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HARVARD COLLEGE
LIBRARY
FROM THE BEQUEST OF
CHARLES SUMNER
CLASS OF 1830
Senator fram Massadmsetts
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JAHRBUCH
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
FÜNFZEHNTER BAND
BERLIN 1894
G. GROTE'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
Herausgeber: W. BODE, M.JORDAN, F. LIPPMANN.
Redakteur: In Vertretung v. VON LOGA.
INHALT.
Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen:
Berlin :
Königliche Museen I, XIII, XXVII, XLI
Beilage LXIII
Königliche National - Galerie XXIV, XXXIX, LIX
Breslau:
Schlesisches Museum der bildenden Künste XL
STUDIEN UND FORSCHUNGEN
Robert Dohme. Von Max Jordan 3
Mit einem Bildnis nach einer Zeichnung von Max Liebermann.
Die Colleoni- Kapelle zu Bergamo. Von Alfred Gotthold Meyer ... 5
Mit zwei Lichtdrucktafeln und sieben Textabbildungen.
Ein neues Selbstbildnis Dürers. Von W. vonSeidlitz 23
Mit zwei Lichtdrucktafeln und vier Textabbildungen.
Die Verleumdung des Apelles in der Renaissance. (Dritter Artikel.) Von Richard
Förster 27
Mit vier Textabbildungen.
Eine Majolika -Malerei des Quattrocento. Von O. von Falke 40
Mit einer Farbendrucktafel und zwei Textabbildungen.
Friedrich der Grofse als Sammler. Fortsetzung. Von PaulSeidel. . . . 48
Der Triumph des Jacobus Castricus. Von V. vonLoga 58
Mit einer Tafel.
Die Wandgemälde von S. Angelo in Formis. Von E. Dobbert 60
Julius Meyer 61
Mit einem Bildnis des Verstorbenen nach einer älteren Photographie.
Die Madonna mit dem Karthäuser und Heiligen von Jan van Eyck. Von
Hugo vonTschudi 65
Mit einer Tafel in Heliographie und einer Textabbildung.
/
I
i
Tizian und Alfons von Este. Von C. Justi 70
Mit acht Textabbildungen.
Friedrich der Grofse als Sammler. Schluss. Von PaulSeidel 81
Mit einer Textabbildung.
Die Italienischen Niellodrucke und der Kupferstich des XV Jahrhunderts. Von
Paul Kristeller 94
Mit zwei Tafeln in Lichtdruck und neun Textabbildungen.
Die Radierungen der Schüler Rembrandts. Von W. von Seidlitz . . . . 119
Pastellbildnis des Grafen Francesco Algarotti von Jean-Etienne Liotard. Von
PaulSeidel 122
Mit einer Tafel in Farben - Kupferdruck.
Zur Byzantinischen Frage. Die Wandgemälde in S. Angelo in Formis. Von
E. Dobbert 60, 125, 211
Mit vieninddreifsig Textabbildungen.
Das Tizianbildnis der Königlichen Galerie zu Cassel. Von C. Justi . . . . 160
Mit einer Tafel in Heliographie.
Entlehnungen Rembrandts. Von C. HofstededeGroot 175
Mit einer Heliographie und vier Textabbildungen.
Die Hochzeit des Alexander und der Roxane in der Renaissance. Von
Richard Förster 182
Mit einer Tafel in Lichtdruck und sechs Textabbildungen.
Holbeins Bergwerkzeichnung im Britischen Museum. Von Eduard His . . 207
Mit einer Tafel in Lichtdruck.
Bilder und Zeichnungen der Brüder Pollajuoli. Von Hermann Ulmann. . 230
Mit einer Heliographie und drei Textabbildungen.
Die architektonische Entwicklung Michelozzos und sein Zusammenwirken mit
Donatello. Von Heinrich von Geymüller 247
Ein Studienblatt des Vittore Pisano zu dem Fresko in S. Anastasia zu Verona.
Von Campbell Dodgson 259
Mit einer Tafel in Lichtdruck.
Die neuentdeckten Wandgemölde zu Dahlem. Von Georg Voss 261
Mit zwei Textabbildungen.
Die Marmorbüste des Alesso di Luca Mini von Mino da Fiesole. Von
Wilhelm Bode 272
Mit einer Tafel in Lichtdruck und einer Textabbildung.
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JAHRBUCH
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
FÜNFZEHNTER BAND
I. HEFT
•^ BERLIN 1894
G. GROTESCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
INHALT.
Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen:
Berlin:
Königliche Museen I
STUDIEN UND FORSCHUNGEN
Robert Dohme. Von M. J 3
Mit einem Bildnis nach einer Zeichnung von Max Liebennann.
Die Colleoni - Kapelle zu Bergamo. Von Alfred Gotthold Meyer ... 5
^Mit zwei Lichtdrucktafeln und sieben Abbildungen im Text.
Ein neues Selbstbildnis Dürers. Von W. vonSeidlitz 23
s Mit zwei Lichtdrucktafeln und vier Abbildungen im Text.
Die Verleumdung des Apelles in der Renaissance. (Dritter Artikel.) Von Richard
Förster 27
Mit vier Abbildungen im Text.
Eine Majolika -Malerei des Quattrocento. Von O. vonFalke 40
^ Mit einer Farbendnicktafel und zwei Abbildungen im Text.
Friedrich der Grofse als Sammler. Fortsetzung. Von PaulSeidel. . . . 48
Der Triumph des Jacobus Casiricus. Von V. vonLoga 58
* Mit einer Tafel.
Die Wandgemälde von S. Angelo in Formis. Von E. Dobbert 60
Redakteur: In Vertretung V. v. LOGA
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Fünfzehnter Jahrgang
No. I.
I.Januar 1894
AMTLICHE BERICHTE
AUS DEN
KÖNIGLICHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
DAS JAHRBUCH DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN KUNSTSAMMLUNGEN ERSCHEINT VIERTELJAHRLICH
ZUM PREISE VON 30 MARK FÜR DEN JAHRGANG.
I. KÖNIGLICHE MUSEEN
I. Juli — 30. September 1893
A. GEMÄLDE-GALERIE
Durch den im Beginn dieses Rechnungs-
jahres erfolgten Tod des Landrates und
Regierungsrates Ulrici wurde das von seiner
1877 verstorbenen Ehegattin der Gemfilde-
Galerie bestimmte sogenannte Reichertsche
Vermächtnis perfekt.
In den Besitz der Sammlung kamen da-
durch folgende zwölf Gemälde, die zum Teil
von nicht geringem künstlerischen Werte
sind oder doch wenigstens Meistern an-
gehören, die bisher in der Galerie nicht
vertreten waren:
C. NETSCHER. Männliches Bildnis.
DERSELBE. Weibliches Bildnis. Gegenstück
zum vorigen.
DIRK VAN BERGEN. Waldlandschaft mit Vieh.
DEUTSCHER MEISTER aus dem XVIII Jahr-
hundert (?). Weibliches Bildnis.
VLÄMISCHER MEISTER UM 1650. Männliches
Bildnis.
J. D. DE HEEM (?). Fruchtstück.
HOLLÄNDISCHER MEISTER in der Art des Jan
Steen. Violinspieler.
Kopie nach A. CüYP. Seestück.
PETER LELY. Königin Henriette von England.
THOMAS WYCK. Alchymist.
M. STOOP. Wachtstube.
NIEDERDEUTSCHER MEISTER aus der ersten
Hälfte des XVI Jahrhunderts. Mann-
liches Bildnis.
L V.:
V. TSCHUDI
B. ANTIQUAR lUM
Erwerbungen:
Vasen.
Eine weifse attische Lekyihos, wo eine
in ungewöhnlicher Weise durch den
Gesichtstypus als Barbarin gekenn-
zeichnete Sklavin im Motive zweier
bekannter Figuren des Parthenon-
frieses einen Stuhl auf dem Kopf
zu ihrer Herrin trägt.
Eine kleine weifse attische Lekythos
mit einer Stele, auf welcher eine
Grabstatue nachgebildet ist.
Terrakotten.
Ein altgriechisches Relief mit aus-
geschnittenem Grunde, das Perseus
darstellt, der die Meduse tötet, aus
deren Halse Chrysaor emporsteigt.
Eine Anzahl von Köpfen aus Tarent.
Kleiner Athenakopf, kleinasiatisch.
Bronzen.
Ein gravierter Spiegel der Pränestiner
Gattung : die drei Göttinen des Paris-
Urieiles nebst Eros; unten eine grofse
Büste des Hermes.
I
III
AMTLICHE BERICHTE
IV
Gemmen.
Ein goldener Ring mit einem Karneol
aus Ägypten, hellenistisch: Knäb-
chen mit Hund.
Skarabäoid von hellem Glas aus Grie-
chenland: ein Greif.
I. V. :
FURTWÄNGLER
C. MÜNZKABINET
Das Münzkabinet erwarb im verflossenen
Vierteljahr zwölf Stück, drei goldene, vier
silberne und fünf Kupfermünzen. Als Selten-
heit ersten Ranges verdient Erwähnung die
Tetradrachme des Antigonus, Königs von
Asien, mit den Typen Alexanders des Grofsen
(jugendlicher Herakleskopf und Zeus mit
dem Adler). Geschenke erhielt die Sammlung
von Herrn William F. Hahlo in Wien (eine
Silbermünze von Neapolis in Macedonien und
drei Goldabschläge braunschweiger Kupfer-
münzen des vorigen Jahrhunderts] und von
Herrn Direktorial -Assistenten Dr. Weigel
(vier Kupfermünzen von Kos, Methymna und
Cebrenia).
V. SALLET
D. KUPFERSTICHKABINET
Von den Erwerbungen dieses Quartals sind
die folgenden hervorzuheben:
A. KUPFERSTICHE
ISRAEL VAN MECKENEM. Christus. B. 64.
LUKAS VAN LEYDEN. Die Tochter Jephtha's.
B. 24.
DERSELBE. Esther vor Ahasver. B. 31.
DERSELBE. Joachim und Anna. B. 34.
DERSELBE. Die Heimsuchung. B. 36.
DERSELBE. Die Anbetung der Könige. B. 37.
DERSELBE. Christus erscheint der Maria
Magdalena als Gärtner. B. 'jj.
DERSELBE. Maria mit dem Kinde und zwei
Engeln in einer Landschaft. B. 84.
DERSELBE.
DERSELBE.
DERSELBE.
Fahne.
DERSELBE.
DERSELBE. Christus und die Apostel, 14 Blatt.
B. 86— 99.
DERSELBE. Der hl. Lukas auf dem Ochsen.
B. 104.
DERSELBE. Der hl. Dominikus. B. 118.
DERSELBE. Der hl. Gerhard Sagredius. B. 119.
DERSELBE. Muhamed und der Mönch Ser-
gius. B. 126.
DERSELBE. Pyramus und Thisbe. B. 135.
Die Soldaten im Walde. B. 141.
Die Bettler. B. 143.
Zwei Kinder mit Helm und
B. 165.
Zwei Kinder mit Schild, Helm
und Fahne. B. 166.
DERSELBE. Zwei Ranken mit Triton und
Sirene. B. 169.
DERSELBE. Zwei Runde mit geflügelten
Kindern. B. 170.
REMBRANDT. Selbstbildnis, zeichnend. B. 22^
in. Zustand.
MARCANTONIO RAIMONDL Der Parnass.
B. 247.
PIERRE -IMBERT DREVET. Bildnis der
Adrienne Lecouvreur. Didot 24, IL Zu-
stand.
ALEXANDRE TARDIEU. Bildnis der Königin
Marie Antoinette von Frankreich.
HENRY WAUTERS. Die Pestbrücke in Am-
sterdam und die Werft in Kampen.
Zwei Radierungen. Geschenke des Herrn
C. Schöffer in Amsterdam.
B. BUCH MIT KUPFERSTICHEN
GEORG CHTISTOPH KILIAN. Ruinen und
Überbleibsel von Athen.
C. ZEICHNUNGEN
RUBENS. Sitzende junge Frau. (Studie zum
Liebesgarten.) Zeichnung in schwarzer
und roter Kreide, weifs gehöht, 427 mm
hoch, 505 mm breit.
DERSELBE. Drei Kinder mit einem Lamm
spielend. (Studie zur Ruhe auf der
P'lucht.) Zeichnung in schwarzer und
roter Kreide, weifs gehöht, 397 mm hoch,
246 mm breit.
L V.
SPRINGER
KÖNIGLICHE MUSEEN
VI
E. ÄGYPTISCHE ABTEILUNG
Die ilgyptische Abteilung erwarb im letzten
Vierteljahr die Bronzefigur eines Vogels,
vielleicht des Phönix, in griechischem Stil.
An vorderasiatischen Altertümern wurde eine
Sammlung von Siegelsteincn , meist aus der
Sassanidenzeit, ein Skarabäus mit aramäischer
Inschrift und drei der bekannten Zauber-
schalen mit hebrUischen Aufschriften er-
worben.
Von dem Königlich Italienischen Unter-
richts -Ministerium wurde der Gipsabguss
einer ägyptischen sitzenden Statue, die in
Benevent gefunden worden ist, zum Geschenk
gemacht.
I. V.:
STEINDORFF
F. MUSEUM fOr Völkerkunde
l. ETHNOLOGISCHE ABTEILUNG
INDIEN.
Geschenke. Herr Dr. Joest: Modelle
von Häusern von den Philippinen; aus der
Sammlung Tanners. Herr Habel: Schiffs-
modell aus Ceylon. Herr Dr. Benecke:
Darstellung des Batikverfahrens auf Java,
ferner javanischer Hausrat mit ausführlicher
malayischer Erklärung.
Erwerbungen. Im Anschluss an frtlhere
Verhandlungen wurden sechs aus Holz ge-
schniute, bunt bemalte Teufelsfiguren: Pro-
ben des Dämonendienstes auf Ceylon, er-
worben.
OSTASIEN.
Geschenke. Die Berliner Gesell-
schaft für Anthropologie, Ethnologie
und Urgeschichte: prähistorische Funde
aus Japan. Herr Habel: Bogen und Pfeile
(Spielzeug) aus Japan. Herr von Brandt,
Excellenz: zehn Dramen auf den Feldherrn
<5u-koh-liang.
Erwerbungen. Chinesischer Bronze-
spiegel, im Austausch gegen eine japanische
Porzellanvase (Dublette), von Herrn Professor
Dr. Philippi in Giefsen.
EUROPA.
Geschenk. Frl. M. Fränkel in Berlin:
Kostümfigur aus Lappland.
AFRIKA.
Geschenke. Herr Konsul a. D. Ernst
Vohsen: eine Purrah-Maske aus Westafrika,
(eine aus verschiedenen Gesichtspunkten sehr
willkommene Bereicherung). Herr Dr. Otto
Olshausen: ein Sporn aus Marokko. Herr
Professor Dr. Schwein für th: Rinde von
Brachicheylon und Rindenzeug aus Uhla.
Herr Dr. F. Stuhlmann und Herr Dr.
A. Greeff: Gipsmasken und HandabgUsse der
Stuhlmannschen Pygmäen aus Ituri. Herr
Pflanzer Goldberg: eine Sammlung von
Ewe -Thonpfeifen.
Erwerbungen. Ethnographische Samm-
lungen aus Konde, Knopneusen und Katanga.
Eine ethnographische Sammlung aus Bali
und Bakundu. Zwei FederhUte aus Mittel-
afrika, durch Tausch gegen Balisachen (von
Herrn Dr. Heck).
AMERIKA.
Geschenke. Frl. M. Fränkel: Kostüm-
figur aus Mexico. Herr von Gramatzki:
Idol aus Kupfer von den Chibchas.
Erwerbung. Ein Häuptlingskostüm
nebst Bogen und Pfeilen aus Brasilien.
OCEANIEN.
Geschenk. Herr Dr. Back: Sepia-
Schulpe und Betellöffel aus Neu -Guinea.
A. BASTIAN
IL VORGESCHICHTLICHE ALTERTÜMER
PROVINZ BRANDENBURG.
Geschenke. Frau von Bredow-Lan-
din: eine kleine Bronze -Fibel von Landin,
r
VII
AMTLICHE BERICHTE
VIII
Kreis West- Havelland. Herr Amts vorstehen
Bruno w in Tegel: drei Urnen und eine
eiserne Lan^enspiue von Tegel, Kreis Nieder-
barnim.
Ankäufe. Dreizehn kleine Thongefilfse
von Christian Stadt, Kreis Sorau. Ein grofser,
hohler Bronze -Halsring und ein Flachcelt
von Bronze. Eine goldene Zierplatte von
Freiwalde, Kreis Luckau.
PROVINZ WESTPREUSSEN.
Geschenk. Aus dem Nachlasse des Herrn
Regierungsrates Lüdemann in Bromberg,
von den Erben desselben: elf Urnen und
kleine Thongeftlfse von Proch, Kreis Flatow.
PROVINZ POMMERN.
Ankäufe. Ein Thongeftfs mit zwei
Bronze -Armringen und eine Schmucknadel
aus Bronze von Treten, Kreis Rummelsburg.
Eine kleine Kollektion Rügenscher Feuerstein-
Geräte.
PROVINZ POSEN.
Ankauf. Eine gröfsere Anzahl von Thon-
gefäfsen und kleinen Bronze- Beigaben von
Dluiyn, Starkowo, Gorsko und anderen Fund-
orten, im Kreise Fraustadt.
PROVINZ SCHLESIEN.
Geschenk. Herr Regierungsrat Frie-
densburg in Steglitz: vier Thongeföfse von
Gr. Jeseritz, Kreis Nimptsch.
Ankauf. Zwei römische Bronze -Fibeln
und ein Thonwirbel aus einer Urne von
Koeben, Kreis Steinau.
PROVINZ SACHSEN.
Geschenk. Herr Gustav Seligmann
in Croebeln: eine Glasperle von Croebeln,
Kreis Liebenwerda.
A n k ä u f e. Thongefiifse von Liebenwerda.
Einige Steingeräte, Geftifsscherben und An-
deres von Croebeln. Eine grofse Urne mit
Bronze- und Eisen - Beigaben von Leitzkau,
Kreis Jericho w I.
PROVINZ HESSEN - NASSAU.
Geschenk. Herr Oberst a. D. von
Cohausen in Wiesbaden: einen grofsen.
hutförmigen Mahlstein von Mielen, Kreis
Goarshausen, römische, prismatische Ziegel
und drei Gipsabgüsse.
RHEINPROVINZ.
Geschenke. Seine Excellenz der Herr
Minister der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinal-Angelegenheiten hatte die Gewogen-
heit, die Photographie eines römischen Stein-
Sarkophages von Köln zu Überwei.sen. Herr
Direktor Dr. Mummenthey in Wesel: zwei
Photographien eines auf der »Büdericher
Insel« bei Wesel gefundenen Schiffes.
A n k ä u f e. Eine grofse germanische Urne
von der Hardt, zwei kleine Thonnäpfe von
Ravensberg und Altenrath und einige Thon-
scherben aus derselben Gegend. Zwei runde
eiserne Scheiben von einer römischen Fund-
stelle in Mastershausen, Kreis Zell. Fränkische
Gräberfunde von Nettersheim, Kreis Schieiden.
Thongeföfse und Scherben von Leidenhausen,
Delbrück und Thurn im Kreise Mühlheim.
Thongefäfse, Scherben und ein kleiner Bronze-
Ring von Schreck und Siegburg, im Kreise
Sieg.
PROVINZ WESTFALEN.
Geschenk. Das Königliche Salzamt
zu Neusalz werk bei Oeynhausen: einen
Einbau m von Gohfeld, Kreis Herford.
Ankauf. Ein Steinbeil, neolithische Ge-
fäfsscherben und eine Thonschale mit ge-
brannten Knochen aus dem Münsterlande.
PROVINZ HANNOVER.
Geschenk. Herr Kaufmann Ernst
Grundstedt in Uetze: Thonscherben aus
einem Hügelgrabe bei Uetze, Kreis Burgdorf.
Ankäufe. Eine Mäander-Urne von Him-
bergen und Scherben von Gr. Hcsebeck,
Kreis Uelzen. Ein Bronzecelt von Langwedel,
Kreis Verden. Sieben Urnen und Scherben
von Rebenstorf, Kreis Lüchow.
IX
KÖNIGLICHE MUSEEN
HOHENZOLLERN.
Geschenk. Frau Professor Dr. Kurtz
in Ellwangen: Urnenscherben von Beuron
bei Sigmaringen.
KÖNIGREICH SACHSEN.
Geschenk. Herr Gustav Seligmann
in Croebeln : eine Bronze - Pfeilspitze, -Nagel
und ein Bruchstück eines Bronze-Armringes
von Bornitz, Amt Oschatz.
THÜRINGEN.
Geschenk. Herr Dr. A. Goetze in
Jena: eine silberne, teilweise vergoldete Fibel,
ein Bruchstück einer ebensolchen Fibel, einen
Bronzering und drei Glasperlen aus mero-
wingischen Gräbern bei Weimar.
Ankäufe. Einige kleinere Kollektionen
von Steingeräten, ein Beil und ein Dolch aus
Feuerstein, sowie ein Bronzemesser von ver-
schiedenen Fundorten. Sechs Steingeräte
von Wolsborn bei Weimar.
BAYERN.
Ankäufe. Drei Grabfunde von Thal-
mässing in Oberbayern. Eine lange Bronze-
Nadel, ein Bronze - Armring und Bruchstücke
von Bronzen von Regensburg.
BADEN.
Ankauf. Eine Sammlung von Pfahlbau-
Funden aus Bodman und anderen Lokalitäten.
WÜRTTEMBERG.
Geschenke. Frau Professor Dr. Kurtz
in Ellwangen: sechs eiserne Pfeilspitzen und
römische Thonscherben von dem Kastell bei
Buch bei Ellwangen, sowie frühmittelalter-
liche Thonscherben aus der Umgegend von
Ellwangen. Herr Oberamtspfleger Siein-
hardt in Ellwangen: drei Bronze -Armringe
aus vorr'imischer Zeit und eine eiserne silber-
tauschierte Riemenzunge aus einem fränkischen
Grabe von Pfahlheim sowie zwölf römische,
eiserne Pfeilspitzen von dem Kastell bei Buch.
RUSSLAND.
Ankauf. Eine kleine Thonlampe von
Simferopol in der Krim.
GRIECHENLAND.
Geschenk. Direktorial - Assistent Herr
Dr. Weigel hierselbst: zwei Nuclei und drei
Späne von Obsidian, einen Feuersteinspan,
drei Bronze - Pfeilspitzen, vier Augenperlen
und einen Tierkopf aus Glas von verschie-
denen griechischen Fundorten.
UNGARN.
Ankauf. Bronze-, Gold- und Silber-
Geräte und Schmucksachen.
SCHWELM.
Ankauf. Einige Fundstücke von Thayn-
gen und aus dem Bieler See.
FRANKREICH.
Geschenk. Herr Kastellan Strumpf in
Berlin: eine kleine Urne mit gebrannten
Knochen von Versailles.
A.VOSS
G. KUNSTGEWERBE-MUSEUM
Ankäufe
DREI FÜLLUNGEN, Eichenholz geschnitzt,
Deutschland um 1550.
LEHNSTUHL, Frankreich, Anfang XVIII Jahrh.
ZWEI BILDERRAHMEN. Frankreich, Anfang
XVIII Jahrh.
KANNE, Kupfer getrieben. Italien, XVI Jahrh.
POTPOURRI, Porzellan mit Malerei und Ver-
goldung. Sevres um 1760.
FAYENCEPLATTE, achteckig, blau gemalt mit
biblischem Bild. Rand farbig, auf schwar-
zem Grund. Delft, XVII Jahrh.
Geschenke
Herr BERNHARD ULMANN & Co. in New
York: Vordrucke für Stickerei.
XI
AMTLICHE BERICHTE
XII
Herr CONRAD: Gesticktes Bild auf Seide unter
Glas und Rahmen.
Oberwiesen
Vom Königlichen Ministerium für Handel und
Gewerbe: Preismedaille für die Schüler
der Zeichen-Akademie in Hanau, Bronze.
Arbeiten neuerer Industrie
Von Herrn SCHULZ & HOLDEFLEISS: Treppen-
pfeileraufisatz in Gestalt eines Greifen,
Schmiedeeisen.
Von Herrn VILLEROY & BOCH: Fliesenfeld
in Holzrahmen mit Darstellung des
Brandenburger Thores, Vasen, Blumen-
kübel und Trinkgeföfse; Fayence.
Für die Bibliothek sind erworben:
Mit einem vom Königlichen Ministerium
der geistlichen etc. Angelegenheiten bewilligten
Zuschuss :
WALTER CRANE, 56 Bl. Handzeichnungen
und Aquarelle.
LESSING
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei
STUDIEN
UND
FORSCHUNGEN
(^ ()o-cL<^
Die Herausgeber dieses Jahrbuchs erfüllen eine traurige Pflicht, indem sie zur Anzeige
bringen, dass der Geheime Regierungsrath Dr. Robert Dohme, welcher seit dem Be-
stehen unserer Zeitschrift als deren Redakteur thätig war, am 8. November 1893
im 49. Lebensjahre verstorben ist.
Gewissenhaftigkeit und Treue, Weitblick und reiche Kenntnis, wie sie den Verstorbenen
in dieser Thätigkeit auszeichneten, waren die Ergebnisse einer Lebensführung, welche in
allen ihren Stadien mit der Sorge um die Gesundheit zu kämpfen hatte. Bei allem, was er
unternahm, darauf gefasst, mitten in der Arbeit abgerufen zu werden, hat unser Freund
doch niemals die Kraft verloren, seine Ziele so hoch zu stecken, als geböte er über un-
verwüstliche Gesundheit. Von dem schwarzen Grunde des dräuenden Todes hebt seine
Wirksamkeit sich leuchtend ab als ein Zeugnis unbeirrbarer Seelenstärke.
Im Schauen des Berliner Königschlosses geboren hat Dohme bei gereiften Sinnen in
der Baukunst den führenden Genius seines Strebens gefunden. Da die Zartheit des Körpers
ihm versagte, ihr werkthätig zu dienen, ging er darauf aus, sie geistig zu erfassen, ihr for-
schend die Geheimnisse abzuringen. Seine erste Arbeit, welche ihm in Göttingen die Doktor-
würde eintrug, behandelt die Gistercienser-Kirchen des mittelalterlichen Deutschlands, eine
Studie, die nur darin die Jugend ihres Verfassers erkennen lässt, dass sie eine ganz vor-
uneilslose Würdigung der Denkmäler anstrebt. Mit eigenem Auge zu schauen und aus
selbstgebildeter Überzeugung zu uneilen war und blieb sein eifriges Bestreben. Das bewährt
in höherem Mafse die umfassende deutsche Baugeschichte, die er in seiner Vollreife als Teil
ROBERT DOHME
der im Groteschen Verlage erschienenen »Geschichte der deutschen Kunst« verfasst hat. In
der anspruchslosen Form einer gemeinverständlichen Darlegung der Stilphasen sind hier
eingreifende Forschungsergebnisse niedergelegt.
Den Mittelpunkt seines Interesses nach dieser Richtung aber bildete das Barock und das
Rococo. Die graziöse Laune der Bau- und Omamentformen des 17. und 18. Jahrhunderts
hat in Dohme den verständnisvolkten Dolmetsch gefunden. In zahlreichen kleinen Studien
bewegt er sich mit dem Behagen der Meisterschaft auf diesem Gebiet, das so lange Zeit von
der Wissenschaft stiefmütterlich behandelt worden war. Was er uns hier darbietet, vor
allem die Baugeschichte des Schlosses zu Berlin, giebt neue Unterlagen und festen Boden.
Von dem Verdienst, die vielverkannte Periode der modernen Baugeschichte gewisser-
mafsen wieder ehrlich gemacht zu haben, kommt ihm ein reichlich Teil zu.
Aber er war von Einseitigkeit weit entfernt. Wer seine Beteiligung an den Arbeiten
der Sachverständigen -Kommission der K. Museen und in der Akademie des Bauwesens
gekannt hat, muss die Objektivität seines Urteils rühmend anerkennen.
Die Beschäftigung mit der Kunst des Zeitalters, in welchem grofse Geistesthaten auf
dem ästhetischen Gebiet mit der Genussfreude der Liebhaberei und des Sammeleifers sich
vereinigen, formte das Gepräge seines Geistes. Mehr und mehr bildete sich in ihm der
feine Tastsinn des Kenners aus, welcher das intime Wesen der Dinge erfasst. Wenn er
auch mit grofsem Geschick sich Aufgaben allgemeinerer Art widmete, wie z. B. der Lei-
tung und Bereicherung des Sammelwerkes »Kunst und Künstler«, so blieb doch stets das
Individuelle der künstlerischen Erscheinung sein eigentliches Augenmerk. Das Feingefühl,
das seine Arbeiten über Watteau zeigen, der zarte Sinn und durchgebildete Geschmack, mit
welchem er die Stilistik der Kunst im Gewerbe verfolgte, offenbart den Nerv seines Wesens.
Wäre ihm vergönnt gewesen, seinen Plan einer Geschichte des Wohnhauses durchzuführen,
von dem wir in der Studie über das englische Haus ein Beispiel besitzen, dann würden
wir um ein klassisches Buch reicher sein.
Durch die Überlieferung der Familie, aber mehr noch durch den aristokratischen Zug
seines künstlerischen Wesens war Dohme auf den Dienst am Fürstenhofe hingewiesen. Schon
in der Stellung als Bibliothekar Sr. Maj. des Königs versuchte er in der Verwaltung des könig-
lichen Kunstbesitzes neue Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Das hohe Verständnis,
das ihm dabei von Seiten des Kronprinzlichen Paares entgegenkam, gestaltete *sich zu einem
Venrauensverhältnis, welches der Stolz seines Lebens gewesen ist. Die Stellung im Hof-
marschallamte, wie Kaiser Friedrich sie ihm verlieh, gab ihm Gelegenheit, bei aller Zurück-
haltung, die der Dienst erheischt, durch seine Anregungen ins Grofse zu wirken. Königliches
Venrauen und liebevolle Gunst der Mächtigen mit der Hingebung zu erwidern, welche den
Ernst der Aufgaben nie aufser Augen lässt, ist Dohmes höchster Ehrgeiz gewesen.
Nach schmerzvoller Entsagung ward ihm für die so kurze Spanne Zeit, die ihm noch
zu wirken vergönnt war, eine Thätigkeit geboten, in welcher er das organisatorische Talent,
das er schon in der Hofverwaltung und vorher einige Jahre hindurch bei der Mitarbeit an
der Leitung der Nationalgalerie bewährt hatte, in neuer Form zur Geltung zu bringen, in-
dem er das Amt des ständigen Sekretärs der Akademie der Künste übernahm. Dank seiner
vielseitigen Erfahrung und seines reichen Herzens hat er auch in diesem Verhältnis eine
Wirksamkeit entfaltet, die unvergessen bleiben wird. Den letzten Rest seiner Kraft setzte
er daran, auch hier Pläne von nachhaltiger Bedeutung zu entwerfen.
Körperliches Leiden steigert in der schwachen Seele die Schwäche, in der starken
aber die Kraft. Das hat Dohmes letzte Leistung bewiesen. Es war etwas Heroisches in
der stillen Energie, womit er sich des Anspruchs der Natur zu erwehren suchte, um seine
Pflicht zu thun. M. J.
DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO.
EIN REKONSTRUKTIONSVERSUCH
VON ALFRED GOTTHOLD MEYER
In den Ruhm der Cappella CoUeoni zu Bergamo, die formen- und farbenfrohe
Pracht lombardischer Renaissancedekoration auf kleinstem Raum am reichsten zu
entfalten, klingt ein stetig wiederholter Tadel. Obschon man gewöhnt ist, in der
lombardischen Renaissance die stilistische Folgerichtigkeit und die monumentale
Gröfse toskanischer Kunst zu vermissen und sich dem Zauber dieser Kapelle auch
dann nicht entzieht, wenn sie eher einem »grofsen Dekorationsstück als einem Bau-
werk«^) gleicht, bleibt hier jener Mangel sowohl an der Fassade, wie an den wenigen
noch aus der Renaissance stammenden Teilen des renovierten Inneren im Gesamt-
eindruck besonders störend. Schon Luigi Calvi') nannte die Fenster überladen und
Perkins') rügte am Grabdenkmal des CoUeoni das Missverhältnis zwischen Last und
Stütze, wie auch der »Cicerone«*) von diesem Monument sagt, »der überreiche pla-
stische Schmuck entschädige nicht genügend für den mangelhaften Aufbau«. Das
heutige Gesamturteil über die Cappella CoUeoni darf wohl in die Worte Julius
Meyers*^) zusammengefasst werden: »Mit der gröfsten Pracht, mit einem fast ver-
schwenderischen Reichtum des Details ausgestattet, zeigt sie im Allgemeinen eine ge-
wisse Verwandtschaft mit der Fassade der Cenosa, aUein es ist bei aller Schönheit
mancher Einzelformen und der dekorativen Gesamtwirkung eine Aufsatzarchitektur von
schweren Verhältnissen, von seltsamer Häufung einzelner BaugUeder (wie der Säulchen
in den Fenstern), die zudem mehrfach von plumper Bildung sind, und endlich von
omamentaler Überladung, durch die bunte Marmorinkrustation der Wandfläche, welche
^) Burckhardt, »Cicerone«. VI. Aufl. 1893, S. 169.
2) Notizie sulla vita e sulle opere dei principali architetti, scultori e pittori che fiori-
rono in Milane durante il governo dei Visconti e degli Sforza. Milane 1859. ^^> S. 150.
Vergl. auch: Paravicini, Die Renaissance -Architektur der Lombardei. Deutsche Ausgabe.
Dresden. Text S. 3 f.
2) Les sculpteurs Italiens, ed. HaussoulUer. Paris. II, S. 146.
*) S. 414, e.
*) Allgem. Künstlerlexikon. »Amadeo.« Neben diesem Artikel sind als die ausführ-
lichsten Schilderungen der Cappella CoUeoni zu nennen: Locatelli, in »Bergamo o sia No-
tizie Patrie«. Almanacco 1856. Bergamo. S. ii2ff'.; Lübke in Z. f. b. K. VI, 1871: Zur italie-
nischen Kunstgeschichte. Renaissance-Skulptur in Oberitalien. S. 37 ff", und O. Schmal:^ im
»Centralblatt der Bauverwaltung«, IX, 1889. Bergamo alta. S. 325 ffl Die Kapelle wird von
allen diesen Autoren als ein einheitliches Werk behandelt.
No. I. Fassade.
DIE COLLEONI-KAPELLE ZU BERGAMO VON ALFRED GOTTHOLD MEYER
als allzu anspruchsvoller und allzu lebhafter Hintergrund den plastischen Schmuck
beeinträchtigt«. Am CoUeoni-Denkmar aber »ist der Bau des Ganzen nicht glücklich
zu nennen; er lässt das Organische, den architektonischen Rhythmus, vermissen«.
Diese Rügen sind zweifellos durchgängig berechtigt, ja sie lassen sich, wenn
man ihre Begründung im Einzelnen nachprüft, noch wesentlich vermehren.
Dies gilt zunächst ftir die Fassade, und zwar am augenfälligsten für die Anord-
nung ihres Bildschmuckes,
Über dem grofsen Radfenster balanciert, ohne Konsole, die Statue eines Ge-
wappneten, die man nicht ohne Besorgnis betrachten kann. Sicherer stehen die vier
weiblichen Statuen über den Seitenpilastern der beiden Hauptfenster, aber weder vor
der Mitte der hinter ihnen befindlichen schwarzen Konsolen, noch in der Mittelachse
jener unter ihnen befindlichen Fensterpfeiler. Wie seltsam ist vollends die Anord-
nung der beiden weiblichen Statuen neben dem Portal, über rechteckigen Posta-
menten, an denen sich das Sockelgesims totläuft, auf barock wirkenden Basen, deren
an sich unvollständige Teile weder im Einzelnen zu einander passen, noch auch nur
eine gleiche Gesamthöhe ergeben.
Die Bedenken mehren sich, wenn man diese Statuen der Fassade im Einzelnen
prüft. Insgesamt sind sie lediglich für die Vorderansicht berechnet, an den Rückseiten
unbearbeitet, überhaupt nur halbe Figuren. Eisenstangen ver-
binden sie in äufserst roher Weise mit der Mauer: eine ft-eilich
unbedingt notwendige Befestigung, da ihre dünne Marmormasse
sich ohne Stütze kaum zu halten vermöchte. Figuren dieser
Gattung pflegt die Renaissance, die ihren liebevollen Fleifs
meist selbst an völlig verborgener Stelle walten lässt, wohl als
Nischenfüllung zu arbeiten, — völlig analoge Beispiele zeigt
die Front der Certosa von Pavia — nicht aber als scheinbare
Freistaiuen soffittenartig vor einer Fassade anzubringen.
Aber auch abgesehen von ihrem Bildschmuck bietet die
Front der CoUeoni-Kapelle auch in ihren baulichen und orna-
mentalen Teilen bemerkenswerte Unregelmäfsigkeiten und Ver-
stöfse gegen jede gesunde Architektonik. Zunächst an ihren
beiden Fenstern, welche durch das breite, als Fenstersturz wir-
kende Rahmengesims so stark verkleinert, und in so seltsamer
Weise unten durch die dicht aneinander gerückten sechs Säulen,
oben durch ebenso viele kurze, vor schwarzen Marmorplatten
aufgestellte Pilaster gegliedert sind, wobei Pilaster und Säulen
auch hier nicht in der Achse übereinander stehen, und die
mit feinstem Ornament geschmückten Fensterwandungen vom
Rahmen der jetzigen mit jenen Säulen besetzten Fensteröffnung
im Lichten rücksichtslos durchschnitten werden. Wie auffällig
ferner, dass das grofse Radfenster das oberste Gesims der Seiten-
fenster nahezu streift; wie unorganisch dieses Gesims selbst, mit
seiner Verdoppelung, beziehungsweise Trennung in zwei Teile
mittels der völlig malerisch eingeschobenen Cherubim köpfe!
Auch das Portal erscheint durch die hohen Zierbauten der
Fenster gar zu sehr beengt, und sein Zugang auf sechs seit-
lich abgeschrägten Stufen steht mit dem Sockelteil der ganzen Front offenbar nur in
einem erzwungenen Zusammenhang.
No 3. Schnitt durch das
Sockelgesims der Fassade
neben dem Portal.
8
DIE COLLEONI - KAPELLE ZU BERGAMO
N0.3. Grundriss der Kapelle.
Schon die Fassade legt demgemäfs die Annahme nahe, dass ihre gegenwärtige
Gestalt keineswegs die ursprüngliche, dass sie vielmehr das Ergebnis mannigfacher
Umwandlungen, Umstellungen und Zusätze sei.
Beim Betreten des Inneren wird diese
Annahme fast zur Gewissheit. Dort herrscht
das XVIII Jahrhundert, und die ursprüng-
lichen Teile, welche der Renaissance an-
gehören — im wesentlichen nur die beiden
Grabmonumente des CoUeoni und seiner
Tochter Medea*), die Eingangspfeiler zur
Chorkapelle und die drei Heiligenstatuen*)
auf dem Altar — erscheinen innerhalb des
Ganzen jetzt als völlig heterogene Gebilde.
Man erkennt jedoch auch sofort, dass nicht
nur die plastische und malerische Dekoration,
sondern auch die ganze architektonische Ein-
teilung verändert wurde, und zwar in völlig
unorganischer, nur auf den Gesamteffekt be-
rechneter Weise. Von den vier reichen Holz-
thüren, welche symmetrisch an den Wänden
verteilt sind, haben nur die beiden südlichen
einen Sinn, indem die eine von ihnen den
Verbindungsgang mit S*- Maria Maggiore, die
andere den Eingang zur Sakristei bezeichnet;
die beiden nördlichen sind lediglich Blendthüren.
Prüft man ferner die Öffnungen der Fassadenwand,
so zeigt sich vor Allem an den Fenstern eine sehr
auffällige Unregelmäfsigkeit. Die inneren Fenster-
öffnungen entsprechen weder ihrer äufseren, durch
die beiden Hauptpilaster und das Hauptgesims be-
grenzten Öffnung, wie man bei der Betrachtung der
Fassade annehmen möchte, noch auch der niedri-
geren jetzigen Öffnung im Lichten, welche durch
^^^^ jene sechs Säulen geteilt wird; sie sind überhaupt
f^ r^ if^ ^^^^1 nicht horizontal geschlossen, sondern im Halbkreis,
j^^IJsi^iM»^ ^^^H dessen Kämpferlinie aber keineswegs durch diejenige
der äufseren Lünette, sondern durch den oberen
Horizontalrahmen der jetzigen Öffnung im Lichten
bezeichnet wird: innen also ein gut proportio-
niertes Rundbogen-, aufsen aber ein fast quadrati-
sches Fenster, bei welchem jener innere Rundbogen
durch schwarze Marmorplatten und Pfeiler völlig ver-
kleidet ist. Über dem Hauptgesims aber folgt dann,
thatsächlich ganz unmotiviert, ein halbkreisförmiges Blendfenster. Die gröfsten Wider-
sprüche also zwischen der Dekoration und dem baulichen Organismus! —
Ähnliche Bedenken erregt das GrabmonuMent des CoUeoni selbst.
^) Dasselbe wurde 1842 aus S«- Maria della Basella hierher übertragen.
*) Der Täufer, S. Marcus und S. Bartolommeus.
No. 4. Schnitt durch das Fenster.
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JAHRBUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. l^\
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A M A D E O
GRABMAL DES B A R T O L O M E O G O L L E O N 1
COLLEONI-KAPKLLH /U BERGAMO
JAHRBUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 1891
VON ALFRED GOTTHOLD MEYER
Gegen den unteren Hauptteil bis zur Plattform, auf welcher sich der Säulenbau
erhebt, und die fünf Heldenstatuen fufsen, wird man bei Prüfung der Vorderseite
auf den ersten Blick nichts einwenden können, es sei denn, dass die vier Pfeiler im
Verhältnis zu der auf ihnen ruhenden Last zu schwach erscheinen: ein in der lom-
bardischen Renaissance fast traditioneller Fehler, welcher an sich noch nicht zwingen
könnte, die Einheitlichkeit dieses Teiles zu beanstanden. Derselbe entspricht ja auch
einem Haupttypus der italienischen Grabmonumente, welcher schon im Mittelalter
zu reicher Ausbildung gelangt ist und sich als eine Anpassung des »Freigrabesa an
die Bedingungen des »Wandgrabes« kennzeichnet: der Kasiensarkophag auf Pfeilern
ruhend, wobei deren hintere Reihe zum Teil in die Rückwand der Mauer selbst
eingelassen scheint. Denn dass man den reich gegliederten kastenförmigen Körper,
welchen die Pfeiler tragen, wenigstens dem künstlerischen Grundgedanken nach als
Sarkophag auffassen darf, kann trotz seiner mächtigen Dimensionen'), die sich übrigens
an zahlreichen »Sarkophagen« finden, an sich nicht bestritten werden.
Wie erklärt sich dann aber das Vorhandensein des zweiten, kleineren »Sarko-
phages«, welcher jetzt unmittelbar als Sockel der Reiterstatue dient? —
Die Antwort ist um so schwieriger, als beide »Sarkophage« gänzlich verschieden
sind. Verschieden sind ihre Mafse, im Ganzen wie in allen Einzelheiten; verschieden
ist der Mafsstab der Figuren — am oberen Sarkophag sind dieselben weit gröfser,
unten wird dagegen der Landschaft und dem Hintergrund breiterer Raum gegeben —
verschieden ist vor Allem die Breite der Reliefs, die darin übrigens auch vonein-
ander abweichen.') — Die Trennungspfeiler zwischen den Reliefs des oberen Sarko-
phages stehen daher nicht in der Mittelachse derjenigen des unteren, und wie immer
man ihn in Gedanken verschieben mag, bleibt es unmöglich, sie in deren Achse
zu rücken. Am störendsten aber ist, dass die hohen, kelchartigen Stützen (hinter
den sitzenden Helden), aufweichen dieser obere Sarkophag aufruht, wiederum sowohl
von der Mittelachse jener unteren, wie von derjenigen der oberen Trennungspfeiler
der Reliefs abweichen. Dazu kommt, dass dieser obere Sarkophag mit den vorderen
Ecken seines Sockelgesimses knapp auf der Basis der den Boden tragenden Säulen
aufliegt, ja zum Teil in diese Basis einschneidet und mit seinem Krönungsgesims
fast die Säulenschäfte streift! Und kaum minder wird das Auge durch die Posta-
mente dieser Säulen selbst beleidigt, durch jene breiten, konvex begrenzten Stücke
roten Veroneser Marmors, deren unförmliche Dimensionen durch den Reliefschmuck
mit Palmetten, Ranken und geflügelten Halbfiguren nur wenig gebessen, durch die
rhombenförmigen, weifsen Deckplatten über ovalen, schwarzen Zwischenstücken
aber eher noch verschlimmert werden. Endlich tragen zu dem ungünstigen Gesamt-
eindruck auch die fünf Heldenstatuen wesentlich bei. Die beiden Stehenden —
Herkules und Perseus*) — haben, hart an den Ecken des Sarkophages, ohne Kon-
') Seine Länge beträgt 4>355 m., seine jetzige Breite i,i6 m., seine Höhe 1,563 m.
') Die Mafse der Reliefs nebst ihren Astragalrahmen betragen an der Frontseite des
Kreuztragung • • • 57 cm. Höhe, 94,6 cm. Breite
unteren Sarkophages { Kreuzigung . . . 57,5 cm. « 90^ cm. «
Kreuzabnahme . . . 58,5 cm. « 95,5 cm. «
Verkündigung .... 57 cm. « 79 cm. «
oberen Sarkophages ^ Geburt -57 cm. « 94,5 cm. «
Anbetung der Könige . 61 cm. « 80,5 cm. «
'} Die Statue an der rechten Ecke dürfte, wie die Locken in ihrer Linken, doch wohl
das Fragment des Medusenhauptes, noch bezeugen, als nPerseus« zu deuten sein.
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No. 5. Oberer Sarkophag mit Heldenstatue.
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DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO VON ALFRED GOTTHOLD MEYER
seien, kaum Raum genug, um sicher Fufs zu fassen; die drei Sitzenden sind vom
Organismus des Ganzen völlig losgelöst, und schon ihre rein malerische Anordnung
auf schräg gestellten Postamenten, in halber Vorderansicht, widerspricht den Kompo-
sitionsregeln der Renaissance und ist ihrer Wirkung wenig günstig, wie denn auch die
beiden Frauenstatuen oben neben dem Ross sich an wenig glücklicher Stelle befinden.
Die Bedenken gegen die UrsprUnglichkeit solcher Anordnung werden bei der
Prüfung der Schmalseiten bestätigt, und hier empfängt auch ein Rekonstruktions-
versuch sofort einen festen Anhalt: man erkennt hier unmittelbar, dass zunächst die
Breite des Monumentes wesentlich vermindert ist.
An der Wandseite sind etliche Teile ab- und durchgeschnitten. Schon am unteren
Sarkophag vermisst man die Nische, welche, wie vorn, so auch hier das Relieffeld
flankieren müsste. Nur ihr halber Seitenpfeiler findet sich. Zum mindesten ward
jedoch zweifellos die Schmalseite des oberen Sarkophages verunstaltet. Hier wurde der
vordere Pilaster gänzlich verkrüppelt, indem man seine ornamentale Füllung einfach
herausnahm und die beiden Rahmenprofile aneinander schob, und ebenso am Kapital
das Mittelstück tilgte. Von dem zweiten, der
Wand benachbarten Pfeiler vollends wurde die
Hälfte abgeschlagen. Ähnlich verfuhr man mit
den entsprechenden Teilen der Säulen und des
Bogens. Die weiblichen Halbfiguren jener grofsen
roten Postamente büfsten an der Wand je einen
Flügel ein, die hinteren Säulen stecken halb in der
Mauer, und aus dem //a/^kreisbogen , welcher
die Säulen seitlich verband, ist das Mittelstück
herausgenommen, so dass er jetzt als Spitz-
bogen erscheint. *)
Setzt man hier den Rundbogen wieder ein,
so erhält man demgemäfs zunächst die ursprüng-
liche Breite des Bogen baues.
Jedoch auch dessen Höhe dürfte verändert
worden sein; jene plumpen roten Zwischen-
stücke und ihre Deckplatten erscheinen als Ein-
schiebsel. Ihre Höhe — ca. 52 cm.') — ergäbe dann also die Differenz, um welche
die Höhe des Bogenbaues zu verringern wäre.
Schon bei dieser Rekonstruktion, bei welcher also die vier Säulen unmittelbar mit
ihren Basen auf dem unteren Sarkophag fufsen und seitlich rundbogig verbunden sind,
wTürde das ganze Monument sofort weit günstigere Verhälmisse empfangen.
Nun wäre also auch für den oberen Sarkophag allenfalls genügender Raum ge-
wonnen. Er erhielte mit seiner ursprünglichen Breite alle ihm jetzt fehlenden organi-
schen Teile zurück.
N0.6. Seitenansicht des oberen Sarkophages.
^) Auch Technisches weist auf eine Umwandlung des Mausoleums hin. Die Flächen
sitzen nicht glatt aufeinander, sondern sind in Gipsschichten — oft sehr wenig sorgfältig —
eingebettet. Die schwarzen ovalen Zwischenstücke unter den Säulen und die Tondi hinter
den Kaisermedaillons im Zwickel des Bogenbaues bestehen nicht aus schwarzem, sondern
aus gefärbtem weifsem Stein.
*) Die ovale schwarze Platte Über ihnen ist 6,5 cm., die rhombenfbrmige Platte 5,5 cm.
hoch. Sind auch diese später eingeschoben, so wäre der Bogenbau also um 65 cm. niedriger
zu denken.
12 DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO
Die nächste Frage betrifft die Höhe seiner Aufstellung. Wer das heutige
Denkmal unbefangen betrachtet, muss zu der Überzeugung kommen, dieser zweite
»Sarkophag« sei erst nachträglich an seinen jetzigen unglücklichen Standort gelangt.
Derselbe ist offenbar zunächst durch die Höhe der Statuen der drei sitzenden
Helden bedingt, die nicht in die Sarkophagreliefs einschneiden durften. Nur so
erklärt sich jener so auffällige Verstofs gegen jede Architektonik, die Ecken des
Sarkophages auf die Säulenbasen zu stützen. Diese Statuen und ihre beiden
stehenden Genossen können dann aber ferner vielleicht auch jene Schmälerung des
Sarkophages erläutern: sie wurde notwendig, weil sonst vorn auf der Plattform des
unteren Sarkophages für diese Figuren kein genügender Raum geblieben wäre.
Wie und wo aber konnte dieser zweite Sarkophag hier vor seiner heutigen,
unschönen Verbindung mit den drei Statuen Aufstellung finden? Erhob er sich un-
mittelbar auf der Plattform des unteren Sarkophages, oder stand er, wie jetzt, nur
niedriger, auf Sockeln? — Das Erstere erscheint schon im Hinblick auf die oben
erwähnten Verschiedenheiten beider Sarkophage unthunlich, die zweite Annahme
aber wird an sich um so wahrscheinlicher, als wenigstens zwei der sitzenden Helden
— die beiden äufseren — offenbar als Karyatiden gedacht sind, wofür nicht nur
ihre Haltung, sondern auch die Thatsache spricht, dass sich ihre Sitze nach hinten
pfeilerartig verbreitern, dort, gleich der Rückseite der Figuren selbst, unbearbeitet,
und oben mit einer offenbar zur Aufnahme einer horizontalen Last bestimmten
Deckplatte versehen sind. Man könnte also annehmen, die Front des oberen Sarko-
phages habe ursprünglich auf jenen Pfeilersitzen aufgeruht, die sitzenden Helden
seien thatsächlich ehemals seine Träger gewesen: ein Typus, welcher in der italieni-
schen Sepulkralkunst auch die historische Tradition für sich hätte. — Dessen un-
mittelbare Übertragung auf dieses Denkmal ist jedoch unmöglich, denn an der
Vorderseite kann man die Karyatiden hier nicht anbringen: weder unter der Mitte
der Reliefs, weil sie dort in deren Bildfläche eingeschnitten, noch vor den Pfeilern,
weil sie deren Ornamente verdeckt hätten; vor Allem aber wäre das geistige und
formale Missverhältnis zwischen diesen sitzenden Heldenstatuen und den Sarkophag-
reliefs religiösen Inhaltes bei dieser Anordnung unerträglich geworden.^) Man könnte
den Standort der Statuen demgemäfs nur unter die Schmalseiten des Sarkophages
verlegen. Das Hauptbedenken hiergegen bietet die Dreizahl der Figuren, doch ist
dasselbe nicht unbedingt stichhaltig. Die jetzige mittlere Statue weicht nämlich von
ihren beiden Genossen wesentlich ab: sie ist im Gegensatz zu ihnen auch an der Rück-
seite sorgfältig bearbeitet, und ihr »Sitz« zeigt hinten keine Auflagefläche, er erscheint
bei Vorderansicht überhaupt nur als ein geflügelter Helm. Beachtet man ferner,
dass diese Figur nicht aufwärts blickt, äufserlich also überhaupt nicht als Karyatide
charakterisiert ist, so wird man sie nicht mehr im obigen Sinne gegen den Re-
konstruktionsversuch geltend machen können. Andererseits wird derselbe durch ein
bisher noch unerwähntes, sehr auffälliges Moment bestätigt: die jetzige Entfernung
der Pfeilersitze vom oberen Sarkophag beträgt 52 cm., und genau 52 cm. beträgt auch
die Höhe jener roten Zwischenstücke unter den Säulen, die als spätere Zusätze an-
^) Wie fein die Renaissance diesem inhaltlichen Gesichtspunkt Rechnung trug, bezeugt
beispielsweise das Grabmonument des Dogen Pietro Mocenigo in SS. Giovanni e Paolo zu
Venedig: der von Heldenstatuen getragene Sarkophag zeigt an seiner Vorderseite nicht
religiöse Darstellungen, sondern er illustriert historisch zwei Ruhmestage aus dem Leben
des Beigesetzten.
VON ALFRED GOTTHOLD MEYER I 3
gesehen werden könnten. Um diese Differenz hätte man füglich den zweiten Sarko-
phag niedriger zu rücken und ihm vorn Konsolen, seitlich aber die Sitze der beiden
Heldenstatuen ^) als Sockel zu geben. Für die dritte Statue wäre dann ein neuer
Standort zu suchen.
Ein anderer Modus, den zweiten Sarkophag mit den sitzenden Heldenfiguren
zu verbinden und ihn in künstlerisch befriedigender Weise unter dem Bogenbau
anzuordnen, dürfte kaum vorhanden sein, man müsste denn jene sitzenden Statuen
über dem zweiten Sarkophag, etwa als Träger eines Postamentes der Reiterstatue
anbringen wollen. Weist man diese Rekonstruktionsversuche zurück, so wird man
zu der Annahme gedrängt, der obere »Sarkophag« habe ursprünglich überhaupt
nicht unter dem Bogenbau gestanden, füglich überhaupt nicht zu dem Denkmal in
seiner jetzigen Gestalt gehört. Und auch hierfür liefse sich ein Zeugnis geltend
machen, welches unmittelbar von der künstlerischen Eigenart der oberen Sarkophag-
reliefs dargeboten wird. Deren minutiöse Durchführung fiel schon Calvi') auf.
Die winzigsten Details und Beigaben sind hier so liebevoll gearbeitet, als stünden
sie dem Beschauer dicht vor Augen, aber man muss sich demgemäfs jetzt auch
einer Leiter bedienen, um die grofse, bei Weitem noch nicht genügend beachtete
Schönheit und Vollendung dieser Arbeit richtig würdigen zu können: an ihrem
jetzigen hohen Standort ist sie verlorene Liebesmühe, und dies wird um so auf-
fälliger, als die Reliefs des unteren Sarkophages weit flüchtiger und skizzenhafter
behandelt sind.
Diese Gesichtspunkte erwecken nunmehr auch gegen die beiden übrigen Haupt-
bestandteile in der Architektonik des heutigen Monumentes, gegen den Bogenbau und
gegen den unteren Sarkophage Bedenken, welche sich in der That selbst für den
letzteren, der auf den ersten Blick einheitlich und intakt erschien, rechtfertigen.
Detaillierender Prüfung hält nämlich auch der Unterbau lediglich bis zum oberen
Gesims des Puttenfrieses Stand. Schon unmittelbar über diesem beginnen die Un-
regelmäfsigkeiten und Verstöfse gegen den Brauch der Renaissance: die Reliefs ent-
behren des unteren Abschlusses, die Statuetten vor den Nischen genügender Sockel,
beide sind ohne Vermittelung in roher Weise auf der Gesimsplatte des Puttenfrieses
in Gipslagen eingebettet. Dass die Einheitlichkeit des Ganzen oberhalb des Putten-
frieses unterbrochen ist, erhellt auch aus dem heutigen Zustand der Schmalseiten:
dort scheint zwar der Sarkophagkörper selbst, wie oben bemerkt wurde, an der
Wandseite um die Nische geschmälert, die Komposition des Puttenfrieses aber intakt.')
Der Rekonstruktionsversuch darf daher schon oberhalb der Gesimsplatte des
Puttenfrieses einsetzen, und zum mindesten fehlt dem jetzt unmittelbar auf der letzteren
ruhenden Sarkophagkörper das ästhetisch notwendige Sockelgesims.
^] Deren Höhe beträgt etwa 80 cm.
') a. a. O. S. 149, wo es von den Reliefs des unteren Sarkophages heifst: »Questi sono
condotti in modo che si direbbero poco piü che abbozzati, laonde non e difficile che fossero
destinati ad occupare, piü in alto nel secondo, il luogo di quelli piü finamente lavorati ed
assai lodevoli che meglio avrebbero figurato al basso«.
») Man beachte ferner auch an den Schmalseiten die völlig unorganische Art, in welcher
jetzt die aus der Rückwand heraustretenden SUulen den Bogen aufnehmen. Auch das un-.
vermittelte Aufruhen des Stirnbogens auf den Kapitalen der Vordersäulen, und die unsorg-
jföltige Arbeit an den Zwickelfüllungen, wo die beiden Medaillons nicht recht hineinpassen,
befürworten die obige Hypothese.
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DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO
^:\iV|Vi\'
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Noch schwerere Bedenken
erheben sich gegen den Bogen-
bau. Das geschulte Auge des
Architekten muss dessen Ver-
hältnis zum Unterbau geradezu
als eine ästhetische Unmöglich-
keit empfinden, selbst wenn
man sich die roten Säulen-
sockel fortdenkt und den
Schmalseiten den ehemaligen
Rundbogen zurückgiebt. An
der Front ist der letztere er-
halten, und damit auch der Ab-
stand der beiden Säulen von
einander fest bestimmt. Deren
Mittelachsen finden nun aber
am jetzigen Unterbau nirgends
eine Fortsetzung, sie würden,
verlängert, dort nicht einmal
mehr auf den unteren Pfeiler
treffen. Jene roten, breiten
Sockel der Säulen sollen offen-
bar diesen Missstand etwas ver-
decken.
So wird man füglich zu der
Annahme genötigt, auch der
ganze Säulen- und Bogenbau sei ursprünglich nicht für seinen jetzigen Standort be-
stimmt gewesen.
An diesem Punkte aber muss die bisher lediglich von der Prüfung der Monumente
selbst ausgehende Untersuchung nunmehr innehalten, um ihre Ergebnisse mit der litte-
rarisch überlieferten Geschichte der Kapelle zu vergleichen und, wenn möglich, zu
verbinden. Leider fliefsen die beglaubigten Nachrichten sehr spärlich. *) Ich stelle sie
im Folgenden nebst ihren Quellen kurz zusammen.
Der bei Lebzeiten CoUeoni's eifrig geförderte Bau der Kapelle war, gleich dem
Grabmonument selbst, beim Tode des Condottieren (3. November 1475) noch nicht
No. 7. Schmalseite des unteren Sarkophages.
^) Das Aktenmaterial ist, soweit es nicht die Baugeschichte von S^ Maria Maggiore
betrifft — und bei dem Zusammenhang der Kapelle mit derselben ist diese Scheidung schwer
zu kontrolieren — in das Archiv des Istituto Colleoni gelangt, ein grofser Teil jedoch durch
Brand zerstört. Soweit ich diese Akten prüfen konnte und vom Sekretär des Instituts, Herrn
Advokaten L. Liberato Raboni, über dieselben Auskunft empfing, enthalten sie neben den
VerwaltungsbUchern der Colleoni - Stiftung lediglich Angaben über Restaurationsarbeiten
dieses Jahrhunderts, doch wäre es möglich, dass das Archiv trotzdem an versteckter Stelle
noch wichtige Beiträge zur Geschichte der Kapelle birgt. Die jetzt in S« Maria Maggiore
befindlichen Akten hat auf meine Bitten und auf Anregung der Congregazione di Carita
Herr Dr. Angelo Mazzi in Bergamo einer genauen Prüfung unterzogen: leider mit negativem
Resultat.
VON ALFRED GOTTHOLD MEYER I 5
vollendet, wie die folgende Bestimmung seines am 31. Oktober 1475 datierten Codi-
cilles bezeugt:*)
»Item dixit, voluit, jussit etc & ordinat Capellam suam, sitam in Ciuitate
Pergami; prope Ecclesiam S. Marie Maioris Pergami, in qua elegit sepulchrum, ubi
cadaver eius recondi debeat, debere compleri, ^ finiri, et sumptuose ornari; et hoc
facere teneantur, seu fieri facere ipsi D. Fideicommissarii, et teneant ipsi fidei-
commissarii ipsam Capellam bene, et sumptuose ornare, cum argenterijs drappis
sirici, & aliis necessariis, pro ornatu diciae Capellae.a
Auch die am Pilaster der westlichen Aufsenmauer angebrachte Jahreszahl 1476
beweist mit Sicherheit zunächst nur, dass in dieser Zeit die Inkrustation der Fassade
ausgeführt wurde, wobei die dekorative Ausschmückung der oberen Teile des Baues
noch sehr wohl fehlen konnte. Erst siebenzehn Jahre später vollends ward ein
Hauptteil des heutigen Grabmonumentes in Angriff genommen: erst am 17. Januar
1493 beschloss man die Errichtung eines bronzenen Reiterstandbildes.^) Es ist dem-
gemöfs durchaus unwahrscheinlich, dass diese Reiterstatue auch im ursprünglichen
Entwurf Amadeos vorgesehen war, um so mehr, als ihrer Ausführung 1493 ^^^ den
bis dahin vollendeten Teilen des Denkmals selbst wesentliche Hindernisse erwuchsen.
Denn der damalige Bau desselben erschien — wie Antonius Michaelis 1516 ausdrück-
lich berichtet^) — zur Aufnahme einer lebensgrofsen Erzstatue zu schwach Man
musste sich füglich mit einem hölzernen Reiterstandbild begnügen, welches urkundlich
1501 von den deutschen Meistern »Sisto di Enrico Syrii da Norimberga e Leonardo«
vollendet wurde.*) In dieser Zeit dürfte das Grabmonument im Wesentlichen fertig
gewesen sein.
Das nächste Datum in der Geschichte der Kapelle ist 1 599, das Jahr, in welchem
die grofsen Tafeln mit den von Ercole Tassi verfassten Inschriften zu Seiten des
Denkmals angebracht wurden. Eine wesentliche Umwandlung erfuhr das Innere
dagegen 1676, als man den heutigen Altar im Chor errichtete, wie der Chronist
Donato Calvi*) meldet:
1676 IX Decembre. »Oggi si terminö la fabrica del nobil' Altare . . . per decreto
de' President! della Pietä eretta nella famosa capella del Capitano Bartolomeo Coglioni,
non lasciandoui dell' antico, se non le tre statue .... rappresentanti S. Gio. Battista,
S. Bartolomeo e S. Marco.« — Damals aber wahrte der Hauptraum noch seinen
Renaissanceschmuck, den wohl zum gröfsten Teil Fresken bestritten. Noch 17 19
^) Publiziert in: »Loci Pii Venerandae Pietatis institutio facta ab ill. Bartholomeo
Coleono Venctorum exercitus summe Imp. Anno MCCCCLXVI, Bergomi 1603«.
') Pasta, Le pitture notabili di Bergamo. Bergamo 1775. Aggiunte e Correzioni,
S. 168.
') M. Antonii Michaelis Agni et Urbis Bergomatis descriptio ann. 15 16. ... »ubi et
sepulcrum ei (Bartol. CoUeono) est erectum marmore lunensi ed sculptura Je. Antonii Amadei
Papiensis opere spectatissimum, cui nuper equestris statua est imposica ex materie illa quidem
auro illita, aerea aut marmorea alioquin futura, nisi suhiecta moles ponderi impar esset
iudicata«.
^) Das Honorar betrug 1500 Goldgulden. Die Notariatsakten des Bernardino Sangallo von
1493 — 1500 sind im Archivio Notarile zu Bergamo noch vorhanden, enthalten jedoch, wie
mir Herr Archivar Dr. Pellinacci bestätigt, keinen Vermerk über den obigen Auftrag, so
dass hierfür vorerst die Angabe bei Pasta, a. a. O., S. 168 genügen muss.
^) Effemeride sacro - profana di quanto di memorabile sia successo in Bergamo etc.
Milano 1676, III, S. 388.
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PORTAL DER COLLEONI-KAPELLE ZU BERGAMO
AHRBUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. l8^
VON ALFRED GOTTHOLD MEYKR I 7
bisher gegen die Annahme, das Grabdenkmal sei damals überhaupt noch nicht zu-
sammengefügt, sondern nur etwa in seinen Einzelheiten — vielleicht auch noch nicht
einmal in diesen — fertiggestellt gewesen, der Tod Colleonis aber habe dann die Arbeit
beschleunigt und Abweichungen von dem ursprünglichen Entwurf herbeigeführt. Ist
es doch auch zweifelhaft, ob die jetzige äufsere Bekrönung der Kapelle mit dem
polygonalen, in zwei Geschosse gegliederten Tambour und der achtseitigen Walm-
kuppel allein dem Amadeo zuzuschreiben sei. Die unregelmüfsige Form des ersten
Tambourstockwerkes, welches nur an den vorderen Ecken abgeschrägt ist, um den
Krönungspyramiden der Eckpfeiler Raum zu gewähren, sein seltsamer Schmuck durch
Rundbogennischen, welche- Muscheln und Cherubimköpfe umschliefsen, das unver-
mittelt emporsteigende, achteckige zweite Stockwerk mit seinem deplacierten Rad-
fenster, vor welchem eine Kandelabersäule aufragt, mit seinen verschieden hohen
Eck- und Wandsäulen — das Alles liefse wohl auf eine Umwandlung des Amadeo'schen
Entwurfes schliefsen, und Ähnliches gilt von dem Westchor, dessen Tambour so
unorganisch an der Kapellenwand klebt, und dessen Kuppel sich so störend vor dem
Rundfenster der Kapelle erhebt. Auch die heutigen Zugänge der letzteren von der
Nordseite her und vom Inneren der Kirche Sa. Maria Maggiore scheinen als spätere
Umänderungen verdächtig.
Nicht nur die mehrfach historisch beglaubigten »späteren Umwandlungen« also
kommen hier in Betracht, sondern schon Abweichungen vom ursprünglichen Plan
Amadeos, wie sie etwa durch eine Beschleunigung der Arbeit notwendig wurden.
Hat doch Amadeo selbst Bergamo schon 1478 verlassen, um seine Thätigkeit der
Certosa von Pavia zu widmen: dreiundzwanzig Jahre bevor das CoUeoni-Monument
in dem Reiterstandbild seinen heutigen Abschluss erhielt! Weist doch auch die
künstlerische Verschiedenheit des Reliefschmuckes — man vergleiche beispielsweise die
Herkulesreliefs der Fassade mit denen des Grabmonumentes — auf verschiedene
Arbeitsperioden hini
Sind diese weitreichenden Zweifel berechtigt, so lassen sich freilich aus dem
heutigen Zustande der Kapelle sichere Schlüsse auf die Rekonstruktion überhaupt
nicht ziehen, und man könnte sich damit begnügen, hier die oben gekennzeichneten
wesentlichen Fehler des Werkes allgemeingültig auf die Veränderungen zurückzuführen,
welche schon das endende Quattrocento und sodann die Folgezeit mit Plan und
Schöpfung Amadeos vornahmen.
Meines Erachtens ist es jedoch nicht geboten, die Untersuchung schon hier
abzuschliefsen. Vor Beibringung urkundlichen Materials wird man sich vielmehr
unmittelbar an das Gegebene zu halten, und ihm jede irgend wahrscheinliche Schluss-
folgerung zu entnehmen haben — mag es sich dabei immerhin nur um »provisorische
Wahrheit« handeln.
Auszugehen ist hierbei von dem geistigen Mittelpunkt des Ganzen, von dem
Grabmonument selbst. Erst 1493 — 1501 ist das Reiterstandbild hinzugefügt worden.
War dasselbe, wie die obigen Regesten fast sicher schliefsen lassen, in Amadeos
Entwurf nicht vorgesehen, so bedingte es selbstverständlich wesentliclie Umänderungen
des Denkmales. Schon hier verbietet füglich die Geschichte des letzteren selbst,
Amadeo für die heutige Gestalt des Monumentes verantwortlich zu machen, und
befürwortet die Annahme, einzelne, im ursprünglichen Entwurf für das Mausoleum
bestimmte Skulpturen und Schmuckformen, seien umgestellt worden, und andere
hätten auch wohl dem neuen Reiterbilde völlig weichen müssen, um eventuell ander-
weitige Verwendung zu finden.
3
l8 DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO
Im Hinblick hierauf wird sich die früheste Gestalt des Denkmals, vor der Auf-
stellung des Reiterbildes, wie sie wahrscheinlich überhaupt niemals ihatsächlich ins
Leben trat, sondern nur im Entwurf Amadeos und in den noch nicht zusammen-
gefügten, aber schon bereitliegenden Einzelteilen existiert hat, ohne urkundliche
Nachrichten oder Zeichnungen und Abbildungen nicht mehr mit Sicherheit ermitteln
lassen.
Bleibt doch selbst die Möglichkeit, dass die Wandungen des jetzigen sog. »unteren
Sarkophagesa vom Gesims des Puttenfrieses an ursprünglich überhaupt nicht für einen
Sarkophag bestimmt waren. Dass man derartige grofse kubische Körper am Renaissance-
grab der Lombardei auch in anderer Weise verwertete, bezeugt schon das Denkmal des
Giovanni Galeazzo Visconti in der Certosa, an welchem ja Amadeo ebenfalls beteiligt ist.
So weitreichende Hypothesen müssen jedoch vor Beibringung urkundlichen Materiales
schweigen. Als sicher darf nur das Folgende gelten:
Ohne die Reiterstatue fehlte dem Mausoleum jede persönliche Beziehung zu
seinem Helden, vor Allem dessen Bildnis. Da eine Reiterstatut erst nachträglich dekre-
tiert wurde, und ihr Gewicht ursprünglich nicht berechnet war, so wird man, nach Mafs-
gabe zahlloser Analogien der italienischen Sepulkralkunst, auf eine gelagerte Porträt-
figur zu schliefsen haben, deren Katafalk Helden- und Tugendstatuen umstanden.^)
Möglicherweise waren die drei sitzenden Figuren ursprünglich als Träger des Parade-
bettes gedacht, wobei dann die mittlere frei unter dessen Mitte safs, die beiden anderen
aber mit seinem Aufbau als Karyatiden organisch verbunden waren. — Die jetzigen vier
Statuen des Herkules, Perseus und der beiden Frauen hätten den Raum zu Seiten der
Bahre jedoch nur sehr dürftig auszufüllen vermocht. Ihre Zahl war ursprünglich zweifel-
los gröfser. Und an diesem Punkt gewinnt der Rekonstruktionsversuch neue, kräftige
Belege: sämtliche Statuen der Fassade haben den gleichen Mafsstab, wie diejenigen
des heutigen Monumentes,') und da sie sicherlich nicht ursprünglich für die Fassade
gearbeitet sind, so ist die Annahme wohl nicht zu gewagt, sie seien für das Mauso-
leum selbst bestimmt gewesen. Dort sind jetzt über dem zweiten Sarkophag hinter
der Reiterfigur in chiaroscuro al fresco auf blauem Grund vier Frauengestalten gemalt,
welche eine scheinbare Fortsetzung der beiden neben dem Ross stehenden Statuen
bilden und in ihrer Haltung wie in ihren Bewegungen als freie Kopien der Frauen-
statuen an der Fassade erscheinen. Sind sie nicht in der That an deren Stelle ge-
treten? — Als man sich genötigt sah, dem Denkmal eine Reihe der ursprünglich für
dasselbe bestimmten Statuen zu nehmen, und sich entschloss, dieselben als Fassaden-
schmuck zu verwenen, liefs man sie am Monumente selbst wenigstens durch gemalte
Statuen ersetzen.')
Wann aber geschah dies? Wann erfolgte diese ganze Umwandelung, und
weshalb? Hat man nur mit einer Abweichung von den ursprünglichen Plänen
Amadeos, oder aber mit einer thatsächlichen Umänderung des bereits vollendeten
Denkmals zu rechnen, oder — vielleicht gar mit beiden?
*) Es sei hier auf den im South- Kensington Museum befindlichen Entwurf zum Denkmal
des Gaston de Foix hingewiesen.
') Die Höhe dieser Figuren beträgt circa 1,60 m.; ein wenig kleiner ist lediglich die
Statue auf dem rechten Pfeiler des rechten Fensters, welche den Arm sprechend erhebt.
Vielleicht ist dies ein Gabriel, und die Figur über dem linken Pfeiler eine Maria.
•) Eine Umstellung aller Statuen am Mausoleum und am Altar erhellt auch daraus,
dass sie jetzt sämtlich ohne Sockel sind.
j
VON ALFRED GOTTHOLD MEYER IQ
Bisher haben wir nur eine Abwandlung des ersten Entwurfes zu Gunsten der
Reiterstatue vorausgesetzt.
Die monumentalste Verewigung der Persönlichkeit verdrängte das ursprünglich
in Aussicht genommene Bild des Toten auf dem Paradebett, sowie auch einen Teil
der stehenden Statuen und verwies die ursprünglich wohl als Träger des Katafalkes
gearbeiteten Helden an ihre jetzige Stelle, wo sie dann — wie wir sahen — sowohl
die heutige Anordnung des zweiten Sarkophages, wie auch die Schmälerung und
Erhöhung des Bogenbaues bedingt haben könnten.
So stammte denn also dieser unglückliche heutige Aufbau aus dem endenden
Quattrocento, aus der Renaissance? — Ich gestehe, dass ich dies nicht zu glauben
vermag. Gar zu sehr spricht besonders die Anordnung des zweiten Sarkophages
jeder gesunden Architektonik Hohn. Und bleiben denn nicht noch schwerwiegende
Bedenken gegen den obigen Erklärungsversuch bestehen? — Nimmt man an, die
seitlichen Halbkreise des Bogenbaues seien zu Spitzbogen geschmälert, und zu der
Säulenhöhe jene roten Sockelteile hinzugearbeitet worden, um die drei sitzenden
Helden, den Sarkophag und die Reiterstatue übereinander anbringen zu können, so
bleibt unerfindlich, warum man — in der Renaissance! — dieses Übereinander so
völlig unorganisch liefs, vor Allem, warum man selbst die im Verhältnis zu jener
Umänderung des Bogens doch so geringe Mühe scheute, dem zweiten Sarkophag
angemessene Aufiageflächen und Stützen zu geben. Schon mit einer geringen Er-
höhung jener roten Zwischenstücke hätte sich dies doch immerhin noch besser er-
reichen lassen, als jetzt. — Unbefangene Prüfung macht also vielmehr am wahr-
scheinlichsten, dass der Bogenbau schon in seiner heutigen Form bestand, als man
den zweiten Sarkophag an seinen jetzigen Standort brachte, der in der That einer
Zwangslage gleicht. Wäre denn nicht auch ferner die scheinbare Verdoppelung der
Sarkophage in einem einheitlichen freien Entwurf zum mindesten eine wenig glück-
liche Seltsamkeit?
Auch auf diesem Wege wird man füglich dazu geführt, auf eine doppelte Ver-
änderung des Amadeo'schen Entwurfes zu schliefsen: die erste, welche mit dem Ersatz
der Grabfigur durch die Reiterstatue zusammenhängen dürfte, stellte den Säulen- und
Bogenbau auf den unteren Sarkophag, durch jene roten Säulensockel schlecht genug
zwischen beiden vermittelnd; die zweite, viel spätere, fügte dem Monument auch
noch den kleineren Sarkophag ein, welcher ursprünglich an anderer Stätte in der
Kapelle oder im Chor niedrig aufgestellt gewesen sein mochte, und vielleicht über-
haupt nicht der Sarkophag Bartolommeos selbst, sondern der eines anderen Gliedes
seiner Familie ist.
Diese zweite Umänderung erfolgte möglicherweise erst, als der Innenraum der
Kapelle seine heutige Dekoration empfing (um 1774), wahrscheinlicher aber wohl schon
am Ende des XVII Jahrhunderts. Der heutige Altar im Westchor wurde, wie wir
wissen, erst 1676 errichtet, und bewahrt von seinem Vorgänger aus der Renaissance
nur die drei Heiligenstatuen, ^) aufweiche sich seine plastische Dekoration ursprünglich
^) Beachtenswert ist, dass diese drei Statuen stilistisch von der Art Amadeos wesent-
lich abweichen. Pasta (a. a. O. S. 28) schliefst hier auf Sansovino; besser begründet scheint
mir Locatellis (in •Bergamo o sia notizie Patrie; Almanacco per Tanne 1856«, S. ii8fF.)
Hinweis auf Bartolomeo I Buon. Jedenfalls tragen sie bereits einen so ausgeprägten Stempel
der Hochrenaissance, dass sie vom Aufenthalt Amadeos in Bergamo um Jahrzehnte getrennt
sind. Auch diese Thatsache bezeugt, wie lange selbst an den Renaissanceteilen der Kapelle
3*
20 DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO
sicherlich nicht beschränkt hat. Gehören nicht einige der jetzt am Grabmonument
und an der Fassade aufgestellten Statuen ursprünglich der Dekoration des Westchors
an, und wurde nicht damals etwa auch jener kleinere Sarkophag entfernt und unter
dem Bogenbau des Mausoleums untergebracht,^) an sicherer Stelle, als stattlicher Sockel
des Reiterbildes, dessen leichtes Material eine weitere Belastung des Unterbaues ja
sehr wohl erlaubte?
Den störendsten Fehler im heutigen Aufbau des Denkmales hätte füglich nicht die
Renaissance verschuldet, sondern das endende XVII Jahrhundert. Auch im Sinne der
Kunstgeschichte hat diese Annahme die weitaus gröfsere Wahrscheinlichkeit für sich.
Besteht sie thatsächlich zu recht, so ist man jedoch bezüglich des früheren
Sockels der Reiterstatue abermals nur auf Vermutungen angewiesen, und zwar hier
auf solche, die eine greifbare Gestalt kaum gewinnen können, denn für die Re-
konstruktion dieses Sockels fehlt jeder feste Anhalt.*) Auf seinen ehemaligen Schmuck
könnten nur noch die Statuen der drei sitzenden Helden zurückgehen, diese freilich
mit einiger Wahrscheinlichkeit, denn sie gehören geistig zum Reiterbild des Con-
dottieren und würden unmittelbar an einem — etwa stufenartigen — Postament
desselben jedenfalls weit glücklicher wirken, als jetzt unter einem Sarkophag mit
Erzählungen aus der Jugend Christi. —
Ich verhehle mir nicht, dass hiermit noch keineswegs alle Probleme gelöst
sind, welche die CoUeoni- Kapelle der Forschung stellt. Beispielsweise ist für die
Unregelmäfsigkeiten und Seltsamkeiten in der Ausstattung der Fenster*) noch keine
gearbeitet wurde und spricht dafür, dass Amadeo die Vollendung seines Werkes anderen
Händen überiiefs. Auch unter den Herkulesreliefs am Sockelstreifen der Fassade befinden
sich, wie erwähnt, spätere Renaissancearbeiten. Auch die beiden trefflichen Engel unter
dem Altartisch mit dem lionardesken Typus stammen zweifellos nicht mehr aus der Zeit
Amadeos, wahrscheinlich erst aus dem XVII Jahrhundert. Auf Amadeo selbst gehen da-
gegen die herrlichen Füllungen an den Eingangspfeilern der Chorkapelle zurück, deren
Wein kelternde Putten mit den Puttenreliefs an jenen seltsamen Postamenten neben der
Thür der Fassade in Stil und Mafsstab so nahe verwandt sind, dass man diese Reliefs mit
grofser Wahrscheinlichkeit ebenfalls als verfehlte Fragmente des ehemaligen Chor- oder des
Altarschmuckes ansprechen darf.
*) Es sei hier daran erinnert, dass die drei Frontreliefs des unteren Sarkophages
des rechten Abschlusses entbehren, und dass diejenigen seiner Schmalseiten einen anderen
Reliefstil zeigen. Den unteren oder den oberen »Sarkophag« als den ehemaligen Altar an-
zusprechen, wird durch ihre Dimensionen unmöglich. Die Länge des unteren beträgt 4,355 m.,
die des oberen 3, 40 m.
') Für den Mafsstab entscheiden die Dimensionen des Rosses nur teilweise. Die Ent-
fernung seiner Füfse am Boden beträgt 87 cm. Aufsen musste jedoch für die Statuen Raum
bleiben. Der Denkmälertypus, eine Reiterstatue mit allegorischen Frauenstatuen zu um-
geben, geht in Oberitalien bis auf das Monument des Bernabö Visconti (um 1370), jetzt im
Museo Archeologico der Brera in Mailand, zurück. Sind vielleicht einige der Reliefs schon
von Amadeo ursprünglich für das Altarantependium gearbeitet worden?
^) Die feinen scheinbaren »Pilasterfüllungen«, welche jetzt jene sechs vor den schwarzen
Marmorplatten über die Öffnung im Lichten aufgestellten Blendpfeiler schmücken, dürften
ursprünglich die seitlichen Wandungen der Fenster selbst verkleidet haben. Darauf deuten
schon ihre Mafse. Die Kapitale sind hinzugearbeitet. Jene sechs Säulen und Kandelaber
in der Fensteröffnung stammen meines Erachtens ebenfalls aus dem Inneren der Kapelle.
Der Hinweis auf die Säulen an den jetzigen Aufsenwänden des Baptisteriums beim Dom
(aus dem Trecento) ist an sich nicht stichhaltig, denn diese »Analogie« ist rein äufserlich.
Auch ist das Baptisterium stark verändert worden.
VON ALFRED GOTTHOLD MEYER
genügende Erklärung gefunden. Hier muss man eben auf die Thatsache, dass
wesentliche Umänderungen und Umstellungen vorliegen, vorerst allgemeingültig
zurückgreifen. Ich verhehle mir ebenso wenig, dass die Ergebnisse der obigen
Rekonstruktionen nur höchstens auf Wahrscheinlichkeit Anspruch erheben, und
durch bisher unbekannte Urkunden, vielleicht auch durch mir entgangene Einwürfe,
widerlegt werden können. Untersuchungen dieser Art gehören zu den verlockend-
sten der Kunstgeschichte, aber eben auch zu den gefährlichsten!
Wie immer aber auch das Urteil über die Rekonstruktion selbst lauten mag:
der negative Teil unserer Untersuchung dürfte bestehen bleiben, und auch er allein
möchte kunsthistorisch nicht völlig belanglos sein. Er befreit die Fassade von allen
figürlichen Zuthaten, welche ihre architektonischen Linien unterbrechen, und ihre
ohnehin unruhige Wirkung noch stärker ins Malerische abwandeln; er kennzeichnet
einige Hauptteile ihrer Dekoration, welche den gesunden künstlerischen Organismus
schädigen, als spätere Zuthaten und wahrt das ganze Werk gegen den Vorwurf der
Überladung^) und unexakten Arbeit. Dem Grabmonument aber verleiht er zum
mindesten wieder die ehemaligen harmonischen Verhältnisse, bringt in Zusammen-
hang, was inhaltlich zu einander gehört, und nimmt ihm seine apokryphen, jetzt
mit dem Ganzen und untereinander so unorganisch verbundenen Teile. —
Stützen sich diese Behauptungen schliefslich aber nicht etwa auf eine kunst-
historisch verfehlte Voraussetzung? Sind die Mängel und Fehler des heutigen Werkes
nicht vielleicht nur für das heutige Uneil vorhanden, das, gar zu bedächtig -nüchtern,
da Unregelmäfsigkeiten sieht, wo der Schöpfer des Ganzen völlig bewusst dem kecken
Spiel seiner Phantasie folgte, unbekümmert um die Tradition und um Gesetze der
Ästhetik; ja, raubt dieser Rekonstruktionsversuch dem Ganzen nicht gerade sein
charakteristisches Gepräge und seine eigenartige Stellung in der Geschichte der
Renaissance?
Malerisch spielende Kompositionsweise, die alle theoretischen Einwände durch
den fröhlichen Reiz der Gesamtwirkung verstummen macht, ein absichtliches Durch-
brechen der Regeln und des Regelmäfsigen , ein völlig freies Schalten mit Über-
kommenem und Neuem, wobei die künstlerische Phantasie allein das Szepter führt —
das pflegt man als Eigenart der lombardischen, und weiterhin der oberitalienischen
Renaissance zu bezeichnen und zu rühmen, und hierfür gerade die Cappella Colleoni als
reizvollsten Zeugen anzurufen. Wie im Reliefschmuck ihrer Fassade Heiligenfiguren
neben den Porträts römischer Cäsaren, und die Erzählungen des alten Testamentes
neben den Thaten des Herkules erscheinen, wie in ihrer Farbe, im Weifs, Schwarz und
^) Die Fassade verliert ihren gesamten Bildschmuck an Freifiguren, mit Ausnahme
desjenigen über dem Portal, und der Bekrönungen oberhalb der Fensterlünetten. Ob nicht
auch die drei so völlig malerisch angeordneten Engel mit dem Vorhang über dem Portal-
giebel, sowie die Putten neben den Fensterkrönungen aus dem Entwurf Amadeos zu
streichen sind , wage ich nicht zu entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, und
meines Erachtens würde die Fassade, wenn man ihren Bildschmuck lediglich auf den
segnenden Gottvater zwischen den Engeln im Thürgiebel, und auf die beiden CUsarenbüsten
beschränkt, wesendich gewinnen. Will man aus den obigen Erörterungen diese letzten
Konsequenzen nicht ziehen, so sind zum mindesten der Gewappnete über dem Radfenster
und die beiden Statuen neben dem Portal nebst deren unglücklichen Postamenten zu entfernen.
Die Bruchstücke der letzteren — zum Teil abgeschnitten, zum Teil modern ergänzt —
dürften als Sockel der Statuen des Mausoleums gedient haben. Aber auch die vier Statuen
über den Seitenfenstern sind hier meines Erachtens sicher apokryph.
22 DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO VON ALFRED GOTTHOLD MEYER
Rot, scharfe Gegensätze lustig nebeneinander wirken, wie die geraden Linien des Baues
durch krauses Rankenwerk, durch Tondi, Balustern, Palmetten, Muscheln, Vasen, Ro-
setten, Cherubimköpfe u. s. w. belebt werden, wie hier gotische Reminiscenzen und
gotische Details neben reinster Renaissance und einer schon an den Geist des Rokoko
gemahnenden Freiheit der Ornamentik stehen — so könnte man auch vielleicht alle
die erwähnten Verstöfse gegen einen regelmäfsigen Organismus als Absicht des Künstlers
deuten, als »eine bewusste Willkür, die das Wunderliche und Naturwidrige fast
sucht«, und selbst die offenbaren Fehler der Ausführung könnten als »lässige und
kecke Sorglosigkeit des Architekten« erscheinen, welcher »einer kleinlichen sorg-
fältigen Ausführung entraten zu können glaubte«, wie es in einer geistvollen Charak-
teristik der CoUeoni-KappeUe von künstlerischer Seite*) in der That lautet.
Meines Erachtens wäre diese Annahme jedoch ein Trugschluss. Wir haben
bisher keine sicheren Beweise dafür, dassAmadeo, einer der feinsten Omamentisten,
welche die Geschichte der Renaissance kennt, ein Meister, der beispielsweise im
Aufbau seiner Pilasterfüllungen und in der Zeichnung seiner Friese ein kaum wieder
erreichtes, jedenfalls nicht übertrofFenes Feingefühl für Rhythmus im Formen Wechsel
und für ornamentales Leben bewährt, bei seinen Entwürfen im Grofsen jede gesunde
Architektonik so völlig aufser Acht gelassen habe, wie es am heutigen Mausoleum
des Colleoni geschieht. Selbst die Fassade der Ceriosa, wo das Mafs seiner unbe-
schränkten Initiative und sein Anteil an der Detaillierung noch eingehenden Studiums
bedarf, legt ein solches Zeugnis nicht ab, spricht vielmehr — man denke besonders
an die herrlichen Fenster! — vielfach durchaus dagegen. Das freilich jetzt auch
sehr unglücklich aufgebaute Grabdenkmal des S. Lanfranco bei Pavia darf man nicht
geltend machen, denn dieses trägt noch weit deutlichere Beweise einer späteren Um-
formung, als das Colleoni -Monument. Will man sich nicht auf das Medeagrab,
oder auf die Borromeo -Monumente von Isola Bella berufen, so bleibt als sicherster
Prüfstein zum mindesten die zum »kleinen« Klosterhof führende Thür der Certosa.
Dieses Werk, das Amadeos Namen trägt, den Bergamasker Arbeiten zeitlich am
nächsten steht und fast völlig intakt erhalten blieb, ist wahrlich mit allem Zauber
lombardischer Renaissance ausgestattet, und dennoch zugleich ein Kleinod dekorativer
Kunst ^ mustergültig für alle Zeiten!
Bevor wir nicht eine Geschichte, oder wenigstens eine monographische Schil-
derung aller Hauptschöpfungen der lombardischen Renaissance besitzen, wird sich
ein abschliefsendes Urteil über die Cappella Colleoni nicht bilden lassen. Vielleicht
bringt eine in den Akten des »Istituto Colleoni« vergrabene Notiz für die hier be-
handelten Rätsel eine weit einfachere und möglicherweise auch andere Lösung,
als sie hier versucht wurde. Ist doch selbst der Anteil des XIX Jahrhunderts
daran noch nicht völlig geklärt! Jedenfalls aber ist es unrichtig, die CoUeoni-
KapeUe und ihre Monumente, wie bisher, als eine einheitliche Schöpfung zu be-
urteilen, und unberechtigt, ihre Seltsamkeiten als Schönheit und charakteristische
Eigenart zu preisen, so lange sie sich weit naturgemäfser aus den wechselvollen
Schicksalen dieser Werke erklären.
^) Vergl. O. Schmal^, »Bergamo alta« im »Centralblatt der Bauverwallung«. Berlin,
7. September 1889, No. 36, S. 326.
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EIN NEUES SELBSTBILDNIS DÜRERS VON W. VON SEIDLITZ 23
EIN NEUES SELBSTBILDNIS DÜRERS
VON W. VON SEIDLITZ
Die beiden Federzeichnungen, die hier in der Gröfse des Originals wieder-
gegeben sind, bilden die Vorder- und die Rückseite eines Blattes, das in der reichen
und interessanten Zeichnungssammlung der Erlanger Universitätsbibliothek unter dem
Namen Schongauers aufbewahrt wird. Dem liebenswürdigen Entgegenkommen des
Herrn Bibliothekars Prof. Dr. Zucker ist es zu danken, dass diese Zeichnungen in
wohlgelungenen Aufnahmen den Lesern des Jahrbuchs vorgeführt werden können und
dadurch Jedermann ein Vergleich mit anderen Jugendzeichnungen Dürers ermöglicht
wird. Sie sind reine Federzeichnungen, deren Tinte mit der Zeit ziemlich vergilbt
ist; Vorder- und Rückseite zeigen in Hinsicht auf die Technik durchaus das gleiche
Aussehen; nur an dem Kopf auf der Rückseite sind einige spätere dunklere, aber
offenbar von derselben Hand herrührende Striche zu bemerken, die den Umriss des
Kinns korrigieren, indem sie dies Kinn breiter machen.
Dass die nachträgliche Inschrift: Martin Schön Conterfeit, und die Jahreszahl
1465, womit wohl ausgedrückt werden sollte, dass hier ein Selbstbildnis Schongauers
aus dem Jahre 1465 vorliege, für die Urheberschaft an den Zeichnungen nichts be-
weisen, braucht nicht weiter betont zu werden. Eine Beziehung zu Schongauer ist
ja unleugbar vorhanden; sie tritt namentlich auf der heiligen Familie an den Händen
mit den knochigen langen Fingern und an der brüchigen Bildung der Gewandfalten
hervor; aber an den Meister selbst kann nicht gedacht werden: die für ihn be-
zeichnende monumentale Bestimmtheit fehlt.
Wir haben es also mit einem Schüler oder Nachfolger Schongauers zu thun
und zwar, wie aus der ungemeinen und doch keineswegs trockenen Sorgfalt der
Durchführung hervorgeht, wahrscheinlich mit einem noch jungen Mann. Da Schon-
gauer selbst, im Jahre 1491, jung verstarb, so werden auch seine Schüler nicht zu
weit ins XV Jahrhundert zurückzuversetzen sein. Andererseits scheint seine Weise
nicht lange nachgewirkt zu haben, da sie bereits vor dem Beginn des neuen Jahr-
hunderts durch die ganz neue Bahnen beschreitende Art Dürers abgelöst wurde.
Wir sehen uns also bei der Bestimmung der Entstehungszeit dieser Zeichnungen
wesentlich auf die achtziger Jahre und die erste Hälfte der neunziger Jahre hin-
geführt, wozu auch deren Gesamteindruck stimmt.
Unter den Künstlern, die Schongauer nachstrebten, steht Dürer obenan. Er ist
es, der die deutsche Kunst in derselben Richtung, aber auf seine Weise weiterführte.
Dürers Name wird denn auch ohne Weiteres durch die Betrachtung des Kopfes
auf der Rückseite nahegelegt; in erster Linie sogar durch die Bildung der Hand, die
diesen Kopf stützt. So ist es mir wenigstens beim ersten Anblick des Blattes er-
gangen. Diese langfingerige weiche Hand mit den starken Gelenkknorpeln und dem
sanft sich rundenden Fleisch: das ist ja der Typus, der später von Dürer in so
bezeichnender Weise ausgestaltet worden ist. Weiterhin wird man durch die melan-
cholischen, tief sich einbohrenden Augen und durch den lebensvollen, energisch
26 EIN NEUES SELBSTBILDNISS DÜRERS VON W. VON SEIDLITZ
bildnissen aus der Jugendzeit des Meisters, deren wir eine ganze Reihe besitzen und
die wir zum Vergleich hier mit abbilden, ist schlagend. Es fügt sich noch aufser-
dem so glücklich, dass sie alle, als über die linke Schulter gesehen (die im Bilde als
die rechte erscheint), nach einer und derselben Seite gewendet sind. Da gewahren
wir denn namentlich die unverrückbar festen Umrisse der Knochen, die Nase mit
dem breiten, leicht gebogenen Rücken und der etwas aufwärts gerichteten Spitze,
das zurücktretende spitze Kinn, die leicht vonretenden Backenknochen, die starke
Öffnung der Augenhöhlen, als die Übereinstimmung bekundend. Schon nach die-
sen Merkmalen wird kein Bildhauer zweifelhaft sein, dass es sich hier um eine und
dieselbe Persönlichkeit handelt. Dazu kommen der kleine Mund mit der schön ge-
schwungenen Oberlippe und der ziemlich fleischigen Unterlippe, die kurzen Nasen-
flügel, die stark ausgeprägten Säcke unter den Augen; auch das lange Haar sowie
die Bildung der Finger und der feinen Handgelenke sind die gleichen.
Dass die Zeichnung zwischen dem Blatte der Albertina von 1484 und dem
Gemälde von 1493 bei Herrn Felix in Leipzig liegen müsse, kann nicht wohl
zweifelhaft sein. Das Madrider Bild von 1498 zeigt Dürer schon mit einem Voll-
bart, und auch auf dem Felix sehen Gemälde gewahrt man bereits einen Anflug von
Bart, sowohl auf der Oberlippe wie am Kinn. Dergleichen ist aber auf dem
Erlanger Blatt noch nicht zu sehen. Ja es steht dem Knabenbildnis in der Albertina,
das Dürer im Alter von 13 Jahren zeigt, sogar noch näher als dem jungen Mann
von 22 Jahren bei Felix. Mitten inne zwischen beide werden wir es zu versetzen
haben. Zu einem eben herangereiften Jüngling von etwa 17 oder 18 Jahren passt
auch sowohl der schwermütige Blick der Augen wie die noch weiche Bildung des
Mundes am besten.
Das würde uns also auf die Jahre 1487/88 führen. Dann hätten wir hier ein
Werk vor uns, das Dürer während seiner eigentlichen Lehrzeit, also vor dem Antritt
seiner Wanderschaft, gefertigt hatte. Während die befangene Strichftihrung der Knaben-
jahre schon überwunden ist, zeigt sich, aufser bei dem Gewände, noch keine Hinneigung
zu der festen, bestimmten, wie für Metall arbeitenden Strichführung, die sich bereits
in den Blättern von 1489 ankündigt und, obwohl zwischendurch immer wieder durch
das Streben nach freierer und mehr malerischer Gestaltung unterbrochen, später sich
immer mehr bei ihm entwickelt. Hier hat die Phantasie des Jünglings bereits ihre
volle Reife erlangt und sucht in der Bildung der fein bewegten Hände, in dem
Ausdruck und der Modellierung der Gesichter, in der leichten Führung der Haare,
jener Wärme und jenem Reichtum, die sie im Innersten erfüllten, den vollen
frischen Ausdruck zu geben. Die Eigenart des Künstlers aber tritt noch nicht stark
hervor; in seiner Auffassung steht er noch ganz unter dem Banne Schongauers. —
Als einer der spärlichen Reste dieser Übergangszeit ist das Blatt von Bedeutung.
Das Verhältnis, worin es zu der Darstellung im Tempel in London sowie zu der
Frau mit dem Falken ebendaselbst steht, bleibt noch festzustellen. Alsdann dürfte
sich auch ergeben, ob das Blatt bei Dr. Blasius (Lippmann No. 144) etwa derselben
Gruppe beizuzählen sei.
VON W. VON SEIDLITZ
25
allgemeine aber keine besondere Verwandtschaft zeigen, auszuscheiden. Der Stand-
punkt der Madonna mit den Engeln von 1485 ist hier bereits überwunden; die
Behandlung der Schatten unter den Figuren ist eine ähnliche, aber die Bildung der
Gewandfalten wie die der Haare eine weit freiere. Die Blätter aus dem Jahre 1494
andererseits sind, abgesehen von dem reinen Naiurstudium zu dem Engel der Apo-
kalypse, wesentlich zu stecherischen Zwecken gemacht, wie der Orpheus, die beiden
Darstellungen nach Mantegna, daher von besonderer Bestimmtheit in der Linien-
führung. Von hier an und besonders seitdem er im Jahre 1496 — man braucht
nur an sein Frauenbad zu denken, dem sich wohl auch die Gerechtigkeit in Dresden
anschliefst — seine Zeichnungs weise nach der Seite der Modellierung noch weiter
durchgebildet hatte, nähert sich Dürer immer mehr einer festen, die Gestalten wie
herausmeifselnden Linienführung.
GemSlde im Besitz von Herrn Felix zu Leipzig.
Gemälde im Museo del Prado zu Madrid.
Unter den wenigen datierten Zeichnungen der Zwischenzeit erinnern wohl die
beiden Blätter von 1489, die Landsknechte und der Reiterzug, am meisten an die
vorliegenden. Aber immerhin werden sie schon als um etwas später entstanden
anzusetzen sein, da sie bereits jenen kalligraphischen Zug ausgebildet zeigen, der
fortan die Thätigkeit des Künstlers beherrschte und bis zum Jahre 1494, da Dürer
den italienischen Boden betrat, andauerte. ^)
Schliefslich muss uns das Selbstbildnis auf der Rückseite, wenn wir es als
solches anerkennen, den zuverlässigsten Aufschluss über die Entstehungszeit des
Blattes gewähren. Und wahrlich die Übereinstimmung mit den übrigen Selbst-
*) Die Zeichnungen zum Terenz und zu den Basler Drucken und, gegen Ende der
Periode, ein Blatt wie das Liebespaar zu Pferde in Berlin (augenscheinlich falsch datiert
von 1496).
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ALBRECHT DURER
SELBSTBILDNIS
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DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE VON RICHARD FÖRSTER 27
DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE
(Dritter Artikel.)
VON RICHARD FÖRSTER
Zwar ist mir, seitdem ich meine Arbeit über die Verleumdung des Apelies in
der Renaissance in diesem Jahrbuch Bd. VIII, S. 29 und 89 flf. veröffentlicht habe,
nicht gelungen, was ich sehr gewünscht hätte, den derzeitigen Aufbewahrungsort des
Gemäldes des Benvenuto Garofalo zu ermitteln, wohl aber habe ich seitdem einige
Darstellungen des Gegenstandes kennen gelernt, welche nach den verschiedensten
Seiten hin Interesse bieten, und mit deren Veröffentlichung ich daher nicht länger
zögern will.
Indem ich die in jener Arbeit beobachtete Anordnung festhalte, beginne ich
mit den
I. KOMPOSITIONEN VON ITALIENERN
Unter diesen verdient den ersten Platz eine bisher völlig unbeachtet gebliebene
Majolika des Rijksmuseum in Amsterdam. Es ist ein Teller, der einen Durchmesser
von 51,5 cm. hat, während die innere Fläche des Bildes 30 cm. im Durchmesser ein-
nimmt. Er trägt die aufgeklebte Nummer 28. Über Herkunft und Zeit der Er-
werbung konnte ich an Ort und Stelle, wo ich dies Unicum im vorigen Jahre
kennen lernte, weiter nichts erfahren, als dass die ganze keramische Sammlung vor
einigen Jahren aus dem Königlichen Kabinet im Haag ins Museum gelangt ist und
wahrscheinlich zum alten prinzlichen Besitze gehörte. Unserer Abbildung liegt eine
durch freundliche Vermittelung des Herrn E. W. Moes von J. P. Oppers hergestellte
Photographie zu Grunde.
Auf einer Bank, welche auf hoher Estrade steht, sitzt nach links gewendet der
jugendliche, bartlose, mit Krone geschmückte, eselohrige König, ein wenig nach vorn
gebeugt, zu der von links sich nahenden Gruppe von Figuren herabblickend und
den rechten Arm vorstreckend. Hinter ihm steht ein bärtiger Krieger mit Wams,
Rüstung, Helm und Schwert angethan und in der Linken einen Dolch zückend.
Auch er blickt in derselben Richtung, wie der König, herab. Von der anderen,
rechten Seite des Königs her tritt eine weibliche Figur hervor, die Unwissenheit,
mit beiden Händen ein Tuch haltend, wie um den Blick des Königs zu hemmen.
Während die Bewegung des Oberkörpers und der Hände ihm zugewandt ist, richtet
auch sie ihren Blick zu der sich dem Könige nahenden Gruppe herab. Die Haupt-
figur dieser Gruppe ist Calumnia, eine mächtige Gestalt in blauem Gewände, welches
den rechten Unterschenkel und den linken Schenkel bis weit über das Knie freilässt.
In der hoch gehobenen Linken schwingt sie eine brennende Fackel, mit der Rechten
28
DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE
fasst sie das Haupthaar des Verklagten, welchen sie an den Thron des Königs
schleift. Sie blickt schreiend zum König auf. Ihr Opfer, ein völlig nackter junger
Mann, kniet mit beiden Beinen, die Hände auf den Rücken gebunden, und sieht
zu Boden. Ihr blickt eine neben ihr stehende alte Frau in blauem Gewände ins
Gesicht, indem sie ihre linke Hand auf den rechten Unterarm jener legt und den
Majolika -Schüssel von Faenza. Original im Rijksmuseum zu Amsterdam.
Zeigefinger der rechten Hand hebt. Hinter der Calumnia stehen zwei jugendliche
weibliche Figuren, von denen die hintere ihr einen Kranz aufs Haupt setzt, die
vordere in hellgrünem, schillernden Gewände, ihre linke Hand auf ihre rechte
Schulter legend, ihr das Gewand an der rechten Seite abbürstet. Hinter dieser steht
die völlig nackte Wahrheit, ernst geradeaus blickend, den Daumen und Zeigefinger
der linken Hand zur Betheuerung erhebend, mit der Rechten die Scham deckend.
Den Hintergrund des Ganzen bilden Bäume mit dichten Kronen.
Man sieht, die Komposition gehört in die Klasse der (rechtsläufigen) Illustrationen
der lucianeischen Beschreibung des Gemäldes des Apelles. Die Hauptfiguren, der
VON RICHARD FÖRSTER 29
König, die Calumnia, die Wahrheit*) schliefsen sich ganz an diese Beschreibung an.
Auch dass die eine der beiden Dienerinnen die Calumnia bekränzt, die andere sie
abbürstet, hält sich, wenn es auch keinen Anhalt in der Beschreibung selbst hat,
doch im Rahmen derselben. Aber es fehlt auch nicht an Abweichungen. Die
Hände des Verklagten sind nicht zum Himmel erhoben, sondern auf den Rücken
gebunden. Die Knappheit des Raumes führte zur Zusammenziehung und Beschränkung
der Bewegung der Figur, wie sie auch Zusammenrückung der Gruppen, ja sogar
völlige Weglassung der Figur der Reue zur Folge hatte. So schreitet auch die
Figur des Neides nicht für sich der Calumnia voran, sondern ist eng mit ihr ver-
bunden. Auch ist diese Figur nicht, wie in der Beschreibung, als blasser hässlicher
Mann, sondern als altes Weib gebildet.
Umgekehrt ist die Figur des Argwohns nicht, wie in der Beschreibung, weiblich,
sondern männlich. Da in beiden Fällen Lucian nicht blofs die Figuren benennt,
sondern auch ihr Geschlecht ausdrücklich beifügt, wird der Grund für die Ab-
weichung nicht in der blofsen Wiedergabe eines entsprechenden Wortes (Invidia —
Sospetto), sondern in bewusster Absicht des Künstlers zu suchen sein. Er glaubte
so das Verständnis der interessierten Kreise leichter zu gewinnen. So schildert
z. B. auch Cesare Ripa aus Perugia in seiner Iconologia overo descrittione di diverse
imagini cavate dall* antichitä, et di propria inventione (di nuovo revista et dal me-
desimo ampliata di 400 et piü Imagini, et di Figure dintaglio adornata, in Roma
M»DC»III, p. 241) die Invidia als Donna vecchia, magra, brutta, di color livido,
Suspicio war allerdings nach gewöhnlicher Vorstellung weiblich, aber dass sich
für sie auch männliche Bildung eingestelk hatte, beweist die Komposition des Bildes
von Nimes (Jahrbuch a. a. O., Tafel zwischen S. 38 und 39, S. 54), in welcher sie
trotz der Beischrift Suspictioni männlich, und zwar ganz ähnlich wie hier gebildet ist.
Für die Anribute beider Kompositionen genügt es, auf die Schilderung von Ripa zu
verweisen 1. 1. p. 467 Sospicione]: Donna vecchia, magra, artnata^ et per cimiero
portarä un Gallo, sarä vestita sotto delV armatura duna traversina di color turchino,
et giallo; nel sinistro braccio portarä un Scudo^ nel quäle sia dipinta una Tigre,
porgerä il detto braccio in fuori in atto di guardia, et con la destra terra una spada
ignuda in atto di ferire.
Auch dass die Unwissenheit als Verblendung dem Könige ein Tuch vorhält,
beruht auf eigener Erfindung des Künstlers. Anderwärts hat sie einen Schleier vor
den Augen.*)
Die Komposition zeigt gewisse Berührungspunkte sowohl mit der des Botti-
celli, als mit der des Mantegna: mit ersterer in der rechtsläufigen Richtung, sodann
in der hohen Estrade, in der Gruppe des Königs und der Begleiterinnen , der Krone
des Königs, der Stellung und Handlung der beiden Dienerinnen der Calumnia, in
der Wahrheit; mit der des Mantegna ebenfalls in der Krone des Königs, der Haltung
der Dienerinnen der Calumnia, der Handbewegung der Wahrheit und der Weiblich-
*) Zu den Stellen der Alten über die Nacktheit der 'A>.r>«ia, welche ich im Jahrbuch
a. a. O. S. 38 mitgeteilt habe, ist hinzuzufügen Lucian Pisc. 16 r[ auv^^a l\ awj xal ae-a^rn to
XP^}J^o^ h 'A>.»]>ita IffTtv, — T7]v axaXyjuitwtov lxccvv)v tt;v ^fiinriV, ttjv vno^evyovcav atl xal ^ioXio->atvouo'av;
dagegen wird die Göttin im Jllva^ des Kebes c. 18 mit Jlti^ als Tochter der Ilat^ita nur
genannt, nicht, wie die letztere (ffxoXYfv Ixpvca airX»i» t« xal axaXXMiricTov), beschrieben.
*) Jahrb. a. a. O. S. 5 1 war die Figur mit den verbundenen Augen im Bilde des Luca
Penni, wie in der Virtus combusta des Mantegna, als Dummheit (Verblendung), die Zu-
flastemde als Argwohn zu bezeichnen. Vergl. Ripa 1. 1. p. 224.
30 DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE
keit des Neides. Nichtsdestoweniger halte ich keine dieser Berührungen für schwer-
wiegend genug, um eine Abhängigkeit von der einen oder anderen der beiden
Kompositionen anzunehmen. Es sind zufällige Berührungspunkte. Und es stehen
die gewichtigsten Abweichungen gegenüber.
Vielmehr handelt es sich meiner Meinung nach um eine durchaus selbständige
Schöpfung. Um zu einer Vermutung über deren Urheber zu gelangen, wird
es nunmehr nötig sein, den Stil der Majolika ins Auge zu fassen. Da dieselbe,
wie Herr van Riemsdyk, der Unterdirektor der betreffenden Abteilung des Rijks-
museums, festzustellen die Güte hatte, keinerlei Signatur trägt, sind wir allein auf
den Stil angewiesen. Im Museum wird sie der Schule von Caffagiolo zugewiesen.
Da ich mir selbst kein Urteil über diese Frage beimessen durfte, wandte ich mich
an Herrn Dr. v. Falke, Direktorial -Assistent am Kunstgewerbe -Museum in Berlin,
mit der Bitte um Auskunft und erhielt durch seine Liebenswürdigkeit alsbald fol-
genden Bescheid mit der Erlaubnis zur Veröffentlichung:
»Die Schüssel, eine der schönsten uns erhaltenen Majoliken, gehört zu jener
Gruppe, die man mit Vorliebe der toskanischen Fabrik von Caffagiolo zuzuschreiben
pflegte. Die Existenz dieser Manufaktur ist mit Unrecht von C. Malagola und später von
Argnani angefochten worden. (Ich habe im Kunstgewerbeblait 1891 S. 85 und Darcel in
der Gazette des beaux ans 1892 [VII, S. 140 u. flf.] die Unhaltbarkeit dieser Behauptung
nachzuweisen versucht, die gegen die Beweiskraft der auf Majoliken aus der Zeit
von 1520 nicht seltenen Signatur: fatto in Caffagiolo nicht aufkommen kann.) Die
Fabrik blühte von 1 520 bis 1 530 circa und hat mit das Beste auf dem Gebiete der
italienischen Keramik geschaffen. Mehrere ihrer signierten Arbeiten lassen namentlich
in den figürlichen Kompositionen den Charakter der florentinischen Kunst erkennen.
Man hat, als man zuerst auf Caffagiolo aufmerksam wurde, den Fehler begangen, fast
alle guten Majoliken aus der Zeit um 1525 als Arbeiten dieser Fabrik zu erklären, zum
Schaden von Faenza, aus dessen Werkstätten unzweifelhaft die Künstler der medi-
ceischen Bottega hervorgegangen sind. Das ist namentlich in dem Werke von Delange,
Recueil de faYences italiennes der Fall. Thatsächlich sind in Faenza Majoliken von
derselben Qualität wie die signierten toskanischen in Mengen hergestellt worden,
was die Ausgrabungsfunde von Argnani in Faenza zur Genüge beweisen. Da nun
Faenza das ältere und weitaus bedeutendere Centrum der Majolika-Industrie gewesen
ist, da der Fabrik von Caffagiolo nur eine kurze Dauer beschieden war, da der
mit P. S. zeichnende Hauptmeister von Caffagiolo sehr wahrscheinlich vorher in
Faenza thätig gewesen ist, kann man mit Sicherheit nur diejenigen Stücke als tos-
kanisch ansehen, die den Namen von Caffagiolo wirklich aufweisen. Im anderen
Falle ist der Mutterfabrik von Faenza der Vorzug zu geben. Die Amsterdamer
Schüssel ist meines Wissens ohne Bezeichnung; sie kann wohl Caffagiolo sein, muss
aber mangels eines Beweises als Faenza betrachtet werden. Über ihre Entstehungs-
zeit um 1525 kann nach Analogie mit datierten Stücken kein Zweifel obwalten.
Man würde auf den ersten Blick, namentlich nach der Zeichnung des Randornamentes
auf kobaltblauem Grunde und der Dekoration in bianco sopra bianco auf der Wöl-
bung, sie der führenden Faentiner Bottega der Casa Pirota zuzuweisen geneigt sein.
Aber der grünliche Ton (statt des bläulichen der auf berettino gemalten Casa Pirota-
Waaren), sowie die überaus reiche und feine Modellierung in den figürlichen Teilen
lassen daran zweifeln; die Ausführung ist besser, als man sie sonst von der Casa
Pirota gewohnt ist. Eine andere Faentiner Fabrik mit Arbeiten dieser Art ist mir
aber nicht bekannt.«
VON RICHARD FÖRSTER 3I
Eine vortreffliche Bestätigung und Ergänzung erhalten diese Ausführungen
durch die Beobachtungen meines früheren, noch immer schmerzlich vermissten
Kollegen Schmarsonf, welcher auf meine Bitte jüngst die Majolika eingehender
Untersuchung unterzogen hat. Er schreibt mir darüber Folgendes:
»Ich habe mir das Prachtstück heute abermals angesehen und finde meine
frühere Erwägung durchaus bestätigt. Ich freue mich, dass die Bestimmung der
Herkunft bei Falke auch nFaen^a^ lautet; so würde ich nach allen bisherigen Er-
fahrungen und Erinnerungen auch urteilen, sowohl was die Durchführung in Farben
als was die Dekoration des Randes^) betrifft. Besonders sind es einige Teller im
Museo Correr zu Venedig mit mythologischen Scenen, die mich in dieser Meinung
bestärken.
Dazu aber die Hauptsache: die künstlerische Herkunft der Vorlage, die der
Fabrik gedient hat. Die Komposition der Scene gehört unzweifelhaft der Schule
des Francesco Francia an, und zwar in ihrer Entwickelung um 15 10 — 1520 höchstens.
Da müsste man füglich an den jüngeren G. Francia denken, der bei den Gemälden
des Vaters mit thätig gewesen. Die Gestalt des Königs ist durchaus einer bekannten
Figur der Anbetung des Kindes verwandt, die sich in der Akademie zu Bologna
befindet. Alle äufseren Merkmale der Kostümierung im klassischen Geschmack^ der
reinen fliefsenden Gewandung sprechen für diese Herkunft aus einem Atelier, das
auf der einen Seite von Mantegna, auf der anderen von Perugino nicht unberührt
geblieben war. Dies bestätigt auch die nahe Verwandtschaft mit den frühen Stichen
Markantons, die vor seiner Verbindung mit Raphael gezeichnet worden. Eine ge-
wisse leere Schönheit, klassisch reine Züge, aber wenig Charakter und Ausdruck sind
dafür ebenso bezeichnend. Ein Beleg ist der Krieger rechts in antikischem Helm.
Er ist in der Wendung des Blickes und im momentanen Mienenspiel so allgemein
und unbestimmt, dass ich nicht mehr als neutrale Neugier als Ausdruck des Kopfes
im Ganzen bezeichnen möchte. Hierbei ist aber Flüstern ins Eselsohr völlig aus-
geschlossen. Seine Aufmerksamkeit richtet sich, wenn überhaupt auf einen Punkt,
am meisten auf das Weib mit der Fackel und ihr Gezeter. Eigentlich starrt er
blindlings staunend auf den Vorgang ohne ausgesprochene Anteilnahme, genau so
neutral, wie drüben die nackte Gestalt der Wahrheit auftritt. Die Figur des nackten
jungen Verklagten nähert sich in der Zeichnung besonders Markantons schon
raphaelesken Stichen, deshalb würde ich bei genaueren Vergleichen die Datierung
15 10 — 1515 versuchen, wo der jüngere Francia noch den Stil des Francesco fonsetzt.
Da liegt also die Verwertung einer seiner Vorlagen in Faenza durchaus näher
als die in Caffagiolo, wo derartiges überraschen müsste.«
Ich weifs dem nichts hinzuzusetzen.
2. Daran schliefse ich eine im Besitz meines Freundes Albert Hänel in Kiel
befindliche Feder- und Tusche -Zeichnung. Das Blatt misst 35,3 cm. in die Länge,
28,4 cm. in die Höhe. Doch ist es auf beiden Kurzseiten, namentlich auf der rechten,
unvollständig. Die Figuren der Reue und der Wahrheit fehlen auf letzterer ganz.
M -In der Randverzierung kommen kleine Inschrifttafeln vor, aber die Schriftzüge
darauf sind phantastisch, gröfstenteils unbestimmt in der Form der einzeln aneinander-
gereihten Buchstaben, also wertlos für etwaige Bestimmung. Das Wappen oben im Rande
des Bildes hat kein fürstliches oder geistliches Abzeichen auf dem Schilde, drinnen auf
blauem Felde einen (citronengelben) Berg, in heraldischer Zeichnung und darüber schräg
von links oben nach rechts unten laufend ein orangegelbes Band. Mir unbekannt.«
3^
DIE VERLKUMDÜNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE
Den erhaltenen Figuren sind nicht Inschriften, sondern Zahlen (i — 8 und 12) bei-
geschrieben. Unserer Abbildung liegt eine von Herrn Maler Hans Hampke freund-
lichst gemachte Kopie zu Grunde.
W\ /
Tusch - Zeichnung im Besitz von Professor A. Haenel in Kiel.
Vor wenigen Jahren überraschte mich Hänel eines schönen Abends durch die
Mitteilung, dass er an demselben Tage die Zeichnung zu dem von mir im Jahr-
buch VIII, Tafel zwischen S. 38 und 39, No. i, S. 54 ff., veröffentlichten Bilde von
Nimes erworben habe. Ein Blick auf die Zeichnung schloss jeden Zweifel daran aus.
Gewisse Abweichungen aber beweisen, dass es sich nicht um eine Kopie, sondern
um eine Vorstudie zum Bilde handelt. Die Figur des Argwohns sitzt hier nicht wie
im Bilde auf den Stufen des Thrones, sondern schreitet heran. Die Figur Fraus
hält zwar einen Strick, aber der Hund fehlt; Odio hat hier als Helmschmuck nicht
einen Vogel, sondern, wie es scheint, eine Katze. Dass die Inschriften bis auf eine
gleich zu erwähnende Ausnahme fehlen, ist bereits gesagt. Auch sonst begegnen
kleinere Abweichungen und Zeichen von Unfertigkeit , auf welche hier näher ein-
zugehen unnötig scheint. Wohl aber soll hervorgehoben werden, inwiefern die in
Folge der mangelhaften Photographie unserer Abbildung des Gemäldes anhaftenden
Undeutlichkeiten durch die Zeichnung beseitigt werden und zugleich die Abhängig-
keit des Künstlers von Mantegna noch mehr hervortritt.
Die Ignorantia, welche, wie in der Komposition des Mantegna a. a. O. S. 46,
durch die Zackenkrone als Königin charakterisiert ist, stützt sich mit der Linken auf
VON RICHARD FÖRSTER 33
ein Ruder. Auch darin gleicht sie der thronenden Ignorantia einer anderen Kom-
position des Mantegna, nämlich der Zeichnung des British Museum, welche unter
dem Namen Virtus combusta bekannt ist.
Invidia trägt drei Beutel mit den Aufschriften S MALA, S PEIORA, S PESIMA,
zeigt also noch offenkundigere Abhängigkeit von der Suspicio in einer dritten Kom-
position Mantegnas, der »Austreibug der Laster«, als von mir a. a. O. S. 55 aus-
geführt war. — Fortuna sitzt auf einem Rade. — Oberhalb der an der linken
Treppenwand sichtbaren Inschrift SERVITVTI erscheint ein Jüngling, welcher einen
Baumstamm die Treppe hinaufschleppt. — Der aus der linken Thür heraustretende
geflügelte bärtige Mann, welcher ein Füllhorn trägt, ist der Zeitgott, An der obersten
Stufe unter ihm erkenne ich jetzt an der Photographie des Bildes die Inschrift
TEMP(ORI?). — Die an die Treppenwange angelehnt sitzende und herabblickende
weibliche Figur, welche einen Anker hält, ist die Hoffnung. Neben ihr lese ich
jetzt auf der Photographie des Bildes SPEI. Die hinter dem König stehende, mit
beiden Händen eine Maske haltende weibliche Figur, wird die Verstellung, Simu-
lation sein.
Aber auch in anderer Beziehung ist die Zeichnung wertvoll. Während ich
das Bild von Nimes nur einem Italiener aus dem Ende des XVI oder Anfang des
XVII Jahrhunderts zuschreiben konnte, Venturi nach Ansicht der Photographie nur
ganz unbestimmt auf einen Schüler des Mazuolino glaubte raten zu können, bietet
die Rückseite der Zeichnung einen bestimmten Künstlernamen. Neben dem unteren
Rande links nämlich steht Girolamo Siciolante. Die Hand, welche dies geschrieben
hat, ist allerdings jünger als die Zeichnung, aber ich möchte doch glauben, dass sie
eine gute alte Tradition wiedergiebt. Wer hätte auch gerade diesen Namen erfinden
sollen! Und obwohl es mir bisher nicht gelungen ist, ein historisches Zeugnis oder
eine anderweitige Bestätigung dafür zu finden, glaube ich doch fürs erste an dem
Namen dieses, die Tradition der raffaelischen Schule fortsetzenden Schülers des
Lionardo von Pistoja und Perin del Vaga festhalten zu sollen. Gefiel er sich doch
gerade neben seinen kirchlichen Malereien in derartigen, den Einfluss Mantegna's
bekundenden allegorischen Kompositionen^).
II. KOMPOSITIONEN VON DEUTSCHEN
3. Etwas anders als diese Zeichnung zum Bilde von Nimes, verhält sich eine
Kreidezeichnung der Erlanger Universitäts- Bibliothek zu Dürers Wandgemälde im
Nürnberger Rathaussaale {Jahrbuch VIII, S. 95).
Das Blatt, 31 cm. lang, 24,5 cm. hoch, ist, wie die ganze Sammlung von Zeich-
nungen, am Anfang dieses Jahrhunderts aus dem ehemaligen Kunstkabinet der Mark-
grafen in Anspach, in die Erlanger Universitäts - Bibliothek gelangt. Weiteres ist über
seine Herkunft nicht bekannt. Herr Oberbibliothekar Dr. Zucker hatte die Güte, es
mir nach Kiel zu schicken. Dort hat mir Herr Maler Hampke eine sorgfältige Kopie
gemacht, welche unserer Abbildung zu Grunde liegt.
Die Zeichnung steht in unverkennbarer Abhängigkeit von der Dürer'schen
Komposition und zwar berühn sie sich mit der Handzeichnung der Albenina darin,
*) Vergl. Ripa, Iconologia, p. 455.
*) Vergl. Vasari VII, S. 571 sq. ed. Milan. Baglione, le vite de' pittori, Roma 1642, S. 23.
Lanzi, storia della pittura t. II, S. 107; V, S. 130 ed. Pisa 1815. Nagler, Künstlerlexikon s. v.
5
34
DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE
dass der Richter jugendlich ist und keine Kopfbedeckung trägt. Andererseits zeigt
die Ignorantia mehr Ähnlichkeit mit dem Fresko als mit der Handzeichnung; denn
sie schielt nicht, wie dort, halb links nach dem Verklagten, sondern blickt ganz nach
rechts zum Richter, und die Hebung des Daumens und des Zeigefingers ihrer rechten
Hand scheint mehr auf eine dem Richter geltende Warnung, als auf eine Abweisung
des Verklagten hinzudeuten. Freilich bin ich nicht sicher, ob die Figur, von welcher
nur der Kopf und der obere Teil der Brust sichtbar sind, weiblich oder männlich
ist. Auch sonst fehlt es nicht an Abweichungen von Zeichnung und Fresko. . Der
Richter hält in der Linken ein Scepter und trägt auf dem Haupte einen Kranz. Die
Figur des Argwohns legt nur ihre Hände auf die Schulter des Richters, hält sich im
Übrigen mehr zurück und flüstert ihm nicht zu. Calumnia steht vor dem Verklagten,
']
Kreide - ZeichnuDg in der Universitäts - Bibliothek zu Erlangen.
ist anders kostümiert, auch viel weniger erregt als bei Dürer. Der Verklagte endlich
hebt seine Hände nicht auf, sondern streckt sie nur vor.
Danach kann ich in dieser Zeichnung nur den Versuch sehen, auf der Grund-
lage, aber zugleich mit teilweiser Abweichung von der Dürer' sehen Komposition, das
Bild des Apelles zu rekonstruieren. Ob der Versuch auf diese fünf Figuren be-
schränkt blieb, oder ob der Rest des Ganzen verloren gegangen ist, entzieht sich
unserer Kenntnis. Leider sind wir dadurch gerade aufser Stand gesetzt, das Ver-
halten des Künstlers zu der von Dürer eingeschobenen Gruppe zu beobachten.
Wer war der Künstler? Auf der Rückseite links steht mit Tinte, aber von später
Hand geschrieben: Georg Penfs, Der Buchstabe auf der Vorderseite unterhalb des
rechten Knies des Verklagten scheint mir eher ein G als ein P zu sein. Ich weifs
nicht, ob andere Gründe als die Aufschrift Stiassny zur Zuweisung der Zeichnung an
Georg Penz bewogen haben (Kunstchronik N. F. I, No. 12, Sp. 179: »Den Anteil
von Georg Penz an Dürers 1521 bis 1522 ausgeführten Wandmalereien im gröfseren
Rathaussaale zu Nürnberg belegt eine bisher übersehene Kreidezeichnung in der
Erlanger Universöts- Bibliothek, die Verleumdung des Apelles darstellend«). Wenn
VON RICHARD FÖRSTER
35
aber Herr Dr. Zucker in seinem Begleitschreiben an mich bemerkt: »Die Zuweisung
an G. Penz in der hiesigen Sammlung beruht lediglich auf der späten Aufschrift der
Rückseite, und für diese Zuweisung dürfte nur eine gewisse Anlehnung an das
»Dürer'sche« Gemälde mafsgebend gewesen sein. Ich wUsste wenigstens nicht, was
andere Werke von Penz für Analogien bötena, so kann ich nur mein Einverständnis
mit dem letzteren Urteil erklären und mich im Übrigen mit der Bemerkung begnügen,
dass mir nach dem Stile der Zeichnung der Künstler jünger als Penz (-}- 1550 in
Breslau) ^) zu sein scheint.
4. Dagegen bietet wieder eine ganz neue Komposition ein Gemälde des Artus-
hqfes in Dan\ig^ welches vor zwei Jahren, bei Gelegenheit eines Besuches der schönen
Stadt, meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Tafelbild im Artushof zu Danzig.
Da der von 1477 — 1481 als Gesellschaftshaus der Grofs - Kaufleute errichtete
Artushof zugleich den Schoppen als Gerichtssaal über Leben und Tod diente, war
unsere Komposition besonders geeignet, um unter die im Übrigen sehr verschieden-
artigen Gemälde aufgenommen zu werden, mit welchen die Wände dieses ungeheuren
Saales nach und nach geschmückt wurden. Es befindet sich auf Holz gemalt
an der Wand rechts vom Eingange, als viertes Bild vom Fenster aus gerechnet,
oberhalb des zweiten Feldes der Holztäfelung, rechts von dem Sitze der berühmten
Familie der Ferber, welcher durch das Wappen (drei Eberköpfe) mit der Bei-
schrift I • B • C • F • gekennzeichnet ist. Darüber ist das durch die Jahreszahlen
1602 und 1603 bezeichnete Riesengemälde des jüngsten Gerichtes von Antonius
Moller. Unser Bild ist 76 cm. lang, 38,5 cm. hoch. Der Abbildung liegt eine von
Herrn Professor und Museums -Inspektor Stryowski in Danzig mit grofser Liebens-
würdigkeit gemachte Bause zu Grunde. Für einige nachträgliche Mitteilungen bin
ich meinem lieben Schüler, Herrn Cand. Bruno Ehrlich in Danzig verpflichtet.
^) Siehe Bosch, Mitteilungen aus d. Germ an. National- Museum 1893, S. 39fF.
5*
36 DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE
Das Bild gehört zu den (linksläufigen) Kompositionen, welche nicht mehr
blofse Illustrationen, sondern freie Umbildungen des von Lucian beschriebenen Ge-
mäldes sind.
In der linken Hälfte hielt sich der Künstler allerdings genau an die Vorlage:
Links sitzt auf einem Sessel unter einem Baldachin der mit Eselsohren ver-
sehene bärtige Richter, angethan mit graubraunem Ober- und rotem Untergewand,
sowie mit roter Mütze, ernst nach dem Verklagten hinblickend und seine Hände
ausstreckend. An ihn lehnt sich von hinten an die durch blöden Gesichtsausdruck
charakterisierte Unwissenheit, bezeichnet durch die Beischrift IGNORANTIA, in hell-
gelbem Gewände, ihren linken Arm auf seine rechte Schulter legend. Auf der
anderen Seite steht die Figur des Argwohns (SVSPIIIO)*) in weifsem Gewände, zu
ihm blickend und Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, wie in der Erlanger
Zeichnung und in der Komposition von Luca Penni (Jahrbuch VIII, S. 51), empor-
streckend. Zu ihm schleppt die Verleumdung (CALVMNIA), angethan mit langem
roten, golddurchwirkten Kleide und mit mehrreihiger Halskette, sowie mit einer
Rosette im Haar geschmückt, den Verklagten, mit der Linken seine Haare fassend,
in der vorgestreckten Rechten eine kurze Fackel haltend. Auf ihrem grellweifsen
Gesicht spiegelt sich ihre Erregung ab. Der Verklagte, durch die Unterschrift
INOCENTIA bezeichnet, in kurzem graubraunen Rock und grünen Strümpfen,
blickt mit gefalteten Händen flehend zum Richter auf. Noch vor der Calumnia
schreitet der Neid (LIVOR)*), ein weifshaariger Mann mit dunkler Gesichtsfarbe, in
langem gelblich braunen Gewände, den giftigen Blick auf den Jüngling gerichtet,
die linke Faust vor der Brust geballt und den Zeigefinger der rechten Hand drohend
gehoben.
Aber nun beginnen die Abweichungen. Der Calumnia eilt nach eine weibliche
Figur mit sich sträubendem Haupthaar und kurzen Flügeln, in einem graubraunen
Gewände, welches die linke Schulter, Seite und Arm frei lässt, beide Arme nach
vorn gestreckt, aber rückwärts blickend und schreiend. Es ist nicht, wie man er-
warten sollte, die Hinterlist, Insidiae, sondern INVIDIA. Auf sie folgt eiligen Schrittes,
dicht hinter dem Verklagten, eine zweite weibliche Figur, mit dunkler Gesichtsfarbe,
ebenfalls in dunklem, graubraunen Gewände und rotem Halstuch, den rechten Arm
erhoben, durch die Unterschrift MENDACIVM bezeichnet.
Noch mehr weichen die Figuren ab, welche die Komposition auf der rechten
Seite abschliefsen. Hinter der Lüge sit:^t die Reue, neben welcher die Inschrift
POENITENTIA steht, in einem gelben Gewände, welches den Hals, den oberen
Teil der Brust und die Arme frei lässt, das Haupt gebeugt und die rechte Hand
vor die Augen geführt. Über ihr fliegt nach links der Gott der Zeit, neben
welchem noch TEMP deutlich, VS nicht mehr zu lesen ist, ein nackter langbärtiger
Greis mit grofsen dunklen Schuiterflügeln , eine Sanduhr auf dem kahlen Kopfe
tragend. Er hält mit beiden Armen die ebenfalls völlig nackte Wahrheit (VERITAS).
Beide blicken nach links herab. Den Hintergrund des Ganzen bilden Bogengänge.
Unterhalb der Calumnia steht in Form eines Täfelchens das folgende Distichon:
NE PREMAT INNOCVAM SCELERATA CALVMNIA CAVSAM
IVDICII PPOCERES PICTA TABELLA MONET.
^) Die zweite Hälfte des horizontalen Striches des T ist abgesprungen.
*) Der^ untere Strich des L ist teilweise unsichtbar geworden.
VON RICHARD FÖRSTER 37
Gerade die Veränderungen, welche der Maler nnit seiner Vorlage vorgenommen
hat, setzen uns in den Stand, die Entstehungszeit des Bildes annähernd festzustellen,
was um so wichtiger ist, als, wie der inzwischen, viel zu früh, verstorbene Stadt-
archivar, Archidiakonus Bertling für mich festzustellen die Güte hatte, Urkunden
und Zeugnisse über das Gemälde fehlen.
Es ist unzweifelhaft, dass der Maler, wenn er völlig abweichend von Lucian
die Veritas vom Zeitgotte getragen werden liefs, von der durch Giorgio Ghisis Stich
vom Jahre 1560 verbreiteten Komposition des Luca Penni (Jahrbuch 1887, S. 51) ab-
hängig war. Diese hatte in den Schlussversen des ihr beigefügten Täfelchens:
Temporis ai demum quae fertur filia, serös
In lucem profert qui latuere dolos
ausdrücklich auf Tempus als Vater der Veritas hingewiesen.^) Dass das Verhältnis
nicht umgekehrt sei, ergiebt sich schon daraus, dass Penni noch die der Wahrheit
nachblickende Reue der Vorlage festhielt, während der Maler unserer Komposition
sich auch hierin von dieser entfernte. Ist somit 1 560 als terminus post quem gewonnen,
so werden wir andererseits nicht allzutief unter dieses Jahr herabgehen dürfen. Es
ist dies gerade die Zeit, in welcher die Kunst in Danzig viel mehr von Italien als
von den Niederlanden beeinflusst wurde.
Ich benutze die Gelegenheit, meine im Jahrbuch 1887, S. 4off. über die Geschichte
der Louvre- Zeichnung^) gegebene Darlegung teils gegen Zweifel zu schützen, teils
zu ergänzen. Der Kernpunkt derselben war der Satz, dass die Zeichnung zuerst im
Besitz von Crozat auftaucht, aus dessen Nachlass zusammen mit dem Stich von
Nicolas Cochin 1741 vom Marquis de Gouvernet gekauft wurde und erst nachher
nach Modena kam. Diese Annahme wäre sofort hinfällig, wenn Campori, dessen
Ausführung ich damals nicht kannte, darin Recht hätte, dass die Zeichnung bereits 171 1
im Besitz der Este gewesen sei. Er') bezieht nämlich auf unsere Zeichnung die
*; Die Parallelen, welche ich S. 52, A. i angeführt habe, lassen sich vermehren. Zur
Komposition von Rubens vergl. jetzt Rooses, Oeuvre de Rubens III, pl. 239; t. IV, p. 41 und
t. V, p. 344. Ein Bildchen des Fed. Zuccari schenkte Valentin Jamerai Duval der Anastasia
SocolofF in Moskau im Jahre 1763 (Oeuvres de Duval I, St. Petersbourg 1784, p. 136: un pettt
tableau sur bron^e de neu/ pouces de hauteur sur sept pouces deux ou trois ligues de largeur,
peint par Fed. Zuccari. Ce tableau allegorique que des connoisseurs ont estime, represente le
temps qui manifeste la verite, precedee dune Bibi ailee, tenant une trompette ä la main. Au
dessous de ces trois figures le mensonge en habit bizarre de diverses couleurs, est terrasse
et etendu par terre. [Vergl. p. 146, 149, 153]). Ein Ölbild im königlichen Schlosse zu Breslau,
auf welchem die von zwei Dämonen der Lüge verfolgte Wahrheit vom Zeitgott empor-
gehoben wird, trägt im Inventar (No. 2392) den Namen des Franz Floris. Daran schliefsen
sich die GemUlde des N. Poussin (gestochen von Audran) und des Fran9ois Lemoine, (ge-
stochen von Lor. Cars). Vergl. Blanc, le tresor de la curiosite I p. 144. II p- 31a. 590;
II p. 146. 172. 279. Der Vater der ganzen Vorstellung scheint übrigens Pindar (Ol. X, 53
t' l^tkkyxyv ixovo; aXa^iiav Iti^tvuov Xpcvo;) gewesen ZU sein.
^) Morelli, Kunstchronik N. F. III, Sp. 294 wies sie dem Perin del Vaga zu.
^) Notizie inedite di Raffaello da Urbino tralte da documenti delF archivio Palatino
di Modena (Aiti e Memorie delle Deputazioni di sioria patria per le provincie Modenesi e
Parmensi vol. I, p. 38}.
38 DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE
Tela che rappresenta la Calunnia cTApelle creduto di Giulio Romano, bezüglich
deren der Herzog Rinaldo am 16. März 171 1 dem Vaccari, Aufseher der guardaroba,
Entlastung erteilte.*) Aber der Irrtum springt in die Augen. Es handelt sich hier
nicht um eine Zeichnung, sondern um ein Bild. Letzteres kann identisch sein mit
dem, welches 1543 von Benvenuto Garofalo für den Herzog Ercole II von Ferrara
gemalt worden war und welches wahrscheinlich in dem Benvenuto, Bugia e Veritä
des vor 1720 gemachten Inventars der Galleria Estense zu erkennen ist (a.a.O. S. 44);
es kann aber auch identisch sein mit demjenigen eines Anonymus, welches 1597 vom
Abte Pio da Carpi dem Herzog Alfonso II angeboten worden war (a. a. O. S. 40
und iio). Das creduto di Giulio Romano spricht vielleicht noch mehr für letzteres.
Woher Crozat die Zeichnung bekommen hat, vermag ich auch jetzt nicht mit
Sicherheit zu sagen. Vielleicht aus derselben berühmten Sammlung, in welcher sich
einst auch das zuletzt erwähnte Gemälde befunden hatte, nämlich aus der Sammlung
Pio. Wenigstens erwarb Crozat nach Mariettes Zeugnis la collection entiere du sieur
Pio de Rome, Aber auch an die Sammlung von Malvasia lässt sich denken. Vergl.
Blanc, le tresor de la curiosite I, 20.
Leider ist nichts Näheres über die Schicksale der Sammlung des Marquis de
Gouvernet") bekannt, um das Jahr festzustellen, in welchem die Zeichnung nach
Modena kam. Da aber, wie mir Venturi schreibt, der Kustos der Sammlung von
Zeichnungen und Münzen seit 175 1 über alle Eingänge Buch führte, in letzterem
aber diese Zeichnung nicht erwähnt wird, dürfte man dieses Jahr als terminus ante
quem anzunehmen genötigt sein. Der erste, der die Zeichnung als in Modena befind-
lich erwähnt, ist, soweit ich sehe, Lan:[i (geb. 1732, gest. 1810) storia pittorica della
Italia vol. II, p. 82 (ed. Mil. 1824): Uno de' piü ammirati disegni detto la Calunnia
d' Apelle ne vidi giä nella Ducal Galleria di Modena, finitissimo e superiore a ogni
stima; riunendo in se la invens[ione del miglior pittore di Grecia e la esecu\ione del
miglior pittore d'Italia^ aber schon, als er diese Worte schrieb — die erste Ausgabe
seines Werkes erschien 1796 — war sie nicht mehr in Modena. In diesem Jahre
nämlich wurde sie von Denon, welcher 1789 auf sein Gesuch, sie stechen zu dürfen,
vom Herzog Ercole III abschlägig beschieden worden war'), in seiner Eigenschaft
als Kommissar der französischen Regierung unter die Kunstwerke gelegt, welche nach
Paris gebracht wurden. Hier erst entstand seine Ätzung. Dagegen war allerdings
eine andere Reproduktion gemacht worden, als die Zeichnung noch in Modena war.
Das ist der Stich*), von welchem ein von mir a. O. S.42 erwähnter dilucido sich jetzt im
Staatsarchiv zu Modena bei der für Denon gemachten Supplik Dalets und dem Briefe
^) Vergl. Venturi, la Reale Galleria Estense p. 298: Nel iju, con sno chirografo dava
scarico al Vaccari, guardaroba, di tre pitture, e cioe di una B. V. col Bambino ed una Santa
con un Pastore e varie pecorelle, dipinto in tela da Tipano; un altro in Tela che rappresenta
una vecchia che accare^a una fanciulla, ed un altro in Tela che rappresenta la Calunnia
d' Apelle creduto di Giulio Romano,
') Dass dieser die Zeichnung nebst dem Stich für 72 livres kaufte, bezeugt Pierre-
Jean Mariette, Abecedario, publ. par de Chennevieres et de Montaiglon t. IV (Archives de
l'art francais t. VIII, Paris 1857—1858, p. 336). Vergl. Blanc a. a. O. S. 23.
*) Vergl. Campori a. a. O.
*) Offenbar identisch mit dem von Ruland, the works of Raphael p. 145 n. 5 erwähnten:
Reversed anonymous engraving öfter the same drawing when at Modena. Ich habe das
Exemplar des Königlichen Kupferstichkabinets in Berlin benutzt.
VON RICHARD FÖRSTER 39
des Pio da Carpi an den Herzog Alfonso befindet. Der Stich ist nicht ganz voll-
endet; es fehlen die Hände der Veritas. Er trägt folgende Unterschrrft: Disegno di
Raffaello d' Urbino posseduto dal Serenisso Duca di Modena, tratto da quanto nel
celebre suo quadro della Calunnia e fama aver espresso Apelle, che accusato da An-
tifilo come complice della congiura di Tiro era giä stato condannato da Tolomeo;
ma scopertasi la di lui innocenza dipinse Tincauto Re con lunghissime orecchie se-
dente fra la Sospezione e 1' Ignoranza, e in atio di accoglier la Calunnia, che im-
pugna una fiaccola, e strascina per la chioma Apelle invocante i Numi a mallevadori
della sua innocenza. Alla Callunnia (abbellita ed instigata dalla Doppiezza e dall'
Insidia) faceva scorta un uomo squallido e cencioso figurato per 1' Invidia. In fine
appariva una figura, che vista nel volgersi indietro la VeritÄ nuda, e risplendente rap-
presenta il Pentimento.
Der Urheber des wie die Unterschrift dem vorigen Jahrhundert angehörigen
Stiches ist mir nicht bekannt, es ist jedoch bemerkenswert, dass er mit der Ätzung
Denons in zwei Eigentümlichkeiten Übereinstimmt, nämlich darin, dass der König
keine Krone, sondern nur Binde hat und dass der Calumnia nichts aufgesetzt, sondern
nur das Haar geordnet wird.
Zum Schlüsse möge es gestattet sein, meine früheren Ermittelungen (a. a. O.
S. 32 ff. und 1 1 1 ff.) über die lateinischen Übersetzungen, welche dem gröfsten Teile
der Künstler als Vorlage gedient haben, in Einem Punkte zu ergänzen.
Die Übersetzung des lucianischen Dialogs von Francesco Accolti findet sich
nicht nur im Cod. Vindob. lat. 3236, fol. 31 — 35, sondern auch hinter der Übersetzung
der Briefe des Diogenes in einem Nürnberger Drucke sine anno von Friedrich
Creus^ner (= Hain Repertorium 6192)^) auf Blatt 15 — 20. Die Ausgabe beginnt:
Ad beatissimü & clementissü patre & dominü | Pium Secundü Pontifice Maximu in
Diogenis | philozophi epistolas francisci Aretini prefacio und schliefst auf fol. 20 ^^ mit
dem schlechten Distichon:
Hoc opus exiguu diligens sculpsit Fridericus Nurmberge Creufsner arte fabrili sua.
Die Übersetzung unserer Schrift hat eine doppelte Dedikation. Die erste gilt
Francisco Pellato Patavino iurisconsulto; die zweite aber, Illustri principi Johanni
Comiti Vicornie Franciscus Aretinus Salutem dicit, ist die frühere und enthält eine
Stelle, durch welche die Zeit der Abfassung bestimmt wird. Sie lautet: Hanc
Luciani de Calumnia orationem princeps illustris non ideo impresentia clarissimo no-
mini tuo inscribendam duxv ut ea pollicitatione absolutum me auf existimem aut
velim Sed cum ante annum et dimidium Chrysostomum super Johannis Euangelio
iam a me traductum praestantissimo viro Cosmo Medice me emendaturum pollicitus
fuerim. Et ea gratia in hunc usque diem aliquid tibi quod maxime cupiebam inscri-
bere distulerim Cum huc brevi discessurus vener is sine aliquo pro temporis \et]
brevitate mee in te observantie monumento discedere praestantiam tuam minime patiar
Quod et si minimum sit pro benignitate tamen sua non rem sed exhibentis animi vim
respecturam non dubito Verum si deus mee annuerit voluntati aliquid fortasse dignius
^) Panzer, annal. typogr. II, p. 238 n. 367 hat den Druck erwähnt, aber den Lucian
übersehen.
40 EINE MAJOLIKA -MALEREI DES QUATTROCENTO
in tuum nomen a me traductum humanitatem tuam in Britanniam usque pro-
sequetur Superabit montes transmittei oceanum- et in ultimo terrarum' et secundum-
Maronem nostrum in penitus toto divisis orbe britannis te requiret Tibi vel maximis
in rebus occupatissimo deditissimi tuifrancisci memoriam suggeret Da John Tiptorft,
Earl von Worcester, gegen Ende des Jahres 1460 nach England zurückkehrte^), so
wird die Übersetzung nicht lange vorher entstanden sein.*)
EINE MAJOLIKA-MALEREI DES QUATTROCENTO
VON O. VON FALKE
Das Berliner Kunstgewerbe- Museum hat im Jahre i8go eine Wandplatte aus
sechs Fayencefliesen erworben, die in doppelter Hinsicht Beachtung verdient: einmal
wegen ihrer Datierung, die sich auf die Jahre um 1460 feststellen lässt, dann, weil sie
für die Frage nach den Vorlagen, deren sich die italienischen Majolikamaler bedienten,
neues Material beibringt. Für die Geschichte der Keramik sind als die Anfänge und
direkten Vorläufer der im XVI Jahrhundert so glänzend entwickelten Majolika-Industrie
von der gröfsten Wichtigkeit alle italienischen Fayencemalereien, die, unabhängig von
der Werkstatt der Robbia entstanden, über die zwei letzten Jahrzehnte des XV Jahr-
hunderts nachweislich zurückreichen.
Entgegen der Behauptung Vasaris, dass Luca della Robbia die undurchsichtige
Zinnglasur — bekanntlich die wesentliche Vorbedingung echter Fayence — zuerst für
Italien erfunden habe, ist es zwar durch eine litterarische Notiz und durch einige
Fayenceplatten des XIV Jahrhunderts an italienischen Kirchen ^) wahrscheinlich gemacht,
dass die Fayencetechnik schon im XIV Jahrhundert in Italien geübt wurde. Aber die
Verzierung dieser bacini ist eine so primitive, dass sie, wenn auch jeder Zweifel an
ihrer italienischen Herkunft ausgeschlossen wäre, nicht als Beweis dagegen aufgeführt
werden können, dass die Fayencemalerei in Italien erst im Laufe des Quattrocento
über das Niveau der Bauerntöpferei sich zum Kunstgewerbe emporgehoben hat.
Fliesen und Geschirre sind nicht allzu selten, die sich aus stilistischen Gründen
oder durch Datierungen den beiden letzten Jahrzehnten des XV Jahrhunderts zuweisen
lassen. Auch das Berliner Kunstgewerbe-Museum besitzt davon eine stattliche Gruppe
mit zum Teil ganz hervorragenden Exemplaren. Dagegen ist die Anzahl der Denk-
*) Vergl. Voigt, Wiederbelebung des klass. Altert. II, 260.
2) Die Übersetzung des Lapo Birago da Castiglionchio scheint auch im Cod. Dorvill. X,
I. 4, 44 der Bodlejana fol. i — 14 zu stehen (Gaisford, Catal. codd. Dorvill. p. 31).
') Cavallucci et Molinien Les della Robbia. Paris 1884, p. 50.
Drury E. Fortnum. A descriptive catalogue of the majolika in the South Kensington
Museum 1873. Einleitung p. 27. Anmerkung.
UM 14 00
P: R MARIA
ÜM ZU BERLIN
KARnKNLICHTDUUCK D. RKICHSI >KUCKEHE[
VON O. VON FALKE 4I
mäler sehr beschränkt, deren Entstehungszeit vor 1480 sich näher fixieren lässt. Gefäfse
dieser Art fehlen fast gänzlich, nur Fufsbodenfliesen und Platten zum Wandschmuck
sind mehrfach erhalten. In Anerkennung der historischen Bedeutung dieser ältesten
Majoliken hat Emile Molinier in einer wenig umfangreichen aber vortrefflichen Arbeit ^)
alle ihm bekannt gewordenen Majoliken des Quattrocento in chronologischer Reihen-
folge zusammengestellt, die er datieren zu können glaubte.
Von den Arbeiten der della Robbia ist dabei vollständig abgesehen, da sich
aufser der Gleichartigkeit der Technik kein Zusammenhang zwischen ihnen und den
anderen Majoliken nachweisen lässt. Die bekannten Fayencemalereien des Luca della
Robbia auf glatter Fläche — zwei Wappenschilder an Or San Michele, die Umrah-
mung am Grabmal des Benozzo Federighi in San Francesco de Paola bei Bello-
sguardo, die zwölf Rundbilder mit Monatsdarstellungen im South Kensington Museum
— sowie die einfarbig blau glasierten Vasen aus der Werkstatt seiner Nachfolger ent-
halten kein Ornament, das in die Majolikatöpferei des XV Jahrhunderts aufgenommen
worden ist, oder auch nur einen nachweisbaren Einfluss geübt hat.
Molinier beginnt seine Übersicht mit einem Fufsboden der Kapelle in San Gio-
vanni a Carbonara in Neapel, die das Grabmal des im Jahre 1432 ermordeten Gianni
Carracciolo umschliefst. Aus verschiedenen Emblemen in der Verzierung der Fliesen,
die sich auf das Wappen der Carraccioli beziehen, geht hervor, dass die Fliesen
speziell für diese Kapelle gefertigt worden sind. Eine Datierung fehlt. Molinier nimmt
an, dass der Fufsbodenbelag gleichzeitig mit den Wandmalereien und der plastischen
Ausstattung der Kapelle um das Jahr 1440 entstanden ist. Mit dieser Zeitangabe stehen
die teilweise deutlich orientalisierenden Ornamente zwar nicht im Widerspruch, immer-
hin aber bleibt die Datierung Hypothese. In gleicher Weise unsicher ist ferner die Da-
tierung eines Fliesenfragments im Besitze von Urbani de Gheltof in Venedig, das dieser
als den Überrest eines jetzt verlorenen Fufsbodenbelages in der Sakristei der Kirche Sant*
Elena wegen seines Fundortes betrachtet.') Die Sakristei war auf Kosten zweier Mit-
glieder der Familie Giustiniani ausgeschmückt, von welchen der Ältere im Jahre 1450,
der Jüngere 1480 gestorben ist. Auf dem Fufsboden, den Cicogna noch beschrieben
hat, war der Name Giustiniani angebracht. Falls die Fliese in der That zu diesem
Fufsboden gehöne, muss sie vor dem Jahre 1480 gearbeitet worden sein. Sie zeigt in
Blau auf Grün gemalt einen Eisenhandschuh mit einer unvollständigen Inschrift auf
fliegendem Bande. Die Ergänzung der Inschrift: »Buena fe non es mudable« giebt eine
Fliese mit derselben Darstellung im Berliner Kunstgewerbe - Museum. Diese gehört zu
einer Folge von sechs grofsen Platten, von welchen eine das Wappen der Gonzaga,
die anderen Tiere und Embleme mit Schriftbändern aufweisen. Drei weitere Fliesen
derselben Folge befinden sich in der Brera in Mailand, andere noch im Kunsthandel.
Das erste sichere Datum bietet eine wappenschildförmige Platte im Musee Cluny
mit einem in Schwarz gemalten Hahn und der Jahreszahl 1466. Dieselbe Sammlung
besitzt ferner das älteste datierte Majolikagefäfs, eine Schüssel mit dem Monogramm
Jesu und vegetabilem Ornament, die laut Inschrift im Jahre 1475 von Nicolaus de
Ragnolis an die Kirche San Michele in Faenza gestiftet worden ist. Ein Schild mit
dem Wappen eines Nicolaus Orsini im keramischen Museum der Manufactur von
Sevres trägt die Bezeichnung: 1477 ^ ^^ '4 ^^ genaio. Eines der bedeutendsten
Denkmäler dieser Art, der im Museum von Parma befindliche Fufsboden aus dem
*) La ceramique italienne au XV siecle. Paris 1888.
*) Urbani de Gheltof: Les arts industriels a Venise au moyen äge et ä la Renaissance p. 186.
6
42 EINE MAJOLIKA-MALEREI DES QUATTROCENTO
Kloster San Paolo, wird durch das mehrfach wiederholte Wappen der Äbtissin des
Klosters Maria de Benedictis den Jahren 147 1 bis 1482 zugewiesen. Auch von dieser
Folge besitzt das Berliner Kunstgewerbe - Museum eine Platte mit einem weiblichen
Brustbild.
Das ist Alles, was an datierten oder datierbaren Stücken aus der Zeit vor 1480
bekannt ist; auch Darcel hat in einem kürzlich erschienenen Aufsatz (Gazette des
beaux arts 1892) der Zusammenstellung Moliniers nichts zugefügt.
An diese kurze Reihe von Quattrocento - Majoliken schliefst sich als die älteste
datierte Majolikamalerei — von den Arbeiten des Luca della Robbia abgesehen — die
Wandplatte des Kunstgewerbe - Museums. (Höhe 50 cm.. Breite 37 cm.)
Dargestellt sind in den Farben Blau, Violett, Grün, Gelb und Braun auf weifsem
Grund die sieben Schmerzen der Maria. Die Mutter Gottes sitzt unter einem von
zwei Säulen getragenen Kleeblattbogen, umgeben von sieben Rundbildern mit der
Darbringung Jesu im Tempel, der Flucht nach Ägypten, Jesu Aufenthalt im Tempel
unter den Schriftgelehnen, der Kreuztragung, der Kreuzigung, Kreuzabnahme und
Grablegung. In den Bogenzwickeln sind die Wappen Papst Pius' II und des Kaisers
Friedrich III angebracht. Die Bänder darunter tragen in rein gotischen Buchstaben
mit gebrochenen Schäften die Legenden: Pius papa secundus und Fridericus roma-
norum Imperator. Ein Band über der Figur der Maria enthält die Inschrift: Sicut
lilium inter spinas, bezugnehmend auf die sieben Schwerter im Herzen der Mutter Gottes.
Wenn es auch in diesem Falle gestattet ist, die Wappen historischer Persönlich-
keiten zur Datierung zu verwerten, so ergiebt sich als die Entstehungszeit des Majolika-
bildes das Pontificat Pius' II, die Zeit vom September 1458 bis zum Oktober 1464.
Die Verbindung des päpstlichen Wappens mit dem Friedrichs III kann zu einer engeren
Umgrenzung nicht herangezogen werden, da es bei den dauernden und intimen Be-
ziehungen zwischen dem Kaiser und seinem früheren Kanzleibeamten Enea Silvio
vergeblich wäre, nach einem bestimmten Anlass zur Herstellung dieser Komposition
zu suchen. Die Datirung auf die Jahre 1458 bis 1464 würde aber nur für eine
originale Komposition ohne Weiteres gültig sein. Trifft das bei dieser Majolika nicht
zu, so liegt die Möglichkeit vor, dass nur die Vorlage während der Regierung des
Enea Silvio, die Fayencekopie aber späterhin ausgeführt worden ist. Analoge Fälle
sind bei Majoliken mehrfach bekannt.*)
Es ist eine bekannte Thatsache, dass die italienischen Fayencemaler keineswegs
in der Regel mit selbsterfundenen Ornamenten und Kompositionen ihre Gefäfse ver-
ziert haben. In der Frühzeit vor 1 530 haben sie gleichzeitige deutsche und italienische
Kupferstiche und Holzschnitte vielfach genau kopiert; auch in Niellen und Bronze-
plaketten lassen sich manche ihrer Darstellungen, die in Stichen jetzt nicht mehr
erhalten sind, nachweisen. In der folgenden Periode des herrschenden Einflusses von
Urbino wurden zumeist die Kupferstiche Marcantons und seiner Schule mehr oder
minder frei benützt, auch aus verschiedenen Blättern einzelne Motive entnommen und
zu neuen Darstellungen zusammengestellt. Das letztere Verfahren hat besonders einer
^) Es möge genügen, auf zwei Beispiele hinzuweisen. Ein Teller des Museo Correr
in Venedig trägt die Jahreszahl 1482. Sie kann nur einer — jetzt verlorenen — Vorlage
entnommen sein, da die Ausführung der Malerei den Teller unzweifelhaft in die Blütezeit
der Majolika- Industrie um 1525 verweist. Derselben Periode gehört ein Teller des British
Museum an, obwohl er mit einer genauen Kopie des Kupferstiches mit dem Tode der Maria
(B. 33) von dem um 149 1 verstorbenen Martin Schongauer bemalt ist.
VON O. VON FALKE 43
der führenden und fruchtbarsten Urbinater Meister, Francesco Xanto Avelli aus Ro-
vigo mit Vorliebe und Geschick gepflegt.
Für die Benutzung von Stichen der römischen Schule bietet jede gröfsere
Majolika -Sammlung zahlreiche Beispiele. Seltener und bisher weniger beachtet sind
dagegen die Vorlagen der Majoliken aus der älteren Zeit der Führung von Faenza.
Die Berliner Sammlung besitzt auch hierfür interessantes Material. Eine der ältesten
Schüsseln der Sammlung, eine Faentiner Arbeit des XV Jahrhunderts, ist mit einer
Bärenjagd in gotischer Blattwerkumrahmung bemalt, deren Mittelgruppe nach einem
anonymen italienischen Stiche: Passavant V, p. 190 No. 104 kopiert ist. Die genaue
W^iedergabe eines Stiches von Nicoletto da Modena (P. 99) mit der auf ein antikes
Relief zurückgehenden, auch in Plaketten verbreiteten Figur der Fama zeigt das Mittel-
feld einer grofsen Faentiner Schüssel von der Art, welche man gewöhnlich Caffagiolo
zuzuschreiben pflegte. Die Kopie des Dürer' sehen Stiches mit dem verlorenen Sohn
(B. 28) in der sorgfältigsten Ausführung trägt eine der Fabrik von Fabriano zuge-
schriebene Schüssel; die Anbetung der Hirten aus der kleinen Holzschnittpassion
desselben Meisters ein Urbinater Teller; einen Teil des grofsen Holzschnittes von
Lucas Kranach mit der Hirschjagd (ß. 119) eine flache Schale, gemalt in der Art der
Casa Pirota von Faenza. Vielfache Verwendung in den italienischen Töpferbodegen,
wie in den Werkstätten der Limosiner Emailleure, scheinen auch die Holzschnitt-
Illustrationen früher Drucke gefunden zu haben. So hat die im Jahre 1497 zuerst
von Giovanni Rosso in Venedig gedruckte italienische Ausgabe der Metamorphosen
des Ovid (Hein, 12 166) für vier Teller der Berliner Sammlung als Vorlage gedient:
auf zwei Tellern aus unbekannter Fabrik mit Lüstrierung von Giorgio Andreoli von
Gubbio sind die Holzschnitte mit der Geburt des Adonis und den Verwandlungen
der Thetis genau kopiert; auf zwei anderen der Sturz des Phaeton und wiederum
die Verwandlungen der Thetis mit einigen Abweichungen benutzt.*)
Dass auch der Fliesenplatte mit der Mater dolorosa eine Vorlage zu Grunde
lag, war von vorn herein aufser Zweifel gestellt durch eine dem Kunstgewerbe-
Museum gehörige deutsche Terrakottaplatte aus spätgotischer Zeit, die in Relief dieselbe
Darstellung trägt (Höhe 35 cm., Breite 38 cm., Abbildung S. 44.). Einige Abweichungen
sind durch die Rücksicht auf die Ausführung in anderem Material und kleinerem Mafs-
stabe bedingt. So ist an Stelle des säulengetragenen Kleeblattbogens eine einfache
Rundleiste getreten, von den sieben Schwertern ist nur eines übriggeblieben. Auch
fehlt das Schriftband über der Mittelfigur. Die ursprüngliche Bemalung ist verloren
und damit auch die Legenden auf den Bändern unter den Wappen. Von den letzteren
ist das Wappen der Piccolomini unverändert geblieben, der Doppeladler mit der
Kaiserkrone aber ist durch das Wappen Maximilians 1 unter dem österreichischen
^) Die Holzschnitte derselben Ovidausgabe hat auch der Maler der berühmten Folge
von 15 Majolikatellern im Museo Correr in drei Fällen mehr oder minder frei verarbeitet;
es sind dies die Teller mit »Apollo und Marsyas« (abgebildet L'Art XLIII. 178 und Graphische
Künste XI. 149); mit »Apollo, Pan und Midas« und mit dem »Tode des Orpheus«. Für
einen vierten Teller mit »Giuliana und Ottinello« (abgebildet L'Art XLIII. 179) hat der Titel-
holzschnitt der gleichnamigen in Florenz gedruckten Novelle (abgebildet bei Varnhagen im
Erlanger UniversitStsprogramm 1892. 46) als Vorlage gedient. Die bereits von Molinier
(L'Art XLIII) gründlich bestrittene, von K. v. Lützow in den Graphischen Künsten, B. XI,
aber wiederholte Behauptung Morellis (Lermolieff, Die Gallerie zu Berlin p. 219), dass
die Malereien des Correr- Services von Timoteo Viti herrührten, wird dadurch endgiltig
widerlegt.
6*
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EINE MAJOLIKA -MALEREI DES QUATTROCENTO
Erzherzogshute, umgeben von der Kette des Goldenen Vliefses, ersetzt. Es enthält in
seinen vier Feldern die Wappen von Österreich, Neuburgund, Ahburgund, Brabant
und von Flandern auf dem Herzschilde. Das Thonrelief ist also nicht nach derselben
Vorlage wie die Majolika, sondern nach einem davon abgeleiteten Blatte gearbeitet,
das nicht vor 1477, dem Jahre der Vermählung des Erzherzogs Max mit der Erbin
von Burgund, entstanden sein kann.
Terrakotta -Platte. Original im Kunstgewerbe- Museum zu Berlin.
Die Nachforschung nach einer dieser Originalvorlagen, bei welcher ich mich der
dankenswerten Unterstützung der Herren Geheimrat Lippmann und Dr. P. Kristeller
zu erfreuen hatte, ergab bald das Resultat, dass die Darstellung der Mater dolorosa
mit den sieben Rundbildern in der Zeit um die Wende des XV Jahrhunderts in den
Niederlanden keine seltene war.
Die Reihe der Gemälde eröffnet als das älteste eine Tafel mit Goldgrund aus
dem XV Jahrhundert in der Kathedrale von Brügge; die Galerie von Brüssel besitzt
VON O. VON FALKE 45
zwei Bilder aus den ersten Jahren des XVI Jahrhunderts, je eines die Galerie Colonna
in Rom und das Museum in Antwerpen.
Als Miniatur findet sich die Schmerzensmutter in einer niederländischen Hand-
schrift der Wiener Hof Bibliothek (No. 2706) ^) aus der Zeit um 1513; als Kupferstich
auf einem unbeschriebenen, aus der Sammlung Enzenberg stammenden Blatte des
Berliner Kabinets (No. iii, 79) und auf zwei Blattern des Monogrammisten S, der
nach Nagler um 1520 in Brüssel oder Köln thätig war (Pass. 133 und 132). Auf
diesen beiden Stichen, die sich gleichfalls in der Berliner Sammlung befinden, ist
die Mittelfigur mit den sieben Medaillons in gotische Monstranzen eingeordnet.
Ein verwandtes Niello in der Albertina in Wien citiert Passavant I, S. 304, No. 550.
Die späteste Wiederholung des Gegenstandes giebt der Kupferstich des Hieronymus
Wierix vom Jahre 1587, der mit der zugehörigen Originalzeichnung von Crispin
van der Broeck im Museum Plantin -Moretus in Antwerpen aufbewahrt wird.-)
Alle diese Wiederholungen sind Niederländischer Herkunft; die Aufnahme der
Komposition in die italienische Kunst zeigt aufser der Majolika nur ein im Kunst-
handel befindlicher Holzschnitt mit der Überschrift »Li septe dolori che ebbe la
vergine maria«; er gehört bereits dem Anfange des XVI Jahrhunderts an. Ein kleiner
deutscher Holzschnitt ist enthalten in dem bei Peypus in Nürnberg 15 19 erschienenen
Hortulus animae.')
Von den genannten Wiederholungen der Schmerzensmutter kann keine die
direkte Vorlage der Majolika oder des Thonreliefs gewesen sein, da die Wappen auf
allen fehlen. Dass sie, trotz mancherlei Abweichungen in der Haltung der Mittel-
figur und der verschiedenen Ausstattung der Hintergründe, insgesamt auf eine
gemeinsame Quelle zurückgehen, macht nicht nur die schematische Anordnung der
Rundbilder um die Hauptfigur, sondern auch die grofse Verwandtschaft in der Kom-
position der Darstellungen in den einzelnen Medaillons wahrscheinlich.
Das einzige Blatt, das ersichtlich in engerem Zusammenhange mit den Vor-
lagen des Fayencemalers und des Thonmodelleurs steht, ist ein deutscher Holzschnitt
vom Jahre 1508, den Herr Direktor Lippmann im Museum zu Gotha aufgefunden
hat. Die beigegebene verkleinene Reproduktion lässt eine nähere Beschreibung ent-
behrlich erscheinen. Die Inschrift enthält eine gereimte Aufzählung der sieben
Schmerzen Mariae und die Datierung 1508. Die Wappen lassen darüber keinen
Zweifel, dass der Gothaer Holzschnitt weder für die Majolika, noch für die Terra-
kottaplatte die Vorlage gewesen sein kann. Wie auf der letzteren, ist an die Stelle
des Reichsadlers mit dem Namen Friedrichs III bereits das erzherzogliche Wappen-
schild seines Sohnes getreten. In das päpstliche Schild hat der Kopist, dem Jahre
1 508 entsprechend, statt des Kreuzes der Piccolomini den Eichbaum der Rovere ein-
gefügt. Seine Kenntnis oder Sorgfalt reichte aber nicht aus, um auch das Schrift-
band zeitgemäfs umzugestalten und mit dem Namen des regierenden Papstes Julius II
zu versehen. Er modernisierte seine Vorlage nur dadurch, dass er die Worte »Pius
papa secundus« in »Pius papa tercius« veränderte, vermutlich weil der letztere, ein
Nepot des ersten Piccolomini, als nächster Vorgänger Julius' II trotz seines kaum ein-
monatlichen Pontifikats (22. September bis 18. Oktober 1503) noch in lebhafterer Er-
innerung stand, als der vor nahezu einem halben Jahrhundert verstorbene Enea Silvio.
M Abgebildet in den Jahrbüchern der Wiener Hofmuseen, 1889, S. 434.
2) Abgebildet bei Rooses, Christophe Plantin, S. 282.
*) Abgebildet von Dibdin, The bibliographical decameron, I, S. 53.
46
EINE MAJOLIKA -MALEREI DES QUATTROCENTO
Diese fehlerhafte Verbindung des Papstnamens mit einem nicht zugehörigen Wappen
macht es ohne Weiteres klar, dass das Goihaer Blatt nur eine Kopie des Vorbildes
der Majolikaplatte ist und zwar eine mittelbare, keine direkte Kopie. Das Mittelglied
ist die noch unbekannte Vorlage des Thonreliefs gewesen, welche noch das Wappen
der Piccolomini, aber bereits das Wappen Maximilians aufwies.
\
•M
w
tifientMef
Anonymer Holzschnitt. Original in der Herzogl. Bibliothek zu Gotha.
Der Holzschnitt vom Jahre 1508 kann also die Datierung der Fliesen maierei
in das Pontifikat Pius' II nicht anfechten. Er beweist nur, dass ein älteres Original
existien haben muss. Auch dieses ist ein Holzschnitt gröfseren Formats gewesen.
Da der Majolikamaler seine Vorlage in den figürlichen Teilen sichtlich mit peinlicher
Genauigkeit kopien hat, ist die Wiedergabe der Strichlagen eines Holzschnittes,
namentlich im Angesichte der Madonna noch deutlich erkennbar.
VON O. VON FALKE 47
Die Reliefplatte und der Gothaer Holzschnitt müssen in gewisser Hinsicht die
Datierung der Majolika sogar unterstützen. Beide sind ein Beweis dafür, dass man
bei späteren Wiederholungen des Originals das Bedürfnis fühlte, die Wappen des
Kaisers und des Papstes zeitgemäfs umzuarbeiten, soweit die Kenntnis reichte. Es
ist mindestens naheliegend, denselben Wunsch auch dem keramischen Künstler zu-
zumuten, zumal bei einem Werke, das bei dem damaligen Stand der italienischen
Kunsttöpferei als ein ungewöhnlich reiches und sorgfältig ausgefühnes zu betrachten
ist. Dem Italiener war auch Name und Geschlecht des regierenden Papstes schwer-
lich unbekannt; jedenfalls wäre ein Anachronismus in diesem Punkte in Italien auf-
fallender gewesen als in Deutschland.
Technisch und stilistisch bietet die Fliesenplatte nichts, was mit der Zuweisung in
die Zeit um 1460 in Widerspruch stände. Es spricht für die frühe Enstehungszeit der
Majolika, dass der Maler die gotische Schrift beibehalten hat, die in dieser strengen
Form einem Italiener zu Ende des Quattrocento nicht mehr geläufig war. Selbst der
deutsche Holzschneider vom Jahre 1 508 hat sie in den oberen Bändern bereits durch
Kapitallettern ersetzt. Auch wo der Künstler von seiner Vorlage sich unabhängig
zeigt, trägt die Arbeit einen durchaus archaischen Charakter. Das äufsen sich sowohl
in der ziemlich unbeholfenen Umwandlung der ursprünglich gotischen Säulen und
Kapitelle in renaissanceartige Formen wie in der Zusammenstellung der Farben. Das
Vorherrschen des Kobaltblau und die reichliche Verwendung des Manganviolett sind
sichere Kennzeichen einer Arbeit der ältesten Periode der Majolikamalerei. Für sich
allein könnten diese Momente allerdings nicht — bei dem Mangel an Vergleichs-
material — zu einer so eng umgrenzten Datierung von sechs Jahren führen; in Ver-
bindung mit den Wappen aber sind sie wohl geeignet, die Datierung zu bestätigen.
Den Herstellungsort dieser Fliesen zu bestimmen, ist bis jetzt unmöglich. Es
ist zwar eine kaum noch bestrittene Thatsache, dass in der zweiten Hälfte des
XV Jahrhundens Faenza die erste Stelle auf dem Gebiete der italienischen Keramik
eingenommen hat; es ist aber ebensowenig zu bezweifeln, dass auch andere Städte,
wie Florenz, Venedig, Neapel Werkstätten besafsen, die schon damak in echter
Fayence arbeiteten.
48 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
FORTSETZUNG UND NACHTRAG')
VON PAUL SEIDEL
Das geringe Interesse, das man bisher der eingehenderen Erforschung der Ge-
schichte der Kunstsammlungen Friedrichs des Grofsen bewiesen hat, macht es erklär-
lich, dass das auf dieselben bezügliche archivalische Material noch in keiner Weise
geordnet und gesammelt ist, und dass daher der Forscher auf diesem Gebiete so bald
nicht zum Abschluss gelangen kann. Einerseits werden immer neue Quellen in den
Archiven erschlossen, andererseits zeitigt die andauernde Beschäftigung mit den Kunst-
sammlungen des grofsen Königs selber immer neue Resultate; durch die Zerstreuung
der Kunstwerke in den Königlichen Schlössern und in den Museen wird die Bearbei-
tung aufserordentlich erschwert, namentlich aber ist es vielfach unmöglich, die Akten
und die Kunstwerke in Beziehung zu einander zu bringen, da wenigstens die Bilder
in sehr vielen Fällen nicht genügend gekennzeichnet sind, und aufserdem entweder
ihre Künstlerbezeichnungen gewechselt haben, oder doch unter den hochtrabenden
Künstlernamen, unter denen sie erworben wurden, heute gar nicht mehr erkannt
werden können. Die älteren Beschreibungen der Schlösser von Österreich und Ni-
colai können hier auch oft nicht helfen, da die Placierung in vielen Fällen voll-
ständige Änderungen erfahren Jiat. Wenn daher auch bei diesem neuen Material,
das ich hier an die Öffentlichkeit bringe, die aufgeführten Kunstwerke nicht sämtlich
festgestellt werden konnten, so konnte das doch bei einer Reihe ganz besonders
wichtiger geschehen, und das Material als Ganzes lässt uns wieder einen tiefen Blick
in die glühende Kunstliebe des grofsen Königs thun, und wir werden mit neuen
Personen bekannt gemacht, die ihn bei der Erfüllung seiner Wünsche unterstützten.
In manchen Beziehungen muss es weiteren Forschungen überlassen bleiben, über den
Verbleib der erworbenen Kunstwerke Klarheit zu erhalten.
Da die vorliegende Arbeit in vielen Beziehungen nur eine Ergänzung meiner
früheren Publikationen im Jahrbuch bildet, so verweise ich wegen der allgemeinen
Gesichtspunkte auf diese und begnüge mich hier mit einem Auszuge des Akten-
materials, dessen Bedeutung durch Anmerkungen an den in Frage kommenden Stellen
klargestellt werden wird.
Hervorheben will ich an dieser Stelle nur, dass ein guter Teil der erworbenen
Gemälde bei der bekannten Plünderung Charlotten burgs durch die österreichischen
und sächsischen Truppen am 9. Oktober 1760 wieder verloren gegangen ist. Ein in
den Akten des Oberhofmarschallamtes erhaltener eingehender Bericht des damaligen
Kastellans giebt darüber interessante Einzelheiten. Es wird darin gesagt, dass aus
') Vergl. Jahrbuch Bd. XIII S. 183—212.
VON PAUL SEIDEL 49
mehreren Zimmern, dem Schreibkabinet des Königs, der Grisdelin- Kammer, der
Konzertkammer, die aus den Rahmen genommenen Bilder von den österreichischen
Offizieren eingepackt und geraubt worden seien. Andere Bilder von Watteau und
Lancret, genannt wird von Letzterem das Portrait eines französischen Prinzen, wurden
vollständig zerschnitten, ein kleines Bild von Chardin wurde im Ganen wieder auf-
gefunden. Das Firmenschild des Gersaint von Watteau ist jedenfalls nur seiner Gröfse
wegen nicht mitgenommen worden. Zahlreiches Porzellan, die von den Wänden
abgerissenen Gobelins und seidenen Tapeten, die von den Möbeln abgeschnittenen
BezUge und viele ganze Möbel wurden bei dieser Gelegenheit hinweggeftlhn, der
zahlreichen vandalischen Zerstörungen gar nicht zu gedenken.
Von ganz besonderem Interesse sind die Ergänzungen der Nachrichten über die
Erwerbungen von Kunstwerken aus Paris durch Graf Rothenburg. Am 17. Mai 1743
erhielt Rothenburg eine Zahlung von 600 Thalern »pour le s' Petit qui a fait l'achat
du cabinet de feu M. le Cardinal de Polignac«. Das Nähere über den Erwerb dieser
Sammlung, bei dem Petit den Unterhändler machte, vergl. Jahrbuch Bd.
Am S.März 1746 schreibt Rothenburg aus Potsdam an den König:
Sire. J'envoie ^ijoint la note des tableaux (nicht mehr vorhanden), qui ont ete achete
pour Votre Majeste; les huit premiers coutent 4500 ecus et le neuvieme de Watteau 450; La
commode garni d*or moulu avec son dessus de marbre 400; toutes les trois sommes ensemble
fönt 5350 ecus que je suplie Votre Majeste de me faire paier a Berlin. Je suis etc.
Rottenbourg.
Specification de ce que le Roy doit a Monsieur le comte de Rottenbourg:
pour trois cheminees de marbre de vert campan et breche d*alep*) ä 1000 ecus piece
avec les frais et emballages y compris sont 3000 ecus,
pour 14 tableaux qui doivent venir de Paris dont Monsieur Petit a fait
les pris 3750 »
pour le port des 12 tableaux qui viennent d'arriver depuis Paris jusqu'ici 33 »
total 6783 ecus,
fait ä Potzdam 26.Septembre 1746.
Rottenbourg.
pour un tableau de Charle Wanlau (van Loo) 750 ecus.
October 1746.
Eine Reihe wichtiger Nachrichten erhalten wir aus folgender undatierter Rechnung
Rothenburgs aus dem Herbst 1746:
Sa Majeste doit a Paris pour deux lustres de Cristail de Roche . . . 4000 ecus,
Pour un bureau a ecrire avec des ornements de bronse dore d*or
moulus, avec un serre papier et une pendule de bronse dore d'or
moulus dessus") . 2000 »
6000 ecus
^) Es ist mir nicht gelungen, diese und die später erwähnten Marmorkamine aus Paris
mit Sicherheit in den Schlössern wieder nachzuweisen.
* Die eingehende Beschreibung lässt keinen Zweifel, dass wir es hier mit dem schönen
Cartonnier aus Cedernholz und Bronze in Sanssouci zu thun haben (abgebildet Jahrbuch
Bd. XIV S. 131) einem einzig dastehenden Hauptwerke französischen Kunsthandwerks, das
auf der Ausstellung von Kunstwerken aus dem Zeitalter Friedrichs des Grofsen berechtigtes
50 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
6000 ecus
Pour un Tableau de M. de Gase (Cazes) qui represente le jugement
de Paris ^) 1250 »
pour un Portrait de M. de Largilliere qui represente une jeune personne
peinte en flore *).... 450 »
Pour une grande pendule sur un piedestail dore d'or moulu et d^ecaille 1500 »
Pour le port des deux lustres de Cristail de Roche venus en dernier
temps de Paris depuis Strasbourg iusque ä Berlin 1 1 1 »
Pour deux grands Tableaux de Pater pendants 1000 »
Pour deux plus petits de Pater 500 »
Pour deux tableaux de Chardin 450 •
Pour un grand tableau de M. de la Fausse (Fosse) 750 »
Pour le port des 14 Tableaux venus en dernier lieu de Paris ... 20 »
De Plus pour un tableau de M. de Largilliere qui represente Venus et
Adonis 500 »
12531 ecus.
Die erste Abschlagszahlung im Betrage von 5000 Thaler erhält Rothenburg am
26. November 1746.
Am 14. December 1746 erwähnt Rothenburg zwei von Petit besorgte Marmor-
büsten.
24. December 1746. »deux lustres de Cristail de Roche« 6000 ecus.
»12 Tableaux de Lancret et de Pater« 3500 »
Am 17. Januar 1747 betragen die Schulden des Königs für Ankäufe in Paris
noch 6946 Thaler, nachdem eben 5000 Thaler bezahlt sind.
Von folgender Rechnung über 5614 Thaler wird am 24. Mai 1747 der Betrag
von 4000 Thaler bezahlt.
Von der letzten Rechnung noch 5446 ecus
depuis ce compte rendu pour le port d'une caisse venu de Paris avec sept 44 »
tableaux de plus pour une autre caisse de 4 tableaux oü ont ete les
trois Paters et le Natoire 33 »
Plus pour le port des deux petits lustres de Cristail de Roche depuis
Paris jusqu'a Berlin 91 »»
56 14 ecus.
Eine Abrechnung Rothenburgs vom 25. Juli 1747 lautet wie folgt:
Sa Majeste restait a Paris le 24 du mois passe 6239 ecus
depuis ce temps la Elle a fait acheter une coUection de 8 tableaux
savoir:
6239 ecus
Aufsehen erregte. Ein zweites französisches Exemplar dieses Möbels ist nicht bekannt.
Welchen Wert der König darauf legte, kann daraus ermessen werden, dass er durch den
Dekorationsbildhauer und Kunsttischler Melchior Kambly eine ebenfalls in Sanssouci befind-
liche Kopie anfertigen liefs, die er am 20. August 1749 mit 1800 Thalern bezahlte. Diese
Kopie kann, namentlich in den figürlichen Teilen, mit dem Original allerdings nicht ver-
glichen werden.
^) Das nicht erfreuliche Bild mit fast lebensgrofsen Figuren befindet sich im Charlotten-
burger Schlosse.
*) Das etwas süssliche Bild, früher im Potsdamer Stadtschloss, jetzt im Neuen Palais,
iSsst sich mit den mir sonst bekannten Werken Largillieres schwer in Einklang bringen.
VON PAUL SEIDEL 5I
6239 ecus
deux Raoux ensemble 4500 livres
deux Charle Coypels 2800 »
trois Pater deux grands et un petit 5000 •
un Chardin*) . 600 »
12900 livres
Cela fait en ecus 3225 •
Sa Majeste devait donc 9464 ecus.
Wenn auch die Rechnungen sehr lückenhaft erhalten sind , so zeugen doch die
fast jeden Monat erfolgenden Zahlungen von 3000 Thaler »auf Abschlag der Pari-
sischen Gelder« an Rothenburg, dass in den Ankäufen kein Stillstand herrscht Die
nächste erhaltene Berechnung ist vom 24. Februar 1748 datien und lautet:
Le 24 d'octobre de l'annee passee S. M. restait a Paris 7026 ecus
Depuis on a fait ie marche de 10 tableaux paiable au mois de fevrierpre-
sent qui fönt
2 de Boulogne l'aine qui est le bon")
1 de Boulogne le jeune
2 de Lancret l ils coutent ensemble 18000 H.
1 de Raoux [ ce qui fait 4300
2 de la fausse
2 de de Troie de Rome
Sa Majeste devait le 24 de Novembre 1 1526 ecus.
Mais Elle a fait paier le meine pour 3000 ecus
et le 24 de Decembre 3000 »
6000 ecus.
Sa Majeste restait donc que 3526 ecus — gros.
Mais a present j*ai re9u Textrait de depenses fait par Petit a
Paris dans le cours de cette annee. Pour les droits de sortie
et emballage des deux lustres envoie le 20 octobre 250 liv res = 62 » 12 >
5388 ecus 12 gros.
Pour tous les droits de sortie du Roiaume pour les tableaux
et leurs encaissage et emballage 1400 livres 330 » — •
plus pour les droits de sortie des cinq cheminees de marbre
et leurs embalage en 18 grosses caisses dont les bois sont
extremement epais 1600 R ce qui fait 400 » — •
pour port de lettre et Bacres que M. Petit a mis en compte et
autres frais 400 H 100 • — »
De plus pour un lustre de bronze dore d'or moulu .... 330 • — »
6988 ecus 12 gros.
V) Bei der grofsen Anzahl von Bildern Lancrets und Paters im Königlichen Besitz
wird die Bestimmung der hier erwähnten Bilder nur in den seltensten Fällen möglich ge-
macht. Im vorliegenden Falle handelt es sich aber ohne Zweifel um die im Empfangszimmer
des Königs in Sanssouci befindlichen Gemälde: Raoux: »Zwei Damen als Vestalinnen« und
Gärtner und Gärtnerin«, Charles Coypel: »Die Überraschung« und »Dame bei der Toilette«,
Pater: »Soldaten vor dem Wirthshause« und »Soldaten auf dem Marsche«. Die vier Bilder
Chardins im Königlichen Besitz befanden sich ursprünglich in Charlottenburg und im Pots-
damer Stadtschloss, heute sämtlich im Neuen Palais, vergl. Seidel: Friedrich der Grofse
und die französische Malerei seiner Zeit. Berlin. A. Frisch 1893.
*} Auch diese und die folgenden Bilder befinden sich fast sämtlich in Sanssouci.
7*
52 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
Am 19. März 1750 sendet Rothenburg folgende Berechnung ein:
pour les 4 ressorts du carosse de Votre Majeste 125 ecus
pour les droits de sortie du roiaume des cinq pendules emballage et
pour les caisses 1500«. qui fönt i . 375 »
Total de ce que le Roi doit 500 ecus.
Die Beschaffung von Möbeln, Uhren u. s. w. aus Paris scheint später ganz in den
Händen des Agenten Petit gelegen zu haben , worüber uns folgende Berechnung einige
Auskunft giebt:
Extrait du Registre de Recette et Depense tenu par le S. Petit Agent de Sa Maeste le Roy
de Prusse a Paris pour le compte du Roy.
1734. Recette,
Mars 18. De Mr. Vernet L. 2924 . . »destine pour fournir des acomptes aux ouvriers d'une
Pendulle ä etablir pour le Roy«.
Juin 25. L. 6400 für einen Lustre cristal de Roche.
Juillet 30. idem pour idem.
1754. Depense,
Juin 25. au S. Jullyot contre sa quittance pour fourniture et fa9on d'un lustre de cristal
de Roche de deux pieds dix pouies de haut sur 2 pieds 2 poules de diametre
ordonne par S. M. L. 6000.
Aout 3. idem ä idem pour le second lustre L. 6000.
Emballage etc. 794.10.
Aout 9. De la somme de L. 5848 j'ay (? unleserlich) une seule quittance aux Ouvriers
qui ont etabli et fourni la Pendulle du Roy a Carillon pour le prix de 1600 Ecus
d'Allemagne qui ont produit au change etc. 5848 L.
Hieraus können wir entnehmen, dass aufser den Lusires, die in grofser Anzahl
aus Paris bezogen wurden, auch Uhren und dergleichen nach den Angaben und auf
Befehl des Königs in Paris neu hergestellt wurden, als Regel müssen wir aber auf
Grundlage der noch in den Schlössern erhaltenen Uhren aufstellen, dass diese Kunst-
werke früherer Zeit entstammen , also aus dem Kunsthandel oder aus Privatbesitz auf-
gekauft wurden, denn es sind fast durchweg zum Teil hervorragende Beispiele des
style Regence, ja drei Bronze -Kronen aus Sanssouci und Stadtschloss Potsdam ent-
stammen der besten Zeit des style Louis XIV. Ob wir irgend welche Schlüsse hieraus
auf den Geschmack Friedrichs des Grofsen machen dürfen, oder ob der Zufall
hierbei eine Rolle spielt, dürfte heute schwer festzustellen sein.
Einige Hinweise auf die Erwerbungen des Königs geben auch die Abrechnungen
mit den Berliner Kaufleuten Girard & Michelet, durch deren Hände die Geldabrech-
nung mit den Pariser Agenten geht. So erfahren wir, dass der König von der Witwe
des am 14. September 1743 verstorbenen Malers Lancret im Jahre 1746 zwei leider
nicht näher bezeichnete Porträts für loooo Livres gekauft hat. Auf die bezügliche
Rechnung von Girard & Michelet über ihre Spesen und Auslagen schrieb der König
eigenhändig: »Die Rechnung ist aptequer (sie) mäsich sie mus exsaminiret werden
und sol nichts mehr aus Frankreich an Michlet adressiret werden. (gez.) Friedrich.«
VON PAUL SEIDEL 53
Trotzdem scheinen Girard & Michelet die Vermittelung des Verkehrs mit Paris
behalten zu haben. Im Februar 1755 liquidieren sie über 680 Livres für »un tableau
representant: le Roy boit, original de Jordaens, *) expedie de Paris le 10 Janvier dernier
par Mettra«.
Bei den meisten dieser Rechnungen fehlt leider die nähere Bezeichnung der zu
bezahlenden Ankäufe. So werden unter Anderm im Mai 1756 ftir zehn Gemälde
43636 Livres, im März 1765 für eine Sendung von Gemälden Guidos 12000 Livres
an Mettra übersandt. Einige Abrechnungen der nächsten Zeit enthalten manches
Interessante :
1765.
19 Nov. de caisses M.D.C. Nr. 32 a 39 contenantes: le Rubens: Remus et Romulus et
Bordüre;') la diseuse de bonne aventure de Roux,^) le Bassan et Rottenhammer;
Leandre de Rubens; la grande Pendule; la petite Pendule; le Leonard de Vinci;
envoie de Mettra pour S. M.
19 Dec. 6 caisses Nr. 40345 contenantes les 4 lustres d'or moulu; les 2 Paters, bordures
et le tableau du s. Amand : la famille de Darius.
1766.
5 Mai. Nr. 46. Une caisse contenant grande Tenture de Beauvais, histoire de Psiche.*)
Nr. 54 a 59. la Pendule a fusee, son pied et chapiteau; le vanderWerff:
enfant prodigue; des Paters; la suite de 14 Paters;^) deux tetes de Rubens et cinq
tableaux sous condition.
7 Mai. ä Mr. le baron de Thuyet de Seroskerken a Utrecht pour solde de ses debourses
pour tableaux de Dominicain, achete en Hollande.
6 Juillet. Nr. 63 a 67. 70 ä 73. 4 Lustres d'or moulu; le pied d*Ebene de la table montee;
deux cadres des cinq tableaux sous condition; un Bon Boulogne; un Jule Romain;
un Diogene de Guide: un van derWerff et 12 Lancrets sous condition.
Nr. 47 ä 53 par mer. 3 Tables de marbre incruste et 2 d*albatre, 2 vases
d'albatre.
Nr. 60 ä 62. deux Tables d'agathe, une Table de marbre incruste de Florence.
Nr. 74 a 76. assortiment des pieces d'un Service de Porcelaine de Sevres;*)
un Corege; un Raphael;
deux caisses d'envoie de M. le comte de Massini contenantes tableaux, un
petit J. Romain et une Danae avec son cadre de Padovanini.
1767.
22 Aug. une caisse contenant un van der Werf, un Bourdon, un Lairesse, le pied de la
table de Florence.
^) Ein derartiges Bild mit dieser bekannten Darstellung von Jordaens befand sich in
Charlottenburg und ist wahrscheinlich identisch mit dem heute in Schwedt befindlichen
Gemälde.
*) Bildergallerie in Sanssouci: Ausstellung von Werken der Niederländischen Kunst
des 17. Jahrhunderts aus Berliner Privatbesitz Berlin 1890. Katalog Nr. 244.
') Neues Palais.
*) Eine sehr schöne Serie von Wandteppichen der Manufaktur von Beauvais mit Dar-
stellungen aus dem Leben der Psyche nach Boucher ist heute in den Schlössern Neues Palais,
Berlin und Coblenz zerstreut.
^) Es handelt sich jedenfalls um die vierzehn Illustrationen zum Roman comique von
Scarron im Neuen Palais. Ausstellung von Gemälden älterer Meister aus Berliner Privat-
besitz 1883. Rococo - Galerie Katalog Nr. 11 — 24.
*) Vergl. Jahrbuch Bd. XIII S. 209 den Schlusssatz in Mettras Brief vom 1. September
1766, wo dieses Porzellan näher beschrieben wird.
54 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
1768.
20 Jan. . . un Jules Romain d'envoye de M. le comte de Massini.
1769.
II Sept. un tableau repr. une tete par le comte Chiusole.
6 Nov. un d° du comte Cataneo^ copie d'un Guide de Venise.
Durch die Hände der Bankiers Splitgerber & Daum in Berlin geht die Be-
schaffung oder doch wenigstens Bezahlung zahlreicher Ankäufe des Königs. So liqui-
dieren sie am 21. Juni 1764 über die auf der Versteigerung der Sammlung des Erz-
bischofs von Köln in Bonn gemachten Ankäufe von 30 » Schildereien « mit Ansichten
von Venedig, Rom und Paris/) zusammen für 369 Thaler (Katalog N0.405 — 411) und
der Darstellung einer heiligen Margarete (Katalog N0.38) zu 192 Thalern.
Der Conseiller de Sa Majeste de Freneau in Geldern erhielt im Juli 1764 eine
Zahlung von 495 Thalern 5 Groschen für ein nicht näher bezeichnetes Bild.
In demselben Monat werden an »monsieur Dubois de Chaterault, directeur
general des monnaies de S. A. R. l'Infant Duc de Parmea für einen »Jules Romaina
1827 Thaler und für eine »esquisse de Raphael« 913V2 Thaler bezahlt. Der Hofrat
Bianconi in Rom erhielt im Jahr 1768 für die Lieferung eines Gemäldes von Pierre
da Cortona die Summe von 1947 Thalern. »Ein Tableau die Israelitische Schlangen-
plage, ganze Figuren in Lebensgröfse von Carrache, auf S. M. Befehl aus Dresden
verschrieben«, kostet 800 Thaler. Das Bild, kein Carracci, sondern aus späterer Zeit,
befindet sich in der Bildergallerie in Sanssouci.
Bei der Versteigerung der Sammlung Braamkamp in Amsterdam erstanden Split-
gerber & Daum durch die Vermittelung des Kunsthändlers Ploos van Amstel folgende
Bilder für den König:
No. 104.*) La fete de Flore par Lairesse ü, 600
No. 188. Mars et Venus par Rottenhammer fi. 700
No. 189. Les sept arts liberaux par d® fl. 1000
Das erstere Bild von Rottenhammer, 26X18 Zoll grofs auf Kupfer gemalt, stellt
nach dem Katalog die Überraschung von Mars und Venus durch Vulkan dar, aufser
verschiedenen Einzelheiten wird noch ein von Breughel darauf gemalter Korb mit
Blumen erwähnt. Nach Österreich befand sich das Bild im Neuen Palais. Das zweite
Bild befindet sich heute in der Gemäldegalerie der Königlichen Museen, Katalog No. 690.
Auch die Freunde des Königs sind natürlich bisweilen mit der Besorgung von
Kunstwerken betraut; so wird an Algarotti im Januar 1748 die Summe von 100 Zecchinen
für ein aus Venedig übersandtes Bild von Zuccarelli') bezahlt und der Marquis d*Argens
^) Diese dreifsig auf Glas gemalten Städteansichten sind in Folge eines Umbaues aus
dem Neuen Palais in den Vorrat gekommen. Den Katalog dieser Versteigerung habe ich
leider nicht auftreiben können.
') Catalogue du precieux cabinet de tableaux etc. par Gerret Braamkamp, lequel sera
vendu Mercredi le 31 Juillet 1771. Amsterdam. No. 104. Haut 22 pouces sur 28 de large.
Toile. Ce tableau represente une Fete de Flore; la figure principale est une Vestale qui fait
un sacrifice a cette Deesse. La composition est des plus riches, et le coloris transparent
Ce Maitre a grave lui-meme ce tableau. Österreich erwähnt dieses Bild im Neuen Palais.
•j Nach Österreich befanden sich die in Sanssouci placierten beiden Bilder von Zuccarelli
und Tiepolo: »Silen in einer Landschaft« und »Cicero entdeckt das Grabmal des Archimedes«
im Besitze Algarottis; sie sollen 1745 gemalt sein. Für das zweite Bild vergl. Ausstellung
von Gemälden älterer Meister im Berliner Privatbesitz, Katalog Uhrsaal No. 26.
VON PAUL SEIDEL 55
empfangt im Juni desselben Jahres 100 Thaler für ein Bild von Cazes: Venus bei der
Toilette, das sich heute in Sanssouci befindet. Die im April 1749 durch d'Argens für
1000 Thaler aus Marseille besorgten beiden Marmorstatuen werden wahrscheinlich
Antiken gewesen sein.
Auch des Königs Hofmaler Antoine Pesne verkauft ihm aufser seinen eigenen
Werken Bilder seiner Landsleute, so im Februar 1746 zwei Gemälde seines Freundes
Lancret zusammen mit zwei Kopien nach Porträts für 400 Thaler.
Ein gewisser Pieter Baetens (Beeten), der persönlich in Potsdam anwesend ist,
liefen dem König im November 1746 zwei Bilder von Watteau für 1650 Thaler und
im August 1748 zwei BlumenstUcke von Huysum*) für 2200 Thaler. Auch Gotzkowsky
verkauft aufser den im ersten Aufsatz bereits genannten dem König noch eine ganze
Reihe von Bildern; im Mai 1755 ein grofses Bild von Rubens für 2500 Thaler und
ein kleines für 1700 Thaler; ein Gemälde von Titian wird ihm im Dezember 1764 mit
800 Thalern, ein Huysum") im September 1765 mit 1265 Thalern und ein Celesti mit
500 Thalern bezahlt; im Februar 1766 erhält der »redliche Kaufmann« für einen Conca:
»Die Contenance des Scipio« und für ein Bild von Limburg zusammen 1 100 Thaler
und im Juni desselben Jahres liquidiert er für ein grofses Bild von Rubens: »Susanna«')
2500 Thaler.
Einige Privatsammler Berlins, von deren Sammlungen wir bisher nur durch
einige Kupferstiche nach Gemälden ihrer Sammlung von G. F. Schmidt wussten, haben
eine Reihe von Bildern an den König verkauft, die teilweise von Bedeutung sind.
So verkaufte der Direktor Cesar im Jahre 1755 folgende drei Bilder für 7448 Thaler
an den König: »L'Io du correge,*) La Dejanira avec le centaur Nessus par Rubens")
und »La sainte famille par Andree del Sarto.«
Im nächsten Jahre gingen zwei andere Bilder in den Besitz des Königs über:
»L'Adoration des Rois par Paul Veronese« und »La Nativite de Notre Seigneur par
Tintoret«; »ces deux tableaux furent choisis a Berlin par Sa Majeste Elle-m^me et
accordes 1800 ecus«. Im Februar 1766 werden noch ein nicht näher bezeichnetes
Bild für 750 Thaler und im Dezember 1769 eine »Französische Fufstapete von
Savonnerie Arbeit« für 500 Thaler als von Cesar dem König verkauft erwähnt.
Bedeutend umfangreicher sind die Ankäufe des Königs von dem »conseillera
Jacques Trible in Berlin, dessen Beziehungen zu Friedrich uns zuerst im Jahre 1755
begegnen. Am 3. September 1763 schreibt er nämlich Folgendes:
•Sire, J'ai livre et vendu a V. M. ä la fin d'Octobre 1755 un grand tableau du Chevalier
Libri, repr. un bain de Diane, pour la somme de 1 300 ecus. Je n*ai pu faire aucune demarche
pendant la cours de la guerre, pour en etre paye et craignant que cette dette ne seit oubliee
par mon long silence je supplie V. M. de vouloir bien maintenant ordonner en grace que
le paiement m'en seit fait. Je suis etc. Trible.
Im Januar 1768 liefert Trible an den König »une antique d'Herculanum, repre-
sentant les trois graces« für 400 Thaler; im Juni desselben Jahres ein Gemälde von
Correggio für 5500 Thaler, im Dezember 1769 ein Bild desselben Künstlers »TAmour
\] Zwei schöne Blumenstücke Huysums, früher in Sanssouci, befinden sich heute im
Marmorpalais.
*) Wahrscheinlich identisch mit dem Bilde in der Königlichen Gemälde - Galerie,
Katalog No. 972, ursprünglich im Neuen Palais.
^) Bilder - Galerie in Sanssouci, Schulbild.
*) Königliche Gemälde -Galerie, Katalog No. 216.
^) Bildergalerie in Sanssouci, Schulbild.
56 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
qui coupe son Arc«^) zu 3500 Thalern. Billiger sind zwei Bilder, die Trible im Mai
1771 an den König verkaufte: »Un Tableau, representant S. Martin a cheval, distri-
buant ses vötemenis aux pauvres;'') la figure qui est derriere le S. Manin est le portrait
de Rubens . . . 800 ecus« und »Un Philosophe dans son etude, tableau de Rem-
brandt') . . . 400 ecus.« Im November desselben Jahres erwirbt der König »un tableau
de Carlo Maratti, represantant Diane et Endimion, prix 1800 ecus,« und im Juli des
nächsten Jahres »ein grofses Bild von Benedetto Lutti, das Mars und Venus darstellte
für 900 Thaler.« In den späteren Jahren kommen eine Reihe der Bilder van der
Werffs*) durch Trible in die Bildergallerie von Sanssouci, so im April 1775 eine kleine
Magdalena für 400 Thaler, ein Bild nach Rubens mit vielen Figuren (H. 23 Br. 18 Zoll)
für 700 Thaler, ein gleiches mit drei Figuren, ebenfalls nach Rubens (H. 14 Br. 1 1 Zoll)
für 400 Thaler, beide im September 1775, und im November desselben Jahres eine
Kopie nach Le Brun (H. 22 Br. 16 Zoll) für 700 Thaler. Ein kleiner Eremit von
Gerard Dou*) wurde im April 1775 mit 350 Thalern und »un grand et capital tableau
de Correge , representant une Venus au bain« °) im Juli desselben Jahres mit 400
Thalern bezahlt.
Eine andere Lieferantin von Gemälden war im Jahre 1771 die Firma Truitte
& Dan, anscheinend in Leipzig, denn ein Brief von Johann Daniel Dan ist aus Leip-
zig datien, obwohl die Rechnungen die Ortsbezeichnungen Berlin und Potsdam tragen.
Sie liefern drei Bilder von van der Werff, darunter ein nicht näher bezeichnetes für
2100 Thaler und: »Diane au moment oü Elle aper9oit la grossesse de Calisto« sowie
»Delila et Samson«, jedes für 1200 Thaler. Derselbe Preis wird ihnen für ein nicht
näher bezeichnetes Bild der flämischen Schule bezahlt. Billiger mit seinen Preisen ift
ein Mann Namens Samuel Schock, der im Februar 1770 dem König vier Bilder von Bon
Boulogne für zusammen 1200 Thaler verkauft.
Auch der nach allem, was wir von ihm hören, als Vermittler von Ankäufen
nicht sehr vertrauenerweckende Inspektor der Gemälde -Galerie in Sanssouci, Matthias
Österreich, besorgt eine Reihe von Bildern für den König. So werden durch ihn im
Jahre 1763 Gemälde von Battoni in Rom, jedes mit 400 Dukaten bezahlt, auch die
Sendung von Gemälden des Grafen Zanetti aus Venedig geht durch seine Hände. Im
Jahre 1766 liefert er ein Gemälde von Conca: »Jakob und Rebekkaa für 500 Thaler,
im nächsten Jahre eine Bronzebüste des Cicero aus Rom für 600 Thaler, und auf ein
grofses Gemälde von Celesti erhält er einen Vorschuss von 700 Thalern.
Auch die Rechnungen der Gemälde-Restauratoren geben Anhaltspunkte für die
Zeit der Erwerbung zahlreicher Gemälde, doch würde es zu weit führen, hierbei auf
die Einzelheiten näher einzugehen. Der erste Restaurator, den wir erwähnt finden,
ist in den Jahren 1747 und 1750 der Maler Peter Franz Gerhardt, der auf Anweisung
und unter Aufsicht von Antoine Pesne namentlich die Bilder im Schloss Sanssouci
^) Schlechte Kopie nach dem Bilde des Parmeggianini in Wien, Katalog Nr. 342;
früher als Correggio in der Bilder -Galerie in Sanssouci, jetzt im Vorrat.
') Neues Palais; alte Wiederholung des Originales in Windsor.
') Wohl identisch mit dem Bilde von Flinck, früher Neues Palais, jetzt Vorrat.
*) Es befinden sich 20 Bilder der beiden van der Werff in der Bilder - Galerie von
Sanssouci; die Mehrzahl ist aber dem jüngeren Pieter van der WerfF zuzuschreiben. Fast
alle hier und später angekaufte Bilder dieses Künstlers sind noch in der Galerie nachweisbar.
*) Bilder - Galerie in Sanssouci; Nachahmung.
") Bilder - Galerie in Sanssouci; nach der Beschreibung identisch mit der Darstellung
auf dem Bilde von Antonio Triva in der Gemäldegalerie zu Dresden, Katalog Nr. 386.
VON PAUL SEIDFX 57
restaurien. Wir sehen aus diesen Rechnungen, dass bereits im Jahre 1750 Sanssouci
in derselben Weise mit Gemälden dekoriert war, wie es Nicolai 1786 beschrieben hat
und wie sie noch heute mit wenigen Ausnahmen geblieben sind, abgesehen von den
Zuthaten aus der Zeit, wo König Friedrich Wilhelm IV Sanssouci bewohnt hat. Be-
merkenswert ist auch, dass eine Reihe von Bildern Watteaus, deren schlechte Erhal-
tung bisher der Verwahrlosung und unzweckmäfsigen Behandlung unter Friedrich
dem Grofsen zugeschrieben wurde, schon damals in scheinbar trostlosem Zustande
waren. Ich führe hier nur die Dorfhochzeit von Watteau in der kleinen Galerie
von Sanssouci an, deren Zustand im Jahre 1750 folgendermafsen beschrieben wird:
»Ein Watteau von 108 Figuren, Hochzeitspaar, das zur Trauung geführt wird, welches
durch Gesichter, Hände und Gewänder gerissen gewesen und man geglaubt hat, dass
solches vom Papier aufgeschnitten und aufgeklebt gewesen , solches mit grofser Mühe
und Fleifs wieder in guten Stand gesetzt, woran hätte billig 150 Thaler daran ver-
dienet*) 100 Thaler«.
Der Nachfolger Gerhardts ist der Maler F. Schultz, in dessen Rechnungen die
renovienen Gemälde oft als neu eingetroffen bezeichnet werden. In einer Rechnung
vom Februar 1765 wird auch das Hauptbild Watteaus: »Le debarquement pour l'isle
de Cythere« zum ersten Male erwähnt und die Bezeichnung der Thätigkeit des Restau-
rators lässt nur den Schluss zu, dass das Bild um jene Zeit eben erworben und im
aufgerollten Zustande nach Potsdam gelangt war: »i Stück von Wattow II Depart
pour Cythere aufgespant und zurecht gemacht, Rembrandt Moses mit den Gesetz-
tafeln auf neue Leinwand und regerirt 30 Thaler «.
*) Herr A. Hauser ist augenblicklich damit beschäftigt, dieses fast ganz verdorbene
Bild wieder in Stand zu setzen, soweit das Oberhaupt noch möglich ist.
(Schluss folgt.)
58 DER TRIUMPH DES JACOBUS CASTRICUS
DER TRIUMPH DES JACOBUS CASTRICUS
VON V. VON LOGA
Aus der Sammlung Oppermann hatte 1882 das Berliner Kupferstichkabinet einen
unbeschriebenen Holzschnitt erworben, dessen vorzüglich gelungene Reproduktion
in der Gröfse des Originals wir der Reichsdruckerei verdanken. Im Katalog unter
den Anonymen aufgeführt und als der Triumph eines unbekannten Arztes bezeichnet,
hat er in der Auktion nur den auffallend geringen Preis von 22 Mark erzielt; aber
sicherlich verdient derselbe, in Komposition und Zeichnung gleich vollendet, eine
weit gröfsere Beachtung als ihm bisher zu teil geworden. Auch scheint das Blatt
überaus selten, denn alle Bemühungen, in einer der grofsen Sammlungen ein zweites
Exemplar nachzuweisen, sind bisher erfolglos geblieben.
Über die Darstellung kann kein Zweifel sein, auch geben die Beischriften mancherlei
Erklärungen. Aus einem Triumphbogen bewegt sich, über die zu Boden gestürzten
Krankheiten hinwegrollend, ein Prachtwagen, welcher auf seinem hohen Sitz die
jugendliche Gestalt eines Arztes trägt. Praxis und Theorie sitzen zu Seiten des lorbeer-
bekränzten Gelehrten, der gefesselte Tod ihm zu Füfsen. Das vorgeschirrte, phan-
tastische Dreigespann wird von edlen Frauengestalten geleitet, welche als Attribute
Pflanzen in den Händen tragen. Andere nicht minder schöne Frauen begleiten auf
beiden Seiten den Zug, Kräuterstauden, Füllhörner oder Kränze emporhaltend.
Das Wappen an der Archivolte des Triumphbogens giebt uns zur Personifizierung
den ersten Anhalt: es ist dasjenige von Antwerpen. Die Anfangsbuchstaben zu Häupten
des Triumphators lAC ' CAS können dann nur auf Jacobus Castricus gedeutet werden,
einen Namen, den die moderne Geschichte der Medizin fast gänzlich vergessen, der
aber in der ersten Hälfte des XVI Jahrhundens weit über die Niederlande hinaus
einen guten Klang hatte. Jacques van den Kasteele, wie er in der Vulgärsprache heifst,
geboren zu Hazebroeck in Flandern, hatte nach Vollendung seiner Studien an der
Universität Löwen, sich in dem unter dem glücklichen Regiment Margarethens von
Österreich mächtig aufblühenden Antwerpen als Arzt niedergelassen. Sein Geburtsjahr
ist unbekannt, nur ein Ereignis hat sein Wirken vor völliger Vergessenheit bewahrt.
Im Jahre 1529 war der sudor anglicus, jene furchtbare Epidemie, die i486 zum ersten
Male im siegreichen Heere Heinrichs VII auftretend, seitdem sporadisch gleich der Cholera
wieder erscheinend, in schrecklichster Weise England verwüstet hatte, nach dem Fest-
land eingeschleppt worden. Als der Tod nun auch in den Niederlanden nach kaum
24stündigen furchtbaren Qualen seine Opfer in grofsen Mengen dahinzuraffen begann,
hatte sich das Ärztekolleg des schwer heimgesuchten Gent, nach Antwerpen an Castricus
gewandt , dessen »rumor jam fere per Universum orbem dispersus est« : er möge
Auskunft geben, wie man dem todbringenden Übel begegnen könne. Kasteeies Ant-
wort ist uns in einem kleinen Sendschreiben erhalten, welches unter folgendem Titel
zuerst in Antwerpen erschien, dann wiederholt nachgedruckt worden ist: Jacobi Gastrici
KI A N s M o 1 fi } ' \' I) i: R j C \ f : h \ : '
1> E R TRI L M P 1 1 j . } > I A k f > , •, \ - i j j c U S
.:-S C
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l.i
i
HANS HOLBEIN DER JÜNGERE?
DER TRIUMPH DES JAKOB CASTRICUS
HOLZSCHNITT IM K, KUPFERSTICHK ABINET ZU BERLIN
VON V. VON LOGA 59
Haesbrocani physici antverpiensis de sudore epidemiali quem anglicum vocant ad
medicos Gaudenses epistola. Antverpiae per loann^m Grapheum mense octobri anno
1529.*) Die kleine Schrift enthält einige Winke über die Behandlung der Kranken:
gröfsere Zuführung von Wärme den stark Fiebernden und Purgativmittel, Regeln, über
welche die heutige Wissenschaft lächeln würde. Von Castricus weiteren Schicksalen ist
nichts bekannt; unser Holzschnitt findet sich nirgends erwähnt. Die naheliegende Ver-
mutung, das Blatt stünde in irgend einem inneren Zusammenhang zu den eben erwähnten
Ereignissen, oder hätte als Illustration zu jenem Buche gedient, findet bei genauer Prüfung
nur geringe Wahrscheinlichkeit. Leider ist es mir nicht gelungen, ein Exemplar der
Originalausgabe aufzutreiben, Broeckx scheint ein solches gekannt zu haben, aber schon
Haeser sah sich gezwungen, weil er die kleine Schrift auf keiner Bibliothek fand, den
Pariser Nachdruck zu seiner Neuausgabe zu benutzen. Auch ist es sehr unwahr-
scheinlich, dass man ein so grofses Blatt bei dem kleinen kaum zwei Bogen starken
und wahrscheinlich in Oktav gedruckten Büchlein als Illustration sollte verwendet
haben. Vor allem sprechen innere Gründe gegen diese Hypothese. Wassersucht,
Fieber und Pest sind die am Boden liegenden Krankheiten, und die durch Beischriften
genauer charakterisierten Medikamente, denn als solche sind die idealen Frauengestalten
aufzufassen: melissa (Bienensaug) , mentha (Pfefferminz) und arthemisia (Wohlverleih)
sind keineswegs schweifstreibende Mittel und überdies in der Schrift vom sudor anglicus
mit keinem Worte erwähnt. Auch die Tiere, welche den Wagen ziehen, der Hirsch,
die Löwin und jenes wunderbare Fabelwesen, ein Zwischending von Ross und
Schwein, sind wohl ebenfalls als Symbole von Heilmitteln aufzufassen.
Dennoch werden wir die Entstehung unsers Holzschnittes auch aus stilistischen
Gründen, und zwar hauptsächlich wegen der strengen Renaissance -Formen in der
Architektur, um 1 530 setzen müssen, in jene Zeit, in welcher Castricus auf der Höhe
seines Ruhmes stand. Über den Künstler fehlt uns jeder Anhalt; so sehr überragt
künstlerisch dieses Blatt alles Andere, was auf xylographischem Gebiet damals in Ant-
werpen geleistet worden, dass man nach fremdem Einflüsse zu suchen gezwungen ist.
Wer anders als Holbein, denken wir zunächst, hätte damals ein so bedeutendes Kunst-
werk schaffen können? Und in der That ist sein Aufenthalt in Antwerpen zu wieder-
holten Malen in dieser Periode ziemlich gut yerbürgt. 1 526 hatte ihm Erasmus dorthin
an Peter Aegidius ein Empfehlungsschreiben gegeben, 1528 auf der Heimreise von
England nach Basel dürfte er wahrscheinlich die Hauptstadt der Niederlande berührt
haben, und als er 1532 nach London wieder zurückkehrte, hat ihn vielleicht sein Weg
dort vorbeigeführt. Doch können wir uns nicht verhehlen , dass unser Blatt mit den
freilich sehr spärlich erhaltenen Werken Holbeins aus dieser Epoche nur geringe Ver-
wandtschaft zeigt. Auf einen andern Holzschnitt, offenbar von der gleichen Hand wie
der Triumph des Castricus, hat mich Herr Dr. Kristeller freundlich aufmerksam ge-
macht; es ist dies eine Caritas,') welche seit 1533 Jan Grapheus als Signet seines Ver-
lages benutzte, derselbe Drucker, welcher Kasteeies Schrift verlegt hatte.
*) Neugedruckt in Notice sur Jacques Vandenkasteele et sur la suette par C. Broeckx
Anvers 1849 ^^d bei Grüner und Haeser: scriptores de sudore anglico Jenae 1847 P^g- 3-
') Abgebildet bei G. van Havre: Marques typographiques des imprimeurs et libreurs
Anversois Antwerpen -Gent 1883.
6o DIE WANDGEMÄLDE VON S. ANGELO IN FORMIS VON FRANZ XAVER KRAUS
DIE WANDGEMÄLDE VON S. ANGELO IN FORMIS
BEMERKUNG ZU DER ABHANDLUNG VON FRANZ XAVER KRAUS
Gegenüber der von meinem hochverehrten Herrn Kollegen in seiner Abhandlung
(Jahrbuch der Königlich Preufsischen Kunstsammlungen, Band XIV, S. 98, 99) aus-
gesprochenen Vermutung, mein Urteil über die Wandgemälde in S. Angelo in Formis
sei vorläufig nur auf die Abbildungen bei Sirmond, Salazaro und Schulz gestützt,
habe ich zu bemerken, dass ich im Jahre 1872 die Wandgemälde an Ort und Stelle
einer eingehenden Betrachtung unterzogen habe, und dass mein im Repertorium für
Kunstwissenschaft (Band XV, S. 380) gethaner Ausspruch, wonach ich in ihnen das
Erzeugnis einer süditalisch -griechischen Künstlerschule aus dem 1 1 . Jahrhundert sehe,
sowie eine frühere, in meiner Schrift: »Über den Stil Niccolo Pisano's und dessen
Ursprung« 1873, S. 27, enthaltenen Äufserung, die Fresken in S. Angelo in Formis
seien wesentlich byzantinisch, auf diesem Studium der Originale beruhen.
Da sich der Abschluss einer an die Abhandlung des Herrn Professors Dr. Kraus
anknüpfenden Arbeit länger hinauszieht, als ich gedacht hatte, sehe ich mich veranlasst,
diese Bemerkung gesondert zu veröffentlichen.
E. DOBBERT.
Gedruckt in der Reichsdruckerei.
V ■ ■ /
JAHRBUCH
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
FÜNFZEHNTER BAND
n. HEFT
3 BERLIN 1894
G. GROTESCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
INHALT.
Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen:
Berlin:
Königliche Museen XIII
Königliche National - Galerie XXIV
STUDIEN UND FORSCHUNGEN
Julius Meyer 6i
Mit einem'^Biidnis des Verstorbenen nach einer filteren Photographie.
Die Madonna mit dem Kanhäuser und Heiligen von Jan van Eyck. Von
Hugo von Tschudi 65
Mit einer'^afel in Heliographie und einer Textabbildung.
Tizian und Alfons von Este. Von C. Justi 70
Mit acht Textabbildungen.
Friedrich der Grofse als Sammler. Schluss. Von Paul Seidel 81
Mit einer Abbildung im Text.
Die Italienischen Niellodrucke und der Kupferstich des XV Jahrhunderts. Von
Paul Kristeller 94
Mit zwei tafeln in Lichtdruck und neun Textabbildungen.
Die Radierungen der Schüler Rembrandts. Von W. von Seidlitz .... 119
Pastellbildnis des Grafen Francesco Algarotti von Jean-Etienne Liotard. Von
Paul Seidel. . » 122
Mit einei^afel in Farben -Kupferdruck.
Redakteur: In Vertretung V. v. LOGA
/
Fünfzehnter Jahrgang
No. 2.
I.April 1894
AMTLICHE BERICHTE
AUS DEN
KÖNIGLICHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
DAS JAHRBUCH DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN KUNSTSAMMLUNGEN ERSCHEINT VIERTELJÄHRLICH
ZUM PREISE VON 30 MARK fOr DEN JAHRGANG.
I. KÖNIGLICHE MUSEEN
1. Oktober — 31. Dezember 1893
A. SAMMLUNG DER
SKULPTUREN UND GIPSABGÜSSE
I. ANTIKE SKULPTUREN
Von den bei den Ausgrabungen in Magnesia
am Mäander gemachten Funden hat die Kai-
serlich Türkische Regierung den Königlichen
Museen aufser den im vorigen Bericht er-
wähnten Skulpturen und Inschriftsteinen, die
jetzt unter Dach gebracht sind, noch eine
grofse Zahl Architekturproben Überlassen.
Diese Proben rühren meist von dem be-
rühmten, von Hermogenes erbauten Artemis-
tempel her, der in der Geschichte der Bau-
kunst einen bedeutsamen Wendepunkt be-
zeichnet; andere von dem neu entdeckten,
etwas älteren, durch besondere Zierlichkeit
der Arbeit ausgezeichneten Zeustempel auf
der Agora und von den umgebenden archi-
tektonischen Anlagen. Die diese Architektur-
teile enthaltenden Kisten haben bisher wegen
Raummangel unausgepackt bleiben müssen.
Für die Sammlung der Abgüsse wurden
erworben: aus Athen drei Köpfe und ein
Gewandfragment der Kolossalstatuen von Ly-
kosura, die Reliefs von der Basis der praxi-
telischen Gruppe in Mantinea, der Krieger
aus Delos; aus London der weibliche Kopf
von der Säule und ein Kopffragment von der
Sima des alten Artemistempels in Ephesos,
ein männlicher Kopf auf Milet; aus Paris die
Statue des sogenannten Idolino.
KEKUL^
II. BILDWERKE
DER CHRISTLICHEN EPOCHE
Die Abteilung wurde durch eine Reihe
von Schenkungen seitens ihrer Gönner in
dankenswerter Weise bereichert.
Das Hauptstück ist die Terrakottabüste
einer Florentiner Dame vom Ende des XVI
Jahrhunderts; durch die tadellos erhaltene
alte Bemalung von besonderem Interesse für
unsere reiche Sammlung farbiger Renaissance-
skulpturen, in der eine Büste aus dieser Zeit
noch fehlte. Sie ist ein Geschenk des Herrn
Valentin Weisbach.
Die Sammlung der kleinen Bronzen wurde
um mehrere Stücke bereichert; darunter sind
von besonderem Wert die Statuette eines Hof-
zwerges von Cosimo I, geschenkt von Herrn
G. M. R., die Statuette eines Jongleurs in der
Art des CELLINI und ein paar Statuetten von
DONATELLOS Schüler BELLANO. Unter etwa
dreifsig neuen Plaketten, sämtlich Geschenke
ungenannter Gönner (wie die vorgenannten
Statuetten), ist das Hauptstück eine gröfsere
Tafel mit dem hl. Georg von RICCIO, eine
der bedeutendsten Arbeiten des Künstlers in
dieser Art und das einzige bisher bekannte
Exemplar. Von RicciO auch eine reich de-
korirte kleine Lampe.
U
P^?>-1
«ii.::
I
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Hl
XV
AMTLICHE BERICHTE
XVI
Unter den deutschen Skulpturen sind ein
gröfseres Relief in Solenhofer Stein , die Ma-
donna zwischen zwei Engeln, wahrschein-
lich von JODOCUS VREDIS von Münster, sowie
das Wachsporträt Gellerts von Wichtigkeit, —
letzteres ein Geschenk des Herrn Giel-
dzinski in Danzig — ,das dem Museum durch
die Güte Seiner Excellenz des Herrn Ober-
präsidenten der Provinz Westpreufsen, Staats-
minister a. D. Dr. von Gossler vermittelt
wurde. Eine gute gröfsere Buchsmedaille Kai-
ser Karls V wurde von Herrn Grafen Döhn-
hoff-Friedrichstein geschenkt.
BODE
B. ANTIQ.UARIUM
Der Sammlung gingen einige Geschenke zu :
Von Frau Professor Emma Ross in Halle
a./S. Goldschmuck und ein Kameo mit Eros
auf Panther, sowie ein Terrakottaköpfchen,
von den griechischen Inseln.
Von Herrn Dr. F. Deibel in Berlin gol-
dene Ohrringe in Traubenform aus Kertsch,
ein Glasgefäfs und ein Bronzehirsch aus Süd-
frankreich.
Von Herrn Geheimen Regierungs - Rat
Curtius ein apulischer Krater mit einem
Knaben, der Steckenpferd reitet.
Von zwei Ungenannten eine altgriechische
bemalte Scherbe aus Troja, sowie eine An-
zahl ältester griechischer Scherben von ver-
schiedenen Plätzen.
I.V.:
FURTWÄNGLER
C. MÜNZKABINET
Die Sammlung erwarb im letzten Viertel-
jahr zwei hochwichtige Funde deutscher Brak-
teaten des Mittelalters. Der eine, der Fund
von KACHSTEDT, gelangte als Geschenk des
Königlichen Ministeriums für Landwirtschaft
an das Museum und enthielt neben einer
grofsen Anzahl gröfstenteils sehr zerstörter
und fragmentierter Stücke vieles gute und
seltene^ darunter einen grofsen Brakteaten
Nordhäuser Fabrik mit dem doppelten an-
haltischen Wappenschild unter dem mit
Pfauenfedern besteckten anhalter Helm, eine
bisher völlig unbekannte, schöne und merk-
würdige Prägung des Askanischen Fürsten-
hauses, ferner seltene Stücke von Schlotheim
und Beichlingen.
Aus dem Funde von HOHENULKFIEN er-
hielt die Sammlung 232 Stück Brakteaten;
für die Sammlung wichtig waren mehrere
Exemplare des durch diesen Fund zuerst
bekannt gewordenen Brakteaten von Wilhelm
von Lüneburg, Heinrich des Löwen Sohn.
Aufser diesen gröfseren Funden erwarb
die Sammlung noch 71 Stück (2 AI 60 JRg iE),
dabei den kleinen Münzfund von LEETZE,
Denare des X Jahrhunderts enthaltend, unter
ihnen als höchste Seltenheit ein Stück von
Zürich, vom Herzog Conrad von Alemannien,
{+ 997)* ß^i ^^"^ Funde befand sich noch
das gleichzeitige lederne Geldtäschchen.
Geschenke erhielt die Sammlung vom Kö-
niglichen Ministerium für Landwirtschaft so-
wie von Herrn A. Goumont in Aachen, Herrn
Dr. Dressel, Fräulein Friedrich in Werni-
gerode, Herren W. Hahlo in Wien, Professor
Dr. Pick in Gotha, G. Pniower in Breslau,
Unterstaatssekretär Freiherr vonRotenhahn
und Wirkl. Geh, Rat von Schi oezer, Ex-
cellenz.
V. SALLET
D. ÄGYPTISCHE ABTEILUNG
Wir haben in diesem Quartal eine Reihe in-
teressanter Geschenke dankend zu erwähnen.
Herrn Dr. F. Deibel verdanken wir meh-
rere kleine Altertümer, darunter den Goldring
eines Priesters von Bubastis aus der saitischen
Zeit und einen interessanten nordsyrischen
Siegelcylinder.
Herr Dr. Pierson schenkte einen Ring
aus gelb und roter Fayence mit dem Namen
der Gemahlin Amenophis* III.
Herrn Grafen Ustino ff in Jaffa verdanken
wir zwei kleine ägyptische Altertümer, die
durch ihren Fundort (zwischen Jaffa und As-
kalon) von Interesse sind.
XVII
KÖNIGLICHE MUSEEN
XVIII
Endlich übergab uns ein alter Freund der
Abteilung, Herr Dr. C. Reinhardt, den Sarg
und die Mumie eines Sperbers.
ERMAN
E. MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
I. ETHNOLOGISCHE ABTEILUNG
INDIEN.
Geschenke. Herr Sanitätsrat Dr. Bar-
tels in Berlin: javanische Spielsachen aus
Malang bei Surabaya. Herr Bankassistent
Loechel in Friedenau: zwei Münzen aus
Niederländisch- Indien. Herr Bergassessor
Dr. Martin in Bonn: Kleider der Karen
(Tenasserim). Herr Gossler in Hamburg: eine
silberne Kanne (»cutch-work«)und einige Pho-
tographien. Herr D. M. de Zilva Wickre-
masinghe, z. Z. in München: zwei Elu-
Handschriften auf Palmblättem mit Hymnen
an Dämonen.
Erwerbungen. Zwei malaiische Waffen
aus dem Nachlasse des Herrn Professor Hart-
mann; ferner eine indische Miniatur, Fakire
darstellend; Theaterkostüme zur Aufführung
des Tamil-Schauspiels Sakuntaleiviläsam aus
Jaffna (Ceylon), durch Vermittelung des Kai-
serlich Deutschen Konsulats in Colombo.
OSTASIEN.
Geschenke. Wirklicher Geheimer Rat
Herr von Brandt, Excellenz: chinesische
Bildrollen mit Darstellung populärer Gott-
heiten, sowie eine tibetische Lamenmütze.
Herr Abramowsky in Moskau: eine japa-
nische Porzellantasse mit email cloisonne.
Herr Geheimer Medizinal - Rat Professor Dr.
V i r c h o w : drei chinesische Klangsteine. Herr
Dr. von Luschan: drei japanische Pfeile.
Herr stud. K. Jimbö, hier: Ainu- Photo-
graphien.
Erwerbungen. Einige japanische Eth-
nographica sowie ein chinesisches sogenanntes
Cash- Schwert aus dem Nachlasse des Ge-
heimen Medizinal- Rates Professor Dr. Hart-
mann. Drei Statuetten von Volksgöttem von
Herrn Konsul Feindel in Amoy.
EUROPA.
Geschenk. Herr Ober - Telegraphen-
Assistent K. Hoffmann, hier: Messer und
Ring aus Serbien.
AMERIKA.
Geschenke. Herr Strebel in Hamburg:
eine Anzahl mexikanischer Altertümer der
Sammlung Doormann, die in diesem Herbst
in Hamburg zur Versteigerung kam. Herr
Adam in Paris: Photographien seiner Samm-
lung von Altertümern aus San Salvador und
Chiriqui.
Erwerbung. Ein Paar Mokassin aus dem
Nachlass des Herrn Professor Dr. Hartmann.
AFRIKA.
Geschenke. Herr Graf von Seh wei-
nitz schenkte eine grofse und sehr wichtige
Sammlung von seiner ostafrikanischen Reise
aus Gegenden, die bisher im Museum teil-
weise überhaupt noch nicht vertreten waren.
Herr Legationsrat Sonnenschein schenkte
aus seiner Privat -Sammlung mehrere Stücke,
gleichfalls aus Ostafrika, die eine sehr em-
pfindlich gewesene Lücke unseres Museums
ausfüllten. Herr Emil Benjamin und
Herr Colmar Schmidt schenkten jeder
erwünschte Ergänzungen zu unserer Samm-
lung von dem ostafrikanischen Küstensaum.
Das Deutsche Antisklaverei- Comite
schenkte Doubletten aus der grofsen Bau-
mannschen Sammlung.
Erwerbungen. Durch Ankauf aus dem
Nachlasse von Geheimrat R. Hartmann konn-
ten eine Reihe neuer oder interessanter Stücke
erworben werden, meist aus Ostafrika und
dem Sudan. Eine andere Erwerbung aus Ost-
afrika besteht in einer kleinen, aber lehr-
reichen und durch sehr genaue Aufzeich-
nungen des Sammlers besonders wertvollen
Serie aus Usambara, die Herrn C. Holst zu
verdanken ist.
Aus Südafrika ist nur ein durch besondere
Kleinheit ausgezeichneter Schild zu erwähnen,
der als Geschenk des Kaiserlichen Dragomans
Herrn Dr. Reinhardt eingegangen ist.
Aus Westafrika schenkte Herr Dr. Traun
in Hamburg, in Fortsetzung früherer reich-
licher Zuwendungen eine gleich erwünschte
Serie ethnographischer Stücke und vier Pho-
ir
XIX
AMTLICHE BERICHTE
XX
tographien aus Portugiesisch- Guinea. Herr
Wassy Langheld schenkte zwei Elfenbein-
Nadeln der Manyema. Herr Direktor Dr.
Buchner, München, schenkte eine Photo-
graphie einer alteren Elfenbeinschnitzarbeit
von der Westküste.
Durch Ankauf wurden zwei Waffen aus
der Gegend des mittleren Aruwirai erworben.
SÜDSEE.
Geschenke. Herr Regierungsrat Rose:
eine erlesene Sammlung aus Kaiser Wilhelms-
Land. Frl. A. Wegner: zwei für die Samm-
lung noch neue Stücke aus Neu -Guinea und
von den Salomon- Inseln. Herr Baron von
Hügel in Cambridge: drei sehr kostbare,
ältere Stücke aus Tahiti und Fidschi. Herr
Baron von Müller in Melbourne schenkte
eine kleine steinerne Speerspitze aus West-
Australien. Herr Professor Dr. W. Joest:
eine aus dem Nachlasse des Konsulats- Kanz-
lers Tannert stammende, dreizehn Nummern
umfassende Sammlung, meist aus Mikronesien,
darunter eine kleine geschnitzte Figur aus
Ponape. Herr H. Rolle: eine Photographie
von Schnitzwerken aus dem Bismarck-
Archipel.
Durch Austausch mit dem Provinzial-
Museum in Hannover gelangte eine Reihe
wertvoller älterer Stücke in den hiesigen Be-
sitz und andere wurden durch Ankäufe in
England erworben.
A. BASTIAN
Anmerkung. Bei dem vorigen Bericht ist der auf
Afrika bezügliche Passus leider ohne Korrektur zum Satz
gelangt. In Richtigstellung hat derselbe folgendermafsen
zu lauten:
AFRIKA.
Geschenke. Herr Konsul a.D. Ernst Vohsen.
eine Purrah-Maske aus Westafrika (eine aus verschiedenen
Gesichtspunkten sehr willkommene Bereicherung). Herr
Dr. Otto 01s hausen: ein Sporn aus Marokko. Herr
Professor Dr. Schwein furth: Rinde von Brachystegia
und Rindenzeug aus Uhha. Herr Dr. F. Stuhlmann
und Herr Dr. A. Greeff: Gipsmasken und Handabgüsse
der Stuhlmannschen Pygmäen vom Ituri. Herr Pflanzer
Goldberg: eine Sammlung von £we-Thonpfeifen.
Erwerbungen. Ethnographische Sammlungen von
den Konde, den Knopneusen und aus Katanga. Eine
ethnographische Sammlung aus Bali und von den Ba-
kundu. Zwei Federhüte aus Mittelafrika, durch Tausch
gegen Balisachen (von Herrn Dr. Heck).
11. VORGESCHICHTLICHE ALTERTÜMER
PROVINZ BRANDENBURG.
Geschenke. Herr Stadtkassen - Rendant
Sperling in Storkow: einen Steinhammer,
zwischen Storkow und Cummersdorf, Kr.
Beeskow- Storkow, gefunden. Herr Ritter-
gutsbesitzer Schulze in Sammenthin: einen
Steinhammer, bearbeitete Hirschhornstücke,
eine grofse Bernsteinperle und eine Bronze-
fibel von Sammenthin, Kr. Arnswalde. Herr
Landrath von Meyer in Arnswalde: sehr
reiche und interessante Funde aus einem
Gräberfelde der späteren römischen Kaiserzeit
(etwa III oder IV Jahrhundert), einen Stein-
hammer von Neu-Wedell, Kr. Arnswalde.
Herr Chaussee- Aufseher Jäger in Arnswalde:
einen Schädel von einem Skeletfunde bei dem
Senzig-See, Kr. Arnswalde. Herr Directorial-
Assistent Dr. Sei er in Steglitz: eine Urne
und Beigefäfs von Sellessen, Kr. Spremberg.
Ankauf. 75 Urnen und BeigefUfse aus
einem Gräberfelde bei Deutsch -Sagar, Kr.
Krossen.
PROVINZ POMMERN.
Geschenk. Herr Regierungsrat Frie-
densburgin Friedenau : eine grofse römische
Mosaikperle aus Glas mit Maskendarstellungen
aus der Gegend von Stolp.
Ankäufe. Zwei grofse Urnen und zwei
mützenförmige Geftlfsdeckel von Rummels-
burg. Dolch und Meifsel aus Feuerstein von
Moritzhagen auf Rügen.
PROVINZ POSEN.
A n k ä u f e. Eine Anzahl von Thongeföfsen
und ein Steinkistengrab aus Luschwitz, Kr.
Fraustadt. Vier Thongeftlfse von Gulcz, Kr.
Filehne.
PROVINZ SCHLESIEN.
Geschenk. DasMuseum schlesischer
Altertümer in Breslau: drei bemalte
Thonschalen von Woischwitz, zwei von Grofs-
Tschansch und zwei von Göllschau , Kr. Gold-
berg - Haynau.
XXI
KÖNIGLICHE MUSEEN
XXII
Ankauf. Neun ThongefUfse aus Siegen-
dorf, Kr. Goldberg - Haynau.
PROVINZ SACHSEN.
Ankauf. 2 Pfriemen, 1 Harpune, 2 Kno-
chenringe und Urnenscherben von Freiburg,
Kr. Querftirt.
RHEINPROVINZ.
Geschenke. Die Fortification in
Cöln: einen grofsen Steinsarg, in Cöln ge-
funden. Herr Gymnasialdirector Dr. Schnei-
der in Duisburg: eine Urne und Scherben
von Duisburg.
Ankäufe. Thongefäfse und Scherben
aus vonrömischer Zeit von Dieblich, Kr. Co-
blenz. Ein kleines römisches ThongefUfs von
Reidenhausen , Kr. Zell. Urne, Scherben etc.
von Bensberg und Heumar, Kr. Mülheim,
Waxweiler, Kr. Prüm.
PROVINZ HANNOVER.
Geschenke. Herr Weingrofshändler
Schleyer in Cuxhaven: vier kleine Urnen,
Lanzenspitze, Dolch und Schwert aus Eisen
von Alten walde. Kr. Lehe.
Ankauf. Zwei kleine Steinbeile von
Uetze, Kr. Burgdorf.
PROVINZ SCHLESWIG - HOLSTEIN.
Geschenk. Herr Dr. O. Olshausen in
Berlin : einen Gypsabguls von einem Beil aus
dioritifchem Gestein von Helgoland.
HOHENZOLLERN.
Geschenk. Das Fürstlich Hohen-
zollernsche Museum in Sigmaringen:
eiserne Spatha, Skramasax, Lanzenspitze,
einen Schildbuckel, ein Messer und fünf Ring-
Bruchstücke von Gammertingen.
MECKLENBURG- SCHWERIN.
Geschenk. Herr Gutsbesitzer Stau-
dinger sen. in Lübsee: ein Bronze -Sichel-
messer von Lübsee.
THÜRINGEN.
Ankäufe. Zwei Coliectionen von ver-
schiedenartigen Steingeräten.
BAYERN.
Ankäufe. Eine Sammlung von Thon-
gef^fsen, Bronzen und Eisengeräten aus Ein-
zelgräbern der Oberpfalz. Ein grofser Bronze-
Grabfund von Altdorf in Mittelfranken.
ÖSTERREICH - UNGARN.
Geschenk. Herr stud. med. P. Rein ecke
in Berlin: Thonscherben, römische Mosaik-
fliesen etc. von Carnuntum, Aquincum und
Wall am Stein.
SCHWEIZ.
Geschenk. Frl. J. Schlemm in Berlin:
vier Photographien von dem »Pierre aux fees«
genannten Steindenkmal in Genf und von
einem Steinkistengrabe von Auvernier.
GROSSBRITANNIEN.
Geschenk. Herr Geheimrat Prof. Dr. R.
Virchow: ein paläolithisches Feuersteinbeil
von Barton Cliff bei Lymington, England,
und 6 Feuerstein-Pfeilspitzen aus Nord-Irland.
A. VOSS
F. KUNSTGEWERBE-MUSEUM
A n k ä u f e
Seine Majestät der Kaiser und König haben
Allergnädigst aufserordentiiche Mittel für
Ankäufe auf der Welt-Ausstellung zu
Chicago zu gewähren geruht. Es sind
aus diesen Mitteln über zweihundert
Stücke nordamerikanischer Herkunft er-
worben , welche jedoch z. Th. nach Be-
stellung neu anzufertigen waren. Die
Ankäufe können daher erst im Frühjahr
1894 ausgestellt werden.
XXIII
AMTLICHE BERICHTE
XXIV
Geschenke
Herr G. Buss; Bruchstücke von Fliesen, ge-
funden unter dem Fundament des 1726
gebauten Hauses Post -Strasse Nr. 12;
Herr Hofantiquar J. A. Lewy: Henkelglas be-
malt; Zeichnung des Kronleuchters in
der Marien -Kirche zu Danzig;
Herr Dr. F. Jagor: Proben indischen Farbe-
verfahrens durch Abbinden;
Herr Louis Oscar Roty, Bildhauer zu Paris:
6 Medaillen und Plaketten.
Leihgaben
Frau Consul Gaertner: zwei alt- japanische
Tempellampen, Bronze;
Herr Dr. Otto E. Ehlers: zwei Porzellan-
Vasen aus Arita in Japan. Geschenk des
Kaisers von Japan.
Arbeiten neuerer Industrie
Herr VICTOR Seifert: Figur, Gipsmodell,
Knabe mit Muschel;
Herr HEINRICH : Figur, Gipsmodell, bronziert.
Knabe eine Heuschrecke greifend;
KUNSTGEWERBE -VEREIN : Concurrenz- Ent-
würfe für einen Meisterbrief der Bau-,
Maurer- und Zimmermeister;
Herr CARL SIEBENPFEIFFER in Pforzheim:
Silberarbeiten mit durchsichtigem Email;
Herr TOSTRUP in Kristiania: Silberarbeiten
mit durchsichtigem Email, nach Ent-
würfen des Architekten TH. PRYTZ ;
Herr Professor F. BEHRENDT: Abendmahls-
geräte für die Gnadenkirche; entworfen
von F. Behrendt, in Silber ausgeführt von
O. Rohloff;
Herr OTTO ROHLOFF: Deckelbecher, Silber
getrieben ;
Herr Professor w. WIDEMANN: Tafelaufsatz,
Silber und Kristall.
LV SONDERAUSSTELLUNG
vom 2. bis 27. November 1893.
Im Anschluss an einen Fachabend des
Kunstgewerbe -Vereins : alte Stickereien aus
der Sammlung des Kunstgewerbe -Museums
und moderne Stickereien aus Privatbesitz.
LVI SONDERAUSSTELLUNG
vom I. Dezember 1893 bis Mitte Januar 1894
Bedruckte Stoffe, vornehmlich englische
Möbelstoffe, aus dem Besitz der hiesigen Ge-
schäftshäuser Moritz Busse, Gebhardt & Rös-
sel, Hermann Gerson und H. Hirschwald,
sowie des Kunstgewerbe - Museums.
LESSING
II. NATIONAL-GALERIE
Erwerbungen im 2. Halbjahre 1893.
A. ÖLGEMÄLDE
E. HENSELER (Berlin), Bildnis Hoffmanns von
Fallersleben in seinem Studierzimmer zu
Corvey.
C. SALTZMANN (Berlin), Kreuzerfregatte "Leip-
zig" bei Sl Helena.
H. MÜHLIG (Düsseldorf), »Nach der Treibjagd«.
L. HERZOG (Düsseldorf), »Vom Eise zerschellt«.
V. WEISHAUPT (München), Ziehende Vieh-
heerde.
H. GUDE (Berlin), Spgnefjord mit Wikinger-
schiffen.
L. DILL (München), Holländischer Kanal.
O. FRENZEL (Berlin), Viehheerde in den Ost-
see-Dünen.
J. WENGLEIN (München), »Winter am Isar-
Ufer«.
G. BIERMANN (Berlin), Bildnis des verstor-
benen Geh. Reg. Rats Prof. Dr. Lepsius.
O. JERNBERG (Düsseldorf), »Erntezeit«.
L. SPANGENBERG (f Berlin), Amphitheater
bei Pompeji.
Gesamtaufwand 34500 Mark.
B. BILDWERKE
F. STUCK (München), Athlet, Bronzestatuette.
J. GOETZ (Berlin), Wasserschöpfendes Mäd-
chen, Bronzestatuette.
G. BUSCH (München), Betendes Mädchen,
Holzfigur.
Gesamtaufwand 4200 Mark.
C. AQUARELLE UND HANDZEICHNUNGEN
H.v. HESS (f München), Das Abendmahl, Blei-
stiftzeichnung zum Wandgemälde im
Kloster St. Bonifaz zu München.
XXV
KÖNIGLICHE MUSEEN
XXVI
O. WISNIESKI (f Berlin), Friedrich II. vor der
Schlacht hei Leuthen, 2 Entwürfe in öl.
H. PRELL (Berlin -Dresden), Aquarellen nach
des Künstlers Freskogemfllden in der Rat-
haushalle zu Hildesheim:
1. Ludwig der Fromme und seine Ge-
mahlin verieihen dem Bischof Guntar
das Bistum Hildesheim.
2. Bischof Bernward empfängt den Be-
such Kaiser Heinrichs II.
3. Einftlhrung der Reformation in Hildes-
heim durch Bugenhagen.
L. DETTMANN, nFrÜhling im Grunewald«
DERSELBE , » Sommerabend «
CHR. KRÖNER, »Tannenwald«
DERSELBE, »Möven im Acker«
»Meeresufer«
»Wald -Hohlweg«
»Wald- Lichtung«
»Wald- Lichtung im Herbst« .
DERSELBE,
DERSELBE,
DERSELBE,
DERSELBE,
>
Kreide-
zeich-
nungen
G. BLElBTREü (f), General Bülow
bei Dennewitz
DERSELBE, Kronprinz Friedrich
Wilhelm bei Wörth
DERSELBE, General v. Hartmann
vor Paris
Gesamtaufwand 13 400 Mark
Als Geschenk des Künstlers erhielt die
Königliche National - Galerie die Aquarelle
von L. DETTMANN »Nach dem Regen«.
Am 19. November 1893 wurde im 2. Cor-
neliussaale eine Sonderausstellung des künst-
lerischen Nachlasses von OTTO BRANDT, PAUL
SCHOBELT und JULIUS SCHOLTZ eröffnet.
JORDAN
Berlin, gedruckt in der Keichsdruckerei.
x^^^^ ^^^^^^
Am i6. December 1893 ^^^^^ ^u München Dr. Julius Meyer, der frühere Direktor
der Königlichen Gemäldegalerie, welcher diese Blätter mitbegründet und an ihrer
Herausgabe bis zum Ausscheiden aus seinem Amt und zu seiner Übersiedelung nach
München mit Rat und That lebhaften Anteil genommen hat. Die nie verblasste Er-
innerung an den treuen Mitarbeiter und Freund wird doppelt lebendig in dem Augen-
blick, wo wir lernen sollen, seine Teilnahme an unseren Bestrebungen, seinen Rat
und seine Mitarbeit auf immer zu entbehren.
Julius Meyer war 1830 zu Aachen geboren. Sein Vater hatte in den Freiheits-
kriegen der hannoverschen Armee als Offizier angehört, den Dienst aber früh ver-
lassen und sich in das Privatleben zurückgezogen. Der Sohn besuchte das Mann-
heimer Gymnasium und studierte dann mehrere Semester in Göttingen Jurisprudenz.
Ein längerer Aufenthalt in Paris, wo er Familienbeziehungen hatte, reifte sein Interesse
für Kunst und gab seinem Leben eine neue Richtung. Seit 185 1 lag er in Heidelberg
philosophischen und litteraturgeschichtlichen Studien ob. Von besonderer Bedeutung
aber für seine Entwickelung war es, dass er zu David Fr. Straufs in nähere Beziehungen
62 JULIUS MEYER
trat, welche bis zu dessen Tode in gleicher Wärme fongedauert haben, und noch
1865 ihren Ausdruck in einer kleinen Schrift über Straufs' Leben Jesu für das deutsche
Volk fanden.
Einen flufseren Abschluss gab er den Studienjahren dadurch, dass er 1853 ^
Tubingen den philosophischen Doktorgrad mit einer Abhandlung über die Geschichte
der Ästhetik seit Kant erwarb, die er aber ungedruckt liefs.
Erst am Anfang der sechziger Jahre trat er von München aus, wohin er über-
gesiedelt war, in den Grenzboten mit einer Reihe von Aufsätzen über Malerei, Skulptur
und Architektur hervor, welche durch Ernst und Tiefe der Auffassung, durch Sicher-
heit und Schlagfertigkeit der Kritik und Darstellung damals in weiten Kreisen Auf-
sehen erregten, indess der Verfasser sich hinter einer Wenigen kenntlichen Chiffre
verborgen hielt. Manchen der älteren Generation wird noch gegenwärtig sein, wie
wirksam diese Aufsätze in eine damals unverkennbar sich vollziehende Wandlung
der Kunstanschauungen eingriffen. Im Jahre 1867 endlich erschien, als reife Frucht
langjähriger Vorstudien, die Geschichte der modernen französischen Malerei seit 1789,
im Jahre 1871 seine Monographie über Correggio.
Beide Bücher zeigen J. Meyer auf der Höhe eines gereiften Geistes und einer
reichen Bildung. Er nimmt es gleich streng mit den Aufgaben einer in alle Seiten
des Kunstwerkes gleichmäfsig sich versenkenden Kennerschaft und den nur durch sie
zu lösenden Fragen der Kritik, wie mit der Ausnützung aller litterarischen und sonstigen
urkundlichen Dokumente zur Gewinnung einer verlässlichen Unterlage seiner Dar-
stellung. Aber so sehr er die Aufgabe der Kunstgeschichte vor Allem darin sucht,
dass sie eben eine Geschichte der Kunst sein solle, d. h. die Entwickelung der
Kunst als solcher darzustellen habe, so sucht er doch nicht minder diese Kunst-
entwickelung in ihrem Zusammenhang mit dem ganzen Kulturleben zu begreifen und
dem Leser zum Verständnis zu bringen.
Am Anfang der siebziger Jahre hatte er den Plan eines gröfseren litterarischen
Unternehmens gefasst, eine von Grund aus neue Bearbeitung des Naglerschen Künstler-
lexikons. Leider hat sich das Werk, trotz grofser daran gewendeter Mühe und zahl-
reicher Mitarbeiter, praktisch als undurchführbar erwiesen und ist nicht weit über den
dritten Band hinaus gediehen. Jedenfalls war Meyers in fpäteren Jahren durch ernste
Leiden eingeschränkte Arbeitskraft der doppelten Aufgabe der Fortführung dieses Unter-
nehmens und eines verantwonlichen Amtes, nicht mehr gewachsen.
Ein solches Amt hatte sich ihm im Jahre 1872 geboten, als der damals an die
Spitze der Königlichen Museen in Berlin berufene Graf Usedom ihm den Vorschlag
machte, die durch Waagens Tod erledigte Direktion der Königlichen Gemäldegalerie
zu übernehmen. Kurz zuvor war der damalige Kronprinz, nachmalige Kaiser Friedrich,
zum Protektor der Museen ernannt worden; die veränderte Lage des Staates liefs auf
reichere Mittel für die Zwecke der Kunst und Wissenschaft hoffen, und so kam Vieles
zusammen, was Meyer die neue Aufgabe verlockend erscheinen liefs. Noch vor Ablauf
des Jahres 1872 erfolgte seine Ernennung.
J. Meyer brachte zu dem neuen Amt eine ungewöhnlich reiche und vielseitige
Bildung, Geschmack und warme Mitempfindung für alle künstlerische Produktion, und
eine umfassende Kenntnis der Denkmäler der neueren Kunst mit. Sein Kunstinteresse
war eindringend und allseitig. Man könnte auf ihn die Worte anwenden, mit denen
W. Burger (T.Thore), dessen Schriften er besonders hochhielt, seine eigene Stellung zur
Kunst bezeichnet hat: il aimait tout en gendral^ si ce n*est qu'il abhorrait les vieilles rou-
tines. Für alles wirklich lebendige Schaffen, mag es sich auf den höchsten Höhen des Ideals
bewegen oder bescheiden in den Grenzen einer sinnigen Vertiefung in die Wirklichkeit
JULIUS MEYER 63
halten, besafs er die gleiche Empfänglichkeit. Und so hat er bei der Erweiterung der ihm
anvertrauten Galerie nach allen Seiten mit gleich unbefangener Liebe seine Aufmerk-
samkeit gerichtet, um von allen wahrhaft schöpferischen Schulen und Richtungen das
Beste zu gewinnen. In diesem Sinne hat er, in engem Verein mit seinem Mitarbeiter
und Nachfolger, zu erreichen gewusst, was unter den schwierigen Verhältnissen der
Gegenwart irgend zu erreichen war. Vor Allem hatte er schon am Anfang seiner Amts-
führung das Glück, die Sammlung Suermondt für Berlin zu gewinnen, und hat nach
manchem schönen Erfolg vielleicht keine gröfsere Freude im Amt gehabt, als die,
Dürers Holzschuher der ihm anvertrauten Sammlung einverleiben zu können.
So glücklich J. Meyer für die Leitung einer Kunstsammlung wie der Königlichen
Galerie ausgerüstet schien, so mochte doch die Übernahme des neuen Amtes für einen
Mann gewagt erscheinen, der 42 Jahr alt geworden war, ohne andere als selbstgewShlte
Pflichten und Aufgaben kennen gelernt zu haben. Aber jedes Bedenken, das man hätte
hegen können, erwies sich bald als grundlos : auch in die Forderungen des täglichen
Dienstes fand er sich rasch hinein und widmete ihnen dieselbe gleichmäfsige Sorgfalt,
mit der er seinen höheren Aufgaben zu genügen suchte.
Besonders glücklich bewährte sich seine liebenswürdige Gesinnung, seine reiche
Bildung und weltmännische Erfahrung, wie die unbedingte Zuverlässigkeit seines Cha-
rakters, als bei den Königlichen Museen an die Stelle älterer, den veränderten Verhält-
nissen nicht mehr entsprechender Einrichtungen im Jahre 1878 eine Organisation
der Verwaltung trat, welche einesteils den Direktoren der einzelnen Sammlungen eine
weitgehende, selbständige Verantwortlichkeit auflegte und andererseits gröfsere An-
forderungen an ihr Zusammenwirken und ihre gegenseitige Unterstützung stellte.
Jede einzelne der Sammlungen bringt für ihren Leiter Aufgaben mit sich, die er allein
kaum völlig zu lösen vermag; und selbst wo er ihnen genügt, ist es ihm wertvoll und
beruhigend, das eigene Urteil an dem Urteil sachkundiger und erfahrener Kollegen
zu prüfen und zu befestigen oder zu berichtigen. In dieser Möglichkeit des Zu-
sammenarbeitens und gegenseitiger Förderung und Ergänzung liegt ein unschätzbarer
und manche unleugbare Schwierigkeit weit überwiegender Vorteil des engen Zu-
sammenschlusses einer gröfseren Zahl selbständiger Sammlungen. Aber er setzt bei
den Beteiligten die Fähigkeit und die Bereitwilligkeit voraus, mitzuteilen und zu em-
pfangen. Diese Fähigkeit besafs J. Meyer in hohem Grade: er wusste dankbar die
Mitwirkung der durch jene Organisation geschaffenen Sachverständigenkommissionen
zu schätzen und hatte ebenso grofse Freude an dem Anteil, den Kollegen seinen Be-
strebungen zollten, wie er deren Thätigkeit und ihre Erfolge mit regem Interesse
begleitete und zu fördern bereit war. Auch an den Arbeiten des Senats der K. Aka-
demie der Künste, dem er seit deren Reorganisation angehörte, nahm er lebhaften
und fruchtbaren Anteil.
Als J. Meyer 1872 die Leitung der Galerie übernahm, fand er ihre Räume noch
fast durchgängig in der Gestalt und der Ausstattung vor, welche ihnen Schinkel bei
der Erbauung des Alten Museums gegeben hatte; nur dass die Lichtverhältnisse durch
die Errichtung des Neuen Museums eine schwere Beeinträchtigung erfahren hatten.
Inzwischen war auch der Sammlung durch Waagens umsichtige Bemühungen mancher
wichtige Zuwachs zu Teil geworden, der den Mangel an geeigneten Räumen zur wirk-
samen Aufstellung grösserer Werke noch fühlbarer machte. Ein Versuch zur Besserung
war bereits geschehen durch den von dem Baumeister Tiede gebauten Oberlichtsaal. Er
hatte den Weg vorgezeichnet, auf welchem Abhilfe für die mehr und mehr hervor-
getretenen Übelstände zu suchen war. So wurde auf Meyers Betrieb unter seiner Ver-
waltung ein durchgreifender Umbau ausgeführt, welcher an der ganzen Nordseite des
64 JULIUS MEYER
Gebäudes Oberlichtsfile herstellte, die kleineren mit Seitenlicht versehenen Räume in
wesentlich veränderter Gestalt nur an der Ost- und Westseite bestehen liefs und
für Beschaffung der jeder grösseren Sammlung unentbehrlichen Magazine und sonstigen
Nebenräume sorgte. Unermüdlich in Versuchen, auch in der Ausstattung der Räume
das Beste und für die Bilder Günstigste herauszufinden, hatte er die Genugthuung,
den von dem Baumeister der Museen, Prof. Kühn begonnenen, von seinem Nach-
folger, Baurat Merzenich fortgeführten Umbau im Jahre 1884 vollendet zu sehen und
am 8. Dezember das Kronprinzliche Paar, welches seiner Person und seiner Thätigkeit
alle Zeit ein besonders gnädiges Interesse geschenkt hat, durch die in neuer Auf-
stellung voneilhafter und reicher sich darstellende Sammlung geleiten zu dürfen. Eine
Zeit mannigfacher Schwierigkeiten und Nöthe, welche durch den Wunsch, die Samm-
lung dem Publikum nie ganz zu entziehen, sondern wenigstens immer zur Hälfte zu-
gänglich zu erhalten sich noch gesteigert hatten, war damit abgeschlossen. Doch
fehlte es auch dann nicht an wichtigen und schwierigen Aufgaben.
Eine besondere Fürsorge hat J. Meyer der Herstellung der litterarischen Hilfs-
mittel gewidmet, deren das Publikum für eine fruchtbare Benutzung öffentlicher
Sammlungen nicht entraten kann. Der Waagensche Katalog der Galerie, zuerst bei
ihrer Eröffnung erschienen und in einer Reihe von Auflagen sorgfältig nachgebessert,
genoss eines wohlverdienten Ansehens. Aber er war längst vergriffen und die neuen
Ankäufe, die veränderte Aufstellung der Sammlung und die inzwischen stetig fortge-
schrittene Forschung machten eine völlig neue Arbeit erforderlich. Um dem dringendsten
Bedürfnis zu genügen, erschien zuerst 1878 ein beschränkter Katalog der während
des Umbaues ausgestellten Gemälde (von J. Meyer und W. Bode), dem 1883 eine neu
bearbeitete, vollständige Ausgabe (von Meyer, Bode und Scheibler) folgte. Eine dritte
knapper gefasste Auflage erschien 1891, zu einem erheblichen Teil noch von Meyer
selbst, im Übrigen gröfstenteils von Dr. von Tschudi bearbeitet. Bei der Abfassung
und Redigierung dieser Kataloge war Meyers Bestreben vor Allem darauf gerichtet,
durch genaue Feststellung alles thatsächlichen der Forschung eine zuverlässige Unter-
lage zu schaffen und in allen erläuternden Angaben den augenblicklichen Stand der
wissenschaftlich begründeten Kenntnis genau zur Anschauung zu bringen. Dem Urteil
des Beschauers wollte er nicht vorgegriffen, sondern nur durch Winke, namentlich
durch Hinweis auf verwandte Werke zu Hilfe gekommen sehen.
Freier konnte er sich in dem grofsen, von der Groteschen Verlagshandlung
unternommenen Galeriewerk ergehen, dessen Text er mit W. Bode zu bearbeiten
übernommen hatte. Damit knüpfte er an seine früheren schriftstellerischen Arbeiten
wieder an und fand in dieser Aufgabe, der er auch nach seinem Rücktritt treu blieb,
besondere Freude und Befriedigung.
Als ernste körperliche Leiden, die sich lange vorbereitet hatten, ihn zu häufigerer
und längerer Unterbrechung seiner amtlichen Thätigkeit zu nötigen begannen, ent-
schloss er sich schweren Herzens zum Rücktritt aus einer SteUung, der er seine
besten Jahre und seine besten Kräfte gewidmet hatte und an der er mit grofser Liebe
hing. Am i. Oktober 1890 schied er aus und zog sich nach München zurück, schmerz-
lich vermisst von den Kollegen und zahlreichen Freunden, die nun, nach seinem Hin-
scheiden, ihn von Herzen betrauern und ihm eine dankbare und verehrungsvolle Er-
innerung für immer bewahren werden.
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DIE MADONNA M. D. KARTHÄUSER ü. HEILIGEN VON JAN VAN EYCK V. HUGO V. TSCHUDI 65
DIE MADONNA MIT DEM KARTHÄUSER UND HEILIGEN
VON JAN VAN EYCK
VON HUGO V. TSCHUDI
Als ich im Jahre 1889 das kurz zuvor für die Königlichen Museen erworbene
Bildchen, die Madonna mit dem Karthäuser von Jan van Eyck in diesen Blättern be-
sprach, musste ich die Frage nach dem Verhältnis desselben zu einem anderen Ge-
mälde des Meisters, das nach Crowe und Cavalcaselle die Madonna mit einem knieenden
Dominikaner darstellen sollte, unentschieden lassen. Später erst habe ich dieses zweite
Bild kennen gelernt und seitdem wiederholt gesehen/ Gegen alles Erwarten grofs zeigte
sich nun die Verwandtschaft zwischen den beiden Werken, ja gröfser als diejenige
zwischen irgend welchen anderen Schöpfungen Jans, die beiden Franziskusdarstellungen
ausgenommen. Dieser überraschende Zusammenhang, sowie der Umstand, dass die
merkwürdige Tafel noch nirgends abgebildet und nur sehr ungenau beschrieben
worden war, lässt eine kurze Schilderung derselben an dieser Stelle wohl gerecht-
fertigt erscheinen. Der beistehenden Heliogravüre liegt eine von Braun in meinem
Auftrage angefertigte Photographie zu Grunde, deren Herstellung der Besitzer des
Bildes, Baron Gustav von Rothschild in Paris, in liebenswürdigster Weise gestattet hatte.
Unter einem prunkreichen Baldachin steht Maria, die Himmelskönigin, das
segnende Kind auf dem Arm. Die ganze Farbenpracht seiner Palette lässt der Meister
hier aufleuchten. Den Hintergrund bildet ein rot und grün gemusterter Goldbrokat
auf dem grofse blaue Blumen stehen. Ein Band, das weit geschwungene Ranken
umschlingt, trägt die Worte AVE, GRA, PLEA. Grüne Fransen umsäumen das Dach
und den persischen Teppich, der unter den Füfsen der Madonna die Fliesen des
Fufsbodens deckt. Sie selbst ist von einem weitfaltigen blauen Mantel eingehüllt, der
mit einem juwelenbesetzten Saum auf den Boden stöfst. Darunter, nur wenig sichbar,
ein tiefrotes hermelinverbrämtes Gewand von einem grünen golddurchwirkten Gürtel
umschlossen.
Noch gehoben erscheint dieses koloristische Prachtstück durch zwei dicht daran
gerückte neutralfarbige Massen: das weifse Karthäuserhabit des knieenden Stifters und
das Schwarz des Mantels, der die zur anderen Seite stehende Nonne vom Scheitel bis zur
Sohle umhüllt und nur ein Stückchen des weifsen Kopftuches und einen schmalen
Streifen des grauvioletten Untergewandes sehen lässt. Eine kräftigere Note wird wieder
in der heiligen Barbara angeschlagen die mit ihrem zinnoberroten Mantel und grünen
Brokatkleid den Kontrast zwischen dem Weifs der Mönchskutte und den tiefen Tönen
der Gegenseite einigermafsen mildert.
66 DIE MADONNA MIT DEM KARTHÄUSER UND HEILIGEN VON JAN VAN EYCK
On der Handlung ist eine romanische Loggia, auf deren Fufsboden helle blau-
gemustene Fliesen mit Platten aus Porphyr und Verde antico abwechseln; grüne und
schwarze Marmorsäulen erheben sich über dem Parapet, das wie die Wandung oben
einen gleichmfifsig bräunlichen Anstrich zeigt.
Durch die niederen Bogenöffnungen, an den Köpfen der Heiligen vorbei, strebt
der Blick hinaus in eine weithin sich dehnende Landschaft. Ein idyllisch beschau-
licher Vorgang drinnen, ein Traumbild sehnsuchtsvoller Frömmigkeit, und draufsen
das frisch pulsierende Alltagsleben, ein Stück unmittelbarster, treu geschilderter Wirk-,
lichkeit. Von einem fernen schneebedeckten Gebirgszug strömt an burgengekrönten
Vorbergen vorüber ein mächtiger Fluss in Windungen dem Vordergrund zu. An
seinem Ufer dehnt sich eine befestigte turmreiche Stadt; mit hohem Bogen über-
spannt ihn eine steinerne Brücke, die ein gotischer Bildstock schmückt, und auf
der es von Menschen wimmelt. Schwäne schwimmen auf dem Wasser, ein voll-
besetzter Kahn gleitet darüber hin, andere Bote haben am Ufer angelegt. Die Thor-
bogen der Stadtmauer öffnen sich auf das geschäftige Treiben der Gasse. Auf der
Strafse vom ein Bauernwagen von einem Leinwanddache überspannt, unter dem ein
Pärchen vorlugt. Am Himmel ein Zug Kraniche und darüber leichte Haufenwolken.
Zur Linken erstreckt sich ein Obstbaumgelände, ein Reiter und ein Jäger mit Speer
ziehen des Weges, auch ein lustwandelndes Paar fehlt nicht. Schafe weiden auf einer
grünen Trift, aus einem Thaleinschnitt ragen ein Kirchturm und Hausdächer empor,
eine Herde Rinder steht auf einer Bergkuppe scharf gegen die Luft und aus der
Feme glänzen wieder die Schneehäupter herüber. Fremdartig genug ragt inmitten
dieser Landschaft das Attribut der Barbara auf, ein massiger gotischer Turm mit
durchbrochenem Helm. Durch das dreiteilige von einem geschweiften Spitzbogen über-
spanntes Fenster blickt man in das Innere, wo sich von einem sternenbesäten blauen
Grund die Bronzestatue des Mars — wie eine Unterschrift besagt — abhebt.
Vergleicht man dieses Gemälde mit dem Berliner Bild, so fällt vor allem die Über-
einstimmung des Stifters auf. Hier wie dort ist derselbe Kanhäuser dargestellt, die
Warze auf der Nasenwurzel schliefst jeden Zweifel aus, nur jugendlicher aber keines-
wegs liebenswürdiger erscheinen die derben beschränkten Züge auf der Rothschildschen
Tafel. Die Übereinstimmung bleibt aber nicht bei der Identität der Persönlichkeit
stehen, sie erstreckt sich auf die ganze Haltung, den Wurf des Gewandes, den Bruch
der einzelnen Falten. Immerhin kann von einer blofsen Kopie nicht die Rede sein.
Verschiedene kleine Abweichungen, namentlich die etwas veränderte Stellung der Hände,
verraten den frei gestaltenden Künstler, der in beiden Fällen nur dieselbe Skizze als
Gmndlage benutzte. Weicher und geschmeidiger zeigt sich die Drapierung auf dem
Berliner Bilde, aber vielleicht steht die Scharfbrüchigkeit des Stoffes auf dem anderen
der Natur noch näher.
Nicht viel erheblicher sind die Unterschiede in der Darstellung der hl. Barbara, aber
sie sind zu Gunsten derjenigen auf dem Rothschildschen Gemälde ausgefallen. Freier
und gröfser steht sie neben dem Stifter, der weiter geöffnete Mantel, dessen einer Zipfel
emporgezogen und über den rechten Arm geschlagen ist, lässt den Körper und die
oberen Gliedmafsen deutlicher hervortreten. Leicht und doch entschieden legt sich die
Rechte auf die Schulter des Schutzbefohlenen, während die Linke, die Palme zwischen
Daumen und Zeigefinger haltend, auf die Madonna deutet. Wie diese sprechende Hand
statt dessen bei uns den unmittelbar herangerückten Turm ergreift, kommt der etwas
verkümmerten Haltung der Figur keineswegs zu gute.
VON HUGO V. TSCHUDI 67
War bisher die allgemeine Anordnung wenigstens durchaus identisch, so zeigt
dagegen die Madonna trotz der übereinstimmenden Funktion, Ähnlichkeit des Typus,
der Haartracht und Gewandung doch ein wesentlich anderes Bewegungsmotiv. Auf
dem Berliner Bild scheint sie plötzlich im Gehen inne zu halten und indem sie das
segnende Kind auf den Hönden frei vor sich hält, neigt sich der Oberkörper leicht
zurück. Hier aber steht sie, der ceremoniellen Anordnung entsprechend, beinahe gerade
nach vom gewendet unter dem Thronhimmel. Die Folge ist, dass das Jesulein, das
sie mit beiden Händen fest an sich drückt, die unteren Extremitäten ganz im Profil zeigt
und dafür Brust und Kopf mit starker Wendung nach dem Stifter hin dreht. Er ist
ein Zwillingsbruder des anderen, aber mit holdseligerem Ausdruck waltet er hier seines
Amtes. Merkwürdigerweise findet sich nun in der Nonne die Haltung der Berliner
Madonna treu wiederholt: die seitliche Ansicht, der zurückgebogene Oberkörper und
das vorgeneigte Haupt. Nur ist es hier die frei hinausgehaltene Krone, die zur mecha-
nischen Motivierung dient. Diese dreifache Krone lässt in ihrer Trägerin die hl. Elisabeth
erkennen, auf deren dreifache Heiligkeit als Jungfrau, Gattin und Witwe sie sich
bezieht. So weit die formalen Übereinstimmungen, aber auch da, wo die beiden Dar-
stellungen aus einander gehen, wie in der Raumgestaltung, dem Landschaftsbild, ist die
stilistische Gleichheit nicht zu verkennen. Sie ist es gerade, die selbst da, wo sich die
Formgebung völlig deckt, keinen Gedanken an eine nur nachahmende Hand aufkommen
lässt. Ein und derselbe Meister hat beide Werke geschaffen.
Ist dieser Meister Jan van Eyck?
Seitdem die kleine Karthäusermadonna aus Burleighhouse in die Berliner Galerie
versetzt worden, sind wiederholt Zweifel an der Richtigkeit dieser Benennung laut
geworden, zwar nicht öffentlich, aber von Männern, die mit der Feinheit künstlerischen
Empfindens genaue Kenntnis der altniederländischen Malerei verbinden. Man dachte an
den alten Hubert, wobei wohl nur der Wunsch ein selbständiges Bild dieses Meisters
zu besitzen und die Notiz im Inventar des Blaise Hutter den zureichenden Grund
abgaben; man wies aber auch auf Petrus Cristus oder einen verwandten sonst allerdings
nicht fassbaren Eyckschüler.
Ich kann nicht leugnen, dass ich selbst, trotzdem ich bei der Publikation unseres
Bildchens beide Möglichkeiten erwogen und abgelehnt hatte, mich dennoch allgemach
der letzteren Meinung zuneigte. Das Gemälde bei Rothschild scheint mir nun wohl
geeignet, diesen Schwankungen ein Ende zu machen und zwar, um es gleich zu sagen,
zu Gunsten der Urheberschaft von Jan. Wie dieses fraglos demselben Künstler an-
gehört, der unser Täfelchen gemacht hat, so eng verknüpft die stilkritische Analyse
dasselbe mit einer Reihe von Werken, die bisher unbeanstandet unter dem Namen
des jüngeren Eyck gingen.
Zunächst die Madonna. Diesem freundlichen aber etwas hausbackenen Antlitz
mit der breiten Stirn, den schlichten hinter die Ohren gestrichenen Haaren, die sich
erst über der Schulter in freiem Gelock ausbreiten, den hoch geschwungenen Brauen
und den breit gestellten Augen, vor allem aber dem kleinen Mund, dem die dünne
Ober- und die volle Unterlippe einen stark individuellen Charakter geben, begegnen
wir wieder bei der Madonna von Lucca, derjenigen auf dem Dresdener Altärchen und
dem Votivbild des Kanzlers Rollin. Besonders die Madonna von Lucca erscheint
durch die gleiche Neigung des Hauptes, den unter gesenkten Lidern nach unten ge-
richteten Blick und durch gleichen Schmuck und gleiche Tracht als ihr treues Ebenbild.
Ihre linke Hand hinwieder zeigt in der Art ihrer Bewegung, der bei Jan sonst un-
gewohnten gelösten Fingerstellung, die gröfste Ähnlichkeit mit der entsprechenden
68
DIE MADONNA MIT DEM KARTHÄUSER UND HEILIGEN VON JAN VAN EYCK
Hand der Palamadonna. Der Teppich, auf dem sie steht, kehrt völlig übereinstimmend,
nur anders gesäumt, auf dem Dresdener Triptychon wieder. Welche Beweiskraft
diesem Umstand zukommt, lehrt ein Blick auf das Bild des Petrus Cristus im
Stfidelschen Institut, wo derselbe Teppich dargestellt ist wie auf der Madonna von
Lucca, aber unbeholfen, mit hart koniuriertem Muster, in jedem Pinselstrich eine
andere und dürftige Formanschauung verratend.
Für die hl. Elisabeth bietet die meisten Vergleichsmomente die Gattin des Arnol-
fini. Die ponräthaften Züge der letzteren finden wir hier freilich nicht, umsomehr
fällt die Übereinstimmung in der Zeichnung der langgeschlitzten Augen auf. Deutlich
erinnern an jene die Haltung des Körpers, der vorgedrfingte Unterleib, über dem sich
der Mantel bauscht und die schmiegsame
Bildung der langfingrigen Hand.
Die Kapitale in den reichen Formen des
Übergangsstiles sind uns von dem romani-
schen Kirchenschiff des Dresdener Altörchens
und dem Hallenbau auf der Votivtafel des
Kanzlers Rollin bekannt.
Dieses letztgenannte Gemälde bringt nun
noch ein Moment, das für unsere Frage
schwerer wiegt, als alle bisher berührten.
Wenn von der für die junge Malkunst über-
raschendsten Fähigkeit Jan van Eycks die
Rede ist, ein Landschaftsbild, reich, üppig
und lachend, wie es dem naiven Auge er-
scheint, auf die Tafel zu zaubern, wird man
immer in erster Linie den Ausblick aus
jenen Hallenbogen auf das im Sonnenglanz
schimmernde Flussthal nennen; welches
Wohlgefallen der Meister selbst an seiner
Schöpftmg gefunden, lehrt, dass er dasselbe
Motiv noch einmal mit gleicher Frische auf
dem Rothschildschen Bilde schildert. Das
Motiv ist dasselbe, aber im einzelnen finden
sich zahlreiche Abweichungen. Zunächst hin-
dert der Baldachin den Blick auf das links-
seitige Ufer, es fehlt die breite zwischen den
Brücken im Strome liegende Insel, der Kopf der Nonne verdeckt einen Teil der Stadt,
die sich dafür um so weiter nach rechts hin dehnt und statt der dort nahe dem
Brückenkopf gelegenen Kathedrale einen langgestreckten Kirchenbau mit hohem Spitz-
turm aufweist. In ähnlicher Weise hat Roger van der Wyden auf dem Bladelinaltar
in Berlin und dem Münchener Triptychon mit Elementen des Stadtbildes von Middel-
burg frei geschaltet. Dass Jan dieselbe Ansicht zweimal verwertet, legt in der That
die Vermutung nahe, auch er habe hier ein Stück selbstgeschauter Welt zur Dar-
stellung gebracht. Schon vor der Tafel des Kanzlers Rollin wurde die Frage nach
dem Namen der Stadt gestellt. Der eine dachte seltsamerweise an Brügge, aber auch
Maestricht und Lyon, an die sich andere erinnert sahen, scheinen nicht überzeugend.
Möglich dass für die breit hingelagerten Schneeberge und dem mächtigen die Stadt-
mauern bespülenden Strom das Urbild auf der Pyrenäenhalbinsel zu suchen ist.
Jan van Eyck.
Madonna mit dem Kanzler Rollin.
Ausschnitt.
VON HUGO V. TSCHUDI 69
Zieht man alle die angeführten Momente in Rechnung, so wird man schwerlich
zu einem anderen Resultate gelangen können, als dass auch das Rothschildsche Bild
unter der Hand des Jan van Ejck entstanden ist. Im ganzen Bereich der altnieder-
iKndischen Kunst finden sich nirgends Werke verschiedener Meister, die eine nur
annähernd gleiche gegenständliche wie stilistische Übereinstimmung aufwiesen. Dieses
Urteil wird auch durch den Umstand nicht erschüttert, dass unser Bild sich nicht
durchweg auf der Höhe von Jans besten Schöpfungen halt. Am auffallendsten ob-
gleich nicht geradezu störend ist die verfehlte Linearperspektive. Die Fluchtlinien
des Fufsbodens treffen sich erst hoch über dem Horizont, ja erst jenseits der Ober-
kante der Tafel, während diejenigen der Kapitale annähernd richtig konstruiert
erscheinen. Indess ist Jan van Eyck den strengsten Anforderungen auf diesem Ge-
biete nirgends gewachsen, wiederholt, wie auf der Anbetung des Lammes und der
Petersburger Verkündigung, ergiebt die Nachprüfung einen doppelten Horizont. Auch
vermisst man etwas die weiche und doch energische Farbenstimmung und das däm-
mernde Halbdunkel, das gerade beim Bild des Kanzlers Rollin im Gegensatz zu der
klaren Landschaft so zauberhaft wirkt. Motiviert wird diese veränderte koloristische
Haltung hier freilich durch das von allen Seiten frei in die offene Bogenhalle ein-
dringende Tageslicht. Immerhin ist die Mutter Gottes auf dem leuchtenden Brokat-
grund ein Stück Farbenpoesie, wie es nur Jan zu dichten verstand. Und über alle
Anfechtung erhaben ist die landschaftliche Ferne, der kein andrer Niederländer aus der
ersten Hälfte des XV Jahrhunderts etwas Ebenbürtiges an die Seite zu stellen hat. Einige
Unbestimmtheiten im Mittelgrund links scheinen durch Übermalung verschuldet zu sein.
Dass dieses Werk in Paris, wo man im Louvrebild einen so nahverwandten Spröss-
ling der Eyckschen Werkstatt besafs, den richtigen Namen trug, ist nicht zu verwundern.
Um so seltsamer, dass es der kunsthistorischen Forschung so gut wie unbekannt blieb.
Wo es in der Liiteratur erwähnt wird, geschieht dies nur auf Grund der Notiz bei Crowe
und Cavalcaselle, und dass diese selbst es nie gesehen, ergiebt sich klar aus den dürftigen
und ungenauen Worten ihrer Beschreibung. In der That verrät eine Anmerkung der
englischen Ausgabe, dass sie ihre Kenntnis desselben nur einer kurzen Mitteilung
Otto Mündlers verdanken. Das Bild befand sich damals bei Baron James Rothschild
und weiter vermag ich auch nicht dessen Geschichte zurück zu verfolgen. Ebensowenig er-
gab sich ein Anhalt zur Bestimmung des Karthäuser Stifters. Dass er von der hl. Barbara
vorgestellt wird, zu der sich hier noch eine zweite Heilige gesellt, lässt nicht einmal
über seinen Taufnamen eine Vermutung aufkommen.
Auch für die genaue chronologische Einordnung dieses Gemäldes in das Werk
des Meisters fehlt es an einer sicheren Unterlage. Kein Stück der Bildergruppe, mit der
es stilistisch am nächsten zusammenhängt, trägt eine Jahreszahl. Indess lässt sich doch
aus mancherlei Eigentümlichkeiten die einzelne dieser Tafeln mit datierten Bildern aus
den dreifsigern Jahren teilen und dem bejahrten Aussehen des Kanzlers Rollin, der
freilich noch nicht die greisenhaften Züge des Porträts trägt, das im fünften Decennium
Roger van der Weyden von ihm malte, mit Sicherheit auf die Zeit nach dem Genter
Altar schliefsen. Früher schon hatte ich das Berliner Bildchen der letzten Periode
Jans zugeteilt. Etwas älter muss dasjenige bei Rothschild sein, wenn das jugendlichere
Aussehen des Stifters hier auf keiner Täuschung beruht.
Zu demselben Resultat scheint eine Vergleichung des Stils der beiden Werke
zu führen. Schon das gröfsere Ausmafs,^) die Pracht der Dekoration und die cere-
*) Das Bild, das auf Eichenholz gemalt ist, misst ungefähr 0,50 : 0,66 m. Die Figuren-
höhe beträgt beinahe das dreifache wie auf dem Berliner Bild.
IG
70 TIZIAN UND ALFONS VON ESTE
monieile Anordnung charakterisieren das Rothschildsche Exemplar als eine für den
Altar einer Kirche bestimmte Votivtafel. Einen weit intimeren Charakter trägt das
Berliner Bildchen. Der auf die Seite gerückte Augenpunkt lässt darauf schliefsen, dass
es nur ein Teil eines Diptychon war, wie sie zum Wohnungsschmuck und zur Mit-
nahme auf die Reise bestimmt waren, wenn sich auch bei der Abgeschlossenheit der
Komposition schwer erraten Iflsst, was der andere Flügel enthalten haben mag. Die
Anordnung ist zugleich anspruchsloser und lebendiger; sie zeigt eine durchgehende
Vereinfachung der Ausstattung, bis auf die Weltkugel in der Hand des Knäbleins, wie
eine freiere Beherrschung des Motivs bei flüchtigerer Durchbildung im Einzelnen.
Dem feierlichen Stil jenes Altarwerkes gegenüber mutet dieses an wie eine geistreiche
Variation desselben Themas für den Hausgebrauch.
TIZIAN UND ALFONS VON ESTE
VON C. JUSTI
Alfons I, Herzog von Ferrara, war der erste italienische Fürst, der Tizian be-
schäftigte und ihm so den Weg aus dem Kreise der Inselstadt in die Welt der Höfe
eröffnete. Vor nunmehr zwanzig Jahren erhielt man die ersten genaueren, wenn auch
immer noch fragmentarischen Mitteilungen über beider Verhältnis aus der Feder des
um die Kenntnis eines der wichtigsten Kunstherde Italiens so verdienten Grafen Giuseppe
Campori, und zugleich Aufschlüsse über einige der köstlichsten, von jeher gefeierten
Werke des Meisters von Cadore. Für die ferraresischen Bacchanalien, einst Alfonsos
»Alabasterkammerna (mit Antonio Lombardis Skulpturen) zierend, würde man heute
gern einen ganzen Olymp üppiger Griechengöttinnen aus späteren Jahren hingeben.
Das »Kinderfest« ist ohnegleichen unter den damaligen Palingenesien antiker Stoffe; es
hat eine ganze Klasse späthellenischer Kunst, die Kinder- und Erotenstücke, der Malerei
der Folgezeit erschlossen. Der Künstler selbst scheint vom Glücke dieses Wurfs, dieser
Intuition ganz besonders erbaut, ja überrascht gewesen zu sein. Das philostratische
Gemälde hane ihm der obwohl ungelehrte Herzog Alfonso selbst angegeben, ja sogar
eine skizzierte Figur dazu geliefert. Tizian gestand, dass diesmal sein Erfolg ganz das
Verdienst der Idee sei; die Seele hatte der Herzog gegeben, er nur den Leib. Er fügt
hinzu (er war auf dem Wege ein Hofmann zu werden), er sei nun bestärkt worden
in seiner Meinung, dass die alten Maler die Gröfse ihrer Kunst zumeist, ja ganz der
Mithülfe der grofsen Fürsten schuldeten, die ihnen mit soviel findigem Verstand ihre
Aufgaben zu stellen wussten.*)
V) Quali ingeniosissimi li ordinaveno. Campori, Nuova Antologia 1874. Diese Stellen
werden gewöhnlich auf das Bacchanal in Madrid bezogen und die figurina bo^ata auf die
schlummernde Bacchantin im Vordergrund, die einem antiken Relief entlehnt sein soll. Die
Auslassung Tizians passt aber besser auf ein neues Thema wie das Kinderfest, als auf jene
fite champetre, die ja nur eine Variante der Bellinischen Tafel war, auf der sogar die schlafende
Figur bereits vorkommt.
VON C. JUSTI 7 1
Von 1516 an bis zu des Herzogs Tode war Tizian oft als Gast im Palast zu
Ferrara. Der Schlossherr liebte den Verkehr mit Technikern, Künstlern, Handwerkern;
nicht ohne Ärgernis seiner Umgebung, welche solche Geringschätzung der Etikette mit
einer Unterschatzung seiner Persönlichkeit vergalt, die ihm einmal sogar beinahe
verhängnisvoll wurde. Es war nicht immer leicht mit diesem eisernen Topf zu
schwimmen, diesem seltsamen Kunstfreund, der in den Instrumenten feste Mauern und
Kolonnen zu brechen, und thönerne Töpfe zu drehen und zu bemalen nicht ohne
Erfolg eigenhändig sich versuchte. Er war ein rauher, hochfahrender und leiden-
schaftlicher Herr, ohne Geduld für Widerspruch oder säumigen Gehorsam, obwohl
angesichts des Staatsinteresses Herr über sich selbst wie wenige, standhaft im Unglück
und mafsvoll bei Erfolg. Nur ungern hat der durchlauchtige Mechanikus zur Steuer-
schraube gegriffen ; er hat einmal sein Silber eingeschmolzen und von irdenen Tellern
gespeist.
Vom Hofton abgesehen war etwas wahres in Tizians Won, dass er ihm mit
Leib und Seele ergeben sei. Dafür könnte man auch eine Schöpfung anführen,
deren Motiv ihm wohl ebenfalls der Herzog gegeben hatte, einsam stehend unter seinen
Werken durch Bedeutung, Adel und Feinheit des Ausdrucks und der Formen, wie
durch zarte Vollendung, — geeignet, die Begriffe von Tizians Rang als Künstler zu
erhöhen.*)
Den Zinsgroschen malte Tizian zu Ehren des Spruches, den man auf Goldmünzen
Alfonsos liest.*) Das Wort Quod est Caesaris Caesariy quod est Dei Deo war wirklich
der Text, den dieses Haupt des altguelfischen Hauses der Este gern citieren mochte
als Protest und Apologie seines Lebenskampfes mit drei Statthaltern Christi, um die
Erhaltung seiner Städte und seiner Dynastie. Es war sein »Pallium \ind Palladium«.
Er beherrschte Ferrara als Vicar der Kirche, Modena, Reggio und Este als Vasall des
Kaisers. Als Eidam Alexanders VI war er Julius II verhasst, der ihn zwar zum Gon-
falonier der Kirche machte, dann aber aus Modena und Reggio vertrieb, um diese
Städte in der Folge Maximilian zu überantworten, dem sie Leo X abkaufte, bei dessen
Krönung der Herzog das heilige Panier getragen hatte. Von den Nachfolgern Petri
unaufhörlich bedroht und beraubt, rettete er schliefslich alle seine Staaten durch die
Gunst des Kaisers.")
Wie wenig fällt ins Gewicht, was später der von Ruhm und Ehren (doch nicht
von Gold) gesättigte alte Meister seinem Verehrer Philipp II schickte, verglichen mit dem,
was er damals für den kleinen Herzog von Ferrara übrig hatte!*)
^) Scanelli im Microcosmo p. 223 führt den Zinsgroschen an als Beweis, quanto siano
valevoli per la buona operatione ... gl' impulsi di compiacere al gusto de' piü degni Principi,
i cui.comandi nei soggetti ordinär) operano eccessi, e negli straordinarii miracoli.
*) A. Venturi, La R. Galleria Estense in Modena. 1883. P- 3^-
') Jovius bemerkt ironisch: ut gloriosam triplicis triumphi lauream, si de sacrosancto
hoste triumphare fas foret, meruisse dici possit. Elog. L. VI. Basel 1559, 305.
*) Es liegt kein Grund vor, die Angabe Vasaris und Ridolfis, dass der Zinsgroschen für
Alfons gemalt war, zu bezweifeln, und ebenso wenig, dass es nach 1514 geschah (wieVasari
sagt, aber richtiger ist 15 16, als das Jahr seiner ersten Anwesenheit in Ferrara). Die feine
Ausführung, die Übrigens mit Jan van Eyck oder Dürer wenig gemein hat (man kann sich
zu des letzteren Mal weise wohl kaum einen schärferen Gegensatz denken), erklärt sich aus dem
besonderen Wert, den diese Darstellung für seinen Gönner hatte. Feinheit im Detail stand Tizian
jederzeit zu Gebote, man trifft sie ebenso im Bildnis der Herzogin Eleonore (1537)) und noch
1545 setzt er seine Freunde in Erstaunen durch das ■ miniaturartig« durchgeführte Bildnis
10*
72 TIZIAN UND ALFONS VON ESTE
Kein Wunder, dass er sich bei dem Bildnis dieses seines Gönners besonders ange-
strengt hatte. Über Zeit und Umstände seiner Entstehung hat leider das Archiv der Este
den Grafen Campori im Stich gelassen. Wahrscheinlich aber gehört es in die erste Zeit
ihrer Bekanntschaft, — wenn es im Jahre 1532, wie behauptet wurde, nicht mehr
recht glich. Michelangelo, als ihn sein Weg während der Belagerung von Florenz
nach Ferrara führte (1529 Juli, August), hatte es, wie Aretino in seiner Komödie
La Cortigiana (1534) erzählen lässt, mit Staunen angesehen und gelobt/) und
Lodovico Dolce (der auch den Lohn, 300 Scudi angiebt) lässt ihn sogar sagen, er
habe nicht geglaubt, dass die Kunst so etwas leisten könne, und Tizian allein
verdiene den Namen Maler. Für Buonarrotti, der damals gerade mit Feldherrn-
attituden beschäftigt war, hatte Tizians Herzog vielleicht den Kontrastreiz des ge-
schichtlichen Dokuments, als Ebenbild eines lebenden Heerführers, gegenüber den
selbstgeschaifenen nach dem Kontrapost herausgerechneten, gewaltigen Posen, zu denen
ihm jene Mediceer den Vorwand gegeben hatten.
Von Aretino erfuhr man auch zuerst, dass Karl V. das Porträt mit nach
Spanien genommen habe. Gerade über diese Annexion brachte Camporis Artikel
ebenso umständliche wie kuriose Einzelheiten. Wenn hier noch einmal die nun
schon in die Biographie Tizians übergegangene Geschichte berührt wird, so geschieht
es, weil sich in den Kardinalpunkt, die Wiedererkennung des Bildnisses, ein Irrtum
eingenistet hat, an dessen Berichtigung sich weitere Folgerungen knüpfen.
Es ist in den letzten Monaten des Jahres 1532, wo man Tizian zum ersten
Male am kaiserlichen Hoflager in Bologna antrifft. Wer hatte ihn gerufen? Vielleicht
derselbe kaiserliche Rat, für den er bereits aus der Ferne in Anspruch genommen
worden war und der bei den nun folgenden Verhandlungen die Fäden in der
Hand häh.
»Der Zukunft Augen und den Verstand des Rats« [occhi del futuro e senno del
consiglio) nennt Aretino Granvella und Cobos, beide auch warme Kunstfreunde.
Francisco de los Cobos, Comendador von Leon und secretario supremo des Kaisers,
war eines der fähigsten und einflussreichsten, doch am wenigsten hervortretenden
Instrumente seiner Politik. Er stammte aus einem alten kastilischen Geschlecht, das
seit dem XIV Jahrhundert in der ostandalusischen Stadt Ubeda seinen Sitz hatte.
Während er in Welschland und Niederland mit seinem Herrn herumzog, hat er die
alte, vor mehr als dreihundert Jahren den Mauren abgerungene Stadt nicht vergessen,
bedacht darauf, einst nicht mit leeren Händen zurückzukehren. In diesem für die
Kenntnis des dortigen Renaissancestils wichtigen, wenig bekannten Ort lernt man
selbst heute noch den Minister und seine Verwandten als Bauherren in grofsem Stil
kennen. Man kann Ubeda die Stadt der Cobos nennen. In seiner Kirche S. Sal-
vador, über einem Seitenaltar der Nordseite, steht noch das grofse Gemälde des Sebastian
del Piombo, die Pietas, die ihm Ferrante Gonzaga, Vicekönig von Sicilien, nicht ohne
Mühe von dem faulgewordenen Frate verschafft hatte.') Über dem Hochaltar ist eine
Morosinis (Aretino, Lettere III, 161). Im Malerischen stimmt das Bild ganz mit den um die
Asunta sich gruppierenden Tafeln. Wozu für jede Besonderheit eines Kunstwerkes ein Ent-
wickelungsmoment herausquälen, auch da wo die Gausalerklärung aus dem Gegenstand oder
den Umständen so nahe liegt.
M E lo stupendo Michelagnolo lodo, con istupore, il ritratto del duca di Ferrara translato
da lo Imperadore appresso di se stesso. Atto III. Sc. 8. Lettere I, 257.
') Sebast. del Piombo e Ferrante Gonzaga, von Gius. Campori, in den Atti e Memorie
per gli studi di storia patria per le prov. Moden, e Parm. Modena 1864. 4°.
VON C. JUSTI
73
venezianische Marmorstatue des Knaben Johannes des Täufers, die ihm die Signoria
verehrt hatte. Die Kirche war seine Schöpfung, den Baumeister Pedro de Valdelvira
soll er aus Italien gerufen haben. Ihre Fassade ist ein Prunkstück des plateresken
Stils. Das Altarhaus war für die Grabmäler der Gründer und ihrer Nachkommen
bestimmt. Die für solche Familienkapellen übliche Kreisform wurde mit jener Be-
stimmung auf das Altarhaus übertragen, vielleicht nach dem Vorbild der Annunziata
in Florenz.
Der Staatssekretär hatte Tizians Namen wahrscheinlich zuerst aus dem Munde
des Markgrafen von Mantua, Federigo Gonzaga vernommen. Als ihn in Bologna,
Medaillen des Alfonso I und Ercole II von Este.
im Haus des Grafen Pepoli eine junge Schöne, Cornelia bezauberte und den Wunsch
erweckte, ihr Bild mitzuführen, schrieb Federigo an Tizian, der es aus dem Gedächtnis
zu machen sich getraute. Auch andere Stücke malte er für Gobos: eine Wiederholung
seines hl. Sebastian, ein Frauenbad.
Neben jener Kirche S. Salvador steht sein einst prächtiger Palast, jetzt halb Ruine
und von armen Leuten bewohnt. Im grofsen Saal wahrscheinlich befand sich einst
sein Bildnis und das seiner Gemahlin Maria Sarmiento de Mendoza von Tizians Hand.
Später wanderte es in das königliche Schloss zu Madrid, wo beide im XVII Jahr-
hundert unter den venezianischen Bildnissen der Galeria de mediodia aufgefühn
werden.
Gobos war also wieder an des Kaisers Seite, als dieser im Spätjahr 1532 die
Alpen überschritt, um noch einmal den neue Pläne für die Seinigen in Bereitschaft
haltenden Clemens VII in Bologna zu treffen. Karl V hatte sich diesmal auch für
74 TIZIAN UND ALFONS VON ESTE
andere Dinge Zeit gegönnt. In Mantua, bei Federigo Gonzaga, den er vor zwei Jahren
zum Herzog erhoben, hatte er einen ganzen Monat zugebracht; zwischen Turnieren,
Theater und Jagd verweilte er auch manche Stunde in der Guardaropa, ihre kost-
bare Waffensammlung und die schönen Gemälde betrachtend. Einen besonderen
Eindruck hatte ihm das vor zwei Jahren gemalte Bildnis seines Gastgebers, in Voll-
rüstung, von Tizians Hand gemacht; er soll dabei den Wunsch geäufsert haben, —
oder dem Vorschlag beigestimmt — dem Venezianer auch einmal zu sitzen.^) Man
bezieht hierauf das Billet Federigos an Tizian vom 7. November, worin er ihn dringend
einlädt, sofort nach Mantua zu kommen.*)
Diesen Wunsch zu erfüllen, war nun Tizian nach Bologna gereist. Karl V
wollte aber auch frühere Proben seiner Kunst besitzen, und der Maler wurde über
empfehlenswerte und bekömmliche ältere Stücke befragt. Sollte man wirklich ge-
ahnt haben, dass dies zur Erwerbung guter Bilder seiner Hand der beste, ja einzige
Weg sei, weil er für neue Aufträge, nach Hispanien, vielleicht nur die »Hälfte seines
Geistes« nötig finden werde? Es traf sich, dass im Januar 1333 zwei Gesandte mit
einem politischen Anliegen Alfonsos in Bologna erschienen. Ein Cobos erkennt und
ergreift die Angebote des Zufalls auf den ersten Blick. Er unterbricht gleich in der
ersten Audienz den Vortrag des Juristen Casella, um ein Bildergeschenk für seinen
Herrn in Vorschlag zu bringen. In erster Linie wird allerhöchsten Orts auf des Her-
zogs Bildnis gerechnet.
Der Kaiser hatte dies Bildnis nie gesehen, denn er war nie in Ferrara gewesen.
Aber Tizian hatte davon gesprochen, e cosa bellissima, und vielleicht auch Michel-
angelo angeführt. Und Karl V scheint ein besonderes Interesse an der Person des alten
Herzogs gewonnen zu haben. Er hatte ihn vor zwei Jahren sehr genau kennen ge-
lernt und eben jetzt noch die Reise von Friaul, wohin ihm Alfons mit zweihundert
Rittern entgegengezogen war, nach Mantua in seiner Begleitung gemacht, er war dann
in Modena sein Gast gewesen. Jedoch schon lange vorher, in der Ferne, muss er
in des Kaisers intimstem Kreise eine vielbesprochene Persönlichkeit gewesen sein. Im
Jahre 1526, als er, verfolgt vom Hasse des medicäischen Papstes, der Gefahren seiner
Neutralität inne geworden war,* hatte er dem Kaiser in Granada durch Lodovico Cato
seine Dienste anbieten lassen, und obwohl vom Vater her unter französischer Klientel
und einst ein Gast Ludwig XII, nun sich, seine Söhne und sein Land unter des
Reiches Schutz gestellt. Die Vermählung seines Erstgeborenen Ercole mit des Kaisers
natürlicher Tochter Margarete war damals ausgemacht worden. Aber in den Stürmen
des folgenden Jahres, nach der Katastrophe Roms, als der Kaiser fern war, hatte Lautrec,
der General der französischen Liga zur Befreiung Seiner Heiligkeit, seinen Beitritt zu
dieser Liga erzwungen und Alfons seinen Abfall durch die Verbindung des Thronerben
mit Renata, der Tochter Ludwigs XII besiegelt.
Genau ein Jahr nach der Pariser Hochzeit war das Bündnis zwischen Kaiser
und Papst perfekt und König Franz gab im Frieden von Cambray alle seine italieni-
schen Verbündeten preis.
In dieser schlimmen Lage entschloss sich Alfons, den Stier bei den Hörnern
zu fassen, zum Entsetzen der Seinigen. Er wollte den Kaiser, der mit einem starken
Heer in Genua gelandet war, aufsuchen und persönlich seine Sache führen. Carl V
*) Aretino, Lettere I, 257 (An die Kaiserin, 18. Dec. 1537) . . . nel vederlo raltissimo
Carlo consent!, che rassemplasse [Tiziano] la fatale effigie sua.
*) Bei Crowe I, 456.
VON C. JUSTI 75
hatte die Absicht, seinen Weg nach Bologna, mit Umgehung der estensischen Lande,
in weitem Kreis über Mantua und Finale zu nehmen : Alfons liefs ihn um die Gnade
bitten, Reggio und Modena als seine Städte betrachten zu wollen. Er sorgte überall
für einen Empfang, der ihm Aller Herzen gewann. Er selbst erschien in Reggio in
der kaiserlichen Gegenwan. Der noch nicht dreifsigjährige Monarch, »inmitten einer
feindseligen Welt«, jetzt zum ersten Mal den schwierigen Schauplatz von Italien be-
tretend, wo er keinen zuverlässigen Freund hatte, ^) im Begriff mit dem schwer-
gekränkten Pontifex den Preis der Krönung als König von Italien und Römischer
Kaiser zu verhandeln, erkannte in der unvermuteten Begegnung alsbald die Ge-
legenheit, einen Meister im Schachspiel welscher Politik auszuhorchen. Aufmerksam
folgte er den eindringenden Informationen, den scharfsinnigen und wortgewandten
Erörterungen des in zwanzigjährigem Streit ergrauten Fürsten über das »System
Italiens«, die leitenden Personen und ihr wirres Interessengewebe. Zwar dass der
Räuber Modenas bei der Krönung in Bologna unter den versammelten Fürsten glänze,
das konnte Clemens VII nicht zugemutet werden. Aber es zeigte sich bald — dank
natürlich auch den Goldbächen, die sich in den kaiserlichen Schatz und in die Taschen
der hohen Räte aus den damals wohlgefQllten Truhen des Ferrareser Schlosses ergossen
hatten — dass der Schwiegervater Renatens sich im Kaiser einen zuverlässigen Be-
schützer gewonnen hatte. Wenn er auch seinen Sieg nicht lange überlebte; er starb
bald (wie es zuweilen geschehen soll) nach seinem Todfeind Clemens VII (fünf Wochen)
am 31. Oktober 1534, noch mit der Freude, seinen alten Freund, den Kardinal Farnese,
auf Sankt Peters Stuhl erhoben zu sehen.
Jetzt nun, wo der Kaiser im Begriff stand, Italien zu verlassen, dachte er sich
das Bild des alten Herrn, den er wirklich nicht wiedersehen sollte, mit nach Spanien
zu nehmen.
Als Alfons das Begehren des Staatssekretärs vernahm, stellte er natürlich seinen
Gemäldevorrat zur Verfügung. Cobos erinnene, dass der Kaiser auf jeden Fall das
Porträt haben müsse. Casella scheint gedacht zu haben, der Herzog werde gerade
dieses Stück am wenigsten gern verlieren. Er bemerkte, dass das Bildnis, als vor
langer Zeit gemalt (es mochten wohl fünfzehn Jahre sein), nicht mehr ähnlich sei,
es dürfte also besser eine neue Aufnahme gemacht werden. Diese könne dann, mit
dem Bildnisse des Sohnes Ercole, der dem Kaiser 1530 mit seinem Bruder Hippolyt
in Mantua vorgestellt worden war, nach Spanien geschickt werden. Aber hohe Herren
wollen sofort bedient sein, und es war wohl kein Geheimnis, wie gründlich sich
Tizian Zeit zu nehmen pflegte. Die anderen Stücke, hiefs es, möchten ihrer Zeit nach
Genua abgehen, das Bildnis Alfonsos aber müsse gleich hierher, nach Bologna ge-
schickt werden. Cobos selbst wünschte sehr es zu sehen. Wollte er sich überzeugen,
dass es auch das Original sei? Nach Verlauf einer Woche ergeht eine Mahnung.
Am 23. Januar 1 533 übergeben Alvarotto und Casella das Bild mit einem Brief des
Herzogs.
Cobos war jetzt voll von Liebenswürdigkeiten. Wenn es der Kaiser nun immerdar
vor Augen habe, werde er stets des Herzogs gedenken müssen. Jener liess es wdrklich
schon dort in seinem Zimmer aufhängen. »Was würde der Papst sagen, wenn er
es wüsste«, scherzte Don Francisco. Er konnte sich das vorstellen. Nun schien ja
der kluge Este seine kalten durchdringenden Augen , über der langen Monumentalnase,
tagtäglich auf den Kaiser zu richten. Und die erbaulichen Betrachtungen, die sein
Baumgarten, Leben Karls V. III, 128.
76
TIZIAN UND ALFONS VON ESTE
erhabener Gönner und Zuhörer in Augenblicken der Mufse vor diesem Kunstwerk
anstellen mochte über die Überzeugungskraft groben Geschützes und wohlgefüllter
Dukatenkasten und die Erfolge zähen Willens bei Elastizität der Miuel und augenblick-
lichem Entschluss.
Was ist aus diesem Gegenstand kaiserlicher Kunstbegehrlichkeit geworden?
Vergebens sucht man den Namen Alfons von Este in den Gemälde-Inventaren
von KarlV bis auf Karl den Bourbonen. Sein Bild war nicht unter denen, die den alten
Kaiser dreiundzwanzig Jahre
später in die Einsamkeit von
Estremadura begleiteten. Es
wird in den Palast von Madrid
gekommen sein, und zu Phi-
lipps II Zeit mit so vielen ande-
ren Tizians in den (nicht inven-
tarisienen) Privatgemächem
gehangen haben. Im folgen-
den Jahrhundert, im Alcazar
Philipps IV erscheint aber aller-
dings in der der veneziani-
schen Schule gewidmeten Süd-
galerie das Bildnis eines Duque
de Ferrara, con un perro,
und bleibt da bis zum Tode
Karls II (1666, 1686, 1703 zu
150 Doblonen und 200 Du-
katen geschätzt). Ohne Zweifel
ist dies der im vorigen Jahr-
hundert im Inventar Karls III
aufgeführte »Venezianer mit
einem Wasserhund scherzend«,
— das bekannte Stück der
Pradogalerie, No. 452. Die in
Madrid neuerdings aufgekom-
mene Meinung (im Katalog
von 1828 stand es noch ohne
Namen), ^) dass wir hier ein Bildnis Alfons I vor uns haben, ist seit der grofsen Bio-
graphie Tizians allgemein angenommen worden. Bezeichnet ist es TICIANVS. Ein
junger Mann, barhaupt, in dunkelblauem goldgestickten Samtrock, mit blau und
roter Gürtelbinde, um den Hals einen Rosenkranz, die Linke am Degengefäfs, die
rechte Hand auf einem Hund mit seidenweichen weifsen und hellbraunen Zotten
ruhend. Cavalcaselle nennt das Gemälde ein Zeugnis der aufserordentlichen Kraft
Tizian.
Ercole II von Este.
Original im .Museo del Prado zu Madrid
*) Im Katalog von 1828, No. 746 heifst es Retrato asombroso (erstaunliches Bildnis).
Hoch 1,25, br.0,99 auf Holz. Die Vermutung des neuen Katalogs, dass es ein Geschenk des
Marques de Leganes an Philipp IV sei, ist ganz müfsig.
VON C. JUSTI
77
und Geschicklichkeit Tizians. Das Gesicht, auch die Hände sind retouchiert, doch
nicht so, dass der ikonographische Wert dadurch litte. Das Kostüm, der Hund, sind
fast ganz intakt. Eine Wiederholung war in der Sammlung des Fürsten Kaunitz.^)
Es ist zu verwundern, dass noch niemand die Verfehltheit dieser Benennung be-
merkt hat. Die Züge widersprechen gründlich und durchweg den Medaillenprofilen und
beglaubigten Gemälden Alfons I. Zu den letzteren gehören die Bildnisse in den
Uffizien und in der Galerie zu Modena. Tizian hatte für das weggegebene Meister-
werk einen Ersatz zu liefern versprochen. Zu dem Zweck waren ihm die Insignien
des dem Herzog im Jahre 1528 verliehenen französischen S. Michaelordens durch
Tebaldi übergeben worden. Das Bild wurde erst nach Alfonsos Tode vollendet
(1537) und von dessen Sohn
Ercole »königlicho belohnt.*)
Pigna (in den Romanzi, Ve-
nedig 1554) hatte es gesehen,
»es scheint er lebe noch«. Zu-
letzt erwähnt es Ridolfi (1648).
Sollte es wirklich jenes Tizian-
porträt sein, das Franz von
Modena 1650 dem Grofsherzog
Ferdinand II von Toscana ge-
gen eine hl. Katharina Leonar-
dos überliefs? Von dieser Zeit
an nämlich verschwindet es
in Ferrara.') Die Originalität
des sehr getrübten Uffizien-
bildes ist streitig, aber mit der
Beschreibung jenes Ersatzge-
mäldes stimmt es vollkommen.
Alfons trägt einen Pelzmantel,
den Orden S. Michaels und
lehnt den Arm auf ein Kano-
nenrohr. In ähnlicher Stellung
und mit denselben Zügen sieht
man ihn in dem Dossi zuge-
schriebenen Gemälde der Ga-
lerie zu Modena. *) Hier aber
trägt er Waffenrock, Armschie-
nen und hält in der Rechten
eine Quadrelle. Im Hintergrund ist die Vernichtung der venezianischen Flotte bei
Tizian.
Alfonso I von Este.
Original in den Uffizien zu Florenz.
^) Radiert von W. Ungar im Katalog der Artariasammlung, aufgenommen in Thodes
• Kunstfreund«. Sammelmappe XXIV, 1886. Jetzt bei Frau Andre - Jacquemart in Paris.
*} Dice M. Titiano . . . che poi, che egli ritrasse Principi, non hebbe mai piu real
premio di quello, che gli diede egli della imagine del padre. Aretino, Letterell, 8 (An Nie.
Buonleo 1538).
') Campori a. a. O. 30 f. Dazu passt freilich nicht, dass der Kardinal Hippolyt II 1563
dem Grofsherzog ein Bildnis seines Vaters, wahrscheinlich von Bastianino schenkt. Venturi
a. a. O. 30.
*) Mitgeteilt in Zinkätzung bei A. Venturi 29.
II
78 TIZIAN UND ALFONS VON ESTE
Polesella, am 22. Dezember 1509 dargestellt, mit dem Angriff auf den Brückenkopf,
wo Alfons gezeigt hatte, dass seine Kanonen keine Dilettantenarbeit waren.
Es ist nicht möglich, dass ein Gesicht in achtzehn Jahren sich dergestalt ver-
wandeln sollte. Die Medaillen aber sprechen noch deutlicher. Sie geben von Anfang
an einen Kopf mit harten Zügen und scharfem Profil. Besonders in der langen, an
der Wurzel stark gekrümmten, dann steil herabfallenden Nase mit etwas überhängen-
der Spitze ') ist die Familienähnlichkeit mit seinem Vater Ercole I und mit dem auch
durch die Medaille und das Gemälde Vittore Pisanos (in Morellis Sammlung) allbe-
kannten Profil des Bastards. Lionello , seines Ohms, unverkennbar. Der Unterkiefer
ist energisch gekrümmt und die Unterlippe etwas vorgeschoben. Der Blick ruhig, fest
und kalt; die Stirn von einer Vertikalfalte durchschnitten. Paul Jovius sagt, man
könne den festen Charakter schliefsen aus dem strengen und sehr scharfen Zug dieses
herben Gesichts.*) Muratori nennt sein Äufseres rauh {ruvido).
Kaum dürfte sich ein Kopf finden, der hierzu weniger passt als der des Gemäldes
in Madrid. Es ist ein breites, glattes, regelmäfsiges Gesicht, die kurze Nase mit etwas
vortretender Spitze. Die Brauen, bei jenem lang und eher horizontal, wölben sich
hier in hohen Bogen. Leben und Bewegung ist in der Figur; aber nichts von der
konventionell gebieterischen Haltung, die Tizian offiziellen Porträts regierender Herren
giebt. Statt jener durchdringenden Augen ein etwas vager, wiewohl gutmütiger, zer-
streuter Blick. Dort der soldatische Autokrat, hier der sorglose Lebemann.
Auch die Chronologie widerspricht. Alfons war, als Tizian an seinen Hof kam,
ein Vierziger. Der Madrider Katalog taxiert den Mann auf 30 — 35 Jahre, er kann aber
noch jünger sein, denn der reiche dunkle, doch weiche Bart macht ihn älter. Alfons
hat in jüngeren Jahren, als Gemahl der Lucrezia, auch noch nach seinem Regierungs-
antritt, keinen Bart getragen.*)
Die Bezeichnung »Herzog von Ferrara«. in den Inventaren des XVII Jahrhundens
braucht darum nicht aus der Luft gegriffen sein. Auch das Bildnis des Erbprinzen
Ercole war in Bologna gewünscht worden, und sehr wahrscheinlich nach Genua abge-
gangen. Nachrichten von ihm fehlen fast ganz, aufser der Notiz bei Vasari, dass der
Maler Girolamo da Carpi es für den französischen Hof kopiert hatte.*) Das während
des XVI Jahrhunderts in der Guardaropa der Este bewahrte Bildnis wäre dann eine
Wiederholung jenes ersten Werkes gewesen. — Nach dem was von Ercole bekannt
ist, passt das Gemälde im Prado ebenso gut zu ihm, wie es zu seinem Vater
schlecht passt.
Ercole, geboren 1508, war zur Zeit jener Verhandlungen mit Karl V fünfund-
zwanzig Jahre alt und seit vier Jahren mit Renata von Orleans vermählt. Im Äufseren
wie im Charakter war er seinem Vater sehr wenig ähnlich. Er wird gerühmt als milde.
^) Questo Alfonso fu di statura onestamente grande, di faccia lunga, di aspetto grave
e signorile , ma piu tosto malinconico e severe. Bonaventura Pistofilo , Vita di Alf. I d* Este
in Atti e Memorie di storia patria per le prov. Moden, e Parm. Vol. III, 491. Con naso ho-
nestamente chinato giü in fondo. Giraldi, eil. von Venturi 30.
') Fuit Alphonsus aspectu et natura subausterus. Vita Alfonsi 393. Basel 1559. In
Alfonso..., ut ex severe et peracri oris duciu coniectari licet, et nos vidimus, Ingenium
egregie firmum stabileque et praecellens . . . enituit. Elog. 1. 1.
') Vergl. Litta, Famiglie celebri. D' Este, No. 20 und die S. 73 mitgeteilten Münzen.
*; Girolamo ... ricavö ... la testa del duca Ercole di Ferrara da una di mano di Tiziano,
e questa contrafece tanto bene, ch*ella pareva la medcsima che T originale; onde fu mandata,
come Opera lodevole, in Francia. Vasari XI, 236.
VON C. JUSTI
79
Angelo Bronzino.
Ercole II von Este
(nach Litta le famiglie celebre).
edelmütig, glänzend. Als Regent friedliebend, in der Politik lavierend, hatte er zu
seinem Sinnbild die Allegorie der Geduld erkoren. Wenn dem Alten die humanistische
Erziehung abging, so war Ercole fast ein Gelehrter. Als der Vater nach dem Tode
LeosX sich beeilte, Hadrian VI seine Huldi-
gung darzubringen, sandte er den Vierzehn-
jährigen nach Rom, der durch eine fliefsende
lateinische Ansprache das Konsistorium ent-
zückte. Seine Züge waren einnehmend, die
Statur mehr als mittel, sein Wesen ernst, doch
im Gespräche sich belebend.
In den ikonographischen Dokumenten
erscheint Ercoles Kopf freilich wechselnd, aber
die Unähnlichkeit mit seinem Vater ist in allen
gleich deutlich. Die früheren Münzen zeigen
eine gerade Stirn, eine dünne, mehr oder
weniger konkave, mäfsig vortretende Nase, —
einen Kopf von wenig Kraft. In den Medaillen
späterer Jahre (darunter die Pastorinos) er-
scheint das Gesicht abgemagert, das Profil
fast gedrückt, der Ausdruck wohlwollend,
bisweilen ängstlich.
Dies unbedeutende Profil, das hier in
Ercole II die schrofifen Linien und die scharf-
gekrümmte lange Charakternase seiner streitbaren Ahnen verdrängt, war wohl ein
Erbstück seiner Mutter, der Lucrezia Borgia und ihres verehrten Vaters. Auch der
Charakter Ercoles erinnert an das passive, willenlose Naturell der Tochter Alexanders VI,
in die man freilich neuerdings auch etwas Dämonisches hineindichten wollte, nach
dem wunderlichen Reiz, den die moralischen Monstren der Renaissance auf die Nerven
unserer Modernen auszuüben scheinen. Ercoles Sohn Alfonso II starb kinderlos, und
seine Tochter Lucrezia — deren Profil (ebenfalls von Pastorino) dem des Vaters am
meisten ähnelt — hat ihr Leben mit dem Verrat der eigenen Familie und der Aus-
lieferung der einst glorreichen Stadt ihrer Vorfahren an den römischen Legaten be-
schlossen. Den Fortbestand verdankte das Haus bekanntlich der von der schönen
Laura Eustochia stammenden Nebenlinie.
Das Kniestück im Prado dürfte zu den Schilderungen und auch zu der Er-
scheinung eines mit Geschäften unbehelligten Prinzen stimmen. Neben einem Vater
wie Alfonso hat ein Erbprinz volle Mufse für ein verfeinenes Genussleben. Für dieses
hat er später ein Eldorado geschaffen an jenem Hofe, als dessen soave signore ihn
Aretino preist. Der Blick hat etwas träumerisch Aufgeregtes. Um den Hals trägt er den
Rosenkranz: er war in der Folge ein eifriger Förderer der Kapuziner und Jesuiten.
Statt der Eisenhandschuhe oder Depeschen sieht man auf dem Tisch den wohl-
gepflegten Lieblingshund. —
Das echte Porträt Alfonsos ist also ziemlich sicher verloren, und zwar scheint es,
nach dem Fehlen aller Nachrichten, schon lange vor der Decimierung des königlichen
Gemäldeschatzes durch den Madrider Schlossbrand von 1734 abhanden gekommen zu
sein. Vielleicht aber ist es im XVII Jahrhundert noch, nur unter falschem Namen, vor-
handen gewesen. Im Südsaal kommt nämlich 1636 und 1686 ein Duque de Urbino vor,
von Tizians Hand , con una mano sobre un uro de artilleria (200 Dukaten). Er hing
8o TIZIAN UND ALFONS VON ESTE VON C. JUSTI
da neben Tizians bekanntem Bild des Kaisers in ganzer Figur (Prado No. 453). Da nicht
bekannt ist, dass Tizian einen Herzog von Urbino oder sonst Jemanden mit dem un-
gewöhnlichen Attribut der Kanone gemalt habe, so liegt die Vermutung nahe, dass dieser
verschollene Herzog von Urbino das Karl V verehrte Bildnis Alfonsos gewesen ist.
Dann müsste freilich das Kanonenmotiv schon in dem ersten, ursprünglichen Bildnis
vorgekommen sein. Das ist aber nicht unwahrscheinlich. Vasari nennt bei Anführung
des letztern die Kanone. Alfonso hatte ja bereits vor der mutmafslichen Entstehung
dieses ersten Bildnisses mit seinem groben Geschütz einige damals Aufsehen machende
Erfolge erzielt. Bei der Belagerung von Legnago (1510) entschied die Riesenkanone,
genannt // gran Diavolo. Vielleicht ist das Dossi zugeschriebene Bild in Modena
(wie auch Venturi vermutete) dem ersten Tizianschen nachgebildet. Der Wafifenrock
mit den Armschienen passt besser zu dem Kanonenrohr, als der Pelzmantel des Alters.
Und dass Karl V gerade an dem so inscenierten und konstruierten Bildnis be-
sonderen Geschmack fand, ist ebenso erklärlich, wie nicht recht einzusehen wäre, weshalb
aus dem Pradobildnis (ohne seinen Wert herabmindern zu wollen) damals so viel
Wesen gemacht wurde, sogar von Michelangelo. Dazu scheint es doch nicht be-
deutend genug. ^)
Aber mancher Leser hat vielleicht schon lange mit Ungeduld gewartet, von
dem berühmten und schönen Tizian zu hören, auf dem neuerdings sogar von dem
solchen naseweisen Neubenennungen gegenüber sonst in seiner konservativen Würde
so unerschütterlichen Louvre, durch ein Täfelchen, die Anwesenheit des Herzogs von
Ferrara beglaubigt wird, der Maitresse du Tttien. Dieser galante Kavalier, der im
Halblicht der schönen Laura, bei der Toilette, anstatt der Zofe hülfreiche Hand leistet,
welch erfreulich ergänzendes Pendant bildet er zu dem finstern Kanonier! Eine die
Vielseitigkeit des hochgeborenen Dilettanten mit einem neuen , ungern vermissten Licht
streifende Metamorphose! Freilich müssie Alfons auch noch die Kunst besessen haben,
sein eigenes Gesicht wie seine politischen Masken zu wechseln; oder er müsste dem
Maler Vermeidung jeder Ähnlichkeit eingeschärft haben, wenn er hinter diesem jungen
Mann mit der breiten, hohen, oben vorgewölbten Stirn und der kurzen, eingebogenen
Nase versteckt sein sollte. Auch nach dem Aher passt der Kopf nicht für ihn, der
beim Tod der Herzogin Lucrezia vierundvierzig Jahre zählte, und bei der Geburt
von Laura Eustochias erstem Sohn bereits ein Fünfziger war.
*) Die Stellung und Geberde des Herzogs ist fast genau dieselbe wie in der Hauptfigur
des Holbeinschen Gesandtenbildes in der Londoner Nationalgalerie. Auch die Tracht ist
ähnlich. Holbein malte den französischen Gesandten Dinteville (der auch den St. Michaels-
orden tragt) in demselben Jahre 1 533, wo der Kaiser das Bild des Herzogs erhielt und Tizian
sein Ersatzgemälde begann. Der Sieur de Polizi wird dadurch eine Art friedliches Gegenstück
zu dem herzoglichen Kanonier. Ob diese Ähnlichkeit Zufall ist, wie er bei gleichzeitigen
Werken so oft spielt, ob irgend ein Zusammenhang stattgefunden hat, das wSre müfsig zu
erörtern.
FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER VON PAUL SEIDEL 8l
FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
VON PAUL SEIDEL
SCHLUSS
In meinem ersten Aufsatz im Jahrbuch über Friedrich den Grofsen als Sammler
konnte ich eine Reihe von Briefen des Agenten Mettra in Paris an den König und an
seinen Vorieser de Gatt publizieren, wie sie im Geheimen Staatsarchiv und im König-
lichen Hausarchiv aufbev\rahrt werden. Herrn Dr. Arend- Buchholz in Berlin ver-
danke ich den Hinweis auf eine Reihe von Briefen Mettras an de Gatt in der Biblio-
thek der Göritz- Lübeck -Stiftung in Berlin, die ebenso wie die Briefe im Königlichen
Hausarchiv durch einen Zufall vor der Verwendung als Wurstpapier in einem Schlächter-
laden bewahrt worden sind. Der Stifter und Hüter dieser Bibliothek Herr Göritz ge-
währte bereitwilligst die Möglichkeit, diese Briefe hier zu publizieren, soweit sie sich
auf die Erwerbung von Kunstwerken aus Paris beziehen. Sie bilden zum Teil
eine Ergänzung, zum Teil die Fortsetzung der bereits in meinem ersten Aufsatz abge-
druckten Korrespondenz (vergl. Jahrbuch, Bd. XIII, S. 206 — 212).
Die beiden ersten Briefe beziehen sich auf die beiden angeblich von Raphael
und Gorreggio auf Marmorplatten gemalten heiligen Familien, die zerbrochen in
Potsdam angekommen waren und fUr die der König 60000 L. bezahlen sollte. Sie
reihen sich an den S. 209 (a. a. O.) abgedruckten Brief vom i. September 1766 an und
bezeugen, wie sehr sich der König gegen diesen offenbaren Schwindel gesträubt hat.
Leider erfahren wir nicht, ob der gewandte Pariser durch seine Auseinandersetzungen
schliefslich die Abnahme der Bilder erreicht hat. Wenn sie überhaupt in die Schlösser .
gekommen sind, so haben sie sich nicht erhalten.
Monsieur
Je vois avec la plus vive douleur par la lettre dont vous m'avez honore le 19 de ce
mois que les certificats que je vous ai envoye et qui attestoient la verite et la purete des
deux stes familles du Correge et du Raphael nont pas paru süffisant pour justifier ma con-
duite et mon zele. Les s» Colins, Boileau et Doujeux sont ceuz qui sont regardes ici
comme les plus verses dans la connaissance des grands mäitres et qui ont guide mon pere
dans toutes les acquisitions qu'il a faits par les ordres de Sa Majeste. Ce sont en meme
tems les seuls dont je puisse exiger Tanestation ayant ete appele expressement et ayant
examin^s particulierement ces deux tableaux. Tous les autres peintres et connoisseurs d'ici
qui les ont vus ont donne leurs sufFrages et les auroient signe si je les en avois requis
82
FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
dans le temps, mais il serait difßcile de leur faire
donner un certificat de memoire ce que feront cer-
tainement ceux qui les ont le plus consideres et
dans Tesprk desquels ils sont le plus presents.
Je ne suis point en etat de supporter la perte
du renvoi de ces tableaux qui ont ete brises sans
qu'il y ait de ma faute et qui sont accuses contre
le temoignage de tous nos bons connoisseurs. J*im-
plore de nouveau a ce sujet l'equite de Votre Auguste
Monarque et supplie Sa Majeste de ne me pas rendre
responsable d'evenements que je ne pourois parer,
soit que quelque accident imprevu les ait occasio-
nes, soit qu'ils soient le fruit de Fenvie.
Je dois avoir sous peu la seconde tenture de
Beauvais et les trois lustres de crystal de Roche.
II faudra que je les paye sur le champ: je supplie
Sa Majeste d'ordonner qu*on m'en fasse les fonds;
j'ai l'honneur de vous envoyer le compte de mes
avances dans lequel ces deux articles et leurs frais
d'expedition sont compris. Le tout se monte a
L. 67135.10.
Paris, le 29 jbre 1766.
Standuhr.
K. Schloss zu Berlin.
Ohne Ort und Datum.
Vous me voyez au desespoir, Monsieur, votre
lettre du 19« m*a rempli d'amertume: qui aurait
pense que les 3 hommes qui m*ont toujours eclaire
et procure de bonnes choses dont un a ete Charge
avec son pere du soin des tableaux du Roi et le
second a Tinspection de ceux du duc d'Orleans dont
la galerie est une des plus helles de l'Europe, que
ces trois connaisseurs, dis-je, ne prevaudraient pas
contre celui qui n'a parle probablement contre moi
qu'ä rinstigation de quelques curieux. J'espere tou-
jours en la Justice de votre equitable Monarque,
sous les yeux duquel je vous supplie d'exposer mon
chagrin de voir mes sentiments soup^onnes et en
meme temps mon inquietude que ces tableaux brises
ne me restent sur le corps, parceque ma fortune
ne me permettrait pas de supporier. Sa Majeste
est trop remplie de honte pour detruire en un in-
stant Celle dont eile m'a toujours comble et pour
permettre que mon zele et mes soins eprouvent un
pareil revers. Je ferai en sone d'avoir de nouveaux
certificats, j'aurai des temoignages de Boucher tant
que j'en desirerai, mais comme je dois vous parier
vrai, je vous avouerai que je crains de n*en pas
obtenir d*autres, et il est bien humiliaire pour moi
qu*on en exige apres tant d'annees d'experience du
hon choix que mon pere et moi avont toujours
VON PAUL SEIDEL 83
S9U faire avec les roemes conseils. La raison pour laquelle les peintres de notre academie
ne voudront pas signer c*est qu*il y a de la Jalousie ici tout comme la et qu'ils savent que
je consulte ces trois peintres qui ont toujours fait leur unique etude des anciens tableaux
tandis que les autres artistes n'ont souvent vu que leurs propres ouvrages et ceux de leurs
instituteurs , et ont encore decide il y a peu de temps une copie etre un original et six
mois apres le veritable original encore un original, de sorte qu'il se trouvaient deux origi-
naux parfaitement semblables. D*ailleurs, monsieur, ma fa<;on de bien connaitre le vrai sur
un tableau est de comparer les sentiments des uns et des autres et surtout de ceux qui
n'ont aucun interet a la chose. Je suis sur les epines tant que cette affaire ne sera terminee,
j'aurais tout a craindre de Tenvie vis ä vis de tout autre miitre mais celui que nous adorons
vient de prouver encore en replacant M. de la Hogue(?) qu'il sait la demasquer et qu*il est
aussi eclaire que juste.
Je vous ai sans doute bien ennuye de tous ces raisonnements que je fais fort k la häte
mais qui sortent du plus profond de mon coeur. Pardonnez ä ma loquacite, c*est un objet
bien interessant pour moi, bien plus parce qu*il m'a fait soupconner que pour les vues
d'inter8t puisque j*aurais surement prefere d'avance cette somme teile forte qu'elle soit pour
moi et que mon coeur paraisse tel qu'il est en effet.
Je vous prie de nouveau de me renvoyer les douze Lancrets pour 3000 H. le Bou-
logne servira a en payer les frais de voyage je ferai tout ce que vous me recommandez.
Note d'Envoi d'estampes ä Sa Majeste le Roy de Prusse Par L. F. Mettra de Paris le
18 decembre 1766.
48 Vues de Palais et Maisons Roiales par Rigaud ^) a 24 s. 57. 1 2 s.
12 d^ a 18 • 10 16 »
g 69 ä 8 » 3.12 »
Prov" et Exped" . 6
L. 78
Die folgenden Briefe bilden die Fortsetzung der bereits (a. a. O. S. 208 — 211)
abgedruckten Schreiben Mettras an de Gatt.
Monsieur
J*eus rhonneur le d^ Courier de vous prier de mettre aux pieds du Roy le Compte
de mes avances montant a L. 54313.10 s. et de vous observer que je n'y comprenais pas les
L. 18000 qui restent ä payer sur les Lustres, l'expedition en etant retarde par Tinfidelite du
Mr de Milan qui n'a pas encore fourni tous les cristaux qu*il s'etoit engage de livrer dans
le mois de juin de Tannee passee; je compte cependant pouvoir d'icy k deux mois vous
expedier deux de ces lustres.
La Danse (tun Village N^ 108 du Catalogue du Cabinet de M. de Julienne^) a ete
jugee copie par tous les connoisseurs, encore le tableau etoit-il fendu et presque entierement
repeint, c'est pourquoi je n*ai pas crü devoir en faire l'acquisition, je n'encherirai pas non
1) Jean Rigaud: Maisons royales et autres palais remarquables en France.
*) Dieser und die nächsten Briefe Mettras geben uns noch eine Reihe interessanter
Einzelheiten tiber die Ankäufe des Königs bei der Versteigerung der Sammlung Julienne
(vergl. Jahrbuch a. a. O. S. 204 ff.). Das Bild, Katalog von Remy No. 108 sollte von Rubens sein:
»Une danse dans la campagne; un homme assis sur un arbre joue de la flute; figures de neuf
pouces de proportion.n Holz. H.26, Br.38 Zoll. Das Bild erzielte den Preis von 1361 Francs
84 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
plus sur le tableau N^ 16 mis sous le nom du Correge^) parcequUl n'est surement pas de
ce mattre, il n*en sera pas de m§me de Gerard de Lairesse qui tient un des premiers rangs
dans cette collection. Les Vases et les bron^es que le Roi a choisis sont la plus part tres
beaux et en hon Etat; c*est ce qui m'oblige k suplier de nouveau votre auguste monarque
de donner des ordres pourle payement des L. 54313.10 s. montant de mes avances, afinque
je puisse fournir les fonds de ces acquisitions qui dans de semblables ventes k Tenchere
doivent se payer comptant et sur le chaxnp. . . .
Paris le 13 avril 1767.
Monsieur
.... La grdce que Sa Majeste vient de m*accorder en me donnant le titre de son
agent me penetre de la plus vive reconnaissance et me remplit d*une nouvelle ardeur pour
son Service; vous m'obligerez de me faire part des intentions du Roy sur la conduite que
je dois tenir.
Par un mal entendu heureux pour-moi, quoique Timperatrice de Russie ait donne
ordre qu*on poussät jusqu*ä douze mil francs le tableau de Gerard Lairesse N^ ig4*) il m*a
ete adjuge k L. 9610 et les deux Vases de porphire k L. 13000; je vous rendrai compte des
prix aux quels auront et^ les autres articles que le Roi desire et vous en ferai desuite Tex-
pedition. On ne veut absolument rien rabattre sur les vases dont je vous ai envoye le
dessein pour le prix de L. 16000 j'ay donne mon desistement pour les statues de Pigale.
Paris le 15 May 1767.
Monsieur
J*ay achete k la vente de M. de Julienne'}
les deux vases de Porphire N*> 1260 L. 13000.— s.
celuy 1261 4395-— •
les 2 Tetes antiques 1264 ■999>9 *
le Bronze 12^ 722. — »
L. 201 16.19 s.
Je feray les autres acquisitions que le Roi desire, si leur prix ne surpasse pas leur
valeur reelle. J*implore de nouveau les bontes de notre equitable maitre pour les rentrer
de ces sommes que j'ay pay^ comptants.
Je suis etc.
Paris le 18 May 1767.
Monsieur
J*ay rhonneur de vous envoyer la note des acquisitions que j*ay faites k la vente des
Effets de feu M. de Ju Henne suivant les ordres et pour le compte de Sa Majeste; elles se
^) Katalog von Remy No. 16. »Le Correge: Une femme couchee et endormie, eile est
en partie sur un drap, son dos appuye sur des oreillers; le fond est du paysage.« Leine-
wand. H. 23, Br. 19 Zoll 3 Linien. Das Bild erzielte einen Preis von 2400 Francs.
*) Der Katalog von Remy No. 194 hat keine Erklärung für die Darstellung auf diesem
Bilde, das heute als »Taufe des Achillest in der Gemälde -Galerie der Königlichen Museen
unter N0.481 placiert ist.
') Vergl. Jahrbuch (a. a. O. S. 204 ff.), wo auch der jetzige Aufbewahrungsort der Gegen-
stande bezeichnet ist.
k
VON PAUL SEIDEL 85
montent a L. 40789.19 s. 4 d. Vous aurez vu dans mes precedentes les raisons qui m'avoient
engage a ne pas acheter les autres articles que le Roi avoit indique; Le tableau du Correge^
et ceux de Rubens ont ete juge faux par nos meilleurs connoisseurs et les autres ob}ets
pousses bien au delä de leur valeur par concurrence d'opiniatrete et les maneuvres fort
ordinaires dans nos ventes. Sa Majeste m*a permis d'esperer que ces avances me seroient
remboursees sur le champ, je la suplie d'avoir la bonte de donner ses ordres en consequence.
L*expedition de ces articles sera faite cette semaine; Les marbres et les Brownes partiront
par les premiers vaisseaux qui feront voile pour Hambourg.
Je vous adresserai ces joursci les Livres que le Roi demande, on vient de mMndiquer
une belle pendule ä fusecy si eile me paroit convenable, je la joindrai a mes autres cnvois.
J'ay rhonneur etc.
Paris le 25 Mai 1767.
M. le Duc de Choiseul m*a ecrit une lettre fort obligeante sur le titre que Sa Majeste
Prussienne a daign^ m*accorder et j'ay lieu de croire quMl a ete agreable au ministre. je viens
de demander des passeports pour Texemption des droits de sortie des acquisitions que j*ay
faites pour le Roi
Paris le 5 juin 1767.
Monsieur
Voici le compte de mes avances et envois pour Sa Majeste montant a L 156745. 4 s.>
]*y comprends Tenvoi d*une collection de vases et tableaux dont j'ai trouve Toccasion k bon
compte et que je n'ay pas crü devoir laisser echapper ces objets etant dans le goüt du Roy,
je prends la liberte d'apposer de nouveau a votre Auguste Monarque le besoin de fonds ou
]e suis ayant debourse depuis longtemps une partie de ces sommes.
La Statue de Bachus par Michel ange est celle dont Sa Majeste a agreee le dessein et
m'a ordonnee de faire Tacquisition depuis longtemps.^) J'avais attendu cette occasion pour
Texpedier. Les deux tableaux de Rembrandt sont dans la plus belle couleur de Wandick
(sie) et d'un precieux qui a fait croire a plusieurs connaisseurs que ces tableaux etaient d'un
peintre fiamand qui a surpasse ce maitre et dont les ouvrages sont fort rares. II y a dans
la collection delaquelle j*ay tire ces articles plusieurs autres vases, bron^es et tables richement
omes entr* autres quatre forts vases de grand antique; quatre vases de porphire de m8me
grandeur que ceux du cabinet de M. Julienne et plusieurs vases de Chipolin et autres marbres.
Je crois qu*on en tirerait un meilleur parti en achetant la totalite, j'attendrai les ordres du
Roy la dessus d' apres Tarrivee de cette expedition
Paris le 26 juin 1767.
Monsieur
J*ay rhonneur de vous envoyer la note des caisses contenant des marbres et effets
destines a Sa Majeste Prussienne et que je vous ai expedie sous passeports en franchise des
droits de sortie savoir 18 caisses N<» 78 ä 94 et le No 100 par mer jusqu'ä Hambourg k la
consignation de M» deshous (?) freres et les cinq caisses No> 95 a 99 par terre a la con-
signation de M. Nicolas Herff k Strassbourg et Charles Geyss k Francfort
Paris le 17 juillet 1767.
Vergl. Jahrbuch a. a. O. S. 205.
12
86 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
M. Davila possesseur d'un cabinet tres considerable de raretes de differente genre et
principalement en histoire naturelle qu'il avait d'abord entrepris de former par ordre du feu
Roy d'Espagne est dans rintention de le vendre. M. BemouUi vous en remettra un catalogue
pour mettre aux pieds de Votre Auguste Monarque. II est determine k en faire la vente en
detail, s*il ne se presente personne d*icy au mois d'octobre pour acheter la coUection entiere.
II la cederait beaucoup au dessous de ses debourses, qui sont montes a plus de L. 400000.
Si Sa Majeste etait dispose ä en faire Tacquisition je ferais faire Testimation de chacque article
par des gens connaisseurs en cette partie et en rendrais compte a Sa Majeste afin de regier
les offres qu'elle m'ordonnerait d'en faire. . .
Paris le 24 juillet 1767.
Monsieur
J'ai bien re9u les lettres que vous m*avez fait l'honneur de m*ecrire et je snis penetre
du mecontentemeni de Votre Auguste Monarque sur le retard des trois lustres de cristal de
Roche. Je ne cesse de persecuter le sr Juliot que j'ai Charge de cette entreprise et qui etait
le seul a Paris en etat de la bien executer. Je lui ai fait de nouveau a ce sujet les reproches
les plus amers; voici la lettre qu'il vient de me repondre, je pense que sous deux ou trois
mois il pourra enfin me les livrer.
Le beau lustre de cristal de Roche que je vous avais annonce a ete fracasse par un
accident imprevu; on vient de m'en annoncer un autre auquel il manque encore quelques
ouvrages qu*on pourrait finir avant la fin de Tannee. S'il me parait convenable je Farreterai
sur le champ afin de ne pas manquer cette occasion, le cristal de Roche devenant de jour
en jour plus rare et plus recherche.
J'ai en vue plusieurs pendules ä fusee, vous me ferez plaisir de me marquer dans quel
genre elles pourront plutdt plaire a Sa Majeste et si eile a ete contente du goüt et du dessin,
de Celles que j'ai de ja envoyees.^)
Voici un duplicata de la Convention que |j'ai faite par les ordres du Roi avec les
s« Couston, Le Moine et Vasse pour les 4 statues dont je sollicite tous les jours la prompte
execution; celle de Diane est fort avancee et je compte qu' elles pourront m'etre livrees toutes
quatre bien avant le terme que les sculpteurs ont exiges.*)
Le sr Gaucher travaille aux dessins de treillages que Sa Majeste desire, je fais faire
aussi des dessins de lit que je vous enverrai bientdt.
Paris le 28 Aoust 1767.
Monsieur
J'ai eu rhonneur le 28 du passe de vous donner les eclaircissements que vous m'aviez
demande sur Texecution de differents ordres de Sa Majeste. Voici le devis des ouvrages faits
en treillage dont le s^ Gaucher a envoy6 les dessins au Roi et du Berceau dont le plan est
inclu, j*y ai Joint plusieurs projets de treillages gravis pour faire connaitre combien on peut
varier ces decorations.
^) Von den aus Paris bezogenen Uhren Friedrichs des Grofsen haben sich eine ganze
Anzahl in den Königlichen Schlössern erhalten. Die schönste, ein Möbel allerersten Ranges,
ist diesem Aufsatz in einer Abbildung (S. 82) als Illustration beigegeben, sie besteht aus
Schildpatt mit Boule - Einlagen und Beschlagen von vergoldeter Bronze. Das Zifferblatt ist
gezeichnet: GILBERT • A • PARIS und die ganze Uhr von tadelloser Erhaltung.
*) Vergl. Jahrbuch a. a. O. S. 202 ff.
VON PAUL SEIDEL 87
Le s^ Liottier M*. sculpteur en batiments desirerait consacrer ses talents au service
de Votre Auguste Monarque; voici un dessin pour echantillon de son savoir faire et le me-
moire de ses demandes qui se boment au payement de son voyage et au privilege de tra-
vailler dans les etats du Roi, sans €tre assujetti a aucune maitrise.
Paris le 4 y**"*« 1767.
Monsieur,
La lettre que vous m*avez fait Thonneur de m'ecrire le huit du courant a mis le calme
dans mes esprits, en m'assurant d'un payement a compte que la bonte de Votre Auguste
Monarque me ferait faire ces joursci, s'il avait encore retarde, j'aurais bien ete dans Tem-
barras, mes echeances etant fort pret.
J'ai conclu pour le grand lustre que Sa Majeste desire et en ai arr^t^ un de tres beau
cristal de Roche de trente mille Livres qui sera pr€t ä la fin de cette annee; cette derniere
emplette a epuise tout le cristal qui se trouve maintenant k vendre ä Paris, il y devient plus
rare de jour en jour.
Les dessins de Ut que je vous ai envoy6 precedemment sont les seuls que nous ayons
grave et qui dirigent nos tapissiers pour les former; chacun varie les ornements selon son
goüt, j*en fais faire par un de nos bons dessinateurs en ce genre . . .
Paris le 18 septembre 1767.
Monsieur
J'ai bien re9u la lettre que vous m'avez fait Thonneur de m'ecrire le 12 de ce mois;
M" Splitgerber et Daum m*ont remis L 45086 14 s de la part de Sa Majeste. Je vous pro-
teste de nouveau que le retard des trois lustres me fait la peine la plus sensible, j'ai em-
pioye toutes sortes de moyens pour mettre ä la raison Thomme de Milan et me suis servi
de Targent et de Tautorite, il n*y a pas plus de la faute du fabricant de Paris que de la
mienne, le gd. lustre sera prSt a la fin de Tannee.
Japprends avec plaisir Fheureuse arrivee des tableaux. J'ai ete oblige de prendre avec
les autres ceux qui sont dans le goüt de Rubens^ au surplus leur bon marche fait leur ex-
cuse, c*a ete aussi le prix modique des deux Rembrandt et leur beaut6 qui m*a determin^
k les envoyer, n*ignorant pas que le sujet pourrait n*en pas paraitre assez interessant; les
Boulogney devenant rares de plus en plus, je regarde les cinq que j*ai envoye comme une
collection tres precieuse. Je vous enverrai bientöt le dessin de lit.
Paris le 21 septembre 1767.
Monsieur
J'ai regu avec Thonneur de votre lettre du 14 c^ de nouveaux reproches sur le retard
des lustres. Je vous assure de nouveau, Monsieur, qu'il ne vient en aucune fa9on de ma
faute. Le grand lustre ä 12 bobeches sera pret k la fin de decembre et j*ai lieu d*esperer que
les autres suivront de pres.
Mons. Esperandieu vous remettra un paquet contenant le catalogue des tableaux de
Mons. le duc de Noailles qui doivent se vendre au commencement de Thyver et celui du ca-
binet de M. de Merval qui a mis en marge les prix qu'il y a fixe. II y aura certainement
beaucoup de rabais a esperer s'il s'y en trouve qui plaise a Sa Majeste, je n*en ferai Tacqui-
sition qu*apres en avoir fait faire le plus severe examen par nos premiers artistes parceque
je doute beaucoup de la verite de plusieurs articles capitaux que j'ai soigneusement examines . . .
Paris le 28 7*»"« 1767.
88 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
Monsieur
J'ai eu l'honneur de vous envoyer le dernier Courier don^e dessins de lits de diverses
sortes dans le goüt de ceux qui sont executes dans les maisons Royales. Je vous priais de
les menre au pieds du Roi ainsi que les assurances respectueuses du zele avec lequel je sol-
licite le fabricant des trois lustres depuis longtemps. Je joins ici la copie de la Convention
par laquelle il s*etait engage a les fournir k la ün de Tannee d^*^. Je lus dois la justice que
ce retard vient uniquement de la mauvaise foy du s''. Cataneo de Milan dont il m'a com-
munique toute la correspondance et de Timpossibilite de trouver ici des pierres qui puissent
remplacer celles que le M''. italien doit envoyer, on les attend de jour en jour. Comme il-
faudra que je paye comptant ä la raison les L. 18000 qui restent dus sur ces lustres ainsi
que le prix du grand lustre qui doit 8tre pr8l a la fin du mois prochain j'implore de nou-
veau la bonte du Roi pour un payement ä compte des avances dont je vous ai envoye la note.
Paris le 20 gbr« 1767.
Paris le 30 gbre 1767.
Monsieur,
J'ai eu l'honneur de vous demander par ma derniere lettre les ordres du Roi pour
quatre vases de phorphire beaucoup plus grands et mieux travailles que ceux que j'ai achete
cnez M. Julienne. Les connaisseurs trouvent tres mediocre le prix de L. 36000 que Ton
en exige.
On commence dans deux ou trois jours la venie de M. D'Aviiler qui durera fort long-
temps, M. Bernouilli doit vous en avoir remis le catalogue.
Monsieur
J'ai bien re9u Thonneur de votre lettre du 12 ct. J'aurai de la peine ä faire consentir
le tapissier que je vous ai propose k rabattre des trois müle livres d'apointement qu*il de-
mande^ son intention est de mener un eleve avec lui. Je trouve un jeune homme qui se con-
tenterait de deux müle livres par an, il a beaucoup de talent, mais je pense que le premier
conviendrait beaucoup mieux tant par son merite personnel que par son experience. Je vous
rendrai la dessus un compte plus exacte par le p®*" Courier.
Je vous prie d'observer que dans les dessins que je vous ai envoyes les lits sont re-
present^s en parade avec leurs courtepoints et soubassements, en les depouillant de ces orne-
ments, ils sont comme les autres, les doubles coussins ne sont que pour la symetrie.
Les vases de porphire que je vous ai proposes pour L. 18000 la paire, ne paraissent
pas chers k nos connaisseurs puisqu*ils sont du double plus grand que ceux que j'ai achetes
L. 1 3000 k la vente de M. de Julienne et beaucoup plus charges de travail. Peut^tre en pre-
nant les quatre vases en argent comptant pourrai-je obtenir quelque rabais.
Je vous expedierai le grand lustre de cristal de Roche sous huit jours, je ne merite
pas les reproches que vous me faites sur le retard des trois autres; il me chagrine extreme-
ment, je n'epargue aucune soin et aucune demarche pour en hater la confection.
Tri remis a la veuve Pellochet ses deux tableaux qui me sont bien parvenus. La v^
Adam ne cesse n'y sollicitations n'y ses importunites . . .^)
Paris le 4 Janvier 1768.
Paris le II Janvier 1768.
Tai eu Thonneur de vous ecrire le 4 du courant et de vous prevenir de la prompte
exp^dition du grand lustre de crystal de Roche. Je puis enfin vous Tannoncer; ma premiere
vous en remettra la note.
1) Vergl. Jahrbuch Bd. XIV. S. 107.
VON PAUL SEIDEL 89
Je vous prie de mettre aux pieds de votre adorable maitre le paquet cyjoint, dans
lequel je supplie Sa Majeste d*ordonner qu*il me soit fait un payement. Les engagements que
j*ai pour le mois prochain, auxquels le payement du grand lustre me rend fort diflicile de
satisfaire, doit excuser la liberte de ma demande. Tenvoye ä Sa Majest^ la note de 8 grands
vases de porphire qu*on veut vendre 60000 H. ; les quatre vases dont je vous ai parle pre-
cederoent y sont compris, on les reduit au prix de 32000 Yi.
Je compte que les 3 lustres de crystal de Roche dont le delai me cause le chagrin le
plus vif, pourront m'etre livres vers le mois d'avril. Je n'ai pu encore entamer de negotia-
tions sur les 4 tableaux en question, le S. de Merval ne devant revenir de son voyage qu'au
commencement de fevrier.
Paris le 15 janvier 1768
Monsieur
La pendule que je vous ai propose cy devant ne m'ayant pas pani convenable apres
un examen plus particulier, j'en ai decouvert une autre dont je vous remes inclu le dessin;
eile est entierement neuve, les circonstances et le besoin d'argent comptant de celui qui veut
la vendre la fönt avoir pour 8000 L. Je vous prie de me faire passer le plus tot possible les
ordres du Roi a ce sujet et de me renvoyer le dessin si Tintention de Sa Majeste n'etait pas
d'en faire acquisition.
Ein Zettel von Mettras eigener Hand und von demselben Tage (ohne Unterschrift).
Paris le 15 Janv. 1768.
Mille et mille compliments fort k la häte. Par des circonstances particuliers un de
nos seigneurs se determine a vendre 3 süperbes lustres de crystal de Roche. Ils revien-
draient a environ 36 ou 40000 L. chaque avec les reparations, mais ils] seraient bien plus
forts que le grand que j'ai envoye il y a 2 ans. Comme il faul saisir le moment et qu*on
m'en propose encore un dans une autre grande maison, je vous prie de me marquer les
intentions du Roi dont je defendrai les inter§ts en cette occasion avec le zele que j*ai voue
k cet adorable maitre.
Paris le 25 Janv. 1768.
. . . Les statues de Venus et de Diane sont tres avances et pourront eire pretes sous
quatre k cinq mois; si Sa Majeste Tordonne j'en ferai sur le champ l'expedition. Les sculpteurs
desireraienty que les quatre qui doivent faire pendants partissent ensemble, mais les figures
de Mars et ApoUon ne pourront 8tre finies que vers la fin de cette annee. Les sculpteurs
charges de ces ouvrages me demandent le payement du troisieme k compte de L. 1200. . .
Je supplie Sa Majeste de me faire passer des fonds pour cela.^) Si eile a la bonte d'ordonner
le payement de mon compte montan t a L. 136442 5." cette rentree me mettra k portee
de faire cette avance
Les habiles sculpteurs d'icy se trouvant maintenant fort employes, il serait fort difücile
d*en determiner un a remplir la place du sieur Sigisbert a moins d'avantages considerables,
je vous rendrai compte le prochain Courier de mes demarches a ce sujeL Je compte toujours
que les trois lustres de cristal de Roche pourront m'etre livres d*icy a trois ou quatre mois,
mes soUicitations pour les häter sont toujours aussi vives.
Le s'- Polv^ot Tapissier est dispose a partir ces jours icy pour vos cantons soit que
Sa Majeste lui accorde une pension, soit que chacun de ses ouvrages lui soient payes; il
emmenera un camerade avec lui.
^) Es handelt sich um die vier Statuen von Vasse, Lemoine und Constou le jeune in
der Bildergalerie von Sanssouci vergl. Jahrbuch Bd. XIII S. 202 ff.
90 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
Paris le 29 Janvier 1768.
. . . Les 3 grands lustres dont je vous ai pade sont enfin achete j*en ai paye une partie
et donnerai le surplus sous peu de jours^ jugez comment va ma caisse puisque que avec
le crystal qu'il faudra acheter pour les rassortir et completer en les remontant ils reviendront
a 120 000 fi environ les trois, j'ai emprunte cette somme. Comme j'attends le payement que
le Roi ni*a fait esperer pour Fevrier et Mars j'ai pris des engagements vers ce temps. Je
vous supplie de m'appuyer un peu au reste je sais que votre amitie vous parle toujours
d'avance en ma faveur; si je pouvais toucher Vs ^^ ii^on compte le mois prochain et le surplus
en Mars je serais bien satisfait. Vous me trouverez peut-etre imprudent d*avoir achete ainsi
ces 3 lustres sans ordres mais quand vous saurez que la principale boule pese pres de 12 livres
et que les pendeloques vont de 8 ä 10 et 11 pouces, vous comprendrez que de setnblables
morceaux ne sont jan^ais ä Charge. D'ailleurs il y a impossibilite reelle et phisique de trouver
encore a Paris semblable collection et j*ai pense remplir les voeux de notre adorable maitre
en saisissant cette occasion que j'aurais manque en tardant un peu. Ils seront prets et tous
remontes sous 2 mois.
Paris le 12 fevrier 1768
J'ai bien re9u les deux lettres que vous m*avez fait l'honneur de m'ecrire le 26 passe
et premier courant. Je vous expedirai les 3 grands lustres sitöt qu'ils seront remontes; ils
reviendront ä L. 1 20000 ... et seront beaucoup plus garnis chacun que le beau lustre de
Versailles qui a coute L. 60000, les principales pieces ont 8 et 9 pouces de longueur celui
de Versailles n'en a pas qui ayent plus de 6 pouces
J'apprends avec la reconnaissance la plus respectueuse Tordre que Sa Majeste vient
de donner qu'il me soit paye un ä compte le premier de Mars. Cette nouvelle marque de
bonte m'en hardit k la suplier de m'en faire payer un autre au p«' may, aftnque je puisse
satisfaire aux engagements que j'ai contractes, ma fortune et mon credit etant entierement
devoues ainsi que ma personne au service de cet adorable maitre, j*attendrai le mois de Juin
pour le payement de la Pendule et des 3 grands lustres. Si Sa Majeste m'ordonne de faire
l'avance du montant des 8 grands vases de porphire je n'aurai besoin de ces fonds que dans
le mois de j^^ au moyen des payements qui me seraient faits dans les mois de mars,
may et Juin.
Les deux statues de Pigale sont encore a Paris, on ne pourra les avoir a moins de
L. 36000 . . .
Paris le 26 fev. 1768.
Je m'apper9ois par la lettre que vous m*avez fait l'honneur de m'ecrire le 14 du courant,
que vous aviez mal compris la proposition que je vous ai faite le 15 du mois passe des
trois lustres de cristal de Roche pour le prix de L. 40000. On me demandait cette somme
pour chacun des lustres, et j'ai eu peine ä obtenir en achetant les 3 que le prix de la re-
paration et du remontage y fut compris. Ces 3 lustres revenant ensemble ä L. 120000 ...
sont a tres bonmarches vu la beaute du cristal et la grandeur de pieces dont la plus part ont
8 et 9 pouces de longueur. Chaque lustre aura environ 6 pieds et 5 pieds Va de haut et est
termine par une forte boule. Un seigneur d'ici qui malgre le secret avec lequel cette acqui-
sition s'est faite en a ete instruit vient de me faire proposer de lui ceder ce marche. Ca
satisfaction que j'eprouverais si cette emplette etait agreable k Tauguste monarque que nous
servons ne m'a pas permis d'ecouter ces soUicitations. Ces lustres seront pret d'ici 4 2 ou
3 mois, j'attends les ordres du Roi a ce sujet. Je puis enfin compter que les 3 lustres de
cristal qui devaient m'€tre livre depuis si longtemps seront pret dans le mois d'avril prochain.
VON PAUL SEIDEL QI
Paris le ii Mars 1768.
J'ai rhonneur de vous adresser le memoire des demandes du sieur Berruer sculpteur
du Roi et de TAcademie royale de Paris; il a ete eleve du S. Michelange Slodtz qui en
faisait beaucoup de das et m*en a souvent parle avec les plus grands eloges.
Le sieur Poli^eau tapissier est parti il y a Sjours pour se rendre en votre viile; je
lui ai compte L. 600 . . . pour les frais de voyage. II est convenu de travailler pour le Ser-
vice du Roi Sans aucuns appointements et 4 condition seulement que les ouvrages lui seront
payes suivant le tarif usite, c*est un fort bon ouvrier et qui a toujours travaille ici dans les
maisons royales.
J'attends les ordres du Roi pour les 3 grands lustres, un seigneur d'ici desirerait
prendre au moins les deux moins considerables, je ne deciderai rien avant de conntitre les
intentions de Sa Majeste. Le grand seul reviendra a L. 60000 ..., je vous repete qu'il est
compos^ de pieces beaucoup plus grandes et plus belles que le fameux lustre de Versailles,
il sera monte dans le m8me gdut sur une carcasse en forme de branches de Palmiers. Je
compte toujours avoir les trois petits lustres a la (in du mois prochain.
Paris le 14 mars 1768.
J'ai eu rhonneur de vous ecrire le 11 de ce mois et de vous donner avis du depart
du si* Polizeau tapissier. Vous y aurez vu que le plus grand lustre de cristal de Roche
reviendrait k L. 60000 ... et qu^un seigneur d*ici me sollicitait vivement pour lui ceder
les deux autres.
La belle Pendule est partie dans les caisses S. M. P. No. 1 et 2, eile revient avec les
frais d*emballage et de douanes a L. 8860 . . . Recommandez je vous prie les plus grandes
'precautions pour la debaler et faites observer qu'il y a une paire de bras k deux branches
qui sevissent au chapiteau de la Pendule.
Paris le 18 mars 1768.
Le besoin d*argent d*un de nos seigneurs me met a portee d'avoir deux des plus
beaux tableaux qui soient connus a Paris; Tun de Carle Maratte de 4 pieds Vs ^^ ^^^t sur
3 et V, de large, ste famille de 7 figures de meme proportion que celle du Guide que j*ai
envoye au Roi il y a trois ans. Ce tableau est tres bien conserve et n'a jamais soufTert de
reparation. Le Roi m*avait ordonne de faire Tacquisition d*un pareil tableau annonce de
Carle Marane a laVente du M. Peilhon, je ne Tai pas fait dans le temps ce tableau etant
la copie de celui que je propose.
L*autre du Poussin de 6 pieds de haut sur 8 de large representant AppoUon qui
couronne Virgile en tout 5 figures grandes comme nature dans un beau paysage. Ce tableau
est le plus Capital de ce maitre qui soit en France il est pareillement dans toute sa purete
et fraicheur.
On aura ces deux tableaux pour 25000 R Les mesures sont prises sans les bordures.
J*ai re9u les lettres que vous m'avez fait l'honneur de m^ecrire les 7 et 12 de ce mois.
Les trois petits lustres de cristal de Roche partiront k la fin du mois prochain, j'aspire bien
apres le moment oü je pourrai vous annoncer qu'ils sont en route.
II est tres vrai qu'on m*a sollicite vivement et offert cinq cent Louis de benefice pour
ceder le märch^ des trois grands lustres, mais jamais Tinteret ne m*a conduit et je n'ai ete
porte a cette acquisition que par Tenvie de procurer k Notre adorable mattre ces süperbes
morceaux que j'ai cru entrer dans ses vues de magnificence.
Paris le 25 Mars 1768.
g2 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER
Paris le 4 avril 1768.
J*ai bien regu Thonneur de votre lettre du 14 passee et penetre des bontes dont eile
me porte des nouvelles marques de la part de notre adorable maitre je volerai a ses pieds
suivant les ordres le 10 de Juillet prochain.
Ces trois lustres seront certainement pr8t a la fin de ce mois et je compte que les
3 autres grands Lustres pourront partir vers le meme 'temps. J'apprend avec bien de la
peine que celui qui vous est parvenu n'a pas ete trouve assez beau pour le prix puisque la
rarete et la valeur du Cristal augmentant de jour en jour on ne peut se flatter d'en trouver
dorenavant ä moins de sommes tres considerables.
Paris le 15 avril 1768.
Vous aurez vu par mes precedentes que les 3 lustres de Cristal de Roche commandees
depuis si longtemps seront expediees avant un mois, je crois que les 3 grands lustres pourront
partir dans le meme temps.
Paris le 25 avril 1768.
J'ai eu l'honneur de vous ecrir le 22 courant. Le sculpteur Berruer ne veut point se
determiner aux memes conditions que le S. Sigisbert mais lui ayant observe qu*il etait de-
Charge des frais d'ouvriers qui sont pensionnes du Roi il m'a demande quelques jours pour
faire de nouvelles reflexions ; je vous en rendrai compte le prochain Courier
La vente de la belle coUection de tableaux et de livres qui a laissee apres son deces
M. de Gagnat millionnaire de cette ville doit se faire dans le mois de novembre prochain.
sitöt que le catalogue paraitra je ne manquerai pas de vous Tadresser.
Paris le 29 Avril 1768.
J'ai re9u la lettre que vous m'avez fait Thonneur de m*ecrire le 19 du passee avec de
nouveaux reproches pour le retard des trois petits lustres. je crois ne pas pouvoir douter
qu*ils me seront livres avant quinze jours et vous en ferai sur le champ Fexpedition.
J*ai l'honneur de vous envoyer le memoire du sculpteur Berruer, je Tai retourne de
bien des manieres et je ne crois pas qu'il se determine a des conditions plus modiques.
Je dois vous observer d'ailleurs que les bons artistes sont tres employes ici et que les avan-
tages considerables qu'on donne a quelquesuns d'eux dans plusieurs cours etrangers montent
fort haut les pretentions des autres.
Paris le 23 Mai 1768.
Vous aurez vu dans la lettre que j'ai eu l'honneur de vous ecrire le 16 du courant
qu'un nouvel accident arrive a quelques pieces des lustres avait occasionne un nouveau retard
par le temps qu'il fallait pour les retailler. II semble qu'il y ait une fatalite desesperante
attachee a cette commission. J'espere positivement cette fois que le premier Courier vous
annoncera leur depart.
Paris le 6 Juin 1768.
J'ai bien re9u la lettre que vous m'avez fait l'honneur de m'ecrire le 2 1 du pee. Je vais
demander les passeports pour l'envoi des trois lustres dont 2 sont enfin prets et le 3^ ne
tardera pas a l'^tre. Je vous expedirai en meme temps 3 des tableaux que Sa Majest^ m'a
VON PAUL SEIDEL 93
ordonne d'acheter du Cabinet de M. de Merval et dont je n'ai pu faire Tacquisition plutot
k cause de son absence de cette ville. Tai pris le temoignage des meilleurs connaisseurs de
notre Academie dont je porterai le certificat. J'ai pense qu'ii serait plus avantageux au Roi
que je fis Tacquisition de ces tableaux a la main que de subir le sort de la vente oü Tin-
trigue et la cabale les fönt monter ä des prix enormes . . .
Les reproches vifs et amers que vous me faites sur Tenvoi des lableaux me penetrent
jusqu'au fond de l'äme. Vous devez avoir note, monsieur, que vous me donnates ordre de la
part du Roi il y a 6 ou 9 mois d'acheter les 2 tableaux de Carrache et le Correge avec deux
autres qui ne se trouverent pas des maitres indiques. J*ai cru marcher surement dans cette
acquisition en me guidant par la voix des connaisseurs et des academiciens les plus estimes,
il serait bien malheureux pour moi que celle de mes ennemis prevalut. Un curieux de Paris
m'a propose d'acheter le Correge ainsi je le lui enverrai. Le Raphael et les autres tableaux
ne se sont trouves dans cet envoi que parceque pour avoir le Carrache j*ai ete oblige de
m'engager a les faire voir au Roi et puisqu'ils ne plaisent pas k Sa Majeste je les renverrai
sur le champ. Je vous supplie uniquement de representer a Sa Majeste qu*elle m'avait donne
ordre de pousser le Carrache jusqu'ä 34000 L. si les examinateurs Tapprouveraient. Ils Tont
fait de la maniere la plus pieuse et la plus authentique et le tableau ne coute avec celui qui
represente une femme nue et un Satire et celui dont le sujet est le triomphe de Bachus que
26000 L. Cette difference de prix me laissait esperer que Sa Majeste approuverait mon zele
ardent et respeciueux pour ses interets. Je vous prie, monsieur, d*en mettre a ses pieds Thom-
mage et de reclamer en ma faveur son equite et sa justice. Le nom ecrit sur le tableau du
Carrache est celui du sujet Caia Cornelia avec le chifiTre de maitre.
Les trois lustres qui viennent d'arriver ont ete fait exactement sur le dessin qui m'a
ete envoye et dans les proportions prescrites. Sa Majeste trouvera ici ä son retour de Silesie
le grand lustre de cristal de röche.
Berlin le 5 Aout 1768.
Berlin le 22 aout 1768.
Monsieur
Attriste et penetre des reproches vifs que vous ne cessez de me faire sur l'envoi du
tableau du Carrache que j'ai achete d* apres les ordres precis de Sa Majesti, j*ai pris la liberte
de me prosterner devant eile pour reclamer son equite en cette occasion. J'ai mis a ses pieds
Tassurance des temoignages que tous les connaisseurs ont rendu a Foriginalit^ et a la beaute
de ce tableau, depuis plus d'un siecle qu'il tient une premiere place dans les plus celebres
galeries de Paris et entr'autres dans celle du cardinal Mazarin. Je vous ai remis, Monsieur,
le certificat que m'en ont delivre les s" Boucher et Vien peintres de la plus grande integrite
et de la premiere consideration; vous devez d'ailleurs vous rappeler que vous m'aviez fixe de
la part du Roi le prix de 34000 L. pour le Carache seul; j'avais donc lieu d'esperer que Sa
Majeste approuverait mon zele et mes soins que me Tont fait obtenir a 26000 L. avec un
Schiavone et un Rubens que Sa Majeste avait aussi choisis.
Sa Majeste a daigne m'assurer ä Charlottenbourg qu*elle vous donnerait des ordres
pour mettre cette affaire en regle et m'indiquer les arrangements que je dois prendre pour
le payement avec le vendeur qui attend mon arrivee ä Paris pour exiger de moi la realisa-
tion du billet que je lui ai fait.
13
94 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES
XV JAHRHUNDERTS
VON PAUL KRISTELLER
Seitdem die Aufmerksamkeit der Forscher und Sammler sich den kleinen ßlättchen
mit Abdrücken von Gravierungen, die man im Sprachgebrauche der Sammler »Niellen«
nannte, zugewendet hat, ist denselben in der Litteratur und besonders auf dem Kunst-
markte eine stets wachsende Wertschätzung zu teil geworden. Nicht allein ihre grofse
Seltenheit veranlasste die Erzielung hoher Preise auf den Auktionen und im Handel,
sondern auch die künstlerische Vollendung vieler dieser Blättchen, die zu dem AfFektions-
wert einen wirklichen ^unstwen hinzufügte. Kann doch mit vollem Rechte eine grofse
Anzahl der »Niellen« zu dem Feinsten und Anmutigsten gerechnet werden, was je der
Grabstichel hervorgebracht hat. In ihren besten Leistungen steht die Niellotechnik
ganz auf der künstlerischen Höhe, welche die italienische Goldschmiedekunst in der
zweiten Hälfte des XV JaHrhunderts erreicht hat.
Allerdings war es nicht allein, vielleicht sogar nur in geringem Mafse der Kunst-
wert der »Niellen«, der die Forscher und Sammler veranlasste, mit solchem Eifer die-
selben zu studieren und zu sammeln: Mit den Papierabdrücken von Nielloplatten (den
Abdrücken, die vor dem Einschmelzen der Niellomasse in die eingegrabenen Linien der
Zeichnung von der gravierten Platte genommen worden sind) setzte man seit Zani,
gestützt auf die Erzählung Vasaris, die Erfindung der Kupferstich-Abdruckstechnik in
Verbindung. Man sah die Bedeutung der Nielloabdrücke fast ausschliefslich in dieser
ihrer Beziehung zur Erfindung des Kupferstiches, suchte den Hergang zu rekonsiruiren,
die Lücken in der Überlieferung auszufüllen die Unklarheiten und Widersprüche der-
selben zu beseitigen und zu erklären. Über dem allgemeinen Gesichtspunkte ver-
nachlässigte man das Einzelstudium der Kunstwerke selber und war in der That ja
auch ohne Hülfe der photographischen Reproduktion überhaupt nicht im Stande, eine
eingehende Untersuchung und Vergleichung der erhaltenen, in den verschiedenen
Sammlungen zerstreuten, zum Teil auch jetzt noch verborgenen Nielloabdrücke vor-
zunehmen.
Man hat bisher durchgehends die »Nielli« als eine Gruppe für sich ausschliefslich
im Hinblicke auf die Erfinderfrage behandelt, ohne zu versuchen, ihr künstlerisches
und technisches Verhältnis zu unserem Vorrate von italienischen Kupferstichen des
XV Jahrhunderts, der freilich auch jetzt noch unvollständig genug bekannt ist, fest-
zustellen. Von den »Niellen«, von Finiguerra pflegt die Betrachtung in einem Sprunge
auf Baccio Baldini überzugehen, dessen Bekanntschaft wir aber, ebenso wie die Fini-
guerras leider ausschliefslich der schriftlichen Überlieferung verdanken.
VON PAUL KRISTELLER 95
Die gesamte bisherige Litteratur geht von der Vasarischen Erzählung über die
Erfindung des Kupferstich - Abdrucks durch Finiguerra aus, sucht sie als richtig zu
erweisen oder polemisiert gegen dieselbe, oder sucht die Darstellung zu interpretieren.
Sie ist durch diese Stellungnahme von vorn herein voreingenommen und hat den
gröfsten Teil ihrer Aufmerksamkeit und ihres Scharfsinnes den Kunstwerken selbst
entzogen.
Ich glaube, nur wenn man vorerst von der Vasarischen Tradition ganz absieht
und die erhaltenen Monumente ohne vorgefasste Meinung gründlich studiert, wird
man etwas Klarheit in diese wichtige aber Äufserst verwirrte Frage zu bringen im
Stande sein.
Schon die Fragestellung, die man der Untersuchung zu Grunde legte, scheint mir
durchgehends eine unrichtige, zu enge gewesen zu sein. Man fragte: IstMaso Finiguerra
der Erfinder der Technik des Kupferstich - Abdrucks in Italien gewesen? oder haben die
Italiener diese Kunst von den Deutschen tiberkommen? Ist Vasaris Erzählung richtig
oder nicht? Der Nachweis von deutschen Kupferstichen, die vor dem Jahre der an-
geblichen Erfindung Finiguerras entstanden sind, nimmt an sich der Vasarischen Dar-
stellung noch gar nicht die Glaubwürdigkeit; und wenn auch die Unhaltbarkeit der
Vasarischen Angaben erwiesen ist, bieten sich doch noch andere Möglichkeiten des
Ursprunges des italienischen Kupferstiches als gerade die direkte Entlehnung der Technik
aus Deutschland.
Derartige traditionelle Erzählungen von Erfindungen haben stets denselben
Charakter wie die Erzählungen von der Geburt der Helden; wie diese stets ein Wunder
in Mitwirkung setzen, dem der Held sein Dasein oder seine Rettung verdankt, so
supponiert jene stets einen Zufall, der den Entdecker in einem einzigen Momente die
Erfindung machen liefs. Die Tradition konzentriert alles, was sie weifs, mit allen den
Irrtümern, die durch die mündliche Überlieferung wie von selbst entstehen, auf die
Person, die am meisten hervorgetreten, deren Name am öftesten dabei genannt worden
ist, eliminiert alles, was nicht in eine epitomatisch- novellistische Darstellung sich ein-
fügen lässt, und macht aus der Geschichte eine Dichtung.
In Wirklichkeit aber werden Erfindungen nicht entdeckt sondern gefunden, ge-
funden nach langem Suchen, vielen Versuchen; Erfindungen werden stets in dem Zeit-
punkte gemacht, in welchem ein dringendes Bedürfnis nach ihnen, den Zeitgenossen
bewusst oder unbewusst, sich geltend macht. In solchem Zeitpunkte lenken sich die
Gedanken, das Forschungsbemühen vieler zugleich an verschiedenen Orten auf den
einen Punkt und mehr oder weniger vollkommen, mit mehr oder weniger grofsen Ab-
weichungen kommen viele unabhängig von einander auf den gleichen Gedanken.
Nicht die Druckerkunst hat den geistigen Aufschwung im XV Jahrhundert ver-
anlasst, sondern das Bedürfnis nach Mitteilung fand in dem Buchdruck seinen Helfer
und Diener.
Der Abdruck gravierter Metallplatten ebenso wie lange vorher der Abdruck von
Holzschnitten und kurz nachher der Typendruck, Erfindungen, die so nahe liegen,
dass eben nur das Bedürfnis nach ihnen sich fühlbar zu machen braucht, um sie
entstehen zu lassen, diese Erfindungen sind fraglos um die gleiche Zeit an verschiedenen
Orten unabhängig von einander gemacht worden, in mehr oder weniger grofser
Vollendung der Technik, in mehr oder weniger lebensfähiger Form.
Ich meine, wir müssen alle Versuche die »Erfindung« des Kupferstiches dem
einen oder dem anderen Lande zuzuweisen oder abzusprechen, wie das bisher, häufig
tendenziös und unsachlich genug geschehen ist, aufgeben und bei der Betrachtung der
«3*
i*^
96 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
Entwickelung der Kunst in dem Lande allein, um das es sich hier handelt, stehen
bleiben und vielmehr die Denkmäler dieser Kunstgattung in ihrer Entwickelung und
in ihrem Zusammenhange mit einander und mit der Kunst des Landes überhaupt
beobachten.
Wir haben also nicht zu fragen: hat Finiguerra den Kupferstich erfunden? oder
haben die Italiener diese Technik von den Deutschen gelernt? sondern wir haben
vorerst zu untersuchen : hat in Italien Überhaupt die Niellotechnik wirklich ^ur Ent-
deckung des Kupferstich-Abdruckes geführt? in welchem Verhältnisse stehen die er-
haltenen Nielloplatten und Abdrücke zu den gewöhnlichen Kupferstichen der Zeit?
Es ist nun meine Absicht, im Folgenden einige Beobachtungen, die Ergebnisse
eingehender, mit Hülfe eines umfangreichen photographischen Materials angestellter
Studien der Kunstwerke selber darzulegen. Von einer vollständigen Besprechung der
technischen Fragen und der Litteratur über die Niellen ist für diese vorläufigen Mit-
teilungen abgesehen worden , ebenso wie die Bekanntschaft mit dem Gegenstande und
den Ergebnissen der früheren Forschungen, die zuletzt vollständig in Dutuits Manuel
de l'amateur d'estampes (vol. Ib) zusammengestellt sind, vorausgesetzt wird.
In erster Linie war nun eine kritische Sichtung des vorhandenen Materials er-
forderlich: Den folgenden Auseinandersetzungen hätte fraglos ein kritisches Verzeichnis
der Nielloabdrücke angefügt werden müssen. Es lag auch im Plane der Arbeit, nicht
allein ein Verzeichnis, sondern sogar getreue heliographische Abbildungen aller echten
Niellen zu veröffentlichen. Die Ausführung dieses Planes hat aber ein Hindernis ge-
funden, das denselben vorläufig aufzugeben und die Arbeit in dieser abgekürzten
Form zu veröffentlichen zwang. Doch hoffe ich, das Verzeichnis bald liefern zu
können, vielleicht begleitet von heliographischen Reproduktionen aller oder aller
wichtigen Niellen und mit einer vollständigen Abhandlung über den Gegenstand.
Die bisher veröffentlichten Verzeichnisse können als eine Grundlage für die
Forschung durchaus nicht dienen. Das neueste in Dutuits Manuel veröffentlichte
Verzeichnis bietet zwar eine lange Reihe von Nachträgen zu den sehr unvollständigen
und unkritischen Duchesnes, Passavants u. A., erfüllt aber zum grofsen Teil nicht
die erste Forderung, die an einen derartigen Katalog zu stellen ist, dass Beschrei-
bungen und Urteile auf Autopsie, auf dem selbständigen Studium der Originale be-
ruhen. Die Beschreibungen genügen nicht zur Identifizierung der Darstellungen, die
Zustände und ihre Reihenfolge sind häufig nicht erkannt worden. Abdrücke von ver-
schiedenen Zuständen der gleichen Platte werden oft genug als verschiedene Platten
beschrieben und dergl. mehr. Es sind viele ganz offenbare Fälschungen in das Ver-
zeichnis aufgenommen, andere Blätter ohne Grund ausgeschieden worden, die sach-
lichen Bemerkungen, zum Teil auf Angaben Dritter beruhend, sind oft unrichtig oder
unzulänglich. Nur durch direkte Vergleichung der einzelnen Exemplare mit einander
in den Originalen oder getreuen, nicht retouchierten Photographien ist es möglich,
das Verhältnis der einzelnen Abdrücke zu einander zu konstatieren. Das Studium der
einzelnen Zustände der Abdrücke ist hier aber wichtiger, als bei irgend einer anderen
Gruppe von Kupferstichen, da schon aus der Feststellung von Zuständen allein, wie
wir sehen werden, wichtige Folgerungen für den Charakter der Abdrücke gezogen
werden können. Duchesne hat häufig späte Abdrücke von vollständig ausgedruckten,
mehrfach retouchierten Platten für ganz frühe Nielloabdrücke vor der Vollendung der
Platte gehalten. Sehr selten ist in Dutuits Manuel der wirkliche Sachverhalt festgestellt
worden, meist ist die Verwirrung nur noch vergröfsert worden. Nur die sorgfältigste
Vergleichung aller Exemplare kann hier zu Resultaten führen. Allerdings auch so
VON PAUL KRISTELLER 97
kann nicht immer, zumal bei schlecht erhaltenen Abdrücken, die Vergleichung dieser
so aufserordentlich feinen und minutiösen Arbeiten in Photographien ein sicheres Urteil
ermöglichen.
Um eine sichere Grundlage für die Untersuchnng zu gewinnen, haben wir vor
allem die modernen Fälschungen auszuscheiden und als solche kenntlich zu machen.
Das persönliche Urteil und Stilgefühl allein kann nicht als ausschlaggebend gelten, es
müssen durch Kennzeichnung der Merkmale, durch Gegenüberstellung charakteristischer
Beispiele die Fälschungen ab solche augenfällig gemacht werden.
In vielen Fällen macht es allerdings keine Schwierigkeiten , die Fälschungen von
den echten Stücken zu unterscheiden. Fast alle Niellofälschungen sind in den ersten
Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, meist in Venedig, entstanden;^) sie lassen das ge-
übtere Auge daher auch bald einige für den Kunststil der Zeit der Fälschung cha-
rakteristische Eigentümlichkeiten der Formen und der Technik erkennen.
Vor allem verrät sich der Künstler des beginnenden XIX Jahrhunderts durch
die überlangen, schlanken Gestalten mit vollen und weichlichen Formen, durch die
fliefsende, überreiche Gewandung, die manierierten Typen und dergl. In der Technik
zeigen sich die Fälscher fast durchgängig von der Radiertechnik abhängig; gegenüber
den körperhaften, bei aller Feinheit stets festen, mit einer gewissen Kraftanstrengung
eingegrabenen Linien der echten Niellen, machen die Linien jener Fälschungen stets
den Eindruck von Nadellinien; der etwas unbestimmte, flüchtige Zug der fast körper-
losen, gleichmäfsig starken, eingeritzten Linien verrät die an die Führung der Radier-
nadel gewöhnte Hand. Den Fälschungen fehlt jene Sicherheit und Präzision in der
Linienführung, welche den Stechern des XV Jahrhunderts auch in geringen Arbeiten
eigentümlich ist; oder aber sie zeigen da, wo sie einmal die reine Grabstichelarbeit
verwenden, eine Glätte und kalte Gleichmäfsigkeit der Schraffierungslagen, die erst eine
Errungenschaft der routinierten Grabsticheltechnik des XVII und XVIII Jahrhunderts
ist und von der sich die alte Technik charakteristisch unterscheidet.
Leicht verrät sich die Fälschung auch durch das Beiwerk, in der Bildung des
Bodens, der Pflanzen, des Wassers, der Wolken, Häuser etc. Die echten Niellen
zeigen^ jede Stilgruppe für sich, eine durchgehende Übereinstimmung in diesen Einzel-
heiten. Nur selten haben die Fälscher selbst bei Kopien genauer auf diese Neben-
dinge geachtet, wie überhaupt die Mehrzahl der Fälschungen nicht einmal geschickte
genannt zu werden verdienen.
Auf eine der geschicktesten und gelungensten Fälschungen mag hier noch be-
sonders hingewiesen sein, auf das Blatt mit der Anbetung der Könige (Duch. 32) in
viereckiger Form mit ausgezackten Rändern.*) Auch jetzt noch, nachdem Fisher in
seiner Introduaion (p. 34flF.) dies NieUo für eine Fälschung erklärt hat, wird dasselbe
von vielen Forschern ftlr echt gehalten.
Nicht, dass die Anbetung der Könige unter Niellen und Stichen kein Analogon
findet, darf uns bestimmen, dieselbe für eine Fälschung zu halten, sondern die inneren
Widersprüche, die Gegensätze zwischen der affektierten Ungeschicklichkeit und dem
wirklichen Können des modernen Künstlers, das an einzelnen Stellen sich wahr-
nehmbar macht. In sehr geschickter Weise sind bis in alle Einzelheiten Formen,
*) Vergl. besonders Fisher, Introduction to a catalogue of the early italian prints in
the British Museum. London 1886.
') Abbildung häufig. Mit dem dreieckigen Aufsatze mit der Verkündigung abgebildet
in Dutuits Manuel.
gS DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
Kostüme, Landschaftsbildung und dergl. den fiorentinischen Miniaturen des frUhen
XV Jahrhunderts nachgeahmt, aber doch verraten den Fälscher die modernen Ge-
sichtstypen, die ganz moderne Haarbehandlung, kleine charakteristische Abweichungen
von dem Originaltypus in der Zeichnung der Bäume, des Hintergrundes mit den
gehäuften Hügeln und dergl. An einzelnen Stellen entfernt sich die Faltenbildung von
dem alten strengen Schema, ganz freie gewandt wiedergegebene Stellungen und Be-
wegungen treten in Widerspruch mit der Ungeschicklichkeit der Komposition und der
Bewegungen im allgemeinen; ferner muss die Zusammenstellung des Jünglings, der
das Pferd hält, mit dem Engel und eine Reihe von Merkwürdigkeiten der Tracht
Bedenken erregen. Vor allem aber scheint mir die sehr geschickte, aber sehr trockene
Technik mit ihren tief eingegrabenen glatten Hintergrundschraffierungen durchaus
modernen Charakters.
Von der Platte sind nicht weniger als sechs Abdrücke auf modernem Papier in
grauschwarzer moderner Druckerfarbe bekannt, das Exemplar des Berliner Kabinets
allein ist auf altem Papier mit einer der alten ähnlichen Farbe gedruckt. Wenn wirk-
lich schon Zani dies Blatt in Casa Martelli in Florenz gesehen hat (das Exemplar,
das jetzt der Sammlung Malcolm angehört?), so ist doch damit die Echtheit noch
nicht erwiesen. Man hat immer schon Gefallen daran gefunden, zu fälschen und die
Kenner zu täuschen. Scheint nicht auf unserem Blatte der geschickte Fälscher selbst
aus den kleinen urmodernen Vollmondgesichtchen, die er auf dem Plattenrande ein-
gekratzt hat, auf die aber merkwürdiger Weise noch niemand geachtet zu haben
scheint, den Gläubigen wie den Zweifler verschmitzt anzulächeln?
Im allgemeinen fasst man seit Zani und Duchesne unter dem Begriffe wNiellen«
zusammen sowohl die Nielloplatten , Silberplatten, auf denen die eingegrabenen Linien
der Zeichnung mit Niellomasse ausgefüllt sind, als auch die Schwefelabgüsse, die von
solchen Platten, bevor die Linien mit der Niellomasse ausgefüllt waren, und die
Papierabdrücke, die von den Schwefelabgüssen oder von den Platten selbst genommen
worden sind. Man hat aber fast immer auch diejenigen Papierabdrücke, die von gra-
vierten Platten ähnlicher Art, die nicht dazu bestimmt waren, mit Niello versehen zu
werden, sondern die zu dem ausschliefslichen Zwecke des Abdruckes hergestellt
worden sind, zu den »Niellen« gerechnet und in die Verzeichnisse aufgenommen,
teils aus Unkenntnis, oder weil man die Unterscheidung nicht durchzuführen im Stande
war, teils auch wegen ihrer unleugbaren stilistischen und technischen Verwandtschaft
mit den Abdrücken von wirklichen Niellen , wegen des gleichen Formates, der gleich-
artigen Darstellungen und dergl. mehr. Wir können diese Abdrücke »nielloartige Stiche«
nennen. Duchesne hat in seinem Kataloge diese zwei Arten von Abdrücken über-
haupt nicht unterschieden, spätere Forscher haben dagegen nur eine ganz kleine
Anzahl von Abdrücken als wirklich von Nielloplatten herrührend anerkennen wollen.
Ein Versuch der Unterscheidung der beiden Gruppen von Papierabdrücken soll weiter
unten mitgeteilt werden.
Für unsere vorliegende Untersuchung, die sich nicht mit der Graviertechnik oder
der Niellierkunst als solcher beschäftigt, sondern mit der Technik des Abdruckens
von gravienen Platten, kommen die niellierten Silberplatten, von denen uns eine
grofse Anzahl erhalten ist, nur in Betracht, insoweit sie im einzelnen in direkter
Beziehung zu den Abdrücken stehen, und soweit wir das Studium ihrer Technik und
VON PAUL KRISTELLER 99
der verschiedenartigen Verwendungen der Arbeiten für die Erkenntnis des Charakters
und der Herkunft der Abdrücke heranzuziehen haben. Das Verzeichnis in Dutuits
Manuel beschreibt nur einen kleinen Teil des aufserordentlich umfangreichen und
überall hin zerstreuten Vorrates an niellierten Silberplatten, die in öffentlichen und
privaten Sammlungen aller Art aufbewahrt werden, unter denen sich aber leider nur
sehr wenige Stücke von zweifelloser Echtheit und von künstlerischem Wene befinden.
Wir haben uns zunächst mit den Schwefelabgüssen zu beschäftigen, die von
Nielloplatten vor dem Einschmelzen der Niellomasse in die Linien, genommen wurden,
und von denen uns eine kleine Anzahl erhalten geblieben ist.
Man hat bisher die Herstellung der Schwefelabgüsse von Nielloplatten stets als
einen Notbehelf der Nielloarbeiier zur Reproduktion der Gravierung aufgefasst, als eine
Vorstufe der Entdeckung der Technik, von der Platte auf Papier vermittelst der
Druckerschwärze Abdrücke zu nehmen. Man stritt überhaupt nur darüber, ob man
(d. h. Finiguerra) von den Schwefelabgüssen gleich zu den Papierabdrücken von der
Silberplatte selbst übergegangen sei oder ob man die ersten Papierabdrücke von dem
Schwefelabgusse abgezogen und erst dann die Platte selbst dafür in Verwendung ge-
nommen habe. Man fragte: wozu brauchte man noch von Schwefelabgüssen die Ab-
drücke zu nehmen, wenn man einmal den Papierabdruck gefunden hatte, wozu halte
man dann überhaupt noch die Schwefelabgüsse nötig?
Hat man nun aber wirklich nur deshalb die Schwefelabgüsse angefertigt, weil
man den Papierabdruck nicht kannte? Ich glaube, eine aufmerksame Betrachtung der
Schwefelabgüsse und ihres künstlerischen Eindruckes giebt die einfachste und, wie
mir scheint, allein richtige Antwort auf diese Frage. Es lässt sich wohl nur durch
die Voreingenommenheit erklären, mit der auch kunstverständige und geschmackvolle
Männer diesen Gegenstand in tendenziöser Weise behandelt haben, dass noch nie-
mand bisher auf den künstlerischen Wert der Schwefelabgüsse aufmerksam geworden
ist, dass niemand bemerkt hat, wie unendlich viel näher ein Schwefelabguss im künst-
lerischen Eindrucke dem Original- Niello kommt als der Papierabdruck, nicht allein
deshalb, weil der Schwefelabguss die Zeichnung im Sinne des Originals, der Papier-
abdruck immer gegenseitig wiedergiebt, ^) sondern vor allem durch die Feinheit und
Schärfe in der Wiedergabe auch der feinsten Linien und durch die Wirkung der
schwarzen Farbe auf dem Grunde des silbrig- gelben Schwefels. Man betrachte einen
Schwefelabguss und vergleiche ihn mit dem vorzüglichst gelungenen und erhaltenen
Papierabdrucke, und man wird ohne weiteres zugeben, dass nie und nimmer durch
einen Abdruck auf Papier eine so feine, scharfe und dabei künstlerisch vollendete
Wiedergabe einer Nielloplatte zu erreichen ist, wie durch den Schwefelabguss. Der
feine Schwefel, ebenso wie der feine Formsand des Negatives, schmiegt sich in die
kleinsten Fugen, in die feinsten Linien der Gravierung ein und füllt sie vollständig
und scharf aus, er giebt ein absolut getreues Abbild des Origmales. Auf dem weichen
und gefeuchteten Papier zerfliefst die Farbe stets ein wenig, die Struktur des Papiers
ist ungleichmäfsig und nimmt die Feuchtigkeit nicht gleichmäfsig in sich auf; die
Druckerschwärze liefs sich, damals wenigstens, nicht gleichmäfsig verteilen und die
*) Es braucht wohl nicht bemerkt zu werden, dass auch die Papierabdrücke von den
Schwefel abgUssen , die ja die Zeichnung gleichseitig mit der Originalplatte zeigen, die Dar-
stellung im Gegensinne des Originals wiedergeben, ebenso wie die Abdrücke von der Platte
selber. In Dutuits Manuel ist man sich auch über diesen einfachsten Gegenstand nicht klar
geworden.
lOO DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUxNDERTS
notwendige Stärke des Druckes nicht genau bemessen. Mehr oder weniger drucken
immer einzelne Stellen zu stark, andere lassen ganz aus und dergl. mehr. Die über-
flüssige Druckerschwärze färbt fast immer auch den Papiergrund zwischen den Linien,
die erhaben ausgedruckten dunklen Linien beschatten die hellen Zwischenräume
zwischen ihnen. Wer
will endlich die künst-
lerische Wirkung des
Papiers der des feinen
Schwefels gleichstellen?
Ob man nun den
Handgriff, von gravierten
Platten auf Papier Ab-
drückezumachen,kannte
oder nicht, ist also für
die Frage der Schwefel-
abgüsse gleichgültig;
man fertigte dieselben
ihrer gröfseren Feinheit
und Treue und des
höheren künstlerischen
Wertes halber an und
wird sie den Papierab-
drücken vorgezogen
haben, auch wenn man
sie sehr wohl herzu-
stellen verstand.
Von dem Negativab-
guss, den man über der
Originalgravierung her-
gestellt hatte, konnte
man nun beliebig viele
Schwefelabgüsse
nehmen, während die
Platte selbst nielliert und
dem Besteller ausgehän-
digt war, man konnte
aber auch von einem der
Schwefelabgüsse wieder
Papierabdrücke nehmen,
alles dies ohne die Ori-
ginalplaite zu schädigen.
Man hat die Möglichkeit, von Schwefelabgüssen Papierabdrücke nehmen zu können,
überhaupt leugnen wollen; Schuchard hat (Archiv für die zeichnenden Künste IV 1858
p. 73 ff.) durch praktische Versuche die Möglichkeit nachgewiesen. Es hätte wohl
auch der Hinweis auf die Capillaritätserscheinung genügt, vermöge deren feuchtes
Papier die Druckerschwärze aufsaugen würde auch ohne Druck, sobald es nur mit
ihr in genügend nahe Berührung gekommen. Es lassen sich auch von unseren Papier-
abdrücken eine ganze Reihe mit gröfster Wahrscheinlichkeit als Abdrücke von Schwefel-
Abb. I. Die Krönung Mariae.
Schwefelab'guss von einer Nielloplatte
(British Museum).
VON PAUL KRISTELLER lOI
abgüssen bezeichnen. Nicht aliein weisen die häufigen Brüche der Abdrucksform, die
sich auf dem Papiere wiederabdrucken, darauf hin, dass die Papierabdrücke von einer
aus zerbrechlichem Stoffe hergestellten Form genommen seien, da ja Metallplatten
solchen Zufällen nur in den seltensten Fällen ausgesetzt sind und dann wegen der
Verbiegungen kaum mehr einen Abdruck zulassen, und eine vor der Niellierung zer-
brochene Nielloplatte überhaupt unbrauchbar wird, neu hergestellt werden muss; auch
die charakteristischen Merkmale des Abdruckes, die wenig gleichmäfsigen, auslassenden,
aus einer Reihe von verschieden grofsen Punkten gebildeten Linien, lassen mit einer
gewissen Bestimmtheit • derartige Abdrücke als von Schwefeln herrührend erkennen.
Nielloplatten sind, sobald es sich um feine sorgfältige Arbeit handelte (und nur
solche lohnte es sich durch Abdruck zu vervielfältigen), hochgeschätzt und hoch-
bezahlt worden, dafür sprechen die Preise die einem Francia, einem Finiguerra gezahlt
worden, deutlich genug. Die Niellatoren werden sicher nicht die aufserordenilich
kostbare mühsame, zarte Arbeit der Gravierung durch die Herstellung von Abdrücken
von der Originalplatte selber haben beschädigen wollen. Das Abdrucken greift die
Platte aber aufserordentlich an, die feinsten Linien verschwinden schon nach einer
geringen Anzahl von Abdrücken. So hat z. B. die nicht nieliierte Pax mit der Bekehrung
Pauli im Bargello, von der im vorigen Jahrhunderte und in unserem eine Anzahl von
Abdrücken genommen worden sind, einen grofsen Teil ihrer Feinheit durch diese
Abdrücke eingebüfst. Es scheint mir daher sehr wahrscheinlich, dass auch die Niello-
abdrücke auf Papier zum gröfsten Teile von den Schwefelabgüssen genommen wurden,
die also somit einen doppelten Zweck erfüllten.
Die Annahme, die Niellatoren hätten Schwefelabgüsse von der noch nicht ganz
vollendeten Platte genommen, um sich von dem Stande der Arbeit zu überzeugen,
hat schon Schuchardt ^) mit vollem Rechte als durchaus unzutreffend bezeichnet. Durch
Einschwärzen der Platten konnten die Niellatoren viel einfacher und sicherer ein
Bild von dem Stande der Arbeit gewinnen, wenn sie überhaupt eines derartigen
Hülfsmittels bedurften. Da die Platte vor dem Niellieren in Asche ausgekocht und
sorgfältigst gereinigt wurde, konnte die Schwärze dem Einschmelzen der Niellomasse
nicht hinderlich sein, wie man, ebenfalls irrig, angenommen hat.
Die Schwefelabgüsse sind als vorzügliche Nachbildungen der vollendeten Platten,
hergestellt worden und haben als solche eine hohe Wertschätzung und vielfache Ver-
wendung gefunden.
In sein Libro dei ricordi*) trägt Alesso Baldovinetti , der mit dem Kupferstich
in mehr als einer Beziehung in Verbindung zu stehen scheint, unter dem 23. Juli 1449
ein: »Riceve da Bernardo d'Agabito de' Ricci un pugnaletto in vendita, del quäle
»pugnale gli debbe dare uno zolfo di Maso di Tommaso Finiguerri tornito a sue spese,
»per grossi 6 d'argento, ossiano L. i. 13.« Dies wichtige Dokument zeigt uns, dass
Schwefelabgüsse geschätzt, gesucht und bezahlt wurden. Schwefelabgüsse fertigte der
Meister der Nielloarbeit also nicht nur an, um eine Erinnerung an sein Werk zurück-
zubehalten, er konnte sie auch im Handel verwerten.
Eine Reihe von Schwefelabgüssen mit Darstellungen aus dem alten und dem
neuen Testament, die jetzt im British Museum und in der Sammlung Rothschild in
Paris aufbewahrt werden, stammen von einem Tragaltare der Camaldulenser- Convents-
*) Archiv für die zeichnenden Ktlnste IV (1858) p. 52 Anm. 4.
*) »Estratto« herausgegeben 1868 von Giovanni Pierotti, das Original ist jetzt leider
verloren !
14
102 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRÜCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
kirche bei Florenz. Man verwendete also auch die Schwefelabgüsse selber als Schmuck-
stücke.
Wir wissen, wie hoch Zeichnungen bedeutender Künsder geschätzt und gesucht
wurden, vor allem als Studienmaterial von den Jüngeren und auch besonders von den .
weniger Tüchtigen als Hülfsmittel und als Vorlagen für ihre selbständigen Arbeiten.
Wir könnten das schon allein daraus entnehmen, dass öfters einem bedeutenden
Künstler nur der Auftrag, die Zeichnung für ein Werk anzufertigen, übertragen wurde, die
Ausführung desselben aber einem anderen, weniger bedeutenden, weniger beschäftigten
und deshalb wohl auch weniger anspruchsvollen. Für die Entstehung der Schwefelabgüsse
und der Papierabdrücke wie der Kupferstiche in Italien überhaupt ist dies ein Moment
von ganz besonderer Wichtigkeit. Die Vervielfältigung der Zeichnung, der Original-
composition hat also hier in erster Linie den Zweck als Vorlage, zum Studium zu
dienen, nicht sowohl als selbstfindiges Bild wie im Norden. Dass diese Nachbildungen
im Kreise der Künstler bleiben, in demselben sich aber weithin verbreiten, erklärt so
viele Eigentümlichkeiten des italienischen Kupferstiches und auch der italienischen
Kunst überhaupt und ihrer Verbreitung im Auslande.
Wie die Zeichnung zu einer vorzüglich gelungenen und besonders erfolgreichen
Arbeit ausgenützt wurde für Studien und Wiederholungen in und aufserhalb der Werk-
statt des Meisters, dafür bietet uns ein charakteristisches und lehrreiches Beispiel die
berühmte Pax selber, die den Ausgangspunkt aller Untersuchungen über die Niellen
gebildet hat, die Pax aus S. Giovanni, die jetzt im Bargello bewahrt wird, und die
seit Gori und Zani dem Maso Finiguerra zugeschrieben wurde, bis Milanesi nachwies,
dass diese Zuteilung unbegründet sei. Aufser der niellierten Silberplatte, die, wie bekannt,
die Krönung Mariae darstellt, existieren nicht weniger als zwei Schwefelabgüsse (im
British Museum [vergl. Abb. i) und beim Baron Edm. v. Rothschild in Paris), drei Papier-
abdrücke (zwei in Paris, der von Zani entdeckte und der im Arsenal von Dumesnil
gefundene, und ein dritter bisher ganz unbekannt gebliebener in der Sammlung
Malcolm in London) und endlich eine ganz freie Kupferstichcopie, von der spfiter die
Rede sein wird. Zani zweifelte nicht daran, dass der Papierabdruck der Bibliotheque
nationale und der Schwefelabguss, der damals Durazzo gehörte, von der Platte der
florentiner Sammlung stammten und glaubte so einen schlagenden Beweis für die Richtig-
keit der Vasarischen Erzählung gefunden zu haben. Er war allerdings nicht im Stande
ohne Vergleichung der Originale mit einander oder mit Photographien, den Thatbestand
sicher festzustellen. Man stritt dann viel darüber, ob der Papierabdruck von der Platte
selber oder von dem Schwefelabgusse genommen sei. Der gründliche und gewissenhafte
Dutuit machte zuerst (in seinem Aufsatze im TArt von 1884) auf die Abweichungen des
Papierabdruckes von dem Schwefelabgusse und beider wieder von der Silberplatte
aufmerksam. Er half sich über diese Schwierigkeiten mit der Annahme hinweg, dass
der Schwefelabguss und der Papierabdruck von verschiedenen Zuständen der Pax ge-
nommen seien. Es ist schon oben darauf hingewiesen worden, dass die Abgüsse von
Nielloplatten nicht vor der Vollendung derselben, gewissermafsen als Probedrucke,
sondern dass sie als wirkliche Reproduktionen der vollendeten Arbeit angefertigt wurden.
Der Schwefelabguss beim Baron von Rothschild befindet sich in einem sehr schlechten
Zustande der Erhaltung, der die Vergleichung mit der etwas verkleinerten Photographie
der Plätte sehr erschwert, so dass das Resultat vorläufig als zweifelhaft hingestellt
werden muss, der Papierabdruck der Bibliotheque nationale zeigt aber Arbeiten, die
auf der Platte fehlen, so dass er von derselben oder von einem Abgüsse der Pax nicht
wohl herrühren kann. Allerdings bleibt die, abgesehen von einer Reihe von Ab-
VON PAUL KRISTELLER IO3
weichungen, sehr genaue Übereinstimmung immerhin bemerkenswert. Ganz fraglos von
einer anderen Platte rtlhrt der Schwefelabguss des British Museum her (vergl. Abb. i),
welcher eine ganz aufserordentlich feine, sorgfältige Arbeit zeigt. Eine ganze Reihe
wesentlicher Abweichungen beweisen, dass derselbe nicht von der Pax des Bargello
sondern von einer, allerdings ebenfalls bewunderungswürdig genauen und sorgfältigen
Wiederholung genommen ist. So zeigt z. B. der Boden, auf dem der Thron steht, unter
den Füfsen Christi Schraffierungen, die in der Pax fehlen, die drei Falten am Ärmel des
heiligen Augustinus haben eine ganz andere Form als in der Silberplatte, der Saum
des Mantels Christi ist mit Runden verziert, die in der Pax fehlen, besonders auch
die Gesichter scheinen anderen Ausdruck zu haben als dort.
Die beiden Papierabdrücke in Paris (aus der Bibliotheque de T Arsenal) und der-
jenige der Sammlung Malcolm kennzeichnen sich leicht als Abdrücke von genauen aber
ungleich geringeren, roheren Kopien. Noch viel weniger genau ist in dem Kupferstiche,
der in der Mitte von Darstellungen aus dem Leben Mariae, die Krönung Mariae auf-
weist, der aus der Sammlung Durazzo stammt und 1870 mit der Sammlung Drugulin^)
(wohin?) verkauft worden ist, die berühmte Pax kopiert worden.
Es haben sich also wenigstens fÜnfWiederholungen derselben Darstellung erhalten,
mindestens viermal ist die Pax in Niello kopiert worden , da sowohl die drei Papier-
abdrücke wie ja natürlich auch der Schwefelabguss des British Museum von Niello-
platten herrühren.
Nach der Pax, die in der Kirche sorgfältig aufbewahn und nur bei der heiligen
Handlung zum Vorschein kam, konnten diese Kopien gewiss nicht angefertigt werden,
sondern eben nach den Schwefelabgüssen und Papierabdrücken von ihnen. Dies war
also offenbar der Zweck jener Abdrücke, nicht etwa blofs den Wunsch des Meisters
den Fortschritt seiner Arbeit zu beobachten oder das sentimentale Verlangen , eine
Erinnerung an seine teure Arbeit zu bewahren. Von einem Werke von besonderer
Vortrefflichkeit mochte wohl mancher weniger selbständige Nielloarbeiter eine so genaue
Nachbildung zu besitzen wünschen, an einer solchen Arbeit konnten die Lernenden
ein vortreffliches Muster haben, der Meister konnte den ganz natürlichen Wunsch
haben, dieselbe Arbeit für andere zu wiederholen oder durch seine Gesellen wieder-
holen zu lassen; da mochten auch andere Kirchenvorstände, die die schöne Arbeit
bewundert hatten, eine gleiche Pax für ihre Kirche wünschen. So machte man in der
gleichen Werkstatt oder wohl auch in verschiedenen eine ganze Reihe von Nachbildungen,
von denen man dann, vielleicht auch wenn sie nicht besonders gelungen waren. Abdrücke
in Schwefel oder auf Papier nahm; und wer weifs wie viele Platten, Schwefelabgüsse
und Papierabdrücke genau der gleichen Komposition existiert haben mögen!
Ein zweites, ähnliches Beispiel bieten der Schwefelabguss und die Papierabdrücke
einer Pax mit der Darstellung der Madonna mit dem Kinde und weiblichen Heiligen.
(Schwefelabguss im Brit. Mus. Dutuit 23, Papierabdr. Duch. 53 u. 54, Dut. 182 — 84.)
Dies ist nun alles so natürlich, dass es überflüssig scheinen könnte, so viele Worte
darüber zu verlieren, wenn man nicht bisher dies alles aufser Acht gelassen und mit
aller Gewalt in den verschiedenen erhaltenen Abgüssen und Abdrücken verschiedene
Zustände derselben Arbeit in verschiedenen Stadien ihrer Vollendung nachzuweisen
gesucht hätte, wenn man nicht seit Vasari alle möglichen merkwürdigen Zufälle zur
Erklärung dieses einfachen Vorganges zu Hülfe gerufen hätte. In der Werkstatt des
*) Abbildung im Verkaufskatalog der Sammlung. Vergl. über denselben Archivio storico
dell' Arte VI (1893) p. 392 u. 399.
14*
I04 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
Matteo Dei, des Finiguerra und anderer mehr arbeitete man gewiss nicht anders als
Perugino, als Raffael, als Rubens in ihren Werkstätten arbeiten liefsen, die Kopien an-
fenigten, so lange solche eben Absatz fanden. — Der künstlerische Wert der Original-
arbeit wird dadurch um nichts geringer.
Wir haben also aus diesen Betrachtungen zu entnehmen, dass die Schwefel-
abgüsse nicht ein Notbehelf vor der Kenntnis der Papierabdrücke, vor der »Entdeckung«
des Kupferstich- Abdruckes, nicht eine »tedious Operation«, wie Fisher sagt, waren,
sondern dass sie als künstlerisch und technisch vorzüglichste, den Papierabdrücken .
weit überlegene Reproduktionen von Nielloplatten hergestellt worden sind; eine Fol-
gerung die, wie mir scheint, nicht allein uns über die Niellofrage wesentlich aufklärt,
sondern auch für die Erkenntnis der Ursprünge und der Entwickelung des italienischen
Kupferstiches von Bedeutung ist.
Die erste und wichtigste Frage, die wir bei der Betrachtung der Papierabdrücke,
die uns überall in den Sammlungen, in den Katalogen u. dergl. als »NieUen« vor-
geführt werden, zu beantworten haben ist die: welche der erhaltenen Papierabdrücke
rühren von wirklichen Nielloplauen her, und wie unterscheiden sich überhaupt Niello-
abdrücke von gewöhnlichen Kupferstichen?
Duchesne hat in seinem Katalog alle Blätter kleinen Formates und ähnlichen
Charakters als Niellen beschrieben, Passavant hat ganz kritiklos das Verzeichnis Du-
chesnes und die Verwirrung vermehrt; man ist schliefslich dahin gekommen, dass
man in Sammlungen und Katalogen einfach jeden Stich kleinen Formates Niello nennt!
In dem Kreise der englischen Amateure regte sich zuerst der Widerspruch gegen diese
kritiklose Anordnung. Das Verzeichnis in Dutuits Manuel hätte hier vor allem die
Aufgabe gehabt, eine Unterscheidung durchzuführen; man ist jedoch über einige
Einzelbemerkungen don nicht hinausgekommen. Und doch ist eine prinzipielle
Unterscheidung der wirklichen Nielloabdrücke von den »nielloartigen Stichen«, von
den Stichen, die in Formen und Charakter jenen ähnlich sind, aber nicht von Platten
genommen sind, die für die Niellierung bestimmt waren, sondern von solchen Platten,
die gleich von vorn herein für den Abdruck hergestellt worden sind, als Grundlage
für die Untersuchung ein unbedingtes Erfordernis; allerdings begegnet aber die Durch-
führung dieser Unterscheidung zwischen Nielloabdrücken und nielloartigen Stieben
grofsen Schwierigkeiten.
Man ist schon seit langer Zeit auf eine Reihe von äufseren Merkmalen auf-
merksam geworden, an denen man die wirklichen Nielloabdrücke erkennen zu
können glaubte. Man bemerkte ganz richtig, dass auf Abdrücken von Platten (oder von
Abgüssen), die nicht für den Abdruck bestimmt waren, die Schriften natürlich rück-
läufig, die Bewegung u. dergl. gegenseitig sich zeigen müssen; ebenso hielt man An-
gaben von Nagellöchern zur Befestigung der Platte für ein sicheres Merkmal der
Nielloabdrücke. Ein ganz sicheres, aber nur negatives Merkmal ist merkwürdiger
Weise bisher ganz unbeachtet geblieben : Wenn wir von einer Darstellung Abdrücke
von der ganz ausgedruckten, oder gar von der aufgearbeiteten, retouchierten Platte
finden, so beweist dies doch, dass die Platte jedenfalls nie nielliert worden, sondern
ganz für den Abdruck verwendet worden ist, und ferner aber auch, da diese Fälle
sehr häufig und gleichartig sind, dass diese Platten überhaupt nicht für die Niellierung,
sondern für den Abdruck angefertigt sind. Es versteht sich, dass hier nicht Ab^
VON PAUL KRISTELLER 105
druckszustände vor der Vollendung der Platte gemeint sind, sondern Veränderungen,
Retouchen, Aufarbeitungen, die nach teilweiser Ausnützung der Plane durch den Ab-
druck sich nötig gemacht haben. Die Vergleichung der einzelnen Exemplare der
Abdrücke mit einander gewinnt hierdurch, wie man sieht, noch eine besondere Be-
deutung, da alle Abdrücke, von denen Exemplare mit derartigen Retouchen sich
finden, schon allein dadurch sich als nicht von Niellen herrührend, als Abdrucks-
stiche kennzeichnen. Duchesne hat, von seiner Idee, ausschliefslich Nielloabdrücke
vor sich zu haben, ausgehend, merkwürdiger Weise oft ganz gegen den Augenschein
solche ganz späten, ausgedruckten, mehrfach retouchierten Zustände für Probedrucke
vor Vollendung der Plane erklärt; nur selten haben seine Nachfolger den wirklichen
Sachverhalt klargestellt. Ein Zweifel über das wirkliche Verhältnis der Zustände zu
einander kann aber bei genauer Vergleichung absolut nicht bestehen bleiben. In
manchen Fällen kann man in den verschiedenen Exemplaren die Platte von ihrem
ursprünglichen Zustande durch drei verschiedene Retouchen verfolgen. Diese Platten
nutzten sich eben sehr schnell durch den Druck ab und erforderten schon nach einer
ganz kleinen Anzahl von Abdrucken eine Aufarbeitung besonders der feineren Linien,
die dann natürlich ohne Veränderungen nicht zu bewerkstelligen war. ^)
Wenn wir nun solche ausgedruckten und retouchierten Zustände auch bei Ab-
drücken mit rückläufiger Schrift und gegenseitigen Bewegungen feststellen können,
so muss uns dies veranlassen, rückläufige Schriften und linkshändige Bewegungen
nicht für ein unbedingt sicheres Kennzeichen der wirklichen Nielloabdrücke halten
zu wollen. Gewiss können Abdrücke mit rec/ifläufiger Schrift nicht von Niello-
platten herrühren, weil man sicher auf einer kostbaren, sorgfältig gearbeiteten Niello-
platte keine rückläufigen Inschriften angebracht haben wird. Wenn man rechtläufige
Schrift auf der Platte einzugravieren hatte, wird man sich gewiss nicht die unnütSe
Mühe gemacht haben, die Schrift rückläufig zu stechen, wie dies beim Abdrucksstich
nötig war. Dagegen können die rückläufigen (also rechtläufig in die Plane gestochenen)
Inschriften in Abdrucksstichen sehr wohl in der Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit des
ein Original oder die Vorzeichnung allzu genau und gedankenlos kopierenden Stechers
ihren Grund haben. Derartige Irrtümer finden sich ja häufig genug auf Kupferstichen.')
So zeigt z. B. der bei Duchesne 304 beschriebene Abdruck mit der Darstellung der
^) Die durch Abnützung der Platte entstandenen Schwächen im Abdrucke sind natür-
lich wohl zu unterscheiden von solchen, die in dem mangelhaften Abdruck (ungleichmafsiger
Verteilung der Farbe und des Druckes) einer ganz frischen Gravierung ihren Grund haben.
Die Unterscheidung kann kaum je Schwierigkeiten machen, da in ersterem Falle die feineren
Linien gleichmäfsig auf der ganzen Fläche im Abdrucke verschwinden, während in letzterem
Falle an einzelnen Stellen auch die stärkeren Linien auslassen, an anderen aber auch die
allerfeinsten ganz scharf sich abdrucken. Während die Schwächen im Abdruck, die von der
Ausnützung der Platte herrühren, beweisen, dass der Abdruck nicht von einem Niello ge-
nommen ist, sind solche Ungleichmäfsigkeiten im Abdruck gerade ein charakteristisches
Merkmal der Abdrücke von wirklichen Niellen oder Schwefelabgüssen.
*} Wohl zu beachten ist, dass die Inschriften auch oft ohne Rücksicht auf die Richtung
der Schrift so angeordnet sind, dass sie von dem Gesichte oder der Hand der Person, welche
das Inschriftband hält, ausgehen (vergl.z. B. Taf. 1,6); ganz ähnlich wie dies in ganz naiver
Weise auch die alten griechischen Vasenmaler thaten. So ist z. B. auf dem Stiche Duchesne 170,
Johannes der Täufer (Abb. im Handbuche von Lippmann) die Inschrift nur scheinbar rück-
läufig, sie geht von der Hand des Johannes, der das Band hält, aus. Durch einen Abdruck
von der ausgedruckten und retouchierten Plane (im British Museum) wie durch die Technik
erweist sich dieser Stich als von einer ftlr den Abdruck bestimmten Plane herrührend.
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TAF. I.
NIELLODRUGKE DES XV JAHRHUNDERTS
Florentinisch: i. Musizierende Amoretten mit Hund. Unbeschr. (Florenz. Bibl. Marucclliana). 3. Amor einen Kranz hallend. Dut. 477 (Berlin. Kupf.-Kab.).
5. Drei Sänger. D. 288 (Ix)ndon. Brit. Mus.). 8. Jüngling von einem Löwen überfallen. D. 28^ (Paris. Samml. DuluitK 9. Jüngling an einen Baum
gefesselt. D.318 (Berlin. Kupf-Kab.). 10. Mann von einer Frau gefesselt D.310 (Paris. Bibl. Nat.). 11. Amor auf einem Sockel. Dut.400 (Beriin.
Kupf.-Kab.). 6. (florentinisch?) Frau mit Kranz und Schriftband. Dut. vu (Beriin. Kupf.-Kab.).
Boiognetisch: 2. Ansteigendes Ornament. D. 334 (Pavia. Samml. Malaspina). 4. Halbfigur der Madonna. D. 38 (London. Brit. Mus.). 7. Wappen
mit zwei Putten als Schildhaltem. Dut. 610 (Beriin. Kupf.-Kab.).
JAHRBUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 1894
VON PAUL KRISTELLER IO7
Um die Linien einer Gravierung in Silber mit der Niellomasse ausfüllen zu
können , müssen diese eingegrabenen Linien eine gewisse Tiefe und Schflrfe der Ränder
besitzen, sie müssen vor allem scharf von einander getrennt sein, in gewissen Ab-
ständen von einander stehen, damit jede Furche für sich ausgefüllt werde und nach
der Vollendung klar sich scheide von der nebenstehenden. Die erhaltenen guten
Nielloplanen und die Schwefelabgüsse zeigen bei aller Feinheit und Enge der Linien
eine ganz aufserordentliche Schärfe und Klarheit der einzelnen Linien, die sich ganz
scharf von einander sondern und tief und mit klaren, scharfen Rändern eingegraben
sind. Bei geringeren, nachlässiger gearbeiteten Platten sucht man sich die Arbeit durch
Vergröfserung der Abstände der Schraffierungslinien von einander und Verdickung
derselben zu erleichtern; stets aber bleibt, wenn man nicht etwa, wie das häufig ge-
schah, ganze Flächen des Hintergrundes und dergl. mit Niello ausfüllen wollte, jede
einzelne Linie scharf von der anderen getrennt. Dies Erfordernis bedingt nun eine
grofse Regelmäfsigkeit in der Führung der langen, meist ohne Unterbrechung fort-
laufenden Linien besonders der Hintergrundsschraffierungen. Diese Klarheit, Schärfe
und Regelmäfsigkeit der Linien bilden also das charakteristische Kennzeichen der
Niellotechnik, weil sie eben durch die Natur derselben gefordert sind.
Untersuchen wir nun an der Hand dieser Beobachtungen unseren Vorrat von
»Niellen«, so sondert sich uns sogleich eine ziemlich umfangreiche Gruppe von Ab-
drücken aus, die ebenso sehr wie sie sich charakteristisch von den anderen Abdrücken
unterscheiden, so sehr mit der Technik, die wir in Platten und Schwefelabgüssen be-
obachteten, übereinstimmen. Wir bemerken in den Abdrücken dieser Gruppe die-
selbe aufserordentliche Schärfe und Tiefe und Klarheit der Linien, dieselbe Gleich-
mäfsigkeit und Regelmäfsigkeit der Schraffierungen, auch der einander kreuzenden
Lagen, die wir in den Platten und Schwefelabgüssen hervorhoben.
Diese künstlerisch höchst wertvolle Gruppe, welcher der gröfste Teil unserer
vorzüglichsten und frühesten Bläner angehört, zeigt nun auch alle jene äufseren
Merkmale, die, wie wir gesehen haben, die Herkunft der Abdrücke von Nielloplatten
sehr wahrscheinlich machen. Wir finden hier durchgehends rückläufige Schrift, links-
händige Bewegungen, die stark ausgedruckten Runde der Nagellöcher in Rosetten und
dergl., die vielfältig ausgebogten Formen der Platten. Diese Argumente finden bei
dem gröfsten Teile der Blätter eine wichtige Bestätigung in der Abdruckstechnik. Die
Abdrücke sind alle von ganz frischen Platten genommen, sie geben auch die feinsten
Linien in der gröfsten Schärfe wieder, sie zeigen andererseits aber in der Unvollkommen-
heit des Abdrucks, der an Stellen zu viel, an anderen zu wenig Farbe, zu starken
oder zu geringen Druck erkennen lässt, ihren Charakter als gelegentliche, ohne grofse
Kunst und Vorbereitungen hergestellte Abdrücke von Platten, die nicht für den Ab-
druck angefenigt waren (vergl. Taf. I, Taf II, i — 3, 7; Abb. 2 u. 3).
Wenn auch nicht mit Sicherheit, so doch mit der allergröfsten Wahrscheinlich-
keit, kann der allergröfste Teil dieser Abdrücke als von Schwefelabgüssen herrührend
bezeichnet werden. Vor allen Dingen die häufigen Brüche, die sich in den Abdrücken
markieren (z. B. Dutuit 43, 425. Duch. 298), auf die schon oben (S. loi) hingewiesen
wurde, ausgebrochene Stellen der ausgebogten Umrandungen , deren Entstehung man
sich bei Metallplatten ebenso wenig wie die Brüche erklären könnte, dann besonders die
Ungleichmäfsigkeit in der Aufnahme der Farbe aus den Linien beweisen, dass die Ab-
drücke von einer aus sehr zerbrechlichem Stoffe hergestellten Platte genommen sind,
der man beim Abdrucken (mit dem Reiber oder durch leichtes Aufdrücken der Hand)
keinen starken Druck zumuten konnte. In den einzelnen Fällen wird es natürlich oft
ro8 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
schwer sein, festzustellen, ob die Abdrücke von der Platte selbst oder von den Ab-
güssen herrühren, doch kann es nicht fraglich bleiben, dass in der That eine Anzahl
der Abdrücke wirklich von Schwefelabgüssen genommen ist.
Aus welchen Gründen man vorzog, die Abdrücke eben von den Schwefel-
abgüssen und nicht von den Silberplatten selbst zu nehmen, ist oben schon an-
gedeutet worden (s. S. loi).
Dieser Gruppe von Abdrücken, die mit Sicherheit als von für die Niellierung
bestimmten Platten oder Abgüssen herrührend bezeichnet werden kann, stellt sich
Abb. 2. Florentiner Nielloabdruck.
Statue Amore. Duch. 335 (Brit Mus.)
Abb. 3. Bolognesiscfaer Nielloabdruck. Die
Geburt Christi. Duch. 36 (Berlin).
nun eine andere gegenüber, die eine von der eben beschriebenen durchaus und zwar
in charakteristischer Weise abweichende Technik der Gravierung aufweist.
Die einzelnen Linien sind hier nicht klar und scharf von einander getrennt, die
Ränder der Linien vor allem sind nicht klar und scharf, sondern haben den so-
genannten Grat (Ban), die Rauheit, behalten, die den guten früheren Abdrücken einen
weichen, farbigen Ton giebt. Die Linien sind meist breiter und nur leicht in das
Metall eingeritzt und stehen sehr eng, so dass die Lagen einen Ton bilden. Besonders
ist die Ungleichmäfsigkeit der Schraffierungslagen, die hflufig aus schräg gegeneinander
gestellten Gruppen kurzer Striche bestehen, die über feinen, kritzlichen Linien Lagen
von stärkeren Linien zeigen und unverkennbar eine mehr malerische Wirkung an-
streben, bezeichnend für die technische Verschiedenheit dieser Stiche von den Niello-
abdrücken.
Die Möglichkeit, in dieser Technik gravierte Platten zu niellieren, scheint mir
ausgeschlossen; die Weichheit der Linien deutet auch mehr auf Gravierung in dem
weicheren Kupfer als auf Silbergravierung hin (vergl. Taf. II, 4, 5, 6, 8, 9. Abb. 4. 5. 6. 7).*)
*) Von den wirklichen Niellodrucken sowohl als auch von den nielloartigen Stichen
wohl zu unterscheiden ist eine Reihe von (meist modernen) Abdrücken, die in mancher Hin-
sicht, in den Sufseren Merkmalen, in der Technik und in Eigentümlichkeiten des Druckes
den Niellodrucken nahe stehen, die aber von Blatten herrühren, welche weder ftlr die Niel-
lierung noch für den Abdruck bestimmt waren, sondern die, durch die eingravierte Zeichnung
verziert, als OmamentstUcke Verwendung finden sollten. Von solchen gravierten Platten hat
man wohl gelegentlich Abdrücke genommen; da die Linien unausgefQllt blieben, war das ja
leicht zu bewerkstelligen. Ich glaube solche Arbeiten , die meist dem XVI Jahrhundert an-
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TAF. II.
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6.
9-
NIELLODRUCKE DES XV JAHRHUNDERTS
I. Francesco Francia. Bildnis eines Bentivoglio (?). D. 350 (London. Brii. Mus.l 2. Derselbe? Bildnis eines Mädchens. 0111.390»»".^ (I^ndon. Brit.
Mus.). 3. Derselbe? Bildnis einer Frau. D. 342 (London. Brit. Mus.). 7. Bolognesisch. Ritler Danneso. P.Cnj-^ (I-ondon. Brit. Mus.).
NIELLOARTIGE STICHE
\. Peregrino da Ccsena. Hulbfigur einer Frau. P. (36 (London. Brit. Mus.). 5. Derselbe. Frau von zwei Satyrn an einen Baum gefesselt. D. 237
iBcriin. Kupf.-Kab.). 6. Derselbe. Thronende Madonna mit Heiligen. D. 58 (Paris. Bibl. Nat.). 8. Derselbe. Abraham sattelt seinen Esel. D.9 <London.
Brit. Mus.), y. Ornamentmuster. Dut. 379 (Paris. Bibl. Nat.).
JAHRBICH b. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 1894
VON PAUL KRISTELLER
109
Eine grofse Anzahl von Abdrücken dieser Gruppe werden nun schon durch
das Vorhandensein ausgedruckter und retouchierter Plattenzustände, durch die recht-
1
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Abb. 4. Nielloartiger Stich.
Pyramus und Thysbe.
Duch.259.II (Berlin).
Abb. 5. Nielloartiger Stich.
Der Engel mit Tobias. Duch. 20
(Berlin).
Abb. 6. Nielloartiger Stich.
Frau mit Schwert und Kugel.
Duch. 314 (Berlin).
läufigen Inschriften, rechtshändige Bewegungen als nicht von Nielloplatten herrührend,
als gewöhnliche Abdrucksstiche im Stile der Niellen erwiesen.
^ Während die Abdrücke der erstgenannten Gruppe
fast alle nur in einem, einige wenige in zwei Exem-
plaren bekannt sind, kennen wir von den Platten der
zweiten Gruppe meist mehrere, oft bis zu zwölf Ab-
drücke, häufig in verschiedenen Zuständen derselben.
Auch dass einige solcher Blätter der letztgenannten
Gattung in Deutschland mehrfach kopiert wurden
(z. B. von Dürer und Altdorfer) , deutet darauf hin,
dass die Originale nicht Nielloplatten waren, von
denen nur einige wenige Abgüsse und Abdrücke in
den Werkstätten aufbewahrt wurden, sondern, dass
wir es mit gewöhnlichen Abdrucksstichen, mit Orna-
mentstichen, die sich durch den Handel weithin ver-
breiteten, zu thun haben.
Meist ist die Zugehörigkeit der einzelnen Ab-
drücke zu der einen oder der anderen Gattung durch
die Beobachtung der Technik und durch die äufseren
Merkmale festzustellen, in manchen Fällen jedoch
begegnet die Durchführung dieser Unterscheidung
zwischen NielloabdrUcken und nielloartigen Stichen
(wie sie im Verzeichnisse versucht werden soll) grofsen
Schwierigkeiten.
Vor allem lassen stark beschädigte, verrie-
bene Abdrücke die Feststellung ihres technischen
Charakters, der übrigens auch bei gut erhaltenen
gehören, an der Dicke und Plumpheit der Linien, die ja in der Originalarbeit als solche zu
wirken hatten, erkennen zu können (z.B. Duch. 401 und 402).
Da wir uns hier nur mit der Abdrucksgravierung und ihrem Zusammenhange mit
der Niellotechnik beschäftigen, so gehören derartige Abdrücke eigentlich überhaupt nicht
mehr in den Kreis unserer Betrachtungen.
»5
Abb. 7. Ornamentstich. Zwei Entwürfe
für Messergriffe. Duch. 294 (Paris).
HO DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
Abdrücken nur an den Originalen, nicht in Photographien*) erkennbar ist, oft über-
haupt nicht mehr zu.
In für den Abdruck bestimmten Stichen, in denen man wirklich ausgeführte
Niellen oder Abdrücke von solchen kopierte, oder bei denen es besonders darauf an-
kam, den Eindruck der Nielloarbeit hervorzurufen, suchte man ganz naturgemäfs so
genau als möglich die Nielloiechnik nachzuahmen, so dafs dann bei besonders sorg-
fältiger Arbeit auch der Abdrucksstich in frühen guten Drucken ganz den beabsichtigten
Eindruck des Nielloabdruckes macht.
Wenn nun aber auch die Unterscheidung der Nielloabdrücke von den niello-
artigen Stichen sich (vielleicht nur vorläufig) nicht immer mit Sicherheit durchführen
lässt, so haben wir doch jedenfalls die technische Verschiedenheit der beiden unter-
schiedenen Gruppen feststellen können und also nachweisen können, dass die Technik
Abb. 8. Der h. Vincentius von Saragossa.
Kupferstich -Kopie nach einem Niello (Reid n. 19).
Unbeschr. (Pavia Samml. Malaspina).
der für den Abdruck bestimmten, nielloartigen Gravierungen sich von der Gravierungs-
technik für die Niellierung bestimmter Platten ganz charakteristisch unterscheidet.
Man hatte also für die nicht für die Niellierung, sondern für den Abdruck be-
stimmten Platten eine ganz andere, weniger mühsame und schwierige Technik zur Ver-
fügung. Wir kennen sogar genaue, gegenseitige Kopien nach wirklichen Niellodrucken,
die durchaus in der Technik der gewöhnlichen Abdrucksstiche gearbeitet sind (vergl.
Abb. 8).
Ich denke, aus diesen Thatsachen haben wir den Schluss zu ziehen, dass die
Kupferstichtechnik für den Abdruck ganz unabhängig ist von der Niellotechnik, ganz
*) Die Heliogravüren in Dutuits Manuel sind für derartige Untersuchungen überhaupt
nicht zu verwenden, da dieselben mit Nadel und Roulette stark überarbeitet sind. Auch
unsere Abbildungen lassen leider diese feinen Unterschiede nicht erkennen.
VON PAUL KRISTELLER
III
Abb. 9. Kupferstich-Kopie nach drei Niello-
drucken (vergl. D. 216, Dut 307 und D. 20).
D. 19 {Brit. Mus).
selbständig neben ihr besteht und sich entwickelt, dass die Nielloarbeiter erst, als die
Nachbildungen nach ihren Niellen sehr gesucht wurden, und die schöneren, aber
kostspieligen Schwefelabgüsse nicht mehr der Nachfrage genügten , das längstbekannte
Abdruckverfahren von gravierten Kupferplatten auf
Papier, auf die Schwefelabgüsse und wohl auch
auf die Nielloplanen in Anwendung brachten.
Hätte der italienische Kupferstich wirklich
seinen Ursprung von der Niellotechnik genommen,
sein Entwickelungsgang wäre ein ganz anderer ge-
wesen. Wie wird man sich wohl technisch den
Übergang von der Arbeit der Pax mit der Krö-
nung Mariae (die besonders deutlich sich in dem
Schwefelabguss des British Museum erkennen lässt)
zu der Technik der Kupferstiche des Monte Santo
di Dio (von 1477) und der anderer gleichartiger
florentinischer Stiche zu erklären vermögen? Die
seichten, rauhen Linien, die zu einem einzigen
Ton zusammenwirken, so dass sich die einzelne Linie kaum unterscheiden lässt,
jene Weichheit und Unbestimmtheit der feinen Schraffierungen neben den breiteren
UmrissUnien, die für diese Technik so charakteristisch sind, stehen in dem gröfsten
Gegensatze zu der scharfen, unendlich feinen und präcisen Linienführung der Niello-
technik. Ein Übergang von der einen zur anderen Manier scheint undenkbar. Man
kann sich von diesem Grundunterschiede der Technik am besten überzeugen, wenn
etwa diese Hinweise noch nicht genügen sollten, durch die Betrachtung der modernen
und deshalb sehr harten und klaren Abdrücke, die man von der (nicht niellienen)
Pax mit der Bekehrung Pauli im Museo Nazionale in Florenz hergestellt hat. Giebt
es wohl einen einzigen italienischen Kupferstich des XV Jahrhundens, der eine solche
Schärfe und Klarheit der Linien zeigt wie diese Abdrücke?
Fraglos ist in Italien, wie in Deutschland, der Kupferstich aus der Goldschmiede-
technik hervorgegangen. Die uralte Technik der Gravierung, der Verzierung von
Metallgegenständen mit flach eingegrabener Zeichnung, bildete überall die erste Stufe
der Entwickelung der Kupferstichtechnik. Von dieser Ornamentgravierung mit ihren
seichten, breiten, rauhrandigen Linien unterscheidet sich aber die Niellogravierung
mit ihren tiefen, feinen und scharfrandigen Linien, wie sie zur Aufnahme der Niello-
masse erforderlich waren, ganz wesentlich. Man geht vollständig fehl, wenn man
grofse Ungeschicklichkeit in der Führung des Grabstichels oder gar der Zeichnung
für ein Zeichen hohen Alters der Abdrucksstiche hält. Die Geschicklichkeit in der
Behandlung des Metalles mit dem Grabstichel war ja schon Jahrhunderte vorher in
hohem Grade vorhanden. Was durch lange Übung und Erfahrung erst noch gelernt
werden musste, war die Berechnung der verschiedenartigen Wirkung der Linien auf
dem Metalle und abgedruckt auf dem Papier, die Ausbildung einer fUr die besonderen
Erfordernisse des Abdrucks geeigneten Gravierungstechnik. Dies sind die Schwierig-
keiten, mit denen wir das ganze XV Jahrhundert hindurch den italienischen Kupfer-
stich im Kampfe erblicken.
Es ist die Verfolgung rein künstlerischer Gesichtspunkte, die, wie mir scheint, hier
die Ausbildung einer rationellen Abdruckstechnik verhindert. Durch die Mitwirkung
künstlerisch bedeutender, aber nicht in der speciellen Technik ausgebildeter Kräfte,
durch die Mitwirkung und den Einfluss der grofsen in allen Künsten gleichmäfsig
<5'
112 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
thätigen Meister wird der Kupferstich in Italien von der eigentlichen Goldschmiede-
technik abgezogen und auf die Verfolgung malerischer Wirkungen hingelenkt. Voll-
endeter im ktlnstlerischen Eindruck als der deutsche Kupferstich bleibt er so technisch
hinter diesem zurück.
Es kann keine Frage sein, dass jener weiche, zarte Gesamtton, der durch die
Zusammenwirkung der seichten, gratigen Schraffierungslinien wie auch durch die matte
grünlich -graue Druckfarbe hervorgebracht wird, von den Stechern wohl beabsichtigt
war, dass sie mit dieser Behandlungsweise eine feine malerische Wirkung hervorzu-
bringen suchten.
Für den Abdruck war diese Stechweise nun aber durchaus ungeeignet, da sich
die Platten aufserordentlich schnell abnutzten und nur wenige gute Abdrücke zuliefsen.
Dies ist auch der Grund des Misslingens so vieler Versuche, den Kupferstich für die
Buchausstattung zu verwenden.
Hätte sich der italienische Kupferstich in der That so konsequent aus der Niello-
technik herausgebildet, wie man es nach Vasaris Erzählung annehmen müsste, er
hätte sich nicht gleich in den ersten Jahrzehnten seiner Entwickelung so sehr von
jener Technik der tiefen Niellogravierung entfernen können, er hätte nicht nötig gehabt,
bei den Deutschen, bei Schongauer und Dürer in die Schule zu gehen, um seine Technik
für die sachgemäfse praktische Bearbeitung der Platte für den Abdruck auszubilden,
wie es die Italiener zu thun gezwungen waren.
In keinem Punkte seiner Entwickelung, soweit wir sie zu überblicken vermögen,
lässt der italienische Kupferstich eine Einwirkung der Niellotechnik erkennen.
Wird man diesen Erwägungen gegenüber wohl Wert legen wollen auf vereinzelte
Daten, die ja doch das Vorhandensein älterer Denkmäler gar nicht ausschliefsen?
Wenn wir auf die äufsere Beglaubigung allein Wert legen wölken, dann hätten
wir allerdings vor den siebziger Jahren Kupferstiche in Italien nicht nachzuweisen.
Aber allein schon Mantegnas und seiner I^valen, Zoan Andrea und Simone Ardizoni,
Arbeiten, die sich nachweislich schon vor 1478*) in voller Thätigkeit als Stecher befanden,
zwingen uns, den Rückschluss auf eine vorhergehende, Jahrzehnte lange Ausübung
der Technik des Kupferstiches für den Abdruck zu machen.
Diese Annahme findet ihre volle Bestätigung durch eine Gruppe von Kupfer-
stichen, die, wie ich an anderer Stelle mich bemüht habe nachzuweisen,') noch vor
der Mitte des XV Jahrhunderts in Florenz entstanden sind. Der Stilcharakter der
Zeichnung, Ornamentik und Kostüme der Stiche und ihre Technik, die der Goldschmiede-
gravierung noch ganz aufserordentlich nahe steht, führen uns, wie ich glaube, mit
Notwendigkeit auf diese Datierung.
Diese Stiche, die also älter sind als alle erhaltenen Nielloabdrücke auf Papier,
älter als die berühmte Maso Finiguerra zugeschriebene Krönung Mariae, stehen in
Technik wie in der Formengebung absolut unabhängig von den Niellen da, während
sie sich dem Entwickelungsgange des italienischen Kupferstiches ganz naturgemäfs
anfügen.')
^) Siehe das von Karl Brun in der Zeitschrift für bildende Kunst XI (1876) p.54 ver-
öflFentlichte Dokument Lodovico III, an den der Brief des Ardizoni gerichtet ist, starb 1478.
*) Siehe Archivio storico deU'Arte (1893) VI. p. 391 ff.
•) Ein ferneres wichtiges Beweisstück für die Unabhängigkeit und das höhere Aher der
Kupferstichtechnik bildet die alte im Stile der frühesten florentiner Kupferstiche ausgeführte
Kopie nach der Pax mit der Krönung Mariae in Bargello in Florenz. Da ich dieselbe, im
VON PAUL KRISTELLER I 1 3
Bedürfte es nach den vorstehenden Auseinandersetzungen noch eines Beweises,
diese Gruppe von Kupferstichen genügte, um uns deutlich erkennen zu lassen, dass
der italienische Kupferstich gan^ unabhängig von der Niellotechnik entstanden ist und
sich ebenso unabhängig von ihr entmckelt^ dass vielmehr die Niellatoren die Technik
des Papierabdruckes erst der älteren Kupferstichkunst entlehnt haben.
In den vorstehenden Erörterungen haben wir die Nielloabdrücke und die niello-
artigen Stiche ihren technischen Eigentümlichkeiten nach und in ihrem Verhältnisse
zu den gewöhnlichen Kupferstichen betrachtet. Es scheint mir notwendig für die
weitere Begründung unserer Ergebnisse, über die Gruppierung derselben nach der
Zeit und den Orten ihrer Entstehung einige Bemerkungen anzufügen.
Wir können allerdings nicht wissen, wieviel uns erhalten geblieben ist von den
im XV Jahrhundert angefenigten Niellodrucken , ob nicht gerade die ältesten von
ihnen sämtlich verloren gegangen seien, und haben daher keine Berechtigung, ohne
weiteres die ältesten uns erhaltenen Stücke auch als die ältesten überhaupt anzusehen.
Doch können wir einem Vergleiche der erhaltenen Nielloplatten mit den Abdrücken
einige Beobachtungen von Wichtigkeit für diesen Punkt entnehmen.
Es ist hervorzuheben , dass die gröfste Mehrzahl der uns erhaltenen Nielloplatten
geringe oder ganz rohe Arbeiten durchaus handwerksmäfsigen Charakters sind, gute
Arbeiten unter ihnen aber zu den Seltenheiten gehören, dass dagegen die Abdrücke
und Abgüsse zum allergröfsten Teile von sorgfältig und fein, vielfach sogar von
ganz vorzüglich ausgeführten Platten herrühren. Es liegt ganz in der Natur der
Sache, dass man eben nur von guten, wertvollen Arbeiten, die wirklich der Nach-
ahmung wert schienen, Abgüsse oder Abdrücke genommen hat. Von rohen, hand-
werksmäfsig hergestellten Niellen, die für alle denkbaren Zwecke, vom kirchlichen
Gerät bis zum Pferdegeschirr, Verwendung fanden, gab man sich im allgemeinen ge-
wiss nicht die Mühe, Abdrücke herzustellen.
So zeigt unser Vorrat von Abdrücken gewissermafsen eine Auslese des Besten,
was in dieser Technik damals hervorgebracht worden ist. Die erhaltenen Abdrücke
geben uns so einen höheren Begriff von der Ausbildung der Technik und von der
Kunst und Sorgfalt, die man auf die Vorbereitung und Ausführung dieser Kunstwerke
verwendete, als die uns erhaltenen ausgeführten Niellen selber.
In unserem Vorrate von Abdrücken bilden die mythologischen und allegorischen
Darstellungen bei weitem die Mehrzahl, während unter den erhaltenen Platten die-
jenigen mit religiösen Darstellungen überwiegen. Für den Kult oder die Andacht
bestimmte Gegenstände, deren Schmuck diese Gattung von Nielloplatten meist bildeten,
haben sich naturgemäfs eher erhalten als die dem gewöhnlichen Gebrauch und Schmuck
dienenden.
Aus dem Überwiegen der mythologischen Darstellungen auf den Abdrücken,
die, wie wir sahen, nur nach den besten Arbeiten hergestellt wurden, geht hervor,
dass im allgemeinen auf diese, für ein anspruchsvolleres, kunstverständiges Publikum
bestimmten Niellen in Zeichnung und Ausführung ungleich mehr Kunst und Sorgfalt
verwendet wurde als auf die zum Schmuck von kirchlichen Gebrauchs- und Devotions-
/
Archivio storico deirArte VI (1895) p. 399 f. ausführlich besprochen und die Schlussfolgerungen,
die aus dem Vorhandensein dieser Kupferstich-Kopie zu ziehen sind, dargelegt habe, so be-
schränke ich mich hier auf diesen Hinweis.
114 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
geraten angefenigten. Es liegt auf der Hand, dass man auf den Gedanken, Abdrücke
von Nieiloplatten zu nehmen, gekommen ist, erst als diese Art von Arbeit einen wirk-
lichen künstlerischen Wen und eine ausgedehntere Benutzung besonders auch für
Gegenstände des weltlichen Gebrauches erhielten.
Unter der grofsen Zahl der mir bekannten Nieiloplatten befindet sich kaum mehr
als eine einzige, die Pax mit der Kreuzigung im Museo Nazionale in Florenz, die
neuerdings von Milanesi mit Unrecht Finiguerra zugeschrieben worden ist,*) die mit
Sicherheit in die erste Hälfte des XV Jahrhundens zu setzen ist.') Alle anderen
scheinen mir sicher nach der Mitte des XV Jahrhunderts, zum allergröfsten Teile
sogar in den letzten Jahrzehnten desselben oder im Beginne des XVI entstanden zu
sein. Auch was wir sonst aus schriftlichen Nachrichten von der Niellotechnik wissen,
deutet darauf hin, dass erst nach der Mitte des XV Jahrhundens diese, als solche ja
schon seit dem Mittelalter bekannte und geübte Technik zu einer wirklichen künst-
lerischen Blüte und zu vielseitiger Verwendung gelangt ist.
Es ist deshalb durchaus unwahrscheinlich, dass man vor diesem Zeitpunkte Ab-
güsse oder Abdrücke von Niellen genommen habe, dass wesentlich ältere und anders-
anige Abgüsse oder Abdrücke als die uns erhaltenen existiert haben. Die uns er-
haltenen Schwefelabgüsse und Papierabdrücke scheinen mir ausnahmslos nach der
Mitte des XV Jahrhunderts entstanden zu sein, kein einziger kann, aus stilistischen
Gründen, hinter das Jahr 1450 hinaufgerückt werden; der gröfste Teil von ihnen ge-
hört dem Ende des XV und dem Anfange des XVI Jahrhundens an. Bestimmte Daten
stehen uns allerdings nicht zur Verfügung, doch gewährt uns die stilistische Betrach-
tnng einige sichere Anhaltspunkte.
Wir können deutlich zwei stilistische Hauptgruppen unterscheiden, die den auch
durch andersartige Monumente und die Nachrichten bezeugten zwei Hauptcentren der
Goldschmiedekunst in Italien entsprechen: dne florentinische und eine bolognesische
Gruppe. ') Mit wenigen Ausnahmen lässt sich fast der gesamte Vorrat an Abdrücken
unter diese beiden Gruppen verteilen.*) An beiden Orten verbinden sich die Niellen
stilistisch aufs engste mit Persönlichkeiten, deren thätige Teilnahme an der Niello-
1) S. L'Art 1884. I. p.66fr.
') Auch das Rund mit dem Reiterbildnisse Francesco Sforzas in derselben Sammlung, das
ganz die Form der alten Rittersiegel nachahmt, mag noch vor 1450 angefertigt worden sein.
•) Es scheint mir beachtenswert, dass die grofse Mehrzahl der uns erhaltenen floren-
tinischen Niellodrucke in einer der ältesten Sammlungen, in der Salamancas, vereinigt waren.
Einige äufsere , allen gemeinsame Eigentümlichkeiten (Spuren von Farbe und dergl.) machen
es sehr wahrscheinlich, dass die Abdrücke der Salamancaschen Sammlung, mit wenigen
Ausnahmen, unmittelbar aus der Werkstatt eines Florentiner Goldschmiedes der Pollaiolo-
Schule stammen, welcher dieselben für seinen Gebrauch gesammelt oder auch zum Teil
selbst hergestellt hatte. In ähnlicher Weise waren in der bedeutendsten älteren Sammlung
von NielloabdrÜcken des Marchese Durazzo in Genua fast ausschliefslich Werke der bolo-
gnesischen Gruppe vereinigt.
^) Andere Entstehungsorte sind natürlich damit nicht ausgeschlossen ; eine kleine sehr
interessante Gruppe von Abdrücken weist auf einen mehr nördlich gelegenen Ursprungsort
hin fbes. Dutuit 462 [Durazzo 2840], Dut. 5 1 1 [Dur. 2872] vergl. auch Taf. I, 4). Die Datierung
erleidet durch si(( keine Veränderung. Hier sollten nur die Hauptcentren hervorgehoben werden.
Die Zuteilung einer Anzahl von Niellodrucken an eine venezianische Schule, die man zu kon-
struieren sich bemüht hat (wohl besonders im Kreise der venezianischen Fälscher), scheint
mir durch nichts gerechtfertigt.
VON PAUL KRISTELLER I I5
technik ebenfalls mehrfach bezeugt ist: mit Antonio Pollaiolo und mit Francesco Francia.
Antonio PoUaioIos selbständige ktlnstlerische Thätigkeit kann nicht vor 1450 begonnen
haben. Er scheint es gewesen zu sein, der im Zusammenwirken mit dem Special-
techniker Finiguerra, dem er ja auch Zeichnungen zu seinen Werken lieferte, die
Niellotechnik auf die künstlerische Höhe ihrer Entwickelung gebracht hat, und der
zuerst es verstand, dieselbe für die Ornamentik in wirksamster Weise zu ver-
werten.
Eine grofse Anzahl von Niellen tragen ganz deutlich den Stilcharakter PoUaiolos
und seiner Schule zur Schau. Über das Niveau der Durchschnittsarbeit dieser Gruppe
erheben sich jedoch einige Stücke, die in der meisterhaften Zeichnung und in der
Feinheit der Ausführung, in der vollständigen Übereinstimmung der Formen bis in
alle Einzelheiten mit denen der bekannten Werke Antonios unzweifelhaft die Hand
des Meisters selbst verraten.
Vielleicht das vorzüglichste Niello, das uns in einem Abdrucke erhalten ist,
bewahrt die Sammlung Malaspina in Pavia in der »Fontana d*amore« (Duch. 298),
ferner ist die spätere und minder fein gearbeitete »Fortitudo« (Dutuit No. 425) der
Sammlung des Barons Edm. v. Rothschild^) und der unbeschriebene Niellodruck, die
Enthauptung eines Gefangenen darstellend, in der Kupferstich -Sammlung in Parma')
mit Sicherheit Pollaiolo selbst zuzuschreiben ; endlich sei noch der, stets als eine der
vortrefflichsten Arbeiten dieser Gattung anerkannte, aber unbegreiflicher Weise bisher
stets dem Francia zugeschriebene Herkules mit der Hydra (Duch. 248) im British
Museum •) erwähnt (vergl. auch besonders Taf. I, 5).
Die grofse Mehrzahl der Abdrücke gehört der Werkstatt oder der Schule des
Meisters an, die seine Arbeiten zu kopieren nicht müde wurde. Eine Reihe von ihnen
z. B. rührt augenscheinlich von demselben Schüler PoUaiolos her, dem die gewöhnlich,
ohne Grund, Finiguerra zugeschriebenen Zeichnungen der Uffizi angehören (vergl.
z.B. Taf. 1,8).
Die Bedeutung Antonio PoUaiolos für die Geschichte des Kupferstiches scheint
mir durchaus noch nicht erkannt zu sein. Man begnügt sich, seine gelegentliche Teil-
nahme am Kupferstiche zu konstatieren. Seine Bedeutung für den Kupferstich liegt
aber nicht sowohl hierin, auch nicht einmal allein in der kleinen Anzahl von Niello-
drucken, die unmittelbar auf ihn selbst zurückzuführen sind, sondern vor allem in
seinem Einflüsse auf die Entwickelung des Kupferstiches in seiner Schule. Die stilisti-
sche und technische Verwandtschaft mit seinen Werken macht es unzweifelhaft, dass
nicht allein die Florentiner Nielloarbeiter fast alle aus seiner Werkstatt hervorgegangen
sind, sondern auch jene Gruppe von Kupferstechern, deren Stil nach Kolloffs Vor-
gange gewöhnlich die »breite Manier« genannt wird. Es kann hier nicht der On
sein, diesen stilistischen Zusammenhang näher nachzuweisen, der, meiner Ansicht
^) Aus der Sammlung Salamanca, No. 54 des Katalogs von Reid (mit Photographie),
abgebildet in Dutuits Manuel vol. I, 2, p. 214/15. Wie das Wappen zeigt, ist dies Niello für
einen Orsini angefertigt, vielleicht für denselben Gentil Virginio Orsini, an den Pollaiolo am
13. Juli 1494 ein Schreiben richtete. S.Venturi, Archivio storico deirArte. V (1892) p. 208.
*) Dies Niello ist das Original des im Jahrgang 1891 (No. 2) der Publikation der inter-
nationalen chalkographischen Gesellschaft abgebildeten Kupferstiches der Kunsthalle in Hamburg.
') Abbildung bei Dutuit p. 320/21. Im Verzeichnisse werde ich diese Zuteilung nSher zu
begründen haben. Ich mache hier nur auf die Zeichnung desselben Gegenstandes von Pol-
laiolo im British Museum aufmerksam.
I l6 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
nach, auch schon augenfällig genug ist. Die Thätigkeit dieser Stechergruppe, die
tibrigens auch viele Elemente des Filippo Lippischen Kunstcharakters in sich aufge-
nommen haben, erstreckt sich bis in den Anfang des XVI Jahrhunderts. Hervorzu-
heben ist der Gegensatz dieser Manier, die sich, wie gesagt, aus der Nachahmung
der Federzeichnung herausbildet, zu der feinen Manier, die sich direkt aus der alten
Gravierungstechnik entwickelt und ihren künstlerischen Charakter, wesentlich unter dem
Einflüsse Botticellis, durch das Streben nach malerisch farbiger Wirkung der Stiche
als vollständiger Helldunkel -Bilder gewinnt.
Antonio PoUaiolos Zeichnungen waren, wie uns Vasari und besonders Cellini
bezeugen, aufserordemlich geschätzt und gesucht. Ganz natürlich ist er dadurch, genau
ebenso wie, vielleicht ganz unabhängig von ihm, Mantegna auf den naheliegenden
Gedanken gekommen, seine Zeichnungen vermittelst der längst bekannten Abdrucks-
lechnik von gravienen Kupferplatten zu vervielfältigen.
Sollte es nicht viel eher Pollaiolo als Finiguerra gewesen sein, der zuerst die
Kupferstich -Abdruckstechnik auch auf die Schwefelabgüsse in Anwendung brachte?
Doch darauf soll kein Gewicht gelegt werden, ob er der erste gewesen sei oder nicht.
Fraglos aber erhellt aus einem Vergleiche der Kupferstiche PoUaiolos, in denen der-
selbe den Eindruck von Federzeichnungen hervorzurufen sich bemüht, mit den Niello-
abdrücken, die ihm zuzuschreiben sind, dass es nicht die Niellotechnik gewesen sein
kann, die ihn auf den Kupferstich geführt hat, sondern dass er vielmehr durch die
Nachfrage nach einer gröfseren Anzahl von Nachbildungen seiner Niellen dazu ver-
anlasst worden ist, das Verfahren des Abdruckes auf Papier auch auf die Schwefel-
abgüsse anzuwenden.
Neben der Pollaiolo-Gruppe ist nur noch eine kleine Anzahl von florentinischen
Niellodrucken zu erwähnen, die der Kunstweise Filippo Lippis so aufserordentlich
nahe stehen, dass in einzelnen Fällen die Annahme sich aufdrängt, er selber habe
die Zeichnungen dazu geliefert. Hierher gehört in erster Linie die bisher Finiguerra
zugeschriebene Krönung Mariae (Paris Bibl. Nat. s. p. 102 u. Abb. i) und die Madonna
mit weiblichen Heiligen (Wien Albertina. Duch. 53).
Wie in Florenz durch Pollaiolo, so ist für die bolognesische Gruppe die Alters-
bestimmung der Niellodrucke durch den Beginn der Thätigkeit Francesco Francias
gegeben. Der bestimmende Einfluss Francias ist in den Niellen dieser Gruppe un-
verkennbar. Bekannt ist, wie hoch Francia gerade als Nielloarbeiter geschätzt und
gerühmt wurde, allein von dieser seiner Thätigkeit sind uns un:{weifelhafte Denk-
mäler nicht erhalten. Man glaubt ihm im allgemeinen mit Sicherheit die beiden
Majestates^) der Pinacoteca in Bologna zuschreiben zu können. Doch sind irgend-
welche Dokumente für diese Zuschreibung nicht vorhanden. Die beiden Niellen zeigen
jedenfalls in Zeichnung und Ausführung so grofse Verschiedenheiten , dass man wohl
Anstand nehmen sollte, beide demselben Meister zuzuschreiben. Francesken Stil zeigt
besonders die Auferstehung. Einen sicheren stilistischen Anhaltspunkt gewähren da-
gegen die Medaillen und Münzen, die Francia gearbeitet hat. Sie erlauben uns z.B.
den Nielloabdruck (Duch. 350. Taf. II, i) mit dem Jünglingsbrustbild, wahrscheinlich
eines Bentivoglio, wenn man das Ornament auf dem Schulterstücke des Panzers als
die »sega«, das Wappen der Bentivoglio auffassen darf, wohl das vorzüglichste Blatt
dieser Gruppe, mit einer gewissen Sicherheit dem Meister selbst zuzuschreiben und eine
Reihe anderer Brustbildchen, meist zwischen Blattornamenten, wenigstens in seine aller-
*) Meist fälschlich Paces genannt. S. Venturi, Archivio storico dell' Arte III (1890) p. 286.
VON PAUL KRISTELLER 1 17
nächste Nähe zu stellen (vergl. Taf. I, 2, II, 2 u. 3). *) Der gröfste Teil der Blätter
gehön aber wohl sicher der zahlreichen Schule Francias an.
Francias Thätigkeit kann vor 1470 kaum begonnen haben, also 20 Jahre später
als die PoUaiolos, die Niellen Francias stehen demnach den Anfängen des Kupfer-
stiches schon ziemlich fern. Diese Gruppe von Abdrücken kann mit dem Ursprünge
des Kupferstiches schlechterdings nichts zu thun haben.
Während in der florentiner Gruppe die Abdrücke von wirklichen Niellen über-
wiegen, besteht die Mehrzahl der Blätter der bolognesischen Gruppe aus nielloartigen
Stichen, aus Kopien nach Niellen. Man scheint hier die genaue, sorgfältige Kopie
in Kupfer für den Abdruck dem mühsamen und wenig praktischen Verfahren des
Abdrucks von Schwefelabgüssen vorgezogen zu haben. Die besonders feine und
zarte Technik der bolognesischen Niellen konnte auch gewiss kaum ohne Schädigung
des Originales den Abdruck vertragen.
Noch viel schwieriger, als die eigenhändigen Arbeiten Francias von denen seiner
Schule zu sondern, ist es, die verschiedenen Hände in den Schülerarbeiten zu unter-
scheiden. Nur eine Persönlichkeit hebt sich heraus: Peregrino^^) der seinen Namen
in voller Bezeichnung oder in Monogrammen, auf vielen seiner Arbeiten angegeben
hat. Seine Thätigkeit reicht bis in den Beginn des XVI Jahrhundens, wie aus einigen
Kopien von seiner Hand nach Stichen Dürers und anderer sich enmehmen lässt.
Ob uns von Peregrino wirkliche Niellodrucke erhalten sind, muss fraglich bleiben.
Alle mit seinem rechtläufig abgedruckten Namen oder Monogramme bezeichneten Stiche
aber können schon deshalb nicht als Nielloabdrucke angesehen werden. Man darf nicht
annehmen, wie das geschehen ist, dass etwa die Bezeichnungen nur für die Herstellung
der Abdrücke eingraviert und dann wieder entfernt worden sei, dass der Rand, auf
dem sie sich gewöhnlich befinden, dann abgeschnitten oder durch den Falz verdeckt
worden sei. Einmal finden sich die Bezeichnungen nicht immer auf dem Rande, dann
ragt sehr häufig auch die Zeichnung über die Einfassungslinien auf den Rand hinaus,
so dass eine Entfernung oder Verdeckung des Randes nicht beabsichtigt gewesen sein
kann. Eine verkehrte derartige Inschrift ist aber auf einer kleinen Nielloplatte doch
nicht wohl denkbar. Vor allem aber finden wir von fast allen bezeichneten Peregrino-
1] Im einzelnen können die Francia selbst oder seiner Schule zuzuschreibenden Ab-
drücke von Niellen erst im Verzeichnisse besprochen werden. Hier handelt es sich nur
darum ^ einige charakteristische Beispiele anzuführen. Die Blätter, die Passavant, Ottley,
Dutuit u. a. Francia zuschreiben, müssen wir vorläufig unbeachtet lassen; sie sind fast alle
sicher keine Nielloabdrucke und unterscheiden sich nicht von den Arbeiten der Schule.
Dass der Niellodruck Herkules die Hydra bekämpfend (Duch. 248) nicht Francia, sondern
PoUaiolo zuzuschreiben sei, ist schon oben erwähnt worden. Die Verwirrung ist hier so
grofs, dass ihr mit Korrekturen allein nicht abgeholfen werden kann.
') Da Cesena oder da Cesio oder dergleichen. Die Annahme, dass Peregrino identisch
sei mit Jacopo Francia, dass diesem dann auch eine Reihe von Zeichnungen der Liller Sammlung
eines »Jac^* pictor ... (da) poUogna pouero pelegrino dalla mia infelice (?) adolescentia ...« und
die Plaquette mit der Bezeichnung I. F. P. ebenfalls angehören (vergl. Emile Molinier. Les
Plaquettes I. p. 184 ff), kann durchaus nicht als zutreffend bezeichnet werden (s. auch Venturi.
Rivista Stör. ital. IV, 3, 1877.) Die Stiche sind auch nicht nach den Plaquetten kopiert,
sondern, wie sich nachweisen lässt, die Plaquetten nach den Stichen, die ja, wie wir gesehen
haben, gerade zu diesem Zwecke, als Vorbilder zu dienen, als Omamentstiche angefertigt worden
sind. Danach berichtigt sich auch beiläufig Lichtwarks Bemerkung in seinem t Deutschen
Ornamentstich« , dass die italienische Kunst im XV Jahrhundert keine Ornamentstiche hervor-
gebracht habe. Das war gerade der Hauptzweck der Mehrzahl von ihnen.
16
I l8 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS
Stichen Abdrücke von ganz ausgedruckten und retouchierten Platten; von fast allen
Arbeiten Peregrinos ist uns eine mehr oder weniger betrachtliche Anzahl von Abdrücken
erhalten (vergl. Taf. II, 4, 5, 6, 8; Abb. 4, 5, 6).
Hier kann es sich also nur um Platten handeln, die für die Herstellung von
Abdrücken angefertigt worden sind. Unter den: nicht bezeichneten Abdrücken jedoch
könnten allerdings einige wirkliche Niellodrucke Peregrinos sich befinden.
Ohne Zweifel ist Peregrino bei der Herstellung seiner Stiche von der Niello-
technik ausgegangen. Wir können deutlich zwei Gruppen von Stichen Peregrinos
unterscheiden: Die erste kommt in der Feinheit und Schärfe der Gravierung der wirklichen
Niellotechnik sehr nahe, die Abdrücke dieser Gattung sind oft in der Thal schwer von
Niellodrucken zu unterscheiden (vergl. Taf. II, 4, 5; Abb. 4, 5, 6). Die zweite Gruppe
zeigt eine freiere, breitere, weichere Manier, die von der Niellotechnik durchaus ab-
weicht, ganz und gar in der Ausführung und in dem Streben nach farbiger Wirkung
derjenigen der gewöhnlichen Kupferstiche gleich kommt. Die Blätter haben meist etwas
gröfseres Format und gröfsere Figuren. Die Monogramme zeigen jedoch auf den
Stichen beider Gruppen die gleichen Formen; Zeichnung, Landschaft und dergl. sind
gleichanig; einige Stiche, die zwischen beiden Gruppen den Übergang bilden, beweisen
vollends, dass alle diese Stiche, trotz jener Verschiedeniieiten und trotz der sehr ungleich-
mäfsigen Sorgfalt der Ausführung, einer Hand, oder vielmehr einer Werkstatt ange-
hören. Die Stiche der erstgenannten Art stehen nun auch fiufserlich den wirklichen
Niellen näher, sie sind wohl fast alle nach Niellen kopiert, oder nach Zeichnungen
hergestellt, die unmittelbar für die Ausführung von solchen angefertigt waren. In
einigen FäUen haben sich die Originale der Kopien Peregrinos in Abdrücken erhalten
(z.B. Orpheus Duch. 255 und 256), oder Zeichnungen, die mit jenen Kopien im engsten
Zusammenhange stehen. Die Stiche der anderen Gruppe stehen dagegen mit den Niello-
platten nicht in direktem Zusammenhange, sondern beruhen auf freien Erfindungen
des Stechers oder, wahrscheinlicher, auf Zeichnungen, die ursprünglich für die Aus-
führung andersartiger Kunstwerke die Vorbereitung bildeten. Als charakteristisches
Beispiel soll der Stich (Duch. 58, Abb. Taf. II, 6) die Madonna mit Franciscus und Paulus
darstellend, hervorgehoben werden, der ziemlich genau mit einem Gemälde Francesco
Francias in der Pinacoteca in Bologna übereinstimmt.*) Die erste Gruppe gehört ihrem
Kunstcharakter nach noch mehr dem XV Jahrhundert an, während die zweite in dem
Beginn des XVI Jahrhunderts zu setzen ist, wohin dieselbe auch schon aus äufseren
Gründen zu verweisen ist.
Nicht allein in Bologna sondern auch an anderen Orten findet Peregrino Ge-
nossen, die wie er kleine Kupferstiche in Nachahmung und im Stile der Niellen als
Vorlagen für Goldschmiede und andere Künstler als Ornamentstiche anfertigen.
Aus der gelegentlichen Verwendung der Schwefelabgüsse und der Papierabdrücke
von Niellen zu Studienzwecken und als Vorlagen hat sich so nun, wie wir sehen, eine
ganz geschäftsmäfsige Verwertung der in den Niellen zum Ausdruck kommenden künst-
lerischen Formen zur Herstellung von Ornamentstichen herausgebildet.
Nicht also in ihren Anfängen führt die Technik des Nielloabdrucks zum Kupfer-
stich, dem, wie wir gesehen haben, im Gegenteile sie den Handgriff des Abdruckens
') Hier muss die Anführung von Beispielen genügen ; im einzelnen können diese sehr
wichtigen Beziehungen der Niellodrucke zu Zeichnungen und anderen Kunstwerken erst im
im Verzeichnisse angegeben und besprochen werden. Sie sind bisher meist unbekannt geblieben,
geben uns aber überaus wertvolle Aufschlüsse über den Zusammenhang der Kunstgattungen mit
einander und über die Verwertung der Gegenstände der Darstellungen.
VON PAUL KRISTELLER 1 19
entlehnt haben wird, wohl aber geht sie in einem späten Stadium ihrer Entwickelung,
in dem Kupferstiche auf. Die Niellodrucke bilden eine gegenständlich wie technisch
in sich geschlossene Gruppe und entwickeln sich unabhängig vom Kupferstiche, der
nur erst später zur Hülfeleistung herangezogen wird, zur vollständigen Ausnutzung der
Vorteile des Abdruckverfahrens.
Wenn aber auch ihrem technischen Charakter nach unabhängig von einander,
stellen Nielloabdruck und Kupferstich doch nur zwei verschiedene Anwendungsformen
der künstlerischen Vervielfältigung mit Hülfe der Gravierung dar und stehen doch in
ihren künstlerischen Formen in engster Beziehung mit einander.
In den Niellodrucken sind uns nicht nur durchaus treue Nachbildungen von be-
deutenden Werken der Goldschmiedekunst erhalten, nicht nur vermitteln sie uns die
Kenntnis von interessanten Darstellungskreisen des italienischen Quattrocento, sie bieten
uns in ihren künstlerischen Formen ein bedeutungsvolles Verbindungsglied des Kupfer-
stiches mit der grofsen Kunst, mit der sie technisch und künstlerisch in noch viel
engeren Beziehungen stehen als die Kupferstiche. Sie vor allem lassen uns erkennen,
dass der italienische Kupferstich in seiner künstlerischen und technischen Entwickelung
und in seiner Verwertung nur im Zusammenhange mit den anderen Kunstzweigen zum
historischen und künstlerischen Verständnis gebracht werden kann.
DIE RADIERUNGEN DER SCHÜLER REMBRANDTS
VON W. VON SEIDLITZ
Während der letzten Jahrzehnte, nämlich seit der im Jahre 1877 veranstalteten
Ausstellung des Burlington Club, hat sich das von Bartsch zusammengestellte Radier-
werk Rembrandts so manche Abstreichungen gefallen lassen müssen, die alle dahin
zielen, das Wesen des Meisters in möglichster Klarheit, befreit von allem ihm nicht
zuzumutenden Ballast, festzustellen. Dadurch entstand vielfach die Frage, welche
von seinen Schülern wohl die einzelnen ausgeschiedenen Blätter angefertigt haben
könnten. Hierüber sich zu äufsern, musste so lange als bedenklich erscheinen, als
nicht das seit Jahren angekündigte Werk des um die Rembrandtforschung hochver-
dienten Petersburger Senators Rovinski über die Radierungen der Schüler und Nach-
ahmer Rembrandts erschienen war. Jetzt, da die Rovinskische Publikation (L'oeuvre
grave des eleves de Rembrandt et des maitres qui ont grave dans son goüt, St. Peters-
burg 1894, zwei Foliobände und Textheft) als eine würdige Ergänzung seines Oeuvre
de Rembrandt vorliegt, kann die Anzahl der in Frage kommenden Blätter überblickt
werden, ohne dass der Befürchtung, Wichtiges übersehen zu haben, Raum gegeben
zu werden braucht.
Auf eine Kritik des Rovinskischen Werkes als solches kann hier nicht einge-
gangen werden. Es handelt sich nur um die Ergebnisse, die daraus für die Kennt-
nis der einzelnen Nachfolger Rembrandts gezogen werden können. Da zeigt es sich
denn leider, dass die bisher gemachte Erfahrung bestätigt wird, wonach aus all'
diesen Blänern wenig Aufklärung über die fraglichen Nummern in dem Werke des
Meisters selbst zu erwarten ist. Wohl treten einige schärfer umrissene Künstler-
16*
1 20 DIE RADIERUNGEN DER SCHÜLER REMBRANDTS
persönlichkeiten hervor: Livens, Bol, Vliet, Verbeecq; aber selbst deren Werk ist auch
jetzt noch nicht durchweg klargestellt. Die Masse der tlbrigen zeigt neben einer ganz
geringen Zahl guter Arbeiten meist durchaus Minderwertiges.
Auch für die Chronologie ist die Ausbeute gering. Wir sehen, dass Vliet fast alle
seine Blätter in der ersten Hälfte der dreifsiger Jahre angefertigt hat und zwar im Jahre
1631 wohl ausschliefslich nach Rembrandt arbeitend, im Jahre 1635 aber selbständige
wenn auch noch immer in Nachahmung Rembrandts, schaffend. Dass er an Rembrandts
grofser Kreuzabnahme von 1633 ^"^ besonders an dessen Ecce homo von 1635/36 stark
mitgewirkt , ergiebt sich aus der Vergleichung mit seinen Arbeiten in tiberzeugender
Weise, um so mehr, als er hier wie dort in überwiegendem Mafse den Grabstichel
verwendet hat. Reine Radierungen sind in seinem Werk nur Bartsch 25, der Greisenkopf,
der ihm nicht einmal mit Sicherheit zugeschrieben werden kann, da er seine Namens-
bezeichnung nicht trägt, B. 26, das Brustbild eines Offiziers, und die Figurenfolge
B. 83 — 92 von 1632; zum Teil wenigstens radiert und dann mit dem Stichel fertig
gemacht sind B. 57 und 57 ^", die Bildnisse der Amalie von Solms und des Prinzen
Friedrich Heinrich, die Figurenfolgen B. 59 — 72 von 1635 und B. 73 — 82 von 1632.
Auf den Blättern Bols reichen die Jahreszahlen von 1642 bis 1653, welches Datum,
von Rovinski nicht erwähnt, auf dem Philosophan Bartsch 5 sich befindet, nämlich im
I. Zustande auf dem vom Tische herabhängenden Blatt Papier (den von Claussin an-
geführten III, Zustand, mit dem Datum 1662 rechts oben, hat auch Rovinski nicht zu
Gesicht bekommen). Noch um ein Jahr weiter kommen wir, wenn wir die Halbfigur
der Frau im Fenster, Bartsch 52 der Verschiedenen, ihm zuschreiben, da deren verkehn
geschriebene Jahreszahl 1654 durchaus die gleiche Bildung der Ziffern zeigt wie das vor-
genannte Blatt, und die Arbeit ganz dazu stimmt. Die Greisenfigur B. 19 dagegen, die das
frtiheste Datum, nämlich 1639, aufweisen würde, können wir dem Künstler, trotz der
Namensinschrift, nicht lassen, da sie selbst für die Arbeit eines Anfängers zu schwach ist.
Bei Livens fehlen die Jahreszahlen durchweg; nur aus dem Umstände, dass die
von Rembrandt retouchierten Kopieen nach seinen, viel besseren Köpfen Bansch 18 — 20
von 1635 datiert sind, lässt sich schliefsen, dass Livens Vorlagen etwas früher entstanden
sein werden. Livens sind auch bestimmt die von Bartsch unter den Verschiedenen
verzeichneten Köpfe 25 und 33 zuzuschreiben. Rovinski 74 von 1649 ist schwach; zu
Rovinski 75 von 1651 fehlt die Abbildung.
Erwähnen wir dann noch den Eeckhoutschen Kopf (Bartsch 66) von 1646, die drei
von Sal. Koninck (B. 68 — 70) von 1638 (alle drei so datiert und nicht blos B. 69),
die beiden Kompositionen von Renesse (Rovinski, Atlas 438 fg.) von 1653 (^"f ^^^ ersten
Blatt steht diese von Rovinski nicht erwähnte Jahreszahl unmittelbar unter dem Namen
und auf dem zweiten ist sie so, statt 1657, ^^ lesen) und eine von 1651, so bleibt nur
noch Verbeecq übrig, dem aufser den von 1639 datierten Blättern Bartsch 83 — 86 F. auch
die beiden hier nach Bartschs Vorgange Rodermont zugeschriebenen Kompositionen
B. jj und 78 angehören, die bereits Gersaint mit richtigem Blick Verbeecq zuerkannt
hatte (die angebliche Bezeichnung R. M. F. auf dem zweiten vermag ich nicht heraus-
zuerkennen). — Der einer weit früheren Generation angehörende Roel. Savery (Rovinski,
Atlas 459) hat mit Rembrandt überhaupt nichts zu thun; Seymour Haden, wenn er ihn
unter den Mitarbeitern Rembrandts erwähnt, meinte jedenfalls den viel späteren Sal. Savry.
Geht man die Werke der einzelnen Stecher an der Hand des Rovinskischen Kata-
loges durch, so ergiebt sich Gelegenheit zu den folgenden Bemerkungen, die jedoch nicht
darauf ausgehen, die Zuweisungen oderBeschreibungen einer eingehenden Kritik zu unter-
ziehen, sondern nur das Material für die Beurteilung der Künstler klarstellen wollen.
VON W. VON SEIDLITZ 1 2 1
Bol. Rovinski 2 1 , Kopie des Kopfes der grofsen Judenbraut (Rembrandt Bartsch 341 ) :
Die Behauptung, dass auf der Brust (!) Bols Name zu lesen sei, erinnert durchaus an
Lautners Phantasieen; es handelt sich dabei um ein blofses Spiel der Nadel; die Arbeit
zeigt übrigens gar keine Verwandtschaft mit Bol. — Rovinski K, Rembrandts Schiff der
Fortuna, B. in, dürfte ganz ohne Grund einem andern Künstler, und gar Bol, zu-
gesprochen worden sein. 4
Livens. Bartsch 32 zeigt die Züge, die nach Michel als diejenigen von Rembrandts
Vater bezeichnet werden. — B. 34 verkleinene Wiederholung von 24; dasselbe Modell
wie 29. — B. 39 verkleinerte Wiederholung von 16. — B. 66 sicher nicht von Livens;
vielleicht, wie Bartsch annimmt, von Sal. Savry, dessen Adresse darauf steht. — Rovinski
73 gegenseitige Kopie nach Rembrandt Bartsch 263, nur das Brustbild. — Rovinski 'j'j
Kopie nach Rembrandt B. 174, gröfser, doch bereits unterhalb der Knie abgeschnitten. —
Rovinski 83 Kopf der Diana, gegenseitig nach Rembrandt B. 201 kopiert, nicht nur in
Anlehnung an Rembrandt. — Das Verhältnis zwischen den beiden gleichstrebenden
Jugendgenossen war demnach der Art, dass anfangs, um 1630/31, Livens mehrfach
nach Rembrandt kopierte; später aber, im Jahre 1635, Rembrandt Kopien, die seine
Schüler nach Livens angefertigt hatten, selbst überarbeitete.
Vliet. Bartsch 12, die Taufe des Kämmerers; neu ist die Angabe, dass das Original-
gemälde Rembrandts, das Bode jetzt in dem Schweriner Exemplar erblickt, sich beim
Grafen Tolstoi in Odessa befinden soll. — B. 18, lesende Alte; Bodes Studien S. 381
zufolge nach dem Bilde von 1631 in Oldenburg. — B* 19> nach Bode Rembrandts
Vater (diese bei B. 20 angebrachte Bemerkung gehört hierher). — B. 24 ebenso, ent-
sprechend dem sogenannten Juden Philo. — Unter Vliets Namen führt Rovinski (Atlas
Nr. 280 fgg.) den gröfsten Teil der Blätter auf, die in den letzten Zeiten Rembrandt ab-
gesprochen worden sind, jedoch nicht durchgehends (z. B. nicht Rembrandt Bansch 169)
der Hand Vliets zugeschrieben werden können ; manche durchaus ähnliche (wie z. B.
das Bildnis Rembrandts B. 12) fehlen hier übrigens noch. Dagegen ist kein Grund
abzusehen, weshalb B. 24, 142, 164, 165, 190, 191, 316, 327 Rembrandt, dessen Be-
handlungsweise sie durchaus zeigen, abgesprochen werden sollten.
Verschiedene: Blatt 38 gegenseitige Kopie nach Rembrandt Bartsch 100. — L. Bramer
Rovinski Atlas 398; die Vorlage dazu befindet sich nicht in der Dresdner Galerie, wie
kovinski angiebt. — Das Monogramm IP, das Rovinski auf Rembrandts schlafendem
Hunde B. 158 (Atlas 421) sieht, kann ich nur für einen Schnörkel halten.
Das Ergebnis dieser Betrachtungen lässt sich dahin zusammenfassen, dass für
die erste Hälfte der dreifsiger Jahre Vliet, der bereits eine ganze Reihe Rembrandt-
scher Gemälde gestochen hatte, auch als der Verfertiger vieler kleiner, mit Rembrandts
Monogramm versehener Radierungen sowie als Mitarbeiter an des Meisters grofsen
Kompositionen angesehen werden kann, wobei er den Grabstichel noch in höherem
Mafse als die Radiernadel anwendete. — Livens ist wegen seiner durchaus selbständig
durchgebildeten Künstlerpersönlichkeit nicht als Nachahmer und noch weniger als
Schüler Rembrandts anzusehen, sondern, wie dies auch durch zeitgenössische Zeug-
nisse bestätigt wird , durchaus als dessen gleichgestellter Studiengenosse. Die Möglich-
keit, dass er gelegentlich eines oder das andere der früheren Blätter seines begabteren
Freundes kopiert habe, ist deshalb nicht ausgeschlossen: immerhin möchte bei der
Entscheidung dieser Frage besondere Vorsicht am Platze sein, wenn man als ausgemacht
annimmt, dass andererseits Rembrandt es für der Mühe wert erachtet habe, Kopieen
die seine Schüler nach Livensschen Radierungen ausgeführt hatten, einer Überarbeitung
zu unterziehen. Die Fälle der Übereinstimmung, wie z. B. bei Rembrandts Vater und
.•:\kIc v.M. K
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1 -
.'• iroti;^
JEAN ETIENNE LIOTARD
GRAF FRANCESCO ALGAROTTI
I'AS I KLLGEMÄLDE IM BKSITZ SEINKR MAJESTÄT DES KAISERS
PASTELLBILDNIS DES GRAFEN FRANCESCO ALGAROTTI VON PAUL SEIDEL I23
des humains qui ne pensent pasv, schreibt Friedrich an Algarotti und versichert ihn
an anderer Stelle, dass er niemals die acht Tage seines Besuches bei ihm vergessen
werde. Algarotti besafs eine für seine Zeit gediegene künstlerische Bildung, die er
gerne in den Dienst kunstfreundlicher Monarchen stellte, wie namentlich in die des
Königs von Polen. Die durch Algaroui gemachten Erwerbungen für die Dresdener
Gallerie sind von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Ich erwähne hier nur die
Madonna des Btirgermeisters Meyer von Holbein, die erst durch die moderne Kunst-
kritik als Kopie festgestellt worden ist, die »drei Schwestern« von Palma Vecchio,
sowie bedeutende Bilder von Courtois, Strozzi und Jan Weenix^).
Unter diesen Erwerbungen hat an dieser Stelle eine noch nicht genannte ein
besonderes Interesse für uns, diejenige des berühmten Liotardschen Chokoladen-
mädchens, weil durch dieselbe die Möglichkeit geboten wird, die wahrscheinliche Ent-
stehungszeit von Liotards Porträt des Grafen Algarotti zu bestimmen. Dieses Bild
ist nach dem eigenhändigen Auszuge seines Tagebuches^) von Algarotti im Februar
1745 in Venedig vom Künstler selber erworben worden: »a Venise. 3 fevrier 1745 paye
au sieur Liotard pour un tableau de pastel representant une Stoubemenche (sie)
120 sequins = L, 2640« und in einem nach Dresden gerichteten Schreiben") vom
23. April 1746 erwähnt er das Bild folgendermafsen: »Je ne parlerai pas ici de la Magde-
laine de la Rosalba,*) regardee par eile meme comme soh chef d'oeuvre, ni de la
Stoubmenche qui a ete consideree par tous les Peintres de Venise et par la Rosalba
meme comme le plus beau Pastel qu'on ait jamais vu.« Wir gehen wohl nicht fehl,
wenn wir in diese Zeit, Anfang des Jahres 1745, wo Liotard in Venedig anwesend war,
auch die Entstehung des Bildnisses Algarottis setzen, denn dieser war damals 33 Jahre
alt (geboren 1 1. Dezember 1712) was sich mit dem Bilde wohl in Einklang bringen lässt.
Es war aber nicht allein reine Kunstliebe, die Algarotti zu seinem Eifer für die
Kunstsammlungen des Königs von Polen anspornte, sondern der ehrgeizige Italiener
verband hochfliegende Pläne damit, die sich aber nur zum Teil erfüllen sollten. Zu
seinem gröfsten Missvergnügen wurde nicht ihm sondern dem Unterhändler Ventura
Rossi u. A. der Auftrag, die Modeneser Gallerie für Dresden zu erwerben. In dem
schon erwähnten Schreiben vom 23. April 1746 beschwert Algarotti sich bitter über diese
Zurücksetzung und stellt eine Berechnung auf, nach der die von ihm bisher ver-
mittelten Gemäldeankäufe anstatt der gezahlten 2774 Golddukaten einen Wert von
11900 hauen, eine Differenz auf die er grofsmütig zu Gunsten des Dresdener Hofes
verzichtet habe. Als Entschädigung fordert Algarotti die Verleihung des Kammerherrn-
Titels und den Ankauf seiner eigenen Gemäldesammlung gegen eine jährliche Leibrente
von 1800 Dukaten. Gegen diese Wünsche verhielt sich der Dresdener Hof ablehnend,
Algarotti hat es don nie weiter als bis zu dem Titel eines Kriegsrates gebracht.
Bei derUnzuverlässigkeit der Berater Friedrichs desGrofsen in Kunstsachen können
wir es heute nur bedauern, dass er Algarotti nicht in gröfserem Mafsstabe zur Ver-
mittelung von Ankäufen herangezogen hat, da dessen Erwerbungen für Dresden und
seine zahlreichen Schriften kunstkritischen Inhaltes ihn zu einer solchen Vertrauens-
i' Vergl. Woermann , Katalog der Königlichen Gemäldegallerie zu Dresden 1887. S. 9
und Zahn, Jahrbücher für Kunstwissenschaft 1871 S. 186 — 189. »Algarottis Correspondenz
über die Erwerbung der Holbeinschen Madonna«.
') Königliches Haupt -Staatsarchiv in Dresden.
') Königliches Haupt- Staatsarchiv in Dresden.
*) Vergl. Woermann, Katalog. Pastelle Nr. 61.
124 PASTELLBILDNIS DES GRAFEN FRANCESCO ALGAROTTI VON PAUL SEIDEL
Stellung als ganz besonders befähigt erkennen lassen.^) Der König wäre jedenfalls,
namentlich auf dem Gebiete der italienischen Malerei, nicht derartig hintergangen
worden, wie es durch seine Pariser Agenten zeitweilig geschehen ist. Algarotti hat
für Potsdam nur Kleinigkeiten besorgt, so die beiden Bilder Zuccarellis in Sanssouci,*)
ferner Bücher und namentlich Zeichnungen und Aufnahmen italienischer Paläste, die
als Muster für die von Friedrich in Potsdam errichteten Bürgerhäuser dienten. Der
junge König schätzte an dem geistreichen Italiener vor allen Dingen den gewandten
nie langweiligen Gesellschafter, und bei Friedrichs bekannter Hochschätzung des
»esprit« darf es uns nicht verwundern, wenn er Algarotti mit seinem älteren Bruder
gleich in dem Jahre seines Regierungsantrittes in den erblichen Grafenstand erhob.
Der oben angedeutete Misserfolg in Dresden führte Algarotti wieder näher an den
Preufsischen Hof, und hier wurde ihm auch endlich das Ziel seiner Wünsche zu Teil.
Die ganze Wollust befriedigten Ehrgeizes leuchtet aus dem Potsdam den 15. April 1747
datienen Schreiben Algarottis an den Grafen Brühl, dessen Anfang hier folgen mag:
»Monseigneur. Voyant combien j*^tais inutile au service de Sa Majeste, j'ai accepte,
Monseigneur, les offres genereux que Sa Majeste le Roi de Prusse a daigne me faire.
II me donne 3000 ecus de pension, et m*a honore hier ai^ soir de la clef de son
chambellan et de Tordre du Merite. J'ai remis, Monseigneur, ce matin la patente de
conseiller privä de guerre a Monsieur de Bulow.a Die Beziehungen des grofsen Königs
zu Algarotti, seinem »Schwan von Padua« sind bis zu dessen Tode trotz des Italieners
Unbeständigkeit ungetrübt geblieben. Wenn auch der König die übertriebenen
Schmeicheleien seines Freundes mit feiner Ironie zurückweist, so kann er sich doch
nie genug an seiner glänzenden und schlagfenigen Unterhaltungsgabe über alle mög-
lichen wissenschaftlichen und künstlerischen Gebiete erfreuen, und er kann darin
nach seiner Meinung allein mit Voltaire verglichen werden.")
Die Korrespondenz Friedrichs mit Algarotti bringt an vielen Stellen die Be-
wunderung des Königs ftir dieses Talent seines Freundes zum Ausdruck, auch die
Sehnsucht nach dessen Vaterlande, dem nie geschauten Italien, bricht sich oft Bahn in
seinen Briefen, namentlich als Algarotti einmal erwähnt hatte, dass er nicht nach
Herculanum zu gehen beabsichtige. »Vous n'allez donc a Herculanum? J'en suis
fachö; c'est le phönomene de notre siecle; et si de si fones entraves ne me retenaient
pas ici, je ferais cinq cent lieues pour voir une ville antique ressuscitee de dessous
les cendres du Vesuve.«
Am 3. Mai 1764 ist Graf Algarotti in Pisa verschieden. Der König sprach sofort
den Wunsch aus, dass auf seinem Grabe eine Marmortafel mit folgender Inschrift
errichtet werde : »Hie jacet Ovidii aemulus et Newtoni discipulus«. In bedeutend er-
weiterter Form wurde dieses Grabdenkmal nach den Entwürfen Maurinos und Carlo
Bianconis im Campo Santo zu Pisa aufgerichtet,*) wo es noch heute den Wanderer,
der überrascht den Namen des Grofsen Friedrichs an diesem Orte entdeckt, daran
gemahnt, wie der Grofse König die Ritter des Geistes zu ehren wusste.
^) Vergl. Woermann a. a. O.
*) Vergl. meinen Aufsatz: »Friedrich der Grofse als Sammler« s. Jahrbuch Bd. XV S. 54.
•) Vergl. die glänzende Schilderung des Freundeskreises des Grofsen Königs bei Koser,
•König Friedrich der Grofse« im Kapitel »Sanssouci«.
*) Gestochen von Volpato und Raphael Morghen.
Gedruckt in der Reichsdnickerei.
GEDRUCKT IN DER REICHSDRUCKEREI
//
/Jai<^
DER
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
FU^JFZEHNTER 'BAND
in. HEFT
^BERLIN h894
G. GROTESCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
l
INHALT.
Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen:
Berlin:
Königliche Museen XXVII
Königliche National - Galerie XXXIX
Breslau :
Schlesisches Museum der Bildenden Künste XL
STUDIEN UND FORSCHUNGEN
Zur Byzantinischen Frage. Die Wandgemälde in S. Angelo in Formis. Von
E. Dobbert 125
Mit yierandzwanzig Textabbildungen.
Das Tizianbildnis der Königlichen Galerie zu Cassel. Von C. Justi . . . 160
'* Mit einer TafSel in Heliographie.
Entlehnungen Rembrandts. Von C. Hofstede de Groot 175
N Mit einer Heliographie und vier Textabbildungen.
Die Hochzeit des Alexander und der Roxane in der Renaissance. Von
Richard Förster 182
Mit einer Tafel in Lichtdruck und sechs Textabbildungen.
Holbeins Bergwejrkzeichnung im Britischen Museum. Von Eduard His . . 207
^ Mit einer Tafel in Lichtdruck.
Redakteur: In Vertretung V. v. LOGA
Fünfzehnter Jahrgang
No. 3.
I. Juli 1894
AMTLICHE BERICHTE
AUS DEN
KÖNIGLICHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
DAS JAHRBUCH DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN KUNSTSAMMLUNGEN ERSCHEINT VIERTELJÄHRLICH
ZUM PREISE VON 30 MARK FÜR DEN JAHRGANG.
I. KÖNIGLICHE MUSEEN
I. Januar — 31. März 1894
A. GEMÄLDE-GALERIE
Für die Gemälde -Galerie wurden Erwer-
bungen nicht gemacht.
Wie vor mehr als Jahresfrist die Abteilung
der romanischen Schulen einer Umstellung
unterworfen worden ist, so sind jetzt auch
die Vorbereitungen getroffen, um in den
nächsten Monaten die Bilder der germani-
schen Schulen, behufs systematischer Ein-
reihung der in den letzten zehn Jahren ge-
machten Erwerbungen, neu aufzustellen.
BODE
B. SAMMLUNG DER
SKULPTUREN UND GIPSABGÜSSE
I. ANTIKE SKULPTUREN
Die Abteilung der antiken Skulpturen hat
eine attische Grablekythos aus pentelischem
Marmor mit der Reliefdarstellung einer
Abschiedsscene erworben und von Herrn
Mommsen als Geschenk den Abguss einer
*mit drei Reliefiiguren verzierten Kandelaber-
basis in Rom erhalten.
I.V.:
PUCHSTEIN
II. BILDWERKE
DER CHRISTLICHEN EPOCHE
Die Sammlung wurde auch in diesem
Quartal wieder durch ein paar dankenswerte
Geschenke bereichert. Herr Gerichts-Assessor
Dr. von Liebermann schenkte ein trefflich
erhaltenes Stuckrelief der Madonna von einem
Künstler in der Art des BENEDETTO DA MA-
JANO, sowie ein vorzügliches kleines Silber-
relief der Grablegung Christi, eine lombardi-
sche Arbeit vom Ende des XV Jahrhunderts.
Von Herrn Gustav Salomon wurde eine
Bronzestatuette der kauernden Venus, eine
feine Arbeit des XVII Jahrhunderts, der Samm-
lung überwiesen.
BODE
C. ANTIQ.UARIUM
Der Sammlung gingen einige Geschenke zu :
Von Seiner Majestät dem Kaiser und
König ein Bronzeschwert.
Von Herrn Castellani in Rom eine kleine
figürliche Gruppe aus Gusseisen.
I.V.:
FURTWÄNGLER
111
V.
XXIX
AMTLICHE BERICHTE
XXX
D. MÜNZKABINET
Das Mtinzkabinet erwarb 219 Stück (2 N
143 iR 52 iE, 3 Aluminium, 18 Bleie, i Stück
Papiergeld). Unter den Geschenken zeichnen
sich als höchste Seltenheit aus: die bisher
nur weniger schön in Paris vorhandene Tetra-
drachme besten griechischen Stils eines von
Lucian erwähnten parthischen Dynasten, des
Königs Kamniskires und das den arsacidi-
schen Münzen im Stil ähnliche Tetradrach-
mon des Königs Kamnaskires (wohl mit dem
vorher genannten identisch) und seiner Ge-
mahlin Anzaze. Diese hochwichtigen Stücke
verdankt das Museum Herrn James Simon,
welcher dieselben nebst einer Reihe wert-
voller Mittelalter- und neuerer Münzen dem
Königlichen Münzkabinet schenkte. Unter
den erworbenen Mittelaltermünzen befinden
sich eine Anzahl Hersfelder Brakteaten aus
dem Funde von LICHTENBERG und eine Aus-
wahl mecklenburgischer und pommerscher
Brakteaten aus dem Funde von HEHLINGEN
bei Vorsfelde.
Von Seiner Majestät dem Kaiser und
König wurde eine allegorische Silbermedaille
dem Münzkabinet zur Aufbewahrung Aller-
höchst überwiesen.
Geschenke erhielt die Sammlung von den
Herren Regierungsrat Friedensburg, W.
Hahlo in Wien, Dr. Freiherr Hiller von
Gärtringen, Professor Dr. Mommsen,
James Simon (das oben erwähnte Geschenk)
und Adolf Weyl (49 arabische Münzen,
unsere Sammlung in erwünschter Weise ver-
vollständigend, 16 Silber- und 33 Kupfer-
münzen).
V. SALLET
E. KUPFERSTIGHKABINET
Von den im verflossenen Quartal gemach-
ten Erwerbungen sind die folgenden hervor-
zuheben :
A. KUPFERSTICHE
MEISTER E. S. Christus in ganzer Figur nach
rechts schreitend und seine Wundmale
zeigend. Im Hintergrund die Marter-
werkzeuge. Unbeschrieben. 94 mm hoch,
63 mm breit.
DER MEISTER DES HL. ERASMUS. Der hl. Hie-
ronymus mit dem Löwen. Die beiden
Stiche sind eingeklebt in ein hand-
schriftliches lateinisches Breviarium des
XV Jahrhunderts.
BINCK, JACOB. Madonna auf dem Halbmond
stehend und von zwei Engeki gekrönt.
Mit dem Monogramm bezeichnet. Un-
beschrieben. 188 mm hoch, 129 mm breit
HOLLAR, WENZEL. Der Totentanz nach
Holbein. 30 Blatt. Parthey Nr. 233 — ^262.
DERSELBE. Die Wanderer am Wasser. P.1210.
DERSELBE. Bildnis des Prinzen Ruprecht
von der Pfalz. P. 13 15. Vor dem Hinter-
grund.
DERSELBE. Deckel eines Gefäfses. P. 2626.
SINTZENICH, H. Bildnis des Freiherm Carl
August von Hardenberg. 1802. Nach
H. Schröder. Schabkunstblatt.
FREIDHOFF, J. J. Bacchanten. 1789. Nach
J. J. Langenhöffel. Farbiges Schabkunst-
blatt.
LEIDEN, LUCAS VAN. Die Schaffung der Eva.
B.i.
GOUDT, HEINRICH. Der kleine Tobias. An-
dresen i.
DERSELBE. Der grofse Tobias. A. 2.
DERSELBE. Die Flucht nach Ägypten. A. 3.
DERSELBE. Die Enthauptung des Johannes.
A.4.
DERSELBE. Ceres bei der alten Metanira. A. 5.
DERSELBE. Jupiter und Merkur bei Philemon
und Baucis. A. 6.
DERSELBE. Die Morgenröte. A. 7.
WARD, WILLIAM. Alinda. Farbiger Kupferstich.
B. HOLZSCHNITTE
ALTDORFER, ALBRECHT. Das Opfer Abrahams.
B.41.
JACKSON, J. B. Römische Landschaft mit
Ruinen. Farbenholzschnitt in mehreren
Platten.
C. BÜCHER MIT STICHEN UND RADIERUNGEN
Zelis au bain. Poeme. En quatre Chants.
Geneve. Les Trois Freres et Combabus.
Floricourt. Amsterdam. 1768. Mit Sti-
chen nach Charles Eisen.
/^
XXXI
KÖNIGLICHE MDSEEN
XXXII
Les Baisers, Precedes du Mois de Mai. Poeme.
Haag. 1770. Mit Stichen nach Charles Eisen.
Am 24. Januar wurde die im Oberlichtsaal
des Kupferstichkabinets befindliche Ausstellung
von Farbendrucken des XVII und XVIII Jahr-
hunderts aufgelöst und an deren Stelle eine
Ausstellung der Hauptwerke der Holzschneide-
kunst der älteren Perioden eröffnet. Diese Aus-
stellung besteht aus Einzelblättern des Holz-
schnitts deutscher, italienischer und nieder-
ländischer Meister und aus einer Reihe der
wichtigsten mit Holzschnitten illustrierten
Bücher vornehmlich des XV und XVI Jahr-
hunderts aus der mit dem Kupferstichkabinet
verbundenen Sammlung von Büchern mit
künstlerischer Ausstattung.
LIPPMANN
F. ÄGYPTISCHE ABTEILUNG
Der hauptsächlichste Zuwachs dieses Quar-
tals besteht in einer gröfseren Anzahl später
Papyrus (2 demotische, 185 griechische, 45
koptische, i persischer und 134 arabische);
dass wir diese Sammlung, die, wie sich schon
jetzt sehen lässt, eine Anzahl interessanter
Urkunden enthält, unseren ähnlichen älteren
Beständen zuführen konnten, verdanken wir
einem Geschenke des Herrn Rudolf Mosse.
Des Weiteren erhielt die Abteilung zum
Geschenk: von Herrn Kanzler Wilhelm in
Kairo die dekorative Sandsteinfigur eines
Sperbers; von Herrn Dr. Set he drei kleine
ägyptische Altertümer.
Erworben wurden u. A.: eine Auswahl
ägyptischer Mumienetiketts (dabei ein sicher
christliches); die Form zu einem goldenen
Amulett, etwa aus dem neuen Reich; ein
Paar Pantoffeln aus griechischer Zeit aus
vergoldetem Leder mit eingepressten Orna-
menten von gutem Stil; ein Siegelcylinder
und ein Skarabäus aus Syrien, beide von
einheimischer Arbeit.
ERMAN
G. MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
I. ETHNOLOGISCHE ABTEILUNG
Durch die altbewährte Gönnerschaft des
Herrn Dr. Ja gor sind der früherhin von ihm
der indischen Abteilung zugewandten Muster-
sammlung wertvolle neue Erwerbungen, von
seiner letzten Reise in Süd- und Ostasien
stammend, hinzugetreten.
Auch Herr Dr. Ehren reich hat der
Sammlung Geschenke aus diesen Gegenden
gütigst Überwiesen.
Ferner sind durch die Vermittelung des
Herrn Geheimrat Dr. Virchow die der
Anthropologischen Gesellschaft vorgelegten
Erfolge des Herrn Dr. Troll (in Wien) aus
seinen Reisen in die Mongolei und Turkestan
dem ethnologischen Museum als willkommene
Bereicherung zugeführt worden.
Aus Afrika wird eine wertvolle Schenkung
aus dem Congo-Gebiet Herrn Dr. H. Meyer
(in Leipzig) verdankt, und gütige Zuwen-
dungen sind überreicht durch Herrn Grafen
Schweinitz, Sanitätsrat Dr. Bartels,
Herrn Major von Alten, Herrn Grade
(aus dem Togo - Gebiet) , Herrn Dr. Rein-
hardt und die Deutsche Kolonial-
Gesellschaft.
Aus Neu-Seeland hat Sir Walter Bull er
das Museum durch Geschenke begünstigt
und andere sind eingegangen durch Herrn
Baron von Müller aus Australien, Herrn
und Frau Professor Martin sowie Herrn
Dr. Stapf (aus Samoa).
BASTIAN
IL VORGESCHICHTLICHE ALTERTÜMER
PROVINZ BRANDENBÜRG.
Geschenke. Herr Landrat von Meyer
in Arnswalde: ThongefUfsscherben, Schädel
und Skeletreste von Arnswalde, zu den schon
früher geschenkten römischen Funden gehörig.
Herr Steinmetz und Bildhauer O. Seeler in
Fürstenberg a/0. : Gefäfsscherben von Schön-
fliefs, Kr. Guben. Herr von Bredow auf
Landin : Thonscherben von Landin und Has-
selhorst, Kr. Westhavelland. Oberrealschüler
Dietrich in Berlin: Thonscherben, eine
iir
V
XXXIII
AMTLICHE BERICHTE
XXXIV
eiserne Axt, Hirschhorn - Gerät u. A. von
Ketzin, Kr. Osthavelland. Herr Zeichenlehrer
H. Ludwig in Berlin: Zwei gröfsere Bruch-
stücke von wendischen Thongefäfsen von Lin-
dow, Kr. Ruppin, und einen Schleuderstein
mit zwei centralen Dellen und Rille um den
Aufsenrand von Lichterfelde, Kr. Teltow.
Herr Professor Eug. Bracht in Berlin:
Thonscherben aus Hügelgräbern bei Lüsse,
Kr. Zauch-Belzig, und mittelalterliche Scher-
ben von Beizig.
A n k ä u f e. Eine grofse Anzahl von Urnen,
Beigefilfsen und Beigaben aus dem Gräber-
felde von Schönfliefs, Kr. Guben. Neun Urnen
von Dergischow, Kr. Teltow.
Ausgrabung im Auftrage der Gene-
ral-Verwaltung. Knochenkamm, eisernes
Messer, Thonscherben etc. aus römischen
Skeletgräbern bei Arnswalde.
PROVINZ WESTPREUSSEN.
A n k ä u f e. Gipsabguss einer Steinskulptur,
eine menschliche Figur mit Trinkhorn und
Dolch darstellend, von Christburg. Bronze-
Schläfenringe, Perlen u. A. vom Lorenzberge
bei Kaldus, Kr. Kulm.
PROVINZ POMMERN.
Geschenk. Herr Dr. Rud. Schulze in
Berlin: Elf Feuerstein - GerJlte von Quoltitz
und Nipmerow auf Rügen.
Ankäufe. Ein kleiner hammerförmiger
Wetzstein von Garz auf Rügen. Ein bohrer-
artiges Werkzeug, ein kleiner Meifsel und
zwei Flachcelte aus Bronze von Ferdinands-
hof, Kr. Ockermünde.
PROVINZ POSEN.
Ankäufe. Ein kleines poliertes Feuer-
steinbeil und zwei Steinhämmer von Heyers-
dorf, Kr. Fraustadt. Sieben Thongefäfse und
ein Eisenring von Bismarcksdorf (Karsy),
Kr. Pleschen.
PROVINZ SCHLESIEN.
Geschenke. Herr Oberamtmann An-
dreae in M.-Herwigsdorf: Thongefäfse von
Lessendorf, Kr. Freystadt. Herr Pastor Wi t k e
in Koeben: Thongeföfsscherben und ein
Bruchstück einer Bronze-Fibel von Koeben,
Kr. Steinau. Die Königl. Eisenbahn-
Direktion Berlin: Sechzehn Thongefäfse
von Neuhof, Kr. Liegnitz. Herr Lehrer
Fuchs in Hohwelze: Dreizehn Thongefäfse
von Hohwelze, Kr. Grünberg,
Ankauf. Grofse Urne und Scherben von
Herrnstadt, Kr. Guhrau.
PROVINZ SACHSEN.
Geschenke: Herr Gutsbesitzer A. Va s e 1
in Beierstedt: Eine Photographie von Haus-
urnen mit Gesichtern, gefunden bei Eilsdorf,
Kr. Oschersleben. Das Königl. Eisenbahn-
Betriebsamt Erfurt: Urnen und Scherben
von Freiburg a. U., Kr. Querfurt Herr Re-
gierungs- und Medizinal - Rat Pippow in
Erfurt: Einige Thoncylinder von Erdebom,
Mansfelder Seekreis. Herr Dr. Rud. Schulze
in Berlin: Vier spätneolithische Thongefäfse
von Aschersleben oder Egeln.
Ankäufe. 45 Thongefäfse von Paufsnitz,
Kr. Torgau. Drei kleine Steinbeile aus den
Kreisen Stendal und Naumburg. Ein Bronze-
Gelt von Crumpa, Kr. Querfurt.
RHEINPROVINZ.
Ankauf. Vier fränkische Gräberfunde von
Nettersheim, Kr. Schieiden.
PROVINZ HANNOVER.
Ankauf. Kleine Feuerstein -Messer von
Sögel, Kr. Hümmling.
PROVINZ SCHLESWIG -HOLSTEIN.
Ankauf. Feuerstein -Geräte aus einem
Hügel bei Djernis, Kr. Hadersleben.
MECKLENBURG - SCHWERIN.
Ankauf. Zwei grofse Arm - Doppel-
spiralen.
KÖNIGREICH SACHSEN.
Ankauf. Drei Steinbeile von Leipzig,
Möckern und Pirna.
THÜRINGEN.
Geschenk. Herr Gymnasialdirektor
Dr. W. Schwartz in Moabit : Einen facet-
tierten Steinhammer von Ruhla in Sachsen-
Weimar.
Ankäufe. Ein Bronze-Celt und 70 Stein-
Geräte aus Thüringen. 8 Stein-Beile, bezw.
Bruchstücke und Thonscherben von Sonnen-
dorf in Sachsen -Weimar.
GROSSHERZOGTUM HESSEN.
Geschenk. Herr Banquier AI. Meyer
Cohn in Berlin: Fünf römische Glasgefäfse
von Mainz.
XXXV
KÖNIGLICHE MUSEEN
XXXVI
GROSSHERZOGTÜM BADEN.
Geschenk. Herr Wendelin Knecht
in Bodman: Einige Feuerstein - Pfeilspitzen
von Bodman am Bodensee.
Ankauf. Zwei Kollektionen von Pfahl-
baufunden von Sipplingen und Bodman.
KÖNIGREICH WÜRTTEMBERG.
Geschenk. Herr Oberförster Frank in
Schussenried : Zwei Photographien von Bron-
zen aus dem Torfmoor Lissen bei Schussen-
ried.
Austausch mit dem Historischen Verein
für Württembergisch -Franken in Schwäb.-
Hall: Eisenwaffen und Bronze- Beschläge aus
dem fränkischen Gräberfelde von Crailsheim.
RUSSLAND.
Geschenk. Herr Sanitätsrat Dr. M. Bar-
tels in Berlin: Schneideteil eines gut po-
lierten Achat- Beiles von Kowalowka bei
Nemirow, Podolien.
Austausch. Herr Erazm von Ma-
jewski in Warschau: Feuerstein-Geräte von
verschiedenen Fundorten im Gouvernement
Kielce in Polen.
ÖSTERREICH - UNGARN.
Ankäufe. Eine Kollektion von Thon-
gefäfs-Bruchstücken von Pohrlitz in Mähren.
Einige Steingeräte, eine Bronze -Fibel u. A.
von Türmitz und Umgegend, Böhmen.
DÄNEMARK.
Austausch mit dem Historischen Mu-
seum der Universität Lund: Kupfercelt, zwei
Hohlcelte, zwei Messer, Nadeln, Knopf, Pfeil-
spitze, Punzen u. A. von Bronze.
Ankauf. Ein poliertes Feuerstein -Beil
von Bornholm.
SCHWEDKN.
Austausch mit dem Historischen Mu-
seum der Universität Lund : Ein Steinhammer
aus Schonen und eine Bronze-Fibel in Form
eines Thierkopfes von Burs auf Goüand.
VOSS
H. KUNSTGEWERBE-MUSEUM
I. SAMMLUNG
Neuerwerbungen
1. ZWEI FLIESENFELDER, Fayence aus Kai-
ruan. XVII— XVIII Jahrh.
2. SEIDENTEPPICH mit Rankenwerk und
Tierfiguren. Persien , XVI Jahrh.
3. PORZELLANE von Meifsen, Wien, Fran-
kenthal, Nymphenburg, Sevres.
4. SCHRANK, Nussholz, geschnitzt. Paris
um 1710.
5. SCHRANK, Eichenholz geschnitzt. Paris
. um 1760.
6. LEHNSTUHL, Mahagoni. Frankreich um
1790.
7. FÜLLUNG , Eichenholz geschnitzt mit den
allegorischen Figuren der Künste. Paris
um 1760.
8. RAHMEN, CONSOLTISCHE, FÜLLUNGEN,
Holz geschnitzt. Frankreich, XVIII Jahrh.
9. ZWÖLF HOLZPLATTEN bemalt mit figür-
lichen Darstellungen von einer Voute.
Nord -Italien, XV Jahrh.
10. TOILETTENSPIEGEL, Kupfer getrieben
und vergoldet. Spanien , XVI Jahrh.
11. KUNSTTÖPFEREIEN aus Japan.
Geschenke
Herr Lutsch in Breslau: Filetdecke und
zwei Borten.
Herr R. Horstmann: Schöpfkelle, Silber.
Angefertigt in der Gorham Mfg. Co. in
New York.
Herr Moritz Busse: Zwei BaumwoUen-
shawls und moderne Spitzen.
Herr Hermann Gerson: Vier bedruckte
englische Sammet- und Baumwollenstoffe.
HerrenGebhardt& Rössel: Vier bedruckte
englische Sammet- und Baumwollenstoffe.
Herr H. Hirschwald: Sieben Sammet-,
Seiden- und Baumwollen -Stoffe.
Herr Huldschinsky: Thürschloss mit
Schlüssel. Deutschland, XVIIl Jahrh.
Herr Henri Stettiner in Paris: Porzellan-
Teller mit durchbrochenem Rand. Meifsen,
XVIII Jahrh.
XXXVII
AMTLICHE BERICHTE
XXXVIII
Leihgaben
HerrGrafvonSeckendorff: Porphyrschale
in Bronze gefasst. Frankreich um 1740.
Arbeiten neuerer Industrie
Frau BERGER: Tischdecke, Seidenstickerei
auf grünem Atlas.
Herren SCHULZ & HOLDEFLEISS : Kaminthür,
Aluminium - Bronze.
Herr HUGO SCHAPER: Schmuckgegenstände.
MAYERSCHE HOFKUNST ANSTALT in München:
Glasgemälde, darstellend den Besuch
König Eduard IV und seines Hofes —
1477 — i^ ^^r Druckerei von William
Caxton. Für das Gildehaus der Buch-
händler Londons.
Herr Premier- Lieutenant VON DYCKE: 24
Füllungen und eine zweiflügelige Thür,
Mahagoni mit japanischer Lackbemalung.
Lackmalerei von SHO- RITSU- SAI in Tokio.
Herr Ciseleur RASMUSSEN: Silberschale in
Relief getrieben.
Im Anschluss an einen Fachabend für
Elfenbein-Arbeiten hatte der Verein für
deutsches Kunstgewerbe in Berlin vom 26. Ja-
nuar bis 8. Februar eine Ausstellung moderner
Elfenbein - Arbeiten veranstaltet. Vertreten
waren die Werkstätten und Lager von ROSEN-
STIEL, EBELL, LINCKE, SCHULZ und R.WAGNER
in Berlin und E. PENDL in Wien.
Hinzugefügt waren Gipsabgüsse und Photo-
graphien älterer Arbeiten.
LVII SONDERAUSSTELLUNG
vom 19. Februar bis April 1894.
a) Neuerwerbungen vom Jahre 1893.
b) Ankäufe
kunstgewerblicher Erzeugnisse, angekauft im
Auftrage der Königlichen Staatsregierung auf
der Weltausstellung in Chicago 1893.
Sie umfassen als wichtigste Gruppen:
Möbel, elektrische Beleuchtungskörper, far-
biges Glas ; als kleinere Gruppen: Silber, Email,
Tapeten, Werkzeuge, zusammen 281 Stück.
Ein gröfseres farbiges Glasfenster, welches
nach den Abmessungen des Gebäudes bestellt
ist, steht noch aus.
Zu den Erwerbungen des Museums sind
leihweise Stücke aus dem Besitz der Herren
Geheimen Legationsrath von Mohl, H. Hirsch-
wald (Kaufhaus Hohenzollern), und Kapitain
Mensing gekommen.
Die Beleuchtungskörper, vorwiegend für
elektrisches Licht, einige für Gas, sind durch
gütiges Eintreten von Herrn Arnold von Sie-
mens vollständig hergerichtet und an die Lei-
tung angeschlossen, so dass sie an zwei Abenden
der Woche in vollem Betrieb vorgeführt werden
konnten.
Diese Gruppe ist erweitert durch:
eine Ampel für elektrisches Licht aus
Glasprismen ftlr I. M. die Kaiserin
Friedrich von Osterloff in Berlin her-
gestellt.
Kronen, Sterne und Lampen für elek-
trisches Licht aus dem Besitz des
Herrn Arnold von Siemens z. Th.
in eigener Arbeit hergestellt, z. Th.
englischer und amerikanischer Her-
kunft.
LESSING
IL UNTERRICHTS- ANSTALT
Schuljahr 1893/94.
Das Wintersemester wurde am 2. Oktober
1893 begonnen und am 21. März 1894 ge-
schlossen.
Die Zahl der Schüler betrug:
Tagess
Voll-
schüler
chüler
Ho-
spitanten
Abend-
schuler
Zu-
sammen
Schüler . . .
114
3
252
369
Schülerinnen
26
6
46
78
Summa . .
140
9
298
447
von denen
wurden.
insgesamt 912 Plätze belegt
E. E^
IVALD
XXXIX
KÖNIGLICHE MUSEEN
XL
II. NATIONAL-GALERIE
Erwerbungen im i . Vierteljahre 1894.
A. ÖLGEMÄLDE
KEIL, (f ) Bildnis des Bildhauers Bläser.
B. HANDZEICHNUNGEN
P. SCHOBELT. (+)
1. Studien zu dem Gemälde »Venus und
Bellona« :
Männlicher Kopf mit Epheukranz. öl.
Weiblicher Kopf. Blei.
2. Venus und Bellona. Aquarelle.
3. Studien zu den Malereien im Festsaale
des Kultusministeriums:
Entwurf zum Mittelbilde. Blei.
Nach rückwärts gebeugte Frauengestalt
Blei und Wasserfarbe.
Blasender Putto. Blei.
Weiblicher Kopf. Kreide, weifs gehöht.
Im Hades. \ u kf h
Schmiede des Vulkan. /
Sitzende weibliche Gestalt mit Buch
auf den Knieen. Kreide, weifs gehöht.
Männlicher Akt mit Schale in der Hand.
Kreide.
Gesamtaufwand 1 200 Mark.
In der Zeit vom 4. Februar bis 11. März
d. J. fand im 2. Corneliussaale eine Ausstellung
von Aquarellen aus dem Besitze der Galerie
statt. Ausgelegt war insbesondere ein grofser
Teil der von dem verstorbenen Dr. THEODOR
WAGENER der Königlichen Sammlung ver-
machten Blätter.
JORDAN
BRESLAU
SCHLESISCHES MUSEUM DER
BILDENDEN KÜNSTE
Seit dem letzten Bericht wurden folgende
Erwerbungen gemacht:
A. SKULPTUREN
A. VOLKMANN. Jugendlicher Bacchus. Marmor.
FR. STUCK. Athlet. Bronzestatuette.
B. GEMÄLDE
K. MARR. Die Fahrt zur Kommunion. Öl-
gemälde. Geschenk des Herrn Dr. Fr.
Promnitz.
R. VON VOIGTLÄNDER. Ludwig Pietsch am
Schreibtisch. Ölgemälde. Geschenk des
Herrn H. von Korn.
C. GRAPHISCHES
An Kupferstichen, Radierungen und Litho-
graphien wurden 48 Blatt erworben , darunter
solche von THOMA, STAUFFER-BERN, STEIN-
HAUSEN, DASIO, LUNOIS, HELLEN.
D. KUNSTHISTORISCHER APPARAT
An photographischen und anderen Nach-
bildungen wurden 553 Blatt, an Büchern
(bezw. Mappen) 270 Bände erworben.
Im vergangenen Sommer nahm Professor
H. PRELL die Ausmalung al fresco der Wände
des Kuppelraumes in Angriff und vollendete
die drei Fresken der Ostwand mit den Dar-
stellungen aus der Welt der Antike.
JANITSCH
Berlin f gedruckt in der Reichsdruckerei.
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE VON E. DOBBERT I25
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
DIE WANDGEMÄLDE IN S. ANGELO IN FORMIS
VON E. DOBBERT
Der Einfluss der byzantinischen Kunst auf die abendländische Kunst des Mittel-
alters wird neuerdings im allgemeinen für geringer erachtet, als es noch vor wenigen
Jahrzehnten der Fall war. Bereits im Jahre 1871 hatte Schnaase^) in seiner tief ein-
dringenden Weise das Mafs dieses Einflusses festzustellen versucht und war zum
Ergebnis gekommen, dass derselbe nirgends in einer völligen Unterwerfung besteht,
dass er überall nur als ein Hülfsmittel benutzt wird, welches dem einheimischen
Geiste dient und ihm eigene Arbeit erspart, dass er sich niemals auf das ganze Kunst-
gebiet, sondern immer nur auf einzelne Zweige erstreckt und verschwindet, sobald
die einheimische Kunst so weit gereift ist, um jene Hülfe zu entbehren. Sodann
hat Anton Springer für die frühmittelalterliche Kunst des Abendlandes eine nahezu
vollständige Unabhängigkeit von byzantinischen Vorbildern in Anspruch genommen,
und es ist ihm gelungen, wenigstens in betreff der Miniaturmalerei im grofsen und
ganzen die Selbständigkeit der karolingisch - ottonischen Kunst zu erweisen. Nur
darf man sich diese Selbständigkeit nicht als eine unbedingte vorstellen, stöfst man
doch wiederholt auf abendländische Denkmäler, die diesen oder jenen Zug der
byzantinischen Kunst entnommen haben, wie denn auch Springer anerkennt, dass
einzelne Wechselwirkungen nicht ausgeschlossen seien, welche von Fall zu Fall ge-
prüft werden müssten.') Vor einigen Jahren habe ich einen bald stärkeren bald
schwächeren Einfluss der byzantinischen Kunst in einer Anzahl diesseits der Alpen
entstandener Kunstwerke nachzuweisen versucht.') Neuerdings hat Frey,*) mit dessen
Auffassung der süditalischen Kunst und insbesondere der Wandgemälde in S. An-
gelo in Formis die meinige vielfach übereinstimmt, wieder eine Herrschaft der byzan-
tinischen Kunst auch diesseits der Alpen behauptet. Wie er seinen Ausspruch, es
gebe keine selbständige lateinisch -indigene Richtung in der (frühmittelalterlichen)
Malerei weder in Italien noch in Deutschland, erweisen will, ist mir unerfindlich.
\) »Die byzantinische Frage« in dessen Gesch. d. bild. Künste 2. Aufl. Bd. IV, S.jiSf.
Ähnlich schon in der i.Aufl. 1854.8.565^
') Springer, »Die byzantinische Kunst und ihr Einfluss im Abendlande« in dessen
Bildern aus der neueren Kunstgeschichte 2. Aufl. 1886, I, 102.
'j Göttingische gelehrte Anzeigen 1890 No. 22, S. 869 — 870; 876 — 885.
*j K.Frey, Ursprung und Wesen westeuropäischer Kunst im Mittelalter. Deutsches
Wochenblatt, herausg. von O. Arendt in Berlin. VI. Jahrg. 1893, No. 41,42.
1 2t) ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
Muss schon dem nördlichen und mittleren Italien in betreff der »byzantinischen
Fragea eine andere Stellung eingeräumt werden als den Ländern diesseits der Alpen,
insofern, den politischen Zuständen entsprechend, in Ravenna und Venedig ost-
römische Kunstthätigkeit eine bedeutende Stätte fand ^) und auch die römische Kunst
wiederholt byzantinische Elemente aufweist,^) so wäre es geradezu erstaunlich, wenn
in Süditalien die Malerei nicht in eine starke Abhängigkeit von der byzantinischen
Kunst geraten wäre, war doch ein grofser Teil des Landes während mehrerer Jahr-
hunderte durch Religion, Verwaltung, Sprache*) mit dem oströmischen Reiche ver-
bunden, fitlchteten doch in der Zeit des Bilderstreites zahlreiche Anhänger des
Bilderdienstes hierher, kennt man doch die Namen von 97 in jener Zeit in Ca-
labrien begründeten Klöstern vom Orden des h. Basilius. Mit diesen Klöstern waren
zum Teil blühende Schulen verbunden. Das Kloster des h. Nicolaus in der Nähe
von Otranto, das bis gegen das Ende des XV Jahrhunderts bestand, besafs eine
der reichsten Sammlungen griechischer Handschriften im Abendlande und war für
die ganze Gegend von Otranto ein Herd der Bildung und der klassischen Studien.
Im IX und X Jahrhundert waren durch die Kaiser Basilius I, Leo VI und Nike-
phoros Phokas zahlreiche Kolonien aus dem Peloponnes in diese Gegend verpflanzt
worden und noch gegenwärtig giebt es in Apulien und Calabrien Ortschaften mit
griechischer und griechisch redender Bevölkerung, so eine aus neun Dörfern und
Städtchen bestehende Kolonie mit 15000 griechischen Einwohnern bei Otranto und
eine andere, die gegen 5000 Seelen umfasst, bei dem Städtchen Bova. Auch ist es
nachgewiesen, dass vor einigen hundert Jahren in diesen Gegenden das Griechische
in einem noch weit gröfseren Umfange gesprochen wurde als heute.*) Auch in
einigen Dörfern der Provinz Lecce wird noch gegenwärtig ein Dialekt geredet, in
welchem sich neben albanesischen griechische Elemente finden, und die Umgegend
von Santa Severina in Calabrien wird noch heute von den Bewohnern »la Grecia«
genannt.*)
*) Auch in Friaul finden sich griechische Kunstelemente. Vergl. Eitelberger i. d. Mitth.
der Wiener Central -Gomiss. IV, 334.
') Diese byzantinischen Kunstelertiente erklären sich leicht, wenn man dessen gedenkt,
dass sich zur Zeit des Bilderstreites griechische Mönche hierher geflüchtet hatten und ihnen
Klöster eingeräumt worden waren, dass dicht bei Rom in Grotta Ferrata durch Nilus aus
Calabrien i. J. 1004 eine Kolonie griechischer Mönche begründet wurde. In Grotta Ferrata
sieht man denn auch rein byzantinische Mosaikdarstellungen des thronenden Christus
zwischen Maria und Johannes dem Täufer, wahrscheinlich aus dem Anfange des XI Jahr-
hunderts, und der Ausgiefsung des heiligen Geistes, wahrscheinlich aus der ersten Hälfte
des XII Jahrhunderts. (Von Frothingham i. d. Gazette arch. 1883 pl. LVII — VIII veröffent-
licht. Text S. 348 f.) In Rom gab es vom VII bis X Jahrhundert eine ständige griechische
Kolonie mit eigenen Kirchen, Klöstern, Priestern, Mönchen, KtJnstlern u. s.w. (Batifoll,
Librairies byz. a Rome i. d. Melanges d'arch. et d'hist. VIII, 1888,297—308.)
') Nachdem die griechische Sprache etwa seit dem VII Jahrhundert sich in Süditalien
wieder auszubreiten begonnen, kam sie im X Jahrhundert als offizielle Sprache der Re-
gierungserlasse besonders in Calabrien wieder in Gebrauch. Pawlowski, SKBBOiracb Ilajia-
THHCKOH Kane^jiu b-b üajiepüio (Die Malereien der Capeila Palalina in Palermo) St. Peters-
burg 1890, S. 2.
*) Vergl. Bayet, L'art byz. 293. — Diehl, Peintures Byzantines de 1' Italic meridionale
im Bulletin de Corresp. hellenique XII (1883) 441 f. — Krumbacher, Griechen im heutigen
Italien i. d. MUnchener Neuesten Nachrichten 1891, No. 73.
*) Diehl, Melanges d*arch. et d'hist. X (1890) 300.
VON E. DOBBERT I27
Über einen Zusammenhang zwischen der Kunst in Süditalien und derjenigen in
Byzanz giebt es allerdings nur vereinzelte, aber wertvolle Nachrichten aus mehreren
Jahrhunderten. So erfährt man aus den Acta Sanctorum, dass der Bischof von Si-
ponto, ein Verwandter des Kaisers Zeno (474 — 491), sich Künstler aus Konstantinopel
kommen liefs.*) Dass gegen Ende des VIII Jahrhunderts der Fürst von Benevent
Arighis eine Sophienkirche nach dem Muster derjenigen Justinians erbauen liefs, ist
quelletischriftlich bezeugt.^) In der zweiten Hölfte des XI Jahrhunderts bestellten
mehrere Mitglieder der reichen Familie der Pantaleonen zu Amalfi eherne Thüren mit
eingegrabenen und mit Silber oder farbigen Stoffen ausgefüllten Darstellungen teils
ornamentalen, teils figürlichen Charakters in Konstantinopel und schenkten sie dem
Dom von Amalfi, der Paulskirche bei Rom, der Wallfahrtskirche zu Monte S. Angelo
auf dem Berge Gargano und der Kirche S. Salvatore zu Atrani, wie ja auch der Abt
Desiderius eine solche Thür für die Kirche seines Klosters Monte Cassino und Robert
Guiscard eine für den Dom zu Salerno in Konstantinopel anfertigen liefsen.^)
Im Hinblick auf die hier zu besprechenden Wandmalereien in S. Angelo in
Formis sind aber vor allem die Nachrichten über die Kunstpflege ihres Stifters, des
Abtes Desiderius von Monte Cassino, von Bedeutung. Nachdem er die bereits er-
wähnte Erzthür nach dem Muster der von ihm im Jahre 1062 zu Amalfi bewunderten
in Konstantinopel bestellt hatte,*) liefs er für die Ausstattung der von ihm in Monte
Cassino 1066 — 1071 errichteten Basilika mit Mosaiken und Fufsbodenbelag Künstler
aus Konstantinopel und Alexandrien komnrien.*) Dass die griechischen Meister nun
auch Kunstunterricht im Kloster zu erteilen hatten, geht doch wohl aus den unmittel-
bar auf die Stelle über die Berufung derselben folgenden Worten der Chronik des
*) E. Müntz, ]£tudes sur Thist. de la peinture et de l'iconographie ehret. Paris 1882,
p. 41. Die Hand eines Architekten aus dem Osten des Reiches ist de Rossi geneigt an der
aus dem Anfang des V Jahrhunderts stammenden Apsis der Basilica Severiana in Neapel zu
vermuten. BuUett. d. a. er. 1880 p. 144. Holtzinger, Die Basilika des Paulinus von Nola in
d. Zeitschr. f. b. Kunst XX. 138.
*) Translatio sancti Mercurii i. d. Scriptores rerum Langob. et Italic, ed. Waitz
p. 576, 577: Arechis igitur princeps illustris, perfecta jani sancte Sophie basilica, quam ad
exemplar illius condidit Justiniane . « . Siehe auch Bayet, a. a. O. 299.
*) Abbild, der Thüren in Süditalien bei Schulz, Denkm. d. Kunst des Mittelall. in Unter-
italien, der Thür von S. Paolo bei Nicolai, Della Basilica di S. Paolo Rom 1815 Tav. 11 — 17.
*) Leonis Marsicani et Petri Diaconi chronica monasterii Casinensis, ed. Wattenbach
in den Monum. Germ. Script. VII, 71 1.
B) In der nur in französischer Übersetzung auf uns gekommenen Geschichte der Nor-
mannen von Amatus, welcher in der Zeit des Abtes Desiderius Mönch von Monte Cassino
war, heifst es : ... Et pour ce qu'il non trova in Ytalie homes de cest art, manda en Costen-
tinnoble et en Alixandre pour homes grex et Sarrazins, liquel pour aorner lo pavement de
lo eglize de marmoire entaillie et diverses paintures, laquelle nous clamons opere de mosy,
ovre de pierre de diverses colors. L'Ystoire de li Normant et la Chronique de Robert Viscart,
par Aime, moine de Mont-Cassin, publiees pour la premiere fois d'apres un manuscrit fran-
^ois inedit du XIII siecle . . . par Champollion - Figeac , Paris 1835 p. 105. Vergl. die ent-
sprechende, nur Alexandrien und die sarazenischen Künstler fortlassende Stelle bei Leo von
Ostia (a.a.O. 718), der hier wie auch an anderen Stellen seiner Chronik Amatus benutzt hat,
und das Gedicht des Erzbischofs Alfanus von Salerno, eines Freundes des Desiderius: De
situ constructione et renovatione coenobii Casinensis, wo berichtet wird, thracischen (d. h.
byzantinischen) Künstlern werde die Mosaikarbeit übertragen, in der sie ausgezeichnet seien,
Schulz a.a.O. II, S. 117 Anm. i.
■7*
1 28 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
Leo von Ostia hervor, der Abt habe sich befleifsigt, viele junge Leute des Klosters
in diesen Künsten (in der ars musaria et quadrataria) unterrichten zu lassen.^) Der
Unterricht beschränkte sich übrigens nicht auf die musivische Kunst und die Fertigung
steinerner Fufsböden, sondern Desiderius liefs in seinem Kloster Künstler für alle
Werke ausbilden, die aus Gold, Silber, Erz, Eisen, Glas, Elfenbein, Holz, Gips oder
Stein gefertigt werden können.*) Er begründete also in seinem Kloster das, was wir
heute etwa eine Kunstgewerbeschule nennen würden. Der Malerei wird dabei nicht
erwähnt. Diese Kunst wurde im Mittelalter in den Werkstätten der Maler selbst oder
bei der Ausführung der Wandgemälde in den Kirchen und Klöstern gelehrt und
gelernt.
Von einer Berufung byzantinischer Wandmaler ist bei Leo von Ostia nicht die
Rede, was aber selbstverständlich die Möglichkeit einer solchen Berufung nicht aus-
schliefst und es keineswegs unwahrscheinlich macht, dass sich Desiderius, wie auch
Kraus (Jahrb. XIV, S. 98) anerkennt, für die Wandmalerei unter anderen auch solcher
Meister bediente, »welche die byzantinische Schule in Konstantinopel oder anderwärts
durchgemacht«. Für die Verwendung griechischer Wandmaler, mochten sie nun in
Süditalien selbst geboren sein oder aus Konstantinopel oder vielleicht aus Sizilien,
dessen Kultur ja zum grofsen Teil griechisch war, stammen, scheint auch die That-
sache zu sprechen, dass Desiderius griechische Kunstfertigkeit für eine andere Gattung
der Malerei, die Tafelmalerei, in Anspruch nahm. Als er einen Altar mittelst einer
mit Gemmen und Email reich zu verzierenden Tafel schmücken wollte, sandte er
einen kunstfertigen Mönch nach Konstantinopel, der dort einen Teil der plastischen
Arbeiten selbst aus Silber fertigte, die Rundbilder aber von griechischer Hand
malen liefs.')
*) Die betreffende Stelle bei Leo von Ostia p. 71^ lautet: »Et quoniam artium istarum
ingenium a quingentis et ultra iam annis magistra Latinitas intermiserat et studio hujus in-
spirante et 'cooperante Deo nostro hoc tempore recuperare promeruit, ne sane id ultra Ita-
liae deperiret, studuit vir totius prudentiae plerosque de monasterii pueris diligenter eisdem
artibus erudiri.« Wiederholt ist hervorgehoben worden, dass der kirchliche Schriftsteller hier
seine Unkenntnis der Kunstzustände Italiens im frühen Mittelalter zeige, da ja die musi-
vische Kunst in Italien nicht ausgestorben war. Zur Rechtfertigung Leos ist Rumohr (Ital.
Forschungen I, 287—289) geneigt, das intermiserat nicht im Sinne von »aussetzen«, sondern
von »vernachlässigen« zu verstehen. Ich glaube, Leo hat nicht sagen wollen, dass der Be-
trieb der musivischen Kunst 500 Jahre lang in Italien überhaupt unterlassen worden, sondern
dass die spezifisch italienisch-abendländische Kunst (Latinitas) im Gegensatze zu der byzan-
tinischen etwa seit der Einwanderung der Langobarden das Verständnis dieser Künste, der
ars musaria et quadrataria, verloren habe und deshalb zur Zeit des Desiderius auch nicht
geeignet gewesen sei, dieselben zu lehren (magistra!); deshalb habe Desiderius die von ihm
berufenen griechischen Meister angewiesen, junge Mönche seines Klosters darin zu unter-
richten. Vergl. auch Schulz, a.a.O. S. 119.
•) Leo von Ostia a. a. O. : Non autem de his tantum, sed et de omnibus artificiis quae-
cumque ex auro, argento, aere, ferro, vitro, ebore, ligno, gipso vel lapide patrari possunt,
studiosissimos prorsus artifices de suis sibi paravit.
') Leo von Ostia, a. a. O. p. 722, 723. E quibus (iconibus) . . . 10 . . praedictus frater
apud Constantinopolim crosso (i. e. grosso s. crasso) argento sculpsit ac deauravit , . . . . rotun-
das autem omnes coloribus ac figuris depingi graeca peritia fecit. Die Worte »graeca
peritia« vermag ich nicht mit Kraus im Sinne von »in griechischer Art« zu fassen, sondern
finde mit Frey (a. a. O. No. 42 , S. 502 *) darin ausgesprochen , dass Griechen selbst diese Bilder
gemalt haben.
VON E. DOBBERT I29
Liegt es nach diesen Nachrichten über die Kunstpflege des Desiderius nahe, an
der malerischen Ausstattung der von ihm erbauten Kirche S. Angelo in Formis eine
Beteiligung byzantinischer Kunst anzunehmen, so führt die Betrachtung der in jener
Epoche in Stlditalien entstandenen anderweiten Malereien zu demselben Ergebnis,
stöfst man hier doch so oft auf byzantinischen, beziehungsweise byzantinisierenden
Stil. Salazaros Versuch, die Unabhängigkeit der süditalischen Kunst von der byzan-
tinischen zu erweisen, scheint mir durchaus misslungen. In eigentümlichem Gegen-
satze stehen die immer wieder die stärksten byzantinischen Einwirkungen zeigenden
Abbildungen seines verdienstvollen Werkes: »Studi sui monumenti dell' Italia meri-
dionale« zu dem Texte, in welchem er diesen Einfluss aufs entschiedenste in Abrede
stellt. ')
Gehen wir nun an die Betrachtung der Wandmalereien in S. Angelo in Formis.
Kraus, der durch die Publikation derselben im 14. Bande dieses Jahrbuches der
Kunstwissenschaft einen grofsen Dienst geleistet hat, kennzeichnet (S. 97) das Welt-
gericht an der Westwand und den Rex gloriae in der Hauptapsis dahin, dass diese
Gemälde »wenn auch nicht in rein byzantinischer Auffassung und Formgebung ge-
halten, so doch sehr stark byzantinisierend sind«, und vermutet, dass Desiderius die
Herstellung dieser beiden als die vornehmste Aufgabe angesehenen Bilder der Basilika
Künstlern übenragen habe, »welche die byzantinische Schule in Konstantinopel oder
anderwärts durchgemacht und demnach als besonders für diese Themata befähigt er-
achtet wurden«. Mein im Repertorium für Kunstwissenschaft XV (1892) S. 380 gethaner
und von Kraus (S. 98) beigebrachter Ausspruch, wonach ich in den Wandmalereien
der Kirche S. Angelo in Formis das Erzeugnis einer süditalisch -griechischen Künstler-
schule sehe, steht bezüglich dieser beiden Bilder noch nicht im Gegensatze zu der
Auffassung meines hochverehrten Herrn Kollegen, da meine Bezeichnung »süditalisch-
griechische Künstlerschule« nicht in dem Sinne gemeint ist, als handle es sich hier
nur um Künstler von griechischer Herkunft. Das Hauptgewicht lege ich auf die
wesentlich byzantinische Kunstweise, welche ja auch solche Süditaliener, die nicht als
Griechen geboren waren , von ihren griechischen Meistern überkommen haben könnten.
Der Gegensatz tritt erst bei der Beurteilung der »Historien« des Mittelschiffes ein, für
welche Herr Professor Kraus nur in einigen Punkten, z. B. hinsichtlich der Behandlung
der Kostüme byzantinische Einflüsse zugiebt, und welche er Malern zuweist, »die in der
einheimischen Tradition aufgewachsen, weit mehr im Zusammenhange mit dem ge-
blieben waren, was der Geschichtsschreiber von Monte- Cassino selbst sehr bezeichnend
die magistra Latinitas genannt hat« , während ich diese erzählenden Bilder des Mittel-
schiffes für in eben so hohem Mafse byzantinisch halte wie die feierlichen Darstellungen
in der Apsis und an der Westwand. Nachstehend will ich versuchen, diese meine
Auffassung zu begründen, die ich mir bei der Betrachtung der Originale im Jahre 1872
gebildet und bald darauf*) mit den Worten: die Fresken in S. Angelo in Formis seien
wesentlich byzantinisch, ausgesprochen habe.
*) Byzantinische Wandmalereien in Süditalien werden beschrieben von Diehl, Peintures
byz. de Tltalie merid. im Bullet, de corresp. hellen. VIII (1884) 264 ff.; IX (1885), 207 — 219,
XII (1888), 441—459; Notes sur quelques monum. byz. deCalabre, i. d. Melanies d'arch. et
d'hist. X (1890), 284 — 302; Notes sur quelques mon. byz. de Tltalie merid. i. d. Melanges d*arch.
et d'hist. XI (1891), 3—52.
*) Ober den Stil Niccolo Pisanos und dessen Ursprung 1873 ^* *7-
130
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
I. DIE COMPOSITION DER DARSTELLUNGEN AUS DEM LEBEN JESU IM HAUPTSCHIFF
VON S. ANGELO IN FORMIS
Siehe die Lichtdrucktafeln in Bd. XIV dieses Jahrbuches bei S. 18 u. S4.
Unter den Bildern aus dem Leben Jesu ist es die Darstellung des i^Ahendmahles^i
(Süd -Wand, Kraus, S. 90), welche ihrem ikonographischen Gehalte nach auf das
entschiedenste für die byzantinische Kunst in Anspruch genommen werden muss. Auf
Grund zahlreicher unzweifelhaft byzantinischer Abendmahlsbilder habe ich,^) wie ich
glaube, den Beweis erbracht, dass die byzantinische Kunst, wenn sie das Abendmahl
Christi in geschichtlicher
Weise darstellen wollte, seit
dem VI Jahrhundert immer
wieder die Ankündigung
des Verrates, wie dieselbe
im Matthäus - Evangelium
XXVI, 21—25 erzahlt wird,
zum Ausgangspunkte der
Darstellung nahm und den
Judas, der gewöhnlich mit-
ten unter den übrigen Apo-
steln angeordnet ist, da-
durch kenntlich machte,
dass er in die Schüssel greift. Die Tischgesellschaft ist an einer halbkreisförmigen
Tafel, dem sogenannten Sigma, derart verteilt, dass Christus an der linken Ecke
liegt oder auch sitzt, ihm gegenüber aber, am rechten Tischende, häufig Petrus,
No. 1. S. Angelo in Formis.
No. 2. Psalter v. J. 1066. Brit Museum, London (Add. 19352).
ausnahmsweise auch Judas, sich befindet und Johannes in der Regel den Platz rechts
(vom Beschauer aus) neben Christus einnimmt, ausnahmsweise aber auch links hinter
dem liegenden Christus zu sehen ist. Dieses Schema, welches auch Vöge,*) auf Grund
^) In der Abhandlung über »das Abendmahl Christi in der bildenden Kunst bis gegen
den Schluss des XIV Jahrhunderts«. Repert. f. Kunstwiss. XIV (1891), 180—203; XV (1892),
361 — 384. Vergl. auch meinen früheren Aufsatz: »Die Darstellung des Abendmahles durch
die byzantische Kunst« in v. Zahns Jahrb. f. Kunstwiss. IV (1871), 281 — 346, auch gesondert
erschienen, Leipzig 1872.
') Vöge, Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends, West-
deutsche Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst Ergänzungsheft VII. Trier 1891, S. 260.
VON E. DOBBERT 1 3 1
der Ergebnisse meiner Untersuchung, als das byzantinische bezeichnet, ist in S. Angelo
in Formis streng befolgt, wo auch der auf byzantinischen Abendmahlsbildern so oft
anzutreffende Leuchter nicht fehlt. Zum Vergleich sind in Fig. i und 2 das Wandbild in
S. Angelo und eine sehr verdorbene Miniatur auf Bl. 50b des griechischen Psalters vom
Jahre 1066 im britischen Museum ') zusammengestellt. Dass aber dieses Schema nicht
auch der frühmittelalterlichen abendländischen Darstellungsweise des Abendmahles
zu Grunde liegt, darf ich wohl behaupten, da es mir nirgends begegnet ist, obgleich
ich zahlreiche abendländische Abendmahlsbilder jener Epoche kennen gelernt habe.
Bereits in meiner Abhandlung Über die Darstellung des Abendmahls durch die
byzantinische Kunst 1871 konnte ich als eines der Ergebnisse meiner Untersuchung
den Satz aufstellen, dass auch in der abendländischen Kunst des Mittelalters eine
Art der Abendmahlsdarstelhing vorherrsche, und zwar diejenige, wo in Anlehnung
an das Johannes -Evangelium (XIII, 21 — 30) der Verräter, der in der Regel von den
übrigen Jüngern abgesondert ist, daran erkannt wird, dass Christus ihm den Bissen
reicht. In der bald erscheinenden Fortsetzung meiner Abhandlung im Repertorium
für Kunstwissenschaft werde ich auch eine Anzahl abweichender abendländischer
Darstellungsweisen dieses Gegenstandes beibringen, darunter auch solche, welche
ausnahmsweise Judas in die Schüssel greifen lassen, doch geschieht dies anders als
es auf byzantinischen Bildern üblich ist; wo aber eine gewisse Ähnlichkeit wahrzu-
nehmen ist, lässt sich meist eine Einwirkung der byzantinischen Kunst erweisen,
beziehungsweise wahrscheinlich machen.
Einen so tief gehenden Unterschied zwischen der byzantinischen und abend-
ländischen Auffassungsweise, also auch ein so sicheres ikonographisches Merkmal für
den byzantinischen oder den abendländischen Ursprung der betreffenden Darstellung,
wie beim Abendmahl, vermag ich bei keinem anderen Vorgange aus dem Leben
Jesu anzugeben, doch lassen sich auch bei den meisten der übrigen hier in Betracht
kommenden Scenen gewisse Züge anführen, welche in byzantinischen Bildern typisch
sind und zum Teil im Gegensatz zur abendländischen Auffassung stehen.
Bei der Darstellung der y^Taufe Christin steht, mit ganz seltenen Ausnahmen,
Johannes der Täufer links am Ufer des Jordan, und zwar, wie es scheint namentlich
in Werken des XI Jahrhunderts, höher als der im Wasser stehende Christus, auf
dessen Haupt er stets die Rechte legt. Oben schwebt gewöhnlich die Taube des
heiligen Geistes, oft in einem aus dem Himmelssegment herabkommenden Strahle.
Auf dem rechten Ufer halten Engel (es sind deren auf Bildern des XI Jahrhunderts
gewöhnlich zwei,') später auch eine gröfsere Zahl) entweder besondere Tücher, oder
sie erheben die mit dem eigenen Gewände bedeckten Hände. Der in der Regel
ganz nackte Christus steht entweder in der Vorderansicht da oder wendet sich im
Dreiviertelprofil nach links (vom Beschauer aus), sein linker Arm hängt herab, der
rechte Unterarm ist etwas nach aufsen gekehrt und die rechte Hand pflegt zu segnen.
Sowohl der Täufer, der gewöhnlich das ziemlich stark gebogene linke Bein vor-
gesetzt hat, als auch die Engel sind häufig in einer gewissen stürmischen Bewegung
gedacht. Im Wasser sieht man oft eine Personifikation des Jordan, zuweilen auch
des Meeres, sowie ein Kreuz.')
^) Auf Grund einer Durchzeichnung meines Freundes Dr. Tikkanen.
') Vergl. Strzygowski, Ikonographie der Taufe Christi, München 1885, S. 22,24.
') Vergl. bei Strzygowski besonders die zusammenfassende Charakteristik der byzan-
tinischen Darstellungsweise auf S. 28, 29 und die Abbildungen auf Taf. III — VII.
132
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
Das Tauf bild in S. Angelo in Formis (Nordwand, 3. Reihe, Kraus, S. 94) zeigt,
soweit es trotz seiner Zerstörung noch zu erkennen ist, die typischen Eigenschaften
der byzantinischen Darstellungsweise im XI Jahrhundert. Der, wie in den unzweifel-
haft byzantinischen Bildern stets bärtige, nackte Christus steht, ein wenig nach links
gewendet, im Wasser und hält die Arme in der oben angegebenen Weise. Johannes,
wie die Engel in stürmischer Bewegung gedacht, ist, wie gewöhnlich, durch ver-
wildertes Haar an Haupt und Bart als der Wüstenbewohner gekennzeichnet. Die Gestalt
des Jordan ist, wenn auch nur schwach, noch zu erkennen. Im Wasser schwimmen
Fische, wie sie sich auch sonst bisweilen in byzantinischen Taufbildern finden und
im Handbuche der Malerei vom Berge Athos (Deutsche Ausg. von Schäfer, § 220 S. 178)
in den Worten: »Und um Christus sind Fische« vorgesehen sind.
Der Vergleich des Bildes in S. Angelo (Fig. 3) mit der Miniatur auf Bl. 177 a der
schönen griechischen Evangelienhandschrift der Königlichen Bibliothek zu Berlin Gr. 4^
^n.
No. 3. S. Angelo in Formis.
No. 4. Evangeliar. Kgl. Bibliothek Berlin (No. 66).
Xn Jahrh.
No. 66 aus dem XII Jahrhundert (Fig. 4) ergiebt eine nahe Verwandtschaft der Ge-
stalten Christi und das Übereinstimmen des Bewegungsmotivs bei den Engeln. In
betreff der stürmischen Haltung des Täufers sei auf
den Johannes der Taufdarstellung in der aus dem
XI Jahrhundert stammenden Handschrift des Gregor
von Nazianz der Pariser National-Bibliothek No. 333
Bl. 1 54a (Fig. 3) *) hingewiesen.
Die abendländischen Taufdarstellungen vom
X bis zum XII Jahrhundert zeigen, dem weniger
typischen Charakter der abendländischen Kunst ent-
sprechend, gröfsere Verschiedenheiten unter einander
als die byzantinischen. Der Täufer steht auch hier,
wie es schon auf den altchristlichen Sarkophagreliefs
meist der Fall war,*) häufig auf der linken Seite,
bald hält- er die Hand über dem Haupte Christi,
wie z. B. im Egbert - Codex zu Trier,') im Echter-
No. 5. Gregor von Nazianz. Bibl.
nation. Paris (No. 533). XI Jahrb.
*) Nach Strzygowski Taf. III, Fig. 4.
') Vergl. die Abbildungen bei Strzygowski auf Taf. I.
») Abbildung bei Kraus, Der Egbert-Codex 1884. Taf. XVIII, Strzygowski Taf. IX, Fig. 2.
VON E. DOBBERT I33
nacher Evangeliar in Gotha/) in dem Evangellar Heinrichs II in der MUnchener
Staatsbibliothek Cim. 58 (Bl. 32 b),*) bald hat er die Hände an Brust und Rücken
des Täuflings gelegt, um ihn unterzutauchen, so im Evangelistarium der König-
lichen Bibliothek zu Brüssel No. 9428',) im Bemward - Evangelium zu Hildes-
heim,*) und in dem Evangelien buch zu Brescia.*) Die Engel mit den Gewändern
über den Armen, die, wie es Strzygowski (S. 17) wahrscheinlich gemacht hat, aus
der frühbyzantinischen Kunst in die abendländische gedrungen sind^ kommen in der
letzteren keineswegs regelmäfsig vor, wie denn auch Vöge a. a. O. 260 zu dem Er-
gebnis gekommen ist, dass sie in der Gruppe von Handschriften, deren Ursprung aus
einer Schule (der kölnischen?) er erwiesen hat, »ein nur episodisch vorkommendes
Schema« vertreten. Für die abendländischen Taufbilder des hier in Betracht kom-
menden Zeitraums ist es besonders bezeichnend, dass der Fluss, ohne Ufer, wie eine
Art Wasserberg behandelt wird, welcher den im X und XI Jahrhundert immer wie-
der kleiner als der Täufer und bartlos dargestellten Christus bis zu den Hüften oder
auch bis zur Brust oder den Schubern bedeckt, wobei der Körper oft hindurch-
scheint,*) während in den byzantinischen Bildern die Wiedergabe der perspektivischen
Verkürzung der Wasserfläche zwischen ihren Ufern angestrebt ist, wozu es freilich in
naivem Gegensatze steht, wenn zuweilen gleichzeitig das Wasser Christus in der Art
bedeckt, dass man seinen Körper hindurchsieht, also an die Stelle des Wasserspiegels
eigentlich der vertikale Durchschnitt des Flusses gesetzt istJ) Wo in abendländischen
Werken das oben gekennzeichnete byzantinische Kompositionsschema (so namentlich
die seitwärts ausgestreckte segnende rechte Hand Christi, die Flussufer und die Per-
sonifikation des Jordan) sich findet, da lässt sich auch stilistisch ein byzantinischer
Einfluss nachweisen, wie z. B. im Hortus deliciarum®) und in dem Evangeliar des
Rathauses zu Goslar.*) Die betreffende Handhaltung Christi zeigt auch das Tauf bild
im Antiphonarium des Stiftes St. Peter zu Salzburg.^") Doch fehlen hier die Ufer und
der Flussgott, wie denn diese Handschrift überhaupt geringere byzantinische Einflüsse
erfahren hat als die beiden zuerst genannten.
^) Abbildung bei Strzygowski Taf. IX, Fig. 4.
') Abbildung ebenda Fig. 3.
•) Abbildung ebenda Taf. X, i.
♦) Abbildung bei Beissel, Des hl. Bernward Evangelienbuch im Dome zu Hildesheim.
Hildesh. 1891, Taf. XXII, Strzygowski Taf. IX, Fig. 5.
*) Abbildung bei Valentini, Eusebio Concordanze dei Vangeli, Cod. Queriniano, Brescia
1887 Tav. III, Strzygowski Taf. XIX ^ 6. Hier berührt Johannes mit der Rechten den Arm
Christi.
•) Vergl, Strzygowski a. a. O. 43, 45. Es sind für diese Zeit Ausnahmen, wenn an der
Bernwards- Säule in Hildesheim und in der Miniatur auf Blatt 15b des Evangelistars No. iii
im Berliner Kupferstichkabinet (Abbildung bei Strzygowski IX, 6 und XI, i) der Fluss, der an
der Bemwards-Säule aus einer von der Personifikation des Jordan gehaltenen Urne heraus-
fliefst, wagerecht erscheint.
') Vergl. Strzygowski a. a. O. 29.
•) Abbildung bei Straub, Hortus deliciarum PI. XXVIII, Strzygowski Taf. XIII, 8. Zu
den byzantinischen Elementen der zu Grunde gegangenen Handschrift vergl. meinen Aufsatz
i. d. Gott. gel. Anz. 1890 N0.22, S. 883— 885.
•) Abbildung bei Strzygowski, Taf. IV, 4.
10) Abbildung i. d. Wiener Mitt. d. Centr.-Comm. XIV (1869) Taf. VI, zur Abhandl. von
Lind, Ein Antiphonarium im Stifte St. Peter zu Salzburg.
18
134 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
Mit dem in der Einleitung über die byzantinische Frage Gesagten dürfte es
stimmen, wenn wir in vielen der in Italien entstandenen Taufdarstellungen, auch dort,
wo sie im grofsen und ganzen der abendländischen Kunst zuzurechnen sind, An-
klänge an die byzantinische Darstellungsweise finden, wie z.B. in der Stellung des
Täufers in den Exultet- Rollen in der Bibliothek von S. Maria sopra Minerva zu Rom*)
und in der Opera des Doms zu Pisa'), in der Stellung Christi und des Täufers in
einer Handschrift des Liceo musicale zu Bologna^), in der Anbringung der Personi-
fikationen des Jordan und des Meeres (?) in dem Taufbilde der kleinen Felsenkirche
bei S. Nazaro e Celso in Verona*).
Eine beliebte Zuthat bei byzantinischen Darstellungen der Taufe Christi ist ein
hinter Johannes sich erhebender Baum, an dessen Stamm eine Axt lehnt*), als Illu-
stration zu den Worten, die nach Matthäus III, lo und Lucas III, 9 Johannes vor
der Taufe Christi an die Pharisäer und Sadducäer richtet: »Es ist schon die Axt den
Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Früchte bringet,
wird abgehauen und ins Feuer geworfen«. In S. Angelo in Formis ist diesem Gegen-
stande ein besonderes Bild , links von der Taufe, eingeräumt. Auch hierfür lässt sich
ein entsprechendes Beispiel aus der byzantinischen Kunst beibringen. In dem Meno-
logium Basilius II (976 — 1025) in der vatikanischen Bibliothek folgt auf die Taufe
Christi (Bl. 299) ein Bild (Bl. 300), das ich seiner Zeit an Ort und Stelle folgender-
mafsen eintrug: »Gebirgslandschaft. Rechts ein Baum, an welchen unten eine Axt
gelehnt ist. Darauf weist Johannes mit langem wirren Haar und Bart. In der
Linken hält er ein grofses Kreuz . . . Links drei seinen Worten lauschende Männer.« •)
Das Bild in S. Angelo unterscheidet sich von der Miniatur in betreff der Komposition
nur dadurch, dass in dem Wandbilde Johannes links und seine aus den Thoren
(Jerusalems) heraustretenden Zuhörer rechts angeordnet sind. Der Vorgang findet sich
übrigens bereits an einem Elfenbeinkästchen im South -Kensington -Museum in London,
welches wegen der altchristlichen Stileigentümlichkeiten der Reliefs noch dem V oder
spätestens dem VI Jahrhundert zugeschrieben werden muss, allerdings in etwas anderer
Weise dargestellt').
Ein Gegenstand, der von der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst nur
selten dargestellt wurde ^), in der byzantinischen aber schon früh eine typische Gestalt
i) Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangilel, PI. XXXIV, 3; Strzygowski XIX, i.
») Abbildung bei Rohault de Fleury, PL XXXV, 2; Strzygowski XIX , 2.
') Abbildung bei Strzygowski XIX, 4, nach Mrs. Jameson und Eastlake, History of
cur Lord I, p. 295, Fig. 116.
^) Abbildung bei Orti Manara, L* antica capella presso la chiesa dl S. Nazaro e Celso.
Verona 184 1. Tav. II.
*) Z. B. im Pariser Gregor von Nazianz No. 533 und im Taufbilde des Domes zu Mon-
reale (Abbildung bei Gravina, II duomo di Monreale, Palermo 1867, Tav. XVII C, Tav. IV A
und XXVI B.; Strzygowski V, 6).
•) Das Bild erwähnt auch Pokrowski in seinem vortrefflichen Werke: EBanrcjiie B-b
naniJiTHHKax'B HKOHorpa«iH npemnyni^ecTBeHHo BHsaHxiHCRBX'b h pyccKnx'B. (Das Evan-
gelium in den Denkmälern der Ikonographie, vorzüglich den byzantinischen und russischen.)
St. Petersburg 1892, S. 168.
') Abbildung bei Garrucci, Storia deir arte cristiana, VI, Tav. 447, Fig. 3 und danach
bei Strzygowski II, 3.
®) Diese Seltenheit hängt wohl damit zusammen, dass das Fest der Verklärung erst
im Jahre 1457 durch Papst Calixtus III für das Abendland zu einem allgemeinen gemacht
VON E. DOBBERT I35
angenommen hat, ist die » Verklärung Christin, Jesus steht, mit der Rechten segnend,
auf einem Berge, zu seinen Seiten der greise Elias und der jugendliche Moses, beide
demUtig die Köpfe gegen Christus hinneigend. Bald hebt sich die Christusgestalt von
einer ovalen oder mandelförmigen Glorie ab, bald umgiebt eine kreisförmige Glorie
alle drei Gestalten. Von der Gestalt Christi pflegen Strahlen auszu-
gehen. Unterhalb dieser Gruppe sind die drei Jünger: Petrus, Jo-
hannes und Jacobus, von je einem Strahle getroffen und lebhaft
erschreckend, dargestellt (Matthäus XVII, 6: Da das die Jünger
höreten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr). Während
in abendländischen Bildern die Jünger zuweilen wie schlafend oder ^^^ s.Angeio
bis zur Bewusstlosigkeit erschüttert geschildert werden , steigert sich in Formis.
das erschreckte Staunen derselben auf byzantinischen Bildern nie bis
zu einem solchen Grade. Am stärksten erregt erscheint die mittlere Gestalt, Johannes:
er liegt meist, wie von der Erscheinung geblendet, am Boden, während Petrus, links,
gewöhnlich auf ein Knie gesunken, voller Staunen zu Christus emporweist und em-
porschaut ^). In S.Angeio in Formis ist das Verklärungsbild (nördl. Wand, 2. Reihe,
I.Bild) zwar in überaus schlechtem Zustande auf uns gekommen, doch lässt es sich
noch als dem byzantinischen Schema durchaus entsprechend erkennen. Auch hier
stehen der greise, weifshaarige Elias und der jugendliche Moses
demütig zu den Seiten des segnenden, von einer ovalen Glorie
umgebenen Christus. Auch hier hat Petrus, wie ein Vergleich
dieser Gestalt (Fig. 6) mit derjenigen desselben Apostels auf Bl. 53a
des Evangelienbuches der Berliner Königlichen Bibliothek No. 66
(Fig. 7) lehrt, die oben erwähnte tj'^pische Stellung. Die beiden
anderen Apostel lassen sich auf der Lichtdrucktafel nicht erkennen ;
dass aber auch die Eckfigur rechts (Jacobus) dem byzantinischen
Schema entsprach, folgere ich daraus, dass ich im Jahre 1872
gegenüber dem Originale die Worte niederschrieb: »Rechts einer Kgi** Bibiio&ek BerUn
derselben (nämlich der Erschrockenen) da vonstürzend «, und dieses (N0.66). xii Jahrh.
Motiv, das richtiger als ein Hinstürzen zu bezeichnen ist, dem-
jenigen in dem Evangelion No. i des Klosters Iwiron auf dem Athos*), sowie im Evan-
gelion No. II 56 der Vatikanischen Bibliothek^) entspricht.
Die Verklärungsbilder der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst unter-
scheiden sich in manchen Stücken von den byzantinischen, so erhebt Christus in den
Evangelienhandschriften zu Aachen, München und Berlin*) die Arme in der Art alt-
wurde. Augusti, Denkwürdigkeiten a. d. ehr. Archäol. III, 292 — 295. Vergl. dazu Po-
krowski, a. a. O. 202. In der von Vöge, a. a. O. zusammengestellten Gruppe von 16 bibli-
sche Scenenbilder enthaltenden Handschriften kommt die Verklärung nur dreimal vor: im
Aachener Evangeliar des Kaisers Otto, in demjenigen der Münchener Staatsbibliothek Gim. 58
und in dem wahrscheinlich für Heinrich IV geschriebenen Evangelistar des Berliner Kupferstich-
Kabinets No. iii.
1) S. Pokrowski, a.a.O. 202, wo S. 195 — 204 eingehend über diesen Gegenstand ge-
handelt wird und zahlreiche Beispiele beigebracht werden. Vergl. auch Brockhaus , Die Kunst
in den Athos - Klöstern. Leipzig 1891. S. 123. 124.
2) Abbildung bei Brockhaus, Die Kunst in den Athos - Klöstern. Taf. 25.
^) Abbildung bei d'Agincourt, Denkm. d. Mal. , Taf. LVII Fig. 9.
♦) S. Anmerk. 8 zu S. 134. Abbildung der Aachener Miniatur bei Beifsel, Die Bilder
der Handschrift des Kaisers Otto im Münster zu Aachen, Aachen 1886, Taf. X; der Berliner
18*
1 36 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
christlicher Orantengestalten , und Moses ist nicht jugendlich, sondern, wie Elias, als
Greis dargestellt. Während in der Berliner Handschrift Christus in einer Mandorla
steht und die drei Jünger wie in byzantinischen Darstellungen im Räume angeordnet
sind, fehlt in den beiden anderen Miniaturen die Glorie, und Johannes und Jacobus
kauern dicht hinter einander am Boden, so dass der eine derselben nur zum Teile
zu sehen ist^).
Von dem neben der » Verklärung^ befindlichen Bilde in S. Angelo, welches den
liZinsgroschena (Matthäus XVII, 24 — 27) zum Gegenstande hat, sind nur ganz geringe
Spuren übrig geblieben: links steht Christus, hinter ihm, wie es scheint, ein Jünger,
vor ihm eine Gestalt, von der nur einige Gewandfalten zu sehen sind; weiter rechts
sitzt an einem Flussufer Petrus und scheint in der Rechten eine Angelrute zu halten.
Im Malerbuche vom Berge Aihos (§259, S. 191 der deutschen Ausgabe) heifst es:
»Christus und Petrus bezahlen die Doppeldrachme. Das Ufer, und Petrus sitzt barfufs
und mit entblöfsten Armen auf einem Felsen und hält ein gerades Rohr und an dem
Rohr hängt ein Fisch, und wieder erscheint Christus mit Petrus und giebt einem
Soldaten Geld«.
Das folgende sehr verdorbene Bild, in welchem Kraus die Segnung des Kindes
durch Christus (Matthäus XVIII, 6 — 14) vermutet, vermag ich nicht zu deuten.
Sodann aber ist y>Das Scherßein der Witwen (Marcus XII, 41 — 44; Lucas XXI,
I — 4) dargestellt, wie ein Vergleich der traurigen Überreste der Malerei mit byzantini-
schen Miniaturen und der Vorschrift des Malerbuches lehrt. Links sitzt Christus und redet
zu einer Gruppe von drei oder vier Männern. Weiter rechts sieht man die schwachen
Spuren eines Kuppel-Ciboriums, unter welchem der Opfefkasten zu stehen scheint, und
hinter dem letzteren drei Gestalten; ferner links eine Frau — die Witwe, die ihr Scherf-
lein hineinthut — , und rechts vielleicht noch einen Mann. Im Malerbuche (§ 283,
S. 198 der deutschen Ausgabe) wird die Scene so beschrieben: »Christus lobt die zwei
Pfennige der Witwe. Ein Tempel und ein (Opfer-) Kasten in demselben, und Pharisäer
und Vorsteher legen auf denselben, der eine Goldstücke, der andere viele Silbermünzen,
und unter ihnen die Frau, die Witwe, welche selbst zwei Kupfermünzen hinlegt, und
Christus sitzt gegenüber und zeigt sie den Aposteln und sagt in einem Blatte: »Wahr-
haftig ich sage Euch, die Witwe hat mehr, als alle (hinein) gelegt«. Bereits unter den
Elfenbeinreliefs des Buchdeckels im Mailänder Domschatze*) und den Mosaiken in
S. ApoUinare nuovo zu Ravenna') findet sich der Gegenstand dargestellt und zwar in
der für jene Frühzeit (V — VI Jahrhundert) bezeichnenden kurzen Weise: auf dem Relief-
bilde sitzt Christus auf der Weltkugel und begleitet mit der erhobenen Rechten seine
Rede, vor ihm hält die von zwei Männern umgebene Frau die Rechte über dem
Opferkasten; im Mosaikbilde legt eine Frau Geld auf einen Tisch, ihr gegenüber steht
der von einem Jünger begleitete Christus mit erhobener Hand. Ausführlich ist die
Scene dargestellt im Tetraevangelon No. 5 des Klosters Iwiron auf dem Athos (wahr-
scheinlich aus dem XII Jahrhunden) und zwar im Lucas-Text auf Bl. 330 b: »Christus
tritt von rechts herzu, wie die Witwe ihr Scherflein auf den Tisch legt, um den
Miniatur bei Janitschek, Gesch. d. deutschen Mal. vor S. 89; Beschreibung der Münchener
Miniatur bei Vöge, a. a. O. S. 50.
*) Über den Unterschied zwischen der byzantinischen und der abendländischen Auf-
fassung der Verklärung s. auch Vöge, a.a.O. S. 263.
*) Abbildung bei Garrucci, Storia dell' arte cristiana, VI, Tav. 455.
») Ebenda, IV, Tav. 248, 5.
VON E. DOBBERT 1 37
herum drei Reichgekleidete sitzen. Er spricht rückwärts gewandt zu den beiden
Jüngern seiner Begleitung und weist auf die Witwe« ^). — Aufrecht stehend neben dem
Opferkasten ist Christus ferner im Pariser Gregor von Nazianz No. 510') (IX Jahr-
hundert) und in dem Evangeliar in Gelati im Kaukasus (XII Jahrhundert) Bl. 127 dar-
gestellt, sitzend hingegen in dem Evangeliar Nr. 105 der Petersburger öffentlichen
Bibliothek (XII — XIII Jahrhundert) Bl. 169b, wie ich gegenüber dem Original ange-
merkt habe. Das Ciborium über dem Opferkasten rechnet Pokrowski zu den Eigen-
tümlichkeiten der byzantinischen Schilderung dieses Gegenstandes. Die frühmittel-
alterliche Kunst bietet nur ausnahmsweise »das Scherflein der Witwe«. In der
Vögeschen Gruppe von Handschriften mit Darstellungen aus dem Leben Jesu findet sich
das Bild nur einmal, im Münchener Evangeliar Cim. 58, Bl. 192 a zu Lucas XXI, i — 4^).
Nun folgt eine sehr ausführliche Darstellunrg des » Gleichnisses vom barmherzigen
Samariter <i (Lucas X, 30 — 37). Zuerst sieht man, wie der Reisende zwischen den
Städten Jerusalem und Jericho von zwei Räubern überfallen wird: der eine beugt
sich über den bereits nackt am Boden Liegenden und scheint ihn zu schlagen, der
andere hat die geraubten Kleider auf dem Arme. Sodann pflegt der barmherzige
Samariter, der durch den Nimbus als Christus bezeichnet ist, liebevoll den Unglück-
lichen, der hier also zum zweiten Mal dargestellt ist. Weiter rechts sieht man den
Priester und den Leviten teilnahmlos ihre Strafse dahin ziehen. Schliefslich zahlt der
Samariter, der wieder den Nimbus hat, dem Wirt der Herberge das Pflegegeld. Der
Verwundete ist hier zum dritten Male am Boden sitzend dargestellt. Bereits im Evan-
gelium von Rossano aus dem VI Jahrhundert ist das Gleichnis wiedergegeben^):
Christus (der Samariter) beugt sich über den wie tot am Boden Liegenden. Ein
Engel, der in gewandbedeckten Händen eine goldene Weinschale hält, steht ihm bei
dieser Liebesthat bei. Sodann zieht der mit Wunden Bedeckte auf dem Maultier des
Samariters (Christi) dahin, der schliefslich dem Wirt das Geld einhändigt. Im Pariser
Gregor von Nazianz No. 510 ist der Vorgang noch ausführlicher geschildert. Nicht
weniger als vier Mal kommt hier der Unglückliche vor: zuerst zwischen den beiden
Städten auf einem Esel reitend, dann wie er von drei Räubern geschlagen wird, wie
der Priester und der Levit teilnahmlos an dem Verwundeten vorüber gehen und wie
der Samariter (Christus) den auf das Tier Gesetzten unterstützt*). In dem Evangeliar
No. 74 der Pariser Nationalbibliothek (XI Jahrhundert) Bl. 131b und 132b, wo der
Samariter ausnahmsweise nicht als Christus gekennzeichnet ist, kommt dann wieder
die Übergabe des Pflegegeldes hinzu. Das ikonographische Hauptmerkmal des byzan-
tinischen Ursprunges des Bildes in S. Angelo ist die Auffassung des barmherzigen
Samariters als Christus, welche, wie wir oben sahen, schon in einer griechischen
Handschrift des VI Jahrhunderts in Übereinstimmung mit den Erklärungen des Gleich-
nisses bei Irenäus, Origenes, Theophylakt und anderen frühen Kirchenlehrern') an-
getroffen wird, in abendländischen Bildern aber fehlt ^). Von der Art der Darstellung
\) Brockhaus, a. a. O. 219 Nr. 25 in der Anmerk.
*) Abbildung bei Pokrowski, S. 210.
«) Vöge, a.a.O. S. 26.
*) Abbildung bei v. Gebhardt und Harnack, a.a.O. Taf. XIII.
*) Dieses Motiv war auch im Hortus deliciarum zu sehen. Abbildung bei Straub,
a.a.O. PI. XXX ter.
•) V. Gebhardt und Harnack, a. a. O. Anm. i auf S. XLI.
^) Vergl. auch Vöge, S. 258, wo daraufhingewiesen wird, dass die Darstellungen der
Gleichnisreden Christi in der abendländischen Kunst »sich durchaus im Gleise der unmittel-
I 38 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
dieses Gegenstandes durch die abendländische Kunst des frühen Mittelalters giebt die
Abbildung aus dem Evangelistar der MUnchener Staatsbibliothek Cod. c. pict. 86, aus
dem XI Jahrhundert, bei Vöge, S. 234, eine Vorstellung. Hier schlagen die zwei Räuber,
deren einer die Zügel des Pferdes um seinen Arm geschlungen, während der andere
den Mantel des am Boden liegenden Reisenden ergriffen hat, erbarmungslos mit Knütteln
auf diesen los, sodann sind Priester und Levit angedeutet*), worauf der Verwundete
auf einem Pferde erscheint, welches von dem barmherzigen Samariter am Zügel ge-
halten wird, während er dem Wirt die zwei Denare zahlt. In dem Evangeliar Cim. 58
derselben Bibliothek fehlen Priester und Levit, und es kommt die Scene hinzu, da
der Samariter den Verwundeten pflegt'). Bei diesem Gegenstande ist es, abgesehen
von der Auffassung des Samariters als Christus, nicht sowohl das Kompositionsschema,
was das Bild in S. Angelo von den abendländischen Darstellungen unterscheidet, als
vielmehr der Typus der Gestalten und die Gebärden, Dinge, die erst weiter unten
zur Sprache kommen werden.
Auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter folgt dasjenige vom rtreichen
Manne und dem armen La^arus^ (Lucas XVI, 19 — 31). Der Reiche speist mit einigen
anderen Personen an einer Tafel. Daneben leckt ein Hund die Schwären des Lazarus.
Sodann sieht man den Reichen in den Flammen eines Ofens, mit der Rechten weist
er auf seine Zunge, die Linke erhebt er flehend nach dem daneben thronenden
Abraham, auf dessen Knieen ein Kind — die Seele des Lazarus — sitzt (v. 24: [Der
Reiche) rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus,
dass er das Äufserste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge,
denn ich leide Pein in dieser Flamme !). Das Wohlleben des Reichen wird in byzan-
tinischen Werken auch wohl in anderer Weise dargestellt, so z. B. reitet er im Pariser
Gregor von Nazianz No. 510 Bl. 149b in reicher Tracht an dem armen Lazarus, dem
die Hunde die Schwären lecken, stolz vorüber. Auch wird dieser erste Teil des
Gleichnisses zuweilen ganz fortgelassen, so z.B. im Tetraevangelon des Klosters Iwi-
ron auf dem Athos No. 5 ') und im Evangeliar No. 74 der Pariser Nationalbibliothek,
Bl.i45b*).
Eine regelmäfsig wiederkehrende Eigentümlichkeit der byzantinischen Bilder ist
das Hinweisen des Reichen in der Hölle auf seine Zunge. Wohl findet sich dieses
Motiv auch in abendländischen Darstellungen, wie z.B. in der Miniatur des Aachener
Evangeliars*); in dem in Echternach gefertigten Evangelistar der Stadtbibliothek zu
Bremen aus depfi XI Jahrhundert aber streckt die Seele des reichen Mannes flehend
bar sinnlich anschaulichen Erzählung halten ; nirgends das Hineinmischen symbolischer Be-
züge, das Hineindrängen der Person Christi, wie das die jüngere (wohl kaum durchweg auch
die ältere) byzantinische Kunst zeigt«.
^) Im Horlus deliciarum waren beide 'zu Pferde dargestellt, wie sie gleichgültig an
dem zwei Mal in ganz gleicher Stellung am Boden liegenden Verwundeten vorbeireiten.
Straub, a. a. O.
*) Siehe Vöge, a. a. O. 235 und S. 257 Anm. i, wo eine Anzahl anderer abendländischer
Darstellungen dieses Gegenstandes aufgeführt werden, u. a. auch die ausführliche Darstellung
auf einer Schale im Trierer Museum aus dem XII Jahrhundert, wo nur die Scene mit dem
Wirt fortgeblieben ist. Abbildung in dem Jahrb. d. Vereins von Altertumsfr. im Rheinl. LXXV,
1883, Taf. V. Text von Aldenkirchen , S.72f.
') Brockhaus, a.a.O. S. 219, No. 24 in der Anmerkung.
*) Pokrowski, a.a.O. S. 216.
*) Abbildung bei Beifsel, Taf. 24.
VON E. DOBBERT I 39
die Hände aus*); an der Bernwardssäule zu Hildesheim ist der Zeigefinger der er-
hobenen Rechten zwar vorgestreckt, weist aber nicht auf den Mund*). Bei den vielen
byzantinischen Elementen des Hortus deliciarum ist es nicht zu verwundern, dass hier
die betrefifende Gebärde des Reichen in der Hölle') sehr deutlich zum Ausdruck
kommt, ist doch auch der daneben thronende Abraham eine wesentlich byzantinische
Gestalt. Die abendländische Kunst betont bei diesem Gegenstande mit Vorliebe fol-
gendes Moment, das zwar in das Malerbuch vom Berge Athos S.225, doch wohl unter
abendländischem Einflüsse, Eingang gefunden, in früheren byzantinischen Darstellungen
mir aber nirgends begegnet ist: Teufel ergreifen die Seele des verstorbenen Reichen,
Engel diejenige des Lazarus. Beispiele dafUr bieten die Miniaturen in dem Echter-
nacher Evangeliar in Gotha aus dem Ende des X Jahrhunderts Bl. 78 b, im Evangelistar
zu Bremen aus dem XI Jahrhundert*), in der lateinischen Handschrift des XII bis
XIII Jahrhunderts, aus welcher d*Agincourt (Peiniure PI. CHI) Abbildungen giebt, im
Hortus deliciarum'), in einem englischen Psalter des britischen Museums (Arundel
Manuscripts 83) aus der Frühzeit des XIV Jahrhunderts BI. 129 b.
Das folgende fast ganz zerstörte Bild möchte ich als eine der j> Heilungen von
Besessenen^ deuten, da der Christus gegenüber befindliche Mann, dem, wie es scheint,
ein Strick über die Brust (und die Arme?) geschlungen ist, laufend dargestellt ist, ein
Motiv, das sich an derselben Stelle wiederholt in byzantinischen Werken, wie z. B.
auf Bl. 170a des Pariser Gregor von Nazianz No. 510 und im Tetraevangelon des
Klosters Iwiron auf dem Athos No. 5*) findet, im Anschluss an die Textworte Mat-
thäus VIII, 28: »Da liefen ihm entgegen zwei Besessene « (vergl. Marcus V, 2).
In der dritten Reihe der nördlichen Wand befinden sich aufser der schon be-
sprochenen Darstellung der Taufe Christi und der vorangehenden Rede Johannes' des
Täufers folgende Bilder: der bethlehemitische Kindermord, Christus unter den Lehrern
im Tempel und die Versuchung Christi.
Bezüglich des n Kindermordes^ (sehr verdorben) sei auf die ähnliche Haltung des
links thronenden Herodes sowie der Frau mit den erhobenen Armen in dem ent-
sprechenden Mosaikbilde der ehemaligen Kirche des Klosters Chora, jetzigen Moschee
Kachrije in Konstantinopel, etwa aus dem Anfange des XIV Jahrhunderts hingewiesen').
Der Gegenstand ist bereits in dem betreffenden Mosaikbilde in S. Maria Maggiore in
Rom**), auf dem Elfenbeindeckel im Domschatze zu Mailand*) und in dem syrischen
Evangelium des Rabula in der Laurentiana zu Florenz *^) aus dem VI Jahrhundert so
^) H. A. Muller, Das Evangelistarium Kaiser Heinrichs III in der Stiftskirche zu Bremen,
in den Wiener Mitt. d. Central - Comm. VII (1862) S. 66.
') Abbildung bei Wiecker, Die Bernwardssäule zu Hildesheim, Hildesheim 1874. N0.19.
») Abbildung bei Straub, PI. XXXII bis.
♦) Abbildung bei H. A. Müller, a. a. O. Fig. 4.
*) Straub, PI. XXXIII.
•) Abbildung bei Brockhaus, a. a. O. Taf. 22.
^) Abbildung bei Kondakoff, BBsaHTincKin i^epKBH h nanaTHEKH KoHcraHTHHonojm
(Die byzantinischen Kirchen und Denkmäler Konstantinopels) in den Arbeiten des sechsten
(russischen) archäologischen Kongresses, in Odessa. (Tpy,2^iiiVI. apxeojioni«ieeKaro cb-bs^a,
B-b O^eccb) Odessa 1887. Taf. 35.
8} Abbildung bei Garrucci, a. a. O., IV, Tav. CCXIII.
*) Abbildung bei Garrucci, VI, Tav. 454.
10) Abbildung ebenda, III, CXXX,2; Rohault de Fleury, L*Evangile, 1, PI. XXIX; Po-
krowski, 146, Fig. 66.
140 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
dargestellt, dass Herodes links thront und mit der Rechten den Mordbefehl erteilt,
ein Motiv, das sodann von der byzantinischen Kunst in der Regel wiederholt wird,
so z. B. im Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510 Bl. 137*) und im Menologium der
Vaticana ^). Ein wesenriicher Unterschied der byzantinischen von der frühmittelalterlich
abendländischen Darstellungsweise lässt sich in ikonographischer Beziehung nicht be-
haupten. Im Münchener Evangeliar Cim. 58BI. 31b thront der den Befehl erteilende
Herodes ebenfalls links'), während er im Egbert -Codex und in dem nahe verwandten
Evangelistar in Bremen aufrecht steht ^), und in dem Missale aus Zwiefalten in der
Stuttgarter Bibliothek (Brev. liturg. Nr. 125) zwar links thront, aber den Befehl nicht
mit der Rechten, welche ein Schwert hält, sondern mit der Linken erteilt.
Mit Recht bemerkt Kraus, S, 94, dass das folgende Bild; r>Der Knabe Jesus
unter den Lehrern im TempeU (Lucas II, 42 — 50) genau wie im Malerbuche sei und
ganz abweiche von der Darstellung im Codex Egberti (Taf. XVII). Dass uns in dem
Wandbilde in S. Angelo das damals herrschende byzantinische Schema vorliegt, lehrt
ein Vergleich mit der Miniatur auf Bl. 1 10 des Evangeliars No. 74 in Paris (XI Jahrhun-
dert),*) wo, wie in S. Angelo, Christus in der Mitte ganz in der Vorderansicht feierlich
auf einem erhöhten mit einem Kissen versehenen Throne sitzt. Dass in der Pariser
Handschrift je drei Lehrer zu den Seiten des Thrones auf niedrigeren Bänken Platz
genommen haben, während auf dem Wandbilde nur je einer ebenfalls niedriger sitzt,
ist kein wesentlicher Unterschied; stärker weicht die Darstellung Josephs und der
Maria ab, welche in S. Angelo wie im Malerbuche »hinter dem Throne« (rechts und
links) zu sehen sind, während sie auf der Miniatur von rechts her neben einander
herankommen. In dem Evangeliar in Gelati (Bl. 152b) aber stehen die Eltern wieder
zu den Seiten des Thrones.^)
Von der y> Versuchung Christin ist nur noch Folgendes zu erkennen: Christus
kommt zwischen Palmen von links her geschritten und begleitet mit der Rechten die
Worte, die er an den Teufel richtet, welcher mit beiden Händen aus einer Vase einen
der darin liegenden Steine nimmt und dabei Christus ansieht (Matthäus IV, 3 : Bist Du
Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brod werden). Der Teufel ist als überaus
hagerer Mann mit grofsen Flügeln gebildet. In dieser Hagerkeit erinnert er an die
Teufelsdarstellungen im Psalter vom Jahre 1066 im britischen Museum auf Bl. 85 b und
B1.88b. — Sodann steht Christus (fast ganz zerstört) auf einem byzantinischen Kuppelbau,
rechts sieht man noch einige Spuren des Teufels, der eine hinabweisende Bewegung
zu machen scheint (v. 6: Bist Du Gottes Sohn, so lass Dich hinab!); wahrscheinlich
folgte schliefsUch an einer jetzt ganz zerstörten Wandstelle der dritte Vorgang (v. 8),
wo der Teufel Christus auf einen hohen Berg führt und ihm alle Reiche der Welt
und ihre Herrlichkeit zeigt. Diese drei Vorgänge umschliefst bereits die älteste be-
kannte Darstellung der Versuchung Christi, die Miniatur auf Bl. 165 des Pariser Gregor
') Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile PI. XXIX, 2; Pokrowski, 147, Fig. 67.
*) Abbildung bei d'Agincourt, Malerei, Tav. XXXI, 20. Von dem Kindermord handelt
Pokrowski, S. 145 — 151.
3) Abbildung bei Vöge, S.68, Fig. 10.
*) Abbildung aus dem Egbert -Codex bei Kraus, Taf. XIII und bei Vöge, S. 67, Fig. 9;
aus dem Evangelistar in Bremen bei H. A. Müller, Mitt. d. Centr.-Comm.VII, 61, Fig. 2 und
danach bei Lübke, Gesch. d. deutschen Kunst, S. 137, Fig. 119.
s) Abbildung bei Rohault de Fleury, LEvangile, I, PL XXXI, 2; derselbe, La S. Vierge, I,
PI. XV; Pokrowski 153, Fig. 69.
•) Siehe Pokrowski, a.a.O. S. 153.
VON E. DOBBERT I4I
von Nazianz No. 510.*) Der Gegenstand wurde im frühen Mittelalter, wie es scheint,
von der byzantinischen und der abendländischen Kunst, was das Kompdsitionsschema
im allgemeinen betrifft, in übereinstimmender Weise aufgefasst, wie dies ein Vergleich
byzantinischer Miniaturen mit den Darstellungen im Aachener Evangeliar') und in der
Münchener Handschrift Cim. 58^) ergiebt. In beiden Fällen ist der Teufel, wie in der
Regel in der byzantinischen Kunst, als geflügelter Mensch ohne geflissentliche Ver-
zerrung dargestellt, während die unbeflügelten Teufel in der Miniatur des Evange-
listarium zu Bremen bereits Krallen an Händen und Füfsen , hörnerartige Haare und
einen weit aufgerissenen zähnefletschenden garstigen Mund haben ^) und die spätere
abendländische Kunst sich immer wieder in einer phantastisch fratzenhaften, mehr
oder weniger tierischen Darstellung des Teufels ergeht. *) Das specifisch Byzantinische
des Versuchungsbildes in S. Angelo liegt auf dem Gebiete der Gebärden - und Be-
wegungsmotive so wie in der Darstellung der Architektur. Auf einer ganz solchen
byzantinischen Kuppel wie hier steht Christus auf dem betreffenden Mosaikbilde in
S. Marco zu Venedig.')
Wir kommen nun zu den Bildern der unteren Reihe der Südwand.
Das erste Bild zeigt uns Christus j von einigen Aposteln begleitet, die Schrift-
rolle in der Linken, mit erhobener Rechten von links her ^u dem ihn anblickenden,
klein gestaheten Zachäus auf dem Baum redend, (Lucas XIX, 4, 5.) Im Hinter-
grunde die Mauer, rechts Thor und Häuser der Stadt Jericho. In ähnlicher Weise
wird der Gegenstand häufig in byzantinischen Werken behandelt, so z.B. im Pariser
Gregor von Nazianz No. 510, Bl. Sjb^), im Evangeliar No. 105 der Petersburger
Öffentlichen Bibliothek und im Mosaikbilde von S. Marco*). In der abendländischen
Kunst des X und XI Jahrhunderts wurde der Vorgang in ähnlicher Weise dargestellt,
wie die Miniaturen in dem Aachener Evangeliar*^), im Münchener Evangelistar, Cim. 57,
Bl. 200a, im Evangelistar Cod. c. pict. 86 derselben Bibliothek, Bl. 184 b *^), im Evan-
gelistar des Berliner Kupferstichkabinets No. iii, Bl. 87b zeigen. Doch steht Christus
in diesen vier Bildern rechts, während er auf dem Relief der Bernwardssäule ") wieder
die Stelle links vom Baume einnimmt.
Zu denjenigen Vorgängen aus dem Leben Jesu, welche bereits in altchristlicher
Zeit nicht selten dargestellt wurden, gehört ndas Gespräch Jesu mit der Samariterin
am Brunnemi (Johannes IV, 4 — 42). Kraus ") zählt die hierher gehörenden altchristlichen
Werke auf und spricht sich folgendermafsen über die in jener Frühzeit herrschende
Darstellungsweise aus: »Gewöhnlich ist die Anordnung so, dass Jesus auf der einen
Seite des Brunnens steht, die Samariterin auf der anderen. Der Brunnen hat meistens
») Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile, I, PI. XXXVI, Fig. i. Vergl. Pokrowski,
a. a. O. S. 192.
>) Abbildung bei Beifsel, Taf. VII.
') Beschreibung bei Vöge, S. 45. 46.
♦) Abbildung und Beschreibung bei H. A. Müller in den Mitt. der Centr.-Comm. VII, S. 62.
- *) Vergl. Vöge 313 und die Beispiele bei Pokrowski, S. 193. 194.
«) Abbildung bei Ongania, La basilica di S.Marco in Venezia, Bd.I (grofs Fol.) Tav. XII.
') Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile, I, P1.XLI Fig. i.
s) Abbildung bei Ongania, a.a.O. Bd. III (klein Folio), Tav. XXXII.
») Abbildung bei Beifsel, Taf. XXV.
»0) Vöge, 237.
") Abbildung bei Wiecker, Die Bernwardssäule zu Hildesheim, Hildesheim 1874 No. 20.
1') Real-Encyklopädie d. ehr. Alt. II, 714.
«9
142 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
eine Winde, an welcher ein Topf oder Eimer hängt, hier und da stehen eine oder
zwei Hydriae am Boden.« Sodann führt Kraus auch einige Fälle an, in denen Christus
nicht stehend, sondern sitzend dargestellt ist*). Das Sitzen Christi ist in den byzan-
tinischen Darstellungen dieses Gegenstandes typisch. Hinter ihm stehen zwei, auch
wohl drei Apostel. Die Samariterin, die immer wieder als solche durch eine be-
sondere Tracht, gewöhnlich auch ein Kopftuch, bezeichnet ist, steht auf der anderen
Seite des Brunnens, der nicht selten eine antike Form hat. Oft hält sie das Seil, an
welchem der Eimer hängt, mit der einen Hand und horcht auf die Rede Jesu. Zu-
weilen steht eine Hydria neben oder hinter ihr am Boden. Es kommt auch vor, dass
sie nichts in den Händen hat, wie z.B. im Chlud off- Psalter*); im Evangeliar No. 74
der Pariser National -Bibliothek, Bl. 173^), wo sie mit beiden Händen eine staunende
Bewegung macht, und in dem Evangeliar von Gelati (Bl. 230b), wo sie die Arme nach
Christus hin ausstreckt*). Zuweilen hat die Samariterin eine Hydria in der Hand, so
im Evangeliar der Universitätsbibliothek zu Athen, Bl. 297"), und in dem Mosaikbilde
in S.Marco zu Venedig^). Zu denjenigen Bildern des Hortus deliciarum, in denen
das byzantinische Element stark hervortritt, gehört die Scene am Brunnen'), wo die
Samariterin auch wieder das Gefäfs in der Hand hält. Dieser Gattung von Bildern
gehört die Darstellung in S. Angelo in Formis an. Der Miniatur der Pariser Hand-
schrift No. 74 steht die Auffassung der beiden Apostel nahe. Hier wie dort macht
der erste derselben eine Gebärde des Staunens (v. 27: Und überdem kamen seine
Jünger und es nahm sie wunder, dass er mit dem Weibe redete). Das Sitzen Christi
auf der Weltkugel ist mir bei dieser Scene, sowie auch bei der folgenden, nur in
S. Angelo begegnet. Im übrigen findet es sich bereits zwei Mal auf dem Elfenbein-
deckel im Domschatz zu Mailand**), sodann in römischen und ravennatischen Apsis-
Mosaiken, in gewissen feierlichen Kompositionen karolingischer Bilderhandschriften,
auf einem byzantinischen Elfenbeinrelief wohl aus dem X Jahrhundert in der Samm-
lung Carand •) u. s. w.
In abendländischen Bilderreihen aus dem Leben Jesu, die dem X — XI Jahrhundert
angehören, trifft man das Gespräch am Brunnen nicht gerade häufig an. In den von
Vöge zusammengestellten hierher gehörenden sechzehn Handschriften kommt es kein
einziges Mal vor, wohl aber im Egbert-Codex *°), in dem Codex Epternacensis zu Gotha^^)
^) Vergl. auch Strzygowski, Das Etschmiadzin - Evangeliar, Wien 1891, S. 107 Anm. 2.
^) Abbildung bei Kondakoff, MnuiaTiopu rpenecKoii pyKOimcH ncajiTHpH TX. b^ks
«3% co6paHiji A. II. Xjiy^oDa (Miniaturen einer griech. Psalterhandschrift des IX Jahrhunderts
aus der Sammlung von A. J. ChludofF). Moskau 1878, Taf. V, Fig. 3.
^) Abbildung bei R. de Fleury, L*Evangile, I, PI. L, Fig. 2.
*) Pokrowski 212.
*) Pokrowski 212.
6) Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio), Tav. XXIX. R. de Fleury, I, PI. L, Fig. 4.
') Abbildung bei Straub, PI. XXXIII.
8) Abbildung bei Garrucci, VI, PI. 455.
°) Abbildung bei Labarte, Hist. des arts ind, I, pl. IX. Vergl. Tikkanen, Die Genesis-
mosaiken von S. Marco in Venedig und ihr Verhältnis zu den Miniaturen der Cottonbibel,
Helsingfors 1889, S. 19, Anm. 2.
^0) Abbildung bei Kraus, Der Egbert- Codex, Taf. 36.
") Abbildung der Gestalt der Samariterin bei Lamprecht, Der Bilderschmuck des Codex
Egbert! und des Codex Epternacensis, in dem Jahrb. d. Ver. v. Altertumsfr. im Rheinl. LXX
(1881) Taf. VI, wo auch die entsprechende Gestalt aus dem Elgbert- Codex abgebildet ist.
VON E. DOBBERT I43
und auf der Bernwardssäule *). Das Kompositionsschema entspricht im grofsen und
ganzen dem byzantinischen im allgemeinen und dem Bilde in S. Angelo im beson-
deren, doch fehlt der Samariterin in den beiden Miniaturen die Kopfbedeckung, sie
hat lang herabwallendes Haar, in allen drei Bildern hält sie statt der Hydria einen
Eimer an dem halbkreisförmigen Henkel, auf der Bernwardssäule sitzt Christus rechts
und steht die Samariterin links.
Das folgende Bild: y^Jesus und die Ehebrecherin^ (Johannes VIII, i — ii) führt
Kraus S. 88 mit grofser Entschiedenheit gegen den byzantinischen Ursprung unserer
Wandbilder ins Feld. »Die Ehebrecherin vor Christus« sei in der griechischen Kunst
nicht gemalt worden, allerdings enthalte das Malerbuch vom Berge Athos (S. 194 §272)
die Geschichte der Ehebrecherin, hier liege indessen allem Anscheine nach einer der
Fälle vor, in welchem das Malerbuch abendländische Einwirkung erfahren habe.
Ohne Zweifel spiegelt das Malerbuch ein sehr spätes Stadium der byzantinischen
Kunst wider, manche dogmatisierende Schilderungen desselben würde man vergebens
in der byzantinischen Kunst des XI — XIII Jahrhunderts suchen, auch sind gegen Ende
des Mittelalters und in der Renaissancezeit abendländische Elemente in die grie-
chische Kunst eingedrungen, die sodann auch im Malerbuche zum Ausdruck kamen.
Wie die in dem Handbuch der Malerei S. 208 § 307 beschriebene Auferstehungsscene,
in der Christus, mit der Rechten segnend, mit der Linken eine Fahne mit goldenem
Kreuze haltend, auf den Deckel des Grabes tritt, von der älteren byzantinischen Kunst
nicht dargestellt wurde, die immer wieder das Herabsteigen Christi in die Vorhölle
als »Auferstehung«, i>av(tTTaTig<i bietet, so ist auch das Vorkommen der »Ehebrecherin
vor Christus« im Malerbuche, auch wenn diese Scene auf dem Athos in der 1540
errichteten Kirche des Klosters Kutlumusi gemalt worden ist*), nicht ohne weiteres
für die ältere byzantinische Kunst beweiskräftig. Gegenüber der Angabe von Kraus,
wonach die Geschichte der Ehebrecherin in den byzantinischen Kirchen nicht gelesen
wurde, »weil man sie als Thema für die an die gesamte Gemeinde gerichtete Predigt
nicht für angemessen, unter Umständen sogar für anstöfsig hielt«*), möchte ich nur
bemerken, dass gegen die Annahme der AllgemeingUltigkeit einer solchen Unterlassung
das Vorkommen des Gegenstandes im Malerbuche und einer Athos- Kirche doch wohl
ins Gewicht fallen dürfte.
Einige ältere byzantinische Bilder werden als Darstellungen unseres Gegenstandes
gedeutet, so das Mosaikbild in S. AppoUinare nuovo zu Ravenna, das auf »das Ge-
*) Abbildung bei Wiecker, a. a. O. No. 8.
^) Brockhaus , a. a. O. S. 280.
*) Augustinus klagt in seiner Abhandlung: De conjugiis adulterinis ad Pollen tium
(bei Migne, Patrol. curs. compl. lat. T. XL Spalte 74) darüber, dass einige (Ehemänner) die
Geschichte von der Ehebrecherin aus ihren Büchern entfernen, wie er glaube, aus Furcht,
dass ihren Frauen dadurch für ihr Sündigen Straflosigkeit zu teil werden möchte. In der
Anmerkung zu dieser Stelle wird hervorgehoben, dass in vielen griechischen Handschriften
die Geschichte von der Ehebrecherin nicht zu lesen sei und dass sie in den Kommentaren
des Chrysostomos und des Theophylakt zum Johannes - Evangelium nicht erwähnt werde,
auch behaupte Eusebius, Eccl. hist. Lib. III, diese Erzählung sei aus dem Hebräer-Evan-
gelium dem Johannes - Evangelium hinzugefügt worden. Die neuere Evangelienforschung
hat ergeben, »dass die Stelle ein aus der apostolischen Zeit herrührendes Schriftstück ist,
welches, in verschiedenen Textgestälten verbreitet, wahrscheinlich schon im zweiten, spätestens
im dritten Jahrhundert in das Johannes -Evangelium eingefügt wurde«. Zittel, die Schriften
des Neuen Testaments, Karlsruhe 1894, S. 471.
«9*
144 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
sprach Christi mit der Samariterin am Brunnen« folgt ^) und eine Miniatur auf Bl. 310
des Pariser Gregor von Nazianz No. 510.*) In beiden Fällen liegt eine Frau zu Füfsen
Christi auf den Knieen. Können diese Darstellungen sich auch auf andere Erzählungen
der Evangelien beziehen, so ist die Deutung eines der Mosaikbilder im Dome zu
Monreale») durch die Beischrift: JVDEI TEPTANTES ADDUCTTT AD IhO MULIERE
IN ADULTIO DEPREHENSAM als Darstellung der Ehebrecherin sicher bezeugt.
Letztere hat hier, wie das Malerbuch vom Berge Athos vorschreibt, die Hände auf
der Brust gekreuzt und steht demütig vor dem sitzenden Christus, der hinabsieht und
mit der Rechten wohl auf die bereits geschrieben gedachten Worte weist, während
die Schriftgelehrten und Pharisäer wie in S. Angelo in Formis und im Malerbuche
»fliehen und zurUckschauen«. Dieses Bild des XII Jahrhunderts scheint mir für die
hier in Betracht kommende Frage entscheidend zu sein. Sollte seine Entstehung auch
durch die ältere Darstellung in S. Angelo angeregt worden sein *) oder sollte es hier
deshalb angebracht worden sein, weil es sich um den Schmuck nicht einer griechischen
sondern einer abendländischen Kirche handelte, so genügt es doch für die Stilfrage,
die hier lediglich in Betracht kommt, vollauf, dass die Mosaiken in Monreale unbe-
stritten einer sizilisch- byzantinischen Kunstschule entstammen und byzantinischen
Stil zeigen, auch dasjenige Bild nicht ausgenommen, auf dessen ikonographischen Gehalt
die abendländische Auffassung eingewirkt hat, die Abendmahlsdarstellung nach dem
Johannestext.
Auch dem von Herrn Professor Kraus gethanen Ausspruche, das Bestreben des
Künstlers, die tiefe Bewegung wiederzugeben, welche diese berühmte Begegnung in
den Beteiligten hervorrief, stehe so weit als möglich ab von den Absichten und der
Vortragsweise der gleichzeitigen Byzantiner, kann ich nicht zustimmen. Im XI, im
^) Abbildung bei Rohault de Fleury, L*Evangile PI. LVIII, Fig. 2
') Ebenda, Fig. 7. Vergl. Bordier, Description des peintures et autres ornements con-
tenus dans les manuscrits grecs de la bibl. nat. Paris 1883, p. 79; KondakofT, Hist de Tart
byz., considere principalement dans les miniatures. Paris II (1891) 71.
•) Abbildung bei Gravina, II duomo di Monreale, Tav.XIX — D.
^j Weil ich einen Einfiuss der Wandmalereien in S. Angelo in Formis auf die Mosaiken
in der Capella Palatina zu Palermo und in dem Dom von Monreale ftlr wahrscheinlich
halte, ziehe ich diese Mosaiken im allgemeinen nicht zum Vergleiche heran. Schon an sich
liegt der Gedanke nahe , dass die Urheber der sizilianischen Mosaiken des XII Jahrhunderts
einen so bedeutenden Cyklus biblischer Darstellungen, wie ihn die Kirche in S. Angelo in
Formis bietet, kennen gelernt haben werden. Dazu kommt, dass künstlerisch -technische Be-
ziehungen zu dem sUditalischen Festlande bei der Wiederherstellung der Klosterbauten in
Monreale durch die Berufung zweier Mönche aus dem neapolitanischen Kloster La Cava im
Jahre 11 74 behufs dieser Wiederherstellung erwiesen scheinen (siehe Gravina a. a. O. S. 76).
Vor allem aber lassen sich einige Übereinstimmungen der Mosaiken in der Capella Palatina
und im Dom zu Monreale mit Bildern in S. Angelo in Formis wohl nur durch die Bekannt-
schaft mit den letzteren erklären; man vergleiche mit den betreffenden Stücken in S. Angelo:
die Arm- und Beinhaltung Christi beim Einzug in Jerusalem in der Capella Palatina (Terzi,
Capella di S. Pietro nella Reggia di Palermo T. XIII A.; Salazaro, II, Tav. XVII, Pawlowsik,
S. 1 1 1); in Monreale aber: die eigentümliche Stellung des linken Flügels des vorderen Engels bei
der Taufe Christi (Gravina Tav. XVII — C); die Gesamtanordnung des Gebetes auf dem
ölberge und der schlafenden Jünger (ebenda Tav. XVII IB;; die Haltung der Arme des Teufels
in der ersten Versuchungsfcene (ebenda Tav. XVIII A); die Stellung und Bewegung des Petrus
bei der Verklärung (ebenda Tav, XVIII B); die Gesamtanordnung und die Stellung der Fi-
guren bei der Auferweckung des Lazarus (ebenda); die Gruppe Christus und Judas in der
Scene des Verrates (ebenda).
VON E. DOBBERT
145
No. 8. Evangeliar. Kgl. Bibl. Berlin
(No. 66). XllJahrh.
XII Jahrhundert haben byzantinische Künstler trotz des Vorwiegens gewisser Schemata
für die Komposition ihrer Bilder vielfach ihren Gestalten einen der Situation ent-
sprechenden individuellen Ausdruck nicht nur zu geben gestrebt, sondern auch ver-
mocht. Wenn Kraus im Bilde von S. Angelo mit
Recht den Ausdruck der Scham, der tiefen Erschütte-
rung bei der Ehebrecherin rühmend hervorhebt, so
sei zum Vergleiche damit auf den Ausdruck des tiefen
selbstvergessenen Grames bei den beiden Frauen am
Grabe Christi auf Bl. 96 b und den Ausdruck des
Staunens bei Petrus, da er das Grab leer findet auf
Bl. 334a in dem griechischen Evangeliar der König-
lichen Bibliothek in Berlin aus dem XII Jahrhundert
No. 66 hingewiesen. (Fig. 8 und Fig. 9).
Die r>Blindenheilung<i gehört zu den bereits von
der altchristlichen Kunst häufig dargestellten Gegen-
ständen. Christus berührt in diesen frühen Bildern
das Auge des meist klein, knabenhaft gebildeten
Blinden mit der Hand. Welche der Blindenheilungen
der Evangelien gemeint sei, ist nicht zu ersehen. Im Codex Rossanensis ^) aber ist be-
reits die Heilung des Blindgeborenen am Quell von Siloah (Johannes IX, 1 — 7) aus-
drücklich zur Darstellung gekommen: links berührt Christus, von zwei Jüngern
begleitet, mit der Rechten das Auge des gebückt vor
ihm stehenden, mit einem Stabe ausgestatteten Blinden,
rechts ist der letztere noch einmal dargestellt, wie er
in Gegenwart einer staunenden Menge am Brunnen
die Augen wäscht (v. 7: Gehe hin zu dem Teich
Siloah und wasche dich. Da ging er hin und wusch
sich, und kam sehend). Die doppelte Handlung ist
zu einem immer wieder in der byzantinischen Kunst
anzutreffenden Schema geworden*). Wie sehr das
Bild in S. Angelo in Formis diesem Schema entspricht,
mag ein Vergleich desselben (Fig. 10) mit dem betref-
fenden Teil der Miniatur auf Bl. 316a des Pariser
Gregor von Nazianz No. 510 (Fig. 1 1) zeigen. Unserem
Bilde sehr ähnlich ist auch die betreffende Mosaik-
darstellung in S. Marco zu Venedig'). Von den hier-
her gehörenden abendländischen Bildern kommt das
Wandgemälde in der Georgskirche zu Oberzeil auf der
Reichenau dem byzantinischen Schema am nächsten *).
Während hier der Blinde auch zweimal dargestellt ist, fehlt die zweite Figur in dem
No. 9. Evangeliar. Kgl. Bibl. Berlin
(N0.66). XllJahrh.
^) Abbildung bei v. Gebhardt und Harnack, a.a.O. Taf. XII.
*) Vergl. Pokrowski, a. a O. 241.
») Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio), Tav. XXXI; Rohault de Fleury, L'Evan-
gile LX, Fig.i.
*} Abbildung bei Kraus, Die Wandgemälde in der Georgskirche zu Oberzell auf der
Reichenau. Freiburg i. B. 1884, Taf. X, Beschreibung auf S. 11, 12, wo auch eine Anzahl ver-
wandter Darstellungen angeführt wird.
146
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
C.l.^.)-*
No. 10. S. Angelo in Fonnis.
Egbert- Codex ^) und an der Bernwardssäule^). Weist der Brunnen in der Miniatur
deutlich auf die Blindenheilung am Quell von Siloah hin, so kann im Relief auch eine
der anderen Blindenheilungen der Evangelien gemeint sein. Dass auf dem Elfenbein-
relief des Aharvorsatzes im Dom zu
Salerno etwa aus dem XII Jahrhunden
das byzantinische Schema streng ein-
gehahen ist, nimmt nicht wunder, da
das Werk durchweg die stärksten
byzantinischen Einwirkungen zeigt,
ja wesentlich byzantinisch ist.
y>Die Auferweckung des La^a-
rus<i war ein Liebhngsgegenstand
der altchristlichen Kunst: immer
wieder findet man ihn in Katakom-
ben - Malereien , auf Sarkophagen,
auf Goldgläsern u. s. w. dargestellt,
anfangs in einfachster Form, so dass
Christus den in einem tempelartigen Grabgebäude als Mumie dastehenden Lazarus
mit dem Wunderstabe berührt. Bereits auf Sarkophagen kommt aber auch eine aus-
führlichere Darstellung der Erzählung Johannes XI, 17 — 44 vor, indem die eine der
Schwestern des Lazarus vor Christus kniet. In der Evangelienhandschrift von Ros-
sano^) schreitet Christus, von den Aposteln be-
gleitet, auf das Höhlengrab des Lazarus zu, die
beiden Schwestern desselben haben sich demütig
vor Christus niedergeworfen, der sie zu segnen
scheint, während Christus in der Regel in späte-
ren byzantinischen Darstellungen des Gegenstandes
mit der vorgestreckten Rechten die Worte: »Laza-
rus, komm heraus« begleitet. Hinter den Schwestern
steht eine Volksmenge. Ein Mann häh die auf-
recht stehende Mumiengestalt des Lazarus an der
Schulter, er hat Mund und Nase verhüllt, wo-
durch der bereits vor vier Tagen eingetretene Tod
des Lazarus angedeutet ist, ein Motiv, das fortan
in der byzantinischen Kunst in der Regel derart
wiederholt wird, dass dieser Mann zugleich den
Wiederbelebten aus den Totenbinden loswickelt.
Eine fernere, schon früh typisch gewordene Ge-
stalt ist der Mann, der die ausgehobene Grabthür hält. Zuweilen werden der Hades
und die von demselben emporfliegende Seele des Lazarus personifiziert*), doch ist
dies keineswegs ein regelmäfsiger Bestandteil des byzantinischen Schemas, dessen
wesentliche Züge sich alle in unserem Wandbilde finden.
^) Abbildung bei Kraus, Der Egbert -Codex, Taf. XL, und in dem Werke über die
Wandgemälde in der Georgskirche, Taf. XV.
*) Abbildung bei Wiecker, a.a.O. No. 13.
*) Abbildung bei v. Gebhardt und Harnack, a.a.O., Taf. IV.
*) Vergl. meinen Aufsatz über den Triumph des Todes im Campo santo zu Pisa, in
dem Repert. f. Kunstwiss. FV (1880), Anm. 23 zu S. 22.
No. II. Gregor von Nazianz.
Bibl. nation Paris (N0.510). IXJahrh.
VON E. DOBBERT I47
Die frühmittelalterlichen abendländischen Darstellungen dieses Gegenstandes
stimmen in vielen Stücken mit den byzantinischen überein, was sich durch den beider-
seitigen Zusammenhang mit der altchristlichen Kunst erklärt, jedoch finden sich auch
bedeutende Unterschiede, so z. B. steht im Wandgemälde der Georgskirche in Ober-
zelP), in den Miniaturen des Egbert -Codex*), der Echternacher Handschrift in Gotha')
und des Bernward -Evangelienbuches*), sowie in dem Relief bilde der Bernwards-
säule^) Lazarus statt am Eingange des Felsengrabes in einem Sarkophage, aus welchem
in der Bernward -Handschrift er nur mit Kopf und Brust hervorragt. Hier sowie
in der Gothaer Handschrift stehen beide Schwestern aufrecht da, während sie im
Egbert- Codex sich zu Boden geworfen haben, in dem Wandbilde auf der Reichenau
aber die eine der Schwestern wieder stehend angeordnet ist. In allen fünf Fällen ist
von dem Entfernen der Totenbinden abgesehen, an deren Stelle in dem Egbert-
Codex ein Totenhemde getreten ist, während an der Bernwardssäule Lazarus nackt
ist. Nicht zufällig dürfte es sein, dass das Evangelistar aus Bruchsal in der Stadt-
bibliothek zu Karlsruhe, No. i (XII Jahrhundert), dessen Lazarusscene *) mit dem byzan-
tinischen Schema mehr gemein hat, als die soeben besprochenen Bilder, auch sonst
wiederholt Spuren byzantinischen Einflusses zeigt.
Das folgende Bild wird von Caravita^) und Kraus, S. 89, für die Darstellung
jenes Vorganges (Matthäus XX, 20 — 28) gehalten, da die Mutter der Zebedaiden,
Jacobus und Johannes, vor Christus bittend niederfällt, worauf er die letzteren zu-
rechtweist.
Da Christus auf unserem Bilde seine Rede offenbar nicht an die beiden hinter
Petrus stehenden Jünger, welche die Söhne des Zebedäus sein sollen, sondern an
die zu seinen Füssen liegende Frau richtet, so möchte ich hier eher die nScene mit
dem die Heilung ihrer Tochter erflehenden kananäischen Weiber (Matthäus XV, 21 ff.)
vermuten, besonders da die Anrede, die Petrus offenbar an Christus richtet, gut dazu
passt, lässt doch im Vers 23 das Evangelium die Jünger an Christus herantreten und
ihn bitten, er möchte die Frau abfertigen. Die von der Unterschrift noch erkenn-
baren Worte: j>. . . mater adorat« würden bei dieser Deutung dem Vers 25 entsprechen:
at illa venit, et adoravit eum (sie aber kam und fiel vor ihm nieder)®). Der byzan-
tinischen Überlieferung entspricht die unterwürfige Art, wie die Frau am Boden liegt,
sowie der dichte Haufe der Jünger links.
In der Komposition der n Salbung Christin sind in eigentümlicherweise Elemente
der Erzählung im Johannes -Evangelium XII, i — 8, wo Maria, die Schwester des
Lazarus, Jesu Füfse salbt, während ihre Schwester Martha aufwartet, zusammengeflossen
mit Elementen der Erzählung bei Lucas VII, 36 — 50, wo im Hause des Pharisäers
Simon die grofse Sünderin weinend hinterwärts zu den Füfsen Christi tritt, seine
^) Abbildung bei Kraus, Die Wandgemälde in der St. Georgskirche Taf. I, II, III.
2;- Abbildung bei Kraus, Die Miniaturen des Codex Egberti, Taf. XLI; Die Wandgemälde
in der St. Georgskirche, Taf. XV, 3.
') Abbildung in dem Jahrb. d. Vereins d. Altertumsfreunde i. Rheinl. LXX (1881) zu
Lamprechts Abhandlung über den Codex Egberti und den Codex Epternacensis.
*) Abbildung bei Beifsel, Des h. Bernward Evangelienbuch, Taf. XXII.
*) Wiecker, a. a. O. No. 25, 26.
*) Abbildung bei Lübke, Gesch. d. deutschen Kunst, S. 296, Fig. 266.
") Caravita, I codici e le arti a Monte Cassino, Vol. I (1869) 239.
*) Die bei Kraus voranstehenden Worte: »Facit hoc spes firma parentumt gehören zu
dem ganz verlöschten Bilde oberhalb dieser Scene.
148 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
Füfse mit ihren Thränen netzt, mit ihren Haaren trocknet, sie küsst und salbt, worauf
dann Jene Zurechtweisung des Simon erfolgt, die mit den Worten schliefst »ihr sind
ihre vielen Sünden vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt, wem aber wenig ver-
geben wird, der liebt wenig«. Aus der Erzählung des Johannes -Evangeliums ist
Martha beibehalten^ die aber seltsamerweise nicht aufwartet, sondern, den Worten
Jesu lauschend, am Boden sitzt, so dass man annehmen möchte, der Urheber des
Bildes habe sich hier eine Verwechselung zu Schulden kommen lassen, indem er aus
Lucas X, 38 — 42, wo der Besuch Jesu bei Manha und Maria geschildert wird, die
Stelle herausgegriffen hat, wo Maria sich zu Jesu Füfsen setzte und sein Wort hörte.
Sehen wir von der am Boden sitzenden Gestalt ab, so entspricht alles andere in un-
serem Bilde der Erzählung von der grofsen Sünderin bei Lucas VII, nicht aber der-
jenigen im Johannes -Evangelium, denn der an der rechten Ecke des Sigma sitzende
Mann, an den Christus das Wort richtet, ist durch seine Tracht als Pharisäer ge-
kennzeichnet (vergl. die Kleidung des einen der Pharisäer in der Darstellung der
Ehebrecherin vor Christus). Auch der zwischen ihm und Petrus sitzende Mann scheint
nach der Kleidung demselben Stande anzugehören, jedenfalls ist es nicht Judas, der
aber in einer Illustration zum Johannes -Texte nicht fehlen dürfte, vielmehr von
Christus angeredet werden müsste. Die durch die zweite Frauengestalt bezeugte Rück-
sichtnahme auf den Johannes -Text kann vielleicht dadurch erklärt werden, dass schon
früh die Sage aus dem Pharisäer Simon bei Lucas und dem aussätzigen Simon in
den im grofsen und ganzen mit der Schilderung des Johannes -Evangeliums über-
einstimmenden Erzählungen von der Salbung Christi durch ein Weib bei dem Mahle
in Bethanien bei Matthäus XXVI, 6 — 13 und Marcus XIV, i — 9 den Vater oder
Schwager des Lazarus gemacht hatte. Von der byzantinischen Kunst ist das Mahl
bei Simon mehrfach nach dem Lucas -Texte dargestellt worden, so z. B. in dem
Pariser Gregor von Nazianz No. 510, Bl. igöb^) (O AinNOC TOY CIMONOC), wo die
ganz klein mit aufgelöstem Haar dargestellte Sünderin (mit der Beischrift H nOPNH)
am Boden liegt und den rechten Fufs des neben Simon an der linken Ecke des
Sigma sitzenden Christus mit beiden Händen umfasst. Dass auch hier trotz der ent-
schiedenen Anlehnung an den Lucas -Text doch auch zugleich an die Erzählung im
Johannes -Evangelium gedacht ist, scheint daraus hervorzugehen, dass die Miniatur
sich unmittelbar neben der Auferstehung des Lazarus befindet und dass in dem Manne,
der an der rechten Ecke des Sigma auf einem Bänkchen sitzt, mit Kondakoff') Judas
anzunehmen sein dürfte. Eine nicht zu Ende geführte Miniatur auf Bl. 203 b der
Evangelienhandschrift in der Pariser Nationalbibliothek No. 54 (Ende des XIII Jahr-
hunderts) bietet ebenfalls die grofse Sünderin nach Lucas VIP). In den unter ein-
ander verwandten Psaltern: Chludoff (IX Jahrhundert), Bl. 84b*), Add. 19352 im
britischen Museum aus dem Jahre 1066, Bl. 113a, und Barberini (XII Jahrhundert),
Bl. 139b bildet die Salbung Jesu durch die Sünderin, verbunden mit der Zachäus-
Geschichte, eine Illustration zu Psalm 84.
1) Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile II, PI. 69.
') Kondakoff, Hist. de Tart. byz. considere principalement dans les miniatures, Paris II
(1891) p.68.
•) Vergl. Bordier, Description des peintures et autres ornements contenus dans les
manuscrits grecs de la Bibliotheque Nationale, Paris 1883, p. 231.
*) Abbildung bei KondakofT, MHHiaTiopu rpe^ecK. pjKon. ncajiTHpH IX b. mi»
coÖytLBXK Xjiy^oBa (Miniaturen eines griechischen Psalters des IX Jahrhunderts aus der
Sammlung Chludofifs) Taf. IV.
VON E. DOBBERT
149
In der abendländischen Kunst scheint eine vorherrschende Darstellungsweise für
diesen Gegenstand sich nicht herausgebildet zu haben. In dem Egbert -Codex ist die
Illustration des Johannes-Textes ganz deutlich, indem die in ahnlicher Weise wie in
S. Angelo gebückt dastehende Maria mit ihren langen aufgelösten Haaren dem links
sitzenden Christus die Füfse trocknet, hinter ihr steht Martha mit einem Gefäfse in
den Händen, unter den drei zu Tische sitzenden Aposteln ist Judas inschriftlich als
solcher bezeugt % in dem Evangelistarium No. iii des Berliner Kupferstichkabinetts
schüttet die Frau dem auf einem Thron sitzenden Christus, neben welchem Petrus
und ein anderer Jünger stehen, die Salbe über das Haupt'), ebenfalls das Haupt
Christi salbt das Weib in dem Wysehrader Evangelienbuch in Prag') (XI Jahrhundert),
auf der Bernwardssfiule ist die Frau vor dem links am Tische sitzenden Christus
niedergekniet und salbt seinen rechten Fufs über dem Salbgefäfse. Hinter Christus
sitzen zehn Apostel an der Rückseite der Tafel*).
Eine byzantinische Darstellung, in der die salbende Frau wie in unserem Ge-
mälde nicht am Boden kniet oder liegt, ist mir nicht bekannt geworden; die Art aber,
wie Christus am linken Ende des Tisches angeordnet ist, sowie die halbrunde Form
dieses Tisches entsprechen durchaus dem byzantinischen Schema.
Der i>Einj[ug Christi in Jerusalems (Johannes XII, 12 — 16; Lucas XIX, 29 — 44)
ist bereits auf Reliefs der altchristlichen Zeit wiederholt dargestellt worden und zwar
zuweilen recht ausführlich: das Ausbreiten der Gewänder auf dem Boden, das Besteigen
von Bäumen und Herabwerfen von Zweigen, das Entgegenkommen mit Zweigen in den
Händen findet sich schon hier. Auf den Sarkophagreliefs sitzt Christus rittlings auf
dem Esel. In den Miniaturen des syrischen Evangelien buch es des Rabula in der
Laurentiana ^) zu Florenz, im Codex Rossanensis *) und auf dem Relief der Kathedra
des Maximian in Ravenna') sitzt er aber bereits seitwärts, ein Motiv, das fortan für
die byzantinische Kunst typisch ist, während in der mittelalterlichen abendländischen
Christus im strengen Sinne des Wortes reitet. Ein fernerer durchgehender Bestandteil
der byzantinischen Komposition ist die Kinderschaar, die den Einziehenden empßlngt:
Kinder breiten die Gewänder vor den Füfsen des Esels aus, tragen Palmen, besteigen
Bäume, um Zweige zu pflücken.®)
Vielleicht war hier eine Stelle im apokryphen Evangelium des Nikodemus®) nicht
ohne Einflufs, in welcher der Bote des Pilatus dem letzteren vom Einzüge berichtet,
J) Abbildung bei Kraus, a.a.O. Taf.XLII.
*) Vergl. Beifsel, Des hl. Bernward Evangelienbuch, S. 35.
•) Vergl. Beifsel, Des hl. Bern ward Evangelienbuch, S. 17.
*) Wiecker, a. a. O. No. 27.
*) Abbildung bei Assemani, Bibl. Mediceae Laurentianae et Palatinae cod. mms. orient.
Catalogus 1742, Tab. XX und hei Biscioni, Bibl. Mediceae Laurentianae Catalogus 1752, Tab. XX,
danach auch in der von der Moskauer arch. Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift «*,.l(peB-
HOCTB« (Altertümer) XI zu der Abhandlung von Ussoff über diese Handschrift. Garrucci, Tav. 137.
•) Abbildung bei v. Gebhardi und Harnack, Taf. V.
^) Abbildung bei Garrucci, VI, Tav. 418, 3. Vergl. Strzygowski, Das Etschmiadzin-
Evangeliar, Wien 1891. S. 39.
*) Vergl. Brockhaus, a.a.O. S. 125.
^) Vergl. Ussoff, MHHiaTiopu k'b qie^ecR. ko^ckcj EBaurcjiiü VI b. , OTKpuTOMj- B'b
PoccaHO« (Die Miniaturen zu der in Rossano entdeckten griechischen Evangelienhandschrift
des VI Jahrhunderts) in der Zeitschr. der Moskauer arch. Gesellsch. »^peanocTH« (Altertümer),
IX (1881) S. 43,44, wo auch der Wortlaut aus Tischendorf , Ev. apocr. Gesta Pilati I, 3 bei-
gebracht ist. Dazu Pokrowski, a.a.O. S. 262 — 264.
20
ISO
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
No. 12. S. Angelo in Formis.
er habe gesehen, wie hebräische Kinder Zweige von den Bäumen gebrochen und auf
den Weg gebreitet hätten, einige hätten Zweige in den Händen gehalten, andere ihre
Gewänder auf den Weg gelegt u. s. w.
Die Durchbildung, die unser Ge-
genstand bereits in der altchrist-
lichen Kunst erfahren, erklärt es,
dass die frühmittelalterlichen abend-
ländischen Darstellungen in der Ge-
samtanordnung eine nicht geringe
Verwandtschaft mit den byzantini-
schen aufweisen. Der Hauptunter-
schied ist, dass Christus in abend-
ländischen Bildern immer wieder
rittlings auf dem Esel sitzt und dass
es meist Erwachsene sind, die die Ge-
wänderausbreiten und Zweige tragen.
Es ist eine seltene Aus-
nahme, wenn, wie in dem
Sacramentarium der Bamber-
ger Bibliothek (Ed. III, ii) aus
dem XI Jahrhundert, Bl. 44,
Christus seitwärts sitzt; dass
hier byzantinischer Einfluss
gewaltet, geht aus der Bei-
schrift: »Sancta eEOTOKOC«
auf Bl. 106^) hervor. Wenn
wir in dem Evangelien buch
zu Brescia,^) dem Bruchsaler
Evangelistar No. 1 in Karls-
ruhe, Bl. i/a,^) dem Psalter
des Landgrafen Herrmann von
Thüringen in Cividale aus dem
XII Jahrhundert, auf einer zu
einem früheren Altarvorsatz
gehörenden Grubenschmelz -
Platte im Domschatze zu Hil-
desheim (XII Jahrhundert) die
Kinder mit den Gewändern so
wie ein Kind auf einem Baume
antreffen, so erklärt sich auch
No. 13. Evangcliar. Kgl. Bibl. Berlin (No. 66). XH Jahrh. dieses unschwer durch die
byzantinischen Anklänge, die
sich auch sonst in diesen Werken finden. Ein etwas spielerischer Zug im Egbert-Codex,*)
1) Leitschuh, Führer durch die Königl. Bibliothek zu Bamberg, 1878, S. 28.
^) Abbildung bei Valentini a. a. O. , Tav.V.
>) Abbildung bei Lübke, Geschichte der deutschen Kunst, S. 296, Fig. 266.
*) Abbildung bei Kraus, Taf.XLIII.
VON E. DOBBERT
151
in der Echternacher Handschrift in Gotha und in dem Evangelienbuche zu Brescia
ist es, dass Palmblätter dem Esel gleichsam zum Fressen vorgehalten werden.^)
Das Bild in S. Angelo entspricht durchweg dem byzantinischen Schema: das
Seitwärtssitzen Christi, der in der Linken die Schriftrolle hält, mit der Rechten
segnet oder seine Rede begleitet, die ihm folgende dichte Jüngerschar, an deren
Spitze Petrus schreitet, der stürmische Eifer, mit welchem die beiden Knaben ihre
Gewänder ausbreiten, der den Baum erkletternde und der im Baumwipfel sitzende
und Zweige abreifsende Knabe, die Gruppe der übrigen Kinder, die, wie gewöhnlich
in der byzantinischen Kunst, nichts eigentlich Kindliches an sich haben, sondern wie
kleine Erwachsene, ja Greise erscheinen, die, wie die Jüngergruppe, durch zahlreiche
neben und über einander gemalte Kopfteile angedeutete Schar der feierlich aus dem
Thore von Jerusalem herankommenden Menschen, das alles ist echt byzantinisch.
Diesen Ausspruch möge ein Vergleich unseres Bildes (Fig. 12) mit der entsprechenden
Miniatur auf Bl. 65 b der Evangelienhandschrift der Königlichen Bibliothek zu Berlin
No. 66 (Fig. 13) erhärten.
Ein Hauptmerkmal byzantinischer Darstellungen der nFufswaschung^ ist, dass
Petrus, dessen Fufs der mit einer Schürze versehene Christus über einem Geftifse
wäscht, mit der Rechten nach dem
Kopfe greift (Johannes Xlll, 9:
Spricht zu ihm Simon Petrus:
Herr [dann] nicht blofs meine
Füfse, sondern auch die Hände
und das Haupt!). Unser Bild
(Fig. 14) stimmt aufs genauste
überein mit den zahlreichen by-
zantinischen Darstellungen dieses
Gegenstandes, von denen ich die
Miniatur des griechischen Evangelienbuches in Parma (XI Jahrhundert) (Fig. 1 5) *) zum
Vergleiche heranziehe.
Im Evangelienbuche des Kaisers Otto'), im Egbert -Codex*) und im Münchener
Evangeliar Cim. 58*) steht Christus aufrecht da und erhebt redend die Rechte gegen
Petrus, welcher den linken Fufs in die Schale setzt und beide Hände Christus ent-
gegenstreckt. In abendländischen Werken aber, die auch sonst byzantinische Anklänge
zeigen, greift Petrus wieder nach dem Kopfe, so im Karlsruher Evangelistar No. 1, im
Antiphonar zu Salzburg*^), im Psalter der Bamberger Bibliothek A. 11,47, Bl. 62a, aus
der ersten Hälfte des XIII Jahrhunderts.
Wir kommen zu den Scenen aus der Leidensgeschichte Jesu in der unteren
Reihe der nördlichen' Wand.
Das » Gebet Christi auf dem Ölberge « ist mit dem darauf folgenden Vorgange,
da Christus zu den schlafenden Jüngern redet, bereits im Codex Rossanensis ^) zu
No. 14. S. Angelo in
Formis.
No. 15. Evangelistar.
Bibl. Parma (No. 5).
XI Jahrh.
*) Vergl. Lamprecht, a. a. O., S. 102.
'j Nach einer von meinem Freunde Dr. Tikkanen angefertigten Photographie.
') Abbildung bei Beifsel, Taf. XXVIII.
*) Abbildung bei Kraus, Taf. XLIV.
5) Vergl. Vöge, a. a. O., S. 57.
«) Abbildung a.a.O., Taf. X.
^) Abbildung bei von Gebhardt und Harnack, Taf. XI.
20*
152 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
einem Bilde vereinigt, in welchem Christus rechts demütig betend am Boden liegt,
links aber die drei Jünger, die er zu sich genommen: Petrus und die Zebedaiden weckt.
Die beiden Christusgestalten kehren fonan in der byzantinischen Kunst in der Regel
wieder, zu dem am Boden liegenden Christus kommt ein ihn anredender Engel
hinzu, an die Stelle der drei Jünger tritt oft die dicht gedrängte Gruppe der elf schla-
fenden, beziehungsweise infolge der Anrede Christi erwachenden Jünger. Es sind
Ausnahmen, wenn, wie in der Evangelienhandschrift No. 1156 der Vaticana ') , der zu
den dicht gescharten Jüngern redende Christus fortgelassen ist und dem betend am
Boden liegenden Jesus statt des Engels die Hand Gottes erscheint, oder wenn, wie
in dem stark abgekürzten Bilde des Barberini- Psalters auf Bl. 109b, den betenden
Christus nur Strahlen aus einem Himmelssegment und in der Miniatur auf Bl. 184 b,
von der Hand Gottes ausgehende Strahlen treffen. Die Vorschrift des Malerbuches
vom Berge Athos entspricht der Darstellung mit den beiden Christusgestalten und
dem Engel.
In der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst scheint der Gegenstand nur
selten dargestellt worden zu sein. In der Vögeschen Handschriftengruppe findet er
sich nur einmal, in dem Evangeliar Cim. 58 der Münchener Staatsbibliothek auf
Bl. 244b: »Christus in Gethsemane redet zu den schlafenden Jüngern; Christus an-
betend.«^) Wie hier, so finden wir die beiden Christusgestalten auch in dem Evan-
gelienbuche des Berliner Kupferstichkabinets No. iii, Bl. 22 b: Dem am Boden
liegenden Jesus erscheint die Hand Gottes. Vor Petrus und zwei anderen Aposteln
steht Jesus mit einem Spruchbande, auf dem geschrieben ist: Dormite jam. (Matthäus
XXVI, 45).') Die Verdoppelung der Gestalt Christi fehlt in der Miniatur des Wyse-
hrader Evangelienbuches in Prag: Zur Rechten schlafen drei Jünger zwischen zwei
Bäumen, zur Linken betet Christus an einem Berge, über dem die Hand Gottes
erscheint.*) Das Bild in S. Angelo in Formis entspricht Zug für Zug dem byzan-
tinischen Schema der ausführlichen Darstellung. Auch hier ist ein Vergleich mit
der betreffenden Miniatur in dem Evangelienbuche der Königlichen Bibliothek zu
Berlin No. 66, Bl. 87b lehrreich: In ähnlich demütiger Haltung liegt Christus am
Boden, auch ist die Schar der Jünger, an die Christus sich wendet, in entsprechender
Weise auf geringem Räume zusammengedrängt, doch fehlt der Engel.
Bei der i^ Gefangennahme Christidi vermag ich einen Unterschied zwischen der
byzantinischen und der abendländischen Darstellungsweise in Bezug auf die Gesamt-
komposition nicht anzugeben. Hier wie dort bilden der Judaskuss und die Scene,
da Petrus dem Malchus das Ohr abhaut, die beiden Hauptbestandteile des Bildes.
Hier wie dort wird Christus in dem Augenblick, da Judas ihn umarmt, von den
Feinden ergriffen. Das Unterscheidende liegt wesentlich auf dem Gebiete der
Typen und der Gebärdensprache, und hier ist für die byzantinische Darstellungs-
weise die stürmische Art, in welcher Judas seinen Meister umarmt und küsst, be-
sonders bezeichnend. Man vergleiche hierzu mit unserem Bilde, Fig. 16, die Miniatur
in dem syrischen Evangelienbuche des Rabula aus dem VI Jahrhundert*), die in
^) Abbildung bei d'Agincourt, Malerei Taf. LVII.
«) Vöge S. 26.
*) Vergl. Beifsel, Des h. Bern ward Evangelienbuch S. 35.
*) Beifsel, ebenda S. 18.
*) Abbildung bei Assemani und bei Biscioni, a. a. O. Tab. XXI. Danach auch bei
UssofiF a. a. O. — Garrucci, a. a. O. III Tav. 138.
VON E. DOBBERT
163
Fig. 17*) wiedergegebene Gruppe aus der Gefangennehmung in dem Psalter der Königin
Melisenda im Brit. Museum (Egerton 1139) aus dem XII Jahrhundert, sowie die Minia-
turen in dem Evangelien buch No. 1156 der Vaticana Bl. i94b^) und in der Hand-
schrift der Pariser National -Bibliothek No. Suppl. 27 aus dem XII Jahrhundert
Bl. ii8b.»)
Die innerhalb desselben Rahmens befindliche Scene, in welcher ein stehender
Mann mit rotem, doch wohl von einer Übermalung herrührenden Schnurrbart zu
einem ihm gegenüber sitzenden, in einen reich gemusterten Mantel gehüllten Greise
redet, vermag ich wegen der Kleidung der zuerst genannten Gestalt — weifses Unter-
gewand und ein, nach
der treffenden Bemer-
kung von Kraus (S. 91),
wie eine Casula gebil-
deter Mantel — nicht
für jenen Vorgang zu
halten, da Judas vor
dem Hohenpriester den
Verrat plant. Eher ist die
Beratung der Hohen-
priester, der Schriftge-
lehrten und der Ältesten
bei Kaiphas gemeint,
»wie sie Jesum mit List
griffen und töteten«
(Matthäus XXVI, 4), oder es schwebte dem Urheber des Gemäldes die Stelle Matthäus
XXVII, 47 vor, wonach die Schar, die Christus gefangen nehmen sollte, von den
Hohenpriestern und Ältesten des Volkes abgesandt worden.
Bei der y> Verspottung Christi^^i schlägt ihn, wie in S. Angelo in Formis, auch im
Pariser Evangelien buche No. 74 ein Mann auf den Kopf und knieen andere höhnend
vor ihm*). Wie weit dies in einer mit der Darstellung in S. Angelo im einzelnen
übereinstimmenden Weise geschieht, vermag ich nicht zu sagen. In dem betreffenden
Mosaikbilde in S.Marco zu Venedig häh Christus, wie in S. Angelo, ein Rohr als
Scepter in der Hand. Links knieen zwei Höhnende, rechts einer.*) Ein Mann scheint
im Begriff, den Dulder mit der Hand ins Gesicht zu schlagen, wie auch auf unserem
Bilde der tückisch blickende Mann, der mit dem Stabe Christi Haupt berührt, die
Rechte wie zu einem solchen Schlage erhoben hat.
Die Vereinigung der r> Scene, in der sich Pilatus die Hände u^äschta, mit der
y>JfCreu:{tragung<i zu einem Bilde beruht auf alter Überlieferung. Wir finden sie bereits
an der hölzernen Thür von S. Sabina aus dem V Jahrhundert,*) deren Ausführung
No. 16. S. Angelo in Formis.
No. 17. Psalter der Königin
Melisenda. Brit. Mus. London.
Egerton 1 139. XII Jahrh.
^) Auf Grund der Abbildung bei Du Somerard, Les arts au moyen-Sge, Album, 8. serie.
PL XIII.
*) Abbildung bei d'Agincourt, Malerei. Taf. LVII.
*] Abbildung bei Bordier, a. a. O. S. 217, Fig. 108, und danach bei Pokrowski a. a. O.
S. 300.
*) Siehe Pokrowski S. 306.
') Abbildung bei Ongania Bd. I (grofs Folio), Tav. XVI.
«) Abbildung bei d'Agincourt, Sculpt. Taf. XXII; Garrucci, Tav. CDXCIX; Berthier,
La porte de Sainte-Sabine, Freiburg in der Schweiz 1892, S. 43. Zur Datierung der Thür vergl.
154
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
neuerdings griechischen Künstlern zugeschrieben worden ist,^) sowie auf einer Elfen-
beinplatte im Britischen Museum ebenfalls aus dem V Jahrhundert.*) Auf einem Throne
hinter einem viereckigen Tische wie auf unserem Wandbilde sitzt Pilatus in den
Miniaturen des syrischen Evangelienbuches des Rabula Bl. 278,') und des Codex von
Rossano*) aus* dem VlJahrhundert. Auf der rechten vorderen Säule des Altar- Cibo-
riums in S. Marco zu Venedig, wie ich glaube, spätestens im VI Jahrhundert ent-
standen/) schaut, wie auf unserm Gemälde, der Kopf der Frau des Pilatus, die von
der Verurteilung Christi abrät, zu einem viereckigen Fenster heraus. Pilatus sitzt
auch hier hinter einem viereckigen Tische. •) In byzantinischen Werken trägt zu-
weilen Christus selbst sein Kreuz, oft aber thut es, wie auf unserm Bilde, der greise
Simon von Kyrene. Die Darstellungen
.^ der Kreuztragung in der frtlhmittelalter-
lichen abendländischen Kunst, von denen
ich weifs, die Miniaturen in den unter
einander verwandten Evangelienhand-
schriften zu Trier, ^) Gotha*) und Bremen')
lassen Simon von Kyrene das Kreuz
tragen.
Die nKreu:[igung(i entspricht durch-
weg der byzantinischen Darstellungs weise
des XI Jahrhunderts: die gerade Haltung
Christi, die wagerechte Lage der Arme,
der kurze Bart und das dichte auf die
Schultern herabwallende Haupthaar, der
Umstand, dass Christus den Kopf etwas
nach links (vom Beschauer) hin neigt, das
bis an die Kniee reichende Lendentuch,
die Form des Kreuzes, vor Allem das
nach byzantinischer Auffassung unumgäng-
liche Trittbrett, auf dem Christus steht.
No. 18. S. Angelo in Formis.
meine Schrift: »Über den Stil Niccolo Pisanos und dessen Ursprung« 1873, S- ^7- SS> Anm. 100
und meine Abhandlung: »Zur Entstehungsgeschichte des Crucifixesa in dem Jahrbuch d.
Preufs. Kunsts. I (1880) S. 43 f. Siehe auch Kondakoff, Sculptures de la porte de Sainte Sabine
ä Rome, i. d. Revue archeol. nouv. serie, vol. 33. Paris 1877.
1) Berthier, a. a. O. 18. Vergl. dazu Kraus, im Repert. f. Kunstw. XVII (1894) S. 50.
*) Abbildung bei Westwood, A descriptive catal. of the fictile ivories in the South
Kensington Mus. 1876, Taf. IV bei p. 44; Garrucci, VI Tav. CDXLVI, i; Rohault de Fleury,
L'Evangile II p. LXXXVI. Zur Datierung des Werks vergl. meine oben angeführte Abhandlung
im Jahrbuch I, 46 f.
B) Abbildung bei Assemani u. bei Biscioni a. a. O. Tab. XXII (danach auch bei Ussoff
a. a. O.); Rohault de Fleury, UEvangile, PL LXXX, Garrucci, Tav. CXXXVIII. 2.
*) Abbildung bei v. Gebhardt u. Harnack, Taf. XIV.
*) Abbildung bei Garrucci, Taf. CDXCVII. Zur Datierung des Werkes vergl. meine
Schrift: Über den Stil Niccolo Pisanos S. 88, Anm. 100, und Zorzi, bei Ongania, im 3. Teil
des Textbandes Cap. XIII, S. 289 f und S. 297, Anm. I zu S. 294.
*) Zu den im Texte angeführten Denkmälern vergl. auch Pokrowski, a. a. O. S. 301 f.
') Abbildung bei Kraus, Codex Egberti, Taf. XLIX.
*) Siehe Beifsel, Die Bilder der Handschrift des Kaisers Otto, S. 25.
*) Siehe Müller, a. a. O. 64. Hier trägt Christus einen Domenkranz auf dem Haupte.
VON E. DOBBERT
165
das alles ist echt byzantinisch, wie ein Vergleich unseres Bildes (Fig. i8) mit
der Kreuzigung auf einem Elfenbeintriptychon der Pariser National - Bibliothek
(XI — XII Jahrhundert) Fig. 19 ^) und derjenigen auf einem vergoldeten silbernen
Kreuze aus dem XlJahrhundert im Martwili- Kloster im Kaukasus*) lehrt. Nicht als
wenn die Kreuzigung in jener Zeit von der byzantinischen Kunst nur «in der Weise
wie in S. Angelo dargestellt worden. Nicht selten
erscheint Christus mit geschlossenen Augen, ver-
storben, entweder aufrecht stehend oder auch
wohl schon mit der, in der späteren Zeit ge-
wöhnlich auftretenden Ausbiegung des Körpers
nach links. Auch trägt er bisweilen das in den
vorangegangenen Jahrhunderten übliche lange
ärmellose (Purpur-) Gewand, das aber gerade
im XI Jahrhundert meist dem Lendenschurz
wieder Platz machte,') welcher, wenn auch in
anderer Form, derjenigen einer Binde nämlich,
an den ältesten bisher bekannten Crucifixen, dem
an der Thür von S. Sabina in Rom und dem
auf einem Elfenbeinrelief im Britischen Museum,
sich findet.*) Immer wieder stehen Maria und
Johannes trauernd zu den Seiten des Kreuzes.
Maria erhebt häufig die Arme, oder wohl auch
nur den einen, nach Christus hin, Johannes
aber presst meist die Rechte an die Wange,
wie in S. Angelo. Zum Vergleich sei auf den
Johannes aus dem Kreuzigungsbilde in dem
Evangelienbuche des Britischen Museums, Harl.
18 10 (XII Jahrhundert) Bl. 205 (Fig. 20)*) hinge-
wiesen. Diese der Antike entstammende Ge-
bärde des Schmerzes findet sich übrigens auch
oft auf abendländischen Kreuzigungsbildern.')
Für die, selbstvergessenen Gram so treffend ausdrückende Haltung der Hände der
Maria auf unserem Bilde vermag ich aus den byzantinischen Darstellungen der Mutter
Jesu beim Kreuze ein Beispiel nicht beizubringen, wohl aber zeigt Johannes im Kreuzi-
gungsbilde des Pariser Gregor von Nazianz No. 510, Bl. 30 b diese Gebärde.') Sonne
No. 19. Elfenbeinrelief.
BibL nation. Paris. Xl-XIlJahrfa.
1) In der Abbildung sind die kleinen Gestalten des Kaisers Konstantin und der Kai-
serin Helena zu Seiten des unteren Teiles des Kreuzes weggelassen.
^) Abbildung bei Kondakoff, Onncb naauiTHHKOB'b ^pesHocTH b'b irfaKOTopux'b xpa-
9iax*b H MOHacTbipjuTb rpyaiH (Beschreibung der Denkmäler des Altertums in einigen
Kirchen und Klöstern Grusiens) St. Petersburg 1890, S. 71.
*) Siehe Pokrowski, a. a. O. 361.
*) Siehe meine oben genannte Abhandlung im Jahrbuch I (1880) S. 4if. und die Ab-
bildungen auf S. 42 und 46.
*) Nach dem Lichtdruck bei W. de Gray Birch und H. Jenner, Early drawings and
illuminations . . . . in the British Museum, London 1879 ^®* S. 174.
•) Siehe Vöge, a. a. O. 293.
') Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile II, PL LXXXVIII. Über diesen Gestus
der Trauer siehe Vöge 294 und die daselbst in Anm. 2 beigebrachten Beispiele.
■56
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
und Mond in kreisförmiger Umrahmung, die Engel in halber Figur, die Anwesen-
heit mehrerer trauernder Frauen, der Hauptmann, der die Rechte erhebt und mit der
linken den Schild hält, die Teilung von Christi Gewand sind in der byzantinischen
Kunst heimisch.
Wie in der byzantinischen so wurde auch in der abendländischen Kunst des
XI Jahrhunderts die Kreuzigung in verschiedener Weise dargestellt. Sehr oft, ja wohl
meist erscheint Christus damals noch lebend, jugendlich,
bartlos in aufrechter Stellung,') doch so, dass die Füfse
meist nicht auf einem Trittbrette stehen. Bekleidet ist Jesus
entweder mit einem langen Ärmelgewande*) oder einem
Lendentuch. Das Ärmelgewand, welches im X Jahrhundert
die Regel gewesen zu sein scheint und sich z. B. in den
Miniaturen der Evangelienhandschriften in Aachen,') Gotha,*)
Trier/) dem Evangeliar der Münchener Staatsbibliothek
Cim. 58 Bl. 248 b*) findet, ist auch noch häufig im XI Jahr-
hundert anzutreffen, so z. B. in dem Berliner Evangelistar
No. III,') im Evangelistar zu Bremen,*) in dem einen der
beiden Kreuzigungs- Bilder des Bern ward - Codex ,'*) in der
Brüsseler Handschrift No. 9428,'*^) in dem aus Regensburg
stammenden Evangelistar der Münchener Staatsbibliothek
Cim. 54.»')
Die j^ Grablegung Christia (Matthäus XXVII, 59—60;
Johannes XIX, 40 — 42) wird in der byzantinischen Kunst in
recht verschiedener Weise dargestellt. Eine sehr verbreitete
Art ist diese, dass die in Windeln gehüllte Leiche von Joseph
von Arimathia und Nikodemus auf das in den Fels gehauene Grab zu getragen wird,
eine Handlung, an welcher zuweilen auch Maria teilnimmt, indem sie entweder dem
Zuge folgt oder die Leiche mit unterstützt,") oder auch, wie in dem Psalter des Britischen
Museums vom Jahre 1066, Bl. ii6a, mit den anderen Frauen weinend zur Seite steht.
No. 20. Evangeliar.
Brit. Mus. London. Harl. 1810.
XU Jahrh.
^) Nach Otte und aus 'm Weerth, Zur Ikonographie des Crucifixus, Jahrbuch d.
V. d. Alt.-Fr. i. Rheinl. XLIV--XLV (1868) S. 200 findet sich die Darstellung des jugendlichen
Christus im Anschluss an den heiteren Katakomben - Typus fast in allen deutschen Miniaturen
der frühromanischen Zeit, während auf plastischen Denkmälern der Crucifixus gewöhnlich
mit bärtigem Antlitze nach byzantinischer Auffassung erscheint.
») Vergl.Vöge, 265 f.
») Abbildung bei- Beifsel, Taf. XXX.
*) Auf Bl. III a. Abbildung im Rheinländischen Jahrbuch XLVII— XLVIII, Taf. XV.
«) Abbildung bei Kraus, Taf. XLIX u. L.
«) Abbildung bei Vöge S. 61, Abb. 8.
') Abbildung bei Weltmann und Wörmann, Gesch. d. Mal. I, 261.
») Siehe Müller, a. a. O. S. 64.
») Abbildung bei Beifsel Taf. XIX. Das andere Kreuzigungsbild ebenda Taf. XXIII
zeigt das Lendentuch.
^^) Siehe Beifsel, Des h. Bern ward Evangel. S. 33, wo die Handschrift dem XI Jahr-
hundert zugewiesen wird, während Görtz, O coctoühih »nBonHCH b'b c^BcpH. Eepon'fe b'b
IX H X CT. (Ober d. Zustand der Mal. in Nord-Eur. im IX und X. Jahrh.) S. 70 und Vöge,
S. 384 sie ins X Jahrhundert setzen. Abbild, i. d. Melanges d'arch. red. par Cahier et Martin II, 49.
") Abbildung bei Stockbauer, Kunstgesch. d. Kreuzes S. 208.
»*) Pokrowski, S. 388.
VON E. DOBBERT I57
Im Evangelienbuche No. 105 der öffentlichen Bibliothek in Petersburg Bl. 178a tragen
Johannes und die ihren Kopf gramvoll an das Haupt des Sohnes drückende Maria
die Leiche zu Grabe, in dem Tetraevangelon Harl. 1810 des Britischen Museums aus
dem XII Jahrhundert ßl. 205 b thun es die Mutter Maria und Maria Magdalena, während
Johannes, der in der Mitte hinter der Leiche zu sehen ist, mit beiden Händen die
Linke Christi ergriffen hat.
Beispiele der eigentlichen Grablegung bieten eine Miniatur auf Blatt 218b des
Petersburger Evangelienbuches No. 105, ein dem XII Jahrhundert zugeschriebenes Silber-
Relief im christlichen Museum des Vatican,^) wo Maria und ein Greis, von trauernden
Gestalten umgeben, die Leiche in das Grab senken, und das Elfenbeinrelief an dem
wesentlich byzantinischen Altarvorsatz im Dome zu Salerno etwa aus dem XII Jahr-
hundert.^) Das zuletzt genannte Werk lässt die Scene, jedoch ohne Maria und Johannes,
wie unser Bild unter einem Ciborium vor sich gehen. In ganz ähnlicher Weise halten
hier die beiden Männer die in Windeln gehüllte Leiche über einem Sarkophage. Dass
wir es dabei mit einer in der byzantinischen Kunst typisch gewordenen Darstellungs-
weise zu thun haben, geht auch daraus hervor, dass die Bestattung Johannes des
Täufers in der Evangelienhandschrift No. 74 der Pariser National -Bibliothek^) und
diejenige des Marcus auf einem Mosaikbilde in S. Marco zu Venedig^) in derselben
Weise geschildert sind.
Die mir bekannt gewordenen frühmittelalterlichen abendländischen Darstellungen
der Grablegung Christi zeigen Joseph von Arimathia und Nicodemus, die den ein-
gehüllten Körper Christi an den Schultern und den Füfsen über dem Sarkophage
halten , insofern in einer von der byzantinischen Weise und unserem Bilde abweichen-
den Art, als die beiden Männer nicht nach einer Seite hin gewandt, sondern einander
zugekehrt dastehen. So ist es im Egbert- Codex ^), im Evangeliar der Münchener
Staatsbibliothek Cim. 58*), in dem Evangelistar Cim. 57 derselben Bibliothek^), in
dem der Apokalypse angebundenen Evangelistar der Königlichen Bibliothek zu Bam-
berg No. A II, 42®), in dem Evangelistar zu Bremen^), in der Gothaer Handschrift^^).
Während in den byzantinischen Darstellungen der Grablegung Maria und die anderen
Frauen oft vorkommen"), fehlen sie in den oben genannten abendländischen Bildern
durchweg. ^^)
Einen ausgeprägt byzantinischen Charakter hat das Bild d Christus in der Vor-
höUe<i^ von den Byzantinern, wie bereits oben (S. 143) bemerkt wurde, uvaTTcta-iQ ge-
nannt. Wie Christus auf die kreuzweise liegenden Stücke der von zerbrochenen
Schlössern und Riegeln umgebenen zertrümmerten Thür tritt, wie er Adams Hand
^) Abbildung bei Rohault de Fleury, La s. vierge I PI. L.
*) Abbildung bei Salazaro I. Tav. VIII. Abbildung der ganzen Altarplatte bei Rohault
de Fleury, La Messe Bd. I PI. LXXXIX bis.
») Abbildung bei Pokrowski, XXIV, Fig. 7.
*) Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio) Tav. XIII.
*) Abbildung bei Kraus, Taf. LI.
•) Abbildung bei Vöge, S.61, Abb. 8.
') Abbildung ebenda S. 221, Abb. 28.
•) Siehe Vöge, S. 142; 223.
•) Siehe Müller, a.a.O. S. 64, wo die vollständige Ähnlichkeit mit der Miniatur im
Egbert -Codex hervorgehoben wird.
10) Abbildung im Jahrbuch d. Ver. d. Alterthumsfr. i. Rheinl. XLVII— XLVIII, Taf. XV.
11) Vergl. auch das Handbuch der Malerei vom Berge Athos S. 207.
") Vergl. Vöge, S. 250.
168
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
No. 31. S. Angelo in Formis.
ergriffen hat, wie neben Adam Eva flehend erscheint, wie Johannes der Täufer mit
erhobener Hand die Gerechten auf Christus hinweist, wie die Öffnung der Hölle zackig
umrandet ist, alles dieses entspricht der
byzantinischen Darstellungsweise. Sehr
häufig, insbesondere in den griechischen
Psaltern der asketisch-theologischen Rich-
tung, tritt Christus auf eine Personi-
fikation des besiegten Hades, oder der
letztere wird wohl auch von Engeln ge-
fesselt.
Den Hades unter dem linken Fufse
Christi, weiter unten aber die zertrüm-
merte Thür zeigt auch die Miniatur in
dem früher zur Hamilton -Sammlung ge-
hörenden Evangelienbuche, welcher un-
sere Fig. 22^) zum Vergleiche mit dem Bilde in S. Angelo in Formis (Fig. 21) ent-
nommen ist.
In abendländischen Darstellungen unseres Gegenstandes pflegt die Andeutung der
Höllenthore zu fehlen, die Hölle erscheint nur als ein grofses Feuer, zu welchem
Christus, von einer Mandorla eingeschlossen, schräg
herabkommt. ^) Die Andeutung des Thores, so-
wie die abweichende Stellung Christi in dem Anti-
phonar zu Salzburg') erklärt sich durch byzantini-
schen Einfluss.
Auch das folgende Bild: j>Die Frauen am
Grabev^ entspricht ganz dem byzantinischen Schema,
sowohl in der Art, wie der Engel dasitzt und mit
der Rechten über die den Stab haltende Linke hin-
weg auf die Totenbinden, die der auferstandene
Christus abgelegt hat, hinweist, als auch in der
Stellung der beiden Frauen und dem Kuppelbau
über dem Grabe. Man vergleiche z. B. unser Bild
(Fig. 23) mit dem Goldrelief im Louvre zu Paris
(Fig. 24)*), wozu nur bemerkt sei, dass das Höhlen-
grab des Reliefs keineswegs ein durchgehender
Zug der byzantinischen Bilder ist. Ein Ciborium,
wie auf unserem Gemälde, findet sich in der Minia-
tur eines Psalters im Pandokrator- Kloster auf dem
Athos, auch ist das Grab zuweilen durch ein zelt-
artiges Häuschen angedeutet.^)
TiDer Gang nach Emmausa scheint von der byzantinischen Kunst nur selten darge-
stellt worden zu sein, wie sich dieser Vorgang denn auch nicht im Malerbuche vom Berge
^) Nach dem Lichtdrucke im Auktionskataloge vom Jahre 1889.
>) Vöge, S.267.
*) Abbildung in den Mitteilungen der Central -Commission XIV. (1869), Taf. XV.
*) Auf Grund der Abbildung bei Lacroix, Les arts au moyen age et a repoque de
la renaissance. 2. ed. Paris 1869. Bei S. 490.
*) Pokrowski, a.a.O. S. 396.
No. 22. Evangelistar der früheren
Hamilton -Sammlung. XlJahrh.
VON E. DOBBERT
159
No. 33. S. Angelo in Formis.
Athos verzeichnet findet, sondern statt dessen das Mahl zu Emmaus, bei welchem
Christus von Lucas und Kleophas erkannt wird.*) Dass aber der Gegenstand von der Dar-
stellung durch die byzantinische Kunst nicht prin-
zipiell ausgeschlossen war, beweist die Miniatur
im Pariser Evangelienbuch No. 74 Bl. 162b, so-
wie das Bild in der auf dasselbe Original zurück-
gehenden Evangelienhandschrift in Jelisawet-
grad.^) Wie auf unserem Gemälde trägt Christus
eine Tasche auch auf dem entsprechenden Mo-
saikbilde im Dome zu Monreale.*)
Das Bild: y> Christus erscheint den Jüngern
am See von Tiberias^ (Johannes XXI, i — 11)
entspricht dem Schema, das sich in der byzan-
tinischen Kunst für diesen Gegenstand und in
ähnlicher Weise für den bei Matthäus XIV, 24 — 33
und Marcus VI, 47 — 51 erzählten Vorgang, wo Jesus dem sinkenden Petrus hilft,*)
herausgebildet hat.*) Auch stimmt die Darstellung im wesentlichen mit der Vor-
schrift des Malerbuches § 315, S. 210 überein,
nur dass die hinter Christus vorgeschriebenen
brennenden Kohlen mit den Fischen fehlen.*) In
der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst
ist der Gegenstand nur ausnahmsweise, so in
dem Egbert- Codex'), dargestellt worden. Doch
ist hier Petrus nicht, wie auf unserem Bilde,
bis an die Schultern vom Wasser umgeben,
sondern schreitet, das Netz hinter sich herzie-
hend, über die Wellen hin.
Die stark zerstörte Darstellung des »wn-
gläubigen Thomas^ der die Wundmale Christi
befühlte (Johannes XX, 24 — 31) lässt noch die
in den byzantinischen Bildern immer wieder
anzutreffende demütig gebückte Stellung des
Thomas wahrnehmen.
Den ganz geringen Resten des letzten
Bildes, Tider Himmelfahrt Christi^^ gegenüber,
notierte ich mir an Ort und Stelle, dass von
dem Kopf der Orantin (Maria hat in byzantinischen Darstellungen der Himmelfahrt
immer wieder die Stellung altchristlicher Beterinnen), von einem emporweisenden
Engel und fünf oder sechs Aposteln noch etwas zu sehen sei.
No. 24. Gold platte im Louvrc.
Paris. X-XIJahrh.
^) Vergl. auch Kraus, Jahrb. XIV, S.92.
*) Siehe Pokrowski, S. 246.
■) Abbildung bei Gravina, Tav. 20B.
*) In den hierher gehörenden Bildern reicht Christus gewöhnlich dem Petrus die Hand.
^) Vergl. Pokrowski, a.a.O. S. 237.
•) Vergl. auch Kraus, S.92.
') Abbildung bei Kraus, Taf. LV.
(Schluss folgt.)
l6o DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL
DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL
VON C. JUSTI
Von den Tizians, deren sich die Casseler Gemälde -Galerie einst rühmte, ist
neuerdings nur ein Bildnis unangefochten geblieben, freilich ein merkwürdiges, in
seiner Klasse einziges, bezeichnetes StUck. ^) Bei der neuen Aufstellung im Prachtbau
Dehn-Rotfelsers hat es auch durch Director Eisenmann einen auszeichnenden Platz
erhalten. Gleich beim Eintritt von der hohen Treppe aus trifft das Auge, an der fernen
Schlusswand der hier sich öffnenden Flucht von Sälen, die Figur des roten Edel-
manns. Wen es vorstellt, ist bis jetzt nicht ermittelt worden, so wahrscheinlich es
jedermann vorkommen musste, dass sich noch einmal für diesen Unbekannten von
vornehmem Stand eine der des Malers Biographie verzierenden geschichtlichen Gröfsen
melden werde.
Die Nachrichten sind diesmal ungewöhnlich dürftig. Bei keinem Biographen,
weder Vasari noch Ridolfi, in keinem bekannten Katalog italienischer Gemälde-
kabinette findet sich eine Spur; auch ist bis jetzt niemand aufgetreten, der einen
übereinstimmenden Kopf gesehen zu haben glaubte. Die Geschichte des Bildes fing
erst an im Jahre 1756, als es der Schöpfer der Casseler Galerie, Landgraf Wilhelm VIII,
ein Fürst von durchgebildetem Geschmack und hervorragender Kennerschaft, aus
Paris erhielt.
Als man solche Anonymi noch mit leichterem Herzen taufte, als heute mehr
möglich ist, hat natürlich auch dieser seinen Namen bekommen, der bis jetzt, mit einem
^angeblich' an ihm haften geblieben ist. Es sollte der spanische Marques del Vasto,
Alonso d'Avalos sein, dessen Namen für mehr als eine rätselhafte Soldatengestalt
Tizians herhalten musste. Nur ein sicheres Porträt giebt es von ihm: die Allocution
im Museum des Prado. Dass die Person des Feldherrn in dieser nach altrömischem
Muster komponierten militärischen Scene wirklich ein Porträt ist, steht nach der kurz
vorher unternommenen Reise des Malers nach Mailand, der Residenz des Generals,
^) Facsimile in Dr. Eisenmanns Katalog von 1888 N. 450, TITIANVS FECIT. Im
Nachtrag zum Inventar von 1749, No. 851: »Titiano (Verselli) Ein Lebensgrofs Portrait in
Rother Kleidung, mit einem langen Spiefs in der Hand, benebst dem Cupido, weicher mit
dem Helm spielet, auf Leinen in verguldetem Rahm.« 7 Schuh 2"^ g' 5''.
. • \ \ }• '•• \
TIZIANO VECELLIO
GIOVAN FRANCESCO ACQUAVIVA HERZOG VON ATRI?
ORIGINAL IN DER K. GALKRIE ZU CASSEL
VON C. JÜSTI l6l
aufser Zweifel, wird auch durch den Holzschnitt in Jovios Elogia (Basel 1575, 335)
bestötigt. Aber dies ist doch ein Kopf von ganz anderem Typus, — dem des so-
genannten Varchi in Wien ähnlich: grofsgeschnittenes Auge, stark vortretende, eher
kurze Stülpnase. Auch hätte der General und Gouverneur von Mailand sicher den
bei Feldherren üblichen Plattenharnisch gewählt. Noch weniger freilich gleicht diesem
echten Don Alonso der Ritter in der Allegorie des Louvre, dessen Benennung seit
Felibien (1679) das Ansehen der Verjährung erlangt hat. Dass der Marques sich hier
in mythologischer Gesellschaft als verliebter Ritter befindet, hatte wahrscheinlich die
Übertragung des Namens auf unser Bild veranlasst, — in dem ja auch Amor sich ein-
geschlichen hat.
Einmal schien ein Licht aufzudämmern, als der Verfasser den Versuch machte,
in Auktions- Katalogen früherer Zeiten nach Notizen zu schürfen. Man wusste, dass
der Agent des Landgrafen, von Hoet, die Leinwand am 29. Mai 1756 in Paris gekauft
hatte. Es ergab sich, dass dies in der am 22. März eröffneten Versteigerung der Galerie
des Duc de Tallard, Gouverneur der Franche-Comte, geschehen war, wo sie für
1 140 livres zugeschlagen wurde. ^) Vorher war das Bild im Kabinett Carignan gewesen.
Victor Amadeus, Prinz von Carignan, premier prince du sang de Sardaigne, seit 17 18
in Paris lebend, -J- 4. April 1741, spielte seiner Zeit eine auffallende, seines ruhm-
bedeckten Geschlechtes kaum würdige Rolle in der Gesellschaft der Regentschaft.
Der Verkauf der Bilder des Palastes von Soissons, zu seinen Lebzeiten auch Spielhölle,
begann am 30. Juli 1742; unser Gemälde erzielte damals mehr als später: 1750 livres.
Der Katalog des Experten de Poilly bezeichnet die Figur als Malteserritter, obwohl
kein Ordenszeichen sichtbar ist, der Tallardsche als Dieudonne de Gozon, siebenund-
zwanzigsten Grofsmeister des Ordens von Rhodus (1346 bis 1353).*) Dieser Herr ent-
stammte einer Familie des Languedoc, die dort noch bis zur Revolution vorkommt.
Blanc meinte, in der Voraussetzung dass die Benennung einen ernstlichen Grund haben
werde, Tizian möge die Ähnlichkeit wohl irgend einer aus Malta stammenden Tapisserie
entlehnt haben. Dass er nach einer alten Tapetenfigur, freilich mit Hülfe seltsamer
Anachronismen im Kostüm, eine so lebendige Gestalt herausgebracht, wäre ihm wohl
zuzutrauen, von einem Bildniswert würde freilich keine Rede sein können. Aber diese
Benennung, vielleicht im Hotel de Soissons erfunden, gründet sich lediglich auf die
Helmzier mit dem grofsen roten Drachen. Dieser einst beliebte (auch auf Helmen
des Herzogs Francesco Maria von Urbino und Franz I vorkommende) Drachenschmuck
erschien damals fremdartig und wurde durch eine besondere Beziehung erklärt.
Denn Gozon ist niemand anders als der Ritter in Schillers Kampf mit dem Drachen.
Der Einfall stammt auch wohl aus derselben Quelle wie die Ballade: des Abb^ de
Vertot vielgelesener Geschichte der Malteser (erschienen 1727) war damals in aller
Leser Gedächtnis.')
1) Ch. Blanc, Le Tresor de la curiosite. Paris 1857, Vol. I. Auch citiert in dessen
Histoire des peintres de toutes les ecoles, Art. Titien. Aus derselben Auktion Tallard
stammten auch No. 470, Paul Veronese, Moses (früher Crozat) 400 livres, und No. 540,
Guercino, Judith, 811 livres; nach Felibien, Entretiens IV, 231: gemalt 1651 pour le Sieur
Giacomo Zanone; damals (1685) ^^^ Abbe Mey in Lyon.
*) Portrait en pied de Dieudonne de Gozon vingt-septieme grand-maitre de l'ordre
de Malte; il est arme d'une lance, ayant un chien pres de lui; un enfant tient un casque.
•) De Vertot, Histoire des Chevaliers hospitaliers de S. Jean de Jerusalem. Tom. II,
192 ff. Paris, 1761.
102 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL
Vor dem Kabinett Carignan zierte das Ponrät die Galerie des königlichen Silber-
bewahrers De la Chätaigneraye , die 1732 unter den Hammer kam.*) Da heifst er einfach
'Commandeur'. Weiter hinauf aber verlor sich der Stammbaum in bis jetzt hoff-
nungslosem Dunkel! Das Licht der alten pariser Kataloge erwies sich als ignis
fatuus.
Das Casseler Gemälde gehört zu den sehr seltenen Bildnissen Tizians in ganzer
Figur [Htratto in piedi), Aufser dem Kaiser und dem König von Spanien ist fast
nur bekannt das des Diego de Mendoza, der kurz vor der Zeit, als unser Porträt
entstand 9 kaiserlicher Gesandter in Venedig war. Sonst finden sich solche nur im
Gruppenbild (wie Papst Paul III, umgeben von seinen Neffen); in der pala mit
Stiftern und Familien (Pesaro und Cornaro), und im dekorativ -allegorischen Ge-
mälde, wie dem Dogen Grimani im Palazzo ducale.
Unser Mann steht in freiem Felde, in der Rechten eine Lanze. Es ist eine
mittlere, aber wohlgebaute, nervige Figur, in seiner ruhig- stolzen Haltung von jener
natürlichen Eleganz, wie sie oft bei muskelstarken Männern vorkommt. Wendung
und Blick, der Zug der Brauen, die scharfen Falten um die Nase, der festgeschlossene
Mund, verraten Temperament und Willen. Diesen Eindruck verstärkt der kurze aber
dichte Vollbart. Die Gestalt entspricht ganz den Vorstellungen der damaligen Italiener
vom Bau eines ritterlichen Helden; so malt Tasso seinen Rinaldo:
Oltre cio, larghe spalle, ed ampio petto,
Braccia lunghe snodate, e muscolose,
Ventre piano traverso, ai fianchi stretto,
Gambe diritte, ed agilij e nerbose,
Mobil vivacita, ch* in giovinetto
Grazia aggiunge, e decoro all' altre cose,
Grata figura, altero portamento
Unito con mirabil tempramento. (II Rinaldo, Canto IX, 17.)
Der feste Blick der dunkelbraunen Augen scheint gewohnt, prompten Gehorsam
zu finden. Man hat ihn wohl einer Jagdtruppe zugewandt gedacht, die das Zeichen
zum Aufbruch erwarte. Der schöne grofse Hund und der Spiefs (Saufeder?) könnte
dazu passen; aber der Anzug ist kein Jagdkostüm. In ihm ist Ritterlich - Soldatisches
mit fürstlicher Gala verbunden.
Er trägt eine prächtige italienische Panzerjacke. Solche Korazins waren an der
Innenseite mit stählernen Schuppen benäht, und mit Sammet (auf Leinwand) überzogen,
der hier an Achsel, Gürtel und Schofs ausgezaddelt ist. Sie ist, wie Helm und Pausch-
hose, mit senkrechten Goldlitzen verziert, und besät [mouchetd] mit trapezförmig
gruppierten Knöpfchen. Diese Knöpfchen haben die Form von vergoldeten Rosetten.
Sie maskieren die Vernietungen jener schindeiförmigen Schuppen. Die Ärmel aus
^) Catalogue de tableaux des plus grands mattres d*Italie, Flandre et Hollande, du
cabinet de feu Mr. de la Chätaigneraye, argentier de la Chambre du Roi et des Enfants de
France. Paris 1732.
Un tableau de sept pieds huit pouces de haut, sur six pieds un pouce de large, y
compris sa bordure doree, peint sur toile, representant le portrait d*un Commandeur, avec
son casque a c6te et une pique a la main, accompagne d*un amour, et de l'autre coli un
chien, avec un beau fonds de paysage, peint par le Titien. (Nach gütiger Mitteilung von
M. Georges Duplessis und M. E. Müntz.)
VONC. JUSTI 163
eisernem Maschengewebe (wunderbar gemalt), sind wohl nicht Teile eines Ketten-
hemdes, sondern der unter dem Korazin (den sie ergänzen) getragenen, nicht sicht-
baren Seidenjacke angenäht.^) Im Schwertgurt steckt auch ein Dolch; beide, Degen
und Dolch, sind reich ciseliert und vergoldet. Der Lanzenschaft ist mit Riemen (befestigt
durch vergoldete Nfigel) umschnürt, unter der Klinge hfingt eine rote Quaste.
Der Hut ist ohne Parallele bei Tizian, der, wenn er ausnahmsweise Bildnissen
eine Kopfbedeckung giebt, das Barett vorzieht. Um die Zeit unseres Gemäldes wurden
solche Hüte wieder Mode, mehr oder weniger hoch, gesteift^ oben meist abgerundet.
Die gerollte Krampe hat ganz das Aussehen eines Wulstes oder Rundpolsters, verziert
mit goldgesäumten Schlitzen, gleichsam eines zusammengeschrumpften bal^Oj wie sie
früher bei beiden Geschlechtern in Italien beliebt waren ; sie vertritt hier die Stelle des
reichverzierten Hutbandes oder Schleiers. Cesare Vecelli vergleicht den balzo mit einem
Kranz oder Diadem. *) An der rechten Seite ist eine Agraffe befestigt, bekrönt von
einem Juwelenzierat (?), den zwei vergoldete Knabenfigürchen (von Silber?) flankieren.
Aus dem Busch von rotgefärbten Straufsenfedem steigt ein weifser Reiherschopf auf.
Diese Hutform ist nicht gewöhnlich; Wendelin Boeheim ist geneigt, sie für neapoli-
tanisch - kalabresisch zu halten.
Die wenig über die Mitte der Oberschenkel reichenden Hosen sind geschlitzt;
die Strümpfe von rotem Tricot, die Schuhe, vorn stumpf und sackartig abgerundet,
sind ebenfalls geschlitzt und gezaddelt.
Auch die in allen Teilen und Zieraten des Anzugs durchgefUhne rote Farbe
weiht vielleicht auf hohen Stand hin. Eine Ordonnanz Heinrichs II von 1549 ge-
stattet nur Prinzen und Prinzessinnen den roten Anzug.')
Die übliche schneeweifse schmale Krause {lattuga) trennt den braunbärtigen
Kopf (den einzigen kräftig dunklen Punkt in dem Gemälde) von dem gold-
schimmernden Rot der Panzerjacke.
Der Wiese ist ein Blumenflor, blaue und weifse Anemonen, entsprossen,
zwischen ihnen steht Amor. Mit (sehr rudimentären) Fittigen ist er herbeigeeilt, hat
den Köcher ins Gras geworfen und den Bogen an einen Stein gelehnt. Er macht sich
nun mit dem gewaltigen Helm zu schaffen. Das rotgefiederte Untier mit dem gold-
gelben Kopf und der roten Zunge scheint ihn zu reizen.
Cythereens Söhnchen bringt ein dichterisches und zugleich friedliches Element
in die Erscheinung des Ritters. Die Verfasser von Tizians Leben erinnern hier an
den Vers Aretinos auf Herzog Albas Porträt:
La efHgie adoranda della pace,
L' imagine tremendo della guerra.
Dem Flügelknäblein tritt als Pendant gegenüber Tizians prächtigstes Hunde-
porträt, ganz silberweifs, nur mit gelbem Behang und Flecken über den Augen.
Halb schmeichlerisch, halb besorgt umkreist er dicht am Knie seinen Herrn. Sonst
unbedingter Kinderfreund ist ihm doch der kleine Schelm an dem Helm da ver-
dächtig. Aber ihm ahnt, dass pflichtgemäfse Einsprache hier nicht angebracht wäre.
^) Cesare Vecellio, Abiti No. 133 u. 134, beschreibt soldatische Kostüme, mit dem
Colletto von Leder über dem Wams. Die Bravi trugen darunter giubboni di tela di Fiandra,
con maniche del giacco di maglia.
*) Derselbe No. 46, jj Un balzo fatto a modo di una ghirlanda tonda . . . a guisa
di diadema.
^) J. Quicherat, Histoire du costume en France. 1875. P* 3^-
164 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL
Gewifs hat eine umständliche Beratung dieses Programms zwischen Maler und
Besteller stattgefunden. Das Selbstgefühl des Mannes sollte darin in mannigfaltiger
Weise, als Soldat, Sponmann, Fürst und Freund der Frauen und der Dichtung,
zum Ausdruck kommen. Die der römischen Lorica nachgebildeten Zaddeln geben
der Tracht sogar etwas phantastisches. Der poetische Wert des Gemäldes liegt in
der freien Verschmelzung so verschiedener Züge, in der Entrückung der Figur
aus ihrer Umgebung in die Einsamkeit der Natur, während doch die Phantasie jene
Umgebung zu ergänzen trachtet.
Die Landschaft weicht von den bei Tizian gewohnten in ihrem geologischen
und farbigen Wesen ab. Statt tiefblauer Dolomitklippen, rötlichem Abendhimmel mit
dunkeln Wolkenstreifen, hinter dichten warmen Massen von Wald und Wiese im
Mittelgrund, statt dieser südöstlichen Alpenscenerie erblickt man hier eine weite farb-
lose Fernsicht im Charakter des mittleren Apennin. Hinter einer mit einzelnen Bäumen
besetzten Haide in bräunlich dunkelgrünem Ton, eine bleiche Tiefebene und dann
eine Bergkette, ansetzend mit der schweren steilen Kalksteinfirste zur Rechten, an
deren Saum sich eine Stadt ausbreitet. Die Ebene scheint durchtost von einem Sturm.
Der Ritter wollte sich wahrscheinlich in der bergigen Umgebung seiner Heimat sehen.
Trotz der unbeschränkten Herrschaft einer so vordringlichen Farbe wie das reine
Rot des Kostüms hat der Maler eine vornehm-feine Harmonie erreicht. Er hat dieses
Rot übrigens einigermafsen abgetönt (auch durch das Gold, dessen Mischung mit dem
Rot im Auge einen Stich in Orange ergiebt, nur der Hut hat einen Purpurton), und
mit dem aus der Entfernung zu zartem Hellblau verschmelzenden Gesamuon des
Himmels gestimmt. Bei hohem Sonnenstand hat den Himmel eine dünne, in weifsen
Lichtern schimmernde Wolkendecke verschleiert, mit Ansätzen grauer schwerer Wolken,
die als Kappe über dem Gipfel zur Rechten stehen. Nur über dem Horizont, in
Schulterhöhe, öffnet sich ein weiter See von Himmelblau. Der hellschimmernde Grat
jenes mächtigen Berges erhält einen Widerschein in der weifsen Schaumlinie eines Wehrs,
das auf ein die Ebene durchströmendes Flüsschen aufmerksam macht, und in dem
Weifs des Hundes.
Die Malführung ist breit, kühn, pastos. Nach Hausers trefflicher Restauration
gewährt die Leinwand den köstlichen Anblick des siebzigjährigen Meisters inmitten
seiner feurigen Arbeit, die ganz aus einem Wurf ist. In den schweren Schatten des
Kinderleibchens, im Inkarnat des Antlitzes, in der Verwendung der als Schraffierung
offengelassenen braunen Untermalung für Halbtöne und Schatten erkennt man die
beginnende Manier des Ahers. Die Verbindung gelber Töne mit schwärzlichen
Schatten und hellen Glanzlichtem giebt dem Kopf etwas bronzenes.
Wer aber lieferte das Urbild dieses Kopfes?
Tizian war um die Mitte des Jahrhunderts (das ist nach allgemeiner Annahme
die Zeit unseres Gemäldes) ein vielumworbener Mann bei den Gekrönten und Grofsen,
nicht blofs Italiens. Der Verfasser ist wohl nicht der einzige, der sie auf das Bild
durchprobiert hat, diese Gonzaga, Este, Farnese e tutti quanti. Aber nur einer konnte
ernstlich in Versuchung führen: der Herzog Guidobaldo II von Urbino, ein Name
von gutem Klang bei Freunden der Majolikawaare. Er war einer der wärmsten
und freigebigsten Gönner des Meisters, der ihn bei einem Besuch in Venedig auf-
genommen hatte. Aretino schildert den Eindruck, den die Ausstellung im März 1 545 auf
die Venetianer machte, in einem Schreiben an den Herzog nach Vicenza.*) Es giebt
^) II terzo libro delle lettere di M. Pietro Aretino. Parigi 1609. 114 f.
VONC. JUSTl 165
in beredten Wendungen die verblüffende Lebendigkeit der Erscheinung wieder, ist aber
nichts weniger als ein Signalement. Das Jahr würde zur Not passen, auch die Medaille
des Bartolomeo Campi sieht verlockend aus. Doch ist hier und in allen sonst be-
kannten Bildnissen ein Zug mehr oder weniger bestimmt, der im Casseler Kopf ganz
fehlt: die Prominenz des Augapfels. Es ist undenkbar, dass Tizian, selbst wenn er
das Bildnis in Abwesenheit malte, diesen Zug gänzlich ausgelassen haben sollte. Auch
wQrden gewiss von dem prächtigen und einnehmenden Bildnis Kopien begehrt und
vergeben worden sein , wie von dem seines Vaters Francesco Maria (in den Uffizien),
aber von solchen ist in und aufserhalb der urbinatischen Lande nichts gesehen
worden. Das Bildnis war aber bis zum Ende der Rovere in Urbino und steht noch
im florentinischen Inventar der Erbschaft; von da ab ist es verschollen.^)
GIOVAN FRANCESCO ACQUAVIVA
HERZOG VON ATRI
Wenn nun eine neue Vermutung über die rätselhafte Person geäufsert werden
soll, so muss ich im voraus bekennen, dass mir die Stellung eines ikonographischen
Zeugen nicht geglückt ist. Die Begründung stützt sich hauptsächlich auf die alte,
bisher völlig unbeachtete Nachricht Aretinos von einem bedeutenden Bildnis Tizians
und dessen fast genaue Gleichzeitigkeit mit der nach inneren Gründen datirten Ent-
stehung unsres Bildes, das sogar eine längst bemerkte Lücke in Tizians Gemäldefolge
ausfüllen würde.
Auf das Fehlen aller Notizen vor 1732 über das grofse, auffallende und durch
Aufschrift beglaubigte Werk wurde schon hingewiesen. Wie konnte aber ein solcher
Tizian durch anderthalb Jahrhunderte in Italien versteckt bleiben? Dort wo aufser
den Enthusiasten und Notizensammlern allezeit fürstliche Agenten des In- und Aus-
landes auf seine Werke Jagd machten. Es sieht aus als wäre es früh ins Ausland
gewandert, vielleicht weil es einen Ausländer darstellte, dann in Familienbesitz vererbt
worden und verborgen geblieben, bis es nach 180 Jahren der Hammer des Auktionators
der Öffentlichkeit übergab. Dazu würde auch ein fremdartiges, freies, phantastisches
Etwas in Kostüm und Inscenierung stimmen, wie es bei Tizians Bildnissen einheimischer
principi und principotti sonst nicht vorkommt.
Nun aber taucht das Gemälde ja zuerst in Paris auf, im Palais eines Edelmannes
von ahem Hause. Sollte es nicht von jeher dort gesteckt haben? Vielleicht gar für
eine Person vom Hof der Valois gemalt sein?
In Tizians Leben fehlt es nicht an französischen Beziehungen. Es ist nicht be-
kannt, auf welche Veranlassung sein Bildnis Franzi entstanden ist, dem eine ihm
gelieferte Medaille zu Grunde gelegen hat; ein Kopf von freiem, grofsen Wesen,
ganz im Geist des ritterlichen Monarchen, den der Maler doch nie gesehen hatte.
In Urbino sah man denselben König in jungen Jahren, und den Kardinal von
Lothringen, Karl von Guise. Diese Beziehungen waren vermittelt durch Peter Aretino.
Er war vor seiner Niederlassung in Venedig Gesellschafter des tapferen Haudegens
Giovanni von Medici gewesen, der in Diensten Franz l stand; er hat seine augen-
scheinlich echte Verehrung dieses Königs öfters in Briefen und Komödien bezeigt.*)
^) Ein alter Stich nach Tizian zeigt den Herzog in allegorischer Umgebung.
') Schon 1524 hatte er von Franzi die goldene Kette bekommen, »das erste Ehren-
zeichen das er öffentlich als Beweis seines Ansehens bei den Grofsen tragen konnte«, Bouter-
22
l66 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL
Die Liste der Adressaten seiner Briefe enthält aufser den königlichen Personen auch
die Namen der italienischen Parteigänger Frankreichs, der erlauchtesten und dunkelsten,
und der aus Benvenuto Cellinis Leben bekannten Flüchtlinge und Gäste am Hof
der Valois. Zu jenen gehörte Ruperto Strozzi, dessen Töchterchen Tizian im Jahre
1542 zu Venedig gemalt hat; es ist das liebliche Bild des Berliner Museums.
Unter diesen fuorusdti nun dürfte unser roter Edelmann zu suchen sein. Es
ist nach meiner Hypothese der im Anfang der fünfziger Jahre in Venedig auftretende
Giovan Francesco Acquaviva^ Herzog von Atri, der Spross eines der mächtigsten und
ältesten Häuser des neapolitanischen hohen Adels. Das Haus rühmt sich, der Römischen
Kirche sechs Kardinäle und dem Jesuitenorden den General Claudius gegeben zu haben;
das Lexikon Mazzucchellis weist eine Reihe Schriftsteller dieses Namens auf. ^)
Das Drama seines Lebens, das ganz die geschichtlichen Wechselfälle spiegelt,
deren Spielball es war, beginnt ein Vierteljahrhundert vor jenem Besuch in der La-
gunenstadt. Ein französisches Heer war unter Lautrec im Reich eingebrochen. Der
Vicekönig Hugo de Moncada stellte den Baronen anheim, vom Widerstand gegen den
mächtigen Feind innerhalb ihrer Territorien abzusehen; freilich eine Versuchung für die
von altangiovinischer Gesinnung ihre wahren Neigungen zu verraten. Aber Moncada fiel
beim Entsatz Neapels gegen die Belagerungsflotte Andrea Dorias, und sein Nachfolger
Philibert von Chälons, Prinz von Oranien, als Heerführer schon genannt beim ^^cco
di Roma, und bald hernach bei der Belagerung von Florenz, erkannte das Versprechen
Hugos nicht an. Nachdem Lautrecs Heer aufgerieben war, begann Oranien, nach
der Methode der kaiserlichen Machthaber, die Gelegenheit zur Beseitigung unsicherer
Vasallen und Einziehung grofser Herrschaften nach Kräften auszunutzen. Unter denen,
die ihr Haupt damals nur durch die Flucht vom Block retteten, waren Giovanni Carac-
ciolo, Prinz von Melfi, Gio. Bernardino Sanseverino, Herzog von Somma, und Julio
Antonio Acquaviva, Graf von Conversano, Herzog von Atri. Sein Erstgeborner
ist unser Gio. Francesco, damals ein Knabe; er folgte ihm nach Frankreich. Franz I
hat diesen Flüchtlingen Herrschaften, Kommandos und Orden gegeben, er hätte
ihnen gern ihr Vaterland ersetzt. Die italienische Kolonie, bei der die Ein-
geladenen und Berufenen, die Künsüer und Schriftsteller, abgesehen von den Aben-
teurern, nicht den kleinsten Teil bildeten, stieg neun Jahre später, nach der Ein-
setzung des Cosimo von Medici als Grofsherzog, sehr im Ansehen, als sich zu den
mailändisch- neapolitanischen noch die florentinischen Verbannten gesellten, an ihrer
Spitze die Strozzi, die Frankreich den Marschall Pietro, den Erstürmer von Calais,
und den Admiral Leone gaben. Der König war ein Verehrer italienischer Dichtung
und Kunst: die virtuosi, schrieb Aretino an Serlio (1545), welche seine hochherzige
Natur einem Magnet gleich aus Italien nach Frankreich zog, verkehren mit ihm so
ungezwungen, dass sie seine Kameraden, nicht Diener scheinen. Ihr Einfluss machte
sich unter Heinrich II und Katharina auch in der Politik bemerklich. Im Jahre 1558,
berichtet der Venezianer Soranzo, waren in Paris sechzehn Italiener Ritter des S. Michael-
ordens, der damals siebzig Mitglieder zählte. Sie haben keinen kleinen Anteil an der
Wiederaufnahme der italienischen Unternehmungen, deren Aussichten sie im günstigsten
Lichte schildenen. Der Kaiser war von allen Seiten bedrängt, seine Kräfte waren
durch chronische Leiden gebrochen, sein Stern im Erbleichen. Diese Italiener fanden
wek 11,205. Eine schöne Stelle über den König im Brief an Franc. Rucellai Nov. 1543.
Lettere III, 239. La Gortigiana, Ano III, 8 p. 87.
*) Vincenzo Bindi, GH Acquaviva letterati, notizie biografiche. Napoli 1881.
VON C. JUSTI 167
ihre Hauptstütze, gegen den Konnetable von Montmorency, an den Guise; Franz
von Guise war mit Anna, Tochter des Herzogs Herkules von Ferrara vermählt; der
Kardinal Hippolyt von Este war das Haupt der französischen Partei in Italien.
Im Jahre 1551 gaben die Farnesischen Händel den Vorwand, die Fahnen Frank-
reichs noch einmal in Italien zu entfalten. Ein eifriger Schürer des Brandes war erstanden
in dem Fürsten von Salerno, Ferrante Sanseverino, der von dem Vicekönig Toledo
verfolgt, Neapel verlassen und im April 1552 vor dem venezianischen Senat seine Los-
sagung vom Kaiser förmlich gerechtfertigt hatte. ^) Diese Neapolitaner rieten von Nord-
osten in die Abruzzen einzufallen , einige Plätze zu besetzen und Apulien aufzurühren ;
sie zählten auf die herrschende Erbitterung der Bevölkerung über das hane und
blutige Regiment D. Pedros. Die Führung war dem Herzog von Somma bestimmt.
Da der friedliebende Herzog von Ferrara die Neutralität seines Staates gewahrt
sehen wollte, so wurde ein Kongress auf venezianischem Gebiet beschlossen. Im
Juli 1552 trat diese Diät oder Konsulta der französischen Parteigänger in Chioggia
zusammen. So kam es, dass damals eine grofse Zahl italienischer Verbannter in Venedig
erschien. Im Juni treffen Bernardo Tasso, der Sekretär Salernos, und Somma ein,
den Aretino in einem schwungvollen Sonett begrüfste.*) Unter ihnen erblickt man
denn auch unseren Herzog, den Schicksalgenossen Sommas, mit dem er oft zusammen
genannt wird. Doch dürfte er schon früher nach Venedig gekommen sein, wohin ihn
nicht blofs die Politik lockte. Dort wird er sich auch den Anzug auf dem Casseler
Bilde bestellt haben, der der Lage und dem klugen Gebrauch italienischer Edlen
gemäfs, den Zwecken der Sicherheit und der Pracht gleich trefflich diente.
Nach langen Jahren sieht er sich zum ersten Male wieder auf vaterländischer
Erde, er setzt sich vor, nun das italienische Leben von seiner gehaltvoll erfreulichsten
Seite recht zu geniefsen, und er findet den besten Führer in Aretino, dem lang-
jährigen Freund seines Vaters. Keiner konnte ihn besser in die Kreise der Künstler
und Poeten hineinbringen. Wenigen aber hat er auch die Honneurs der Inselstadt
mit besserer Laune gemacht. Er erkannte in dem einnehmenden jungen Manne
das Ebenbild seines Vaters. »Wer euch sieht, erblickt ihn, wer euch betrachtet, ver-
steht ihn, wer mit euch spricht, hat den Schlüssel für ihn. Es sind seine Manieren,
seine Grofsartigkeiten, seine Liebenswürdigkeit im Lächeln, in den Gebärden, im
Herzen.« Besonders betont der Brief den gütigen, umgänglichen, sanften Zug seines
Wesens. Der Vater, ein milder, wohlwollender Herr, war Aretinos Stütze am fran-
zösischen Hof gewesen (sempre amommi e beneßcommi). Als der Kaiser Messer Pietro
nach dem unglücklichen Feldzug in der Provence (1536) zweihundert Dukaten Pro-
vision zahlen liefs, »um seine Thaten der Unsterblichkeit zu empfehlen«, d. h. um
dem Misserfolg vor der Welt ein Mäntelchen umzuhängen [honestamente coperta), war
es Acquaviva, der den Konnetable in Gegenwart Luigi Alamannis auf die Nützlichkeit
dieser Feder aufmerksam machte. Montmorency erklärte sich auch bereit, dem als
nicht zu unterschätzendes Imponderabile in der hohen Politik geltenden Göttlichen
vierhundert Scudi Pension zu verschaffen, er brauche nur von des Kaisers und
Königs Siegen wahrheitgemäfs [secondo gli meritt) zu schreiben.') Diese Freund-
1) Aretino hatte Tizian im Jahre 1541 gebeten, bei seiner Reise zum Kaiser, ein Bildnis
Ferrantes zu skizzieren. Lettere II, 222.
') Somma, e titol conforme al Duce etc. Lettere VI, 87 f.
*) Lettere scritte air Aretino da molti signori I, 222. 17. Mai 1537. Lettere dell' Are-
tino I, III.
22*
l68 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL
Schaft Atris stammte wohl aus jenen Tagen, wo der Herzog als bedrängter Flücht-
ling in Venedig erschienen war.^)
Der Herzog versammelte um sich aufser den Standes- und Parteigenossen auch
die virtuosi aller Fächer. »Seine königlichen Gemächer sind stets geöffnet zum Empfang
der Elite der Gelehrsamkeit und der Waffen, und zwar kommen sie in solcher
Zahl, dass man ihn lieber König als Herzog begrüfsen möchte.« Er folgte hierin
der Überlieferung seines Hauses. Sein Grofsvater Andrea Matteo, ein grofser Freund
der letterati, hatte in seinem Palast zu Neapel eine Offizin angelegt, in der Sannazaros
Gedicht De partu virginis 1526 gedruckt worden ist.")
Unter diesen Gästen waren auch die 'Dichter und Geschichtschreiber', sogar
Namen, die noch in der Litteraturgeschichte ihr Plätzchen behauptet haben , z. B. der
florentinische Historiograph und Liviusübersetzer Jacopo Nardi, dessen Komödie
VAmici{ia einst vor der Signoria von Florenz mit gesungenen Stanzen aufgeführt
worden war. Er galt als Erfinder der versi sciolti im Drama. Ferner Antonio Brucciolo,
einst der Mitverschworene Alamannis gegen das Leben des Kardinal Julio von Medici
(1522). Er hatte kürzlich Noten zum Canzoniere des Petrarca herausgegeben (1548),
und beklagte sich, dass sie in der Lyoner Ausgabe (1550) auf den Namen Bembos
übergegangen seien. Das Wort aber führte gewöhnlich der dicke Antonio Francesco
Doni, ebenso gesucht als unerschöpflicher causeur, wie gefürchtet wegen seines
ätzenden Spottes. Er war damals noch ein Verehrer des Aretiners (er unterzeichnete
sich // Doni delV Aretino)^ später dessen Todfeind, der in der Schrift // Terremoto
sein Todesjahr mit dem Instinkt des Hasses richtig prophezeit hat. Der Vielschreiber
überreichte seine typographisch wie xylographisch von Marcolini mit unverdienter
Eleganz ausgestatteten Schriften. I Marmi waren eben erschienen; die Kunstlehrschrift
// Disegno hatte er Diego de Mendoza widmen dürfen (1549); Dedikationen an den
Amphitryo wurden in Aussicht gestelk. Francesco Sansovino, der Sohn des Messer
Jacopo, wird noch heute genannt wegen seiner Sammlung italienischer Satiren. Der
bescheidene und gelehrte Hortensio Tranquilio. Die Geschenke des Herzogs an Aretino
geben einen Mafsstab der hier waltenden Gebelaune; er hat nicht vergessen sie zu
verzeichnen: eine goldene Halskette für seine Tochter Adria, einen vergoldeten Becher
für die Tafel, karmesinroten Sammetstoff für einen Rock, Armbänder von besonders
schöner Arbeit aus feinem Gold. Ringe sollten aus Paris nachfolgen. Kein Wunder,
dass man ihn bald das incomparabil refugio dei superiori intelletti nannte. »Warum
werden keine Könige und Kaiser euresgleichen geboren ?a ruft Aretino.
Zu den Intimsten des Aretinoschen Kreises gehörte ein neu aufgehendes
Gestirn, Alessandro Vittoria, der Schüler seines Gevatters Jacopo Sansovino, mit dem
der junge Bildhauer aber seit drei Jahren verfeindet war. Damals war er besonders als
Medailleur gesucht, seine Hauptstücke fallen in diese Zeit: Aretino selbst, dessen
Geliebte Catarina Sandella und beider Tochter Adria; Catarina Chieregata, Tochter
des Grafen Marcantonio da Thiene; Madonna Liomparda. Aretino schickt ihn im
November 1552 nach Vicenza, die Lucietta Saracino aufzunehmen. Vittoria haue
1) Aretino halte Verbindungen mit dem alten, devoten und hülfreichen Messer Pietro
Rota dal Zuccari, dem Zuckergrofshändler. In den Ragionamenti con le carte p. 154 (1579)
Keifst es von dessen Sohn, *da cui real cortesia tanto e tanto si prevalse il real Duca d'Atri.*
Dieser Simon Rota wurde von Franz I zum Ritter gemacht, wohl auf die dankbare Em-
pfehlung Atris. Lettere delF Aretino I, 282.
') Mazzucchelli, Gli scrittori d' Italia. Brescia 1783. I, 118 ff.
VONC. JUSTI 169
bereits den Prinzen Philipp von Spanien, den Prinzen (Emanuel Philibert] von Piemont
und 'Massimiano' ^) aufgenommen. Auch unseren Herzog hat er damals modelliert, ob
als ThonbUste oder Medaillenrelief, ist nicht deutlich. Mit welchem Erfolg, sagt ein
Brief Aretinos: »Wer noch zweifelt, dass er, ein Zögling des Phidias Sansovino im
Stil, auch im Erfolg seinem grofsen Lehrmeister nahekomme, der betrachte die Hoheit,
welche Züge und Stirn des trefflichen Herzogs von Atri verklärt.«*)
Dass er nun auch bei Tizian eingeführt wurde, verraten zwei Briefe Aretinos
an ihn und seine Frau vom August und Dezember 1552. »Ich würde es für eine
göttliche Gunst achten, wenn ich euch mit der Feder abschildern könnte, so wie euch
mit dem Pinsel Tizian geschildert hat. Denn die LebensfÜUe, die ihr in seinen
Farben athmet, würde auch in meiner Tinte zu spüren sein.«') D. h. wohl, er möchte
das Porträt mit einem Sonett begleiten, wie er pflegte. Solche Sonette auf Tizian-
bildnisse hat er des öftern in die Briefausgabe, dieses Archiv seiner Eitelkeit, einge-
schaltet. Und im anderen Brief an die Herzogin: »Wenn die Hoheiten der Fürsten
ihn in Förderung der Gelehrten und Gutgesinnten nachahmen wollten, so würde
sich ihnen Apollo mit Leib und Seele ergeben, samt allen die malen und meifseln,
sowie sich ihm jener Tizian ergeben hat, der die Toten auferweckt. «*)
Wenn die Medaille oder Büste Vittorias sich noch wiederfinden sollte, so würde
man auch über die Ähnlichkeit unseres Bildnisses uneilen können; für jetzt lässt sich
nur soviel sagen, dass Auffassung und Aufzug ganz zu der Lage des jungen
Mannes passen. Es ist etwas darin von der Prätendenten so natürlichen Betonung
äufserer Zeichen ihrer Ansprüche. Die ungewöhnliche Aufnahme in ganzer Figur,
die Stellung mit der Lanze, hier dem Zeichen der Würde*) in der Rechten (geradeso
wie in der Bronzestatue des Kaisers von Leone Leoni zu Madrid)*), das durchgeführte
vornehme goldschimmernde Rot, der grofse Helm mit dem fauchenden Drachen,
die Panzerjacke mit Kettenärmeln, Schwert und Dolch: in dem allen kann man An-
spielungen erkennen auf das bevorstehende Unternehmen zur Wiedergewinnung des
väterlichen Herzogtums.
Nach den Erzählungen Aretinos von des ehrgeizigen Neapolitaners magnificeni^e
versteht man auch , weshalb der alte Maestro für einen Besucher, bei dem der Dukaten-
beutel soviel lockerer geschnürt war als bei Spaniern oder gar Venezianern, alle Re-
gister seiner Bildniskunst aufzog. Denn bei ihm war es (wie sein wahrheitliebender
Freund gelegentlich zu verraten nicht verfehlt) eine sehr seltene Ausnahme, wenn
^) Der König von Böhmen, später Kaiser Maximilian II , den er, wie die anderen
Fürstlichkeiten, in Augsburg modelliert haben wird. In einem Schreiben an seinen Gesandten
in Venedig vom 18. Dezember 1568 erkundigt sich der Kaiser nach Vittoria, er scheint ihn ver-
gessen zu haben. Jahrb. der kunsthist. Samml. d. A. H. Kaiserhauses XIII, S. XLIII, N. 880.
') La maesta che glorifica T aria, e la fronte del Duca ottimo d* Atri, et magnanimo.
A Madonna Lucietta Saracino. Nov. 1552.
') Terrei per sommo fauore, et diuino, se vi potessi ritrar' con la penna, nel modo
che hauui ritratto con il pennello Titiano; Impero che la viuacita, c5 che respirate nel suo
colore; hauria sentimento anco nel mio inchiostro. Di Agosto 1552. Lettere VI, 89 V.
^) Ma se r altezze de i Principi, in giouar' a dotti, et ai buoni imitassero lo sposo
vostro magnanimo : . . . se gli darebbe in preda Apollo ; con qualunque dipinge e scolpisce,
nella guisa che se gli e dato quel Titiano, che resuscita i morti in lo Stile. Di Decembre
VI, 116.
*) Wendelin Boeheim, Handbuch der Waffenkunde S. 319.
•) In Tizians ReiterportrUt ebenda hält er sie eingelegt, als Heerführer.
170 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL
er sich einmal um Gotteswillen Mühe gab. »Er zieht seine Reichtümer aus der
Bildniskunst, und nur durch ungemessenen Lohn lässt er sich zur Arbeit bewegen«,
bemerkt Aretino bei Gelegenheit solcher Ausnahmefälle.^)
Nach dem Datum des ersten Briefes muss die Aufnahme spätestens in das erste
Halbjahr 1552 faUen, jedenfalls aber in das Jahr nach seiner Rückkehr aus Augsburg.^)
Gerade an diesem Zeitpunkt nun haben die Biographen eine leere Stelle in Tizians
Schaffensthätigkeit bemerkt. Crowe und Cavalcaselle fanden von August 1551 bis
Mitte 1552 nur Nachrichten von Gelagen und Delikatessen, als sei die Zeit gekommen
für den 74jährigen, wo nur noch solche Tröstungen des trüben Alters für ihn Reiz
hatten. Indes da Augenblicke der Ermattung und Arbeitunlust bei ihm sonst
stets kurz und selten kamen, so werde man diese Lücke doch wohl auf Rechnung
einer Nachlässigkeit der Geschichtschreiber setzen müssen.') In dieses Vacuum tritt
nun das Casseler Gemälde, das dieselben Kenner aus Stilgründen in die Zeit von
1 549 — 50 versetzten.
Erinnert man sich dieser vorhergegangenen Augsburger Tage, so fällt doch ein
satirischer Schimmer auf das Bild. Wir sehen den alten Herrn , noch warm vcfti der
kaiserlichen Gnadensonne, überhäuft mit Präsenten, Pensionen, erteilten und zu
erhoffenden Aufträgen, plötzlich im Kreise der Emigranten, die unter Heinrich Valois
Ägide dem vielbedrängten Monarchen eine Invasion in sein Reich Neapel brauten.
Vielleicht war während der Sitzungen im Atelier des Biri grande ein Hauptgespräch
der Überfall Moriz von Sachsens in Innsbruck.*) Vielleicht mochte er sich erinnern
(nach der Alterstugend der diffideniia^ die ihm der bayerische Agent Stoppio zu-
schreibt),*) dass der Goldstrom der spanischen Huld auf dem Wege durch die Mailänder
Kanzlei in der Regel zu versiegen pflegte. Abgespannt durch die nicht immer kurz-
weiligen Gesichter feister deutscher und griesgrämiger hispanischer Vasallen , widmete
er sich mit um so besserem Humor deni humanen, munteren, gutherzigen Neapoli-
taner, der ihm ganz freie Hand liefs zu einer keineswegs ceremoniösen Darstellung.
Verdrossen über die Suspension von seinem Amt der Sanseria, die wegen der langen
Abwesenheit über ihn verhängt worden, wollte er zeigen, was für Patrone ihm sein
guter Stern bescheere und wieviel er ftlr sie übrig habe. —
Der kleine Kupido steht gewiss nicht als blofser Zierat da. Man darf aber auch
nicht an die Schönen Venedigs denken, verleitet durch die Freundschaft Aretinos (der
übrigens des Signor Francesco candore und innocenüa bemerkte), sondern an die junge
Herzogin, die er in Paris zurückgelassen hatte. Es war die schöne und reiche Susanna,
auch eine Neapolitanerin aus altem edlen Hause; die einzige Tochter des Fürsten von
Melfi (des Schicksalsgenossen des alten Herzogs von Atri), der am 29. August 1550 zu
^) Lottere III, 161. E difficile a credere, ch' egli, che solo il pregio smisurato il move
a Operare, habbia speso cotanto in tor' Tessempio della faccia di voi (an M. A. Morosini).
Vergl. 363 Ritrahe i thesori del suo fare de i ritratti.
') Man nimmt an, dass er bis zur Abreise Karl V in Augsburg geblieben sei und diesen
auf dem Wege nach Innsbruck eine Strecke begleitet habe. Aber der Kaiser ist erst am
23. Oktober 1551 aufgebrochen, und Tizian war bereits im August in Venedig.
•) Crowe und Cavalcaselle, Titian II, 215 f.
^) In den Briefen des französischen Gesandten Odet de Selve, dessen Palast ein
Sammelpunkt dieser neapolitanischen fiiorusciti war, findet sich eine anschauliche Be-
schreibung der Flucht des Kaisers (April und Mai 1552).
*) J. Stockbauer, Die Kunstbestrebungen am bayer. Hofe, in den Quellenschriften
S. 92. Chi e la istessa avarizia e diffldenzia (1567).
VON C. JUSTI 1 7 1
Susa gestorben war. Als ihr Gemahl die Reise nach Italien antrat, war sie wenig
länger als ein Jahr mit ihm vermählt, seit dem Oktober 1550.
Giovanni Caracciolo, einst Grofsseneschal des Reiches, Herzog von Venosa,
war ein Nachkomme des mächtigen Günstlings des Ladislaus und der Johanna von
Aragonien. Schon dieser erste Herzog von Melfi war mit einer Giovanna Acquaviva
vermählt gewesen. Obschon von Haus aus französisch gesinnt, und auf dieser Seite
kämpfend in der Schlacht bei Ravenna (1512), hatte er bei jenem Einfall Lautrecs (1528)
sein Schloss mannhaft gehalten, dann aber, beim Sturm mit den Seinen gefangen,
sich bereden lassen, in Franz I Dienste überzutreten.^) Der König fand, dass er
unter seinen Italienern der beste Soldat sei, er machte ihn zum Marschall von Frank-
reich') und Kommandanten in Piemont. Auch Margarethe von Valois schätzte ihn
und seine Unterhaltung.
Es giebt einen merkwürdigen Brief Aretinos an Susanna Caracciolo aus der Zeit
des Besuches ihres Mannes in der Lagunenstadt; von seinem Auftreten und Wesen
giebt er ein ausführliches Bild.^) Er konnte sich auch als alten Klienten ihres Vaters
einführen. Die junge Frau hatte ihr erstes Söhnchen verloren, aber Hoffnung auf einen
neuen Leibeserben war bereits vorhanden. Er malt ihr sehr anschaulich die Erfolge
Francescos in Venedig. Wie die ausweichende Menge auf ihn deutet, in seiner Gegen-
wart sich spiegelt, glücklich wird durch eine Gebärde, bezaubert ist von seinen
Manieren; wie die Gelehrten ihm Bücher widmen, Künstler ihn auf Leinwand und
in Medaillen verewigen. Die Mittel dazu verdankte er, beiläufig, ihrer schönen Mit-
gift [il fasto della dote). Ihm fällt ein, dass der einsamen Frau bei der Erzählung
solcher Triumphe in der üppigsten Stadt Italiens etwas unheimlich zu Mut werden
könne, und er versichert: »Der Übermut, der in der Jugend die Ordnungen der
Natur durch seine Wallungen verwirrt, hat über ihn keine Gewalt; die Mägde der
Venus machen freilich die Augen nicht zu^ aber er kennt nur seine Herzogin Susanna
und meidet die anderen.«
Man sieht, an welche Adresse der Liebesgott gerichtet ist. Er bedeutet die
den Helden auf diesem politischen Abenteuer begleitenden Gedanken an seine
Penelope. Ihm ist das kriegerische Gepränge wie die ganze Reise ein Dorn im
Auge, besonders der böse Drachenhelm. Er ahnt, dass dies martialische Prachtstück
demnächst den höfischen Hut verdrängen werde. Er strengt sich an ihn emporzu-
stofsen, herabzuwerfen, um ihn zu eskamotieren und den Abmarsch ins Feld zu
verhindern.
Aus dem Feldzug und der geträumten Wiederherstellung ist damals nichts ge-
worden; aber eine kleine Entschädigung war doch eben dieses Bild Tizians, eine
dauerndere als der Weihrauch jener geistreichen Sophisten. Es war eine Wonne, dass
der Künstler, der vor einigen Monaten an der Seite Karl V spazieren geritten war, der
in der ganzen Welt genannte Kaiser- und Fürstenmaler, ihm eine Sitzung gewährt,
für ihn sich soviel Mühe gegeben hatte wie für irgend einen jener Götter der Erde.
1) Weil der Kaiser mit dem Lösegeld zögerte, sagen die einen, im Glauben an die
Nachhaltigkeit der französischen Erfolge die anderen. Nach den Memoiren des Kapittn
Vieilleville, der ihm bei der Erstürmung das Leben rettete, durch dessen Überredungskunst.
^) Sein Bildnis in der Galerie der Marschälle von Frankreich in Versailles, N. 1339.
3) Lettere di P. AretinoVI, 115. A la duchessa d'Atri.
1 72 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL
Da wir uns, verfühn durch Tizian, 'der die Toten erweckt', einmal so weit mit
dem Manne eingelassen haben, mögen auch noch ein paar Worte über seinen und
seiner Linie Ausgang gestattet sein.
Das Unternehmen gegen Neapel war an der ablehnenden Haltung Venedigs geschei-
ten, doch aber nur vertagt worden. Als im Januar 1 553 Almerigo Sanseverino im Namen
des Herzogs von Salerno Heinrich II bat, ihm reinen Wein einzuschenken, »damit er
nicht seine Freunde zu Grunde richte ohne Dienst seiner Majestäta, waren die bün-
digsten Zusicherungen gegeben worden. In der That ist der Feldzug fünf Jahre später,
also nach des Kaisers Abdankung, zur Ausführung gekommen. Damals war es der
alte Papst Paul IV aus dem neapeler Haus der Carafa, der mit aller Heftigkeit seiner
achtzig Jahre die Kriegsfurie gegen den fremden Tyrannen schürte. Atris Freund
Somma war der Agent des Kardinalnepoten in Paris. Der Papst verlangte den sofortigen
Angriff auf Neapel, obwohl alle Sachkundigen, und der Heerführer Franz von Guise
selbst, sich erst Mailands und Toskanas zu versichern rieten, sonst werde man, warnte
er den Papst, das Schicksal Lautrecs noch einmal erleben. Im April überschritt
das Heer die römische Grenze.
So betrat denn unser Herzog zum ersten Male wieder nach dreifsig Jahren den
Boden der heimatlichen Abruzzen, empfing die Schlüssel einiger Grenzorte und sah sich
in der Nachbarschaft seines altererbten Feudalsitzes. Die Stadt Atri liegt drei Meilen
vom adriatischen Meer auf einem hohen Kegel, sie zählte damals wohl achttausend
Einwohner. Man erwartete einen Aufstand; die Stadt sollte dann Acquaviva über-
geben werden.')
Die Enttäuschung konnte nicht vollständiger sein. Nach der greuelvollen Er-
stürmung von Julia Nova belagerte Guise vergebens die Bergveste Civitela, zweiund-
zwanzig Tage lang, Dank dem hartnäckigen Widerstand der Einwohner. Als der
Vicekönig Alba endlich heranrückte, fand er, dass er keine Schlacht zu wagen brauche,
nur dem gänzlich entmutigten Feinde silberne Brücken zu bauen habe. Es war das
Bündnis mit dem Türken, dem Schrecken dieser Küsten, was das Unternehmen der
Bevölkerung verleidet hatte. * Der Donner der (übrigens sehr altertümlichen) Kanonen
Civitelas war das Grabgeläute dieser zweiundsechzigjährigen Abenteuer Frankreichs,
von da an blieb die spanische Herrschaft in Süditalien unangefochten.
Der Herzog kehrte für immer nach Frankreich zurück und tröstete sich mit der
Herrschaft Brie -Comte- Robert, dem S. Michaelsorden, dem Sitz im Staatsrat und
anderen Gnadenerweisungen des Königs.
Im Frieden von Cateau-Cambresis (1559) hat dieser seine italienischen Freunde
völlig preisgegeben, wie dreifsig Jahre früher sein Vater zu Cambrai
Seitdem kümmerte sich niemand mehr um das Loos der Verbannten, und
diese Gleichgültigkeit wurde durch die allgemeine Abneigung gegen die Glücksritter
der dortigen italienischen Börsenwelt nicht vermindert. »Ich sah den Fürsten von
Salerno, schreibt Brantöme, die Herzöge von Somma und Atri, den Grafen von
Gajazzo, Julio Brancacci und unzählige andere an unserem Hofe, die jedermann
mehr Mitleid als Neid einflöfsten und fast Hungers starben , wie der Prinz von Salerno,
1) Aus Pesaro wird am i. Mai 1557 berichtet, That the Roman troops had joined the
Duke of Somma and the Duke of Atri, to whom all these places had delivered their keys,
and had agreed to give him the obedience of Atri, which was well guarded by Imperialists,
and these offered to give him 3000 pioneers for the enterprise of Atri and Civitella. Calendar
of State Papers, Foreign 1553—58, 301.
VON C. JUSTI 1 73
der nicht soviel hinterliefs, um sich begraben zu lassen. Wäre es nicht besser ge-
wesen, sie hätten sich von Vaterland und Haus nicht gerührt, der Zeit angepasst und
dem Willen des Geschicks?«
»Sie haben, heifst es in den Memoiren des Villars, nun längst gelernt auf Kosten
ihres Bluts und ihrer Habe, wie grofs unser Leichtsinn ist. Was diese Waare wert sei,
muss man erfragen bei den Fürsten von Salerno, Melfi, Somma und Atri und vielen
anderen, die wir ihr Brot betteln sahen unter uns, weil sie Frankreich gedient hatten.« ^)
Unserem Herzog ist indes dieser letzte Kelch erspart geblieben, denn Brantöme
selbst, sich berichtigend, sagt von ihm, dank seinem Schwiegervater ilfutbien, non
pas tant qu'il meritoit Zwar die Hoffnung auf Dauer seines Stammes verschwand
mit dem frühverstorbenen Söhnchen Josias, aber er hinterliefs zwei edle Töchter,
von denen die eine ins Kloster ging, die zweite jedoch einer der Sterne des Hofs
wurde und Veranlassung, dass der Name Datrye noch oft in den Memoiren des
dritten und vierten Heinrich genannt wird. Anne d'Acquauiue (so unterzeichnet sie)
war unter der Obhut der Königinmutter grofs geworden und erfreute sich deren
besonderer Zuneigung. Sie galt für eine der liebenswürdigsten und geistreichsten Damen
jener Tage. Trotz ihrer Erzieherin wurde sie, wenn Brantöme, freilich keinem unbedingt
zuverlässigen Zeugen, zu trauen ist, »eine der tugendsamen, schönen, klugen, der
besten und frömmsten am Hof, die sich durch ihre Güte und Sanftmut Liebe und
Achtung erwarb.« Man erfährt, dass ein alter hugenottischer Edelmann, D'Ussac, Gou-
verneur von La Reole, ihr zu Gefallen katholisch wurde und seine Festung übergab.
Unter den italienischen Emporkömmlingen war ein Florentiner, Lodovico
Ghiacetti, der, als er nach Paris kam, keine tausend Thaler wert war, aber durch die
Gunst der Mediceerin, als Zollpächter, in kurzem zu einer Finanzgröfse emporstieg.
Er bewarb sich um die Hand der Demoiselle Datrye; aber da wurde dem Messer
Doganiere begreiflich gemacht, was es bedeute, die Augen zu einer Tochter des
herzoglichen Hauses Acquaviva zu erheben. Um diesen Einwand zu beseitigen, erwarb
er die Herrschaft Chäteauvillain inBurgund für fast eine halbe Million, baute einen Palast
in der Rue Vieille-du-Temple, bei der Kirche der Blancs - Manteaux , für loo bis
I20 000 livres, er kaufte endlich im Januar 1580 die Stelle eines premier maitre cT Hotel
des Königs iür 20 000. Solch schwerem Geschütz ergab sich der Stolz der Acquaviva,
und am 11. Februar desselben Jahres ward die Hochzeit gefeiert im Hotel Glisson
(dem jetzigen Nationalarchiv). Sie wurde verherrlicht durch das Erscheinen des Königs
mit seiner würdigen Mutter und der Königin Louise nebst dem ganzen Hof. Seine
Majestät hatte eine höchst schneidige (brave) Maskerade selbst erfunden; dergleichen
gehörte ja zu den angelegentlichsten Regierungsgeschäften dieses gekrönten Toiletten-
künstlers. Auch später beehrte er das Hotel Chäteauvillain oft durch seinen Besuch
mit dem bekannten Gefolge, ein Beweis, dass es dort schön war.
Der Palast war wirklich eine der Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt; unter
seinen Schätzen waren auch viele Gemälde. Hier fand Brantöme das Bildnis des
mütterlichen Grofsvaters der Gräfin, des alten Marschalls von Melfi, mit langem weifsem
Bart; die Ähnlichkeit der Enkelin war unverkennbar. Hier dürfte auch Tizians Bildnis
ihres im fünfzigsten Jahre verstorbenen Vaters einen Ehrenplatz besessen haben.
Heinrich III hat es dann gewiss bemerkt, war er doch vor Jahren auf der Rückreise
aus Polen in Venedig und in des Meisters Atelier gewesen, und Tizian hatte ihm erzählt
von seinen Ehren bei dem alten Kaiser und bei Ferdinand von Österreich und Philipp
*) Memoires de Villars. Colleciion Michaud X, 26.
23
174 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL VON C. JÜSTI
von Spanien; und als der König nach dem Preise einiger Stücke fragte, hatte er sie ihm
verehrt. — Leider hat uns die geschwätzige Chronik sonst nichts von jenen Gemälden
verraten, Kenner gab es' damals don zu Lande kaum; nur von einem sehr freien
Bilde erzählen die Memoiren des L^Etoile, einem Frauenbad, das auf gewisse, am
Hof eingerissene Sitten anspielte, welche die Satire des Arthur Thomas, Sieur d'Embry,
Ulsle de t Hermaphrodite (1605) geifselt.
Nachdem der Graf im Jahre 1593 durch einen Offizier seines Schlosses das
Leben verloren, zog die Witwe von Chäteauvillain, das in dem Hugenottenkrieg mehrere
Belagerungen überstanden hatte, ^) nach Langres und widmete sich der Erziehung
ihrer Kinder. Ihr Sohn Scipio trat nach dem Tode seines einzigen Erben in den
geistlichen Stand und starb 1648 als Abt von St. Arnulph in Metz. Wir hören noch,
dass Angelica d'Atri sich mit Claude d'Anglure, Baron von Bourlemont vermählte, auf
den nun die Titel Atri d' Aragon und Melfi übergingen. Sie starb 1676. Und von da
mag das Tiziansche Bildnis dann an das Haus De la Chätaigneraie gelangt sein,
bis es in der Galerie des Landgrafen von Hessen -Cassel in die beste Gesellschaft
kam, die sich ein altes Ölgemälde und Porträt eines von der Geschichte vergessenen
neapolitanischen Herzogs und Exulanten wünschen kann.')
^) Zwei merkwürdige Briefe von ihr aus dieser Zeit besitzt die Bibliotheque nationale.
Ms. fr. 3616, 3621.
') Doch hat es noch einmal einen Ausflug nach Paris gemacht, als nach der franzö-
sischen Besetzung des Kurstaats Denon die besten Stücke (251) der Casseler Galerie fUr das
Musee Napoleon entführte (1807). Auffallenderweise und bezeichnend für den herrschenden
Geschmack kam es dann aber nicht in diese • europäische Kunstkammer «, sondern unter
die 21 Stücke, welche für die Galerien der Provinzialhauptstädte ausgesondert wurden. Mit
dem Bildnis von Tintoretto (Nr. 460) wanderte es nach Brüssel. Bei der Zurückgabe der
Kunstwerke 181 5 gab es mit diesen Bildern besondere Schwierigkeiten; bei d^m uns inter-
essierenden kam hinzu, dass die Brüsseler Galerie nicht mehr der Direktion in Paris unter-
stand. Es ist nur dem Eifer des damaligen hessen-casselschen Gesandtschaftsekretärs und
Geschäftträgers, Jakob Grimm, zu danken, wenn beide Gemälde doch noch schliefslich
ihren Weg nach Cassel zurückgefunden haben. Grimm, dem nicht unbekannt geblieben war,
dass dieser Tizian »zu den bedeutendsten [Bildern] unserer Galerie gehören müsset (Bericht
vom 8. Oktober 1815}, hatte deshalb den Heimweg nach Cassel über Brüssel genommen,
obwohl er damals nur erst das Dasein der Bilder konstatieren konnte. Die Rücksendung
von Seiten des Hofes im Haag erfolgte dann 18 17 (E. Stengel, Aktenstücke ti. d. Thätigkeit
der Brüder Grimm im hessischen Staatsdienste. Marburg 1886. 38, 49, 69, 96 f., 407).
ENTLEHNUNGEN REMBRANDTS VON C. HOFSTEDE DE GROOT I75
ENTLEHNUNGEN REMBRANDTS
VON C. HOFSTEDE DE GROOT
Einzelne Entlehnungen, welche Rembrandt ab und zu bei seinen Vorgängern
gemacht hat, sind an zerstreuten Stellen bei seinen Biographen verzeichnet. Dann hat
Eugene MUntz in der Gazette des beaux Arts 1892 I S. 196 — 211 das Verhältnis Rem-
brandts zur italienischen Kunst nachgewiesen und ich selbst habe vor kurzem in der
Wochenschrift »Nederlandsche Spectator« (1893 S. 421) in knapper Form zusammen-
gefasst, was mir über die Nachahmungen Rembrandts bekannt geworden ist.
Wenn wir diese Fälle nach den Kunstschulen verteilen, so sind wir am raschesten
mit den frühen Holländern fenig. Das schöne Louvre-Bild vom Jahre 1637, »Das Ver-
schwinden des Engels aus dem Hause des Tobias« (Cat. Nr. 404) gehört, wie bereits
Vosmaer (S. 164) bemerkt hat, in den Hauptzügen der Komposition dem Maerten van
Heemskerk an.^) Der entschwindende Engel ist in seiner Haltung vollständig von Rem-
brandt kopiert. Die Frau des alten Tobias hat bei Heemskerk ungefähr dieselbe Haltung
und denselben Standort in der Hausthür, wie die Braut des Sohnes bei Rembrandt, der
Greis ist bei diesem nicht so tief zur Erde gebeugt wie bei jenem, und der Sohn hat
eine andere Stellung des Kopfes und einen anderen Platz in der Komposition erhalten.
Weniger stark ist die Anlehnung Rembrandts an denselben Künstler in der Radierung
B. 91, der Rückkehr des verlorenen Sohnes. Die Anordnung der Gruppe auf den
Stufen des Hauses mit Architektur rechts und Blick auf die Landschaft links, ebenso
wie die Haltung des büfsenden jungen Mannes, sind so zu sagen identisch; dagegen
liegt in der mehr vornüber gebeugten Haltung des Greises bei Rembrandt viel mehr
Innigkeit als in derselben Figur bei seinem Vorgänger.
Obwohl in den Einzelheiten nicht nachweisbar, ist die Entlehnung der Idee und
der Gesamtkomposition der radienen Löwenjagden (B. 114 — 116)') unseres Künstlers
von seinem älteren Zeitgenossen Rubens kaum zu bezweifeln. Die grofsen und schönen
Stiche, die letzterer nach seinen Bildern hatte anfertigen lassen, hatten, mit dem Privileg
der General -Staaten versehen, auch ihren Weg nach den nördlichen Provinzen der
Niederlande gefunden und befanden sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch in der
Mappe mit Probedrucken nach Rubens und Jordaens, die in Rembrandts reichhaltiger
Kunstsammlung vorkommt (Rovinski, Inv. Nr. 245).
*) Von ihm besafs Rembrandt ein Buch mit seinem Gesamt- Oeuvre (Rov. Inv. Nr. 227).
*) Ich bemerke hier beiläufig, dass ß. 115 und 116 zeitlich wohl bedeutend früher an-
zusetzen sind, als dies gewöhnlich geschieht. Der Technik nach gehören sie (ebenso wie
das Gefecht B. 117) in die Nähe jener breit und skizzenhaft behandelten Blätter von 1629—30,
wie das Selbstporträl B. 338, der Hieronymus B. 149, die Apostel Petrus und Johannes Kranke
heilend B. 59 und die Flucht nach Egypten B. 54.
23*
176
ENTLEHNUNGEN REMBILVNDTS
Wenden wir uns von den niederländischen Schulen der deutschen zu, so finden
wir, wie bereits dem Abbe Zani (Enciclop. delle belle arti Vll, p. 89) aufgefallen war,
dass die Hauptfigur von B. 69, »Christus die Händler aus dem Tempel treibend«, eine
genaue gegenseitige Kopie aus der kleinen Passionsfolge A. Dürers (B. 22) ist und dass
I V
Vittorc Carpaccio.
Federzeichnung in der Sammlung des Herzogs von Devonshirc zu Chatsworth.
die Idee der beiden Bauernfiguren (B. 177 und 178) mit den Aufschriften »'t Is vinnich
kout« und »Dat's niet« ihren Ursprung in den entsprechenden Blättchen des Hans Sebald
Beham »Es ist kalt Wetter« und »Das schadet nicht« (B. 188, 189) hat, ihre Ausführung
jedoch bei Rembrandt ganz von jenen Vorbildern unabhängig ist.
VON C. HOFSTEDE DE GROOT
177
Ehe wir zur Betrachtung der Italiener, welche den Hauptbestandteil zu den Ent-
lehnungen Rembrandts geliefert haben, übergehen, müssen wir noch einige orien-
talische Vorbilder hervorheben, an denen der Künstler offenbar grofsen Gefallen
gefunden hat. Es sind die bekannten bei Lippmann (Nr. 116, 117, 159) publizierten, in
Rembrandt.
Federzeichnung im Besitz des Herrn Fairfax Murray zu London.
Aquarell bezw. tarbiger Kreide ausgeführten Zeichnungen aus dem British Museum
und dem Louvre, Asiatische Reiter und Hofscenen darstellend, denen sich noch /
ahnliche Blätter in der Sammlung Malcolm (drei Stück, von denen ein Blatt, vier
sitzende Orientalen unter einem grofsen Baum, 1767 von Sim. Watts gestochen
178 ENTLEHNUNGEN REMBRANDTS
worden ist), in der Sammlung Cracherode des British Museum, bei J. P. Heseltine,
G. Salting und Fairfax Murray in London, bei L. Bonnat in Paris und in der Sammlung
van der Willigen (Vosmaer S. 605) anschliefsen. Die beiden Blätter in letzterer Samm-
lung trugen die eigenhändige Bezeichnung »na een ostindies poppetje geschetsu (s nach
einem ostindischen Püppchen skizziert) und »na Oostind. poppetje«. Mehr oder weniger
verwandt erscheint endlich auch noch die schräg von hinten gesehene Studie eines
Reiters im British Museum, die jedoch nach dem Kostüm einem holländischen Vorbild
etwa aus der Richtung des Adriaen van de Venne oder Esaias van de Velde entstammt.
Auch in der Sammlung des Sir Gh. Robinson befindet sich eine solche Zeichnung.
Das von Watts gestochene Blatt der Sammlung Malcolm ist, wie mich Pro-
fessor Sidney Golvin aufmerksam macht, offenbar das Prototyp der Radierung B. 29,
»Abraham Gott Vater und die Engel bewirtend«, gewesen.
Bei den italienischen Vorbildern Rembrandts ist zwischen denjenigen , welche er
direkt (als Zeichnung) kopiert hat, und denjenigen, die ihm nur ein entfernteres oder
näheres Motiv zur Nachahmung (in Zeichnungen, Radierungen oder Gemälden) ge-
boten haben, zu unterscheiden. Erstere sind:
^ I. Das Abendmahl des Lionardo da Vinci. Hiervon existiert sowohl eine Feder-
zeichnung vom Jahre 1635 im Berliner Kupferstichkabinet (L.Nr. 24, bereits vonHoubraken
erwähnt) als eine Rötelskizze in der Sammlung des Königs Friedrich August 11 von
Sachsen (L.Nr. 99). Letztere ist nicht datiert, gehört aber ihrem Charakter nach und
wegen der Schreibweise »Rembrant«, wie nahezu alle in dieser Technik ausgefühnen
Blätter ungefähr in dieselbe Zeit: 1630 — 35. Sie weist rechts im Vordergrund einen
Hund auf, der einen Knochen abnagt, eine Eigentümlichkeit, welche uns in den Stand
setzt, denjenigen italienischen Kupferstich nachzuweisen, welcher das Bindeglied zwischen
dem Original in S. Maria delle Grazie und der Rembrandtschen Zeichnung ausmacht.
Es ist dies ein anonymes im dreizehnten Bande von Bartsch S. 83 sub Nr. 28 be-
schriebenes Blatt, von welchem sich ein Exemplar im Berliner Kupferstichkabinet
befindet ^).
2. Papst Alexander III eine Prozession anführend; Skizze des Gentile Bellini für
seine seitdem zerstörten Wandmalereien im Dogenpalast zu Venedig. Die Zeichnung
befindet sich im British Museum, die Rembrandtsche Kopie in der Albertina zu
Wien (publiziert von Wickhoff im Repertorium für Kunstwissenschaft 1883 S. 36 f.).
3. Die Madonna della Sedia von Raphael\ eine flüchtige Federskizze Rembrandts
im Dresdener Kupferstichkabinet (Vosmaer S. 588).
u 4. Nach einer anonymen italienischen Medaille des Andrea Doria kopiert ist
die meisterhafte Federzeichnung aus der reifen Zeit des Künstlers im Berliner Kabinet
(L.Nr. 26; vergl. Amtl. Berichte im Jahrbuch d. Königl. Preufs. Kunstsamml.II S.XXXXIV
Nr. (1557), sowie S. 258).
5. Nach der Kehrseite einer Medaille des J. F. Gonzaga von Vittorio Pisano
ist in den späteren Zuständen der Radierung »die drei Kreuze« der Reiter links vom
Kreuze Christi kopiert (Jahrbuch d. Königl. Preufs. Kunstsamml. II S. 258; die
Medaille beschrieben von J. Friedländer, Jahrbuch I S. 100 Nr. 3; abgebildet bei
Litta, Gonzaga Vol. III Fase. XXXIII, Pane 3. Med. Tav. i Nr. 2).
^ 6. Die Predigt eines Papstes. Genaue Kopie einer Zeichnung von V. Carpaccio
in der Sammlung des Herzogs von Devonshire in Chatsworih (photographiert von
Braun als Giorgione Nr. 170). Die stellenweise getuschte Federzeichnung Rembrandts
Freundliche Mitteilung von Herrn Dr. P. Kristeller.
VON C. HOFSTEDE DE GROOT I79
im Besitze des Herrn Fairfax Murray in London, der mich auf sie aufmerksam machte
(Gröfse ist 203x182 mm). Die hier gegenüber gestellten Abbildungen machen eine
genaue Beschreibung überflüssig.
7. Die sitzende Madonna des Andrea Mantegna (B. 8) hat die Hauptfigur
abgegeben zu Rembrandts Madonna mit der Katze (B. 63). Die Kopfhaltung, das
Kopftuch, die gefalteten Hände, die Lage des Christkindes mit den über einander
geschlagenen Beinchen und die Stellung der Kniee stimmen fast genau überein, der
Faltenwurf ist von Rembrandt vereinfacht worden und die Schattenwirkung sowie
das Beiwerk hinzugefügt.
V 8. Die Verleumdung des Apelles von Andrea Mantegna, Sowohl die Originalzeich-
nung, wie die Rembrandt zugeschriebene Kopie befinden sich im Print Room des British
Museum. Letztere ist bei Lippmann Nr. 119 reproduziert. Ich muss jedoch gestehen,
dass ich nicht unerhebliche Bedenken trage, in ihr ein Originalwerk Rembrandts anzu-
erkennen. Keine von den charakteristischen, positiven Merkmalen seiner Hand, weder
die Betonung des Helldunkels, welche z. B. in einigen Kopien nach altpersischen
Vorbildern hineingebracht ist, noch die freie Linienführung, durch die sich die Kopien
nach Lionardo und Gentile Bellini auszeichnen, findet man hier wieder. Ja, nicht
einmal die Schriftzüge der Unterschriften sind diejenigen Rembrandts ^). Wenn nicht
durch die Inschriften des Aufsatzpapieres eine ziemlich alte Tradition für die Urheber-
schaft Rembrandts vorhanden wäre, würde ich nicht zögern, das Blatt aus dem
Verzeichnis seiner Werke zu streichen.
Weit zahlreicher als diese direkten Kopieen sind die Fälle, in denen Rembrandt
sich mehr oder weniger getreu an ein italienisches Vorbild angelehnt hat. Ich erinnere
hier an eine Reihe von Eugene Müntz a. a. O. beigebrachter Fälle: wie z. B. an die
Radierung »Jupiter und Antiopea (B. 203; nach dem Bilde des Correggio im Salon
Carre des Louvre, mit veränderter Lage ihres rechten Armes und Weglassung des
Amor), an den verkürzt gesehenen Leichnam auf der Anatomie des Dr. Deyman im
Amsterdamer Rijksmuseum (nach dem Leichnam Christi auf der Pietä Mantegnas
in der Brera zu Mailand) und an die abwechselnd Achilles, Judith oder Minerva
benannten Studien eines bewaffneten Kriegers in den Museen zu Glasgow und Peters-
burg, bei denen Müntz an italienische, Mr. Forbes White in Dundee (laut brieflicher
Mitteilung) an altklassische Vorbilder denkt').
'^Zwei Zeichnungen einer Grablegung Christi, die eine im Teyler Museum zu
Haarlem (L. Nr. 169), die andere in der Sammlung v. Beckerath in Berlin (L. Nr. 193),
erweisen sich gleichfalls als Anlehnungen an ein italienisches Original, diese freier, jene
in ihrer streng symmetrischen Anordnung in einer Lünette etwas mehr gebunden.
Das Original von der Hand des Pierino del Vaga befindet sich in der Sammlung
^) Ich habe vergeblich versucht aus der Rückseite dieses Blattes, welche den Teil eines
nach italienischen Befestigungsprinzipien ausgeführten Forts darsteUt, Anhaltspunkte für oder
wider Rembrandts Urheberschaft zu gewinnen. Jene Befestigungsprinzipien fanden, wie Herr
Kolonel de Bas im Haag mir freundlichst mitteilt, auch in den Niederlanden Anwendung und
unser Entwurf zeigt sowohl mit der Citadelle Turins als mit derjenigen Antwerpens
auffallende Ähnlichkeit.
') In den Handzeichnungssammlungen zu Rotterdam und St. Petersburg giebt es je
eine kleine Skizze zu ähnlichen bewaffneten Köpfen. Ausserdem kehren die HauptstUcke
der Rüstung (Helm, Lanze, Schild) wieder auf einer Zeichnung Rembrandts im Familien-
album Pandora im Besitz des Herrn Dr. J. P. Six in Amsterdam (datiert 1652).
i8o
ENTLEHNUNGEN REMBRANDTS
His de la Salle im Louvre. Die letzten Nachklänge an das Vorbild lassen sich sogar
noch ia der Radierung B. 86 nachweisen.
In der Sammlung Seymour Haden befand sich die Federzeichnung eines stehenden
Knaben mit Mütze, bei Lippmann unter Nr. 149 reproduziert und vom dortigen Register
hypothetisch als die Nachahmung einer allitalienischen Zeichnung angeführt.
Die Komposition von Christus und der Ehebrecherin, mit lebensgrofsen Halb-
figuren, welche vor einigen Jahren aus der Marlborough - Sammlung zu Blenheim von
dem Kunsthändler Sedelmeyer zu Paris gekauft
wurde, ist in der allgemeinen Auffassung
offenbar von Künstlern wie Bonifa^io und
Giorgione inspiriert, von denen letzterer im
Rembrandtschen Inventar durch ein wert-
volles Bild der Samariterin am Brunnen,
welches halb dem Pieter de la Tombe ge-
hörte, vertreten war.
Die Lucretia der Sammlung SanDonato,
durch die Köppingsche Radierung allgemein
bekannt, jetzt beim Pariser Kunsthändler
Bourgeois, ist nach Müniz von Titian be-
einflusst. Auch die Radierung des hl. Hiero-
nymus (Bartsch 104), von ihm als »s'approchant
beaucoup de la maniere d'Albert Dürer«
charakterisiert, ist nach Ch. Blanc (S.84) in der
Landschaft eine ziemlich genaue Kopie nach
einer Zeichnung jenes grofsen Venezianers
aus der Sammlung Wellesley. Derselbe Autor
hebt noch Anklänge der Radierung B. 62,
))La sainte famille au linge« an ähnliche Dar-
stellungen aus der Schule von Bologna
hervor, während dagegen Wickhoff a. a. O.
eine gezeichnete Anbetung der Hirten in der Albertina (Niederl. Inv. Nr. 880) auf das
unbekannte Original eines italienischen Naturalisten zurückführt und Herr Heseltine
in London bei der Dresdener Zeichnung von Diana und Akteon (L. Nr. 98) an ein
Vorbild eines Meisters wie Domenichino denkt.
Zum Schlüsse weise ich hier auf eine bisher nicht beachtete Anlehnung Rem-
brandts an Raffael hin. Sie betrifft das berühmte, um 151 5 gemalte, jetzt im Louvre
befindliche Porträt des Grafen Balthasar Castiglione, welches nach dem Zeugnisse
Sandrarts (T. A. I S. 55b) am 9. April 1639 in der Auktion des Lucas van Uffelen zu
Amsterdam versteigert wurde. Sandrart selbst bot bis 3400 Gulden dafür, doch es
wurde für 3500 an (den Kunsthändler?) Alfonso Lopes zugeschlagen. Auch Rem-
brandt scheint bei der Auktion anwesend gewesen zu sein. Wenigstens machte er
die bekannte Federskizze der Albertina nach dem Bilde,') worauf er notierte: De Conte
Raffael.
Graf Balthasar Castiglione.
Original im Louvre zu Paris.
*) Also nicht nach einer Handzeichnung wie Wickhoff a. a. O. annimmt und E. Müntz
wiederholt, während F. A. Gruyer (Rapha6l, peintre de portraits II S. 83) den Thatbestand
richtig erzählt und ausführlich Über das Bild und dessen Geschichte handelt. Bekanntlich
hat Rubens es ebenfalls kopiert, wie aus einer Eintragung in seinem Nachlassinventar hervor-
geht (Rooses IV S. 145 Nr. 91^).
Hell'; CT d '''^ti.-'xdru:K£re: herlra.
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VON C. HOFSTEDE DE GROOT
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batasar de kastylyone van raefael verkoft voor 3500 gülden; het geheel caergesoen*)
tot Luke van Nuffeelen heeft gegolden f 59436 : — : Ano 1639. Die frei behandelte
Zeichnung bildet die Brücke zu dem schönen radierten Selbstportrfit vom selben
Jahre 1639 (B. 21), worin man die auf korrekte Zeichnung, Ebenmafs der Linien
und vornehme Auffassung beruhende Kunstsprache des Italieners in die auf Hell-
Rembrandt.
Graf Balthasar Castiglione.
Federzeichnung in der Albertina zu Wien.
dunkel und malerische Bestrebungen fundierte Ausdrucksweise des Holländers über-
setzt findet. Ein Vergleich der beigegebenen Abbildungen überhebt mich der Mühe
einer näheren Beweisführung.
Auf eine kürzlich ans Licht gekommene Benutzung der berühmten antiken
Homerbüste in Neapel auf einem Herrn Dr. A. Bredius gehörigen Bilde, in Verbindung
mit weiteren Anlehnungen Rembrandts an die Antike, behalte ich mir vor später zurück-
zukommen.
^) Cargaison = Schiffsladung; es scheint also, als ob van Uffelen eine Ladung italieni«
scher Bilder nach Amsterdam gebracht habe.
24
l82 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE
IN DER RENAISSANCE
VON RICHARD FÖRSTER
Zu den prächtigsten Gemäldeschilderungen des Meisters in der incp^airig^ Lucian,
gehört die eines Bildes seines besonderen Lieblings Aktion, der Hochzeit des Alexander
und der Roxane, durch welches dieser sich selbst die Hochzeit mit der Tochter des
olympischen Hellanodiken Proxenidas gewonnen hatte. Lucian beschreibt das von
ihm in Italien gesehene Bild in einem jener kleinen Kabinetstücke, welche der Höhe
seines Lebens angehören, der in Macedonieri gehaltenen Prolalia *H^o6oto? r Affr/wi'.
Die Schilderung lautet §. 5: smv r, elxuji' tu lTu}.i<f, xccyoo siSou, u)TTb Hai TOI av ffiTT««'
s^/^oifM. S'aXafxog Im TTf^ixaXXtjc xat xXit>Yi vvfJuptHyi, sicti i 'Fw^cei'Vj ^«S>;t«i, 7r«<yx«>.oi' ti
y^yjfjLcc Tra^Siifov ^) ^ g<? yr/U o^üüt«, alBovixivYj sttujtu rov Wi^avh^ov. E^wtc^ hi twsq lutfi-
SlijJUTSi; fJLSV HUTOmV SCpSTTUiC CtTTOySl Tyjg HSCpCtXriQ Tr,V XCt},V7rT^CCV XCtt hsiHVXJTl TW injfjL<ptw
TYjv ^Fuj^avYju, Si Tt9 fJut?M SovXtHüog ntpcct^Bl to (rccuSctXtov in tov ttoSo?, cüc xcctcchXIvoito
nSyi, u?.Xog T^c f/^XccvlSog tov A?^s^cwh^ov iTrsi^.vjfJLfXivog , E^wg xcci ovTog, £>jcei ccvtov Tr^og txv
'Futi^airriv Travv ßtattng IrtvntfjufMvog, ßaTi7,s\jg Se avTog fxsv arTi<pavov Twa o^iyst tyi TraiBl,
na^oyjog hi nai vvßcpceyüuyog KcpcctTTtwv a-VfjLTrn^eTTi h^Sa xaiofxiuvjv e%MV9 fXEt^nxiw ttccvv ioaiw
iTTt^siSofJLSuog , l^fjLivcciog, oißat, iTTW o\j yct^ STTsyiy^nTTTO TODvouet. sts^ujS'i hz ttJc sixovog
ccXXoi E^wrec Trai^ovTiv iv Tolg ortXoig tov AXe^m'&^oi; , 8vo ßiu ty.v ?*0Y/r,i/ ccvtov (pt^ovTsg,
fxiULOVfxsvoi Tovg ayßfocpo^ovg , ottotb hoxov (pi^ovTsg ßct^olvTO' a7.>^oi hi. hvo succ Twct im ri^c
ccTirlhog xuTaxBtfXsvov , ßccTtXia 8y,3-sv xcei avTOv, a-v^ova-t Tttiv oyjccwtiv Tyjg uTirihog iTrsiXrfjiuit'oi'
etg & 8yi ig tov S'm^ccxcc so'ffXS'wi/ vtttiou xstfxst'ou }sO%ui./Ti sotxsv, ig (poßriO-Btsu avTOvg, ottote
xuT avTov ysvowTo rv^ouTsg, Wie im oströmischen Reiche durchaus nicht auf Lucian
der Bann geruht hat, welchen gewisse Verwünschungen von Scholiasten und Leuten
wie Suidas (s. v. Aovxiauog) erwarten lassen, so hat auch diese Schilderung bei den
Griechen des Mittelalters nicht blofs Aufmerksamkeit, sondern auch Nachbildung
hervorgerufen. Der bekannte Dichter des XIV Jahrhunderts Manuel Philes aus Ephesos
brachte sie in iambische Verse ^). Dagegen blieb das Schriftchen im Abendlande un-
beachtet, auch lange nachher, als die Werke des Lucian nach Italien gebracht waren.
Es wurde, vielleicht gerade wegen seines winzigen Umfanges — denn Seltenheit der
^) Ihrer Schönheit gedenkt er noch Imag. 7 : die Musterschönheit soll ihre Lippen von
der Roxane des Aetion erhalten (ra x^^^ ^'* *"* 'PwSavr)? Artwv, 7rot>]croTwJ.
*) Herausgegeben, aber schlecht, von Ideler, Phys. graec. 1,284, besser von Gramer,
Anecd. Par. I, 44 (Tou 4>t>.»i xvpoZ Mavovrfk rov 'EcpEo-tov ciiyoi ^ixacppao-Tutoi awo tivo^ twv tov Aovxiavo?
\aywv elf iUova l-xoMo-av if(i»ypacpr)pivov tov tou 'AXg^av^pov ycLtiov), am besten von Miller, Man. Phil,
carm. II, 336.
VON RICHARD FÖRSTER 183
Handschriften kann nicht der Grund gewesen sein — nicht, wie so viele andere
Schriften des Lucian'), ins Lateinische oder Italienische übersetzt. So hat auch
L. B. Alberti nicht auf diese Darstellung, sondern nur auf die Verleumdung des Apelles
die Aufmerksamkeit der Künstler gelenkt. Und so hat sich, so viel ich sehe, kein
Maler der Frührenaissance an ihrer Nachbildung versucht. Sie blieb bis ins XVI Jahr-
hundert hinein ein verborgener Schatz.
Allerdings giebt es eine Darstellung der Vermählung des Alexander und der
Roxane aus dem XV Jahrhundert, und zwar ebenfalls als Illustration eines Textes,
aber diese hat mit dem von Lucian beschriebenen Gemälde nichts zu thun. Die
Roxane des Afe'tion ist natürlich die der Alexander- Geschichte, d. h. die Tochter
des Baktrers und nachmaligen Satrapen Oxyartes, die schönste der asiatischen Frauen,
mit welcher Alexander sich bereits im Frühjahr 327 vermählte *) also zwei Jahre
vorher, ehe er in Susa die Ehe mit der Tochter des Darius, Stateira ') oder Barsine *),
einging.*) Aus dieser Roxane der Geschichte machte der Alexander -Rom an Roxane,
die Tochter des Darius. Sterbend verlobt sie der besiegte Vater dem Alexander
und dieser vermählt sich mit ihr im Palaste des Darius, nachdem er die Zustimmung
ihrer Mutter und von Olympias die Sendung des königlichen Brautschmuckes erlangt
hat. So zuerst Pseudo-Callisthenes II, 20 und 22/) danach etwas kürzer die
lateinische Übersetzung des Julius Valerius II, 33 und die syrische Übersetzung,
welche Budge, Cambridge 1889 herausgegeben und V. v. Ryssel im Archiv für das
Studium der neueren Sprachen und Litteraturen 90, 283 — 288 ins Deutsche übertragen
hat,') und die arabische Fassung, deren Übersetzung Nöldeke (Beitr. z. Gesch. des
Alexanderromans S. 38) bekannt gemacht hat. Das Abendland wurde mit dieser
Fassung durch den neapolitanischen Archipresbyter Leo bekannt, welcher in der
zweiten Hälfte des X Jahrhunderts den Roman des Pseudo-Callisthenes in Constanti-
nopel abschrieb und auf Geheifs des Herzogs Johannes von Campanien ins Lateinische
übersetzte (II, 20 und 22 ed. Landgraf). In dieser Gestalt wurde der Roman im Anfang
des XII Jahrhunderts in das von Ekkehardus Uraugiensis in Bamberg verfasste
Chronicon universale aufgenommen (ed. Waitz in Pertz Scriptores VI p. 68) und aus
diesem wieder unter dem Titel vita Alexandri für sich abgeschrieben.®) Noch gröfsere
") Vergl. Archiv f. Litteraturgeschichte XIV, 339 ff, und Jahrbuch d. K. Preufs. Kunst-
samml. VIII, 32 und 1 1 1 f.
*) Es ist sehr interessant, dass auf der Akropolis von Athen die Reste der Inschrift von
Weihgeschenken gefunden worden sind, welche Roxane als Gemahlin Alexanders der Athena
gemacht hatte (C. I. A. 11,737 A 2 und 12).
») Plut Alex. 70, 2. Diod. Sic. XVII, 107. Justin XII, 10, 9.
♦) Arrian Anab. VII, 4, 4.
') Arrian Anab. IV, 19,5. VI, 15,3 nebst Suidas s. v. 'AXsgav^po;. Plut. Alex. 47,4. Diod.
Sic. XVIII, 3, 3. Gurt. VIII, 4, 2 1 . Itin. Alex. 44.
•) Auf ihn geht zuletzt auch Joannes Malalas VIII, i p. 194 ed. Bonn, zurück. Aber auch
die bei Suidas s. v. 'ATJ&av^pog MkycK; und Aapitog überlieferte Version, dass Alexander den
Darius um seine Tochter bittet, ist nur eine Variante jener Fassung.
') Auch Firdusi folgt im Schähnäme dieser Fassung. Vergl. Le livre des Rois par
Abou *lkasim Firdousi, par Jules Mohl V p. 10454. Desgleichen Nisämi im Iskandername.
Vergl. Spiegel, die Alexandersage bei den Orientalen S. 42fF. Friedr. Rückert im Frauen-
taschenbuch fUr das Jahr 1824 S. 495.
8) So z. B. in einer Handschrift, welche ich jüngst in der gräflich Hochbergschen
Bibliothek zu Fürstenstein fand, Msc. Q. 6 (4190. III. XVIII H. 38), einer Papierhandschrift
24*
184 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
Verbreitung aber fand durch Handschriften und Drucke die Fassung Leos in der
mannigfach veränderten und erweiterten Form,*) welche den Titel führt: Historia (oder
Liber) Alexandri magni regis Macedoniae de preliis. Hier ist ein eigenes Kapitel mit
der Überschrift Quomodo Alexander duxit uxorem Roxanam filiam Darii imperatoris
(im Strafsburger Druck ^) von i486 auf fol. 20^, col. i) folgendermafsen lautend: alia
vero die Alexander sedit pro tribunali in throno aureo coronatus et iuxta praeceptum
Darii imperatoris iussit Roxanam filiam eius ante praesentiam suam advenire. Coronam
auream et lapidibus preciosis ornatam in capite deferentem ipsam iuxta morem per-
sarum accipiens in uxorem. Fecitque eam secum in throno aureo residere. Et prae-
cepit ut regina ab omnibus coleretur. Videntes autem hoc perse gavisi sunt valde.*)
Diese Historia wiederum wurde auf Geheifs des Herzogs Albrecht von Bayern und
seiner Gemahlin Anna durch den Doktor der Medizin Johannes Hartlieb in
München in freier Weise ins Deutsche*) übersetzt und durch Johann Bämler zu Augs-
burg, zuerst 1472,*) gedruckt unter dem Titel »Die hiftori von de groffe Alexander,
wie die Eufebius befchriben hat«. Hier lauten die betreffenden Worte auf fol. öS"":
T> Darnach gedacht Alexander an die pet das er Darij an feinen leckten ^eitten im
getan hat und befandt Roxam dye tochter des reichen künigs und fagt ir und allen
ire /runden was Darius ir vatter mit im geredt un gepeten hat Roxam zu der ee \e
nemen das wolt er gar gere un gar tpilliclichen tun ob das auch ir will und ir gunfl
war. Da was nit not lang beratens, die tochter Darij des künigs Roxam ward
gemahelt dem groffen künig Alexander. Er nam Jy ^ü der ee nach de fitten feiner
gotter, Alexander liefs da koßlich hoff berüffen und pflag der fitten die den die
groffen kunig in dem land persia pflagent.
Er tat auffrichten einen hoche ßül in einen kößlichen fal, und fat^t die tochter
Darij ^ü im un tat fy ere un lobe als ein künig un Jy in folicher maf^ anpette alle
menfche.fn
Die zweite Ausgabe nun, welche die Subskription hat: nhie enndet fich die
hyfiori Eufebij von d€ Groffe künig Alexander Als die der hoch gelert doctor Johan
hartlieb ^u münchen durch lieb des durchleüchtigen füflen etc, herzog Albrechts Säliger
gedächtnufi In Teütfch tranfferiert un befchribe hat Getruckt und volenndet durch
Johanne Bämler In der keyferliche fiat Augfpurg Am montag nach Johannis Baptifle
Anno Zi JmLXXIIh,^) liefs Bämler mit Holzschnitten') versehen, und einer derselben
des XIV Jahrhunderts in Oktav, auf fol. 1 3. Vergl. Waitz a. a. O. p. 1 2. Paul Meyer, Alexandre
le Grand II, 39.
^) Diese lag auch dichterischen Bearbeitungen zu Grunde, wie dem Alexanderlied des
Pfaffen Lamprecht V. 3982 ff., dem Alexander des Rudolf v. Ems V. i4909lf. (Oswald
Zingerle, die Quellen zum Alexander des Rudolf v. Ems S. 85), der französischen Bearbeitung
im Manuscrit de TArsenal fol. 107V (Paul Meyer 1. 1. 1,98).
') Andere alte Drucke zählt auf Hain, Repert. bibliogr. yy/ — 780.
') In etwas abweichender Fassung bei Oswald Zingerle, a. a. O. S. 198, 17 ff.
*') Auch Obersetzungen ins Niederländische, Italienische, Französische wurden gemacht.
Vergl. Hain, Repert. 794—799.
*) Hain, Repert. 784.
•) Hain, Repert. 785.
') Übrigens waren Illustrationen von Handschriften vorangegangen. Der Codex Mona-
censis 23489 saec. XII/XIII der Historia Alexandri de preliis enthält auf Blatt i& eine Feder-
zeichnung, Alexander und Roxane (Roxa) auf Thronen sitzend. Vergl. Oswald Zingerle
a. a. O. S. 20 A. i.
VON RICHARD FÖRSTER
185
(fol. 68^), hier reproduziert, enthält auch zwischen den beiden Absätzen der oben mit-
geteilten Erzählung die Vermählung des Alexander mit der Roxane. Wenn derselbe
auch im ganzen als Illustration der Texteswone v^Roxam tpard gemäkelt dem großen
kütiig Alexander^ gelten kann, so nimmt er doch im einzelnen auf die umgebenden
Worte keinerlei Rücksicht. Er gehört noch in die Klasse der Illustrationen, welche
nicht sowohl den Text erläutern als dem des Lesens Unkundigen ein Bild des Gegen-
standes geben wollen. Er führt einfach eine Trauung vor: der Priester ist im Begriff, in
Alexander und Roxane.
Holzschnitt aus: Eusebij hystori von de Grosse künig Alexander.
Gegenwart zweier männlichen und eines weiblichen Trauzeugen die Hände des Paares
in einander zu legen. Dass die Tracht völlig unantik ist, kann nicht wundernehmen.
Auch sind weder Alexander noch Roxane jung, geschweige denn schön.
Dieser Holzschnitt ging in die folgenden Ausgaben des Werkes über, und zwar
unverändert in die von Anton Sorg, Augsburg 1478 (Hain N. 786), mit einigen
Änderungen in die auf diese folgenden: umgekehrt und so, dass die beiden männlichen
Trauzeugen auf der Seite Alexanders ihren Platz finden, Alexander (unbärtig) der
Krone, Roxane des Hennin entbehrt, in die von Sorg, Augsburg 1480 und 1483
(Hain N. 788 und 789). Mit diesen stimmt überein, zeigt jedoch wieder die ursprüng-
liche Richtung der Holzschnitt in den Ausgaben von Martin Schott, Strafsburg
1488 und 1493 (Hain N. 791 und 793). Dieselbe Richtung zeigt auch der Holzschnitt
in der Ausgabe des Barthol. Kistler, Strafsburg 1503, jedoch fehlt hier der Trau-
zeuge rechts, und nicht nur der (unbänige) Alexander, sondern auch Roxane und
der Priester tragen Kronen, der Trauzeuge eine Kappe. Dieser Holzschnitt endlich
ist in der Ausgabe des Mathis Hupf uff, Strafsburg 15 14 wiederholt.^)
^) Für die hier gemachten Angaben bin ich den Herren Dr. von Loga und Weyman ver-
pflichtet. Ober die Ausgaben von Sorg i486 (Hain 790), Schott 1489 (Hain 7Q2), Flach 1509
l86 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
Aufser dem Holzschnitt kenne ich nur ein Gemälde der Vermählung Alexanders,
welches nicht auf Lucian*) zurückgeht. Das ist das von Eduard Bendemann aus-
geführte Wandgemälde im Ball- und Konzertsaal des Königlichen Schlosses in Dresden.
Denn nur die Tochter des Darius entspricht als Braut Alexanders der Gröfse des
weltgeschichtlichen Vorganges, zu welcher der Künstler den Gegenstand erhoben hat,
der Vermählung von Occident und Orient. Die Tochter des Darius aber ist hier nicht
die des Alexanderromanes, sondern der Geschichte, wie dies auch von dem be-
rufensten Interpreten des ganzen Gemäldecyklus anerkannt ist, von Joh. Gustav Droysen,
im Text zu Hugo Bürkners Radierungen,^) welche der sächsische Kunstverein seinen
Mitgliedern auf das Jahr 1857 gegeben hat.')
Die Versuche aber, das Gemälde des Afetion zu rekonftruieren , zu welchen wir
nun zurückkehren, find fast ganz auf die reife Renaissance beschränkt geblieben.
Wir beginnen am besten mit dem
(vergl. Kristeller, die Strafsburger Bücherillustration S. 137, 504) standen mir keine Angaben
zur Verfügung.
^) Nur ganz leise klingt an diesen Jerichaus schöne Fries -Komposition an. Dieser
85 cm hohe und 23 m lange Gyps- Fries, 1842 vom Künstler begonnen, 1864 vollendet und
im Rittersaal des Schlosses Christiansborg zu Kopenhagen angebracht, ist vor einigen Jahren
beim Schlossbrande zu Grunde gegangen bis auf ein Drittel, welches sich jetzt in der Ny
Carlsberg-Glyptothek des Herrn Jacobsen befindet (323—326), ist jedoch nach einer im Besitz
desselben kunstsinnigen Herrn befindlichen Photographie für diesen von Conradsen neu
modelliert worden. Die Benutzung der Photographie verdanke ich der ausnehmenden Liebens-
würdigkeit des Besitzers, bei welchem ich an Herrn Dr. C. Jörgensen einen freundlichen Für-
sprecher gefunden habe. Vergl. Glyptotheket paa Ny Carlsberg 1888 p. 44 und 56 ff. Alexander,
völlig unbekleidet, auf einem Lehnstuhl sitzend, schlingt seinen linken Arm um die halb
liegend auf einem Ruhebett ausgestreckte, nur am Unterkörper bekleidete Roxane. Sie hält
mit der Linken ihr Schleiergewand in der Höhe des Kopfes. Sie blicken einander an.
Am Ende des Ruhebettes steht Hymenäus (geflügelt, in kurzem Rock), in den erhobenen
Händen je eine brennende Fackel haltend und nach dem Paare hinblickend. Zu den Füfsen
Roxanes kniet ein Eros, in der gesenkten Linken seinen Bogen, in der erhobenen Rechten
einen Pfeil haltend und zu Alexander aufblickend. Auf der anderen Seite sind Eroten mit
den Waffen Alexanders beschäftigt. Der eine holt mit dem Schwert gegen den Kopf eines
bekleideten Eros aus, der sich mit beiden Händen den Helm hält, welcher ihm bis auf die
Schultern herabgesunken ist. Zwei andere streiten sich um die Lanze. Eine Beschreibung
der anderen Figuren muss ich mir versagen, so reizvoll es auch ist, den Einflüssen der
Antike, insbesondere des Parthenonfrieses und pompejanischer Wandgemälde, sowie Thor-
waldsens auf dieses Prachtstück der Reliefkunst nachzugehen. — Die Komposition des
Hyacinthe CoUin de Vermont (1692 — 1761), von welchem Blanc, tresor de la curiosite 1. 1
p. 188 eine esquisse du Mariage d' Alexandre erwähnt, kenne ich nicht.
>) Die Hochzeit findet sich auf Blatt XII.
>) Nur möchte ich nicht mit ihm die Königsbraut Stateira, sondern Barsine nennen.
Denn die hervorragende Stellung, welche Hephästion mit Drypetis und Krateros mit
Amastrine in dem Gemälde einnehmen, weist auf Arrians (Anab. VII, 4, 4) Schilderung als
nächste Vorlage hin, und dieser nennt die Königsbraut gerade nicht Stateira, sondern
Barsine.
VON RICHARD FÖRSTER 187
I FRESKO DES SODOMA
d. h. mit dem Fresko, mit welchem Sodoma die Nordwand des Schlafzimmers im
oberen Stockwerk des Hauses seines Gönners Agostino Chigi, der heutigen Farnesina,
geschmückt hat, einem Werke, welches jetzt durch Louis Jacobys ebenso treuen^) wie
feinen Stich, sowie durch seine wundervolle, in Originalgröfse ausgefühne und in
Photogravüre vervielfältigte farbige Kreidezeichnung des Kopfes der Roxane zu einem
Gemeingute aller Freunde edler Kunst geworden ist.
Ich habe in den Farnesina-Studien S. 32 ff.*) durch Interpretation der Verse des
Blosio Palladio über die Farnesina und ihre Malereien, sowie des Berichtes des Vasari
zu erweisen gesucht, dass die Gemälde Sodomas nicht allzu lange nach seiner Ver-
treibung aus dem Vatikan begonnen und im Jahre 1512 vollendet waren. Durch die
genannte Schrift S. 103 ff. bin ich auch einer eingehenden Beschreibung des Gemäldes
überhoben. Durch wen und in welcher Gestalt der Text des Lucian dem Maler über-
mittelt worden ist, wissen wir nicht. Nur führt der Umstand, dass er dem Alexander
eine Krone, nicht einen Kranz in die Hand gab, auf eine lateinische Übersetzung,
welche crriipccvog durch Corona wiedergegeben hatte. Der Maler steht dem Texte mit
völliger Freiheit gegenüber, bald ändernd, bald hinzufügend (das Amorengewimmel
in der Luft und auf dem Betthimmel, den Amor, welcher den Fufs der Roxane
streichelt, die Dienerinnen). Er hat aber auch sämtliche Figuren mit einem unsag-
baren Zauber umkleidet. Das Fresko ist eine der schönsten Kompositionen der antiki-
sierenden Renaissance.*) Es rechtfertigt, wie kein zweites, das Urteil des Paolo
*) Diese Treue ist um so mehr hervorzuheben, als das dem Stich zu Grunde liegende
Aquarell im Jahre !86i, also vor der letzten Restauration des Gemäldes, gemacht ist, während
die Photographien von Ad. Braun (Palais de la Farnesina t. 58. 59. 63 — 6j) nach dieser fallen
und, besonders im Kopf der Roxane, viel zu wünschen lassen.
*) Diese Auseinandersetzung ist von Frizzoni, Arte italiana del rinascimento, Milano 1891
P- <39> welcher den Sodoma 1514 malen lässt, nicht berücksichtigt worden. Wenn er läugnet,
dass Blosio Palladio in seinem Gedicht Suburbanum Agustini Chisii von 1512 Kenntnis der
Gemälde Sodomas verrat, so hat er die 3 Verse
Ast e porticibus primis sese atria pandunt
Prima, dehinc alio super his stant altera versu:
Haec circum haud uno stant picta cubilia cultu
übersehen oder falsch aufgefasst. Die Entstehungszeit dieser Gemälde eher früher als später
anzusetzen rät auch der Umstand, dass bereits Albertini in seinem vom 3. Juni 1509 datierten
Opusculum de mirabilibus novae urbis Romae p. 30, 26 ed. Schmarsow die Farnesina (Domus
cum vinea apud portam Septiman. Augustini de Chigis Senensis) unter den sehenswürdigen
Häusern Roms aufzählt. Vergl. Propping, die künstlerische Laufbahn des Sebastian del
Piombo S. 23.
*) An diesem Urteil (Farnesina -Studien S. 108) halte ich fest trotz B. K. F. (Deutsche
Rundschau Juni 1880 S. 467), indem ich nur die in dem Worte »antikisierend« enthaltene
Einschränkung betone. Als Beleg für den Wandel des Geschmackes möge hier das Urteil
des jüngeren Richardson (Traite de la peinture et de la sculpture t. III p. 194) stehen:
Excepte un certain Air gener al de lEcole Romaine, les Peintures de cette Chamhre sont bien
le plus execrable ouvrage que VArt ait produit, dans cet Age d'or. H n'y a pas un seul bon
Air de Tete, pas une bonne Attitüde, pas un Membre bien dessine, ni aucune Pensee qui se
fasse remarquer par sa beaute. — {La description de Luden) vaut bien la peine qu'on la lise;
quand ce ne servit que pour se consoler du peu de satisfaction qu'on a eu ä voir cette mau-
vaise Peinture. II est impossible que le Tableau ait surpasse en beaute la Description que cet
Auteur en fait.
l88 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
Giovio: Sodomas quum impetuosum animum ad artem revocat^ admiranda perficit et
adeo coticitata manu, ut tiihilo secius, quod mirum est, neminem eo prudentius atque
tranquillius pinxisse appareat Und dabei schöpft er ganz aus sich. Antike Vorbilder
standen ihm nicht zu Gebote.^) Seine ganze Schöpfung atmet so ursprtingliche und
unmittelbare Eingebung, dass es einem ordentlich schwer fällt, ihm lange und mühe-
volle Vorarbeiten zuzutrauen.
Und in der That sind wenig oder gar keine Studien seiner Hand zu dem Bilde
erhalten.
Anders freilich urteilt Morelli^) unter Zustimmung von Frizzoni a. a. O. p. i4ifF.,
Julius Meyer im Künstlerlexikon s.v. Bazzi III, 202, Richard Graul*) und anderen.*)
Wenn wir ihm folgen, besitzen wir nicht nur 3 Skizzen für Teile des Fresko, sondern
auch eine Rotstiftzeichnung zur ganzen Komposition.
Sehen wir zu, wie es mit dieser Ansicht bestellt ist.
Da soll zunächst — und hier wird Frizzoni als erster Vertreter gelten müssen —
die Feder- und Bisterzeichnung der University-Galleries in Oxford, ehemals in den
Sammlungen Wicar, S. Woodburn, Cosway, Lawrence, abermals S. Woodburn*), die
»prima idea« zum Himmelbett des Fresko sein. Sieht man aber genauer zu, so be-
schränkt sich die Ähnlichkeit auf das Vorhandensein eines Himmelbettes und von
Eroten auf demselben. Irgend eine bedeutungsvolle Übereinstimmung vermisse ich.
Statt dessen finde ich im einzelnen nur Verschiedenheit sowohl im Aufbau und der
Ornamentierung des Bettes als auch in Auffassung und Stellung der Eroten. Handelt
es sich, um nur weniges anzuführen, don um korinthische Säulen als Träger der
Decke, so hier um gedrehte Pfeiler, dort um sich versteckende Eroten, so hier um
die Träger einer schweren Guirlande. Letzterer Unterschied weist aber auf eine grund-
verschiedene Auffassung des Vorganges hin. Ich kann daher den Beweis dafür, dass
diese Zeichnung Vorstudie zum Fresko sei, nicht für erbracht ansehen; desgleichen
nicht, dass sie von Sodoma herrühre.*)
Da soll ferner die wundervolle mit hellem Silberstift auf gelblichem Papier ge-
zeichnete stehende weibliche Figur der Sammlung Eszterhazy in der Ungarischen
Nationalgalerie^ die Zeichnung zur Roxane sein. Diese wird hier zum ersten Male
nach einer Karl von Pulszkys Liebenswürdigkeit verdankten Photographie in genügen-
der, wenn auch nach Pulszkys Uneil nicht ganz den Zauber des Originals wieder-
gebender Weise veröffentlicht. Aber die Komposition Afe'tions verlangt notwendig
^) Über das Alexander- und Helena- Relief vergl. unten S. 190 A. 3.
*) Kunstkrit. Studien über ital. Malerei. (Die Galerien Borghese und Doria Pamfili in
Rom) Leipzig 1890 S. 195 ff. 297 ff. (Die Galerien zu München und Dresden) Leipzig 189 1
S. iioff. Vergl. die Werke ital. Meister, Leipzig 1880 S. 471 A. 2.
») Die graphischen Künste XVI (Wien 1893) S. 33 ff.
*) Ober Thausing s. unten S. 189 A. 2.
') Passavant, Raphael d'Urb. II p. 513 n. 560«. Robinson, the drawings of Michel
Angelo and Raffael in the University Galleries, Oxford 1870 p. 311 n. 177. Drawings and
studies by Raffaelle Sanzio in the University galleries, Oxford, etched and engraved by
Joseph Fisher, new edition, London 1879 p. 41 n. CCXXIX mit einer kleinen Abbildung,
Frizzoni a. a. O. tav. 9a mit einer Phototypie, welche von Graul a. a. O. S. 34 wiederholt ist.
^) Robinson fühlte sich sogar an Baccio Bandinelli erinnert.
^) Ruland, the works of Raphael p. 317 n. XXXI. Karl v. Pulszky, Raphael Santi in der
Ungarischen Reichs -Gallerie, Budapest 1882, Separatabdruck aus der »Ungarischen Revue«
S. 37ff. mit ungenügender Abbildung S.45.
VON RICHARD FÖRSTER
i89
eine sitzende Roxane. Auch ist das Gesicht ganz anders als im Fresko. Aber auch
mit der Rotstiftzeichnung der Albertina stimmen , wie ich ausdrücklich bemerke, Kopf,
Oberleib und Haltung des linken Ober-
armes nicht überein. Der Leib zeigt
Verschiedenheiten und das Gesicht ist
durchaus anders. Ich muss daher den
Zusammenhang dieser Zeichnung auch
mit der Rotstiftkomposition bestreiten.^)
Ich sehe in der Zeichnung eine Akt-
studie und zwar des Raffael, da ich
im Gesicht Ähnlichkeit mit der Forna-
rina finde.
Aber Morelli sieht auch in der
bisher dem Raffael zugeschriebenen
Rotstiftkomposition der Albertina
(= A), ebenso wie in der in den vor-
handenen Figuren übereinstimmenden
Florentiner Zeichnung (= F) nur eine
Vorarbeit Sodomas für sein Fresko
und hat damit erreicht, dass beide
Zeichnungen jetzt offiziell die Bezeich-
nung »Sodoma« führen. *'*)
Prüfen wir zunächst die Gründe,
welche ihn zu dieser Zuweisung geleitet
haben, indem wir uns auf seinen eige-
nen Standpunkt stellen.
1. »Die Hand hat bei Sod. fast
immer zugespitzte Finger.« Dies trifft,
wie mich eine genaue im vorigen Jahre
vorgenommene Untersuchung von A
gelehrt hat. durchaus nicht 'auf alle
Figuren zu, z.B. nicht auf Alexander,
Hephästion, den gefallenen Eros, auf
Hymenäus nur teilweis.
2. »Sehr oft sind die Wurzeln
der Finger an der Hand mit Grübchen
angedeutet.« Dies trifft auf keine Figur
von A.
3. »Das Auge ist mandelförmig.«
Dies trifft wieder nicht durchweg zu, z.B.
nicht auf Hephästion und die Eroten. Silberstiftzeichnung in def National- Galerie zu Pest.
#l^^'ii
>) Nachträglich sehe ich, dass auch Janitschek (Repert. f. Kunstw. VII, 230) so ge-
urteilt hat.
') Allerdings war bereits Thausing in einem für die Beilage der »Wiener Abendpost«
vom 6.— IG. Dezember 1878 geschriebenen Aufsatz über Sodoma, wiederholt in den Wiener
Kunstbriefen, Leipzig 1884 S. 261, mit dieser Ansicht hervorgetreten, jedoch ohne eingehende
Begründung.
25
igO DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
4. »Das Knie ist voll und stark.« Dies tritt in A wenigstens nicht auffallend
hervor.
5. »Das Haar *) der Frauen ist bei Sod. an den Schläfen sehr oft wellenförmig
gekräuselt«. Dies trifft zwar auf die Roxane des Fresko, aber nicht auf die von A.
An der Florentiner Federzeichnung der Uffizien*) No. 1479 ^^^ ^^^ Unterschrift
di rafel da urbin (= F), welche die sechs Figuren der linken Seite im grofsen
Ganzen mit A übereinstimmend giebt, trifft Punkt i nur teilweis (z. B. nicht durch-
weg auf die r. Hand der Roxane und die 1. Hand des Hymenäus), Punkt 2 bis 5 gar
nicht zu.
So kommen wir vom Standpunkt Morellis selbst zu einem für seine Meinung
nichts weniger als günstigen Ergebnis.
Wenn aber nicht die stilistischen Merkmale, was kann uns sonst veranlassen, in
A die Vorstudie für das Fresko zu sehen? Etwa Übereinstimmung in den Köpfen
oder im Gesichtsausdruck? Aber wie bei Roxane, so ist Kopfbildung und Ge-
sichtsausdruck bei allen anderen Figuren durchaus verschieden. Oder inhaltliche Über-
einstimmungen? Aber soweit diese vorhanden, sind sie, was Morelli und alle welche
ihm gefolgt sind, übersehen haben, vollständig durch die Figur für Figur beschreibende
Textvorlage gegeben.') Im übrigen sind nur Verschiedenheiten nicht blofs in An-
ordnung, sondern auch in Auffassung der Figuren. Die beiden Kompositionen S
(= Sodoma) und A sind aus verschiedenem Geiste, A aus dem archäologisch - artisti-
scher Treue, S aus dem erotischer Phantasie geboren.
Es ist aber auch unmöglich, A als Entwickelungsstufe von S gelten zu lassen.
Denn S hat mit Lucian, also mit der Vorlage, mehreres gemein, worin A abweicht,
und es ist ausgeschlossen , dies alles für nachträgliche Besserungen von S zu erklären.
So stützt sich Hephästion bei S wie bei Luc. auf Hymenäus, während er in A nur
mit dem 1. Unterarm über den des Hymenäus greift; bei S wie bei Luc. sind Hephästion
und Hymenäus nur Begleiter des Alexander, stehen daher folgerichtig bei S hinter
ihm, während sie in A ihm den Weg weisen, Hephästion voranleuchtend, Hymenäus
auf Roxane hinweisend, was bei S wie bei Luc. Sache des sie entschleiernden Eros
ist. Wenn Hymenäus bei S ein Jüngling wie Hephästion, in A nur ein halbwüchsiger
Bursche ist, so beruht dies auf verschiedener Auffassung des Wortes fjLsi^dxiov. Bei S
tragen den Schild nur zwei Eroten wie bei Luc. , in A dagegen vier. Bei S hat sich
der eine Eros, noch dazu ein schwarzer, in den Harnisch Alexanders verkrochen und
^) Dieses Kennzeichen setze ich nach »Galerien zu München und Dresden« S. 112 an
Steile des in »Galerien Borghese« S. 197 über die Landschaft Bemerkten, weil letztere hier
nicht in Betracht kommt.
*) Nicht genügend abgebildet in den »Galerien Borghese« S. 201 , Graphische Künste
XVI S. 35.
*} Ich verzichte daher auf ein von anderer Seite (vergl. Pulszky a. a. O. S. 43 ff.) gegen
Morelli geltend gemachtes Argument, dass die Komposition von A auf Benutzung des an-
tiken Paris- und Helena- Reliefs beruhe und dass eine solche Benutzung eines antiken Werkes
wie ftlr RafiTael durch viele Beispiele belegt, so ftlr Sod. unerhört sei. Ich habe bereits Far-
nesina- Stud. S. 142 A. 283 mich gegen die Annahme einer solchen Benutzung erklärt. Die
Ähnlichkeiten zwischen dem antiken (jetzt in England befindlichen) Relief und den Schöpfun-
gen des Raffael und Sodoma liegen im Gegenstande oder vielleicht auch darin, dass das
Gemälde des Aktion schon auf die Komposition des antiken Reliefs Einfluss erlangt hatte.
Vergl. L. V. Sybel, Weltgeschichte der Kunst S. 283. Hauser, neuattische Reliefs S. 156.
Wilh. Koch, Paris vor Helena in der antiken Kunst, Marburg 1889 S. 52 u. 70 f. Vergl. S. 198.
VON RICHARD FÖRSTER I9I
fährt, als die Schildträger an ihm vorbeikommen, heraus und erschreckt sie; in A ist
von dieser auch von Lucian bezeugten Absicht nichts zu merken, Eros scheint viel-
mehr hingefallen zu sein und sich unter der Last des Harnisch nicht mehr erheben
zu können. ^)
Dies genügt, um S und A auf verschiedene Urheber zurückzuführen. Es fragt
sich nur, mit welchem Recht A dem Raffael zugesprochen wird.
2 ZEICHNUNG RAFFAELS
Schon Vasari nennt in der zweiten Ausgabe seiner Vite von 1568 aufser So-
domas Fresko *) eine raffaelische Zeichnung der Hochzeit Alexanders. Denn es unter-
liegt keinem Zweifel, dass diese gemeint ist, wenn er sagt (t. IX p.275 Le Monnier),
dass Agostino Veneziano unter vielen Zeichnungen Raffaels stach: Alessatidro con
Rossana, a cui egli presenta una Corona reale, mentre alcuni Amori le volano intorno
e le acconciano il capo, ed altri si trastullano con Farmi di esso Alessandro,^) Der
Stich existiert, wenn auch die neuere Kritik nicht den Agostino Veneziano, sondern
den Jacopo Caraglio als seinen Urheber festgestellt hat % und zeigt in solchem Mafse
inhaltliche Übereinstimmung mit A, dass wenigstens das geistige Eigentum Raffaels
an A gesichert ist — wenn Vasari mit Recht die Vorlage des Stiches auf diesen zurück-
führt. Dies aber bestreitet Morelli mit der entschiedenen Erklärung, »Vasaris unbe-
dachtsam hingeworfenes Wort habe hingereicht, den groben Irrtum herbeizuführen«
A wie F dem Raffael zuzuschreiben (Gall. Borghese S. 297).*) Aber hier rächt sich
die Missachtung kunsthistorischer Thatsachen. Der geistige Anspruch Raffaels an A und
F wird durch andere Instanzen als Vasari sichergestellt.
Diese bestehen erstens in zwei von Vasari durchaus unabhängigen Zeugnissen,
und wenn auch die Beweiskraft des zweiten, weil vielleicht vom ersten abhängigen, gering
anzuschlagen sein sollte , so ist die des ersteren um so gröfser. Denn dieses Zeugnis
ist nicht nur 11 Jahre vor dem des Vasari an die Öffentlichkeit getreten, sondern es
rührt auch von einem Manne her, welcher es wohl wissen konnte, und ist einem
Manne in den Mund gelegt, welcher sowohl Raffael wie Sodoma nahe gestanden und
im Hause des Agostino Chigi verkehrt hatte. Es findet sich im Munde des Pietro Aretino
im gleichnamigen Dialogo della pittura des Ludovico Dolce, dessen Vorwort vom
12. August 1557 datiert; das zweite in Lomazzos trattato deir arte della pittura,
scultura lib.VI c.32, welcher zuerst 1584 erschien. Um zu zeigen, wie letzteres von
ersierem vielleicht abhängig, sicher aber oberflächlich sei, setze ich beide Stellen
neben einander :•)
^) So hat auch Dolce die Sache aufgefasst. S. 192.
•) t.XII p. 162.
') Die Stelle des Fabio Chigi in der vita seines Ahnherrn, des Agostino Chigi (Cugnoni,
Agostino Chigi, Roma 1878 p. 32,2) Cubiculi historias Alexandri Macedonis, quod in aula
ingredientibus recta occurrit , fecit simililer lo: Antonius Sodoma, in quibus et Raphaelem
superasse dictus est wird man nicht für seine Kenntnis der raffaelischen Komposition
verwerten dürfen. Vergl. Farnesina- Studd. S. ii6ff.
*) S. unten S. 199 ff.
^) Dass • Sodoma sein Fresko nach den Vorlagen Raffaels ausgeführt habe« (Morelli
a.a.O.), wird von mir in Abrede gestellt^ wenn ich auch annehme, dass Raffaels Zeichnung
eher entstanden ist. (Farnesina -Studien S. 107).
*) Besondere Übereinstimmungen sind durch gesperrten Druck hervorgehoben.
25*
192
DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
Dolce p.46 ed. Ven. 1557.
Aretino: Consideriamo uti poco Raf-
faello nelle profane (störte): per che, oue in
queste lo ritroveremo accuratissimo ed
honestissimo , comprenderemo , quanto piu
egli sia stato in quelle altre (sc. sacre),
Fabrino: lo u' ascolto.
Aretino: Nonso, se habbiate veduto
appresso il nostro Dolce la carta della
Rosana di mano di Rafaello; che fu gia
stampata in rame.
Fabrini: Non mi ricorda.
Aretino: Questa e una carta, nella
quäle rappresentö Raffaello in disegno di
acquarella, tocco ne' chiari con biacca, la
incoronatione di Rosana: laquale essendo
bellissima femina , fu atnata grandemente
da Alessandro Magno. E adunque in
questa carta disegnato il detto Alessandro,
il quäle stando innan:{i a Rosana, le porge
la Corona: ed ella siede accanto un letto
con attitudine timida e riverente, ^ e tutta
ignuda, fuor che, per cagione d,i
serbar la honesta un morbidetto
panniccino le nasconde leparti, che
debbono tenersi nascose. Ne si puo
imaginär ne la piu dolce aria , ne il piu
delicato corpo , con una piene^^a di came
convenevole; e con istatura, che non eccede
in lunghe\\a, ma e suelta convenevolmente.
Euui un fanciullo ignudo con Fall, che le
scalcia ipiedi; Sf un' altro dal disopra, che
le ordina i capegli. V e anco alquanto piu
lontano un giovanetto pur nudo, raffigu-
rato per Himeneo, Dio delle noi:[e^,
che ditnostra col dito ad Alessandro la me-
desima Rosana: come invitandolo al tra-
stullo di Vener e, di Giunone, ^ uri
huomo, che porta la face. Euui piu oltre
un groppo di fanciulli: de' quali alcuni ne
portano uno sopra lo scudo di Alessandro,
dimostrando fatica e vivacitä conveniente
a glianni, ^ un* altro porta la sua lancia.
Ce n' e uno, che essendosi vestito la
sua coraj[j[a, non potendo reggere
il peso, e caduto in terra e par che
piagna. E sono tutti di aria, e di attitudini
Lomazzo.
Questo arricchimento di amori e di
lascivia lo fece ancora V antico Parrasio,
e dopo lui il prudente Raffaello soleva assai
usarlo, seguendo Vandare degli antichi,
come ho detto di sopra. E perb nella sua
istoria amorosa, dove finge Alessandro
Magno entrar nella camera di Rossane
assisa ignuda sopra il letto, ma mo-
destamente coperte le parti vergo-
gnose da un sottile pannicello, vi
finse una turba di questi amori per orna-
mento, volendo esprimere che tutto il luogo
era se non amore, e di loro parte nefece
al giovane, e parte ne distribui per camera,
de' quali alcuno portava lo scudo di Ales-
sandro, un altro si poneva la celata in
testa, ed un altro avendosi vestito la
cora^}[a, eraper il soverchio peso
disteso per terra; appresso vi pose
Imeneo Dio delle no^e con lafacella
accesa in mano, e simili altri ornamenti.
Questo gran pittore non altrimenti
che poeta componeva tutte le sue
istorie amorose, alV esempio delle quali
ciascuno si deve attenere.
VON RICHARD FÖRSTER I93
diverse, e bellissimL In questo componi-
mento Rafaello ha servito alla historia,
alla convenevole\ia ^ alV honesto. Et
oltre a cio s' e imaginato di suo,
come Poeta mutolo, la inventione
d* Himeneo, ^ de' fanciulli.
Fabrini: Questa inventione parmi haver letta in Luciano.
Aretino: Sia, come si voglia: ella e espressa cosi bene, che potrebbe venire
in dubbio, se Rafaello V havesse tolta da libri di Luciano, Luciano dalle Pitture
di Raffaello; se non fosse, che Luciano nacque piu secoli avanti.
Die Beschreibung Dolces deckt sich, gleich zu erörternde Abweichungen abge-
rechnet, inhaltlich mit A. Lucian, obwohl genannt, ist als Vorlage für die Schilderung
Dolces ausgeschlossen. Es ist kaum nötig, besonders darauf hinzuweisen, dass Dolce
den Namen des Hephästion, welchen Lucian nennt, nicht als den des Fackelträgers
kennt (un huomo, che porta la face). Vielmehr hielt er sich an die in seinem Besitz
befindliche Zeichnung.
Um nun dem Einwände zu begegnen, dass er selbst sich in einer Täuschung
über den Meister seiner Zeichnung befunden habe, ist zu fragen, ob wir seine Zeichnung
noch besitzen und was diese uns über ihren Urheber aussagt.
A und F sind schon durch die Technik, letztere überdies durch ihre Unvoll-
ständigkeit, ausgeschlossen. Es muss eine mit Bleiweifs gehöhte Tuschzeichnung sein
[disegno di acquarella, tocco ne' chiari con biaccä). Aus der Zahl dieser, welche
Ruland the works of Raphael p. 287 verzeichnet hat, kommen vier in Frage:
1. Die mitWeifs gehöhte Bisterzeichnung, welche sich einst in der Sammlung von
E. K night befand*) und von Conrad Martin Metz in einem Faksimilestich (Imitations
of ancient and modern drawings, London 1798 t. 45) reproduziert worden ift. Aber
auch sie wird ausgeschlossen durch die der Beschreibung Dolces nicht entsprechende
Bekleidung der Roxane, dadurch, dass Hymenäus nicht mit dem Finger auf Roxane
weist, sondern dicht neben ihr steht und nur auf Alexander blickt, durch den Köcher
(nicht Lanze), welchen die zwei Eroten an der linken Ecke tragen, endlich dadurch,
dass der Eros im Harnisch durchaus nicht zu Boden gefallen ist und nicht weint,
sondern sich in den Harnisch versteckt hat und lächelnd auf den Augenblick wartet,
wo er die herannahende Schildgruppe erschrecken kann.
2. Die mit Feder gezeichnete braun schattierte und mit Weifs gehöhte Zeichnung
des Louvre*). Auch sie wird durch eine ihr eigene Zuthat, den mit dem Schwerte
Alexanders über ihm und Hephästion fliegenden Eros, ausgeschlossen.
3. Die mit Weifs gehöhte Bisterzeichnung, welche sich in der Sammlung Sajn.
Woodburns befand und bei deren Versteigerung (1861) (einer freundlichen Mit-
teilung Rulands zufolge) von Mr. Tiffin gekauft, Jetzt verschollen ist. Die Tradition
*) Sie ist Jetzt verschollen. Sidney Colvin verdanke ich die Mitteilung, dass sie sich
nicht im British Museum befindet.
') Sie wurde für die des Dolce erklärt in einer Anmerkung der Florentiner Ausgabe
des Aretino von 1735 p. 248, welche (nach einer Bemerkung Bottaris Lettere pittoriche II,
p. 200) von Nicolas Vleughels, dem Antwerpener Maler und Direktor der französischen
Akademie in Rom herrührt, im Cabinet CrozatI, p. 15 (Paris 1763), von Mariette, Abecedario
in den Archives de l'art fran9ais t. II, p. 89 und Morelli (Gallerie Borghese S. 297).
194 ^lE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
des Kunsthandels nahm sie für die des Dolce in Anfpruch, ja glaubte sie über diesen
hinaus in die nächste Umgebung Raffaels verfolgen zu können. In dem Katalog
nämlich: The Lawrence Gallery. Ninth Exhibiiion June 1836. Catalogue of one
hundred original drawings by RafFaelle coUected by Sir Thomas Lawrence, welcher
die Zeichnung unter Nr. 63 beschreibt,*) ist Dolce und vor ihm Timoteo della Vite als
Besitzer genannt. Aber da irrtümlich Crozai als späterer Besitzer angegeben ist, wird
auch der Besitztitel von Dolce und Timoteo zweifelhaft. Crozat war nämlich Besitzer
der Louvre- wie der Albertina -Zeichnung (Cabinet Crozat I, t. XXXVI und XXXVII).')
Sicher läfst sich nur nachweisen, dass sie die Sammlungen des Marquis de Lagoy
in Saint Remy, Dimsdale, Lawrence, Sam. Woodburn,'*) des Prinzen von Oranien,
nachmals König Wilhelms II von Holland, dessen Sammlung im August des Jahres 1850
im Haag versteigert wurde,*) und abermals die von Woodburn durchlief. Wenn sie
ferner nicht blofs von dem letzteren, sondern auch von Waagen das Lob »seltenster
Schönheit und Feinheit« erhielt, so steht dem, wie mir ebenfalls Ruland mitteilt, das
Urteil von Weber (aus Bonn) gegenüber, welcher der Auktion von 1850 beiwohnte
und im Katalog an den Rand schrieb: »Elend«. Aber was uns beim Mangel an
Autopsie — auch Ruland hat sie nie zu Gesicht bekommen — nötigen muss von ihr
als der Zeichnung Dolces abzusehen, ist die Bemerkung in der Beschreibung (S. A. i)
*) The marriagc of Alexander and Queen Roxana. — This most süperb and splendid
drawing is the original, which is copied in the Cabinet du Roi. — It is perfectly in the style
of the antique, and is executed with bistre, heightened with white; carefully finished, and one
of the finest and most imporlant drawings in existence by this illustrious Master, described
by L. Dolce and then in the possession of Count Malvasia. — Sije 13' I2 inches by g'/a inches,
Front the Collections of T. della Vite, M, Crozat, the Marquis Legoy and T. Dimsdale Esq.
Im wesentlichen übereinstimmend in S. Woodburns Auktionskatalog vom 4- Juni 1860
unter N. 892.
*) Die Louvre -Zeichnung soll aus der Sammlung Malvasia durch die Erben von
Boschi (?) an Crozat gekommen sein. Nach dessen Tode (1740) durchlief sie, ehe sie in den
Louvre kam, die Sammlungen von Mariette (bis 1747), Conti (bis 1777), Boileau (bis 1782},
Lebrun (bis 1791), Vanloo und Jabach. Vergl. Blanc, le tresor de la curiosiie I, p. 23, 282, 386;
II, p. 55, 138. Archives de l'art francais t. II, p. 90. Passavant, Raphael III, 230. Die Albertina-
Zeichnung soll, ehe sie an Crozat kam, durch den nachmaligen Kardinal Gui. Bentivoglio,
welcher 1617 als Nuntius nach Paris kam, dem Kupferstecher Claude Mellan geschenkt,
nach dessen Tode (1688} Friquet de Vaurose, zuletzt Boulle gehört haben. Nach Crozats
Tode befand sie sich, ehe sie in die Albertina kam, in den Sammlungen Mariette (bis 1747)
und Julien. Vergl. Cabinet Crozat I, p. 15. Mariette, Abecedario (Archives de Tart fran9ais
t. II, p. 90). Blanc, le tresor 1. 1. — Auch wenn Vleughels in der oben erwähnten Anmerkung
der Florentiner Ausgabe des Aretino die Zeichnung Dolces einst im Besitz des Rubens sein
liefs, so ist dies höchst wahrscheinlich ebenfalls eine Verwechslung mit der Louvre-Zeichnung.
Denn er sagt selbst, dass sie sich mit der Rötelzeichnung zusammen befand, und zwar in
Paris: Ho avuto in mano il disegno del quäle s{ parla qut, stä in Parigi: anp due ve ne
sono: uno a matita, le cui figure sono nude affatto: Valtro in acquarella, del quäle si tratta
qui: ma la Rosana siede sopra un letto. Questi due disegni da qualche tempo in qua sono stati
intagliati, sono di RafaellOy sono bellissimi, e appartennero a Rubens. Dies trifft auf die bis
zum Jahre 1741 mit jener zusammen in der Sammlung Crozat befindliche Louvre-Zeichnung.
Wie Carlo Teoli in dem Neudruck des Aretino, Bibliot. rara vol. X, Milano 1863 p. XIV
dazu kommt, Vleughels für den cugino von Rubens zu erklären, ist mir unerfindlich.
*) Bei diesem sah sie Waagen (Kunstw. in England I, 443) im Jahre 1835, der sie »von
seltenster Schönheit und Feinheit« nennt.
*) Vergl. Passavant Raphael III, 310 n. 58.
VON RICHARD FÖRSTER
'95
dass sie das Original sei »which is copied in the Cabinet du Roi«, d. h. dass sie
mit dem Stich des Cabinet Crozat 1. 1, 36 stimme. Wofern dies richtig ist, teilt sie die
S. 193 (vergl. S. 202) bezeichnete Eigentümlichkeit der Louvre- Zeichnung.
So bleibt nur
4. Die mit Weifs gehöhte Bisterzeichnung der königlichen Sammlung zu
Windsor - Castle (= W). Während ich in den Farnesina -Studd. S. 141 infolge
mangelnder Autopsie die Entscheidung zwischen ihr und der Louvre -Zeichnung offen
lassen musste, habe ich, nachdem ich im Jahre 1880 beide Zeichnungen untersucht
habe, keinen Zweifel mehr, dass dies die Zeichnung Dolces ist. Denn zunächst trifft
seine Beschreibung der Handlung ganz auf sie, nur dass er den Eros, welcher hier,
wie in allen anderen Zeichnungen und Nachbildungen, den Alexander zieht, ausge-
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Raffael.
Die Hochzeit des Alexander und der Roxane.
Gehöhte Bisterzeichnung zu Windsor Castle.
lassen hat. Aber auch was er über den Ausdruck der Roxane und der Eroten, sowie
über den Körper der ersteren sagt, lässt sich an der Zeichnung wahrnehmen, obwohl
sie sehr gelitten hat und daher auch in unserer Reproduktion nur sehr mangelhaft
zur Geltung kommt. Und gerade dies beides, aber auch der Ausdruck des Hephästion
und des Hymenäus, des den Alexander ziehenden Eros, die — gerade von Dolce
hervorgehobene — Keuschheit und Würde der Auffassung, nicht minder endlich die
Schönheit der Zeichnung*) selbst, lassen mir keinen Zweifel, dass die Zeichnung
*) Wie Morelli a. a. S. 301 diese Zeichnung für viel geringer erklären konnte als die
des Louvre, ist mir unverständlich.
196 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
von Raffael selbst herrührt. Endlich aber passt auch allein auf diese Zeichnung
die Bemerkung von Dolce, dass sie im Stich vervielfältigt sei. Der Stich des Caraglio
stimmt ebenso mit ihr überein, wie er von allen anderen Repliken in Einzelheiten ab-
weicht. Zu um so gröfserem Danke fühle ich mich Ihrer Majestät der Königin Viktoria
von England verpflichtet, welche die Gnade gehabt hat/) die Zeichnung für mich photo-
graphieren') zu lassen und mir die Veröffentlichung der Photographie zu gestatten.
Über ihre Vorgeschichte bin ich nur auf die Mitteilung von Ruland angewiesen,
dass »sie sich, als er sie 1859 zuerst sah, in einem der alten Bände aus der Zeit
Georgs IV befand, deren Beftände zum grofsen Teil vom Cardinal Albani herftammten«.
Die Windsor- Zeichnung hat, wie sie ja vollendete Ausführung
zeigt, mit drei sofort zu besprechenden Ausnahmen allen Nachbildungen
als Grundlage gedient. Diese Ausnahmen aber müssen wir zuvor ins Auge
fassen , weil sie eine Vorstufe zu jener repräsentieren.
5. Die erste ist die bisher unbeachtet gebliebene Federzeichnung der Teyl ersehen
Sammlung im Museum von Haarlem (= H), welche nach einer mir gütigst vom
Konservator der Sammlung, Herrn H. J. Schölten, gesandten Photographie hier zum
ersten Male veröffendicht wird. Sie befand sich, wie ich den Mitteilungen desselben
Herrn entnehme, einst in der Sammlung der Königin Christine von Schweden,
später in der des Herzogs von Bracciano und wurde aus dieser im Dezember 1790
von dem Kunstliebhaber W. A. Leshevenon für die Teylersche Stiftung erworben.
Ich selbst habe die Zeichnung nicht gesehen und wage nicht zu beurteilen, ob
diejenigen Recht haben, welche, wie mir Herr Schölten ebenfalls mitteilt, sie nicht
für ein Original, sondern für eine alte Kopie halten. Aber auch im letzteren Falle ist
sie von grofser Wichtigkeit. Denn auch so giebt sie uns einen Entwurf zu W, welcher
sich in vieler Beziehung noch genauer an die lucianeische Vorlage anschliefst.
Zunächst ist die Übereinstimmung nicht blofs in Anordnung, sondern auch in
Bildung von Figuren und Gegenständen, wie dem Bett mit den gedrehten Füfsen,
der Verzierung der Fufsbank, dem Pfeil in der Hand des auf dem Schilde getragenen
Eros, bis in Details der Linienführung hinein so grofs, dass die Zusammengehörigkeit
von H und W ohne weiteres in die Augen springt. Andererseits aber zeigen die
Abweichungen in H so primären und dabei mit der Gesamtkomposition so überein-
stimmenden, einheitlichen Charakter, dass es unmöglich ist, H, etwa wie die Knightsche
Zeichnung (s. S. 193), für eine selbständige, nur auf der Basis von W ausgeführte Illustra-
tion der lucianeischen Vorlage zu erklären. H zeigt aber noch gröfseren Anschluss an
den Text. So ist zunächst durch das bogenförmige Architektursiück in der rechten
Ecke des Hintergrundes eine Andeutung des ^(x}.cc|xoQ gegeben; in der Bewegung des
Eros, welcher den Alexander zieht, ist der Charakter des irduv ßtalwQ intTKw^xsvoQ
noch kräftiger zum Ausdruck gebracht; Hephästion gleicht, indem er seinen linken
Arm auf die Schulter des Hymenäus legt, noch mehr einem l'!rs^stho}xsvog\ es tragen
noch, wie bei Lucian, zwei, nicht, wie in W, vier Eroten den Schild und sie bewegen
sich auf den im Harnisch Liegenden zu. Bei der für die Reproduktion bestimmten
Ausführung (W) glaubte Raffael augenscheinlich nicht nur die rechte Seite durch Ver-
^) Gern spreche ich bei dieser Gelegenheit auch den Herren Richard R. Holmes und
Sidney Colvin meinen Dank für ihre liebenswürdige Vermittlung aus.
*) Schon im Jahre 1857 war eine photographische Aufnahme der Zeichnung auf Befehl
des Prinzgemahls durch C. Thurston Thompson gemacht worden, aber nicht in den Handel
gekommen.
VON mcMAUÜ FÖRSTER
*97
mehrung der schildtragenden Eroten verstürken zu müssen, sondern auch die Hand-
lung der Mille, insbesondere auch die Figuren des führenden und des sundalen-
lösendcn Eros wirkungsvoller zu gesialien, wenn er den Eros im Harnisch mit auf
die rechte Seile verlegte. Desgleichen beseitigte er den ParaUelismus der Linien in
dem ausgestreckten rechten Arm Alexanders und dem auf die Schulter des Hymenäus
gelegten linken Arm des Hephästion, indem er den letzteren mehr senkte. Sodann
r^^^^'',.''*'?'
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Kqpi^ nach RülljeK
Federiuichtiung im Teykr Museum zu Haärlem.
liefs er den etwas gezwungen vor die Brust gehaltenen linken Arm Alexanders frei an
der Seite herabfallen und nach dem Mantel greifen. Endlich mafsigte er dadurch, dass
er das Lager etwas niedriger machte, die Senkung des linken Oberschenkels der Roxane.
Einen weiteren Blick in die umformende Thätigkeit Ratfaels, durch welche H
zu W wurde, gewähren uns die zwei bereits oben (S. 189 ff.) behandehen Zeichnungen
von Florenz (F) und der Albertina (A), welche die Figuren nuckl zeigen. Der Einblick
ist freilich nicht so sicher und klar, wie wir wtlnschen möchten, weil uns in F und A
nicht die Zeichnungen von Raffaels Hand, auch nicht treue Kopien, sondern etwas
freie Behandlungen seiner Zeichnungen vorhegen.
6. F ist viel zu schlecht und namentlich in der Koniurierung viel zu grobj als
dass sie dem Raffael selbst zugeschrieben werden könnte,*) aber sie giebt uns doch
eine in den Hauptsachen genügende Vorstellung von der Zeichnung, in welcher Rarfael
\;i Dies ist auch das Ergebnis, 2ü welchem Schmarsow durch eine auf meine Bitte
vorgenommene Untersuchung des Originals gelangt ist.
26
198 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
die rechte Seite der Komposition (ohne Alexander) vom Entwurf H zu W übergeleitet
hat. Sie stimmt im wesentlichen mit W überein und zwar in manchem Inhaltlichen
und Stilistischen mehr als A. So besonders in der Stellung, der Richtung des Blickes,
dem Bart und Gesichtsausdruck des Hephästion , in der Bildung und geringeren Höhe
des Lagers. Anderes wird auf Ungenauigkeit des Zeichners, der vielleicht aus dem
Gedächtnis arbeitete, zurückzuführen sein. So an Roxane der Augenaufschlag und
der mehr vorwärts gestreckte Unterschenkel, an dem sandalenlösenden Eros der
weniger nach oben als geradeaus gerichtete Kopf.
7. A hat ein doppeltes Interesse. Einmal zeigt sie uns auch die rechte Seite der
Komposition bereits im wesentlichen so wie W; sodann aber führt sie wieder hand-
greiflich vor Augen, welchen Wert RafFael auch bei den Figuren, welche bekleidet
werden sollten, auf die Bildung des Körperlichen gelegt und wie er sich für diesen
Zweck die erhaltenen Werke der antiken Plastik zu nutze gemacht hat.*) Zwar habe
ich oben (S. 190 A. 3), wie bereits früher,^) die Annahme abgewiesen, dass er ein zu
seiner Zeit bekanntes antikes Relief) mit Alexandros und Helena benutzt habe, denn es
zeigt keine wirklich bedeutungsvolle Übereinstimmung mit seiner Komposition, aber es
unterliegt mir keinem Zweifel, dass ihm beim Alexander der Apoll vom Belvedere*)
vorgeschwebt hat. Jedoch auch das steht mir fest, dass die Zeichnung nicht von
RafFaels Hand herrührt und dass der Zeichner seine Vorlage nicht blofs in stilistischer,
sondern auch in inhaltlicher Beziehung etwas geändert hat. Sie verhält sich zum ver-
lorenen Original ähnlich wie die Louvre-Zeichnung zu W. Der Gesichtsausdruck ist
durchweg etwas veräufserlicht und versüfslicht. Besonders gilt dies von Alexander,
von Hephästion, der hier bartlos und, wie Alexander, kurzhaarig erscheint, von
Hymenäus und den Eroten mit ihren dicknäsigen, teilweis gedunsenen, teil weis
schläfrigen Gesichtern. An Hephästion ist aufser der Richtung des Blickes sogar die
Stellung der Beine verändert und dabei das rechte aus der geraden Linie gekommen.
Auch sein rechter Arm, welcher die nur angedeutete Fackel hält, ist schlecht gezeichnet.
Während die Krone in der rechten Hand Alexanders fehlt, ist der Helm in der Linken,
(wenigstens scheint es mir ein solcher zu sein, obwohl man darüber streiten könnte),
dem Anschein nach erst nachträglich hineingezeichnet. Die Hand selbst berührt ihn
nicht. Auch die xxIi/yi ist stark verändert: vergröfsert und erhöht, gleicht sie mehr
einer mit Kissen belegten Kiste. Wer der Zeichner ist, wage ich nicht zu entscheiden.
Diese Vorarbeiten traten natürlich bald vor der vom Meister selbst herrührenden
Ausführung (W) zurück. Diese aber wurde so vielfach kopiert, reproduziert und
variien, und zwar gerade von Schülern und Anhängern Raffaels, dass darin ein neuer
starker Beweis für diesen und gegen Sodoma als Urheber der Komposition zu sehen
ist. Denn so wenig Wunderbares zahlreiche Nachbildung eines Raffaelischen Werkes
hat, so auffallend wäre sie bei einem Werke des Sodoma und nun gar durch Schüler
des RafFael, wie Perin del Vaga.
^) Vergl. Dolce, L'Arelino (Bibl. rara vol. X, Milanoi863 p. 56) Aretino: confesserete
adunque che i nudi di Raffaello hanno ogni bella e perfetta parte, perche egli di rado fece
cosa, nella quäle non imitässe il vivo fantico.
^) Farnesina- Studien S. 142.
8) Vergl. Corp. Inscr. Lat. X, 1555.
*) Weshalb ich nicht glauben kann, dass dieser auch dem Sodoma zum Vorbild für
Alexander gedient habe, ist in den Farilesina- Studien S. 109 gesagt. Dasselbe gilt vom
Hymenäus des Sodoma.
VON RICHARD FÖRSTER I99
8. Indem wir uns nunmehr zu einer kurzen Durchmusterung der Nachbildungen
wenden, beginnen wir mit der treuesten, d. i. dem mehrmals erwähnten Stich des
Jacopo Caraglio^) (Oeuvre de Raphael, Bartsch fecit 1786 vol. II, t. 6). Er giebtW,
allerdings nach der Gegenseite, wie in allen Einzelheiten, z.B. der Bekrfinzung des
Hymenäus und des ziehenden Eros, vollständig treu wieder. Nur der Ausdruck ist
vergröbert.
Wenn Mariette") gröfsere Treue des Gesichtsausdruckes an einem anderen Stiche,
welchen er dem älteren Beatrizet zuweist, finden will, so hat er sich einer Täuschung
hingegeben. Es handelt sich bei letzterem um den Stich mit der Unterschrift der
Verse (Bartsch, Supplement de Foeuvre de Raphael 73):
Ecco Rossane bella, ecco laltero
AlessandrOy chi suoi studi comparte
Non men soggetto a lamoroso Impero,
Chat superbo, crudele, horrido Marie
GH amoriy seguendo il doppio suo pensero
Scher^an con lärme del gran duca parte,
Parte a Rossane^ intenti, il duro cuore
Lempion di Fiamme, e di soaue ardore
und dieser ist, wie mich die im vorigen Jahre auf der Wiener Hofbibliothek vor-
genommene Vergleichung beider Stiche gelehrt hat, nur auf Grund jenes gemacht. •)
Dass er die Richtung der Figuren, welche W aufweist, wiedergiebt, ist nicht bewei-
send. Aber der Ausdruck der Köpfe ist im Stich des Caraglio lebendiger und kräf-
tiger, in dem Nachstich nicht, wie Mariette urteilte, beaucoup plus gracieux, sondern
süfslicher und weichlicher; der weinerliche Ausdruck des Eros im Harnisch ist ge-
schwunden. Es hat also nur aufser der Hinzufügung der Verse eine vermeintlich ver-
feinernde Retouchierung der Platte des Stiches des Caraglio stattgefunden.
9. Letzterer Stich diente auch, wie Gruppierung und Gesichtsausdruck beweist,
als Vorlage für mehrere Majoliken: zunächst für dievonDeruta mit der Signatur:
deruta fe el frati peinse, welche aus den Sammlungen Delsette und Barker zu Lon-
don in die von Dutuit zu Rom übergegangen und in dem Prachtwerke von Darcel
et Delange, Recueil de faiences italiennes pl.45 abgebildet ist.^) Da die Rundung der
Schale eine Abkürzung der KdVnposition nötig machte, so wurden die zwei Lanzen-
träger und der Eros im Harnisch weggelassen und Lanze und Harnisch in die Mitte
des Vordergrundes gelegt, wie ein zweiter Helm zu Füfsen Alexanders.
10. Stärkere Veränderungen, besonders durch Erweiterung, hatte der Stich in der
Majolika erfahren, welche von Francesco Xanto, der sich mit Vorliebe Stiche von
raffaelischen Kompositionen als Vorlagen aussuchte, 1533 in Urbino gefertigt wurde.
Ein Exemplar derselben (signiert M.D.XY.Y///. 4-' Frä:Xäto, Ä.daRouigo, i Urbino)
befindet sich (aus der Sammlung Bernal) im South Kensington Museum 1748. 55 und
^) Vermutlich war Raffaels Zeichnung fQr den Stich bestimmt. Dies darf man bei ihrer
Würdigung, besonders beim Vergleich mit dem Fresko des Soddoma, nicht vergessen.
*) Abecedario 1. 1. p. 89.
•} Ähnlich urteilt Bartsch, Peintre graveur XV p. 95 n.62.
^) Darcel in dem Aper9u historique ebenda p. 12 setzt die auch von Frati, Di una
insigne Raccolta di Maioliche p. 46 n. 240 erwähnte Majolika um 1 540. Die datierten Werke
des »El Frate« sind von 1541 — 1545. Vergl. Fortnum, Descr. catal. p 427 und 431.
26*
200 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
ist im Descriptive catalogue of the Maiolica in the South Kensington Museum by
Fortnum, London 1873 zwischen S. 396 und 397, wenn auch in sehr verkleinertem
Mafsstabe, abgebildet. Die Schale trögt oben ziemlich in der Mitte das Wappen der
Gonzaga-Este. Der Vorgang ist in ein Gemach mit Ausblick auf eine Landschaft
mit zwei Ruinen verlegt. Die Gruppe der lanzen- und schildtragenden Eroten ist ein
klein wenig nach links von Alexander, der Eros im Harnisch weiter vom, rechts
von diesem gelegt; in der Rechten hält dieser einen Pfeil, links von ihm liegt ein Schild,
rechts ein Helm; vor ihm sitzt ein Hund. Hinter diesem Eros läuft noch ein ge-
flügelter Genosse, welcher sich mit beiden Händen den Kopf hält. Sowohl rechts von
Roxane als links von dem ihr Haar ordnenden Eros kommt ein bärtiger Kopf, letz-
terer mit einem Turban bedeckt, zum Vorschein. Beide blicken auf Roxane. Soweit
geht die Darstellung des inneren Runds. In dem äufseren durch Stufen bezeichneten
Rund steht hinter dem zuletzt erwähnten Alten ein bärtiger Turbanträger, der eine
Standarte mit Waffen und Emblemen hält; hinter ihm läuft ein Unbärtiger weg: vor
ihm liegt ein Krug. Auf der anderen Seite sitzt ein Unbärtiger, der einen Schild hält,
auf welchem die Buchstaben .X-H-A*, die Sigle Xantos, stehen. Neben ihm liegt
ein Speer und ein kurzes krummes Schwert Hinter ihm kommen zwei Bewaffnete:
herangestürmt, der vordere behelmt mit gezücktem Schwert , der zweite mit Lanze.
Fast scheint es, dass die letzteren Figuren im Zusammenhange mit der Umdeu-
tung stehen, welche die Komposition durch Xanto in einer bei ihm nicht eben auf-
fallenden Weise erfahren hat. Wie nämlich die Aufschrift auf der Rückseite der
Schüssel:
Hör uedi la magnanima Reina
Ch una treccia riuolta, e, laltra sparsa
Corse alla, Babilonica ruina.
Nel.L libro di Trogo Pompeio.
lehrt, ist aus Roxane eine Semiramis geworden.^) Diese liefs sich einerseits als Ge-
liebte des Königs Ninus von diesem fUr einen Tag das königliche Diadem reichen,'}
andererseits stürmte sie, als sie mit der Schmückung ihres Haares beschäftigt war und
die Kunde vom Abfall Babylons erhielt, wie sie war, das Haar nur zur Hälfte ge-
ordnet zur Niederwerfung des Aufstandes; auf letzteres beziehen sich jene drei dem
Petrarca (Triompho di Fama cap. II v. 103 — 105) entnooimenen Verse, welche übrigens
nicht auf Justin/) sondern auf Valerius Maximus IX, 3, 4 ext. zurückgehen.
11. Eine nähere Erörterung der Details muss ich mir hier versagen, aber eine
Bestätigung dieser Ansicht ist in einer zweiten Majolika von Urbino zu sehen, welche
sich im Museum zu Braunschweig No. 1086 befindet und von der ich eine photo-
graphische Aufnahme Herrn Museumsinspektor P. J. Meier, genauere Mitteilungen Herrn
*) Wunderbares Zusammentreffen, da Aetion auch eine Semiramis ex ancilla regnum
apiscens wohl als Gegenstück zur Roxane (nova nupta verecundia notabilis Plin. 35, 78) ge-
malt hatte.
*) Vergl. Plutarch. Amat. 9 p. 753 E. Diod. Sic. II, 20. Aelian var. bist. VII, i.
•) Der Irrtum geht wohl auf den Erklärer der Stelle, Alessandro Vellutello, zurück,
welcher zu der Stelle des Petrarca bemerkt: Per questa magnanima Reina il Poeta intende
di Semiramis, Reina di Babilonia, la quäl secondo Giustino nel primo lib, de bell, ext, oltre
ad infiniti altri suoi magnanimi e famosi gesti, un giomo curando le treccie, e non havendo
che solamente una parte di quelle avolta, le fu re/erto, Babilonia essersi da lei ribellata etc.
(ed. Vinegia 1547).
VON RICHARD FÖRSTER 201
Dr. Christian Scherer verdanke. Der Durchmesser des Tellers beträgt 26 cm. Auch
hier ist der Vorgang in ein Zimmer (mit zwei Thüren) verlegt; hinter dem Bett, auf
welchem Roxane sitzt, ist ein zeltartiger Himmel angebracht. Die Darstellung ist auf
sechs Figuren eingeschränkt: Alexander, den ihn ziehenden Eros, Hephfistion und
Hymenäus einerseits, Roxane und den ihr Haar ordnenden Eros andererseits. Von
der ungleich gröberen Zeichnung abgesehen, stimmen diese sechs Figuren mit denen
der Majolika des Xanto überein. Der Teller stammt, wie mir Herr Dr. Scherer mit-
teilt, wahrscheinlich von einem Schüler des Xanto und trägt auf der Rückseite aufser
der Jahreszahl 1539 die Inschrift: Semiramis regina de Babilonia, (Vergl. S. 206 ff.)
12. Auf W geht ferner zurück das Fresko von der Decke der sogenannten
Villa Raff a eis (heut in Villa Borghese, Venturi, il museo e la galleria Borghese n. 303),
welches mit seinem ebenfalls aus Lucian entlehnten Gegenstück, den Bersaglieri, das
Hauptbild, die sogenannte Hochzeit des Vertumnus und der Pomona,^) einschliefst.')
Es rührt von einem Schüler des Raffael her, vermutlich Perin del Vaga, wie Passavant
(Raphael I, 288) zuerst aussprach. Im grofsen Ganzen entspricht es der Zeichnung W
Linie für Linie, nur ist der Ausdruck der Gesichter teils etwas verweichlicht, teils
versüfslicht. Da jedoch die Komposition für die Fläche nicht ganz ausreichte, wurde
einerseits das Lager bedeutend vergröfsert, überdies mit Himmel versehen, anderer-
seits die Gruppen der lanzen- und schildtragenden Eroten von Alexander abgerückt,
der Eros im Harnisch aber an seiner Stelle belassen. Zeigt der Schild und somit der
Eros auf ihm in W nur eine leise Neigung zur Seite, so ist diese im Fresko so stark,
dass an der Absicht der Eroten, ihren Genossen zu Fall zu bringen, kein Zweifel sein
kann. Zeigt sich hierin vielleicht eine Anlehnung an Sodomas Fresko , so auch darin,
dafs der ganze Vorgang ins Freie verlegt ist — vorausgesetzt dass dies nicht auf
Rechnung der Restauration zu setzen ist, welche mit dem Hintergrunde des Fresko
vorgenommen worden ist.') Der Pfeil, welchen der Eros auf dem Schilde hält, jetzt
auch in W undeutlich, fehlt im Fresko; statt dessen führt Eros die rechte Hand in
freudigem Behagen nach dem rechten Mundwinkel, so dass schon aus diesem Grunde,
abgesehen vom Ausdrucke der Köpfe, nicht mit Morelli*) der Stich des Caraglio als
Vorlage des Fresko angesehen werden darf.
Ebenfalls nur verweichlicht, ja in den Eroten bereits etwas zum Barocken
hinneigend, erscheint W in der Bisterzeichnung des Louvre (S. 193).*) Dass sie nicht
von Raffael herrühren könne, hat zuerst Mariette*) erkannt, wenn auch sein Gedanke
an Parmigianino nicht haltbar ist. Sie hat drei Eigentümlichkeiten:
*) Dasselbe erfordert dringend eine neue eingehende Behandlung.
*) Die Zeichnung Gius. Manocchis in Windsor- Castle ist im Raphael -Werk von
Gutbier II, 75, der Stich Volpatos von 1772 ebendaselbst 76 und (umgekehrt) in dem Umriss-
stich von Foin in den Oeuvres completes de Raphael Sanzio t. III (Paris 1844) pl 306 wiederholt.
•) Vergl. Venturi a. a. O. S. 1 52. Der Stich Volpatos zeigt bereits den landschaftlichen
Hintergrund und Blumen im Vordergrunde.
*) Galerie Borghese S. 297. Ebenso Graul a. a. O. S. 36.
*) Im Gegensinn gestochen von Charles Cochin im Cabinet Crozat t. I, 36. Aber der
in A. 2 erwähnte Stich von Foin ist nicht, wie im Text der Oeuvres completes angegeben
wird, nach dieser Zeichnung gemacht.
•) Abecedario 1. 1. p. 89 ff. In der Anmerkung zu dieser Stelle wird noch eine ver-
kleinerte Rotstifikopie, die mitielmäfsige Arbeit eines Schülers von Rubens, als im Louvre
befindlich erwähnt.
202 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
1. Schwebt ein Eros mit dem Schwert Alexanders über diesem und Hephästion,
vielleicht wieder im Anschluss an den entsprechenden Eros in der rechten Ecke des
Sodomaschen Fresko.
2. Der Eros auf dem Schilde hat einen länglichen, aber nicht, wie auf dem
Stiche Caraglios, gebogenen, sondern geraden Pfeil.
3. Auf der Fufsbank steht die vom rechten Fufse der Roxane abgezogene Sandale.
Aller drei Merkmale entbehrt der Stich des Caraglio, kann mithin nicht, wie
die Herausgeber von Mariettes Abecedario vermuteten, nach dieser Zeichnung
gemacht sein.
Am meisten entfernt sich von W die in gleicher Technik ausgeführte K night sehe
Zeichnung (S. 193), aber bei aller Selbständigkeit zeigt sie doch in der Anordnung wie
in der Haltung der Mehrzahl der Figuren direkte Abhängigkeit oder wenigstens An-
lehnung an jene. Wenn Rudolph Weigel (die Werke der Maler in ihren Hand-
zeichnungen S. 596 N. 57) an Polidoro da Caravaggio als Urheber der Zeichnung denkt,
so vermag ich ihm darin nicht zu folgen.
Endlich aber übte die durch W repräsentierte Komposition — und darin liegt
ein letzter indirekter Beweis für ihren raffaelischen Ursprung — auch auf selbständige
Werke der Grofskunst ihren Einfluss,
3 FRESKO DES NICCOLO DELL' ABBATE
Den sprechendsten Beleg dafür bietet das Fresko, welches im Jahre 1570 von
Niccolo deir Abbate im Schloss von Fontainebleau ausgeführt worden ist,
und zwar im sogenannten Escalier du Roi, Chambre de Madame d'Estampes, auch
Chambre d' Alexandre genannt. Letzteren Namen führt der Raum vom Inhalt der
acht Bilder, mit welchen seine Wände geziert sind: i. Bezähmung des Bucephalus,
2. Alexander und Roxane, 3. Alexander und Timokleia, 4. Alexander, die Werke
Homers einschliefsend, 5. Alexander und Thalestris, 6. Alexander, den gordischen
Knoten durchhauend, 7. das Fest der Feldherren, 8. Apelles mit Alexander und
Kampaspe. i. und 3., 6. und 8. sind in längliche Ovale, die übrigen in grofse Vier-
ecke gemalt.*) Dass die Fresken von Niccolo deir Abbate ausgeführt sind, ergiebt
sich mit Sicherheit aus dem Compte de M^^ Pierre Reynault, träsorier clerc etpayeur
des Oeuvres et bastimens du Roy, durant une annee entiere commencant le i^ de
Janvier lyjo etßnie le dernier de decembre ensuivant, wonach in diesem Jahre gezahlt
ist: A Nicolas U Abbau, paintre, la somme de 215 liv. 12 s. 6 d,, ä luy ordonnie, par
M^^ Francois Primadicis de Boullongue, abbe de Saint Martin de Troyes, conseiller
et ausmonier ordinaire du Roy et superintendant des bastimens et idifices de Sa
Majeste, pour ouvrages de painiures par luy faits au chateau de Fontainebleau; ä
scavoir: un grand täbleau figurant la prinse du Havre de Grace . . . et avoir fait
des tableaux de la vie et gestes d' Alexandre en la chambre appellee de madame
düEstampes, au donjon dudit chasteau^) Ob sie auch von ihm oder, was Reiset ver-
tritt, von Primaticcio erfunden sind , ist eine andere hier nicht zu entscheidende Frage.
Jedenfalls stehen sie in stilistischer Hinsicht, namentlich in der grofsen Schlankheit
*) Vergl. Reiset, Gaz. des beaux arts 1859, '''» P- ^^3 ^'
") Vergl. de Laborde, Renaissance des arts a la cour de France I, 530,
VON RICHARD FÖRSTER
203
der Körper, unter dem Einfluss des letztgenannten Künstlers. Aber bei keinem von
beiden kann die Anlehnung an RafTael wundernehmen.
Während die übrigen Bilder des Cyklus früh gelitten haben und zum Teil
nach Stichen Leon Davents durch Abel de Pujol restauriert worden sind, ist gerade
das uns interessierende Bild sehr gut erhalten, was um so wertvoller ist, als kein Stich
desselben, wie überhaupt keine Abbildung, auch nicht in Photographie, existiert. Ich
fühle mich daher Herrn Eugen Müntz zu gröfstem Dank für die Liebenswürdigkeit
verpflichtet, mit welcher er einen ihm befreundeten Künstler, Herrn Chedanne, zu
einer Zeichnung des Bildes gewonnen und eine Photographie derselben mir zur
Veröffentlichung überlassen hat. Nach dieser ist die folgende Abbildung gemacht.
Niccolo deirAbbate.
Die Hochzeit des Alexander und der Roxane.
Fresko im Schlosse zu Fontainebleau.
Wenn nicht geläugnet werden soll, dass der Künstler die Inspiration zu seiner
Komposition durch die lucianeische Beschreibung (wenn auch in einer Übersetzung)
empfangen habe, so ist doch auch offenkundig, dass er bei ihrer Ausführung unter
dem Einflüsse der rafFaelischen Zeichnung stand. In der Richtung stimmt das Bild
mit dem Stiche des Caraglio und den Majoliken. So stellt er mit Raffael gegen Lucian
Hymenäus und Hephästion vor Alexander und zwar Hymenäus auch vor Hephästion,
lässt ersteren die Bewegung des Zeigens machen, letzteren (bärtig) auf Alexander blicken,
gtebt dem Eros im Harnisch die Lage nicht sowohl eines Lauernden , als eines unter
der Last des Harnisches Kriechenden und lässt den Schild von mehr als zwei, min-
destens drei, Eroten getragen werden. Ja selbst den Kranz im Haar des halbwüchsigen
Hymenäus und des den Alexander ziehenden Eros glaube ich wahrzunehmen. Bemer-
kenswert, weil allmählich häufiger geworden, ist, dass hier die Krone hoch, in der
Richtung nach dem Kopfe der Roxane hin von Alexander gehalten, also gewisser-
mafsen die Krönung selbst vollzogen wird. Eine selbständige Zuthat ist der zweite
hinter Roxane auf dem Lager hervorguckende Eros.*)
*) Total von Lucian, mithin auch von dem eben betrachteten Gemälde, abweichend
ist die prachtvolle^ mit weifs gehöhte Rötelzeichnung des Primaticcio in der Albertina
204
DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE
4 ZEICHNUNG DES PARMIGIANINO
Weniger als dieses Fresko hält sich eine aus der Schule des Parmigianino
hervorgegangene Komposition an die lucianeische Vorlage. Es ist dies eine mit Sepia
und Ocker gemalte, weifs gehöhte Zeichnung der Albertina (84. Ecole de Parmig. — 98)
A. Bartsch nach Parmigianino.
Die Hochzeit des Alexander und der Roxane.
(29. — 29 AB 61; Braun Albertina N. 449). Hier kniet Roxane völlig nackt auf dem Lager,
mit beiden Armen ihren Schofs deckend; Alexander sitzt mit überschlagenen Beinen auf
einem Sitz ihr gegenüber und blickt sie bewundernd an, die gespreizten Finger der linken
Hand nach dem Munde führend, mit der auf den Sitz gestützten Rechten ein Stück seines
Gewandes (?) fassend. Hymenäus steht zwischen ihnen, mit der rechten Hand auf Roxane
weisend, aber nach Alexander hin blickend. Hephästion steht hinter Alexander, zu Boden
sehend, aber ohne Fackel. Neben ihm wird noch der Kopf eines zweiten behelmten Kriegers
sichtbar. Eroten fehlen ganz. Trotz der grofsen Abweichung von Lucian glaube ich an der
Deutung auf Alexander und Roxane festhalten zu sollen.
J
SCHULE DES PETER PAUL RUBENS
ALEXANDER UND ROXANE
ORIGINAL IN DER CUMBERLAND GALERIE ZU HANNOVER
»BUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 18^4
VON RICHARD FÖRSTER 205
(Braun Albertina N. 325), welche 1785 von Ad. Bartsch gestochen und in dem Werke
Recueil d'estampes gravees par Adam Bartsch, d'apres les desseins originaux de differens
maitres qui se trouvent ä la Bibliotheque Imp. et Roy: de Vienne, Vienne 1794 als
N. 4 unter den Zeichnungen des Parmesan veröffentlicht wurde. Unsere Abbildung
ist nach diesem Stich gemacht. Sie war wohl, wie die Mehrzahl der Zeichnungen
des Meisters selbst, für eine Kupferätzung bestimmt Das in Aussicht genommene
Format machte eine grofse Zusammenziehung der Komposition notwendig, liels
aber eine Ausdehnung nach oben zu. Daher kamen der Eros im Harnisch und
die Schildträger in Wegfall, letztere bis auf einen, der, hinter Hephästion stehend,
etwas trägt, was ein Schild sein kann. Der den Alexander ziehende Eros ist zurück-
geschoben und kommt nur mit dem Kopfe neben dem rechten Unterarm der Roxane
hervor. Dadurch ist Alexander dicht an das Lager herangerückt und kann der Roxane
die Krone aufsetzen. Und so macht sich der Eros auf ihrem Lager nichts mit ihrem
Kopf zu schaffen, sondern kauert hinter ihr. • Hymenäus ist durch einen hinter
Hephästion stehenden und zuschauenden behelmten Krieger ersetzt. Hephästion,
der übrigens mehr einem alten Diener als einem Feldherrn gleicht, hält in beiden
gerade in die Höhe gehobenen Armen je eine Fackel. Dafür wurden zwei in der
Luft schwebende Eroten, welche den Betthimmel vorziehen, eingefügt und der San-
dalenlöser verdoppelt. Anklänge an die raffaelische Komposition, welche man bei
Parmigianino erwarten könnte, treten nicht hervor.
5 GEMÄLDE VON RUBENS
In ähnlicher Richtung bewegen sich die Veränderungen, welche Rubens mit
der Komposition vornahm. Seinen Namen trägt ein Gemälde, welches sich heut in der
Cumberland - Gallerie zu Hannover unter Nr. 469 befindet und hier (a. d. Tafel) nach
einer wohl gelungenen Photographie des Herrn Alpers jun. zum ersten Male veröffentlicht
wird. Aber schon Rooses, welcher (Oeuvre de Rubens T. IV p. 10 n. 793) dieses Bild
erwähnt, erkannte darin nur die Arbeit eines seiner Schüler. Ob Lebrun, der »garde
des tableaux« des Grafen Artois, das Original des Meisters besafs, muss dahingestellt
bleiben. Das Bild, welches dieser hatte und welches bei der Versteigerung seiner
Sammlung 1791 an Danempord kam, stimmt inhaltlich mit dem Bilde von Hannover im
ganzen überein, aber war nicht wie dieses auf Leinwand, sondern auf Holz gemalt und
viel kleiner (7X13 Zoll), während dieses (nach Rooses) 167 cm hoch und 222,5 ^^
breit ist. Der Auktionskatalog, wiederholt bei Blanc, le tresor de la curiosite II p. 131
beschreibt jenes folgen dermafsen: Alexandre venant couronner Roxane, accompagnee
de THymen et de l'Amour; eile est assise sur son lit et deshabillee par des amours.
Belle composition de huit figures. Sept pouces sur treize. Bois. (212 fr., Danempord).
Da mir sein gegenwärtiger Aufbewahrungson unbekannt ist, halte ich mich an das
Bild von Hannover. Dass die Beschreibung des Katalogs einige Figuren, wie Hephästion,
Eroten, übergeht, liegt zu Tage.
Roxane, augenscheinlich noch mehr als in irgend einer anderen Komposition
die Hauptfigur, sitzt auf einem vergoldeten Bett, fast völlig entkleidet, nur den Schofs
mit einem Gewandftück deckend, zu Boden blickend. Ein Eros zieht ihr die Sandale
vom rechten Fufse; ein zweiter, hinter ihrem Haupt schwebend, zieht den Schleier
vom Kopfe weg, auf welchen Alexander die Krone zu setzen im Begriff steht. Ihn
zieht Hymenäus, nur wenig gröfser als die Eroten gebildet, zu ihr, schmachtend zu ihm
aufblickend und mit der rechten Hand seinen linken Unterarm fassend. Diese Figur
27
2o6 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE VON RICHARD FÖRSTER
erinnert nächst Roxane am meisten an die Zeichnung RafFaels. *) Neben Alexander
steht der jugendliche Hephästion , auf Roxane blickend, eine kurze brennende Fackel
haltend. Nicht er, sondern Alexander legt seine linke Hand auf die Schulter Hymens.
Ein dritter schwebender Eros hält den Helm über den Kopf Alexanders; er entspricht
dem die Roxane entschleiernden; ein vierter zwischen den Beinen des Hephästion
und des Hymenäus stehend und, wie es scheint, die Arme über den Kopf gelegt, guckt
schelmisch hervor. Auf einem niedrigen Tisch vor dem Bett liegt neben einem
Fläschchen das Geschmeide der Roxane; unter dem Tisch guckt ein Hund hervor.
Hymenäus und die Eroten und damit alles Erotische ist aus dieser Komposition
entfernt, so dass diese recht eigentlich als Krönung der Roxane erscheint, in einem
Gemälde, welches mit der Bezeichnung Alexander und Campaspe ebenfalls unter dem
Namen des Rubens geht.^) Das Bild wurde, als es sich in der Sammlung Wo Ufeld
befand, von dem Ungarn Samuel Czetter, welcher zu Anfang dieses Jahrhundens in
Wien thätig war, gestochen. Wo es sich heut befindet, weifs ich nicht. Auch der
Stich Czetters ist sehr selten.'*) Ein Exemplar desselben in der Albertina, dessen
Auffindung und Photographie ich Strzygowski verdanke, nach einer nicht ganz fer-
tigen Platte gemacht, trägt die Unterschrift:
Ebauche par P. P, Rubens, Sam, C^^etter Hungarus sculpsit
Alexandre et Campaspe
L Original se trouve dans la Collection de Mr Wöllfeld,
Se vend ä Vienne che:( F. X. Stöckl.
Die Veränderungen, welche gröfstenteils die Weglassung des Hymenäus und der
Eroten mit sich brachte, sind, von Vergröberungen abgesehen, hauptsächlich folgende:
An Roxane, welche unter einem Himmelbett sitzt, sind nur der Oberleib und die Füfse
unbekleidet; der Schleier fällt vom Kopfe nach hinten herab. Die linke Hand legt
sie nicht vor die Brust, sondern in die ausgestreckte Linke Alexanders. Dieser erscheint
hier ebenso wie Hephästion und Roxane älter als dort. Hinter ihm und Hephästion
kommt von hinten her, etwas nach vorn gebeugt und nach Roxane hinblickend, ein
Untergebener, welcher eine Platte (oder kleinen Schild?) und auf dieser ein Schwert
trägt. Der Helm, welchen dort ein Eros über den Kopf Alexanders hält, steht hier
neben dem Geschmeide der Roxane.
Nachträglich habe ich noch Kenntnis von drei Majoliken (Vergl. S.199 ff.) erlangt:
1. Eine Schüssel des Xanto in Bologna, nur fragmentarisch erhalten
(22 cm Durchm.), mit der Signatur: - M ' DXXXVII - Omnia vincit Amor, 'F'XR-
giebt die Mittelgruppe von Alexander bis zu dem die Roxane schmückenden Eros im
ganzen nach dem Stich des Caraglio. Eine Durchzeichnung verdanke ich der
Liebenswürdigkeit von Luigi Frati.
2. Eine Schüssel desselben Meisters im Museo Correr zu Venedig (2572 cm
Durchm.) mit der Signatur: 1534^ Ecco la Babilonica Reina, F X A' R- in Urbino
^) Dass Rubens diese besessen haben soll, ist oben (S. 194A. 2) erwähnt.
^) Vergl. Rooses a. a. O. Die Vermutung Goelers v. Ravensburg, Rubens und die Antike
S. 169, dass Rubens in diesem Bilde durch das Fresko Primaticcios in Fontainebleau beein-
flusst worden sei, erweist sich als haltlos.
•) Schneevoogt, Catalogue des estampes gravees d' apres Rubens, p. i38n. 22 erwähnt
nur das Exemplar des Teyler- Museum in Haarlem.
HOLBEINS BERGWERKZEICHNUNG IM BRITISCHEN MUSEUM VON EDUARD HIS 207
enthält nur die Figuren des Alexander, der Roxane und des sie schmückenden Eros;
im Hintergrunde passieren ein Reiter und 4 Fufssoldaten eine Brücke. (Lazari , Notizia
delle opere d'arte della Raccolta Correr p. 63 n. 238.)
3. Eine Schüssel des Leocadio Solombrino von Forli, einst in der
Sammlung Delsette, später Barker (40 cm Durchm.), mit der Signatur: Leochadius.
Soloö I brinus picsit \ Foroliviom \ ece- \ MDL V scheint sich am meisten mit der oben
S. 199 erwähnten Majolika des Xanto zu berühren, mit der sie insbesondere den
Hund gemein hat, während ihr die übrigen Zuthaten dieser fehlen. Hier fasst ein
Eros den Vorhang des Himmelbettes. (Frati, Di una insigne Raccolta p. 54 n. 279
Lazari a. a. O.).
HOLBEINS BERGWERKZEICHNUNG IM BRITISCHEN MUSEUM
VON EDUARD HIS
Als ich im Mai 1880 im Print Room des britischen Museums die Kupferstiche
und Handzeichnungen des XV und XVI Jahrhunderts durchmusterte, fand ich in einem
Bande mit der Überschrift »German drawings vol. XII« ein Blatt mit einer rund ein-
gefassten getuschten Federzeichnung, ein Bergwerk in felsiger Gegend darstellend, in
welcher ich sofon die Meisterhand des jüngeren Hans Holbein erkannte. Dafür
spricht nicht nur die geniale und höchst lebendige Auffassung des Vorgangs, die
Energie der Bewegungen der in mannigfacher Arbeit begriffenen Bergleute, die kecke
und naturgetreue Art, wie bei denselben die Muskelanstrengung in Armen und Beinen
ausgedrückt ist, sondern auch die ihm durchaus eigene flotte Art der Lavierung.
Der damalige Direktor des Print Room , den ich darauf aufmerksam machte,
schien meiner Versicherung, dafs die Zeichnung ein echter Holbein sei, wenig Glauben
zu schenken. Auch ein berühmter englischer Sammler, welcher so freundlich war,
dieselbe mit mir zu examinieren, betrachtete sie mit ausgesprochenem Zweifel und
ich musste mich damals damit begnügen, meiner Überzeugung von Holbeins Urheber-
schaft auf einer Adresskarte Ausdruck zu verleihen, welche ich der Zeichnung beilegte.
Dass ich nun heute, wo dieselbe von der jetzigen einsichtsvollen Direktion
anerkannt wird, ^) imstande bin, das höchst interessante Blatt den Lesern des Jahr-
buchs in vorzüglichem Lichtdruck vorzulegen, verdanke ich der Gefälligkeil meines
werten Freundes, Herrn Professor M. Lehrs in Dresden, welchen ich, als er im
Sommer 1893 im Begriffe war, nach London zu gehen, um in den dortigen Samm-
lungen seine so erfolgreichen Forschungen über die ältesten Meister des Kupferstichs
zu vervollständigen, ersuchte, sich das betreffende Blatt zeigen zu lassen und von der
Direktion die Ermächtigung zu einer photographischen Aufnahme desselben zu
erwirken, was diese gütigst bewilligte.
Die Zeichnung ist schon in kulturgeschichtlicher Beziehung wichtig, indem sie,
nach dem Urteil bewährter Mineralogen, von der alten Art des Bergbaus einen
anschaulichen Begriff giebt. Die Sprengung des Gesteins bewerkstelligte man damals
*) Siehe zweites Beiblatt der Nationalzeitung vom 11. März 1894.
2o8 HOLBEINS BERGWERKZEICHNUNG IM BRITISCHEN MUSEUM
nicht durch Pulver, sondern es wurden mit wuchtigen Hämmern rund um das abzu-
lösende Stück hölzerne Keile eingetrieben, welche man dann so lange befeuchtete,
bis die in solcher Weise bewirkte Anschwellung des Holzes das Gestein aus einander
sprengte. Zwei athletische Gestalten sieht man in solcher Arbeit begriffen. Die
gebogenen Stiele ihrer Hämmer sind von elastischem Eschenholz, wodurch ein
schwungvolleres Ausholen des Schlages erzielt wird. Zwei andere sieht man mit je
zwei kleineren Hämmern, wovon der eine, kurzweg »Eisen« genannt, als Meifsel
zugespitzt ist, die für das Eindringen der Keile nötigen Löcher vorbohren. Im
Vordergrund steigt einer aus einem Schacht. Auf seinem Kopfe scheint eine brennende
Lampe befestigt. Rechts befindet sich in der Höhe ein Stollen, aus welchem ein
Bergmann einen mit erzhaltigem Gestein beladenen »Hund« herausbefördert. Was
der links davon auf einer Leiter in eine Kluft eindringende Mann auf dem Rücken
trägt, dürften vielleicht frisch geschärfte Eisen sein.
Es drängt sich nun die Frage auf, wo Holbein wohl die Anregung zu dieser
in der Kunst gewiss selten vorkommenden Darstellung erhalten haben mag.
Man wäre zuerst geneigt, an das minenreiche England zu denken, wo Holbein
die zwölf letzten Jahre seines Lebens zubrachte. Dass aber die Zeichnung, obgleich
jetzt in England, sich im XVI Jahrhundert in Basel befand, davon hat mich folgender
Umstand überzeugt: Ein angesehener und begüterter Baseler Bürger, Andreas Ryft
(geb. 1550, gest. 1603), welcher selbst Bergwerksbesitzer war, schrieb 1599 seine Erfah-
rungen im Bergbau in einem Manuskript nieder und llefs dasselbe durch einen Maler
mit mehreren Abbildungen von Bergwerken und anderen Verrichtungen der Metallurgie
zieren. Nun ersieht man aus einem dieser Bilder, dass dem Maler die Holbeinische
Bergwerkzeichnung bekannt sein musste, indem er sie als Vorbild zu fünf der von ihm
dargestellten Bergleute benutzte. So hat er den im Vordergrunde aus dem Schacht
Steigenden kopiert. Noch genauer findet sich der rechts davon knieende Bergmann
nachgebildet, welcher mit seinem krummstieligen Hammer zu wuchtigen Schlägen
ausholt. Ebenso bezeichnend ist der Mann, welcher, aus dem Stollen hervortretend,
seinen Hund über eine Brücke stöfst. Der rechts am Boden Knieende, welcher mit
einer Hacke erzhaltige Erde zusammenscharrt, sowie der links in halber Höhe mit
Schlägel und Eisen Arbeitende sind gleichfalls, wenn auch in etwas veränderter
Stellung, benutzt. Solche Vorbilder mussten dem Maler um so willkommener sein,
als er vielleicht selbst nie ein Bergwerk gesehen hatte. Die Möglichkeit, dass die
Übereinstimmung mancher Figuren ihren Grund darin haben könnte, dass beide
Maler, der geniale Holbein und (80 Jahre später) der von Ryff zur Illustration seines
Buches benutzte Aquarellist an der gleichen Quelle, d. h. aus einem gedruckten
Werke über Bergbau, geschöpft haben könnten, ist wohl kaum der Erwähnung wert,
denn wenn auch Agricola, welchen man den Vater der Mineralogie genannt hat,
schon zu Holbeins Lebzeiten über den Bergbau schrieb, so ist doch die mit Holz-
schnitten versehene Ausgabe seines Werkes »De re metallica libri XII« erst 1556
erschienen und die Darstellungen, welche sie enthält, und von welchen, beiläufig
gesagt, die besten von dem Schweizer Rudolf Manuel Deutsch gezeichnet und
geschnitten sind, haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit derjenigen, welche hier in
Frage kommt.
Das Vorhandensein von Holbeins Zeichnung in seiner Adoptivheimat Basel am
Ende des XVI Jahrhunderts bedingt zwar nicht notwendigerweise deren dortige Ent-
stehung, macht sie jedoch in hohem Grade wahrscheinlich und scheint mir daher
eine thatsächliche Bestätigung, dass er und kein anderer dieselbe in seiner kecken
HANS H O L B E I N i.. J.
BERGWKRK
TUSCUZKICHNUNG IM BRITISH MUSEUM ZV LONDON
»BUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 189}
VON EDUARD HIS 20g
und lebendigen Weise skizziert hat. Die von bewährten Mineralogen und Kennern
des Bergbaues darin wahrgenommene Charakteristik der Darstellung und absolute
Wahrheit in Tracht und Geräten lassen es als undenkbar erscheinen, dass es sich
hier nur um ein Gebilde seiner Phantasie handelt, sondern sie trägt das Gepräge
des wirklich Geschauten, wenn auch künstlerisch zu einem wirkungsvollen Bilde
Gruppierten.
Holbein könnte nun zwar in nicht zu grofser Entfernung von Basel Bergwerke
gesehen haben, denn deren gab es im nahen Schwarzwald, in den Vogesen und im
Jura. Aber gewisse Merkmale weisen mit ziemlicher Sicherheit auf das Alpengebiet,
so die mit Steinen belegten Schindeldächer der Hüuen, sowie die gewaltigen Fels-
wände ohne Baumwuchs.
Dass in der Schweiz von alters her Bergbau getrieben wurde, wird von mehreren
Schriftstellern bestätigt. So sagt B. Studer in seiner »Geschichte der physischen Geo-
graphie der Schweiz«, 4. Buch, S. 389:
»In den Hochalpen hatte seit Jahrhunderten eine, meist mit zu schwachen
Kräften unternommene und bald wieder aufgegebene Ausbeutung von Erzen statt-
gefunden. So im Wallis auf die Eisenerze von Chemin und Chamoison, die Bleierze
des Lötschthals, das Golderz von Gondo; in Uri auf Blei- und Silbererze und in
Maderan auf Eisenerze; am Gonzen bei Sargans auf Eisen; vorzüglich aber in Grau-
bünden, wo die Blei- und Silbererze von Davos, Schams und Scharl, die Eisenerze
von Filisur und Ferrera und andere Erzanbrüche bald von Bündnern, bald von
Fremden abgebaut wurden und die noch jetzt kursierenden Sagen von dem fabelhaften
Reichtum, zu dem die Vertemate-Franchi von Plurs durch den Bergbau in Scharns,
am Parpaner Rothhorn und am Casanna gelangt sein sollen, zu immer neuen Ver-
suchen reizten.«
Wie gelangte nun aber Holbein in die Hochalpen? Wohl schwerlich als Tourist,
denn damals pflegte man diesen Sport noch nicht. Die Wildnis der Alpen schreckte
eher ab, als dass man sie ohne Not aufsuchte. Dagegen arbeitete er bekanntlich in
den Jahren 1517 — 1519 in Luzem, und wie ich früher an dieser Stelle aussprach,^)
liegt die Vermutung sehr nahe, dass der noch junge Künstler von hier aus eine kürzere
oder längere Wanderschaft nach Oberitalien unternahm. Der nächste Weg führte über
den Gotthardpass, und wirklich finden sich in mehreren Holbeinischen Zeichnungen
und Holzschnitten Reminiscenzen an einen Alpenpass und an die Teufelsbrücke.*)
Nun wurde, zufolge der angeführten Stelle aus Studer, in verschiedenen Thälern Uris
Erz gegraben, namentlich auch im Maderanerthal am Bristenstock, sowie auch am
Fufse der Windgälle, und es lässt sich sehr leicht denken, dass Holbein auf seiner
Wanderung über den Gotthard einem dieser Bergwerke seine Aufmerksamkeit widmete,
da ihn sein Weg nahe daran vorbeiführte. Auch an einem andern, vom Haslithal
ausgehenden, über den Sustenpass führenden und bei Wasen in die Gotthardstrafse
ausmündenden Saumweg befanden sich seit dem XV Jahrhundert Eisengruben, nämlich
im Gadmen- oder Mühlethal,') jedoch scheint mir kaum wahrscheinlich, dass Holbein
1) Einige Gedanken über die Lehr- und Wanderjahre H. Holbeins d. J. (Jahrgang 1891,
Heft 2, S. 65).
*) Ebendaselbst, mit Hinweis auf S. Vögelins »> Ergänzungen und Nach Weisungen
zum Holzschnittwerk H. Holbeins d. J.« (Repertorium fdr Kunstwissenschaft, Bd. V, S. 179
u. flgd.).
3) A. Höpfner, Magazin für die Naturkunde Helvetiens. Bd. 2, S. 98.
28
2IO HOLBEINS BERGWERKZEICHNUNG IM BRITISCHEN MUSEUM VON EDUARD HIS
diesen Umweg wählte. Eher könnte man der Vermutung von S. Vögelin Raum geben,
dass er seinen Rückweg durch Graubünden nahm, woselbst der Bergbau von alters
her blühte. Zwar nimmt dieser Autor an, dass Holbein bei diesem Anlass die Todes-
bilder im bischöflichen Palast zu Chur gemalt habe, wobei er unter andern Gründen
darauf hinweist, dass in einem seiner Holzschnitte, der sogenannten Kebestafel, die
Burg, welche die Überschrift »Arx verae felicitatis« trägt, dem bischöflichen Schloss
zu Chur nachgebildet sei.*) Die Möglichkeit von Holbeins Rückkehr durch Graubünden
zugegeben, muss Jedoch in betreff der Todesbilder erinnert werden, dass die Annahme
von Holbeins gänzlicher oder auch nur teilweiser Ausführung derselben von
Professor J. R. Rahn in Zürich seither durch historische Gründe endgültig widerlegt
wurde (im Sonntagsblatt des »Bund« 1878, Nr. 12 — 15). Übrigens ist die von mir
ausgesprochene Wahrscheinlichkeit, dass Holbein auf seinem Wege nach oder seiner
Rückkehr aus Italien die Anregung zu seiner Bergwerksdarstellung erhalten habe,
nicht in der Weise aufzufassen, als ob jede andere Möglichkeit einer Reise in das
Alpengebiet ausgeschlossen sei. Weder über das eine noch über das andere wird
.'. man wohl je Gewissheit haben.
|v Was die Tracht der Bergleute betrifft, welche ich anfänglich für eine aus-
p schliefslich schweizerische Eigentümlichkeit hielt, indem sie an die im Hochgebirge
f- üblichen Kapuzenkittel oder Heuhauben der Älpler und Wildheuer erinnen, so
\ • . werde ich von sachkundiger Seite belehrt, dass es eigentlich die deutsche Bergmanns-
^ tracht ist, wie sie noch jetzt im Harz üblich sein soll; jedoch ist mein Gewährsmann,
Dr. E. von Fellenberg in Bern, der Ansicht, dass in der Schweiz ursprünglich zum
Betrieb der Bergwerke deutsche Bergleute herangezogen wurden.
Wie aus der in Anmerkung i, Seite 207, erwähnten Zeitungsnotiz ersichtlich ist,
befindet sich die ßergwerkzeichnung nicht mehr im 12. Band unbekannter Deutscher,
sondern hat seit kurzem einen ihrer Bedeutung entsprechenden Platz eingenommen,
indem sie unter ihrer wahren Benennung in einem grofsen Oberlichtsaal des britischen
Museums neben anderen wertvollen Handzeichnungen berühmter Meister aller
Schulen ausgestellt worden ist.
*) Die Wandgemälde im bischöflichen Palast zu Chur mit den Darstellungen der
Holbeinischen Todesbilder. Eine kunstgeschichtliche Untersuchung von F. Salomon Vögelin.
Herausgegeben von der antiquarischen Gesellschaft in Zürich. 1878. S. y6 und j';; sowie auch:
Ergänzungen und Nachweisungen zum Holzschnittwerk H. Holbeins d. J. von Sal. Vögelin,
im Repertorium für Kunstwissenschaft. Bd. V, S. 200
Gedruckt in der Reichsdruckerei.
'I
GEDRUCKT IN DER REiCHSDRIKXER&I
^^- ■/!/- ^a^, ^.
JAHRBUCH
DER . ^■-'•(r'^'V' '^J-
KÖNIGLICH PREUSSISCHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
FÜNFZEHNTER BAND
IV, HEFT
® BERLIN 1894
G. GROTE'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG
INHALT
Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen:
Berlin:
Königliche Museen XLI
Königliche National - Galerie LIX
Beilage . ^ LXIII
Mit zwei Tafeln in Lichtdruck.
STUDIEN UND FORSCHUNGEN
Zur Byzantinischen Frage. Die Wandgemälde in S. Angelo in Formis (Schluss).
Von E. Dobbert . . . . .' 211
Mit zehn Textabbildungen.
Bilder und Zeichnungenjder Brüder Pollajuoli. Von Hermann Ulmann. . 230
Mit einerHeliographie und drei Textabbildungen.
Die architektonische Entwicklung Michelozzos und sein Zusammenwirken mit
Donatello. Von Heinrich von Geymüller 247
Ein Studienblatt des Vittore Pisano zu dem Fresko in S. Anastasia zu Verona.
Von Campbell Dodgson 259
Mit einer TTafel in Lichtdruck.
Die neu entdeckten Wandgemälde zu Dahlem. Von GeorgVoss . . . . 261
Mit zwei Textabbildungen.
Die Marmorbüste des Alesso di Luca Mini von Mino da Fiesole. Von
Wilhelm Bode i 272
Mit einer Tafel in Lichtdruck und einer Textabbildung.
Redakteur: In Vertretung V. v. LOGA
Fünfzehnter Jahrgang
No. 4.
I. Oktober 1S94
AMTLICHE BERICHTE
AUS DEN
KÖNIGLICHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
DAS JAHRBUCH DBR KÖNIGLICH PREU88I8CHBN KUN8T8A1C1CLUNGKN ERSCHEINT VIERTELJÄHRLICH
ZUM PREISE VON 30 MARK FÜR DEN JAHRGANG.
I. KÖNIGLICHE MUSEEN
I. April — 30. Juni 1894
A. GEMÄLDE-GALERIE
Für die Gemälde - Galerie wurden käuflich
erworben:
1. FRANCESCO COSSA, Winzerin, Alle-
gorie des Herbstes aus einer Folge der Jahres-
zeiten, von denen sich der Frühling, wie das
vorgenannte Bild aus der Sammlung Costabili
stammend, bei Mr. Layard und zwei andere
sehr beschädigte Stücke in der Sammlung
Strozzi in Ferrara befinden sollen (s. Crowe
u. Cav., V, 555, die aber als Meister COSMA
TüRA nennen). Die Figur, eine etwas unier-
lebensgrofse Gestalt aus dem Volke, mit Gerät
und Traubenranken in den Händen, steht
vom vor einer bergigen Landschaft mit einer
Stadt zwischen phantastischen kleinen Felsen
und reich belebt von Wanderern, Arbeitern
und Reitern. Für unsere Galerie, in welcher die
ferraresische Schule sonst vorzüglich vertreten
ist, ist dieses stattliche, im besten Sinne deko-
rative Werk des Begründers der ferraresischen
Schule, der bisher fehlte, von besonderem
Wert. Es zeigt diesen Künstler, unter dem
Einflüsse des PIERO DELLA FRANCESCA, als
einen Naturalisten und Freilichtmaler im fast
modernen Sinne.
2. MEISTER DER VERHERRLICHUNG MARIA,
Die Anbetung der Hirten, aus der Samm-
lung Clave von Bou haben in Köln Anfang
Juni ersteigert; ein durch Kraft der Färbung,
Helldunkel und Liebreiz der jugendlichen Fi-
guren ausgezeichnetes Werk dieses seltenen
Kölner Meisters, von dem die Galerie bisher
kein Werk besafs.
Mit der Schenkung des Baron von
Schröder sind verschiedene Gemälde der
Galerie überwiesen worden, von denen ein
paar Bilder eines Schweizer Malers aus der
Richtung des HANS HOLBEIN, Darstellungen
von Gelehrten als Repräsentanten der Wissen-
schaften, zur Aufstellung kommen werden.
Die Umstellung der niederländischen und
deutschen Abteilung der Galerie konnte so-
weit vollendet werden, dass die Wiederer-
öffnung derselben bis Mitte Juli wird erfolgen
können. Es sind nunmehr im ersten nörd-
lichen Oberlichtsaale alle Bilder der alt-
deutschen Meister, im zweiten Oberlichtsaale
und im anstofsenden kleinen Kabinet die Alt-
niederländer mit Einschluss des Genter Altars
der Brüder VAN EYCK, in den Kabinetten
der Ostseite und im anliegenden Gange die
Holländer und Vlamen des XVII Jahrhunderts,
endlich im südlichen Oberlichtsaale die grofsen
Gemälde von RUBENS und seiner Schule unter-
gebracht.
BODE
B, SAMMLUNG DER
SKULPTUREN UND GIPSABGÜSSE
l. ANTIKE SKULPTUREN
Erworben wurde der Porträtkopf eines
römischen Knaben (sogenannten Marcellus),
der sich ehemals in der Sammlung Pourtales-
Gorgier befand und dahin aus der Sammlung
Beugnot gelangt war (Dubois, Descript. des
antiqu. Pouitales No. 108).
IV
XLIII
AMTLICHE BERICHTE
XLIV
In die Abteilung der Gipsabgüsse kamen
folgende Stücke: das bei Herrn Galvert in
der Troas befindliche grofse Volutenkapitell
von dem Tempel in Neandreia, eine ebenda
befindliche Stelenbekrönung aus der helle-
nistischen Nekropole südöstlich vom Rhoi-
teion, die beiden in Hissarlik gefundenen
und nach Konstantinopel gebrachten Thon-
täfelchen (W. Dörpfeld, Troja 1893, S. 75
No. 23 und 24}, das archaische Relief von
Kara-Kuya im British Museum (Rayet et
Thomas, Milet pl. 27), endlich der archaische
Porträtkopf Berlin No. 308 und der Kopf der
sogenannten Demeter, Berlin No. 83.
KEKULi
II. BILDWERKE
DER CHRISTLICHEN EPOCHE
Die Abteilung konnte durch Kauf einige
hervorragende Bildwerke von LüCA DELLA
ROBßlA und seinem Nachfolger ANDREA er-
werben , welche diesem Teile der italienischen
Renaissancesammlung eine ganz besondere
Bedeutung geben.
Das gröfste und hervorragendste Stück ist
eine sitzende Madonna in ganzer Figur, das
segnende Kind auf dem Schofse; etwa zwei-
drittel lebensgrofse Figuren, weifs auf tief-
blauem Grund mit den Resten von Vergol-
dung ; ein feierlich ernstes Werk der früheren
Zeit des alten LUCA DELLA ROBBIA, der be-
kannten Madonna vor der Rosenhecke im
Bargelio ganz verwandt, jedoch weniger genre-
hafc in der Auffassung.
Von ähnlicher Bedeutung ist das Porträt
eines schönen lockigen Jünglings in Hoch-
relief; ein Brustbild etwas unter Lebens-
grofse, glasiert in bunten Farben. Die For-
men des Kopfes und seine Durchbildung
haben sehr viel von VERROCCHIO und von
der Frühzeit LEONARDO's. Trotz der reichen
Farben , die für ANDREA DELLA ROBBIA ganz
ungewöhnlich sind, ist das Werk deshalb
wohl als eine frühe Arbeit des ANDREA und
nicht als solche seines Oheims LUCA anzu-
sehen. Nach der Obereinstimmung mit dem
freilich einige Jahre jüngeren Kopf des David
von VERROCCHIO glaube ich, dass in beiden
Kunstwerken ein und dieselbe florentiner
Persönlichkeit wiedergegeben ist.
Zweifellos auf ANDREA della robbia
geht femer ein Madonnenrelief zurück in
schlichtem Weifs auf blauem Grund ausge-
führt, ein frühes, fein empfundenes Werk
dieses Künstlers.
Sodann sind wieder eine beträchtliche Zahl
von Geschenken an diese Abteilung zu ver-
zeichnen.
Herr Martin Heckscher in Wien
schenkte eine in Thon modellierte, alt be-
malte Madonna mit dem Kind, Halbügur, von
süddeutscher Herkunft, wohl auch von der
Mitte des XV Jahrhunderts; ein sehr seltenes
Stück im Anschluss an italienische Arbeiten.
Herr Baron Heyl von Hernsheim in
Worms schenkte eine kleine Broncegruppe :
Venus und Amor auf Delphin, ein italieni-
scher Wachsguss aus der Mitte des XVI Jahr-
hunderts.
Von anderen ungenannten Gönnern gin-
gen folgende Geschenke zu, die sämtlich er-
wünschte Bereicherungen sind: einige zwanzig
bisher fehlende Plaketten; ein kleines floren-
tiner Thonrelief vom Anfang des XVI Jahr-
hunderts; ein kleines Stuckrelief der heiligen
Familie, wohl von PIERINO DA VINCI; das
Thonmodell von BERNlNl's Schlussfenster im
Chor von St. Peter; ein Stuckaltärchen mit
Flügeln aus Perugia, und ein anderes Stuck-
altärchen mit Eglomise- Bildchen eingerahmt
(beide aus der Versteigerung Verdura in Rom
stammend); eine byzantinische Glaspaste; ein
Elfenbeinrelief mit Venus und Amor in der
Art des jungen P. VISCHER; ein kleines be-
maltes Marmorrelief des Parisurteils, deutsche
Arbeit um 1530.
Ein paar wertvolle Geschenke erhielt die
Sammlung sodann, gleichfalls von unge-
nannten Gönnern, in der ausgesprochenen
Hoffnung) dass mit dem Bau des Renaissance-
museums nicht lange mehr gezögert werden
möge. Beide Gegenstände werden in der
That erst in einem Neubau als monumentale
Ausstellungsstücke sich verwenden lassen.
Es sind dies eine florentiner Cassapanca aus
der ersten Hälfte des XVI Jahrhunderts, so-
wie die beiden Flügel einer grofsen Thür,
ganz in reichster Intarsia gearbeitet, oben
die Verkündigung, unten Lilien in Vasen
zeigend; nach den Symbolen der Einrahmung
für die Mediceer um 1470 gearbeitet.
BODE
XLV
KÖNIGLICHE MUSEEN
XLVI
C. ANTIQUARIUM
Es wurden erworben:
Vasen:
Grofse altböotische Kanne.
Pyxis mit dem Künstlernamen des
Agathon.
Phiale mit Hirschjagd.
Gefäfs in Form eines bekränzten weib-
lichen Kopfes von besonderer Schön-
heit^ aus Böotien.
Griechische Reliefvasen.
Bronzen :
Eine drehbare Scheibe, mit feinen ge-
triebenen Reliefs, auf einem langen
säulenförmigen Griff; griechisch.
Grofse Hydria mit altertümlichem Fi-
gurenschmuck aus Sizilien.
Statuette eines Tänzers.
Mehrere altertümliche Fibeln und an-
dere Geräte.
Terrakotten :
Einige vorzügliche Statuetten aus Ta-
nagra.
Gruppe von zwei Schauspielern. Attika.
Polyphem mit einem Auge in der Mitte
der Stirn, sitzend. Böotien.
Mehrere andere Statuetten altertüm-
lichen und freieren Stiles.
CURTIUS
Goldgulden von Otto Heinrich von der Pfalz,
Denar vom Erzbischof Piligrim von Köln, ge-
prägt in Bonn, mit dem Namen VERONA,
Goldbrakteat von St. Omer, ein schöner
Schrifcbrakteat des Landgrafen Hermann von
Thüringen, Groschen von Johann von Riet-
berg und eine Reihe seltener deutscher
Denare des XI Jahrhunderts aus dem Funde
von Ladinoje Pole in Russland. — Unter
den erworbenen Siegelstempeln zeichnet sich
ein schöner Bronzestempel von Hemme in
Schleswig - Holstein , XIII Jahrhundert, mit
thronender Madonna aus.
Geschenke erhielt die Sammlung von
i Seiner Excellenz dem Herrn Staatsminister
Dr. Bosse, der Königl. Eisenbahn-
, Direktion in Berlin durch Vermitielung
i der Königl. Geologischen Landesanstalt,
Herrn G.Clerk, Herrn Dr. Laban (Papier-
geld aus der ungarischen Revolution 1848)
I und Herrn Adolf Weyl.
V. SALLET
D. MÜNZKABINET
Das Münzkabinet erwarb 874 Stück
(25 Gold, 749 Silber, 62 Kupfer, 2 Blei,
18 Stück Papiergeld, 6 Siegelstempel, davon
I Silber, 5 Kupfer, i Bronzeplatte, 11 Glas-
gewichte). Unter den antiken Münzen ist
hervorzuheben das nur in zwei Exemplaren
bekannte Goldstück des parthischen Satrapen
Andragoras (bald nach Alexander d. Gr. oder
um 250 V. Chr.) und ein unedierter Denar des
Pescennius Niger mit der Aufschrift felicia
tempora.
Unter den Mittelaltermünzen sind er-
wähnenswert ein Goldgulden des Erzbischofs
Adolf von Mainz, geprägt in Udenheim, zwei
Goldgulden von Ruprecht von der Pfalz,
E. KUPFERSTICHKABINET
Von den Erwerbungen des verflossenen
Quartals sind die folgenden hervorzuheben:
A. KUPFERSTICHE
MEISTERIC Christus am ölberg. B.6. P. 383.
Nr. I. (Kopie nach Martin Schongauer.
B. 9.)
DERSELBE. Die Gefangennehmung Christi.
B. 2. (Kopie nach Martin Schongauer.
B. 10.)
MECKENEM, ISRAEL VAN. Die heilige Maria.
B. 65.
DÜRER, ALBRECHT. Madonna unter einem
Baume sitzend 151 3. B. 35.
DERSELBE. Der heilige Eustachius. B. 57.
DERSELBE. Der Müfsiggang (der Traum des
Doktors). B. 76.
CRANACH, LUCAS. Die Bufse des heiligen
Chrysostomus. B. i.
BEHAM, BARTHEL. Nackte Frau auf einer
Rüstung sitzend. B. 20.
ALTDORFER, ALBRECHT. Neptun auf einem
Meerungeheuer. B. 30.
DERSELBE. Die Frau mit dem Leuchter.
P. 104.
IV
XLVII
AMTLICHE BERICHTE
XLVIII
ALTDORFER, ALBRECHT. Geflügeltes Kind mit
Wappenschild. Meyer K. L. 65 b.
DERSELBE. Der Glaube. 1 506. Unbeschrieben.
61 mm hoch, 37mm breit.
MEISTER HGVH 1584. Landschaft mit dem
Opfer Abrahams.
SIEGEN, LUDWIG VON. Prinz Wilhelm von
Oranien. Schabkunstblalt. Andresen 3.
DERSELBE. Prinzessin Augusta Maria von
Oranien. Schab kunstblatt. Andresen 4.
hOsSENER, AUGUSTE. Das vollständige Werk
ihrer Kupferstiche.
MEISTER I A VON ZWOLLE. Der heilige
Georg. B. 13.
LEYDEN, LUCAS VAN. Madonna in der Glorie.
B. 82.
BRAMER, LEONHARD. Zimmer mit einem
lautenspielenden Mann und einer Frau
vor einem Spiegel.
HARLINGEN, FEDDES VAN. Die Verspottung
Christi. Van der Kellen 5.
DERSELBE. Das Tischgebet. K. 19.
REMBRANDT. Die Flucht nach Ägypten im
Geschmack Elsheimers. B. 56. Ro-
vinski IV. Zustand.
DERSELBE. Die grofse Auferweckung des La-
B. 73. R. V.
Der Tod der Maria. B. 99. R. I.
Der Tod der Maria. B. 99. R. III.
Die Landschaft mit den drei
B. 217. R. I.
DERSELBE. Die Landschaft mit dem vier-
eckigen Turm. B. 218. R. I.
DERSELBE. Die Landschaft mit dem Turm.
B. 223.
DERSELBE. Die Landschaft mit dem Boot.
B. 236. R. I.
DERSELBE. Bildnis des Jan Antonides van
den Linden. B. 264. R. I.
DERSELBE. Bildnis des jungen Haaring.
B. 275. R. I.
DERSELBE. Bildnis des Dr.ToUing. B. 284. R. III.
BOTH, JAN. Die Kühe am Wasser. B. 8.
VERSCHURING, HENDRIK. Die Reisenden. B. 2.
ROBETTA, CRISTOFORO. Der junge an den
Baum gebundene Mann. B. 17.
DERSELBE. Herkules die Hydra tötend. B.21.
RAIMONDI, MARCANTONIO. Die heilige Fa-
milie unter der Palme. B. 62.
DERSELBE. Die Marter der heiligen Felicitas.
B. 117.
DERSELBE. Bacchus als Kind von zwei Satyrn
getragen. B. 230.
zarus.
DERSELBE.
DERSELBE.
DERSELBE.
Hütten,
RAIMONDI, MARCANTONIO. Venus und Amor.
B. 311.
MEISTER MIT DEM WÜRFEL. ApoUo und Mar-
syas. B. 31.
PIRANESI, GIOVANNI BATTISTA. Ein reich-
haltiges, 1266 Blfitter umfassendes Werk
seiner Radierungen in 26 Foliobänden.
WATSON, THOMAS. Henrietta Countess of
Rochester. Schabkunstblatt.
DERSELBE. Frances Lady Whitmore. Schab-
kunstblatt.
DERSELBE. Frances Duchess of Richmond.
Schabkunstblatt.
B. BÜCHER MIT KUPFERSTICHEN
Todten -Tantz. Wie derselbe in der . . . Stadt
Basel ... zu sehen ist. Basel 1625. Oktav.
(Longus), Les Amours Pastorales de Daphnis
et Chlog. 17 18. Mit Kupferstichen von
B. Audran und J. B. Scotin. Oktav.
(Montesquieu), LeTemple de Gnide, . . . Avec
Figures Gravees par N. Le Mire . . . d*apres
les dessins de Gh. Eisen. Paris 1772. Der
Text in Kupfer gestochen. Quart.
C. HOLZSCHNITTE
DÜRER, ALBRECHT. Der heilige Hieronymus .
in der Grotte. B. 113. Flugblatt. Ge-
druckt zu Nürnberg durch Hans Glaser,
vergl. P. in. pag. 163.
DERSELBE. Maria mit dem Kind. B. app. 14,
vor dem Monogramm.
ALTDORFER, ALBRECHT. Der heilige Christoph.
B. 54.
OSTENDORFER, MICHAEL. Bildnis des Caspar
Othmar. Sic oculos . . . nulla manus.
AMMAN, JOST. Bildnis des Feldmarschalls
Georg Ludwig von Seinsheim. An-
dresen 21.
ITALIENISCHE SCHULE XV Jahrhundert. Der
heilige Albertus und Scenen aus dem
Leben des heiligen Albertus, eingeklebt
in eine Lederschatulle.
MEISTER I B MIT DEM VOGEL. Der heilige
Sebastian. Clair obscur, unbeschrieben,
182 mm hoch, 122 mm breit.
D. BÜCHER MIT HOLZSCHNITTEN
Ain hipsche Tragedia von zwaien lieb-
habenden menschen. Augsburg, Grimm
und Würsung, 1520. Oktav. Mit Holz-
XLIX
KÖNIGLICHE MUSEEN
schnitten des Pseudo - Burckmair ge-
nannten Meisters.
(Ulrich von Hütten), Phalarismus Dialogus
Huttenicus. 1517. Oktav.
Opere del Divino Poeta Dante con suoi co-
menti. Venedig 1512. Quart.
E. ZEICHNUNGEN
DÜRER, ALBRECHT. Bildnis eines Gold-
schmieds von Mecheln. Federzeichnung.
160 mm hoch, 101 mm breit. Oben am
rechten Rand das Monogramm, am oberen
Rand steht von DÜRER*s Hand geschrie-
ben: ein goltschmit von mechell 1520
zw antorff gemacht. Früher in der Samm-
lung Thomas Lawrence.
DERSELBE. Die Verkündigung Maria. Leicht-
aquarellierte Federzeichnung. 312 mm
hoch, 205 mm breit. Unten in der Mitte
mit dem Monogramm bezeichnet. Dar-
unter nach links zu von DÜRER's Hand
in schwarzer Tinte geschrieben: vm ein
pfund. Studie zu dem Holzschnitt des
Marienlebens B. 83.
GELLfe, CLAUDE (LORRAIN). Waldlandschaft.
Sepiazeichnung. 252 mm hoch, 402 mm
breit.
DERSELBE. Italienischer Hafen mit unter-
gehender Sonne. Weifsgehöhte Sepia-
zeichnung. 271 mm hoch, 421mm breit.
LIPPMANN
F. ÄGYPTISCHE ABTEILUNG
An Geschenken erhielten wir in diesem
Vierteljahr: von Herrn Schumacher zwei
ägyptische Skarabäen aus einem Grabe bei
Akka in Palästina , von Herrn G o 1 e n i s c h ef f
in Petersburg die Abgüsse der Köpfe von
zwei Statuen Amenemhets III im Stil der so-
genannten Hyksosköpfe.
Durch gütige Vermittelung des Herrn Dr.
Reinhardt in Kairo konnte eine Reihe von
Erwerbungen gemacht werden, unter denen
die folgenden besonders erfreulich sind:
Drei Reliefs aus Gräbern des n. R. in
Memphis, darunter eines von ungewöhnlicher
künstlerischer Bedeutung, das wahrscheinlich
aus dem Grabe des Nefer-ronpet, Hohen-
priesters von Memphis unter Ramses II (um
1350 V. Chr.), stammt. In der oberen Reihe
die klagende Witwe und die Gärtner und
Unterbcamten des Ptah - Tempels , die unter
Wehklagen Lauben für die Totenfeier er-
richten. Unten der Leichenzug: dem Sarge
folgen zwei Söhne des Verstorbenen und die
sämtlichen höchsten Beamten des Landes.
Der Gegensatz zwischen der leidenschaftlichen
Klage der Angehörigen und Diener und der
gemessenen Trauer dieser Würdenträger ist
vortrefflich zum Ausdruck gebracht.
Mamorstatue der Isis in römischem Stil
mit einer Schlange und einem Korbe. Tadel-
los erhalten.
Hölzerne bemalte Totenbahre römischer
Zeit, für zwei Kinder Apollonius und Djidjoi,
bestimmt. Die Langseiten in Form von Lö-
wen, die Schmalseiten in durchbrochener
Arbeit.
Zehn thönerne Masken in griechischem
Stil von Mumien aus Kum - Mer bei Samhud,
Porträts der Toten.
Aufserdem eine gröfsere Anzahl kleinerer
Altertümer, die unsere Sammlung in wün-
schenswerter Weise ergänzen, und Bruch-
stücke hieratischer Papyrus, anscheinend
Briefe aus der Zeit nach dem neuen Reiche.
Durch Vermittelung des Herrn Professor
Beiger wurde die Kalksteinfigur eines ge-
wissen Entef erworben , eine gute Arbeit des
mittleren Reiches (um 2000 v. Chr.).
Die Sammlung der Photographien wurde
um etwa 50 Bläner vermehrt.
ERMAN
G. MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE
I. ETHNOLOGISCHE ABTEILUNG
Eine ausnehmend vielseitige und umsichtig
beschaffte Sammlung ist der indischen Ab-
teilung als schätzbares Geschenk durch Herrn
Dr. Baefsler zugegangen, bei Rückkehr von
mehrjährigen Reisen. Aufserdem sind Ge-
schenke zu verdanken: Herrn Meifsner in
Deli, Herrn Ger in i in Bangkok, Herrn
E i c k h o f f , Herrn Professor Dr. L e w i n und
Herrn Professor Hein. Angekauft wurde
eine Sammlung aus dem Sulu- Archipel.
LI
AMTLICHE BERICHTE
LH
Für die chinesische Abteilung sind von
dem Gesandten a. D. v. Brandt den früheren
Bereicherungen schenk weise Ergänzungen zu-
gefügt. Ein anderes Geschenk ist von Herrn
Konsistorialrat Dalton eingegangen und
aus den durch Herrn Dr. Ehrenreich aus
seinen Reisen zurückgebrachten Sammlungen
konnten Ethnographica von den Ainos an-
gekauft werden, sowie japanische Kakemonos.
Für die afrikanische Abteilung sind Herrn
Sanitätsrat Dr. Bartels Geschenke an Pho-
tographien zu danken y ebenso Herrn Pro-
fessor Dr. Joe st, und willkommene Samm-
lungsstücke wurden durch Herrn Hauptmann
Herold (aus seinem Aufenthalt im Togo-
gebiet), Herrn Kallenberg (aus Ostafrika)
und Herrn Kraatz geschenkt. Durch die
Kolonial -Abteilung des Auswärtigen Amtes
ging eine Sammlung Herrn Conrads ein
und von Herrn R. Franke konnte eine um-
fangreiche Sammlung (aus Ostafrika} ange-
kauft werden, sowie von Herrn Dr. Rein-
hardt, Herrn Rindermann und Herrn Kal-
lenberg.
Im Austausch mit dem Museum in Leiden
wurden Sammlungsstücke aus verschiedenen
Teilen Afrikas erworben.
Die amerikanische Abteilung ist durch
Herrn Dr. Hoff mann in Washington be-
schenkt, sowie durch Herrn Regierungsbau-
meister Guttmann und Herrn C. Künne.
Aus der ecuadorischen Ausstellung in Chi-
cago sind Altertümer durch Herrn Gual-
berto Perez in Guayaquil dem hiesigen
Museum geneigtest übergeben.
Die von Herrn Strebe l in Hamburg an-
gekauften Sammlungen wissenschaftlich ho-
hen Wertes, weil durch methodisch ausver-
folgte Ausgrabungen beschafft, konnten durch
weitere Erwerbungen ergänzt werden.
Eine Nachbildung des Goldfiofs von Gua-
tavita, welche die Verwaltung des Museums
für Völkerkunde in Leipzig nach der dort
befindlichen anzufertigen gestaltete, findet
sich jetzt auch im hiesigen Museum, als so-
weit einziger Ersatz des für dasselbe be-
stimmten Originals, das auf dem Wege da-
hin leider zu Grunde gegangen ist (infolge
eines Speicherbrandes).
BASTIAN
II. VORGESCHICHTLICHE ALTERTÜMER
PROVINZ BRANDENBÜRG.
Geschenke. Herr stud. med. P. Rei-
necke in Westend: Feuersteinsplitter vom
»Heidenberge« bei Biesenthal, Thongefäfse
und eine eiserne Fibel von Rüdnitz, Kr.
Oberbarnim. Herr Lehngutsbesitzer W. G r i e-
ben in Seebeck: wendische GefUfsscherben
von Seebeck, Kr. Ruppin. Herr Ingenieur
Herrmann in Pankow: eine grofse eiserne
Nadel, einen eisernen Gürtelhaken, Bronze-
Spiralröhrchen u. s. w., sowie eine ornamen-
tierte Urne von Vehlefanz, Kr. Osthavelland.
Herr Civil- Supern umerar Reiche in Pan-
kow: eine grofse bronzeplattierte Eisennadel
und andere kleinere FundstUcke von Vehle-
fanz. Herr HandelsgSrtner H. Finn in Dom.
Pinnow: ein Steinbeil, Nucleus, Bohrer und
Splitter von Feuerstein, gefunden zwischen
Dom. Pinnow und Borgsdorf, Kr. Nieder-
barnim. Herr Kreisphysikus Dr. Siehe in
Kalau : ein kleines Thongefäfs von Ali-Döbem,
Kr. Kalau. Herr Theodor Wilke in Guben:
eine Buckelurne von Starzeddel, Kr. Guben,
und eine Urne der La Tene -Zeit von Guben.
Herr Professor Dr. Jentsch in Guben: ein
kleines Thongefäfs von Strega, drei Thonperlen
und einen Bronze - Nadelkopf von Starzeddel,
sowie zwei Bronzenadeln von Reichersdorf im
Kreise Guben. Herr Bürgermeister Wall-
baum in Beizig: ein wendisches Thongefäfs
und verkohlte Getreidereste von einer An-
siedelung bei Platkow, Kr. Lebus. Herr
Rektor Dr. Weineck in Lübben: ein grofses,
reichverziertes Thongefäfs von Aurith, Kr.
West- Sternberg, ein kleineres Gefäfs aus der
nördlichen Lausitz und zwei Steingeräte aus
Urnen. Herr Ziegeleidirektor Beyrich in
Lübars: ein kleines Thongefäfs von Lübars,
Kr. Niederbarnim. Herr Bauernhofbesitzer
C. Piper in Blumberg: einen Steinhammer
von Blumberg, Kr. Landsberg a. W. Herr
Lehrer Penitzka in Baitz: eine Urne, ein
kleines Beigefäfs, einen Thonwirtel, fünf
Glasperlen und ein Bronzefragment von Kuh-
bier, Kr. Ostprignitz, sowie einen Spinn-
wirtel von Baitz, Kr. Zauch - Beizig.
Ankäufe. Eine Anzahl Buckelgefäfse
und Bruchstücke von Thongefäfsen von Tam-
mendorf, Kr. Krossen. Eine grofse Anzahl
LIII
KÖNIGLICHE MUSEEN
LIV
von Thongefäfsen nebst Beigaben aus Bronze
und Eisen von Neuendorf, Kr. Krossen, und
Guben. Ein ThongeMs und ein gröfserer
Scherben von Vogelsang, Kr. Guben.
Ausgrabungen im Auftrage der Ge-
neralverwallung. Eiserne Lanzenspitze,
Pfeilspitze, Messer und wendische Thon-
scherben von Seebeck, Kr. Ruppin. Thonge-
fäfse aus Hügelgräbern bei Ltlsse, Kr. Zauch-
Belzig. Thongeftlfse aus zwei Gräbern mit
Steinpackungen von Lübars, Kr. Nieder-
barnim.
PROVINZ SCHLESIEN.
Geschenk: Herr Ed. Johnke in Woh-
lau: eine gröfsere Anzahl von Thongefäfsen
aus dem Gräberfelde von Buschen, Kr. Wohlau.
Ankäufe. Steinhammer, kleine Thon-
gef^fse, Bronze- und Eisenbeigaben von
Buschen, Kr. Wohlau. Urnen, Beigefäfse
und Beigaben von Tschammer -Ellguth, Kr.
Grofs-Strehlitz.
PROVINZ SACHSEN.
Geschenke: Herr Forstmeister Brecher
in Grünewalde bei Schönebeck a. Elbe : Urne,
BeigefMfschen , Thonwirtel, Steinmeifsel und
Knochengei^te von Plötzky, Kr. Jerichow I.
Herr Pfarrer Kluge in Arneburg: einen klei-
nen Thonlöffel vom Galgenberge in Arneburg,
Kr. Stendal. Herr MaxReinhardt in Alt-
haus - Leitzkau : Urnen und Beigaben von
Leitzkau, Kr. Jerichow L Herr Otto Ko-
walsky in Seehausen: eine Urne vom »Tan-
nenkruga, Kr. Osterburg.
Ankäufe. Ein Bronze - Lappencelt von
Herzberg, Kr. Schweinitz. Steingeräte und
Thongefäfse von Merseburg und Umgegend.
Zwei Urnen und Scherben mit Schachbrett-
muster von Wallwitz, Kr. Jerichow I. Ein
zerbrochener Gold -Armring, Goldblech-Frag-
mente und Bruchstücke dazugehöriger Thon-
gefäfse von Wedringen, Kr. Neuhaldensleben.
Eine Urne und Steinwirtel von Burghessler,
Kr. Eckartsberga.
PROVINZ HESSEN-NASSAU.
Geschenk: Herr Fabrikbesitzer Ad.
Wagner in Berlin: Bruchstück (Doppel-
tülle) eines Thongefiifses aus den römischen
Töpfereien von Heddcrnheim, Mainkreis.
RHEINPROVINZ.
Geschenk. Herr Geschäftsführer Busse
in Berlin: eine römische Thonlampe von
Kreuznach.
Ankäufe. Grabfund der La Tene-Zeit:
Bronzeiibel, -Armringe, -Halsringe und zwei
eiserne Lanzenspitzen von Brey, Kr. St. Goar.
Bronzeschwert von Trier. Kleines Thon-
gefäfs mit Bronzefibel von Gladbach, Kreis
Neuwied. Bronzefunde von Halsenbach und
Gondershausen, Kr. St. Goar, von Naunheim
und Münstermaifeld, Kr. Mayen, von Cobern
und Weifsenthurm , Kr. Coblenz, und ein
Messerknauf aus Bronze von Aachen. Frän-
kische Gräberfunde von Niederbreisig, Kreis
Ahrweiler, und Weifsenthurm, Kr. Coblenz.
Bronzeringe und Fibeln von Raeren, Kreis
Eupen. Zwei kleine fränkische Grabsteine
von Leudesdorf, Kr. Neuwied. Grofse frän-
kische Bronze -Zierscheibe von Aachen. Frän-
kische Eisenfibel mit Silbertauschierung von
Niederbreisig, Kr. Ahrweiler. Thongefäfse
vorrömischer Zeit von Siegburg, Heumar,
Thurn und Dünnwald.
PROVINZ HANNOVER.
Geschenke. Herr Hofbesitzer Ficke
in Schukamp: einen grofsen Steinhammer
von Schukamp, Kr. Blumenthal. Herr von
Stoltzenberg in Luttmersen a. R.: eine
Bronzefibel von Sögein bei Rulle. Die El b-
strom-Bauver waltung (Ober- Präsidium
der Provinz Sachsen) zu Magdeburg: zwei
Lanzenspitzen und ein skramasaxähnliches,
einschneidiges grofses Messer aus Eisen von
Hitzacker, Kr. Dannenberg. Herr Vollhöfner
Wrede in Benrode: eine Urne von Benrode,
Kr. Burgdort.
A n k ä u f e. Bronze- Armband und Doppel-
spirale von Osnabrück, Grabfunde von Engter
bei Osnabrück. Eine gröfsere Anzahl von
Thongefäfsen und Beigaben von Altenwalde,
Kr. Lehe. Kleiner Thonnapf von Uetze, Kreis
Burgdorf, und ein grofses poliertes Feuer-
steinbeil von Langlingen bei Uetze.
MECKLENBURG - SCHWERIN.
Ankauf. Bruchstück eines Steinhammers
von Dargun, Steinbeil und defekter Stein-
hammer von Neukaien in Mecklenburg-
Schwerin.
LV
AMTLICHE BERICHTE
LVI
ANHALT.
Ankäufe. Steinhammer von Cöthen,
II ThongefMfse und ein Bronze -Armring von
Büro bei Coswig.
THÜRINGEN.
Ankäufe. Drei defekte Steinbeile von
Sonnendorf in Sachsen - Weimar. Eine Urne,
kleiner Bronzering undFiintstUcke von Apolda
in Sachsen- Weimar. Ein Steinhammer von
Eckelstedt in Sachsen - Meiningen. Eine
Bronze - Lanzenspitze aus Thüringen.
BAYERN.
Ankäufe. Hügelgräberfunde von Deus-
mauer in der Oberpfalz. Kurzes Bronze-
schwert von Lindau am Bodensee. Hügel-
gräberfunde von Dietldorf und Emhofen in
der Oberpfelz.
HESSEN - DARMSTADT.
Ankäufe. Gewebereste von Mainz. Stein-
hammer, ebendaher. Zwei Bronzebarren von
Castel bei Mainz. Bronzenadel und eiserne
Trense von Mainz. Fünf Bronzefibeln von
Bingen, Rheinhessen.
ELSASS - LOTHRINGEN.
Ankäufe. Durch lochte, als Amulet ge-
tragene meroving. Goldmünze von Strafs-
burg, Grabfunde von Puberg und Rohrweiler.
Bronze - Armringe von Strafsburg Zwei
Bronzecelte von Schiltigheim bei Strafsburg
und Marlenheim. Bronzecelt und fränkische
Funde von Hagenau.
BADEN.
Ankäufe. Zwei Kollektionen von Stein-,
Hörn- und Knochengeräten, Thongefäfsen
u. A. aus den Pfahlbauten von Bodman am
Bodensee.
WÜRTTEMBERG.
A n k ä u f e. Bronze - Armringe von Bietig-
heim. Bronzenadel und fünf Armringe von
Rottenburg. Bronzecelt von Wangen am Bo-
densee. Gipsabguss einer janusköpfigen Stein-
figur von Holzgerlingen.
RÜSSLAND.
Geschenk. Herr Geheimer Medizinalrat
Professor Dr. R. Virchow in Berlin: eine
kleine Bronzefigur aus dem Kaukasus.
GRIECHENLAND.
Ankauf. Eine gröfsere Anzahl von Ob-
sidianmessem und -Nuclei von der Insel
Milo.
ÖSTERREICH - UNGARN.
Geschenk. Herr stud. med. P. Rei-
ne c k e in Westend : GefMfs - Bruchstücke von
Deva in Siebenbürgen und aus der Tominz-
höhle bei St Canzian im KUstenlande.
Ankäufe. Eine Kollektion ungarischer
Bronzegeräte. Ein grofser Bronze - Tutulus
aus Ungarn; zwei Lanzenspitzen von Bronze,
ebendaher. Zwei Gipsabgüsse von Stein-
reliefs aus dem Nationalmuseum in Buda-
pest, Frauen des germanischen Stammes der
Eravisker darstellend. Bronzedolch, Ring und
Pfeilspitze von Kourim in Böhmen.
ITALIEN.
Ankäufe. Zwei longobardische Blatt-
goldkreuze. Zwei Steinbeile von Ferrara
und eine Bronzefibel von Bologna. Bronze-
schnallen, Pincette und kleine Ringe von
Perugia.
SCHWEIZ.
A n k ä u f e. Steinbeil mit Hornfassung und
Schaft, Feuersteinsäge mit Fassung, eiserner
Schildbuckel und Bronzemesser aus den Kan-
tonen Neuenburg und Basel. Grabfund und
grofse Eisenschnalle von Freiburg, sowie drei
Bronze- Arm ringe von Montreux und aus dem
Tessin , sowie eine burgundionische Bronze-
Gürtelschnalle von Neuenburg. Bronze-Gür-
telschnalle aus dem Tessin.
FRANKREICH.
Ankäufe. Eine Sammlung von Thon-
gefäfsen, Bronzen und Eisengerät von Her-
mes, Dpt. de rOise. 38 Steinperlen von Abl)e-
ville , Dpt. Somme. Bronze - Lanzenspitze von
Perigueux, Dpt. Dordogne. Zwei Steinbeile,
Bronzecelte und Lanzenspitzen aus verschie-
denen Fundorten , Bronzenadeln , Messer und
Thonwirtel aus dem Lac du Bourget in Sa-
voyen. Eine Lanzenspitze, vier Gelte und
sechs Armringe aus Bronze von verschiedenen
Fundorten. Fünf Steinbeile von Perigueux
LVII
KÖNIGLICHE MUSEEN
LVIIl
Zwei Kollektionen von Bronzegeräten aus
verschiedenen Fundorten und Feuerstein-
geräten von Laugerie basse.
SPANIEN.
Ankauf. Bronzeiibeln u. A. von Tarra-
gona.
ENGLAND.
Ankauf. Zwei Beile , eine Lanzenspitze
und einen Armring von Bronze aus Irland.
VOSS
H. KUNSTGEWERBE-MUSEUM
L SAMMLUNG
Ankäufe
BRONZEKAPSEL für eine Medaille. Italien,
XVI Jahrh.
KOHLENBECKEN, Kupfer getrieben. Italien,
XVI Jahrh.
TABAKSDOSE in Silber und Email, bezeichnet
»les freres Jordan et Lautier ä Berlin.«
Mitte XVIII Jahrh.
BILDTAFEL auf Holz, Temperafarben mit
Reliefvergoldung. Deutschland, XV Jahrh.
PORZELLANTELLER aus der Fabrik der Medici.
Florenz, XVI Jahrh.
MAJOLIKATELLER, in Weifs und Blau de-
korierL Venedig, XVI Jahrh.
TABAKSPFEIFE, Holz geschnitzt mit Silber be-
schlagen, mit einem Frauenkopf. Deutsch-
land, XVIII Jahrh.
Geschenke
Herr Thiem in Niederschönweide: Wäsche-
presse, XVII Jahrh.
Herr G. Lewy: Porzellankanne von Gotz-
kowsky. Berlin, 1761/63.
Herr Epstein in Breslau: Stab einer Kasel;
Endstück eines polnischen Shawls; Baum-
wollenstoff, Italien.
Herr von Schröder: 129 Kunstwerke und
kunstgewerbliche Arbeiten und zwar:
Gemälde, Möbel, Majoliken, Glas, Stoffe
und Gerät in Silber, Bronze, Kupfer,
Messing, Zinn und Eisen (z. T. für Pro-
vinzial- Museen bestimmt).
Fräulein Preufser in Stettin: Taschenuhr
und Chatelaine, Gold. XVIII Jahrh.
Herr Hof- Antiquar J. A. Lewy: Fayence-
Vase. Münden, XVIII Jahrh.
Herr Dr. Deibel in Wien: 65 japanische und
chinesische Arbeiten in Lack, Fayence,
Bronze, Chalcedon, Elfenbein und Holz
und eine silberne Schale aus dem Kaukasus.
Frau Herrmann: Tuch, gedruckt; Täsch-
chen mit Blumen; Täschchen mit Perl-
stickerei.
Leihgaben
Herr Graf von Oppersdorff: Tisch mit
intarsierter Tischplatte. Deutschland,
XVI Jahrh.
Arbeiten neuerer Industrie
Seine Königliche H oheit Prinz Georg
von Preufsen: Ölgemälde, Kopie von
Raffaels Transfiguration. Gemalt von
Girolamo Palumbo.
Als Geschenk für eine Berliner Kirche
bestimmt.
Herr Thomas Wardle in Leek: Kopie des
in Bayeux befindlichen gestickten Wand-
behanges: Darstellung der Eroberung
Englands durch die Normannen.
Fräulein von Förster: Spiegel in Silber
gefasst. Geschenk des türkischen Sultans
an die Ausstellerin.
Herr Burda: Lederkassette für Zeichnungen.
Geschenk der Vereinigung Berliner Archi-
tekten an Herrn Architekt Fritsch. Ent-
wurf von Baumeister Seeling, Ausführung
von Burda.
Herr Direktor Ernst Ewald: Album und
Adresse. Dem Aussteller gewidmet von
den Lehrern bezw. Schülern der Unter-
richts -Anstalt zum 25 jährigen Jubiläum
der Anstalt.
Herr F. P. Krüger: Zwei Radabweiser,
Schmiedeeisen.
Herr Geh. Legationsrat Dr. von Mo hl:
Zwei Rookwood - Fayencen.
Frau Baronin von Bistram in Raschwitz:
Gruppe, Holz geschnitzt, von Bildhauer
Ruppe.
LESSING
1
LIX
AMTLICHE BERICHTE
LX
IL BIBLIOTHEK
Erworben wurden: für die Bibliothek
177 Werke und 364 Einzelbläiter; für die
Ornamentstichsammlung 47 Nummern, da-
runter eine Sammlung japanischer Muster-
bücher (Geschenk des Eisenbahndirektors
Rumschöttel in Tokio); 31 Blatt dekorativer
Handzeichnungen (Vermächtnis des Baron
von Schröder); eine Auswahl moderner eng-
lischer Druckwerke u. A.
JESSEN
IIL UNTERRICHTS-ANSTALT
Schuljahr 1893/94.
Das Sommerquartal wurde am 2. April 1894
begonnen und am 30. Juni 1894 geschlossen.
Die Zahl der Schüler betrug:
Tagess
Voll-
schüler
chüler
Ho-
spitanten
Abend-
schüler
Zu-
sammen
Schüler . . .
79
1
157
237
Schülerinnen
27
2
37
66
Summa . .
106
3
194
303
von denen
wurden.
insgesamt 316
Plätze belegt
E
WALD
II. NATIONAL-GALERIE
Erwerbungen im 2. Vierteljahre 1894.
HANDZEICHNUNGEN.
PETER BECKER. Strafse in Greifenstein bei
Wetzlar. Aquarell.
F. HORUP. (f ) Golf von Palermo. Blei.
DERSELBE. Italienische Landschaft. Feder.
JOSEF ANTON KOCH, (f ) Zwei Landschaften.
Feder.
FR. OVERBECK. (f ) Bildnis des Inspektors
Wintergerst. Blei.
DERSELBE. Italienischer Bauer. Aquarell.
FR. OVERBECK. (f ) Italienischer Bauer am
Tisch.. Aquarell.
DERSELBE. Bauemmädchen, Wasser schöpfend
Blei.
Bauernstube. Blei.
Familienscene. Blei und Wasser-
DERSELBE.
DERSELBE,
färben
DERSELBE.
DERSELBE.
DERSELBE.
DERSELBE.
DERSELBE.
Bauernstube. Aquarell.
Bauernhof. Aquarell.
Dorfkirche. Aquarell.
Lesendes Madchen. Kreide.
Frauenkopf. Aquarell.
M. V. SCHWIND, (f ) Türken und Türkinen
auf einem Balkon rauchend. Aquarell.
DERSELBE. Ritter Kurts Brautfahrt, ölskizze.
E. V. STEINLE. (f ) Schneewittchen. Aquarell.
DERSELBE. Adam und Eva, das Gebot em-
pfangend. Blei.
DERSELBE. Adam und Eva. Kreide.
DERSELBE. Jakob kämpft mit dem Engel. Blei.
DERSELBE. Der Prediger in der Wüste. Blei.
DERSELBE. Zuhörer aus der Bergpredigt
Kreide.
DERSELBE. Jesus am Ölberge mit den Jüngern.
Aquarell.
DERSELBE. Die thörichten Jungfrauen. Ent-
wurf. Feder.
DERSELBE. Die heilige Julia. Blei.
DERSELBE. Leben des heiligen Paulinus des
Einsiedlers. Feder.
DERSELBE. Die tiburtinische Sibylle schaut
den Erlöser mit seiner Mutter in einer
Wolke. Blei.
DERSELBE. Vier Stationsbilder für die Kreuz-
wegkapelle an der Ägidien - Kirche in
Münster i. W. Kreide und Wasserfarben.
DERSELBE. Ein Bischof verteilt Gaben an
Arme. Feder.
DERSELBE. Kompositionen zu einer Sage.
Blei.
DERSELBE. Der Henker aus dem Urteile
Salomonis. Blei.
DERSELBE. Bildnis des Malers Jos. v. Führich.
Blei.
DERSELBE.
Gamba,
DERSELBE.
DERSELBE.
DERSELBE.
Blei.
DERSELBE. Vier Blatt Gewand- und Hand-
studien zu den Engeln im Kölner Dom.
Blei und Kreide.
Frederic Leighton und Enrico
Kohle.
Bildnis des Malers Ph. Veit. Blei.
Kopf des Falstaff. Blei.
Studie zum Kopf des Türmers
LXI
KÖNIGLICHE MUSEEN
LXII
E. V. STEINLE. (f) Studie zum Mantel der Ma-
donna in der katholischen Kirche zu Wies-
baden. Sepia, weifs gehöht
DERSELBE. Studie zum Gewand der Madonna
des Herz -Jesubildes in Wien. Kreide.
DERSELBE. Studie zum Gewände der heiligen
Elisabeth von Thüringen. Blei.
DERSELBE. Mantelmotiv einer Frauenfigur.
Blei.
DERSELBE. Mantelmotiv einer Männerfigur.
Blei.
DERSELBE. Madonna im Garten. Kohle.
Karton.
DERSELBE. Die apokalyptischen Reiter. Kreide.
Karton.
DERSELBE. Bild der modernen Kultur. Blei.
DERSELBE. Himmelskönigin. Blei.
DERSELBE. Bildnisse der Maler: Veit, Sette-
gast, Chr. Becker und Jac. Binder. Blei.
PH. VEIT, (f ) Allegorie. Blei.
DERSELBE. Entwurf zu einem Freskobilde fUr
das Städelsche Institut in Frankfurt a. M.
Aquarell.
A. LUTTEROTH. Campo santo zu Genua.
Aquarell.
DERSELBE. Auf Elba. Aquarell.
E. M. GEYGER. Fünf Blatt Studien zu seiner
Original - Radierung : Affen - Disputation.
Blei.
H. PRELL. Drei Aquarellen nach seinen Wand-
bildern im Rathause zu Hildesheim:
I. Herman der Cherusker, 2. Einzug des
Bürgermeisters Brandts in Hildesheim,
3. Kaiser Wilhelm der Siegreiche.
JULIUS SCHOLTZ. (f ) Gastmahl der Generale
Wallen Steins, ölskizze.
Gesamtaufwand rund 14450 Mark.
Seit Juni ist im 2. Corneliussaale eine
Ausstellung von amerikanischen Holzschnitten
eröffnet worden. Die hervorragenden Meister,
wie W. B. CLOSSON, F. S. KING, F. FRENCH,
R. C. COLLINS, TH. JOHNSON, KRUELL, waren mit
zahlreichen Beispielen ihrer Kunst vertreten,
und von dem verstorbenen J. F. JUENGLING
hatte Herr Edmund von Koen ig in Heidel-
berg eine Sammlung vorzüglicher Probedrucke
in dankenswerter Weise dargeliehen.
JORDAN
Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei.
MkJf
1
I
I
J
Fünfzehnter Jahrgang
No, 4.
I. Oktober 1894
AMTLICHE BERICHTE
AUS DEN
KÖNIGLICHEN
KUNSTSAMMLUNGEN
BEILAGE ZU NO. 4
EIN ANTIKES MARMORRELIEF DER
KÖNIGLICHEN MUSEEN IN BERLIN
Herr Professor Carl Robert hat in dem
neuesten Heft der von ihm redigierten Zeit-
schrift Hermes (Bd. XXIX 1894 S. 417— 421)
nachzuweisen versucht, dass ein vor kurzem
aus dem Besitz des Grafen von Prokesch in
den der Berliner Museen übergegangenes
Marmorrelief (vergl. Bd. XIV Spalte III dieser
Zeitschrift) eine Fälschung des XIX. Jahr-
hunderts sei. Während Herr Geheimrat
Kekule, gegen dessen Bemerkungen im Ar-
chäologischen Anzeiger 1893 S. 77 Herr Pro-
fessor Robert sich vorzugsweise wendet, für
mehrere Wochen von Berlin abwesend und
der Möglichkeit erneuter Untersuchung des
Originals beraubt ist, halte ich es für geboten,
die mit grofser Bestimmtheit auftretende Be-
hauptung nicht längere Zeit unwidersprochen
zu lassen. Ohne ihm vorgreifen zu wollen,
hole ich vor allem nach, was der Aufsatz
des Herrn Professor Robert vermissen lässt,
indem ich diejenigen Abbildungen der Einzel-
heiten vorlege, welche den Leser in den
Stand setzen werden, über die der Nach-
prüfung dringend bedürftigen Behauptungen
sich ein eigenes ' Urteil zu bilden , und be-
gleite dieselben mit den nötigen erläuternden
Bemerkungen. Ich lasse dabei ununtersucht,
ob die von Herrn Professor Robert versuchte
Beweisführung in sich als bündig und der
Vorgang, welchen er annimmt, als wahr-
scheinlich oder auch nur verständlich anzu-
erkennen wäre und beschränke mich auf Er-
örterung der angeblich belastenden That-
sachen.
Die Punkte, welche Herr Professor Robert
zur Begründung seiner Ansicht in Betracht
zieht, sind die folgenden:
I. »Die Darstellung, ein sitzender Mann,
umgeben von vier Personen verschiedenen
Alters und Geschlechts, sämmtlich ohne be-
stimmte Aktion und ohne Verbindung mit-
einander, sämmtlich, wenn sie überhaupt etwas
thun, in tiefes Meditieren versunken, also ein
sinnender Lehrer im Kreise seiner sinnenden
Schüler, das, in Verbindung mit dem Fund-
' ort, muss jeden zunächst auf den Gedanken
an Plato bringen.« Als zwingend hat sich
diese Folgerung .bisher nicht erwiesen, da,
soviel hier bekannt, vor Herrn Professor
Robert angesichts des Reliefs niemand auf
den Gedanken an Plato gekommen war. Was
den Fundort betrifft, so ist das Relief von
dem Vater des Herrn Grafen von Prokesch
in Athen beim ölwald gefunden. Nun ist
der attische ölwald grofs; es giebt tausende
von Stellen, auf welche obige Angabe eben-
sogut passt, wie auf die Akademie, und es
fehlt jeder Anlass gerade sie herauszugreifen
und eine Beziehung zu ihr und ihrem Stifter
anzunehmen. Wenn die auf S. 417 richtig
wiedergegebene Fundnotiz sogleich auf S. 418
in die Behauptung verwandelt wird, das Relief
sei »in der Gegend der Akademie gefunden«,
so ist dies geeignet, einen nicht sehr auf-
merksamen Leser in bedenklicher Weise irre
zu ftlhren. Lässt man aber, wie man muss,
die angebliche Beziehung zur Akademie aufser
Betracht, so wird die Deutung des Reliefs
auf einen »sinnenden Lehrer im Kreise seiner
sinnenden Schüler« angesichts der Abbildung
(No. I der anliegenden Tafel I) — schwerlich
W
LXV
BEILAGE ZU DEN AMTLICHEN BERICHTEN
LXVI
naheliegend oder auch nur zulässig erschei-
nen. Den Eindruck von »Meditieren« machen
die ruhig dastehenden Figuren in keiner
Weise, und wenn ein etwa fünfzigjähriger
Mann mit zwei anderen von etwa 40 und
60 Jahren, und mit einem Knaben und einem
halbwüchsigen Mädchen gesellt erscheint, so
wird es schwer irgend ein Moment heraus-
zufinden, welches dafür spräche, in diesen
letzteren vier Personen einen »Kreis von sin-
nenden Schülern« zu erkennen.
2. »Der Kopf der sitzenden Hauptfigur
zeigt mit der Florentiner (sogenannten Plato-)
Büste, namentlich mit deren Abbildung in
Viscontis Ikonographie, eine Ähnlichkeit, die
schwerlich zufällig sein dürfte«, und da die
Büste, wie wir jetzt wissen, mit Plato nichts
zu thun hat, soll jene Ähnlichkeit den durch
Visconti irre geführten Fälscher verraten. Der
Kopf ist unter No. 2—5 der Tafel I in Vorder-
und Seitenansicht mit den Abbildungen aus
Viscontis Ikonographie in photographischer
Wiedergabe zusammengestellt. Jeder Unbe-
fangene wird urteilen, dass beide einander
so ähnlich sind, wie bärtige griechische Köpfe
des gleichen Lebensalters zu sein pflegen,
dass aber jede Obereinstimmung in indivi-
duellen, porträthaften Zügen fehlt.
3. »Noch gröfser aber, und, wie mich
däucht, schlechterdings unbestreitbar ist die
Ähnlichkeit des hinter dem Sitzenden stehen-
den Mannes .... mit dem Aristoteles Spada«,
dessen Deutung auf Aristoteles gleichfalls zum
mindesten unwahrscheinlich geworden ist, so
dass auch hier die Ähnlichkeit zu einem Ver-
dachtsmoment werden würde. Aber auch
hier zeigt die Nebeneinanderstellung beider
Köpfe (No. 8 und 9 der Tafel II) dieselbe Art
der Verwandtschaft und denselben Mangel an
Obereinstimmung im Individuellen.
4. Der ältere, stehende Mann war von
Geheimrat Kekule mit Menander verglichen
worden. »Ich bekenne«, sagt Herr Professor
Robert, » dass ich, trotz dem mangelnden
oder nur ganz schwach angedeuteten Bart,
von Anfang an vielmehr an Demosthenes er-
innert worden bin, namentlich an die Ab-
bildung bei Visconti Icon. gr. XXIX a. Wie-
derholte Betrachtung hat diesen Eindruck
immer mehr befestigt, und er war bei mir
bereits fest eingewurzelt, als mir die Erinne-
rung kam, dass ja in der That Demosthenes
wiederholt als Zuhörer Piatons bezeichnet
und so auch in der Schülerliste bei Diogenes
Laertius III 31 aufgeführt wird.« Der Kopf des
Reliefs und die Viscontische Abbildung sind
unter No. 6 und 7 der Tafel II nebeneinander
reproduziert, und zwar ist die letztere ebenso
wie die des Plato aus der Mailänder Aus-
gabe entnommen, nach welcher Herr Pro-
fessor Robert citiert. Es giebt ja kein Mittel,
um zu vermeiden, dass gelegentlich durch
einen noch so unähnlichen Kopf eine Er-
innerung an Demosthenes erweckt werde,
und dass diese Erinnerung sich in der Folge
zu der Vorstellung verdichte, jener Kopf
solle den Redner sogar selbst vorstellen.
Aber rätselhaft wird ein solcher Vorgang
immer bleiben. Um nur das Äufserlichste
hervorzuheben, so hat Demosthenes in allen
erhaltenen Darstellungen, auch auf dem obi-
gen Medaillon, so schlecht es sonst sein mag,
wohlerhaltenes Haupt- und Barthaar; der
Kopf des Reliefs dagegen zeigt einen völlig
kahlen Schädel mit spärlichen Resten von
Haar über den Ohren und ist völlig bart-
los. Wenn Herr Professor Robert von dem
»mangelnden oder nur ganz schwach
angedeuteten Bart« spricht, so ist die
zweite Alternative ohne jede Spur von Be-
gründung in dem thatsächlichen Befund.
Auch in den Gesichtszügen ist schlechter-
dings nichts, was auch nur entfernt an De-
mosthenes erinnern könnte. Es ist also völlig
undenkbar, dass die Figur Demosthenes habe
darstellen sollen. Damit fällt aber jeder
Schein eines Anlasses zu der Annahme weg,
dass, wie Herr Professor Robert herausge-
funden zu haben glaubte, der Verfertiger des
Reliefs die Liste der Piatonschüler bei Dio-
genes Laertius vor Augen gehabt habe und
folgerichtig auch
5. jeder Anlass zu der Vermutung, dass
der Schöpfer des Reliefs eine der beiden bei
Diogenes erwähnten Schülerinnen des Plato
»ohne Zweifel« in dem halbwüchsigen Mäd-
chen, oder, wie Herr Prof. Robert sagt, «dem
herantrippelnden Dämchen an der rechten
Ecke« habe darstellen wolfen. Wenn Herr
Prof. Robert sogar vermutet, dass Axiothea
von Phlius habe dargestellt werden sollen,
weil von dieser »Diogenes berichtet, dass sie
ihren Mantel nach Männerart drapiert habe,
was bei der Frau des Reliefs bis zu einem
gewissen Grade zutrifft«, so wird die Abbil-
dung dem Leser ermöglichen, selbst zu ur-
teilen, inwieweit das halbwüchsige Mädchen
als eine Frau bezeichnet werden kann, und
LXVII
KÖNIGLICHE MUSEEN
LXVIII
ob seine in nichts vom Gewöhnlichen ab-
weichende Gewandung auch nur die geringste
Spur einer Drapierung erkennen lässt, auf
die die Worte des Diogenes passten: n xal
avJpeZa i5|Li7rtc;(STo. Auch für die wohl nur
im Scherz zugelassene Möglichkeit, dass der
angebliche Fälscher in dem Knaben habe
Speusippos darstellen wollen, »den er sich als
Neffen Piatos noch in jugendlichem Alter
denken mochte«, föllt jede mögliche An-
knüpfung weg.
6. «Das Relief ist in jeder Beziehung ein
Unicum. Das merkt man sofort, sobald man
es in eine der bisher bekannten Klassen
griechischer Reliefs einzureihen versucht.«
Sd lange eine sichere Deutung nicht gefun-
den ist, wird eine solche Einordnung in der
That nicht gelingen. Allein ist dies ein
Grund, eine Fälschung anzunehmen? Die
Zahl der Monumente ist nicht klein, die nicht
ohne weiteres einer der grofsen »Klassen«
sich einfügen. Man wird dies z. B. auch von
dem viel besprochenen Veroneser Relief
(Raoul Rochette, mon. ined. T. LXXIc; Jahn,
Bilderchroniken Taf IIb) sagen dürfen und
trotzdem an seinem antiken Ursprung nicht
zweifeln. Die Frage übrigens, ob das Relief
nicht ein Grabrelief sein könne, wird denn
doch eingehenderer Prüfung bedürfen.
7. Ein Unicum soll das Relief auch hin-
sichtlich des Reliefstils sein. »Der Relief-
grund bildet eine völlig glatte Fläche« —
das ist ein Irrtum : er bildet eine unregelmäfsig
bewegte, insbesondere unregelmäfsig vertiefte
Fläche — »aus der die Figuren statuenartig
heraustreten.« Das Relief zeigt starke Er-
hebung und ähnelt in der Behandlung auch
vielen stärker erhobenen, namentlich klein-
asiatischen Grabreliefs. Der Eindruck des
Hervortretens der Figuren wird dadurch noch
gesteigert sein, dass, wie gewöhnlich, der
Grund stärker und wirksamer gereinigt sein
mag, als die auf ihm sich abhebenden Ge-
stalten. »Ein ungewöhnlich grofser Luftraum
ist über den Köpfen gelassen.« Er ist gröfser
als gewöhnlich; aber an verwandten Beispie-
len fehlt es keineswegs; so nähert sich auch
in diesem Punkte das Veroneser Relief dem
vorliegenden.
»Die Gröfsenverhältnisse sind so ver-
schieden, dass jede der fünf Figuren ihre
Proportion für sich hat.« Das wäre an sich
nichts Auffälliges, da auch in der Natur jede
Figur »ihre Proportion für sich hat«. Ge-
meint ist aber wohl, dass die Figuren jede
nach einem anderen Mafsstab gearbeitet seien.
Dann beruht die Behauptung auf einem Irr-
tum. In gröfserem Mafsstab ist nur die
sitzende Figur ausgeführt; die übrigen vier
Figuren zeigen durchgängig denselben Mafs-
stab: die beiden stehenden Männer, auf
welche Herr Professor Robert hinweist, sind
genau gleich grofs, der Knabe und das Mädchen
nach Verhältnis ihres Alters etwas kleiner.
8. Auch die Gewänder sollen Anlass zu
Bedenken geben. »Man betrachte z. B. den
Mantel des Demosthenes. Er umgiebt als
viereckiges Stück den Unterkörper und ist
an den Hüften zu einem Wulst zusammen-
gewunden; hier aber löst sich plötzlich ein
schmaler Ansau ab, der über die rechte
Schulter gezogen den Nacken umhüllt, dann
über der linken Schulter wieder zum Vor-
schein kommt und immer schmaler werdend
von der linken Hand gefasst bis auf den
linken Oberschenkel herabfällt.« Wer das
Original oder die Abbildung vergleicht, wird
eine ganz wohlzusammenhängende und ver-
ständliche Anordnung des Gewandes finden,
deren Motive aus attischen Reliefs hinlänglich
bekannt sind und nur in obiger Beschreibung
verkannt werden. »Und wo ist es in der
Antike erhört, dass eine Frau in solcher
Weise mit beiden Händen das Gewand empor-
zieht, wie die Philosophin« — damit ist das
halbwüchsige Mädchen gemeint — »auf
unserem Relief? Scheint es doch, als ob sie
durch tiefen Schmutz zu waten im Begriff
stehe. Von dem blödsinnigen Gesichtsaus-
druck und dem modern gescheitelten Haar
will ich lieber gar nicht reden.« Auf die
erste Frage geben die aus einer grofsen Zahl
verwandter Stücke ausgewählten drei Terra-
kotten in Athen und Wien Antwort, deren
Zeichnungen man unter No. 10. 11. 12 der
Tafel II findet. Ob der Ausdruck des ganz
anmutigen Köpfchens auf dem Relief in der
That demjenigen entspricht, dem wir bei Blöd-
sinnigen begegnen, und ob an dem einfach ge-
scheitelten Haar etwas Modernes, d. h. doch
wohl Unantikes zu entdecken ist, wird der
Leser angesichts der Abbildung (No. 13) selbst
entscheiden.
9. Auch die Hauptfigur soll den Fälscher
verraten. »Bei einer solchen Stellung des
Sessels, wie sie der Künstler des Reliefs be-
liebt hat, kann die Lehne nicht so weit nach
rechts reichen, dass der Sitzende seinen linken
1
LXIX
BEILAGE ZU DEN AMTLICHEN BERICHTEN
LXX
Arm darauf lehnen könnte. Und auch wer
nicht so indiskret ist, nach dem Ansatz des
linken Oberarmes und dem Verbleib des
Unterarmes zu fragen, wird sich doch Über
die wunderliche Drapierung des als Unterlage
der Hand dienenden Gewandzipfels kaum
hinwegsetzen können.« Der Sachverhalt ist
der, dass der Sessel ein wenig übereck steht
und die runde Lehne nicht ganz den heute
anerkannten Gesetzen der Perspektive ent-
sprechend wiedergegeben ist. Da diese Ge-
setze dem Altertum nicht geläufig waren und
auch in der Praicis der alten Kunst eine das
moderne Auge befriedigende Wiedergabe per-
spektivischer Verkürzungen zu den seltenen
Ausnahmen gehört, so würde es eher ein
Bedenken gegen die Echtheit eines Reliefs
erwecken können, wenn darauf eine per-
spektivische Aufgabe, wie die vorliegende,
ganz zutreffend gelöst erschiene. Im übrigen
ist die Bewegung der Figur richtig und ver-
ständlich wiedergegeben: die durch das Ge-
wand verdeckte, etwas zu weit nach rechts
verlängerte Stuhllehne erscheint unter der
linken Achsel, so dass die linke Schulter
darüber hervorragt, während der ganze Arm
hinter der Lehne verschwindet und erst die
auf deren Oberkante gestützte Hand wieder
zum Vorschein kommt.
10. Endlich soll noch eine Einzelheit auf-
fällig sein. »Unter dem dicken Kissen auf
dem Sitzbrett hat der Künstler noch einen
Gegenstand angebracht, in dem man bei
längerer Betrachtung ein Pantherfell mit
herabhängender Kopfhaut mehr errät als er-
kennt. Selbst bei der Annahme, dass hier auf
Mitwirkung der Farbe gerechnet war, wird
man staunen, dass derselbe Künstler, der an
den Händen der Figur sogar die Anschwel-
lung unterhalb des Nagels angiebt, ein Tier-
fell in Marmor zu charakterisieren nicht im
Stande war.« Ist wirklich gerade ein Panther-
fell vom Künstler gemeint gewesen, so könnte
man das allerdings nur »erraten«. Dass aber
irgend ein Tierfell dargestellt sei, hat noch
jeder, der das Relief betrachtet hat, auf den
ersten Blick gesehen. Wenn das Fell keine
Andeutung von Haaren zeigt, so kann der-
gleichen allerdings, wie Herr Professor Robert
als möglich hinstellt, in Farbe angedeutet
gewesen sein. Ebenso möglich aber ist, dass
der Künstler ein enthaartes, gegerbtes Fell,
also eine Lederdecke darstellen wollte, oder
dass er die Haarseite des Fells nach unten
gekehrt dachte, oder dass er eine unterge-
ordnete Nebensache als solche behandelte —
ein Zeugnis fQr seine Unfähigkeit zur Cha-
rakterisierung eines Tierfelles in Marmor, die
Übrigens bei einem modernen Fälscher ebenso
aufiallig wäre, wie bei einem alten Künstler,
kann in keinem dieser Fälle daraus enmom-
men werden.
Ich rekapituliere:
Die Fundnotiz giebt, in ihrer Allgemein-
heit, keinerlei Anhalt für eine Beziehung des
Reliefs zur Akademie.
Das Relief kann keinesfalls einen »sinnen-
den Lehrer im Kreis seiner sinnenden Schüler«
vorstellen sollen.
Von der behaupteten Ähnlichkeit der
einen stehenden Figur mit Demosthenes ist
auch nicht eine Spur vorhanden.
Dadurch ist der Annahme einer Benutzung
der platonischen Schülerliste des Diogenes
Laertius und der Deutung des halbwüchsigen
Mädchens als Axiothea von Phlius aller Boden
entzogen.
Die behauptete Ähnlichkeit der sitzenden
und der zweiten stehenden Figur mit angeb-
lichen Plato- und Aristotelesporträts be-
schränkt sich auf allgemeine Verwandtschaft
zwischen griechischen Köpfen des gleichen
Lebensalters.
Die gegen Einzelheiten der Ausführung,
der Bewegungen, der Gewänder und des Bei-
werkes erhobenen Bedenken sind hinfällig.
Dass Art und Farbe des Marmors, Er-
haltungszustand, Bildhauer- und Steinmetz-
arbeit für den Kenner den antiken Ursprung
des Reliefs aufser allem Zweifel stellen, lässt
sich weder durch Worte noch durch Ab-
büdungen beweisen. Und so bleibt nur zu
hoffen, dass recht viele unbefangene und
einsichtige Betrachter sich davon durch ge-
naue Untersuchung des Originals selbst über-
zeugen werden. •
RICHARD SCHÖNE
Berlin, Ende August 1894.
Gedruckt in der Reichsdruckerei.
TAFEL I
ZUR BKILAGK
DER AMTLICHEN BERICHTE
AUS DEN KÖNIGLICHEN KUNSTSAMMLUNGEN
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE VON E. DOBBERT 2 1 I
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
DIE WANDGEMÄLDE IN S. ANGELO IN FORMIS
VON E. DOBBERT
(SCHLUSS)
Habe ich bisher zu beweisen versucht, dass die Darstellungen aus dem Leben
Jesu in S. Angelo in Formis inhaltlich und in betreff der Komposition der byzantinischen
AufFassungsweise entsprechen, so bleibt mir noch übrig, die Verwandtschaft in den
Kopftypen, der Gebärdensprache, dem Kostüm , den architektonischen Hintergründen
und der malerischen Technik darzulegen, denn erst wenn nach allen diesen Seiten
eine Übereinstimmung erwiesen ist, steht der byzantinische Charakter der Bilder fest.
Gedankengehalt und allgemeine Anordnung kann auch ein abendländischer Künstler
byzantinischen Mustern entnommen haben, im übrigen aber eine spezifisch abend-
ländische Formensprache reden; so zeigt z.B. ein lateinisches Evangeliar der Gode-
hardskirche in Hildesheim aus dem XIII Jahrhundert in ersterer Beziehung eine starke
Einwirkung der byzantinischen Kunst, die sich auch auf die architektonischen Beigaben,
ja auf gewisse stehende Gebärden, namentlich den sogenannten byzantinischen Rede-
beziehungsweise Segengestus erstreckt, hat aber in den Kopftypen, obgleich der
Maler offenbar hier und da den verunglückten Versuch gemacht hat, auch in dieser
Beziehung sein byzantinisches Muster nachzuahmen, sowie in der Art und Weise, wie
die Menschen gehen, stehen, sitzen, liegen, nichts mit der byzantinischen Kunst gemein.
Ja es giebt selbst griechische Handschriften, in deren Miniaturen byzantinische Kom-
positionsschemata von einem abendländischen Maler im abendländischen Stil gehand-
habt worden, so das Evangeliarium D. 6j der Bibliotheca Ambrosiana in Mailand aus
dem XIII Jahrhundert und die Evangelienhandschrift Nr. ii8 der St. Petersburger
öffentlichen Bibliothek aus der Mitte des XV Jahrhunderts, in welcher ein Teil der
Miniaturen byzantinischen Ursprungs ist, die meisten aber von einem italienischen
Maler, der sich der byzantinischen Kompositionsweise anschloss, im Renaissancestil
ausgeführt sind.^)
n. DIE KOPFTYPEN IN DEN WANDMALEREIEN VON S. ANGELO LN FORMIS
Während in rein abendländischen Gemälden des frühen Mittelalters Christus
meist jugendlich, bartlos dargestellt wird,*) erscheint er in den Scenen aus seinem
Leben in S. Angelo in Formis als Mann in mittleren Jahren mit sehr starkem,
*) Zu diesen beiden Handschriften vergl. meine Bemerkungen im Repert. für Kunst-
wissenschaft Bd. XV (1892), S. 372, 373.
') Vergl. oben S. 133, S. 156 Anm. i und Vöge, a.a.O. S. 305.
29
212
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
langen, über den Nacken herabwallenden Haupthaare/) mit kurzem, die Wangen und
das Kinn umrahmenden Barte und leicht angedeutetem Schnurrbarte. Es ist der
Christustypus der erzählenden Darstellungen der byzantinischen Kunst des XI und
XII Jahrhunderts; denn der von Kraus in der Real-Encyklopädie der christlichen
Altertümer II, S 24 geschilderte »dritte, byzantinisierendea Christustypus, dessen Fehlen
in S. Angelo von demelben als einer der Beweise des abendländischen Ursprungs der
Wandbilder beigebracht wird, ist in der byzantinischen Kunst nie ausschliefslich zur
Herrschaft gekommen. Wohl giebt es dort, wo es sich um die feierliche Darstellung
Christi als Pantokrator in Apsiden oder Kuppeln handelt, Christusköpfe, welche an
»Greisenhaftigkeit, Leblosigkeit und Öde der Züge« leiden, »tiefliegende Augena zeigen
und den Eindruck des »Grausigen« hervorbringen. Da hier Christus Gottvater ver-
tritt, erhalten seine Züge etwas Greisenhaftes. Die Kunst strebte danach, ihm als
dem Allherrscher den Ausdruck des Gewaltigen, des Majestätischen zu geben. Es
handelte sich um die Darstellung des Allmächtigen, wie er in der Apokalypse 1, 8 ge-
schildert ist: »Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht der Herr,
der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige« (0 travTox^arw^),
Bei diesem Bestreben führte die gewollte Strenge des Ausdruckes zum Grau-
sigen, der gewollte Ernst zum Düsteren, die gewollte Würde zur Kälte, aber selbst
bei der Darstellung des Panto-
y^Vi^\ krator ist bisweilen »der Aus-
druck Christi bei aller Würde
mild.«^)
Ein wesentlich anderer
ist der byzantinische Christus
dort, wo er in seinem Wan-
del auf Erden geschildert
wird. Hier tritt er uns als
etwa dreifsigjähriger Mann mit
ernsten aber nicht unfreund-
lichen Gesichtszügen, kurz —
wie in den erzählenden Bil-
dern von S. Angelo in Formis
entgegen (siehe Fig. 25 aus der
»Auferweckung des Lazarus«).
Wie so ganz anders als in dem
von Kraus zur Kennzeichnung
des »byzantinisierenden Typus« beigebrachten hässlichen düstern Brustbilde aus dem
VIII Jahrhundert in der Cäciliengruft zu Rom ') erscheint z. B. Christus in dem Tauf-
bilde der Evangelienhandschrift Nr. 66 der Berliner Königlichen Bibliothek (oben
Nr. 25. S. Angelo in Formis.
Nr. 26. Evangel. Kgl. ßibl. Berlin
(Nr. 66). XILJahrh.
*) »Nicht durch Zufall ist (in der byzantinischen Kunst) das Haar Christi in so auf-
fällig voller breiter Lage angegeben« Brockhaus, a.a.O. S. 100. Es herrschte die Meinung,
dass sein Haupt keine Scheere und keine Menschenhand aufser derjenigen seiner Mutter,
und zwar nur in seinem zarten Alter, berührt habe. Nikephoros Kallistos im Handbuch der
Malerei vom Berge Athos, deutsche Ausgabe S. 416, Anmerk. 2.
*) Brockhaus S. 100.
') Abbildung bei de Rossi, Roma sotterranea II, Tav.VI; Kraus, Roma sotterranea
Taf. XII.
VON E. DOBBERT
213
S. 132, Fig. 4), oder in der Scene, da er den Feigenbaum verflucht, ebenda Blatt 67 a
(S. 212, Fig. 26) und bei der ßlindenheilung im Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510
(oben S. 146, Fig. 11).
Der Typus der trauernden Mutter Maria, wie er in dem Kreuzigungsbilde
(S. 154, Fig. 18) und bei der Bestattung Jesu zum Ausdruck kommt, entspricht durch-
aus dem byzantinischen, wie ein Vergleich dieser beiden Bilder mit der Miniatur der
trauernden Frauen am Grabe Christi auf Blatt 96 b der Handschrift 66 der Berliner
Königlichen Bibliothek (oben S. 145, Fig. 8) ergeben dürfte.
Unter den Aposteln ist besonders Petrus hervorzuheben: die die Stirn um-
gebenden kreisrunden Locken, die eingefallenen Wangen, der breite runde Vollbart*)
lassen sich in Werken
der byzantinischen Kunst,
die sich hier eng an die
altchristliche Auffassung
angeschlossen hat, im-
mer wieder nachweisen.
Man vergleiche etwa die
Petrusköpfe S. 1 30, Fig. i ,
S. 146, Fig. 10, S. 150,
Fig. 12, S. 131, Fig. 14
und den Petruskopf Fig.
27 aus dem von mir für
die Scene mit der Kana-
näerin gehaltenen Bilde
mit dem aus der griechi-
schen Evangelienhand-
schrift des XIII Jahrhun-
derts Nr. 13, 8<> der Kö-
niglichen Bibliothek zu Berlin Blatt 130a in Fig. 28 wiedergegebenen Petrusbilde und
mit der Petrusgestah in der Sophienkirche zu Kijew (XI Jahrhundert)*).
Johannes der Täufer bei der Taufe und bei der Höllenfahrt Christi mit dem
sehr starken wilden Haupthaar und Bart und dem düsteren Aussehen entspricht durch-
aus dem Typus des byzantinischen tt^oS^oiaoq^ wie er, um hier aus zahlreichen Bei-
spielen nur eines hervorzuheben, auf einem Wandbilde der Sophien kathedrale in
Kijew') sich uns darstellt.
Der Engel in dem Bilde: »die Frauen am Grabe« (S. 159, Fig. 23) mit seinem
lockigen, dichten, Stirn, Wange und Hals anmuthig umrahmenden Haare und den
freundlichen Zügen ist ein echter Vertreter des byzantinischen Engeltypus.
Der in S. Angelo immer wieder, sowohl unter den Aposteln, als auch sonst,
namentlich auch im »Gleichnis vom barmherzigen Samariter« vertretene Typus eines
Greises mit tief herabhängendem Schnurrbarte und langem Kinn- und Backenbarte
Nr. 27. S. Angelo
in Formis.
Nr. 28. Evangeliar. Kgl. Bibliothek Berlin
(8« Nr. 13). XUlJahrh.
^) Auch im Handbuch der Malerei vom Berge Athos S. 293, §401 heifst es von Petrus:
»Ein Greis mit rundem Bart«.
*j Abbildung in dem von der Kaiserlichen Archäologischen Gesellschaft in St. Peters-
burg herausgegebenen Werke: KiescKii Co^incidH Codop'B (die Sophienkathedrale zu Kijew)
Taf. 36, Fig. 3.
^) Abbildung ebenda Taf. 38, Fig. 21.
29*
214
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
ist, wie ein Vergleich mit mehreren Gestalten in den Mosaiken des inneren Narthex
der Jetzigen Moschee Kachrije in Konstantinopel aus dem XI — XII Jahrhunden lehrt,
byzantinischen Ursprungs. Unsere Fig. 30 bietet den Kopf des ersten der drei beim
Mahle sitzenden Priester, denen Maria als Kind gezeigt wird, in der Moschee Kachrije*)
als Gegenstück zu dem Kopfe
des Abraham in dem Bilde
vom reichen Manne und dem
armen Lazarus in S. Angelo
(Fig. 29).
Bei der Besprechung des
»Einzugs Christi in Jerusa-
lem« S. 151 bemerkte ich be-
reits, dass die an diesem Vor-
gange beteiligten Kinder wie
in unzweifelhaft byzantini-
schen Werken nichts eigentlich
Kindliches hätten, sondern wie
kleine Erwachsene erschienen.
In der That mischt sich in byzantinische Knabendarstellungen immer wieder ein ält-
licher Zug. Es mag dies eine Folge davon sein, dass die byzantinischen Künstler
bei Bildern wie »die Anbetung der Könige«, »die Muttergottes mit dem segnenden
Christuskinde auf dem Schofse«, oder bei jener Gattung von Christusbildern, die
man »Immanuelbilder«*) nennt, Werken also, in denen die Darstellung eines Kindes
verlangt wurde, dem eine weit über sein Lebensalter hinausgehende Handlung oder
repräsentierende Stellung zugemutet ward , sich gewöhnten, Kindern überhaupt einen
ältlichen Charakter zu geben.
Nr. 29. S. Angelo
in Formis.
Nr. 30. Moschee Kachrije, Konstant!-
nopel. XI — XllJahrh.
ffl. GEBÄRDEN, STELLUNGEN UND BEWEGUNGEN
Bereits im ersten Teil wurde wiederholt die Gebärdensprache als mit derjenigen
der byzantinischen Kunst übereinstimmend gestreift. Hier ist im Zusammenhange
von derselben zu handeln.
Ich beginne mit dem Gestus der Anrede. In frühmittelalterlichen abend-
ländischen Werken wird hierbei, wie in der altchristlichen Kunst, häufig der soge-
^) Nach einer Photographie. Eine Abbildung in dem oben S. 139 Anm.7 bereits genannten
Werke Kondakoffs über die byzantinischen Kirchen Konstantinopels Taf. 37 und in desselben
Verfassers Schrift über die Mosaiken in der Kachrije -Moschee, Odessa i88i,Taf. X. Den-
selben Typus bietet auch die griechische Handschrift der Bibl. nat. in Paris Nr. 1208, «Die
Predigten des Mönches Jakobus über die Jungfrau Maria«, aus dem XI Jahrhundert, El. 6ia
in der Scene, in welcher Anna das Kind den zum Festmahl versammelten Priestern und
Schriftgelehrten zeigt. Abbildung bei Labarte, Hist. des arts industr. Alb. II PI. LXXXVII.
*) In Anknüpfung an Jesaias VII, 14 »Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird
einen Sohn gebären, den wird sie heifsen Immanuel«. Die byzantinischen Immanuel-Bilder
zeigen bald Christus als JUngling in ganzer Gestalt, bald als Kind, gewöhnlich mit der
Schriftrolle in der Hand, in Form eines Medaillon - Brustbildes. Redin, PyKonece cb bh-
aaHT. MHHijiT. 8*6 ÖuÖMoT, Benei^H, MHjiaHa h 4>jiopeiiipH (Handschriften mit byzant.
Miniat. in den Bibl. zu Venedig, Mailand und Florenz), i. d. Journal des Minist, der Volks-
aufklärung. St. Petersburg, 1891. Dezemberheft, S. 309^
VON E. DOBBERT 2 1 3
nannte lateinische Segengestus, der ja nichts weiter als der andke Gestus der Anrede
ist,*) verwendet. Der sogenannte griechische Rede- oder Segengestus, bei welchem
der Daumen und der Ringfinger, an dessen Stelle in Kunstwerken zuweilen auch der
Mittelfinger tritt, über einander gelegt sind, begleitet in abendländischen Werken die
Rede nur selten. In den von Vöge zu einer Gruppe vereinigten Handschriften aus
der Wende des I Jahrtausends findet sich nur hier und da ein Anklang daran;')
im Egbert- Codex kommt er, wie ich glaube, infolge byzantinischen Einflusses,»)
wiederholt vor. In den Wandbildern von S. Angelo begegnet uns der »lateinische«
Redegestus nirgends. Soweit der Zustand der Bilder es erkennen lässt, wird die Anrede
entweder durch die ausgestreckte geöffnete Hand ausgedrückt, so bei Christus in den
Scenen mit der Samariterin, der Ehebrecherin, dem ins Leben zurückgerufenen Lazarus
(S. 212 Fig. 25) u. s. w., oder durch den »griechischena Gestus, so bei dem in Jeru-
salem einziehenden Christus (S. 156 Fig. 12) und bei Johannes dem Täufer in dem
Bilde der Höllenfahrt Christi (S. 158 Fig. 21). Hier bedeutet der Gestus, wie immer
wieder in der byzantinischen Kunst, zugleich ein Hinweisen auf Christus.*) Wiesehr
die Gestalt und Gebärde Johannes' des Täufers in dem Anastasis- Bilde in S. Angelo
dem byzantinischen. Typus entspricht, lehrt ein Vergleich mit dem Johannes in der
betreffenden Miniatur der Evangelienhandschrift Urbin. Nr. 2 aus dem Jahre 1128, in
der Vaticana Bl. 260*) und mit dem Prodromos in der oberhalb des jüngsten Ge-
richtes in Torcello befindlichen Anastasis.*)
Die beiden soeben geschilderten Arten der Anrede finden sich bereits in den
Mosaiken von S. Apollinare nuovo zu Ravenna , wo aber der griechische Gestus vor-
wiegt, und sodann immer wieder in byzantinischen Bildern; es sei hier nur auf ihr
abwechselndes Vorkommen im Berliner Evangeliarium Nr. 66 hingewiesen. Vergl.
S. 132 Fig. 4 und S. 212 Fig. 26.
Wo es der besondere Sinn der Rede verlangt, werden in S. Angelo natürlich
auch andere Gebärden geboten. So greift z. B. bei der »Fufswaschung« (S. 151 Fig. 14)
Petrus nach seinem Kopfe, indem er die Worte spricht: »Herr [dann] nicht blofs
meine Füfse, sondern auch die Hände und das Haupt«, eine Gebärde, die, wie
bereits S. 151 betont wurde, für die byzantinische Darstellung dieses Gegenstandes
typisch ist. So macht Christus in der Scene, die ich für das Gespräch mit dem
kananäischen Weibe halte (vergl. oben S. 147) mit der nach aufsen geöffneten Linken
eine abwehrende Bewegung, doch wohl zur Begleitung der Worte, Matthäus XV, 26:
^) Apulejus Metam. II 39 (bei de Waal »Gestus« in Kraus* Real - Encyklopädie der
christlichen Altertümer I, 601): »porrigit dexteram et ad instar oratorum conformat articulum,
duobus infimis conclusis digitis, ceteros eminentes porrigit et infesto pollice infit«.
*) Vöge, a. a. O. S. 292.
>) Vergl. meine Bemerkung in den Gott. gel. Anzeigen 1890. S. 880, 881.
*) Siehe im ersten Teil dieser Abhandlung S. 158 und die Stelle im Malerbuche vom
Bei^e Athos S. 207, wonach der Vorläufer auf Christus zeigt. Nach dem apokryphen Evan-
gelium des Nikodemus (Kap. XVIII), welches den byzantinischen Darstellungen der Höllen-
fahrt Christi wesentlich zu Grunde liegt, hat Johannes der T9ufer in der Hölle die Ankunft
Christi geweissagt. Siehe AinalofFund Redin, KieBo-Co^iHCRu Codop'b (Die Sophien- Kathe-
drale in Kijew), St. Petersburg 1889, S. 92.
^) Abbildung bei d*Agincourt, Malerei, Taf. LIX Fig. 6.
*) Abbildung bei Jessen, Die Darstellung des Weltgerichts, Taf. I; Clausse, Les monu-
ments du christianisme au moyen-üge. Basiliques et mosaiques chretiennes, Paris 1893, II,
145, und danach i. d. Revue de Tart ehret., 5. serie, V (1894) p. 158.
2l6 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
»Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die
Hunde!«
In der Erhebung der Rechten, wie wir sie bei dem Hauptmann in dem Kreuzi-
gungsbilde von S. Angelo finden, dürfen wir eine Gebärde des Verehrens, des Gott-
preisens sehen. Lukas XXIII, 47: »Da aber der Hauptmann sah, was da geschah,
pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!« Dem-
entsprechend giebt das Malerbuch vom Berge Athos (Deutsche Ausgabe S. 204 § 300)
die Vorschrift: »Und der heilige Longinus, der Hauptmann, schaut auf Christus, häk
seine Hand erhoben und preist Gott«. Die Erhebung der Rechten, »so dass dem
Gesichte die innere Handfläche zugekehrt blieb«, also wie in unserem Bilde, findet
sich häufig als Zeichen der Verehrung von Göttern im griechischen Altertum.^) Die
Gestalt des Gott preisenden Hauptmannes, der nach dem Vorgange des apokryphen
Evangeliums des Nikodemus wiederholt als Longinus bezeichnet wird, findet sich
immer wieder auf byzantinischen Kreuzigungsbildern und zwar an derselben Stelle,
rechts vom Kreuze, sowie in derselben Haltung, in der Linken den Schild, die Rechte
erhebend, wie in S. Angelo.*) Zum Vergleich nenne ich die Longinus - Gestalten in
dem Wandgemälde der Sophienkirche zu Kijew,^) dem Mosaikbilde in der Kirche zu
Monreale*) sowie demjenigen in S.Marco zu Venedig*) und auf der Zellenschmelz-
platte aus dem X Jahrhundert in der Reichen Kapelle zu München.^) Wie so ganz
sich der Urheber des Wandbildes in S. Angelo an das byzantinische Schema hielt,
geht daraus hervor, dass er seinem Longinus die typische zurückgeworfene Kopf-
haltung gab, die in den betreffenden Bildern durch die tiefere Stellung des zu Christus
emporschauenden Hauptmannes begründet, hier aber, wo sein Kopf mit demjenigen
Christi in einer Linie liegt, nicht recht am Platze ist. In der spezifisch abendländi-
schen frühmittelalterlichen Kunst fehlt diese Gestalt.^) Wenn wir sie später auch in
abendländischen Kunstwerken, wie im Hortus deliciarum (links vom Kreuze,^) im
Evangelienbuche zu Goslar, im Altargemälde aus Soest im Berliner Museum,') in den
Kreuzigungsreliefs Niccolo Pisanos und seiner Schule antreffen, so erklärt sich dies
*) Vergl. Baumeister, Denkm. d. klass. Altert. I. 592.
^) Auch Pokrowski, S. 379, erwähnt dieser Übereinstimmung.
äj Abbildung in dem Werke der Petersb. Arch. Gesellsch. über die Sophienkirche
Taf. 29, Fig. 16 und bei Graf Tolstoi und Kondakoff, PyccKin ^pcbhocth b-b naMHTHBKaxi.
flCKyccTBE (Russ. Altertümer in Denkm. d. Kunst) IV, S. 139 Fig. 115.
*) Abbildung bei Gravina Tav. 20 A.
^) Abbildung bei Ongania, Bd. I (gross Folio) Tav. XVI.
^) Abbildung bei Becker und von Hefner -Alteneck, Kunstwerke und Gerätschaften
des Mittelalters und der Renaissance II (1875), Taf. 40.
^j Vergl. Vöge, S. 250. Oft wird auch der Mann, der die Seite des gekreuzigten
Christus mit dem Speere durchbohrt, ebenfalls auf Grund des Nikodemus -Evangeliums (vergl.
Pokrowski 361 — 363), Longinus genannt. Diese Gestalt findet sich oft auf abendländischen
Kreuzigungsbildern.
^) Abbildung in d. Gazette arch. 1884, PI. 9 und bei Lübke, Geschichte der Deutschen
Kunst, S. 289 Fig. 259.
^j Abbildung bei v. Quast und Otte, Zeitschrift für christl. Archäol. und Kunst II,
Taf. 15; Aldenkirchen, Die mittelalterliche Kunst in Soest, Taf. VIII; Heeremann Freiherr
von Zuydwyk, Die älteste Tafelmalerei Westfalens; Janitschek, Gesch. d. deutsch. Mal., Tafel
zu S. 161. (Zu dem starken byzantinischen Einfluss in diesem Gemälde vergleiche meine Be-
merkung in den Gott. gel. Anzeigen. 1890 S. 881.)
VON E. DOBBERT 2 1 7
durch Anlehnung an byzantinische Muster auch in solchen Fällen, wo, wie bei den
Pisani, in stilistischer Beziehung eine unbedingte Unabhängigkeit von diesen Mustern
besteht.^)
Das Sichniederlassen auf ein Knie als Gebärde der Verehrung findet sich, wie
wir bereits oben S. 153 sahen, bei der »Verspottung Christi«, hier freilich in höhnendem
Sinne gemeint. Dasselbe Motiv bietet, wie ebenfalls schon hervorgehoben wurde, die
entsprechende Scene in S. Marco zu Venedig. In ernst gemeintem Sinne trat uns die-
selbe Art des Knieens bei Petrus in der Verklfirungsscene (S. 135 Fig. 6) entgegen,
wobei schon angedeutet wurde, dass das Motiv an dieser Stelle in der byzantinischen
Kunst typisch sei. Auch in anderen Scenen ist es anzutreffen , so z. B. bei zweien
der demütig vor dem Kaiser Basilius II am Boden liegenden Gestalten im Psalter des
X — XI Jahrhundens in der S. Marco -Bibliothek zu Venedig, Ms. gr. 17.^)
Dass das unterwürfige Ambodenliegen, wie wir es in der fraglichen Scene mit
der Kananäerin, bei der Auferweckung des Lazarus und beim Gebete auf Gethsemane
sehen, für die byzantinische Darstellungsweise besonders bezeichnend ist, lehren byzan-
tinische Kunstwerke immer wieder. Wohl finden wir dieses Motiv auch in der früh-
mittelalterlichen abendländischen Kunst, doch tritt es im Abendlande , wohin es viel-
leicht unmittelbar aus der altchristlichen Kunst, eher aber, wie ich glaube, aus der
frühesten byzantinischen gedrungen ist, seltener auf.
Von den Gebärden der Trauer und des Grames in unseren Wandbildern lässt
sich wohl keine ausschliefslich für die byzantinische Kunst in Anspruch nehmen, doch
ist auch keine darunter, die nicht in unzweifelhaft byzantinischen Kunstwerken ver-
treten wäre. Von dem Pressen der Rechten an die Wange und jener Haltung der
Hände, bei welcher die Rechte das Gelenk der Linken umfasst, war schon bei der
Kreuzigung S. 155 die Rede. Die An, wie zwei Frauen auf demselben Bilde und
Johannes bei der Grablegung die mit dem Gewände bedeckte Hand zum Auge führen,
um die Thronen zu trocknen , kommt auf byzantinischen Bildern wiederholt vor. Es
sei hier nur auf den Johannes bei der Kreuzabnahme im Berliner Evangeliar Nr. 66,
Blatt 256 b und die hinter der Mutter Maria stehenden Frauen bei der Kreuzigung der
Evangelienhandschrift Nr. 11 56 in der Vaticana*) hingewiesen.
In den Gesichtern hat der Künstler den Schmerz mehrfach durch jenes Mittel
ausgedrückt, dessen sich der Urheber des antiken Niobekopfes bediente: wie bei der
Niobe sehen wir bei der Maria in dem Kreuzigungsbilde und in der »Grablegung«
die Linie der Augenbrauen nach der Nase hin in die Höhe gezogen, während sie
nach aufsen hin sich übers Auge herabsenkt,^) ein Motiv, das man nicht selten an
antiken tragischen Masken und wiederholt in der byzantinischen Kunst, so z. B. bei
der Mutter Maria in der Kreuzigung auf Bl. 30 b des Pariser Gregor von Nazianz
Nr. 510*) antrifft. Bis zur Verzerrung ist dieser Zug in der von Tikkanen in die kunst-
geschichtliche Litteratur eingeführten Klimax -Handschrift Nr. 1754 der vatikanischen
^) Vergl meine Schrift Über den Stil Niccolo Pisanos und dessen Ursprung, S. 43
und 46.
') Abbildung bei d'Agincourt, Taf. XLVll, Fig. 5; Labarte, Hist. des arts ind.,
Taf. 85.
5) Abbildung bei d'Agincourt, Taf. LVII; Rohault de Fleury, La S. Vierge, PL XLVIII.
*) Vergl. Friederichs, Bausteine zur Geschichte der griechisch-römischen Plastik, neu
bearbeitet von Wolters 1885, S. 434.
5) Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile II P. LXXXVIIl.
2 1 8 Ztm BYZANTINISCHEN FRAGE
Bibliothek aus dem XI — XII Jahrhundert zum Ausdruck des selbstquälerischen Grü-
belns, der Reue, des Jammers gesteigert.^)
Ferner ist der Ausdruck der Wehmut durch die sanfte Neigung des Hauptes,
wie wir sie bei Johannes, den Frauen und den Engeln in der »Kreuzigung« (S. 154,
Fig. 18) und bei dem in Jerusalem einziehenden Christus (S. 150, Fig. 12) finden, echt
byzantinisch.')
Auf das Erheben der Arme als Gebärde der Verzweiflung bei dem bethlehemi-
tischen Kindermorde in S. Angelo und in der Moschee Kachrije zu Konstantinopel
habe ich bereits auf S. 139 hingewiesen.
Für die Gebärde des Nachsinnens bei Petrus im »Abendmahl«, wo er die Rechte
mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Kinn geführt hat, bieten byzantinische Kunstwerke
so manche Beispiele.*) Das Motiv findet sich bereits in der Cottonbibel aus dem
V— VI Jahrhundert im britischen Museum Otho B VI.*) Es stammt aus dem griechi-
schen Altertum, welches das in sich gewendete Nachsinnen dadurch ausdrückte, dass
die Hand ans Kinn gelegt wurde.*)
Als Gebärde des Staunens ist zu erwähnen die senkrechte Haltung der vor der
Brust nach aufsen geöffneten Rechten bei Petrus in der Scene mit der Samariterin
(s. o. S. 142). Damit stimmt z. B. überein die Art, wie Petrus in derselben Scene im
Pariser Evangeliar Nr. 74 staunend die Linke, und die beiden Begleiter Josephs in dem
Mosaikbilde, auf welchem Joseph Maria beschuldigt, in S. Marco zu Venedig die
Rechte erheben.')
Wie in den entsprechenden byzantinischen Werken, so hält Christus auch in
S. Angelo in Formis, wo es die Situation nur irgend gestattet, die zugedrehte Schrift-
rolle als Hinweis auf sein Lehramt in der Linken. Soweit der Zustand der Wand-
bilder es erkennen lässt, fehlt die Rolle nur in den Scenen mit der Samariterin und
der Ehebrecherin, vielleicht beim Abendmahle und sodann in denjenigen Scenen (ins-
besondere der Passion), in denen beide Hände durch die Handlung oder die Situation
in Anspruch genommen sind. Welch ein Gewicht auf die Anbringung der Rolle ge-
legt wurde, scheint daraus hervorzugehen, dass in dem von mir für die Scene mit
der Kananäerin gehaltenen Bilde, in welchem die Linke Christi für die Gebärde der
Abweisung in Anspruch genommen wurde, die Schriftrolle ihm in die Rechte gegeben
ward. Auch beim »Judaskuss« hält Christus, wie ich sicher glaube, in der Rechten
die Rolle, wenn dieselbe auch bei der Schadhaftigkeit der betreffenden Stelle des
Originales in Fig. 16 auf S. 153 nicht gezeichnet werden konnte. Es ist eben die
SchrifcroUe in unseren Bildern, wie in der byzantinischen Kunst überhaupt, gleichsam
die unzertrennliche Gefährtin Jesu. Auch in der frühmittelalterlichen abendländischen
Kunst kommt die Rolle in derselben Bedeutung vor, aber doch viel seltener, wie
aus der hierher gehörenden Zusammenstellung bei Vöge S. 302 zu ersehen ist. Im
M Tikkanen, Eine illustrierte Klimax -Handschrift der vatikanischen Bibliothek, i. d.
Acta societatis scientiarum Fennicae, Tom XIX, Nr. 2, HelsingforsiSgo, mit Abbildungen.
^} Vergl. die Kopfhaltung des Johannes oben auf S. 1 56 Fig. 20 und diejenige Christi
beim Einzug in Jerusalem in dem Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510. Abbildung bei Po-
krowski S. 253, Fig. 125.
^) Siehe Tikkanen: Die Genesismosaiken in Venedig und die Cottonbibel S. 140.
*) Abbildung ebenda. Taf. IX , Fig. 69.
^) Siehe Baumeister, Denkmäler d. klass. Altertums 1 , 589.
«) Abbildung bei Ongania Bd. III (klein Folio) Taf. XLIII.
VON E. DOBBERT
219
^c./
No. 31. S. Angelo
in Formis.
N0.32. Sophien-Kathe-
drale in Kijew. XI Jahrh.
Abendlande ist oft die Rolle durch das Buch ersetzt, wie z.B. im Egbert -Codex, in
dem Hildesheimer Evangelienbuche des Bischofs Bernward und in der Evangelien-
handschrift zu Brescia. In S. Angelo hält Christus nur, wo er als Knabe im Tempel
redet, das Buch.
Ein in S. Angelo wiederholt anzutreffendes Motiv, das nach meinen Erfahrungen
auch wieder für den byzantinischen Charakter der Bilder spricht, ist das Hervorragen
der rechten Hand aus dem den Arm an seiner unteren Seite eng umschliefsenden
Mantel, jene Verhüllung des rechten Armes,
die sich an antiken Rednerstatuen oder an
Gestalten in der Stellung eines Redners,
wie der berühmten Sophokles- Statue im
Lateran, findet und den Jungen sich noch
übenden Rednern geboten war, damit sie
sich der lebhaften Gestikulation enthielten
und sich an Ruhe gewöhnten.*) Diese
Armhaltung bieten in S. Angelo : Petrus in
der Scene mit der Ehebrecherin; derselbe
Jünger und sein greiser Nachbar bei der
Auferweckung des Lazarus; der eine der
Jünger beim Gange nach Emmaus ; Christus,
wo er den Jüngern am See von Tiberias er-
scheint (Fig. 31). Aus der byzantinischen
Kunst lassen sich zahlreiche Beispiele für
dieses auch auf altchristlichen Reliefs häufig
anzutreffende Motiv beibringen. Es findet
sich mehrfach in den Mosaiken von St. ApoUinare nuovo und an der Kathedra des Maxi-
mian zu Ravenna, im syrischen Evangelium des Rabula in der Laurentiana zu Florenz,
häufig in den Wandbildern der Sophienkirche zu Kijew, so z. B. bei Joseph, da wo
der Hohepriester der Maria den Purpur und die Wolle übergiebt (Fig. 32)'), in den
Mosaiken der Kirche zu Monreale, in denjenigen der Kachri je -Moschee in Konstanti-
nopel, immer wieder in byzantinischen Miniaturen, wie z. B. bei einem der Apostel
in der Darstellung der Fufswaschung auf Bl. 6 b des Evangelienfragments der Peters-
burger öffentlichen Bibliothek Nr. 21 aus dem VIII oder IX Jahrhundert, wiederholt
in dem Pariser Gregor von Nazianz No. 510, in dem Evangeliar der Berliner König-
lichen Bibliothek No. 66, auf Bl. 263 der griechischen Bibel aus dem XI Jahrhundert
in der Vatikanischen Bibliothek zu Rom, Reg. graec. No. 1') u. s. w. Nicht zufällig
dürfte es sein, dass wir dieses Motiv gleichfalls in solchen abendländischen Werken
antreffen, bei denen auch sonst sich byzantinischer Einfluss nachweisen lässt, so z.B.
bei Joseph in dem Bilde: »Christus im Tempel lehrend« und bei dem einen Jünger
in der »Heilung der Schwiegermutter des Petrusa im Egbert- Codex*), einige mal in
*) Vergl. Müller bei Baumeister, Denkm. d. klass. Altert. 111, 1829, und die daselbst ab-
gebildete Mantelfigur nach Becker, Augusteum N. CXVII, sowie die Stelle bei Cicero pro
Cael. 5,11: »nobis quidem olim annus erat unus ad cohibendum bracchium toga con-
stitutus«.
^) Nach der Abbildung in dem Werke der St. Petersburger Arch. Gesellsch. über die
Sophienkirche in Kijew, Taf. 28, Fig. 10.
3) Abbildung bei Beifsel, Vatikanische Miniat. Taf. XIII.
*) Abbildung bei Kraus, Taf. XVII u. XXII.
30
220 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
den Wandbildern auf der Reichenau ^), bei dem einen Jünger in der »Auferweckung
des Lazarus« auf Bl. 17a des Evangelistariums No. i in Karlsruhe*), wiederholt im
Hortus deliciarum und im Antiphonarium von St. Peter zu Salzburg, bei dem Apostel
Petrus in dem Mosaikbilde der Apsis in S. Maria in Trastevere zu Rom vom Jahre
1140'), bei den Aposteln Petrus und Jacobus in dem von de Rossi der zweiten Hälfte
des XII Jahrhunderts zugeschriebenen Mosaikbilde der Apsis in S. Maria nuova (gegen-
wärtig S. Francesca romana) zu Rom*), bei Joseph in dem Mosaikbilde der Anbetung
der Könige von Cavallini in S. Maria in Trastevere in Rom *) u. s. w. Auch ist es für
unsere Frage von Bedeutung, dass das Motiv des verhüllten Armes sich mehrfach bei
Duccio findet*), dessen künstlerische Entwickelung von der byzantinischen Kunst
ihren Ausgang genommen hat, und dessen Werke, trotz der in ihnen enthaltenen
eigenartigen Züge, sich vielfach in der Anordnung, der Gebärdensprache, den Kopf-
typen an das byzantinische Schema anschliefsen. So ist es denn auch nicht zu ver-
wundern, dass manche seiner Darstellungen aus dem Leben Jesu an seinem grofsen
Altarwerke in Siena, wie die »Fufswaschung«, »die Höllenfahrt«, »die Frauen am
Grabe«, eine nahe Verwandtschaft mit unseren Wandbildern zeigen.
Wie ich S. 130, 131 die Abendmahlsdarstellung in S. Angelo in Formis inhalt-
lich und dem allgemeinen Kompositionsschema nach aufs entschiedenste für die by-
zantinische Kunst in Anspruch nehmen musste, so bietet dieses Bild auch bezüglich
der Art, wie Christus und der Nachbar des rechts vorne sitzenden Petrus auf dem
Ruhebette liegen, rein byzantinische Eigentümlichkeiten dar. Das an die spätantike
Sitte sich anschliefsende Zutischeliegen^ wobei das Haupt der Tischgesellschaft den
Platz an dem linken Ende des Sigma einnimmt/) wird von der byzantinischen Kunst,
im Unterschiede von der rein abendländischen, bei der Darstellung der biblischen
Mahle, insbesondere des Abendmahles Christi, von der Frühzeit, dem V — VI Jahr-
hundert an das ganze Mittelalter hindurch festgehalten. Es sind Ausnahmen, wenn
Christus, immer aber an der linken Ecke der halbkreisförmigen Tafel, sitzend ange-
ordnet ist. Ein Vergleich der S. 130 gegebenen Abbildungen Fig. i und Fig. 2 erweist
die nahe Verwandtschaft unseres Bildes mit dem Abendmahlsbilde im griechischen
Psalter vom Jahre 1066 des Britischen Museums auch bezüglich der besonderen Art
und Weise, wie Christus und sein Gegenüber sich hingelagert haben. Der einzige
Unterschied besteht darin, dass der Christus in der Miniatur die Füfse gekreuzt hat,
während derjenige des Wandbildes das linke Bein etwas in die Höhe gezogen und
den linken Fufs nicht unter das rechte Bein gesteckt hat. Diese Haltung findet
man bei dem Christus im Abend mahlsbilde des Evangeliars zu Gelati,*) in welchem
auch, wie in unserem Gemälde, Petrus vor der rechten Ecke des Sigma auf einem
besonderen Sitze angeordnet ist. In derselben Weise wie zum Abendmahle hatte sich
^) Abbildungen bei Kraus, die Wandgem. i. d. S. Georgskirche, Taf. IV, V, XIV.
^) Abbildung bei Lübke, Gesch. d. deutschen Kunst, S. 296, Fig. 266.
*) Abbildung bei de Rossi, Musaici cristiani, Fase. VII.
*) Abbildung ebenda, Fase. I.
•'^i Abbildung ebenda, Fase. VII und bei Salazaro, Parte II.
***) Vergl. meine Beiträge zur Gesch. d. ital. Kunst gegen Ausgang des Mittelalt. (Sonder-
abdruck aus Dohmes Kunst u. Künstler), S. 106.
') Siehe meine Abhandlung Über das Abendmahl Christi im Repert. für Kunstwissen-
schaft XIV, 186 f.
*) Abbildung im Repert. für Kunstwissenschaft XV, S. 368, Fig. 37.
VON E. DOBBERT 221
Christus (in S. Angelo) auch zum Mahle bei dem Pharisäer an dem Sigma niederge-
lassen. Die abweichende Haltung des rechten Beines ist durch die Handlung, das
Salben, motiviert.
Was die Darstellung des Gehens betrifft, so findet man bei einigen Gestalten
unserer Bilder jene übliche Stellung, bei welcher das Gewicht des Körpers wesent-
lich auf dem einen, fest auf den Boden auftretenden Fufse ruht, während der andere
Fufs nur mit der Spitze den Boden berührt, so bei Petrus im »Einzug Christi in
Jerusalem« (S. 150, Fig. 12), dem fortgehenden Pharisäer (der rechten Eckfigur) in dem
Bilde mit der Ehebrecherin, dem Priester in dem Gleichnis vom barmherzigen Sa-
mariter, Christus und Simon von Kyrene bei der Kreuztragung; die meisten schrei-
tenden Gestalten berühren aber gleichmäfsig mit den Spitzen beider Füfse den Boden,
ein keineswegs schönes Motiv, das sich aber neben der zuerst geschilderten norma-
leren Weise in byzantinischen Werken oft findet, so z.B. wiederholt in den Wand-
bildern der Sophienkirche zu Kijew, aus deren einem die in Fig. 32, S. 219 mitgeteilte
Gestalt Josephs mit dem Christus in der Scene, da er den Jüngern am See von Ti-
berias erscheint (S. 219, Fig. 31) und den zahlreichen sonstigen hierher gehörenden
Gestalten in S. Angelo verglichen werden möge. Vielfach sieht man diese Art des
Schreitens auch in den Mosaiken der jetzigen Moschee Kachrije in Konstantinopel,
der Kirche zu Monreale, der S. Marco -Kirche zu Venedig u. s. w.
Eine in byzantinischen Werken häufig anzutreffende Bewegung ist diejenige des
raschen Foneilens, wobei das eine Knie stark gebogen wird, während der andere
Fufs auswärts gestellt ist. In Fig. 16, S. 153 ist der so dahineilende Mann, der den
von Judas verrathenen Christus an dem linken Handgelenke ergriffen hat, der ent-
sprechenden Gestalt in der Miniatur des Psalters der Königin Melisenda (Fig. 17) be-
züglich dieses Bewegungsmotivs sehr ähnlich. Dieselbe Bewegung findet man u. a. bei
dem Fackelträger im »Judaskuss« und bei dem Manne, der Christus gefangen fortführt,
in dem Evangeliar Nr. 11 56 der Vaticana,*) sowie oft in den Mosaiken zu Monreale.
Überhaupt ist das stürmische Tempo der Bewegung, wo es der Gegenstand
irgend erlaubt, für die byzantinische Kunst bezeichnend. Dass auch in dieser Beziehung
die Wandbilder in S. Angelo byzantinisch sind, wurde bereits bei der Besprechung
der Taufe Christi S. 132 und der Gefangennahme Jesu S. 152 angedeutet.
Beim Stehen derjenigen Gestalten, die sich nur wenig seitwärts wenden, sind die
Füfse meist auswärts gesetzt, so bei Christus in der »Taufe« (S. 132, Fig. 3), der »Auf-
erweckung des Lazarus« (S. 212 Fig. 25), in der Scene mit der Kananäerin und in dem
Verhöhnungsbilde; bei Johannes dem Täufer in der »Rede über die Axt«; bei dem einen
Räuber und bei dem Wirt der Herberge in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
Daneben aber findet sich bei Gestalten, die stark nach der Seite gerichtet sind, eine
Stellung, welche der oben gekennzeichneten zweiten Art des Gehens insofern ent-
spricht, als die betreffenden Gestalten auch hier nicht fest auftreten, sondern bei
paralleler Stellung der Füfse auf den Fufsspitzen zu stehen scheinen. Dazu kommt
in der Regel eine gewisse Biegung der Kniee. Hierher gehören: der Blinde am Brunnen
(S. 146, Fig. 10), Christus bei der Fufswaschung (S. 151, Fig. 14), der Diener, der dem
Pilatus das Wasser über die Hände giefst, der vor dem sitzenden Greise stehende
Mann in dem Bilde der Gefangennahme Jesu, die Ehebrecherin. Dass der Künstler
hier einem gegebenen Schema folgte, nicht aber aus künstlerischem Unvermögen so
verfuhr, folgt daraus, dass er dem Greise (links) in der »Grablegung Christi«, der in
^) Abbildung bei d'Agincourt, Mal. Taf. LVII, Fig. 4 u. 5.
30*
222
ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
demselben Mafse, wie die soeben genannten Gestalten, seitwärts gewendet ist, eine
ungezwungene Stellung der Füfse gab , so dass der linke fest auftritt , der rechte aber
mit der Spitze den Boden berührt. Für jenes Schema aber lassen sich auch wieder
zahlreiche Beispiele aus der byzantinischen Kunst beibringen. Man vergleiche etwa
die Stellung des David in dem Bilde seiner Salbung in der griechischen Bibel (XI Jahr-
hundert) der Vaiicana Reg. graec. i ^) mit derjenigen des Blinden am Brunnen in
S. Angelo (S. 146 Fig. 10). Ferner wären hier u. A. zu nennen: Simeon in der »Dar-
stellung des Christuskindes im Tempel« auf Bl. 1 37 des Pariser Gregor von Nazianz
Nr. 510,*) Maria in der »DarsteUung des Christuskindes im Tempel« sowie Johannes
der Täufer und Maria im »Jüngsten Gericht« , Wandbildern aus dem XII Jahrhunden
in der Kirche des ehemaligen Neredizki - Klosters in der Nähe von Nowgorod,') die
Mutter Maria bei der Kreuzigung in der Sophienkirche zu Kijew,*) die Magd, gegen-
über welcher Petrus Christus verleug-
net, ebenda,*^) Maria in der Miniatur
des Jüngsten Gerichtes auf Bl. i lob und
I iia des griechisch-lateinischen Psalters
aus dem XIII Jahrhundert, zur früheren
Hamilton -Sammlung gehörend, gegen-
wärtig im Berliner Kupferstichkabinet
(Fig.34.'*) Vergl. in Fig. 33 die Fufsstel-
lung der Ehebrecherin in S. Angelo.')
Doch nicht auf solche Einzelhei-
ten beschränkt sich die Übereinstim-
mung der Stellungen und Bewegungen
in S. Angelo mit denjenigen in unzwei-
felhaft byzantinischen Werken. Es ist
eine gewisse Weichheit und Abrundung
in der Art, wie die Gestalten stehen,
gehen, ihre Arme und die nicht, wie in
frühmittelalterlichen abendländischen Werken meist zu grofsen Hände halten, ein
von der byzantinischen Kunst bewahrtes antikes Erbteil, das wir in S. Angelo trotz
vieler Verzeichnungen immer wieder antreffen, das aber der frühmittelalterlichen abend-
ländischen Kunst im allgemeinen abgeht.*)
\) Abbildung bei Beifsel, Vatikanische Miniaturen, Taf. XIII.
^) Abbildung bei Rohault de Fleury, L*Evangile I, PI. XV, Pokrowski S 104, Fig. 53.
*) Abbildungen bei Pokrowski, CT-bHHHH pociiiicu B'b ;ipeBiiHX'i» Äpamaxi» rpei. n
pyccK. (Wandmalereien in alten griechischen und russischen Kirchen) in den Arbeiten des
7. (russischen) archäologischen Kongresses in Jarosslaw 1887. Bd. 1, Moskau 1890, Taf. V.
*) Abbildung a. a. O., Taf. 29, Fig. 16 und bei Graf Tolstoi und Kondakoff, a. a. O.
S. 139, Fig. 115.
*) Abbildung in dem Werke über die Sophienkirche, Taf. 39 Fig. 23.
*) Abbildung der ganzen Miniatur bei Voss, Das jüngste Gericht in der bild. Kunst
des frühen Mittelalt., Taf. I.
') Nachträglich (zu S. 143 — 145) kann ich zwei byzantinische Miniaturen aus dem
XI und XII Jahrhundert nennen, wo die Ehebrecherin neben dem sitzenden Christus steht:
I. im Evangel. der Laurentiana Plut. VI, Cod. 23, Bl. 184b (freundliche Mitteilung des Herrn
Dr. Tikkanen), 2. im Evangeliar zu Gelati, Bl. 244 (nach Pokrowskis Abhandlung über diese
Handschrift S. 49).
^) Vergl. Lamprecht, a. a. O. Anmerk. i zu S. 95.
t^^-i^'
Nr. 33.
S. Angelo in Formis.
Nr. 34. Griech. - lat. Psalter.
Kgl. Kupferstichkabinet
Berlin. XUI Jahrh.
VON E. DOBBERT 223
IV. KLEIDUNG
Dass die Behandlung des Kostüms in den Wandbildern von S. Angelo der
byzantinischen Übung entspricht, ist wohl von niemandem bestritten worden. Auch
Kraus (S. 98) giebt hier byzantinische Einflüsse zu.
Christus, die Apostel, die Propheten in den Zwickeln über den Säulen, mit
Ausnahme Daniels, die Engel tragen in antikisierender Weise, wie stets in der byzan-
tinischen Kunst, die weite, lange Tunika mit breiten Ärmeln und darüber einen
Mantel in der An des griechischen Himation, der je nach der Situation bald beide
Schultern bedeckt, bald den rechten Arm freilässt. Finden wir bei den heiligen Ge-
stalten der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst im allgemeinen dieselbe Klei-
dung, so ist die in S. Angelo häufig anzutreffende Ausschmückung der Tunika und
zuweilen auch des Mantels mit einem oder zwei Streifen, die sich quer um den Ärmel *)
und an dem übrigen Gewände senkrecht herabziehen, ein besonderes Merkmal der
byzantinischen Darstellungsweise.*)
Bei den übrigen Männergestalten ist der byzantinischen Tracht, wie sie sich
allmählich seit Konstantin ausgebildet hatte, Rechnung getragen. So findet sich wieder-
holt der auf der rechten Schulter befestigte Schuliermaniel , das »Sagum« oder das
»Paludamentum«, bald mit, bald ohne Rand Verzierungen, über der Tunika, die bei
dem einen Pharisäer in dem Bilde mit der Ehebrecherin, sowie bei dem Krieger
auf der linken Seite des Kreuzigungsbildes und den Königen David und Salomon in den
Zwickeln über den Säulen, der herrschenden Mode entsprechend, reiche Randver-
zierungen zeigt. Bei den drei zuletzt genannten Gestalten lässt der kurze Rock, unter
welchem sich noch ein engärmeliges Gewand befindet, die Beinbekleidung sehen: eng-
anliegende Hosen und hohe Stiefel, bei David und dem Krieger Schnürstiefel, alles
der byzantinischen Sitte und byzantinischen Kunstdarstellungen entsprechend. An
dem Mantel eines der Männer, die bei dem Einzug Christi in Jerusalem ihm ent-
gegenschreiten, scheint der Klavus, jenes reich ornamentierte, viereckige Stück Zeug
angedeutet zu sein, welches je nach Farbe und Ornament ein Hauptabzeichen des
Beamtenranges war.'*) Wenn wir an dem mehrfach genannten Greise rechts in dem
Bilde der Gefangennahme Christi einen mit einem Kreisornament vollständig be-
deckten Mantel sehen, so entspricht dies auch einer byzantinischen Mode, die seit
dem X Jahrhundert aufkam.*) Den kreisförmigen Verzierungen an den Hosen Salo-
mons sind diejenigen an den enganliegenden Beinkleidern des greisen Königs in der
»Anbetung der Magier« , einer Miniatur auf Blatt 272 des Menologiums in der Vati-
cana Nr. 161 3 aus dem XI Jahrhundert, ähnlich.*) Der Mann, der den von Judas ver-
ratenen Christus am linken Arm ergriffen hat, hält, wie es scheint, einen Bogen in
der Hand, eine Waffe, welche, im Gegensatze zu der älteren byzantinischen Bewaff-
nung, etwa seit dem Anfang des X Jahrhunderts im byzantinischen Heere beliebt
*) Im Egbert -Codex hat Pilatus den Streifen um den Ärmel. Abbildung bei Kraus,
Taf. XLVI.
^) Dieser Schmuck, der sich auch an Gestalten der altchristlichen Kunst findet, ist
ein Abkömmling jenes purpurnen Streifens, der bei den Römern die sogenannte Tunica
laticlavia zierte, oder der zwei Streifen , mit denen die Tunica angusticlavia ausgestattet war.
Vergl. Weifs, Kostümkunde. 2. Aufl. I, 465, 466 und Taf. VIII.
') Siehe von Heyden, Die Tracht der Kulturvölker Europas S. 53.
*) Siehe Weifs, Kostümkunde, 2. Auflage, Bd. II, 48.
^} Abbildung bei Beifsel, Vatikanische Miniaturen, Taf. XVI.
224 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
geworden war.^) Auch dass der Hauptmann Longinus bei der Kreuzigung statt eines
Helmes eine Zeugkappe trägt, entspricht einer byzantinischen Einrichtung, nach
welcher etwa seit dem X Jahrhundert von den Kriegern neben flachen metallenen
Helmen leichte gefärbte Kappen von Zeug getragen wurden.*) Die diademartigen
niedrigen Kronen auf den Häuptern der Könige David und Saiomon lassen sich an
der byzantinischen Kaisertracht sowie in zahlreichen griechischen Kunstdenkmälem
nachweisen.^)
Eine in der byzantinischen Kunst immer wiederkehrende Gestalt ist der Daniel
in dem Zwickel über einer Säule in S. Angelo sowohl dem jugendlichen Kopftypus
als auch der Stellung und dem Kostüm nach. Immer wieder steht Daniel ganz in
der Vorderansicht da, angethan mit einem reich verzierten, am Halse in der Mitte
durch eine Spange zusammengehaltenen Mantel und darunter einer Tunika, welche
an den Seiten so unter dem Hüftgürtel befestigt ist, dass sie in der Mitte vom Gürtel
abwärts halbrundlich herabhängt*) und die enganschliefsenden Hosen und hohen
Stiefel oder Socken sehen lässt. Als Beispiele seien hier erwähnt die Danielgestalten
in der Sophienkirche zu Kijew,*) in der Kirche des Klosters Daphni bei Athen,*)
in S. Marco zu Venedig.') In derselben Tracht erscheint Daniel auch unter den
Löwen auf einem Sarkophagrelief in S. Vitale zu Ravenna, in der Topographia
christiana des Kosmas in der vatikanischen Bibliothek Gr. 699 Bl. 75 a®) und im
Pariser Gregor von Nazianz Bl. 435 b.®)
Die Tracht der Maria bei der »Kreuzigung« und der »Grablegung Chrisua ist
die typisch byzantinische Muttergottes -Kleidung: eine schleppende Stola und darüber
ein Mantel in Form eines grofsen Umwurftuches, das über Kopf und Rücken ge-
breitet, sodann über die Schultern nach vorn genommen, und dessen eines Ende
von links nach rechts oder umgekehrt über die Schulter rückwärts geworfen wird.*°)
Eine solche Anordnung des Gewandes war, wie Weifs meint, vermutlich ein Haupt-
merkmal für die ehrsame Frau als solche und wurde eben deshalb bei der Darstellung
der Maria immer wieder verwandt. Das Sternchen an dem den Kopf bedeckenden
Teile des Mantels (»Kreuzigung« und »Grablegung«) kehrt bei byzantinischen Madonnen
in der Regel wieder. Die trauernden Gefährtinnen der Maria bei der »Kreuzigung« und
die Frauen am Grabe haben, wie stets, wesentlich dieselbe ernste Kleidung, während
die Gewänder der Samariterin, der Ehebrecherin und der Sünderin, die Christi Füfse
salbt, in ihren lichten bunten Farben dem weltlichen Sinne ihrer Trägerinnen ent-
sprechen. Maria und die ihr zunächst stehende Frau bei der Kreuzigung haben durch-
weg braune Gewänder, die dritte Frau trägt unter ihrem ebenfalls braunen Mantel
1) Weifs, 2. Auflage, S. 56.
2) Ebenda S. 55.
') Ebenda S. 36, Fig. 20, S. 39, Fig. 24, a, b. Siehe auch die Kronen der Davidgestalten
im Chludoff- Psalter, bei Kondakoff; a. a. O. Taf. I, VI, XI, XIII.
*) Vergl. Weifs, a. a. O. S. 48.
*) Abbildung a. a. O. Taf. 42, Fig. 34.
•) Abbildung bei Lampakis, XPIZTIANIKH APXAlOAOriA THE MONHE AA4>NIOY,
Athen 1889, S. 131.
') Abbildung bei Ongania, Bd. III {klein Folio) Tav. V.
^) Abbildung bei Garrucci, Tav. 150.
°) Abbildung bei Bordier, Description des peintures . . . dans les manuscr. gr. de la
Bibl. nat., p. 86, Fig. 23.
w) Vergl. Weifs S. 28.
VON E. DOBBERT 225
eine weifse mit einem senkrechten braunen Streifen verzierte Stola,') die Frauen am
Grabe haben braune Mäntel über blauen Gewandern.') Die Samariterin ist mit einem
grünen weiten Ärmelgewande bekleidet und hat, wie schon zuweilen auf altchristlichen
Denkmälern ') und, mit seltenen Ausnahmen auf byzantinischen, eine Kopfbedeckung
und zwar in diesem Falle eine (mit Streifen verzierte weifse) Haube, wie sie ähnlich
auch an den entsprechenden Gestalten in S. ApoUinare nuovo zu Ravenna*) im Chludoff-
Psaker,*) im Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510*) und in S. Marco in Venedig^) zu
sehen ist. Bei der Ehebrecherin kommt unter dem hellen, bräunlich rötlichen breit-
ärmeligen Gewände über dem rechten Fufse und an den Händen ein hellblaues eng-
ärmeliges Kleid zum Vorschein. Kopf und Hals sind mit einem weifsen rotgestreiften
Tuche bedeckt.**) Die Sünderin, die Christi Füfse salbt, trägt ebenfalls ein blaues
Untergewand unter hell rötlichem Mantel.
IV. BAUWERKE
So weit Darstellungen von Gebäuden in den Wandbildern erhalten sind, stim-
men sie mit solchen in byzantinischen Werken überein. Einige Beispiele mögen diesen
Ausspruch erhärten. Der schmalen hohen Giebelfassade am rechten Ende des Bildes
mit dem Judaskuss entspricht bis zu dem kleinen Dreieck im Giebel und der hoch-
hinaufgefUhrten Thür das an derselben Stelle in der Miniatur mit der Paradiesesleiter
in der vatikanischen Klimax-Handschrift Nr. 394 (XI Jahrhunden)'') befindliche Gebäude.
Wie das Stadtthor von Jericho in dem Gleichnisse vom barmherzigen Samariter
von zwei schmalen runden, aus grofsen Steinen gemauerten Türmen flankiert ist, so
ist es auch das Thor von Jerusalem beim Einzüge Christi auf Bl. 196 des Pariser
Gregor von Nazianz.'®)
Die Bezeichnung des Felsengrabes des Lazarus durch eine vorgesetzte Thür ist
ein spezifisch byzantinischer Zug.
Einen cylindrischen Brunnen auf Stufen wie beim Gespräche Christi mit der
Samariterin zeigt die Verkündigungsscene auf Bl. 159 b der Predigten des Mönches
Jakobus über Maria in der Pariser Nationalbibliothek Nr. 1208.
Wenn die bisher genannten Beispiele, etwa mit Ausnahme der Grabesthür,
sich auch auf rein abendländischen Werken finden, so sind für den byzantinischen
Charakter unserer Wandgemälde die auf rundbogig verbundenen Säulen ruhenden
Kuppeln des Tempels in der Versuchungsscene und an den Ciborien bei dem
»Scherflein der Witwe«, der »Grablegung« und »den Frauen am Grabe« entscheidend.
Ganz in derselben Form finden sie sich immer wieder in der byzantinischen Kunst.
\) Siehe die farbige Abbildung der Kreuzigung bei Salazaro I , Tav XV, wo aber der
Mantelwurf der Frauen falsch gezeichnet ist.
') Dieselbe Zusammenstellung findet sich auch an der Maria auf Bl. i tob des griechisch-
lateinischen Psalters im Berliner Kupferstichkabinett.
') Siehe Kraus, Real-Encyklopädie der christlichen Altertümer II, 715.
♦; Abbildung bei Garrucci Tay. CCXLIX, 2; Rohault de Fleury, L*Evangile pl. XLIX, 1.
*i Abbildung bei Kondakoff a. a. O., Taf. V, Fig. 3.
^) Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile pl. XLIX,2; Pokrowski S. 211, Fig. 95.
7j Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio) Tav. XXIX.
*) Farbige Abbildung bei Salazaro I, Taf. X.
») Abbildung bei Beifsel, Vatikanische Miniaturen, Taf. XIV, B.
*") Abbildung bei Pokrowski, S. 260, Fig. 128.
226 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
Beispielsweise erinnere ich an die bereits S. 141 erwähnte Kuppel bei der »Versuchung
Christi« in S.Marco zu Venedig, wo auch wiederholt Ciborien, wie in S. Angelo,
dargestellt sind, und nenne ferner u. a. die Ciborien bei der »Verlobung Maria« und
jener Scene, in welcher der Hohepriester ihr den Purpur und die Wolle übergiebt
in der Sophienkirche zu Kijew,^) sodann das Ciborium bei der Darbringung des
Christuskindes im Tempel im Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510') und im Chludoff-
Psalter,*) die Ciborien auf Bl. 165a (bei der Verktlndigung) und auf Bl. i8oa (Christus
lehrend) des Berliner Evangeliars Nr. 66 ^ das Ciborium bei der Bestattung Johannes
des Täufers in der Evangelien handschrift zu Jelissawetgrad *) und dasjenige in der
schon genannten Miniatur der vatikanischen Klimax -Handschrift Nr. 394.
V. DIE MALERISCHE TECHNIK
Die Wandbilder in S. Angelo haben wie diejenigen der meisten mittelalterlichen
Wandmalereien eine eingehende Untersuchung nach dieser Seite hin noch nicht er-
fahren. So muss ich mich hier denn auf wenige Bemerkungen beschränken. Crowe
und Cavalcaselle ^) haben den treffenden Ausspruch gethan, der technische Charakter
aller dieser Malereien ähnele der eingelegten Arbeit, und Frey*) bemerkt, wie mir
scheint, mit Recht, derselbe entspreche dem der Mosaiken, worauf schon die eigen-
tümliche braune Konturierung alles Figürlichen führe, »die sich bis ins kleinste Detail
erstreckt, so zwar, dass selbst die höchsten Lichter auf Wangen und Gewändern —
jetzt zu hässlichen roten Flecken meist geworden — derartig umzogen sind«. Be-
züglich dieser Flecken notierte ich gegenüber den Malereien in der Apsis im Jahre 1872:
»Eigentümlich sind die Flecken auf den Wangen, sie sind braun oder rot, welche
Farbe aber zuweilen in grün übergeht.« Eine fernere Bemerkung in meinem Notiz-
buch lautet: »In den Fleischteilen aller dieser Gestalten ist viel Grün«, und Crowe
und Cavalcaselle sagen, der Kalk sei für die Fleischtöne mit Grün unterlegt, worauf
die Lichter mit dicker gelber Deckfarbe, die Schatten mit bräunlichem Rot koloriert
worden. Nun spielt das Grün in der byzantinischen Figurenmalerei eine grofse Rolle.
Bereits in der berühmten Psalterhandschrift der Pariser Nationalbibliothek Nr. 139
aus dem X Jahrhundert macht sich jenes für die spätere byzantinische Miniaturmalerei
so bezeichnende Nebeneinander von grünen und rosa Tönen bemerkbar^, das sich
auch in Mosaiken, z.B. einem Teile derjenigen in der Capella Palatina zu Palermo,
findet.^) Grünlich graue Töne zeigen auch die Mosaiken in Monreale.®) Die oben
erwähnten kräftigen braunen Umrisse sind neben schwarzen ebenfalls an den Mosaiken
in der Capella Palatina beobachtet worden, wo sie neben den äufseren Grenzen auch
^) Abbildungen in dem Werke über die Sophienkirche, herausgegeben von der Peters-
burger Archäologischen Gesellschaft Taf. 31, Fig. 15 und Taf. 28, Fig. 10; bei Graf Tolstoi und
Kondakoff, Russische Altertümer IV, S. 133, Fig. 105 und S. 134, Fig. 106.
2) Abbildung bei Pokrowski 104 Fig. 53.
^) Abbildung bei Kondakoff, a. a. O. Taf. III.
♦) Abbildung bei Pokrowski S. XXIV, Fig. 8.
*) Gesch. d. ital. Malerei, deutsche Ausgabe von Jordan I, 58.
^) a. a. O. S. 502.
') Siehe Kondakoff, Gesch. der byz. Kunst nach den Miniaturen, russ. Ausg. S. 152,
franz. Ausg. II, 38.
^) Siehe Pawlowski, a. a. O. 163.
°) Vergl. Weltmann u. Wörmann, Gesch. d. Mal. S. 336.
VON E. DOBBERT 227
die wichtigsten inneren angeben.^) Übrigens finden sich auch an byzantinischen Fresken
des XI Jahrhunderts braune und schwarze Umrisse, so an denjenigen in der Sophien-
kirche zu Kijew'), sie sind überhaupt für die zweite Periode der byzantinischen Malerei
charakteristisch. So kann ich denn auch bezüglich der Technik Cavalcaselle und
Crowe nur Recht geben, wenn sie in der italienischen Ausgabe ihrer Geschichte der
italienischen Malerei I (1875), S. 100, 10 1 den byzantinischen Charakter der Malereien
in S. Angelo aufs neue betonen und in betreff der allerdings besonders sorgfältig
ausgeführten Gemälde in der Vorhalle sagen, dieselben böten sowohl in Betracht des
Kostüms als auch des technischen Verfahrens ein Beispiel der schönen byzantinischen
Manier; die heitere, lebhafte und feine Färbung, die reinen und bis in die Einzel-
heiten genauen Umrisse zeigten, wie fest und gesättigt (ben nutrito) die Pinsel-
fUhrung sei.
Diese Abhandlung bezweckte den Nachweis, dass die Malereien im Mittelschiffe
von S. Angelo in Formis wesentlich byzantinisch, das Erzeugnis einer süditalisch-
griechischen Künstlerschule seien. Die spärlichen Überreste der Malereien in den
Seitenschiffen,') welche grofsenteils Gegenstände aus dem alten Testament behandeln,
zeigen, soweit ich mich ihrer erinnere, denselben Stil, wie diejenigen im Haupt-
schiffe, das einzige veröffentlichte dieser Bilder, die Vertreibung Adams und Evas aus
dem Paradiese*), stimmt mit dem byzantinischen Schema überein.') Die Malereien
in der Vorhalle, das jüngste Gericht an der Westwand und die feierliche Darstellung
in der Hauptapsis sind mit Recht von den meisten Forschern, der Hauptsache nach
auch von Kraus, für die byzantinische oder stark byzantinisierende Kunst in Anspruch
genommen worden. So komme ich denn zum Schlüsse, dass sämtliche Malereien in
S. Angelo aus einer und derselben Schule hervorgegangen sind, jener süditalisch-
griechischen Künstlerschule, die auch zahlreiche andere, zum Teil von Salazaro ver-
öffentlichte Werke in Süd -Italien geschaffen hat.
Wie steht es nun aber mit der Monte -Cassineser Malerschule, für deren zwei
bedeutendste und kunstgeschichtlich wichtigste Zeugen und Repräsentanten Kraus die
Wandgemälde von S. Angelo und diejenigen der Oberzelle auf der Reichenau erklärt?
Bisher ist der Beweis nicht erbracht, dass es eine solche Schule gegeben habe,
insofern man für den BegriflF »Schule« einerseits eine Übereinstimmung der aus ihr
hervorgegangenen Werke im Kunststile (dieses Wort im umfassendsten Sinne ge-
braucht), andererseits ihr besonders eigentümliche Merkmale in Anspruch nimmt.
Den engen Zusammenhang zwischen den Malereien in S. Angelo und denjenigen
auf der Reichenau kann ich nicht zugeben. Die Ähnlichkeit in den Kompositions-
motiven erklärt sich z. T. durch beiderseitige Abhängigkeit von altchristlichen Über-
lieferungen, z. T. durch byzantinische Einflüsse auf der Reichenau, so namentlich im
Jüngsten Gerichte. Die Stellungen und Bewegungen der Gestahen in der S. Georgs-
kirche lehnen sich zwar teilweise an byzantinische Muster an, aber nur äufserlich,
sie sind nicht wie diejenigen in S. Angelo byzantinisch empfunden. Ebensowenig
*) Pawlowski 162.
*) Siehe Ainaloff u. Redin, a. a. O. S. 102.
'j Siehe die Beschreibung bei Kraus, S. 19, 20.
*) Bei Schulz, a. a. O. Taf. LXX.
*} Tikkanen, Genesismosaiken, S. 39, erwähnt es unter den Darstellungen dieses Gegen-
standes »aus der byzantinischen oder doch byzantinisierenden Kunst«.
3>
228 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE
sehe ich einen Schulzusammenhang zwischen diesen beiden Werken und dem von
Kraus derselben Kategorie zugerechneten Weltgerichtsbilde zu Burgfelden/) welches
von byzantinischer Einwirkung kaum etwas erfahren haben möchte.
Aber auch in den unzweifelhaft mit Monte Cassino und zum Teil mit dem Abte
Desiderius in Zusammenhang stehenden Werken fehlt jene oben geforderte Schul-
einheit. Die Miniaturen im Kommentar des Paulus Diaconus zu der Regel des h.
Benedictus u. s. w., einer Capuaner Handschrift aus der ersten Hälfte des X Jahrhun-
derts, in der Bibliothek zu Monte Cassino (Nr. 175, 241} haben, nach den Abbildun-
gen'} zu schliefsen, einen rein abendländischen Charakter (Christus jugendlich, ban-
los, grofse formlose Hände). Einen mäfsigen byzantinischen Einfluss zeigen die Bilder
in dem Lectionar aus dem XI Jahrhundert Nr. 109, 25. Hier sehen wir neben dem
zwischen Maria und Benediktus thronenden Christus die Inschrift IC XC. Während
die Gestalten des Benedikt und des von ihm empfohlenen Urhebers der Handschrift,
des »diaconus et monachus scriptoru Grimoaldus ganz abendländisch empfunden sind,
zeigt die Stellung Christi und Maria einen byzantinischen Anflug, der in der Haltung
des Papstes Gregor in einer zweiten Miniatur stärker ist. Wiederum fast ganz abend-
ländisch dürfte die Formensprache in den Miniaturen der unter Theobald, Abt von
Monte Cassino 1022 — 1035, gefertigten Handschrift der Moralia des h. Gregor (Nr. 73,
129) und des zwischen 11 37 und 11 66 vom Mönch und Diaconus Simeon geschrie-
benen Regestum Sancti Angeli ad formas sein. In der zuletzt genannten Handschrift,
deren Bilder unsäglich magere und eckig bewegte Gestalten zeigen, ist mir nur ein
Stellungsmotiv aufgefallen, das ich oben für die byzantinische Kunst in Anspruch
genommen habe, nämlich jenes Stehen mit nach vorne etwas überhängenden Füfsen,
wie es sich bei der Ehebrecherin in S. Angelo findet.
Von besonderem Interesse für die hier behandelte Frage sind natürlich die
Kunstwerke, die mit dem Abte Desiderius im Zusammenhange stehen. Ich beginne
mit den Miniaturen in den Reden zu Ehren des h. Benedikt, einer in Monte Cassino
geschriebenen Handschrift des XI Jahrhunderts in der vatikanischen Bibliothek Cod.
lat. 1202 Fol. Auf Bl. 2 übergiebt Abt Desiderius dem h. Benedikt Bücher und
Grundbesitz. Diese Miniatur kenne ich nicht, wohl aber diejenigen auf Bl. 17 b aus
dem Lichtdruck bei Beifsel.*) Weisen diese Bilder auch abendländische Züge auf,
so bieten sie doch im Kostüm, in der Architektur (ein byzantinisches Kuppelcibo-
rium), in den Stellungen (die Amme und Romanus stehen in der bei der voran-
gegangenen Handschrift hervorgehobenen Weise), in den Gebärden (der griechische
Anredegestus) starke Anklänge an die byzantinische Kunst und demgemäfs auch an
die Malereien in S. Angelo. In ganz anderem Mafse als in den zuletzt genannten
Miniaturen tritt aber der byzantinische Einfluss an einem Werke der Buchmalerei
hervor, welches auf Bestellung des Desiderius geschaffen ward, dem vom Mönche
Leo gefertigten Predigtbuche in der Bibliothek zu Monte Cassino Nr. 99, 206. Es
sind vier zum Teil leicht getönte Umrisszeichnungen, die uns hier geboten werden.
Schon in jenem Bilde, in welchem der jugendlich dargestellte Desiderius den Mönch
Leo zu dem thronenden Benedikt führt, erinnert die Art dieses Thronens an byzan-
*) Abbildung bei Paulus, Die Kunst- und Altertums- Denkmale im Königreich Württem-
berg 1893.
^) Le miniature nei codici Cassinesi, herausgegeben von D. Oderisio Piscicelli Tae^i.
Auch die übrigen im Texte erwähnten Miniaturen in Monte Cassino kenne ich nur aus den
Abbildungen dieses Werkes.
•) Vatikanische Miniaturen, Taf. VIII.
VON E. DOBBERT 229
tinische Darstellungen; die dann folgenden Zeichnungen aber: die Verkündigung, die
Scene, wo der Engel dem schlafenden Joseph die Unschuld der Maria mitteilf, die
Anbetung der Könige und der untere Teil der Himmelfahrt sind durchweg nach
dem byzantinischen Schema angeordnet, zeigen byzantinisches Kostüm, byzantinische
Gebärdensprache u. s. f. Es sei hier nur erwähnt: das lebhafte und zugleich elegante
Herankommen des Engels bei der Verkündigung, die echt byzantinische Stellung der
Maria in diesem Bilde sowie bei der Himmelfahrt, wo sie als Orantin aufgefasst ist
und auf dem Kopfe unterhalb des Mantels jene in orientalischer Weise »aus zwei
verschiedenfarbigen Tüchern zusammengedrehte Wulst« hat, eine an griechischen
Muttergoltesbildern oft anzutreffende echt byzantinische Kopftracht.*) Ferner sei da-
rauf hingewiesen, dass der schlafende Joseph, dem byzantinischen Schema entsprechend,
den Kopf mit der einen Hand stützt, während die andere schlaff herabhängt, ganz
Ähnlich, wie z. B. an der entsprechenden Stelle in S. Marco zu Venedig.') Beim Engel
findet sich das Motiv der aus dem enganliegenden Mantel herausragenden Hand.
Die Anbetung der Könige erinnert in der Gesamtanordnung wie auch im Kostüm an
die Miniatur im Pariser Gregor von Nazianz 510.')
Nur die Kopftypen, soweit sie in den Abbildungen treu wiedergegeben sind,
lassen es zweifelhaft erscheinen, ob der Mönch Leo ganz der byzantinisch-süditalischen
Schule angehörte.
Wie dem auch sei, die Kunstwerke, die im Auftrage des Abtes Desiderius
gefertigt wurden, tragen nicht den Stempel einer selbstfindigen Kunstrichtung, son-
dern sind entweder, wie die eherne Thür in Monte Cassino und die Wandbilder in
S. Angelo, wesentlich byzantinisch, oder, wie die Miniaturen des Mönches Leo, min-
destens überaus stark byzantinisierend; die in Monte Cassino vor und nach Desiderius
gefertigten Miniaturen aber zeigen, wenigstens soweit ich sie aus Veröffentlichungen
kenne, nicht jene durchgehende Eigentümlichkeit, die erforderlich wäre, um die An-
nahme einer besonderen Benediktiner-Kunst von Monte Cassino zu gestatten.
Zum Schluss sei mir noch ein Wort über die byzantinische Frage im all-
gemeinen gestattet.
Selbstverständlich handelt es sich hierbei nicht um die Frage, ob die byzan-
tinische Kunst auf die abendländische eingewirkt habe. Diese Frage ist längst in be-
jahendem Sinne entschieden. Die byzantinische Frage will nur dahin beantwortet
sein, wohin dieser Einfluss drang, welche Gegenden des Abendlandes frei von ihm
blieben, wie und in welchem Mafse dieser Einfluss sich in verschiedenen Ländern
oder in verschiedenen Kunstzweigen, in verschiedenen Schulen oder verschiedenen
Zeiten bemerkbar machte. So zerfällt denn die byzantinische Frage in eine Anzahl
von Fragen, die erst dann eine Beantwortung erhoffen dürfen, wenn das Wesen der
byzantinischen Kunst nach den in dieser Abhandlung berührten verschiedenen Seiten
hin völlig klargelegt sein wird und die abendländischen Kunstwerke dahin unter-
sucht sein werden, ob und inwieweit sie die wesentlichen Eigenschaften byzantinischer
Kunst nach dieser oder jener Seite hin widerspiegeln.
») Siehe Weifs, a. a. O. S. 29. Abbildung auf Fig. 13 und Taf. III.
») Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio) Tav. XLIV. Pokrowski, S.45, Fig. 35.
') Abbildung bei Pokrowski, S. 122, Fig. 61.
3'*
230 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI
BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI
VON HERMANN ULMANN
Durch die Studien Wilhelm Bodes über Andrea dei Verrocchio ist die Scheidung
der PoUajuoli von diesem bisher mit ihnen verwechselten Meister vollzogen, und das
Bild von der künstlerischen Eigenan der Brüder als Maler in seinen Grundzügen
festgestellt worden. Die Frage jedoch , wie weit jeder der Brüder bei der Ausführung
der ihnen zugeschriebenen Gemälde in Betracht kommt, steht noch völlig offen; auch
die Masse der unter ihrem Namen gehenden Zeichnungen harrt der kritischen Sichtung.
Im folgenden seien einige der für die Behandlung dieses Themas besonders wichtigen
Gesichtspunkte erörtert, zu deren Darlegung ich mich bis zu einem gewissen Grade
verpflichtet halte, da ich soeben Antonio PoUajuolo als den Urheber eines Cyklus von
Wandgemälden in Rom in Anspruch genommen habe/) entgegen der allgemein in der
neuesten Literatur herrschenden Ansicht, dass dieser als Goldschmied, Bronzebildner
und Zeichner hochberühmte Meister nicht eigentlich als Maler thätig gewesen sei.
Schon unsere Quellen widersprechen einander. Albertini kennt in seinem 15 10
zu Florenz gedruckten Memoriale nur Piero als Maler und nennt ihn als Urheber
der in Florenz befindlichen Gemälde. Ebenso erwähnt der Anonymus Magliabechianus
nur plastische Werke, Zeichnungen und Goldschmiedearbeiten von Antonio, Bilder
nur von Piero. Ihnen steht die Mitteilung Vasaris entgegen, dass Antonio zahlreiche
Bilder gemalt habe, einige selbständig, andere in Gemeinschaft mit Piero. Ersteres
wird durch die Bezeichnung pictura clari belegt, die Antonio in der Inschrift auf
dem Grabmal Sixtus IV in S. Peter seinem Namen beifügte, sowie durch die Worte
pictor insignis auf dem eigenen Grabmonument in S. Pietro in Vincoli. Wenn der
Biograph jedoch weiter behauptet, Antonio habe erst in späteren Jahren die Malerei
bei seinem jüngeren Bruder erlernt, so widerspricht dies dem eigenen Zeugnis Anto-
nios in einem Briefe an den Condottiere Gentil Virgilio Orsini aus Rom vom 13. Juli
1494,*) worin er schreibt, dass er 1460 gemeinsam mit seinem Bruder die Thaten des
Herkules für den Palazzo Medici ausgeführt habe, zu einer Zeit also, wo Piero erst
19 Jahre zählte und ihm höchstens als Gehülfe zur Seite stehen konnte.
Die Untersuchung darüber, wie weit der eine oder der andere der Brüder bei der
Ausführung der ihnen zugeschriebenen Gemälde in Frage kommt, hat von zwei Bildern
auszugehen, die als Werke Pieros bezeugt sind. Das eine ist die für S. Agostino gemalte,
^) Die Thaten des Herkules, Wandgemälde im Palazzo di Venezia zu Rom, München,
Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft 1894.
') L. Borsari, Ant. del PoUajuolo e gli Orsini. Per nozze Orsini -Varo, Roma 1891,
abgedruckt im Archivio storico deir arte V (1892) S. 208.
VON HERMANN ULMANN 23 1
jetzt im Chor der CoUegiata zu San Gimignano befindliche Krönung der Maria, welche
die volle Namensbezeichnung Pieros und die Jahreszahl 1483 trägt. Man sieht, von einem
Reigen musizierender Engel umgeben, Christus, auf Wolken thronend, wie er der mit
gefalteten Händen sich vor ihm neigenden Jungfrau die Krone auf das Haupt setzt,
darunter auf Wolken knieend die Heiligen Augustinus, Nikolaus von Bari und Fina*
Gimignanus, Hieronymus und Nikolaus von Tolentino. Das Bild macht einen wenig
erfreulichen Eindruck und ist gerade kein glänzendes Zeugnis für die künstlerische
BefSihigung Pieros aus seiner reifsten Zeit. Die Zeichnung ist schwach, die Proportionen
sind durchgängig verfehlt, besonders die Gestalten Christi und Maria sind überschlank
gebildet; auf langem Halse sitzt ein kleiner birnenförmiger Kopf, die Hände sind
grofs, die Finger in den Gelenken wie gebrochen, Brokatgewänder, deren Falten sich
gleich venrockneten Apfelschalen zusammenrollen, hüllen die Körper ein; die Engel
mit dem perückenförmig aufliegenden Haar hängen mehr in der Luft, als dass sie
schweben, ihre Bewegungen sind steif und gezwungen. Die Heiligen sind bäurische
Gestalten mit groben Zügen; ihre Bildung belegt die Mitteilung Vasaris, dass Piero
seine künstlerische Ausbildung bei Andrea del Castagno genossen habe. Das Kolorit
hat einen tiefen gelbbraunen Ton, die Schatten sind schwer und undurchsichtig.
Die Ausführung des Beiwerkes wie der edelsteingeschmückten Kleidersäume, Bischof-
mützen und Stäbe ist fein und sorgsam, entschädigt jedoch nicht für den merklich
hervortretenden Mangel an wirklich künstlerischem Gefühl, der diesem fleifsig gear-
beiteten Bilde anhaftet.
Das zweite Bild ist das Porträt des Herzogs Galeazzo Maria Sforza in den
Offizien (Nr. 30). Es wird durch die Notiz im Inventar der mediceischen Kunstschätze:
y>quadro dipintovi la testa del Duca Ghalea\o di mano di Piero del Pollajuolo^ als
Werk Pieros bezeugt und kehrt genauer beschrieben im Inventar des Palazzo Vecchio
vom Jahre 1533 wieder als r>uno ritratto in tavola d'un duca di Milano con orna-
mento dorato et vesta piena di gigli doratia. Dass Galeazzo Maria Sforza der
Dargestellte ist, geht aus der Übereinstimmung mit dem im Verbindungsgang der
Offizien und des Palazzo Pitti hängenden Bildnis dieses Fürsten hervor, das Cristo-
fano deir Altissimo nach einem im Museo des Clovio befindlichen Exemplare für
Cosimo I kopiert hat.^) Das stark ruinierte Originalponrät, auf dem der Herzog in
dreiviertel Profilstellung nach rechts dargestellt ist, in grünem mit goldenen Lilien
besticktem Rocke, den linken Handschuh in der behandschuhten Rechten haltend^
zeigt dieselbe Mache wie die Krönung in San Gimignano. Auch hier finden sich die
schwarzbraunen Schatten im Fleisch und die hohe Stellung der Pupille ^ so dass das
Weifs des Auges darunter sichtbar wird, eine Eigentümlichkeit, die man bei allen
Köpfen Pieros findet. Beachtenswert ist ferner die Handform mit den langen ge-
knickten Fingern.
Gleiche stilistische Kennzeichen besitzt das überlebensgrofse Brustbild einer
Dame in reich verzierter, goldgestickter Haube und rotem pelzbesetztem Sammet-
kleid in dreiviertel Profilstellung nach rechts vor einem Fensterrahmen, das sich
in diesem Frühjahr auf der Auktion Eastlake befand (Nr. 86 des Aukt.-Kat.). Früher
war es im Besitze von William Graham; ob es identisch ist mit dem von Waagen
(Art Treasures in Great Britain II S. 269 und Suppl. S. 167) in der Sammlung
Davenport Bromley erwähnten Profilporträt einer Dame aus dem Hause Soderini,
konnte ich nicht ermitteln. Auf der Auktion hiefs es ohne Grund Ciarice Orsini,
1) U. Rossi, Achivio storico delFarte III (1890) S. 161.
232 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI
Gemahlin Lorenzo's de' Medici. Infolge starker Restauration macht das Bild keinen
angenehmen Eindruck, scheint mir jedoch ein zweifelloses Werk Pieros zu sein.
Die, wohl auf die Mitteilung Vasaris, Antonio habe zahlreiche Bildnisse grofser
Zeitgenossen gemalt, ihm an verschiedenen Orten zugeschriebenen Porträts gehören
ihm dagegen nicht an, wenigstens zeigen sie nicht genügende charakteristische Merk-
male, die eine solche Zuschreibung rechtfertigen können. Dies gilt besonders von
einem männlichen Bildnis in der Galerie Corsini zu Florenz, denen beim Earl of
Wemyss und im Besitz von Mrs. Cohen in London.*) Das in den Offizien auf
Antonio getaufte Profilbildnis eines blondhaarigen Mannes in goldverschnürtem Wamse
(Nr. 30*>») ist, wie Morelli bereits hervorgehoben hat, norditalienischen, wahrscheinlich
lombardischen Ursprunges.
Nehmen wir diese beiden sicheren Arbeiten Pieros zum Ausgangspunkt für
die stilistische Betrachtung der übrigen ihm zugeschriebenen Bilder, so muss die
Verkündigung in der Galerie zu Berlin (No. 73) an erster Stelle Piero gegeben werden.
Maria hat dieselbe runde Kopfform mit der spitzen Nase, dem zugespitzten Münd-
chen und der über das Ohr hereingedrehten Locke wie die hl. Fina und die Maria
in San Gimignano, ein Typus, der durchaus verschieden ist von der breiteren
platteren Kopfform der Frauen Antonios. Dies lehrt eine Vergleichung mit der
unten zu erwähnenden Vorzeichnung zu der » Caritas a in den Uffizien und mit
der Zeichnung zu einer Eva ebenda, sowie mit zahkeichen Gestalten auf den Sticke-
reien in der Domopera. Der Gabriel hat seinesgleichen ebenfalls unter den musi-
zierenden Engeln auf der Krönung; der aufwärts gerichtete Blick, wobei die Pupille
zu hoch sitzt, ist, wie bereits hervorgehoben, sämtlichen Figuren dort eigen. Wir
sehen auch hier dieselbe Behandlung der Brokatgewänder, denselben scharfbrüchigen
Faltenwurf, die spinnenfüfsig gebildeten Finger und den schweren harzigen Farben-
aufcrag. Kann ich somit Morelli nicht beistimmen, der gerade den Madonnentypus
auf der Verkündigung für Antonio charakteristisch findet, so pflichte ich, we-
nigstens für den nichtfigUrlichen Teil, seiner Annahme bei, dass Antonio den
Karton dazu geliefert habe. Die geschickte perspektivische Raumbehandlung, die den
Goldschmied und Bronzearbeiter verratende, überreiche Dekoration des Innenraumes,
sowie die miniaturartig fein ausgeführte Landschaft mit dem Amothal und Florenz
gehen im Entwurf auf ihn zurück. Wir finden dieselben weiten, mit Staffage be-
lebten landschaftlichen Prospekte auf einer eigenhändigen Zeichnung resp. auf einem
Karton Antonios zu einem büfsenden Hieronymus, der sich in leider ganz zerstörtem
Zustand unter den nicht ausgestellten Blättern in den Uffizien befindet, und auf einigen
der gestickten Scenen aus dem Leben des Täufers in der Domopera, sowie auf den
als Arbeiten seiner Hand stets anerkannten Herkulesbildchen in den Uffizien. Antonio
folgt hierin dem Vorbilde des Piero della Francesca und des Alesso Baldovinetti,
welch letzterer aus verschiedenen Gründen weit mehr noch als Castagno als mafs-
gebender Meister für die malerische Entwickelung der Brüder PoUajuoli zu be-
trachten ist.
Dafür nun, dass Antonio für die Bilder Pieros die Kartons lieferte, oder auch
die Darstellung gleich auf die Tafel zeichnete, haben wir einen thatsächlichen Beweis,
der bisher übersehen worden ist. Auf der Rückseite der Holztafel, welche die »Caritas«
^) Waagen, Art Treasures in Great Britain II S. 330 erwähnt das Bildnis eines jungen
Mannes von Antonio PoUajuolo in Mr. Bale's Sammlung. Ober den Verbleib dieses Bildes
ist mir nichts bekannt.
VON HERMANN ULMANN
233
schmückt, eine der sechs von den PoUajuoli für die Mercatanzia in Florenz gemalten
Allegorien der Tugenden (Uffizien I Korridor Nr. 73) ist die ursprüngliche Vorzeich-
nung von der Hand Antonios noch erhalten. Sie ist wahrscheinlich deshalb nicht
ausgeführt worden, weil sie etwas zu hoch für den zu Gebote stehenden Raum
ausgefallen war, oder weil sich Fehler im
Holze fanden. Bei der Ausführung ist das
Motiv, dass der Knabe mit beiden Händen
nach der Brust der Mutter greift, dahin
abgeändert worden, dass er ihre linke Hand
fasst, auch ist der Mantel, der auf der Vor-
zeichnung herabfällt, auf dem Gemälde über
dem Knie zurückgeschlagen. Hier, wo sich
Entwurf und Ausführung gegenüberstehen,
kann man den stilistischen Unterschied in der
Arbeitsweise der Brüder erkennen. An-
tonio zeigt sich in der grofs und breit mit
Kohle aufgerissenen Zeichnung als der sichere,
geschulte Kenner menschlicher Form, als der
er von Vasari und Benvenuto Cellini ge-
rühmt wird. Piero überträgt die grofsen
Formen des Bruders in seine kleinliche Aus-
drucksweise, ändert die breite Schädelbildung
in den keilförmigen Typus um, verlängert
und spitzt die Finger, rollt die Gewand-
massen zusammen. Die Gestalt hat in der
Ausführung die ihr auf der Zeichnung inne-
wohnende Kraft und Lebensfrische verloren;
es ist nur die äufsere Hülle, aber auch diese
verändert, geblieben. Wie Piero die Farbe
behandelt hat, lässt sich bei dem schlechten
Zustand, in dem sich dieses und die übrigen
vier im Korridor hängenden Bilder befinden,
nicht mehr beurteilen , nur sieht man in der
Untermalung der Fleischteile noch denselben schweren, schwarz -braunen Ton, den
wir auf der Krönung in San Gimignano, auf dem Bildnis des Sforza, der Verkündi-
gung in Berlin und dem Frauenporträt beobachten.
Aus dem Umstand, dass sich für die »Caritasa die Vorzeichnung Antonios er-
halten hat, darf man schliefsen, dass er auch für die übrigen fünf Tugenden den Karton
lieferte. Aber damit ist sein Anteil an dieser Arbeit noch nicht erschöpft; ich sehe
bei der »Prudentia« (Nr. 1306), der besterhaltenen Gestalt dieser Folge, auch in der
Ausführung seine Hand. Diese Figur ist von kräftigerem Bau als die übrigen und
von durchaus monumentaler Auffassung. Sie gleicht darin ganz der Vorzeichnung
zur »Caritasa, mit der sie auch die breitere Kopfform, die gut modellierten Hände
und Füfse, die weiche, abgerundete Faltenlage gemein hat. Keine der übrigen
Figuren ist so gut in die Nische hineinkomponiert, keine verrät bis ins kleinste
Detail in so hohem Grade die sorgsam modellierende Hand des Goldschmieds und
Bronzebildners. Denselben T)rpus mit der breiten Nase und dem in Zöpfen ge-
flochtenen Haar sehen wir u. a. auf der bereits erwähnten Zeichnung zu einer Eva
Antonio Pollajuolo.
Caritas.
Vorzeichnung zu dem Gem&lde in den Uffizien.
234 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI
in den Uffizien und bei mehreren Frauengestalten auf den Stickereien der Domopera.
Vom Kolorit ist wenig zu sagen, da das Bild stark aufgefrischt ist, doch zeigt es
durchgängig hellere Nuancen als die Arbeiten Pieros. Dessen Werk dagegen ist die
»Fides« , die in Typus und Haltung der hl. Fina auf der Krönung zu San Gimignano
gleicht. Zum Kopf der »Spes« besitzt die Sammlung der Uffizien eine in Kreide und
Rötel ausgeführte, überarbeitete Zeichnung Pieros, die sich in der ängstlichen Führung
der Umrisse wesentlich von der festen Strichführung seines Bruders unterscheidet.
Gemeinsame Arbeit der Brüder ist nach Vasari ferner die Tafel mit S. S. Jakobus,
Eustachius und Vincentius, in den Uffizien (Nr. 1301), die ursprünglich den Altar in
der Kapelle des Kardinals von Ponugal in S. NGniato zierte. Da der Altar der Kapelle,
für welche Antonio Rossellino 1461 das Grabmal des zwei Jahre zuvor verstorbenen
Kardinals auszuführen übernahm, einer am Eingangsbogen befindlichen Inschrift zu-
folge im Oktober 1466 geweiht wurde, so ist anzunehmen, dass damals auch die
Tafel vollendet war. Wir besitzen hierin das früheste datierbare Gemälde der beiden
Brüder, da die Originale der 1460 für den Palazzo Medici ausgeführten Thaten des
Herkules nicht erhalten sind. Piero zählte damals erst 25 Jahre, und schon allein aus
diesem Umstand darf man schliefsen, dass der Entwurf und der Aufriss des Bildes von
dem um 14 Jahre älteren Bruder herrührt, um so mehr, als die Zeichnung eine ge-
schulte, fertige Meisterhand verrät. Aber nicht durchgängig ist hier die Formensprache
von gleicher Kraft und Sicherheit. Dem aufmerksamen Beobachter wird es nicht ent-
gehen, dass Jakobus von kräftigerem muskulöserem Bau ist, dass dieser fest dastehende
Pilger einem anderen Geschlecht angehön als der engbrüstige hochschultrige Edel-
mann zu seiner Rechten, welcher sich auf den dürren Beinen mit den gichtig ge-
schwollenen Knieen kaum halten kann. Deutlich sieht man, dass in dem durchfurchten
Antlitz des Apostels und dem sinnenden Ausdruck des Diakonen auf der anderen
Seite eine ganz andere Schärfe der Charakteristik liegt, als in dem Milchgesicht des
Eustachius^ der so zimperlich den Palmzweig präsentiert. Man vergleiche gerade mit
letzterer Figur die zahlreichen Jünglingsgestalten im Zeitkostüm auf den Stickereien
in der Domopera, um sich zu überzeugen, wie keck und fest Antonio seine Fantini
hinstellte. Man ist daher zu der Annahme berechtigt, Antonio habe nicht nur den
Kanon zum Bilde geliefert, sondern den Jakobus und Vincentius auch bis zu einem
gewissen Grade selbst ausgeführt. Die endgültige Vollendung dagegen gehört, wie
die Untersuchung des Bildes in nächster Nähe ergiebt, einer Hand an, und zwar der
Pieros; man beachte die übereinstimmende Behandlung des blaugrUnen Brokat-
gewandes, der roten Sammetstoffe, der Fältelung am Ober- und Unterärmel des
Jakobus, der Lasuren in den Fleischteilen auf dem Bilde in San Gimignano. Hat
Vasari somit Recht mit der Behauptung, das Altarbild in der Kapelle des Kardinals
von Portugal sei gemeinsame Arbeit der Brüder, so irrt er in der Angabe, dass auch
die Wandmalereien daselbst von ihnen herrührten. Jedoch auch hierin liegt ein Körn-
chen Wahrheit. Die beiden schwebenden Engel zu Seiten des Altares, die den Vor-
hang vor dem ursprünglich daselbst befindlichen Bilde zurückschlagen, gehören nicht
Alesso Baldovinetti an, dem von Morelli mit Recht der Wandschmuck der Kapelle
zugeschrieben wird, sondern Piero PoUajuolo, wie ein Blick auf das Bild in San
Gimignano beweist. Auch scheinen sie in öl auf die Wand gemalt zu sein, ein
Verfahren, das Piero von seinem Lehrer Andrea del Castagno erlernt haben soll.
Diese beiden Engel sind die einzigen in Florenz erhaltenen Wandgemälde der Polla-
juoli; denn weder von dem 10 EUen hohen Cristoforus, den Antonio an die Fassade
der Kirche S. Miniato fra le Torri gemalt hatte, noch von den Fresken im grofsen Saale
VON HERMANN ULMANN
235
des Palazzo Vecchio , die Piero am 5. Oktober 1482 in Auftrag gegeben wurden, ist
eine Spur geblieben.^) Allerdings will U. Rossi neuerdings auf Grund eines »Doku-
mentes« das frQher Andrea del Castagno zugeschriebene, von Morelli jedoch mit
vollem Recht dem Domenico Veneziano zugeteilte Fresko mit Johannes Baptista und
Franciscus im rechten Seitenschiff von S. Croce als Werk des Piero del Pollajuolo
Antonio und Piero Pollajuolo.
Die Heiligen Vincentius, Jacobus und Eustachius.
Original in den Ufiizien zu Florenz.
in die Literatur einführen, jedoch entbehn diese Zuschreibung jeder Grundlage.')
Es findet sich nämlich in einem anonymen Manuskript im Archiv der Offizien, be-
titelt: »Nota delle tavole di pittura e figure di marmo di eccellenti maestri che sono
in Fiorenza«, über dessen Entstehungszeit jedoch nichts bekannt ist, und das auf sein
») Gaye, Carteggio I, 578.
') Archivio storico dell' arte 1890 (III) S. 160.
3^
23^
BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRUDER POLLAJUOLI
Verhältnis zu unseren anderen Quellen von U. Rossi auch gar nicht geprüft wurde,
folgende Notiz gelegentlich der in S. Croce befindlichen Kunstwerke: »5. Giovanni
B^^ con S. Franc,^ in fresco nel muro a man destra della cappella de' Cavalcanti
del Pollajuolo eccellente maestro, maniera del S. Bastiano de' Pucci nella Nuntiata.<i
Liest sich dies nicht gerade wie eine Notiz aus dem Merkbüchlein eines kunstsinnigen
Reisenden des XVII Jahrhunderts, der auf eigene Hand vergleichende Stilkritik trieb?
So lange nicht der Beweis erbracht wird, dass das Manuskript wirklich der ersten
Hälfte des XVI Jahrhunderts angehört und somit als Quellenschrift zu betrachten ist,
muss die Notiz mit Vorsicht behandelt werden, und auch dann wird sie schwerlich
Antonio Pollajuolo.
Aus dem Freskencyklus im Palazzo di Venezia.
genügen, eine solch charakteristische Arbeit des Domenico Veneziano zu einem Werk
des Piero Pollajuolo umzustempeln. Wenn U. Rossi zur Stütze seiner Zuschreibung
di« Stelle bei Albertini anführt, so ist dies erst recht hinfällig. Denn Albertini spricht
von einer r>tavola di pietro p,<i Die beiden Figuren sind jedoch auf die Wand gemalt
und aufserdem bedeutet pietro p, bei Albertini stets Pietro Perugino, Antonio und
Pietro Pollajuolo werden von ihm immer als Antonio und Pietro Pullaro oder Pull,
angeflihrt. Ich bin deshalb auf die Widerlegung dieser haltlosen Zuschreibung näher
eingegangen, da sie leider auch in der neuesten Auflage des Cicerone Aufnahme ge-
funden hat.
J
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PIERO POLLAIUOLO
DAVID
ORIGINAL IN DER K. GEMÄLDE-GALERIE ZU BERLIN
VON HERMANN ULMANN 237
Will man die PoUajuoliän ihrer Eigenschaft als Freskenmaler kennen lernen,
so muss man sie in Rom in dem Palazzo di Venezia aufsuchen, wo Antonio mit Ge-
hUlfen in einem Zimmer des ersten Stockwerkes einen Wandfries mit den Thaten des
.Herkules und Punendarstellungen gemalt hat. Diese ganz dekorativ behandelten, breit
hingestrichenen Wandgemälde sind aller Wahrscheinlichkeit nach bald nach 1471, dem
Todesjahr des Papstes Paul II, unter seinem Nepoten Marco Barbö ausgeführt worden.
Da ich bereits an anderem One unter Beigabe von Phototypien nach sämmtlichen Dar-
stellungen die Gründe für die Zuschreibung dieser bis dahin unbekannten Wandgemälde
an Antonio PoUajuolo dargelegt habe, so werde ich hier nicht weiter darauf eingehen.^)
Wir sahen, dass die leeren Formen und die steife, unsichere Haltung des
Eustachius auf dem Dreifigurenbild aus S. Miniato ein Hauptmerkmal des Arbeits-
anteils Pieros ist. Aus diesem Grunde muss ihm, abgesehen von der schwächlichen
Zeichnung der Hände und Füfse, auch der kleine David im Berliner Museum (Nr. 73 A)
zugeschrieben werden. Und so ist es auch von Anfang an don geschehen. Dasselbe
gilt von dem Bilde des Tobias mit dem Erzengel in der Galerie zu Turin. Es be-
fand sich ursprünglich an einem Pfeiler in Orsanmichele zu- Florenz und wird von
Vasari als gemeinsames Werk der Brüder erwähnt. Aber wenn auch der Karton dazu
von Antonio herrühren mag, worauf die in seinem Charakter gehaltene Flussland-
schaft schliefsen lässt, so sind seine Formen bei der Ausführung seitens Pieros doch
so umgemodelt und verschwächlicht worden, dass das ganze Bild jetzt als die Arbeit
des letzteren zu gelten hat. Der Tobias ist in allem der Bruder des Eustachius: die-
selben hohen Achseln, der lange Oberkörper, die eingeschnüne Brust, die gekrallten
Finger, die gichtig geschwollenen Kniee, der kleine Kopf mit den hochsitzenden
Augenbrauen. Die stoffliche Behandlung des roten Sammetmantels und der blau-
grünen Brokatärmel beim Engel entspricht ebenfalls ganz der Weise dieses Meisters.
Haben wir bisher Bilder betrachtet, die in der Ausführung ganz oder zum über-
wiegenden Teil Piero angehören, so lassen wir hier eine kleine Gruppe von Gemälden
folgen, die Antonio in seiner Eigenschaft als Maler zeigen. An erster Stelle sind da
die beiden kleinen Bildchen mit den Kämpfen des Herkules mit Antäus und der
Hydra in den Uffizien zu nennen (Nr. 11 53), die einzigen Gemälde, in deren Zuteilung
an Antonio die neuere Kritik einig ist. Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach ver-
kleinerte, eigenhändige Kopien nach den grofsen Leinwandbildern im Palazzo Medici,
deren Berühmtheit ihre Wiederholung von der Hand Antonios selbst erklärt.*) In
der sorgsamen Durchführung im einzelnen gleichen sie den feinen Silberstiftzeichnungen
Antonios und stehen an Güte der Modellierung um nichts hinter dem bezeichneten
Kupferstich des Kampfes der zehn Nackten (B. XIII p. 202 Nr. 2) zurück. Es ist dies
der einzige Kupferstich, der auch in der Ausführung sich mit Sicherheit Antonio
zuweisen lässt. Bezeichnend für Antonios plastische Auffassung ist die Art, wie er
die nackten Körper zur Erzielung eines scharfen, reliefmäfsigen Umrisses vor die helle
Luft stellt. Wir finden denselben beabsichtigten Kontrast auf den Wandgemälden in
Rom und auf dem Sebastiansbild in London.
Die nämlichen stilistischen Merkmale wie die beiden Herkulesbildchen zeigt bis
ins einzelne hinein die kleine Tafel mit Apollo und Daphne in der National Gallery
^) Die hier beigefügte Abbildung kleineren Mafsstabes danken wir der Verlagsanstalt
für Kunst und Wissenschaft in München.
^) Andere zeitgenössische Wiederholungen sind erwähnt in des Verfassers Publikation
der Wandgemälde im Palazzo di Venezia.
32*
238 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI
ZU London (Nr. 928), die im Hinblick darauf als sichere Arbeit Antonios zu gelten
hat. Sie ist von gleicher Feinheit der Ausführung und darf wegen der naiv selb-
ständigen Auffassung des antiken Mythus, worin sich Antonio mit Künstlern wie
Botticelli und Piero di Cosimo berührt, für eine der reizvollsten Darstellungen gelten,
die das Quattrocento auf diesem, seinem Lieblingsgebiet hervorgebracht hat.
Wenn diese Miniaturbilder auch alle Antonio del PoUajuolo eigenen Stilmerk-
male aufweisen, so darf man sie doch nicht einseitig zur Grundlage für die Be-
urteilung der sonstigen Gemälde dieses Meisters netimen. Sie sind nichts anderes als
in Farbe umgesetzte Zeichnungen und Stiche, für irgend welche Verwendung an
Möbeln oder in der Wandvertäfelung ausgeführt, und stehen in gar keinem Verhältnis
zu der gerade in kolossalen Proportionen sich gefallenden malerischen Thätigkeit
Antonios. Die auf Leinwand gemalten drei Herkulesbilder im Palazzo de' Medici
waren nach Angabe des Inventars ein jedes 6 Ellen hoch, d. i. etwa 3,65 m in unserem
Mafs, und der von Antonio in S. Miniato fra le torri gemalte Christoforus, die Be-
wunderung und das Vorbild des jugendlichen Michelangelo, mafe sogar 10 Ellen. Sind
die Fresken im Palazzo di Venezia nun gute Beispiele der für solche grofsen Wand-
gemälde erforderlichen, flotten und dekorativen Behandlungs weise, so zeigen anderer-
seits die Sebastiansbilder im Pitti und in der National Gallery zu London Antonio in
seiner Eigenschaft als sorgfältig arbeitenden Maler von Tafelbildern gröfseren Stiles.
Beide Gemälde gelten in der neuesten Literatur zwar für Werke Pieros, doch sind
sie auch in der Ausführung charakteristische Arbeiten des älteren Bruders, und zwar
die Einzelgestalt des Heiligen im Pitti ist es in allen ihren Teilen. Die durchaus
plastische Auffassung dieses lebensgrofsen Aktes, die wuchtigen, wie aus Erz ge-
gossenen Formen, die gute Anatomie im einzelnen, die Verkürzungen des Kopfes,
die Behandlung des wie aus Bronzeblech gewellten feingefalteten Schurzes, selbst
der zu dick gebildete grofse Zeh sprechen für Antonio, wie eine Vergleichung mit
dem Stich der zehn Nackten und der Zeichnung zu einem Adam in den Uffizien
darthut. Piero wäre nie im Stande gewesen, den Karton des Bruders formal so
getreu wiederzugeben, abgesehen davon, dass der vertriebene glänzende Farbenauftrag
hier von der ihm eigenen zäheren und stumpferen Malweise abweicht. Gerade dieses
Werk Antonios besitzt genug stilistische Verwandtschaft mit den Wandgemälden im
Palazzo di Venezia, die für die Zuschreibung der letzteren an Antonio bestimmend
sind. Eine leicht getuschte Federzeichnung zu dem Heiligen befindet sich in der Samm-
lung Morelli.*)
Das grofse Bild mit dem Martyrium des heiligen Sebastian in der National
Gallery zu London (Nr. 292) stammt aus der Cappella Pucci in S. Sebastiano de'
Servi und ist nach Angabe Vasaris im Jahre 1475 vollendet worden. Der Heilige
selbst soU ein Ponrät des Gino di Lodovico Capponi sein, und der Biograph be-
richtet, dass der Besteller Antonio Pucci dem Antonio PoUajuolo dafür die beträcht-
liche Summe von 300 Scudi gab, jedoch unter der ausdrücklichen Anerkennung,
dass er ihm damit kaum die Farben bezahle. Auch dieses von Vasari als Hauptwerk
Antonios sehr gerühmte Bild wird neuerdings von der Kritik dem jüngeren Bruder
zugewiesen. Acht Jahre trennen die Entstehung dieses Gemäldes von Pieros Arbeit
in San Gimignano. Es ist einfach unmöglich^ dass derselbe Meister, der hier mit
32 Jahren diese lebensgrofsen Akte mit einer für die damalige Zeit geradezu be-
wunderungswürdigen Sicherheit und Kenntnis malen konnte, mit 40 Jahren solche
*) Abgab, in Quaranta disegni della Raccolta Morelli, Milane 1886.
VON HERMANN ULMANN 239
knochenlose, schlecht geformten Figuren geschaffen habe, wie wir sie auf der Krö-
nung sehen. Entwurf und Ausführung sind auf dem Martyrium des Sebastian von
einer Hand; Antonios Weise lässt sich bis in die Adern der von der Anstrengung
angespannten Arme der Armbrustschützen, bis in die Runzeln des Gesichts und in die
wie in Bronze ciselienen Haare, sowie in die Fingernägel hinein Stück für Stück ver-
folgen. Die trefflich gezeichneten kleinen Figuren des Hintergrundes, jene einher-
sprengenden Ritter mit dem schreiend aufgerissenen Mund gleichen den Gestalten auf
Antonios Zeichnungen und Kupferstichen; der halbnackte, links im Hintergrund
neben dem galoppierenden Schimmel laufende Krieger entspricht bis in die Einzel-
heiten der Formbehandlung dem Herkules auf dem Kampf mit der Hydra. Den
Maler -Bildhauer erkennt man in den Reliefs des Triumphbogens. Die bei allem
Reichtum des Details breit behandelte Landschaft findet sich ebenso auf dem bereits
zur Vergleichung herangezogenen Karton zu einem Hieronymus in den Uffizien
wieder. Nur die Figuren des Heiligen selbst und des hinteren Armbrustschützen
links sind von schwächlicherer Zeichnung und unsicherer Haltung. Bei ersterer er-
klären sich diese Mängel einesteils aus der Schwierigkeit, die einem Meister von der
kraftvollen Formensprache Antonios die Aufgabe verursachen musste, einen nackten
unentwickelten jugendlichen Körper in Lebensgröfse zu malen, anderenteils aus der
gezwungenen halb schwebenden Stellung der Gestalt auf den Aststümpfen des Marter-
pfahles; bei dem Armbrustschützen liegt der Grund in der Ausführung seitens eines
anatomisch weniger kundigen Gehülfen. Der kleine runde Kopf, die hochstehende
Pupille, die kurze Stirn lassen hier Piero vermuten, dessen Mitarbeit in den sonstigen
Teilen des Bildes nicht kenntlich hervortritt.
Auch die reliefartigen Darstellungen an dem antiken Triumphbogen im Hinter-
grunde sind wegen ihrer Beziehung zu Zeichnungen Antonios von Bedeutung. Das
Rund in dem Giebelfeld stellt dar, wie ein Gefangener von Kriegern vor den Thron
des Richters geschleppt wird. Das British Museum hat vor kurzem eine grofse, leider
sehr zerstöne, getuschte Federzeichnung Antonios mit dieser Komposition in ver-
gröfserter und veränderter Redaktion erworben. Das Relief an der Innenseite des
Bogens Schilden eine Schlacht zwischen Reitern und Fufsvolk. Von besonderem
Interesse ist hier die vorderste Gruppe eines Reiters, der auf hochbäumendem Ross
über einen zu Boden gestürzten nackten Mann hinwegsprengt, weil sie fast genau
der Zeichnung Antonios im Kupferstichkabinet zu München entspricht, welche für
eine der beiden von Vasari als in seinem Besitz erwähnten Entwürfe Antonios zum
Reiterstandbild des Lodovico Sforza gilt.') Dieser Zuschreibung ist Louis Courajod
entgegen getreten, indem er nachzuweisen suchte, dass die Zeichnung in München
entweder die Kopie eines lombardischen Künstlers nach dem in Mailand vollendeten
Modell Leonardos zu dem Reiterstandbild des Sforza sei, oder, wenn wirklich von
PoUajuolo, doch nur als Kopie nach Leonardo angesehen werden könne.') Sollte
letztere Hypothese, die in sich einen auf gänzlicher Verkennung der künstlerischen
Bedeutung des Antonio Pollajuolo basierenden Anachronismus einschliefst, von
Courajod wirklich noch aufrecht gehalten werden, so muss sie aufgegeben werden
angesichts der Thatsache, dass sich bereits auf dem 1475 vollendeten Hauptwerk An-
tonio PoUajuolos dieselbe Komposition findet, die Leonardo ftlihestens 1483 zum
ersten Mal beschäftigen konnte. Nicht Leonardos Denkmal hat dem um 23 Jahre
^) Abgab. W. Schmidt, Handzeichnungen alter Meister in München. 81. 89.
') Gazette des beaux arts XVI p. 422 und L'Art 1879 tome IV p. 91 et sq.
240 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLl
älteren Antonio zum Vorbild gedient, sondern umgekehrt hat Leonardo geradeso wie
Michelangelo und Raffael diesen von Mit- und Nachwelt als besten Zeichner ge-
rühmten Meister studiert. So findet man auch das Vorbild zu den schreienden Kriegern
auf Leonardos Kompositionen bereits hier auf Antonios Gemälde.^) Die Zeichnung
in München hat formal wie technisch alle auf PoUajuolo weisenden Merkmale, nur
ist die Erhaltung eine derartige, dass man nicht mehr entscheiden kann, ob es die
Originalskizze Antonios oder eine gleichzeitige genaue Kopie danach ist. Die Bildung
des Pferdes sowie der altertümliche Turniersitz des Reiters hier sind charakteristisch
verschieden von Leonardos ähnlichen Darstellungen. Die Anbringung des antiken
Triumphbogens auf dem Sebastiansbilde lässt vermuten, dass Antonio vor 1475 in
Rom gewesen ist, und zwar wahrscheinlich kurz zuvor behufs Ausführung der Thaten
des Herkules im päpstlichen Palaste. Die scharf aufgesetzten metallisch wirkenden
Lichter im Fleisch finden sich übereinstimmend auf unserem Bilde und den Wand-
gemälden. Auch sonst giebt es noch genug andere stilistische Berührungspunkte
zwischen beiden Werken , die auf Ausführung von einer Hand schliefsen lassen. Die
Aktstudie Antonios zu dem Bogenschützen links im Vordergrund auf dem Londoner
Bild befindet sich im K. Kupferstichkabinet zu Berlin.^)
Nur der Bottega oder der Schule der Pollajuoli gehören zwei kleinere Dar-
stellungen des gleichen Gegenstandes an: die eine, ein schmales Hochbild unter
falschem Namen im Palazzo Spada zu Rom,') woselbst ein Engel dem an einer Säule
gefesselten Heiligen die Märtyrerkrone bringt; die andere eine predellenartige Längs-
tafel im Museo Poldi Pezzoli zu Mailand. Hier dient der auf einer Waldlichtung
stehende Heilige vier Bogenschützen zum Ziel. Der Zusammenhang mit PoUajuolos
Stilrichtung ist in beiden Bildern klar^ die Ausführung jedoch zu schwach, um sie
einem der Brüder selbst zuteilen zu können. Eine eigenartige Mischung von PoUa-
juolos und Credis Weise finden wir bei einer ähnlichen Darstellung im Fitzwilliam
Museum zu Cambridge (Nr. 164). Während die lebensgrofse Gestalt des an einer
Säule gefesselten Sebastian in Stellung und Proponion auf das Vorbild PoUajuolos
zurückgeht, und auch die beiden Bogenschützen denen auf der Predella in MaUand
ähneln, zeigen die Köpfe des Heiligen und zweier zu ihm mit Krone und Palme
herabschwebender Engel einen ausgesprochenen Credischen Typus. Auch das Nackte
ist mehr nach Credis Weise als in Nachahmung PoUajuolos behandelt. Lorenzo
selbst kommt für dieses gut erhaltene Bild jedoch nicht in Betracht; überhaupt ver-
mag ich keinen bestimmten Meister hierfür in Vorschlag zu bringen.
Antonio PoUajuolos Bedeutung für die Entwickelung der florentinischen Kunst
liegt jedoch weniger in seiner Thätigkeit als Bildhauer und Maler, als in seiner Thätigkeit
als Zeichner und Kupferstecher. Als Zeichner galt er nicht nur seinen Zeitgenossen
weitaus für den besten, sondern auch Spätere, wie Vasari und Benvenuto Cellini,
räumen ihm einstimmig dieses Lob ein. nQuestofü oreßcea, sagt letzterer, ne fü si
gran disegnatore che non tanto che tutti gli orefici si servivano dei sua bellissimi
^) Dass Antonio Pollajuclo ebenso wie Donatello und Verrocchio sich mit der Aus-
führung von Reiterbildnissen in Bronze beschäftigte , beweist der bereits erwähnte Brief an
den Condottiere Virgilio Orsini, worin er sich diesem Feldherrn zur Herstellung seines
Standbildes zu Pferd anbietet: ma piü charo arej faruj tuto intero in sun un chaual grosso
che ui farej etterno.
^] Abgeb. F. Lippmann, Handzeichnungen alter Meister im Kupferstichkabinet des K.
Museum zu Berlin, Bl. 156.
^) H. 0,67 m. Br. 041 m.
/
VON HERMiVNN ULMANN 24 1
disegni, i quali erano di tanta eccellen^a, che ancora molti scultori e pittori, io dico
dei migliori di quelle arti, si servirono dei sua disegni e con quegli e* si feciono
grandissimo onore, Questo uomo fece poche altre cose, ma solo disegno mirabilmente
e a quel gran disegno sempre attese,^. Kann es somit nicht verwundern, verschiedent-
lich Kopien nach Zeichnungen Antonios von zeitgenössischen und späteren Künstlern
zu finden, so muss man eben deshalb bei der Zuteilung von Blättern an Antonio
selbst um so kritischer zu Werke gehen, indem man stets vor Augen behält, dass kein
Ktinstler bis auf Michelangelo und Raffael so häufig kopiert worden ist wie er.
Ich gebe im folgenden eine Übersicht der mir in öffentlichen und privaten Samm-
lungen bekannt gewordenen echten Zeichnungen der Brüder Pollajuoli, insbesondere
Antonios sowie der wichtigsten Kopien nach ihm und einiger fälschlich ihm zu-
geschriebenen Blätter, wobei jedoch nur solche Zeichnungen Berücksichtigung finden,
die stilistisch wirklich in irgend einer Beziehung zu dem Brüderpaar stehen.^) Diese
Zusammenstellung macht nicht im geringsten Anspruch auf Vollständigkeit, ist es doch
geradezu unmöglich, nur annähernd das Material besonders der in englischem Privat-
besitz zerstreuten Zeichnungen zu beherrschen.
A. ECHTE ZEICHNUNGEN ANTONIOS.
Berlin, K. Kupferstichkabinet.
Nr. 471. Nacktstudie zu dem Bogenschützen links im Vordergrunde auf dem
Martyrium des Hl. Sebastian in London. Leicht getuschte Federzeichnung.')
Berlin, Adolf von Beckerath.
Nackter bogenschiefsender Herkules. Feder. Umrisse durchstochen, h. 0,280
br. 0,230 m.
Floren^, Offizien.
Rahmen 29 Nr. 942 (Neue Aufstellung). Räucherfass. Goldschmiedevorlage, echt
bezeichnet: Antonio dei polaiuolo horafo. Getuschte Federzeichnung.
R. 31 Nr. 95. Nacktstudie zu einem Adam. Feder. Nr. 97 F. Nacktstudie zu
einer Eva mit zwei Knaben. Feder.
R. 34 Nr. 267. Zwei männliche Nacktstudien und eine sitzende weibliche Ge-
wandstudie. Rückseite: (jetzt wie bei sämtlichen Zeichnungen leider ganz unsicht-
bar) Studien nach einem antiken Torso, vermutlich Herkules. Feder.
R. 42 Nr. 269. Mehrere männliche Nacktstudien in Silberstift und Feder. Nr. 246.
Männliche Nacktstudien. Feder. Nr. iio. Studien zu einem Kampf des Herkules und
Antäus und ein architektonischer Grundriss. Leicht getuschte Federzeichnung. Nr. 248.
(Unter Piero.) Nackter stehender Mann einen Stein in der Hand (Hieronymus). Rück-
seite: Mann mit Buch. Silberstift auf rötlichem Papier, Lichter weifs gehöht. Nr. 258.
(Unter Piero.) Nacktstudie eines Mannes in Fechterstellung. Silberstift auf rötlichem
Papier, Lichter weifs gehöht.
R. 41 Nr. 254. (Unter Piero.) Nacktstudie eines sitzenden Mannes, Kopf nur
angedeutet. Silberstift auf rötlichem Papier. (Von anderer Hand dagegen ist die auf
^) Eine Aufzählung der Zeichnungen der Pollajuoli ist bereits vom Vicomte Both de
Tauzia im Katalog der Zeichnungen des Louvre versucht worden, jedoch ohne genügende
kritische Sichtung.
') Die unter No. 472 ebenda Pollajuoli zugeschriebene männliche Nacktstudie (nur der
Kopf ausgeführt) ist von schwächerer Hand und etwas später.
242 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI
demselben Blatte aufgelegte Nacktstudie zu einem vom Rücken gesehenen Manne.)*)
Nr. 359. (Unter Piero.) Männliche Nacktstudie in sitzender Stellung. Gleiche Technik.
R. 26 Nr. 311. (Unter Pesellino.) Männliche Nacktstudie in Stellung und Körper-
bildung dem Herkules auf dem Kampf mit dem Löwen im Palazzo di Venezia ähnelnd.
Nicht ausgestellt Nr. 10 1. Hieronymus in freier Landschaft vor dem Kreuze
knieend. Karton zu einem Bilde, getuschte Federzeichnung, fast ganz ausgeblichen.
Umrisse durchstochen, h. 0,375 br. 0,530 m.
Hamburg, Kunsthalle.
Nacktstudie eines stehenden Mannes. Stiftzeichnung auf violettem Papier. Die
Umrisse nachgezogen.
London, British Museum.
Kasten XXIV. Herkules im Kampf mit der Hydra. Entwurf zu dem Bildchen
in den Uffizien. Feder.
1893 — 5 — 29 — 1. Allegorische Darstellung. Ein Gefangener wird von mehreren
Bewaffneten vor einen thronenden König geführt, sämtlich Nacktstudien. Getuschte
Federzeichnung, schwarzer Grund. In schlechtem Zustand und daher nicht mehr
mit Sicherheit zu entscheiden, ob Original oder alte Kopie. Doch scheint ersteres
wahrscheinlich.")
London, Lady Wallace, Henford House.
Bewein ung eines Toten, genannt der »Tod des Gattamelata«. Getuschte Feder-
zeichnung, h. 0,270 br. 0,420. Früher Mantegna zugeschrieben und unter diesem Namen
gestochen vom Monogrammisten A. C. (AUaert Claesz) 1555 (Bartsch, IX p. 130 Nr. 30)
und von Prestel im Museo Prauniano 1777. Kopie in München.
London, Sir Charles Robinson.
Opferscene. Um einen brennenden Altar sind sechs nackte Figuren, darunter
eine Frau, versammelt. Einer der Anwesenden trägt ein Lamm. In Nachahmung eines
Reliefs in braun auf dunklem Grund gemalt. Holz. Ruft mehr den Eindruck einer
Tuschzeichnung als eines Bildes hervor, weshalb es an dieser Stelle erwähnt wird.
Mailand, Sammlung Morelli.
Studie zu einem Sebastian, wahrscheinlich zu der Figur dieses Heiligen auf dem
Bilde im Pitti. Getuschte Federzeichnung.
München, K. Kupferstichkabinet.
Skizze zu dem Reiterdenkmal des Francesco Sforza. Getuschte Federzeichnung,
schwarzer Grund. Bei dem schlechten Zustand des Blaues nicht mehr zu entscheiden,
ob Original oder Kopie. Wahrscheinlich aus dem Besitze Vasaris stammend.
Oxford, Christchurch.
(Unter Dom. Ghirlandajo.) Nacktstudie zu einem David. Silberstift, h. 0,275
br. 0,125 m.
Paris j Louvre.
Nr. 2003. Drei männliche Nacktstudien und zwei Armstudien. Feder. Kopien
danach im British Museum und in der Akademie zu Venedig.
1) Von der gleichen etwas weicheren Hand rühren auch R. 41 Nr. 268 unter »Piero
Pollajuolo« und R. 56 Nr. 11 54 unter »Botticelli« her.
') Die beiden anderen früher dem Pollajuolo zugeschriebenen Zeichnungen im British
Museum haben nichts mit ihm zu thun. Die eine ist eine auf Fälschung berechnete Kopie
nach dem Studienblatt im Louvre, die andere, einen der Rossebfindiger von Monte Cavallo
darstellend, ist ebenfalls sehr verdächtig.
VON HERMANN ULMANN 243
B. ECHTE ZEICHNUNGEN PIEROS.
Chatsu^orth, Duke of Devonshire.
Zwei stehende männliche Gewandfiguren. Feder.
Florens[, Offizien.
R. 31 Nr. 357. (Unter Antonio.) Studie zu einem Johannes Baptista. Feder.
Charakteristisch für Piero die unsichere Haltung und die Handform.
R. 43 Nr. 14506. Studie zu dem Kopf der »Fides«. Rötel und schwarze Kreide.
Umrisse durchstochen.^)
R. 32 Nr. 278. Allegorie: Engel Almosen spendend. Feder.
Oxford, Christchurch.
Stehende männliche Gewandfigur. Feder, h. 0,260 br. 0,90m.
C. ZEITGENÖSSISCHE UND ALTE KOPIEN.
Berlin, Adolf von Beckerath.
Predigt Johannes des Täufers. Ausgeführter Karton nach einer Skizze Antonios
zu der betreffenden Darstellung in der Serie der Stickereien für S. Giovanni, jetzt im
Museum der Domopera zu Florenz. Getuschte Federzeichnung, h. 0,280 br. 0,230 m.
Früher Sammlung Grahl.
Grabmal Innocenz VIII. Kopie eines Cinquecentisten, vermutlich nach dem Ent-
würfe Antonios und nicht nach dem ausgeführten Monument, da sich Abweichun-
gen in der Darstellung der Lünette finden. Diese Zeichnung ist deshalb wichtig, da sie
den ursprünglichen, jetzt veränderten Aufbau des Grabmals überliefert. Der Sarkophag
stand über der sitzenden Statue des Papstes. Getuschte Federzeichnung, h. 0,280
br. 0,205 m.
Floren\, Uffizien.
R. 40 Nr. 98 F. (Unter Antonio.) Zacharias giebt dem Volke seine Siummheit
zu erkennen. Kopie nach der Originalzeichnung Antonios zu der betreffenden Dar-
stellung in der Serie der Stickereien für S. Giovanni. Geringer als die Zeichnung in
der Sammlung Beckerath und wahrscheinlich nur eine Bause nach dem Originalkarton.
Getuschte Federzeichnung. Umrisse durchstochen.
Nicht ausgestellt Nr. 2299. (Unter Albrecht Dürer.) Gruppe aus einer Anbetung
der Könige. Feder, h. 0,329 br. 0,267 m.
Nicht ausgestellt Nr. 109. Enthauptung eines Heiligen (Johannes d. Tf.?) Ganz
verwischt und kaum mehr erkennbar. Silberstift auf grün gefärbtem Papier, Lichter
weifs gehöht, h. 0,223 br. 0,345m.
R. 265 Nr. 1476. (Unter Raffael.) Herkules im Kampf mit drei Kentauren.
Von derselben Hand und in derselben Technik, wie mehrere Kopien nach Pollajuolo
im venezianischen Skizzenbuch. Feder.
R. 34 Nr. 276. (Unter Antonio.) Statue eines sitzenden Papstes, vermutlich
Innocenz VIII, jedoch in abweichender Haltung und Stellung von der Ausführung
auf dem Grabmal in S. Peter zu Rom. In den Umrissen nachgezogen, die linke
Hand neu. Getuschte Federzeichnung. Zu kleinlich und ängstlich für Antonio selbst
^) R. 41 Nr. 358. Männlicher Kopf in Vorderansicht mit Capuccio (stark überarbeitet),
dürfte eher Andrea del Castagno als Piero del Pollajuolo angehören. Dagegen rührt von
Benozzo Gozzoli der Castagno zugeschriebene männliche Kopf in Mütze (R. 18. Nr. 250) her.
33
244 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLL.UUOLI
und vermutlich Kopie eines zeitgenössischen Goldschmieds. Von derselben Hand
und in gleicher Technik: No. 261 »Justitia«, No. 262 »Prudentia«. Nr. 263. »Forti-
tudo«. Nr. 264. Apostel Petrus. Nr. 265. Apostel Andreas. Nr. 266. Apostel Jakobus.
Nr. 279. (Unter Antonio.) Kampf dreier Männer mit einem Kentaur. Feder-
zeichnung.
R. 32 Nr. 260. (Unter A. Pollajuolo.) Kampf vier nackter Männer. Federzeich-
nung auf rot getöntem Papier. Lichter weifs gehöht.
Hamburgs Kunsthalle
Geifselung Christi. Getuschte Federzeichnung. Überarbeitet und nicht mehr
festzustellen, ob von Antonio selbst.
Kampf zwischen zwei Kentauren. Getuschte Federzeichnung. Ziemlich roh.
London, J. P. Heseltine.
Herkules im Kampf mit Antäus. Federzeichnung auf Pergament, h. 0,3 lobr. 0,210 m.
Alte Kopie vermutlich nach einem ersten Entwurf Antonios zu dem Wandbild im
Palazzo di Venezia.
Studienblatt mit zwei Figuren von Raffaellino del Garbo, davon die eine Nackt-
studie zu einem Sebastian nach Pollajuolo. Silberstift auf rosa getöntem Papier,
h. 0,248 br. 0,220 m.
Paris, Louvre, Coli. His de la Salle.
Sogenanntes Verrocchio- Skizzenbuch. Bl. iii. Herkules im Kampf mit der
Hydra. Federzeichnung. Nach Pollajuolos Bild in den Uffizien (?). Flotter und
sicherer gezeichnet als die Mehrzahl der verschiedenen Händen angehörigen Blätter
dieses Sammelbandes und wahrscheinlich von Verrocchio selbst.^)
Turin, K. Bibliothek.
Nr. 15 591. Jugendlicher nackter Mann zieht einen am Boden liegenden ebenfalls
nackten Mann am linken Arm aus einer Höhle heraus, wobei er ihn in den Nacken
tritt (Herkules und Cacus?). Umrisszeichnung. Feder. Bause nach einer Zeichnung
Antonios, h. 0,360 br. 0,280 m.
Nr. 15592. Reliefanige Darstellung eines Kampfes nackter Männer. Unter Be-
nutzung der Stiche Antonios (Bartsch Nr. 1 und 2). Scheint Fälschung. Feder.
Venedig, Akademie.
Im sogenannten Raffael - Skizzenbuch finden sich folgende Kopien nach Polla-
juolo: Herkules (Simson?) im Kampf mit dem Löwen; Flötenspielender Marsyas,
nach Pollajuolos Bronze*) von verschiedenen Seiten gezeichnet; Hirt von einem Löwen
angefallen; Nackter stehender Mann, sich aufstützend; Nackter sitzender Mann mit
Scepter und Reichsapfel; Nackter stehender Mann, die Arme über der Brust gekreuzt.
Wien, Albertina.
Grabmal Sixtus IV. Schwache späte Zeichnung nach dem ausgeführten Monument.
Windsor, Königl. Bibliothek.
Kampf nackter Männer. Getuschte Federzeichnung. Ähnelt stilistisch den soeben
erwähnten Zeichnungen im Venezianischen Skizzenbuch. Braun 1 52.
*) Vergl. Bode, Italienische Bildhauer der Renaissance S. 129.
") Exemplare dieser von Antonio offenbar nach einer antiken Vorlage gearbeiteten
Statuette befinden sich im Bargello (abgeb. Archivio storico dell' arte 1893. S. 20), in der
Galerie zu Modena (abgeb. Venturi, Galleria Estense), im Museum zu Berlin sowie auch beim
Grafen Stroganoff zu Rom. Für ein Werk des Pollajuolo halte ich ebenfalls die in dem-
selben Schrank des Bargello unter N0.2584 aufgestellte Bronzestatuette eines Faustkämpfers.
VON HERMANN ULMANN 245
Hier ist auch der Ort, einige Worte über jene grofse Anzahl in Feder aus-
geführter und getuschter Naturftudien mit (meist bekleideten) Jünglingen im Arbeits-
kostUm zu sagen, die über verschiedene Sammlungen zerstreut, früher Maso
Finiguerra, jetzt meistens Antonio Pollajuolo zugeschrieben werden. Obgleich ein
gewisser stilistischer Zusammenhang zwischen diesen Blättern und den Zeichnungen
Antonios in Bezug auf Form und Proportionen besteht, so sind sie im einzelnen doch
viel zu schwach für ihn und gehören einem zwar gewissenhaft, doch kleinlich arbeiten-
den unselbständigen Künstler an, der sich in der Nachfolge Antonios gefällt. An
Piero darf man dabei nicht denken, dagegen ist die traditionelle Zuschreibung an Maso
Finiguerra, die, der Aufschrift auf einem der Blätter in den Offizien nach zu urteilen,
bereits aus dem XVI Jahrhundert stammt, der Beachtung wert. Die Zuschreibung
hat ihren Grund offenbar in einer Stelle des Vasari im Leben des Antonio, woselbst
er von Maso Finiguerra als Zeichner spricht und umolte carte di vestitij ignudi, e di
storie disegnate d' acquerello^ von ihm im eigenen Besitz erwähnt. Die Verwandtschaft
mit Pollajuolo findet ihre Erklärung in der durch Benvenuto Cellini bezeugten That-
sache, dass Finiguerra sich bei allen seinen Arbeiten der Zeichnungen Antonios
bedient habe. Die Überlegenheit des letzteren über Maso in seiner Eigenschaft als
Zeichner wird auch noch ausdrücklich von Vasari hervorgehoben. Noch andere Gründe
sprechen für die Vermutung, dass der Zeichner dieser Studienblätter sowie eines im
Jahre 1889 vom British Museum erworbenen Bandes mit getuschten Federzeichnungen
zu einer Weltchronik — denn beide rühren unzweifelhaft von der gleichen Hand her —
der als Nielloarbeiter und Kupferstecher thätige florentinische Goldschmied Maso
Finiguerra (1426 — 1464) sei. Die Hauptgründe hat Herr Professor Sidney Colvin, der
schon seit mehreren Jahren mündlich dieselbe Ansicht vertrat, bereits im Katalog
der Ausstellung von Zeichnungen im British Museum 1892 ausgesprochen. In allem
Wesentlichen stimme ich den Ausführungen dieses Gelehrten bei.
Von diesen unter verschiedenen Namen zerstreuten Studienblättern, die zu
einer aus einem oder mehreren Skizzenbüchern stammenden Serie von leicht lavierten
Federzeichnungen gehören, sind mir folgende bekannt geworden.
Floren^, Offizien.
Rahmen 33 und 35 — 39, im ganzen 45 Blätter mit ganzen Figuren, Köpfen und
Händen, unter »Scuola di Antonio Pollajuolo« neuerdings ausgestellt.
R. 34 Nr. 57 F, 58 F, 85 F, 91 F desgleichen.
R. 34 Nr. 275. (Unter Antonio Pollajuolo.) Stehender junger Mann mit aus-
gebreiteten Armen, nach oben blickend.
R. 30 Nr. 370. (Unter Antonio Pollajuolo.) Ein liegender und ein sitzender
bekleideter Mann.
R. 43 Nr. 100 F. (Unter Piero Pollajuolo.) Nackter liegender Mann.
R. 25 Nr. II 27. (Unter Pesellino.) Stehender Mann in Turban.
R. 25 Nr. 43 F. (Unter Maso Finiguerra.) Zwei knieende Heilige. Nr. 44 F.
Vertreibung aus dem Paradies. Nr. 41 F und Nr. 42 F. David stehend über dem
Haupte Goliaths.
R. 20 Nr. 118F. (Unter Masaccio.) Stehender Jüngling mit Buch. Nr. 120 F.
Sitzender Jüngling, zeichnend.
R. 14 Nr. 65 F. (Unter P. Uccello.) Männlicher Kopf mit Capuccio in Profil.
Nr. 27. Drei am Boden liegende Knaben.
Nicht ausgestellt: Nr. 46. 47. 48. 83. 84. 86. 87. 94.
33*
246 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI
Mailand, Bibl. Ambrosiana.
Collect. Resta Fol. 10. Nackter stehender Mann mit Schild und Streitkolben.
Paris, Louvre.
Nr. 2004. Zwei nackte stehende Männer mit Schild und Keulen.
Paris, Leon Bonnat.
22 Zeichnungen.
Rom, Bibl. Corsiniana.
Col. 158 I. II. Nr. 130460. Stehender Mann mit einem Korb auf dem Rücken,
worin ein Kind, daneben ein stehender Mann in langem Gewände mit Pilgerstab.
Nr. 1305 19. Jünglingskopf mit Kappe in Profil.
Die von Morelli (Die Galerie zu Berlin S. 358) Antonio zugeschriebene grofse
Federzeichnung eines Weibes, das aus einem Nachen ans Ufer springt, in den Offizien
(R. 87 Nr. 375 unter Piero di Cosimo) ist meiner Meinung nach ein höchst charakte-
ristisches Blatt des Francesco di Giorgio und hat mit der florentinischen Schule überhaupt
nichts zu thun. Zu diesem Zwecke vergleiche man den Kopf des Weibes mit dem
Kopfe des Sebastian und einer Heiligen rechts oben auf Francescos Krönung der
Mariae in der Akademie zu Siena, sowie mit dem äufsersten Engel links auf der Geburt
Christi in S. Domenico und mit dem Engel auf dem kleinen Madonnenbilde in der
Akademie. Man wird denselben Typus mit den gleich Flammenbüscheln gebildeten
flatternden Haaren, mit der aufgestülpten Nase und dem Grübchen im runden Kinn
finden. Den schlecht verkürzten breiten Fufs mit dem abgebogenen grofsen Zehen,
das vom Wind gepeitschte eng an das Bein sich anlegende Gewand, die gekrallte
Hand sehen wir bei allen seinen Gestalten, auch die Felsmassen sind auf der Zeichnung
in gleicher Weise behandelt wie auf der Anbetung des Kindes in der Akademie zu
Siena. Die Verwechselung kommt daher, dass Francesco di Giorgio in seinen maleri-
schen Arbeiten und Zeichnungen sich an das Vorbild der grofsen florentinischen
Zeitgenossen hält. Seine Werke gehen nicht selten unter den Namen florentinischer
Meister, wie denn z.B. eine ftir ihn höchst charakteristische Federzeichnung mit der
allegorischen Darstellung eines Triumphzuges in der CoUection His de la Salle im
Louvre dem Botticelli zugeschrieben wird.*)
Will man jedoch Antonio Pollajuolos Bedeutung als Zeichner und sein Kom-
positionstalent völlig ermessen, so darf man nicht die nach seinen Entwürfen ausge-
führten Stickereien mit Scenen aus dem Leben Johannis des Täufers unbeachtet lassen,
die aus der Verborgenheit der Sakristeischränke des Battistero zu Florenz jetzt in das
Museo der Opera del duomo gebracht und dort bequem zum Studium ausgestellt sind.
In der Ausführung lassen sich kenntlich mehrere Hände scheiden — wissen wir doch,
dass neben dem von Vasari hoch gerühmten Paolo di Verona noch dessen Landsmann
Piero und der Florentiner Antonio di Giovanni, sowie zwei Fremde, Coppino di
Giovanni da Malines und Niccolö di Jacopo Francese als Sticker an diesem Wunder-
werk der Nadelkunst beschäftigt waren — die Vorzeichnung, die an einzelnen Stellen
*) Das PoUajuolo ebenda unter No. 85 zugeschriebene Blatt rührt von Verrocchio her
und ist der erste Entwurf dieses Meisters zu seinem Bilde mit der Reise des Tobias in der
Akademie zu Florenz. Ein in der Dyce CoUection im South Kensington Museum auf
Antonio getauftes Blatt mit einem Weibe, das Milch aus seiner Brust in ein Geßlfs drückt,
einen Eros neben sich, ist eine schwache Zeichnung aus der Schule Mantegnas.
VON HERMANN ULMANN 247
auf dem Grund des Gewebes jetzt zum Vorschein gekommen ist, gehört dagegen
durchgängig Antonio allein an. Diese Stickereien, die bereits 1470 in Arbeit waren,
geben einen guten Anhaltspunkt für die Beurteilung des früheren Stiles des Meisters.
Aus einer noch früheren Periode seines Schaffens stammen die ursprünglich mit Email
ausgefüllten gravierten Darstellungen an der Basis des den Silberaltar aus S. Giovanni
krönenden Kruzifixes, an der Antonio seit 1456 arbeitete. Sie zeigen an der Vorder-
seite Moses thronend zwischen den Tugenden und darüber die Taufe Christi zwischen
den Kirchenvätern. Auf letzterer gleicht der Täufer in der weitausholenden stürmischen
Schrittstellung dem Herkules auf dem Kampf mit der Hydra in den Offizien. Für
das Studium Antonios als Verfertiger von Niellen und Kupferstichen ist hier ein sicherer
Ausgangspunkt gegeben. Seine Thätigkeit auf diesem Gebiete zu verfolgen, liegt
jedoch aufserhalb des Rahmens unserer eng gesteckten Aufgabe. Enggesteckt im Ver-
hältnis zu der Vielseitigkeit dieses Künstlers, den selbst ein verwöhnter Kenner wie
Lorenzo de' Medici seinem Agenten in Rom mit den Wonen empfehlen durfte ^) :
ytDetto Antonio e il pnncipale maestro di questa cittä e forse per avventura non ce
ne fü mai; e questa e comune opinione di tutti gV intendenti,^.
DIE ARCHITEKTONISCHE ENTWICKELUNG MICHELOZZOS UND SEIN
ZUSAMMENWIRKEN MIT DONATELLO
VON HEINRICH VON GEYMÜLLER
In nachfolgender Studie möchte ich die Aufmerksamkeit auf einige Punkte in
der Wirksamkeit Michelozzos lenken, welche, wie mir scheint, in der Monographie
dieses Meisters in der ^Architektur der Renaissance in Toscanaa^) keine befriedigende
Darstellung und Lösung gefunden haben. Diese Arbeit sollte im wesentlichen die
Schlussbetrachtung zu jener von Herrn Dr. Stegmann und mir verfassten, im Drucke
eben erschienenen Monographie bilden. Da aber jene Schlussbetrachtung nicht mehr
mit den Ansichten des Herrn C. von Stegmann, noch mit denen seines Herrn Sohnes
über Michelozzo harmonierte, so schien infolge der eigentümlichen Stellung, in
welcher ich mich zuletzt dem Toscanawerke gegenüber befand, die Billigkeit zu
verlangen, dass sie unterbliebe. Ich kann nur mein Bedauern hierüber aussprechen,
da ich die Verantwortung für den Text noch zu tragen hatte.
Zum Verständnis der erörterten Fragen und entwickelten Ansichten ist es nötig
zu erklären, wie jene Monographie sich allmählich aufbaute.
Herr Dr. Stegmann ") als Verfasser einer Studie über Michelozzo hatte meine
Einladung zur Mitarbeit an dieser Monographie bereitwillig angenommen und sollte
*) Brief vom 12. November 1489 an Giovanni Lanfredini. Vergl. Gaye, Carteggio I. S. 341.
") Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft, vormals Friedr. Bruckmann, begonnen
von der Gesellschaft S. Giorgio, weitergeführt von H. C. von Stegmann.
^) Michelozzo di Bartolomeo, eine kunstgeschichtliche Studie von Hans Stegmann.
München 1888.
248 DIE ARCHITEKT. ENTWICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO
die historisch- dokumentarischen Teile der Arbeit liefern, mit denen ich frei verfahren
konnte, wie mir am besten schien. An diese solhen sich meine architektonischen
Betrachtungen reihen, in welchen ich selbstverständlich alle Elemente zu berück-
sichtigen wünschte, die sich noch durch die Aufnahmen des Herrn C. von Stegmann
ergeben würden. Endlich behielt ich mir vor, nach einer neuen Untersuchung der
Werke an On und Stelle, in einer Schlussbetrachtung die Gesamtwürdigung der
Persönlichkeit Michelozzos und seiner Thätigkeit darzustellen.
Herr Dr. Stegmann hatte gehofft, mir sein Manuskript im August 1890 abliefern
zu können. Seine Berufsthäügkeit gestattete ihm jedoch erst anfangs 1891 mir ein
Drittel, die Fortsetzung ein Jahr später, den Schluss im Oktober 1893 zu schicken.')
Obv^rohl ich nur etwa ein Viertel des Manuskripts in Händen hatte, und das
Verhältnis der fertigen, mir zur Verfügung stehenden Textillustrationen und Aufnahmen
kaum günstiger war, verlangte das regelmäfsige Erscheinen der Lieferungen, dass der
Anfang der Monographie von mir sofort für den Druck ergänzt wurde. Er umfasste
den gröfsten Teil der Periode des Zusammenwirkens Michelozzos mit Donatello, für
welchen ich, um den Druck zu fördern, die Abhandlung über die Aufsenkanzel am
Dome zu Prato allein herstellen musste.
Gerade für die Periode der Kollaboration mit Donatello fand ich nun sowohl
bei Herrn C. von Stegmann als bei Herrn Dr. Stegmann die Ansicht vertreten, dass
in den Werken dieser Firma das Architektonische ausschliefslich das Verdienst Miche-
lozzos sei.
Obgleich diese Theorie, ich gestehe es, für mich ganz neu war, erkundigte
ich mich einstweilen um so weniger nach ihrem Ursprung, als sie mir in der That
manches für sich zu haben schien und ich die klare Begründung derselben in der
Fortsetzung des Manuskriptes des Herrn Dr. Stegmann zu finden erwartete.
Immerhin fand ich es nötig, einstweilen für Donatello das Verdienst der Er-
findung der Gesamtdisposition zu reservieren und ebenso die Ausdrücke zu mäfsigen,
welche Michelozzo in etwas zu absoluter Weise als den eigentlichen Erfinder der
Renaissancedekoration verherrlichten, wobei ich mir vorbehielt, falls ich ihm hier
unrecht gethan haben sollte, in der Schlussbetrachtung meinen Irrtum wieder gut
zu machen.
Aufserdem hatte ich an den hier besonders angeführten Stellen auf die Schluss-
betrachtung hingewiesen, weil ich oft nicht die persönliche Überzeugung erlangen
konnte, in unserer Darstellung auf sicherem Boden zu stehen.
Die langen Unterbrechungen, mit welchen ich das Manuskript des Herrn
Dr. Stegmann erhielt, das Nichtwissen, durch welche Dokumente er noch seine An-
schauungsweise bekräftigen könne, sowie die unklare Empfindung einiger Widersprüche,
die mir aus letzterer hervorzugehen schienen — dies alles hatte allmählich die Vor-
stellung, die ich von der Persönlichkeit Michelozzos und von seinem Wirken besessen,
in eigentümlicher Weise getrübt.
Der Umstand , dass Michelozzo noch gemeinschaftlich mit der ersten Generation
der Renaissance -Meister thätig ist, dass aber sein Wirken dann noch die ganze Dauer
*) Inzwischen war für mich eine neue Schwierigkeit hinzugekommen. Ein halbes
Jahr noch ehe ich den Beginn des Manuskriptes des Herrn Dr. Stegmann erhalten hatte,
wurde ich ersucht, meine Stellung am Toskanawerk im Interesse desselben aufzugeben. Man
bat mich jedoch, die begonnenen Monographien, sowie die Michelozzos, zu vollenden,
während die Herren Stegmann die Weiterflihrung des Textes übernahmen.
VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 249
der zweiten Generation umfasst, bringt es mit sich, dass er eine Stilumwandlung
durchgemacht hat, welche die richtige Beurteilung seiner Werke erschwert. Man wird
dadurch aufserdem vor die Frage gestellt, in welchem Mafse Michelozzo in der Stil-
umwandlung dieser Epoche eine führende Stellung eingenommen hat.
Lange und zu wiederholten Malen trat wie ein Versucher die Frage an mich
heran, ob Michelozzo als selbständiger Architekt wirklich d\Q künstlerische Eedtutung
hat, die seiner geschäftlichen Thätigkeit und sozialen Stellung entspricht, auch dann
noch, wenn man ihm neben Brunellesco und L. B. Alberti nur die zweite oder
richtiger die dritte Stelle einräumt.
Sollte er nicht etwa blofs von der bedeutenden Stellung, die ihm durch seine
engen freundschaftlichen Beziehungen zum Hause Medici geschaffen wurde, Vorteil
gezogen und sich die Früchte des Wirkens der führenden Meister wie Brunellesco,
Donatello, Ghiberti, Luca della Robbia, L. B. Alberti, der beiden Rossellino und des
Desiderio da Seltignano ohne besonderes persönliches Verdienst angeeignet haben?
Sollte nicht etwa Michelozzo als »Hofbaumeister des Principates«, wie ihn Dr. Steg-
mann treffend bezeichnet, weniger ein selbständiger Künstler, als der künstlerische
Unternehmer im Dienste des Hauses Medici gewesen sein, der mit Geschmack und
feinem Verständnis die Talente begabter, aber sozial minder glücklich gestellter Meister
heranzuziehen und zu verwenden wusste?
Was mich zuweilen auf diesen Gedanken fühne, der mir dann wieder wie
eine Art Lästerung erscheinen wollte, war das mehrfache Wiederauftauchen in ver-
schiedenen Werken Michelozzos von Meistern, über deren eigentlichen künstlerischen
Wert, sowie über deren persönliche Beziehungen zu ihm ich noch kein mich be-
friedigendes Licht besafs. An der Aufsenkanzel des Doms zu Prato und am Taber-
nakel in S. Annunziata zu Florenz ist es Pagno di Lapo Portigiani; im Hof des
Palazzo Medici-Riccardi, am vorgenannten Tabernakel, sowie an dem in S. Miniato
und an der Kanzel zu Prato ist es die anziehende, wenig klare Persönlichkeit des
Maso di Bartolommeo gen. Masaccio; endlich in der Kapelle neben dem Tabernakel in
der Annunziata Giovanni di Bettino,
Nach diesen zum Verständnis der Sachlage notwendigen Erläuterungen kann ich
zur Aufzählung derjenigen Punkte übergehen, für die ich in der Monographie be-
sonders auf die Schlussbetrachtung hingewiesen hatte.
1. Wie hat Brunellesco auf Michelozzo einen Einfluss ausgeübt? (S.i n.2.)
2. Wann und wie ging Michelozzo zur Architektur über? (S.2 n.4.)
3. Wie ist die auffallende Reife der architektonischen Durchbildung an der
Aufsenkanzel des Doms zu Prato zu erklären? (S. 5.)
4 Wann wurde die Thür Michelozzos im rechten Kreuzschiff von S. Croce
errichtet? (S.S.)
5. Inwiefern und in welcher Weise ist der Palazzo Medici - Riccardi als erster
moderner Palast anzusehen, und wann wurde der Bau begonnen?
Die letzten Fragen sind eng miteinander verbunden und bilden sozusagen Teile
der ersten. Wir werden am schnellsten zu einer Aufklärung gelangen, wenn wir
mit der Beantwortung der dritten beginnen. Wie ist die auffallende Reife der archi-
tektonischen Durchbildung an der Aufsenkans^el in Prato s[U erklären? Ich fühlte
mich hier an der Quelle eines Widerspruchs, der mein ganzes Verständnis derThätig-
keit Michelozzos trübte.
Wie soll man erklären, dass derselbe Meister in der Kanzel von Prato, an-
geblich als Architekt, die reifen edlen vortrefflichen Formen in den Jahren 1428 bis
250 DIE ARCHITEKT. ENT WICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO
1434 ausführte — die Dokumente hierüber sind ganz präzis — und fich dagegen in
dem erft 1437 begonnenen, 1452 vollendeten Baue des Klosters S. Marco zu Florenz,
stellenweise als einen noch unsicheren Künstler offenbart, bei dem manches Ankleben
an gotische Formen, manche Unerfahrenheit in den Verhältnissen der antiken Profil-
glieder an den Tag tritt?
Wir glauben nicht, dass diese Erscheinung sich nur durch den Umstand er-
klären lässt, dass die Verzierung des Klosters eine sehr einfache sein sollte, oder
dass für die Ausführung die Details nicht von Michelozzo gezeichnet wurden, denn
sie tragen oft seinen persönlichen Charakter. Wir glauben vielmehr, dass die Orna-
mente oft von künstlerisch bescheideneren Kräften oder von ziemlich gewöhnhchen
Steinmetzen ausgeführt worden sind und geben zu, dass der Ruf, welchen S. Marco
als das Muster einer Klosteranlage im XV Jahrhundert genoss, mehr auf der Gesamt-
anlage und deren Gliederung als auf der Detailbildung beruhen mochte. Der be-
deutende Stilunterschied an beiden Monumenten muss auch dann noch, wenn nnan
bedenkt, dass es sich in Prato um einen marmornen Zierbau und ein Werk der
Skulptur handelte, auf eine andere tieferliegende Ursache zurückgeführt werden, die
mit den beiden ersten Fragen eng zusammenhängt.
Es ist eine wichtigere Thatsache, als man es zuerst glauben sollte, dass Herr
Dr. Stegmann auf Grund seiner Nachforschungen klar heraus sagen konnte, dass wir
über die zwei ersten Punkte rigor nichts wissen , ohne :{u Hypothesen :[u greifen a.
Daher sehen wir uns auch weniger durch gewisse herrschende (?) Ansichten gefesselt,
die näher betrachtet, auch nur Hypothesen waren. Und zu diesen, wenn mich nicht
alles trügt, muss auch die Ansicht gerechnet werden, dass Michelozzo der alleinige
Schöpfer der Architektur gewesen sei in denjenigen Werken, welche ihm in Gemein-
schaft mit Donatello zugeschrieben werden. Wir können somit freier auf Thatsachen
hinweisen, die sich aus der genauen Beobachtung der Denkmäler selbst ergeben.
Die architektonischen Werke, die in der Monographie als von Michelozzo her-
rührend beschrieben wurden, zerfallen auf Grund ihrer stilistischen Eigenschaften in
drei Gruppen.
Die erste enthält Werke, die neben gotischen, nicht immer als Zeichen der Unreife
anzusehenden Motiven andere Erscheinungen zeigen, wie die im Kloster S. Marco
geschilderten, oder wie jene an dem Bau al Bosco , wo an einzelnen Teilen Herr Dr.
Stegmann »teilweise falsch und kleinlich aufgefasste Teile und wiederum eine höchst
originelle Verquickung von Gotik und Antike« feststellt.
Die zweite Gruppe bilden die drei Hauptwerke , die Donatello in Gemeinschaft
mit Michelozzo ausführte, nämlich das Grabmal Coscia (seit 1424), das Grabmal
Brancacci (seit 1427), und die Aufsenkanzel am Dome zu Prato (1428 bestellt und
1434 gröfstenteils fertig). Sie bekunden namentlich in der Komposition, bei der Kanzel
aber auch im Detail und der Profilierung, durchweg das Wirken und den Einfluss
eines vorgeschritteneren Meisters.
Die dritte Gruppe besteht aus den späteren, reiferen Werken des Meisters, die
hinreichend sicher datiert sind. Sie beginnt mit den beiden Tabernakeln und braucht
fürs erste hier nicht in Betracht gezogen zu werden.
Wollte man nun für Michelozzo die Urheberschaft des architektonischen Anteils
an den Werken der zweiten Gruppe festhalten, so hätte Michelozzo das interessante
Kompositionsvermögen, das sich am Brancaccidenkmal und auch am Cosciagrabe
offenbart, und das vorzügliche Verständnis für Details, welches wir an der Kanzel
bewundern, sowie die damit zusammenhängende viel reifere Entwickelung während
VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 25 1
mehrerer Jahre ganz vergessen müssen, um zum etwas mühsam strebenden Anfänger
wieder herabzusinken.
Für eine solche Erscheinung giebt es wohl kein einziges Beispiel in der Kunst-
geschichte und man wird daher zum Schlüsse genötigt, dass entweder das Kloster
S. Marco nicht von Michelozzo sei, oder dass er nicht der Urheber der Architektur in
den Werken der zweiten Gruppe ist Wir glauben unbedingt letzteren Schluss allein
annehmen zu können.
Die moderne Kunstforschung ist somit momentan auf einen Irrweg geraten, als
sie zu der übrigens sehr nahe liegenden Ansicht gelangte, dass in der Verbindung
Donatello-Michelozzo der letztere, den wir besonders als Architekten kennen, damals
die architektonische Form dieser drei Denkmäler bestimmt habe. Nein, einfach als Bild-
hauer und Erzgiefser hat er sich mit Donatello associiert. Wohl mochte er an der
Ausführung der architektonischen Teile dieser Monumente Anteil genommen haben,
vielleicht konnte er sogar in der Behandlung der ihm zur Verfügung gestellten Motive
bereits Zeichen seiner eigenen künstlerischen Empfindungsweise an den Tag legen,
aber sicherlich ist er nicht für die Erfindung der Komposition und Detaillierung als
mafsgebender Meister aufgetreten.
Sobald für diese erfinderische Mitwirkung Michelozzo beseitigt ist, würde für
diejenigen, welche Donatello jede Bedeutung als Architekt absprechen, von einem
Alleinwirken Donatellos in allem, was in diesen drei Werken über die allgemeine
Anordnung der Gliederung hinausgeht, erst recht nicht die Rede sein dürfen. Wir
müssen uns daher nach einem anderen architektonischen Ratgeber der Firma Dona-
tello-Michelozzo umsehen. Dieser ist auch, wie mir scheint, sofort zu finden in
Filippo di Ser Brunellesco selbst, obgleich noch nie auf ihn hierfür hingewiesen
worden ist.
Man erinnere sich nur der langjährigen Freundschaft beider Männer in Florenz
und Rom, an die beabsichtigte Kollaboration für Orsanmichele (141 1) und an die
für den Dom (141 5), unter anderem auch an ein gemeinsames Modell, das sie im
September und Oktober 1418 mit Nanni d' Antonio di Banco für die Domkuppel aus-
zuführen gehabt hatten. Ferner denke man an ihre gemeinsame Thätigkeit bei der
Neuen Sakristei von S. Lorenzo, die in die Zeit der Monumente der angeblich zweiten
Gruppe Michelozzos fällt, bevor die vielleicht nur momentane Erkaltung ihrer Freund-
schaft infolge der Sakristeithüren in S. Lorenzo eingetreten war. *) So erklärt sich die
auffallende Ähnlichkeit in der Komposition der Umrahmung des Brancaccidenkmals
und der Bogen der VorhaUe an der Pazzikapelle erst recht, ohne dass man den
Beginn der letzteren um einige Jahre vorrücken müsste, wie ich es in der Mono-
graphie Brunellescos gethan, um diesen nicht zum Kopisten des beträchtlich jüngeren
Michelozzos machen zu müssen.
Nach dieser Lösung, die wir glauben vorschlagen zu müssen, werfen wir nun
einen Blick auf die erste Frage: Wie hat Filippo auf Michelo:(:(o eingemrkt? Vom
rein stilistischen Standpunkt aus, um so manches Echo der Werke Brunellescos in
denen Michelozzos zu erklären, ist ein persönlicher Verkehr beider Meister nicht
notwendig. Bei den Lebensverhältnissen in Florenz wäre es aber kaum denkbar,
dass der jüngere Michelozzo nicht öfters mit dem älteren Meister in Berührung ge-
kommen wäre. Die von uns vorgeschlagene Erklärung giebt erst recht Veranlassung
*) Am ehesten dürfte die Errichtung der Thüren 1430 im Zusammenhang mit der Ab-
wesenheit Filippos im Lager von Lucca denkbar erscheinen.
34
252 DIE ARCHITEKT. ENTWICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO
ZU einer solchen, ja vielleicht zu allerlei technischen Anweisungen, mit denen
Brunellesco die an Donatello gelieferten Kompositionen oder Angaben begleiten
mochte, aus welchen für Michelozzo etwas wie eine Lehre entspringen konnte.
Und nun zur zweiten Frage. Da die Feststellung der Modelle zu diesen Denk-
mälern in die Jahre 1424 — 1428 fällt, so mag dies auch der Zeitpunkt sein, in welchem
Michelozzo anfing, sich eingehender mit der Architektur zu beschäftigen. Hat er wirklich
Cosimo in dessen Verbannung nach Venedig begleitet — wir werden auf diesen Punkt
zurückkommen — und hat letzterer daselbst durch ihn eine Bibliothek errichten
lassen, so vergesse man nicht, dass diese eine genHlena^ ein Geschenk Cosimos
war, für welches in dem damals (1434) noch ganz gotischen Venedig der junge
Florentiner immerhin ausreichen mochte.
^ Unsere Annahme führt somit dazu, in den Zeitraum von 1424 — 1428 (in
letzterem Jahre wurde das Modell zur Kanzel festgestellt) — statt Michelozzo als einen
bereits gereiften Architekten zu betrachten — gerade die Verhältnisse zu legen, welche
ihn veranlassten, an der Ausführung von architektonischen Teilen, deren Urheber
Brunellesco damals allein sein konnte, teilzunehmen. Legt man in diese Zeit den
näheren Beginn seines Übergangs zur Architektur in Renaissance -Formen — mit der
spätgotischen mochte er seit längerer Zeit vertraut gewesen sein — so verschw^indet
hinfort jeder stilistische Widerspruch in seiner architektonischen Entwickelung.
Wir sind dadurch in der Lage, auf Grund von Vergleichen mit anderen dadenen
Werken Michelozzos, Brunellescos, L. della Robbia, Buggianos, Donatellos u.a.m.,
für die Entstehungszeit der Tbür Michelozzos im Kreuzschiff von S. Croce jedenfalls
ein späteres Datum als dasjenige der Entstehung des Tabernakels Donatellos an Orsan-
michele anzunehmen. Es ist vielmehr der Zeitraum von 1445 — 1454 vorzuschlagen.
Ersteres Jahr ist das Datum der Glocke der dortigen Cappella Medici.
Die naturgemäfsere, später beginnende Entwickelung des Suis Michelozzos, die
sich hieraus ergiebt, bestärkt uns in der Überzeugung, den Beginn des berühmten
Palastes Medici -Riccardi frühestens ums Jahr 1440 zu setzen. Wir erinnern daran,
dass frühere Erwähnungen des Palazzo oder der Casa Medici hinreichend durch das
Vorhandensein des älteren, sozusagen neben dem neueren liegenden Palastes erklär-
lich sind. Der Hof dürfte später, 1445 oder 1448 begonnen und erst kurz vor 1452
fertig geworden sein.
Da wir nach dem Gesagten keinen Augenblick annehmen können, dass Brunel-
lesco in irgend einem seiner Werke sich genötigt sah, irgend etwas von Michelozzo
zu entlehnen, so vermögen wir nichts an dem zu ändern, was wir über das Ver-
hältnis des Palazzo Medici zum Palazzo Pitti im Toskanawerke gesagt haben. Was
Filippo etwa in letzterem von ersterem zu entlehnen schien, mochte ihm ohnehin
schon gehören, sei es durch das Modell, dass er zuerst für Cosimo geifiacht und
dann zertrümmerte, sei es durch Vorbilder, die er an den jetzt untergegangenen Häusern
für andere Familien wie die Barbadori, Quaraiesi und die beiden Brüder Busini auf-
gestellt hatte und die Michelozzo am Palazzo Medici nur wiederholte. Nur das Ver-
schwinden jener Vorbilder erweckt den Eindruck, dass Michellozzo diese Elemente
zuerst angewandt habe.
Es dürfte sich somit die Priorität Michelozzos im Palazzo Medici wahrscheinlich
auf den einzigen Punkt beschränken, dass er das Glück gehabt, nach dem Rücktritte
Brunellescos zuerst an einem so mächtigen Bau die Elemente zu vereinigen, die der
wahre Altmeister der Renaissance im einzelnen anderswo, sowie im ganzen in seinem
Modelle festgestellt hatte.
VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 253
Da mit dem Bau dieses Palastes zuweilen der angebliche Aufenthalt Michelozzos
bei Cosimo während dessen Verbannung in Venedig in eine gewisse Beziehung ge-
bracht worden ist, möchten wir auf eine Quelle aufmerksam machen, welche über
den näheren Zeitraum dieser Abwesenheit etwas Licht werfen könnte.
Die von Guasti (II pulpito di Donatello in Prato, S. 26) angeführten, an Donatello
und Michelozzo verabfolgten Zahlungen für die Arbeiten an der äufseren Domkanzel
stellen fest, dass Michelozzo bis zum 19. Dezember 1433 und vom 2. September 1434
an für die Kanzel arbeitete, folglich nicht in Venedig sein konnte. In der Zwischen-
zeit, die Donatello zum Teil in Rom zubrachte, erbalten die beiden Meister einmal
4 Lire, und zwischen dem 17. April und 2. September in 5 Zahlungen 18 Lire
15 Soldi.
Es kann somit Michelozzo dem am 8. September 1434 verbannten Cosimo nicht
sofort gefolgt sein und er war vor jenem wieder nach Florenz zurückgekehrt. Seine
Abwesenheit könnte höchstens acht Monate gedauert haben. ^)
Sahen wir uns genötigt, die Zahl der W^erke Michelozzos aus der ersten Zeit
seiner Thätigkeit zu beschränken, so sind wir dafür, dank A. Schmarsow, in der
Lage, eines seiner späteren, bisher unbekannten Werke in Dalmatien, den Palazzo
Rettorale in Ragusa,*) anzuführen.
Wie Schmarsow, vom Studium der Skulptur an der Thür von S. Agostino in
Montepulciano ausgehend, dahin geführt wurde, Michelozzo für den Architekten der
unteren Hälfte dieser Kirche zu halten, so bin auch ich, von der Architektur aus-
gehend, auf diesen Gedanken geführt worden, weil die Bildung der Thür und der
Kapitelle mit derjenigen derselben Teile im Vorhof der Annunziata in Florenz innig
verwandt ist. (Wahrscheinlich zwischen 1433 und 1447 entstanden.)
Das Schlussergebnis dieser Studie bekräftigt in uns die Erkenntnis, dass der
Ruhm Michelozzos ein wohlverdienter war. Wir sehen allerdings den eigentlichen
Schwerpunkt seiner Thätigkeit um ein Jahrzehnt etwa näher zu uns gerückt, und
er wird dadurch vorwiegend ein Zeitgenosse Albertis, mit dem er wohl die Führer-
schaft der zweiten Epoche der Renaissance in Florenz teilen dürfte, freilich nicht
ohne mehrfach auch von ihm beeinflusst worden zu sein.
Da wir durch den Bau in Ragusa auf die auswärtige Thätigkeit Michelozzos
aufmerksam gemacht wurden, möchten wir hier den Gedanken aussprechen, dass
seine mailändische Thätigkeit auf die dortige Renaissance vielleicht einen eher gröfse-
ren Einfluss geübt hat, als man denkt, und dass einige seiner Formen auch auf
Bramante eingewirkt haben.
Vor allem war mir hier darum zu thun, diejenigen Punkte der Monographie
Michelozzos zu besprechen, die infolge der Unterdrückung meiner Schlussbetrachtung
einen unrichtigen Begriff von den Ansichten geben, zu welchen ich in jener Mono-
graphie gelangt war. Es dürfte vielleicht nicht überflüssig sein, hier einige weitere
Bemerkungen über die Rolle, welche die Architektur in den Werken Donatellos
überhaupt spielt, zu wagen, ohne deshalb diese Frage hier erschöpfend behandeln
zu wollen.
1) Eine zu diesem Zwecke eigens angestellte Prüfung der von C. Guasti blofs sum-
marisch angegebenen Zahlungen dürfte vielleicht bestimmtere Aufschlüsse geben. Sie sind
enthalten in den Libri de* Debitori e Credilori, bezeichnet F und G im Archivio del Patri-
monio Ecclesiastico di Prato. Carte dell* Opera del Cingolo.
*) Archivio storico d eil' Arte, Roma, Anno VI. Fase. II I. 1893.
34*
254 DIE ARCHITEKT. ENTWICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr fühle ich mich geneigt, zu meiner
ursprünglichen Anschauungsweise zurückzukehren. Ich gestehe, es hat mir nie ein-
geleuchtet, dass unter allen damaligen Malern, Bildhauern, Scarpellini und Gold-
schmieden der grofse vielseitige Meister Donatello der einzige gewesen sein sollte,
der in der Architektur aber auch garnichts verstanden hätte. Es ist nicht zu leugnen,
seine Thüren in der Sakristei von S. Lorenzo und einige andere Beispiele seiner archi-
tektonischen Phantasie sind wenig erfreulich. Aber sind es denn etwa einige seiner
echten Skulpturen viel mehr, sobald man sie von einem freieren Gesichtspunkte aus
beurteilt, als demjenigen der ausschliefslichen »Charakterwiedergabe«, der zu Liebe
Jetzt oft jeder Grad von Sünde gegen das einfachste Schönheitsgefühl verziehen wird?
Und Donatello war dennoch Donatello! Mehrere Thatsachen wollen mich noch nicht
mit der Theorie befreunden, es sei Donatello in der Architektur so ganz unwissend
und unfähig gewesen, seine eigenen Gedanken zuweilen in gelungener Weise auszu-
bilden. Und vor allem, wenn Donatello ganz ohne Kenntnisse in der Architektur ge-
wesen wäre, wie sollte man es erklären, dass Brunellesco ihn als dritten Mitarbeiter
an jenem Modelle für die Domkuppel im September und Oktober 141 8 heranzog.
Ich muss gestehen , dass gerade bei Donatello die architektonischen Hintergründe
oder sonstige Einzelheiten zuweilen ein ganz besonderes Interesse bieten, und zwar
deshalb, weil sie Motive zeigen, welchen ich mich nicht erinnere in den Werken
oder Hintergründen gleichzeitiger Meister begegnet zu haben. Ist diese Thatsache
richtig, so ist somit bis auf weiteres erlaubt, in diesen Darstellungen einen Reflex von
den architektonischen Kenntnissen 'Donatellos selbst zu erblicken, ebenso wie von
den Vorbildern, die ihm »jfMÄ'ei/en« wenigstens besonders lieb waren. Und aus diesen
wieder kann man sich von seiner Sinnesweise und Geschmacksrichtung in archi-
tektonischen Dingen eine genauere Vorstellung bilden.
Ich denke hierbei besonders an solche Darstellungen von antiken Gebäuden
mit gewaltigen Bögen, welche eine Art Wiederherstellung des sogenannten Friedens-
tempels (Basilika des Constantinus - Maxentius) sein dürften. Ich denke ferner an das
sogenannte »Thermenmotiv«, eine Säulenordnung innerhalb einer Bogenöffnung ge-
stellt, das wir bereits an der Hinterwand des Brancaccidenkmals sehen und in den
Reliefs in S. Antonio zu Padua ausgesprochener wiederfinden.
Nicht weniger interessant und von ganz verschiedener Art ist die Architektur
des Tabernakels mit der Verkündigung in S. Croce. Wagt es jemand etwa auch nur
einen Architekten der damaligen Zeit zu nennen, dem man einen entfernten Einfluss
auf diese merkwürdige Erfindung zuschreiben möchte? Ich halte sie durch und durch
für eine der verschiedenen subjektiven Auffassungs weisen, die Donatello für das Archi-
tektonische in sich trug.') Als geschulter Architekt weifs ich ja sehr wohl, was vom
Schulmeister- Standpunkt aus hier getadelt werden kann, bekenne aber zugleich, dass,
als Mensch und Künstler, mir diese architektonische Begleitung viel angenehmer und
erfreulicher ist als manche sogenannte korrekte Leistung eines wirklich schaffenden
Architekten. r^C est plus drolem wie die französischen Künstler zu sagen pflegen.
Denke ich an das architektonische Verständnis, welches dazu gehörte, den Bischofs-
stab des heiligen Ludwig von Tolosa in S. Croce, oder die architektonische Umgebung
mit einer sitzenden Figur in einem Relief zu Padua in grofsartige Auffassung mit
letzterer zusammen zu komponieren, betrachte ich ebenfalls die Orgeltribüne für den
*) Aus der Architektur allein einen Schluss auf das Datum der Verkündigung zu ziehen
ist augenblicklich nicht leicht. Zunächst denke ich an die Periode zwischen 1424 und 1433.
VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 255
Dom, sowie die ebenso fein gezeichneten als ausgeführten Ornamente an der Rüstung
des bronzenen David, und an dem Ärmel des Engels auf der Verkündigung in S. Croce,
denke ich schliefslich an gewisse Details wie die Docken (Balusterstabe) an den Ecken
des Piedestals der Judith — von einer Eleganz d^r Linie wie man sie vielleicht bis zu
denen RafFaels in den Fenstern der Farnesina nicht wiederfindet — so glaube ich, dass
Donatello auch wegen seiner architektonischen Ideen und Anschauungsweise eine
durchaus bedeutende künstlerische und \war selbständige Erscheinung ist.
Die oben erwähnten Motive hat Donatello entweder selbständig aus den antiken
Denkmälern Roms entnommen und verwertet zu einer Zeit, da wir von ihnen bei
seinen Zeitgenossen in ausgeführten Werken noch keine Spur finden, oder er ent-
lehnte sie aus den Aufnahmen und Restaurationsversuchen, die sicherlich Brunellesco
gemacht haben muss und die wir vielleicht noch finden werden. In dem einen Falle
wie in dem anderen beweist das alles eine selbständigere weiterblickende Auffassungs-
weise, als die der meisten seiner Zeitgenossen.
Ich glaube daher, dass die Grofsartigkeit der Gefamtformen , ebenso wie die
elegante Durchbildung der Details in der Architektur nicht aufser seinem Können
lagen, wenn es ihm nur ernstlich darum \u thun war, sie nicht :(u vernachlässigen.
Ebenso wie man vor mehreren Skulpturen Donatellos, die man geradezu als
schlecht bezeichnen möchte, nicht den Schöpfer des herrlichen S. Giorgio, des Reliefe
zu seinen FUfsen und so vieler anderer Juwele wiedererkennt und man annehmen
muss, dass in Donatello sozusagen zwei oder drei verschiedene Künstlernaturen ver-
eint waren, ebenso dürften sich diese Naturen in sehr verschiedener Weise und Rich-
tung in dem zwar weniger wichtigen, aber immer noch interessanten Gebiete seiner
architektonischen Thätigkeit widerspiegeln. Manchmal behandelt er das Ornament
mit unglaublicher Nachlässigkeit, dann wieder mit einer Liebe und Feinheit der Durch-
bildung, die von keinem seiner Zeitgenossen übertroffen wird. In seinen Motiven sehen
wir ebenfalls zum mindesten zwei Richtungen. In einigen Werken ist er bestrebt, eine
sozusagen freie Dekorationsweise auszubilden, in anderen hält er sich viel mehr an
die Antike.
Sollte es nach diesen verschiedenartigen Erscheinungen nicht richtiger sein, das
Gesamtkönnen Donatellos auf dem Gebiete der Architektur nicht blofs nach den
Thüren in der Sakristei von S. Lorenzo abschliefsend zu beuneilen , durch welche
Brunellesco mit vollem Recht sich beleidigt fühlen konnte, und auch nicht nach der
nachlässigen, aber interessanten Ausbildung des Tabernakels in Rom? Wäre es nicht
möglich, dass, je nachdem Donatello sich der einen oder der anderen seiner Naturen
hingab, er wohl imstande war, ein viel strengeres vollendeteres architektonisches
Dekorationswerk auszuführen, als man es gewöhnlich denkt?
Es rufen diese Betrachtungen zwei Gedanken hervor. Erstens ist es nicht un-
denkbar, dass trotz des direkten Einflusses Brunellescos im Pulpito della Cintola in
Prato ein Teil der erwähnten Vorzüge auf Donatellos eigenen Willen , sein Können
und selbst seine Angaben zurückzuführen ist. Auch darf am Pulpito die Teilnahme
des Pagno di Lapo Portigiani nicht vergessen werden. Seine vortreffliche weiche,
dennoch feste, etwas fette Technik in der Behandlung der Marmorfläche, wie wir
sie an seinem Grabtnal Chellini in S. Miniato al Tedesco und am Tabernakel Miche-
lozzos in der Annunziata sehen, dürfte auch in Prato mitgeholfen haben, den Ein-
druck reiferer Formen hervorzubringen.
Der zweite Gedanke, zu dem ich geführt wurde, ist die Frage: Von wem rührt
die Architektur des Tabernakels Donatellos an Orsanmichele her? Sollte man hier
256 DIE ARCHITEKT. ENTWICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO
vergessen haben, sich nach einem Beirat Donatellos umzusehen? Und doch ist es
vielleicht das wichtigste architektonisch durchgebildete unter seinen Werken.
Seine Entstehungszeit scheint mir zwischen 1435 und 1444^ vielleicht nicht
später als 1440 zu liegen.
So lange ich unter dem Drucke der Theorie stand, es könne Donatello seine
Architekturen nicht allein komponiert haben, glaubte ich öfters an Alberti, der gerade
damals viel in Florenz sich aufhielt und ebenfalls mit ihm befreundet war, denken
zu müssen. Ich gebe jedoch zu, dass vieles auch hier wieder noch mehr an Brunellesco
erinnert, aus welchem übrigens, wie Michelozzo, auch Alberti anfänglich und zum Teil
hervorgegangen ist.
Sollte man nun, nach allem was wir über Donatello erwähnt haben, gar den
Gedanken äufsern dürfen, dass Donatello schliefslich vielleicht der alleinige Autor
des Tabernakels gewesen sei? Dass die Vorbilder, die er bei Brunellesco, an Sarko-
phagen und anderswo sah, verbunden mit dem ernsten Willen , sich hier alle Mühe
zu geben, dazu ausgereicht haben, dies schöne Werk zu schaffen? Dass wie im hei-
ligen Georg an Orsanmichele Donatello ein Wunder der Skulptur geschaffen habe,
er hier auch in der Architektur besonders glücklich gewesen sein könnte?
Zum Schluss noch ein Won über das Bronzekapitell in Prato. Was ich in der
Monographie gegen die Guasti'sche Interpretation des Dokumentes und gegen die An-
sicht meiner Mitarbeiter hervorgehoben, muss ich hier von neuem betonen : am Bronze-
kapitell ist alles von Donatello, Michelozzo war blofs der Giefser. In der freien in der
Architektur nicht gebräuchlichen Anordnung von mehrfach der unorganischen Welt
entnommenen Motiven, im Auftreten von Engeln vier verschiedener Gröfse auf so
beschränktem Räume, verbunden mit dem lebendigen Reiz der Köpfchen, sehen wir
durchaus das Walten eines vorwiegend nicht architektonischen Geistes. Hier tritt nicht
Michelozzo, sondern einer der Erzväter der Renaissance selber auf, in dessen Herzen
aus einem Kelche die beiden Ströme der modernen Kunst gemeinsam fliefsen, der
Zauber natürlicher ewig junger Schönheit und der Reiz männlicher Willkür und freier
Phantasie. Durch letztere bildet Donatello das Gegengewicht zu seinem gesetzmäfsigeren
Freunde Brunellesco und wird so der Grofsvater des Barocco. In den letzten Kapitellen
seines Schülers Desiderio beginnt die Saat der Willkür bereits zu sprossen, bei Michel-
angelo ist sie zum gewaltigen Stamme erstarkt, im Rokoko zu einem ganzen Stil-
gesetz geworden. So spiegelt sich in diesem einzigen Kapitell der ganze und doppelte
Charakter der Kunst Donatellos von ihrer architektonisch dekorativen Seite wieder.
Ich fühle sehr wohl, dass meine Erklärungen nicht vermögen, alles wünschens-
werte Licht auf die berührten Fragen zu werfen. Überhaupt möchte ich nicht den
Gedanken erwecken, als glaubte ich endgültig und überall das Richtige getroffen zu
haben — wohl aber hoffe ich zum Finden der Wahrheit hier etwas mitgeholfen zu
haben.
CHRONOLOGISCHE ZUSAMMENSTELLUNG DER WERKE MICHELOZZOS SOWIE
EINIGER FÜR DEREN DATIERUNG WICHTIGER EREIGNISSE.
1396. Geburt Michelozzos.
1418. I.September — 22. Oktober. Brunellesco, Nanni di Antonio di Banco und Donatello
stellen das gemeinschaftliche Modell für die Mauerung der Domkuppel her.
1420. Erwerbung der Güter des Klosters al Bosco im Mugello durch Cosimo Pater Patriae.
1424. ? M. beginnt mit Donatello das Monument Coscia.
VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 257
1425. M. beginnt in Gemeinschaft mit Donatello zu arbeiten (Denunzia del 1427).
1427. Ghiberti war M. noch 13 fior. für Arbeit am S. Matheo schuldig (Denunzia del 1427).
1427. M. wohnt in seinem eigenen Hause in Via Larga in Florenz (Denunzia del 1427).
1427. Monument Brancacci {f 27. März 1427) für Neapel auf Kosten Cosimos in Arbeit.
1427. M. ist noch Intagliatore dei ferri delle monete von 6 Monat zu 6 Monat (Denunzia
del 1427).
1427. Monument Coscia {f 141 9), noch in Arbeit, 1424 begonnen (v. Tschudi).
1427. Monument Aragazzi für Montepulciano in Arbeit (Denunzia).
1428. 14. Juli. Bestellung der Aufsenkanzel am Dom zu Prato.
1430. Nach der Denunzia de* beni von 1430 ist M. von Florenz abwesend (Gaye I. 119).
1430. ?? Palazzo Medici (Riccardi) für Cosimo P. P. begonnen — (Gotti Pal. Vecchio p. 80 u. a. m.)
sehr unwahrscheinlich.
1433. I.April. Pagno di Lapo Portigiani Scarpellatore erhält 16 L. fllr die Reise nach Rom
(Guasti), um Donatello zu den Arbeiten an der Kanzel zu holen.
1433. M. giefst zwischen August und 9. Dezember Donatellos Bronzekapitell der Aufsenkanzel
zu Prato (Guasti il pulpito di Donatello).
1433. M. ist noch in der Bottega Donatellos (Gaye i. 119).
1434. ?? M. in Venedig zwischen 19. Dezember 1433 und September 1434.
1434. ? Bau der Bibliothek von S. Giorgio Maggiore in Venedig auf Kosten Cosimos P. P.
M. ist nicht genannt im Vertrag vom 27. Mai, betreffend die Kanzel in Prato (Do-
natium et alios).
1434. Am 2., 14., 22. Oktober kommt der Name M. in den Zahlungen für die Kanzel
wieder vor.
1436. Auflösung der Gemeinschaft zwischen Donatello und M. nach 1434.
1436. Vollendung des Grabmals Aragazzi.
1437. Beginn des Klosters S. Marco in Florenz.
1438. September. Die Vergoldungen an der Kanzel in Prato werden an Donatello und
M. bezahlt.
1439. S. Marco, eine Kapelle, Chor und Tribuna fertig.
Nach 1439. ^- Marco Bibliotheksaal begonnen.
1440. ?? Vollendung des Palazzo Medici (nach v. Reumont; sehr unwahrscheinlich).
1440. Wahrscheinlicher Beginn des Palazzo Medici (nach J. Burckhardt und H. v. Gey-
müller).
1440. 28. Februar. M. übernimmt mit L. della Robbia eine der ThUren der neuen Sakristei
im Dom von Florenz (Vasari II. 401 No. i).
1441. S. Marco, Vollendung der Bibliothek (v. Reumont, II. 575 aus Mehus, Ambr. Tra-
versari Epistole I. 63).
1442 — 1443. S. Marco, ansehnliche Teile des Klosters fertig (Vasari IL 411).
Um 1443. ? AI Bosco im Mugello (siehe 1452).
1444. 3. Oktober. M. ist Capomaestro della fabbrica della nuova chiesa de' Servi in Florenz
(S. Annunziata), Disegnatore der Cappella grande, der Sakristei und vieler anderer
Teile. (Archivio di Stato. Fir. Gono Soppr. No. 686).
1445. ^^ Croce. Die Glocke der Cappella Medici mit Namensinschrift Cosimos.
Vor 1446 S. Annunziata. Beginn der runden Tribuna (disegnata da Fil. Brunellesco biasimata)
(G. Mancini L. B. Alberti S. 510).
1444 — 46. S. Annunziata. Seitenkapellen unter M.'s Leitung.
1446. Begonnener Neubau v. S. Girolamo di Vellesoli bei Volterra (Dr. H. Stegmann).
1446. II. August. Ernannt zum Capomaestro des Doms zu Florenz (Milanesi, Vasari II 480).
1447. 26. Februar. M. ist Vater von 4 Kindern (Denunzia).
1447. Februar. Maso di Bartolommeo beginnt die Leuchter für das Gitter am Tabernakel
der S. Annunziata.
1447. 28. Februar. Bestellung des Bronzegitters um den Altar der Capella di S. Stefano in
S. Maria del Fiore an M. (Rumohr II 362).
258 DIE ARCHITEKT. ENT WICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO
1447. ^7. Juni. S. Miniato al Monte. Die Erlaubnis, das Tabernakel zu errichten, wird er-
wähnt. (Berti, cenni Storici di S. M.)
1447. November. S. Annunziata, Maso di Bartolommeo erhält die Bestellung der Thüren
des Gitters um das Tabernacolo. (Yriarte Gaz. des Bx. Arts 1881.)
1447. S« Annunziata. Beginn des Vorhofs (Antiporto) und Vorbogens.
1448. 27. MUrz. S. Miniato al Monte, Maso di Bartolommeo giefst zwei Adler für das Gitter
des Tabernakels (Yriarte, loc. cit.).
1448. S. Annunziata. Pagno di Lapo Portigiani vollendet das Tabernacolo (inschriftl.).
1449. S. Annunziata. Auf M.*s Anweisung wird ein Steinmetz bezahlt (Tonini).
1431. Palazzo Vecchio. Maso di Bartolommeo giefst die Glocke der Uhr (Yriarte loc. cit.)
(Milanesi -Vasari II 450 No. 3 Michelozzo getto la Campana del Palazzo 1453).
1451. S. Annunziata. Bronzegitter um das Tabernakel angefertigt von verschiedenen Ktinst-
lern (Michele di Buonconsiglio Sezi(?) und Banco(?), der Marmorrahmen dazu von
Meo di Bitochio(?).
1451. Dezember. S. Maria del Fiore, M. hört auf Capomaestro zu sein (Vasari II, S. 450).
1451. Vollendung von S. Girolamo di Vellesoli bei Volterra (Dr. H. Stegmann).
1452. 25. Dezember. S. Annunziata, Konsekration des Altars und des Tabernakels durch
Kardinal d'Estouteville.
1452. 21. Juni. S. Marco, Cosimo bestellt an Maso di Bartolommeo eine Bronze- Brunnen-
einfassung (margelle).
1452. S. Marco. Das ganze Kloster vollendet (v. Reumont).
Um 1452. Beginn der Arbeiten im Mugello al Bosco (nel medesimo tempo che avera finito
5. Marco) (V. Bisticci) siehe 1443. •
1452. 27. April. Palazzo Medici (Riccardi). Maso di Bartolommeo macht Zeichnungen für
Sgraffiti für den Hof (Yriarte loc. cit.).
1452. S. Annunziata. Vollendung des Vorhofs (Antiporto).
1453. ^' Annunziata. Die BauthStigkeit nimmt ab.
1454. Palazzo della Signoria. Beginn des Neubaues des Hofes nach dem 6. Februar, am
6. Oktober sind sie bereits im Gange.
1455. S. Annunziata. M. bezeichnet als Intagliatore und Capomaestro a gualunque muraglia
di detti frati (Mancini op. cit. 510), letzte Erwähnung.
1456. Der Herzog von Mailand schenkt an Cosimo P. P. einen Palast in Mailand.
1457. S. Feiice in Florenz. (Die Fassade wird zuweilen M. zugeschrieben.)
1459. ^' Annunziata. Die Sakristei wird auf Kosten des Capitano di Parte Guelfa errichtet
(Fantozzi).
1459. Galeazzo Maria Sforza lobt die Gflrten in Careggi.
1459. ^^^^ ^"^ September. Palazzo Medici. Benozzo Gozzoli malt an den Fresken der Ka-
pelle (Gaye I. 191).
1460. S. Marco, 2. Klosterhof. Thür hinter der Kirche mit Pilastern und Medici- Kugeln
im Fries (Inschr.).
1460. 13. Mai. S. Annunziata. Erste Erwähnung Manettis als Leiter des Rundbaues (Chor).
146 1. Irrtümliche Angabe der Erbauung von Careggi.
1461. S.Maria del Fiore. Reinigen der Bronzethür der Sakristei mit L. della Robbia (Cice-
rone).
1461. S. Miniato al Tedesco. Monument Chellini (*}- 1461) von Pagno di Lapo Portigiani
(Vasari II. 447 No. 5).
1462. M. Mitglied des Rats gen. CoUegio in Florenz (Vasari IL 438 No. 2).
1462. Cappella Portinari in S. Eustorgio zu Mailand angeblich begonnen.
1462. Careggi. Kamin des grofsen oberen Saals.
1464. Florenz. Palazzo Medici (Riccardi). Filarete erwähnt die Kapelle als fertig.
1464. Ragusa. Michelozzo und Giov. Orsini da Sabenico erhalten vom grofsen Rat in Ve-
nedig den Auftrag, den Pal. Rettorale in Ragusa neu zu bauen (Gelcich und Schmarsow).
1464. 16. Mai. Ragusa. Kontrakt M., um auf 6 Monate nach Scio zu gehen.
VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 259
1464. 10. August. S. Maria del Fiore. Der Kontrakt für die Sakristeipforten des Doms
erwähnt M. als für längere Zeit aus Florenz abwesend (v. Rumohr II. 371).
1469. Bald nach dem 17. August. Florenz. Pal. della Signoria. Entwurf und Modell fUr
die oberen Umbauten und Decken.
1470. S. Annunziata. M. erwähnt die Schuld der frati für Arbeiten, die er vor längerer Zeit
(piu tempo fä) für sie machte.
1471. 3. Mai. Palazzo della Signoria. Giov. da Gaiole arbeitet bereits an der Decke für den
Saal der 200.
1472. 7. Oktober. Tod. Begraben in S. Marco (Milanesi Vasari II. 450).
EIN STUDIENBLATT DES VITTORE PISANO ZU DEM FRESKO
IN S. ANASTASIA ZU VERONA
VON CAMPBELL DODGSON
In der an kostbaren Zeichnungen überaus reichen Sammlung des verstorbenen
Mr. John Malcolm of Poltalloch, die gegenwärtig im British Museum ausgestellt
ist, befindet sich ein sehr beachtenswertes Blatt, welches Sir T. Lawrence einst besessen
hat. Robinson beschreibt es unter Nr. 5 in seinem nicht für den Buchhandel be-
stimmten Katalog und weist es dem Andrea del Castagno zu. Verführt durch einen
Irrtum Vasaris brachte er die Darstellung in Beziehung zu der Verschwörung der Pazzi
vom Jahre 1478 und wollte in den Erhängten zwei der Pazzi und Francesco Salviati,
den Erzbischof von Pisa, erkennen. Indessen hätte Andrea niemals die Hinrichtung
dieser berühmten Verschwörer malen können, weil er schon 1457 starb; die von ihm
im Bargello ausgeführte ähnliche Scene, welche ihm bei seinen spottsüchtigen Lands-
leuten den Spitznamen »degli Impiccati« einbrachte, schilderte den Tod der Albizzi
und ihrer Mitverschworenen im Jahre 1434. Aber auch der Pazzi Bestrafung wurde
in gleicher Weise dargestellt und zwar von Botticelli, während das Bildnis Bernardo
Bandinis, des letzten erst am 21. Dezember 1479 hingerichteten Verschwörers, uns in
einer Naturstudie Leonardos erhalten ist (bei L. Bonnat in Paris).
Die Untersuchung, ob hier die Verschwörung der Pazzi oder der Albizzi gemeint
sei, ist in diesem Fall gegenstandslos, da unsere Zeichnung keineswegs von einem
Florentiner Künstler herrührt. Sowohl Gesichtstypus und Charakter der beiden Köpfe
auf dem unteren Teil des Blattes, als auch die naturalistische Auffassung und minutiöse
Durchführung sowie die Art des Zeichnens mit ihren kurzen, aufserordentlich feinen
Federstrichen zeigen die Hand eines ganz andern Künstlers, nämlich die des Veronesers
Vittore Pisano. Als sein Werk hat man die Zeichnung sofort erkannt, als sie nach
dem British Museum überführt worden. Ich bin jetzt in der Lage, das Blatt näher
zu bestimmen und in ihm die Originalstudie zu einem merkwürdigen Detail auf dem
bedeutendsten der erhaltenen Werke des Meisters, dem Fresko an der Aufsenseite der
cappella Pellegrini in Sant' Anastasia zu Verona nachzuweisen.^)
^) Die linke Hälfte dieser Malereien ist fast völlig zu Grunde gegangen; der noch
leidlich erhaltene Teil ist kürzlich von der Arundel Society farbig reproduziert nach einer
vorzüglichen Zeichnung, welche Sgn. Constantini besorgt hat.
35
26o EIN STÜDIENBLATT DES VITTORE PISANO VON CAMPBELL DODGSON
Es ist die Abreise Sankt Georgs dargestellt: der ritterliche Heilige befindet sich,
den einen Fufs im Steigbügel, fast in der Mitte der Komposition, neben ihm rechts
die Prinzessin, zwischen dem Pferde ihres Befreiers und dem seines Knappen, welcher
schon aufgesessen ist, während daneben, nur zum Teil sichtbar, zwei Pferde ungeduldig
an den Stangen kauen. Links im Mittelgrund sieht man eine Gruppe von Reitern,
ganz vorn zu Füfsen des Heiligen zwei Hunde, weiter rechts einen Widder. Für die
meisten der Tiere und einige der Menschen giebt es Studien in dem Skizzenbuch
Pisanos, dem berühmten Codex Vallardi des Louvre.
Was uns hier interessiert, ist nicht die Hauptgruppe, sondern der Hintergrund
der Komposition : dort sieht man auf einer Anhöhe eine Stadt mit ihren Befestigungen
und phantastisch geformten Türmen; vor den Mauern, unmittelbar hinter der Reiter-
gruppe links, ist ein Galgen errichtet, an dem die Körper zweier Verbrecher hängen.
Mit dieser Gruppe zeigt unser Blatt die auffallendste Verwandtschaft. Auf dem oberen
Teil desselben sind drei Erhängte gezeichnet und zwar ist jeder zweimal von ver-
schiedenen Seiten aufgenommen. Zwei, nämlich die erste und dritte dieser Figuren
der oberen Reihe, findet man auf dem Fresko genau kopiert, mit geringen Abweichungen
in der Kleidung. Die Bildnisse eines Knaben und einer Dame auf dem unteren Teile der
Zeichnung haben offenbar keinen Zusammenhang mit jenen, während diese wiederum
nur als Naturstudien anzusehen sind, ohne direkte Beziehung zu der Geschichte des
heiligen Georg. In der That ist es nicht leicht, einen Grund für ihre Einfügung in
das Fresko zu finden: die Legende selbst bietet keinen Anhalt dazu. Es scheint, der
Künstler hat den Galgen als ein charakteristisches Zubehör der Landschaft betrachtet
bei diesen unruhigen und gesetzlosen Zeiten; auch ist es wahrscheinlich, dass irgend
welche Greuelscenen der Veroneser Geschichte ihm Gelegenheit zu solchen Naturstudien
gegeben haben.
Es ist beachtenswert, dass sich ein ähnliches Detail auch auf der Berliner
Anbetung der Könige des Vittore Pisano befindet. Bode, welcher das Bild im VI Bande
dieser Zeitschrift publiziert, sagt bei dieser Gelegenheit (S. 12 Anmerkung): ^Meines
Wissens ist dies das einzige Mal, dass ein Galgen als blofses Beiwerk zur Cha-
rakteristik des landschaftlichen Hintergrundes auf einem Gemälde des italienischen
Quattrocento dargestellt ist.«
Die Entstehungszeit des Fresko konnte bisher mit Sicherheit nicht festgestellt
werden. M. Gruyer behauptet, es könnte wegen der offenbar nach der Natur ge-
zeichneten Köpfe von Orientalen erst nach 1438 entstanden sein; denn nur auf dem
Konzil von Ferrara, welches Eugen IV in diesem Jahre abhielt, hätte Pisano diese
Studien machen können.
DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM VON GEORG VOSS 26 1
DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM
VON GEORG VOSS
In der kleinen, bisher kaum beachteten Kirche des Dörfchens Dahlem bei Berlin^
am Rande des Grunewaldes, ist am Ende des vorigen Jahres eine Reihe von Wand-
gemälden zum Vorschein gekommen. Im Vergleich zu den spärlichen noch jetzt er-
haltenen Resten von Wandmalereien des Mittelalters in der Mark Brandenburg gehören
diese Gemälde nicht nur zu den umfangreichsten, sondern auch zu den ältesten Denk-
mälern der Malerei in der Mark überhaupt. Die rein künstlerische Bedeutung der
neu entdeckten Wandgemälde tritt freilich wesentlich zurück gegen die ausgedehnten
Bildercyklen, welche in den älteren Kulturländern Deutschlands, namentlich am
Niederrhein, zum Vorschein gekommen sind. Jedoch für die Geschichte der Ent-
wickelung der bildenden Künste in der Mark sind die Dahlemer Gemälde von um so
gröfserem Interesse. Da es zu befürchten ist, dass auch diese Malereien ähnlich wie
viele andere Reste der mittelalterlichen Wandmalerei in der Mark bei der nächsten
Gelegenheit rücksichtslos wieder übertüncht werden, so sei jetzt die Gelegenheit wahr-
genommen, die Aufmerksamkeit der Kunstforschung auf sie hinzulenken.
Die Kirche in Dahlem ist ein äufserst primitiver Bau, dessen ursprüngliche Teile
der letzten Zeit des romanischen Stils angehören. Da über diesen ältesten Bau keinerlei
Nachrichten überliefen sind, so lässt sich eine Vorstellung von der ursprünglichen
Anlage nur durch eine nähere Untersuchung des Mauerwerkes gewinnen. Der ur-
sprüngliche Bau war ein einschiffiger Raum von der Grundform eines länglichen Recht-
eckes. An der Nordwand sind noch jetzt die schmalen, etwa 20cm weiten Fenster
erhalten. Auch auf der Südwand zeigt sich ein ebensolches Fenster, das jedoch später
vermauert ist. Dieser Raum war, nach den verhältnismäfsig schwachen Mauern zu ur-
teilen, mit einer Balkendecke überdeckt. Der alte Chorabschluss ist bei einem späteren
Umbau zu Grunde gegangen. In diesem durch die schmalen Fenster nur spärlich
erleuchteten Räume waren die Wandflächen zwischen den Fenstern in ihrer vollen
Breite mit Wandgemälden bedeckt, die noch jetzt auf der nördlichen Mauer zum
grofsen Teil erhalten sind. Diese Wandgemälde bilden einen so integrierenden Teil
des ursprünglichen Bauwerks, dass die Zeit der Ausmalung der Kirche wohl unmit-
telbar mit der Bauzeit zusammenfallt.
Bei einem späteren Umbau in der zweiten Hälfte des XV Jahrhundens wurde
die Kirche überwölbt. Zu diesem Zwecke mussten die Mauern durch Strebepfeiler
verstärkt werden. Diese wurden ohne Rücksicht auf die Wandgemälde in das Innere
der Kirche hineingelegt, so dass die Gemälde zum Teil dadurch vernichtet sind. An
der Südwand wurde ein grofses, breites gotisches Fenster in die Mauer hineingebrochen,
ebenfalls ohne Rücksicht auf die alten Malereien. Aus der Zeit dieses Umbaues stammt.
35*
202 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM
auch die Anlage des polygonal geschlossenen Ostchors. Eine weitere Zerstörung er-
fuhren die Malereien beim Einbau der in den Formen der Spätrenaissance ausgeführten
Kanzel und schliefslich bei der Anlage der Empore auf der Westseite der Kirche im
Jahre 1679.
Die noch jetzt erhaltenen Malereien zeigen folgende Darstellungen:
I. An der Nordwand ^ von Westen beginnend:
d) Ein breites Feld auf grünem Grunde, zerschnitten durch den Strebepfeiler. Ur-
sprünglich drei lebensgrofse Gestalten von Heiligen, unter denen besonders eine
sitzende Frauengestalt von edler Haltung mit Krone und Nimbus gut erhalten
ist, s. Fig. I. Farbspuren zu ihren Füfsen, die auf den ersten Blick wie ein Rad
aussehen, dürfen nicht auf die heilige Katharina gedeutet werden. Es sind die
Reste eines viel späteren Weihekreuzes, das in derselben Weise neunmal in der
Kirche, auch auf den spätgotischen Strebepfeilern, sichtbar ist.
b) Auf einem roten Felde Maria und Christus mit der Weltkugel, auf breitem, ge-
meinschaftlichem Thronsessel sitzend, beide gegen ein viereckiges Rückenkissen
gelehnt.
c) Auf einem roten Felde die heilige Anna, auf dem rechten Arm das Christkind, auf
dem linken Arm die heilige Maria als etwa achtjähriges Kind haltend. Die letz-
tere ist grofsenteils durch die eingebaute Kanzel verdeckt. Zu den Füfsen der
heiligen Anna kniet eine weibliche Gestalt, in deren Kleidung besonders das den
Hals verhüllende Riefsentuch auffällt, s. Fig. 2. Im Hintergrunde sind unter an-
deren Gegenständen drei Paar Krücken aufgehängt, wohl Weihgaben zum Ge-
dächtnis an wunderthätige Heilungen von Lahmen.
II. An der Südu^and^ von Westen beginnend: Christus mit der Dornenkrone
und dem Kreuznimbus. Sodann, durch das breite gotische Fenster zerschnitten, die
Farbspuren einer lebensgrofsen Gestalt, die wahrscheinlich Christus bedeutet.
III. Auf der Empore: Drei Halbfiguren, unter denen namentlich die Gestalt
eines Königs mit dem Reichsapfel und dem Scepter, ferner die Gestalt eines Bischofs
mit der Mitra und dem Bischofsstabe deutlich erkennbar sind.
Die Bilder auf der Südwand sind so mangelhaft erhalten, dass dieselben sich in
dem jetzigen Zustande zum Teil einer näheren kunstgeschichtlichen Untersuchung ent-
ziehen. Auf der Nordwand dagegen sind wenigstens vier Figuren so deutlich erhalten,
dass daraus wohl auf den Inhalt der ganzen Malereien geschlossen werden kann. Dass
die Gesichter, die Hände und übrigen Fleischteile sämtlicher Gestalten jetzt schwarz
erscheinen, ist natürlich nur auf eine chemische Zersetzung der Farbe zurückzuführen.
Ein ähnliches Schwarzwerden der Gesichtszüge ist auch bei anderen mittelalterlichen
Wandmalereien, namentlich bei denen in Obersten auf der Reichenau aus dem Ende
des X Jahrhunderts, beobachtet worden. Noch besser würden diese Figuren zu er-
kennen sein, wenn bei der Freilegung der Bilder die Tünche mit der gehörigen
Sorgfalt abgenommen wäre. Statt die Tünche durch einen sachverständigen, in der-
artigen Arbeiten geübten Gemälderestaurator mit einem Holzspan abblättern zu lassen,
hat man die Freilegung durch Maurer vornehmen lassen, welche unverständigerweise
mit schweren Hammerschlägen die Tünche abzuklopfen versucht haben. Die Tünche
ist dadurch vielfach auf die Oberfläche festgeschlagen, auch machen diese Spuren der
Hammerschläge die Malereien besonders schwer erkenntlich. Aber noch jetzt würde
ein geschickter Restaurator dieselben leicht beseitigen können. Ungünstig ist ferner
die Beleuchtung der Bilder zwischen dem grell einfallenden Licht der schmalen Fenster.
Am besten sieht man die Bilder, wenn man das Licht dieser Fenster abblendet.
VON GEORG VOSS
263
Die Gemälde deutlich zu photographieren , war nur bei zugedeckten Fenstern und
mit Anwendung von Magnesiumlicht möglich. Die auf diese Weise gewonnenen
photographischen Aufnahmen ergänzen den Anblick der Originale vielfach.
Die künstlerische Auffassung, welche sich in den Hauptfiguren an der Nordwand
zu erkennen giebt, weist unzweifelhaft auf die erste Zeit des frühgotischen Stiles.
Noch liegt etwas von der ernsten Hoheit der romanischen Kunstauffassung in der
Zeichnung der Gestalten. Von den schlanken Proportionen und den bewegten Stel-
lungen^ welche der gotische Stil in die Zeichnung der menschlichen Figuren einführte,
ist in den Gestalten der thronenden Frauen noch nicht die Rede. Künstlerisch am
höchsten steht in dieser Beziehung die Frauengestalt zunächst der Empore (s. Fig. i ). Der
edle Schnitt der Gesichts-
züge, der harmonische Li-
nienfluss der Haare weist
trotz der flüchtigen Aus-
führung auf die Hand eines
tüchtigen Künstlers. Die
Wellenlinien der Haare er-
innern wohl an den Stil
der Skulpturen im Dom zu
Bamberg, an die Gestalten
der Eva und der Kaiserin
Kunigunde. Selbst in den
primitiven breit hingesetz-
ten Konturen, die ohne Ab-
schattierung mit den Lo-
kalfarben ausgefüllt sind,
machen sich diese Anklänge
bemerkbar. Der Versuch
einer Schattierung durch die Farbe zeigt sich nur an dem Kopf dieser einen Frauengestalt
zunächst der Empore. Stirn und Kinn sind hell beleuchtet, die übrigen Teile sind be-
schattet dargestellt. Wenig zu dem edlen Schnitt dieser Gesichtszüge zu stimmen scheint
der Ausdruck der vor der heiligen Anna knieenden Frau (s. Fig. 2). Der unedle Schnitt
ihrer Gesichtszüge ist in diesem Falle wohl nur dadurch zu erklären, dass der Maler den
Unterschied zwischen der Niedriggeborenen und den Heiligen hervorheben wolhe. Diese
Auffassung entspricht durchaus den Traditionen der Kirche. In ganz ähnlicher Weise
ist auf der Kreuzigung in der Kirche »Maria zur Höhe« in Soest neben der edlen
Gestalt des römischen Hauptmanns Longinus der Kriegsknecht, welcher dem Heiland
den Ysopstab mit dem Essigschwamm hinaufreicht, durch hässlich und unregelmäfsig
geformte Gesichtszüge charakterisiert. Bei Bettlern und Krüppeln macht sich diese
Auffassung noch in den Werken Raphaels und darüber hinaus geltend. Das den
Hals verhüllende Riefsentuch der knieenden Frauengestalt aus kostümgeschichtlichen
Gründen für die Datierung der Gemälde heranzuziehen, dürfte schwer halten, da
dieses Tuch in ähnlicher Weise vom XII Jahrhundert ab das ganze Mittelalter hin-
durch als Tracht der verheirateten Frauen in Gebrauch war.
Bewegter und bewusster in die Traditionen des gotischen Stils einlenkend ist
der thronende Christus gezeichnet. Das zeigt namentlich die lebhafte Wendung des
Kopfes. Auch der Schnin der Haare erinnert deutlich an Porträtstatuen der früh-
gotischen Zeit. Die Darstellung Christi und der Maria, auf einem gemeinsamen
Fig. I. Fig. 2.
Köpfe aus den Wandgemälden der Nordwand der Kirche zu Dahlem.
204 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM
Throne nebeneinander sitzend, kommt in dieser Zeit häufig vor, allerdings zumeist
bei der Krönung der Maria. Ein gleichzeitiges Beispiel ist uns in den Kopien
nach den Wandgemälden der Deutsch -Ordens -Kapelle zu Ramersdorf trhahen.
In ikonographischer Beziehung bieten die Dahlemer Gemälde im übrigen wenig
Bemerkenswertes. Zu deuten sind noch die kreisförmigen Scheiben, welche hinter
der heiligen Anna rechts von den Krücken an der Wand hängend dargestellt sind,
ebenso der Gegenstand links von diesen Krücken , der etwa wie ein Frauenrock aus-
sieht. Da auch die Hauptfigur des treffiich erhaltenen spätgotischen Schnitzaltars im
Chor der Kirche die heilige Anna darstellt, so haben wir in derselben wohl die
Schutzpatronin der Kirche zu erkennen.
Die Technik der Wandgemälde ist durchaus dieselbe wie in den niederrheinischen
Arbeiten des XII und XIII Jahrhunderts: Breite, mit einer hellbraunen Farbe gezeich-
nete Konturen und ein glatt die Zwischenräume ausfüllender Tempera -Farbenauftrag.
Einen weiteren Beweis dafür, dass die Gemälde in das XIII Jahrhundert zu setzen
sind, bietet die Untersuchung des alten Kirchenbaus. Das Mauerwerk, auf welchem
die Gemälde ausgeführt sind, ist im unteren Teile aus roh gebrochenen Feldsteinen,
im oberen aus Backsteinen ausgeführt. Die Einführung des Backsteinbaus in der
Mark beginnt sofort nach der endgültigen Besitzergreifung des Landes unter Albrecht
dem Bären durch damals eingewanderte niederländische Kolonisten. Dieselben waren
durch den Bischof Anselm von Havelberg herbeigerufen, welcher von ihnen vor
allen Dingen die Eindeichung der Elbe und die mit der Einführung des Christentums
notwendigen Kirchenbauten ausführen liefs. Auf diesen beiden Gebieten mussten die
niederländischen Werkleute für die Kolonisation in der Mark vorzüglich geeignet er-
scheinen. Für die Verwendung der Niederländer zum Kirchenbau war deren Übung
in der bis dahin in der Mark unbekannten Kunst des Ziegelbrennens von besonderer
Wichtigkeit. Nur durch den Backsteinbau konnte die grofse Zahl von umfangreichen
Kirchen für die Menge der plötzlich sich über das Land verbreitenden geistlichen
Orden in der erforderlichen Schnelligkeit ausgeführt werden. Der Schutzbrief ist be-
kannt geworden, durch welchen Bischof Anselm von Havelberg sich von König
Konrad das Recht erteilen liefs, in die entvölkerten Gegenden seiner Diözese Kolo-
nisten einzuführen, aus welchem Volksstamm er könne und wolle. Ausführlich be-
richtet darüber der ehemals mit Unrecht angezweifehe Helmold, Geistlicher der Kirche
zu Bosov unweit Plön, welcher in der Mitte des XII Jahrhunderts seine Chronik
der Slaven niederschrieb. Nach Unterwerfung der Völker an der Havel und Elbe,
so berichtet er, habe Markgraf Albrecht aus Holland, Seeland und Flandern, welche
Provinzen damals durch heftige Überschwemmungen des Meeres litten, durch seine
Abgesandten die Ansiedler herbeigezogen. Dieselben wären in grofser Anzahl in
die Städte und Dörfer der Slaven eingewandert, wodurch die Bistümer Havelberg
und Brandenburg sich sehr gehoben hätten. Das Bistum Brandenburg umfasste von
Anfang an auch den Spreegau, also die Länder Barnim und Teltow. Die ganze
Umgebung von Dahlem (der Ort selbst wird erst im Jahre 1375 im Landbuche Karls IV
genannt) gehörte, wie jetzt nachgewiesen ist, zu den bereits von Markgraf Albrecht
erworbenen, sogenannten »alten Landen«. In diesen am weitesten nach Osten vor-
geschobenen Teilen der askanischen Herrschaft ist allerdings der Ziegelbau nicht
sofort eingeführt. Bei der Abhängigkeit fast aller Werke der märkischen Kunst von
fremden Vorbildern verdient die Ähnlichkeit zwischen den märkischen und den nieder-
ländischen Backsteinbauten besondere Beachtung. Gerade in den ältesten, dem roma-
nischen Stil angehörenden Backstein bauten tritt die Abhängigkeit von den Nieder-
VON GEORG VOSS 265
landen am deutlichsten hervor. Das früheste Beispiel der neuen niederländischen
Backsteintechnik in dem Bistum Brandenburg ist der Neubau des Doms zu Branden-
burg seit dem Jahre 1 170. Doch zunächst stand dieses Beispiel noch vereinzelt da.
Im Kreise Teltow sind gerade die ältesten Kirchen, namentlich diejenigen des
Templerordens in Tempelhof, Mariendorf und Marienfelde^ aus sorgfältig behauenen
Feldsteinen errichtet. Dieser Granitquaderbau setzt einen sehr bedeutenden Aufwand
an Arbeitskraft voraus, von dem bei den Kirchen der ärmeren Orden und namentlich
bei entlegeneren Kirchen nicht die Rede sein konnte. Bei Dorf kirchen wurden die
Steine vielfach so verwendet, wie man sie auf dem Felde unter dem Acker vorfand.
Allenfalls wurden die gröfseren Steine roh zerschlagen. Als mit Beginn des XIII Jahr-
hunderts der Ziegelbau auch in den östlichen Teilen der Mark sich verbreitete, wurde
bei primitiven Bauausführungen der untere Teil der Mauern aus Feldsteinen, der
obere aus Backsteinen hergestellt. In dieser Weise ist auch die Kirche zu Dahlem
ausgeführt.
Die überaus rohe nachlässige Bearbeitung der Feldsteine lässt keineswegs auf
eine frühe Bauzeit schliefsen. Im Gegenteil zeigt sich fast überall in der Mark, dass
gerade in den nachweislich ältesten Kirchen die Bearbeitung des Granits am sorg-
fältigsten ist. Je mehr seit der Einwanderung der niederländischen Kolonisten der
Ziegelbau die herrschende Bauweise wurde, desto mehr ging die Sorgfalt in der
Bearbeitung des Granits verloren. In der Ordenskirche des 3/4 Meile von Dahlem ge-
legenen Tempelhof sind die regelmäfsigen 0,27 m hohen Granitquadern von auf-
fallend sorgfältiger Ausführung. In Dahlem begnügten sich die Werkleute damit,
die Feldsteine unbehauen zu vermauern. Um wenigstens eine einigermafsen glane
Fläche zu gewinnen, wurden die Steine gesprengt und so vermauert, dass die glane
Fläche nach aufsen zu liegen kam. An den inneren Wandflächen wurde selbst diese
Rücksicht fallen gelassen, und man begnügte sich mit den rohen Steinblöcken. Zur
notdürftigen Ausgleichung der Unebenheiten diente der dick aufgetragene Kalkputz.
Die roh geputzten Flächen nach Möglichkeit mit grofsen Wandmalereien zu bedecken,
lag somit besonders nahe. Nach zahlreichen bei den verschiedensten Anlässen zu
Tage getretenen Spuren zu urteilen, scheint die Bemalung die Regel gebildet zu
haben.
Einen Beweis dafür, dass der Bau der Kirche zu Dahlem nicht später als in
das XIII Jahrhundert zu setzen ist, bieten die alten schmalen Fenster, deren Ab-
messungen durchaus denen der Kirchen des romanischen Stils in der Mark entsprechen.
Die innere Leibung zeigt den romanischen Rundbogen. Die Verdachung nach der
Aufsenseite zu ist allerdings durch zwei schräg gestellte Ziegel bewirkt, ein Motiv,
welches an gotische Bauweise erinnert. Nach der Mitte des XIII Jahrhunderts kommt
der Rundbogen in der Mark nur noch in ganz vereinzelten Beispielen vor. Gegen
Ende des XIII Jahrhunderts ist für Thür- und Fensterbogen der Spitzbogen die
herrschende Form.
Die völlige Kunstlosigkeit der Architektur einer deranigen Dorfkirche schliefst
es indessen keineswegs aus, dass für die Malereien der Wände ein tüchtiger Künstler
von auswärts herbeigeholt wurde. Denn fast alles, was wir von älteren Werken
der Malerei und der Plastik in der Mark finden, ist importiert oder von eingewan-
derten Arbeitern ausgeführt. So auch wahrscheinlich die Dahlemer Wandgemälde.
Der Kreis Teltow war im XIII Jahrhundert keineswegs so kunstverlassen , wie man
nach dem heutigen Zustande der Kirchen wohl anzunehmen geneigt ist. Die Tempel-
herren besafsen in Tempelhof einen Komturhof und waren die Herren von Marien-
266 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM
dorfy Marienfelde und Richardsdorf ^ d. i. das heutige Rixdorf Nach der Aufhebung
des Templerordens im Jahre 1312 sind diese Dörfer 13 18 an den Johanniterorden über-
gegangen. Die Anwesenheit eines tüchtigen Künstlers in dieser Gegend, wenn auch
nur vorübergehend, ist daher keineswegs unwahrscheinlich, zumal da Ähnliche Auf-
gaben von kirchlichen Wandmalereien in der Mark häufig gestellt wurden.
Eine Zusammenstellung der mir bekannt gewordenen Beispiele von mittelalter-
lichen Wandmalereien der Mark vermag wenigstens einen Einblick in dieses bisher
wenig beachtete Gebiet zu geben. Die Wandmalereien sind an folgenden Orten teils
noch jetzt erhalten, teils bei den Restaurationsbauten zum Vorschein gekommen:
1. Pec/ii//e bei Jüterbog, Backsteinkirche des XII Jahrhunderts : InderApsis ehemals
Spuren alter Wandgemälde; jetzt mit neuem Kalkputz bedeckt.
2. Mariendorf bei Berlin, Granitquaderbau des XIII Jahrhunderts: In der Apsis unter
dem Putz alte Wandgemälde.
3. Tempelhof ^ Kirche des Templerordens, Granitquaderbau des XIII Jahrhundens:
Unter der Tünche, wie berichtet wird, an allen inneren Wänden Reste alter Wand-
malerei, darunter ein jüngstes Gericht, zum Vorschein gekommen bei der Restau-
ration der Kirche im Jahre 1848. Kopien der Malereien sind nicht erhalten.
4. Lindenberg bei Berlin, romanische Kirche aus Granitquadern und Ziegeln: Ehe-
mals Reste alter Bemalung. Die jetzige Ausmalung ist 1860 ausgeführt. In der
runden Apsis, deren Mauerwerk mit den schmalen romanischen Fenstern un-
verändert erhalten ist, dürften die alten Malereien noch vollständig unter dem
Putz vorhanden sein.
5. Rheinsberg ^ Kirche aus Granitquadern, XIV Jahrhundert: Alte Wandgemälde
übertüncht.
6. Preufsniti bei Beizig, romanische Kirche aus Granitquadern: In der Apsis unter
der Tünche figürliche Wandmalereien.
7. Crusson^ bei Angermünde, Kirche aus Granitquadem: An den Wänden die
zwölf Apostel und ornamentale Malereien.
8. Belit^y Wallfahrtskirche: Wandmalereien auf die Legende des hier im Jahre 1247
aufgefundenen Wunderbluts bezüglich, seit 1570 übertüncht.
9. Lehnin, romanische Cistercienserkirche aus dem XII und XIII Jahrhundert: Bei
der Restauration von 1872 bis 1877 wurden im Innern viele Spuren von Male-
reien gefunden, Reste noch jetzt erhalten.
10. Zinna (Stadt) bei Jüterbog, romanische Cistercienserkirche, Granitbau des XIII Jahr-
hunderts. In der Apsis wurden im August dieses Jahres auf der Nordwand und
auf der Südwand durch Herrn Pastor Walkow figürliche Malereien, schwarze
Konturenzeichnung auf braunem Grunde, blofsgelegt. Sehr zerstört.
11. Chorin, gotische Cistercienserkirche des XIII Jahrhunderts : Verschiedene Spuren
von Wandmalerei, namentlich im Fürstensaale des Klosters.
12. Plane, frühgotische Backsteinkirche: Gemalter Fries von 70cm Breite.
13. Riedebeck bei Luckau, spätromanische Kirche aus Feldsteinen und Eisenstein, er-
baut II 94 — 1202:
ä) Auf dem Gewölbe der halbrund geschlossenen Apsis: Das jüngste Gericht.
Christus auf dem Regenbogen, vom Munde ausgehend Schwert und Lilie.
Zu den Füfsen Christi knieen Maria und Johannes der Täufer. Links wird
eine Gruppe unbekleideter Seliger von Petrus in das Paradies, ein hohes
Bauwerk von kirchlichem Charakter geführt. Rechts Flammen. Oben zu
beiden Seiten je ein Engel mit der Posaune. Spätgotisch.
VON GEORG VOSS 267
b) Auf der südlichen Chorwand: 6 quadratische Felder. Auf dem einen dar-
gestellt eine Dame zu Pferde vom Teufel geholt. Diese Felder bildeten
wohl einen Totentanz, der als Fortsetzung der HöUenscene des oben be-
schriebenen Hauptbildes gedacht ist. Oberhalb dieser Felder auf einer
früheren Putzschicht auf rotem Grunde einzelne Felder mit fast unkenntlich
gewordenen Einzelfiguren von Heiligen. Dies wohl der Rest der ältesten
Ausmalung aus der Zeit der Erbauung der Kirche.
c) Zwischen den alten schmalen romanischen Fenstern der Apsis: Vier Gestalten
von Heiligen. Eine weibliche Figur mit dem Kreuz deutet auf die heilige
Helena. Spätgotisch.
14. Eberswalde ^ Pfarrkirche, Anfang des XIV Jahrhunderts: Ein frühgotischer heiliger
Christoph und Reste von Gemälden aus dem Jahre 1 500.
15. Brandenburgs Dom:
a) Hauptkrypta mit Spuren von Wandgemälden;
b) bunte Kapelle, 3 runde Schildbögen mit spätgotischen figürlichen Scenen,
fast erloschen;
c) unter den Arkadenbögen: 3 Engel;
rf) Ostchor, an den Deckengewölben 17 einzelne spätgotische Köpfe.
16. Brandenburgs Sankt Paulskirche: Im Kreuzgang des Klosters mannigfache Reste
von figürlichen Malereien.
17. Brandenburgs Sankt Katharinenkirche, Sakristei: Wandgemälde, darstellend den
leidenden Christus, noch 1740 vorhanden.
18. Brandenburgs Sankt Johanniskirche: Wandgemälde mit der Jahreszahl 147 1, er-
wähnt von Minutoli, seitdem übertüncht.
19. Brandenburgs Rathaus der Neustadt: Dort einst ein runder Erker mit zwei
Wandgemälden:
a) die Fabel von Vater, Sohn und Esel;
b] die Allegorie auf die Glückseligkeit eines wohlbestellten Regiments. Beide
Gemälde übertüncht 1720.
20. Jüterbogs Nikolaikirche, XV Jahrhundert. In der alten Sakristei:
a) an den Wänden in den Schildbögen grofse figürliche Gemälde, z. B. dar-
stellend die Geschichte des heiligen Sebastian und eine figurenreiche Pro-
zession. Ferner vier Einzelgestalten. Spätgotisch.
b) an den Kreuzgewölben die vier evangelischen Symbole und drei Propheten.
c) Wandgemälde im Langhause, grofsenteils schon 1608 übertüncht.
21. Königsberg in der Mark, Marienkirche, Anfang XV Jahrhundert: Reste mittel-
alterlicher Wandmalereien.
22. Madlow bei Kottbus, Backsteinkirche des XV Jahrhunderts: Die alten Wand-
malereien bei der Restauration im Jahre 1879 übenüncht.
23. PreriT^laUs Rathaus: An drei Kreuzgewölben, welche dem ursprünglichen Bau aus
dem XIV Jahrhundert angehören, unter der Tünche Reste alter Wandgemälde,
darstellend das Weltgericht.
24. Münchebergs Marienkirche, mittelalterlicher Backsteinbau. Von den jetzt tiber-
tünchten Wandmalereien sind in der historischen Sammlung des Rathauses Kopien
erhalten.
25. Berlins Nikolaikirche:
a) Neben der Orgel eine grofse Darstellung des Weltgerichts in drei Zonen
übereinander. Mitte des XV Jahrhunderts.
36
268 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM
b) Bei der Restauration der siebziger Jahre wurden an Wänden und Gewölbe-
rippen verschiedene Reste von Wandmalereien gefunden, seitdem übertüncht
und übermalt.
26. Berlin^ Marienkirche: Totentanz, wahrscheinlich 1470 entstanden. Im Jahre 1860
sehr verblichen aufgedeckt und stark restauriert.
27. Wilsnackj Wallfahrtskirche: Im Querschiff von 1470 bis 1480 ein Wandgemälde
des heiligen Christoph.
28. Perleberg ^ St. Jakobskirche: In dem um 1470 erbauten Langhause an den Pfeilern
gemalte Apostelgestalten unter reichen gotischen Baldachinen.
29. Bernau^ Marienkirche, ursprünglich Granitbäu, seit 1484 bedeutend erweitert:
Im Innern noch vor einigen Jahren verschiedene Reste mittelalterlicher Wand-
malerei.
a) An der Nordwand, unter der Empore: Teufelsscenen. (Eine grofse Dar-
stellung des ganzen jüngsten Gerichts aus beweglichen Figuren befand sich
an der Westwand des Mittelschiffs).
b) An der Westwand des nördlichen Seitenschiffs. Bei Versuchen, die jetzige
Wandbekleidung abzubröckeln, kam von der alten Malerei ein Vogel zum
Vorschein.
c) An dem spät - gotischen gemauerten Sakramentshöuschen in dem breiten
Bogenfeld auf die Mauer gemalt die Messe des heiligen Gregor (deutlich
erhalten).
30. Frankfurt a, O., Marienkirche, Sakristei von 1520 — 1521: Laubgewinde in den
Bogenfeldern der Netzgewölbe.
31. Frankfurt a. O., Nikolaikirche, Spätgotisch: Auf den Gewölbefeldern der 3 Schiffe
des Langhauses naturalistische Blattornamente. Zum Teil erneuert.
32. Strausbergs Marienkirche: An den Gewölben des Chors bedeutende Reste von
Malereien, ausgeführt im Jahre 1524, z.B. Christus als Weltrichter, die Krönung
der Maria, Johannes der Täufer, Maria Magdalena und andere Heilige; ferner
musizierende Engel.
Wenn wir nach Vorbildern für die frühesten märkischen Wandgemälde suchen,
so muss sich unser Blick in erster Linie auf Brandenburg richten. Besonders scheint
dies bei den Dahlemer Gemälden geboten. Schon in der von Otto dem Grofsen
ausgestellten Stiftungsurkunde vom Jahre 949 wird der Zpriawani, d. i. der Spreegau
ausdrücklich als zum Bismm Brandenburg gehörig genannt. Da dieses dem Erz-
bischof von Magdeburg unterstellt war, so war Magdeburg der naturgemäfse On, aus
welchem die geistlichen Körperschaften für ihre Kirchen und deren Ausstattung nicht
nur die Vorbilder, sondern vielfach auch die fertigen Kunstwerke bezogen. Bei der
Wiedereinführung des Christentums unter Pribislav (-j- 1150), dem letzten Wenden-
fürsten, trat die Abhängigkeit von Magdeburg deutlich hervor. Der erste Bischof,
welcher nach der anderthalb Jahrhunderte währenden Scheinherrschaft der Bischöfe
in partibus wieder in Brandenburg einzog, war Wigger, der ehemalige Probst des
Prämonstratenser Konvents der Marienkirche zu Magdeburg. Er war es, der durch
seinen Einfluss auf Pribislav die thatsächliche Wiederherstellung des Bistums durch-
setzte. Sein Werk war es auch, dass Pribislav öffentlich in der Kirche zu Leitzkau,
wo Wigger von Magdeburg aus eine Niederlassung der Prämonstratenser gegründet
hatte, zum Christentum übertrat. Neun Mönche dieser Prämonstratenser- Kolonie aus
Leitzkau bildeten auch das erste Ordenskapiiel, welches in die von Pribislav neu
gegründete Petrikirche (jetzt St. Godehard) zu Brandenburg einzog. Die künstlerische
VON GEORG VOSS 269
Abhängigkeit von Magdeburg zeigt sich in der neuerwachten kirchlichen Bauthätigkeit
Brandenburgs keineswegs in allen Dingen. Der im Jahre 1 170 begonnene Neubau
des Doms wurde, wie schon oben erwähnt, in der neuen niederländischen Backstein-
technik ausgeführt. Aber bei der Verwendung der Bildwerke aus Sandstein ist der
Einfluss Magdeburgs zu erkennen. Die schönen romanischen Kapitale in der alten
Krypta sind um 1235 in Magdeburg gearbeitet. Ebenfalls aus sächsischen Sandstein-
brüchen stammen die Kapitale der Krypta der Klosterkirche zu Jerichow. An den
älteren Teilen des Domes zu Havelberg stammen die Steine aus den Sandsteinbrüchen
zu Plötzke bei Magdeburg. Das Domkapitel zu Havelberg war im Jahre 11 50 durch
eine Kolonie von Magdeburger Prämonstratensern gegründet.
Die Abhängigkeit der künstlerischen Ausstattung der Kirchen von denjenigen
Orten und Körperschaften, welche die vorgesetzte Behörde der betreffenden Kirchen
bildeten, lässt sich häufig nachweisen, und es ist wohl anzunehmen, dass diese Ab-
hängigkeit die Regel bildete. Allerdings darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben,
dass durch die Verschiedenheit des an Ort und Stelle zur Verfügung stehenden Kunst-
materials zuweilen mancherlei wichtige Veränderungen bedingt wurden. Das zeigt
sich namentlich in der Bildhauerkunst und in der/ Baukunst. Da die Mark keine
eigenen Brüche besitzt, in denen ein für feinere Arbeiten geeigneter Sandstein ge-
wonnen wird, so war man darauf angewiesen, die Werksteine aus benachbarten
Ländern, namentlich aus Sachsen, zu beziehen. Nur geringe Ausbeute lieferten der
kleine, jetzt völlig erschöpfte Sandsteinbruch bei Freienwalde, ferner der Kalkstein-
bruch bei Rüdersdorf und der Eisensteinbruch bei Dobrilugk. So kam es, dass es
in der Mark an Arbeitern fehhe, welche für die edleren Aufgaben der Steinplastik,
z. B. für die Ausführung von figürlichen Darstellungen, geschult gewesen wären. Die
Vollendung, welche die märkischen Steinmetze gerade in der ältesten Zeit in der
Bearbeitung des Granits der Feldsteine zeigen, äufsene sich in einer rein technischen
Geschicklichkeit. Die höheren Aufgaben der Plastik in diesem sprödesten aller Werk-
stoffe zu lösen, ist nirgends in der Mark versucht worden. Erst seit der Einführung
des Sandsteins kommen in der Mark Arbeiten der Bildhauerkunst von reicherer Aus-
führung vor, und man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass diese ältesten
Sandsteinarbeiten entweder fertig eingefühn wurden oder dass mit dem importierten
Stein zugleich auch die Werkleute herbeikamen, um die Bearbeitung am Orte der
Aufstellung auszuführen. Bei Arbeiten von zierlicher Ausführung, wie z. B. den
Sakramentshäuschen, ist dies wohl schon aus Rücksicht auf die Gefahren des Trans-
ports anzunehmen.
Bildwerke, welche für den Vergleich mit den Dahlemer Fresken heranzuziehen
wären, sind wohl hauptsächlich in den Grabsteinen zu suchen. Zum Teil sind diese
wahrscheinlich meist in den sächsischen Sandsteinbrüchen gleich vollendet worden.
Der Charakter der Ornamente und architektonischen Gliederungen weist vielfach auf
Magdeburg, zuweilen auch auf Süddeutschland hin.
Die ältesten Grabsteine sind im Entwurf den Wandgemälden nahe verwandt.
Die Hauptsache ist wie bei diesen die Konturzeichnung. Gerade unter den älteren
Denkmälern kommt kaum eine andere Art der Ausführung vor als die breit und tief
in den Sandstein hineingehauenen Umrisslinien. Von einem Versuche, die Zeichnung
durch Schatten Wirkung zu beleben, ist in. diesen ältesten Werken nicht die Rede,
weder durch Schraffierung noch durch Modellierung. Das Material dieser Grabplatten
ist fast ausschliefslich Sandstein. Bezeichnend ist, dass sich dieselben am häufigsten
in solchen Orten finden, welche an grofsen Wasserstrafsen liegen, z.B. in Branden-
36*
270 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM
bürg und in Havelberg. Die frühesten dieser Steine, von denen die Chroniken der
Mark berichten, sind leider zu Grunde gegangen, nur die Inschriften sind uns durch
Aufzeichnungen aus dem XVI Jahrhunden erhalten. Als Pribislav, der letzte Wenden-
fürst, im Jahre 1 1 36 öffentlich zum Christentum übergetreten war, verwandelte er das
wendische Heiligtum des Götzen Triglaff auf dem Harlunger Berge bei Brandenburg in
eine christliche Kirche, das ist die mit reichem Ablass ausgestattete, weit in Deutschland
als Wallfahrtskirche berühmte Marienkirche. Hier befanden sich noch im XVI Jahr-
hundert die Grabsteine der nächsten Verwandten des Fürsten, die seiner Eltern Mein-
fried (oder Meinhard) und Cythava, ferner die der Brüder seines Vaters, Hermann und
Siegfried. Obwohl seine Verwandten damals bereits Jahre lang unter der Erde ruhten,
liefs Pribislav deren Gebeine hier an geweihter Stätte beisetzen. Hier wurde 11 50
auch Pribislav beigesetzt, etwas später seine Gemahlin Petrussa, ferner im Jahre 1 173
Juditha, die Gemahlin Markgraf Ottos I. Von den Monumenten selbst ist nichts
mehr aufzufinden. Der älteste Grabstein, den jetzt noch der Donft zu Brandenburg
bewahrt, ist der des Kanonikus Peter von Thure, der im Jahre 1181 gestorben
ist. Die schlanken Proportionen der Figur mögen zum Teil durch die altertüm-
liche schmale Form des Grabsteins bedingt gewesen sein. Doch der Schnitt der
Haare und die in feinen Brüchen geknitterten Falten des Gewandes zeigen bereits in
bestimmter Weise den gotischen Stil. Von ähnlichen Zügen ist in den Malereien der
Nordwand der Kirche zu Dahlem noch nicht die Rede. Bei dem nächstältesten Grab-
stein des Doms von Brandenburg, dem des Propstes Heinrich von Gacersleben (•}• 1296),
ist das Gesicht leider ganz abgetreten. Zu den ältesten Grabsteinen mit Darstellungen
der Verstorbenen in eingravierten Umrissen oder auf flachem Relief gehören ferner
die Grabmäler der beiden Askanischen Markgrafen Hermann (-}- 1291) und Johann
(•f- 1292) im Dom zu Havelberg.
Eher als in diesen Sandsteinplatten dürfte man die Hand eingeborener Künstler
in den gebrannten Thonplatten erkennen, welche zuweilen für die Grabsteine verwendet
wurden. Aber da das Brennen der grofsen Platten bedeutende technische Schwierig-
keiten machte, so wurden dieselben nur selten ausgeführt und nur ganz vereinzelte
Beispiele (in Brandenburg, Mohrin und Frankfurt) sind von diesen Werken erhalten.
In MetaU gravierte Grabplatten kommen in der Mark erst wesentlich später vor.
Das älteste Beispiel, welches dem Verfasser bekannt geworden ist, ist die Grabplatte
des Bischofs Johannes von Deher im Dom zu Fürsten walde (-f- 1455).
Auch die eingravierten figürlichen Darstellungen auf den Werken der Edel-
schmiedekunst sind hier zur Vergleichung heranzuziehen. Kelche und Patenen des
XII und XIII Jahrhunderts mit figürlichen Darstellungen sind in den Kirchen der Mark
noch zahlreich erhalten. Vor der Zerstörung oder Verschleppung sind sie vielfach
bewahrt geblieben, weil die protestantische Kirche dieselben wohl überall unbedenk-
lich in Gebrauch nahm. Die Hauptstücke dieser An sind folgende: Der schöne
romanische Kelch in der Pfarrkirche zu Rathenow mit figürlichen Darstellungen aus
dem alten und neuen Testament, der romanische Kelch der Pfarrkirche zu Zehdenick^
der schöne Kelch der Nikolaikirche zu Berlin aus der Mitte des XIII Jahrhunderts;
ferner die Reliefs des romanischen Kelches der Hauptpfarrkirche zu Pren^lau\ ferner
der romanische Fufs des grofsen Kelches der Kirche zu Wusterhausen bei Neu-
Ruppin mit den Darstellungen aus dem Leben der Maria. Niemand wird bei diesen
Arbeiten ernstlich an märkische Provenienz denken, aber dass derartige, vom Rhein
oder aus den sächsischen Landen eingeführte Arbeiten Malern die Anregung oder
das direkte Vorbild gegeben haben können, liegt nahe.
VON GEORG VOSS 27 I
Figürliche Darstellungen auf Kirchengeraten in Bronzeguss sind aus dem Mittel-
alter zahlreich in der Mark erhalten. Auch hier sind die ältesten Stücke aus den be-
nachbarten Ländern eingefühn, hauptsächlich aus Sachsen, wo der Bronzeguss schon
im frühen Mittelalter in Blüte stand. In Magdeburg, Erfurt, Braunschweig, auch
Helmstedt, sind die Werkstätten der ähesten Glocken, Kirchenleuchter und Tauf-
becken der Mark zu suchen. Das Hauptstück unter den älteren Taufbecken ist das
frühromanische Becken in St. Godehard zu Brandenburg. Indessen noch im XIV
und XV Jahrhundert finden wir unter den Giefsemamen keinen einzigen eines märkischen
Werkmeisters. Namen märkischer Glockengiefser werden inschriftlich erst seit dem
Jahre 1400 genannt. Die Glocken wurden entweder von anderen Städten bezogen
oder die Giefser wurden von diesen Städten nach der Mark herbeigeholt, um den
Glockenguss in nächster Nähe der Kirche selber auszuführen.
Augenblicklich sind diese Werke noch zu ungenügend erforscht, die Abbil-
dungen des über viele kleine Ortschaften verstreuten Materials noch zu selten zu be-
schaffen, als dass jetzt schon die rechte Übersicht über die einzelnen Gebiete zu
gewinnen wäre. Mehr als in den älteren Kulturländern unseres deutschen Vater-
landes muss sich die Kunstgeschichte des Mittelalters in der Mark mit geringen Resten
oder den fast zerstörten Spuren der ehemaligen Kunstwerke begnügen. Doch die
fast überall in der Mark, selbst in entlegenen, kaum über die nächste Umgebung
hinaus bekannten Dorfkirchen, erhaltenen Reste deuten darauf hin, dass die künst-
lerische Ausstattung der Kirchen in ganz ähnlich ausgedehnter Weise wie in den be-
nachbarten sächsischen Ländern oder am Niederrhein und in Süddeutschland den
ganzen Kirchenraum und alle kirchlichen Geräte umfasste. Bei der Inventarisation
der Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, welche im Jahre 1885 ihren freilich
vielfach recht lückenhaften Abschluss gefunden hat, hat sich das Vorhandensein einer
Fülle von interessanten, ja künstlerisch wertvollen Werken auf den verschiedensten
Gebieten der kirchlichen Kunst gezeigt. Seit der endgültigen Eroberung der Mark
durch die Askanier, also seit der Mitte des XII Jahrhunderts, sind alle Epochen
der deutschen Kunst des Mittelalters in diesen Werken vertreten. Doch da die Mark
als eines der frühesten Länder völlig geschlossen zur Reformation übertrat, so kam
es, dass die vorhandenen Kunstwerke, soweit dieselben fUr den protestantischen
Kultus ungeeignet waren, teils absichtlich zerstört, teils vernachlässigt und verschleppt
wurden. Auch die Restaurationsbauten unseres Jahrhunderts haben an der Zerstörung
des Vorhandenen einen grofsen Anteil.
Gerade die Wandgemälde sind durch diese Restaurationen am meisten zerstört
worden. Die unter der Tünche oder dem Wandputz aufgefundenen Malereien sind in
den meisten Fällen kaum der Beachtung für wert gehalten worden. Ohne dass man
Kopien von ihnen angefertigt hat, sind dieselben wieder übertüncht oder mit neuem
Wandputz bedeckt. Vieles ist auch für immer durch Einbauten von Kanzeln oder
Emporen sowie durch das Ausbrechen der neuen breiten Fenster zerstört worden,
Bei den spärlichen Nachrichten ist unsere Kenntnis über diese Wandgemälde bis jetzt
noch unvollständig. Doch auf Grund der oben angeführten Beispiele ist es wahr-
scheinlich, dass die Ausmalung der wichtigsten Teile des Kirchenraumes, der Wand-
flächen wie der Decken, das ganze Mittelalter hindurch die Regel in den Kirchen
der Mark bildete. Gerade die älteste Zeit des Kirchen baues bietet verhältnismäfsig
die meisten Beispiele. Unter diesen sind die neu entdeckten Dahlemer Wandgemälde
eines der Wichtigsten.
272 DIE MARMORBÜSTE DES ALESSO DI LUCA MINI VON MINO DA FIESOLE
Eine verständig geleitete Fortführung der von Bergau seiner Zeit in Folge der
Kränklichkeit des verdienten Forschers vielfach vorzeitig abgeschlossenen Inventari-
sation der Kunstdenkmaler der Mark Brandenburg würde zur Erweiterung unserer
Übersicht über dieses Gebiet am besten beitragen. Auf dem Gebiete der Architektur
haben einige Forscher in dieser Beziehung hervorragende Beiträge geliefert. Dagegen
ist für die Gebiete der Malerei, der Bildhauerkunst und der verschiedenen Zweige der
Kleinkunst die Heranziehung von kunstgeschichtlich geschulten Fachmännern uner-
lässlich, wenn die vorhandenen Denkmäler und die bei den Restaurationsarbeiten an
den verschiedensten Orten zu Tage tretenden Reste von älteren Kunstwerken in der
rechten Weise vor der Zerstörung geschützt werden sollen.
DIE MARMORBÜSTE DES ALESSO DI LUCA MINI VON MINO DA FIESOLE
EIN LEGAT DES HERRN O. HAINAUER AN DIE K. MUSEEN
VON W. BODE
Der vor wenigen Monaten im besten Mannesalter verstorbene Oscar Hainauer,
unter den Sammlern Berlins der hervorragendste, hat ein paar der wertvollsten Kunst-
werke seiner Sammlung, recht eigentliche Museumsstücke, unseren Museen durch
seine Witwe als Geschenke überweisen lassen: dem Kunstgewerbe - Museum einen
Bronzeleuchter mit dem Wappen der Strozzi, und der Abteilung der Bildwerke christ-
licher Epoche die lebensgrofse Marmorbüste eines Florentiners im mittleren Alter.
Der Bronzeleuchter, 0,87 m hoch und 0,37 m breit, ist eine gut aufgebaute, trefflich
ciselierte Arbeit eines Florentiner Bildhauers aus der zweiten Hälfte des XVI Jahrhun-
derts, wie aus den Kirchen Italiens nur einige wenige ins Ausland gekommen sind.
Das Kunstgewerbe -Museum hat dadurch ein Gegenstück zu einem etwa hundert Jahre
älteren (aus dem Besitz der Königlichen Museen stammenden) Florentiner Bronze-
leuchter erhalten, der auch in Italien eine grofse Seltenheit sein würde.
Die Büste, welche ihren Platz in der Abteilung der italienischen Bildwerke ge-
funden hat, war 1883 auf der Ausstellung zur Feier der Silberhochzeit des Kronprinzen-
paares mit ausgestellt und ist damals an dieser Stelle (IV S. 135, 136) bereits kurz be-
sprochen worden. Dank den Nachforschungen des bekannten Florentiner Archivars
Jodoco del Badia, welcher die Freundlichkeit hatte, für uns das Staatsarchiv in Florenz
darauf durchzusehen, sind wir jetzt im Stande, den Dargestellten mit Wahrscheinlichkeit
zu bestimmen und nähere Nachrichten über ihn zu geben. Unsere frühere Annahme,
dass die Inschrift ALEXO DI LUCA MINI 1456 so zu interpretieren wäre, dass die
ersten Worte »Alexo di Luca« den Namen des Dargestellten wiedergäben, und dass
hinter »Mini« das Wort »Opus« zu ergänzen und darin der Künstlername zu finden
sei, hat sich als irrtümlich erwiesen. Es gab in Florenz im XV Jahrhundert eine
Familie Mini und ein Mitglied derselben, das im Jahre 1456 25 Jahre zählte, hiefs Alesso
di Luca Mini. Dass dieser in der Büste wiedergegeben sei, ist daher wahrscheinlich
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VON W. BODE
273
kaum zweifelhaft, obgleich der Stand desselben nicht annehmen liefse, dass sein Bildnis
in einer MarmorbUste verewigt worden sei. Alesso di Luca Mini war Apotheker,
der in einem kleinen Laden anfangs mit dem Bruder zusammen, später (seit 1469)
allein, auf Piazza di S. Lorenzo Kräuter, Brühen, Spezereien u. dergl. feil hielt.
Schon sein Vater Luca di Giovanni di Mino gehörte der Arte degli speziali an, war
in der Apotheke von S. Maria Nuova an-
gestellt und hatte einen kleinen Laden
am Canto di Nello. Sein Bruder, Ales-
sos Onkel, war Böttcher; Alessos Söhne
waren Apotheker wie der Vater. Wir
haben es hier also mit einem Manne
aus dem unteren BUrgerstande zu thun.
Dass ein solcher eine Büste, obenein
in Marmor, von sich anfertigen liefs, ist
allerdings ganz ungewöhnlich ; ich wüsste
in der That kein zweites Beispiel aus
dem Quanrocento dafür zu nennen. Die
Marmorbüsten, deren Persönlichkeiten
uns aus dieser Zeit bekannt sind, stellen
ausnahmslos Mitglieder der vornehm-
sten Familien dar; es kommen nicht
einmal Büsten der Künstler selbst vor.
Möglich, dass enge Freundschaft mit
dem Künstler die Veranlassung zur Ent-
stehung der Büste gegeben hat.
Aber wie kam dieser dazu, dem klei-
nen Trafikhändler ein antikes Kostüm
zu geben? Abweichend von der son-
stigen Florentiner Art, das Modell treu
in der Tracht der Zeit wiederzugeben,
hat nämlich der Künstler den Darge-
stellten hier in eine antikisierende Tracht
gekleidet. Über einem dünnen Unter-
gewand, das vor der Brust und an den
Ärmeln mit Knöpfen befestigt ist, ruht
ein schweres Obergewand, das auf bei-
den Schultern mit breiten Spangen zu-
sammengehalten ist. Ähnlich ist das
Kostüm einer Sieneser Frauenbüste,
wahrscheinlich von Federighi, aufge-
fasst, die unser Museum als Geschenk eines hohen Gönners schon seit einer Reihe
von Jahren besitzt; in Oberitalien ist das »antikische« Kostüm in dieser Zeit häufiger,
wie verschiedene Büsten im Museo Correr, im Kensington -Museum u. s. w. beweisen.
Diese Anwendung antikisierender Tracht spricht jedoch keineswegs gegen die Ent-
stehung der Büste in Florenz, für die, wie die Inschrift, so auch alle anderen Merkmale
bezeichnend sind. Zunächst schon die Herkunft: die Büste befand sich, bis sie vor
etwa fünfzehn Jahren von Herrn Hainauer gekauft wurde, im Handel in Florenz und
war aus einer Villa vor Florenz, in der sie im Garten gestanden haue, erworben worden.
Bronzeleuchter.
Italien. Zweite Hfilfte XVI Jahrhundert
f'r<*^*rf^'-^.
274 DIE MARMORBÜSTE DES ALESSO Dl LUCA MINI VON MINO DA FIESOLE VON W. BODE
Auch der Künstler kann nur ein Florentiner sein: die ungesuchte und doch treue
Wiedergabe der Persönlichkeit, die volle Belebung der fleischigen Formen sind durch-
aus charakteristisch für die jüngere Generation der Florentiner Bildhauer des XV Jahr-
hunderts, für die auch die Behandlung des Marmors ganz bezeichnend ist. Unter den
Florentiner Marmorbildhauern der zweiten Hälfte des XV Jahrhunderts weisen die
eckige Zeichnung der Falten, die scharfe Umränderung der Augen, die Art wie der
Augenstern mit dem Bohrer vertieft und der Augapfel mit dem Zirkel geschlagen und .
wie die Haare behandelt sind, auf Mino da Fiesole. Dass diese Eigentümlichkeiten
nicht so stark ausgeprägt sind, wie in den meisten Werken Minos, dass die Faltengebung
nicht so eckig und scharf, die Zeichnung von Mund und Augen, die Behandlung der
Haare und Augenbrauen nicht so scharf und hart erscheinen, daran ist in der Haupt-
sache die Verwitterung der Oberfläche schuld. Charakteristisch für Mino ist auch der
Umstand, dass die Büste unterwärts ausgehöhlt ist und dass hier (wie auch bei der Büste
des Niccolo Strozzi) ein Inschriftsband ausgearbeitet ist, in dem aber nur der Anfang,
die Jahreszahl MCCCCLVI eingemeifselt, der Rest des Bandes freigelassen ist. Für
Mino liefse sich auch der Umstand anführen, dass derselbe mit dem Dargestellten in
demselben Jahre geboren und wie dieser dem kleinen Bürgerstand angehört, also sehr
wohl ein Jugendfreund von ihm sein konnte. Auch die völlig einfache Auffassung
des Dargestellten in seiner geraden Haltung, in der Ansicht ganz von vorn, in der
fast nüchtern treuen Wiedergabe der unbedeutenden, treuherzigen Persönlichkeit
scheint mir unverkennbar den Mino zu verraten, der durch diese Fähigkeit schlichter
und treffender Darstellung gerade als Porträtbildhauer besonders begabt war. Wenn
man die Photographie von Minos MarmorbUste des Giovanni dei Medici, Bruder
Pieros, die etwa gleichzeitig mit unserer Büste entstand, neben dieselbe hält, so kann
man nicht daran zweifeln, dass derselbe Künstler, dass Mino beide Büsten verfertigte.
Den beiden Marmorbüsten, welche die Berliner Sammlung bereits von Mino
besitzt: der köstlichen jugendfrischen Büste eines halbwachsenen Mädchens, und der
energisch und grofs aufgefassten Büste des berühmten Bankherrn Niccolo Strozzi, fügt
sich diese dritte Büste des Alesso di Luca Mini in ihrer schlichteren, aber fein natura-
listischen und ansprechenden Auffassung^ ihrer fleifsigen, in der Wiedergabe der Haut
wie der Haare vortrefflichen Behandlung ebenbürtig an. Sie wird eine würdige Er-
innerung an den Sammler bleiben, der im Eifer und im Verständnis des Sammeins
in Berlin allen andern vorangegangen ist und dessen Vorbild hier hoffentlich noch
lange nachwirken wird.
Gedruckt in der Reichsdruckerei.
GEDRUCKT IN DER REICHSDRUCKEitEI
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3 2044 039 395 702
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DUEJAN 8 '66 FA