10.3
10.3
10.2
10.2
10.1
10.1
10.0
9.8«
9.9
9.8
9.8
9.8
9.8
97
9.7
9.6
9.6
9.2«
9.3
9.3
9.3
9.3
9.2
9.2
9.2
9.2
9.2
Geograph. I| ^* ^0' 1 6« 20' 1 7« 20' 1 8« 20' 1 9« 20' llO« 20'|ll« 20 |l2« 20'|l3« 20*
Breite * \
|{ Geographische Länge, von Greenwlch gezählt
MiBweisan^ der KagnetDadel, westlieta, für die Mitte des Jahres 1905.
Geograph.
Geographische Länge, TOn Ferro
aus gezählt
Bfeite
32«
33«
34«
36«
36«
37«
38«
39«
40«
66«
8.8«
8.4«
8.1«
7.6«
7.0«
6.6«
6.3«
6.7«
6.1«
64
8.8
8.4
7.9
7.4
6.9
6.4
6.9
6.3
4.7
63
88
83
79
7.3
6.7
6.2
6.7
6.1
46
62
8.7
8.2
7.6
7.1
66
6.1
6.6
6.0
4.6
61
8.8
8.2
7.8
7.2
6.7
6.2
6.6
6.2
4.6
60
8.8
8.3
7.7
7.2
6.7
6.3
6.7
6.3
4.8
49
8.8
8.3
7.8
7.3
6.8
64
6.9
6.4
4.9
48
8.8
8.3
7.8
7.3
6.9
6.4
6.0
6.6
6.0
47
88
8.3
78
7.4
7.0
6.6
6.1
6.7
6.2
46
8.8
8.3
7.8
74
7.0
66
6.2
6.8
6.3
Geograph.
14« 20'
16« 20'
16« 20'
17« 20'
18« 20'
19« 20'
20« 20'
21« 20'
22« 20'
Breite
Gec
graphia
oheLän
ge, von
Greenn
rloh gez
ählt
Für den praktischen Gebrauch ist die tägliche Änderung der
Mißweisung von Wichtigkeit, gemäß welcher die beobachtete Dekli-
nation in den Morgenstunden größer und in den Abendstunden kleiner
ist als der tägUche Mittelwert. Das Hauptmaximum findet mittags
1 Uhr, das Hauptminimum vormittags 8 Uhr statt. Die Größe dieser
Schwankungen ist überdies in den verschiedenen Jahreszeiten un-
gleich groß. Die unten stehende Tabelle gibt für die vier Jahreszeiten
die durchschnittlichen Schwankungen nach den Beobachtungen in
München; im nördlichen Deutschland sind die Ausschläge zeitlich
gleich, werden aber im Maximum um 1^ bis 2^ größer.
144
ErdmagiMlimiis.
Dabei bedeutet + die westliche und — die östliche Abweichung
vom Tagesmittel.
Aufier diesen regelmäßigen Schwankungen kleidet aber die
DeUinationsnadel noch unregelmäßige Störungm, wodurch der
Charakter der Kurve und die Größe der Amplitude geandrat wiid.
Bei einzelnen, besonders staik gestörten Tagen können Sckwankuign
vorkommen, die 1^ übersteigen. Solche Störungen treten eifahruii^
gemäß häufiger am späten Nachmittage und in den Abendstandeo
auf, während sie um die Mittagszeit seltener vorkommen.
Die Observatorien leiten aus ihren Beobachtungen die Jabi»
mittel aus den Ablesungen der stündlichen Werte aller Tage ab.
Dieses gilt also für die Jahresmitte. Es ist daher wichtig, zu mam,
wie weit zu jeder Jahres- und Tageszeit die lüßweisung von dieseiB
Mittelwerte abweicht. Darüber gibt eine Isopleliientalel (Tafel II) Ad-
Schluß, welche nach den zehnjährigen Registrierbeobachtung^ des
Potsdamer Observatoriums der Jahre 1890 bis 1809 entwoite
worden ist. Hierin sind als Ordinaten die Tagesstunden (mitüen
Ortszeit) und sJs Abszissen die Tage genommen worden, und zwar
bedeuten die ausgezogenen Linien jeweilen die Mitte des betreffenden
Monates.
Winter
(November, Desember,
Jannar, Februar)
FrUiUia« und Herbst
Septembe^, (&toW)
Sommer
(Kai bii Ah«^)
Mlttmiaoht
S».m. 1
4 a. m. 1
— 1'
— 0.6
0
— 1'
— 1
— 1
— 1'
— 1
6 a. m. 1
8 A. m. 1
10 ». m.
0
— 0.6
+ 0.6
— 1
— 2.6
— 1
— 3
-3.5
0
Mittag 1
2 p. m.
4 p. m.
-h 2
+ 2
4- 0.6
-f 3.6
-4- 4
+ 2
+ *
+ 6
+ 2.5
8 p. m.
8 p. m.
10 p. m.
Mitternaoht
0
— 1
— 1-6
— 1
0
— 0.6
— 1
— 1
0
0
— 0.6
— 1
Pie Kurven stellen also den taglich^fla Gang, ^^^^hivft^ oüt der
säkularen Änderung, dar. Da in unsem Gegenden die westliche
Deklination jährlich abninmit, so ist die beobachtete MiJBweisaiig ^
Anfange des Jahres durchschnittlich großer und am Ende des Jsh^
kleiner als der Mittelwert. Liest man die Talel von Unlra nach noh^
in horizontaler Richtung, so erhält man die täglichen Schwaoktti^'
von oben nach unten die Schwankungen der M^yiAtq^y^fii 2ur lelbea
Stunde in den verschiedenen Jahreszeiten. In bezug auf das ti^^
Maximum um 1 Uhr nachmittag herrscht eine gewisse Symmetrie,
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o
ErdmagBetlsmiis. 145
doch drangen sich die Kurven am Vormittage enger zusammen ab am
Nachmittage. In dieser Beziehung ist eine gewisse Ähnlichkeit mit
dem Verlaufe der taglichen Temperaturschwankungen nicht zu ver-
kennen. Die geringsten Änderungen finden in den Nachtstunden
statt, also zu einer Zeit, wo im allgemeinen die Praxis den wenigsten
Vorteil davon hat; außerdem hat die kalte Jahreszeit den Vorzug vor
der warmen.
Für die meisten praktischen Zwecke dürfte die Tafel, die
genügend genau in ganz Deutschland und auch in Osterreich und in
der Schweiz gilt, ausreichen. In denjenigen Fällen jedoch, wo es aus-
nahmsweise auf einen besondem Genauigkeitsgrad ankäme, mußte
schon auf die registrierenden Beobachtimgen der magnetischen
Observatorien zurückgegriffen werden.
Die Verteilung der erdmagnetischen Kraft im Pariser Becken.
Th. Moureaux hat^) hat diese aus den Beobachtungen an 130 Sta-
tionen, die sich über zwölf Departements verteilen, rechnerisch ab-
geleitet und in Karten niedergelegt. Die Karte der Deklination D
zeigt, daß alle Abweichungen positiv im Osten und negativ im Westen
von einer Linie sind, die, von F^amp ausgehend, sich nach Moulins
im Südosten wendet und den geographischen Meridian unter 30^
schneidet. Auf dieser Linie selbst sind die Abweichungen Null, Beob-
achtung und Rechnung decken sich hier. Da in Frankreich die Dekli-
nation westlich ist und von Ost nach West zunimmt, erkennt man
aus dem Sinne der Abweichungen, daß der Nordpol der Magnetnadel
nach der bezüglichen Linie angezogen wird. Die störende Kraft
äußert sich also auf dieser Anziehungslinie an einem oder mehrem
noch zu bestimmenden Punkten.
Die Abweichungen der Horizontalkomponente H gruppieren sich
gleichfalls nach ihrem Vorzeichen in bestimmte Zonen. Die positiven
Abweichungen bilden drei Zonen, zwischen denen solche mit negativen
Abweichungen gelegen sind. Alle drei können durch geschlossene
Kurven umgrenzt werden, auf denen die Abweichungen Null sind,
und welche die für D bestimmte Anziehungslinie an zwei Punkten
schneiden. Diese Punkte haben, da normal H von Süden nach Norden
abnimmt, im Süden der positiven Zone eine cmdere Bedeutung als im
Norden; der nördliche Schnittpunkt ist ein Anziehungspunkt, an dem
das Zentrum der Anomalie liegen muß ; und da dieses Zentrum auf der
Anziehungslinie für D sich befindet, so bilden diese Schnittpunkte der
Nordgrenze der drei Zonen mit positiver Abweichung von H ebenso
viele Zentren der Anomahe, deren ungefähre Lagen in der Nähe von
Bouen, an der Grenze zwischen den Departements Eure und Seine-
et-Oise und zwischen Sancerre und Aubigny angegeben werden.
Die Karte der Abweichungen der Vertikalkomponente Z bestätigt
diese Hypothese. Nimmt man an, daß im Innern der Erde eine An-
1) Oompt. lend. 1S7. p. 918.
Klein, jAhrbuoh XV. 10
1 46 Erd magnetinniis.
ziehungskraft unterhalb eines jeden dieser Punkte wirkt, so müsaen
an diesen Punkten die größten positiven Abweichungen von Z beob-
achtet werden, und in der Tat gruppieren sich die Abweichungen zu
Zonen um diese Anziehungspunkte. Wenn die Beobachtungen hiermit
nur für Rou^i ziemlich übereinstimmen und nicht auch für die beiden
andern Zonen, so ist zu beachten, daß hier von Punkten die Rede war,
während es sich in der WirkUchkeit um mehr oder weniger ausgedehnte
Gebiete handehi wird, deren genaue Feststellung erst durch weitere
Beobachtungen möglich sein wird. Die Schlüsse, die man aus der
Vergleichung der drei Elemente D, H und Z ziehen kann, werden be-
stätigt durch die Diskussion der Beobachtungen über die Gesamt-
kraft, deren Abweichungen sich ziemlich so wie die der Vertikalkom-
ponente verteilen.
„Nimmt man an,'' sagt Moureaux, „daß die Anomalie des Pariser
Beckens der Wirkung magnetischer Gesteine zugeschrieben werden
kann, dann würde die obere Grenze der störenden Masse sich als das
Belief eines Gebirges darstellen, das bedeckt ist durch rezentere Erd-
schichten, mit Gipfeln und Bücken an den Punkten oder den Zonen,
welche durch die Betrachtung der AnomaUen der magnetischen Ele-
mente als Anziehungszentren bezeichnet worden sind."
Die Änderung des horizontalen erdmagnetischen Feldes mit der
Höhe über dem Meeresspiegel ist von A. Pochettino untersucht wor-
den. ^) Nach der Gaußschen Theorie, welche die Ursache des Erd-
magnetismus im Innern des Erdkörpers voraussetzt, laßt sich die
Abnahme der Horizontalkomponente des Erdmagnetismus berechnen,
aber der Vergleich der Rechnung mit einigen Messungen ergab die
wirkliche Abnahme bedeutend größer als die theoretisch berechnete.
Nach einigen frühem Versuchen an weniger geeigneter SteUe hat nun
Pochettino im Oktober 1902 in den Grajischen Alpen an zwei nicht
weit voneinander entfernten, aber in Höhe um 2500 m verschiedenen
Punkten genaue Messungen ausgeführt. Dieselben ergaben im Mittel
für den Gradienten der Horizontalkomponente mit der Höhe etwa
0.0004 C. G. S. pro 1000 m, ein Wert, der mit dem früher gefundenen
ziemlich gut übereinstimmt. Somit ist ervKesen, daß die Horizontal-
komponente abnimmt mit der Erhebung der Beobachtungsstation
über den Meeresspiegel. Der gefundene Wert ist aber kleiner als der
früher von Kreil (0.001 47), größer als der von Liznar (0.0003 bei
einer Niveaudifferenz von 40O m) und der von SeUa (0.0002, unter der
Einwirkung magnetischer Gesteine) gemessene.
Die Abhängigkeit des tftgliehen Ganges der erdmagnetisehen Ele-
mente in Batavia vom Sonnenfleckenstande ist von Prof. J. Liznar
nachgewiesen worden. <)
1) Bendioonti R. Aooad. dei lincoi [5] IS. p. 96.
«) Wiener Akad. Anzeiger 1904. p. 194.
Erdmagnetismus. 147
Auf Grundlage des am magnetisch-meteorologischen Observa-
torium in Batavia gewonnenen 16-jährigen Beobachtungsmateriales
hat er die Änderung des täglichen Ganges der drei Komponenten mit
dem Fleckenstande der Sonne sowohl im Jahresmittel als auch in den
einzelnen Monaten untersucht. Es hat zwar Prof. Ad. Schmidt schon
vor 16 Jahren eine diesbezüghche Untersuchung veröffentlicht; allein
da er hierbei nur 7 ^-jährige Beobachtungen von Wien und4^-jährige
von Batavia verwenden konnte, so schien es angezeigt, das jetzt vor-
handene reichhaltigere Beobachtungsmaterial zu diesem Zwecke zu
verwenden. Da die Publikation des obengenannten Observatoriums
auch die AmpUtuden und Phasenwinkel der ersten zwei GUeder der
Besselschen Formel enthält, so hat Liznar diese Größen als Funk-
tionen der Sonnenfleckenrelativzahlen ausgedrückt. Dabei ergab
sich, daß sie nicht einfach proportional der Relativzahl gesetzt werden
können, sondern daß diese Abhängigkeit etwas kompUzierter ist.
Durch diese Arbeit werden die von Ad. Schmidt gewonnenen
Resultate vollinhaltlich bestätigt, und es wird gezeigt, daß mitwachsen-
der Fleckenzahl nicht nur die AmpUtuden, sondern auch die Phasen-
winkel geändert werden (die letztem werden kleiner). Aus diesem
Grunde ist der zu verschiedenen 2jeiten an einem und demselben Orte
oder auch an verschiedenen Punkten ermittelte täghche Gang nur
dann vergleichbar, wenn er auf eine bestimmte Periode reduziert
werden kann, was auf dem in der Abhandlung gegebenen Wege leicht
durchzuführen ist.
Das sehr wichtige Ergebnis, daß bei größerm Fleckenstande die
den täglichen Gang hervorbringende Ursache nicht einfach eine Ver-
stärkung erfährt, sondern daß einer starkem Fleckenfrequenz ein
eigener tägUcher Gang entspricht, ein Resultat, das auch Ad. Schmidt
gefunden und betont hat, gab dem Verfasser Veranlassung, diesen
Gang für das Jahr 1893, in welchem die Relativzahl den größten Wert
während der ganzen Beobachtungsreihe (1884 bis 1899) erreicht hat,
zu berechnen.
Eine eingehendere Diskussion der gewonnenen Ergebnisse scheint
erst dann angezeigt, wenn auch für andere Orte ähnliche Unter-
suchungen vorhegen werden.
Die großen magnetisehen Störungen Ende Oktober 1908. Am
31. Oktober traten in ganz Mitteleuropa ungemein starke und lange
dauernde Störungen des Telegraphenbetriebes infolge des Auftretens
von elektrischen Erdströmen ein, gleichzeitig mit Störungen der
elektromagnetischen Instrumente und dem Auftreten von Nord-
lichtem. Die Störungen im Telegraphenbetriebe begannen schon
um Mittag und waren gegen 4 Uhr nachmittags so stark, daß der
Betrieb auf allen langem Telegraphenlinien eine Zeitlang vöUig unter-
brochen war. Die Richtung der störenden Erdströme war ^nf^ng^
nordsüdlich, später südwestlich-nordöstlich, und sie verschwanden
10*
148 Erdmignetismus.
gegen 9 Uhr abends. Solche Eidstrome sind schon früher beobachtet
worden. Der erste, welcher sich mit der Untersuchung deiselbeD
beschäftigte, scheint George Aiiy in Oreenwich gewesen zu sein. Er
entdeckte in Drähten, die er in verschiedenen Richtungen in der Nähe
des Observatoriums anbrachte, das Vorhandensein solcher Strömun-
gen, die bald in dieser, bald in jener Richtung fortschritten. Es ist
nun leicht zu verstehen, daß in einem Telephon- oder Telegraphen-
drahte, der von diesen Erdströmungen durchflössen wird, dadurch
die Telegramme mit Leichtigkeit überwältigt werden können, also
die telegraphischen Zeichen ausbleiben oder unverstandhch werden.
Die erdmagnetischen Störungen begannen auf dem erdmagneti-
schen Observatorium zu Potsdam am 31. Oktober 7 Uhr (M. E. Z^t)
morgens und dauerten bis in die Nachtstimden. Es waren die stärksten
Störungen, die am erdmagnetischen Observatorium zu Potsdam seit
seiner Errichtung vor 14 Jahren beobachtet worden sind. Die Schwan-
kung der frei aufgehängten Magnetnadel übersti^ den für mittlere
Breiten unerhörten Betrag von 3^ und erreichte oft in wenigen
Minuten das Mehrfache des Wertes, den sie bei der gewöhnlichen,
regehnäßigen Bewegung der Nadel im Laufe des ganzen Tagee auf-
weist. Um die Bedeutung dieser Tatsache recht zu würdigen, muß
man bedenken, daß es sich bei derartigen magnetischen Stürmen oft,
besonders bei solchen ungewöhnUch starken, fast stets um Vorgänge
handelt, die im gleichen Augenblicke überall einsetzen und den ganzen
Erdball beeinflussen. Solches zeigt sich auch im Auftreten von Polar-
lichtem, die fast immer mit erdmagnetischen Störungen zusammen
sichtbar werden. Auch am 31. Oktober zeigte sich abends ein Nord-
licht, das freilich wegen der ungünstigen Witterung nur an wenigoi
Orten gesehen worden ist. Ein kenntnisreicher Beobachter, Herr
Jakob Meiler in Osterath, sah die Erscheinung trotz des Mondlichtes
sofort nach Dunkelwerden und beobachtete sie über eine Stunde lang.
Die Strahlen des NordUchtes reichten nach seinen Angaben fast bis
zum Scheitelpunkte.
Zugleich mit diesen Störungen haben gewaltige Vorgänge auf der
Sonne stattgefunden, indem eine sehr große Gruppe von Flecken sich
entwickelt hat. Denning in Bristol schätzt ihre Ausdehnung auf mehr
als 70 000 engl. Meilen. Ein einzelner großer Fleck stand am 31. Ok-
tober nahe auf der Mitte der Sonnenscheibe. Schon in frühem Jahren
ist das Auftreten starker Erdströme und überhaupt elektromagneti-
scher Störungen gleichzeitig mit dem Sichtbarwerden großer Sonnen-
flecke festgestellt worden. Ein Parallelismus in der Intensität ge-
wisser magnetischer Schwankungen und der Zahl der Sonnenflecke
wurde schon vor Jahrzehnten von dem Züricher Astronomen Wolf
nachgewiesen und hat sich bis jetzt ausnahmslos bestätigt. Prof.
Ohver Lodge in Birmingham führt die Erdströme lediglich auf eine
Einwirkung der Sonne zurück, wobei er die neue Theorie der Ionen
und Elektronen herbeizieht. Hiemach schleudert die Sonne eine
Erdbeben. 149
unermeßliche Zahl kleiner Partikelchen von sich, die, wo sie die Erde
nicht treffen, mit einer so großen Geschwindigkeit daran vorbei-
sausen, daß sie einen elektrischen Einfluß ausüben. Die Geschwindig-
keit dieser Partikelchen betragt etwa ein Zehntel der Lichtgeschwin-
digkeit. Einen mechanischen Effekt haben diese Partikelchen, die
nur Atome sind, nicht, aber sie üben einen störenden Einfluß auf die
Telegraphie und alle für Elektrizität empfindlichen Instrumente aus.
Sie sind nicht im geringsten gefährlich, obgleich ihr Einfluß viel
größer ist, als man früher wußte. Eine Folge dieses Vorganges ist
auch das Polarlicht.
Erdbeben.
Der gegenwärtige Standpunkt der Erdbebenkunde als Wlssen-
sehatt war von A. Sieberg in einem großem Werke zur Darstellung
gebracht.^) Was die Formen der Bodenbewegung anbelangt, so
werden deren nach Prof. Gerland folgende unterschieden:
1. BradyseiBinisohe Bewegnnflen, bestehend in langsamen Niveauver-
sehiebungen, duroh welche Abwei(muiigen von der normalen Lotlinie herror-
serofen werden. Sie können entstehen durch die Einwirkung der Sonnen- und
Sfondanziehung, Temperatur- und Barometeraoh wankungen und Boden-
hebungen oder -Senkungen, sind aber nur an sehr feinen Instrumenten nach-
weisbar.
2. Taohyseismische Bewegungen. Dieselben zerfallen in
a) mikroseismische, nur an Instrumenten erkennbare Störungen, deren
Ursache Wind, Luftdruckanderungen, Meereswellen, menschlicher Verkehr usw.
sein können. Auch oehen sie starkem Erdbeben voraus und können anderseits
durch entfernte Ebndbeben hervorgerufen werden, deren Wellen sich durch und
über die Erde ausbreiten.
b) makroseismische Bewegungen, wozu alle unmittelbar (ohne Instrumente)
wahrnehmbaren Erdbewegungen ^ören. Sie gehen allerseits von einem Punkte
an der Erdoberfläche aus, den man Epizentrum nennt, und die sie bildende
Bewegung der Erdoberfläche setzt sich aus einer vertikalen und horizontalen
Komponente zusammen. Die erstere ist am stärksten unmittelbar im Epi-
zentrum und dessen nächster Umgebung, wo sie sich als Stoß (sukkussoriscme
Bewegung) fühlbar macht, und nimmt von dort nach allen Seiten hin ab, während
die vom Epizentrum ausgehenden Bodenwellen der Oberfläche (die undu-
latorischen Mwegungen) an Wahmehmbarkeit zunehmen. Letztere bestehen
indessen, wie enHIhnt, in Elastizitätsschwingungen. Rotatorische Bewegungen
des Bodens, an die noch A. v. Humboldt glaubte, gibt es nicht.
Die Bodenerschütterungen, welche man als Erdbeben bezeichnet, haben
ihren Ausgangspunkt im Innern unseres Planeten, und sie rufen makroseis-
mische Bewegungen an der Oberfläche hervor, die in gewissen Gegenden
häufiger sind ab in andern. Siebers gibt nach den Zusammenstellungen von
F. de Monteesus de Ballore folgende Tabelle (S. 150) der Schüttertätigkeit der
ganzen Erdoberfläche.
Was die einzelnen Schüttergebiete anbelangt, so ist bezüg^ch Europas
folgendes zu bemerken:
Deutschland hat häufise Erdbeben, aber dieselben sind, soweit die Ge-
schichte reicht, stets schwacm gewesen; Katastrophen haben hier niemals statt-
^) Handbuch der Erdbebenknnde von A. Sieberg. Braunschweig 1904.
150
Erdbeben.
ffehmdeiL Die norddeutsche Tiefebene ist praktisch erdbebenfrei, wahrend
die saohflisch-böhmisohe Tafel und ihre Umrandungen, besonders das Vogtland,
wohl die seismisch regsamste Gegend von Biitteleuropa bezeichnet.
Stark seismisch erregt ist di» ganze Rheintal, besonders die Gegend tob
Herzogenraih (im Steinkohlengebiete bei Aachen) und die Yon Groß-Geraa (in
Hessen).
Griechenland wird überaus häufig von Erdbeben heimgesucht, davon be-
sonders die Ionischen Inseln.
Italien ist nächst Griechenland das erdbebenreichste Gebiet Europas. „Am
größten,'* sagt Sieberg, „ist die seismische Unruhe auf den Haupthäieozogeii
des Apennins; die Hauptschüttergebiete decken sich mit dem ligorii^-etiii-
riechen, dem römischen Apennin, dem Gran Sasso-Majella-Matesestock und
gehen von letzterm, Apulien beiseite lassend, nach Kalabrien und Sizilien.
Zwischen der Ost- und Westseite der Halbinsel bestehen betrachtliche Gegen-
sätze; erstere ist das bewegtere, dagegen die westlidie trotz der Vulkane <ias
1
1 - «
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Polargebiete ....
8
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6.66
_
Europa
177
6008
61717
84.62
781.64
1206.94
Asien
102
2426
27 662
101.82
631.83
^_
Afrika
38
882
2 866
69.28
Nordamerika ....
64
1271
16 698
67.43
279.67
217.77
Südamerika ....
23
310
8 081
21.16
143.64
Inseln des Stillen Ozeans
(Ozeanien) ....
64
1066
14 880
0.46
268.83
—
Insgesamt .
461
10499
131 292 ;
860.82 2066.61 | 1424.11
8829.94
ruhigere, ja stellenweise ganz verschonte Grcbiet. Überhaupt zieht sich zwischen
den vorbesprochenen primären Gebieten fast durch das ganze Land hin ein
ununterbrochenes sekundäres Gebiet."
Die Schweiz wird häufig erschüttert, namentlich die großen Längstaler
von Wallis und Engadin, ferner das Rhone-, Oberinn- und EtschtaL
Österreich-Ungarn hat bemerkenswerte Schütteigebiete in den Alpen-
ländern und im Karstw
Frankreich. Hier sind es vorzugsweise die Seealpen, dann die westlichen
Teile der Pyrenäen, hierauf die Gebiete zwischen Alpen und Rhone, die oft er-
schüttert werden.
Großbritannien ist nicht selten von Erdbeben betroffen worden, doch
waren dieselben stets unbedeutend.
Skandinavien ist ziemlich erdbebenreich, in Norwegen besonders die
C^egend der Lofoten. Sehr oft erschüttert wird die In^el Island.
Rußland, Belgien, Holland sind arm an Erdbeben. Nur im südöstlichen
Grenzgebiete Belgiens komman solche häufiger vor.
Was die fremden Erdteile anbelangt, so sind dieselben bezüglich ihrer
Seismizität natürlich weniger durchforscht als Europa. Neben zahlreichen
Einzelheiten gibt Sieberg folgende allgemeine Charakteristik derselben:
Erdbebon. 151
Asien. „Am häufigsten sind die Erdbeben im Westen, d. h. in Kleinasien
und der Gegend südlich vom Kaspisee. Femer werden oft erschüttert die
Arabische Halbinsel, das Quellenland des Ganges und Kabul, ebenso das G^ebiet
zwischen dem obem Indus und Ganges, die Westküste von Vorder- und Hinter-
indien und die vulkanischen Inseln (Ozeanien) von Java bis nach Neuguinea hin.
Kein Land der Erde ist aber so häufig Erdbeben ausgesetzt als Japan.
Schwächere Erdstöße sind dort an der Tagesordnung und werden kaum be-
achtet; aber in verhältnismäßig kurzen Zwischenzeiten brechen Katastrophen
der schrecklichsten Axt herein. Für die unglaublich große Bebenhäi^gkeit
dieses Inselreiches spricht beredt der Umstand, daß die dortige Geschichte
seit dem Jahre 415 n. Qir. nicht weniger als 223 verwüstende Erdbeben mitteilt ;
in der neuem Zeit haben 26 Stationen (die älteste besteht seit 27, die jüngste
seit 3 Jahren) insgesamt 18 279 seismische Beobachtungen geliefert, und allein
in der Hauptstadt Tokyo zahlte nkan während der letzten 24 Jahre 2173 Beben,
d. h. jeden vierten Tag eins, während der mittlere Jahresdurchschnitt für das
gesamte Insebeich 605 Erdbeben beträgt.
Afrika. Als Erdbebengegenden sind nur bekannt die Küstengebiete des
Mittelmeeres, Ägypten, Abessinien, namentlich die G^ebiete Nyassa — Tan-
ganjika — Albertsee, femer in sehr geringem Maße das Kapland, die Guinea-
küste und endlich die Inselwelt, namentlich die Azoren und Kanaren. Über-
haupt sind von dem ganzen afrikanischen Kontinente, abgesehen von den
Berberstaaten, nur 195 Erdbeben bekannt geworden, welche sich auf 64 Ort-
sdiaften verteilen; dies wird wohl auch zum TeUe seinen Grund dann haben,
daß der größte Teil Innerafrikas noch zu wenig und noch nicht lange genug
bekannt ist. Weiterhin entfallen auf die Berberstaaten 915 Beben an 135 Orten,
die Insehi des Atlantischen Ozeanes( Azoren allein 1444 an zwölf Orten) insgesamt
1704 Beben an 162 Orten, die Inselwelt des Indischen Ozeanes 57 Beben an
29 Orten.
Nordamerika. Hier sind namentlich das Mississippi- und Ohiotal, sowie
Kalifornien die bekanntesten Sdiüttergebiete.
Südamerika ist am reichsten mit Erdbeben bedacht, vor allem die Nord-
küste von Caracas, femer Peru, Ghüe und die ganze Andenkette; einige der
dortigen Erdbeben spielen in der Erdbebenliteratur wegen ihrer unheilvollen
Wirkungen eine hervorragende RoUe.
Australien und Polynesien. Das Festland ist von Erdbeben ziemlich ver-
schont. Zahlreich sind sie dagegen auf den Inseln des Stillen Ozeanes, welche
fast sämtlich vulkanischen Ursprung haben; besonders Neuseeland, femer die
Sandwich- und Freundschaftsinseln, die nördlichen Marianen,der Bismarck-
archipel und Neuguinea sind durch große Bebenhäufigkeit ausgezeichnet, die
sich auf eine Fläche von etwa 1 Million Quadratmeilen erstreckt. Aufzeich-
nungen besitzt man von etwa 1840 Erdbeben, welche von 81 über sieben
verschiedene Gebiete zerstreuten Ortschaften zur Beobachtung gelangten.
Über die Erdbebenverhältmsse in den Polargegenden ist nichts Näheres
bekannt.
Die Einteilung der Erdbeben in verschiedene Klassen hängt aufs engate
mit den Vorstellungen zusammen, die man sich von der Entstehungweise der-
selben machte.
Gegenwärtig unterscheidet man: Vulkanische Beben, Einsturzbeben und
tektonische Erdbeben und gibt damit gleichzeitig Vorstellungen von der Ent-
stehungsweise derselben, wobei aber nicht zu vergessen ist, daß diese Deu-
tungen in jedem Falle hypothetisch sind, da es nicht möglich ist, direkt bis zum
Herde der Erscheinung vorzudringen.
Die vulkanischen Erdbeben tragen stets einen örtlichen Charakter; das
Gebiet, auf dem sie sich fühlbar machen, ist immer beschränkt. Häufig bilden
sie die Vorzeichen des Wiederauflebens der Tätigkeit eines Vulkanes« doch
kommen sie auch in der Umgebung längst erloschener Vulkane vor.
152 Erdbeben.
Die EiüBtarzbeben entetehen dnioh Zusammenbruch untenrdiacheir Hohl-
räume, vor allem solcher, die vom Wasser ausgewaschen wurden. Soldie
Höhlen entstehen dort» wo Kalk-, Gips- oder Steinsalzlager vom Wasser fort-
feführt wurden. Die durch den Zusammenbruch solcher Höhlen entstehenden
iodenersohätterungen sind naturlich ebenfoUs sehr örtliche Ersdieiirangen,
können aber unter Umstanden doch heftig auftretoi.
Die tektomschen Erdbeben (Dislokationsbeben) zeichnen sich aus durdi
ein großes Schüttergebiet, lange Zeitdauer und Gebundensein an bestimmte
Linien. Man nimmt an, daß sie durch Lagen&ndemngm von Teilen der festen
Erdrinde hervorgerufen werden (Faltungen, Verschiebungen und Verwerfongen»
Senkungen usw. ), welche die Folge von Auslösungen der Spannungszustände
der Erdkinste sind.
Gegenden, in denen Erdbeben häufig zuerst auftreten, nennt man habi-
tuelle Stoßgebiete, und in diesen kommen weiter habituelle Stoß- und Schütter-
Um'en vor. Diese sind dann oftmals noch von untergeordneten NebenstoB-
linien mehr oder weniger senkrecht durchquert.
Die von Perrey, Sueß und Hoemes aufgestellte Behauptung, daß in
manchen seismisch sehr unruhigen Gegenden das Epizentrum der jBeben die
Tendenz zeige, im Laufe der Zeit nach einer bestimmten Richtone förtasn-
schreiten, ist zu wenig sicher begründet, um sich mit einer Deutung derselben
abzugeben.
Bisweilen kommen außerhalb des Gebietes eines Hauptbebens ^eichzeitig
mit diesem sekundäre Erschütterungen vor. Man bezeichnet diese als Relais-
oder Simultanbeben. Wan kann annehmen, daß sie durch die Hauptbeben
ursächlich ausgelöst wurden.
Der Erdbebenherd (das Hypozentrum) ist uns stets unzugänglich, und was
darüber bis jetzt behauptet wird, völlig hypothetisch. Selbst die am nächsten
liegende Fn^ nach der Tiefe, in welcher sich dieser Herd befindet, ist noch
keineswegs befriedigend gelöst. Auch über die Gestalt des Herdes weiB man
nichts Zuverlässiges. Man nahm ihn meist einfach als Punkt an, in WirUichkett
ist er aber wohl eine Fläche im Erdinnem (eine Dislokationidläche im Sinne
von Sueß). J. Milne hat die Epizentren der großen Erdbeben, welche in den
Jahren 1899 bis 1901 vorkamen, bestimmt und zu zwölf Gruppen vereinigt,
von denen fünf auf dem Ozeane, sechs teils auf dem Ozeane, teils auf dem
Festlande und eine ausschließlich auf dem FesÜande li^. Letztere erstreckt
sich über das Gebiet Alpen-Balkan-Kaukasus-Himalaya. Die ganze Gruppienu^g
ist natürlich sehr hypothetisch imd keineswegs frei von WUlküilichkeit.
Die Fortpflanzung der Bodenbewegung geschieht vom Sitze des Herdes in
allseitig wachsenden Kugelwellen mit meßbarer Geschwindigkeit, bis die Be-
wegungsenergie im Innern oder an der Oberfläche der Erde durch Reibung und
Stoß in Wärme umgewandelt ist. „Jeder Punkt des Erdinnem dient, soboige
er bewegt wird, als Durchgangspunkt der wandernden Energie und leitet die-
selbe in derjenigen Richtung fort, in welcher die Welle vorwärts schreitet; so-
mit wird er zu einem selbständigen Zentrum, von welchem aus sich sein Energie-
anteil allseitig ausbreitet, und die Gesamtwelle besteht aus dem Zusammen-
wirken der unendlich vielen Elementarwellen (Huvgenssohee Prinzip)."
Derjenige Punkt der Erdoberfläche, an weldiem die vom Herde aus-
gehenden kugelförmigen ErdweUen zuerst die Erdoberfläche erreichen, der
also senkrecht über dem Herde liegt, ist das Epizentrum oder der Oberflädien-
mittelpunkt des Bebens. Hier nuioht sich letzteres meist als sukkussorisdie
Bewegung bemerkbar. Während vom innem Herde des Bebens longitudinale
KugelweUen durch die Erde ausgehen, bildet das Epizentrum den Ausgangs-
puxät von transversalen Oberflächenwellen, die mit abnehmender Kran sidi
weiter über die Erdoberfläche ausdehnen. Die auf den Wellenfläohen (homo-
seistische Flachen) senkrechten Linien im Erdinnem nennt man Stoßstrahlen,
und sie zeigen die Riohtimg an, nach welcher die Energie sich fortpflanzt. Der
Winkel, welchen der Stoßstrahl mit der Eidoberfläche bildet» heißt Em^genz-
Erdbeben. I53
winkeL Die unmittelbare Umgebung des Epizentrums an der Erdoberfläche
bildet das primäre Sohüttergebiet, und dieses wird bis in eine gewisse Ent-
fernung ziemlich ringförmig von dem sekundären Sohüttergebiete umgeben.
Direkte Bodenstöße finden nur im primären Sohüttergebiete statt, während nur
die Ton diesem ausgehenden Bewegungen im sekundären Schüttergebiete un-
mittelbar gefühlt werden. Außerhalb der Zone des letztem sind die Boden-
Bchwingungen nur noch mit Hilfe von Instrumenten wahrnehmbar, und man
spricht hier von Fembeben. Die Dauer der Erdbebenstöße umfaßt selbst bei
sehr starken Erschütterungen nur selten drei Sekunden, bei schwachen kaum
eine Sekunde. Die langem Wellen am Schlüsse einer großem Erschütterung
können bis zu vier Sekunden Dauer haben, sind sie länger, so können
sie unmittelbar nicht mehr wahrgenommen werden. Die Richtung der Stoß-
strahlen ist, wie zuerst A. Schmidt nachgewiesen hat, keineswegs eine gerade
Linie, sondern wegen der mit der Tiefe zunehmenden Dichte und Elastizität
der Schichten eine krumme, nach der Tiefe hin konvexe Linie (eine Gonchoide
oder Muschellinie). Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erdbebenwellen
nimmt infolge der erwähnten Beschaffenheit der Erdschicht nach unten lün
rasch zu, nach oben hin ab. Infolgedessen bilden diese Wellen keine kon-
zentrischen, kugelförmigen, sondern exzentrische Flächen um den innem
Herd. Errichtet man in den Punkten, in welchen die Homoseisten düe
Erdoberfläche schneiden, senkrechte Linien, trägt auf diesen Stücke ab,
deren Länge (Höhe) den Zeiten proportional ist, um welche in diesen
Punkten me Erschütterung später erfolgt als im Epizentrum, und verbindet
diese Endpunkte durch eine Linie, so erhält man den Hodographen des Bebens.
Diese hodographische Linie mpielt in den Untersuchungen über die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit und die Herdtiefe des Erdbebens eine wichtige
Rolle. Diese Linie ist im Epizentrum eine Strecke weit horizontal, steigt dann
und ist nach unten konvex; an einer gewissen Stelle (dem Wendepunkte) geht
die konvexe Krümmung in die entg^ngesetzte (nach unten konkave) myet,
und die Linie steigt dann immer langsamer, bis sie zuletzt horizontal verläuft.
Derjenige Stoßetrahl, welcher den Herd des Bebens (das Hjrpozentram) im
Erdinnem in horizontaler Linie verläßt^ trifft, indem er sich gekrünmit fort-
bewegt, die Erdoberfläche in einem Punkte, der, wie Prof. Sshmidt mathe-
matiMh nachgewiesen hat, genau senkrecht unter dem Wendepunkte der
hodographi sehen Kurve li^. Prof. Schmidt hat femer gezeigt, daß das Er-
schütterungsgebiet an der Erdoberfläche in zwei Zonen zerfall^ nämlich einen
innem Kreis, für welchen die scheinbare Oberflächengeschwindigkeit vom Epi-
zentrum aus abnimmt, und um diesen einen Ring, für welchen sie nach außen
hin unbeg^nzt, aber mit entsprechend abnehmender Intensität zunimmt Der
innere Kreis ist das Gebiet der direkten Stoßstrahlen, der äußere Ring ist das
Gebiet der durch Brechung aus der Tiefe zurückkehrenden Erdbebenenergie.
Die kleinste scheinbare Oberflächengeechwindigkeit, welche an der Grenze
zwischen beiden Zonen stattfindet, ist ein Maß für die Fortpflanzungs-
ffeschwindigkeit der Erdbebenwellen in der dunkebi Tiefe des Hypozentrams.
Je geringer die Herdtiefe ist, um so kürzer ist der nach unten konvexe Teü des
Hodographen und um so kleiner gleichzeitig die innere Zone des Erschütterungs-
gebietes. Die Herdtiefe ist femer stets kleiner als der Radius vom Epizentrum
is zu dem Punkte senkrecht unter dem Wendepunkte des Hodographen. In
ähnlicher Weise ist es mit Hilfe des Hodographen möglich, einen Minimalwert
für die Tiefe des Herdes zu ermitteln. So ergibt sich f& das Sinjaner Erdbeben
vom 2. Juli 1898 aus dem von A. Faidiga konstruierten Hodographen eine Herd-
tiefe von wenigstens 371 und höchstens 390 km.
Verbindet man auf einer Karte alle Orte, an denen ein Erdbeben im gleichen
Augenblicke verspürt wurde, durch Linien, so erhält man ein System von
Linien« welche Homoseisten genannt werden. Sie lehren unmittelbar
die Ausbreitungsform des Schüttergebietes auf der Erdoberfläche kennen, und
man findet, daß diese meist ziemlich kreisförmig oder elliptisch ist; nur sehr
154 Erdbeben.
selteii entreokt sich das erschütterte Grebiet einseitig von dem EnegongB-
punkte ans. Nicht immer ist das Epizentrum eine kleine Fläche, sondern bei
manchen Erdbeben kommt man auf die Vorstellung von Linien, die £. Harboe
ab Erdbebenherdlinien bezeichnet.
Was die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erdbeben anbelangt, so mufi
man zwischen waturer Geschwindigkeit des Stoßstrahles, um welchen die Welle
in der Zeiteinheit weiterrückt, und scheinbarer Oberflachengescdiwindigkeit,
d. h der gegenseitigen Entfernung zweier Homoseisten pro Zeiteinheit, unter-
scheiden. A. Schmidt hat gezeigt, daß diese scheinbare Oberflächenges«^ win-
digkeit mindestens gleich der Wellengeschwindigkeit im Hypozentrum und mit
dieser veranderiich ist Nach den sehr genauen Untersuchungen von A.
Imamura betrug die durchschnittliche Fortpflanzungsgeschwindigkeit von
Nachbeben in Japan 1895 bis 1808 3.38 + 0.05 km pro Sekunde.
Die Intensität der Erdbeben macht sich unmittelbar in der GröBe der da-
durch angerichteten Verheerungen, den Zerstörungen von Städten, Entstehuz^
von Spalten, Bergstürzen usw. kund. De Rossi und Forel haben eine empirische
Skala für diese Intensität aufgestellt, welche zehn Grade umfaßt, anhebend mit
der mikroseismischen Bewegung als erste Stufe, während die Erschütterung
von Möbeln, Anschlagen von Glocken usw. die Stufe 5 bezeichnet und Stufe 10
der Heftigkeit von Erdbeben entspricht, welche den Umsturz ganzer Städte
hervorrufen. Nach den Untersuchungen von F. Omori bleibt bei leichten und
schwachen Erdbeben die durchschnittliche größte Bewegung jedes Boden-
teilchens unterhalb 1 '/»m. Wenn die Bewegung auf etwa 10 mm anwächst,
wird das Beben zu einem starken, und es verursacht immerhin schon geringen
Schaden. Sobald die Bewegung 5 bis 6 em erreicht, beginnen die eigentlichen
zerstörenden Wirkungen, welche Ziegelbauten, Kamine usw. erheblich be-
schädigen. Bei etwa 15 cm Bodenbewegung hat man es mit sehr heftigen Erd-
beben zu tun.
Werden die Gegenden, welche nahezu die nämliche Intensität eines Erd-
bebens aufweisen, durch Linien verbunden, so heißen diese Linien Isoeeisten,
und das am stärksten erschütterte Gebiet wird das pleistoseistische genannt.
Die Erdbebenhäuflgkeit ist nicht nur örtlich, sondern auch zeitlich für die
einzelnen Regionen der Erde verschieden. Statistische ZusammensteUungeo
von Naumann, Kluge, Knott, Perrey und andern haben ergeben, daß die Erd-
bebentätjgkeit in der kaltem Hälfte des Jahres größer ist als in der warmen,
und zwar gilt dies nicht nur für die nördliche, sondern (nach Kluge) auch für
die südliche Erdhälfte. Wahrscheinlich findet auch eine tägliche Periode statt,
indem die Beben etwas häufieer nachts als bei Tage auftreten. Besonders
H. Credner betont, daß die sächsischen und mit ihnen die vogtländischen Erd-
beben des Zeitraumes 1889 bis 1897 eine ausgesprochene tägliche Periode auf-
weisen, indem diese sich sowohl in ihrer Zahl, aliB auch in imer Stärke auf den
Tagesabschnitt von 8 Uhr abends bis 8 Uhr morgens, und zwar namentlich auf
die Zeit von Mittemacht bis früh 8 Uhr verdichten. „Wie schroff dieser Gegen-
satz der Bebentätigkeit zwischen Tages- und Nachtzeit war, erhellt am besten
daraus, daß sich unter 36 sächsisch-böhmischen Erdbeben nicht weniger als 31
in der Zeit zwischen 8 Uhr abends und 8 Uhr morgens ereigneten, und von
diesen wieder 21 in dem Zeiträume von Mitternacht bis 8 Uhr früh ; von 21 vogt-
ländischen Beben ist nur ein einziger, ganz örtlicher Stoß in der mittäglichen
Hälfte des Tages erfolgt, während 20 in den nächtlichen Abschnitt fallen.
Dabei gehören sämtliche stärkere und ausgedehntere Erdbeben der Nachtzeit
an, wohingegen die fünf überhaupt am Tage erfolgten Erschütterungen an Stärke
und Ausdehnung ganz in den Hintergrund treten. Zieht man nun noch in Be-
tracht, daß gerade schwächere Beben durch den Schlaf der Bewohner häufig
der Wahrnehmung entgehen, so L'egt die Annahme nahe, daß sich auch bei
nächtlich unausgesetzter Beobachtung das Verhältnis der zeitlichen Ver-
teUung noch mehr zu Ungunsten des Tages verschieben würde. Diese Perio-
Erdbeben. 155
disität za yerallgemeinem oder einen Schluß auf deren Ursächlichkeit zu
ziehen, hält Gredner jedoch für verfrüht."
Die von Perrey und andern behauptete Einwirkung des Mondes auf die
Erdbebenhäufigkeit ist von B. Hoemes und F. de Montessus de Ballore in Ab-
rede gestellt worden, und Sieberg meint, daß sie heute in der Fachwelt wohl
kaum mshr einen Anhänger finde. Gewiß tritt dieser Einfluß nicht so intensiv
hervor, als Perrey behauptete, allein die exakten Prüfungen von JuL Schmidt,
' welche alle andern statistischen Zusammenstellungen nach dieser Richtung
' hin bei weitem aufwiegen, ergaben, daß in dem Zeiträume von 1706 bis 1873
^ auf die Bahnhälfte der Erdnähe des Mondes 183 Erdbebentage mehr und auf
die Bahnhälfte der Erdferne 180 Erdbebentage weniger entfallen als bei gleich-
' mäßiger VerteUung der Erdbeben. Es kann sonach als erwiesen betrachtet
^ werden, daß in der Erdnähe des Mondes die Erdbeben häufiger sind als in der
Erdfeme. Die Statistiker (außer Schmidt) haben stets einfach die Summe der
beobachteten Erdbeben für die Zeit der Erdnähe und Erdfeme des Mondes zu-
sammengezählt, ohne die Dauer zu berücksichtigen, welche der Entfernung des
Mondes von der Erde zwischen bestimmten Grenzen entspricht. Ihr Verfahren
ist also unvollkommen und von J. Schmidt verbessert worden.
Die Einwirkung der Erdbeben auf die Oberfläche der Erde ist im einzelnen
sehr verschieden. Es kommen vor: Spaltungen des Bodbns, Rundlöcher, Sand-
k^gel und Sandkrater (da, wo mächtige Wasserstrahlen oder Gasblasen empor-
steigen), Greländeverschiebungen, Bergstürze und Bodensenkungen.
Die Erdbebenflutwellen sind nicht, wie man lange glaubte, eine Über-
tragung der vom Festlande ausgehenden Erdbebenenergie auf die ozeanischen
Wassermassen, sondern nach den Untersuchungen von R Rudolph lediglich
^ Folgewirkungen untormeerischer Vulkanausbrüche.
^ Als Begleiterscheinungen der Erdbeben sind zu nennen:
f a) Schallphänomene, deren Ausgangsort das Innere der Erde ist;
b) Licht- und FeuererscheinuQgen, diese doch sehr selten, und vielleicht
auf das Elntweichen brennbarer Gase aus Spalten zurückzuführen;
' o) atmosphärische Störungen, der populären Meinung nach häufig mit
^ Erdbeben vemunden, wissenschaftlich aoer noch nicht erwiesen;
f d) erdmagnetische Störungen, mechanische Bewegungen der Magnetnadel
^ wohl unzweifelhaft, wirkliche Störungen der magnetischen Kraft noch nicht
f sicher erwiesen.
' Seebeben entstehen, wenn der Meeresboden seismisch erschüttert wird.
* Prof. Rudolph kommt in dieser Beziehung zu folgenden Schlüssen:
* 1. Unterseeische Erdbeben und Vulkanausbrüche kommen in allen Meeres-
^ tiefen vor, in der Flachsee wie in der Tiefsee, auf den unterseeischen Rücken
' wie in den eigentlichen Depressionen.
' 2. Die Häufigkeit und Stärke in der Äußerung der seismischen und erup-
I tiven Kräfte ist nicht von der Entfernung von tätigen oder erloschenen Vulkanen
3. Es gibt habituelle Stoßgebiete und ganz seebebenfreie Meereeteile; mit
Ausnahme der letztem treten außerdem Seebeben auch vereinzelt und zerstreut
' in den Ozeanen auf.
Die bis jetzt behandelten Phänomene beziehen sich auf solche Erdbeben-
erscheinungen, welche unmittelbar wahrgenommen werden können. Ihnen
schließen sich die mikroseismischen Elastizitätsschwingungen des Bodens an,
die im Innern der Erde ihren Ursprung nehmen und also zu den Erdbeben ge-
hören.
Die Bodenschwingungen, die von einem wenigstens 1000 km entfernten
Erdbebenherde ausgehen und als Fembeben bezeichnet werden, sind nur an
Seismometem oder Erdbebenmessern nachweisbar. Jede von einem solchen
Instrumente gelieferte Aufzeichnung (Diagramm) eines Erdbebens zerfällt in
eine Reihe von Bewegungsgruppen oider Phasen, welche durch kurze, unregel-
mäßige, einige Sekunden andauernde Pausen voneinander getrennt sind.
156 Erdbeben.
F. Omori untenoheidet d»bei eine Vontdrnng, HMiptstornng und '.
Diese Bewegungen sind horizontal, ee existieren aber auch VerUkalbewegungen
bei Fembeben in mehrem Phasen.
Die Wellen der Vorstorung werden für longitudinale Sehwankungen
halten, welche sich durch das Innere der Erde fortpflanzen, und diese /
ist wohl zweifellos richtig. Die Wellen der Hauptstörung sind dagegen, wie
man g^ubt, transrersale Oberflachenwdlen (Neigungen) ^eich oder fihnlifh
den Meereswellen, wahrend Omori und Schlüter fßAvhai^ daß es sich am l^ans-
lationsBchwingungen der Eidobeiflache handle. Die Längen der Fembeben-
wellen sind jwlenfalls sehr beträchtlich und betragen 50 bis 200 km, so dafi sie
also durch die Bodenbeschaffenheit nicht beeinflußt werden. Im aUgemeinen
nimmt mit wachsendem Abstände des Beobachtungsortes eines Fembebens
vom Epizentrum die Dauer der ganzen Vorstorung zu. Die von einem Epi-
zentrum ausffehenden Wellen eines Fembebens können einen entfernten Beiä»-
aohtungspunkt, von dem wir annehmen wollen, daß er westlich liegt, nicht
nur auf dem nächsten Wege nach Westen erreichen, sondern auch, indem sie
ostwärts den ganzen Erdbsfi umkreisen, also die Antipoden passieren. F. Omori
hat gefunden, daß im Mittel aus mehrem Fembeben diese Wdlen eine größte
Amplitude von 0.12 mm, eine durchschnittliche Periode von 20.4 Sekunden und
eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit von 3.7 im in der Sekunde beeitacn.
Anderseits können die Wellen, nachdem sie die Beobachtungastation passiert
haben, weiterschreitend den Erdball umkreisen und nochmals diese Beob-
achtungsstation erreichen. Auch dieser Fall ist beobachtet worden, nnd Omori
hat gefunden, daß die Amplitude dieser Welle dann außerordentlich klein ist,
ihre Periode etwa 19.4 Sekunden, und ihre Geschwindigkeit 3.4 km pro Sekunde
beträfft. Diese Bestimmungen sind naturffemäß sehr unsicher, jedenfalls sind
aber die Geschwindigkeiten der Wellen in beiden Fällen nicht wesentlich tqh-
einander verschieden.
Außer den bis jetzt besprochenen mikroseismischen Bodenbewegnngen
gibt es noch andere, deren Entstehungsursache wahrscheinlich außerhalb des
Erdballes liegt. Zu ihnen gehören die elastischen Schwingungen der Erdrinde,
welche E. Rudolph mit dem Namen mikroseismische Unruhe belegt hat. Sie
zerfallen in Pulsationen, wenn sie in Periode und Schwingungsamplitnde re«i-
mäßig auftreten, und in pulsatorisohe Oszillationen, wenn sie in diesen ne-
Ziehungen unregelmäßig sind. Diese letztem sind im Winter häufiger nnd
stärker als in der warmen Jahreszeit, auch zeigen sie eine täg^che Periode mit
einem Minimum in den frühen Morgenstunden und einem MaTimnm in den ersten
Nachmittagsstunden. Diese tägliche Periode ist im Sommer am deutlichsten,
im Winter am wenigsten klar entwickelt. Als Ursache der pulaatoriaohen
Oszillationen nimmt man Bewegungen in der Atmosphäre an, LuftdruckweHen
und Winde. Es ist durch die Mobachtuns an sehr empfindlichen registrieren-
den Seismometem nachgewiesen, daß lebhafte örtliche Winde den Boden in
Hin- und Herschwingungen versetzen, die unter Umständen s^bst noch in 26 m
Tiefe nicht auf Null herabgebracht sind. Luftdruckänderungen erzeugen eine
als Pendelunruhe bezeichnete Bodenbewegung, die von jener des Windes völlig
verschieden ist. Nach Mazelle zeigt dieselbe in Triest eine jährliche Periode
mit einem Maximum zwischen 0 und 10 Uhr morgens und einem MiwimiiTn
zwischen 9 und 10 Uhr abends.
Die Pulsationen zeigen sich in den vom Seismometer verzeichneten Kurven
in Gestalt von feinen Zahnungen der Linien. Auch beim Auftreten noßerer
seismischer Störungen behalten die Pulsationen ungestört ihren Verlauf.
Zeitlich treten sie ohne bestimmte Regelmäßigkeit auf; wenn sie wahrnehmbar
sind, haben sie besonders nach Mittemacht ein Mazlmum, gehen aber tagsüber
zurück. Über die Ursache derselben weiß man nichts Sicheres. Ehlert g^ubt
an einen Zusammenhang derselben mit der Mondstellung.
Die Zerlegung der Seismometerkurven durch Anwendung eines mathe-
matisohen Verfahrens, welches unter dem Namen der hamonisohen Analyse
Erdbeben. I57
l>ekaimt ist» hat sohließlioh noch auf das Vorhandensein von langsamen, perio-
dischen Bewegungen der Erdoberfläche geführt, die man Lotschwankungen
nennt und bildlich mit dem rhythmischen Heben und Senken der atmenden
Brust vergleichen kann, mit dem Unterschiede jedoch, daß gleichzeitig mehrere
solcher Atmungsvorgange erfolgen, die verschieden sind an Zeitdauer und Starke.
„Diese sogenannten „brad3rseismischen" Bewegungen bestehen in Niveau-
verschiebungen, durch welche langsame „Abweichungen der Lotlinie" hervor-
eemfen weisen; sie lassen sich trennen in Bewegungen von der Periode des
Sonnentages, femer in solche von der Periode des Mondtages, und zwar ganz-
tagige und halbtägige, sowie schließlich in „Nullpunktsbeweffungen". Charak-
tenstisch für alle cUeee Bewegungsgiuppen ist, daß sie, weü nicht ausElastizitäts-
sohwingunsen bestehend, niemals die Pendel des Seismometers in Schwingungen
versetMn.
Solche kleine Lotschwankungen sind wohl zuerst 1863 von d*Abbadie
bemerkt worden. Die normale Straßbuiger Seismometerkurve zeifft fast stets
eine flache WeUe mit einer dem Sonnentage entsprechenden Periode und einer
bis zu 5 mm anwachsenden Amplitude. „DSis west-östlich gerichtete Pendel steht
etwa um 7 Uhr morgens am weitesten nach Süden von der Ruhelage abgelenkt,
abends gegen 6 Uhr am weitesten nach Norden; nach dem Winter zu tritt eine
Verspätung des Eintrittes der nördlichsten Lage deutlich hervor, während die
Sndiage im allgemeinen gleich bleibt.
IXe Ursadne dieser Sonnentagperiode ist noch unbekannt. Dagegen gibt
es zwei Lotschwankungen, von denen die eine die Periode eines ganzen, die
andere die eines halben Mondtages umfaßt. Die halbtägige Mondwelle ent-
springt offenbar den Gezeiten des festen Erdballes, der sich &r Mondanziehung
gegenüber wie ein elastischer Köiper verhält, und wahrscheinlich hat auch die
finztägige Welle den nämlichen Ursprung. Nach der Berechnung von Bebeur-
aschwite ergibt sich infolge des Einflusses der Mondanziehung für den Boden
von Straßburg eine mittlere senkrechte Fluterhebung von 22.3 em, deren jedes-
maliger Eintritt dem höchsten, bzw. tiefsten Stande des Mondes um 2 Stunden
9 Minuten vorangeht. Doch bemerkt er, daß nicht allein Mond und Sonne das
Pendel anziehen, sondern auch das Meer durch den Ortswechsel seiner Wasser-
massen einesteils Anziehungswirkungen verursacht, andemteils der Festlands-
kruste kleine Formänderungen erteUt, was alles sich schwer zahlenmäßig be-
rechnen lasse.
Zuletzt ist noch einer Bewegungsart zu gedenken, welche den Namen NuU-
punktsbewegung führt. Hierhin gehören jene großen und lange dauernden
Bewegungen, die veranlassen, daß nach Verlauf nicht zu langer Zeiträume die
Registriervorrichtungen der Seismographen in ihrer Aufstellung verändert
werden müssen, weil der Pendelarm (oder der dessen Lage markierende Licht-
punkt) seitwärts den Papierstreifen mit der Skala verläßt Die Ursache dieser
Bewegungen sucht Ehlert in Formveränderungen (Aufwölbungen) der Erd-
oberfläche infolge der Temperaturschwankungen; v. Rebeur-Paschwitz sucht
sie in Einwirkungen des Luftdruckes, und letztere Meinung wird durch neuere
Untersuchungen gestützt. Sieberg faßt seine Ansicht über die Entstehungs-
ursaohen der NuUpunktsbewegungen dahin zusammen, daß sie das Ergebnis
reeller Bodenbewegungen sind, wenn auch nicht geleugnet werden könne, daß
künstliche Störungen und Beeinflussungen der Seismometer analoge Bewe-
gungen des Pendels zu verursachen vermögen. Häufig, wenn nicht in der Mehr-
zahl der Fälle, werden sie durch die Druc^nterschiede der Atmosphäre hervor-
fterufen; daneben können aber auch noch Wärmeschwankungen als Urheber in
Betracht kommen. Welchem von beiden Faktoren, und in welchem Maße im
jeweiligen FaUe das Übergewicht zukommt, entscheide die Bodenbeschaffenheit
der nächsten und auch der weitem Umgebung des betreffenden Ortes.
Große Erdbeben und Schwankungen der Erdachse. Seit etwa
zwei Jahrzehnten ist durch die Beobachtungen nachgewiesen worden,
168 Erdbeben.
dafi die DrehnngBachse der Erde im Innern derselben kei
wie man früher glaubte, unverrückbar feetüegt, sondern kleii
Schwankungen unterworfen ist. Diese Verschiebungen sind gex
denn sie betragen nur wenige Meter, um welche die Endpunkte
momentanen Drehungsachse, also die Pole, auf der Eidoberflachfi
sich in spiralförmigen Bahnen um eine gewisse mittlere Lage be^r^get
Vom Januar 1889 bis Mitte 1890 ist damen Sprechend der Nord]
um etwa 20 m seitwärts gerückt, dann haben die Schwankung
wahrend des nächsten Jahrr^hnte^ abgenommen und sind jet
wieder in Zunahme. ^^^ ^^ Ursachen dieser Polsch wrankungi_
sind die Akten der Untersuchung noch nicht geschlossen, waiirschein-
lieh spielen MsMenverschiebungen im Innern und an der Oberfläelie
der Erde dabei die Hauptrolle. Der berühmte Erdbebenforacher
Professor J. Milne hat nun gefunden, daß eine Wechselbezieium^
zwischen der Größe der Polschwankungen und der Anzahl starker,
weit verbreiteter Erdbeben stattfindet, derart, daß in den Jahrea
mit zahlreichen Erdbeben von großer Ausdehnung die Polschwan-
kungen beträchtlicher sind als in Jahren mit geringer Erdbeben-
tätigkeit. Die Untersuchungen Professor Milnes bezogen sich auf
die Jahre 1895 bis 1898, also auf einen recht kurzen Zeitraum, und ea
schien sehr wünschenswert, dieselben weiter auszudehnen und
schärfer zu fassen. Diese Arbeit hat A. Cancani in Rom unter-
nommen und alle Beobachtungen bis zum Jahre 1902 berücksichtigt.
Von der richtigen Ansicht ausgehend, daß nur solche Eidbeben
hierbei Berücksichtigung finden sollten, die einen großen Teil der
Oberfläche unseres Planeten in Mitleidenschaft zogen, hat er die-
jenigen ausgesucht, die wenigstens in vier Weltteilen und gleich-
zeitig an entgegengesetzten Punkten (auf Antipodenstationen) be-
merkt worden sind. Erdbeben dieser Art sind in den Jahren 1899
bis 1902 durchschnittlich 24 jährlich eingetreten, und auch in dieser
Zusammenstellung bestätigt sich, daß die kleinste Abweichung des
Poles mit der geringsten Anzahl der Erdbeben zusammenfiel (im
Jahre 1900), die stärkste dagegen mit der größten Zahl von Erd-
beben (1902). Es ist klar, daß auch jetzt noch der in Betracht ge-
zogene Zeitraum zu kurz ist, um endgültig in der Frage entscheiden
zu können, aber immerhin ist der Parallelismus der Häufigkeit beider
Erscheinungen so augenfällig, daß man an eine gegenseitige Be-
ziehung derselben zueinander denken muß. Auch hegt es nahe,
anzunehmen, daß Vorgänge im Innern unseres Planeten, durch welche
die ganze Erdoberfläche in Schwingungen versetzt wird, auch Schwan-
kungen in der Lage der momentanen Drehungsachse der Erde hervor-
rufen dürften.
Die Jüngsten Erdbebenereignisse am Ätna behandelte S. Aroidia-
cono. Im^) Jahre 1903 sind sehr viele Beben aufgetreten, einige
^) BoUettino deU' Aooad. Givenia di so. nat. Oatama. Des. 1903.
Erdbeben. I59
^ von diesen waren ziemlich stark, andere so stark, daß nicht nur das
!^ ganze Bergmassiv des Ätna erschüttert wurde, sondern auch das
j umliegende Landgebiet. Nach dem großen Eruptionsparozysmus
^ des Jahres 1892, welcher durch sechs Monate dauerte, vom Juli bis
^ Dezember, und nach den vielen Beben im Jahre 1893, durch welche
^ die Bewohner der Umgebung des Ätna auf eine harte Probe gestellt
• wurden, trat der Vulkan sowohl in bezug auf die Bodenruhe als auch
. in bezug auf die vulkanischen Äußerungen wieder langsam in den
gewöhnlichen Zustand der gemäßigten Tätigkeit. Die vulkanische
^. Tätigkeit hat mit der Zeit immer mehr abgenommen, und schheßUch
ist eine vollkommene Buhe eingetreten. Im Jahre 1903 war nun
^ eine ausnehmend starke seismische als auch eruptive Tätigkeit zu
verzeichnen, was die Annahme mancher Vulkanologen zu bestätigen
^ scheint, daß einer verminderten vulkanischen Tätigkeit oder gar der
Ruhe des Vulkanes eine erhöhte seismische Tätigkeit entspricht und
umgekehrt. Es könnten also die Kraterschlünde eines Vulkanes als
Sicherheitsventile aufgefaßt werden, durch welche die Spannungen
der Eingeweide des Vulkanes entlastet werden, so daß das Gebiet in
der Umgebung des Vulkanes dann von Erdbeben nicht heimgesucht
wird. Soeben sind elf Jahre verflossen seit der großen Eruption des
Vulkanes (1892), welche ebenso wie jene der Jahre 1886 und 1883
auf demselben radial verlaufenden Spalte sich abgespielt hat. Um zur
nächsten großen Eruption zurückzugelangen, die der Stärke nach
mit jener vom Jahre 1892 verghchen werden könnte, so müßte man
^ um 27 Jahre zurückgreifen, das ist in das Jahr 1865. Wir können mit
ziemlicher Wahrscheinhchkeit sagen, daß uns doch ein langer Zeit-
: abschnitt der Vulkanruhe von dem nächsten starken Paroxysmus
trennt. Immerhin bleibt es nicht ausgeschlossen, daß in nächster
, Zeit eine jener sekundären, vulkanischen Entladungen am Ätna
auftritt, die, wenn sie auch keinen besonders großen Schaden zufügt,
uns doch daran erinnert, daß der Ätna nicht schläft, sondern uns
ernstlich daran mahnt, daß in den Eingeweiden des Vulkanes eine
seineir Eruptionen vorbereitet wird. Um recht deutUch die wieder
erwachte geod3mamische Tätigkeit des Jahres 1903 des Ätna zu
zeigen, will der Verfasser eine Statistik aller fühlbaren Erdbeben,
die vom Jahre 1893 bis zum Jahre 1904 ausschließhch am Ätna sich
ereignet haben, aufstellen, wobei der Verfasser, um die Seismizität
eines jeden Jahres am anschauhchsten auszudrücken, aus der Anzahl
der Stöße und mittlem Stärke (letztere nach MercaUis Stärkeskala)
die Produkte berechnet.
Jahre
Zahl der
Mittlere
An Kahl
Srdbeben
Starke
X St&rke
1893
53
4
212
1894
31
4
124
1896
9
3
27
1896
12
4
48
1897
4
4
16
160 Erdbeben.
Jahre
Zahl der Mittlere AnuU
Erdbeben Stiftrke x StIIrke
1898
11
4
44
1899
10
4
40
1900
11
4
44
1901
8
5
40
1902
14
4
66
1903
38
4
162
Die Tabelle führt zu folgenden Ergebnissen: Die seismische
Tätigkeit hat nach der Eruption vom Jahre 1892 bis zum «Jahie
1897 immer mehr abgenommen, dann bUeb sie fast unverändert
schwach bis zum Jahre 1902, wo sie wieder erwachte, und im JTahre
1903 ist am Ätna mehr als eine dreimal so starke seismische Tätig-
keit aufgetreten, als in den vorangehenden Jahren.
Ober das Erdbeben von Sehemaeha, am 18. Februar 1902,
teilt die Horizontalpendelstation zu Tiflis genaues mit. ^) Schon
im Laufe einer Woche vor der eigentlichen Katastrophe woitlen
in Schemacha öfters unbedeutende Erdstöße gespürt. Am 13. Februar
war ein stärkerer Stoß um 8h, ein anderer um 11h fahlbar, da-
zwischen folgten hintereinander eine ganze Reihe schwächerer
Stöße.
Der eigentUohe verheerende Hauptstoß erfolgte am 13. Februar
um 12h 34m; er machte den Eindruck eines vertikalen. Dim folgte
eine fortwährende Reihe mehr oder weniger starker Stöße, die
den vorgenommenen Rettungs- und Ausgrabungsarbeiten sehr
hinderhch waren; besonders fühlbar erschien der Stoß um 19h 24^.
Durch dieses Beben ist die Stadt vollkommen zerstört worden,
namentUch der mittlere, niedrighegende Teil der Stadt, dess^i
Bauten meist aus Rohziegeln und mit Lehm zusammengefügtem
Genäle bestehen und auch einem weniger starken Beben keinen
großen Widerstand hätten bieten können. Im allgemeinen haben
aber Wände, deren Richtung E — ^W ist, weniger geUtten, als die-
jenigen, deren Richtung N — S; die meisten Gegenstände fielen
nach W. Die Kuppel der Kirche war auch nach W umgekippt
und lag auf dem Eürchenschiffe mit dem ELreuze nach W gewandt
Am wenigsten haben Holzhäuser geUtten. Im Weichbüde der
Stadt hat sich ein Erdriß gebildet in der Richtung E — W, dessen
Länge etwa 1 Werst und Breite 10 cm beträgt. Unweit davon ist
ein Felsen abgestürzt.
In der Umgegend von Schemacha hat das Erdbeben nicht
weniger verheerend gewirkt. Es werden arge Verwüstungen aas
Achsu, Scharadilskaja, Ssagiany usw. gemeldet; im ganzen sind
etwa 30 Dörfer vollkonmien zerstört. Die Zerstörung dehnt sich
am weitesten in der Richtung E — W bis 46 Werst, in der Richtung
N — S aber nicht mehr als 20 Werst aus.
1) Monatsbericht der HoTiz-.Pend.-Stat. am Phys. Obs. zu Tiflis Nr. 2.
Erdbeben. 161
Es folgen im Originale die Nachrichten aus verschiedenen Orten,
^y^o das Beben verspürt wurde. Die wesentlichsten Daten sind
'wörtlich wiedergegeben, müssen jedoch mit einer gewissen Vorsicht
aufgenommen werden. Die Zeitangaben sind in manchen Fällen
aehr fehlerhaft. Die Angaben der Stärkegrade waren auch oft im
Widerspruche mit den wörtlichen Berichten über die Wirkung
cles Bebens. In Anbetracht der primitiven Bauart der Stein-
gebäude dürfte der Stärkegrad in vielen Fällen zu hoch angenommen
-worden sein.
Auf einer Karte sind die meisten Orte, an denen das Erd-
beben bemerkt wurde, durch Beifügung von Pfeilen gekennzeichnet,
-welche die Richtung aus der die Stöße kamen, bezeichnen. Die
Stärke derselben ist nach der Skala Rosse-Forel durch die
lateinischen Ziffern I bis X ausgedrückt.
Das Erdbeben vom 26. November 1902 am Böhmischen Pfahl
ist von J. Knett studiert worden, i) und Dr. Binder gibt 2) von dieser
Arbeit folgende, das Hauptsächhche umfassende Übersicht. Dasselbe
fand statt 1902 am 2ß. November, 2^/4 Uhr nachmittags. Auf
Grund der eingelaufenen Berichte aus Prag und München (denn ein
Teil der Schütterzone hegt jenseits der Grenze, in Bayern) stellt der
Yerfasser zunächst fest ein Vorbeben, dann Hauptbeben und Nach-
beben — begrenzt das Gebiet heftigster Erschütterung (VI. Stärke-
grad) ab eine länghche schmale Ellipse, deren Längsachse senkrecht
auf den mächtigen, seinerzeit von Hauer als Böhmischer Pfahl ge-
kennzeichneten Quarzgang die Orte Neustadtl bei Heid in Böhmen
und Neuhammer in Bayern verbindet, — dann das Gebiet kräftiger
Erschütterung (V. Grad) und endhch das Gebiet schwacher Er-
schütterung, welche beiden letztem einer bedeutenden Ausweitung
dieser EUipse nach dem Süden, einer geringen nach dem Norden
gleichkommen, wie sich dies auch in den beiden beigegebenen farbigen
Kärtchen gut ersehen läßt. Vier isolierte Beobachtungspunkte:
Asch, im Fichtelgebirge, Neudek, Pürstein im Erzgebirge zeigen,
daß sich dieses Beben durch das unter den Tertiärablagerungen der
Braunkohlengebiete hegende Grundgebirge hindurch fortgepflanzt
haben muß. Das gesamte Schüttergebiet, dessen Mittelpunkt bei
Pfraumberg zu suchen ist, weist also einen eUiptisch-eiförmigen
Grundriß von 4750 qkm auf und breitet sich zu beiden Seiten des
Böhmischen Pfahles aus, der sich, eines der größten Denkmäler
linearer Dislokationen in unserm Weltteile, von Fürth bis Tachau in
der Länge von 60 km erstreckt. Dieser Pfahl bedeutet einen ehemals
tiefreichenden Spaltenriß, der durch die Auflagerung des Homblende-
^) Mitteil, der Erdbebenkommiasion d. k. k. Akad. d. Wiaa. Wien. Neue
Folge 18.
*) Erdbebenwarte 1904. 8. p. 242.
Klein, Jahrbuch XV. 11
162 Erdbeben.
schiefeiB «tuf ^ten Gneia voigezeiobn^t wv- I^a^ Schütteig&bie^. ver-
breitet; sich sfüDÜbneoht auf die Streichung des Pfahles imd aetet aiah
daher aus herzyxuacher Gneisformation, AmphiboUt der Glinucnai^
schieferfonnation, Urtonschiefer und deren sugehörigea Ghraoit'
einlagenu^n zusamm^i. Im letzten Teile erklärt der Vei&saer das
Erdbeben als Folge eines in der Tiefe sich fortsetaenden Spalten-
reißens. Dieses bewirkt an der Oberfläche einen senkrecht hiersa
gestellten stärksten Anschlag von länglich ogivaler Gestalt; der
primäre Stoß ist ein Transversalbeben. Die nächsten Isoaeisten
(Linien der Begrenzung des Bebengebietes zweiter und dritter Stai^)
weisen schon eine Begrenzung durch das herzynische Gebiigpstiieticheii
auf, so daß sie nach Süden und Westen tief ausbiegt. Die L&ng^achae
dieser Zone ist südnördhch gerichtet, während im Norden die mäch-
tigen Gebirgsmassen mit erzgebirgischem Streichen den BebenweUen
entgegenwirken und ihre Verbreitung aufhalten. Es zerstiebt und
verwischt sich dort förmlich die ganze Erscheinung bis auf jene ver-
einzelte Stellen im Erzgebirge, welche weit außerhalb der zusammen-
hängenden Zonenlinie hegen.
Die Erbeben Bayerns im Jahre 1908 sind von Dr. J. Beindl
behandelt worden. ^) Nach seinen Zusammenstellungen fanden in
den verschiedensten Teilen desselben folgende Krustenbewegungen
statt: Am 8. Januar wurden starke Erdstöße im Fichtelgebirge
wahrgenonmien, am 22. Januar solche im Röslautale. Am 25. und
26. Januar fand ein heftiges Beben in der Pfalz statt, am 5. und
6. März ein solches im Erz- und Fichtelgebirge und im angrenzenden
Böhmerwalde. Heftige Krustenbewegungen vollzogen sich dann
femer am 22. März wiederholt in der Rheinpfalz, desgleichen solche
dortselbst am 8. April. In Partenkirchen wurden am 15. April
um 6^ Uhr abends zwei leichte Erdstöße verspürt, am 23. April
um 9% Uhr vormittags solche entlang der bayrisch-vogtländiachen
Grenze. In Selb erschreckten am 27. April Bodenbewegimgen die
dortigen Bewohner; am 30. Mai ähnliche Erdstöße die Bewohner
im obem Saaletale. Am 21. Juh fand in Hagenbach (Pfalz) und
Umgebung um 6 Uhr 58 Minuten früh ein Erdbeben statt, das
die Richtung von Nord nach Süd verfolgte und sich in zwei hef-
tigen Stößen äußerte, wobei Fenster kUrrten, Möbel schwankten, und
Kinder zu Boden fielen. Der 6. August sah wieder Bodenerzitterungen
entlang der bayrisch- vogtländischen Grenze, der 11. August unter-
irdische Einstürze im altvulkanischen Ries. Am 11. September
zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags fanden Erdstöße in Waldmünchen
statt, die jedesmal von nur sekundärer Dauer wcuren. Dortselbst
wurden fünf Erschütterungen verspürt, drei stärkere und zwei
schwächere. Die erstere stärkere wurde etwa um 3^ Uhr, die zweite
^) Gaea 1904. p. 613.
Erdbeben. ^53
^ ziemlich genau 5 Minuten vor, die dritte 6 Minuten nach 4'/^ Uhr be-
f merkt. Es waren wellenförmige, schwankende Bewegungen gleich
^ dem Schaukeln eines Schiffes. Die Dauer der einzelnen Stöße l^trug
\^ 1 bis 3 Sekunden. Der zweite Stoß war der stärkste, wobei die ge-
* schlossenen Fenster „ein polterndes Geräusch" ergaben. Am 2., 3.
* und 6. Oktober wurde wieder das Fichtelgebirge von Erdbeben heim-
^- gesucht, am 7. November der Böhmerwald. Am 25. November um
^ 6 Uhr morgens zeigten sich Bodenbewegungen entlang der ganzen
* oberfrankisch- vogtlandischen Grenze, am 14. Dezember um 11 Uhr
•^ 25 Min. Erdstöße an der Südgrenze Bayerns, die namentlich im Wall-
^ gau und bei Jenbach am Achensee sehr deutlich wahrgenommen
* wurden. Endlich fand am 15. Dezember ein deutliches Erdbeben
I' im Rhöngebirge zwischen Brückenau und Vacha statt.
* Die Zahl der Erdstöße betrug in Bayern im genannten Jahre 94.
^ Vergleicht man die Erdbeben untereinander nach den Tages-
zeiten, an denen sie stattfanden, so zeigt sich, daß in höchst auffälliger
Weise die weitaus größte Mehrzahl aUer Stöße, bei welchen die I^it
ihres Eintrittes angegeben werden konnte, in der Nacht oder doch
am frühen Morgen und spaten Abende sich ereigneten. Diese Tat-
sache erklärt sich einfach dadurch, daß die verhältnismäßig schwachen
Erschütterungen, mit denen wir es in Bayern fast ausschließlich zu
tun haben, nur dann auffallen, wenn die Aufmerksamkeit nicht durch
den Lärm und die Geschäfte des Tages in Anspruch genommen ist.
Hinsichtlich der jahreszeithchen Verteilung dieser Beben kann gesagt
werden, daß die Sommer- und Herbstmonate wohl die bebenärmsten
Zeiten waren.
Die von Erdbeben am meisten betroffenen Grebiete sind das
Fichtelgebirge mit Böhmerwald und die Südostpfalz, femer das alt-
vulkanische Ries und das Alpenland im Süden.
Ober das Erdbeben am 4. April 1904 teilt die kaiserUche Haupt-
station für Erdbebenforschung in Straßburg i. E. mit: Das Erdbeben,
das am 4. April gegen 11 Uhr vormittags die Länder an der untern
Donau heimsuchte, hat nach den bisher bei der kaiaerUchen Haupt-
station für Erdbebenforschung eingelaufenen Nachrichten zu urteilen,
eine ganz bedeutende Ausdehnung gehabt. Der Ausgangspunkt
scheint in dem Bilo- und Rhodopegebirge an der Grenze von Bul-
garien, Ostrumelien und Mazedonien gewesen zu sein, von welchen
in letzter Zeit schon mehrfach starke Erdbeben gemeldet worden sind,
wenigstens haben die Ortschaften um das Rilokloster, wie es heißt,
großem Schaden erlitten. Von diesem Epizentrum aus strahlten die
Bewegungen nach Nordosten und Nordwesten aus, durchsetzten den
Balkim und erschütterten die ganze rumänische Ebene. In Bukarest
wurden zwei ziemlich starke Erdstöße verspürt. Viel stärker hat
sich die Erschütterung in nordwestlicher Richtung fortgepflanzt.
In Vranja an der Südgrenze Serbiens sind mehrere Häuser eingestürzt
11*
164 Erdbeben.
und Peraonen verletzt worden. Die Senke des Tales von Ucmi
leitete die Bewegung nach Norden fort; aus allen großem Ortschaftes
des Morava- und Nischavatales liegen Nachrichten über Erdstöfie
vor. Selbst über Belgrad hinaus sind noch mitten in der ungarischeB
Tiefebene Stöße wahrgenommen worden. Die Zahl der Erdstöfie
wird yerschieden angegeben. In Bukarest sind zwei Stöße veispüit
in Sofia drei» ebensoviel in Belgrad, in Bekes-Osaba (Ungarn) wieder
nur zwei. Ebenso schwanken die Angaben über den Zeitpunkt des
Auftretens der Erdstöfie. Besser als die Beobachter an Ort und Stelle
geben uns die seismischen Apparate hierüber Auskunft. Alle Instni-
mente der kaiserUchen Hauptstation haben um die angegebene 2d
Störungen registriert und dabei zum Teil ganz außerordentlich grolle
Ausschlage gehabt, wie sie nur selten vorkommen. An dem astafa-
sehen Pendelseismometer von Wiechert war die Bewegung sogar so
stark, daß die Schreibstifte von der Registrierwalze abgeworfen
wurden. Von allen Apparaten sind in gleicher Weise im ganzen vier
Störungen aufgezeichnet worden. Die beiden ersten weisen dk
größten AmpUtuden auf und sind von fast gleicher Intensität. Di^
erste Störung setzt 11 Uhr 6 Minuten 33 Sekunden ein. Nach Ver-
lauf von 1 Minute beginnt um 11 Uhr 6 Minuten 36 Sekunden die
Hauptphase, und an diese schließen sich die charakteristischen langes
und flachen Wellen, welche das Ende einer jeden seismischen Störung
bilden und bei Fembeben oft stundenlang andauern. Um 11 U^
29 Minuten 5 Sekunden werden diese Wellen durch die zweite Stor^
unterbrochen, deren Hauptphase um 11 Uhr 30 Minuten 1 Sekun*
anfängt. Die fast bis auf die Sekunde gleichlange Dauer der ersten
Phase bei beiden Störungen ist der beste Beweis dafür, daß die £i°'
bebenwellen aus demselben seismischen Herde stammen und auf dem
gleichen Wege zur Beobachtungsstation gelangt sind. Bemerkens-
wert ist, daß bei der zweiten Störung auch die vertikale Komponente
registriert wurde, und zwar weist diese eine ganz bedeutende Ampb*
tude der Bewegung auf. Die beiden letzten Störungen sind im V^'
hältnisse zu den vorhergehenden als minimal zu bezeichnen, sowobl
hinsichtlich ihrer AmpUtude wie der Dauer. Die dritte in der B^^
der Störungen beginnt 12 Uhr 14 Minuten 22 Sekunden und endet
schon nach 2 Minuten. Das vierte und letzte Seismogramm ist etwss
größer und fängt 13 Uhr 54 Minuten 20 Sekunden an, erreicht flöß
Ende aber auch schon nach 5 Minuten. Rechnen wir für die Fort^
Pflanzung der Erdbebenwellen vom seismischen Zentrum bis nac
Straßburg etwa 2^/, Minuten, so ergibt sich daraus die Zeit dee Bebens
im Rilogebirge. Wir sehen femer, daß es im ganzen vier Erdstotfe
gewesen sind, welche in der Zeit von 11 Uhr vormittags bis 2 ünr
nachmittags im Schüttergebiete erfolgten. Von diesen sind in Bu^'
rest und Csaba nur zwei, wohl die beiden ersten, von Personen geßW
worden, weil diese Punkte in größerer Entfernung vom Epizentru^
liegen. Die drei Erdstöße, von denen in den Meldungen aus Sofia und
Erdbeben.
165
Belgrad die Rede ist, haben die Störung 1, 2 und 4 unserer seismischen
Apparate veranlaßt, denn in der Mitteilui^ aus Belgrad heißt es, daß
an einzelnen Orten sich das Erdbeben nach 1 Uhr nachmittags wieder-
holte. Das Beben, welchem die Störung 3 entspricht, wird wegen
seiner geringen Intensität unbemerkt geblieben sein. Genauere
Daten können erst gegeben werden, wenn Beobachtungen auch von
andern, zwisohenliegenden Stationen vorUegen.
Die Brdbeben von Konstantinopel bildeten den Gegenstand einer
sorgfältigen Studie von Johannes Duck, i) Dieselbe umfaßt zu-
nächst eine möglichst erschöpfende statistische Zusammenstellung
aller über diese Beben vorhandenen Nachrichten. Verf. hat die-
selben aus dem von ihm zusanmiengebrachten Kataloge auch in eine
Tabelle zusammengetragen. Die dabei unterschiedenen Zeitab-
schnitte sind folgende:
1. Von 333 bis 1453, also von der Gründung der Stadt durch
Konstantin bis zu deren Eroberung durch die Türken unter Sultan
Mohanuned U.; hier sind die Quellen mit wenigen Ausnahmen
griechische Schriftsteller.
2. 1464 bis 1699, eine ziemlich erdbebenarme Zeit, welche aber
dafür das größte aller bekannten Beben (1609) enthalt.
3. 1700 bis 1799, viele, aber geringere Beben; die Quellen^sind
sehr oft nur Zeitungsberichte.
4. 1800 bis 1890, genaue Angaben, die im allgemeinen den
modernen Anforderungen entsprechen, besonders bei Fuchs, Sta-
tistik usw.
5. Das große Beben vom 10. Juli 1894 und den folgenden Tagen.
Jahn
Tftff«
B«b«al. GndM
Ton 88S bis 1458
49
476
8 (448, 478, 566, 668,
740, 866, 975, 1296)
> 1464 » 1699
18
46
1 (1609)
» 1700 » 1799
21
126
1 (1719)
» 1800 > 1890
26
82
—
10. JuU 1894
1
11
1
Von 833 bis 1894
110
740
11
Die Beben I. Grades, sagt Verf., sind uns wohl alle vollzählig
überUefert, denn diese haben sich zu allen Zeiten, auch unter den
phlegmatischen Türken, Beachtung erzwungen. Sie liefern uns natür-
lich auch das meiste und wichtigste Material. Die dritte Rubrik
darf also ziemliche Genauigkeit beanspruchen. Aus ihr geht hervor.
1) Erdbebenwarte 1904. S. p. 177.
U^ BrdbelMii.
^ißA 'lifiBaiai^Wfj^ durghachnittUch alle 400 Jahre dreimal von dam
Bl^t^^bebeipüiui^üok in großem Maßstäbe heungesucht wird.
Ber QauptiieQ der Berichte beeteht zaeisteuB ia mehr oder wenig»
täieirfoiebeiien Schüderungen der Folgen und auch da noeist nur über
die verheerenden Wirkungen an Menschen und Menachenwerk. Ke
geopl^flikalifichen Fragrai sind oft gar nioht, oft nur mangelhaft ia
den Quellen beantwortet; erat gegen Ende dea 19. Jahrhundscts
finden wir genauere Angaben, doch aind auch die hier und da m-
geatveujben Beobachtungen früherer Zeit immerhin von Wert nod
huwen una^ z. B* bazugUch der Stoßrichtung, brauchbare Schlüae
ziehen» Von gao^ beaonderer Wichtigkeit, eben infolgie seiner aUün
ziemlich auaführlich gehaltenen Beobachtungen, ist aJk>er das letzte
große Beben zu Konatantinopel vom 10. Juli 1894 und den folgenden
Ta«eli.
Verf. geht deshalb genauer auf dasselbe ein, obgleich dieses schoa
mehrfache Bearbeitungen früher gefunden hat. Er kommt zu folgen-
dem Ergebnisse: „Das Erdbeben von Konstantinopel vom 10. JuK
1894 hat weder eine ausschließlich tektoniaohe, noch eine aussoUidi*
lieh vulkanische Ursache. Es ist vielmehr am richtigslien, es uatec
jtae Gruppe von Brdbeben einzureihen, die (nach Günther) die
Zwischenform mit vulkanisch-tektoniacher Ursache bildet. Aber
auch der vulkanische Anteil ist zum geringsten Betrage als echt vul-
kanisch zu bezeichnen, sondern mehr als PBeudovulkanismus. Wasser
für die magmatische Esse, um die hochgespannten Gase zu ent-
wickeln, ist ja genug vorhanden, diE^ d&s ganze Sohüttergebiet am
oder im Meere liegt. Wie beide Arten von Ursachen susamm^-
gewirkt haben, um die Katastrophe herbeizuführen, laßt aich aller-
dings nicht genau angeben. Höchatwahrscheinlich haben wir uns den
Vorgang dabei so zu denken, daß wir dem Vulkanismus mehr eine
vorbereitende Unterminierarbeit zuschreiben und das Beben,
wie es sich auf der Erdoberflache zeigte, seinem nächsten Grande
nach als tektonisch betrachten; doch müssen auch hierbei, wenigstens
an einzelnen Stellen, vulkanische Faktoren mitgewirkt haben.'*
Duck macht femer auf folgendes bezüglich der Erdbeben von Konstan-
tinopel aufmerksam. „Ein Veigleich der stärksten Beben,'* safft er, „mit der
Reihe der Aufeinanderfolge übemaupt zeigt sofort, daß diese Beben regelxoAA'g
nach gröBem Ruhepausen am st&rksten waren. Ist eine längere Periode von
Erdstößen und Erdbeben über die Stadt hereingebrochen, so bleibt deren Wirk-
samkeit weit hinter denen zurück, die nach oft jahrhundertelanger Ruhe sai-
traten, während deren die Bewohner vielleicht in der größten Mehrzahl gtf
nicht mehr an dieses sohzeckliohe Naturereigois dachten. Bs kommt mitunter
voTt.daß ach diese großen Beben nach Umger Pause kurz vorher in anem Stofle
oder mehrem kleinem Stößen anmeldeten; das tat aber der Betrachtung der
Tatsache keinen Eintrag. Die wichtigsten und auffallendsten dieser Bq^'
pausen sind folgende:
1. 677 bis 740 ; letzteres Jahr hat ein Beben erster Ordnungza verzeiohaeD«
mit einem kleinen Vorläufer 732 ; vielleicht kann man sogar von 581 ab lechnea,
da, wie oben ausgeführt, das Beben von 677 nicht genügend veibüigt enobeint-
Erdböb«ii. 167
2. 865 biB 976; aiich hier h&ben wir wiedet ein Beben allerersteii Aanges
^Ua ScUiiBpunkt der Ruhepause.
3. 1082 bis 1296; hier ist sogar eine Pause von über 200 Jahren; dafür
'Wird a1>er auch das Beben von 129ä als ^yiiwrv /»ifHirog*^ oezeichhet.
4. 13S3 bis 1609; dieses gewaltige Natajreteignis hat 2Wi6i kleine Vorläufer,
1607 und 1608 ; an Furchtbarkeit wini es von keinem andern übertroffen.
5. 1802 bis 1894; hier tritt allerdings das Auffallendje etwas zurüde, weil
bei der genauer gewordenen Berichterstattung auch alle kleinem Beben und
8tö0e überliefert worden sind; doch kann man von 1802 bis 1894 von Erd-
beben voti einiger Bedeutung nicht sprechen. Aller Wahrscheinlichkeit nach
hAt also Konstantinopel für die nächsteh Jahre, vielleicht J&hrzehnt^ kein
ST^fiereB Beben mehr zu erwarten oder zu befürchten.
Aus der Beobachtung dieser bisher stattgehabten Ruhepausen glaubt Verf.
aber wichtige Schlüsse auf die Ursache der Erdbeben von Konstantinopel
ziehen zn können. „Wenn nämlich die Erdoberfläche in größere Spannung
gerat, dadurch, daß infolge der permanenten Wärmeausstrahlung das Erd-
▼olumen sich verkleitiert» so geht daraus folgendes hervor: Gegenden det Erde,
die, wie Konstantinopel, eine für Dislokationen mehr günstige geologische Be-
achaffenheit haben, werden in bezug auf ihre Oberfläche auch mit in eine immer
fftoßer werdende Spannung kommen ; eine sewisse Zeitlang werden nun die bis-
hearigen Lagen den Spannungen Widerstand leisten können ; in dem Zeitpunkte
aber, wo die Spannung größer als der geleistete Widerstand wird, tritt eine
IMslokation und damit ein Erdbeben ein. Je größer nun die Zeit ist, wahrend
, deren sich die Erde abkühlt, je kleiner deshalb ihr Volumen, und je srößer die
Oberfläohenspannung wird, desto umfangreicher und stärker wird die Dis-
lokatäon« desto stärker das Erdbeben sein. Hat sich dadurch die Spannung
wieder auf Null verrinsert, so bleibt die Gegend von Erdbeben verschon^
\ bis wieder jener Zeitpunkt eintritt; je früher er nun eintritt, desto geringer die
j iMslokation und umgekehrt. Daher die Wahrnehmung, daß bisher die stärksten
Beben immer am Ende der größten Buhepausen stattfanden.'*
^ Allein auch noch einen andern wichtigen Schluß glaubt Verf. daraus tiehen
i zn können. „Wenn wir näfflhch tkaä verschiedenen Anzeichen auch Faktoren
) vulkanischer Natur nicht ganz ausschließen dürfen, so paßt dies such für unsere
^ Beobachtung. Wenn ein Magmanest imd einsickerndes Wasser die Ursache
von Dämpfen sind, welche ihrerseits natürlich wieder eine Spannung für den
^ I*all, daß kein Austrittsventil vorhanden ist, bedingen, so ist wieder ohne
I weiteres klar, daß die Spannung dieser Dämpfe um so höher ist, je länger die
) Zeit ist, während deren die Dampfbildung vor sich geht. Wir hätten dann
eine doppelte Spannung, die aus tektonischen Ursachen und die von der Dampf-
bildung nerrührende, welche gemeinsam wirken und die Dislokation in dem
i mehrmalfi erwähnten Zeitpumrte veranlassen müssen. Es mag wohl sein,
daß dabei der weitaus größere Anteil auf die tektonisohe Ursache fäDt, aber
vielleicht ist gerade das Mitwirken der Dampfspannung neben der geologischen
' Beschaffenheit schuld, daß die Dislokation gerade hier und nicht irgend wo anders
[ eintritt. Mit dieser Hypothese wollen wir noch eine weitere Beobachtung ver-
* binden. Wo uns nämtich die Stoßrichtung überliefert ist oder erschkmseh
^ werden kann, herraoht <£e Richtung Nord-Süd weitaus vor. Abweichungen
nach Ost oder West kommen ja vor, doch ist Nord- Süd die Hauptrichtiing.
' Die diesbezüglichen Beobachtungen sind:407: NW-SO; 1762: NO-SW; 1770:
N-S; 1719: NW-SO; 1803: N-S; 1829: NO-SW; 1838: N-S; 1866: N-S; 1894:
I NO-SW. Dazu kommen allerdings noch zwei genau entgeeetigesetzie An-
' pben, nämlich 1706: S-N und 1811: S-N; allein abgesehen davon, daß viel-
' leicht irriffe Auffassung oder Berichterstattung vorliegen kann, ist diese Tat-
sache doc£ nicht so störend, als wenn die Stoßrichtung 0-W oder W-0 wäre.
Ich glaube, eins wenigstens aus dieser auffallenden Übereinstimmung der Stoß-
< richtungen folgern zu dikfen, daß nämlich ein und dieselbe Ursache bei allen
Erdbeben von Konstantinopel wirksam war.'*
168 Erdbeben.
Die Erdbeben in Japan. Omori, Direktor des meteoroIogiBcäiai
Observatoriums in Tokyo, hat hierüber in einer japamschen Zeit-
schrift eine interessante Studie veröffentlicht. Aus derselben tedt
M. Kutschera ( Yokohama) in den Mitteilungen der k. k. geogr. GeaA
Schaft in Wien ^) folgendes mit:
Im Jahre 1856 wurden zuerst seitens der Regierung Vorkehrungea
getroffen, um Nachrichten aus allen Teilen des Landes über see-
mologische Beobachtungen zu sammeln, womit die veiBchiedeneD
DistrÜLts- und Gemeindeamter betraut wurden. Ende 1901 gab ee
1600 solcher Beobachtungsstationen. Aus den auf diesem Wege ge-
sammelten Berichten ergab sich, daß in den 13 Jahren bis 1897
in Japan nicht weniger als 17 750 Erdbeben vorkamen, was ein jahr-
liches Mittel von 1365 ergibt. Das Minimum war 472 im Jahre 1886,
während im Jahre 1894 ein Maximum von 2729 erreicht n^mde.
Diese Ziffern geben nur die Erdbeben an, welche ohne Zuhilfenahme
von Instrumenten direkt wahrgenonmien werden konnten, während
natürhch die Anzahl vielfach größer wäre, wenn die von empfind-
lichen Apparaten angezeigten mitgezählt würden. So zeigen z. B.
die feinen Instrumente des Observatoriums in Tokyo jährlich um
600 Beben mehr an als die gewöhnUchen Seismographen.
Ajizahl der starkem Erdbeben. Authentische und daher ver-
läßUche Aufzeichnungen über bedeutendere Erderschütterongm
reichen bis in die Zeit des fünften Jahres der Regierung des Kaisers
Inkyo (416 n. Chr.) zurück. Von dieser Zeit bis zum Jahre 1898, das
ist durch einen Zeitraum von 1482 Jahren, kamen in Japan 223
schwere Erdbeben vor, die mehr oder minder Schaden an Leben und
Eigentum anrichteten oder die Konfiguration des Landes veränderten.
Die Aufzeichnungen aus der Zeit vor dem Beginne der Tokngawa-
regentschaft (des Shogunates) sind natürhch infolge der damals noch
recht mangelhaften Kommunikationen sehr unvollständig. IHese
Unvollkommenheit wurde durch das Shogmate behoben und wurden
während einer Periode von 299 Jahren (bis 1898) in Japan 108 Erd-
beben von mehr oder minder unheilvollem Charakter aufgezeichnet
Mit andern Worten: es kam (im Mittel) alle zweieinhalb Jahre solch
eine besonders heftige Erderschütterung vor. Teilt man diese Eid-
beben in lokale und allgemeine, wobei unter erstem solche verstanden
werden sollen, die nicht über den Bereich einer Provinz hinauareichen,
während die letztem jene sind, die sich über zwei und mehr Provinzen
erstrecken, so hatte Japan in dieser Periode 149 lokale und 74 all-
gemeine Erdbeben.
Wird Japan durch den Bogen eines Kreises, dessen Zentrum in
der Japansee hegt, in zwei Zonen geteilt, so kommen in den innerhalb
des Bogens, also an der Japansee Hegenden Distrikten mehr lokale
Beben vor, während in den außerhalb an der pazifischen Küste ge-
L. *) Bd. 46. Np. 9 u. 10.
Erdbeben. 169
legenen Provinzen die allgemeinen Erdbeben häufiger auftreten, die
daxin auch nicht selten von unheilvollen Flutwellen begleitet sind.
Das Auftreten dieser Flutwellen wird damit erklärt, daß die au
der pazifischen Küste vorkommenden Erdbeben von einem im
Meeresgründe liegenden Zentrum ausgehen. So kamen beispiels-
"weise von den 26 schweren Erdbeben, welche von Flutwellen begleitet
"waren, während der letzten drei Jahrhunderte 23 an der pazifischen
Küste und nur 3 an der Japansee vor.
Die erwähnten 223 schweren Erdbeben wiesen naturgemäß große
Verschiedenheit an Intensität auf, und verzeichnet der genannte Autor
zehn der schwersten, von denen sieben von Flutwellen begleitet waren.
Er gibt folgende Daten an:
1. Im Jahre 684 am 26. November ein starkes Erdbeben, welches
aich über Shikoku, die am Golfe von Ise gelegenen Provinzen, dann
Tatomi, Sunga und Isu erstreckte.
2. Am 20. September 1498 ein Beben, welches 18 Provinzen in
Kinai, Tokaido und Tosando erschütterte.
3. Am 18. Januar 1586 ein Erdbeben, 16 Provinzen in Kinai,
Tokaido und Hokuriku umfassend.
4. Am 31. Januar 1606 in Kyushu, Shikoku und Tokaido.
5. Am 16. Juni 1662 in Kinai, Hokuriku und San-in.
6. Am 28. Oktober 1707 ein sehr schweres Erdbeben, dessen Ära
fast das ganze Hauptland, mit Ausnahme des nordwestlichen Teiles,
dann Shikoku und Teile von Kyushu umfaßte.
7. Am 7. Juli 1864 heftige Erschütterung in 13 Provinzen
in Kinai und Tokaido, dann Tamba, Harima und Echigo.
8. Am 23. Dezember 1864 Erdbeben in 16 Provinzen in
Tokaido.
9. Am 24. Dezember 1864 große Erderschütterung mit einer Aus-
dehnung über 32 Provinzen in Kyushu, Shikoku, Kinai, Sanyo-do
und San-in-do.
10. Am 28. Oktober 1801 Beben in elf Provinzen in Tokaido
und Kinai.
Wie sich aus dieser Zusammenstellung ergibt, sind die Distrikte
in Kinai, das ist um Kyoto und dann jene des Tokaido am meisten den
heftigem Erdbeben mit großer Ausdehnung unterworfen. Besonders
ungünstig sind in dieser Beziehung die zwei Provinzen von Musashi
und Sagami daran, welche, an der oben beschriebenen Grenze der
Zonen der lokalen und der allgemeinen Erdbeben hegend, von beiden
Gattungen heimgesucht werden und außerdem oft selbst der Herd
lokaler Erdbeben sind. Daher die ungewöhnliche Häufigkeit seismo-
logischer Störungen an diesen beiden Orten.
Anderseits sind Kozuke, Hida, Tajima und noch zwei oder drei
Provinzen in Mitteljapan von dieser Kalamität nahezu frei zu nennen.
Erdbeben in Tokyo. Wenn auch Tokyo wegen der Häufigkeit
von Erdbeben bekannt ist, so kommen dort doch weniger vor als in
170 RrdMben.
I
•inigeii «Ddom Punkten Japans. Wahrend der im Jahre 1901 endi-
genden 20- jahrigen Periode der Beobachtungen kamen 2485 Ktdbeba
▼or, wobei natürlich jene Fälle anageschloflsen sind, die nur mü
empfindlichen Instrumenten beobachtet wurdmi. Daa Jahresmittd
stellt sich demnach auf 96. Die Erfahrung lehrt, dafi Tokyo im all-
gemeinen mehr Erdbeben während des Sommers und Herbstes hat
als im l^^ter oder Frühlinge. Ebenso zeigt sich besu^ch der Tsgee-
zeit, daß in den Stunden von 9 bis 10 Uhr morgens, sowie von 10 bii
11 Uhr abends mehr Erdbeben auftreten, und die Minima auf die
Zeiten von 2 bis 3 Uhr morgens und 3 bis 4 Uhr abends fallen. Dieie
Eigentümlichkeit kann augenscheinlich dem Unterschiede des Luft-
druckes zugeschrieben werden, da in Tokyo der höchste Barometer-
stand (der täglichen Schwankung) um 9 Uhr vormittags und 9 und
10 Uhr abends verzeichnet wird, während die Minima auf 3 Gbr
morgens und 3 Uhr nachmittags fallen.
Wählend der letzten 60 Jahre seit dem heftigen EZtdbebeii der
Anseiperiode (1854) kamen in Tokyo zwei schwere ErderschüttenmgeD
vor, und zwar in den Jahren 1884 und 1894. Einige Fälle von Tötun-
gen und Verwundungen, sowie Zerstörungen von Gebäuden kamen
bei letzterm, welches das heftigere war, vor, doch waren die an I^b
und Leben verursachten Schäden durch die stürzenden Baulichkeitoi,
also nicht direkt durch das Erdbeben selbst verursacht.
Seismometrische Be^kaelitfiBgeB über Japanisehe Fembeben IM
Ms 1897. E. Rudolph hat hierüber eine Untersuchung veröffent-
licht, 1) welche den ersten Abschnitt des zweiten Teiles einer großern
Abhandlung bildet, von welcher der erste Teil unter dem Titel „Seis-
mometrische Beobachtimgen, Bearbeitung der von 1889 bis 1B97
registrierten seismischen Störungen", früher erschienen ist. ■) Un*er
Zuziehung der Charkower Beobachtungen verfügt Verf. über eine
fast lückenlose Beobachtungsreihe von fünf Jahren, innerhalb weicher
Zeit nicht weniger als 24 japanische Erdbeben auf der europäischen
Femstation registriert wurden. Folgende Tabelle, auf S. 171, ist daa
Verzeichnis dieser Erdbeben.
Prof. Rudolph gibt dann eine Besohreibtmg der meisten Erd-
beben, wobei die makroseismischen Angaben zuerst erwähnt werden.
Dieselben haben nur den Zweck, eine Vorstellung von der Verbreitung
und Intensität des Bebens zu geben, sowie die Bestimmung der Ls^
des Epizentrums zu ermöglichen. Die Beschreibung der mikroBeiBmi-
echen Störungen beschränkt sich auf die Hervorhebung der ver-
sehiedenen Phasen, welche der Berechnung zugrunde gelegt worden
sind. Den Schluß bilden zwei Tabellen, von denen die erste eine
übersichtliche Zusammenstellung der Zeitpunkte für die verschiedeneü
') GeriandB BBitrage srar GeopirfBik. •. p. 377.
') Gerlands Beiträge zur GeopliTBik. fi p 94.
ErdbebfBD.
171
! Vhww- an den einzelnen Station^ gibt. Die zweite enthält die da«
nach berechneten Werte der Fortpflanznngsgegchwindjigkeit, in Kilo^
metem pro Sekunde aju^gedrückt. Für die Geschwindigkeit der
Wellen der ersten Phase (vx) sind zwei Werte berechnet, je nachdem
4. Verz.eichnis der japanischen Fernbeben in den
Jahren 1893—1897.
ZeltdeeBebens
•
Ausgang»»
J(r.
Datum
MOZ. Tokyo.
Epizentrum
punkt
1893
h m B
Nemuro
1
Juni 13.
7 44 16 p.
2
AugiiBt 22.
1894
9 87 66 a.
Tokyo
8
Februar 20.
8 29 3 a.
Tokyo
4
n 26.
4 17 42 a.
Hakodate
5
M&n 82.
7 27 49 p.
48 <» NBr. 146 EI«.
e
Mai 10.
4 11 89 a.
Tokyo
7
OJLtober 7.
8 80 8 p.
19
8
„ 22.
6 36 81 p.
Sakata
9
November 28.
1895
1 6 22 a.
Tokyo
10
Januar 18.
10 48 24,6 p.
Ghöshi (Musashi-Ebene)
11
Juni 24.
1896
1 47 57 p.
Tokyo
12
Januar 9.
10 17 16 p.
Tokyo
18
Juni 15.
7 84 14 p.
Miyako
14
M 16.
4 16 80 a.
Tokyo
15
» 16.
8 1 14 a.
19
16
„ 17.
0 48 28 p.
Miyako
17
August 81.
4 42 11 p.
89<^ SO* NBr. 140« 18' EI«.
IS
« 81.
6 9 83 p.
89« 30' „ 140<> 18' „
19
No?embei*18.
1897
11 8 19 a.
Tokyo
80
Februar 7.
4 88 83 p.
39<^ 20' NBr. 144)0 ^y s^g.
81
„ 20.
6 49 23 a.
38« 14' „ 148 • AT „
22
August 6.
9 12 23 a.
38* 16' „ 143« 16' „
28
„ 16.
4 53 33 p.
S9^ 6' „ 143* 40' „
24
Oktober 2.
9 46 19 p.
89* 10' „ 148® 26' „
man die Fortpflanzung der Wellen um die Erde auf dem größten
Kreise zwischen Epizentrum und Station annimmt oder eine solche
auf der zugehörigen Sehne durch das Erdinnere. Die Langen der
beiden Wege sind unterschieden durch d, d. i. Distanz auf dem größten
Kreise, und s, d. i. die Länge der Sehne. Außerdem ist die Entfernung
in Bogengraden angegeben. Li der Methode der Berechnung schließt
172 Erdbeben.
Prof. Rudolph sich derjenigen an, welche F. Omori ssuerst verwendet
hat. ^) Die Zeiten sind, wenn nicht Ortszeit besonders bemerkt ist,
im M. E. Z. ausgedrückt; die Stunden sind von Oh = Mittemadit
bis Mittemacht gezählt. Es ist freilich nicht immer m^lich, die
Lage des Epizentrums, wenn dasselbe nicht auf das Festland der japa-
nischen Inseln fällt, auch nur bis auf einige Grade genau festzulegeo.
In diesem Falle ist für die Berechnung der Fortpflanzungsgeschwindig-
keit von denjenigen Daten außgegangen, welche dem SeismogramiDe
der dem Epizentrum am nächsten gelegenen Station entnommen
werden konnten. Um diese Fälle deutlich hervorzuheben, ist in der
Überschrift der betreffenden Tabellen nicht vom Epizentrum die
Rede, sondern vom Ausgangspunkte. Als solcher ist stets eine aas-
mische Beobachtungsstation genannt. Für fün&ehn von den im
ganzen 24 Beben ließ sich die Lage des Epizentrums mit ziemlich
großer Genauigkeit aus dem Verlaufe der Isoseisten feststellen. In
diesen Fällen ist die Zeit des Bebens im Epizentrum aus dem Anfangs
der Störung auf der nächstgelegenen Station in der Weise berechne
daß nach dem Vorgange von Omori für die Fortpflanzung der eisten
seismischen Wellen eine Geschwindigkeit von 3.3 km in der Sekunde
angenommen ist. Aller WahrscheinUchkeit nach ist aber dieser Weit
zu gering und wird wohl bis auf 4 Ä;m in der Sekunde erhöht werden
müssen. Omori geht nämlich von der Ansicht aus, daß die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit der Wellen im makroseismischen Schütt^-
gebiete gleich derjenigen ist, welche den Wellen der fünften Phaae
der Fembeben zukommt. Hierbei ist die unstreitig richtige Voraus-
setzung gemacht, daß beide Wellenarten sich in den obem Schichtäi
der Erdrinde verbreiten. Neuere Erfahrungen, welche sich aus dem
Vergleiche der Aufzeichnungen für vogtländische Erdbeben in Leipzig
und Straßburg ergeben haben, machen es jedoch unzweifelhaft, dafl
schon für Entfernungen bis etwa 360 km vom Epizentrum die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit fast 4 Arm in der Sekunde erreicht und fv
größere Entfernungen bis zu 400 km sogar etwas über 4 km, Ber
größere Wert für die Geschwindigkeit der ersten Wellen ist lediglich
eine Folge der Anwendung von Apparaten, welche wie das Pendei-
seismometer (System Wiechert) in Leipzig und das dreifache Hc^-
zontalpendel (System v. Rebeur-Ehlert) in Straßburg einen un?e^
gleichhch hohem Orad von Empfindlichkeit gegen seismische Störun-
gen besitzen als die Seismographen von Ewing und Gray-Milne, welche
bis zum Jahre 1897 in Japan allein zur Verwendung kwien. ^H ^. J
Höhenänderungen des Bodens infolge des Erdbebens vom 28. Ok-
tober 1891 in Japan. Dieses Erdbeben» welches die alten Provinzen
Mino und Owari in Zentralnippon verheerte, war eines der bedeutend-
^) Publications of the Earthquake Investigation Committee in foreiga
languages. Nr. 6. Tokyo 1901.
Erdbeben. 173
^, sten der letzten Jahrzehnte und hat an einzehien Stellen dauernde
^ Veränderungen der Bodenlage verursacht. Letztere sind durch Mes-
I sungen, welche das geodätische Bureau des japanischen Generalstabes
^ veranlaßte, und über die Sugiyama der geodätischen Konferenz zu
Kopenhagen berichtet hat, festgestellt worden. Nach den Aus-
führungen von E. Hammer ^) traf das Epizentrum nahezu mit einem
wichtigen Nivellementsknotenpunkte zusammen (Kano bei Oif u, das
die Mitte des epizentralen Gebietes bildet, liegt nur wenige Kilometer
westlich oder nordwesthch davon in 35° 24' N. und 136° 46' ö. Gr.);
die nachnivellierten Linien gehen von ihm aus in vier Richtungen,
und jede dieser Nivellementslinien ist über Punkte hinaus nach-
gemessen, an denen keine Änderung der Höhen gegen die frühem
Zahlen mehr gefunden wurde, bis zu 80 km oder darüber, so daß es
sich um ein sehr beträchthches Gebiet handelt. Das Ergebnis ist,
daß in einem Gebiete von 160 km größter Länge (in der Richtung
NNW — SSO) jetzt im Vergleiche mit den Nivellierungszahlen vor
dem Erdbeben 1891 sehr beträchüich veränderte Höhen vorhanden
^ sind. Die Änderungen gehen noch in 20 bis 40 km Entfernung vom
^ epizentralen Gebiete über 10 cm hinaus ; im Maximum sind die jetzigen
^' Höhen um 77 cm größer, und dieser größten Hebung um 0.8 m steht
* eine größte Senkung von 0.4 m gegenüber, so daß hier eine mit großer
^' Sicherheit nachgewiesene Veränderung der Höhen mit einer AmpU-
^ tude von mindestens 1.2 m vorhanden ist.
's
t
i Ober die Energie großer Erdbeben hat in der ungarischen Aka-
( demie der Wissenschaften Prof. R. v. Kövesligethy sehr merkwürdige
^ Untersuchungsergebnisse vorgetragen. Schon vor längerer Zeit war
I er zur Überzeugung gekommen, daß infolge der im Erdinnem absor-
I bierten Energie gewisser großer Beben dort Massenumlagerungen
f verursacht werden, die sich in den Polhöhenschwankungen zeigen,
I die seit einigen Jahrzehnten die Astronomen und Geophysiker so
lebhaft beschäftigen. Auf diese Schlußfolgerung ist selbständig auch
I der berühmte Erdbebenforscher J. Milne gekommen, der aus einer
, Zusammenstellung der Beobachtungen in den Jahren 1896 bis 1898
fand, daß mit der Zahl der großen, sich wenigstens über ganze Kon-
tinente erstreckenden Erdbeben auch die Schwankung der Polhöhe
zu- und abnimmt. Nach den Untersuchungen von Prof. v. Köves-
ligethy ergibt sich, daß bei 200 großen Erdbeben während der letzten
acht Jahre die durchschnittUche Ausweichimg des Poles 0.07 Bogen-
sekunde beträgt. Aus diesem Datum berechnet der genannte Forscher
daß die von den großen Beben durchschnittUch verrichtete Arbeit so
groß ist, um die Erde gegen die Schwerkraft der Oberfläche um 1 bis
2 mm heben zu können. Hiemach würden etwa 1000 große Beben,
^) Petermamw MitteiL 49. p. 284.
174 YttlkanlBmiii.
fialto flieh deren Arbeit an der Oberflache äußerte, genügen, üih d«
gesamte Wasser des Ozeanes aus dw Tiefe bis an die CNberflacbe n
heben.
Vulkanismus.
Die Anordnmig der Vulkane bildete den Gegenstand einer fite-
rarischen Studie von Wächter. ^) Die zurzeit bekannten etwa 145
t&tigen Vulkane liegen gröfitenteils in gewisser relativer Nähe da
Meeres. Den daraus früher gemutmaßten Zusammenhang deiaelba
mit dem Ozeane hat die heutige wissenschaftliche Anschauung uf*
gegeben. Man denkt die Vulkane aus dem durch tangentiale Knft-
wirikung eingeleiteten Prozesse der Schrumpfung und Faltung ^t-
standen, indem sie gewissermaßen den stehengebliebenen Bruchnnd
der bei dem kontinentalen Faitungsvorgange tief aufreißenden Spalta
repräsentieren, während der andere Spaltenrand, der radial wirkenden
Kraft nachgebend, in die Tiefe fiel, wobei der Ozean nachstürzte xai
so weit landeinwärts vordrang, bis ihn der wulstige, a^ufgetriehem
Rand der oft wunderUch geknickten und verworfenen Kolossalspaltt
daran hinderte, weitere Landstrecken der Kontinente zu verschlucke
Man kann heute die seismiBchen Bewegungen der Erdkruste einteiks
in vulkanische Erdbeben, Einsturzbeben und tektonische oder Dido-
kationsbeben, denen sich etwa noch die sekundären MitsohwebungB-
beben anschließen lassen, die man auch Relaisbeben genannt hst
Bezüglich der örtlichen Verteilung der heutigen vulkanischen 15%
keit kann man drei charakteristische, durchweg meridional t^-
laufende Vulkanreihen feststellen, und außerdem drei vulkaniacii^
Querriegel, die den von Norden nach Süden verlaufenden Vulkan-
reihen diametral entgegenstehen. Die erste Reihe ist eine gewaltig)^
Längsspolte oder vielleicht besser ein Spaltensystem, dcis. über einen
ehemaLgen Kontinent der Tertiärzeit an Europas und AfrjlriiA West*
küste entlang ziehend, wohl das Einstürzen des Atlantischen Ozeanes
veranlaßte. Die zweite vulkanische Meridionalreihe setzt auf Kamt-
schatka mit einer Anzahl durchweg von Norden nach Süden geord-
neter, dauernd vulkanisch tätiger Kegelberge ein, erstreckt sich dann
über die vulkanischen Kurilen und das mit aktiven Vulkanen aoi^
gestattete Japan hinweg bis zu der meist aus Trachyten und Basalten
aufgebauten Inselgruppe der Philippinen und endigt auf dem gleich-
falls fortgesetzt tätige Vulkane tragenden Gelebes, um danach in dem
um diese vierte der Großen Sundainseln herumgruppierten, auch mit
aktiven Vulkanen reich bedachten Komplexe der Eüeinen Son(b-
inseln auf den ersten mächtigen vulkanischen Querriegel zu stoßen,
der von der Nordwestspitze Sumatras aus in durchweg östlicher BAch-
tung mit etwa 25 eminent tätigen Feuerbergen bis nach Neuguinea
1) Zeitaohr. f. ges. NatvrwiBs. 70. Globus. 88. p. 230.
Vulkanismiu. I75
ich erstreckt. Die dritte meridionale Vulkanreihe bildet eine fast
ron Pol zu Pol ziehende Riesenkette sowohl erloschener als auch noch
batiger Vulkane, im Mount Elias mit 60° nördL Br. beginnend und
nit dem etwa auf dem 45. "^ südl. Br. liegenden patagonischMi
T^ulkanriesen Coreobado endigend. Diese Reihe wird von einem
rnlkanischen Querriegel etwa in der Mitte ihrer Ausdehnung ge-
roffen, welcher noch immer einen Hauptherd intensiver vulkanischer
leaktion bildet, wie ja erst die jüngste Vergangenheit wieder zeigte.
>er dritte vulkanische Querriegel wird von der Ungeheuern Bruch-
alte gebildet, welche hcwte etwa den Boden des Mittelmeeres, des
Schwarzen Meeres, des Kaspi- und Aralsees darstellt.
Die alten vulkanischen Phänomene Im Nördlinger Bies. Die
iefe, kesseiförmige Einsenkiuig in der Nähe von NÖrdlingen, welche das
[eutsche Juragebiige in zw^ Teile trennt, ist längst als alte vulkanische
Bildung erkannt worden. Der nahezu kreisförmige Kessel ist scharf
on der umgebenden 100 bis 150 m höher gelegenen Fläche des Tafeljura ge-
chieden und bildet insofern ein geologisches Rätsel, als die nähere Art und
Veise seiner Entstehung streitig blieb. Genauere Untersuchungen über dieses
^blem und überhaupt über die vulkanischen Phänomene im Nördlinger Ries
lat W. V. Ejiebel (Erlangen) angestellt und jetzt über die Resultate seiner
Torschungen berichtet, i)
„In keinem der zahlreichen Gebiete vulkanischer Eruptionen, sagt er, durch
reiche zu tertiärer Zeit unser deutscher Boden beunruhigt wurde, begegnen
rir so eigenartigen Spuren ihrer ehemaligen Tätigkeit als im vulkanischen Ries
ron NÖrdlingen.
In dem Kessel selbst und ganz besonders an seiner Peripherie ist an zahl-
'eichen Punkten vulkanischer Tuff ausgeworfen worden, welcher meistenteils
rohl die Auswurfskanäle selbst erfüllt, ebenso wie uns dies Branco in dem be-
lachbarten Vulkangebiete von Urach an ca. 130 der sogenannten Vulkan-
mbiyonen Schwabens kennen lehrte. Nirgends im Ries ist mir eine Stelle be-
annt, wo eine Auflagerung von vulkanischem Tuffe auf Nachbargestein erfolgt
rare. Niemals ist, wie es scheint, so viel ausgeworfen worden, daß dies hätte
tattfinden können. Gerade so wie auf dem ebenen Boden der dem Ries so
hnlichen, wen^eich zumeist viel großem Mondkratere andere, verhältnis-
oäßig winzige Krateröffnungen vorhanden sind, welche mit der Entstehung
ler erstem nichts zu tun haben (denn sie sind sekundäre Bildungen), — gerade
o verhält es sich mit den vulkanischen Tuff eruptionen im Ries: so wichtig sie
ins auch erscheinen mögen, für die geologische Entstehungsgeschichte dieses
Gebietes bedeuten sie nichts anderes als das letzte Ausklingen einer Reihe schon
Guige zuvor begonnener ungleich gewaltigerer vulkanischer Phänomene. Diese
Mferuptionen im Ries sind nicht einmal den Vulkanembironen Urachs völlig
;leichzustellen: denn hier hat, wie Branco dartat, der Vulkanismus ohne vor-
lerige Spalten sich den Weg durch die feste Erdrinde, gleichsam wie eine Kugel
Iura ein Blatt Papier hindurch, geschlagen. Anders im Ries; hier hat es einer
Lerartigen Kraftäußerung nicht bedurft, denn lange zuvor hatte der Vulkanis-
aus in anderer Weise den Boden dazu vorbereitet.
Durch vulkanischen Auftrieb, wie Koken sagt, oder durch einen in die
Refe der Erdrinde sich einpressenden laccolithischen Schmelzfluß, wie Bnmoo
ind Praas meinen, ist ein Pfropfen von nahezu kreisförmigem Querschnitte —
Ler heutige Rieekessel — hochgehoben worden. Ein Berg habe sich also an
1) Z^tsohr. d. Dtooh. geol. Gesellflchaft SS. p. 236.
176 Yulkmiiismiu.
der Stelle des heutigeii Rieeee auf getürmt. Von den H^en dieees Beiges toL
80 meiiien Branoo und Fraae weiter, AbrutBchiingen nach allen Seiten erfolgi
und durch eine gewaltige Ezploeion, ähnlich der am Bandai>San, Kien ät
einem Sdilase ungeheuere Schollen auf eine Anzahl von Kilometern besBeite p-
schoben worden. So seien die eigenartigen Überschiebungen älterer GesteiDe td
jüngere, wie bei Hertsfeldhausen und am Buchberge, oder jüngerer GestaiB
auf viel ältere, durch die Denudation bereits freigelegt gewesene Sdiiekta
entstanden.
Solche große Explosionen seien es auch gewesen, welche die oft sdir Btaib
Zertrümmerung der Gesteine hervorffebracht haben. Die Felsenmassen ni
vielerorts in kleine Bruchstücke sersdimettert; kidkhaltige Wasser habeoiii
Fragmente wieder verkittet, so entstand das sogenannte Grieegestein, ein Zcifi
exp&siver, vulkanischer Tätigkeit. Durch Abrutschung und Explosioii «s
somit das Riesgebiet zum Teile bis auf das Uraestein hinab abgetragen woida
Später aber hat es sich anscheinend noch gesenkt. Ein Kessel entstand an deaa
Stelle: das Ries. In diesem sammelten sich die Wasser, einen See bildend, üi
dessen Boden sich jüngere Sedimente niederschlugen. Ihre Höhenli^rai sei^
an, dafi auch in nachtertiärer Zeit noch Senkungen erfolgt sind. Aber M
dieser Senkungen besteht die paradox klingende Tatsache: geologisch gesprodtf
ist der Rieskessel ein Berg.
Denn der Boden des Rieskessels, ja sogar die meisten der Beige in iks
bestehen aus Urgestein. Dieses liegt nun in der umgebenden Alb mehr aU ^a
tief unter der Decke triassischer und jurassischer Sedimente verborgen. Woa
es hier in dem nur ca. 100 bis 150 m eingesenkten Rieskessel auf weite Stieeka
hin zutage liegt, so ist der Boden des Rieskessels gehoben. Das Ries ist (fabs
in geologischem Sinne als Berg aufzufassen, auch wenn es topographisch ib
ein Kessel bezeichnet werden muß.
Der eigentliche Boden des Rieses, wie er nach Abschluß der vulkaDtfdMt
Vorgänge aussah, ist größtenteils dem Ause des Forschers verborgen. KäaO'
zoische Bildungen verdecken den tiefem Untergrund. Erst nach deren ib-
tragung kann dermaleinst der Schleier über noch so manchem GeheimniB s
der geologischen Geschichte des Rieses gelüftet werden.
„Das Ries ist," wie Deffner sagt, „eine in Sand und Schlamm verannkaK
Sphin^ und gibt dem Forscher Rätsel auf, die nur durch anhaltende Bemühong*
imd nicht in kurzem Siegeslaufe zu lösen sind."
„An Bemühungen, die Riesprobleme zu ergründen, hat man es dennaaci
nicht fehlen lassen. Seit nahezu 70 Jahren wird an der Geologie des Bk^
gearbeitet, und immer noch bieten sich neue Probleme, neue Tatsachen, oe0
Ergebnisse, deren Deutung für die Allgemeine Geologie von Interesse fflnd."
„Mit dem vulkanischen Riese", fährt W. v. Knebel fort, „steht ein anden^
zu geologisch Bleicher Zeit entstandenes Vulkangebiet in nächstem ZusamnMB-
hange. Dasselbe ist dem eigentlichen Riese vorgelagert ; gleich dem Riese aeiW
ist es topographisch eine, wenn auch minder deutlich ausgesprochene Senke.
welche das Riesgebiet im Süden halbmondförmig umgibt. Gümbel hat es 9^
vulkanische Gürtelzone bezeichnet und mit dem Riese in direkte Verbindung g^
bracht. Branco und Fraas haben es aus bestimmten Gründen das VomeB g^
nannt und ihm eine größere Selbständigkeit zugeschrieben.
Wie das Verhältnis beider Gebiete vulkanischer Tätigkeit auch sein nug*
jedenfaUs sind Ries und Vorries ganz analoge Gebüde.
In beiden Vulkangebieten hat sich die extrusive vulkanische Tätigkeit
auf ihre explosive Seite beschränkt; nirgends sind größere Schmelzmassen d0>
Erdinnem entquollen. In beiden Gebieten kommen jene durch große 1^-
Elosionen zerschmetterten Gesteine vor, welche unter dem Namen Gritf ^
annt sind. In beiden Gebieten haben wir dislozierte Massen, welche nun v
Überschiebungen bezeichnen muß. In beiden Gebieten endlich haben, wißiuir
gezeigt werden soll, in nachtertiärer Zeit Einsenkungen stattgefunden. ^
Yalkanlimui. 177
ad Vorries Bind demnaoh einander sehr ähnlich; aber doch wiederum anoh
»deutend verschieden.
Einmal ist das Ries das große Vnlkangebiet, an welches das viel unbe-
autendere Vorries sich — wenigstens in topcMnuphischem Sinne — parasit&r
38ohmiefft. Sodann haben die vulkanischen Kräfte im Ries die mnze Decke
Leaozoisdier Sedimente entfernt. Im Ycniese dagegen hat der Vulkanismus
Leeeiben nur zu zerrütten, nicht aber we^nischaffen vermocht. So betrachten
ir das Vorries als das Produkt einer dem Riese zwar gleichartigen, aber viel
abedeutendem Erscheinungsform des Vulkanismus. Da derselbe im Vorriese
Lcht in gleichem Maße zerstören!^ gewirkt hat als im Riese selbst, so kann man
ach hier viel eher Studien über tue besondere Wirkungsweise und Aufeünander-
>l0e der vulkanischen Vorgänge machen: Was im Vorrieee gering auftaritt, igt
K& Riese mgantisch ; was der Vulkanismus im Riese vollendet hakt, ist im Vorriese
XMT an^&utet. Das Ries ist ein vollendetes Vorries, das Vorries ein in embnro-
Alem Zustande abgestorbenes Ries. Die Erkenntnis der relativ einfachen ver-
Altnisse im Vorriese bietet daher auch wohl den Schlüssel für das Verständnis
Ler ungleich kompliziertem Erscheinungen des Rieses.
Namentlich gilt dies in bezug auf die Erkennung von Alter und Reihen-
olge der Erscheinungen, in welchen der Vulkanismus umgestaltend wirkte,
üier im Vorrieee brandeten an den Jurahohen zu miozäner Zeit die Meeres-
irc^n. Marine Sedimente bildeten sich. Dmen folgten in obermiozäner Zeit
Süßwasseranlagen. Aus der Kenntms des Alters und der Aufeinanderfolge
ler Schichten kann man auf das Alter und die Aufeinanderfolge der vulkamsohen
^OT^nge schließen.
Sodann vemiögen wir aus den Studien im Voiriese über die Vergriesong
ans ein Bild von der Art und Weise dieser gewaltigen Explosionen zu machen.
Endlich ist auch im Vorrieee die Möglichkeit gegeben, das Auftreten des
vulkanischen Tuff es und dessen Bedeutung in der GMamtheit der kompÜzierten
vulkanischen Phänomene zu erkennen."
Diese drei Hauptounkte werden nun nach v. Knebel an der Hand seiner
Untersuchungen eingehend erörtert und die daraus sich ergebenden Folgerungen
gezogen. VTbb das Vergriesungsphänomen und oewisse damit verbundene
Überschiebungen der Schichten anbelangt, so sind fügende die Haupteigebmsse
T. Knebels: „1. Durch große Explosionen — höchstwahrsoheinlioh, wie Branco
dargelegt hat, durch &a Kontakt glutflüssigen Maffmas mit unterirdischen
Wasseransammlungen hervoigebracht — wurden die Veigriesun|ngebiete durch
EmpoiBchleudem der ganzen Schichtenmassen geschaffen. 2. Bei diesem Vor-
sänge wurden große SdioUen im Riesgebiete viele Kilometer weit auf das Nach-
bargestein übergeschoben. Es entstanden jene rätselhaften Überschiebungen,
wie z. B. die Buchberg-BeibuK-Überschiebung, die von Hertsfeldhausen, sowie
die der Karksteine, dn Käsbühls und Sigart. Auch im Vorries ftmden, wie die
fleologuBohen Studien bei Dischingen zeigten, Überschiebungen, wenn audi in
kleinerm Maßstabe, statt 3. Die Zeit, in welcher die Veisriesung und die Über-
schiebungen geschahen, ist postmittelozän, jedoch präobermio^ui, dies wurde
durch ein Tertiärprofil in der Schlucht von Dischinsen erwiesen und wird
durch die zuvor erwähnten Überschiebungen ebenfaUs bei Disohingen im
Vorriese des weitem bestätigt. Denn es sind hierselbst vergrieete Massen auf
die obere mittelmiozäne Masse überschoben worden."
Die beschriebenen Wirkungen großer Explosionen wurden offenbar durch
Heraufsteigen vulkanischer Ma^namassen aus der Tiefe hervorgerufen. „Bei
diesen Ez^osionen'% fährt v. Knebel fort» „ist anscheinend ein großer Teil der
dem Magma ursprünglich innewohnenden Energie verbraucht worden, so daß
unmehr eine Rimepause in den vulkamschen Vorgängen im Riese eintrat.
Jedoch waren damit die vulkanischen Kräfte keineswegs erschöpft, vielmelur
kam es noch zu zahlreichen vulkanischen Eruptionen, deren Produkte uns
in dreieriei verschiedener Qestalt entgegentreten. Man muß folgende drei
Kitin, Jahrbnoh XT. 12
178 Vulkuiimiii.
Arten eztmaiTer yulkaniadher T&tigkeit im Riese onterBcheiden: 1. iw
GaaeniptioiieD, 2. liparitiBohe Tuffe, 3. Layaergüaae.
Alle diese eztnuiFen« vulkanischen Voigange stellen einen neim A^
schnitt in der geologischen Geschichte dar, welcher von vulkanischeA Ei
Sionen zu trennen ist. Denn von diesen hat Branoo dargetan, daB ei w^
wahrscheinlidi um nichts anderes als „Kontakf-Ex^doeionen haaB.
weldie also nur eine mittelbare Wirkung der Tulkanischen Kräfte dantdia
Die nunmehr zu besprechenden vulkanisdien Eruptionen sind dagegen itK
als eine Folge der ezploeiyen Kraft des gasreichen Magmas selbst ansoeba
Die Gasemptionen unterscheiden sich von der »»Kontakt'^-Expkaa
durch ilu« räumliche Beschrankung, welche ihnen den Charakter echter ri
kanischer Tuffe verieiht. Das Vorhandensein solcher reinen Gasem^ioBa
im Riese ist früher nicht bekannt gewesen. Erst durch die Stadien von ßtm
und £. Fraas sind dieselben erkannt worden. Diese Autoren beobachteten &
den durch vulkanische Kräfte aufgepreßten Graniten des Vonieses, sowie aad
an einzelnen Punkten im Riese selbst, daB der Granit von gangförmig auftrete
den Massen zerstiebten Urgesteinmateriales durchsetzt wird. Diese va^
Branco „granitische Explosionsprodukte" und begründet diese Bezeichxunf
weise. Da aber die granitischen Explosionsprodukte von den übrigen (I^
ritisohen) Tuffen des Riesgebietes sich nur durch den Mangel an Auswürfling
vulkanischen, d. h. magmatischen Materiales unterscheiden, so könnte ibü
ihnen, wie v. Knebel ausföhrt, immerhin im Gegensatze zu den letztem aacfc d»
Namen „granitische Tuffe" geben. Diesen Ausdruck hält er deswegen nidit fs
ungenau, da nicht einmal größere Auswürflinge granitischen Sditmelzfliffi
als Granite, sondern als Liparite erstarren müßten, noch viel weniger akdiß»
meist fein zerblasenen Massen; denn ein solches Magma könnte bei der «Ar
schnellen Erstarrung, welcher ausgeblasenes Material notwendig untervtn^
ist, nicht die Tiefgesteinsstruktur der Granite annehmen. Ds^er glaubt er, (bS
der Ausdruck „granitischer Tuff'' besser ist als „granitisdies ExploflioBB'
Produkt". Diese Art vulkanischen Tuffes ist durch die zahlreichen Einschlösr
verschiedener Urgesteinsvarietäten und Gneis in einer roten, erdigen« oft sUik
zurücktretenden Grundmasse charakterisiert.
Branco sprach, auf mehrere Gründe gestützt, die Vermutung an^ ^
diese rote Grundmasse wahrscheinlich nichts anderes als ein durch die Ex-
plosion zerblasener Granit und nicht, wie man vielleicht meinen könnte, ei»
völlig zersetzter rhyolitischer Tuff seL Eine Schlämmung dieser Grundm»»
welche Schowalter Im mineralogischen Institute der Universität Erlangen ft^
führte, und der Verf. mitteilte, hat die Ansicht Brancos bestätigt. Es ergab ba
daß diese Masse ganz ausschließlich aus völlig zerriebenem gianitisohenlbtenaK
besteht, und daß ausgespratzter Schmelzfluß dieser Masse nicht beigemoigt i^
W. V. Gümbel hat die granitischen Explosionsprodukte nicht vt» ^
Granite getrennt, in dem sie auftreten, sondern das Ganze als Granit in ^
geognostischen Kartenblättem eingetragen, obwohl sie stellenweise Siuschlö^
jungem Gesteines enthalten. Omie die Ausdrücke „granitische ExploatoDf-
produkte", „granitische Tuffe" zu beanstanden, möclite v. Elnebel dieselbeB
hier vermeiden, da durch weitere Beobachtungen über diese Er8ch6inuii|;8foi0
extrusiver, vulkanischer Tätigkeit ihm andere Vorkommen bekannt wurdA
welche hinsichtlich ihrer Entstehung von den granitischen Tuffen sich nicbt
unterscheiden, jedoch so viele andere Einschlüsse jungem Gesteines führeni o^
das Urgesteinsmaterial im Verhältnisse zu letzterm völlig zurücktritt. Solcfi^
Tuffe hBkun man daher kaum mehr als granitisohe bezeichnen; deswegen w^^
er den ganz allgemeinen Ausdruck „reine Gaseruptionen" an, weläer nicl»^
in bezug auf da6 ausgeworfene Gesteinsmaterial aussagt, sondern nur aodeo^
daß, abgesehen von den hervorgebrochenen Gasen, kein vulkanisches Maten&^
d. h. also kein Magma, ausgeworfen wurde. . .
Die häufigste Erscheinungsform des extrusiven Vulkanismus imRiese nfio
gewisse Tuffe, die man früher einfach als vulkanischen Tuff oder Tiafi ^
Yulkanisinui« 179
Dicüuiete. Letzterii'^Namen hat jedoch schon Gbtia für nnzweckmafiig ge-
.alten, da das unter dem Namen „Traß'' bekannte Gestein dee Brohltales mit
Lern ▼ulkaniaohen Tu^ des Rieses nicht identisch ist. Zum Unterschiede von
Lern »»Blasem'S den reinen Gasemptionen, bzw. granitischen Ezplosions-
»rodukten hat Branco den von jeher bekannten vnlkanischen Tuff des Rieses
Js yyliparitischen Tuff" bezeichnet.
Dieser liparitische Tuff ist nach ▼. Knebel ebenso wie die „reinen Qaa-
sruptionen" von dem Venpiesungsvorgange und von dem gleichzeitigen Über-
loliiebiingsakte durch ein Zeitintervali getrennt. Dies haben schon Branco und
EVaaa angenommen.
Sehr wohl für denkbar hält ▼. Knebel, daß alle diese Tuffe des Riesgebietes
an Ort und Stelle hervorgebrochen und in die gewaltig großen, vulkanischen
ESsaen zurückgefallen sind. Die Tuffe besitzen alao seines Erachtens eine durch-
g;reifeiide Lagerung und sind nicht deckenförmig gelagert, wenigstens ist noch
niemals solches nachsewieeen worden. Damit soll aber keineswegs gesagt sein,
daß es niemals Tuff decken im Riese gegeben habe; sie könnten ja bereits der
Abtragung zum Opfer gefallen sein. Indessen dürfte wohl niemals so viel aus-
geworfen worden sein, daß größere Decken zustande gekommen waren, sonst
würde man wohl Reste derselben antreffen müssen.
Was die Ursachen der eztrusiven, vulkanischen Tätigkeit im Riese anbe-
langt, so äußert sich v. Knebel darüber in folgender Weise: „Die vulkanischen
Eruptionen sind nicht wie die Vergriesung auf „Kontakf'-Ezplosionen zurück-
zufimren, sondern sie sind wohl als eine Folge der explosiven Kraft des gas-
reichen Magmas selbst anzusehen. Für diese Annahme spricht der ungemein
hohe Wassergehalt, welcher vielen der ausgeworfenen Schlacken eigen ist. Das
in den Lavaauswürflingen des Rieses eingeschlossene Wasser ist wahrscheinlich
ursprünglich im Magma selbst gelöst enwalten gewesen; bei dem allmählichen
Erstarren desselben frei werdend, mag es das Herausspratzen vulkanischen
' Tuffes bewirkt haben. Jedenfalls glaube ich nicht annenmen zu dürfen, daß
' auch bei der Entstehung der vulkanischen Tuffe „Kontakte-Explosionen mit-
gewirkt haben, wie sie zur Erklärung des Vergriesungsphänomens angenommen
werden mußten. Denn bei solchen Explosionen wäre es kaum erklärlich, wie
Gase in den Schmelzfluß selbst hätten gelangen können, da dieselben sich doch
nach oben Bahn brachen.
Deswegen müssen meines Erachtens die Eruptionen im Riese von den
„Kontakte-Explosionen genetisch scharf getrennt werden, wie auch Branco
schon die letztem als zeitlich den erstem vorangehend, als zwei verschiedene
Ereignisse annimmt. Meine Studien haben eiseben, daß nu«h Beendigung
der großen „Kontakt"-Exploaionen eine Zeit &r Ruhe eintrat, nach cbren
Verlauf erst die extrusive, vulkanische Tätigkeit begann.
Drei Ereignisse sind also auseinander zu halten, erstens das Aufsteigen
lakkolithischen Schmelzflusses, zweitens die „Kontakt"-Explosionen, welche
die Veigriesung hervorriefen, drittens nach Ablauf einer, geologisch gesprochen,
kurzen Ruhezeit die extrusive, vulkanische Tätigkeit.
In ihren Wirkungen waren die an zweiter Stelle genannten „Kontakte-
Explosionen am gewaltigsten. Einmal haben sie, abgeaehen vom Riese selbst,
im Vorriese bis zur Donau hin und vielleicht noch darüber hinaus große Gebiete
erschüttert, es entstanden die Vergriesungsgebiete. Sodann haben sie Über-
schiebungen teils älterer Schollen auf jüngere, teils jüngerer auf ältere, durch
die Abtragung bereits freigelegt ffewesene verursacht. So die gewaltigen Über-
Bchiebungen des Buchberges und der Beiburg, welche sich als eine einzige noch
in Zusammenhang befinc&iche Überschiebung herausgestellt haben, femer die
große Karkstein-Käsbühl-Sigart-Überschiebung, sowie die Überschiebungen
von Hertsfeldhausen und der sogenannten ^ppen im Westen des Rieses.
Minimal dagegen sind im Vergleiche zu letztem in ihren Wirkungen die
Eruptionen dee Rieses. Sie haben, wie Branco und Fraas schon hervormhoben
haben, einen embryonal- vxdkanischen Charakter, gerade wie die Vulkan.
12*
180 Ynlkaninnufl.
embijTOnen das Uraofaer Gebietes. Nur ist der VulkaniHimis dort gewalftipr
hinsidlitlich der Wirkungen gewesen, er hat sich eeSheit Aiiggang veracfaagt
unabhängig Ton Dislokationen in der Erdrinde. Hier aber war dar Boden dmck
die „Kontakt"-Ezpioeionen bereits zerrüttet. ,J.<oci minoris resistenäa^
waren sehr zahkeicn yorhanden, so daB der Vulkanismus mit nur einem ge-
ringen Maße von eigener Arbeit sich den Weg durch die ESrdriiide hindoid-
bahnen konnte. Hierauf möchte ich, wie oben erwähnt, die bedeutende Gtö&
einiger der Eruptionsgebiete zurückfuhren.
In dreieiiei yeischiedener Form ist der Vulkanismus extroaiv gewoda.
Als Produkte reiner Gaseruptionen treten uns einmal die »«^ranitiechen Ex-
plosionsprodukte" des Rieses entgegeut sodann der höchst eigenartige, h
aufgefundene vulkanische Tuff von Zöechingen. Als liparitiache Tiiäo hal
Branco die von jeher im Riese bekannten Tulkanischen Tuffe von den giaii-
tischen gesondert. Meine Beobachtungen haben gezeigt, daß die beidm extro-
siven Tulkanischen Vorgange zu geologisch sesprochen gleicher Zeit sich ereig-
neten. Das Altersverhaltnis beider untereinander ist noch nicht sicher festg^steb.
Die dritte Form extrusiver, vulkanischer Tätigkeit, welche uns in den
Gesteine von Amerbach entgegentritt, bestand in einem Aufstiege von Rhjolitb-
lava. Ob es aber zu einem Lavastrome gekommen ist, ist zweifelhaft» ja sogv
unwahrscheinlich ; denn der Vulkanismus hat sich im Riese eben vorwiegend
von seiner explosiven Seite gezeigt
Dies die Itesultate, zu welchen die Studien im Riesgebiete bis jetzt gefohrt
haben. Damit sind aber noch keineswegs alle Probleme gelöst, welche das Ri»
dem Geologen stellt ; namentlich ist noch eine weitere Form vulkanischer Tätig-
keit schwer zu erklären, das sind die Auh)re88ungen älterer Gesteine darA
jüngere hindurch, von wdchen Koken bei Hohlheim im Riese spricdit» und wdd»
au<£ Branco zur Erklärung der Granite des Voniesee in der abnormen Häieo-
lage zwischen den Massen des obem Weißen Jura annimmt. Einzelbeobscb*
tunffen über dieses in seiner Wirkungsweise noch niemals studierte Phänomes
bleiben weitem Studien vorbehalten."
Die Ausbruchsperiode des Mont PeM 1902 bis 1908 und Uire Be-
deutung für die Vulkanf orsehung. ^) Die gewaltige Katastrophe, durA
welche die Stadt St. Pierre mit allen Bewohnern den Untergang g^
fanden, steht in dieser Art einzig da, allein vom vulkanologiscbeD
Standpunkte aus hat dieser Ausbrach keine Erscheinungen gezeitigt,
die nicht auch schon anderwärts bei Vulkanausbrüchen beobachtet
worden wären. Darauf hat nachdrücklich der Altmeister der Vulkan-
f orsehung, Dr. A. Stübel, bestanden, und die Sachkenner konnten ihm
nur beipflichten. Nachdem aber die jüngste eruptive Tätigkeit des
Mont Pel6 ihren Höhepunkt überschritten hatte, etwa seit August
1902, begann sich an dem Berge eine Neubildung zu zeigen, denen
Auftreten man bis dahin niemals durch unmittelbare Beobachttmg
hatte feststellen können, und die gleichzeitig geeignet ist, helles Liebt
auf ähnliche vulkanische Bildungen zu werfen, welche wie ungelöste
Rätsel an nicht wenigen Stellen der Erdoberfläche dem Forscher
entgegentraten. Es ist wiederum Dr. Stübel, der die wahre
Bedeutung dieser Erscheinung sogleich erfaßte und in einer wich-
tigen Abhandlung jüngst *) entwickelt hat.
1) Gaea 1904. p. 470.
s) Rückblick auf die Ausbruohsperiode des Mont FM auf MurtiiiiqQ^'
▼cm theoretiBchen Standpunkte aus. Leipzig 1904.
Vnlkaniamiis. 181
' Das Phänomen, um welches es sich handelt, ist das allmähliche
^IBmporwaohsen und spatere Wiederversohwinden eines obeliskförmi-
fg&a Felsens oder einer Felsnadel aus einem Staukegel oder vxdkani-
r Bchen Konus, der den alten Krater des Mont Pel6 ausfüllte und seiner-
seits allmählich über den Rand des letztem emporgewachsen ist. Die
beste Schilderung des Eindruckes, welchen diese ungeheuere Felsnadel
&uf den Beschauer machte, hat Georg Wegener gegeben, der zusammen
mit Karl Sapper am 25. März 1903 den Vulkan besuchte und bis zu
dessen Gipfel vordrang. Im folgenden ist seine Schilderung wieder-
^geben, wobei zu bemerken, daß, was er Konus nennt, die Felsnadel
selbst ist, während er den eigentlichen Konus, aus dem sie hervor-
ragte, offenbar nicht zu Gesicht bekommen hat. „Was zunächst
umsere Aufmerksamkeit einzig in Anspruch nahm (am Kraterrande
stehend), war die Riesengestalt des Konus, der nunmehr plötzlich
in fast schreckhafter Nähe und Größe zwischen den Nebeln vor uns
stand. Aus den Tiefen des Kratergrabens stieg er empor zu einer
Höhe, die mindestens 300 m, die Höhe des Eiffelturmes, erreichte,
und dabei mit einer Steilheit der Wände, die auf der Rechten siebzig
imd mehr Grade betrug, zur Linken aber senkrecht, ja stellenweise
überhängend erschien. Wir waren jetzt dicht an seinem Fuße, kaum
100 m von ihm entfernt, aber rätselhafter, unwahrscheinlicher als je
zuvor, stand er vor uns und über uns. Man begriff nicht, wie ein
steinernes Gebilde von solcher Steilheit und Höhe sich nur halten,
geschweige denn, wie es entstanden sein könnte. Das allerdings
erkannten wir auf den ersten Blick: die Anschauung, er sei aus über-
einander gefallenen Blöcken gebildet, war unrichtig; der Konus war
ein einheitliches Gebilde, das mit breiten, glatten Wandflächen auf-
stieg. Freilich wurde es dadurch nur um so rätselhafter.*'
Am Tage nachher hatte der Mont Pel6 einen Ausbruch, den
Wegener und Sapper aus 9 km Entfernung mit einem guten Touristen-
glase beobachteten. Bei demselben sahen sie längs den Wänden der
Felsnadel bis fast zu der Spitze Glühpunkte ai^euchten, die aber
nicht abwärts zogen, sondern an Ort und Stelle verharrten. Die Beob-
achter kamen zu der Überzeugung, daß an jenen Stellen Teile des
äußern Mantels abgesprungen seien, und dadurch das glühende Innere
der Felsnadel zutage getreten sei. So wurde den Beobachtern klar,
daß diese letztere aller Wahrscheinlichkeit nach eine Lavamasse
von sehr zäher Konsistenz war, die unausgesetzt langsam durch
einen senkrechten Schlot herausgepreßt wird und beim Austritte
an die Luft, außen wenigstens, erstarrt. Also eine Art ungeheu-
erliche Wurst von Lava."
Dr. Stübel macht darauf aufmerksam, daß nach den Angaben
des französischen Geologen A. Lacroix der eigentliche Konus schon
seit Mai 1902 vorhanden war, ein ungeheuerer Wulst aus AndesiÜava,
der wie ein an der Oberfläche gewölbter Kuchen den alten Krater im
Innern ausfüllte, lange bevor der obeliskähnliche Felszaoken aus ihm
182
emporwoohs. DerLftvkaohep wachs aHmahlich empor, am lI^Aogaa
hatte er, ans der Feme gesehen, die Hohe des KraterrandeB encidiL
Mitte Oktober war er 90 m höher ab dieser und zeigte einen Hitti^
zackai (Piton), der andere ähnliche erheblich überragte. Der Koii
lag nicht aentral über dem altenKrater, sondern nordwestlich d&voL
and der Felszaoken erhob sich im nordöstlichen Teile des Koi»
Dieser Zacken, der damals etwa 100 m Höhe besaß, ist nichts amfa»
als die Felsnadel, welche spater noch an Höhe zunahm. Die Tit-
sache, dafi die Nadel aas einem Konus, der von kohärenter Un
gebildet ist, sich erhob, wird auch Ton Edmund O. Hovey besiätifl
der von Nordamerika cur fachmännischen Untersnchung nach Mtfti-
nique gesandt war. Nach seinen Angaben wuchs die Nadel sat Ifite
Oktober so rasch empor, daß sie am 8. November 100 m Höhe b
haben schien. Während der Zeit vom November 1902 bis Man IM
war der Gipfel des Mont Pel6 wie gewöhnlich um diese Jahresuifc to
Wolken umhüllt, und deshalb konnte von der Felsnadel nichts GentfS
gesehen werden. Ende Mirz aber maß eine französische KommisBMB
trigonometrisch die Höhe der Nadel über dem alten Kratemodr
(Mome La Croiz) zu 338 m. Nach Major W. M. Hodder, der tob
Santa Lucia (in 60 Seemeilen Entfernung) aus das Wachstum ^
Gipfelfelsens beobachtete, nahm die Nadel bis Ende Mai an BS» ^
dann aber von Zeit zu Zeit ab, ohne daß er feststellen konnte, o^
durch Einsturz oder Senkung der Unterlage (des Konus). Letstettf
wuchs nach Giraud seit Mitte August augenscheinlich und hatte bb
Ende dieses Monates 104 m an Höhe gewonnen, senkte sich dtß^
nach dem heftigen Ausbruche des 2. September um 30 m, worauf &
Höhe abermals zunahm, so daß das Gesamtwachstum des Voa^
oder Konus von Mitte August bis zum 1. Oktober 127 m betcog^
Während dieses starken Wachstumes verschwand die Nadel, nachdeo
sie vom November 1902 bis Juli 1903 wie ein Leuchtturm den Gxf^
des Mont Pel6 geschmückt hatte. Näheres über die Art und Weiss
des Unterganges dieser einzigartigen, höchst merkwürdigen Schöpfai>l
ist zurzeit nicht bekannt. Ein neuer Felszahn begann sich am 8. S^
tember an einer andern Stelle des Konus zu bilden, brachte ee aber
nur auf 20 m Höhe und ward seit dem 17. September nicht mehr g^
sehen. Das sind die Tatsachen der Beobachtung, die wegen der Vn-
nahbarkeit des Objektes leider nicht so vollständig erscheiiien 'f
wünschenswert ist; vor allem wissen wir nichts Sicheres über w»
Wachstumsverhältnisse der Nadel in Beziehung zu der Höhenzunabi&c
des Konus, noch auch ob die Nadel zerbrochen oder umgestüizi oder
als Ganzes in den Konus zurückgesunken ist. Immerhin sixul die
Feststellungen, welche die verschiedenen Beobachter machen konnten.
genügend, um die Bedeutung des ganzen Vorganges für die theoreti-
schen Gesichtspunkte der Vulkanologie klar erkennbar zu mache^
Dies durchgeführt zu haben, ist das Verdienst, welches Dr. '* "
sich in seiner neuen, oben erwähnten Studie erworben hat.
Vulkanifimus. 183
Er weist zunächst darauf hin, daß Hovey das Vorhandensein
' eines Kraters auf dem Staukegel ausdrücklich in Abrede stellt, ob-
gleich die gewaltigen Dampfexplosionen aus dem Innern seiner Masse
hervorbrachen. „Hierin,'* sagt Stübel, „erkennen wir eine vöUige
'Obereinstimmung mit den Ezplosionserscheinungen aus der Stau-
' xnasse des Georg I. auf Santorin im Jahre 1866. Auch hier geschah
es, daß die Blockmassen, welche das Gipfelplateau des Georg I. bil-
' deten, sich plötzlich hoben, seitlich auseinanderschoben und nach
dem stattgehabten Ausbruche sofort wieder zusammenschlössen,
^ ohne eine kraterartige Vertiefung zurückzulassen. Die geringe Krater-
' einsenkung, die der Georg I. noch gegenwärtig besitzt, ist erst im
' spätem Verlaufe der Eruption, wahrscheinUch durch den Erkaltungs-
vorgang des Berges selbst, ausgeblasen worden, und ähnlich wird es
' sich vielleicht auch am Mont Pel6 zutragen.
So merkwürdig die obeliskartige Gestalt der hier zutage ge-
' tretenen Staumasse auch ist, so wird gleichwohl das Befremden, das
' ihr Anblick erweckt, noch übertroffen durch dasjenige, welches uns
' das Wachstum des ganzen Gebildes aufdrängt. Das allmähliche
^ Emporwachsen des Kegels bis zur Höhe von mehr als 500 m über seiner
Basis im alten Kraterbecken des Etang See scheint sich in der Tat
' über einen Zeitraum von wenigstens elf Monaten erstreckt zu haben.
Das hervorgehobene langsame Wachstum steht durchaus im
' Einklänge mit der monogenen Wirkungsweise der vulkanischenKräfte,
' deren Eigenart es zu sein scheint, ihre Gebilde zwar in einer, aber gewiß
' häufig sehr lange dauernden Eruptionsperiode hervorzubringen. Wenn
schon ein verhältnismäßig kleiner Staukegel der zweiten Eruptions-
periode eines Herdes fast ein Jahr lang unter fortwährender Be-
wegung im Wachstume begriffen war, um wieviel länger wird die Ent-
stehungszeit eines monogenen Kolosses der ersten Eruptionsperiode
eines Herdes zu veranschlagen sein?
Das langsame Wachstum des endogenen Staukegels erklärt sich
vielleicht, wenigstens zum Teile, aus der Beschaffenheit des Förder-
schachtes. Der von der Kratermündung des Mont Pel6 bis zur Tiefe
seines Herdes hinabreichende Schacht mußte dem Aufsteigen des
spezifisch schweren Magmas jedenfalls einen großen Widerstand ent-
gegensetzen, denn man darf sich diesen Schacht doch keineswegs als
eine glattwandige Röhre vorstellen, er wird vielmehr bald eng, bald
weit, vielfach gekrümmt und verzweigt sein, was um so mehr in Be-
tracht kommt, als seine Länge doch auf eine ganze Zahl von Kilo-
metern veranschlagt werden muß, denn zwei bis drei Kilometer oder
mehr liegen allein schon innerhalb des Berges, wenn man dessen sub-
marinen Unterbau mit in Anschlag bringt.
Jedenfalls hat die Bildung des großen endogenen Staukegels mit
seinem Gipfelfelsen unwiderleglich bewiesen, daß die plötzlich er-
wachte Eruptivkraft des Mont Pelöberdes nicht nur den Zweck hatte.
Gase und Dämpfe abzuführen, sondern in der Tat die Ausstoßung
184 Yalkaniuiiiis.
eines bestimmten Quantums Magma anstrebte, wie sich dies vqb
vornherein erwarten ließ. Ob aber das Quantum, das der Tiedeo-
scbacht in sich au&unehmen yermochte und zur Bildung des I>omtf
notwendig war, demjenigen Magmaüberschusse des lokaÜBiertefi
Herdes entspricht, der den Ausbruch vom 8. Mai hervorrief, oder ob
nicht viehnehr damab ein weit größerer Magmaerguß unteraeeiwÄ
stattgefunden hat, muß leider unentschieden bleiben. Für das letctere
sprechen allerdings sehr gewichtige Anzeichen. Die Bildung doi
supramarinen Domes wäre also in diesem Falle nur als eine TCntlastong
des Herdes an zweiter Stelle aufzufassen. Daß FlankenausbröclieB
Ejraterergießungen nachfolgen oder umgekehrt die Kraterergießongen
den Flankenausbrüchen, ist an den Kraterbergen anderer vulkanischer
Herde wiederholt vorgekommen. Die Entstehung eines Staukegeb
aber über oder neben der Kratermündung unter Hervorbringong
einer so bizarren Oipfelkrönung wie am Mont Feli darf als eine Be-
gebenheit angesehen werden, die in der Geschichte der Ausbruche ein
Analogen nicht besitzt.
Die überaus merkwürdige Begebenheit der Felsnadelbildung wird
aber erst dadurch besonders bedeutungsvoll, daß sie uns klar vor
Augen führt, wie analoge Gebilde großem Maßstabes, nämlich die
Gipfelobelisken und Gipfelpyramiden so mancher alten monogenen
Vulkanbaue entstehen konnten und höchstwahrscheinUch entstanden
sind. Wie große Fragezeichen starrten bis jetzt diese steilwandigen
ObeUsken und Pyramiden, aufgebaut aus gebankten Laven und
Agglomeraten, über den breit angelegten, sanft geneigten, meist
radial gegUederten Massiven eines Quilindana, eines Gotacachi, eines
Sincholagua, eines Bucu-Pichincha, eines Sajama, eines Casäguals
und Quillpicasha usw. in die Lüfte, ohne daß wir eine befriedigende
Antwort geben konnten; da erscheint plötzUch in der Bildung der
Nadel die Lösung des Ratseis!"
Ein höchst beachtenswertes Seitenstück zu dem langsamen Auf-
steigen und Aufwölben des Konus im alten ELrater des Mont Fei6
bilden die Vorgänge bei Santorin, und zwar sowohl diejenigen im
Jahre 1707, als die der Jahre 1866 bis 1868. Im Mai 1707 hob sich
aus einer Tiefe von 500 Fuß, von leichten Bodenerschütterungen
begleitet, ein Felsen über die Meeresfläche, den man anfangs für ein
Schiffswrack hielt, und an den Abhängen desselben hingen Austern.
Bis zum Juni stiegen noch weitere Felsen empor, ohne Lavaerguß,
doch wurden von der Felsmasse zuletzt Asche und glühende Steine
ausgeschleudert. Im Jahre 1866 sah man am 4. Februar im Vulkane-
hafen an der Ostküste von Neo Kaimeni plötzUch ein Felsenriff, das
sichthch an Oröße zunahm, und auf dem Bretter von Booten lagen,
die früher an jener Stelle gesunken waren. Dr. Dekigala konnte sich
diesen Felsen bis auf zehn Schritte nähern und beobachtete das
Wachsen derselben, und zwar so rasch von der Mitte gegen den Umfang
in Gestalt einer Halbkugel, daß das Auge nur schwer folgen konnte.
ValkanlBmuB. 185
mand erkannte, in welcher Weise sich die Blöcke aneinander reihten
und das Ganze formierten. Die Gestalt der Insel war aber nicht
kreisförmig, sondern mauerartig, und nachts glich sie einem großen
brennenden Kohlenhaufen. Die Insel wuchs, indem an der Basis
ununterbrochen Steine aus dem kochenden Wasser hervortraten, sehr
ruhig, in langsamer, nie heftiger Weise, und ebenso gemäßigt war
die brodelnde Bewegung des Meeres. Das Ganze erhielt den Namen
Georgios, und dieser hatte am 12. Februar eine erste, heftige Eruption,
der später andere folgten. Nach der Berechnung von Jul. Schmidt
betrug die tägUche Volumenzunahme des Georgioe von 1866 bis Anfang
1868 mindestens 3860000 engl. Kubikfuß. Die Höhe des Kegels war
i^echselnd und nicht inmier zimehmend. Die Beobachtungen von
Schmidt ergaben, daß die zentralen Teile des Berges periodisch sehr
regelmäßig gehoben wurden. War die hebende Kraft sehr groß, so
"wurde das Blockterrain ganz hinausgeworfen, war sie mäßig, wurde
es nur gehoben und teilweise durchbrochen, worauf es zu dem frühem
[Niveau zurücksank. Das sind Erscheinungen, wie sie der Konus im
alten Krater des Mont Pel6 jetzt auch gezeigt hat.
Die Felsnadel des Mont Pel6 ist freiUch nach kurzem Bestände
wieder verschwunden, aber mit Recht sagt Dr. Stübel: „Wenn wie
hier bei einer doch verhältnismäßig schwachen Tätigkeit des offenbar
schon erschöpften Herdes eine Felsbildung in obeliskartiger Gestalt
bis zur Höhe von etwa 300 m noch über die eigentUche schon 600 m
hohe Staumasse emporwachsen konnte, warum sollten da nicht bei
ahnlichen, aber hundert- oder tausendfach großem Eruptionsvor-
gängen — denn um solche hat es sich bei der Bildung der großen
monogenen Bergmassive, wie die oben gensamten, gehandelt —
Gipfelkrönungen hervorgebracht worden sein, deren bizarre Formen
sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben?'*
Man kann diese Frage nur im Stübelschen Sinne beantworten.
Aber noch mehr. Man darf mit Bezugnahme auf die oben genannten
Oipfelkrönungen und zahlreiche andere behaupten, daß diese Formen
bei einer gewissen Konsistenz des Magmas sich viel häufiger bilden,
als man bisher wußte. Wie als handgreiflichen Beweis hierfür ver-
nehmen wir durch Dr. Paul Großer die Tatsache, daß fast gleichzeitig
mit den Felsbildungen auf dem Gipfel des Mont Pel6 an einem anti-
podisch gelegenen Punkte auf dem Merapi in Java ein ähnlicher vul-
kanischer Turm sich erhoben hat. Jetzt werden wir auch die von
Dana auf Hawaii beobachteten Picks, sowie die turmdachähnUche
Kuppe auf der Spitze des Vulkanes von Bourbon unter diese Kategorie
von Vulkanbildungen zu rechnen haben, wenn auch vielleicht nur als
Übergangsformen. Dr. Stübel führt in seiner Abhandlung eine Reihe
südamerikanischer Vulkane durch eigene Zeichnungen und photo-
graphische Aufnahmen vor, welche ausgesprochene Gipfelpyramiden
besitzen, die in ihrer Tektonik völlig übereinstimmen. Diese Vulkan-
berge passen aber ihrer äußern Form nach, wie der erste Blick zeigt,
186 Yiilkaiiismat.
recht wenig in das Schema, in das man die vulkanischen Schöpfopga
bisher zu zwängen bestrebt war. ,>Um der Annahme nicht entsages
za müssen,*' sagt Dr. 8tübel, „daß diese Art von Bergen ihre ßol*
stehung der aUmahlichen Au&chichtung in unermeßlich langen Zeit-
räumen verdankt, hat man sich vorgestellt, daß domförmige Berge,
die, anstatt einen zentralen Krater zu besitzen, von einer hohen Feb-
Pyramide gekrönt sind, oder auch in ihrem ganzen Baue einer dord
und durch festen Felspyramide gleichen, nur als die innem Kens
mächtig großer Kegelberge anzusehen seien, deren TJmJiüUang aa
losem Materiale bestanden und im Laufe der Zeit abgetragen worda
sei- Die Bankung, die auch diesen Felspyramiden oftmals eigen isL
war maßgebend für die Voraussetzung der sukzessiven Aufaehichtoi^
und in Verbindung mit dem von altersher liebgewonnenen Glauben,
daß Vulkane die über die Erdoberfläche verteilten „Sicherhdt»
Ventile" für einen unerschöpflichen, in Pausen tätigen Herd wärea.
schien eine weitere Prüfung des Sachverhaltes völlig überflüssig. Msa
schwieg am liebsten über Bergformen, die sich nicht leicht in das auf-
gestellte Schema der sukzessiven eruptiven Schöpfungen einreihoi
ließen. Die Erklärung, die man sich für die Entstehung der Pjn-
midenberge zurechtgelegt hat, ist gewissermaßen ein Gegenstück zu
der sicherUch nicht weniger unbegründeten Deutung der Calderen ab
Explosionskratem, die aus Kegelbergen dadurch entstanden seien,
daß deren obere Teile nachträghch weggesprengt worden wären. Der
Mont Pel6 hat aus der Tiefe seines Herdes vernehmlich gesprochen!
Der Konus mit seiner Felsnadel fordert von dem Vulkanologen, sidi
darüber zu entscheiden, ob er die mit dem lokalisierten und erschöpf-
hchen Herde verbundene monogene Natur einer großen Gruppe yvI-
kanischer Schöpfungen, die sich nur als mächtig große Abraumhaute
einer in den meisten Fällen einzigen Tätigkeitsperiode darstellen, ab
solche anerkennen will, oder ob er es vorzieht, bei der bisherigen Auf-
fassung der „Vulkane*' als Vermittler einer unendlichen Reihe von
Eruptionen zu verharren.
Die Pyramidenberge bilden eine Gruppe vulkanischer Baue, die,
wenn auch an typischen Vertretern vielleicht weniger zahlreich, docH
der der Kraterberge ab genetisch gleich berechtigt an die Seite g^estdlt
werden muß.
Die Bildung des Kegels und seiner Felsnadel ist also aus einer
Äußerungsweise der vulkanischen Tätigkeit hervorgegangen, die un-
verkennbar die gleiche ist, wie die, welche auch mächtig große Berge
hervorzubringen vermochte. Ob ein steilwandiger oder ein flacher
Kegelberg entsteht, hängt wesentlich von dem Flüssigkeitszustande
des Magmas ab, die Krater-, resp. CaJderabildung aber von der Art
des Rückzuges, die dem ersten gewaltigen Durchbruche des Magmas
nach der Oberfläche folgte."
Indem Stübel die bisher wenig beachtete Klasse von Vulkan-
bergen mit pyramidenförmig ausgebildetem, meist kraterloeem Baue
Yulkanismus. 137
der äußerst umfangreichen Klasse der Kraterberge als genetisch
gleichwertig an die Seite stellt» spricht er laut aus, daß der Krater
genetisch und morphologisch betrachtet eine für die Äußerung
eruptiver Tätigkeit völlig unwesentliche Bildimg ist.
Er sagt: „Das Vorhandensein eines Kraters an vulkanischen
Gebilden der heutigen Erdoberfläche ist für das Auftreten von Aus-
bruchserscheinungen durchaus keine Vorbedingung. Denn es gibt
sehr viele und gerade sehr große Berge eruptiver Entstehung, die
keine Krater besitzen, und an solchen, die sie aufzuweisen haben, ge-
schehen die Ausbrüche häufig genug nicht durch die Vermittlung des
Kraters, sondern außerhalb, oftmak in weiter Entfernung von diesem ;
auch haben gewaltige Ausbrüche glutflüssigen Magmas auf nicht-
vulkanischem, auf granitischem und sedimentärem Boden statt-
gefunden, ohne daß weite Kraterschlünde gebildet und zurück-
geblieben wären.
Der Krater stellt sich bekanntlich dar als eine bald flach kessel-
förmige, bald mehr trichterförmige Vertiefung von sehr verschiedener
Größe und Gestalt im Verhältnisse zu den Dimensionen der bergarti-
gen Aufschichtungsmasse, in die sie eingesenkt ist. Es gibt große
Berge mit kleinen Kratern und kleine Berge mit verhältnismäßig sehr
großen Kratern.
Das Gestein des Berges, in welchem die Kratereinsenkung liegt,
kann sowohl im glutflüssigen oder glutzähen Zustande ergossen und
ausgestoßen, als auch im feSten, als Sand, als Schlacken und loser
Gesteinsschutt ausgeworfen worden sein; es umlagert und verschließt
zumeist in geringer Tiefe die Mündung des Schachtes, der ehedem die
Verbindung mit dem Herde herstellte, aus dem es selbst hervor-
gegangen ist. — Zur Entstehung von Kratervertiefungen können ver-
schiedene Umstände mitwirken, aber nur ein Umstand kann bei
monogenen Bauen, in denen Berge und Krater in inniger Beziehung
stehen, als Grundursache angesehen werden, und dieser ist das plötz-
liche Zurücksinken eines Teiles der aufgeworfenen Bergmasse, zumeist
des zentralen, in die Tiefe des Schachtes, und zwar gerade zu dem
Zeitpunkte, in dem der Herd die Förderung seiner Füllmasse nach
der Oberfläche einstellt, die erste Ausbruchsperiode eines lokalisierten
Herdes ihren Abschluß findet. Die Kratervertiefung, welche Größe
^uid Gestalt sie auch besitzen möge, ist daher niemals das Ergebnis
aufbauender Ejräfte, sondern stets die Folge von deren Ersterben
innerhalb des lokalisierten Herdes und der damit verbundenen Nach-
saokung des Materiales im obem Teile des Tiefenschachtes. Wir be-
zeichnen solche Krater als Rückzugskrater, als Calderen.
Da der Rückzug eines Teiles der monogenen Bergmasse aber
lücht in jedem Falle einzutreten braucht, sehen wir sehr viele und
sehr große Vulkanberge, die überhaupt keine Kratereinsenkung be-
sitzen, wenigstens keine solche, die als das Ergebnis eines Rückzuges
in größerm Maßstabe gedeutet werden könnte.
188 Yalkanlsmos.
Dagegen gibt es eine zweite Art von Ejratereinsenknngeii, namlick
solche, die im Verhältnis zur Größe der Bergmaase klein und na-
wesentUch erscheinen, and von denen an einem Berge zuweilen noehme
auftreten. Sie entstehen dadurch, daß sich Gas- und Dampfexhala-
tionen, sowie kleinere Explosionen, die nicht vom Kraterschachte ai»
zugehen brauchen, sondern ledighch Erkaltungserscheinungen der
Bergmasse selbst sind, auf einen oder mehrere Punkte konzentnena
und dadurch kraterartige Vertiefungen im Laufe langer Zeiträim
ausblasen. Manche Solfataren sind zu dieser Art von ELratem a
zahlen.
Die mannigfaltigste Art von Kratern haben jedoch diejenigBB
Herde hervorgebracht, die sich nicht mit einem Ausbruche erschöpftiOi,
sondern in weit sx>aterer Zeit wieder in Aktion traten and dann des
früher gebildeten Krater, wie dies so häufig, vielleicht vorherrschend
zu geschehen pflegt, aufs neue zum Schauplatze ihrer Tätigt
machten. Wenn nun diese zweite Tätigkeitsperiode dee gleicfaei
Herdes einen neuen Berg aufwarf, so ereignete sich auch in diesen
wieder, am Schlüsse der neuen Ausbruchsperiode, der Vorgang des
Rückzuges, der gleichfalls die Bildung eines Kraters häufig zur Folge
hatte. Es ist dies eine dritte Art von Kratern, die der polygeoBB
Aufschüttungskegel.
Da aber die Berge, welche durch eine solche zweite Emptiani-
periode aufgeworfen werden, an Größen weit hinter denen der eistet
Ausbruchsperiode des betreffenden Herdes zurückzustehen pflegen,
so sind auch ihre Krater von entsprechend kleinem Abmessungeo.
In dieser Art von vulkanischen Bildungen treten vorhenscheod
trichterförmige Kratereinsenkungen auf. Indem nun durch die zweite
Tätigkeitsphase, wie dies häufig geschieht, eine bleibende Verbindui^
mit dem im Absterben begriffenen Herde herbeigeführt, ein soge-
nannter „tätiger Vulkan'* gebildet wird, so gewinnt man durch die
Vermittlung, welche der Krater für die nachfolgenden kleinem und
großem Ausbrüche spielt, den Eindruck, daß er das wesentlichste
GUed im Mechanismus der eruptiven Tätigkeit sein müsse.'*
^ Neben den großen Bückzugskratem der monogenen Bergmassive,
den relativ weniger umfäni^hchen Kesselkratem sekundärer Herde
und den einer häufigen Umgestaltung unterworfenen Triehterkratein
der „tätigen Vulkane" ist eine vierte Art zu erwähnen, nämlich die
Exploeionskrater. „Wenn schon,'* sagt bezüglich ihrer Stübel, „die
Bildung der zuerst erwähnten drei Kxaterarten davon überzeugen
mußte, daß die ganze vulkanische Tätigkeit, wie sie sich in den
Schöpfungen der heutigen Erdoberfläche darbietet, ihren Ursprung
nur in peripherischen, in erschöpflichen Herden haben kann, so sind
die Explosionskrater doch gerade diejenigen, bei denen dieses Ve^
halten am schärfsten hervortritt. Und (Ues kommt daher, daß die
Explosionskrater nur in sehr seltenen Fällen wirkUche Lavaeigosw
Valkanismus. Ig9
gehabt haben, daß ein zweiter Ausbruch an der gleichen Stelle, soweit
uns bekannt, wohl noch nie beobachtet worden ist, und daß schUeßlich
diese Explosionskrater ihrer Lage nach zumeist an Orten auftreten,
wo sich ihre Beziehung zu altem, großem Eruptionszentren am
wenigsten verstehen läßt. Mit einem Worte, alle Wahrnehmungen
scheinen sich hier zu vereinigen, um den Eindruck hervorzurufen, daß
' die Explosionen, welche diese Art von Kratern hervorbrachten, ihren
' Ursprung in sekundären, besonders engbegrenzten Herden haben, die
' mit einer solchen Explosion ihre erste und zugleich auch ihre letzte
' Tätigkeit entfalteten."
Dr. Stübel zögert nicht zu behaupten, daß vielleicht keiner der in
' historischer Zeit beobachteten Vulkanausbrüche der gesamten Erd-
' Oberfläche dem Geologen einen Dienst von größerer Tragweite ge-
* leistet hat als der Mont Pel6 durch Hervorbringung seines Staukegels
; in Verbindung mit seinem Gipfelfelsen. Zwar lehre uns dieses Gebilde
zunächst nur die Entstehung eines steilen bizarren Felsens, aber wenn
wir erwägen, daß damit (auf dem Wege der Induktion) für eine große
' Klasse von Vulkanbergen eine klare genetische Deutung erschlossen
I wurde, die man ihr bislang zu geben zögerte, so werde man diesen
' Ausspruch nicht ungerechtfertigt finden. Dazu komme noch, daß
' wir den Staukegel auch zur Beantwortung der allgemeinem Frage
heranziehen können, ob monogener oder sukzessiver Aufbau der
I Vulkanberge das maßgebende Moment für das Wirken der vulkani-
I sehen Ejraf te in der Gegenwart werden solle, von welcher dann wieder
; die Entscheidung über die Natur des Herdes abhänge, in dem der Sitz
I jener Kräfte vermutet werden darf.
Die Methode der streng wissenschaftlichen Erforschung des Vul-
kanismus sei mit Martinique und St. Vincent in ein neues Stadium
getreten; sie sei eine zielbewußtere geworden. Der Geolog frage
gegenwärtig an erster Stelle: haben bergartige Neubildungen durch
Magmaergüsse stattgefunden, imd wenn es geschehen, in welchem
Größen- und Volumenverhältnisse stehen diese zu dem Gesamtbaue,
den das gleiche Zentrum vorher in einmaliger oder mehrmaUger Tätig-
keit hervorgebracht hat. Er verlange, wenn er nicht selbst an Ort
und Stelle weilt, die genauen kartographischen und bildlichen Unter-
lagen, die ihn in den Stand setzen, solches zu beurteilen, um nicht
allein aus dem Vergleiche einzelner Vulkanberge, sondern ganzer
Vulkangebiete miteinander seine genetischen Schlüsse ziehen zu
können. Dies aber sei unerläßlich, wenn wir zu einer befriedigenden
und grundlegenden Vulkantheorie gelangen sollen.
Alle bergartigen Vulkanschöpfungen der Erde sprechen laut für
die Wirkung einer in sich absterbenden Kraft lokalisierter und er-
BchöpfUcher Herde, und die letzten Ausbrüche des Mont Pel6 (und
der Soufri^re von St. Vincent) haben, wie Stübel betont, das ihrige in
diesem Sinne beigetragen.
190 YnlkaBlsmiis.
Der Folmekeii des Hont PoU wird von A. Heilpiin ^) als Kea
des alten VulkaneB angesprochen. Nach seiner Meinung war er as
der sehr zähen, sauem Lava gebildet, die sofort bei ihrer Aaaatoßiioi
erstarrte und unter dem Drucke der vulkanischen Kräfte ver^kal ii
die Höhe getrieben wurde, anstatt wie normale Lavaströme aosa-
fließen. Das ganze Aussehen des Febobelisken, die deutlich ver-
schiedene Beschaffenheit der zwei entgegengesetzten Flachen, du
Fehlen fluidalen Überfliefiens und die scharfe Demarkatiandinii
zwischen der Basis des Gebildes und der umgebenden Masse spreches
eher mehr für einen alten, durch die Wärme metamorphosierten Felsen
als für neugebildete und schnell erstarrte Lava. Ein solches Heb»
von Gebirgskemen in der E^aterachse eines Vulkanes ist auch beveilz
von einigen Geologen behauptet worden, so von Abich im Kaukasm
und von Scrope für die Auvergne. Die Tatsache, daß die me»ta
Vulkane nach wechselnder Tätigkeitsdauer ruhen, und daß &m^
sich spät wieder öffnen in der Richtung der frühem EhrapüoneB,
läßt nach Heilprin vermuten, daß von Zeit zu Zeit diese Pfropfen uod
Kerne aus der Krateröffnung an die Oberfläche emporgehoben werden
und solche Türme bilden, wie sie der Pel6vulkan gezeigt hat.
Die Hauptgruppe der Vulkanberge Ecuadors. Dr. A. Stübel hat
eine Karte dieser Vulkane mit Begleitwort veröffentlicht, worin er
zeigt, daß dieselbe ein äußerst instruktives Beispiel darbietet fiir die
Äußerung regulärer Kraft in räumlich kleinen Abständen, für die
deutlichen Anzeichen ihrer Abschwächung und ihres Brsterbeos
innerhalb begrenzter Zeiträume. Die Karte, im Maßstabe vos
1 : 200 000, umfaßt die Vulkanberge Antisana, Chacana, Sincholagua,
Quilindana, Cotopazi, Ruminahui und Fasochoa. Diese sieben ge-
waltigen Vulkanberge erheben sich auf einer Fläche von nicht mehr
als 3000 qkm Größe, die ako noch nicht zehnmal so groß ist als der
Flächenraum, den die Stadt London bedeckt. Und doch überragt
der Gipfel des Gotopaxi um 1100 m die Höhe des Montblanc, und auch
der Sincholagua würde noch über diesen hinausschauen, während
Ruminahui und Pasochoa ihm an Höhe fast gleichkommen. Solche
Vulkanberge stehen also auf verhältnismäßig kleiner Fläche zu-
sammen. „Müßte hier nicht,'* sagt Dr. Stübel mit Recht, „wenn die
glutflüssigen Massen aus einer wirklich beträchtlichen Tiefe empor-
zudringen gehabt hätten, schon ein Förderschacht genügt haben?
Lehrt uns doch der Mond, daß auf seiner Oberfläche Kraterbildungen
möghch waren, deren Abmessungen die obige 2^hl um ein Mehrfach«
übertreffen. Der Kraterzirkus des Kopemikus umfaßt, um nur ein
Beispiel anzuführen, gegen 6000 qhm, und dabei hegt seine innne
Kraterebene an 3000 m tiefer als das äußere Gelände seines Ring-
Walles. Schon die zumeist vollendete ELreisform solcher Kraterbildungen
1) Soienoe 1904. N. S. 10. p. 800.
y ulkanismas. 191
auf dem Monde sagt uns unwiderleglich» daß eine jede von ihnen, die
umfänglichsten nicht ausgenommen, in ihier radial größten Abmessung
doch nur das Werk eines einsägen Ausbruches sein kann. Wie ver-
schwindend klein sind aber die Gebilde des terrestrischen Vulkanis-
mus, die auf die Gegenwart gekommen sind, einem Kopernikus gegen-
über!
Ein so dichtes Beisammenliegen der Ausbruchszentren, wie es die
Karte für diese sieben Berge vergegenwärtigt, und von denen ein jedes
die schon recht beträchtliche Masse seiner Eruptionsprodukte zu
einem 1600 bis 3000 m hohen Berge aufzustauen und aufzuschichten
vermochte, läßt uns vor allem fragen, ob diese so dicht benachbarten
Ausbruchszentren ihre Tätigkeit gleichzeitig begonnen haben, oder
ob sie der Reihe nach in Aktion getreten sind
TJm die Lösung dieser Frage anzubahnen, müssen wir für jeden
der Berge aus seinen tektonischen und morphologischen Verhältnissen
zunächst festzustellen suchen, ob er das Produkt einer einmaUgen
Tätigkeitsperiode seines Ausbruchszentrums darstellt, oder ob an-
i genommen werden muß, daß er durch eine ganze Reihe von Aus-
brüchen, die durch lange Pausen der Ruhe voneinander getrennt
waren, aufgeschichtet worden ist.
Würden wir durch das Studium des innem und äußern Baues
dieser Berge zur letztem Annahme geführt, so kämen wir zu der
, Schlußfolgerung, daß es sich bei ihrer Bildung nur um ein Wechsel-
spiel fortdauernder Tätigkeit handelte, in welchem sich die sieben
Aasbruchszentren ergingen und untereinander ablösten; die Frage
nach einer gleichzeitigen oder ungleichzeitigen Aufschichtung der
Bergmassen würde dann zu einer nebensächlichen, genetisch weniger
bedeutungsvoUen herabsinken/'
Dr. Stübel hat aber in seinem Werke über die Vulkanberge
Ecuadors in ausführlichster Weise dargelegt, daß jeder der sieben
Berge seiner Hauptmasse nach das Produkt einer einzigen Ausbruchs-
periode ist, in der sich der dem Epizentrum zugehörige Herd mehr
oder weniger erschöpfte. Solche Vulkanberge nennt Stübel mono-
gene. Die Bezeichnimg monogen schließt nicht nur die Entstehung
eines Berges in einer einzigen Ausbruchsx)eriode in sich, sondern setzt
auch voraus, daß sich der Herd, aus dem die Masse des Berges hervor-
ging, durch deren Förderung nach der Oberfläche zum größten Teile
erschöpfte. Der Begriff des monogenen Vulkanberges ist daher
keineswegs identisch mit dem der Quellkuppe oder dem des homo-
genen Vulkanes. Der monogene Vulkanberg kann sich ebensogut
aus geflossenem als aus totem Materiale oder auch aus beiden zugleich
aufbauen, sein Herd würde aber nach Stübel einen zweiten Berg
gleicher Größe nicht hervorbringen können.
Von den oben genannten sieben Bergen haben nach Dr. Stübel
nur drei, nämlich der Antisana, der Chacana und der Cotopazi Hinzu-
fügungen durch erneute Tätigkeit ihrer Zentren in späterer Zeit er-
192 Vnlkanitmnt.
halten; ohne jeden Zuwachs sind die übrigen vier Berge, QaOindaDft,
Sincholagua, Ruminahai und Pasochoa geblieben. Es ist nun va
Wichtigkeit zu untersuchen, wann und wie dieser Zuwachs der dni
genannten Berge aus der Tiefe erfolgt ist, ob einmalig oder in g^
trennten Zeiträumen, ob bald nach der Entstehung des Hauptbeqgi
in grauer Vorzeit oder in einer der Gegenwart schon nahe liegenta
Periode.
„Für Antisana, Chacana und Cotopaxi/' fährt Dr. Stübel fai^
„ist mit größter Bestimmtheit nachzuweisen, daß zwischen der &^
und der erneuten Tätigkeit aus der Tiefe, welche den Zuwachs liehrtt,
eine — selbst im geologischen Sinne gesprochen — überaus iaiy
Pause verstrichen sein muß, und diesen für alle drei Berge übenis-
stimmenden Umstand betrachten wir als das wesentlichste JAcma^
das über das Verhalten der Eruptionszentren und ihrer Herde Arf*
Schluß zu geben vermag, nachdem wir uns bereits vergegenwartigtBit
daß auf der verhältnismäßig kleinen Fläche von 3000 qkm ^b«
Vulkanberge zusammengedrängt sind, und von diesen vier überhaapt
eine Tätigkeit später nicht mehr entfaltet haben.
Es ist leicht einzusehen, daß Berge, wenn sie als mächtig grofie
Abraumhaufen durch eine beträchtliche Zahl von ElinzelausbracbeD
aufgeschichtet worden wären, alle nach einem Schema als steile
Kegelberge aufgebaut sein müßten. Dies ist aber hier nicht der FJL
Trotz der bankartigen Ablagerung ihrer Gesteinsmasaen trägt jeder
der sieben Berge die Eigenartigkeit seiner Entstehung an sich.
An den altem der vulkanischen Schöpfungen überwiegt im aD-
gemeinen die horizontale Ausdehnung die vertikale Erhebung. Nicht
nur in Ecuador, sondern auch in andern Vulkangebieten gibt es eine
große Zahl von Eruptionszentren, deren bergartige Baue ihre einhat-
Uche Entstehung auf den ersten Blick erkennen lassen, und dieser
Eindruck der tektonischen Einheitlichkeit ist es häufig gewesen, der
solche Berge ganz unbedenklich als „erloschene Vulkane" bezeicho^
Ueß. Andere derselben Art haben erst in einer relativ sehr neuen Zeit
einen weitem Zuwachs aus der Tiefe erhalten. Diese letztem stinun^
unter sich darin überein, daß sich der spätere Zuwachs nicht als orpr
nisches Glied in den alten Bau einfügt, zumeist nicht einmal an dtf
zentralen Ausbruchsstelle ergossen wurde, sondern ganz unvemuttei^
an irgend einem Punkte des einheitUchen Urbaues hervorgetreten
ist, und zugleich quantitativ dem Urbaue gegenüber verschwind«^
klein erscheint. Aus diesem Gegensatze zwischen dem großen, in a<^
abgeschlossenen Urbaue eines jeden solcher Berge und dem qaaob*
tativ geringen Zuwachse, den einige von ihnen in neuer, zum Trf
noch in geschichtlicher Zeit erhalten haben, dürfen wir gewiß oü^
vollem Rechte auf Lokalisierung und Erschöpflichkeit der Heid^
schließen, aus denen alle diese Baue hervorgegangen sind. Neue
Ergießungen so geringer Magmamassen an beliebigen Punkten eines
einheitlich aufgebauten Berges ältester Vorzeit würden mit so genauer
I«i«l0-*»4S»S
NSi::p|imi§b^;^lC£l7«$£lc«fäk!il*M^;i^ den Wolken
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'Z' -!»:?• -!sft» * *-?a'''"Y'
iChtisivnilla) aus.
i*SiSvlergrimdo der Hato von
.TRliihnch XV. 1904.
Vulkanigmus. 1 93
(Tbereinstimmung in den verschiedenen Vulkangegenden nicht denk-
l>Ar sein, wenn es sich dabei um die Reaktionen eines unerschöpflichen
Zeutrcdherdes handelte.
Daraus ergibt sich, daß alle diese Berge, sowohl jene, deren Herde
sich mit dem ersten Ausbruche völlig erschöpften, als auch die, welche
Krgußmassen nachträglich ausstießen, in ihrem Verhalten mit der
Bedeutung „Vulkan"' im hergebrachten Sinne nicht übereinstimmen/*
Von den sieben Bergen entspricht nur der Cotopaxi in seiner
heutigen Beschaffenheit d^ für polygene Vulkane typischen Kegel-
gestalt. Der Antisana, Ruminahui, Pasochoa und (weniger typisch)
der Chacana gehören in die Klasse der Calderaberge, Sincholagua und
Quilindana sind Strebepfeilerbaue mit Gipfelpyramiden.
Ein typisches Beispiel der Calderaberge, d. h. solche Vulkane,
bei welchen nach Stübel der früheste Eruptionsschlund in Gestalt
eines großen, an einer Seite offenen Zirkus noch erhalten ist, bildet
der Antisana. Bei ihm ist der alte Kessel mit Gletschern erfüllt, und
man hätte annehmen sollen, daß die neuem Ausbrüche innerhalb
dieses Kessels vor sich gegangen wären. Dies ist jedoch nicht ge-
schehen. Der Antisanaherd hat vier relativ kleine Lavaströme er-
gossen, und diese sind ohne jede Kraterbildung an den äußern Ab-
hängen der Calderaumwallung hervorgebrochen, ohne daß sich dabei
Eruptionskessel gebildet hätten. „Es war dies eine schnell vorüber-
gehende Tätigkeit, und alle vier Ströme gehören unverkennbar einer
und derselben Tätigkeitsperiode des Herdes an, auch wenn sie nicht
gleichzeitig, nicht einmal im gleichen Jahrhunderte oder gleichen
Jahrtausende ergossen sein sollten.'' So unermeßlich groß, betont
Dr. Stübel mit Nachdruck, muß der Zeitraum veranschlagt weiden,
der beide Ausbruchsperioden der Herde, die erste und die, welche ihr
zunächst folgte, voneinander trennt.
„Dem Antisana entstanmien also mehrere Ausbrüche, aber die Art
seiner Tätigkeit ist der des „tätigen Vulkanes" nicht an die Seite zu
stellen. Man gewinnt aus ihr vielmehr den Eindruck, daß es die
letzten Reste eines beinahe erschöpften Herdes gewesen sein müssen,
die hier zur Abführung gelangten. Etwas anders hegen die Verhält-
nisse bei den großen historischen Lavaströmen des Chacanamassives.
Der Austrittsort des ersten, des Antisanillastromes, dürfte mit dem
Haupteruptionszentoum des Chacanabaues nahezu zusammenfallen;
er könnte fast als ein Calderaausbruch bezeichnet werden. Als charak-
teristisch sei hervorgehoben, daß auch hier kein Aufschüttungskegel
gebildet wurde. — Der Austrittspunkt des zweiten Stromes, des von
Potrerillos, Hegt vom mutmaßhchen Eruptionszentrum des Chacana,
vom Ursprungsorte des Antisanülastromes, rund IS km entfernt. Auch
hier ist es nicht zur Bildung eines Aufschüttungskegels gekommen.
Beide Lavaströme sind als gleichaltrig zu betrachten und datieren,
wenigstens der erste bestimmt nachweisUch, aus der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts. — Ein dritter, aber kurzer und unbedeutender
Klein. Jahrbaoh XV. 18
194 YnlkanlimiiB.
Lavaatrom, der von Coaoungo, brach am Südweatfaße der Tablanum*
felaen, in der Nähe des Chacanagipfelbergea hervor und veihielt äfili
den zwei großen Strömen inaof em analog, als auch bei ihm weder eioe
Kraterbildung, noch die Aufischüttung einea Eruptionakegels sa be-
merken ist. Was die Gesamtheit der vulkanischen Erscheinungn
auf der Erde lehrt: die Abführung glutflüssiger Materie als Endzweck
aller eruptiven Tätigkeit, wird also auch durch die Lavaergüsae des
Antisana und Chacana, und zwar hier ganz im Kleinen, augrafiOig
bestätigt/*
Auch der Gotopaxi hat eine große Pause der erstmaligen Er-
schöpfung gehabt. „Wenn man,*' sagt Stübel, „den stolzen Kegd
vor sich sieht, könnte man glauben, daß er seine Tätigkeit in fernster
Urzeit begonnen und bis auf den heutigen Tag periodisch fortgesetzt
habe. Hierin aber würde ein großer Fehlschluß liegen; wir würden
übersehen, daß der heutige Cotopazik^^l auf einem uralten Unter-
baue fußt, und daß dieser unverkennbar bereits zerstört gewesen ist,
bevor die Bildung dieses neuen Kegels ihren Anfang nahm, mit anden
Worten, bevor die zweite Ausbruchsperiode des Herdes begann, dk
noch gegenwärtig fortbesteht und wahrscheinUch fortbestehen wird,
bis der Herd erstorben ist.'*
So ergibt sich denn, daß von den sieben in Rede stehenden
Vulkanbergen keiner sich mit der frühem Anschauung über dv
Wesen des irdischen Vulkanismus in der Gegenwart in Einidaog
bringen läßt. „Wenn nun auch'*, fährt Dr. Stübel fort, „für die Bil-
dung dieser sieben dicht benachbarten Berge lokalisierte und er-
schöpfUche Herde vorausgesetzt werden müssen, so soll damit doch
keineswegs gesagt sein, daß jeder derselben seinen eigenen, scW
umgrenzten Herd gehabt habe. MöglicherweiBe stehen mehrere der
Berge über dem gleichen Herde, den man sich in der Tiefe als ver-
zweigt vorstellen kann, oder doch über Kammern desselben, die unter-
einander schon damals nicht mehr kommunizierten, als das Hervor-
brechen des glutflüssigen Magmas an der einen oder andern Stelle ein-
trat. Aus dem dichten Beisammenliegen der Vulkanzentren ergibt
sich jedenfalls die sehr merkwürdige Wahrnehmung, daß ein Ver-
bindirngsschacht, den sich das glutflüssige Magma nach der Erdober-
fläche bahnt, die Füllmasse des Herdinnem immer nur in einem
relativ kleinen Bereiche zu entlasten vermag, und daß es solchen
benachbarten Füllmassen weniger leicht wird, eine Verbindung seit-
lich miteinander herzustellen, als in vertikaler Richtung nach dei
Erdoberfläche hin sich einen neuen Schacht zu schaffen.
In ihrem innem tektonischen Baue, speziell auch in dem Über-
wiegen geflossener Massen gegenüber dem im festen Zustande auf-
geworfenen Material, stimmen sechs von den Bergen so vollkonun^^
überein, daß, wenn man den einen als monogen betrachtet, man 9Xic\^
den übrigen die monogene Natur zugestehen muß. Dazu kommt, da^
diese sechs Berge unverkennbar auch den äußern zerstörenden Ei»"
Vulkantornns. 195
r flÜBsen in gleichem Maße unterv^orfen geweeen sind, was trotz der
Verschiedenartigkeit ihrer ursprünglichen Formen noch deutiich
i durchfühlbar geblieben ist. Aus dem letztem Umstände möchten
E wir schließen, daß, wenn sie auch aus verschiedenen Tätigkeits-
s I>erioden eines und desselben ausgedehnten Herdes stammen sollten,
i diese Perioden doch zeithch so nahe beisammen gelegen haben, daß
E ihre Intervalle als verschwindend klein betrachtet werden müssen
gegenüber der Länge der Zeitraumes, der seit der Bildung des jüngsten
der sieben monogenen Berge vergangen ist/'
^ Von den sieben Bergen haben nur drei, Cotopaxi, Antisana und
i Chacana, in einer der Gegenwart nahe liegenden Zeit jüngere Aus-
wurfsmassen gehefert, die aber sicher wenigstens beim Antisana und
- Chacana durch eine unermeßlich lange Zeitperiode von der ersten
Tätigkeit der Herde geschieden sind, weil die zweite Tätigkeits-
2 Periode erst einsetzte, ab die Gebilde ihrer ersten zum großen Teile
schon wieder durch die Atmosphärilien zerstört waren. „Fassen
wir,'* sagt Dr. Stübel, „die quantitative Geringfügigkeit der jungem
Ergußmassen, die getrennte Lage ihrer Ausbrnchspirnkte imd den
enormen zeitlichen Abstand des Beginnes der zweiten Ausbruchs-
periode gegenüber den Schöpfungen der ersten zusammen, so müssen
wir sagen, der Antisana und der Chacana sind tätige Vulkane im
Sinne der alten Schule niemals gewesen, und der Cotopaxi ist es nur
scheinbar; scheinbar deshalb, weil er zweifellos erst infolge eines
zweiten Herdausbruches zum tätigen Vulkane geworden ist, durch
den auch sein mächtiger Kegelberg im wesentlichen die Größe und
Gestalt auf einmal erhielt, die er noch gegenwärtig besitzt. Dem
Geologen kann die Wahrnehmung nicht entgehen, daß sich die Lava-
ströme aUer spätem Eruptionen des Cotopaxiherdes zu dem in seiner
Art gleichfalls monogenen Kembaue des heutigen Kegels tektonisch
genau so verhalten, wie die kleinen rezenten Antisana- und Chaca-
nalavaströme zu den urzeitlichen Bergbildungen, an denen sie auf-
treten, wenn auch mit dem Unterschiede, daß die glutflüssigen Best-
bestände des Cotopaxiherdes weit größere geblieben sind ab jene
waren, und nun in einem leicht gangbaren Kraterschachte aufsteigen
und zeitweilig über dessen Rand abfließen. Der Cotopaxi scheint in
der Tat nur Kraterergießungen, keine Flankenausbrüche gehabt zu
haben. Die jungem Lavamassen, die unterhalb der Schneebedeckung
des Cotopaxikegeb fast rings um diesen hervortreten und strom-
förmige Ausdehnung zeigen, wurden, wie dies auch noch bei dem Aus-
bruche vom Jahre 1877 zu beobachten gewesen bt, über den Krater-
rand ergossen. Die Steilheit der Hänge im obem Teile der Berges
gestattet dem glutflüssigen Magma jedoch nicht, in geschlossenen
Strömen abzufließen; es wälzt sich vielmehr in abgerissenen Partien
über den Hang und häuft sich erst in dessen untern, weniger geneigten
Teilen zu Sammelmassen an. Aus diesen gehen dann die Strome
hervor, die nun ganz den Eindruck von Flankenausbrüchen machen."
13*
196 yalkanlBmas.
„Die drei Berge AntiBana, Chacana und Cotopaxi sind mchti
anderes als machtige Abraumhaufen, deren Material aus Heiden
stammt, die sich mit dem ersten Ausbruche nicht erschöpften, sondem
nach einer Pause von ungeheurer Dauer wieder in Tätigkeit treten
mußten, während beim Sincholagua, Quüindana, Bununahai und
Pasochoa die Erschöpfung der Herde schon mit dem Abschlüsse ihres
monogenen Aufbaues eine vollständige war. Wenn sich aber die
zweite Ausbruchsperiode eines vordem mächtigen Herdes durch eo
geringfügige Ergußmassen charakterisiert, wie dies so augenfällig am
Antisana und Chacana geschieht, so darf man mit großer Wahrschein-
lichkeit darauf schUeßen, daß ein wirklich gewaltiger Ausbruch dieees
Zentrums nie mehr eintreten wird, dstß dasselbe vielmehr gänzlich
erstorben ist. Es hegt hier einer der seltenen Fälle vor, in denen eine
Prognose wissenschaftlich zulässig erscheint, denn sie gründet sicfa
auf die Auffassung der vulkanischen Erscheinungen ihrem innen
Zusammenhange nach; sie wäre aber nicht zulässig bezöghch eines
Cotopaxi, eines Vesuvs, eines Ätna, eines Stromboli, eines Mont Pd6
u. a. m., deren Tätigkeit ledigUch als die Fortsetzung der durch eine
gewaltige Neubildung eingeleiteten zweiten Eruptionsperiode ihrer
zwar erschöpflichen, aber noch nicht völlig erschöpften Herde an-
gesehen werden muß.
Die Eigenartigkeit des Cotopaxiherdes liegt cklso darin, daß er im
strengen Gegensatze zum Antisana- und Chacanaherde durch einen
ausnahmsweise großen Restbestand an aktionsfähigem Magma sur
Bildung eines zweiten monogenen Berges von bedeutenden Dimen-
sionen befähigt war und in einer von diesem vermittelten und noch
fortdauernden Tätigkeit gebUeben ist.'*
Das Ergebnis seiner Studien faßt Dr. Stübel schließlich in folget-
der Darlegung zusammen :
„Die hier kurz besprochenen Tatsachen lassen es als äberaas
zweifelhaft erscheinen, daß es „Vulkane"' im Sinne der altem Avl-
f assung, welche ihnen eine das tiefe Erdinnere periodisch enÜaBtende
Rolle beimißt, überhaupt gibt oder in der Zeit noch gegeben hat'
welche für den Ausbau der heutigen Erdoberfläche durch das Wir^
eruptiver Kräfte in Betracht kommt. Wer an dem Worte „Vulkan'
für die durch eruptive Tätigkeit aufgebauten Berge festhalten wiUt
muß jedenfalls einen andern Begriff damit verbinden als jenen, ^
dem man bisher mit Vorhebe festgehalten hat; er darf nicht vergessen,
daß der Zweck der Eruption allem Anscheine nach ledigUch die Aus-
stoßung glutflüssigen Magmas ist, und dessen plateauartige A^'
breitung die normale Ablagerungsform darstellt, die bergartige Auf-
schichtung der Eruptivprodukte dagegen erst dann eintritt, wenn
sich ein Herd seiner Erschöpfung nähert und diese, durch äußere
Umstände bedingt, allmählich, das heißt mit vereinzelten Ausbruchs-
erscheinungen, vor sich geht. Der monogene Aufbau der Vulkan-
berge und die bei so vielen derselben nachzuweisende lange Pa^
VulkanfannuB. 197
nach erstmaliger Erschöpfung ihrer Herde sind zwei Faktoren, mit
denen wir bei der Aufstellung einer Vulkantheorie in erster Linie zu
rechnen haben. Die idealste Verkörperung dieser beiden Faktoren
erblicken wir in dem auf der Erde allerwärst auftretenden Somma-
Vesuvtypus der eruptiven Schöpfungen, und die Besiegelung des
lokalisierten und erschöpflichen Herdes in der tausendfachen Wieder-
kehr dieses Typus auch auf dem Monde.**
Die Vulkanberge der eeuatorianlschen Anden hat Dr. P. Grosser
untersucht und über seine Forschungen einen vorläufigen Bericht
gegeben. ^)
In der interandinen Talinulde, sagt Dr. P. Großer, der lang flestreokten
Wannenreihe zwischen der westlichen und der östlichen Kordillere haben sich
Flosse tief eingegraben nnd legen prächtige Profile frei» welche 700 und
800 tn hinab in den Schichtenbau einzudringen erlauben, ja mit den
Bergen, welche sich an den Ufern unmittelbar üb^ die Talmulde erheben, eine
Vertikaidistanz von der doppelten Größe dem Auge aufschließen. In enormer
Mächtigkeit zeigen sich die hier Gangahua genannten Vnlkanprodukte: ein
Wechsel von Tuffen, GeröUen und Schattmassen. In überwältigender Groß-
artigkeit eröffnet sich auf dem Wege zur nördlichen Provinz Imbabura das
Guaillabambatal dem Blicke des Reisenden, sei es, daß er die Verbindung über
Alchipichi oder die über Guaillabamba wählt. Auf jener sieht man sich in ein
Hochgebirgstal versetzt, auf dieser gewahrt man den Fluß in eine Ebene ein-
gesägt, genau wie der Rhein in das Abrasionsplateau des Schiefergebirges ein-
geschnitten ist Im schroffsten Gegensatze zu dem einfachen Taleinmshnitte
oberhalb Guaillabambas steht die reiche Ghederung im Kessel von Guailla-
bamba selbst, wo kegel- und rückenförmige Erosionsreste wie Zeugen aus der
breiten Talsohle hervorragen.
Der höchste Berg der Provinz Imbabura ist der Cotaoachi (4966 m ). Zahl-
reiche, zum Teile auch in gewaltige Höhen ragende andere Vulkanberge sind ihm
benachbart; greifen wir den Imbabura (4682 m) heraus; beide haben eine sehr
ähnliche, interessante Gliederung. Auf einem aus soliden Laven bestehenden
Unterbaue erhebt sich, topographisch deutlich davon getrennt, ein kleinerer
AgglomeratgipfeL Er besteht aus einem eigentümb'chen, wirr durcheinander
liegenden Blockwerke fest miteinander verbundener großer Felsen und kleiner
Brocken. Sie sind von schlackiger Beschaffenheit, im Aussehen weder ver-
schieden von ausgeworfenen Rapillen, noch vom Oberflächensohutt von Lava-
strömen. Der säwieriffen Entscheidung der Art ihrer Entstehung kommen
Stellen am Imsabura zu Hilfe, wo sich flatenartig ausgebreitete, soheibenföimig
flache, geflossen aussehende, dünne Fragmente am Aufbaue beteiligen. Sie
sprechen gegen Auswurfsmassen, eine Auffassung, welche durch den völligen
Mangel feiner Asche einige Unterstützunff erhält Man muß sie vielmehr als
Lavaagglomerate ansehen. Eine deutlicne Schichtung, die auch an andern
Bergen, namentlich am Gerro Puntas, nicht ganz so augenfällig am Ruminahui
auftritt, verrät dabei einen Aufbau durch Übereinanderlagem. Es drängt sich
daher von selbst die Annahme auf^ daß aus einem zentralen Krater das Material
in halb zähem, halb flüssigem Zustande übersprudelte, überschäumte und in
einzelne Fragmente aufgelöst übereinander schichtete. Was die so gebauten
Bergkegel aber weiter höchst interessant macht, ist die Eigentümh'chkeit, daß
sie voller Absonderungsklüfte stecken, welche unbekümmert um die Schichtung
von oben bis unten durchsehen. Das findet man bei Vulkanprodukten nur an
Boiohen, die eine einheitliche Abkühlungsphase durchmachten. Es wäre deshalb
M Gaea 1904. p. 641.
198 YalkanUmas.
gezwungen, an den betrachteten Bergen in 'den dorchgeheiiden Ab-
Bonderongsfl&ohen etwas anderes sehen zu wollen als den Beweis einer ein-
heitliche Abkühlung^ also auch der vorheigemigenen einheitlich«i AnfMdüefa-
tong des Beroes, d h. den monogenen Bau. Die Agglomeratvnlkane EcojuIocb
zeigen also, daß es auch recht umfangreiche Vulkankegel gibt (Pontas» Ra-
minahui, Pasochos^ Altar), deren Hauptgebäude eine eoenso monogene Ent-
stehung besitzen wie der kleine Monte Nuoto in den phlegiaischen Feldern und
andere historische Bildungen. Daran ändert die Tatsache nichts, daB manrhf
Agdomeratkegel nur einen untergeordneten Teil eines Vulkanes formen und
n^i keine Deutungen auf die Entstehungsweise des Ganzen erlauben, wie aa
Ootaoachi und Imbabuia, die den Beginn dieser ganzen Betrachtung bildeten,
und ebenso wenig im entgegengesetzten Sinne das Vorkommen von Lava>
strömen an fast vollkommenen Agglomeratbergen, die an den Flanken ai»
gebrochen und ihrerseits von ganz untergeordneter Bedeutung sind, z. B. am
Grofi ist die Anzahl der Galderaberge. Unter ihnen hat wieder der achon
genannte Imbabura keine geringe Bedeutung, und diese besteht darin, daB er
sowohl einen zentralen Knter (von kleinen Dimensionen) als auch getreonft
davon eine großartise Oaldera besitzt. Einen Weg, wie derartiges entstehen
kann, zeiffte der Ausbruch des Bandai-san in Japan (15. Juli 1888), wo aus der
K^gelflanke unabhängig vom vorhandenen Kraterreste durch eine ESxplosion
eine Caldera ausgesprengt wurde. Ob für den Imbabura ein Analogiesc^ufi
angebracht ist, sei unentschieden. Übrigens bewirken Explosionen nicht nur
Oslderen, sondiem auch ganz kraterahnliäe, rundum geecUoeBene KoooeU ^ne
der Tarawera in Neusedand bewies, der bei einem einzigen Ausbräche am
10. Juni 1886 in typischer Vollendunfl beides erzeugte. Unter Krater kuzswqg
soll aber bei der vorliegenden Betrachtunff nur die zentrale Gipfeloffnuqg vter-
standen werden, welche die ursprüngliche Verbindung mit dem Herde daistellt
— Auch den Cusin-urou südlich vom Imbabura dwrakterisiert neben einem
kleinen zentralen Krater eine gewaltige Oaldera. Trümmer, die eine BzplosioB
notwendig hervorbrinfft, scheinen völlig zu fehleiL Diesen vielen cSjdeia-
berven eigenen Mangel teilen die großen Ringwälle der hawaüsbhen Volkmoe.
und hier ist es der Kilauea, welcher in unübertrefflicher Deutlichkeit mit
treppenförmig angeordneten, wenn ich nicht irre, von Dutton zuerst richtig
moeuteten BruchOnien Aufschluß darüber verschafft, daß Oalderen auch durdi
Einsturz entstehen köimen. Wenn sie hier auch in gewisser Verbindiing mit
dem Krater auftreten, so lassen sie sich auch getreimt davon vorsteUen. ESne
ganz besonders eigentümliche Oalderaform besitzt der Haleakala auf der Bawaü-
insel Maui, wo auch Schuttmassen gänzlich fehlen. Der Gipfel hat eine tiele
steüwandjge Einsenkung in der Form eines Z mit zwei parallelen, nach ent-
gegenflesetzten Richtungen oeöffneten Oalderen. Während die Eänstois-
nvpothese eine zeitliche Unabhängigkeit des Einbruches vom Aufbane des
Vulkanes einschließt, sucht Stübel beides in Bezidiung zu setzen. Er stellt sich
die Galderaberge als durch einen einheitlichen Akt aufgeworfen, ihrem ganzen
Umfange nach also auf eiimial (cum grano salis) entstanden vor und erklart die
Oaldera durch Zurücksinken des Magmas nach beendigter EmptioiL Nadi
dieser Erklärung wäre Krater und Gsddera nur dem Grade nach verschieden,
und ihre Berechtigung für manche Fälle ist nicht zu bezweifeln. Der Ghaie
bei Matupi z. B. ,ein kleiner zur Gruppe der Mutter und Töchter* gehöriger Berg
im Bismarokarohipel, besitzt einen rezenten monogenen Lavakegel, dessen
sohüsselförmiger, weiter Krater nicht allein keine andere Erklärung aJs durdi
Zurücksinken des Magmas zuläßt, sondern auch durch die Andeutung einer
Terrasse anzeigt, daß die Sackung in geringem Maße noch fortsohritt, als die
Erstarmns an der Oberfläche schon ein gewisses Maß erreicht hatte. Diese
Deutung dürfte aber schwerlich für solche Berge anwendbar s^n, welche wie
jener, von dem diese ganze Betrachtung ausging, der Imbabura, neben einem
unscheinbaren Gipfelbater eine ungeheuere seitliche Oaldera beaitseiL Eine
. Yttlkaniuniis. 199
Tor einigen Jahren ▼eroffentliohte Theorie von Dlabac, die den Waaserd&mpfen
eine große Bolle bei dem Baue der Erdkruste überhaupt zuweist und dieselben,
▼on neuen Gesiohtsptmkten ausgehend, auoh mit den Vulkanen in Beziehung
setzt, stellt übrigens ebenftbUs die CSaldera in genetische Abhangg^t vom Auf-
baue des Vulkanes und fördert die Sackungen als notwendige Folge.
Der gewaltigste Vulkanberg im Norden Ecuadors ist der Oayambe. Er
scheint ausschließlich aus geflossenen Laven aufgebaut zu sein und teilt mit
manchen analogen Andesit- und Trachytbauten (auffallend am Chimborazo
und Guamani in Ecuador und am Iztac-cihuatl in Mexiko) eine lang gedehnte
Gestalt und den Mangel eines Kraters.
Im schroffsten Gegensatze dazu steht der Pululagua, den wesentlich Aus-
wurfsmassen und nur ganz untergeordnet Laven zusammensetzen. Er ist ganz
analog dem Shirane-san bei Chuzenji in Japan gebaut. Die steilen Wände
einer weiten Caldera, deren Zinnen einen Kreis von ßkm Durchmesser ein-
schlössen, wäre nicht nach W eine breite Öffnung, erheben sich bis zu 800m über
den ebenen Kesselboden. Aus diesem ragt fast 700 m der Pondona, ein nur aus
Laven ohne irgend wahrnehmbare Schichtung aufgebauter Zentralkegel, empor.
Er verdankt gewiß seine Gestaltung gleich dem Georg auf Santorin, der 1866
127 tn über das Meer wuchs, einem einzisen Ausbruche. In lehrreichster Weise
läßt seine Form, die eine allmähliche Teilung des Grundbaues in zwei schwach
individualisierte Gipfel und einen kleinen sommaartigen Wulst zum Ausdrucke
bringt, erkennen, wie das Emporquellen des flüssigen Magmas nicht gleich-
mäßig geschah, sondern durch Zuriicksinken und Sackungen unterbrochen
wurde. Im letzten Jahre entstanden an zwei entfernten und antipodisoh zu-
einander liegenden Punkten der Erdoberfläche ähnliche Lavakeffel, der eine auf
dem beinahe 3000 m hohen Merapi in Java, der andere auf dem Pel6. Der
letztere türmte sich zu einer sanz eigenartigen, von einer Felsnadel gekrönten
Form auf. Während früher, bis zur Bildung des Georg auf Santorin und des
neuen Borges im Atrio am Vesuv (1896) fast nie die Entstehung von Staukegeln
beobachtet werden konnte, sind sie jetzt keine ungewöhnliche Ausbruchs-
form und geeignet, nfanoherlei im Vulkanismus in ein neues, klareres Licht
zu setzen.
Sie erklären auch die Berge, wo im Scheitel einer flachen Wölbung wie
ein besonders aufgetragener Buckel eine steile Kuppe aufgesetzt ist. Hier quoll,
nachdem der gro& Bau im allgemeinen schon beendet war, nochmals ein Magma
im Kraterschachte empor, öaa von dem ehemals geförderten sich durch viel
größere Zähigkeit stark unterschied. Es konnte sich den alten Formen nicht
mehr anschmiegen, erhob sich vielmehr zu einer steilen Kuppe und schloß wie
ein Pfropfen für immer die Krateröffnung. Mit seiner Eniption verlor der
Berg die Fähigkeit, aus dem zentralen Schachte sich m^ zu erhöhen,
und in vöUig andern Formen äußert sich von nun ab der Vulkanismus. Der-
artige auss<£ließlich aus Laven ausbaute Vulkanberge mit besonderer Gipfel-
imramide, welche diese Deutung fordern, sind nicht Mlten. Besonders schöne
Beispiele liefert Ecuador im Sincholagua und Gorazon. Verwischt durch die
Zerstörungen, denen der Vulkanberg in besonders hohem Grade ausgesetzt ist,
zeigt es weniger deutlich der übrigens nicht ausschließlich aus Laven zusammen-
setzte Quüindana. Ein sehr berühmter Vertreter des Typus ist der Pico de
Teyde auf Teneriffa mit dem Piton oder Pan de Azucar.
Neben kuppenförmig aufgestauten Lavamassen sibt es aber in Ecuador
auch Lavaströme von bemerkenswerter Länge. Besonderes Interesse in seinem
Snzen Verlaufe beansprucht der Antisanillastrom. Sein Ursprung ist nicht ein
it umgrenzter, individueller Vulkan, sondern ein aus mehrem kleinem Bauten
zusammengesetztes Beialand, das Stübel unter dem Zwange, einen einheitlichen
Namen dafür anzuwenden, Qiacanagebiige genannt hat, nach dem höchsten
Punkte Chacana Mirador, der einen Teil eines zerstörten kleinen Vulkankegels
bildet. Ganz unscheinbar in einem kleinen, Unkswandigen Kessel eines Tales
hat sieh ein Lavaköpfchen aufgestaut und sendet nicht nur seinenBieeensohwanz
200 Yalkanismiifi.
talabwärts, sondern auch einen kurzen AnsULofer za Bct;^wo ein einaamer See
abgedämmt ist. Als dieser Strom um die Mitte des XVUL JahiliiindertB aus-
flofi, erfüllte er die gansse Brrate der Talsohle, folgte dem natärlicbra GefiJle
und mündete in ein anderes Tat in das er über einen steilen Hang hinabliei
DemFlüfiohen Isoo deckte er das Bett zu, so dafi der Wildbach 6km nnterirdisdk
fließt, nicht ohne erst in mehrem kleinen Seen den Kampf, in dem er dem Fcfoer-
strome unterlag, widerzuspiegdn. Die sanze Länge des Lavaefgussea betanigt
▼ielleicht 12 km. An seinem Ende gleicht er einem Riesenwurme, der nur dn
Boden, aber nicht die Seitenwände des Tales berührt, abor dabei eine Mächtig-
keit erreicht, die nicht viel unter der sicher 100 m überschreitendeii Höhe der
Gehänge zurückbleibt.
Das, was von Stübel Chacanagebiise genannt wurde, bezeichnet ReiB
als FluBgebiige des Antisana ; es stößt nachbaiiioh an den genannten Schneebeig
an und tritt ihm gegenüber nur untergeordnet in die Erscheinung. Der AntJatL^m.
selbst weist aucn charakteristische Lavaströme auf. Sie spielen aber keine
Rolle im Vergleiche zum Ganzen. Dieses zerföllt wie derlmbabura und Gotaoacfai
in einen Grundbau aus Laven und einen Oberbau aus Agglomeraten, dsNch ist
an letzterm, wie der südliche Gipfelkegel verrät, auch eine kolossale Lavabank
beteiligt. Riesige, steilwandige Kessel schließen den einfachen innem Bau auL
Das Gebiet, in dem wir uns bewegen, seitdem der AntisaniUastrom er-
reicht wurde, ist, wie Stübel neneidings hervorgehoben hat, ein ungemein lehr-
reiches Beispiel für die Äußerung eruptiver Kralt Zusanmiengedrängt auf eine
Fläche von nur 50, höchstens 60 Im Durchmesser liegen nidit weniger als sieben
Vulkanzentren. Das kleinste davon steht an Masse der Somma-Veeuv-Grmppe
bei Neapel kaum nach, während das größte, das des Cotopaxi, sich uni 9000 m
über seiner Grundlage bis zur absoluten Höhe von 6943 m erhebt
Am Nordfuße dieses herrlichen Kegels finden sich ganz eigentänüiche,
höchstens 10 m hohe Küppchen dicht aeschart Sie sind höchiä rätselhaft
Zuerst erwecken sie den Glauben an G^ilde durch Eiswirkungen, wie Rund-
höcker. Doch spricht die Höhenlage, bis zu der man sie hinab verfolgen kann,
1100 bis 1200 m unter der gegenwärtigen Schneegrenze' von vornherein ein ge-
wichtiges Wort gegen diese Auffassung, denn nach meinen Beobachtungen
gehen die Spuren älterer Vereisung längst nicht so weit ins Tal hinunter. Die
Küppchen flond nicht immer so gedrängt. Zwischen dem Pasochoa und Sincho-
lagua zum Beuroiel stehen sie weit auseinander. Hier ist auch einer angeschnitten
vermutlich wollte jemand untersuchen, ob es künstliche Hügd wären, die Inoa-
schätze bärgen. Da zeigt sich, daß sie aus ziemlich scharfkantigem Haufwerke
bestehen. Die Blöcke haben alle mög^chen Größen bis zum Gewichte von
mehrem Zentnern, die Mehrzahl aber ist kopfgroß. Den Schutthaufen huUt
eine fast 1 m mächtige Decke der schwarzen feinen Erde, Cbocoto, ein, weldie
die OberfläGhe des größten Teiles des ganzen Hochlandes bildet und das Roh-
material der übeiaU gebräuchlichen T^kenziegel, Adoves, ist An anderer
Stelle, am Sincholagua, zieht sich ein ganzes Kegelregiment an einer Berglehne
zu Tal und endet unten in unzählbarer, dicht gedrängter Menge. Sonst hiäe i<^
an keiner Stelle, weder in Ecuador noch an irgend einem Punkte der Erde, ^eidi
typisch ausgebildete Vorkommnisse dieser Art angetroffen. Indessen ließen
sich welche in weniger augenfälliger Anlage auch in verschiedenen andern
Vulkangebieten nachweisen. Vermutlich sind sie niohte als eigentfimlidie
Lava-Oberflächenformen, Verwandte der Homitos und LavaschcMiisteine. Be-
stimmtes läßt sich jedoch über ihren Ursprung noch nicht sagen. Sie könnten
nur als Bildungen sehr alter, an ihrer Oberfläche vom Zahn der Zeit schon außer-
ordentlich mitgenommener Lavamassen gelten.
Recht schöne, frisch erhaltene, historische Ströme finden sich in ziem-
licher Anzahl am Cotopaxi. Stübel nimmt an, daß alle aus dem zentralen
Gipfelkrater ergossen wurden. Dabei ist nicht nötiff, daß jeder Strom ein zu-
sammenhängendes Band von der Kraterlippe an bildet, weil die Steilheit des
obem Berghanges in Verbindung mit der dicken Schneedecke ein Halten der
Ynlkanismas. 201
Lava erst Hunderte von Metern unter dem Gipfel leicht erklärlich macht. Ich
glaubte, in einer kesseUrtigen Ehmreiterung dee Juyua-huaico an der Nordflanke
einen Flankenausbruchspunkt zu erkennen. Die Lava selbst ist hier durch nach-
tragliche Bedeckung mit Schutt der Beobachtung entzogen und kommt erst
etwas talabwärts zum Vorscheine. Deshalb ist die Deutung ungewiB und die
Möglic^eit nicht abzustreiten, daß die auf dem Talboden auftretende Lava
mit einer oben an dem einen Talgehange wahrzunehmenden genetisch zu-
sammenhängt, dafi der Strom da, wo jetzt die kesselartige Erweiterung ist, in
die Sdüucht hinabfloß, daß später die Talwand zu Bruche ginff, der Kessel
entstand, und der ursprüngUche Zusammenhang dem forschenden Auge für
immer verdeckt wurde.
Die Gotopaxiflanken gehen, besonders nach W, wo nicht andere Berge
der Ausbreitung hinderlich waren, ganz allmählich in die Ebene seiner Grund-
lage über. Diese natürliche Erscheinung an Vulkankegeln ist allbekannt, aber
in Japan so tief in das Bewußtsein des Volkes gedrungen, daß sie zur Bildung
eines beeondem Begriffes geführt hat. Susono, wörtlich Schleppenfeld, von
Boso Schleppe und noFeld, nennt man in treffendem Vergleiche mit der Kleider-
schleppe, welche auch lumerklich zur horizontalen Richtung übergeht, die
Fußgebiete der Vulkane, und Bergschleppe läßt sich das Wort zweckmäßig
verdeutschen.
Die schlanke Gestalt des Gotopaxi legt die Vermutung nahe, daß ihn
wesentlich Tuffe aufbauten. Zweifellos verdankt er auch vieles seiner äußern
Form Auswurfsmassen, die an seinem Mantel in Menge auftreten. Jedoch
wären Lavaergüsse aus dem zentralen Krater undenkbar, wenn loses Material
die Wände bildete, denn diese würden dem Drucke der aufsteigenden Lavasäule
nicht bis zum Bande widerstehen. Der Kern muß daher doch geflossenes Ge-
stein sein. So steile Lavakegel sind auch gar nicht vereinzelt. Der Tunguragua
(»hört dahin. Der Lavastrom, der 1886 in zwei Arme geteilt bis in die Betten
des Rio Chambo und des Rio Pastaza floß und große Seen aufstaute, bis sich
die Flüsse neue Durchlässe im losen Tuff der Uferlehnen ausgegraben hatten,
trat auch über den Kraterrand und soll die Bresche, welche den geraden Verlauf
der Kraterlippe im W unterbricht, erst durch das Überlaufen dieses Ergusses
besonders stark ausgefahren haben.
Die Lage der Vulkane ist ganz regellos, hier unten in der interandinen
Talmulde, die dadurch in mehrere langgezogene Wannen gegliedert wird, da
hoch oben auf einer Gordillere, dort in mittlem Höhen. Den Fall, wo der Vulkan
hoch oben auf dem Kettengebirge thront, bringt keiner so augenföUig zum
Ausdrucke wie der Ghimborazo. Befindet man sich selbst auf der östlichen
Ck)rdillere, z. B. am Oerro Altar, so schweift der Blick über die wolkenerfüllte
interandine Talmulde fast 60 km weit zur langgestreckten westlichen Gordillere
hinüber, auf der sich der Ghimborazo als gesondertes Glied weit in den Äther
eriiebt.
Dieser höchste der ecuadorischen Berge (6310 m) liefert manches des
Interessanten. An drei Seiten ist der Mantel tief hinein zerstört, so daß ein Ein-
blick in das Innere möglidi wird. An der SW-Flanke erfüllt den Grund eines
steilen Tales dicht unter der Schneegrenze eine prachtvolle Moräne, die einem
Lavastrome zum Verwechseln ähnli<£ sieht. Jedoch kann es ein solcher nicht
sein, da die verschiedenartigsten Blöcke ein ganz heterogenes Schuttwerk zu-
sammenstellen. Eine Felsengruppe am linken Gehänge besteht aus ei^n-
artigem Gesteine, wahrscheinlich ist es eine Lava. Sie wurde noch nicht mikro-
skopisch untersucht. Die Mächtigkeit derselben kann nicht viel unter 100 m be-
tragen. Sie fällt von weither auf und trägt den Namen Kathedralfeben. Neben
diesen fesseln noch andere, zum Teil recht wunderlich geformte, aber bedeutend
kleinere das Auge. Sie sind das Erosionsprodukt von Schutt, vielleicht Moränen-
reste, vielleicht gewöhnlicher Vulkanschutt, dessen Geffenwart an einer so zer-
störten Flanke gar nicht überraschen kaxm. Es sind Erdp3n»miden in der
charakteristischen Form eines von einem großem Blocke gäionten Pfeilers.
302
Die zweite Wunde hat der Chimboraco im NO. Hier kommt ein <
herunter, der in aeiner am Ende YieUeioht 12 m dicken Ifiiditigkeit i^
Streifen eingeachtoneenen Staubee birgt und dadarchnMi bis adiwan l
Hohe Seitenmoranen ziehen weiter hinab zu Tal in Tielen, von wo atdi lai^
das Bie zurückgezogen hat. Ak langgestieokter» dreigipfeliger Berg zeigt tuA
an dieeer Stelle der Riese und erinnert damit an andere, ebenfftlle nur aus ge-
floeeenen Laven angebaute, kraterioee Andesit- und TrAdiytTiilkane. Genaoat
eei der Ixtac-cihoatl in Mexiko, der zudem zu einem intoreenanton Veifi^eiche
des LavenTerbandes geeignet ist. Er weist namlioh dentüoh individnsJjsieite
LaTalagen auf. Diese sind aber nidit durch Tuffe, Schutt oder Zeaieilmng^
Produkte getrennt, sondern nur durch loseres Geföge, weniger deatlidia Ob-
steinssbsonderung und häufiges Auftreten von Hauen an den Grenzen aus-
geprägt. Auch dar Ghimborazo zeigt — besonders schon an der dritten Frei-
Tegung des Innern, einer gegen 1000 m hohen Stellwand über der Scfaneeli»
an der N-Fianke — deutlich pseudoparallele Lafferung von Laven (Tafel IV). Dm
Auge erkennt aber nur einen Wechsel braunuchroter und blauer Farben; eis
Abstand im Gesteinscharakter, so daß sich das Rote etwa als ARg^omeimt von
Blauen unterschiede, ist nicht wahrzunehmen, im Gegenteil sel&t in Steines
Ton Handstückgröße stößt beides scharf, aber doch unmerklich ineinander über-
gehend, zusammen. Und doch drückt der Farbenwechsel eine Versohiedenhsit
aus, deren Ursache wohl in dem ÜbereinanderfUeßen der einzelnen Lagen be-
gründet ist. Jeder der verglichenen Vulkanberge zeigt also eine Schiäton^
die allerdings verschieden ist. Jedoch weicht sie weniger der Art ala vielmehr
dem Grade nach untereinander ab. Nämlich die Anfsch hisse am Ixtae-cihuBll
liegen am Mantel, also am Ende der Lavafelder, am CSümborazo hingegen in
Gebirgskem; dort fem vom Ergußpunkte, wo das ausgeflossene Mi^gm«. »rf
seinem Wege einer gewissen Abkühlung unterworfen war, hier nahe am Förden
schachte, wo dieser Faktor eine untergeordnete Bedeutung haben kann, nämück
dann, wenn zwischen den einzelnen Ergüssen keine betilchtliche Abkohlungi-
nause lag. Und das scheint in der Tat die Struktur der Ghimborasowand za
lehren. Die einzelnen Ergüsse konnten nicht durch jahie- oder gar jahr-
hundertelange Pausen getrennt sein, sondern mußten sich schnell folgen. Abo
nicht nur die beschriebenen Agglomeratvulkane, sondern auch Lavenvulkane
bilden eine wesentliche Stütze der Hypothese Stübels vom monogenen Bsm
vieler Vulkanberge.
Wenigstens das Kemgebaude etlicher tragt Anzeichen der RichtigkeH
dieeer Auffassung, und voraussichtlich werden Beobachtung^ zugunsten der-
selben in immer größerm Maße bekannt werden. Dane^n gibt ea abor oft
Erscheinungen, welche zeigen, daß schwache Betätigung des Vulkanismus auch
dann noch fortgedauert hat. Dazu gehören die Lavastrome, welche z. B. in
krassen Gegensatze zu den deckenartigen Massen, aus denen der CSiimboraso in
wesentlichen besteht, in Raupenform am KM^lfuße verbreitet sind. Besonden
nach SO und nach N ziehen sich einige aunallige hin. Die Frage, ob sie sm
Gipfel aus einem zentralen Krater oder aus den Flanken herausgetareten aind,
beantwortet nicht allein eine einfache Betrachtung, sondern auch ein äußenl
lehrreicher Aufschluß. Die Vorstellung, daß die Lavaströme die steflen
Wände vom Gipfel herabgeflossen wären, ohne dort noch heute kenntliche
Spuren zurückzulaesen, verbietet sich, wie am Gotopaxi ausgesprochen wurde,
nicht ohne weiteres. Indessen besitzt der Ghimborazo gar keinen sentrakD
Krater, auch ist kein Grund für die Annahme vorhanden, daß er nach Voll-
endung des großen Baues zurückgeblieben wäre. Hingegen liegt ein Lavi-
auRtrittspunkt am Fuße des großen Steilabsturzes an der Nordflanke, der auch
die Schichtung der Decken, von der die Rede war, so prächtig aufschließt
Aber nicht nur die Quelle eines Flankenstromes ist hier zu beobaäten, sondern
mit ihr erschließt sidi auch noch das Wesen der Ungeheuern Steilwand: als sidi
das Magma mit Gewalt Bahn brechen mußte, da mm kein Ausweg zu Gebote
sUnd, sprengte es einen Teil des Berges von der Flanke ab. So sdiuf ee sich
VulkanismoB. 203
einen Austrittspunkt und floß als Strom ab. Der Schatt, der sich am Ex-
plodonskeesel und in der weitem Umgebung ansammelte, ist jetzt tief hinab
zu Tal getragen, zum Teile setzt er gewaltige Moränen zusammen, die das Auge
von oben in die Feme verfolgen kami. Darüber schweift der Blick hinaus über
Weiden undFelder hinweg a,nt unerforschtes Land, das sich im Dunste verliert.**
Das vulkanlsehe Wrangellgebirge In Alaska behandelte W. 0.
Mendenhall. ^) Die ersten zuverlässigen Nachrichten über das Ge-
birge brachte der Prospektor J. Bremner, der 1884 den Copper River
hinaufging, einen allerdings scheiternden Versuch zur Besteigung des
Wrangellvulkanes unternahm und Zeuge seiner Ausbrüche war.
Spatere Forschungen zeigten dann, daß der Gebirgsstock mehrere
sehr hohe Spitzen besitzt, und die letzten Untersuchungen durch
Gerdine und Witherspoon von der Geological Survey, gaben voll-
standige Aufschlüsse über die Lage und Topographie des Gebirges
und die Höhe seiner Gipfel, die trigonometrisch gemessen worden
sind. Danach sind wenigstens zehn von ihnen höher als 3600 m, und
zwei darunter, Mount Sanford und Mount Blackbum, höher als der
Mount Wrangell. Mount Sanford ist 4960 m, Mount Blackbum
4920 m und Mount Wrangell 4270 m hoch. Mehrere sehr hohe Spitzen
sind noch nicht benannt. Das ganze Gebirge besteht zum größten
Teile aus Lava und dem verhärteten ausgeworfenen Schlamme, die
auf einer altem Schicht aufgehäuft sind Die Gestalt der Gipfel haben
Vulkanismus und Erosion zugleich herausgebildet, und jeder von
ihnen zeigt einen besondem Typus. Mount Wrangell selbst verdankt
seine Formen fast ganz vulkanischer Tätigkeit, und die Erosion hat
seine ursprüngliche Form weniger verändert. Dagegen hat der
massige, 3660 m hohe Mount Drum seine ursprüngliche Gestalt längst
eingebüßt, und seine heutige Gestalt ist das Produkt der atmosphäri-
schen Agenzien. Mount Sanford ist ein vulkanischer Dom, dessen
eine H^te durch die abgrabende Tätigkeit eines Gletschers weg-
miniert worden ist. Mount Blackbum ist von allen Seiten vom Eise
beschnitten worden, und nur der oberste Teil zeigt die ursprüngliche,
sanft gerundete Form, während unterhalb desselben steile Wände
abstürzen. Vom Mount Wrangell geht nach Norden der 80 km lange
Nabesnagletscher hinunter.
Das Vulkangeblet des zentralafrikanischen Grabens schilderte
Hauptmann Herrmann ^), der als Leiter der Vermessungsarbeiten
1900 bis 1902 das Gebiet im Norden des Tanganika bereist hat. Nach
seiner Anschauung bedeckte vor Erhebung des Vulkangebirges eine
zusammenhängende und 1200 bis 1300 m ü. d. M. gelegene Wasser-
fläche den zentralafrikanischen Graben vom Äquator bis 2^ 25' südl.
Br., so daß das Niveau des Albert Edward Nyansa um etwa 300 m
1) National Geogr. Magazine 1903. — Globus M. p. 178.
s) Danckdmanns Mitteil. 1904. Heft 1. — GlobuB SB. p. 277.
204 Yalkanismas.
hoher und das des Kivusees um etwa 200 m tiefer la.g als gegenwärtig
und demnach der Kivu mit aUen seinen Zuflüssen zum Nflgebiete
gehörte. Diese Wasserfläche war im Süden innerhalb des zentnl-
afrikanischen Grabens zwischen 2^ 25^ und 2° 40' südl. Br. durch eineD
1800 m hohen Querriegel von dem Tanganika- und Kongogebiete ab-
geschlossen. Der Querriegel war nach Herrmann dadurch entetaaden,
daß bei der ursprünghchen Grabenversenkung eine die beiden Graben-
ränder (9000 bis 2500 m hoch) schief verbindende Glimmerschiek-
scholle nur halb in die Tiefe abgerutscht war. Den Beweis für die i»
einer frühem Erdperiode bestandene Trennung der beiden Seen- and
Flußs3^teme hatte Moore schon damit erbracht, daß er die totale
Verschiedenheit der Fauna im Tanganika von der im Kivu-, Albert
Edward- und Albertsee als sicher konstatierte. Als spater in eisef
geologisch rezenten Periode der Boden zwischen dem Kavu- vai
Albert Edwardsee durch vulkanische Kräfte gehoben wurde und afl-
mähUch zu dem heutigen Kirungagebirge emporwuchs, mußtet
Spiegel des Albert Edward Nyansa, weil ohne den bisherigen Zuflofi
aus Süden, sich senken, während der Kivusee, eingeschlossen von den
Bergen im Norden und dem Querriegel im Süden, sich mehr und m^
ausfüllte, bis er an der niedrigsten Stelle (bei dem Querri^el) eineo
schmalen Durchgang sich erkämpfte und als Rusisifluß dem um etva
670 171 tiefer gelegenen Tanganika zuströmen konnte.
Viher die Kratergestaltung und über die Höhe der einzelnen Gvffi
gibt Herrmann ausführlichere Auskunft, wobei er die Besohlte
mehrerer Ersteigungen und der gründlichem Erforschung der For-
mationen übersichtlich zusammenfaßt. Von den acht Vulkanen sind
fünf erstiegen worden, und zwar (von West nach Ost) von der eiste»
Gruppe: der Niragongo von Graf Götzen 1894, der Namlagiia tod
Leutnant Schwartz 1902; von der zweiten Gruppe: der Kariasiinbi
von Pater Barthäemy 1903; von der dritten Gruppe: der SsabjiBO
von V. Beringe 1903 und der Muhawara von Bethe 1900. — Der K»-
rissimbi überragt mit 4600 m die übrigen Gipfel um 100 bis 1500 a-
Ewiger Schnee befindet sich nur in den Klüften der höchsten Region;
doch „ist er oft des Morgens bis 600 m unter dem Gipfel mit lücbo*
loser Schneedecke bedeckt''.
Die Vulkane des Ostgrlqualandes. Obwohl der vulkanische C!h*-
rakter der Drakensbergkette seit langem erkannt ist, hat man &^
neuerdings eine größere Zahl ehemaliger tätiger EruptionszentieD
entdeckt. Neunzehn oder zwanzig sind von einer Abteilung der Geo-
logical Survey in Matatiele im Ostgriqualande festgestellt woidfiOi
und ein Aufsatz über sie von E. H. L. Schwarz findet sich in Bd. XIvi
Teil 1 (1903) der „Transactions of the South African Philoßopiuc»'
Society*'. Diese Vulkane sind sehr alt, da sie zur obem jurasssichen
oder Kreideperiode gehören, imd deshalb von besonderm Interesse,
weil sie nicht nur die Verhältnisse im Ausbruchsschachte weit unt«r
YnlkaniBinuB. 205
der ursprünglichen Mündung zeigen, sondern auch etwaa von der
obem Gestaltung, so daß, wenn man diese geologischen Dokumente
vereinigt, man einen natürlichen, 1200 bis 1500 m langen Vertikal-
durchschnitt eines Vulkanes erhält. Alle in Matatiele entdeckten
Vulkanöffnungen finden sich südlich der Drakensbergkette, weil dank
der schnellen Erosion auf dem regenreichem Abfalle des Gebirges
nach der See zu die ganze äußere Seite der alten Vulkanspitzen ab-
getragen worden ist, so daß die Bauchöffnungen selbst so weit
heruntergebracht sind, daß man sie jetzt ganz am Fuße des Gebirges
vorfindet. Einige jedoch haben mehr Widerstand leisten können
und stehen jetzt draußen auf den Bergabhängen, so daß man die Lava-
ausflüsse und andere Verhältnisse der Oberfläche erkennen kann.
Schwan beschreibt etwas eingehender die Offnimgen (deren mandel-
steinartige Lava jetzt den Kamm der Kette bildet), um ein Bild von
der Natur der Vulkane zu geben, und zieht dann seine Schlüsse daraus
für die geologische Geschichte dieses Teiles von Südafrika. Die Vul-
kane scheinen auf einer etwa 60^ Ost zu Nord verlaufenden Strei-
chungslinie zu liegen, und in einer ähnUchen Bichtung dürften die
tektonischen Linien des ganzen Gebietes dominieren. In permischer
Zeit Uef eine Küstenlinie ungefähr nordöstUch der Linie des untern
Vaalflusses entlang. Sedimente, die von verschiedenen Lagen vom
Dwykakonglomerat bis zur obem Karroo repräsentiert werden,
wurden in einem breiten Bande nach Südosten abgelagert. Dieses
wurde mit der Zeit trockenes Land, und es bildete sich eine gut mar-
kierte Wasserscheide, die heute in der im allgemeinen geradlinig von
Kapstadt nach Delagoabai verlaufenden Hauptwasserscheide er-
kannt werden kann. Diese ist, wie man sehen kann, älter als die
Bildung der jetzigen Hauptketten, da die südöstUch von ihr
abströmenden Flüsse die Ketten in tiefen Schluchten durch-
brechen. Der obere Orangefluß allein schneidet durch diese
Wasserscheidelinie hindurch, und die ihn speisenden Flüsse
sind von ihrem natürhchen Laufe, der südostwärts ging, ab-
gelenkt worden. Die Kraft, die das bewirkte, war offenbar das Empor-
steigen einer Vulkanreihe der der Wasserscheide parallelen Strei-
chungslinie entlang. Aus der Zusammensetzung der Stormberg-
schichten schUeßt Schwarz, daß zur Zeit ihrer Bildung eine alte
Landmasse gegen Süden hin existierte, von der Madagaskar und die
Seychellen die Überreste sind, und daß in dem zwischen diesem Lande
und dem alten nördüchen Lande eingeschlossenen Meere die Sedi-
mente vom Tafelbergsandsteine aufwärts abgelagert worden sind.
Vulkanischer Ausbruch auf der Insel Comom.^) Der Mont
Kartala, der im südUchen Teile der großen Ck)mominsel bis auf 2400 m
Seehöhe ansteigt, wurde am 26. Februar plötzUch tätig und ergoß die
1) Erdbebenwarte 1904. UI. p. 248.
206 VnlkanlnniiB.
glühende Lava in vier Strömen auf die Umgebung herab. Zw Anne
breiteten sich in der Provinz von Orchini aus und walzten sich in öst-
licher Richtung ins Meer, nachdem sie auf ihrem Wege alles vernichtet
hatten. Mehrere Eingeborene, die von der ebenso unerwarteten ab
heftigen Katastrophe überrascht worden waren und sich nicht mäa
rechtzeitig flüchten konnten, gingen mit ihren Viehherden zognmde.
Beinahe um die gleiche Zeit begann auch der Mont Rosso im südöst-
lichen Teile der Insel Feuer zu speien, doch war dessen Auswurf
weniger heftig. Am Abende schien der Himmel oberhalb der Gehirg^
kette, die das Tai von Utoandra beherrscht, in Brand gerat«) n
sein. In der Nacht wurden fürchterUche Detonationen vemommeo,
denen mehrere heftige Erdbeben folgten. Erschreckt eilten die Be
wohner aus ihren Häusern und wurden Augenzeugen, wie eine rieage
Rauchsaule, vermischt mit Wasserdampf, aus beiden Kratern, haupt-
sächlich aus jenem des Mont ELartala, emporschoß, und aus ihr Blitie
in verschiedenen Farben zuckten. Aus dem Feuerherde erhob sidi
plötzUch ein glühender Lichtkegel, der die Farbe vom brennendai
Rot ins Blendende der Weißglühhitze wechselte, worauf abennak
Lava aus den beiden feurigen Schlünden zu fließen begann. Ver-
treter der staathchen Behörden sendeten Boten nach den ezponieiteD
Punkten der Insel aus, um die Bewohner zu warnen und sie zum Vtf-
lassen der Siedlungen zu bewegen. Dank dieser Umsicht wuiden
manche gerettet. Nur einzelne Fußgänger und Hirten, die ihre lang-
samen Heiden nicht verlassen konnten, gingen zugrunde. Auch in
der Provinz von Badjeni und in jener von Mutsamiola wurden Eni*
beben verspürt
Der Kllauea auf Hawaii. Dr. 0. Kuntze, der im Juni 1904 die
Sandwichinseln besuchte, bemerkt in einer zum Teil gegen die dortig?
unwahre Reklame gerichteten Studie über den Vulkan Kilauea fol-
gendes: 1) Der Edlauea ist jetzt ein zahmer Vulkan, weil er ruht oder
erloschen ist und nur noch Wasserdampf mit schwefliger Saure vie
andere Vulkane aushaucht. Ich habe Vulkane gesehen und besucht
in Europa (Vesuv, Ätna, StromboU), auf den Canarischen Insehi (I^
von Tenerife, Ciddera di Palma), Westindien (Martinique: P^)>
Costarica (Irazu), Venezuela (Silla de Caracas), BoUvia und Q^
(mehrere auf der 4000 m hohen Puna), in Japan (Fujijama), auf h^
(Pangeranga, Merapi und andere) usw., aber ich finde insofern keinen
Unterschied zwischen dem jetzigen Kilauea und andern Vulksoen.
Der Kilauea wird auch infolge eines Irrtumes mancher Gdehrteo
„zahm"' genannt, welche dessen frühem Feuersee in einer EinsenkuoS
des erloschenen alten Vulkanes, wohinein die Lava des innem Krattf^
Halemaumau geflossen war, für einen tatigen Krater gehalten hftben.
Aber dem frühem Feuersee konnte man sich ebenso nahem wie den
1) Umlauft, Deutache Rundschau 27. p. 1.
I
YnlkanismuB. 207
glühenden, zum Stehen gekommenen Lavaströmen anderer Vulkane.
^ Am Rande solcher Lavaströme, z. B. am Vesuv, formten die Italiener
I aus der glühenden Lava Erinnerungsmedaillen, wie ich es auch selbst
einmal dort gesehen habe.
Wenn sich der Krater wieder öffnen sollte, so dürfte es schwerlich
' ohne Explosion geschehen, wie auch Erdbeben dort vorkommen,
was nach Zeitimgsberichten z. B. in der zweiten Woche des Juni 1904
auf den Sandwichinseln der Fall war.
Es gibt kein offenes Ventil eines Vulkanes auf Hawaii. Auf
dieser Insel gibt es nach der neuesten offiziellen Landkarte etwa
zweihundert kleine Kraterkegel und einige sehr große Krater. Ist
einer erloschen oder verstopft, so öffnet sich später ein anderer,
^ gerade so wie es bei andern Vulkanen der Fall ist. Es ist seit dem
'^ 24. Juni 1897 kein Feuer mehr im innem Krater, dem Halemaumau,
von wissenschaftlichen und unabhängigen zuverlässigen Leuten ge-
* sehen worden; die spätem Angaben sind zum Teile nur Geschäfts-
'' humbug.
' Nachdem der Kilauea-Halemaumau 1897 zum letzten Male aus-
< gebrochen war, öffnete sich der Mokuaweoweo des Mauna Loa wieder-^
} holt in spätem Jahren; doch der Geschäftsleiter des Hotels will zu
^ gleicher Zeit Feuer im Halemaumau gesehen haben.
I Wenn der Kilauea ein offenes Ventil für das glühende Erdinnere
< imseres Globus gewesen wäre oder noch wäre, wie wohl mancher
^ glaubt, so dürfte kein einziger anderer Krater auf Hawaii existieren;
aber es gibt deren sogar über zweihundert auf dieser Insel.
t Der Kilaueakrater ist nicht der größte Krater, denn der Mauna
Loa ist drei- bis viermal größer, und der erloschene Haleakalakrater
ist zwei- bis dreimal so groß als die Kilaueacaldera. Der 4196 m hohe
Mauna Loa kann nicht leicht besucht werden, weil keine Wegzieichen
I vorhanden sind, obwohl der Mauna Loa bis zur Spitze meist klar zu
I sehen, und der Anstieg gar nicht steil ist. Die Abhänge sind zum Teile
I mit AcaciaKoa (A. Gray) bewaldet, und die neuem I^avafelder sind
i schwer zu passieren. Mit Wegzeichen, wie man sie in andern Ländern
bei von Reisenden besuchten interessanten Punkten findet, könnte
der Mauna Loa sogar von Touristen zu Fuß leicht vom Halfwayhouse
erstiegen werden.
Da jetzt kein Feuer mehr im Krater, keine glühende Lava, kein
Feuersee mehr im Kilauea existiert, sogar nachts kein Feuerschein
mehr dort bemerkbar ist, so sind die gegenteiUgen Behauptungen (dea
Hawaiireiseprospektes) unwahr.
Kuntze rechnet den ELilauea zu den ältesten Vulkanen, er sei die
einzige Caldera in der Welt mit noch voUkommenen Kraterwänden
ringsum; alle andern Calderas sind mindestens auf einer Seite ein-
gesunken oder zerstört. Im südlichen Teile des Grundes der er-
loschenen Kilaueacaldera von ungefähr 4600 m Durchmesser befindet
sich der neue Krater Halemaumau mit nur etwa 200 m Durchmesser^
208 Inseln.
dessen Oberkante ungefähr 00 m unter der Obei^ante der Küuear
wände liegt. An den obem Seiten der Caldera befinden sich im einem
Tuffsteine erhärtete Schlammeruptionen, die mit Lapillis daichmeogt
sind. Diese werden auch oben um den Kilauea und im tiefsten Tde
dieser Caldera nahe dem Vulkanhotel gefunden, wo ein Teä der
Caklerawand abgestürzt und bis unten mit Vegetation bedeckt isL
Inseln.
Ober die Abrasion Helgolands verbreitete sich W. Wdi^)
Für die Ostseeküste sind durch Jentzsch und andere, namentr
lieh aber durch E. Geinitz nicht unbeträchtliche NiTeao-
Veränderungen nachgewiesen. Auch für die Nordseeküste f^
es nicht an Beweisen. In dieser Hinsicht nimmt die weit vat^
schobene Insel Helgoland ein besonderes Interesse in Aosprodi,
und zwar durch zwei auffallende Erscheinungen. Bekannäicfa
besteht Helgoland aus zwei Nachbareilanden, der hohen, steiliuB-
rändeten Felsinsel und der niedrigen, in ihrem Schutze im 0^
gelegene Düne. Beide haben einen gemeinsamen groflen unter
seeischen Sockel, der vorwiegend aus den Schichten des Zechston-
lettens, untern Buntsandsteines, Muschelkalkes und der Kreide
vom Neokom bis zum Senon gebildet wird. Die Felsinsel ßi
nichts als der letzte Rest einer großem, der Abrasion zum Opfer P*
fallenen Landmasse. Sorgfältige Beobachter, wie Wiebel und Lmde*
mann, haben das Maß des Küstenrückschrittes in neuerer Zeit m
3 bis 5 m im Jahrhunderte berechnet.
Wenn man mit diesem Maße nun einmal rückwärts den W^
räum berechnet, den die Abrasion zur Herausbildung des Socke»
gebraucht hat, so kommt man auf ca. 15000 Jahre. Bedenkt mao,
daß die großen mittelalterlichen Sturmfluten und die sicher ^
auszusetzende ungleiche Widerstandsfähigkeit des Landes hin vd
wieder dies Tempo erheblich beschleunigt haben werden, w *'
mäßigt sich die Schätzung vielleicht auf 10000 Jahre.
Warum begann die Abrasion nicht eher? Schützende Küpp*
dürften im Westen der Insel kaum vorgelegen haben. An dem Aa^'
rande der Abrasionsfläche, der mit einer Verwerfung zusammenS**'
senkt sich der Meeresboden ziemhch rasch auf 16 bis 20 m Tiefe, nnj
dann noch einmal im „buttere Roig'* auf 5 bis 8 m unter Seespieg^
anzusteigen. Der buttere Böig besteht aus Kreide und kann vieUeicbt
als Rest einer schmalen und wegen ihres weichen Gesteines leicht zer-
störbaren Vorklippe aufgefaßt werden. Jenseits dereelben koti0^
bald die 20 m Tiefenlinie.
Es gibt nur zwei Erklärungen für den späten Beginn der Abnusos'
entweder existierte die Nordsee zuvor nicht, oder aber Bodenbe-
^) Zeitschr. d. Dtsch. geolog. Geeellsohaft 6S. p. 116.
Inieln. 209
wegungen brachten erst zu jenem ZSeitpunkte das Gebiet um Helgoland
in so tiefe Lage, daß die bereits benachbarte See den Angriff eröffnen
konnte. Im ersten Falle könnte man im Anschlüsse an einzelne
amerikanische und skandinavische Greologen, welche das Ende der
Eiszeit bis vor ungefähr 10- bis 15 000 Jahren heraufrücken, mut-
maßen, daß erst damals die Nordsee das Inlandeis verdrängte und
diese Gegend erreichte. Allein es gibt Erwägungen, die dagegen
sprechen. Die Rentier- und Mammutfunde auf der Doggerbank, und
die späte Eröffnung des Kanales machen es wahrscheinlich, daß
zwischen der Enteisung des Nordseebodens und seiner Einnahme
durch das Meer eine kurze Festlandsperiodo hegt. Darauf scheint
nach Wolf auch die zweite hier zu besprechende Erscheinung auf
Helgoland zu deuten. Er meint das seltsame Vorkommen einer Süß-
wasserablagerung 5 m unter der See am Grunde des Nordhafens und
bei den KUppen nördlich der Düne (zwischen Seile- und witt Kläww-
Bru, zwischen letzterm und der Hauptinsel, sowie beim olde Höve-
Bru). Hallier und Lasard geben den Pflanzen- und Tierinhalt dieser
Ablagerung näher an. Damach ist sie offenbar quartär, und zwar, da
sie unbedeckt von andern Schichten liegt, postglazial. Da die Ein-
senkungen, in denen sie liegt, sich nach der offenen See verbreitem
und keine Reste etwaiger schützender Riegel erkennen lassen, hinter
denen sich diese Süßwasserbildung von Anfang an in so tiefer Lage
hätte bilden können, so hegt auch hier wieder die Annahme einer ver-
hältnismäßig jungen Landsenkung nahe. Es bliebe dann zu prüfen,
ob sich diese Senkung nur innerhalb der auch jetzt den Inselsockel
umgrenzenden Hauptverwerfungen vollzogen haben sollte, oder ob
sie, wie Wolf annehmen möchte, Teilerscheinung einer um-
fassendem Bodenbewegung gewesen wäre.
Der Roekallf eisen. Schon 1862 ist die Lage dieses einsamen
Felsens durch eine Expedition des britischen Kriegsschiffes „Por-
cupine'' auf bT 36.3' nördl. Br. imd 13"" 41.5^ westl. Länge festgestellt
worden. ^) Der Felsen ist etwa 21 m hoch und hat in der WasserUnie
nicht über 90 m Umfang; es liegen in seiner Nähe noch einige bUnde
KUppen. Der Felsen ist, wie auch sein weißer Gipfel bekundet, der
Aufenthaltsort zahlreicher Seevögel. Die Rockallbank erstreckt sich
mit weniger ab 180 m Tiefe reichUch 10 Seemeilen östUch und 15 See-
meilen westUch vom Felsen und reicht etwa von 57^ 55' nördl. Br. bis
nach 56° 55' nördl. Br. herab. Was Landungen auf Rockall betrifft, so
ist der „Porcupine** kein Landungsversuch gelungen. In den Jahren
1887 und 1888 soll der Felsen einige Male durch Fischer aus Orimby
und von den Faröem bestiegen worden sein. Eine Expedition zur
Erforschung von Rockall wurde im Jahre 1896 von Killybegs aus
(Donegalbucht an der Westküste Irlands) ausgeschickt; sie war mit
^) Monatskarte des Nordatlantiflchen Ozeanes. August 1904.
Klein, Jahrbnoh XV. 14
210 InBAlii.
Fiachereigeratschaften und Laadungsmitteln, wie z. B. Leinengeflchütz
und Klippenleitem, ausgerüstet. Doch gelang auch ihr auf beidea
Reisen, die sie im Juni 18M machte, kein LandungSTersuch, wohl
aber wurden mit Kurre und Schleppnetz zahlreiche Gesteina- and
Muschelproben zutage gefördert. Ob die Proben von Flachwaaaer-
muscheln, die aus einer Tiefe stammen, in welcher die Tiere nicht
gelebt haben können, durch Eisberge oder durch Fischer dorthin ge-
kommen sind, oder ob sie einer Zeit angehören, in der das Wasser
dort viel flacher war, ist nicht endgültig aufgeklart. Die Gesteins-
proben lassen einen porphyrartigen, hauptsachlich aus Qoarz, Fdd-
spat und Augit bestehenden Granit, den man „Rockallit** genaimt
hat, erkennen. Über die Arten und über die Menge der auf jenen alt-
bekannten Fischgründen gefangenen Fische erhalten wir keine Aus-
kunft; wohl aber wird angegeben, daß die Expedition bei ihrer Schlepp-
netzfischerei viele Gerate verloren hat. Die steilen Seiten des Felsrais
machen die Errichtung einer meteorologischen Station auf Rockall
ganz aussichtslos; auch ist es natürUch nutzlos, dort Zuflucht suchen
zu wollen.
Die Insel Gottand schildert G. Schoener. i) Sie hieß in der Vor-
zeit Gutaland und hat ein Areal von 3158 qhm, auf dem eine Bevölke-
rung von 52 781 Seelen (1901) lebte. Die Küste zeigt mehrere Buchten,
von denen die größte die Klintehamnbucht an der Westküste, der im
Süden die beiden Karlsinseln (Karlsöema) vorgelagert sind, von denen
die größere (stora Karlsön) größtenteils von einem weitgestreckten,
über 50 m hohen Plateau mit lotrechten Wänden, die allmählich in
südöstUcher Richtung sich abdachen, durchzogen wird. An der
kleinen Bucht im Norden findet sich der einzige Hafen, der Norder-
hamn. Die wenigeKilometer entfernte kleineKarlsinsel (Ulla Karlsön)
weist noch steilere und wildere Formationen mit einer Mittelhöhe von
60 m auf. Im Südwesten Gotlands dringt der Burgsviken tief ins
Land ein, während der Norden die längste Bai, den 7 km langen
Kappelhamnsviken, aufweist, imd im Nordosten die Farön (Schaf-
insel) durch den Farösund von der Hauptinsel geschieden wird. Die
Farön wird fast ausschließUch von Fischern und Lotsen bewohnt» die
im Frühjahre auch die gefährUche Seehundjagd auf dem Treibeise
ausüben.
40 km nördUcher hegt die Gotska Sandön (gotische Sandinael),
die eine etwas unregelmäßige Dreiecksform zeigt, deren längste Seite
mit 9 km gegen Nordnordost gewendet ist, und deren Mittelhöhe über
dem Meere 20 m nicht übersteigt. Rund um Sandön laufen ältere
und jüngere Randdünen, und querüber erstreckt sich eine gewaltige
alte Düne, Högasen, die bis zu 42 m sich erhebt und das nordwestliche
Hom von den übrigen Teilen scheidet. Der innerhalb der Randdünen
1) GlobuB 85 p. 112.
InBeln. 211
gelegene Teil ist vielfach mithochstammigemFichtenwalde bestanden.
Bezüglich ihres Alters und ihrer Zusammensetzung ist die Sandön
verhältnismäßig jung und so recht ein Produkt der Sortierungs- und
Umlagerungsarbeit des Meeres. Ihr Strand ist von den Schiffern
gefürchtet und fordert alljährlich zahlreiche Opfer.
Gotland gehört gleichwie die südwestUch gelegene Insel Oland
der kambrisch-silurischen Formation an, und Bestandteile der archäi-
1 sehen Formation, die — wie Gneis und Granit — im südöstlichen
I Norwegen, in Schweden und Finnland vorherrschen, kommen nicht
I vor, ausgenommen Findlinge, die zur Zeit des skandinavischen Land-
eises hier abgelagert wurden. Alle zutage tretenden Teile bestehen
!* aus mächtigen Kalklagem, aufgebaut auf einem unter dem Meere
i liegenden Sandsteinplateau, das sich im Süden und Norden noch
f einige Meilen fortsetzt und allein an der südUchen Landzunge zutage
f tritt. Der nordwestUche TeU steigt in steüen Terrassen auf und zeigt
den höchsten Punkt der Insel, die FoUingbohöhe (südöstlich von
I Wisby, 77 m). An der Südspitee erhebt sich die steile Anhöhe Ho-
bürgen mit zahlreichen Grotten. Die Küsten weisen häufig die durch
Erosion gebildeten pfeUerartigen „Raukar*' auf.
Einige unbedeutende Bäche, ein paar kleine Seen (träak) und
j zahlreiche, im Sommer meistens austrocknende Sümpfe (myrar)
stellen die Gewässer der Insel dar. Das Innere ist flach, und die Ab-
lagerungen bilden nahezu horizontale Lager mit schwacher Neigung
_ gegen Südosten, doch findet sich hier im allgemeinen eine fruchtbare
, Humusdecke mit prächtigen Eichen- und Erlenwäldern, während
nördlich der Sandboden mit ausgedehnten Fichtenwaldungen über-
wiegt.
I
^ Dia Strophaden im Westen des Peloponneses gehören zu den
I kleinen Inseln, die nur höchst selten von wissenschaftUchen Forschem
besucht worden sind. Im Jahre 1825 hat sie Graf Prokesch-Osten
I besucht, dann erst 1898 O. Reiser. C. Patsch gibt, mit Benutzung
von MitteUungen^des letztem, von den Inseln eine kurze Schilderung. ^)
Die Eilande, jetzt auch Strophano, Strivali und Stamphanes genannt,
sind verhältnismäßig am leichtesten von Kap Keri auf der Insel Zante
mittels einer Segelbarke zu erreichen. Reiser brauchte zu der Über-
fahrt 16 Stunden. Katakolo und Philiatra, die nächsten peloponnesi-
Bchen Häfen, sind wohl etwa ebensoweit — ca. 35 Seemeilen — ent-
fernt, doch hat man hier in der Regel mit widrigen Winden zu kämpfen.
Beide Inseln — einen eigenen Namen hat keine — sind ganz niedrig
und winzig klein. Die größere, höhere erhebt sich nur 15 m über den
Meeresspiegel, so daß man die Schollen selbst erst in ganz geringer
Entfernung sichtet. Die kleinere, nördlich gelegene, von dreieckigem
Kontur, kann am Saume in etwa % Stunden umgangen werden; die
1) Mittefl. d. k. geogr. Ges. in Wien 47 p. 207.
14»
212
grofieie, im GmndriMe ein Rechteck mit «ngesogener Nord- und
Sädieite, beaotpnicht etwa zwei Standen dAxu. Zusammea machen
sie 3.5 qkm raa. Die Bodenplastik ist bei beiden gleich; sie IhUbb
flaobe Plateaus, die von mehiem, nach verscbiedeDen Richtangea
Terlanfenden Sohlachten steil eingeschnitten sind nnd g^^das ^
mit Aosnahme weniger Stellen in sanfter Boschong abfaUsiL Die
größere Insel hat nar aaff der Nordwestkäste einen kleinen knost-
lichen Hafen, der aber bei höherm Seegange nicht ang^laofen wenks
kann. Dagegen weist der Sodwestrand der kleinem eine wind-
geschützte, leichter zagangUche Einbuchtung auf. Ein Kram vm
Teile verborgener Klippen umhegt beide; deswegen können gröSeff
Schiffe nirgends anlegen, und selbst kleinere entschließen sich diu
nur notgedrungen.
Standig bewohnt ist nur die größere Insel; außer dem gröfiofi
Flächenausmaße war für die Besiedlung auch ihre größere Ergieng*
keit maßgebend. Nebst einem Leuchtturme auf der Nordspit» be-
sitzt sie auf der Nordwestküste ein geräumiges griechisch-orieiitafi-
sches Kloster. Unmittelbar neben dem Kloster waren bei Reises
Anwesenheit mehrere Felder mit Weizen, Hafer und Gerate gatl»-
stellt, zu deren Beriesdung Zistemenwasser verwendet wuide. &v^
überwiegen auf diesem EilMide magere Weiden und mit Gestrüpp, ^
meist mit Zistenrosen bewachsenes und mit Steinen übeistrea^
Ödland, in welches kleine Haine der Seestrandkiefer (Pinus bal^
pensis) eine wohltuende Abwechslung bringen. In den SeUocht«
der großem Insel herrscht dagegen infolge der bis in den Somotf
hinein anhaltenden Feuchtigkeit eine geradezu tropische Üppi^^
der mediterranen Flora. Den abgewaschenen, felsigen VieTstxat
umschUeßt ein schier undurehdringlicher Wall von str»achig(<^
Pistazien. Weinreben, OUven-, Zi1ax>nen- und Orangenbaume koinmeo
nur in geringer Anzahl in dem IClostergärtchen vor.
Fließendes Wasser besitzen die Inseln nicht. Eine vonFrc^^'
Osten erwähnte Quelle fand Reiser nicht; dagegen konstati^
er auf der großem Insel viele Zisternen mit ausgezeichnetem Wa^
und zwei mit Begenwasser gefüllte Weiher, von denen sich der eise
unweit des EJosters, der andere in einem Kiefemhaine befindet.
Das Klima ist sehr gesund, vollständig pelagisch. Erdbeben
kommen häufig vor; eines der heftigsten war das im Jahre 1893, ^
dem noch jetzt die vielen Bisse und Sprünge in den Kloetenna«^
zeugen.
Das Leben der Insulaner, die von Zante aus häufig ^^P^
werden, ist, den Winter ausgenommen, nicht so monoton ^^^
schaulich, wie man annehmen würde. Sie treiben außer dem Ac^'
baue auch Viehzucht. Im Jahre 1898 besaß das Kloster eine kl^^
mit schwerer Mühe importierte Herde Homvieh, einige Schafe vm
zwei Esel, die behufs Ausnutzung der Weide in Ruderbootea ^
Iiueln. 213
nach der in etwa einer halben Stunde erreichbaren kleinem Insel ge-
bracht werden.
Die Insehi sind gleich Helgoland eine Vogekugraststation ersten
Ranges. Reisers Erwartungen wurden in dieser Hinsicht weit über-
troffen. Dichte Scharen nord- und wieder südwärts ziehender Vögel
aller Art und Größe ruhten hier kürzere oder längere Zeit aus. Ins-
besondere suchen sie bei Unwetter hier Schutz und Nahrung. Letztere
finden die Insektenfresser jedoch nicht» da auf den Inseln selbst die
gewöhnlichsten Insekten (FUegen» Mücken und dergl.) nicht vor-
kommen, und sterben bei länger anhaltendem Regen, bei Sturm und
Kälte den Hungertod. So fand auch Reiser Hunderte von abge-
magerten Grasmücken, Fliegenfängern, Bachstelzen, Schmätzem usw.,
die ein heftiger Regen hierher getrieben hatte, tot oder für die Weiter-
reise völlig entkräftet vor. „Aber selbst die Menge der zur günstigen
Zeit die Insel besuchenden Zugvögel war erstaunlich und wechselte
von Tag zu Tag ab."
Die Comoren hat A. Voeltzkow auf seiner der Untersuchung der
Riffe und Inseln des westlichen Indischen Ozeanes gewidmeten
Forschungsreise besucht.^) Diese Gruppe umfaßt die vier Inseln
Mayotte, Mohäy, Anjouan und Groß-Comoro. Letztere, die größte
und bedeutendste der Gruppe, wird von den Eingeborenen Angasija
genannt. „Von weitem gesehen, scheint sie aus zwei Teilen zu be-
stehen, tatsächlich aber bildet sie zwei durch ein flacheres Plateau
verbundene Erhebimgsgebiete. Im Süden hebt sich das Massiv
des ELarthala, das fast das ganze Zentrum der Insel einnimmt, mit
einem bis noch vor wenigen Jahren tätigen Vulkane, und der bergige
Norden wird gebildet aus einer Anzahl erloschener Krater. Der
Karthala erhebt sich wie ein gewaltiger Dom gleichmäßig aus der See
au&teigend mit flachem Gipfel bis zu 2400 m, während die Berge des
Nordens nur Höhen von etwa 1200 m aufweisen.'*
Ein Korallenriff an der Ostküste erwies sich als Uberrindung der
unterseeisch vorgeschobenen Küste mit vereinzelten Korallenkom-
plezen. Der Reisende hat dreimal den Gipfel des Karthala besucht.
Der Hauptkrater gestattet von Süden her infolge Zerstörung seiner
Wandung den Eintritt. „Der erste Anblick enttäuscht, weil die
Größenverhältnisse (Durchmesser 3 zu 4 km) zu gewaltig sind, und die
Wände zu niedrig erscheinen; erst im Innern selbst wird man sich der
Großartigkeit des Kraters bewußt. Direkt vom Eingange des Eiaters
aus betritt man das Lavameer, welches den Boden des Riesenkessels
bedeckt. Es erscheint, als wäre soeben erst die Lavamasse plötzlich
eistarrt. Man sieht noch fömüich die Lava umherfUeßen, hier an den
Wänden des Kraters anprallend, aber nicht imstande, die Wand zu
^) Zeitschr. d. Gee. für Erdkunde in Beriin 1904. p. 279.
J14 iDMln.
dttiühbrechen, dort ihre Kraft bereits erschöpft und sa ebenen Lagen
sich ausbreitend.
Ober diese Lavamassen von mehr oder weniger zerrissener Ober-
fläche mühsam kletternd, trifft man nach Süden nach 15 Minuten zur
rechten Hand, nahe der westlichen Wand und ihr fast anli^end, einen
Schuttkegel, der allem Anscheine nach den Ursprungsherd für die
Lavamassen des nördlichen Teiles des großen Kraters abgegeben hat
Weiter nach Süden gelangt man nach etwa 20 Minuten an den
eigentUchen Krater, der, gerade weil man unvorbereitet ihn plötEhch
zu seinen Füßen sieht, durch seine Größe überwältigend wirkt. Es
ist eine fast kreisrunde Einsenkung von ungefähr 600 m im I>ardk-
messer und einer Tiefe von 120 bis 130 m. Die Wände bestehen auch
hier wie die des äußern Kessek aus Bänken dunkelblaurai bis Mao-
schwarzen Basaltes und faUen senkrecht allseits ab, so daß es keine
MögUchkeit gibt, in die Tiefe hinabzusteigen. Der Boden ist vollig
eben und glatt und zeigt in seinem Zentrum ein kleines, uniegeL-
mäßiges Loch, von einem kleinen Aschenhäufchen umgeben, ohne
aber einen merklich erhabenen Band erkennen zu lassen.
OstUch am Rande des Kessels befindet sich ein Aschenk^el in
Hügelform, der nahe seiner Spitze auf der Ostseite eine trichter-
förmige Einsenkung besitzt, die in einen zylinderförmigen Schkyt
führt. Man erkennt in ihm den Ausgangspunkt der Eruption, dem
Lavaerguß die südliche Hälfte des großen Kraters ausgefüllt, und
deren Ausfluß nach der äußern Seite, nach Osten zu, stattgefonden
hat. Man sieht auch hier, daß sich fast jede neue Eruption muBa
neuen Weg schafft, sei es auch auf dem Rande des alten Kraters.
Hätte nun hier der Ausfluß der Lava nach dem innem Kessel
zu stattgefunden oder längere Zeit angedauert bis zur Aus-
füllung des großen Kraters zu einer solchen Höhe, daß die Lava den
Rand des innem Eiaters überströmt hätte, so würde sie sich
in den innem Kessel ergossen, ihn bei genügender Menge aus-
gefüllt und schließlich ganz verdeckt haben, ohne daß eine Spur
angezeigt hätte, daß hier einstmals ein innerer Kessel von ungeheuerer
Mächtigkeit vorhanden gewesen sei. Auch die Lava dieses Stromes
ist nicht sehr alt, da sie noch keine Spur einer Vegetation aufweist
Etwas bewachsen mit Erikabüschen von Armesdicke ist nur die Mitte
des großen Kraters, die etwas erhabene Grenze zwischen Nord- imd
Südhälfte.
Der Rand des großen Kraters fällt derartig steil nach innen ab,
daß er wohl kaum ersteigbar sein dürfte, mit Ausnahme der passierten
SteUe, die durch Abbröckeln einzelner Felsstücke zugängiger ge-
worden und auch von Natur etwas niedriger als die übrigen Partien
ist. Im allgemeinen dürfte die Steilwand des großen Kraters eine
Höhe von etwa 100 bis 130 m besitzen. Die Wände sind überall aus
feinkörnigem, dunkelblauem Basalt gebildet, der eine ganz anfler-
Inseln. 215
ordentlich große Härte besitzt, aber niemals in Säulen angeordnet,
sondern in großen Schichten mächtiger Bänke aufgebaut ist.
Der ganze Westabhang des Vulkanes ist mit verhärteter Asche,
wohl von Ungeheuern Schlammstromen herrührend, überdeckt, die
von Laien stets für Sandstein gehalten wird. Sie hat ein lehmiges
Aussehen, ist ziemlich hart und läßt eine Anzahl kleiner Kömchen,
darunter auch schwarze Lavabrocken erkennen, die fest miteinander
verkittet sind. Die Dicke der Schicht beträgt für gewöhnlich nur
10 bis 30 em. Vielfach läßt sich erkennen, daß sie neuem Ursprunges
sein muß, da sich häufig unter ihr eine starke Humusschicht findet."
Moh^U hegt etwa 12 Meilen südöstUch von Groß-Comoro, hat
nahezu die Gestalt eines rechtwinkligen Dreiecks und eine größte
Länge von 26 bei einer größten Breite von 18 hm. Vom Meere aus ge-
sehen, erkennt man eine der Süd- und Ostküste folgende, die ganze
Insel durchziehende Bergkette mit scharfen Graten und Spitzen,
deren Hauptpunkt etwa im Zentrum der Insel liegt und eme Höhe
von 660 m besitzt. Der Hauptkette angelagert findet sich eine Anzahl
nach der See zu niedriger werdender Berge, die von der Hauptkette
ausstrahlen und voneinander durch tiefe Täler geschieden sind.
Anjouan liegt etwa 9 Meilen östlich von Moh61i. Das Zentrum der
Insel nimmt der Gerde de Bombao ein, wahrscheinlich der ursprüng-
lich Ejrater, von dem ausstrahlend die Gebirgsketten nach den Spitzen
der die Form eines Dreieckes besitzenden Insel sich hinziehen. „Er
hat riesige Dimensionen, etwa 4 bis 6 J;m im Durchmesser. Seine
Wände steigen an vielen Orten fast senkrecht empor. Der Boden des
Kraters hegt im Durchschnitte in etwa 500 m Höhe ü. d. M. , während sie
die Wände bis zu 1000 bis 1200 m, in einzelnen Spitzen selbst bis zu
1600 m erheben. Der Krater ist allseitig geschlossen, mit Ausnahme
der Nordostseite, wo der Durchbruch nach dem Meere erfolgte. Ge-
bildet werden die Berge zum Teile aus Basalten, aber ohne säulen-
förmige Anordnung, jedoch vielfach durch Feuer umgewandelt und
häufig überlagert von mächtigen Schichten verfestigten vulkanischen
Schlammes. Die Abhänge der Berge sind sehr steU und besitzen oft
eine Neigung von 46^ und mehr, sind aber fast überall dicht bewaldet.
Die Grate sind sehr schmal, die Bergrücken oft nur 1 bis 2 m breit,
was sich auch auf Moh6U überall beobachten läßt.
Der Boden des Kraters ist nicht ganz eben, sondern besonders
im südUchen Teile mit kleinen Höhen besetzt. In der Mitte der süd-
lichen Hälfte scheint sich ein kleiner innerer Elrater erhoben zu haben,
dessen höchste Spitze jetzt durch ein kleines Wohnhaus gekrönt ist.'*
Mayotte besitzt 9 Meilen Lange bei 1 bis 6 Meilen Breite. „Auch
sie ist vulkanischer Bildung, jedoch ist sie von einem riesigen Kranze
von Riffen umgeben, der einen nur an ein paar Stellen durchbrochenen
schützenden Ring um die Hauptinsel und eine Anzahl kleinerer
Insekhen bildet. Innerhalb desselben bleibt das Meer auch bei
216
stürmiBohem Wetter verhaltniBinaßig mhig und bietet gemga&k
Wassertiefe, um auch großem Schiffen freie Fahrt so gestatten.
Auf der Ostseite schließt sich das Riff direkt an die etwa 13 km
im Umfange besitsende Insel Pamanzi, die durch einen künstlidKa
Damm mit dem Felseneilande Dzaoudzi, dem Sitze des GooTemenMnti
und der Beamten, verbunden ist.
Der Reisende hat nur das große Außenriff auf der NotTdostsate
besucht. Bei gewöhnlicher Ebbe nur teilweise entblößt, lauft es hd
tiefer Ebbe auf einer Breite von l bis 2 km trocken. Die Innenseite
steigt ganz allmählich ausder überhaupt nicht sehr tiefen Bai zwiacben
Festland und Riff an, laßt zuerst Saiklboden erkennen, der hier und
da mit Seegras bewachsen ist, bis schließlich vereinzelt KoraUenflacb
auftreten, die nach und nach an Größe und Zahl zunehmen; jedod
wird niemals ein zusammenhangender Korallengarten gebildet, son-
dern stets bleiben dazwischen einzelne Stellen unbedeckt und zeigen
den sandigen Boden.
Die äußere, der See zugewendete Seite des trocken laafeoden
Riffes ist absolut tot. Auf ^ fan ist der Boden aus ödem Trümmer-
materiale gebildet, aus abgwmdeten, bis faustgroßen KnoUan, die
vielfach aus Kalkalgen bestehen oder mit ihnen überzogen sind, und
ganz eben, ohne brunnenartige Vertiefungen. Nach dem Meere n
senkt sich das Riff allmählich.
Die innere Hälfte de Riffes ist der Hauptsache nach aus Madre-
porenstöcken gebildet, auf weite Strecken rasenartig angeordnet mit
senkrecht emporstehenden Zacken, die, unter den Füßen zusammen-
brechend, das Begehen dieser Ritfpartien zu einer wahren Qual ge-
stalten. Doch auch hier sieht man überall in den Lücken den weißen
Sand hervorleuchten, die ich bis auf ^ m Tiefe nachgegraben habe,
ohne darunter festen Boden zu finden.
Bemerkenswert ist, daß ein großer Teil der lebenden Koralfen
auf den Trümmern aufgebaut, auf loeen, abgestorbenen Stücken auf-
gewachsen ist und sich ohne Mühe aufheben läßt. Von einer allge-
meinen Verfestigung ist nur stellenweise etwas zu bemerken.
Weiter nach der Landseite zu wird dann der Aufbau des Rifiet
lockerer; neben Strecken von Madreporenrasen finden sich cBeat
Stellen von 14 bis 1 m Tiefe mit sandigem Boden, so daß man auf
diesem sandigen Boden oftmals weite Strecken zwischen den leben-
den Korallen zurücklegen kann, dabei bis zum Bauche im Waaser
watend. Es erweckt ganz den Anschein, als stellten diese sandigen
Stellen die Grundlagen der Riffe dar, an denen aufbauend dann das-
selbe um etwa 1 m erhöht wurde."
Wie die Bildung des großen Riffes um Mayotte zu erklaren sei,
laßt Voeltzkow dahingestellt sein. „Am einfachstrai,*' sagt er, „wire
es, sich vorzustellen, daß wir in dem großen Außenriäe die Grundlage
eines alten E^raters von Riesendimensionen vor uns hatten, also eine
ringförmige Hebung des Meeresbodens zu geringer Höhe über der
Inseln. 217
Meeresoberflache oder auch häufig nur dicht an dieselbe heran-
reichend. Für derartige Hebungen alten Meeresbodens bietet ja die
Insel Pamanzi ein gutes Beispiel.
Es müßte dann spater eine Senkung oder allgemeine Land-
zerstörung vorliegen, was man auch auf Mayotte überall beobachten
kann. Im kleinen sind diese Verhältnisse schon zu beobachten in
der Bai zwischen Pamanzi imd dem Festlande.
Ob nun auf dem großen Riffe eine spätere Senkung vorliegt, so
daß eist vor kurzem eine Besiedlung mit Korallen hat erfolgen
können, oder eine verhältnismäßig rasche Hebung, so daß es nicht
zur Ausbildung eines Riffes von beträchtlicher Dicke kommen konnte,
darüber könnte erst eine spätere eingehende Untersuchung vielleicht
Aufschluß geben."
Im Gebiete des nordöstlichen Außenriffes liegt die Insel Pamanzi
mit ihrem großen Krater, welche der Reisende zweimal besuchte.
„Der am Nordostende der Insel gelegene Vulkan besitzt eine Höhe von
etwa 60 m und ist gleichfalls völlig aus diesem weißen Kalke aufgebaut,
der an der Oberfläche etwas verhärtet. Der äußere Abhang sowohl
wie der Rand des Vulkanes sind nackt, nur hin und wieder spärlich
mit Gras bestanden; ebenso ist die Innenseite fast ohne Vegetation.
Vom Rande aus bietet sich eine prachtvolle Aussicht in den Krater
mit seinem grünlich schimmernden See, der früher größer gewesen
zu sein scheint, da sich nach Süden an ihn eine jetzt mit Bananen
bestandene Ebene anschließt."
Die neu entstandene Insel bei Bomeo. Carl Schmidt berichtet
hierüber folgendes: ^)
Die geogra^iBche Lage derselben ist 115® 21' ösü. Lange v. Gr. und
50 20' 30" nördl. Breite. Bei meinem Besuche am 5. September 1807, also zwei
Jahre naoh dem Ereignisse, zeigte sich folgendes: Etwa 00 m von der Küste ent-
fernt erhob sich etwa 20 m hoch eine in Ostwestrichtung ca. 160 tn lange und
von Nord nach Süd ca. 140 tn breite Insel. Gegen Westen, also gegen das
brandende, offene Meer zeigte dieselbe einen Steüabsturz von ca. 5 m Höhe.
Die ganae Insel bestand aus lose susammengehäuftem Materiale, entstammend
den Schichten des Tertiars. Auf der Oberflache der Insel lagen Blöcke von
Korallenkalk und von mit Austern besetztem Sandsteine, üngemhr in äer lütte
der Insel erhob sich ein aus verhärtetem Schlamme bestehender Kegel mit einer
kraterartigen Vertiefung. Der Steüabsturz gegen die Seeseite wurde durch
den Anprall der Wellen fortwahrend unterminiert^ und ich weiß nicht, ob heute
überhaupt von der Insel noch etwas vorhanden ist. Über die Entstehung der
Insel ist mir von Augenzeugen berichtet worden, und in der Literatur fmden
wir einif» Angaben cUmiber. Am Nachmittage des 21. September stiegen mit
großer Mefti^eit Gasblasen aus dem seichten Meeresgrunde auf; Schlamm
folgte nach, untermischt mit Gesteinsblöcken, wie sie auf dem Meeresgrunde
lagen. Zuerst scheint einfach der Meeresgrund emporgewölbt worden zu sein,
dann wurden aus großem Tiefen die durchweichten Schichten des tertiären
Unteiigprundes empoigepreßt. Auf dem höchsten Teile der emporgewachsenen
Insel büdete sich ein förmlicher Sohlammkrater, 20 m im Durchmesser messend.
>) Gerlands Beitr&ge zur Geophysik 7. p. 128
218
In der Naoht Tom 21. auf den 22. September nahm die Inael immer doc^ «a
Umfang zu. Der Seejmmd muß sich sehr rasch gehoben haben, denn man iuui
am 22. September in Tümpehi auf der neuen Insel noch lebende Seefische. Am
den vielen Spalten und Lochern strömte Gas aus, das entEÜndet lebhaft braimte;
ein statiner Gasgeruch machte sich bemerkbar. Eingepreßt zwiaohen den Ge-
steinstrümmem fand sich eine weiche wachsartige Substanz, an Ozokerit er-
innernd, wie solches auch in den ölführenden Schichten von Labnan gefundea
wird. Sechs Monate nach dem Auftauchen der Insel strömte noch Gas aas
ihrem Grunde. Bemerkenswert ist es, daß in unmittelbarer mihe der Insd
wahrend ihres Emporwachsens kein Erzittern des Erdbodras wahrgfenommei
worden sein soll. Die ursprünfidiche Lange der Insel wird zu 260 tn angegeben,
wohl 100 m hatten somit die Brandungswellen in Zeit von zwei Jahren weg-
gespült.
Während auf der Kliashalbinsel selbst von einem die Eruption bef^tea-
den Erdbeben nichts bemerkt worden sein soll, erhalten wir nun die Nadmckt
von einem großen Erdbeben, das am 21. September von der Philippineninsei
Mindanao ausging und auch in Europa registriert worden ist. Da in Kudat in
Nordostbomeo sowohl, als auch in Labuan dieses Erdbeben verspart woidea
ist, wurde sofort die Entstehung der „Neuen Insel" damit in Verbindnm
gebracht.
Über die Erscheinung des Erdbebens vom 21. September 1897 anf Kord-
bomeo erhalten wir folgende Daten: 1. In Sandakan (Nordoetbomeo) und
im Gebiete der Flüsse vonKinabatangan, Labuk und Sugut wurden Im lijL p a
zwei Stöße verspürt. Die Wände von Häusern fielen ein, die Kiiehengiot^n
schlugen an, und im Erdboden entstanden enge Risse. 2. In Kudat (I^irdosl-
bomeo) beobachtete man mehrere getrennte Stöße von Ost nach Weet^ 15 Se-
kunden andauernd um 1 p. m. 3. Etwa vier Meilen südöstlich der kleines
Insel Balundantfan, die am Ostufer der großem Insel Banguey an der Kacd>
spitze BomeoB hegt, war, wie Einseborene, die nach Kudat zu den »»Charter
day*s Sports'* kamen, berichteten, äenfalls eine neue Insel am 21. SepiemlMr
entstanden. R. M. litüe hat späterhin diese Insel besucht. Dieselbe eriiebt
sich aus ca. fünf Faden tiefem Meere, ist etwa 100 qm g^Q und ragt 1 m über
Niveau des Hochwassers. Die Hauptmasse der Insel ist ein weißlich grauer
Ton, ihre Oberfläche ist bedeckt von großen Blöcken eines harten SeuidsteiaBf
und von Korallenkalk, die mit kleinen Austern besetzt sind. Das Acdtau^M
der Insel soll von zwei Meereswogen besleitet worden sein, die nordwärts über
die See sich wälzten; Sturm und rollendes Geräusch wurden gleichzeitig wahr-
Snommen. 4. In Labuan wurde die Entstehung von Rissen in den Wegen uod
ys Anschlagen der Glocken beobachtet.
Entsprechend der segebenen Auseinandersetzungen erscheint nun dv
Mechanismus der Entstehung der „Neuen Insel" bei Labuan sehr einfach
Zwischen den steilstehenden Mergel- und Sandsteinschichten in der Aohae der
„offenen" Antiklinale hatte sich eine schlammige Masse mit Naphtha, Ozobedl
und Gas vermischt angesammelt, das Reservoir eines S<>>ilA>mmvnllr<LTvw^ Die
seismische Erschütterung trieb am 21. September 1897 diese Masse in die Höhe^
und der Grund des seiditen Meeres wurde mit emporgerissen. Es eraehaot
nicht unwahrscheinlich, daß auch die zweite bei Bangueyinsel am selben Tage
erschienene Insel ähnlichen Ursachen ihre Entstehung verdankt. Naidi äa
Darstellung von P. Jos^ Coronas sehört Labuan zur äußersten i»*M4>Bfaü
Zone der Erdbebenstarke (perceptible), Nordostbomeo gehört der viertes
und fünften Zone (regulär und ligero) an. Ebenfalls zur peripherischen Zone
der Erdbebenwirkimg haben wir Nordcelebes zu rechnen, wo nach S. Figot
eine „lichte horizontale aardbeving" wahrgenonmien wurde.
Der eingehenden Beschreibung von P. Jos6 Coronas entnehmen wir, dafi
am 21. September 1897 auf den Philippinen zwei Erdbeben stattfauiden, dai
erste, mit dem Zentrum Dapitan an <&r Nordküste von IGndanao, begaim
3b 20m (in Manüa registriert: 20.September 20h 9.1» M. E. Z.), das zweite, vie|
Inseln. 219
stärkere Beben ging von Zamboanga an der Südweetspitze von Mindanao aus
and begann Ih 17m p. m. (in Manila legistriert: 21. September 6h 13.7in
M. £■ Z. ).
Hinsiohtlich der Äußerung der beiden Beben auf den I^lulippinen und den
Suluinseln verweise ich auf die DarsteUung von P. Coronas, erwähne nur, daß
bei dem zweiten Beben, 11^ 17<^ p. ul, in Zamboango, die meisten Häuser ein-
stürzten, und daß eine Erdbebenflutwelle über die Küsten von Zamboanga,
Basilan und Jolo hereinbrach. Die Oberflachengeschwindigkeit des Bebens
ergibt sich zu 2Akm pro Sekunde, da die Ersdiütterung die Strecke von
Zunboanga nach Manila, 852 km, in 6 Minuten zurückgelegt hat
Über die Registrierung des Bebens in Batavia, in Bombay, auf den meisten
^ europäischen Stationen berichten P. Coronas, G. Agamennone und E. Rudolph.
^ Das Beben wird zu einem typischen Fembeben. Agamennone findet die
Geschwindigkeit der Erdbebenwelle, d. h. die mikroseismische Fortleitung
1 des makroseismischen Erdbebenstoßes, zu 16 bis 30 km per Sekunde.
[ Die in diesen Zeilen dargelegte Abhängigkeit der Tätigkeit von Schlamm-
i Vulkanen von Erderschütterungen, wodurch M submariner Lage der Schlamm-
; Sprudel plötzlich kurzlebüre Inmln „Schlammvulkaninseln'*, entstehen können,
I ist eine sehr verbreitete Erscheinung. A. v. Lasaulx stellte für die Schlamm-
vulkane von Patemo am Etna den Satz auf, daß ihre Eruptionen nur dadurch
entstehen, daß unter dem Drucke der durch eine Erdersonütterung bewegten
f und dislozierten Schichten die aufgelösten und gelockerten Schichtenteile mit
I dem Quellwasser emporgequetecht werden.
i Ganz ähnlich wie unsere „Neue Insel" ist die Insel Kumani am 7. Mai 1861
i im kaspischen Meere bei Baku entstanden, während einer Periode starker
f seismischer Erregung. Schon im November 1861 war die Insel wieder bis unter
) Meeresniveau abgetragen. H. Abich hat es wahrscheinlich gemacht, daß die-
i, selbe aus der Scheiteliigion einer N 36^ W streichenden Antikfinale hervorbrach.
I Aus dem malayisohen Archipel erwähnt A. Wichmann einen ähnlichen
I Fall der Beeinflussung von Schlammquellen durch Erderschütterungen. In-
l folge eines Erdbebens am 13. Mai 1857 geriet der in der Provinz Bibfluto auf
^ Timor gelegene Schlammvulkan in lebhafte Erregung.
g ^n sehr interessantes Gebiet von Schlammvmkanen in petrolführenden
I Tertiärschichten finden wir in Burma einerseits auf den Inseln Ramri und
jj Cheduba an der Küste des Meerbusens von Bengalen und anderseits im Tale
p des Irawadi in Rangoon. R. D. Oldham (Geology of India, p. 21) erwähnt, daß
g die Eruptionen der Schlammvulkane anscheinend in unregelmäßigen Inter-
^ Valien und häufig gleichzeitig mit Erdbeben eintreten. An der Küste von Ramri
^ finden solche Eruptionen im Meere statt, und in einem FaUe entstand so in der
Nähe von False Island, südlich von Ramri und südöstlich von Cheduba eine
kleine Insel, die bald wieder weggewaschen wurde."
Die Insel Simalnr» nahe der Westküste Sumatras, schildert auf
Grund eigener Anschauung L. C. Westenenk. ^) Sie ist von SO.
nach NW. etwa 100 km lang, die Breite schwankt zwischen 9 und
26 km, Sie ist ungemein fruchtbar, indes fast noch ganz von Urwald
bedeckt, der die kostbarsten Hölzer liefern könnte. Auch hier be-
gegnen wir neben andern Sagen über die Herkunft der Einwohner der
in Indonesien häufigen Überlieferung von der Abstammung von
einer — hier menangkabauischen — Frau und einem Hunde. Jeden-
falls ist die Bewohnerschaft mit menangkabauischem, atjehschem
und niassischem Blute versetzt. Die Bevölkerungszahl dürfte auf
^) Tijdsohrift van het kon. Aardrijkskundig Genootschap 1904. Heft 1.
320 Inaeln.
6000 bis 7000 zu schätzen sein. Die Sicherheit auf der Insel schräit
groß zu sein, die Häuser und Ortschaften sind auch nicht umzäunt;
Vergehen sind selten. Die einheimische Schi&baukonst ist gut ent-
wickelt, doch die Leute zu jeder Arbeit zu faul, auch der geringe Land-
bau wird sehr vernachlässigt. Besonders ausgezeichnet ist die Insel
durch ihren Reichtum an Büffehi. Sehr ausführlich ist die CSeechichle
der Insel dargestellt. Die Beschreibung der Küsten im be^rochenen
Aufsatze, dem eine Karte der Insel im Maßstabe von 1 : 600 OOO bei-
gegeben ist, ist vorwiegend dem „Zeemansgids** entnommen.
Salpan, die Hsuptlnsel der deutsehen Marianen, si^iildBrte
H. Seidel.^) Wie eine vorläufig nur handschriftiich vorhandene
Triangulationskarte, aufgenommen durch den kaiserlichen Bezirks-
amtmann Fritz, zeigt, erstreckt sich Saipan schmal und lang mit
vielgezackter Uferhnie hauptsächUch von Nordnordost nach Süd-
südwest. Etwa in der Mitte erfährt es eine plötzliche Verbreiterung,
da hier eine nicht unerhebUche Bergkette auftaucht, deren höchste
Spitze erst bei 466 m abbricht. Das ist der früher fast aUgemetn ak
Vulkan bezeichnete Tapochao, der aber wahrscheinlich, wie die Insel
überhaupt, nur aus gehobenem Madreporenkalke besteht. Demi
Saipan gehört mit Guam, Rota, Aguigan, Tinian und Medinilla war
sikUichen Marianengruppe, die bis zu den Gipfeln hinauf mit k<»al]i]iflB
Bildungen bedeckt ist. Darunter wird idlerdings ein Eruptivkera
angenommen, obschon dessen Dasein zurzeit noch nicht einwandfrei
nachgewiesen ist. Die nördliche Gruppe oder das Reich ,,€iani",
wie es die alten Bewohner nannten, setzt sich dagegen völlig aas vul-
kanischen Massen zusammen. Die Berge steigen kegelförmig Ins n
500 und 800 m empor, sind in einen Mantel von Laven, Aschen und
Schlacken gehüllt, und mehrere ihrer Krater befinden sich fast un-
ausgesetzt in lebhafter Tätigkeit. Der Archipel hat daher häufig vcd
Erdbeben zu leiden, die nicht bloß die hohen Inseln heimsachen,
sondern bisweilen auch auf der südlichen Reihe, wo man gröfi^D
Erdfrieden vermutet, in heftiger Weise auftreten.
Der Boden Saipans steigt bereits am Nordgeetade ziemlich rasch
zu einzelnen Bergen auf. An diese schließen sich weitere Erhebungen
an, die zu der schon erwähnten Querkette leiten, jenseits welcher
eine allmähliche Abflachung zur Küstenebene und dem sandigen
Strandgürtel eintritt. Das Ackerland wird als im ganzen frucht-
bar gerühmt, obschon es nur wenig tiefgründig ist. Der Ufersaum
eignet sich namentlich für Kokosplantag^i, für deren Gedeihen die
Seeluft und auskömmliche Niederschläge sichere Gewähr bieten.
Weiter binnenwärts tritt rötlicher Lehm auf, der im Gebirge in ein
dunkles, nur teilweise steiniges, sehr humoses Erdreich übergeht.
Da sich die Erhebungen aus korallinem Kalke zusammensetzen, so
^) GlobüB n. p. 278.
221
4arf uns das Vorkommen von Höhlen oder Grotten nicht wunder-
nehmen. Solche besitzen auch Tinian und Rota, wo sie schon den
alten CSiamorro als schützendes Asyl bei Unwetter oder Verfolgung
dienten. Auf Saipan dagegen scheinen sie hauptsachUch Begräbnis-
statten gewesen zu sein.
Die Karolinen. H. Seidel besprach kritisch die neuen Seekarten
des Deutschen Beichsmarineamtes dieser Inseln ^) und machte über
einzelne Inseln genauere Mitteilungen. , »Eines der bemerkenswertesten
Glieder im ganzen Karolinengürtel ist das PseudoatoU Buk oder Truk,
eigentUch ein vulkanischer Archipel im kleinen, der von einem weit
ausgerückten Wallriffe umschlossen wird. Der innere Basaltkem'ragt
mit etwa zwanzig ungleich großen Brocken von verschiedener Höhe
über die Lagune empor. Da die Spitzen mehrfach bis 300 m an-
steigen, einmal sogar über 400 m, so ist es erklärhch, daß die an-
scheinend gleichmaßig begrünten Kuppen und Kegel innerhalb der
belebten Wasserflache einen äußerst malerischen Eindruck machen.
Der Ackerboden ist öfter recht steinig, doch immerhin frucht-
bar; denn er ernährt eine für das Gesamtareal der Wohnfläche, das
einsohließUch der niedrigen Koralleninseln nur 135 qkm beträgt, sehr
starke Bevölkerung von 12 500 Seelen. Die geräumige, von Riffen
durchsetzte Lagune hat Tiefen zwischen 40 bis 65 m und be-
sitzt, über den annähernd fünfeckigen Außenrand gemessen, eine
Länge ven 75 km bei 60 km Breite, ist also zu groß, um im ostelbischen
Teile des Königreiches Sachsen Platz zu finden.
Auf Ponape ist der Sitz der deutschen Verwaltung innen am
Westrande des wie eine Förde ins Land dringenden Santiagohafens.
Letzterer Name kommt jetzt außer Gebrauch und wird durch die
Bezeichnung Langar- oder Ponapehafen ersetzt. Langar (Langa)
ist eine kleine, rundUche Vorinsel, etwa halbwegs zwischen der See-
kante des Außenriffes und dem Bezirksamte. Hier müssen die meisten
Schiffe, die ein Regierungslotse hereinholt, gleich westhch der Insel
auf 50 bis 52 m Tiefe vor Anker gehen. Auf Langar befindet sich
eine Handelsstation der Jaluitgesellschaft, die hier ein Kohlenlager
und zwei Landungsbrücken unterhält.
„In den Karolinen,'* bemerkt schließlich der Verf., „liegt für
den deutschen Forscherfleiß noch ein großes und schwieriges Arbeits-
feld offen, das nicht nur die höchste persönliche Tatkraft, Umsicht
und Kenntnis erfordert, sondern zur Erreichung des gewünschten
Zieles auch die Hergabe gewisser Geldmittel unbedingt voraussetzt.
Man kann sich daher nicht des Gedankens erwehren, daß das Geld
für unsere ziemlich ergebnisarme Südpolarexpedition viel besser und
nützlicher angewandt worden wäre, wenn man es zu einer gründ-
1) GlobuB 85. p. 11
222 Inieln.
liehen VermeBBung und ELartiening unserer pazifischen Kdonien,
insbesondere Deutsch-Hikronesiens, bereitgestellt hätte."
Die Insel Moeha an der chilenischen Küste bildet den Gegm-
stand einer Monographie von C. Reiche. ^) Diese wenig bekannte
Insel wurde am 25. September 1544 von J. B. Pastene entdeckt, doch
erst sechs Jahre später betreten. Ein 25 bm breiter Meeresann
trennt sie vom Festlande, den aber schon die Urbewohner der loael
auf Flößen überschritten haben. Der Rand der Insel ist in einer
Ausdehnung von 20 600 qkm flach, das Innere aber bedecken Gebugs-
erhebungen, deren höchster Gipfel Morro Pastene indessen nur 340 n
Seehöhe erreicht. Nahe der Mitte befindet sich ein kleiner Teich,
die Laguna hermosa mitten im Urwalde; sonst gibt es besonden auf
der östlichen Seite der Insel mehrere Bäche. Das Klima ist etwas
kühl und feucht, aber gesund; Regen fallen zu allen Jahreszeiten.
Das JaloltaloU ist von Dr. med. Schnee untersucht worden. 1
Dasselbe hegt in ö"" 55' nördl. Br. und leO"" 42' östl. L. Es biUet
die Hauptinsel der zwischen den deutschen ELarolinen und den en^-
sehen Gilberts hegenden Marshallgruppe und besteht aus einigen
50 Schuttinseln, welche auf dem eine 27 Seemeilen lange, in der 3C^
etwa 17 Seemeilen breite Lagune umschließenden Riffe oniegel'
mäßig verteilt hegen. Nach Meinicke sind 55, nach Finsch 58 Eilande
vorhanden. „Übrigens kann man jede beUebige Menge herauszahko,
da der Begriff Insel hier vöUig subjektiv wird. Was dem einen beieitB
als solche erscheint, ist für den andern vielleicht noch zu unbedeutend,
um auf diesen Namen Anspruch machen zu dürfen.
Die Mehrzahl dieser Landbildungen, die einzig und allein aus von
den Wellen angeschwemmtem Schutte bestehen, hegt auf der Ostseite
des Atolls. Am besten entwickelt, weil eine ununterbrochene Lsod-
maase darstellend, ist die südhche Partie derselben, von Jabor bis
Jaluit. Letzterer Name bezeichnete nämlich ursprünghch nur di^
als Anseglungspunkt wichtige Südspitze, wurde aber spater auf die
ganze Insel übertragen. Die eigenartige Verteilung der Eilande wird
verständUch, wenn man sich die Windverhältnisse und die dadurch
bedingte Wellenrichtung in jener Region vergegenwärtigt.
Die Tiefe der Lagune beträgt nach der neuesten Angabe (Apssü)
18 bis 25 Faden. Das Riff, das für gewöhnhch unter Waseer
und nur im obem Teile bei Ebbe sichtbar wird, mag etwa 300 bis 4(W»
breit sein, wovon durchschnittUch je ein Drittel auf das AuJBeninnen-
riff , sowie auf die Schuttinsel zwischen beiden zu rechnen sein döift»-
Die einzelnen Eilande erheben sich wenig höher als 1 m über die
1) Anales del Museo nadonal de Chile 1903. Heft 16.
s) Globus 85. p. 329.
Inieln. 223
Hochwaasermarke. Ihre Breite scheint zwischen 180 und 20 m zu
schwanken. Die Breite des dortigen Äußenriffes beträgt nach see-
männischer Schätzung über 100 m. An der Lagunenseite lassen sich
die Verhältnisse infolge der heftigen Strömung nach der Passage hin,
ii: mehrerer Piers, sowie eines längs des Ufers dahinziehenden, erhöhten
e Weges schlecht taxieren. Das Riff ist jedenfalls schmaler ab außen,
n bildet jedoch an einer Stelle einen langen, nasenf örmigen Vorsprung in
g das Innere des Beckens hinein. Ein bei Ebbe hervortretender Strand
r5 ist kaum vorhanden.
y Das Außenriff erhebt sich steil aus großen Meerestiefen. Seine
'£i sanft nach dem trockenen Lande zu ansteigende Oberfläche ist durch
9f' die Wogen geglättet und daher frei von großem Unebenheiten. Sie
i2 führt den Namen der Strandebene oder -terrasse. Mit Ausnahme
«c ihres untersten Gürtels, der beständig unter Wasser bleibt, entspricht
i; sie dem Gebiete von Ebbe und Flut. Der seewärts gerichtete Abhang
^ des Riffes bis zu einigen 30 m hinab besteht aus lebenden Korallen.
Wie der Innenstrand und das Riff, so ist auch der Boden der
,f Lagune meist mit Sand bedeckt. Auf ihm liegen mächtige, schwarze
: Blöcke, welche Stürme vom Riffe aus in die Tiefe schleuderten, nach-
dem sie sie vom Außenstrande her über dasselbe hinwegtransportiert
hatten. An ihnen siedeln sich mancherleiKorallen an und verschönem
mit ihren lebhaften Farben das Düster der aus dämmemder Tiefe
emporragenden Felsen. Auf den Blöcken nahe am Ufer im seichten
Wasser wachsen fast krustenartig niedrig bleibende Stöcke dieser
Blumentiere, mit zunehmender Tiefe folgen immer größere und statt-
lichere, bis schließUch jene an Bäume erinnernden Formen sich ein-
stellen. Auf lockerm Grunde scheinen keine Korallen zu leben, Aus-
nahmen kommen indessen vor.
Die Schuttmassen, welche die Inseln bilden, sind keineswegs
iJ
^ regellos aufgehäuft, sondern büden niedrige, breite Wälle, die mit
^; dem Außenstrande parallel laufen. Zwischen ihnen befindet sich
^ jedesmal eine Einsenkung, welche an einzelnen Stellen infolge Aus-
I einandertretens der WäUe zu einer mehr oder weniger breiten, seichten
^ Mulde wird, an deren tiefstem Punkte sich ein Brackwasserteich zu
bilden pflegt. Der jüngste Wall, das heutige Außenufer der Insel,
pflegt der höchste zu sein; von ihm aus fällt das Eiland sanft nach
der Lagunenseite hin ab. Dieses geschieht jedoch nicht in einer Ge-
raden, sondern in einer unregelmäßigen WeUenlinie, indem die Wälle
ganz allmählich niedriger, und die Vertiefungen zwischen ihnen un-
deutlicher werden. Bei genauerer Nachforschung lassen sie sich
jedoch selbst dicht am Innenstrande noch erkennen, soweit sie nicht
durch Wegeanlagen usw. zerstört sind.'*
Schließlich bemerkt Dr. Schnee, er sei durch seinen Aufenthalt
auf Jaluit zu einem überzeugten Anhänger der Darwinschen Senkungs-
theorie geworden.
224 I>tt Ifeo'.
Das Atoll von FunatiitL Die schon von Darwin aufgestellte FcKde-
ning von Bohrungen auf Korallennffen bis zu großen Tiefen ist tod
der Royal Society in London ausgeföhrt worden, indem eine Ex-
pedition unter Leitung des Prof. Sollas zu diesem Zwecke nach dem
Atoll Funafuti entsandt wurde. Dieselbe hat ihre Au^abe toH-
standig gelöst und die Ergebnisse in einem großen Werke veroüeat-
licht. Folgendes ist eine kurze Wiedergabe der Hauptresultate. i)
Im Jahre 1896 wurde bei den Bohrungen nur eine Tiefe von 105 Fofl
erreicht, im nächsten Jahre eine solche von 698 Fuß, doch waren die
Gesteinsproben zu gering, um sichere Resultate zu liefern. Dafür
wurden aber eine sehr detaiUierte Karte und geologische Annahmen
des Atolls erhalten. Im Jahre 1898 wurde eine dritte Expediti<»
entsandt, und dieser gelang es, die Bohrung bis zu 1114.5 Fuß nieder-
zutreiben und 384 Fuß festen Gesteinskem zutage zu fördern. Außer-
dem wurde in der Li^une ein Bohrloch von 245 Fuß Tiefe erhalten.
Es ergab sich, daß das Atoll von der Oberflache bis zu der erreichten
Tiefe Kalkfelsen ist, der von Ldthothamion und Halimeda wie aus
riffbildenden Korallen besteht. Der unterste Teil ist ein in Dokunit
verwandeltes Korallenmaterial. Nach Prof. Davis ist das ursprüng-
liche Fundament des AtoUs wahrscheinhch vulkanischer Natnr, aber
dieser Kern wurde durch organische Gebilde langsam an seinem Um-
fange vergrößert; auch müssen Schwankungen der Küste statt-
gefunden haben. Die Bohrkeme wurden nach England gesandt und
in Dünnschliffen von Prof. Judd und Dr. Hinde untersucht. Die
Menge der Kalkalgen ist überraschend groß. Oolithische Strukt<iir
und Schichtung fehlen, und man findet keine Beimengung von Tki-
Seeorganismen; dieselben Gattungen und Arten kommen vom GipM
bis zum Boden des Durchschnittes vor. Ausge<^ehnte chemische und
mineralogische Veränderungen haben in dem Gesteine stattgefundea
seitdem die Korallen lebend waren, und Hiese Änderungen sind tod
Prof. Judd und Dr. Cullis im Detail studiert worden. Ein definitiver
Schluß über die Entstehungsweise des Atolls wird nicht gi&EogaL
allein alles deutet darauf hin, daß die Befunde zugunsten der Darwin-
schen Rifftheorie sprechen.
Das Meer.
Sehwankungen des Meeresspiegeb in der Nfthe von New- York.
Nach den Untersuchungen von George W. Tuttle, welche sich auf
die Angaben des selbstregistrierenden Flutmessers seit 1853 stütxen,
finden solche Schwankungen in sehr ausgesprochenem Maße statt. ^
Tuttle findet für dieselben eine durchschnittUche Periode von acht
Jahren. Sie scheinen im allgemeinen durch Änderungen des Luft-
^) Amer. Joum. of Science 17. p. 478.
*) Amer. Joum. of Science 17. p. 333.
Du Heer. 225
druckes and den daraus folgenden Änderungen der Windgeechwindig-
keiten bedingt zu sein. Diese Schwankungen kompensieren sich im
Laufe der Zeit und erzeugen keine kontinuierliche Bewegung in einer
bestimmten Richtung. Außer diesen Bewegungen des Meeres zeigen
einige Häfen eine mehr oder weniger ununterbrochene Hebung des
Meeres in bezug auf das anliegende Land, andere ein Sinken des
Meeresspiegels, während noch andere nichts davon zeigen. Letzteres
deutet an, daß außer den oben erwähnten periodischen Änderungen
das Meer sein Niveau nicht verändert, und daß die relativen Ver-
schiebungen von Landbewegungen herrühren. An verschiedenen
Häfen ist die Geschwindigkeit der erwähnten Hebung des mittlem
Meeresspiegels nicht konstant geblieben, sondern hat sich bedeutend
verändert. Alle Beobachtungen zeigen, daß für lange Perioden die
Größe der Änderung kleiner ist als in manchen Teilen dieser Periode,
was den Beweis liefert, daß die Bewegung nicht kontinuierUch, son-
dern oszillatorisch und in enge Grenzen eingeschlossen ist. Die Beob-
achtungen in New- York City zeigen, daß seit 1875 das Land in bezug
auf den mittlem Meeresspiegel um etwa 1.45 Fuß gesunken ist, aber
seit der Aufstellung der selbstregistrierenden Flutmesser im Jahre
1853 bis 1875 war wenig oder keine Änderung eingetreten. Es ist
unwahrscheinlich, daß die jetzige Stärke des Sinkens unbegrenzt an-
dauern werde.
Beeinflussimg der Gezeiten durch Wind und Luftdruck. Eine
Hauptaufgabe der Statistik in den Küstengewässem ist die Voraus-
berechnung der Ebbe und Flut nach Zeit und Höhe. Trotz Ver-
besserung der Berechnungsmethoden, trotz des Fortschrittes in der
Erkenntnis der Gezeitenerscheinung seit Anwendung der harmoni-
schen Analyse auf die Beobachtungsreihen der verschiedenstenKüsten-
plätze weichen die berechneten Zahlen in den Gezeitentafeln von den
tatsächlich eintretenden Verhältnissen oft erhebUch ab. Besonders
für die holländischen Küstenorte ist diese Übereinstimmung noch
immer nicht recht befriedigend. Es sind deshalb in der neuesten
Zeit besonders von niederländischen Hydrographen Versuche unter-
nommen, eine Korrektionsformel abzuleiten. Theoretiker wie Prak-
tiker sind sich darin einig, daß die Ursache dieses Unterschiedes
zwischen Beobachtung und Berechnung der Gezeiten in erster Linie
in dem Einflüsse des Windes und Luftdruckes zu suchen sei. Unter
Berücksichtigung dieser Verhältnisse hat F. L. Ortt, Ligenieur
V. d. Waterstaat, Korrektionsformeln abgeleitet.
Wegemann gibt^) eine kritische Besprechung dieser Formeln,
die sich allerdings vorwiegend auf theoretische Erwägungen stützen,
und wonach jenen Formeln keine sehr große Bedeutung beizulegen
ist. „Schwerlich," sagt er, „wird sich eine allgemein gültige Formel
1) Annalen der Hydrographie ti. p. 204.
Klein, Jahrbuch XV. 16
DtB Meer.
finden Uaeen, die selbst nur für swei benachbarte Küstenorte anwend-
bar wiire, es sei denn, daß man auf G«iauigkeit verzichtet und sadt
schon mit räier rohen Annäherung begnügt. Denn die WirkBamkot
der Einfluß ausübenden Faktoren wiid in letzter Linie von den öit-
liehen Verhältniasen — Tiefe, Form und Lage der Kuatenlinie und
Gestalt des Meeresgebietes — am stärlcsten abhangig sein. Ln
flachen Wasser werden dieselben Ursachen ganz anders in WiikBam-
keit treten wie im tiefen, in engen Buchten anders wie an den cShsom
ozeanischen Küsten, im Beieiche geschlossener Meeresgebi^ie andes
wie in Bandmeeren oder im Weltmeere. Im erstem liegt zunächst
noch der Schwerpunkt der ganzen Untersuchung, da die Ab^v^eichun^
van den berechneten Flutgrößen nur für flaches Wasser von ptsk-
tischer Bedeutung sind. Für dieses gelten die Orttschen Formdn
nicht, wie er ausdrücklich bemerkt; daher ihre aUgemeine Anwend-
barkeit nicht zweckentsprechend sein wird.
Die Höhe des Mittelwaisen bei Ragusa und die Ebbe und FM
im Adriatlsehen Meere ist von R. von Stemeck behandelt worden. ^)
Er folgert aus der Theorie und den Beobachtungen an verBchiedeoBi
Teilen des Mittelländischen Meeres, speziell an der Adria, daß die an
den Küsten geschlossener Meere anlangenden Wellen nicht flutwelkB
im eigentlichen Sinne, sondern nur Übertragungen, gewisaermaßei
nur Kopien der über der tiefsten Stelle (des betreffenden Binnen-
meeres) erregten Fluten sind. Der südhche Teil des Adriatiscbcs
Meeres ist ein beiläufig rundliches Becken, in dessen Mitte eich Tkim
von über 1600 m vorfinden. Die Hafenzeiten an den umliegenda
Gestaden sind alle nahe gleich vier Stunden. Nach Norden pflanft
sich die durch die zentrale Erhöhung der Meeresflache erregte Welk
mit einer stündlichen Geschwindigkeit von 60 km fort, für Triest isl
die Haienzeit 9.5, für Venedig 10.6 Stimden. Die mittlem Fluthölieo
nehmen im Adriatischen Meere gegen Norden im allgemeinen zo,
weil das Meer seichter wird, von 0.3 m bei Bagusa auf 0.6 m in Triest
Eine allgemeine Karte der Meerestlefsn. Hierüber machten
J. Thoulet und Gh. Sauerwein der französischen Akademie der Wissen-
schaften folgende Mitteilung : Der im Jahre 1899 in Berlin al^ehaltene
Geographenkongreß setzte eine internationale Kommission für dk
Benennung der Südozeane ein, mit dem Auftrage, eine verbesserte
Karte der Meerestiefen spätestens bis zum folgenden Kongresse in
Washington am 8. September 1904 fertig zu stellen und zu veröffent-
lichen. Diese Kommission, der deutscherseits die Professoren Supan
und Krümmel angehören, tagte am 15. und 16. April in Wiesbaden
unter Vorsitz des Fürsten Albert von Monaco und billigte einstimmig
den vom Professor Thoulet vorgelegten Plan, nach welchem die nun-
^) Mitteil. d. k. militar. geogr. Jahresber. ^len 1904.
Das Meer. 227
mehr fertig gestellte Karte unter Leitung von Sauerwein ausgeführt ist.
Die im Maßstäbe von 1 : 10 000 000 ausgeführte Karte besteht aus
24 Blättern. Die Polargegenden von 72 bis 00^ Breite sind in gnomo-
nischer Projektion ausgeführt auf einer die Pole tangierenden, den
Breitenkreisen parallelen Ebene. Diese beiden Projektionen sind in
je vier Blätter geteilt, die die Quadranten von 0"", 90"" O, ISO"" und
90^ W Länge umfassen. Zwischen 72° Nord- und Südbreite ist für
die Darstellung die Merkatorprojektion auf eine den Äquator tan-
gierende, der Erdachse gleichgerichtete Ebene gewählt. Die ein-
a^lnen Blätter erhielt man, indem die Projektion längs der Meridiane
O*", QO"" 0, ISO"", 90"" W zerschnitten und diese Stücke wieder senk-
recht dazu längs der Breitenparallele 0°, 47° N und S geteilt wurden,
also zusammen 16 Blätter. Eine besondere Bezeichnungsweise ge-
stattet nicht allein jedes Blatt dieses 1 : 10 000 000 hergestellten
Atlasses zu benennen, sondern auch jedes Blatt, das etwa durch Ver-
zehnfachung oder wiederholte Verzehnfachung von den ursprüng-
lichen abgeleitet wird. Die Karte, im Juni 1903 begonnen, heute voll-
endet, weist die bis zum Juli erhaltenen Tiefenangaben nach. Die
Isobathen sind für 200, 500, 1000 m und von da an von 1000 zu 1000 m
bis 9000 m ausgezogen und nach den ausführlichsten Admirahtäts-
karten der verschiedenen Länder geprüft. Dank den Angaben der
betreffenden Marinebehörden und Kabelgesellschaften steht die
Karte vollständig auf der Höhe der Zeit, sie gibt für gewisse
Meeresteile wertvolle Aufschlüsse über die Bodengestaltung und zeigt
für andere, weniger erforschte, wo die Lotungen zukünftiger Tiefen-
forsohung einzusetzen haben.
Die TlefenverbUtnisse der nordpolaren Meere sind Gegenstand
der Darstellung E. Nansens in dem neuesten Bande seines wissen-
schaftlichen Werkes über die Expedition der „Fram*\ ^) Von dieser
wichtigen Arbeit gibt Prof. Schott eine kritische Darstellung des
Hauptinhaltes, der das folgende entnommen ist:
Das Material über die Tiefenverhältnisse, welches zur Behand-
lung kommt, beruht auf Nansens eigenen Messungen und aller sonst
vorhandenen bathometrischen Ergebnisse in den nordpolaren Ge-
wässern. Nach der Darlegung der tatsächlichen Verhältnisse an der
Hand von Karten geht Nansen zu theoretischen Betrachtungen be-
züglich der Entstehungsweise der vorhandenen Bodenformen über.
Dabei behandelt er in erster Linie den sogenannten Schelf. Mit
diesem Namen wird derjenige Teil des Kontinentalrandes bezeichnet,
der sich von der Grenze der dauernden Meeresbedeckung ganz all-
mählich in der Regel bis 100 Faden oder 200 m Tiefe senkt und dann
^) The bathymetrioal featuree of the North Polar Sea. Christiaiiia
1904. AoBführl. Ref. darüber von Prof. Sohott in Ansalen d. Hydrogiaphie
li. p. 46a.
16*
228 »M Maar.
plötdich in einen steilen Abfall übergeht, ^e z. B. der britäsche Schdt
der Schelf der Neufundlandbank usw. (englisch „Shelf'', fnmöäicli
„Socle'' oder „Plateau Continental"). Es ist also dasjenige Meem-
gebiet, welches man sonst vielfach ab „Kontinentalstufe'' beceiehoet,
an deren Außenkante das wahre Ende der Kontinente zu suchen irt,
oder welches man auch allgemein „FUohsee" nennt, ein Ansdrock,
gegen den allerdings mit Recht immer eingewendet worden ist, M
es ausgedehnte Flachwasserzonen gibt, denen der Charakter der
„Kontinentalstufe'' oder des „Schelfs" nicht zukommt.
Was ztmaohst das nordpolare Becken anbelangt, als «dd»
man die von den Nordküsten Nordamerikas über den Pol hinweg Üb sa des
sibirischen Schelf einerseits und von Spitcbeigen bis zur Bering^tzafie ante-
aeite sich ausdehnenden Gewässer beseichnet,!^ gelten von ihm nach Nama
folgende Satze:
„Es ist^fein tiefes Becken (Tiefen bis zu 4000|»/) ; von dem BaraDtamsR
ist es durch einen fortlaufenden unterseeischen Bücken getrennt, welche 8^
ringere Tiefen als 220 tu besitzt und von Nowaja Semlja nach Kaiser Fns
Josefland und nach Spitzbergen sich erstreckt. Erheblich tiefer ist ds
Meer zwischen SpitzbergiBn und Nordostgronland, doch scheint auch hier o»
relativ seichte Scnwelle unter rund Bl^ nördl. Br. westöstlich zu zidieD(l«kr
geringste Tiefen 476 und 786 m). Jedenfalls setzen sich die grofien TiefeD d»
nordpolaren Beckens nicht ununterbrochen in diejenigen des norwegsAfl
Normneeres (zwischen Ostgrönland, Island imd Norwegen) fort, was von «esot-
lieber ozeanographisoher Bedeutimg ist. Denn ein ungehinderter WaM"
austausoh zwischen den beiden Tiefl^ken ist dann unmöäich, und in (krli^
laßt das Bodenwasser beider Becken erhebliche Unterschiede erkennen, h
norwegischen Nordmeere ist die Bodentemperatur — l^ bis — 1.2", zview*
Spitzbergen und Grönland sogar — 1.3® und — 1.4^ der Salzgehalt b^
35.06 bis 35.29<^/oo- Im nordpolaren Becken, wo man noch niedrigere Bodo-
temperaturen erwarten sollte, liegt die Temperatur des Bodenwassers dardi^
schon bei 0 bis — 0.8^ und der Salzgehalt betragt etwa 36.29/^; dies Bod»
wasser kann also nicht, oder mindestens nicht unmittelbar, aus dem off*
wegischen Nordmeere stammen. Da nun die das Bodenwaaser des norc^iolii«
Beckens überlagernden Waaserschichten warmer sind als das Bodai«>s||
selbst, so entstät die Frage: Woher stammt die niedrige Temperstorv
nordpolaren Bodenwassers? Der einzige Ausweg, den auch Nansen ssnimvl
ist der, daß das Bodenwasser irgendwo in den noch unbekannten l^^^ ^
nordpolaren Beckens an der Oberfläche gewesen und dort bis auf —0.8**^
gekühlt worden sein muß, daß also große, tiefe Meere^gebiete nahe am Pole ^'
banden sein müssen, in denen die warmem Zwischenschichten fehlen. ^^
dem Weg ' der ,,Fram** hat man Andeutungen von solchem ozeanographiscDS
Wärmeprofile nicht gefunden; fol^ch muß eine solche Warmeanordnanri»
der amerikanischen Seite des Beckens vermutet werden, und daraus ^ol£^^^^^
die Forderung, daß das nordpolare tiefe Becken viel größere Flächen ^^'^SJ?^
als wir bisher durch die „From^-Messungen kennen, daß also auch die G^^
im Norden von Alaska und im Norden der arktisch -nordamerikaniflchenjuw«-
weit wirkliche Tiefseegebiete sind. Wie weit der Kontinentalrand d*^.
vom amerikanischen Archipel und nördlich von Grönland reicht, ist ^^^^^^''^jj
da aber Nordgrönland, (Jrinelland und das von Sverdrup ®i^^^^^
Heibergland vergleichsweise hoch sind, so ist nach den sonstigen >Q^^^.
logischen Analogien wahrscheinlich, daß hier die Tiefsee ziemlich nahe li^'
Amund Ringnes- und EUef -Ringneeland, femer Prinz Patrick- ^i^.^^Tl
insein sind niedrig, daher mögen dort ausgedehntere Flachseegebiete i*^
Norden hin vorhanden sein. Ob wir die nöralichsten Teile des festen I^odei
Das Mear. 229
überhaupt sohon kennen, kann man unmöglich heutzutage sagen; die Möglich-
keit von noch unbekannten Inseln im äu&nten N(»den ist nicht zu leugnen,
aber nach den ozeanoffraphischen Verhältnissen ist anzunehmen, daß solchen
Inseln, wenn sie äbeniaupt vorhandan [sind, keine große Ausdehnung zu-
kommt/*
R9 Was nun die Bodenbeschaffenheit des nordpolaren Beckens betrifft,^ so
ist in den Grundproben der ungewöhnlich geringe Betrag an Resten organischen
Ursprunges in erster Linie auffallig. In den meisten Fällen war es schwierig,
überiiaupt Reste von Foraminiferenschalen oder von andern Organismen zu
finden. Der größte Prozentsatz an kohlensaurem Kalke wurde mit 5% in einer
Bodenprobe von 83^^ 24' nördl. Br. und 102o 14' östl. Lange festgestellt; im
übrigen schwankte der G^ehalt an GaCOg zwischen 1 und 3%. Nach den mehrere
hundert Proben umfassenden Analysen seitens der „Challenger"-£xpedition
stellt sich der Dmxshsdinittsgehalt der Tie£Beeerden an Kalkkarbonat, welcher
mit zunehmender liefe abzunehmen pflest, für die offenen Ozeane bei 3000 m
auf etwa 70%, bei 3600 m auf etwa 62%, bei 4000 m auf etwa 61%.
Globigerinenschlamm besteht im allgemeinen zu 64% aus Kalkkarbonat;
Diatomeenschlamm enthalt davon trotz seines Charakters als Eaeselerde
immer noch etwa 23%. Die Armut des nordpolaren Meeresbodens an Besten
kalkschaliger Organismen ist also außerordentlich groß ; steht aber nach Nansen
im Einklänge mit der Armut der Meeresoberfläche an oiganischem Leben, welche
Armut ihrerseits dadurch erklärlich wird, daß die Meeresoberfläche jahraus
C* rein ganz von Eis bedeckt ist. Wenigstens hat Nansen in den im Polar-
ken gewonnenen Planktonproben kaum einige Foraminiferen gefunden.
Ähnlich scheinen in dieser Beziehung die Verhältnisse im Südpolarmeere,
wenigstens dort, wo die „Valdivia**- und die „6auß"-Expedition gearbeitet
haben, zu liegen.
An den Bodenproben aus den Tiefen des nordpolaren Beckens ist in zweiter
Linie ihre Feinheit oeachtenswert; gröberes Material oder gar Steine wurden
nicht beobachtet, obwohl man sonst diese letztere Art der Bodenbeschaffenheit
für polare Gewässer als charakteristisch ansieht, zumal da, wo das Meer vom
Eise bedeckt ist. Für das nordpolare Becken ergibt sich daher aus der durch-
gängigen Feinheit der Bodensedimente die Schlußfolgerung, daß seit langen
geologischen Epochen keine Trift von Gletschereis, d. h. Eisbergen, über dies
Becken hinweflgezogen ist, selbst weim (was wahrscheinlich) eine sibirische
Eiszeit bestand^ hat. Wohl transportiert auch noch heute das Eis der sibiri-
schen Flüsse und des sibirischen Schelfes erhebliche Mengen terrigenen
Materiales, aber dieses Eis kommt in der Hauptsache, d. h. auch an seiner
Unterseite, wo es diese Sinkstoffe fallen lassen könnte, zum Schmelzen erst
dann, wenn es das eigentliche arktische Becken verlassen hat, also im ost-
grönländischen Küstenstrome und südlich noch.'*
Die dem arktischen Becken angrenzenden atlan-
tischen Gewässer behandelt Nansen hauptsächlich in Rücksicht auf
die Schelfbüdung. Er findet, daß innerhalb der hier behandelten Gebiete im
allgemeinen der Schelf um so breiter und um so tiefer unter dem Meeres-
spiegel gelegen ist, je niedriger und flacher die angrenzende Küste ist (z. B.
Irondhjemcustrikt), daß er aber um so schmäler ist und um so gerinffsre Tiefen
aufweist, je höher und Steuer die benachbarte Küste aufrafft (z. B. Farör oder
die Südküste Islands). In Verbindung mit dem Schelf stdit eine weitere Be-
sonderheit des untermeerischen ReUefo dieser nördlichen Gewässer, die
Nansen eben£BÜls sehr ausfühilich b^andelt. Es ist die einige wenige Meter,
meist nur 6 bis 10 m unter dem jetzigen Meeresniveau, aber auch stdlenweise
etwas über demselben liegende, an dM Ufer unmittelbar angrenzende Küsten-
plattform oder Strandebene (norwegisch „Strandfladen'*, englisch „shore
plane"), welche nicht mit den norwegischen Strandlinien oder Küstenterrassen
über dem Meeresspiegel, verwechselt werden darf. Von dieser Strandebene
230 !>•• >'««'•
«ntwirft NaoMD folgende Schildeniiig» die beeonden aof die iiarwcigiBdiea Ge-
wieeer noh benebt» jedodi auch lor die eoteptediendai Bnwshehwinge» der
beiiMdiberCenGeiriMMriiieiBiGültii^tliat „Weit oAch See hiiiM», i
mal einige 20 bis 30 Seemeilen oder 40 bie 50 Im bceit» entieckt sc'
sanzen fmtt vollkommen wagerechte, ebene Flädie, die aber dordi _
Feleen und nntenneeriflche Fjordtaler in einTOlne, kleine, ebene Flachfm
schnitten iet; der Boden iet Fela oder doch jedenfiiOe fast frei von GeraD vnd
Schutt. Die Niveaunnterechiede auf dieaer Plattform oder StrandebeDe sind
äußerst gerinct viel minger als auf dem im aOmneinen auch nnr wenig be-
wegten S^euboden. Zu diesem letztem, der zum Unterschiede ▼on der Strand-
eb^e meistens mit Schlamm und feinerm oder groberm Sand bedeck isl,
fuhrt ein ziemlich unvermittelter Abf&U, der bis 10^ Nogung gewinn^ hiitth
Der Übergang dagegen zum heutigen festen Lande hinauf ToUzieht ekh sehr
allmählicl^ und es ist oft schwierig, hier eine obere Grenze ansngeben."
Die Stnndebene in ihrer vollendeten Ausbildung längs der ncM-wegiedm
Küstengebiete fehlt den übrigen westeuropäischen Küsten oder sie iat dnnrilMt
nur ganz schmal; ebenso femt sie größtenteils auf der amerikaniarJicm Seite
des MordaUantiBchen Ozeans, obschon sie bei Labrador und Neufundland an-
gedeutet ist; sie fehlt auch bcd den Faror und bei Island, findet sich jedoch gat
ausgeprägt an der Westküste Grönlands.
Die Frage nach der Entstehunggweise dieser eigentümlichen Bodeniacm
beantwortet Nansen dahin, daß es sic£ um ein Werk <ter Meeresbrandnng, d. L
der Wellen handele, um marine Denudation. Die Strandebene ist bis zu 40 ■
breit, so breit also, daß es unmogUch ist, anzunehmen, sie sei bei unvermmierteai
Meeresniveau von der Brandung geschaffen; die Wellen müßten ja bei ihren
Vorschreiten bis zur Küste über dem flachen Wasser bald den größten Teil ihrer
erodierenden Kraft verloren haben. Daher würde der naheli^endate GSedanke,
welcher ja auch bei allen lehrmaßigen Darstellungen der Abrasion ausgefühzt
wird, der sein, daß die Abrasion unter allmählicher Senkung des Landes oder
aUmählichem Vorrücken des Meeres, jedenfalls bei positiver (mariner) Stnnd-
Verschiebung stattfindet. Durch diesen säkularen Vorgang wird eine eben-
mäßige, aber von der Meerestiefe zum Feetlande schwadi ansteigende Fläche
entstehen. Nach Nansen ist aber die norwegische Süundebene honzontal
zu wenig geneigt, um in der angedeuteten Weise nur durch den Angriff der
Brandung von der offenen See her entstanden sein zu können. Er ma(£t daher
die Voraussetzung, daß Küste und Meeresboden durch tiefe Fjorde und Kanäle
bereits vollkommen zerschnitten und zerteilt waren, ehe die Bildung der
Strandebene mit Frfolg von der brandenden See begonnen werden konnte;
von verschiedensten Richtungen her begann gleichzeitig das Werk der Ab-
tragung und Abschleifung. l^e Strandebene soll daher jünger als die Fjorde
sein. Nansen nimmt femer in der Frage nach der Entstehung der Fjorde den
gemäßigt dazialen Standpunkt ein, daß die Fjorde als alte, später unter-
getauchte Talbildungen in der Hauptsache vor der Eiszeit bestanden haben,
und nur Einzelheiten der Bodengestaltung (Aufschüttung oder Ausräumung)
durch das fließende Eis der Gletscher ihre Erklärung finden. Somit kommt
Nansen zu dem Satze: Die Fjorde sind präglazial; die Strandebene ist post-
fflazial, womit der Umstand übereinstimmt, daß die Strandebene me&st ans
blankem Fels besteht, während der weiter seewärte gelegene, ältere, ^eich den
Fjorden präglaziale Schelf von glazialem Schutte veraohiedenster Komgröfie
übersät ist. Die Strandlinien sind nach Nansen wieder jünger als die Strand-
ebenen. Nansen hat bei seiner Annahme einer vergleichsweise großm geo-
logischen Jugend der Strandebene gewichtige Gegner gegen sich, so Beusch
und Vogt, die für präglazialen Ursprung sprechen; £. Richter nimmt inter-
daziale Entetehung an, und A. M. Hansen hält überhaupt eine Entstehung
durch das erodierende Eis für wahrscheinlich. Das Alter der Strandebene
mag zweifelhaft, ihr nsariner, also nicht glazialer Ursprung düifte aber ge-
sichert sein.
Das Meer. 231
Was nun die Bildung der Schelfe und zunächst die Bildung des norwegi-
schen Schelfes anbelangt, so geht Nansen davon aus, daß wahrend langer pra-
flazialer Epochen das Meeresniveau ein anderes als heute und die Flache des
eutigen Schelfgebietes trockenes Land gewesen sein muß. In dieser Zeit
erhielt der spatere Schelf durch atmosphärische Erosion ein liemlich unruhiges
Relief; ist er doch durchaus keine solche einförmige Ebene wie die Strand-
ebene oder Plattform, die bisher geschildert wurde, sondern meistens mit
charakteristischen Terrainformen, mit Depressionen, Talern usw. ausgestattet.
So folgen die offenbar von frühem Flüssen geshaffenen Rinnen des norwegischen
Schelfes zwei gut erkennbaren Hauptrichtungen, einer mit der Küste ziemlich
parallel verlaufenden longitudinalen Richtung und einer dazu annähernd recht-
I winkligen. In weit zurückliegenden geologischen Epochen müssen, wie nach
j den Tiefenlotungen auf dem Schelfe zu schließen ist, die heute untergetauchten
longitudinalen Fjordtäler des Schelfes bis zu einem Niveau hinab erodiert
worden sein, das heute 500 bis 600 m unter dem Meeresspiegel liest. Als die
I Senkung dieses schon von den Atmosphärilien bearbeiteten (Land-) Gebietes
' erfolgte, hatte die Tätigkeit des Meeres erleichtertes Spiel, um eine Einebnung
' und Abrasion zu bewerkstelligen. Natürlich wurden dabei diejenigen Teile,
i welche aus weichem Gesteinsarten bestehen, wie z. B. die Küstenteile von
Norrland und Finnmarken, stärker abgetragen als diejenigen Küstenstrecken,
die aus harten, archäischen Gesteinen sich zusammensetzen, z. B. Romsdalen,
Lofoten-Vesteiaalen. Hierin liegt teilweise die Erklärung für die etwas ver-
I sohiedene Tiefe der einzelnen Schelfpartien. In einem seewärts gelegenen
I Schuttkeflel sind die terrigenen Sedimente dieser Periode angehäuft. Die Eis-
I Zeiten haben dann den norwegischen Schelf noch mit glacialem Blockmaterial
i überstreut; auch marine Ablagerungen kamen dazu, so daß der Schelf jeden-
I falls an Ausdehnung seitdem nicht verlor. Die eigentliche Entstehung des
I Schelfes fällt also vor die Eiszeit, wahrscheinlich in die Pliozänperiode. Bis
I in neueste Zeiten müssen endlich sehr erhebliche und verschiedenartige Niveau-
I änderungen des Meeres, bald ein Steigen, bald ein Fallen des Meeresspiegels,
I eingetreten sein, die wir hier nicht weiter verfolgen wollen. Überblickt man
I im Anschlüsse hieran die ähnlichen Bildungen in den hohem Breiten des Nord-
I atlantischen Ozeanes, so z. B. den bekannten Nordseeschelf, den Schelf vor dem
[ Englischen Kanäle („die Gründe" vor dem Kanäle) u. s. f., so ist hier wie dort
, nicht ein einheitliches Agens die Ursache für deren Entstehung gewesen;
I mehrere Faktoren haben in vereinter Wirkung diese interessanten jlachsee«
, gebiete geschaffen. In erster Reihe stehen dabei immer die subaerische Erosion
I und die submarine Denudation. In der Annahme, daß diese beiden Kräfte in
Tätigkeit gekommen sind, liegt zugleich die Forderung der fernem Aimahme,
daß bedeutende Niveauanderungen, vonsuasweise marine Strandverschie-
bungen, damit Hand in Hand gegangen sind. Diese Schelfe von Großbritannien
und Irland, von der Westküste Frankreichs, von den Farör, von Island, von
Neufundland und wie sie alle heißen mögen, sind weder lediglich Produkte
einer Anhäufung von terrigenen Sedimenten des angrenzenden Festlandes,
noch lediglich ein Werk der brandenden Meereswogen, noch lediglich Auf-
schüttungen glazialer Art, sondern komplexe Bildungen, an denen cule die ge-
nannten Faktoren in jeweils verschiedenem Grade, ähnlich wie bei dem nor-
wegischen Schelfe, Anteil schabt haben. Man kennt aus den neuem Detail-
ablotungen des Meeresgrundes auf den Schelfen eine ganze Reihe von wirklichen
alten Flufltälem, wdche heute untermeerisch sind; deren Gestalt fordert aber
gebieterisch, daß sie durch das fließende Wasser auf einem ehemals festen
Lande zustande gekommen sein müssen, ähnlich wie auch die Fjorde als Täler
präglazialer Epochen durch die mechanische Arbeit rinnender Festlands-
gewässer ihre erste Anlage erhalten haben müssen. Jedenft^ ist es unrichtig
und gegenüber der Vielheit der zu berücksichtigenden Unterschiede im einzelnen
unzureichend, mit J. Y. Buchanan diese Schdfe als reines Produkt der Bran-
dungswoge auf gegenwärtigem Meeresniveau anzusprechen."
232 IHM Meer.
Die physische Geographie des nnnisehen Meerbusens bebandelt
E. F. Ficcaxd ^) auf Grund der hauptsächlichsten vorhandenen (be-
sonders rassischen) Literatur. Die Größenverhältniase anbelangend,
findet er, wenn als westUche Grenze die gerade Linie Spithamn-Haogö
Udd angenommen wird, als Areal 29 884 qkm, als größte l^fe 113 ni,
ak mittlere Tiefe 35.8 m und als Volumen 1064 ckm.
Das Barenismeer ist 1902 von der wissenschaftlichen Murmsn-
ezpedition erforscht worden, und Dr. L. Breitfuß macht über die be-
züglichen hydrographischen Arbeiten Mitteilung.*) Es ei^bt sich
aus den angestellten Untersuchungen, daß der längs der norwegischai
Westküste laufende Golfstrom sich in etwa 72^ nördl. Br. teät. Der
Arm mit dem Wasser von größtem Salzgehalte verfolgt seinen Weg
nach N, geht dem Westufer von Spitzbergen entlang bis zum 76. oder
77. Parallel, taucht hier unter die Oberfläche und erscheint wieder is
einem nicht großen Rayon bei der Insel Amsterdam (etwa 79^ N).
Diesen ganzen Unterwasserweg von ca. 120 Seemeilen charakterisierl
die Eisfreiheit des Fahrwassers im Frühlinge. Sie ist schon von altezs-
her bekannt unter dem Namen „Whalers Bay", d. h. WaUängerbadit
Dabei gibt dieser Arm, auf die kontinentale Stufe Spitzbergent
stoßend, noch einen Nebenarm ab, der, infolge der Erdumdrehui^
nach 0 neigend, in der Bodenrinne bis zum Stor-Fjord lauft.
Der zweite Hauptarm lauft in der Mulde zwischen Noidkap und
der Bäreninsel, sich infolge der Erdumdrehung nach O neigend, ixe
flache Barentsmeer, in welches er, sich fächerförmig in Nebenarme
teilend und ausbreitend, sich ergießt und dabei dem Bodeniehef
anpaßt. Von diesen Nebenarmen sind am deutlichsten vier eikemh
bar, unter welchen der südlichste, in südöstücher Richtung laufoid,
fast parallel der Murmanküste in einer Entfernung von nicht m^
als 100 Seemeilen (175 Werst) sich vor den beiden nächsten Zweigen
durch höhere Temperatur (im Sommer) und geringem Salzgehalt
auszeichnet, was bedingt wird durch die Nähe des im Sonuner er-
wärmten und immer etwas süßer gewordenen kontinentalen Wassers.
Die drei andern Arme des Nordkapstromes werden bald van der
aus O und NO kommenden kalten Strömung unkennüich gemacht,
sinken in die Tiefe und vermischen sich mit dem arktischen Wasser.
Eine kalte Strömung mit einer Temperatur von — 1.8° läuft längs
der Westküste von Nowaja-Semlja von S nach N bis zu etwa 100 si
Tiefe. Was das Weiße Meer anbelangt, so ergibt sich, daß in den
kesseiförmigen und verhältnismäßig tiefen Teilen der westlichen Qälfte
desselben, welche vom Ozeane durch eine sehr flache Barre von 50 bis
GOmTiefe, die „Gurgel*', geschieden sind, die untern Schichten im Ver-
laufe eines großen Teiles des Jahres eine sehr.niedrige Temperatur be-
1) EHaaertation Kiel 1903.
s) Petermanns Mitteil. 60. p. 35.
Das Meer. 233
sitzen, welche in^Anbetracht ihres geringen Salzgehaltes (30 Promille S.
für die untern Schichten) jahraus jahrein sehr nahe ihrem absoluten
Minimum, ist. Die obem Schichten können sich dank der Insolation
und dem großen Zuströme warmen Süßwassers sehr stark erwärmen.
Ein BUck auf die schematiache Karte der Verbreitung der Strö-
mungen und der verschiedenen Dichtigkeit des Wassers im Barents-
meere zeigt, daß das Bett der Strömungen und der Bassins von
Wasser großer Dichte, streng den Mulden und Kesseln des Meeres-
bodens entspricht. „Wir können überall konstatieren, daß das atlan-
tische Wasser, bei seinem Ostlaufe auf die Stufen des verhältnis-
mäßig flachen Barentsmeeres stoßend, sich in die Binnen drängt,
welche den Boden hauptsächlich in östlicher und nordöstlicher Rich-
tung durchfurchen, und seine wohltätige Wärme über das ganze
Meer verteilt. Daraus müssen wir schließen, daß nach dem ursprüng-
lichen und Hauptfaktor, nämlich der Umdrehung der Erde, die
einem Teile des Golfstromes auf seinem Wege längs der Westküste
Norwegens eine östUche Richtung gibt und ihn zwingt, die Nordkap-
strömung abzuzweigen, wir den zweiten Hauptfaktor, der nicht
minder wichtig ist, in den Mulden zu suchen haben, welche das Bett
dieser Strömungen bilden. Diese Nordkapströmung mit ihren Ver-
zweigungen ist in ihrer geographischen Lage ständig, ebenso be-
ständig, wie es unsere Flüsse sind. Änderungen nach der Saison sind
nur unterworfen: die Intensität der Strömung, die Höhe der Tem-
peratur und der Grad der Konzentration der aufgelösten Salze;
Änderungen, welche freilich nicht so sehr von den örtlichen Faktoren,
als vom physischen Charakter des Hauptgolfetromes und von der
Summe der Bedingungen abhängen, welcher sie unterworfen sind
sowohl auf dem Tausende von Meilen langen Wege von seiner Wiege
fast unter dem Äquator bis zu unsem polaren Breiten, wie auch im
Mexikanischen Meerbusen selbst.
Fehlten diese Mulden auf dem Grunde des Barentsmeeres, so
würde ein größerer Teil des atlantischen Wassers in dem Strombette
längs dem Westufer Spitzbergens abfließen, und die geringe Menge
warmen Wassers, welche dank der Erdumdrehung in unser Meer
gelangte, wäre nicht imstande, uns vor einer Vergletsoherung zu be-
wahren, die dem nördlichen Europa das Klima geben würde, welches
Grönland besitzt.'*
Ober die Strömungen im Mordmeere verbreitete sich auf Grund
eigener und fremder Forschungen Johan Hjort. ^) Hiemach sind
über diese Strömungen jetzt folgende Vorstellungen gewonnen: In
dem großen zentralen Teile des Nordmeeres ist in den großen Tiefen
eine gewaltige Wassermasse von sehr eintönigem Charakter. „Jedes-
mal," sagt Hjort, „wenn wir im Winter oder Sommer aus Tiefen von
^) Zeitaohr. d. Ges. f. Erdkunde in Berlin 1904. p. 484.
234 I>«8 Meer.
1000 bis 3000 m Waaaerpioben Bammelten, zeigten dieee gmaa den-
selben Salzgehalt und dieselbe Temperatur. Der Salzgehalt war
durc hschnittUch 34.93, und die Variationen überstiegen nicht 0.03^/^
die Temperatur —1.1'' bis 1.2^
Aus der Homogenitat dieser Wassermasse kann man mit Sicher-
heit schließen, daß sie nur sehr geringe Bewegung hat. Sie ist durch
die große Bank zwischen der Nordsee und Grönland vom AÜantiscbea
Ozeane abgeschlossen, nach Professor Nansens Auffassung durch eise
ähnliche Bank zwischen Spitzbergen und Grönland von dem grofiea
Polarmeere getrennt.
AhnUche stülstehende Wassermassen haben wir in unsem nor-
wegischen Fjorden gefunden, wo große Wassermengen in VertiefaiigBii
hinter den Schwellen der Fjordmündungen abgetrennt werden, und
die Stagnation des Wassers sogar zum vollkommenen Verschwiodeo
des Sauerstoffes und einer Sättigung mit Schwefelwasserstoff wie im
Schwarzen Meere führt. Über den Ursprung des BodenwasaerB des
Nordmeeres hat Professor Nansen ausgedehnte Untersuchungen aih
gestellt und ist zu dem Ergebnisse gekommen, daß es nicht, wie mas
früher glaubte, vom Polanneere herstammt, sondern im NordmaeR
selbst gebildet wird, und zwar in der Gegend zwischen Jan Mayen
und Spitzbergen, wo das Bodenwasser bis an die Oberfläche empor-
steigt und denselben Salzgehalt und dieselbe Temperatur hat wie m
Boden, während das Wasser des Polarmeeres und des ostgrÖDlandi-
sehen Polarstromes andere physikalische Verhältnisse zeigt.
Während wir also in den großen Tiefen stillstehendes Wasser
haben, zeigen uns die obem Wasserschichten und das Wasser Ixs
700 bis 800 m Tiefe große Wechsel und Bewegungen. Sehr interessant
ist der große Einfluß der Form des Meeresbodens auf die Ausdehnung
der Strömungen aelbst in der Oberfläche. Dies ist besonders länp
des Abhanges der norwegischen Küstenbänke erkennbar.
Wir haben hier im Nordmeere bekanntlich bestimmte große
Strömungen, den Atlantischen Strom, den Polarstrom usw.
Der Atlantische Strom sendet seine Wassermassen durch dea
Faröer-ShetlandkanaJ in das Nordmeer hinein, zwei Zweige werdeo
an die Nordsee abgegeben; die Hauptmasse aber bewegt sich laop
der norwegischen Küste, bis sie sich im Norden in zwei Teile teilt,
von denen einer ins Barentsmeer, der andere längs der Westküste
von Spitzbergen fließt. Die Geschwindigkeit dieses Stromes wechselt
zwischen fünf und zehn Seemeilen in 24 Stunden. Von großem Inter-
esse ist es, daß die Geschwindigkeit bis zu großen Tiefen dieselbe ist
Heiland-Nansens Berechnungen beweisen, daß das Mazimiun oft
erst in 100 bis 200 m Tiefe liegt; es ergibt sich hieraus, welche große
Wassermassen in das Nordmeer hineingeführt werden. — Mit dem
Atlantischen Strome kämpft der Polarstrom, der längs der Ostkuste
Grönlands an den Küsten Islands vorbei südwärts fließt. Er teilt
sich bekannthch in zwei Zweige, von denen der eine zwischen WbjA
Daa Meer. 235
i und GrönlaDd, der andere längs der Ostküste Islands gegen die
\ Faröer fließt.
^ Es ist eine alte Frage, ob dieser Polarstrom im Winter den
Atlantisohen Strom durchqueren und an die Küsten Norwegens
^ heranfließen kann. Durch sehr anstrengende Fahrten haben wir
während der Winteizeit bis zu Jan Mayen und Island die Strömungen
L untersucht und gefunden, daß der warme Atlantische Strom das
t ganze Jahr hindurch den östUchen Teil des Nordmeeres beherrscht.
^ Das hat für das Verständnis des nordeuropäischen Klimas eine große
Bedeutung; wir haben nämlich gefunden, daß der warme Strom
während des Winters so viel Wärme an die Atmosphäre abgibt, daß
( er bis zu 200 m Tiefe um mehrere Grade kälter wird. Im Sommer
> 1900 war der Atlantische Strom etwa 2° kälter als in andern Jahren,
i was mit einem ungewöhnlich kalten Sommer im nördUchen Norwegen
( zusammenfieL
^ Wenn die Strömungen deswegen auch im großen und ganzen
ihre Richtung behalten, so sind doch ihre Variationen von der größten
Bedeutung. So fließt im Sommer das leichte Küstenwasser in der
Oberfläche von der Küste weg und führt auch eine Menge schwebender
^ Küstentiere mit, die wieder im Winter wahrscheinlich mit dem zurück-
' treibenden Obeiflächenwasser an die Küsten zurückgeführt werden.
Wie wir im Nordmeere das Gebiet des warmen atlantischen
Wassers von dem Gebiete des kalten Polarwassers unterscheiden
können, so gestaltet sich auch im Nordmeere, diesen Gebieten ent-
sprechend, das Tierleben sehr verschieden. In den großen Tiefen
des zentralen Teiles haben wir eine rein arktische Fauna, die ebenso
wie das Bodenwasser in der Gegend von Jan Mayen, Spitzbergen
und Ostgrönland in bedeutend geringere Tiefen emporsteigt. Auf
der großen Tiefebene selbst ist die Individuenzahl sehr gering.
Im hohen Norden herrschen Mischgebiete, in denen sich die
arktische Fauna auch mit südlichem Formen mischt. Vor allem gilt
dies von dem Barentsmeere und der südlichen Küste von Spitzbergen.
Vollkommen verschieden von diesen arktischen Gebieten sind
die Regionen der norwegischen und isländischen Küstenbänke und
Fjorde, sowie des Rückens zwischen Großbritannien und Island.
Wir haben hier überall den Einfluß des atlantischen Wassers. Wir
finden hier die atlantischen Formen, von denen eine große Menge in
den norwegischen Küstenmeeren vorkommt, wenn sie auch hier all-
mählich mit borealen oder arktischen Formen gemischt auftreten.
Viel schwieriger ist es, den Zusammenhang zwischen den Meeres-
strömungen und den schwebenden Organismen zu erforschen. Je
tiefer man aber hier einzudringen vermag, um so viel klarer kann man
das vielfältige Vermögen der Organismen, sich an die sie umgebenden
Verhältnisse anzupassen, erkennen.**
236 I>«« H«er.
Verf. verbreitet sich dann eingehend über das Auftreten und die
Wanderungen der Seefische im Nordmeere, besonders des so wichtigen
Dorsches, worüber auf das Original verwiesen werden muß.
Die groBe Eistrift bei der NeufimdbuidbanlE Im Jahre lOOS. Im
Frühlinge jenes Jahres erschienen die arictischen Treibeismaasen
östUch von der großen Neufundlandbank in einer so großen AnjjJil,
wie sie seit vielen Jahren nicht gesehen worden war, sodafisog^rdie
vereinbarten transatlantischen Dampferwege nicht eingehalten werdeo
konnten. Schon am 2. Februar hatten einlaufende Küstenfahrer nach
St. Johns auf Neufundland die Nachricht gebracht, daß große at-
tische Eismassen im Antreiben wären, voraussichtlich die östliche
Küste Neufundlands blockieren und sich über die große Bank au»-
breiten würden. Drei Tage spater war bereits der Hafen von St. Johns
vom Eise blockiert, längs der ganzen Küste lagen Packeistriften, und
das Meer war voll von arktischem Eise, welches mit der Labrador-
Strömung gegen die Dampferwege hin trieb. Am 8. März eneichtai
eine ganze Reihe von Eisbergen den 46^ nördl. Br. rechts an der Kante
der großen Bank, und einige Tage früher wurden solche schon anter
43^ westl. L. gesehen. Professor Gerhard Schott hat dieser meik-
würdigen Erscheinung sogleich seine Aufmerksamkeit gewidmet und
alles bekannt werdende Material darüber gesammelt. ^) Nach seiner
Zusammenstellung betrug in der zweiten Hälfte des März die tauche
Trift der Eisberge oder die Geschwindigkeit des Labradorstax^meB
16 bis 16 Seemeilen. Er machte damals darauf aufmerksam, dafi
das Gros des Eises im Frühjahre 1903 reichlich 1 Breitengrad sod-
licher liege, in einzelnen Bergen nahezu 1^ Breitengrade südlicher
vorgedrungen sei, als gewöhnlich der Fall ist. Dazu komme ab
weiterer gefährlicher Umstand das auffällig massenhafte Auftreten.
Einzelne Dampfer seien tagelang durch Eisfelder und an Eisbeigen
vorbei gefahren; häufig seien „unabsehbare, nach Norden sich er-
streckende Eisfelder'* gemeldet. Was die Größe der Eisberge be-
trifft, so schwankten die Angaben zwischen ganz kleinen Eisbrockeo
und der Dimension 100 m Höhe bei 600 m Länge; diese letztem, nur
von einem Schiffe gegebenen Werte sind jedoch nach Prof. Schott,
zumal was die Höhe anlangt, wohl mit einem Fragezeichen zu m-
sehen; denn man überschätzt bekanntlich leicht sowohl den Abstand
von einem Objekte wie seine Höhe, und Höhen von 60 m sind selbst
für die antarktischen Eisbergriesen ein mittleres Maximalmafi.
Häufig wurden für die damaligen Neufundlandeisberge Höhen von
40 bis 100 Fuß, also rund 16 bis 35 m angegeben.
Nachdem die Eistrift als solche nunmehr vor fast einem Jahrs
ihr Ende erreicht hat, und alles zu erwartende Material im wesent-
lichen eingelaufen ist, hat Prof. Schott eine genaue Untersuchung
derselben und eine Studie über die Wärmeverhältnisse des Meer-
^) Annalen der Hydrographie 1903. p. 204.
Das Ifeer. 237
Wassers im Jahre 1903 veroifentlioht, die zu eben so interessanten
als wissenschaftlich wichtigen Ergebnissen führte. ^)
Was zunächst die Eisverbreitung anbelangt, so erstreckte sich
nach Prof. Schotts Untersuchungen während des ganzen April die
große Eismasse in äußerst kompaktem, dichtem Auftreten und un-
unterbrochen bis reichlich 41^ nördl. Br. südwärts herab längs der
Ostkante der Bank. Im April 1903 war auf den unter gewöhnhchen
Umständen gültigen, vereinbarten New-Yorker Dampf erwegen sowohl
der Ausreisen wie der Heimreisen noch durchweg so viel Eis, daß die
Verlegung dieser Wege nach Süden der Sicherheit halber mit Recht
noch für den ganzen Monat Mai von den beteiligten Dampfergesell-
schaften aufrecht erhalten wurde.
Die Eisverhältnisse des Mai 1903 zeigten eine Besserung in der
kritischen Gegend, d. h. an der Südostecke der Bank; das Treibeis
war seiner Hauptmasse nach zeitweise auf dem Rückzuge insofern,
als sehr südliche Positionen nur noch ausnahmsweise vom Eise
erreicht wurden. Auf rund 42° nördL Br. und nördUch davon stand
zwischen den Meridianen von 52 und 54° westl. L. in der zweiten
Hälfte des Mai eine größere Zahl Eisberge, desgleichen an der Ost-
kante der Bank selbst; doch bUeb dies Eis hier immerhin vereinzelt.
Die Kemmasse des Eises lag im Mai auf dem nördlichen Teile der
Bank, die Südgrenze für das Oros war ungefähr durch den Breiten-
grad von Kap Race gegeben; das Hauptphänomen spielte sich also
im Mai nicht mehr im Südosten der Neufundlandbank, sondern im
Südosten Neufundlands ab.
Die vorübergehende Verminderung des Treibeises in der Nähe der
New- Yorker Dampferwege während des Monates Mai hielt aber nicht
an; im Juni 1903 erfolgte ein zweiter, wenn auch im Vergleiche mit
den Aprilverhältnissen schwächerer Vorstoß des Treibeises wieder
sehr weit nach Süden, bis nach 41^ nördl. Br. unter 49 bis 48^ westl. L.
Die Vorposten dieses zweiten Nachschubes waren nach Professor
Schott bereits Anfang Mai 1903 auf der Höhe von St. Johns er-
schienen. Am 5. Mai in St. Johns einkommende Schiffe hatten ge-
meldet, daß ungeheuere Eisfelder über die Bank südwärts trieben,
daß die ganze Nordküste Neufundlands durch Eis blockiert sei, und
zahllose Eisberge dort mit der Strömung südwärts zögen. Die
tägUche Geschwindigkeit betrug vielleicht 13 Seemeilen, also etwas
weniger als bei der ersten Trift im März.
Während der Monate Juli und August 1903 beschränkte sich das
Eisvorkommen (ähnlich wie im Mai) auf die nördlichsten Teile der
Bank. Die Belle-Islestraße wurde erst am 4. Juli 1903 passierbar,
war am 9. Juli fast eisfrei, doch erschienen schon von Mitte Juli ab
wieder sehr viele Berge vor der Straße, welche zum Teile in dieselbe
eindringen konnten, so daß die Schiffahrt von neuem daselbst sehr
1) Annalen der Hydrographie 1004. p. 277.
Das If Mr.
behindert war. Diese Gegend ist überiiaupt in der SaiwMi 190)
niemab ganz eisfrei geworden.
Was nun die Wärmeverhaltnisse des Meerwaasers im Jahro 1903
anbelangt, so findet Prof. Schott aus der soigfitttigen Profong dn
ganzen vorhandenen Materiaks, daß schon im Januar 1903, als noek
keine Spur von Eis anf den Schiffahrtslinien in Sidit war, das Waanr
mit Ausnahme des schmalen Streifens zwischen amerikanischer Knito
und 66^ westl. L. durchweg über die ganze Breite des OzeaneB bin
bis nach Europa zu kalt war, um 1 bis 3^ in der westlichen, um Oi
bis 1^ zu kalt in der östlichen Hälfte. „Darauf folgte, und zwar tob
Februar bis Ende April hin eine sehr regelmäßige Zunahme derA»
breitung eines Temperaturüberschusses schrittweise von Westeo
nach Osten in dem Sinne, daß die anfanglich negative Tempentoi-
anomalie allmählich bis nach 90° westl. L. ( i) in eine solche mit poa-
üvem Vorzeichen überging, und zwar war stete zwischen 70 and
W westL L., also dort, wo die Schiffe im stärksten Striche da» Golf-
stoomes sich befinden, der Betrag dieser positiven Abweichung an
größten, so daß man den Eindruck erhält, daß der Golfstrom in
Frühjahre 1903 eine über sein durchschnittliches Maß hinausgoheode
thermische Energie entwickelt hat. Wohlgemerkt, fällt dieser WiRM-
vorstoß in die Zeit der ersten gewaltigen Eistrift. Dieser Periode
des Vordringens der Wärme folgte dann vom Mai bis Juni, d. h. is
Frühsommer, als die zweite Eistrift sehr mächtig war, ein ebenio
entschiedener Rückgang der positiven Temperaturanomalie auf dtf
ganzen westUchen Hälfte der Wege (lediglich zwischen 05 und 70'
westL L. blieb das Wasser zu warm), und diese nunmehr wieder deo
Ozean in seiner gesamten Breitenausdehnung umfassende abnon»
Abkühlung blieb in bewundernswerter Konstanz bis Ende September
erhalten. Während dieses Zeitraumes war die Abkühlung meisteoi
am größten zwischen 60 und 45^ westL L. ; in der nahem und mteco
Umgebung der Neufundlandbank und auch südlich davon im Coli-
Stromgebiete war damals das Meerwasser um durchschnittUch ¥^
kalt. Auch für die europäische Seite des Ozeanes kann man viel-
leicht eine allerdings geringe Steigerung des Wärmedefizits feft-
stellen, denn das Wasser war im Sommer 1903 daselbst im Mittel os
mehr ab 1^, stellenweise und zeitweise um nahezu 2^ zu kalt.
Eine dritte und letzte Periode von einem WärmecharakteTi dtf
dem des Sommers entgegengesetzt ist, aber dem des Frühlingei ent-
spricht, begann endlich mit Ende September, Anfang Oktober 1903
und hielt bis Ausgang des Jahres an ; die Flächeneinheiten mit Winne-
überschuß auf der amerikanischen Hälfte des Ozeanes eifahien von
neuem eine Vermehrung auf Kosten derjenigen mit Wärmemaog^
so daß schließlich im Dezember die geographische Ausbreitung dtf
positiven und negativen Wärmeanomalie sich die Wage hielt '^
Prof. Schott widmet der Umgebung der Neufundlandbank etf»
spezielle Untersuchung bezüglich der thermischen Wirkung des &-
Das Meer. 239
Vorkommens und wendet sich dann zu den Ursachen der besondem
Wanneverhältnisse des Jahres 1903. Dieser Teil seiner Untersuchung
ist der interessanteste imd wichtigste, und er möge deshalb hier voll-
standig wiedergegeben werden. Prof. Schott sagt:
„Suchen wir aus den vorstehenden Betrachtungen im Eünblicke
auf die ganz ungewöhnlichen Mengen von Treibeis und Eisbergen des
Jahres 1903 allgemeine Gesichtspunkte über die Ursachen und ther-
mische Bedeutung eines solchen Naturphänomens zu gewinnen, so
ist es wohl sicher, daß die Wärmeverhältnisse des Oberflächenwassers
im Nordatlantischen Ozeane im Jahre 1903 unter dem Einflüsse
mindestens zweier bestimmender Faktoren gestanden haben. Das
Vorhandensein der großen Eismassen ist von nicht zu vernach-
lässigendem, wenn auch wohl lokalem Einflüsse gewesen — es soll
davon erst an zweiter Stelle die Rede sein. Ein viel wichtigerer und
grundlegender Faktor ist aber nach meiner Überzeugung in allge-
meinen, vorwiegend wohl als Intensitätsänderungen zu charakteri-
sierenden Schwankungen zu erbUcken, denen die zwei großen Strö-
mungen, der Golfstrom sowohl als auch der Labradorstrom, unter-
worfen gewesen sein müssen. Es sind dies also Einflüsse, die mit dem
Eisvorkommen nichts zu tun haben, deren Ursprungsgebiet vielmehr
lokal sehr weitab von den hier betrachteten Meeresgegenden liegen
kann und wahrscheinlich wirklich entfernt gewesen ist, es sind Ein-
flüsse von weitreichender und anhaltender Wirkimg auch auf das
Klima der betroffenen Gebiete. Das Thema der unperiodischen
großen Schwankungen der ozeanographischen und meteorologischen
Werte über dem nördhchen Nordatlantischen Ozeane und ihrer Be-
deutimg im besondem für das Klima von Westeuropa ist ja seit
Petterssone erster Abhandlung, der sich Arbeiten von Dickson,
Meinardus u. a. anschlössen, nicht von der wissenschaftlichen Tages-
ordnung verschwimden; die G^dankenfolge, welche dabei in Betracht
kommt, mag, obschon sie Fachmeteorologen geläufig ist, hier unter
Benutzung der klaren Ausführungen von Meinardus angedeutet sein.
„Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Geschwindigkeit des Golfstromes,
seine Wärmeführung und Oberflächentemperatur, die relative Tiefe
der barometrischen Minima, die Stärke und Richtung der vor-
herrschenden Luftströmungen über ihm wenigstens in der kalten
Jahreszeit auf das engste miteinander verknüpft sind, und zwar in
der Weise, daß diese Elemente eine in sich geschlossene Kette von
Ursachen und Wirkungen darstellen. Denn ein jedes dieser Elemente
wird von dem vor ihm genannten beeinflußt, und das erste ist von
dem letzten abhängig. Wird nämUch aus irgend einem Grunde die
Geschwindigkeit des Golfstromes z. B. über das normale Maß ver-
größert, so wird die Wärmezufuhr aus südlichen Breiten vermehrt,
es wächst dis Temperatur, d. h. es entsteht eine positive Temperatur-
abweichung von der normalen. Eine positive Temperaturabweichung
hat eine Vertiefung des isländischen Luftdruckminimums und wahr-
240 Dm Mew.
scheinlich auch eine Vertiefung der ganzen Luftdruckfurche, vekfae
sich über daa Nordmeer erstreckt, zur Folge. Einer abnormen Tiefe
des Luftdruckes über dem Meere entspricht eine höhere Windge-
schwindigkeit über dem Golfstrome. Eine Folge der starkem Laft-
bewegung ist eine Beschleunigung der Meeresströmung, zumal warn
die Richtung des Windes, wie es tatsachlich hier der Fall, mit der
Richtung des Golf Stromes zusammenfällt. Eine Beschleunigung der
Wasserbewegung aus Süden und Südwesten entspricht aber vieder
einer vermehrten Wärmezufuhr, und so fort.
Eine einmal eingeleitete Störung des Gleichgewichtszustandes
wird sich also selbst zu erhalten streben, und es ist möglieb, weoB
auch sehr schwer zahlenmäßig zu beweisen, daß wir diesem Systeme
sich selbst induzierender Kräfte die Konstanz des Sinnes der Tem-
peraturabweichung des Golfstromes mehrere Monate hindurch zon-
schreiben haben. Natürhch findet dieser Vorgang ein Ende, wm
von außen her Einwirkungen sich geltend machen, welche jcDea
Kräften mit Erfolg entgegenarbeiten. Das kann z. B. dadurch ge-
schehen, daß die Geschwindigkeit der kalten Polarströmungen ZQ-
ninunt, welche östlich von Neufundland als Labradorstrom und öst-
Uch von Island als Abzweigung der ostgrönländischen Strömung den
Golfstrome in die Flanken fallen und seine TemperaturverhältnisBe
beeinflussen.
Eine abnorme Zunahme der Geschwindigkeit des Labrador-
stromes ist aber gerade in solchen Wintern wahrscheinUch, weon
auch der Golfstrom und die Winde über ihm eine größere Geechwm*
digkeit haben. Denn da die nordwestUchen Winde, welche an der
Küste Labradors wehen, durch eine Vertiefung des isländischen \ai
westgrönländischen Minimums ebenso verstärkt werden, wie die sod-
westUchen Winde vor den Küsten Europas, so wird mit ihnen aocb
die Labradorströmung beschleunigt. Es scheint mir nicht m^
geschlossen zu sein, daß der Labradorstrom in solchen Fällen dem
Golfstrome, welchen er östUch Neufundlands trifft, eine nega^^
Temperaturabweichung gibt, welche aber erst nach Verlauf &B/6
halben Jahres in den nordwesteuropäischen Meeren zur Geltanf
kommen würde. Die Folge davon würde dann das Auslösen eioes
entgegengesetzt wirkenden Kreislaufes von Kräften sein, wie er obes
geschildert wurde."
Die hier von Meinardus vorgetragenen Schlußfolgen sind Jk
einleuchtend und zwingend, wenn schon über die relative Bedeutang
der einzelnen bestimmenden Elemente keine bestimmten Anffi^
gemacht werden köimen. Viel mißUcher aber in HinbUck auf deo
naheliegenden Wunsch, ein wirkUches Beispiel solchen ZusanuneD*
Wirkens der ozeanographischen und meteorologischen Faktoren vor-
zuführen, ist die Schwierigkeit, ja nahezu UnmögUchkeit, anzugiebeiL
was im einzelnen Falle Ursache, was Wirkung ist, d. h. wo der Aus-
gangspunkt der primären uni>eriodischen Abweichungen getegeOi ^
i
Dm lie«r. 241
wann er zuerst wirksam geworden. Da aafierdem noch für eine nicht
absehbare Zukunft der Versuch nutzlos erscheint, synoptische Karten
der Stromversetzungen zu entwerfen, sofern man solche Karten mit
Karten der durcfaschnitiUchen Stromzustande vergleichen will, da
femer die synoptischen Wetterkarten für das Jahr 1909 erst in etwa
vier Jahren vorUegen werden, und die provisorischen Angaben in den
»^Internationalen Dekadenberichten" für unsem Zweck nicht ge-
nügen, so ist es jetzt nicht mögUch, speziell auf das Jahr 1903 eine
Anwendung dieser oben wiedergegebenen Gesichtspunkte zu ver-
suchen. Es kann nur die Wahrscheinlichkeit folgender Zusammen-
hange behauptet werden.
In Übereinstimmung mit dem dargestellten Wärmegange hat
der Golfstrom im Frühjahre 1903, nachdem im Vorwinter 1902/03
eine Schwächung desselben vorgelegen hat, einen sehr energischen
Vorstoß nach Osten bis zur Mitte des Ozeanes gemacht unter Ver-
mehrung seines Wärmeinhaltes und unter Vergrößerung seiner Ge-
schwindigkeit. Dieser Vorstoß hat seinerseits Veranlassung gegeben
zu einer Verstärkung des kalten Labradorstromes. Man karm darin
nach dem Gesetze der Kompensationsbewegungen einen unmittelbar
bedingten, also lediglich ozeanographischen Vorgang sehen, man
kann aber auch, wie dies Meinardus vorsieht, den Umweg und dife
Einschaltung der Mitwirkung der meteondogiBchen Glieder wählen;
das Endergebnis, wekhes mir ganz sicher erscheint, wird immer
dasselbe sein, daß nämlich in der Tat durch eine größere Geschwindig-
keit des Golfstromes eine größere Geschwindigkeit des seitlich ein-
fallenden Labradorstromes ausgelöst wird, und zwar wird ein gewisser
zeitlicher Spielraum notwendig sein, bis die Intensitätsvermehrung
des Labraderstromes zur allgemeinen Erscheinung wird. Aus dieser
Auffassung folgt weiter, daß die abnorme Eistrift des Jahres 1903
durch eine im Spätwinter 1902/03 und Frühjahre 1903 eingetretene
besonders starke OoHsttomtnit, wenn auch natürhch nicht allein
verursacht, so doch sicher sehr begünstigt worden sein dürfte. Ein
starkes Fließen dee Golfstromes auf der amerikanischen Hälfte des
Ozeanes wird immer nach gewisser Zeit die Neigung zu vermehrtem
Fließen des Labradorstromes und damit in den Monaten, in denen
überhaupt Eis treibt, die Wahrscheinlichkeit für ein weit südliches
Vordringen des Neufundlandeises herbeiführen.
Der Labradorstrom seinerseits hat, wenigstens auf der Neufund-
landbank und deren weiterer Umgebung auch über dem tief^i Wasser,
die Sachlage beherrscht vom Mai bis zum August 1903 einschließUch ;
und von September ab ist dann der im Sommer zum mindesten
thermisch zurückgedrängte Golfstrom wieder in seine alten Rechte
getreten. So weit lassen sich aus großen, allgemeinen Schwankungen
der Wasserbewegungen die Wärmeverhähnisse des Jahres 1903 er«
klaren, und es ist sogar notwendig, anzunehmen, daß hierdurch der
Orundton des gesamten Wärmeganges gegeben gewesen ist, auch
Klein, Jahrbnoh XV. 16
242 I>u Heer.
wenn es zu Eistriften dabei gar nicht gekommen wäre. Denn da
wiederholt betonte Umstand, daß die negative Wärmeanonuüie ent
Tom Mai ab in der Neufundlandgegend eint^tt, während das fii
doch schon seit Februar in großen Massen dort lagerte, der UmsUod
ferner, daß die negative Wärmeanomalie bis nach Europa herüber
schon im Januar vorhanden war, lehrt doch sofort, daß das Eis ak
solches nicht die allererste Ursache für die Eigenheiten der Tempen-
turen im Jahre 1903 gewesen sein kann. Wir schließen vieimebr.
wie oben ausgeführt ist, in umgekehrter Weise, daß das Eis nklit
Ursache, sondern zunächst nur eine Folge, nur eine BegleiteischeiniDK
der abnormen Wärmeverhältnisse und der Stromändenmgen g^
wesen ist.
Die Stromänderungen ihrerseits sind zweifellos durch die Wind-
verhältnisse, letztere wieder durch die Luftdruckverteilung bestimiti
gewesen; wie schon oben angedeutet, werden wir hierin erst nsdi
einigen Jahren klar sehen, wenn die synoptischen Wetterkarten des
Nordatlantischen Ozeanes für 1903 fertig vorliegen, wobei die Beob-
achtungen gerade der Stationen von Labrador, Grönland, IslaiKi wv
unentbehrlich sind. Höchstwahrscheinlich haben im Winter 1902^03
und Frühjahre 1903 über dem Gebiete des Labradorstromes vtir-
wiegend Nordwest- und Nordwinde geweht, über dem Gebiete d»
Gol&tromes Süd-, Südwest- und Westwinde, also Winde, dieis
beiden Fällen Anlaß zu einer Beschleunigung der Strömimg ^
damit auch zu schärferer Ausprägung der ihnen eigentümüdMO
Wärmeverhältnisse gegeben haben werden.
Es sind diese Angaben nicht lediglich Vermutungen; denn eitf
Untersuchung über die Treibeisgrenzen in den NeufundlandgewisKn
der Jahre 1880 bis 1891 zeigt im besondem für die Jahre 1881 vd
1884, die hinsichtlich der Eismengen grundverschieden waren, <1^
auch die vorwiegenden Winde dieser zwei Jahre in den entsprechend«
Monaten (Januar bis April) ungemein verschieden waren, ja fasteot-
gegengesetzte Richtungen hatten. Das eisarme Jahr 1881 br«di^
nämlich im Labradorstromgebiete ganz vorwiegend östliche ^
nordöstliche Winde (mit Ausnahme des Februar), im Golfetrofli'
gebiete nördliche und nordwesüiche Winde, fast gar keine südhcli^
Winde (wiederum mit Ausnahme des Februar); das sehr eisreicv
Jahr 1884 dagegen — mit welchem das Jahr 1903 zu vergl^chea
wäre — zeigte über dem Labradorstrome nahezu ausschließlich Koro-
und Nordwestwinde, über dem Golfstrome aber vorherrschen»
West-, Südwest- und Südwinde. Diesen durchgreifenden Pfl^'
schied in der allgemeinen Richtung der Luftbewegung der Monftt^
Dezember 1880 bis April 1881 einerseits und der Monate Desember
1880 bis April 1884 anderseits erhält man bei einer auf Grand der
tägUchen synoptischen Wetterkarten des Nordatlantischen 0»^
vorgenommenen Auszählung der beobachteten, bzw. abgeleiteten
Windrichtungen. Noch klarer und einfacher fast ergibt sich di6«r
Dm Meer. 243
Unterschied aus einem Vergleiche der den eben erwähnten Karten
beigefügten mittlem Monatsisobaren, indem man nach dem Vorgänge
von Meinardus und Brennecke aus diesen Isobaren die mittlere Zirku-
lationsrichtung der Luft ableitet. Im eisarmen Winter und Früh-
jahre 1881 lag — immer mit Ausnahme des Februar — das nord-
atlantische Luftdruckminimum vergleichsweise sehr weit südlich,
auf 45° nördl. Br., ja sogar in der Nähe der Azoren, und anderseits
so weit westlich wie die Ostküste von Neufundland; im eisreichen
Winter und Frühjahre 1884 aber finden wir das Zentrum der De-
pressionen fast immer bei Kap FareweU und bei Island, zeitweise in
einer flachen Rinne nach S W bis zur Ostküste der Vereinigten Staaten
ausgreifend. Aus all diesem geht hervor, daß die Luftdruckverteilung
schließlich auch für die Eisverbreitung in der Nähe der Neufund-
Icmdbank von maßgebendem Einflüsse wird, wie dies Brennecke
an einem andern Beispiele, an der Lage der Eisgrenze zwischen Grön-
land, Island und Spitzbergen in den verschiedenen Jahren, klar nach-
gewiesen hat. — Nebenbei sei bemerkt, daß auffälligerweise das Jahr
1881, welches ganz ungewöhnlich eisarm auf der Neufundlandseite
gewesen ist, im Nordosten des Atlantischen Ozeanes, also zwischen
Island und Spitzbergen, sehr eisreich sich gezeigt hat, und daß in
entsprechender Weise das im Westen, d. h. bei Neufundland, sehr
eisreiche Jahr 1884 ein eisarmes für den Nordosten, für Island und
Spitzbergen gewesen ist. In einer besondem Untersuchung wird
demnächst festgestellt werden, ob regelmäßig solch gegensätzliches
Verhalten hinsichtlich der relativen Eismenge zwischen den bezeich-
neten zwei Meeresgebieten besteht oder nicht. Auch die Abhängigkeit
des Eisreichtumes oder der Eisarmut von Strom, Wind, Luftdruck in
der Neufimdlandgegend sollte für eine längere Periode klargestellt
werden; hier konnte nur auf die Jahre 1881 und 1884 hingewiesen
werden, um das Typische der Verhältnisse festzulegen.
Die vorstehenden Darlegungen sollen nun keineswegs aus-
schließen, daß im Jahre 1903 das Eis als solches die Temperaturen
des Meerwassers auch beeinflußt hat; es muß gewiß ursächlich, und
zwar als zweiter Faktor, bei der Erklärung der besondem Wärme-
verhältnisse des Ozeanes im Jahre 1903 auch herangezogen werden.
Aber die Hauptfrage ist dabei diejenige nach der regionalen und zeit-
Uchen Begrenzung speziell dieses Einflusses des Eisvorkommens.
Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß das Eis schon vom Monate März
ab bis Juli einschUeßUch die Schiffahrtswege in der Neufundland-
gegend belästigt hat, daß die dort seit Februar bestehende positive
Temperaturanomalie aber erst vom Mai ab verschwindet, so hat das
ELb, dessen thermischer Einfluß mit in den allgemeinen ther-
mischen Änderungen aufgegangen ist, etwa zwei Monate gebraucht,
bis seine Wirkung offensichtUch wurde; diese thermische Wirkung
wird dann anderseits im Herbste auch etwa zwei Monate länger be-
standen haben, nachdem das Eis als solches schon verschwunden
16*
244 Dm Mmt.
war. Wir kommen damit zu dem Schliuse, dafi eine direkte Beön-
fliueung der Waaaertemperatur durch das Eis im Bereiche der dbq-
fundlandiechen Gewaaser für die Monate Mai bis September 1903 ein-
aehUeSlich wahrscheinlich stattgefunden hat; sichere Bewuae für
eine solche Beeinflussung einzelner Gebiete sind die Falle, in denen
in den Monaten von Mai bis August ein vom normalen jahiüchai
Temperaturgange abweichender Temperaturgang festgßstdlt ist. -
Zugleich ergibt sich, dafl weder im Sommer 1903, in welchem froheitetf
die Eiswirkung zur europaischen Küste gelangt sein könnte, noch in
Herbste 1003 eine Ausdehnung dieses thermischen Einflumw der
Eisberge bis herüber nach Europa sich bemerkbar gemacht hst; die
für die Langm 36 bis 5^ W mitgeteilten Abweichungen vom normiln
jährlichen Temperaturveriaufe fallen samtlich in das Frühjahr. Esirt
somit nicht anzunehmen, daß das Eis des Jahres 1903 ab soldies ugood
eine unmittelbare Wii^ung auf die WärmeverhahniaBe Westeorop»
im Jahre 1903 ausgeübt hat; eine solche Wirkung blieb vielmehr sof die
Neufundlandgegend beschrankt und zeigte sich auch in der fetit-
gelaunten Gegend nur zeitweise in den Monaten Mai bis September.
Eine sok)he Einschränkung der Bedeutung des EisvorkomineDS
für die Meerestemperatur dürfte auch d«i Anschauungen der nsati-
soben, praktischen Kreise entsprechen. Sribst in den Neufundland-
gewäflsem macht sich die vom Eise bedingte Abkühlung nur ent
einer besondem Unt^soehung bMierkbar, wekhe die normaleD
Wette und den normalen jährlich^a Gang zum Ver^^eidie heranxiebt
Im übrigen ist auch im Jahre 1903 die alte Erfabmng bestätigt
worden» daß das Eis im Nebel keineswegs mit irgend einer Sicfaeitot
durch ein unvermitteltes und unverkennbares FaUen dw Waastf"
iMftperatur angezeigt wird; zahlreiche Fälle sind gemeldet, in denen
gewaltige Eiemassen ringsum waren, ohne daß vor- und nachher
erhebliche Ändwungen dar Wasserwarme zur Beobachtung gelangtea.
andenmts ebenso viele Falle, in denen bei klarem Wetter weit uod
breit kein Eis zn sdien war, und doch riesige und plötzliche Tempera-
tuxsprünge eintraten. Die ozeanographisehen Verhältnisse li^
eben, zumal bei der Neufundlandl>ank, zu verwickelt, als daß man bei
dickem Wetter iigMid eine einwandfreie, sidMie Warnung voit E»
aua den Waeseftemperaturen edialten oder ableiten konnte. If
hesondwn ist der meist i^tzliche Tenperatnnrückgang, den alle die
konventionellen Wege benuteenden Dampier zu allon JahresseitcB
zwischen 52 und 48° westL L., besonders unter 60 oder 49"^ weetL U
beebachtwa, nfeögen sie westwärts oder ostwärts bestimmt sein, eine
feststehende ozeanographische Erscheinung,, die mit dem Eise ah
solchem nichts zu tun hat. Aufmerksamkeit bei den Schiffirfohitf^
erwecken und räie leise Mahnung zu vermehrter Vorsicht gahefi
sollten Temperatuarsprünge aber dann, wenn sie anfieriuJb der eben
bezeiehneten Langratgrade in Gegenden auftreten, die nach soastlges
Erfahrungen Eisberge oder Treibeis gelegentHch führen.''
Dm Meer. 245
Das Tiefenstromsystem des StUlen Oieanes und die Entstehung
der Kalifornienströmung besprach 8. E. Bishop im zweiten Sep-
temberhefte von „Science'\ Er führt letztere auf die antarktische
Tiefenströmung zurück, statt sie als Fortsetzung des Kuro-shiwo
anzusehen. Letzteres könne aus zwei Gründen nicht sein. Der
Kuro-shiwo breitet sich aus, yerliert infolgedessen an Mächtigkeit
und kann an der amerikanischen Küste nicht als starker Strom er-
scheinen. Femer ist der Kalifomienstrom zu kalt. Wenn er die
Wassermassen des Kuro-shiwo weiterführte, so folgte aus der Ge-
schwindigkeit, daß der Kuro-shiwo der starke Strom geblieben ist.
Dann müßte er sich aber die Wärme erhalten haben.
Eine aus der Antarktis stammende ungeheuere Wassermasse von
nur 1.6^ füllt die Tiefen des Stillen Ozeanes. Während im Atlanti-
( sehen Ozeane kalte Tiefseeströmungen auch aus der Arktis zum
^ Äquator fließen, sich hier mit den antarktischen Massen stauen und
s an die Oberfläche steigen, fehlt dem Stillen Ozeane bei seiner fast
I völligen Abgeschlossenheit g^;en das nördliche Eismeer dieser Zufluß
aus dem Norden. Es unterbleibt der gegenseitige Auftrieb, und der
i antarktische Tiefenstrom, der bei der großen Front des Ozeanes
1 gegen das südliche Eismeer sehr mächtig ist, fließt weiter nach
( Norden, wobei er durch die Erdrotation nach Osten abgelenkt und
( gegen den amerikanischen Kontinent gedrängt wird. Zugleich ver-
größert er auch seine Geschwindigkeit, da der Querschnitt, den er
I durchfließt, nach Norden immer kleiner wird. Durch fortdauernden
[ Nachschub verstärkt, muß der Tiefenstrom sich aber einen Ausweg
! suchen.
f In der Höhe von Vancouver setzt nun der kalte, starke KaU-
fomienstrom ein, und Bishop schUeßt aus seinen Ausführungen, daß
es nur das Wasser des antarktischen Tiefenstromes sein kann, das
I hier an die Oberfläche tritt, um dann auf das Klima der Westküste
I der Union seinen bedeutsamen Einfluß auszuüben. Unter dem
I 30. Breitengrade biegt der Kalifomienstrom nach SW ab und fügt
t sich in die Äquatorialströmung des NO-Passates ein. Bemerkt sei
[ noch, daß Bishop selbst auf die Notwendigkeit, seine Theorie durch
Lotungen und Messungen zu prüfen, hinweist.
Die Beziehungen zwischen der Luftdruckverteilung und den Eis-
verhältnissen des Ostgröniftndisehen Meeres sind von W. Brennecke
untersucht worden. ^) Während in günstigen Jahren die Umsegelung
Spitzbergens und der Zugang zur grönländischen Küste keine Schwie-
rigkeiten bietet, ist in eisreichen Jahren Spitzbergen vollständig von
Eismassen umgeben; das Erreichen der ostgrönläjidischen Küste ist
für die Schiffe oft unmöghch, und mächtige Eisfelder halten den
Sommer hindurch die Nord-, Ost- und zu Zeiten auch die Südküste
^) Aimalen d. Hydrographie SS. p. 49.
246 I>» Ubbt.
Islands besetzt. Diese wechselnden Eisverhaltnisse beeinfhiaaeii
unzweifelhaft die Temperatur des Ostgrönländischen Meeres, da ean
großer Teil des Eises hier infolge der Wärme der Luft und der von
Süden kommenden Strömungen geschmolzen wird; in eiareichen
Jahren wird die Temperatur des Meeres durch den Schmelzproxefi
erheblich mehr erniedrigt werden wie in eisarmen Jahren. Dem-
zufolge wird sich auch ein Einfluß auf die Witterung der dieae Meere
begrenzenden Festländer wahrscheinlich bemerkbar machen. Gleich-
zeitig ist aber anzunehmen, daß der größere oder geringere Transport
Ton Eis nach südlichem Gegenden veranlaßt ist durch Schwankungoi
in der Luftdruckverteilung über dem Grönländischen Meere, da
durch dieselbe die Richtung und Stärke der Winde beding wird,
welche eine Ausdehnung des Eises entweder begünstigen oder Ter-
hindem.
Diese Beziehungen zwischen der Luftdruckverteilung und den
Eisverhältnissen des Ostgrönländischen Meeres und den Zusammen-
hang außerordentUch eisreicher oder eisarmer Jahre mit einer nega-
tiven oder positiven Temperaturanomalie Islands und des nördlichea
Europa festzustellen, war der Zweck der Untersuchung. Schon eine
bloße Übersicht der Eisverhältnisse in den Jahren 1877 bis 1896 lehrt,
daß die Eisgrenze sich in den einzelnen Jahren um Hunderte von
Seemeilen westöstUch verschieben kann. Es handelte sich nun
dämm, aus der Gesamtzahl der Eisjahre diejenigen, welche sich ent*
weder durch außerordentlichen Eisreichtum oder durch außeigewöhn-
liehe Eisarmut auszeichneten, mit Sicherheit zu sondern. Hierbei
war zu unterscheiden, daß die Eisverhältnisse im Norden und Süden
des Meeres zwischen Spitzbergen und Island oft verschieden sind,
daß also ein Eisjahr für Island ungünstig sein kann, während die
Eisgrenze nördlich von Island normal ist, und umgekehrt. £s hat
sich aber ergeben, daß außergewöhnlich ungünstige Eisverhältnisse
im Ostgrönländischen Meere sich auch stets bei Island bemerkbar
machen.
Demgemäß hat Verf. als außergewöhnlich eisreiche Jahre einer-
seits diejenigen angesehen, in welchen das Eis im Frühlinge oder
Sommer bis zur Südküste Islands vorgedrungen ist, wie 1881 und
1888, anderseits diejenigen, in welchen Jan Mayen noch im Juni
oder Juli dicht besetzt von Eis war, d. h. die Eisgrenze östlich von
Jan Mayen verlief wie 1881, 1882 und 1891. Als außergewöhnlich
eisarme Jahre hat er diejenigen ausgewählt, in welchen bei Island
fast gar kein Eis gesehen worden ist, und auch keine Berichte über
anomale Eismassen im Ostgrönländischen Meere vorlagen; es sind
dieses die Jahre 1884 und 1889.
„Der Transport des Eises ist abhängig von den Strömungen,
welche ihrerseits bedingt sind durch die Tiefenverhältmsse des Meeies,
die Konfiguration der Festländer, durch Kompensation, durch Dich-
tigkeitsunterschiede und in der Hauptsache durch die Strömungen
Das Meer. 247
der Atmosphäre, die Winde. Die beiden erstem Faktoren sind wegen
ihrer relativen Unveränderlichkeit auszuschließen, auch kann die
Kompensation vernachlässigt werden. Es sind also nur die Schwan-
kungen in den Dichtigkeitsverhältnissen des Meeres und in den Strö-
mungen der Atmosphäre in Betracht zu ziehen. Die Dichtigkeits-
verhältnisse sind abhängig von der Temperatur und dem Salzgehalte
des Wassers, welche beide in den verschiedenen Jahren erhebUch
variieren können, jedoch kann die Ursache für diese großen jährlichen
Änderungen nur in den Strömungen selbst gefunden werden. Es
ergibt sich demnach, daß als einzig zu berücksichtigender Faktor
für die Änderungen der Strömungsverhältnisse nur Änderungen in
den Strömungen der Atmosphäre — den Windverhältnissen — in
' Betracht kommen.
Der Einfluß des Windes auf die Bewegung des Eises wird von
allen Polarf ahrem betont, und aus der Erfahrung, welche die Führer
der von ELb besetzten Schiffe gemacht haben, geht mit Sicherheit
^ hervor, daß die lokale Grenze des Eises einzig und allein durch den
^ Wind bestimmt wird. So kann ein Sturm, welcher in jenen Gegenden
' oft mehrere Tage hindurch aus derselben Richtung weht, große Ver-
' änderungen in der Lage der einzelnen Eisfelder hervorrufen imd
^ freies Fahrwasser schaffen, wo vorher dichtes Packeis sich ausdehnte,
' und umgekehrt
' Den großen Einfluß der Luftdruckverteilung auf die Meeres-
' Strömungen erkennen wir sofort, wenn wir die Strömunggkarte des
I Nordatlantischen Ozeanes mit einer Isobarenkarte vergleichen. Wir
sehen den Golfstrom unter dem Einflüsse südwestUcher Winde, welche
( bedingt werden durch die sich von Neufundland über Island bis zum
( Nordkap erstreckende Luftdruckfurche, in das Nördliche Eismeer
i eintreten, während anderseits nördliche Winde den Polarstrom an
der Westseite der Depression entlang dem Süden zuführen. Wenn
f wir auch die sonstigen Ursachen, wie Erdrotation, Kompensation,
t Dichtigkeitsunterschiede und anderes nicht übersehen dürfen, so
zeigt der Vergleich der Strömungs- und Luftdruckkarten doch eine
I solch hervorragende X)bereinstimmung, daß wir den Luftströmungen
I den Hauptanteil an der Erzeugung dieser Meeresströmungen zu-
! schreiben können.
Die Wirkung der Luftströmungen auf die Meeresströmung muß
sich noch verstärken, wenn die Oberfläche des Meeres mit Eisschollen
und -bergen bedeckt ist, da die Angriffsfläche der Kraft vergrößert
wird, indem jede Unebenheit als Segel wirkt. Demgemäß werden
Schwankungen in den Windverhältnissen auf einem eisbedeckten,
nicht durch Küsten eingeengten Meere auch leichter Veränderungen
in den Oberflächenströmungen herbeiführen wie unter gewöhnlichen
Verhältnissen.
Diese Tatsache, daß sich periodische Schwankungen in der Luf t-
druckverteilung auch in der Intensität der Meeresströmungen be-
248 IHM Heer.
merkbar machen, veratjurkt dia Auasicht, auch die gröfiere oder gs-
ringeie Ausbreitung dee Polaieisea im Ostgronländischen Meeie auf
Änderungen der LuftdruckTerteilung über diesem Gebiete zoräd-
zuf Uhren, wenn dieselben Ungece Zeit hindurch in damaelben Sime
andauern/'
Die Untersuchung im einzelnen, bezüglich deren auf das Oiigiiul
verwieaen werden muß, bestätigt dies, und Verf. g^ht dann zur Unter-
suchung der TempM'aturverhaltnisse der Luft und des Meeres in da
ungewöhnlich eisreicben und eisarmen Jahren über. Die Ergsbni»
seiner Arbeit faßt er in folgende Sätze zusammen:
I. Die Lage der Eisgrenze im Sommer zwischen Spitzberg^
Grönland und Island ist abhangig von der Größe des Luftdiock-
gradienten zwischen Grönland und Nordskandinavien in den Mensten
März bis Mai.
II. Als Ursache der anomal großen LuftdruckdifCerenz GroDland-
Nordskandinavien, welche eine Ausbreitung des Eiees herbeiführt,
kann einerseits die Vertiefung des bei Nordskandinavien befindliches
Minimums, anderseits die Verstaricung des grönlandischen Hochdnick-
gebietes angesehen werden.
III. Von Einfluß auf die Lage der Eisgrenze im Ostgronlandiflcbeo
Meere ist auch die Größe des Gradienten zwischen Grönland und
Nordskandinavien in den Wintermonaten; jedoch ist sie dies erst in
zweiter Linie.
rV. In den ungemein eisreichen Jahren zeigt sich eine Herab-
setzung der Oberflächentemperatur dee Ostgrönländiechen Meeies
und der Lufttemperatur auf Island und im nördlichen Europa (Miii
bis Mai), während in den eisarmen Jahren die Temperatur stets bobta
ist wie in normalen Jahren.
Die Meeresströmungen im Golfe von Guinea schilderte Dr.
E. Wendt^) auf Grund des zurzeit vorhandenen Beobachtungs-
materiales. Es sind drei große Strömungen : die Guineaströmung, die
Benguelaströmung und die Südatiantische ÄquatoriaLströmong.
Die Guineaströmung entsendet zu jeder Jahreszeit einen östlidien Arm
in den Qolf hinein, der inf <dgo der seitlichen Einengung duroh das Featlaoo
seine Geschwindigkeit vermehrt ; die südafrikanische setzt in nördliohflr o»
nordwestlicher Richtung in den Golf hinein. Im Innern der Bucht treffen »ob
beide Strömungen, und manchmal gewinnt die eine, manchmal die andere^
Oberhand. Unterscheiden kann man beide außer an der Richtung auch an <Kr
Temperatur, Farbe und Durchsichtigkeit ihres Wassers. Die Guineastsomnog
ist eine warme, die Benguelaströmung eine von Süd kommende, mithin k«!^
Strömung ; die erstere zeichnet sich durch dunkelblaue Farbe und Klarheit bs^
die letztere hat graugrüne Färbung und geringere Durchsichtigkeit
Auf einigen Karten findet man den Benguelastrom als längs der Küste hio
bis zum Äquator setzend gezeichnet, auf andern Karten wieder, z. B. in dem
von der deutschen Seewarte herausgegebenen „Atlas des AÜantisoh«! Ose*n^
1) Annalen d. Hydrographie 9t p. 209.
Das Meer. 249
in der eceten Auflage, setzt ein Auriftufer des Guineastromes weit die Käste
enUang nach Süden. Beide Darstellungen sind falsch. Nach Pechuel-Loesche»
der diese Verhältnisae auf seiner Loaogoezpedition eingehead studiert hat,
reicht die Landnahe des Benguelastcomes im aUgemeinen nur bis zum Kuilu
(4Vt^ n>dl. Br.) und zeitweise seUwt nicht einmal bis hier hin, von da ab wendet
er sich immer mehr vom Lande weg in nordwestlicher Richtung, seiner Aufgabe
ak Kompensationastrom Folge leistend und beeinflußt durch die Erdrotation.
Häufig wird er durch eine südliche Strömung von tiefblauer Farbe und höherer
Temperatur von der Küste abgedrängt, offenbar eine Fortsetzung des Guinea-
stromes, welche für gewöhnlii^ bis Kap Matuti (3^/2® südL Br.), häuüg bis zum
Kuilu und mitunter sogar über die Mündung des Kongo hiaausreicht. Wenn
dieser Strom setzt, steigt die Temperatur des Wassers; die Farbe, die vorher
graugrün war, wird duxikelblau ; die Gegenstände, die sonst mit der Strömung
nach Norden trieben, nehmen nun ihren Weg nach Süden, die mündenden
Flüsse, deren Gewässer bei der sonst herrschenden Strömung sich hauptsächlich
nach Norden ausbreiteten, werden nun nach Süden abgelenkt, und es erscheinen
Meeresbewohner, die sonst nicht in jener Gegend vorkommen. Was diese
Beobachtungen Pechuel-Loesches lehren, wird im großen und ganzen durch
SchifÜBversetzungen und Flaschenposten bestätigt.
Über die durchschnittliche Lage des Benguelastromes und der im Golfe
harschenden Strömungen überiiaupt werden am besten die beiden Strom-
karten Aufschluß geben, durch welche die Wissenschaft in neuester Zeit be-
reichert worden ist. Die eine derselben rührt von Prof. Dr. Schott her, der sie
dem von ihm bearbeiteten ersten Bande des „Valdivia'^-Werkes beigefügt hat,
leider aber ohne Angabe des zu ihrem Entwürfe benutzten Materiales. Die
andere verdanken wir Prof. Krümmel, sie ist in dem von der Deutschen See-
warte tn zweite Auflage herausgegebenen „Atlas des Atlantischen Ozeanes*'
enthalten und hat das gesammelte Beobachtungsmaterial der Deutschen See-
warte zur Grundlage. Auf beiden Karten findet man Darstellungen der
Strömungen im äquatorialen Teile des Atlantischen Ozeanes, eine für den Nord-
winter und eine für den Nordsommer. Nach der Schottschen Karte sendet der
Benguelastrom sogar schon bei Kap Frio entsprechend seinem frühem Verlaufe
an der südwestafrikanischen Küste und durch die Rotation der Erde nach links
abgelenkt, seine Hauptwassermassen in nordwestlicher Richtung in den Ozean.
Im Nordsommer setzt die Benguelaströmung auch weiter nordwärts ablandig,
im nördlichen Winter aber gehen einige Ausläufer in nördliche Richtung, zum
Teile auf die Küste zu. Nachdem die nördlichen Teile der Benguelaströmung
ihr Wasser an der Tropensonne erwärmt und den Äquator überschritten haben,
biegen sie nach Ost um, während des Nordwinters in schwächerm, während des
Nordsommers in stärkerm Maße, und folgen dem Guineastrom, der die Bucht
von Biafra bis zur östlichen Küste hin durchsetzt. Die Krümmeische Dar-
stellung unterscheidet sich von der Schottschen in mehrfacher Beziehung. Der
Benguelastrom setzt stets als kalter Strom bis nach Loanda hinauf von der
Küste fort in nordnordwestlicher bis nordwestlicher Richtung in den Ozean
hinein; der warme Guineastrom hing^;en biegt in der Bucht von Biafra nach
Süden und zum größtenTeüe weiter nach Südwesten und Westen in die Richtung
der Benguelaströmung um und entsendet einen ganz schmalen, im Nordsommer
etwas breitern Arm längs der afrikam'schen Küste nach Süden bis nach etwa
30 südl. Br. hin.
Es ist schwer, aus diesen sich zum Teile widersprechenden Darstellungen
das Richtige auszuwählen.
Dr. E. Wendt bemerkt, daß diese Strömungsverhältnisse im östlichen und
nordöstlichen Teile des Golfes so überaus wechselreich sind, daß man vielleicht
gar nicht von einem mittlem Zustande sprechen könne. Er zeigt speziell an
einigen Beispielen den wechselnden Erfolg, mit welchem Guinea- und Benguela-
strömung miteinander ringen. Seine Anschauungen faßt er wie folgt zusammen :
„Bei Kap Palmas und weiter östlich bis zur Mitte des Golfes hin setzt der
250 Dm Meer.
Guineestrom zu allen Jahreszeiten mit großer Kraft und Beständigkeit. In
der östlichen Hälfte des Golfes aber ist er so verachiedenartig und unregelmäfiig
ausgebildet, daß man kaum von einem mittlem Zustande der Strömungen wird
sprechen dürfen. Mitunter ergießt er seine blauen Geirasser mit noBer Ge-
schwindigkeit lanss der Küste von Obeiguinea ostwärts bis zur Bu<dit von
Biafra und entsendet bei besonders starker Ausbildung südostiiche und eiidliche
Auslaufer die Küste von Niedeiguinea entlang, oder es werden die von ihm
herangetragenen Wassermassen in der Bucht von Biafra durch sädweetlidie
Winde aufgestaut. Aber weder der erstere (Krnmmelsche Karte), noch der
letztere Zustand (Schottsche Karte) ist als der mittlere anzusehen, vielmehr
stellt jeder von ihnen nur einen (besonders im nördlichen Sommer) hanfiger
wiederkdirenden Typ im weohs^vollen Spiele der Strömungen dar. Selbst
bei kräftiger, noch mehr aber bei schwächerer Entwicklung des Guineastztnnei
zeigen siä auf östlicher Länge, vor allem in der Nähe der Koste, westÜcfae
durch verschiedene Faktoren (Winde, Gezeiten, Dünung, Flußwaeser) be-
dingte Gegenströmungen. Häufiger setzt der Guineastrom nördlich in die
Budit von Benin hinein. Dieselbe Mannigfaltigkeit der Strömungen smgt wk
an der Küste von Niederguinea, wo sich manchmal Ausläufer des Benguds-
stromes weit nach Norden (bis in die nördlichen TeUe der Bucht von Biafra)
manchmal Ausläufer des Guineastromes weit nach Süden (bis zum Kongo) er-
strecken. Im südwestlichen Teile des Golfes setzt dagegen die Bengoela-
strömung, bzw. die südatlantische Äquatorialströmung mit großer Beständigkeit
in west- bis nordwestlicher Richtung."
Die niederl&ndische Tiefoeeezpeditioii der ,,Siboga<< in die Ge-
wässer des hinterindischen Archipels. Dieselbe begann am 7. Man
1899 und endigte am 27. Februar 1900. Über die Ergebnisse der-
selben sind wissenschaftliche Berichte von Prof. M. Weber und
F-Kapitän G. F. Tydeman veröffentlicht worden, und Prof. Dr.
G. Schott gibt davon einen kritischen Auszug, ^) dem das Nachf olgendf
entnommen ist.
Ausgangs- und Endpunkt war Surabaja. Eine dem wissenschaft-
lichen Werke von Tydeman beigegebene Kurskarte in dem Maßstabe
1 : 3 000 000 läßt die sehr vielenKreuz- und Querfahrten der „Siboga"
deutlich erkennen. Die Fahrt ging zunächst nach der Lombok- und
der Aliasstraße, dann zur Savusee, von dort nordwärts zur Maluissar-
Straße in die Celebessee, ostwärts bis nach Djilolo und der Westküste
Neuguineas; hierauf wandte die „Siboga" sich wieder westwärts nach
Ceram zur Manipastraße zwischen Ceram und Buru, nach Amboina
und über die Sulainseln nach Buton an der Südostseite von Celebes
und nach Saleyer. Von da wurde die Bandasee wiederum, aber auf
Ostkurs, durchquert und bis zu den Key- und Aruinseln im Osten
vorgedrungen. Der letzte Teil der Untersuchungsfahrten galt der
Südostküste von Timor, von wo man, an der Südküste von Flores,
an der Nordküste Sumbawas entlang gehend, Surabaya wieder er-
reichte. Der Reisebericht Webers enthält viele geographische, geo-
logische und biologische Ausführungen von besonderm Interesse, ohne
daß hierauf an dieser Stelle eingegangen werden kann. Wie schon
1) Annalen d. Hydrographie S2. p. 97.
Das Meer. 251
die nur in großen Zügen angegebene Reiseroute vermuten läßt, ist
eine sehr große ZaM von Inseln und Inselchen jener Tropenwelt be-
sucht worden, die zum Teile nur sehr selten, zum Teile noch nie eine
selbst karge Beschreibung erfahren haben.
Über die allgemeinen, bei der Befahrung des östUchen Teiles des
Archipels in Betracht kommenden Gesichtspunkte spricht sich Tyde-
man wie folgt aus. Obschon die Seekarte des ostindischen Archipels
östlich von Celebes fast ganz, westhch von Gelebes zu einem großen
Teile noch aus einer Kompilation flüchtiger Beobachtungen imd ein-
zelner Daten besteht, so darf doch die Schiffahrt in den Hauptfahr-
wassem und in den gebräuchlichsten Durchfahrten nicht für so ge-
fährlich erklärt werden (wenigstens für Dampfer), als es noch hier
und da wohl geschieht. Es ist, wenn man von der unmittelbaren
Nachbarschaft der vielen Inseln und dem Innern mancher Kanäle
absieht, nicht wahrscheinUch, daß in diesen Crewässem, deren Tiefen
beträchtliche sind, und die im Laufe der Jahrhunderte schon viel
befahren worden sind, noch viele unbekannte Gefahren vorhanden
sind. Anderseits ist es aber wahrscheinUch, daß die Positionen, die
für einige der isolierten gefährlichen Untiefen in den Seekarten ge-
geben sind, noch mehr oder weniger ungenau sind.
Ein Umstand, von dem die Navigierung in diesem östlichen
Teile des Archipels nahezu überall Nutzen zieht, ist die große Durch-
sichtigkeit des Wassers, öfters sah man den Grund bei 18 bis 22 m
(10 bis 12 Faden) Tiefe deuthch, manchmal sogar bei Mondschein.
Dunkle Flecken des Grundes wurden nicht selten noch bei 27 m
(15 Faden) gesehen. Eine Ausnahme in dieser Beziehung bilden die
an die Westküste Neuguineas grenzenden Grewässer, wo muddiger
Grund über größere Flächen sich ausbreitet.
Was die Kenntnis der Strömungen anbelangt, so bestätigen die
in dieser Hinsicht erlangten Beobachtungen die Regeln, daß das
Oberflächenwasser der vorwiegenden Richtung des Monsuns folgt,
daß die Gezeitenströmungen im allgemeinen eine mäßige Geschwindig-
keit haben, in Durchfahrten aber und Straßen sehr stark werden
können. Für die Kenntnis der Bewegungen der tiefem Schichten
brachten die häufigen Tiefseearbeiten, besonders die Fischereien,
mancherlei Anhalt. Meist ist das Wasser der offenen See in den
100 oder 160 m überschreitenden Tiefen unbewegt, dagegen zeigen
die Schichten von 0 bis 100, 150 tn in den meisten Fällen deutUches
Strömen. Wahrscheinlich reicht bis zu dieser Tiefe die Wirkung des
Gezeitenphänomens ; es würde diese Annahme gut zu den Temperatur-
beobachtungen stimmen, die im Archipel in den entsprechenden
Tiefen gemacht wurden. In der obem Schicht bis etwa 100 m nimmt
die Wasserwärme nur sehr wenig und l€mgsam ab, dann aber schnell.
Häufig genug kamen auch erhebliche Abweichungen von diesem
einfachen Schema vor; so konnte man z. B. in der Manipastraße
(zwischen Buru und Ceram) feststellen, daß das Wasser zwischen
252 I>M Heer.
0 und 100 m in der HauptBache bewegunggloB war (Wiikung der
Gezeiten zur Zeit der Beobachtung), von 100 bis 800 m Tiefe aber
entschieden nach Norden strömte (Trift des SüdostmonsonB) und in
den 800 m überschreitenden Tiefen wieder nahezu still stand.
Tydemans schöne Tiefenkarte beruht auf sorgsamster V»-
wertung des gesamten verfügbaren Materiales und ist weitaus die
beste, jetzt vorliegende Darstellung der Bodenformen der hinter-
indischen Gewässer. Sehen wir ab von der großen Zahl kkineRr
Gebiete, in denen neue, sekundäre Becken entdeckt worden sind oder
schon bekannte eine genauere morphologische Erforschung erfahne
haben, so sind zwei Fälle, welche beide die Bandasee betreffen, vw
allgemeinerm Interesse, zumal größere Terrainformen in Fraf
stehen. Unter der Bandasee wird das Meeresgebiet verstandai,
welches begrenzt wird im Osten durch die Keiinsel und Timor IM,
im Süden durch Sermata und Wetter, im Westen durch eine Liai^
etwa von der Floresstraße nach Buton (Südoetoelebes), im Nerdea
durch die Sulainseln, Buru und Geram.
Im nordwestlichen Teile dieses vielgestaltigen Beckens, mid zw
zwischen Buton und Sula Besi, hatte das deutsche Segelschiff „Kaif
im Dezember 1882 auf einer Reise von Antwerpen nach Tienton, «»
der Butoupassage kommend und nach der Pittspassage stenenid,
elf Lotungen, die nur Tiefen von 99 bis 216 m ergaben, susgefölirt:
auch die Bodenbeschaffenheit, fast durchweg Steine und Saad, ^
festgestellt worden. In dem Reiseberichte hatte der Kapitän not»
die ausdrückliche Bemerkung angefügt: „Die vorstehenden Lotongefi
sind zuverlässig, weil das Schiff bei der Anstellung derselben saiKO
Ort wenig veränderte. Spatere Versuche in der Pittspassage waio
ohne Resultate, weil mit 360 m (200 Faden) Leine der Meeieagntod
nicht erreicht wurde. Da dieser unterseeische Verbindungsrück»
von weittragender Bedeutung z. B. für den Wasseraustausch mit
dem Stillen Ozeane sein würde, so gedachte die „Siboga'*, auf '^
zu arbeiten, fand aber nirgends mit 600 m, an einer Stelle auchnicß*
mit 4892 m Grund ! Auch die am Nordostausgangs der Butonptfsap
in der Nähe der „KarP^-Lotungen angestellten Tief seemessungen der
„Bali" ergaben nur ganz große Tiefen. Weber erklärt die Lotnn^
des „Karl" auf Grund seiner Messungen für phantastisch, ae sii»
deshalb neuerdings von den holländischen Seekarten getilgt worfeß-
Anderseits sind aber unsere deutschen Seeleute viel zu ernst, ^
phantastische Dinge zu berichten, und der Umstand, daß Boa«"*'
proben gewonnen sind, läßt an der Tatsächlichkeit und Zuveifisa^
keit der Messungen in der Tat keinen Zweifel; es kommt hinzu, o*''
auch kein Irrtum hinsichtlich der geographischen Positionen ^'
liegen kann, weil der „Karl" an den erwähnten Tagen wirklich jej^
Meeresgegend passiert hat. Die Deutsche Seewarte hat nachtrSgii«'*
Aufklärung zu erlangen versucht, aber Kapt. Kraeft ist leider berei»
verstorben. Daß eine einzelne, lokale Untiefe bei spätem Näco-
Das Me«r. 253
fonchungen nicht gefunden wiid, ist ja ein ganz gewöhnliches Vor-
kommnis; hier handelt es sich aber um einen über mehrere hundert
Seemeilen sich erstreckenden flachen Rücken. Man wird fast zu der
Annahme gedrängt, daß in diesem Teile der Bandasee seit 1882 mäch-
tige, gewaltsame (Yulkanische?) Änderungen im submarinen Reliefe
eingetreten sein müssen, obgleich auch dies ein ganz ungewöhnliches,
in solchem Umfange wohl noch nirgends festgestelltes Ereignis be-
deuten würde. Bei der Wichtigkeit der Angelegenheit in ozeano-
graphischer Hinsicht ist es schade, daß die „Siboga'" mit ihren fünf
Lotungen niemals den Boden erreicht hat; es fehlt somit die Angabe
der heutigen Bodenbeschaffenheit in jener kritischen Meeiesgegend,
ein ganz unerläßlicher Faktor für eine Beurteilung der Sachlage.
Während damit im Nordwestteile der Bandasee ein bisher
bemerkenswerter Charakterzug der Tiefenformen vorläufig getilgt er-
scheint, sind im entgegengesetzten Teile, dem Südostteile, der Banda-
see durch die „Siboga^'-Arbeiten zwei neue charakteristische Boden-
formaticHien klargestellt, bzw. entdeckt worden. Die Lucipara-
inseln liegen nicht auf einer lokal begrenzten Untiefe, sondern gehören
einem 150 Seemeilen langen, aber nur etwa 30 Seemeilen breiten, von
SW nach NO ziehenden Rücken an, welcher, „Sibogarücken" getauft,
nicht ganz bis zur Südkäste Cerams reicht, vielmehr von letzterer
durch eine 4000 m tiefe Rinne noch getrennt bleibt ; auf diesem Rücken
sind keine großem Tiefen als rund 2500 m ermittelt, während rings- '
herum der Boden steil bis auf 4000 m und 5000 m Tiefe abstürzt. Ein
zweiter, zum ersten paralleler Rücken ist durch die Inseln Dammer,
Serua und Manuk gekennzeichnet. Zwischen diesem zweiten Rücken
nun einerseits und Timor Laut — ^Keiinseln anderseits hegt eine außer-
ordentlich tiefe, genau sichelförmige Mulde oder Rinne, in der 6505 m
die bisher bekannte Mazimaltiefe darstellt. Durch diese Verhältnisse
erhalt^i unsere Kenntnisse von der vertikalen Gliederung jener öst-
lichsten Meeresteile des Archipels eine vollkommen neue Gestaltung.
Nebenbei sei noch hinzugefügt, daß die auf vielen Tiefenkarten ehax
im Westen von den Bandainseln für 4"" 19' südl. Br. imd 129° 20' östl.
Länge angegebene Tiefe von 7315 m (4000 Faden> ziemlich sicher
nicht existiert, da di» „Siboga** in unmittelbarer Nähe der Stelle und
auf ihr selbst nur Lotungen von etwas über 4000 m erhielt.
Li betreff der Böschungswinkel, die in der Nähe der Küsten und
KorallMiriffe auftreten, gibt Tydeman zwei charakteristische Bei-
spiele, eins von Kabia, Baarsinsel, das andere von den Luciparainseln,
beide in der Bandasee gelegen. . . .
Sieht man von den obersten Tiefen bis 100 und 200 m zunächst
ab, und zeichnet man sich die Böschungen im gleichen Maßstabe von
Tiefen und Entfernungen auf, so erhält man ein naturgetreues, nicht
übertieftes Bild von der Gestalt des submarinen Sockels solcher Ko-
rallftninseln. Bild und Zahlen stimmen geradezu überraschend gut
mit dem überein, was seinerzeit im „Valdivia"-Wwke für die Seine-
254 Das Meer.
bank im östlichen Teile des Nordatlantischen Ozeanes abg^tet
worden ist: hier wie dort bewegen sich die Böschungswinkel liis
rund 1000 m um etwa 25° (im Maximalbetrage), von da bis 20(10
und 3000 m um etwa 16^. Es liegen offenbar die gleichen Veriult-
nisse vor; es handelt sich bei dem Gesamtaufbaue des Sockeb veae&t^
lieh um vulkanische Kegel, welche das ganze Grundgerüst hergobo,
während die Korallen nur für die Ausgestaltung der aUerob^skei
Teile des Reliefes in Betracht kommen, und Tydeman wird Reck
haben, wenn er in den aus der Reihe noch herausfaUenden Boschunf»-
winkeln von 60 und 48^ bei Lucipara die Neigung erblickt, onlff
welcher der abgestorbene Korallendetritus sich abzulagern p&ft
d. h. also den natürUchen losen Schuttkegel des festen, lebeodai
nahezu senkrecht aufragenden Korallenriffes selbst.
„Die neuen Lotungen zwischen Sumba über Savu nach Tm
zeigen, daß größere Tiefen als 1480 m, d. h. rund 1500 m, wä
existieren ; im offenen Indischen Ozeane begegnet man in dieser Tirfe
einer Wasserwärme von 4.4°. Da aber die Bodentemperaturen (k
Savusee nicht 4.4°, sondern nur 3.3° betragen, so muß die Savtf»
durch mindestens 1700 m große Tiefen, in welchen 3.3° zuerst auftritt,
mit der Bandasee verbunden sein; diese Verbindung öänetöA^
der Tat in der Ombai- und Wetterpassage, welche überall Bidda
von über 2000 m aufweisen. Die Bandasee ihrerseits steht durch ft
Pittspassage und die Straße zwischen Sulainseln und Obi Major ffiit
der Molukkensee in Verbindung, wobei ebenfalls rund 1600 bis 170^*
Wassertiefe überall verfügbar ist; der Wasseraustausch däiftefl^B
den Weg westlich um Baru wählen, da die ManipastraOe zwisdxs
Buru und Ceram, im südUchen Teile zwar sehr tief, im nördlidi»
Teile durch eine Bank von 1100 bis 1200 m gesperrt ist. Vonte
Bandasee abhängig hinsichtlich ihrer Wärmeverhältnisse in der I^
sind auch Flores- und BaJisee. Für das letztere Becken, das es nvr
bis etwa 1500 m Tiefe im Höchstbetrage bringt, ist die Notiz wicii^
daß die zwischen Lombok und BaU liegende Lombokstraße in ^on^
Weise eine tiefe, etwa gar zwei Kontinente (Asien und AustnücBl
trennende Linie darstellt; es besteht vielmehr durch eine Schvwi^
mit der Maximaltiefe von nur 312 m eine Verbindung der zwei kkin^
Sundainseln ebensogut, wie dies bei den übrigen kleinen Sundaio^
der Fall ist. Die Balisee ist also in der Hauptsache gegen den lo»^'
sehen Ozean abgeschlossen, und, wie eben gesagt, ein abhaogilS^
Ghed der Flores- und Bandasee.
Verfolgen wir von der Bandasee aus den vermuthchen Gaug^
Grundwassersohichten weiter rückwärts, so gelangen wir endbc''
durch die Molukkensee in den Stillen Ozean hinaus; eine Werhinä^
durch die Djilolopassage und Halmaherasee würde nicht duichf^^
die nötigen Tiefen zur Erklärung der Bodentemperatur von 3.3
liefern. — Die Celebessee muß durch eine Schwelle von rund 13^*
Maximaltiefe abgeschlossen sein, da die homotherme Schicht 3j
Daa Meer. 255
I zeigt; in der breiten Öffnung zwischen Mindan ao und Gr. Sangir hat
i aber die ,,Siboga*' bisher über 1638 m gefunden. Die Schwelle muß
also noch genauer gesucht werden.
^ Nahezu alle Tiefiseebecken der malaiischen Gewässer, wjelche der
^ Schauplatz der Tätigkeit der „Siboga^'-Expedition gewesen sind,
stehen also, ozeanographisch gesprochen, in mehr oder weniger
direktem Zusammenhange mit dem Stillen Ozeane, nicht mit dem
Indischen Ozeane; ausgenommen bleibt nur die Timorsee. Sieht
man von den mannigfachen Beziehungen ab, welche diese hinter-
indischen Becken durch die Oberflächenerscheinungen, wie z. B.
Monsuntriften, Gezeitenströmmigen u. a. m. zweifellos auch mit dem
Indischen Ozeane verbinden, so kann man vom Standpunkte der
Tiefseeforschung aus eine vorläufige, in Einzelheiten sicher noch zu
verbessernde Grenzlinie zwischen Indischem und Stillem Ozeane
vielleicht derart ziehen, daß sie von Bah bis Flores, von da über
Sumba, Savu nsush Timor und von da nach Timor Laut imd den Kei-
inseln verläuft.'*
Ober Alter und Entstehung der Tiefseebecken macht Prof.
J. Walther einige Bemerkungen. ^) Er fand weder aus paläozoischen
noch mesozoischen Ablagerungen ein Gestein, das nach seiner Struk-
tur und Lagerungsform mit den heutigen Sedimenten der Tiefsee
übereinstimmte. John Murray war zu denselben Resultaten ge-
kommen. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß nur auf
einigen kleinen Inseln wie Malta, Barbados und Christmas-Island
echter tertiärer Tief seeschhck vorkommt, und die lokale Verbreitung
desselben spricht mit Sicherheit dafür, daß lokale Hebungen ehe-
maügen Tiefseebodens den Kern dieser Inseln bildeten. Trotzdem
also fast die gesamte Fläche der heutigen Kontinente seit dem
Cambrium zu wiederholten Malen ganz oder teilweise vom Ozeane
überflutet war, so finden wir auf denselben nur solche Ablagerungen,
welche in der Flachsee oder in mittlem Tiefen von 1000 bis 2000 m
gebildet worden sind.
Das bestätigt durch geologische Beweisführung eine auf Grund
theoretischer Erwägungen schon lange aufgestellte Ansicht: „daß
die heutige Tiefsee schon seit langen Perioden Tiefs ee war, und daß
sie ihren Platz auf der Erdkugel seit ihrer Entstehung nicht wesentUch
verschoben habe. Die Tiefseebecken erscheinen uns als die großen
Quellgebiete des Ozeanes, aus denen das Meer bisweilen weit trans-
g^^ierende Vorstöße gegen die Kontinente unternimmt, um sich
dann wieder in dem riesigen Sammelbecken zu vereinigen. Es läßt
sich nun geologisch mit fdler Sicherheit zeigen, daß ehemalige Fest-
länder Tiefseeboden geworden sind. So finden wir aus der Devonzeit
auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeanes, in Nordamerika und
1) Naturwiss. Wochenschrift 1904. Nr. 46.
256 Quellen und H^^hlen.
Spitzbergen wie in Schottland und Rußland Abli^rungen großer
Sufiwaaserbecken mit einer ganz charakteriBtiachen Fischfauna. In
der Steinkohlenzeit wie der Jura- und Kreideperiode leben dieselben
Pflanzen- und Landtiere in Nordamerika wie in Nordeuropa. Alles
drängt zu dem Schlüsse, daß während dieser langen Perioden eme
atlantische Landverbindung zwischen beiden Kontinenten bestand,
die heute Tiefseeboden ist. Ähnliche Tatsachen zwingen za der An-
nahme, daß der heutige Indische Ozean lange Perioden hindurch tcc
Afrika bis Indien und Australien festländisdbe Brücken besaß.
Neben einigen lokalen Ausnahmen, wo Tief seeboden wieder larad-
fest geworden ist, gibt es zahlreiche Fälle aus allen Teilen der Erde,
wo wir nachweisen können, daß durch Senkung große Stöcke der
festen Erdrinde in Tiefseeboden rerwandelt worden sind. Mit andem
Worten : Die Tief see hat sich auf Kosten der Fhcfasee und des Fesl-
landes beständig vergrößert."
Quellen und Höhlen.
Argon und freier Sehwefel in HlneralqtueUen. H. Moissan fand
in den der 44° heißen Bordeuquelle zu Luchon entströmenden Gasen
92.22% Stickstoff, 1.22% Methan und 2.56% Argon. Schwefd*
Wasserstoff, Kohlensäure, Sauerstoff und Helium waren in den Gasen
nicht vorhanden. Der Schwef^wasserstoffgehalt dieses Qoeß-
Wassers muß daher auf sekundärer Einwirkung der Luftkohlensäoie
auf das im QueUwasser gelöste Natriumsulfid zurückzuführen sein.
Femer konnte Moissan in dem 59^ heißen Wasser der Grölte n
Luchon freien Schwefel sowohl in Lösung, als auch in den Dämpfiai
des Wassers nachweisen.
Eine Untersuekung des Ctesteiner Thersialwasser» a«f
naüonsgehalt hat Dr. G. Mache ausgeführt.^) Durch die Unter-
suchungen von J. J. Thomson und F. Himstedt ist der Nachweis er-
bracht worden, daß die Quellwässer eine radioaktive Emanaüoin ent-
halten, über deren Provenienz die Versuche von J. Elster uad
H. Geitel dann einigen Aufschluß gaben. Die nächste Frage ist d»
nach den Eigenschaften dieser Emanation, da deren Kenntnis die
Entscheidung ermöglicht, ob man es hier mit der Äußerung eines
neuen radioaktiven Körpers zu tun hat oder mit der eines der bereite
bekannten. Die Gleichheit des Kondensationspunktes und des Ab-
klingungsgesetzes der Emanati(m mit der von Radium entwiekelten
läßt vermuten, daß der in Frage kommende aktive Körper mit
Radium identisch ist, und die in Rede stehenden Versuche bilden einen
weitem Beleg für die Richtigkeit dieser Anschauung. Sie wurden an
^) Wiener Akad. Anzeiger 1904. p. 226.
QaeUen und Höhlen. 257
dem an Emanation ungemein reichen Wasser der Gasteiner Therme
vorgenommen, mid zwar mit dem zuerst durch Elster und Geitel
▼erwendeten Glockenapparat. In diesen wurde Luft eingeführt, die
das Wasser einige Male in heftigem Blasenstrome passiert und sich so
mit Emanation bereichert hatte.
Es gelang zunächst der Nachweis, daß die Emanation im Wasser,
das in verscUossener Flasche aufbewahrt wird, nach dem gleichen
Gesetze abklingt wie Badiumemanation. Man wird auf Grund dieser
Übereinstimmung auch schließen können, daß im Gasteiner Wasser
— wenn überhaupt — nur sehr geringe Mengen der radiumhaltigen
Substanz selbst vorhanden sind, da sonst das Abklingungsgesetz ein
anderes sein müßte.
AusführUch wurde femer das für jede Emanation so charakte-
ristische Abklingungsgesetz der induzierten Aktivität untersucht.
Es zeigte sich, daß das Gesetz, nach welchem die durch Wasser-
emanation induzierte Aktivität abklingt, in ganz ausgezeichneter
Weise durch die Formel von Curie und Danne ohne irgend welche
Änderung der Konstanten dargestellt werden kann. Schließlich
wurde auch das Wasser der Wiener Hochquellenleitimg in analoger
Weise untersucht. Die aus demselben gewonnene Emanation zeigt
in allen Stücken quaUtativ das gleiche Verhalten wie die der Gasteiner
Therme. Im besondem ist auch daa Abklingen der induzierten
Aktivität durch die Formel von Curie und Danne darstellbar. Doch
verhalten sich die in gleichen Quantitäten der beiden Wässer ent-
haltenen Emanationsmengen ungefähr wie 1 : 1000.
Radioaktiyltät der Könlgsqaelle in Batb. Dieselbe ist von
B. J. Strutt nachgewiesen worden, ^) und zwsir zunächst in den rot-
gefärbten Ablagerungen an der Innenseite des Brunnens, aus dem
das heiße Wasser kommt. In den Röhren und Becken waren die
Ablagerungen gleichfalls aktiv, aber schwächer als in der Nähe der
Quelle. Auch die Ablagerungen aus den andern heißen Quellen
von Bath waren aktiv. Zur Beantwortung der Frage, ob
auch das Wasser selbst Radium in Lösung enthalte, wurden 10 /
Wasser verdampft, der Salzrückstand 14 Tage im verschlossenen
Bohre aufbewahrt und erwärmt. Es ergab sich eine Emanation,
deren Elektrizitätszerstreuung mehrere Mfde so groß war wie die der
Luft. Die reichste Ablagerung war über 36 mal aktiver als das durch
Verdampfen des Wassers erhaltene Salz. Aus der Geschwindigkeit
des Verschwindens fand sich, daß die Aktivität vom Radium her-
rühre. Dies ist auch durch die chemischen Eigenschaften des Wassers
bestätigt worden und hat ein besonderes Interesse wegen des Vor-
kommens von HeUum in den Gasen der heißen Quellen von Bath.
Strutt berechnet die Menge Radium, welche jährUch von der Quelle,
1) Proo. Roy. Soo. 7S. p. 191.
Klein, Jahrbuch XV. 17
258
dem WaBMer mid dea AUagerumgen keransbefönlert wiffd, su ^/^ f.
Dem stellt gegestüber eine Menge von 10001 Heluim, die jünlieh in
den Geaen der QoeUe entwickelt werden. Dies Ve^altnie zwteekn
Helium nnd Badiam ist idso von derselfoen GhröBesoidniing wie bn
den radioaktiven Mineralien.
Das Yerslekern des meteorischen Wassers im Boden ist bei Sand,
Lehm und Ton von W. Spring durch systematische Versuche studiert
worden. ^) Er kommt zu dem Ergebnisse, daß dasselbe im Bodeo
nicht regehnäßig und entsprechend dem Aufbaue auseinander im
allgemeinen parallelen Schichten erfolgen kann. Die im Boden an-
geschlossene Luft welche dem Wasser zunächst Platz machen mufi,
bedingt, daß das Versickern nur an beschrankten Stellen stattfindet
während die übrigen als Kanäle für die entweichende Luft dienen.
Im übrigen wird ein erhebUches Versickern nur in denjenigen Land-
strichen vor sich gehen, wo die Oberfläche in genügender Mächtigkeit
von fließendem oder rieselndem Wasser, von einer ruhenden Wass»-
schicht oder schmelzendem Schnee bedeckt ist. Gelingt es dann ab&
dem Wasser, sich einen Weg zur Tiefe zu bahnen, so wird sein Ver-
sinken um so rascher erfolgen, je größere Höhen seine in gewissem
Maße von der Mächtigkeit der Schichten bestimmte Säule erreicht
Das Wasser wirkt dabei vorzugsweise durch sein Gewicht; hiermit
führt es eine wirkliche Austrocknung der obem Schichten herb^,
infolge deren letztere von Wasser bis auf die durch Kapülarkzäfte
gefesselte Feuchtigkeit entleert werden.
Die Karsthydrograpbie, begründet auf Studien aus Westbosnieo,
behandelt Dr. A. Grund. ') Er weist darauf hin, daß man bisher ge-
wöhnlich den Fluß als die Ursache der eigentümlichen hydro-
graphischen Erscheinungen der Karstländer auffaßte, während nach
den Erfahrungen des Verfassers die eigentliche Ursache derselbe
in der Quelle zu suchen sei. Das fließende Grundwasser des
Karstes bezeichnet Verfasser als Karstwasser. Der Dolomit
gehört nicht zu den karstbildenden Gesteinen; im Gebiete deeselbeo
fehlen die Dolinen fast ganz, während Ablagerungen von Gehange-
schutt und Erosionstäler mit gleichsinniger Entwässerungsrichtung
auftreten. In Westbosnien zeigt das Karstwasser zwei Hochstande
(im Frühjahre und Herbste) und zwei Tiefstände (im Winter und
Sommer). Die Wasserstandskurven zeigen gegenüber den Nieder-
schlagskurven zunächst eine Verspätung von einem Monate, so daß
z. B. das Maximum der Überschwemmung im Polje von Livno erst
1) Ann. d. g^olog. Bdg. 28 u, 29. — Natorwiss, Wochenschr. 1901
p. 6Ö7.
>) Penoks geogr. Abhandl. 7. Heft 3. — Ein knner Anszoff im
Globus 85. p. 129» worauB oben der Text.
Qttdlen und Höhlen. 25d
einen Monat nach dem Niederschlagsmaximnm eintaritt. Bs ist dies
ein Beweis dafür, daß diese Überschwemmungen nicht einfach
Flnßüberschwemmungen mit unzureichendemÄbflusse, sondern Gnuid-
wasserschwankimgen sind. Aus den Schwankungen des Nieder-
schlages tmd der Karstwasserstande leitet der Verfasser Zahlenwerte
für die Klüftung des Gesteines ab; die beträchtlichen Karstwasser-
schwankungen sind aber auch nach seiner Ansicht völlig genügend,
um die meisten Erscheinungen der Karsthydrographie ku erklären.
Stauende Hindemisse spielen hierbei eine große Rolle. Die periodisch
auftretenden Quellen nemit Verfasser Karstquellen, die
\ perennierenden Vauclusequellen ; beide Typen sind zu-
^ meist scharf getrennt, es finden jedoch auch Übergänge statt. So-
^ lange die Inundation zunimmt, sind auch die Ponore als Karstquellen
[ zu betrachten. Die Karstwasserschwankungen erklären auch den
Unterschied zwischen trocknen, periodisch und dauernd über-
I schwemmten Karstmulden. Die Dauer der Inundation einer Karst*
wanne hängt davon ab, ob ihr Boden näher dem obem oder untern
' Karstwassemiveau liegt; das Abfließen verspätet sich ähnlich wie
* die Füllung des Beckens. Die künstliche Melioration der Karst-
^ becken hat wenig Aussicht auf Erfolg. Die Flüsse der undurch-
lässigen Schichten sind ganz unabhängig vom Karstwasser; sie
» haben den Charakter von Torrenten, die hoch über dem Karstwasser
t fließen und die aUeinigen Träger der mechanischen Erosion und
i Akkumulation sind. Zertalung durch Seitentäler findet man nur
f auf undurchlässigem Boden; speziell im westbosnischen fijnst gibt
es nur drei größere Erosionstäler (Unac-Una, Suica, Rioina-Suaja),
und ist eine weitere Zertalung überhaupt nicht möglich. Wo die
\ Erosion die undurchlässige Unterlage angeschnitten hat (Naienta,
oetbosnisches Hochgebirge), nimmt die Landschaft ganz alpinen
I Charakter an. Was die Entstehung der Poljen anbelangt, so wird
I der bekannten Erklärung derselben durch Cvijic aus mehrfachen
Gründen widersprochen und für die westbosnisohen Poljen der
, Charakter von tektonischen Senkungsfeldem angenommen; daneben
wird aber auch die Existenz solcher Poljen zugegeben, die durch
Ausräumung, bzw. Akkumulation entstanden sind. Für die eigent-
lichen, unterirdisch entwässerten tektonischen Poljen sehlägt Ver-
fasser die Bezeichnung Karstpol jen vor; er weist nach, daß
dieselben ursprünglich eine ähnliche Entwicklung dUTchmaohten wie
die Senkungsfelder in undurchlässigem Gesteine, und glaubt, daß ihre
Entstehung mit dem Einbrüche der Adtia zeitlich zusammenfidlen
dürfte.
Der gegenwirttge Zurtaml der Isiindisehen Geytlre. E. Zugmayer
gibt eine Schilderung^) des isländischen Oeysirgebietes und des
^) Eine Reise durdi Idand im Jshre 1902 von E. Zugmayer.
17»
260 Qa^len und Höhlen.
gegenwärtigen Znatandes dieser heißen Springquellen, die toq be-
sonderm IntereBse ist, da diese Geysire in jüngerer Zeit mehrfache
Veränderungen erlitten haben. Als der Reisende mit seiner Be-
gleitung die Gegend, in der sich die berühmten SpringqueUen be-
finden, erreichte, sah er vor sich eine weite, sumpfige Elbene, die too
einem vielgewundenen Flusse durchzogen war. Nach Noidoeten wv
sie imHalbkreise vonhohen Bergen eingeschlossen; in ihrer Mitte erhob
sich ein isolierter Hügel aus dunklem Gesteine ; sein flacher, siidlichef
Abhang sah aus, wie von der Sonne beschienen, mit gelber bis oirange-
roter Farbe; und auf dem ganzen großen lichten Flecke waren dicht
aneinander eine Menge von weißen Dampfwolken, unter ihnen eine
besonders hohe, die jedenfalls dem großen Geysir zugehörte. Der
Hügel, an dessen südöstlichem Abhänge das Geysirterrain sich be-
findet, heißt Laugafjall (das ist Heißerquellenberg). Der überall
von Elieselsinter und Schwefel inkrustierte Streifen, auf dem die ver-
schiedenen Quellen entspringen, erschien 200 bis 300 fi» lang und
vielleicht halb so breit. Fast überall war der Boden so heiß, daß die
Hand nicht lange darauf ruhen konnte, und in zahlreichen dampfen-
den Bächlein rieselte das heiße Wasser der verschiedenen Sprudel zu
Tal, um sich, zu einer starkem Wasserader vereint, in den Tungnafljcit
zu ergießen. Der von der Hitze geborstene und von den Wasser-
dämpfen zermürbte Boden erschien dicht besät mit Löchern, denen
teils unter Drohnen und Brodeln kochendes Wasser entströmte
oder die unter bösartigem Zischen und Pfauchen größere und Ueineie
Damp&trahlen entsandte; einige unter ihnen, flache Becken, lagen
still, nur aus dem tiefen Schlünde in ihrer Mitte wallten ab und xn
Dampfblasen auf. „Unter diesen Quellen," sagt Verfasser, ,,hemcht
die größte Mannigfaltigkeit bezüglich der Farbe des Wassers; die
einen, deren ganzes Inneres mit Sinter ausgekleidet ist, sind klar, und
das sich nach der Mitte zu vertiefende Wasser zeigt alle Abstufongeo
von der durchsichtigsten Klarheit zu zartem Hinmielblao, taefem
Stahlblau und dunkelm Schwarzviolett. Andere sind eben so klar,
zeigen aber eine prachtvolle Abtönung aller Arten von Grün, bis andi
sie nach der Tiefe zu schwarz wie Tinte werden. Der absteigende
Schlund dieser Quellen geht nicht immer senkrecht hinab, sondern
führt oft schräg und gar nicht steil nach der Seite hinimter, so dafi
man, über ihm stehend, nur durch ein dünnes Gewölbe von d^s
kochenden Wasser getrennt ist. Andere Quellen sind wieder ongp-
stüme Gesellen, die in ihren Sintertöpfen wallen und sieden, kleine
Wassergarben über die Obeiflache schleudern und mächtige Dampf-
wolken entwickeln, ohne sich aber zu wirklichen Ausbrüchen auf-
raffen zu können. Noch andere, die aus lehmigem Boden zutage
treten, haben eine Menge Erdreich aufgelöst und sich so zu einem
zähen, kochenden Breie verdickt, dessen Oberfläche in beständigem
Aufwallen begriffen ist, und aus dem sich große Dampfblasen hervor-
ringen, um mit lautem Geräusche zu zerplatzen. Diese Quellen haben.
Quellen und Höhlen. 261
je nach dem Erdreiche, das sie enthalte^, eine dunkelbraune, tomaten-
rote, schwefelgelbe, auch hellblaue Farbe, und das von ihnen aus-
tretende Wasser laßt auf seinem Wege bergab einen bunten Streifen
zurück, der sich mitunter sehr effektvoll von der gelblichen Sinter-
decke abhebt. An einigen Stellen ist auch der Boden auf mehrere
Quadratmeter wie von Mauslöchem durchwühlt, und aus jeder der
kleinen Offnungen fährt ein schweflig riechender Dampfstrahl heraus,
bald senkrecht in die Luft, bald flach über den Bodmi hin; tritt man
mit dem Fuße ein Loch in die Decke vom Sinter, oder durchstößt
man sie mit dem Stocke, — gleich fährt einem ein neuer Strahl ent-
gegen, ganz als ob pfauchende kleine Geisterchen ihr unterirdisches
Reich verteidigen wollten. Wir wagten anfangs kaum, auf diesem
verdächtigen Boden einen Schritt nach vorwärts zu tun, denn rechts
und links, vom und hinten brummt, zischt und spritzt es in allen Ton-
arten, und mit jedem festen Schritte erwartet man durchzubrechen
oder auf den von Wasser überrieselten Stellen auszugleiten. Nach
einiger Zeit aber lernten wir uns die gangbaren Stellen zwischen den
einzelnen Becken und Kesseln merken und fühlten uns dann bald
unter ihnen heimisch, gaben ihnen Namen und fanden die inte-
ressantem heraus.*'
Außer diesen Quellen, die beständig in gleicher Weise Wasser
von sich geben, finden sich noch vier andere, die periodische Aus-
brüche haben oder hatten, und diese sind die eigentlichen Geysire.
„Bei einem von ihnen, dem LitU Strokkur, ist es jedoch zweifelhaft,
ob man die Zwischenpausen zwischen den wenigen Ausbrüchen, die
er hatte, als Perioden ansehen darf; gegenwärtig springt er ebenso-
wenig wie sein größerer Namensbruder, der Strokkur. Das Jahr
1896, welches ein heftiges Erdbeben für Südisland brachte, hat in
die Tätigkeit der Geysire ziemliche Änderungen gebracht. Vorher
sprang der große Geysir schon seit Jahrzehnten nur in immer größer
werdenden Zwischenräumen; es kam vor, daß Beisende zwei, drei
Wochen lang vergeblich auf einen Ausbruch warteten, dafür sprang
der Strokkur alle Tage ein- bis zweimal und erreichte mitunter eine
Höhe von 30 m und mehr. Seit dem Jahre 1896 jedoch hat er seine
Tätigkeit vollständig eingestellt; der große Geysir dagegen springt
seither durchschnittUch jeden Tag, und zwar höher als zuvor; einer
seiner Ausbrüche wurde von Bunsen und Descloiseaux, die im Jahre
1846 längere Zeit dort zubrachten, mit 150 Fuß gemessen, das war
noch vor der Periode relativer Buhe, die der Geysir in den letzten
Jahrzehnten hatte; jetzt ist er zu seinem frühem Temperament
zurückgekehrt, ob zwar natürlich lange nicht alle Ausbrüche so hoch
sind, wie die wenigen seltenen, die fJs Höchstmaße bekannt sind.
Der dritte Geysir, der durch das Jahr 1896 keine Abänderungen er-
fahren hatte, ist ziemlich am südöstUchen Ende des Quellenterrains,
während der große Geysir im äußersten Nordosten und der Strokkur in
der Mitte liegt. Er ist sowohl unter dem Namen LitU Geysir als
262 OoflUen und raUan.
auch unter der B^zfiidmung Operris-Hola bekannt. Da der eiateie
Name leioht zu Verwechslungen mit einem andern Geysir fahrt, der
in der Landachalt Olfus im Südwesten von Island liegt nod g^bich-
falls litli Oeysir genannt wird, so ist es angezeigt^ sich an dep Namen
Operris-Hola zu halten. „Operris'* ist ,,Un-däiTe^\ alao Käaae,
»^ola** bedeutet Loch. Man erklarte uns den Uzsprang dea Namens
daraus, daS des Springen dieses Geysirs nasses Wssser ankündigte,
pa der Operris-Hda aber tagUch zweimal Ausbrüche hat. und das
schon seit Jahrhunderten, kaioe man zu dem Schlüsse, djafi es in der
Gegend bestandig regnen müsse. Richtiger scheint ee mir, den
Namen daher abzuleiten, daß der Operris-Hola „nie trocken" ist,
sondern immer voll Wasser und in eifriger nasser Täti^^it. Endlich
ist im Jahre 1806 ziemUch hoch am Abhänge dasljaugaf jall, außerhalb
des zusammenhangenden QueUenterrains, eine neue AuatrittasteDe
entstanden, die man nach König Christian IX. benannt hat. Neben
ihr findet sich auch ein Denkstein, der an deji Besuch dea Königs im
Jahre 1874 erinnert; besser gesagt, die neue Quelle ist neben diesem
Denksteine zutage getreten; daher ihr Name.'*
Da es den Beiiaendßn dajrauf ankam, einen schönen AjQshmck
des großen Geysir bald zu sehen, so wandten sie das Ton A^ft"^^
her bekannte Mittel an, einen solchen zu provozieren» n«J7fy^r*^^ das
Einwerfen von Seife in den Schlund. Durch Opfern von 8 % Seib,
die in der benachbarten Schutzhütte kauflich ist, erfolgte 2 Stunden
spater eine Eruption, die das heiße Wasser 15 m, den Dampf alao wohl
doppelt so hoch trieb. Der große Geysir hat außen die Gestalt <
sehr stumpfen Kegels von 6 bis 7 m Höhe und 60 m Durcfame
der Bsais, das obere nahezu kreisrunde, flach tellerförmige Becken
hat 15 bis 17 em Durohmesser, und in seiner Mitte öffnet sich ein
Schlundrohr von 2 m Durchmesser, dessen Tiefe nach Bunaen 23 m
betragt.
Die Baue 'ftopBrtetaibftUe bei Kirltein In HUuan achiUeit
B. Trampler. ^) Sie ist seit Herbst 1901 bekannt und liegt etwa
20 km nordnordöstUoh von Brunn. Sie ist reich an Trof^teuh
gebilden.
Zwischen Felswänden« welohe 1 m voneinander abstehen, gelangt bmb
in das Innere. Vom Eingänge ans eratreokt sich der Gang 6.5 fit lang in räd-
BÜdöstUoher Richtung, erweitert sich aher schon in der Hälfte dieser Ent-
fernung auf 4 m ; auch die Decke hebt sich auf 3 m und ist mit zahlreichen,
gegenwärtig noch schneeweißen Tropfsteingebilden bedeckt, welohe entweder
die Form flewdhnlioher Stalaktiten oder die von Qoasten und Zaplen basitsflo.
Dieser Teil der Höhle erinnert, was die Tropfsteinbildnng betritft^ lebhaft aa
die 1890 entdeckte Tropfsteinhöhle von Schlosuwka, unweit Sloup.
Rechts erweitert sich die Höhle zu einer Halle, die aber zum giofien Teile
ao niedrig ist, daß man sie nur mit tiefgebeugtem Haupte betreten kann. Der
Boden ist mit Sintermasse bedeckt und die Decke mit nnsShligen,]
') UmUuft, Deutsche Rundschau f. Qeogiaplüe lt. p. 346.
QnaUoi and HAhten« 263
; federkielaiiagRfi StaiakUten fönnUoh übeniät. Wcitakm teät äek die 9 i»
lai^e H<^e in Bwei Teile: die sadliche (rechte) eneidit eine Höhe von DAhem
' 2Vt ** v<^ ist ganz mitTxopfiiteuieB bedeckt, wählend in der nordiichMi (links)«
f veLohe amjIi iJunählich bis snr Höhe von 3 m echebt» ein ^Wftweilftll" die Aul-
i mwrkiiftmlrqit des Besuchen auf sich Eieht. Wür sehen ein Tropfeteingebilde
y(« uns, welches an den einsig schönen Waseeriall in der Slouper Tropfstein*
b<^üe etümert; nur eraoheiiU; er hier im verjüngten Mafistabe. Nicht minder
' erregt de« Staunen der Besudier eine aweite Kaskade, die man aber bei läagei»
i Betnehten eher mit einer von Kunstlerhand zierlich gefalteten €kuiiaode
vergleichen möchte. Die niedere Halle setzt sich hintw dem Wasserfalle in snd-»
nördlicher Richtung in einem kleinen 6 m Iftnaiin Glange fort^ welcher» anfangs
naheeu 2.6 m la^g nnd ebenso hoch, sich aümdwich vorangt und in einen Schlot
nbeigeh t. Der nöidliobe Teil der Halle ist kaum 4 mjang und an Beginn nshes»
B 2 m breit.
DerHsoptgang istdort, wo er mit dsrHöUe inVerhinriung steht» mit vielen
FelsblöckenbedMkt nnd orstteekt sich29i»» weit. Er istSmbreit und etwas über
2 m hoch. Wahrend der etwas geneigte Boden mit Felsblöoken und Abli _
t messen bedeckt ist, ganzen die Wände und insbesosMlere die Decke bei 1
I Belonchtong von zablreidien alabasterweifien Tropibteinen. Sehr zart sind
^ hier die schlanken Stalaktiten. An einzelnen StsUen zu Hunderten beisammen,
erregen sie, oft so dünn wie Fedeüstiele, wegen ihrer zierUchen Form die Be-
' wunderung der Besucher. Von besondeim Intensse ist es, daB die Enden fast
aller StaUktiten nach dem Innern der Hohle g^ohtet sind, woraus man
aohliefien kann, daß vom Binnnge her ein beständiger Luftzug herrBohte, dev
das die Tropfsteixie bildende ^terwaaser zwang, so ungewöhnliche Formen zu
bilden. Zur linken Hand, n^ie der Wand, gewahrt man eine Öffnung, welche z«
«inem kleinen, noch nicht durchforschten Abgrunde oder zu einem tieferliegeodan
Gange zu fuhren scheint. Etwa 8 m vor cmn Ende befindet sieh die Öffnung
SU einer untern Etage, welche ungefähr 6 m tiefer liegt und ebenfalls reiche
Tropfsteinbikiungen aufweist Dieser untere ziemlich niedere Qang dehnt sich
nahezu 20 m weit aus, zeigt mehrere Spalten, weiche augenscheinlich in einen
Abgrund fuhren, und kehrt wieder in oen obem Hanpt^uig mrnck. Der für
einen Höhlenfoncher bemerkenswerteste und zugleicn anziehendste Teil der
neuen Tropfsteinhöhle ist der Abgrund, welcher sich in derselben befindet. Er
ist sehr tief und kann als I>pus eines Abgrundes im mahrischen Kantgebiete
angesehen werden. Der vordere Rand des Schlundes ist abschässig und von
zaUreichen sich aneinander lehnenden Felsblöcken gebildet, deren durch diese
gebildete Spalten teilweise mit Ablagerungsmassen gefüllt sind. Der hintere
Rand führt schiftg auf einer lehmigen Masse 4m abwärts, wobei sieh der Schlund
verengt und kaum l^/^mim Durdunesser zeigt. Der Höhlenforscher Koudelka
ließ sich von hier aus in einem Bergmannakübel an einem festen Seile von Süden
gegen Norden über die lehmige Masse schräg hinab und fuhr dann 11 m in die
Tiefe. Hier fand sich eine semrage Stufe, welche von Südost nach Ncwdost ge-
richtet, 6 m lang, beinahe 1 m breit und mit einer lehmigen AblMerungsmasse
und mit Kulmgeschiebe bedeckt ist. Die nordöstliche Felswand geht in die
Tiefe und zeigt eine Reihe auseinandeigehender, senkrechter, ausgewaschener
Wasserrinnen. Von der eben beschriebraen Stufe gehen drei Offnungen in die
Tiefe. Die südöstliche bildet eine kaum ^u ^ hreite Felsspalte, welche un^fiUir
2 m tief zu einer Ablagerung führt. Von hier zweigt sich ein sehr Ueiner
unterer Gang ab, welcher hinter dem Schlünde zu dem obem Höhlen&ange
zurückführt Aul dem cegenüberliegenden Ende der Stufe befindet mm cOe
zweite entfe Öffnung, welche in die Tiefe führt, aber zunächst in einen Gang,
durch wdchen man in die dritte Öffnung einzudringen vermag.
Von dieser geht es 6.5 m schräg abwärts in eine kleine Felflkammer, welche
ungefähr 1.6 m toeit und ebenso hoch ist. Von hier führen wieder zwei Off-
nungen; die im Osten ist fast kreisrund und hat einen Durohmesser von 6.4 m,
die im N<xden ist 0.75 m hoch und fsst 0.5 m breit. Wenn man sich nun durch
264 QttellMi und HiUil«i.
die letztere dorohgecwinfft hat^ kommt man in einen fast honzontal -ver-
laufenden Gang, der naohNordnordost maßig abfallt mit und Schlamm und eiuBr
Lache ganz klaren Waasen bedeckt ist. Deor kleine, bogenartig gelonnte Gaqg
zeigt eine gewölbte Decke, welche auf vom Waaser fönnlich polierten Feb-
wänden aufruht, ist bei seinem Beginne 1 bis 2 m breit und nahesa 1.5 m hoch,
wird aber, je weiter man vordringt, desto enger und niedriger und wendet ach
zugleich etwas nach Nordnordost. Die ganze Lange des Ganges beträgit 14 «s
und zwar zu Beginn in der Richtung von Süden nadi Norden 4 m und dann von
Sudost nach Nordwest 10 m ; das Oefiille dagegen mag ung^Ulir 4 m betragen.
Der Boden ist mit Schlamm bedeckt und z^gt eine schräge Bidhtoqg von der
westlichen Felswand zur östlichen.
Der kleine Gang mündet in eine kleine Halle, deren Eingang 1.5 m brät
und fast ebenso hoch ist, und deren von zahlreichen Löchern färmlich aerrissene
Decke am Ende in einen 3^/a m hohen Schlot übergeht^ Die Halle ist, von
Osten nach Westen gemessen, 6 m breit, von Süden nach Norden 8 m lapg
und 8 bis 10 m hoch. Ungeßbr in der Mitte dersäben befindet sich an der
Decke ein Felsblock, welcher wahrscheinlich in einem Schlote verkeilt isL Der
sehr unebene, welleuförmifle Boden ist mit einem zähen Schlamme bedeckt und
fällt von Süden nach Nox^ton ab. Von der Mündung des kleinen Gax^gea, 4 m in
nördlicher Richtung entfernt^ kann man sich mit gröfiterVoFBioht dem Bande des
Abgrundes nähern, doch liegt die Stelle ungeföhr 1.5 m tiefer.
Von dieser aus kann man wahrnehmen, daß die Halle in nördüdicr
Richtung nach oben in eine sehr enge FeLaspalte übergeht» welche unten 10 bei
16 m, dagegen in gleicher Höhe mit dem Boden der Halle über I m breit k(L
Die Spalte wird von nahezu senkrecht abfallenden Fdswänden begrenzt, welche
sich oben bis auf 0.5 m nahem, während sie unten 2 bis 2.5 m voneinander ab»
stehen.
Vom Rande des Abgrundes geht es 7.5 m zu einer schief liegenden Ab-
lagemngsmasse hinab, hinter wel<£er sioh in einer Spalte viele mit Schlamm
bäeckte Felsblöoke befinden. Hat man diese erreicht^ so geht es 4.5 m wieder
zu einer lehmigen Ablagerung hinab, welche den ganzen Boden der unten seihr
breiten Felsspalte bedeckt. Der Höhlenforscher Koudelka konnte, nachdem
er sich noch 1.6 m unter die Febblöcke hinabgelassen hatte, nicht winter vor-
dringen, weil er sah, daß das Seil, auf dem er sich herabgelassen hatte, sich auf
den im Schlamme steckenden Blöcken bewegte. Er versuchte nun» eine
andere Öffnung in den Abgrund zu finden. Tatsächlich führt gerade gegen-
über dem kleinen Gange, durch welchen man in die besduiebene &Sk
gelangt, [ein 1.6 m hoher und 1 bis 1.5 m breiter Gang in südöstlicher Rich-
tung über eine schlammige Ablaeaiing in die Tiefe. In der Entfernung voa
6 m biegt dann der Gang nach Nordosten ab und endigt in ^ner Laoge von
8 m bei dem Schlünde, welcher 90 om lang und halb so breit ist. Gang und
Schlundloch sind mit Schlamm bedeckt. Überdies war es ganz unmögiidi,
durch diese enge Öffnung zu kriechen; infolgedessen mußte der Versuch,
bis zu dem untern Ende des Abgrundes zu gelangen, aufgegeben werden.
Er ist» wie Koudelka durch andere Messungen ermittelte, 60 m tief und reicht
selbstverständlich wie alle Abgründe im mährischen Karate bis zum unter-
irdischen Wasserlauf e, in dem gegebenen Falle bis zu dem des Kiriteiner Baches,
hinab. Da der genannte Forscher eine Tiefe von 34 m erreicht hatte, so hätte
er noch 16 m zurücklegen müssen, um bis ans £buie zu gelangen.
Der unterirdisehe Abfluß des Sftntlsenees. Die naturwiasen-
Bchaftliche Gesellschaft in St. Gallen hat vor einiger 2«eit ein sehr
interessantes Experiment mit Erfolg ausgeführt, um den unter-
irdischen Abfluß des hinter der Bergkette des Hohen Kasten 120O m
hoch gelegenen Säntisersees, der bisher unbekannt war, festzustellen.
Es wurde der See mittels 3 hg Fluoreszein grün gefärbt. Einige Tage
FlfiMe. 265
darauf eraohien das Waflser im Mühlenbaohe bei Sennwald deutlich
grün mit der charakteristisch gelbgrunen Fluoreszenz des einge-
worfenen Farbstoffes, womit der Beweis dafür gebracht ist, daß das
Wasser des Säntisersees durch die zerklüfteten Kalktelsen hindurch
dem 800 m tiefer gelegenen Bheintale unter Vermittlung des Mühlen-
baohes bei Sennwald zuströmt.
Flüsse.
Ober die Beschaffenheit des Wassers der Oder und einiger Neben-
flüsse derselben verbreitete sich auf der Breslauer Naturforscher-
Versammlung (1904) Dr. Lüdecke. Bei den verschiedenen Wasser-
ständen ist die Beschaffenheit der im Wasser gelösten und darin
schwebenden Stoffe sehr verschieden. Die schwebenden Stoffe be-
tragen im Strome mindestens 4 ^ im Kubikmeter, höchstens, bei
Hochwasser 263 g. Der höchste Schlammgehalt lauft dem Scheitel
der Hochwasserquelle etwas voraus. Die Schlammteile sind meist
feine sandige Stoffe. Der eigentUche Ton ist geringer an Menge darin.
Die gelöste Salzmenge ist am größten bei Niedrigwasser. Ihr höchster
Betrag ist gemessen zu 320 g im Kubikmeter. Bei hohem Wasser-
standen geht der Betrag zurück. Am härtesten (am meisten kalk-
und magnesiahaltig) ist das Stromwasser bei Niedrigwasser. Eisen
enthält es wenig. Lüdecke legte im weitem die Zusammensetzung
des Wassers der Schweidnitzer Weistritz und ihrer Zuflüsse dar, so-
wie der Flüsse zu beiden Seiten des Riesengebirges, und erörterte
die Entstehung der Moore.
Das Stromgebiet des'Dniepr behandelt R. v. Wybranowski. ^) Die
Flußlänge beträgt 2160 ibi», das ganze Stromgebiet nachMaximowitsch
518 647 qhm. DurchschnittUch fallen auf demselben nach Tilla jähr-
lich 601 mm Niederschläge, und von diesen fließen 36% in den Dniepr
ab. Der Hochstand seines Wassers fällt auf den April, während das
Maximimi der Niederschläge in die Monate Juni bis August fällt.
Die Wasserzufuhr des Stromes findet hauptsächlich aus den Mooren
und Wäldern statt.
Die Hochwasser des Mississippi im Frfihjahre 1908 sind von
H. G. Frankenfield untersucht worden. *) Von Memphis bis zu den
Pässen war der Wasserstand höher als je zuvor, zu Memphis um 2.8,
zu New-Orleans um 0.8 Fuß. Die Ursache dieser Flut ist in unge-
wöhnlich starken RegenfäUen während des Februar und Regen-
stürmen des südwestUchen Typus zu suchen. Den beträchtlichsten
1) La G^graphie t. Nr. 2.
*) U. S. Department of Agrioulture BoUetin M. The IloodB eto. in the
MiasiMippi Waterabed. Washington Weather Burean 1904.
2e6 FitoB.
WaaemrEuflttfi erhttt der HMiptrtrom diindi den Misaonri und QUo.
Wa» die Dauer det Flut aabelangi, so stiog dar Mknisaippi xn New-
Madrid über die Gefahrimie am 17. Februar und eank unter cUeaeUbe
zu New^OrleaoB «m 21. Hai, so daß die Geaamtdauer der Xihn-
BohweBUxumg M Tage betrug. Die Veiheerungeu, wtitiae der unlene
Missouri und Kansasriver anrichteten, emichteii ihvea BShepmikti
bei der Stadt Kansascity, wo die Flut höher stieg als bei der be-
rüchtigten Überschwemmung von 1844. Die Hochwasser waren hier
ledigUch durch die außergewöhnlichen BegenfaUe während des Mai
im Gebiete des Kansasriver hervorgerufen. Die Brücke der MQnouii-
Pacificbahn über den Kansasfluß war unter 17 Brücken die
einzige, welche von der Überschwemmung nicht fortgerissen wurde.
(Tafel V.)
Das Mündungsgebiet des Amaionas und Toeantlns ist neuerdings
von Hartt und Huber studiert worden. ^) Ersterer behauptet, daß
in einer nicht sehr weit zurückliegenden Epoche, als das Terrain noch
niedriger war wie heute, durch die Region der Breveskanale ein
breiter Ann des Amazonas sich in das Astuarium desRioP&ra ergossen
habe, wie solches heute noch in der Regenzeit stattfindet. Die
Region dieser Kanäle wird bezeichnet durch das Gebiet, welches im
Norden durch den Paranamiry Uituquara, im Westen durch den
Kanal Tajapuru und seine Fortsetzung nach Süden, den Taja-
purusinho, im Osten durch den Rio Macacos und Rio dos Brevea, im
Süden durch die Bahias de Portel, Melgaco und dos Bocaa begrenzt
ist. Das wichtigste Phänomen in der Hydrographie des Plara-
ästuahums besteht darin, daß die Flut in ihm viel mehr zur Geltung
kommt als an der nördhchoi Mündung des Amazonas und demsaf olge
nicht nur wie hier eine mehr oder weniger starke Wasserstaanng,
sondern eine ausgesprochene Gegenströmung hervorruft. Der nord-
Uche Teil der Kanäle, nördlich von dem quer verlaufenden, die diei
Hauptkanäle verbindenden Atuna steht unter direktem Einflüsse
des Amazonas, der südliche unter dem des Parckästuariums. Von
beiden Seiten, von Norden wie von Süden, tritt bei Flut das Wasser
in die Kanäle ein, um dieselben bei Ebbe auf dem gleichen Wege zu
verlassen. An bestimmten, natürUch nicht sehr scharf markierten
Stellen der einzelnen Kanäle trifft nun das aus dem Amaeonae ein-
tretende Wasser mit dem aus dem Paraästuarium stammenden zu*
sammen — diese Stellen heißen nach der Bezeichnung der Brasilianer
„Encontros d'agua'' und liegen an zwei von den drei Hauptkanalen
in etwas verschiedener Höhe, im Jaburu etwas nönUicher als im
Macacos, während andern westlichsten Hauptkanale, dem Tajapuru,
anscheinend von einer solchen „Wasserbegegnung'' nicht die Rede
ist, sondern das Wasser ständig, bei Ebbe stark, bei Flut schwach von
1) Globus 86. p. 90.
Flüsse. 267
Nord nach Süd, vom Amazonas zum Paraastuarium abfließt. Dieser
Angabe, die mit den Berichten von Martins, Prinz Adalbert von
Preußen, Hartt und Goudreau übereinstimmt, widersprechen die An-
gaben z. B. von Wallace, Barao de Marajo, die auch im Tajapuru
Gegenströmung von Süd nach Nord angetroffen haben. Es bleibt
deiäalb die Entscheidung dieser Frage einer Reihenfolge methodischer
mindestens auf ein ganzes Jahr ausgedehnter Beobachtungen vor-
behalten. Jedenfalls aber ergießt der Tajapiiru, wenigstens während
der Ebbe, eine große Menge Amazonaswasser, ein Faktum, das einmal
daraus erhellt, daß sogar in den südlichen Abschnitten der Kanäle»
wo bei Flut Gegenströmung vorhanden, die Ebbe bei stärkerer
Strömung auch l&igere Zeit in Anspruch nimmt als die Flut, so daß
z. B. nach einer einfachen Berechnung vor dem Flecken Breves durch
den Kanal gleichen Namens bei jeder Ebbe 15 444 000 cbm Amazonas-
wasser, für die sämtlichen nach Süden mündenden Kanäle das sicher
nicht zu hoch gegriffene Vierfache gerechnet, also über 60 000 000 cbm
Amazonaswasser sich in das Paraästuarium ergießen, eine Wasser-
menge, die von allen südlichen Zuflüssen des Paraästuariums zu-
sammen genommen nach Hartt sicher nicht annähernd erreicht wird.
Danach kann der Auffassung, daß das Paraästuarium als Amazonas-
arm und der Tocantins als dessen Nebenfluß zu betrachten sei, kaum
mehr etwas Stichhaltiges entgegengehalten werden.
Auffallend ist die bedeutende Tiefe der Kanäle im Verhältnisse zu
ihrer Breite; nach Hemdon wechselt die Breite von 46 bis 460, die
Tiefe von 10 bis 56 m. Im Arama ist die größte Tiefe beim Flecken
gleichen Namens 30.5 m, der Tajapuru scheint gleiche, der Macacos
geringere Tiefe aufzuweisen. Der Wasserstand ist ein sehr konstanter
und schwankt von tiefster Ebbe zu höchster Flut im Arama z. B. nur
um 3 m.
Alle Inseln der Region der Breveskanäle sind Neubildungen der
Sedimentation des Amazonaswassers, die auch heute noch fort-
dauert. Ein Brunnenschacht von 10 m Tiefe an einem etwas höher
gelegenenPunkte des Aramaufers ergab das folgende Profil : Im gelben,
im obem Teile humusreichen Ton, darunter 0 m blaugrauen, sehr
feinen, plastischen Ton mit kleinen, schwarzen, mit bloßem Auge
sichtbaren Fragmenten.
Bei der Neubildung von Inseln sind es vor allem zwei Pflanzen,
die vermöge der Fähigkeit ihrer Samen, lange auf dem Wasser zu
schwimmen, als Pioniere der Vegetation eine Sandbank, nachdem
sich genügend Schlamm auf ihr abgelagert, in ihrer ganzen Aus-
dehnung einnehmen, die Aninga (Montrichardia arboreecens) und
der Aturia (Drepanooarpus lunatus), und zwar in der Regel auf einer
bestimmten Bank nur die eine von den beiden unter Ausschluß der
andern. Nachdem nun durch diese erste Vegetation die Ablagerung
angeschwemmten Materiales erleichtert, erscheinen bald andere
Pflanzen, besonders die Mangue (Rhizophora mangle), in deren
268 FlfiflM.
Schatten weder die Aninga» noch der Aturia mehr gedeihen, so daß
diese immer mehr an den Waaaerrand zurückgedrängt werden. Das
gleiche Los wird dann der Mangue von andern in ihrem Schatae an-
gesiedelten Bäumen (Mirity, Sumauma u. a.) zuteil, auch de wird
immer mehr nach dem Wasser zu zurückgedrängt. So finden och
denn an allen Inseln, wenigstens an der dem Strome abgekduteo
(untern) Seite, wo das mebor stagnierende Wasser eine andaoenide
Ablagerung gestattet, als äußerster Vegetationsgürtel ein Aning^
oder Aturiabestand, nach innen davon ein Manguebestand, und ent
hinter diesem beginnt das Vielerlei der im untern Amazonasgebiete
heimischen Baumarten.
Die Sehwanwasserfifisse Südamerikas. Eine ZusammenstdhDg
und Diskussion des hierüber vorliegenden Materiales hat Dr.
Josef Reindl gegeben. ^)
Hiemach liegen die schwarzen Strome Südamerikas mit kum
nennenswerten Ausnahmen auf der großen „Brasilianischen Masse"
die sich als eine alte geologische Bildung vom Orinoco-Apure üb
Norden bis zum Uruguay im Süden erstreckt. Seit der Faltung lIuk
archäischen Grundgesteine hat diese gewaltige „Masse" keine Störoi^
in der Lagerung ihrer Gesteinsschichten mehr erfahren, und selbst die
devonischen und karbonischen Ablagerungen, also Fonnations-
gruppen sehr hohen Alters, hegen ungestört über dem stark p-
fadteten Grundgebirge.
Topographisch zerfällt dieses große Gebiet in mehrere Teile, die
Reindl wie folgt unterscheidet:
1. Das Bergland von Brasilien, südlich von Amazonas und öetüohm
Madeira. Das durch den Parana, den Paraguay und die AmaconasnebeDfloae
reichbew&sserte Binnenland ist größtenteüs flach, nnd nur allmählich eriwU
sich dasselbe nach der Küste zu, um dort ein über 300 000 qkm umtoeoda
Küstengebirge zn bilden, das fast in allen seinen Teilen zusammenhängt ^
aich bei einer mittlem Höhe von 900 bis 700 m von der Nordküste heräb ba
Uruguay hinein erstreckt Der am Meere hinstreichende GebiigBrücksn iit is
seiner größten Ausdehnung unter dem Namen Sem Geral bekannt Das Bag*
land des Innern, welches keinen herrorragend hohen Punkt aufweist, wird ta*
dos Vertentes, d. h. Quellengebirge genannt, weil auf ihm die Wiegen Tia^J
südlicher Nebenflüsse des Amazonas und vieler Zuflüsse des Pangosj ^
Parana liegen. Es ist ein 4ö0 m hohes Tafelland mit aufgesetaten Tm^argo»
tiefen Fluieinschnitten und zahlreichen WasserflUlen, diuch die die 8<^^^
in das Innera beeohweriich gemacht, ja sogar oft verhindert wird. Von Säo»
aus erscheint das Gebiet au Gebirge mit zerklüfteten, steilen Gehängen "om
Wänden. Die Binnenplateaus (chapadas) sind entweder nur mit ^teppei^
bedeckt oder mit niedrigem Gehölze, sogenannten „Oaatingas" ^^^^^^^
Dieselben sind überall kulturfahig und im ganzen gut bewässert; nur im ^^
Osten des Landes trifft man ausgedehnte wasserarme, mit dürren ^J^
bestandene Ebenen, sogenannte „sertoes", welche sich nur yorübeigelMO^
während der Regenzeit mit frischem Grün bedecken. Auffallend kontrastiv
^) Die schwarzen Flüsse Südamerikas. Hvdrogr. Studie von J. Beio^
München 1903.
Flüsse. 269
I mit diesoQ die mit ewia granem Urwalde bedeokten Täler der zahlreiohen Flüsse
und Bäche und veriemen den sonst so öden, einförmigen Plateaus einige Ab-
^ weohalnng und einigen Reiz.
I 2. Die brasilianische Masse nördlich vom Amazonas. Hier dehnt sich am
I mittlem und obem Rio Negro, am Atabapo und Oassiquiare ein ungeheures
^ Granitgebiet aus, dessen yöfiige Horizontafität schon Humboldt in Erataunen
setzte^ und die die geringe Strömung, sowie die zahlreiohen Bifurkationen und
' Stromvermisohungen der dortigen Flüsse verursacht. Im Osten des Rio Negro
( wird dasselbe von einer Sandateindecke überlagert, die sich gegen das Ben;)and
▼on Guayana ausdehnt und dort in waldbedeckte, aber auch kahle Gebirgs-
landschaften übcurgeht. Sie bilden vom Rio Negro bis zum Essequibo die
Hauptwasserscheide zwischen dem Amazonassysteme im Süden und dem
> Orinooo- und Essequibosysteme im Norden. Unterbrochen wird diese Wasser-
scheide nur zwischen dem Mahn und dem Rupununi, auf einem flachen Granit-
gebiete, wo zur Regenzeit eine Wassermischung zwischen diesen zwei letzt-
genannten Strömen stattfindet.
' 3. Die Niederunff des Amazonas. Diese ungeheuere Fläche senkt sich von
I der Oststufe der CoroUlleren bis zum Atlantischen Ozeane, also auf einer Er-
streckung von 3000 km kaum um 200 m, während die Senkung vom Berglande
Guayanas bis zum Bette des Amazonas auf 600 km Erstreckimg etwa dreimal
größer ist Auf diesem ganzen, ungeheueren, Europa an Größe vergleichbaien
f Gebiete kämpfen Fluß und Wald um die Herrschaft bis zum Trombetas, wo
t ausgedehnte Camdistrikte auftroten. Die Ströme, die sich in dieser sroßen
^ Ebäie bewegen, werfen sämtlich ihre Wassermasse dem Amazonas zu, der die
Niederung von W nach O durchzieht. Sämtliche Flüsse tragen hier denselben
' Charakter eines in unzähligen Schlinaen sich windenden Laufes und niederer,
f während eines großen Tdks des Jahres vom Hochwasser überfluteter Ufer.
I Namentlich für die Gewässer westlich vom Madeira und Rio Negro sind die
fortwährenden Veränderungen des Stromlaufes charakteristisch. Ehrenreich
schreibt hierüber: „Vom hohen Ufer der terra firma, dem Reste jenes alten
Meeresbeckens, werden ungeheure Massen durch Unterspülung abgeschwemmt
t. und geben an Biegungsstellen Material für mächtige Alluvialbildungen, die
schließlich die Ströme aus ihrer Bahn ablenken und zu neuen Volten nötigen.
Es entsteht so ein labyrinthisches Kanalsystem, das die Flüsse in ihrem ganzen
' Laufe begleitet, die sogenannten Igarap^e, die aber auch weit in die Terra
' firma eingreifen. Wird nach Bildung einer neuen Biegung der Eingang oder
' Ausgang einer alten verlegt, so bildet sich an ihrer Stelle eine bogenförmige
' Lagune, die durch kleine „Furos" mit dem Hauptflusse in Verbindung bleibt.
' Beiderseits wird ein solcher Fluß von einem ganzen Systeme solcher Lagunen
eingefaßt, wie dies in kleinem Maßstabe auch bei europäischen Flüssen, z. B.
dem mittlem Rheine der Fall ist Derselbe Prozeß wiederholt sich bei den
Nebenflüssen; es bilden sich Kommunikationen zwischen diesen und den
Tributären des Parallelstromes, so daß schließlich ein Fluß mit dem andern in
Verbindung steht."
Die Schwarzwasserflüsse finden sich auf der brasilianischen „Masse"
und in der großen Amazonasniederung in großer AnyAhl Reindl unterscheidet
behufs Einzelbeobaohtung dieselben in folgenden Gruppen: 1. die schwarzen
Flüsse des Orinooosystemes, 2. diejenigen Guayanas, 3. die des Amazonas-
systemes, darunter a) die rechtsseitisen, b) die linksseitigen, 4. die des bra-
ailianischen Berglandes, 6. zweifelhafte Schwarzwasserflüsse.
Was die schwarzen Flüsse des Orinooosystemes anbelangt, so sagt darüber
A. V. Humboldt: „Mit der Mündung des Rio Zama betraten wir ein Flußsystem,
das große Aufmerksamkeit verdient. Der Zama, der Mataveni, der Atabapo,
der Tuamini, der Temi, haben schwarzes Wasser (aquas n^gras), d. h. ihr Wasser,
in ipoßen Massen «esehen, erscheint kaffeebraun oder grünlich schwarz, und
doch sind es die schönsten, klarsten, wohlschmeckendsten Wasser. Wenn ein
gelinder Wind den Spiegel dieser schwarzen Flüsse kräuselt, so erscheinen sie
270 Flu«««.
wiesengrfin wie die Schweizer Seen. Im Schatten ist der &ma, der Atabapo osv.
Bohwan wie Kaffeeeate. Diese Eracheimmgen md so auffallend, dafi cfie
Indianer allerorten die Gewässer in „schwarze und wdfie^* eintetlen.^
Von diesen Hassen sind bis jetat nur zwei ihrem ganzen Laufe nach
bekannt, darunter der Atabapo, dessen üferiandschaften einen grofien Kontrast
mit den Gegenden am Orinoco bilden. Humboldt sagt darüber: „Sobald man
das Bett des Atabapo betritt, ist alles andurs, die Beachaffenheit, der Laaf, cfie
Farbe des Wassers, die Gestalt der Baume am Ufer. Bei Tage bat man von
den Moekiten nicht mehr zu leiden, die Schnaken mit langen Füfien (Zancados)
werden bei Nacht sehr selten, ja oberhalb der Mission San Fernando verschwin-
den diese Nachtinsekten ganz. Das Wasser des Orinoco ist trübe, voll erfger
Stoffe, und in dm Buchten hat es wegen der vielen toten Krokodile und anderer
faulender Stoffe einen bisamartigen, süßlichen Geruch. Um dieses Wasser
trinken zu können, mußten wir es nicht selten durch ein Tuch seihen. Das
Wasser des Atabapo dagegen ist rem, von angenehmem Geschmacke, ohne
eine Spur von Geruch, l:^i reflektiertem Lichte bräunlich, bei durohg^hendmi
gelblich. Das Volk nennt dasselbe „leicht'\ im Gegensatze znm traben,
schweren Orinocowasser. Es ist meist um 2®, der Einmündung der Tlemi sa
um 3* kühler ids der Orinoco. Wenn man ein ganzes Jahr \Bog Waaser yxm
27 bis 28^ trinken muB, hat man schon bei ein paar Graden weniaer ein änflent
angenehmes Gefühl. Diese Temperatur rührt wohl daher, daß der Ftnfi nicht
so breit ist, daß er keine sandigen Ufer hat, die sich am Orinoco bei Tage asf
60® erhitzen, und daß der Ati9>apo, Temi, Tnamini und der Rio Negio von
dichten Wäldern beschattet sind
Nicht nur der Orinoco empfangt aus Guayana zahlreiche Schwaizwasser-
flüsse, sondern es fließen auch smche direkt in den Atlantischen Ozean, darunter
der Barima. Der Essequibo, der größte Fluß Guayanas, zeigt in seinem Quellen-
gebiete die gleiche Färbung. Ik>bert v. Schomburgk schreibt darüber: „Bä
dem Wilhelmskatarakte ist sein Wasser dunkelbraun, das sich aber erhellt,
sobald es den weißen Rupununi abermals aufgenommen, weiter nordBch wird
es durch die roten Wasser des Siparuni abermals gefiLrbt, und noch weiter
nach Norden mbt ihm der Potara seine frühere Farbe zurück, die er an^ mm
bis zu seiner Vereinigung mit dem Mazaruni und Cuyuni beibehalt, worauf
er wieder die Farbe annimmt, die er nordlich vom Rupununi hatte. **|
Andere Schwarawasserflüsse Guayanas, die sich direkt in den Onaa
eigießen, sind der Demerara und der lierbioe. Reindl hat mit eratannlichfan
Fleiße alle Nachrichten über die Wasserfarben einer Menge von Nebenflüs
gesammelt und führt sie speziell auf.
Die schwanen Flüsse des Amanmenatromtales haben ihieii
Repräsentanten in dem Unks einmündenden Rio Negro. Er führt in~
Oberlaufe den Namen Guainia und hat aooh dort, wo er in einem Graaitbette
fließt, tintenschwarzee, klares, durchsichtiges Wasser, dessen mittkte Tem-
peratur 28 bis 290 beträgt. Beim Einflüsse des Rio Branoa, densen wvIBb
Wasser den grüßten Kontrast zu denen des Bio Nh^gro bilden, beginnt «les
letztem Unterlauf. Die Ufer werden jetat flaoh und sandig. Zar TTonhuiaum
zeit, vom April bis zum August, weiden die Inseln, die jetat nicht melir, in
Gegensätze zu den Restinsehi des Granitgebietes, aus Fleben bestehen, sondan
sämtlich zu den Anschwemmungsinsaln gehöran, unter Wasser geaetat. Der
Fluß bildet, sagt Reclus, wie die kanadischen Ilüsse, mehr die FortaetauQg
eines Sees als die eines Flusses. Er hat oft eine Breite von 25 km, nnd seine
Stvömung ist außerordentlich schwach. Mit Recht bezeichnen ihn die Indianer»
wie uns Reclus ebenfalls berichtet, im Gegensatae zu dem reißenden i
als den „toten" Strom.
Auf diesem Unteriaufe ist das Wasser nicht mehr klar, aondsm
Beimengung von Sedimenten getrübt, die FVffbe weehselt an Intensität, ist an
seichten Stellen bernsteingelb, an tiefen undurchsichtig schwan. Das ganae
Fl&M. 271
Gebiet der Znflüen dodlBio Negro, ledrts wie linke, ist thtnÜMapt reich an
eehwanEen Gewftieem. Der Oaesiquiari fahrt dagegen kela eohwarzes WaMer.
Beim Caqaeta-«laptira zeigt nur ein kleiner nnfiabsohnitt die Farbe des
Rio Negro.
Von den reohtaaeitigen Sohwarzwaaeerzuflüsaen des Amazonsis ist das
sewaltige Flußsystem Ar^gaaya-Tocantins zu nennen. Ersterer mündet in
den letztem unter H^ 20^ südl. Br. Sein Wasser ist auffallend klar und dunkel.
Wenigstens zu den Dunkelwasserflüssen cehört der Xingu, der uns durch
r bekannt
K. Ton den Steinens Forsohun|;en senftaer bekannt wurde, und deesen Haupt-
queUfliiS H. Meyer erforeeht hat. ils 0 km breiter Strom erneßt sich der Xinga
unter lyj^ südl. Br. in den Amazonas. Die Wirkung von Ebbe und Flut wird
auf aeinem ganzen untern Laufe Terspürt. Über seine Lange sagt dauB: „Um
sich an der Hand geläufiger Distanzen eine Vorstellung von &r ungeheuren
Lange des Xingu zu bilden, denken wir uns seine Mündung nach Hamburg
▼erlegt; dann wurden wir seine Quellen an der afrikaniachen Nordküete bei
Tunis zu suohen haben."
Der Tapajoz, welcher durch die Vereinigung des Arinos und Juruena
entsteht, fuhrt ebenfalls dunkles Wasser. Chandleß bemerkt darüber: „Ober-
halb der Mundung des San Manod Terwandelt sich das Fhifiwaaser von den
hellen Grün des Arinos und Juruena in eine dunkle, schw&rsliohe Färbung;
aus dieeem Grunde ist der Fluß von San Manoel abw&rts unter dem Namen
River Preto bekannt. Sogar in Santarem spricht man unter keinem aaden
Namen von ihm.** Av^-LaUemant sagt: „Li sohrftger Richtung setsten wir
über den grauen Strom (Amaaonas^, der plötaüch scharf abgeschnitten schwarz
enchien. Beide Waaserschichten liefen canz unvermischt nebeneiiiander hin,
jede ihre Uferseite behauptend, ein höchst auffallendes Phänomen. Das ist
daa sogenannte „aehwarze Wasser'* des machtigen Tapaioz, an dessen rechtem
Ufer Santarem liegt. Silbeo^lar und vollkommen rein ist das Wasser desTapajoz
zumal neben dem trüben, grauen Wasser des Amazonenstromea."
Katcer s^ davon: „Das Wasser des Tapajoz erscheint im reflektierten
lichte, wenn sich der reine Himmel darin spiegelt, blauschwarz, bei direkter
Sonnenbestrahlung sehw&rzlidigrün (wie Alizaiintinte) bis hell ohvengrün, je
nach der Tiefe. & ist dabei äußerst klar, so daß man selbst durch eine 3 bis
4 m machtige Schicht bis auf den Grund sieht. Es gilt als sc^enanntes „schwar-
aea** Wasser, und der Fluß wird daher von d«i Cearenser Kolonisten bei San-
tarem auch kurz Rio preto (schwarzer Fluß) genannt. Die Analyse einer bei
Itaituba geechöpften Probe ergab einen außemwöhnlich geringen Gehalt an
gelöeten Beetanateilen, in welchem Sinne der Tapajoz zu £n reinsten Flüssen
der Welt gehört."
Der gewaltige Madeirastrom hat ebenlaUe mehrere SchwarzwasserzuflüsBe.
Nach SeUin hat er selbst in der trockenen Jahreszeit eine sehr braune Farbe,
während er in der Regenzeit, wenn Detritusmassen seine Fluten trüben, gdblidi
ist wie der Amazonas. Daa nämliche soll auch für den Purus zutreffen, außer-
dem hat dieser noch mehrere echte Schwarzwasserstrome als Zuflüsse.
Was die schwarzen Strome des brasilianischen Berglandes anbelangt, so
führt Reindl deren secha auf, darunter auch den Rio Uruguay, der in seinem
Oberlaufe nach Av^Lallemant ein sehr dunkles Kolorit hat.
Schwarzwasseiflüsse kommen, wie Reindl hervorhebt, vieUeicht auch in
Argentinien vor.
Das Steigen und Fallen der Flüsse im Amazonasgebiete richtet äch streng
naoh der Regen- oder Trockenzeit und erfoUrt daher in einer sehr regelmäßigen
jähriichen Periode. Beim Amar.onas gibt die Vegetation einen vortrefflichen
Maßstab für die horizontale Ausbreitung seiner Überschwemmungen, und man
unterscheidet drei Typen derselben: Die erste Vegetationsform oer Igapo, ist
daa bia zu 90 bia 35 Im breite, an den beiden Flußufem sich hinzielende Über-
schwemmungEfgebiet, welches in der Regraizeit für m^irere Monate so überflutet
wird, daß selbst die höchsten Bäume nur noch mit den Wipfeln über dem
272 FltbM.
Wasser hervomgeiL Das nAohstfdMide Gebiet nimint die Vaizea ein. Sie
wird nicht mit jedem Hochwasser überflutet und niemals bis zu bedeateoder
Tiefe. Bei normalem Wasserstande bildet sie fast durdigehends die Ufer. Die
Terra firma endlich wird ron der Hochflut nicht mehr erreicht. Der Wald bat
hier ein ganz anderes Aussehen. Die Baume erreichen oft eine Hohe Tmi 60 bis
70 m, und das Unterholz und die Schlinn)flanzen, die sich von Baum zu Banm
winden, stehen oft so dicht beieinander, dafi man sich nur mühsam und Schritt
für Schritt seinen Wag mit dem Waldmesser hindurohzubahnen yermag.
Von einiflen Schwarzwaaserflüssen sind die Unterschiede von Hoctk- und
Niedrigwasser Dekannt, sie erreichen z. B. im Unterlaufe des Rio Negro toOs
10 m und ebenso Tiel im untern Tocantins.
Prüft man genauer das Auftreten der Schwarzwasserflüsse Südamerikaa
so erkennt man mit Reindl, daß sie nch in Gegenden finden, wo grofie ver-
wesende Pflanzenmassen YOi^ommen. „Wohl nirgends," sagt er« „fanden (fie
sumpf- und moorbildenden Agenzien so günstige Verhältnisse zu ihrer Ent-
wicklung ab an den Flußufem der schwarzen Flüsse Südamerikas. Das In-
einande^^fen und Zusammentreffen fast aller nur möglichen Moorbildnngs-
Ursachen mußte naturgemäß jene gewaltigen Ph&nomene hervornifen, die, was
ihre Dimensionen betrifft, unter ähnlichen Erscheinungen der gemäßigten Zone
ihreflgleichen sucheiL Durch die große Ebenheit der Bodenflache etnerseiti
und die ganz gwinge Strömung "der« Flüsse anderseits mußte naturgemäß In-
filtration des Wassers eintreten, weldhen Vorgang uns sdion Franz ▼. Faola
Schrank vor einem Jahrhunderte in seiner 'Aeorie TOn der Entstehung des
Donaumooses klar gelegt und Gümbel und SoykB in überzeugender^Weiw
bestätigt haben. I^ nun, bedingt durch die Horizontalität des Bodens, die
schwarzen Flüsse Südamerikas, ähnlich unsem Moorbächen, auf Tielver-
schlungenen, sekrümmten Pfaden dahinziehen, in ihrem Veriauf e durch steten
Wechsel der Breite des Bettes und durch S^rpentinbildung gekennzeichnsi,
so begünstigen außer der dadurch verstärkten Infiltiation zahlreiche Über-
schwemmungen und Stauungen des Wassers die Bildung von Sfimpfien und
Mooren.
Ein weiterer Faktor, der als wichtiger Sumpfbildnw hier auftritt, ist die
überaus große atmosphärische Feuchtigkeit. Im Gebiete des Rio Negro und
obem Orinoco, auf aem Berglande von Guayana, in der Amazonaaniederaqg
und im östlichen Berglande des Teiles von Brasilien sind die Niederaohlsgs-
mengen geradezu enorm, hier finden wir infolgedessen auch auacedehnte Sompf-
und Moorbildungen. Im südlichen Brasilien und auf Mato Grosso sind zwar
die Niederschlagsmengen nicht gerade gering, aber ungünstig auf die Jahres-
zeiten verteilt, infolgedessen herrscht hier mit Ausnahme einiger von Urwal<ieni
begleiteten Flußufer die Gampregion vor.
Dazu kommen die geognoslaschen Verhältnisse. Die Gesteinsarten, deren
Verwitterungsprodukte an der Oberfläche die durcUässige Schicht bilden, sind
die alten Urgesteine: Gneis, Glimmerschiefer, Granit und der geologisch jur^pere
Sandstein. Die chemische Beschaffenheit dieser Gesteine ist fast gleich. AvtA
ihre Zersetzuiigsprodukte stimmen in dieser Hinsicht überein: jener Gnu und
Sand, der im Gebiete der schwarzen Flüsse fast überall zu finden ist, ist niehts
anderes, als was wir in Afrika Laterit neimen Nun ist bekannt, daß Latent
sehr permeabel ist. Zufolge seiner Wasserkapazität hält er die Feuchtigkeit
zurück, die durch Adhäsion an die Bodenteile, sowie durch Kapillarität ikr
Hohlräume gebunden wird. Dadurch, daß nun unterhalb der durchlasaigeB
Verwitterungsprodukte die undurchlässigen Tonsubstanzen und die Urgesteine
und Sandsteine dem Wasser entgegentreten, «afnmAln sich allmählich die
Wasser hier an, verdrängen die Luft aus den Poren der durchlässigen 8<diicht
und füllen diese selbst mit ihrer Feuchtigkeit aus. Daß dadurch den sumpf-
bildenden Agenzien allein schon ein vorzüglicher Ort zu ihrer Entwicklui^
«eboten ist, bedarf keiner nähern Ausführung. Doch nicht genug! Hier auf
diesem feuchten und fruchtbaren Boden konnte sich auch eine Vegetation
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flAsBe. 273
bildMi» die emem Urwalde dM Leben verlieh. Selten betritt ein menflohlioher
FuB diese undnnlMhiBC^hea Wälder, keine Axt fallt die meterdicken Baum-
neeen. Wo der Stnrm einen Stamm zn Boden wirft, bleibt dieser liegen. Ans
den abgestorbenen Ästen und Zweigen, aus verfaulten Kattem, toten Wakl-
pflänaeaen und dichten Streumassen bilden sieh am Boden schlanunige Humus-
und Moorsohichten, die das Wasser aus der Atmosphäre mit Begierde anlaaiyn
und in dem undurchdringlichen Schatten des Walddickichtes auch leicht zurück-
halten. Diese Moore sind echte Waldmoore (Holzmoore), im Walde und aus
dem Walde entstanden* in ihren untern und obem Schichten fast völlig aus
Waldresten und Baumstrünken zusammengesetzt.
Da im Gebiete der schwarzen Flüsse Kalkeinlagerungen so gut wie g»nz
fahlen, und die Tonschiefer, Gxanite, Glimmerschiefer und Sandsteine di«
Hauptbestandteile der festen Bodenschicht bilden, werden silmtliohe Moore
dort zu den kalklosen Mooren gerechnet werden müssen. Es kommt, wie hier
betont sei, dabei nur ai^ die chemische Beschaffenheit des Wassers, das das
Moor durchtränkt, an, nicht auf die chemische Beschaffenheit des ünteigrundes
des Moores.**
Daß es aber im tropischen Südamerika nicht zur Torfbiklu^g koaunt,
liegt, wie Senft auseinandersetzte, an den klimatischen Verhaltnissen. Es
müssen nämlidi die durch des Sommers Warme zur Verwesung angeregten
Pflanaenreste durch des Winters Froste in ihrer Verwesung gehemmt und ihre
schon erzeugten Humussubstanzen unempfindlich gegen den Sauerstoff und
' ' Uli " '
die übrigen Verwesungispotenzen gemacht werden. Dies alles kann aber nur
in denjenigen Landesgebieten der Erde stattfinden, in denen mit verhältnis-
mäßig kurzen, häufig leuchten Sommern frostreiche Winter wechseln.
Eine merkwürdige, schon vou Humboldt erkannte Tatsache ist, daß die
Schwarzwasserflüsse arm an tierischem Leben sind. Sie beherbergen weniger
Krokodile und noch weniger Fische, selbst die Moskitos, diese schreckliche
Plage des Reisenden, finden sich dort nur in geringer Zahl. Diese Wahrnehmung
ist von allen spätem Forschem bestätigt worden. Eine Erklärung der Tatsache
ist aber schwierig. Reindl führt Grunde an, die es wahrscheinlich machen, daß
die Armut der Schwarzwasserflüsse an Fischen durch die Armut an gewissen
Minesakalzen bedingt sei, namenttieh durch das Fehlen von Kalk und A&gnesia.
Die Seltenheit der Moskitos an den Ufern der schwaraen Gewässer ist völlig
unerklärt.
Schließlich zeigt Reindl, daß sich Schwarzwasserflüsse unter dem gleichen
Tropenhimmel, unter den nänüichen Begleiterscheinimgen und in fast gleich-
großer Auadehnnng aaeh in Afrika finden. So ist Nkoko ein von Norden kom-
mender Nebenfluß des Congo, fast völlig schwarz, ebenso der Lukenje. Nicht
minder haben Nordamerika und Asien ihre schwarzen Flüsse, endlich finden
sich schwarze Wasser auch in Europa, in Nordirland, Schottland und Schweden.
Auf die Ausführangen Dr. Reindls über die von verschiedenen Forschem ge-
gebenen BrUäruBgen der Färbuns der Schwarzwasserflüsse und die nach dieser
Richtung hin aageeteUten Veraocme kann hier nicht eingsgang«! weiden. Die
gesamten Resultate seiner Arbeit aber faßt Verf. in folgenden Thesen zusammen:
„1. Schwarzwaaserflüsse finden sich nur in Gegenden, wo große verwesende
Pflanzenmassen vorkommen.
2. Sie treten in Südamerika und auch anderwärts nur auf Gesteinen auf,
die Alkalien entlialten, auf Granit, Gneis, Sandstein, Laterit, Ton, kurz auf
Silikatgesteinan.
3. Sie fehlen dunhaus auf Kalkboden.
4 Tritt ein Sohwanwasserfluß auf Kalkboden über, so verliert er nach
kurzem Laufe seine schwarze Farbe und wird ein Weißwasserfluß.
6. Das Bett der Schwarzwasserflüsse ist weiß, das der Weißwasserflüsse,
die Moorwasser aufnehmen, schwarz.
Klein, JahrbnobjXV. 18
274 Seen und Moore.
6. Die Sohwanfiurfoimg führt aioh darauf surüok, daß bei Anweaenheil
Ton Alkalien im Waaeer, wie aie stete auf Silikatgesteiiieii eintritt, die Hnmna-
■auie mit diesen leichtlöeliche, das Wasser braunfiirbeDdeii Verbindimgeii zodi
Teile saure Verbindungen eingeht.
7. In gleicher Richtung dürfte auch im Wasser gelöstes kohlenBaares
Bisenoxydul wirken.
8. Verstärkt mag die Schwaizfirbung für das Auge bei anffaUendem
Lichte durch das Feluen suspendierter Partikel und die dadurch bedingte
außerordentliche Klarheit der Gewässer werden, die tiefe Waaser stete dunkel
erscheinen läßt.
9. Andere Momente, wie i. B. Beimengung von schwarsem, sospendiertBB
Schlamme, Auftreten von Diatomeen (Schwager) mögen lokal mit^den, aad
aber unwesentlich.
10. Das Fehlen von Schwarzwasserflüssen auf Kalkboden, sowie die
Entfärbung derselben beim Betreten von Kalkboden führt ach auf den Srsatft
der Alkalien in den humussauren Verbindungen durch Oaldum ondMagneeium
zurück; diese humussauren Calcium- und Magnesiumverbindungen fallen ab
schwerlöslich aus.
11. Die weiße Farbe des Bettes der SchwarzwasserflüaBe erklärt sich
daraus, daß die Verbindungen der Lösunssprodukte der Silikatgesteine mit
Humussäure überaus leicht löslich sind, daher in Lösung bleiben und das
kohlensäurehaltige Wasser die Silikatgesteine, resp. deren zeraetEbareMmeimhen
immer weiter löst ; es bleibt weißliche KieseUiäuie zurück.
12. Die schwarze Farbe des Bettes der Moorwasser enthaltenden Weiß-
wasserflüsse dagegen führt sich auf die Ausfüllung der sohwerlödichen hunus-
sauren Calcium- und Magnesium Verbindungen zurück." ^
Seen und Moore.
Morphometrie der europäisehen Seen. Dr. W. Halbfaß hat eam
sehr mühevolle, umfassende und dankenswerte Arbeit über die
morphometrischen Verhältnisse (Meereshöhe, Areal, Tiefe, Volumen,
Umfang) der europaischen Seen veröffentlicht. ^) Aus derselben ergibt
sich u. a., daß 27 Seen Europas eine Tiefe von 200 m und mehr er-
reichen. Von ihnen liegen 14, also die Hälfte, auf der Skandinavischen
Halbinsel, darunter die vier tiefsten, zehn in den Alpen oder am Rande
derselben, zwei in Schottland, einer in Mazedonien. „Eis ist sehr
unwahrscheinhch,'' sagt Dr. Halbfaß, „daß außer dem Ladogasee,
dessen Mazimaltiefe noch nicht sicher feststeht, noch andere euro-
paische Seenmit mehr als 200mMaiimaltiefeexistieren, außer in Schott-
land oder in Norwegen. Alle tiefen Seen Europas hegen entweder am
Rande der großen Gebirge oder in Gebieten geologischer Einbrüche:
nicht weniger als 17 der Seen, darunter mit Ausnahme des Genfer
Sees alle zwölf Seen über 300 m Tiefe, sind Kryptodepressionen, d. h.
ihre Sohle reicht unter den Meeresspiegel. Einige der tiefoten nor-
wegischen und schottischen Seen hegen mit ihrem Spiegel nur wenige
^) Zciteohr. d. Ges. f Erdkunde in Berlin 1904. Nr. 2 u. 3.
Seen and Moore. 275
Meter über dem Meeresspiegel, und ein nur geringes Steigen des Meeres
würde sie gerade so zu Fjorden machen, wie ein Sinken des Meeres
▼iele Fjorde in Binnenseen umwandeln würde. So gering aber auch
vom rein morphologischen Standpunkte aus der Unterschied SEwischen
manchen Fjordseen und eigentUchen Fjorden sein mag, so groß ist
er vom seenkundlichen Gesichtspunkte aus, der die Seen als ge-
schlossene Mikrokosmen auffaßt. Es erscheint mir daher nicht an«
g&ngig, diese Fjordseen aus einer Zusammenstellung aller Binnen-
seen willkürlich auszuscheiden, wie dies hier und da wohl versucht
worden ist. Von den eigentUchen Hochseen scheint der in 1968 m
Meereshöhe in den Pyrenäen gelegene Lac Bleu mit 120.7 m Maximal-
tiefe der tiefste zu sein; doch ist es nicht ganz ausgeschlossen, wenn
auch nicht gerade wahrscheinlich, daß es im skandinavischen Gebirge
noch tiefere Hochseen gibt. — In Deutschland erreichen außer dem
r Bodensee nur noch der Walchensee, der Königssee imd der Stam-
berger See eine Tiefe von mehr als 100 m; in Norddeutschland ist der
< Dratzigsee in Pommern mit 83 m, in Westdeutschland daa Pulver-
f maar mit 76 m der tiefste See, beachtenswert ist der 50 m tiefe, ganz
, isoliert gelegene Arendsee in der Altmark und die Bemshäuser Kutte,
ein kleines Einsturzbecken in der Rhön, mit 47 m Tiefe. Natur-
I gemäß sind unsere Kenntnisse von dem Bauminhalte und der davon
$ abgeleiteten mittlem Tiefe der Seen noch weit geringer als von der
größten Tiefe. Wir kennen heute elf Seen in Europa, deren mittlere
Tiefe größer als 100 m ist, an ihrer Spitze stehen der Brienzer See und
derLago Maggiore; doch dürfen wir nicht vergessen, daß die Topo-
graphie der norwegischen und schottischen Seen noch nicht genügend
bekannt ist. Dem Rauminhalte nach steht, soweit unsere heutige
I Kenntnis reicht, der Onegasee mit 300.8 ckm voran, ihm folgt der
Vänem mit rund 180 ckm, dem im weitem Abstände der Genfer See
mit 00 und der Vättem mit 72 ckm folgen; von 13 Seen ist bekannt,,
I daß ihr Kubikinhalt 10 ckm und mehr betragt. Einen Inahlt voix
über 1 ckm besitzen in Deutschland der Bodensee (48.44 ckm) und
in sehr weitem Abstände davon der Stamberger See, der Chiemsee,
der Ammersee, der Walchensee und der Seenkomplex Mauersee in
Ostpreußen; von den noch nicht genau ausgeloteten deutschen Seen
ist möglicherweise noch die Müritz in Mecklenburg hierher zu rechnen.
Den größten Umfang scheint nach dem Onegasee der inselreiche und
zerklüftete Malaren zu haben (000 km), dem der Vänem mit 780 km
folgt; daran schließt sich der Bodensee an mit 285 km usw. Der
MUaren ragt auch durch seine enorme Umfangsentwicklung (7.6)
unter allen großem europaischen Seen hervor. An der Spitze der
steil geböschten Seen über 1 qkm Größe steht unser Königssee mit
20.6° mittlerer Böschung, ihm folgen Loch Katrine mit 17.0°, der
Achensee und der Luganer See; von den 16 Seen, welche hier in Be-
tracht kommen, ist der Lago Maggiore der größte mit 10.0°, ihm
folgen in weitem Abstände der Luganer See mit 14.8° und der Brienzer
376
S^Mi und Moorou
See mit 12.0^; voii den übrigen Sem eneickt keiaer 20 ffaik Vod
den Seen swiieboi 30 vaad 100 ha Araal ist der Lac CaioidlaB ia dn
Pyxeaeen mit 23.2° der Staate; fünf Seea aiad velkaniflehfin U^
sprangeS) zwei aind Kafstoeen, die übrigea Bäoatlich Hochseea. Uoter
den noch kleinem Seen steht die schon erwähnte BemsbMser Katto
mit 34.5°, dem der kleine Seebachsee im ObersnlaibAchtaL mit ZhZ"
folgt, an der Spitze. Mit einer AusiMihme sind aUe diese Seen ni-
kaoiachen Urs^Mimges odM' Karstseen oder Hochseen oder EioBtus-
bocken. Nur der Pampensee in Hinterpommem gehört keiner dieiii
Kategorien an; er ist wie noch manche andere kleinero pommeneb»
Seen, deren mittlere Böschung 10° übersteigt, wahrsdiemÜGh als
durch £yorsi<m entatandener See. Von den tiefen Alpeaseen be-
aitoen mehrere, wie z. B. der Genfer See, der Bodmisee, der Gardaaee,
dei^ Iseosee, eine nur mäflige mittlere Böschung, die bei keinem der
genannten Seen 7^° übersohieitet. Es braucht wohl kaum herriv-
gehoben zu werdma, daß unter sonst glühen topo^aphischen YoiMi-
aetzungen aus der Berechnungsart du* mittiem Böschung folgt, daß«
bei kleinen Seen starker wachsen muß als bei großem» und daß, dadie
UmfangsentwickluBg auf ihre Größe einen entsekeidanden EuAnft
auAÜbt, der Maßstab der Karte, auf welcher die BereohnungsB fnta
sehr wesentUch mitspricht."
Aus dem Detail seiner Angaben stellt Dr. Haifafaß einig» ^
sultate tabellarisch zusammen, die hier wiedergegeben venks.
Tabelle 1.
Ti«fe
Tiefe
IMe
Hmd« dM See«
in
Vftme dM Seat
iB
m
Name des eaes
m
HomindalByatn .
486
Genfer See . .
310 bseosee , . . .
&l
Miown. . . .
452
Londevatn . .
310 Totak ....
30^ l^vatn . . .
288 l^hNefe. . .
m
Salvatn . . .
446
Stoisjo i Bendalen
25(1
TLnnsjo. . . .
438
Luganer See . .
Oohridaaee . .
238
Ot»iier See . .
410
286 [Homafvatn . .
221
lAge Maggiore .
372
Tyrifjoiden . .
281 iiTbiuaer See . .
273 fBygdin . . .
250 rVierwaldstätt See
ii'i
Gardaaee . . .
346
Breimsvatn . .
m
Loch Morar . .
329
Brienzer See . .
2J4
Tandvatn Övre .
327
Bodensee . . .
252
IBandakvata . •
211
Tabelle 2.
BrieiuseT See .
Lago Maggiore
Corner See
Genfer See
176 II Oohridaaee
175 liGardaAee .
156(?) Vandvatn .
154 11 Luganer See
146 Ijiseoeee . . .
136 IfVierwaldst&ttor
133 See . . .
1^ liWalensee . .
m
m
flaen and Moor«,
faballe 3.
277
Name des Sees
Vo-
ekm
Käme des Seee
Vo-
laineii
in
Name dee deee
Vo-
lumen
in
Onegasee .
Vänem . .
Getif er See
V&ttem
Gardaeee .
Bodensee .
Ochridasee
Lage Maffgiore
Lago di ^no
Hofnafvaki
Neuenburger See
Vierwaldstätter
See . . .
Malaren . .
Lagodi Bolaena
Lago d'Ieeo .
Stomman . .
laganer See .
300.8 niuner See
180 (7) Prespasee .
89.99 Brienzer See
72(T) Wojimsjö .
50.346* Malgomaj . . .
48.44 Lago di BraooiakK)
39.4 lAttersee
37.1 !zarfcher See
22.5(?y Loagfa Nea^
22 liLac dn Botnrg6t
14.17 jlZuger See . .
I Stamberger See
11.82 1| Loch Lomond
10(T)'|Loch Awe. .
I 8.922 |!WaleDwe . .
7.6 tjGmiidener See
I 7i2 'iChiemflee . .
I 6.56 jPeipiUBee . .
6.5
5.307
5.17
5
5
4.95
Ostrovosee
Plattensee
Ammer See
iScutarisee
Loch Tay .
Vandyatn .
3.934 Unterer Loog^
£me
Long^ Corhib
Walohenaee
Lough Mask .
Ortasee. . .
Millatätter See
Mauersee
Sseliger See .
Lac d' Anneoy
2.204 Lough Derg .
2.075 Loch Erioht .
3.9
3.8
3.62
3.21
3.034
2.9
2.75
2.49
2.302
1.95
1.862
1.74
1.70
1.645
1.534
1.46
1.4
1.367
1.3
1.293
1.228
1.15
1.141
1.23
1.1
1.076
Tabelle 4.
Käme dee Sees
Um-
iang
km
Käme dee Seee
üm^
fimc
km
Käme dee Seee
üm-
tenff
km
Vanem ....
Bodensee . . .
Vättem. . . .
Genfer See . .
Oberer Loug^Eme
900
780
284.5
280
176.4
175
Lago Maggiore .
Skntarisee . .
Gardasee . . .
Lough Gorhib .
Loch Awe . . .
'Lough Ree . .
170
162
162
158
140
136 1
Loug^ Neagh
Vierwaldstätter
See , . . .
Unterer Lough
Eme ....
Prespasee . . .
130
110
110
104
Tabelle 5.
Kerne des Seee
Mitt-
ler
BOsoh-
nng
o
AMal
gkm
Kerne dee Sees
Mitt-
len
Böseh-
nnf
AtMd
qkm
Königosoo
Loch Katrine
Aohensee .
Luflaner See
McMvenosee
Plansee
Brienzer See
Loch Erioht
a. Über 1 qkm GröBe.
20.5
17.0
14.8
14.8
13.2
13.1
12.0
U.9
5.17IHaUBtatter See .
12.38 li PosohiaToeee . .
7.34 , Millstatter See .
60.46 i Lüner See . . .
3.27i|WaBtwater. . .
3.40 li Lago di Mergosczo
29.78 11 Lago Maggiore .
18.67 II Heiterwangpee .
11.9
11.7
11.7
11.4
11.3
10.6
10.0
10.0
8.22
1.96
13.25
1.48
2.91
1.83
212.16
1.4
278
Bmd nad Moore.
Tabe
ile
5.
Mltt-
lütt-
l6I«
Az«al
lere
Anal
NunadMSeM
BöMh-
nng
Ntto
le dM 8eM
BOwsh-
na«
c
gkm
o
9tm
b. Größe zwiachen 30 ha und 1 qkm.
Lac d'lBBaridB .
j Vorderer Goeaiuee
JByfoi Staw.
iProBoesee .
Lac OrMon
iLao QiauTet
I SokwanerSee inSalzbiirg
ha
LacOaloollas. . . .
23.2
39.9
Lac de U Girotte
22.1
67
Lac Paym . .
20.5
44
AopuuEBee .
20.0
64
Wielki Staw . .
20.0
33
Lac d'Oo . . .
19.6
38
PqlTermaar . .
18.2
36
Lac Tasanat . .
17.6
34.6
0. Seen von 30 ha Fläche abwärts
Bemhäiuer Kutte . .
Kl. Seebaohaec in Ober-
Snkbaohtal
Baohenaee
Onedalk .
Milanovac .
Meerauge .
Schönsee .
Ubnener Maar
Vorderer Lahngangsee .
Weinfelder Maar . .
Gemfindener Maar . .
Kalugjerovac ....
Seekarsee in Krimmler
Aohental ....
Foißkarsee ....
Krottensee ....
Osamy Staw (6 Seen)
Kago di Mar . . . .
Lil«ner See Plitvioe .
G^inovac
34.6
31.3
24.0
23.2
22.6
22.4
22.0
21.4
21.0
18.9
18.2
18.2
17.6
17.6
17.6
17.0
16.7
16.6
16.6
ha
3.6
0.44
0.1
0.6
3.6
18.4
1.8
6.36
19.4
16.8
12
1.8
4.2
1.17
9
10.7
4.6
12
4.8
iFeldaee
; Schwarzer See ( Vogesen)
i ÖEaray Staw . . .
Zadny Staw ....
Schurmsee ....
Unterer TOldgerloeaee
l Wildkarsee i. WUger-
lotal
Bokkarsee ....
Predny-Staw. . . .
Weißer See (Vogesen)
Seeloch bei Weohsnngen
Gr. Koppenteich . .
< Lac Godivelle d'en hant
Dampensee . .
JöBsee ....
SeeliBberger See .
Hutsenbaoher See
Lac de Gaube .
Teufelssee (Böhmer-
Wald) . . .
17^ 98
ie.6 79
15.5 , 53
14.8 , 31
14.1 I 63
14.0 , 43.2
12.2 53
12 ' 48
16.3 I as
16.2 I 12.8
16u0 IM
l&O I 5.6
15-6 I L6
15.5 ! ia45
15.4
15.3
15.3
15.0
15.0
15.0
14.6
14.5
14.4
14.4
14.3
14.3
! 14.2 ft.7
L3
262
7
28
1.95
65
14.8
7
7.4
18.3
2.6
17
Di6 Farbe der Seen behandelte Frhr. 0. von und zu Aufseß. <)
Auf Grund zahlreicher experimenteller Versuche im Laboratorium
und auf einer Anzahl Seen Oberbayems und des Böhmer Walds,
kommt Verfasser zu der Überzeugung, daß die Farbe eines jeden Sees
wie auch jeden andern Qewäasers keineswegs als Farbe trüber, im
Wasser befindlicher Medien, sondern als eine Eigenfarbe au^EufaiaaeB
sei, die ihre Ursache zunächst in der Eigenfarbe des reinen Wassärs
(blau) habe, dann aber wesentlich modifiziert werde durch den
chemischen Gehalt des Wassers, der natürlich von dem geologischen
Charakter der nahem und weitem Umgebung abhängt. Auf diesem
1) Dissert. München 1903. Ref. von Halb&iß in Globus 85. p. 295.
Sean und Moore. 279
Resultate fußend, verwirft Verfasser die bekannte Forel-Ulesche
Farbenskala und teilt die Seen in bezug auf ihre Eigenfarbe in vier
Gruppen: 1. Blaue Seen (Typus Achensee). 2. grüne Seen (Blau wird
schwach absorbiert, Typus Walchensee), 3. gelbUchgrüne Seen (Blau
wird stark absorbiert, Typus Kochelsee) und 4. gelbe oder braune
Seen (Blau wird vollständig absorbiert, Typus Staffelsee). Diese
Unterschiede können meist schon mit bloßem Auge, völlig sicher aber
mit EUlfe eies Taschenspektroskops oder einer Haidingerschen Lupe
konstatiert werden..
Der Okuibee im südliehen Ostpreußen ist von Dr. 6. Braun
geographisch beschrieben worden. ^) Er bildet mit einigen kleinen Seen
ein Gruppe und ist nebst dem dazu gehörigen Kortsee vom Verf. 1902
ausgelotet worden. Die größte Tiefe beträgt 35 m und findet sich
ziemlich in der Mitte. Die Gruppe des Okullsees stellt in Terrain
und Beckengestalt der Seen den Typus der Grundmoränenseen in
sehr reiner Ausbildung dar und kann als Muster dieser Landschafts-
form dienen.
Seiches im Cliiemsee. Vom 4. April 1902 bis 16. Februar 1903
sind an zwei Punkten (im Westen und Norden) des Sees mit Sarasin-
schen Limnometem anhaltend und an zehn andern Punkten mit
transportablen Limnographen, Aufzeichnungen über die Schwan-
kungen des Wasserstandes erhalten worden. A. Endrös hat dieselben
untersucht ^) und findet, daß am Chiemsee die Existenz von zwölf
verschiedenen Schwankungsperioden und die ungefähre Lage ihrer
Schwingungsknoten nachweisbar ist. Schon die bloße Aufzählung
dieser verschiedenen Schwingungstypen zeigt, wie ungemein kom-
phziert die Bewegungen dieser Wasseransammlung sind, und daß es
selbstverständUch nicht möghch ist, bei der höchst unregelmäßigen
Gestalt des Sees zu einer vollkommenen Analyse der Erscheinungen
zu gelangen. Die Beobachtungen geben zunächst eine vorläufige
Orientierung über die verschiedenen sich hier komplizierenden
Seiches, die im einzelnen durch weitere Beobachtungen noch werden
amendiert werden können. Außer der Existenz dieser periodischen
Schwankungen war von besonderm Interesse der Nachweis, daß der
See, auch wenn er mit einer 30 cm dicken Eisschicht bedeckt war,
Schwankungsbewegungen zeigte, und daß sie vorzugsweise durch
plötzUche Änderungen des Luftdruckes hervorgerufen werden,
während der Wind an sich fast gar keinen Einfluß ausübte.
Über stehende Seespiegelsehwankongen (Seiches) verbreitete sich
Prof. Dr. W. Halbfaß ') und gibt dabei die nachfolgende tabellarische
1) Petermanns liitteil. 1003. p. 265.
*) SeeeohwankuDgen (Seiches), beobachtet am Chiemsee, Traunstein
1903. Dissert.
*) Naturwiss. Wochensohr. 1904. p. 881.
«80
Seen und Moore.
ZuflanamenstelluBg derjenigen Seen, bei wichen SeidieB biaber
gewiesen wurden, sowie nähere Daten über die letztan.
Dauer
Dauer
Areal
VoInzDion
der
d. «raten
Ver-
j_^
Iteme Am 8«m
Haapi-
Ober-
Itaümja
▲mpUtedA
ghm
MUl.'Hbm
•ohw.
■ehw.
beider
in ICinuten
CflM
BodBDiee . . .
. 538
48440
55.8
28.1
1:0.50
11^
Boleenaeee . . .
. 114.5
8922
14.75
?
?
über 25
Brienzer See . .
. 29.8
6170
9.8
?
?
Chiemaee . . .
85
2204
43.2
28.9
1 :a67
»
Eriaeee ....
. 25900
T
960
840
?
?
398
Gaidaeee . . .
. 1 370
50 346
43
40
22.6
22
1:0.53
1:055
7
Genfer See . .
582
90000
73
35.5
1 :0.4g
197
Deeg^. Qiics«eiclic
GmimdDer See .
j —
—
10
5
1:0.5
. 25.66
2302
n.7
?
?
33.1
Hakoresee. . .
f
?
15.4
6.76
I:a44
Joux. lac de
9.62
160
12.4
?
?
Madüeee . . .
36
726
35.6
20.3
1 . 0.57
7
Neß Loch . . .
50
?
31.5
16.3
1 : 0.49
9
NenenbuTger See
. 240
14170
50
24.3
1:0.49
11
Osemjoen . . .
47
T
18-19
f
7
1^
Gieren ....
?
T
30
?
?
1.2
PaTin, lac . . .
1 0.44
23
0.9
0.46
1:0.45
10
der üordösü. Hälfte
')\ ^^^
1826
117
60
1 :0.51
tf
Randsf jorden . .
136
?
24
?
?
2.8
Silfersee . . .
4.16
143
4.7
?
?
Stonjoen i Bendalen
51.2
?
13—14
?
T
2.9
Stamberffer See
57
3034
25.0
15.8
1 : 0.59
5
Thnner See . . .
48
6500
15
7.6
1:0.5
Trieg Loch . . .
7
T
9.5
T
t
1.4
» 114
11820
44.7
24.4
1:0.55
24
DeB£^ Queraeicbfi
"~"
—
18.26
9.27
1 : 0.51
17.5
Walensee . . .
23.27
2 490
14.5
?
?
Züricher See . .
88
3900
45.6
23.8
1:0.52
Die Seen des Kaistgdiietes bilden seit Jahren das Objekt der
Untersuchungen und Studien von A. Gavam, der auch die meisten
Wasserbecken des Karstes in Österreich, ILroatien, Bosnien und
der Herzegowina selbst besucht hat. Er unterzog seinm Unter-
Budiungen nicht nur die beständigen Seen, sondern auch jene
ringsum geschlossenen Becken, welche sich nur gelegentlich, aber
alljährlich als Seen darstellen, sonst aber trocken liegen. Von
seiner Arbeit ist nunmehr der eiste Teil, welcher das morphologiscke
Material bringt, erschienen. ^) In demselben behandelt er folgeinde
Seebecken :
1) Abhdlg. d. k. k. geogr. Ges. in ^len. 5. 1903-1904. Kr. 2.
Seen und Moore. 261
1. Bestandige Seen: A. Süßwaaseraeen: Dobeidob; Cepiö;
Njiyioe; Vrana istrian.; Plitvice; Vrana dalmat.; Blidinje; Proloiac;
Imotski; Boter See; Galjipovac; Bacine. B. Btaokwasserseen :
Blato (Meleda); Blatina (Meleda); Mor (Veglia); Site (Sebenioo);
Slatina (Cheno); Pioiuia (Meleda). C. SalEwasserseen: Muravnjak;
ZaUate (Sebenico); SukoSan (Zara); Rogoznica (Sebenico); Slatina
(Meleda); Narenta-Seen: Gjuvelek, Desno, Modrooko, Vla&ka;
Novigrad und Karin; Prokijan.
2. Periodisch inundierte Becken: A. Periodische Seen:
Zirknitz; Paldje; Peteline; Kukuljanovo; Begovac; Dabar (Kroatien) ;
Konjako; Kosmacevo; Svioa; Schwaner See; Bokanjac; Nadin;
Bitelio; Bnftko blato; Moatarsko blato; Rastok; Jeeeroe; Plina;
Blato (Cunola). B. Periodisch inundierte Poljen: Radna; Planina;
Laas; Rakitnitz; Hnikica; Movrai; Lani&^e; Jaaenak; Dreinica;
Ponikva; Lug; Cmac (Kroatien); Stajnica; Koienica; Krbavica;
Palanka; Bilopolje; Bujadnica; Krbava; Podlapac; Lapac; Mutili^;
Brezovac; Podrainica; Gracac; Popina, Cmac (Boanien); Marin-
kovci; Glamöc; Livno; Slato; Lukavac; Dabar (Herzegowina);
Fatnica; Popovo (Herzegowina); Konavle.
Den einzelnen Dariegungen läßt Gawazzi einige allgemeine
Schlüaae über die Hydrographie der periodischen Karstbecken folgen,
von denen Nachstehendes das Wesentliche ist.
1. Bewässerung der Becken. „Diese erfolgt auf dreÜMhe
Weise: durch Flüsse (Bäche), Quellen oder direkte Regenwasser, welche
flewohnljch Tereint das Objekt mit Wasser füllen. Je nach der Menge und
Starke nimmt auch der Regen an der Inundation des Beckens teil. Dieser
Faktor kommt nur dann mit seiner ganzen Starke zur Geltung, wenn das
Becken schon unter Wasser liegt: der direkte Regen erhöht den SeespiegeL
Abgesehen von der Periodizität sind zwei Gruppen von Quellen zu
unterscheiden. Das nach normalem Verlaufe aus der Erde ausgetretene
Wasser wird als „Grundwasserquelle*' bezeichnet. In den Karstbecken
treten solche Quellen gewöhnlich auf Gehängen auf, sind aber auch weit
vom Becken entfernt zu finden. In diesem Falle bUdet sich ein Bach,
der somit aus einem großen, manchmal auch dem betreffenden Becken ganz
fremden Einzugsgebiete Wasser führt (Gracac).
Neben diesen Quellen treten auch solche auf, welche Ausmündungen
unterirdischer Kanäle, manchmal auch die Fortsetzung sich verschlundender
Bäche oder Flüsse sind, und nur zu bestimmten Jahreszeiten große Wasser-
massen ausspeien. Eine solche Quelle ist mit dem Namen „Karstwasser-
quelle" bezeichnet. Die meisten Karstbecken werden durch solche Spei-
löcher unter Wasser gesetzt.
Die Flüsse sind nach Cvijii' im allgemeinen von geringer Bedeutung
für die Inundation und nur wenige Poljen werden durch obenrdische Flüsse
überschwemmt,
2. Die Entwässerung des Beckens bewirken enge Fugen und
Spalten im Gesteine am Rande desselben oder die EOgenannten Ponore
(ochlundlöcher). Nach der Lage unterscheidet man zwei Typen von
Ponoren.
a) Die Sohlenponore liegen inmitten dee Bodens und sind entweder
offen odar maskiert (gedeckt).
283 Smb und Moore.
Die offenen Sohlenponore sind triohterfönmge Vertäefimgen. bei deoa
die oberaten Partien ans alluTialen Büdnngen bestehen und die untenlB
im Gesteine ausgehöhlt sind. Hier hat ihren Anfang die sogenaiuite KcUb
(kroatisch: grlo), welche zu nnterirdischen Kanälen fahrt, Sie verechhiftaa.
wenn gereinigt, bedeutende Wassermengen.
äe gedeckten (maskierten) Sohlenponore sind zweifitcL Die oinea
früher offene Sohlenponore, weixien jetzt von Sand, Schlamm, GeiebL
Blattern überiagert und verstopft, so daß man den eigentlichen Sdünttl
(die Kehle) nicht sieht. Die andern sind trichterförmige Schwemmlud-
d<4inen, mit denen der Poljenboden besät ist; wir können sie als 'Baäarj^
eines Ponors bezeichnen, der sich langsam bildet.
b) Die Randponore sind Offnungen im anstehenden Gesteine der Ge-
hänge des Beckens, aber nur in geringer relatiTer Höhe. Sie starsen ä^
entweder steil zur Tiefe ab, und der Fluß schießt ab brausender Wanotf
in den Schlund hinab, oder sie steUen flachgeneigte Höhlengänge dar, dk
man ein gutes Stuck verfolgen kann. In cueeem letzten Falle kann dit
eigentliche Schlundloch tief ins Ciebirge verlegt werden, was eine Foife der
Niederschlage, welche das Gestein lockern, und des Winddruckes (zovala
auch eines Erdbebens) ist Die Decke bröckelt sich zuerst am ßnguige vd
dann immer weiter, der Höhlengang öffnet sich nach und nach an da
obem Partien; es entsteht dadurch ein kleiner (3aSon,
Werden die Ponore verstopft, oder liegen sie nicht an der tieirta
SteUe des Abhanges, sondern etwas hoher, so sind ausgedehnte und iMf-
dauemde Überschwemmungen unvermeidlich.
Alle diese Ponore sind die obem Eingange von Fugen, Kanäles odff
Höhlen, in denen die Ciewasser verschwinden, um in einem tiefem Boi-
zonte gelegentlich als starke Quellen wieder ans TagesUcht zu treteiL
3. Ein Bindeg^ed zwischen den Ponoren und den Speüöchera sind &
Estavellen, d. i. Öffnungen, welche während der Zeit der starken anhalteüda
B^n als Speilöcher, dagegen, wenn der Wasserzufluß aufhart, ah Si^f
lö(£er tatig sind. Dieses Naturspiel erklart Hauer folgendermaßen: Desks
wir uns einen unterirdischen Wasserlauf, der unter dem See zieht und »
irgend einer Stelle durch einen etwa aufsteigenden Gang mit dem Seebeeks
kommuniziert. Bei starkem Wasserzuflusse kann das Wasser nicht itf^
genug durch den unterirdischen Kanal nach abwärts abfließen; es s«
steigen, und die Öffnung wird als Speiloch wirken. Beim Eintritte nied^
Wasserstandes entleert sich der unterirdische Kanal, und die Öffnung ^
als Ponor funktionieren, da jetzt das Wasser durch den abwärts veriaufead»
Kanal abfließen kann.
Der Lage nach sind zwei Gruppen von Estavellen zu unteiaobeida:
a) Die Sohlenestavellen sind trichterförmige, den offenen SohleDpoDOc«
ahnliche Gebilde. Ihr Durchmesser variiert zwischen etwa 6 m bis 90 *
(die „Bröme" in Franche-Comt^).
b) die Randestavellen sind den felsigen Randponoren ähnlich. Vos
den Estavellen des Zirknitzer Sees gehören die zwei größten, die „Visijg
jama" und die „Suha dolica" zu diesem I^us; sie liefern den größtes iv
des Wassers, welches das Becken füllt.
4. Die periodische Seebildung in den Karstbecken ist ein Fi^
vieler Faktoren, welche keinen bestandigen Charakter zeigen- ^ '"^
Bchlagareichen Jahren liegen die Kantbeoken längere Zeit ununterlnocbeB
oder mehrmals im Jahre unter Wasser. Solche Verhätoisse hemchen bei Jen»
Becken, bei welchen der Boden innerhalb der Karstwasserachwankong ßi^
Dasu tragen sehr viel auch die Ponore bei. Ist ihre Saugfihigkat i^V
der Verstopfung klein, so staut sich das Wasser auch in minder !«*'•
schiagsreiohen Jahren auf, und der See dauert ungewöhnlich lang. Dsoelbe
ereignet sich, wenn die Hauptponore über der Bodenfläohe des Beckaü
Seen und Moore. 283
liegen: sie verschlucken das Wasser erst, nachdem sie von diesem selbst
erreicht werden.
Die regelmäßige jährliche Inundation ist an die regenreiche Jahreszeit
oder an eine plötzliche Schneeschmelze und ihre Dauer an die Regenmenge,
beziehungsweise Dichti^eit, sowie an die Saugfähigkeit der Ponore gebunden/'
Die wlssenschaf tliehe Untersuehung der schotttschen Seen seitens
der unter Oberleitung von Sir John Murray stehenden Kommission
ist im Jahre 1903 vollendet worden, nachdem sie auch auf die äußern
Hebriden, die Orkney- und SheÜandsinseln ausgedehnt wurde. Dr.
Halbfaß gibt eine kurze Übersicht der Hauptergebnisse dieser
Arbeiten, der folgendes entnommen ist. ^) Sämtliche behandelten
Seen liegen nach der geologischen Aufnahme von Peach und Home
in einem Gebiete, das einst vollständig vergletschert war. Die meisten
von ihnen, und namentlich die kleinem und schmalem, sind als
Moränenstauseen anzusprechen; einige der großem, so namentlich
die Lochs Ericht, Laidon, Garry und Lyon, liegen längs Verwerfungs-
spalten, sind also überwiegend tektonischen Ursprunges. Loch
Rannoch, Loch Tummel, Loch Eam, Loch Jubhair und Loch Dochart,
vielleicht auch Loch Tay werden als Felsbecken aufgefaßt, die durch
die Tätigkeit des Eises erodiert wurden. Loch Tay bildet ein voll-
kommen einheitliches Becken mit der größten Tiefe in der Mitte; im
Loch Rannoch finden sich im östlichen Teile drei voneinander ge-
trennte Vertiefungen, das westliche Ende ist in allmählicher Ver-
landung begriffen; Loch Eam, Loch Lintrathen und Loch Freuchie
sind gleichfalls einheitliche Becken, während der Boden der übrigen
großem Seen aus mehrem Becken besteht.
Auch die Seen im Assyntdistrikte in Sutherlandshire sind nach
Ansicht der Landesgeologen Peach und Home sämtlich durch Eis-
erosion entstandene Felsbecken. Der größte und tiefste der unter-
suchten Seen ist Loch Tay, in 106.5 m Meereshöhe mit einem Areale
von 26.39 qkm, 155 m größter Tiefe- und einem Volumen von
1606 000 000 dm.
Der BaLkaschsee ist während des Jahres 1903 von einer russischen
wissenschaftlichen Expedition erforscht und von der turkestanischen
Militärverwaltung neu aufgenommen worden. Über die Ergebnisse
liegen erst vorläufige Mitteilungen von A. Woeikow vor. ') Hiemach
sind die frühem Karten in vielen Punkten ungenau, besonders fehlen
darauf die fjordartigen Buchten im Westen des Sees. Dessen Länge
beträgt etwa 690 km, seine Breite 60 bis 85 hm. Die Fauna hat Ähn-
lichkeit mit der des Lob-nor, nicht aber mit der aralo-kaspischen.
Merkwürdig ist, daß dieser abflußlose, in sehr trockenem Klima ge-
legene See eine Süßwassersee ist. Seine größte Tiefe beträgt nur
1) PetermannB MitteU. 1904. Literaturber. p. 102.
*) Petermanns Mitteil. 1903. p. 286.
3g4 8*»^ vAd Moofe.
11 m, das Waaeer ist trüb, und der Boden sehr eben. Die Wasser^
temperatur am Boden und an der Oberfläche ist nur sehr wi»iig y«-
schieden; von Ende Juli bis Anfang September war sie 18 bis 25\
Das Wasser ist im Steigen begriffen, nach Auasagen der KirgiaeA seit
wenigstens zehn Jahren. Ein Teil des Fahrweges, welcher am West-
ufer vorbeigeht, ist überschwemmt. An vielen Chtea stend Popuh»
diversif olia im Wasser, und zwar Ende des Sommesa. Übeiliaapt
mehren sich die Nachrichten über die Zunahme des WaaeeiB in Seea
eines grofi^i Teiles Asiens. Zu den frühem von Berg and Ignalov
gebrachten Nachrichten über das Steigen des Aral and vi^er 8e»
der Kirgisensteppe gesellt sich jetzt der Balkasch and LasjUsl
(letzterer in den letzten drei Jahren); es kommen aach NacshriofateB
über die Zunahme der Gletscher in Turkestan.
D&i Kossogolses ist von Peretoltschin untersucht worden, uni
Woeikow gibt von der Publikation dieses Forschers einen kunea
Auszug. ^) Hiemach besitzt der See eine größte Länge von 133 and
eine größte Breite von 33.^ km; seine mittleie Tiefe betraf etwa 150
und seine Seehöhe 1668 m. Der Ausfluß des Sees ist d^ Fluß Eg.
Der See gefriert Anfang Dezember und wird erst Ende Joni eisfra.
Sein Wasser ist sehr klar.
Seiches In lapanisehen Seen. Solche «nd jetzt im 00 km hmgu
Biwasee und im Hakonesee nachgewiesen. *) Als Beobachtungs-
instrumente dienten ein Sarasinsches limnometer und ein von des
Forschem selbst konstruiertes einfacherer Natur. Am Biwasee er-
gaben sich in bezug auf die Dauer der Schwingungen ganz außer-
ordentlich große Abweichungen, sie bew^ten sich namlicfa zwisdien
231.06 und 4.50 Minuten. Die Ursache davon ist zum Teile in der Auf-
stellung an verschiedenen Orten des ziemlich unregieimafiig ge-
stalteten Sees zu suchen. Aus der in Otsu, am Südende des Sees,
beobachteten größten Schwingungsdauer würde sich in ihrer Langs-
erstreckung eine mittlere Tiefe des Sees von nur 7.5 m ergeben. Am
Hakonesee ergab sich 15.4 Minuten als mittlere längste Sc^wingungs-
dauer zwischen Hakone und Hyakkan, welche mit der aus der Lange
des Sees und seiner mittlem Tiefe (24.6 m) theoretisch berechneten
recht gut übereinstimmt. Neben dieser Uninodaischwingung konnte
noch eine als Binodalschwingung anzusprechende Schwingung von
rund 6.75 Minuten konstatiert werden.
Den Tsadesee und seine Veränderungen bespradi Dr. S. Passaige.^
Der Karte und Darstellung Destenaves zufolge, weist der T^e
^) Petermanns Mitteil. 1904. p. 152.
«) Globus 88. p. 68.
s) PetermanDS MitteiL 1904. p. 210.
Seen und Moore. 286
folgende VerhältniBae auf. Er stellt ein Dreieck vor mit einer Basis
▼on 170 km Longe und einer Höhe von 180 km. Der Fläoheninhalt
ist rund 20 000 qkm. Der westliche Teil des Sees ist rund 10 bis 12 m
tief und inselfrei. Die Flutschwelle beträgt 1.20 m. Der See ist in
bestandigem Vordringen gegen W begriffen und verschlingt dort Land.
Im O sind die Verhältnisse durchaus andere. Dort vermittelt eine
Zone von langgestreckten schmalen Inseln, die durch lange schmale,
untereinander vielfach kommunizierende Kanäle getrennt werden,
den Übergang zum Lande. Die Längsa^chsen der Inseln und Kanäle
sind alle einander parallel angeordnet und streichen von NNW nach
SSO. Die Tiefe der Kanäle schwankt zwischen 1.50 und 6 m. Die
Inseln sind flache, eben aufragende Sand- und Schlammbänko bis
15 bis 20 m hohe bewaldete Inseln. Die erstem liegen in der Nähe
der freien Wasserfläche des Sees im W, die hohen im 0 nach dem
Lande zu.
Der Übergang vom See zum Lande vollzieht sich in folgender
Weise. Die Kanäle, welche die Inseln trennen, greifen tief in das Land
hinein, durchfurchen das Plateau, werden, je weiter vom See entfernt,
um so mehr abgeschnürt und in isolierte Becken zerlegt. Während
die Lagunen anfangs noch mit dem See dauernd kommunizieren und
süßes Wasser haben, werden die abgeschnürten Partien nur noch zur
Flulzeit und schließlich gar nicht mehr gefüllt. In den sich ab-
schnürenden Partien entwickeln sich infolge der beständigen Salz-
zufuhr mit dem Flutwasser und Verdunsten des Wassers während der
Trockenzeit Natronseen, ähnlich dem Karabugas des Kaspischen
Meeres. Foureau zog mit seiner Expedition durch das Übergangs-
gebiet zwischen den bereits abgeschnürten Natronseen und den
Kanälen hin, die mit dem Tsade noch in Verbindung stehen. Als
or nach O abbog und in das sandige Plateau vordrang, fand er das-
selbe geradezu durchlöchert von Kesseln und von gestreckten ge-
schlossenen Tälern mit Natronseen. Dieses Gebiet liegt aber sehr
nahe den von Nachtigal besuchten Natrontälem südlich von Lilloa.
Letztere dürften also durchaus den gleichen Charakter haben wie die
in der Nähe des Tsade, die sicher aus den Kanälen der Inselwelt her-
vorgegangen sind.
Während der See nach W vordringt, verlandet er auf der Ost-
aeite immer mehr. Die Kanäle werden abgeschnürt, die Inseln treten
mit dem Lande in Verbindung, neue Sandbänke treten auf, die zu
Inseln werden. So geht der Prozeß unaufhörlich vor sich. Auf der
Südostseite soll der See in den letzten zehn Jahren um 1 km zurück-
gewichen sein. Die Verlandung äußert sich auch darin, daß der Bahr
el Qhasal, einst dauernd ein breiter Ausfluß aus dem Tsade nach der
Landschaft Bodele, aufgehört hat zu fließen. Nur vorübergehend
wird er noch mit Wasser gefüllt, so z. B. im Jahre 1870 auf 50 bis
60 km hin. Er beginnt am Tsade mit einer von Inseln erfüllten Bucht.
Nachtigal nahm bereits an, daß er von den Alluvionen des Schari
286 Seen und Moore.
abgedämmt werde, und daß deshalb der Tsade, seines Aiurflngses be-
raubt, jetzt nach W vordringe. Das Wasser des Tsade ist nach den
Berichten der altem Reisenden (Barth, Vogel, Nachtigal) völlig süB,
Destenave aber fand, daß es während des Tiefstimdes doch etwas
salzig sei. Der Widerspruch dürfte erklarhch sein. Dem Bahr el
Ghasal verdankte der Tsade die süße Beschaffenheit seines Wass^B.
Seitdem dieser Ausfluß aufgehört hat, dauernd zufließ^i, beginnt der
Salzgehalt zu steigen und sich dem Geschmacke während der Trocken-
zeit bemerkbar zu machen.
Die ÄhnUchkeit zwischen den Enneris (d. h. geschlossene Tifer
und Mulden) von Kanem und den Kanälen mit den Natronseen, die
aus der Inselwelt des Tsade hervorgehen, ist so groß, daß man aidi
wohl kaum der Ansicht wird verschließen können, daß die Tältf
Kanems ursprüngUch Kanäle in der Inselwelt des Tsade gewesm sind.
Bei Betrachtung der Insel- und Talbildung sind nach Passarge zwei
Erscheinungen zu erklären, einmal das Vordringen des Tsade gegen
W, sodann die Verlandung und Inselbildung im O. Die gewaltige
Hochflut des Schari, der in seinem Unterlaufe 1000 m breit und sdir
tief ist, schlägt im See, entsprechend der Richtung eines der Haupt-
arme, eine nordwestUche Richtung ein, d. h. verursacht einen Strom,
der gegen das Westufer anstößt, hier erodierend wirkt und den weichen
tonigen Alluvialboden mitreißt. Daher ist das Wasser in dieser Region
gelb und schlammig. Die Strömung geht anscheinend um das Nord-
ende herum, streicht, von dem Komadugu Joobe unterstutzt, an der
Nordseite entlang und erreicht die Ostseite. Hier setzt sich das mit-
geführte Sediment ab, das Wasser wird klar. Daher ist der See Ynss
flach geworden.
Der Absatz von Sedimenten im O dürfte auch dadurch gefordeit
werden, daß der Ostarm des Schari, nach Destenaves Karte, eine
nördliche Richtung hat, sein Wasser also mit obigem Strome an der
Ostküste zusammentreffen und eine Stauung hervorrufen muß.
Für das Vordringen des Sees nach W macht Barth Landsen-
kungen verantwortlich, die durch Nachgeben der unter den ober-
flächhchen Bodenschichten befindhchen mächtigen Kalkbank ent-
standen sein sollen. Diese Kalkbank für Landsenkungen verantwwt-
Uch zu machen, hält Passarge mit Recht für gewagt. Er möchte ver-
muten, daß, abgesehen von der Erosion, die wohl durch den nach
NW gerichteten Hauptarm des Schari ausgeübt wird, auch der starke
und meist stürmische Nordostpassat eine wichtige Rolle spielt.
Dieser starke Nordostpassat dürfte nach Passarge auch bei der
Verlandung der Ostseite eine sehr wichtige Rolle spielen. Er kommt
aus der Sahara, und man darf daher annehmen, daß er aus der Wüste
bedeutende Staub- und Sandmassen mitführt, über das Steppenland
Kanem ausbreitet und zum Teile auch durch dieses relativ vege-
tationsarme Land hindurch führt bis zum Tsade. Auf den bewaldeten
Inseln, in den Kanälen werden dann Sand und Staub definitiv fest-
Seen und Moore» 287
gehalten. Daß diese Sandzufuhr tatsachhoh stattfindet, geht daraua
hervor, daß die Insefai ebenso wie das Plateau von Kanem aus Sand
bestehen, nicht aber aus dem Alluvialschlamme des Tsade. Wir
dürfen also annehmen, daß durch äolische Zufuhr die Inseln beständig
erhöht und die Ostseite des Sees durch eingewehten Sand und ein-
geschwemmten Schlamm ausgefüllt wird. Dadurch wird das Wasser
aber auch aus der Ostseite des Sees verdrängt und dringt nach W
hin vor — ein neuer Grund für das Vordringen des Sees in dieser
Richtung. Die geringe Tiefe des Sees im 0 und die Zunahme der-
selben nach W hin spricht femer für die Richtigkeit der Annahme»
daß die Ostseite des Sees ausgefüllt, die Westseite aber vertieft wird.
Der Sehirwasee in Afrika, ist seit einigen Jahren vöUig ver-
schwunden. Was von der frühem Insel Mchisi aus noch zu erbUcken
ist, ist ein Sumpf an dem ehemaUgen westUchen Seeufer und einige
seichte Lachen an den Flußmündimgen. Die Kanus, mit welchen (he
Eingeborenen seit undenkUchen Zeiten den See befuhren, hegen auf
dem ausgetrockneten Schlamme, indessen man zu Fuß nach Tongwe,
der kleinen bewohnten Insel, gelangt. Der Schlanmi ist stellenweise
noch weich ; aber an der Oberfläche ist er ganz hart, mit welkem Grase
bedeckt, das oft in Flammen aufgeht. Ein kleiner Brunnen in der
Nähe der Missionsschule auf der Insel versorgt die Eingeborenen in
der Umgebung mit gutem Wasser, obgleich das Seewasser brackig ist
oder war. Wegen anhaltender Dürre wächst auf der Insel nur spär-
Uches Futter, weshalb viele Bewohner nach dem Zombadistiikte
auswandern. ^)
Der Eyresee in AustraUen ist von Prof. Gregory untersucht
worden. *) Demgemäß hatte dieser See in einer gewissen Periode
der Vergangenheit eine bei weitem größere Ausdehnung als heute und
muß einen großen Teil von Süd- und Mittelaustrahen bedeckt haben.
Heute ist er ein totes Meer ohne Strömung, mit stagnierenden Ge-
wässem und vöUig unfmchtbaren Ufern; der Spiegel des Sees hegt
jetzt 12 m unter der Meeresoberfläche und hat eine Fläche von etwa
10000 qkm, Natürhch ist das Wasser des Sees sehr salzig. Die
WaBserabnahme hängt offenbar mit kUmatischen Veränderungen
zusammen, und Prof. Gregory glaubt, daß ein großer Teil der Ober-
fläche Austrahens in einer nicht sehr entlegenen Zeit erhebUche Ver-
änderungen seiner Bodengestalt erhtten habe.
Die Aoftrocknung des großen Salzsees. Hierüber macht
A. Erbstein einige Angaben. ') Der in 1286 m Meereshöhe gelegene
1) Geogr. Joum. 1903. p. 469. — Geogr. Zeiteohr. 1103. p. 702.
s) Moavement G^graphique 1903. p. 648. — Zeitschr. d. Gee. f. Erd-
kunde zü Beriin 1903. Nr. 10.
') Umlanfts RandBohau f. Geographie f7. p. 33.
288 8m>^ oikd Moore.
See ist in fortwahrender Abnahme begriffen und däzfte in nicht wXbm
vielen Jahrzehnten völlig auftrocknen. Er leigt wahrend dies Jahiet
Schwankungen Beines Standes; bis zum 1. JuU steigt sein Wasser
unregelmäßig um etwa 30 cm, dann sinkt es, nnd swar um mmm
gröfiem Betrag. Dies hat sich seit 36 Jahren stets gaaeigt, freilick
mit Schwankungen. Von Ende 1886 bis Ende 1902 betrog die Ab-
nahme des Wasserstandes 3.51 m. Als Ursachen der WasseralHiahae
niaunt man an: Verdunstung, Entnahme des Waaeera for d«fi Acker-
bau und das VcMrhandensein eines unterirdischen Abfhiases. Hin-
sichtlich der zuletzt angeführten Ursache ist man allerdings auf bfefie
Vermutungen angewiesen; man halt es für wahivchnnlich, weil niehi
weit vom großen Salzsee andere Seen mit unterirdischen AbfliisBeD
liegen, femer, weil in Nevada mehrere Flüsse (wie in unsenn Kaist)
plötzUch verschwinden. Vor mehrem Jahren sank im Salxsee ein
mit 200 Schafen beladenes Segelschiff, und keines der Schale ist
jemals wieder an die Oberfläche gekommen. Seitdem glauben viele
sa die Existenz eines verborgenen Ausflusses. Die Theorie einer
rapiden Verdunstung steht teilweise im Widerspruche mit jenM- dos
unterirdischen Abflusses; denn wenn der See irgend einen AfaflnA hat»
kann das Wssser nicht so viel Salz enthalten, als es tatsächlich auf-
weist, wogegen im Falle daß die Verdunstung allein Ursache ist, afc
festen Bestandteile des Wassers im Seebecken verbleiben. Es ist
natürlich, daß auf jeder großen Wssserfläche Veidtmstui^ statt*
findet, die, wenn das Klima so trocken wie in der Gegend des gioflon
Salzsees ist, riesige Dimensionen annehmen wird. Aber das ist anek
bei andern großen Gewässern der Fall, ohne zu einer Austrockang
zu führen. Die Annahme, Entnahme des Wassers für landwirtschaft-
liche Zwecke sei Ursache dw Reduzierung des Wssswstandes, hat
viel WahrscheinUohkeit für sich. Als Brigham Young und seine Ge-
fährten im Jahre 1847 im Lande, das heute den Namen Utah fuhrt,
erschienen, fanden sie den Boden kulturfähig vor, doch es feMle
überall an Wasser. Farmen wurden errichtet und Bewasserangs-
kanäle, die der große Salzsee speiste, gebaut. Bis zum Jahrs IMO
wurde diese Bewässerung in keinem allzu großen Maßstabe get^eben,
und der Wasserstand des Sees wies in dieser Zeit nur die gewöhn-
lichen Schwankungen auf; jedoch nach dem Jahre 1880 wurde zur
Berieeehmg der umhegendMi Farmen so viel Wasser entnommmt, daß
selbst in dem regenreichen Jahre 1886 das Niveau um 3^4 Puß ge-
sunken ist. Im Jahre 1889 wurden auf diese Weise 009 Quadrat-
meilen Ackerboden bewässert, und man plant jetzt eine neue, viel
größere Bewässerungsanlctge, nach deren Ausführung das Wasser im
See um mehr als 1 Fuß jährlich fallen wird. Außerdem wird schon
heute die Bewässerung des ganzen UtahteJes von den Zuflüssen des
großen Salzsees besorgt. Die großem dieser Flüsse sind der Jordan,
der Weber- und der Bärfluß. Der Jordan durohfließt den Utnhseo
Außer diesen Wasserläufen werd^i noch die kleinem Flüsse und Bäche
Sean und Moore. 289
i zur Berieselung herangezogen, in der Weise, dafi ihr ganzes Wasser
I auf die Felder geleitet wird. Es liegt somit die eigentliche Ursache
l, des Austrocknens des Salzsees in der Abschneidung fast aller Zuflüsse,
I so daß auch große Regenmengen nicht imstande sind, den Abgang
I zu decken.
Bin heißer See auf Domlniea. In einer äußerst öden und schwer
zttgängUchen Gegend von Dominica befindet sich ein kochender See,
der infolge seiner Lage erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit
bekannt ist, obschon die Insel nur 760 qkm groß ist und schon im
17. Jahrhunderte von den Spaniern kolonisiert wurde. Später
nahmen sie die Franzosen sehr energisch in Kultur und von der Mitte
des 18. Jahrhunderts an mit ihnen gemeinschaftlich die Holländer.
Es mußten also ganz erhebUche Hindemisse bestehen, die es er-
möghchten, daß bis vor etwa 30 Jahren noch niemand eine Ahnung
von der Existenz dieses merkwürdigen Sees hatte. Im Jahre 1875
wurde eine Expedition zur Erforschung des Innern dieser Insel aus-
gerüstet und unter Leitung von Dr. NichoUs gestellt. Derselbe be-
richtet über den von ihm entdeckten See folgendes: „Wir über-
klommen die mit Schwefel überzogenen Blöcke und kamen zum
Gipfel, von wo aus wir ein seltsames Schauspiel hatten. Es hatte den
Anschein, als ob wir uns am Rande eines furchtbaren Schlundes be-
fänden, aus dem sich Massen brennenden Bauches und erstickende
Dämpfe erhoben. Donnerähnliches Bollen, sowie ein seltsames
^' Stöhnen traf uosere Ohren, und wir atmeten tödliche Gase ein. Die
^ Naturerscheinung war so eigenartig ergreifend und schön, daß
^ mehrere Minuten vergingen, ehe wir uns vom Staunen erholen konnten.
^ Das merkwürdigste war eine Art von Wassermauer, die sich in der
^ Mitte des Kessels zu erheben schien; sie hatte mehrere Fuß Höhe
f und bewegte sich in einem Kreise von beschränkter Ausdehnung
1^ herum. Die Ufer des Sees waren in zahlreiche Stücke zerschnitten,
i und hier und da zogen sich Landzungen in ihn hinein. Der Abhang
1^ war mit einem prächtigen, goldgelben Streifen geziert, der von den
\f Niederschlägen von Schwefel und Wasser herrühren mußte. Die
k! Bewegung des Wassers stieß kleine Wellen auf den Sand, imd man
r konnte aus der Streifung des gelben Bandes schUeßen, daß der See
|< zu gewissen Zeiten einen hohem Wasserstand gehabt hatte. Wir
f konnten die Wassermauer in der Mitte nur einige Sekunden wahr-
L nehmen, denn kaum hatte sich der Bauch vom Ufer verzogen, als er
1 durch eine andere Wolke ersetzt wurde. In einer kurzen Entfernung
) von unserm Standorte fiel ein kleiner Bach in den See, der eine tiefe
i Furche in die Felsen gewaschen hatte, von denen der See von allen
I Seiten umgeben war.'* Nach neuem Untersuchungen befindet sich
I der See fast 2600 m über dem Meeresspiegel und ist von elliptischer
Form. Wenn er seinen höchsten Wasserstand aufweist, mißt seine
Länge 60 und seine Breite 30 m; in einer Entfernung von 10 m vom
Klein, Jahrbuch XV. 19
390 aitflMlMr Qiid (Haiialphyiik.
Ufer wurden an einer Stelle schcm 60 m gelotet. Wenn das Wass^ tief
steht, dann bilden die sich in ihn ergießenden Bache prächtige
Katarakte. Das Wasser ist durchaus nicht immer in Bewegung
bisweilen hegt der Seespiegel gänzlich ruhig da; dann ist er irieder
aufgeregt, kochend und scheint sich unter lauten DetonatioDen od
eine Achse zu drehen; dabei hebt und senkt sich der Spiegel und be-
deckt die umhegenden Felsen mit Schaum. Der kochende See ist der
Mittelpunkt eines Vulkanzentrums und auf der Insel einer der letztes
Zeugen einer sonst^erloschenen vulkanischen Tätigkeit. ^)
Das Laltaeher Moor. Der „Zeitschrift für Moorkultur und Tod-
verwertung" ist folgende das Laibacher Moor betreffende neaeeto
Statistik entnommen. Dasselbe hegt in den Katastralgemeioden
Stadt Laibach, Bresowitz, Brunndorf, Franzdorf, Iggdorf, Iglad^
Lanische, Log, St. Mckrtin, Oberlaibach, Piautzbüchel, Prosa,
Rudnik, Seedorf, Stein, Strachomer, Tomischel, Verblene und Weid,
im Laibachflußgebiete und hat den Charakter teils Nieder-, teils Hoch-
moores; die Tidfe betragt in der Mitte 500, am Bande 50 cm. Die
Gesamtfläche betragt 15 700 Aa, wovon 1600 ha abgebaut und SOOis
kultiviert sind. Als technische Verwertung werden erzeugt: Braß-
torf als Stichtorf 130 000, ab Stieutorf 20 000 und als Toifmull
15 000 Meterzentner. In landwirtschafthcher Benutzung befindsi
sich: 300 ha durch natürUchen Futterbau, 800 ha durch Ackerkoltur
und 2100 ha durch Weidennutzung. Außer Kultur befindaisidi
9800 ha. Die Hauptabsatzgebiete der gewonnenen Torfprodukta
sind Laibach, Wien und Budapest.
Gletscher und Giazialphysik.
Eis- und Gletseherstttdlen von H. Crammer. Verf. teilt zimachst
zahlreiche Beobachtungen über Bildung, KristaUform, Schichtosg
usw. des Wassereises (See- und Rieeeleises) mit und geht dann za d^
Gletschereise über. Die erste Anlage eines jeden Kristalls (Komtfl
ist durch ein Schneestemchen oder eine Sclmeenadel gegeben. D^
Wachsen der Kristalle geschieht vor allem durch ÜberkiistallisierBB
bei Wärme oder Wasserzufuhr, indem die großem Kristalle aus <^
Nachbarschaft Moleküle an sich reißen und angliedern. In den Fun*
feldem bildet sich, je nachdem die einzelnen Schneelagen mehr oder
weniger vollständig in Eis verwandelt sind, eine Schichtlolge von
weißhchem luftblasenreiohem und blauem luftblasenärmem £^'
^) Neues Jahrb. f. Mineralogie eto. 18. Beilageband Heft 1. Bef. voi
Dr. Ampferer in Verhandl. d. k. k. geolog. Reichsanstalt 1904. p. dO, «ona«
oben der Text.
Gletooher und Glazialphysik. 291
Von einer solchen Schicht zur andern findet nun nach den An-
gaben des Verfassers kein ÜberkristaUisieren statt, weil dasselbe durch
Staublagen verhindert wird.
Während im Fimgebiete solche Schichtung herrscht, begegnen
wir in den tiefem Teilen der Gletscher der sogenannten Blaublätter-
struktur, richtiger Blätterstruktur, weil die ganze Eismasse aus
blauen und weißlichen Blättern (sehr flachen Linsen) zusammen-
gefügt erscheint.
Auch hier findet kein Überkristallisieren über die Blätterfugen
statt. Die Blätter selbst aber stehen in der Bewegungsrichtung des
Eises und senkrecht zu der des Druckes, während die Fimschichten
im Fimbecken annähernd entsprechend dem Untergrunde angeordnet
liegen.
Crammer hat den Zusammenhang der beiden Erscheinungen ver-
folgt und kommt zu dem Schlüsse, daß die Blätterstruktur durch viel-
fältiges Zusammenfalten, Gleiten und Auswalzen aus den Fim-
schichten hervorgegangen sei.
Aus den verschiedenen Geschwindigkeiten der einzelnen Lagen
des Gletschers folgt, daß er sich nicht durch Rutschen der ganzen
Masse am Untergrunde, sondern durch gegenseitige Verschiebung
seiner Teilchen bewegt.
Das kann nun nach Ansicht des Verfassers nur dadurch ge-
schehen, daß die Staublagen das Gefüge der Fimeismassen lockem
und so eine Verschiebung in der Weise ermöglichen, daß die einzelnen
Fimlagen als Ganzes im Zuge der Schwere nach abwärts übereinander
hingleiten. Auch im geblätterten Eise geht die Gesamtbewegung
durch Verschiebungen längs der Blätterflächen vor sich. So bilden
die durch Schichtung oder Blätterung gesonderten Firn- und Eislagen
gewissermaßen die tektonischen Elemente für den Aufbau und die
Bewegung der Gletscher.
Die Absehmelzung der Gletscher im Winter besprach R. v. Lenden-
feld. ^) Er kommt dabei zu folgenden Schlüssen:
1. Die winterhche Gletscherschmelzung wird hauptsächlich
durch innere, zum geringen Teile auch durch basale und nahe der Ober-
fläche stattfindende Absehmelzung zustcmde gebracht.
2. Die winterliche Absehmelzung beruht hauptsächlich auf der
Umsetzung der beim Aufhalten der Fallbewegung des Gletschers frei
werdenden Wärme. Die durch diesen Faktor bewirkte Absehmelzung
möchte Verfasser auf 90 bis 97% der Gesamtabschmelzung des
Gletschers im Winter schätzen. Die Dicke der hierdurch jährlich ge-
schmolzenen Eisschicht ist von der Mächtigkeit des Gletschers ab-
hängig. Diese Absehmelzung ist eine innere.
i) Globus 1904. tS. p. 377.
19*
292 CHetMher ond Oltsialplijslk.
3. Die Wirkung der Erdwanne hat an dar winterlichen Ab-
Schmelzung des Gletschers nur einen geringen AnteiL Verfamnr
möchte denselben auf 3 bis 6% der Gesamtabschm^zimg des
Oletschers im Winter schatten. Die Dicke der hierdoroh jahrlich ge-
schmolzenen Eisschicht ist konstant (2.5 mm). Diese AbeclunelEimg
ist eine basale.
4. Die Langsamkeit der Fortleitung einerseits der Somi^iw&niie
durch Moranendecken von entsprechender Dicke und anderseits der
sommerlichen oberflächlichen Nulltemperatur durch das £10 seihst
nach der Tiefe werden ein Abschmelzen des detschers im ^^ler
herbeiführen. Die durch diese Faktoren bewiikte AbBohm^sang
düifte wohl meistens eine ganz unbedeutende, höchstens anf 1% der
Gesamtabschmelzung im Winter anzusetzende sein. Ihre Grofie ist
von der Moranenbedeckung und der Dauer der Sommerw&rme ab-
hängig. Diese Abschmelzung findet nahe der Oberflache statt.
6. Es ist möglich, daß die winterliche Schneedecke durdi den
Druck, den sie auf die unter der Schneegrenze beftodlichen Teile des
Gletschers im Winter ausübt, eine innere Abschmelzung in diesen
Oletscherteilen zur Winterszeit herbeiführt. Über die Menge des
hierdurch etwa geschmolzenen Eises läßt sich kaum eine Vermotimg
aussprechen.
Die Eiszeit In den Alpen nach dem gegenwärtigen Standpunkte
der Forschung stellte Prof. Brückner in der Sitzung der natorwisseii-
schaftlichen Hauptgruppe der 76. Verammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte zu Breslau (1904) dar. Er betonte, daß die va
Beginn des 19. Jahrhunderts entstehende Lehre von der Eiszeit all-
seitiges Interesse erregte, so daß man sieh überall mit ihr beschaf tigle.
Es entstand eine schweizerische, französische, deutsch-östeneicdiisdie
Schule, die jedoch in einer Reihe von Kardinalpunkten zu Ter-
schiedenen Ergebnissen kam. Daher erschien es nötig, eine all-
gemeine Untersuchung anzustellen. Die nächste Veranlsfisung dasa
gab eine Preisaufgabe der Alpenvereinssektion Breslau, an deren
Lösung sich auch der Vortragende beteOigte. Der erlangte Preis
ermöglichte es, die Untersuchungen, die zuerst auf die Ostaipen
beschränkt waren, auf das gesamte Alpengebiet auszudehnen.
Man unterscheidet beim Femblicke auf die Alpen ganz deatUch
drei Zonen, die dunkle Waldregion, die hellere Region der Weide-
gründe und die Schneeregion. Die Schneegrenze kann nach ver-
schiedenen Methoden bestimmt werden; die geographische Methode
stammt von unserm Breslauer Greographen Geheimrat Partsch.
Redner zeigte an Tabellen, daß die Schneegrenze nach dem bmem
der Alpen ansteigt. Er wies nun nach, daß dieselbe Tatsache auch
in der Eiszeit zu beobc^hten ist, und daß die eiszeitliche Schneegrenze
gegen die heutige einen ganz konstanten Abstand, im Mittel 1250 1»,
zeigt. Auch die Waldgrenze weist eine Verschiebung nach abwärts
Gletieher und Glaxialphydk. 293
auf, wie aus den Pflanzenfunden deutlich zu konstatieren ist. Penck
hat zuerst in den Ostalpen vier verschiedene Vergletscherungs-
perioden beobachtet, das gleiche Resultat hat Redner für die Schweiz
gefunden, die Reste der beiden ältesten sind jedoch, wie leicht er-
klärlich, schwer zu erkennen. Bei der vorletzten Eiszeit lag die
Schneegrenze noch um 100 bis 160 m tiefer als bei der letzten. Die
vorletzte Vergletscherung war in den Westalpen größer. Unter allen
Gletschern ist die Reaktion auf Einflüsse zur Erhöhung der Schnee-
grenzen am besten am Rhonegletscher zu studieren, der durch den
Jura gestaut ist.
Die Vereisungen wurden unterbrochen durch Interglazialzeiten,
aus denen Ablagerungen stammen, unter und über denen man
Moränen findet, wie an den Salzburger Seen und einer ganzen Reihe
anderer. Auch fand eine gewaltige Verschüttung der Täler statt,
wie sie besonders das Tal bei Innsbruck auskleiden. Später nahm
von diesem Terrain die Steppe Besitz, in deren Löß sich Reste von
Tieren finden, die auf ein kälteres Klima schließen lassen. In den
interglazialen Ablagerungen aber finden sich auch Kohlen, die von
einer ausgesprochenen Waldvegetation stammen und auf ein
warmes, feuchtes Klima deuten. Penck hat nun nachgewiesen, daß
diese Kohlenablagerung älter ist als die Ablagerung der Tierreste, so
daß auf die erste Vergletscherungszeit eine wärmere Periode folgte,
die wieder von einer kühlem abgelöst wurde, und auf die schließlich
wieder eine Eiszeit kam. Verschiedene Forscher leugnen, gestützt auf
gewisse in Amerika beobachtete Erscheinungen, die Existenz der
Interglazialzeit; Brückner wies deren Gründe im einzelnen zurück.
Die Interglazialzeit war also wärmer als unsere gegenwärtige
Zeit und war auch keineswegs eine kurze Periode. Penck hat Beob-
achtungen gemacht, die ihre Dauer zu schätzen gestatten. In der
Interglazialzeit wurde das Gebirge um 30 m abgetragen. Da man im
Reußtale nachweisen kann, daß zur Abtragung von 1 m ein Zeitraum
von weit mehr als 1000 Jahren nötig war, so ergibt sich daraus,
welche Dauer man der Interglazialzeit zuzuschreiben hat. Die Über-
gänge von der Glazialzeit zur postglazialen Periode haben sich nicht
glatt vollzogen, sondern es hat eine Reihe von Oszillationen statt-
gefunden. Man findet in den Alpen drei verschiedene Moränenzüge
hintereinander, sogar bis zu einer Entfernung von 100 km. Der
Rückzug der Gletscher muß also in drei Etappen oder Stadien vor
sich gegangen sein. Jede dieser Rückzugsmoränen ist durch ihre
Schneegrenze charakteristisch; die älteste hatte die Schneegrenze
900 m tiefer, als sie heute ist, die zweite 600 m, die dritte 300 m. Diese
Erscheinung ist von ganz eminenter Bedeutung, da sie beweist, daß
die Depression nicht eine lokale Erscheinung, sondern eine ganz all-
gemeine Phase ist. Die nähere Untersuchung hat ergeben, daß nicht
etwa ein einfacher kontinuierlicher Rückzug der Vergletscherung
stattgefunden hat, sondern daß die Gletscher sich weit zurückzogen
294 Gletscher und Olaiialphyfik.
und darauf wieder einen Vorstoß machten, ja es ist sogar nicht aus-
geschlossen, daß zeitweise die Gletscher ganz verschwunden waren.
Während in den Eiszeiten die Depression der Schneegrenze 1250 fab
1460 m betrug, erhob sie sich in der Interglazialzeit auf 400 m übef
die Höhe der heutigen. Die Eiszeit charakterisiert sich also als eine
Periode gewaltiger Klimaschwankungen.
Die Eiszeit auf der Balkanhalbinsel bildete den Gegenstand
einer zusammenfassenden Darlegimg von Prof. J. Cvijic. ^) Beob-
achtungen und Studien über die Spuren und Folgen der EHszeit auf
der Balkanhalbinsel beginnen erst mit den Jahren 1896, und in dieser
Beziehung sind außer dem Verfasser die Namen von R. Haasert,
A. Penck, W. Davis, F. Katzer, Toula und andere zu nennen. Veil
beschreibt neue Spuren der Eiszeit auf der Halbinsel und gibt dann
eine aUgemeine Charakteristik derselben. Er folgert, daß auf d^
Balkanhalbinsel dreierlei Gletscher bestanden haben: Kargletscher,
Talgletscher und Plateaugletscher.
„Die Kaigletacher waren am zahlreichsten vertreten und für die Ver-
ffleteoherung der Gebirge auf der Balkanhalbinael besonders charakteiristiadi;
die Mehrzahl der untersuchten Gebirge besaß ausschließlich solche Gtetsdier.
Dies waren zumeist Gletscher mit einer kurzen Gletscherzunge» die nur seltco
in die Taler herabkamen, dazu bloß in die obem Partien derselben; es gab aber
auch Fimgletscher darunter. Büt diesen kleinen Gletschern stc^t das zahl-
reiche Auftreten und die typische Entwicklung der Kare auf der Rila und dan
Pirin im Zusammenhange.
Die Talgletsoher waren viel seltener, insbesondere in der öetlichen Putie
der Halbinsel. Zuerst stellte ich sie auf der Rila fest, nämlich im Tale der Kriva
Reka, unterhalb des Riblje und Smrdljivo Jezero, sodann im Tale der Leva
Reka; als fast bestimmt kann es gelten, daß sich im Tale des PravJabar
und seiner rechten Zuflüsse lange Talgletscher befunden haben. In grofierer
Anzahl kamen die Talgletscher in den Gebirgen des dinarischen Systemes
vor. Ich konnte als solche bezeichnen: den Gletscher der Tissovica auf dem
Prenj, den Gletscher des Cabakares auf der Treskavica, einen ont^ den
Gletschern des Volujak , sowie jenen auf dem Bioc, der aus den Urdeni Dokvi
weiter floß ; solche Gletscher befanden sich auch auf dem Dnrmitor, dem Orjen,
und hierher muß auch der beschriebene Gletscher auf dem Lovoen gecählt
werden. Aus den dargelegten Beobachtungen sieht man, daß auch von andern
Forschem solche Gletscher angetroffen wurden. Ihre Gletscherzungen können
höchstens 6 bis 10 km Lange gehabt haben.
Es ist für die Frage über die Intensität der Vergietscherung von Bedeatongr
daß jetzt bestimmt behauptet werden kann, daß es auch ver^etsdierte Hoch-
flächen gegeben hat. Sie sind nur in der westlichen Hälfte der Halbineel
festgestellt worden, und es ist kein Zweifel, daß sie mit der Plastik derselben
in ursächlichem Zusammenhange stehen. Ein solches kleines Fjeld stellte die
vergletscherte Fläche von 60 bis 60 qkm zwischen Bioc, Malgio und Volujak
dar, deren Mittelpunkt das heutige Tmovicko oder Volujacko Jezero war.
Auch die Jezera unter dem Durmitor scheinen unter einer großen, jedoch
dünnem Eisdecke gewesen zu sein. Die Gletscherzungen von Durmitor stiegen
auf diese Hochfläche herab und vereinigten sich. Penck hat bewiesen, daß sich
auf dem Orjen eine 80 qkm große vergletscherte Fläche befunden hat Das-
1) Mitten, d. k. k. geogr. Ges. in Wien 47. p. 149.
OletBoher und Glazialphysik. 295
aelbe laßt dch nach Grands Beobachtungen von der Hochfläche der Cvrsnioa
beliaupten» von welcher zahlreiche Gletscherzungen herabkamen. Hassert hat
mit großer Wahrscheüüichkeit den Schluß gezogen, daß in dem ausgedehnten
Gebiete der Komovi auch ganze Hochflächen vergletschert waren. Durch
spatere genauere Untersuchungen werden im dinarischen Systeme» besonders
auf den Frokletije, noch mehr solche vergletschert gewesene Hochflächen auf-
gefunden werden.
Aber selbst von diesen ließen sich die Gletscher hauptsächlich gegen
Norden und Nordosten herab, seltener in andern Richtungen. Dies gilt noch
mehr von den übrigen Gebirgen, worauf bloß Tal- und Kanletscher bestanden
haben. Demnach Slßt es sich feststellen, daß die Vergletscherung der Gebirge
auf der Balkanhalbinsel einseitig, insbesondere auf ihre nördlichen und noid-
östlichen Gehänge beschiänkt war."
Verf. gelangt femer zu dem Ergebnisse, „daß die Höhe der glazialen
Schneegrenze auf der Balkanhalbinsel zunahm, emporstieg in der Richtung
von Westen nach Osten, von der adriatischen Küste gegen das Innere der Halb-
insel und zu seiner östlichen Hälfte hin. Aber auch in dem dinarischen Systeme
selbst nimmt die Höhe der glazialen Schneegrenze im allgemeinen in der Rich-
tung von Westen nach Osten zu, wie es auch von Grund angedeutet wurde.
Sie liegt am tiefsten in den dinarischen Küstengebirgen und ist hier nahezu
^ich, obwohl diese Gebirge unter verschiedener geographischer Breite liegen.
Wenn man sodann die Höhe der glazialen Schneegrenze in den Gebirgen des
dinarischen Systemes betrachtet, so erhält man folgendes Ergebnis: Ihre Höhe
wird in weit größerm Maße von der Küstenlage der Gebirge beeinflußt als von
den relativ kleinen Unterschieden in der geographischen Breite derselben«
Die geringe Höhe der glazialen Schneegrenze im Westen der Halbinsel
läßt sich nicht durch Senkung der adriatischen Küste seit dem Diluvium bis
zur Gegenwart erklären, da diese sowohl während des DUuviums, als auch
später unbedeutend war. Alle oben festgestellten Ergebnisse über die Höhe
der glazialen Schneegrenze und ihren Lauf erweisen dagegen, daß es im Diluvium
bestimmte klimatische Unterschiede zwischen der westUchen Hälfte der Halb-
insel und den übrigen Partien gegeben haben müsse, und nur auf solche Unter-
schiede läßt sich die verschiedene Höhe der glazialen Schneegrenze zurück-
führen. In der westlichen Partie der Balkanhalbinsel fiel im Diluvium eine
größere Menge atmosphärischen Niederschlages herab als im Innern und im
Osten; sodann verminderte sich im dinarischen System selbst die Menge des
sphärischen Niederschlages von der Küste segen sein Inneres hin. Was
die Verteilung der atmosphärischen Niederschläge betrifft, herrschten also
Zustände, die den heutigen ähnlich waren, nur (£e Menge der Niederschläge
war im allgemeinen grö£r.
In der Eiszeit nahm also auf der Balkanhalbinsel die Menge der atmo-
sphärischen Niederschläge von Westen nach Osten ab. Sodann lassen sich auf
Grund der Höhe der glazialen Schneegrenze gewisse Parallelen zwischen dem
heutigen Klima eines Teiles von Skandinavien und zwischen dem Klima der
Balkanhalbinsel im Diluvium ableiten. Heute beträgt in Norwegen zwischen
eO^ 30' und 61^ 20' die Höhe der Schneegrenze gegen 1400 m, beinahe ebensoviel
bis sie in der Eiszeit auf dem Lovcen, Orjen, Gnjat, Veles und Troglav, also im
allgemeinen auf den dinarischen Küstengebirgen zwischen 42^^ 30' bis 44<^ nördl.
Br. betragen hatte; wie auf der Balkanhalbinsel während der Eiszeit, so nimmt
heute in Norwegen die Höhe der glazialen Schneegrenze, sowie jene klimatischen
Elemente, deren Ergebnis sie ist, auf der Balkamialbinsel zwischen 60® 30' und
6P 31' ähnlich waren; es ist aber klar, daß dieBalkanvergletschemng nicht von
jener Intensität war wie die heutige skandinavische."
Endlich findet Verf. auch, daß die bestinmiten Spuren auf zwei Ver-
gletscherungen deuten, mutmaßlich aber drei Vergletscherungen stattgefunden
haben.
296 OlalMher und Glasialphyilk.
Ober die Eisieit in den Tropen sprach auf der Breslaoer Natur*
forsdierversammlung (19Q4) Dr. Hans Meyer. Nocli 1885 glaubte
man, in den Tropen sei nichts von der Eiszeit bemerkbar. In der
Tat sind dort die Landstriche mit eiszeitlichen Resten von geringor
Ausdehnung und schwer zugänglich; da die Untersuchungen der
Gletscher weite Reisen, hohe körperhche Widerstandsfähigkeit und
nicht geringe alpinistische Schulung erfordern, so ist es erklartich,
daß bisher nur wenig Beobachtungsmaterial vorliegt. Redner gab
eine Übersicht desselben, kritisierte zugleich dessen Bedeutung und
ging dann näher auf die von ihm in Ecuador gefundenen Resultate
ein. Er fand alte Gletscherspuren 600 bis 800 m unter der heutigen
Oletschergrenze in ganz typischer Erscheinung, am scliönsten am
nördlichen Chimborasso und einigen andern Punkten. Es zeigten üch
drei Rückzugsphasen, genau so, wie er sie früher am Kalimandscharo
nachgewiesen hatte. Für die Zeitbestimmung der Vergletschenmg
in Ecuador ist wichtig das Alter der Berge selbst, die frühestens auf
den Ausgang des Tertiärs zurückgehen, deren Hauptentstehunggzeit
aber im Diluvium hegt. Da die Vulkane erst geraume 2#eit zu ihrer
Erkaltung bedurften, ehe sich eine Schneedecke auf ihnen baden
konnte, so ist die Glazialzeit dort in das jüngste Diluvium zu setzen.
In analoger Weise wie in andern Gegenden fand er auch in Ecuador
eine Fauna und Flora, Relikte einer eingewanderten Lebewelt, die
auf große Klimaschwankungen hinweist. Die Eiszeit in den Tropen ist
in zwei durch eine Interglazialzeit getrennten Perioden nachgewiesen,
von denen die ältere in ihren Wirkungen stärker war als die jüngere.
Von der Kulmination der letzten Eiszeit bis zur Gegenwart, in der
wie in allen Gletschergebieten der Eide der Rückzug der Gletscher
fortdauert, lassen sich drei Phasen verfolgen. Die Grenze der letzten
Vergletscherung hegt im allgemeinen 800 bis 1000 m tiefer als jetzt,
wo die Verhältnisse wie am östUchen Kilimandscharo ungünstig
wirken, 600 bis 800 m, wo, wie auf dem kegelförmigen Cotopazi die
Bildung der Gletscherzungen minimal ist, 500 bis 600 m. — Dieeelben
Grenzwerte ergeben sich aus der Untersuchung der altmi Kare; es
läßt sich also eine diluviale Fimgrenze von 4200 m ableiten. Außer-
halb der Tropenzone nimmt die Depression zu. Es findet von den
Polen äquatorialwärts eine stetige Abnahme des Depressionswertes
statt, aber sie bleibt sowohl für die Eiszeit, wie für die Jetztseit ziem-
Uch gleich. Das IQima muß denmach sehr gleichmäßig gewesen sein.
Als Resultat seiner Studien legte Meyer dar, daß die symmetrische
Anordnung der Fimgrenze auf dem ganzen Erdbälle für die Grleich-
zeitigkeit aller eiszeitlichen Phänomene zeuge, und daß die Verhältnisse
der Eiszeit nichts anderes als eine Steigerung unserer heutagen
Gletscherverhältnisse seien, die einer mittlem Temperaturemiedri-
gung von 3 bis 4° gleichzusetzen sei. Es lasse sich auch nicht ab-
wechselnd eine Eiszeit auf der nördlichen und südlichen Halbkugel
annehmen, wie überhaupt nirgends lokale Ursachen, sondern allgen
Die LnfthAlle im allgemeinen. 297
gültige, wahrBoheinlich mit koBinisclien Vorgängen wie Wanne*
Schwankungen der Sonne zusammenhängende, anzunehmen wären.
Indessen seien die Forschungen noch nicht abgeschlossen, es gelte
vor allem, den Kreis der empirischen Erfahrungen zu vermehren .
Die Lufthülle Im allgemeinen.
ZuHunmensetiung der atmosphärischen Luft. Im Verlaufe seiner
Untersuchungen über die Bestandteile der atmosphärischen Luft
hat H. Henriet die Anwesenheit eines energisch reduzierenden Gases
feststellen können, das die Fehlingsche Flüssigkeit zu reduzieren und
Jodstärke zu entfärben vermag.
Um es zu isoheren, wurde das neutral reagierende Wasser eines
Nebeb filtriert und eingedichtet, wobei es sauer wurde und einen
Niederschlag von Kalziumsulfat gab, den man abfiltrierte. Die er-
haltene orangegelbe Flüssigkeit wurde der Destillation unterworfen
und gab neben Ameisensäure einen das Neßlersche Reagens redu-
zierenden Aldehyd, der durch die bekannten Reaktionen als Formal-
dehyd erkannt wurde. Seine Gegenwart erklärt die Tatsache, dafi
Meteorwasser beim Eindampfen sauer wird, denn Formaldehyd wirkt
auf die Ammoniumsalze und macht unter Bildung verschiedener
stickstoffhaltiger Basen einen Teil der Säure dieser Salze frei. Die
sehr starken antiseptischen Wirkungen des Formaldehyds verleihen
seinem Vorkommen in der Atmosphäre eine wichtige hygienische
Bedeutung für die Reinheit der Luft. Über den Gehalt der Luft an
Formaldehyd ergaben die ein ganzes Jahr hindurch zu Montsouris
durchgeführten Messungen Werte, die zwischen ^/looooo ^^^
^/i 00 000 ^^ Gewichtes der Luft schwankten und der äußern Tem-
X)eratur proportional waren.
Die RadioaktlYit&t der Atmosphäre untersuchte S. J. Allan, ^)
nachdem er schon früher gemeinsam mit Rutherford gefunden hatte,
daß die Größe der von der Luft induzierten Aktivität durch die
Witterung so beeinflußt wird, daß ein Maximum bei hellem, kaltem,
ein Minimum bei trübem, warmem Wetter beobachtet wird. Seine
neuen Untersuchungen führten ihn zu folgenden Ergebnissen: „Die
aus der Atmosphäre induzierte Aktivität verhält sich in vielen Be-
ziehungen wie die Radioaktivität von Thorium und Radium. Sie
enthält wie diese eine leicht absorbierte a-Strahlung und eine mehr
durchdringende (^-Strahlung. Die a-Strahlimg ist wahrscheinlich
verantwortlich für den großem Teil der ausgestrahlten Gesamt-
energie, und sie wird in etwa 0.004 cm Aluminium und 10 cm Luft
vollständig absorbiert. Die (9-Strahlen werden auf die Hälfte ver-
ringert durch 0.007 cm Aluminium und vollständig absorbiert. Die
1) Fhilos. Mag. [6] 7. p. 140. — Naturwiss. RundBchau lt. p. 189.
298 I>to LnfthüUe im aUcameinoi.
/'-Strahlen werden auf die Hälfte verringert durch 0.007 cm Alu-
minium und vollständig abeorbiert durch 0.06 cm. Die ^StinhkB
bestehen wahrscheinlich aus negativ geladenen Partikeln, ihnlidi
den Kathodenstrahlen, die mit großer Geschwindigkeit ao^
schleudert werden. Die durch sie erzeugte Ionisation ist za Uas,
als daß man prüfen könnte, ob sie im Magnetfelde ablenkbar ist
Die VerBchiedenheit in den Schnelligkeiten des Schwindens der ontar
verschiedenen Bedingungen erhaltenen induzierten Aktivität schoBt
auf die Tatsache hinzuweisen, daß die Radioaktivität der Atiaoiqdiän
sehr zusammengesetzter Art ist.
Die Radioaktivität von Schnee und Regen muß heigeleiM
werden von einer radioaktiven Substanz in der Luft, welche der Ob»-
fläche der Schneeflocken oder Regentropfen adhäiiert und bä ilum
Fallen niedergebracht wird. Vielleicht könnte man den Unteisdiifld
in der Abnahme der Radioaktivität von Schnee und Regm imd der
an einem Drahte induzierten Aktivität erklären durch die Annahi»,
daß die radioaktive Substanz in der Luft aus verschiedenen Arta
mit verschiedenen Abnahmegeschwindigkeiten besteht. Schnee vni
Regen konnten ihre Aktivität der einen Art verdanken, während der
negativ geladene Draht alle aktiven Träger zu seiner Oberffid»
anzieht."
Der Wärmeaustausch im testen Erdboden, In Gewissem ani ^
der Atmosphäre ist auf Grund der theoretischen UnterBuchooga
V. Bezolds durch J. Schubert festgestellt worden. ^) Für dwifest«
Erdboden sind dabei in erster Linie die TemperaturbeobachtnogeB
zu Eberswalde, für das Wasser diejenigen der dänischen FenerBchiff-
Stationen in Ost- und Nordsee und für die Atmosphäre die Ergebnisse
der Berliner Luftfahrten zugrunde gelegt. Als Hauptresoltat ergibt
sich ein außerordentliches Überwiegen des Wärmeaustausches is
Meere. Für den jährlichen Wärmeumsatz erhält man folgende Werte
jn Grammkalorien pro Quadratzentimeter:
Sandboden (Eberswalde)! 1^
Atmosphäre ohne Dampfwärme (Berlin) ^
Atmoephäre mit Dampfwarme (Berlin) ^
Ost. und Nordsee (Dänische Stotionen) ^^
Der darauf beruhende große Einfluß des Meeres auf die Witterongs-
Vorgänge in benachbarten Ländern läßt sich in mehrfacher Besiehiing
nachweisen. Auch der tägliche Wärmeaustausch ist im Wasser er-
heblich größer als im festen Lande, wie durch Beobachtungen ^
Fiimland von Hom^n, in Eberswalde und an der Küste von Herinp*
dorf gezeigt wird. Der jährliche Gang des Wassergehaltes der «b-
zelnen Schichten der Atmosphäre erfährt mit wachsender Hö»
eine Verzögerung. Durch Hinzutritt der Dampfwärme werfen
^) Bericht d. Dtsch. physik. Ges. zu Bertin 2. p. 173.
Lufttemperatnr. 299
die Phasen des jährlichen Wärmeganges am Boden verzögert, von
600 m an aufwärts und besonders in 2000 m Höhe aber beschleunigt.
Nach den Wolkenbeobachtungen zu Potsdam fällt die Höhe von
2000 m in die Region der Kumulusbildung. Man kann die genannten
Wolkenbeobaohtungen auch benutzen, um die Geschwindigkeit der
Luftströmung in verschiedenen Höhen zu ermitteln. In erster
Annäherung ergibt sich für die Geschwindigkeit in Metern pro
Sekunde in einer Höhe von H Kilometern bis etwa 10 km Höhe
im Jahresdurchschnitte
v= 5.6+ 2.5. H.
Hieraus läßt sich ein ungefähres Maß für die der Luft innewohnende
Bewegungsenergie finden. Bei vollständiger Umwandlung in Wärme
würde die durchschnittUche Temperaturerhöhung der Atmosphäre
etwa 0.3^ betragen, was einer Wärmemenge von etwa 80 kal./qcm
entspricht. — Für die Übertragung der Eigenschaften der Luft ist in
erster Linie die Stärke der Luftströmung, d. h. die in der Zeiteinheit
durch die senkrechte Querschnittseinheit hindurchströmende Luft-
menge von Bedeutung. Diese scheint in der Höhe von T kmihi Maxi-
mum zu haben. Berechnet man dagegen die Menge Wasserdampf, die
in der Zeiteinheit durch die Querschnittseinheit strömt, so erreicht
diese ihren größten Wert schon innerhalb des ersten Kilometers
über dem Erdboden, was aus der starken Abnahme des Dampf-
gehaltes nach oben erklärUch ist. Die weitere Ausbildung dieser
Methoden und ihre Anwendung namentlich auf die Ergebnisse der
internationalen Luftfahrten scheint für die Phjrsik der Atmosphäre
von vielversprechender Bedeutung.
Lufttemperatur.
Die Hebung der atmosphärischen Isothermen in den Schweixer
Alpen und ihre Beziehung zu den Höhengrenzen ist von A. de Quervain
einer eingehenden Untersuchung unterzogen worden. ^) Indem wegen
der Einzelheiten dieser umfassenden Arbeit auf das Original ver-
wiesen werden muß, folgen hier die vom Verf. gegebenen Resultate
und Schlußfolgerungen.
„1. Es ist in den Schweizer Alpen eine Hebung der Isothermen
nachweisbar, deren Maximum im Monte Bosagebiete und im Engadin
liegt.
2. Diese Hebung der Isothermen ist nur um die Mittagsstunden
stark ausgeprägt; am Morgen um 7 Uhr ist sie auch in den wärmsten
Monaten von geringem Betrage und verkehrt sich in den übrigen
Monaten in eine Einsenkung.
^) Geriandfl Beitrage zur Geophysik 6. p. 481.
300 Lafttemperatar.
3. Die Hebung um Mittag beschränkt sich nicht nur «ol don
Sommer, sondern beginnt in ganz ausgesprochener Weise schon im
Februar, um bis in den November zu dauern.
4. Das Ansteigen der isothermen Flachen um Mittag entapridit
einem in der Niveauflache von 1600 m bestimmten Tempeiimtar-
gefalle, das im Februar 3.6° betragt, im März auf 4.6^ steigt und aidi
vom April bis zum Oktober auf 6° erhält, mit einem Maximum TOD
6.6° im Juli. Auch im November beträgt die Differenz noch 4.0^
6. Die Hebung der Isothermen um Mittag von dem n^dbchen
Alpengebiete gegen die Zentren der Massenerhebung erreicht, unter
Voraussetzung des mittlem mittäglichen vertikalen Temperatur-
gradienten der Monate März bis November, im Maximum den Betrag
von rund 800 m und halt sich vom Mai bis Oktober auf 700 m.
6. Nach Süden ist ein Abfallen der isothermen Flachen zu kon-
statieren, das einen geringem Betrag hat als auf der Nordaeite, aber
immerhin im Mai ein Maximum von 700 m erreicht, sonst aber etva
600 ausmacht.
7. Die thermische Begünstigung der zentralen Gebiete stützt sich
nicht nur auf begünstigte Einstrahlung, sondern ebenso sehr auf eine
durch die Natur der Massenerhebung bedingte prinzipielle Hinderung
dynamischer Abkühlungen und Begünstigung dynamischer Er-
wärmungen.
Was bisher über den täglichen Wärmegang in Talern, an
Berghängen und auf Gipfeln bekannt war, und andere klimatologische
Fakta mußten quahtativ ähnliche Resultate erwarten lassen. Als
neu kann man jedoch die Bestimmung der Größe dieses Einflusses
bezeichnen. Was wir hier für die Schweizer Alpen mit ihrer Massen-
erhebung von ca. 2000 m abgeleitet haben, wird nach Maßgabe der
betreffenden Massenerhebung auch für andere Gebiete qualitativ
und quantitativ zutreffen, soweit sich mit der geographischen Br»te
nicht die Voraussetzungen ändern.
Femer findet Verf., daß der Verlauf der Waldgrenze in unmittel-
barer Beziehung zur Temperaturverteilung steht. Es ergibt sich die
interessante Tatsache, daß an der Waldgrenze die Mittagstempera-
turen im ganzen Gebiete dieselben sind, und zwar leiten sich aus des
Verfassers Aufstellungen folgende annähernde Werte ab:
Monat: Febr. März April Mai Juni JaÜ Aug. Sept. Okfe. Not.
MittagBtemperatnr
an der Waldgreiae —2« —0,6« 3,6» 6,6o 10,5* 13,20 13« 10,5» 6^ ^^
Die Schneegrenze betreffend sind die Schlüsse weniger sicher. Sie
verläuft 1000 bis 1600 m über dem Niveau, dessen Temperatur-
verteilung untersucht wurde.
Jedenfalls hält Verf. die Mittagstemperaturen bezü^oh der
Schneegrenze für ausschlaggebend; sie charakterisieren die Ver-
hältnisse an der Schneegrenze daher wohl besser, als solches durch die
mittlem Tagestemperaturen geschehen wird.
Lufttemperatur. 301
Die Temperaturumkehr in der Höhe ist von R. Afimann an der
Hand der simultanen Drachenaufstiege in Berlin und Hamburg für
den Zeitraum vom 6. Mai 1903 bis 5. Mai 1904 untersucht worden. ^)
Es wurden dabei außer den Temperaturinversionen auch die genetisch
zusammengehörigen Isothermen berücksichtigt, da dieselben in
Fällen, in denen die Aufstiege nicht in die Höhe der vollen Inversion
hinaufreichten, als eine Überleitung zu derselben deren Anwesenheit
verraten.
Folgende Tabelle gibt samtliche in Berlin und Hamburg an-
getroffenen Erscheinungen dieser Art.
Zahl der Tage mit Inversionen und Isothermen.
1903. Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember
9 11 8 9 16 14 19 26
1904. Januar Februar März April Jahr
23 20 24 16 195
„Die beträchtlich größere Häufigkeit derselben in den Winter-
monaten einschließlich des März ist deutlich ausgesprochen; der
Prozentsatz aller Inversionen steigt hier auf 69.8%. Überlegt man
dazu, daß sicherlich ein nicht geringer Teil der Aufstiege, besonders
der Hamburger, die Inversionsschichten nicht erreicht hat, so wird
man nicht fehlgehen, wenn man die Häufigkeit des Vorhandenseins
von Temperaturumkehrungen auf 70% bewertet.
Die Jahressumme von 195 Inversionen bezieht sich auf beide
Stationen, d. h. sie gibt an, daß an 195 Tagen im Jahre entweder in
Berlin oder in Hamburg oder an beiden Stationen Temperatur-
umkehrungen vorgefunden worden sind.
Eine Auszählung ergibt, daß von den 115 Tagen gleichzeitiger
Aufstiege, an welchen eine Inversion an einer der beiden Stationen
festgestellt wurde, 25 auszusondern sind, weil die erreichten Höhen
zu ungleich waren; von den verbleibenden 90 Tagen wurden in Ham-
burg 12, in Berlin 8, zusammen also 20 Tage ohne Temperatur-
umkehrung gefunden. Mit andern Worten heißt das : die Temperatur-
inversionen wurden in 77.8% aller möglichen Fälle an beiden Sta-
tionen angetroffen und dürften somit als ein über weitere Gebiete
verbreitetes Phänomen anzusehen sein.'^
Die mittlere Höhenlage der Umkehrschichten, entnommen aus
deren vorgefundenen obem und untern Grenzen, sowie ihre aus den-
selben Angaben gewonnene Mächtigkeit gibt Aßmann durch folgende
Tabellen wieder:
Mittlere Seehöhe der Umkehrschiohten in Metern.
1903 Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez.
in Hamburg (1700) 830 (1400) — 1010 694 746 437
in BerUn (1660) 941 (1700) ~ 820 660 832 900
Zahl der FSlle 14 1—6 6 6 16 (12)
^) Beiträge cor Physik der freien Atmosphäre 1. p. 36.
302 Lafttempentar.
Mittlere Seehöhe der UmkehrBohiohten in Metern.
1904 Januar Februar Man April Jahr
in Hamburg 660 850 870 1133 tSl
in Berlin 533 624 688 864 775
Zahl der lUUe 10 10(9) 13 11(8)
Mittlere M&chtigkeit der Inversionsschichten in
Metern.
1903 Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Not. Du.
in Hamburg (400) 327 — — 3^ 488 258 814
in Berlin (300) 390 — — 200 425 460 406
Zahl der VbII- 14^-. 5(3) 4 6(2) 1S(]0)
1904 Januar Februar März April Jahr
in Hamburg 360 229 288 178 906
in Beriin 258 310 390 582 SOS
Zahl der Fälle 4(8) 10(4) 13(8) 9(4)
„Aus der Zusammenstellung scheint, soweit man das immerhin
noch lückenhafte und unzureichende Material eines Jahres für eine
erste Annäherung herbeiziehen darf, hervorzugehen, daß die Li-
versionsschichten in Hamburg durchschnittlich eine etwas höhen
Lage aber eine etwas geringere Mächtigkeit besitzen als in Berlin,
und daß sich eine jährliche Periode der Höhenlagen erkennen läßt
welche besonders in Hamburg in einer deutlichen Senkung der
Schichten in der kalten Jahreszeit besteht, während diese £r-
scheinung in Berlin undeutlicher ausgesprochen ist. Faßt man die
Höhenlagen nach Gruppen zusammen, so ergibt sich folgendes Biki
der Häufigkeit von Inversionen (in Prozenten):
Erd-
boden bis 200 m. 200^600. 500—1000. 1000—1500. 1500—2000. 2000--^500 n.
in Hamburg 6.9 39.5 13.3 13.9 4.7 3.5
inBeribi 4.5 37.6 28.4 21.6 4.5 3.4
Diese Zusammenstellung läßt eine deutliche Übereinstimmung
zwischen den beiden Stationen erkennen und dürfte auch als Beweis
für die Tatsächlichkeit der Temperaturumkehrungen und deren all-
gemeinem Charakter gelten. Es sei noch bemerkt, daß diejenigen
Fälle, in welchen mehrere übereinander liegende Umkehrschichten
angetroffen worden sind — in Hamburg und Berlin je zehn Fälle —
einzeln gezählt worden sind. Die größere Zahl von Inversic»ien
zwischen 1000 bis 1500 m Höhe, welche in der Tabelle bei Beihn
verzeichnet ist, dürfte wohl aus der großem Höhe der Berliner Auf-
stiege zu erklären sein.
Um der Frage nach einer Erklärung über die Entstehungs-
ursache und das Wesen dieser Temperaturumkehrungen näher so
kommen, wurden die bei den „Inversionsaufsti^en" herrschenden
Windrichtungen ermittelt.
Für beide Stationen zeigt sich übereinstimmend ein außer-
ordentliches Überwiegen des zwischen Nordost und Südost liegenden
Quadranten, während besonders der westliche Quadrant betjächt-
Lufttemperatur. 30 3
lieh zurücktritt. Mit andern Worten : Das Auftreten von Temperatur-
umkehrungen erfolgt am häufigsten bei einer Druckverteilung,
welche den höchsten Barometerstand im Norden und Osten, den
tiefsten im Süden und Westen hat.
Die großen Inversionen sind in den meisten Fällen an beiden
Stationen gleichzeitig oder doch nur kurz nacheinander beobachtet
worden, und im allgemeinen ergibt eich, daß auch die Intensitäten
der Temperaturumkehrungen an beiden Stationen durchaus parallel
gehen. Die Entstehungsursache der Temperaturumkehrungen ist
noch unbekannt. Aßmann hatte früher die Möglichkeit erörtert,
daß die in der hohen Inversionstemperatur zutage tretende Wärme
ihre Quelle in Kondensationsvorgängen haben könnte, welche in
größerer Entfernung stattfinden. Die Tatsache, daß die häufigsten
und stärksten Umkehrungen dann vorkonmien, wenn tiefer Druck
im Westen und Süden herrscht, weise ziemlich deutUch auf einen
Zusammenhang zwischen den beiden Vorgängen hin, da die genannte
Druckverteilung ganz besonders zu Kondensationen in größerm
Maßstabe zu führen pflegt, entsprechend dem Vorhandensein von
Meeren, die, besonders im Winter, der Hauptzeit der Inversionen,
hochtemperiert sind. Bekanntlich ist auch in den West-, Südwest-
und Südküsten Europas der Winter die Zeit der ergiebigsten und
weitest vertreiteten Niederschläge.
Eine statistische Zusammenstellung der Tage mit Niederschlag
und Inversionen für den obigen Zeitraum ergab zunächst, daß
155 stärkere Niederschläge in 85 Fällen von Inversionserscheinungen
am nächstfolgenden Tage gefolgt waren, entsprechend 55.0 vom
Hundert, femer, daß von 184 überhaupt, d. h. entweder in Berlin
oder in Hamburg beobachteten Temperaturumkehrungen 108, d. h.
57%, nicht mit Regenfällen zusammengefallen sind. „Hieraus
könnte man den Schluß ziehen, daß ein Zusammenhang der beiden
Erpcheinungen eher unwahrscheinhch als wahrscheinlich sei. Die
Verhältniswerte ändern sich jedoch nicht unbeträchtlich, wenn man
einerseits die in Beziehung gebrachten Küstenländer enger umgrenzt,
anderseits die Jahreszeiten gesondert betrachtet: die Nordwest-
und Westküsten geben seinen geringem Prozentsatz, 50.0%, dagegen
steigt derselbe bei den Südwestküsten auf 63.3, bei den Südküsten
auf 61.2%. Faßt man nun noch die wärmere, sowie die kältere
Jahreszeit gesondert ins Auge, so sieht man, daß die letztere be-
sonders für die Südwestküsten und Südküsten Beziehungen zwischen
den beiden Phänomenen aufweist, welche wohl einen ursächlichen
Zusammenhang vermuten lassen, indem die Werte 79.3 und 69.3 vom
Hundert doch schon ganz beträchtUch über dem Zufallsverhältnisse
liegen. Außerdem ist anzunehmen, daß eine weitere Ausdehnung
der Aufstiege nach der Höhe zu noch viele Inversionen in hohem
Schichten aufdecken wird, welche bisher nicht erreicht werden
konnten, und daß sich demnach mit weiterer Vervollkommnung der
winiier fTuniinK cfonunar jxvriw« AmpiwaB
+ 1.9« + ö.l» +13.0« + 7.6« 13.4»
— 0J2 4- 2.4 +11.8 4- 6.1 14.«
— 1.4 — 2.1 -f 7.3 + 2.2 143
804 Lafttempcratiir.
aarooMitiachen Technik das prozentiache VerfaaltiiiB nicht imerfaehlich
snguDSten eines Zuaammenf allens der beiden Eischeimiiigea vet-
bcMem würde» zumal die Zahl der NiederscUagetage hierdurch hmt
Vennehrung erfahren kann, sondern nur die der Inveraioiiatage."'
Die Temperaturabnahme mit der Hdhe In der Gegend von Paiii
auf Grund fünfjähriger Beobachtungen hat Teisserenc de Bort dar-
gestellt. ^) Er teilt das Material in zwei Gruppen, von denen die dne
die Resultate von 681 Ballonaufetiegen in verachiedenen Höhen, die
andere aus 141 Aufstiegen, welche die Höhe von 14 km erreicht haben,
umfaßt. Letztere Ueferte folgende Werte:
K6h.^ Winter FrOhling Sommar Herbst AmpIHrti
Erdoberfläche . . .
1000 m — 0J2
2000 m — 1.4 — 2.1 -f
3000 m — 6.0 — a4 +2.1 — 1.7 12jS
4000' m —10.9 —125 — 2.7 — 6.ö 12.S
6000 m —17.0 —18.6 — 8.3 —12.4 13J
eOOO m —23.7 —26.2 —14.8 —18.7 12.5
8000 m —39.0 —39.0 -29.3 -^33.6 125
10000 m -^64.0 —62.7 —46.3 — 4a3 11.6
12000 m -^7.9 —63.1 —62.7 --67.1 9.1
14000 m —56.6 —52.6 —61.3 —67.1 9J
Diese Tabelle zeigt, daß die mittlere Temperaturabnahme gering
ist in den untern Schichten, wo sie in einer mit der Jahreszeit wechseb-
den Höhe ein Minimum zeigt wegen der Kondensation der WoDcea
und infolge der Temperaturumkehrungen. Diese letztem treten in
den untersten 3 bis 4 J;m sehr häufig auf. Bei Windstille aind ae
nachts die Regel; in manchen Fällen zeigen sie sich auch bei ataikeft
Winden. Am Tage sind sie oberhalb der Wolkenschichten giewölin-
Uch, zuweilen kommen sie jedoch auch ohne Wolken vor.
Die Temperaturumkehr scheint zu entstehen, wenn die Luft ihie
Temperatur an Ort und Stolle ändern kann entweder durch die Be-
rührung mit dem Boden oder mit der Oberfläche der Wolken oda
durch Strahlung; femer wenn sie auf oder anter andern Luftmaasen
hingleiten kann, ohne merkliche Änderung, wobei sie ungefähr den
Isobarenflächen folgt.
Die Temperaturabnahme mit der Höhe bis zu 10 £m nadi d«
Ergebnissen der internationalen BaUonaufStiege ist von Prof. Hann
untersucht worden. *) Indem sich Verf. auf bemannte und unbe-
mannte Aufstiege stützte, konnte er 160 Aufetiege bis zu 7 ibn und
125 bis zu 10 Ä:m benutzen. Dabei sind mehrere Aufstiege am sdben
Tage und Orte nur im Mittel verwendet worden.
1) Gompt. rend 138. p. 42.
>) Anseiger der Wiener Akad. 1904. p. 111.
Lofttemperatiir. 905
Das Ergebnis war, daß die Monatsmittel der Temperatur fär 1, 2,
3 usw. bis 10 km, noch zu sehr von dem zufälligen Witterungs-
charakter der Aufi'tiegstage beeinflußt sind, um einen einigermaßen
verläßlichen jährlichen Gang zu zeigen. Dagegen ist dies bei den
Tem})eraturdifferenzen für Kilometer-Höhenintervalle, also bei den
Werten der Temperaturabnahme mit der Höhe, kaum noch der Fall,
der jährliche Gang kommt in diesen Zahlen vielmehr schon recht
regelmäßig zur Geltung. Die Monatswerte der Temperaturdiffe-
renzen für die Höhenintervalle von 1 bis 3, 3 bis 5, 5 bis 7 und 7 bis
9 km wurden deshalb durch periodische Reihen dargestellt und der
jährliche Gang mittels derselben berechnet. Das Ergebnis dieser
Rechnungen war einigermaßen überraschend. In der Luftschicht
von 1 bis zu 3 km Höhe stimmt sehr bemerkenswerterweise der jähr-
liche Gang fast vollständig mit jenem überein, den auch die Tem-
peraturaufeeichnungen an den festen Stationen im Gebirge ergaben.
Die Phasenzeiten sind genau dieselben, nur die Amplitude ist in der
freien Atmosphäre kleiner, z. B. :
Sonnbliok — Gastein
110 47 + 2-67 Bin (296» + ;r) + 0-76 sin (2Wo + 2 /)
Freie Atmosphäre
90 37 -I- 204 sin (300o + j) + 037 sin (244« + 2x).
Dies ist der jährliche Gang der Temperaturdifferenzen in der
Höhe von 1 und 3 km. Die rascheste Wärmeabnahme tritt in beiden
Fällen zwischen Mai und Juni ein.
Dagegen tritt in den Höhenschichten von 3 bis 5 und von 6 bis
7 km die rascheste Wärmeabnahme schon im März und Aprl ein und
dann ganz unerwartet in der Schicht von 7 bis 9 km erst im Sommer,
etwa Anfang Juli. Die Amplituden nehmen zuerst mit der Höhe ab,
dann in 7 bis 9 Jbm wieder bedeutend zu.
Da inzwischen Teisserenc de Bort die bei 581 Aufstiegen von
Ballons sondes erhaltenen Temperaturen als Mittel für die Jahres-
zeiten pubUziert hatte, konnten diese zu einer Kontrolle der obigen
Resultate benutzt werden, nachdem Prof. Hann vorerst gezeigt
hatte, daß man aus den Mitteln der vier Jahreszeiten die ganzjährige
Temperaturwelle schon vollkommen genau berechnen kann. Die
oben angeführten Resultate finden dabei volle Bestätigung, ja die
von Teisserenc publizierten Temperaturen ergeben, daß in der Schicht
von 9 bis 11 ibm das Maximum der Temperaturabnahme sogar auf den
Herbst fällt, während die kleinste Temperaturabnahme im Frühlinge
eintritt. Das erste GUed der Sinusreihen ergibt für den beiläufigen
Eintritt der raschesten Wärmeabnahme in den Höhenschichten von:
1 bis 3 3 bis 6 6 bis 7 7 bis 9 9 bis 11 ibi»
Maximum ... 15. Mai 14. Februar 27. Januar 28. Juli 16. September
Indem die erwähnten Temperaturdifferenzen an die 17-jährigen
Monatsmittel der Temperatur auf den Sonnblick angeschlossen
Kl«in, Jahrbuch XV. 20
6km
1km
9il;m
16.10
16.70
14.8»
10.6
11.3
9.5
806 Lnfttempentar.
weiden, erhält Prof. Hann MonAtsimttel der Temperatur für 5, 7 und
9 hm Höhe, auf welche er aber kein Gewicht legt. Merkwiiidigerwafie
nehmen die Jahreeamplituden mit der Höhe nicht ab, sondern la,
und dasselbe zeigen die Differenzen Sommer — ^Winter in den Mitieln
v^on Teisserenc de Bort.
Seehöhe 3 km
Jahreasohwankung 14.50
Sommer — Winter 9.9
Die Werte für die Wärmeabnahme pro 100 m ergeben sich ias(
vollständig übereinstimmend: 1. aus den ersten Berliner Balkn-
fahrten, 2. aus den vom Verfasser berechneten intemationakn
Fahrten und 3. aus den 681 Ballonaufstiegen in Paris. Prof. H&nn
stellte dann die Ergebnisse aller bemannten Fahrten allein zosammai,
auch diese stinmien vorzüglich mit den aus den Registrierballoos
allein abgeleiteten Werten. Er versuchte dann noch, aus seineiB
Materiale die Temperaturabnahme mit der Höhe in den Hochdruck-
und in den Niederdruckgebieten für das Winterhalbjahr und für das
Sommerhalbjahr gesondert zu berechnen. Er konnte hierzu je 10 bb
12 Fälle, also rund 40 im ganzen, benutzen. Das Ergebnis stimmt
mit den von ihm früher aus den Sonnblickbeobachtungen bis za 3 hi
abgeleiteten Ergebnissen und mit jenen, die Teisserenc de Bort für
größere Höhen im allgemeinen mit^teilt hat, ohne Zahlenwerte dafür
anzuführen. Prof. Hann findet folgende Zahlen:
Temperatarabnahme pro 100m.
Hochdruokgebiete Niederdmckyhieto
Winter- Winter-
halbjahr Jahr halbjahr ^^
0 bis ö Awi 0.36« 0.40 0.52» 0.Ö
ß „ 10 0.73 0.71 0.66 0.68
0 „ 10 0.64 0.66 0.64 ^^^
Die Temperaturabnahme mit der Höhe ist in den untern
Schichten der Atmosphäre in den Antizyklonen langsamer als in d^
Zyklonen, in großen Höhen aber kehrt sich das Verhältnis um. Biesen
Satz hat zuerst Teisserenc de Bort gefunden, aber, wie bemerW,
die Belege dafür noch nicht publiziert.
Die niedrigsten Temperaturen in sehr großen Höhen finden sicli
in den Antizyklonen. Am 6. Dezember 1901 z. B. gaben zwei BaSons
sondes über Paris in einem ausgebreiteten Barometermazimum tod
770 vnm übereinstimmend eine Temperatur von rund — 73® in 12 bö
13 hm Höhe. Die Temperaturabnahme mit der Höhe über Mi^-
europa überhaupt war damals bis zu 6 ihn bloß 0.27°, von 6 bis 10 ^
0.73° und von 10 bis 12 hm rund 1° pro 100 m.
Für den mittlem Temperaturunterschied zwischen den Hocn-
druck- und Niederdruckgebieten ergaben sich aus den von Hann be*
Luftdruck.
307
rechneten Beobachtungen folgende Zahlen, die natürlich nur provi-
sorischen Wert beanspruchen können, während die Vorzeichen als
ziemlich sicher angesehen werden können.
Temperaturdifferenzen: Maximum — Minimum.
HöhenBchioht
Winterhalbjahr
Jahr
0-1
1—2
2—3 3—4
4— 6Awi
-1.3
3.0
5.0 4.6
4.6
(0.3)
3.3
4.6 4.8
Höhenschicht
5.1
Winterhalbjahr
Jahr
4—6
6—7
7—8
8—9
9— 10 A»ii
4.0
3.0
1.6
—0.8
—3.3
6.0
4.4
3.6
2.1
0.6
Die Zahlen für das Winterhalbjahr sind die verlaßUchsten. In
der Bodenschicht und oberhalb 8 km sind die Minima wärmer, in der
mittlem Schicht die Maxima. Der Temperaturüberschuß in den Anti-
zyklonen erreicht etwa in der Höhenschicht von 2 bis 3 itm den
größten Betrag von 5° ca., der Verfasser hatte aus den Sonnblick-
beobachtungen schon eine ähnliche Differenz gefunden. Das Mittel
von 1 bis 10 km würde nach obigem immer noch einen Wärmeüber-
schuß für den Luftkörper der Antizyklonen ergeben, aber das bleibt
noch fraglich, bis Teisserenc de Bort seine Zahlen wird veröffentlicht
haben.
Luftdruck.
Die täglichen Schwankungen des Luftdruckes in Berlin sind von
Prof. B. Bömstein auf Grund 20-jähriger Aufzeichnungen des
Sprungschen Barographen untersucht worden. ^) Es zeigten sich die
schon bekannten zwei täglichen Schwankungen verschiedener Größe,
im Jahresmittel treten die Maxima um 10^ vormittags und 11^ nach-
mittags, die Minima um 5^ nachmittags und 4^ vormittags ein, wobei
die zuerst genannten Zeiten den Hauptextremen zukommen. Mit
Eintritt der warmen Jahreszeit entfernen die Extreme sich von der
Mittagszeit, um für die kältere Jahreshälfte von beiden Seiten wieder
gegen Mittag hinzurücken. In den Monaten November bis Februar
ist auch das von Rykatschew entdeckte dritte Maximum in den ersten
Morgenstunden erkennbar.
An diese tatsächlichen Beobachtungsergebnisse schließt sich die
Darstellung des täghchen Barometerganges durch eine harmonische
Beihe von der bekannten Form, welche bis zum Vierfachen des
variablen Winkels berechnet wird.
Diese Darstellungsweise hat namentlich in den Arbeiten von
Hann zu der Erkeimtnis geführt, daß die ganztägige Schwankung des
1) Anzeiger der Wiener Akad. 1904. p. 186.
20»
308 Luftdruck.
Druckes mit dem täglichen Temperaturgange und seinen ortKchen
Besonderheiten in sehr naher Beziehung steht, wahrend die halb-
tägige Schwankung von örtlichen Einflüssen unabhängig und meist
viel starker als jene auftritt. Man versuchte demnach, die beiden
ersten GUeder der Reihe, welche bisher vorzugsweise untersucht
wurden, verschiedenen physikalischen Ursachen und insbesondere
das zweite Glied, also die Doppelschwankung, einem außerirdischen
Vorglmge zuzuschreiben. Während Lamont demgemäß an eine elek-
trische Einwirkung der Sonne dachte, suchte Hann den Ursprung der
tägUchen Doppelschwankung in der Erwärmung der obem Luft-
schichten. Neuerdings hat nun Margules in Durchführung einer von
Lord Kelvin gegebenen Andeutung gezeigt, daß die als Ganzes be-
trachtete irdische Atmosphäre freie Schwingungsbewegungen aus-
führen kann, deren ^e mit Berücksichtigung der Erddrehung und
der Luftreibung sehr nahe innerhalb zwölfständiger Perioden ver-
läuft, und daß also irgend eine in zwölf stündigen Intervallen regel-
mäßig wiederkehrende Gleichgewiohtsetörung imstande ist, Schwin-
gungen der genannten Periode von größerer Stärke hervorzunifen
als solche in andern (z. B. 24-stündigen) Intervallen. Um die An-
wendbarkeit dieser Überlegung auf die Berliner Luftdruckzahlen zu
prüfen, wurden Temperaturbeobachtungen, die in achtjähriger (1890
bis 1897) Reihe an gleicher Stelle gewonnen waren, in deraelben Art
bearbeitet und zur Herleitung der harmonischen Konstituenten des
tägUchen Temperaturganges benutzt. Dabei zeigte die Amplitude a^
ganz ähnUchen Jahroslauf für Temperatur wie für Druck. Die
AmpUtude a2 der halbtägigen Schwankung ist für Temperatur er-
heblich kleiner als a i, hat aber den gleichen Jahreslauf für Temperatur
Wie für Druck, nämlich Mazima zur Zeit der Nachtgleichen und das
Hauptminimum im Winter.
Wenn hiemach vermutet werden darf, daß auch die halbtägige
Schwankung mit dem Temperaturgange in naher Beziehung steht, so
würde diese Auffassung gestatten, die harmonische Reihe als den
ihAthematischen Ausdruck einer einzigen physikalischen Beziehung
anzusehen, nämlich der Abhängigkeit des Luftdruckes von der ört-
lichen Temperatur. Ob aber eine solche Meinung zulässig ist, muß
duroh Untersuchung der entsprechenden VerhaltiiiBse anderer Orte
geprüft werden.
Die Beziehung zwisohen Bewölkung und Luftdrnekverteilong hat
Dr. FeUx Exner untersucht, ^) als Beitrag zur Kenntnis des bei be-
stittunter Druckverteilung auftretenden Wetters. Als Kriterium
für eine genau definierte Einteilung der auftretenden Erscheinungen
wurde der Westwind in Wien verwendet. Für die Tage, wo derselbe
in Wien um 7^ vormittags in bestimmter Stärke wehte, wunien die
1) Wiener Akad. Anzeigor 1903. p. 283.
Luftdruck. 309
Luftdruckwerte von 13 Stationen Österreich-Ungarns ermittelt und
diese nach der in Wien herrschenden Himmelsansicht in vier Gruppen
geteilt, für die Bewölkung 0 bis 3, 4 bis 7 und 8 bis 10 der zehnteiligen
Skala und für Niederschlag. Dabei wurden die Windstarken W 3, W 4
und W 5 oder W e gesondert behandelt. Für alle diese zwölf Gruppen
wurden die Mittelwerte der Luftdruckdaten berechnet und mit ihnen
mittlere Isobarenkarten gezeichnet. Dieselben unterscheiden sich für
verschiedene Bewölkungen nur wenig voneinander; deuUich wird
aber ihr Unterschied durch Bildung der Abweichungen der Werte
einer Gruppe vom Mittel aUer vier Gruppen einer Windstärke. So
gewidmete Abweichungskarten zeigen übereinstimmend bei Be*
wölkung 0 bis 3, daß Wien in einem Gebiete relativ hohen Druckes,
bei Niederschlag aber in einem relativen Minimum hegt; diese sind
über die mittlere DruckverteUung aller vier Gruppen superponiert
zu denken.
Auf Grund seiner Betrachtungen kommt Dr. Exner zu. folgendem
Satze: „Wenn bei bestimmter Windgeschwindigkeit und parallelen
Isobaren die Luft aus einem Gebiete mit starkerm Druckgefalle in
ein solches mit schwächerm strömt, so wird schlechtes Wetter, wenn
umgekehrt, wird schönes Wetter herrschen." Es wurden zu den aus-
gewählten Drucksituationen auch Isothermenkarten gezeichnet, aus
denen sich übereinstimmend ergibt, daß bei Westwind der Südosten
von Niederösterreich, der Streifen Wien — Neunkirchen, eine Wärme-
insel bildet, die ihre Ursache wohl im Herabsteigen der Luft über die
Ausläufer der Alpen hat.
Ober die atmosphärische Ebbe und Flut. Auf der 10. Versamm-
lung der deutschen Meteorologischen Gesellschaft zu Berlin sprach
Prc^. Möller (Braunschweig) über die atmosphärische Flut und ins-
besondere über die Ebbebewegung der Luft. Dabei konnte er nicht
umhin, auch die Falbschen Theorien in den Kreis der Betrachtung zu
ziehen. Er sei, nachdem er ursprünglich dem Monde einen Einfluß auf
das Wetter zusprechen zu müssen geglaubt habe, nach genauesten
Beobachtungen der Barometerstände, als dem Maßstabe atmo-
sphärischer Mut und Ebbe, zur Überzeugung gelangt, daß Beziehungen
zwischen diesen Erscheinungen und dem Monde'nicht bestehen, selbst
wo es hin und wieder scheine. So bei dem berühmten Beispiele vom
27. Januar 1884, wo unter dem Zusammenwirken von Sonne und Neu-
mond Sturmfluten und gleichzeitig ungewöhnliche Luftdruckverhält-
nisse eingetreten seien. Auch dieses und ähnhche Vorkommnisse
halten der strengen Kritik gegenüber nicht stand. Immerhin bleibe
es von Interesse, zu ergründen, warum die Anziehung des Mondes im
Wasser und nicht in der Luft Bewegungen hervorrufe. Bei Unter-
suchung dieser Frage werde man nicht außer acht lassen dürfen, daß
die Ebbe- und Flutbewegung im Meere, wie die Wellenbewegung im
Meere überhaupt ja verhältnismäßig flach und auf die Oberfläche be-
310 NiedMiehli««.
sohrinkt ist, und in nicht allzu großer Tiefe Ruhe herrscht. Tkxk
auch für die Möglichkeit, daß wir nur deshalb von der Ebbe- und
Flutbewegung des Luftmeeres nichts merken, weil wir uns auf dem
Boden desselben befinden, bestehe keine Wahrscheinlichkeit Dom
es müßten sich alsdann bei unsem feinen Luftdruckbeobachtangai
Analogien finden zu den praktisch und theoretisch feststehenden Er-
fahrungen mit Ebbe und Flut im Meere, daß die von letzten herror-
gerufenen Bewegungen da am stärksten sind, wo die Erde sich am
schnellsten dreht, am stärksten femer auf derjenigen Erdseite, üb^
der das Gestirn steht, wenn auch nicht an der Stelle der Erdober-
flache, in deren Zenit das Gestirn steht, sondern 45^ davon entfernt
Die Barometerbeobachtungen geben hierfür nicht die geringste Spor
eines Anhaltes. — In der sich anschließenden Diskussion wurde t(»
Professor Bömstein darauf aufmerksam gemacht, daß die Be-
schränkung der Wellenbewegung im Wasser auf die Oberfläche eine
Ursache h^be, die für die Luft entfalle, nämlich die Nichtkomprimier-
barkeit des Wassers. In nicht komprimierbarer Flüssigkeit kannea
Wellen nur da entstehen, wo eine Verschiebung möglich ist, also nur
an der Oberfläche. Dagegen würde im elastischen Medium der Laft
eine vom Monde erzeugte Flutwelle eine Änderung der Schwere, die
in aUen Schichten gleichmäßig wirken müßte, bedingten. Sie müßte
sich also in den Barometerständen bemerklich machen, und es verde
mit Recht auf ihr Nichtvorhandensein geschlossen, da sich Druck-
Schwankungen regelmäßiger Art in den Zeiten, in denen sie nach den
Mondständen eintreten müßten, in keiner Art nachwdsen la^f^
Niederschläge.
Versuche und Beobaehtungen über Regentropfen hat ProL
P. Lenard angestellt.^) Diese Versuche beziehen sich spezieU Aof
das Verhalten von Wassertropfen in aufwärts strömender Loft,
die ja bei der Regenbildung eine Hauptrolle spielt. B&ni^
schließen sich weitere Beobachtungen über die quantitative Gröfira*
Verteilung der Tropfen einer Anzahl von Regenfällen.
Was die FallgeeohT^ndigkeiten der Wassertropfen in der Loft ftnbeUogt,
flo kommt bei den großen hier vorhandenen Fallhöhen immer nur die kooflUnte
Endgeechwindic^eit in Betracht, die infolge des Luftwiderstandes sich äieU^
Bezüglich der Größe des letztem unterscheidet Prof. Lenard drei weseotlK»
voneinander verschiedene Fälle, nämlich:
a) kleine Geschwindigkeiten, wie sie erfahrungsmäßig b^ sanz klemeo
Tröpfchen vorkommen. Wirbelbewegungen in der Luft kommen hier >"!**^
Betracht, der Widerstand riihrt dann allein her von der innem Reibung inder
Luft und ist einfach der Geschwindigkeit proportional. Die konstante Au-
geschwindigkeit ist in diesem Falle v » 1 270 000 r*. Hier bezeidmet r defi
Durchmesser des Tropfens und v die Geschwindigkeit» beide in Zentimetern
ausgedrückt, bezogen auf die Sekunde. Hiernach hat ein Tropfen von 0.01 nun
1) Meteordog. Zeitsohr. 1904. p. 240.
Niedenchlfige. 311
. Duichmeaaer beim freien Falle in der Luft eine konstante EndgeBchwindigkeit
von 3.2 mm in der Sekunde, einer von 0.1 mm Durohmesser eine solche von
' 32 0m in der Sekimde.
r b) Größere Geschwindigkeiten, wie sie bei großem Tropfen vorkommen.
I Hierbei tritt Wirbelbewegung der Luft ein, und der Widerstand der Luft wachst
. wie das Quadrat der Geschwindigkeit. Die Endgeschwindigkeit hangt von einer
empirisch zu bestimmenden Konstanten ab, welche Prof. Lenard aus Fall-
* versuchen an Wassertropfen von 2 bis 3 mm Halbmesser ermittelt hat. Nach
C seiner Berechnung beträgt die Endgeschwindigkeit eines Regentropfens von
0.3 mm Durchmesser 2.7 m in der Sekimde, die eines solchen von 0.5 mm
Durchmesser 3.6 m.
c) Deformation des Tropfens durch die Luft, welcher eintritt bei großen
'- Tropfen und dauernd großen Geschwindigkeiten. Zur Ermittlung der End-
r gescnwindigkeit sind in diesem Falle besondere Versuche erCordeilich.
r Versuche über das Schweben der Tropfen hat Prof. Lenard mittels
eines besondem Apparates angestellt. Derselbe bestand aus einem großen Venti-
latorflügelrad mit vertikaler Achse, das im untern Teile eines vertikalen, zylin-
' drischen Mantels aufgestellt war. Der Durchmesser des Rades betruff 66 cm,
t der des Mantels 67 em, die Höhe des letztem 100 cm. Versetzt ein kraftiger
g Elektromotor das Rad in Rotation, so blast ein starker Luftstrom, unten in den
Mantel eingesaugt, oben vertikal aus demselben heraus. Um diesen Luftstrom
von der rotierenden Bewegungskomponente, die er vom Rade her hat, möglichst
zu befreien, waren im obersten Teile des Mantels sechs radiale. Wände äquimstant
i eingesetzt. Auf den Mantel war endlich ein Blechkonus gesetzt, welcher den
Luftstrom auf die geringere Breite von 42 cm einengte, aber dafür seine Ge-
schwindigkeit in seinem ganzen Querschnitte sowohl, als auch bis in beträcht-
' liehe Höhe hinauf überaU sehr nahe gleich werden ließ. In diesen Luftstrom
: hinein konnten nun aus einem an der Zimmerdecke aufgehängten Gefäße durch
i, ein Rohr Wassertropfen fallen. Damit die Bildung der Tropfen ungestört sei,
war die Mündung des Rohres von einem oben geschlossenen Mantel umgeben,
innerhalb dessen die Luft ruhte. Durch Variation des Durchmessers konnten
* verschiedene Tropfengrößen hervorgebracht werden, und durch Regulierung des
Ventilatorganges war es leicht, jedesmal die Tropfen zum Schweben zu bringen.
Man sah den Tropfen, nachdem er mit geringer Anfangsgeschwindigkeit die
Mündung des Mantels verlassen, in verzögerter Bewegung nach abwärts steigen
und etwa 60 om über der Mündung des Konus zum Stil&tand kommen. Er
blieb dort so lange schwebend, bis er schließlich, langsam seitlich aus dem Luft-
j Strome herausgleitend, zu Orten geringerer Windesgeschwindigkeit gelangte und
dann neben dem Apparate zu Boden fiel. Das Schweben dauerte 2 bis 4 Se-
^ künden lang. Indem der schwebende Tropfen mit dem Auge verfolgt wurde,
( konnte er M seinem schließlichen Herau^leiten auf Löschpapier aufgefangen
I werden, um seine Größe zu ermitteln. Zur Messung der zugehörigen Luft-
geschwindigkeit wurde sofort danach ein kleines Schalenkreuzanemometer an
die Stelle gebracht, wo das Schweben stattgefunden hatte.
Die kleinsten untersuchten Tropfen wurden nicht einzeln in den Luftstrom
^ fallen gelassen, sondern in Form eines Strahles, wodurch ein ganzer Schwärm
schwebender Tropfen entstand. Es wurde dann der Wasserstrahl abgestellt^
gewartet, bis der Schwärm durch Herausfallen von Tropfen sich gelichtet hatte,
und schließlich mit den am längsten schwebend gebliebenen Tropfen ver&khren,
wie angegeben.
£S ergab sich, daß bei wachsender Tropfengröße die Geschwindigkeit
schnell einen Grenzwert erreicht — sehr nahe 8 m in der Sekunde — , über
welchen hinaus sie nicht wächst, sondern bei wachsender Tropfengröße wieder
etwas abnimmt. In aUen Fällen ist die Geschwindigkeit kleiner, der wirkliche
Luftwiderstand also größer als dem Falle b entspräche. Der Unterschied ist
sehr groß bei den größten Tropfen, er ist aber selbst bei Tropfen von rund
1.3 mm Durchmesser noch vorhanden.
$12 Niedenehligtt.
Den Qnmd hieifür fand ProC. Lenard bei anfmoiksuner Betrachtu^ der
•ohwebenden Tropfen. Dieselben sind bedeutend defarmieit. Die DeformaÜOB
beetdit in Abflacnung der Tropjfen in vertikaler Richtong; sie steigerte sieh bei
den größten Tropfen oft bis zum Zerfahren deradben. Ähnliche DeformatioDen
hatte Prof. Lenard auch früher schon an den Tropfen eines nächtlichen Reigens
bei Momentbeleuditung konstatiert. Die Tropfen jener altem Fall-TemiGlie
zeigten dagegen solche Deformationen nicht, woraus zu schließen, dafi die Ans-
bilaung dieeer Deformationen mehr Zeit verbraucht, ab in jenm Veisadben —
die innerhalb einiger Zehntelsekunden abhefen — vorhanden war. Dem ent-
spricht es auch, daß das Zerfahren großer, schwebender Tropfen, welchem stets
die Deformation vorausgeht, immer erst nach einigem Verweilen derselben in
der bewegten Luft eintrat. „Der Zeitvertoiuch," sagt Prof. Lenard, „ist ver-
ständlich, wenn die Deformation nicht Wirkung der senkrecht sor TropCen-
oberflache cerichteten Drucke, sondern der tangentialen Reibungskräfte der
Luft ist, w^che die ganze Masse des Tropfens in wirbelnde Bewegung bringen,
was bei der rolativ großen Trägheit des Wassers nur allmählich geechehen kann.
Solche Bewegung muß duroh ihre zentrifugalen Kräfte zunächst den Tropfen
abflachen; bä genügender Litensität wird sie ihn zu einem horizontalen Riii^
offnen, welcher dann durch die Kräfte der Obwflächenspannung «^IitmJI in
einen Kranz kleinerer Tropfen zerfallen muß."
Li Hinsicht der FallbewQgung mittelgroßer und großer Tropffen bemeikt
Lenard, daß das Luftwiderstandsgesetz b mit dem angegebenen Werte der
Konstanten zwar gut das Fallen solcher Tropfen aus der Riüie bis sn 3 m Tiefe
darstellt, daß aber seine Anwendung auf Regentropfen einzuschränken ist auf
das sehr enge Größenintervall von Tropfen, welche zwar zu groß sind für den
Fall a, aber doch noch so klein, daß ihre Oberflächenspannung sie daaend
vor merklicher Deformation durch innere Wirbel schützt, ein Litervall, wekhei
etwa von 0.3 bis 0.5 mm Durohmesser geht.
Für größere Tropfendarohmeaser hat Pftif. Lenard die EndgeachwindigkciteB
durch direkte Beobachtungen ermittelt und findet, daß dieselbe for IVopiea
von 1 mm Durchmesser 4.4 m pro Sekunde betragen, für solche von 2 mm
Durohmesser 5.9 m, von 3 mm Durohmesser 6.9 m, von 4 mm DoitdimeaBer
7.7 m ,von 4.5 bis 5.5 mm Durchmesser aber 8 m pro Sekunde.
Die eigentlichen Regentropfen, nämlich solche von rund 0.5 mnt Dmck-
meeser ab aufwärts, fallen nach dem Vorhergdienden nicht sehr vorschjeden
schnell ; die größten nicht viel mehr als doppelt so schnell wie die kleinsten. Zu-
sammenstöße solcher Tropfen untereimuuier werden daher verhältnismäßig
selten sein. „Außerordentlich häufig müssen dagegen die Zusammenstöße
dieser Tropfen mit den in großer Zahl in der Wol^ vorhandenen rdativ fast
ruhenden kleinem Tröpfchen sein, und dies ist jedenfalls die Art, in welcher die
Regentropfen während ihres FaUens zur unten ankommenden Größe anwadisso.
Denn die Geschwindi^eitsunterschiede bei diesen Stößen änd groß und können
daher Zusammenfließen bewirken. Ein Versuch zeigte, daß ein 1.5 mm dicker,
vollkommen benetzter Draht, welcher einem mit feinen Spraytropfcdien er-
füllten, 10 m Sek. schnellen Inf tstrome ausgesetzt war, eine Wassermenge auf-
nahm, welche etwa 60% der gegen seinen Querschnitt zielenden Tropfehen
entsprach.
Die Größe eines Regentropfens kann danach zwar nicht als absolutes, aber
doch im Vergleiche mit andern gleichzeitig gefallenen Tropfen als relatives Maß
für die Zeit seines Verweilens in der Wo&e gelten."
„Ebenfalls sehr häufig," fährt Prof. Lmurd fort, „müssen aber auch Zu-
sammenstöße der kleinen Wolkentröpfchen untereinander stattfinden, und eben
diese Zusammenstöße sind es, weldie, wenn sie zusammenfließen, zur Folge
haben, zu zunehmendem Anwachsoi der Tröpfchen und damit zum Regnen der
Wolke führen. Tröpfchen von O.Ol mm Durohmesser sind beiroielsweise fast eis
, Durohme
ruhend zu betrachten, gegenüber solcdien von 0.03 mm Durohmesser, und daß
derartige Größenunterschiede in Wolken die Regel bilden, gebt aus der relativen
Niederschläge. 313
Seltenheit gut ausgebildeter farbiger Mondringe hervor. Nimmt man den
mittlem Durchmesser der Wolkentröpfohen zu 0.02 mm an, ihren mittlem
gegenseitigen Abstand zu 1 mm, so ergibt sich die Verschiebung, welche ein
Tropf chen relativ zu seiner Umgebung machen muß, um auf ein anderes zu
stoßen, gleich 0.8 m. Sind also lYopfen von O.Ol bis 0.03 mm Durchmesser vor-
handen, so würde diese gegenseitige Verschiebung, idso der Zusammenstoß in-
folge der Fallbewegung für jedes mittlere Tröpfchen etwa alle 50 bis 80 Sekunden
«rfolgen. Daß trotz dieser häufigen Zusammenstöße nicht jede Wolke regnet,
entspricht der Tatsache, daß zur Berührung gebrachte Flüssigkeitsmassen nicht
leicht zusammenfließen. Es liegt dies daran, daß die an den Oberflächen der
beiden Flüssigkeitsmassen haftende, sie trennende Luftschicht Zeit braucht, um
zu entweichen. Soll danach eine Wolke regnen, so muß eine wenn auch noch
so geringe Kraft vorhanden sein, welche vorhindert, daß die zusammenstoßenden
Tröpfchen sich wieder trennen, ehe die Luftschicht entwichen ist. Ist eine
8olcne Kraft vorhanden, so ist der Regen ausgelöst.
Da Regentropfen immer elektrisch gefunden werden, ist es wahrscheinlich,
daß elektrische Ladungen der Wolkentröpfchen diese Kraft liefern. Ein mit
0.000 005 elektrostatischen Einheiten geladenes Tröpfchen von 0.02 mm Durch-
messer würde ein zweites gleiches unelektrisches, bei 0.001 mm Abstand der
beiden Oberflachen bereits mit einer seinem Gewicht nahe gleichen Kraft fest-
halten, so daß es nicht wieder durch die Luft fortgeführt werden kann, deren
Reibungskraft bei der Fallbewegung von der Größenordnung des Gewichtes ist.
Es ist dies eine Ladung, deren Hundertfaches jedem gewöhnlichen Regentropfen
zugeschrieben werden kann. Zu bemerken ist aber, daß eine einigermaßen
dichte Anhäufung von Tröpfchen der angegebenen Ladung, diesell^ überall
l^eichnamig gedacht, die Eigenschaften einer gewaltigen Gewitterwolke
haben würde.*'
Die im Luftstrome des Ventilators schwebenden großen Tropfen zeigten
in den Versuchen Prof. Lenards häufig die Erscheinung des plötelichen Zer-
fahrens in kleine Tropfen, welche alsdann, nach aufwärts getrieben, seitlich den
Luftstrom veriießen. Das Zerfahren trat immer erst nach einigem Schweben
ein ; glitt der schwebende Tropfen frühe genug aus dem Luftetrome heraus, so
entging er dem Zerfahren selbst beim Durchmesser von 6.4 mm. Dagegen zer-
fuhren Tropfen von 4.5 mm Durchmesser auch nach 3 bis 6 Sekunden langem
Schweben nicht. Hatte ein größerer Tropfen einige Sekunden lang besonders
ruhig geschwebt, was allerdings ein nicht sehr häu£g vorkommender Fall war,
so konnte man die charakteristische Erscheinung l>K»bachten, meist nach vor-
ausgegangener fleringer Aufwärtsbewegung des Tropfens, daß er plötzlich in
einen schönen Kranz kreisförmig angeordneter, äquidjstanter, einander gleicher
kleinerer Tropfen sich verwandelte. Es mochten meist 7 bis 0 Tropfen im
Kranze gewesen sein. Nach unruhigem Schweben erfolgte nur unregelmäßiges
Zerfahren, was der gewöhnliche Fall war.
Sehr günstig war für das Zerfahren das plötzUche Auftreffen des bereits
deformierten Tropfens auf einen schnellem Luftstrom. Um zu sehen, ob bei
genügend großer, plötzlicher Änderung der Luftgeschwindigkeit auch kleinere
Tropfen zerfahren Können, ließ Prof. I^nard solche von 2.2 und 4.0 mm Durch-
messer etwa 60 cm hoch durch ruhige Luft herab in einen etwas schräg, fast senk-
recht nach aufwärts blasenden Li^trom von 6 em Breite und 10 m Sek. Ge-
schwindigkeit fallen. Die Tropfen durchsetzten den Luftstrom nicht, sondern
wurden von demselben erfaßt und seitlich nach aufwärts fortgeworfen. Auf-
fangen auf Löschpapier zeigte aber, daß sie dabei ausnahmslos ganz blieben.
„Man kann daher," bemerkt Prof. Lenard, „sagen, daß Regentropfen bis
zu 4 mm Durohmesser unter allen Windverhältnissen unversehrt ihren Weg
durch die Luft finden werden, daß dagegen solche von 5.5 mm oder gar größere
nur für die Dauer weniger Sekunden bestehen können.
In der Tat hat er auch bei einer großem Zahl von Regen, worunter auch
einige Wolkenbrüohe waren, größere Tropfendurohmesser als 5.2 mm nicht ge-
314 Niedenchlige.
fanden. J. Wiesner fand 4.9 bis 5.3 mm (0.06 bis 0.08 g) nicht selten als gröfiie
Tropfendurohmeeser (bzw. Gewichte) tropischer R^^en, 6.2 nun (0.125 g) bä
einem Augustplatzregen in Oberosteireich, 6.7 mm (0.16 g) aber selbst in des
Tropen säten und 7.3 mm (0.2 g) niemals. »,Bei Regen der letztem Art, mit
Tropfengrößen von 5.5 mm und darüber, muß", wie Prof. Lenard bemeckt, „eine
fortwährende Umwandlung der Tropfen in der Luft statthaben* derart, daß
jeder Tropfen, welcher 5.5 mm bereite erreicht hat, zer&hrt, ehe drei weiten
Sekunden veigehen, oder ehe er 24 m bei ruhender Luft durchfallen hat; die
großem Bruchstücke werden im Fallen durch Vereinigung mit kleinsten, auf die
sie stoßen, wieder anwachsen, um alsbald wieder zu zerfahren und so fort ia
Wiederholung. Soll dieser Prozeß eine sehr merkliche Anrahl jener unbe-
ständigen, großen Tropfen auf der Auffangfläche eigeben, so muß er genügend
häufig in der Luft sieh abspielen, d. h. die Fallhöhe (bzw. die Zeit), innerhalb
welcher die großem Bruchstücke (4 mm) wieder zu 5.5 mm anwachsen, darf
nicht sehr groß sein gegen jene 24 m (bzw. 3 Sekunden). Dies setet eineB
Wasserreichtum in der Luft voraus, welcher, wie die Seltenheit jener großen
Regentropfen anzeigt, nur selten vorkommt."
Was den Einfluß aufsteigender Luftströme auf die TropfengroOe anbetrifft,
so bemerkt Prof. Lenard hierüber u. a. folgendes: „Das Aufsteigen der Luft ist
zur Lieferung des Wasservorrates Vorbedingung für jeden Rogen, dodi ge-
nügen für die Wassermengen der allermeisten Regen schon sehr geringe Lirft-
gesch windigkeiten. Beispielsweise würde ein bei S)® gesättigter Laftstzom Toa
etwa 1.2 m/Sek. bei Abkühlung auf 6® genügen, um einen Wolkenbracb
von 0.72 mmßÜTL Regenhöhe zu unterhalten. Ein solcher Luftatrom wnide
nur die kleinsten Tröpfchen unter 0.2 mm Durchmesser am Herabfallen ver-
hindern, er kann aber im übrigen den eigentlichen Regentropfen gpegenüber ab
nicht vorhanden angesehen werden. Stärker aufsteigende Luftströme werden
dagegen einen bedeutenden Einfluß auf den Charakter der unten ankonunendeo
Tropfenmischung haben müssen. Eine Geschwindigkeit von 8 sr/SeL
würde sogar alles Herabfallen von Regen verhindern, und darüber hinaas*
gehende Creschwindigkeiten würden, solange und soweit sie bestehen, belidiig
große Wassermengen in beliebige Höhen hinaufheben können. Eine konstaat
vorhandene Gieschvrindigkeit von 7 m/Sek. würde nur die GrößenUasKo
3.5 mm und darüber fallen lassen, alle kleinem aber oben halten, und für 6, 5,
4 m/Sek. würde die kleinste noch fallende Klasse 2.5, bzw. 1.5, 1.0 am
sein. Erst bei 3 m/Sek. könnten zum ersten Male alle GrößenklasBen auf
der Auffangfläche erscheinen. Regen, deren Zusammensetzung den Luft-
geschwindi^eiten 7, 6 und 5 m/Sek. in dieser Weise entspradie, habe ich
nie beobachtet. Dennoch können aufsteigende Luftströme dieser Geschwindig-
keiten nicht selten sein, denn sie kommen horizontal oft vor. Es wird ihnen
aber die zur Sonderung der Tropfenffrößen nötige Kontinuität fehlen, wie auch
die horizontalen Luftströme niemus kontinuierlich sind."
„Liegt die obere Grenze der aufsteisenden Geschwindigkeit nicht weit
unter 8 m/Sek. oder darüber, so wird der Luftstrom zeitweilig, bzw.
stellenweise, beträchtliche Wassermengen in große Höhen werfen können, wobei
den Tropfen Zeit zum Anwachsen g^eben ist, so daß auch der erörterte
Prozeß des Zerfahrens und Wiederanwachsens sich wird abspielen können. &
werden daher zu Zeiten, bzw. an Stellen geringerer Windgeschwindigkeit über-
wiegend Tropfen der größten Klassen — oder, wenn oben Frieren stattgefunden,
Hagelkörner — von solchen Umwegen herabkommen, während die ffleiehzeitig
direkt aus der Wolke fallenden Tropfen viel kleiner sein müssen. Zusammen-
fassend kann man den Charakter der Tropfenmischung, welchen staike, dis-
kontinuierliche, aufsteigende Luftströme erwarten lassen, beechreiboi als be-
stehend in dem Fehlen oder sehr verminderten Vorhandensein der kleinsten
Tropfenklasse, in dem Vorhandensein größter, eben noch beständiger Tapfen,
vermischt mit kleinen, aber beim Fehlen von Zwischenstufen." TroL haoard
hat für R^en dieser Tropfenmischung den Namen „tnmultuarisch" gewählt.
Niedenehlfige. 315
Diesen stehen die stillen B^en gegenüber. „Ein aufsteigender Luft-
strom mit Geschwindigkeiten zwischen 2 und 0 m/Sek. genügt, wie erwähnt,
zur Speisung gewöhnlicher Regen, laßt aber die Bewegung und das Wachaen
der eigentlichen Regentropfen im wesentlichen wie in ruhender Luft vor sich
gehen, auch wenn seine Geschwindigkeit in diesen Grenzen veränderlich ist;
dtdier der für Regen dieser Art gewählte Name Hierher gehören wohl die
meisten gewöhnlichen Landregen. Die Größe jedes unten ankonmienden
Tropfens kann in diesem Falle proportional der Dicke der von ihm durch-
fallenen Wolkenschicht gesetzt weitlen. Regnete daher eine homogen be-
schaffene Wolke aus ihrem ganzen Volumen gleichmäßig, so müßte sie gleichviel
Tropfen jeder Klasse liefern, von der kleinsten bis zur größten überhaupt ver-
tretenen. Dies scheint aber nicht oft vorzukommen. Es finden sich meist
mehr kleinere als größere Tropfen, was anzeigt, daß die meisten Tropfen in den
untern Teilen der Wolkenschicht ihren Ursprung nehmen. Übergänge von
stillem zu tumultuarischem Charakter von Regen werden stattfinden müssen,
wenn die aufsteisende Luftseech windigkeit zwar 2 m/Sek. übersteigt aber
8 m/Sek. nicht näe kommt.
Die unmittelbare Kondensation der atmosphärischen Feuchtig-
keit aus Wollsen auf hoclüiegenden Fliehen. Im südwestlichsten
Teile von Kapland fällt in den (Sommer-) Monaten Dezember,
Januar und Februar nur 8% der jährlichen Regenmenge, ja bis-
weilen in zwei Monaten kein Tropfen. Die Vegetation ist dann dem-
entsprechend ärmlich, dagegen findet man in den höher liegenden
Berggebieten eine recht üppige Vegetation, trotzdem auch dort
eigentliche Regenfälle während der Sommermonate sehr selten sind.
R. Marloth hat nun beobachtet, daß, wenn diese hohen Gebiete bei
Südostwind von Wolken bedeckt werden, die Gräser und Büsche
sich mit Wassertropfen bedecken. Um diese Kondensation genauer
festzustellen, errichtete er ^) im Sommer 1902 bis 1003 auf dem Tafel-
berge eine Station mit zwei Regenmessern, von denen einer wie ge-
wöhnlich konstruiert war, während der andere ein Drahtgewebe
besaß, in welchem Riedgräser befestigt waren. Als am 1. Januar 1003
(nach 21 Tagen) beide Regenmesser revidiert wurden, war der erst-
genannte trocken, der andere dagegen enthielt 14.64 engl. Zoll Wasser.
Während eines Zeitraumes von 56 Tagen wurden in dem offenen
Regenmesser 4.07 Zoll Wasser, in dem mit Riedgräsern bedeckten
70.84 Zoll abgelesen; hier war also eine Menge Feuchtigkeit konden-
siert, welche 74.87 Zoll Regen entsprach, außerdem war die drei
letzten Male der Regenmesser übergeflossen. Da nun die Jahreszeit
der Südostwolken doppelt solange dauert als der Versuch, so ist die
Annahme nicht übertrieben, daß im Sommer, abgesehen vom Regen,
eine Kondensation von mindestens 160 Zoll der Vegetation zuge-
führt wird.
Der Sehneesturm vom 18. bis 20. April 1903 in Ostdeutsehland
ist von Dr. G. Schwalbe dargestellt worden. ^) Dieser Schneesturm
1) Traiuact. of the South Afrioan. Phiioa Soo. 14. p. 403.
>) Annalen d. Hydrographie usw. 1904. p. 02.
316 Kiedenohlige.
gehört zu den hervorragendsten Witterungsanomalien der letzten
Jahrzehnte, und zwar ist er aus zwei Gründen bemerkenswert, näm-
lich einmal wegen der großen Niederschlagsmengen in Form von
Schnee, welche vielfach eine Schneedecke erzeugten, die nicht nur
für die Jahreszeit eine ungewöhnhche Höhe erreichte, sondern selbst
im tiefsten Winter als abnorm angesehen werden müßte. Außeid^n
aber muß der am 19. herrschende außerordentlich heftige Storm
hervorgehoben werden, indem an diesem Tage ein staikes Zusammeii-
drangen der Isobaren erfolgte, welches nach der Wetteriage der
vorangehenden Tage nicht hatte vorausgesehen werden können.
Die Ergebnisse, zu welchen Verfasser gelangt, faßt er in folgende
Sätze zusammen:
1. Die stcu'ken Schneefälle am 19. und 20. April 1903 über einem
großen Teile von Ostdeutschland sind als die Folge des FortschreiteDS
eines über OberitaUen gelegenen Minimums, etwa auf der Zu^trafie
VB, nach Norden und für die nördlichem Teile des betroffenen Ge-
bietes gleichzeitig der Vereinigung dieses Minimums mit einem
zweiten, welches am Abende des 17. über der Ostsee lag, anzuaehoL
2. Der Sturm, welcher die Schneefälle begleitete, ist in erst»
Reihe aus der bedeutenden Vertiefung des Luftdruckes, welche bei
der Vereinigung der beiden Minima eintrat, während der Luftdruck
im Westen unverändert hoch blieb, zu erklären.
3. Die Tatsache, daß der hohe Luftdruck bei Annäherung des
Minimums seinen Ort nicht veränderte, sondern sich längere Zeit
hindurch unverändert hielt, erklärt sich zum Teile aus dem Heran-
nahen einer neuen Depression im Westen. Unerklärt bleibt hierbei
die Tatsache, daß das Maximum sich zunächst nicht verflachte.
4. Der ziemlich plötzliche Übergang von trockenem Wetter im
Westen zu sehr niederschlagsreichem im Osten der Elbe kann nur
durch den Verlauf der Isobaren in einem hohem Niveau seine Er-
klärung finden.
Die StaubtftUe vom 19. bis 28. Februar 1908 über dem nord-
atlantischen Ozeane, Großbritannien und Mitteleuropa hat Fmi.
Dr. E. Herrmann untersucht. ^) Der Staub rührte von einem Sand-
sturme in der Sahara am 18. Februar 1903 her, wo an jenem Tage
starke atmosphärische Störungen stattfanden, die im AUasgebiete
reiche Niederschläge brachten. Der Unterschied gegen den Staub-
fall vom März 1901 bestand darin, daß der Staub nicht wie damab
mit einer nach Norden sich fortpflanzenden Depression fortgeführt
wurde, sondern daß er mit der herrschenden Luftströmung in ferne
Gegenden gelangte. Über dem mittlem uad westlichen Europa,
1) Annalen d. Hydrographie usw. 1903. Heft 10 u. 11. — Natnnr.
Rundschau 1904. p. 97.
NiedenoUäge. 317
' emern Teile des nordweBtlichen Afrika und den an Westeuropa an-^
' grenzenden Meeresgebieten lag nämlich am 18. Februar ein abge-
' rundetes Hochdruckgebiet mit einem Maximum des Luftdruckes
^ von über 780 mm über dem nordwestlichen Alpengebiete. Biesea
' Hochdruckgebiet war rings umgeben von einem Gebiete niedrigera
i Luftdruckes, in dem lebhafte zyklonale Erscheinungen auftraten.
Femer befand sich zwischen den Azoren und den Kanarischen Inseln
i eine Depression, welche den Passat in jenen Gegenden störte. Nach
^ Nordwesten und Norden hin war das Maximum durch ein großea
i Depressionsgebiet begrenzt. Nach dem Osten Bußlands hin nahm
der Luftdruck gleichfalls ab. Von der östlichen Luftströmung der
hohem Schichten der Atmosphäre im Süden des Hochdruckgebietes
I getragen, wurden die Staubmassen nach den Kanarischen Inseln
geführt. Sie gelangten so an die Südwestseite des Hochdruck-
gebietes, und hier teilte sich die staubführende Strömung. Ein Teil
schlofl sich den südöstlichen Winden an der Südwestseite des Hoch^
druckgebietes an und nahm die Richtung nach den Azoren; der
andere Teil wurde in südlicher Richtung abgelenkt. Indem sich
nanüich der höhere Druck sowohl von Nordosten her über Madeira
und die E^anarischen Inseln als auch von Westen her in der Um-
gebung des 40. Breitengrades weiter vorschob, so daß in diesen
Gegenden ein von Westen nach Osten in Zusammenhang stehendes
Hochdmckgebiet sich bildete, wurde die Passatströmung wieder
hergestellt, welche den Staub bis in die Gegend der Kap Verdischen
Inseln führte. Aber auch der nach Nordwesten getriebene Staub
erfuhr in der Gegend der Azoren eine nochmalige Teilung. Indem
namhch im Laufe des 21. Februar auch südlich und südöstlich von
den Azoren eine nördliche und nordösthche Luftströmung einsetzte»,
wurde ein Teil des Staubes von den Azoren in westlicher und süd-^
westhcher Richtung vertrieben. Der größere Teil wurde aber von
der sehr lebhaften südwestlichen Luftströmung in den Grenzgebieten
des Hochdruckgebietes gegen eine tiefe, über dem Nordatlantischen
Ozeane liegende Depression aufgenommen. Mit dieser Luftströmung
ist der Staub nach Großbritannien und Mitteleuropa gelangt.
Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Staubfälle war auf dem
ganzen Wege 20 bis 26 m in der Sekunde, etwa wie im März 1901.
Naturgemäß fielen näher am Ursprungsorte zunächst die grobem
Staubteile heraus: In Belgien war der Staub noch sehr konsistent;
in den südlichsten Teilen Zentraleuropas äußerte er sich nur noch in
einer Dunstbildung. Die besondere Erwärmung und Trockenheit,
welche in jenen Tagen in vielen Gegenden Mitteleuropas beobachtet
wurde, erklärt der Verf. aus einer Mischung der über Europa hin-
streichenden Luft mit aus südlichem Gegenden stammender, wärmerer.
Auch wurden die in der Luft schwebenden Staubteilchen unmittelbar
durch die Sonne erwärmt und hierdurch die Temperatur und Trocken^
heit der Luft nicht unwesentlich gesteigert.
318 Niedenehlige.
Der StaubtaU des 19. April 1908 im mitttern Eibgebiete ist ▼«
Dr. Meinardus untersucht worden. ^) Dieser StaubfaJl hatte hier-
nach seinen Ursprung nicht in der Sahara, sondern stand mit den
schweren Stürmen und Schneefällen in Verbindung, die tun diese
Zeit das östliche Deutschland heimsuchten.
Auf der Westseite einer tiefen Depression, die, aus Süden ge-
kommen, am Abende des 18. April über Polen lag und von dort lang-
sam nach der ostpreußischen Küste fortschritt, entwickelten sich im
Laufe des 18. stümusche Winde aus dem nordwestlichen Quadrant^!,
die in den östlichen Provinzen von um diese Jahreszeit ungewöhnlich
starken Schneefällen begleitet waren. Im Laufe des 19. erreichte die
Luftbewegung an vielen Orten orkanartige Starke, so daß die nieder-
fallenden Schneemassen meist zu hohen Schneewehen aufgetürmt
wurden, die, wie erinnerhch sein wird, auf vielen Eisenbahnstiecken
tagelang den Verkehr vollständig unterbanden.
Am 19. April, als der Nord- und Nordweststurm die größte
Litensität erreichte, nahm im Laufe der Vormittagsstunden auf einon
Gebiete, das, soweit es sich aus den eingesandten Berichten ersehen
läßt, das südliche Brandenburg, Teile des Königreichs Sachsen und
Nordböhmens umfaßt, der Himmel eine schmutzige, gelbbraune
Färbung an, die bis gegen Abend anhielt. Dabei wurde an vielea
Orten, an denen gleichzeitig Schneefall auftrat, ein graubrauner
Staubniederschlag beobachtet, der besonders im südöstUchen Branden-
burg und auf der Schneekoppe größere Intensität gehabt hat, so daß
es gelang, Staubproben als Bückstände aus geschmolzenem Schnee
in großem Quantitäten zu sammeln.
Es handelt sich hier um ein zwar lokal beschränktes Phänomen,
aber eines von bedeutender Intensität, wenn man bedenkt, daß viele
Stunden lang bei anhaltendem Sturme Staubmassen in deraelbea
Richtung an den Beobachtungsorten vorüber getragen wurden.
Dr. Meinardus kam zuerst während der Beobachtung auf den Ge-
danken, daß es vielleicht die Rauchmassen der nahen Großstadt sein
könnten, die an seinem Wohnorte die Luft undurehsichtig machten.
Indes mußte er diese Erklärung bei näherer Erwägung von der Hand
weisen, da der Wind nordwestlich war, und die stärkste Trübung in
dieser Richtung lag, während der Hauptteil der Stadt sich im Norden
und Nordosten befindet. Auch schien die braungelbe Färbung der
Luft nicht wohl durch Kohlendünste veranlaßt zu sein, und der dureh
die Fensterritzen eindringende Staub zeigte eine ziemhch grobkörnige
Struktur und die Farbe von Ackererde. Da der Boden in den nord-
westlichen Teilen von Brandenburg und Sachsen, sowie in Mecklen-
burg um diese Zeit noch schneefrei war, so lag es nahe, anzunehmen,
daß der mit unerhörter Ejraf t tobende Sturm auf weite Stxecken hin
Staub von dem Acker- und Sandboden aufwirbelte und nach Soden
1) Daa Wetter 1903. Heft 12.
Niedenohläge. 319
und Südosten hin mit sich trug. Diese Erklärung findet eine Stütze
durch die Ergebnisse der mineralogischen Analyse, die von Dr.
F. V. Wolff an einigen der eingesandten Staubproben vorgenommen
wurde.
Nach der ganzen Lage der Verhältnisse am 19. April dürfte die
Erscheinung somit genügend erklärt sein. Die Trübung der Luft und
der Staubfall zeigten sich in und südhch von den Gebieten, die noch
schneefrei waren, während der größten Intensität des Sturmes. Daß
nicht auch später bei anhaltendem Sturme der Luft Staub beigemengt
war, ist nicht verwunderUch, da sich in der Nacht vom 19. zum
20. April in den nördlichen Gebieten ebenfalls Schneefall einstellte
und dadurch den Boden der Deflation entzog.
Ein sogenannter Tintenregen ist in den Morgenstunden des
16. März 1903 über die Stadt Louisburg in Nordcarolina nieder-
gegangen. Aus Neugierde wurde das schwarze Wasser aus den
Pfützen von den Eingeborenen vielfach gesammelt und aufgehoben,
und so kam es in die Hände von zwei Professoren der Nordcarolina-
universität, die das Ergebnis ihrer Prüfung in der „Science** ver-
öffentUchten. Etwa 60% des Rückstandes bestanden aus organischen
Stoffen, hauptsächlich aus Ruß. AuffaUend jedoch war der Gehalt
an Mineralien, namentlich Chlorverbindungen, unter denen das Koch-
salz in größter Menge. Außerdem waren noch andere Natrium- und
einige Kalziumsalze vorhanden, sodann Spuren von Eisen, Mangan,
Aluminium und Zink. Vor dem Niedergange des Regens waren keine
besondem Erscheinungen bemerkt worden, außer einer ungewöhnlich
schwarzen Wolke, die eine so dichte Dunkelheit verbreitete, daß für
eine halbe Stunde die Lampen angezündet werden mußten. Es hatte
schon mehrere Tage vorher geregnet, ehe das ungewöhnliche Ereignis
eintrat. Nach einigen Tagen wurde das bis dahin völUg schwarze
Wasser in den Pfützen klar, nachdem sich die schwarzen Sinkstoffe
daraus niedergeschlagen hatten. Wodurch die eigentünüiche Färbung
des Regens entstanden war, Ueß sich nicht ermitteln, obgleich aus
der chemischen Untersuchimg zu entnehmen ist, daß eine starke Ver-
unreinigung der Luft durch Kohlenrauch dabei im Spiele gewesen
sein muß. Eine derartige Schwarzfärbung von Regen und Schnee
ist überhaupt zuweilen beobachtet worden, jedoch müssen die sie
bedingenden Verunreinigungen der Luft zeitweilig einen sehr weiten
Transport durch den Wind erfahren.
Einfluß des Mondes auf die Niederschläge. Guido Lamprecht
(Bautzen) hat eine Untersuchung hierüber angestellt. „Untersucht
man," sagt er, „den Einfluß der synodischen Bewegung des Mondes
auf das Wetter oder den der anomalistischen getrennt für sich, so
findet er sich im Durchschnitte der Jahrzehnte gleich Null. Dag^ien
zeigt er sich über Erwarten groß, wenn man die Neumonde und Voll-
330 Niedenohlä^.
monde trennt, je nachdem sie mit der Erdnahe zusammenfaUen
oder nicht.
Um monatliche Wetterbeobachtungen nach dieser zusammen-
gesetzten Periode zu gruppieren, hat er die einzelnen SteUungen de»
Mondes in jedem dieser Kreisläufe nach Hundertstebi ausgedrückt
und dann für den Anfang des Monates ihren Unterschied gebildet
Es wurden alsdann die Beobachtungen geordnet nach Zehnteln der
Differenz: Mittlere AnomaUe (d. i. der Winkel: Erde — ^Mond in der
elliptischen Mondbahn von der Erdnahe ab gezahlt) weniger mitUeie
Phase (Winkel: Erde — ^Mond von der Richtung Erde — Sonne ab ge-
messen). Bei 0.00 dieser Periode fallt also die Erdnahe auf den Neo-
mond, bei 0.26 auf das letzte Viertel, bei 0.60 auf den Vollmond, bei
0.76 auf das erste Vierte]. Die Dauer dieser Doppelperiode betfigt
411.79 Tage.
Lamprecht benutzte nun die monathchen NiederBchlagsaummen
1. von 40 norddeutschen Stationen in den 38 Jahren von 1857 b^
1894 und 2. von durchschnittUch 98 Stationen auf Java und MadeiFa
in den 24 Jahren von 1879 bis 1902. Diese niederländischen Beob-
achtungen umfassen die ungeheuere Niederschlagssumme von 5900«.
In jeder Monatsreihe wurde endlich die halbe Anzahl mit den größten
Summen als naß, die andere Hälfte als trocken bezeichnet, um den
Einfluß der Jahreszeiten mögUchst auszuschalten.*'
Das Ergebnis ist folgendes :
Zehntel der Mondperiode ....
Norddeutsohland :
Zahl der trocknen Monate
„ naaaen
Java: „ „ trocknen „
„ nassen
Die Zahlen besagen folgendes: In Norddeutschland wie auf Java
ist, abgesehen von andern Ursachen, Trockenheit zu erwarten, wenn
die Erdnähe des Mondes dem Neumonde näher liegt als dem Voll-
monde (Nordd. 10. Zehntel der Tabelle 34 : 14, Java 1. Zehntel 21 : 8),
umgekehrt Nässe, wenn die Erdnähe dem VoUmonde naher fiUt als
dem Neumonde (4. bis 7. Zehntel der Tabelle: Nordd. 75 : 106, Java
46 : 70). Diese Regel gilt für alle Länder, wo der meiste Regen beim
höchsten Sonnenstande fällt.
„Femer, *' sagt Lamprecht, „ist deutUch zu erkennen, warum
man keinen Einfluß des Mondes auf den Niederschlag feststellen
kann, wenn man nur den sjmodischen oder nur den anomalistiachen
Monat allein untersucht, denn die Stellung Vollmond — ^Erdnahe
(= Neumond — Erdferne) erzeugt im Mittel mehr Niederschlag, die
Stellung Vollmond — Erdfeme (= Neumond — ESrdnähe) mehrTrocken-
heit, und das gleicht sich gerade aus, wenn man diese von mir ge-
trennten Stellungen nicht unterscheidet."
3. 4. 6. 6. 7.
8. 9. 10. 1. 2.
V(dlmond-£rdnähe
Neumond-Erdnahe
23 21 20 19 15
26 27 34 23 2D
23 26 22 26 32
19 18 14 22 16
16 13 10 13 10
13 15 18 21 16
16 18 17 16 19
15 13 11 8 11
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Jahrbuch XV, 1904.
Tafel VI.
in 10000 Fuß Höhe
Lnftbewegang, Wind nnd Starm. 321
Luftbewegung, Wind und Sturnn.
Die allgemeine Zirltulation der Atmosphäre ist von W. HQde-
brandsson und Teissereno de Bort auf Grund ihrer Untersuchungen
dargesteUt worden.^) Die Ergebnisse faßt Schlee wie folgt zu-
sammen: 2)
1. t)ber dem thermischen Äquator und den „äquatorialen Kal-
men'' existiert während des ganzen Jahres eine Strömung aus 0,
welche in großen Höhen eine sehr große Geschwindigkeit zu haben
scheint.
2. tTber den Passaten herrscht ein Antipassat, der auf der nörd-
lichen Halbkugel aus SW und auf der südlichen aus NW kommt.
3. Dieser Antipassat überschreitet nicht die polare Gren^ des
Passates. Er wird auf der nördlichen Hemisphäre mehr uhd mehr
nach rechts und auf der südlichen nach links abgelenkt, so daß er
schHeßlich zu einer Westströmung über dem barometrischen Maximum
der Wendekreise wird, wo er herabsteigt, um den Passat zu speisen.
4. Die Regionen, welche an der äquatorialen Grenze des Passates
liegen, treten je nach der Jahreszeit bald in den Passat, bald in die
äquatorialen Kalmen ein. Über ihnen gibt es folglich einen obem
Monsun : den Gegenpassat im Winter und den äquatorialen Oststrom
im Sommer.
5. Von den Hochdruckgebieten der Wendekreise nimmt der Luft-
druck im Durchschnitte kontinuierlich nach den Polen zu ab, wenigstens
bis über die Polarkreise hinaus. Daher wird die Luft der gemäßigten
Zonen in einen ungeheuem polaren Wirbel hineingezog<9n, der sich
von W nach 0 dreht. Diese Drehbewegung scheint von derselben
Natur wie diejenige einer gewöhnlichen Zyklone zu sein: die Luft der
untern Schichten nähert sich dem Zentrum, die der obem entfernt
sich mit zunehmender Entfernung vom Erdboden immer mehr davon,
bis zu den höchsten Regionen, aus denen wir Beobachtungen haben.
6. Die obem Luftschichten der gemäßigten Zonen breiten mch
über die Hochdrackgebiete der Wendekreise hin aus nnd sinken
dort herab.
7. Die Unregelmäßigkeiten, welche man an der Erdoberfläche
findet, und zwar besonders in den asiatischen Monsungegenden, ver-
schwinden im allgemeinen schon in der Höhe der ontem oder mittlem
Wolken.
Die Hypothese einer vertikalen Zirkulation zwischen den Wende-
kreisen und den Polen, welche man bis jetzt, Ferrel und J. Thomson
folgend, angenommen hat, muß völlig aufgegeben werden.
1) Les baaeft de la mMorfAone dynamisque 1903. Livr. 6. Paris.
^) Petermanns liitteü. 1904. Nr. 8. Literaturber. 16.
Klein, Jahrbuch XV. 21
322 Laftbew^gung, Wind und Stomi.
Dieee Satae stimmen mit denjenigen, welche ProfoBBor
Hildebrandflson über die allgemeine Bewegung der Eidatmosphaie
auf Grund der Cirrusbetrachtungen aufgestellt hat, im wesentüdiea
übeiein. ^)
Untenuchimgen über vertikale Luftströmim^n hat I>r. Fdix
M. Exner angestellt, die von großer Wichtigkeit sind.*) TataacUicb
sind zwar wohl die horizontalen Bewegungen der Luft für deren
Bruckverteilung auf der Erdoberfläche am maßgebendsten, aDein
geringe vertikale Bewegungen, die auf den Druck von kaum melk-
barem Einflüsse sind, bedingen das Erscheinen des heitern Himmeb»
der Wolken, des Niederschlages, kurz, bestimmen den Gesamtbegrifi
„Wetter**, und so müssen jene, wenn auch für die dynamische Meteo-
rologie von geringerm Belang, für die eigentUche Wetterkunde von
großer Wichtigkeit sein.
Indem Dr. Exner unternahm, die Bedingungen vertikaler Luft-
bewegungen an der Hand der Hydrodynamik unter einfachen Vomis-
setzungen festzustellen, findet er u. a., daß bei vertikalen Bewegung^
der Luft im stationären Zustande die Abnahme des Druckes mit der
Höhe stets derart sein müßte, als würde eine vermehrte Schwerkraft
wirken, gleichgültig ob in Zyklonen oder Antizyklonen.
Dr. Exner betont, daß es bei Voraussetzung des stationären Zu-
Standes nicht möglich ist, aus einer gegebenen Druckverteilung in
der Vertikalen die bestehende Bewegungsrichtung in dieser zu de-
duzieren, und daß es im allgemeinen zur Vorherbestimmnng der ein-
tretenden Änderung nicht genügt, die Druckverteilung in der Verti-
kalen zu kennen; auch die Kenntnis der bereits vorhandenen Be-
wegungen ist für dieselbe noch erforderUch, wodurch das Problem
einer Vorausbestimmung der Luftbewegungen noch komplizierter
erscheint.
Exner findet femer aus seinen Formeln, daß bei gleichmaßiger
Druckverteilung der absteigende Luftstrom ein Steigen des Druckes,
der aufsteigende ein Fallen desselben zur Folge hat.
Dies steht in Übereinstimmung mit der sogenannten EiiialtungB-
tendenz der Witterung und dürfte wohl deren physikalische Er-
klärung sein.
Femer ist unter sonst gleichen Verhältnissen die vertikale Be-
wegung in warmen Gebieten größer als in kalten und bei hohem
Drucke kleiner als bei niederm. Diese Folgerungen gelten aber mit
Ausnahme der beiden letzten nur für die Nähe der Erdoberfläche;
für größere Höhen kehren sich die Verhältnisse um.
1) Dieses Jahrb. 14. p. 360.
•) SiteungBber. d. k. k. Akad. Wieo. Mathem. naturw. Kl. 11t.
Abt. Ha.
LuftbewegUDg, Wind und Btarm. 323
Es scheint also, daß die Bedingung des verhältnismäßig tiefen
Druckes zur Bildung von Niederschlag, wie sie unten galt, oben um-
gekehrt ist: Wenn in größerer Höhe der Druck an einem Orte gegen
seine Umgebung verhältnismäßig hoch ist, dann wird daselbst
Niederschlag sich bilden können. Ein Versuch, diese Verhältnisse
aus den Beobachtungen abzuleiten, hat die Theorie bestätigt und
zugleich eine Möglichkeit gegeben, die Größe der vertikalen Geschwin-
digkeit aus der DruckverteUung zu berechnen.
Um Theorien an der Hand der Tatsachen zu prüfen, war es not-
wendig, Wetterkarten für eine größere Höhe zu berechnen. Dr. Exner
wählte dazu die Höhenstation Sonnblick in der Hoffnung, daß der
au&teigende Luftstrom daselbst trotz der Umgebung der Berge schon
ziemlich ausgebildet sein werde ; der Gipfel des SonnbUckes ist ja ziem-
hoh spitz. Es wurden aus dem Jahre 1899 jene Tage ausgesucht, an
welchen daselbst ein Niederschlag von 10 mm und darüber gefallen
war; deren sind 64. Für diese Tage wurden mit Benutzung der
Gipfelstationen Wetterkarten für die Höhe von 2600 m gezeichnet;
allerdings wäre eine größere Höhe für die Untersuchung vorteilhafter
gewesen, doch ist bei den vorhandenen Beobachtimgspunkten (Ben
Nevis, Ätna, Pic du Midi, Säntis, Sonnblick, Obir usw.) die Berech-
nung der Barometerstände wohl für 2600 m am ratsamsten.
Diese Wetterkarten zeigen nun schon bei bloßer Betrachtung
zumeist im Bereiche des Sonnblickes, also dort, wo Niederschlag ge-
fallen war, den Druck verhältnismäßig höher als in dessen Umgebung,
während wir bei den Wetterkarten, die aufs Meeresniveau reduziert
sind, uns daran gewöhnt haben, die Niederschläge im Bereiche des
tiefsten Druckes zu suchen.
Es dürfte demnach als durch die Beobachtungen bestätigt gelten,
daß die der Erdoberfläche zunächst liegenden und die hohem Schich-
ten der Atmosphäre sich bezügUch der Bedingungen für die Ent-
stehung eines vertikalen Luftstromes gerade umgekehrt verhalten:
An der Erdoberfläche bedingt bei stationärem Zustande tiefer Druck
aufsteigenden, hoher Druck absteigenden Luftstrom; in der Höhe
findet aufsteigender Strom bei hohem Drucke, absteigender bei
tiefem statt.
Wenn wir daher, so schließt Dr. Exner seine wichtige Unter-
suchung, z. B. vollkommen heitern Himmel über uns haben, der auf
absteigende Luftbewegung schheßen läßt, so müssen wir an der Erd-
oberfläche verhältnismäßig hohen, in der Höhe tiefen Druck voraus-
setzen; die Druckabnahme muß daher hier eine raschere sein als in
der Umgebung, was der Fall sein wird, wenn auch die Temperatur
daselbst rascher abnehmen wird; und tatsächlich ist im absteigenden
Luftstrome die Abnahme der Temperatur mit der Höhe größer als
sonst. Es scheint also auch dieser Schluß die Folgerungen aus der
Theorie zu bestätigen. Im Grunde bedeutet dieselbe einfach: Wenn
der Druck sich mit der Zeit nicht ändert, und an einem Orte horizontal
21*
334 Lnftbewagoiig, Wind und Stonn.
mehr Luft ab- als zuströmt, so maß zur Ersetzung derselben ein
vertikaler Luftstrom, wenn derselbe konstant ist, nach aufwiits
gerichtet sein, um dichtere Luft an den Ort hin-, dünnere aber weg-
zutransportieren und umgekehrt. Ist aber ein bis in große Höben
reichender aufsteigender Strom vorhanden, der unten tiefen, oben
hohen Druck bedingt, so muß die Temperaturabnahme daselbst eine
langsamere sein als in der Umgebung. Der Wasserdampf , welch«
diese Temperaturverteilungen tatsachlich verursacht, scheint ako
die Bedingungen für die Ausbildung großer vertikaler Bewegungm
zu schaffen.
Betrachten wir anderseits z. B. den Fall eines bis in größere
Höhen hinaufreichenden tiefen Druckes, wie er wohl gewiß in einsm
Wirbelsturme obwalten wird; dann soll an der Erdoberfläche auf-
steigender, in der Höhe absteigender Luftstrom vorhanden sein.
Unwillkürlich erinnert dies an das sogenannte „Auge des Sturmes*',
»in Aufklaren im Zentrum, das wohl auf absteigenden Loftstrom
zurückzuführen ist. Leider muß eine genauere Bestätigung dieser
Ansichten der Zukunft überlassen werden.
AUgemein laßt sich also sagen: Im stationären Zustande wird
tiefer Druck an der Erdoberflache aufsteigenden, in der Höhe ab-
steigenden, hoher unten absteigenden, oben aufsteigenden Luftstrom
zur Folge haben; umgekehrt wird bei absteigendem Luftstrome in
der Höhe tiefer, unten hoher Druck, bei aufsteigendem aber oben
hoher, an der Erdoberfläche tiefer Druck herrschen und danach die
horizontale Bewegung sein.
Ob die besprochenen Gesichtspunkte zur weitem Erklärung
mancher Erscheinungen in den hohem Luftschichten verwmidbar
sein werden, und ob es von Vorteil sein kann, aus den telegraphischen
Meldungen der Höhenstationen ein Bild der Druckverteilung in der
Höhe zu gewinnen und nach diesen Gesichtspunkten zu beurteilen,
um dasselbe vielleicht für die Prognose verwerten zu können, muß
noch dahingestellt bleiben.
So viel scheint aus den obigen Ausführungen wohl zu folgen, daß
an eine wirklich exakte Behandlung des Problemes der Luftbewegun-
gen für die täglichen Wetterprognosen mit Hilfe des jetzt vorhandenen
telegraphischen Beobachtungematerialee nicht gedacht werden kann.
Selbst die Kenntnis des Druckes und der Temperatur sowohl in ihrer
horizontalen wie vertikalen Verteilung würde für die Wettervorher-
sage nicht ausreichen; es bedürfte dazu noch der Kenntnis der verti-
kalen Geschwindigkeit. Die genügen Erfolge der Prognose sind
somit hauptsächlich auf Mangel von Berichten, nicht aber auf fehler-
hafte Behandlung des Gegenstandes zurückzuführen. Bis daher nicht
das Beobachtungsmaterial eine wesentliche Vermehrung erhhren
haben wird, dürfte der rein empirische Weg der einzige für den
Fortschritt in der Wetterprognose bleiben.
Lnftbewegung, Wind nnd Sturm. 325
Ober die Meehanik der Luftbewegttng in Zyklonen und Antt-
• lyklonen hat Frank H. Bigelow bemerkenswerte Untersuchungen
I veröffentlicht,^) in der er sich gegen die Ansicht ausspricht, die
; Zyklone sei ledighch ein Wirbel innerhalb einer nach Osten gerichteten
aUgemeinen Luftströmung. Auf Grund der systematischen Beob-
achtungen, welche auf Veranlassung des nordamerikanischen Wetter-
[ bureaus angestellt werden, konstruierte Verf. den Verlauf der Iso-
baren an der Meeresoberfläche in 3600 Fuß (1067 f») und in
10 000 Fuß (3048 m) Seehöhe und kommt zu dem Ergebnisse, daß
sich die Atmosphäpre in einer ununterbrochenen Bewegung um den
Pol von W nach O befindet, innerhalb deren die sogenannten
Depressionen und Maxima eine mehr lokale oder vorübergehende
BoUe spielen. Diese entstehen durch Eindringen von warmen in
kältere Luftmassen.
Bigelow gibt eine Darstellung des Verlaufes der Isobaren über
' den Vereinigten Staaten am 3. Februar 1903 für die drei oben ge-
[ nannten Niveaus, die auf Tafel VI reproduziert ist. Die schwarzen
' Linien in Fig. 1 stellen nach den Beobachtungen die Isobaren im
Meeresniveau dar, wobei der Barometerstand in englischen Zollen
[ und Zehnteln derselben ausgedrückt ist. Fig. 2 zeigt in den ungeteilten
! schwarzen Linien die Verteilung des Luftdruckes für den
I 3. Februar 1903 in 3600 Fuß Höhe an. Die gebrochenen Linien
[ bezeichnen dagegen die Luftdruckverteilung an dem nämlichen
Tage in 10000 Fuß Höhe.
Der Chinookwind. A. Burrow gibt eine interessante Schilderung
dieses Windes. Die Bewohner der nordwestUchen Staaten der Union
vom Ostabhange des Felsengebirges bis zur Küste des Großen Ozeanes
kennen diesen warmen Winterwind längst, und er führt dort den
Namen Chinook ; allein seine eigentUche Natur ist erst später zutage
getreten. Man hat in diesem Winde ledighch einen Föhn zu erbUcken,
neben dem aber der Föhn unserer Alpen in bezug auf Ausdehnung
seines Gebietes vöUig verschwindet. Unter dem Einflüsse des
Chinook steigt die Temperatur bisweilen im Zeiträume von weniger
als einer Stunde um 20°. Dann rast der Wind mit Orkangeschwin-
digkeit dahin, frißt längs den Abhängen und auf der Ebene den
Schnee im Augenblicke und erzeugt an Stelle der winterlichen Kälte
eine fast sommerliche Hitze. Nach dem Berichte von Burrows war
in Montana 1896 der Winter so früh und mit solcher Strenge einge-
treten, daß die Viehzüchter den Verlust ihrer Herden vor Augen
hatten. Am 1. Dezember aber sah man an vielen Orten den bis
dahin wolkenlosen Himmel sich rasch mit düsterm Gewölk über-
ziehen, diesem folgte ein rapides Steigen der Lufttemperatur, der
Wind setzte mit großer Gewalt ein, und in einem halben Tage war
1) Monthly Weathor Review 1903. 31. Nr. 2. 1904. St Nr. 5.
326 LnftelelrtrizitiL
die über zwei Fuß hohe Schneedecke verschwunden. Ohne den
Chinook könnten die Viehzüchter jener Gegend ihre Tiere wahr-
Boheinhch nicht durch den Winter bringen. Unter seinem Rinfluiwe
taut der Schnee nicht eigentlich auf, sondern verdunstet fast sofort,
in kurzer Zeit hat der Wind die ganze Prärie völlig getrocknet. Dm
günstige Klima von Saskatschewan, gegenüber den östlichen Teikn
Nordamerikas unter denselben Breitengraden, ist eine Folgß der
warmen Chinookwinde, ebenso ermöghcht die warme westliche Luft-
strömung, daß in Isle k la Crosse (56° nördl. Br.) Ende September
die Kartoffeln noch grün sind, während sie in Manitoba schon nach
Mitte August bisweilen dem Froste erliegen. Der Chinook mildert
auch, indem er zur Winterszeit gewaltige Schneemasaen wegfrißt,
die Überschwemmungen der Flüsse im Frühjahre, so daß die Jahie,
in denen er selten auftritt, starke Hochwasser im Frühlinge und
schlechten Wasserstand zur Sommerszeit aufweisen. Da dieser
Wind seine hohe Temperatur lediglich dem Herabsturze von der
Höhe der Gebirge in die Tiefen der Täler und Prärien verdankt, so
ist es nicht wunderbar, daß er erst auf der Ostseite des Felsengebirges
als heißer, trockener Westwind auftritt. Noch im Jahre 1875 erschien
es dem Professor Macoun, ab er jene Gegenden besuchte, rätselhaft,
warum dieser Wind nicht erst die Westseite des Gebirgslandes er-
wärme, da er doch von dort komme und ostwärts Wärme verbrmte.
Er meinte, dieser seltsame Wind müsse vom warmen mexikanischfiD
Meerbusen stammen und in der Höhe abgelenkt worden sein. Die
Erkenntnis, daß dieser Wind lediglich ein Fallwind ist und seine Er-
wärmung nur dem Herabsturze der Luft aus der Höhe verdankt,
gibt ungezwungen die Lösung des Rätsels. Auch erklärt sich dadurch,
daß in Kalifornien und Oregon der Chinook als Ost- und Südostwind
auftritt, weil nämlich die Bergregionen, von denen er herabkommt,
dort gegen Osten hin liegen. Der sonderbare Name Chinook, den die
Bewohner jener Gegenden diesem Winde geben, bezeichnete ur-
sprünglich einen Indianerstamm, von dessen Aufenthaltsorte her den
ersten Ansiedlem der warme Wind entgegenwehte.
Luftelektrizität.
Ober die Ursaehe des normalen atmosphärisehen Potential»
gefälles und der negativen elektrisehen Entladung hat Professor
H. Ebert im physikaUschen Institute der Technischen Hochschule
zu München Untersuchungen angestellt. ^)
Der GedankeDgang ist folgender: „Sowohl aus den UntersachiiBgen w»
Zeleny, wie den diesen nahestehenden von Townsend über die lonendiffosion
und ebenso aus den Versuchen von YiUari und Simpson geht hervor, da£
elektrische Ladungen von einem ionisierten Gase abgegeben werden, wenn
dieses aus Gebieten mit höherer lonenkonzentration durch enge Kanäle oder
1) Fhysikaliflohe Zeitschrift S. Nr. 5. p. 135.
Luftelektrizltät. 327
Röhren in solche niederer lonenkonzentration überströmt. Ist die Ionisierung
normal, d. h. sind gleichviel + Ionen wie — Ionen in der Volumeneinheit ent-
halten, was zunächst wenigstens immer in der Nähe des ionisierenden Aflens
statthat, so wird negative Elektrizität abgegeben. Ist dadurch ein Übersonuß
•an + Ionen eingetreten, so kann die ionisierte Luft aber auch positiv elektri-
sierend wirken, namoitlich wenn durch Wiedervereinigung der Ionen die relative
Zahl dieser übrigbleibenden + Ionen immer größer wird. ' >^ ^^f^ ^ ^^
Nun haben die neuesten Untersuchungen von Elster und Qeitel unzweif el-
liaft erwiesen, daß in dem Erdboden auch an Orten, wo dies früher nicht ver-
mutet werden konnte, radioaktive Substanzen, namentlich Radium, in Spuren
-enthalten sind. Die von diesem dauernd ausgehende „Emanation" ist es, welche
der Bodenluft die auffallend erhöhte Ionisierung erteilt, welche besonders in
Kellern und Höhlen der Luft ein abnorm gesteigertes Leitvermögen verleiht.
Dringt nun diese stark ionisierte Luft aus dem Erdboden heraus in die freie
Atmosphäre, so muß sie bei ihrer Wanderung durch die Erdkapillaren an die
Wände derselben vorwiegend negative Ladungen abgeben; Luft mit einem
tTbersohusse an positiven Ionen tritt aus dem Erdboden heraus und wird von
hier aus durch Winde und aufsteigende Luftströme auch den hohem Schichten
"der Atmosphäre mitoeteilt. Hie^urch erklärt sich die negative Eigenladung
der Erde, sowie der Überschuß an freien + Ionen in der Atmosphäre, nament-
lich in den untern Schichten derselben, welcher durch direkte lonenzählungen
in der natürlichen Luft nachgewiesen werden konnte. Damit erklärt sich akber
auch die Erscheinung des permanenten Erdfeldes mit nach oben hin positivem
Ge&lle. Dieses wird nur gestört, wenn Niederschläge oder abnorme elektrische
Verteilungen den geschilc&rten Verlauf vorübergehend überdecken.
Hiemach wird sich das normale Erdfeld namentlich dann und dort re-
generieren, wann und wo starke Bodenerwärmungen oder barometrische Minima
■gFoQem Mengen von Bodenluft den Erdkapillaren, Spalten, Hohlräumen im
GeröUe oder Gesteine entsteigen lassen. Bei wachsendem Luftdrucke wird
zwar ein Teil der äußern Luft wieder in den Erdboden hineingetrieben; diese
ist aber sehr viel ionenärmer als die Bodenluft. Schon in mäßig großen, mit
Bodenluft, die nicht einmal aus großen Tiefen genommen ist, erfüllten Räumen
erhält man leicht lonenmengen, welche die in den über dem Boden befindlichen
Luftschichten enthaltenen um das Sechzigfache übertreffen. Die rückströmende
Luft vermag also die Wirkuns der aufsteigenden, viel ionenreichem Luft nur
um geringe Beträge zu schwächen, wiewohl sie reicher an + Ionen ist; das Ver-
hältnis von -h Ladungen zu — Ladungen in der Atmosphäre übersteigt aber
nur selten den Wert 1.2 bis 1.6. In dem Umstände, daß das ionisierende Agens
unter dem Erdboden liegt, in der freien Atmosphäre über demselben aber bei
weitem der lonenverbrauoh durch Wiedervereinigung den der lonenerzeugung
(soweit wenigstens die uns sugängjichen Luftschichten in Betracht kommen)
überwiegt, liegt es begründet, daß der Elektrisierungsprozeß nicht umkehrbar
ist bei wechselndem Luftdrucke. In dem dauernd strahlenden Radiumvorrate
der Erdkruste licet hiemach deren negative Ladung gesenüber der positiven
Lufthülle von An&ng an begründet; der zur Trennung der Elektrizitäten und
damit zur Herstellung des Erdfeldes dauernd benötigte Arbeitsaufwand wird
aus dem ung^euem Eneigievorrate der atmosphärischen Zirkulationen mit
gedeckt» stammt also in letzter Tn«t«.n« yon der Sonne her.
Bei diesem Erklärungsversuche werden in natürlichster Weise die £r-
4wheinungen des atmosphärischen PotentialgefäUes in innigste Beziehungen
zu denjenigen meteorologischen Faktoren gebracht, mit denen schon längst
die Beobachtungen einen innem Zusammenhang ahnen ließen. Soviel ch
sehe, ist dieser Zusammenhang tatsächlich ein solcher, daß er durch das hier
vomschlagene ErUärungsprinzip unmittelbar verständlich wird. Freilich
sindf zur v^gen Klärung der Verhältnisse noch weitere Studien nötig. Das
eine möge schon jetzt hervorgehoben werden: Mehrfach ist bereits auf den
eigentüindiohen Piuallelismus hingewiesen worden, der zwieohen der täglichea
328 Lnflalektriiitit.
Periode des Lnftdrackes und derjenigen der LtiftelekMzitat an
Beobaohtungsorte besteht, und zwar sowohl för die ein^M^he wie för die dapf^te
tägliche Periode. Dieser Zusammenhang mußte bei allen biafaerigeD Kr-
klärungsversnchen unTerständlich bleiben; jetzt wefden beide ElrsdieinBi^gen
einfach als Ursache und Wii^ung miteinaxider verknüpft. Freilich darf man
nicht auf eine vollkommene zeitliche Koinzidenz der Maxima and IGnima der
beiden Wellen bzw. DoppelweUen rechnen. Es ist nicht zu vergesseii, daß die
Luft, wenn sie durch großem barometrischen Druck in die Erdkapillann in
reiohlieherer Menge hineingepreßt wird, hier einen großen Wideistaiul zu über-
winden hat. Ebenso wird beim Nachlassen de« außem Druckes das Zmöck-
strömen der Luft namentlich aus den tiefem, emanationareicheni S^diiditen
ach um mehrere Stunden verspäten können. Da es aber nach der hier ver-
tretenen Auffassung auf die Strömungsgeschwindigkat der ioniaierteii Loft
durch die obem Schichten des Bodenmateriales ankommt, so mfinocm sich
Phasendifferenzen zwischen Ursache und Wirkung, d. h. zwischen LoftdmdL-
kurve und Potentialkurve, eigeben, die je nach den örtlichen Verhaltniiwnn und
der Jahreszeit verschiedene Beträge annehmen können. In der litecator
finden sich bereits zahlreiche Beispiele dafür.
Ein Körper, der w^;en seines lockern Gefuges und wegen seiner von
Wilson und Allen entdeckten andauernden, wenn auch schwachen Radio-
aktivität das geschilderte Phänomen in besonderm Maße unterstützen maß,
ist der Schnee ; er kann auch bei gefrorenem Boden selbst als wirkRamer Ioni-
sator auftreten; vielleicht erklären sich hieraus die veihätnianiaßig hoben
winteriichen Potentialwerte unserer Breiten. Natürlich werden andere meteo-
rologische Faktoren modifizierend eingreifen, namentlich der Waaserdampf-
gehalt der Luft. Aber gerade die kondensierende Wirkung iteier lernen, und
zwar das größere Kondensationsvermögen der negativen Gasionen gibt hie'
neue Gesichtspunkte an die Hand mit Rücksicht auf die durch ein reiches
Beobachtungsmaterial gestützte Beziehung zum Dampfdrucke."
Die Frage ist nur, ob die Bodenluft wii^ch imstande ist, die hier ge-
forderten negativen Elektrisierungen hervorzurufen. Um dies zu entscdietden,
hat Professor Ebert Versuche mit einem von ihm erdachten Apparate angestellt,
welche durchaus zugunsten seiner Erklärung der fortgesetzten Regenerienu)^
der negativen Erdelektrizität sprechen und auch in quantitativer Hinsicht als
diese bestätigend anzusehen sind. Professor Ebert berechnet, daß bei uns die
das elektrische Kraftfeld aufrecht erhaltende Ursache im Sommer pro Quadrat-
meter und Tag 39 elektrostatische Einheiten liefem muß. Nehmen wir, sagt
er weiter, zunächst an, daß diese Elektrizität an der betreffenden Stelle aelbet
erzeugt würde dadurch, daß Bodenluft durch den betrachteten Quadratmeter
der Erdoberfläche nach außen hindurchträte. Bodenluft, die im Sommer aus
der verhältnismäßig geringen Tiefe von 1.4 m unter Rasen entnommen worden
war, zeigte nach nur zweitägigem Stagnierrai in einem Räume von 58 Litern
einen lonengehalt, der über 60 elektrostatische Einheiten Elektrizität für jedes
Vorzeichen im Kubikmeter repräsentierte. Villari hat schon früher darauf hin-
£ »wiesen, daß ionisierte Luft sehr rasch ihre Ladung abgibt, wenn sie durch
nge und enge Röhren strömt, und namentlich dann, wenn die Röhrm nicht
gerade sind, sondern gewunden, so daß dieLuft oft an die Wände stößt. Deshalb
läßt sich nur schwer ein Urteil darüber gewinnen, wie viele Ionen ein Knbik-
meter Bodenluft im Erdboden selbst enthält. Noch viel weniger läßt si«^ ab-
schätzen, welche Blektrizitätsmenge von derselben bei ihrer Wanderung durch
die Erdkapillaren an die Wände derselben abgegeben wird, denn dies hängt
offenbar sehr von der Beschaffenheit der Bodenmaterialien selbst ab. Für die
normale Erdelektrizität kommt nur der Überschuß an Mektarizität in Betratet«
den die negativen Ionen gegenüber den positiven abgeben, welche letctere ja
in der Überzahl in die freie Atmosphäre entweichen. Zum Vergleiche zieht
Professor Ebert die in dieser, während des Sommers bei uns in der Nahe der
Erdoberfläche angetroffenen Elektrizitätsmengen selbst in Betracht. Mit
LufteldktrixiUt. 829
K Hilfe dee yon ihm konstniierten AspiratioiiBapparates lassen sich diese Mengen
^ mit hinreichender Genauigkeit bestimmen. „Es ergeben sich im Mittel etwa
K 0.37 elektrostatische Einheiten negativer Elektrizität und 0.55 Einheiten posi-
k tiver Ladung im Kubikmeter, d. h. ein Verhältnis beider von rund 1.6 und ein
i Ubersehuß an positiver Liadung von 0.18 Einheiten pro Kubikmeter. Eine
^ große Zahl von Messungen weist darauf hin, daß i.llerorten die Bodenluft außer-
? ordentlich viel ionenreicher als die Luft der freien Atmosphäre darüber ist.
1 Dies hängt damit zusammen, daß nach den neuesten Untersuchungen von
L Elster und Geitel die selbststrahlende Materie überall im Erdboden verteilt
u ist und gerade im verwitternden Gesteine besonders gut aufgeschlossen zu sein
c scheint. Hier wird die Luft, die dauernd der Becquerelstrahlung der aktiven
i Substanzen ausgesetzt ist, enorm hohe lonenbeträge annehmen können, deren
Ladungen freilidi auf dem Wege bis zur Oberfläche (wenigstens was die nega-
tiven anbetrifft) zum allergrößten Teile an die Erde selbst wieder abgegeben
^ werden. So kann man im Gebirge auf alten Schutthalden s^r hohe Beträge
. an Emanation erhalten und doch nur normale lonenführuDg in der Atmosphäre
antreffen. Solche Oberflächenpartien müssen daher besonders viel zur nega-
tiven Erdelektrisierung beitragen. Die 39 elektrostatischen Einheiten, die wir pro
Tag und Quadratmeter zur Anfrechterhaltung des normalen Erdfeldes, wie
' oben berechnet, benötigen, können in diesen Gegenden von Bruchteilen eines
' Kubikmeters Bodenluft geliefert werden, wie sie aus dem Boden leicht heraus-
' treten können, auch wenn der Barometerstand während eines Tages nur um
einen Millimeter schwankt. Freilich wird nicht jedes Bodenmaterial für diesen
Regenerierungsprozeß geeignet sein ; wir werden auf der Erdoberfläche zwischen
konsumierenden und zwischen produzierenden Partien zu unterscheiden haben.
An den Berggipfeln und Graten wird infolge des hohen Potentialgefölles, welches
viele + Ionen sammelt, die negative Erdelektrizität besonders intensiv neu-
tralisiert werden; in den Tälern, Klüften, Spalten und Höhlen des Felsgesteines,
in den Trümmerfeldern und Schutthalden mit ihren zahlreichen Hohlräumen
haben wir die Stätten zu erblicken, von denen aus die negative Ladung besonders
reichlich nachgeliefert wird, und + Elektrizität in die Atmosphäre übertritt.
Es ergibt sich also ein Zirkulationsprozeß, bei dem positive Ladungen
in den Talpartien in das Luftmeer austreten, auf den Höhengebieten wieder in
den Erdkörper eintreten. Es scheint, daß dieser Prozeß unter Umständen im
Erdstrome seinen Ausdruck findet, wenn er als Zweigstrom zu dieser Zirku-
lation auftritt. In der Tat fließt der (positive) Erdstrom ja im allgemeinen
vorwiegend von unten nach oben; daher auch der so häufig konstatierte Pa-
rallelismus zwischen Erdstrom und luftelektrischen Vorgängen.
Auch die Vegetation wird einen spezifischen Einfluß ausüben können.
Hier bieten sich viele neue Fragen. Indessen zeigt schon dieser erste einfache
Überschlag, daß auch in quantitativer Beziehung der genannte Diffusions-
prozeß das Erdfeld dauernd aufrecht zu erhalten vermag.
Die tägliche Sehwankung der EleliLtrizitätszerstrettttiig in der
Atmosphäre hat Albert Gockel an verschiedenen Punkten der Schweiz
und Nordafrikas gemessen, ^) wobei er sich eines Elster- Oeitelschen
Apparates bediente. Die Beobachtungen in Freiburg (Schweiz) er-
gaben: 1. Die tägliche Schwankung der Zerstreuung äjidert sich
nicht wesentlich im Laufe des Jahres ; im Winter ist sie etwas geringer,
der Gang bleibt aber derselbe. 2. Im Verlaufe des Tages zeigt sich
eine doppelte Schwankung, die beiden Minima liegen vor Auf- und
Untergang der Sonne, die beiden Maxima um 4^ und 10^ nachmittags ;
1) Archivee des soiences physiques et nat. 1904 [4] 17. p. 93.
330 LoftelektriziaL
zwischen Mittag und 3^ nachmittags bemerkt man eine leichte De-
pression. 3. Das Abendminimum ist für die Zerstreuung poätiTer
Ladungen sehr ausgesprochen, so daß das Verhältnis der ponÜToi
zur negativen sein Maximum bei Sonnenuntergang erreicht. In
der Regel übersteigt es in der Ebene nicht sehr die Einheit.
Messungen auf dem Rothome zeigten, daß die Zerstreaung ein
Minimum mittags und zwei Mazima um 6^ vormittags und 6^ nach-
mittags besitzt; ähnliches hatte Saake in Arosa gefunden, wahnnd
Le Cadet auf dem Montblanc eine ganz andere Kurve erhidten bat. In
Zermatt begann die Zerstreuung, sowie die Sonnenstrahlen da
Boden erreichten (gegen 0^), zuzunehmen, sie blieb dann wahraid
des Tages stationär und sank schnell, nachdem die Sonne hinter dm
Bergen verschwunden war. In den Oasen war das Abendminimnm
sehr ausgesprochen, und auch in den Morgenstunden die Zeretreoasg
schwach, während sie im Laufe des Tages stationär war und an der
tunesischen Küste keine tägliche Schwankung erkennen ließ. Biew
Beobachtungen zeigen eine nahe Beziehung der Elektrizit&taur-
Streuung zum Gange der relativen Feuchtigkeit. Beim Maximiun
der relativen Feuchtigkeit, das am Morgen eintritt, zeigt sich das
Minimum der Zerstreuung, und dem Minimum der relativen Feuchtig-
keit entspricht das Maximum der Zerstreuung. Ausnahmen laasen
sich durch eine gelegentUche Wahrnehmung Gockels erklaren, nach
welcher ein leichter, vom Boden aufsteigender Nebel eine Abnahme
der positiven Zerstreuung bewirkte, indem er die Beweglichkeit der
negativen Ionen verringerte. Die in der Nähe des Bodens sich ab-
spielenden Vorgänge beeinflussen also die Leitfähigkeit der Uft
sehr bedeutend und erzeugen das experimentell leicht nachweiahan
Verhältnis zwischen Elektrizitätszerstreuung und Luftfeuchtig^t,
sowie den täglichen Gang beider. Dieser EinQuß reicht jedoch nicht
bis zu den höchsten Stationen, wodurch die Beobachtungen Le Cadeto
auf dem Montblanc erklärt werden.
Die Elektrldtätsierstreaimg in der Atmosphäre ist von P. Oennak
in Innsbruck während eines Zeitraumes von 16 Monaten bestimmt
worden. ^) Es ergab sich, daß sie einen deutlichen jährlichen GaQg
besitzt, indem im Winter die kleinsten Werte auftreten, zum Sommer
hin zunehmen, dann längere Zeit gleich bleiben, im Herbste langsam
abnehmen und bei Eintritt der Winterkälte und des Schneee ad ibr
Minimum sinken. Ebenso deutlich ist der tägliche Gang mit ^^
auffälligen Minimum zwischen 11^ und 12** und bei einem Maxiffl"'*^
zwischen 3** und 5^. Bei Föhnwinden steigt die Zerstreuung «.
am deutlichsten in den Wintermonaten; die größten Werte aw''
erreicht sie bei starker Kumulusbildung und Gewittern, also bei atanwir
^) Denksohr. d. k k. Akad d. Wies, in Wien 74 p. 55.
Optische Enohdinungen der Atmosphäre. 331
;^' aufsteigender Luftbewegung. Korrespondierende Beobachtungen in
— der Höhe ergaben die bekannte Zunahme der Zerstreuung mit starkem
"^ Überwiegen der negativen, sowie eine Verschiebung des mittagigen
^ Minimums und nachmittägigen Maximums.
Das Spektrum des Nordlichtes. Prof. Paulsen hatte früher darauf
^ hingewiesen, daß das Spektrum des Nordlichtes sehr ähnlich sei dem
'^ Spektrum des negativen Lichtes in einer mit sehr verdünntem
''■- Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenoxyd gefüllten Geißlerschen
-' Röhre. Prof. Runge bemerkte später, daß diese Ähnlichkeit nicht
^ ' groß sei, daß dagegen das Spektrum des Ejryptons und des Nordlichtes
sehr große Ähnlichkeit zeigen. Zum Beweise gab er eine Tabelle der
"*■■' Wellenlängen von Spektnülinien des Nordlichtes und solche des
o Kryptons, meinte aber, daß erst genauere Messungen des Nord-
rt lichtspektrums eine Entscheidung geben könnten. Unlängst hat nun
3 Sykora einige Messungen der WeUenlängen von Linien des Nordlicht-
^ Spektrums nach photographischen Aufnahmen auf Spitzbergen im
% Winter 1899 veröffentlicht, ^) und E. C. Baley hat dieselben mit seinen
li, Wellenlängenmessungen von Linien des Kryptonspektrums bei
r niedrigem Gasdrücke verglichen.*) Es ergab sich, daß dieses letztere
^ mit dem Nordlichtspektrum die engste Übereinstimmung zeigt, so
^5 daß kaum noch zweifelhaft bleibt, daß im Nordlichtspektrum das-
f jenige des sehr verdünnten Kryptons erscheint.
Optische Erscheinungen der Atmosphäre.
IMe Intensität der dureh die Sonne hervorgerufenen Beieuchtung
wurde von Charles Fabry photometrisch bestimmt.') Bezüglich
der Beobachtimgsmethoden muß auf das Original verwiesen werden.
Die Messungen ergaben, daß die von der Sonne im Zenit bei mitt-
lerer Entfernung von der Erde am Meeresniveau hervorgebrachte
Beleuchtung 100 000 mal so groß ist wie die einer Dezimalkerze in
1 m Abstand. Wenn man nun annimmt, daß die scheinbare Hellig-
keit der Sonnenscheibe eine gleichmaßige ist, so folgt daraus, daß
1 qmm der Sonnenscheibe normal eine Lichtintensitat aussendet,
welche nach der Absorption durch die Atmosphäre der von 1800 Kerzen
gleicht. In Wirklichkeit aber ist der Rand weniger hell als die Mitte,
so daß diese Zahl ein Minimum darstellt. Zum Vergleiche führt
Verf. an, daß die Intensität des positiven Kraters im elektrischen
Lichtbogen 160 bis 200 Kerzen pro Quadratmillimeter betragt.
1) Aoad. So. St. Petenbourg. M6m. XI. 9. 1.
*) Astrophysio. Journal lt. Nr. 3.
*) Compt. rend IST. p. 973.
3S2 OptiBehe Enohelnnacen der Atmosplifire.
Oker neue Retraktloiistafeln machte Dr. L. de Ball Mittoilaiig. ^)
Die Berechnung der Korrektionen, welche za der mittlem RefraktioQ
hinzugefügt werden müssen, um die dem heobachteten Barometer-
und Thermometerstande entsprechende Refraktion zu erhalten, ist
hekanntlich ziemlich beschwerlich. Diese Schwierigkeit wird aber
aus dem Wege geräumt und die Rechnung sehr leicht gemacht,
wenn man nach den Vorschlägen von Dr. de Ball zunächst die dem
beobachteten Barometer- und Thermometerstande entsprecheode
Dichtigkeit der Luft bestimmt. Denn da die für eine gegebene Zeoit-
distanz gültige Refraktion hauptsächlich von der Dichtigkeit der Loft
abhängt, so kann man eine Tafel berechnen, aus der man mit den
Argumenten Luftdichtigkeit und Zenitdistanz gleich die bis auf
eine kleine Temperaturkorrektion richtige Refraktion entnehmen
kann. Über diese Temperaturkorrektion, welche selbst bei 75°
Zenitdistanz nur 0.3'' betragen und ohne Mühe aus einer Tafel ent-
nommen werden kann, verbreitete sich der Verf. ebenfalls und gibt
auch ein Beispiel dafür, wie sich die Berechnung der Refraktioa
nach den neuen Tafeln gestcJtet.
Die Extinktion des Liehtes in der Erdatmosphäre bildete deo
Gegenstand einer mathematisch-physikalischen Untersuchung von
Dr. A. Bemporad. *) Der Verf. bemerkt einleitend :
„Ein mit der astronomischen Strahlenbrechung sehr verwandtes
Problem ist das der Extinktion des Lichtes in der Erdatmosphaie.
Während wir aber von Kepler bis Radau eine große Zahl von Theorien
der Refraktion verzeichnen können, fehlt es bis jetzt überhaupt an
einer Theorie der Extinktion des Fixstemlichtes, welche mit ähn-
licher Strenge und Vollständigkeit wie die erstem entwickelt ist.
Dies kann überraschen, wenn man das immer mehr sich steigernde
Interesse bedenkt, welches die photometrischen BeobachtongeD
seit Jahrzehnten genießen, und noch mehr, wenn wir die bis
jetzt entwickelten Theorien der Extinktion mit den umfang-
reichen Beobachtungsarbeiten auf demselben Gebiete vergleichen.
Eine oft wiederholte Meinung ist, daß man durch astronomische
Refraktionsbeobachtungen Aufschluß über die Konstitution der
Atmosphäre gewinnen könne. Es liegt nun nahe, daß man in
dieser Beziehung noch mehr von der Extinktion erwarten kann,
welche im Zusammenhange mit dem atmosphärischen Zustande
unvergleichlich größere Veränderungen als die Refraktion eri^et.
Die Möglichkeit, hierduch manches neue Resultat zu erhalten, ist
u. a. durch des Verf. neuere Bearbeitung der Müllerschen Extink-
^) Circular von der Knffnerscben Sternwarte 1904.
>) Mitteil. d. Großh. Sternwarte zu Heidelberg (ArtronoiiiiBches Institut)
1904. IV.
OptiBohe Enoheinungen der Atmoephire. 333
tionsbeobachtungen (am Säntis) wahrscheinlich gemacht; daß wich-
tigere Ergebnisee aus jahrelangen Beobachtungen zu erwarten sind,
ist keine zu gewagte Hoffnung. Zu einer genauen Bearbeitung
solcher Beobachtungen ist aber eine physikalisch gut begründete
Theorie der Extinktion des Lichtes unumgänglich. Einen Beitrag
zu einer solchen in der für die Praxis bequemsten Form zu liefern,
ist der Zweck der vorliegenden Arbeit. Verf. betont, daß die hier
vorgeschlagene Theorie nur als eine erste Aimäherung der Auflösung
eines sehr verwickelten Problemes anzusehen ist. Folgendes ist ein
kurzer Überblick über den Inhalt der vorliegenden Untersuchung.
Im ersten Kapitel wird, von dem Bouguerschen Absorptions-
gesetze ausgehend, das Problem der Extinktion in etwas allgemeinerer
Form, als es bis jetzt übhch war, aufgestellt, femer eine strengere
Definition und Darstellung der wichtigen Funktion F (z) (die sogen.
Weglänge der Lichtstrahlen) gegeben. Kapitel 2 gibt eine kritische
Übersicht der bis jetzt entwickelten Theorien der Extinktion mit
besonderer Erwähnung der Bouguerschen, Lambertschen und
Laplaeeschen Theorien und der Hausdorffschen Untersuchungen.
Im dritten Kapitel werden die Hypothesen von Ivory und Schmidt
über die Konstitution der Atmosphäre zu einer Reihe von Versuchs-
berechnungen angewandt. Nach den Ergebnissen der neuesten
wissenschfi^tlichen Luftfahrten (Aßmann und Berson) gibt die
Schmidtsche Hypothese einer gleichförmigen Abnahme der Tem-
peratur mit der Höhe die beste Darstellung der beobachteten Werte
der Temperatur. Letztere Hypothese wird daher in der hier ent-
wickelten Theorie schließlich angenommen. Praktisch geben aber
die Ivorysche und die Schmidtsche Hypothese genau dieselben
Werte der Extinktion, während die Laplacesche Theorie bei z = 87^
um 0.1 Größenklasse von der strengen Berechnung abweicht.
Auf Grund der durchgeführten Berechnungen werden nebenbei zwei
Sätze über die Abhängigkeit der Extinktion von dem Temperatur-
gradienten mit der Höhe aufgestellt. Kapitel 4 enthält die eigent-
liche, hier vorgeschlagene Theorie, d. h. die analytische Entwicklung
der Funktion F (z). Im fünften Kapitel wird endlich der Einfluß
der geographischen Lage des Beobachtungsortes, femer der Tem-
peratur- und Druckschwankungen auf die Extinktion untersucht.
Zum Schlüsse sind verschiedene Tafeln beigegeben, worunter die
Tafeln I bis XXIV zur Berechnimg der Extinktion dienen, während
die folgenden Integraltafeln die Werte von verschiedenen hier vor-
kommenden Integralen wiedergeben.
Die vom Veif . gegebene Tafel der mittlem Extink-
tion folgt hier. Es ist dabei der Transmissionskoeffizient = 0.835
(nach Müller) angenommen, und übrigens gelten die Angaben für
0^ Temperatur und 760 mm Barometerstand im Meeresniveau;
z bezeichnet die Zenitdistanz und E die Extinktion des Stemen-
lichtes in Größenklassen.
334 OptiMhe Ersohelniiiigeii der Atmoophftre.
Wittere Bztiiiktton (bei 0^ und 760 m^n am MeeroBiiivean).
M
- 1
8
E
M
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m
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0
m
0
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0
0.000 .
73
0.468
82.6;
1.251
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2.149
5
0.001 ;
74
0.607 ;
0.661 1
82.7
1.269
i85.9
2.194
10
0.003 1
0.007 !
76
82.8
1.287
86.0
2.240
16
76
0.602
82.9
1.306
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2.288
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77
0.660 >
83.0
1.325
865
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2.338
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0.020 i
78
0.728 i; 83.1 I
1.345
2.388
90
0.030 '
79
0.807 l
83.2
1.366
J86.4
2.443
36
0.043
80.0
0.901 ;
83.3
1.386
86.5
2.499
40
0.060
80.1
0.911
83.4
1.407
866
2.657
46
0.081
180.2
0.922 1
i83.6
1.429
86.7
2.617
60
0.108
80.3
0.933
183.6
1.461
186.8
2.680
61
0.116
80.4
0.943
183.7
1.474
,86.9
2.745
62
0.122
80.6
0.954
83.8
1.498
87.0
2.813
63
0.129
80.6
0.966
|83.9
1.522
'87.1
2.884
64
0.137
80.7
80.8
0.977
84.0
1.547
'87.2
2.957
66
0.146
0.989
184.1
1.673
)87.3
3.033
66
0.163
80.9
1.001
i84.2
1.599
187.4
3.113
67
0.163
81.0
81.1
1.014
84.3
1.636
87.5
3.197
68
0.173
1.026
84.4
1.654
87.6
3.284
60
0.183
81.2
1.039
184.5
1.683
87.7
3.376
60
0.106
181.3
1.062
184.6
1.712
87.8
3.4»
61
0.207
81.4
1.066
84.7
1.743 ,
87.9
3.573
62
0.220
81.6
1.079
84.8
1.774 i
1.806
88.0
3.678
63
0.234
|81.6
'81.7
1.093
84.9
88.1
3.788
64
0.249
1.107
86.0
, 1.839 ,,
88.2
3.9M
66
0.266
81.8
1122
86.1
1.874 i
88.3
4.026
66
0.283
1 81.9
1.137
86.2
1.909
88.4
4.154
67
0.303
82.0
1.162
85.3
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0.324
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1.168
86.4
1.984
88.6
4.431
60
0.347
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1.184
|86.5
2.024 ,
88.7
4.681
70
0.373
:82.3
1.200
85.6
2.065
888
4.739
71
0.401
'82.4
1.217
86.7
2.106 {
88.9
4.906
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0.432
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1.234
85.8
2.149 , 89.0 j
6.082
73
0.468
l82.6
1.251
1
M
1
1
Es ergibt sich hieraus, daß die Extinktion in der Erdatmo^häre
die Helligkeit eines Sternes vom Zenit bis zu 1° über dem Horizonte
um volle fünf Größenklassen vermindert.
Das Wiedersichtbarwerden des Bishopschen Ringes im Jahie 1903
ist von F. A. Forel konstatiert worden, ^) und A. Wolf in Heidelberg
hat es bestätigt.^) Offenbar wurde die Erscheinung durch Licht-
beugung an feinem bis in die höchsten Regionen der Atmosphäre
geschleuderten Staube (Asche der westindischen Vulkaoausbruche
des Mai 1902) verursacht. In Heidelberg konnte der Ring das ganxe
Jahr über gut gesehen werden. Der Radius der hellen Scheibe
1) Compt. rend. 138. p. 688.
<) Sirius 37. p. 203.
KlimatologiseheB und Wetterprognosen. 335
um die Sonne (innerer Rand des braunen Ringes) betrug am An-
fange des Jahres 12.5°, Ende August 10°. Der Durchmesser der hellen
Scheibe um den Mond wurde im Februar durch Anschluß an Sterne
zu 18.6° bestimmt. Die vulkanischen Dämmerungserscheinungen,
bemerkt Prof. Wolf, traten wie im Vorjahre wieder periodisch auf,
so daß wohl kein Zweifel mehr besteht, daß der Staub sich in ein-
zelnen großen Wolken um die Erde bewegt. Nachdem das ganze
Frühjahr hindurch kaum auffallende Dämmerungserscheinungen
aufgetreten waren, entwickelten sie sich ganz plötzlich um den
3. August 1903 zu großer Pracht. Nach einer kurzem Pause traten
sie Ende August und Anfang September wieder in noch nie gesehener
Schönheit und Intensität auf, prächtiger als 1884. Besonders am
30. und 31. August und am 1. September, und zwar ebensowohl
abends als morgens, war das Phänomen unbeschreiblich großartig,
und es konnten mehrere vollständige Beobachtungsreihen erhalten
werden. Damach nahm die Intensität der Erscheinungen rasch
ab, und sie verschwanden gegen den 8. September. Am 23. Sep-
tember begann abermals eine aber viel schwächere Periode für wenige
Tage. Die nächsten Perioden gruppierten sich um den 6. und 7. Ok-
tober, dann um den 19. und 20. Oktober und zuletzt um den 9. No-
vember. Seither wurde keine vulkanische Dämmerung mehr beob-
achtet.
Klimatologisches und Wetterprognosen.
! Die Klimatographie von Osterreich. Auf Anordnung der k. k.
I Regierung wird in einem monumentalen Werke auf Grund 50jähriger
i Beobachtungsergebnisse eine eingehende Darstellung des Klimas
\ der verschiedenartigen Teile Österreichs, d. h. der im Reichsrate
vertretenen Königreiche und Länder, erscheinen. Es wird dabei zu*
nächst in Monographien das EJima der einzelnen Länder behandelt
und in einem Schlußbande später eine zusammenfassende Übersicht
der klimatischen Verhältnisse von ganz Osterreich gegeben werden.
Von den Monographien ist die erste „KUmatographie von Nieder-
österreich" von J. Hann jetzt erschienen. ^) Der Altmeister der
Klimatologie gibt darin eine vorbildhche Behandlung des Stotfes,
wobei er indessen betont, daß über manche klimatologische Er-
scheinungen noch keine genügenden Beobachtungen vorliegen. Aus
dem ÜberbUcke über das Klima von Niederösterreich, den Verf.
dem speziellen Teile vorauf schickte, sei folgendes hervorgehoben:
„In bezug auf seine Wärmeverhaltnisae liegt Niederöeterreioh im Gebiete
der Jahresiflotherme von 10^ (im Meereeniveau oder ca. 9^ im Niveau von 200 m ),
der Januariflothermen von 1 — bis — 2®, und der Juliisothermen von 20 bis 2 P
(im Meeresnivean ; auf je 200 m Zunahme der Seehöhe kann man rund l^ Ab-
nahme der Temperatur annehmen) ; die mittlere Jahressoh wankung der Wärme
^) Wien 1904. In Kommission bei W. Braumuller.
336 KlimttologifloheB and WettarprognoBon.
ist in den niedrigem Lagen 20 bis 21<^ abnehmend mit der Seehöhe» die nutden
Jahrefleztreme der Temperatur aber liegen 40 bis 60^ anB^naoder (in da
warmem Teilen ist die durchschnittliche größte Kalte im Jahre etwa — l'^,
in den kaitesten — 20®, die durchschnittlichen höchsten Grade der Sommer-
warme aber liegen zwischen 33 bis 26^; die gröBten Wärm^;rade sind stete
gleichmäßiger verteilt als die größten Winterkaltegrade). In den kalteirtei
(noch bewohnten) Teilen Niederösterreichs kommen Ten^eratnrmininia adh«
unter — 30<> (wenn auch selten) vor, so im nördlichen Teile des Waldviert^
und in einigen besonders kalten Alpentalem in größerer Höhenlage. Dk
höchsten Wärmegrade überschreiten (auch selten) 36^.
Die Temperaturschwankungen innerhalb eines Monates sind (leicht be-
greiflicherweise) zumeist im März am größten, wo sie 20 bis 25*^, in eimgei
extremen Alpentalem selbst 20^ erreichen können. Im allgemeinen halten mk
die Temperaturextreme eines Monates innerhalb 20 bis 22<*.
Die mittlere tägUche Wärmeänderung betragt in Wien im Jahresmitld
7.2, im Dezember 4.2, im Juli und August 9.1®. Temperaturanderungen Yon \9
kommen recht selten vor, doch sind auch solche von 20® schon eingetretaD.
In einigen Alpentalem von 900 bis 1000 m Seehöhe (Lahnsattel, Nenhaos tm
Zellerrain) kommen auch im Winter sehr große mittlere Tageeschwankungea
der Temperatur vor. Plötzlich eintretendes Tauwetter im Winter nach großer
Kalte Oder nach sehr heißen Nachmittagen rasch hereinbrechende Stnm-
Switter bringen die größten Temperaturanderungen im Laufe eines Tages.
ie sommerlichen Abkühlungen werden viel empfindlicher eefühlt als die ge>
legentlichen winterlichen raschen Erwärmungen, infolge aer leichtem Be-
kleidung und der großem Empfindlichkeit der Haut zur wannen Zeit.
Ein wichtiges klimatisches Element ist auch die Veränderlichkeit der
Temperatur von einem Tage zum nächsten, ausgedrückt durch die THÜenai
der sich folgenden Tagesmittel der Temperatur.
In Wien speziell gibt es im Sommer (Mai bis August) viel häufiger starke
Abkühlungen als Erwärmungen. Tage mit einer Änderung der Mitteltempetatar
von 4 bis 9^ und 8 bis 10^ und darüber: Erwärmungen 4.1 und 0.0, Sunune 4.1,
Erkaltungen 8. 1 und 0.7, Summe 8.8. In den Monaten Mai bis August kommen
also durchschnittlich etwa neun Tage jährlich vor mit einer Abkühlung von 4
bis 10<>. Änderungen der Tacesmittel der Temperatur über 10<^ (von einem
Tage zum nächsten) haben im Jahre: Wien an 1.1, Gutenstein anO.4, Reichenaa
an 1.9, Schneeberg in 1400 m an 3.2, Rorregg an 0.6, Graßbach an 1.4, Ueb^iaii
an 1.2 Tagen.
Um eine richtige Vorstellung von den Wärmeverhältnissen eines landet
zu gewinnen, muß man neben den mittlem Temperaturen der Monate und der
Jahreszeiten auch die Grenzen kennen, innerhalb welcher sich dieee Tempe-
raturen während eines großem Zeitraumes gehalten haben. Um in diesem
Sinne für Niederösterreich den Wechsel der TemperaturverhältniBBe nicht bloß
im allgemeinen beurteilen zu können, sondern auch die milden und strengen
Winter, die heißen und kühlen Frühlings- und Sommermonate usw. spesidl
nach ihren Wärmegraden kennen zu lernen, hat Verf. eine Tabdle der Ab-
weichungen der einzelnen Monats- und Jahrestemperaturen von dem fnnhig-
jährigen Mittel 1851/1900 für Wien beigegeben. Diese Abweichungen dürfen
mit nicht zu großen Fehlem für Niederösterreich überhaupt als gültig ange-
sehen werden.
Die Luftfeuchtigkeit ist im ganzen Lande ziemlich gleichmäßig hoch,
nur im Frühjahre bei anhaltenden Ostwinden tritt zuweilen eine größere relative
Trockenheit ein, mehr vorübergehend auch im Hochsommer und Herbste. Auch
die Bewölkung zeigt relativ geringe Unterschiede und schwankt in den Monats-
mitteln zwischen 70 und 80% der Himmelsfläche von November bis Januar
und 46 bis 50% ün August und September.
Eins der wichtigsten klimatischen Elemente, die Verteilung der Nieder-
schlagsmengen, wird durch eine Regenkarte von Niederösterreioh illustriert.
Elioiatologiflohes und Wetterprognosen. 337
-welche die Linien gleicher Niederschlagsmengen (Isohyeten) in Zentimetern
enthält. Zur Herstellung dieser ELarte mußten die von dem k. k. hydro-
'Seraphischen Zentralbureau publizierten Ergebnisse der Begenmessungen
<gro0tenteils 1896 bis 1900) herbeigezogen werden, ohne welche die Herstellung
^iner Regenkarte nicht tunlich gewesen wäre. Die Jahressummen wurden
samtlich auf die zwanzigjährige Periode 1881 bis 1900 reduziert.
Die größten Tages- und Stundensummen des Niederschlages erreichen
1X1 Niederosterreich betrachtliche Höhen. Die größten Tagesmengen fallen
i^ast stets bei Landreffen, wahrend die größten Stundenmengen (und Mengen
pro Minute namentlich) bei kurzen Platzregen oder Gewitterregen fallen.
In Wien selbst waren die größten Tagesmengen: 97.3 mm vom 28. bis
29. JuU 1882; 15. bis 16. Mai 1885 139.3 mm; 20. bis 21. Juni 1886 109.7 mm,
sämtlich aU Landregen bei Weststurm, unter dem Einflüsse eines Bitfometer-
ininimnms über der Adria, das nach Ungarn heraufzieht. Vom 15. bis 16. Mai
1885 fielen in 24 Stunden 22%, also fast ein Viertel der normalen jährlichen
Niederschlagsmenge! Die Stationen des Wienerwaldes haben noch größere
rragesmengen aufzuweisen. Zum Beispiel Hadersdorf am 12. Mai 1881 über
175 mm Regen und Schnee (Regenmesser vielleicht übergelaufen), 20. Juni
1886 114 mm, 29. Juli 1897 188 mm Zu erwähnen wäre noch der Schneesturm
vom 3. November 1878, der 97 mm Wasser lieferte. Der 29. Juli 1897 lieferte
große Tagesmazima: Tullnerbach 182 mm, Prebrunn und Preßbaum 156 und
xind 154 mm, St. Corona an der Triesting 166 mm, Rohr im Gebirse 157 mm,
Sohwarzenbach an der Pielach 163 mm, Frankenfels an der Pielaoh 193 mm.
Die Maxima bei der Regenzeit und Hochwasserperiode in der ersten Hälfte
des September 1899 waren: Am 12. September fielen zu Lackenhof 218 mm,
Oaming 217 mm, Frankenfels 136 mm, St. CSorona an der Triesting 106 mm.
Dagegen überschritten die Tagesmazima der Gebirgsstationen nicht 100 mm:
Outenstein 1873/1900 absolutes Maximum 78 mm, 22. Juni 1874; Reichenau
1877/1900, 98 mm am 28. Juni 1882; Schwarzau im Gebirge 1882/1900, 98 mm
am 12. September 1899; Lahnsattel (mit 157 cm Jahresmenge) Maximum der
Periode 1886/1898, 103 mm am 29. Juli 1897 (Monatesumme 416 mm), d. i. nur
6.6% der Jahresmenge.
Die größten Stundenmengen können in Niederösterreich 60 mm zuweilen
überschreiten. Da diese Mengen fast nur den Registrierungen des Regenfalles
entnommen werden können, so beliehen sie sich zumeist auf die letzten Jahre.
Der Gewitterregen vom 1. August 1896 lieferte zu Mariabrunn von l^ 45'
bis 2>> 45' 61.3 (Im ganzen 80 mm), in der Hinterbruhl fielen 34.2 mm in 24',
Laarbeig hatte 82 mm von 2 bis 3b (etwas fraglich). Einige der größten Regen-
mengen in kurzer Zeit in Wien selbst sind: Am 3. Juli 1891 fielen in 1 Stunde
30 mm, und davon 10 mm in sechs Minuten; der Hagelfall am 7. Juni 1894
lieferte in 20 Minuten in Mariabrunn 37.4 mm, am Westbahnhof 36, und
37.3 mm auf der Schmelz in 15 Minuten. Am 3. Juli 1895 lieferte ein Gewitter-
regen auf der H(^en Warte 26.5 mm in 20 Minuten, davon 20.0 mm in 12 Mi-
nuten. Regenmengen von ca. 2 mm pro Minute gehören su den größten, die
für Niederösterreich bisher nachgewiesen worden sind.
Das Maximum der Häufigkeit der Gewittertage fallt auf den Juli, im
Winterhalbjahre sind Gewitter sehr selten, am seltensten in den Alpentalem.
Auch die Häufigkeit der Gewittertage unterliegt großen Schwankungen.
In Wien waren die extremen Zahlen 30 1868 und 31 1892, dann 10 1859, 1869,
1880. Der August 1890 hatte zwölf Getrittertage, der Juni 1853 deien acht.
Im allgemeinen hat ganz Niederösterreich sehr gleichförmige Wind-
verhältnisse, überall überwiegen die Westwinde weitaus zu allen Jahreszeiten
^ (ganz lokale Eigentümlichkeiten in Tälern natürlich beiseite gelassen); überall
* werden die Nordwinde im Frühjahre häufiger und die Ostwinde im Frühlinge
und Herbste. Im Sommer erreichen die West- und Nordwestwinde eine noch
^ größere Häufigkeit aU in den andern Jahreszeiten. Die häufigsten Südwinde
^' haben der Oktober und November.
Klein, Jalirbnoh XV. 22
338 KUmatologlBohflt and Wetterprogm
Die WitteningiverliiltiiisM auf UMid und derm
zu dm gleiehieftlgeii WittemngssnomElIm In Hordwesteoro^a. ProL
J. Haim hat hierüber eine wichtige Untersuchung der Wiener Aka-
demie vorgelegt. ^) Die Grundlagen derselben bilden die Monats-
und Jahresmittel der Temperatur und des Luftdruckes (1846 bia 1900)
sowie die Niederschlagsmengen (1867 bis 1900) von Stykkiriiolm auf
Island, welche der Verfasser zusammengestellt und dann dasa benatzt
hat, die Abweichungen der einzelnen Monatswerte dieser meteoro-
logischen Elemente von deren 50 jährigen Mittelwerten festeustelleiL
Diesen Abweichungen werden dann geg nübergestellt die Ab-
weichungen der Temperatur zu Greenwich, Brüssel und Wien aus der
gleichen Periode, femer die Abweichungen des Luftdruckes und das
Begenf alles zu Brüssel und des Luftdruckes zu Wien, zum Teile nur for
die Wintermonate.
Die allgemeinsten Ergebnisse sind: Erstlich für die drei Winter-
monate. Die Luftdruckabweichungen in Nordwest- und Mittel-
europa sind in 70% der Fälle den gleichzeitigen Abweichungen za
Stykkisholm dem Sinne nach entg^engesetzt. Für die Temperatur
ist aber die Wahrscheinlichkeit eines Gegensatzes bloß 0.56, für die
Niederschlagsmenge zu Brüssel 0.68.
Viel entschiedener ist die Beziehung zwischen den Luftdrack-
abweichungen zu Stykkisholm und den gleichzeitigen Temperatar-
anomalien in Nordwest- und Mitteleuropa.
Ist die Luftdruckabweichung eines Monates zu Stykkisholm
negativ (Luftdruck unter dem 50 jährigen Mittel), so ist die Wahr-
scheinlichkeit einer gleichzeitigen positiven Temperaturabweichung
in Nordwest- und Mitteleuropa 0.82 und umgekehrt, w^m die Luft-
druckabweichung positiv, so ist die Wahrscheinlichkeit einer negativen
Temperaturabweichung daselbst 0.73.
Eine Vertiefung des stationären Luftdruckminimums bei Island
bedingt eine Erhöhung der Wintertemperatur von Nordwest- und
Mitteleuropa, umgekehrt eine Abschwächung desselben eine Tem-
peratuiemiedrigung.
Zweitens: Die Untersuchung wird auf alle großem Luftdruck-
abweichungen zu Stykkisholm ausgedehnt. Das Ergebnis ist das
gleiche. In kürzester Form ist dasselbe in der folgenden kleinen
Tabelle enthalten:
Itfittieie Abweiohimg w.u^u.;^i;.i.i.^;.
Zahl Luftdruck Temperatur des Varzeicheiis
der Stykkisholm Greenwioh der Temperatur-
Fälle und Brüssel abweicliuiig
Winterhalbjahr ... 67 +8.6mw —1.6» OM
Sommerhalbjahr ... 65 + ^-^ » —0,5^ 0.65
Winterhalbjahr .... 72 — 7.7 „ + 1.40 0.90
SommerhalbJAOir ... 50 — 5.0 „ +0.1^ 0.76
1) Wiener Akad. Anzeiger 1904. Nr. 1.
I'
KltnifttologifleheB nnA Wetterprognooen. 339
'' Im Winterhalbjahre bedingt jede grödeie Luftdruckabweichung
* bei Island mit einer WahrBoheinliohkeit yon 0.86 eine Temp^atur-
' abweichnng im entgegengesetzten Sinne in Nordwesteoropa, im
'' Sommerhalbjahre nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.70.
^^ Drittens: Es werd^i die drei größten Temperaturabweiohmigen
^ jedes Monates und des Jahres zu Greenwich 1851 bis 1900 den gleich-
^ seitig^i Luftdrackabweiohungen auf Island gegenübergestellt. Das
' Ergebnis von 83 Fällen ist folgendes:
^^ TemperaturabweichuBg Luftdruokabweiohung ^^*i7^^«k^« a^^
^ zu (Wnwich (Mittel) zu StykkiBholm (Mittel) Ä<SXÄSg
+ 2.7« —3.0 mm 0.83
— 2.8 +4.7 „ 0.86
In 84% der Falle treten demnach die großem Temperatur-
abweichungen zu Greenwich gleichzeitig ein mit großem Luftdruck-
abweichungen von entgegengesetzten Vorzeichen zu Stykkisholm.
Der Verfasser geht dann etwas näher auf spezielle Fälle ein und
hebt hervor, daß wohl Buchanan der erste war, der auf die hier spezieller
nachgewiesenen Beziehungen aufmerksam gemacht hat. Die Er-
gebnisse der vorhegenden Untersuchungen sind ein strenger Beweis
dafür, daß das milde Khma von Nordwest-, ja auch noch von Mittel-
europa in erster Linie von dem Luftdruckminimum bei Island ab-
hängig ist.
Der Verfasser untersucht dann femer die Beziehungen zwischen
den gleichzeitigen Luftdruckanomalien zu Ponta Delgada auf den
Azoren und jenen zu Stykkisholm, also die Beziehungen zwischen den
beiden atlantischen „Aktionszentren der Atmosphäre", wie Teisserenc
de Bort das Barometermaximum bei den Azoren und das Barometer-
minimum bei Island genannt hat.
Die Untersuchung wurde ähnUch wie oben geführt.
Erstes Ergebnis in kürzester Form in Gesamtmitteln:
Zahl Mittlere Luftdruck- Mittlere Luftdruck- WahrBcheiulichkeit
der abweichung zu Ponta abweichung zu Stykkis- des Vorzeichens dieser
Fälle Ddgada höhn Abweichung
42 +4.5 mm — 2.4 fitm 0.71
41 -6.1 „ H-4.4 „ 0.83
Es ist demnach mit einer WahrscheinUchkeit von 0.77 auf einen
Gegensatz in den gleichzeitigen großem Luftdruckabweichungen bei
den Azoren und bei Island zu sohheßen. Graphische Darstellungen
der Luftdruckabweichungen von zehn Jahren haben Hildebrandsson
schon früher (1897) in allgemeinen Umrissen darauf schheßen lassen.
Ein numerischer Naohw^s wurde nicht gegeben. — Nun wird die
Pragestellimg wieder umgekehrt. Welche Luftdruckabweichungen
zu Ponta Delgada begleiten die größten positiven und negativen Luf t-
druckabweichongen zu Stykkisholm? Das Ergebnis einer größern
bezüglichen Tabelle ist, daß in 80% der Falle den größten positiven
Druckabweichungen zu Stykkisholm negative Luftdruckabwei-
22*
340 Klimatologlsohas und WettorprognoMB.
chungen zu Ponta Delgada entsprechen und den größten negativen
Druckabweiohungen zu Stykkisholm in 87% der F&Ue poeitive Ab-
weichungen zu Ponta Delgada. Man wird demnach behaupten
dürfen, daß die beiden atlantischen Aktionszentren der Atmosphäre
in einer gewissen Wechselbeziehung stehen.
Ist der Luftdruck bei den Azoren höher ab im Mittel, und gleich-
zeitig der Druck bei Island niedriger, wie dies in 70 bis 80% der FaDe
stattfindet, so wird das normale LuftdruckgefaUe ober dem Atlan-
tischen Ozeane verstärkt, die atmosphärische Maschine arbeitet dann
intensiver, die klimatische Begünstigung von Europa erfahrt dabei
eine Steigerung. Umgekehrt im entgegengesetzten FaUe. Das
mittlere Druckgefälle von den Azoren nach Island ist im Dezember
14.7 mm, im Januar 18.3, Februar 14.3, März 9.8. Einige FaDe
größter Steigerung desselben folgen zugleich mit den entsprechenden
Temperaturanomalien in Nordwest- und Mitteleuroi>a.
Desember Januar Februar Februar März Man
1891 1890 1868
Stykkishohn. . . 740.8 736.8 741.7
Ponta Delgada . . 769-9 768.0 771.9
Differenz .... 29.1 31.2 30.2
TemperaturabweichQng
Greenwich ... +0.1 +2.4 +1.9
BrÜBsel .... +0.1 +3.4 +2.3
Wien +12 +2.9 +3.6
Diese Tabelle bestätigt das oben Gesagte.
Die Fälle, wo der Luftdruck bei den Azoren ungewöhnlich hocb
und gleichzeitig bei Island imgewöhnlich tief ist, sind beaondeis
interessant, weil sie nicht als eine bloße Verlagerung des subtropischen
Hochdruckgürtels aufgefaßt werden können, sondern nur als Folge
einer gesteigerten Intensität der atmosphärischen Zirkulation. Wenn
der NO-Passat kräftiger weht als durchschnittlich, wird er das Druck-
maximum zu seiner Rechten stärker aufstauen. Dadurch wird aber
auch der große Wirbel im nordatlantischen Ozeane verstärkt, und in
seinem Zentrum bei Island das Luftdruckminimum vertieft. So
können die oben nachgewiesenen entgegengesetzten Luftdruck-
anomalien bei den Azoren und bei Island wie Ursache und Wirkung
verknüpft sein.
Der letzte Abschnitt der Abhandlung beschäftigt sich ein-
gehender mit der Meteorologie von Stykkisholm, welche wegen der
Lage dises Ortes nahe dem Zentrum des großen Luftwirbels besonderes
Interesse beanspruchen kann. Im Anschlüsse daran werden auch
die Temperaturverhältnisse der neuen dänischen Station zu Angmag-
saJik an der Ostküste von Grönland, Stykkisholm nahezu gegenüber,
erörtert. Die siebenjährigen Temperaturaufzeichnungen (1895 bis
1901 ) werden auf die lange Reihe von Stykkisholm reduziert. Leteterer
Ort hat den warmen Irminger Strom zur Seite, Angmagpalik aber den
eisführenden Polarstrom. Die mittlere Temperatuidiffeienz erreicht
deshalb im Februar 8. 1 "^ und beträgt noch im Jahresmittel 6.3''. Das
1883
738.8
767.8
29.0
1868
744.3
771.9
27.6
1882
744.3
772.1
27.8
zu :
+ L9
4-2.4
+ 1.4
+ 1.4
4-1.7
-i-0.6
+ 2.9
-4-2.9
+ 5.0
> KlimatologlBcheB und Wetterprog;no0en. 341
3 Temperaturgefälle pro Grad (111 km) ist im Winter 1.1^ und noch im
& Jahresmittel 0.9°, wohl eines der größten Temperaturgefälle über
K eine freie Meeresfläche hin. Zwischen Stykkisholm und der Küste
I. von Norwegen in gleicher Breite auf einen Abstand von 35 Längen-
graden ist die Temperaturdifferenz im Februar bloß 1.3°, hier auf
i Uy2 Grade 8.1"". Die mittlem Temperaturen (1851 bis 1900) von
r Angmagsalik 65"" 37' N sind Februar — 10.8, Juli 5.4, Jahr — 2.6,
i dagegen : Stykkisholm 65"" 4' Februar — 2.7, Juli 9.7, Jahr 2.8. Zwei
! theoretisch sehr interessante Fälle von NW-Föhn zu Angmagsalik,
t; aus dem Innern Grönlands herauswehend, werden näher beschrieben.
' Ein neues System allgemeiner Luftdruckprognosen auf längere
''' Zelt für den Nordatlantisehen Ozean ist von Prof. Herrmann aus-
gearbeitet und praktisch verwertet worden, das, wenn es sich be-
^ währt, dem Seefahrer ganz andere Chancen bieten würde als die
fehlsamen Eintagsprognosen der jetzigen staatlichen Zentralstellen.
' Daß die Seefahrer auf diese letztem kein Gewicht legen, und die
großen Ozeandampfer zur festgesetzten Zeit ausfahren, gleichgültig,
ob ein Sturmwamungssignal steht oder nicht, ist bekannt. Selbst
wenn diese Eintagsprognosen stets richtig wären, würden sie für
die auf See befindhchen Schiffe doch nutzlos sein und auch dann
noch wenig Wert haben, wenn jedes Schiff mit Apparaten für draht-
lose Telegraphie ausgerüstet wäre. „Unsere gefährlichsten außer-
tropischen Stürme,'' sagte Prof. Herrmann kürzlich in einem Vortrage
im Nautischen Vereine zu Hamburg, ^) „erstrecken sich meist auf ein
so ausgedehntes Gebiet und haben eine so schnelle Verbreitung,
daß es dem Schiffe nur in den seltensten Fällen gelingen würde,
dem Bereiche eines Sturmes zu entgehen, wenn es von dem Auf-
treten eines solchen auf seinem Wege für den nächsten Tag benach-
richtigt würde. Dazu kommt, daß die Eigenartigkeit der außer-
tropischen Stürme in sehr vielen Fällen es keineswegs notwendig
macht, oder es als die Gefahr verringernd anraten läßt, wie bei den
tropischen Wirbelstürmen, einem Wirbelzentrum auszuweichen.
An einen andern unmittelbaren Nutzen einer Prognose allein
für den folgenden Tag für das unterwegs befindliche Schiff als den
der Möglichkeit, einer augenblickUch drohenden Gefahr zu entgehen,
kann wohl nicht gedacht werden. Nur insofern, als mit dieser Prognose
eine Charaktersitik der allgemeinen Wetterlage verbimden wäre,
würde für die Fälle, in denen erfahrungsgemäß ein etwas längerer
Bestand gewisser Windverhältnisse vorauszusehen ist, der Schiffs-
führer, insbesondere eines Segelschiffes, bei der weitem Wahl seines
Weges zeitweise sich bestimmen lassen können.'*
Eine Prognose auf längere Zeit hinaus ist aber nach der gegen-
wärtigen Auffassung der atmosphärischen Vorgänge und auch in
bezug auf die Wettergestaltung auf dem Festlande unmöglich. Anders
verhält es sich nach den Untersuchungen von Prof. Herrmann für
1) Als BroBohüre enchienen bei Eckhard & Meßdorff in Hamburg.
342 Klinuitologiaeli« «ad WetterprognoMo.
den Osean, wenn es houpteächlich auf die Art und Weise der Luft-
druckvertnlung, d. h. auf die Windverhältnisse, abgesehen wiid.
£r verwirft die Vorstellung von regelmäßigen, kreisförmigen WirMn
und Zyklonen in unsem Breiten und sagt geradsEU, wmn man ein
Systral kreisförmiger Isobaren bei der Darstellung von Wettervw-
gangen finde, könne man mit Sicherheit annehmen, daß dies den Tal-
sachen nicht entspreche, und dies Sjmtem sich anders gestalt«i wwd^
wenn zahlreichere und besser verteilte Beobachtungen voriiges.
Die Auffassung jener Erscheinungen als Wirbel habe in melirfacfa»
mathematischen Entwicklungen anscheinend eine Statse gi^undea.
Gegen diese mathematischen Ableitungen könne im aDgpmeinen
weniger der Einwand gemacht werden, daß sie in ihren Bedingungen
der Wirklichkeit nicht entsprechende Einschränkungen anfstdlteo.
Solche Einschränkungen seien bei der mathematischen Ablettung
physikalischer Erscheinungen, zu denen natürlich aach die Vor-
gänge des Luftmeeres gehören, meist nötig, um ihre Darchfuhrung
überhaupt zu ermöglichen. Hauptsächlich aber seien diese Ab-
leitungen deshalb anfechtbar, weil bei ihnen das ungeheuere Ver-
hältnis der horizontalen Ausdehnimg jener vermeintlichen Luft-
wirbel zu ihrer Höhe nicht berücksichtigt wurde. Sie mögen Geltung
haben für die nächste Umgebung des Luftdruckminimums, nimmer-
mehr aber für die großen mächtigen Erscheinungen unserer Atmo-
sphäre. Wie verschwindend seien doch die wenigen Meilen der
Höhe selbst der gesamten Atmosphäre zu der ungeheuem hori-
zontalen Ausdehnung der ganze Ozeane und Kontinente umfassen-
den Phänomene. Keineswegs sei auch bisher durch die Beobach-
tungen der höchsten Luftschichten, sei es durch den Zug der Gmu-
wolken, sei es durch Ballonfahrten und Drachenau£»tiege das Vor-
handensein der von der Theorie daselbst geforderten Luf tbewegungen
nachgewiesen.
Prof. Herrmann hat sich früher selbst mit Au&tellung vc«
Wetterprognosen an der Deutschen Seewarte beschäftigt, er erklärt
aber offen und ehrlich, daß er das Unzulängliche dieser Verfahrungs-
weise empfunden habe. Erst als er von dieser Technik, die wohl
eigentlich von der Hand in den Mund lebt, sich frei gemacht und
das Studium synoptischer Wetterkarten, die sich von den Felsen-
gebirgen Nordamerikas bis zum Ural erstreckten, betrieben, hatten
sich ihm neue Gesichtspunkte eröffnet. Es ist ja auch naheliegend,
anzunehmen, daß der wirkliche Zusammenhang dieser Erscheinungen
erst auf einem solchen weitem Gebiete in die Erscheinung treten
wird, wenn er sich überhaupt deutlich erkennbar macht. Bei seinen
Untersuchungen hat Prof. Herrmann nur das einzige auf diesem
Felde ausnahmslos gültige Gesetz in den Kreis seiner Betrachtungen
gezogen, das barische Windgesetz, welches die Beziehung zwischen
Luftdruckverteilung und Wind ausdrückt. „Das erste," sagt er,
„was nun bei einem eingehendem Studium jener weite Gebiete um-
fassenden Wetterkarten in das Auge fällt, ist die häufige Gruppierung
^ Klimatologisehee und Wetterprognosen. 343
der Loftxlruckverteilung und der Winde in ihren großen Zügen nach
Zonen, die von der westlichen Grenze des Kartenbereiches bis zu
'' ,; ihrer östlichen sich erstrecken. Da natürhch Hochdruckzonen, mit
\[ einer Linie höchsten Luftdruckes, abwechseln mit Zonen niedrigem
Luftdruckes, die eine Linie niedrigsten Luftdruckes einschließen,
so erinnern diese Zonen an die bekannten Mauryschen Zonen der
^ Mittelwerte des Luftdruckes und der Winde. In Wirkhchkeit haben
"^^ sie aber dann ganz verschiedene Lagen, und zu verschiedenen Zeiten
*"" sind ihre Lagen auch unter sich höchst verschieden, so daß zu einer
'' Zeit dort eine Niedrigdruckzone liegt, wo zu anderer eine Hoch-
^^ druckzone sich befindet. Entsprechend gestalten sich auch die vor-
^' herrschenden Luftströmungen äußerst verschieden. In den Fällen
-^ aber, in denen in der Luftdruckverteilung die zonale Verteilung
^ zurücktritt, fand Prof. Herrmann, daß dann etwa in der Richtung
^' der Breitenkreise fortschreitend sich in annähernd gleichen Ent-
' femungen oft Zunahme und Abnahme des Luftdruckes wiederholen,
und den Gebieten niedrigen Luftdruckes entsprechen benachbarte,
'^ ähnlich gestaltete Gebiete hohen Luftdruckes. Darin schien sich
1^- ihm eine wellenartige Natur der atmosphärischen Vorgänge zu offen-
:> baren. Diese Tatsachen zeigten, daß von einer beständigen all-
i- gemeinen Luftzirkulation im Sinne Ferrels in Wirklichkeit keine
:^ Kede sein konnte, und es entstand die Frage, ob eine solche ständige
:i' Zirkulation infolge einer Temperaturabnahme vom Äquator zum
s Pole selbst auf einer gleichartigen Erdoberfläche überhaupt möglich
j sei. Auf der Naturforscherversammlimg zu Wien (1894) konnte
& Prof. Herrmann aus mathematischen Gründen nachweisen, daß dies
in der Tat nicht der Fall sei. Wenn aber der notwendige Austausch
!: der Luft infolge der Temperaturunterschiede zwischen dem Äquator
t und den Polen durch beständige Luftströmungen nicht möglich ist,
i derselbe also nur unter zeitlichen Veränderungen sich vollziehen
kann, so bedingen die physikalischen Eigenschaften der Luft perio-
p disohe Schwingungen und Wellen.
Dies folgt sogar aus den Ferrelsohen mathematischen Unter-
^ suchungen, wie Prof. Herrmann speziell zeigen konnte. Dann hat
Dr. Margules nachgewiesen, daß die auf einer rotierenden Kugel in
1^ einer dünnen, dieselbe bedeckenden Atmosphäre möglichen Wellen-
I bewegungen und Schwingungen graphisch ähnliche Isobarensjrsteme
und Maxima und Minima zeigen müssen, wie unsere Wetterkarten
f tatsächlich enthalten. Das unterstützt die Schlußfolgerung^! von
; Prof. Herrmann wesenthch, und sonach darf man mit einem hohen
Grade von Gewißheit annehmen, daß die veränderlichen Vorgange
in der Atmosphäre, die geschlossenen Isobarensysteme und die mit
I ihnen verbundenen Windsysteme, abgesehen von lokalem Modi-
fikationen, Teile der allgemeinen atmosphärischen Zirkulation
zwischen Äquator und Pol sind.
Natürlich handelt es sich in der Atmosphäre nicht um eine
Welle oder Schwingung, sondern um viele, die sich summieren oder
344 KlimatologiBehM nnd WetterprognoBan.
auch aufheben, und es entsteht jetzt die Aufgabe, die Penodizitäten
derselben festzustellen. Diese Aufgabe ist mathematisch zonadist
unlösbar, man muß sich vielmehr an eine praktische Prüfung halteiL
Dabei entdeckte Prof. Herrmann, daß die großen Zonen der Luft-
druckrerteilung, die in ihrer Veränderlichkeit wohl als Schwingong»
aufzufassen sind, und auch die Bewegungen der fortschreit^ideB
Wellensysteme sich auf der nördlichen Hidbkugel um einen Pül
gruppieren, der aber nicht mit dem geographischen Pole zusammen-
fallt, sondern nicht weit vom magnetischen NordxK>le zu suchen ist
In meteorologischer Beziehung ist dadurch verständlich, weshalb die
Bahnen der Minima über dem nordamenkanischen FesUande vor-
zugsweise von West nach Ost gerichtet sind, über dem Nordatianti-
sehen Ozeane immer mehr nach Norden abbiegen und über Europa
vorwiegend gegen Nordosten fortschreiten.
Um zu zeigen, bis zu welchem Grade es ihm schließlich gelungen
ist, Periodizitäten der Luftdruckverteilung festzusteUen, gibt Prof.
Herrmann Karten der Luftdruckverteilung für zwei verachiedene
Tage mit gänzUch verschiedenen Wetterlagen. An dem einen ist
der Ozean in den mittlem Breiten von einer gewaltigen Depieasicn
überdeckt, während das Azorenmaximum und Tslandminimum ver-
schwunden sind. Am andern Tage zieht sich in nahezu gleicher Lage
ein Hochdruckgebiet quer über den Ozean, und sowohl das Azoren-
maximum als auch das Islandminimum ist vorhanden.
Man muß gestehen, daß die theoretisch festgelegten Isobarai
mit den wirklichen sehr gut übereinstimmen, unvergleichlich besser,
als es nach dem bisherigen alten Systeme der täglichen Wetterprog-
nosen überhaupt zu erreichen wäre. Würde ein solches Zutreffen
allgemein und für jedes Datum vorhanden sein, so wäre für die See-
schiffahrt das Problem gelöst; daran kann aber natürlich zuneit
noch nicht gedacht werden. Immerhin handelt es sich um eine
hochwichtige Anbahnung neuem Fortschrittes auf diesem Gebiete,
denn für den Seefahrer ist die beiläufige Kenntnis der in der nächsten
Woche auf dem Meere zu erwartenden Luftdruckverteilung von
höchstem Werte, da Richtimg und Stärke des Windes für ihn in
erster Linie wichtig sind. Was in dieser Beziehung die von Amerika
ausgehenden monatUchen PUot Charts und ähnliche Unternehmungen
in Europa leisten, ist unwesentüch. Sie enthalten nämhch nur die
durchschnittlichen Wind- und Strömungsverhältnisse nach den bis-
herigen Beobachtungen. Die tatsächliche Luftdruckverteüung und
die Winde weichen aber so wesentlich von den mittlem ab, daß den
Schiffsführer, der sich auf diese Angaben allein verließe, die bedenk-
lichsten Überraschungen treffen würden. Selbst die beständigem
Winde der Passate und Monsune erfahren mannigfache Störungen.
Auch die Häufigkeitszahlen der Winde haben für den Fall der ein-
zelnen Reise doch nur einen sehr bedingten Wert.
Druck von Oskar Leiner in Leipzig, mm
I
I !