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Full text of "Jahrbuch der königlich preussischen Kunstsammlungen"

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HARVARD COLLEGE 
LIBRARY 




FROM THE BEQUEST OF 

CHARLES SUMNER 

CLASS OF 1830 

Senator fram Massadmsetts 

FOA BOOKS BBLAT1NG TO 
POimCS AND RNB ABTS 



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JAHRBUCH 



DER 



KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 



KUNSTSAMMLUNGEN 




FÜNFZEHNTER BAND 



BERLIN 1894 

G. GROTE'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG 












Herausgeber: W. BODE, M.JORDAN, F. LIPPMANN. 



Redakteur: In Vertretung v. VON LOGA. 






INHALT. 



Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen: 

Berlin : 

Königliche Museen I, XIII, XXVII, XLI 

Beilage LXIII 

Königliche National - Galerie XXIV, XXXIX, LIX 

Breslau: 
Schlesisches Museum der bildenden Künste XL 



STUDIEN UND FORSCHUNGEN 
Robert Dohme. Von Max Jordan 3 

Mit einem Bildnis nach einer Zeichnung von Max Liebermann. 

Die Colleoni- Kapelle zu Bergamo. Von Alfred Gotthold Meyer ... 5 

Mit zwei Lichtdrucktafeln und sieben Textabbildungen. 

Ein neues Selbstbildnis Dürers. Von W. vonSeidlitz 23 

Mit zwei Lichtdrucktafeln und vier Textabbildungen. 

Die Verleumdung des Apelles in der Renaissance. (Dritter Artikel.) Von Richard 

Förster 27 

Mit vier Textabbildungen. 

Eine Majolika -Malerei des Quattrocento. Von O. von Falke 40 

Mit einer Farbendrucktafel und zwei Textabbildungen. 

Friedrich der Grofse als Sammler. Fortsetzung. Von PaulSeidel. . . . 48 
Der Triumph des Jacobus Castricus. Von V. vonLoga 58 

Mit einer Tafel. 

Die Wandgemälde von S. Angelo in Formis. Von E. Dobbert 60 

Julius Meyer 61 

Mit einem Bildnis des Verstorbenen nach einer älteren Photographie. 

Die Madonna mit dem Karthäuser und Heiligen von Jan van Eyck. Von 

Hugo vonTschudi 65 

Mit einer Tafel in Heliographie und einer Textabbildung. 



/ 

I 
i 



Tizian und Alfons von Este. Von C. Justi 70 

Mit acht Textabbildungen. 

Friedrich der Grofse als Sammler. Schluss. Von PaulSeidel 81 

Mit einer Textabbildung. 

Die Italienischen Niellodrucke und der Kupferstich des XV Jahrhunderts. Von 

Paul Kristeller 94 

Mit zwei Tafeln in Lichtdruck und neun Textabbildungen. 

Die Radierungen der Schüler Rembrandts. Von W. von Seidlitz . . . . 119 

Pastellbildnis des Grafen Francesco Algarotti von Jean-Etienne Liotard. Von 

PaulSeidel 122 

Mit einer Tafel in Farben - Kupferdruck. 

Zur Byzantinischen Frage. Die Wandgemälde in S. Angelo in Formis. Von 

E. Dobbert 60, 125, 211 

Mit vieninddreifsig Textabbildungen. 

Das Tizianbildnis der Königlichen Galerie zu Cassel. Von C. Justi . . . . 160 

Mit einer Tafel in Heliographie. 

Entlehnungen Rembrandts. Von C. HofstededeGroot 175 

Mit einer Heliographie und vier Textabbildungen. 

Die Hochzeit des Alexander und der Roxane in der Renaissance. Von 

Richard Förster 182 

Mit einer Tafel in Lichtdruck und sechs Textabbildungen. 

Holbeins Bergwerkzeichnung im Britischen Museum. Von Eduard His . . 207 

Mit einer Tafel in Lichtdruck. 

Bilder und Zeichnungen der Brüder Pollajuoli. Von Hermann Ulmann. . 230 

Mit einer Heliographie und drei Textabbildungen. 

Die architektonische Entwicklung Michelozzos und sein Zusammenwirken mit 

Donatello. Von Heinrich von Geymüller 247 

Ein Studienblatt des Vittore Pisano zu dem Fresko in S. Anastasia zu Verona. 

Von Campbell Dodgson 259 

Mit einer Tafel in Lichtdruck. 

Die neuentdeckten Wandgemölde zu Dahlem. Von Georg Voss 261 

Mit zwei Textabbildungen. 

Die Marmorbüste des Alesso di Luca Mini von Mino da Fiesole. Von 

Wilhelm Bode 272 

Mit einer Tafel in Lichtdruck und einer Textabbildung. 



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JAHRBUCH 



DER 



KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 



KUNSTSAMMLUNGEN 




FÜNFZEHNTER BAND 



I. HEFT 



•^ BERLIN 1894 

G. GROTESCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG 



INHALT. 



Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen: 

Berlin: 
Königliche Museen I 



STUDIEN UND FORSCHUNGEN 
Robert Dohme. Von M. J 3 

Mit einem Bildnis nach einer Zeichnung von Max Liebennann. 

Die Colleoni - Kapelle zu Bergamo. Von Alfred Gotthold Meyer ... 5 

^Mit zwei Lichtdrucktafeln und sieben Abbildungen im Text. 

Ein neues Selbstbildnis Dürers. Von W. vonSeidlitz 23 

s Mit zwei Lichtdrucktafeln und vier Abbildungen im Text. 

Die Verleumdung des Apelles in der Renaissance. (Dritter Artikel.) Von Richard 

Förster 27 

Mit vier Abbildungen im Text. 

Eine Majolika -Malerei des Quattrocento. Von O. vonFalke 40 

^ Mit einer Farbendnicktafel und zwei Abbildungen im Text. 



Friedrich der Grofse als Sammler. Fortsetzung. Von PaulSeidel. . . . 48 

Der Triumph des Jacobus Casiricus. Von V. vonLoga 58 

* Mit einer Tafel. 

Die Wandgemälde von S. Angelo in Formis. Von E. Dobbert 60 



Redakteur: In Vertretung V. v. LOGA 



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Fünfzehnter Jahrgang 



No. I. 



I.Januar 1894 



AMTLICHE BERICHTE 



AUS DEN 



KÖNIGLICHEN 

KUNSTSAMMLUNGEN 



DAS JAHRBUCH DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN KUNSTSAMMLUNGEN ERSCHEINT VIERTELJAHRLICH 
ZUM PREISE VON 30 MARK FÜR DEN JAHRGANG. 



I. KÖNIGLICHE MUSEEN 

I. Juli — 30. September 1893 



A. GEMÄLDE-GALERIE 

Durch den im Beginn dieses Rechnungs- 
jahres erfolgten Tod des Landrates und 
Regierungsrates Ulrici wurde das von seiner 
1877 verstorbenen Ehegattin der Gemfilde- 
Galerie bestimmte sogenannte Reichertsche 
Vermächtnis perfekt. 

In den Besitz der Sammlung kamen da- 
durch folgende zwölf Gemälde, die zum Teil 
von nicht geringem künstlerischen Werte 
sind oder doch wenigstens Meistern an- 
gehören, die bisher in der Galerie nicht 
vertreten waren: 

C. NETSCHER. Männliches Bildnis. 
DERSELBE. Weibliches Bildnis. Gegenstück 

zum vorigen. 
DIRK VAN BERGEN. Waldlandschaft mit Vieh. 
DEUTSCHER MEISTER aus dem XVIII Jahr- 
hundert (?). Weibliches Bildnis. 
VLÄMISCHER MEISTER UM 1650. Männliches 

Bildnis. 
J. D. DE HEEM (?). Fruchtstück. 
HOLLÄNDISCHER MEISTER in der Art des Jan 

Steen. Violinspieler. 
Kopie nach A. CüYP. Seestück. 
PETER LELY. Königin Henriette von England. 
THOMAS WYCK. Alchymist. 
M. STOOP. Wachtstube. 



NIEDERDEUTSCHER MEISTER aus der ersten 
Hälfte des XVI Jahrhunderts. Mann- 
liches Bildnis. 

L V.: 
V. TSCHUDI 



B. ANTIQUAR lUM 

Erwerbungen: 

Vasen. 

Eine weifse attische Lekyihos, wo eine 
in ungewöhnlicher Weise durch den 
Gesichtstypus als Barbarin gekenn- 
zeichnete Sklavin im Motive zweier 
bekannter Figuren des Parthenon- 
frieses einen Stuhl auf dem Kopf 
zu ihrer Herrin trägt. 

Eine kleine weifse attische Lekythos 
mit einer Stele, auf welcher eine 
Grabstatue nachgebildet ist. 

Terrakotten. 

Ein altgriechisches Relief mit aus- 
geschnittenem Grunde, das Perseus 
darstellt, der die Meduse tötet, aus 
deren Halse Chrysaor emporsteigt. 

Eine Anzahl von Köpfen aus Tarent. 

Kleiner Athenakopf, kleinasiatisch. 

Bronzen. 

Ein gravierter Spiegel der Pränestiner 
Gattung : die drei Göttinen des Paris- 
Urieiles nebst Eros; unten eine grofse 
Büste des Hermes. 

I 



III 



AMTLICHE BERICHTE 



IV 



Gemmen. 

Ein goldener Ring mit einem Karneol 
aus Ägypten, hellenistisch: Knäb- 
chen mit Hund. 
Skarabäoid von hellem Glas aus Grie- 
chenland: ein Greif. 

I. V. : 
FURTWÄNGLER 



C. MÜNZKABINET 

Das Münzkabinet erwarb im verflossenen 
Vierteljahr zwölf Stück, drei goldene, vier 
silberne und fünf Kupfermünzen. Als Selten- 
heit ersten Ranges verdient Erwähnung die 
Tetradrachme des Antigonus, Königs von 
Asien, mit den Typen Alexanders des Grofsen 
(jugendlicher Herakleskopf und Zeus mit 
dem Adler). Geschenke erhielt die Sammlung 
von Herrn William F. Hahlo in Wien (eine 
Silbermünze von Neapolis in Macedonien und 
drei Goldabschläge braunschweiger Kupfer- 
münzen des vorigen Jahrhunderts] und von 
Herrn Direktorial -Assistenten Dr. Weigel 
(vier Kupfermünzen von Kos, Methymna und 
Cebrenia). 

V. SALLET 



D. KUPFERSTICHKABINET 

Von den Erwerbungen dieses Quartals sind 
die folgenden hervorzuheben: 

A. KUPFERSTICHE 

ISRAEL VAN MECKENEM. Christus. B. 64. 
LUKAS VAN LEYDEN. Die Tochter Jephtha's. 

B. 24. 
DERSELBE. Esther vor Ahasver. B. 31. 
DERSELBE. Joachim und Anna. B. 34. 
DERSELBE. Die Heimsuchung. B. 36. 
DERSELBE. Die Anbetung der Könige. B. 37. 
DERSELBE. Christus erscheint der Maria 

Magdalena als Gärtner. B. 'jj. 
DERSELBE. Maria mit dem Kinde und zwei 

Engeln in einer Landschaft. B. 84. 



DERSELBE. 
DERSELBE. 
DERSELBE. 
Fahne. 
DERSELBE. 



DERSELBE. Christus und die Apostel, 14 Blatt. 

B. 86— 99. 
DERSELBE. Der hl. Lukas auf dem Ochsen. 

B. 104. 
DERSELBE. Der hl. Dominikus. B. 118. 
DERSELBE. Der hl. Gerhard Sagredius. B. 119. 
DERSELBE. Muhamed und der Mönch Ser- 

gius. B. 126. 
DERSELBE. Pyramus und Thisbe. B. 135. 
Die Soldaten im Walde. B. 141. 
Die Bettler. B. 143. 
Zwei Kinder mit Helm und 
B. 165. 

Zwei Kinder mit Schild, Helm 
und Fahne. B. 166. 
DERSELBE. Zwei Ranken mit Triton und 

Sirene. B. 169. 
DERSELBE. Zwei Runde mit geflügelten 

Kindern. B. 170. 
REMBRANDT. Selbstbildnis, zeichnend. B. 22^ 

in. Zustand. 
MARCANTONIO RAIMONDL Der Parnass. 

B. 247. 

PIERRE -IMBERT DREVET. Bildnis der 

Adrienne Lecouvreur. Didot 24, IL Zu- 
stand. 

ALEXANDRE TARDIEU. Bildnis der Königin 
Marie Antoinette von Frankreich. 

HENRY WAUTERS. Die Pestbrücke in Am- 
sterdam und die Werft in Kampen. 
Zwei Radierungen. Geschenke des Herrn 

C. Schöffer in Amsterdam. 

B. BUCH MIT KUPFERSTICHEN 

GEORG CHTISTOPH KILIAN. Ruinen und 
Überbleibsel von Athen. 

C. ZEICHNUNGEN 

RUBENS. Sitzende junge Frau. (Studie zum 
Liebesgarten.) Zeichnung in schwarzer 
und roter Kreide, weifs gehöht, 427 mm 
hoch, 505 mm breit. 

DERSELBE. Drei Kinder mit einem Lamm 
spielend. (Studie zur Ruhe auf der 
P'lucht.) Zeichnung in schwarzer und 
roter Kreide, weifs gehöht, 397 mm hoch, 
246 mm breit. 

L V. 
SPRINGER 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



VI 



E. ÄGYPTISCHE ABTEILUNG 

Die ilgyptische Abteilung erwarb im letzten 
Vierteljahr die Bronzefigur eines Vogels, 
vielleicht des Phönix, in griechischem Stil. 
An vorderasiatischen Altertümern wurde eine 
Sammlung von Siegelsteincn , meist aus der 
Sassanidenzeit, ein Skarabäus mit aramäischer 
Inschrift und drei der bekannten Zauber- 
schalen mit hebrUischen Aufschriften er- 
worben. 

Von dem Königlich Italienischen Unter- 
richts -Ministerium wurde der Gipsabguss 
einer ägyptischen sitzenden Statue, die in 
Benevent gefunden worden ist, zum Geschenk 

gemacht. 

I. V.: 

STEINDORFF 



F. MUSEUM fOr Völkerkunde 

l. ETHNOLOGISCHE ABTEILUNG 

INDIEN. 

Geschenke. Herr Dr. Joest: Modelle 
von Häusern von den Philippinen; aus der 
Sammlung Tanners. Herr Habel: Schiffs- 
modell aus Ceylon. Herr Dr. Benecke: 
Darstellung des Batikverfahrens auf Java, 
ferner javanischer Hausrat mit ausführlicher 
malayischer Erklärung. 

Erwerbungen. Im Anschluss an frtlhere 
Verhandlungen wurden sechs aus Holz ge- 
schniute, bunt bemalte Teufelsfiguren: Pro- 
ben des Dämonendienstes auf Ceylon, er- 
worben. 

OSTASIEN. 

Geschenke. Die Berliner Gesell- 
schaft für Anthropologie, Ethnologie 
und Urgeschichte: prähistorische Funde 
aus Japan. Herr Habel: Bogen und Pfeile 
(Spielzeug) aus Japan. Herr von Brandt, 
Excellenz: zehn Dramen auf den Feldherrn 
<5u-koh-liang. 



Erwerbungen. Chinesischer Bronze- 
spiegel, im Austausch gegen eine japanische 
Porzellanvase (Dublette), von Herrn Professor 
Dr. Philippi in Giefsen. 



EUROPA. 

Geschenk. Frl. M. Fränkel in Berlin: 
Kostümfigur aus Lappland. 

AFRIKA. 

Geschenke. Herr Konsul a. D. Ernst 
Vohsen: eine Purrah-Maske aus Westafrika, 
(eine aus verschiedenen Gesichtspunkten sehr 
willkommene Bereicherung). Herr Dr. Otto 
Olshausen: ein Sporn aus Marokko. Herr 
Professor Dr. Schwein für th: Rinde von 
Brachicheylon und Rindenzeug aus Uhla. 
Herr Dr. F. Stuhlmann und Herr Dr. 
A. Greeff: Gipsmasken und HandabgUsse der 
Stuhlmannschen Pygmäen aus Ituri. Herr 
Pflanzer Goldberg: eine Sammlung von 
Ewe -Thonpfeifen. 

Erwerbungen. Ethnographische Samm- 
lungen aus Konde, Knopneusen und Katanga. 
Eine ethnographische Sammlung aus Bali 
und Bakundu. Zwei FederhUte aus Mittel- 
afrika, durch Tausch gegen Balisachen (von 
Herrn Dr. Heck). 

AMERIKA. 

Geschenke. Frl. M. Fränkel: Kostüm- 
figur aus Mexico. Herr von Gramatzki: 
Idol aus Kupfer von den Chibchas. 

Erwerbung. Ein Häuptlingskostüm 
nebst Bogen und Pfeilen aus Brasilien. 

OCEANIEN. 

Geschenk. Herr Dr. Back: Sepia- 
Schulpe und Betellöffel aus Neu -Guinea. 

A. BASTIAN 



IL VORGESCHICHTLICHE ALTERTÜMER 

PROVINZ BRANDENBURG. 

Geschenke. Frau von Bredow-Lan- 
din: eine kleine Bronze -Fibel von Landin, 

r 



VII 



AMTLICHE BERICHTE 



VIII 



Kreis West- Havelland. Herr Amts vorstehen 
Bruno w in Tegel: drei Urnen und eine 
eiserne Lan^enspiue von Tegel, Kreis Nieder- 
barnim. 

Ankäufe. Dreizehn kleine Thongefilfse 
von Christian Stadt, Kreis Sorau. Ein grofser, 
hohler Bronze -Halsring und ein Flachcelt 
von Bronze. Eine goldene Zierplatte von 
Freiwalde, Kreis Luckau. 

PROVINZ WESTPREUSSEN. 

Geschenk. Aus dem Nachlasse des Herrn 
Regierungsrates Lüdemann in Bromberg, 
von den Erben desselben: elf Urnen und 
kleine Thongeftlfse von Proch, Kreis Flatow. 

PROVINZ POMMERN. 

Ankäufe. Ein Thongeftfs mit zwei 
Bronze -Armringen und eine Schmucknadel 
aus Bronze von Treten, Kreis Rummelsburg. 
Eine kleine Kollektion Rügenscher Feuerstein- 
Geräte. 

PROVINZ POSEN. 

Ankauf. Eine gröfsere Anzahl von Thon- 
gefäfsen und kleinen Bronze- Beigaben von 
Dluiyn, Starkowo, Gorsko und anderen Fund- 
orten, im Kreise Fraustadt. 

PROVINZ SCHLESIEN. 

Geschenk. Herr Regierungsrat Frie- 
densburg in Steglitz: vier Thongeföfse von 
Gr. Jeseritz, Kreis Nimptsch. 

Ankauf. Zwei römische Bronze -Fibeln 
und ein Thonwirbel aus einer Urne von 
Koeben, Kreis Steinau. 

PROVINZ SACHSEN. 

Geschenk. Herr Gustav Seligmann 
in Croebeln: eine Glasperle von Croebeln, 
Kreis Liebenwerda. 

A n k ä u f e. Thongefiifse von Liebenwerda. 
Einige Steingeräte, Geftifsscherben und An- 
deres von Croebeln. Eine grofse Urne mit 
Bronze- und Eisen - Beigaben von Leitzkau, 
Kreis Jericho w I. 



PROVINZ HESSEN - NASSAU. 

Geschenk. Herr Oberst a. D. von 
Cohausen in Wiesbaden: einen grofsen. 
hutförmigen Mahlstein von Mielen, Kreis 
Goarshausen, römische, prismatische Ziegel 
und drei Gipsabgüsse. 



RHEINPROVINZ. 

Geschenke. Seine Excellenz der Herr 
Minister der geistlichen, Unterrichts- und 
Medizinal-Angelegenheiten hatte die Gewogen- 
heit, die Photographie eines römischen Stein- 
Sarkophages von Köln zu Überwei.sen. Herr 
Direktor Dr. Mummenthey in Wesel: zwei 
Photographien eines auf der »Büdericher 
Insel« bei Wesel gefundenen Schiffes. 

A n k ä u f e. Eine grofse germanische Urne 
von der Hardt, zwei kleine Thonnäpfe von 
Ravensberg und Altenrath und einige Thon- 
scherben aus derselben Gegend. Zwei runde 
eiserne Scheiben von einer römischen Fund- 
stelle in Mastershausen, Kreis Zell. Fränkische 
Gräberfunde von Nettersheim, Kreis Schieiden. 
Thongeföfse und Scherben von Leidenhausen, 
Delbrück und Thurn im Kreise Mühlheim. 
Thongefäfse, Scherben und ein kleiner Bronze- 
Ring von Schreck und Siegburg, im Kreise 
Sieg. 



PROVINZ WESTFALEN. 

Geschenk. Das Königliche Salzamt 
zu Neusalz werk bei Oeynhausen: einen 
Einbau m von Gohfeld, Kreis Herford. 

Ankauf. Ein Steinbeil, neolithische Ge- 
fäfsscherben und eine Thonschale mit ge- 
brannten Knochen aus dem Münsterlande. 



PROVINZ HANNOVER. 

Geschenk. Herr Kaufmann Ernst 
Grundstedt in Uetze: Thonscherben aus 
einem Hügelgrabe bei Uetze, Kreis Burgdorf. 

Ankäufe. Eine Mäander-Urne von Him- 
bergen und Scherben von Gr. Hcsebeck, 
Kreis Uelzen. Ein Bronzecelt von Langwedel, 
Kreis Verden. Sieben Urnen und Scherben 
von Rebenstorf, Kreis Lüchow. 



IX 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



HOHENZOLLERN. 



Geschenk. Frau Professor Dr. Kurtz 
in Ellwangen: Urnenscherben von Beuron 
bei Sigmaringen. 

KÖNIGREICH SACHSEN. 

Geschenk. Herr Gustav Seligmann 
in Croebeln : eine Bronze - Pfeilspitze, -Nagel 
und ein Bruchstück eines Bronze-Armringes 
von Bornitz, Amt Oschatz. 

THÜRINGEN. 

Geschenk. Herr Dr. A. Goetze in 
Jena: eine silberne, teilweise vergoldete Fibel, 
ein Bruchstück einer ebensolchen Fibel, einen 
Bronzering und drei Glasperlen aus mero- 
wingischen Gräbern bei Weimar. 

Ankäufe. Einige kleinere Kollektionen 
von Steingeräten, ein Beil und ein Dolch aus 
Feuerstein, sowie ein Bronzemesser von ver- 
schiedenen Fundorten. Sechs Steingeräte 
von Wolsborn bei Weimar. 



BAYERN. 

Ankäufe. Drei Grabfunde von Thal- 
mässing in Oberbayern. Eine lange Bronze- 
Nadel, ein Bronze - Armring und Bruchstücke 
von Bronzen von Regensburg. 



BADEN. 

Ankauf. Eine Sammlung von Pfahlbau- 
Funden aus Bodman und anderen Lokalitäten. 



WÜRTTEMBERG. 

Geschenke. Frau Professor Dr. Kurtz 
in Ellwangen: sechs eiserne Pfeilspitzen und 
römische Thonscherben von dem Kastell bei 
Buch bei Ellwangen, sowie frühmittelalter- 
liche Thonscherben aus der Umgegend von 
Ellwangen. Herr Oberamtspfleger Siein- 
hardt in Ellwangen: drei Bronze -Armringe 
aus vorr'imischer Zeit und eine eiserne silber- 
tauschierte Riemenzunge aus einem fränkischen 
Grabe von Pfahlheim sowie zwölf römische, 
eiserne Pfeilspitzen von dem Kastell bei Buch. 



RUSSLAND. 

Ankauf. Eine kleine Thonlampe von 
Simferopol in der Krim. 

GRIECHENLAND. 

Geschenk. Direktorial - Assistent Herr 
Dr. Weigel hierselbst: zwei Nuclei und drei 
Späne von Obsidian, einen Feuersteinspan, 
drei Bronze - Pfeilspitzen, vier Augenperlen 
und einen Tierkopf aus Glas von verschie- 
denen griechischen Fundorten. 

UNGARN. 

Ankauf. Bronze-, Gold- und Silber- 
Geräte und Schmucksachen. 

SCHWELM. 

Ankauf. Einige Fundstücke von Thayn- 
gen und aus dem Bieler See. 

FRANKREICH. 

Geschenk. Herr Kastellan Strumpf in 
Berlin: eine kleine Urne mit gebrannten 
Knochen von Versailles. 

A.VOSS 



G. KUNSTGEWERBE-MUSEUM 



Ankäufe 

DREI FÜLLUNGEN, Eichenholz geschnitzt, 
Deutschland um 1550. 

LEHNSTUHL, Frankreich, Anfang XVIII Jahrh. 

ZWEI BILDERRAHMEN. Frankreich, Anfang 
XVIII Jahrh. 

KANNE, Kupfer getrieben. Italien, XVI Jahrh. 

POTPOURRI, Porzellan mit Malerei und Ver- 
goldung. Sevres um 1760. 

FAYENCEPLATTE, achteckig, blau gemalt mit 
biblischem Bild. Rand farbig, auf schwar- 
zem Grund. Delft, XVII Jahrh. 

Geschenke 

Herr BERNHARD ULMANN & Co. in New 
York: Vordrucke für Stickerei. 



XI 



AMTLICHE BERICHTE 



XII 



Herr CONRAD: Gesticktes Bild auf Seide unter 
Glas und Rahmen. 

Oberwiesen 

Vom Königlichen Ministerium für Handel und 
Gewerbe: Preismedaille für die Schüler 
der Zeichen-Akademie in Hanau, Bronze. 

Arbeiten neuerer Industrie 

Von Herrn SCHULZ & HOLDEFLEISS: Treppen- 
pfeileraufisatz in Gestalt eines Greifen, 
Schmiedeeisen. 



Von Herrn VILLEROY & BOCH: Fliesenfeld 
in Holzrahmen mit Darstellung des 
Brandenburger Thores, Vasen, Blumen- 
kübel und Trinkgeföfse; Fayence. 

Für die Bibliothek sind erworben: 

Mit einem vom Königlichen Ministerium 
der geistlichen etc. Angelegenheiten bewilligten 
Zuschuss : 

WALTER CRANE, 56 Bl. Handzeichnungen 
und Aquarelle. 

LESSING 



Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei 



STUDIEN 

UND 

FORSCHUNGEN 




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Die Herausgeber dieses Jahrbuchs erfüllen eine traurige Pflicht, indem sie zur Anzeige 
bringen, dass der Geheime Regierungsrath Dr. Robert Dohme, welcher seit dem Be- 
stehen unserer Zeitschrift als deren Redakteur thätig war, am 8. November 1893 
im 49. Lebensjahre verstorben ist. 

Gewissenhaftigkeit und Treue, Weitblick und reiche Kenntnis, wie sie den Verstorbenen 
in dieser Thätigkeit auszeichneten, waren die Ergebnisse einer Lebensführung, welche in 
allen ihren Stadien mit der Sorge um die Gesundheit zu kämpfen hatte. Bei allem, was er 
unternahm, darauf gefasst, mitten in der Arbeit abgerufen zu werden, hat unser Freund 
doch niemals die Kraft verloren, seine Ziele so hoch zu stecken, als geböte er über un- 
verwüstliche Gesundheit. Von dem schwarzen Grunde des dräuenden Todes hebt seine 
Wirksamkeit sich leuchtend ab als ein Zeugnis unbeirrbarer Seelenstärke. 

Im Schauen des Berliner Königschlosses geboren hat Dohme bei gereiften Sinnen in 
der Baukunst den führenden Genius seines Strebens gefunden. Da die Zartheit des Körpers 
ihm versagte, ihr werkthätig zu dienen, ging er darauf aus, sie geistig zu erfassen, ihr for- 
schend die Geheimnisse abzuringen. Seine erste Arbeit, welche ihm in Göttingen die Doktor- 
würde eintrug, behandelt die Gistercienser-Kirchen des mittelalterlichen Deutschlands, eine 
Studie, die nur darin die Jugend ihres Verfassers erkennen lässt, dass sie eine ganz vor- 
uneilslose Würdigung der Denkmäler anstrebt. Mit eigenem Auge zu schauen und aus 
selbstgebildeter Überzeugung zu uneilen war und blieb sein eifriges Bestreben. Das bewährt 
in höherem Mafse die umfassende deutsche Baugeschichte, die er in seiner Vollreife als Teil 



ROBERT DOHME 



der im Groteschen Verlage erschienenen »Geschichte der deutschen Kunst« verfasst hat. In 
der anspruchslosen Form einer gemeinverständlichen Darlegung der Stilphasen sind hier 
eingreifende Forschungsergebnisse niedergelegt. 

Den Mittelpunkt seines Interesses nach dieser Richtung aber bildete das Barock und das 
Rococo. Die graziöse Laune der Bau- und Omamentformen des 17. und 18. Jahrhunderts 
hat in Dohme den verständnisvolkten Dolmetsch gefunden. In zahlreichen kleinen Studien 
bewegt er sich mit dem Behagen der Meisterschaft auf diesem Gebiet, das so lange Zeit von 
der Wissenschaft stiefmütterlich behandelt worden war. Was er uns hier darbietet, vor 
allem die Baugeschichte des Schlosses zu Berlin, giebt neue Unterlagen und festen Boden. 
Von dem Verdienst, die vielverkannte Periode der modernen Baugeschichte gewisser- 
mafsen wieder ehrlich gemacht zu haben, kommt ihm ein reichlich Teil zu. 

Aber er war von Einseitigkeit weit entfernt. Wer seine Beteiligung an den Arbeiten 
der Sachverständigen -Kommission der K. Museen und in der Akademie des Bauwesens 
gekannt hat, muss die Objektivität seines Urteils rühmend anerkennen. 

Die Beschäftigung mit der Kunst des Zeitalters, in welchem grofse Geistesthaten auf 
dem ästhetischen Gebiet mit der Genussfreude der Liebhaberei und des Sammeleifers sich 
vereinigen, formte das Gepräge seines Geistes. Mehr und mehr bildete sich in ihm der 
feine Tastsinn des Kenners aus, welcher das intime Wesen der Dinge erfasst. Wenn er 
auch mit grofsem Geschick sich Aufgaben allgemeinerer Art widmete, wie z. B. der Lei- 
tung und Bereicherung des Sammelwerkes »Kunst und Künstler«, so blieb doch stets das 
Individuelle der künstlerischen Erscheinung sein eigentliches Augenmerk. Das Feingefühl, 
das seine Arbeiten über Watteau zeigen, der zarte Sinn und durchgebildete Geschmack, mit 
welchem er die Stilistik der Kunst im Gewerbe verfolgte, offenbart den Nerv seines Wesens. 
Wäre ihm vergönnt gewesen, seinen Plan einer Geschichte des Wohnhauses durchzuführen, 
von dem wir in der Studie über das englische Haus ein Beispiel besitzen, dann würden 
wir um ein klassisches Buch reicher sein. 

Durch die Überlieferung der Familie, aber mehr noch durch den aristokratischen Zug 
seines künstlerischen Wesens war Dohme auf den Dienst am Fürstenhofe hingewiesen. Schon 
in der Stellung als Bibliothekar Sr. Maj. des Königs versuchte er in der Verwaltung des könig- 
lichen Kunstbesitzes neue Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Das hohe Verständnis, 
das ihm dabei von Seiten des Kronprinzlichen Paares entgegenkam, gestaltete *sich zu einem 
Venrauensverhältnis, welches der Stolz seines Lebens gewesen ist. Die Stellung im Hof- 
marschallamte, wie Kaiser Friedrich sie ihm verlieh, gab ihm Gelegenheit, bei aller Zurück- 
haltung, die der Dienst erheischt, durch seine Anregungen ins Grofse zu wirken. Königliches 
Venrauen und liebevolle Gunst der Mächtigen mit der Hingebung zu erwidern, welche den 
Ernst der Aufgaben nie aufser Augen lässt, ist Dohmes höchster Ehrgeiz gewesen. 

Nach schmerzvoller Entsagung ward ihm für die so kurze Spanne Zeit, die ihm noch 
zu wirken vergönnt war, eine Thätigkeit geboten, in welcher er das organisatorische Talent, 
das er schon in der Hofverwaltung und vorher einige Jahre hindurch bei der Mitarbeit an 
der Leitung der Nationalgalerie bewährt hatte, in neuer Form zur Geltung zu bringen, in- 
dem er das Amt des ständigen Sekretärs der Akademie der Künste übernahm. Dank seiner 
vielseitigen Erfahrung und seines reichen Herzens hat er auch in diesem Verhältnis eine 
Wirksamkeit entfaltet, die unvergessen bleiben wird. Den letzten Rest seiner Kraft setzte 
er daran, auch hier Pläne von nachhaltiger Bedeutung zu entwerfen. 

Körperliches Leiden steigert in der schwachen Seele die Schwäche, in der starken 
aber die Kraft. Das hat Dohmes letzte Leistung bewiesen. Es war etwas Heroisches in 
der stillen Energie, womit er sich des Anspruchs der Natur zu erwehren suchte, um seine 
Pflicht zu thun. M. J. 



DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO. 
EIN REKONSTRUKTIONSVERSUCH 

VON ALFRED GOTTHOLD MEYER 

In den Ruhm der Cappella CoUeoni zu Bergamo, die formen- und farbenfrohe 
Pracht lombardischer Renaissancedekoration auf kleinstem Raum am reichsten zu 
entfalten, klingt ein stetig wiederholter Tadel. Obschon man gewöhnt ist, in der 
lombardischen Renaissance die stilistische Folgerichtigkeit und die monumentale 
Gröfse toskanischer Kunst zu vermissen und sich dem Zauber dieser Kapelle auch 
dann nicht entzieht, wenn sie eher einem »grofsen Dekorationsstück als einem Bau- 
werk«^) gleicht, bleibt hier jener Mangel sowohl an der Fassade, wie an den wenigen 
noch aus der Renaissance stammenden Teilen des renovierten Inneren im Gesamt- 
eindruck besonders störend. Schon Luigi Calvi') nannte die Fenster überladen und 
Perkins') rügte am Grabdenkmal des CoUeoni das Missverhältnis zwischen Last und 
Stütze, wie auch der »Cicerone«*) von diesem Monument sagt, »der überreiche pla- 
stische Schmuck entschädige nicht genügend für den mangelhaften Aufbau«. Das 
heutige Gesamturteil über die Cappella CoUeoni darf wohl in die Worte Julius 
Meyers*^) zusammengefasst werden: »Mit der gröfsten Pracht, mit einem fast ver- 
schwenderischen Reichtum des Details ausgestattet, zeigt sie im Allgemeinen eine ge- 
wisse Verwandtschaft mit der Fassade der Cenosa, aUein es ist bei aller Schönheit 
mancher Einzelformen und der dekorativen Gesamtwirkung eine Aufsatzarchitektur von 
schweren Verhältnissen, von seltsamer Häufung einzelner BaugUeder (wie der Säulchen 
in den Fenstern), die zudem mehrfach von plumper Bildung sind, und endlich von 
omamentaler Überladung, durch die bunte Marmorinkrustation der Wandfläche, welche 



^) Burckhardt, »Cicerone«. VI. Aufl. 1893, S. 169. 

2) Notizie sulla vita e sulle opere dei principali architetti, scultori e pittori che fiori- 
rono in Milane durante il governo dei Visconti e degli Sforza. Milane 1859. ^^> S. 150. 
Vergl. auch: Paravicini, Die Renaissance -Architektur der Lombardei. Deutsche Ausgabe. 
Dresden. Text S. 3 f. 

2) Les sculpteurs Italiens, ed. HaussoulUer. Paris. II, S. 146. 

*) S. 414, e. 

*) Allgem. Künstlerlexikon. »Amadeo.« Neben diesem Artikel sind als die ausführ- 
lichsten Schilderungen der Cappella CoUeoni zu nennen: Locatelli, in »Bergamo o sia No- 
tizie Patrie«. Almanacco 1856. Bergamo. S. ii2ff'.; Lübke in Z. f. b. K. VI, 1871: Zur italie- 
nischen Kunstgeschichte. Renaissance-Skulptur in Oberitalien. S. 37 ff", und O. Schmal:^ im 
»Centralblatt der Bauverwaltung«, IX, 1889. Bergamo alta. S. 325 ffl Die Kapelle wird von 
allen diesen Autoren als ein einheitliches Werk behandelt. 




No. I. Fassade. 



DIE COLLEONI-KAPELLE ZU BERGAMO VON ALFRED GOTTHOLD MEYER 



als allzu anspruchsvoller und allzu lebhafter Hintergrund den plastischen Schmuck 
beeinträchtigt«. Am CoUeoni-Denkmar aber »ist der Bau des Ganzen nicht glücklich 
zu nennen; er lässt das Organische, den architektonischen Rhythmus, vermissen«. 

Diese Rügen sind zweifellos durchgängig berechtigt, ja sie lassen sich, wenn 
man ihre Begründung im Einzelnen nachprüft, noch wesentlich vermehren. 

Dies gilt zunächst ftir die Fassade, und zwar am augenfälligsten für die Anord- 
nung ihres Bildschmuckes, 

Über dem grofsen Radfenster balanciert, ohne Konsole, die Statue eines Ge- 
wappneten, die man nicht ohne Besorgnis betrachten kann. Sicherer stehen die vier 
weiblichen Statuen über den Seitenpilastern der beiden Hauptfenster, aber weder vor 
der Mitte der hinter ihnen befindlichen schwarzen Konsolen, noch in der Mittelachse 
jener unter ihnen befindlichen Fensterpfeiler. Wie seltsam ist vollends die Anord- 
nung der beiden weiblichen Statuen neben dem Portal, über rechteckigen Posta- 
menten, an denen sich das Sockelgesims totläuft, auf barock wirkenden Basen, deren 
an sich unvollständige Teile weder im Einzelnen zu einander passen, noch auch nur 
eine gleiche Gesamthöhe ergeben. 

Die Bedenken mehren sich, wenn man diese Statuen der Fassade im Einzelnen 
prüft. Insgesamt sind sie lediglich für die Vorderansicht berechnet, an den Rückseiten 
unbearbeitet, überhaupt nur halbe Figuren. Eisenstangen ver- 
binden sie in äufserst roher Weise mit der Mauer: eine ft-eilich 
unbedingt notwendige Befestigung, da ihre dünne Marmormasse 
sich ohne Stütze kaum zu halten vermöchte. Figuren dieser 
Gattung pflegt die Renaissance, die ihren liebevollen Fleifs 
meist selbst an völlig verborgener Stelle walten lässt, wohl als 
Nischenfüllung zu arbeiten, — völlig analoge Beispiele zeigt 
die Front der Certosa von Pavia — nicht aber als scheinbare 
Freistaiuen soffittenartig vor einer Fassade anzubringen. 

Aber auch abgesehen von ihrem Bildschmuck bietet die 
Front der CoUeoni-Kapelle auch in ihren baulichen und orna- 
mentalen Teilen bemerkenswerte Unregelmäfsigkeiten und Ver- 
stöfse gegen jede gesunde Architektonik. Zunächst an ihren 
beiden Fenstern, welche durch das breite, als Fenstersturz wir- 
kende Rahmengesims so stark verkleinert, und in so seltsamer 
Weise unten durch die dicht aneinander gerückten sechs Säulen, 
oben durch ebenso viele kurze, vor schwarzen Marmorplatten 
aufgestellte Pilaster gegliedert sind, wobei Pilaster und Säulen 
auch hier nicht in der Achse übereinander stehen, und die 
mit feinstem Ornament geschmückten Fensterwandungen vom 
Rahmen der jetzigen mit jenen Säulen besetzten Fensteröffnung 
im Lichten rücksichtslos durchschnitten werden. Wie auffällig 
ferner, dass das grofse Radfenster das oberste Gesims der Seiten- 
fenster nahezu streift; wie unorganisch dieses Gesims selbst, mit 
seiner Verdoppelung, beziehungsweise Trennung in zwei Teile 
mittels der völlig malerisch eingeschobenen Cherubim köpfe! 
Auch das Portal erscheint durch die hohen Zierbauten der 
Fenster gar zu sehr beengt, und sein Zugang auf sechs seit- 
lich abgeschrägten Stufen steht mit dem Sockelteil der ganzen Front offenbar nur in 
einem erzwungenen Zusammenhang. 







No 3. Schnitt durch das 

Sockelgesims der Fassade 

neben dem Portal. 



8 



DIE COLLEONI - KAPELLE ZU BERGAMO 




N0.3. Grundriss der Kapelle. 



Schon die Fassade legt demgemäfs die Annahme nahe, dass ihre gegenwärtige 
Gestalt keineswegs die ursprüngliche, dass sie vielmehr das Ergebnis mannigfacher 
Umwandlungen, Umstellungen und Zusätze sei. 

Beim Betreten des Inneren wird diese 
Annahme fast zur Gewissheit. Dort herrscht 
das XVIII Jahrhundert, und die ursprüng- 
lichen Teile, welche der Renaissance an- 
gehören — im wesentlichen nur die beiden 
Grabmonumente des CoUeoni und seiner 
Tochter Medea*), die Eingangspfeiler zur 
Chorkapelle und die drei Heiligenstatuen*) 
auf dem Altar — erscheinen innerhalb des 
Ganzen jetzt als völlig heterogene Gebilde. 
Man erkennt jedoch auch sofort, dass nicht 
nur die plastische und malerische Dekoration, 
sondern auch die ganze architektonische Ein- 
teilung verändert wurde, und zwar in völlig 
unorganischer, nur auf den Gesamteffekt be- 
rechneter Weise. Von den vier reichen Holz- 
thüren, welche symmetrisch an den Wänden 
verteilt sind, haben nur die beiden südlichen 
einen Sinn, indem die eine von ihnen den 
Verbindungsgang mit S*- Maria Maggiore, die 
andere den Eingang zur Sakristei bezeichnet; 
die beiden nördlichen sind lediglich Blendthüren. 
Prüft man ferner die Öffnungen der Fassadenwand, 
so zeigt sich vor Allem an den Fenstern eine sehr 
auffällige Unregelmäfsigkeit. Die inneren Fenster- 
öffnungen entsprechen weder ihrer äufseren, durch 
die beiden Hauptpilaster und das Hauptgesims be- 
grenzten Öffnung, wie man bei der Betrachtung der 
Fassade annehmen möchte, noch auch der niedri- 
geren jetzigen Öffnung im Lichten, welche durch 
^^^^ jene sechs Säulen geteilt wird; sie sind überhaupt 

f^ r^ if^ ^^^^1 nicht horizontal geschlossen, sondern im Halbkreis, 

j^^IJsi^iM»^ ^^^H dessen Kämpferlinie aber keineswegs durch diejenige 

der äufseren Lünette, sondern durch den oberen 
Horizontalrahmen der jetzigen Öffnung im Lichten 
bezeichnet wird: innen also ein gut proportio- 
niertes Rundbogen-, aufsen aber ein fast quadrati- 
sches Fenster, bei welchem jener innere Rundbogen 
durch schwarze Marmorplatten und Pfeiler völlig ver- 
kleidet ist. Über dem Hauptgesims aber folgt dann, 
thatsächlich ganz unmotiviert, ein halbkreisförmiges Blendfenster. Die gröfsten Wider- 
sprüche also zwischen der Dekoration und dem baulichen Organismus! — 
Ähnliche Bedenken erregt das GrabmonuMent des CoUeoni selbst. 

^) Dasselbe wurde 1842 aus S«- Maria della Basella hierher übertragen. 
*) Der Täufer, S. Marcus und S. Bartolommeus. 




No. 4. Schnitt durch das Fenster. 




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A M A D E O 



GRABMAL DES B A R T O L O M E O G O L L E O N 1 



COLLEONI-KAPKLLH /U BERGAMO 



JAHRBUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 1891 



VON ALFRED GOTTHOLD MEYER 



Gegen den unteren Hauptteil bis zur Plattform, auf welcher sich der Säulenbau 
erhebt, und die fünf Heldenstatuen fufsen, wird man bei Prüfung der Vorderseite 
auf den ersten Blick nichts einwenden können, es sei denn, dass die vier Pfeiler im 
Verhältnis zu der auf ihnen ruhenden Last zu schwach erscheinen: ein in der lom- 
bardischen Renaissance fast traditioneller Fehler, welcher an sich noch nicht zwingen 
könnte, die Einheitlichkeit dieses Teiles zu beanstanden. Derselbe entspricht ja auch 
einem Haupttypus der italienischen Grabmonumente, welcher schon im Mittelalter 
zu reicher Ausbildung gelangt ist und sich als eine Anpassung des »Freigrabesa an 
die Bedingungen des »Wandgrabes« kennzeichnet: der Kasiensarkophag auf Pfeilern 
ruhend, wobei deren hintere Reihe zum Teil in die Rückwand der Mauer selbst 
eingelassen scheint. Denn dass man den reich gegliederten kastenförmigen Körper, 
welchen die Pfeiler tragen, wenigstens dem künstlerischen Grundgedanken nach als 
Sarkophag auffassen darf, kann trotz seiner mächtigen Dimensionen'), die sich übrigens 
an zahlreichen »Sarkophagen« finden, an sich nicht bestritten werden. 

Wie erklärt sich dann aber das Vorhandensein des zweiten, kleineren »Sarko- 
phages«, welcher jetzt unmittelbar als Sockel der Reiterstatue dient? — 

Die Antwort ist um so schwieriger, als beide »Sarkophage« gänzlich verschieden 
sind. Verschieden sind ihre Mafse, im Ganzen wie in allen Einzelheiten; verschieden 
ist der Mafsstab der Figuren — am oberen Sarkophag sind dieselben weit gröfser, 
unten wird dagegen der Landschaft und dem Hintergrund breiterer Raum gegeben — 
verschieden ist vor Allem die Breite der Reliefs, die darin übrigens auch vonein- 
ander abweichen.') — Die Trennungspfeiler zwischen den Reliefs des oberen Sarko- 
phages stehen daher nicht in der Mittelachse derjenigen des unteren, und wie immer 
man ihn in Gedanken verschieben mag, bleibt es unmöglich, sie in deren Achse 
zu rücken. Am störendsten aber ist, dass die hohen, kelchartigen Stützen (hinter 
den sitzenden Helden), aufweichen dieser obere Sarkophag aufruht, wiederum sowohl 
von der Mittelachse jener unteren, wie von derjenigen der oberen Trennungspfeiler 
der Reliefs abweichen. Dazu kommt, dass dieser obere Sarkophag mit den vorderen 
Ecken seines Sockelgesimses knapp auf der Basis der den Boden tragenden Säulen 
aufliegt, ja zum Teil in diese Basis einschneidet und mit seinem Krönungsgesims 
fast die Säulenschäfte streift! Und kaum minder wird das Auge durch die Posta- 
mente dieser Säulen selbst beleidigt, durch jene breiten, konvex begrenzten Stücke 
roten Veroneser Marmors, deren unförmliche Dimensionen durch den Reliefschmuck 
mit Palmetten, Ranken und geflügelten Halbfiguren nur wenig gebessen, durch die 
rhombenförmigen, weifsen Deckplatten über ovalen, schwarzen Zwischenstücken 
aber eher noch verschlimmert werden. Endlich tragen zu dem ungünstigen Gesamt- 
eindruck auch die fünf Heldenstatuen wesentlich bei. Die beiden Stehenden — 
Herkules und Perseus*) — haben, hart an den Ecken des Sarkophages, ohne Kon- 



') Seine Länge beträgt 4>355 m., seine jetzige Breite i,i6 m., seine Höhe 1,563 m. 
') Die Mafse der Reliefs nebst ihren Astragalrahmen betragen an der Frontseite des 



Kreuztragung • • • 57 cm. Höhe, 94,6 cm. Breite 
unteren Sarkophages { Kreuzigung . . . 57,5 cm. « 90^ cm. « 

Kreuzabnahme . . . 58,5 cm. « 95,5 cm. « 

Verkündigung .... 57 cm. « 79 cm. « 
oberen Sarkophages ^ Geburt -57 cm. « 94,5 cm. « 

Anbetung der Könige . 61 cm. « 80,5 cm. « 
'} Die Statue an der rechten Ecke dürfte, wie die Locken in ihrer Linken, doch wohl 
das Fragment des Medusenhauptes, noch bezeugen, als nPerseus« zu deuten sein. 



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No. 5. Oberer Sarkophag mit Heldenstatue. 



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DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO VON ALFRED GOTTHOLD MEYER 



seien, kaum Raum genug, um sicher Fufs zu fassen; die drei Sitzenden sind vom 
Organismus des Ganzen völlig losgelöst, und schon ihre rein malerische Anordnung 
auf schräg gestellten Postamenten, in halber Vorderansicht, widerspricht den Kompo- 
sitionsregeln der Renaissance und ist ihrer Wirkung wenig günstig, wie denn auch die 
beiden Frauenstatuen oben neben dem Ross sich an wenig glücklicher Stelle befinden. 

Die Bedenken gegen die UrsprUnglichkeit solcher Anordnung werden bei der 
Prüfung der Schmalseiten bestätigt, und hier empfängt auch ein Rekonstruktions- 
versuch sofort einen festen Anhalt: man erkennt hier unmittelbar, dass zunächst die 
Breite des Monumentes wesentlich vermindert ist. 

An der Wandseite sind etliche Teile ab- und durchgeschnitten. Schon am unteren 
Sarkophag vermisst man die Nische, welche, wie vorn, so auch hier das Relieffeld 
flankieren müsste. Nur ihr halber Seitenpfeiler findet sich. Zum mindesten ward 
jedoch zweifellos die Schmalseite des oberen Sarkophages verunstaltet. Hier wurde der 
vordere Pilaster gänzlich verkrüppelt, indem man seine ornamentale Füllung einfach 
herausnahm und die beiden Rahmenprofile aneinander schob, und ebenso am Kapital 
das Mittelstück tilgte. Von dem zweiten, der 
Wand benachbarten Pfeiler vollends wurde die 
Hälfte abgeschlagen. Ähnlich verfuhr man mit 
den entsprechenden Teilen der Säulen und des 
Bogens. Die weiblichen Halbfiguren jener grofsen 
roten Postamente büfsten an der Wand je einen 
Flügel ein, die hinteren Säulen stecken halb in der 
Mauer, und aus dem //a/^kreisbogen , welcher 
die Säulen seitlich verband, ist das Mittelstück 
herausgenommen, so dass er jetzt als Spitz- 
bogen erscheint. *) 

Setzt man hier den Rundbogen wieder ein, 
so erhält man demgemäfs zunächst die ursprüng- 
liche Breite des Bogen baues. 

Jedoch auch dessen Höhe dürfte verändert 
worden sein; jene plumpen roten Zwischen- 
stücke und ihre Deckplatten erscheinen als Ein- 
schiebsel. Ihre Höhe — ca. 52 cm.') — ergäbe dann also die Differenz, um welche 
die Höhe des Bogenbaues zu verringern wäre. 

Schon bei dieser Rekonstruktion, bei welcher also die vier Säulen unmittelbar mit 
ihren Basen auf dem unteren Sarkophag fufsen und seitlich rundbogig verbunden sind, 
wTürde das ganze Monument sofort weit günstigere Verhälmisse empfangen. 

Nun wäre also auch für den oberen Sarkophag allenfalls genügender Raum ge- 
wonnen. Er erhielte mit seiner ursprünglichen Breite alle ihm jetzt fehlenden organi- 
schen Teile zurück. 




N0.6. Seitenansicht des oberen Sarkophages. 



^) Auch Technisches weist auf eine Umwandlung des Mausoleums hin. Die Flächen 
sitzen nicht glatt aufeinander, sondern sind in Gipsschichten — oft sehr wenig sorgfältig — 
eingebettet. Die schwarzen ovalen Zwischenstücke unter den Säulen und die Tondi hinter 
den Kaisermedaillons im Zwickel des Bogenbaues bestehen nicht aus schwarzem, sondern 
aus gefärbtem weifsem Stein. 

*) Die ovale schwarze Platte Über ihnen ist 6,5 cm., die rhombenfbrmige Platte 5,5 cm. 
hoch. Sind auch diese später eingeschoben, so wäre der Bogenbau also um 65 cm. niedriger 
zu denken. 



12 DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO 



Die nächste Frage betrifft die Höhe seiner Aufstellung. Wer das heutige 
Denkmal unbefangen betrachtet, muss zu der Überzeugung kommen, dieser zweite 
»Sarkophag« sei erst nachträglich an seinen jetzigen unglücklichen Standort gelangt. 
Derselbe ist offenbar zunächst durch die Höhe der Statuen der drei sitzenden 
Helden bedingt, die nicht in die Sarkophagreliefs einschneiden durften. Nur so 
erklärt sich jener so auffällige Verstofs gegen jede Architektonik, die Ecken des 
Sarkophages auf die Säulenbasen zu stützen. Diese Statuen und ihre beiden 
stehenden Genossen können dann aber ferner vielleicht auch jene Schmälerung des 
Sarkophages erläutern: sie wurde notwendig, weil sonst vorn auf der Plattform des 
unteren Sarkophages für diese Figuren kein genügender Raum geblieben wäre. 

Wie und wo aber konnte dieser zweite Sarkophag hier vor seiner heutigen, 
unschönen Verbindung mit den drei Statuen Aufstellung finden? Erhob er sich un- 
mittelbar auf der Plattform des unteren Sarkophages, oder stand er, wie jetzt, nur 
niedriger, auf Sockeln? — Das Erstere erscheint schon im Hinblick auf die oben 
erwähnten Verschiedenheiten beider Sarkophage unthunlich, die zweite Annahme 
aber wird an sich um so wahrscheinlicher, als wenigstens zwei der sitzenden Helden 
— die beiden äufseren — offenbar als Karyatiden gedacht sind, wofür nicht nur 
ihre Haltung, sondern auch die Thatsache spricht, dass sich ihre Sitze nach hinten 
pfeilerartig verbreitern, dort, gleich der Rückseite der Figuren selbst, unbearbeitet, 
und oben mit einer offenbar zur Aufnahme einer horizontalen Last bestimmten 
Deckplatte versehen sind. Man könnte also annehmen, die Front des oberen Sarko- 
phages habe ursprünglich auf jenen Pfeilersitzen aufgeruht, die sitzenden Helden 
seien thatsächlich ehemals seine Träger gewesen: ein Typus, welcher in der italieni- 
schen Sepulkralkunst auch die historische Tradition für sich hätte. — Dessen un- 
mittelbare Übertragung auf dieses Denkmal ist jedoch unmöglich, denn an der 
Vorderseite kann man die Karyatiden hier nicht anbringen: weder unter der Mitte 
der Reliefs, weil sie dort in deren Bildfläche eingeschnitten, noch vor den Pfeilern, 
weil sie deren Ornamente verdeckt hätten; vor Allem aber wäre das geistige und 
formale Missverhältnis zwischen diesen sitzenden Heldenstatuen und den Sarkophag- 
reliefs religiösen Inhaltes bei dieser Anordnung unerträglich geworden.^) Man könnte 
den Standort der Statuen demgemäfs nur unter die Schmalseiten des Sarkophages 
verlegen. Das Hauptbedenken hiergegen bietet die Dreizahl der Figuren, doch ist 
dasselbe nicht unbedingt stichhaltig. Die jetzige mittlere Statue weicht nämlich von 
ihren beiden Genossen wesentlich ab: sie ist im Gegensatz zu ihnen auch an der Rück- 
seite sorgfältig bearbeitet, und ihr »Sitz« zeigt hinten keine Auflagefläche, er erscheint 
bei Vorderansicht überhaupt nur als ein geflügelter Helm. Beachtet man ferner, 
dass diese Figur nicht aufwärts blickt, äufserlich also überhaupt nicht als Karyatide 
charakterisiert ist, so wird man sie nicht mehr im obigen Sinne gegen den Re- 
konstruktionsversuch geltend machen können. Andererseits wird derselbe durch ein 
bisher noch unerwähntes, sehr auffälliges Moment bestätigt: die jetzige Entfernung 
der Pfeilersitze vom oberen Sarkophag beträgt 52 cm., und genau 52 cm. beträgt auch 
die Höhe jener roten Zwischenstücke unter den Säulen, die als spätere Zusätze an- 



^) Wie fein die Renaissance diesem inhaltlichen Gesichtspunkt Rechnung trug, bezeugt 
beispielsweise das Grabmonument des Dogen Pietro Mocenigo in SS. Giovanni e Paolo zu 
Venedig: der von Heldenstatuen getragene Sarkophag zeigt an seiner Vorderseite nicht 
religiöse Darstellungen, sondern er illustriert historisch zwei Ruhmestage aus dem Leben 
des Beigesetzten. 



VON ALFRED GOTTHOLD MEYER I 3 

gesehen werden könnten. Um diese Differenz hätte man füglich den zweiten Sarko- 
phag niedriger zu rücken und ihm vorn Konsolen, seitlich aber die Sitze der beiden 
Heldenstatuen ^) als Sockel zu geben. Für die dritte Statue wäre dann ein neuer 
Standort zu suchen. 

Ein anderer Modus, den zweiten Sarkophag mit den sitzenden Heldenfiguren 
zu verbinden und ihn in künstlerisch befriedigender Weise unter dem Bogenbau 
anzuordnen, dürfte kaum vorhanden sein, man müsste denn jene sitzenden Statuen 
über dem zweiten Sarkophag, etwa als Träger eines Postamentes der Reiterstatue 
anbringen wollen. Weist man diese Rekonstruktionsversuche zurück, so wird man 
zu der Annahme gedrängt, der obere »Sarkophag« habe ursprünglich überhaupt 
nicht unter dem Bogenbau gestanden, füglich überhaupt nicht zu dem Denkmal in 
seiner jetzigen Gestalt gehört. Und auch hierfür liefse sich ein Zeugnis geltend 
machen, welches unmittelbar von der künstlerischen Eigenart der oberen Sarkophag- 
reliefs dargeboten wird. Deren minutiöse Durchführung fiel schon Calvi') auf. 
Die winzigsten Details und Beigaben sind hier so liebevoll gearbeitet, als stünden 
sie dem Beschauer dicht vor Augen, aber man muss sich demgemäfs jetzt auch 
einer Leiter bedienen, um die grofse, bei Weitem noch nicht genügend beachtete 
Schönheit und Vollendung dieser Arbeit richtig würdigen zu können: an ihrem 
jetzigen hohen Standort ist sie verlorene Liebesmühe, und dies wird um so auf- 
fälliger, als die Reliefs des unteren Sarkophages weit flüchtiger und skizzenhafter 
behandelt sind. 

Diese Gesichtspunkte erwecken nunmehr auch gegen die beiden übrigen Haupt- 
bestandteile in der Architektonik des heutigen Monumentes, gegen den Bogenbau und 
gegen den unteren Sarkophage Bedenken, welche sich in der That selbst für den 
letzteren, der auf den ersten Blick einheitlich und intakt erschien, rechtfertigen. 
Detaillierender Prüfung hält nämlich auch der Unterbau lediglich bis zum oberen 
Gesims des Puttenfrieses Stand. Schon unmittelbar über diesem beginnen die Un- 
regelmäfsigkeiten und Verstöfse gegen den Brauch der Renaissance: die Reliefs ent- 
behren des unteren Abschlusses, die Statuetten vor den Nischen genügender Sockel, 
beide sind ohne Vermittelung in roher Weise auf der Gesimsplatte des Puttenfrieses 
in Gipslagen eingebettet. Dass die Einheitlichkeit des Ganzen oberhalb des Putten- 
frieses unterbrochen ist, erhellt auch aus dem heutigen Zustand der Schmalseiten: 
dort scheint zwar der Sarkophagkörper selbst, wie oben bemerkt wurde, an der 
Wandseite um die Nische geschmälert, die Komposition des Puttenfrieses aber intakt.') 

Der Rekonstruktionsversuch darf daher schon oberhalb der Gesimsplatte des 
Puttenfrieses einsetzen, und zum mindesten fehlt dem jetzt unmittelbar auf der letzteren 
ruhenden Sarkophagkörper das ästhetisch notwendige Sockelgesims. 



^] Deren Höhe beträgt etwa 80 cm. 

') a. a. O. S. 149, wo es von den Reliefs des unteren Sarkophages heifst: »Questi sono 
condotti in modo che si direbbero poco piü che abbozzati, laonde non e difficile che fossero 
destinati ad occupare, piü in alto nel secondo, il luogo di quelli piü finamente lavorati ed 
assai lodevoli che meglio avrebbero figurato al basso«. 

») Man beachte ferner auch an den Schmalseiten die völlig unorganische Art, in welcher 
jetzt die aus der Rückwand heraustretenden SUulen den Bogen aufnehmen. Auch das un-. 
vermittelte Aufruhen des Stirnbogens auf den Kapitalen der Vordersäulen, und die unsorg- 
jföltige Arbeit an den Zwickelfüllungen, wo die beiden Medaillons nicht recht hineinpassen, 
befürworten die obige Hypothese. 



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DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO 




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Noch schwerere Bedenken 
erheben sich gegen den Bogen- 
bau. Das geschulte Auge des 
Architekten muss dessen Ver- 
hältnis zum Unterbau geradezu 
als eine ästhetische Unmöglich- 
keit empfinden, selbst wenn 
man sich die roten Säulen- 
sockel fortdenkt und den 
Schmalseiten den ehemaligen 
Rundbogen zurückgiebt. An 
der Front ist der letztere er- 
halten, und damit auch der Ab- 
stand der beiden Säulen von 
einander fest bestimmt. Deren 
Mittelachsen finden nun aber 
am jetzigen Unterbau nirgends 
eine Fortsetzung, sie würden, 
verlängert, dort nicht einmal 
mehr auf den unteren Pfeiler 
treffen. Jene roten, breiten 
Sockel der Säulen sollen offen- 
bar diesen Missstand etwas ver- 
decken. 

So wird man füglich zu der 
Annahme genötigt, auch der 
ganze Säulen- und Bogenbau sei ursprünglich nicht für seinen jetzigen Standort be- 
stimmt gewesen. 

An diesem Punkte aber muss die bisher lediglich von der Prüfung der Monumente 
selbst ausgehende Untersuchung nunmehr innehalten, um ihre Ergebnisse mit der litte- 
rarisch überlieferten Geschichte der Kapelle zu vergleichen und, wenn möglich, zu 
verbinden. Leider fliefsen die beglaubigten Nachrichten sehr spärlich. *) Ich stelle sie 
im Folgenden nebst ihren Quellen kurz zusammen. 

Der bei Lebzeiten CoUeoni's eifrig geförderte Bau der Kapelle war, gleich dem 
Grabmonument selbst, beim Tode des Condottieren (3. November 1475) noch nicht 




No. 7. Schmalseite des unteren Sarkophages. 



^) Das Aktenmaterial ist, soweit es nicht die Baugeschichte von S^ Maria Maggiore 
betrifft — und bei dem Zusammenhang der Kapelle mit derselben ist diese Scheidung schwer 
zu kontrolieren — in das Archiv des Istituto Colleoni gelangt, ein grofser Teil jedoch durch 
Brand zerstört. Soweit ich diese Akten prüfen konnte und vom Sekretär des Instituts, Herrn 
Advokaten L. Liberato Raboni, über dieselben Auskunft empfing, enthalten sie neben den 
VerwaltungsbUchern der Colleoni - Stiftung lediglich Angaben über Restaurationsarbeiten 
dieses Jahrhunderts, doch wäre es möglich, dass das Archiv trotzdem an versteckter Stelle 
noch wichtige Beiträge zur Geschichte der Kapelle birgt. Die jetzt in S« Maria Maggiore 
befindlichen Akten hat auf meine Bitten und auf Anregung der Congregazione di Carita 
Herr Dr. Angelo Mazzi in Bergamo einer genauen Prüfung unterzogen: leider mit negativem 
Resultat. 



VON ALFRED GOTTHOLD MEYER I 5 

vollendet, wie die folgende Bestimmung seines am 31. Oktober 1475 datierten Codi- 
cilles bezeugt:*) 

»Item dixit, voluit, jussit etc & ordinat Capellam suam, sitam in Ciuitate 

Pergami; prope Ecclesiam S. Marie Maioris Pergami, in qua elegit sepulchrum, ubi 
cadaver eius recondi debeat, debere compleri, ^ finiri, et sumptuose ornari; et hoc 
facere teneantur, seu fieri facere ipsi D. Fideicommissarii, et teneant ipsi fidei- 
commissarii ipsam Capellam bene, et sumptuose ornare, cum argenterijs drappis 
sirici, & aliis necessariis, pro ornatu diciae Capellae.a 

Auch die am Pilaster der westlichen Aufsenmauer angebrachte Jahreszahl 1476 
beweist mit Sicherheit zunächst nur, dass in dieser Zeit die Inkrustation der Fassade 
ausgeführt wurde, wobei die dekorative Ausschmückung der oberen Teile des Baues 
noch sehr wohl fehlen konnte. Erst siebenzehn Jahre später vollends ward ein 
Hauptteil des heutigen Grabmonumentes in Angriff genommen: erst am 17. Januar 
1493 beschloss man die Errichtung eines bronzenen Reiterstandbildes.^) Es ist dem- 
gemöfs durchaus unwahrscheinlich, dass diese Reiterstatue auch im ursprünglichen 
Entwurf Amadeos vorgesehen war, um so mehr, als ihrer Ausführung 1493 ^^^ den 
bis dahin vollendeten Teilen des Denkmals selbst wesentliche Hindernisse erwuchsen. 
Denn der damalige Bau desselben erschien — wie Antonius Michaelis 1516 ausdrück- 
lich berichtet^) — zur Aufnahme einer lebensgrofsen Erzstatue zu schwach Man 
musste sich füglich mit einem hölzernen Reiterstandbild begnügen, welches urkundlich 
1501 von den deutschen Meistern »Sisto di Enrico Syrii da Norimberga e Leonardo« 
vollendet wurde.*) In dieser Zeit dürfte das Grabmonument im Wesentlichen fertig 
gewesen sein. 

Das nächste Datum in der Geschichte der Kapelle ist 1 599, das Jahr, in welchem 
die grofsen Tafeln mit den von Ercole Tassi verfassten Inschriften zu Seiten des 
Denkmals angebracht wurden. Eine wesentliche Umwandlung erfuhr das Innere 
dagegen 1676, als man den heutigen Altar im Chor errichtete, wie der Chronist 
Donato Calvi*) meldet: 

1676 IX Decembre. »Oggi si terminö la fabrica del nobil' Altare . . . per decreto 
de' President! della Pietä eretta nella famosa capella del Capitano Bartolomeo Coglioni, 
non lasciandoui dell' antico, se non le tre statue .... rappresentanti S. Gio. Battista, 
S. Bartolomeo e S. Marco.« — Damals aber wahrte der Hauptraum noch seinen 
Renaissanceschmuck, den wohl zum gröfsten Teil Fresken bestritten. Noch 17 19 

^) Publiziert in: »Loci Pii Venerandae Pietatis institutio facta ab ill. Bartholomeo 
Coleono Venctorum exercitus summe Imp. Anno MCCCCLXVI, Bergomi 1603«. 

') Pasta, Le pitture notabili di Bergamo. Bergamo 1775. Aggiunte e Correzioni, 
S. 168. 

') M. Antonii Michaelis Agni et Urbis Bergomatis descriptio ann. 15 16. ... »ubi et 
sepulcrum ei (Bartol. CoUeono) est erectum marmore lunensi ed sculptura Je. Antonii Amadei 
Papiensis opere spectatissimum, cui nuper equestris statua est imposica ex materie illa quidem 
auro illita, aerea aut marmorea alioquin futura, nisi suhiecta moles ponderi impar esset 
iudicata«. 

^) Das Honorar betrug 1500 Goldgulden. Die Notariatsakten des Bernardino Sangallo von 
1493 — 1500 sind im Archivio Notarile zu Bergamo noch vorhanden, enthalten jedoch, wie 
mir Herr Archivar Dr. Pellinacci bestätigt, keinen Vermerk über den obigen Auftrag, so 
dass hierfür vorerst die Angabe bei Pasta, a. a. O., S. 168 genügen muss. 

^) Effemeride sacro - profana di quanto di memorabile sia successo in Bergamo etc. 
Milano 1676, III, S. 388. 



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PORTAL DER COLLEONI-KAPELLE ZU BERGAMO 



AHRBUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. l8^ 



VON ALFRED GOTTHOLD MEYKR I 7 

bisher gegen die Annahme, das Grabdenkmal sei damals überhaupt noch nicht zu- 
sammengefügt, sondern nur etwa in seinen Einzelheiten — vielleicht auch noch nicht 
einmal in diesen — fertiggestellt gewesen, der Tod Colleonis aber habe dann die Arbeit 
beschleunigt und Abweichungen von dem ursprünglichen Entwurf herbeigeführt. Ist 
es doch auch zweifelhaft, ob die jetzige äufsere Bekrönung der Kapelle mit dem 
polygonalen, in zwei Geschosse gegliederten Tambour und der achtseitigen Walm- 
kuppel allein dem Amadeo zuzuschreiben sei. Die unregelmüfsige Form des ersten 
Tambourstockwerkes, welches nur an den vorderen Ecken abgeschrägt ist, um den 
Krönungspyramiden der Eckpfeiler Raum zu gewähren, sein seltsamer Schmuck durch 
Rundbogennischen, welche- Muscheln und Cherubimköpfe umschliefsen, das unver- 
mittelt emporsteigende, achteckige zweite Stockwerk mit seinem deplacierten Rad- 
fenster, vor welchem eine Kandelabersäule aufragt, mit seinen verschieden hohen 
Eck- und Wandsäulen — das Alles liefse wohl auf eine Umwandlung des Amadeo'schen 
Entwurfes schliefsen, und Ähnliches gilt von dem Westchor, dessen Tambour so 
unorganisch an der Kapellenwand klebt, und dessen Kuppel sich so störend vor dem 
Rundfenster der Kapelle erhebt. Auch die heutigen Zugänge der letzteren von der 
Nordseite her und vom Inneren der Kirche Sa. Maria Maggiore scheinen als spätere 
Umänderungen verdächtig. 

Nicht nur die mehrfach historisch beglaubigten »späteren Umwandlungen« also 
kommen hier in Betracht, sondern schon Abweichungen vom ursprünglichen Plan 
Amadeos, wie sie etwa durch eine Beschleunigung der Arbeit notwendig wurden. 
Hat doch Amadeo selbst Bergamo schon 1478 verlassen, um seine Thätigkeit der 
Certosa von Pavia zu widmen: dreiundzwanzig Jahre bevor das CoUeoni-Monument 
in dem Reiterstandbild seinen heutigen Abschluss erhielt! Weist doch auch die 
künstlerische Verschiedenheit des Reliefschmuckes — man vergleiche beispielsweise die 
Herkulesreliefs der Fassade mit denen des Grabmonumentes — auf verschiedene 
Arbeitsperioden hini 

Sind diese weitreichenden Zweifel berechtigt, so lassen sich freilich aus dem 
heutigen Zustande der Kapelle sichere Schlüsse auf die Rekonstruktion überhaupt 
nicht ziehen, und man könnte sich damit begnügen, hier die oben gekennzeichneten 
wesentlichen Fehler des Werkes allgemeingültig auf die Veränderungen zurückzuführen, 
welche schon das endende Quattrocento und sodann die Folgezeit mit Plan und 
Schöpfung Amadeos vornahmen. 

Meines Erachtens ist es jedoch nicht geboten, die Untersuchung schon hier 
abzuschliefsen. Vor Beibringung urkundlichen Materials wird man sich vielmehr 
unmittelbar an das Gegebene zu halten, und ihm jede irgend wahrscheinliche Schluss- 
folgerung zu entnehmen haben — mag es sich dabei immerhin nur um »provisorische 
Wahrheit« handeln. 

Auszugehen ist hierbei von dem geistigen Mittelpunkt des Ganzen, von dem 
Grabmonument selbst. Erst 1493 — 1501 ist das Reiterstandbild hinzugefügt worden. 
War dasselbe, wie die obigen Regesten fast sicher schliefsen lassen, in Amadeos 
Entwurf nicht vorgesehen, so bedingte es selbstverständlich wesentliclie Umänderungen 
des Denkmales. Schon hier verbietet füglich die Geschichte des letzteren selbst, 
Amadeo für die heutige Gestalt des Monumentes verantwortlich zu machen, und 
befürwortet die Annahme, einzelne, im ursprünglichen Entwurf für das Mausoleum 
bestimmte Skulpturen und Schmuckformen, seien umgestellt worden, und andere 
hätten auch wohl dem neuen Reiterbilde völlig weichen müssen, um eventuell ander- 
weitige Verwendung zu finden. 

3 



l8 DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO 

Im Hinblick hierauf wird sich die früheste Gestalt des Denkmals, vor der Auf- 
stellung des Reiterbildes, wie sie wahrscheinlich überhaupt niemals ihatsächlich ins 
Leben trat, sondern nur im Entwurf Amadeos und in den noch nicht zusammen- 
gefügten, aber schon bereitliegenden Einzelteilen existiert hat, ohne urkundliche 
Nachrichten oder Zeichnungen und Abbildungen nicht mehr mit Sicherheit ermitteln 
lassen. 

Bleibt doch selbst die Möglichkeit, dass die Wandungen des jetzigen sog. »unteren 
Sarkophagesa vom Gesims des Puttenfrieses an ursprünglich überhaupt nicht für einen 
Sarkophag bestimmt waren. Dass man derartige grofse kubische Körper am Renaissance- 
grab der Lombardei auch in anderer Weise verwertete, bezeugt schon das Denkmal des 
Giovanni Galeazzo Visconti in der Certosa, an welchem ja Amadeo ebenfalls beteiligt ist. 
So weitreichende Hypothesen müssen jedoch vor Beibringung urkundlichen Materiales 
schweigen. Als sicher darf nur das Folgende gelten: 

Ohne die Reiterstatue fehlte dem Mausoleum jede persönliche Beziehung zu 
seinem Helden, vor Allem dessen Bildnis. Da eine Reiterstatut erst nachträglich dekre- 
tiert wurde, und ihr Gewicht ursprünglich nicht berechnet war, so wird man, nach Mafs- 
gabe zahlloser Analogien der italienischen Sepulkralkunst, auf eine gelagerte Porträt- 
figur zu schliefsen haben, deren Katafalk Helden- und Tugendstatuen umstanden.^) 
Möglicherweise waren die drei sitzenden Figuren ursprünglich als Träger des Parade- 
bettes gedacht, wobei dann die mittlere frei unter dessen Mitte safs, die beiden anderen 
aber mit seinem Aufbau als Karyatiden organisch verbunden waren. — Die jetzigen vier 
Statuen des Herkules, Perseus und der beiden Frauen hätten den Raum zu Seiten der 
Bahre jedoch nur sehr dürftig auszufüllen vermocht. Ihre Zahl war ursprünglich zweifel- 
los gröfser. Und an diesem Punkt gewinnt der Rekonstruktionsversuch neue, kräftige 
Belege: sämtliche Statuen der Fassade haben den gleichen Mafsstab, wie diejenigen 
des heutigen Monumentes,') und da sie sicherlich nicht ursprünglich für die Fassade 
gearbeitet sind, so ist die Annahme wohl nicht zu gewagt, sie seien für das Mauso- 
leum selbst bestimmt gewesen. Dort sind jetzt über dem zweiten Sarkophag hinter 
der Reiterfigur in chiaroscuro al fresco auf blauem Grund vier Frauengestalten gemalt, 
welche eine scheinbare Fortsetzung der beiden neben dem Ross stehenden Statuen 
bilden und in ihrer Haltung wie in ihren Bewegungen als freie Kopien der Frauen- 
statuen an der Fassade erscheinen. Sind sie nicht in der That an deren Stelle ge- 
treten? — Als man sich genötigt sah, dem Denkmal eine Reihe der ursprünglich für 
dasselbe bestimmten Statuen zu nehmen, und sich entschloss, dieselben als Fassaden- 
schmuck zu verwenen, liefs man sie am Monumente selbst wenigstens durch gemalte 
Statuen ersetzen.') 

Wann aber geschah dies? Wann erfolgte diese ganze Umwandelung, und 
weshalb? Hat man nur mit einer Abweichung von den ursprünglichen Plänen 
Amadeos, oder aber mit einer thatsächlichen Umänderung des bereits vollendeten 
Denkmals zu rechnen, oder — vielleicht gar mit beiden? 



*) Es sei hier auf den im South- Kensington Museum befindlichen Entwurf zum Denkmal 
des Gaston de Foix hingewiesen. 

') Die Höhe dieser Figuren beträgt circa 1,60 m.; ein wenig kleiner ist lediglich die 
Statue auf dem rechten Pfeiler des rechten Fensters, welche den Arm sprechend erhebt. 
Vielleicht ist dies ein Gabriel, und die Figur über dem linken Pfeiler eine Maria. 

•) Eine Umstellung aller Statuen am Mausoleum und am Altar erhellt auch daraus, 
dass sie jetzt sämtlich ohne Sockel sind. 



j 



VON ALFRED GOTTHOLD MEYER IQ 

Bisher haben wir nur eine Abwandlung des ersten Entwurfes zu Gunsten der 
Reiterstatue vorausgesetzt. 

Die monumentalste Verewigung der Persönlichkeit verdrängte das ursprünglich 
in Aussicht genommene Bild des Toten auf dem Paradebett, sowie auch einen Teil 
der stehenden Statuen und verwies die ursprünglich wohl als Träger des Katafalkes 
gearbeiteten Helden an ihre jetzige Stelle, wo sie dann — wie wir sahen — sowohl 
die heutige Anordnung des zweiten Sarkophages, wie auch die Schmälerung und 
Erhöhung des Bogenbaues bedingt haben könnten. 

So stammte denn also dieser unglückliche heutige Aufbau aus dem endenden 
Quattrocento, aus der Renaissance? — Ich gestehe, dass ich dies nicht zu glauben 
vermag. Gar zu sehr spricht besonders die Anordnung des zweiten Sarkophages 
jeder gesunden Architektonik Hohn. Und bleiben denn nicht noch schwerwiegende 
Bedenken gegen den obigen Erklärungsversuch bestehen? — Nimmt man an, die 
seitlichen Halbkreise des Bogenbaues seien zu Spitzbogen geschmälert, und zu der 
Säulenhöhe jene roten Sockelteile hinzugearbeitet worden, um die drei sitzenden 
Helden, den Sarkophag und die Reiterstatue übereinander anbringen zu können, so 
bleibt unerfindlich, warum man — in der Renaissance! — dieses Übereinander so 
völlig unorganisch liefs, vor Allem, warum man selbst die im Verhältnis zu jener 
Umänderung des Bogens doch so geringe Mühe scheute, dem zweiten Sarkophag 
angemessene Aufiageflächen und Stützen zu geben. Schon mit einer geringen Er- 
höhung jener roten Zwischenstücke hätte sich dies doch immerhin noch besser er- 
reichen lassen, als jetzt. — Unbefangene Prüfung macht also vielmehr am wahr- 
scheinlichsten, dass der Bogenbau schon in seiner heutigen Form bestand, als man 
den zweiten Sarkophag an seinen jetzigen Standort brachte, der in der That einer 
Zwangslage gleicht. Wäre denn nicht auch ferner die scheinbare Verdoppelung der 
Sarkophage in einem einheitlichen freien Entwurf zum mindesten eine wenig glück- 
liche Seltsamkeit? 

Auch auf diesem Wege wird man füglich dazu geführt, auf eine doppelte Ver- 
änderung des Amadeo'schen Entwurfes zu schliefsen: die erste, welche mit dem Ersatz 
der Grabfigur durch die Reiterstatue zusammenhängen dürfte, stellte den Säulen- und 
Bogenbau auf den unteren Sarkophag, durch jene roten Säulensockel schlecht genug 
zwischen beiden vermittelnd; die zweite, viel spätere, fügte dem Monument auch 
noch den kleineren Sarkophag ein, welcher ursprünglich an anderer Stätte in der 
Kapelle oder im Chor niedrig aufgestellt gewesen sein mochte, und vielleicht über- 
haupt nicht der Sarkophag Bartolommeos selbst, sondern der eines anderen Gliedes 
seiner Familie ist. 

Diese zweite Umänderung erfolgte möglicherweise erst, als der Innenraum der 
Kapelle seine heutige Dekoration empfing (um 1774), wahrscheinlicher aber wohl schon 
am Ende des XVII Jahrhunderts. Der heutige Altar im Westchor wurde, wie wir 
wissen, erst 1676 errichtet, und bewahrt von seinem Vorgänger aus der Renaissance 
nur die drei Heiligenstatuen, ^) aufweiche sich seine plastische Dekoration ursprünglich 



^) Beachtenswert ist, dass diese drei Statuen stilistisch von der Art Amadeos wesent- 
lich abweichen. Pasta (a. a. O. S. 28) schliefst hier auf Sansovino; besser begründet scheint 
mir Locatellis (in •Bergamo o sia notizie Patrie; Almanacco per Tanne 1856«, S. ii8fF.) 
Hinweis auf Bartolomeo I Buon. Jedenfalls tragen sie bereits einen so ausgeprägten Stempel 
der Hochrenaissance, dass sie vom Aufenthalt Amadeos in Bergamo um Jahrzehnte getrennt 
sind. Auch diese Thatsache bezeugt, wie lange selbst an den Renaissanceteilen der Kapelle 

3* 



20 DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO 

sicherlich nicht beschränkt hat. Gehören nicht einige der jetzt am Grabmonument 
und an der Fassade aufgestellten Statuen ursprünglich der Dekoration des Westchors 
an, und wurde nicht damals etwa auch jener kleinere Sarkophag entfernt und unter 
dem Bogenbau des Mausoleums untergebracht,^) an sicherer Stelle, als stattlicher Sockel 
des Reiterbildes, dessen leichtes Material eine weitere Belastung des Unterbaues ja 
sehr wohl erlaubte? 

Den störendsten Fehler im heutigen Aufbau des Denkmales hätte füglich nicht die 
Renaissance verschuldet, sondern das endende XVII Jahrhundert. Auch im Sinne der 
Kunstgeschichte hat diese Annahme die weitaus gröfsere Wahrscheinlichkeit für sich. 

Besteht sie thatsächlich zu recht, so ist man jedoch bezüglich des früheren 
Sockels der Reiterstatue abermals nur auf Vermutungen angewiesen, und zwar hier 
auf solche, die eine greifbare Gestalt kaum gewinnen können, denn für die Re- 
konstruktion dieses Sockels fehlt jeder feste Anhalt.*) Auf seinen ehemaligen Schmuck 
könnten nur noch die Statuen der drei sitzenden Helden zurückgehen, diese freilich 
mit einiger Wahrscheinlichkeit, denn sie gehören geistig zum Reiterbild des Con- 
dottieren und würden unmittelbar an einem — etwa stufenartigen — Postament 
desselben jedenfalls weit glücklicher wirken, als jetzt unter einem Sarkophag mit 
Erzählungen aus der Jugend Christi. — 

Ich verhehle mir nicht, dass hiermit noch keineswegs alle Probleme gelöst 
sind, welche die CoUeoni- Kapelle der Forschung stellt. Beispielsweise ist für die 
Unregelmäfsigkeiten und Seltsamkeiten in der Ausstattung der Fenster*) noch keine 

gearbeitet wurde und spricht dafür, dass Amadeo die Vollendung seines Werkes anderen 
Händen überiiefs. Auch unter den Herkulesreliefs am Sockelstreifen der Fassade befinden 
sich, wie erwähnt, spätere Renaissancearbeiten. Auch die beiden trefflichen Engel unter 
dem Altartisch mit dem lionardesken Typus stammen zweifellos nicht mehr aus der Zeit 
Amadeos, wahrscheinlich erst aus dem XVII Jahrhundert. Auf Amadeo selbst gehen da- 
gegen die herrlichen Füllungen an den Eingangspfeilern der Chorkapelle zurück, deren 
Wein kelternde Putten mit den Puttenreliefs an jenen seltsamen Postamenten neben der 
Thür der Fassade in Stil und Mafsstab so nahe verwandt sind, dass man diese Reliefs mit 
grofser Wahrscheinlichkeit ebenfalls als verfehlte Fragmente des ehemaligen Chor- oder des 
Altarschmuckes ansprechen darf. 

*) Es sei hier daran erinnert, dass die drei Frontreliefs des unteren Sarkophages 
des rechten Abschlusses entbehren, und dass diejenigen seiner Schmalseiten einen anderen 
Reliefstil zeigen. Den unteren oder den oberen »Sarkophag« als den ehemaligen Altar an- 
zusprechen, wird durch ihre Dimensionen unmöglich. Die Länge des unteren beträgt 4,355 m., 
die des oberen 3, 40 m. 

') Für den Mafsstab entscheiden die Dimensionen des Rosses nur teilweise. Die Ent- 
fernung seiner Füfse am Boden beträgt 87 cm. Aufsen musste jedoch für die Statuen Raum 
bleiben. Der Denkmälertypus, eine Reiterstatue mit allegorischen Frauenstatuen zu um- 
geben, geht in Oberitalien bis auf das Monument des Bernabö Visconti (um 1370), jetzt im 
Museo Archeologico der Brera in Mailand, zurück. Sind vielleicht einige der Reliefs schon 
von Amadeo ursprünglich für das Altarantependium gearbeitet worden? 

^) Die feinen scheinbaren »Pilasterfüllungen«, welche jetzt jene sechs vor den schwarzen 
Marmorplatten über die Öffnung im Lichten aufgestellten Blendpfeiler schmücken, dürften 
ursprünglich die seitlichen Wandungen der Fenster selbst verkleidet haben. Darauf deuten 
schon ihre Mafse. Die Kapitale sind hinzugearbeitet. Jene sechs Säulen und Kandelaber 
in der Fensteröffnung stammen meines Erachtens ebenfalls aus dem Inneren der Kapelle. 
Der Hinweis auf die Säulen an den jetzigen Aufsenwänden des Baptisteriums beim Dom 
(aus dem Trecento) ist an sich nicht stichhaltig, denn diese »Analogie« ist rein äufserlich. 
Auch ist das Baptisterium stark verändert worden. 



VON ALFRED GOTTHOLD MEYER 



genügende Erklärung gefunden. Hier muss man eben auf die Thatsache, dass 
wesentliche Umänderungen und Umstellungen vorliegen, vorerst allgemeingültig 
zurückgreifen. Ich verhehle mir ebenso wenig, dass die Ergebnisse der obigen 
Rekonstruktionen nur höchstens auf Wahrscheinlichkeit Anspruch erheben, und 
durch bisher unbekannte Urkunden, vielleicht auch durch mir entgangene Einwürfe, 
widerlegt werden können. Untersuchungen dieser Art gehören zu den verlockend- 
sten der Kunstgeschichte, aber eben auch zu den gefährlichsten! 

Wie immer aber auch das Urteil über die Rekonstruktion selbst lauten mag: 
der negative Teil unserer Untersuchung dürfte bestehen bleiben, und auch er allein 
möchte kunsthistorisch nicht völlig belanglos sein. Er befreit die Fassade von allen 
figürlichen Zuthaten, welche ihre architektonischen Linien unterbrechen, und ihre 
ohnehin unruhige Wirkung noch stärker ins Malerische abwandeln; er kennzeichnet 
einige Hauptteile ihrer Dekoration, welche den gesunden künstlerischen Organismus 
schädigen, als spätere Zuthaten und wahrt das ganze Werk gegen den Vorwurf der 
Überladung^) und unexakten Arbeit. Dem Grabmonument aber verleiht er zum 
mindesten wieder die ehemaligen harmonischen Verhältnisse, bringt in Zusammen- 
hang, was inhaltlich zu einander gehört, und nimmt ihm seine apokryphen, jetzt 
mit dem Ganzen und untereinander so unorganisch verbundenen Teile. — 

Stützen sich diese Behauptungen schliefslich aber nicht etwa auf eine kunst- 
historisch verfehlte Voraussetzung? Sind die Mängel und Fehler des heutigen Werkes 
nicht vielleicht nur für das heutige Uneil vorhanden, das, gar zu bedächtig -nüchtern, 
da Unregelmäfsigkeiten sieht, wo der Schöpfer des Ganzen völlig bewusst dem kecken 
Spiel seiner Phantasie folgte, unbekümmert um die Tradition und um Gesetze der 
Ästhetik; ja, raubt dieser Rekonstruktionsversuch dem Ganzen nicht gerade sein 
charakteristisches Gepräge und seine eigenartige Stellung in der Geschichte der 
Renaissance? 

Malerisch spielende Kompositionsweise, die alle theoretischen Einwände durch 
den fröhlichen Reiz der Gesamtwirkung verstummen macht, ein absichtliches Durch- 
brechen der Regeln und des Regelmäfsigen , ein völlig freies Schalten mit Über- 
kommenem und Neuem, wobei die künstlerische Phantasie allein das Szepter führt — 
das pflegt man als Eigenart der lombardischen, und weiterhin der oberitalienischen 
Renaissance zu bezeichnen und zu rühmen, und hierfür gerade die Cappella Colleoni als 
reizvollsten Zeugen anzurufen. Wie im Reliefschmuck ihrer Fassade Heiligenfiguren 
neben den Porträts römischer Cäsaren, und die Erzählungen des alten Testamentes 
neben den Thaten des Herkules erscheinen, wie in ihrer Farbe, im Weifs, Schwarz und 



^) Die Fassade verliert ihren gesamten Bildschmuck an Freifiguren, mit Ausnahme 
desjenigen über dem Portal, und der Bekrönungen oberhalb der Fensterlünetten. Ob nicht 
auch die drei so völlig malerisch angeordneten Engel mit dem Vorhang über dem Portal- 
giebel, sowie die Putten neben den Fensterkrönungen aus dem Entwurf Amadeos zu 
streichen sind , wage ich nicht zu entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, und 
meines Erachtens würde die Fassade, wenn man ihren Bildschmuck lediglich auf den 
segnenden Gottvater zwischen den Engeln im Thürgiebel, und auf die beiden CUsarenbüsten 
beschränkt, wesendich gewinnen. Will man aus den obigen Erörterungen diese letzten 
Konsequenzen nicht ziehen, so sind zum mindesten der Gewappnete über dem Radfenster 
und die beiden Statuen neben dem Portal nebst deren unglücklichen Postamenten zu entfernen. 
Die Bruchstücke der letzteren — zum Teil abgeschnitten, zum Teil modern ergänzt — 
dürften als Sockel der Statuen des Mausoleums gedient haben. Aber auch die vier Statuen 
über den Seitenfenstern sind hier meines Erachtens sicher apokryph. 



22 DIE COLLEONI- KAPELLE ZU BERGAMO VON ALFRED GOTTHOLD MEYER 

Rot, scharfe Gegensätze lustig nebeneinander wirken, wie die geraden Linien des Baues 
durch krauses Rankenwerk, durch Tondi, Balustern, Palmetten, Muscheln, Vasen, Ro- 
setten, Cherubimköpfe u. s. w. belebt werden, wie hier gotische Reminiscenzen und 
gotische Details neben reinster Renaissance und einer schon an den Geist des Rokoko 
gemahnenden Freiheit der Ornamentik stehen — so könnte man auch vielleicht alle 
die erwähnten Verstöfse gegen einen regelmäfsigen Organismus als Absicht des Künstlers 
deuten, als »eine bewusste Willkür, die das Wunderliche und Naturwidrige fast 
sucht«, und selbst die offenbaren Fehler der Ausführung könnten als »lässige und 
kecke Sorglosigkeit des Architekten« erscheinen, welcher »einer kleinlichen sorg- 
fältigen Ausführung entraten zu können glaubte«, wie es in einer geistvollen Charak- 
teristik der CoUeoni-KappeUe von künstlerischer Seite*) in der That lautet. 

Meines Erachtens wäre diese Annahme jedoch ein Trugschluss. Wir haben 
bisher keine sicheren Beweise dafür, dassAmadeo, einer der feinsten Omamentisten, 
welche die Geschichte der Renaissance kennt, ein Meister, der beispielsweise im 
Aufbau seiner Pilasterfüllungen und in der Zeichnung seiner Friese ein kaum wieder 
erreichtes, jedenfalls nicht übertrofFenes Feingefühl für Rhythmus im Formen Wechsel 
und für ornamentales Leben bewährt, bei seinen Entwürfen im Grofsen jede gesunde 
Architektonik so völlig aufser Acht gelassen habe, wie es am heutigen Mausoleum 
des Colleoni geschieht. Selbst die Fassade der Ceriosa, wo das Mafs seiner unbe- 
schränkten Initiative und sein Anteil an der Detaillierung noch eingehenden Studiums 
bedarf, legt ein solches Zeugnis nicht ab, spricht vielmehr — man denke besonders 
an die herrlichen Fenster! — vielfach durchaus dagegen. Das freilich jetzt auch 
sehr unglücklich aufgebaute Grabdenkmal des S. Lanfranco bei Pavia darf man nicht 
geltend machen, denn dieses trägt noch weit deutlichere Beweise einer späteren Um- 
formung, als das Colleoni -Monument. Will man sich nicht auf das Medeagrab, 
oder auf die Borromeo -Monumente von Isola Bella berufen, so bleibt als sicherster 
Prüfstein zum mindesten die zum »kleinen« Klosterhof führende Thür der Certosa. 
Dieses Werk, das Amadeos Namen trägt, den Bergamasker Arbeiten zeitlich am 
nächsten steht und fast völlig intakt erhalten blieb, ist wahrlich mit allem Zauber 
lombardischer Renaissance ausgestattet, und dennoch zugleich ein Kleinod dekorativer 
Kunst ^ mustergültig für alle Zeiten! 

Bevor wir nicht eine Geschichte, oder wenigstens eine monographische Schil- 
derung aller Hauptschöpfungen der lombardischen Renaissance besitzen, wird sich 
ein abschliefsendes Urteil über die Cappella Colleoni nicht bilden lassen. Vielleicht 
bringt eine in den Akten des »Istituto Colleoni« vergrabene Notiz für die hier be- 
handelten Rätsel eine weit einfachere und möglicherweise auch andere Lösung, 
als sie hier versucht wurde. Ist doch selbst der Anteil des XIX Jahrhunderts 
daran noch nicht völlig geklärt! Jedenfalls aber ist es unrichtig, die CoUeoni- 
KapeUe und ihre Monumente, wie bisher, als eine einheitliche Schöpfung zu be- 
urteilen, und unberechtigt, ihre Seltsamkeiten als Schönheit und charakteristische 
Eigenart zu preisen, so lange sie sich weit naturgemäfser aus den wechselvollen 
Schicksalen dieser Werke erklären. 



^) Vergl. O. Schmal^, »Bergamo alta« im »Centralblatt der Bauverwallung«. Berlin, 
7. September 1889, No. 36, S. 326. 



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EIN NEUES SELBSTBILDNIS DÜRERS VON W. VON SEIDLITZ 23 



EIN NEUES SELBSTBILDNIS DÜRERS 

VON W. VON SEIDLITZ 

Die beiden Federzeichnungen, die hier in der Gröfse des Originals wieder- 
gegeben sind, bilden die Vorder- und die Rückseite eines Blattes, das in der reichen 
und interessanten Zeichnungssammlung der Erlanger Universitätsbibliothek unter dem 
Namen Schongauers aufbewahrt wird. Dem liebenswürdigen Entgegenkommen des 
Herrn Bibliothekars Prof. Dr. Zucker ist es zu danken, dass diese Zeichnungen in 
wohlgelungenen Aufnahmen den Lesern des Jahrbuchs vorgeführt werden können und 
dadurch Jedermann ein Vergleich mit anderen Jugendzeichnungen Dürers ermöglicht 
wird. Sie sind reine Federzeichnungen, deren Tinte mit der Zeit ziemlich vergilbt 
ist; Vorder- und Rückseite zeigen in Hinsicht auf die Technik durchaus das gleiche 
Aussehen; nur an dem Kopf auf der Rückseite sind einige spätere dunklere, aber 
offenbar von derselben Hand herrührende Striche zu bemerken, die den Umriss des 
Kinns korrigieren, indem sie dies Kinn breiter machen. 

Dass die nachträgliche Inschrift: Martin Schön Conterfeit, und die Jahreszahl 
1465, womit wohl ausgedrückt werden sollte, dass hier ein Selbstbildnis Schongauers 
aus dem Jahre 1465 vorliege, für die Urheberschaft an den Zeichnungen nichts be- 
weisen, braucht nicht weiter betont zu werden. Eine Beziehung zu Schongauer ist 
ja unleugbar vorhanden; sie tritt namentlich auf der heiligen Familie an den Händen 
mit den knochigen langen Fingern und an der brüchigen Bildung der Gewandfalten 
hervor; aber an den Meister selbst kann nicht gedacht werden: die für ihn be- 
zeichnende monumentale Bestimmtheit fehlt. 

Wir haben es also mit einem Schüler oder Nachfolger Schongauers zu thun 
und zwar, wie aus der ungemeinen und doch keineswegs trockenen Sorgfalt der 
Durchführung hervorgeht, wahrscheinlich mit einem noch jungen Mann. Da Schon- 
gauer selbst, im Jahre 1491, jung verstarb, so werden auch seine Schüler nicht zu 
weit ins XV Jahrhundert zurückzuversetzen sein. Andererseits scheint seine Weise 
nicht lange nachgewirkt zu haben, da sie bereits vor dem Beginn des neuen Jahr- 
hunderts durch die ganz neue Bahnen beschreitende Art Dürers abgelöst wurde. 
Wir sehen uns also bei der Bestimmung der Entstehungszeit dieser Zeichnungen 
wesentlich auf die achtziger Jahre und die erste Hälfte der neunziger Jahre hin- 
geführt, wozu auch deren Gesamteindruck stimmt. 

Unter den Künstlern, die Schongauer nachstrebten, steht Dürer obenan. Er ist 
es, der die deutsche Kunst in derselben Richtung, aber auf seine Weise weiterführte. 

Dürers Name wird denn auch ohne Weiteres durch die Betrachtung des Kopfes 
auf der Rückseite nahegelegt; in erster Linie sogar durch die Bildung der Hand, die 
diesen Kopf stützt. So ist es mir wenigstens beim ersten Anblick des Blattes er- 
gangen. Diese langfingerige weiche Hand mit den starken Gelenkknorpeln und dem 
sanft sich rundenden Fleisch: das ist ja der Typus, der später von Dürer in so 
bezeichnender Weise ausgestaltet worden ist. Weiterhin wird man durch die melan- 
cholischen, tief sich einbohrenden Augen und durch den lebensvollen, energisch 



26 EIN NEUES SELBSTBILDNISS DÜRERS VON W. VON SEIDLITZ 

bildnissen aus der Jugendzeit des Meisters, deren wir eine ganze Reihe besitzen und 
die wir zum Vergleich hier mit abbilden, ist schlagend. Es fügt sich noch aufser- 
dem so glücklich, dass sie alle, als über die linke Schulter gesehen (die im Bilde als 
die rechte erscheint), nach einer und derselben Seite gewendet sind. Da gewahren 
wir denn namentlich die unverrückbar festen Umrisse der Knochen, die Nase mit 
dem breiten, leicht gebogenen Rücken und der etwas aufwärts gerichteten Spitze, 
das zurücktretende spitze Kinn, die leicht vonretenden Backenknochen, die starke 
Öffnung der Augenhöhlen, als die Übereinstimmung bekundend. Schon nach die- 
sen Merkmalen wird kein Bildhauer zweifelhaft sein, dass es sich hier um eine und 
dieselbe Persönlichkeit handelt. Dazu kommen der kleine Mund mit der schön ge- 
schwungenen Oberlippe und der ziemlich fleischigen Unterlippe, die kurzen Nasen- 
flügel, die stark ausgeprägten Säcke unter den Augen; auch das lange Haar sowie 
die Bildung der Finger und der feinen Handgelenke sind die gleichen. 

Dass die Zeichnung zwischen dem Blatte der Albertina von 1484 und dem 
Gemälde von 1493 bei Herrn Felix in Leipzig liegen müsse, kann nicht wohl 
zweifelhaft sein. Das Madrider Bild von 1498 zeigt Dürer schon mit einem Voll- 
bart, und auch auf dem Felix sehen Gemälde gewahrt man bereits einen Anflug von 
Bart, sowohl auf der Oberlippe wie am Kinn. Dergleichen ist aber auf dem 
Erlanger Blatt noch nicht zu sehen. Ja es steht dem Knabenbildnis in der Albertina, 
das Dürer im Alter von 13 Jahren zeigt, sogar noch näher als dem jungen Mann 
von 22 Jahren bei Felix. Mitten inne zwischen beide werden wir es zu versetzen 
haben. Zu einem eben herangereiften Jüngling von etwa 17 oder 18 Jahren passt 
auch sowohl der schwermütige Blick der Augen wie die noch weiche Bildung des 
Mundes am besten. 

Das würde uns also auf die Jahre 1487/88 führen. Dann hätten wir hier ein 
Werk vor uns, das Dürer während seiner eigentlichen Lehrzeit, also vor dem Antritt 
seiner Wanderschaft, gefertigt hatte. Während die befangene Strichftihrung der Knaben- 
jahre schon überwunden ist, zeigt sich, aufser bei dem Gewände, noch keine Hinneigung 
zu der festen, bestimmten, wie für Metall arbeitenden Strichführung, die sich bereits 
in den Blättern von 1489 ankündigt und, obwohl zwischendurch immer wieder durch 
das Streben nach freierer und mehr malerischer Gestaltung unterbrochen, später sich 
immer mehr bei ihm entwickelt. Hier hat die Phantasie des Jünglings bereits ihre 
volle Reife erlangt und sucht in der Bildung der fein bewegten Hände, in dem 
Ausdruck und der Modellierung der Gesichter, in der leichten Führung der Haare, 
jener Wärme und jenem Reichtum, die sie im Innersten erfüllten, den vollen 
frischen Ausdruck zu geben. Die Eigenart des Künstlers aber tritt noch nicht stark 
hervor; in seiner Auffassung steht er noch ganz unter dem Banne Schongauers. — 
Als einer der spärlichen Reste dieser Übergangszeit ist das Blatt von Bedeutung. 
Das Verhältnis, worin es zu der Darstellung im Tempel in London sowie zu der 
Frau mit dem Falken ebendaselbst steht, bleibt noch festzustellen. Alsdann dürfte 
sich auch ergeben, ob das Blatt bei Dr. Blasius (Lippmann No. 144) etwa derselben 
Gruppe beizuzählen sei. 



VON W. VON SEIDLITZ 



25 



allgemeine aber keine besondere Verwandtschaft zeigen, auszuscheiden. Der Stand- 
punkt der Madonna mit den Engeln von 1485 ist hier bereits überwunden; die 
Behandlung der Schatten unter den Figuren ist eine ähnliche, aber die Bildung der 
Gewandfalten wie die der Haare eine weit freiere. Die Blätter aus dem Jahre 1494 
andererseits sind, abgesehen von dem reinen Naiurstudium zu dem Engel der Apo- 
kalypse, wesentlich zu stecherischen Zwecken gemacht, wie der Orpheus, die beiden 
Darstellungen nach Mantegna, daher von besonderer Bestimmtheit in der Linien- 
führung. Von hier an und besonders seitdem er im Jahre 1496 — man braucht 
nur an sein Frauenbad zu denken, dem sich wohl auch die Gerechtigkeit in Dresden 
anschliefst — seine Zeichnungs weise nach der Seite der Modellierung noch weiter 
durchgebildet hatte, nähert sich Dürer immer mehr einer festen, die Gestalten wie 
herausmeifselnden Linienführung. 




GemSlde im Besitz von Herrn Felix zu Leipzig. 



Gemälde im Museo del Prado zu Madrid. 



Unter den wenigen datierten Zeichnungen der Zwischenzeit erinnern wohl die 
beiden Blätter von 1489, die Landsknechte und der Reiterzug, am meisten an die 
vorliegenden. Aber immerhin werden sie schon als um etwas später entstanden 
anzusetzen sein, da sie bereits jenen kalligraphischen Zug ausgebildet zeigen, der 
fortan die Thätigkeit des Künstlers beherrschte und bis zum Jahre 1494, da Dürer 
den italienischen Boden betrat, andauerte. ^) 

Schliefslich muss uns das Selbstbildnis auf der Rückseite, wenn wir es als 
solches anerkennen, den zuverlässigsten Aufschluss über die Entstehungszeit des 
Blattes gewähren. Und wahrlich die Übereinstimmung mit den übrigen Selbst- 



*) Die Zeichnungen zum Terenz und zu den Basler Drucken und, gegen Ende der 
Periode, ein Blatt wie das Liebespaar zu Pferde in Berlin (augenscheinlich falsch datiert 
von 1496). 

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SELBSTBILDNIS 



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UCH I». K. l'HEUSS. KUNSTSAMMl.. lS<*S 



DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE VON RICHARD FÖRSTER 27 



DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE 

(Dritter Artikel.) 

VON RICHARD FÖRSTER 

Zwar ist mir, seitdem ich meine Arbeit über die Verleumdung des Apelies in 
der Renaissance in diesem Jahrbuch Bd. VIII, S. 29 und 89 flf. veröffentlicht habe, 
nicht gelungen, was ich sehr gewünscht hätte, den derzeitigen Aufbewahrungsort des 
Gemäldes des Benvenuto Garofalo zu ermitteln, wohl aber habe ich seitdem einige 
Darstellungen des Gegenstandes kennen gelernt, welche nach den verschiedensten 
Seiten hin Interesse bieten, und mit deren Veröffentlichung ich daher nicht länger 
zögern will. 

Indem ich die in jener Arbeit beobachtete Anordnung festhalte, beginne ich 
mit den 

I. KOMPOSITIONEN VON ITALIENERN 

Unter diesen verdient den ersten Platz eine bisher völlig unbeachtet gebliebene 
Majolika des Rijksmuseum in Amsterdam. Es ist ein Teller, der einen Durchmesser 
von 51,5 cm. hat, während die innere Fläche des Bildes 30 cm. im Durchmesser ein- 
nimmt. Er trägt die aufgeklebte Nummer 28. Über Herkunft und Zeit der Er- 
werbung konnte ich an Ort und Stelle, wo ich dies Unicum im vorigen Jahre 
kennen lernte, weiter nichts erfahren, als dass die ganze keramische Sammlung vor 
einigen Jahren aus dem Königlichen Kabinet im Haag ins Museum gelangt ist und 
wahrscheinlich zum alten prinzlichen Besitze gehörte. Unserer Abbildung liegt eine 
durch freundliche Vermittelung des Herrn E. W. Moes von J. P. Oppers hergestellte 
Photographie zu Grunde. 

Auf einer Bank, welche auf hoher Estrade steht, sitzt nach links gewendet der 
jugendliche, bartlose, mit Krone geschmückte, eselohrige König, ein wenig nach vorn 
gebeugt, zu der von links sich nahenden Gruppe von Figuren herabblickend und 
den rechten Arm vorstreckend. Hinter ihm steht ein bärtiger Krieger mit Wams, 
Rüstung, Helm und Schwert angethan und in der Linken einen Dolch zückend. 
Auch er blickt in derselben Richtung, wie der König, herab. Von der anderen, 
rechten Seite des Königs her tritt eine weibliche Figur hervor, die Unwissenheit, 
mit beiden Händen ein Tuch haltend, wie um den Blick des Königs zu hemmen. 
Während die Bewegung des Oberkörpers und der Hände ihm zugewandt ist, richtet 
auch sie ihren Blick zu der sich dem Könige nahenden Gruppe herab. Die Haupt- 
figur dieser Gruppe ist Calumnia, eine mächtige Gestalt in blauem Gewände, welches 
den rechten Unterschenkel und den linken Schenkel bis weit über das Knie freilässt. 
In der hoch gehobenen Linken schwingt sie eine brennende Fackel, mit der Rechten 



28 



DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE 



fasst sie das Haupthaar des Verklagten, welchen sie an den Thron des Königs 
schleift. Sie blickt schreiend zum König auf. Ihr Opfer, ein völlig nackter junger 
Mann, kniet mit beiden Beinen, die Hände auf den Rücken gebunden, und sieht 
zu Boden. Ihr blickt eine neben ihr stehende alte Frau in blauem Gewände ins 
Gesicht, indem sie ihre linke Hand auf den rechten Unterarm jener legt und den 




Majolika -Schüssel von Faenza. Original im Rijksmuseum zu Amsterdam. 

Zeigefinger der rechten Hand hebt. Hinter der Calumnia stehen zwei jugendliche 
weibliche Figuren, von denen die hintere ihr einen Kranz aufs Haupt setzt, die 
vordere in hellgrünem, schillernden Gewände, ihre linke Hand auf ihre rechte 
Schulter legend, ihr das Gewand an der rechten Seite abbürstet. Hinter dieser steht 
die völlig nackte Wahrheit, ernst geradeaus blickend, den Daumen und Zeigefinger 
der linken Hand zur Betheuerung erhebend, mit der Rechten die Scham deckend. 
Den Hintergrund des Ganzen bilden Bäume mit dichten Kronen. 

Man sieht, die Komposition gehört in die Klasse der (rechtsläufigen) Illustrationen 
der lucianeischen Beschreibung des Gemäldes des Apelles. Die Hauptfiguren, der 



VON RICHARD FÖRSTER 29 



König, die Calumnia, die Wahrheit*) schliefsen sich ganz an diese Beschreibung an. 
Auch dass die eine der beiden Dienerinnen die Calumnia bekränzt, die andere sie 
abbürstet, hält sich, wenn es auch keinen Anhalt in der Beschreibung selbst hat, 
doch im Rahmen derselben. Aber es fehlt auch nicht an Abweichungen. Die 
Hände des Verklagten sind nicht zum Himmel erhoben, sondern auf den Rücken 
gebunden. Die Knappheit des Raumes führte zur Zusammenziehung und Beschränkung 
der Bewegung der Figur, wie sie auch Zusammenrückung der Gruppen, ja sogar 
völlige Weglassung der Figur der Reue zur Folge hatte. So schreitet auch die 
Figur des Neides nicht für sich der Calumnia voran, sondern ist eng mit ihr ver- 
bunden. Auch ist diese Figur nicht, wie in der Beschreibung, als blasser hässlicher 
Mann, sondern als altes Weib gebildet. 

Umgekehrt ist die Figur des Argwohns nicht, wie in der Beschreibung, weiblich, 
sondern männlich. Da in beiden Fällen Lucian nicht blofs die Figuren benennt, 
sondern auch ihr Geschlecht ausdrücklich beifügt, wird der Grund für die Ab- 
weichung nicht in der blofsen Wiedergabe eines entsprechenden Wortes (Invidia — 
Sospetto), sondern in bewusster Absicht des Künstlers zu suchen sein. Er glaubte 
so das Verständnis der interessierten Kreise leichter zu gewinnen. So schildert 
z. B. auch Cesare Ripa aus Perugia in seiner Iconologia overo descrittione di diverse 
imagini cavate dall* antichitä, et di propria inventione (di nuovo revista et dal me- 
desimo ampliata di 400 et piü Imagini, et di Figure dintaglio adornata, in Roma 
M»DC»III, p. 241) die Invidia als Donna vecchia, magra, brutta, di color livido, 

Suspicio war allerdings nach gewöhnlicher Vorstellung weiblich, aber dass sich 
für sie auch männliche Bildung eingestelk hatte, beweist die Komposition des Bildes 
von Nimes (Jahrbuch a. a. O., Tafel zwischen S. 38 und 39, S. 54), in welcher sie 
trotz der Beischrift Suspictioni männlich, und zwar ganz ähnlich wie hier gebildet ist. 
Für die Anribute beider Kompositionen genügt es, auf die Schilderung von Ripa zu 
verweisen 1. 1. p. 467 Sospicione]: Donna vecchia, magra, artnata^ et per cimiero 
portarä un Gallo, sarä vestita sotto delV armatura duna traversina di color turchino, 
et giallo; nel sinistro braccio portarä un Scudo^ nel quäle sia dipinta una Tigre, 
porgerä il detto braccio in fuori in atto di guardia, et con la destra terra una spada 
ignuda in atto di ferire. 

Auch dass die Unwissenheit als Verblendung dem Könige ein Tuch vorhält, 
beruht auf eigener Erfindung des Künstlers. Anderwärts hat sie einen Schleier vor 
den Augen.*) 

Die Komposition zeigt gewisse Berührungspunkte sowohl mit der des Botti- 
celli, als mit der des Mantegna: mit ersterer in der rechtsläufigen Richtung, sodann 
in der hohen Estrade, in der Gruppe des Königs und der Begleiterinnen , der Krone 
des Königs, der Stellung und Handlung der beiden Dienerinnen der Calumnia, in 
der Wahrheit; mit der des Mantegna ebenfalls in der Krone des Königs, der Haltung 
der Dienerinnen der Calumnia, der Handbewegung der Wahrheit und der Weiblich- 

*) Zu den Stellen der Alten über die Nacktheit der 'A>.r>«ia, welche ich im Jahrbuch 
a. a. O. S. 38 mitgeteilt habe, ist hinzuzufügen Lucian Pisc. 16 r[ auv^^a l\ awj xal ae-a^rn to 
XP^}J^o^ h 'A>.»]>ita IffTtv, — T7]v axaXyjuitwtov lxccvv)v tt;v ^fiinriV, ttjv vno^evyovcav atl xal ^ioXio->atvouo'av; 

dagegen wird die Göttin im Jllva^ des Kebes c. 18 mit Jlti^ als Tochter der Ilat^ita nur 
genannt, nicht, wie die letztere (ffxoXYfv Ixpvca airX»i» t« xal axaXXMiricTov), beschrieben. 

*) Jahrb. a. a. O. S. 5 1 war die Figur mit den verbundenen Augen im Bilde des Luca 
Penni, wie in der Virtus combusta des Mantegna, als Dummheit (Verblendung), die Zu- 
flastemde als Argwohn zu bezeichnen. Vergl. Ripa 1. 1. p. 224. 



30 DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE 

keit des Neides. Nichtsdestoweniger halte ich keine dieser Berührungen für schwer- 
wiegend genug, um eine Abhängigkeit von der einen oder anderen der beiden 
Kompositionen anzunehmen. Es sind zufällige Berührungspunkte. Und es stehen 
die gewichtigsten Abweichungen gegenüber. 

Vielmehr handelt es sich meiner Meinung nach um eine durchaus selbständige 
Schöpfung. Um zu einer Vermutung über deren Urheber zu gelangen, wird 
es nunmehr nötig sein, den Stil der Majolika ins Auge zu fassen. Da dieselbe, 
wie Herr van Riemsdyk, der Unterdirektor der betreffenden Abteilung des Rijks- 
museums, festzustellen die Güte hatte, keinerlei Signatur trägt, sind wir allein auf 
den Stil angewiesen. Im Museum wird sie der Schule von Caffagiolo zugewiesen. 
Da ich mir selbst kein Urteil über diese Frage beimessen durfte, wandte ich mich 
an Herrn Dr. v. Falke, Direktorial -Assistent am Kunstgewerbe -Museum in Berlin, 
mit der Bitte um Auskunft und erhielt durch seine Liebenswürdigkeit alsbald fol- 
genden Bescheid mit der Erlaubnis zur Veröffentlichung: 

»Die Schüssel, eine der schönsten uns erhaltenen Majoliken, gehört zu jener 
Gruppe, die man mit Vorliebe der toskanischen Fabrik von Caffagiolo zuzuschreiben 
pflegte. Die Existenz dieser Manufaktur ist mit Unrecht von C. Malagola und später von 
Argnani angefochten worden. (Ich habe im Kunstgewerbeblait 1891 S. 85 und Darcel in 
der Gazette des beaux ans 1892 [VII, S. 140 u. flf.] die Unhaltbarkeit dieser Behauptung 
nachzuweisen versucht, die gegen die Beweiskraft der auf Majoliken aus der Zeit 
von 1520 nicht seltenen Signatur: fatto in Caffagiolo nicht aufkommen kann.) Die 
Fabrik blühte von 1 520 bis 1 530 circa und hat mit das Beste auf dem Gebiete der 
italienischen Keramik geschaffen. Mehrere ihrer signierten Arbeiten lassen namentlich 
in den figürlichen Kompositionen den Charakter der florentinischen Kunst erkennen. 
Man hat, als man zuerst auf Caffagiolo aufmerksam wurde, den Fehler begangen, fast 
alle guten Majoliken aus der Zeit um 1525 als Arbeiten dieser Fabrik zu erklären, zum 
Schaden von Faenza, aus dessen Werkstätten unzweifelhaft die Künstler der medi- 
ceischen Bottega hervorgegangen sind. Das ist namentlich in dem Werke von Delange, 
Recueil de faYences italiennes der Fall. Thatsächlich sind in Faenza Majoliken von 
derselben Qualität wie die signierten toskanischen in Mengen hergestellt worden, 
was die Ausgrabungsfunde von Argnani in Faenza zur Genüge beweisen. Da nun 
Faenza das ältere und weitaus bedeutendere Centrum der Majolika-Industrie gewesen 
ist, da der Fabrik von Caffagiolo nur eine kurze Dauer beschieden war, da der 
mit P. S. zeichnende Hauptmeister von Caffagiolo sehr wahrscheinlich vorher in 
Faenza thätig gewesen ist, kann man mit Sicherheit nur diejenigen Stücke als tos- 
kanisch ansehen, die den Namen von Caffagiolo wirklich aufweisen. Im anderen 
Falle ist der Mutterfabrik von Faenza der Vorzug zu geben. Die Amsterdamer 
Schüssel ist meines Wissens ohne Bezeichnung; sie kann wohl Caffagiolo sein, muss 
aber mangels eines Beweises als Faenza betrachtet werden. Über ihre Entstehungs- 
zeit um 1525 kann nach Analogie mit datierten Stücken kein Zweifel obwalten. 
Man würde auf den ersten Blick, namentlich nach der Zeichnung des Randornamentes 
auf kobaltblauem Grunde und der Dekoration in bianco sopra bianco auf der Wöl- 
bung, sie der führenden Faentiner Bottega der Casa Pirota zuzuweisen geneigt sein. 
Aber der grünliche Ton (statt des bläulichen der auf berettino gemalten Casa Pirota- 
Waaren), sowie die überaus reiche und feine Modellierung in den figürlichen Teilen 
lassen daran zweifeln; die Ausführung ist besser, als man sie sonst von der Casa 
Pirota gewohnt ist. Eine andere Faentiner Fabrik mit Arbeiten dieser Art ist mir 
aber nicht bekannt.« 



VON RICHARD FÖRSTER 3I 



Eine vortreffliche Bestätigung und Ergänzung erhalten diese Ausführungen 
durch die Beobachtungen meines früheren, noch immer schmerzlich vermissten 
Kollegen Schmarsonf, welcher auf meine Bitte jüngst die Majolika eingehender 
Untersuchung unterzogen hat. Er schreibt mir darüber Folgendes: 

»Ich habe mir das Prachtstück heute abermals angesehen und finde meine 
frühere Erwägung durchaus bestätigt. Ich freue mich, dass die Bestimmung der 
Herkunft bei Falke auch nFaen^a^ lautet; so würde ich nach allen bisherigen Er- 
fahrungen und Erinnerungen auch urteilen, sowohl was die Durchführung in Farben 
als was die Dekoration des Randes^) betrifft. Besonders sind es einige Teller im 
Museo Correr zu Venedig mit mythologischen Scenen, die mich in dieser Meinung 
bestärken. 

Dazu aber die Hauptsache: die künstlerische Herkunft der Vorlage, die der 
Fabrik gedient hat. Die Komposition der Scene gehört unzweifelhaft der Schule 
des Francesco Francia an, und zwar in ihrer Entwickelung um 15 10 — 1520 höchstens. 
Da müsste man füglich an den jüngeren G. Francia denken, der bei den Gemälden 
des Vaters mit thätig gewesen. Die Gestalt des Königs ist durchaus einer bekannten 
Figur der Anbetung des Kindes verwandt, die sich in der Akademie zu Bologna 
befindet. Alle äufseren Merkmale der Kostümierung im klassischen Geschmack^ der 
reinen fliefsenden Gewandung sprechen für diese Herkunft aus einem Atelier, das 
auf der einen Seite von Mantegna, auf der anderen von Perugino nicht unberührt 
geblieben war. Dies bestätigt auch die nahe Verwandtschaft mit den frühen Stichen 
Markantons, die vor seiner Verbindung mit Raphael gezeichnet worden. Eine ge- 
wisse leere Schönheit, klassisch reine Züge, aber wenig Charakter und Ausdruck sind 
dafür ebenso bezeichnend. Ein Beleg ist der Krieger rechts in antikischem Helm. 
Er ist in der Wendung des Blickes und im momentanen Mienenspiel so allgemein 
und unbestimmt, dass ich nicht mehr als neutrale Neugier als Ausdruck des Kopfes 
im Ganzen bezeichnen möchte. Hierbei ist aber Flüstern ins Eselsohr völlig aus- 
geschlossen. Seine Aufmerksamkeit richtet sich, wenn überhaupt auf einen Punkt, 
am meisten auf das Weib mit der Fackel und ihr Gezeter. Eigentlich starrt er 
blindlings staunend auf den Vorgang ohne ausgesprochene Anteilnahme, genau so 
neutral, wie drüben die nackte Gestalt der Wahrheit auftritt. Die Figur des nackten 
jungen Verklagten nähert sich in der Zeichnung besonders Markantons schon 
raphaelesken Stichen, deshalb würde ich bei genaueren Vergleichen die Datierung 
15 10 — 1515 versuchen, wo der jüngere Francia noch den Stil des Francesco fonsetzt. 

Da liegt also die Verwertung einer seiner Vorlagen in Faenza durchaus näher 
als die in Caffagiolo, wo derartiges überraschen müsste.« 

Ich weifs dem nichts hinzuzusetzen. 

2. Daran schliefse ich eine im Besitz meines Freundes Albert Hänel in Kiel 
befindliche Feder- und Tusche -Zeichnung. Das Blatt misst 35,3 cm. in die Länge, 
28,4 cm. in die Höhe. Doch ist es auf beiden Kurzseiten, namentlich auf der rechten, 
unvollständig. Die Figuren der Reue und der Wahrheit fehlen auf letzterer ganz. 



M -In der Randverzierung kommen kleine Inschrifttafeln vor, aber die Schriftzüge 
darauf sind phantastisch, gröfstenteils unbestimmt in der Form der einzeln aneinander- 
gereihten Buchstaben, also wertlos für etwaige Bestimmung. Das Wappen oben im Rande 
des Bildes hat kein fürstliches oder geistliches Abzeichen auf dem Schilde, drinnen auf 
blauem Felde einen (citronengelben) Berg, in heraldischer Zeichnung und darüber schräg 
von links oben nach rechts unten laufend ein orangegelbes Band. Mir unbekannt.« 



3^ 



DIE VERLKUMDÜNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE 



Den erhaltenen Figuren sind nicht Inschriften, sondern Zahlen (i — 8 und 12) bei- 
geschrieben. Unserer Abbildung liegt eine von Herrn Maler Hans Hampke freund- 
lichst gemachte Kopie zu Grunde. 







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Tusch - Zeichnung im Besitz von Professor A. Haenel in Kiel. 

Vor wenigen Jahren überraschte mich Hänel eines schönen Abends durch die 
Mitteilung, dass er an demselben Tage die Zeichnung zu dem von mir im Jahr- 
buch VIII, Tafel zwischen S. 38 und 39, No. i, S. 54 ff., veröffentlichten Bilde von 
Nimes erworben habe. Ein Blick auf die Zeichnung schloss jeden Zweifel daran aus. 
Gewisse Abweichungen aber beweisen, dass es sich nicht um eine Kopie, sondern 
um eine Vorstudie zum Bilde handelt. Die Figur des Argwohns sitzt hier nicht wie 
im Bilde auf den Stufen des Thrones, sondern schreitet heran. Die Figur Fraus 
hält zwar einen Strick, aber der Hund fehlt; Odio hat hier als Helmschmuck nicht 
einen Vogel, sondern, wie es scheint, eine Katze. Dass die Inschriften bis auf eine 
gleich zu erwähnende Ausnahme fehlen, ist bereits gesagt. Auch sonst begegnen 
kleinere Abweichungen und Zeichen von Unfertigkeit , auf welche hier näher ein- 
zugehen unnötig scheint. Wohl aber soll hervorgehoben werden, inwiefern die in 
Folge der mangelhaften Photographie unserer Abbildung des Gemäldes anhaftenden 
Undeutlichkeiten durch die Zeichnung beseitigt werden und zugleich die Abhängig- 
keit des Künstlers von Mantegna noch mehr hervortritt. 

Die Ignorantia, welche, wie in der Komposition des Mantegna a. a. O. S. 46, 
durch die Zackenkrone als Königin charakterisiert ist, stützt sich mit der Linken auf 



VON RICHARD FÖRSTER 33 



ein Ruder. Auch darin gleicht sie der thronenden Ignorantia einer anderen Kom- 
position des Mantegna, nämlich der Zeichnung des British Museum, welche unter 
dem Namen Virtus combusta bekannt ist. 

Invidia trägt drei Beutel mit den Aufschriften S MALA, S PEIORA, S PESIMA, 
zeigt also noch offenkundigere Abhängigkeit von der Suspicio in einer dritten Kom- 
position Mantegnas, der »Austreibug der Laster«, als von mir a. a. O. S. 55 aus- 
geführt war. — Fortuna sitzt auf einem Rade. — Oberhalb der an der linken 
Treppenwand sichtbaren Inschrift SERVITVTI erscheint ein Jüngling, welcher einen 
Baumstamm die Treppe hinaufschleppt. — Der aus der linken Thür heraustretende 
geflügelte bärtige Mann, welcher ein Füllhorn trägt, ist der Zeitgott, An der obersten 
Stufe unter ihm erkenne ich jetzt an der Photographie des Bildes die Inschrift 
TEMP(ORI?). — Die an die Treppenwange angelehnt sitzende und herabblickende 
weibliche Figur, welche einen Anker hält, ist die Hoffnung. Neben ihr lese ich 
jetzt auf der Photographie des Bildes SPEI. Die hinter dem König stehende, mit 
beiden Händen eine Maske haltende weibliche Figur, wird die Verstellung, Simu- 
lation sein. 

Aber auch in anderer Beziehung ist die Zeichnung wertvoll. Während ich 
das Bild von Nimes nur einem Italiener aus dem Ende des XVI oder Anfang des 
XVII Jahrhunderts zuschreiben konnte, Venturi nach Ansicht der Photographie nur 
ganz unbestimmt auf einen Schüler des Mazuolino glaubte raten zu können, bietet 
die Rückseite der Zeichnung einen bestimmten Künstlernamen. Neben dem unteren 
Rande links nämlich steht Girolamo Siciolante. Die Hand, welche dies geschrieben 
hat, ist allerdings jünger als die Zeichnung, aber ich möchte doch glauben, dass sie 
eine gute alte Tradition wiedergiebt. Wer hätte auch gerade diesen Namen erfinden 
sollen! Und obwohl es mir bisher nicht gelungen ist, ein historisches Zeugnis oder 
eine anderweitige Bestätigung dafür zu finden, glaube ich doch fürs erste an dem 
Namen dieses, die Tradition der raffaelischen Schule fortsetzenden Schülers des 
Lionardo von Pistoja und Perin del Vaga festhalten zu sollen. Gefiel er sich doch 
gerade neben seinen kirchlichen Malereien in derartigen, den Einfluss Mantegna's 
bekundenden allegorischen Kompositionen^). 



II. KOMPOSITIONEN VON DEUTSCHEN 

3. Etwas anders als diese Zeichnung zum Bilde von Nimes, verhält sich eine 
Kreidezeichnung der Erlanger Universitäts- Bibliothek zu Dürers Wandgemälde im 
Nürnberger Rathaussaale {Jahrbuch VIII, S. 95). 

Das Blatt, 31 cm. lang, 24,5 cm. hoch, ist, wie die ganze Sammlung von Zeich- 
nungen, am Anfang dieses Jahrhunderts aus dem ehemaligen Kunstkabinet der Mark- 
grafen in Anspach, in die Erlanger Universitäts - Bibliothek gelangt. Weiteres ist über 
seine Herkunft nicht bekannt. Herr Oberbibliothekar Dr. Zucker hatte die Güte, es 
mir nach Kiel zu schicken. Dort hat mir Herr Maler Hampke eine sorgfältige Kopie 
gemacht, welche unserer Abbildung zu Grunde liegt. 

Die Zeichnung steht in unverkennbarer Abhängigkeit von der Dürer'schen 
Komposition und zwar berühn sie sich mit der Handzeichnung der Albenina darin, 

*) Vergl. Ripa, Iconologia, p. 455. 

*) Vergl. Vasari VII, S. 571 sq. ed. Milan. Baglione, le vite de' pittori, Roma 1642, S. 23. 
Lanzi, storia della pittura t. II, S. 107; V, S. 130 ed. Pisa 1815. Nagler, Künstlerlexikon s. v. 

5 



34 



DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE 



dass der Richter jugendlich ist und keine Kopfbedeckung trägt. Andererseits zeigt 
die Ignorantia mehr Ähnlichkeit mit dem Fresko als mit der Handzeichnung; denn 
sie schielt nicht, wie dort, halb links nach dem Verklagten, sondern blickt ganz nach 
rechts zum Richter, und die Hebung des Daumens und des Zeigefingers ihrer rechten 
Hand scheint mehr auf eine dem Richter geltende Warnung, als auf eine Abweisung 
des Verklagten hinzudeuten. Freilich bin ich nicht sicher, ob die Figur, von welcher 
nur der Kopf und der obere Teil der Brust sichtbar sind, weiblich oder männlich 
ist. Auch sonst fehlt es nicht an Abweichungen von Zeichnung und Fresko. . Der 
Richter hält in der Linken ein Scepter und trägt auf dem Haupte einen Kranz. Die 
Figur des Argwohns legt nur ihre Hände auf die Schulter des Richters, hält sich im 
Übrigen mehr zurück und flüstert ihm nicht zu. Calumnia steht vor dem Verklagten, 



'] 




Kreide - ZeichnuDg in der Universitäts - Bibliothek zu Erlangen. 



ist anders kostümiert, auch viel weniger erregt als bei Dürer. Der Verklagte endlich 
hebt seine Hände nicht auf, sondern streckt sie nur vor. 

Danach kann ich in dieser Zeichnung nur den Versuch sehen, auf der Grund- 
lage, aber zugleich mit teilweiser Abweichung von der Dürer' sehen Komposition, das 
Bild des Apelles zu rekonstruieren. Ob der Versuch auf diese fünf Figuren be- 
schränkt blieb, oder ob der Rest des Ganzen verloren gegangen ist, entzieht sich 
unserer Kenntnis. Leider sind wir dadurch gerade aufser Stand gesetzt, das Ver- 
halten des Künstlers zu der von Dürer eingeschobenen Gruppe zu beobachten. 

Wer war der Künstler? Auf der Rückseite links steht mit Tinte, aber von später 
Hand geschrieben: Georg Penfs, Der Buchstabe auf der Vorderseite unterhalb des 
rechten Knies des Verklagten scheint mir eher ein G als ein P zu sein. Ich weifs 
nicht, ob andere Gründe als die Aufschrift Stiassny zur Zuweisung der Zeichnung an 
Georg Penz bewogen haben (Kunstchronik N. F. I, No. 12, Sp. 179: »Den Anteil 
von Georg Penz an Dürers 1521 bis 1522 ausgeführten Wandmalereien im gröfseren 
Rathaussaale zu Nürnberg belegt eine bisher übersehene Kreidezeichnung in der 
Erlanger Universöts- Bibliothek, die Verleumdung des Apelles darstellend«). Wenn 



VON RICHARD FÖRSTER 



35 



aber Herr Dr. Zucker in seinem Begleitschreiben an mich bemerkt: »Die Zuweisung 
an G. Penz in der hiesigen Sammlung beruht lediglich auf der späten Aufschrift der 
Rückseite, und für diese Zuweisung dürfte nur eine gewisse Anlehnung an das 
»Dürer'sche« Gemälde mafsgebend gewesen sein. Ich wUsste wenigstens nicht, was 
andere Werke von Penz für Analogien bötena, so kann ich nur mein Einverständnis 
mit dem letzteren Urteil erklären und mich im Übrigen mit der Bemerkung begnügen, 
dass mir nach dem Stile der Zeichnung der Künstler jünger als Penz (-}- 1550 in 
Breslau) ^) zu sein scheint. 

4. Dagegen bietet wieder eine ganz neue Komposition ein Gemälde des Artus- 
hqfes in Dan\ig^ welches vor zwei Jahren, bei Gelegenheit eines Besuches der schönen 
Stadt, meine Aufmerksamkeit auf sich zog. 




Tafelbild im Artushof zu Danzig. 

Da der von 1477 — 1481 als Gesellschaftshaus der Grofs - Kaufleute errichtete 
Artushof zugleich den Schoppen als Gerichtssaal über Leben und Tod diente, war 
unsere Komposition besonders geeignet, um unter die im Übrigen sehr verschieden- 
artigen Gemälde aufgenommen zu werden, mit welchen die Wände dieses ungeheuren 
Saales nach und nach geschmückt wurden. Es befindet sich auf Holz gemalt 
an der Wand rechts vom Eingange, als viertes Bild vom Fenster aus gerechnet, 
oberhalb des zweiten Feldes der Holztäfelung, rechts von dem Sitze der berühmten 
Familie der Ferber, welcher durch das Wappen (drei Eberköpfe) mit der Bei- 
schrift I • B • C • F • gekennzeichnet ist. Darüber ist das durch die Jahreszahlen 
1602 und 1603 bezeichnete Riesengemälde des jüngsten Gerichtes von Antonius 
Moller. Unser Bild ist 76 cm. lang, 38,5 cm. hoch. Der Abbildung liegt eine von 
Herrn Professor und Museums -Inspektor Stryowski in Danzig mit grofser Liebens- 
würdigkeit gemachte Bause zu Grunde. Für einige nachträgliche Mitteilungen bin 
ich meinem lieben Schüler, Herrn Cand. Bruno Ehrlich in Danzig verpflichtet. 



^) Siehe Bosch, Mitteilungen aus d. Germ an. National- Museum 1893, S. 39fF. 

5* 



36 DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE 



Das Bild gehört zu den (linksläufigen) Kompositionen, welche nicht mehr 
blofse Illustrationen, sondern freie Umbildungen des von Lucian beschriebenen Ge- 
mäldes sind. 

In der linken Hälfte hielt sich der Künstler allerdings genau an die Vorlage: 

Links sitzt auf einem Sessel unter einem Baldachin der mit Eselsohren ver- 
sehene bärtige Richter, angethan mit graubraunem Ober- und rotem Untergewand, 
sowie mit roter Mütze, ernst nach dem Verklagten hinblickend und seine Hände 
ausstreckend. An ihn lehnt sich von hinten an die durch blöden Gesichtsausdruck 
charakterisierte Unwissenheit, bezeichnet durch die Beischrift IGNORANTIA, in hell- 
gelbem Gewände, ihren linken Arm auf seine rechte Schulter legend. Auf der 
anderen Seite steht die Figur des Argwohns (SVSPIIIO)*) in weifsem Gewände, zu 
ihm blickend und Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, wie in der Erlanger 
Zeichnung und in der Komposition von Luca Penni (Jahrbuch VIII, S. 51), empor- 
streckend. Zu ihm schleppt die Verleumdung (CALVMNIA), angethan mit langem 
roten, golddurchwirkten Kleide und mit mehrreihiger Halskette, sowie mit einer 
Rosette im Haar geschmückt, den Verklagten, mit der Linken seine Haare fassend, 
in der vorgestreckten Rechten eine kurze Fackel haltend. Auf ihrem grellweifsen 
Gesicht spiegelt sich ihre Erregung ab. Der Verklagte, durch die Unterschrift 
INOCENTIA bezeichnet, in kurzem graubraunen Rock und grünen Strümpfen, 
blickt mit gefalteten Händen flehend zum Richter auf. Noch vor der Calumnia 
schreitet der Neid (LIVOR)*), ein weifshaariger Mann mit dunkler Gesichtsfarbe, in 
langem gelblich braunen Gewände, den giftigen Blick auf den Jüngling gerichtet, 
die linke Faust vor der Brust geballt und den Zeigefinger der rechten Hand drohend 
gehoben. 

Aber nun beginnen die Abweichungen. Der Calumnia eilt nach eine weibliche 
Figur mit sich sträubendem Haupthaar und kurzen Flügeln, in einem graubraunen 
Gewände, welches die linke Schulter, Seite und Arm frei lässt, beide Arme nach 
vorn gestreckt, aber rückwärts blickend und schreiend. Es ist nicht, wie man er- 
warten sollte, die Hinterlist, Insidiae, sondern INVIDIA. Auf sie folgt eiligen Schrittes, 
dicht hinter dem Verklagten, eine zweite weibliche Figur, mit dunkler Gesichtsfarbe, 
ebenfalls in dunklem, graubraunen Gewände und rotem Halstuch, den rechten Arm 
erhoben, durch die Unterschrift MENDACIVM bezeichnet. 

Noch mehr weichen die Figuren ab, welche die Komposition auf der rechten 
Seite abschliefsen. Hinter der Lüge sit:^t die Reue, neben welcher die Inschrift 
POENITENTIA steht, in einem gelben Gewände, welches den Hals, den oberen 
Teil der Brust und die Arme frei lässt, das Haupt gebeugt und die rechte Hand 
vor die Augen geführt. Über ihr fliegt nach links der Gott der Zeit, neben 
welchem noch TEMP deutlich, VS nicht mehr zu lesen ist, ein nackter langbärtiger 
Greis mit grofsen dunklen Schuiterflügeln , eine Sanduhr auf dem kahlen Kopfe 
tragend. Er hält mit beiden Armen die ebenfalls völlig nackte Wahrheit (VERITAS). 
Beide blicken nach links herab. Den Hintergrund des Ganzen bilden Bogengänge. 
Unterhalb der Calumnia steht in Form eines Täfelchens das folgende Distichon: 

NE PREMAT INNOCVAM SCELERATA CALVMNIA CAVSAM 
IVDICII PPOCERES PICTA TABELLA MONET. 



^) Die zweite Hälfte des horizontalen Striches des T ist abgesprungen. 
*) Der^ untere Strich des L ist teilweise unsichtbar geworden. 



VON RICHARD FÖRSTER 37 



Gerade die Veränderungen, welche der Maler nnit seiner Vorlage vorgenommen 
hat, setzen uns in den Stand, die Entstehungszeit des Bildes annähernd festzustellen, 
was um so wichtiger ist, als, wie der inzwischen, viel zu früh, verstorbene Stadt- 
archivar, Archidiakonus Bertling für mich festzustellen die Güte hatte, Urkunden 
und Zeugnisse über das Gemälde fehlen. 

Es ist unzweifelhaft, dass der Maler, wenn er völlig abweichend von Lucian 
die Veritas vom Zeitgotte getragen werden liefs, von der durch Giorgio Ghisis Stich 
vom Jahre 1560 verbreiteten Komposition des Luca Penni (Jahrbuch 1887, S. 51) ab- 
hängig war. Diese hatte in den Schlussversen des ihr beigefügten Täfelchens: 
Temporis ai demum quae fertur filia, serös 
In lucem profert qui latuere dolos 

ausdrücklich auf Tempus als Vater der Veritas hingewiesen.^) Dass das Verhältnis 
nicht umgekehrt sei, ergiebt sich schon daraus, dass Penni noch die der Wahrheit 
nachblickende Reue der Vorlage festhielt, während der Maler unserer Komposition 
sich auch hierin von dieser entfernte. Ist somit 1 560 als terminus post quem gewonnen, 
so werden wir andererseits nicht allzutief unter dieses Jahr herabgehen dürfen. Es 
ist dies gerade die Zeit, in welcher die Kunst in Danzig viel mehr von Italien als 
von den Niederlanden beeinflusst wurde. 



Ich benutze die Gelegenheit, meine im Jahrbuch 1887, S. 4off. über die Geschichte 
der Louvre- Zeichnung^) gegebene Darlegung teils gegen Zweifel zu schützen, teils 
zu ergänzen. Der Kernpunkt derselben war der Satz, dass die Zeichnung zuerst im 
Besitz von Crozat auftaucht, aus dessen Nachlass zusammen mit dem Stich von 
Nicolas Cochin 1741 vom Marquis de Gouvernet gekauft wurde und erst nachher 
nach Modena kam. Diese Annahme wäre sofort hinfällig, wenn Campori, dessen 
Ausführung ich damals nicht kannte, darin Recht hätte, dass die Zeichnung bereits 171 1 
im Besitz der Este gewesen sei. Er') bezieht nämlich auf unsere Zeichnung die 

*; Die Parallelen, welche ich S. 52, A. i angeführt habe, lassen sich vermehren. Zur 
Komposition von Rubens vergl. jetzt Rooses, Oeuvre de Rubens III, pl. 239; t. IV, p. 41 und 
t. V, p. 344. Ein Bildchen des Fed. Zuccari schenkte Valentin Jamerai Duval der Anastasia 
SocolofF in Moskau im Jahre 1763 (Oeuvres de Duval I, St. Petersbourg 1784, p. 136: un pettt 
tableau sur bron^e de neu/ pouces de hauteur sur sept pouces deux ou trois ligues de largeur, 
peint par Fed. Zuccari. Ce tableau allegorique que des connoisseurs ont estime, represente le 
temps qui manifeste la verite, precedee dune Bibi ailee, tenant une trompette ä la main. Au 
dessous de ces trois figures le mensonge en habit bizarre de diverses couleurs, est terrasse 
et etendu par terre. [Vergl. p. 146, 149, 153]). Ein Ölbild im königlichen Schlosse zu Breslau, 
auf welchem die von zwei Dämonen der Lüge verfolgte Wahrheit vom Zeitgott empor- 
gehoben wird, trägt im Inventar (No. 2392) den Namen des Franz Floris. Daran schliefsen 
sich die GemUlde des N. Poussin (gestochen von Audran) und des Fran9ois Lemoine, (ge- 
stochen von Lor. Cars). Vergl. Blanc, le tresor de la curiosite I p. 144. II p- 31a. 590; 
II p. 146. 172. 279. Der Vater der ganzen Vorstellung scheint übrigens Pindar (Ol. X, 53 
t' l^tkkyxyv ixovo; aXa^iiav Iti^tvuov Xpcvo;) gewesen ZU sein. 

^) Morelli, Kunstchronik N. F. III, Sp. 294 wies sie dem Perin del Vaga zu. 

^) Notizie inedite di Raffaello da Urbino tralte da documenti delF archivio Palatino 
di Modena (Aiti e Memorie delle Deputazioni di sioria patria per le provincie Modenesi e 
Parmensi vol. I, p. 38}. 



38 DIE VERLEUMDUNG DES APELLES IN DER RENAISSANCE 

Tela che rappresenta la Calunnia cTApelle creduto di Giulio Romano, bezüglich 
deren der Herzog Rinaldo am 16. März 171 1 dem Vaccari, Aufseher der guardaroba, 
Entlastung erteilte.*) Aber der Irrtum springt in die Augen. Es handelt sich hier 
nicht um eine Zeichnung, sondern um ein Bild. Letzteres kann identisch sein mit 
dem, welches 1543 von Benvenuto Garofalo für den Herzog Ercole II von Ferrara 
gemalt worden war und welches wahrscheinlich in dem Benvenuto, Bugia e Veritä 
des vor 1720 gemachten Inventars der Galleria Estense zu erkennen ist (a.a.O. S. 44); 
es kann aber auch identisch sein mit demjenigen eines Anonymus, welches 1597 vom 
Abte Pio da Carpi dem Herzog Alfonso II angeboten worden war (a. a. O. S. 40 
und iio). Das creduto di Giulio Romano spricht vielleicht noch mehr für letzteres. 

Woher Crozat die Zeichnung bekommen hat, vermag ich auch jetzt nicht mit 
Sicherheit zu sagen. Vielleicht aus derselben berühmten Sammlung, in welcher sich 
einst auch das zuletzt erwähnte Gemälde befunden hatte, nämlich aus der Sammlung 
Pio. Wenigstens erwarb Crozat nach Mariettes Zeugnis la collection entiere du sieur 
Pio de Rome, Aber auch an die Sammlung von Malvasia lässt sich denken. Vergl. 
Blanc, le tresor de la curiosite I, 20. 

Leider ist nichts Näheres über die Schicksale der Sammlung des Marquis de 
Gouvernet") bekannt, um das Jahr festzustellen, in welchem die Zeichnung nach 
Modena kam. Da aber, wie mir Venturi schreibt, der Kustos der Sammlung von 
Zeichnungen und Münzen seit 175 1 über alle Eingänge Buch führte, in letzterem 
aber diese Zeichnung nicht erwähnt wird, dürfte man dieses Jahr als terminus ante 
quem anzunehmen genötigt sein. Der erste, der die Zeichnung als in Modena befind- 
lich erwähnt, ist, soweit ich sehe, Lan:[i (geb. 1732, gest. 1810) storia pittorica della 
Italia vol. II, p. 82 (ed. Mil. 1824): Uno de' piü ammirati disegni detto la Calunnia 
d' Apelle ne vidi giä nella Ducal Galleria di Modena, finitissimo e superiore a ogni 
stima; riunendo in se la invens[ione del miglior pittore di Grecia e la esecu\ione del 
miglior pittore d'Italia^ aber schon, als er diese Worte schrieb — die erste Ausgabe 
seines Werkes erschien 1796 — war sie nicht mehr in Modena. In diesem Jahre 
nämlich wurde sie von Denon, welcher 1789 auf sein Gesuch, sie stechen zu dürfen, 
vom Herzog Ercole III abschlägig beschieden worden war'), in seiner Eigenschaft 
als Kommissar der französischen Regierung unter die Kunstwerke gelegt, welche nach 
Paris gebracht wurden. Hier erst entstand seine Ätzung. Dagegen war allerdings 
eine andere Reproduktion gemacht worden, als die Zeichnung noch in Modena war. 
Das ist der Stich*), von welchem ein von mir a. O. S.42 erwähnter dilucido sich jetzt im 
Staatsarchiv zu Modena bei der für Denon gemachten Supplik Dalets und dem Briefe 



^) Vergl. Venturi, la Reale Galleria Estense p. 298: Nel iju, con sno chirografo dava 
scarico al Vaccari, guardaroba, di tre pitture, e cioe di una B. V. col Bambino ed una Santa 
con un Pastore e varie pecorelle, dipinto in tela da Tipano; un altro in Tela che rappresenta 
una vecchia che accare^a una fanciulla, ed un altro in Tela che rappresenta la Calunnia 
d' Apelle creduto di Giulio Romano, 

') Dass dieser die Zeichnung nebst dem Stich für 72 livres kaufte, bezeugt Pierre- 
Jean Mariette, Abecedario, publ. par de Chennevieres et de Montaiglon t. IV (Archives de 
l'art francais t. VIII, Paris 1857—1858, p. 336). Vergl. Blanc a. a. O. S. 23. 

*) Vergl. Campori a. a. O. 

*) Offenbar identisch mit dem von Ruland, the works of Raphael p. 145 n. 5 erwähnten: 
Reversed anonymous engraving öfter the same drawing when at Modena. Ich habe das 
Exemplar des Königlichen Kupferstichkabinets in Berlin benutzt. 



VON RICHARD FÖRSTER 39 



des Pio da Carpi an den Herzog Alfonso befindet. Der Stich ist nicht ganz voll- 
endet; es fehlen die Hände der Veritas. Er trägt folgende Unterschrrft: Disegno di 
Raffaello d' Urbino posseduto dal Serenisso Duca di Modena, tratto da quanto nel 
celebre suo quadro della Calunnia e fama aver espresso Apelle, che accusato da An- 
tifilo come complice della congiura di Tiro era giä stato condannato da Tolomeo; 
ma scopertasi la di lui innocenza dipinse Tincauto Re con lunghissime orecchie se- 
dente fra la Sospezione e 1' Ignoranza, e in atio di accoglier la Calunnia, che im- 
pugna una fiaccola, e strascina per la chioma Apelle invocante i Numi a mallevadori 
della sua innocenza. Alla Callunnia (abbellita ed instigata dalla Doppiezza e dall' 
Insidia) faceva scorta un uomo squallido e cencioso figurato per 1' Invidia. In fine 
appariva una figura, che vista nel volgersi indietro la VeritÄ nuda, e risplendente rap- 
presenta il Pentimento. 

Der Urheber des wie die Unterschrift dem vorigen Jahrhundert angehörigen 
Stiches ist mir nicht bekannt, es ist jedoch bemerkenswert, dass er mit der Ätzung 
Denons in zwei Eigentümlichkeiten Übereinstimmt, nämlich darin, dass der König 
keine Krone, sondern nur Binde hat und dass der Calumnia nichts aufgesetzt, sondern 
nur das Haar geordnet wird. 



Zum Schlüsse möge es gestattet sein, meine früheren Ermittelungen (a. a. O. 
S. 32 ff. und 1 1 1 ff.) über die lateinischen Übersetzungen, welche dem gröfsten Teile 
der Künstler als Vorlage gedient haben, in Einem Punkte zu ergänzen. 

Die Übersetzung des lucianischen Dialogs von Francesco Accolti findet sich 
nicht nur im Cod. Vindob. lat. 3236, fol. 31 — 35, sondern auch hinter der Übersetzung 
der Briefe des Diogenes in einem Nürnberger Drucke sine anno von Friedrich 
Creus^ner (= Hain Repertorium 6192)^) auf Blatt 15 — 20. Die Ausgabe beginnt: 
Ad beatissimü & clementissü patre & dominü | Pium Secundü Pontifice Maximu in 
Diogenis | philozophi epistolas francisci Aretini prefacio und schliefst auf fol. 20 ^^ mit 
dem schlechten Distichon: 

Hoc opus exiguu diligens sculpsit Fridericus Nurmberge Creufsner arte fabrili sua. 

Die Übersetzung unserer Schrift hat eine doppelte Dedikation. Die erste gilt 
Francisco Pellato Patavino iurisconsulto; die zweite aber, Illustri principi Johanni 
Comiti Vicornie Franciscus Aretinus Salutem dicit, ist die frühere und enthält eine 
Stelle, durch welche die Zeit der Abfassung bestimmt wird. Sie lautet: Hanc 
Luciani de Calumnia orationem princeps illustris non ideo impresentia clarissimo no- 
mini tuo inscribendam duxv ut ea pollicitatione absolutum me auf existimem aut 
velim Sed cum ante annum et dimidium Chrysostomum super Johannis Euangelio 
iam a me traductum praestantissimo viro Cosmo Medice me emendaturum pollicitus 
fuerim. Et ea gratia in hunc usque diem aliquid tibi quod maxime cupiebam inscri- 
bere distulerim Cum huc brevi discessurus vener is sine aliquo pro temporis \et] 
brevitate mee in te observantie monumento discedere praestantiam tuam minime patiar 
Quod et si minimum sit pro benignitate tamen sua non rem sed exhibentis animi vim 
respecturam non dubito Verum si deus mee annuerit voluntati aliquid fortasse dignius 



^) Panzer, annal. typogr. II, p. 238 n. 367 hat den Druck erwähnt, aber den Lucian 
übersehen. 



40 EINE MAJOLIKA -MALEREI DES QUATTROCENTO 

in tuum nomen a me traductum humanitatem tuam in Britanniam usque pro- 
sequetur Superabit montes transmittei oceanum- et in ultimo terrarum' et secundum- 
Maronem nostrum in penitus toto divisis orbe britannis te requiret Tibi vel maximis 
in rebus occupatissimo deditissimi tuifrancisci memoriam suggeret Da John Tiptorft, 
Earl von Worcester, gegen Ende des Jahres 1460 nach England zurückkehrte^), so 
wird die Übersetzung nicht lange vorher entstanden sein.*) 



EINE MAJOLIKA-MALEREI DES QUATTROCENTO 

VON O. VON FALKE 

Das Berliner Kunstgewerbe- Museum hat im Jahre i8go eine Wandplatte aus 
sechs Fayencefliesen erworben, die in doppelter Hinsicht Beachtung verdient: einmal 
wegen ihrer Datierung, die sich auf die Jahre um 1460 feststellen lässt, dann, weil sie 
für die Frage nach den Vorlagen, deren sich die italienischen Majolikamaler bedienten, 
neues Material beibringt. Für die Geschichte der Keramik sind als die Anfänge und 
direkten Vorläufer der im XVI Jahrhundert so glänzend entwickelten Majolika-Industrie 
von der gröfsten Wichtigkeit alle italienischen Fayencemalereien, die, unabhängig von 
der Werkstatt der Robbia entstanden, über die zwei letzten Jahrzehnte des XV Jahr- 
hunderts nachweislich zurückreichen. 

Entgegen der Behauptung Vasaris, dass Luca della Robbia die undurchsichtige 
Zinnglasur — bekanntlich die wesentliche Vorbedingung echter Fayence — zuerst für 
Italien erfunden habe, ist es zwar durch eine litterarische Notiz und durch einige 
Fayenceplatten des XIV Jahrhunderts an italienischen Kirchen ^) wahrscheinlich gemacht, 
dass die Fayencetechnik schon im XIV Jahrhundert in Italien geübt wurde. Aber die 
Verzierung dieser bacini ist eine so primitive, dass sie, wenn auch jeder Zweifel an 
ihrer italienischen Herkunft ausgeschlossen wäre, nicht als Beweis dagegen aufgeführt 
werden können, dass die Fayencemalerei in Italien erst im Laufe des Quattrocento 
über das Niveau der Bauerntöpferei sich zum Kunstgewerbe emporgehoben hat. 

Fliesen und Geschirre sind nicht allzu selten, die sich aus stilistischen Gründen 
oder durch Datierungen den beiden letzten Jahrzehnten des XV Jahrhunderts zuweisen 
lassen. Auch das Berliner Kunstgewerbe-Museum besitzt davon eine stattliche Gruppe 
mit zum Teil ganz hervorragenden Exemplaren. Dagegen ist die Anzahl der Denk- 

*) Vergl. Voigt, Wiederbelebung des klass. Altert. II, 260. 

2) Die Übersetzung des Lapo Birago da Castiglionchio scheint auch im Cod. Dorvill. X, 
I. 4, 44 der Bodlejana fol. i — 14 zu stehen (Gaisford, Catal. codd. Dorvill. p. 31). 

') Cavallucci et Molinien Les della Robbia. Paris 1884, p. 50. 

Drury E. Fortnum. A descriptive catalogue of the majolika in the South Kensington 
Museum 1873. Einleitung p. 27. Anmerkung. 




UM 14 00 
P: R MARIA 
ÜM ZU BERLIN 



KARnKNLICHTDUUCK D. RKICHSI >KUCKEHE[ 



VON O. VON FALKE 4I 



mäler sehr beschränkt, deren Entstehungszeit vor 1480 sich näher fixieren lässt. Gefäfse 
dieser Art fehlen fast gänzlich, nur Fufsbodenfliesen und Platten zum Wandschmuck 
sind mehrfach erhalten. In Anerkennung der historischen Bedeutung dieser ältesten 
Majoliken hat Emile Molinier in einer wenig umfangreichen aber vortrefflichen Arbeit ^) 
alle ihm bekannt gewordenen Majoliken des Quattrocento in chronologischer Reihen- 
folge zusammengestellt, die er datieren zu können glaubte. 

Von den Arbeiten der della Robbia ist dabei vollständig abgesehen, da sich 
aufser der Gleichartigkeit der Technik kein Zusammenhang zwischen ihnen und den 
anderen Majoliken nachweisen lässt. Die bekannten Fayencemalereien des Luca della 
Robbia auf glatter Fläche — zwei Wappenschilder an Or San Michele, die Umrah- 
mung am Grabmal des Benozzo Federighi in San Francesco de Paola bei Bello- 
sguardo, die zwölf Rundbilder mit Monatsdarstellungen im South Kensington Museum 
— sowie die einfarbig blau glasierten Vasen aus der Werkstatt seiner Nachfolger ent- 
halten kein Ornament, das in die Majolikatöpferei des XV Jahrhunderts aufgenommen 
worden ist, oder auch nur einen nachweisbaren Einfluss geübt hat. 

Molinier beginnt seine Übersicht mit einem Fufsboden der Kapelle in San Gio- 
vanni a Carbonara in Neapel, die das Grabmal des im Jahre 1432 ermordeten Gianni 
Carracciolo umschliefst. Aus verschiedenen Emblemen in der Verzierung der Fliesen, 
die sich auf das Wappen der Carraccioli beziehen, geht hervor, dass die Fliesen 
speziell für diese Kapelle gefertigt worden sind. Eine Datierung fehlt. Molinier nimmt 
an, dass der Fufsbodenbelag gleichzeitig mit den Wandmalereien und der plastischen 
Ausstattung der Kapelle um das Jahr 1440 entstanden ist. Mit dieser Zeitangabe stehen 
die teilweise deutlich orientalisierenden Ornamente zwar nicht im Widerspruch, immer- 
hin aber bleibt die Datierung Hypothese. In gleicher Weise unsicher ist ferner die Da- 
tierung eines Fliesenfragments im Besitze von Urbani de Gheltof in Venedig, das dieser 
als den Überrest eines jetzt verlorenen Fufsbodenbelages in der Sakristei der Kirche Sant* 
Elena wegen seines Fundortes betrachtet.') Die Sakristei war auf Kosten zweier Mit- 
glieder der Familie Giustiniani ausgeschmückt, von welchen der Ältere im Jahre 1450, 
der Jüngere 1480 gestorben ist. Auf dem Fufsboden, den Cicogna noch beschrieben 
hat, war der Name Giustiniani angebracht. Falls die Fliese in der That zu diesem 
Fufsboden gehöne, muss sie vor dem Jahre 1480 gearbeitet worden sein. Sie zeigt in 
Blau auf Grün gemalt einen Eisenhandschuh mit einer unvollständigen Inschrift auf 
fliegendem Bande. Die Ergänzung der Inschrift: »Buena fe non es mudable« giebt eine 
Fliese mit derselben Darstellung im Berliner Kunstgewerbe - Museum. Diese gehört zu 
einer Folge von sechs grofsen Platten, von welchen eine das Wappen der Gonzaga, 
die anderen Tiere und Embleme mit Schriftbändern aufweisen. Drei weitere Fliesen 
derselben Folge befinden sich in der Brera in Mailand, andere noch im Kunsthandel. 

Das erste sichere Datum bietet eine wappenschildförmige Platte im Musee Cluny 
mit einem in Schwarz gemalten Hahn und der Jahreszahl 1466. Dieselbe Sammlung 
besitzt ferner das älteste datierte Majolikagefäfs, eine Schüssel mit dem Monogramm 
Jesu und vegetabilem Ornament, die laut Inschrift im Jahre 1475 von Nicolaus de 
Ragnolis an die Kirche San Michele in Faenza gestiftet worden ist. Ein Schild mit 
dem Wappen eines Nicolaus Orsini im keramischen Museum der Manufactur von 
Sevres trägt die Bezeichnung: 1477 ^ ^^ '4 ^^ genaio. Eines der bedeutendsten 
Denkmäler dieser Art, der im Museum von Parma befindliche Fufsboden aus dem 



*) La ceramique italienne au XV siecle. Paris 1888. 

*) Urbani de Gheltof: Les arts industriels a Venise au moyen äge et ä la Renaissance p. 186. 

6 



42 EINE MAJOLIKA-MALEREI DES QUATTROCENTO 



Kloster San Paolo, wird durch das mehrfach wiederholte Wappen der Äbtissin des 
Klosters Maria de Benedictis den Jahren 147 1 bis 1482 zugewiesen. Auch von dieser 
Folge besitzt das Berliner Kunstgewerbe - Museum eine Platte mit einem weiblichen 
Brustbild. 

Das ist Alles, was an datierten oder datierbaren Stücken aus der Zeit vor 1480 
bekannt ist; auch Darcel hat in einem kürzlich erschienenen Aufsatz (Gazette des 
beaux arts 1892) der Zusammenstellung Moliniers nichts zugefügt. 

An diese kurze Reihe von Quattrocento - Majoliken schliefst sich als die älteste 
datierte Majolikamalerei — von den Arbeiten des Luca della Robbia abgesehen — die 
Wandplatte des Kunstgewerbe - Museums. (Höhe 50 cm.. Breite 37 cm.) 

Dargestellt sind in den Farben Blau, Violett, Grün, Gelb und Braun auf weifsem 
Grund die sieben Schmerzen der Maria. Die Mutter Gottes sitzt unter einem von 
zwei Säulen getragenen Kleeblattbogen, umgeben von sieben Rundbildern mit der 
Darbringung Jesu im Tempel, der Flucht nach Ägypten, Jesu Aufenthalt im Tempel 
unter den Schriftgelehnen, der Kreuztragung, der Kreuzigung, Kreuzabnahme und 
Grablegung. In den Bogenzwickeln sind die Wappen Papst Pius' II und des Kaisers 
Friedrich III angebracht. Die Bänder darunter tragen in rein gotischen Buchstaben 
mit gebrochenen Schäften die Legenden: Pius papa secundus und Fridericus roma- 
norum Imperator. Ein Band über der Figur der Maria enthält die Inschrift: Sicut 
lilium inter spinas, bezugnehmend auf die sieben Schwerter im Herzen der Mutter Gottes. 

Wenn es auch in diesem Falle gestattet ist, die Wappen historischer Persönlich- 
keiten zur Datierung zu verwerten, so ergiebt sich als die Entstehungszeit des Majolika- 
bildes das Pontificat Pius' II, die Zeit vom September 1458 bis zum Oktober 1464. 
Die Verbindung des päpstlichen Wappens mit dem Friedrichs III kann zu einer engeren 
Umgrenzung nicht herangezogen werden, da es bei den dauernden und intimen Be- 
ziehungen zwischen dem Kaiser und seinem früheren Kanzleibeamten Enea Silvio 
vergeblich wäre, nach einem bestimmten Anlass zur Herstellung dieser Komposition 
zu suchen. Die Datirung auf die Jahre 1458 bis 1464 würde aber nur für eine 
originale Komposition ohne Weiteres gültig sein. Trifft das bei dieser Majolika nicht 
zu, so liegt die Möglichkeit vor, dass nur die Vorlage während der Regierung des 
Enea Silvio, die Fayencekopie aber späterhin ausgeführt worden ist. Analoge Fälle 
sind bei Majoliken mehrfach bekannt.*) 

Es ist eine bekannte Thatsache, dass die italienischen Fayencemaler keineswegs 
in der Regel mit selbsterfundenen Ornamenten und Kompositionen ihre Gefäfse ver- 
ziert haben. In der Frühzeit vor 1 530 haben sie gleichzeitige deutsche und italienische 
Kupferstiche und Holzschnitte vielfach genau kopiert; auch in Niellen und Bronze- 
plaketten lassen sich manche ihrer Darstellungen, die in Stichen jetzt nicht mehr 
erhalten sind, nachweisen. In der folgenden Periode des herrschenden Einflusses von 
Urbino wurden zumeist die Kupferstiche Marcantons und seiner Schule mehr oder 
minder frei benützt, auch aus verschiedenen Blättern einzelne Motive entnommen und 
zu neuen Darstellungen zusammengestellt. Das letztere Verfahren hat besonders einer 



^) Es möge genügen, auf zwei Beispiele hinzuweisen. Ein Teller des Museo Correr 
in Venedig trägt die Jahreszahl 1482. Sie kann nur einer — jetzt verlorenen — Vorlage 
entnommen sein, da die Ausführung der Malerei den Teller unzweifelhaft in die Blütezeit 
der Majolika- Industrie um 1525 verweist. Derselben Periode gehört ein Teller des British 
Museum an, obwohl er mit einer genauen Kopie des Kupferstiches mit dem Tode der Maria 
(B. 33) von dem um 149 1 verstorbenen Martin Schongauer bemalt ist. 



VON O. VON FALKE 43 



der führenden und fruchtbarsten Urbinater Meister, Francesco Xanto Avelli aus Ro- 
vigo mit Vorliebe und Geschick gepflegt. 

Für die Benutzung von Stichen der römischen Schule bietet jede gröfsere 
Majolika -Sammlung zahlreiche Beispiele. Seltener und bisher weniger beachtet sind 
dagegen die Vorlagen der Majoliken aus der älteren Zeit der Führung von Faenza. 
Die Berliner Sammlung besitzt auch hierfür interessantes Material. Eine der ältesten 
Schüsseln der Sammlung, eine Faentiner Arbeit des XV Jahrhunderts, ist mit einer 
Bärenjagd in gotischer Blattwerkumrahmung bemalt, deren Mittelgruppe nach einem 
anonymen italienischen Stiche: Passavant V, p. 190 No. 104 kopiert ist. Die genaue 
W^iedergabe eines Stiches von Nicoletto da Modena (P. 99) mit der auf ein antikes 
Relief zurückgehenden, auch in Plaketten verbreiteten Figur der Fama zeigt das Mittel- 
feld einer grofsen Faentiner Schüssel von der Art, welche man gewöhnlich Caffagiolo 
zuzuschreiben pflegte. Die Kopie des Dürer' sehen Stiches mit dem verlorenen Sohn 
(B. 28) in der sorgfältigsten Ausführung trägt eine der Fabrik von Fabriano zuge- 
schriebene Schüssel; die Anbetung der Hirten aus der kleinen Holzschnittpassion 
desselben Meisters ein Urbinater Teller; einen Teil des grofsen Holzschnittes von 
Lucas Kranach mit der Hirschjagd (ß. 119) eine flache Schale, gemalt in der Art der 
Casa Pirota von Faenza. Vielfache Verwendung in den italienischen Töpferbodegen, 
wie in den Werkstätten der Limosiner Emailleure, scheinen auch die Holzschnitt- 
Illustrationen früher Drucke gefunden zu haben. So hat die im Jahre 1497 zuerst 
von Giovanni Rosso in Venedig gedruckte italienische Ausgabe der Metamorphosen 
des Ovid (Hein, 12 166) für vier Teller der Berliner Sammlung als Vorlage gedient: 
auf zwei Tellern aus unbekannter Fabrik mit Lüstrierung von Giorgio Andreoli von 
Gubbio sind die Holzschnitte mit der Geburt des Adonis und den Verwandlungen 
der Thetis genau kopiert; auf zwei anderen der Sturz des Phaeton und wiederum 
die Verwandlungen der Thetis mit einigen Abweichungen benutzt.*) 

Dass auch der Fliesenplatte mit der Mater dolorosa eine Vorlage zu Grunde 
lag, war von vorn herein aufser Zweifel gestellt durch eine dem Kunstgewerbe- 
Museum gehörige deutsche Terrakottaplatte aus spätgotischer Zeit, die in Relief dieselbe 
Darstellung trägt (Höhe 35 cm., Breite 38 cm., Abbildung S. 44.). Einige Abweichungen 
sind durch die Rücksicht auf die Ausführung in anderem Material und kleinerem Mafs- 
stabe bedingt. So ist an Stelle des säulengetragenen Kleeblattbogens eine einfache 
Rundleiste getreten, von den sieben Schwertern ist nur eines übriggeblieben. Auch 
fehlt das Schriftband über der Mittelfigur. Die ursprüngliche Bemalung ist verloren 
und damit auch die Legenden auf den Bändern unter den Wappen. Von den letzteren 
ist das Wappen der Piccolomini unverändert geblieben, der Doppeladler mit der 
Kaiserkrone aber ist durch das Wappen Maximilians 1 unter dem österreichischen 



^) Die Holzschnitte derselben Ovidausgabe hat auch der Maler der berühmten Folge 
von 15 Majolikatellern im Museo Correr in drei Fällen mehr oder minder frei verarbeitet; 
es sind dies die Teller mit »Apollo und Marsyas« (abgebildet L'Art XLIII. 178 und Graphische 
Künste XI. 149); mit »Apollo, Pan und Midas« und mit dem »Tode des Orpheus«. Für 
einen vierten Teller mit »Giuliana und Ottinello« (abgebildet L'Art XLIII. 179) hat der Titel- 
holzschnitt der gleichnamigen in Florenz gedruckten Novelle (abgebildet bei Varnhagen im 
Erlanger UniversitStsprogramm 1892. 46) als Vorlage gedient. Die bereits von Molinier 
(L'Art XLIII) gründlich bestrittene, von K. v. Lützow in den Graphischen Künsten, B. XI, 
aber wiederholte Behauptung Morellis (Lermolieff, Die Gallerie zu Berlin p. 219), dass 
die Malereien des Correr- Services von Timoteo Viti herrührten, wird dadurch endgiltig 
widerlegt. 

6* 



1 



44 



EINE MAJOLIKA -MALEREI DES QUATTROCENTO 



Erzherzogshute, umgeben von der Kette des Goldenen Vliefses, ersetzt. Es enthält in 
seinen vier Feldern die Wappen von Österreich, Neuburgund, Ahburgund, Brabant 
und von Flandern auf dem Herzschilde. Das Thonrelief ist also nicht nach derselben 
Vorlage wie die Majolika, sondern nach einem davon abgeleiteten Blatte gearbeitet, 
das nicht vor 1477, dem Jahre der Vermählung des Erzherzogs Max mit der Erbin 
von Burgund, entstanden sein kann. 




Terrakotta -Platte. Original im Kunstgewerbe- Museum zu Berlin. 



Die Nachforschung nach einer dieser Originalvorlagen, bei welcher ich mich der 
dankenswerten Unterstützung der Herren Geheimrat Lippmann und Dr. P. Kristeller 
zu erfreuen hatte, ergab bald das Resultat, dass die Darstellung der Mater dolorosa 
mit den sieben Rundbildern in der Zeit um die Wende des XV Jahrhunderts in den 
Niederlanden keine seltene war. 

Die Reihe der Gemälde eröffnet als das älteste eine Tafel mit Goldgrund aus 
dem XV Jahrhundert in der Kathedrale von Brügge; die Galerie von Brüssel besitzt 



VON O. VON FALKE 45 



zwei Bilder aus den ersten Jahren des XVI Jahrhunderts, je eines die Galerie Colonna 
in Rom und das Museum in Antwerpen. 

Als Miniatur findet sich die Schmerzensmutter in einer niederländischen Hand- 
schrift der Wiener Hof Bibliothek (No. 2706) ^) aus der Zeit um 1513; als Kupferstich 
auf einem unbeschriebenen, aus der Sammlung Enzenberg stammenden Blatte des 
Berliner Kabinets (No. iii, 79) und auf zwei Blattern des Monogrammisten S, der 
nach Nagler um 1520 in Brüssel oder Köln thätig war (Pass. 133 und 132). Auf 
diesen beiden Stichen, die sich gleichfalls in der Berliner Sammlung befinden, ist 
die Mittelfigur mit den sieben Medaillons in gotische Monstranzen eingeordnet. 
Ein verwandtes Niello in der Albertina in Wien citiert Passavant I, S. 304, No. 550. 
Die späteste Wiederholung des Gegenstandes giebt der Kupferstich des Hieronymus 
Wierix vom Jahre 1587, der mit der zugehörigen Originalzeichnung von Crispin 
van der Broeck im Museum Plantin -Moretus in Antwerpen aufbewahrt wird.-) 

Alle diese Wiederholungen sind Niederländischer Herkunft; die Aufnahme der 
Komposition in die italienische Kunst zeigt aufser der Majolika nur ein im Kunst- 
handel befindlicher Holzschnitt mit der Überschrift »Li septe dolori che ebbe la 
vergine maria«; er gehört bereits dem Anfange des XVI Jahrhunderts an. Ein kleiner 
deutscher Holzschnitt ist enthalten in dem bei Peypus in Nürnberg 15 19 erschienenen 
Hortulus animae.') 

Von den genannten Wiederholungen der Schmerzensmutter kann keine die 
direkte Vorlage der Majolika oder des Thonreliefs gewesen sein, da die Wappen auf 
allen fehlen. Dass sie, trotz mancherlei Abweichungen in der Haltung der Mittel- 
figur und der verschiedenen Ausstattung der Hintergründe, insgesamt auf eine 
gemeinsame Quelle zurückgehen, macht nicht nur die schematische Anordnung der 
Rundbilder um die Hauptfigur, sondern auch die grofse Verwandtschaft in der Kom- 
position der Darstellungen in den einzelnen Medaillons wahrscheinlich. 

Das einzige Blatt, das ersichtlich in engerem Zusammenhange mit den Vor- 
lagen des Fayencemalers und des Thonmodelleurs steht, ist ein deutscher Holzschnitt 
vom Jahre 1508, den Herr Direktor Lippmann im Museum zu Gotha aufgefunden 
hat. Die beigegebene verkleinene Reproduktion lässt eine nähere Beschreibung ent- 
behrlich erscheinen. Die Inschrift enthält eine gereimte Aufzählung der sieben 
Schmerzen Mariae und die Datierung 1508. Die Wappen lassen darüber keinen 
Zweifel, dass der Gothaer Holzschnitt weder für die Majolika, noch für die Terra- 
kottaplatte die Vorlage gewesen sein kann. Wie auf der letzteren, ist an die Stelle 
des Reichsadlers mit dem Namen Friedrichs III bereits das erzherzogliche Wappen- 
schild seines Sohnes getreten. In das päpstliche Schild hat der Kopist, dem Jahre 
1 508 entsprechend, statt des Kreuzes der Piccolomini den Eichbaum der Rovere ein- 
gefügt. Seine Kenntnis oder Sorgfalt reichte aber nicht aus, um auch das Schrift- 
band zeitgemäfs umzugestalten und mit dem Namen des regierenden Papstes Julius II 
zu versehen. Er modernisierte seine Vorlage nur dadurch, dass er die Worte »Pius 
papa secundus« in »Pius papa tercius« veränderte, vermutlich weil der letztere, ein 
Nepot des ersten Piccolomini, als nächster Vorgänger Julius' II trotz seines kaum ein- 
monatlichen Pontifikats (22. September bis 18. Oktober 1503) noch in lebhafterer Er- 
innerung stand, als der vor nahezu einem halben Jahrhundert verstorbene Enea Silvio. 



M Abgebildet in den Jahrbüchern der Wiener Hofmuseen, 1889, S. 434. 

2) Abgebildet bei Rooses, Christophe Plantin, S. 282. 

*) Abgebildet von Dibdin, The bibliographical decameron, I, S. 53. 



46 



EINE MAJOLIKA -MALEREI DES QUATTROCENTO 



Diese fehlerhafte Verbindung des Papstnamens mit einem nicht zugehörigen Wappen 
macht es ohne Weiteres klar, dass das Goihaer Blatt nur eine Kopie des Vorbildes 
der Majolikaplatte ist und zwar eine mittelbare, keine direkte Kopie. Das Mittelglied 
ist die noch unbekannte Vorlage des Thonreliefs gewesen, welche noch das Wappen 
der Piccolomini, aber bereits das Wappen Maximilians aufwies. 



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Anonymer Holzschnitt. Original in der Herzogl. Bibliothek zu Gotha. 



Der Holzschnitt vom Jahre 1508 kann also die Datierung der Fliesen maierei 
in das Pontifikat Pius' II nicht anfechten. Er beweist nur, dass ein älteres Original 
existien haben muss. Auch dieses ist ein Holzschnitt gröfseren Formats gewesen. 
Da der Majolikamaler seine Vorlage in den figürlichen Teilen sichtlich mit peinlicher 
Genauigkeit kopien hat, ist die Wiedergabe der Strichlagen eines Holzschnittes, 
namentlich im Angesichte der Madonna noch deutlich erkennbar. 



VON O. VON FALKE 47 



Die Reliefplatte und der Gothaer Holzschnitt müssen in gewisser Hinsicht die 
Datierung der Majolika sogar unterstützen. Beide sind ein Beweis dafür, dass man 
bei späteren Wiederholungen des Originals das Bedürfnis fühlte, die Wappen des 
Kaisers und des Papstes zeitgemäfs umzuarbeiten, soweit die Kenntnis reichte. Es 
ist mindestens naheliegend, denselben Wunsch auch dem keramischen Künstler zu- 
zumuten, zumal bei einem Werke, das bei dem damaligen Stand der italienischen 
Kunsttöpferei als ein ungewöhnlich reiches und sorgfältig ausgefühnes zu betrachten 
ist. Dem Italiener war auch Name und Geschlecht des regierenden Papstes schwer- 
lich unbekannt; jedenfalls wäre ein Anachronismus in diesem Punkte in Italien auf- 
fallender gewesen als in Deutschland. 

Technisch und stilistisch bietet die Fliesenplatte nichts, was mit der Zuweisung in 
die Zeit um 1460 in Widerspruch stände. Es spricht für die frühe Enstehungszeit der 
Majolika, dass der Maler die gotische Schrift beibehalten hat, die in dieser strengen 
Form einem Italiener zu Ende des Quattrocento nicht mehr geläufig war. Selbst der 
deutsche Holzschneider vom Jahre 1 508 hat sie in den oberen Bändern bereits durch 
Kapitallettern ersetzt. Auch wo der Künstler von seiner Vorlage sich unabhängig 
zeigt, trägt die Arbeit einen durchaus archaischen Charakter. Das äufsen sich sowohl 
in der ziemlich unbeholfenen Umwandlung der ursprünglich gotischen Säulen und 
Kapitelle in renaissanceartige Formen wie in der Zusammenstellung der Farben. Das 
Vorherrschen des Kobaltblau und die reichliche Verwendung des Manganviolett sind 
sichere Kennzeichen einer Arbeit der ältesten Periode der Majolikamalerei. Für sich 
allein könnten diese Momente allerdings nicht — bei dem Mangel an Vergleichs- 
material — zu einer so eng umgrenzten Datierung von sechs Jahren führen; in Ver- 
bindung mit den Wappen aber sind sie wohl geeignet, die Datierung zu bestätigen. 

Den Herstellungsort dieser Fliesen zu bestimmen, ist bis jetzt unmöglich. Es 
ist zwar eine kaum noch bestrittene Thatsache, dass in der zweiten Hälfte des 
XV Jahrhundens Faenza die erste Stelle auf dem Gebiete der italienischen Keramik 
eingenommen hat; es ist aber ebensowenig zu bezweifeln, dass auch andere Städte, 
wie Florenz, Venedig, Neapel Werkstätten besafsen, die schon damak in echter 
Fayence arbeiteten. 



48 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 



FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

FORTSETZUNG UND NACHTRAG') 
VON PAUL SEIDEL 

Das geringe Interesse, das man bisher der eingehenderen Erforschung der Ge- 
schichte der Kunstsammlungen Friedrichs des Grofsen bewiesen hat, macht es erklär- 
lich, dass das auf dieselben bezügliche archivalische Material noch in keiner Weise 
geordnet und gesammelt ist, und dass daher der Forscher auf diesem Gebiete so bald 
nicht zum Abschluss gelangen kann. Einerseits werden immer neue Quellen in den 
Archiven erschlossen, andererseits zeitigt die andauernde Beschäftigung mit den Kunst- 
sammlungen des grofsen Königs selber immer neue Resultate; durch die Zerstreuung 
der Kunstwerke in den Königlichen Schlössern und in den Museen wird die Bearbei- 
tung aufserordentlich erschwert, namentlich aber ist es vielfach unmöglich, die Akten 
und die Kunstwerke in Beziehung zu einander zu bringen, da wenigstens die Bilder 
in sehr vielen Fällen nicht genügend gekennzeichnet sind, und aufserdem entweder 
ihre Künstlerbezeichnungen gewechselt haben, oder doch unter den hochtrabenden 
Künstlernamen, unter denen sie erworben wurden, heute gar nicht mehr erkannt 
werden können. Die älteren Beschreibungen der Schlösser von Österreich und Ni- 
colai können hier auch oft nicht helfen, da die Placierung in vielen Fällen voll- 
ständige Änderungen erfahren Jiat. Wenn daher auch bei diesem neuen Material, 
das ich hier an die Öffentlichkeit bringe, die aufgeführten Kunstwerke nicht sämtlich 
festgestellt werden konnten, so konnte das doch bei einer Reihe ganz besonders 
wichtiger geschehen, und das Material als Ganzes lässt uns wieder einen tiefen Blick 
in die glühende Kunstliebe des grofsen Königs thun, und wir werden mit neuen 
Personen bekannt gemacht, die ihn bei der Erfüllung seiner Wünsche unterstützten. 
In manchen Beziehungen muss es weiteren Forschungen überlassen bleiben, über den 
Verbleib der erworbenen Kunstwerke Klarheit zu erhalten. 

Da die vorliegende Arbeit in vielen Beziehungen nur eine Ergänzung meiner 
früheren Publikationen im Jahrbuch bildet, so verweise ich wegen der allgemeinen 
Gesichtspunkte auf diese und begnüge mich hier mit einem Auszuge des Akten- 
materials, dessen Bedeutung durch Anmerkungen an den in Frage kommenden Stellen 
klargestellt werden wird. 

Hervorheben will ich an dieser Stelle nur, dass ein guter Teil der erworbenen 
Gemälde bei der bekannten Plünderung Charlotten burgs durch die österreichischen 
und sächsischen Truppen am 9. Oktober 1760 wieder verloren gegangen ist. Ein in 
den Akten des Oberhofmarschallamtes erhaltener eingehender Bericht des damaligen 
Kastellans giebt darüber interessante Einzelheiten. Es wird darin gesagt, dass aus 



') Vergl. Jahrbuch Bd. XIII S. 183—212. 



VON PAUL SEIDEL 49 



mehreren Zimmern, dem Schreibkabinet des Königs, der Grisdelin- Kammer, der 
Konzertkammer, die aus den Rahmen genommenen Bilder von den österreichischen 
Offizieren eingepackt und geraubt worden seien. Andere Bilder von Watteau und 
Lancret, genannt wird von Letzterem das Portrait eines französischen Prinzen, wurden 
vollständig zerschnitten, ein kleines Bild von Chardin wurde im Ganen wieder auf- 
gefunden. Das Firmenschild des Gersaint von Watteau ist jedenfalls nur seiner Gröfse 
wegen nicht mitgenommen worden. Zahlreiches Porzellan, die von den Wänden 
abgerissenen Gobelins und seidenen Tapeten, die von den Möbeln abgeschnittenen 
BezUge und viele ganze Möbel wurden bei dieser Gelegenheit hinweggeftlhn, der 
zahlreichen vandalischen Zerstörungen gar nicht zu gedenken. 

Von ganz besonderem Interesse sind die Ergänzungen der Nachrichten über die 
Erwerbungen von Kunstwerken aus Paris durch Graf Rothenburg. Am 17. Mai 1743 
erhielt Rothenburg eine Zahlung von 600 Thalern »pour le s' Petit qui a fait l'achat 
du cabinet de feu M. le Cardinal de Polignac«. Das Nähere über den Erwerb dieser 
Sammlung, bei dem Petit den Unterhändler machte, vergl. Jahrbuch Bd. 

Am S.März 1746 schreibt Rothenburg aus Potsdam an den König: 

Sire. J'envoie ^ijoint la note des tableaux (nicht mehr vorhanden), qui ont ete achete 
pour Votre Majeste; les huit premiers coutent 4500 ecus et le neuvieme de Watteau 450; La 
commode garni d*or moulu avec son dessus de marbre 400; toutes les trois sommes ensemble 
fönt 5350 ecus que je suplie Votre Majeste de me faire paier a Berlin. Je suis etc. 

Rottenbourg. 

Specification de ce que le Roy doit a Monsieur le comte de Rottenbourg: 

pour trois cheminees de marbre de vert campan et breche d*alep*) ä 1000 ecus piece 

avec les frais et emballages y compris sont 3000 ecus, 

pour 14 tableaux qui doivent venir de Paris dont Monsieur Petit a fait 

les pris 3750 » 

pour le port des 12 tableaux qui viennent d'arriver depuis Paris jusqu'ici 33 » 

total 6783 ecus, 
fait ä Potzdam 26.Septembre 1746. 

Rottenbourg. 

pour un tableau de Charle Wanlau (van Loo) 750 ecus. 

October 1746. 



Eine Reihe wichtiger Nachrichten erhalten wir aus folgender undatierter Rechnung 
Rothenburgs aus dem Herbst 1746: 

Sa Majeste doit a Paris pour deux lustres de Cristail de Roche . . . 4000 ecus, 
Pour un bureau a ecrire avec des ornements de bronse dore d*or 
moulus, avec un serre papier et une pendule de bronse dore d'or 

moulus dessus") . 2000 » 

6000 ecus 

^) Es ist mir nicht gelungen, diese und die später erwähnten Marmorkamine aus Paris 
mit Sicherheit in den Schlössern wieder nachzuweisen. 

* Die eingehende Beschreibung lässt keinen Zweifel, dass wir es hier mit dem schönen 
Cartonnier aus Cedernholz und Bronze in Sanssouci zu thun haben (abgebildet Jahrbuch 
Bd. XIV S. 131) einem einzig dastehenden Hauptwerke französischen Kunsthandwerks, das 
auf der Ausstellung von Kunstwerken aus dem Zeitalter Friedrichs des Grofsen berechtigtes 



50 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

6000 ecus 
Pour un Tableau de M. de Gase (Cazes) qui represente le jugement 

de Paris ^) 1250 » 

pour un Portrait de M. de Largilliere qui represente une jeune personne 

peinte en flore *).... 450 » 

Pour une grande pendule sur un piedestail dore d'or moulu et d^ecaille 1500 » 
Pour le port des deux lustres de Cristail de Roche venus en dernier 

temps de Paris depuis Strasbourg iusque ä Berlin 1 1 1 » 

Pour deux grands Tableaux de Pater pendants 1000 » 

Pour deux plus petits de Pater 500 » 

Pour deux tableaux de Chardin 450 • 

Pour un grand tableau de M. de la Fausse (Fosse) 750 » 

Pour le port des 14 Tableaux venus en dernier lieu de Paris ... 20 » 
De Plus pour un tableau de M. de Largilliere qui represente Venus et 

Adonis 500 » 

12531 ecus. 
Die erste Abschlagszahlung im Betrage von 5000 Thaler erhält Rothenburg am 
26. November 1746. 

Am 14. December 1746 erwähnt Rothenburg zwei von Petit besorgte Marmor- 
büsten. 

24. December 1746. »deux lustres de Cristail de Roche« 6000 ecus. 

»12 Tableaux de Lancret et de Pater« 3500 » 

Am 17. Januar 1747 betragen die Schulden des Königs für Ankäufe in Paris 
noch 6946 Thaler, nachdem eben 5000 Thaler bezahlt sind. 

Von folgender Rechnung über 5614 Thaler wird am 24. Mai 1747 der Betrag 
von 4000 Thaler bezahlt. 

Von der letzten Rechnung noch 5446 ecus 

depuis ce compte rendu pour le port d'une caisse venu de Paris avec sept 44 » 
tableaux de plus pour une autre caisse de 4 tableaux oü ont ete les 

trois Paters et le Natoire 33 » 

Plus pour le port des deux petits lustres de Cristail de Roche depuis 

Paris jusqu'a Berlin 91 »» 

56 14 ecus. 

Eine Abrechnung Rothenburgs vom 25. Juli 1747 lautet wie folgt: 

Sa Majeste restait a Paris le 24 du mois passe 6239 ecus 

depuis ce temps la Elle a fait acheter une coUection de 8 tableaux 

savoir: 

6239 ecus 

Aufsehen erregte. Ein zweites französisches Exemplar dieses Möbels ist nicht bekannt. 
Welchen Wert der König darauf legte, kann daraus ermessen werden, dass er durch den 
Dekorationsbildhauer und Kunsttischler Melchior Kambly eine ebenfalls in Sanssouci befind- 
liche Kopie anfertigen liefs, die er am 20. August 1749 mit 1800 Thalern bezahlte. Diese 
Kopie kann, namentlich in den figürlichen Teilen, mit dem Original allerdings nicht ver- 
glichen werden. 

^) Das nicht erfreuliche Bild mit fast lebensgrofsen Figuren befindet sich im Charlotten- 
burger Schlosse. 

*) Das etwas süssliche Bild, früher im Potsdamer Stadtschloss, jetzt im Neuen Palais, 
iSsst sich mit den mir sonst bekannten Werken Largillieres schwer in Einklang bringen. 



VON PAUL SEIDEL 5I 



6239 ecus 

deux Raoux ensemble 4500 livres 

deux Charle Coypels 2800 » 

trois Pater deux grands et un petit 5000 • 

un Chardin*) . 600 » 

12900 livres 
Cela fait en ecus 3225 • 



Sa Majeste devait donc 9464 ecus. 

Wenn auch die Rechnungen sehr lückenhaft erhalten sind , so zeugen doch die 
fast jeden Monat erfolgenden Zahlungen von 3000 Thaler »auf Abschlag der Pari- 
sischen Gelder« an Rothenburg, dass in den Ankäufen kein Stillstand herrscht Die 
nächste erhaltene Berechnung ist vom 24. Februar 1748 datien und lautet: 

Le 24 d'octobre de l'annee passee S. M. restait a Paris 7026 ecus 

Depuis on a fait ie marche de 10 tableaux paiable au mois de fevrierpre- 
sent qui fönt 

2 de Boulogne l'aine qui est le bon") 

1 de Boulogne le jeune 

2 de Lancret l ils coutent ensemble 18000 H. 

1 de Raoux [ ce qui fait 4300 

2 de la fausse 
2 de de Troie de Rome 

Sa Majeste devait le 24 de Novembre 1 1526 ecus. 

Mais Elle a fait paier le meine pour 3000 ecus 

et le 24 de Decembre 3000 » 

6000 ecus. 

Sa Majeste restait donc que 3526 ecus — gros. 

Mais a present j*ai re9u Textrait de depenses fait par Petit a 
Paris dans le cours de cette annee. Pour les droits de sortie 
et emballage des deux lustres envoie le 20 octobre 250 liv res = 62 » 12 > 

5388 ecus 12 gros. 
Pour tous les droits de sortie du Roiaume pour les tableaux 

et leurs encaissage et emballage 1400 livres 330 » — • 

plus pour les droits de sortie des cinq cheminees de marbre 

et leurs embalage en 18 grosses caisses dont les bois sont 

extremement epais 1600 R ce qui fait 400 » — • 

pour port de lettre et Bacres que M. Petit a mis en compte et 

autres frais 400 H 100 • — » 

De plus pour un lustre de bronze dore d'or moulu .... 330 • — » 

6988 ecus 12 gros. 

V) Bei der grofsen Anzahl von Bildern Lancrets und Paters im Königlichen Besitz 
wird die Bestimmung der hier erwähnten Bilder nur in den seltensten Fällen möglich ge- 
macht. Im vorliegenden Falle handelt es sich aber ohne Zweifel um die im Empfangszimmer 
des Königs in Sanssouci befindlichen Gemälde: Raoux: »Zwei Damen als Vestalinnen« und 
Gärtner und Gärtnerin«, Charles Coypel: »Die Überraschung« und »Dame bei der Toilette«, 
Pater: »Soldaten vor dem Wirthshause« und »Soldaten auf dem Marsche«. Die vier Bilder 
Chardins im Königlichen Besitz befanden sich ursprünglich in Charlottenburg und im Pots- 
damer Stadtschloss, heute sämtlich im Neuen Palais, vergl. Seidel: Friedrich der Grofse 
und die französische Malerei seiner Zeit. Berlin. A. Frisch 1893. 

*} Auch diese und die folgenden Bilder befinden sich fast sämtlich in Sanssouci. 

7* 



52 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

Am 19. März 1750 sendet Rothenburg folgende Berechnung ein: 

pour les 4 ressorts du carosse de Votre Majeste 125 ecus 

pour les droits de sortie du roiaume des cinq pendules emballage et 
pour les caisses 1500«. qui fönt i . 375 » 

Total de ce que le Roi doit 500 ecus. 



Die Beschaffung von Möbeln, Uhren u. s. w. aus Paris scheint später ganz in den 
Händen des Agenten Petit gelegen zu haben , worüber uns folgende Berechnung einige 
Auskunft giebt: 

Extrait du Registre de Recette et Depense tenu par le S. Petit Agent de Sa Maeste le Roy 
de Prusse a Paris pour le compte du Roy. 

1734. Recette, 

Mars 18. De Mr. Vernet L. 2924 . . »destine pour fournir des acomptes aux ouvriers d'une 

Pendulle ä etablir pour le Roy«. 
Juin 25. L. 6400 für einen Lustre cristal de Roche. 
Juillet 30. idem pour idem. 

1754. Depense, 

Juin 25. au S. Jullyot contre sa quittance pour fourniture et fa9on d'un lustre de cristal 

de Roche de deux pieds dix pouies de haut sur 2 pieds 2 poules de diametre 

ordonne par S. M. L. 6000. 
Aout 3. idem ä idem pour le second lustre L. 6000. 

Emballage etc. 794.10. 
Aout 9. De la somme de L. 5848 j'ay (? unleserlich) une seule quittance aux Ouvriers 

qui ont etabli et fourni la Pendulle du Roy a Carillon pour le prix de 1600 Ecus 

d'Allemagne qui ont produit au change etc. 5848 L. 

Hieraus können wir entnehmen, dass aufser den Lusires, die in grofser Anzahl 
aus Paris bezogen wurden, auch Uhren und dergleichen nach den Angaben und auf 
Befehl des Königs in Paris neu hergestellt wurden, als Regel müssen wir aber auf 
Grundlage der noch in den Schlössern erhaltenen Uhren aufstellen, dass diese Kunst- 
werke früherer Zeit entstammen , also aus dem Kunsthandel oder aus Privatbesitz auf- 
gekauft wurden, denn es sind fast durchweg zum Teil hervorragende Beispiele des 
style Regence, ja drei Bronze -Kronen aus Sanssouci und Stadtschloss Potsdam ent- 
stammen der besten Zeit des style Louis XIV. Ob wir irgend welche Schlüsse hieraus 
auf den Geschmack Friedrichs des Grofsen machen dürfen, oder ob der Zufall 
hierbei eine Rolle spielt, dürfte heute schwer festzustellen sein. 



Einige Hinweise auf die Erwerbungen des Königs geben auch die Abrechnungen 
mit den Berliner Kaufleuten Girard & Michelet, durch deren Hände die Geldabrech- 
nung mit den Pariser Agenten geht. So erfahren wir, dass der König von der Witwe 
des am 14. September 1743 verstorbenen Malers Lancret im Jahre 1746 zwei leider 
nicht näher bezeichnete Porträts für loooo Livres gekauft hat. Auf die bezügliche 
Rechnung von Girard & Michelet über ihre Spesen und Auslagen schrieb der König 
eigenhändig: »Die Rechnung ist aptequer (sie) mäsich sie mus exsaminiret werden 
und sol nichts mehr aus Frankreich an Michlet adressiret werden. (gez.) Friedrich.« 



VON PAUL SEIDEL 53 



Trotzdem scheinen Girard & Michelet die Vermittelung des Verkehrs mit Paris 
behalten zu haben. Im Februar 1755 liquidieren sie über 680 Livres für »un tableau 
representant: le Roy boit, original de Jordaens, *) expedie de Paris le 10 Janvier dernier 
par Mettra«. 

Bei den meisten dieser Rechnungen fehlt leider die nähere Bezeichnung der zu 
bezahlenden Ankäufe. So werden unter Anderm im Mai 1756 ftir zehn Gemälde 
43636 Livres, im März 1765 für eine Sendung von Gemälden Guidos 12000 Livres 
an Mettra übersandt. Einige Abrechnungen der nächsten Zeit enthalten manches 
Interessante : 
1765. 
19 Nov. de caisses M.D.C. Nr. 32 a 39 contenantes: le Rubens: Remus et Romulus et 
Bordüre;') la diseuse de bonne aventure de Roux,^) le Bassan et Rottenhammer; 
Leandre de Rubens; la grande Pendule; la petite Pendule; le Leonard de Vinci; 
envoie de Mettra pour S. M. 
19 Dec. 6 caisses Nr. 40345 contenantes les 4 lustres d'or moulu; les 2 Paters, bordures 
et le tableau du s. Amand : la famille de Darius. 
1766. 

5 Mai. Nr. 46. Une caisse contenant grande Tenture de Beauvais, histoire de Psiche.*) 
Nr. 54 a 59. la Pendule a fusee, son pied et chapiteau; le vanderWerff: 
enfant prodigue; des Paters; la suite de 14 Paters;^) deux tetes de Rubens et cinq 
tableaux sous condition. 
7 Mai. ä Mr. le baron de Thuyet de Seroskerken a Utrecht pour solde de ses debourses 
pour tableaux de Dominicain, achete en Hollande. 
6 Juillet. Nr. 63 a 67. 70 ä 73. 4 Lustres d'or moulu; le pied d*Ebene de la table montee; 
deux cadres des cinq tableaux sous condition; un Bon Boulogne; un Jule Romain; 
un Diogene de Guide: un van derWerff et 12 Lancrets sous condition. 

Nr. 47 ä 53 par mer. 3 Tables de marbre incruste et 2 d*albatre, 2 vases 
d'albatre. 

Nr. 60 ä 62. deux Tables d'agathe, une Table de marbre incruste de Florence. 
Nr. 74 a 76. assortiment des pieces d'un Service de Porcelaine de Sevres;*) 
un Corege; un Raphael; 

deux caisses d'envoie de M. le comte de Massini contenantes tableaux, un 
petit J. Romain et une Danae avec son cadre de Padovanini. 
1767. 
22 Aug. une caisse contenant un van der Werf, un Bourdon, un Lairesse, le pied de la 
table de Florence. 



^) Ein derartiges Bild mit dieser bekannten Darstellung von Jordaens befand sich in 
Charlottenburg und ist wahrscheinlich identisch mit dem heute in Schwedt befindlichen 
Gemälde. 

*) Bildergallerie in Sanssouci: Ausstellung von Werken der Niederländischen Kunst 
des 17. Jahrhunderts aus Berliner Privatbesitz Berlin 1890. Katalog Nr. 244. 

') Neues Palais. 

*) Eine sehr schöne Serie von Wandteppichen der Manufaktur von Beauvais mit Dar- 
stellungen aus dem Leben der Psyche nach Boucher ist heute in den Schlössern Neues Palais, 
Berlin und Coblenz zerstreut. 

^) Es handelt sich jedenfalls um die vierzehn Illustrationen zum Roman comique von 
Scarron im Neuen Palais. Ausstellung von Gemälden älterer Meister aus Berliner Privat- 
besitz 1883. Rococo - Galerie Katalog Nr. 11 — 24. 

*) Vergl. Jahrbuch Bd. XIII S. 209 den Schlusssatz in Mettras Brief vom 1. September 
1766, wo dieses Porzellan näher beschrieben wird. 



54 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

1768. 

20 Jan. . . un Jules Romain d'envoye de M. le comte de Massini. 

1769. 
II Sept. un tableau repr. une tete par le comte Chiusole. 
6 Nov. un d° du comte Cataneo^ copie d'un Guide de Venise. 

Durch die Hände der Bankiers Splitgerber & Daum in Berlin geht die Be- 
schaffung oder doch wenigstens Bezahlung zahlreicher Ankäufe des Königs. So liqui- 
dieren sie am 21. Juni 1764 über die auf der Versteigerung der Sammlung des Erz- 
bischofs von Köln in Bonn gemachten Ankäufe von 30 » Schildereien « mit Ansichten 
von Venedig, Rom und Paris/) zusammen für 369 Thaler (Katalog N0.405 — 411) und 
der Darstellung einer heiligen Margarete (Katalog N0.38) zu 192 Thalern. 

Der Conseiller de Sa Majeste de Freneau in Geldern erhielt im Juli 1764 eine 
Zahlung von 495 Thalern 5 Groschen für ein nicht näher bezeichnetes Bild. 

In demselben Monat werden an »monsieur Dubois de Chaterault, directeur 
general des monnaies de S. A. R. l'Infant Duc de Parmea für einen »Jules Romaina 
1827 Thaler und für eine »esquisse de Raphael« 913V2 Thaler bezahlt. Der Hofrat 
Bianconi in Rom erhielt im Jahr 1768 für die Lieferung eines Gemäldes von Pierre 
da Cortona die Summe von 1947 Thalern. »Ein Tableau die Israelitische Schlangen- 
plage, ganze Figuren in Lebensgröfse von Carrache, auf S. M. Befehl aus Dresden 
verschrieben«, kostet 800 Thaler. Das Bild, kein Carracci, sondern aus späterer Zeit, 
befindet sich in der Bildergallerie in Sanssouci. 

Bei der Versteigerung der Sammlung Braamkamp in Amsterdam erstanden Split- 
gerber & Daum durch die Vermittelung des Kunsthändlers Ploos van Amstel folgende 
Bilder für den König: 

No. 104.*) La fete de Flore par Lairesse ü, 600 

No. 188. Mars et Venus par Rottenhammer fi. 700 

No. 189. Les sept arts liberaux par d® fl. 1000 

Das erstere Bild von Rottenhammer, 26X18 Zoll grofs auf Kupfer gemalt, stellt 
nach dem Katalog die Überraschung von Mars und Venus durch Vulkan dar, aufser 
verschiedenen Einzelheiten wird noch ein von Breughel darauf gemalter Korb mit 
Blumen erwähnt. Nach Österreich befand sich das Bild im Neuen Palais. Das zweite 
Bild befindet sich heute in der Gemäldegalerie der Königlichen Museen, Katalog No. 690. 

Auch die Freunde des Königs sind natürlich bisweilen mit der Besorgung von 
Kunstwerken betraut; so wird an Algarotti im Januar 1748 die Summe von 100 Zecchinen 
für ein aus Venedig übersandtes Bild von Zuccarelli') bezahlt und der Marquis d*Argens 



^) Diese dreifsig auf Glas gemalten Städteansichten sind in Folge eines Umbaues aus 
dem Neuen Palais in den Vorrat gekommen. Den Katalog dieser Versteigerung habe ich 
leider nicht auftreiben können. 

') Catalogue du precieux cabinet de tableaux etc. par Gerret Braamkamp, lequel sera 
vendu Mercredi le 31 Juillet 1771. Amsterdam. No. 104. Haut 22 pouces sur 28 de large. 
Toile. Ce tableau represente une Fete de Flore; la figure principale est une Vestale qui fait 
un sacrifice a cette Deesse. La composition est des plus riches, et le coloris transparent 
Ce Maitre a grave lui-meme ce tableau. Österreich erwähnt dieses Bild im Neuen Palais. 

•j Nach Österreich befanden sich die in Sanssouci placierten beiden Bilder von Zuccarelli 
und Tiepolo: »Silen in einer Landschaft« und »Cicero entdeckt das Grabmal des Archimedes« 
im Besitze Algarottis; sie sollen 1745 gemalt sein. Für das zweite Bild vergl. Ausstellung 
von Gemälden älterer Meister im Berliner Privatbesitz, Katalog Uhrsaal No. 26. 



VON PAUL SEIDEL 55 



empfangt im Juni desselben Jahres 100 Thaler für ein Bild von Cazes: Venus bei der 
Toilette, das sich heute in Sanssouci befindet. Die im April 1749 durch d'Argens für 
1000 Thaler aus Marseille besorgten beiden Marmorstatuen werden wahrscheinlich 
Antiken gewesen sein. 

Auch des Königs Hofmaler Antoine Pesne verkauft ihm aufser seinen eigenen 
Werken Bilder seiner Landsleute, so im Februar 1746 zwei Gemälde seines Freundes 
Lancret zusammen mit zwei Kopien nach Porträts für 400 Thaler. 

Ein gewisser Pieter Baetens (Beeten), der persönlich in Potsdam anwesend ist, 
liefen dem König im November 1746 zwei Bilder von Watteau für 1650 Thaler und 
im August 1748 zwei BlumenstUcke von Huysum*) für 2200 Thaler. Auch Gotzkowsky 
verkauft aufser den im ersten Aufsatz bereits genannten dem König noch eine ganze 
Reihe von Bildern; im Mai 1755 ein grofses Bild von Rubens für 2500 Thaler und 
ein kleines für 1700 Thaler; ein Gemälde von Titian wird ihm im Dezember 1764 mit 
800 Thalern, ein Huysum") im September 1765 mit 1265 Thalern und ein Celesti mit 
500 Thalern bezahlt; im Februar 1766 erhält der »redliche Kaufmann« für einen Conca: 
»Die Contenance des Scipio« und für ein Bild von Limburg zusammen 1 100 Thaler 
und im Juni desselben Jahres liquidiert er für ein grofses Bild von Rubens: »Susanna«') 
2500 Thaler. 

Einige Privatsammler Berlins, von deren Sammlungen wir bisher nur durch 
einige Kupferstiche nach Gemälden ihrer Sammlung von G. F. Schmidt wussten, haben 
eine Reihe von Bildern an den König verkauft, die teilweise von Bedeutung sind. 
So verkaufte der Direktor Cesar im Jahre 1755 folgende drei Bilder für 7448 Thaler 
an den König: »L'Io du correge,*) La Dejanira avec le centaur Nessus par Rubens") 
und »La sainte famille par Andree del Sarto.« 

Im nächsten Jahre gingen zwei andere Bilder in den Besitz des Königs über: 
»L'Adoration des Rois par Paul Veronese« und »La Nativite de Notre Seigneur par 
Tintoret«; »ces deux tableaux furent choisis a Berlin par Sa Majeste Elle-m^me et 
accordes 1800 ecus«. Im Februar 1766 werden noch ein nicht näher bezeichnetes 
Bild für 750 Thaler und im Dezember 1769 eine »Französische Fufstapete von 
Savonnerie Arbeit« für 500 Thaler als von Cesar dem König verkauft erwähnt. 

Bedeutend umfangreicher sind die Ankäufe des Königs von dem »conseillera 
Jacques Trible in Berlin, dessen Beziehungen zu Friedrich uns zuerst im Jahre 1755 
begegnen. Am 3. September 1763 schreibt er nämlich Folgendes: 

•Sire, J'ai livre et vendu a V. M. ä la fin d'Octobre 1755 un grand tableau du Chevalier 
Libri, repr. un bain de Diane, pour la somme de 1 300 ecus. Je n*ai pu faire aucune demarche 
pendant la cours de la guerre, pour en etre paye et craignant que cette dette ne seit oubliee 
par mon long silence je supplie V. M. de vouloir bien maintenant ordonner en grace que 
le paiement m'en seit fait. Je suis etc. Trible. 

Im Januar 1768 liefert Trible an den König »une antique d'Herculanum, repre- 
sentant les trois graces« für 400 Thaler; im Juni desselben Jahres ein Gemälde von 
Correggio für 5500 Thaler, im Dezember 1769 ein Bild desselben Künstlers »TAmour 

\] Zwei schöne Blumenstücke Huysums, früher in Sanssouci, befinden sich heute im 
Marmorpalais. 

*) Wahrscheinlich identisch mit dem Bilde in der Königlichen Gemälde - Galerie, 
Katalog No. 972, ursprünglich im Neuen Palais. 

^) Bilder - Galerie in Sanssouci, Schulbild. 

*) Königliche Gemälde -Galerie, Katalog No. 216. 

^) Bildergalerie in Sanssouci, Schulbild. 



56 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

qui coupe son Arc«^) zu 3500 Thalern. Billiger sind zwei Bilder, die Trible im Mai 
1771 an den König verkaufte: »Un Tableau, representant S. Martin a cheval, distri- 
buant ses vötemenis aux pauvres;'') la figure qui est derriere le S. Manin est le portrait 
de Rubens . . . 800 ecus« und »Un Philosophe dans son etude, tableau de Rem- 
brandt') . . . 400 ecus.« Im November desselben Jahres erwirbt der König »un tableau 
de Carlo Maratti, represantant Diane et Endimion, prix 1800 ecus,« und im Juli des 
nächsten Jahres »ein grofses Bild von Benedetto Lutti, das Mars und Venus darstellte 
für 900 Thaler.« In den späteren Jahren kommen eine Reihe der Bilder van der 
Werffs*) durch Trible in die Bildergallerie von Sanssouci, so im April 1775 eine kleine 
Magdalena für 400 Thaler, ein Bild nach Rubens mit vielen Figuren (H. 23 Br. 18 Zoll) 
für 700 Thaler, ein gleiches mit drei Figuren, ebenfalls nach Rubens (H. 14 Br. 1 1 Zoll) 
für 400 Thaler, beide im September 1775, und im November desselben Jahres eine 
Kopie nach Le Brun (H. 22 Br. 16 Zoll) für 700 Thaler. Ein kleiner Eremit von 
Gerard Dou*) wurde im April 1775 mit 350 Thalern und »un grand et capital tableau 
de Correge , representant une Venus au bain« °) im Juli desselben Jahres mit 400 
Thalern bezahlt. 

Eine andere Lieferantin von Gemälden war im Jahre 1771 die Firma Truitte 
& Dan, anscheinend in Leipzig, denn ein Brief von Johann Daniel Dan ist aus Leip- 
zig datien, obwohl die Rechnungen die Ortsbezeichnungen Berlin und Potsdam tragen. 
Sie liefern drei Bilder von van der Werff, darunter ein nicht näher bezeichnetes für 
2100 Thaler und: »Diane au moment oü Elle aper9oit la grossesse de Calisto« sowie 
»Delila et Samson«, jedes für 1200 Thaler. Derselbe Preis wird ihnen für ein nicht 
näher bezeichnetes Bild der flämischen Schule bezahlt. Billiger mit seinen Preisen ift 
ein Mann Namens Samuel Schock, der im Februar 1770 dem König vier Bilder von Bon 
Boulogne für zusammen 1200 Thaler verkauft. 

Auch der nach allem, was wir von ihm hören, als Vermittler von Ankäufen 
nicht sehr vertrauenerweckende Inspektor der Gemälde -Galerie in Sanssouci, Matthias 
Österreich, besorgt eine Reihe von Bildern für den König. So werden durch ihn im 
Jahre 1763 Gemälde von Battoni in Rom, jedes mit 400 Dukaten bezahlt, auch die 
Sendung von Gemälden des Grafen Zanetti aus Venedig geht durch seine Hände. Im 
Jahre 1766 liefert er ein Gemälde von Conca: »Jakob und Rebekkaa für 500 Thaler, 
im nächsten Jahre eine Bronzebüste des Cicero aus Rom für 600 Thaler, und auf ein 
grofses Gemälde von Celesti erhält er einen Vorschuss von 700 Thalern. 

Auch die Rechnungen der Gemälde-Restauratoren geben Anhaltspunkte für die 
Zeit der Erwerbung zahlreicher Gemälde, doch würde es zu weit führen, hierbei auf 
die Einzelheiten näher einzugehen. Der erste Restaurator, den wir erwähnt finden, 
ist in den Jahren 1747 und 1750 der Maler Peter Franz Gerhardt, der auf Anweisung 
und unter Aufsicht von Antoine Pesne namentlich die Bilder im Schloss Sanssouci 



^) Schlechte Kopie nach dem Bilde des Parmeggianini in Wien, Katalog Nr. 342; 
früher als Correggio in der Bilder -Galerie in Sanssouci, jetzt im Vorrat. 

') Neues Palais; alte Wiederholung des Originales in Windsor. 

') Wohl identisch mit dem Bilde von Flinck, früher Neues Palais, jetzt Vorrat. 

*) Es befinden sich 20 Bilder der beiden van der Werff in der Bilder - Galerie von 
Sanssouci; die Mehrzahl ist aber dem jüngeren Pieter van der WerfF zuzuschreiben. Fast 
alle hier und später angekaufte Bilder dieses Künstlers sind noch in der Galerie nachweisbar. 

*) Bilder - Galerie in Sanssouci; Nachahmung. 

") Bilder - Galerie in Sanssouci; nach der Beschreibung identisch mit der Darstellung 
auf dem Bilde von Antonio Triva in der Gemäldegalerie zu Dresden, Katalog Nr. 386. 



VON PAUL SEIDFX 57 



restaurien. Wir sehen aus diesen Rechnungen, dass bereits im Jahre 1750 Sanssouci 
in derselben Weise mit Gemälden dekoriert war, wie es Nicolai 1786 beschrieben hat 
und wie sie noch heute mit wenigen Ausnahmen geblieben sind, abgesehen von den 
Zuthaten aus der Zeit, wo König Friedrich Wilhelm IV Sanssouci bewohnt hat. Be- 
merkenswert ist auch, dass eine Reihe von Bildern Watteaus, deren schlechte Erhal- 
tung bisher der Verwahrlosung und unzweckmäfsigen Behandlung unter Friedrich 
dem Grofsen zugeschrieben wurde, schon damals in scheinbar trostlosem Zustande 
waren. Ich führe hier nur die Dorfhochzeit von Watteau in der kleinen Galerie 
von Sanssouci an, deren Zustand im Jahre 1750 folgendermafsen beschrieben wird: 
»Ein Watteau von 108 Figuren, Hochzeitspaar, das zur Trauung geführt wird, welches 
durch Gesichter, Hände und Gewänder gerissen gewesen und man geglaubt hat, dass 
solches vom Papier aufgeschnitten und aufgeklebt gewesen , solches mit grofser Mühe 
und Fleifs wieder in guten Stand gesetzt, woran hätte billig 150 Thaler daran ver- 
dienet*) 100 Thaler«. 

Der Nachfolger Gerhardts ist der Maler F. Schultz, in dessen Rechnungen die 
renovienen Gemälde oft als neu eingetroffen bezeichnet werden. In einer Rechnung 
vom Februar 1765 wird auch das Hauptbild Watteaus: »Le debarquement pour l'isle 
de Cythere« zum ersten Male erwähnt und die Bezeichnung der Thätigkeit des Restau- 
rators lässt nur den Schluss zu, dass das Bild um jene Zeit eben erworben und im 
aufgerollten Zustande nach Potsdam gelangt war: »i Stück von Wattow II Depart 
pour Cythere aufgespant und zurecht gemacht, Rembrandt Moses mit den Gesetz- 
tafeln auf neue Leinwand und regerirt 30 Thaler «. 



*) Herr A. Hauser ist augenblicklich damit beschäftigt, dieses fast ganz verdorbene 
Bild wieder in Stand zu setzen, soweit das Oberhaupt noch möglich ist. 

(Schluss folgt.) 



58 DER TRIUMPH DES JACOBUS CASTRICUS 



DER TRIUMPH DES JACOBUS CASTRICUS 

VON V. VON LOGA 

Aus der Sammlung Oppermann hatte 1882 das Berliner Kupferstichkabinet einen 
unbeschriebenen Holzschnitt erworben, dessen vorzüglich gelungene Reproduktion 
in der Gröfse des Originals wir der Reichsdruckerei verdanken. Im Katalog unter 
den Anonymen aufgeführt und als der Triumph eines unbekannten Arztes bezeichnet, 
hat er in der Auktion nur den auffallend geringen Preis von 22 Mark erzielt; aber 
sicherlich verdient derselbe, in Komposition und Zeichnung gleich vollendet, eine 
weit gröfsere Beachtung als ihm bisher zu teil geworden. Auch scheint das Blatt 
überaus selten, denn alle Bemühungen, in einer der grofsen Sammlungen ein zweites 
Exemplar nachzuweisen, sind bisher erfolglos geblieben. 

Über die Darstellung kann kein Zweifel sein, auch geben die Beischriften mancherlei 
Erklärungen. Aus einem Triumphbogen bewegt sich, über die zu Boden gestürzten 
Krankheiten hinwegrollend, ein Prachtwagen, welcher auf seinem hohen Sitz die 
jugendliche Gestalt eines Arztes trägt. Praxis und Theorie sitzen zu Seiten des lorbeer- 
bekränzten Gelehrten, der gefesselte Tod ihm zu Füfsen. Das vorgeschirrte, phan- 
tastische Dreigespann wird von edlen Frauengestalten geleitet, welche als Attribute 
Pflanzen in den Händen tragen. Andere nicht minder schöne Frauen begleiten auf 
beiden Seiten den Zug, Kräuterstauden, Füllhörner oder Kränze emporhaltend. 

Das Wappen an der Archivolte des Triumphbogens giebt uns zur Personifizierung 
den ersten Anhalt: es ist dasjenige von Antwerpen. Die Anfangsbuchstaben zu Häupten 
des Triumphators lAC ' CAS können dann nur auf Jacobus Castricus gedeutet werden, 
einen Namen, den die moderne Geschichte der Medizin fast gänzlich vergessen, der 
aber in der ersten Hälfte des XVI Jahrhundens weit über die Niederlande hinaus 
einen guten Klang hatte. Jacques van den Kasteele, wie er in der Vulgärsprache heifst, 
geboren zu Hazebroeck in Flandern, hatte nach Vollendung seiner Studien an der 
Universität Löwen, sich in dem unter dem glücklichen Regiment Margarethens von 
Österreich mächtig aufblühenden Antwerpen als Arzt niedergelassen. Sein Geburtsjahr 
ist unbekannt, nur ein Ereignis hat sein Wirken vor völliger Vergessenheit bewahrt. 
Im Jahre 1529 war der sudor anglicus, jene furchtbare Epidemie, die i486 zum ersten 
Male im siegreichen Heere Heinrichs VII auftretend, seitdem sporadisch gleich der Cholera 
wieder erscheinend, in schrecklichster Weise England verwüstet hatte, nach dem Fest- 
land eingeschleppt worden. Als der Tod nun auch in den Niederlanden nach kaum 
24stündigen furchtbaren Qualen seine Opfer in grofsen Mengen dahinzuraffen begann, 
hatte sich das Ärztekolleg des schwer heimgesuchten Gent, nach Antwerpen an Castricus 
gewandt , dessen »rumor jam fere per Universum orbem dispersus est« : er möge 
Auskunft geben, wie man dem todbringenden Übel begegnen könne. Kasteeies Ant- 
wort ist uns in einem kleinen Sendschreiben erhalten, welches unter folgendem Titel 
zuerst in Antwerpen erschien, dann wiederholt nachgedruckt worden ist: Jacobi Gastrici 




KI A N s M o 1 fi } ' \' I) i: R j C \ f : h \ : ' 

1> E R TRI L M P 1 1 j . } > I A k f > , •, \ - i j j c U S 



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HANS HOLBEIN DER JÜNGERE? 

DER TRIUMPH DES JAKOB CASTRICUS 

HOLZSCHNITT IM K, KUPFERSTICHK ABINET ZU BERLIN 



VON V. VON LOGA 59 



Haesbrocani physici antverpiensis de sudore epidemiali quem anglicum vocant ad 
medicos Gaudenses epistola. Antverpiae per loann^m Grapheum mense octobri anno 
1529.*) Die kleine Schrift enthält einige Winke über die Behandlung der Kranken: 
gröfsere Zuführung von Wärme den stark Fiebernden und Purgativmittel, Regeln, über 
welche die heutige Wissenschaft lächeln würde. Von Castricus weiteren Schicksalen ist 
nichts bekannt; unser Holzschnitt findet sich nirgends erwähnt. Die naheliegende Ver- 
mutung, das Blatt stünde in irgend einem inneren Zusammenhang zu den eben erwähnten 
Ereignissen, oder hätte als Illustration zu jenem Buche gedient, findet bei genauer Prüfung 
nur geringe Wahrscheinlichkeit. Leider ist es mir nicht gelungen, ein Exemplar der 
Originalausgabe aufzutreiben, Broeckx scheint ein solches gekannt zu haben, aber schon 
Haeser sah sich gezwungen, weil er die kleine Schrift auf keiner Bibliothek fand, den 
Pariser Nachdruck zu seiner Neuausgabe zu benutzen. Auch ist es sehr unwahr- 
scheinlich, dass man ein so grofses Blatt bei dem kleinen kaum zwei Bogen starken 
und wahrscheinlich in Oktav gedruckten Büchlein als Illustration sollte verwendet 
haben. Vor allem sprechen innere Gründe gegen diese Hypothese. Wassersucht, 
Fieber und Pest sind die am Boden liegenden Krankheiten, und die durch Beischriften 
genauer charakterisierten Medikamente, denn als solche sind die idealen Frauengestalten 
aufzufassen: melissa (Bienensaug) , mentha (Pfefferminz) und arthemisia (Wohlverleih) 
sind keineswegs schweifstreibende Mittel und überdies in der Schrift vom sudor anglicus 
mit keinem Worte erwähnt. Auch die Tiere, welche den Wagen ziehen, der Hirsch, 
die Löwin und jenes wunderbare Fabelwesen, ein Zwischending von Ross und 
Schwein, sind wohl ebenfalls als Symbole von Heilmitteln aufzufassen. 

Dennoch werden wir die Entstehung unsers Holzschnittes auch aus stilistischen 
Gründen, und zwar hauptsächlich wegen der strengen Renaissance -Formen in der 
Architektur, um 1 530 setzen müssen, in jene Zeit, in welcher Castricus auf der Höhe 
seines Ruhmes stand. Über den Künstler fehlt uns jeder Anhalt; so sehr überragt 
künstlerisch dieses Blatt alles Andere, was auf xylographischem Gebiet damals in Ant- 
werpen geleistet worden, dass man nach fremdem Einflüsse zu suchen gezwungen ist. 
Wer anders als Holbein, denken wir zunächst, hätte damals ein so bedeutendes Kunst- 
werk schaffen können? Und in der That ist sein Aufenthalt in Antwerpen zu wieder- 
holten Malen in dieser Periode ziemlich gut yerbürgt. 1 526 hatte ihm Erasmus dorthin 
an Peter Aegidius ein Empfehlungsschreiben gegeben, 1528 auf der Heimreise von 
England nach Basel dürfte er wahrscheinlich die Hauptstadt der Niederlande berührt 
haben, und als er 1532 nach London wieder zurückkehrte, hat ihn vielleicht sein Weg 
dort vorbeigeführt. Doch können wir uns nicht verhehlen , dass unser Blatt mit den 
freilich sehr spärlich erhaltenen Werken Holbeins aus dieser Epoche nur geringe Ver- 
wandtschaft zeigt. Auf einen andern Holzschnitt, offenbar von der gleichen Hand wie 
der Triumph des Castricus, hat mich Herr Dr. Kristeller freundlich aufmerksam ge- 
macht; es ist dies eine Caritas,') welche seit 1533 Jan Grapheus als Signet seines Ver- 
lages benutzte, derselbe Drucker, welcher Kasteeies Schrift verlegt hatte. 

*) Neugedruckt in Notice sur Jacques Vandenkasteele et sur la suette par C. Broeckx 
Anvers 1849 ^^d bei Grüner und Haeser: scriptores de sudore anglico Jenae 1847 P^g- 3- 

') Abgebildet bei G. van Havre: Marques typographiques des imprimeurs et libreurs 
Anversois Antwerpen -Gent 1883. 



6o DIE WANDGEMÄLDE VON S. ANGELO IN FORMIS VON FRANZ XAVER KRAUS 



DIE WANDGEMÄLDE VON S. ANGELO IN FORMIS 

BEMERKUNG ZU DER ABHANDLUNG VON FRANZ XAVER KRAUS 

Gegenüber der von meinem hochverehrten Herrn Kollegen in seiner Abhandlung 
(Jahrbuch der Königlich Preufsischen Kunstsammlungen, Band XIV, S. 98, 99) aus- 
gesprochenen Vermutung, mein Urteil über die Wandgemälde in S. Angelo in Formis 
sei vorläufig nur auf die Abbildungen bei Sirmond, Salazaro und Schulz gestützt, 
habe ich zu bemerken, dass ich im Jahre 1872 die Wandgemälde an Ort und Stelle 
einer eingehenden Betrachtung unterzogen habe, und dass mein im Repertorium für 
Kunstwissenschaft (Band XV, S. 380) gethaner Ausspruch, wonach ich in ihnen das 
Erzeugnis einer süditalisch -griechischen Künstlerschule aus dem 1 1 . Jahrhundert sehe, 
sowie eine frühere, in meiner Schrift: »Über den Stil Niccolo Pisano's und dessen 
Ursprung« 1873, S. 27, enthaltenen Äufserung, die Fresken in S. Angelo in Formis 
seien wesentlich byzantinisch, auf diesem Studium der Originale beruhen. 

Da sich der Abschluss einer an die Abhandlung des Herrn Professors Dr. Kraus 
anknüpfenden Arbeit länger hinauszieht, als ich gedacht hatte, sehe ich mich veranlasst, 
diese Bemerkung gesondert zu veröffentlichen. 

E. DOBBERT. 



Gedruckt in der Reichsdruckerei. 






V ■ ■ / 

JAHRBUCH 



DER 



KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 



KUNSTSAMMLUNGEN 




FÜNFZEHNTER BAND 
n. HEFT 



3 BERLIN 1894 

G. GROTESCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG 



INHALT. 



Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen: 

Berlin: 

Königliche Museen XIII 

Königliche National - Galerie XXIV 



STUDIEN UND FORSCHUNGEN 

Julius Meyer 6i 

Mit einem'^Biidnis des Verstorbenen nach einer filteren Photographie. 

Die Madonna mit dem Kanhäuser und Heiligen von Jan van Eyck. Von 

Hugo von Tschudi 65 

Mit einer'^afel in Heliographie und einer Textabbildung. 

Tizian und Alfons von Este. Von C. Justi 70 

Mit acht Textabbildungen. 

Friedrich der Grofse als Sammler. Schluss. Von Paul Seidel 81 

Mit einer Abbildung im Text. 

Die Italienischen Niellodrucke und der Kupferstich des XV Jahrhunderts. Von 

Paul Kristeller 94 

Mit zwei tafeln in Lichtdruck und neun Textabbildungen. 

Die Radierungen der Schüler Rembrandts. Von W. von Seidlitz .... 119 

Pastellbildnis des Grafen Francesco Algarotti von Jean-Etienne Liotard. Von 

Paul Seidel. . » 122 

Mit einei^afel in Farben -Kupferdruck. 



Redakteur: In Vertretung V. v. LOGA 



/ 



Fünfzehnter Jahrgang 



No. 2. 



I.April 1894 



AMTLICHE BERICHTE 



AUS DEN 



KÖNIGLICHEN 



KUNSTSAMMLUNGEN 



DAS JAHRBUCH DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN KUNSTSAMMLUNGEN ERSCHEINT VIERTELJÄHRLICH 
ZUM PREISE VON 30 MARK fOr DEN JAHRGANG. 



I. KÖNIGLICHE MUSEEN 
1. Oktober — 31. Dezember 1893 



A. SAMMLUNG DER 
SKULPTUREN UND GIPSABGÜSSE 

I. ANTIKE SKULPTUREN 

Von den bei den Ausgrabungen in Magnesia 
am Mäander gemachten Funden hat die Kai- 
serlich Türkische Regierung den Königlichen 
Museen aufser den im vorigen Bericht er- 
wähnten Skulpturen und Inschriftsteinen, die 
jetzt unter Dach gebracht sind, noch eine 
grofse Zahl Architekturproben Überlassen. 
Diese Proben rühren meist von dem be- 
rühmten, von Hermogenes erbauten Artemis- 
tempel her, der in der Geschichte der Bau- 
kunst einen bedeutsamen Wendepunkt be- 
zeichnet; andere von dem neu entdeckten, 
etwas älteren, durch besondere Zierlichkeit 
der Arbeit ausgezeichneten Zeustempel auf 
der Agora und von den umgebenden archi- 
tektonischen Anlagen. Die diese Architektur- 
teile enthaltenden Kisten haben bisher wegen 
Raummangel unausgepackt bleiben müssen. 

Für die Sammlung der Abgüsse wurden 
erworben: aus Athen drei Köpfe und ein 
Gewandfragment der Kolossalstatuen von Ly- 
kosura, die Reliefs von der Basis der praxi- 
telischen Gruppe in Mantinea, der Krieger 



aus Delos; aus London der weibliche Kopf 
von der Säule und ein Kopffragment von der 
Sima des alten Artemistempels in Ephesos, 
ein männlicher Kopf auf Milet; aus Paris die 
Statue des sogenannten Idolino. 

KEKUL^ 



II. BILDWERKE 
DER CHRISTLICHEN EPOCHE 

Die Abteilung wurde durch eine Reihe 
von Schenkungen seitens ihrer Gönner in 
dankenswerter Weise bereichert. 

Das Hauptstück ist die Terrakottabüste 
einer Florentiner Dame vom Ende des XVI 
Jahrhunderts; durch die tadellos erhaltene 
alte Bemalung von besonderem Interesse für 
unsere reiche Sammlung farbiger Renaissance- 
skulpturen, in der eine Büste aus dieser Zeit 
noch fehlte. Sie ist ein Geschenk des Herrn 
Valentin Weisbach. 

Die Sammlung der kleinen Bronzen wurde 
um mehrere Stücke bereichert; darunter sind 
von besonderem Wert die Statuette eines Hof- 
zwerges von Cosimo I, geschenkt von Herrn 
G. M. R., die Statuette eines Jongleurs in der 
Art des CELLINI und ein paar Statuetten von 
DONATELLOS Schüler BELLANO. Unter etwa 
dreifsig neuen Plaketten, sämtlich Geschenke 
ungenannter Gönner (wie die vorgenannten 
Statuetten), ist das Hauptstück eine gröfsere 
Tafel mit dem hl. Georg von RICCIO, eine 
der bedeutendsten Arbeiten des Künstlers in 
dieser Art und das einzige bisher bekannte 
Exemplar. Von RicciO auch eine reich de- 
korirte kleine Lampe. 

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XV 



AMTLICHE BERICHTE 



XVI 



Unter den deutschen Skulpturen sind ein 
gröfseres Relief in Solenhofer Stein , die Ma- 
donna zwischen zwei Engeln, wahrschein- 
lich von JODOCUS VREDIS von Münster, sowie 
das Wachsporträt Gellerts von Wichtigkeit, — 
letzteres ein Geschenk des Herrn Giel- 
dzinski in Danzig — ,das dem Museum durch 
die Güte Seiner Excellenz des Herrn Ober- 
präsidenten der Provinz Westpreufsen, Staats- 
minister a. D. Dr. von Gossler vermittelt 
wurde. Eine gute gröfsere Buchsmedaille Kai- 
ser Karls V wurde von Herrn Grafen Döhn- 
hoff-Friedrichstein geschenkt. 

BODE 



B. ANTIQ.UARIUM 

Der Sammlung gingen einige Geschenke zu : 

Von Frau Professor Emma Ross in Halle 
a./S. Goldschmuck und ein Kameo mit Eros 
auf Panther, sowie ein Terrakottaköpfchen, 
von den griechischen Inseln. 

Von Herrn Dr. F. Deibel in Berlin gol- 
dene Ohrringe in Traubenform aus Kertsch, 
ein Glasgefäfs und ein Bronzehirsch aus Süd- 
frankreich. 

Von Herrn Geheimen Regierungs - Rat 
Curtius ein apulischer Krater mit einem 
Knaben, der Steckenpferd reitet. 

Von zwei Ungenannten eine altgriechische 
bemalte Scherbe aus Troja, sowie eine An- 
zahl ältester griechischer Scherben von ver- 
schiedenen Plätzen. 

I.V.: 
FURTWÄNGLER 



C. MÜNZKABINET 

Die Sammlung erwarb im letzten Viertel- 
jahr zwei hochwichtige Funde deutscher Brak- 
teaten des Mittelalters. Der eine, der Fund 
von KACHSTEDT, gelangte als Geschenk des 
Königlichen Ministeriums für Landwirtschaft 
an das Museum und enthielt neben einer 
grofsen Anzahl gröfstenteils sehr zerstörter 



und fragmentierter Stücke vieles gute und 
seltene^ darunter einen grofsen Brakteaten 
Nordhäuser Fabrik mit dem doppelten an- 
haltischen Wappenschild unter dem mit 
Pfauenfedern besteckten anhalter Helm, eine 
bisher völlig unbekannte, schöne und merk- 
würdige Prägung des Askanischen Fürsten- 
hauses, ferner seltene Stücke von Schlotheim 
und Beichlingen. 

Aus dem Funde von HOHENULKFIEN er- 
hielt die Sammlung 232 Stück Brakteaten; 
für die Sammlung wichtig waren mehrere 
Exemplare des durch diesen Fund zuerst 
bekannt gewordenen Brakteaten von Wilhelm 
von Lüneburg, Heinrich des Löwen Sohn. 

Aufser diesen gröfseren Funden erwarb 
die Sammlung noch 71 Stück (2 AI 60 JRg iE), 
dabei den kleinen Münzfund von LEETZE, 
Denare des X Jahrhunderts enthaltend, unter 
ihnen als höchste Seltenheit ein Stück von 
Zürich, vom Herzog Conrad von Alemannien, 
{+ 997)* ß^i ^^"^ Funde befand sich noch 
das gleichzeitige lederne Geldtäschchen. 

Geschenke erhielt die Sammlung vom Kö- 
niglichen Ministerium für Landwirtschaft so- 
wie von Herrn A. Goumont in Aachen, Herrn 
Dr. Dressel, Fräulein Friedrich in Werni- 
gerode, Herren W. Hahlo in Wien, Professor 
Dr. Pick in Gotha, G. Pniower in Breslau, 
Unterstaatssekretär Freiherr vonRotenhahn 
und Wirkl. Geh, Rat von Schi oezer, Ex- 
cellenz. 

V. SALLET 



D. ÄGYPTISCHE ABTEILUNG 

Wir haben in diesem Quartal eine Reihe in- 
teressanter Geschenke dankend zu erwähnen. 

Herrn Dr. F. Deibel verdanken wir meh- 
rere kleine Altertümer, darunter den Goldring 
eines Priesters von Bubastis aus der saitischen 
Zeit und einen interessanten nordsyrischen 
Siegelcylinder. 

Herr Dr. Pierson schenkte einen Ring 
aus gelb und roter Fayence mit dem Namen 
der Gemahlin Amenophis* III. 

Herrn Grafen Ustino ff in Jaffa verdanken 
wir zwei kleine ägyptische Altertümer, die 
durch ihren Fundort (zwischen Jaffa und As- 
kalon) von Interesse sind. 



XVII 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



XVIII 



Endlich übergab uns ein alter Freund der 
Abteilung, Herr Dr. C. Reinhardt, den Sarg 
und die Mumie eines Sperbers. 

ERMAN 



E. MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE 
I. ETHNOLOGISCHE ABTEILUNG 

INDIEN. 

Geschenke. Herr Sanitätsrat Dr. Bar- 
tels in Berlin: javanische Spielsachen aus 
Malang bei Surabaya. Herr Bankassistent 
Loechel in Friedenau: zwei Münzen aus 
Niederländisch- Indien. Herr Bergassessor 
Dr. Martin in Bonn: Kleider der Karen 
(Tenasserim). Herr Gossler in Hamburg: eine 
silberne Kanne (»cutch-work«)und einige Pho- 
tographien. Herr D. M. de Zilva Wickre- 
masinghe, z. Z. in München: zwei Elu- 
Handschriften auf Palmblättem mit Hymnen 
an Dämonen. 

Erwerbungen. Zwei malaiische Waffen 
aus dem Nachlasse des Herrn Professor Hart- 
mann; ferner eine indische Miniatur, Fakire 
darstellend; Theaterkostüme zur Aufführung 
des Tamil-Schauspiels Sakuntaleiviläsam aus 
Jaffna (Ceylon), durch Vermittelung des Kai- 
serlich Deutschen Konsulats in Colombo. 

OSTASIEN. 

Geschenke. Wirklicher Geheimer Rat 
Herr von Brandt, Excellenz: chinesische 
Bildrollen mit Darstellung populärer Gott- 
heiten, sowie eine tibetische Lamenmütze. 
Herr Abramowsky in Moskau: eine japa- 
nische Porzellantasse mit email cloisonne. 
Herr Geheimer Medizinal - Rat Professor Dr. 
V i r c h o w : drei chinesische Klangsteine. Herr 
Dr. von Luschan: drei japanische Pfeile. 
Herr stud. K. Jimbö, hier: Ainu- Photo- 
graphien. 

Erwerbungen. Einige japanische Eth- 
nographica sowie ein chinesisches sogenanntes 
Cash- Schwert aus dem Nachlasse des Ge- 
heimen Medizinal- Rates Professor Dr. Hart- 
mann. Drei Statuetten von Volksgöttem von 
Herrn Konsul Feindel in Amoy. 



EUROPA. 

Geschenk. Herr Ober - Telegraphen- 
Assistent K. Hoffmann, hier: Messer und 
Ring aus Serbien. 

AMERIKA. 

Geschenke. Herr Strebel in Hamburg: 
eine Anzahl mexikanischer Altertümer der 
Sammlung Doormann, die in diesem Herbst 
in Hamburg zur Versteigerung kam. Herr 
Adam in Paris: Photographien seiner Samm- 
lung von Altertümern aus San Salvador und 
Chiriqui. 

Erwerbung. Ein Paar Mokassin aus dem 
Nachlass des Herrn Professor Dr. Hartmann. 

AFRIKA. 

Geschenke. Herr Graf von Seh wei- 
nitz schenkte eine grofse und sehr wichtige 
Sammlung von seiner ostafrikanischen Reise 
aus Gegenden, die bisher im Museum teil- 
weise überhaupt noch nicht vertreten waren. 
Herr Legationsrat Sonnenschein schenkte 
aus seiner Privat -Sammlung mehrere Stücke, 
gleichfalls aus Ostafrika, die eine sehr em- 
pfindlich gewesene Lücke unseres Museums 
ausfüllten. Herr Emil Benjamin und 
Herr Colmar Schmidt schenkten jeder 
erwünschte Ergänzungen zu unserer Samm- 
lung von dem ostafrikanischen Küstensaum. 
Das Deutsche Antisklaverei- Comite 
schenkte Doubletten aus der grofsen Bau- 
mannschen Sammlung. 

Erwerbungen. Durch Ankauf aus dem 
Nachlasse von Geheimrat R. Hartmann konn- 
ten eine Reihe neuer oder interessanter Stücke 
erworben werden, meist aus Ostafrika und 
dem Sudan. Eine andere Erwerbung aus Ost- 
afrika besteht in einer kleinen, aber lehr- 
reichen und durch sehr genaue Aufzeich- 
nungen des Sammlers besonders wertvollen 
Serie aus Usambara, die Herrn C. Holst zu 
verdanken ist. 

Aus Südafrika ist nur ein durch besondere 
Kleinheit ausgezeichneter Schild zu erwähnen, 
der als Geschenk des Kaiserlichen Dragomans 
Herrn Dr. Reinhardt eingegangen ist. 

Aus Westafrika schenkte Herr Dr. Traun 
in Hamburg, in Fortsetzung früherer reich- 
licher Zuwendungen eine gleich erwünschte 
Serie ethnographischer Stücke und vier Pho- 

ir 



XIX 



AMTLICHE BERICHTE 



XX 



tographien aus Portugiesisch- Guinea. Herr 
Wassy Langheld schenkte zwei Elfenbein- 
Nadeln der Manyema. Herr Direktor Dr. 
Buchner, München, schenkte eine Photo- 
graphie einer alteren Elfenbeinschnitzarbeit 
von der Westküste. 

Durch Ankauf wurden zwei Waffen aus 
der Gegend des mittleren Aruwirai erworben. 

SÜDSEE. 

Geschenke. Herr Regierungsrat Rose: 
eine erlesene Sammlung aus Kaiser Wilhelms- 
Land. Frl. A. Wegner: zwei für die Samm- 
lung noch neue Stücke aus Neu -Guinea und 
von den Salomon- Inseln. Herr Baron von 
Hügel in Cambridge: drei sehr kostbare, 
ältere Stücke aus Tahiti und Fidschi. Herr 
Baron von Müller in Melbourne schenkte 
eine kleine steinerne Speerspitze aus West- 
Australien. Herr Professor Dr. W. Joest: 
eine aus dem Nachlasse des Konsulats- Kanz- 
lers Tannert stammende, dreizehn Nummern 
umfassende Sammlung, meist aus Mikronesien, 
darunter eine kleine geschnitzte Figur aus 
Ponape. Herr H. Rolle: eine Photographie 
von Schnitzwerken aus dem Bismarck- 
Archipel. 

Durch Austausch mit dem Provinzial- 
Museum in Hannover gelangte eine Reihe 
wertvoller älterer Stücke in den hiesigen Be- 
sitz und andere wurden durch Ankäufe in 
England erworben. 

A. BASTIAN 



Anmerkung. Bei dem vorigen Bericht ist der auf 
Afrika bezügliche Passus leider ohne Korrektur zum Satz 
gelangt. In Richtigstellung hat derselbe folgendermafsen 
zu lauten: 

AFRIKA. 

Geschenke. Herr Konsul a.D. Ernst Vohsen. 
eine Purrah-Maske aus Westafrika (eine aus verschiedenen 
Gesichtspunkten sehr willkommene Bereicherung). Herr 
Dr. Otto 01s hausen: ein Sporn aus Marokko. Herr 
Professor Dr. Schwein furth: Rinde von Brachystegia 
und Rindenzeug aus Uhha. Herr Dr. F. Stuhlmann 
und Herr Dr. A. Greeff: Gipsmasken und Handabgüsse 
der Stuhlmannschen Pygmäen vom Ituri. Herr Pflanzer 
Goldberg: eine Sammlung von £we-Thonpfeifen. 

Erwerbungen. Ethnographische Sammlungen von 
den Konde, den Knopneusen und aus Katanga. Eine 
ethnographische Sammlung aus Bali und von den Ba- 
kundu. Zwei Federhüte aus Mittelafrika, durch Tausch 
gegen Balisachen (von Herrn Dr. Heck). 



11. VORGESCHICHTLICHE ALTERTÜMER 

PROVINZ BRANDENBURG. 

Geschenke. Herr Stadtkassen - Rendant 
Sperling in Storkow: einen Steinhammer, 
zwischen Storkow und Cummersdorf, Kr. 
Beeskow- Storkow, gefunden. Herr Ritter- 
gutsbesitzer Schulze in Sammenthin: einen 
Steinhammer, bearbeitete Hirschhornstücke, 
eine grofse Bernsteinperle und eine Bronze- 
fibel von Sammenthin, Kr. Arnswalde. Herr 
Landrath von Meyer in Arnswalde: sehr 
reiche und interessante Funde aus einem 
Gräberfelde der späteren römischen Kaiserzeit 
(etwa III oder IV Jahrhundert), einen Stein- 
hammer von Neu-Wedell, Kr. Arnswalde. 
Herr Chaussee- Aufseher Jäger in Arnswalde: 
einen Schädel von einem Skeletfunde bei dem 
Senzig-See, Kr. Arnswalde. Herr Directorial- 
Assistent Dr. Sei er in Steglitz: eine Urne 
und Beigefäfs von Sellessen, Kr. Spremberg. 

Ankauf. 75 Urnen und BeigefUfse aus 
einem Gräberfelde bei Deutsch -Sagar, Kr. 
Krossen. 

PROVINZ POMMERN. 

Geschenk. Herr Regierungsrat Frie- 
densburgin Friedenau : eine grofse römische 
Mosaikperle aus Glas mit Maskendarstellungen 
aus der Gegend von Stolp. 

Ankäufe. Zwei grofse Urnen und zwei 
mützenförmige Geftlfsdeckel von Rummels- 
burg. Dolch und Meifsel aus Feuerstein von 
Moritzhagen auf Rügen. 

PROVINZ POSEN. 

A n k ä u f e. Eine Anzahl von Thongeföfsen 
und ein Steinkistengrab aus Luschwitz, Kr. 
Fraustadt. Vier Thongeftlfse von Gulcz, Kr. 
Filehne. 



PROVINZ SCHLESIEN. 

Geschenk. DasMuseum schlesischer 
Altertümer in Breslau: drei bemalte 
Thonschalen von Woischwitz, zwei von Grofs- 
Tschansch und zwei von Göllschau , Kr. Gold- 
berg - Haynau. 



XXI 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



XXII 



Ankauf. Neun ThongefUfse aus Siegen- 
dorf, Kr. Goldberg - Haynau. 

PROVINZ SACHSEN. 

Ankauf. 2 Pfriemen, 1 Harpune, 2 Kno- 
chenringe und Urnenscherben von Freiburg, 
Kr. Querftirt. 

RHEINPROVINZ. 

Geschenke. Die Fortification in 
Cöln: einen grofsen Steinsarg, in Cöln ge- 
funden. Herr Gymnasialdirector Dr. Schnei- 
der in Duisburg: eine Urne und Scherben 
von Duisburg. 

Ankäufe. Thongefäfse und Scherben 
aus vonrömischer Zeit von Dieblich, Kr. Co- 
blenz. Ein kleines römisches ThongefUfs von 
Reidenhausen , Kr. Zell. Urne, Scherben etc. 
von Bensberg und Heumar, Kr. Mülheim, 
Waxweiler, Kr. Prüm. 

PROVINZ HANNOVER. 

Geschenke. Herr Weingrofshändler 
Schleyer in Cuxhaven: vier kleine Urnen, 
Lanzenspitze, Dolch und Schwert aus Eisen 
von Alten walde. Kr. Lehe. 

Ankauf. Zwei kleine Steinbeile von 
Uetze, Kr. Burgdorf. 

PROVINZ SCHLESWIG - HOLSTEIN. 

Geschenk. Herr Dr. O. Olshausen in 
Berlin : einen Gypsabguls von einem Beil aus 
dioritifchem Gestein von Helgoland. 

HOHENZOLLERN. 

Geschenk. Das Fürstlich Hohen- 
zollernsche Museum in Sigmaringen: 
eiserne Spatha, Skramasax, Lanzenspitze, 
einen Schildbuckel, ein Messer und fünf Ring- 
Bruchstücke von Gammertingen. 

MECKLENBURG- SCHWERIN. 

Geschenk. Herr Gutsbesitzer Stau- 
dinger sen. in Lübsee: ein Bronze -Sichel- 
messer von Lübsee. 



THÜRINGEN. 

Ankäufe. Zwei Coliectionen von ver- 
schiedenartigen Steingeräten. 

BAYERN. 

Ankäufe. Eine Sammlung von Thon- 
gef^fsen, Bronzen und Eisengeräten aus Ein- 
zelgräbern der Oberpfalz. Ein grofser Bronze- 
Grabfund von Altdorf in Mittelfranken. 

ÖSTERREICH - UNGARN. 

Geschenk. Herr stud. med. P. Rein ecke 
in Berlin: Thonscherben, römische Mosaik- 
fliesen etc. von Carnuntum, Aquincum und 
Wall am Stein. 

SCHWEIZ. 

Geschenk. Frl. J. Schlemm in Berlin: 
vier Photographien von dem »Pierre aux fees« 
genannten Steindenkmal in Genf und von 
einem Steinkistengrabe von Auvernier. 

GROSSBRITANNIEN. 

Geschenk. Herr Geheimrat Prof. Dr. R. 
Virchow: ein paläolithisches Feuersteinbeil 
von Barton Cliff bei Lymington, England, 
und 6 Feuerstein-Pfeilspitzen aus Nord-Irland. 

A. VOSS 



F. KUNSTGEWERBE-MUSEUM 



A n k ä u f e 

Seine Majestät der Kaiser und König haben 
Allergnädigst aufserordentiiche Mittel für 
Ankäufe auf der Welt-Ausstellung zu 
Chicago zu gewähren geruht. Es sind 
aus diesen Mitteln über zweihundert 
Stücke nordamerikanischer Herkunft er- 
worben , welche jedoch z. Th. nach Be- 
stellung neu anzufertigen waren. Die 
Ankäufe können daher erst im Frühjahr 
1894 ausgestellt werden. 



XXIII 



AMTLICHE BERICHTE 



XXIV 



Geschenke 

Herr G. Buss; Bruchstücke von Fliesen, ge- 
funden unter dem Fundament des 1726 
gebauten Hauses Post -Strasse Nr. 12; 

Herr Hofantiquar J. A. Lewy: Henkelglas be- 
malt; Zeichnung des Kronleuchters in 
der Marien -Kirche zu Danzig; 

Herr Dr. F. Jagor: Proben indischen Farbe- 
verfahrens durch Abbinden; 

Herr Louis Oscar Roty, Bildhauer zu Paris: 
6 Medaillen und Plaketten. 



Leihgaben 

Frau Consul Gaertner: zwei alt- japanische 
Tempellampen, Bronze; 

Herr Dr. Otto E. Ehlers: zwei Porzellan- 
Vasen aus Arita in Japan. Geschenk des 
Kaisers von Japan. 



Arbeiten neuerer Industrie 

Herr VICTOR Seifert: Figur, Gipsmodell, 
Knabe mit Muschel; 

Herr HEINRICH : Figur, Gipsmodell, bronziert. 
Knabe eine Heuschrecke greifend; 

KUNSTGEWERBE -VEREIN : Concurrenz- Ent- 
würfe für einen Meisterbrief der Bau-, 
Maurer- und Zimmermeister; 

Herr CARL SIEBENPFEIFFER in Pforzheim: 
Silberarbeiten mit durchsichtigem Email; 

Herr TOSTRUP in Kristiania: Silberarbeiten 
mit durchsichtigem Email, nach Ent- 
würfen des Architekten TH. PRYTZ ; 

Herr Professor F. BEHRENDT: Abendmahls- 
geräte für die Gnadenkirche; entworfen 
von F. Behrendt, in Silber ausgeführt von 
O. Rohloff; 

Herr OTTO ROHLOFF: Deckelbecher, Silber 
getrieben ; 

Herr Professor w. WIDEMANN: Tafelaufsatz, 
Silber und Kristall. 



LV SONDERAUSSTELLUNG 
vom 2. bis 27. November 1893. 

Im Anschluss an einen Fachabend des 
Kunstgewerbe -Vereins : alte Stickereien aus 
der Sammlung des Kunstgewerbe -Museums 
und moderne Stickereien aus Privatbesitz. 



LVI SONDERAUSSTELLUNG 
vom I. Dezember 1893 bis Mitte Januar 1894 

Bedruckte Stoffe, vornehmlich englische 
Möbelstoffe, aus dem Besitz der hiesigen Ge- 
schäftshäuser Moritz Busse, Gebhardt & Rös- 
sel, Hermann Gerson und H. Hirschwald, 
sowie des Kunstgewerbe - Museums. 

LESSING 



II. NATIONAL-GALERIE 

Erwerbungen im 2. Halbjahre 1893. 

A. ÖLGEMÄLDE 

E. HENSELER (Berlin), Bildnis Hoffmanns von 

Fallersleben in seinem Studierzimmer zu 
Corvey. 

C. SALTZMANN (Berlin), Kreuzerfregatte "Leip- 
zig" bei Sl Helena. 

H. MÜHLIG (Düsseldorf), »Nach der Treibjagd«. 

L. HERZOG (Düsseldorf), »Vom Eise zerschellt«. 

V. WEISHAUPT (München), Ziehende Vieh- 
heerde. 

H. GUDE (Berlin), Spgnefjord mit Wikinger- 
schiffen. 

L. DILL (München), Holländischer Kanal. 

O. FRENZEL (Berlin), Viehheerde in den Ost- 
see-Dünen. 

J. WENGLEIN (München), »Winter am Isar- 
Ufer«. 

G. BIERMANN (Berlin), Bildnis des verstor- 
benen Geh. Reg. Rats Prof. Dr. Lepsius. 

O. JERNBERG (Düsseldorf), »Erntezeit«. 

L. SPANGENBERG (f Berlin), Amphitheater 
bei Pompeji. 

Gesamtaufwand 34500 Mark. 

B. BILDWERKE 

F. STUCK (München), Athlet, Bronzestatuette. 
J. GOETZ (Berlin), Wasserschöpfendes Mäd- 
chen, Bronzestatuette. 

G. BUSCH (München), Betendes Mädchen, 

Holzfigur. 

Gesamtaufwand 4200 Mark. 

C. AQUARELLE UND HANDZEICHNUNGEN 
H.v. HESS (f München), Das Abendmahl, Blei- 
stiftzeichnung zum Wandgemälde im 
Kloster St. Bonifaz zu München. 



XXV 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



XXVI 



O. WISNIESKI (f Berlin), Friedrich II. vor der 
Schlacht hei Leuthen, 2 Entwürfe in öl. 

H. PRELL (Berlin -Dresden), Aquarellen nach 
des Künstlers Freskogemfllden in der Rat- 
haushalle zu Hildesheim: 

1. Ludwig der Fromme und seine Ge- 
mahlin verieihen dem Bischof Guntar 
das Bistum Hildesheim. 

2. Bischof Bernward empfängt den Be- 
such Kaiser Heinrichs II. 

3. Einftlhrung der Reformation in Hildes- 
heim durch Bugenhagen. 

L. DETTMANN, nFrÜhling im Grunewald« 
DERSELBE , » Sommerabend « 
CHR. KRÖNER, »Tannenwald« 
DERSELBE, »Möven im Acker« 

»Meeresufer« 

»Wald -Hohlweg« 

»Wald- Lichtung« 

»Wald- Lichtung im Herbst« . 



DERSELBE, 
DERSELBE, 
DERSELBE, 
DERSELBE, 



> 



Kreide- 
zeich- 
nungen 



G. BLElBTREü (f), General Bülow 

bei Dennewitz 
DERSELBE, Kronprinz Friedrich 

Wilhelm bei Wörth 
DERSELBE, General v. Hartmann 

vor Paris 

Gesamtaufwand 13 400 Mark 



Als Geschenk des Künstlers erhielt die 
Königliche National - Galerie die Aquarelle 
von L. DETTMANN »Nach dem Regen«. 



Am 19. November 1893 wurde im 2. Cor- 
neliussaale eine Sonderausstellung des künst- 
lerischen Nachlasses von OTTO BRANDT, PAUL 
SCHOBELT und JULIUS SCHOLTZ eröffnet. 

JORDAN 



Berlin, gedruckt in der Keichsdruckerei. 




x^^^^ ^^^^^^ 



Am i6. December 1893 ^^^^^ ^u München Dr. Julius Meyer, der frühere Direktor 
der Königlichen Gemäldegalerie, welcher diese Blätter mitbegründet und an ihrer 
Herausgabe bis zum Ausscheiden aus seinem Amt und zu seiner Übersiedelung nach 
München mit Rat und That lebhaften Anteil genommen hat. Die nie verblasste Er- 
innerung an den treuen Mitarbeiter und Freund wird doppelt lebendig in dem Augen- 
blick, wo wir lernen sollen, seine Teilnahme an unseren Bestrebungen, seinen Rat 
und seine Mitarbeit auf immer zu entbehren. 

Julius Meyer war 1830 zu Aachen geboren. Sein Vater hatte in den Freiheits- 
kriegen der hannoverschen Armee als Offizier angehört, den Dienst aber früh ver- 
lassen und sich in das Privatleben zurückgezogen. Der Sohn besuchte das Mann- 
heimer Gymnasium und studierte dann mehrere Semester in Göttingen Jurisprudenz. 
Ein längerer Aufenthalt in Paris, wo er Familienbeziehungen hatte, reifte sein Interesse 
für Kunst und gab seinem Leben eine neue Richtung. Seit 185 1 lag er in Heidelberg 
philosophischen und litteraturgeschichtlichen Studien ob. Von besonderer Bedeutung 
aber für seine Entwickelung war es, dass er zu David Fr. Straufs in nähere Beziehungen 



62 JULIUS MEYER 



trat, welche bis zu dessen Tode in gleicher Wärme fongedauert haben, und noch 
1865 ihren Ausdruck in einer kleinen Schrift über Straufs' Leben Jesu für das deutsche 
Volk fanden. 

Einen flufseren Abschluss gab er den Studienjahren dadurch, dass er 1853 ^ 
Tubingen den philosophischen Doktorgrad mit einer Abhandlung über die Geschichte 
der Ästhetik seit Kant erwarb, die er aber ungedruckt liefs. 

Erst am Anfang der sechziger Jahre trat er von München aus, wohin er über- 
gesiedelt war, in den Grenzboten mit einer Reihe von Aufsätzen über Malerei, Skulptur 
und Architektur hervor, welche durch Ernst und Tiefe der Auffassung, durch Sicher- 
heit und Schlagfertigkeit der Kritik und Darstellung damals in weiten Kreisen Auf- 
sehen erregten, indess der Verfasser sich hinter einer Wenigen kenntlichen Chiffre 
verborgen hielt. Manchen der älteren Generation wird noch gegenwärtig sein, wie 
wirksam diese Aufsätze in eine damals unverkennbar sich vollziehende Wandlung 
der Kunstanschauungen eingriffen. Im Jahre 1867 endlich erschien, als reife Frucht 
langjähriger Vorstudien, die Geschichte der modernen französischen Malerei seit 1789, 
im Jahre 1871 seine Monographie über Correggio. 

Beide Bücher zeigen J. Meyer auf der Höhe eines gereiften Geistes und einer 
reichen Bildung. Er nimmt es gleich streng mit den Aufgaben einer in alle Seiten 
des Kunstwerkes gleichmäfsig sich versenkenden Kennerschaft und den nur durch sie 
zu lösenden Fragen der Kritik, wie mit der Ausnützung aller litterarischen und sonstigen 
urkundlichen Dokumente zur Gewinnung einer verlässlichen Unterlage seiner Dar- 
stellung. Aber so sehr er die Aufgabe der Kunstgeschichte vor Allem darin sucht, 
dass sie eben eine Geschichte der Kunst sein solle, d. h. die Entwickelung der 
Kunst als solcher darzustellen habe, so sucht er doch nicht minder diese Kunst- 
entwickelung in ihrem Zusammenhang mit dem ganzen Kulturleben zu begreifen und 
dem Leser zum Verständnis zu bringen. 

Am Anfang der siebziger Jahre hatte er den Plan eines gröfseren litterarischen 
Unternehmens gefasst, eine von Grund aus neue Bearbeitung des Naglerschen Künstler- 
lexikons. Leider hat sich das Werk, trotz grofser daran gewendeter Mühe und zahl- 
reicher Mitarbeiter, praktisch als undurchführbar erwiesen und ist nicht weit über den 
dritten Band hinaus gediehen. Jedenfalls war Meyers in fpäteren Jahren durch ernste 
Leiden eingeschränkte Arbeitskraft der doppelten Aufgabe der Fortführung dieses Unter- 
nehmens und eines verantwonlichen Amtes, nicht mehr gewachsen. 

Ein solches Amt hatte sich ihm im Jahre 1872 geboten, als der damals an die 
Spitze der Königlichen Museen in Berlin berufene Graf Usedom ihm den Vorschlag 
machte, die durch Waagens Tod erledigte Direktion der Königlichen Gemäldegalerie 
zu übernehmen. Kurz zuvor war der damalige Kronprinz, nachmalige Kaiser Friedrich, 
zum Protektor der Museen ernannt worden; die veränderte Lage des Staates liefs auf 
reichere Mittel für die Zwecke der Kunst und Wissenschaft hoffen, und so kam Vieles 
zusammen, was Meyer die neue Aufgabe verlockend erscheinen liefs. Noch vor Ablauf 
des Jahres 1872 erfolgte seine Ernennung. 

J. Meyer brachte zu dem neuen Amt eine ungewöhnlich reiche und vielseitige 
Bildung, Geschmack und warme Mitempfindung für alle künstlerische Produktion, und 
eine umfassende Kenntnis der Denkmäler der neueren Kunst mit. Sein Kunstinteresse 
war eindringend und allseitig. Man könnte auf ihn die Worte anwenden, mit denen 
W. Burger (T.Thore), dessen Schriften er besonders hochhielt, seine eigene Stellung zur 
Kunst bezeichnet hat: il aimait tout en gendral^ si ce n*est qu'il abhorrait les vieilles rou- 
tines. Für alles wirklich lebendige Schaffen, mag es sich auf den höchsten Höhen des Ideals 
bewegen oder bescheiden in den Grenzen einer sinnigen Vertiefung in die Wirklichkeit 



JULIUS MEYER 63 



halten, besafs er die gleiche Empfänglichkeit. Und so hat er bei der Erweiterung der ihm 
anvertrauten Galerie nach allen Seiten mit gleich unbefangener Liebe seine Aufmerk- 
samkeit gerichtet, um von allen wahrhaft schöpferischen Schulen und Richtungen das 
Beste zu gewinnen. In diesem Sinne hat er, in engem Verein mit seinem Mitarbeiter 
und Nachfolger, zu erreichen gewusst, was unter den schwierigen Verhältnissen der 
Gegenwart irgend zu erreichen war. Vor Allem hatte er schon am Anfang seiner Amts- 
führung das Glück, die Sammlung Suermondt für Berlin zu gewinnen, und hat nach 
manchem schönen Erfolg vielleicht keine gröfsere Freude im Amt gehabt, als die, 
Dürers Holzschuher der ihm anvertrauten Sammlung einverleiben zu können. 

So glücklich J. Meyer für die Leitung einer Kunstsammlung wie der Königlichen 
Galerie ausgerüstet schien, so mochte doch die Übernahme des neuen Amtes für einen 
Mann gewagt erscheinen, der 42 Jahr alt geworden war, ohne andere als selbstgewShlte 
Pflichten und Aufgaben kennen gelernt zu haben. Aber jedes Bedenken, das man hätte 
hegen können, erwies sich bald als grundlos : auch in die Forderungen des täglichen 
Dienstes fand er sich rasch hinein und widmete ihnen dieselbe gleichmäfsige Sorgfalt, 
mit der er seinen höheren Aufgaben zu genügen suchte. 

Besonders glücklich bewährte sich seine liebenswürdige Gesinnung, seine reiche 
Bildung und weltmännische Erfahrung, wie die unbedingte Zuverlässigkeit seines Cha- 
rakters, als bei den Königlichen Museen an die Stelle älterer, den veränderten Verhält- 
nissen nicht mehr entsprechender Einrichtungen im Jahre 1878 eine Organisation 
der Verwaltung trat, welche einesteils den Direktoren der einzelnen Sammlungen eine 
weitgehende, selbständige Verantwortlichkeit auflegte und andererseits gröfsere An- 
forderungen an ihr Zusammenwirken und ihre gegenseitige Unterstützung stellte. 
Jede einzelne der Sammlungen bringt für ihren Leiter Aufgaben mit sich, die er allein 
kaum völlig zu lösen vermag; und selbst wo er ihnen genügt, ist es ihm wertvoll und 
beruhigend, das eigene Urteil an dem Urteil sachkundiger und erfahrener Kollegen 
zu prüfen und zu befestigen oder zu berichtigen. In dieser Möglichkeit des Zu- 
sammenarbeitens und gegenseitiger Förderung und Ergänzung liegt ein unschätzbarer 
und manche unleugbare Schwierigkeit weit überwiegender Vorteil des engen Zu- 
sammenschlusses einer gröfseren Zahl selbständiger Sammlungen. Aber er setzt bei 
den Beteiligten die Fähigkeit und die Bereitwilligkeit voraus, mitzuteilen und zu em- 
pfangen. Diese Fähigkeit besafs J. Meyer in hohem Grade: er wusste dankbar die 
Mitwirkung der durch jene Organisation geschaffenen Sachverständigenkommissionen 
zu schätzen und hatte ebenso grofse Freude an dem Anteil, den Kollegen seinen Be- 
strebungen zollten, wie er deren Thätigkeit und ihre Erfolge mit regem Interesse 
begleitete und zu fördern bereit war. Auch an den Arbeiten des Senats der K. Aka- 
demie der Künste, dem er seit deren Reorganisation angehörte, nahm er lebhaften 
und fruchtbaren Anteil. 

Als J. Meyer 1872 die Leitung der Galerie übernahm, fand er ihre Räume noch 
fast durchgängig in der Gestalt und der Ausstattung vor, welche ihnen Schinkel bei 
der Erbauung des Alten Museums gegeben hatte; nur dass die Lichtverhältnisse durch 
die Errichtung des Neuen Museums eine schwere Beeinträchtigung erfahren hatten. 
Inzwischen war auch der Sammlung durch Waagens umsichtige Bemühungen mancher 
wichtige Zuwachs zu Teil geworden, der den Mangel an geeigneten Räumen zur wirk- 
samen Aufstellung grösserer Werke noch fühlbarer machte. Ein Versuch zur Besserung 
war bereits geschehen durch den von dem Baumeister Tiede gebauten Oberlichtsaal. Er 
hatte den Weg vorgezeichnet, auf welchem Abhilfe für die mehr und mehr hervor- 
getretenen Übelstände zu suchen war. So wurde auf Meyers Betrieb unter seiner Ver- 
waltung ein durchgreifender Umbau ausgeführt, welcher an der ganzen Nordseite des 



64 JULIUS MEYER 



Gebäudes Oberlichtsfile herstellte, die kleineren mit Seitenlicht versehenen Räume in 
wesentlich veränderter Gestalt nur an der Ost- und Westseite bestehen liefs und 
für Beschaffung der jeder grösseren Sammlung unentbehrlichen Magazine und sonstigen 
Nebenräume sorgte. Unermüdlich in Versuchen, auch in der Ausstattung der Räume 
das Beste und für die Bilder Günstigste herauszufinden, hatte er die Genugthuung, 
den von dem Baumeister der Museen, Prof. Kühn begonnenen, von seinem Nach- 
folger, Baurat Merzenich fortgeführten Umbau im Jahre 1884 vollendet zu sehen und 
am 8. Dezember das Kronprinzliche Paar, welches seiner Person und seiner Thätigkeit 
alle Zeit ein besonders gnädiges Interesse geschenkt hat, durch die in neuer Auf- 
stellung voneilhafter und reicher sich darstellende Sammlung geleiten zu dürfen. Eine 
Zeit mannigfacher Schwierigkeiten und Nöthe, welche durch den Wunsch, die Samm- 
lung dem Publikum nie ganz zu entziehen, sondern wenigstens immer zur Hälfte zu- 
gänglich zu erhalten sich noch gesteigert hatten, war damit abgeschlossen. Doch 
fehlte es auch dann nicht an wichtigen und schwierigen Aufgaben. 

Eine besondere Fürsorge hat J. Meyer der Herstellung der litterarischen Hilfs- 
mittel gewidmet, deren das Publikum für eine fruchtbare Benutzung öffentlicher 
Sammlungen nicht entraten kann. Der Waagensche Katalog der Galerie, zuerst bei 
ihrer Eröffnung erschienen und in einer Reihe von Auflagen sorgfältig nachgebessert, 
genoss eines wohlverdienten Ansehens. Aber er war längst vergriffen und die neuen 
Ankäufe, die veränderte Aufstellung der Sammlung und die inzwischen stetig fortge- 
schrittene Forschung machten eine völlig neue Arbeit erforderlich. Um dem dringendsten 
Bedürfnis zu genügen, erschien zuerst 1878 ein beschränkter Katalog der während 
des Umbaues ausgestellten Gemälde (von J. Meyer und W. Bode), dem 1883 eine neu 
bearbeitete, vollständige Ausgabe (von Meyer, Bode und Scheibler) folgte. Eine dritte 
knapper gefasste Auflage erschien 1891, zu einem erheblichen Teil noch von Meyer 
selbst, im Übrigen gröfstenteils von Dr. von Tschudi bearbeitet. Bei der Abfassung 
und Redigierung dieser Kataloge war Meyers Bestreben vor Allem darauf gerichtet, 
durch genaue Feststellung alles thatsächlichen der Forschung eine zuverlässige Unter- 
lage zu schaffen und in allen erläuternden Angaben den augenblicklichen Stand der 
wissenschaftlich begründeten Kenntnis genau zur Anschauung zu bringen. Dem Urteil 
des Beschauers wollte er nicht vorgegriffen, sondern nur durch Winke, namentlich 
durch Hinweis auf verwandte Werke zu Hilfe gekommen sehen. 

Freier konnte er sich in dem grofsen, von der Groteschen Verlagshandlung 
unternommenen Galeriewerk ergehen, dessen Text er mit W. Bode zu bearbeiten 
übernommen hatte. Damit knüpfte er an seine früheren schriftstellerischen Arbeiten 
wieder an und fand in dieser Aufgabe, der er auch nach seinem Rücktritt treu blieb, 
besondere Freude und Befriedigung. 

Als ernste körperliche Leiden, die sich lange vorbereitet hatten, ihn zu häufigerer 
und längerer Unterbrechung seiner amtlichen Thätigkeit zu nötigen begannen, ent- 
schloss er sich schweren Herzens zum Rücktritt aus einer SteUung, der er seine 
besten Jahre und seine besten Kräfte gewidmet hatte und an der er mit grofser Liebe 
hing. Am i. Oktober 1890 schied er aus und zog sich nach München zurück, schmerz- 
lich vermisst von den Kollegen und zahlreichen Freunden, die nun, nach seinem Hin- 
scheiden, ihn von Herzen betrauern und ihm eine dankbare und verehrungsvolle Er- 
innerung für immer bewahren werden. 



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DIE MADONNA M. D. KARTHÄUSER ü. HEILIGEN VON JAN VAN EYCK V. HUGO V. TSCHUDI 65 



DIE MADONNA MIT DEM KARTHÄUSER UND HEILIGEN 
VON JAN VAN EYCK 



VON HUGO V. TSCHUDI 



Als ich im Jahre 1889 das kurz zuvor für die Königlichen Museen erworbene 
Bildchen, die Madonna mit dem Karthäuser von Jan van Eyck in diesen Blättern be- 
sprach, musste ich die Frage nach dem Verhältnis desselben zu einem anderen Ge- 
mälde des Meisters, das nach Crowe und Cavalcaselle die Madonna mit einem knieenden 
Dominikaner darstellen sollte, unentschieden lassen. Später erst habe ich dieses zweite 
Bild kennen gelernt und seitdem wiederholt gesehen/ Gegen alles Erwarten grofs zeigte 
sich nun die Verwandtschaft zwischen den beiden Werken, ja gröfser als diejenige 
zwischen irgend welchen anderen Schöpfungen Jans, die beiden Franziskusdarstellungen 
ausgenommen. Dieser überraschende Zusammenhang, sowie der Umstand, dass die 
merkwürdige Tafel noch nirgends abgebildet und nur sehr ungenau beschrieben 
worden war, lässt eine kurze Schilderung derselben an dieser Stelle wohl gerecht- 
fertigt erscheinen. Der beistehenden Heliogravüre liegt eine von Braun in meinem 
Auftrage angefertigte Photographie zu Grunde, deren Herstellung der Besitzer des 
Bildes, Baron Gustav von Rothschild in Paris, in liebenswürdigster Weise gestattet hatte. 

Unter einem prunkreichen Baldachin steht Maria, die Himmelskönigin, das 
segnende Kind auf dem Arm. Die ganze Farbenpracht seiner Palette lässt der Meister 
hier aufleuchten. Den Hintergrund bildet ein rot und grün gemusterter Goldbrokat 
auf dem grofse blaue Blumen stehen. Ein Band, das weit geschwungene Ranken 

umschlingt, trägt die Worte AVE, GRA, PLEA. Grüne Fransen umsäumen das Dach 
und den persischen Teppich, der unter den Füfsen der Madonna die Fliesen des 
Fufsbodens deckt. Sie selbst ist von einem weitfaltigen blauen Mantel eingehüllt, der 
mit einem juwelenbesetzten Saum auf den Boden stöfst. Darunter, nur wenig sichbar, 
ein tiefrotes hermelinverbrämtes Gewand von einem grünen golddurchwirkten Gürtel 
umschlossen. 

Noch gehoben erscheint dieses koloristische Prachtstück durch zwei dicht daran 
gerückte neutralfarbige Massen: das weifse Karthäuserhabit des knieenden Stifters und 
das Schwarz des Mantels, der die zur anderen Seite stehende Nonne vom Scheitel bis zur 
Sohle umhüllt und nur ein Stückchen des weifsen Kopftuches und einen schmalen 
Streifen des grauvioletten Untergewandes sehen lässt. Eine kräftigere Note wird wieder 
in der heiligen Barbara angeschlagen die mit ihrem zinnoberroten Mantel und grünen 
Brokatkleid den Kontrast zwischen dem Weifs der Mönchskutte und den tiefen Tönen 
der Gegenseite einigermafsen mildert. 



66 DIE MADONNA MIT DEM KARTHÄUSER UND HEILIGEN VON JAN VAN EYCK 

On der Handlung ist eine romanische Loggia, auf deren Fufsboden helle blau- 
gemustene Fliesen mit Platten aus Porphyr und Verde antico abwechseln; grüne und 
schwarze Marmorsäulen erheben sich über dem Parapet, das wie die Wandung oben 
einen gleichmfifsig bräunlichen Anstrich zeigt. 

Durch die niederen Bogenöffnungen, an den Köpfen der Heiligen vorbei, strebt 
der Blick hinaus in eine weithin sich dehnende Landschaft. Ein idyllisch beschau- 
licher Vorgang drinnen, ein Traumbild sehnsuchtsvoller Frömmigkeit, und draufsen 
das frisch pulsierende Alltagsleben, ein Stück unmittelbarster, treu geschilderter Wirk-, 
lichkeit. Von einem fernen schneebedeckten Gebirgszug strömt an burgengekrönten 
Vorbergen vorüber ein mächtiger Fluss in Windungen dem Vordergrund zu. An 
seinem Ufer dehnt sich eine befestigte turmreiche Stadt; mit hohem Bogen über- 
spannt ihn eine steinerne Brücke, die ein gotischer Bildstock schmückt, und auf 
der es von Menschen wimmelt. Schwäne schwimmen auf dem Wasser, ein voll- 
besetzter Kahn gleitet darüber hin, andere Bote haben am Ufer angelegt. Die Thor- 
bogen der Stadtmauer öffnen sich auf das geschäftige Treiben der Gasse. Auf der 
Strafse vom ein Bauernwagen von einem Leinwanddache überspannt, unter dem ein 
Pärchen vorlugt. Am Himmel ein Zug Kraniche und darüber leichte Haufenwolken. 
Zur Linken erstreckt sich ein Obstbaumgelände, ein Reiter und ein Jäger mit Speer 
ziehen des Weges, auch ein lustwandelndes Paar fehlt nicht. Schafe weiden auf einer 
grünen Trift, aus einem Thaleinschnitt ragen ein Kirchturm und Hausdächer empor, 
eine Herde Rinder steht auf einer Bergkuppe scharf gegen die Luft und aus der 
Feme glänzen wieder die Schneehäupter herüber. Fremdartig genug ragt inmitten 
dieser Landschaft das Attribut der Barbara auf, ein massiger gotischer Turm mit 
durchbrochenem Helm. Durch das dreiteilige von einem geschweiften Spitzbogen über- 
spanntes Fenster blickt man in das Innere, wo sich von einem sternenbesäten blauen 
Grund die Bronzestatue des Mars — wie eine Unterschrift besagt — abhebt. 

Vergleicht man dieses Gemälde mit dem Berliner Bild, so fällt vor allem die Über- 
einstimmung des Stifters auf. Hier wie dort ist derselbe Kanhäuser dargestellt, die 
Warze auf der Nasenwurzel schliefst jeden Zweifel aus, nur jugendlicher aber keines- 
wegs liebenswürdiger erscheinen die derben beschränkten Züge auf der Rothschildschen 
Tafel. Die Übereinstimmung bleibt aber nicht bei der Identität der Persönlichkeit 
stehen, sie erstreckt sich auf die ganze Haltung, den Wurf des Gewandes, den Bruch 
der einzelnen Falten. Immerhin kann von einer blofsen Kopie nicht die Rede sein. 
Verschiedene kleine Abweichungen, namentlich die etwas veränderte Stellung der Hände, 
verraten den frei gestaltenden Künstler, der in beiden Fällen nur dieselbe Skizze als 
Gmndlage benutzte. Weicher und geschmeidiger zeigt sich die Drapierung auf dem 
Berliner Bilde, aber vielleicht steht die Scharfbrüchigkeit des Stoffes auf dem anderen 
der Natur noch näher. 

Nicht viel erheblicher sind die Unterschiede in der Darstellung der hl. Barbara, aber 
sie sind zu Gunsten derjenigen auf dem Rothschildschen Gemälde ausgefallen. Freier 
und gröfser steht sie neben dem Stifter, der weiter geöffnete Mantel, dessen einer Zipfel 
emporgezogen und über den rechten Arm geschlagen ist, lässt den Körper und die 
oberen Gliedmafsen deutlicher hervortreten. Leicht und doch entschieden legt sich die 
Rechte auf die Schulter des Schutzbefohlenen, während die Linke, die Palme zwischen 
Daumen und Zeigefinger haltend, auf die Madonna deutet. Wie diese sprechende Hand 
statt dessen bei uns den unmittelbar herangerückten Turm ergreift, kommt der etwas 
verkümmerten Haltung der Figur keineswegs zu gute. 



VON HUGO V. TSCHUDI 67 



War bisher die allgemeine Anordnung wenigstens durchaus identisch, so zeigt 
dagegen die Madonna trotz der übereinstimmenden Funktion, Ähnlichkeit des Typus, 
der Haartracht und Gewandung doch ein wesentlich anderes Bewegungsmotiv. Auf 
dem Berliner Bild scheint sie plötzlich im Gehen inne zu halten und indem sie das 
segnende Kind auf den Hönden frei vor sich hält, neigt sich der Oberkörper leicht 
zurück. Hier aber steht sie, der ceremoniellen Anordnung entsprechend, beinahe gerade 
nach vom gewendet unter dem Thronhimmel. Die Folge ist, dass das Jesulein, das 
sie mit beiden Händen fest an sich drückt, die unteren Extremitäten ganz im Profil zeigt 
und dafür Brust und Kopf mit starker Wendung nach dem Stifter hin dreht. Er ist 
ein Zwillingsbruder des anderen, aber mit holdseligerem Ausdruck waltet er hier seines 
Amtes. Merkwürdigerweise findet sich nun in der Nonne die Haltung der Berliner 
Madonna treu wiederholt: die seitliche Ansicht, der zurückgebogene Oberkörper und 
das vorgeneigte Haupt. Nur ist es hier die frei hinausgehaltene Krone, die zur mecha- 
nischen Motivierung dient. Diese dreifache Krone lässt in ihrer Trägerin die hl. Elisabeth 
erkennen, auf deren dreifache Heiligkeit als Jungfrau, Gattin und Witwe sie sich 
bezieht. So weit die formalen Übereinstimmungen, aber auch da, wo die beiden Dar- 
stellungen aus einander gehen, wie in der Raumgestaltung, dem Landschaftsbild, ist die 
stilistische Gleichheit nicht zu verkennen. Sie ist es gerade, die selbst da, wo sich die 
Formgebung völlig deckt, keinen Gedanken an eine nur nachahmende Hand aufkommen 
lässt. Ein und derselbe Meister hat beide Werke geschaffen. 

Ist dieser Meister Jan van Eyck? 

Seitdem die kleine Karthäusermadonna aus Burleighhouse in die Berliner Galerie 
versetzt worden, sind wiederholt Zweifel an der Richtigkeit dieser Benennung laut 
geworden, zwar nicht öffentlich, aber von Männern, die mit der Feinheit künstlerischen 
Empfindens genaue Kenntnis der altniederländischen Malerei verbinden. Man dachte an 
den alten Hubert, wobei wohl nur der Wunsch ein selbständiges Bild dieses Meisters 
zu besitzen und die Notiz im Inventar des Blaise Hutter den zureichenden Grund 
abgaben; man wies aber auch auf Petrus Cristus oder einen verwandten sonst allerdings 
nicht fassbaren Eyckschüler. 

Ich kann nicht leugnen, dass ich selbst, trotzdem ich bei der Publikation unseres 
Bildchens beide Möglichkeiten erwogen und abgelehnt hatte, mich dennoch allgemach 
der letzteren Meinung zuneigte. Das Gemälde bei Rothschild scheint mir nun wohl 
geeignet, diesen Schwankungen ein Ende zu machen und zwar, um es gleich zu sagen, 
zu Gunsten der Urheberschaft von Jan. Wie dieses fraglos demselben Künstler an- 
gehört, der unser Täfelchen gemacht hat, so eng verknüpft die stilkritische Analyse 
dasselbe mit einer Reihe von Werken, die bisher unbeanstandet unter dem Namen 
des jüngeren Eyck gingen. 

Zunächst die Madonna. Diesem freundlichen aber etwas hausbackenen Antlitz 
mit der breiten Stirn, den schlichten hinter die Ohren gestrichenen Haaren, die sich 
erst über der Schulter in freiem Gelock ausbreiten, den hoch geschwungenen Brauen 
und den breit gestellten Augen, vor allem aber dem kleinen Mund, dem die dünne 
Ober- und die volle Unterlippe einen stark individuellen Charakter geben, begegnen 
wir wieder bei der Madonna von Lucca, derjenigen auf dem Dresdener Altärchen und 
dem Votivbild des Kanzlers Rollin. Besonders die Madonna von Lucca erscheint 
durch die gleiche Neigung des Hauptes, den unter gesenkten Lidern nach unten ge- 
richteten Blick und durch gleichen Schmuck und gleiche Tracht als ihr treues Ebenbild. 
Ihre linke Hand hinwieder zeigt in der Art ihrer Bewegung, der bei Jan sonst un- 
gewohnten gelösten Fingerstellung, die gröfste Ähnlichkeit mit der entsprechenden 



68 



DIE MADONNA MIT DEM KARTHÄUSER UND HEILIGEN VON JAN VAN EYCK 



Hand der Palamadonna. Der Teppich, auf dem sie steht, kehrt völlig übereinstimmend, 
nur anders gesäumt, auf dem Dresdener Triptychon wieder. Welche Beweiskraft 
diesem Umstand zukommt, lehrt ein Blick auf das Bild des Petrus Cristus im 
Stfidelschen Institut, wo derselbe Teppich dargestellt ist wie auf der Madonna von 
Lucca, aber unbeholfen, mit hart koniuriertem Muster, in jedem Pinselstrich eine 
andere und dürftige Formanschauung verratend. 

Für die hl. Elisabeth bietet die meisten Vergleichsmomente die Gattin des Arnol- 
fini. Die ponräthaften Züge der letzteren finden wir hier freilich nicht, umsomehr 
fällt die Übereinstimmung in der Zeichnung der langgeschlitzten Augen auf. Deutlich 
erinnern an jene die Haltung des Körpers, der vorgedrfingte Unterleib, über dem sich 

der Mantel bauscht und die schmiegsame 
Bildung der langfingrigen Hand. 

Die Kapitale in den reichen Formen des 
Übergangsstiles sind uns von dem romani- 
schen Kirchenschiff des Dresdener Altörchens 
und dem Hallenbau auf der Votivtafel des 
Kanzlers Rollin bekannt. 

Dieses letztgenannte Gemälde bringt nun 
noch ein Moment, das für unsere Frage 
schwerer wiegt, als alle bisher berührten. 
Wenn von der für die junge Malkunst über- 
raschendsten Fähigkeit Jan van Eycks die 
Rede ist, ein Landschaftsbild, reich, üppig 
und lachend, wie es dem naiven Auge er- 
scheint, auf die Tafel zu zaubern, wird man 
immer in erster Linie den Ausblick aus 
jenen Hallenbogen auf das im Sonnenglanz 
schimmernde Flussthal nennen; welches 
Wohlgefallen der Meister selbst an seiner 
Schöpftmg gefunden, lehrt, dass er dasselbe 
Motiv noch einmal mit gleicher Frische auf 
dem Rothschildschen Bilde schildert. Das 
Motiv ist dasselbe, aber im einzelnen finden 
sich zahlreiche Abweichungen. Zunächst hin- 
dert der Baldachin den Blick auf das links- 
seitige Ufer, es fehlt die breite zwischen den 
Brücken im Strome liegende Insel, der Kopf der Nonne verdeckt einen Teil der Stadt, 
die sich dafür um so weiter nach rechts hin dehnt und statt der dort nahe dem 
Brückenkopf gelegenen Kathedrale einen langgestreckten Kirchenbau mit hohem Spitz- 
turm aufweist. In ähnlicher Weise hat Roger van der Wyden auf dem Bladelinaltar 
in Berlin und dem Münchener Triptychon mit Elementen des Stadtbildes von Middel- 
burg frei geschaltet. Dass Jan dieselbe Ansicht zweimal verwertet, legt in der That 
die Vermutung nahe, auch er habe hier ein Stück selbstgeschauter Welt zur Dar- 
stellung gebracht. Schon vor der Tafel des Kanzlers Rollin wurde die Frage nach 
dem Namen der Stadt gestellt. Der eine dachte seltsamerweise an Brügge, aber auch 
Maestricht und Lyon, an die sich andere erinnert sahen, scheinen nicht überzeugend. 
Möglich dass für die breit hingelagerten Schneeberge und dem mächtigen die Stadt- 
mauern bespülenden Strom das Urbild auf der Pyrenäenhalbinsel zu suchen ist. 




Jan van Eyck. 

Madonna mit dem Kanzler Rollin. 

Ausschnitt. 



VON HUGO V. TSCHUDI 69 



Zieht man alle die angeführten Momente in Rechnung, so wird man schwerlich 
zu einem anderen Resultate gelangen können, als dass auch das Rothschildsche Bild 
unter der Hand des Jan van Ejck entstanden ist. Im ganzen Bereich der altnieder- 
iKndischen Kunst finden sich nirgends Werke verschiedener Meister, die eine nur 
annähernd gleiche gegenständliche wie stilistische Übereinstimmung aufwiesen. Dieses 
Urteil wird auch durch den Umstand nicht erschüttert, dass unser Bild sich nicht 
durchweg auf der Höhe von Jans besten Schöpfungen halt. Am auffallendsten ob- 
gleich nicht geradezu störend ist die verfehlte Linearperspektive. Die Fluchtlinien 
des Fufsbodens treffen sich erst hoch über dem Horizont, ja erst jenseits der Ober- 
kante der Tafel, während diejenigen der Kapitale annähernd richtig konstruiert 
erscheinen. Indess ist Jan van Eyck den strengsten Anforderungen auf diesem Ge- 
biete nirgends gewachsen, wiederholt, wie auf der Anbetung des Lammes und der 
Petersburger Verkündigung, ergiebt die Nachprüfung einen doppelten Horizont. Auch 
vermisst man etwas die weiche und doch energische Farbenstimmung und das däm- 
mernde Halbdunkel, das gerade beim Bild des Kanzlers Rollin im Gegensatz zu der 
klaren Landschaft so zauberhaft wirkt. Motiviert wird diese veränderte koloristische 
Haltung hier freilich durch das von allen Seiten frei in die offene Bogenhalle ein- 
dringende Tageslicht. Immerhin ist die Mutter Gottes auf dem leuchtenden Brokat- 
grund ein Stück Farbenpoesie, wie es nur Jan zu dichten verstand. Und über alle 
Anfechtung erhaben ist die landschaftliche Ferne, der kein andrer Niederländer aus der 
ersten Hälfte des XV Jahrhunderts etwas Ebenbürtiges an die Seite zu stellen hat. Einige 
Unbestimmtheiten im Mittelgrund links scheinen durch Übermalung verschuldet zu sein. 

Dass dieses Werk in Paris, wo man im Louvrebild einen so nahverwandten Spröss- 
ling der Eyckschen Werkstatt besafs, den richtigen Namen trug, ist nicht zu verwundern. 
Um so seltsamer, dass es der kunsthistorischen Forschung so gut wie unbekannt blieb. 
Wo es in der Liiteratur erwähnt wird, geschieht dies nur auf Grund der Notiz bei Crowe 
und Cavalcaselle, und dass diese selbst es nie gesehen, ergiebt sich klar aus den dürftigen 
und ungenauen Worten ihrer Beschreibung. In der That verrät eine Anmerkung der 
englischen Ausgabe, dass sie ihre Kenntnis desselben nur einer kurzen Mitteilung 
Otto Mündlers verdanken. Das Bild befand sich damals bei Baron James Rothschild 
und weiter vermag ich auch nicht dessen Geschichte zurück zu verfolgen. Ebensowenig er- 
gab sich ein Anhalt zur Bestimmung des Karthäuser Stifters. Dass er von der hl. Barbara 
vorgestellt wird, zu der sich hier noch eine zweite Heilige gesellt, lässt nicht einmal 
über seinen Taufnamen eine Vermutung aufkommen. 

Auch für die genaue chronologische Einordnung dieses Gemäldes in das Werk 
des Meisters fehlt es an einer sicheren Unterlage. Kein Stück der Bildergruppe, mit der 
es stilistisch am nächsten zusammenhängt, trägt eine Jahreszahl. Indess lässt sich doch 
aus mancherlei Eigentümlichkeiten die einzelne dieser Tafeln mit datierten Bildern aus 
den dreifsigern Jahren teilen und dem bejahrten Aussehen des Kanzlers Rollin, der 
freilich noch nicht die greisenhaften Züge des Porträts trägt, das im fünften Decennium 
Roger van der Weyden von ihm malte, mit Sicherheit auf die Zeit nach dem Genter 
Altar schliefsen. Früher schon hatte ich das Berliner Bildchen der letzten Periode 
Jans zugeteilt. Etwas älter muss dasjenige bei Rothschild sein, wenn das jugendlichere 
Aussehen des Stifters hier auf keiner Täuschung beruht. 

Zu demselben Resultat scheint eine Vergleichung des Stils der beiden Werke 
zu führen. Schon das gröfsere Ausmafs,^) die Pracht der Dekoration und die cere- 

*) Das Bild, das auf Eichenholz gemalt ist, misst ungefähr 0,50 : 0,66 m. Die Figuren- 
höhe beträgt beinahe das dreifache wie auf dem Berliner Bild. 

IG 



70 TIZIAN UND ALFONS VON ESTE 

monieile Anordnung charakterisieren das Rothschildsche Exemplar als eine für den 
Altar einer Kirche bestimmte Votivtafel. Einen weit intimeren Charakter trägt das 
Berliner Bildchen. Der auf die Seite gerückte Augenpunkt lässt darauf schliefsen, dass 
es nur ein Teil eines Diptychon war, wie sie zum Wohnungsschmuck und zur Mit- 
nahme auf die Reise bestimmt waren, wenn sich auch bei der Abgeschlossenheit der 
Komposition schwer erraten Iflsst, was der andere Flügel enthalten haben mag. Die 
Anordnung ist zugleich anspruchsloser und lebendiger; sie zeigt eine durchgehende 
Vereinfachung der Ausstattung, bis auf die Weltkugel in der Hand des Knäbleins, wie 
eine freiere Beherrschung des Motivs bei flüchtigerer Durchbildung im Einzelnen. 
Dem feierlichen Stil jenes Altarwerkes gegenüber mutet dieses an wie eine geistreiche 
Variation desselben Themas für den Hausgebrauch. 



TIZIAN UND ALFONS VON ESTE 

VON C. JUSTI 

Alfons I, Herzog von Ferrara, war der erste italienische Fürst, der Tizian be- 
schäftigte und ihm so den Weg aus dem Kreise der Inselstadt in die Welt der Höfe 
eröffnete. Vor nunmehr zwanzig Jahren erhielt man die ersten genaueren, wenn auch 
immer noch fragmentarischen Mitteilungen über beider Verhältnis aus der Feder des 
um die Kenntnis eines der wichtigsten Kunstherde Italiens so verdienten Grafen Giuseppe 
Campori, und zugleich Aufschlüsse über einige der köstlichsten, von jeher gefeierten 
Werke des Meisters von Cadore. Für die ferraresischen Bacchanalien, einst Alfonsos 
»Alabasterkammerna (mit Antonio Lombardis Skulpturen) zierend, würde man heute 
gern einen ganzen Olymp üppiger Griechengöttinnen aus späteren Jahren hingeben. 
Das »Kinderfest« ist ohnegleichen unter den damaligen Palingenesien antiker Stoffe; es 
hat eine ganze Klasse späthellenischer Kunst, die Kinder- und Erotenstücke, der Malerei 
der Folgezeit erschlossen. Der Künstler selbst scheint vom Glücke dieses Wurfs, dieser 
Intuition ganz besonders erbaut, ja überrascht gewesen zu sein. Das philostratische 
Gemälde hane ihm der obwohl ungelehrte Herzog Alfonso selbst angegeben, ja sogar 
eine skizzierte Figur dazu geliefert. Tizian gestand, dass diesmal sein Erfolg ganz das 
Verdienst der Idee sei; die Seele hatte der Herzog gegeben, er nur den Leib. Er fügt 
hinzu (er war auf dem Wege ein Hofmann zu werden), er sei nun bestärkt worden 
in seiner Meinung, dass die alten Maler die Gröfse ihrer Kunst zumeist, ja ganz der 
Mithülfe der grofsen Fürsten schuldeten, die ihnen mit soviel findigem Verstand ihre 
Aufgaben zu stellen wussten.*) 

V) Quali ingeniosissimi li ordinaveno. Campori, Nuova Antologia 1874. Diese Stellen 
werden gewöhnlich auf das Bacchanal in Madrid bezogen und die figurina bo^ata auf die 
schlummernde Bacchantin im Vordergrund, die einem antiken Relief entlehnt sein soll. Die 
Auslassung Tizians passt aber besser auf ein neues Thema wie das Kinderfest, als auf jene 
fite champetre, die ja nur eine Variante der Bellinischen Tafel war, auf der sogar die schlafende 
Figur bereits vorkommt. 



VON C. JUSTI 7 1 



Von 1516 an bis zu des Herzogs Tode war Tizian oft als Gast im Palast zu 
Ferrara. Der Schlossherr liebte den Verkehr mit Technikern, Künstlern, Handwerkern; 
nicht ohne Ärgernis seiner Umgebung, welche solche Geringschätzung der Etikette mit 
einer Unterschatzung seiner Persönlichkeit vergalt, die ihm einmal sogar beinahe 
verhängnisvoll wurde. Es war nicht immer leicht mit diesem eisernen Topf zu 
schwimmen, diesem seltsamen Kunstfreund, der in den Instrumenten feste Mauern und 
Kolonnen zu brechen, und thönerne Töpfe zu drehen und zu bemalen nicht ohne 
Erfolg eigenhändig sich versuchte. Er war ein rauher, hochfahrender und leiden- 
schaftlicher Herr, ohne Geduld für Widerspruch oder säumigen Gehorsam, obwohl 
angesichts des Staatsinteresses Herr über sich selbst wie wenige, standhaft im Unglück 
und mafsvoll bei Erfolg. Nur ungern hat der durchlauchtige Mechanikus zur Steuer- 
schraube gegriffen ; er hat einmal sein Silber eingeschmolzen und von irdenen Tellern 
gespeist. 

Vom Hofton abgesehen war etwas wahres in Tizians Won, dass er ihm mit 
Leib und Seele ergeben sei. Dafür könnte man auch eine Schöpfung anführen, 
deren Motiv ihm wohl ebenfalls der Herzog gegeben hatte, einsam stehend unter seinen 
Werken durch Bedeutung, Adel und Feinheit des Ausdrucks und der Formen, wie 
durch zarte Vollendung, — geeignet, die Begriffe von Tizians Rang als Künstler zu 
erhöhen.*) 

Den Zinsgroschen malte Tizian zu Ehren des Spruches, den man auf Goldmünzen 
Alfonsos liest.*) Das Wort Quod est Caesaris Caesariy quod est Dei Deo war wirklich 
der Text, den dieses Haupt des altguelfischen Hauses der Este gern citieren mochte 
als Protest und Apologie seines Lebenskampfes mit drei Statthaltern Christi, um die 
Erhaltung seiner Städte und seiner Dynastie. Es war sein »Pallium \ind Palladium«. 
Er beherrschte Ferrara als Vicar der Kirche, Modena, Reggio und Este als Vasall des 
Kaisers. Als Eidam Alexanders VI war er Julius II verhasst, der ihn zwar zum Gon- 
falonier der Kirche machte, dann aber aus Modena und Reggio vertrieb, um diese 
Städte in der Folge Maximilian zu überantworten, dem sie Leo X abkaufte, bei dessen 
Krönung der Herzog das heilige Panier getragen hatte. Von den Nachfolgern Petri 
unaufhörlich bedroht und beraubt, rettete er schliefslich alle seine Staaten durch die 
Gunst des Kaisers.") 

Wie wenig fällt ins Gewicht, was später der von Ruhm und Ehren (doch nicht 
von Gold) gesättigte alte Meister seinem Verehrer Philipp II schickte, verglichen mit dem, 
was er damals für den kleinen Herzog von Ferrara übrig hatte!*) 



^) Scanelli im Microcosmo p. 223 führt den Zinsgroschen an als Beweis, quanto siano 
valevoli per la buona operatione ... gl' impulsi di compiacere al gusto de' piü degni Principi, 
i cui.comandi nei soggetti ordinär) operano eccessi, e negli straordinarii miracoli. 

*) A. Venturi, La R. Galleria Estense in Modena. 1883. P- 3^- 

') Jovius bemerkt ironisch: ut gloriosam triplicis triumphi lauream, si de sacrosancto 
hoste triumphare fas foret, meruisse dici possit. Elog. L. VI. Basel 1559, 305. 

*) Es liegt kein Grund vor, die Angabe Vasaris und Ridolfis, dass der Zinsgroschen für 
Alfons gemalt war, zu bezweifeln, und ebenso wenig, dass es nach 1514 geschah (wieVasari 
sagt, aber richtiger ist 15 16, als das Jahr seiner ersten Anwesenheit in Ferrara). Die feine 
Ausführung, die Übrigens mit Jan van Eyck oder Dürer wenig gemein hat (man kann sich 
zu des letzteren Mal weise wohl kaum einen schärferen Gegensatz denken), erklärt sich aus dem 
besonderen Wert, den diese Darstellung für seinen Gönner hatte. Feinheit im Detail stand Tizian 
jederzeit zu Gebote, man trifft sie ebenso im Bildnis der Herzogin Eleonore (1537)) und noch 
1545 setzt er seine Freunde in Erstaunen durch das ■ miniaturartig« durchgeführte Bildnis 

10* 



72 TIZIAN UND ALFONS VON ESTE 

Kein Wunder, dass er sich bei dem Bildnis dieses seines Gönners besonders ange- 
strengt hatte. Über Zeit und Umstände seiner Entstehung hat leider das Archiv der Este 
den Grafen Campori im Stich gelassen. Wahrscheinlich aber gehört es in die erste Zeit 
ihrer Bekanntschaft, — wenn es im Jahre 1532, wie behauptet wurde, nicht mehr 
recht glich. Michelangelo, als ihn sein Weg während der Belagerung von Florenz 
nach Ferrara führte (1529 Juli, August), hatte es, wie Aretino in seiner Komödie 
La Cortigiana (1534) erzählen lässt, mit Staunen angesehen und gelobt/) und 
Lodovico Dolce (der auch den Lohn, 300 Scudi angiebt) lässt ihn sogar sagen, er 
habe nicht geglaubt, dass die Kunst so etwas leisten könne, und Tizian allein 
verdiene den Namen Maler. Für Buonarrotti, der damals gerade mit Feldherrn- 
attituden beschäftigt war, hatte Tizians Herzog vielleicht den Kontrastreiz des ge- 
schichtlichen Dokuments, als Ebenbild eines lebenden Heerführers, gegenüber den 
selbstgeschaifenen nach dem Kontrapost herausgerechneten, gewaltigen Posen, zu denen 
ihm jene Mediceer den Vorwand gegeben hatten. 

Von Aretino erfuhr man auch zuerst, dass Karl V. das Porträt mit nach 
Spanien genommen habe. Gerade über diese Annexion brachte Camporis Artikel 
ebenso umständliche wie kuriose Einzelheiten. Wenn hier noch einmal die nun 
schon in die Biographie Tizians übergegangene Geschichte berührt wird, so geschieht 
es, weil sich in den Kardinalpunkt, die Wiedererkennung des Bildnisses, ein Irrtum 
eingenistet hat, an dessen Berichtigung sich weitere Folgerungen knüpfen. 

Es ist in den letzten Monaten des Jahres 1532, wo man Tizian zum ersten 
Male am kaiserlichen Hoflager in Bologna antrifft. Wer hatte ihn gerufen? Vielleicht 
derselbe kaiserliche Rat, für den er bereits aus der Ferne in Anspruch genommen 
worden war und der bei den nun folgenden Verhandlungen die Fäden in der 
Hand häh. 

»Der Zukunft Augen und den Verstand des Rats« [occhi del futuro e senno del 
consiglio) nennt Aretino Granvella und Cobos, beide auch warme Kunstfreunde. 
Francisco de los Cobos, Comendador von Leon und secretario supremo des Kaisers, 
war eines der fähigsten und einflussreichsten, doch am wenigsten hervortretenden 
Instrumente seiner Politik. Er stammte aus einem alten kastilischen Geschlecht, das 
seit dem XIV Jahrhundert in der ostandalusischen Stadt Ubeda seinen Sitz hatte. 
Während er in Welschland und Niederland mit seinem Herrn herumzog, hat er die 
alte, vor mehr als dreihundert Jahren den Mauren abgerungene Stadt nicht vergessen, 
bedacht darauf, einst nicht mit leeren Händen zurückzukehren. In diesem für die 
Kenntnis des dortigen Renaissancestils wichtigen, wenig bekannten Ort lernt man 
selbst heute noch den Minister und seine Verwandten als Bauherren in grofsem Stil 
kennen. Man kann Ubeda die Stadt der Cobos nennen. In seiner Kirche S. Sal- 
vador, über einem Seitenaltar der Nordseite, steht noch das grofse Gemälde des Sebastian 
del Piombo, die Pietas, die ihm Ferrante Gonzaga, Vicekönig von Sicilien, nicht ohne 
Mühe von dem faulgewordenen Frate verschafft hatte.') Über dem Hochaltar ist eine 

Morosinis (Aretino, Lettere III, 161). Im Malerischen stimmt das Bild ganz mit den um die 
Asunta sich gruppierenden Tafeln. Wozu für jede Besonderheit eines Kunstwerkes ein Ent- 
wickelungsmoment herausquälen, auch da wo die Gausalerklärung aus dem Gegenstand oder 
den Umständen so nahe liegt. 

M E lo stupendo Michelagnolo lodo, con istupore, il ritratto del duca di Ferrara translato 
da lo Imperadore appresso di se stesso. Atto III. Sc. 8. Lettere I, 257. 

') Sebast. del Piombo e Ferrante Gonzaga, von Gius. Campori, in den Atti e Memorie 
per gli studi di storia patria per le prov. Moden, e Parm. Modena 1864. 4°. 



VON C. JUSTI 



73 



venezianische Marmorstatue des Knaben Johannes des Täufers, die ihm die Signoria 
verehrt hatte. Die Kirche war seine Schöpfung, den Baumeister Pedro de Valdelvira 
soll er aus Italien gerufen haben. Ihre Fassade ist ein Prunkstück des plateresken 
Stils. Das Altarhaus war für die Grabmäler der Gründer und ihrer Nachkommen 
bestimmt. Die für solche Familienkapellen übliche Kreisform wurde mit jener Be- 
stimmung auf das Altarhaus übertragen, vielleicht nach dem Vorbild der Annunziata 
in Florenz. 

Der Staatssekretär hatte Tizians Namen wahrscheinlich zuerst aus dem Munde 
des Markgrafen von Mantua, Federigo Gonzaga vernommen. Als ihn in Bologna, 










Medaillen des Alfonso I und Ercole II von Este. 



im Haus des Grafen Pepoli eine junge Schöne, Cornelia bezauberte und den Wunsch 
erweckte, ihr Bild mitzuführen, schrieb Federigo an Tizian, der es aus dem Gedächtnis 
zu machen sich getraute. Auch andere Stücke malte er für Gobos: eine Wiederholung 
seines hl. Sebastian, ein Frauenbad. 

Neben jener Kirche S. Salvador steht sein einst prächtiger Palast, jetzt halb Ruine 
und von armen Leuten bewohnt. Im grofsen Saal wahrscheinlich befand sich einst 
sein Bildnis und das seiner Gemahlin Maria Sarmiento de Mendoza von Tizians Hand. 
Später wanderte es in das königliche Schloss zu Madrid, wo beide im XVII Jahr- 
hundert unter den venezianischen Bildnissen der Galeria de mediodia aufgefühn 
werden. 

Gobos war also wieder an des Kaisers Seite, als dieser im Spätjahr 1532 die 
Alpen überschritt, um noch einmal den neue Pläne für die Seinigen in Bereitschaft 
haltenden Clemens VII in Bologna zu treffen. Karl V hatte sich diesmal auch für 



74 TIZIAN UND ALFONS VON ESTE 



andere Dinge Zeit gegönnt. In Mantua, bei Federigo Gonzaga, den er vor zwei Jahren 
zum Herzog erhoben, hatte er einen ganzen Monat zugebracht; zwischen Turnieren, 
Theater und Jagd verweilte er auch manche Stunde in der Guardaropa, ihre kost- 
bare Waffensammlung und die schönen Gemälde betrachtend. Einen besonderen 
Eindruck hatte ihm das vor zwei Jahren gemalte Bildnis seines Gastgebers, in Voll- 
rüstung, von Tizians Hand gemacht; er soll dabei den Wunsch geäufsert haben, — 
oder dem Vorschlag beigestimmt — dem Venezianer auch einmal zu sitzen.^) Man 
bezieht hierauf das Billet Federigos an Tizian vom 7. November, worin er ihn dringend 
einlädt, sofort nach Mantua zu kommen.*) 

Diesen Wunsch zu erfüllen, war nun Tizian nach Bologna gereist. Karl V 
wollte aber auch frühere Proben seiner Kunst besitzen, und der Maler wurde über 
empfehlenswerte und bekömmliche ältere Stücke befragt. Sollte man wirklich ge- 
ahnt haben, dass dies zur Erwerbung guter Bilder seiner Hand der beste, ja einzige 
Weg sei, weil er für neue Aufträge, nach Hispanien, vielleicht nur die »Hälfte seines 
Geistes« nötig finden werde? Es traf sich, dass im Januar 1333 zwei Gesandte mit 
einem politischen Anliegen Alfonsos in Bologna erschienen. Ein Cobos erkennt und 
ergreift die Angebote des Zufalls auf den ersten Blick. Er unterbricht gleich in der 
ersten Audienz den Vortrag des Juristen Casella, um ein Bildergeschenk für seinen 
Herrn in Vorschlag zu bringen. In erster Linie wird allerhöchsten Orts auf des Her- 
zogs Bildnis gerechnet. 

Der Kaiser hatte dies Bildnis nie gesehen, denn er war nie in Ferrara gewesen. 
Aber Tizian hatte davon gesprochen, e cosa bellissima, und vielleicht auch Michel- 
angelo angeführt. Und Karl V scheint ein besonderes Interesse an der Person des alten 
Herzogs gewonnen zu haben. Er hatte ihn vor zwei Jahren sehr genau kennen ge- 
lernt und eben jetzt noch die Reise von Friaul, wohin ihm Alfons mit zweihundert 
Rittern entgegengezogen war, nach Mantua in seiner Begleitung gemacht, er war dann 
in Modena sein Gast gewesen. Jedoch schon lange vorher, in der Ferne, muss er 
in des Kaisers intimstem Kreise eine vielbesprochene Persönlichkeit gewesen sein. Im 
Jahre 1526, als er, verfolgt vom Hasse des medicäischen Papstes, der Gefahren seiner 
Neutralität inne geworden war,* hatte er dem Kaiser in Granada durch Lodovico Cato 
seine Dienste anbieten lassen, und obwohl vom Vater her unter französischer Klientel 
und einst ein Gast Ludwig XII, nun sich, seine Söhne und sein Land unter des 
Reiches Schutz gestellt. Die Vermählung seines Erstgeborenen Ercole mit des Kaisers 
natürlicher Tochter Margarete war damals ausgemacht worden. Aber in den Stürmen 
des folgenden Jahres, nach der Katastrophe Roms, als der Kaiser fern war, hatte Lautrec, 
der General der französischen Liga zur Befreiung Seiner Heiligkeit, seinen Beitritt zu 
dieser Liga erzwungen und Alfons seinen Abfall durch die Verbindung des Thronerben 
mit Renata, der Tochter Ludwigs XII besiegelt. 

Genau ein Jahr nach der Pariser Hochzeit war das Bündnis zwischen Kaiser 
und Papst perfekt und König Franz gab im Frieden von Cambray alle seine italieni- 
schen Verbündeten preis. 

In dieser schlimmen Lage entschloss sich Alfons, den Stier bei den Hörnern 
zu fassen, zum Entsetzen der Seinigen. Er wollte den Kaiser, der mit einem starken 
Heer in Genua gelandet war, aufsuchen und persönlich seine Sache führen. Carl V 



*) Aretino, Lettere I, 257 (An die Kaiserin, 18. Dec. 1537) . . . nel vederlo raltissimo 
Carlo consent!, che rassemplasse [Tiziano] la fatale effigie sua. 
*) Bei Crowe I, 456. 



VON C. JUSTI 75 



hatte die Absicht, seinen Weg nach Bologna, mit Umgehung der estensischen Lande, 
in weitem Kreis über Mantua und Finale zu nehmen : Alfons liefs ihn um die Gnade 
bitten, Reggio und Modena als seine Städte betrachten zu wollen. Er sorgte überall 
für einen Empfang, der ihm Aller Herzen gewann. Er selbst erschien in Reggio in 
der kaiserlichen Gegenwan. Der noch nicht dreifsigjährige Monarch, »inmitten einer 
feindseligen Welt«, jetzt zum ersten Mal den schwierigen Schauplatz von Italien be- 
tretend, wo er keinen zuverlässigen Freund hatte, ^) im Begriff mit dem schwer- 
gekränkten Pontifex den Preis der Krönung als König von Italien und Römischer 
Kaiser zu verhandeln, erkannte in der unvermuteten Begegnung alsbald die Ge- 
legenheit, einen Meister im Schachspiel welscher Politik auszuhorchen. Aufmerksam 
folgte er den eindringenden Informationen, den scharfsinnigen und wortgewandten 
Erörterungen des in zwanzigjährigem Streit ergrauten Fürsten über das »System 
Italiens«, die leitenden Personen und ihr wirres Interessengewebe. Zwar dass der 
Räuber Modenas bei der Krönung in Bologna unter den versammelten Fürsten glänze, 
das konnte Clemens VII nicht zugemutet werden. Aber es zeigte sich bald — dank 
natürlich auch den Goldbächen, die sich in den kaiserlichen Schatz und in die Taschen 
der hohen Räte aus den damals wohlgefQllten Truhen des Ferrareser Schlosses ergossen 
hatten — dass der Schwiegervater Renatens sich im Kaiser einen zuverlässigen Be- 
schützer gewonnen hatte. Wenn er auch seinen Sieg nicht lange überlebte; er starb 
bald (wie es zuweilen geschehen soll) nach seinem Todfeind Clemens VII (fünf Wochen) 
am 31. Oktober 1534, noch mit der Freude, seinen alten Freund, den Kardinal Farnese, 
auf Sankt Peters Stuhl erhoben zu sehen. 

Jetzt nun, wo der Kaiser im Begriff stand, Italien zu verlassen, dachte er sich 
das Bild des alten Herrn, den er wirklich nicht wiedersehen sollte, mit nach Spanien 
zu nehmen. 

Als Alfons das Begehren des Staatssekretärs vernahm, stellte er natürlich seinen 
Gemäldevorrat zur Verfügung. Cobos erinnene, dass der Kaiser auf jeden Fall das 
Porträt haben müsse. Casella scheint gedacht zu haben, der Herzog werde gerade 
dieses Stück am wenigsten gern verlieren. Er bemerkte, dass das Bildnis, als vor 
langer Zeit gemalt (es mochten wohl fünfzehn Jahre sein), nicht mehr ähnlich sei, 
es dürfte also besser eine neue Aufnahme gemacht werden. Diese könne dann, mit 
dem Bildnisse des Sohnes Ercole, der dem Kaiser 1530 mit seinem Bruder Hippolyt 
in Mantua vorgestellt worden war, nach Spanien geschickt werden. Aber hohe Herren 
wollen sofort bedient sein, und es war wohl kein Geheimnis, wie gründlich sich 
Tizian Zeit zu nehmen pflegte. Die anderen Stücke, hiefs es, möchten ihrer Zeit nach 
Genua abgehen, das Bildnis Alfonsos aber müsse gleich hierher, nach Bologna ge- 
schickt werden. Cobos selbst wünschte sehr es zu sehen. Wollte er sich überzeugen, 
dass es auch das Original sei? Nach Verlauf einer Woche ergeht eine Mahnung. 
Am 23. Januar 1 533 übergeben Alvarotto und Casella das Bild mit einem Brief des 
Herzogs. 

Cobos war jetzt voll von Liebenswürdigkeiten. Wenn es der Kaiser nun immerdar 
vor Augen habe, werde er stets des Herzogs gedenken müssen. Jener liess es wdrklich 
schon dort in seinem Zimmer aufhängen. »Was würde der Papst sagen, wenn er 
es wüsste«, scherzte Don Francisco. Er konnte sich das vorstellen. Nun schien ja 
der kluge Este seine kalten durchdringenden Augen , über der langen Monumentalnase, 
tagtäglich auf den Kaiser zu richten. Und die erbaulichen Betrachtungen, die sein 



Baumgarten, Leben Karls V. III, 128. 



76 



TIZIAN UND ALFONS VON ESTE 



erhabener Gönner und Zuhörer in Augenblicken der Mufse vor diesem Kunstwerk 
anstellen mochte über die Überzeugungskraft groben Geschützes und wohlgefüllter 
Dukatenkasten und die Erfolge zähen Willens bei Elastizität der Miuel und augenblick- 
lichem Entschluss. 



Was ist aus diesem Gegenstand kaiserlicher Kunstbegehrlichkeit geworden? 
Vergebens sucht man den Namen Alfons von Este in den Gemälde-Inventaren 
von KarlV bis auf Karl den Bourbonen. Sein Bild war nicht unter denen, die den alten 

Kaiser dreiundzwanzig Jahre 
später in die Einsamkeit von 
Estremadura begleiteten. Es 
wird in den Palast von Madrid 
gekommen sein, und zu Phi- 
lipps II Zeit mit so vielen ande- 
ren Tizians in den (nicht inven- 
tarisienen) Privatgemächem 
gehangen haben. Im folgen- 
den Jahrhundert, im Alcazar 
Philipps IV erscheint aber aller- 
dings in der der veneziani- 
schen Schule gewidmeten Süd- 
galerie das Bildnis eines Duque 
de Ferrara, con un perro, 
und bleibt da bis zum Tode 
Karls II (1666, 1686, 1703 zu 
150 Doblonen und 200 Du- 
katen geschätzt). Ohne Zweifel 
ist dies der im vorigen Jahr- 
hundert im Inventar Karls III 
aufgeführte »Venezianer mit 
einem Wasserhund scherzend«, 
— das bekannte Stück der 
Pradogalerie, No. 452. Die in 
Madrid neuerdings aufgekom- 
mene Meinung (im Katalog 
von 1828 stand es noch ohne 
Namen), ^) dass wir hier ein Bildnis Alfons I vor uns haben, ist seit der grofsen Bio- 
graphie Tizians allgemein angenommen worden. Bezeichnet ist es TICIANVS. Ein 
junger Mann, barhaupt, in dunkelblauem goldgestickten Samtrock, mit blau und 
roter Gürtelbinde, um den Hals einen Rosenkranz, die Linke am Degengefäfs, die 
rechte Hand auf einem Hund mit seidenweichen weifsen und hellbraunen Zotten 
ruhend. Cavalcaselle nennt das Gemälde ein Zeugnis der aufserordentlichen Kraft 




Tizian. 

Ercole II von Este. 

Original im .Museo del Prado zu Madrid 



*) Im Katalog von 1828, No. 746 heifst es Retrato asombroso (erstaunliches Bildnis). 
Hoch 1,25, br.0,99 auf Holz. Die Vermutung des neuen Katalogs, dass es ein Geschenk des 
Marques de Leganes an Philipp IV sei, ist ganz müfsig. 



VON C. JUSTI 



77 



und Geschicklichkeit Tizians. Das Gesicht, auch die Hände sind retouchiert, doch 
nicht so, dass der ikonographische Wert dadurch litte. Das Kostüm, der Hund, sind 
fast ganz intakt. Eine Wiederholung war in der Sammlung des Fürsten Kaunitz.^) 

Es ist zu verwundern, dass noch niemand die Verfehltheit dieser Benennung be- 
merkt hat. Die Züge widersprechen gründlich und durchweg den Medaillenprofilen und 
beglaubigten Gemälden Alfons I. Zu den letzteren gehören die Bildnisse in den 
Uffizien und in der Galerie zu Modena. Tizian hatte für das weggegebene Meister- 
werk einen Ersatz zu liefern versprochen. Zu dem Zweck waren ihm die Insignien 
des dem Herzog im Jahre 1528 verliehenen französischen S. Michaelordens durch 
Tebaldi übergeben worden. Das Bild wurde erst nach Alfonsos Tode vollendet 
(1537) und von dessen Sohn 
Ercole »königlicho belohnt.*) 
Pigna (in den Romanzi, Ve- 
nedig 1554) hatte es gesehen, 
»es scheint er lebe noch«. Zu- 
letzt erwähnt es Ridolfi (1648). 
Sollte es wirklich jenes Tizian- 
porträt sein, das Franz von 
Modena 1650 dem Grofsherzog 
Ferdinand II von Toscana ge- 
gen eine hl. Katharina Leonar- 
dos überliefs? Von dieser Zeit 
an nämlich verschwindet es 
in Ferrara.') Die Originalität 
des sehr getrübten Uffizien- 
bildes ist streitig, aber mit der 
Beschreibung jenes Ersatzge- 
mäldes stimmt es vollkommen. 
Alfons trägt einen Pelzmantel, 
den Orden S. Michaels und 
lehnt den Arm auf ein Kano- 
nenrohr. In ähnlicher Stellung 
und mit denselben Zügen sieht 
man ihn in dem Dossi zuge- 
schriebenen Gemälde der Ga- 
lerie zu Modena. *) Hier aber 
trägt er Waffenrock, Armschie- 
nen und hält in der Rechten 
eine Quadrelle. Im Hintergrund ist die Vernichtung der venezianischen Flotte bei 




Tizian. 

Alfonso I von Este. 

Original in den Uffizien zu Florenz. 



^) Radiert von W. Ungar im Katalog der Artariasammlung, aufgenommen in Thodes 
• Kunstfreund«. Sammelmappe XXIV, 1886. Jetzt bei Frau Andre - Jacquemart in Paris. 

*} Dice M. Titiano . . . che poi, che egli ritrasse Principi, non hebbe mai piu real 
premio di quello, che gli diede egli della imagine del padre. Aretino, Letterell, 8 (An Nie. 
Buonleo 1538). 

') Campori a. a. O. 30 f. Dazu passt freilich nicht, dass der Kardinal Hippolyt II 1563 
dem Grofsherzog ein Bildnis seines Vaters, wahrscheinlich von Bastianino schenkt. Venturi 
a. a. O. 30. 

*) Mitgeteilt in Zinkätzung bei A. Venturi 29. 

II 



78 TIZIAN UND ALFONS VON ESTE 

Polesella, am 22. Dezember 1509 dargestellt, mit dem Angriff auf den Brückenkopf, 
wo Alfons gezeigt hatte, dass seine Kanonen keine Dilettantenarbeit waren. 

Es ist nicht möglich, dass ein Gesicht in achtzehn Jahren sich dergestalt ver- 
wandeln sollte. Die Medaillen aber sprechen noch deutlicher. Sie geben von Anfang 
an einen Kopf mit harten Zügen und scharfem Profil. Besonders in der langen, an 
der Wurzel stark gekrümmten, dann steil herabfallenden Nase mit etwas überhängen- 
der Spitze ') ist die Familienähnlichkeit mit seinem Vater Ercole I und mit dem auch 
durch die Medaille und das Gemälde Vittore Pisanos (in Morellis Sammlung) allbe- 
kannten Profil des Bastards. Lionello , seines Ohms, unverkennbar. Der Unterkiefer 
ist energisch gekrümmt und die Unterlippe etwas vorgeschoben. Der Blick ruhig, fest 
und kalt; die Stirn von einer Vertikalfalte durchschnitten. Paul Jovius sagt, man 
könne den festen Charakter schliefsen aus dem strengen und sehr scharfen Zug dieses 
herben Gesichts.*) Muratori nennt sein Äufseres rauh {ruvido). 

Kaum dürfte sich ein Kopf finden, der hierzu weniger passt als der des Gemäldes 
in Madrid. Es ist ein breites, glattes, regelmäfsiges Gesicht, die kurze Nase mit etwas 
vortretender Spitze. Die Brauen, bei jenem lang und eher horizontal, wölben sich 
hier in hohen Bogen. Leben und Bewegung ist in der Figur; aber nichts von der 
konventionell gebieterischen Haltung, die Tizian offiziellen Porträts regierender Herren 
giebt. Statt jener durchdringenden Augen ein etwas vager, wiewohl gutmütiger, zer- 
streuter Blick. Dort der soldatische Autokrat, hier der sorglose Lebemann. 

Auch die Chronologie widerspricht. Alfons war, als Tizian an seinen Hof kam, 
ein Vierziger. Der Madrider Katalog taxiert den Mann auf 30 — 35 Jahre, er kann aber 
noch jünger sein, denn der reiche dunkle, doch weiche Bart macht ihn älter. Alfons 
hat in jüngeren Jahren, als Gemahl der Lucrezia, auch noch nach seinem Regierungs- 
antritt, keinen Bart getragen.*) 

Die Bezeichnung »Herzog von Ferrara«. in den Inventaren des XVII Jahrhundens 
braucht darum nicht aus der Luft gegriffen sein. Auch das Bildnis des Erbprinzen 
Ercole war in Bologna gewünscht worden, und sehr wahrscheinlich nach Genua abge- 
gangen. Nachrichten von ihm fehlen fast ganz, aufser der Notiz bei Vasari, dass der 
Maler Girolamo da Carpi es für den französischen Hof kopiert hatte.*) Das während 
des XVI Jahrhunderts in der Guardaropa der Este bewahrte Bildnis wäre dann eine 
Wiederholung jenes ersten Werkes gewesen. — Nach dem was von Ercole bekannt 
ist, passt das Gemälde im Prado ebenso gut zu ihm, wie es zu seinem Vater 
schlecht passt. 

Ercole, geboren 1508, war zur Zeit jener Verhandlungen mit Karl V fünfund- 
zwanzig Jahre alt und seit vier Jahren mit Renata von Orleans vermählt. Im Äufseren 
wie im Charakter war er seinem Vater sehr wenig ähnlich. Er wird gerühmt als milde. 



^) Questo Alfonso fu di statura onestamente grande, di faccia lunga, di aspetto grave 
e signorile , ma piu tosto malinconico e severe. Bonaventura Pistofilo , Vita di Alf. I d* Este 
in Atti e Memorie di storia patria per le prov. Moden, e Parm. Vol. III, 491. Con naso ho- 
nestamente chinato giü in fondo. Giraldi, eil. von Venturi 30. 

') Fuit Alphonsus aspectu et natura subausterus. Vita Alfonsi 393. Basel 1559. In 
Alfonso..., ut ex severe et peracri oris duciu coniectari licet, et nos vidimus, Ingenium 
egregie firmum stabileque et praecellens . . . enituit. Elog. 1. 1. 

') Vergl. Litta, Famiglie celebri. D' Este, No. 20 und die S. 73 mitgeteilten Münzen. 

*; Girolamo ... ricavö ... la testa del duca Ercole di Ferrara da una di mano di Tiziano, 
e questa contrafece tanto bene, ch*ella pareva la medcsima che T originale; onde fu mandata, 
come Opera lodevole, in Francia. Vasari XI, 236. 



VON C. JUSTI 



79 




Angelo Bronzino. 

Ercole II von Este 

(nach Litta le famiglie celebre). 



edelmütig, glänzend. Als Regent friedliebend, in der Politik lavierend, hatte er zu 
seinem Sinnbild die Allegorie der Geduld erkoren. Wenn dem Alten die humanistische 
Erziehung abging, so war Ercole fast ein Gelehrter. Als der Vater nach dem Tode 

LeosX sich beeilte, Hadrian VI seine Huldi- 

gung darzubringen, sandte er den Vierzehn- 
jährigen nach Rom, der durch eine fliefsende 
lateinische Ansprache das Konsistorium ent- 
zückte. Seine Züge waren einnehmend, die 
Statur mehr als mittel, sein Wesen ernst, doch 
im Gespräche sich belebend. 

In den ikonographischen Dokumenten 
erscheint Ercoles Kopf freilich wechselnd, aber 
die Unähnlichkeit mit seinem Vater ist in allen 
gleich deutlich. Die früheren Münzen zeigen 
eine gerade Stirn, eine dünne, mehr oder 
weniger konkave, mäfsig vortretende Nase, — 
einen Kopf von wenig Kraft. In den Medaillen 
späterer Jahre (darunter die Pastorinos) er- 
scheint das Gesicht abgemagert, das Profil 
fast gedrückt, der Ausdruck wohlwollend, 
bisweilen ängstlich. 

Dies unbedeutende Profil, das hier in 
Ercole II die schrofifen Linien und die scharf- 
gekrümmte lange Charakternase seiner streitbaren Ahnen verdrängt, war wohl ein 
Erbstück seiner Mutter, der Lucrezia Borgia und ihres verehrten Vaters. Auch der 
Charakter Ercoles erinnert an das passive, willenlose Naturell der Tochter Alexanders VI, 
in die man freilich neuerdings auch etwas Dämonisches hineindichten wollte, nach 
dem wunderlichen Reiz, den die moralischen Monstren der Renaissance auf die Nerven 
unserer Modernen auszuüben scheinen. Ercoles Sohn Alfonso II starb kinderlos, und 
seine Tochter Lucrezia — deren Profil (ebenfalls von Pastorino) dem des Vaters am 
meisten ähnelt — hat ihr Leben mit dem Verrat der eigenen Familie und der Aus- 
lieferung der einst glorreichen Stadt ihrer Vorfahren an den römischen Legaten be- 
schlossen. Den Fortbestand verdankte das Haus bekanntlich der von der schönen 
Laura Eustochia stammenden Nebenlinie. 

Das Kniestück im Prado dürfte zu den Schilderungen und auch zu der Er- 
scheinung eines mit Geschäften unbehelligten Prinzen stimmen. Neben einem Vater 
wie Alfonso hat ein Erbprinz volle Mufse für ein verfeinenes Genussleben. Für dieses 
hat er später ein Eldorado geschaffen an jenem Hofe, als dessen soave signore ihn 
Aretino preist. Der Blick hat etwas träumerisch Aufgeregtes. Um den Hals trägt er den 
Rosenkranz: er war in der Folge ein eifriger Förderer der Kapuziner und Jesuiten. 
Statt der Eisenhandschuhe oder Depeschen sieht man auf dem Tisch den wohl- 
gepflegten Lieblingshund. — 

Das echte Porträt Alfonsos ist also ziemlich sicher verloren, und zwar scheint es, 
nach dem Fehlen aller Nachrichten, schon lange vor der Decimierung des königlichen 
Gemäldeschatzes durch den Madrider Schlossbrand von 1734 abhanden gekommen zu 
sein. Vielleicht aber ist es im XVII Jahrhundert noch, nur unter falschem Namen, vor- 
handen gewesen. Im Südsaal kommt nämlich 1636 und 1686 ein Duque de Urbino vor, 
von Tizians Hand , con una mano sobre un uro de artilleria (200 Dukaten). Er hing 



8o TIZIAN UND ALFONS VON ESTE VON C. JUSTI 



da neben Tizians bekanntem Bild des Kaisers in ganzer Figur (Prado No. 453). Da nicht 
bekannt ist, dass Tizian einen Herzog von Urbino oder sonst Jemanden mit dem un- 
gewöhnlichen Attribut der Kanone gemalt habe, so liegt die Vermutung nahe, dass dieser 
verschollene Herzog von Urbino das Karl V verehrte Bildnis Alfonsos gewesen ist. 
Dann müsste freilich das Kanonenmotiv schon in dem ersten, ursprünglichen Bildnis 
vorgekommen sein. Das ist aber nicht unwahrscheinlich. Vasari nennt bei Anführung 
des letztern die Kanone. Alfonso hatte ja bereits vor der mutmafslichen Entstehung 
dieses ersten Bildnisses mit seinem groben Geschütz einige damals Aufsehen machende 
Erfolge erzielt. Bei der Belagerung von Legnago (1510) entschied die Riesenkanone, 
genannt // gran Diavolo. Vielleicht ist das Dossi zugeschriebene Bild in Modena 
(wie auch Venturi vermutete) dem ersten Tizianschen nachgebildet. Der Wafifenrock 
mit den Armschienen passt besser zu dem Kanonenrohr, als der Pelzmantel des Alters. 

Und dass Karl V gerade an dem so inscenierten und konstruierten Bildnis be- 
sonderen Geschmack fand, ist ebenso erklärlich, wie nicht recht einzusehen wäre, weshalb 
aus dem Pradobildnis (ohne seinen Wert herabmindern zu wollen) damals so viel 
Wesen gemacht wurde, sogar von Michelangelo. Dazu scheint es doch nicht be- 
deutend genug. ^) 

Aber mancher Leser hat vielleicht schon lange mit Ungeduld gewartet, von 
dem berühmten und schönen Tizian zu hören, auf dem neuerdings sogar von dem 
solchen naseweisen Neubenennungen gegenüber sonst in seiner konservativen Würde 
so unerschütterlichen Louvre, durch ein Täfelchen, die Anwesenheit des Herzogs von 
Ferrara beglaubigt wird, der Maitresse du Tttien. Dieser galante Kavalier, der im 
Halblicht der schönen Laura, bei der Toilette, anstatt der Zofe hülfreiche Hand leistet, 
welch erfreulich ergänzendes Pendant bildet er zu dem finstern Kanonier! Eine die 
Vielseitigkeit des hochgeborenen Dilettanten mit einem neuen , ungern vermissten Licht 
streifende Metamorphose! Freilich müssie Alfons auch noch die Kunst besessen haben, 
sein eigenes Gesicht wie seine politischen Masken zu wechseln; oder er müsste dem 
Maler Vermeidung jeder Ähnlichkeit eingeschärft haben, wenn er hinter diesem jungen 
Mann mit der breiten, hohen, oben vorgewölbten Stirn und der kurzen, eingebogenen 
Nase versteckt sein sollte. Auch nach dem Aher passt der Kopf nicht für ihn, der 
beim Tod der Herzogin Lucrezia vierundvierzig Jahre zählte, und bei der Geburt 
von Laura Eustochias erstem Sohn bereits ein Fünfziger war. 



*) Die Stellung und Geberde des Herzogs ist fast genau dieselbe wie in der Hauptfigur 
des Holbeinschen Gesandtenbildes in der Londoner Nationalgalerie. Auch die Tracht ist 
ähnlich. Holbein malte den französischen Gesandten Dinteville (der auch den St. Michaels- 
orden tragt) in demselben Jahre 1 533, wo der Kaiser das Bild des Herzogs erhielt und Tizian 
sein Ersatzgemälde begann. Der Sieur de Polizi wird dadurch eine Art friedliches Gegenstück 
zu dem herzoglichen Kanonier. Ob diese Ähnlichkeit Zufall ist, wie er bei gleichzeitigen 
Werken so oft spielt, ob irgend ein Zusammenhang stattgefunden hat, das wSre müfsig zu 
erörtern. 



FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER VON PAUL SEIDEL 8l 



FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

VON PAUL SEIDEL 
SCHLUSS 

In meinem ersten Aufsatz im Jahrbuch über Friedrich den Grofsen als Sammler 
konnte ich eine Reihe von Briefen des Agenten Mettra in Paris an den König und an 
seinen Vorieser de Gatt publizieren, wie sie im Geheimen Staatsarchiv und im König- 
lichen Hausarchiv aufbev\rahrt werden. Herrn Dr. Arend- Buchholz in Berlin ver- 
danke ich den Hinweis auf eine Reihe von Briefen Mettras an de Gatt in der Biblio- 
thek der Göritz- Lübeck -Stiftung in Berlin, die ebenso wie die Briefe im Königlichen 
Hausarchiv durch einen Zufall vor der Verwendung als Wurstpapier in einem Schlächter- 
laden bewahrt worden sind. Der Stifter und Hüter dieser Bibliothek Herr Göritz ge- 
währte bereitwilligst die Möglichkeit, diese Briefe hier zu publizieren, soweit sie sich 
auf die Erwerbung von Kunstwerken aus Paris beziehen. Sie bilden zum Teil 
eine Ergänzung, zum Teil die Fortsetzung der bereits in meinem ersten Aufsatz abge- 
druckten Korrespondenz (vergl. Jahrbuch, Bd. XIII, S. 206 — 212). 

Die beiden ersten Briefe beziehen sich auf die beiden angeblich von Raphael 
und Gorreggio auf Marmorplatten gemalten heiligen Familien, die zerbrochen in 
Potsdam angekommen waren und fUr die der König 60000 L. bezahlen sollte. Sie 
reihen sich an den S. 209 (a. a. O.) abgedruckten Brief vom i. September 1766 an und 
bezeugen, wie sehr sich der König gegen diesen offenbaren Schwindel gesträubt hat. 
Leider erfahren wir nicht, ob der gewandte Pariser durch seine Auseinandersetzungen 
schliefslich die Abnahme der Bilder erreicht hat. Wenn sie überhaupt in die Schlösser . 
gekommen sind, so haben sie sich nicht erhalten. 

Monsieur 
Je vois avec la plus vive douleur par la lettre dont vous m'avez honore le 19 de ce 
mois que les certificats que je vous ai envoye et qui attestoient la verite et la purete des 
deux stes familles du Correge et du Raphael nont pas paru süffisant pour justifier ma con- 
duite et mon zele. Les s» Colins, Boileau et Doujeux sont ceuz qui sont regardes ici 
comme les plus verses dans la connaissance des grands mäitres et qui ont guide mon pere 
dans toutes les acquisitions qu'il a faits par les ordres de Sa Majeste. Ce sont en meme 
tems les seuls dont je puisse exiger Tanestation ayant ete appele expressement et ayant 
examin^s particulierement ces deux tableaux. Tous les autres peintres et connoisseurs d'ici 
qui les ont vus ont donne leurs sufFrages et les auroient signe si je les en avois requis 



82 



FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 




dans le temps, mais il serait difßcile de leur faire 
donner un certificat de memoire ce que feront cer- 
tainement ceux qui les ont le plus consideres et 
dans Tesprk desquels ils sont le plus presents. 

Je ne suis point en etat de supporter la perte 
du renvoi de ces tableaux qui ont ete brises sans 
qu'il y ait de ma faute et qui sont accuses contre 
le temoignage de tous nos bons connoisseurs. J*im- 
plore de nouveau a ce sujet l'equite de Votre Auguste 
Monarque et supplie Sa Majeste de ne me pas rendre 
responsable d'evenements que je ne pourois parer, 
soit que quelque accident imprevu les ait occasio- 
nes, soit qu'ils soient le fruit de Fenvie. 

Je dois avoir sous peu la seconde tenture de 
Beauvais et les trois lustres de crystal de Roche. 
II faudra que je les paye sur le champ: je supplie 
Sa Majeste d'ordonner qu*on m'en fasse les fonds; 
j'ai l'honneur de vous envoyer le compte de mes 
avances dans lequel ces deux articles et leurs frais 
d'expedition sont compris. Le tout se monte a 
L. 67135.10. 

Paris, le 29 jbre 1766. 



Standuhr. 
K. Schloss zu Berlin. 



Ohne Ort und Datum. 
Vous me voyez au desespoir, Monsieur, votre 
lettre du 19« m*a rempli d'amertume: qui aurait 
pense que les 3 hommes qui m*ont toujours eclaire 
et procure de bonnes choses dont un a ete Charge 
avec son pere du soin des tableaux du Roi et le 
second a Tinspection de ceux du duc d'Orleans dont 
la galerie est une des plus helles de l'Europe, que 
ces trois connaisseurs, dis-je, ne prevaudraient pas 
contre celui qui n'a parle probablement contre moi 
qu'ä rinstigation de quelques curieux. J'espere tou- 
jours en la Justice de votre equitable Monarque, 
sous les yeux duquel je vous supplie d'exposer mon 
chagrin de voir mes sentiments soup^onnes et en 
meme temps mon inquietude que ces tableaux brises 
ne me restent sur le corps, parceque ma fortune 
ne me permettrait pas de supporier. Sa Majeste 
est trop remplie de honte pour detruire en un in- 
stant Celle dont eile m'a toujours comble et pour 
permettre que mon zele et mes soins eprouvent un 
pareil revers. Je ferai en sone d'avoir de nouveaux 
certificats, j'aurai des temoignages de Boucher tant 
que j'en desirerai, mais comme je dois vous parier 
vrai, je vous avouerai que je crains de n*en pas 
obtenir d*autres, et il est bien humiliaire pour moi 
qu*on en exige apres tant d'annees d'experience du 
hon choix que mon pere et moi avont toujours 



VON PAUL SEIDEL 83 



S9U faire avec les roemes conseils. La raison pour laquelle les peintres de notre academie 
ne voudront pas signer c*est qu*il y a de la Jalousie ici tout comme la et qu'ils savent que 
je consulte ces trois peintres qui ont toujours fait leur unique etude des anciens tableaux 
tandis que les autres artistes n'ont souvent vu que leurs propres ouvrages et ceux de leurs 
instituteurs , et ont encore decide il y a peu de temps une copie etre un original et six 
mois apres le veritable original encore un original, de sorte qu'il se trouvaient deux origi- 
naux parfaitement semblables. D*ailleurs, monsieur, ma fa<;on de bien connaitre le vrai sur 
un tableau est de comparer les sentiments des uns et des autres et surtout de ceux qui 
n'ont aucun interet a la chose. Je suis sur les epines tant que cette affaire ne sera terminee, 
j'aurais tout a craindre de Tenvie vis ä vis de tout autre miitre mais celui que nous adorons 
vient de prouver encore en replacant M. de la Hogue(?) qu'il sait la demasquer et qu*il est 
aussi eclaire que juste. 

Je vous ai sans doute bien ennuye de tous ces raisonnements que je fais fort k la häte 
mais qui sortent du plus profond de mon coeur. Pardonnez ä ma loquacite, c*est un objet 
bien interessant pour moi, bien plus parce qu*il m'a fait soupconner que pour les vues 
d'inter8t puisque j*aurais surement prefere d'avance cette somme teile forte qu'elle soit pour 
moi et que mon coeur paraisse tel qu'il est en effet. 

Je vous prie de nouveau de me renvoyer les douze Lancrets pour 3000 H. le Bou- 
logne servira a en payer les frais de voyage je ferai tout ce que vous me recommandez. 



Note d'Envoi d'estampes ä Sa Majeste le Roy de Prusse Par L. F. Mettra de Paris le 
18 decembre 1766. 

48 Vues de Palais et Maisons Roiales par Rigaud ^) a 24 s. 57. 1 2 s. 

12 d^ a 18 • 10 16 » 

g 69 ä 8 » 3.12 » 

Prov" et Exped" . 6 

L. 78 

Die folgenden Briefe bilden die Fortsetzung der bereits (a. a. O. S. 208 — 211) 
abgedruckten Schreiben Mettras an de Gatt. 

Monsieur 

J*eus rhonneur le d^ Courier de vous prier de mettre aux pieds du Roy le Compte 
de mes avances montant a L. 54313.10 s. et de vous observer que je n'y comprenais pas les 
L. 18000 qui restent ä payer sur les Lustres, l'expedition en etant retarde par Tinfidelite du 
Mr de Milan qui n'a pas encore fourni tous les cristaux qu*il s'etoit engage de livrer dans 
le mois de juin de Tannee passee; je compte cependant pouvoir d'icy k deux mois vous 
expedier deux de ces lustres. 

La Danse (tun Village N^ 108 du Catalogue du Cabinet de M. de Julienne^) a ete 
jugee copie par tous les connoisseurs, encore le tableau etoit-il fendu et presque entierement 
repeint, c'est pourquoi je n*ai pas crü devoir en faire l'acquisition, je n'encherirai pas non 



1) Jean Rigaud: Maisons royales et autres palais remarquables en France. 

*) Dieser und die nächsten Briefe Mettras geben uns noch eine Reihe interessanter 
Einzelheiten tiber die Ankäufe des Königs bei der Versteigerung der Sammlung Julienne 
(vergl. Jahrbuch a. a. O. S. 204 ff.). Das Bild, Katalog von Remy No. 108 sollte von Rubens sein: 
»Une danse dans la campagne; un homme assis sur un arbre joue de la flute; figures de neuf 
pouces de proportion.n Holz. H.26, Br.38 Zoll. Das Bild erzielte den Preis von 1361 Francs 



84 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

plus sur le tableau N^ 16 mis sous le nom du Correge^) parcequUl n'est surement pas de 
ce mattre, il n*en sera pas de m§me de Gerard de Lairesse qui tient un des premiers rangs 
dans cette collection. Les Vases et les bron^es que le Roi a choisis sont la plus part tres 
beaux et en hon Etat; c*est ce qui m'oblige k suplier de nouveau votre auguste monarque 
de donner des ordres pourle payement des L. 54313.10 s. montant de mes avances, afinque 
je puisse fournir les fonds de ces acquisitions qui dans de semblables ventes k Tenchere 
doivent se payer comptant et sur le chaxnp. . . . 
Paris le 13 avril 1767. 



Monsieur 

.... La grdce que Sa Majeste vient de m*accorder en me donnant le titre de son 
agent me penetre de la plus vive reconnaissance et me remplit d*une nouvelle ardeur pour 
son Service; vous m'obligerez de me faire part des intentions du Roy sur la conduite que 
je dois tenir. 

Par un mal entendu heureux pour-moi, quoique Timperatrice de Russie ait donne 
ordre qu*on poussät jusqu*ä douze mil francs le tableau de Gerard Lairesse N^ ig4*) il m*a 
ete adjuge k L. 9610 et les deux Vases de porphire k L. 13000; je vous rendrai compte des 
prix aux quels auront et^ les autres articles que le Roi desire et vous en ferai desuite Tex- 
pedition. On ne veut absolument rien rabattre sur les vases dont je vous ai envoye le 
dessein pour le prix de L. 16000 j'ay donne mon desistement pour les statues de Pigale. 

Paris le 15 May 1767. 



Monsieur 
J*ay achete k la vente de M. de Julienne'} 

les deux vases de Porphire N*> 1260 L. 13000.— s. 

celuy 1261 4395-— • 

les 2 Tetes antiques 1264 ■999>9 * 

le Bronze 12^ 722. — » 

L. 201 16.19 s. 

Je feray les autres acquisitions que le Roi desire, si leur prix ne surpasse pas leur 
valeur reelle. J*implore de nouveau les bontes de notre equitable maitre pour les rentrer 
de ces sommes que j'ay pay^ comptants. 

Je suis etc. 

Paris le 18 May 1767. 



Monsieur 
J*ay rhonneur de vous envoyer la note des acquisitions que j*ay faites k la vente des 
Effets de feu M. de Ju Henne suivant les ordres et pour le compte de Sa Majeste; elles se 



^) Katalog von Remy No. 16. »Le Correge: Une femme couchee et endormie, eile est 
en partie sur un drap, son dos appuye sur des oreillers; le fond est du paysage.« Leine- 
wand. H. 23, Br. 19 Zoll 3 Linien. Das Bild erzielte einen Preis von 2400 Francs. 

*) Der Katalog von Remy No. 194 hat keine Erklärung für die Darstellung auf diesem 
Bilde, das heute als »Taufe des Achillest in der Gemälde -Galerie der Königlichen Museen 
unter N0.481 placiert ist. 

') Vergl. Jahrbuch (a. a. O. S. 204 ff.), wo auch der jetzige Aufbewahrungsort der Gegen- 
stande bezeichnet ist. 



k 



VON PAUL SEIDEL 85 



montent a L. 40789.19 s. 4 d. Vous aurez vu dans mes precedentes les raisons qui m'avoient 
engage a ne pas acheter les autres articles que le Roi avoit indique; Le tableau du Correge^ 
et ceux de Rubens ont ete juge faux par nos meilleurs connoisseurs et les autres ob}ets 
pousses bien au delä de leur valeur par concurrence d'opiniatrete et les maneuvres fort 
ordinaires dans nos ventes. Sa Majeste m*a permis d'esperer que ces avances me seroient 
remboursees sur le champ, je la suplie d'avoir la bonte de donner ses ordres en consequence. 
L*expedition de ces articles sera faite cette semaine; Les marbres et les Brownes partiront 
par les premiers vaisseaux qui feront voile pour Hambourg. 

Je vous adresserai ces joursci les Livres que le Roi demande, on vient de mMndiquer 
une belle pendule ä fusecy si eile me paroit convenable, je la joindrai a mes autres cnvois. 

J'ay rhonneur etc. 

Paris le 25 Mai 1767. 



M. le Duc de Choiseul m*a ecrit une lettre fort obligeante sur le titre que Sa Majeste 
Prussienne a daign^ m*accorder et j'ay lieu de croire quMl a ete agreable au ministre. je viens 
de demander des passeports pour Texemption des droits de sortie des acquisitions que j*ay 
faites pour le Roi 

Paris le 5 juin 1767. 



Monsieur 

Voici le compte de mes avances et envois pour Sa Majeste montant a L 156745. 4 s.> 
]*y comprends Tenvoi d*une collection de vases et tableaux dont j'ai trouve Toccasion k bon 
compte et que je n'ay pas crü devoir laisser echapper ces objets etant dans le goüt du Roy, 
je prends la liberte d'apposer de nouveau a votre Auguste Monarque le besoin de fonds ou 
]e suis ayant debourse depuis longtemps une partie de ces sommes. 

La Statue de Bachus par Michel ange est celle dont Sa Majeste a agreee le dessein et 
m'a ordonnee de faire Tacquisition depuis longtemps.^) J'avais attendu cette occasion pour 
Texpedier. Les deux tableaux de Rembrandt sont dans la plus belle couleur de Wandick 
(sie) et d'un precieux qui a fait croire a plusieurs connaisseurs que ces tableaux etaient d'un 
peintre fiamand qui a surpasse ce maitre et dont les ouvrages sont fort rares. II y a dans 
la collection delaquelle j*ay tire ces articles plusieurs autres vases, bron^es et tables richement 
omes entr* autres quatre forts vases de grand antique; quatre vases de porphire de m8me 
grandeur que ceux du cabinet de M. Julienne et plusieurs vases de Chipolin et autres marbres. 
Je crois qu*on en tirerait un meilleur parti en achetant la totalite, j'attendrai les ordres du 
Roy la dessus d' apres Tarrivee de cette expedition 

Paris le 26 juin 1767. 



Monsieur 
J*ay rhonneur de vous envoyer la note des caisses contenant des marbres et effets 
destines a Sa Majeste Prussienne et que je vous ai expedie sous passeports en franchise des 
droits de sortie savoir 18 caisses N<» 78 ä 94 et le No 100 par mer jusqu'ä Hambourg k la 
consignation de M» deshous (?) freres et les cinq caisses No> 95 a 99 par terre a la con- 
signation de M. Nicolas Herff k Strassbourg et Charles Geyss k Francfort 

Paris le 17 juillet 1767. 



Vergl. Jahrbuch a. a. O. S. 205. 

12 



86 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

M. Davila possesseur d'un cabinet tres considerable de raretes de differente genre et 
principalement en histoire naturelle qu'il avait d'abord entrepris de former par ordre du feu 
Roy d'Espagne est dans rintention de le vendre. M. BemouUi vous en remettra un catalogue 
pour mettre aux pieds de Votre Auguste Monarque. II est determine k en faire la vente en 
detail, s*il ne se presente personne d*icy au mois d'octobre pour acheter la coUection entiere. 
II la cederait beaucoup au dessous de ses debourses, qui sont montes a plus de L. 400000. 
Si Sa Majeste etait dispose ä en faire Tacquisition je ferais faire Testimation de chacque article 
par des gens connaisseurs en cette partie et en rendrais compte a Sa Majeste afin de regier 
les offres qu'elle m'ordonnerait d'en faire. . . 

Paris le 24 juillet 1767. 



Monsieur 

J'ai bien re9u les lettres que vous m*avez fait l'honneur de m*ecrire et je snis penetre 
du mecontentemeni de Votre Auguste Monarque sur le retard des trois lustres de cristal de 
Roche. Je ne cesse de persecuter le sr Juliot que j'ai Charge de cette entreprise et qui etait 
le seul a Paris en etat de la bien executer. Je lui ai fait de nouveau a ce sujet les reproches 
les plus amers; voici la lettre qu'il vient de me repondre, je pense que sous deux ou trois 
mois il pourra enfin me les livrer. 

Le beau lustre de cristal de Roche que je vous avais annonce a ete fracasse par un 
accident imprevu; on vient de m'en annoncer un autre auquel il manque encore quelques 
ouvrages qu*on pourrait finir avant la fin de Tannee. S'il me parait convenable je Farreterai 
sur le champ afin de ne pas manquer cette occasion, le cristal de Roche devenant de jour 
en jour plus rare et plus recherche. 

J'ai en vue plusieurs pendules ä fusee, vous me ferez plaisir de me marquer dans quel 
genre elles pourront plutdt plaire a Sa Majeste et si eile a ete contente du goüt et du dessin, 
de Celles que j'ai de ja envoyees.^) 

Voici un duplicata de la Convention que |j'ai faite par les ordres du Roi avec les 
s« Couston, Le Moine et Vasse pour les 4 statues dont je sollicite tous les jours la prompte 
execution; celle de Diane est fort avancee et je compte qu' elles pourront m'etre livrees toutes 
quatre bien avant le terme que les sculpteurs ont exiges.*) 

Le sr Gaucher travaille aux dessins de treillages que Sa Majeste desire, je fais faire 
aussi des dessins de lit que je vous enverrai bientdt. 



Paris le 28 Aoust 1767. 



Monsieur 
J'ai eu rhonneur le 28 du passe de vous donner les eclaircissements que vous m'aviez 
demande sur Texecution de differents ordres de Sa Majeste. Voici le devis des ouvrages faits 
en treillage dont le s^ Gaucher a envoy6 les dessins au Roi et du Berceau dont le plan est 
inclu, j*y ai Joint plusieurs projets de treillages gravis pour faire connaitre combien on peut 
varier ces decorations. 



^) Von den aus Paris bezogenen Uhren Friedrichs des Grofsen haben sich eine ganze 
Anzahl in den Königlichen Schlössern erhalten. Die schönste, ein Möbel allerersten Ranges, 
ist diesem Aufsatz in einer Abbildung (S. 82) als Illustration beigegeben, sie besteht aus 
Schildpatt mit Boule - Einlagen und Beschlagen von vergoldeter Bronze. Das Zifferblatt ist 
gezeichnet: GILBERT • A • PARIS und die ganze Uhr von tadelloser Erhaltung. 

*) Vergl. Jahrbuch a. a. O. S. 202 ff. 



VON PAUL SEIDEL 87 



Le s^ Liottier M*. sculpteur en batiments desirerait consacrer ses talents au service 
de Votre Auguste Monarque; voici un dessin pour echantillon de son savoir faire et le me- 
moire de ses demandes qui se boment au payement de son voyage et au privilege de tra- 
vailler dans les etats du Roi, sans €tre assujetti a aucune maitrise. 

Paris le 4 y**"*« 1767. 



Monsieur, 

La lettre que vous m*avez fait Thonneur de m'ecrire le huit du courant a mis le calme 
dans mes esprits, en m'assurant d'un payement a compte que la bonte de Votre Auguste 
Monarque me ferait faire ces joursci, s'il avait encore retarde, j'aurais bien ete dans Tem- 
barras, mes echeances etant fort pret. 

J'ai conclu pour le grand lustre que Sa Majeste desire et en ai arr^t^ un de tres beau 
cristal de Roche de trente mille Livres qui sera pr€t ä la fin de cette annee; cette derniere 
emplette a epuise tout le cristal qui se trouve maintenant k vendre ä Paris, il y devient plus 
rare de jour en jour. 

Les dessins de Ut que je vous ai envoy6 precedemment sont les seuls que nous ayons 
grave et qui dirigent nos tapissiers pour les former; chacun varie les ornements selon son 
goüt, j*en fais faire par un de nos bons dessinateurs en ce genre . . . 

Paris le 18 septembre 1767. 



Monsieur 

J'ai bien re9u la lettre que vous m'avez fait Thonneur de m'ecrire le 12 de ce mois; 
M" Splitgerber et Daum m*ont remis L 45086 14 s de la part de Sa Majeste. Je vous pro- 
teste de nouveau que le retard des trois lustres me fait la peine la plus sensible, j'ai em- 
pioye toutes sortes de moyens pour mettre ä la raison Thomme de Milan et me suis servi 
de Targent et de Tautorite, il n*y a pas plus de la faute du fabricant de Paris que de la 
mienne, le gd. lustre sera prSt a la fin de Tannee. 

Japprends avec plaisir Fheureuse arrivee des tableaux. J'ai ete oblige de prendre avec 
les autres ceux qui sont dans le goüt de Rubens^ au surplus leur bon marche fait leur ex- 
cuse, c*a ete aussi le prix modique des deux Rembrandt et leur beaut6 qui m*a determin^ 
k les envoyer, n*ignorant pas que le sujet pourrait n*en pas paraitre assez interessant; les 
Boulogney devenant rares de plus en plus, je regarde les cinq que j*ai envoye comme une 
collection tres precieuse. Je vous enverrai bientöt le dessin de lit. 

Paris le 21 septembre 1767. 



Monsieur 

J'ai regu avec Thonneur de votre lettre du 14 c^ de nouveaux reproches sur le retard 
des lustres. Je vous assure de nouveau, Monsieur, qu'il ne vient en aucune fa9on de ma 
faute. Le grand lustre ä 12 bobeches sera pret k la fin de decembre et j*ai lieu d*esperer que 
les autres suivront de pres. 

Mons. Esperandieu vous remettra un paquet contenant le catalogue des tableaux de 
Mons. le duc de Noailles qui doivent se vendre au commencement de Thyver et celui du ca- 
binet de M. de Merval qui a mis en marge les prix qu'il y a fixe. II y aura certainement 
beaucoup de rabais a esperer s'il s'y en trouve qui plaise a Sa Majeste, je n*en ferai Tacqui- 
sition qu*apres en avoir fait faire le plus severe examen par nos premiers artistes parceque 
je doute beaucoup de la verite de plusieurs articles capitaux que j'ai soigneusement examines . . . 

Paris le 28 7*»"« 1767. 



88 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

Monsieur 

J'ai eu l'honneur de vous envoyer le dernier Courier don^e dessins de lits de diverses 
sortes dans le goüt de ceux qui sont executes dans les maisons Royales. Je vous priais de 
les menre au pieds du Roi ainsi que les assurances respectueuses du zele avec lequel je sol- 
licite le fabricant des trois lustres depuis longtemps. Je joins ici la copie de la Convention 
par laquelle il s*etait engage a les fournir k la ün de Tannee d^*^. Je lus dois la justice que 
ce retard vient uniquement de la mauvaise foy du s''. Cataneo de Milan dont il m'a com- 
munique toute la correspondance et de Timpossibilite de trouver ici des pierres qui puissent 
remplacer celles que le M''. italien doit envoyer, on les attend de jour en jour. Comme il- 
faudra que je paye comptant ä la raison les L. 18000 qui restent dus sur ces lustres ainsi 
que le prix du grand lustre qui doit 8tre pr8l a la fin du mois prochain j'implore de nou- 
veau la bonte du Roi pour un payement ä compte des avances dont je vous ai envoye la note. 

Paris le 20 gbr« 1767. 

Paris le 30 gbre 1767. 
Monsieur, 

J'ai eu l'honneur de vous demander par ma derniere lettre les ordres du Roi pour 
quatre vases de phorphire beaucoup plus grands et mieux travailles que ceux que j'ai achete 
cnez M. Julienne. Les connaisseurs trouvent tres mediocre le prix de L. 36000 que Ton 
en exige. 

On commence dans deux ou trois jours la venie de M. D'Aviiler qui durera fort long- 
temps, M. Bernouilli doit vous en avoir remis le catalogue. 



Monsieur 

J'ai bien re9u Thonneur de votre lettre du 12 ct. J'aurai de la peine ä faire consentir 
le tapissier que je vous ai propose k rabattre des trois müle livres d'apointement qu*il de- 
mande^ son intention est de mener un eleve avec lui. Je trouve un jeune homme qui se con- 
tenterait de deux müle livres par an, il a beaucoup de talent, mais je pense que le premier 
conviendrait beaucoup mieux tant par son merite personnel que par son experience. Je vous 
rendrai la dessus un compte plus exacte par le p®*" Courier. 

Je vous prie d'observer que dans les dessins que je vous ai envoyes les lits sont re- 
present^s en parade avec leurs courtepoints et soubassements, en les depouillant de ces orne- 
ments, ils sont comme les autres, les doubles coussins ne sont que pour la symetrie. 

Les vases de porphire que je vous ai proposes pour L. 18000 la paire, ne paraissent 
pas chers k nos connaisseurs puisqu*ils sont du double plus grand que ceux que j'ai achetes 
L. 1 3000 k la vente de M. de Julienne et beaucoup plus charges de travail. Peut^tre en pre- 
nant les quatre vases en argent comptant pourrai-je obtenir quelque rabais. 

Je vous expedierai le grand lustre de cristal de Roche sous huit jours, je ne merite 
pas les reproches que vous me faites sur le retard des trois autres; il me chagrine extreme- 
ment, je n'epargue aucune soin et aucune demarche pour en hater la confection. 

Tri remis a la veuve Pellochet ses deux tableaux qui me sont bien parvenus. La v^ 
Adam ne cesse n'y sollicitations n'y ses importunites . . .^) 

Paris le 4 Janvier 1768. 

Paris le II Janvier 1768. 

Tai eu Thonneur de vous ecrire le 4 du courant et de vous prevenir de la prompte 
exp^dition du grand lustre de crystal de Roche. Je puis enfin vous Tannoncer; ma premiere 
vous en remettra la note. 



1) Vergl. Jahrbuch Bd. XIV. S. 107. 



VON PAUL SEIDEL 89 



Je vous prie de mettre aux pieds de votre adorable maitre le paquet cyjoint, dans 
lequel je supplie Sa Majeste d*ordonner qu*il me soit fait un payement. Les engagements que 
j*ai pour le mois prochain, auxquels le payement du grand lustre me rend fort diflicile de 
satisfaire, doit excuser la liberte de ma demande. Tenvoye ä Sa Majest^ la note de 8 grands 
vases de porphire qu*on veut vendre 60000 H. ; les quatre vases dont je vous ai parle pre- 
cederoent y sont compris, on les reduit au prix de 32000 Yi. 

Je compte que les 3 lustres de crystal de Roche dont le delai me cause le chagrin le 
plus vif, pourront m'etre livres vers le mois d'avril. Je n'ai pu encore entamer de negotia- 
tions sur les 4 tableaux en question, le S. de Merval ne devant revenir de son voyage qu'au 
commencement de fevrier. 

Paris le 15 janvier 1768 
Monsieur 

La pendule que je vous ai propose cy devant ne m'ayant pas pani convenable apres 
un examen plus particulier, j'en ai decouvert une autre dont je vous remes inclu le dessin; 
eile est entierement neuve, les circonstances et le besoin d'argent comptant de celui qui veut 
la vendre la fönt avoir pour 8000 L. Je vous prie de me faire passer le plus tot possible les 
ordres du Roi a ce sujet et de me renvoyer le dessin si Tintention de Sa Majeste n'etait pas 
d'en faire acquisition. 

Ein Zettel von Mettras eigener Hand und von demselben Tage (ohne Unterschrift). 

Paris le 15 Janv. 1768. 
Mille et mille compliments fort k la häte. Par des circonstances particuliers un de 
nos seigneurs se determine a vendre 3 süperbes lustres de crystal de Roche. Ils revien- 
draient a environ 36 ou 40000 L. chaque avec les reparations, mais ils] seraient bien plus 
forts que le grand que j'ai envoye il y a 2 ans. Comme il faul saisir le moment et qu*on 
m'en propose encore un dans une autre grande maison, je vous prie de me marquer les 
intentions du Roi dont je defendrai les inter§ts en cette occasion avec le zele que j*ai voue 
k cet adorable maitre. 



Paris le 25 Janv. 1768. 

. . . Les statues de Venus et de Diane sont tres avances et pourront eire pretes sous 
quatre k cinq mois; si Sa Majeste Tordonne j'en ferai sur le champ l'expedition. Les sculpteurs 
desireraienty que les quatre qui doivent faire pendants partissent ensemble, mais les figures 
de Mars et ApoUon ne pourront 8tre finies que vers la fin de cette annee. Les sculpteurs 
charges de ces ouvrages me demandent le payement du troisieme k compte de L. 1200. . . 
Je supplie Sa Majeste de me faire passer des fonds pour cela.^) Si eile a la bonte d'ordonner 
le payement de mon compte montan t a L. 136442 5." cette rentree me mettra k portee 
de faire cette avance 

Les habiles sculpteurs d'icy se trouvant maintenant fort employes, il serait fort difücile 
d*en determiner un a remplir la place du sieur Sigisbert a moins d'avantages considerables, 
je vous rendrai compte le prochain Courier de mes demarches a ce sujeL Je compte toujours 
que les trois lustres de cristal de Roche pourront m'etre livres d*icy a trois ou quatre mois, 
mes soUicitations pour les häter sont toujours aussi vives. 

Le s'- Polv^ot Tapissier est dispose a partir ces jours icy pour vos cantons soit que 
Sa Majeste lui accorde une pension, soit que chacun de ses ouvrages lui soient payes; il 
emmenera un camerade avec lui. 



^) Es handelt sich um die vier Statuen von Vasse, Lemoine und Constou le jeune in 
der Bildergalerie von Sanssouci vergl. Jahrbuch Bd. XIII S. 202 ff. 



90 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

Paris le 29 Janvier 1768. 

. . . Les 3 grands lustres dont je vous ai pade sont enfin achete j*en ai paye une partie 
et donnerai le surplus sous peu de jours^ jugez comment va ma caisse puisque que avec 
le crystal qu'il faudra acheter pour les rassortir et completer en les remontant ils reviendront 
a 120 000 fi environ les trois, j'ai emprunte cette somme. Comme j'attends le payement que 
le Roi ni*a fait esperer pour Fevrier et Mars j'ai pris des engagements vers ce temps. Je 
vous supplie de m'appuyer un peu au reste je sais que votre amitie vous parle toujours 
d'avance en ma faveur; si je pouvais toucher Vs ^^ ii^on compte le mois prochain et le surplus 
en Mars je serais bien satisfait. Vous me trouverez peut-etre imprudent d*avoir achete ainsi 
ces 3 lustres sans ordres mais quand vous saurez que la principale boule pese pres de 12 livres 
et que les pendeloques vont de 8 ä 10 et 11 pouces, vous comprendrez que de setnblables 
morceaux ne sont jan^ais ä Charge. D'ailleurs il y a impossibilite reelle et phisique de trouver 
encore a Paris semblable collection et j*ai pense remplir les voeux de notre adorable maitre 
en saisissant cette occasion que j'aurais manque en tardant un peu. Ils seront prets et tous 
remontes sous 2 mois. 



Paris le 12 fevrier 1768 

J'ai bien re9u les deux lettres que vous m*avez fait l'honneur de m'ecrire le 26 passe 
et premier courant. Je vous expedirai les 3 grands lustres sitöt qu'ils seront remontes; ils 
reviendront ä L. 1 20000 ... et seront beaucoup plus garnis chacun que le beau lustre de 
Versailles qui a coute L. 60000, les principales pieces ont 8 et 9 pouces de longueur celui 
de Versailles n'en a pas qui ayent plus de 6 pouces 

J'apprends avec la reconnaissance la plus respectueuse Tordre que Sa Majeste vient 
de donner qu'il me soit paye un ä compte le premier de Mars. Cette nouvelle marque de 
bonte m'en hardit k la suplier de m'en faire payer un autre au p«' may, aftnque je puisse 
satisfaire aux engagements que j'ai contractes, ma fortune et mon credit etant entierement 
devoues ainsi que ma personne au service de cet adorable maitre, j*attendrai le mois de Juin 
pour le payement de la Pendule et des 3 grands lustres. Si Sa Majeste m'ordonne de faire 
l'avance du montant des 8 grands vases de porphire je n'aurai besoin de ces fonds que dans 
le mois de j^^ au moyen des payements qui me seraient faits dans les mois de mars, 
may et Juin. 

Les deux statues de Pigale sont encore a Paris, on ne pourra les avoir a moins de 
L. 36000 . . . 

Paris le 26 fev. 1768. 

Je m'apper9ois par la lettre que vous m*avez fait l'honneur de m'ecrire le 14 du courant, 
que vous aviez mal compris la proposition que je vous ai faite le 15 du mois passe des 
trois lustres de cristal de Roche pour le prix de L. 40000. On me demandait cette somme 
pour chacun des lustres, et j'ai eu peine ä obtenir en achetant les 3 que le prix de la re- 
paration et du remontage y fut compris. Ces 3 lustres revenant ensemble ä L. 120000 ... 
sont a tres bonmarches vu la beaute du cristal et la grandeur de pieces dont la plus part ont 
8 et 9 pouces de longueur. Chaque lustre aura environ 6 pieds et 5 pieds Va de haut et est 
termine par une forte boule. Un seigneur d'ici qui malgre le secret avec lequel cette acqui- 
sition s'est faite en a ete instruit vient de me faire proposer de lui ceder ce marche. Ca 
satisfaction que j'eprouverais si cette emplette etait agreable k Tauguste monarque que nous 
servons ne m'a pas permis d'ecouter ces soUicitations. Ces lustres seront pret d'ici 4 2 ou 
3 mois, j'attends les ordres du Roi a ce sujet. Je puis enfin compter que les 3 lustres de 
cristal qui devaient m'€tre livre depuis si longtemps seront pret dans le mois d'avril prochain. 



VON PAUL SEIDEL QI 



Paris le ii Mars 1768. 

J'ai rhonneur de vous adresser le memoire des demandes du sieur Berruer sculpteur 
du Roi et de TAcademie royale de Paris; il a ete eleve du S. Michelange Slodtz qui en 
faisait beaucoup de das et m*en a souvent parle avec les plus grands eloges. 

Le sieur Poli^eau tapissier est parti il y a Sjours pour se rendre en votre viile; je 
lui ai compte L. 600 . . . pour les frais de voyage. II est convenu de travailler pour le Ser- 
vice du Roi Sans aucuns appointements et 4 condition seulement que les ouvrages lui seront 
payes suivant le tarif usite, c*est un fort bon ouvrier et qui a toujours travaille ici dans les 
maisons royales. 

J'attends les ordres du Roi pour les 3 grands lustres, un seigneur d'ici desirerait 
prendre au moins les deux moins considerables, je ne deciderai rien avant de conntitre les 
intentions de Sa Majeste. Le grand seul reviendra a L. 60000 ..., je vous repete qu'il est 
compos^ de pieces beaucoup plus grandes et plus belles que le fameux lustre de Versailles, 
il sera monte dans le m8me gdut sur une carcasse en forme de branches de Palmiers. Je 
compte toujours avoir les trois petits lustres a la (in du mois prochain. 



Paris le 14 mars 1768. 

J'ai eu rhonneur de vous ecrire le 11 de ce mois et de vous donner avis du depart 
du si* Polizeau tapissier. Vous y aurez vu que le plus grand lustre de cristal de Roche 
reviendrait k L. 60000 ... et qu^un seigneur d*ici me sollicitait vivement pour lui ceder 
les deux autres. 

La belle Pendule est partie dans les caisses S. M. P. No. 1 et 2, eile revient avec les 
frais d*emballage et de douanes a L. 8860 . . . Recommandez je vous prie les plus grandes 
'precautions pour la debaler et faites observer qu'il y a une paire de bras k deux branches 
qui sevissent au chapiteau de la Pendule. 



Paris le 18 mars 1768. 

Le besoin d*argent d*un de nos seigneurs me met a portee d'avoir deux des plus 
beaux tableaux qui soient connus a Paris; Tun de Carle Maratte de 4 pieds Vs ^^ ^^^t sur 
3 et V, de large, ste famille de 7 figures de meme proportion que celle du Guide que j*ai 
envoye au Roi il y a trois ans. Ce tableau est tres bien conserve et n'a jamais soufTert de 
reparation. Le Roi m*avait ordonne de faire Tacquisition d*un pareil tableau annonce de 
Carle Marane a laVente du M. Peilhon, je ne Tai pas fait dans le temps ce tableau etant 
la copie de celui que je propose. 

L*autre du Poussin de 6 pieds de haut sur 8 de large representant AppoUon qui 
couronne Virgile en tout 5 figures grandes comme nature dans un beau paysage. Ce tableau 
est le plus Capital de ce maitre qui soit en France il est pareillement dans toute sa purete 
et fraicheur. 

On aura ces deux tableaux pour 25000 R Les mesures sont prises sans les bordures. 



J*ai re9u les lettres que vous m'avez fait l'honneur de m^ecrire les 7 et 12 de ce mois. 
Les trois petits lustres de cristal de Roche partiront k la fin du mois prochain, j'aspire bien 
apres le moment oü je pourrai vous annoncer qu'ils sont en route. 

II est tres vrai qu'on m*a sollicite vivement et offert cinq cent Louis de benefice pour 
ceder le märch^ des trois grands lustres, mais jamais Tinteret ne m*a conduit et je n'ai ete 
porte a cette acquisition que par Tenvie de procurer k Notre adorable mattre ces süperbes 
morceaux que j'ai cru entrer dans ses vues de magnificence. 



Paris le 25 Mars 1768. 



g2 FRIEDRICH DER GROSSE ALS SAMMLER 

Paris le 4 avril 1768. 

J*ai bien regu Thonneur de votre lettre du 14 passee et penetre des bontes dont eile 
me porte des nouvelles marques de la part de notre adorable maitre je volerai a ses pieds 
suivant les ordres le 10 de Juillet prochain. 

Ces trois lustres seront certainement pr8t a la fin de ce mois et je compte que les 
3 autres grands Lustres pourront partir vers le meme 'temps. J'apprend avec bien de la 
peine que celui qui vous est parvenu n'a pas ete trouve assez beau pour le prix puisque la 
rarete et la valeur du Cristal augmentant de jour en jour on ne peut se flatter d'en trouver 
dorenavant ä moins de sommes tres considerables. 



Paris le 15 avril 1768. 

Vous aurez vu par mes precedentes que les 3 lustres de Cristal de Roche commandees 
depuis si longtemps seront expediees avant un mois, je crois que les 3 grands lustres pourront 
partir dans le meme temps. 



Paris le 25 avril 1768. 

J'ai eu l'honneur de vous ecrir le 22 courant. Le sculpteur Berruer ne veut point se 
determiner aux memes conditions que le S. Sigisbert mais lui ayant observe qu*il etait de- 
Charge des frais d'ouvriers qui sont pensionnes du Roi il m'a demande quelques jours pour 
faire de nouvelles reflexions ; je vous en rendrai compte le prochain Courier 

La vente de la belle coUection de tableaux et de livres qui a laissee apres son deces 
M. de Gagnat millionnaire de cette ville doit se faire dans le mois de novembre prochain. 
sitöt que le catalogue paraitra je ne manquerai pas de vous Tadresser. 



Paris le 29 Avril 1768. 

J'ai re9u la lettre que vous m'avez fait Thonneur de m*ecrire le 19 du passee avec de 
nouveaux reproches pour le retard des trois petits lustres. je crois ne pas pouvoir douter 
qu*ils me seront livres avant quinze jours et vous en ferai sur le champ Fexpedition. 

J*ai l'honneur de vous envoyer le memoire du sculpteur Berruer, je Tai retourne de 
bien des manieres et je ne crois pas qu'il se determine a des conditions plus modiques. 
Je dois vous observer d'ailleurs que les bons artistes sont tres employes ici et que les avan- 
tages considerables qu'on donne a quelquesuns d'eux dans plusieurs cours etrangers montent 
fort haut les pretentions des autres. 



Paris le 23 Mai 1768. 

Vous aurez vu dans la lettre que j'ai eu l'honneur de vous ecrire le 16 du courant 
qu'un nouvel accident arrive a quelques pieces des lustres avait occasionne un nouveau retard 
par le temps qu'il fallait pour les retailler. II semble qu'il y ait une fatalite desesperante 
attachee a cette commission. J'espere positivement cette fois que le premier Courier vous 
annoncera leur depart. 



Paris le 6 Juin 1768. 

J'ai bien re9u la lettre que vous m'avez fait l'honneur de m'ecrire le 2 1 du pee. Je vais 
demander les passeports pour l'envoi des trois lustres dont 2 sont enfin prets et le 3^ ne 
tardera pas a l'^tre. Je vous expedirai en meme temps 3 des tableaux que Sa Majest^ m'a 



VON PAUL SEIDEL 93 



ordonne d'acheter du Cabinet de M. de Merval et dont je n'ai pu faire Tacquisition plutot 
k cause de son absence de cette ville. Tai pris le temoignage des meilleurs connaisseurs de 
notre Academie dont je porterai le certificat. J'ai pense qu'ii serait plus avantageux au Roi 
que je fis Tacquisition de ces tableaux a la main que de subir le sort de la vente oü Tin- 
trigue et la cabale les fönt monter ä des prix enormes . . . 



Les reproches vifs et amers que vous me faites sur Tenvoi des lableaux me penetrent 
jusqu'au fond de l'äme. Vous devez avoir note, monsieur, que vous me donnates ordre de la 
part du Roi il y a 6 ou 9 mois d'acheter les 2 tableaux de Carrache et le Correge avec deux 
autres qui ne se trouverent pas des maitres indiques. J*ai cru marcher surement dans cette 
acquisition en me guidant par la voix des connaisseurs et des academiciens les plus estimes, 
il serait bien malheureux pour moi que celle de mes ennemis prevalut. Un curieux de Paris 
m'a propose d'acheter le Correge ainsi je le lui enverrai. Le Raphael et les autres tableaux 
ne se sont trouves dans cet envoi que parceque pour avoir le Carrache j*ai ete oblige de 
m'engager a les faire voir au Roi et puisqu'ils ne plaisent pas k Sa Majeste je les renverrai 
sur le champ. Je vous supplie uniquement de representer a Sa Majeste qu*elle m'avait donne 
ordre de pousser le Carrache jusqu'ä 34000 L. si les examinateurs Tapprouveraient. Ils Tont 
fait de la maniere la plus pieuse et la plus authentique et le tableau ne coute avec celui qui 
represente une femme nue et un Satire et celui dont le sujet est le triomphe de Bachus que 
26000 L. Cette difference de prix me laissait esperer que Sa Majeste approuverait mon zele 
ardent et respeciueux pour ses interets. Je vous prie, monsieur, d*en mettre a ses pieds Thom- 
mage et de reclamer en ma faveur son equite et sa justice. Le nom ecrit sur le tableau du 
Carrache est celui du sujet Caia Cornelia avec le chifiTre de maitre. 

Les trois lustres qui viennent d'arriver ont ete fait exactement sur le dessin qui m'a 
ete envoye et dans les proportions prescrites. Sa Majeste trouvera ici ä son retour de Silesie 
le grand lustre de cristal de röche. 

Berlin le 5 Aout 1768. 



Berlin le 22 aout 1768. 
Monsieur 

Attriste et penetre des reproches vifs que vous ne cessez de me faire sur l'envoi du 
tableau du Carrache que j'ai achete d* apres les ordres precis de Sa Majesti, j*ai pris la liberte 
de me prosterner devant eile pour reclamer son equite en cette occasion. J'ai mis a ses pieds 
Tassurance des temoignages que tous les connaisseurs ont rendu a Foriginalit^ et a la beaute 
de ce tableau, depuis plus d'un siecle qu'il tient une premiere place dans les plus celebres 
galeries de Paris et entr'autres dans celle du cardinal Mazarin. Je vous ai remis, Monsieur, 
le certificat que m'en ont delivre les s" Boucher et Vien peintres de la plus grande integrite 
et de la premiere consideration; vous devez d'ailleurs vous rappeler que vous m'aviez fixe de 
la part du Roi le prix de 34000 L. pour le Carache seul; j'avais donc lieu d'esperer que Sa 
Majeste approuverait mon zele et mes soins que me Tont fait obtenir a 26000 L. avec un 
Schiavone et un Rubens que Sa Majeste avait aussi choisis. 

Sa Majeste a daigne m'assurer ä Charlottenbourg qu*elle vous donnerait des ordres 
pour mettre cette affaire en regle et m'indiquer les arrangements que je dois prendre pour 
le payement avec le vendeur qui attend mon arrivee ä Paris pour exiger de moi la realisa- 
tion du billet que je lui ai fait. 



13 



94 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 



DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES 

XV JAHRHUNDERTS 

VON PAUL KRISTELLER 

Seitdem die Aufmerksamkeit der Forscher und Sammler sich den kleinen ßlättchen 
mit Abdrücken von Gravierungen, die man im Sprachgebrauche der Sammler »Niellen« 
nannte, zugewendet hat, ist denselben in der Litteratur und besonders auf dem Kunst- 
markte eine stets wachsende Wertschätzung zu teil geworden. Nicht allein ihre grofse 
Seltenheit veranlasste die Erzielung hoher Preise auf den Auktionen und im Handel, 
sondern auch die künstlerische Vollendung vieler dieser Blättchen, die zu dem AfFektions- 
wert einen wirklichen ^unstwen hinzufügte. Kann doch mit vollem Rechte eine grofse 
Anzahl der »Niellen« zu dem Feinsten und Anmutigsten gerechnet werden, was je der 
Grabstichel hervorgebracht hat. In ihren besten Leistungen steht die Niellotechnik 
ganz auf der künstlerischen Höhe, welche die italienische Goldschmiedekunst in der 
zweiten Hälfte des XV JaHrhunderts erreicht hat. 

Allerdings war es nicht allein, vielleicht sogar nur in geringem Mafse der Kunst- 
wert der »Niellen«, der die Forscher und Sammler veranlasste, mit solchem Eifer die- 
selben zu studieren und zu sammeln: Mit den Papierabdrücken von Nielloplatten (den 
Abdrücken, die vor dem Einschmelzen der Niellomasse in die eingegrabenen Linien der 
Zeichnung von der gravierten Platte genommen worden sind) setzte man seit Zani, 
gestützt auf die Erzählung Vasaris, die Erfindung der Kupferstich-Abdruckstechnik in 
Verbindung. Man sah die Bedeutung der Nielloabdrücke fast ausschliefslich in dieser 
ihrer Beziehung zur Erfindung des Kupferstiches, suchte den Hergang zu rekonsiruiren, 
die Lücken in der Überlieferung auszufüllen die Unklarheiten und Widersprüche der- 
selben zu beseitigen und zu erklären. Über dem allgemeinen Gesichtspunkte ver- 
nachlässigte man das Einzelstudium der Kunstwerke selber und war in der That ja 
auch ohne Hülfe der photographischen Reproduktion überhaupt nicht im Stande, eine 
eingehende Untersuchung und Vergleichung der erhaltenen, in den verschiedenen 
Sammlungen zerstreuten, zum Teil auch jetzt noch verborgenen Nielloabdrücke vor- 
zunehmen. 

Man hat bisher durchgehends die »Nielli« als eine Gruppe für sich ausschliefslich 
im Hinblicke auf die Erfinderfrage behandelt, ohne zu versuchen, ihr künstlerisches 
und technisches Verhältnis zu unserem Vorrate von italienischen Kupferstichen des 
XV Jahrhunderts, der freilich auch jetzt noch unvollständig genug bekannt ist, fest- 
zustellen. Von den »Niellen«, von Finiguerra pflegt die Betrachtung in einem Sprunge 
auf Baccio Baldini überzugehen, dessen Bekanntschaft wir aber, ebenso wie die Fini- 
guerras leider ausschliefslich der schriftlichen Überlieferung verdanken. 



VON PAUL KRISTELLER 95 



Die gesamte bisherige Litteratur geht von der Vasarischen Erzählung über die 
Erfindung des Kupferstich - Abdrucks durch Finiguerra aus, sucht sie als richtig zu 
erweisen oder polemisiert gegen dieselbe, oder sucht die Darstellung zu interpretieren. 
Sie ist durch diese Stellungnahme von vorn herein voreingenommen und hat den 
gröfsten Teil ihrer Aufmerksamkeit und ihres Scharfsinnes den Kunstwerken selbst 
entzogen. 

Ich glaube, nur wenn man vorerst von der Vasarischen Tradition ganz absieht 
und die erhaltenen Monumente ohne vorgefasste Meinung gründlich studiert, wird 
man etwas Klarheit in diese wichtige aber Äufserst verwirrte Frage zu bringen im 
Stande sein. 

Schon die Fragestellung, die man der Untersuchung zu Grunde legte, scheint mir 
durchgehends eine unrichtige, zu enge gewesen zu sein. Man fragte: IstMaso Finiguerra 
der Erfinder der Technik des Kupferstich - Abdrucks in Italien gewesen? oder haben die 
Italiener diese Kunst von den Deutschen tiberkommen? Ist Vasaris Erzählung richtig 
oder nicht? Der Nachweis von deutschen Kupferstichen, die vor dem Jahre der an- 
geblichen Erfindung Finiguerras entstanden sind, nimmt an sich der Vasarischen Dar- 
stellung noch gar nicht die Glaubwürdigkeit; und wenn auch die Unhaltbarkeit der 
Vasarischen Angaben erwiesen ist, bieten sich doch noch andere Möglichkeiten des 
Ursprunges des italienischen Kupferstiches als gerade die direkte Entlehnung der Technik 
aus Deutschland. 

Derartige traditionelle Erzählungen von Erfindungen haben stets denselben 
Charakter wie die Erzählungen von der Geburt der Helden; wie diese stets ein Wunder 
in Mitwirkung setzen, dem der Held sein Dasein oder seine Rettung verdankt, so 
supponiert jene stets einen Zufall, der den Entdecker in einem einzigen Momente die 
Erfindung machen liefs. Die Tradition konzentriert alles, was sie weifs, mit allen den 
Irrtümern, die durch die mündliche Überlieferung wie von selbst entstehen, auf die 
Person, die am meisten hervorgetreten, deren Name am öftesten dabei genannt worden 
ist, eliminiert alles, was nicht in eine epitomatisch- novellistische Darstellung sich ein- 
fügen lässt, und macht aus der Geschichte eine Dichtung. 

In Wirklichkeit aber werden Erfindungen nicht entdeckt sondern gefunden, ge- 
funden nach langem Suchen, vielen Versuchen; Erfindungen werden stets in dem Zeit- 
punkte gemacht, in welchem ein dringendes Bedürfnis nach ihnen, den Zeitgenossen 
bewusst oder unbewusst, sich geltend macht. In solchem Zeitpunkte lenken sich die 
Gedanken, das Forschungsbemühen vieler zugleich an verschiedenen Orten auf den 
einen Punkt und mehr oder weniger vollkommen, mit mehr oder weniger grofsen Ab- 
weichungen kommen viele unabhängig von einander auf den gleichen Gedanken. 

Nicht die Druckerkunst hat den geistigen Aufschwung im XV Jahrhundert ver- 
anlasst, sondern das Bedürfnis nach Mitteilung fand in dem Buchdruck seinen Helfer 
und Diener. 

Der Abdruck gravierter Metallplatten ebenso wie lange vorher der Abdruck von 
Holzschnitten und kurz nachher der Typendruck, Erfindungen, die so nahe liegen, 
dass eben nur das Bedürfnis nach ihnen sich fühlbar zu machen braucht, um sie 
entstehen zu lassen, diese Erfindungen sind fraglos um die gleiche Zeit an verschiedenen 
Orten unabhängig von einander gemacht worden, in mehr oder weniger grofser 
Vollendung der Technik, in mehr oder weniger lebensfähiger Form. 

Ich meine, wir müssen alle Versuche die »Erfindung« des Kupferstiches dem 
einen oder dem anderen Lande zuzuweisen oder abzusprechen, wie das bisher, häufig 
tendenziös und unsachlich genug geschehen ist, aufgeben und bei der Betrachtung der 

«3* 



i*^ 



96 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

Entwickelung der Kunst in dem Lande allein, um das es sich hier handelt, stehen 
bleiben und vielmehr die Denkmäler dieser Kunstgattung in ihrer Entwickelung und 
in ihrem Zusammenhange mit einander und mit der Kunst des Landes überhaupt 
beobachten. 

Wir haben also nicht zu fragen: hat Finiguerra den Kupferstich erfunden? oder 
haben die Italiener diese Technik von den Deutschen gelernt? sondern wir haben 
vorerst zu untersuchen : hat in Italien Überhaupt die Niellotechnik wirklich ^ur Ent- 
deckung des Kupferstich-Abdruckes geführt? in welchem Verhältnisse stehen die er- 
haltenen Nielloplatten und Abdrücke zu den gewöhnlichen Kupferstichen der Zeit? 

Es ist nun meine Absicht, im Folgenden einige Beobachtungen, die Ergebnisse 
eingehender, mit Hülfe eines umfangreichen photographischen Materials angestellter 
Studien der Kunstwerke selber darzulegen. Von einer vollständigen Besprechung der 
technischen Fragen und der Litteratur über die Niellen ist für diese vorläufigen Mit- 
teilungen abgesehen worden , ebenso wie die Bekanntschaft mit dem Gegenstande und 
den Ergebnissen der früheren Forschungen, die zuletzt vollständig in Dutuits Manuel 
de l'amateur d'estampes (vol. Ib) zusammengestellt sind, vorausgesetzt wird. 

In erster Linie war nun eine kritische Sichtung des vorhandenen Materials er- 
forderlich: Den folgenden Auseinandersetzungen hätte fraglos ein kritisches Verzeichnis 
der Nielloabdrücke angefügt werden müssen. Es lag auch im Plane der Arbeit, nicht 
allein ein Verzeichnis, sondern sogar getreue heliographische Abbildungen aller echten 
Niellen zu veröffentlichen. Die Ausführung dieses Planes hat aber ein Hindernis ge- 
funden, das denselben vorläufig aufzugeben und die Arbeit in dieser abgekürzten 
Form zu veröffentlichen zwang. Doch hoffe ich, das Verzeichnis bald liefern zu 
können, vielleicht begleitet von heliographischen Reproduktionen aller oder aller 
wichtigen Niellen und mit einer vollständigen Abhandlung über den Gegenstand. 

Die bisher veröffentlichten Verzeichnisse können als eine Grundlage für die 
Forschung durchaus nicht dienen. Das neueste in Dutuits Manuel veröffentlichte 
Verzeichnis bietet zwar eine lange Reihe von Nachträgen zu den sehr unvollständigen 
und unkritischen Duchesnes, Passavants u. A., erfüllt aber zum grofsen Teil nicht 
die erste Forderung, die an einen derartigen Katalog zu stellen ist, dass Beschrei- 
bungen und Urteile auf Autopsie, auf dem selbständigen Studium der Originale be- 
ruhen. Die Beschreibungen genügen nicht zur Identifizierung der Darstellungen, die 
Zustände und ihre Reihenfolge sind häufig nicht erkannt worden. Abdrücke von ver- 
schiedenen Zuständen der gleichen Platte werden oft genug als verschiedene Platten 
beschrieben und dergl. mehr. Es sind viele ganz offenbare Fälschungen in das Ver- 
zeichnis aufgenommen, andere Blätter ohne Grund ausgeschieden worden, die sach- 
lichen Bemerkungen, zum Teil auf Angaben Dritter beruhend, sind oft unrichtig oder 
unzulänglich. Nur durch direkte Vergleichung der einzelnen Exemplare mit einander 
in den Originalen oder getreuen, nicht retouchierten Photographien ist es möglich, 
das Verhältnis der einzelnen Abdrücke zu einander zu konstatieren. Das Studium der 
einzelnen Zustände der Abdrücke ist hier aber wichtiger, als bei irgend einer anderen 
Gruppe von Kupferstichen, da schon aus der Feststellung von Zuständen allein, wie 
wir sehen werden, wichtige Folgerungen für den Charakter der Abdrücke gezogen 
werden können. Duchesne hat häufig späte Abdrücke von vollständig ausgedruckten, 
mehrfach retouchierten Platten für ganz frühe Nielloabdrücke vor der Vollendung der 
Platte gehalten. Sehr selten ist in Dutuits Manuel der wirkliche Sachverhalt festgestellt 
worden, meist ist die Verwirrung nur noch vergröfsert worden. Nur die sorgfältigste 
Vergleichung aller Exemplare kann hier zu Resultaten führen. Allerdings auch so 



VON PAUL KRISTELLER 97 



kann nicht immer, zumal bei schlecht erhaltenen Abdrücken, die Vergleichung dieser 
so aufserordentlich feinen und minutiösen Arbeiten in Photographien ein sicheres Urteil 
ermöglichen. 

Um eine sichere Grundlage für die Untersuchnng zu gewinnen, haben wir vor 
allem die modernen Fälschungen auszuscheiden und als solche kenntlich zu machen. 
Das persönliche Urteil und Stilgefühl allein kann nicht als ausschlaggebend gelten, es 
müssen durch Kennzeichnung der Merkmale, durch Gegenüberstellung charakteristischer 
Beispiele die Fälschungen ab solche augenfällig gemacht werden. 

In vielen Fällen macht es allerdings keine Schwierigkeiten , die Fälschungen von 
den echten Stücken zu unterscheiden. Fast alle Niellofälschungen sind in den ersten 
Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, meist in Venedig, entstanden;^) sie lassen das ge- 
übtere Auge daher auch bald einige für den Kunststil der Zeit der Fälschung cha- 
rakteristische Eigentümlichkeiten der Formen und der Technik erkennen. 

Vor allem verrät sich der Künstler des beginnenden XIX Jahrhunderts durch 
die überlangen, schlanken Gestalten mit vollen und weichlichen Formen, durch die 
fliefsende, überreiche Gewandung, die manierierten Typen und dergl. In der Technik 
zeigen sich die Fälscher fast durchgängig von der Radiertechnik abhängig; gegenüber 
den körperhaften, bei aller Feinheit stets festen, mit einer gewissen Kraftanstrengung 
eingegrabenen Linien der echten Niellen, machen die Linien jener Fälschungen stets 
den Eindruck von Nadellinien; der etwas unbestimmte, flüchtige Zug der fast körper- 
losen, gleichmäfsig starken, eingeritzten Linien verrät die an die Führung der Radier- 
nadel gewöhnte Hand. Den Fälschungen fehlt jene Sicherheit und Präzision in der 
Linienführung, welche den Stechern des XV Jahrhunderts auch in geringen Arbeiten 
eigentümlich ist; oder aber sie zeigen da, wo sie einmal die reine Grabstichelarbeit 
verwenden, eine Glätte und kalte Gleichmäfsigkeit der Schraffierungslagen, die erst eine 
Errungenschaft der routinierten Grabsticheltechnik des XVII und XVIII Jahrhunderts 
ist und von der sich die alte Technik charakteristisch unterscheidet. 

Leicht verrät sich die Fälschung auch durch das Beiwerk, in der Bildung des 
Bodens, der Pflanzen, des Wassers, der Wolken, Häuser etc. Die echten Niellen 
zeigen^ jede Stilgruppe für sich, eine durchgehende Übereinstimmung in diesen Einzel- 
heiten. Nur selten haben die Fälscher selbst bei Kopien genauer auf diese Neben- 
dinge geachtet, wie überhaupt die Mehrzahl der Fälschungen nicht einmal geschickte 
genannt zu werden verdienen. 

Auf eine der geschicktesten und gelungensten Fälschungen mag hier noch be- 
sonders hingewiesen sein, auf das Blatt mit der Anbetung der Könige (Duch. 32) in 
viereckiger Form mit ausgezackten Rändern.*) Auch jetzt noch, nachdem Fisher in 
seiner Introduaion (p. 34flF.) dies NieUo für eine Fälschung erklärt hat, wird dasselbe 
von vielen Forschern ftlr echt gehalten. 

Nicht, dass die Anbetung der Könige unter Niellen und Stichen kein Analogon 
findet, darf uns bestimmen, dieselbe für eine Fälschung zu halten, sondern die inneren 
Widersprüche, die Gegensätze zwischen der affektierten Ungeschicklichkeit und dem 
wirklichen Können des modernen Künstlers, das an einzelnen Stellen sich wahr- 
nehmbar macht. In sehr geschickter Weise sind bis in alle Einzelheiten Formen, 



*) Vergl. besonders Fisher, Introduction to a catalogue of the early italian prints in 
the British Museum. London 1886. 

') Abbildung häufig. Mit dem dreieckigen Aufsatze mit der Verkündigung abgebildet 
in Dutuits Manuel. 



gS DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

Kostüme, Landschaftsbildung und dergl. den fiorentinischen Miniaturen des frUhen 
XV Jahrhunderts nachgeahmt, aber doch verraten den Fälscher die modernen Ge- 
sichtstypen, die ganz moderne Haarbehandlung, kleine charakteristische Abweichungen 
von dem Originaltypus in der Zeichnung der Bäume, des Hintergrundes mit den 
gehäuften Hügeln und dergl. An einzelnen Stellen entfernt sich die Faltenbildung von 
dem alten strengen Schema, ganz freie gewandt wiedergegebene Stellungen und Be- 
wegungen treten in Widerspruch mit der Ungeschicklichkeit der Komposition und der 
Bewegungen im allgemeinen; ferner muss die Zusammenstellung des Jünglings, der 
das Pferd hält, mit dem Engel und eine Reihe von Merkwürdigkeiten der Tracht 
Bedenken erregen. Vor allem aber scheint mir die sehr geschickte, aber sehr trockene 
Technik mit ihren tief eingegrabenen glatten Hintergrundschraffierungen durchaus 
modernen Charakters. 

Von der Platte sind nicht weniger als sechs Abdrücke auf modernem Papier in 
grauschwarzer moderner Druckerfarbe bekannt, das Exemplar des Berliner Kabinets 
allein ist auf altem Papier mit einer der alten ähnlichen Farbe gedruckt. Wenn wirk- 
lich schon Zani dies Blatt in Casa Martelli in Florenz gesehen hat (das Exemplar, 
das jetzt der Sammlung Malcolm angehört?), so ist doch damit die Echtheit noch 
nicht erwiesen. Man hat immer schon Gefallen daran gefunden, zu fälschen und die 
Kenner zu täuschen. Scheint nicht auf unserem Blatte der geschickte Fälscher selbst 
aus den kleinen urmodernen Vollmondgesichtchen, die er auf dem Plattenrande ein- 
gekratzt hat, auf die aber merkwürdiger Weise noch niemand geachtet zu haben 
scheint, den Gläubigen wie den Zweifler verschmitzt anzulächeln? 



Im allgemeinen fasst man seit Zani und Duchesne unter dem Begriffe wNiellen« 
zusammen sowohl die Nielloplatten , Silberplatten, auf denen die eingegrabenen Linien 
der Zeichnung mit Niellomasse ausgefüllt sind, als auch die Schwefelabgüsse, die von 
solchen Platten, bevor die Linien mit der Niellomasse ausgefüllt waren, und die 
Papierabdrücke, die von den Schwefelabgüssen oder von den Platten selbst genommen 
worden sind. Man hat aber fast immer auch diejenigen Papierabdrücke, die von gra- 
vierten Platten ähnlicher Art, die nicht dazu bestimmt waren, mit Niello versehen zu 
werden, sondern die zu dem ausschliefslichen Zwecke des Abdruckes hergestellt 
worden sind, zu den »Niellen« gerechnet und in die Verzeichnisse aufgenommen, 
teils aus Unkenntnis, oder weil man die Unterscheidung nicht durchzuführen im Stande 
war, teils auch wegen ihrer unleugbaren stilistischen und technischen Verwandtschaft 
mit den Abdrücken von wirklichen Niellen , wegen des gleichen Formates, der gleich- 
artigen Darstellungen und dergl. mehr. Wir können diese Abdrücke »nielloartige Stiche« 
nennen. Duchesne hat in seinem Kataloge diese zwei Arten von Abdrücken über- 
haupt nicht unterschieden, spätere Forscher haben dagegen nur eine ganz kleine 
Anzahl von Abdrücken als wirklich von Nielloplatten herrührend anerkennen wollen. 
Ein Versuch der Unterscheidung der beiden Gruppen von Papierabdrücken soll weiter 
unten mitgeteilt werden. 

Für unsere vorliegende Untersuchung, die sich nicht mit der Graviertechnik oder 
der Niellierkunst als solcher beschäftigt, sondern mit der Technik des Abdruckens 
von gravienen Platten, kommen die niellierten Silberplatten, von denen uns eine 
grofse Anzahl erhalten ist, nur in Betracht, insoweit sie im einzelnen in direkter 
Beziehung zu den Abdrücken stehen, und soweit wir das Studium ihrer Technik und 



VON PAUL KRISTELLER 99 



der verschiedenartigen Verwendungen der Arbeiten für die Erkenntnis des Charakters 
und der Herkunft der Abdrücke heranzuziehen haben. Das Verzeichnis in Dutuits 
Manuel beschreibt nur einen kleinen Teil des aufserordentlich umfangreichen und 
überall hin zerstreuten Vorrates an niellierten Silberplatten, die in öffentlichen und 
privaten Sammlungen aller Art aufbewahrt werden, unter denen sich aber leider nur 
sehr wenige Stücke von zweifelloser Echtheit und von künstlerischem Wene befinden. 

Wir haben uns zunächst mit den Schwefelabgüssen zu beschäftigen, die von 
Nielloplatten vor dem Einschmelzen der Niellomasse in die Linien, genommen wurden, 
und von denen uns eine kleine Anzahl erhalten geblieben ist. 

Man hat bisher die Herstellung der Schwefelabgüsse von Nielloplatten stets als 
einen Notbehelf der Nielloarbeiier zur Reproduktion der Gravierung aufgefasst, als eine 
Vorstufe der Entdeckung der Technik, von der Platte auf Papier vermittelst der 
Druckerschwärze Abdrücke zu nehmen. Man stritt überhaupt nur darüber, ob man 
(d. h. Finiguerra) von den Schwefelabgüssen gleich zu den Papierabdrücken von der 
Silberplatte selbst übergegangen sei oder ob man die ersten Papierabdrücke von dem 
Schwefelabgusse abgezogen und erst dann die Platte selbst dafür in Verwendung ge- 
nommen habe. Man fragte: wozu brauchte man noch von Schwefelabgüssen die Ab- 
drücke zu nehmen, wenn man einmal den Papierabdruck gefunden hatte, wozu halte 
man dann überhaupt noch die Schwefelabgüsse nötig? 

Hat man nun aber wirklich nur deshalb die Schwefelabgüsse angefertigt, weil 
man den Papierabdruck nicht kannte? Ich glaube, eine aufmerksame Betrachtung der 
Schwefelabgüsse und ihres künstlerischen Eindruckes giebt die einfachste und, wie 
mir scheint, allein richtige Antwort auf diese Frage. Es lässt sich wohl nur durch 
die Voreingenommenheit erklären, mit der auch kunstverständige und geschmackvolle 
Männer diesen Gegenstand in tendenziöser Weise behandelt haben, dass noch nie- 
mand bisher auf den künstlerischen Wert der Schwefelabgüsse aufmerksam geworden 
ist, dass niemand bemerkt hat, wie unendlich viel näher ein Schwefelabguss im künst- 
lerischen Eindrucke dem Original- Niello kommt als der Papierabdruck, nicht allein 
deshalb, weil der Schwefelabguss die Zeichnung im Sinne des Originals, der Papier- 
abdruck immer gegenseitig wiedergiebt, ^) sondern vor allem durch die Feinheit und 
Schärfe in der Wiedergabe auch der feinsten Linien und durch die Wirkung der 
schwarzen Farbe auf dem Grunde des silbrig- gelben Schwefels. Man betrachte einen 
Schwefelabguss und vergleiche ihn mit dem vorzüglichst gelungenen und erhaltenen 
Papierabdrucke, und man wird ohne weiteres zugeben, dass nie und nimmer durch 
einen Abdruck auf Papier eine so feine, scharfe und dabei künstlerisch vollendete 
Wiedergabe einer Nielloplatte zu erreichen ist, wie durch den Schwefelabguss. Der 
feine Schwefel, ebenso wie der feine Formsand des Negatives, schmiegt sich in die 
kleinsten Fugen, in die feinsten Linien der Gravierung ein und füllt sie vollständig 
und scharf aus, er giebt ein absolut getreues Abbild des Origmales. Auf dem weichen 
und gefeuchteten Papier zerfliefst die Farbe stets ein wenig, die Struktur des Papiers 
ist ungleichmäfsig und nimmt die Feuchtigkeit nicht gleichmäfsig in sich auf; die 
Druckerschwärze liefs sich, damals wenigstens, nicht gleichmäfsig verteilen und die 



*) Es braucht wohl nicht bemerkt zu werden, dass auch die Papierabdrücke von den 
Schwefel abgUssen , die ja die Zeichnung gleichseitig mit der Originalplatte zeigen, die Dar- 
stellung im Gegensinne des Originals wiedergeben, ebenso wie die Abdrücke von der Platte 
selber. In Dutuits Manuel ist man sich auch über diesen einfachsten Gegenstand nicht klar 
geworden. 



lOO DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUxNDERTS 



notwendige Stärke des Druckes nicht genau bemessen. Mehr oder weniger drucken 
immer einzelne Stellen zu stark, andere lassen ganz aus und dergl. mehr. Die über- 
flüssige Druckerschwärze färbt fast immer auch den Papiergrund zwischen den Linien, 
die erhaben ausgedruckten dunklen Linien beschatten die hellen Zwischenräume 

zwischen ihnen. Wer 
will endlich die künst- 
lerische Wirkung des 
Papiers der des feinen 
Schwefels gleichstellen? 
Ob man nun den 
Handgriff, von gravierten 
Platten auf Papier Ab- 
drückezumachen,kannte 
oder nicht, ist also für 
die Frage der Schwefel- 
abgüsse gleichgültig; 
man fertigte dieselben 
ihrer gröfseren Feinheit 

und Treue und des 
höheren künstlerischen 
Wertes halber an und 
wird sie den Papierab- 
drücken vorgezogen 
haben, auch wenn man 
sie sehr wohl herzu- 
stellen verstand. 

Von dem Negativab- 
guss, den man über der 
Originalgravierung her- 
gestellt hatte, konnte 
man nun beliebig viele 

Schwefelabgüsse 
nehmen, während die 
Platte selbst nielliert und 
dem Besteller ausgehän- 
digt war, man konnte 
aber auch von einem der 
Schwefelabgüsse wieder 
Papierabdrücke nehmen, 
alles dies ohne die Ori- 
ginalplaite zu schädigen. 
Man hat die Möglichkeit, von Schwefelabgüssen Papierabdrücke nehmen zu können, 
überhaupt leugnen wollen; Schuchard hat (Archiv für die zeichnenden Künste IV 1858 
p. 73 ff.) durch praktische Versuche die Möglichkeit nachgewiesen. Es hätte wohl 
auch der Hinweis auf die Capillaritätserscheinung genügt, vermöge deren feuchtes 
Papier die Druckerschwärze aufsaugen würde auch ohne Druck, sobald es nur mit 
ihr in genügend nahe Berührung gekommen. Es lassen sich auch von unseren Papier- 
abdrücken eine ganze Reihe mit gröfster Wahrscheinlichkeit als Abdrücke von Schwefel- 




Abb. I. Die Krönung Mariae. 

Schwefelab'guss von einer Nielloplatte 

(British Museum). 



VON PAUL KRISTELLER lOI 



abgüssen bezeichnen. Nicht aliein weisen die häufigen Brüche der Abdrucksform, die 
sich auf dem Papiere wiederabdrucken, darauf hin, dass die Papierabdrücke von einer 
aus zerbrechlichem Stoffe hergestellten Form genommen seien, da ja Metallplatten 
solchen Zufällen nur in den seltensten Fällen ausgesetzt sind und dann wegen der 
Verbiegungen kaum mehr einen Abdruck zulassen, und eine vor der Niellierung zer- 
brochene Nielloplatte überhaupt unbrauchbar wird, neu hergestellt werden muss; auch 
die charakteristischen Merkmale des Abdruckes, die wenig gleichmäfsigen, auslassenden, 
aus einer Reihe von verschieden grofsen Punkten gebildeten Linien, lassen mit einer 
gewissen Bestimmtheit • derartige Abdrücke als von Schwefeln herrührend erkennen. 

Nielloplatten sind, sobald es sich um feine sorgfältige Arbeit handelte (und nur 
solche lohnte es sich durch Abdruck zu vervielfältigen), hochgeschätzt und hoch- 
bezahlt worden, dafür sprechen die Preise die einem Francia, einem Finiguerra gezahlt 
worden, deutlich genug. Die Niellatoren werden sicher nicht die aufserordenilich 
kostbare mühsame, zarte Arbeit der Gravierung durch die Herstellung von Abdrücken 
von der Originalplatte selber haben beschädigen wollen. Das Abdrucken greift die 
Platte aber aufserordentlich an, die feinsten Linien verschwinden schon nach einer 
geringen Anzahl von Abdrücken. So hat z. B. die nicht nieliierte Pax mit der Bekehrung 
Pauli im Bargello, von der im vorigen Jahrhunderte und in unserem eine Anzahl von 
Abdrücken genommen worden sind, einen grofsen Teil ihrer Feinheit durch diese 
Abdrücke eingebüfst. Es scheint mir daher sehr wahrscheinlich, dass auch die Niello- 
abdrücke auf Papier zum gröfsten Teile von den Schwefelabgüssen genommen wurden, 
die also somit einen doppelten Zweck erfüllten. 

Die Annahme, die Niellatoren hätten Schwefelabgüsse von der noch nicht ganz 
vollendeten Platte genommen, um sich von dem Stande der Arbeit zu überzeugen, 
hat schon Schuchardt ^) mit vollem Rechte als durchaus unzutreffend bezeichnet. Durch 
Einschwärzen der Platten konnten die Niellatoren viel einfacher und sicherer ein 
Bild von dem Stande der Arbeit gewinnen, wenn sie überhaupt eines derartigen 
Hülfsmittels bedurften. Da die Platte vor dem Niellieren in Asche ausgekocht und 
sorgfältigst gereinigt wurde, konnte die Schwärze dem Einschmelzen der Niellomasse 
nicht hinderlich sein, wie man, ebenfalls irrig, angenommen hat. 

Die Schwefelabgüsse sind als vorzügliche Nachbildungen der vollendeten Platten, 
hergestellt worden und haben als solche eine hohe Wertschätzung und vielfache Ver- 
wendung gefunden. 

In sein Libro dei ricordi*) trägt Alesso Baldovinetti , der mit dem Kupferstich 
in mehr als einer Beziehung in Verbindung zu stehen scheint, unter dem 23. Juli 1449 
ein: »Riceve da Bernardo d'Agabito de' Ricci un pugnaletto in vendita, del quäle 
»pugnale gli debbe dare uno zolfo di Maso di Tommaso Finiguerri tornito a sue spese, 
»per grossi 6 d'argento, ossiano L. i. 13.« Dies wichtige Dokument zeigt uns, dass 
Schwefelabgüsse geschätzt, gesucht und bezahlt wurden. Schwefelabgüsse fertigte der 
Meister der Nielloarbeit also nicht nur an, um eine Erinnerung an sein Werk zurück- 
zubehalten, er konnte sie auch im Handel verwerten. 

Eine Reihe von Schwefelabgüssen mit Darstellungen aus dem alten und dem 
neuen Testament, die jetzt im British Museum und in der Sammlung Rothschild in 
Paris aufbewahrt werden, stammen von einem Tragaltare der Camaldulenser- Convents- 



*) Archiv für die zeichnenden Ktlnste IV (1858) p. 52 Anm. 4. 

*) »Estratto« herausgegeben 1868 von Giovanni Pierotti, das Original ist jetzt leider 
verloren ! 

14 



102 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRÜCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

kirche bei Florenz. Man verwendete also auch die Schwefelabgüsse selber als Schmuck- 
stücke. 

Wir wissen, wie hoch Zeichnungen bedeutender Künsder geschätzt und gesucht 
wurden, vor allem als Studienmaterial von den Jüngeren und auch besonders von den . 
weniger Tüchtigen als Hülfsmittel und als Vorlagen für ihre selbständigen Arbeiten. 
Wir könnten das schon allein daraus entnehmen, dass öfters einem bedeutenden 
Künstler nur der Auftrag, die Zeichnung für ein Werk anzufertigen, übertragen wurde, die 
Ausführung desselben aber einem anderen, weniger bedeutenden, weniger beschäftigten 
und deshalb wohl auch weniger anspruchsvollen. Für die Entstehung der Schwefelabgüsse 
und der Papierabdrücke wie der Kupferstiche in Italien überhaupt ist dies ein Moment 
von ganz besonderer Wichtigkeit. Die Vervielfältigung der Zeichnung, der Original- 
composition hat also hier in erster Linie den Zweck als Vorlage, zum Studium zu 
dienen, nicht sowohl als selbstfindiges Bild wie im Norden. Dass diese Nachbildungen 
im Kreise der Künstler bleiben, in demselben sich aber weithin verbreiten, erklärt so 
viele Eigentümlichkeiten des italienischen Kupferstiches und auch der italienischen 
Kunst überhaupt und ihrer Verbreitung im Auslande. 

Wie die Zeichnung zu einer vorzüglich gelungenen und besonders erfolgreichen 
Arbeit ausgenützt wurde für Studien und Wiederholungen in und aufserhalb der Werk- 
statt des Meisters, dafür bietet uns ein charakteristisches und lehrreiches Beispiel die 
berühmte Pax selber, die den Ausgangspunkt aller Untersuchungen über die Niellen 
gebildet hat, die Pax aus S. Giovanni, die jetzt im Bargello bewahrt wird, und die 
seit Gori und Zani dem Maso Finiguerra zugeschrieben wurde, bis Milanesi nachwies, 
dass diese Zuteilung unbegründet sei. Aufser der niellierten Silberplatte, die, wie bekannt, 
die Krönung Mariae darstellt, existieren nicht weniger als zwei Schwefelabgüsse (im 
British Museum [vergl. Abb. i) und beim Baron Edm. v. Rothschild in Paris), drei Papier- 
abdrücke (zwei in Paris, der von Zani entdeckte und der im Arsenal von Dumesnil 
gefundene, und ein dritter bisher ganz unbekannt gebliebener in der Sammlung 
Malcolm in London) und endlich eine ganz freie Kupferstichcopie, von der spfiter die 
Rede sein wird. Zani zweifelte nicht daran, dass der Papierabdruck der Bibliotheque 
nationale und der Schwefelabguss, der damals Durazzo gehörte, von der Platte der 
florentiner Sammlung stammten und glaubte so einen schlagenden Beweis für die Richtig- 
keit der Vasarischen Erzählung gefunden zu haben. Er war allerdings nicht im Stande 
ohne Vergleichung der Originale mit einander oder mit Photographien, den Thatbestand 
sicher festzustellen. Man stritt dann viel darüber, ob der Papierabdruck von der Platte 
selber oder von dem Schwefelabgusse genommen sei. Der gründliche und gewissenhafte 
Dutuit machte zuerst (in seinem Aufsatze im TArt von 1884) auf die Abweichungen des 
Papierabdruckes von dem Schwefelabgusse und beider wieder von der Silberplatte 
aufmerksam. Er half sich über diese Schwierigkeiten mit der Annahme hinweg, dass 
der Schwefelabguss und der Papierabdruck von verschiedenen Zuständen der Pax ge- 
nommen seien. Es ist schon oben darauf hingewiesen worden, dass die Abgüsse von 
Nielloplatten nicht vor der Vollendung derselben, gewissermafsen als Probedrucke, 
sondern dass sie als wirkliche Reproduktionen der vollendeten Arbeit angefertigt wurden. 
Der Schwefelabguss beim Baron von Rothschild befindet sich in einem sehr schlechten 
Zustande der Erhaltung, der die Vergleichung mit der etwas verkleinerten Photographie 
der Plätte sehr erschwert, so dass das Resultat vorläufig als zweifelhaft hingestellt 
werden muss, der Papierabdruck der Bibliotheque nationale zeigt aber Arbeiten, die 
auf der Platte fehlen, so dass er von derselben oder von einem Abgüsse der Pax nicht 
wohl herrühren kann. Allerdings bleibt die, abgesehen von einer Reihe von Ab- 



VON PAUL KRISTELLER IO3 



weichungen, sehr genaue Übereinstimmung immerhin bemerkenswert. Ganz fraglos von 
einer anderen Platte rtlhrt der Schwefelabguss des British Museum her (vergl. Abb. i), 
welcher eine ganz aufserordentlich feine, sorgfältige Arbeit zeigt. Eine ganze Reihe 
wesentlicher Abweichungen beweisen, dass derselbe nicht von der Pax des Bargello 
sondern von einer, allerdings ebenfalls bewunderungswürdig genauen und sorgfältigen 
Wiederholung genommen ist. So zeigt z. B. der Boden, auf dem der Thron steht, unter 
den Füfsen Christi Schraffierungen, die in der Pax fehlen, die drei Falten am Ärmel des 
heiligen Augustinus haben eine ganz andere Form als in der Silberplatte, der Saum 
des Mantels Christi ist mit Runden verziert, die in der Pax fehlen, besonders auch 
die Gesichter scheinen anderen Ausdruck zu haben als dort. 

Die beiden Papierabdrücke in Paris (aus der Bibliotheque de T Arsenal) und der- 
jenige der Sammlung Malcolm kennzeichnen sich leicht als Abdrücke von genauen aber 
ungleich geringeren, roheren Kopien. Noch viel weniger genau ist in dem Kupferstiche, 
der in der Mitte von Darstellungen aus dem Leben Mariae, die Krönung Mariae auf- 
weist, der aus der Sammlung Durazzo stammt und 1870 mit der Sammlung Drugulin^) 
(wohin?) verkauft worden ist, die berühmte Pax kopiert worden. 

Es haben sich also wenigstens fÜnfWiederholungen derselben Darstellung erhalten, 
mindestens viermal ist die Pax in Niello kopiert worden , da sowohl die drei Papier- 
abdrücke wie ja natürlich auch der Schwefelabguss des British Museum von Niello- 
platten herrühren. 

Nach der Pax, die in der Kirche sorgfältig aufbewahn und nur bei der heiligen 
Handlung zum Vorschein kam, konnten diese Kopien gewiss nicht angefertigt werden, 
sondern eben nach den Schwefelabgüssen und Papierabdrücken von ihnen. Dies war 
also offenbar der Zweck jener Abdrücke, nicht etwa blofs den Wunsch des Meisters 
den Fortschritt seiner Arbeit zu beobachten oder das sentimentale Verlangen , eine 
Erinnerung an seine teure Arbeit zu bewahren. Von einem Werke von besonderer 
Vortrefflichkeit mochte wohl mancher weniger selbständige Nielloarbeiter eine so genaue 
Nachbildung zu besitzen wünschen, an einer solchen Arbeit konnten die Lernenden 
ein vortreffliches Muster haben, der Meister konnte den ganz natürlichen Wunsch 
haben, dieselbe Arbeit für andere zu wiederholen oder durch seine Gesellen wieder- 
holen zu lassen; da mochten auch andere Kirchenvorstände, die die schöne Arbeit 
bewundert hatten, eine gleiche Pax für ihre Kirche wünschen. So machte man in der 
gleichen Werkstatt oder wohl auch in verschiedenen eine ganze Reihe von Nachbildungen, 
von denen man dann, vielleicht auch wenn sie nicht besonders gelungen waren. Abdrücke 
in Schwefel oder auf Papier nahm; und wer weifs wie viele Platten, Schwefelabgüsse 
und Papierabdrücke genau der gleichen Komposition existiert haben mögen! 

Ein zweites, ähnliches Beispiel bieten der Schwefelabguss und die Papierabdrücke 
einer Pax mit der Darstellung der Madonna mit dem Kinde und weiblichen Heiligen. 
(Schwefelabguss im Brit. Mus. Dutuit 23, Papierabdr. Duch. 53 u. 54, Dut. 182 — 84.) 

Dies ist nun alles so natürlich, dass es überflüssig scheinen könnte, so viele Worte 
darüber zu verlieren, wenn man nicht bisher dies alles aufser Acht gelassen und mit 
aller Gewalt in den verschiedenen erhaltenen Abgüssen und Abdrücken verschiedene 
Zustände derselben Arbeit in verschiedenen Stadien ihrer Vollendung nachzuweisen 
gesucht hätte, wenn man nicht seit Vasari alle möglichen merkwürdigen Zufälle zur 
Erklärung dieses einfachen Vorganges zu Hülfe gerufen hätte. In der Werkstatt des 

*) Abbildung im Verkaufskatalog der Sammlung. Vergl. über denselben Archivio storico 
dell' Arte VI (1893) p. 392 u. 399. 

14* 



I04 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

Matteo Dei, des Finiguerra und anderer mehr arbeitete man gewiss nicht anders als 
Perugino, als Raffael, als Rubens in ihren Werkstätten arbeiten liefsen, die Kopien an- 
fenigten, so lange solche eben Absatz fanden. — Der künstlerische Wert der Original- 
arbeit wird dadurch um nichts geringer. 

Wir haben also aus diesen Betrachtungen zu entnehmen, dass die Schwefel- 
abgüsse nicht ein Notbehelf vor der Kenntnis der Papierabdrücke, vor der »Entdeckung« 
des Kupferstich- Abdruckes, nicht eine »tedious Operation«, wie Fisher sagt, waren, 
sondern dass sie als künstlerisch und technisch vorzüglichste, den Papierabdrücken . 
weit überlegene Reproduktionen von Nielloplatten hergestellt worden sind; eine Fol- 
gerung die, wie mir scheint, nicht allein uns über die Niellofrage wesentlich aufklärt, 
sondern auch für die Erkenntnis der Ursprünge und der Entwickelung des italienischen 
Kupferstiches von Bedeutung ist. 



Die erste und wichtigste Frage, die wir bei der Betrachtung der Papierabdrücke, 
die uns überall in den Sammlungen, in den Katalogen u. dergl. als »NieUen« vor- 
geführt werden, zu beantworten haben ist die: welche der erhaltenen Papierabdrücke 
rühren von wirklichen Nielloplauen her, und wie unterscheiden sich überhaupt Niello- 
abdrücke von gewöhnlichen Kupferstichen? 

Duchesne hat in seinem Katalog alle Blätter kleinen Formates und ähnlichen 
Charakters als Niellen beschrieben, Passavant hat ganz kritiklos das Verzeichnis Du- 
chesnes und die Verwirrung vermehrt; man ist schliefslich dahin gekommen, dass 
man in Sammlungen und Katalogen einfach jeden Stich kleinen Formates Niello nennt! 
In dem Kreise der englischen Amateure regte sich zuerst der Widerspruch gegen diese 
kritiklose Anordnung. Das Verzeichnis in Dutuits Manuel hätte hier vor allem die 
Aufgabe gehabt, eine Unterscheidung durchzuführen; man ist jedoch über einige 
Einzelbemerkungen don nicht hinausgekommen. Und doch ist eine prinzipielle 
Unterscheidung der wirklichen Nielloabdrücke von den »nielloartigen Stichen«, von 
den Stichen, die in Formen und Charakter jenen ähnlich sind, aber nicht von Platten 
genommen sind, die für die Niellierung bestimmt waren, sondern von solchen Platten, 
die gleich von vorn herein für den Abdruck hergestellt worden sind, als Grundlage 
für die Untersuchung ein unbedingtes Erfordernis; allerdings begegnet aber die Durch- 
führung dieser Unterscheidung zwischen Nielloabdrücken und nielloartigen Stieben 
grofsen Schwierigkeiten. 

Man ist schon seit langer Zeit auf eine Reihe von äufseren Merkmalen auf- 
merksam geworden, an denen man die wirklichen Nielloabdrücke erkennen zu 
können glaubte. Man bemerkte ganz richtig, dass auf Abdrücken von Platten (oder von 
Abgüssen), die nicht für den Abdruck bestimmt waren, die Schriften natürlich rück- 
läufig, die Bewegung u. dergl. gegenseitig sich zeigen müssen; ebenso hielt man An- 
gaben von Nagellöchern zur Befestigung der Platte für ein sicheres Merkmal der 
Nielloabdrücke. Ein ganz sicheres, aber nur negatives Merkmal ist merkwürdiger 
Weise bisher ganz unbeachtet geblieben : Wenn wir von einer Darstellung Abdrücke 
von der ganz ausgedruckten, oder gar von der aufgearbeiteten, retouchierten Platte 
finden, so beweist dies doch, dass die Platte jedenfalls nie nielliert worden, sondern 
ganz für den Abdruck verwendet worden ist, und ferner aber auch, da diese Fälle 
sehr häufig und gleichartig sind, dass diese Platten überhaupt nicht für die Niellierung, 
sondern für den Abdruck angefertigt sind. Es versteht sich, dass hier nicht Ab^ 



VON PAUL KRISTELLER 105 



druckszustände vor der Vollendung der Platte gemeint sind, sondern Veränderungen, 
Retouchen, Aufarbeitungen, die nach teilweiser Ausnützung der Plane durch den Ab- 
druck sich nötig gemacht haben. Die Vergleichung der einzelnen Exemplare der 
Abdrücke mit einander gewinnt hierdurch, wie man sieht, noch eine besondere Be- 
deutung, da alle Abdrücke, von denen Exemplare mit derartigen Retouchen sich 
finden, schon allein dadurch sich als nicht von Niellen herrührend, als Abdrucks- 
stiche kennzeichnen. Duchesne hat, von seiner Idee, ausschliefslich Nielloabdrücke 
vor sich zu haben, ausgehend, merkwürdiger Weise oft ganz gegen den Augenschein 
solche ganz späten, ausgedruckten, mehrfach retouchierten Zustände für Probedrucke 
vor Vollendung der Plane erklärt; nur selten haben seine Nachfolger den wirklichen 
Sachverhalt klargestellt. Ein Zweifel über das wirkliche Verhältnis der Zustände zu 
einander kann aber bei genauer Vergleichung absolut nicht bestehen bleiben. In 
manchen Fällen kann man in den verschiedenen Exemplaren die Platte von ihrem 
ursprünglichen Zustande durch drei verschiedene Retouchen verfolgen. Diese Platten 
nutzten sich eben sehr schnell durch den Druck ab und erforderten schon nach einer 
ganz kleinen Anzahl von Abdrucken eine Aufarbeitung besonders der feineren Linien, 
die dann natürlich ohne Veränderungen nicht zu bewerkstelligen war. ^) 

Wenn wir nun solche ausgedruckten und retouchierten Zustände auch bei Ab- 
drücken mit rückläufiger Schrift und gegenseitigen Bewegungen feststellen können, 
so muss uns dies veranlassen, rückläufige Schriften und linkshändige Bewegungen 
nicht für ein unbedingt sicheres Kennzeichen der wirklichen Nielloabdrücke halten 
zu wollen. Gewiss können Abdrücke mit rec/ifläufiger Schrift nicht von Niello- 
platten herrühren, weil man sicher auf einer kostbaren, sorgfältig gearbeiteten Niello- 
platte keine rückläufigen Inschriften angebracht haben wird. Wenn man rechtläufige 
Schrift auf der Platte einzugravieren hatte, wird man sich gewiss nicht die unnütSe 
Mühe gemacht haben, die Schrift rückläufig zu stechen, wie dies beim Abdrucksstich 
nötig war. Dagegen können die rückläufigen (also rechtläufig in die Plane gestochenen) 
Inschriften in Abdrucksstichen sehr wohl in der Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit des 
ein Original oder die Vorzeichnung allzu genau und gedankenlos kopierenden Stechers 
ihren Grund haben. Derartige Irrtümer finden sich ja häufig genug auf Kupferstichen.') 
So zeigt z. B. der bei Duchesne 304 beschriebene Abdruck mit der Darstellung der 

^) Die durch Abnützung der Platte entstandenen Schwächen im Abdrucke sind natür- 
lich wohl zu unterscheiden von solchen, die in dem mangelhaften Abdruck (ungleichmafsiger 
Verteilung der Farbe und des Druckes) einer ganz frischen Gravierung ihren Grund haben. 
Die Unterscheidung kann kaum je Schwierigkeiten machen, da in ersterem Falle die feineren 
Linien gleichmäfsig auf der ganzen Fläche im Abdrucke verschwinden, während in letzterem 
Falle an einzelnen Stellen auch die stärkeren Linien auslassen, an anderen aber auch die 
allerfeinsten ganz scharf sich abdrucken. Während die Schwächen im Abdruck, die von der 
Ausnützung der Platte herrühren, beweisen, dass der Abdruck nicht von einem Niello ge- 
nommen ist, sind solche Ungleichmäfsigkeiten im Abdruck gerade ein charakteristisches 
Merkmal der Abdrücke von wirklichen Niellen oder Schwefelabgüssen. 

*} Wohl zu beachten ist, dass die Inschriften auch oft ohne Rücksicht auf die Richtung 
der Schrift so angeordnet sind, dass sie von dem Gesichte oder der Hand der Person, welche 
das Inschriftband hält, ausgehen (vergl.z. B. Taf. 1,6); ganz ähnlich wie dies in ganz naiver 
Weise auch die alten griechischen Vasenmaler thaten. So ist z. B. auf dem Stiche Duchesne 170, 
Johannes der Täufer (Abb. im Handbuche von Lippmann) die Inschrift nur scheinbar rück- 
läufig, sie geht von der Hand des Johannes, der das Band hält, aus. Durch einen Abdruck 
von der ausgedruckten und retouchierten Plane (im British Museum) wie durch die Technik 
erweist sich dieser Stich als von einer ftlr den Abdruck bestimmten Plane herrührend. 



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NIELLODRUGKE DES XV JAHRHUNDERTS 

Florentinisch: i. Musizierende Amoretten mit Hund. Unbeschr. (Florenz. Bibl. Marucclliana). 3. Amor einen Kranz hallend. Dut. 477 (Berlin. Kupf.-Kab.). 
5. Drei Sänger. D. 288 (Ix)ndon. Brit. Mus.). 8. Jüngling von einem Löwen überfallen. D. 28^ (Paris. Samml. DuluitK 9. Jüngling an einen Baum 
gefesselt. D.318 (Berlin. Kupf-Kab.). 10. Mann von einer Frau gefesselt D.310 (Paris. Bibl. Nat.). 11. Amor auf einem Sockel. Dut.400 (Beriin. 

Kupf.-Kab.). 6. (florentinisch?) Frau mit Kranz und Schriftband. Dut. vu (Beriin. Kupf.-Kab.). 
Boiognetisch: 2. Ansteigendes Ornament. D. 334 (Pavia. Samml. Malaspina). 4. Halbfigur der Madonna. D. 38 (London. Brit. Mus.). 7. Wappen 

mit zwei Putten als Schildhaltem. Dut. 610 (Beriin. Kupf.-Kab.). 



JAHRBUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 1894 



VON PAUL KRISTELLER IO7 



Um die Linien einer Gravierung in Silber mit der Niellomasse ausfüllen zu 
können , müssen diese eingegrabenen Linien eine gewisse Tiefe und Schflrfe der Ränder 
besitzen, sie müssen vor allem scharf von einander getrennt sein, in gewissen Ab- 
ständen von einander stehen, damit jede Furche für sich ausgefüllt werde und nach 
der Vollendung klar sich scheide von der nebenstehenden. Die erhaltenen guten 
Nielloplanen und die Schwefelabgüsse zeigen bei aller Feinheit und Enge der Linien 
eine ganz aufserordentliche Schärfe und Klarheit der einzelnen Linien, die sich ganz 
scharf von einander sondern und tief und mit klaren, scharfen Rändern eingegraben 
sind. Bei geringeren, nachlässiger gearbeiteten Platten sucht man sich die Arbeit durch 
Vergröfserung der Abstände der Schraffierungslinien von einander und Verdickung 
derselben zu erleichtern; stets aber bleibt, wenn man nicht etwa, wie das häufig ge- 
schah, ganze Flächen des Hintergrundes und dergl. mit Niello ausfüllen wollte, jede 
einzelne Linie scharf von der anderen getrennt. Dies Erfordernis bedingt nun eine 
grofse Regelmäfsigkeit in der Führung der langen, meist ohne Unterbrechung fort- 
laufenden Linien besonders der Hintergrundsschraffierungen. Diese Klarheit, Schärfe 
und Regelmäfsigkeit der Linien bilden also das charakteristische Kennzeichen der 
Niellotechnik, weil sie eben durch die Natur derselben gefordert sind. 

Untersuchen wir nun an der Hand dieser Beobachtungen unseren Vorrat von 
»Niellen«, so sondert sich uns sogleich eine ziemlich umfangreiche Gruppe von Ab- 
drücken aus, die ebenso sehr wie sie sich charakteristisch von den anderen Abdrücken 
unterscheiden, so sehr mit der Technik, die wir in Platten und Schwefelabgüssen be- 
obachteten, übereinstimmen. Wir bemerken in den Abdrücken dieser Gruppe die- 
selbe aufserordentliche Schärfe und Tiefe und Klarheit der Linien, dieselbe Gleich- 
mäfsigkeit und Regelmäfsigkeit der Schraffierungen, auch der einander kreuzenden 
Lagen, die wir in den Platten und Schwefelabgüssen hervorhoben. 

Diese künstlerisch höchst wertvolle Gruppe, welcher der gröfste Teil unserer 
vorzüglichsten und frühesten Bläner angehört, zeigt nun auch alle jene äufseren 
Merkmale, die, wie wir gesehen haben, die Herkunft der Abdrücke von Nielloplatten 
sehr wahrscheinlich machen. Wir finden hier durchgehends rückläufige Schrift, links- 
händige Bewegungen, die stark ausgedruckten Runde der Nagellöcher in Rosetten und 
dergl., die vielfältig ausgebogten Formen der Platten. Diese Argumente finden bei 
dem gröfsten Teile der Blätter eine wichtige Bestätigung in der Abdruckstechnik. Die 
Abdrücke sind alle von ganz frischen Platten genommen, sie geben auch die feinsten 
Linien in der gröfsten Schärfe wieder, sie zeigen andererseits aber in der Unvollkommen- 
heit des Abdrucks, der an Stellen zu viel, an anderen zu wenig Farbe, zu starken 
oder zu geringen Druck erkennen lässt, ihren Charakter als gelegentliche, ohne grofse 
Kunst und Vorbereitungen hergestellte Abdrücke von Platten, die nicht für den Ab- 
druck angefenigt waren (vergl. Taf. I, Taf II, i — 3, 7; Abb. 2 u. 3). 

Wenn auch nicht mit Sicherheit, so doch mit der allergröfsten Wahrscheinlich- 
keit, kann der allergröfste Teil dieser Abdrücke als von Schwefelabgüssen herrührend 
bezeichnet werden. Vor allen Dingen die häufigen Brüche, die sich in den Abdrücken 
markieren (z. B. Dutuit 43, 425. Duch. 298), auf die schon oben (S. loi) hingewiesen 
wurde, ausgebrochene Stellen der ausgebogten Umrandungen , deren Entstehung man 
sich bei Metallplatten ebenso wenig wie die Brüche erklären könnte, dann besonders die 
Ungleichmäfsigkeit in der Aufnahme der Farbe aus den Linien beweisen, dass die Ab- 
drücke von einer aus sehr zerbrechlichem Stoffe hergestellten Platte genommen sind, 
der man beim Abdrucken (mit dem Reiber oder durch leichtes Aufdrücken der Hand) 
keinen starken Druck zumuten konnte. In den einzelnen Fällen wird es natürlich oft 



ro8 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

schwer sein, festzustellen, ob die Abdrücke von der Platte selbst oder von den Ab- 
güssen herrühren, doch kann es nicht fraglich bleiben, dass in der That eine Anzahl 
der Abdrücke wirklich von Schwefelabgüssen genommen ist. 

Aus welchen Gründen man vorzog, die Abdrücke eben von den Schwefel- 
abgüssen und nicht von den Silberplatten selbst zu nehmen, ist oben schon an- 
gedeutet worden (s. S. loi). 

Dieser Gruppe von Abdrücken, die mit Sicherheit als von für die Niellierung 
bestimmten Platten oder Abgüssen herrührend bezeichnet werden kann, stellt sich 





Abb. 2. Florentiner Nielloabdruck. 
Statue Amore. Duch. 335 (Brit Mus.) 



Abb. 3. Bolognesiscfaer Nielloabdruck. Die 
Geburt Christi. Duch. 36 (Berlin). 



nun eine andere gegenüber, die eine von der eben beschriebenen durchaus und zwar 
in charakteristischer Weise abweichende Technik der Gravierung aufweist. 

Die einzelnen Linien sind hier nicht klar und scharf von einander getrennt, die 
Ränder der Linien vor allem sind nicht klar und scharf, sondern haben den so- 
genannten Grat (Ban), die Rauheit, behalten, die den guten früheren Abdrücken einen 
weichen, farbigen Ton giebt. Die Linien sind meist breiter und nur leicht in das 
Metall eingeritzt und stehen sehr eng, so dass die Lagen einen Ton bilden. Besonders 
ist die Ungleichmäfsigkeit der Schraffierungslagen, die hflufig aus schräg gegeneinander 
gestellten Gruppen kurzer Striche bestehen, die über feinen, kritzlichen Linien Lagen 
von stärkeren Linien zeigen und unverkennbar eine mehr malerische Wirkung an- 
streben, bezeichnend für die technische Verschiedenheit dieser Stiche von den Niello- 
abdrücken. 

Die Möglichkeit, in dieser Technik gravierte Platten zu niellieren, scheint mir 
ausgeschlossen; die Weichheit der Linien deutet auch mehr auf Gravierung in dem 
weicheren Kupfer als auf Silbergravierung hin (vergl. Taf. II, 4, 5, 6, 8, 9. Abb. 4. 5. 6. 7).*) 



*) Von den wirklichen Niellodrucken sowohl als auch von den nielloartigen Stichen 
wohl zu unterscheiden ist eine Reihe von (meist modernen) Abdrücken, die in mancher Hin- 
sicht, in den Sufseren Merkmalen, in der Technik und in Eigentümlichkeiten des Druckes 
den Niellodrucken nahe stehen, die aber von Blatten herrühren, welche weder ftlr die Niel- 
lierung noch für den Abdruck bestimmt waren, sondern die, durch die eingravierte Zeichnung 
verziert, als OmamentstUcke Verwendung finden sollten. Von solchen gravierten Platten hat 
man wohl gelegentlich Abdrücke genommen; da die Linien unausgefQllt blieben, war das ja 
leicht zu bewerkstelligen. Ich glaube solche Arbeiten , die meist dem XVI Jahrhundert an- 














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NIELLODRUCKE DES XV JAHRHUNDERTS 

I. Francesco Francia. Bildnis eines Bentivoglio (?). D. 350 (London. Brii. Mus.l 2. Derselbe? Bildnis eines Mädchens. 0111.390»»".^ (I^ndon. Brit. 
Mus.). 3. Derselbe? Bildnis einer Frau. D. 342 (London. Brit. Mus.). 7. Bolognesisch. Ritler Danneso. P.Cnj-^ (I-ondon. Brit. Mus.). 

NIELLOARTIGE STICHE 
\. Peregrino da Ccsena. Hulbfigur einer Frau. P. (36 (London. Brit. Mus.). 5. Derselbe. Frau von zwei Satyrn an einen Baum gefesselt. D. 237 
iBcriin. Kupf.-Kab.). 6. Derselbe. Thronende Madonna mit Heiligen. D. 58 (Paris. Bibl. Nat.). 8. Derselbe. Abraham sattelt seinen Esel. D.9 <London. 

Brit. Mus.), y. Ornamentmuster. Dut. 379 (Paris. Bibl. Nat.). 



JAHRBICH b. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 1894 



VON PAUL KRISTELLER 



109 



Eine grofse Anzahl von Abdrücken dieser Gruppe werden nun schon durch 
das Vorhandensein ausgedruckter und retouchierter Plattenzustände, durch die recht- 





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Abb. 4. Nielloartiger Stich. 
Pyramus und Thysbe. 
Duch.259.II (Berlin). 



Abb. 5. Nielloartiger Stich. 

Der Engel mit Tobias. Duch. 20 

(Berlin). 



Abb. 6. Nielloartiger Stich. 

Frau mit Schwert und Kugel. 

Duch. 314 (Berlin). 



läufigen Inschriften, rechtshändige Bewegungen als nicht von Nielloplatten herrührend, 

als gewöhnliche Abdrucksstiche im Stile der Niellen erwiesen. 

^ Während die Abdrücke der erstgenannten Gruppe 

fast alle nur in einem, einige wenige in zwei Exem- 
plaren bekannt sind, kennen wir von den Platten der 
zweiten Gruppe meist mehrere, oft bis zu zwölf Ab- 
drücke, häufig in verschiedenen Zuständen derselben. 
Auch dass einige solcher Blätter der letztgenannten 
Gattung in Deutschland mehrfach kopiert wurden 
(z. B. von Dürer und Altdorfer) , deutet darauf hin, 
dass die Originale nicht Nielloplatten waren, von 
denen nur einige wenige Abgüsse und Abdrücke in 
den Werkstätten aufbewahrt wurden, sondern, dass 
wir es mit gewöhnlichen Abdrucksstichen, mit Orna- 
mentstichen, die sich durch den Handel weithin ver- 
breiteten, zu thun haben. 

Meist ist die Zugehörigkeit der einzelnen Ab- 
drücke zu der einen oder der anderen Gattung durch 
die Beobachtung der Technik und durch die äufseren 
Merkmale festzustellen, in manchen Fällen jedoch 
begegnet die Durchführung dieser Unterscheidung 
zwischen NielloabdrUcken und nielloartigen Stichen 
(wie sie im Verzeichnisse versucht werden soll) grofsen 
Schwierigkeiten. 

Vor allem lassen stark beschädigte, verrie- 
bene Abdrücke die Feststellung ihres technischen 
Charakters, der übrigens auch bei gut erhaltenen 

gehören, an der Dicke und Plumpheit der Linien, die ja in der Originalarbeit als solche zu 
wirken hatten, erkennen zu können (z.B. Duch. 401 und 402). 

Da wir uns hier nur mit der Abdrucksgravierung und ihrem Zusammenhange mit 
der Niellotechnik beschäftigen, so gehören derartige Abdrücke eigentlich überhaupt nicht 
mehr in den Kreis unserer Betrachtungen. 

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Abb. 7. Ornamentstich. Zwei Entwürfe 
für Messergriffe. Duch. 294 (Paris). 



HO DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

Abdrücken nur an den Originalen, nicht in Photographien*) erkennbar ist, oft über- 
haupt nicht mehr zu. 

In für den Abdruck bestimmten Stichen, in denen man wirklich ausgeführte 
Niellen oder Abdrücke von solchen kopierte, oder bei denen es besonders darauf an- 
kam, den Eindruck der Nielloarbeit hervorzurufen, suchte man ganz naturgemäfs so 
genau als möglich die Nielloiechnik nachzuahmen, so dafs dann bei besonders sorg- 
fältiger Arbeit auch der Abdrucksstich in frühen guten Drucken ganz den beabsichtigten 
Eindruck des Nielloabdruckes macht. 

Wenn nun aber auch die Unterscheidung der Nielloabdrücke von den niello- 
artigen Stichen sich (vielleicht nur vorläufig) nicht immer mit Sicherheit durchführen 
lässt, so haben wir doch jedenfalls die technische Verschiedenheit der beiden unter- 
schiedenen Gruppen feststellen können und also nachweisen können, dass die Technik 




Abb. 8. Der h. Vincentius von Saragossa. 

Kupferstich -Kopie nach einem Niello (Reid n. 19). 

Unbeschr. (Pavia Samml. Malaspina). 

der für den Abdruck bestimmten, nielloartigen Gravierungen sich von der Gravierungs- 
technik für die Niellierung bestimmter Platten ganz charakteristisch unterscheidet. 

Man hatte also für die nicht für die Niellierung, sondern für den Abdruck be- 
stimmten Platten eine ganz andere, weniger mühsame und schwierige Technik zur Ver- 
fügung. Wir kennen sogar genaue, gegenseitige Kopien nach wirklichen Niellodrucken, 
die durchaus in der Technik der gewöhnlichen Abdrucksstiche gearbeitet sind (vergl. 
Abb. 8). 

Ich denke, aus diesen Thatsachen haben wir den Schluss zu ziehen, dass die 
Kupferstichtechnik für den Abdruck ganz unabhängig ist von der Niellotechnik, ganz 



*) Die Heliogravüren in Dutuits Manuel sind für derartige Untersuchungen überhaupt 
nicht zu verwenden, da dieselben mit Nadel und Roulette stark überarbeitet sind. Auch 
unsere Abbildungen lassen leider diese feinen Unterschiede nicht erkennen. 



VON PAUL KRISTELLER 



III 




Abb. 9. Kupferstich-Kopie nach drei Niello- 

drucken (vergl. D. 216, Dut 307 und D. 20). 

D. 19 {Brit. Mus). 



selbständig neben ihr besteht und sich entwickelt, dass die Nielloarbeiter erst, als die 
Nachbildungen nach ihren Niellen sehr gesucht wurden, und die schöneren, aber 
kostspieligen Schwefelabgüsse nicht mehr der Nachfrage genügten , das längstbekannte 

Abdruckverfahren von gravierten Kupferplatten auf 
Papier, auf die Schwefelabgüsse und wohl auch 
auf die Nielloplanen in Anwendung brachten. 

Hätte der italienische Kupferstich wirklich 
seinen Ursprung von der Niellotechnik genommen, 
sein Entwickelungsgang wäre ein ganz anderer ge- 
wesen. Wie wird man sich wohl technisch den 
Übergang von der Arbeit der Pax mit der Krö- 
nung Mariae (die besonders deutlich sich in dem 
Schwefelabguss des British Museum erkennen lässt) 
zu der Technik der Kupferstiche des Monte Santo 
di Dio (von 1477) und der anderer gleichartiger 
florentinischer Stiche zu erklären vermögen? Die 
seichten, rauhen Linien, die zu einem einzigen 
Ton zusammenwirken, so dass sich die einzelne Linie kaum unterscheiden lässt, 
jene Weichheit und Unbestimmtheit der feinen Schraffierungen neben den breiteren 
UmrissUnien, die für diese Technik so charakteristisch sind, stehen in dem gröfsten 
Gegensatze zu der scharfen, unendlich feinen und präcisen Linienführung der Niello- 
technik. Ein Übergang von der einen zur anderen Manier scheint undenkbar. Man 
kann sich von diesem Grundunterschiede der Technik am besten überzeugen, wenn 
etwa diese Hinweise noch nicht genügen sollten, durch die Betrachtung der modernen 
und deshalb sehr harten und klaren Abdrücke, die man von der (nicht niellienen) 
Pax mit der Bekehrung Pauli im Museo Nazionale in Florenz hergestellt hat. Giebt 
es wohl einen einzigen italienischen Kupferstich des XV Jahrhundens, der eine solche 
Schärfe und Klarheit der Linien zeigt wie diese Abdrücke? 

Fraglos ist in Italien, wie in Deutschland, der Kupferstich aus der Goldschmiede- 
technik hervorgegangen. Die uralte Technik der Gravierung, der Verzierung von 
Metallgegenständen mit flach eingegrabener Zeichnung, bildete überall die erste Stufe 
der Entwickelung der Kupferstichtechnik. Von dieser Ornamentgravierung mit ihren 
seichten, breiten, rauhrandigen Linien unterscheidet sich aber die Niellogravierung 
mit ihren tiefen, feinen und scharfrandigen Linien, wie sie zur Aufnahme der Niello- 
masse erforderlich waren, ganz wesentlich. Man geht vollständig fehl, wenn man 
grofse Ungeschicklichkeit in der Führung des Grabstichels oder gar der Zeichnung 
für ein Zeichen hohen Alters der Abdrucksstiche hält. Die Geschicklichkeit in der 
Behandlung des Metalles mit dem Grabstichel war ja schon Jahrhunderte vorher in 
hohem Grade vorhanden. Was durch lange Übung und Erfahrung erst noch gelernt 
werden musste, war die Berechnung der verschiedenartigen Wirkung der Linien auf 
dem Metalle und abgedruckt auf dem Papier, die Ausbildung einer fUr die besonderen 
Erfordernisse des Abdrucks geeigneten Gravierungstechnik. Dies sind die Schwierig- 
keiten, mit denen wir das ganze XV Jahrhundert hindurch den italienischen Kupfer- 
stich im Kampfe erblicken. 

Es ist die Verfolgung rein künstlerischer Gesichtspunkte, die, wie mir scheint, hier 
die Ausbildung einer rationellen Abdruckstechnik verhindert. Durch die Mitwirkung 
künstlerisch bedeutender, aber nicht in der speciellen Technik ausgebildeter Kräfte, 
durch die Mitwirkung und den Einfluss der grofsen in allen Künsten gleichmäfsig 



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112 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

thätigen Meister wird der Kupferstich in Italien von der eigentlichen Goldschmiede- 
technik abgezogen und auf die Verfolgung malerischer Wirkungen hingelenkt. Voll- 
endeter im ktlnstlerischen Eindruck als der deutsche Kupferstich bleibt er so technisch 
hinter diesem zurück. 

Es kann keine Frage sein, dass jener weiche, zarte Gesamtton, der durch die 
Zusammenwirkung der seichten, gratigen Schraffierungslinien wie auch durch die matte 
grünlich -graue Druckfarbe hervorgebracht wird, von den Stechern wohl beabsichtigt 
war, dass sie mit dieser Behandlungsweise eine feine malerische Wirkung hervorzu- 
bringen suchten. 

Für den Abdruck war diese Stechweise nun aber durchaus ungeeignet, da sich 
die Platten aufserordentlich schnell abnutzten und nur wenige gute Abdrücke zuliefsen. 
Dies ist auch der Grund des Misslingens so vieler Versuche, den Kupferstich für die 
Buchausstattung zu verwenden. 

Hätte sich der italienische Kupferstich in der That so konsequent aus der Niello- 
technik herausgebildet, wie man es nach Vasaris Erzählung annehmen müsste, er 
hätte sich nicht gleich in den ersten Jahrzehnten seiner Entwickelung so sehr von 
jener Technik der tiefen Niellogravierung entfernen können, er hätte nicht nötig gehabt, 
bei den Deutschen, bei Schongauer und Dürer in die Schule zu gehen, um seine Technik 
für die sachgemäfse praktische Bearbeitung der Platte für den Abdruck auszubilden, 
wie es die Italiener zu thun gezwungen waren. 

In keinem Punkte seiner Entwickelung, soweit wir sie zu überblicken vermögen, 
lässt der italienische Kupferstich eine Einwirkung der Niellotechnik erkennen. 

Wird man diesen Erwägungen gegenüber wohl Wert legen wollen auf vereinzelte 
Daten, die ja doch das Vorhandensein älterer Denkmäler gar nicht ausschliefsen? 

Wenn wir auf die äufsere Beglaubigung allein Wert legen wölken, dann hätten 
wir allerdings vor den siebziger Jahren Kupferstiche in Italien nicht nachzuweisen. 
Aber allein schon Mantegnas und seiner I^valen, Zoan Andrea und Simone Ardizoni, 
Arbeiten, die sich nachweislich schon vor 1478*) in voller Thätigkeit als Stecher befanden, 
zwingen uns, den Rückschluss auf eine vorhergehende, Jahrzehnte lange Ausübung 
der Technik des Kupferstiches für den Abdruck zu machen. 

Diese Annahme findet ihre volle Bestätigung durch eine Gruppe von Kupfer- 
stichen, die, wie ich an anderer Stelle mich bemüht habe nachzuweisen,') noch vor 
der Mitte des XV Jahrhunderts in Florenz entstanden sind. Der Stilcharakter der 
Zeichnung, Ornamentik und Kostüme der Stiche und ihre Technik, die der Goldschmiede- 
gravierung noch ganz aufserordentlich nahe steht, führen uns, wie ich glaube, mit 
Notwendigkeit auf diese Datierung. 

Diese Stiche, die also älter sind als alle erhaltenen Nielloabdrücke auf Papier, 
älter als die berühmte Maso Finiguerra zugeschriebene Krönung Mariae, stehen in 
Technik wie in der Formengebung absolut unabhängig von den Niellen da, während 
sie sich dem Entwickelungsgange des italienischen Kupferstiches ganz naturgemäfs 
anfügen.') 



^) Siehe das von Karl Brun in der Zeitschrift für bildende Kunst XI (1876) p.54 ver- 
öflFentlichte Dokument Lodovico III, an den der Brief des Ardizoni gerichtet ist, starb 1478. 

*) Siehe Archivio storico deU'Arte (1893) VI. p. 391 ff. 

•) Ein ferneres wichtiges Beweisstück für die Unabhängigkeit und das höhere Aher der 
Kupferstichtechnik bildet die alte im Stile der frühesten florentiner Kupferstiche ausgeführte 
Kopie nach der Pax mit der Krönung Mariae in Bargello in Florenz. Da ich dieselbe, im 



VON PAUL KRISTELLER I 1 3 



Bedürfte es nach den vorstehenden Auseinandersetzungen noch eines Beweises, 
diese Gruppe von Kupferstichen genügte, um uns deutlich erkennen zu lassen, dass 
der italienische Kupferstich gan^ unabhängig von der Niellotechnik entstanden ist und 
sich ebenso unabhängig von ihr entmckelt^ dass vielmehr die Niellatoren die Technik 
des Papierabdruckes erst der älteren Kupferstichkunst entlehnt haben. 



In den vorstehenden Erörterungen haben wir die Nielloabdrücke und die niello- 
artigen Stiche ihren technischen Eigentümlichkeiten nach und in ihrem Verhältnisse 
zu den gewöhnlichen Kupferstichen betrachtet. Es scheint mir notwendig für die 
weitere Begründung unserer Ergebnisse, über die Gruppierung derselben nach der 
Zeit und den Orten ihrer Entstehung einige Bemerkungen anzufügen. 

Wir können allerdings nicht wissen, wieviel uns erhalten geblieben ist von den 
im XV Jahrhundert angefenigten Niellodrucken , ob nicht gerade die ältesten von 
ihnen sämtlich verloren gegangen seien, und haben daher keine Berechtigung, ohne 
weiteres die ältesten uns erhaltenen Stücke auch als die ältesten überhaupt anzusehen. 
Doch können wir einem Vergleiche der erhaltenen Nielloplatten mit den Abdrücken 
einige Beobachtungen von Wichtigkeit für diesen Punkt entnehmen. 

Es ist hervorzuheben , dass die gröfste Mehrzahl der uns erhaltenen Nielloplatten 
geringe oder ganz rohe Arbeiten durchaus handwerksmäfsigen Charakters sind, gute 
Arbeiten unter ihnen aber zu den Seltenheiten gehören, dass dagegen die Abdrücke 
und Abgüsse zum allergröfsten Teile von sorgfältig und fein, vielfach sogar von 
ganz vorzüglich ausgeführten Platten herrühren. Es liegt ganz in der Natur der 
Sache, dass man eben nur von guten, wertvollen Arbeiten, die wirklich der Nach- 
ahmung wert schienen, Abgüsse oder Abdrücke genommen hat. Von rohen, hand- 
werksmäfsig hergestellten Niellen, die für alle denkbaren Zwecke, vom kirchlichen 
Gerät bis zum Pferdegeschirr, Verwendung fanden, gab man sich im allgemeinen ge- 
wiss nicht die Mühe, Abdrücke herzustellen. 

So zeigt unser Vorrat von Abdrücken gewissermafsen eine Auslese des Besten, 
was in dieser Technik damals hervorgebracht worden ist. Die erhaltenen Abdrücke 
geben uns so einen höheren Begriff von der Ausbildung der Technik und von der 
Kunst und Sorgfalt, die man auf die Vorbereitung und Ausführung dieser Kunstwerke 
verwendete, als die uns erhaltenen ausgeführten Niellen selber. 

In unserem Vorrate von Abdrücken bilden die mythologischen und allegorischen 
Darstellungen bei weitem die Mehrzahl, während unter den erhaltenen Platten die- 
jenigen mit religiösen Darstellungen überwiegen. Für den Kult oder die Andacht 
bestimmte Gegenstände, deren Schmuck diese Gattung von Nielloplatten meist bildeten, 
haben sich naturgemäfs eher erhalten als die dem gewöhnlichen Gebrauch und Schmuck 
dienenden. 

Aus dem Überwiegen der mythologischen Darstellungen auf den Abdrücken, 
die, wie wir sahen, nur nach den besten Arbeiten hergestellt wurden, geht hervor, 
dass im allgemeinen auf diese, für ein anspruchsvolleres, kunstverständiges Publikum 
bestimmten Niellen in Zeichnung und Ausführung ungleich mehr Kunst und Sorgfalt 
verwendet wurde als auf die zum Schmuck von kirchlichen Gebrauchs- und Devotions- 



/ 

Archivio storico deirArte VI (1895) p. 399 f. ausführlich besprochen und die Schlussfolgerungen, 
die aus dem Vorhandensein dieser Kupferstich-Kopie zu ziehen sind, dargelegt habe, so be- 
schränke ich mich hier auf diesen Hinweis. 



114 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

geraten angefenigten. Es liegt auf der Hand, dass man auf den Gedanken, Abdrücke 
von Nieiloplatten zu nehmen, gekommen ist, erst als diese Art von Arbeit einen wirk- 
lichen künstlerischen Wen und eine ausgedehntere Benutzung besonders auch für 
Gegenstände des weltlichen Gebrauches erhielten. 

Unter der grofsen Zahl der mir bekannten Nieiloplatten befindet sich kaum mehr 
als eine einzige, die Pax mit der Kreuzigung im Museo Nazionale in Florenz, die 
neuerdings von Milanesi mit Unrecht Finiguerra zugeschrieben worden ist,*) die mit 
Sicherheit in die erste Hälfte des XV Jahrhundens zu setzen ist.') Alle anderen 
scheinen mir sicher nach der Mitte des XV Jahrhunderts, zum allergröfsten Teile 
sogar in den letzten Jahrzehnten desselben oder im Beginne des XVI entstanden zu 
sein. Auch was wir sonst aus schriftlichen Nachrichten von der Niellotechnik wissen, 
deutet darauf hin, dass erst nach der Mitte des XV Jahrhundens diese, als solche ja 
schon seit dem Mittelalter bekannte und geübte Technik zu einer wirklichen künst- 
lerischen Blüte und zu vielseitiger Verwendung gelangt ist. 

Es ist deshalb durchaus unwahrscheinlich, dass man vor diesem Zeitpunkte Ab- 
güsse oder Abdrücke von Niellen genommen habe, dass wesentlich ältere und anders- 
anige Abgüsse oder Abdrücke als die uns erhaltenen existiert haben. Die uns er- 
haltenen Schwefelabgüsse und Papierabdrücke scheinen mir ausnahmslos nach der 
Mitte des XV Jahrhunderts entstanden zu sein, kein einziger kann, aus stilistischen 
Gründen, hinter das Jahr 1450 hinaufgerückt werden; der gröfste Teil von ihnen ge- 
hört dem Ende des XV und dem Anfange des XVI Jahrhundens an. Bestimmte Daten 
stehen uns allerdings nicht zur Verfügung, doch gewährt uns die stilistische Betrach- 
tnng einige sichere Anhaltspunkte. 

Wir können deutlich zwei stilistische Hauptgruppen unterscheiden, die den auch 
durch andersartige Monumente und die Nachrichten bezeugten zwei Hauptcentren der 
Goldschmiedekunst in Italien entsprechen: dne florentinische und eine bolognesische 
Gruppe. ') Mit wenigen Ausnahmen lässt sich fast der gesamte Vorrat an Abdrücken 
unter diese beiden Gruppen verteilen.*) An beiden Orten verbinden sich die Niellen 
stilistisch aufs engste mit Persönlichkeiten, deren thätige Teilnahme an der Niello- 



1) S. L'Art 1884. I. p.66fr. 

') Auch das Rund mit dem Reiterbildnisse Francesco Sforzas in derselben Sammlung, das 
ganz die Form der alten Rittersiegel nachahmt, mag noch vor 1450 angefertigt worden sein. 

•) Es scheint mir beachtenswert, dass die grofse Mehrzahl der uns erhaltenen floren- 
tinischen Niellodrucke in einer der ältesten Sammlungen, in der Salamancas, vereinigt waren. 
Einige äufsere , allen gemeinsame Eigentümlichkeiten (Spuren von Farbe und dergl.) machen 
es sehr wahrscheinlich, dass die Abdrücke der Salamancaschen Sammlung, mit wenigen 
Ausnahmen, unmittelbar aus der Werkstatt eines Florentiner Goldschmiedes der Pollaiolo- 
Schule stammen, welcher dieselben für seinen Gebrauch gesammelt oder auch zum Teil 
selbst hergestellt hatte. In ähnlicher Weise waren in der bedeutendsten älteren Sammlung 
von NielloabdrÜcken des Marchese Durazzo in Genua fast ausschliefslich Werke der bolo- 
gnesischen Gruppe vereinigt. 

^) Andere Entstehungsorte sind natürlich damit nicht ausgeschlossen ; eine kleine sehr 
interessante Gruppe von Abdrücken weist auf einen mehr nördlich gelegenen Ursprungsort 
hin fbes. Dutuit 462 [Durazzo 2840], Dut. 5 1 1 [Dur. 2872] vergl. auch Taf. I, 4). Die Datierung 
erleidet durch si(( keine Veränderung. Hier sollten nur die Hauptcentren hervorgehoben werden. 
Die Zuteilung einer Anzahl von Niellodrucken an eine venezianische Schule, die man zu kon- 
struieren sich bemüht hat (wohl besonders im Kreise der venezianischen Fälscher), scheint 
mir durch nichts gerechtfertigt. 



VON PAUL KRISTELLER I I5 



technik ebenfalls mehrfach bezeugt ist: mit Antonio Pollaiolo und mit Francesco Francia. 
Antonio PoUaioIos selbständige ktlnstlerische Thätigkeit kann nicht vor 1450 begonnen 
haben. Er scheint es gewesen zu sein, der im Zusammenwirken mit dem Special- 
techniker Finiguerra, dem er ja auch Zeichnungen zu seinen Werken lieferte, die 
Niellotechnik auf die künstlerische Höhe ihrer Entwickelung gebracht hat, und der 
zuerst es verstand, dieselbe für die Ornamentik in wirksamster Weise zu ver- 
werten. 

Eine grofse Anzahl von Niellen tragen ganz deutlich den Stilcharakter PoUaiolos 
und seiner Schule zur Schau. Über das Niveau der Durchschnittsarbeit dieser Gruppe 
erheben sich jedoch einige Stücke, die in der meisterhaften Zeichnung und in der 
Feinheit der Ausführung, in der vollständigen Übereinstimmung der Formen bis in 
alle Einzelheiten mit denen der bekannten Werke Antonios unzweifelhaft die Hand 
des Meisters selbst verraten. 

Vielleicht das vorzüglichste Niello, das uns in einem Abdrucke erhalten ist, 
bewahrt die Sammlung Malaspina in Pavia in der »Fontana d*amore« (Duch. 298), 
ferner ist die spätere und minder fein gearbeitete »Fortitudo« (Dutuit No. 425) der 
Sammlung des Barons Edm. v. Rothschild^) und der unbeschriebene Niellodruck, die 
Enthauptung eines Gefangenen darstellend, in der Kupferstich -Sammlung in Parma') 
mit Sicherheit Pollaiolo selbst zuzuschreiben ; endlich sei noch der, stets als eine der 
vortrefflichsten Arbeiten dieser Gattung anerkannte, aber unbegreiflicher Weise bisher 
stets dem Francia zugeschriebene Herkules mit der Hydra (Duch. 248) im British 
Museum •) erwähnt (vergl. auch besonders Taf. I, 5). 

Die grofse Mehrzahl der Abdrücke gehört der Werkstatt oder der Schule des 
Meisters an, die seine Arbeiten zu kopieren nicht müde wurde. Eine Reihe von ihnen 
z. B. rührt augenscheinlich von demselben Schüler PoUaiolos her, dem die gewöhnlich, 
ohne Grund, Finiguerra zugeschriebenen Zeichnungen der Uffizi angehören (vergl. 
z.B. Taf. 1,8). 

Die Bedeutung Antonio PoUaiolos für die Geschichte des Kupferstiches scheint 
mir durchaus noch nicht erkannt zu sein. Man begnügt sich, seine gelegentliche Teil- 
nahme am Kupferstiche zu konstatieren. Seine Bedeutung für den Kupferstich liegt 
aber nicht sowohl hierin, auch nicht einmal allein in der kleinen Anzahl von Niello- 
drucken, die unmittelbar auf ihn selbst zurückzuführen sind, sondern vor allem in 
seinem Einflüsse auf die Entwickelung des Kupferstiches in seiner Schule. Die stilisti- 
sche und technische Verwandtschaft mit seinen Werken macht es unzweifelhaft, dass 
nicht allein die Florentiner Nielloarbeiter fast alle aus seiner Werkstatt hervorgegangen 
sind, sondern auch jene Gruppe von Kupferstechern, deren Stil nach Kolloffs Vor- 
gange gewöhnlich die »breite Manier« genannt wird. Es kann hier nicht der On 
sein, diesen stilistischen Zusammenhang näher nachzuweisen, der, meiner Ansicht 



^) Aus der Sammlung Salamanca, No. 54 des Katalogs von Reid (mit Photographie), 
abgebildet in Dutuits Manuel vol. I, 2, p. 214/15. Wie das Wappen zeigt, ist dies Niello für 
einen Orsini angefertigt, vielleicht für denselben Gentil Virginio Orsini, an den Pollaiolo am 
13. Juli 1494 ein Schreiben richtete. S.Venturi, Archivio storico deirArte. V (1892) p. 208. 

*) Dies Niello ist das Original des im Jahrgang 1891 (No. 2) der Publikation der inter- 
nationalen chalkographischen Gesellschaft abgebildeten Kupferstiches der Kunsthalle in Hamburg. 

') Abbildung bei Dutuit p. 320/21. Im Verzeichnisse werde ich diese Zuteilung nSher zu 
begründen haben. Ich mache hier nur auf die Zeichnung desselben Gegenstandes von Pol- 
laiolo im British Museum aufmerksam. 



I l6 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

nach, auch schon augenfällig genug ist. Die Thätigkeit dieser Stechergruppe, die 
tibrigens auch viele Elemente des Filippo Lippischen Kunstcharakters in sich aufge- 
nommen haben, erstreckt sich bis in den Anfang des XVI Jahrhunderts. Hervorzu- 
heben ist der Gegensatz dieser Manier, die sich, wie gesagt, aus der Nachahmung 
der Federzeichnung herausbildet, zu der feinen Manier, die sich direkt aus der alten 
Gravierungstechnik entwickelt und ihren künstlerischen Charakter, wesentlich unter dem 
Einflüsse Botticellis, durch das Streben nach malerisch farbiger Wirkung der Stiche 
als vollständiger Helldunkel -Bilder gewinnt. 

Antonio PoUaiolos Zeichnungen waren, wie uns Vasari und besonders Cellini 
bezeugen, aufserordemlich geschätzt und gesucht. Ganz natürlich ist er dadurch, genau 
ebenso wie, vielleicht ganz unabhängig von ihm, Mantegna auf den naheliegenden 
Gedanken gekommen, seine Zeichnungen vermittelst der längst bekannten Abdrucks- 
lechnik von gravienen Kupferplatten zu vervielfältigen. 

Sollte es nicht viel eher Pollaiolo als Finiguerra gewesen sein, der zuerst die 
Kupferstich -Abdruckstechnik auch auf die Schwefelabgüsse in Anwendung brachte? 
Doch darauf soll kein Gewicht gelegt werden, ob er der erste gewesen sei oder nicht. 
Fraglos aber erhellt aus einem Vergleiche der Kupferstiche PoUaiolos, in denen der- 
selbe den Eindruck von Federzeichnungen hervorzurufen sich bemüht, mit den Niello- 
abdrücken, die ihm zuzuschreiben sind, dass es nicht die Niellotechnik gewesen sein 
kann, die ihn auf den Kupferstich geführt hat, sondern dass er vielmehr durch die 
Nachfrage nach einer gröfseren Anzahl von Nachbildungen seiner Niellen dazu ver- 
anlasst worden ist, das Verfahren des Abdruckes auf Papier auch auf die Schwefel- 
abgüsse anzuwenden. 

Neben der Pollaiolo-Gruppe ist nur noch eine kleine Anzahl von florentinischen 
Niellodrucken zu erwähnen, die der Kunstweise Filippo Lippis so aufserordentlich 
nahe stehen, dass in einzelnen Fällen die Annahme sich aufdrängt, er selber habe 
die Zeichnungen dazu geliefert. Hierher gehört in erster Linie die bisher Finiguerra 
zugeschriebene Krönung Mariae (Paris Bibl. Nat. s. p. 102 u. Abb. i) und die Madonna 
mit weiblichen Heiligen (Wien Albertina. Duch. 53). 

Wie in Florenz durch Pollaiolo, so ist für die bolognesische Gruppe die Alters- 
bestimmung der Niellodrucke durch den Beginn der Thätigkeit Francesco Francias 
gegeben. Der bestimmende Einfluss Francias ist in den Niellen dieser Gruppe un- 
verkennbar. Bekannt ist, wie hoch Francia gerade als Nielloarbeiter geschätzt und 
gerühmt wurde, allein von dieser seiner Thätigkeit sind uns un:{weifelhafte Denk- 
mäler nicht erhalten. Man glaubt ihm im allgemeinen mit Sicherheit die beiden 
Majestates^) der Pinacoteca in Bologna zuschreiben zu können. Doch sind irgend- 
welche Dokumente für diese Zuschreibung nicht vorhanden. Die beiden Niellen zeigen 
jedenfalls in Zeichnung und Ausführung so grofse Verschiedenheiten , dass man wohl 
Anstand nehmen sollte, beide demselben Meister zuzuschreiben. Francesken Stil zeigt 
besonders die Auferstehung. Einen sicheren stilistischen Anhaltspunkt gewähren da- 
gegen die Medaillen und Münzen, die Francia gearbeitet hat. Sie erlauben uns z.B. 
den Nielloabdruck (Duch. 350. Taf. II, i) mit dem Jünglingsbrustbild, wahrscheinlich 
eines Bentivoglio, wenn man das Ornament auf dem Schulterstücke des Panzers als 
die »sega«, das Wappen der Bentivoglio auffassen darf, wohl das vorzüglichste Blatt 
dieser Gruppe, mit einer gewissen Sicherheit dem Meister selbst zuzuschreiben und eine 
Reihe anderer Brustbildchen, meist zwischen Blattornamenten, wenigstens in seine aller- 



*) Meist fälschlich Paces genannt. S. Venturi, Archivio storico dell' Arte III (1890) p. 286. 



VON PAUL KRISTELLER 1 17 



nächste Nähe zu stellen (vergl. Taf. I, 2, II, 2 u. 3). *) Der gröfste Teil der Blätter 
gehön aber wohl sicher der zahlreichen Schule Francias an. 

Francias Thätigkeit kann vor 1470 kaum begonnen haben, also 20 Jahre später 
als die PoUaiolos, die Niellen Francias stehen demnach den Anfängen des Kupfer- 
stiches schon ziemlich fern. Diese Gruppe von Abdrücken kann mit dem Ursprünge 
des Kupferstiches schlechterdings nichts zu thun haben. 

Während in der florentiner Gruppe die Abdrücke von wirklichen Niellen über- 
wiegen, besteht die Mehrzahl der Blätter der bolognesischen Gruppe aus nielloartigen 
Stichen, aus Kopien nach Niellen. Man scheint hier die genaue, sorgfältige Kopie 
in Kupfer für den Abdruck dem mühsamen und wenig praktischen Verfahren des 
Abdrucks von Schwefelabgüssen vorgezogen zu haben. Die besonders feine und 
zarte Technik der bolognesischen Niellen konnte auch gewiss kaum ohne Schädigung 
des Originales den Abdruck vertragen. 

Noch viel schwieriger, als die eigenhändigen Arbeiten Francias von denen seiner 
Schule zu sondern, ist es, die verschiedenen Hände in den Schülerarbeiten zu unter- 
scheiden. Nur eine Persönlichkeit hebt sich heraus: Peregrino^^) der seinen Namen 
in voller Bezeichnung oder in Monogrammen, auf vielen seiner Arbeiten angegeben 
hat. Seine Thätigkeit reicht bis in den Beginn des XVI Jahrhundens, wie aus einigen 
Kopien von seiner Hand nach Stichen Dürers und anderer sich enmehmen lässt. 

Ob uns von Peregrino wirkliche Niellodrucke erhalten sind, muss fraglich bleiben. 
Alle mit seinem rechtläufig abgedruckten Namen oder Monogramme bezeichneten Stiche 
aber können schon deshalb nicht als Nielloabdrucke angesehen werden. Man darf nicht 
annehmen, wie das geschehen ist, dass etwa die Bezeichnungen nur für die Herstellung 
der Abdrücke eingraviert und dann wieder entfernt worden sei, dass der Rand, auf 
dem sie sich gewöhnlich befinden, dann abgeschnitten oder durch den Falz verdeckt 
worden sei. Einmal finden sich die Bezeichnungen nicht immer auf dem Rande, dann 
ragt sehr häufig auch die Zeichnung über die Einfassungslinien auf den Rand hinaus, 
so dass eine Entfernung oder Verdeckung des Randes nicht beabsichtigt gewesen sein 
kann. Eine verkehrte derartige Inschrift ist aber auf einer kleinen Nielloplatte doch 
nicht wohl denkbar. Vor allem aber finden wir von fast allen bezeichneten Peregrino- 

1] Im einzelnen können die Francia selbst oder seiner Schule zuzuschreibenden Ab- 
drücke von Niellen erst im Verzeichnisse besprochen werden. Hier handelt es sich nur 
darum ^ einige charakteristische Beispiele anzuführen. Die Blätter, die Passavant, Ottley, 
Dutuit u. a. Francia zuschreiben, müssen wir vorläufig unbeachtet lassen; sie sind fast alle 
sicher keine Nielloabdrucke und unterscheiden sich nicht von den Arbeiten der Schule. 
Dass der Niellodruck Herkules die Hydra bekämpfend (Duch. 248) nicht Francia, sondern 
PoUaiolo zuzuschreiben sei, ist schon oben erwähnt worden. Die Verwirrung ist hier so 
grofs, dass ihr mit Korrekturen allein nicht abgeholfen werden kann. 

') Da Cesena oder da Cesio oder dergleichen. Die Annahme, dass Peregrino identisch 
sei mit Jacopo Francia, dass diesem dann auch eine Reihe von Zeichnungen der Liller Sammlung 
eines »Jac^* pictor ... (da) poUogna pouero pelegrino dalla mia infelice (?) adolescentia ...« und 
die Plaquette mit der Bezeichnung I. F. P. ebenfalls angehören (vergl. Emile Molinier. Les 
Plaquettes I. p. 184 ff), kann durchaus nicht als zutreffend bezeichnet werden (s. auch Venturi. 
Rivista Stör. ital. IV, 3, 1877.) Die Stiche sind auch nicht nach den Plaquetten kopiert, 
sondern, wie sich nachweisen lässt, die Plaquetten nach den Stichen, die ja, wie wir gesehen 
haben, gerade zu diesem Zwecke, als Vorbilder zu dienen, als Omamentstiche angefertigt worden 
sind. Danach berichtigt sich auch beiläufig Lichtwarks Bemerkung in seinem t Deutschen 
Ornamentstich« , dass die italienische Kunst im XV Jahrhundert keine Ornamentstiche hervor- 
gebracht habe. Das war gerade der Hauptzweck der Mehrzahl von ihnen. 

16 



I l8 DIE ITALIENISCHEN NIELLODRUCKE UND DER KUPFERSTICH DES XV JAHRHUNDERTS 

Stichen Abdrücke von ganz ausgedruckten und retouchierten Platten; von fast allen 
Arbeiten Peregrinos ist uns eine mehr oder weniger betrachtliche Anzahl von Abdrücken 
erhalten (vergl. Taf. II, 4, 5, 6, 8; Abb. 4, 5, 6). 

Hier kann es sich also nur um Platten handeln, die für die Herstellung von 
Abdrücken angefertigt worden sind. Unter den: nicht bezeichneten Abdrücken jedoch 
könnten allerdings einige wirkliche Niellodrucke Peregrinos sich befinden. 

Ohne Zweifel ist Peregrino bei der Herstellung seiner Stiche von der Niello- 
technik ausgegangen. Wir können deutlich zwei Gruppen von Stichen Peregrinos 
unterscheiden: Die erste kommt in der Feinheit und Schärfe der Gravierung der wirklichen 
Niellotechnik sehr nahe, die Abdrücke dieser Gattung sind oft in der Thal schwer von 
Niellodrucken zu unterscheiden (vergl. Taf. II, 4, 5; Abb. 4, 5, 6). Die zweite Gruppe 
zeigt eine freiere, breitere, weichere Manier, die von der Niellotechnik durchaus ab- 
weicht, ganz und gar in der Ausführung und in dem Streben nach farbiger Wirkung 
derjenigen der gewöhnlichen Kupferstiche gleich kommt. Die Blätter haben meist etwas 
gröfseres Format und gröfsere Figuren. Die Monogramme zeigen jedoch auf den 
Stichen beider Gruppen die gleichen Formen; Zeichnung, Landschaft und dergl. sind 
gleichanig; einige Stiche, die zwischen beiden Gruppen den Übergang bilden, beweisen 
vollends, dass alle diese Stiche, trotz jener Verschiedeniieiten und trotz der sehr ungleich- 
mäfsigen Sorgfalt der Ausführung, einer Hand, oder vielmehr einer Werkstatt ange- 
hören. Die Stiche der erstgenannten Art stehen nun auch fiufserlich den wirklichen 
Niellen näher, sie sind wohl fast alle nach Niellen kopiert, oder nach Zeichnungen 
hergestellt, die unmittelbar für die Ausführung von solchen angefertigt waren. In 
einigen FäUen haben sich die Originale der Kopien Peregrinos in Abdrücken erhalten 
(z.B. Orpheus Duch. 255 und 256), oder Zeichnungen, die mit jenen Kopien im engsten 
Zusammenhange stehen. Die Stiche der anderen Gruppe stehen dagegen mit den Niello- 
platten nicht in direktem Zusammenhange, sondern beruhen auf freien Erfindungen 
des Stechers oder, wahrscheinlicher, auf Zeichnungen, die ursprünglich für die Aus- 
führung andersartiger Kunstwerke die Vorbereitung bildeten. Als charakteristisches 
Beispiel soll der Stich (Duch. 58, Abb. Taf. II, 6) die Madonna mit Franciscus und Paulus 
darstellend, hervorgehoben werden, der ziemlich genau mit einem Gemälde Francesco 
Francias in der Pinacoteca in Bologna übereinstimmt.*) Die erste Gruppe gehört ihrem 
Kunstcharakter nach noch mehr dem XV Jahrhundert an, während die zweite in dem 
Beginn des XVI Jahrhunderts zu setzen ist, wohin dieselbe auch schon aus äufseren 
Gründen zu verweisen ist. 

Nicht allein in Bologna sondern auch an anderen Orten findet Peregrino Ge- 
nossen, die wie er kleine Kupferstiche in Nachahmung und im Stile der Niellen als 
Vorlagen für Goldschmiede und andere Künstler als Ornamentstiche anfertigen. 

Aus der gelegentlichen Verwendung der Schwefelabgüsse und der Papierabdrücke 
von Niellen zu Studienzwecken und als Vorlagen hat sich so nun, wie wir sehen, eine 
ganz geschäftsmäfsige Verwertung der in den Niellen zum Ausdruck kommenden künst- 
lerischen Formen zur Herstellung von Ornamentstichen herausgebildet. 

Nicht also in ihren Anfängen führt die Technik des Nielloabdrucks zum Kupfer- 
stich, dem, wie wir gesehen haben, im Gegenteile sie den Handgriff des Abdruckens 

') Hier muss die Anführung von Beispielen genügen ; im einzelnen können diese sehr 
wichtigen Beziehungen der Niellodrucke zu Zeichnungen und anderen Kunstwerken erst im 
im Verzeichnisse angegeben und besprochen werden. Sie sind bisher meist unbekannt geblieben, 
geben uns aber überaus wertvolle Aufschlüsse über den Zusammenhang der Kunstgattungen mit 
einander und über die Verwertung der Gegenstände der Darstellungen. 



VON PAUL KRISTELLER 1 19 



entlehnt haben wird, wohl aber geht sie in einem späten Stadium ihrer Entwickelung, 
in dem Kupferstiche auf. Die Niellodrucke bilden eine gegenständlich wie technisch 
in sich geschlossene Gruppe und entwickeln sich unabhängig vom Kupferstiche, der 
nur erst später zur Hülfeleistung herangezogen wird, zur vollständigen Ausnutzung der 
Vorteile des Abdruckverfahrens. 

Wenn aber auch ihrem technischen Charakter nach unabhängig von einander, 
stellen Nielloabdruck und Kupferstich doch nur zwei verschiedene Anwendungsformen 
der künstlerischen Vervielfältigung mit Hülfe der Gravierung dar und stehen doch in 
ihren künstlerischen Formen in engster Beziehung mit einander. 

In den Niellodrucken sind uns nicht nur durchaus treue Nachbildungen von be- 
deutenden Werken der Goldschmiedekunst erhalten, nicht nur vermitteln sie uns die 
Kenntnis von interessanten Darstellungskreisen des italienischen Quattrocento, sie bieten 
uns in ihren künstlerischen Formen ein bedeutungsvolles Verbindungsglied des Kupfer- 
stiches mit der grofsen Kunst, mit der sie technisch und künstlerisch in noch viel 
engeren Beziehungen stehen als die Kupferstiche. Sie vor allem lassen uns erkennen, 
dass der italienische Kupferstich in seiner künstlerischen und technischen Entwickelung 
und in seiner Verwertung nur im Zusammenhange mit den anderen Kunstzweigen zum 
historischen und künstlerischen Verständnis gebracht werden kann. 



DIE RADIERUNGEN DER SCHÜLER REMBRANDTS 

VON W. VON SEIDLITZ 

Während der letzten Jahrzehnte, nämlich seit der im Jahre 1877 veranstalteten 
Ausstellung des Burlington Club, hat sich das von Bartsch zusammengestellte Radier- 
werk Rembrandts so manche Abstreichungen gefallen lassen müssen, die alle dahin 
zielen, das Wesen des Meisters in möglichster Klarheit, befreit von allem ihm nicht 
zuzumutenden Ballast, festzustellen. Dadurch entstand vielfach die Frage, welche 
von seinen Schülern wohl die einzelnen ausgeschiedenen Blätter angefertigt haben 
könnten. Hierüber sich zu äufsern, musste so lange als bedenklich erscheinen, als 
nicht das seit Jahren angekündigte Werk des um die Rembrandtforschung hochver- 
dienten Petersburger Senators Rovinski über die Radierungen der Schüler und Nach- 
ahmer Rembrandts erschienen war. Jetzt, da die Rovinskische Publikation (L'oeuvre 
grave des eleves de Rembrandt et des maitres qui ont grave dans son goüt, St. Peters- 
burg 1894, zwei Foliobände und Textheft) als eine würdige Ergänzung seines Oeuvre 
de Rembrandt vorliegt, kann die Anzahl der in Frage kommenden Blätter überblickt 
werden, ohne dass der Befürchtung, Wichtiges übersehen zu haben, Raum gegeben 
zu werden braucht. 

Auf eine Kritik des Rovinskischen Werkes als solches kann hier nicht einge- 
gangen werden. Es handelt sich nur um die Ergebnisse, die daraus für die Kennt- 
nis der einzelnen Nachfolger Rembrandts gezogen werden können. Da zeigt es sich 
denn leider, dass die bisher gemachte Erfahrung bestätigt wird, wonach aus all' 
diesen Blänern wenig Aufklärung über die fraglichen Nummern in dem Werke des 
Meisters selbst zu erwarten ist. Wohl treten einige schärfer umrissene Künstler- 

16* 



1 20 DIE RADIERUNGEN DER SCHÜLER REMBRANDTS 

persönlichkeiten hervor: Livens, Bol, Vliet, Verbeecq; aber selbst deren Werk ist auch 
jetzt noch nicht durchweg klargestellt. Die Masse der tlbrigen zeigt neben einer ganz 
geringen Zahl guter Arbeiten meist durchaus Minderwertiges. 

Auch für die Chronologie ist die Ausbeute gering. Wir sehen, dass Vliet fast alle 
seine Blätter in der ersten Hälfte der dreifsiger Jahre angefertigt hat und zwar im Jahre 
1631 wohl ausschliefslich nach Rembrandt arbeitend, im Jahre 1635 aber selbständige 
wenn auch noch immer in Nachahmung Rembrandts, schaffend. Dass er an Rembrandts 
grofser Kreuzabnahme von 1633 ^"^ besonders an dessen Ecce homo von 1635/36 stark 
mitgewirkt , ergiebt sich aus der Vergleichung mit seinen Arbeiten in tiberzeugender 
Weise, um so mehr, als er hier wie dort in überwiegendem Mafse den Grabstichel 
verwendet hat. Reine Radierungen sind in seinem Werk nur Bartsch 25, der Greisenkopf, 
der ihm nicht einmal mit Sicherheit zugeschrieben werden kann, da er seine Namens- 
bezeichnung nicht trägt, B. 26, das Brustbild eines Offiziers, und die Figurenfolge 
B. 83 — 92 von 1632; zum Teil wenigstens radiert und dann mit dem Stichel fertig 
gemacht sind B. 57 und 57 ^", die Bildnisse der Amalie von Solms und des Prinzen 
Friedrich Heinrich, die Figurenfolgen B. 59 — 72 von 1635 und B. 73 — 82 von 1632. 

Auf den Blättern Bols reichen die Jahreszahlen von 1642 bis 1653, welches Datum, 
von Rovinski nicht erwähnt, auf dem Philosophan Bartsch 5 sich befindet, nämlich im 
I. Zustande auf dem vom Tische herabhängenden Blatt Papier (den von Claussin an- 
geführten III, Zustand, mit dem Datum 1662 rechts oben, hat auch Rovinski nicht zu 
Gesicht bekommen). Noch um ein Jahr weiter kommen wir, wenn wir die Halbfigur 
der Frau im Fenster, Bartsch 52 der Verschiedenen, ihm zuschreiben, da deren verkehn 
geschriebene Jahreszahl 1654 durchaus die gleiche Bildung der Ziffern zeigt wie das vor- 
genannte Blatt, und die Arbeit ganz dazu stimmt. Die Greisenfigur B. 19 dagegen, die das 
frtiheste Datum, nämlich 1639, aufweisen würde, können wir dem Künstler, trotz der 
Namensinschrift, nicht lassen, da sie selbst für die Arbeit eines Anfängers zu schwach ist. 

Bei Livens fehlen die Jahreszahlen durchweg; nur aus dem Umstände, dass die 
von Rembrandt retouchierten Kopieen nach seinen, viel besseren Köpfen Bansch 18 — 20 
von 1635 datiert sind, lässt sich schliefsen, dass Livens Vorlagen etwas früher entstanden 
sein werden. Livens sind auch bestimmt die von Bartsch unter den Verschiedenen 
verzeichneten Köpfe 25 und 33 zuzuschreiben. Rovinski 74 von 1649 ist schwach; zu 
Rovinski 75 von 1651 fehlt die Abbildung. 

Erwähnen wir dann noch den Eeckhoutschen Kopf (Bartsch 66) von 1646, die drei 
von Sal. Koninck (B. 68 — 70) von 1638 (alle drei so datiert und nicht blos B. 69), 
die beiden Kompositionen von Renesse (Rovinski, Atlas 438 fg.) von 1653 (^"f ^^^ ersten 
Blatt steht diese von Rovinski nicht erwähnte Jahreszahl unmittelbar unter dem Namen 
und auf dem zweiten ist sie so, statt 1657, ^^ lesen) und eine von 1651, so bleibt nur 
noch Verbeecq übrig, dem aufser den von 1639 datierten Blättern Bartsch 83 — 86 F. auch 
die beiden hier nach Bartschs Vorgange Rodermont zugeschriebenen Kompositionen 
B. jj und 78 angehören, die bereits Gersaint mit richtigem Blick Verbeecq zuerkannt 
hatte (die angebliche Bezeichnung R. M. F. auf dem zweiten vermag ich nicht heraus- 
zuerkennen). — Der einer weit früheren Generation angehörende Roel. Savery (Rovinski, 
Atlas 459) hat mit Rembrandt überhaupt nichts zu thun; Seymour Haden, wenn er ihn 
unter den Mitarbeitern Rembrandts erwähnt, meinte jedenfalls den viel späteren Sal. Savry. 

Geht man die Werke der einzelnen Stecher an der Hand des Rovinskischen Kata- 
loges durch, so ergiebt sich Gelegenheit zu den folgenden Bemerkungen, die jedoch nicht 
darauf ausgehen, die Zuweisungen oderBeschreibungen einer eingehenden Kritik zu unter- 
ziehen, sondern nur das Material für die Beurteilung der Künstler klarstellen wollen. 



VON W. VON SEIDLITZ 1 2 1 



Bol. Rovinski 2 1 , Kopie des Kopfes der grofsen Judenbraut (Rembrandt Bartsch 341 ) : 
Die Behauptung, dass auf der Brust (!) Bols Name zu lesen sei, erinnert durchaus an 
Lautners Phantasieen; es handelt sich dabei um ein blofses Spiel der Nadel; die Arbeit 
zeigt übrigens gar keine Verwandtschaft mit Bol. — Rovinski K, Rembrandts Schiff der 
Fortuna, B. in, dürfte ganz ohne Grund einem andern Künstler, und gar Bol, zu- 
gesprochen worden sein. 4 

Livens. Bartsch 32 zeigt die Züge, die nach Michel als diejenigen von Rembrandts 
Vater bezeichnet werden. — B. 34 verkleinene Wiederholung von 24; dasselbe Modell 
wie 29. — B. 39 verkleinerte Wiederholung von 16. — B. 66 sicher nicht von Livens; 
vielleicht, wie Bartsch annimmt, von Sal. Savry, dessen Adresse darauf steht. — Rovinski 
73 gegenseitige Kopie nach Rembrandt Bartsch 263, nur das Brustbild. — Rovinski 'j'j 
Kopie nach Rembrandt B. 174, gröfser, doch bereits unterhalb der Knie abgeschnitten. — 
Rovinski 83 Kopf der Diana, gegenseitig nach Rembrandt B. 201 kopiert, nicht nur in 
Anlehnung an Rembrandt. — Das Verhältnis zwischen den beiden gleichstrebenden 
Jugendgenossen war demnach der Art, dass anfangs, um 1630/31, Livens mehrfach 
nach Rembrandt kopierte; später aber, im Jahre 1635, Rembrandt Kopien, die seine 
Schüler nach Livens angefertigt hatten, selbst überarbeitete. 

Vliet. Bartsch 12, die Taufe des Kämmerers; neu ist die Angabe, dass das Original- 
gemälde Rembrandts, das Bode jetzt in dem Schweriner Exemplar erblickt, sich beim 
Grafen Tolstoi in Odessa befinden soll. — B. 18, lesende Alte; Bodes Studien S. 381 
zufolge nach dem Bilde von 1631 in Oldenburg. — B* 19> nach Bode Rembrandts 
Vater (diese bei B. 20 angebrachte Bemerkung gehört hierher). — B. 24 ebenso, ent- 
sprechend dem sogenannten Juden Philo. — Unter Vliets Namen führt Rovinski (Atlas 
Nr. 280 fgg.) den gröfsten Teil der Blätter auf, die in den letzten Zeiten Rembrandt ab- 
gesprochen worden sind, jedoch nicht durchgehends (z. B. nicht Rembrandt Bansch 169) 
der Hand Vliets zugeschrieben werden können ; manche durchaus ähnliche (wie z. B. 
das Bildnis Rembrandts B. 12) fehlen hier übrigens noch. Dagegen ist kein Grund 
abzusehen, weshalb B. 24, 142, 164, 165, 190, 191, 316, 327 Rembrandt, dessen Be- 
handlungsweise sie durchaus zeigen, abgesprochen werden sollten. 

Verschiedene: Blatt 38 gegenseitige Kopie nach Rembrandt Bartsch 100. — L. Bramer 
Rovinski Atlas 398; die Vorlage dazu befindet sich nicht in der Dresdner Galerie, wie 
kovinski angiebt. — Das Monogramm IP, das Rovinski auf Rembrandts schlafendem 
Hunde B. 158 (Atlas 421) sieht, kann ich nur für einen Schnörkel halten. 

Das Ergebnis dieser Betrachtungen lässt sich dahin zusammenfassen, dass für 
die erste Hälfte der dreifsiger Jahre Vliet, der bereits eine ganze Reihe Rembrandt- 
scher Gemälde gestochen hatte, auch als der Verfertiger vieler kleiner, mit Rembrandts 
Monogramm versehener Radierungen sowie als Mitarbeiter an des Meisters grofsen 
Kompositionen angesehen werden kann, wobei er den Grabstichel noch in höherem 
Mafse als die Radiernadel anwendete. — Livens ist wegen seiner durchaus selbständig 
durchgebildeten Künstlerpersönlichkeit nicht als Nachahmer und noch weniger als 
Schüler Rembrandts anzusehen, sondern, wie dies auch durch zeitgenössische Zeug- 
nisse bestätigt wird , durchaus als dessen gleichgestellter Studiengenosse. Die Möglich- 
keit, dass er gelegentlich eines oder das andere der früheren Blätter seines begabteren 
Freundes kopiert habe, ist deshalb nicht ausgeschlossen: immerhin möchte bei der 
Entscheidung dieser Frage besondere Vorsicht am Platze sein, wenn man als ausgemacht 
annimmt, dass andererseits Rembrandt es für der Mühe wert erachtet habe, Kopieen 
die seine Schüler nach Livensschen Radierungen ausgeführt hatten, einer Überarbeitung 
zu unterziehen. Die Fälle der Übereinstimmung, wie z. B. bei Rembrandts Vater und 



.•:\kIc v.M. K 



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1 - 



.'• iroti;^ 




JEAN ETIENNE LIOTARD 



GRAF FRANCESCO ALGAROTTI 

I'AS I KLLGEMÄLDE IM BKSITZ SEINKR MAJESTÄT DES KAISERS 



PASTELLBILDNIS DES GRAFEN FRANCESCO ALGAROTTI VON PAUL SEIDEL I23 

des humains qui ne pensent pasv, schreibt Friedrich an Algarotti und versichert ihn 
an anderer Stelle, dass er niemals die acht Tage seines Besuches bei ihm vergessen 
werde. Algarotti besafs eine für seine Zeit gediegene künstlerische Bildung, die er 
gerne in den Dienst kunstfreundlicher Monarchen stellte, wie namentlich in die des 
Königs von Polen. Die durch Algaroui gemachten Erwerbungen für die Dresdener 
Gallerie sind von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Ich erwähne hier nur die 
Madonna des Btirgermeisters Meyer von Holbein, die erst durch die moderne Kunst- 
kritik als Kopie festgestellt worden ist, die »drei Schwestern« von Palma Vecchio, 
sowie bedeutende Bilder von Courtois, Strozzi und Jan Weenix^). 

Unter diesen Erwerbungen hat an dieser Stelle eine noch nicht genannte ein 
besonderes Interesse für uns, diejenige des berühmten Liotardschen Chokoladen- 
mädchens, weil durch dieselbe die Möglichkeit geboten wird, die wahrscheinliche Ent- 
stehungszeit von Liotards Porträt des Grafen Algarotti zu bestimmen. Dieses Bild 
ist nach dem eigenhändigen Auszuge seines Tagebuches^) von Algarotti im Februar 
1745 in Venedig vom Künstler selber erworben worden: »a Venise. 3 fevrier 1745 paye 
au sieur Liotard pour un tableau de pastel representant une Stoubemenche (sie) 
120 sequins = L, 2640« und in einem nach Dresden gerichteten Schreiben") vom 
23. April 1746 erwähnt er das Bild folgendermafsen: »Je ne parlerai pas ici de la Magde- 
laine de la Rosalba,*) regardee par eile meme comme soh chef d'oeuvre, ni de la 
Stoubmenche qui a ete consideree par tous les Peintres de Venise et par la Rosalba 
meme comme le plus beau Pastel qu'on ait jamais vu.« Wir gehen wohl nicht fehl, 
wenn wir in diese Zeit, Anfang des Jahres 1745, wo Liotard in Venedig anwesend war, 
auch die Entstehung des Bildnisses Algarottis setzen, denn dieser war damals 33 Jahre 
alt (geboren 1 1. Dezember 1712) was sich mit dem Bilde wohl in Einklang bringen lässt. 

Es war aber nicht allein reine Kunstliebe, die Algarotti zu seinem Eifer für die 
Kunstsammlungen des Königs von Polen anspornte, sondern der ehrgeizige Italiener 
verband hochfliegende Pläne damit, die sich aber nur zum Teil erfüllen sollten. Zu 
seinem gröfsten Missvergnügen wurde nicht ihm sondern dem Unterhändler Ventura 
Rossi u. A. der Auftrag, die Modeneser Gallerie für Dresden zu erwerben. In dem 
schon erwähnten Schreiben vom 23. April 1746 beschwert Algarotti sich bitter über diese 
Zurücksetzung und stellt eine Berechnung auf, nach der die von ihm bisher ver- 
mittelten Gemäldeankäufe anstatt der gezahlten 2774 Golddukaten einen Wert von 
11900 hauen, eine Differenz auf die er grofsmütig zu Gunsten des Dresdener Hofes 
verzichtet habe. Als Entschädigung fordert Algarotti die Verleihung des Kammerherrn- 
Titels und den Ankauf seiner eigenen Gemäldesammlung gegen eine jährliche Leibrente 
von 1800 Dukaten. Gegen diese Wünsche verhielt sich der Dresdener Hof ablehnend, 
Algarotti hat es don nie weiter als bis zu dem Titel eines Kriegsrates gebracht. 

Bei derUnzuverlässigkeit der Berater Friedrichs desGrofsen in Kunstsachen können 
wir es heute nur bedauern, dass er Algarotti nicht in gröfserem Mafsstabe zur Ver- 
mittelung von Ankäufen herangezogen hat, da dessen Erwerbungen für Dresden und 
seine zahlreichen Schriften kunstkritischen Inhaltes ihn zu einer solchen Vertrauens- 



i' Vergl. Woermann , Katalog der Königlichen Gemäldegallerie zu Dresden 1887. S. 9 
und Zahn, Jahrbücher für Kunstwissenschaft 1871 S. 186 — 189. »Algarottis Correspondenz 
über die Erwerbung der Holbeinschen Madonna«. 

') Königliches Haupt -Staatsarchiv in Dresden. 

') Königliches Haupt- Staatsarchiv in Dresden. 

*) Vergl. Woermann, Katalog. Pastelle Nr. 61. 



124 PASTELLBILDNIS DES GRAFEN FRANCESCO ALGAROTTI VON PAUL SEIDEL 

Stellung als ganz besonders befähigt erkennen lassen.^) Der König wäre jedenfalls, 
namentlich auf dem Gebiete der italienischen Malerei, nicht derartig hintergangen 
worden, wie es durch seine Pariser Agenten zeitweilig geschehen ist. Algarotti hat 
für Potsdam nur Kleinigkeiten besorgt, so die beiden Bilder Zuccarellis in Sanssouci,*) 
ferner Bücher und namentlich Zeichnungen und Aufnahmen italienischer Paläste, die 
als Muster für die von Friedrich in Potsdam errichteten Bürgerhäuser dienten. Der 
junge König schätzte an dem geistreichen Italiener vor allen Dingen den gewandten 
nie langweiligen Gesellschafter, und bei Friedrichs bekannter Hochschätzung des 
»esprit« darf es uns nicht verwundern, wenn er Algarotti mit seinem älteren Bruder 
gleich in dem Jahre seines Regierungsantrittes in den erblichen Grafenstand erhob. 
Der oben angedeutete Misserfolg in Dresden führte Algarotti wieder näher an den 
Preufsischen Hof, und hier wurde ihm auch endlich das Ziel seiner Wünsche zu Teil. 
Die ganze Wollust befriedigten Ehrgeizes leuchtet aus dem Potsdam den 15. April 1747 
datienen Schreiben Algarottis an den Grafen Brühl, dessen Anfang hier folgen mag: 
»Monseigneur. Voyant combien j*^tais inutile au service de Sa Majeste, j'ai accepte, 
Monseigneur, les offres genereux que Sa Majeste le Roi de Prusse a daigne me faire. 
II me donne 3000 ecus de pension, et m*a honore hier ai^ soir de la clef de son 
chambellan et de Tordre du Merite. J'ai remis, Monseigneur, ce matin la patente de 
conseiller privä de guerre a Monsieur de Bulow.a Die Beziehungen des grofsen Königs 
zu Algarotti, seinem »Schwan von Padua« sind bis zu dessen Tode trotz des Italieners 
Unbeständigkeit ungetrübt geblieben. Wenn auch der König die übertriebenen 
Schmeicheleien seines Freundes mit feiner Ironie zurückweist, so kann er sich doch 
nie genug an seiner glänzenden und schlagfenigen Unterhaltungsgabe über alle mög- 
lichen wissenschaftlichen und künstlerischen Gebiete erfreuen, und er kann darin 
nach seiner Meinung allein mit Voltaire verglichen werden.") 

Die Korrespondenz Friedrichs mit Algarotti bringt an vielen Stellen die Be- 
wunderung des Königs ftir dieses Talent seines Freundes zum Ausdruck, auch die 
Sehnsucht nach dessen Vaterlande, dem nie geschauten Italien, bricht sich oft Bahn in 
seinen Briefen, namentlich als Algarotti einmal erwähnt hatte, dass er nicht nach 
Herculanum zu gehen beabsichtige. »Vous n'allez donc a Herculanum? J'en suis 
fachö; c'est le phönomene de notre siecle; et si de si fones entraves ne me retenaient 
pas ici, je ferais cinq cent lieues pour voir une ville antique ressuscitee de dessous 
les cendres du Vesuve.« 

Am 3. Mai 1764 ist Graf Algarotti in Pisa verschieden. Der König sprach sofort 
den Wunsch aus, dass auf seinem Grabe eine Marmortafel mit folgender Inschrift 
errichtet werde : »Hie jacet Ovidii aemulus et Newtoni discipulus«. In bedeutend er- 
weiterter Form wurde dieses Grabdenkmal nach den Entwürfen Maurinos und Carlo 
Bianconis im Campo Santo zu Pisa aufgerichtet,*) wo es noch heute den Wanderer, 
der überrascht den Namen des Grofsen Friedrichs an diesem Orte entdeckt, daran 
gemahnt, wie der Grofse König die Ritter des Geistes zu ehren wusste. 

^) Vergl. Woermann a. a. O. 

*) Vergl. meinen Aufsatz: »Friedrich der Grofse als Sammler« s. Jahrbuch Bd. XV S. 54. 
•) Vergl. die glänzende Schilderung des Freundeskreises des Grofsen Königs bei Koser, 
•König Friedrich der Grofse« im Kapitel »Sanssouci«. 
*) Gestochen von Volpato und Raphael Morghen. 



Gedruckt in der Reichsdnickerei. 



GEDRUCKT IN DER REICHSDRUCKEREI 



// 



/Jai<^ 










DER 



KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 



KUNSTSAMMLUNGEN 




FU^JFZEHNTER 'BAND 
in. HEFT 



^BERLIN h894 

G. GROTESCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG 



l 






INHALT. 



Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen: 
Berlin: 

Königliche Museen XXVII 

Königliche National - Galerie XXXIX 

Breslau : 
Schlesisches Museum der Bildenden Künste XL 



STUDIEN UND FORSCHUNGEN 

Zur Byzantinischen Frage. Die Wandgemälde in S. Angelo in Formis. Von 

E. Dobbert 125 

Mit yierandzwanzig Textabbildungen. 

Das Tizianbildnis der Königlichen Galerie zu Cassel. Von C. Justi . . . 160 

'* Mit einer TafSel in Heliographie. 

Entlehnungen Rembrandts. Von C. Hofstede de Groot 175 

N Mit einer Heliographie und vier Textabbildungen. 

Die Hochzeit des Alexander und der Roxane in der Renaissance. Von 

Richard Förster 182 

Mit einer Tafel in Lichtdruck und sechs Textabbildungen. 

Holbeins Bergwejrkzeichnung im Britischen Museum. Von Eduard His . . 207 

^ Mit einer Tafel in Lichtdruck. 



Redakteur: In Vertretung V. v. LOGA 






Fünfzehnter Jahrgang 



No. 3. 



I. Juli 1894 



AMTLICHE BERICHTE 



AUS DEN 



KÖNIGLICHEN 

KUNSTSAMMLUNGEN 



DAS JAHRBUCH DER KÖNIGLICH PREUSSISCHEN KUNSTSAMMLUNGEN ERSCHEINT VIERTELJÄHRLICH 
ZUM PREISE VON 30 MARK FÜR DEN JAHRGANG. 



I. KÖNIGLICHE MUSEEN 
I. Januar — 31. März 1894 



A. GEMÄLDE-GALERIE 

Für die Gemälde -Galerie wurden Erwer- 
bungen nicht gemacht. 

Wie vor mehr als Jahresfrist die Abteilung 
der romanischen Schulen einer Umstellung 
unterworfen worden ist, so sind jetzt auch 
die Vorbereitungen getroffen, um in den 
nächsten Monaten die Bilder der germani- 
schen Schulen, behufs systematischer Ein- 
reihung der in den letzten zehn Jahren ge- 
machten Erwerbungen, neu aufzustellen. 

BODE 



B. SAMMLUNG DER 
SKULPTUREN UND GIPSABGÜSSE 

I. ANTIKE SKULPTUREN 

Die Abteilung der antiken Skulpturen hat 
eine attische Grablekythos aus pentelischem 
Marmor mit der Reliefdarstellung einer 
Abschiedsscene erworben und von Herrn 
Mommsen als Geschenk den Abguss einer 



*mit drei Reliefiiguren verzierten Kandelaber- 
basis in Rom erhalten. 

I.V.: 
PUCHSTEIN 



II. BILDWERKE 
DER CHRISTLICHEN EPOCHE 

Die Sammlung wurde auch in diesem 
Quartal wieder durch ein paar dankenswerte 
Geschenke bereichert. Herr Gerichts-Assessor 
Dr. von Liebermann schenkte ein trefflich 
erhaltenes Stuckrelief der Madonna von einem 
Künstler in der Art des BENEDETTO DA MA- 
JANO, sowie ein vorzügliches kleines Silber- 
relief der Grablegung Christi, eine lombardi- 
sche Arbeit vom Ende des XV Jahrhunderts. 
Von Herrn Gustav Salomon wurde eine 
Bronzestatuette der kauernden Venus, eine 
feine Arbeit des XVII Jahrhunderts, der Samm- 
lung überwiesen. 

BODE 



C. ANTIQ.UARIUM 

Der Sammlung gingen einige Geschenke zu : 
Von Seiner Majestät dem Kaiser und 
König ein Bronzeschwert. 

Von Herrn Castellani in Rom eine kleine 
figürliche Gruppe aus Gusseisen. 

I.V.: 
FURTWÄNGLER 



111 



V. 



XXIX 



AMTLICHE BERICHTE 



XXX 



D. MÜNZKABINET 

Das Mtinzkabinet erwarb 219 Stück (2 N 
143 iR 52 iE, 3 Aluminium, 18 Bleie, i Stück 
Papiergeld). Unter den Geschenken zeichnen 
sich als höchste Seltenheit aus: die bisher 
nur weniger schön in Paris vorhandene Tetra- 
drachme besten griechischen Stils eines von 
Lucian erwähnten parthischen Dynasten, des 
Königs Kamniskires und das den arsacidi- 
schen Münzen im Stil ähnliche Tetradrach- 
mon des Königs Kamnaskires (wohl mit dem 
vorher genannten identisch) und seiner Ge- 
mahlin Anzaze. Diese hochwichtigen Stücke 
verdankt das Museum Herrn James Simon, 
welcher dieselben nebst einer Reihe wert- 
voller Mittelalter- und neuerer Münzen dem 
Königlichen Münzkabinet schenkte. Unter 
den erworbenen Mittelaltermünzen befinden 
sich eine Anzahl Hersfelder Brakteaten aus 
dem Funde von LICHTENBERG und eine Aus- 
wahl mecklenburgischer und pommerscher 
Brakteaten aus dem Funde von HEHLINGEN 
bei Vorsfelde. 

Von Seiner Majestät dem Kaiser und 
König wurde eine allegorische Silbermedaille 
dem Münzkabinet zur Aufbewahrung Aller- 
höchst überwiesen. 

Geschenke erhielt die Sammlung von den 
Herren Regierungsrat Friedensburg, W. 
Hahlo in Wien, Dr. Freiherr Hiller von 
Gärtringen, Professor Dr. Mommsen, 
James Simon (das oben erwähnte Geschenk) 
und Adolf Weyl (49 arabische Münzen, 
unsere Sammlung in erwünschter Weise ver- 
vollständigend, 16 Silber- und 33 Kupfer- 
münzen). 

V. SALLET 



E. KUPFERSTIGHKABINET 

Von den im verflossenen Quartal gemach- 
ten Erwerbungen sind die folgenden hervor- 
zuheben : 

A. KUPFERSTICHE 

MEISTER E. S. Christus in ganzer Figur nach 
rechts schreitend und seine Wundmale 



zeigend. Im Hintergrund die Marter- 
werkzeuge. Unbeschrieben. 94 mm hoch, 
63 mm breit. 

DER MEISTER DES HL. ERASMUS. Der hl. Hie- 
ronymus mit dem Löwen. Die beiden 
Stiche sind eingeklebt in ein hand- 
schriftliches lateinisches Breviarium des 
XV Jahrhunderts. 

BINCK, JACOB. Madonna auf dem Halbmond 
stehend und von zwei Engeki gekrönt. 
Mit dem Monogramm bezeichnet. Un- 
beschrieben. 188 mm hoch, 129 mm breit 

HOLLAR, WENZEL. Der Totentanz nach 
Holbein. 30 Blatt. Parthey Nr. 233 — ^262. 

DERSELBE. Die Wanderer am Wasser. P.1210. 

DERSELBE. Bildnis des Prinzen Ruprecht 
von der Pfalz. P. 13 15. Vor dem Hinter- 
grund. 

DERSELBE. Deckel eines Gefäfses. P. 2626. 

SINTZENICH, H. Bildnis des Freiherm Carl 
August von Hardenberg. 1802. Nach 
H. Schröder. Schabkunstblatt. 

FREIDHOFF, J. J. Bacchanten. 1789. Nach 
J. J. Langenhöffel. Farbiges Schabkunst- 
blatt. 

LEIDEN, LUCAS VAN. Die Schaffung der Eva. 
B.i. 

GOUDT, HEINRICH. Der kleine Tobias. An- 
dresen i. 

DERSELBE. Der grofse Tobias. A. 2. 

DERSELBE. Die Flucht nach Ägypten. A. 3. 

DERSELBE. Die Enthauptung des Johannes. 
A.4. 

DERSELBE. Ceres bei der alten Metanira. A. 5. 

DERSELBE. Jupiter und Merkur bei Philemon 
und Baucis. A. 6. 

DERSELBE. Die Morgenröte. A. 7. 

WARD, WILLIAM. Alinda. Farbiger Kupferstich. 

B. HOLZSCHNITTE 

ALTDORFER, ALBRECHT. Das Opfer Abrahams. 

B.41. 
JACKSON, J. B. Römische Landschaft mit 

Ruinen. Farbenholzschnitt in mehreren 

Platten. 



C. BÜCHER MIT STICHEN UND RADIERUNGEN 

Zelis au bain. Poeme. En quatre Chants. 
Geneve. Les Trois Freres et Combabus. 
Floricourt. Amsterdam. 1768. Mit Sti- 
chen nach Charles Eisen. 



/^ 



XXXI 



KÖNIGLICHE MDSEEN 



XXXII 



Les Baisers, Precedes du Mois de Mai. Poeme. 
Haag. 1770. Mit Stichen nach Charles Eisen. 



Am 24. Januar wurde die im Oberlichtsaal 
des Kupferstichkabinets befindliche Ausstellung 
von Farbendrucken des XVII und XVIII Jahr- 
hunderts aufgelöst und an deren Stelle eine 
Ausstellung der Hauptwerke der Holzschneide- 
kunst der älteren Perioden eröffnet. Diese Aus- 
stellung besteht aus Einzelblättern des Holz- 
schnitts deutscher, italienischer und nieder- 
ländischer Meister und aus einer Reihe der 
wichtigsten mit Holzschnitten illustrierten 
Bücher vornehmlich des XV und XVI Jahr- 
hunderts aus der mit dem Kupferstichkabinet 
verbundenen Sammlung von Büchern mit 
künstlerischer Ausstattung. 

LIPPMANN 



F. ÄGYPTISCHE ABTEILUNG 

Der hauptsächlichste Zuwachs dieses Quar- 
tals besteht in einer gröfseren Anzahl später 
Papyrus (2 demotische, 185 griechische, 45 
koptische, i persischer und 134 arabische); 
dass wir diese Sammlung, die, wie sich schon 
jetzt sehen lässt, eine Anzahl interessanter 
Urkunden enthält, unseren ähnlichen älteren 
Beständen zuführen konnten, verdanken wir 
einem Geschenke des Herrn Rudolf Mosse. 

Des Weiteren erhielt die Abteilung zum 
Geschenk: von Herrn Kanzler Wilhelm in 
Kairo die dekorative Sandsteinfigur eines 
Sperbers; von Herrn Dr. Set he drei kleine 
ägyptische Altertümer. 

Erworben wurden u. A.: eine Auswahl 
ägyptischer Mumienetiketts (dabei ein sicher 
christliches); die Form zu einem goldenen 
Amulett, etwa aus dem neuen Reich; ein 
Paar Pantoffeln aus griechischer Zeit aus 
vergoldetem Leder mit eingepressten Orna- 
menten von gutem Stil; ein Siegelcylinder 
und ein Skarabäus aus Syrien, beide von 
einheimischer Arbeit. 

ERMAN 



G. MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE 

I. ETHNOLOGISCHE ABTEILUNG 

Durch die altbewährte Gönnerschaft des 
Herrn Dr. Ja gor sind der früherhin von ihm 
der indischen Abteilung zugewandten Muster- 
sammlung wertvolle neue Erwerbungen, von 
seiner letzten Reise in Süd- und Ostasien 
stammend, hinzugetreten. 

Auch Herr Dr. Ehren reich hat der 
Sammlung Geschenke aus diesen Gegenden 
gütigst Überwiesen. 

Ferner sind durch die Vermittelung des 
Herrn Geheimrat Dr. Virchow die der 
Anthropologischen Gesellschaft vorgelegten 
Erfolge des Herrn Dr. Troll (in Wien) aus 
seinen Reisen in die Mongolei und Turkestan 
dem ethnologischen Museum als willkommene 
Bereicherung zugeführt worden. 

Aus Afrika wird eine wertvolle Schenkung 
aus dem Congo-Gebiet Herrn Dr. H. Meyer 
(in Leipzig) verdankt, und gütige Zuwen- 
dungen sind überreicht durch Herrn Grafen 
Schweinitz, Sanitätsrat Dr. Bartels, 
Herrn Major von Alten, Herrn Grade 
(aus dem Togo - Gebiet) , Herrn Dr. Rein- 
hardt und die Deutsche Kolonial- 
Gesellschaft. 

Aus Neu-Seeland hat Sir Walter Bull er 
das Museum durch Geschenke begünstigt 
und andere sind eingegangen durch Herrn 
Baron von Müller aus Australien, Herrn 
und Frau Professor Martin sowie Herrn 
Dr. Stapf (aus Samoa). 

BASTIAN 



IL VORGESCHICHTLICHE ALTERTÜMER 

PROVINZ BRANDENBÜRG. 

Geschenke. Herr Landrat von Meyer 
in Arnswalde: ThongefUfsscherben, Schädel 
und Skeletreste von Arnswalde, zu den schon 
früher geschenkten römischen Funden gehörig. 
Herr Steinmetz und Bildhauer O. Seeler in 
Fürstenberg a/0. : Gefäfsscherben von Schön- 
fliefs, Kr. Guben. Herr von Bredow auf 
Landin : Thonscherben von Landin und Has- 
selhorst, Kr. Westhavelland. Oberrealschüler 
Dietrich in Berlin: Thonscherben, eine 

iir 



V 



XXXIII 



AMTLICHE BERICHTE 



XXXIV 



eiserne Axt, Hirschhorn - Gerät u. A. von 
Ketzin, Kr. Osthavelland. Herr Zeichenlehrer 
H. Ludwig in Berlin: Zwei gröfsere Bruch- 
stücke von wendischen Thongefäfsen von Lin- 
dow, Kr. Ruppin, und einen Schleuderstein 
mit zwei centralen Dellen und Rille um den 
Aufsenrand von Lichterfelde, Kr. Teltow. 
Herr Professor Eug. Bracht in Berlin: 
Thonscherben aus Hügelgräbern bei Lüsse, 
Kr. Zauch-Belzig, und mittelalterliche Scher- 
ben von Beizig. 

A n k ä u f e. Eine grofse Anzahl von Urnen, 
Beigefilfsen und Beigaben aus dem Gräber- 
felde von Schönfliefs, Kr. Guben. Neun Urnen 
von Dergischow, Kr. Teltow. 

Ausgrabung im Auftrage der Gene- 
ral-Verwaltung. Knochenkamm, eisernes 
Messer, Thonscherben etc. aus römischen 
Skeletgräbern bei Arnswalde. 

PROVINZ WESTPREUSSEN. 

A n k ä u f e. Gipsabguss einer Steinskulptur, 
eine menschliche Figur mit Trinkhorn und 
Dolch darstellend, von Christburg. Bronze- 
Schläfenringe, Perlen u. A. vom Lorenzberge 
bei Kaldus, Kr. Kulm. 

PROVINZ POMMERN. 

Geschenk. Herr Dr. Rud. Schulze in 
Berlin: Elf Feuerstein - GerJlte von Quoltitz 
und Nipmerow auf Rügen. 

Ankäufe. Ein kleiner hammerförmiger 
Wetzstein von Garz auf Rügen. Ein bohrer- 
artiges Werkzeug, ein kleiner Meifsel und 
zwei Flachcelte aus Bronze von Ferdinands- 
hof, Kr. Ockermünde. 

PROVINZ POSEN. 

Ankäufe. Ein kleines poliertes Feuer- 
steinbeil und zwei Steinhämmer von Heyers- 
dorf, Kr. Fraustadt. Sieben Thongefäfse und 
ein Eisenring von Bismarcksdorf (Karsy), 
Kr. Pleschen. 

PROVINZ SCHLESIEN. 

Geschenke. Herr Oberamtmann An- 
dreae in M.-Herwigsdorf: Thongefäfse von 
Lessendorf, Kr. Freystadt. Herr Pastor Wi t k e 
in Koeben: Thongeföfsscherben und ein 
Bruchstück einer Bronze-Fibel von Koeben, 
Kr. Steinau. Die Königl. Eisenbahn- 
Direktion Berlin: Sechzehn Thongefäfse 
von Neuhof, Kr. Liegnitz. Herr Lehrer 
Fuchs in Hohwelze: Dreizehn Thongefäfse 
von Hohwelze, Kr. Grünberg, 



Ankauf. Grofse Urne und Scherben von 
Herrnstadt, Kr. Guhrau. 

PROVINZ SACHSEN. 

Geschenke: Herr Gutsbesitzer A. Va s e 1 
in Beierstedt: Eine Photographie von Haus- 
urnen mit Gesichtern, gefunden bei Eilsdorf, 
Kr. Oschersleben. Das Königl. Eisenbahn- 
Betriebsamt Erfurt: Urnen und Scherben 
von Freiburg a. U., Kr. Querfurt Herr Re- 
gierungs- und Medizinal - Rat Pippow in 
Erfurt: Einige Thoncylinder von Erdebom, 
Mansfelder Seekreis. Herr Dr. Rud. Schulze 
in Berlin: Vier spätneolithische Thongefäfse 
von Aschersleben oder Egeln. 

Ankäufe. 45 Thongefäfse von Paufsnitz, 
Kr. Torgau. Drei kleine Steinbeile aus den 
Kreisen Stendal und Naumburg. Ein Bronze- 
Gelt von Crumpa, Kr. Querfurt. 

RHEINPROVINZ. 

Ankauf. Vier fränkische Gräberfunde von 
Nettersheim, Kr. Schieiden. 

PROVINZ HANNOVER. 

Ankauf. Kleine Feuerstein -Messer von 
Sögel, Kr. Hümmling. 

PROVINZ SCHLESWIG -HOLSTEIN. 

Ankauf. Feuerstein -Geräte aus einem 
Hügel bei Djernis, Kr. Hadersleben. 

MECKLENBURG - SCHWERIN. 

Ankauf. Zwei grofse Arm - Doppel- 
spiralen. 

KÖNIGREICH SACHSEN. 

Ankauf. Drei Steinbeile von Leipzig, 
Möckern und Pirna. 

THÜRINGEN. 

Geschenk. Herr Gymnasialdirektor 
Dr. W. Schwartz in Moabit : Einen facet- 
tierten Steinhammer von Ruhla in Sachsen- 
Weimar. 

Ankäufe. Ein Bronze-Celt und 70 Stein- 
Geräte aus Thüringen. 8 Stein-Beile, bezw. 
Bruchstücke und Thonscherben von Sonnen- 
dorf in Sachsen -Weimar. 

GROSSHERZOGTUM HESSEN. 

Geschenk. Herr Banquier AI. Meyer 
Cohn in Berlin: Fünf römische Glasgefäfse 
von Mainz. 



XXXV 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



XXXVI 



GROSSHERZOGTÜM BADEN. 

Geschenk. Herr Wendelin Knecht 
in Bodman: Einige Feuerstein - Pfeilspitzen 
von Bodman am Bodensee. 

Ankauf. Zwei Kollektionen von Pfahl- 
baufunden von Sipplingen und Bodman. 

KÖNIGREICH WÜRTTEMBERG. 

Geschenk. Herr Oberförster Frank in 
Schussenried : Zwei Photographien von Bron- 
zen aus dem Torfmoor Lissen bei Schussen- 
ried. 

Austausch mit dem Historischen Verein 
für Württembergisch -Franken in Schwäb.- 
Hall: Eisenwaffen und Bronze- Beschläge aus 
dem fränkischen Gräberfelde von Crailsheim. 

RUSSLAND. 

Geschenk. Herr Sanitätsrat Dr. M. Bar- 
tels in Berlin: Schneideteil eines gut po- 
lierten Achat- Beiles von Kowalowka bei 
Nemirow, Podolien. 

Austausch. Herr Erazm von Ma- 
jewski in Warschau: Feuerstein-Geräte von 
verschiedenen Fundorten im Gouvernement 
Kielce in Polen. 

ÖSTERREICH - UNGARN. 

Ankäufe. Eine Kollektion von Thon- 
gefäfs-Bruchstücken von Pohrlitz in Mähren. 
Einige Steingeräte, eine Bronze -Fibel u. A. 
von Türmitz und Umgegend, Böhmen. 

DÄNEMARK. 

Austausch mit dem Historischen Mu- 
seum der Universität Lund: Kupfercelt, zwei 
Hohlcelte, zwei Messer, Nadeln, Knopf, Pfeil- 
spitze, Punzen u. A. von Bronze. 

Ankauf. Ein poliertes Feuerstein -Beil 
von Bornholm. 

SCHWEDKN. 

Austausch mit dem Historischen Mu- 
seum der Universität Lund : Ein Steinhammer 
aus Schonen und eine Bronze-Fibel in Form 
eines Thierkopfes von Burs auf Goüand. 

VOSS 



H. KUNSTGEWERBE-MUSEUM 
I. SAMMLUNG 

Neuerwerbungen 

1. ZWEI FLIESENFELDER, Fayence aus Kai- 
ruan. XVII— XVIII Jahrh. 

2. SEIDENTEPPICH mit Rankenwerk und 
Tierfiguren. Persien , XVI Jahrh. 

3. PORZELLANE von Meifsen, Wien, Fran- 
kenthal, Nymphenburg, Sevres. 

4. SCHRANK, Nussholz, geschnitzt. Paris 
um 1710. 

5. SCHRANK, Eichenholz geschnitzt. Paris 
. um 1760. 

6. LEHNSTUHL, Mahagoni. Frankreich um 
1790. 

7. FÜLLUNG , Eichenholz geschnitzt mit den 
allegorischen Figuren der Künste. Paris 
um 1760. 

8. RAHMEN, CONSOLTISCHE, FÜLLUNGEN, 
Holz geschnitzt. Frankreich, XVIII Jahrh. 

9. ZWÖLF HOLZPLATTEN bemalt mit figür- 
lichen Darstellungen von einer Voute. 
Nord -Italien, XV Jahrh. 

10. TOILETTENSPIEGEL, Kupfer getrieben 
und vergoldet. Spanien , XVI Jahrh. 

11. KUNSTTÖPFEREIEN aus Japan. 

Geschenke 

Herr Lutsch in Breslau: Filetdecke und 

zwei Borten. 
Herr R. Horstmann: Schöpfkelle, Silber. 

Angefertigt in der Gorham Mfg. Co. in 

New York. 
Herr Moritz Busse: Zwei BaumwoUen- 

shawls und moderne Spitzen. 
Herr Hermann Gerson: Vier bedruckte 

englische Sammet- und Baumwollenstoffe. 
HerrenGebhardt& Rössel: Vier bedruckte 

englische Sammet- und Baumwollenstoffe. 
Herr H. Hirschwald: Sieben Sammet-, 

Seiden- und Baumwollen -Stoffe. 
Herr Huldschinsky: Thürschloss mit 

Schlüssel. Deutschland, XVIIl Jahrh. 
Herr Henri Stettiner in Paris: Porzellan- 
Teller mit durchbrochenem Rand. Meifsen, 

XVIII Jahrh. 



XXXVII 



AMTLICHE BERICHTE 



XXXVIII 



Leihgaben 

HerrGrafvonSeckendorff: Porphyrschale 
in Bronze gefasst. Frankreich um 1740. 

Arbeiten neuerer Industrie 

Frau BERGER: Tischdecke, Seidenstickerei 

auf grünem Atlas. 
Herren SCHULZ & HOLDEFLEISS : Kaminthür, 

Aluminium - Bronze. 
Herr HUGO SCHAPER: Schmuckgegenstände. 
MAYERSCHE HOFKUNST ANSTALT in München: 
Glasgemälde, darstellend den Besuch 
König Eduard IV und seines Hofes — 
1477 — i^ ^^r Druckerei von William 
Caxton. Für das Gildehaus der Buch- 
händler Londons. 
Herr Premier- Lieutenant VON DYCKE: 24 
Füllungen und eine zweiflügelige Thür, 
Mahagoni mit japanischer Lackbemalung. 
Lackmalerei von SHO- RITSU- SAI in Tokio. 
Herr Ciseleur RASMUSSEN: Silberschale in 
Relief getrieben. 

Im Anschluss an einen Fachabend für 
Elfenbein-Arbeiten hatte der Verein für 
deutsches Kunstgewerbe in Berlin vom 26. Ja- 
nuar bis 8. Februar eine Ausstellung moderner 
Elfenbein - Arbeiten veranstaltet. Vertreten 
waren die Werkstätten und Lager von ROSEN- 
STIEL, EBELL, LINCKE, SCHULZ und R.WAGNER 
in Berlin und E. PENDL in Wien. 

Hinzugefügt waren Gipsabgüsse und Photo- 
graphien älterer Arbeiten. 



LVII SONDERAUSSTELLUNG 
vom 19. Februar bis April 1894. 

a) Neuerwerbungen vom Jahre 1893. 

b) Ankäufe 
kunstgewerblicher Erzeugnisse, angekauft im 
Auftrage der Königlichen Staatsregierung auf 
der Weltausstellung in Chicago 1893. 

Sie umfassen als wichtigste Gruppen: 
Möbel, elektrische Beleuchtungskörper, far- 
biges Glas ; als kleinere Gruppen: Silber, Email, 
Tapeten, Werkzeuge, zusammen 281 Stück. 
Ein gröfseres farbiges Glasfenster, welches 
nach den Abmessungen des Gebäudes bestellt 
ist, steht noch aus. 



Zu den Erwerbungen des Museums sind 
leihweise Stücke aus dem Besitz der Herren 
Geheimen Legationsrath von Mohl, H. Hirsch- 
wald (Kaufhaus Hohenzollern), und Kapitain 
Mensing gekommen. 

Die Beleuchtungskörper, vorwiegend für 
elektrisches Licht, einige für Gas, sind durch 
gütiges Eintreten von Herrn Arnold von Sie- 
mens vollständig hergerichtet und an die Lei- 
tung angeschlossen, so dass sie an zwei Abenden 
der Woche in vollem Betrieb vorgeführt werden 
konnten. 

Diese Gruppe ist erweitert durch: 

eine Ampel für elektrisches Licht aus 
Glasprismen ftlr I. M. die Kaiserin 
Friedrich von Osterloff in Berlin her- 
gestellt. 
Kronen, Sterne und Lampen für elek- 
trisches Licht aus dem Besitz des 
Herrn Arnold von Siemens z. Th. 
in eigener Arbeit hergestellt, z. Th. 
englischer und amerikanischer Her- 
kunft. 

LESSING 



IL UNTERRICHTS- ANSTALT 
Schuljahr 1893/94. 

Das Wintersemester wurde am 2. Oktober 
1893 begonnen und am 21. März 1894 ge- 
schlossen. 

Die Zahl der Schüler betrug: 





Tagess 

Voll- 
schüler 


chüler 

Ho- 
spitanten 


Abend- 
schuler 


Zu- 

sammen 


Schüler . . . 


114 


3 


252 


369 


Schülerinnen 


26 


6 


46 


78 


Summa . . 


140 


9 


298 


447 


von denen 
wurden. 


insgesamt 912 Plätze belegt 






E. E^ 


IVALD 



XXXIX 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



XL 




II. NATIONAL-GALERIE 

Erwerbungen im i . Vierteljahre 1894. 

A. ÖLGEMÄLDE 
KEIL, (f ) Bildnis des Bildhauers Bläser. 

B. HANDZEICHNUNGEN 

P. SCHOBELT. (+) 

1. Studien zu dem Gemälde »Venus und 
Bellona« : 

Männlicher Kopf mit Epheukranz. öl. 
Weiblicher Kopf. Blei. 

2. Venus und Bellona. Aquarelle. 

3. Studien zu den Malereien im Festsaale 
des Kultusministeriums: 

Entwurf zum Mittelbilde. Blei. 
Nach rückwärts gebeugte Frauengestalt 

Blei und Wasserfarbe. 
Blasender Putto. Blei. 
Weiblicher Kopf. Kreide, weifs gehöht. 
Im Hades. \ u kf h 

Schmiede des Vulkan. / 
Sitzende weibliche Gestalt mit Buch 

auf den Knieen. Kreide, weifs gehöht. 
Männlicher Akt mit Schale in der Hand. 

Kreide. 

Gesamtaufwand 1 200 Mark. 



In der Zeit vom 4. Februar bis 11. März 
d. J. fand im 2. Corneliussaale eine Ausstellung 
von Aquarellen aus dem Besitze der Galerie 
statt. Ausgelegt war insbesondere ein grofser 
Teil der von dem verstorbenen Dr. THEODOR 
WAGENER der Königlichen Sammlung ver- 
machten Blätter. 

JORDAN 



BRESLAU 

SCHLESISCHES MUSEUM DER 
BILDENDEN KÜNSTE 

Seit dem letzten Bericht wurden folgende 
Erwerbungen gemacht: 

A. SKULPTUREN 

A. VOLKMANN. Jugendlicher Bacchus. Marmor. 
FR. STUCK. Athlet. Bronzestatuette. 

B. GEMÄLDE 

K. MARR. Die Fahrt zur Kommunion. Öl- 
gemälde. Geschenk des Herrn Dr. Fr. 
Promnitz. 

R. VON VOIGTLÄNDER. Ludwig Pietsch am 
Schreibtisch. Ölgemälde. Geschenk des 
Herrn H. von Korn. 

C. GRAPHISCHES 

An Kupferstichen, Radierungen und Litho- 
graphien wurden 48 Blatt erworben , darunter 
solche von THOMA, STAUFFER-BERN, STEIN- 
HAUSEN, DASIO, LUNOIS, HELLEN. 

D. KUNSTHISTORISCHER APPARAT 

An photographischen und anderen Nach- 
bildungen wurden 553 Blatt, an Büchern 
(bezw. Mappen) 270 Bände erworben. 



Im vergangenen Sommer nahm Professor 
H. PRELL die Ausmalung al fresco der Wände 
des Kuppelraumes in Angriff und vollendete 
die drei Fresken der Ostwand mit den Dar- 
stellungen aus der Welt der Antike. 

JANITSCH 



Berlin f gedruckt in der Reichsdruckerei. 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE VON E. DOBBERT I25 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 
DIE WANDGEMÄLDE IN S. ANGELO IN FORMIS 

VON E. DOBBERT 

Der Einfluss der byzantinischen Kunst auf die abendländische Kunst des Mittel- 
alters wird neuerdings im allgemeinen für geringer erachtet, als es noch vor wenigen 
Jahrzehnten der Fall war. Bereits im Jahre 1871 hatte Schnaase^) in seiner tief ein- 
dringenden Weise das Mafs dieses Einflusses festzustellen versucht und war zum 
Ergebnis gekommen, dass derselbe nirgends in einer völligen Unterwerfung besteht, 
dass er überall nur als ein Hülfsmittel benutzt wird, welches dem einheimischen 
Geiste dient und ihm eigene Arbeit erspart, dass er sich niemals auf das ganze Kunst- 
gebiet, sondern immer nur auf einzelne Zweige erstreckt und verschwindet, sobald 
die einheimische Kunst so weit gereift ist, um jene Hülfe zu entbehren. Sodann 
hat Anton Springer für die frühmittelalterliche Kunst des Abendlandes eine nahezu 
vollständige Unabhängigkeit von byzantinischen Vorbildern in Anspruch genommen, 
und es ist ihm gelungen, wenigstens in betreff der Miniaturmalerei im grofsen und 
ganzen die Selbständigkeit der karolingisch - ottonischen Kunst zu erweisen. Nur 
darf man sich diese Selbständigkeit nicht als eine unbedingte vorstellen, stöfst man 
doch wiederholt auf abendländische Denkmäler, die diesen oder jenen Zug der 
byzantinischen Kunst entnommen haben, wie denn auch Springer anerkennt, dass 
einzelne Wechselwirkungen nicht ausgeschlossen seien, welche von Fall zu Fall ge- 
prüft werden müssten.') Vor einigen Jahren habe ich einen bald stärkeren bald 
schwächeren Einfluss der byzantinischen Kunst in einer Anzahl diesseits der Alpen 
entstandener Kunstwerke nachzuweisen versucht.') Neuerdings hat Frey,*) mit dessen 
Auffassung der süditalischen Kunst und insbesondere der Wandgemälde in S. An- 
gelo in Formis die meinige vielfach übereinstimmt, wieder eine Herrschaft der byzan- 
tinischen Kunst auch diesseits der Alpen behauptet. Wie er seinen Ausspruch, es 
gebe keine selbständige lateinisch -indigene Richtung in der (frühmittelalterlichen) 
Malerei weder in Italien noch in Deutschland, erweisen will, ist mir unerfindlich. 



\) »Die byzantinische Frage« in dessen Gesch. d. bild. Künste 2. Aufl. Bd. IV, S.jiSf. 
Ähnlich schon in der i.Aufl. 1854.8.565^ 

') Springer, »Die byzantinische Kunst und ihr Einfluss im Abendlande« in dessen 
Bildern aus der neueren Kunstgeschichte 2. Aufl. 1886, I, 102. 

'j Göttingische gelehrte Anzeigen 1890 No. 22, S. 869 — 870; 876 — 885. 

*j K.Frey, Ursprung und Wesen westeuropäischer Kunst im Mittelalter. Deutsches 
Wochenblatt, herausg. von O. Arendt in Berlin. VI. Jahrg. 1893, No. 41,42. 



1 2t) ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



Muss schon dem nördlichen und mittleren Italien in betreff der »byzantinischen 
Fragea eine andere Stellung eingeräumt werden als den Ländern diesseits der Alpen, 
insofern, den politischen Zuständen entsprechend, in Ravenna und Venedig ost- 
römische Kunstthätigkeit eine bedeutende Stätte fand ^) und auch die römische Kunst 
wiederholt byzantinische Elemente aufweist,^) so wäre es geradezu erstaunlich, wenn 
in Süditalien die Malerei nicht in eine starke Abhängigkeit von der byzantinischen 
Kunst geraten wäre, war doch ein grofser Teil des Landes während mehrerer Jahr- 
hunderte durch Religion, Verwaltung, Sprache*) mit dem oströmischen Reiche ver- 
bunden, fitlchteten doch in der Zeit des Bilderstreites zahlreiche Anhänger des 
Bilderdienstes hierher, kennt man doch die Namen von 97 in jener Zeit in Ca- 
labrien begründeten Klöstern vom Orden des h. Basilius. Mit diesen Klöstern waren 
zum Teil blühende Schulen verbunden. Das Kloster des h. Nicolaus in der Nähe 
von Otranto, das bis gegen das Ende des XV Jahrhunderts bestand, besafs eine 
der reichsten Sammlungen griechischer Handschriften im Abendlande und war für 
die ganze Gegend von Otranto ein Herd der Bildung und der klassischen Studien. 
Im IX und X Jahrhundert waren durch die Kaiser Basilius I, Leo VI und Nike- 
phoros Phokas zahlreiche Kolonien aus dem Peloponnes in diese Gegend verpflanzt 
worden und noch gegenwärtig giebt es in Apulien und Calabrien Ortschaften mit 
griechischer und griechisch redender Bevölkerung, so eine aus neun Dörfern und 
Städtchen bestehende Kolonie mit 15000 griechischen Einwohnern bei Otranto und 
eine andere, die gegen 5000 Seelen umfasst, bei dem Städtchen Bova. Auch ist es 
nachgewiesen, dass vor einigen hundert Jahren in diesen Gegenden das Griechische 
in einem noch weit gröfseren Umfange gesprochen wurde als heute.*) Auch in 
einigen Dörfern der Provinz Lecce wird noch gegenwärtig ein Dialekt geredet, in 
welchem sich neben albanesischen griechische Elemente finden, und die Umgegend 
von Santa Severina in Calabrien wird noch heute von den Bewohnern »la Grecia« 
genannt.*) 



*) Auch in Friaul finden sich griechische Kunstelemente. Vergl. Eitelberger i. d. Mitth. 
der Wiener Central -Gomiss. IV, 334. 

') Diese byzantinischen Kunstelertiente erklären sich leicht, wenn man dessen gedenkt, 
dass sich zur Zeit des Bilderstreites griechische Mönche hierher geflüchtet hatten und ihnen 
Klöster eingeräumt worden waren, dass dicht bei Rom in Grotta Ferrata durch Nilus aus 
Calabrien i. J. 1004 eine Kolonie griechischer Mönche begründet wurde. In Grotta Ferrata 
sieht man denn auch rein byzantinische Mosaikdarstellungen des thronenden Christus 
zwischen Maria und Johannes dem Täufer, wahrscheinlich aus dem Anfange des XI Jahr- 
hunderts, und der Ausgiefsung des heiligen Geistes, wahrscheinlich aus der ersten Hälfte 
des XII Jahrhunderts. (Von Frothingham i. d. Gazette arch. 1883 pl. LVII — VIII veröffent- 
licht. Text S. 348 f.) In Rom gab es vom VII bis X Jahrhundert eine ständige griechische 
Kolonie mit eigenen Kirchen, Klöstern, Priestern, Mönchen, KtJnstlern u. s.w. (Batifoll, 
Librairies byz. a Rome i. d. Melanges d'arch. et d'hist. VIII, 1888,297—308.) 

') Nachdem die griechische Sprache etwa seit dem VII Jahrhundert sich in Süditalien 
wieder auszubreiten begonnen, kam sie im X Jahrhundert als offizielle Sprache der Re- 
gierungserlasse besonders in Calabrien wieder in Gebrauch. Pawlowski, SKBBOiracb Ilajia- 
THHCKOH Kane^jiu b-b üajiepüio (Die Malereien der Capeila Palalina in Palermo) St. Peters- 
burg 1890, S. 2. 

*) Vergl. Bayet, L'art byz. 293. — Diehl, Peintures Byzantines de 1' Italic meridionale 
im Bulletin de Corresp. hellenique XII (1883) 441 f. — Krumbacher, Griechen im heutigen 
Italien i. d. MUnchener Neuesten Nachrichten 1891, No. 73. 

*) Diehl, Melanges d*arch. et d'hist. X (1890) 300. 



VON E. DOBBERT I27 



Über einen Zusammenhang zwischen der Kunst in Süditalien und derjenigen in 
Byzanz giebt es allerdings nur vereinzelte, aber wertvolle Nachrichten aus mehreren 
Jahrhunderten. So erfährt man aus den Acta Sanctorum, dass der Bischof von Si- 
ponto, ein Verwandter des Kaisers Zeno (474 — 491), sich Künstler aus Konstantinopel 
kommen liefs.*) Dass gegen Ende des VIII Jahrhunderts der Fürst von Benevent 
Arighis eine Sophienkirche nach dem Muster derjenigen Justinians erbauen liefs, ist 
quelletischriftlich bezeugt.^) In der zweiten Hölfte des XI Jahrhunderts bestellten 
mehrere Mitglieder der reichen Familie der Pantaleonen zu Amalfi eherne Thüren mit 
eingegrabenen und mit Silber oder farbigen Stoffen ausgefüllten Darstellungen teils 
ornamentalen, teils figürlichen Charakters in Konstantinopel und schenkten sie dem 
Dom von Amalfi, der Paulskirche bei Rom, der Wallfahrtskirche zu Monte S. Angelo 
auf dem Berge Gargano und der Kirche S. Salvatore zu Atrani, wie ja auch der Abt 
Desiderius eine solche Thür für die Kirche seines Klosters Monte Cassino und Robert 
Guiscard eine für den Dom zu Salerno in Konstantinopel anfertigen liefsen.^) 

Im Hinblick auf die hier zu besprechenden Wandmalereien in S. Angelo in 
Formis sind aber vor allem die Nachrichten über die Kunstpflege ihres Stifters, des 
Abtes Desiderius von Monte Cassino, von Bedeutung. Nachdem er die bereits er- 
wähnte Erzthür nach dem Muster der von ihm im Jahre 1062 zu Amalfi bewunderten 
in Konstantinopel bestellt hatte,*) liefs er für die Ausstattung der von ihm in Monte 
Cassino 1066 — 1071 errichteten Basilika mit Mosaiken und Fufsbodenbelag Künstler 
aus Konstantinopel und Alexandrien komnrien.*) Dass die griechischen Meister nun 
auch Kunstunterricht im Kloster zu erteilen hatten, geht doch wohl aus den unmittel- 
bar auf die Stelle über die Berufung derselben folgenden Worten der Chronik des 



*) E. Müntz, ]£tudes sur Thist. de la peinture et de l'iconographie ehret. Paris 1882, 
p. 41. Die Hand eines Architekten aus dem Osten des Reiches ist de Rossi geneigt an der 
aus dem Anfang des V Jahrhunderts stammenden Apsis der Basilica Severiana in Neapel zu 
vermuten. BuUett. d. a. er. 1880 p. 144. Holtzinger, Die Basilika des Paulinus von Nola in 
d. Zeitschr. f. b. Kunst XX. 138. 

*) Translatio sancti Mercurii i. d. Scriptores rerum Langob. et Italic, ed. Waitz 
p. 576, 577: Arechis igitur princeps illustris, perfecta jani sancte Sophie basilica, quam ad 
exemplar illius condidit Justiniane . « . Siehe auch Bayet, a. a. O. 299. 

*) Abbild, der Thüren in Süditalien bei Schulz, Denkm. d. Kunst des Mittelall. in Unter- 
italien, der Thür von S. Paolo bei Nicolai, Della Basilica di S. Paolo Rom 1815 Tav. 11 — 17. 

*) Leonis Marsicani et Petri Diaconi chronica monasterii Casinensis, ed. Wattenbach 
in den Monum. Germ. Script. VII, 71 1. 

B) In der nur in französischer Übersetzung auf uns gekommenen Geschichte der Nor- 
mannen von Amatus, welcher in der Zeit des Abtes Desiderius Mönch von Monte Cassino 
war, heifst es : ... Et pour ce qu'il non trova in Ytalie homes de cest art, manda en Costen- 
tinnoble et en Alixandre pour homes grex et Sarrazins, liquel pour aorner lo pavement de 
lo eglize de marmoire entaillie et diverses paintures, laquelle nous clamons opere de mosy, 
ovre de pierre de diverses colors. L'Ystoire de li Normant et la Chronique de Robert Viscart, 
par Aime, moine de Mont-Cassin, publiees pour la premiere fois d'apres un manuscrit fran- 
^ois inedit du XIII siecle . . . par Champollion - Figeac , Paris 1835 p. 105. Vergl. die ent- 
sprechende, nur Alexandrien und die sarazenischen Künstler fortlassende Stelle bei Leo von 
Ostia (a.a.O. 718), der hier wie auch an anderen Stellen seiner Chronik Amatus benutzt hat, 
und das Gedicht des Erzbischofs Alfanus von Salerno, eines Freundes des Desiderius: De 
situ constructione et renovatione coenobii Casinensis, wo berichtet wird, thracischen (d. h. 
byzantinischen) Künstlern werde die Mosaikarbeit übertragen, in der sie ausgezeichnet seien, 
Schulz a.a.O. II, S. 117 Anm. i. 

■7* 



1 28 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



Leo von Ostia hervor, der Abt habe sich befleifsigt, viele junge Leute des Klosters 
in diesen Künsten (in der ars musaria et quadrataria) unterrichten zu lassen.^) Der 
Unterricht beschränkte sich übrigens nicht auf die musivische Kunst und die Fertigung 
steinerner Fufsböden, sondern Desiderius liefs in seinem Kloster Künstler für alle 
Werke ausbilden, die aus Gold, Silber, Erz, Eisen, Glas, Elfenbein, Holz, Gips oder 
Stein gefertigt werden können.*) Er begründete also in seinem Kloster das, was wir 
heute etwa eine Kunstgewerbeschule nennen würden. Der Malerei wird dabei nicht 
erwähnt. Diese Kunst wurde im Mittelalter in den Werkstätten der Maler selbst oder 
bei der Ausführung der Wandgemälde in den Kirchen und Klöstern gelehrt und 
gelernt. 

Von einer Berufung byzantinischer Wandmaler ist bei Leo von Ostia nicht die 
Rede, was aber selbstverständlich die Möglichkeit einer solchen Berufung nicht aus- 
schliefst und es keineswegs unwahrscheinlich macht, dass sich Desiderius, wie auch 
Kraus (Jahrb. XIV, S. 98) anerkennt, für die Wandmalerei unter anderen auch solcher 
Meister bediente, »welche die byzantinische Schule in Konstantinopel oder anderwärts 
durchgemacht«. Für die Verwendung griechischer Wandmaler, mochten sie nun in 
Süditalien selbst geboren sein oder aus Konstantinopel oder vielleicht aus Sizilien, 
dessen Kultur ja zum grofsen Teil griechisch war, stammen, scheint auch die That- 
sache zu sprechen, dass Desiderius griechische Kunstfertigkeit für eine andere Gattung 
der Malerei, die Tafelmalerei, in Anspruch nahm. Als er einen Altar mittelst einer 
mit Gemmen und Email reich zu verzierenden Tafel schmücken wollte, sandte er 
einen kunstfertigen Mönch nach Konstantinopel, der dort einen Teil der plastischen 
Arbeiten selbst aus Silber fertigte, die Rundbilder aber von griechischer Hand 
malen liefs.') 



*) Die betreffende Stelle bei Leo von Ostia p. 71^ lautet: »Et quoniam artium istarum 
ingenium a quingentis et ultra iam annis magistra Latinitas intermiserat et studio hujus in- 
spirante et 'cooperante Deo nostro hoc tempore recuperare promeruit, ne sane id ultra Ita- 
liae deperiret, studuit vir totius prudentiae plerosque de monasterii pueris diligenter eisdem 
artibus erudiri.« Wiederholt ist hervorgehoben worden, dass der kirchliche Schriftsteller hier 
seine Unkenntnis der Kunstzustände Italiens im frühen Mittelalter zeige, da ja die musi- 
vische Kunst in Italien nicht ausgestorben war. Zur Rechtfertigung Leos ist Rumohr (Ital. 
Forschungen I, 287—289) geneigt, das intermiserat nicht im Sinne von »aussetzen«, sondern 
von »vernachlässigen« zu verstehen. Ich glaube, Leo hat nicht sagen wollen, dass der Be- 
trieb der musivischen Kunst 500 Jahre lang in Italien überhaupt unterlassen worden, sondern 
dass die spezifisch italienisch-abendländische Kunst (Latinitas) im Gegensatze zu der byzan- 
tinischen etwa seit der Einwanderung der Langobarden das Verständnis dieser Künste, der 
ars musaria et quadrataria, verloren habe und deshalb zur Zeit des Desiderius auch nicht 
geeignet gewesen sei, dieselben zu lehren (magistra!); deshalb habe Desiderius die von ihm 
berufenen griechischen Meister angewiesen, junge Mönche seines Klosters darin zu unter- 
richten. Vergl. auch Schulz, a.a.O. S. 119. 

•) Leo von Ostia a. a. O. : Non autem de his tantum, sed et de omnibus artificiis quae- 
cumque ex auro, argento, aere, ferro, vitro, ebore, ligno, gipso vel lapide patrari possunt, 
studiosissimos prorsus artifices de suis sibi paravit. 

') Leo von Ostia, a. a. O. p. 722, 723. E quibus (iconibus) . . . 10 . . praedictus frater 
apud Constantinopolim crosso (i. e. grosso s. crasso) argento sculpsit ac deauravit , . . . . rotun- 

das autem omnes coloribus ac figuris depingi graeca peritia fecit. Die Worte »graeca 

peritia« vermag ich nicht mit Kraus im Sinne von »in griechischer Art« zu fassen, sondern 
finde mit Frey (a. a. O. No. 42 , S. 502 *) darin ausgesprochen , dass Griechen selbst diese Bilder 
gemalt haben. 



VON E. DOBBERT I29 



Liegt es nach diesen Nachrichten über die Kunstpflege des Desiderius nahe, an 
der malerischen Ausstattung der von ihm erbauten Kirche S. Angelo in Formis eine 
Beteiligung byzantinischer Kunst anzunehmen, so führt die Betrachtung der in jener 
Epoche in Stlditalien entstandenen anderweiten Malereien zu demselben Ergebnis, 
stöfst man hier doch so oft auf byzantinischen, beziehungsweise byzantinisierenden 
Stil. Salazaros Versuch, die Unabhängigkeit der süditalischen Kunst von der byzan- 
tinischen zu erweisen, scheint mir durchaus misslungen. In eigentümlichem Gegen- 
satze stehen die immer wieder die stärksten byzantinischen Einwirkungen zeigenden 
Abbildungen seines verdienstvollen Werkes: »Studi sui monumenti dell' Italia meri- 
dionale« zu dem Texte, in welchem er diesen Einfluss aufs entschiedenste in Abrede 
stellt. ') 

Gehen wir nun an die Betrachtung der Wandmalereien in S. Angelo in Formis. 

Kraus, der durch die Publikation derselben im 14. Bande dieses Jahrbuches der 
Kunstwissenschaft einen grofsen Dienst geleistet hat, kennzeichnet (S. 97) das Welt- 
gericht an der Westwand und den Rex gloriae in der Hauptapsis dahin, dass diese 
Gemälde »wenn auch nicht in rein byzantinischer Auffassung und Formgebung ge- 
halten, so doch sehr stark byzantinisierend sind«, und vermutet, dass Desiderius die 
Herstellung dieser beiden als die vornehmste Aufgabe angesehenen Bilder der Basilika 
Künstlern übenragen habe, »welche die byzantinische Schule in Konstantinopel oder 
anderwärts durchgemacht und demnach als besonders für diese Themata befähigt er- 
achtet wurden«. Mein im Repertorium für Kunstwissenschaft XV (1892) S. 380 gethaner 
und von Kraus (S. 98) beigebrachter Ausspruch, wonach ich in den Wandmalereien 
der Kirche S. Angelo in Formis das Erzeugnis einer süditalisch -griechischen Künstler- 
schule sehe, steht bezüglich dieser beiden Bilder noch nicht im Gegensatze zu der 
Auffassung meines hochverehrten Herrn Kollegen, da meine Bezeichnung »süditalisch- 
griechische Künstlerschule« nicht in dem Sinne gemeint ist, als handle es sich hier 
nur um Künstler von griechischer Herkunft. Das Hauptgewicht lege ich auf die 
wesentlich byzantinische Kunstweise, welche ja auch solche Süditaliener, die nicht als 
Griechen geboren waren , von ihren griechischen Meistern überkommen haben könnten. 
Der Gegensatz tritt erst bei der Beurteilung der »Historien« des Mittelschiffes ein, für 
welche Herr Professor Kraus nur in einigen Punkten, z. B. hinsichtlich der Behandlung 
der Kostüme byzantinische Einflüsse zugiebt, und welche er Malern zuweist, »die in der 
einheimischen Tradition aufgewachsen, weit mehr im Zusammenhange mit dem ge- 
blieben waren, was der Geschichtsschreiber von Monte- Cassino selbst sehr bezeichnend 
die magistra Latinitas genannt hat« , während ich diese erzählenden Bilder des Mittel- 
schiffes für in eben so hohem Mafse byzantinisch halte wie die feierlichen Darstellungen 
in der Apsis und an der Westwand. Nachstehend will ich versuchen, diese meine 
Auffassung zu begründen, die ich mir bei der Betrachtung der Originale im Jahre 1872 
gebildet und bald darauf*) mit den Worten: die Fresken in S. Angelo in Formis seien 
wesentlich byzantinisch, ausgesprochen habe. 



*) Byzantinische Wandmalereien in Süditalien werden beschrieben von Diehl, Peintures 
byz. de Tltalie merid. im Bullet, de corresp. hellen. VIII (1884) 264 ff.; IX (1885), 207 — 219, 
XII (1888), 441—459; Notes sur quelques monum. byz. deCalabre, i. d. Melanies d'arch. et 
d'hist. X (1890), 284 — 302; Notes sur quelques mon. byz. de Tltalie merid. i. d. Melanges d*arch. 
et d'hist. XI (1891), 3—52. 

*) Ober den Stil Niccolo Pisanos und dessen Ursprung 1873 ^* *7- 



130 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



I. DIE COMPOSITION DER DARSTELLUNGEN AUS DEM LEBEN JESU IM HAUPTSCHIFF 

VON S. ANGELO IN FORMIS 
Siehe die Lichtdrucktafeln in Bd. XIV dieses Jahrbuches bei S. 18 u. S4. 

Unter den Bildern aus dem Leben Jesu ist es die Darstellung des i^Ahendmahles^i 
(Süd -Wand, Kraus, S. 90), welche ihrem ikonographischen Gehalte nach auf das 
entschiedenste für die byzantinische Kunst in Anspruch genommen werden muss. Auf 
Grund zahlreicher unzweifelhaft byzantinischer Abendmahlsbilder habe ich,^) wie ich 
glaube, den Beweis erbracht, dass die byzantinische Kunst, wenn sie das Abendmahl 

Christi in geschichtlicher 
Weise darstellen wollte, seit 
dem VI Jahrhundert immer 
wieder die Ankündigung 
des Verrates, wie dieselbe 
im Matthäus - Evangelium 
XXVI, 21—25 erzahlt wird, 
zum Ausgangspunkte der 
Darstellung nahm und den 
Judas, der gewöhnlich mit- 
ten unter den übrigen Apo- 
steln angeordnet ist, da- 
durch kenntlich machte, 
dass er in die Schüssel greift. Die Tischgesellschaft ist an einer halbkreisförmigen 
Tafel, dem sogenannten Sigma, derart verteilt, dass Christus an der linken Ecke 
liegt oder auch sitzt, ihm gegenüber aber, am rechten Tischende, häufig Petrus, 




No. 1. S. Angelo in Formis. 




No. 2. Psalter v. J. 1066. Brit Museum, London (Add. 19352). 

ausnahmsweise auch Judas, sich befindet und Johannes in der Regel den Platz rechts 
(vom Beschauer aus) neben Christus einnimmt, ausnahmsweise aber auch links hinter 
dem liegenden Christus zu sehen ist. Dieses Schema, welches auch Vöge,*) auf Grund 

^) In der Abhandlung über »das Abendmahl Christi in der bildenden Kunst bis gegen 
den Schluss des XIV Jahrhunderts«. Repert. f. Kunstwiss. XIV (1891), 180—203; XV (1892), 
361 — 384. Vergl. auch meinen früheren Aufsatz: »Die Darstellung des Abendmahles durch 
die byzantische Kunst« in v. Zahns Jahrb. f. Kunstwiss. IV (1871), 281 — 346, auch gesondert 
erschienen, Leipzig 1872. 

') Vöge, Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends, West- 
deutsche Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst Ergänzungsheft VII. Trier 1891, S. 260. 



VON E. DOBBERT 1 3 1 



der Ergebnisse meiner Untersuchung, als das byzantinische bezeichnet, ist in S. Angelo 
in Formis streng befolgt, wo auch der auf byzantinischen Abendmahlsbildern so oft 
anzutreffende Leuchter nicht fehlt. Zum Vergleich sind in Fig. i und 2 das Wandbild in 
S. Angelo und eine sehr verdorbene Miniatur auf Bl. 50b des griechischen Psalters vom 
Jahre 1066 im britischen Museum ') zusammengestellt. Dass aber dieses Schema nicht 
auch der frühmittelalterlichen abendländischen Darstellungsweise des Abendmahles 
zu Grunde liegt, darf ich wohl behaupten, da es mir nirgends begegnet ist, obgleich 
ich zahlreiche abendländische Abendmahlsbilder jener Epoche kennen gelernt habe. 
Bereits in meiner Abhandlung Über die Darstellung des Abendmahls durch die 
byzantinische Kunst 1871 konnte ich als eines der Ergebnisse meiner Untersuchung 
den Satz aufstellen, dass auch in der abendländischen Kunst des Mittelalters eine 
Art der Abendmahlsdarstelhing vorherrsche, und zwar diejenige, wo in Anlehnung 
an das Johannes -Evangelium (XIII, 21 — 30) der Verräter, der in der Regel von den 
übrigen Jüngern abgesondert ist, daran erkannt wird, dass Christus ihm den Bissen 
reicht. In der bald erscheinenden Fortsetzung meiner Abhandlung im Repertorium 
für Kunstwissenschaft werde ich auch eine Anzahl abweichender abendländischer 
Darstellungsweisen dieses Gegenstandes beibringen, darunter auch solche, welche 
ausnahmsweise Judas in die Schüssel greifen lassen, doch geschieht dies anders als 
es auf byzantinischen Bildern üblich ist; wo aber eine gewisse Ähnlichkeit wahrzu- 
nehmen ist, lässt sich meist eine Einwirkung der byzantinischen Kunst erweisen, 
beziehungsweise wahrscheinlich machen. 

Einen so tief gehenden Unterschied zwischen der byzantinischen und abend- 
ländischen Auffassungsweise, also auch ein so sicheres ikonographisches Merkmal für 
den byzantinischen oder den abendländischen Ursprung der betreffenden Darstellung, 
wie beim Abendmahl, vermag ich bei keinem anderen Vorgange aus dem Leben 
Jesu anzugeben, doch lassen sich auch bei den meisten der übrigen hier in Betracht 
kommenden Scenen gewisse Züge anführen, welche in byzantinischen Bildern typisch 
sind und zum Teil im Gegensatz zur abendländischen Auffassung stehen. 

Bei der Darstellung der y^Taufe Christin steht, mit ganz seltenen Ausnahmen, 
Johannes der Täufer links am Ufer des Jordan, und zwar, wie es scheint namentlich 
in Werken des XI Jahrhunderts, höher als der im Wasser stehende Christus, auf 
dessen Haupt er stets die Rechte legt. Oben schwebt gewöhnlich die Taube des 
heiligen Geistes, oft in einem aus dem Himmelssegment herabkommenden Strahle. 
Auf dem rechten Ufer halten Engel (es sind deren auf Bildern des XI Jahrhunderts 
gewöhnlich zwei,') später auch eine gröfsere Zahl) entweder besondere Tücher, oder 
sie erheben die mit dem eigenen Gewände bedeckten Hände. Der in der Regel 
ganz nackte Christus steht entweder in der Vorderansicht da oder wendet sich im 
Dreiviertelprofil nach links (vom Beschauer aus), sein linker Arm hängt herab, der 
rechte Unterarm ist etwas nach aufsen gekehrt und die rechte Hand pflegt zu segnen. 
Sowohl der Täufer, der gewöhnlich das ziemlich stark gebogene linke Bein vor- 
gesetzt hat, als auch die Engel sind häufig in einer gewissen stürmischen Bewegung 
gedacht. Im Wasser sieht man oft eine Personifikation des Jordan, zuweilen auch 
des Meeres, sowie ein Kreuz.') 



^) Auf Grund einer Durchzeichnung meines Freundes Dr. Tikkanen. 
') Vergl. Strzygowski, Ikonographie der Taufe Christi, München 1885, S. 22,24. 
') Vergl. bei Strzygowski besonders die zusammenfassende Charakteristik der byzan- 
tinischen Darstellungsweise auf S. 28, 29 und die Abbildungen auf Taf. III — VII. 



132 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



Das Tauf bild in S. Angelo in Formis (Nordwand, 3. Reihe, Kraus, S. 94) zeigt, 
soweit es trotz seiner Zerstörung noch zu erkennen ist, die typischen Eigenschaften 
der byzantinischen Darstellungsweise im XI Jahrhundert. Der, wie in den unzweifel- 
haft byzantinischen Bildern stets bärtige, nackte Christus steht, ein wenig nach links 
gewendet, im Wasser und hält die Arme in der oben angegebenen Weise. Johannes, 
wie die Engel in stürmischer Bewegung gedacht, ist, wie gewöhnlich, durch ver- 
wildertes Haar an Haupt und Bart als der Wüstenbewohner gekennzeichnet. Die Gestalt 
des Jordan ist, wenn auch nur schwach, noch zu erkennen. Im Wasser schwimmen 
Fische, wie sie sich auch sonst bisweilen in byzantinischen Taufbildern finden und 
im Handbuche der Malerei vom Berge Athos (Deutsche Ausg. von Schäfer, § 220 S. 178) 
in den Worten: »Und um Christus sind Fische« vorgesehen sind. 

Der Vergleich des Bildes in S. Angelo (Fig. 3) mit der Miniatur auf Bl. 177 a der 
schönen griechischen Evangelienhandschrift der Königlichen Bibliothek zu Berlin Gr. 4^ 







^n. 



No. 3. S. Angelo in Formis. 




No. 4. Evangeliar. Kgl. Bibliothek Berlin (No. 66). 
Xn Jahrh. 



No. 66 aus dem XII Jahrhundert (Fig. 4) ergiebt eine nahe Verwandtschaft der Ge- 
stalten Christi und das Übereinstimmen des Bewegungsmotivs bei den Engeln. In 

betreff der stürmischen Haltung des Täufers sei auf 
den Johannes der Taufdarstellung in der aus dem 
XI Jahrhundert stammenden Handschrift des Gregor 
von Nazianz der Pariser National-Bibliothek No. 333 
Bl. 1 54a (Fig. 3) *) hingewiesen. 

Die abendländischen Taufdarstellungen vom 
X bis zum XII Jahrhundert zeigen, dem weniger 
typischen Charakter der abendländischen Kunst ent- 
sprechend, gröfsere Verschiedenheiten unter einander 
als die byzantinischen. Der Täufer steht auch hier, 
wie es schon auf den altchristlichen Sarkophagreliefs 
meist der Fall war,*) häufig auf der linken Seite, 
bald hält- er die Hand über dem Haupte Christi, 
wie z. B. im Egbert - Codex zu Trier,') im Echter- 




No. 5. Gregor von Nazianz. Bibl. 
nation. Paris (No. 533). XI Jahrb. 



*) Nach Strzygowski Taf. III, Fig. 4. 

') Vergl. die Abbildungen bei Strzygowski auf Taf. I. 

») Abbildung bei Kraus, Der Egbert-Codex 1884. Taf. XVIII, Strzygowski Taf. IX, Fig. 2. 



VON E. DOBBERT I33 



nacher Evangeliar in Gotha/) in dem Evangellar Heinrichs II in der MUnchener 
Staatsbibliothek Cim. 58 (Bl. 32 b),*) bald hat er die Hände an Brust und Rücken 
des Täuflings gelegt, um ihn unterzutauchen, so im Evangelistarium der König- 
lichen Bibliothek zu Brüssel No. 9428',) im Bemward - Evangelium zu Hildes- 
heim,*) und in dem Evangelien buch zu Brescia.*) Die Engel mit den Gewändern 
über den Armen, die, wie es Strzygowski (S. 17) wahrscheinlich gemacht hat, aus 
der frühbyzantinischen Kunst in die abendländische gedrungen sind^ kommen in der 
letzteren keineswegs regelmäfsig vor, wie denn auch Vöge a. a. O. 260 zu dem Er- 
gebnis gekommen ist, dass sie in der Gruppe von Handschriften, deren Ursprung aus 
einer Schule (der kölnischen?) er erwiesen hat, »ein nur episodisch vorkommendes 
Schema« vertreten. Für die abendländischen Taufbilder des hier in Betracht kom- 
menden Zeitraums ist es besonders bezeichnend, dass der Fluss, ohne Ufer, wie eine 
Art Wasserberg behandelt wird, welcher den im X und XI Jahrhundert immer wie- 
der kleiner als der Täufer und bartlos dargestellten Christus bis zu den Hüften oder 
auch bis zur Brust oder den Schubern bedeckt, wobei der Körper oft hindurch- 
scheint,*) während in den byzantinischen Bildern die Wiedergabe der perspektivischen 
Verkürzung der Wasserfläche zwischen ihren Ufern angestrebt ist, wozu es freilich in 
naivem Gegensatze steht, wenn zuweilen gleichzeitig das Wasser Christus in der Art 
bedeckt, dass man seinen Körper hindurchsieht, also an die Stelle des Wasserspiegels 
eigentlich der vertikale Durchschnitt des Flusses gesetzt istJ) Wo in abendländischen 
Werken das oben gekennzeichnete byzantinische Kompositionsschema (so namentlich 
die seitwärts ausgestreckte segnende rechte Hand Christi, die Flussufer und die Per- 
sonifikation des Jordan) sich findet, da lässt sich auch stilistisch ein byzantinischer 
Einfluss nachweisen, wie z. B. im Hortus deliciarum®) und in dem Evangeliar des 
Rathauses zu Goslar.*) Die betreffende Handhaltung Christi zeigt auch das Tauf bild 
im Antiphonarium des Stiftes St. Peter zu Salzburg.^") Doch fehlen hier die Ufer und 
der Flussgott, wie denn diese Handschrift überhaupt geringere byzantinische Einflüsse 
erfahren hat als die beiden zuerst genannten. 



^) Abbildung bei Strzygowski Taf. IX, Fig. 4. 

') Abbildung ebenda Fig. 3. 

•) Abbildung ebenda Taf. X, i. 

♦) Abbildung bei Beissel, Des hl. Bernward Evangelienbuch im Dome zu Hildesheim. 
Hildesh. 1891, Taf. XXII, Strzygowski Taf. IX, Fig. 5. 

*) Abbildung bei Valentini, Eusebio Concordanze dei Vangeli, Cod. Queriniano, Brescia 
1887 Tav. III, Strzygowski Taf. XIX ^ 6. Hier berührt Johannes mit der Rechten den Arm 
Christi. 

•) Vergl, Strzygowski a. a. O. 43, 45. Es sind für diese Zeit Ausnahmen, wenn an der 
Bernwards- Säule in Hildesheim und in der Miniatur auf Blatt 15b des Evangelistars No. iii 
im Berliner Kupferstichkabinet (Abbildung bei Strzygowski IX, 6 und XI, i) der Fluss, der an 
der Bemwards-Säule aus einer von der Personifikation des Jordan gehaltenen Urne heraus- 
fliefst, wagerecht erscheint. 

') Vergl. Strzygowski a. a. O. 29. 

•) Abbildung bei Straub, Hortus deliciarum PI. XXVIII, Strzygowski Taf. XIII, 8. Zu 
den byzantinischen Elementen der zu Grunde gegangenen Handschrift vergl. meinen Aufsatz 
i. d. Gott. gel. Anz. 1890 N0.22, S. 883— 885. 

•) Abbildung bei Strzygowski, Taf. IV, 4. 

10) Abbildung i. d. Wiener Mitt. d. Centr.-Comm. XIV (1869) Taf. VI, zur Abhandl. von 
Lind, Ein Antiphonarium im Stifte St. Peter zu Salzburg. 

18 



134 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



Mit dem in der Einleitung über die byzantinische Frage Gesagten dürfte es 
stimmen, wenn wir in vielen der in Italien entstandenen Taufdarstellungen, auch dort, 
wo sie im grofsen und ganzen der abendländischen Kunst zuzurechnen sind, An- 
klänge an die byzantinische Darstellungsweise finden, wie z.B. in der Stellung des 
Täufers in den Exultet- Rollen in der Bibliothek von S. Maria sopra Minerva zu Rom*) 
und in der Opera des Doms zu Pisa'), in der Stellung Christi und des Täufers in 
einer Handschrift des Liceo musicale zu Bologna^), in der Anbringung der Personi- 
fikationen des Jordan und des Meeres (?) in dem Taufbilde der kleinen Felsenkirche 
bei S. Nazaro e Celso in Verona*). 

Eine beliebte Zuthat bei byzantinischen Darstellungen der Taufe Christi ist ein 
hinter Johannes sich erhebender Baum, an dessen Stamm eine Axt lehnt*), als Illu- 
stration zu den Worten, die nach Matthäus III, lo und Lucas III, 9 Johannes vor 
der Taufe Christi an die Pharisäer und Sadducäer richtet: »Es ist schon die Axt den 
Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Früchte bringet, 
wird abgehauen und ins Feuer geworfen«. In S. Angelo in Formis ist diesem Gegen- 
stande ein besonderes Bild , links von der Taufe, eingeräumt. Auch hierfür lässt sich 
ein entsprechendes Beispiel aus der byzantinischen Kunst beibringen. In dem Meno- 
logium Basilius II (976 — 1025) in der vatikanischen Bibliothek folgt auf die Taufe 
Christi (Bl. 299) ein Bild (Bl. 300), das ich seiner Zeit an Ort und Stelle folgender- 
mafsen eintrug: »Gebirgslandschaft. Rechts ein Baum, an welchen unten eine Axt 

gelehnt ist. Darauf weist Johannes mit langem wirren Haar und Bart. In der 

Linken hält er ein grofses Kreuz . . . Links drei seinen Worten lauschende Männer.« •) 
Das Bild in S. Angelo unterscheidet sich von der Miniatur in betreff der Komposition 
nur dadurch, dass in dem Wandbilde Johannes links und seine aus den Thoren 
(Jerusalems) heraustretenden Zuhörer rechts angeordnet sind. Der Vorgang findet sich 
übrigens bereits an einem Elfenbeinkästchen im South -Kensington -Museum in London, 
welches wegen der altchristlichen Stileigentümlichkeiten der Reliefs noch dem V oder 
spätestens dem VI Jahrhundert zugeschrieben werden muss, allerdings in etwas anderer 
Weise dargestellt'). 

Ein Gegenstand, der von der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst nur 
selten dargestellt wurde ^), in der byzantinischen aber schon früh eine typische Gestalt 



i) Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangilel, PI. XXXIV, 3; Strzygowski XIX, i. 

») Abbildung bei Rohault de Fleury, PL XXXV, 2; Strzygowski XIX , 2. 

') Abbildung bei Strzygowski XIX, 4, nach Mrs. Jameson und Eastlake, History of 
cur Lord I, p. 295, Fig. 116. 

^) Abbildung bei Orti Manara, L* antica capella presso la chiesa dl S. Nazaro e Celso. 
Verona 184 1. Tav. II. 

*) Z. B. im Pariser Gregor von Nazianz No. 533 und im Taufbilde des Domes zu Mon- 
reale (Abbildung bei Gravina, II duomo di Monreale, Palermo 1867, Tav. XVII C, Tav. IV A 
und XXVI B.; Strzygowski V, 6). 

•) Das Bild erwähnt auch Pokrowski in seinem vortrefflichen Werke: EBanrcjiie B-b 
naniJiTHHKax'B HKOHorpa«iH npemnyni^ecTBeHHo BHsaHxiHCRBX'b h pyccKnx'B. (Das Evan- 
gelium in den Denkmälern der Ikonographie, vorzüglich den byzantinischen und russischen.) 
St. Petersburg 1892, S. 168. 

') Abbildung bei Garrucci, Storia deir arte cristiana, VI, Tav. 447, Fig. 3 und danach 
bei Strzygowski II, 3. 

®) Diese Seltenheit hängt wohl damit zusammen, dass das Fest der Verklärung erst 
im Jahre 1457 durch Papst Calixtus III für das Abendland zu einem allgemeinen gemacht 



VON E. DOBBERT I35 




angenommen hat, ist die » Verklärung Christin, Jesus steht, mit der Rechten segnend, 
auf einem Berge, zu seinen Seiten der greise Elias und der jugendliche Moses, beide 
demUtig die Köpfe gegen Christus hinneigend. Bald hebt sich die Christusgestalt von 
einer ovalen oder mandelförmigen Glorie ab, bald umgiebt eine kreisförmige Glorie 
alle drei Gestalten. Von der Gestalt Christi pflegen Strahlen auszu- 
gehen. Unterhalb dieser Gruppe sind die drei Jünger: Petrus, Jo- 
hannes und Jacobus, von je einem Strahle getroffen und lebhaft 
erschreckend, dargestellt (Matthäus XVII, 6: Da das die Jünger 
höreten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr). Während 
in abendländischen Bildern die Jünger zuweilen wie schlafend oder ^^^ s.Angeio 
bis zur Bewusstlosigkeit erschüttert geschildert werden , steigert sich in Formis. 
das erschreckte Staunen derselben auf byzantinischen Bildern nie bis 
zu einem solchen Grade. Am stärksten erregt erscheint die mittlere Gestalt, Johannes: 
er liegt meist, wie von der Erscheinung geblendet, am Boden, während Petrus, links, 
gewöhnlich auf ein Knie gesunken, voller Staunen zu Christus emporweist und em- 
porschaut ^). In S.Angeio in Formis ist das Verklärungsbild (nördl. Wand, 2. Reihe, 
I.Bild) zwar in überaus schlechtem Zustande auf uns gekommen, doch lässt es sich 
noch als dem byzantinischen Schema durchaus entsprechend erkennen. Auch hier 
stehen der greise, weifshaarige Elias und der jugendliche Moses 
demütig zu den Seiten des segnenden, von einer ovalen Glorie 
umgebenen Christus. Auch hier hat Petrus, wie ein Vergleich 
dieser Gestalt (Fig. 6) mit derjenigen desselben Apostels auf Bl. 53a 
des Evangelienbuches der Berliner Königlichen Bibliothek No. 66 
(Fig. 7) lehrt, die oben erwähnte tj'^pische Stellung. Die beiden 
anderen Apostel lassen sich auf der Lichtdrucktafel nicht erkennen ; 
dass aber auch die Eckfigur rechts (Jacobus) dem byzantinischen 
Schema entsprach, folgere ich daraus, dass ich im Jahre 1872 
gegenüber dem Originale die Worte niederschrieb: »Rechts einer Kgi** Bibiio&ek BerUn 
derselben (nämlich der Erschrockenen) da vonstürzend «, und dieses (N0.66). xii Jahrh. 
Motiv, das richtiger als ein Hinstürzen zu bezeichnen ist, dem- 
jenigen in dem Evangelion No. i des Klosters Iwiron auf dem Athos*), sowie im Evan- 
gelion No. II 56 der Vatikanischen Bibliothek^) entspricht. 

Die Verklärungsbilder der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst unter- 
scheiden sich in manchen Stücken von den byzantinischen, so erhebt Christus in den 
Evangelienhandschriften zu Aachen, München und Berlin*) die Arme in der Art alt- 




wurde. Augusti, Denkwürdigkeiten a. d. ehr. Archäol. III, 292 — 295. Vergl. dazu Po- 
krowski, a. a. O. 202. In der von Vöge, a. a. O. zusammengestellten Gruppe von 16 bibli- 
sche Scenenbilder enthaltenden Handschriften kommt die Verklärung nur dreimal vor: im 
Aachener Evangeliar des Kaisers Otto, in demjenigen der Münchener Staatsbibliothek Gim. 58 
und in dem wahrscheinlich für Heinrich IV geschriebenen Evangelistar des Berliner Kupferstich- 
Kabinets No. iii. 

1) S. Pokrowski, a.a.O. 202, wo S. 195 — 204 eingehend über diesen Gegenstand ge- 
handelt wird und zahlreiche Beispiele beigebracht werden. Vergl. auch Brockhaus , Die Kunst 
in den Athos - Klöstern. Leipzig 1891. S. 123. 124. 

2) Abbildung bei Brockhaus, Die Kunst in den Athos - Klöstern. Taf. 25. 
^) Abbildung bei d'Agincourt, Denkm. d. Mal. , Taf. LVII Fig. 9. 

♦) S. Anmerk. 8 zu S. 134. Abbildung der Aachener Miniatur bei Beifsel, Die Bilder 
der Handschrift des Kaisers Otto im Münster zu Aachen, Aachen 1886, Taf. X; der Berliner 

18* 



1 36 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



christlicher Orantengestalten , und Moses ist nicht jugendlich, sondern, wie Elias, als 
Greis dargestellt. Während in der Berliner Handschrift Christus in einer Mandorla 
steht und die drei Jünger wie in byzantinischen Darstellungen im Räume angeordnet 
sind, fehlt in den beiden anderen Miniaturen die Glorie, und Johannes und Jacobus 
kauern dicht hinter einander am Boden, so dass der eine derselben nur zum Teile 
zu sehen ist^). 

Von dem neben der » Verklärung^ befindlichen Bilde in S. Angelo, welches den 
liZinsgroschena (Matthäus XVII, 24 — 27) zum Gegenstande hat, sind nur ganz geringe 
Spuren übrig geblieben: links steht Christus, hinter ihm, wie es scheint, ein Jünger, 
vor ihm eine Gestalt, von der nur einige Gewandfalten zu sehen sind; weiter rechts 
sitzt an einem Flussufer Petrus und scheint in der Rechten eine Angelrute zu halten. 
Im Malerbuche vom Berge Aihos (§259, S. 191 der deutschen Ausgabe) heifst es: 
»Christus und Petrus bezahlen die Doppeldrachme. Das Ufer, und Petrus sitzt barfufs 
und mit entblöfsten Armen auf einem Felsen und hält ein gerades Rohr und an dem 
Rohr hängt ein Fisch, und wieder erscheint Christus mit Petrus und giebt einem 
Soldaten Geld«. 

Das folgende sehr verdorbene Bild, in welchem Kraus die Segnung des Kindes 
durch Christus (Matthäus XVIII, 6 — 14) vermutet, vermag ich nicht zu deuten. 

Sodann aber ist y>Das Scherßein der Witwen (Marcus XII, 41 — 44; Lucas XXI, 
I — 4) dargestellt, wie ein Vergleich der traurigen Überreste der Malerei mit byzantini- 
schen Miniaturen und der Vorschrift des Malerbuches lehrt. Links sitzt Christus und redet 
zu einer Gruppe von drei oder vier Männern. Weiter rechts sieht man die schwachen 
Spuren eines Kuppel-Ciboriums, unter welchem der Opfefkasten zu stehen scheint, und 
hinter dem letzteren drei Gestalten; ferner links eine Frau — die Witwe, die ihr Scherf- 
lein hineinthut — , und rechts vielleicht noch einen Mann. Im Malerbuche (§ 283, 
S. 198 der deutschen Ausgabe) wird die Scene so beschrieben: »Christus lobt die zwei 
Pfennige der Witwe. Ein Tempel und ein (Opfer-) Kasten in demselben, und Pharisäer 
und Vorsteher legen auf denselben, der eine Goldstücke, der andere viele Silbermünzen, 
und unter ihnen die Frau, die Witwe, welche selbst zwei Kupfermünzen hinlegt, und 
Christus sitzt gegenüber und zeigt sie den Aposteln und sagt in einem Blatte: »Wahr- 
haftig ich sage Euch, die Witwe hat mehr, als alle (hinein) gelegt«. Bereits unter den 
Elfenbeinreliefs des Buchdeckels im Mailänder Domschatze*) und den Mosaiken in 
S. ApoUinare nuovo zu Ravenna') findet sich der Gegenstand dargestellt und zwar in 
der für jene Frühzeit (V — VI Jahrhundert) bezeichnenden kurzen Weise: auf dem Relief- 
bilde sitzt Christus auf der Weltkugel und begleitet mit der erhobenen Rechten seine 
Rede, vor ihm hält die von zwei Männern umgebene Frau die Rechte über dem 
Opferkasten; im Mosaikbilde legt eine Frau Geld auf einen Tisch, ihr gegenüber steht 
der von einem Jünger begleitete Christus mit erhobener Hand. Ausführlich ist die 
Scene dargestellt im Tetraevangelon No. 5 des Klosters Iwiron auf dem Athos (wahr- 
scheinlich aus dem XII Jahrhunden) und zwar im Lucas-Text auf Bl. 330 b: »Christus 
tritt von rechts herzu, wie die Witwe ihr Scherflein auf den Tisch legt, um den 



Miniatur bei Janitschek, Gesch. d. deutschen Mal. vor S. 89; Beschreibung der Münchener 
Miniatur bei Vöge, a. a. O. S. 50. 

*) Über den Unterschied zwischen der byzantinischen und der abendländischen Auf- 
fassung der Verklärung s. auch Vöge, a.a.O. S. 263. 

*) Abbildung bei Garrucci, Storia dell' arte cristiana, VI, Tav. 455. 

») Ebenda, IV, Tav. 248, 5. 



VON E. DOBBERT 1 37 



herum drei Reichgekleidete sitzen. Er spricht rückwärts gewandt zu den beiden 
Jüngern seiner Begleitung und weist auf die Witwe« ^). — Aufrecht stehend neben dem 
Opferkasten ist Christus ferner im Pariser Gregor von Nazianz No. 510') (IX Jahr- 
hundert) und in dem Evangeliar in Gelati im Kaukasus (XII Jahrhundert) Bl. 127 dar- 
gestellt, sitzend hingegen in dem Evangeliar Nr. 105 der Petersburger öffentlichen 
Bibliothek (XII — XIII Jahrhundert) Bl. 169b, wie ich gegenüber dem Original ange- 
merkt habe. Das Ciborium über dem Opferkasten rechnet Pokrowski zu den Eigen- 
tümlichkeiten der byzantinischen Schilderung dieses Gegenstandes. Die frühmittel- 
alterliche Kunst bietet nur ausnahmsweise »das Scherflein der Witwe«. In der 
Vögeschen Gruppe von Handschriften mit Darstellungen aus dem Leben Jesu findet sich 
das Bild nur einmal, im Münchener Evangeliar Cim. 58, Bl. 192 a zu Lucas XXI, i — 4^). 
Nun folgt eine sehr ausführliche Darstellunrg des » Gleichnisses vom barmherzigen 
Samariter <i (Lucas X, 30 — 37). Zuerst sieht man, wie der Reisende zwischen den 
Städten Jerusalem und Jericho von zwei Räubern überfallen wird: der eine beugt 
sich über den bereits nackt am Boden Liegenden und scheint ihn zu schlagen, der 
andere hat die geraubten Kleider auf dem Arme. Sodann pflegt der barmherzige 
Samariter, der durch den Nimbus als Christus bezeichnet ist, liebevoll den Unglück- 
lichen, der hier also zum zweiten Mal dargestellt ist. Weiter rechts sieht man den 
Priester und den Leviten teilnahmlos ihre Strafse dahin ziehen. Schliefslich zahlt der 
Samariter, der wieder den Nimbus hat, dem Wirt der Herberge das Pflegegeld. Der 
Verwundete ist hier zum dritten Male am Boden sitzend dargestellt. Bereits im Evan- 
gelium von Rossano aus dem VI Jahrhundert ist das Gleichnis wiedergegeben^): 
Christus (der Samariter) beugt sich über den wie tot am Boden Liegenden. Ein 
Engel, der in gewandbedeckten Händen eine goldene Weinschale hält, steht ihm bei 
dieser Liebesthat bei. Sodann zieht der mit Wunden Bedeckte auf dem Maultier des 
Samariters (Christi) dahin, der schliefslich dem Wirt das Geld einhändigt. Im Pariser 
Gregor von Nazianz No. 510 ist der Vorgang noch ausführlicher geschildert. Nicht 
weniger als vier Mal kommt hier der Unglückliche vor: zuerst zwischen den beiden 
Städten auf einem Esel reitend, dann wie er von drei Räubern geschlagen wird, wie 
der Priester und der Levit teilnahmlos an dem Verwundeten vorüber gehen und wie 
der Samariter (Christus) den auf das Tier Gesetzten unterstützt*). In dem Evangeliar 
No. 74 der Pariser Nationalbibliothek (XI Jahrhundert) Bl. 131b und 132b, wo der 
Samariter ausnahmsweise nicht als Christus gekennzeichnet ist, kommt dann wieder 
die Übergabe des Pflegegeldes hinzu. Das ikonographische Hauptmerkmal des byzan- 
tinischen Ursprunges des Bildes in S. Angelo ist die Auffassung des barmherzigen 
Samariters als Christus, welche, wie wir oben sahen, schon in einer griechischen 
Handschrift des VI Jahrhunderts in Übereinstimmung mit den Erklärungen des Gleich- 
nisses bei Irenäus, Origenes, Theophylakt und anderen frühen Kirchenlehrern') an- 
getroffen wird, in abendländischen Bildern aber fehlt ^). Von der Art der Darstellung 

\) Brockhaus, a. a. O. 219 Nr. 25 in der Anmerk. 

*) Abbildung bei Pokrowski, S. 210. 

«) Vöge, a.a.O. S. 26. 

*) Abbildung bei v. Gebhardt und Harnack, a.a.O. Taf. XIII. 

*) Dieses Motiv war auch im Hortus deliciarum zu sehen. Abbildung bei Straub, 
a.a.O. PI. XXX ter. 

•) V. Gebhardt und Harnack, a. a. O. Anm. i auf S. XLI. 

^) Vergl. auch Vöge, S. 258, wo daraufhingewiesen wird, dass die Darstellungen der 
Gleichnisreden Christi in der abendländischen Kunst »sich durchaus im Gleise der unmittel- 



I 38 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



dieses Gegenstandes durch die abendländische Kunst des frühen Mittelalters giebt die 
Abbildung aus dem Evangelistar der MUnchener Staatsbibliothek Cod. c. pict. 86, aus 
dem XI Jahrhundert, bei Vöge, S. 234, eine Vorstellung. Hier schlagen die zwei Räuber, 
deren einer die Zügel des Pferdes um seinen Arm geschlungen, während der andere 
den Mantel des am Boden liegenden Reisenden ergriffen hat, erbarmungslos mit Knütteln 
auf diesen los, sodann sind Priester und Levit angedeutet*), worauf der Verwundete 
auf einem Pferde erscheint, welches von dem barmherzigen Samariter am Zügel ge- 
halten wird, während er dem Wirt die zwei Denare zahlt. In dem Evangeliar Cim. 58 
derselben Bibliothek fehlen Priester und Levit, und es kommt die Scene hinzu, da 
der Samariter den Verwundeten pflegt'). Bei diesem Gegenstande ist es, abgesehen 
von der Auffassung des Samariters als Christus, nicht sowohl das Kompositionsschema, 
was das Bild in S. Angelo von den abendländischen Darstellungen unterscheidet, als 
vielmehr der Typus der Gestalten und die Gebärden, Dinge, die erst weiter unten 
zur Sprache kommen werden. 

Auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter folgt dasjenige vom rtreichen 
Manne und dem armen La^arus^ (Lucas XVI, 19 — 31). Der Reiche speist mit einigen 
anderen Personen an einer Tafel. Daneben leckt ein Hund die Schwären des Lazarus. 
Sodann sieht man den Reichen in den Flammen eines Ofens, mit der Rechten weist 
er auf seine Zunge, die Linke erhebt er flehend nach dem daneben thronenden 
Abraham, auf dessen Knieen ein Kind — die Seele des Lazarus — sitzt (v. 24: [Der 
Reiche) rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, 
dass er das Äufserste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge, 
denn ich leide Pein in dieser Flamme !). Das Wohlleben des Reichen wird in byzan- 
tinischen Werken auch wohl in anderer Weise dargestellt, so z. B. reitet er im Pariser 
Gregor von Nazianz No. 510 Bl. 149b in reicher Tracht an dem armen Lazarus, dem 
die Hunde die Schwären lecken, stolz vorüber. Auch wird dieser erste Teil des 
Gleichnisses zuweilen ganz fortgelassen, so z.B. im Tetraevangelon des Klosters Iwi- 
ron auf dem Athos No. 5 ') und im Evangeliar No. 74 der Pariser Nationalbibliothek, 
Bl.i45b*). 

Eine regelmäfsig wiederkehrende Eigentümlichkeit der byzantinischen Bilder ist 
das Hinweisen des Reichen in der Hölle auf seine Zunge. Wohl findet sich dieses 
Motiv auch in abendländischen Darstellungen, wie z.B. in der Miniatur des Aachener 
Evangeliars*); in dem in Echternach gefertigten Evangelistar der Stadtbibliothek zu 
Bremen aus depfi XI Jahrhundert aber streckt die Seele des reichen Mannes flehend 



bar sinnlich anschaulichen Erzählung halten ; nirgends das Hineinmischen symbolischer Be- 
züge, das Hineindrängen der Person Christi, wie das die jüngere (wohl kaum durchweg auch 
die ältere) byzantinische Kunst zeigt«. 

^) Im Horlus deliciarum waren beide 'zu Pferde dargestellt, wie sie gleichgültig an 
dem zwei Mal in ganz gleicher Stellung am Boden liegenden Verwundeten vorbeireiten. 
Straub, a. a. O. 

*) Siehe Vöge, a. a. O. 235 und S. 257 Anm. i, wo eine Anzahl anderer abendländischer 
Darstellungen dieses Gegenstandes aufgeführt werden, u. a. auch die ausführliche Darstellung 
auf einer Schale im Trierer Museum aus dem XII Jahrhundert, wo nur die Scene mit dem 
Wirt fortgeblieben ist. Abbildung in dem Jahrb. d. Vereins von Altertumsfr. im Rheinl. LXXV, 
1883, Taf. V. Text von Aldenkirchen , S.72f. 

') Brockhaus, a.a.O. S. 219, No. 24 in der Anmerkung. 

*) Pokrowski, a.a.O. S. 216. 

*) Abbildung bei Beifsel, Taf. 24. 



VON E. DOBBERT I 39 



die Hände aus*); an der Bernwardssäule zu Hildesheim ist der Zeigefinger der er- 
hobenen Rechten zwar vorgestreckt, weist aber nicht auf den Mund*). Bei den vielen 
byzantinischen Elementen des Hortus deliciarum ist es nicht zu verwundern, dass hier 
die betrefifende Gebärde des Reichen in der Hölle') sehr deutlich zum Ausdruck 
kommt, ist doch auch der daneben thronende Abraham eine wesentlich byzantinische 
Gestalt. Die abendländische Kunst betont bei diesem Gegenstande mit Vorliebe fol- 
gendes Moment, das zwar in das Malerbuch vom Berge Athos S.225, doch wohl unter 
abendländischem Einflüsse, Eingang gefunden, in früheren byzantinischen Darstellungen 
mir aber nirgends begegnet ist: Teufel ergreifen die Seele des verstorbenen Reichen, 
Engel diejenige des Lazarus. Beispiele dafUr bieten die Miniaturen in dem Echter- 
nacher Evangeliar in Gotha aus dem Ende des X Jahrhunderts Bl. 78 b, im Evangelistar 
zu Bremen aus dem XI Jahrhundert*), in der lateinischen Handschrift des XII bis 
XIII Jahrhunderts, aus welcher d*Agincourt (Peiniure PI. CHI) Abbildungen giebt, im 
Hortus deliciarum'), in einem englischen Psalter des britischen Museums (Arundel 
Manuscripts 83) aus der Frühzeit des XIV Jahrhunderts BI. 129 b. 

Das folgende fast ganz zerstörte Bild möchte ich als eine der j> Heilungen von 
Besessenen^ deuten, da der Christus gegenüber befindliche Mann, dem, wie es scheint, 
ein Strick über die Brust (und die Arme?) geschlungen ist, laufend dargestellt ist, ein 
Motiv, das sich an derselben Stelle wiederholt in byzantinischen Werken, wie z. B. 
auf Bl. 170a des Pariser Gregor von Nazianz No. 510 und im Tetraevangelon des 
Klosters Iwiron auf dem Athos No. 5*) findet, im Anschluss an die Textworte Mat- 
thäus VIII, 28: »Da liefen ihm entgegen zwei Besessene « (vergl. Marcus V, 2). 

In der dritten Reihe der nördlichen Wand befinden sich aufser der schon be- 
sprochenen Darstellung der Taufe Christi und der vorangehenden Rede Johannes' des 
Täufers folgende Bilder: der bethlehemitische Kindermord, Christus unter den Lehrern 
im Tempel und die Versuchung Christi. 

Bezüglich des n Kindermordes^ (sehr verdorben) sei auf die ähnliche Haltung des 
links thronenden Herodes sowie der Frau mit den erhobenen Armen in dem ent- 
sprechenden Mosaikbilde der ehemaligen Kirche des Klosters Chora, jetzigen Moschee 
Kachrije in Konstantinopel, etwa aus dem Anfange des XIV Jahrhunderts hingewiesen'). 
Der Gegenstand ist bereits in dem betreffenden Mosaikbilde in S. Maria Maggiore in 
Rom**), auf dem Elfenbeindeckel im Domschatze zu Mailand*) und in dem syrischen 
Evangelium des Rabula in der Laurentiana zu Florenz *^) aus dem VI Jahrhundert so 



^) H. A. Muller, Das Evangelistarium Kaiser Heinrichs III in der Stiftskirche zu Bremen, 
in den Wiener Mitt. d. Central - Comm. VII (1862) S. 66. 

') Abbildung bei Wiecker, Die Bernwardssäule zu Hildesheim, Hildesheim 1874. N0.19. 

») Abbildung bei Straub, PI. XXXII bis. 

♦) Abbildung bei H. A. Müller, a. a. O. Fig. 4. 

*) Straub, PI. XXXIII. 

•) Abbildung bei Brockhaus, a. a. O. Taf. 22. 

^) Abbildung bei Kondakoff, BBsaHTincKin i^epKBH h nanaTHEKH KoHcraHTHHonojm 
(Die byzantinischen Kirchen und Denkmäler Konstantinopels) in den Arbeiten des sechsten 
(russischen) archäologischen Kongresses, in Odessa. (Tpy,2^iiiVI. apxeojioni«ieeKaro cb-bs^a, 
B-b O^eccb) Odessa 1887. Taf. 35. 

8} Abbildung bei Garrucci, a. a. O., IV, Tav. CCXIII. 

*) Abbildung bei Garrucci, VI, Tav. 454. 

10) Abbildung ebenda, III, CXXX,2; Rohault de Fleury, L*Evangile, 1, PI. XXIX; Po- 
krowski, 146, Fig. 66. 



140 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



dargestellt, dass Herodes links thront und mit der Rechten den Mordbefehl erteilt, 
ein Motiv, das sodann von der byzantinischen Kunst in der Regel wiederholt wird, 
so z. B. im Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510 Bl. 137*) und im Menologium der 
Vaticana ^). Ein wesenriicher Unterschied der byzantinischen von der frühmittelalterlich 
abendländischen Darstellungsweise lässt sich in ikonographischer Beziehung nicht be- 
haupten. Im Münchener Evangeliar Cim. 58BI. 31b thront der den Befehl erteilende 
Herodes ebenfalls links'), während er im Egbert -Codex und in dem nahe verwandten 
Evangelistar in Bremen aufrecht steht ^), und in dem Missale aus Zwiefalten in der 
Stuttgarter Bibliothek (Brev. liturg. Nr. 125) zwar links thront, aber den Befehl nicht 
mit der Rechten, welche ein Schwert hält, sondern mit der Linken erteilt. 

Mit Recht bemerkt Kraus, S, 94, dass das folgende Bild; r>Der Knabe Jesus 
unter den Lehrern im TempeU (Lucas II, 42 — 50) genau wie im Malerbuche sei und 
ganz abweiche von der Darstellung im Codex Egberti (Taf. XVII). Dass uns in dem 
Wandbilde in S. Angelo das damals herrschende byzantinische Schema vorliegt, lehrt 
ein Vergleich mit der Miniatur auf Bl. 1 10 des Evangeliars No. 74 in Paris (XI Jahrhun- 
dert),*) wo, wie in S. Angelo, Christus in der Mitte ganz in der Vorderansicht feierlich 
auf einem erhöhten mit einem Kissen versehenen Throne sitzt. Dass in der Pariser 
Handschrift je drei Lehrer zu den Seiten des Thrones auf niedrigeren Bänken Platz 
genommen haben, während auf dem Wandbilde nur je einer ebenfalls niedriger sitzt, 
ist kein wesentlicher Unterschied; stärker weicht die Darstellung Josephs und der 
Maria ab, welche in S. Angelo wie im Malerbuche »hinter dem Throne« (rechts und 
links) zu sehen sind, während sie auf der Miniatur von rechts her neben einander 
herankommen. In dem Evangeliar in Gelati (Bl. 152b) aber stehen die Eltern wieder 
zu den Seiten des Thrones.^) 

Von der y> Versuchung Christin ist nur noch Folgendes zu erkennen: Christus 
kommt zwischen Palmen von links her geschritten und begleitet mit der Rechten die 
Worte, die er an den Teufel richtet, welcher mit beiden Händen aus einer Vase einen 
der darin liegenden Steine nimmt und dabei Christus ansieht (Matthäus IV, 3 : Bist Du 
Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brod werden). Der Teufel ist als überaus 
hagerer Mann mit grofsen Flügeln gebildet. In dieser Hagerkeit erinnert er an die 
Teufelsdarstellungen im Psalter vom Jahre 1066 im britischen Museum auf Bl. 85 b und 
B1.88b. — Sodann steht Christus (fast ganz zerstört) auf einem byzantinischen Kuppelbau, 
rechts sieht man noch einige Spuren des Teufels, der eine hinabweisende Bewegung 
zu machen scheint (v. 6: Bist Du Gottes Sohn, so lass Dich hinab!); wahrscheinlich 
folgte schliefsUch an einer jetzt ganz zerstörten Wandstelle der dritte Vorgang (v. 8), 
wo der Teufel Christus auf einen hohen Berg führt und ihm alle Reiche der Welt 
und ihre Herrlichkeit zeigt. Diese drei Vorgänge umschliefst bereits die älteste be- 
kannte Darstellung der Versuchung Christi, die Miniatur auf Bl. 165 des Pariser Gregor 

') Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile PI. XXIX, 2; Pokrowski, 147, Fig. 67. 

*) Abbildung bei d'Agincourt, Malerei, Tav. XXXI, 20. Von dem Kindermord handelt 
Pokrowski, S. 145 — 151. 

3) Abbildung bei Vöge, S.68, Fig. 10. 

*) Abbildung aus dem Egbert -Codex bei Kraus, Taf. XIII und bei Vöge, S. 67, Fig. 9; 
aus dem Evangelistar in Bremen bei H. A. Müller, Mitt. d. Centr.-Comm.VII, 61, Fig. 2 und 
danach bei Lübke, Gesch. d. deutschen Kunst, S. 137, Fig. 119. 

s) Abbildung bei Rohault de Fleury, LEvangile, I, PL XXXI, 2; derselbe, La S. Vierge, I, 
PI. XV; Pokrowski 153, Fig. 69. 

•) Siehe Pokrowski, a.a.O. S. 153. 



VON E. DOBBERT I4I 



von Nazianz No. 510.*) Der Gegenstand wurde im frühen Mittelalter, wie es scheint, 
von der byzantinischen und der abendländischen Kunst, was das Kompdsitionsschema 
im allgemeinen betrifft, in übereinstimmender Weise aufgefasst, wie dies ein Vergleich 
byzantinischer Miniaturen mit den Darstellungen im Aachener Evangeliar') und in der 
Münchener Handschrift Cim. 58^) ergiebt. In beiden Fällen ist der Teufel, wie in der 
Regel in der byzantinischen Kunst, als geflügelter Mensch ohne geflissentliche Ver- 
zerrung dargestellt, während die unbeflügelten Teufel in der Miniatur des Evange- 
listarium zu Bremen bereits Krallen an Händen und Füfsen , hörnerartige Haare und 
einen weit aufgerissenen zähnefletschenden garstigen Mund haben ^) und die spätere 
abendländische Kunst sich immer wieder in einer phantastisch fratzenhaften, mehr 
oder weniger tierischen Darstellung des Teufels ergeht. *) Das specifisch Byzantinische 
des Versuchungsbildes in S. Angelo liegt auf dem Gebiete der Gebärden - und Be- 
wegungsmotive so wie in der Darstellung der Architektur. Auf einer ganz solchen 
byzantinischen Kuppel wie hier steht Christus auf dem betreffenden Mosaikbilde in 
S. Marco zu Venedig.') 

Wir kommen nun zu den Bildern der unteren Reihe der Südwand. 

Das erste Bild zeigt uns Christus j von einigen Aposteln begleitet, die Schrift- 
rolle in der Linken, mit erhobener Rechten von links her ^u dem ihn anblickenden, 
klein gestaheten Zachäus auf dem Baum redend, (Lucas XIX, 4, 5.) Im Hinter- 
grunde die Mauer, rechts Thor und Häuser der Stadt Jericho. In ähnlicher Weise 
wird der Gegenstand häufig in byzantinischen Werken behandelt, so z.B. im Pariser 
Gregor von Nazianz No. 510, Bl. Sjb^), im Evangeliar No. 105 der Petersburger 
Öffentlichen Bibliothek und im Mosaikbilde von S. Marco*). In der abendländischen 
Kunst des X und XI Jahrhunderts wurde der Vorgang in ähnlicher Weise dargestellt, 
wie die Miniaturen in dem Aachener Evangeliar*^), im Münchener Evangelistar, Cim. 57, 
Bl. 200a, im Evangelistar Cod. c. pict. 86 derselben Bibliothek, Bl. 184 b *^), im Evan- 
gelistar des Berliner Kupferstichkabinets No. iii, Bl. 87b zeigen. Doch steht Christus 
in diesen vier Bildern rechts, während er auf dem Relief der Bernwardssäule ") wieder 
die Stelle links vom Baume einnimmt. 

Zu denjenigen Vorgängen aus dem Leben Jesu, welche bereits in altchristlicher 
Zeit nicht selten dargestellt wurden, gehört ndas Gespräch Jesu mit der Samariterin 
am Brunnemi (Johannes IV, 4 — 42). Kraus ") zählt die hierher gehörenden altchristlichen 
Werke auf und spricht sich folgendermafsen über die in jener Frühzeit herrschende 
Darstellungsweise aus: »Gewöhnlich ist die Anordnung so, dass Jesus auf der einen 
Seite des Brunnens steht, die Samariterin auf der anderen. Der Brunnen hat meistens 



») Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile, I, PI. XXXVI, Fig. i. Vergl. Pokrowski, 
a. a. O. S. 192. 

>) Abbildung bei Beifsel, Taf. VII. 

') Beschreibung bei Vöge, S. 45. 46. 

♦) Abbildung und Beschreibung bei H. A. Müller in den Mitt. der Centr.-Comm. VII, S. 62. 

- *) Vergl. Vöge 313 und die Beispiele bei Pokrowski, S. 193. 194. 

«) Abbildung bei Ongania, La basilica di S.Marco in Venezia, Bd.I (grofs Fol.) Tav. XII. 

') Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile, I, P1.XLI Fig. i. 

s) Abbildung bei Ongania, a.a.O. Bd. III (klein Folio), Tav. XXXII. 

») Abbildung bei Beifsel, Taf. XXV. 

»0) Vöge, 237. 

") Abbildung bei Wiecker, Die Bernwardssäule zu Hildesheim, Hildesheim 1874 No. 20. 

1') Real-Encyklopädie d. ehr. Alt. II, 714. 

«9 



142 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



eine Winde, an welcher ein Topf oder Eimer hängt, hier und da stehen eine oder 
zwei Hydriae am Boden.« Sodann führt Kraus auch einige Fälle an, in denen Christus 
nicht stehend, sondern sitzend dargestellt ist*). Das Sitzen Christi ist in den byzan- 
tinischen Darstellungen dieses Gegenstandes typisch. Hinter ihm stehen zwei, auch 
wohl drei Apostel. Die Samariterin, die immer wieder als solche durch eine be- 
sondere Tracht, gewöhnlich auch ein Kopftuch, bezeichnet ist, steht auf der anderen 
Seite des Brunnens, der nicht selten eine antike Form hat. Oft hält sie das Seil, an 
welchem der Eimer hängt, mit der einen Hand und horcht auf die Rede Jesu. Zu- 
weilen steht eine Hydria neben oder hinter ihr am Boden. Es kommt auch vor, dass 
sie nichts in den Händen hat, wie z.B. im Chlud off- Psalter*); im Evangeliar No. 74 
der Pariser National -Bibliothek, Bl. 173^), wo sie mit beiden Händen eine staunende 
Bewegung macht, und in dem Evangeliar von Gelati (Bl. 230b), wo sie die Arme nach 
Christus hin ausstreckt*). Zuweilen hat die Samariterin eine Hydria in der Hand, so 
im Evangeliar der Universitätsbibliothek zu Athen, Bl. 297"), und in dem Mosaikbilde 
in S.Marco zu Venedig^). Zu denjenigen Bildern des Hortus deliciarum, in denen 
das byzantinische Element stark hervortritt, gehört die Scene am Brunnen'), wo die 
Samariterin auch wieder das Gefäfs in der Hand hält. Dieser Gattung von Bildern 
gehört die Darstellung in S. Angelo in Formis an. Der Miniatur der Pariser Hand- 
schrift No. 74 steht die Auffassung der beiden Apostel nahe. Hier wie dort macht 
der erste derselben eine Gebärde des Staunens (v. 27: Und überdem kamen seine 
Jünger und es nahm sie wunder, dass er mit dem Weibe redete). Das Sitzen Christi 
auf der Weltkugel ist mir bei dieser Scene, sowie auch bei der folgenden, nur in 
S. Angelo begegnet. Im übrigen findet es sich bereits zwei Mal auf dem Elfenbein- 
deckel im Domschatz zu Mailand**), sodann in römischen und ravennatischen Apsis- 
Mosaiken, in gewissen feierlichen Kompositionen karolingischer Bilderhandschriften, 
auf einem byzantinischen Elfenbeinrelief wohl aus dem X Jahrhundert in der Samm- 
lung Carand •) u. s. w. 

In abendländischen Bilderreihen aus dem Leben Jesu, die dem X — XI Jahrhundert 
angehören, trifft man das Gespräch am Brunnen nicht gerade häufig an. In den von 
Vöge zusammengestellten hierher gehörenden sechzehn Handschriften kommt es kein 
einziges Mal vor, wohl aber im Egbert-Codex *°), in dem Codex Epternacensis zu Gotha^^) 



^) Vergl. auch Strzygowski, Das Etschmiadzin - Evangeliar, Wien 1891, S. 107 Anm. 2. 

^) Abbildung bei Kondakoff, MnuiaTiopu rpenecKoii pyKOimcH ncajiTHpH TX. b^ks 
«3% co6paHiji A. II. Xjiy^oDa (Miniaturen einer griech. Psalterhandschrift des IX Jahrhunderts 
aus der Sammlung von A. J. ChludofF). Moskau 1878, Taf. V, Fig. 3. 

^) Abbildung bei R. de Fleury, L*Evangile, I, PI. L, Fig. 2. 

*) Pokrowski 212. 

*) Pokrowski 212. 

6) Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio), Tav. XXIX. R. de Fleury, I, PI. L, Fig. 4. 

') Abbildung bei Straub, PI. XXXIII. 

8) Abbildung bei Garrucci, VI, PI. 455. 

°) Abbildung bei Labarte, Hist. des arts ind, I, pl. IX. Vergl. Tikkanen, Die Genesis- 
mosaiken von S. Marco in Venedig und ihr Verhältnis zu den Miniaturen der Cottonbibel, 
Helsingfors 1889, S. 19, Anm. 2. 

^0) Abbildung bei Kraus, Der Egbert- Codex, Taf. 36. 

") Abbildung der Gestalt der Samariterin bei Lamprecht, Der Bilderschmuck des Codex 
Egbert! und des Codex Epternacensis, in dem Jahrb. d. Ver. v. Altertumsfr. im Rheinl. LXX 
(1881) Taf. VI, wo auch die entsprechende Gestalt aus dem Elgbert- Codex abgebildet ist. 



VON E. DOBBERT I43 



und auf der Bernwardssäule *). Das Kompositionsschema entspricht im grofsen und 
ganzen dem byzantinischen im allgemeinen und dem Bilde in S. Angelo im beson- 
deren, doch fehlt der Samariterin in den beiden Miniaturen die Kopfbedeckung, sie 
hat lang herabwallendes Haar, in allen drei Bildern hält sie statt der Hydria einen 
Eimer an dem halbkreisförmigen Henkel, auf der Bernwardssäule sitzt Christus rechts 
und steht die Samariterin links. 

Das folgende Bild: y^Jesus und die Ehebrecherin^ (Johannes VIII, i — ii) führt 
Kraus S. 88 mit grofser Entschiedenheit gegen den byzantinischen Ursprung unserer 
Wandbilder ins Feld. »Die Ehebrecherin vor Christus« sei in der griechischen Kunst 
nicht gemalt worden, allerdings enthalte das Malerbuch vom Berge Athos (S. 194 §272) 
die Geschichte der Ehebrecherin, hier liege indessen allem Anscheine nach einer der 
Fälle vor, in welchem das Malerbuch abendländische Einwirkung erfahren habe. 

Ohne Zweifel spiegelt das Malerbuch ein sehr spätes Stadium der byzantinischen 
Kunst wider, manche dogmatisierende Schilderungen desselben würde man vergebens 
in der byzantinischen Kunst des XI — XIII Jahrhunderts suchen, auch sind gegen Ende 
des Mittelalters und in der Renaissancezeit abendländische Elemente in die grie- 
chische Kunst eingedrungen, die sodann auch im Malerbuche zum Ausdruck kamen. 
Wie die in dem Handbuch der Malerei S. 208 § 307 beschriebene Auferstehungsscene, 
in der Christus, mit der Rechten segnend, mit der Linken eine Fahne mit goldenem 
Kreuze haltend, auf den Deckel des Grabes tritt, von der älteren byzantinischen Kunst 
nicht dargestellt wurde, die immer wieder das Herabsteigen Christi in die Vorhölle 
als »Auferstehung«, i>av(tTTaTig<i bietet, so ist auch das Vorkommen der »Ehebrecherin 
vor Christus« im Malerbuche, auch wenn diese Scene auf dem Athos in der 1540 
errichteten Kirche des Klosters Kutlumusi gemalt worden ist*), nicht ohne weiteres 
für die ältere byzantinische Kunst beweiskräftig. Gegenüber der Angabe von Kraus, 
wonach die Geschichte der Ehebrecherin in den byzantinischen Kirchen nicht gelesen 
wurde, »weil man sie als Thema für die an die gesamte Gemeinde gerichtete Predigt 
nicht für angemessen, unter Umständen sogar für anstöfsig hielt«*), möchte ich nur 
bemerken, dass gegen die Annahme der AllgemeingUltigkeit einer solchen Unterlassung 
das Vorkommen des Gegenstandes im Malerbuche und einer Athos- Kirche doch wohl 
ins Gewicht fallen dürfte. 

Einige ältere byzantinische Bilder werden als Darstellungen unseres Gegenstandes 
gedeutet, so das Mosaikbild in S. AppoUinare nuovo zu Ravenna, das auf »das Ge- 



*) Abbildung bei Wiecker, a. a. O. No. 8. 

^) Brockhaus , a. a. O. S. 280. 

*) Augustinus klagt in seiner Abhandlung: De conjugiis adulterinis ad Pollen tium 
(bei Migne, Patrol. curs. compl. lat. T. XL Spalte 74) darüber, dass einige (Ehemänner) die 
Geschichte von der Ehebrecherin aus ihren Büchern entfernen, wie er glaube, aus Furcht, 
dass ihren Frauen dadurch für ihr Sündigen Straflosigkeit zu teil werden möchte. In der 
Anmerkung zu dieser Stelle wird hervorgehoben, dass in vielen griechischen Handschriften 
die Geschichte von der Ehebrecherin nicht zu lesen sei und dass sie in den Kommentaren 
des Chrysostomos und des Theophylakt zum Johannes - Evangelium nicht erwähnt werde, 
auch behaupte Eusebius, Eccl. hist. Lib. III, diese Erzählung sei aus dem Hebräer-Evan- 
gelium dem Johannes - Evangelium hinzugefügt worden. Die neuere Evangelienforschung 
hat ergeben, »dass die Stelle ein aus der apostolischen Zeit herrührendes Schriftstück ist, 
welches, in verschiedenen Textgestälten verbreitet, wahrscheinlich schon im zweiten, spätestens 
im dritten Jahrhundert in das Johannes -Evangelium eingefügt wurde«. Zittel, die Schriften 
des Neuen Testaments, Karlsruhe 1894, S. 471. 

«9* 



144 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



sprach Christi mit der Samariterin am Brunnen« folgt ^) und eine Miniatur auf Bl. 310 
des Pariser Gregor von Nazianz No. 510.*) In beiden Fällen liegt eine Frau zu Füfsen 
Christi auf den Knieen. Können diese Darstellungen sich auch auf andere Erzählungen 
der Evangelien beziehen, so ist die Deutung eines der Mosaikbilder im Dome zu 
Monreale») durch die Beischrift: JVDEI TEPTANTES ADDUCTTT AD IhO MULIERE 
IN ADULTIO DEPREHENSAM als Darstellung der Ehebrecherin sicher bezeugt. 
Letztere hat hier, wie das Malerbuch vom Berge Athos vorschreibt, die Hände auf 
der Brust gekreuzt und steht demütig vor dem sitzenden Christus, der hinabsieht und 
mit der Rechten wohl auf die bereits geschrieben gedachten Worte weist, während 
die Schriftgelehrten und Pharisäer wie in S. Angelo in Formis und im Malerbuche 
»fliehen und zurUckschauen«. Dieses Bild des XII Jahrhunderts scheint mir für die 
hier in Betracht kommende Frage entscheidend zu sein. Sollte seine Entstehung auch 
durch die ältere Darstellung in S. Angelo angeregt worden sein *) oder sollte es hier 
deshalb angebracht worden sein, weil es sich um den Schmuck nicht einer griechischen 
sondern einer abendländischen Kirche handelte, so genügt es doch für die Stilfrage, 
die hier lediglich in Betracht kommt, vollauf, dass die Mosaiken in Monreale unbe- 
stritten einer sizilisch- byzantinischen Kunstschule entstammen und byzantinischen 
Stil zeigen, auch dasjenige Bild nicht ausgenommen, auf dessen ikonographischen Gehalt 
die abendländische Auffassung eingewirkt hat, die Abendmahlsdarstellung nach dem 
Johannestext. 

Auch dem von Herrn Professor Kraus gethanen Ausspruche, das Bestreben des 
Künstlers, die tiefe Bewegung wiederzugeben, welche diese berühmte Begegnung in 
den Beteiligten hervorrief, stehe so weit als möglich ab von den Absichten und der 
Vortragsweise der gleichzeitigen Byzantiner, kann ich nicht zustimmen. Im XI, im 

^) Abbildung bei Rohault de Fleury, L*Evangile PI. LVIII, Fig. 2 

') Ebenda, Fig. 7. Vergl. Bordier, Description des peintures et autres ornements con- 
tenus dans les manuscrits grecs de la bibl. nat. Paris 1883, p. 79; KondakofT, Hist de Tart 
byz., considere principalement dans les miniatures. Paris II (1891) 71. 

•) Abbildung bei Gravina, II duomo di Monreale, Tav.XIX — D. 

^j Weil ich einen Einfiuss der Wandmalereien in S. Angelo in Formis auf die Mosaiken 
in der Capella Palatina zu Palermo und in dem Dom von Monreale ftlr wahrscheinlich 
halte, ziehe ich diese Mosaiken im allgemeinen nicht zum Vergleiche heran. Schon an sich 
liegt der Gedanke nahe , dass die Urheber der sizilianischen Mosaiken des XII Jahrhunderts 
einen so bedeutenden Cyklus biblischer Darstellungen, wie ihn die Kirche in S. Angelo in 
Formis bietet, kennen gelernt haben werden. Dazu kommt, dass künstlerisch -technische Be- 
ziehungen zu dem sUditalischen Festlande bei der Wiederherstellung der Klosterbauten in 
Monreale durch die Berufung zweier Mönche aus dem neapolitanischen Kloster La Cava im 
Jahre 11 74 behufs dieser Wiederherstellung erwiesen scheinen (siehe Gravina a. a. O. S. 76). 
Vor allem aber lassen sich einige Übereinstimmungen der Mosaiken in der Capella Palatina 
und im Dom zu Monreale mit Bildern in S. Angelo in Formis wohl nur durch die Bekannt- 
schaft mit den letzteren erklären; man vergleiche mit den betreffenden Stücken in S. Angelo: 
die Arm- und Beinhaltung Christi beim Einzug in Jerusalem in der Capella Palatina (Terzi, 
Capella di S. Pietro nella Reggia di Palermo T. XIII A.; Salazaro, II, Tav. XVII, Pawlowsik, 
S. 1 1 1); in Monreale aber: die eigentümliche Stellung des linken Flügels des vorderen Engels bei 
der Taufe Christi (Gravina Tav. XVII — C); die Gesamtanordnung des Gebetes auf dem 
ölberge und der schlafenden Jünger (ebenda Tav. XVII IB;; die Haltung der Arme des Teufels 
in der ersten Versuchungsfcene (ebenda Tav. XVIII A); die Stellung und Bewegung des Petrus 
bei der Verklärung (ebenda Tav, XVIII B); die Gesamtanordnung und die Stellung der Fi- 
guren bei der Auferweckung des Lazarus (ebenda); die Gruppe Christus und Judas in der 
Scene des Verrates (ebenda). 



VON E. DOBBERT 



145 




No. 8. Evangeliar. Kgl. Bibl. Berlin 
(No. 66). XllJahrh. 



XII Jahrhundert haben byzantinische Künstler trotz des Vorwiegens gewisser Schemata 
für die Komposition ihrer Bilder vielfach ihren Gestalten einen der Situation ent- 
sprechenden individuellen Ausdruck nicht nur zu geben gestrebt, sondern auch ver- 
mocht. Wenn Kraus im Bilde von S. Angelo mit 
Recht den Ausdruck der Scham, der tiefen Erschütte- 
rung bei der Ehebrecherin rühmend hervorhebt, so 
sei zum Vergleiche damit auf den Ausdruck des tiefen 
selbstvergessenen Grames bei den beiden Frauen am 
Grabe Christi auf Bl. 96 b und den Ausdruck des 
Staunens bei Petrus, da er das Grab leer findet auf 
Bl. 334a in dem griechischen Evangeliar der König- 
lichen Bibliothek in Berlin aus dem XII Jahrhundert 
No. 66 hingewiesen. (Fig. 8 und Fig. 9). 

Die r>Blindenheilung<i gehört zu den bereits von 
der altchristlichen Kunst häufig dargestellten Gegen- 
ständen. Christus berührt in diesen frühen Bildern 
das Auge des meist klein, knabenhaft gebildeten 
Blinden mit der Hand. Welche der Blindenheilungen 
der Evangelien gemeint sei, ist nicht zu ersehen. Im Codex Rossanensis ^) aber ist be- 
reits die Heilung des Blindgeborenen am Quell von Siloah (Johannes IX, 1 — 7) aus- 
drücklich zur Darstellung gekommen: links berührt Christus, von zwei Jüngern 
begleitet, mit der Rechten das Auge des gebückt vor 
ihm stehenden, mit einem Stabe ausgestatteten Blinden, 
rechts ist der letztere noch einmal dargestellt, wie er 
in Gegenwart einer staunenden Menge am Brunnen 
die Augen wäscht (v. 7: Gehe hin zu dem Teich 
Siloah und wasche dich. Da ging er hin und wusch 
sich, und kam sehend). Die doppelte Handlung ist 
zu einem immer wieder in der byzantinischen Kunst 
anzutreffenden Schema geworden*). Wie sehr das 
Bild in S. Angelo in Formis diesem Schema entspricht, 
mag ein Vergleich desselben (Fig. 10) mit dem betref- 
fenden Teil der Miniatur auf Bl. 316a des Pariser 
Gregor von Nazianz No. 510 (Fig. 1 1) zeigen. Unserem 
Bilde sehr ähnlich ist auch die betreffende Mosaik- 
darstellung in S. Marco zu Venedig'). Von den hier- 
her gehörenden abendländischen Bildern kommt das 
Wandgemälde in der Georgskirche zu Oberzeil auf der 
Reichenau dem byzantinischen Schema am nächsten *). 
Während hier der Blinde auch zweimal dargestellt ist, fehlt die zweite Figur in dem 




No. 9. Evangeliar. Kgl. Bibl. Berlin 
(N0.66). XllJahrh. 



^) Abbildung bei v. Gebhardt und Harnack, a.a.O. Taf. XII. 

*) Vergl. Pokrowski, a. a O. 241. 

») Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio), Tav. XXXI; Rohault de Fleury, L'Evan- 
gile LX, Fig.i. 

*} Abbildung bei Kraus, Die Wandgemälde in der Georgskirche zu Oberzell auf der 
Reichenau. Freiburg i. B. 1884, Taf. X, Beschreibung auf S. 11, 12, wo auch eine Anzahl ver- 
wandter Darstellungen angeführt wird. 



146 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 




C.l.^.)-* 



No. 10. S. Angelo in Fonnis. 



Egbert- Codex ^) und an der Bernwardssäule^). Weist der Brunnen in der Miniatur 
deutlich auf die Blindenheilung am Quell von Siloah hin, so kann im Relief auch eine 
der anderen Blindenheilungen der Evangelien gemeint sein. Dass auf dem Elfenbein- 
relief des Aharvorsatzes im Dom zu 
Salerno etwa aus dem XII Jahrhunden 
das byzantinische Schema streng ein- 
gehahen ist, nimmt nicht wunder, da 
das Werk durchweg die stärksten 
byzantinischen Einwirkungen zeigt, 
ja wesentlich byzantinisch ist. 

y>Die Auferweckung des La^a- 
rus<i war ein Liebhngsgegenstand 
der altchristlichen Kunst: immer 
wieder findet man ihn in Katakom- 
ben - Malereien , auf Sarkophagen, 
auf Goldgläsern u. s. w. dargestellt, 
anfangs in einfachster Form, so dass 
Christus den in einem tempelartigen Grabgebäude als Mumie dastehenden Lazarus 
mit dem Wunderstabe berührt. Bereits auf Sarkophagen kommt aber auch eine aus- 
führlichere Darstellung der Erzählung Johannes XI, 17 — 44 vor, indem die eine der 
Schwestern des Lazarus vor Christus kniet. In der Evangelienhandschrift von Ros- 

sano^) schreitet Christus, von den Aposteln be- 
gleitet, auf das Höhlengrab des Lazarus zu, die 
beiden Schwestern desselben haben sich demütig 
vor Christus niedergeworfen, der sie zu segnen 
scheint, während Christus in der Regel in späte- 
ren byzantinischen Darstellungen des Gegenstandes 
mit der vorgestreckten Rechten die Worte: »Laza- 
rus, komm heraus« begleitet. Hinter den Schwestern 
steht eine Volksmenge. Ein Mann häh die auf- 
recht stehende Mumiengestalt des Lazarus an der 
Schulter, er hat Mund und Nase verhüllt, wo- 
durch der bereits vor vier Tagen eingetretene Tod 
des Lazarus angedeutet ist, ein Motiv, das fortan 
in der byzantinischen Kunst in der Regel derart 
wiederholt wird, dass dieser Mann zugleich den 
Wiederbelebten aus den Totenbinden loswickelt. 
Eine fernere, schon früh typisch gewordene Ge- 
stalt ist der Mann, der die ausgehobene Grabthür hält. Zuweilen werden der Hades 
und die von demselben emporfliegende Seele des Lazarus personifiziert*), doch ist 
dies keineswegs ein regelmäfsiger Bestandteil des byzantinischen Schemas, dessen 
wesentliche Züge sich alle in unserem Wandbilde finden. 

^) Abbildung bei Kraus, Der Egbert -Codex, Taf. XL, und in dem Werke über die 
Wandgemälde in der Georgskirche, Taf. XV. 

*) Abbildung bei Wiecker, a.a.O. No. 13. 

*) Abbildung bei v. Gebhardt und Harnack, a.a.O., Taf. IV. 

*) Vergl. meinen Aufsatz über den Triumph des Todes im Campo santo zu Pisa, in 
dem Repert. f. Kunstwiss. FV (1880), Anm. 23 zu S. 22. 




No. II. Gregor von Nazianz. 
Bibl. nation Paris (N0.510). IXJahrh. 



VON E. DOBBERT I47 



Die frühmittelalterlichen abendländischen Darstellungen dieses Gegenstandes 
stimmen in vielen Stücken mit den byzantinischen überein, was sich durch den beider- 
seitigen Zusammenhang mit der altchristlichen Kunst erklärt, jedoch finden sich auch 
bedeutende Unterschiede, so z. B. steht im Wandgemälde der Georgskirche in Ober- 
zelP), in den Miniaturen des Egbert -Codex*), der Echternacher Handschrift in Gotha') 
und des Bernward -Evangelienbuches*), sowie in dem Relief bilde der Bernwards- 
säule^) Lazarus statt am Eingange des Felsengrabes in einem Sarkophage, aus welchem 
in der Bernward -Handschrift er nur mit Kopf und Brust hervorragt. Hier sowie 
in der Gothaer Handschrift stehen beide Schwestern aufrecht da, während sie im 
Egbert- Codex sich zu Boden geworfen haben, in dem Wandbilde auf der Reichenau 
aber die eine der Schwestern wieder stehend angeordnet ist. In allen fünf Fällen ist 
von dem Entfernen der Totenbinden abgesehen, an deren Stelle in dem Egbert- 
Codex ein Totenhemde getreten ist, während an der Bernwardssäule Lazarus nackt 
ist. Nicht zufällig dürfte es sein, dass das Evangelistar aus Bruchsal in der Stadt- 
bibliothek zu Karlsruhe, No. i (XII Jahrhundert), dessen Lazarusscene *) mit dem byzan- 
tinischen Schema mehr gemein hat, als die soeben besprochenen Bilder, auch sonst 
wiederholt Spuren byzantinischen Einflusses zeigt. 

Das folgende Bild wird von Caravita^) und Kraus, S. 89, für die Darstellung 
jenes Vorganges (Matthäus XX, 20 — 28) gehalten, da die Mutter der Zebedaiden, 
Jacobus und Johannes, vor Christus bittend niederfällt, worauf er die letzteren zu- 
rechtweist. 

Da Christus auf unserem Bilde seine Rede offenbar nicht an die beiden hinter 
Petrus stehenden Jünger, welche die Söhne des Zebedäus sein sollen, sondern an 
die zu seinen Füssen liegende Frau richtet, so möchte ich hier eher die nScene mit 
dem die Heilung ihrer Tochter erflehenden kananäischen Weiber (Matthäus XV, 21 ff.) 
vermuten, besonders da die Anrede, die Petrus offenbar an Christus richtet, gut dazu 
passt, lässt doch im Vers 23 das Evangelium die Jünger an Christus herantreten und 
ihn bitten, er möchte die Frau abfertigen. Die von der Unterschrift noch erkenn- 
baren Worte: j>. . . mater adorat« würden bei dieser Deutung dem Vers 25 entsprechen: 
at illa venit, et adoravit eum (sie aber kam und fiel vor ihm nieder)®). Der byzan- 
tinischen Überlieferung entspricht die unterwürfige Art, wie die Frau am Boden liegt, 
sowie der dichte Haufe der Jünger links. 

In der Komposition der n Salbung Christin sind in eigentümlicherweise Elemente 
der Erzählung im Johannes -Evangelium XII, i — 8, wo Maria, die Schwester des 
Lazarus, Jesu Füfse salbt, während ihre Schwester Martha aufwartet, zusammengeflossen 
mit Elementen der Erzählung bei Lucas VII, 36 — 50, wo im Hause des Pharisäers 
Simon die grofse Sünderin weinend hinterwärts zu den Füfsen Christi tritt, seine 



^) Abbildung bei Kraus, Die Wandgemälde in der St. Georgskirche Taf. I, II, III. 

2;- Abbildung bei Kraus, Die Miniaturen des Codex Egberti, Taf. XLI; Die Wandgemälde 
in der St. Georgskirche, Taf. XV, 3. 

') Abbildung in dem Jahrb. d. Vereins d. Altertumsfreunde i. Rheinl. LXX (1881) zu 
Lamprechts Abhandlung über den Codex Egberti und den Codex Epternacensis. 

*) Abbildung bei Beifsel, Des h. Bernward Evangelienbuch, Taf. XXII. 

*) Wiecker, a. a. O. No. 25, 26. 

*) Abbildung bei Lübke, Gesch. d. deutschen Kunst, S. 296, Fig. 266. 

") Caravita, I codici e le arti a Monte Cassino, Vol. I (1869) 239. 

*) Die bei Kraus voranstehenden Worte: »Facit hoc spes firma parentumt gehören zu 
dem ganz verlöschten Bilde oberhalb dieser Scene. 



148 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



Füfse mit ihren Thränen netzt, mit ihren Haaren trocknet, sie küsst und salbt, worauf 
dann Jene Zurechtweisung des Simon erfolgt, die mit den Worten schliefst »ihr sind 
ihre vielen Sünden vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt, wem aber wenig ver- 
geben wird, der liebt wenig«. Aus der Erzählung des Johannes -Evangeliums ist 
Martha beibehalten^ die aber seltsamerweise nicht aufwartet, sondern, den Worten 
Jesu lauschend, am Boden sitzt, so dass man annehmen möchte, der Urheber des 
Bildes habe sich hier eine Verwechselung zu Schulden kommen lassen, indem er aus 
Lucas X, 38 — 42, wo der Besuch Jesu bei Manha und Maria geschildert wird, die 
Stelle herausgegriffen hat, wo Maria sich zu Jesu Füfsen setzte und sein Wort hörte. 
Sehen wir von der am Boden sitzenden Gestalt ab, so entspricht alles andere in un- 
serem Bilde der Erzählung von der grofsen Sünderin bei Lucas VII, nicht aber der- 
jenigen im Johannes -Evangelium, denn der an der rechten Ecke des Sigma sitzende 
Mann, an den Christus das Wort richtet, ist durch seine Tracht als Pharisäer ge- 
kennzeichnet (vergl. die Kleidung des einen der Pharisäer in der Darstellung der 
Ehebrecherin vor Christus). Auch der zwischen ihm und Petrus sitzende Mann scheint 
nach der Kleidung demselben Stande anzugehören, jedenfalls ist es nicht Judas, der 
aber in einer Illustration zum Johannes -Texte nicht fehlen dürfte, vielmehr von 
Christus angeredet werden müsste. Die durch die zweite Frauengestalt bezeugte Rück- 
sichtnahme auf den Johannes -Text kann vielleicht dadurch erklärt werden, dass schon 
früh die Sage aus dem Pharisäer Simon bei Lucas und dem aussätzigen Simon in 
den im grofsen und ganzen mit der Schilderung des Johannes -Evangeliums über- 
einstimmenden Erzählungen von der Salbung Christi durch ein Weib bei dem Mahle 
in Bethanien bei Matthäus XXVI, 6 — 13 und Marcus XIV, i — 9 den Vater oder 
Schwager des Lazarus gemacht hatte. Von der byzantinischen Kunst ist das Mahl 
bei Simon mehrfach nach dem Lucas -Texte dargestellt worden, so z. B. in dem 
Pariser Gregor von Nazianz No. 510, Bl. igöb^) (O AinNOC TOY CIMONOC), wo die 
ganz klein mit aufgelöstem Haar dargestellte Sünderin (mit der Beischrift H nOPNH) 
am Boden liegt und den rechten Fufs des neben Simon an der linken Ecke des 
Sigma sitzenden Christus mit beiden Händen umfasst. Dass auch hier trotz der ent- 
schiedenen Anlehnung an den Lucas -Text doch auch zugleich an die Erzählung im 
Johannes -Evangelium gedacht ist, scheint daraus hervorzugehen, dass die Miniatur 
sich unmittelbar neben der Auferstehung des Lazarus befindet und dass in dem Manne, 
der an der rechten Ecke des Sigma auf einem Bänkchen sitzt, mit Kondakoff') Judas 
anzunehmen sein dürfte. Eine nicht zu Ende geführte Miniatur auf Bl. 203 b der 
Evangelienhandschrift in der Pariser Nationalbibliothek No. 54 (Ende des XIII Jahr- 
hunderts) bietet ebenfalls die grofse Sünderin nach Lucas VIP). In den unter ein- 
ander verwandten Psaltern: Chludoff (IX Jahrhundert), Bl. 84b*), Add. 19352 im 
britischen Museum aus dem Jahre 1066, Bl. 113a, und Barberini (XII Jahrhundert), 
Bl. 139b bildet die Salbung Jesu durch die Sünderin, verbunden mit der Zachäus- 
Geschichte, eine Illustration zu Psalm 84. 

1) Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile II, PI. 69. 

') Kondakoff, Hist. de Tart. byz. considere principalement dans les miniatures, Paris II 
(1891) p.68. 

•) Vergl. Bordier, Description des peintures et autres ornements contenus dans les 
manuscrits grecs de la Bibliotheque Nationale, Paris 1883, p. 231. 

*) Abbildung bei KondakofT, MHHiaTiopu rpe^ecK. pjKon. ncajiTHpH IX b. mi» 
coÖytLBXK Xjiy^oBa (Miniaturen eines griechischen Psalters des IX Jahrhunderts aus der 
Sammlung Chludofifs) Taf. IV. 



VON E. DOBBERT 



149 



In der abendländischen Kunst scheint eine vorherrschende Darstellungsweise für 
diesen Gegenstand sich nicht herausgebildet zu haben. In dem Egbert -Codex ist die 
Illustration des Johannes-Textes ganz deutlich, indem die in ahnlicher Weise wie in 
S. Angelo gebückt dastehende Maria mit ihren langen aufgelösten Haaren dem links 
sitzenden Christus die Füfse trocknet, hinter ihr steht Martha mit einem Gefäfse in 
den Händen, unter den drei zu Tische sitzenden Aposteln ist Judas inschriftlich als 
solcher bezeugt % in dem Evangelistarium No. iii des Berliner Kupferstichkabinetts 
schüttet die Frau dem auf einem Thron sitzenden Christus, neben welchem Petrus 
und ein anderer Jünger stehen, die Salbe über das Haupt'), ebenfalls das Haupt 
Christi salbt das Weib in dem Wysehrader Evangelienbuch in Prag') (XI Jahrhundert), 
auf der Bernwardssfiule ist die Frau vor dem links am Tische sitzenden Christus 
niedergekniet und salbt seinen rechten Fufs über dem Salbgefäfse. Hinter Christus 
sitzen zehn Apostel an der Rückseite der Tafel*). 

Eine byzantinische Darstellung, in der die salbende Frau wie in unserem Ge- 
mälde nicht am Boden kniet oder liegt, ist mir nicht bekannt geworden; die Art aber, 
wie Christus am linken Ende des Tisches angeordnet ist, sowie die halbrunde Form 
dieses Tisches entsprechen durchaus dem byzantinischen Schema. 

Der i>Einj[ug Christi in Jerusalems (Johannes XII, 12 — 16; Lucas XIX, 29 — 44) 
ist bereits auf Reliefs der altchristlichen Zeit wiederholt dargestellt worden und zwar 
zuweilen recht ausführlich: das Ausbreiten der Gewänder auf dem Boden, das Besteigen 
von Bäumen und Herabwerfen von Zweigen, das Entgegenkommen mit Zweigen in den 
Händen findet sich schon hier. Auf den Sarkophagreliefs sitzt Christus rittlings auf 
dem Esel. In den Miniaturen des syrischen Evangelien buch es des Rabula in der 
Laurentiana ^) zu Florenz, im Codex Rossanensis *) und auf dem Relief der Kathedra 
des Maximian in Ravenna') sitzt er aber bereits seitwärts, ein Motiv, das fortan für 
die byzantinische Kunst typisch ist, während in der mittelalterlichen abendländischen 
Christus im strengen Sinne des Wortes reitet. Ein fernerer durchgehender Bestandteil 
der byzantinischen Komposition ist die Kinderschaar, die den Einziehenden empßlngt: 
Kinder breiten die Gewänder vor den Füfsen des Esels aus, tragen Palmen, besteigen 
Bäume, um Zweige zu pflücken.®) 

Vielleicht war hier eine Stelle im apokryphen Evangelium des Nikodemus®) nicht 
ohne Einflufs, in welcher der Bote des Pilatus dem letzteren vom Einzüge berichtet, 

J) Abbildung bei Kraus, a.a.O. Taf.XLII. 

*) Vergl. Beifsel, Des hl. Bernward Evangelienbuch, S. 35. 

•) Vergl. Beifsel, Des hl. Bern ward Evangelienbuch, S. 17. 

*) Wiecker, a. a. O. No. 27. 

*) Abbildung bei Assemani, Bibl. Mediceae Laurentianae et Palatinae cod. mms. orient. 
Catalogus 1742, Tab. XX und hei Biscioni, Bibl. Mediceae Laurentianae Catalogus 1752, Tab. XX, 
danach auch in der von der Moskauer arch. Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift «*,.l(peB- 
HOCTB« (Altertümer) XI zu der Abhandlung von Ussoff über diese Handschrift. Garrucci, Tav. 137. 

•) Abbildung bei v. Gebhardi und Harnack, Taf. V. 

^) Abbildung bei Garrucci, VI, Tav. 418, 3. Vergl. Strzygowski, Das Etschmiadzin- 
Evangeliar, Wien 1891. S. 39. 

*) Vergl. Brockhaus, a.a.O. S. 125. 

^) Vergl. Ussoff, MHHiaTiopu k'b qie^ecR. ko^ckcj EBaurcjiiü VI b. , OTKpuTOMj- B'b 
PoccaHO« (Die Miniaturen zu der in Rossano entdeckten griechischen Evangelienhandschrift 
des VI Jahrhunderts) in der Zeitschr. der Moskauer arch. Gesellsch. »^peanocTH« (Altertümer), 
IX (1881) S. 43,44, wo auch der Wortlaut aus Tischendorf , Ev. apocr. Gesta Pilati I, 3 bei- 
gebracht ist. Dazu Pokrowski, a.a.O. S. 262 — 264. 

20 



ISO 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 




No. 12. S. Angelo in Formis. 



er habe gesehen, wie hebräische Kinder Zweige von den Bäumen gebrochen und auf 
den Weg gebreitet hätten, einige hätten Zweige in den Händen gehalten, andere ihre 

Gewänder auf den Weg gelegt u. s. w. 
Die Durchbildung, die unser Ge- 
genstand bereits in der altchrist- 
lichen Kunst erfahren, erklärt es, 
dass die frühmittelalterlichen abend- 
ländischen Darstellungen in der Ge- 
samtanordnung eine nicht geringe 
Verwandtschaft mit den byzantini- 
schen aufweisen. Der Hauptunter- 
schied ist, dass Christus in abend- 
ländischen Bildern immer wieder 
rittlings auf dem Esel sitzt und dass 
es meist Erwachsene sind, die die Ge- 
wänderausbreiten und Zweige tragen. 
Es ist eine seltene Aus- 
nahme, wenn, wie in dem 
Sacramentarium der Bamber- 
ger Bibliothek (Ed. III, ii) aus 
dem XI Jahrhundert, Bl. 44, 
Christus seitwärts sitzt; dass 
hier byzantinischer Einfluss 
gewaltet, geht aus der Bei- 
schrift: »Sancta eEOTOKOC« 
auf Bl. 106^) hervor. Wenn 
wir in dem Evangelien buch 
zu Brescia,^) dem Bruchsaler 
Evangelistar No. 1 in Karls- 
ruhe, Bl. i/a,^) dem Psalter 
des Landgrafen Herrmann von 
Thüringen in Cividale aus dem 
XII Jahrhundert, auf einer zu 
einem früheren Altarvorsatz 
gehörenden Grubenschmelz - 
Platte im Domschatze zu Hil- 
desheim (XII Jahrhundert) die 
Kinder mit den Gewändern so 
wie ein Kind auf einem Baume 
antreffen, so erklärt sich auch 

No. 13. Evangcliar. Kgl. Bibl. Berlin (No. 66). XH Jahrh. dieses unschwer durch die 

byzantinischen Anklänge, die 
sich auch sonst in diesen Werken finden. Ein etwas spielerischer Zug im Egbert-Codex,*) 




1) Leitschuh, Führer durch die Königl. Bibliothek zu Bamberg, 1878, S. 28. 

^) Abbildung bei Valentini a. a. O. , Tav.V. 

>) Abbildung bei Lübke, Geschichte der deutschen Kunst, S. 296, Fig. 266. 

*) Abbildung bei Kraus, Taf.XLIII. 



VON E. DOBBERT 



151 



in der Echternacher Handschrift in Gotha und in dem Evangelienbuche zu Brescia 
ist es, dass Palmblätter dem Esel gleichsam zum Fressen vorgehalten werden.^) 

Das Bild in S. Angelo entspricht durchweg dem byzantinischen Schema: das 
Seitwärtssitzen Christi, der in der Linken die Schriftrolle hält, mit der Rechten 
segnet oder seine Rede begleitet, die ihm folgende dichte Jüngerschar, an deren 
Spitze Petrus schreitet, der stürmische Eifer, mit welchem die beiden Knaben ihre 
Gewänder ausbreiten, der den Baum erkletternde und der im Baumwipfel sitzende 
und Zweige abreifsende Knabe, die Gruppe der übrigen Kinder, die, wie gewöhnlich 
in der byzantinischen Kunst, nichts eigentlich Kindliches an sich haben, sondern wie 
kleine Erwachsene, ja Greise erscheinen, die, wie die Jüngergruppe, durch zahlreiche 
neben und über einander gemalte Kopfteile angedeutete Schar der feierlich aus dem 
Thore von Jerusalem herankommenden Menschen, das alles ist echt byzantinisch. 
Diesen Ausspruch möge ein Vergleich unseres Bildes (Fig. 12) mit der entsprechenden 
Miniatur auf Bl. 65 b der Evangelienhandschrift der Königlichen Bibliothek zu Berlin 
No. 66 (Fig. 13) erhärten. 

Ein Hauptmerkmal byzantinischer Darstellungen der nFufswaschung^ ist, dass 
Petrus, dessen Fufs der mit einer Schürze versehene Christus über einem Geftifse 
wäscht, mit der Rechten nach dem 
Kopfe greift (Johannes Xlll, 9: 
Spricht zu ihm Simon Petrus: 
Herr [dann] nicht blofs meine 
Füfse, sondern auch die Hände 
und das Haupt!). Unser Bild 
(Fig. 14) stimmt aufs genauste 
überein mit den zahlreichen by- 
zantinischen Darstellungen dieses 
Gegenstandes, von denen ich die 
Miniatur des griechischen Evangelienbuches in Parma (XI Jahrhundert) (Fig. 1 5) *) zum 
Vergleiche heranziehe. 

Im Evangelienbuche des Kaisers Otto'), im Egbert -Codex*) und im Münchener 
Evangeliar Cim. 58*) steht Christus aufrecht da und erhebt redend die Rechte gegen 
Petrus, welcher den linken Fufs in die Schale setzt und beide Hände Christus ent- 
gegenstreckt. In abendländischen Werken aber, die auch sonst byzantinische Anklänge 
zeigen, greift Petrus wieder nach dem Kopfe, so im Karlsruher Evangelistar No. 1, im 
Antiphonar zu Salzburg*^), im Psalter der Bamberger Bibliothek A. 11,47, Bl. 62a, aus 
der ersten Hälfte des XIII Jahrhunderts. 

Wir kommen zu den Scenen aus der Leidensgeschichte Jesu in der unteren 
Reihe der nördlichen' Wand. 

Das » Gebet Christi auf dem Ölberge « ist mit dem darauf folgenden Vorgange, 
da Christus zu den schlafenden Jüngern redet, bereits im Codex Rossanensis ^) zu 





No. 14. S. Angelo in 
Formis. 



No. 15. Evangelistar. 

Bibl. Parma (No. 5). 

XI Jahrh. 



*) Vergl. Lamprecht, a. a. O., S. 102. 

'j Nach einer von meinem Freunde Dr. Tikkanen angefertigten Photographie. 

') Abbildung bei Beifsel, Taf. XXVIII. 

*) Abbildung bei Kraus, Taf. XLIV. 

5) Vergl. Vöge, a. a. O., S. 57. 

«) Abbildung a.a.O., Taf. X. 

^) Abbildung bei von Gebhardt und Harnack, Taf. XI. 

20* 



152 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



einem Bilde vereinigt, in welchem Christus rechts demütig betend am Boden liegt, 
links aber die drei Jünger, die er zu sich genommen: Petrus und die Zebedaiden weckt. 
Die beiden Christusgestalten kehren fonan in der byzantinischen Kunst in der Regel 
wieder, zu dem am Boden liegenden Christus kommt ein ihn anredender Engel 
hinzu, an die Stelle der drei Jünger tritt oft die dicht gedrängte Gruppe der elf schla- 
fenden, beziehungsweise infolge der Anrede Christi erwachenden Jünger. Es sind 
Ausnahmen, wenn, wie in der Evangelienhandschrift No. 1156 der Vaticana ') , der zu 
den dicht gescharten Jüngern redende Christus fortgelassen ist und dem betend am 
Boden liegenden Jesus statt des Engels die Hand Gottes erscheint, oder wenn, wie 
in dem stark abgekürzten Bilde des Barberini- Psalters auf Bl. 109b, den betenden 
Christus nur Strahlen aus einem Himmelssegment und in der Miniatur auf Bl. 184 b, 
von der Hand Gottes ausgehende Strahlen treffen. Die Vorschrift des Malerbuches 
vom Berge Athos entspricht der Darstellung mit den beiden Christusgestalten und 
dem Engel. 

In der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst scheint der Gegenstand nur 
selten dargestellt worden zu sein. In der Vögeschen Handschriftengruppe findet er 
sich nur einmal, in dem Evangeliar Cim. 58 der Münchener Staatsbibliothek auf 
Bl. 244b: »Christus in Gethsemane redet zu den schlafenden Jüngern; Christus an- 
betend.«^) Wie hier, so finden wir die beiden Christusgestalten auch in dem Evan- 
gelienbuche des Berliner Kupferstichkabinets No. iii, Bl. 22 b: Dem am Boden 
liegenden Jesus erscheint die Hand Gottes. Vor Petrus und zwei anderen Aposteln 
steht Jesus mit einem Spruchbande, auf dem geschrieben ist: Dormite jam. (Matthäus 
XXVI, 45).') Die Verdoppelung der Gestalt Christi fehlt in der Miniatur des Wyse- 
hrader Evangelienbuches in Prag: Zur Rechten schlafen drei Jünger zwischen zwei 
Bäumen, zur Linken betet Christus an einem Berge, über dem die Hand Gottes 
erscheint.*) Das Bild in S. Angelo in Formis entspricht Zug für Zug dem byzan- 
tinischen Schema der ausführlichen Darstellung. Auch hier ist ein Vergleich mit 
der betreffenden Miniatur in dem Evangelienbuche der Königlichen Bibliothek zu 
Berlin No. 66, Bl. 87b lehrreich: In ähnlich demütiger Haltung liegt Christus am 
Boden, auch ist die Schar der Jünger, an die Christus sich wendet, in entsprechender 
Weise auf geringem Räume zusammengedrängt, doch fehlt der Engel. 

Bei der i^ Gefangennahme Christidi vermag ich einen Unterschied zwischen der 
byzantinischen und der abendländischen Darstellungsweise in Bezug auf die Gesamt- 
komposition nicht anzugeben. Hier wie dort bilden der Judaskuss und die Scene, 
da Petrus dem Malchus das Ohr abhaut, die beiden Hauptbestandteile des Bildes. 
Hier wie dort wird Christus in dem Augenblick, da Judas ihn umarmt, von den 
Feinden ergriffen. Das Unterscheidende liegt wesentlich auf dem Gebiete der 
Typen und der Gebärdensprache, und hier ist für die byzantinische Darstellungs- 
weise die stürmische Art, in welcher Judas seinen Meister umarmt und küsst, be- 
sonders bezeichnend. Man vergleiche hierzu mit unserem Bilde, Fig. 16, die Miniatur 
in dem syrischen Evangelienbuche des Rabula aus dem VI Jahrhundert*), die in 



^) Abbildung bei d'Agincourt, Malerei Taf. LVII. 
«) Vöge S. 26. 

*) Vergl. Beifsel, Des h. Bern ward Evangelienbuch S. 35. 
*) Beifsel, ebenda S. 18. 

*) Abbildung bei Assemani und bei Biscioni, a. a. O. Tab. XXI. Danach auch bei 
UssofiF a. a. O. — Garrucci, a. a. O. III Tav. 138. 



VON E. DOBBERT 



163 



Fig. 17*) wiedergegebene Gruppe aus der Gefangennehmung in dem Psalter der Königin 
Melisenda im Brit. Museum (Egerton 1139) aus dem XII Jahrhundert, sowie die Minia- 
turen in dem Evangelien buch No. 1156 der Vaticana Bl. i94b^) und in der Hand- 
schrift der Pariser National -Bibliothek No. Suppl. 27 aus dem XII Jahrhundert 
Bl. ii8b.») 

Die innerhalb desselben Rahmens befindliche Scene, in welcher ein stehender 
Mann mit rotem, doch wohl von einer Übermalung herrührenden Schnurrbart zu 
einem ihm gegenüber sitzenden, in einen reich gemusterten Mantel gehüllten Greise 
redet, vermag ich wegen der Kleidung der zuerst genannten Gestalt — weifses Unter- 
gewand und ein, nach 
der treffenden Bemer- 
kung von Kraus (S. 91), 
wie eine Casula gebil- 
deter Mantel — nicht 
für jenen Vorgang zu 
halten, da Judas vor 
dem Hohenpriester den 
Verrat plant. Eher ist die 
Beratung der Hohen- 
priester, der Schriftge- 
lehrten und der Ältesten 
bei Kaiphas gemeint, 
»wie sie Jesum mit List 
griffen und töteten« 

(Matthäus XXVI, 4), oder es schwebte dem Urheber des Gemäldes die Stelle Matthäus 
XXVII, 47 vor, wonach die Schar, die Christus gefangen nehmen sollte, von den 
Hohenpriestern und Ältesten des Volkes abgesandt worden. 

Bei der y> Verspottung Christi^^i schlägt ihn, wie in S. Angelo in Formis, auch im 
Pariser Evangelien buche No. 74 ein Mann auf den Kopf und knieen andere höhnend 
vor ihm*). Wie weit dies in einer mit der Darstellung in S. Angelo im einzelnen 
übereinstimmenden Weise geschieht, vermag ich nicht zu sagen. In dem betreffenden 
Mosaikbilde in S.Marco zu Venedig häh Christus, wie in S. Angelo, ein Rohr als 
Scepter in der Hand. Links knieen zwei Höhnende, rechts einer.*) Ein Mann scheint 
im Begriff, den Dulder mit der Hand ins Gesicht zu schlagen, wie auch auf unserem 
Bilde der tückisch blickende Mann, der mit dem Stabe Christi Haupt berührt, die 
Rechte wie zu einem solchen Schlage erhoben hat. 

Die Vereinigung der r> Scene, in der sich Pilatus die Hände u^äschta, mit der 
y>JfCreu:{tragung<i zu einem Bilde beruht auf alter Überlieferung. Wir finden sie bereits 
an der hölzernen Thür von S. Sabina aus dem V Jahrhundert,*) deren Ausführung 





No. 16. S. Angelo in Formis. 



No. 17. Psalter der Königin 

Melisenda. Brit. Mus. London. 

Egerton 1 139. XII Jahrh. 



^) Auf Grund der Abbildung bei Du Somerard, Les arts au moyen-Sge, Album, 8. serie. 
PL XIII. 

*) Abbildung bei d'Agincourt, Malerei. Taf. LVII. 

*] Abbildung bei Bordier, a. a. O. S. 217, Fig. 108, und danach bei Pokrowski a. a. O. 
S. 300. 

*) Siehe Pokrowski S. 306. 

') Abbildung bei Ongania Bd. I (grofs Folio), Tav. XVI. 

«) Abbildung bei d'Agincourt, Sculpt. Taf. XXII; Garrucci, Tav. CDXCIX; Berthier, 
La porte de Sainte-Sabine, Freiburg in der Schweiz 1892, S. 43. Zur Datierung der Thür vergl. 



154 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



neuerdings griechischen Künstlern zugeschrieben worden ist,^) sowie auf einer Elfen- 
beinplatte im Britischen Museum ebenfalls aus dem V Jahrhundert.*) Auf einem Throne 
hinter einem viereckigen Tische wie auf unserem Wandbilde sitzt Pilatus in den 
Miniaturen des syrischen Evangelienbuches des Rabula Bl. 278,') und des Codex von 
Rossano*) aus* dem VlJahrhundert. Auf der rechten vorderen Säule des Altar- Cibo- 
riums in S. Marco zu Venedig, wie ich glaube, spätestens im VI Jahrhundert ent- 
standen/) schaut, wie auf unserm Gemälde, der Kopf der Frau des Pilatus, die von 
der Verurteilung Christi abrät, zu einem viereckigen Fenster heraus. Pilatus sitzt 
auch hier hinter einem viereckigen Tische. •) In byzantinischen Werken trägt zu- 
weilen Christus selbst sein Kreuz, oft aber thut es, wie auf unserm Bilde, der greise 

Simon von Kyrene. Die Darstellungen 
.^ der Kreuztragung in der frtlhmittelalter- 
lichen abendländischen Kunst, von denen 
ich weifs, die Miniaturen in den unter 
einander verwandten Evangelienhand- 
schriften zu Trier, ^) Gotha*) und Bremen') 
lassen Simon von Kyrene das Kreuz 
tragen. 

Die nKreu:[igung(i entspricht durch- 
weg der byzantinischen Darstellungs weise 
des XI Jahrhunderts: die gerade Haltung 
Christi, die wagerechte Lage der Arme, 
der kurze Bart und das dichte auf die 
Schultern herabwallende Haupthaar, der 
Umstand, dass Christus den Kopf etwas 
nach links (vom Beschauer) hin neigt, das 
bis an die Kniee reichende Lendentuch, 
die Form des Kreuzes, vor Allem das 
nach byzantinischer Auffassung unumgäng- 
liche Trittbrett, auf dem Christus steht. 




No. 18. S. Angelo in Formis. 



meine Schrift: »Über den Stil Niccolo Pisanos und dessen Ursprung« 1873, S- ^7- SS> Anm. 100 
und meine Abhandlung: »Zur Entstehungsgeschichte des Crucifixesa in dem Jahrbuch d. 
Preufs. Kunsts. I (1880) S. 43 f. Siehe auch Kondakoff, Sculptures de la porte de Sainte Sabine 
ä Rome, i. d. Revue archeol. nouv. serie, vol. 33. Paris 1877. 

1) Berthier, a. a. O. 18. Vergl. dazu Kraus, im Repert. f. Kunstw. XVII (1894) S. 50. 

*) Abbildung bei Westwood, A descriptive catal. of the fictile ivories in the South 
Kensington Mus. 1876, Taf. IV bei p. 44; Garrucci, VI Tav. CDXLVI, i; Rohault de Fleury, 
L'Evangile II p. LXXXVI. Zur Datierung des Werks vergl. meine oben angeführte Abhandlung 
im Jahrbuch I, 46 f. 

B) Abbildung bei Assemani u. bei Biscioni a. a. O. Tab. XXII (danach auch bei Ussoff 
a. a. O.); Rohault de Fleury, UEvangile, PL LXXX, Garrucci, Tav. CXXXVIII. 2. 

*) Abbildung bei v. Gebhardt u. Harnack, Taf. XIV. 

*) Abbildung bei Garrucci, Taf. CDXCVII. Zur Datierung des Werkes vergl. meine 
Schrift: Über den Stil Niccolo Pisanos S. 88, Anm. 100, und Zorzi, bei Ongania, im 3. Teil 
des Textbandes Cap. XIII, S. 289 f und S. 297, Anm. I zu S. 294. 

*) Zu den im Texte angeführten Denkmälern vergl. auch Pokrowski, a. a. O. S. 301 f. 

') Abbildung bei Kraus, Codex Egberti, Taf. XLIX. 

*) Siehe Beifsel, Die Bilder der Handschrift des Kaisers Otto, S. 25. 

*) Siehe Müller, a. a. O. 64. Hier trägt Christus einen Domenkranz auf dem Haupte. 



VON E. DOBBERT 



165 



das alles ist echt byzantinisch, wie ein Vergleich unseres Bildes (Fig. i8) mit 
der Kreuzigung auf einem Elfenbeintriptychon der Pariser National - Bibliothek 
(XI — XII Jahrhundert) Fig. 19 ^) und derjenigen auf einem vergoldeten silbernen 
Kreuze aus dem XlJahrhundert im Martwili- Kloster im Kaukasus*) lehrt. Nicht als 
wenn die Kreuzigung in jener Zeit von der byzantinischen Kunst nur «in der Weise 
wie in S. Angelo dargestellt worden. Nicht selten 
erscheint Christus mit geschlossenen Augen, ver- 
storben, entweder aufrecht stehend oder auch 
wohl schon mit der, in der späteren Zeit ge- 
wöhnlich auftretenden Ausbiegung des Körpers 
nach links. Auch trägt er bisweilen das in den 
vorangegangenen Jahrhunderten übliche lange 
ärmellose (Purpur-) Gewand, das aber gerade 
im XI Jahrhundert meist dem Lendenschurz 
wieder Platz machte,') welcher, wenn auch in 
anderer Form, derjenigen einer Binde nämlich, 
an den ältesten bisher bekannten Crucifixen, dem 
an der Thür von S. Sabina in Rom und dem 
auf einem Elfenbeinrelief im Britischen Museum, 
sich findet.*) Immer wieder stehen Maria und 
Johannes trauernd zu den Seiten des Kreuzes. 
Maria erhebt häufig die Arme, oder wohl auch 
nur den einen, nach Christus hin, Johannes 
aber presst meist die Rechte an die Wange, 
wie in S. Angelo. Zum Vergleich sei auf den 
Johannes aus dem Kreuzigungsbilde in dem 
Evangelienbuche des Britischen Museums, Harl. 
18 10 (XII Jahrhundert) Bl. 205 (Fig. 20)*) hinge- 
wiesen. Diese der Antike entstammende Ge- 
bärde des Schmerzes findet sich übrigens auch 
oft auf abendländischen Kreuzigungsbildern.') 

Für die, selbstvergessenen Gram so treffend ausdrückende Haltung der Hände der 
Maria auf unserem Bilde vermag ich aus den byzantinischen Darstellungen der Mutter 
Jesu beim Kreuze ein Beispiel nicht beizubringen, wohl aber zeigt Johannes im Kreuzi- 
gungsbilde des Pariser Gregor von Nazianz No. 510, Bl. 30 b diese Gebärde.') Sonne 




No. 19. Elfenbeinrelief. 
BibL nation. Paris. Xl-XIlJahrfa. 



1) In der Abbildung sind die kleinen Gestalten des Kaisers Konstantin und der Kai- 
serin Helena zu Seiten des unteren Teiles des Kreuzes weggelassen. 

^) Abbildung bei Kondakoff, Onncb naauiTHHKOB'b ^pesHocTH b'b irfaKOTopux'b xpa- 
9iax*b H MOHacTbipjuTb rpyaiH (Beschreibung der Denkmäler des Altertums in einigen 
Kirchen und Klöstern Grusiens) St. Petersburg 1890, S. 71. 

*) Siehe Pokrowski, a. a. O. 361. 

*) Siehe meine oben genannte Abhandlung im Jahrbuch I (1880) S. 4if. und die Ab- 
bildungen auf S. 42 und 46. 

*) Nach dem Lichtdruck bei W. de Gray Birch und H. Jenner, Early drawings and 
illuminations . . . . in the British Museum, London 1879 ^®* S. 174. 

•) Siehe Vöge, a. a. O. 293. 

') Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile II, PL LXXXVIII. Über diesen Gestus 
der Trauer siehe Vöge 294 und die daselbst in Anm. 2 beigebrachten Beispiele. 



■56 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



und Mond in kreisförmiger Umrahmung, die Engel in halber Figur, die Anwesen- 
heit mehrerer trauernder Frauen, der Hauptmann, der die Rechte erhebt und mit der 
linken den Schild hält, die Teilung von Christi Gewand sind in der byzantinischen 
Kunst heimisch. 

Wie in der byzantinischen so wurde auch in der abendländischen Kunst des 
XI Jahrhunderts die Kreuzigung in verschiedener Weise dargestellt. Sehr oft, ja wohl 

meist erscheint Christus damals noch lebend, jugendlich, 
bartlos in aufrechter Stellung,') doch so, dass die Füfse 
meist nicht auf einem Trittbrette stehen. Bekleidet ist Jesus 
entweder mit einem langen Ärmelgewande*) oder einem 
Lendentuch. Das Ärmelgewand, welches im X Jahrhundert 
die Regel gewesen zu sein scheint und sich z. B. in den 
Miniaturen der Evangelienhandschriften in Aachen,') Gotha,*) 
Trier/) dem Evangeliar der Münchener Staatsbibliothek 
Cim. 58 Bl. 248 b*) findet, ist auch noch häufig im XI Jahr- 
hundert anzutreffen, so z. B. in dem Berliner Evangelistar 
No. III,') im Evangelistar zu Bremen,*) in dem einen der 
beiden Kreuzigungs- Bilder des Bern ward - Codex ,'*) in der 
Brüsseler Handschrift No. 9428,'*^) in dem aus Regensburg 
stammenden Evangelistar der Münchener Staatsbibliothek 
Cim. 54.»') 

Die j^ Grablegung Christia (Matthäus XXVII, 59—60; 
Johannes XIX, 40 — 42) wird in der byzantinischen Kunst in 
recht verschiedener Weise dargestellt. Eine sehr verbreitete 
Art ist diese, dass die in Windeln gehüllte Leiche von Joseph 
von Arimathia und Nikodemus auf das in den Fels gehauene Grab zu getragen wird, 
eine Handlung, an welcher zuweilen auch Maria teilnimmt, indem sie entweder dem 
Zuge folgt oder die Leiche mit unterstützt,") oder auch, wie in dem Psalter des Britischen 
Museums vom Jahre 1066, Bl. ii6a, mit den anderen Frauen weinend zur Seite steht. 




No. 20. Evangeliar. 

Brit. Mus. London. Harl. 1810. 

XU Jahrh. 



^) Nach Otte und aus 'm Weerth, Zur Ikonographie des Crucifixus, Jahrbuch d. 
V. d. Alt.-Fr. i. Rheinl. XLIV--XLV (1868) S. 200 findet sich die Darstellung des jugendlichen 
Christus im Anschluss an den heiteren Katakomben - Typus fast in allen deutschen Miniaturen 
der frühromanischen Zeit, während auf plastischen Denkmälern der Crucifixus gewöhnlich 
mit bärtigem Antlitze nach byzantinischer Auffassung erscheint. 

») Vergl.Vöge, 265 f. 

») Abbildung bei- Beifsel, Taf. XXX. 

*) Auf Bl. III a. Abbildung im Rheinländischen Jahrbuch XLVII— XLVIII, Taf. XV. 

«) Abbildung bei Kraus, Taf. XLIX u. L. 

«) Abbildung bei Vöge S. 61, Abb. 8. 

') Abbildung bei Weltmann und Wörmann, Gesch. d. Mal. I, 261. 

») Siehe Müller, a. a. O. S. 64. 

») Abbildung bei Beifsel Taf. XIX. Das andere Kreuzigungsbild ebenda Taf. XXIII 
zeigt das Lendentuch. 

^^) Siehe Beifsel, Des h. Bern ward Evangel. S. 33, wo die Handschrift dem XI Jahr- 
hundert zugewiesen wird, während Görtz, O coctoühih »nBonHCH b'b c^BcpH. Eepon'fe b'b 
IX H X CT. (Ober d. Zustand der Mal. in Nord-Eur. im IX und X. Jahrh.) S. 70 und Vöge, 
S. 384 sie ins X Jahrhundert setzen. Abbild, i. d. Melanges d'arch. red. par Cahier et Martin II, 49. 

") Abbildung bei Stockbauer, Kunstgesch. d. Kreuzes S. 208. 

»*) Pokrowski, S. 388. 



VON E. DOBBERT I57 



Im Evangelienbuche No. 105 der öffentlichen Bibliothek in Petersburg Bl. 178a tragen 
Johannes und die ihren Kopf gramvoll an das Haupt des Sohnes drückende Maria 
die Leiche zu Grabe, in dem Tetraevangelon Harl. 1810 des Britischen Museums aus 
dem XII Jahrhundert ßl. 205 b thun es die Mutter Maria und Maria Magdalena, während 
Johannes, der in der Mitte hinter der Leiche zu sehen ist, mit beiden Händen die 
Linke Christi ergriffen hat. 

Beispiele der eigentlichen Grablegung bieten eine Miniatur auf Blatt 218b des 
Petersburger Evangelienbuches No. 105, ein dem XII Jahrhundert zugeschriebenes Silber- 
Relief im christlichen Museum des Vatican,^) wo Maria und ein Greis, von trauernden 
Gestalten umgeben, die Leiche in das Grab senken, und das Elfenbeinrelief an dem 
wesentlich byzantinischen Altarvorsatz im Dome zu Salerno etwa aus dem XII Jahr- 
hundert.^) Das zuletzt genannte Werk lässt die Scene, jedoch ohne Maria und Johannes, 
wie unser Bild unter einem Ciborium vor sich gehen. In ganz ähnlicher Weise halten 
hier die beiden Männer die in Windeln gehüllte Leiche über einem Sarkophage. Dass 
wir es dabei mit einer in der byzantinischen Kunst typisch gewordenen Darstellungs- 
weise zu thun haben, geht auch daraus hervor, dass die Bestattung Johannes des 
Täufers in der Evangelienhandschrift No. 74 der Pariser National -Bibliothek^) und 
diejenige des Marcus auf einem Mosaikbilde in S. Marco zu Venedig^) in derselben 
Weise geschildert sind. 

Die mir bekannt gewordenen frühmittelalterlichen abendländischen Darstellungen 
der Grablegung Christi zeigen Joseph von Arimathia und Nicodemus, die den ein- 
gehüllten Körper Christi an den Schultern und den Füfsen über dem Sarkophage 
halten , insofern in einer von der byzantinischen Weise und unserem Bilde abweichen- 
den Art, als die beiden Männer nicht nach einer Seite hin gewandt, sondern einander 
zugekehrt dastehen. So ist es im Egbert- Codex ^), im Evangeliar der Münchener 
Staatsbibliothek Cim. 58*), in dem Evangelistar Cim. 57 derselben Bibliothek^), in 
dem der Apokalypse angebundenen Evangelistar der Königlichen Bibliothek zu Bam- 
berg No. A II, 42®), in dem Evangelistar zu Bremen^), in der Gothaer Handschrift^^). 
Während in den byzantinischen Darstellungen der Grablegung Maria und die anderen 
Frauen oft vorkommen"), fehlen sie in den oben genannten abendländischen Bildern 
durchweg. ^^) 

Einen ausgeprägt byzantinischen Charakter hat das Bild d Christus in der Vor- 
höUe<i^ von den Byzantinern, wie bereits oben (S. 143) bemerkt wurde, uvaTTcta-iQ ge- 
nannt. Wie Christus auf die kreuzweise liegenden Stücke der von zerbrochenen 
Schlössern und Riegeln umgebenen zertrümmerten Thür tritt, wie er Adams Hand 

^) Abbildung bei Rohault de Fleury, La s. vierge I PI. L. 

*) Abbildung bei Salazaro I. Tav. VIII. Abbildung der ganzen Altarplatte bei Rohault 
de Fleury, La Messe Bd. I PI. LXXXIX bis. 

») Abbildung bei Pokrowski, XXIV, Fig. 7. 

*) Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio) Tav. XIII. 

*) Abbildung bei Kraus, Taf. LI. 

•) Abbildung bei Vöge, S.61, Abb. 8. 

') Abbildung ebenda S. 221, Abb. 28. 

•) Siehe Vöge, S. 142; 223. 

•) Siehe Müller, a.a.O. S. 64, wo die vollständige Ähnlichkeit mit der Miniatur im 
Egbert -Codex hervorgehoben wird. 

10) Abbildung im Jahrbuch d. Ver. d. Alterthumsfr. i. Rheinl. XLVII— XLVIII, Taf. XV. 

11) Vergl. auch das Handbuch der Malerei vom Berge Athos S. 207. 
") Vergl. Vöge, S. 250. 



168 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 




No. 31. S. Angelo in Formis. 



ergriffen hat, wie neben Adam Eva flehend erscheint, wie Johannes der Täufer mit 
erhobener Hand die Gerechten auf Christus hinweist, wie die Öffnung der Hölle zackig 

umrandet ist, alles dieses entspricht der 
byzantinischen Darstellungsweise. Sehr 
häufig, insbesondere in den griechischen 
Psaltern der asketisch-theologischen Rich- 
tung, tritt Christus auf eine Personi- 
fikation des besiegten Hades, oder der 
letztere wird wohl auch von Engeln ge- 
fesselt. 

Den Hades unter dem linken Fufse 
Christi, weiter unten aber die zertrüm- 
merte Thür zeigt auch die Miniatur in 
dem früher zur Hamilton -Sammlung ge- 
hörenden Evangelienbuche, welcher un- 
sere Fig. 22^) zum Vergleiche mit dem Bilde in S. Angelo in Formis (Fig. 21) ent- 
nommen ist. 

In abendländischen Darstellungen unseres Gegenstandes pflegt die Andeutung der 
Höllenthore zu fehlen, die Hölle erscheint nur als ein grofses Feuer, zu welchem 

Christus, von einer Mandorla eingeschlossen, schräg 
herabkommt. ^) Die Andeutung des Thores, so- 
wie die abweichende Stellung Christi in dem Anti- 
phonar zu Salzburg') erklärt sich durch byzantini- 
schen Einfluss. 

Auch das folgende Bild: j>Die Frauen am 
Grabev^ entspricht ganz dem byzantinischen Schema, 
sowohl in der Art, wie der Engel dasitzt und mit 
der Rechten über die den Stab haltende Linke hin- 
weg auf die Totenbinden, die der auferstandene 
Christus abgelegt hat, hinweist, als auch in der 
Stellung der beiden Frauen und dem Kuppelbau 
über dem Grabe. Man vergleiche z. B. unser Bild 
(Fig. 23) mit dem Goldrelief im Louvre zu Paris 
(Fig. 24)*), wozu nur bemerkt sei, dass das Höhlen- 
grab des Reliefs keineswegs ein durchgehender 
Zug der byzantinischen Bilder ist. Ein Ciborium, 
wie auf unserem Gemälde, findet sich in der Minia- 
tur eines Psalters im Pandokrator- Kloster auf dem 
Athos, auch ist das Grab zuweilen durch ein zelt- 
artiges Häuschen angedeutet.^) 
TiDer Gang nach Emmausa scheint von der byzantinischen Kunst nur selten darge- 
stellt worden zu sein, wie sich dieser Vorgang denn auch nicht im Malerbuche vom Berge 

^) Nach dem Lichtdrucke im Auktionskataloge vom Jahre 1889. 
>) Vöge, S.267. 

*) Abbildung in den Mitteilungen der Central -Commission XIV. (1869), Taf. XV. 
*) Auf Grund der Abbildung bei Lacroix, Les arts au moyen age et a repoque de 
la renaissance. 2. ed. Paris 1869. Bei S. 490. 
*) Pokrowski, a.a.O. S. 396. 




No. 22. Evangelistar der früheren 
Hamilton -Sammlung. XlJahrh. 



VON E. DOBBERT 



159 




No. 33. S. Angelo in Formis. 



Athos verzeichnet findet, sondern statt dessen das Mahl zu Emmaus, bei welchem 
Christus von Lucas und Kleophas erkannt wird.*) Dass aber der Gegenstand von der Dar- 
stellung durch die byzantinische Kunst nicht prin- 
zipiell ausgeschlossen war, beweist die Miniatur 
im Pariser Evangelienbuch No. 74 Bl. 162b, so- 
wie das Bild in der auf dasselbe Original zurück- 
gehenden Evangelienhandschrift in Jelisawet- 
grad.^) Wie auf unserem Gemälde trägt Christus 
eine Tasche auch auf dem entsprechenden Mo- 
saikbilde im Dome zu Monreale.*) 

Das Bild: y> Christus erscheint den Jüngern 
am See von Tiberias^ (Johannes XXI, i — 11) 
entspricht dem Schema, das sich in der byzan- 
tinischen Kunst für diesen Gegenstand und in 
ähnlicher Weise für den bei Matthäus XIV, 24 — 33 
und Marcus VI, 47 — 51 erzählten Vorgang, wo Jesus dem sinkenden Petrus hilft,*) 
herausgebildet hat.*) Auch stimmt die Darstellung im wesentlichen mit der Vor- 
schrift des Malerbuches § 315, S. 210 überein, 
nur dass die hinter Christus vorgeschriebenen 
brennenden Kohlen mit den Fischen fehlen.*) In 
der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst 
ist der Gegenstand nur ausnahmsweise, so in 
dem Egbert- Codex'), dargestellt worden. Doch 
ist hier Petrus nicht, wie auf unserem Bilde, 
bis an die Schultern vom Wasser umgeben, 
sondern schreitet, das Netz hinter sich herzie- 
hend, über die Wellen hin. 

Die stark zerstörte Darstellung des »wn- 
gläubigen Thomas^ der die Wundmale Christi 
befühlte (Johannes XX, 24 — 31) lässt noch die 
in den byzantinischen Bildern immer wieder 
anzutreffende demütig gebückte Stellung des 
Thomas wahrnehmen. 

Den ganz geringen Resten des letzten 
Bildes, Tider Himmelfahrt Christi^^ gegenüber, 
notierte ich mir an Ort und Stelle, dass von 
dem Kopf der Orantin (Maria hat in byzantinischen Darstellungen der Himmelfahrt 
immer wieder die Stellung altchristlicher Beterinnen), von einem emporweisenden 
Engel und fünf oder sechs Aposteln noch etwas zu sehen sei. 




No. 24. Gold platte im Louvrc. 
Paris. X-XIJahrh. 



^) Vergl. auch Kraus, Jahrb. XIV, S.92. 

*) Siehe Pokrowski, S. 246. 

■) Abbildung bei Gravina, Tav. 20B. 

*) In den hierher gehörenden Bildern reicht Christus gewöhnlich dem Petrus die Hand. 

^) Vergl. Pokrowski, a.a.O. S. 237. 

•) Vergl. auch Kraus, S.92. 

') Abbildung bei Kraus, Taf. LV. 

(Schluss folgt.) 



l6o DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL 



DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL 



VON C. JUSTI 

Von den Tizians, deren sich die Casseler Gemälde -Galerie einst rühmte, ist 
neuerdings nur ein Bildnis unangefochten geblieben, freilich ein merkwürdiges, in 
seiner Klasse einziges, bezeichnetes StUck. ^) Bei der neuen Aufstellung im Prachtbau 
Dehn-Rotfelsers hat es auch durch Director Eisenmann einen auszeichnenden Platz 
erhalten. Gleich beim Eintritt von der hohen Treppe aus trifft das Auge, an der fernen 
Schlusswand der hier sich öffnenden Flucht von Sälen, die Figur des roten Edel- 
manns. Wen es vorstellt, ist bis jetzt nicht ermittelt worden, so wahrscheinlich es 
jedermann vorkommen musste, dass sich noch einmal für diesen Unbekannten von 
vornehmem Stand eine der des Malers Biographie verzierenden geschichtlichen Gröfsen 
melden werde. 

Die Nachrichten sind diesmal ungewöhnlich dürftig. Bei keinem Biographen, 
weder Vasari noch Ridolfi, in keinem bekannten Katalog italienischer Gemälde- 
kabinette findet sich eine Spur; auch ist bis jetzt niemand aufgetreten, der einen 
übereinstimmenden Kopf gesehen zu haben glaubte. Die Geschichte des Bildes fing 
erst an im Jahre 1756, als es der Schöpfer der Casseler Galerie, Landgraf Wilhelm VIII, 
ein Fürst von durchgebildetem Geschmack und hervorragender Kennerschaft, aus 
Paris erhielt. 

Als man solche Anonymi noch mit leichterem Herzen taufte, als heute mehr 
möglich ist, hat natürlich auch dieser seinen Namen bekommen, der bis jetzt, mit einem 
^angeblich' an ihm haften geblieben ist. Es sollte der spanische Marques del Vasto, 
Alonso d'Avalos sein, dessen Namen für mehr als eine rätselhafte Soldatengestalt 
Tizians herhalten musste. Nur ein sicheres Porträt giebt es von ihm: die Allocution 
im Museum des Prado. Dass die Person des Feldherrn in dieser nach altrömischem 
Muster komponierten militärischen Scene wirklich ein Porträt ist, steht nach der kurz 
vorher unternommenen Reise des Malers nach Mailand, der Residenz des Generals, 



^) Facsimile in Dr. Eisenmanns Katalog von 1888 N. 450, TITIANVS FECIT. Im 
Nachtrag zum Inventar von 1749, No. 851: »Titiano (Verselli) Ein Lebensgrofs Portrait in 
Rother Kleidung, mit einem langen Spiefs in der Hand, benebst dem Cupido, weicher mit 
dem Helm spielet, auf Leinen in verguldetem Rahm.« 7 Schuh 2"^ g' 5''. 




. • \ \ }• '•• \ 




TIZIANO VECELLIO 



GIOVAN FRANCESCO ACQUAVIVA HERZOG VON ATRI? 



ORIGINAL IN DER K. GALKRIE ZU CASSEL 



VON C. JÜSTI l6l 



aufser Zweifel, wird auch durch den Holzschnitt in Jovios Elogia (Basel 1575, 335) 
bestötigt. Aber dies ist doch ein Kopf von ganz anderem Typus, — dem des so- 
genannten Varchi in Wien ähnlich: grofsgeschnittenes Auge, stark vortretende, eher 
kurze Stülpnase. Auch hätte der General und Gouverneur von Mailand sicher den 
bei Feldherren üblichen Plattenharnisch gewählt. Noch weniger freilich gleicht diesem 
echten Don Alonso der Ritter in der Allegorie des Louvre, dessen Benennung seit 
Felibien (1679) das Ansehen der Verjährung erlangt hat. Dass der Marques sich hier 
in mythologischer Gesellschaft als verliebter Ritter befindet, hatte wahrscheinlich die 
Übertragung des Namens auf unser Bild veranlasst, — in dem ja auch Amor sich ein- 
geschlichen hat. 

Einmal schien ein Licht aufzudämmern, als der Verfasser den Versuch machte, 
in Auktions- Katalogen früherer Zeiten nach Notizen zu schürfen. Man wusste, dass 
der Agent des Landgrafen, von Hoet, die Leinwand am 29. Mai 1756 in Paris gekauft 
hatte. Es ergab sich, dass dies in der am 22. März eröffneten Versteigerung der Galerie 
des Duc de Tallard, Gouverneur der Franche-Comte, geschehen war, wo sie für 
1 140 livres zugeschlagen wurde. ^) Vorher war das Bild im Kabinett Carignan gewesen. 
Victor Amadeus, Prinz von Carignan, premier prince du sang de Sardaigne, seit 17 18 
in Paris lebend, -J- 4. April 1741, spielte seiner Zeit eine auffallende, seines ruhm- 
bedeckten Geschlechtes kaum würdige Rolle in der Gesellschaft der Regentschaft. 
Der Verkauf der Bilder des Palastes von Soissons, zu seinen Lebzeiten auch Spielhölle, 
begann am 30. Juli 1742; unser Gemälde erzielte damals mehr als später: 1750 livres. 
Der Katalog des Experten de Poilly bezeichnet die Figur als Malteserritter, obwohl 
kein Ordenszeichen sichtbar ist, der Tallardsche als Dieudonne de Gozon, siebenund- 
zwanzigsten Grofsmeister des Ordens von Rhodus (1346 bis 1353).*) Dieser Herr ent- 
stammte einer Familie des Languedoc, die dort noch bis zur Revolution vorkommt. 
Blanc meinte, in der Voraussetzung dass die Benennung einen ernstlichen Grund haben 
werde, Tizian möge die Ähnlichkeit wohl irgend einer aus Malta stammenden Tapisserie 
entlehnt haben. Dass er nach einer alten Tapetenfigur, freilich mit Hülfe seltsamer 
Anachronismen im Kostüm, eine so lebendige Gestalt herausgebracht, wäre ihm wohl 
zuzutrauen, von einem Bildniswert würde freilich keine Rede sein können. Aber diese 
Benennung, vielleicht im Hotel de Soissons erfunden, gründet sich lediglich auf die 
Helmzier mit dem grofsen roten Drachen. Dieser einst beliebte (auch auf Helmen 
des Herzogs Francesco Maria von Urbino und Franz I vorkommende) Drachenschmuck 
erschien damals fremdartig und wurde durch eine besondere Beziehung erklärt. 
Denn Gozon ist niemand anders als der Ritter in Schillers Kampf mit dem Drachen. 
Der Einfall stammt auch wohl aus derselben Quelle wie die Ballade: des Abb^ de 
Vertot vielgelesener Geschichte der Malteser (erschienen 1727) war damals in aller 
Leser Gedächtnis.') 



1) Ch. Blanc, Le Tresor de la curiosite. Paris 1857, Vol. I. Auch citiert in dessen 
Histoire des peintres de toutes les ecoles, Art. Titien. Aus derselben Auktion Tallard 
stammten auch No. 470, Paul Veronese, Moses (früher Crozat) 400 livres, und No. 540, 
Guercino, Judith, 811 livres; nach Felibien, Entretiens IV, 231: gemalt 1651 pour le Sieur 
Giacomo Zanone; damals (1685) ^^^ Abbe Mey in Lyon. 

*) Portrait en pied de Dieudonne de Gozon vingt-septieme grand-maitre de l'ordre 
de Malte; il est arme d'une lance, ayant un chien pres de lui; un enfant tient un casque. 

•) De Vertot, Histoire des Chevaliers hospitaliers de S. Jean de Jerusalem. Tom. II, 
192 ff. Paris, 1761. 



102 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL 

Vor dem Kabinett Carignan zierte das Ponrät die Galerie des königlichen Silber- 
bewahrers De la Chätaigneraye , die 1732 unter den Hammer kam.*) Da heifst er einfach 
'Commandeur'. Weiter hinauf aber verlor sich der Stammbaum in bis jetzt hoff- 
nungslosem Dunkel! Das Licht der alten pariser Kataloge erwies sich als ignis 
fatuus. 



Das Casseler Gemälde gehört zu den sehr seltenen Bildnissen Tizians in ganzer 
Figur [Htratto in piedi), Aufser dem Kaiser und dem König von Spanien ist fast 
nur bekannt das des Diego de Mendoza, der kurz vor der Zeit, als unser Porträt 
entstand 9 kaiserlicher Gesandter in Venedig war. Sonst finden sich solche nur im 
Gruppenbild (wie Papst Paul III, umgeben von seinen Neffen); in der pala mit 
Stiftern und Familien (Pesaro und Cornaro), und im dekorativ -allegorischen Ge- 
mälde, wie dem Dogen Grimani im Palazzo ducale. 

Unser Mann steht in freiem Felde, in der Rechten eine Lanze. Es ist eine 
mittlere, aber wohlgebaute, nervige Figur, in seiner ruhig- stolzen Haltung von jener 
natürlichen Eleganz, wie sie oft bei muskelstarken Männern vorkommt. Wendung 
und Blick, der Zug der Brauen, die scharfen Falten um die Nase, der festgeschlossene 
Mund, verraten Temperament und Willen. Diesen Eindruck verstärkt der kurze aber 
dichte Vollbart. Die Gestalt entspricht ganz den Vorstellungen der damaligen Italiener 
vom Bau eines ritterlichen Helden; so malt Tasso seinen Rinaldo: 

Oltre cio, larghe spalle, ed ampio petto, 

Braccia lunghe snodate, e muscolose, 

Ventre piano traverso, ai fianchi stretto, 

Gambe diritte, ed agilij e nerbose, 

Mobil vivacita, ch* in giovinetto 

Grazia aggiunge, e decoro all' altre cose, 

Grata figura, altero portamento 

Unito con mirabil tempramento. (II Rinaldo, Canto IX, 17.) 

Der feste Blick der dunkelbraunen Augen scheint gewohnt, prompten Gehorsam 
zu finden. Man hat ihn wohl einer Jagdtruppe zugewandt gedacht, die das Zeichen 
zum Aufbruch erwarte. Der schöne grofse Hund und der Spiefs (Saufeder?) könnte 
dazu passen; aber der Anzug ist kein Jagdkostüm. In ihm ist Ritterlich - Soldatisches 
mit fürstlicher Gala verbunden. 

Er trägt eine prächtige italienische Panzerjacke. Solche Korazins waren an der 
Innenseite mit stählernen Schuppen benäht, und mit Sammet (auf Leinwand) überzogen, 
der hier an Achsel, Gürtel und Schofs ausgezaddelt ist. Sie ist, wie Helm und Pausch- 
hose, mit senkrechten Goldlitzen verziert, und besät [mouchetd] mit trapezförmig 
gruppierten Knöpfchen. Diese Knöpfchen haben die Form von vergoldeten Rosetten. 
Sie maskieren die Vernietungen jener schindeiförmigen Schuppen. Die Ärmel aus 



^) Catalogue de tableaux des plus grands mattres d*Italie, Flandre et Hollande, du 
cabinet de feu Mr. de la Chätaigneraye, argentier de la Chambre du Roi et des Enfants de 
France. Paris 1732. 

Un tableau de sept pieds huit pouces de haut, sur six pieds un pouce de large, y 
compris sa bordure doree, peint sur toile, representant le portrait d*un Commandeur, avec 
son casque a c6te et une pique a la main, accompagne d*un amour, et de l'autre coli un 
chien, avec un beau fonds de paysage, peint par le Titien. (Nach gütiger Mitteilung von 
M. Georges Duplessis und M. E. Müntz.) 



VONC. JUSTI 163 



eisernem Maschengewebe (wunderbar gemalt), sind wohl nicht Teile eines Ketten- 
hemdes, sondern der unter dem Korazin (den sie ergänzen) getragenen, nicht sicht- 
baren Seidenjacke angenäht.^) Im Schwertgurt steckt auch ein Dolch; beide, Degen 
und Dolch, sind reich ciseliert und vergoldet. Der Lanzenschaft ist mit Riemen (befestigt 
durch vergoldete Nfigel) umschnürt, unter der Klinge hfingt eine rote Quaste. 

Der Hut ist ohne Parallele bei Tizian, der, wenn er ausnahmsweise Bildnissen 
eine Kopfbedeckung giebt, das Barett vorzieht. Um die Zeit unseres Gemäldes wurden 
solche Hüte wieder Mode, mehr oder weniger hoch, gesteift^ oben meist abgerundet. 
Die gerollte Krampe hat ganz das Aussehen eines Wulstes oder Rundpolsters, verziert 
mit goldgesäumten Schlitzen, gleichsam eines zusammengeschrumpften bal^Oj wie sie 
früher bei beiden Geschlechtern in Italien beliebt waren ; sie vertritt hier die Stelle des 
reichverzierten Hutbandes oder Schleiers. Cesare Vecelli vergleicht den balzo mit einem 
Kranz oder Diadem. *) An der rechten Seite ist eine Agraffe befestigt, bekrönt von 
einem Juwelenzierat (?), den zwei vergoldete Knabenfigürchen (von Silber?) flankieren. 
Aus dem Busch von rotgefärbten Straufsenfedem steigt ein weifser Reiherschopf auf. 
Diese Hutform ist nicht gewöhnlich; Wendelin Boeheim ist geneigt, sie für neapoli- 
tanisch - kalabresisch zu halten. 

Die wenig über die Mitte der Oberschenkel reichenden Hosen sind geschlitzt; 
die Strümpfe von rotem Tricot, die Schuhe, vorn stumpf und sackartig abgerundet, 
sind ebenfalls geschlitzt und gezaddelt. 

Auch die in allen Teilen und Zieraten des Anzugs durchgefUhne rote Farbe 
weiht vielleicht auf hohen Stand hin. Eine Ordonnanz Heinrichs II von 1549 ge- 
stattet nur Prinzen und Prinzessinnen den roten Anzug.') 

Die übliche schneeweifse schmale Krause {lattuga) trennt den braunbärtigen 
Kopf (den einzigen kräftig dunklen Punkt in dem Gemälde) von dem gold- 
schimmernden Rot der Panzerjacke. 

Der Wiese ist ein Blumenflor, blaue und weifse Anemonen, entsprossen, 
zwischen ihnen steht Amor. Mit (sehr rudimentären) Fittigen ist er herbeigeeilt, hat 
den Köcher ins Gras geworfen und den Bogen an einen Stein gelehnt. Er macht sich 
nun mit dem gewaltigen Helm zu schaffen. Das rotgefiederte Untier mit dem gold- 
gelben Kopf und der roten Zunge scheint ihn zu reizen. 

Cythereens Söhnchen bringt ein dichterisches und zugleich friedliches Element 
in die Erscheinung des Ritters. Die Verfasser von Tizians Leben erinnern hier an 
den Vers Aretinos auf Herzog Albas Porträt: 

La efHgie adoranda della pace, 
L' imagine tremendo della guerra. 

Dem Flügelknäblein tritt als Pendant gegenüber Tizians prächtigstes Hunde- 
porträt, ganz silberweifs, nur mit gelbem Behang und Flecken über den Augen. 
Halb schmeichlerisch, halb besorgt umkreist er dicht am Knie seinen Herrn. Sonst 
unbedingter Kinderfreund ist ihm doch der kleine Schelm an dem Helm da ver- 
dächtig. Aber ihm ahnt, dass pflichtgemäfse Einsprache hier nicht angebracht wäre. 



^) Cesare Vecellio, Abiti No. 133 u. 134, beschreibt soldatische Kostüme, mit dem 
Colletto von Leder über dem Wams. Die Bravi trugen darunter giubboni di tela di Fiandra, 
con maniche del giacco di maglia. 

*) Derselbe No. 46, jj Un balzo fatto a modo di una ghirlanda tonda . . . a guisa 
di diadema. 

^) J. Quicherat, Histoire du costume en France. 1875. P* 3^- 



164 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL 

Gewifs hat eine umständliche Beratung dieses Programms zwischen Maler und 
Besteller stattgefunden. Das Selbstgefühl des Mannes sollte darin in mannigfaltiger 
Weise, als Soldat, Sponmann, Fürst und Freund der Frauen und der Dichtung, 
zum Ausdruck kommen. Die der römischen Lorica nachgebildeten Zaddeln geben 
der Tracht sogar etwas phantastisches. Der poetische Wert des Gemäldes liegt in 
der freien Verschmelzung so verschiedener Züge, in der Entrückung der Figur 
aus ihrer Umgebung in die Einsamkeit der Natur, während doch die Phantasie jene 
Umgebung zu ergänzen trachtet. 

Die Landschaft weicht von den bei Tizian gewohnten in ihrem geologischen 
und farbigen Wesen ab. Statt tiefblauer Dolomitklippen, rötlichem Abendhimmel mit 
dunkeln Wolkenstreifen, hinter dichten warmen Massen von Wald und Wiese im 
Mittelgrund, statt dieser südöstlichen Alpenscenerie erblickt man hier eine weite farb- 
lose Fernsicht im Charakter des mittleren Apennin. Hinter einer mit einzelnen Bäumen 
besetzten Haide in bräunlich dunkelgrünem Ton, eine bleiche Tiefebene und dann 
eine Bergkette, ansetzend mit der schweren steilen Kalksteinfirste zur Rechten, an 
deren Saum sich eine Stadt ausbreitet. Die Ebene scheint durchtost von einem Sturm. 
Der Ritter wollte sich wahrscheinlich in der bergigen Umgebung seiner Heimat sehen. 

Trotz der unbeschränkten Herrschaft einer so vordringlichen Farbe wie das reine 
Rot des Kostüms hat der Maler eine vornehm-feine Harmonie erreicht. Er hat dieses 
Rot übrigens einigermafsen abgetönt (auch durch das Gold, dessen Mischung mit dem 
Rot im Auge einen Stich in Orange ergiebt, nur der Hut hat einen Purpurton), und 
mit dem aus der Entfernung zu zartem Hellblau verschmelzenden Gesamuon des 
Himmels gestimmt. Bei hohem Sonnenstand hat den Himmel eine dünne, in weifsen 
Lichtern schimmernde Wolkendecke verschleiert, mit Ansätzen grauer schwerer Wolken, 
die als Kappe über dem Gipfel zur Rechten stehen. Nur über dem Horizont, in 
Schulterhöhe, öffnet sich ein weiter See von Himmelblau. Der hellschimmernde Grat 
jenes mächtigen Berges erhält einen Widerschein in der weifsen Schaumlinie eines Wehrs, 
das auf ein die Ebene durchströmendes Flüsschen aufmerksam macht, und in dem 
Weifs des Hundes. 

Die Malführung ist breit, kühn, pastos. Nach Hausers trefflicher Restauration 
gewährt die Leinwand den köstlichen Anblick des siebzigjährigen Meisters inmitten 
seiner feurigen Arbeit, die ganz aus einem Wurf ist. In den schweren Schatten des 
Kinderleibchens, im Inkarnat des Antlitzes, in der Verwendung der als Schraffierung 
offengelassenen braunen Untermalung für Halbtöne und Schatten erkennt man die 
beginnende Manier des Ahers. Die Verbindung gelber Töne mit schwärzlichen 
Schatten und hellen Glanzlichtem giebt dem Kopf etwas bronzenes. 

Wer aber lieferte das Urbild dieses Kopfes? 

Tizian war um die Mitte des Jahrhunderts (das ist nach allgemeiner Annahme 
die Zeit unseres Gemäldes) ein vielumworbener Mann bei den Gekrönten und Grofsen, 
nicht blofs Italiens. Der Verfasser ist wohl nicht der einzige, der sie auf das Bild 
durchprobiert hat, diese Gonzaga, Este, Farnese e tutti quanti. Aber nur einer konnte 
ernstlich in Versuchung führen: der Herzog Guidobaldo II von Urbino, ein Name 
von gutem Klang bei Freunden der Majolikawaare. Er war einer der wärmsten 
und freigebigsten Gönner des Meisters, der ihn bei einem Besuch in Venedig auf- 
genommen hatte. Aretino schildert den Eindruck, den die Ausstellung im März 1 545 auf 
die Venetianer machte, in einem Schreiben an den Herzog nach Vicenza.*) Es giebt 



^) II terzo libro delle lettere di M. Pietro Aretino. Parigi 1609. 114 f. 



VONC. JUSTl 165 



in beredten Wendungen die verblüffende Lebendigkeit der Erscheinung wieder, ist aber 
nichts weniger als ein Signalement. Das Jahr würde zur Not passen, auch die Medaille 
des Bartolomeo Campi sieht verlockend aus. Doch ist hier und in allen sonst be- 
kannten Bildnissen ein Zug mehr oder weniger bestimmt, der im Casseler Kopf ganz 
fehlt: die Prominenz des Augapfels. Es ist undenkbar, dass Tizian, selbst wenn er 
das Bildnis in Abwesenheit malte, diesen Zug gänzlich ausgelassen haben sollte. Auch 
wQrden gewiss von dem prächtigen und einnehmenden Bildnis Kopien begehrt und 
vergeben worden sein , wie von dem seines Vaters Francesco Maria (in den Uffizien), 
aber von solchen ist in und aufserhalb der urbinatischen Lande nichts gesehen 
worden. Das Bildnis war aber bis zum Ende der Rovere in Urbino und steht noch 
im florentinischen Inventar der Erbschaft; von da ab ist es verschollen.^) 



GIOVAN FRANCESCO ACQUAVIVA 
HERZOG VON ATRI 

Wenn nun eine neue Vermutung über die rätselhafte Person geäufsert werden 
soll, so muss ich im voraus bekennen, dass mir die Stellung eines ikonographischen 
Zeugen nicht geglückt ist. Die Begründung stützt sich hauptsächlich auf die alte, 
bisher völlig unbeachtete Nachricht Aretinos von einem bedeutenden Bildnis Tizians 
und dessen fast genaue Gleichzeitigkeit mit der nach inneren Gründen datirten Ent- 
stehung unsres Bildes, das sogar eine längst bemerkte Lücke in Tizians Gemäldefolge 
ausfüllen würde. 

Auf das Fehlen aller Notizen vor 1732 über das grofse, auffallende und durch 
Aufschrift beglaubigte Werk wurde schon hingewiesen. Wie konnte aber ein solcher 
Tizian durch anderthalb Jahrhunderte in Italien versteckt bleiben? Dort wo aufser 
den Enthusiasten und Notizensammlern allezeit fürstliche Agenten des In- und Aus- 
landes auf seine Werke Jagd machten. Es sieht aus als wäre es früh ins Ausland 
gewandert, vielleicht weil es einen Ausländer darstellte, dann in Familienbesitz vererbt 
worden und verborgen geblieben, bis es nach 180 Jahren der Hammer des Auktionators 
der Öffentlichkeit übergab. Dazu würde auch ein fremdartiges, freies, phantastisches 
Etwas in Kostüm und Inscenierung stimmen, wie es bei Tizians Bildnissen einheimischer 
principi und principotti sonst nicht vorkommt. 

Nun aber taucht das Gemälde ja zuerst in Paris auf, im Palais eines Edelmannes 
von ahem Hause. Sollte es nicht von jeher dort gesteckt haben? Vielleicht gar für 
eine Person vom Hof der Valois gemalt sein? 

In Tizians Leben fehlt es nicht an französischen Beziehungen. Es ist nicht be- 
kannt, auf welche Veranlassung sein Bildnis Franzi entstanden ist, dem eine ihm 
gelieferte Medaille zu Grunde gelegen hat; ein Kopf von freiem, grofsen Wesen, 
ganz im Geist des ritterlichen Monarchen, den der Maler doch nie gesehen hatte. 
In Urbino sah man denselben König in jungen Jahren, und den Kardinal von 
Lothringen, Karl von Guise. Diese Beziehungen waren vermittelt durch Peter Aretino. 
Er war vor seiner Niederlassung in Venedig Gesellschafter des tapferen Haudegens 
Giovanni von Medici gewesen, der in Diensten Franz l stand; er hat seine augen- 
scheinlich echte Verehrung dieses Königs öfters in Briefen und Komödien bezeigt.*) 



^) Ein alter Stich nach Tizian zeigt den Herzog in allegorischer Umgebung. 
') Schon 1524 hatte er von Franzi die goldene Kette bekommen, »das erste Ehren- 
zeichen das er öffentlich als Beweis seines Ansehens bei den Grofsen tragen konnte«, Bouter- 

22 



l66 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL 

Die Liste der Adressaten seiner Briefe enthält aufser den königlichen Personen auch 
die Namen der italienischen Parteigänger Frankreichs, der erlauchtesten und dunkelsten, 
und der aus Benvenuto Cellinis Leben bekannten Flüchtlinge und Gäste am Hof 
der Valois. Zu jenen gehörte Ruperto Strozzi, dessen Töchterchen Tizian im Jahre 
1542 zu Venedig gemalt hat; es ist das liebliche Bild des Berliner Museums. 

Unter diesen fuorusdti nun dürfte unser roter Edelmann zu suchen sein. Es 
ist nach meiner Hypothese der im Anfang der fünfziger Jahre in Venedig auftretende 
Giovan Francesco Acquaviva^ Herzog von Atri, der Spross eines der mächtigsten und 
ältesten Häuser des neapolitanischen hohen Adels. Das Haus rühmt sich, der Römischen 
Kirche sechs Kardinäle und dem Jesuitenorden den General Claudius gegeben zu haben; 
das Lexikon Mazzucchellis weist eine Reihe Schriftsteller dieses Namens auf. ^) 

Das Drama seines Lebens, das ganz die geschichtlichen Wechselfälle spiegelt, 
deren Spielball es war, beginnt ein Vierteljahrhundert vor jenem Besuch in der La- 
gunenstadt. Ein französisches Heer war unter Lautrec im Reich eingebrochen. Der 
Vicekönig Hugo de Moncada stellte den Baronen anheim, vom Widerstand gegen den 
mächtigen Feind innerhalb ihrer Territorien abzusehen; freilich eine Versuchung für die 
von altangiovinischer Gesinnung ihre wahren Neigungen zu verraten. Aber Moncada fiel 
beim Entsatz Neapels gegen die Belagerungsflotte Andrea Dorias, und sein Nachfolger 
Philibert von Chälons, Prinz von Oranien, als Heerführer schon genannt beim ^^cco 
di Roma, und bald hernach bei der Belagerung von Florenz, erkannte das Versprechen 
Hugos nicht an. Nachdem Lautrecs Heer aufgerieben war, begann Oranien, nach 
der Methode der kaiserlichen Machthaber, die Gelegenheit zur Beseitigung unsicherer 
Vasallen und Einziehung grofser Herrschaften nach Kräften auszunutzen. Unter denen, 
die ihr Haupt damals nur durch die Flucht vom Block retteten, waren Giovanni Carac- 
ciolo, Prinz von Melfi, Gio. Bernardino Sanseverino, Herzog von Somma, und Julio 
Antonio Acquaviva, Graf von Conversano, Herzog von Atri. Sein Erstgeborner 
ist unser Gio. Francesco, damals ein Knabe; er folgte ihm nach Frankreich. Franz I 
hat diesen Flüchtlingen Herrschaften, Kommandos und Orden gegeben, er hätte 
ihnen gern ihr Vaterland ersetzt. Die italienische Kolonie, bei der die Ein- 
geladenen und Berufenen, die Künsüer und Schriftsteller, abgesehen von den Aben- 
teurern, nicht den kleinsten Teil bildeten, stieg neun Jahre später, nach der Ein- 
setzung des Cosimo von Medici als Grofsherzog, sehr im Ansehen, als sich zu den 
mailändisch- neapolitanischen noch die florentinischen Verbannten gesellten, an ihrer 
Spitze die Strozzi, die Frankreich den Marschall Pietro, den Erstürmer von Calais, 
und den Admiral Leone gaben. Der König war ein Verehrer italienischer Dichtung 
und Kunst: die virtuosi, schrieb Aretino an Serlio (1545), welche seine hochherzige 
Natur einem Magnet gleich aus Italien nach Frankreich zog, verkehren mit ihm so 
ungezwungen, dass sie seine Kameraden, nicht Diener scheinen. Ihr Einfluss machte 
sich unter Heinrich II und Katharina auch in der Politik bemerklich. Im Jahre 1558, 
berichtet der Venezianer Soranzo, waren in Paris sechzehn Italiener Ritter des S. Michael- 
ordens, der damals siebzig Mitglieder zählte. Sie haben keinen kleinen Anteil an der 
Wiederaufnahme der italienischen Unternehmungen, deren Aussichten sie im günstigsten 
Lichte schildenen. Der Kaiser war von allen Seiten bedrängt, seine Kräfte waren 
durch chronische Leiden gebrochen, sein Stern im Erbleichen. Diese Italiener fanden 



wek 11,205. Eine schöne Stelle über den König im Brief an Franc. Rucellai Nov. 1543. 
Lettere III, 239. La Gortigiana, Ano III, 8 p. 87. 

*) Vincenzo Bindi, GH Acquaviva letterati, notizie biografiche. Napoli 1881. 



VON C. JUSTI 167 



ihre Hauptstütze, gegen den Konnetable von Montmorency, an den Guise; Franz 
von Guise war mit Anna, Tochter des Herzogs Herkules von Ferrara vermählt; der 
Kardinal Hippolyt von Este war das Haupt der französischen Partei in Italien. 

Im Jahre 1551 gaben die Farnesischen Händel den Vorwand, die Fahnen Frank- 
reichs noch einmal in Italien zu entfalten. Ein eifriger Schürer des Brandes war erstanden 
in dem Fürsten von Salerno, Ferrante Sanseverino, der von dem Vicekönig Toledo 
verfolgt, Neapel verlassen und im April 1552 vor dem venezianischen Senat seine Los- 
sagung vom Kaiser förmlich gerechtfertigt hatte. ^) Diese Neapolitaner rieten von Nord- 
osten in die Abruzzen einzufallen , einige Plätze zu besetzen und Apulien aufzurühren ; 
sie zählten auf die herrschende Erbitterung der Bevölkerung über das hane und 
blutige Regiment D. Pedros. Die Führung war dem Herzog von Somma bestimmt. 

Da der friedliebende Herzog von Ferrara die Neutralität seines Staates gewahrt 
sehen wollte, so wurde ein Kongress auf venezianischem Gebiet beschlossen. Im 
Juli 1552 trat diese Diät oder Konsulta der französischen Parteigänger in Chioggia 
zusammen. So kam es, dass damals eine grofse Zahl italienischer Verbannter in Venedig 
erschien. Im Juni treffen Bernardo Tasso, der Sekretär Salernos, und Somma ein, 
den Aretino in einem schwungvollen Sonett begrüfste.*) Unter ihnen erblickt man 
denn auch unseren Herzog, den Schicksalgenossen Sommas, mit dem er oft zusammen 
genannt wird. Doch dürfte er schon früher nach Venedig gekommen sein, wohin ihn 
nicht blofs die Politik lockte. Dort wird er sich auch den Anzug auf dem Casseler 
Bilde bestellt haben, der der Lage und dem klugen Gebrauch italienischer Edlen 
gemäfs, den Zwecken der Sicherheit und der Pracht gleich trefflich diente. 

Nach langen Jahren sieht er sich zum ersten Male wieder auf vaterländischer 
Erde, er setzt sich vor, nun das italienische Leben von seiner gehaltvoll erfreulichsten 
Seite recht zu geniefsen, und er findet den besten Führer in Aretino, dem lang- 
jährigen Freund seines Vaters. Keiner konnte ihn besser in die Kreise der Künstler 
und Poeten hineinbringen. Wenigen aber hat er auch die Honneurs der Inselstadt 
mit besserer Laune gemacht. Er erkannte in dem einnehmenden jungen Manne 
das Ebenbild seines Vaters. »Wer euch sieht, erblickt ihn, wer euch betrachtet, ver- 
steht ihn, wer mit euch spricht, hat den Schlüssel für ihn. Es sind seine Manieren, 
seine Grofsartigkeiten, seine Liebenswürdigkeit im Lächeln, in den Gebärden, im 
Herzen.« Besonders betont der Brief den gütigen, umgänglichen, sanften Zug seines 
Wesens. Der Vater, ein milder, wohlwollender Herr, war Aretinos Stütze am fran- 
zösischen Hof gewesen (sempre amommi e beneßcommi). Als der Kaiser Messer Pietro 
nach dem unglücklichen Feldzug in der Provence (1536) zweihundert Dukaten Pro- 
vision zahlen liefs, »um seine Thaten der Unsterblichkeit zu empfehlen«, d. h. um 
dem Misserfolg vor der Welt ein Mäntelchen umzuhängen [honestamente coperta), war 
es Acquaviva, der den Konnetable in Gegenwart Luigi Alamannis auf die Nützlichkeit 
dieser Feder aufmerksam machte. Montmorency erklärte sich auch bereit, dem als 
nicht zu unterschätzendes Imponderabile in der hohen Politik geltenden Göttlichen 
vierhundert Scudi Pension zu verschaffen, er brauche nur von des Kaisers und 
Königs Siegen wahrheitgemäfs [secondo gli meritt) zu schreiben.') Diese Freund- 



1) Aretino hatte Tizian im Jahre 1541 gebeten, bei seiner Reise zum Kaiser, ein Bildnis 
Ferrantes zu skizzieren. Lettere II, 222. 

') Somma, e titol conforme al Duce etc. Lettere VI, 87 f. 

*) Lettere scritte air Aretino da molti signori I, 222. 17. Mai 1537. Lettere dell' Are- 
tino I, III. 

22* 



l68 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL 

Schaft Atris stammte wohl aus jenen Tagen, wo der Herzog als bedrängter Flücht- 
ling in Venedig erschienen war.^) 

Der Herzog versammelte um sich aufser den Standes- und Parteigenossen auch 
die virtuosi aller Fächer. »Seine königlichen Gemächer sind stets geöffnet zum Empfang 
der Elite der Gelehrsamkeit und der Waffen, und zwar kommen sie in solcher 
Zahl, dass man ihn lieber König als Herzog begrüfsen möchte.« Er folgte hierin 
der Überlieferung seines Hauses. Sein Grofsvater Andrea Matteo, ein grofser Freund 
der letterati, hatte in seinem Palast zu Neapel eine Offizin angelegt, in der Sannazaros 
Gedicht De partu virginis 1526 gedruckt worden ist.") 

Unter diesen Gästen waren auch die 'Dichter und Geschichtschreiber', sogar 
Namen, die noch in der Litteraturgeschichte ihr Plätzchen behauptet haben , z. B. der 
florentinische Historiograph und Liviusübersetzer Jacopo Nardi, dessen Komödie 
VAmici{ia einst vor der Signoria von Florenz mit gesungenen Stanzen aufgeführt 
worden war. Er galt als Erfinder der versi sciolti im Drama. Ferner Antonio Brucciolo, 
einst der Mitverschworene Alamannis gegen das Leben des Kardinal Julio von Medici 
(1522). Er hatte kürzlich Noten zum Canzoniere des Petrarca herausgegeben (1548), 
und beklagte sich, dass sie in der Lyoner Ausgabe (1550) auf den Namen Bembos 
übergegangen seien. Das Wort aber führte gewöhnlich der dicke Antonio Francesco 
Doni, ebenso gesucht als unerschöpflicher causeur, wie gefürchtet wegen seines 
ätzenden Spottes. Er war damals noch ein Verehrer des Aretiners (er unterzeichnete 
sich // Doni delV Aretino)^ später dessen Todfeind, der in der Schrift // Terremoto 
sein Todesjahr mit dem Instinkt des Hasses richtig prophezeit hat. Der Vielschreiber 
überreichte seine typographisch wie xylographisch von Marcolini mit unverdienter 
Eleganz ausgestatteten Schriften. I Marmi waren eben erschienen; die Kunstlehrschrift 
// Disegno hatte er Diego de Mendoza widmen dürfen (1549); Dedikationen an den 
Amphitryo wurden in Aussicht gestelk. Francesco Sansovino, der Sohn des Messer 
Jacopo, wird noch heute genannt wegen seiner Sammlung italienischer Satiren. Der 
bescheidene und gelehrte Hortensio Tranquilio. Die Geschenke des Herzogs an Aretino 
geben einen Mafsstab der hier waltenden Gebelaune; er hat nicht vergessen sie zu 
verzeichnen: eine goldene Halskette für seine Tochter Adria, einen vergoldeten Becher 
für die Tafel, karmesinroten Sammetstoff für einen Rock, Armbänder von besonders 
schöner Arbeit aus feinem Gold. Ringe sollten aus Paris nachfolgen. Kein Wunder, 
dass man ihn bald das incomparabil refugio dei superiori intelletti nannte. »Warum 
werden keine Könige und Kaiser euresgleichen geboren ?a ruft Aretino. 

Zu den Intimsten des Aretinoschen Kreises gehörte ein neu aufgehendes 
Gestirn, Alessandro Vittoria, der Schüler seines Gevatters Jacopo Sansovino, mit dem 
der junge Bildhauer aber seit drei Jahren verfeindet war. Damals war er besonders als 
Medailleur gesucht, seine Hauptstücke fallen in diese Zeit: Aretino selbst, dessen 
Geliebte Catarina Sandella und beider Tochter Adria; Catarina Chieregata, Tochter 
des Grafen Marcantonio da Thiene; Madonna Liomparda. Aretino schickt ihn im 
November 1552 nach Vicenza, die Lucietta Saracino aufzunehmen. Vittoria haue 



1) Aretino halte Verbindungen mit dem alten, devoten und hülfreichen Messer Pietro 
Rota dal Zuccari, dem Zuckergrofshändler. In den Ragionamenti con le carte p. 154 (1579) 
Keifst es von dessen Sohn, *da cui real cortesia tanto e tanto si prevalse il real Duca d'Atri.* 
Dieser Simon Rota wurde von Franz I zum Ritter gemacht, wohl auf die dankbare Em- 
pfehlung Atris. Lettere delF Aretino I, 282. 

') Mazzucchelli, Gli scrittori d' Italia. Brescia 1783. I, 118 ff. 



VONC. JUSTI 169 



bereits den Prinzen Philipp von Spanien, den Prinzen (Emanuel Philibert] von Piemont 
und 'Massimiano' ^) aufgenommen. Auch unseren Herzog hat er damals modelliert, ob 
als ThonbUste oder Medaillenrelief, ist nicht deutlich. Mit welchem Erfolg, sagt ein 
Brief Aretinos: »Wer noch zweifelt, dass er, ein Zögling des Phidias Sansovino im 
Stil, auch im Erfolg seinem grofsen Lehrmeister nahekomme, der betrachte die Hoheit, 
welche Züge und Stirn des trefflichen Herzogs von Atri verklärt.«*) 

Dass er nun auch bei Tizian eingeführt wurde, verraten zwei Briefe Aretinos 
an ihn und seine Frau vom August und Dezember 1552. »Ich würde es für eine 
göttliche Gunst achten, wenn ich euch mit der Feder abschildern könnte, so wie euch 
mit dem Pinsel Tizian geschildert hat. Denn die LebensfÜUe, die ihr in seinen 
Farben athmet, würde auch in meiner Tinte zu spüren sein.«') D. h. wohl, er möchte 
das Porträt mit einem Sonett begleiten, wie er pflegte. Solche Sonette auf Tizian- 
bildnisse hat er des öftern in die Briefausgabe, dieses Archiv seiner Eitelkeit, einge- 
schaltet. Und im anderen Brief an die Herzogin: »Wenn die Hoheiten der Fürsten 
ihn in Förderung der Gelehrten und Gutgesinnten nachahmen wollten, so würde 
sich ihnen Apollo mit Leib und Seele ergeben, samt allen die malen und meifseln, 
sowie sich ihm jener Tizian ergeben hat, der die Toten auferweckt. «*) 

Wenn die Medaille oder Büste Vittorias sich noch wiederfinden sollte, so würde 
man auch über die Ähnlichkeit unseres Bildnisses uneilen können; für jetzt lässt sich 
nur soviel sagen, dass Auffassung und Aufzug ganz zu der Lage des jungen 
Mannes passen. Es ist etwas darin von der Prätendenten so natürlichen Betonung 
äufserer Zeichen ihrer Ansprüche. Die ungewöhnliche Aufnahme in ganzer Figur, 
die Stellung mit der Lanze, hier dem Zeichen der Würde*) in der Rechten (geradeso 
wie in der Bronzestatue des Kaisers von Leone Leoni zu Madrid)*), das durchgeführte 
vornehme goldschimmernde Rot, der grofse Helm mit dem fauchenden Drachen, 
die Panzerjacke mit Kettenärmeln, Schwert und Dolch: in dem allen kann man An- 
spielungen erkennen auf das bevorstehende Unternehmen zur Wiedergewinnung des 
väterlichen Herzogtums. 

Nach den Erzählungen Aretinos von des ehrgeizigen Neapolitaners magnificeni^e 
versteht man auch , weshalb der alte Maestro für einen Besucher, bei dem der Dukaten- 
beutel soviel lockerer geschnürt war als bei Spaniern oder gar Venezianern, alle Re- 
gister seiner Bildniskunst aufzog. Denn bei ihm war es (wie sein wahrheitliebender 
Freund gelegentlich zu verraten nicht verfehlt) eine sehr seltene Ausnahme, wenn 



^) Der König von Böhmen, später Kaiser Maximilian II , den er, wie die anderen 
Fürstlichkeiten, in Augsburg modelliert haben wird. In einem Schreiben an seinen Gesandten 
in Venedig vom 18. Dezember 1568 erkundigt sich der Kaiser nach Vittoria, er scheint ihn ver- 
gessen zu haben. Jahrb. der kunsthist. Samml. d. A. H. Kaiserhauses XIII, S. XLIII, N. 880. 

') La maesta che glorifica T aria, e la fronte del Duca ottimo d* Atri, et magnanimo. 
A Madonna Lucietta Saracino. Nov. 1552. 

') Terrei per sommo fauore, et diuino, se vi potessi ritrar' con la penna, nel modo 
che hauui ritratto con il pennello Titiano; Impero che la viuacita, c5 che respirate nel suo 
colore; hauria sentimento anco nel mio inchiostro. Di Agosto 1552. Lettere VI, 89 V. 

^) Ma se r altezze de i Principi, in giouar' a dotti, et ai buoni imitassero lo sposo 
vostro magnanimo : . . . se gli darebbe in preda Apollo ; con qualunque dipinge e scolpisce, 
nella guisa che se gli e dato quel Titiano, che resuscita i morti in lo Stile. Di Decembre 
VI, 116. 

*) Wendelin Boeheim, Handbuch der Waffenkunde S. 319. 

•) In Tizians ReiterportrUt ebenda hält er sie eingelegt, als Heerführer. 



170 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL 

er sich einmal um Gotteswillen Mühe gab. »Er zieht seine Reichtümer aus der 
Bildniskunst, und nur durch ungemessenen Lohn lässt er sich zur Arbeit bewegen«, 
bemerkt Aretino bei Gelegenheit solcher Ausnahmefälle.^) 

Nach dem Datum des ersten Briefes muss die Aufnahme spätestens in das erste 
Halbjahr 1552 faUen, jedenfalls aber in das Jahr nach seiner Rückkehr aus Augsburg.^) 
Gerade an diesem Zeitpunkt nun haben die Biographen eine leere Stelle in Tizians 
Schaffensthätigkeit bemerkt. Crowe und Cavalcaselle fanden von August 1551 bis 
Mitte 1552 nur Nachrichten von Gelagen und Delikatessen, als sei die Zeit gekommen 
für den 74jährigen, wo nur noch solche Tröstungen des trüben Alters für ihn Reiz 
hatten. Indes da Augenblicke der Ermattung und Arbeitunlust bei ihm sonst 
stets kurz und selten kamen, so werde man diese Lücke doch wohl auf Rechnung 
einer Nachlässigkeit der Geschichtschreiber setzen müssen.') In dieses Vacuum tritt 
nun das Casseler Gemälde, das dieselben Kenner aus Stilgründen in die Zeit von 
1 549 — 50 versetzten. 

Erinnert man sich dieser vorhergegangenen Augsburger Tage, so fällt doch ein 
satirischer Schimmer auf das Bild. Wir sehen den alten Herrn , noch warm vcfti der 
kaiserlichen Gnadensonne, überhäuft mit Präsenten, Pensionen, erteilten und zu 
erhoffenden Aufträgen, plötzlich im Kreise der Emigranten, die unter Heinrich Valois 
Ägide dem vielbedrängten Monarchen eine Invasion in sein Reich Neapel brauten. 
Vielleicht war während der Sitzungen im Atelier des Biri grande ein Hauptgespräch 
der Überfall Moriz von Sachsens in Innsbruck.*) Vielleicht mochte er sich erinnern 
(nach der Alterstugend der diffideniia^ die ihm der bayerische Agent Stoppio zu- 
schreibt),*) dass der Goldstrom der spanischen Huld auf dem Wege durch die Mailänder 
Kanzlei in der Regel zu versiegen pflegte. Abgespannt durch die nicht immer kurz- 
weiligen Gesichter feister deutscher und griesgrämiger hispanischer Vasallen , widmete 
er sich mit um so besserem Humor deni humanen, munteren, gutherzigen Neapoli- 
taner, der ihm ganz freie Hand liefs zu einer keineswegs ceremoniösen Darstellung. 
Verdrossen über die Suspension von seinem Amt der Sanseria, die wegen der langen 
Abwesenheit über ihn verhängt worden, wollte er zeigen, was für Patrone ihm sein 
guter Stern bescheere und wieviel er ftlr sie übrig habe. — 

Der kleine Kupido steht gewiss nicht als blofser Zierat da. Man darf aber auch 
nicht an die Schönen Venedigs denken, verleitet durch die Freundschaft Aretinos (der 
übrigens des Signor Francesco candore und innocenüa bemerkte), sondern an die junge 
Herzogin, die er in Paris zurückgelassen hatte. Es war die schöne und reiche Susanna, 
auch eine Neapolitanerin aus altem edlen Hause; die einzige Tochter des Fürsten von 
Melfi (des Schicksalsgenossen des alten Herzogs von Atri), der am 29. August 1550 zu 



^) Lottere III, 161. E difficile a credere, ch' egli, che solo il pregio smisurato il move 
a Operare, habbia speso cotanto in tor' Tessempio della faccia di voi (an M. A. Morosini). 
Vergl. 363 Ritrahe i thesori del suo fare de i ritratti. 

') Man nimmt an, dass er bis zur Abreise Karl V in Augsburg geblieben sei und diesen 
auf dem Wege nach Innsbruck eine Strecke begleitet habe. Aber der Kaiser ist erst am 
23. Oktober 1551 aufgebrochen, und Tizian war bereits im August in Venedig. 

•) Crowe und Cavalcaselle, Titian II, 215 f. 

^) In den Briefen des französischen Gesandten Odet de Selve, dessen Palast ein 
Sammelpunkt dieser neapolitanischen fiiorusciti war, findet sich eine anschauliche Be- 
schreibung der Flucht des Kaisers (April und Mai 1552). 

*) J. Stockbauer, Die Kunstbestrebungen am bayer. Hofe, in den Quellenschriften 
S. 92. Chi e la istessa avarizia e diffldenzia (1567). 



VON C. JUSTI 1 7 1 



Susa gestorben war. Als ihr Gemahl die Reise nach Italien antrat, war sie wenig 
länger als ein Jahr mit ihm vermählt, seit dem Oktober 1550. 

Giovanni Caracciolo, einst Grofsseneschal des Reiches, Herzog von Venosa, 
war ein Nachkomme des mächtigen Günstlings des Ladislaus und der Johanna von 
Aragonien. Schon dieser erste Herzog von Melfi war mit einer Giovanna Acquaviva 
vermählt gewesen. Obschon von Haus aus französisch gesinnt, und auf dieser Seite 
kämpfend in der Schlacht bei Ravenna (1512), hatte er bei jenem Einfall Lautrecs (1528) 
sein Schloss mannhaft gehalten, dann aber, beim Sturm mit den Seinen gefangen, 
sich bereden lassen, in Franz I Dienste überzutreten.^) Der König fand, dass er 
unter seinen Italienern der beste Soldat sei, er machte ihn zum Marschall von Frank- 
reich') und Kommandanten in Piemont. Auch Margarethe von Valois schätzte ihn 
und seine Unterhaltung. 

Es giebt einen merkwürdigen Brief Aretinos an Susanna Caracciolo aus der Zeit 
des Besuches ihres Mannes in der Lagunenstadt; von seinem Auftreten und Wesen 
giebt er ein ausführliches Bild.^) Er konnte sich auch als alten Klienten ihres Vaters 
einführen. Die junge Frau hatte ihr erstes Söhnchen verloren, aber Hoffnung auf einen 
neuen Leibeserben war bereits vorhanden. Er malt ihr sehr anschaulich die Erfolge 
Francescos in Venedig. Wie die ausweichende Menge auf ihn deutet, in seiner Gegen- 
wart sich spiegelt, glücklich wird durch eine Gebärde, bezaubert ist von seinen 
Manieren; wie die Gelehrten ihm Bücher widmen, Künstler ihn auf Leinwand und 
in Medaillen verewigen. Die Mittel dazu verdankte er, beiläufig, ihrer schönen Mit- 
gift [il fasto della dote). Ihm fällt ein, dass der einsamen Frau bei der Erzählung 
solcher Triumphe in der üppigsten Stadt Italiens etwas unheimlich zu Mut werden 
könne, und er versichert: »Der Übermut, der in der Jugend die Ordnungen der 
Natur durch seine Wallungen verwirrt, hat über ihn keine Gewalt; die Mägde der 
Venus machen freilich die Augen nicht zu^ aber er kennt nur seine Herzogin Susanna 
und meidet die anderen.« 

Man sieht, an welche Adresse der Liebesgott gerichtet ist. Er bedeutet die 
den Helden auf diesem politischen Abenteuer begleitenden Gedanken an seine 
Penelope. Ihm ist das kriegerische Gepränge wie die ganze Reise ein Dorn im 
Auge, besonders der böse Drachenhelm. Er ahnt, dass dies martialische Prachtstück 
demnächst den höfischen Hut verdrängen werde. Er strengt sich an ihn emporzu- 
stofsen, herabzuwerfen, um ihn zu eskamotieren und den Abmarsch ins Feld zu 
verhindern. 

Aus dem Feldzug und der geträumten Wiederherstellung ist damals nichts ge- 
worden; aber eine kleine Entschädigung war doch eben dieses Bild Tizians, eine 
dauerndere als der Weihrauch jener geistreichen Sophisten. Es war eine Wonne, dass 
der Künstler, der vor einigen Monaten an der Seite Karl V spazieren geritten war, der 
in der ganzen Welt genannte Kaiser- und Fürstenmaler, ihm eine Sitzung gewährt, 
für ihn sich soviel Mühe gegeben hatte wie für irgend einen jener Götter der Erde. 



1) Weil der Kaiser mit dem Lösegeld zögerte, sagen die einen, im Glauben an die 
Nachhaltigkeit der französischen Erfolge die anderen. Nach den Memoiren des Kapittn 
Vieilleville, der ihm bei der Erstürmung das Leben rettete, durch dessen Überredungskunst. 

^) Sein Bildnis in der Galerie der Marschälle von Frankreich in Versailles, N. 1339. 

3) Lettere di P. AretinoVI, 115. A la duchessa d'Atri. 



1 72 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL 

Da wir uns, verfühn durch Tizian, 'der die Toten erweckt', einmal so weit mit 
dem Manne eingelassen haben, mögen auch noch ein paar Worte über seinen und 
seiner Linie Ausgang gestattet sein. 

Das Unternehmen gegen Neapel war an der ablehnenden Haltung Venedigs geschei- 
ten, doch aber nur vertagt worden. Als im Januar 1 553 Almerigo Sanseverino im Namen 
des Herzogs von Salerno Heinrich II bat, ihm reinen Wein einzuschenken, »damit er 
nicht seine Freunde zu Grunde richte ohne Dienst seiner Majestäta, waren die bün- 
digsten Zusicherungen gegeben worden. In der That ist der Feldzug fünf Jahre später, 
also nach des Kaisers Abdankung, zur Ausführung gekommen. Damals war es der 
alte Papst Paul IV aus dem neapeler Haus der Carafa, der mit aller Heftigkeit seiner 
achtzig Jahre die Kriegsfurie gegen den fremden Tyrannen schürte. Atris Freund 
Somma war der Agent des Kardinalnepoten in Paris. Der Papst verlangte den sofortigen 
Angriff auf Neapel, obwohl alle Sachkundigen, und der Heerführer Franz von Guise 
selbst, sich erst Mailands und Toskanas zu versichern rieten, sonst werde man, warnte 
er den Papst, das Schicksal Lautrecs noch einmal erleben. Im April überschritt 
das Heer die römische Grenze. 

So betrat denn unser Herzog zum ersten Male wieder nach dreifsig Jahren den 
Boden der heimatlichen Abruzzen, empfing die Schlüssel einiger Grenzorte und sah sich 
in der Nachbarschaft seines altererbten Feudalsitzes. Die Stadt Atri liegt drei Meilen 
vom adriatischen Meer auf einem hohen Kegel, sie zählte damals wohl achttausend 
Einwohner. Man erwartete einen Aufstand; die Stadt sollte dann Acquaviva über- 
geben werden.') 

Die Enttäuschung konnte nicht vollständiger sein. Nach der greuelvollen Er- 
stürmung von Julia Nova belagerte Guise vergebens die Bergveste Civitela, zweiund- 
zwanzig Tage lang, Dank dem hartnäckigen Widerstand der Einwohner. Als der 
Vicekönig Alba endlich heranrückte, fand er, dass er keine Schlacht zu wagen brauche, 
nur dem gänzlich entmutigten Feinde silberne Brücken zu bauen habe. Es war das 
Bündnis mit dem Türken, dem Schrecken dieser Küsten, was das Unternehmen der 
Bevölkerung verleidet hatte. * Der Donner der (übrigens sehr altertümlichen) Kanonen 
Civitelas war das Grabgeläute dieser zweiundsechzigjährigen Abenteuer Frankreichs, 
von da an blieb die spanische Herrschaft in Süditalien unangefochten. 

Der Herzog kehrte für immer nach Frankreich zurück und tröstete sich mit der 
Herrschaft Brie -Comte- Robert, dem S. Michaelsorden, dem Sitz im Staatsrat und 
anderen Gnadenerweisungen des Königs. 

Im Frieden von Cateau-Cambresis (1559) hat dieser seine italienischen Freunde 
völlig preisgegeben, wie dreifsig Jahre früher sein Vater zu Cambrai 

Seitdem kümmerte sich niemand mehr um das Loos der Verbannten, und 
diese Gleichgültigkeit wurde durch die allgemeine Abneigung gegen die Glücksritter 
der dortigen italienischen Börsenwelt nicht vermindert. »Ich sah den Fürsten von 
Salerno, schreibt Brantöme, die Herzöge von Somma und Atri, den Grafen von 
Gajazzo, Julio Brancacci und unzählige andere an unserem Hofe, die jedermann 
mehr Mitleid als Neid einflöfsten und fast Hungers starben , wie der Prinz von Salerno, 



1) Aus Pesaro wird am i. Mai 1557 berichtet, That the Roman troops had joined the 
Duke of Somma and the Duke of Atri, to whom all these places had delivered their keys, 
and had agreed to give him the obedience of Atri, which was well guarded by Imperialists, 
and these offered to give him 3000 pioneers for the enterprise of Atri and Civitella. Calendar 
of State Papers, Foreign 1553—58, 301. 



VON C. JUSTI 1 73 



der nicht soviel hinterliefs, um sich begraben zu lassen. Wäre es nicht besser ge- 
wesen, sie hätten sich von Vaterland und Haus nicht gerührt, der Zeit angepasst und 
dem Willen des Geschicks?« 

»Sie haben, heifst es in den Memoiren des Villars, nun längst gelernt auf Kosten 
ihres Bluts und ihrer Habe, wie grofs unser Leichtsinn ist. Was diese Waare wert sei, 
muss man erfragen bei den Fürsten von Salerno, Melfi, Somma und Atri und vielen 
anderen, die wir ihr Brot betteln sahen unter uns, weil sie Frankreich gedient hatten.« ^) 

Unserem Herzog ist indes dieser letzte Kelch erspart geblieben, denn Brantöme 
selbst, sich berichtigend, sagt von ihm, dank seinem Schwiegervater ilfutbien, non 
pas tant qu'il meritoit Zwar die Hoffnung auf Dauer seines Stammes verschwand 
mit dem frühverstorbenen Söhnchen Josias, aber er hinterliefs zwei edle Töchter, 
von denen die eine ins Kloster ging, die zweite jedoch einer der Sterne des Hofs 
wurde und Veranlassung, dass der Name Datrye noch oft in den Memoiren des 
dritten und vierten Heinrich genannt wird. Anne d'Acquauiue (so unterzeichnet sie) 
war unter der Obhut der Königinmutter grofs geworden und erfreute sich deren 
besonderer Zuneigung. Sie galt für eine der liebenswürdigsten und geistreichsten Damen 
jener Tage. Trotz ihrer Erzieherin wurde sie, wenn Brantöme, freilich keinem unbedingt 
zuverlässigen Zeugen, zu trauen ist, »eine der tugendsamen, schönen, klugen, der 
besten und frömmsten am Hof, die sich durch ihre Güte und Sanftmut Liebe und 
Achtung erwarb.« Man erfährt, dass ein alter hugenottischer Edelmann, D'Ussac, Gou- 
verneur von La Reole, ihr zu Gefallen katholisch wurde und seine Festung übergab. 

Unter den italienischen Emporkömmlingen war ein Florentiner, Lodovico 
Ghiacetti, der, als er nach Paris kam, keine tausend Thaler wert war, aber durch die 
Gunst der Mediceerin, als Zollpächter, in kurzem zu einer Finanzgröfse emporstieg. 
Er bewarb sich um die Hand der Demoiselle Datrye; aber da wurde dem Messer 
Doganiere begreiflich gemacht, was es bedeute, die Augen zu einer Tochter des 
herzoglichen Hauses Acquaviva zu erheben. Um diesen Einwand zu beseitigen, erwarb 
er die Herrschaft Chäteauvillain inBurgund für fast eine halbe Million, baute einen Palast 
in der Rue Vieille-du-Temple, bei der Kirche der Blancs - Manteaux , für loo bis 
I20 000 livres, er kaufte endlich im Januar 1580 die Stelle eines premier maitre cT Hotel 
des Königs iür 20 000. Solch schwerem Geschütz ergab sich der Stolz der Acquaviva, 
und am 11. Februar desselben Jahres ward die Hochzeit gefeiert im Hotel Glisson 
(dem jetzigen Nationalarchiv). Sie wurde verherrlicht durch das Erscheinen des Königs 
mit seiner würdigen Mutter und der Königin Louise nebst dem ganzen Hof. Seine 
Majestät hatte eine höchst schneidige (brave) Maskerade selbst erfunden; dergleichen 
gehörte ja zu den angelegentlichsten Regierungsgeschäften dieses gekrönten Toiletten- 
künstlers. Auch später beehrte er das Hotel Chäteauvillain oft durch seinen Besuch 
mit dem bekannten Gefolge, ein Beweis, dass es dort schön war. 

Der Palast war wirklich eine der Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt; unter 
seinen Schätzen waren auch viele Gemälde. Hier fand Brantöme das Bildnis des 
mütterlichen Grofsvaters der Gräfin, des alten Marschalls von Melfi, mit langem weifsem 
Bart; die Ähnlichkeit der Enkelin war unverkennbar. Hier dürfte auch Tizians Bildnis 
ihres im fünfzigsten Jahre verstorbenen Vaters einen Ehrenplatz besessen haben. 
Heinrich III hat es dann gewiss bemerkt, war er doch vor Jahren auf der Rückreise 
aus Polen in Venedig und in des Meisters Atelier gewesen, und Tizian hatte ihm erzählt 
von seinen Ehren bei dem alten Kaiser und bei Ferdinand von Österreich und Philipp 



*) Memoires de Villars. Colleciion Michaud X, 26. 

23 



174 DAS TIZIANBILDNIS DER KÖNIGLICHEN GALERIE ZU CASSEL VON C. JÜSTI 

von Spanien; und als der König nach dem Preise einiger Stücke fragte, hatte er sie ihm 
verehrt. — Leider hat uns die geschwätzige Chronik sonst nichts von jenen Gemälden 
verraten, Kenner gab es' damals don zu Lande kaum; nur von einem sehr freien 
Bilde erzählen die Memoiren des L^Etoile, einem Frauenbad, das auf gewisse, am 
Hof eingerissene Sitten anspielte, welche die Satire des Arthur Thomas, Sieur d'Embry, 
Ulsle de t Hermaphrodite (1605) geifselt. 

Nachdem der Graf im Jahre 1593 durch einen Offizier seines Schlosses das 
Leben verloren, zog die Witwe von Chäteauvillain, das in dem Hugenottenkrieg mehrere 
Belagerungen überstanden hatte, ^) nach Langres und widmete sich der Erziehung 
ihrer Kinder. Ihr Sohn Scipio trat nach dem Tode seines einzigen Erben in den 
geistlichen Stand und starb 1648 als Abt von St. Arnulph in Metz. Wir hören noch, 
dass Angelica d'Atri sich mit Claude d'Anglure, Baron von Bourlemont vermählte, auf 
den nun die Titel Atri d' Aragon und Melfi übergingen. Sie starb 1676. Und von da 
mag das Tiziansche Bildnis dann an das Haus De la Chätaigneraie gelangt sein, 
bis es in der Galerie des Landgrafen von Hessen -Cassel in die beste Gesellschaft 
kam, die sich ein altes Ölgemälde und Porträt eines von der Geschichte vergessenen 
neapolitanischen Herzogs und Exulanten wünschen kann.') 



^) Zwei merkwürdige Briefe von ihr aus dieser Zeit besitzt die Bibliotheque nationale. 
Ms. fr. 3616, 3621. 

') Doch hat es noch einmal einen Ausflug nach Paris gemacht, als nach der franzö- 
sischen Besetzung des Kurstaats Denon die besten Stücke (251) der Casseler Galerie fUr das 
Musee Napoleon entführte (1807). Auffallenderweise und bezeichnend für den herrschenden 
Geschmack kam es dann aber nicht in diese • europäische Kunstkammer «, sondern unter 
die 21 Stücke, welche für die Galerien der Provinzialhauptstädte ausgesondert wurden. Mit 
dem Bildnis von Tintoretto (Nr. 460) wanderte es nach Brüssel. Bei der Zurückgabe der 
Kunstwerke 181 5 gab es mit diesen Bildern besondere Schwierigkeiten; bei d^m uns inter- 
essierenden kam hinzu, dass die Brüsseler Galerie nicht mehr der Direktion in Paris unter- 
stand. Es ist nur dem Eifer des damaligen hessen-casselschen Gesandtschaftsekretärs und 
Geschäftträgers, Jakob Grimm, zu danken, wenn beide Gemälde doch noch schliefslich 
ihren Weg nach Cassel zurückgefunden haben. Grimm, dem nicht unbekannt geblieben war, 
dass dieser Tizian »zu den bedeutendsten [Bildern] unserer Galerie gehören müsset (Bericht 
vom 8. Oktober 1815}, hatte deshalb den Heimweg nach Cassel über Brüssel genommen, 
obwohl er damals nur erst das Dasein der Bilder konstatieren konnte. Die Rücksendung 
von Seiten des Hofes im Haag erfolgte dann 18 17 (E. Stengel, Aktenstücke ti. d. Thätigkeit 
der Brüder Grimm im hessischen Staatsdienste. Marburg 1886. 38, 49, 69, 96 f., 407). 



ENTLEHNUNGEN REMBRANDTS VON C. HOFSTEDE DE GROOT I75 



ENTLEHNUNGEN REMBRANDTS 



VON C. HOFSTEDE DE GROOT 



Einzelne Entlehnungen, welche Rembrandt ab und zu bei seinen Vorgängern 
gemacht hat, sind an zerstreuten Stellen bei seinen Biographen verzeichnet. Dann hat 
Eugene MUntz in der Gazette des beaux Arts 1892 I S. 196 — 211 das Verhältnis Rem- 
brandts zur italienischen Kunst nachgewiesen und ich selbst habe vor kurzem in der 
Wochenschrift »Nederlandsche Spectator« (1893 S. 421) in knapper Form zusammen- 
gefasst, was mir über die Nachahmungen Rembrandts bekannt geworden ist. 

Wenn wir diese Fälle nach den Kunstschulen verteilen, so sind wir am raschesten 
mit den frühen Holländern fenig. Das schöne Louvre-Bild vom Jahre 1637, »Das Ver- 
schwinden des Engels aus dem Hause des Tobias« (Cat. Nr. 404) gehört, wie bereits 
Vosmaer (S. 164) bemerkt hat, in den Hauptzügen der Komposition dem Maerten van 
Heemskerk an.^) Der entschwindende Engel ist in seiner Haltung vollständig von Rem- 
brandt kopiert. Die Frau des alten Tobias hat bei Heemskerk ungefähr dieselbe Haltung 
und denselben Standort in der Hausthür, wie die Braut des Sohnes bei Rembrandt, der 
Greis ist bei diesem nicht so tief zur Erde gebeugt wie bei jenem, und der Sohn hat 
eine andere Stellung des Kopfes und einen anderen Platz in der Komposition erhalten. 
Weniger stark ist die Anlehnung Rembrandts an denselben Künstler in der Radierung 
B. 91, der Rückkehr des verlorenen Sohnes. Die Anordnung der Gruppe auf den 
Stufen des Hauses mit Architektur rechts und Blick auf die Landschaft links, ebenso 
wie die Haltung des büfsenden jungen Mannes, sind so zu sagen identisch; dagegen 
liegt in der mehr vornüber gebeugten Haltung des Greises bei Rembrandt viel mehr 
Innigkeit als in derselben Figur bei seinem Vorgänger. 

Obwohl in den Einzelheiten nicht nachweisbar, ist die Entlehnung der Idee und 
der Gesamtkomposition der radienen Löwenjagden (B. 114 — 116)') unseres Künstlers 
von seinem älteren Zeitgenossen Rubens kaum zu bezweifeln. Die grofsen und schönen 
Stiche, die letzterer nach seinen Bildern hatte anfertigen lassen, hatten, mit dem Privileg 
der General -Staaten versehen, auch ihren Weg nach den nördlichen Provinzen der 
Niederlande gefunden und befanden sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch in der 
Mappe mit Probedrucken nach Rubens und Jordaens, die in Rembrandts reichhaltiger 
Kunstsammlung vorkommt (Rovinski, Inv. Nr. 245). 

*) Von ihm besafs Rembrandt ein Buch mit seinem Gesamt- Oeuvre (Rov. Inv. Nr. 227). 

*) Ich bemerke hier beiläufig, dass ß. 115 und 116 zeitlich wohl bedeutend früher an- 
zusetzen sind, als dies gewöhnlich geschieht. Der Technik nach gehören sie (ebenso wie 
das Gefecht B. 117) in die Nähe jener breit und skizzenhaft behandelten Blätter von 1629—30, 
wie das Selbstporträl B. 338, der Hieronymus B. 149, die Apostel Petrus und Johannes Kranke 
heilend B. 59 und die Flucht nach Egypten B. 54. 

23* 



176 



ENTLEHNUNGEN REMBILVNDTS 



Wenden wir uns von den niederländischen Schulen der deutschen zu, so finden 
wir, wie bereits dem Abbe Zani (Enciclop. delle belle arti Vll, p. 89) aufgefallen war, 
dass die Hauptfigur von B. 69, »Christus die Händler aus dem Tempel treibend«, eine 
genaue gegenseitige Kopie aus der kleinen Passionsfolge A. Dürers (B. 22) ist und dass 



I V 




Vittorc Carpaccio. 
Federzeichnung in der Sammlung des Herzogs von Devonshirc zu Chatsworth. 



die Idee der beiden Bauernfiguren (B. 177 und 178) mit den Aufschriften »'t Is vinnich 
kout« und »Dat's niet« ihren Ursprung in den entsprechenden Blättchen des Hans Sebald 
Beham »Es ist kalt Wetter« und »Das schadet nicht« (B. 188, 189) hat, ihre Ausführung 
jedoch bei Rembrandt ganz von jenen Vorbildern unabhängig ist. 



VON C. HOFSTEDE DE GROOT 



177 



Ehe wir zur Betrachtung der Italiener, welche den Hauptbestandteil zu den Ent- 
lehnungen Rembrandts geliefert haben, übergehen, müssen wir noch einige orien- 
talische Vorbilder hervorheben, an denen der Künstler offenbar grofsen Gefallen 
gefunden hat. Es sind die bekannten bei Lippmann (Nr. 116, 117, 159) publizierten, in 




Rembrandt. 
Federzeichnung im Besitz des Herrn Fairfax Murray zu London. 



Aquarell bezw. tarbiger Kreide ausgeführten Zeichnungen aus dem British Museum 
und dem Louvre, Asiatische Reiter und Hofscenen darstellend, denen sich noch / 
ahnliche Blätter in der Sammlung Malcolm (drei Stück, von denen ein Blatt, vier 
sitzende Orientalen unter einem grofsen Baum, 1767 von Sim. Watts gestochen 



178 ENTLEHNUNGEN REMBRANDTS 



worden ist), in der Sammlung Cracherode des British Museum, bei J. P. Heseltine, 
G. Salting und Fairfax Murray in London, bei L. Bonnat in Paris und in der Sammlung 
van der Willigen (Vosmaer S. 605) anschliefsen. Die beiden Blätter in letzterer Samm- 
lung trugen die eigenhändige Bezeichnung »na een ostindies poppetje geschetsu (s nach 
einem ostindischen Püppchen skizziert) und »na Oostind. poppetje«. Mehr oder weniger 
verwandt erscheint endlich auch noch die schräg von hinten gesehene Studie eines 
Reiters im British Museum, die jedoch nach dem Kostüm einem holländischen Vorbild 
etwa aus der Richtung des Adriaen van de Venne oder Esaias van de Velde entstammt. 
Auch in der Sammlung des Sir Gh. Robinson befindet sich eine solche Zeichnung. 

Das von Watts gestochene Blatt der Sammlung Malcolm ist, wie mich Pro- 
fessor Sidney Golvin aufmerksam macht, offenbar das Prototyp der Radierung B. 29, 
»Abraham Gott Vater und die Engel bewirtend«, gewesen. 

Bei den italienischen Vorbildern Rembrandts ist zwischen denjenigen , welche er 
direkt (als Zeichnung) kopiert hat, und denjenigen, die ihm nur ein entfernteres oder 
näheres Motiv zur Nachahmung (in Zeichnungen, Radierungen oder Gemälden) ge- 
boten haben, zu unterscheiden. Erstere sind: 

^ I. Das Abendmahl des Lionardo da Vinci. Hiervon existiert sowohl eine Feder- 
zeichnung vom Jahre 1635 im Berliner Kupferstichkabinet (L.Nr. 24, bereits vonHoubraken 
erwähnt) als eine Rötelskizze in der Sammlung des Königs Friedrich August 11 von 
Sachsen (L.Nr. 99). Letztere ist nicht datiert, gehört aber ihrem Charakter nach und 
wegen der Schreibweise »Rembrant«, wie nahezu alle in dieser Technik ausgefühnen 
Blätter ungefähr in dieselbe Zeit: 1630 — 35. Sie weist rechts im Vordergrund einen 
Hund auf, der einen Knochen abnagt, eine Eigentümlichkeit, welche uns in den Stand 
setzt, denjenigen italienischen Kupferstich nachzuweisen, welcher das Bindeglied zwischen 
dem Original in S. Maria delle Grazie und der Rembrandtschen Zeichnung ausmacht. 
Es ist dies ein anonymes im dreizehnten Bande von Bartsch S. 83 sub Nr. 28 be- 
schriebenes Blatt, von welchem sich ein Exemplar im Berliner Kupferstichkabinet 
befindet ^). 

2. Papst Alexander III eine Prozession anführend; Skizze des Gentile Bellini für 
seine seitdem zerstörten Wandmalereien im Dogenpalast zu Venedig. Die Zeichnung 
befindet sich im British Museum, die Rembrandtsche Kopie in der Albertina zu 
Wien (publiziert von Wickhoff im Repertorium für Kunstwissenschaft 1883 S. 36 f.). 

3. Die Madonna della Sedia von Raphael\ eine flüchtige Federskizze Rembrandts 
im Dresdener Kupferstichkabinet (Vosmaer S. 588). 

u 4. Nach einer anonymen italienischen Medaille des Andrea Doria kopiert ist 
die meisterhafte Federzeichnung aus der reifen Zeit des Künstlers im Berliner Kabinet 
(L.Nr. 26; vergl. Amtl. Berichte im Jahrbuch d. Königl. Preufs. Kunstsamml.II S.XXXXIV 
Nr. (1557), sowie S. 258). 

5. Nach der Kehrseite einer Medaille des J. F. Gonzaga von Vittorio Pisano 
ist in den späteren Zuständen der Radierung »die drei Kreuze« der Reiter links vom 
Kreuze Christi kopiert (Jahrbuch d. Königl. Preufs. Kunstsamml. II S. 258; die 
Medaille beschrieben von J. Friedländer, Jahrbuch I S. 100 Nr. 3; abgebildet bei 
Litta, Gonzaga Vol. III Fase. XXXIII, Pane 3. Med. Tav. i Nr. 2). 

^ 6. Die Predigt eines Papstes. Genaue Kopie einer Zeichnung von V. Carpaccio 
in der Sammlung des Herzogs von Devonshire in Chatsworih (photographiert von 
Braun als Giorgione Nr. 170). Die stellenweise getuschte Federzeichnung Rembrandts 



Freundliche Mitteilung von Herrn Dr. P. Kristeller. 



VON C. HOFSTEDE DE GROOT I79 



im Besitze des Herrn Fairfax Murray in London, der mich auf sie aufmerksam machte 
(Gröfse ist 203x182 mm). Die hier gegenüber gestellten Abbildungen machen eine 
genaue Beschreibung überflüssig. 

7. Die sitzende Madonna des Andrea Mantegna (B. 8) hat die Hauptfigur 
abgegeben zu Rembrandts Madonna mit der Katze (B. 63). Die Kopfhaltung, das 
Kopftuch, die gefalteten Hände, die Lage des Christkindes mit den über einander 
geschlagenen Beinchen und die Stellung der Kniee stimmen fast genau überein, der 
Faltenwurf ist von Rembrandt vereinfacht worden und die Schattenwirkung sowie 
das Beiwerk hinzugefügt. 

V 8. Die Verleumdung des Apelles von Andrea Mantegna, Sowohl die Originalzeich- 
nung, wie die Rembrandt zugeschriebene Kopie befinden sich im Print Room des British 
Museum. Letztere ist bei Lippmann Nr. 119 reproduziert. Ich muss jedoch gestehen, 
dass ich nicht unerhebliche Bedenken trage, in ihr ein Originalwerk Rembrandts anzu- 
erkennen. Keine von den charakteristischen, positiven Merkmalen seiner Hand, weder 
die Betonung des Helldunkels, welche z. B. in einigen Kopien nach altpersischen 
Vorbildern hineingebracht ist, noch die freie Linienführung, durch die sich die Kopien 
nach Lionardo und Gentile Bellini auszeichnen, findet man hier wieder. Ja, nicht 
einmal die Schriftzüge der Unterschriften sind diejenigen Rembrandts ^). Wenn nicht 
durch die Inschriften des Aufsatzpapieres eine ziemlich alte Tradition für die Urheber- 
schaft Rembrandts vorhanden wäre, würde ich nicht zögern, das Blatt aus dem 
Verzeichnis seiner Werke zu streichen. 

Weit zahlreicher als diese direkten Kopieen sind die Fälle, in denen Rembrandt 
sich mehr oder weniger getreu an ein italienisches Vorbild angelehnt hat. Ich erinnere 
hier an eine Reihe von Eugene Müntz a. a. O. beigebrachter Fälle: wie z. B. an die 
Radierung »Jupiter und Antiopea (B. 203; nach dem Bilde des Correggio im Salon 
Carre des Louvre, mit veränderter Lage ihres rechten Armes und Weglassung des 
Amor), an den verkürzt gesehenen Leichnam auf der Anatomie des Dr. Deyman im 
Amsterdamer Rijksmuseum (nach dem Leichnam Christi auf der Pietä Mantegnas 
in der Brera zu Mailand) und an die abwechselnd Achilles, Judith oder Minerva 
benannten Studien eines bewaffneten Kriegers in den Museen zu Glasgow und Peters- 
burg, bei denen Müntz an italienische, Mr. Forbes White in Dundee (laut brieflicher 
Mitteilung) an altklassische Vorbilder denkt'). 

'^Zwei Zeichnungen einer Grablegung Christi, die eine im Teyler Museum zu 
Haarlem (L. Nr. 169), die andere in der Sammlung v. Beckerath in Berlin (L. Nr. 193), 
erweisen sich gleichfalls als Anlehnungen an ein italienisches Original, diese freier, jene 
in ihrer streng symmetrischen Anordnung in einer Lünette etwas mehr gebunden. 
Das Original von der Hand des Pierino del Vaga befindet sich in der Sammlung 



^) Ich habe vergeblich versucht aus der Rückseite dieses Blattes, welche den Teil eines 
nach italienischen Befestigungsprinzipien ausgeführten Forts darsteUt, Anhaltspunkte für oder 
wider Rembrandts Urheberschaft zu gewinnen. Jene Befestigungsprinzipien fanden, wie Herr 
Kolonel de Bas im Haag mir freundlichst mitteilt, auch in den Niederlanden Anwendung und 
unser Entwurf zeigt sowohl mit der Citadelle Turins als mit derjenigen Antwerpens 
auffallende Ähnlichkeit. 

') In den Handzeichnungssammlungen zu Rotterdam und St. Petersburg giebt es je 
eine kleine Skizze zu ähnlichen bewaffneten Köpfen. Ausserdem kehren die HauptstUcke 
der Rüstung (Helm, Lanze, Schild) wieder auf einer Zeichnung Rembrandts im Familien- 
album Pandora im Besitz des Herrn Dr. J. P. Six in Amsterdam (datiert 1652). 



i8o 



ENTLEHNUNGEN REMBRANDTS 



His de la Salle im Louvre. Die letzten Nachklänge an das Vorbild lassen sich sogar 
noch ia der Radierung B. 86 nachweisen. 

In der Sammlung Seymour Haden befand sich die Federzeichnung eines stehenden 
Knaben mit Mütze, bei Lippmann unter Nr. 149 reproduziert und vom dortigen Register 
hypothetisch als die Nachahmung einer allitalienischen Zeichnung angeführt. 

Die Komposition von Christus und der Ehebrecherin, mit lebensgrofsen Halb- 
figuren, welche vor einigen Jahren aus der Marlborough - Sammlung zu Blenheim von 

dem Kunsthändler Sedelmeyer zu Paris gekauft 
wurde, ist in der allgemeinen Auffassung 
offenbar von Künstlern wie Bonifa^io und 
Giorgione inspiriert, von denen letzterer im 
Rembrandtschen Inventar durch ein wert- 
volles Bild der Samariterin am Brunnen, 
welches halb dem Pieter de la Tombe ge- 
hörte, vertreten war. 

Die Lucretia der Sammlung SanDonato, 
durch die Köppingsche Radierung allgemein 
bekannt, jetzt beim Pariser Kunsthändler 
Bourgeois, ist nach Müniz von Titian be- 
einflusst. Auch die Radierung des hl. Hiero- 
nymus (Bartsch 104), von ihm als »s'approchant 
beaucoup de la maniere d'Albert Dürer« 
charakterisiert, ist nach Ch. Blanc (S.84) in der 
Landschaft eine ziemlich genaue Kopie nach 
einer Zeichnung jenes grofsen Venezianers 
aus der Sammlung Wellesley. Derselbe Autor 
hebt noch Anklänge der Radierung B. 62, 
))La sainte famille au linge« an ähnliche Dar- 
stellungen aus der Schule von Bologna 
hervor, während dagegen Wickhoff a. a. O. 
eine gezeichnete Anbetung der Hirten in der Albertina (Niederl. Inv. Nr. 880) auf das 
unbekannte Original eines italienischen Naturalisten zurückführt und Herr Heseltine 
in London bei der Dresdener Zeichnung von Diana und Akteon (L. Nr. 98) an ein 
Vorbild eines Meisters wie Domenichino denkt. 

Zum Schlüsse weise ich hier auf eine bisher nicht beachtete Anlehnung Rem- 
brandts an Raffael hin. Sie betrifft das berühmte, um 151 5 gemalte, jetzt im Louvre 
befindliche Porträt des Grafen Balthasar Castiglione, welches nach dem Zeugnisse 
Sandrarts (T. A. I S. 55b) am 9. April 1639 in der Auktion des Lucas van Uffelen zu 
Amsterdam versteigert wurde. Sandrart selbst bot bis 3400 Gulden dafür, doch es 
wurde für 3500 an (den Kunsthändler?) Alfonso Lopes zugeschlagen. Auch Rem- 
brandt scheint bei der Auktion anwesend gewesen zu sein. Wenigstens machte er 
die bekannte Federskizze der Albertina nach dem Bilde,') worauf er notierte: De Conte 




Raffael. 

Graf Balthasar Castiglione. 

Original im Louvre zu Paris. 



*) Also nicht nach einer Handzeichnung wie Wickhoff a. a. O. annimmt und E. Müntz 
wiederholt, während F. A. Gruyer (Rapha6l, peintre de portraits II S. 83) den Thatbestand 
richtig erzählt und ausführlich Über das Bild und dessen Geschichte handelt. Bekanntlich 
hat Rubens es ebenfalls kopiert, wie aus einer Eintragung in seinem Nachlassinventar hervor- 
geht (Rooses IV S. 145 Nr. 91^). 




Hell'; CT d '''^ti.-'xdru:K£re: herlra. 



REMBRANDT VAN RUN 



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VON C. HOFSTEDE DE GROOT 



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batasar de kastylyone van raefael verkoft voor 3500 gülden; het geheel caergesoen*) 
tot Luke van Nuffeelen heeft gegolden f 59436 : — : Ano 1639. Die frei behandelte 
Zeichnung bildet die Brücke zu dem schönen radierten Selbstportrfit vom selben 
Jahre 1639 (B. 21), worin man die auf korrekte Zeichnung, Ebenmafs der Linien 
und vornehme Auffassung beruhende Kunstsprache des Italieners in die auf Hell- 










Rembrandt. 

Graf Balthasar Castiglione. 

Federzeichnung in der Albertina zu Wien. 

dunkel und malerische Bestrebungen fundierte Ausdrucksweise des Holländers über- 
setzt findet. Ein Vergleich der beigegebenen Abbildungen überhebt mich der Mühe 
einer näheren Beweisführung. 

Auf eine kürzlich ans Licht gekommene Benutzung der berühmten antiken 
Homerbüste in Neapel auf einem Herrn Dr. A. Bredius gehörigen Bilde, in Verbindung 
mit weiteren Anlehnungen Rembrandts an die Antike, behalte ich mir vor später zurück- 
zukommen. 



^) Cargaison = Schiffsladung; es scheint also, als ob van Uffelen eine Ladung italieni« 
scher Bilder nach Amsterdam gebracht habe. 



24 



l82 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 



DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE 
IN DER RENAISSANCE 

VON RICHARD FÖRSTER 

Zu den prächtigsten Gemäldeschilderungen des Meisters in der incp^airig^ Lucian, 
gehört die eines Bildes seines besonderen Lieblings Aktion, der Hochzeit des Alexander 
und der Roxane, durch welches dieser sich selbst die Hochzeit mit der Tochter des 
olympischen Hellanodiken Proxenidas gewonnen hatte. Lucian beschreibt das von 
ihm in Italien gesehene Bild in einem jener kleinen Kabinetstücke, welche der Höhe 
seines Lebens angehören, der in Macedonieri gehaltenen Prolalia *H^o6oto? r Affr/wi'. 
Die Schilderung lautet §. 5: smv r, elxuji' tu lTu}.i<f, xccyoo siSou, u)TTb Hai TOI av ffiTT««' 
s^/^oifM. S'aXafxog Im TTf^ixaXXtjc xat xXit>Yi vvfJuptHyi, sicti i 'Fw^cei'Vj ^«S>;t«i, 7r«<yx«>.oi' ti 
y^yjfjLcc Tra^Siifov ^) ^ g<? yr/U o^üüt«, alBovixivYj sttujtu rov Wi^avh^ov. E^wtc^ hi twsq lutfi- 

SlijJUTSi; fJLSV HUTOmV SCpSTTUiC CtTTOySl Tyjg HSCpCtXriQ Tr,V XCt},V7rT^CCV XCtt hsiHVXJTl TW injfjL<ptw 

TYjv ^Fuj^avYju, Si Tt9 fJut?M SovXtHüog ntpcct^Bl to (rccuSctXtov in tov ttoSo?, cüc xcctcchXIvoito 
nSyi, u?.Xog T^c f/^XccvlSog tov A?^s^cwh^ov iTrsi^.vjfJLfXivog , E^wg xcci ovTog, £>jcei ccvtov Tr^og txv 
'Futi^airriv Travv ßtattng IrtvntfjufMvog, ßaTi7,s\jg Se avTog fxsv arTi<pavov Twa o^iyst tyi TraiBl, 
na^oyjog hi nai vvßcpceyüuyog KcpcctTTtwv a-VfjLTrn^eTTi h^Sa xaiofxiuvjv e%MV9 fXEt^nxiw ttccvv ioaiw 
iTTt^siSofJLSuog , l^fjLivcciog, oißat, iTTW o\j yct^ STTsyiy^nTTTO TODvouet. sts^ujS'i hz ttJc sixovog 
ccXXoi E^wrec Trai^ovTiv iv Tolg ortXoig tov AXe^m'&^oi; , 8vo ßiu ty.v ?*0Y/r,i/ ccvtov (pt^ovTsg, 
fxiULOVfxsvoi Tovg ayßfocpo^ovg , ottotb hoxov (pi^ovTsg ßct^olvTO' a7.>^oi hi. hvo succ Twct im ri^c 
ccTirlhog xuTaxBtfXsvov , ßccTtXia 8y,3-sv xcei avTOv, a-v^ova-t Tttiv oyjccwtiv Tyjg uTirihog iTrsiXrfjiuit'oi' 
etg & 8yi ig tov S'm^ccxcc so'ffXS'wi/ vtttiou xstfxst'ou }sO%ui./Ti sotxsv, ig (poßriO-Btsu avTOvg, ottote 
xuT avTov ysvowTo rv^ouTsg, Wie im oströmischen Reiche durchaus nicht auf Lucian 
der Bann geruht hat, welchen gewisse Verwünschungen von Scholiasten und Leuten 
wie Suidas (s. v. Aovxiauog) erwarten lassen, so hat auch diese Schilderung bei den 
Griechen des Mittelalters nicht blofs Aufmerksamkeit, sondern auch Nachbildung 
hervorgerufen. Der bekannte Dichter des XIV Jahrhunderts Manuel Philes aus Ephesos 
brachte sie in iambische Verse ^). Dagegen blieb das Schriftchen im Abendlande un- 
beachtet, auch lange nachher, als die Werke des Lucian nach Italien gebracht waren. 
Es wurde, vielleicht gerade wegen seines winzigen Umfanges — denn Seltenheit der 

^) Ihrer Schönheit gedenkt er noch Imag. 7 : die Musterschönheit soll ihre Lippen von 
der Roxane des Aetion erhalten (ra x^^^ ^'* *"* 'PwSavr)? Artwv, 7rot>]croTwJ. 

*) Herausgegeben, aber schlecht, von Ideler, Phys. graec. 1,284, besser von Gramer, 
Anecd. Par. I, 44 (Tou 4>t>.»i xvpoZ Mavovrfk rov 'EcpEo-tov ciiyoi ^ixacppao-Tutoi awo tivo^ twv tov Aovxiavo? 
\aywv elf iUova l-xoMo-av if(i»ypacpr)pivov tov tou 'AXg^av^pov ycLtiov), am besten von Miller, Man. Phil, 
carm. II, 336. 



VON RICHARD FÖRSTER 183 



Handschriften kann nicht der Grund gewesen sein — nicht, wie so viele andere 
Schriften des Lucian'), ins Lateinische oder Italienische übersetzt. So hat auch 
L. B. Alberti nicht auf diese Darstellung, sondern nur auf die Verleumdung des Apelles 
die Aufmerksamkeit der Künstler gelenkt. Und so hat sich, so viel ich sehe, kein 
Maler der Frührenaissance an ihrer Nachbildung versucht. Sie blieb bis ins XVI Jahr- 
hundert hinein ein verborgener Schatz. 

Allerdings giebt es eine Darstellung der Vermählung des Alexander und der 
Roxane aus dem XV Jahrhundert, und zwar ebenfalls als Illustration eines Textes, 
aber diese hat mit dem von Lucian beschriebenen Gemälde nichts zu thun. Die 
Roxane des Afe'tion ist natürlich die der Alexander- Geschichte, d. h. die Tochter 
des Baktrers und nachmaligen Satrapen Oxyartes, die schönste der asiatischen Frauen, 
mit welcher Alexander sich bereits im Frühjahr 327 vermählte *) also zwei Jahre 
vorher, ehe er in Susa die Ehe mit der Tochter des Darius, Stateira ') oder Barsine *), 
einging.*) Aus dieser Roxane der Geschichte machte der Alexander -Rom an Roxane, 
die Tochter des Darius. Sterbend verlobt sie der besiegte Vater dem Alexander 
und dieser vermählt sich mit ihr im Palaste des Darius, nachdem er die Zustimmung 
ihrer Mutter und von Olympias die Sendung des königlichen Brautschmuckes erlangt 
hat. So zuerst Pseudo-Callisthenes II, 20 und 22/) danach etwas kürzer die 
lateinische Übersetzung des Julius Valerius II, 33 und die syrische Übersetzung, 
welche Budge, Cambridge 1889 herausgegeben und V. v. Ryssel im Archiv für das 
Studium der neueren Sprachen und Litteraturen 90, 283 — 288 ins Deutsche übertragen 
hat,') und die arabische Fassung, deren Übersetzung Nöldeke (Beitr. z. Gesch. des 
Alexanderromans S. 38) bekannt gemacht hat. Das Abendland wurde mit dieser 
Fassung durch den neapolitanischen Archipresbyter Leo bekannt, welcher in der 
zweiten Hälfte des X Jahrhunderts den Roman des Pseudo-Callisthenes in Constanti- 
nopel abschrieb und auf Geheifs des Herzogs Johannes von Campanien ins Lateinische 
übersetzte (II, 20 und 22 ed. Landgraf). In dieser Gestalt wurde der Roman im Anfang 
des XII Jahrhunderts in das von Ekkehardus Uraugiensis in Bamberg verfasste 
Chronicon universale aufgenommen (ed. Waitz in Pertz Scriptores VI p. 68) und aus 
diesem wieder unter dem Titel vita Alexandri für sich abgeschrieben.®) Noch gröfsere 

") Vergl. Archiv f. Litteraturgeschichte XIV, 339 ff, und Jahrbuch d. K. Preufs. Kunst- 
samml. VIII, 32 und 1 1 1 f. 

*) Es ist sehr interessant, dass auf der Akropolis von Athen die Reste der Inschrift von 
Weihgeschenken gefunden worden sind, welche Roxane als Gemahlin Alexanders der Athena 
gemacht hatte (C. I. A. 11,737 A 2 und 12). 

») Plut Alex. 70, 2. Diod. Sic. XVII, 107. Justin XII, 10, 9. 

♦) Arrian Anab. VII, 4, 4. 

') Arrian Anab. IV, 19,5. VI, 15,3 nebst Suidas s. v. 'AXsgav^po;. Plut. Alex. 47,4. Diod. 
Sic. XVIII, 3, 3. Gurt. VIII, 4, 2 1 . Itin. Alex. 44. 

•) Auf ihn geht zuletzt auch Joannes Malalas VIII, i p. 194 ed. Bonn, zurück. Aber auch 
die bei Suidas s. v. 'ATJ&av^pog MkycK; und Aapitog überlieferte Version, dass Alexander den 
Darius um seine Tochter bittet, ist nur eine Variante jener Fassung. 

') Auch Firdusi folgt im Schähnäme dieser Fassung. Vergl. Le livre des Rois par 
Abou *lkasim Firdousi, par Jules Mohl V p. 10454. Desgleichen Nisämi im Iskandername. 
Vergl. Spiegel, die Alexandersage bei den Orientalen S. 42fF. Friedr. Rückert im Frauen- 
taschenbuch fUr das Jahr 1824 S. 495. 

8) So z. B. in einer Handschrift, welche ich jüngst in der gräflich Hochbergschen 
Bibliothek zu Fürstenstein fand, Msc. Q. 6 (4190. III. XVIII H. 38), einer Papierhandschrift 

24* 



184 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

Verbreitung aber fand durch Handschriften und Drucke die Fassung Leos in der 
mannigfach veränderten und erweiterten Form,*) welche den Titel führt: Historia (oder 
Liber) Alexandri magni regis Macedoniae de preliis. Hier ist ein eigenes Kapitel mit 
der Überschrift Quomodo Alexander duxit uxorem Roxanam filiam Darii imperatoris 
(im Strafsburger Druck ^) von i486 auf fol. 20^, col. i) folgendermafsen lautend: alia 
vero die Alexander sedit pro tribunali in throno aureo coronatus et iuxta praeceptum 
Darii imperatoris iussit Roxanam filiam eius ante praesentiam suam advenire. Coronam 
auream et lapidibus preciosis ornatam in capite deferentem ipsam iuxta morem per- 
sarum accipiens in uxorem. Fecitque eam secum in throno aureo residere. Et prae- 
cepit ut regina ab omnibus coleretur. Videntes autem hoc perse gavisi sunt valde.*) 
Diese Historia wiederum wurde auf Geheifs des Herzogs Albrecht von Bayern und 
seiner Gemahlin Anna durch den Doktor der Medizin Johannes Hartlieb in 
München in freier Weise ins Deutsche*) übersetzt und durch Johann Bämler zu Augs- 
burg, zuerst 1472,*) gedruckt unter dem Titel »Die hiftori von de groffe Alexander, 
wie die Eufebius befchriben hat«. Hier lauten die betreffenden Worte auf fol. öS"": 
T> Darnach gedacht Alexander an die pet das er Darij an feinen leckten ^eitten im 
getan hat und befandt Roxam dye tochter des reichen künigs und fagt ir und allen 
ire /runden was Darius ir vatter mit im geredt un gepeten hat Roxam zu der ee \e 
nemen das wolt er gar gere un gar tpilliclichen tun ob das auch ir will und ir gunfl 
war. Da was nit not lang beratens, die tochter Darij des künigs Roxam ward 
gemahelt dem groffen künig Alexander. Er nam Jy ^ü der ee nach de fitten feiner 
gotter, Alexander liefs da koßlich hoff berüffen und pflag der fitten die den die 
groffen kunig in dem land persia pflagent. 

Er tat auffrichten einen hoche ßül in einen kößlichen fal, und fat^t die tochter 
Darij ^ü im un tat fy ere un lobe als ein künig un Jy in folicher maf^ anpette alle 
menfche.fn 

Die zweite Ausgabe nun, welche die Subskription hat: nhie enndet fich die 
hyfiori Eufebij von d€ Groffe künig Alexander Als die der hoch gelert doctor Johan 
hartlieb ^u münchen durch lieb des durchleüchtigen füflen etc, herzog Albrechts Säliger 
gedächtnufi In Teütfch tranfferiert un befchribe hat Getruckt und volenndet durch 
Johanne Bämler In der keyferliche fiat Augfpurg Am montag nach Johannis Baptifle 
Anno Zi JmLXXIIh,^) liefs Bämler mit Holzschnitten') versehen, und einer derselben 



des XIV Jahrhunderts in Oktav, auf fol. 1 3. Vergl. Waitz a. a. O. p. 1 2. Paul Meyer, Alexandre 
le Grand II, 39. 

^) Diese lag auch dichterischen Bearbeitungen zu Grunde, wie dem Alexanderlied des 
Pfaffen Lamprecht V. 3982 ff., dem Alexander des Rudolf v. Ems V. i4909lf. (Oswald 
Zingerle, die Quellen zum Alexander des Rudolf v. Ems S. 85), der französischen Bearbeitung 
im Manuscrit de TArsenal fol. 107V (Paul Meyer 1. 1. 1,98). 

') Andere alte Drucke zählt auf Hain, Repert. bibliogr. yy/ — 780. 

') In etwas abweichender Fassung bei Oswald Zingerle, a. a. O. S. 198, 17 ff. 

*') Auch Obersetzungen ins Niederländische, Italienische, Französische wurden gemacht. 
Vergl. Hain, Repert. 794—799. 

*) Hain, Repert. 784. 

•) Hain, Repert. 785. 

') Übrigens waren Illustrationen von Handschriften vorangegangen. Der Codex Mona- 
censis 23489 saec. XII/XIII der Historia Alexandri de preliis enthält auf Blatt i& eine Feder- 
zeichnung, Alexander und Roxane (Roxa) auf Thronen sitzend. Vergl. Oswald Zingerle 
a. a. O. S. 20 A. i. 



VON RICHARD FÖRSTER 



185 



(fol. 68^), hier reproduziert, enthält auch zwischen den beiden Absätzen der oben mit- 
geteilten Erzählung die Vermählung des Alexander mit der Roxane. Wenn derselbe 
auch im ganzen als Illustration der Texteswone v^Roxam tpard gemäkelt dem großen 
kütiig Alexander^ gelten kann, so nimmt er doch im einzelnen auf die umgebenden 
Worte keinerlei Rücksicht. Er gehört noch in die Klasse der Illustrationen, welche 
nicht sowohl den Text erläutern als dem des Lesens Unkundigen ein Bild des Gegen- 
standes geben wollen. Er führt einfach eine Trauung vor: der Priester ist im Begriff, in 




Alexander und Roxane. 
Holzschnitt aus: Eusebij hystori von de Grosse künig Alexander. 

Gegenwart zweier männlichen und eines weiblichen Trauzeugen die Hände des Paares 
in einander zu legen. Dass die Tracht völlig unantik ist, kann nicht wundernehmen. 
Auch sind weder Alexander noch Roxane jung, geschweige denn schön. 

Dieser Holzschnitt ging in die folgenden Ausgaben des Werkes über, und zwar 
unverändert in die von Anton Sorg, Augsburg 1478 (Hain N. 786), mit einigen 
Änderungen in die auf diese folgenden: umgekehrt und so, dass die beiden männlichen 
Trauzeugen auf der Seite Alexanders ihren Platz finden, Alexander (unbärtig) der 
Krone, Roxane des Hennin entbehrt, in die von Sorg, Augsburg 1480 und 1483 
(Hain N. 788 und 789). Mit diesen stimmt überein, zeigt jedoch wieder die ursprüng- 
liche Richtung der Holzschnitt in den Ausgaben von Martin Schott, Strafsburg 
1488 und 1493 (Hain N. 791 und 793). Dieselbe Richtung zeigt auch der Holzschnitt 
in der Ausgabe des Barthol. Kistler, Strafsburg 1503, jedoch fehlt hier der Trau- 
zeuge rechts, und nicht nur der (unbänige) Alexander, sondern auch Roxane und 
der Priester tragen Kronen, der Trauzeuge eine Kappe. Dieser Holzschnitt endlich 
ist in der Ausgabe des Mathis Hupf uff, Strafsburg 15 14 wiederholt.^) 

^) Für die hier gemachten Angaben bin ich den Herren Dr. von Loga und Weyman ver- 
pflichtet. Ober die Ausgaben von Sorg i486 (Hain 790), Schott 1489 (Hain 7Q2), Flach 1509 



l86 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

Aufser dem Holzschnitt kenne ich nur ein Gemälde der Vermählung Alexanders, 
welches nicht auf Lucian*) zurückgeht. Das ist das von Eduard Bendemann aus- 
geführte Wandgemälde im Ball- und Konzertsaal des Königlichen Schlosses in Dresden. 
Denn nur die Tochter des Darius entspricht als Braut Alexanders der Gröfse des 
weltgeschichtlichen Vorganges, zu welcher der Künstler den Gegenstand erhoben hat, 
der Vermählung von Occident und Orient. Die Tochter des Darius aber ist hier nicht 
die des Alexanderromanes, sondern der Geschichte, wie dies auch von dem be- 
rufensten Interpreten des ganzen Gemäldecyklus anerkannt ist, von Joh. Gustav Droysen, 
im Text zu Hugo Bürkners Radierungen,^) welche der sächsische Kunstverein seinen 
Mitgliedern auf das Jahr 1857 gegeben hat.') 



Die Versuche aber, das Gemälde des Afetion zu rekonftruieren , zu welchen wir 
nun zurückkehren, find fast ganz auf die reife Renaissance beschränkt geblieben. 
Wir beginnen am besten mit dem 



(vergl. Kristeller, die Strafsburger Bücherillustration S. 137, 504) standen mir keine Angaben 
zur Verfügung. 

^) Nur ganz leise klingt an diesen Jerichaus schöne Fries -Komposition an. Dieser 
85 cm hohe und 23 m lange Gyps- Fries, 1842 vom Künstler begonnen, 1864 vollendet und 
im Rittersaal des Schlosses Christiansborg zu Kopenhagen angebracht, ist vor einigen Jahren 
beim Schlossbrande zu Grunde gegangen bis auf ein Drittel, welches sich jetzt in der Ny 
Carlsberg-Glyptothek des Herrn Jacobsen befindet (323—326), ist jedoch nach einer im Besitz 
desselben kunstsinnigen Herrn befindlichen Photographie für diesen von Conradsen neu 
modelliert worden. Die Benutzung der Photographie verdanke ich der ausnehmenden Liebens- 
würdigkeit des Besitzers, bei welchem ich an Herrn Dr. C. Jörgensen einen freundlichen Für- 
sprecher gefunden habe. Vergl. Glyptotheket paa Ny Carlsberg 1888 p. 44 und 56 ff. Alexander, 
völlig unbekleidet, auf einem Lehnstuhl sitzend, schlingt seinen linken Arm um die halb 
liegend auf einem Ruhebett ausgestreckte, nur am Unterkörper bekleidete Roxane. Sie hält 
mit der Linken ihr Schleiergewand in der Höhe des Kopfes. Sie blicken einander an. 
Am Ende des Ruhebettes steht Hymenäus (geflügelt, in kurzem Rock), in den erhobenen 
Händen je eine brennende Fackel haltend und nach dem Paare hinblickend. Zu den Füfsen 
Roxanes kniet ein Eros, in der gesenkten Linken seinen Bogen, in der erhobenen Rechten 
einen Pfeil haltend und zu Alexander aufblickend. Auf der anderen Seite sind Eroten mit 
den Waffen Alexanders beschäftigt. Der eine holt mit dem Schwert gegen den Kopf eines 
bekleideten Eros aus, der sich mit beiden Händen den Helm hält, welcher ihm bis auf die 
Schultern herabgesunken ist. Zwei andere streiten sich um die Lanze. Eine Beschreibung 
der anderen Figuren muss ich mir versagen, so reizvoll es auch ist, den Einflüssen der 
Antike, insbesondere des Parthenonfrieses und pompejanischer Wandgemälde, sowie Thor- 
waldsens auf dieses Prachtstück der Reliefkunst nachzugehen. — Die Komposition des 
Hyacinthe CoUin de Vermont (1692 — 1761), von welchem Blanc, tresor de la curiosite 1. 1 
p. 188 eine esquisse du Mariage d' Alexandre erwähnt, kenne ich nicht. 

>) Die Hochzeit findet sich auf Blatt XII. 

>) Nur möchte ich nicht mit ihm die Königsbraut Stateira, sondern Barsine nennen. 
Denn die hervorragende Stellung, welche Hephästion mit Drypetis und Krateros mit 
Amastrine in dem Gemälde einnehmen, weist auf Arrians (Anab. VII, 4, 4) Schilderung als 
nächste Vorlage hin, und dieser nennt die Königsbraut gerade nicht Stateira, sondern 
Barsine. 



VON RICHARD FÖRSTER 187 



I FRESKO DES SODOMA 
d. h. mit dem Fresko, mit welchem Sodoma die Nordwand des Schlafzimmers im 
oberen Stockwerk des Hauses seines Gönners Agostino Chigi, der heutigen Farnesina, 
geschmückt hat, einem Werke, welches jetzt durch Louis Jacobys ebenso treuen^) wie 
feinen Stich, sowie durch seine wundervolle, in Originalgröfse ausgefühne und in 
Photogravüre vervielfältigte farbige Kreidezeichnung des Kopfes der Roxane zu einem 
Gemeingute aller Freunde edler Kunst geworden ist. 

Ich habe in den Farnesina-Studien S. 32 ff.*) durch Interpretation der Verse des 
Blosio Palladio über die Farnesina und ihre Malereien, sowie des Berichtes des Vasari 
zu erweisen gesucht, dass die Gemälde Sodomas nicht allzu lange nach seiner Ver- 
treibung aus dem Vatikan begonnen und im Jahre 1512 vollendet waren. Durch die 
genannte Schrift S. 103 ff. bin ich auch einer eingehenden Beschreibung des Gemäldes 
überhoben. Durch wen und in welcher Gestalt der Text des Lucian dem Maler über- 
mittelt worden ist, wissen wir nicht. Nur führt der Umstand, dass er dem Alexander 
eine Krone, nicht einen Kranz in die Hand gab, auf eine lateinische Übersetzung, 
welche crriipccvog durch Corona wiedergegeben hatte. Der Maler steht dem Texte mit 
völliger Freiheit gegenüber, bald ändernd, bald hinzufügend (das Amorengewimmel 
in der Luft und auf dem Betthimmel, den Amor, welcher den Fufs der Roxane 
streichelt, die Dienerinnen). Er hat aber auch sämtliche Figuren mit einem unsag- 
baren Zauber umkleidet. Das Fresko ist eine der schönsten Kompositionen der antiki- 
sierenden Renaissance.*) Es rechtfertigt, wie kein zweites, das Urteil des Paolo 

*) Diese Treue ist um so mehr hervorzuheben, als das dem Stich zu Grunde liegende 
Aquarell im Jahre !86i, also vor der letzten Restauration des Gemäldes, gemacht ist, während 
die Photographien von Ad. Braun (Palais de la Farnesina t. 58. 59. 63 — 6j) nach dieser fallen 
und, besonders im Kopf der Roxane, viel zu wünschen lassen. 

*) Diese Auseinandersetzung ist von Frizzoni, Arte italiana del rinascimento, Milano 1891 
P- <39> welcher den Sodoma 1514 malen lässt, nicht berücksichtigt worden. Wenn er läugnet, 
dass Blosio Palladio in seinem Gedicht Suburbanum Agustini Chisii von 1512 Kenntnis der 
Gemälde Sodomas verrat, so hat er die 3 Verse 

Ast e porticibus primis sese atria pandunt 

Prima, dehinc alio super his stant altera versu: 

Haec circum haud uno stant picta cubilia cultu 

übersehen oder falsch aufgefasst. Die Entstehungszeit dieser Gemälde eher früher als später 
anzusetzen rät auch der Umstand, dass bereits Albertini in seinem vom 3. Juni 1509 datierten 
Opusculum de mirabilibus novae urbis Romae p. 30, 26 ed. Schmarsow die Farnesina (Domus 
cum vinea apud portam Septiman. Augustini de Chigis Senensis) unter den sehenswürdigen 
Häusern Roms aufzählt. Vergl. Propping, die künstlerische Laufbahn des Sebastian del 
Piombo S. 23. 

*) An diesem Urteil (Farnesina -Studien S. 108) halte ich fest trotz B. K. F. (Deutsche 
Rundschau Juni 1880 S. 467), indem ich nur die in dem Worte »antikisierend« enthaltene 
Einschränkung betone. Als Beleg für den Wandel des Geschmackes möge hier das Urteil 
des jüngeren Richardson (Traite de la peinture et de la sculpture t. III p. 194) stehen: 
Excepte un certain Air gener al de lEcole Romaine, les Peintures de cette Chamhre sont bien 
le plus execrable ouvrage que VArt ait produit, dans cet Age d'or. H n'y a pas un seul bon 
Air de Tete, pas une bonne Attitüde, pas un Membre bien dessine, ni aucune Pensee qui se 
fasse remarquer par sa beaute. — {La description de Luden) vaut bien la peine qu'on la lise; 
quand ce ne servit que pour se consoler du peu de satisfaction qu'on a eu ä voir cette mau- 
vaise Peinture. II est impossible que le Tableau ait surpasse en beaute la Description que cet 
Auteur en fait. 



l88 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

Giovio: Sodomas quum impetuosum animum ad artem revocat^ admiranda perficit et 
adeo coticitata manu, ut tiihilo secius, quod mirum est, neminem eo prudentius atque 
tranquillius pinxisse appareat Und dabei schöpft er ganz aus sich. Antike Vorbilder 
standen ihm nicht zu Gebote.^) Seine ganze Schöpfung atmet so ursprtingliche und 
unmittelbare Eingebung, dass es einem ordentlich schwer fällt, ihm lange und mühe- 
volle Vorarbeiten zuzutrauen. 

Und in der That sind wenig oder gar keine Studien seiner Hand zu dem Bilde 
erhalten. 

Anders freilich urteilt Morelli^) unter Zustimmung von Frizzoni a. a. O. p. i4ifF., 
Julius Meyer im Künstlerlexikon s.v. Bazzi III, 202, Richard Graul*) und anderen.*) 
Wenn wir ihm folgen, besitzen wir nicht nur 3 Skizzen für Teile des Fresko, sondern 
auch eine Rotstiftzeichnung zur ganzen Komposition. 

Sehen wir zu, wie es mit dieser Ansicht bestellt ist. 

Da soll zunächst — und hier wird Frizzoni als erster Vertreter gelten müssen — 
die Feder- und Bisterzeichnung der University-Galleries in Oxford, ehemals in den 
Sammlungen Wicar, S. Woodburn, Cosway, Lawrence, abermals S. Woodburn*), die 
»prima idea« zum Himmelbett des Fresko sein. Sieht man aber genauer zu, so be- 
schränkt sich die Ähnlichkeit auf das Vorhandensein eines Himmelbettes und von 
Eroten auf demselben. Irgend eine bedeutungsvolle Übereinstimmung vermisse ich. 
Statt dessen finde ich im einzelnen nur Verschiedenheit sowohl im Aufbau und der 
Ornamentierung des Bettes als auch in Auffassung und Stellung der Eroten. Handelt 
es sich, um nur weniges anzuführen, don um korinthische Säulen als Träger der 
Decke, so hier um gedrehte Pfeiler, dort um sich versteckende Eroten, so hier um 
die Träger einer schweren Guirlande. Letzterer Unterschied weist aber auf eine grund- 
verschiedene Auffassung des Vorganges hin. Ich kann daher den Beweis dafür, dass 
diese Zeichnung Vorstudie zum Fresko sei, nicht für erbracht ansehen; desgleichen 
nicht, dass sie von Sodoma herrühre.*) 

Da soll ferner die wundervolle mit hellem Silberstift auf gelblichem Papier ge- 
zeichnete stehende weibliche Figur der Sammlung Eszterhazy in der Ungarischen 
Nationalgalerie^ die Zeichnung zur Roxane sein. Diese wird hier zum ersten Male 
nach einer Karl von Pulszkys Liebenswürdigkeit verdankten Photographie in genügen- 
der, wenn auch nach Pulszkys Uneil nicht ganz den Zauber des Originals wieder- 
gebender Weise veröffentlicht. Aber die Komposition Afe'tions verlangt notwendig 



^) Über das Alexander- und Helena- Relief vergl. unten S. 190 A. 3. 

*) Kunstkrit. Studien über ital. Malerei. (Die Galerien Borghese und Doria Pamfili in 
Rom) Leipzig 1890 S. 195 ff. 297 ff. (Die Galerien zu München und Dresden) Leipzig 189 1 
S. iioff. Vergl. die Werke ital. Meister, Leipzig 1880 S. 471 A. 2. 

») Die graphischen Künste XVI (Wien 1893) S. 33 ff. 

*) Ober Thausing s. unten S. 189 A. 2. 

') Passavant, Raphael d'Urb. II p. 513 n. 560«. Robinson, the drawings of Michel 
Angelo and Raffael in the University Galleries, Oxford 1870 p. 311 n. 177. Drawings and 
studies by Raffaelle Sanzio in the University galleries, Oxford, etched and engraved by 
Joseph Fisher, new edition, London 1879 p. 41 n. CCXXIX mit einer kleinen Abbildung, 
Frizzoni a. a. O. tav. 9a mit einer Phototypie, welche von Graul a. a. O. S. 34 wiederholt ist. 

^) Robinson fühlte sich sogar an Baccio Bandinelli erinnert. 

^) Ruland, the works of Raphael p. 317 n. XXXI. Karl v. Pulszky, Raphael Santi in der 
Ungarischen Reichs -Gallerie, Budapest 1882, Separatabdruck aus der »Ungarischen Revue« 
S. 37ff. mit ungenügender Abbildung S.45. 



VON RICHARD FÖRSTER 



i89 



eine sitzende Roxane. Auch ist das Gesicht ganz anders als im Fresko. Aber auch 
mit der Rotstiftzeichnung der Albertina stimmen , wie ich ausdrücklich bemerke, Kopf, 
Oberleib und Haltung des linken Ober- 
armes nicht überein. Der Leib zeigt 
Verschiedenheiten und das Gesicht ist 
durchaus anders. Ich muss daher den 
Zusammenhang dieser Zeichnung auch 
mit der Rotstiftkomposition bestreiten.^) 
Ich sehe in der Zeichnung eine Akt- 
studie und zwar des Raffael, da ich 
im Gesicht Ähnlichkeit mit der Forna- 
rina finde. 

Aber Morelli sieht auch in der 
bisher dem Raffael zugeschriebenen 
Rotstiftkomposition der Albertina 
(= A), ebenso wie in der in den vor- 
handenen Figuren übereinstimmenden 
Florentiner Zeichnung (= F) nur eine 
Vorarbeit Sodomas für sein Fresko 
und hat damit erreicht, dass beide 
Zeichnungen jetzt offiziell die Bezeich- 
nung »Sodoma« führen. *'*) 

Prüfen wir zunächst die Gründe, 
welche ihn zu dieser Zuweisung geleitet 
haben, indem wir uns auf seinen eige- 
nen Standpunkt stellen. 

1. »Die Hand hat bei Sod. fast 
immer zugespitzte Finger.« Dies trifft, 
wie mich eine genaue im vorigen Jahre 
vorgenommene Untersuchung von A 
gelehrt hat. durchaus nicht 'auf alle 
Figuren zu, z.B. nicht auf Alexander, 
Hephästion, den gefallenen Eros, auf 
Hymenäus nur teilweis. 

2. »Sehr oft sind die Wurzeln 
der Finger an der Hand mit Grübchen 
angedeutet.« Dies trifft auf keine Figur 
von A. 

3. »Das Auge ist mandelförmig.« 
Dies trifft wieder nicht durchweg zu, z.B. 

nicht auf Hephästion und die Eroten. Silberstiftzeichnung in def National- Galerie zu Pest. 




#l^^'ii 




>) Nachträglich sehe ich, dass auch Janitschek (Repert. f. Kunstw. VII, 230) so ge- 
urteilt hat. 

') Allerdings war bereits Thausing in einem für die Beilage der »Wiener Abendpost« 
vom 6.— IG. Dezember 1878 geschriebenen Aufsatz über Sodoma, wiederholt in den Wiener 
Kunstbriefen, Leipzig 1884 S. 261, mit dieser Ansicht hervorgetreten, jedoch ohne eingehende 
Begründung. 

25 



igO DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

4. »Das Knie ist voll und stark.« Dies tritt in A wenigstens nicht auffallend 
hervor. 

5. »Das Haar *) der Frauen ist bei Sod. an den Schläfen sehr oft wellenförmig 
gekräuselt«. Dies trifft zwar auf die Roxane des Fresko, aber nicht auf die von A. 

An der Florentiner Federzeichnung der Uffizien*) No. 1479 ^^^ ^^^ Unterschrift 
di rafel da urbin (= F), welche die sechs Figuren der linken Seite im grofsen 
Ganzen mit A übereinstimmend giebt, trifft Punkt i nur teilweis (z. B. nicht durch- 
weg auf die r. Hand der Roxane und die 1. Hand des Hymenäus), Punkt 2 bis 5 gar 
nicht zu. 

So kommen wir vom Standpunkt Morellis selbst zu einem für seine Meinung 
nichts weniger als günstigen Ergebnis. 

Wenn aber nicht die stilistischen Merkmale, was kann uns sonst veranlassen, in 
A die Vorstudie für das Fresko zu sehen? Etwa Übereinstimmung in den Köpfen 
oder im Gesichtsausdruck? Aber wie bei Roxane, so ist Kopfbildung und Ge- 
sichtsausdruck bei allen anderen Figuren durchaus verschieden. Oder inhaltliche Über- 
einstimmungen? Aber soweit diese vorhanden, sind sie, was Morelli und alle welche 
ihm gefolgt sind, übersehen haben, vollständig durch die Figur für Figur beschreibende 
Textvorlage gegeben.') Im übrigen sind nur Verschiedenheiten nicht blofs in An- 
ordnung, sondern auch in Auffassung der Figuren. Die beiden Kompositionen S 
(= Sodoma) und A sind aus verschiedenem Geiste, A aus dem archäologisch - artisti- 
scher Treue, S aus dem erotischer Phantasie geboren. 

Es ist aber auch unmöglich, A als Entwickelungsstufe von S gelten zu lassen. 
Denn S hat mit Lucian, also mit der Vorlage, mehreres gemein, worin A abweicht, 
und es ist ausgeschlossen , dies alles für nachträgliche Besserungen von S zu erklären. 
So stützt sich Hephästion bei S wie bei Luc. auf Hymenäus, während er in A nur 
mit dem 1. Unterarm über den des Hymenäus greift; bei S wie bei Luc. sind Hephästion 
und Hymenäus nur Begleiter des Alexander, stehen daher folgerichtig bei S hinter 
ihm, während sie in A ihm den Weg weisen, Hephästion voranleuchtend, Hymenäus 
auf Roxane hinweisend, was bei S wie bei Luc. Sache des sie entschleiernden Eros 
ist. Wenn Hymenäus bei S ein Jüngling wie Hephästion, in A nur ein halbwüchsiger 
Bursche ist, so beruht dies auf verschiedener Auffassung des Wortes fjLsi^dxiov. Bei S 
tragen den Schild nur zwei Eroten wie bei Luc. , in A dagegen vier. Bei S hat sich 
der eine Eros, noch dazu ein schwarzer, in den Harnisch Alexanders verkrochen und 



^) Dieses Kennzeichen setze ich nach »Galerien zu München und Dresden« S. 112 an 
Steile des in »Galerien Borghese« S. 197 über die Landschaft Bemerkten, weil letztere hier 
nicht in Betracht kommt. 

*) Nicht genügend abgebildet in den »Galerien Borghese« S. 201 , Graphische Künste 
XVI S. 35. 

*} Ich verzichte daher auf ein von anderer Seite (vergl. Pulszky a. a. O. S. 43 ff.) gegen 
Morelli geltend gemachtes Argument, dass die Komposition von A auf Benutzung des an- 
tiken Paris- und Helena- Reliefs beruhe und dass eine solche Benutzung eines antiken Werkes 
wie ftlr RafiTael durch viele Beispiele belegt, so ftlr Sod. unerhört sei. Ich habe bereits Far- 
nesina- Stud. S. 142 A. 283 mich gegen die Annahme einer solchen Benutzung erklärt. Die 
Ähnlichkeiten zwischen dem antiken (jetzt in England befindlichen) Relief und den Schöpfun- 
gen des Raffael und Sodoma liegen im Gegenstande oder vielleicht auch darin, dass das 
Gemälde des Aktion schon auf die Komposition des antiken Reliefs Einfluss erlangt hatte. 
Vergl. L. V. Sybel, Weltgeschichte der Kunst S. 283. Hauser, neuattische Reliefs S. 156. 
Wilh. Koch, Paris vor Helena in der antiken Kunst, Marburg 1889 S. 52 u. 70 f. Vergl. S. 198. 



VON RICHARD FÖRSTER I9I 



fährt, als die Schildträger an ihm vorbeikommen, heraus und erschreckt sie; in A ist 
von dieser auch von Lucian bezeugten Absicht nichts zu merken, Eros scheint viel- 
mehr hingefallen zu sein und sich unter der Last des Harnisch nicht mehr erheben 
zu können. ^) 

Dies genügt, um S und A auf verschiedene Urheber zurückzuführen. Es fragt 
sich nur, mit welchem Recht A dem Raffael zugesprochen wird. 



2 ZEICHNUNG RAFFAELS 

Schon Vasari nennt in der zweiten Ausgabe seiner Vite von 1568 aufser So- 
domas Fresko *) eine raffaelische Zeichnung der Hochzeit Alexanders. Denn es unter- 
liegt keinem Zweifel, dass diese gemeint ist, wenn er sagt (t. IX p.275 Le Monnier), 
dass Agostino Veneziano unter vielen Zeichnungen Raffaels stach: Alessatidro con 
Rossana, a cui egli presenta una Corona reale, mentre alcuni Amori le volano intorno 
e le acconciano il capo, ed altri si trastullano con Farmi di esso Alessandro,^) Der 
Stich existiert, wenn auch die neuere Kritik nicht den Agostino Veneziano, sondern 
den Jacopo Caraglio als seinen Urheber festgestellt hat % und zeigt in solchem Mafse 
inhaltliche Übereinstimmung mit A, dass wenigstens das geistige Eigentum Raffaels 
an A gesichert ist — wenn Vasari mit Recht die Vorlage des Stiches auf diesen zurück- 
führt. Dies aber bestreitet Morelli mit der entschiedenen Erklärung, »Vasaris unbe- 
dachtsam hingeworfenes Wort habe hingereicht, den groben Irrtum herbeizuführen« 
A wie F dem Raffael zuzuschreiben (Gall. Borghese S. 297).*) Aber hier rächt sich 
die Missachtung kunsthistorischer Thatsachen. Der geistige Anspruch Raffaels an A und 
F wird durch andere Instanzen als Vasari sichergestellt. 

Diese bestehen erstens in zwei von Vasari durchaus unabhängigen Zeugnissen, 
und wenn auch die Beweiskraft des zweiten, weil vielleicht vom ersten abhängigen, gering 
anzuschlagen sein sollte , so ist die des ersteren um so gröfser. Denn dieses Zeugnis 
ist nicht nur 11 Jahre vor dem des Vasari an die Öffentlichkeit getreten, sondern es 
rührt auch von einem Manne her, welcher es wohl wissen konnte, und ist einem 
Manne in den Mund gelegt, welcher sowohl Raffael wie Sodoma nahe gestanden und 
im Hause des Agostino Chigi verkehrt hatte. Es findet sich im Munde des Pietro Aretino 
im gleichnamigen Dialogo della pittura des Ludovico Dolce, dessen Vorwort vom 
12. August 1557 datiert; das zweite in Lomazzos trattato deir arte della pittura, 
scultura lib.VI c.32, welcher zuerst 1584 erschien. Um zu zeigen, wie letzteres von 
ersierem vielleicht abhängig, sicher aber oberflächlich sei, setze ich beide Stellen 
neben einander :•) 



^) So hat auch Dolce die Sache aufgefasst. S. 192. 

•) t.XII p. 162. 

') Die Stelle des Fabio Chigi in der vita seines Ahnherrn, des Agostino Chigi (Cugnoni, 
Agostino Chigi, Roma 1878 p. 32,2) Cubiculi historias Alexandri Macedonis, quod in aula 
ingredientibus recta occurrit , fecit simililer lo: Antonius Sodoma, in quibus et Raphaelem 
superasse dictus est wird man nicht für seine Kenntnis der raffaelischen Komposition 
verwerten dürfen. Vergl. Farnesina- Studd. S. ii6ff. 

*) S. unten S. 199 ff. 

^) Dass • Sodoma sein Fresko nach den Vorlagen Raffaels ausgeführt habe« (Morelli 
a.a.O.), wird von mir in Abrede gestellt^ wenn ich auch annehme, dass Raffaels Zeichnung 
eher entstanden ist. (Farnesina -Studien S. 107). 

*) Besondere Übereinstimmungen sind durch gesperrten Druck hervorgehoben. 

25* 



192 



DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 



Dolce p.46 ed. Ven. 1557. 

Aretino: Consideriamo uti poco Raf- 
faello nelle profane (störte): per che, oue in 
queste lo ritroveremo accuratissimo ed 
honestissimo , comprenderemo , quanto piu 
egli sia stato in quelle altre (sc. sacre), 

Fabrino: lo u' ascolto. 

Aretino: Nonso, se habbiate veduto 
appresso il nostro Dolce la carta della 
Rosana di mano di Rafaello; che fu gia 
stampata in rame. 

Fabrini: Non mi ricorda. 

Aretino: Questa e una carta, nella 
quäle rappresentö Raffaello in disegno di 
acquarella, tocco ne' chiari con biacca, la 
incoronatione di Rosana: laquale essendo 
bellissima femina , fu atnata grandemente 
da Alessandro Magno. E adunque in 
questa carta disegnato il detto Alessandro, 
il quäle stando innan:{i a Rosana, le porge 
la Corona: ed ella siede accanto un letto 
con attitudine timida e riverente, ^ e tutta 
ignuda, fuor che, per cagione d,i 
serbar la honesta un morbidetto 
panniccino le nasconde leparti, che 
debbono tenersi nascose. Ne si puo 
imaginär ne la piu dolce aria , ne il piu 
delicato corpo , con una piene^^a di came 
convenevole; e con istatura, che non eccede 
in lunghe\\a, ma e suelta convenevolmente. 
Euui un fanciullo ignudo con Fall, che le 
scalcia ipiedi; Sf un' altro dal disopra, che 
le ordina i capegli. V e anco alquanto piu 
lontano un giovanetto pur nudo, raffigu- 
rato per Himeneo, Dio delle noi:[e^, 
che ditnostra col dito ad Alessandro la me- 
desima Rosana: come invitandolo al tra- 
stullo di Vener e, di Giunone, ^ uri 
huomo, che porta la face. Euui piu oltre 
un groppo di fanciulli: de' quali alcuni ne 
portano uno sopra lo scudo di Alessandro, 
dimostrando fatica e vivacitä conveniente 
a glianni, ^ un* altro porta la sua lancia. 
Ce n' e uno, che essendosi vestito la 
sua coraj[j[a, non potendo reggere 
il peso, e caduto in terra e par che 
piagna. E sono tutti di aria, e di attitudini 



Lomazzo. 
Questo arricchimento di amori e di 
lascivia lo fece ancora V antico Parrasio, 
e dopo lui il prudente Raffaello soleva assai 
usarlo, seguendo Vandare degli antichi, 
come ho detto di sopra. E perb nella sua 
istoria amorosa, dove finge Alessandro 
Magno entrar nella camera di Rossane 
assisa ignuda sopra il letto, ma mo- 
destamente coperte le parti vergo- 
gnose da un sottile pannicello, vi 
finse una turba di questi amori per orna- 
mento, volendo esprimere che tutto il luogo 
era se non amore, e di loro parte nefece 
al giovane, e parte ne distribui per camera, 
de' quali alcuno portava lo scudo di Ales- 
sandro, un altro si poneva la celata in 
testa, ed un altro avendosi vestito la 
cora^}[a, eraper il soverchio peso 
disteso per terra; appresso vi pose 
Imeneo Dio delle no^e con lafacella 
accesa in mano, e simili altri ornamenti. 
Questo gran pittore non altrimenti 
che poeta componeva tutte le sue 
istorie amorose, alV esempio delle quali 
ciascuno si deve attenere. 



VON RICHARD FÖRSTER I93 



diverse, e bellissimL In questo componi- 
mento Rafaello ha servito alla historia, 
alla convenevole\ia ^ alV honesto. Et 
oltre a cio s' e imaginato di suo, 
come Poeta mutolo, la inventione 
d* Himeneo, ^ de' fanciulli. 

Fabrini: Questa inventione parmi haver letta in Luciano. 

Aretino: Sia, come si voglia: ella e espressa cosi bene, che potrebbe venire 
in dubbio, se Rafaello V havesse tolta da libri di Luciano, Luciano dalle Pitture 
di Raffaello; se non fosse, che Luciano nacque piu secoli avanti. 

Die Beschreibung Dolces deckt sich, gleich zu erörternde Abweichungen abge- 
rechnet, inhaltlich mit A. Lucian, obwohl genannt, ist als Vorlage für die Schilderung 
Dolces ausgeschlossen. Es ist kaum nötig, besonders darauf hinzuweisen, dass Dolce 
den Namen des Hephästion, welchen Lucian nennt, nicht als den des Fackelträgers 
kennt (un huomo, che porta la face). Vielmehr hielt er sich an die in seinem Besitz 
befindliche Zeichnung. 

Um nun dem Einwände zu begegnen, dass er selbst sich in einer Täuschung 
über den Meister seiner Zeichnung befunden habe, ist zu fragen, ob wir seine Zeichnung 
noch besitzen und was diese uns über ihren Urheber aussagt. 

A und F sind schon durch die Technik, letztere überdies durch ihre Unvoll- 
ständigkeit, ausgeschlossen. Es muss eine mit Bleiweifs gehöhte Tuschzeichnung sein 
[disegno di acquarella, tocco ne' chiari con biaccä). Aus der Zahl dieser, welche 
Ruland the works of Raphael p. 287 verzeichnet hat, kommen vier in Frage: 

1. Die mitWeifs gehöhte Bisterzeichnung, welche sich einst in der Sammlung von 
E. K night befand*) und von Conrad Martin Metz in einem Faksimilestich (Imitations 
of ancient and modern drawings, London 1798 t. 45) reproduziert worden ift. Aber 
auch sie wird ausgeschlossen durch die der Beschreibung Dolces nicht entsprechende 
Bekleidung der Roxane, dadurch, dass Hymenäus nicht mit dem Finger auf Roxane 
weist, sondern dicht neben ihr steht und nur auf Alexander blickt, durch den Köcher 
(nicht Lanze), welchen die zwei Eroten an der linken Ecke tragen, endlich dadurch, 
dass der Eros im Harnisch durchaus nicht zu Boden gefallen ist und nicht weint, 
sondern sich in den Harnisch versteckt hat und lächelnd auf den Augenblick wartet, 
wo er die herannahende Schildgruppe erschrecken kann. 

2. Die mit Feder gezeichnete braun schattierte und mit Weifs gehöhte Zeichnung 
des Louvre*). Auch sie wird durch eine ihr eigene Zuthat, den mit dem Schwerte 
Alexanders über ihm und Hephästion fliegenden Eros, ausgeschlossen. 

3. Die mit Weifs gehöhte Bisterzeichnung, welche sich in der Sammlung Sajn. 
Woodburns befand und bei deren Versteigerung (1861) (einer freundlichen Mit- 
teilung Rulands zufolge) von Mr. Tiffin gekauft, Jetzt verschollen ist. Die Tradition 



*) Sie ist Jetzt verschollen. Sidney Colvin verdanke ich die Mitteilung, dass sie sich 
nicht im British Museum befindet. 

') Sie wurde für die des Dolce erklärt in einer Anmerkung der Florentiner Ausgabe 
des Aretino von 1735 p. 248, welche (nach einer Bemerkung Bottaris Lettere pittoriche II, 
p. 200) von Nicolas Vleughels, dem Antwerpener Maler und Direktor der französischen 
Akademie in Rom herrührt, im Cabinet CrozatI, p. 15 (Paris 1763), von Mariette, Abecedario 
in den Archives de l'art fran9ais t. II, p. 89 und Morelli (Gallerie Borghese S. 297). 



194 ^lE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

des Kunsthandels nahm sie für die des Dolce in Anfpruch, ja glaubte sie über diesen 
hinaus in die nächste Umgebung Raffaels verfolgen zu können. In dem Katalog 
nämlich: The Lawrence Gallery. Ninth Exhibiiion June 1836. Catalogue of one 
hundred original drawings by RafFaelle coUected by Sir Thomas Lawrence, welcher 
die Zeichnung unter Nr. 63 beschreibt,*) ist Dolce und vor ihm Timoteo della Vite als 
Besitzer genannt. Aber da irrtümlich Crozai als späterer Besitzer angegeben ist, wird 
auch der Besitztitel von Dolce und Timoteo zweifelhaft. Crozat war nämlich Besitzer 
der Louvre- wie der Albertina -Zeichnung (Cabinet Crozat I, t. XXXVI und XXXVII).') 
Sicher läfst sich nur nachweisen, dass sie die Sammlungen des Marquis de Lagoy 
in Saint Remy, Dimsdale, Lawrence, Sam. Woodburn,'*) des Prinzen von Oranien, 
nachmals König Wilhelms II von Holland, dessen Sammlung im August des Jahres 1850 
im Haag versteigert wurde,*) und abermals die von Woodburn durchlief. Wenn sie 
ferner nicht blofs von dem letzteren, sondern auch von Waagen das Lob »seltenster 
Schönheit und Feinheit« erhielt, so steht dem, wie mir ebenfalls Ruland mitteilt, das 
Urteil von Weber (aus Bonn) gegenüber, welcher der Auktion von 1850 beiwohnte 
und im Katalog an den Rand schrieb: »Elend«. Aber was uns beim Mangel an 
Autopsie — auch Ruland hat sie nie zu Gesicht bekommen — nötigen muss von ihr 
als der Zeichnung Dolces abzusehen, ist die Bemerkung in der Beschreibung (S. A. i) 



*) The marriagc of Alexander and Queen Roxana. — This most süperb and splendid 
drawing is the original, which is copied in the Cabinet du Roi. — It is perfectly in the style 
of the antique, and is executed with bistre, heightened with white; carefully finished, and one 
of the finest and most imporlant drawings in existence by this illustrious Master, described 
by L. Dolce and then in the possession of Count Malvasia. — Sije 13' I2 inches by g'/a inches, 
Front the Collections of T. della Vite, M, Crozat, the Marquis Legoy and T. Dimsdale Esq. 
Im wesentlichen übereinstimmend in S. Woodburns Auktionskatalog vom 4- Juni 1860 
unter N. 892. 

*) Die Louvre -Zeichnung soll aus der Sammlung Malvasia durch die Erben von 
Boschi (?) an Crozat gekommen sein. Nach dessen Tode (1740) durchlief sie, ehe sie in den 
Louvre kam, die Sammlungen von Mariette (bis 1747), Conti (bis 1777), Boileau (bis 1782}, 
Lebrun (bis 1791), Vanloo und Jabach. Vergl. Blanc, le tresor de la curiosiie I, p. 23, 282, 386; 
II, p. 55, 138. Archives de l'art francais t. II, p. 90. Passavant, Raphael III, 230. Die Albertina- 
Zeichnung soll, ehe sie an Crozat kam, durch den nachmaligen Kardinal Gui. Bentivoglio, 
welcher 1617 als Nuntius nach Paris kam, dem Kupferstecher Claude Mellan geschenkt, 
nach dessen Tode (1688} Friquet de Vaurose, zuletzt Boulle gehört haben. Nach Crozats 
Tode befand sie sich, ehe sie in die Albertina kam, in den Sammlungen Mariette (bis 1747) 
und Julien. Vergl. Cabinet Crozat I, p. 15. Mariette, Abecedario (Archives de Tart fran9ais 
t. II, p. 90). Blanc, le tresor 1. 1. — Auch wenn Vleughels in der oben erwähnten Anmerkung 
der Florentiner Ausgabe des Aretino die Zeichnung Dolces einst im Besitz des Rubens sein 
liefs, so ist dies höchst wahrscheinlich ebenfalls eine Verwechslung mit der Louvre-Zeichnung. 
Denn er sagt selbst, dass sie sich mit der Rötelzeichnung zusammen befand, und zwar in 
Paris: Ho avuto in mano il disegno del quäle s{ parla qut, stä in Parigi: anp due ve ne 
sono: uno a matita, le cui figure sono nude affatto: Valtro in acquarella, del quäle si tratta 
qui: ma la Rosana siede sopra un letto. Questi due disegni da qualche tempo in qua sono stati 
intagliati, sono di RafaellOy sono bellissimi, e appartennero a Rubens. Dies trifft auf die bis 
zum Jahre 1741 mit jener zusammen in der Sammlung Crozat befindliche Louvre-Zeichnung. 

Wie Carlo Teoli in dem Neudruck des Aretino, Bibliot. rara vol. X, Milano 1863 p. XIV 
dazu kommt, Vleughels für den cugino von Rubens zu erklären, ist mir unerfindlich. 

*) Bei diesem sah sie Waagen (Kunstw. in England I, 443) im Jahre 1835, der sie »von 
seltenster Schönheit und Feinheit« nennt. 

*) Vergl. Passavant Raphael III, 310 n. 58. 



VON RICHARD FÖRSTER 



'95 



dass sie das Original sei »which is copied in the Cabinet du Roi«, d. h. dass sie 
mit dem Stich des Cabinet Crozat 1. 1, 36 stimme. Wofern dies richtig ist, teilt sie die 
S. 193 (vergl. S. 202) bezeichnete Eigentümlichkeit der Louvre- Zeichnung. 

So bleibt nur 

4. Die mit Weifs gehöhte Bisterzeichnung der königlichen Sammlung zu 
Windsor - Castle (= W). Während ich in den Farnesina -Studd. S. 141 infolge 
mangelnder Autopsie die Entscheidung zwischen ihr und der Louvre -Zeichnung offen 
lassen musste, habe ich, nachdem ich im Jahre 1880 beide Zeichnungen untersucht 
habe, keinen Zweifel mehr, dass dies die Zeichnung Dolces ist. Denn zunächst trifft 
seine Beschreibung der Handlung ganz auf sie, nur dass er den Eros, welcher hier, 
wie in allen anderen Zeichnungen und Nachbildungen, den Alexander zieht, ausge- 





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Raffael. 

Die Hochzeit des Alexander und der Roxane. 

Gehöhte Bisterzeichnung zu Windsor Castle. 

lassen hat. Aber auch was er über den Ausdruck der Roxane und der Eroten, sowie 
über den Körper der ersteren sagt, lässt sich an der Zeichnung wahrnehmen, obwohl 
sie sehr gelitten hat und daher auch in unserer Reproduktion nur sehr mangelhaft 
zur Geltung kommt. Und gerade dies beides, aber auch der Ausdruck des Hephästion 
und des Hymenäus, des den Alexander ziehenden Eros, die — gerade von Dolce 
hervorgehobene — Keuschheit und Würde der Auffassung, nicht minder endlich die 
Schönheit der Zeichnung*) selbst, lassen mir keinen Zweifel, dass die Zeichnung 



*) Wie Morelli a. a. S. 301 diese Zeichnung für viel geringer erklären konnte als die 
des Louvre, ist mir unverständlich. 



196 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

von Raffael selbst herrührt. Endlich aber passt auch allein auf diese Zeichnung 
die Bemerkung von Dolce, dass sie im Stich vervielfältigt sei. Der Stich des Caraglio 
stimmt ebenso mit ihr überein, wie er von allen anderen Repliken in Einzelheiten ab- 
weicht. Zu um so gröfserem Danke fühle ich mich Ihrer Majestät der Königin Viktoria 
von England verpflichtet, welche die Gnade gehabt hat/) die Zeichnung für mich photo- 
graphieren') zu lassen und mir die Veröffentlichung der Photographie zu gestatten. 

Über ihre Vorgeschichte bin ich nur auf die Mitteilung von Ruland angewiesen, 
dass »sie sich, als er sie 1859 zuerst sah, in einem der alten Bände aus der Zeit 
Georgs IV befand, deren Beftände zum grofsen Teil vom Cardinal Albani herftammten«. 

Die Windsor- Zeichnung hat, wie sie ja vollendete Ausführung 
zeigt, mit drei sofort zu besprechenden Ausnahmen allen Nachbildungen 
als Grundlage gedient. Diese Ausnahmen aber müssen wir zuvor ins Auge 
fassen , weil sie eine Vorstufe zu jener repräsentieren. 

5. Die erste ist die bisher unbeachtet gebliebene Federzeichnung der Teyl ersehen 
Sammlung im Museum von Haarlem (= H), welche nach einer mir gütigst vom 
Konservator der Sammlung, Herrn H. J. Schölten, gesandten Photographie hier zum 
ersten Male veröffendicht wird. Sie befand sich, wie ich den Mitteilungen desselben 
Herrn entnehme, einst in der Sammlung der Königin Christine von Schweden, 
später in der des Herzogs von Bracciano und wurde aus dieser im Dezember 1790 
von dem Kunstliebhaber W. A. Leshevenon für die Teylersche Stiftung erworben. 
Ich selbst habe die Zeichnung nicht gesehen und wage nicht zu beurteilen, ob 
diejenigen Recht haben, welche, wie mir Herr Schölten ebenfalls mitteilt, sie nicht 
für ein Original, sondern für eine alte Kopie halten. Aber auch im letzteren Falle ist 
sie von grofser Wichtigkeit. Denn auch so giebt sie uns einen Entwurf zu W, welcher 
sich in vieler Beziehung noch genauer an die lucianeische Vorlage anschliefst. 

Zunächst ist die Übereinstimmung nicht blofs in Anordnung, sondern auch in 
Bildung von Figuren und Gegenständen, wie dem Bett mit den gedrehten Füfsen, 
der Verzierung der Fufsbank, dem Pfeil in der Hand des auf dem Schilde getragenen 
Eros, bis in Details der Linienführung hinein so grofs, dass die Zusammengehörigkeit 
von H und W ohne weiteres in die Augen springt. Andererseits aber zeigen die 
Abweichungen in H so primären und dabei mit der Gesamtkomposition so überein- 
stimmenden, einheitlichen Charakter, dass es unmöglich ist, H, etwa wie die Knightsche 
Zeichnung (s. S. 193), für eine selbständige, nur auf der Basis von W ausgeführte Illustra- 
tion der lucianeischen Vorlage zu erklären. H zeigt aber noch gröfseren Anschluss an 
den Text. So ist zunächst durch das bogenförmige Architektursiück in der rechten 
Ecke des Hintergrundes eine Andeutung des ^(x}.cc|xoQ gegeben; in der Bewegung des 
Eros, welcher den Alexander zieht, ist der Charakter des irduv ßtalwQ intTKw^xsvoQ 
noch kräftiger zum Ausdruck gebracht; Hephästion gleicht, indem er seinen linken 
Arm auf die Schulter des Hymenäus legt, noch mehr einem l'!rs^stho}xsvog\ es tragen 
noch, wie bei Lucian, zwei, nicht, wie in W, vier Eroten den Schild und sie bewegen 
sich auf den im Harnisch Liegenden zu. Bei der für die Reproduktion bestimmten 
Ausführung (W) glaubte Raffael augenscheinlich nicht nur die rechte Seite durch Ver- 



^) Gern spreche ich bei dieser Gelegenheit auch den Herren Richard R. Holmes und 
Sidney Colvin meinen Dank für ihre liebenswürdige Vermittlung aus. 

*) Schon im Jahre 1857 war eine photographische Aufnahme der Zeichnung auf Befehl 
des Prinzgemahls durch C. Thurston Thompson gemacht worden, aber nicht in den Handel 
gekommen. 



VON mcMAUÜ FÖRSTER 



*97 



mehrung der schildtragenden Eroten verstürken zu müssen, sondern auch die Hand- 
lung der Mille, insbesondere auch die Figuren des führenden und des sundalen- 
lösendcn Eros wirkungsvoller zu gesialien, wenn er den Eros im Harnisch mit auf 
die rechte Seile verlegte. Desgleichen beseitigte er den ParaUelismus der Linien in 
dem ausgestreckten rechten Arm Alexanders und dem auf die Schulter des Hymenäus 
gelegten linken Arm des Hephästion, indem er den letzteren mehr senkte. Sodann 















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Kqpi^ nach RülljeK 
Federiuichtiung im Teykr Museum zu Haärlem. 



liefs er den etwas gezwungen vor die Brust gehaltenen linken Arm Alexanders frei an 
der Seite herabfallen und nach dem Mantel greifen. Endlich mafsigte er dadurch, dass 
er das Lager etwas niedriger machte, die Senkung des linken Oberschenkels der Roxane. 

Einen weiteren Blick in die umformende Thätigkeit Ratfaels, durch welche H 
zu W wurde, gewähren uns die zwei bereits oben (S. 189 ff.) behandehen Zeichnungen 
von Florenz (F) und der Albertina (A), welche die Figuren nuckl zeigen. Der Einblick 
ist freilich nicht so sicher und klar, wie wir wtlnschen möchten, weil uns in F und A 
nicht die Zeichnungen von Raffaels Hand, auch nicht treue Kopien, sondern etwas 
freie Behandlungen seiner Zeichnungen vorhegen. 

6. F ist viel zu schlecht und namentlich in der Koniurierung viel zu grobj als 
dass sie dem Raffael selbst zugeschrieben werden könnte,*) aber sie giebt uns doch 
eine in den Hauptsachen genügende Vorstellung von der Zeichnung, in welcher Rarfael 



\;i Dies ist auch das Ergebnis, 2ü welchem Schmarsow durch eine auf meine Bitte 
vorgenommene Untersuchung des Originals gelangt ist. 

26 



198 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

die rechte Seite der Komposition (ohne Alexander) vom Entwurf H zu W übergeleitet 
hat. Sie stimmt im wesentlichen mit W überein und zwar in manchem Inhaltlichen 
und Stilistischen mehr als A. So besonders in der Stellung, der Richtung des Blickes, 
dem Bart und Gesichtsausdruck des Hephästion , in der Bildung und geringeren Höhe 
des Lagers. Anderes wird auf Ungenauigkeit des Zeichners, der vielleicht aus dem 
Gedächtnis arbeitete, zurückzuführen sein. So an Roxane der Augenaufschlag und 
der mehr vorwärts gestreckte Unterschenkel, an dem sandalenlösenden Eros der 
weniger nach oben als geradeaus gerichtete Kopf. 

7. A hat ein doppeltes Interesse. Einmal zeigt sie uns auch die rechte Seite der 
Komposition bereits im wesentlichen so wie W; sodann aber führt sie wieder hand- 
greiflich vor Augen, welchen Wert RafFael auch bei den Figuren, welche bekleidet 
werden sollten, auf die Bildung des Körperlichen gelegt und wie er sich für diesen 
Zweck die erhaltenen Werke der antiken Plastik zu nutze gemacht hat.*) Zwar habe 
ich oben (S. 190 A. 3), wie bereits früher,^) die Annahme abgewiesen, dass er ein zu 
seiner Zeit bekanntes antikes Relief) mit Alexandros und Helena benutzt habe, denn es 
zeigt keine wirklich bedeutungsvolle Übereinstimmung mit seiner Komposition, aber es 
unterliegt mir keinem Zweifel, dass ihm beim Alexander der Apoll vom Belvedere*) 
vorgeschwebt hat. Jedoch auch das steht mir fest, dass die Zeichnung nicht von 
RafFaels Hand herrührt und dass der Zeichner seine Vorlage nicht blofs in stilistischer, 
sondern auch in inhaltlicher Beziehung etwas geändert hat. Sie verhält sich zum ver- 
lorenen Original ähnlich wie die Louvre-Zeichnung zu W. Der Gesichtsausdruck ist 
durchweg etwas veräufserlicht und versüfslicht. Besonders gilt dies von Alexander, 
von Hephästion, der hier bartlos und, wie Alexander, kurzhaarig erscheint, von 
Hymenäus und den Eroten mit ihren dicknäsigen, teilweis gedunsenen, teil weis 
schläfrigen Gesichtern. An Hephästion ist aufser der Richtung des Blickes sogar die 
Stellung der Beine verändert und dabei das rechte aus der geraden Linie gekommen. 
Auch sein rechter Arm, welcher die nur angedeutete Fackel hält, ist schlecht gezeichnet. 
Während die Krone in der rechten Hand Alexanders fehlt, ist der Helm in der Linken, 
(wenigstens scheint es mir ein solcher zu sein, obwohl man darüber streiten könnte), 
dem Anschein nach erst nachträglich hineingezeichnet. Die Hand selbst berührt ihn 
nicht. Auch die xxIi/yi ist stark verändert: vergröfsert und erhöht, gleicht sie mehr 
einer mit Kissen belegten Kiste. Wer der Zeichner ist, wage ich nicht zu entscheiden. 

Diese Vorarbeiten traten natürlich bald vor der vom Meister selbst herrührenden 
Ausführung (W) zurück. Diese aber wurde so vielfach kopiert, reproduziert und 
variien, und zwar gerade von Schülern und Anhängern Raffaels, dass darin ein neuer 
starker Beweis für diesen und gegen Sodoma als Urheber der Komposition zu sehen 
ist. Denn so wenig Wunderbares zahlreiche Nachbildung eines Raffaelischen Werkes 
hat, so auffallend wäre sie bei einem Werke des Sodoma und nun gar durch Schüler 
des RafFael, wie Perin del Vaga. 



^) Vergl. Dolce, L'Arelino (Bibl. rara vol. X, Milanoi863 p. 56) Aretino: confesserete 
adunque che i nudi di Raffaello hanno ogni bella e perfetta parte, perche egli di rado fece 
cosa, nella quäle non imitässe il vivo fantico. 

^) Farnesina- Studien S. 142. 

8) Vergl. Corp. Inscr. Lat. X, 1555. 

*) Weshalb ich nicht glauben kann, dass dieser auch dem Sodoma zum Vorbild für 
Alexander gedient habe, ist in den Farilesina- Studien S. 109 gesagt. Dasselbe gilt vom 
Hymenäus des Sodoma. 



VON RICHARD FÖRSTER I99 



8. Indem wir uns nunmehr zu einer kurzen Durchmusterung der Nachbildungen 
wenden, beginnen wir mit der treuesten, d. i. dem mehrmals erwähnten Stich des 
Jacopo Caraglio^) (Oeuvre de Raphael, Bartsch fecit 1786 vol. II, t. 6). Er giebtW, 
allerdings nach der Gegenseite, wie in allen Einzelheiten, z.B. der Bekrfinzung des 
Hymenäus und des ziehenden Eros, vollständig treu wieder. Nur der Ausdruck ist 
vergröbert. 

Wenn Mariette") gröfsere Treue des Gesichtsausdruckes an einem anderen Stiche, 
welchen er dem älteren Beatrizet zuweist, finden will, so hat er sich einer Täuschung 
hingegeben. Es handelt sich bei letzterem um den Stich mit der Unterschrift der 
Verse (Bartsch, Supplement de Foeuvre de Raphael 73): 

Ecco Rossane bella, ecco laltero 
AlessandrOy chi suoi studi comparte 
Non men soggetto a lamoroso Impero, 
Chat superbo, crudele, horrido Marie 

GH amoriy seguendo il doppio suo pensero 
Scher^an con lärme del gran duca parte, 
Parte a Rossane^ intenti, il duro cuore 
Lempion di Fiamme, e di soaue ardore 

und dieser ist, wie mich die im vorigen Jahre auf der Wiener Hofbibliothek vor- 
genommene Vergleichung beider Stiche gelehrt hat, nur auf Grund jenes gemacht. •) 
Dass er die Richtung der Figuren, welche W aufweist, wiedergiebt, ist nicht bewei- 
send. Aber der Ausdruck der Köpfe ist im Stich des Caraglio lebendiger und kräf- 
tiger, in dem Nachstich nicht, wie Mariette urteilte, beaucoup plus gracieux, sondern 
süfslicher und weichlicher; der weinerliche Ausdruck des Eros im Harnisch ist ge- 
schwunden. Es hat also nur aufser der Hinzufügung der Verse eine vermeintlich ver- 
feinernde Retouchierung der Platte des Stiches des Caraglio stattgefunden. 

9. Letzterer Stich diente auch, wie Gruppierung und Gesichtsausdruck beweist, 
als Vorlage für mehrere Majoliken: zunächst für dievonDeruta mit der Signatur: 
deruta fe el frati peinse, welche aus den Sammlungen Delsette und Barker zu Lon- 
don in die von Dutuit zu Rom übergegangen und in dem Prachtwerke von Darcel 
et Delange, Recueil de faiences italiennes pl.45 abgebildet ist.^) Da die Rundung der 
Schale eine Abkürzung der KdVnposition nötig machte, so wurden die zwei Lanzen- 
träger und der Eros im Harnisch weggelassen und Lanze und Harnisch in die Mitte 
des Vordergrundes gelegt, wie ein zweiter Helm zu Füfsen Alexanders. 

10. Stärkere Veränderungen, besonders durch Erweiterung, hatte der Stich in der 
Majolika erfahren, welche von Francesco Xanto, der sich mit Vorliebe Stiche von 
raffaelischen Kompositionen als Vorlagen aussuchte, 1533 in Urbino gefertigt wurde. 
Ein Exemplar derselben (signiert M.D.XY.Y///. 4-' Frä:Xäto, Ä.daRouigo, i Urbino) 
befindet sich (aus der Sammlung Bernal) im South Kensington Museum 1748. 55 und 



^) Vermutlich war Raffaels Zeichnung fQr den Stich bestimmt. Dies darf man bei ihrer 
Würdigung, besonders beim Vergleich mit dem Fresko des Soddoma, nicht vergessen. 

*) Abecedario 1. 1. p. 89. 

•} Ähnlich urteilt Bartsch, Peintre graveur XV p. 95 n.62. 

^) Darcel in dem Aper9u historique ebenda p. 12 setzt die auch von Frati, Di una 
insigne Raccolta di Maioliche p. 46 n. 240 erwähnte Majolika um 1 540. Die datierten Werke 
des »El Frate« sind von 1541 — 1545. Vergl. Fortnum, Descr. catal. p 427 und 431. 

26* 



200 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

ist im Descriptive catalogue of the Maiolica in the South Kensington Museum by 
Fortnum, London 1873 zwischen S. 396 und 397, wenn auch in sehr verkleinertem 
Mafsstabe, abgebildet. Die Schale trögt oben ziemlich in der Mitte das Wappen der 
Gonzaga-Este. Der Vorgang ist in ein Gemach mit Ausblick auf eine Landschaft 
mit zwei Ruinen verlegt. Die Gruppe der lanzen- und schildtragenden Eroten ist ein 
klein wenig nach links von Alexander, der Eros im Harnisch weiter vom, rechts 
von diesem gelegt; in der Rechten hält dieser einen Pfeil, links von ihm liegt ein Schild, 
rechts ein Helm; vor ihm sitzt ein Hund. Hinter diesem Eros läuft noch ein ge- 
flügelter Genosse, welcher sich mit beiden Händen den Kopf hält. Sowohl rechts von 
Roxane als links von dem ihr Haar ordnenden Eros kommt ein bärtiger Kopf, letz- 
terer mit einem Turban bedeckt, zum Vorschein. Beide blicken auf Roxane. Soweit 
geht die Darstellung des inneren Runds. In dem äufseren durch Stufen bezeichneten 
Rund steht hinter dem zuletzt erwähnten Alten ein bärtiger Turbanträger, der eine 
Standarte mit Waffen und Emblemen hält; hinter ihm läuft ein Unbärtiger weg: vor 
ihm liegt ein Krug. Auf der anderen Seite sitzt ein Unbärtiger, der einen Schild hält, 
auf welchem die Buchstaben .X-H-A*, die Sigle Xantos, stehen. Neben ihm liegt 
ein Speer und ein kurzes krummes Schwert Hinter ihm kommen zwei Bewaffnete: 
herangestürmt, der vordere behelmt mit gezücktem Schwert , der zweite mit Lanze. 
Fast scheint es, dass die letzteren Figuren im Zusammenhange mit der Umdeu- 
tung stehen, welche die Komposition durch Xanto in einer bei ihm nicht eben auf- 
fallenden Weise erfahren hat. Wie nämlich die Aufschrift auf der Rückseite der 

Schüssel: 

Hör uedi la magnanima Reina 

Ch una treccia riuolta, e, laltra sparsa 

Corse alla, Babilonica ruina. 

Nel.L libro di Trogo Pompeio. 

lehrt, ist aus Roxane eine Semiramis geworden.^) Diese liefs sich einerseits als Ge- 
liebte des Königs Ninus von diesem fUr einen Tag das königliche Diadem reichen,'} 
andererseits stürmte sie, als sie mit der Schmückung ihres Haares beschäftigt war und 
die Kunde vom Abfall Babylons erhielt, wie sie war, das Haar nur zur Hälfte ge- 
ordnet zur Niederwerfung des Aufstandes; auf letzteres beziehen sich jene drei dem 
Petrarca (Triompho di Fama cap. II v. 103 — 105) entnooimenen Verse, welche übrigens 
nicht auf Justin/) sondern auf Valerius Maximus IX, 3, 4 ext. zurückgehen. 

11. Eine nähere Erörterung der Details muss ich mir hier versagen, aber eine 
Bestätigung dieser Ansicht ist in einer zweiten Majolika von Urbino zu sehen, welche 
sich im Museum zu Braunschweig No. 1086 befindet und von der ich eine photo- 
graphische Aufnahme Herrn Museumsinspektor P. J. Meier, genauere Mitteilungen Herrn 



*) Wunderbares Zusammentreffen, da Aetion auch eine Semiramis ex ancilla regnum 
apiscens wohl als Gegenstück zur Roxane (nova nupta verecundia notabilis Plin. 35, 78) ge- 
malt hatte. 

*) Vergl. Plutarch. Amat. 9 p. 753 E. Diod. Sic. II, 20. Aelian var. bist. VII, i. 

•) Der Irrtum geht wohl auf den Erklärer der Stelle, Alessandro Vellutello, zurück, 
welcher zu der Stelle des Petrarca bemerkt: Per questa magnanima Reina il Poeta intende 
di Semiramis, Reina di Babilonia, la quäl secondo Giustino nel primo lib, de bell, ext, oltre 
ad infiniti altri suoi magnanimi e famosi gesti, un giomo curando le treccie, e non havendo 
che solamente una parte di quelle avolta, le fu re/erto, Babilonia essersi da lei ribellata etc. 
(ed. Vinegia 1547). 



VON RICHARD FÖRSTER 201 



Dr. Christian Scherer verdanke. Der Durchmesser des Tellers beträgt 26 cm. Auch 
hier ist der Vorgang in ein Zimmer (mit zwei Thüren) verlegt; hinter dem Bett, auf 
welchem Roxane sitzt, ist ein zeltartiger Himmel angebracht. Die Darstellung ist auf 
sechs Figuren eingeschränkt: Alexander, den ihn ziehenden Eros, Hephfistion und 
Hymenäus einerseits, Roxane und den ihr Haar ordnenden Eros andererseits. Von 
der ungleich gröberen Zeichnung abgesehen, stimmen diese sechs Figuren mit denen 
der Majolika des Xanto überein. Der Teller stammt, wie mir Herr Dr. Scherer mit- 
teilt, wahrscheinlich von einem Schüler des Xanto und trägt auf der Rückseite aufser 
der Jahreszahl 1539 die Inschrift: Semiramis regina de Babilonia, (Vergl. S. 206 ff.) 

12. Auf W geht ferner zurück das Fresko von der Decke der sogenannten 
Villa Raff a eis (heut in Villa Borghese, Venturi, il museo e la galleria Borghese n. 303), 
welches mit seinem ebenfalls aus Lucian entlehnten Gegenstück, den Bersaglieri, das 
Hauptbild, die sogenannte Hochzeit des Vertumnus und der Pomona,^) einschliefst.') 
Es rührt von einem Schüler des Raffael her, vermutlich Perin del Vaga, wie Passavant 
(Raphael I, 288) zuerst aussprach. Im grofsen Ganzen entspricht es der Zeichnung W 
Linie für Linie, nur ist der Ausdruck der Gesichter teils etwas verweichlicht, teils 
versüfslicht. Da jedoch die Komposition für die Fläche nicht ganz ausreichte, wurde 
einerseits das Lager bedeutend vergröfsert, überdies mit Himmel versehen, anderer- 
seits die Gruppen der lanzen- und schildtragenden Eroten von Alexander abgerückt, 
der Eros im Harnisch aber an seiner Stelle belassen. Zeigt der Schild und somit der 
Eros auf ihm in W nur eine leise Neigung zur Seite, so ist diese im Fresko so stark, 
dass an der Absicht der Eroten, ihren Genossen zu Fall zu bringen, kein Zweifel sein 
kann. Zeigt sich hierin vielleicht eine Anlehnung an Sodomas Fresko , so auch darin, 
dafs der ganze Vorgang ins Freie verlegt ist — vorausgesetzt dass dies nicht auf 
Rechnung der Restauration zu setzen ist, welche mit dem Hintergrunde des Fresko 
vorgenommen worden ist.') Der Pfeil, welchen der Eros auf dem Schilde hält, jetzt 
auch in W undeutlich, fehlt im Fresko; statt dessen führt Eros die rechte Hand in 
freudigem Behagen nach dem rechten Mundwinkel, so dass schon aus diesem Grunde, 
abgesehen vom Ausdrucke der Köpfe, nicht mit Morelli*) der Stich des Caraglio als 
Vorlage des Fresko angesehen werden darf. 

Ebenfalls nur verweichlicht, ja in den Eroten bereits etwas zum Barocken 
hinneigend, erscheint W in der Bisterzeichnung des Louvre (S. 193).*) Dass sie nicht 
von Raffael herrühren könne, hat zuerst Mariette*) erkannt, wenn auch sein Gedanke 
an Parmigianino nicht haltbar ist. Sie hat drei Eigentümlichkeiten: 



*) Dasselbe erfordert dringend eine neue eingehende Behandlung. 

*) Die Zeichnung Gius. Manocchis in Windsor- Castle ist im Raphael -Werk von 
Gutbier II, 75, der Stich Volpatos von 1772 ebendaselbst 76 und (umgekehrt) in dem Umriss- 
stich von Foin in den Oeuvres completes de Raphael Sanzio t. III (Paris 1844) pl 306 wiederholt. 

•) Vergl. Venturi a. a. O. S. 1 52. Der Stich Volpatos zeigt bereits den landschaftlichen 
Hintergrund und Blumen im Vordergrunde. 

*) Galerie Borghese S. 297. Ebenso Graul a. a. O. S. 36. 

*) Im Gegensinn gestochen von Charles Cochin im Cabinet Crozat t. I, 36. Aber der 
in A. 2 erwähnte Stich von Foin ist nicht, wie im Text der Oeuvres completes angegeben 
wird, nach dieser Zeichnung gemacht. 

•) Abecedario 1. 1. p. 89 ff. In der Anmerkung zu dieser Stelle wird noch eine ver- 
kleinerte Rotstifikopie, die mitielmäfsige Arbeit eines Schülers von Rubens, als im Louvre 
befindlich erwähnt. 



202 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 

1. Schwebt ein Eros mit dem Schwert Alexanders über diesem und Hephästion, 
vielleicht wieder im Anschluss an den entsprechenden Eros in der rechten Ecke des 
Sodomaschen Fresko. 

2. Der Eros auf dem Schilde hat einen länglichen, aber nicht, wie auf dem 
Stiche Caraglios, gebogenen, sondern geraden Pfeil. 

3. Auf der Fufsbank steht die vom rechten Fufse der Roxane abgezogene Sandale. 
Aller drei Merkmale entbehrt der Stich des Caraglio, kann mithin nicht, wie 

die Herausgeber von Mariettes Abecedario vermuteten, nach dieser Zeichnung 
gemacht sein. 

Am meisten entfernt sich von W die in gleicher Technik ausgeführte K night sehe 
Zeichnung (S. 193), aber bei aller Selbständigkeit zeigt sie doch in der Anordnung wie 
in der Haltung der Mehrzahl der Figuren direkte Abhängigkeit oder wenigstens An- 
lehnung an jene. Wenn Rudolph Weigel (die Werke der Maler in ihren Hand- 
zeichnungen S. 596 N. 57) an Polidoro da Caravaggio als Urheber der Zeichnung denkt, 
so vermag ich ihm darin nicht zu folgen. 

Endlich aber übte die durch W repräsentierte Komposition — und darin liegt 
ein letzter indirekter Beweis für ihren raffaelischen Ursprung — auch auf selbständige 
Werke der Grofskunst ihren Einfluss, 



3 FRESKO DES NICCOLO DELL' ABBATE 

Den sprechendsten Beleg dafür bietet das Fresko, welches im Jahre 1570 von 
Niccolo deir Abbate im Schloss von Fontainebleau ausgeführt worden ist, 
und zwar im sogenannten Escalier du Roi, Chambre de Madame d'Estampes, auch 
Chambre d' Alexandre genannt. Letzteren Namen führt der Raum vom Inhalt der 
acht Bilder, mit welchen seine Wände geziert sind: i. Bezähmung des Bucephalus, 
2. Alexander und Roxane, 3. Alexander und Timokleia, 4. Alexander, die Werke 
Homers einschliefsend, 5. Alexander und Thalestris, 6. Alexander, den gordischen 
Knoten durchhauend, 7. das Fest der Feldherren, 8. Apelles mit Alexander und 
Kampaspe. i. und 3., 6. und 8. sind in längliche Ovale, die übrigen in grofse Vier- 
ecke gemalt.*) Dass die Fresken von Niccolo deir Abbate ausgeführt sind, ergiebt 
sich mit Sicherheit aus dem Compte de M^^ Pierre Reynault, träsorier clerc etpayeur 
des Oeuvres et bastimens du Roy, durant une annee entiere commencant le i^ de 
Janvier lyjo etßnie le dernier de decembre ensuivant, wonach in diesem Jahre gezahlt 
ist: A Nicolas U Abbau, paintre, la somme de 215 liv. 12 s. 6 d,, ä luy ordonnie, par 
M^^ Francois Primadicis de Boullongue, abbe de Saint Martin de Troyes, conseiller 
et ausmonier ordinaire du Roy et superintendant des bastimens et idifices de Sa 
Majeste, pour ouvrages de painiures par luy faits au chateau de Fontainebleau; ä 
scavoir: un grand täbleau figurant la prinse du Havre de Grace . . . et avoir fait 
des tableaux de la vie et gestes d' Alexandre en la chambre appellee de madame 
düEstampes, au donjon dudit chasteau^) Ob sie auch von ihm oder, was Reiset ver- 
tritt, von Primaticcio erfunden sind , ist eine andere hier nicht zu entscheidende Frage. 
Jedenfalls stehen sie in stilistischer Hinsicht, namentlich in der grofsen Schlankheit 



*) Vergl. Reiset, Gaz. des beaux arts 1859, '''» P- ^^3 ^' 

") Vergl. de Laborde, Renaissance des arts a la cour de France I, 530, 



VON RICHARD FÖRSTER 



203 



der Körper, unter dem Einfluss des letztgenannten Künstlers. Aber bei keinem von 
beiden kann die Anlehnung an RafTael wundernehmen. 

Während die übrigen Bilder des Cyklus früh gelitten haben und zum Teil 
nach Stichen Leon Davents durch Abel de Pujol restauriert worden sind, ist gerade 
das uns interessierende Bild sehr gut erhalten, was um so wertvoller ist, als kein Stich 
desselben, wie überhaupt keine Abbildung, auch nicht in Photographie, existiert. Ich 
fühle mich daher Herrn Eugen Müntz zu gröfstem Dank für die Liebenswürdigkeit 
verpflichtet, mit welcher er einen ihm befreundeten Künstler, Herrn Chedanne, zu 
einer Zeichnung des Bildes gewonnen und eine Photographie derselben mir zur 
Veröffentlichung überlassen hat. Nach dieser ist die folgende Abbildung gemacht. 




Niccolo deirAbbate. 

Die Hochzeit des Alexander und der Roxane. 

Fresko im Schlosse zu Fontainebleau. 



Wenn nicht geläugnet werden soll, dass der Künstler die Inspiration zu seiner 
Komposition durch die lucianeische Beschreibung (wenn auch in einer Übersetzung) 
empfangen habe, so ist doch auch offenkundig, dass er bei ihrer Ausführung unter 
dem Einflüsse der rafFaelischen Zeichnung stand. In der Richtung stimmt das Bild 
mit dem Stiche des Caraglio und den Majoliken. So stellt er mit Raffael gegen Lucian 
Hymenäus und Hephästion vor Alexander und zwar Hymenäus auch vor Hephästion, 
lässt ersteren die Bewegung des Zeigens machen, letzteren (bärtig) auf Alexander blicken, 
gtebt dem Eros im Harnisch die Lage nicht sowohl eines Lauernden , als eines unter 
der Last des Harnisches Kriechenden und lässt den Schild von mehr als zwei, min- 
destens drei, Eroten getragen werden. Ja selbst den Kranz im Haar des halbwüchsigen 
Hymenäus und des den Alexander ziehenden Eros glaube ich wahrzunehmen. Bemer- 
kenswert, weil allmählich häufiger geworden, ist, dass hier die Krone hoch, in der 
Richtung nach dem Kopfe der Roxane hin von Alexander gehalten, also gewisser- 
mafsen die Krönung selbst vollzogen wird. Eine selbständige Zuthat ist der zweite 
hinter Roxane auf dem Lager hervorguckende Eros.*) 

*) Total von Lucian, mithin auch von dem eben betrachteten Gemälde, abweichend 
ist die prachtvolle^ mit weifs gehöhte Rötelzeichnung des Primaticcio in der Albertina 



204 



DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE IN DER RENAISSANCE 



4 ZEICHNUNG DES PARMIGIANINO 

Weniger als dieses Fresko hält sich eine aus der Schule des Parmigianino 
hervorgegangene Komposition an die lucianeische Vorlage. Es ist dies eine mit Sepia 
und Ocker gemalte, weifs gehöhte Zeichnung der Albertina (84. Ecole de Parmig. — 98) 




A. Bartsch nach Parmigianino. 
Die Hochzeit des Alexander und der Roxane. 



(29. — 29 AB 61; Braun Albertina N. 449). Hier kniet Roxane völlig nackt auf dem Lager, 
mit beiden Armen ihren Schofs deckend; Alexander sitzt mit überschlagenen Beinen auf 
einem Sitz ihr gegenüber und blickt sie bewundernd an, die gespreizten Finger der linken 
Hand nach dem Munde führend, mit der auf den Sitz gestützten Rechten ein Stück seines 
Gewandes (?) fassend. Hymenäus steht zwischen ihnen, mit der rechten Hand auf Roxane 
weisend, aber nach Alexander hin blickend. Hephästion steht hinter Alexander, zu Boden 
sehend, aber ohne Fackel. Neben ihm wird noch der Kopf eines zweiten behelmten Kriegers 
sichtbar. Eroten fehlen ganz. Trotz der grofsen Abweichung von Lucian glaube ich an der 
Deutung auf Alexander und Roxane festhalten zu sollen. 



J 




SCHULE DES PETER PAUL RUBENS 



ALEXANDER UND ROXANE 



ORIGINAL IN DER CUMBERLAND GALERIE ZU HANNOVER 



»BUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 18^4 



VON RICHARD FÖRSTER 205 



(Braun Albertina N. 325), welche 1785 von Ad. Bartsch gestochen und in dem Werke 
Recueil d'estampes gravees par Adam Bartsch, d'apres les desseins originaux de differens 
maitres qui se trouvent ä la Bibliotheque Imp. et Roy: de Vienne, Vienne 1794 als 
N. 4 unter den Zeichnungen des Parmesan veröffentlicht wurde. Unsere Abbildung 
ist nach diesem Stich gemacht. Sie war wohl, wie die Mehrzahl der Zeichnungen 
des Meisters selbst, für eine Kupferätzung bestimmt Das in Aussicht genommene 
Format machte eine grofse Zusammenziehung der Komposition notwendig, liels 
aber eine Ausdehnung nach oben zu. Daher kamen der Eros im Harnisch und 
die Schildträger in Wegfall, letztere bis auf einen, der, hinter Hephästion stehend, 
etwas trägt, was ein Schild sein kann. Der den Alexander ziehende Eros ist zurück- 
geschoben und kommt nur mit dem Kopfe neben dem rechten Unterarm der Roxane 
hervor. Dadurch ist Alexander dicht an das Lager herangerückt und kann der Roxane 
die Krone aufsetzen. Und so macht sich der Eros auf ihrem Lager nichts mit ihrem 
Kopf zu schaffen, sondern kauert hinter ihr. • Hymenäus ist durch einen hinter 
Hephästion stehenden und zuschauenden behelmten Krieger ersetzt. Hephästion, 
der übrigens mehr einem alten Diener als einem Feldherrn gleicht, hält in beiden 
gerade in die Höhe gehobenen Armen je eine Fackel. Dafür wurden zwei in der 
Luft schwebende Eroten, welche den Betthimmel vorziehen, eingefügt und der San- 
dalenlöser verdoppelt. Anklänge an die raffaelische Komposition, welche man bei 
Parmigianino erwarten könnte, treten nicht hervor. 

5 GEMÄLDE VON RUBENS 

In ähnlicher Richtung bewegen sich die Veränderungen, welche Rubens mit 
der Komposition vornahm. Seinen Namen trägt ein Gemälde, welches sich heut in der 
Cumberland - Gallerie zu Hannover unter Nr. 469 befindet und hier (a. d. Tafel) nach 
einer wohl gelungenen Photographie des Herrn Alpers jun. zum ersten Male veröffentlicht 
wird. Aber schon Rooses, welcher (Oeuvre de Rubens T. IV p. 10 n. 793) dieses Bild 
erwähnt, erkannte darin nur die Arbeit eines seiner Schüler. Ob Lebrun, der »garde 
des tableaux« des Grafen Artois, das Original des Meisters besafs, muss dahingestellt 
bleiben. Das Bild, welches dieser hatte und welches bei der Versteigerung seiner 
Sammlung 1791 an Danempord kam, stimmt inhaltlich mit dem Bilde von Hannover im 
ganzen überein, aber war nicht wie dieses auf Leinwand, sondern auf Holz gemalt und 
viel kleiner (7X13 Zoll), während dieses (nach Rooses) 167 cm hoch und 222,5 ^^ 
breit ist. Der Auktionskatalog, wiederholt bei Blanc, le tresor de la curiosite II p. 131 
beschreibt jenes folgen dermafsen: Alexandre venant couronner Roxane, accompagnee 
de THymen et de l'Amour; eile est assise sur son lit et deshabillee par des amours. 
Belle composition de huit figures. Sept pouces sur treize. Bois. (212 fr., Danempord). 
Da mir sein gegenwärtiger Aufbewahrungson unbekannt ist, halte ich mich an das 
Bild von Hannover. Dass die Beschreibung des Katalogs einige Figuren, wie Hephästion, 
Eroten, übergeht, liegt zu Tage. 

Roxane, augenscheinlich noch mehr als in irgend einer anderen Komposition 
die Hauptfigur, sitzt auf einem vergoldeten Bett, fast völlig entkleidet, nur den Schofs 
mit einem Gewandftück deckend, zu Boden blickend. Ein Eros zieht ihr die Sandale 
vom rechten Fufse; ein zweiter, hinter ihrem Haupt schwebend, zieht den Schleier 
vom Kopfe weg, auf welchen Alexander die Krone zu setzen im Begriff steht. Ihn 
zieht Hymenäus, nur wenig gröfser als die Eroten gebildet, zu ihr, schmachtend zu ihm 
aufblickend und mit der rechten Hand seinen linken Unterarm fassend. Diese Figur 

27 



2o6 DIE HOCHZEIT DES ALEXANDER UND DER ROXANE VON RICHARD FÖRSTER 

erinnert nächst Roxane am meisten an die Zeichnung RafFaels. *) Neben Alexander 
steht der jugendliche Hephästion , auf Roxane blickend, eine kurze brennende Fackel 
haltend. Nicht er, sondern Alexander legt seine linke Hand auf die Schulter Hymens. 
Ein dritter schwebender Eros hält den Helm über den Kopf Alexanders; er entspricht 
dem die Roxane entschleiernden; ein vierter zwischen den Beinen des Hephästion 
und des Hymenäus stehend und, wie es scheint, die Arme über den Kopf gelegt, guckt 
schelmisch hervor. Auf einem niedrigen Tisch vor dem Bett liegt neben einem 
Fläschchen das Geschmeide der Roxane; unter dem Tisch guckt ein Hund hervor. 

Hymenäus und die Eroten und damit alles Erotische ist aus dieser Komposition 
entfernt, so dass diese recht eigentlich als Krönung der Roxane erscheint, in einem 
Gemälde, welches mit der Bezeichnung Alexander und Campaspe ebenfalls unter dem 
Namen des Rubens geht.^) Das Bild wurde, als es sich in der Sammlung Wo Ufeld 
befand, von dem Ungarn Samuel Czetter, welcher zu Anfang dieses Jahrhundens in 
Wien thätig war, gestochen. Wo es sich heut befindet, weifs ich nicht. Auch der 
Stich Czetters ist sehr selten.'*) Ein Exemplar desselben in der Albertina, dessen 
Auffindung und Photographie ich Strzygowski verdanke, nach einer nicht ganz fer- 
tigen Platte gemacht, trägt die Unterschrift: 

Ebauche par P. P, Rubens, Sam, C^^etter Hungarus sculpsit 

Alexandre et Campaspe 

L Original se trouve dans la Collection de Mr Wöllfeld, 

Se vend ä Vienne che:( F. X. Stöckl. 

Die Veränderungen, welche gröfstenteils die Weglassung des Hymenäus und der 
Eroten mit sich brachte, sind, von Vergröberungen abgesehen, hauptsächlich folgende: 
An Roxane, welche unter einem Himmelbett sitzt, sind nur der Oberleib und die Füfse 
unbekleidet; der Schleier fällt vom Kopfe nach hinten herab. Die linke Hand legt 
sie nicht vor die Brust, sondern in die ausgestreckte Linke Alexanders. Dieser erscheint 
hier ebenso wie Hephästion und Roxane älter als dort. Hinter ihm und Hephästion 
kommt von hinten her, etwas nach vorn gebeugt und nach Roxane hinblickend, ein 
Untergebener, welcher eine Platte (oder kleinen Schild?) und auf dieser ein Schwert 
trägt. Der Helm, welchen dort ein Eros über den Kopf Alexanders hält, steht hier 
neben dem Geschmeide der Roxane. 

Nachträglich habe ich noch Kenntnis von drei Majoliken (Vergl. S.199 ff.) erlangt: 

1. Eine Schüssel des Xanto in Bologna, nur fragmentarisch erhalten 
(22 cm Durchm.), mit der Signatur: - M ' DXXXVII - Omnia vincit Amor, 'F'XR- 
giebt die Mittelgruppe von Alexander bis zu dem die Roxane schmückenden Eros im 
ganzen nach dem Stich des Caraglio. Eine Durchzeichnung verdanke ich der 
Liebenswürdigkeit von Luigi Frati. 

2. Eine Schüssel desselben Meisters im Museo Correr zu Venedig (2572 cm 
Durchm.) mit der Signatur: 1534^ Ecco la Babilonica Reina, F X A' R- in Urbino 



^) Dass Rubens diese besessen haben soll, ist oben (S. 194A. 2) erwähnt. 

^) Vergl. Rooses a. a. O. Die Vermutung Goelers v. Ravensburg, Rubens und die Antike 
S. 169, dass Rubens in diesem Bilde durch das Fresko Primaticcios in Fontainebleau beein- 
flusst worden sei, erweist sich als haltlos. 

•) Schneevoogt, Catalogue des estampes gravees d' apres Rubens, p. i38n. 22 erwähnt 
nur das Exemplar des Teyler- Museum in Haarlem. 



HOLBEINS BERGWERKZEICHNUNG IM BRITISCHEN MUSEUM VON EDUARD HIS 207 

enthält nur die Figuren des Alexander, der Roxane und des sie schmückenden Eros; 
im Hintergrunde passieren ein Reiter und 4 Fufssoldaten eine Brücke. (Lazari , Notizia 
delle opere d'arte della Raccolta Correr p. 63 n. 238.) 

3. Eine Schüssel des Leocadio Solombrino von Forli, einst in der 
Sammlung Delsette, später Barker (40 cm Durchm.), mit der Signatur: Leochadius. 
Soloö I brinus picsit \ Foroliviom \ ece- \ MDL V scheint sich am meisten mit der oben 
S. 199 erwähnten Majolika des Xanto zu berühren, mit der sie insbesondere den 
Hund gemein hat, während ihr die übrigen Zuthaten dieser fehlen. Hier fasst ein 
Eros den Vorhang des Himmelbettes. (Frati, Di una insigne Raccolta p. 54 n. 279 
Lazari a. a. O.). 



HOLBEINS BERGWERKZEICHNUNG IM BRITISCHEN MUSEUM 

VON EDUARD HIS 

Als ich im Mai 1880 im Print Room des britischen Museums die Kupferstiche 
und Handzeichnungen des XV und XVI Jahrhunderts durchmusterte, fand ich in einem 
Bande mit der Überschrift »German drawings vol. XII« ein Blatt mit einer rund ein- 
gefassten getuschten Federzeichnung, ein Bergwerk in felsiger Gegend darstellend, in 
welcher ich sofon die Meisterhand des jüngeren Hans Holbein erkannte. Dafür 
spricht nicht nur die geniale und höchst lebendige Auffassung des Vorgangs, die 
Energie der Bewegungen der in mannigfacher Arbeit begriffenen Bergleute, die kecke 
und naturgetreue Art, wie bei denselben die Muskelanstrengung in Armen und Beinen 
ausgedrückt ist, sondern auch die ihm durchaus eigene flotte Art der Lavierung. 

Der damalige Direktor des Print Room , den ich darauf aufmerksam machte, 
schien meiner Versicherung, dafs die Zeichnung ein echter Holbein sei, wenig Glauben 
zu schenken. Auch ein berühmter englischer Sammler, welcher so freundlich war, 
dieselbe mit mir zu examinieren, betrachtete sie mit ausgesprochenem Zweifel und 
ich musste mich damals damit begnügen, meiner Überzeugung von Holbeins Urheber- 
schaft auf einer Adresskarte Ausdruck zu verleihen, welche ich der Zeichnung beilegte. 

Dass ich nun heute, wo dieselbe von der jetzigen einsichtsvollen Direktion 
anerkannt wird, ^) imstande bin, das höchst interessante Blatt den Lesern des Jahr- 
buchs in vorzüglichem Lichtdruck vorzulegen, verdanke ich der Gefälligkeil meines 
werten Freundes, Herrn Professor M. Lehrs in Dresden, welchen ich, als er im 
Sommer 1893 im Begriffe war, nach London zu gehen, um in den dortigen Samm- 
lungen seine so erfolgreichen Forschungen über die ältesten Meister des Kupferstichs 
zu vervollständigen, ersuchte, sich das betreffende Blatt zeigen zu lassen und von der 
Direktion die Ermächtigung zu einer photographischen Aufnahme desselben zu 
erwirken, was diese gütigst bewilligte. 

Die Zeichnung ist schon in kulturgeschichtlicher Beziehung wichtig, indem sie, 
nach dem Urteil bewährter Mineralogen, von der alten Art des Bergbaus einen 
anschaulichen Begriff giebt. Die Sprengung des Gesteins bewerkstelligte man damals 

*) Siehe zweites Beiblatt der Nationalzeitung vom 11. März 1894. 



2o8 HOLBEINS BERGWERKZEICHNUNG IM BRITISCHEN MUSEUM 

nicht durch Pulver, sondern es wurden mit wuchtigen Hämmern rund um das abzu- 
lösende Stück hölzerne Keile eingetrieben, welche man dann so lange befeuchtete, 
bis die in solcher Weise bewirkte Anschwellung des Holzes das Gestein aus einander 
sprengte. Zwei athletische Gestalten sieht man in solcher Arbeit begriffen. Die 
gebogenen Stiele ihrer Hämmer sind von elastischem Eschenholz, wodurch ein 
schwungvolleres Ausholen des Schlages erzielt wird. Zwei andere sieht man mit je 
zwei kleineren Hämmern, wovon der eine, kurzweg »Eisen« genannt, als Meifsel 
zugespitzt ist, die für das Eindringen der Keile nötigen Löcher vorbohren. Im 
Vordergrund steigt einer aus einem Schacht. Auf seinem Kopfe scheint eine brennende 
Lampe befestigt. Rechts befindet sich in der Höhe ein Stollen, aus welchem ein 
Bergmann einen mit erzhaltigem Gestein beladenen »Hund« herausbefördert. Was 
der links davon auf einer Leiter in eine Kluft eindringende Mann auf dem Rücken 
trägt, dürften vielleicht frisch geschärfte Eisen sein. 

Es drängt sich nun die Frage auf, wo Holbein wohl die Anregung zu dieser 
in der Kunst gewiss selten vorkommenden Darstellung erhalten haben mag. 

Man wäre zuerst geneigt, an das minenreiche England zu denken, wo Holbein 
die zwölf letzten Jahre seines Lebens zubrachte. Dass aber die Zeichnung, obgleich 
jetzt in England, sich im XVI Jahrhundert in Basel befand, davon hat mich folgender 
Umstand überzeugt: Ein angesehener und begüterter Baseler Bürger, Andreas Ryft 
(geb. 1550, gest. 1603), welcher selbst Bergwerksbesitzer war, schrieb 1599 seine Erfah- 
rungen im Bergbau in einem Manuskript nieder und llefs dasselbe durch einen Maler 
mit mehreren Abbildungen von Bergwerken und anderen Verrichtungen der Metallurgie 
zieren. Nun ersieht man aus einem dieser Bilder, dass dem Maler die Holbeinische 
Bergwerkzeichnung bekannt sein musste, indem er sie als Vorbild zu fünf der von ihm 
dargestellten Bergleute benutzte. So hat er den im Vordergrunde aus dem Schacht 
Steigenden kopiert. Noch genauer findet sich der rechts davon knieende Bergmann 
nachgebildet, welcher mit seinem krummstieligen Hammer zu wuchtigen Schlägen 
ausholt. Ebenso bezeichnend ist der Mann, welcher, aus dem Stollen hervortretend, 
seinen Hund über eine Brücke stöfst. Der rechts am Boden Knieende, welcher mit 
einer Hacke erzhaltige Erde zusammenscharrt, sowie der links in halber Höhe mit 
Schlägel und Eisen Arbeitende sind gleichfalls, wenn auch in etwas veränderter 
Stellung, benutzt. Solche Vorbilder mussten dem Maler um so willkommener sein, 
als er vielleicht selbst nie ein Bergwerk gesehen hatte. Die Möglichkeit, dass die 
Übereinstimmung mancher Figuren ihren Grund darin haben könnte, dass beide 
Maler, der geniale Holbein und (80 Jahre später) der von Ryff zur Illustration seines 
Buches benutzte Aquarellist an der gleichen Quelle, d. h. aus einem gedruckten 
Werke über Bergbau, geschöpft haben könnten, ist wohl kaum der Erwähnung wert, 
denn wenn auch Agricola, welchen man den Vater der Mineralogie genannt hat, 
schon zu Holbeins Lebzeiten über den Bergbau schrieb, so ist doch die mit Holz- 
schnitten versehene Ausgabe seines Werkes »De re metallica libri XII« erst 1556 
erschienen und die Darstellungen, welche sie enthält, und von welchen, beiläufig 
gesagt, die besten von dem Schweizer Rudolf Manuel Deutsch gezeichnet und 
geschnitten sind, haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit derjenigen, welche hier in 
Frage kommt. 

Das Vorhandensein von Holbeins Zeichnung in seiner Adoptivheimat Basel am 
Ende des XVI Jahrhunderts bedingt zwar nicht notwendigerweise deren dortige Ent- 
stehung, macht sie jedoch in hohem Grade wahrscheinlich und scheint mir daher 
eine thatsächliche Bestätigung, dass er und kein anderer dieselbe in seiner kecken 




HANS H O L B E I N i.. J. 



BERGWKRK 



TUSCUZKICHNUNG IM BRITISH MUSEUM ZV LONDON 



»BUCH D. K. PREUSS. KUNSTSAMML. 189} 



VON EDUARD HIS 20g 



und lebendigen Weise skizziert hat. Die von bewährten Mineralogen und Kennern 
des Bergbaues darin wahrgenommene Charakteristik der Darstellung und absolute 
Wahrheit in Tracht und Geräten lassen es als undenkbar erscheinen, dass es sich 
hier nur um ein Gebilde seiner Phantasie handelt, sondern sie trägt das Gepräge 
des wirklich Geschauten, wenn auch künstlerisch zu einem wirkungsvollen Bilde 
Gruppierten. 

Holbein könnte nun zwar in nicht zu grofser Entfernung von Basel Bergwerke 
gesehen haben, denn deren gab es im nahen Schwarzwald, in den Vogesen und im 
Jura. Aber gewisse Merkmale weisen mit ziemlicher Sicherheit auf das Alpengebiet, 
so die mit Steinen belegten Schindeldächer der Hüuen, sowie die gewaltigen Fels- 
wände ohne Baumwuchs. 

Dass in der Schweiz von alters her Bergbau getrieben wurde, wird von mehreren 
Schriftstellern bestätigt. So sagt B. Studer in seiner »Geschichte der physischen Geo- 
graphie der Schweiz«, 4. Buch, S. 389: 

»In den Hochalpen hatte seit Jahrhunderten eine, meist mit zu schwachen 
Kräften unternommene und bald wieder aufgegebene Ausbeutung von Erzen statt- 
gefunden. So im Wallis auf die Eisenerze von Chemin und Chamoison, die Bleierze 
des Lötschthals, das Golderz von Gondo; in Uri auf Blei- und Silbererze und in 
Maderan auf Eisenerze; am Gonzen bei Sargans auf Eisen; vorzüglich aber in Grau- 
bünden, wo die Blei- und Silbererze von Davos, Schams und Scharl, die Eisenerze 
von Filisur und Ferrera und andere Erzanbrüche bald von Bündnern, bald von 
Fremden abgebaut wurden und die noch jetzt kursierenden Sagen von dem fabelhaften 
Reichtum, zu dem die Vertemate-Franchi von Plurs durch den Bergbau in Scharns, 
am Parpaner Rothhorn und am Casanna gelangt sein sollen, zu immer neuen Ver- 
suchen reizten.« 

Wie gelangte nun aber Holbein in die Hochalpen? Wohl schwerlich als Tourist, 
denn damals pflegte man diesen Sport noch nicht. Die Wildnis der Alpen schreckte 
eher ab, als dass man sie ohne Not aufsuchte. Dagegen arbeitete er bekanntlich in 
den Jahren 1517 — 1519 in Luzem, und wie ich früher an dieser Stelle aussprach,^) 
liegt die Vermutung sehr nahe, dass der noch junge Künstler von hier aus eine kürzere 
oder längere Wanderschaft nach Oberitalien unternahm. Der nächste Weg führte über 
den Gotthardpass, und wirklich finden sich in mehreren Holbeinischen Zeichnungen 
und Holzschnitten Reminiscenzen an einen Alpenpass und an die Teufelsbrücke.*) 
Nun wurde, zufolge der angeführten Stelle aus Studer, in verschiedenen Thälern Uris 
Erz gegraben, namentlich auch im Maderanerthal am Bristenstock, sowie auch am 
Fufse der Windgälle, und es lässt sich sehr leicht denken, dass Holbein auf seiner 
Wanderung über den Gotthard einem dieser Bergwerke seine Aufmerksamkeit widmete, 
da ihn sein Weg nahe daran vorbeiführte. Auch an einem andern, vom Haslithal 
ausgehenden, über den Sustenpass führenden und bei Wasen in die Gotthardstrafse 
ausmündenden Saumweg befanden sich seit dem XV Jahrhundert Eisengruben, nämlich 
im Gadmen- oder Mühlethal,') jedoch scheint mir kaum wahrscheinlich, dass Holbein 



1) Einige Gedanken über die Lehr- und Wanderjahre H. Holbeins d. J. (Jahrgang 1891, 
Heft 2, S. 65). 

*) Ebendaselbst, mit Hinweis auf S. Vögelins »> Ergänzungen und Nach Weisungen 
zum Holzschnittwerk H. Holbeins d. J.« (Repertorium fdr Kunstwissenschaft, Bd. V, S. 179 
u. flgd.). 

3) A. Höpfner, Magazin für die Naturkunde Helvetiens. Bd. 2, S. 98. 

28 



2IO HOLBEINS BERGWERKZEICHNUNG IM BRITISCHEN MUSEUM VON EDUARD HIS 



diesen Umweg wählte. Eher könnte man der Vermutung von S. Vögelin Raum geben, 
dass er seinen Rückweg durch Graubünden nahm, woselbst der Bergbau von alters 
her blühte. Zwar nimmt dieser Autor an, dass Holbein bei diesem Anlass die Todes- 
bilder im bischöflichen Palast zu Chur gemalt habe, wobei er unter andern Gründen 
darauf hinweist, dass in einem seiner Holzschnitte, der sogenannten Kebestafel, die 
Burg, welche die Überschrift »Arx verae felicitatis« trägt, dem bischöflichen Schloss 
zu Chur nachgebildet sei.*) Die Möglichkeit von Holbeins Rückkehr durch Graubünden 
zugegeben, muss Jedoch in betreff der Todesbilder erinnert werden, dass die Annahme 
von Holbeins gänzlicher oder auch nur teilweiser Ausführung derselben von 
Professor J. R. Rahn in Zürich seither durch historische Gründe endgültig widerlegt 
wurde (im Sonntagsblatt des »Bund« 1878, Nr. 12 — 15). Übrigens ist die von mir 
ausgesprochene Wahrscheinlichkeit, dass Holbein auf seinem Wege nach oder seiner 
Rückkehr aus Italien die Anregung zu seiner Bergwerksdarstellung erhalten habe, 
nicht in der Weise aufzufassen, als ob jede andere Möglichkeit einer Reise in das 
Alpengebiet ausgeschlossen sei. Weder über das eine noch über das andere wird 
.'. man wohl je Gewissheit haben. 

|v Was die Tracht der Bergleute betrifft, welche ich anfänglich für eine aus- 

p schliefslich schweizerische Eigentümlichkeit hielt, indem sie an die im Hochgebirge 

f- üblichen Kapuzenkittel oder Heuhauben der Älpler und Wildheuer erinnen, so 

\ • . werde ich von sachkundiger Seite belehrt, dass es eigentlich die deutsche Bergmanns- 

^ tracht ist, wie sie noch jetzt im Harz üblich sein soll; jedoch ist mein Gewährsmann, 

Dr. E. von Fellenberg in Bern, der Ansicht, dass in der Schweiz ursprünglich zum 
Betrieb der Bergwerke deutsche Bergleute herangezogen wurden. 

Wie aus der in Anmerkung i, Seite 207, erwähnten Zeitungsnotiz ersichtlich ist, 
befindet sich die ßergwerkzeichnung nicht mehr im 12. Band unbekannter Deutscher, 
sondern hat seit kurzem einen ihrer Bedeutung entsprechenden Platz eingenommen, 
indem sie unter ihrer wahren Benennung in einem grofsen Oberlichtsaal des britischen 
Museums neben anderen wertvollen Handzeichnungen berühmter Meister aller 
Schulen ausgestellt worden ist. 

*) Die Wandgemälde im bischöflichen Palast zu Chur mit den Darstellungen der 
Holbeinischen Todesbilder. Eine kunstgeschichtliche Untersuchung von F. Salomon Vögelin. 
Herausgegeben von der antiquarischen Gesellschaft in Zürich. 1878. S. y6 und j';; sowie auch: 
Ergänzungen und Nachweisungen zum Holzschnittwerk H. Holbeins d. J. von Sal. Vögelin, 
im Repertorium für Kunstwissenschaft. Bd. V, S. 200 



Gedruckt in der Reichsdruckerei. 



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GEDRUCKT IN DER REiCHSDRIKXER&I 



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JAHRBUCH 

DER . ^■-'•(r'^'V' '^J- 

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN 

KUNSTSAMMLUNGEN 




FÜNFZEHNTER BAND 
IV, HEFT 



® BERLIN 1894 

G. GROTE'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG 



INHALT 



Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen: 
Berlin: 

Königliche Museen XLI 

Königliche National - Galerie LIX 

Beilage . ^ LXIII 

Mit zwei Tafeln in Lichtdruck. 



STUDIEN UND FORSCHUNGEN 

Zur Byzantinischen Frage. Die Wandgemälde in S. Angelo in Formis (Schluss). 

Von E. Dobbert . . . . .' 211 

Mit zehn Textabbildungen. 

Bilder und Zeichnungenjder Brüder Pollajuoli. Von Hermann Ulmann. . 230 

Mit einerHeliographie und drei Textabbildungen. 

Die architektonische Entwicklung Michelozzos und sein Zusammenwirken mit 

Donatello. Von Heinrich von Geymüller 247 

Ein Studienblatt des Vittore Pisano zu dem Fresko in S. Anastasia zu Verona. 

Von Campbell Dodgson 259 

Mit einer TTafel in Lichtdruck. 

Die neu entdeckten Wandgemälde zu Dahlem. Von GeorgVoss . . . . 261 

Mit zwei Textabbildungen. 

Die Marmorbüste des Alesso di Luca Mini von Mino da Fiesole. Von 

Wilhelm Bode i 272 

Mit einer Tafel in Lichtdruck und einer Textabbildung. 



Redakteur: In Vertretung V. v. LOGA 



Fünfzehnter Jahrgang 



No. 4. 



I. Oktober 1S94 



AMTLICHE BERICHTE 



AUS DEN 



KÖNIGLICHEN 

KUNSTSAMMLUNGEN 



DAS JAHRBUCH DBR KÖNIGLICH PREU88I8CHBN KUN8T8A1C1CLUNGKN ERSCHEINT VIERTELJÄHRLICH 
ZUM PREISE VON 30 MARK FÜR DEN JAHRGANG. 



I. KÖNIGLICHE MUSEEN 
I. April — 30. Juni 1894 



A. GEMÄLDE-GALERIE 

Für die Gemälde - Galerie wurden käuflich 
erworben: 

1. FRANCESCO COSSA, Winzerin, Alle- 
gorie des Herbstes aus einer Folge der Jahres- 
zeiten, von denen sich der Frühling, wie das 
vorgenannte Bild aus der Sammlung Costabili 
stammend, bei Mr. Layard und zwei andere 
sehr beschädigte Stücke in der Sammlung 
Strozzi in Ferrara befinden sollen (s. Crowe 
u. Cav., V, 555, die aber als Meister COSMA 
TüRA nennen). Die Figur, eine etwas unier- 
lebensgrofse Gestalt aus dem Volke, mit Gerät 
und Traubenranken in den Händen, steht 
vom vor einer bergigen Landschaft mit einer 
Stadt zwischen phantastischen kleinen Felsen 
und reich belebt von Wanderern, Arbeitern 
und Reitern. Für unsere Galerie, in welcher die 
ferraresische Schule sonst vorzüglich vertreten 
ist, ist dieses stattliche, im besten Sinne deko- 
rative Werk des Begründers der ferraresischen 
Schule, der bisher fehlte, von besonderem 
Wert. Es zeigt diesen Künstler, unter dem 
Einflüsse des PIERO DELLA FRANCESCA, als 
einen Naturalisten und Freilichtmaler im fast 
modernen Sinne. 

2. MEISTER DER VERHERRLICHUNG MARIA, 
Die Anbetung der Hirten, aus der Samm- 
lung Clave von Bou haben in Köln Anfang 
Juni ersteigert; ein durch Kraft der Färbung, 
Helldunkel und Liebreiz der jugendlichen Fi- 



guren ausgezeichnetes Werk dieses seltenen 
Kölner Meisters, von dem die Galerie bisher 
kein Werk besafs. 

Mit der Schenkung des Baron von 
Schröder sind verschiedene Gemälde der 
Galerie überwiesen worden, von denen ein 
paar Bilder eines Schweizer Malers aus der 
Richtung des HANS HOLBEIN, Darstellungen 
von Gelehrten als Repräsentanten der Wissen- 
schaften, zur Aufstellung kommen werden. 

Die Umstellung der niederländischen und 
deutschen Abteilung der Galerie konnte so- 
weit vollendet werden, dass die Wiederer- 
öffnung derselben bis Mitte Juli wird erfolgen 
können. Es sind nunmehr im ersten nörd- 
lichen Oberlichtsaale alle Bilder der alt- 
deutschen Meister, im zweiten Oberlichtsaale 
und im anstofsenden kleinen Kabinet die Alt- 
niederländer mit Einschluss des Genter Altars 
der Brüder VAN EYCK, in den Kabinetten 
der Ostseite und im anliegenden Gange die 
Holländer und Vlamen des XVII Jahrhunderts, 
endlich im südlichen Oberlichtsaale die grofsen 
Gemälde von RUBENS und seiner Schule unter- 
gebracht. 

BODE 



B, SAMMLUNG DER 
SKULPTUREN UND GIPSABGÜSSE 

l. ANTIKE SKULPTUREN 
Erworben wurde der Porträtkopf eines 
römischen Knaben (sogenannten Marcellus), 
der sich ehemals in der Sammlung Pourtales- 
Gorgier befand und dahin aus der Sammlung 
Beugnot gelangt war (Dubois, Descript. des 
antiqu. Pouitales No. 108). 

IV 



XLIII 



AMTLICHE BERICHTE 



XLIV 



In die Abteilung der Gipsabgüsse kamen 
folgende Stücke: das bei Herrn Galvert in 
der Troas befindliche grofse Volutenkapitell 
von dem Tempel in Neandreia, eine ebenda 
befindliche Stelenbekrönung aus der helle- 
nistischen Nekropole südöstlich vom Rhoi- 
teion, die beiden in Hissarlik gefundenen 
und nach Konstantinopel gebrachten Thon- 
täfelchen (W. Dörpfeld, Troja 1893, S. 75 
No. 23 und 24}, das archaische Relief von 
Kara-Kuya im British Museum (Rayet et 
Thomas, Milet pl. 27), endlich der archaische 
Porträtkopf Berlin No. 308 und der Kopf der 
sogenannten Demeter, Berlin No. 83. 

KEKULi 



II. BILDWERKE 
DER CHRISTLICHEN EPOCHE 

Die Abteilung konnte durch Kauf einige 
hervorragende Bildwerke von LüCA DELLA 
ROBßlA und seinem Nachfolger ANDREA er- 
werben , welche diesem Teile der italienischen 
Renaissancesammlung eine ganz besondere 
Bedeutung geben. 

Das gröfste und hervorragendste Stück ist 
eine sitzende Madonna in ganzer Figur, das 
segnende Kind auf dem Schofse; etwa zwei- 
drittel lebensgrofse Figuren, weifs auf tief- 
blauem Grund mit den Resten von Vergol- 
dung ; ein feierlich ernstes Werk der früheren 
Zeit des alten LUCA DELLA ROBBIA, der be- 
kannten Madonna vor der Rosenhecke im 
Bargelio ganz verwandt, jedoch weniger genre- 
hafc in der Auffassung. 

Von ähnlicher Bedeutung ist das Porträt 
eines schönen lockigen Jünglings in Hoch- 
relief; ein Brustbild etwas unter Lebens- 
grofse, glasiert in bunten Farben. Die For- 
men des Kopfes und seine Durchbildung 
haben sehr viel von VERROCCHIO und von 
der Frühzeit LEONARDO's. Trotz der reichen 
Farben , die für ANDREA DELLA ROBBIA ganz 
ungewöhnlich sind, ist das Werk deshalb 
wohl als eine frühe Arbeit des ANDREA und 
nicht als solche seines Oheims LUCA anzu- 
sehen. Nach der Obereinstimmung mit dem 
freilich einige Jahre jüngeren Kopf des David 
von VERROCCHIO glaube ich, dass in beiden 
Kunstwerken ein und dieselbe florentiner 
Persönlichkeit wiedergegeben ist. 



Zweifellos auf ANDREA della robbia 
geht femer ein Madonnenrelief zurück in 
schlichtem Weifs auf blauem Grund ausge- 
führt, ein frühes, fein empfundenes Werk 
dieses Künstlers. 

Sodann sind wieder eine beträchtliche Zahl 
von Geschenken an diese Abteilung zu ver- 
zeichnen. 

Herr Martin Heckscher in Wien 
schenkte eine in Thon modellierte, alt be- 
malte Madonna mit dem Kind, Halbügur, von 
süddeutscher Herkunft, wohl auch von der 
Mitte des XV Jahrhunderts; ein sehr seltenes 
Stück im Anschluss an italienische Arbeiten. 

Herr Baron Heyl von Hernsheim in 
Worms schenkte eine kleine Broncegruppe : 
Venus und Amor auf Delphin, ein italieni- 
scher Wachsguss aus der Mitte des XVI Jahr- 
hunderts. 

Von anderen ungenannten Gönnern gin- 
gen folgende Geschenke zu, die sämtlich er- 
wünschte Bereicherungen sind: einige zwanzig 
bisher fehlende Plaketten; ein kleines floren- 
tiner Thonrelief vom Anfang des XVI Jahr- 
hunderts; ein kleines Stuckrelief der heiligen 
Familie, wohl von PIERINO DA VINCI; das 
Thonmodell von BERNlNl's Schlussfenster im 
Chor von St. Peter; ein Stuckaltärchen mit 
Flügeln aus Perugia, und ein anderes Stuck- 
altärchen mit Eglomise- Bildchen eingerahmt 
(beide aus der Versteigerung Verdura in Rom 
stammend); eine byzantinische Glaspaste; ein 
Elfenbeinrelief mit Venus und Amor in der 
Art des jungen P. VISCHER; ein kleines be- 
maltes Marmorrelief des Parisurteils, deutsche 
Arbeit um 1530. 

Ein paar wertvolle Geschenke erhielt die 
Sammlung sodann, gleichfalls von unge- 
nannten Gönnern, in der ausgesprochenen 
Hoffnung) dass mit dem Bau des Renaissance- 
museums nicht lange mehr gezögert werden 
möge. Beide Gegenstände werden in der 
That erst in einem Neubau als monumentale 
Ausstellungsstücke sich verwenden lassen. 
Es sind dies eine florentiner Cassapanca aus 
der ersten Hälfte des XVI Jahrhunderts, so- 
wie die beiden Flügel einer grofsen Thür, 
ganz in reichster Intarsia gearbeitet, oben 
die Verkündigung, unten Lilien in Vasen 
zeigend; nach den Symbolen der Einrahmung 
für die Mediceer um 1470 gearbeitet. 

BODE 



XLV 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



XLVI 



C. ANTIQUARIUM 

Es wurden erworben: 
Vasen: 

Grofse altböotische Kanne. 

Pyxis mit dem Künstlernamen des 
Agathon. 

Phiale mit Hirschjagd. 

Gefäfs in Form eines bekränzten weib- 
lichen Kopfes von besonderer Schön- 
heit^ aus Böotien. 

Griechische Reliefvasen. 
Bronzen : 

Eine drehbare Scheibe, mit feinen ge- 
triebenen Reliefs, auf einem langen 
säulenförmigen Griff; griechisch. 

Grofse Hydria mit altertümlichem Fi- 
gurenschmuck aus Sizilien. 

Statuette eines Tänzers. 

Mehrere altertümliche Fibeln und an- 
dere Geräte. 
Terrakotten : 

Einige vorzügliche Statuetten aus Ta- 
nagra. 

Gruppe von zwei Schauspielern. Attika. 

Polyphem mit einem Auge in der Mitte 
der Stirn, sitzend. Böotien. 

Mehrere andere Statuetten altertüm- 
lichen und freieren Stiles. 

CURTIUS 



Goldgulden von Otto Heinrich von der Pfalz, 
Denar vom Erzbischof Piligrim von Köln, ge- 
prägt in Bonn, mit dem Namen VERONA, 
Goldbrakteat von St. Omer, ein schöner 
Schrifcbrakteat des Landgrafen Hermann von 
Thüringen, Groschen von Johann von Riet- 
berg und eine Reihe seltener deutscher 
Denare des XI Jahrhunderts aus dem Funde 
von Ladinoje Pole in Russland. — Unter 
den erworbenen Siegelstempeln zeichnet sich 
ein schöner Bronzestempel von Hemme in 
Schleswig - Holstein , XIII Jahrhundert, mit 
thronender Madonna aus. 

Geschenke erhielt die Sammlung von 

i Seiner Excellenz dem Herrn Staatsminister 
Dr. Bosse, der Königl. Eisenbahn- 

, Direktion in Berlin durch Vermitielung 

i der Königl. Geologischen Landesanstalt, 
Herrn G.Clerk, Herrn Dr. Laban (Papier- 
geld aus der ungarischen Revolution 1848) 

I und Herrn Adolf Weyl. 

V. SALLET 



D. MÜNZKABINET 

Das Münzkabinet erwarb 874 Stück 
(25 Gold, 749 Silber, 62 Kupfer, 2 Blei, 
18 Stück Papiergeld, 6 Siegelstempel, davon 
I Silber, 5 Kupfer, i Bronzeplatte, 11 Glas- 
gewichte). Unter den antiken Münzen ist 
hervorzuheben das nur in zwei Exemplaren 
bekannte Goldstück des parthischen Satrapen 
Andragoras (bald nach Alexander d. Gr. oder 
um 250 V. Chr.) und ein unedierter Denar des 
Pescennius Niger mit der Aufschrift felicia 
tempora. 

Unter den Mittelaltermünzen sind er- 
wähnenswert ein Goldgulden des Erzbischofs 
Adolf von Mainz, geprägt in Udenheim, zwei 
Goldgulden von Ruprecht von der Pfalz, 



E. KUPFERSTICHKABINET 

Von den Erwerbungen des verflossenen 
Quartals sind die folgenden hervorzuheben: 

A. KUPFERSTICHE 

MEISTERIC Christus am ölberg. B.6. P. 383. 

Nr. I. (Kopie nach Martin Schongauer. 

B. 9.) 
DERSELBE. Die Gefangennehmung Christi. 

B. 2. (Kopie nach Martin Schongauer. 

B. 10.) 
MECKENEM, ISRAEL VAN. Die heilige Maria. 

B. 65. 
DÜRER, ALBRECHT. Madonna unter einem 

Baume sitzend 151 3. B. 35. 
DERSELBE. Der heilige Eustachius. B. 57. 
DERSELBE. Der Müfsiggang (der Traum des 

Doktors). B. 76. 
CRANACH, LUCAS. Die Bufse des heiligen 

Chrysostomus. B. i. 
BEHAM, BARTHEL. Nackte Frau auf einer 

Rüstung sitzend. B. 20. 
ALTDORFER, ALBRECHT. Neptun auf einem 

Meerungeheuer. B. 30. 
DERSELBE. Die Frau mit dem Leuchter. 

P. 104. 

IV 



XLVII 



AMTLICHE BERICHTE 



XLVIII 



ALTDORFER, ALBRECHT. Geflügeltes Kind mit 

Wappenschild. Meyer K. L. 65 b. 
DERSELBE. Der Glaube. 1 506. Unbeschrieben. 

61 mm hoch, 37mm breit. 
MEISTER HGVH 1584. Landschaft mit dem 

Opfer Abrahams. 
SIEGEN, LUDWIG VON. Prinz Wilhelm von 

Oranien. Schabkunstblalt. Andresen 3. 
DERSELBE. Prinzessin Augusta Maria von 

Oranien. Schab kunstblatt. Andresen 4. 
hOsSENER, AUGUSTE. Das vollständige Werk 

ihrer Kupferstiche. 
MEISTER I A VON ZWOLLE. Der heilige 

Georg. B. 13. 
LEYDEN, LUCAS VAN. Madonna in der Glorie. 

B. 82. 
BRAMER, LEONHARD. Zimmer mit einem 

lautenspielenden Mann und einer Frau 

vor einem Spiegel. 
HARLINGEN, FEDDES VAN. Die Verspottung 

Christi. Van der Kellen 5. 
DERSELBE. Das Tischgebet. K. 19. 
REMBRANDT. Die Flucht nach Ägypten im 

Geschmack Elsheimers. B. 56. Ro- 

vinski IV. Zustand. 
DERSELBE. Die grofse Auferweckung des La- 
B. 73. R. V. 

Der Tod der Maria. B. 99. R. I. 
Der Tod der Maria. B. 99. R. III. 
Die Landschaft mit den drei 
B. 217. R. I. 
DERSELBE. Die Landschaft mit dem vier- 
eckigen Turm. B. 218. R. I. 
DERSELBE. Die Landschaft mit dem Turm. 

B. 223. 
DERSELBE. Die Landschaft mit dem Boot. 

B. 236. R. I. 
DERSELBE. Bildnis des Jan Antonides van 

den Linden. B. 264. R. I. 
DERSELBE. Bildnis des jungen Haaring. 

B. 275. R. I. 
DERSELBE. Bildnis des Dr.ToUing. B. 284. R. III. 
BOTH, JAN. Die Kühe am Wasser. B. 8. 
VERSCHURING, HENDRIK. Die Reisenden. B. 2. 
ROBETTA, CRISTOFORO. Der junge an den 

Baum gebundene Mann. B. 17. 
DERSELBE. Herkules die Hydra tötend. B.21. 
RAIMONDI, MARCANTONIO. Die heilige Fa- 
milie unter der Palme. B. 62. 
DERSELBE. Die Marter der heiligen Felicitas. 

B. 117. 
DERSELBE. Bacchus als Kind von zwei Satyrn 

getragen. B. 230. 



zarus. 
DERSELBE. 
DERSELBE. 
DERSELBE. 

Hütten, 



RAIMONDI, MARCANTONIO. Venus und Amor. 
B. 311. 

MEISTER MIT DEM WÜRFEL. ApoUo und Mar- 
syas. B. 31. 

PIRANESI, GIOVANNI BATTISTA. Ein reich- 
haltiges, 1266 Blfitter umfassendes Werk 
seiner Radierungen in 26 Foliobänden. 

WATSON, THOMAS. Henrietta Countess of 
Rochester. Schabkunstblatt. 

DERSELBE. Frances Lady Whitmore. Schab- 
kunstblatt. 

DERSELBE. Frances Duchess of Richmond. 
Schabkunstblatt. 

B. BÜCHER MIT KUPFERSTICHEN 

Todten -Tantz. Wie derselbe in der . . . Stadt 
Basel ... zu sehen ist. Basel 1625. Oktav. 

(Longus), Les Amours Pastorales de Daphnis 
et Chlog. 17 18. Mit Kupferstichen von 
B. Audran und J. B. Scotin. Oktav. 

(Montesquieu), LeTemple de Gnide, . . . Avec 
Figures Gravees par N. Le Mire . . . d*apres 
les dessins de Gh. Eisen. Paris 1772. Der 
Text in Kupfer gestochen. Quart. 

C. HOLZSCHNITTE 

DÜRER, ALBRECHT. Der heilige Hieronymus . 
in der Grotte. B. 113. Flugblatt. Ge- 
druckt zu Nürnberg durch Hans Glaser, 
vergl. P. in. pag. 163. 

DERSELBE. Maria mit dem Kind. B. app. 14, 
vor dem Monogramm. 

ALTDORFER, ALBRECHT. Der heilige Christoph. 
B. 54. 

OSTENDORFER, MICHAEL. Bildnis des Caspar 
Othmar. Sic oculos . . . nulla manus. 

AMMAN, JOST. Bildnis des Feldmarschalls 
Georg Ludwig von Seinsheim. An- 
dresen 21. 

ITALIENISCHE SCHULE XV Jahrhundert. Der 
heilige Albertus und Scenen aus dem 
Leben des heiligen Albertus, eingeklebt 
in eine Lederschatulle. 

MEISTER I B MIT DEM VOGEL. Der heilige 
Sebastian. Clair obscur, unbeschrieben, 
182 mm hoch, 122 mm breit. 

D. BÜCHER MIT HOLZSCHNITTEN 

Ain hipsche Tragedia von zwaien lieb- 
habenden menschen. Augsburg, Grimm 
und Würsung, 1520. Oktav. Mit Holz- 



XLIX 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



schnitten des Pseudo - Burckmair ge- 
nannten Meisters. 

(Ulrich von Hütten), Phalarismus Dialogus 
Huttenicus. 1517. Oktav. 

Opere del Divino Poeta Dante con suoi co- 
menti. Venedig 1512. Quart. 



E. ZEICHNUNGEN 

DÜRER, ALBRECHT. Bildnis eines Gold- 
schmieds von Mecheln. Federzeichnung. 
160 mm hoch, 101 mm breit. Oben am 
rechten Rand das Monogramm, am oberen 
Rand steht von DÜRER*s Hand geschrie- 
ben: ein goltschmit von mechell 1520 
zw antorff gemacht. Früher in der Samm- 
lung Thomas Lawrence. 

DERSELBE. Die Verkündigung Maria. Leicht- 
aquarellierte Federzeichnung. 312 mm 
hoch, 205 mm breit. Unten in der Mitte 
mit dem Monogramm bezeichnet. Dar- 
unter nach links zu von DÜRER's Hand 
in schwarzer Tinte geschrieben: vm ein 
pfund. Studie zu dem Holzschnitt des 
Marienlebens B. 83. 

GELLfe, CLAUDE (LORRAIN). Waldlandschaft. 
Sepiazeichnung. 252 mm hoch, 402 mm 
breit. 

DERSELBE. Italienischer Hafen mit unter- 
gehender Sonne. Weifsgehöhte Sepia- 
zeichnung. 271 mm hoch, 421mm breit. 

LIPPMANN 



F. ÄGYPTISCHE ABTEILUNG 

An Geschenken erhielten wir in diesem 
Vierteljahr: von Herrn Schumacher zwei 
ägyptische Skarabäen aus einem Grabe bei 
Akka in Palästina , von Herrn G o 1 e n i s c h ef f 
in Petersburg die Abgüsse der Köpfe von 
zwei Statuen Amenemhets III im Stil der so- 
genannten Hyksosköpfe. 

Durch gütige Vermittelung des Herrn Dr. 
Reinhardt in Kairo konnte eine Reihe von 
Erwerbungen gemacht werden, unter denen 
die folgenden besonders erfreulich sind: 

Drei Reliefs aus Gräbern des n. R. in 
Memphis, darunter eines von ungewöhnlicher 
künstlerischer Bedeutung, das wahrscheinlich 



aus dem Grabe des Nefer-ronpet, Hohen- 
priesters von Memphis unter Ramses II (um 
1350 V. Chr.), stammt. In der oberen Reihe 
die klagende Witwe und die Gärtner und 
Unterbcamten des Ptah - Tempels , die unter 
Wehklagen Lauben für die Totenfeier er- 
richten. Unten der Leichenzug: dem Sarge 
folgen zwei Söhne des Verstorbenen und die 
sämtlichen höchsten Beamten des Landes. 
Der Gegensatz zwischen der leidenschaftlichen 
Klage der Angehörigen und Diener und der 
gemessenen Trauer dieser Würdenträger ist 
vortrefflich zum Ausdruck gebracht. 

Mamorstatue der Isis in römischem Stil 
mit einer Schlange und einem Korbe. Tadel- 
los erhalten. 

Hölzerne bemalte Totenbahre römischer 
Zeit, für zwei Kinder Apollonius und Djidjoi, 
bestimmt. Die Langseiten in Form von Lö- 
wen, die Schmalseiten in durchbrochener 
Arbeit. 

Zehn thönerne Masken in griechischem 
Stil von Mumien aus Kum - Mer bei Samhud, 
Porträts der Toten. 

Aufserdem eine gröfsere Anzahl kleinerer 
Altertümer, die unsere Sammlung in wün- 
schenswerter Weise ergänzen, und Bruch- 
stücke hieratischer Papyrus, anscheinend 
Briefe aus der Zeit nach dem neuen Reiche. 

Durch Vermittelung des Herrn Professor 
Beiger wurde die Kalksteinfigur eines ge- 
wissen Entef erworben , eine gute Arbeit des 
mittleren Reiches (um 2000 v. Chr.). 

Die Sammlung der Photographien wurde 
um etwa 50 Bläner vermehrt. 

ERMAN 



G. MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE 

I. ETHNOLOGISCHE ABTEILUNG 

Eine ausnehmend vielseitige und umsichtig 
beschaffte Sammlung ist der indischen Ab- 
teilung als schätzbares Geschenk durch Herrn 
Dr. Baefsler zugegangen, bei Rückkehr von 
mehrjährigen Reisen. Aufserdem sind Ge- 
schenke zu verdanken: Herrn Meifsner in 
Deli, Herrn Ger in i in Bangkok, Herrn 
E i c k h o f f , Herrn Professor Dr. L e w i n und 
Herrn Professor Hein. Angekauft wurde 
eine Sammlung aus dem Sulu- Archipel. 



LI 



AMTLICHE BERICHTE 



LH 



Für die chinesische Abteilung sind von 
dem Gesandten a. D. v. Brandt den früheren 
Bereicherungen schenk weise Ergänzungen zu- 
gefügt. Ein anderes Geschenk ist von Herrn 
Konsistorialrat Dalton eingegangen und 
aus den durch Herrn Dr. Ehrenreich aus 
seinen Reisen zurückgebrachten Sammlungen 
konnten Ethnographica von den Ainos an- 
gekauft werden, sowie japanische Kakemonos. 

Für die afrikanische Abteilung sind Herrn 
Sanitätsrat Dr. Bartels Geschenke an Pho- 
tographien zu danken y ebenso Herrn Pro- 
fessor Dr. Joe st, und willkommene Samm- 
lungsstücke wurden durch Herrn Hauptmann 
Herold (aus seinem Aufenthalt im Togo- 
gebiet), Herrn Kallenberg (aus Ostafrika) 
und Herrn Kraatz geschenkt. Durch die 
Kolonial -Abteilung des Auswärtigen Amtes 
ging eine Sammlung Herrn Conrads ein 
und von Herrn R. Franke konnte eine um- 
fangreiche Sammlung (aus Ostafrika} ange- 
kauft werden, sowie von Herrn Dr. Rein- 
hardt, Herrn Rindermann und Herrn Kal- 
lenberg. 

Im Austausch mit dem Museum in Leiden 
wurden Sammlungsstücke aus verschiedenen 
Teilen Afrikas erworben. 

Die amerikanische Abteilung ist durch 
Herrn Dr. Hoff mann in Washington be- 
schenkt, sowie durch Herrn Regierungsbau- 
meister Guttmann und Herrn C. Künne. 

Aus der ecuadorischen Ausstellung in Chi- 
cago sind Altertümer durch Herrn Gual- 
berto Perez in Guayaquil dem hiesigen 
Museum geneigtest übergeben. 

Die von Herrn Strebe l in Hamburg an- 
gekauften Sammlungen wissenschaftlich ho- 
hen Wertes, weil durch methodisch ausver- 
folgte Ausgrabungen beschafft, konnten durch 
weitere Erwerbungen ergänzt werden. 

Eine Nachbildung des Goldfiofs von Gua- 
tavita, welche die Verwaltung des Museums 
für Völkerkunde in Leipzig nach der dort 
befindlichen anzufertigen gestaltete, findet 
sich jetzt auch im hiesigen Museum, als so- 
weit einziger Ersatz des für dasselbe be- 
stimmten Originals, das auf dem Wege da- 
hin leider zu Grunde gegangen ist (infolge 
eines Speicherbrandes). 

BASTIAN 



II. VORGESCHICHTLICHE ALTERTÜMER 

PROVINZ BRANDENBÜRG. 

Geschenke. Herr stud. med. P. Rei- 
necke in Westend: Feuersteinsplitter vom 
»Heidenberge« bei Biesenthal, Thongefäfse 
und eine eiserne Fibel von Rüdnitz, Kr. 
Oberbarnim. Herr Lehngutsbesitzer W. G r i e- 
ben in Seebeck: wendische GefUfsscherben 
von Seebeck, Kr. Ruppin. Herr Ingenieur 
Herrmann in Pankow: eine grofse eiserne 
Nadel, einen eisernen Gürtelhaken, Bronze- 
Spiralröhrchen u. s. w., sowie eine ornamen- 
tierte Urne von Vehlefanz, Kr. Osthavelland. 
Herr Civil- Supern umerar Reiche in Pan- 
kow: eine grofse bronzeplattierte Eisennadel 
und andere kleinere FundstUcke von Vehle- 
fanz. Herr HandelsgSrtner H. Finn in Dom. 
Pinnow: ein Steinbeil, Nucleus, Bohrer und 
Splitter von Feuerstein, gefunden zwischen 
Dom. Pinnow und Borgsdorf, Kr. Nieder- 
barnim. Herr Kreisphysikus Dr. Siehe in 
Kalau : ein kleines Thongefäfs von Ali-Döbem, 
Kr. Kalau. Herr Theodor Wilke in Guben: 
eine Buckelurne von Starzeddel, Kr. Guben, 
und eine Urne der La Tene -Zeit von Guben. 
Herr Professor Dr. Jentsch in Guben: ein 
kleines Thongefäfs von Strega, drei Thonperlen 
und einen Bronze - Nadelkopf von Starzeddel, 
sowie zwei Bronzenadeln von Reichersdorf im 
Kreise Guben. Herr Bürgermeister Wall- 
baum in Beizig: ein wendisches Thongefäfs 
und verkohlte Getreidereste von einer An- 
siedelung bei Platkow, Kr. Lebus. Herr 
Rektor Dr. Weineck in Lübben: ein grofses, 
reichverziertes Thongefäfs von Aurith, Kr. 
West- Sternberg, ein kleineres Gefäfs aus der 
nördlichen Lausitz und zwei Steingeräte aus 
Urnen. Herr Ziegeleidirektor Beyrich in 
Lübars: ein kleines Thongefäfs von Lübars, 
Kr. Niederbarnim. Herr Bauernhofbesitzer 
C. Piper in Blumberg: einen Steinhammer 
von Blumberg, Kr. Landsberg a. W. Herr 
Lehrer Penitzka in Baitz: eine Urne, ein 
kleines Beigefäfs, einen Thonwirtel, fünf 
Glasperlen und ein Bronzefragment von Kuh- 
bier, Kr. Ostprignitz, sowie einen Spinn- 
wirtel von Baitz, Kr. Zauch - Beizig. 

Ankäufe. Eine Anzahl Buckelgefäfse 
und Bruchstücke von Thongefäfsen von Tam- 
mendorf, Kr. Krossen. Eine grofse Anzahl 



LIII 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



LIV 



von Thongefäfsen nebst Beigaben aus Bronze 
und Eisen von Neuendorf, Kr. Krossen, und 
Guben. Ein ThongeMs und ein gröfserer 
Scherben von Vogelsang, Kr. Guben. 

Ausgrabungen im Auftrage der Ge- 
neralverwallung. Eiserne Lanzenspitze, 
Pfeilspitze, Messer und wendische Thon- 
scherben von Seebeck, Kr. Ruppin. Thonge- 
fäfse aus Hügelgräbern bei Ltlsse, Kr. Zauch- 
Belzig. Thongeftlfse aus zwei Gräbern mit 
Steinpackungen von Lübars, Kr. Nieder- 
barnim. 

PROVINZ SCHLESIEN. 

Geschenk: Herr Ed. Johnke in Woh- 
lau: eine gröfsere Anzahl von Thongefäfsen 
aus dem Gräberfelde von Buschen, Kr. Wohlau. 

Ankäufe. Steinhammer, kleine Thon- 
gef^fse, Bronze- und Eisenbeigaben von 
Buschen, Kr. Wohlau. Urnen, Beigefäfse 
und Beigaben von Tschammer -Ellguth, Kr. 
Grofs-Strehlitz. 

PROVINZ SACHSEN. 

Geschenke: Herr Forstmeister Brecher 
in Grünewalde bei Schönebeck a. Elbe : Urne, 
BeigefMfschen , Thonwirtel, Steinmeifsel und 
Knochengei^te von Plötzky, Kr. Jerichow I. 
Herr Pfarrer Kluge in Arneburg: einen klei- 
nen Thonlöffel vom Galgenberge in Arneburg, 
Kr. Stendal. Herr MaxReinhardt in Alt- 
haus - Leitzkau : Urnen und Beigaben von 
Leitzkau, Kr. Jerichow L Herr Otto Ko- 
walsky in Seehausen: eine Urne vom »Tan- 
nenkruga, Kr. Osterburg. 

Ankäufe. Ein Bronze - Lappencelt von 
Herzberg, Kr. Schweinitz. Steingeräte und 
Thongefäfse von Merseburg und Umgegend. 
Zwei Urnen und Scherben mit Schachbrett- 
muster von Wallwitz, Kr. Jerichow I. Ein 
zerbrochener Gold -Armring, Goldblech-Frag- 
mente und Bruchstücke dazugehöriger Thon- 
gefäfse von Wedringen, Kr. Neuhaldensleben. 
Eine Urne und Steinwirtel von Burghessler, 
Kr. Eckartsberga. 

PROVINZ HESSEN-NASSAU. 

Geschenk: Herr Fabrikbesitzer Ad. 
Wagner in Berlin: Bruchstück (Doppel- 
tülle) eines Thongefiifses aus den römischen 
Töpfereien von Heddcrnheim, Mainkreis. 



RHEINPROVINZ. 

Geschenk. Herr Geschäftsführer Busse 
in Berlin: eine römische Thonlampe von 
Kreuznach. 

Ankäufe. Grabfund der La Tene-Zeit: 
Bronzeiibel, -Armringe, -Halsringe und zwei 
eiserne Lanzenspitzen von Brey, Kr. St. Goar. 
Bronzeschwert von Trier. Kleines Thon- 
gefäfs mit Bronzefibel von Gladbach, Kreis 
Neuwied. Bronzefunde von Halsenbach und 
Gondershausen, Kr. St. Goar, von Naunheim 
und Münstermaifeld, Kr. Mayen, von Cobern 
und Weifsenthurm , Kr. Coblenz, und ein 
Messerknauf aus Bronze von Aachen. Frän- 
kische Gräberfunde von Niederbreisig, Kreis 
Ahrweiler, und Weifsenthurm, Kr. Coblenz. 
Bronzeringe und Fibeln von Raeren, Kreis 
Eupen. Zwei kleine fränkische Grabsteine 
von Leudesdorf, Kr. Neuwied. Grofse frän- 
kische Bronze -Zierscheibe von Aachen. Frän- 
kische Eisenfibel mit Silbertauschierung von 
Niederbreisig, Kr. Ahrweiler. Thongefäfse 
vorrömischer Zeit von Siegburg, Heumar, 
Thurn und Dünnwald. 

PROVINZ HANNOVER. 

Geschenke. Herr Hofbesitzer Ficke 
in Schukamp: einen grofsen Steinhammer 
von Schukamp, Kr. Blumenthal. Herr von 
Stoltzenberg in Luttmersen a. R.: eine 
Bronzefibel von Sögein bei Rulle. Die El b- 
strom-Bauver waltung (Ober- Präsidium 
der Provinz Sachsen) zu Magdeburg: zwei 
Lanzenspitzen und ein skramasaxähnliches, 
einschneidiges grofses Messer aus Eisen von 
Hitzacker, Kr. Dannenberg. Herr Vollhöfner 
Wrede in Benrode: eine Urne von Benrode, 
Kr. Burgdort. 

A n k ä u f e. Bronze- Armband und Doppel- 
spirale von Osnabrück, Grabfunde von Engter 
bei Osnabrück. Eine gröfsere Anzahl von 
Thongefäfsen und Beigaben von Altenwalde, 
Kr. Lehe. Kleiner Thonnapf von Uetze, Kreis 
Burgdorf, und ein grofses poliertes Feuer- 
steinbeil von Langlingen bei Uetze. 

MECKLENBURG - SCHWERIN. 

Ankauf. Bruchstück eines Steinhammers 
von Dargun, Steinbeil und defekter Stein- 
hammer von Neukaien in Mecklenburg- 
Schwerin. 



LV 



AMTLICHE BERICHTE 



LVI 



ANHALT. 

Ankäufe. Steinhammer von Cöthen, 
II ThongefMfse und ein Bronze -Armring von 
Büro bei Coswig. 

THÜRINGEN. 

Ankäufe. Drei defekte Steinbeile von 
Sonnendorf in Sachsen - Weimar. Eine Urne, 
kleiner Bronzering undFiintstUcke von Apolda 
in Sachsen- Weimar. Ein Steinhammer von 
Eckelstedt in Sachsen - Meiningen. Eine 
Bronze - Lanzenspitze aus Thüringen. 

BAYERN. 

Ankäufe. Hügelgräberfunde von Deus- 
mauer in der Oberpfalz. Kurzes Bronze- 
schwert von Lindau am Bodensee. Hügel- 
gräberfunde von Dietldorf und Emhofen in 
der Oberpfelz. 

HESSEN - DARMSTADT. 

Ankäufe. Gewebereste von Mainz. Stein- 
hammer, ebendaher. Zwei Bronzebarren von 
Castel bei Mainz. Bronzenadel und eiserne 
Trense von Mainz. Fünf Bronzefibeln von 
Bingen, Rheinhessen. 

ELSASS - LOTHRINGEN. 

Ankäufe. Durch lochte, als Amulet ge- 
tragene meroving. Goldmünze von Strafs- 
burg, Grabfunde von Puberg und Rohrweiler. 
Bronze - Armringe von Strafsburg Zwei 
Bronzecelte von Schiltigheim bei Strafsburg 
und Marlenheim. Bronzecelt und fränkische 
Funde von Hagenau. 

BADEN. 

Ankäufe. Zwei Kollektionen von Stein-, 
Hörn- und Knochengeräten, Thongefäfsen 
u. A. aus den Pfahlbauten von Bodman am 
Bodensee. 

WÜRTTEMBERG. 

A n k ä u f e. Bronze - Armringe von Bietig- 
heim. Bronzenadel und fünf Armringe von 
Rottenburg. Bronzecelt von Wangen am Bo- 
densee. Gipsabguss einer janusköpfigen Stein- 
figur von Holzgerlingen. 

RÜSSLAND. 

Geschenk. Herr Geheimer Medizinalrat 
Professor Dr. R. Virchow in Berlin: eine 
kleine Bronzefigur aus dem Kaukasus. 



GRIECHENLAND. 

Ankauf. Eine gröfsere Anzahl von Ob- 
sidianmessem und -Nuclei von der Insel 
Milo. 

ÖSTERREICH - UNGARN. 

Geschenk. Herr stud. med. P. Rei- 
ne c k e in Westend : GefMfs - Bruchstücke von 
Deva in Siebenbürgen und aus der Tominz- 
höhle bei St Canzian im KUstenlande. 

Ankäufe. Eine Kollektion ungarischer 
Bronzegeräte. Ein grofser Bronze - Tutulus 
aus Ungarn; zwei Lanzenspitzen von Bronze, 
ebendaher. Zwei Gipsabgüsse von Stein- 
reliefs aus dem Nationalmuseum in Buda- 
pest, Frauen des germanischen Stammes der 
Eravisker darstellend. Bronzedolch, Ring und 
Pfeilspitze von Kourim in Böhmen. 

ITALIEN. 

Ankäufe. Zwei longobardische Blatt- 
goldkreuze. Zwei Steinbeile von Ferrara 
und eine Bronzefibel von Bologna. Bronze- 
schnallen, Pincette und kleine Ringe von 
Perugia. 

SCHWEIZ. 

A n k ä u f e. Steinbeil mit Hornfassung und 
Schaft, Feuersteinsäge mit Fassung, eiserner 
Schildbuckel und Bronzemesser aus den Kan- 
tonen Neuenburg und Basel. Grabfund und 
grofse Eisenschnalle von Freiburg, sowie drei 
Bronze- Arm ringe von Montreux und aus dem 
Tessin , sowie eine burgundionische Bronze- 
Gürtelschnalle von Neuenburg. Bronze-Gür- 
telschnalle aus dem Tessin. 



FRANKREICH. 

Ankäufe. Eine Sammlung von Thon- 
gefäfsen, Bronzen und Eisengerät von Her- 
mes, Dpt. de rOise. 38 Steinperlen von Abl)e- 
ville , Dpt. Somme. Bronze - Lanzenspitze von 
Perigueux, Dpt. Dordogne. Zwei Steinbeile, 
Bronzecelte und Lanzenspitzen aus verschie- 
denen Fundorten , Bronzenadeln , Messer und 
Thonwirtel aus dem Lac du Bourget in Sa- 
voyen. Eine Lanzenspitze, vier Gelte und 
sechs Armringe aus Bronze von verschiedenen 
Fundorten. Fünf Steinbeile von Perigueux 



LVII 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



LVIIl 



Zwei Kollektionen von Bronzegeräten aus 
verschiedenen Fundorten und Feuerstein- 
geräten von Laugerie basse. 

SPANIEN. 

Ankauf. Bronzeiibeln u. A. von Tarra- 
gona. 

ENGLAND. 

Ankauf. Zwei Beile , eine Lanzenspitze 
und einen Armring von Bronze aus Irland. 

VOSS 



H. KUNSTGEWERBE-MUSEUM 
L SAMMLUNG 

Ankäufe 

BRONZEKAPSEL für eine Medaille. Italien, 
XVI Jahrh. 

KOHLENBECKEN, Kupfer getrieben. Italien, 
XVI Jahrh. 

TABAKSDOSE in Silber und Email, bezeichnet 
»les freres Jordan et Lautier ä Berlin.« 
Mitte XVIII Jahrh. 

BILDTAFEL auf Holz, Temperafarben mit 
Reliefvergoldung. Deutschland, XV Jahrh. 

PORZELLANTELLER aus der Fabrik der Medici. 
Florenz, XVI Jahrh. 

MAJOLIKATELLER, in Weifs und Blau de- 
korierL Venedig, XVI Jahrh. 

TABAKSPFEIFE, Holz geschnitzt mit Silber be- 
schlagen, mit einem Frauenkopf. Deutsch- 
land, XVIII Jahrh. 

Geschenke 

Herr Thiem in Niederschönweide: Wäsche- 
presse, XVII Jahrh. 

Herr G. Lewy: Porzellankanne von Gotz- 
kowsky. Berlin, 1761/63. 

Herr Epstein in Breslau: Stab einer Kasel; 
Endstück eines polnischen Shawls; Baum- 
wollenstoff, Italien. 

Herr von Schröder: 129 Kunstwerke und 
kunstgewerbliche Arbeiten und zwar: 
Gemälde, Möbel, Majoliken, Glas, Stoffe 
und Gerät in Silber, Bronze, Kupfer, 



Messing, Zinn und Eisen (z. T. für Pro- 
vinzial- Museen bestimmt). 

Fräulein Preufser in Stettin: Taschenuhr 
und Chatelaine, Gold. XVIII Jahrh. 

Herr Hof- Antiquar J. A. Lewy: Fayence- 
Vase. Münden, XVIII Jahrh. 

Herr Dr. Deibel in Wien: 65 japanische und 
chinesische Arbeiten in Lack, Fayence, 
Bronze, Chalcedon, Elfenbein und Holz 
und eine silberne Schale aus dem Kaukasus. 

Frau Herrmann: Tuch, gedruckt; Täsch- 
chen mit Blumen; Täschchen mit Perl- 
stickerei. 

Leihgaben 

Herr Graf von Oppersdorff: Tisch mit 
intarsierter Tischplatte. Deutschland, 
XVI Jahrh. 

Arbeiten neuerer Industrie 

Seine Königliche H oheit Prinz Georg 
von Preufsen: Ölgemälde, Kopie von 
Raffaels Transfiguration. Gemalt von 
Girolamo Palumbo. 

Als Geschenk für eine Berliner Kirche 
bestimmt. 

Herr Thomas Wardle in Leek: Kopie des 
in Bayeux befindlichen gestickten Wand- 
behanges: Darstellung der Eroberung 
Englands durch die Normannen. 

Fräulein von Förster: Spiegel in Silber 
gefasst. Geschenk des türkischen Sultans 
an die Ausstellerin. 

Herr Burda: Lederkassette für Zeichnungen. 
Geschenk der Vereinigung Berliner Archi- 
tekten an Herrn Architekt Fritsch. Ent- 
wurf von Baumeister Seeling, Ausführung 
von Burda. 

Herr Direktor Ernst Ewald: Album und 
Adresse. Dem Aussteller gewidmet von 
den Lehrern bezw. Schülern der Unter- 
richts -Anstalt zum 25 jährigen Jubiläum 
der Anstalt. 

Herr F. P. Krüger: Zwei Radabweiser, 
Schmiedeeisen. 

Herr Geh. Legationsrat Dr. von Mo hl: 
Zwei Rookwood - Fayencen. 

Frau Baronin von Bistram in Raschwitz: 

Gruppe, Holz geschnitzt, von Bildhauer 

Ruppe. 

LESSING 



1 



LIX 



AMTLICHE BERICHTE 



LX 



IL BIBLIOTHEK 

Erworben wurden: für die Bibliothek 
177 Werke und 364 Einzelbläiter; für die 
Ornamentstichsammlung 47 Nummern, da- 
runter eine Sammlung japanischer Muster- 
bücher (Geschenk des Eisenbahndirektors 
Rumschöttel in Tokio); 31 Blatt dekorativer 
Handzeichnungen (Vermächtnis des Baron 
von Schröder); eine Auswahl moderner eng- 
lischer Druckwerke u. A. 

JESSEN 



IIL UNTERRICHTS-ANSTALT 

Schuljahr 1893/94. 

Das Sommerquartal wurde am 2. April 1894 
begonnen und am 30. Juni 1894 geschlossen. 
Die Zahl der Schüler betrug: 





Tagess 

Voll- 
schüler 


chüler 

Ho- 
spitanten 


Abend- 
schüler 


Zu- 
sammen 


Schüler . . . 


79 


1 


157 


237 


Schülerinnen 


27 


2 


37 


66 


Summa . . 


106 


3 


194 


303 


von denen 
wurden. 


insgesamt 316 


Plätze belegt 






E 


WALD 



II. NATIONAL-GALERIE 

Erwerbungen im 2. Vierteljahre 1894. 
HANDZEICHNUNGEN. 

PETER BECKER. Strafse in Greifenstein bei 

Wetzlar. Aquarell. 
F. HORUP. (f ) Golf von Palermo. Blei. 
DERSELBE. Italienische Landschaft. Feder. 
JOSEF ANTON KOCH, (f ) Zwei Landschaften. 

Feder. 
FR. OVERBECK. (f ) Bildnis des Inspektors 

Wintergerst. Blei. 
DERSELBE. Italienischer Bauer. Aquarell. 



FR. OVERBECK. (f ) Italienischer Bauer am 

Tisch.. Aquarell. 
DERSELBE. Bauemmädchen, Wasser schöpfend 
Blei. 

Bauernstube. Blei. 
Familienscene. Blei und Wasser- 



DERSELBE. 
DERSELBE, 
färben 
DERSELBE. 
DERSELBE. 
DERSELBE. 
DERSELBE. 
DERSELBE. 



Bauernstube. Aquarell. 
Bauernhof. Aquarell. 
Dorfkirche. Aquarell. 
Lesendes Madchen. Kreide. 
Frauenkopf. Aquarell. 

M. V. SCHWIND, (f ) Türken und Türkinen 
auf einem Balkon rauchend. Aquarell. 

DERSELBE. Ritter Kurts Brautfahrt, ölskizze. 

E. V. STEINLE. (f ) Schneewittchen. Aquarell. 

DERSELBE. Adam und Eva, das Gebot em- 
pfangend. Blei. 

DERSELBE. Adam und Eva. Kreide. 

DERSELBE. Jakob kämpft mit dem Engel. Blei. 

DERSELBE. Der Prediger in der Wüste. Blei. 

DERSELBE. Zuhörer aus der Bergpredigt 
Kreide. 

DERSELBE. Jesus am Ölberge mit den Jüngern. 
Aquarell. 

DERSELBE. Die thörichten Jungfrauen. Ent- 
wurf. Feder. 

DERSELBE. Die heilige Julia. Blei. 

DERSELBE. Leben des heiligen Paulinus des 
Einsiedlers. Feder. 

DERSELBE. Die tiburtinische Sibylle schaut 
den Erlöser mit seiner Mutter in einer 
Wolke. Blei. 

DERSELBE. Vier Stationsbilder für die Kreuz- 
wegkapelle an der Ägidien - Kirche in 
Münster i. W. Kreide und Wasserfarben. 

DERSELBE. Ein Bischof verteilt Gaben an 
Arme. Feder. 

DERSELBE. Kompositionen zu einer Sage. 
Blei. 

DERSELBE. Der Henker aus dem Urteile 
Salomonis. Blei. 

DERSELBE. Bildnis des Malers Jos. v. Führich. 
Blei. 

DERSELBE. 
Gamba, 

DERSELBE. 

DERSELBE. 

DERSELBE. 

Blei. 
DERSELBE. Vier Blatt Gewand- und Hand- 
studien zu den Engeln im Kölner Dom. 
Blei und Kreide. 



Frederic Leighton und Enrico 

Kohle. 
Bildnis des Malers Ph. Veit. Blei. 
Kopf des Falstaff. Blei. 
Studie zum Kopf des Türmers 



LXI 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



LXII 



E. V. STEINLE. (f) Studie zum Mantel der Ma- 
donna in der katholischen Kirche zu Wies- 
baden. Sepia, weifs gehöht 

DERSELBE. Studie zum Gewand der Madonna 
des Herz -Jesubildes in Wien. Kreide. 

DERSELBE. Studie zum Gewände der heiligen 
Elisabeth von Thüringen. Blei. 

DERSELBE. Mantelmotiv einer Frauenfigur. 
Blei. 

DERSELBE. Mantelmotiv einer Männerfigur. 
Blei. 

DERSELBE. Madonna im Garten. Kohle. 
Karton. 

DERSELBE. Die apokalyptischen Reiter. Kreide. 
Karton. 

DERSELBE. Bild der modernen Kultur. Blei. 

DERSELBE. Himmelskönigin. Blei. 

DERSELBE. Bildnisse der Maler: Veit, Sette- 
gast, Chr. Becker und Jac. Binder. Blei. 

PH. VEIT, (f ) Allegorie. Blei. 

DERSELBE. Entwurf zu einem Freskobilde fUr 
das Städelsche Institut in Frankfurt a. M. 
Aquarell. 

A. LUTTEROTH. Campo santo zu Genua. 
Aquarell. 

DERSELBE. Auf Elba. Aquarell. 



E. M. GEYGER. Fünf Blatt Studien zu seiner 
Original - Radierung : Affen - Disputation. 
Blei. 

H. PRELL. Drei Aquarellen nach seinen Wand- 
bildern im Rathause zu Hildesheim: 
I. Herman der Cherusker, 2. Einzug des 
Bürgermeisters Brandts in Hildesheim, 
3. Kaiser Wilhelm der Siegreiche. 

JULIUS SCHOLTZ. (f ) Gastmahl der Generale 
Wallen Steins, ölskizze. 
Gesamtaufwand rund 14450 Mark. 



Seit Juni ist im 2. Corneliussaale eine 
Ausstellung von amerikanischen Holzschnitten 
eröffnet worden. Die hervorragenden Meister, 
wie W. B. CLOSSON, F. S. KING, F. FRENCH, 
R. C. COLLINS, TH. JOHNSON, KRUELL, waren mit 
zahlreichen Beispielen ihrer Kunst vertreten, 
und von dem verstorbenen J. F. JUENGLING 
hatte Herr Edmund von Koen ig in Heidel- 
berg eine Sammlung vorzüglicher Probedrucke 
in dankenswerter Weise dargeliehen. 

JORDAN 



Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei. 



MkJf 



1 



I 



I 



J 



Fünfzehnter Jahrgang 



No, 4. 



I. Oktober 1894 



AMTLICHE BERICHTE 



AUS DEN 

KÖNIGLICHEN 



KUNSTSAMMLUNGEN 



BEILAGE ZU NO. 4 



EIN ANTIKES MARMORRELIEF DER 
KÖNIGLICHEN MUSEEN IN BERLIN 

Herr Professor Carl Robert hat in dem 
neuesten Heft der von ihm redigierten Zeit- 
schrift Hermes (Bd. XXIX 1894 S. 417— 421) 
nachzuweisen versucht, dass ein vor kurzem 
aus dem Besitz des Grafen von Prokesch in 
den der Berliner Museen übergegangenes 
Marmorrelief (vergl. Bd. XIV Spalte III dieser 
Zeitschrift) eine Fälschung des XIX. Jahr- 
hunderts sei. Während Herr Geheimrat 
Kekule, gegen dessen Bemerkungen im Ar- 
chäologischen Anzeiger 1893 S. 77 Herr Pro- 
fessor Robert sich vorzugsweise wendet, für 
mehrere Wochen von Berlin abwesend und 
der Möglichkeit erneuter Untersuchung des 
Originals beraubt ist, halte ich es für geboten, 
die mit grofser Bestimmtheit auftretende Be- 
hauptung nicht längere Zeit unwidersprochen 
zu lassen. Ohne ihm vorgreifen zu wollen, 
hole ich vor allem nach, was der Aufsatz 
des Herrn Professor Robert vermissen lässt, 
indem ich diejenigen Abbildungen der Einzel- 
heiten vorlege, welche den Leser in den 
Stand setzen werden, über die der Nach- 
prüfung dringend bedürftigen Behauptungen 
sich ein eigenes ' Urteil zu bilden , und be- 
gleite dieselben mit den nötigen erläuternden 
Bemerkungen. Ich lasse dabei ununtersucht, 
ob die von Herrn Professor Robert versuchte 
Beweisführung in sich als bündig und der 
Vorgang, welchen er annimmt, als wahr- 
scheinlich oder auch nur verständlich anzu- 
erkennen wäre und beschränke mich auf Er- 
örterung der angeblich belastenden That- 
sachen. 



Die Punkte, welche Herr Professor Robert 
zur Begründung seiner Ansicht in Betracht 
zieht, sind die folgenden: 

I. »Die Darstellung, ein sitzender Mann, 
umgeben von vier Personen verschiedenen 
Alters und Geschlechts, sämmtlich ohne be- 
stimmte Aktion und ohne Verbindung mit- 
einander, sämmtlich, wenn sie überhaupt etwas 
thun, in tiefes Meditieren versunken, also ein 
sinnender Lehrer im Kreise seiner sinnenden 
Schüler, das, in Verbindung mit dem Fund- 
' ort, muss jeden zunächst auf den Gedanken 
an Plato bringen.« Als zwingend hat sich 
diese Folgerung .bisher nicht erwiesen, da, 
soviel hier bekannt, vor Herrn Professor 
Robert angesichts des Reliefs niemand auf 
den Gedanken an Plato gekommen war. Was 
den Fundort betrifft, so ist das Relief von 
dem Vater des Herrn Grafen von Prokesch 
in Athen beim ölwald gefunden. Nun ist 
der attische ölwald grofs; es giebt tausende 
von Stellen, auf welche obige Angabe eben- 
sogut passt, wie auf die Akademie, und es 
fehlt jeder Anlass gerade sie herauszugreifen 
und eine Beziehung zu ihr und ihrem Stifter 
anzunehmen. Wenn die auf S. 417 richtig 
wiedergegebene Fundnotiz sogleich auf S. 418 
in die Behauptung verwandelt wird, das Relief 
sei »in der Gegend der Akademie gefunden«, 
so ist dies geeignet, einen nicht sehr auf- 
merksamen Leser in bedenklicher Weise irre 
zu ftlhren. Lässt man aber, wie man muss, 
die angebliche Beziehung zur Akademie aufser 
Betracht, so wird die Deutung des Reliefs 
auf einen »sinnenden Lehrer im Kreise seiner 
sinnenden Schüler« angesichts der Abbildung 
(No. I der anliegenden Tafel I) — schwerlich 

W 



LXV 



BEILAGE ZU DEN AMTLICHEN BERICHTEN 



LXVI 



naheliegend oder auch nur zulässig erschei- 
nen. Den Eindruck von »Meditieren« machen 
die ruhig dastehenden Figuren in keiner 
Weise, und wenn ein etwa fünfzigjähriger 
Mann mit zwei anderen von etwa 40 und 
60 Jahren, und mit einem Knaben und einem 
halbwüchsigen Mädchen gesellt erscheint, so 
wird es schwer irgend ein Moment heraus- 
zufinden, welches dafür spräche, in diesen 
letzteren vier Personen einen »Kreis von sin- 
nenden Schülern« zu erkennen. 

2. »Der Kopf der sitzenden Hauptfigur 
zeigt mit der Florentiner (sogenannten Plato-) 
Büste, namentlich mit deren Abbildung in 
Viscontis Ikonographie, eine Ähnlichkeit, die 
schwerlich zufällig sein dürfte«, und da die 
Büste, wie wir jetzt wissen, mit Plato nichts 
zu thun hat, soll jene Ähnlichkeit den durch 
Visconti irre geführten Fälscher verraten. Der 
Kopf ist unter No. 2—5 der Tafel I in Vorder- 
und Seitenansicht mit den Abbildungen aus 
Viscontis Ikonographie in photographischer 
Wiedergabe zusammengestellt. Jeder Unbe- 
fangene wird urteilen, dass beide einander 
so ähnlich sind, wie bärtige griechische Köpfe 
des gleichen Lebensalters zu sein pflegen, 
dass aber jede Obereinstimmung in indivi- 
duellen, porträthaften Zügen fehlt. 

3. »Noch gröfser aber, und, wie mich 
däucht, schlechterdings unbestreitbar ist die 
Ähnlichkeit des hinter dem Sitzenden stehen- 
den Mannes .... mit dem Aristoteles Spada«, 
dessen Deutung auf Aristoteles gleichfalls zum 
mindesten unwahrscheinlich geworden ist, so 
dass auch hier die Ähnlichkeit zu einem Ver- 
dachtsmoment werden würde. Aber auch 
hier zeigt die Nebeneinanderstellung beider 
Köpfe (No. 8 und 9 der Tafel II) dieselbe Art 
der Verwandtschaft und denselben Mangel an 
Obereinstimmung im Individuellen. 

4. Der ältere, stehende Mann war von 
Geheimrat Kekule mit Menander verglichen 
worden. »Ich bekenne«, sagt Herr Professor 
Robert, » dass ich, trotz dem mangelnden 
oder nur ganz schwach angedeuteten Bart, 
von Anfang an vielmehr an Demosthenes er- 
innert worden bin, namentlich an die Ab- 
bildung bei Visconti Icon. gr. XXIX a. Wie- 
derholte Betrachtung hat diesen Eindruck 
immer mehr befestigt, und er war bei mir 
bereits fest eingewurzelt, als mir die Erinne- 
rung kam, dass ja in der That Demosthenes 
wiederholt als Zuhörer Piatons bezeichnet 
und so auch in der Schülerliste bei Diogenes 



Laertius III 31 aufgeführt wird.« Der Kopf des 
Reliefs und die Viscontische Abbildung sind 
unter No. 6 und 7 der Tafel II nebeneinander 
reproduziert, und zwar ist die letztere ebenso 
wie die des Plato aus der Mailänder Aus- 
gabe entnommen, nach welcher Herr Pro- 
fessor Robert citiert. Es giebt ja kein Mittel, 
um zu vermeiden, dass gelegentlich durch 
einen noch so unähnlichen Kopf eine Er- 
innerung an Demosthenes erweckt werde, 
und dass diese Erinnerung sich in der Folge 
zu der Vorstellung verdichte, jener Kopf 
solle den Redner sogar selbst vorstellen. 
Aber rätselhaft wird ein solcher Vorgang 
immer bleiben. Um nur das Äufserlichste 
hervorzuheben, so hat Demosthenes in allen 
erhaltenen Darstellungen, auch auf dem obi- 
gen Medaillon, so schlecht es sonst sein mag, 
wohlerhaltenes Haupt- und Barthaar; der 
Kopf des Reliefs dagegen zeigt einen völlig 
kahlen Schädel mit spärlichen Resten von 
Haar über den Ohren und ist völlig bart- 
los. Wenn Herr Professor Robert von dem 
»mangelnden oder nur ganz schwach 
angedeuteten Bart« spricht, so ist die 
zweite Alternative ohne jede Spur von Be- 
gründung in dem thatsächlichen Befund. 
Auch in den Gesichtszügen ist schlechter- 
dings nichts, was auch nur entfernt an De- 
mosthenes erinnern könnte. Es ist also völlig 
undenkbar, dass die Figur Demosthenes habe 
darstellen sollen. Damit fällt aber jeder 
Schein eines Anlasses zu der Annahme weg, 
dass, wie Herr Professor Robert herausge- 
funden zu haben glaubte, der Verfertiger des 
Reliefs die Liste der Piatonschüler bei Dio- 
genes Laertius vor Augen gehabt habe und 
folgerichtig auch 

5. jeder Anlass zu der Vermutung, dass 
der Schöpfer des Reliefs eine der beiden bei 
Diogenes erwähnten Schülerinnen des Plato 
»ohne Zweifel« in dem halbwüchsigen Mäd- 
chen, oder, wie Herr Prof. Robert sagt, «dem 
herantrippelnden Dämchen an der rechten 
Ecke« habe darstellen wolfen. Wenn Herr 
Prof. Robert sogar vermutet, dass Axiothea 
von Phlius habe dargestellt werden sollen, 
weil von dieser »Diogenes berichtet, dass sie 
ihren Mantel nach Männerart drapiert habe, 
was bei der Frau des Reliefs bis zu einem 
gewissen Grade zutrifft«, so wird die Abbil- 
dung dem Leser ermöglichen, selbst zu ur- 
teilen, inwieweit das halbwüchsige Mädchen 
als eine Frau bezeichnet werden kann, und 



LXVII 



KÖNIGLICHE MUSEEN 



LXVIII 



ob seine in nichts vom Gewöhnlichen ab- 
weichende Gewandung auch nur die geringste 
Spur einer Drapierung erkennen lässt, auf 
die die Worte des Diogenes passten: n xal 
avJpeZa i5|Li7rtc;(STo. Auch für die wohl nur 
im Scherz zugelassene Möglichkeit, dass der 
angebliche Fälscher in dem Knaben habe 
Speusippos darstellen wollen, »den er sich als 
Neffen Piatos noch in jugendlichem Alter 
denken mochte«, föllt jede mögliche An- 
knüpfung weg. 

6. «Das Relief ist in jeder Beziehung ein 
Unicum. Das merkt man sofort, sobald man 
es in eine der bisher bekannten Klassen 
griechischer Reliefs einzureihen versucht.« 
Sd lange eine sichere Deutung nicht gefun- 
den ist, wird eine solche Einordnung in der 
That nicht gelingen. Allein ist dies ein 
Grund, eine Fälschung anzunehmen? Die 
Zahl der Monumente ist nicht klein, die nicht 
ohne weiteres einer der grofsen »Klassen« 
sich einfügen. Man wird dies z. B. auch von 
dem viel besprochenen Veroneser Relief 
(Raoul Rochette, mon. ined. T. LXXIc; Jahn, 
Bilderchroniken Taf IIb) sagen dürfen und 
trotzdem an seinem antiken Ursprung nicht 
zweifeln. Die Frage übrigens, ob das Relief 
nicht ein Grabrelief sein könne, wird denn 
doch eingehenderer Prüfung bedürfen. 

7. Ein Unicum soll das Relief auch hin- 
sichtlich des Reliefstils sein. »Der Relief- 
grund bildet eine völlig glatte Fläche« — 
das ist ein Irrtum : er bildet eine unregelmäfsig 
bewegte, insbesondere unregelmäfsig vertiefte 
Fläche — »aus der die Figuren statuenartig 
heraustreten.« Das Relief zeigt starke Er- 
hebung und ähnelt in der Behandlung auch 
vielen stärker erhobenen, namentlich klein- 
asiatischen Grabreliefs. Der Eindruck des 
Hervortretens der Figuren wird dadurch noch 
gesteigert sein, dass, wie gewöhnlich, der 
Grund stärker und wirksamer gereinigt sein 
mag, als die auf ihm sich abhebenden Ge- 
stalten. »Ein ungewöhnlich grofser Luftraum 
ist über den Köpfen gelassen.« Er ist gröfser 
als gewöhnlich; aber an verwandten Beispie- 
len fehlt es keineswegs; so nähert sich auch 
in diesem Punkte das Veroneser Relief dem 
vorliegenden. 

»Die Gröfsenverhältnisse sind so ver- 
schieden, dass jede der fünf Figuren ihre 
Proportion für sich hat.« Das wäre an sich 
nichts Auffälliges, da auch in der Natur jede 
Figur »ihre Proportion für sich hat«. Ge- 



meint ist aber wohl, dass die Figuren jede 
nach einem anderen Mafsstab gearbeitet seien. 
Dann beruht die Behauptung auf einem Irr- 
tum. In gröfserem Mafsstab ist nur die 
sitzende Figur ausgeführt; die übrigen vier 
Figuren zeigen durchgängig denselben Mafs- 
stab: die beiden stehenden Männer, auf 
welche Herr Professor Robert hinweist, sind 
genau gleich grofs, der Knabe und das Mädchen 
nach Verhältnis ihres Alters etwas kleiner. 

8. Auch die Gewänder sollen Anlass zu 
Bedenken geben. »Man betrachte z. B. den 
Mantel des Demosthenes. Er umgiebt als 
viereckiges Stück den Unterkörper und ist 
an den Hüften zu einem Wulst zusammen- 
gewunden; hier aber löst sich plötzlich ein 
schmaler Ansau ab, der über die rechte 
Schulter gezogen den Nacken umhüllt, dann 
über der linken Schulter wieder zum Vor- 
schein kommt und immer schmaler werdend 
von der linken Hand gefasst bis auf den 
linken Oberschenkel herabfällt.« Wer das 
Original oder die Abbildung vergleicht, wird 
eine ganz wohlzusammenhängende und ver- 
ständliche Anordnung des Gewandes finden, 
deren Motive aus attischen Reliefs hinlänglich 
bekannt sind und nur in obiger Beschreibung 
verkannt werden. »Und wo ist es in der 
Antike erhört, dass eine Frau in solcher 
Weise mit beiden Händen das Gewand empor- 
zieht, wie die Philosophin« — damit ist das 
halbwüchsige Mädchen gemeint — »auf 
unserem Relief? Scheint es doch, als ob sie 
durch tiefen Schmutz zu waten im Begriff 
stehe. Von dem blödsinnigen Gesichtsaus- 
druck und dem modern gescheitelten Haar 
will ich lieber gar nicht reden.« Auf die 
erste Frage geben die aus einer grofsen Zahl 
verwandter Stücke ausgewählten drei Terra- 
kotten in Athen und Wien Antwort, deren 
Zeichnungen man unter No. 10. 11. 12 der 
Tafel II findet. Ob der Ausdruck des ganz 
anmutigen Köpfchens auf dem Relief in der 
That demjenigen entspricht, dem wir bei Blöd- 
sinnigen begegnen, und ob an dem einfach ge- 
scheitelten Haar etwas Modernes, d. h. doch 
wohl Unantikes zu entdecken ist, wird der 
Leser angesichts der Abbildung (No. 13) selbst 
entscheiden. 

9. Auch die Hauptfigur soll den Fälscher 
verraten. »Bei einer solchen Stellung des 
Sessels, wie sie der Künstler des Reliefs be- 
liebt hat, kann die Lehne nicht so weit nach 
rechts reichen, dass der Sitzende seinen linken 



1 



LXIX 



BEILAGE ZU DEN AMTLICHEN BERICHTEN 



LXX 



Arm darauf lehnen könnte. Und auch wer 
nicht so indiskret ist, nach dem Ansatz des 
linken Oberarmes und dem Verbleib des 
Unterarmes zu fragen, wird sich doch Über 
die wunderliche Drapierung des als Unterlage 
der Hand dienenden Gewandzipfels kaum 
hinwegsetzen können.« Der Sachverhalt ist 
der, dass der Sessel ein wenig übereck steht 
und die runde Lehne nicht ganz den heute 
anerkannten Gesetzen der Perspektive ent- 
sprechend wiedergegeben ist. Da diese Ge- 
setze dem Altertum nicht geläufig waren und 
auch in der Praicis der alten Kunst eine das 
moderne Auge befriedigende Wiedergabe per- 
spektivischer Verkürzungen zu den seltenen 
Ausnahmen gehört, so würde es eher ein 
Bedenken gegen die Echtheit eines Reliefs 
erwecken können, wenn darauf eine per- 
spektivische Aufgabe, wie die vorliegende, 
ganz zutreffend gelöst erschiene. Im übrigen 
ist die Bewegung der Figur richtig und ver- 
ständlich wiedergegeben: die durch das Ge- 
wand verdeckte, etwas zu weit nach rechts 
verlängerte Stuhllehne erscheint unter der 
linken Achsel, so dass die linke Schulter 
darüber hervorragt, während der ganze Arm 
hinter der Lehne verschwindet und erst die 
auf deren Oberkante gestützte Hand wieder 
zum Vorschein kommt. 

10. Endlich soll noch eine Einzelheit auf- 
fällig sein. »Unter dem dicken Kissen auf 
dem Sitzbrett hat der Künstler noch einen 
Gegenstand angebracht, in dem man bei 
längerer Betrachtung ein Pantherfell mit 
herabhängender Kopfhaut mehr errät als er- 
kennt. Selbst bei der Annahme, dass hier auf 
Mitwirkung der Farbe gerechnet war, wird 
man staunen, dass derselbe Künstler, der an 
den Händen der Figur sogar die Anschwel- 
lung unterhalb des Nagels angiebt, ein Tier- 
fell in Marmor zu charakterisieren nicht im 
Stande war.« Ist wirklich gerade ein Panther- 
fell vom Künstler gemeint gewesen, so könnte 
man das allerdings nur »erraten«. Dass aber 
irgend ein Tierfell dargestellt sei, hat noch 
jeder, der das Relief betrachtet hat, auf den 
ersten Blick gesehen. Wenn das Fell keine 
Andeutung von Haaren zeigt, so kann der- 
gleichen allerdings, wie Herr Professor Robert 
als möglich hinstellt, in Farbe angedeutet 



gewesen sein. Ebenso möglich aber ist, dass 
der Künstler ein enthaartes, gegerbtes Fell, 
also eine Lederdecke darstellen wollte, oder 
dass er die Haarseite des Fells nach unten 
gekehrt dachte, oder dass er eine unterge- 
ordnete Nebensache als solche behandelte — 
ein Zeugnis fQr seine Unfähigkeit zur Cha- 
rakterisierung eines Tierfelles in Marmor, die 
Übrigens bei einem modernen Fälscher ebenso 
aufiallig wäre, wie bei einem alten Künstler, 
kann in keinem dieser Fälle daraus enmom- 
men werden. 

Ich rekapituliere: 

Die Fundnotiz giebt, in ihrer Allgemein- 
heit, keinerlei Anhalt für eine Beziehung des 
Reliefs zur Akademie. 

Das Relief kann keinesfalls einen »sinnen- 
den Lehrer im Kreis seiner sinnenden Schüler« 
vorstellen sollen. 

Von der behaupteten Ähnlichkeit der 
einen stehenden Figur mit Demosthenes ist 
auch nicht eine Spur vorhanden. 

Dadurch ist der Annahme einer Benutzung 
der platonischen Schülerliste des Diogenes 
Laertius und der Deutung des halbwüchsigen 
Mädchens als Axiothea von Phlius aller Boden 
entzogen. 

Die behauptete Ähnlichkeit der sitzenden 
und der zweiten stehenden Figur mit angeb- 
lichen Plato- und Aristotelesporträts be- 
schränkt sich auf allgemeine Verwandtschaft 
zwischen griechischen Köpfen des gleichen 
Lebensalters. 

Die gegen Einzelheiten der Ausführung, 
der Bewegungen, der Gewänder und des Bei- 
werkes erhobenen Bedenken sind hinfällig. 



Dass Art und Farbe des Marmors, Er- 
haltungszustand, Bildhauer- und Steinmetz- 
arbeit für den Kenner den antiken Ursprung 
des Reliefs aufser allem Zweifel stellen, lässt 
sich weder durch Worte noch durch Ab- 
büdungen beweisen. Und so bleibt nur zu 
hoffen, dass recht viele unbefangene und 
einsichtige Betrachter sich davon durch ge- 
naue Untersuchung des Originals selbst über- 
zeugen werden. • 

RICHARD SCHÖNE 



Berlin, Ende August 1894. 



Gedruckt in der Reichsdruckerei. 



TAFEL I 








ZUR BKILAGK 

DER AMTLICHEN BERICHTE 

AUS DEN KÖNIGLICHEN KUNSTSAMMLUNGEN 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE VON E. DOBBERT 2 1 I 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 
DIE WANDGEMÄLDE IN S. ANGELO IN FORMIS 

VON E. DOBBERT 
(SCHLUSS) 

Habe ich bisher zu beweisen versucht, dass die Darstellungen aus dem Leben 
Jesu in S. Angelo in Formis inhaltlich und in betreff der Komposition der byzantinischen 
AufFassungsweise entsprechen, so bleibt mir noch übrig, die Verwandtschaft in den 
Kopftypen, der Gebärdensprache, dem Kostüm , den architektonischen Hintergründen 
und der malerischen Technik darzulegen, denn erst wenn nach allen diesen Seiten 
eine Übereinstimmung erwiesen ist, steht der byzantinische Charakter der Bilder fest. 
Gedankengehalt und allgemeine Anordnung kann auch ein abendländischer Künstler 
byzantinischen Mustern entnommen haben, im übrigen aber eine spezifisch abend- 
ländische Formensprache reden; so zeigt z.B. ein lateinisches Evangeliar der Gode- 
hardskirche in Hildesheim aus dem XIII Jahrhundert in ersterer Beziehung eine starke 
Einwirkung der byzantinischen Kunst, die sich auch auf die architektonischen Beigaben, 
ja auf gewisse stehende Gebärden, namentlich den sogenannten byzantinischen Rede- 
beziehungsweise Segengestus erstreckt, hat aber in den Kopftypen, obgleich der 
Maler offenbar hier und da den verunglückten Versuch gemacht hat, auch in dieser 
Beziehung sein byzantinisches Muster nachzuahmen, sowie in der Art und Weise, wie 
die Menschen gehen, stehen, sitzen, liegen, nichts mit der byzantinischen Kunst gemein. 
Ja es giebt selbst griechische Handschriften, in deren Miniaturen byzantinische Kom- 
positionsschemata von einem abendländischen Maler im abendländischen Stil gehand- 
habt worden, so das Evangeliarium D. 6j der Bibliotheca Ambrosiana in Mailand aus 
dem XIII Jahrhundert und die Evangelienhandschrift Nr. ii8 der St. Petersburger 
öffentlichen Bibliothek aus der Mitte des XV Jahrhunderts, in welcher ein Teil der 
Miniaturen byzantinischen Ursprungs ist, die meisten aber von einem italienischen 
Maler, der sich der byzantinischen Kompositionsweise anschloss, im Renaissancestil 
ausgeführt sind.^) 

n. DIE KOPFTYPEN IN DEN WANDMALEREIEN VON S. ANGELO LN FORMIS 

Während in rein abendländischen Gemälden des frühen Mittelalters Christus 
meist jugendlich, bartlos dargestellt wird,*) erscheint er in den Scenen aus seinem 
Leben in S. Angelo in Formis als Mann in mittleren Jahren mit sehr starkem, 



*) Zu diesen beiden Handschriften vergl. meine Bemerkungen im Repert. für Kunst- 
wissenschaft Bd. XV (1892), S. 372, 373. 

') Vergl. oben S. 133, S. 156 Anm. i und Vöge, a.a.O. S. 305. 

29 



212 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



langen, über den Nacken herabwallenden Haupthaare/) mit kurzem, die Wangen und 
das Kinn umrahmenden Barte und leicht angedeutetem Schnurrbarte. Es ist der 
Christustypus der erzählenden Darstellungen der byzantinischen Kunst des XI und 
XII Jahrhunderts; denn der von Kraus in der Real-Encyklopädie der christlichen 
Altertümer II, S 24 geschilderte »dritte, byzantinisierendea Christustypus, dessen Fehlen 
in S. Angelo von demelben als einer der Beweise des abendländischen Ursprungs der 
Wandbilder beigebracht wird, ist in der byzantinischen Kunst nie ausschliefslich zur 
Herrschaft gekommen. Wohl giebt es dort, wo es sich um die feierliche Darstellung 
Christi als Pantokrator in Apsiden oder Kuppeln handelt, Christusköpfe, welche an 
»Greisenhaftigkeit, Leblosigkeit und Öde der Züge« leiden, »tiefliegende Augena zeigen 
und den Eindruck des »Grausigen« hervorbringen. Da hier Christus Gottvater ver- 
tritt, erhalten seine Züge etwas Greisenhaftes. Die Kunst strebte danach, ihm als 
dem Allherrscher den Ausdruck des Gewaltigen, des Majestätischen zu geben. Es 
handelte sich um die Darstellung des Allmächtigen, wie er in der Apokalypse 1, 8 ge- 
schildert ist: »Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht der Herr, 
der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige« (0 travTox^arw^), 

Bei diesem Bestreben führte die gewollte Strenge des Ausdruckes zum Grau- 
sigen, der gewollte Ernst zum Düsteren, die gewollte Würde zur Kälte, aber selbst 

bei der Darstellung des Panto- 
y^Vi^\ krator ist bisweilen »der Aus- 

druck Christi bei aller Würde 
mild.«^) 

Ein wesentlich anderer 
ist der byzantinische Christus 
dort, wo er in seinem Wan- 
del auf Erden geschildert 
wird. Hier tritt er uns als 
etwa dreifsigjähriger Mann mit 
ernsten aber nicht unfreund- 
lichen Gesichtszügen, kurz — 
wie in den erzählenden Bil- 
dern von S. Angelo in Formis 
entgegen (siehe Fig. 25 aus der 
»Auferweckung des Lazarus«). 
Wie so ganz anders als in dem 
von Kraus zur Kennzeichnung 
des »byzantinisierenden Typus« beigebrachten hässlichen düstern Brustbilde aus dem 
VIII Jahrhundert in der Cäciliengruft zu Rom ') erscheint z. B. Christus in dem Tauf- 
bilde der Evangelienhandschrift Nr. 66 der Berliner Königlichen Bibliothek (oben 




Nr. 25. S. Angelo in Formis. 




Nr. 26. Evangel. Kgl. ßibl. Berlin 
(Nr. 66). XILJahrh. 



*) »Nicht durch Zufall ist (in der byzantinischen Kunst) das Haar Christi in so auf- 
fällig voller breiter Lage angegeben« Brockhaus, a.a.O. S. 100. Es herrschte die Meinung, 
dass sein Haupt keine Scheere und keine Menschenhand aufser derjenigen seiner Mutter, 
und zwar nur in seinem zarten Alter, berührt habe. Nikephoros Kallistos im Handbuch der 
Malerei vom Berge Athos, deutsche Ausgabe S. 416, Anmerk. 2. 

*) Brockhaus S. 100. 

') Abbildung bei de Rossi, Roma sotterranea II, Tav.VI; Kraus, Roma sotterranea 
Taf. XII. 



VON E. DOBBERT 



213 



S. 132, Fig. 4), oder in der Scene, da er den Feigenbaum verflucht, ebenda Blatt 67 a 
(S. 212, Fig. 26) und bei der ßlindenheilung im Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510 
(oben S. 146, Fig. 11). 

Der Typus der trauernden Mutter Maria, wie er in dem Kreuzigungsbilde 
(S. 154, Fig. 18) und bei der Bestattung Jesu zum Ausdruck kommt, entspricht durch- 
aus dem byzantinischen, wie ein Vergleich dieser beiden Bilder mit der Miniatur der 
trauernden Frauen am Grabe Christi auf Blatt 96 b der Handschrift 66 der Berliner 
Königlichen Bibliothek (oben S. 145, Fig. 8) ergeben dürfte. 

Unter den Aposteln ist besonders Petrus hervorzuheben: die die Stirn um- 
gebenden kreisrunden Locken, die eingefallenen Wangen, der breite runde Vollbart*) 
lassen sich in Werken 
der byzantinischen Kunst, 
die sich hier eng an die 
altchristliche Auffassung 
angeschlossen hat, im- 
mer wieder nachweisen. 
Man vergleiche etwa die 
Petrusköpfe S. 1 30, Fig. i , 
S. 146, Fig. 10, S. 150, 
Fig. 12, S. 131, Fig. 14 
und den Petruskopf Fig. 
27 aus dem von mir für 
die Scene mit der Kana- 
näerin gehaltenen Bilde 
mit dem aus der griechi- 
schen Evangelienhand- 
schrift des XIII Jahrhun- 
derts Nr. 13, 8<> der Kö- 
niglichen Bibliothek zu Berlin Blatt 130a in Fig. 28 wiedergegebenen Petrusbilde und 
mit der Petrusgestah in der Sophienkirche zu Kijew (XI Jahrhundert)*). 

Johannes der Täufer bei der Taufe und bei der Höllenfahrt Christi mit dem 
sehr starken wilden Haupthaar und Bart und dem düsteren Aussehen entspricht durch- 
aus dem Typus des byzantinischen tt^oS^oiaoq^ wie er, um hier aus zahlreichen Bei- 
spielen nur eines hervorzuheben, auf einem Wandbilde der Sophien kathedrale in 
Kijew') sich uns darstellt. 

Der Engel in dem Bilde: »die Frauen am Grabe« (S. 159, Fig. 23) mit seinem 
lockigen, dichten, Stirn, Wange und Hals anmuthig umrahmenden Haare und den 
freundlichen Zügen ist ein echter Vertreter des byzantinischen Engeltypus. 

Der in S. Angelo immer wieder, sowohl unter den Aposteln, als auch sonst, 
namentlich auch im »Gleichnis vom barmherzigen Samariter« vertretene Typus eines 
Greises mit tief herabhängendem Schnurrbarte und langem Kinn- und Backenbarte 





Nr. 27. S. Angelo 
in Formis. 



Nr. 28. Evangeliar. Kgl. Bibliothek Berlin 
(8« Nr. 13). XUlJahrh. 



^) Auch im Handbuch der Malerei vom Berge Athos S. 293, §401 heifst es von Petrus: 
»Ein Greis mit rundem Bart«. 

*j Abbildung in dem von der Kaiserlichen Archäologischen Gesellschaft in St. Peters- 
burg herausgegebenen Werke: KiescKii Co^incidH Codop'B (die Sophienkathedrale zu Kijew) 
Taf. 36, Fig. 3. 

^) Abbildung ebenda Taf. 38, Fig. 21. 

29* 



214 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



ist, wie ein Vergleich mit mehreren Gestalten in den Mosaiken des inneren Narthex 
der Jetzigen Moschee Kachrije in Konstantinopel aus dem XI — XII Jahrhunden lehrt, 
byzantinischen Ursprungs. Unsere Fig. 30 bietet den Kopf des ersten der drei beim 
Mahle sitzenden Priester, denen Maria als Kind gezeigt wird, in der Moschee Kachrije*) 

als Gegenstück zu dem Kopfe 
des Abraham in dem Bilde 
vom reichen Manne und dem 
armen Lazarus in S. Angelo 
(Fig. 29). 

Bei der Besprechung des 
»Einzugs Christi in Jerusa- 
lem« S. 151 bemerkte ich be- 
reits, dass die an diesem Vor- 
gange beteiligten Kinder wie 
in unzweifelhaft byzantini- 
schen Werken nichts eigentlich 
Kindliches hätten, sondern wie 
kleine Erwachsene erschienen. 
In der That mischt sich in byzantinische Knabendarstellungen immer wieder ein ält- 
licher Zug. Es mag dies eine Folge davon sein, dass die byzantinischen Künstler 
bei Bildern wie »die Anbetung der Könige«, »die Muttergottes mit dem segnenden 
Christuskinde auf dem Schofse«, oder bei jener Gattung von Christusbildern, die 
man »Immanuelbilder«*) nennt, Werken also, in denen die Darstellung eines Kindes 
verlangt wurde, dem eine weit über sein Lebensalter hinausgehende Handlung oder 
repräsentierende Stellung zugemutet ward , sich gewöhnten, Kindern überhaupt einen 
ältlichen Charakter zu geben. 





Nr. 29. S. Angelo 
in Formis. 



Nr. 30. Moschee Kachrije, Konstant!- 
nopel. XI — XllJahrh. 



ffl. GEBÄRDEN, STELLUNGEN UND BEWEGUNGEN 

Bereits im ersten Teil wurde wiederholt die Gebärdensprache als mit derjenigen 
der byzantinischen Kunst übereinstimmend gestreift. Hier ist im Zusammenhange 
von derselben zu handeln. 

Ich beginne mit dem Gestus der Anrede. In frühmittelalterlichen abend- 
ländischen Werken wird hierbei, wie in der altchristlichen Kunst, häufig der soge- 



^) Nach einer Photographie. Eine Abbildung in dem oben S. 139 Anm.7 bereits genannten 
Werke Kondakoffs über die byzantinischen Kirchen Konstantinopels Taf. 37 und in desselben 
Verfassers Schrift über die Mosaiken in der Kachrije -Moschee, Odessa i88i,Taf. X. Den- 
selben Typus bietet auch die griechische Handschrift der Bibl. nat. in Paris Nr. 1208, «Die 
Predigten des Mönches Jakobus über die Jungfrau Maria«, aus dem XI Jahrhundert, El. 6ia 
in der Scene, in welcher Anna das Kind den zum Festmahl versammelten Priestern und 
Schriftgelehrten zeigt. Abbildung bei Labarte, Hist. des arts industr. Alb. II PI. LXXXVII. 

*) In Anknüpfung an Jesaias VII, 14 »Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird 
einen Sohn gebären, den wird sie heifsen Immanuel«. Die byzantinischen Immanuel-Bilder 
zeigen bald Christus als JUngling in ganzer Gestalt, bald als Kind, gewöhnlich mit der 
Schriftrolle in der Hand, in Form eines Medaillon - Brustbildes. Redin, PyKonece cb bh- 
aaHT. MHHijiT. 8*6 ÖuÖMoT, Benei^H, MHjiaHa h 4>jiopeiiipH (Handschriften mit byzant. 
Miniat. in den Bibl. zu Venedig, Mailand und Florenz), i. d. Journal des Minist, der Volks- 
aufklärung. St. Petersburg, 1891. Dezemberheft, S. 309^ 



VON E. DOBBERT 2 1 3 



nannte lateinische Segengestus, der ja nichts weiter als der andke Gestus der Anrede 
ist,*) verwendet. Der sogenannte griechische Rede- oder Segengestus, bei welchem 
der Daumen und der Ringfinger, an dessen Stelle in Kunstwerken zuweilen auch der 
Mittelfinger tritt, über einander gelegt sind, begleitet in abendländischen Werken die 
Rede nur selten. In den von Vöge zu einer Gruppe vereinigten Handschriften aus 
der Wende des I Jahrtausends findet sich nur hier und da ein Anklang daran;') 
im Egbert- Codex kommt er, wie ich glaube, infolge byzantinischen Einflusses,») 
wiederholt vor. In den Wandbildern von S. Angelo begegnet uns der »lateinische« 
Redegestus nirgends. Soweit der Zustand der Bilder es erkennen lässt, wird die Anrede 
entweder durch die ausgestreckte geöffnete Hand ausgedrückt, so bei Christus in den 
Scenen mit der Samariterin, der Ehebrecherin, dem ins Leben zurückgerufenen Lazarus 
(S. 212 Fig. 25) u. s. w., oder durch den »griechischena Gestus, so bei dem in Jeru- 
salem einziehenden Christus (S. 156 Fig. 12) und bei Johannes dem Täufer in dem 
Bilde der Höllenfahrt Christi (S. 158 Fig. 21). Hier bedeutet der Gestus, wie immer 
wieder in der byzantinischen Kunst, zugleich ein Hinweisen auf Christus.*) Wiesehr 
die Gestalt und Gebärde Johannes' des Täufers in dem Anastasis- Bilde in S. Angelo 
dem byzantinischen. Typus entspricht, lehrt ein Vergleich mit dem Johannes in der 
betreffenden Miniatur der Evangelienhandschrift Urbin. Nr. 2 aus dem Jahre 1128, in 
der Vaticana Bl. 260*) und mit dem Prodromos in der oberhalb des jüngsten Ge- 
richtes in Torcello befindlichen Anastasis.*) 

Die beiden soeben geschilderten Arten der Anrede finden sich bereits in den 
Mosaiken von S. Apollinare nuovo zu Ravenna , wo aber der griechische Gestus vor- 
wiegt, und sodann immer wieder in byzantinischen Bildern; es sei hier nur auf ihr 
abwechselndes Vorkommen im Berliner Evangeliarium Nr. 66 hingewiesen. Vergl. 
S. 132 Fig. 4 und S. 212 Fig. 26. 

Wo es der besondere Sinn der Rede verlangt, werden in S. Angelo natürlich 
auch andere Gebärden geboten. So greift z. B. bei der »Fufswaschung« (S. 151 Fig. 14) 
Petrus nach seinem Kopfe, indem er die Worte spricht: »Herr [dann] nicht blofs 
meine Füfse, sondern auch die Hände und das Haupt«, eine Gebärde, die, wie 
bereits S. 151 betont wurde, für die byzantinische Darstellung dieses Gegenstandes 
typisch ist. So macht Christus in der Scene, die ich für das Gespräch mit dem 
kananäischen Weibe halte (vergl. oben S. 147) mit der nach aufsen geöffneten Linken 
eine abwehrende Bewegung, doch wohl zur Begleitung der Worte, Matthäus XV, 26: 



^) Apulejus Metam. II 39 (bei de Waal »Gestus« in Kraus* Real - Encyklopädie der 
christlichen Altertümer I, 601): »porrigit dexteram et ad instar oratorum conformat articulum, 
duobus infimis conclusis digitis, ceteros eminentes porrigit et infesto pollice infit«. 

*) Vöge, a. a. O. S. 292. 

>) Vergl. meine Bemerkung in den Gott. gel. Anzeigen 1890. S. 880, 881. 

*) Siehe im ersten Teil dieser Abhandlung S. 158 und die Stelle im Malerbuche vom 
Bei^e Athos S. 207, wonach der Vorläufer auf Christus zeigt. Nach dem apokryphen Evan- 
gelium des Nikodemus (Kap. XVIII), welches den byzantinischen Darstellungen der Höllen- 
fahrt Christi wesentlich zu Grunde liegt, hat Johannes der T9ufer in der Hölle die Ankunft 
Christi geweissagt. Siehe AinalofFund Redin, KieBo-Co^iHCRu Codop'b (Die Sophien- Kathe- 
drale in Kijew), St. Petersburg 1889, S. 92. 

^) Abbildung bei d*Agincourt, Malerei, Taf. LIX Fig. 6. 

*) Abbildung bei Jessen, Die Darstellung des Weltgerichts, Taf. I; Clausse, Les monu- 
ments du christianisme au moyen-üge. Basiliques et mosaiques chretiennes, Paris 1893, II, 
145, und danach i. d. Revue de Tart ehret., 5. serie, V (1894) p. 158. 



2l6 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



»Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die 
Hunde!« 

In der Erhebung der Rechten, wie wir sie bei dem Hauptmann in dem Kreuzi- 
gungsbilde von S. Angelo finden, dürfen wir eine Gebärde des Verehrens, des Gott- 
preisens sehen. Lukas XXIII, 47: »Da aber der Hauptmann sah, was da geschah, 
pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!« Dem- 
entsprechend giebt das Malerbuch vom Berge Athos (Deutsche Ausgabe S. 204 § 300) 
die Vorschrift: »Und der heilige Longinus, der Hauptmann, schaut auf Christus, häk 
seine Hand erhoben und preist Gott«. Die Erhebung der Rechten, »so dass dem 
Gesichte die innere Handfläche zugekehrt blieb«, also wie in unserem Bilde, findet 
sich häufig als Zeichen der Verehrung von Göttern im griechischen Altertum.^) Die 
Gestalt des Gott preisenden Hauptmannes, der nach dem Vorgange des apokryphen 
Evangeliums des Nikodemus wiederholt als Longinus bezeichnet wird, findet sich 
immer wieder auf byzantinischen Kreuzigungsbildern und zwar an derselben Stelle, 
rechts vom Kreuze, sowie in derselben Haltung, in der Linken den Schild, die Rechte 
erhebend, wie in S. Angelo.*) Zum Vergleich nenne ich die Longinus - Gestalten in 
dem Wandgemälde der Sophienkirche zu Kijew,^) dem Mosaikbilde in der Kirche zu 
Monreale*) sowie demjenigen in S.Marco zu Venedig*) und auf der Zellenschmelz- 
platte aus dem X Jahrhundert in der Reichen Kapelle zu München.^) Wie so ganz 
sich der Urheber des Wandbildes in S. Angelo an das byzantinische Schema hielt, 
geht daraus hervor, dass er seinem Longinus die typische zurückgeworfene Kopf- 
haltung gab, die in den betreffenden Bildern durch die tiefere Stellung des zu Christus 
emporschauenden Hauptmannes begründet, hier aber, wo sein Kopf mit demjenigen 
Christi in einer Linie liegt, nicht recht am Platze ist. In der spezifisch abendländi- 
schen frühmittelalterlichen Kunst fehlt diese Gestalt.^) Wenn wir sie später auch in 
abendländischen Kunstwerken, wie im Hortus deliciarum (links vom Kreuze,^) im 
Evangelienbuche zu Goslar, im Altargemälde aus Soest im Berliner Museum,') in den 
Kreuzigungsreliefs Niccolo Pisanos und seiner Schule antreffen, so erklärt sich dies 



*) Vergl. Baumeister, Denkm. d. klass. Altert. I. 592. 

^) Auch Pokrowski, S. 379, erwähnt dieser Übereinstimmung. 

äj Abbildung in dem Werke der Petersb. Arch. Gesellsch. über die Sophienkirche 
Taf. 29, Fig. 16 und bei Graf Tolstoi und Kondakoff, PyccKin ^pcbhocth b-b naMHTHBKaxi. 
flCKyccTBE (Russ. Altertümer in Denkm. d. Kunst) IV, S. 139 Fig. 115. 

*) Abbildung bei Gravina Tav. 20 A. 

^) Abbildung bei Ongania, Bd. I (gross Folio) Tav. XVI. 

^) Abbildung bei Becker und von Hefner -Alteneck, Kunstwerke und Gerätschaften 
des Mittelalters und der Renaissance II (1875), Taf. 40. 

^j Vergl. Vöge, S. 250. Oft wird auch der Mann, der die Seite des gekreuzigten 
Christus mit dem Speere durchbohrt, ebenfalls auf Grund des Nikodemus -Evangeliums (vergl. 
Pokrowski 361 — 363), Longinus genannt. Diese Gestalt findet sich oft auf abendländischen 
Kreuzigungsbildern. 

^) Abbildung in d. Gazette arch. 1884, PI. 9 und bei Lübke, Geschichte der Deutschen 
Kunst, S. 289 Fig. 259. 

^j Abbildung bei v. Quast und Otte, Zeitschrift für christl. Archäol. und Kunst II, 
Taf. 15; Aldenkirchen, Die mittelalterliche Kunst in Soest, Taf. VIII; Heeremann Freiherr 
von Zuydwyk, Die älteste Tafelmalerei Westfalens; Janitschek, Gesch. d. deutsch. Mal., Tafel 
zu S. 161. (Zu dem starken byzantinischen Einfluss in diesem Gemälde vergleiche meine Be- 
merkung in den Gott. gel. Anzeigen. 1890 S. 881.) 



VON E. DOBBERT 2 1 7 



durch Anlehnung an byzantinische Muster auch in solchen Fällen, wo, wie bei den 
Pisani, in stilistischer Beziehung eine unbedingte Unabhängigkeit von diesen Mustern 
besteht.^) 

Das Sichniederlassen auf ein Knie als Gebärde der Verehrung findet sich, wie 
wir bereits oben S. 153 sahen, bei der »Verspottung Christi«, hier freilich in höhnendem 
Sinne gemeint. Dasselbe Motiv bietet, wie ebenfalls schon hervorgehoben wurde, die 
entsprechende Scene in S. Marco zu Venedig. In ernst gemeintem Sinne trat uns die- 
selbe Art des Knieens bei Petrus in der Verklfirungsscene (S. 135 Fig. 6) entgegen, 
wobei schon angedeutet wurde, dass das Motiv an dieser Stelle in der byzantinischen 
Kunst typisch sei. Auch in anderen Scenen ist es anzutreffen , so z. B. bei zweien 
der demütig vor dem Kaiser Basilius II am Boden liegenden Gestalten im Psalter des 
X — XI Jahrhundens in der S. Marco -Bibliothek zu Venedig, Ms. gr. 17.^) 

Dass das unterwürfige Ambodenliegen, wie wir es in der fraglichen Scene mit 
der Kananäerin, bei der Auferweckung des Lazarus und beim Gebete auf Gethsemane 
sehen, für die byzantinische Darstellungsweise besonders bezeichnend ist, lehren byzan- 
tinische Kunstwerke immer wieder. Wohl finden wir dieses Motiv auch in der früh- 
mittelalterlichen abendländischen Kunst, doch tritt es im Abendlande , wohin es viel- 
leicht unmittelbar aus der altchristlichen Kunst, eher aber, wie ich glaube, aus der 
frühesten byzantinischen gedrungen ist, seltener auf. 

Von den Gebärden der Trauer und des Grames in unseren Wandbildern lässt 
sich wohl keine ausschliefslich für die byzantinische Kunst in Anspruch nehmen, doch 
ist auch keine darunter, die nicht in unzweifelhaft byzantinischen Kunstwerken ver- 
treten wäre. Von dem Pressen der Rechten an die Wange und jener Haltung der 
Hände, bei welcher die Rechte das Gelenk der Linken umfasst, war schon bei der 
Kreuzigung S. 155 die Rede. Die An, wie zwei Frauen auf demselben Bilde und 
Johannes bei der Grablegung die mit dem Gewände bedeckte Hand zum Auge führen, 
um die Thronen zu trocknen , kommt auf byzantinischen Bildern wiederholt vor. Es 
sei hier nur auf den Johannes bei der Kreuzabnahme im Berliner Evangeliar Nr. 66, 
Blatt 256 b und die hinter der Mutter Maria stehenden Frauen bei der Kreuzigung der 
Evangelienhandschrift Nr. 11 56 in der Vaticana*) hingewiesen. 

In den Gesichtern hat der Künstler den Schmerz mehrfach durch jenes Mittel 
ausgedrückt, dessen sich der Urheber des antiken Niobekopfes bediente: wie bei der 
Niobe sehen wir bei der Maria in dem Kreuzigungsbilde und in der »Grablegung« 
die Linie der Augenbrauen nach der Nase hin in die Höhe gezogen, während sie 
nach aufsen hin sich übers Auge herabsenkt,^) ein Motiv, das man nicht selten an 
antiken tragischen Masken und wiederholt in der byzantinischen Kunst, so z. B. bei 
der Mutter Maria in der Kreuzigung auf Bl. 30 b des Pariser Gregor von Nazianz 
Nr. 510*) antrifft. Bis zur Verzerrung ist dieser Zug in der von Tikkanen in die kunst- 
geschichtliche Litteratur eingeführten Klimax -Handschrift Nr. 1754 der vatikanischen 



^) Vergl meine Schrift Über den Stil Niccolo Pisanos und dessen Ursprung, S. 43 
und 46. 

') Abbildung bei d'Agincourt, Taf. XLVll, Fig. 5; Labarte, Hist. des arts ind., 
Taf. 85. 

5) Abbildung bei d'Agincourt, Taf. LVII; Rohault de Fleury, La S. Vierge, PL XLVIII. 

*) Vergl. Friederichs, Bausteine zur Geschichte der griechisch-römischen Plastik, neu 
bearbeitet von Wolters 1885, S. 434. 

5) Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile II P. LXXXVIIl. 



2 1 8 Ztm BYZANTINISCHEN FRAGE 



Bibliothek aus dem XI — XII Jahrhundert zum Ausdruck des selbstquälerischen Grü- 
belns, der Reue, des Jammers gesteigert.^) 

Ferner ist der Ausdruck der Wehmut durch die sanfte Neigung des Hauptes, 
wie wir sie bei Johannes, den Frauen und den Engeln in der »Kreuzigung« (S. 154, 
Fig. 18) und bei dem in Jerusalem einziehenden Christus (S. 150, Fig. 12) finden, echt 
byzantinisch.') 

Auf das Erheben der Arme als Gebärde der Verzweiflung bei dem bethlehemi- 
tischen Kindermorde in S. Angelo und in der Moschee Kachrije zu Konstantinopel 
habe ich bereits auf S. 139 hingewiesen. 

Für die Gebärde des Nachsinnens bei Petrus im »Abendmahl«, wo er die Rechte 
mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Kinn geführt hat, bieten byzantinische Kunstwerke 
so manche Beispiele.*) Das Motiv findet sich bereits in der Cottonbibel aus dem 
V— VI Jahrhundert im britischen Museum Otho B VI.*) Es stammt aus dem griechi- 
schen Altertum, welches das in sich gewendete Nachsinnen dadurch ausdrückte, dass 
die Hand ans Kinn gelegt wurde.*) 

Als Gebärde des Staunens ist zu erwähnen die senkrechte Haltung der vor der 
Brust nach aufsen geöffneten Rechten bei Petrus in der Scene mit der Samariterin 
(s. o. S. 142). Damit stimmt z. B. überein die Art, wie Petrus in derselben Scene im 
Pariser Evangeliar Nr. 74 staunend die Linke, und die beiden Begleiter Josephs in dem 
Mosaikbilde, auf welchem Joseph Maria beschuldigt, in S. Marco zu Venedig die 
Rechte erheben.') 

Wie in den entsprechenden byzantinischen Werken, so hält Christus auch in 
S. Angelo in Formis, wo es die Situation nur irgend gestattet, die zugedrehte Schrift- 
rolle als Hinweis auf sein Lehramt in der Linken. Soweit der Zustand der Wand- 
bilder es erkennen lässt, fehlt die Rolle nur in den Scenen mit der Samariterin und 
der Ehebrecherin, vielleicht beim Abendmahle und sodann in denjenigen Scenen (ins- 
besondere der Passion), in denen beide Hände durch die Handlung oder die Situation 
in Anspruch genommen sind. Welch ein Gewicht auf die Anbringung der Rolle ge- 
legt wurde, scheint daraus hervorzugehen, dass in dem von mir für die Scene mit 
der Kananäerin gehaltenen Bilde, in welchem die Linke Christi für die Gebärde der 
Abweisung in Anspruch genommen wurde, die Schriftrolle ihm in die Rechte gegeben 
ward. Auch beim »Judaskuss« hält Christus, wie ich sicher glaube, in der Rechten 
die Rolle, wenn dieselbe auch bei der Schadhaftigkeit der betreffenden Stelle des 
Originales in Fig. 16 auf S. 153 nicht gezeichnet werden konnte. Es ist eben die 
SchrifcroUe in unseren Bildern, wie in der byzantinischen Kunst überhaupt, gleichsam 
die unzertrennliche Gefährtin Jesu. Auch in der frühmittelalterlichen abendländischen 
Kunst kommt die Rolle in derselben Bedeutung vor, aber doch viel seltener, wie 
aus der hierher gehörenden Zusammenstellung bei Vöge S. 302 zu ersehen ist. Im 



M Tikkanen, Eine illustrierte Klimax -Handschrift der vatikanischen Bibliothek, i. d. 
Acta societatis scientiarum Fennicae, Tom XIX, Nr. 2, HelsingforsiSgo, mit Abbildungen. 

^} Vergl. die Kopfhaltung des Johannes oben auf S. 1 56 Fig. 20 und diejenige Christi 
beim Einzug in Jerusalem in dem Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510. Abbildung bei Po- 
krowski S. 253, Fig. 125. 

^) Siehe Tikkanen: Die Genesismosaiken in Venedig und die Cottonbibel S. 140. 

*) Abbildung ebenda. Taf. IX , Fig. 69. 

^) Siehe Baumeister, Denkmäler d. klass. Altertums 1 , 589. 

«) Abbildung bei Ongania Bd. III (klein Folio) Taf. XLIII. 



VON E. DOBBERT 



219 




^c./ 



No. 31. S. Angelo 
in Formis. 




N0.32. Sophien-Kathe- 
drale in Kijew. XI Jahrh. 



Abendlande ist oft die Rolle durch das Buch ersetzt, wie z.B. im Egbert -Codex, in 
dem Hildesheimer Evangelienbuche des Bischofs Bernward und in der Evangelien- 
handschrift zu Brescia. In S. Angelo hält Christus nur, wo er als Knabe im Tempel 
redet, das Buch. 

Ein in S. Angelo wiederholt anzutreffendes Motiv, das nach meinen Erfahrungen 
auch wieder für den byzantinischen Charakter der Bilder spricht, ist das Hervorragen 
der rechten Hand aus dem den Arm an seiner unteren Seite eng umschliefsenden 
Mantel, jene Verhüllung des rechten Armes, 
die sich an antiken Rednerstatuen oder an 
Gestalten in der Stellung eines Redners, 
wie der berühmten Sophokles- Statue im 
Lateran, findet und den Jungen sich noch 
übenden Rednern geboten war, damit sie 
sich der lebhaften Gestikulation enthielten 
und sich an Ruhe gewöhnten.*) Diese 
Armhaltung bieten in S. Angelo : Petrus in 
der Scene mit der Ehebrecherin; derselbe 
Jünger und sein greiser Nachbar bei der 
Auferweckung des Lazarus; der eine der 
Jünger beim Gange nach Emmaus ; Christus, 
wo er den Jüngern am See von Tiberias er- 
scheint (Fig. 31). Aus der byzantinischen 
Kunst lassen sich zahlreiche Beispiele für 
dieses auch auf altchristlichen Reliefs häufig 
anzutreffende Motiv beibringen. Es findet 

sich mehrfach in den Mosaiken von St. ApoUinare nuovo und an der Kathedra des Maxi- 
mian zu Ravenna, im syrischen Evangelium des Rabula in der Laurentiana zu Florenz, 
häufig in den Wandbildern der Sophienkirche zu Kijew, so z. B. bei Joseph, da wo 
der Hohepriester der Maria den Purpur und die Wolle übergiebt (Fig. 32)'), in den 
Mosaiken der Kirche zu Monreale, in denjenigen der Kachri je -Moschee in Konstanti- 
nopel, immer wieder in byzantinischen Miniaturen, wie z. B. bei einem der Apostel 
in der Darstellung der Fufswaschung auf Bl. 6 b des Evangelienfragments der Peters- 
burger öffentlichen Bibliothek Nr. 21 aus dem VIII oder IX Jahrhundert, wiederholt 
in dem Pariser Gregor von Nazianz No. 510, in dem Evangeliar der Berliner König- 
lichen Bibliothek No. 66, auf Bl. 263 der griechischen Bibel aus dem XI Jahrhundert 
in der Vatikanischen Bibliothek zu Rom, Reg. graec. No. 1') u. s. w. Nicht zufällig 
dürfte es sein, dass wir dieses Motiv gleichfalls in solchen abendländischen Werken 
antreffen, bei denen auch sonst sich byzantinischer Einfluss nachweisen lässt, so z.B. 
bei Joseph in dem Bilde: »Christus im Tempel lehrend« und bei dem einen Jünger 
in der »Heilung der Schwiegermutter des Petrusa im Egbert- Codex*), einige mal in 

*) Vergl. Müller bei Baumeister, Denkm. d. klass. Altert. 111, 1829, und die daselbst ab- 
gebildete Mantelfigur nach Becker, Augusteum N. CXVII, sowie die Stelle bei Cicero pro 
Cael. 5,11: »nobis quidem olim annus erat unus ad cohibendum bracchium toga con- 
stitutus«. 

^) Nach der Abbildung in dem Werke der St. Petersburger Arch. Gesellsch. über die 
Sophienkirche in Kijew, Taf. 28, Fig. 10. 

3) Abbildung bei Beifsel, Vatikanische Miniat. Taf. XIII. 

*) Abbildung bei Kraus, Taf. XVII u. XXII. 

30 



220 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



den Wandbildern auf der Reichenau ^), bei dem einen Jünger in der »Auferweckung 
des Lazarus« auf Bl. 17a des Evangelistariums No. i in Karlsruhe*), wiederholt im 
Hortus deliciarum und im Antiphonarium von St. Peter zu Salzburg, bei dem Apostel 
Petrus in dem Mosaikbilde der Apsis in S. Maria in Trastevere zu Rom vom Jahre 
1140'), bei den Aposteln Petrus und Jacobus in dem von de Rossi der zweiten Hälfte 
des XII Jahrhunderts zugeschriebenen Mosaikbilde der Apsis in S. Maria nuova (gegen- 
wärtig S. Francesca romana) zu Rom*), bei Joseph in dem Mosaikbilde der Anbetung 
der Könige von Cavallini in S. Maria in Trastevere in Rom *) u. s. w. Auch ist es für 
unsere Frage von Bedeutung, dass das Motiv des verhüllten Armes sich mehrfach bei 
Duccio findet*), dessen künstlerische Entwickelung von der byzantinischen Kunst 
ihren Ausgang genommen hat, und dessen Werke, trotz der in ihnen enthaltenen 
eigenartigen Züge, sich vielfach in der Anordnung, der Gebärdensprache, den Kopf- 
typen an das byzantinische Schema anschliefsen. So ist es denn auch nicht zu ver- 
wundern, dass manche seiner Darstellungen aus dem Leben Jesu an seinem grofsen 
Altarwerke in Siena, wie die »Fufswaschung«, »die Höllenfahrt«, »die Frauen am 
Grabe«, eine nahe Verwandtschaft mit unseren Wandbildern zeigen. 

Wie ich S. 130, 131 die Abendmahlsdarstellung in S. Angelo in Formis inhalt- 
lich und dem allgemeinen Kompositionsschema nach aufs entschiedenste für die by- 
zantinische Kunst in Anspruch nehmen musste, so bietet dieses Bild auch bezüglich 
der Art, wie Christus und der Nachbar des rechts vorne sitzenden Petrus auf dem 
Ruhebette liegen, rein byzantinische Eigentümlichkeiten dar. Das an die spätantike 
Sitte sich anschliefsende Zutischeliegen^ wobei das Haupt der Tischgesellschaft den 
Platz an dem linken Ende des Sigma einnimmt/) wird von der byzantinischen Kunst, 
im Unterschiede von der rein abendländischen, bei der Darstellung der biblischen 
Mahle, insbesondere des Abendmahles Christi, von der Frühzeit, dem V — VI Jahr- 
hundert an das ganze Mittelalter hindurch festgehalten. Es sind Ausnahmen, wenn 
Christus, immer aber an der linken Ecke der halbkreisförmigen Tafel, sitzend ange- 
ordnet ist. Ein Vergleich der S. 130 gegebenen Abbildungen Fig. i und Fig. 2 erweist 
die nahe Verwandtschaft unseres Bildes mit dem Abendmahlsbilde im griechischen 
Psalter vom Jahre 1066 des Britischen Museums auch bezüglich der besonderen Art 
und Weise, wie Christus und sein Gegenüber sich hingelagert haben. Der einzige 
Unterschied besteht darin, dass der Christus in der Miniatur die Füfse gekreuzt hat, 
während derjenige des Wandbildes das linke Bein etwas in die Höhe gezogen und 
den linken Fufs nicht unter das rechte Bein gesteckt hat. Diese Haltung findet 
man bei dem Christus im Abend mahlsbilde des Evangeliars zu Gelati,*) in welchem 
auch, wie in unserem Gemälde, Petrus vor der rechten Ecke des Sigma auf einem 
besonderen Sitze angeordnet ist. In derselben Weise wie zum Abendmahle hatte sich 



^) Abbildungen bei Kraus, die Wandgem. i. d. S. Georgskirche, Taf. IV, V, XIV. 

^) Abbildung bei Lübke, Gesch. d. deutschen Kunst, S. 296, Fig. 266. 

*) Abbildung bei de Rossi, Musaici cristiani, Fase. VII. 

*) Abbildung ebenda, Fase. I. 

•'^i Abbildung ebenda, Fase. VII und bei Salazaro, Parte II. 

***) Vergl. meine Beiträge zur Gesch. d. ital. Kunst gegen Ausgang des Mittelalt. (Sonder- 
abdruck aus Dohmes Kunst u. Künstler), S. 106. 

') Siehe meine Abhandlung Über das Abendmahl Christi im Repert. für Kunstwissen- 
schaft XIV, 186 f. 

*) Abbildung im Repert. für Kunstwissenschaft XV, S. 368, Fig. 37. 



VON E. DOBBERT 221 



Christus (in S. Angelo) auch zum Mahle bei dem Pharisäer an dem Sigma niederge- 
lassen. Die abweichende Haltung des rechten Beines ist durch die Handlung, das 
Salben, motiviert. 

Was die Darstellung des Gehens betrifft, so findet man bei einigen Gestalten 
unserer Bilder jene übliche Stellung, bei welcher das Gewicht des Körpers wesent- 
lich auf dem einen, fest auf den Boden auftretenden Fufse ruht, während der andere 
Fufs nur mit der Spitze den Boden berührt, so bei Petrus im »Einzug Christi in 
Jerusalem« (S. 150, Fig. 12), dem fortgehenden Pharisäer (der rechten Eckfigur) in dem 
Bilde mit der Ehebrecherin, dem Priester in dem Gleichnis vom barmherzigen Sa- 
mariter, Christus und Simon von Kyrene bei der Kreuztragung; die meisten schrei- 
tenden Gestalten berühren aber gleichmäfsig mit den Spitzen beider Füfse den Boden, 
ein keineswegs schönes Motiv, das sich aber neben der zuerst geschilderten norma- 
leren Weise in byzantinischen Werken oft findet, so z.B. wiederholt in den Wand- 
bildern der Sophienkirche zu Kijew, aus deren einem die in Fig. 32, S. 219 mitgeteilte 
Gestalt Josephs mit dem Christus in der Scene, da er den Jüngern am See von Ti- 
berias erscheint (S. 219, Fig. 31) und den zahlreichen sonstigen hierher gehörenden 
Gestalten in S. Angelo verglichen werden möge. Vielfach sieht man diese Art des 
Schreitens auch in den Mosaiken der jetzigen Moschee Kachrije in Konstantinopel, 
der Kirche zu Monreale, der S. Marco -Kirche zu Venedig u. s. w. 

Eine in byzantinischen Werken häufig anzutreffende Bewegung ist diejenige des 
raschen Foneilens, wobei das eine Knie stark gebogen wird, während der andere 
Fufs auswärts gestellt ist. In Fig. 16, S. 153 ist der so dahineilende Mann, der den 
von Judas verrathenen Christus an dem linken Handgelenke ergriffen hat, der ent- 
sprechenden Gestalt in der Miniatur des Psalters der Königin Melisenda (Fig. 17) be- 
züglich dieses Bewegungsmotivs sehr ähnlich. Dieselbe Bewegung findet man u. a. bei 
dem Fackelträger im »Judaskuss« und bei dem Manne, der Christus gefangen fortführt, 
in dem Evangeliar Nr. 11 56 der Vaticana,*) sowie oft in den Mosaiken zu Monreale. 

Überhaupt ist das stürmische Tempo der Bewegung, wo es der Gegenstand 
irgend erlaubt, für die byzantinische Kunst bezeichnend. Dass auch in dieser Beziehung 
die Wandbilder in S. Angelo byzantinisch sind, wurde bereits bei der Besprechung 
der Taufe Christi S. 132 und der Gefangennahme Jesu S. 152 angedeutet. 

Beim Stehen derjenigen Gestalten, die sich nur wenig seitwärts wenden, sind die 
Füfse meist auswärts gesetzt, so bei Christus in der »Taufe« (S. 132, Fig. 3), der »Auf- 
erweckung des Lazarus« (S. 212 Fig. 25), in der Scene mit der Kananäerin und in dem 
Verhöhnungsbilde; bei Johannes dem Täufer in der »Rede über die Axt«; bei dem einen 
Räuber und bei dem Wirt der Herberge in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter. 
Daneben aber findet sich bei Gestalten, die stark nach der Seite gerichtet sind, eine 
Stellung, welche der oben gekennzeichneten zweiten Art des Gehens insofern ent- 
spricht, als die betreffenden Gestalten auch hier nicht fest auftreten, sondern bei 
paralleler Stellung der Füfse auf den Fufsspitzen zu stehen scheinen. Dazu kommt 
in der Regel eine gewisse Biegung der Kniee. Hierher gehören: der Blinde am Brunnen 
(S. 146, Fig. 10), Christus bei der Fufswaschung (S. 151, Fig. 14), der Diener, der dem 
Pilatus das Wasser über die Hände giefst, der vor dem sitzenden Greise stehende 
Mann in dem Bilde der Gefangennahme Jesu, die Ehebrecherin. Dass der Künstler 
hier einem gegebenen Schema folgte, nicht aber aus künstlerischem Unvermögen so 
verfuhr, folgt daraus, dass er dem Greise (links) in der »Grablegung Christi«, der in 



^) Abbildung bei d'Agincourt, Mal. Taf. LVII, Fig. 4 u. 5. 

30* 



222 



ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



demselben Mafse, wie die soeben genannten Gestalten, seitwärts gewendet ist, eine 
ungezwungene Stellung der Füfse gab , so dass der linke fest auftritt , der rechte aber 
mit der Spitze den Boden berührt. Für jenes Schema aber lassen sich auch wieder 
zahlreiche Beispiele aus der byzantinischen Kunst beibringen. Man vergleiche etwa 
die Stellung des David in dem Bilde seiner Salbung in der griechischen Bibel (XI Jahr- 
hundert) der Vaiicana Reg. graec. i ^) mit derjenigen des Blinden am Brunnen in 
S. Angelo (S. 146 Fig. 10). Ferner wären hier u. A. zu nennen: Simeon in der »Dar- 
stellung des Christuskindes im Tempel« auf Bl. 1 37 des Pariser Gregor von Nazianz 
Nr. 510,*) Maria in der »DarsteUung des Christuskindes im Tempel« sowie Johannes 
der Täufer und Maria im »Jüngsten Gericht« , Wandbildern aus dem XII Jahrhunden 
in der Kirche des ehemaligen Neredizki - Klosters in der Nähe von Nowgorod,') die 
Mutter Maria bei der Kreuzigung in der Sophienkirche zu Kijew,*) die Magd, gegen- 
über welcher Petrus Christus verleug- 
net, ebenda,*^) Maria in der Miniatur 
des Jüngsten Gerichtes auf Bl. i lob und 
I iia des griechisch-lateinischen Psalters 
aus dem XIII Jahrhundert, zur früheren 
Hamilton -Sammlung gehörend, gegen- 
wärtig im Berliner Kupferstichkabinet 
(Fig.34.'*) Vergl. in Fig. 33 die Fufsstel- 
lung der Ehebrecherin in S. Angelo.') 

Doch nicht auf solche Einzelhei- 
ten beschränkt sich die Übereinstim- 
mung der Stellungen und Bewegungen 
in S. Angelo mit denjenigen in unzwei- 
felhaft byzantinischen Werken. Es ist 
eine gewisse Weichheit und Abrundung 
in der Art, wie die Gestalten stehen, 
gehen, ihre Arme und die nicht, wie in 
frühmittelalterlichen abendländischen Werken meist zu grofsen Hände halten, ein 
von der byzantinischen Kunst bewahrtes antikes Erbteil, das wir in S. Angelo trotz 
vieler Verzeichnungen immer wieder antreffen, das aber der frühmittelalterlichen abend- 
ländischen Kunst im allgemeinen abgeht.*) 

\) Abbildung bei Beifsel, Vatikanische Miniaturen, Taf. XIII. 

^) Abbildung bei Rohault de Fleury, L*Evangile I, PI. XV, Pokrowski S 104, Fig. 53. 

*) Abbildungen bei Pokrowski, CT-bHHHH pociiiicu B'b ;ipeBiiHX'i» Äpamaxi» rpei. n 
pyccK. (Wandmalereien in alten griechischen und russischen Kirchen) in den Arbeiten des 
7. (russischen) archäologischen Kongresses in Jarosslaw 1887. Bd. 1, Moskau 1890, Taf. V. 

*) Abbildung a. a. O., Taf. 29, Fig. 16 und bei Graf Tolstoi und Kondakoff, a. a. O. 
S. 139, Fig. 115. 

*) Abbildung in dem Werke über die Sophienkirche, Taf. 39 Fig. 23. 

*) Abbildung der ganzen Miniatur bei Voss, Das jüngste Gericht in der bild. Kunst 
des frühen Mittelalt., Taf. I. 

') Nachträglich (zu S. 143 — 145) kann ich zwei byzantinische Miniaturen aus dem 
XI und XII Jahrhundert nennen, wo die Ehebrecherin neben dem sitzenden Christus steht: 
I. im Evangel. der Laurentiana Plut. VI, Cod. 23, Bl. 184b (freundliche Mitteilung des Herrn 
Dr. Tikkanen), 2. im Evangeliar zu Gelati, Bl. 244 (nach Pokrowskis Abhandlung über diese 
Handschrift S. 49). 

^) Vergl. Lamprecht, a. a. O. Anmerk. i zu S. 95. 




t^^-i^' 



Nr. 33. 
S. Angelo in Formis. 




Nr. 34. Griech. - lat. Psalter. 

Kgl. Kupferstichkabinet 

Berlin. XUI Jahrh. 



VON E. DOBBERT 223 



IV. KLEIDUNG 

Dass die Behandlung des Kostüms in den Wandbildern von S. Angelo der 
byzantinischen Übung entspricht, ist wohl von niemandem bestritten worden. Auch 
Kraus (S. 98) giebt hier byzantinische Einflüsse zu. 

Christus, die Apostel, die Propheten in den Zwickeln über den Säulen, mit 
Ausnahme Daniels, die Engel tragen in antikisierender Weise, wie stets in der byzan- 
tinischen Kunst, die weite, lange Tunika mit breiten Ärmeln und darüber einen 
Mantel in der An des griechischen Himation, der je nach der Situation bald beide 
Schultern bedeckt, bald den rechten Arm freilässt. Finden wir bei den heiligen Ge- 
stalten der frühmittelalterlichen abendländischen Kunst im allgemeinen dieselbe Klei- 
dung, so ist die in S. Angelo häufig anzutreffende Ausschmückung der Tunika und 
zuweilen auch des Mantels mit einem oder zwei Streifen, die sich quer um den Ärmel *) 
und an dem übrigen Gewände senkrecht herabziehen, ein besonderes Merkmal der 
byzantinischen Darstellungsweise.*) 

Bei den übrigen Männergestalten ist der byzantinischen Tracht, wie sie sich 
allmählich seit Konstantin ausgebildet hatte, Rechnung getragen. So findet sich wieder- 
holt der auf der rechten Schulter befestigte Schuliermaniel , das »Sagum« oder das 
»Paludamentum«, bald mit, bald ohne Rand Verzierungen, über der Tunika, die bei 
dem einen Pharisäer in dem Bilde mit der Ehebrecherin, sowie bei dem Krieger 
auf der linken Seite des Kreuzigungsbildes und den Königen David und Salomon in den 
Zwickeln über den Säulen, der herrschenden Mode entsprechend, reiche Randver- 
zierungen zeigt. Bei den drei zuletzt genannten Gestalten lässt der kurze Rock, unter 
welchem sich noch ein engärmeliges Gewand befindet, die Beinbekleidung sehen: eng- 
anliegende Hosen und hohe Stiefel, bei David und dem Krieger Schnürstiefel, alles 
der byzantinischen Sitte und byzantinischen Kunstdarstellungen entsprechend. An 
dem Mantel eines der Männer, die bei dem Einzug Christi in Jerusalem ihm ent- 
gegenschreiten, scheint der Klavus, jenes reich ornamentierte, viereckige Stück Zeug 
angedeutet zu sein, welches je nach Farbe und Ornament ein Hauptabzeichen des 
Beamtenranges war.'*) Wenn wir an dem mehrfach genannten Greise rechts in dem 
Bilde der Gefangennahme Christi einen mit einem Kreisornament vollständig be- 
deckten Mantel sehen, so entspricht dies auch einer byzantinischen Mode, die seit 
dem X Jahrhundert aufkam.*) Den kreisförmigen Verzierungen an den Hosen Salo- 
mons sind diejenigen an den enganliegenden Beinkleidern des greisen Königs in der 
»Anbetung der Magier« , einer Miniatur auf Blatt 272 des Menologiums in der Vati- 
cana Nr. 161 3 aus dem XI Jahrhundert, ähnlich.*) Der Mann, der den von Judas ver- 
ratenen Christus am linken Arm ergriffen hat, hält, wie es scheint, einen Bogen in 
der Hand, eine Waffe, welche, im Gegensatze zu der älteren byzantinischen Bewaff- 
nung, etwa seit dem Anfang des X Jahrhunderts im byzantinischen Heere beliebt 

*) Im Egbert -Codex hat Pilatus den Streifen um den Ärmel. Abbildung bei Kraus, 
Taf. XLVI. 

^) Dieser Schmuck, der sich auch an Gestalten der altchristlichen Kunst findet, ist 
ein Abkömmling jenes purpurnen Streifens, der bei den Römern die sogenannte Tunica 
laticlavia zierte, oder der zwei Streifen , mit denen die Tunica angusticlavia ausgestattet war. 
Vergl. Weifs, Kostümkunde. 2. Aufl. I, 465, 466 und Taf. VIII. 

') Siehe von Heyden, Die Tracht der Kulturvölker Europas S. 53. 

*) Siehe Weifs, Kostümkunde, 2. Auflage, Bd. II, 48. 

^} Abbildung bei Beifsel, Vatikanische Miniaturen, Taf. XVI. 



224 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



geworden war.^) Auch dass der Hauptmann Longinus bei der Kreuzigung statt eines 
Helmes eine Zeugkappe trägt, entspricht einer byzantinischen Einrichtung, nach 
welcher etwa seit dem X Jahrhundert von den Kriegern neben flachen metallenen 
Helmen leichte gefärbte Kappen von Zeug getragen wurden.*) Die diademartigen 
niedrigen Kronen auf den Häuptern der Könige David und Saiomon lassen sich an 
der byzantinischen Kaisertracht sowie in zahlreichen griechischen Kunstdenkmälem 
nachweisen.^) 

Eine in der byzantinischen Kunst immer wiederkehrende Gestalt ist der Daniel 
in dem Zwickel über einer Säule in S. Angelo sowohl dem jugendlichen Kopftypus 
als auch der Stellung und dem Kostüm nach. Immer wieder steht Daniel ganz in 
der Vorderansicht da, angethan mit einem reich verzierten, am Halse in der Mitte 
durch eine Spange zusammengehaltenen Mantel und darunter einer Tunika, welche 
an den Seiten so unter dem Hüftgürtel befestigt ist, dass sie in der Mitte vom Gürtel 
abwärts halbrundlich herabhängt*) und die enganschliefsenden Hosen und hohen 
Stiefel oder Socken sehen lässt. Als Beispiele seien hier erwähnt die Danielgestalten 
in der Sophienkirche zu Kijew,*) in der Kirche des Klosters Daphni bei Athen,*) 
in S. Marco zu Venedig.') In derselben Tracht erscheint Daniel auch unter den 
Löwen auf einem Sarkophagrelief in S. Vitale zu Ravenna, in der Topographia 
christiana des Kosmas in der vatikanischen Bibliothek Gr. 699 Bl. 75 a®) und im 
Pariser Gregor von Nazianz Bl. 435 b.®) 

Die Tracht der Maria bei der »Kreuzigung« und der »Grablegung Chrisua ist 
die typisch byzantinische Muttergottes -Kleidung: eine schleppende Stola und darüber 
ein Mantel in Form eines grofsen Umwurftuches, das über Kopf und Rücken ge- 
breitet, sodann über die Schultern nach vorn genommen, und dessen eines Ende 
von links nach rechts oder umgekehrt über die Schulter rückwärts geworfen wird.*°) 
Eine solche Anordnung des Gewandes war, wie Weifs meint, vermutlich ein Haupt- 
merkmal für die ehrsame Frau als solche und wurde eben deshalb bei der Darstellung 
der Maria immer wieder verwandt. Das Sternchen an dem den Kopf bedeckenden 
Teile des Mantels (»Kreuzigung« und »Grablegung«) kehrt bei byzantinischen Madonnen 
in der Regel wieder. Die trauernden Gefährtinnen der Maria bei der »Kreuzigung« und 
die Frauen am Grabe haben, wie stets, wesentlich dieselbe ernste Kleidung, während 
die Gewänder der Samariterin, der Ehebrecherin und der Sünderin, die Christi Füfse 
salbt, in ihren lichten bunten Farben dem weltlichen Sinne ihrer Trägerinnen ent- 
sprechen. Maria und die ihr zunächst stehende Frau bei der Kreuzigung haben durch- 
weg braune Gewänder, die dritte Frau trägt unter ihrem ebenfalls braunen Mantel 



1) Weifs, 2. Auflage, S. 56. 

2) Ebenda S. 55. 

') Ebenda S. 36, Fig. 20, S. 39, Fig. 24, a, b. Siehe auch die Kronen der Davidgestalten 
im Chludoff- Psalter, bei Kondakoff; a. a. O. Taf. I, VI, XI, XIII. 

*) Vergl. Weifs, a. a. O. S. 48. 

*) Abbildung a. a. O. Taf. 42, Fig. 34. 

•) Abbildung bei Lampakis, XPIZTIANIKH APXAlOAOriA THE MONHE AA4>NIOY, 
Athen 1889, S. 131. 

') Abbildung bei Ongania, Bd. III {klein Folio) Tav. V. 

^) Abbildung bei Garrucci, Tav. 150. 

°) Abbildung bei Bordier, Description des peintures . . . dans les manuscr. gr. de la 
Bibl. nat., p. 86, Fig. 23. 

w) Vergl. Weifs S. 28. 



VON E. DOBBERT 225 



eine weifse mit einem senkrechten braunen Streifen verzierte Stola,') die Frauen am 
Grabe haben braune Mäntel über blauen Gewandern.') Die Samariterin ist mit einem 
grünen weiten Ärmelgewande bekleidet und hat, wie schon zuweilen auf altchristlichen 
Denkmälern ') und, mit seltenen Ausnahmen auf byzantinischen, eine Kopfbedeckung 
und zwar in diesem Falle eine (mit Streifen verzierte weifse) Haube, wie sie ähnlich 
auch an den entsprechenden Gestalten in S. ApoUinare nuovo zu Ravenna*) im Chludoff- 
Psaker,*) im Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510*) und in S. Marco in Venedig^) zu 
sehen ist. Bei der Ehebrecherin kommt unter dem hellen, bräunlich rötlichen breit- 
ärmeligen Gewände über dem rechten Fufse und an den Händen ein hellblaues eng- 
ärmeliges Kleid zum Vorschein. Kopf und Hals sind mit einem weifsen rotgestreiften 
Tuche bedeckt.**) Die Sünderin, die Christi Füfse salbt, trägt ebenfalls ein blaues 
Untergewand unter hell rötlichem Mantel. 



IV. BAUWERKE 

So weit Darstellungen von Gebäuden in den Wandbildern erhalten sind, stim- 
men sie mit solchen in byzantinischen Werken überein. Einige Beispiele mögen diesen 
Ausspruch erhärten. Der schmalen hohen Giebelfassade am rechten Ende des Bildes 
mit dem Judaskuss entspricht bis zu dem kleinen Dreieck im Giebel und der hoch- 
hinaufgefUhrten Thür das an derselben Stelle in der Miniatur mit der Paradiesesleiter 
in der vatikanischen Klimax-Handschrift Nr. 394 (XI Jahrhunden)'') befindliche Gebäude. 

Wie das Stadtthor von Jericho in dem Gleichnisse vom barmherzigen Samariter 
von zwei schmalen runden, aus grofsen Steinen gemauerten Türmen flankiert ist, so 
ist es auch das Thor von Jerusalem beim Einzüge Christi auf Bl. 196 des Pariser 
Gregor von Nazianz.'®) 

Die Bezeichnung des Felsengrabes des Lazarus durch eine vorgesetzte Thür ist 
ein spezifisch byzantinischer Zug. 

Einen cylindrischen Brunnen auf Stufen wie beim Gespräche Christi mit der 
Samariterin zeigt die Verkündigungsscene auf Bl. 159 b der Predigten des Mönches 
Jakobus über Maria in der Pariser Nationalbibliothek Nr. 1208. 

Wenn die bisher genannten Beispiele, etwa mit Ausnahme der Grabesthür, 
sich auch auf rein abendländischen Werken finden, so sind für den byzantinischen 
Charakter unserer Wandgemälde die auf rundbogig verbundenen Säulen ruhenden 
Kuppeln des Tempels in der Versuchungsscene und an den Ciborien bei dem 
»Scherflein der Witwe«, der »Grablegung« und »den Frauen am Grabe« entscheidend. 
Ganz in derselben Form finden sie sich immer wieder in der byzantinischen Kunst. 



\) Siehe die farbige Abbildung der Kreuzigung bei Salazaro I , Tav XV, wo aber der 
Mantelwurf der Frauen falsch gezeichnet ist. 

') Dieselbe Zusammenstellung findet sich auch an der Maria auf Bl. i tob des griechisch- 
lateinischen Psalters im Berliner Kupferstichkabinett. 

') Siehe Kraus, Real-Encyklopädie der christlichen Altertümer II, 715. 

♦; Abbildung bei Garrucci Tay. CCXLIX, 2; Rohault de Fleury, L*Evangile pl. XLIX, 1. 

*i Abbildung bei Kondakoff a. a. O., Taf. V, Fig. 3. 

^) Abbildung bei Rohault de Fleury, L'Evangile pl. XLIX,2; Pokrowski S. 211, Fig. 95. 

7j Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio) Tav. XXIX. 

*) Farbige Abbildung bei Salazaro I, Taf. X. 

») Abbildung bei Beifsel, Vatikanische Miniaturen, Taf. XIV, B. 

*") Abbildung bei Pokrowski, S. 260, Fig. 128. 



226 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



Beispielsweise erinnere ich an die bereits S. 141 erwähnte Kuppel bei der »Versuchung 
Christi« in S.Marco zu Venedig, wo auch wiederholt Ciborien, wie in S. Angelo, 
dargestellt sind, und nenne ferner u. a. die Ciborien bei der »Verlobung Maria« und 
jener Scene, in welcher der Hohepriester ihr den Purpur und die Wolle übergiebt 
in der Sophienkirche zu Kijew,^) sodann das Ciborium bei der Darbringung des 
Christuskindes im Tempel im Pariser Gregor von Nazianz Nr. 510') und im Chludoff- 
Psalter,*) die Ciborien auf Bl. 165a (bei der Verktlndigung) und auf Bl. i8oa (Christus 
lehrend) des Berliner Evangeliars Nr. 66 ^ das Ciborium bei der Bestattung Johannes 
des Täufers in der Evangelien handschrift zu Jelissawetgrad *) und dasjenige in der 
schon genannten Miniatur der vatikanischen Klimax -Handschrift Nr. 394. 



V. DIE MALERISCHE TECHNIK 

Die Wandbilder in S. Angelo haben wie diejenigen der meisten mittelalterlichen 
Wandmalereien eine eingehende Untersuchung nach dieser Seite hin noch nicht er- 
fahren. So muss ich mich hier denn auf wenige Bemerkungen beschränken. Crowe 
und Cavalcaselle ^) haben den treffenden Ausspruch gethan, der technische Charakter 
aller dieser Malereien ähnele der eingelegten Arbeit, und Frey*) bemerkt, wie mir 
scheint, mit Recht, derselbe entspreche dem der Mosaiken, worauf schon die eigen- 
tümliche braune Konturierung alles Figürlichen führe, »die sich bis ins kleinste Detail 
erstreckt, so zwar, dass selbst die höchsten Lichter auf Wangen und Gewändern — 
jetzt zu hässlichen roten Flecken meist geworden — derartig umzogen sind«. Be- 
züglich dieser Flecken notierte ich gegenüber den Malereien in der Apsis im Jahre 1872: 
»Eigentümlich sind die Flecken auf den Wangen, sie sind braun oder rot, welche 
Farbe aber zuweilen in grün übergeht.« Eine fernere Bemerkung in meinem Notiz- 
buch lautet: »In den Fleischteilen aller dieser Gestalten ist viel Grün«, und Crowe 
und Cavalcaselle sagen, der Kalk sei für die Fleischtöne mit Grün unterlegt, worauf 
die Lichter mit dicker gelber Deckfarbe, die Schatten mit bräunlichem Rot koloriert 
worden. Nun spielt das Grün in der byzantinischen Figurenmalerei eine grofse Rolle. 
Bereits in der berühmten Psalterhandschrift der Pariser Nationalbibliothek Nr. 139 
aus dem X Jahrhundert macht sich jenes für die spätere byzantinische Miniaturmalerei 
so bezeichnende Nebeneinander von grünen und rosa Tönen bemerkbar^, das sich 
auch in Mosaiken, z.B. einem Teile derjenigen in der Capella Palatina zu Palermo, 
findet.^) Grünlich graue Töne zeigen auch die Mosaiken in Monreale.®) Die oben 
erwähnten kräftigen braunen Umrisse sind neben schwarzen ebenfalls an den Mosaiken 
in der Capella Palatina beobachtet worden, wo sie neben den äufseren Grenzen auch 



^) Abbildungen in dem Werke über die Sophienkirche, herausgegeben von der Peters- 
burger Archäologischen Gesellschaft Taf. 31, Fig. 15 und Taf. 28, Fig. 10; bei Graf Tolstoi und 
Kondakoff, Russische Altertümer IV, S. 133, Fig. 105 und S. 134, Fig. 106. 

2) Abbildung bei Pokrowski 104 Fig. 53. 

^) Abbildung bei Kondakoff, a. a. O. Taf. III. 

♦) Abbildung bei Pokrowski S. XXIV, Fig. 8. 

*) Gesch. d. ital. Malerei, deutsche Ausgabe von Jordan I, 58. 

^) a. a. O. S. 502. 

') Siehe Kondakoff, Gesch. der byz. Kunst nach den Miniaturen, russ. Ausg. S. 152, 
franz. Ausg. II, 38. 

^) Siehe Pawlowski, a. a. O. 163. 

°) Vergl. Weltmann u. Wörmann, Gesch. d. Mal. S. 336. 



VON E. DOBBERT 227 



die wichtigsten inneren angeben.^) Übrigens finden sich auch an byzantinischen Fresken 
des XI Jahrhunderts braune und schwarze Umrisse, so an denjenigen in der Sophien- 
kirche zu Kijew'), sie sind überhaupt für die zweite Periode der byzantinischen Malerei 
charakteristisch. So kann ich denn auch bezüglich der Technik Cavalcaselle und 
Crowe nur Recht geben, wenn sie in der italienischen Ausgabe ihrer Geschichte der 
italienischen Malerei I (1875), S. 100, 10 1 den byzantinischen Charakter der Malereien 
in S. Angelo aufs neue betonen und in betreff der allerdings besonders sorgfältig 
ausgeführten Gemälde in der Vorhalle sagen, dieselben böten sowohl in Betracht des 
Kostüms als auch des technischen Verfahrens ein Beispiel der schönen byzantinischen 
Manier; die heitere, lebhafte und feine Färbung, die reinen und bis in die Einzel- 
heiten genauen Umrisse zeigten, wie fest und gesättigt (ben nutrito) die Pinsel- 
fUhrung sei. 



Diese Abhandlung bezweckte den Nachweis, dass die Malereien im Mittelschiffe 
von S. Angelo in Formis wesentlich byzantinisch, das Erzeugnis einer süditalisch- 
griechischen Künstlerschule seien. Die spärlichen Überreste der Malereien in den 
Seitenschiffen,') welche grofsenteils Gegenstände aus dem alten Testament behandeln, 
zeigen, soweit ich mich ihrer erinnere, denselben Stil, wie diejenigen im Haupt- 
schiffe, das einzige veröffentlichte dieser Bilder, die Vertreibung Adams und Evas aus 
dem Paradiese*), stimmt mit dem byzantinischen Schema überein.') Die Malereien 
in der Vorhalle, das jüngste Gericht an der Westwand und die feierliche Darstellung 
in der Hauptapsis sind mit Recht von den meisten Forschern, der Hauptsache nach 
auch von Kraus, für die byzantinische oder stark byzantinisierende Kunst in Anspruch 
genommen worden. So komme ich denn zum Schlüsse, dass sämtliche Malereien in 
S. Angelo aus einer und derselben Schule hervorgegangen sind, jener süditalisch- 
griechischen Künstlerschule, die auch zahlreiche andere, zum Teil von Salazaro ver- 
öffentlichte Werke in Süd -Italien geschaffen hat. 

Wie steht es nun aber mit der Monte -Cassineser Malerschule, für deren zwei 
bedeutendste und kunstgeschichtlich wichtigste Zeugen und Repräsentanten Kraus die 
Wandgemälde von S. Angelo und diejenigen der Oberzelle auf der Reichenau erklärt? 

Bisher ist der Beweis nicht erbracht, dass es eine solche Schule gegeben habe, 
insofern man für den BegriflF »Schule« einerseits eine Übereinstimmung der aus ihr 
hervorgegangenen Werke im Kunststile (dieses Wort im umfassendsten Sinne ge- 
braucht), andererseits ihr besonders eigentümliche Merkmale in Anspruch nimmt. 

Den engen Zusammenhang zwischen den Malereien in S. Angelo und denjenigen 
auf der Reichenau kann ich nicht zugeben. Die Ähnlichkeit in den Kompositions- 
motiven erklärt sich z. T. durch beiderseitige Abhängigkeit von altchristlichen Über- 
lieferungen, z. T. durch byzantinische Einflüsse auf der Reichenau, so namentlich im 
Jüngsten Gerichte. Die Stellungen und Bewegungen der Gestahen in der S. Georgs- 
kirche lehnen sich zwar teilweise an byzantinische Muster an, aber nur äufserlich, 
sie sind nicht wie diejenigen in S. Angelo byzantinisch empfunden. Ebensowenig 

*) Pawlowski 162. 

*) Siehe Ainaloff u. Redin, a. a. O. S. 102. 
'j Siehe die Beschreibung bei Kraus, S. 19, 20. 
*) Bei Schulz, a. a. O. Taf. LXX. 

*} Tikkanen, Genesismosaiken, S. 39, erwähnt es unter den Darstellungen dieses Gegen- 
standes »aus der byzantinischen oder doch byzantinisierenden Kunst«. 

3> 



228 ZUR BYZANTINISCHEN FRAGE 



sehe ich einen Schulzusammenhang zwischen diesen beiden Werken und dem von 
Kraus derselben Kategorie zugerechneten Weltgerichtsbilde zu Burgfelden/) welches 
von byzantinischer Einwirkung kaum etwas erfahren haben möchte. 

Aber auch in den unzweifelhaft mit Monte Cassino und zum Teil mit dem Abte 
Desiderius in Zusammenhang stehenden Werken fehlt jene oben geforderte Schul- 
einheit. Die Miniaturen im Kommentar des Paulus Diaconus zu der Regel des h. 
Benedictus u. s. w., einer Capuaner Handschrift aus der ersten Hälfte des X Jahrhun- 
derts, in der Bibliothek zu Monte Cassino (Nr. 175, 241} haben, nach den Abbildun- 
gen'} zu schliefsen, einen rein abendländischen Charakter (Christus jugendlich, ban- 
los, grofse formlose Hände). Einen mäfsigen byzantinischen Einfluss zeigen die Bilder 
in dem Lectionar aus dem XI Jahrhundert Nr. 109, 25. Hier sehen wir neben dem 
zwischen Maria und Benediktus thronenden Christus die Inschrift IC XC. Während 
die Gestalten des Benedikt und des von ihm empfohlenen Urhebers der Handschrift, 
des »diaconus et monachus scriptoru Grimoaldus ganz abendländisch empfunden sind, 
zeigt die Stellung Christi und Maria einen byzantinischen Anflug, der in der Haltung 
des Papstes Gregor in einer zweiten Miniatur stärker ist. Wiederum fast ganz abend- 
ländisch dürfte die Formensprache in den Miniaturen der unter Theobald, Abt von 
Monte Cassino 1022 — 1035, gefertigten Handschrift der Moralia des h. Gregor (Nr. 73, 
129) und des zwischen 11 37 und 11 66 vom Mönch und Diaconus Simeon geschrie- 
benen Regestum Sancti Angeli ad formas sein. In der zuletzt genannten Handschrift, 
deren Bilder unsäglich magere und eckig bewegte Gestalten zeigen, ist mir nur ein 
Stellungsmotiv aufgefallen, das ich oben für die byzantinische Kunst in Anspruch 
genommen habe, nämlich jenes Stehen mit nach vorne etwas überhängenden Füfsen, 
wie es sich bei der Ehebrecherin in S. Angelo findet. 

Von besonderem Interesse für die hier behandelte Frage sind natürlich die 
Kunstwerke, die mit dem Abte Desiderius im Zusammenhange stehen. Ich beginne 
mit den Miniaturen in den Reden zu Ehren des h. Benedikt, einer in Monte Cassino 
geschriebenen Handschrift des XI Jahrhunderts in der vatikanischen Bibliothek Cod. 
lat. 1202 Fol. Auf Bl. 2 übergiebt Abt Desiderius dem h. Benedikt Bücher und 
Grundbesitz. Diese Miniatur kenne ich nicht, wohl aber diejenigen auf Bl. 17 b aus 
dem Lichtdruck bei Beifsel.*) Weisen diese Bilder auch abendländische Züge auf, 
so bieten sie doch im Kostüm, in der Architektur (ein byzantinisches Kuppelcibo- 
rium), in den Stellungen (die Amme und Romanus stehen in der bei der voran- 
gegangenen Handschrift hervorgehobenen Weise), in den Gebärden (der griechische 
Anredegestus) starke Anklänge an die byzantinische Kunst und demgemäfs auch an 
die Malereien in S. Angelo. In ganz anderem Mafse als in den zuletzt genannten 
Miniaturen tritt aber der byzantinische Einfluss an einem Werke der Buchmalerei 
hervor, welches auf Bestellung des Desiderius geschaffen ward, dem vom Mönche 
Leo gefertigten Predigtbuche in der Bibliothek zu Monte Cassino Nr. 99, 206. Es 
sind vier zum Teil leicht getönte Umrisszeichnungen, die uns hier geboten werden. 
Schon in jenem Bilde, in welchem der jugendlich dargestellte Desiderius den Mönch 
Leo zu dem thronenden Benedikt führt, erinnert die Art dieses Thronens an byzan- 

*) Abbildung bei Paulus, Die Kunst- und Altertums- Denkmale im Königreich Württem- 
berg 1893. 

^) Le miniature nei codici Cassinesi, herausgegeben von D. Oderisio Piscicelli Tae^i. 
Auch die übrigen im Texte erwähnten Miniaturen in Monte Cassino kenne ich nur aus den 
Abbildungen dieses Werkes. 

•) Vatikanische Miniaturen, Taf. VIII. 



VON E. DOBBERT 229 



tinische Darstellungen; die dann folgenden Zeichnungen aber: die Verkündigung, die 
Scene, wo der Engel dem schlafenden Joseph die Unschuld der Maria mitteilf, die 
Anbetung der Könige und der untere Teil der Himmelfahrt sind durchweg nach 
dem byzantinischen Schema angeordnet, zeigen byzantinisches Kostüm, byzantinische 
Gebärdensprache u. s. f. Es sei hier nur erwähnt: das lebhafte und zugleich elegante 
Herankommen des Engels bei der Verkündigung, die echt byzantinische Stellung der 
Maria in diesem Bilde sowie bei der Himmelfahrt, wo sie als Orantin aufgefasst ist 
und auf dem Kopfe unterhalb des Mantels jene in orientalischer Weise »aus zwei 
verschiedenfarbigen Tüchern zusammengedrehte Wulst« hat, eine an griechischen 
Muttergoltesbildern oft anzutreffende echt byzantinische Kopftracht.*) Ferner sei da- 
rauf hingewiesen, dass der schlafende Joseph, dem byzantinischen Schema entsprechend, 
den Kopf mit der einen Hand stützt, während die andere schlaff herabhängt, ganz 
Ähnlich, wie z. B. an der entsprechenden Stelle in S. Marco zu Venedig.') Beim Engel 
findet sich das Motiv der aus dem enganliegenden Mantel herausragenden Hand. 
Die Anbetung der Könige erinnert in der Gesamtanordnung wie auch im Kostüm an 
die Miniatur im Pariser Gregor von Nazianz 510.') 

Nur die Kopftypen, soweit sie in den Abbildungen treu wiedergegeben sind, 
lassen es zweifelhaft erscheinen, ob der Mönch Leo ganz der byzantinisch-süditalischen 
Schule angehörte. 

Wie dem auch sei, die Kunstwerke, die im Auftrage des Abtes Desiderius 
gefertigt wurden, tragen nicht den Stempel einer selbstfindigen Kunstrichtung, son- 
dern sind entweder, wie die eherne Thür in Monte Cassino und die Wandbilder in 
S. Angelo, wesentlich byzantinisch, oder, wie die Miniaturen des Mönches Leo, min- 
destens überaus stark byzantinisierend; die in Monte Cassino vor und nach Desiderius 
gefertigten Miniaturen aber zeigen, wenigstens soweit ich sie aus Veröffentlichungen 
kenne, nicht jene durchgehende Eigentümlichkeit, die erforderlich wäre, um die An- 
nahme einer besonderen Benediktiner-Kunst von Monte Cassino zu gestatten. 

Zum Schluss sei mir noch ein Wort über die byzantinische Frage im all- 
gemeinen gestattet. 

Selbstverständlich handelt es sich hierbei nicht um die Frage, ob die byzan- 
tinische Kunst auf die abendländische eingewirkt habe. Diese Frage ist längst in be- 
jahendem Sinne entschieden. Die byzantinische Frage will nur dahin beantwortet 
sein, wohin dieser Einfluss drang, welche Gegenden des Abendlandes frei von ihm 
blieben, wie und in welchem Mafse dieser Einfluss sich in verschiedenen Ländern 
oder in verschiedenen Kunstzweigen, in verschiedenen Schulen oder verschiedenen 
Zeiten bemerkbar machte. So zerfällt denn die byzantinische Frage in eine Anzahl 
von Fragen, die erst dann eine Beantwortung erhoffen dürfen, wenn das Wesen der 
byzantinischen Kunst nach den in dieser Abhandlung berührten verschiedenen Seiten 
hin völlig klargelegt sein wird und die abendländischen Kunstwerke dahin unter- 
sucht sein werden, ob und inwieweit sie die wesentlichen Eigenschaften byzantinischer 
Kunst nach dieser oder jener Seite hin widerspiegeln. 

») Siehe Weifs, a. a. O. S. 29. Abbildung auf Fig. 13 und Taf. III. 

») Abbildung bei Ongania, Bd. III (klein Folio) Tav. XLIV. Pokrowski, S.45, Fig. 35. 

') Abbildung bei Pokrowski, S. 122, Fig. 61. 



3'* 



230 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI 



BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI 



VON HERMANN ULMANN 

Durch die Studien Wilhelm Bodes über Andrea dei Verrocchio ist die Scheidung 
der PoUajuoli von diesem bisher mit ihnen verwechselten Meister vollzogen, und das 
Bild von der künstlerischen Eigenan der Brüder als Maler in seinen Grundzügen 
festgestellt worden. Die Frage jedoch , wie weit jeder der Brüder bei der Ausführung 
der ihnen zugeschriebenen Gemälde in Betracht kommt, steht noch völlig offen; auch 
die Masse der unter ihrem Namen gehenden Zeichnungen harrt der kritischen Sichtung. 
Im folgenden seien einige der für die Behandlung dieses Themas besonders wichtigen 
Gesichtspunkte erörtert, zu deren Darlegung ich mich bis zu einem gewissen Grade 
verpflichtet halte, da ich soeben Antonio PoUajuolo als den Urheber eines Cyklus von 
Wandgemälden in Rom in Anspruch genommen habe/) entgegen der allgemein in der 
neuesten Literatur herrschenden Ansicht, dass dieser als Goldschmied, Bronzebildner 
und Zeichner hochberühmte Meister nicht eigentlich als Maler thätig gewesen sei. 

Schon unsere Quellen widersprechen einander. Albertini kennt in seinem 15 10 
zu Florenz gedruckten Memoriale nur Piero als Maler und nennt ihn als Urheber 
der in Florenz befindlichen Gemälde. Ebenso erwähnt der Anonymus Magliabechianus 
nur plastische Werke, Zeichnungen und Goldschmiedearbeiten von Antonio, Bilder 
nur von Piero. Ihnen steht die Mitteilung Vasaris entgegen, dass Antonio zahlreiche 
Bilder gemalt habe, einige selbständig, andere in Gemeinschaft mit Piero. Ersteres 
wird durch die Bezeichnung pictura clari belegt, die Antonio in der Inschrift auf 
dem Grabmal Sixtus IV in S. Peter seinem Namen beifügte, sowie durch die Worte 
pictor insignis auf dem eigenen Grabmonument in S. Pietro in Vincoli. Wenn der 
Biograph jedoch weiter behauptet, Antonio habe erst in späteren Jahren die Malerei 
bei seinem jüngeren Bruder erlernt, so widerspricht dies dem eigenen Zeugnis Anto- 
nios in einem Briefe an den Condottiere Gentil Virgilio Orsini aus Rom vom 13. Juli 
1494,*) worin er schreibt, dass er 1460 gemeinsam mit seinem Bruder die Thaten des 
Herkules für den Palazzo Medici ausgeführt habe, zu einer Zeit also, wo Piero erst 
19 Jahre zählte und ihm höchstens als Gehülfe zur Seite stehen konnte. 

Die Untersuchung darüber, wie weit der eine oder der andere der Brüder bei der 
Ausführung der ihnen zugeschriebenen Gemälde in Frage kommt, hat von zwei Bildern 
auszugehen, die als Werke Pieros bezeugt sind. Das eine ist die für S. Agostino gemalte, 

^) Die Thaten des Herkules, Wandgemälde im Palazzo di Venezia zu Rom, München, 
Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft 1894. 

') L. Borsari, Ant. del PoUajuolo e gli Orsini. Per nozze Orsini -Varo, Roma 1891, 
abgedruckt im Archivio storico deir arte V (1892) S. 208. 



VON HERMANN ULMANN 23 1 



jetzt im Chor der CoUegiata zu San Gimignano befindliche Krönung der Maria, welche 
die volle Namensbezeichnung Pieros und die Jahreszahl 1483 trägt. Man sieht, von einem 
Reigen musizierender Engel umgeben, Christus, auf Wolken thronend, wie er der mit 
gefalteten Händen sich vor ihm neigenden Jungfrau die Krone auf das Haupt setzt, 
darunter auf Wolken knieend die Heiligen Augustinus, Nikolaus von Bari und Fina* 
Gimignanus, Hieronymus und Nikolaus von Tolentino. Das Bild macht einen wenig 
erfreulichen Eindruck und ist gerade kein glänzendes Zeugnis für die künstlerische 
BefSihigung Pieros aus seiner reifsten Zeit. Die Zeichnung ist schwach, die Proportionen 
sind durchgängig verfehlt, besonders die Gestalten Christi und Maria sind überschlank 
gebildet; auf langem Halse sitzt ein kleiner birnenförmiger Kopf, die Hände sind 
grofs, die Finger in den Gelenken wie gebrochen, Brokatgewänder, deren Falten sich 
gleich venrockneten Apfelschalen zusammenrollen, hüllen die Körper ein; die Engel 
mit dem perückenförmig aufliegenden Haar hängen mehr in der Luft, als dass sie 
schweben, ihre Bewegungen sind steif und gezwungen. Die Heiligen sind bäurische 
Gestalten mit groben Zügen; ihre Bildung belegt die Mitteilung Vasaris, dass Piero 
seine künstlerische Ausbildung bei Andrea del Castagno genossen habe. Das Kolorit 
hat einen tiefen gelbbraunen Ton, die Schatten sind schwer und undurchsichtig. 
Die Ausführung des Beiwerkes wie der edelsteingeschmückten Kleidersäume, Bischof- 
mützen und Stäbe ist fein und sorgsam, entschädigt jedoch nicht für den merklich 
hervortretenden Mangel an wirklich künstlerischem Gefühl, der diesem fleifsig gear- 
beiteten Bilde anhaftet. 

Das zweite Bild ist das Porträt des Herzogs Galeazzo Maria Sforza in den 
Offizien (Nr. 30). Es wird durch die Notiz im Inventar der mediceischen Kunstschätze: 
y>quadro dipintovi la testa del Duca Ghalea\o di mano di Piero del Pollajuolo^ als 
Werk Pieros bezeugt und kehrt genauer beschrieben im Inventar des Palazzo Vecchio 
vom Jahre 1533 wieder als r>uno ritratto in tavola d'un duca di Milano con orna- 
mento dorato et vesta piena di gigli doratia. Dass Galeazzo Maria Sforza der 
Dargestellte ist, geht aus der Übereinstimmung mit dem im Verbindungsgang der 
Offizien und des Palazzo Pitti hängenden Bildnis dieses Fürsten hervor, das Cristo- 
fano deir Altissimo nach einem im Museo des Clovio befindlichen Exemplare für 
Cosimo I kopiert hat.^) Das stark ruinierte Originalponrät, auf dem der Herzog in 
dreiviertel Profilstellung nach rechts dargestellt ist, in grünem mit goldenen Lilien 
besticktem Rocke, den linken Handschuh in der behandschuhten Rechten haltend^ 
zeigt dieselbe Mache wie die Krönung in San Gimignano. Auch hier finden sich die 
schwarzbraunen Schatten im Fleisch und die hohe Stellung der Pupille ^ so dass das 
Weifs des Auges darunter sichtbar wird, eine Eigentümlichkeit, die man bei allen 
Köpfen Pieros findet. Beachtenswert ist ferner die Handform mit den langen ge- 
knickten Fingern. 

Gleiche stilistische Kennzeichen besitzt das überlebensgrofse Brustbild einer 
Dame in reich verzierter, goldgestickter Haube und rotem pelzbesetztem Sammet- 
kleid in dreiviertel Profilstellung nach rechts vor einem Fensterrahmen, das sich 
in diesem Frühjahr auf der Auktion Eastlake befand (Nr. 86 des Aukt.-Kat.). Früher 
war es im Besitze von William Graham; ob es identisch ist mit dem von Waagen 
(Art Treasures in Great Britain II S. 269 und Suppl. S. 167) in der Sammlung 
Davenport Bromley erwähnten Profilporträt einer Dame aus dem Hause Soderini, 
konnte ich nicht ermitteln. Auf der Auktion hiefs es ohne Grund Ciarice Orsini, 



1) U. Rossi, Achivio storico delFarte III (1890) S. 161. 



232 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI 

Gemahlin Lorenzo's de' Medici. Infolge starker Restauration macht das Bild keinen 
angenehmen Eindruck, scheint mir jedoch ein zweifelloses Werk Pieros zu sein. 

Die, wohl auf die Mitteilung Vasaris, Antonio habe zahlreiche Bildnisse grofser 
Zeitgenossen gemalt, ihm an verschiedenen Orten zugeschriebenen Porträts gehören 
ihm dagegen nicht an, wenigstens zeigen sie nicht genügende charakteristische Merk- 
male, die eine solche Zuschreibung rechtfertigen können. Dies gilt besonders von 
einem männlichen Bildnis in der Galerie Corsini zu Florenz, denen beim Earl of 
Wemyss und im Besitz von Mrs. Cohen in London.*) Das in den Offizien auf 
Antonio getaufte Profilbildnis eines blondhaarigen Mannes in goldverschnürtem Wamse 
(Nr. 30*>») ist, wie Morelli bereits hervorgehoben hat, norditalienischen, wahrscheinlich 
lombardischen Ursprunges. 

Nehmen wir diese beiden sicheren Arbeiten Pieros zum Ausgangspunkt für 
die stilistische Betrachtung der übrigen ihm zugeschriebenen Bilder, so muss die 
Verkündigung in der Galerie zu Berlin (No. 73) an erster Stelle Piero gegeben werden. 
Maria hat dieselbe runde Kopfform mit der spitzen Nase, dem zugespitzten Münd- 
chen und der über das Ohr hereingedrehten Locke wie die hl. Fina und die Maria 
in San Gimignano, ein Typus, der durchaus verschieden ist von der breiteren 
platteren Kopfform der Frauen Antonios. Dies lehrt eine Vergleichung mit der 
unten zu erwähnenden Vorzeichnung zu der » Caritas a in den Uffizien und mit 
der Zeichnung zu einer Eva ebenda, sowie mit zahkeichen Gestalten auf den Sticke- 
reien in der Domopera. Der Gabriel hat seinesgleichen ebenfalls unter den musi- 
zierenden Engeln auf der Krönung; der aufwärts gerichtete Blick, wobei die Pupille 
zu hoch sitzt, ist, wie bereits hervorgehoben, sämtlichen Figuren dort eigen. Wir 
sehen auch hier dieselbe Behandlung der Brokatgewänder, denselben scharfbrüchigen 
Faltenwurf, die spinnenfüfsig gebildeten Finger und den schweren harzigen Farben- 
aufcrag. Kann ich somit Morelli nicht beistimmen, der gerade den Madonnentypus 
auf der Verkündigung für Antonio charakteristisch findet, so pflichte ich, we- 
nigstens für den nichtfigUrlichen Teil, seiner Annahme bei, dass Antonio den 
Karton dazu geliefert habe. Die geschickte perspektivische Raumbehandlung, die den 
Goldschmied und Bronzearbeiter verratende, überreiche Dekoration des Innenraumes, 
sowie die miniaturartig fein ausgeführte Landschaft mit dem Amothal und Florenz 
gehen im Entwurf auf ihn zurück. Wir finden dieselben weiten, mit Staffage be- 
lebten landschaftlichen Prospekte auf einer eigenhändigen Zeichnung resp. auf einem 
Karton Antonios zu einem büfsenden Hieronymus, der sich in leider ganz zerstörtem 
Zustand unter den nicht ausgestellten Blättern in den Uffizien befindet, und auf einigen 
der gestickten Scenen aus dem Leben des Täufers in der Domopera, sowie auf den 
als Arbeiten seiner Hand stets anerkannten Herkulesbildchen in den Uffizien. Antonio 
folgt hierin dem Vorbilde des Piero della Francesca und des Alesso Baldovinetti, 
welch letzterer aus verschiedenen Gründen weit mehr noch als Castagno als mafs- 
gebender Meister für die malerische Entwickelung der Brüder PoUajuoli zu be- 
trachten ist. 

Dafür nun, dass Antonio für die Bilder Pieros die Kartons lieferte, oder auch 
die Darstellung gleich auf die Tafel zeichnete, haben wir einen thatsächlichen Beweis, 
der bisher übersehen worden ist. Auf der Rückseite der Holztafel, welche die »Caritas« 



^) Waagen, Art Treasures in Great Britain II S. 330 erwähnt das Bildnis eines jungen 
Mannes von Antonio PoUajuolo in Mr. Bale's Sammlung. Ober den Verbleib dieses Bildes 
ist mir nichts bekannt. 



VON HERMANN ULMANN 



233 



schmückt, eine der sechs von den PoUajuoli für die Mercatanzia in Florenz gemalten 
Allegorien der Tugenden (Uffizien I Korridor Nr. 73) ist die ursprüngliche Vorzeich- 
nung von der Hand Antonios noch erhalten. Sie ist wahrscheinlich deshalb nicht 
ausgeführt worden, weil sie etwas zu hoch für den zu Gebote stehenden Raum 
ausgefallen war, oder weil sich Fehler im 
Holze fanden. Bei der Ausführung ist das 
Motiv, dass der Knabe mit beiden Händen 
nach der Brust der Mutter greift, dahin 
abgeändert worden, dass er ihre linke Hand 
fasst, auch ist der Mantel, der auf der Vor- 
zeichnung herabfällt, auf dem Gemälde über 
dem Knie zurückgeschlagen. Hier, wo sich 
Entwurf und Ausführung gegenüberstehen, 
kann man den stilistischen Unterschied in der 
Arbeitsweise der Brüder erkennen. An- 
tonio zeigt sich in der grofs und breit mit 
Kohle aufgerissenen Zeichnung als der sichere, 
geschulte Kenner menschlicher Form, als der 
er von Vasari und Benvenuto Cellini ge- 
rühmt wird. Piero überträgt die grofsen 
Formen des Bruders in seine kleinliche Aus- 
drucksweise, ändert die breite Schädelbildung 
in den keilförmigen Typus um, verlängert 
und spitzt die Finger, rollt die Gewand- 
massen zusammen. Die Gestalt hat in der 
Ausführung die ihr auf der Zeichnung inne- 
wohnende Kraft und Lebensfrische verloren; 
es ist nur die äufsere Hülle, aber auch diese 
verändert, geblieben. Wie Piero die Farbe 
behandelt hat, lässt sich bei dem schlechten 
Zustand, in dem sich dieses und die übrigen 
vier im Korridor hängenden Bilder befinden, 
nicht mehr beurteilen , nur sieht man in der 

Untermalung der Fleischteile noch denselben schweren, schwarz -braunen Ton, den 
wir auf der Krönung in San Gimignano, auf dem Bildnis des Sforza, der Verkündi- 
gung in Berlin und dem Frauenporträt beobachten. 

Aus dem Umstand, dass sich für die »Caritasa die Vorzeichnung Antonios er- 
halten hat, darf man schliefsen, dass er auch für die übrigen fünf Tugenden den Karton 
lieferte. Aber damit ist sein Anteil an dieser Arbeit noch nicht erschöpft; ich sehe 
bei der »Prudentia« (Nr. 1306), der besterhaltenen Gestalt dieser Folge, auch in der 
Ausführung seine Hand. Diese Figur ist von kräftigerem Bau als die übrigen und 
von durchaus monumentaler Auffassung. Sie gleicht darin ganz der Vorzeichnung 
zur »Caritasa, mit der sie auch die breitere Kopfform, die gut modellierten Hände 
und Füfse, die weiche, abgerundete Faltenlage gemein hat. Keine der übrigen 
Figuren ist so gut in die Nische hineinkomponiert, keine verrät bis ins kleinste 
Detail in so hohem Grade die sorgsam modellierende Hand des Goldschmieds und 
Bronzebildners. Denselben T)rpus mit der breiten Nase und dem in Zöpfen ge- 
flochtenen Haar sehen wir u. a. auf der bereits erwähnten Zeichnung zu einer Eva 




Antonio Pollajuolo. 

Caritas. 

Vorzeichnung zu dem Gem&lde in den Uffizien. 



234 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI 

in den Uffizien und bei mehreren Frauengestalten auf den Stickereien der Domopera. 
Vom Kolorit ist wenig zu sagen, da das Bild stark aufgefrischt ist, doch zeigt es 
durchgängig hellere Nuancen als die Arbeiten Pieros. Dessen Werk dagegen ist die 
»Fides« , die in Typus und Haltung der hl. Fina auf der Krönung zu San Gimignano 
gleicht. Zum Kopf der »Spes« besitzt die Sammlung der Uffizien eine in Kreide und 
Rötel ausgeführte, überarbeitete Zeichnung Pieros, die sich in der ängstlichen Führung 
der Umrisse wesentlich von der festen Strichführung seines Bruders unterscheidet. 

Gemeinsame Arbeit der Brüder ist nach Vasari ferner die Tafel mit S. S. Jakobus, 
Eustachius und Vincentius, in den Uffizien (Nr. 1301), die ursprünglich den Altar in 
der Kapelle des Kardinals von Ponugal in S. NGniato zierte. Da der Altar der Kapelle, 
für welche Antonio Rossellino 1461 das Grabmal des zwei Jahre zuvor verstorbenen 
Kardinals auszuführen übernahm, einer am Eingangsbogen befindlichen Inschrift zu- 
folge im Oktober 1466 geweiht wurde, so ist anzunehmen, dass damals auch die 
Tafel vollendet war. Wir besitzen hierin das früheste datierbare Gemälde der beiden 
Brüder, da die Originale der 1460 für den Palazzo Medici ausgeführten Thaten des 
Herkules nicht erhalten sind. Piero zählte damals erst 25 Jahre, und schon allein aus 
diesem Umstand darf man schliefsen, dass der Entwurf und der Aufriss des Bildes von 
dem um 14 Jahre älteren Bruder herrührt, um so mehr, als die Zeichnung eine ge- 
schulte, fertige Meisterhand verrät. Aber nicht durchgängig ist hier die Formensprache 
von gleicher Kraft und Sicherheit. Dem aufmerksamen Beobachter wird es nicht ent- 
gehen, dass Jakobus von kräftigerem muskulöserem Bau ist, dass dieser fest dastehende 
Pilger einem anderen Geschlecht angehön als der engbrüstige hochschultrige Edel- 
mann zu seiner Rechten, welcher sich auf den dürren Beinen mit den gichtig ge- 
schwollenen Knieen kaum halten kann. Deutlich sieht man, dass in dem durchfurchten 
Antlitz des Apostels und dem sinnenden Ausdruck des Diakonen auf der anderen 
Seite eine ganz andere Schärfe der Charakteristik liegt, als in dem Milchgesicht des 
Eustachius^ der so zimperlich den Palmzweig präsentiert. Man vergleiche gerade mit 
letzterer Figur die zahlreichen Jünglingsgestalten im Zeitkostüm auf den Stickereien 
in der Domopera, um sich zu überzeugen, wie keck und fest Antonio seine Fantini 
hinstellte. Man ist daher zu der Annahme berechtigt, Antonio habe nicht nur den 
Kanon zum Bilde geliefert, sondern den Jakobus und Vincentius auch bis zu einem 
gewissen Grade selbst ausgeführt. Die endgültige Vollendung dagegen gehört, wie 
die Untersuchung des Bildes in nächster Nähe ergiebt, einer Hand an, und zwar der 
Pieros; man beachte die übereinstimmende Behandlung des blaugrUnen Brokat- 
gewandes, der roten Sammetstoffe, der Fältelung am Ober- und Unterärmel des 
Jakobus, der Lasuren in den Fleischteilen auf dem Bilde in San Gimignano. Hat 
Vasari somit Recht mit der Behauptung, das Altarbild in der Kapelle des Kardinals 
von Portugal sei gemeinsame Arbeit der Brüder, so irrt er in der Angabe, dass auch 
die Wandmalereien daselbst von ihnen herrührten. Jedoch auch hierin liegt ein Körn- 
chen Wahrheit. Die beiden schwebenden Engel zu Seiten des Altares, die den Vor- 
hang vor dem ursprünglich daselbst befindlichen Bilde zurückschlagen, gehören nicht 
Alesso Baldovinetti an, dem von Morelli mit Recht der Wandschmuck der Kapelle 
zugeschrieben wird, sondern Piero PoUajuolo, wie ein Blick auf das Bild in San 
Gimignano beweist. Auch scheinen sie in öl auf die Wand gemalt zu sein, ein 
Verfahren, das Piero von seinem Lehrer Andrea del Castagno erlernt haben soll. 
Diese beiden Engel sind die einzigen in Florenz erhaltenen Wandgemälde der Polla- 
juoli; denn weder von dem 10 EUen hohen Cristoforus, den Antonio an die Fassade 
der Kirche S. Miniato fra le Torri gemalt hatte, noch von den Fresken im grofsen Saale 



VON HERMANN ULMANN 



235 



des Palazzo Vecchio , die Piero am 5. Oktober 1482 in Auftrag gegeben wurden, ist 
eine Spur geblieben.^) Allerdings will U. Rossi neuerdings auf Grund eines »Doku- 
mentes« das frQher Andrea del Castagno zugeschriebene, von Morelli jedoch mit 
vollem Recht dem Domenico Veneziano zugeteilte Fresko mit Johannes Baptista und 
Franciscus im rechten Seitenschiff von S. Croce als Werk des Piero del Pollajuolo 




Antonio und Piero Pollajuolo. 

Die Heiligen Vincentius, Jacobus und Eustachius. 

Original in den Ufiizien zu Florenz. 



in die Literatur einführen, jedoch entbehn diese Zuschreibung jeder Grundlage.') 
Es findet sich nämlich in einem anonymen Manuskript im Archiv der Offizien, be- 
titelt: »Nota delle tavole di pittura e figure di marmo di eccellenti maestri che sono 
in Fiorenza«, über dessen Entstehungszeit jedoch nichts bekannt ist, und das auf sein 



») Gaye, Carteggio I, 578. 

') Archivio storico dell' arte 1890 (III) S. 160. 



3^ 



23^ 



BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRUDER POLLAJUOLI 



Verhältnis zu unseren anderen Quellen von U. Rossi auch gar nicht geprüft wurde, 
folgende Notiz gelegentlich der in S. Croce befindlichen Kunstwerke: »5. Giovanni 
B^^ con S. Franc,^ in fresco nel muro a man destra della cappella de' Cavalcanti 
del Pollajuolo eccellente maestro, maniera del S. Bastiano de' Pucci nella Nuntiata.<i 
Liest sich dies nicht gerade wie eine Notiz aus dem Merkbüchlein eines kunstsinnigen 
Reisenden des XVII Jahrhunderts, der auf eigene Hand vergleichende Stilkritik trieb? 
So lange nicht der Beweis erbracht wird, dass das Manuskript wirklich der ersten 
Hälfte des XVI Jahrhunderts angehört und somit als Quellenschrift zu betrachten ist, 
muss die Notiz mit Vorsicht behandelt werden, und auch dann wird sie schwerlich 




Antonio Pollajuolo. 
Aus dem Freskencyklus im Palazzo di Venezia. 



genügen, eine solch charakteristische Arbeit des Domenico Veneziano zu einem Werk 
des Piero Pollajuolo umzustempeln. Wenn U. Rossi zur Stütze seiner Zuschreibung 
di« Stelle bei Albertini anführt, so ist dies erst recht hinfällig. Denn Albertini spricht 
von einer r>tavola di pietro p,<i Die beiden Figuren sind jedoch auf die Wand gemalt 
und aufserdem bedeutet pietro p, bei Albertini stets Pietro Perugino, Antonio und 
Pietro Pollajuolo werden von ihm immer als Antonio und Pietro Pullaro oder Pull, 
angeflihrt. Ich bin deshalb auf die Widerlegung dieser haltlosen Zuschreibung näher 
eingegangen, da sie leider auch in der neuesten Auflage des Cicerone Aufnahme ge- 
funden hat. 



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PIERO POLLAIUOLO 



DAVID 



ORIGINAL IN DER K. GEMÄLDE-GALERIE ZU BERLIN 



VON HERMANN ULMANN 237 



Will man die PoUajuoliän ihrer Eigenschaft als Freskenmaler kennen lernen, 
so muss man sie in Rom in dem Palazzo di Venezia aufsuchen, wo Antonio mit Ge- 
hUlfen in einem Zimmer des ersten Stockwerkes einen Wandfries mit den Thaten des 
.Herkules und Punendarstellungen gemalt hat. Diese ganz dekorativ behandelten, breit 
hingestrichenen Wandgemälde sind aller Wahrscheinlichkeit nach bald nach 1471, dem 
Todesjahr des Papstes Paul II, unter seinem Nepoten Marco Barbö ausgeführt worden. 
Da ich bereits an anderem One unter Beigabe von Phototypien nach sämmtlichen Dar- 
stellungen die Gründe für die Zuschreibung dieser bis dahin unbekannten Wandgemälde 
an Antonio PoUajuolo dargelegt habe, so werde ich hier nicht weiter darauf eingehen.^) 

Wir sahen, dass die leeren Formen und die steife, unsichere Haltung des 
Eustachius auf dem Dreifigurenbild aus S. Miniato ein Hauptmerkmal des Arbeits- 
anteils Pieros ist. Aus diesem Grunde muss ihm, abgesehen von der schwächlichen 
Zeichnung der Hände und Füfse, auch der kleine David im Berliner Museum (Nr. 73 A) 
zugeschrieben werden. Und so ist es auch von Anfang an don geschehen. Dasselbe 
gilt von dem Bilde des Tobias mit dem Erzengel in der Galerie zu Turin. Es be- 
fand sich ursprünglich an einem Pfeiler in Orsanmichele zu- Florenz und wird von 
Vasari als gemeinsames Werk der Brüder erwähnt. Aber wenn auch der Karton dazu 
von Antonio herrühren mag, worauf die in seinem Charakter gehaltene Flussland- 
schaft schliefsen lässt, so sind seine Formen bei der Ausführung seitens Pieros doch 
so umgemodelt und verschwächlicht worden, dass das ganze Bild jetzt als die Arbeit 
des letzteren zu gelten hat. Der Tobias ist in allem der Bruder des Eustachius: die- 
selben hohen Achseln, der lange Oberkörper, die eingeschnüne Brust, die gekrallten 
Finger, die gichtig geschwollenen Kniee, der kleine Kopf mit den hochsitzenden 
Augenbrauen. Die stoffliche Behandlung des roten Sammetmantels und der blau- 
grünen Brokatärmel beim Engel entspricht ebenfalls ganz der Weise dieses Meisters. 

Haben wir bisher Bilder betrachtet, die in der Ausführung ganz oder zum über- 
wiegenden Teil Piero angehören, so lassen wir hier eine kleine Gruppe von Gemälden 
folgen, die Antonio in seiner Eigenschaft als Maler zeigen. An erster Stelle sind da 
die beiden kleinen Bildchen mit den Kämpfen des Herkules mit Antäus und der 
Hydra in den Uffizien zu nennen (Nr. 11 53), die einzigen Gemälde, in deren Zuteilung 
an Antonio die neuere Kritik einig ist. Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach ver- 
kleinerte, eigenhändige Kopien nach den grofsen Leinwandbildern im Palazzo Medici, 
deren Berühmtheit ihre Wiederholung von der Hand Antonios selbst erklärt.*) In 
der sorgsamen Durchführung im einzelnen gleichen sie den feinen Silberstiftzeichnungen 
Antonios und stehen an Güte der Modellierung um nichts hinter dem bezeichneten 
Kupferstich des Kampfes der zehn Nackten (B. XIII p. 202 Nr. 2) zurück. Es ist dies 
der einzige Kupferstich, der auch in der Ausführung sich mit Sicherheit Antonio 
zuweisen lässt. Bezeichnend für Antonios plastische Auffassung ist die Art, wie er 
die nackten Körper zur Erzielung eines scharfen, reliefmäfsigen Umrisses vor die helle 
Luft stellt. Wir finden denselben beabsichtigten Kontrast auf den Wandgemälden in 
Rom und auf dem Sebastiansbild in London. 

Die nämlichen stilistischen Merkmale wie die beiden Herkulesbildchen zeigt bis 
ins einzelne hinein die kleine Tafel mit Apollo und Daphne in der National Gallery 



^) Die hier beigefügte Abbildung kleineren Mafsstabes danken wir der Verlagsanstalt 
für Kunst und Wissenschaft in München. 

^) Andere zeitgenössische Wiederholungen sind erwähnt in des Verfassers Publikation 
der Wandgemälde im Palazzo di Venezia. 

32* 



238 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI 

ZU London (Nr. 928), die im Hinblick darauf als sichere Arbeit Antonios zu gelten 
hat. Sie ist von gleicher Feinheit der Ausführung und darf wegen der naiv selb- 
ständigen Auffassung des antiken Mythus, worin sich Antonio mit Künstlern wie 
Botticelli und Piero di Cosimo berührt, für eine der reizvollsten Darstellungen gelten, 
die das Quattrocento auf diesem, seinem Lieblingsgebiet hervorgebracht hat. 

Wenn diese Miniaturbilder auch alle Antonio del PoUajuolo eigenen Stilmerk- 
male aufweisen, so darf man sie doch nicht einseitig zur Grundlage für die Be- 
urteilung der sonstigen Gemälde dieses Meisters netimen. Sie sind nichts anderes als 
in Farbe umgesetzte Zeichnungen und Stiche, für irgend welche Verwendung an 
Möbeln oder in der Wandvertäfelung ausgeführt, und stehen in gar keinem Verhältnis 
zu der gerade in kolossalen Proportionen sich gefallenden malerischen Thätigkeit 
Antonios. Die auf Leinwand gemalten drei Herkulesbilder im Palazzo de' Medici 
waren nach Angabe des Inventars ein jedes 6 Ellen hoch, d. i. etwa 3,65 m in unserem 
Mafs, und der von Antonio in S. Miniato fra le torri gemalte Christoforus, die Be- 
wunderung und das Vorbild des jugendlichen Michelangelo, mafe sogar 10 Ellen. Sind 
die Fresken im Palazzo di Venezia nun gute Beispiele der für solche grofsen Wand- 
gemälde erforderlichen, flotten und dekorativen Behandlungs weise, so zeigen anderer- 
seits die Sebastiansbilder im Pitti und in der National Gallery zu London Antonio in 
seiner Eigenschaft als sorgfältig arbeitenden Maler von Tafelbildern gröfseren Stiles. 
Beide Gemälde gelten in der neuesten Literatur zwar für Werke Pieros, doch sind 
sie auch in der Ausführung charakteristische Arbeiten des älteren Bruders, und zwar 
die Einzelgestalt des Heiligen im Pitti ist es in allen ihren Teilen. Die durchaus 
plastische Auffassung dieses lebensgrofsen Aktes, die wuchtigen, wie aus Erz ge- 
gossenen Formen, die gute Anatomie im einzelnen, die Verkürzungen des Kopfes, 
die Behandlung des wie aus Bronzeblech gewellten feingefalteten Schurzes, selbst 
der zu dick gebildete grofse Zeh sprechen für Antonio, wie eine Vergleichung mit 
dem Stich der zehn Nackten und der Zeichnung zu einem Adam in den Uffizien 
darthut. Piero wäre nie im Stande gewesen, den Karton des Bruders formal so 
getreu wiederzugeben, abgesehen davon, dass der vertriebene glänzende Farbenauftrag 
hier von der ihm eigenen zäheren und stumpferen Malweise abweicht. Gerade dieses 
Werk Antonios besitzt genug stilistische Verwandtschaft mit den Wandgemälden im 
Palazzo di Venezia, die für die Zuschreibung der letzteren an Antonio bestimmend 
sind. Eine leicht getuschte Federzeichnung zu dem Heiligen befindet sich in der Samm- 
lung Morelli.*) 

Das grofse Bild mit dem Martyrium des heiligen Sebastian in der National 
Gallery zu London (Nr. 292) stammt aus der Cappella Pucci in S. Sebastiano de' 
Servi und ist nach Angabe Vasaris im Jahre 1475 vollendet worden. Der Heilige 
selbst soU ein Ponrät des Gino di Lodovico Capponi sein, und der Biograph be- 
richtet, dass der Besteller Antonio Pucci dem Antonio PoUajuolo dafür die beträcht- 
liche Summe von 300 Scudi gab, jedoch unter der ausdrücklichen Anerkennung, 
dass er ihm damit kaum die Farben bezahle. Auch dieses von Vasari als Hauptwerk 
Antonios sehr gerühmte Bild wird neuerdings von der Kritik dem jüngeren Bruder 
zugewiesen. Acht Jahre trennen die Entstehung dieses Gemäldes von Pieros Arbeit 
in San Gimignano. Es ist einfach unmöglich^ dass derselbe Meister, der hier mit 
32 Jahren diese lebensgrofsen Akte mit einer für die damalige Zeit geradezu be- 
wunderungswürdigen Sicherheit und Kenntnis malen konnte, mit 40 Jahren solche 



*) Abgab, in Quaranta disegni della Raccolta Morelli, Milane 1886. 



VON HERMANN ULMANN 239 



knochenlose, schlecht geformten Figuren geschaffen habe, wie wir sie auf der Krö- 
nung sehen. Entwurf und Ausführung sind auf dem Martyrium des Sebastian von 
einer Hand; Antonios Weise lässt sich bis in die Adern der von der Anstrengung 
angespannten Arme der Armbrustschützen, bis in die Runzeln des Gesichts und in die 
wie in Bronze ciselienen Haare, sowie in die Fingernägel hinein Stück für Stück ver- 
folgen. Die trefflich gezeichneten kleinen Figuren des Hintergrundes, jene einher- 
sprengenden Ritter mit dem schreiend aufgerissenen Mund gleichen den Gestalten auf 
Antonios Zeichnungen und Kupferstichen; der halbnackte, links im Hintergrund 
neben dem galoppierenden Schimmel laufende Krieger entspricht bis in die Einzel- 
heiten der Formbehandlung dem Herkules auf dem Kampf mit der Hydra. Den 
Maler -Bildhauer erkennt man in den Reliefs des Triumphbogens. Die bei allem 
Reichtum des Details breit behandelte Landschaft findet sich ebenso auf dem bereits 
zur Vergleichung herangezogenen Karton zu einem Hieronymus in den Uffizien 
wieder. Nur die Figuren des Heiligen selbst und des hinteren Armbrustschützen 
links sind von schwächlicherer Zeichnung und unsicherer Haltung. Bei ersterer er- 
klären sich diese Mängel einesteils aus der Schwierigkeit, die einem Meister von der 
kraftvollen Formensprache Antonios die Aufgabe verursachen musste, einen nackten 
unentwickelten jugendlichen Körper in Lebensgröfse zu malen, anderenteils aus der 
gezwungenen halb schwebenden Stellung der Gestalt auf den Aststümpfen des Marter- 
pfahles; bei dem Armbrustschützen liegt der Grund in der Ausführung seitens eines 
anatomisch weniger kundigen Gehülfen. Der kleine runde Kopf, die hochstehende 
Pupille, die kurze Stirn lassen hier Piero vermuten, dessen Mitarbeit in den sonstigen 
Teilen des Bildes nicht kenntlich hervortritt. 

Auch die reliefartigen Darstellungen an dem antiken Triumphbogen im Hinter- 
grunde sind wegen ihrer Beziehung zu Zeichnungen Antonios von Bedeutung. Das 
Rund in dem Giebelfeld stellt dar, wie ein Gefangener von Kriegern vor den Thron 
des Richters geschleppt wird. Das British Museum hat vor kurzem eine grofse, leider 
sehr zerstöne, getuschte Federzeichnung Antonios mit dieser Komposition in ver- 
gröfserter und veränderter Redaktion erworben. Das Relief an der Innenseite des 
Bogens Schilden eine Schlacht zwischen Reitern und Fufsvolk. Von besonderem 
Interesse ist hier die vorderste Gruppe eines Reiters, der auf hochbäumendem Ross 
über einen zu Boden gestürzten nackten Mann hinwegsprengt, weil sie fast genau 
der Zeichnung Antonios im Kupferstichkabinet zu München entspricht, welche für 
eine der beiden von Vasari als in seinem Besitz erwähnten Entwürfe Antonios zum 
Reiterstandbild des Lodovico Sforza gilt.') Dieser Zuschreibung ist Louis Courajod 
entgegen getreten, indem er nachzuweisen suchte, dass die Zeichnung in München 
entweder die Kopie eines lombardischen Künstlers nach dem in Mailand vollendeten 
Modell Leonardos zu dem Reiterstandbild des Sforza sei, oder, wenn wirklich von 
PoUajuolo, doch nur als Kopie nach Leonardo angesehen werden könne.') Sollte 
letztere Hypothese, die in sich einen auf gänzlicher Verkennung der künstlerischen 
Bedeutung des Antonio Pollajuolo basierenden Anachronismus einschliefst, von 
Courajod wirklich noch aufrecht gehalten werden, so muss sie aufgegeben werden 
angesichts der Thatsache, dass sich bereits auf dem 1475 vollendeten Hauptwerk An- 
tonio PoUajuolos dieselbe Komposition findet, die Leonardo ftlihestens 1483 zum 
ersten Mal beschäftigen konnte. Nicht Leonardos Denkmal hat dem um 23 Jahre 



^) Abgab. W. Schmidt, Handzeichnungen alter Meister in München. 81. 89. 
') Gazette des beaux arts XVI p. 422 und L'Art 1879 tome IV p. 91 et sq. 



240 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLl 

älteren Antonio zum Vorbild gedient, sondern umgekehrt hat Leonardo geradeso wie 
Michelangelo und Raffael diesen von Mit- und Nachwelt als besten Zeichner ge- 
rühmten Meister studiert. So findet man auch das Vorbild zu den schreienden Kriegern 
auf Leonardos Kompositionen bereits hier auf Antonios Gemälde.^) Die Zeichnung 
in München hat formal wie technisch alle auf PoUajuolo weisenden Merkmale, nur 
ist die Erhaltung eine derartige, dass man nicht mehr entscheiden kann, ob es die 
Originalskizze Antonios oder eine gleichzeitige genaue Kopie danach ist. Die Bildung 
des Pferdes sowie der altertümliche Turniersitz des Reiters hier sind charakteristisch 
verschieden von Leonardos ähnlichen Darstellungen. Die Anbringung des antiken 
Triumphbogens auf dem Sebastiansbilde lässt vermuten, dass Antonio vor 1475 in 
Rom gewesen ist, und zwar wahrscheinlich kurz zuvor behufs Ausführung der Thaten 
des Herkules im päpstlichen Palaste. Die scharf aufgesetzten metallisch wirkenden 
Lichter im Fleisch finden sich übereinstimmend auf unserem Bilde und den Wand- 
gemälden. Auch sonst giebt es noch genug andere stilistische Berührungspunkte 
zwischen beiden Werken , die auf Ausführung von einer Hand schliefsen lassen. Die 
Aktstudie Antonios zu dem Bogenschützen links im Vordergrund auf dem Londoner 
Bild befindet sich im K. Kupferstichkabinet zu Berlin.^) 

Nur der Bottega oder der Schule der Pollajuoli gehören zwei kleinere Dar- 
stellungen des gleichen Gegenstandes an: die eine, ein schmales Hochbild unter 
falschem Namen im Palazzo Spada zu Rom,') woselbst ein Engel dem an einer Säule 
gefesselten Heiligen die Märtyrerkrone bringt; die andere eine predellenartige Längs- 
tafel im Museo Poldi Pezzoli zu Mailand. Hier dient der auf einer Waldlichtung 
stehende Heilige vier Bogenschützen zum Ziel. Der Zusammenhang mit PoUajuolos 
Stilrichtung ist in beiden Bildern klar^ die Ausführung jedoch zu schwach, um sie 
einem der Brüder selbst zuteilen zu können. Eine eigenartige Mischung von PoUa- 
juolos und Credis Weise finden wir bei einer ähnlichen Darstellung im Fitzwilliam 
Museum zu Cambridge (Nr. 164). Während die lebensgrofse Gestalt des an einer 
Säule gefesselten Sebastian in Stellung und Proponion auf das Vorbild PoUajuolos 
zurückgeht, und auch die beiden Bogenschützen denen auf der Predella in MaUand 
ähneln, zeigen die Köpfe des Heiligen und zweier zu ihm mit Krone und Palme 
herabschwebender Engel einen ausgesprochenen Credischen Typus. Auch das Nackte 
ist mehr nach Credis Weise als in Nachahmung PoUajuolos behandelt. Lorenzo 
selbst kommt für dieses gut erhaltene Bild jedoch nicht in Betracht; überhaupt ver- 
mag ich keinen bestimmten Meister hierfür in Vorschlag zu bringen. 

Antonio PoUajuolos Bedeutung für die Entwickelung der florentinischen Kunst 
liegt jedoch weniger in seiner Thätigkeit als Bildhauer und Maler, als in seiner Thätigkeit 
als Zeichner und Kupferstecher. Als Zeichner galt er nicht nur seinen Zeitgenossen 
weitaus für den besten, sondern auch Spätere, wie Vasari und Benvenuto Cellini, 
räumen ihm einstimmig dieses Lob ein. nQuestofü oreßcea, sagt letzterer, ne fü si 
gran disegnatore che non tanto che tutti gli orefici si servivano dei sua bellissimi 

^) Dass Antonio Pollajuclo ebenso wie Donatello und Verrocchio sich mit der Aus- 
führung von Reiterbildnissen in Bronze beschäftigte , beweist der bereits erwähnte Brief an 
den Condottiere Virgilio Orsini, worin er sich diesem Feldherrn zur Herstellung seines 
Standbildes zu Pferd anbietet: ma piü charo arej faruj tuto intero in sun un chaual grosso 
che ui farej etterno. 

^] Abgeb. F. Lippmann, Handzeichnungen alter Meister im Kupferstichkabinet des K. 
Museum zu Berlin, Bl. 156. 

^) H. 0,67 m. Br. 041 m. 



/ 



VON HERMiVNN ULMANN 24 1 



disegni, i quali erano di tanta eccellen^a, che ancora molti scultori e pittori, io dico 
dei migliori di quelle arti, si servirono dei sua disegni e con quegli e* si feciono 
grandissimo onore, Questo uomo fece poche altre cose, ma solo disegno mirabilmente 
e a quel gran disegno sempre attese,^. Kann es somit nicht verwundern, verschiedent- 
lich Kopien nach Zeichnungen Antonios von zeitgenössischen und späteren Künstlern 
zu finden, so muss man eben deshalb bei der Zuteilung von Blättern an Antonio 
selbst um so kritischer zu Werke gehen, indem man stets vor Augen behält, dass kein 
Ktinstler bis auf Michelangelo und Raffael so häufig kopiert worden ist wie er. 

Ich gebe im folgenden eine Übersicht der mir in öffentlichen und privaten Samm- 
lungen bekannt gewordenen echten Zeichnungen der Brüder Pollajuoli, insbesondere 
Antonios sowie der wichtigsten Kopien nach ihm und einiger fälschlich ihm zu- 
geschriebenen Blätter, wobei jedoch nur solche Zeichnungen Berücksichtigung finden, 
die stilistisch wirklich in irgend einer Beziehung zu dem Brüderpaar stehen.^) Diese 
Zusammenstellung macht nicht im geringsten Anspruch auf Vollständigkeit, ist es doch 
geradezu unmöglich, nur annähernd das Material besonders der in englischem Privat- 
besitz zerstreuten Zeichnungen zu beherrschen. 



A. ECHTE ZEICHNUNGEN ANTONIOS. 

Berlin, K. Kupferstichkabinet. 

Nr. 471. Nacktstudie zu dem Bogenschützen links im Vordergrunde auf dem 
Martyrium des Hl. Sebastian in London. Leicht getuschte Federzeichnung.') 
Berlin, Adolf von Beckerath. 

Nackter bogenschiefsender Herkules. Feder. Umrisse durchstochen, h. 0,280 
br. 0,230 m. 

Floren^, Offizien. 

Rahmen 29 Nr. 942 (Neue Aufstellung). Räucherfass. Goldschmiedevorlage, echt 
bezeichnet: Antonio dei polaiuolo horafo. Getuschte Federzeichnung. 

R. 31 Nr. 95. Nacktstudie zu einem Adam. Feder. Nr. 97 F. Nacktstudie zu 
einer Eva mit zwei Knaben. Feder. 

R. 34 Nr. 267. Zwei männliche Nacktstudien und eine sitzende weibliche Ge- 
wandstudie. Rückseite: (jetzt wie bei sämtlichen Zeichnungen leider ganz unsicht- 
bar) Studien nach einem antiken Torso, vermutlich Herkules. Feder. 

R. 42 Nr. 269. Mehrere männliche Nacktstudien in Silberstift und Feder. Nr. 246. 
Männliche Nacktstudien. Feder. Nr. iio. Studien zu einem Kampf des Herkules und 
Antäus und ein architektonischer Grundriss. Leicht getuschte Federzeichnung. Nr. 248. 
(Unter Piero.) Nackter stehender Mann einen Stein in der Hand (Hieronymus). Rück- 
seite: Mann mit Buch. Silberstift auf rötlichem Papier, Lichter weifs gehöht. Nr. 258. 
(Unter Piero.) Nacktstudie eines Mannes in Fechterstellung. Silberstift auf rötlichem 
Papier, Lichter weifs gehöht. 

R. 41 Nr. 254. (Unter Piero.) Nacktstudie eines sitzenden Mannes, Kopf nur 
angedeutet. Silberstift auf rötlichem Papier. (Von anderer Hand dagegen ist die auf 

^) Eine Aufzählung der Zeichnungen der Pollajuoli ist bereits vom Vicomte Both de 
Tauzia im Katalog der Zeichnungen des Louvre versucht worden, jedoch ohne genügende 
kritische Sichtung. 

') Die unter No. 472 ebenda Pollajuoli zugeschriebene männliche Nacktstudie (nur der 
Kopf ausgeführt) ist von schwächerer Hand und etwas später. 



242 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI 

demselben Blatte aufgelegte Nacktstudie zu einem vom Rücken gesehenen Manne.)*) 
Nr. 359. (Unter Piero.) Männliche Nacktstudie in sitzender Stellung. Gleiche Technik. 

R. 26 Nr. 311. (Unter Pesellino.) Männliche Nacktstudie in Stellung und Körper- 
bildung dem Herkules auf dem Kampf mit dem Löwen im Palazzo di Venezia ähnelnd. 

Nicht ausgestellt Nr. 10 1. Hieronymus in freier Landschaft vor dem Kreuze 
knieend. Karton zu einem Bilde, getuschte Federzeichnung, fast ganz ausgeblichen. 
Umrisse durchstochen, h. 0,375 br. 0,530 m. 
Hamburg, Kunsthalle. 

Nacktstudie eines stehenden Mannes. Stiftzeichnung auf violettem Papier. Die 
Umrisse nachgezogen. 

London, British Museum. 

Kasten XXIV. Herkules im Kampf mit der Hydra. Entwurf zu dem Bildchen 
in den Uffizien. Feder. 

1893 — 5 — 29 — 1. Allegorische Darstellung. Ein Gefangener wird von mehreren 
Bewaffneten vor einen thronenden König geführt, sämtlich Nacktstudien. Getuschte 
Federzeichnung, schwarzer Grund. In schlechtem Zustand und daher nicht mehr 
mit Sicherheit zu entscheiden, ob Original oder alte Kopie. Doch scheint ersteres 
wahrscheinlich.") 

London, Lady Wallace, Henford House. 

Bewein ung eines Toten, genannt der »Tod des Gattamelata«. Getuschte Feder- 
zeichnung, h. 0,270 br. 0,420. Früher Mantegna zugeschrieben und unter diesem Namen 
gestochen vom Monogrammisten A. C. (AUaert Claesz) 1555 (Bartsch, IX p. 130 Nr. 30) 
und von Prestel im Museo Prauniano 1777. Kopie in München. 
London, Sir Charles Robinson. 

Opferscene. Um einen brennenden Altar sind sechs nackte Figuren, darunter 
eine Frau, versammelt. Einer der Anwesenden trägt ein Lamm. In Nachahmung eines 
Reliefs in braun auf dunklem Grund gemalt. Holz. Ruft mehr den Eindruck einer 
Tuschzeichnung als eines Bildes hervor, weshalb es an dieser Stelle erwähnt wird. 
Mailand, Sammlung Morelli. 

Studie zu einem Sebastian, wahrscheinlich zu der Figur dieses Heiligen auf dem 
Bilde im Pitti. Getuschte Federzeichnung. 
München, K. Kupferstichkabinet. 

Skizze zu dem Reiterdenkmal des Francesco Sforza. Getuschte Federzeichnung, 
schwarzer Grund. Bei dem schlechten Zustand des Blaues nicht mehr zu entscheiden, 
ob Original oder Kopie. Wahrscheinlich aus dem Besitze Vasaris stammend. 
Oxford, Christchurch. 

(Unter Dom. Ghirlandajo.) Nacktstudie zu einem David. Silberstift, h. 0,275 
br. 0,125 m. 

Paris j Louvre. 

Nr. 2003. Drei männliche Nacktstudien und zwei Armstudien. Feder. Kopien 
danach im British Museum und in der Akademie zu Venedig. 

1) Von der gleichen etwas weicheren Hand rühren auch R. 41 Nr. 268 unter »Piero 
Pollajuolo« und R. 56 Nr. 11 54 unter »Botticelli« her. 

') Die beiden anderen früher dem Pollajuolo zugeschriebenen Zeichnungen im British 
Museum haben nichts mit ihm zu thun. Die eine ist eine auf Fälschung berechnete Kopie 
nach dem Studienblatt im Louvre, die andere, einen der Rossebfindiger von Monte Cavallo 
darstellend, ist ebenfalls sehr verdächtig. 



VON HERMANN ULMANN 243 



B. ECHTE ZEICHNUNGEN PIEROS. 

Chatsu^orth, Duke of Devonshire. 
Zwei stehende männliche Gewandfiguren. Feder. 

Florens[, Offizien. 
R. 31 Nr. 357. (Unter Antonio.) Studie zu einem Johannes Baptista. Feder. 
Charakteristisch für Piero die unsichere Haltung und die Handform. 

R. 43 Nr. 14506. Studie zu dem Kopf der »Fides«. Rötel und schwarze Kreide. 
Umrisse durchstochen.^) 

R. 32 Nr. 278. Allegorie: Engel Almosen spendend. Feder. 

Oxford, Christchurch. 
Stehende männliche Gewandfigur. Feder, h. 0,260 br. 0,90m. 

C. ZEITGENÖSSISCHE UND ALTE KOPIEN. 

Berlin, Adolf von Beckerath. 

Predigt Johannes des Täufers. Ausgeführter Karton nach einer Skizze Antonios 
zu der betreffenden Darstellung in der Serie der Stickereien für S. Giovanni, jetzt im 
Museum der Domopera zu Florenz. Getuschte Federzeichnung, h. 0,280 br. 0,230 m. 
Früher Sammlung Grahl. 

Grabmal Innocenz VIII. Kopie eines Cinquecentisten, vermutlich nach dem Ent- 
würfe Antonios und nicht nach dem ausgeführten Monument, da sich Abweichun- 
gen in der Darstellung der Lünette finden. Diese Zeichnung ist deshalb wichtig, da sie 
den ursprünglichen, jetzt veränderten Aufbau des Grabmals überliefert. Der Sarkophag 
stand über der sitzenden Statue des Papstes. Getuschte Federzeichnung, h. 0,280 
br. 0,205 m. 

Floren\, Uffizien. 

R. 40 Nr. 98 F. (Unter Antonio.) Zacharias giebt dem Volke seine Siummheit 
zu erkennen. Kopie nach der Originalzeichnung Antonios zu der betreffenden Dar- 
stellung in der Serie der Stickereien für S. Giovanni. Geringer als die Zeichnung in 
der Sammlung Beckerath und wahrscheinlich nur eine Bause nach dem Originalkarton. 
Getuschte Federzeichnung. Umrisse durchstochen. 

Nicht ausgestellt Nr. 2299. (Unter Albrecht Dürer.) Gruppe aus einer Anbetung 
der Könige. Feder, h. 0,329 br. 0,267 m. 

Nicht ausgestellt Nr. 109. Enthauptung eines Heiligen (Johannes d. Tf.?) Ganz 
verwischt und kaum mehr erkennbar. Silberstift auf grün gefärbtem Papier, Lichter 
weifs gehöht, h. 0,223 br. 0,345m. 

R. 265 Nr. 1476. (Unter Raffael.) Herkules im Kampf mit drei Kentauren. 
Von derselben Hand und in derselben Technik, wie mehrere Kopien nach Pollajuolo 
im venezianischen Skizzenbuch. Feder. 

R. 34 Nr. 276. (Unter Antonio.) Statue eines sitzenden Papstes, vermutlich 
Innocenz VIII, jedoch in abweichender Haltung und Stellung von der Ausführung 
auf dem Grabmal in S. Peter zu Rom. In den Umrissen nachgezogen, die linke 
Hand neu. Getuschte Federzeichnung. Zu kleinlich und ängstlich für Antonio selbst 



^) R. 41 Nr. 358. Männlicher Kopf in Vorderansicht mit Capuccio (stark überarbeitet), 
dürfte eher Andrea del Castagno als Piero del Pollajuolo angehören. Dagegen rührt von 
Benozzo Gozzoli der Castagno zugeschriebene männliche Kopf in Mütze (R. 18. Nr. 250) her. 

33 



244 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLL.UUOLI 

und vermutlich Kopie eines zeitgenössischen Goldschmieds. Von derselben Hand 
und in gleicher Technik: No. 261 »Justitia«, No. 262 »Prudentia«. Nr. 263. »Forti- 
tudo«. Nr. 264. Apostel Petrus. Nr. 265. Apostel Andreas. Nr. 266. Apostel Jakobus. 

Nr. 279. (Unter Antonio.) Kampf dreier Männer mit einem Kentaur. Feder- 
zeichnung. 

R. 32 Nr. 260. (Unter A. Pollajuolo.) Kampf vier nackter Männer. Federzeich- 
nung auf rot getöntem Papier. Lichter weifs gehöht. 
Hamburgs Kunsthalle 

Geifselung Christi. Getuschte Federzeichnung. Überarbeitet und nicht mehr 
festzustellen, ob von Antonio selbst. 

Kampf zwischen zwei Kentauren. Getuschte Federzeichnung. Ziemlich roh. 
London, J. P. Heseltine. 

Herkules im Kampf mit Antäus. Federzeichnung auf Pergament, h. 0,3 lobr. 0,210 m. 
Alte Kopie vermutlich nach einem ersten Entwurf Antonios zu dem Wandbild im 
Palazzo di Venezia. 

Studienblatt mit zwei Figuren von Raffaellino del Garbo, davon die eine Nackt- 
studie zu einem Sebastian nach Pollajuolo. Silberstift auf rosa getöntem Papier, 
h. 0,248 br. 0,220 m. 

Paris, Louvre, Coli. His de la Salle. 

Sogenanntes Verrocchio- Skizzenbuch. Bl. iii. Herkules im Kampf mit der 
Hydra. Federzeichnung. Nach Pollajuolos Bild in den Uffizien (?). Flotter und 
sicherer gezeichnet als die Mehrzahl der verschiedenen Händen angehörigen Blätter 
dieses Sammelbandes und wahrscheinlich von Verrocchio selbst.^) 
Turin, K. Bibliothek. 

Nr. 15 591. Jugendlicher nackter Mann zieht einen am Boden liegenden ebenfalls 
nackten Mann am linken Arm aus einer Höhle heraus, wobei er ihn in den Nacken 
tritt (Herkules und Cacus?). Umrisszeichnung. Feder. Bause nach einer Zeichnung 
Antonios, h. 0,360 br. 0,280 m. 

Nr. 15592. Reliefanige Darstellung eines Kampfes nackter Männer. Unter Be- 
nutzung der Stiche Antonios (Bartsch Nr. 1 und 2). Scheint Fälschung. Feder. 
Venedig, Akademie. 

Im sogenannten Raffael - Skizzenbuch finden sich folgende Kopien nach Polla- 
juolo: Herkules (Simson?) im Kampf mit dem Löwen; Flötenspielender Marsyas, 
nach Pollajuolos Bronze*) von verschiedenen Seiten gezeichnet; Hirt von einem Löwen 
angefallen; Nackter stehender Mann, sich aufstützend; Nackter sitzender Mann mit 
Scepter und Reichsapfel; Nackter stehender Mann, die Arme über der Brust gekreuzt. 
Wien, Albertina. 

Grabmal Sixtus IV. Schwache späte Zeichnung nach dem ausgeführten Monument. 
Windsor, Königl. Bibliothek. 

Kampf nackter Männer. Getuschte Federzeichnung. Ähnelt stilistisch den soeben 
erwähnten Zeichnungen im Venezianischen Skizzenbuch. Braun 1 52. 

*) Vergl. Bode, Italienische Bildhauer der Renaissance S. 129. 

") Exemplare dieser von Antonio offenbar nach einer antiken Vorlage gearbeiteten 
Statuette befinden sich im Bargello (abgeb. Archivio storico dell' arte 1893. S. 20), in der 
Galerie zu Modena (abgeb. Venturi, Galleria Estense), im Museum zu Berlin sowie auch beim 
Grafen Stroganoff zu Rom. Für ein Werk des Pollajuolo halte ich ebenfalls die in dem- 
selben Schrank des Bargello unter N0.2584 aufgestellte Bronzestatuette eines Faustkämpfers. 



VON HERMANN ULMANN 245 



Hier ist auch der Ort, einige Worte über jene grofse Anzahl in Feder aus- 
geführter und getuschter Naturftudien mit (meist bekleideten) Jünglingen im Arbeits- 
kostUm zu sagen, die über verschiedene Sammlungen zerstreut, früher Maso 
Finiguerra, jetzt meistens Antonio Pollajuolo zugeschrieben werden. Obgleich ein 
gewisser stilistischer Zusammenhang zwischen diesen Blättern und den Zeichnungen 
Antonios in Bezug auf Form und Proportionen besteht, so sind sie im einzelnen doch 
viel zu schwach für ihn und gehören einem zwar gewissenhaft, doch kleinlich arbeiten- 
den unselbständigen Künstler an, der sich in der Nachfolge Antonios gefällt. An 
Piero darf man dabei nicht denken, dagegen ist die traditionelle Zuschreibung an Maso 
Finiguerra, die, der Aufschrift auf einem der Blätter in den Offizien nach zu urteilen, 
bereits aus dem XVI Jahrhundert stammt, der Beachtung wert. Die Zuschreibung 
hat ihren Grund offenbar in einer Stelle des Vasari im Leben des Antonio, woselbst 
er von Maso Finiguerra als Zeichner spricht und umolte carte di vestitij ignudi, e di 
storie disegnate d' acquerello^ von ihm im eigenen Besitz erwähnt. Die Verwandtschaft 
mit Pollajuolo findet ihre Erklärung in der durch Benvenuto Cellini bezeugten That- 
sache, dass Finiguerra sich bei allen seinen Arbeiten der Zeichnungen Antonios 
bedient habe. Die Überlegenheit des letzteren über Maso in seiner Eigenschaft als 
Zeichner wird auch noch ausdrücklich von Vasari hervorgehoben. Noch andere Gründe 
sprechen für die Vermutung, dass der Zeichner dieser Studienblätter sowie eines im 
Jahre 1889 vom British Museum erworbenen Bandes mit getuschten Federzeichnungen 
zu einer Weltchronik — denn beide rühren unzweifelhaft von der gleichen Hand her — 
der als Nielloarbeiter und Kupferstecher thätige florentinische Goldschmied Maso 
Finiguerra (1426 — 1464) sei. Die Hauptgründe hat Herr Professor Sidney Colvin, der 
schon seit mehreren Jahren mündlich dieselbe Ansicht vertrat, bereits im Katalog 
der Ausstellung von Zeichnungen im British Museum 1892 ausgesprochen. In allem 
Wesentlichen stimme ich den Ausführungen dieses Gelehrten bei. 

Von diesen unter verschiedenen Namen zerstreuten Studienblättern, die zu 
einer aus einem oder mehreren Skizzenbüchern stammenden Serie von leicht lavierten 
Federzeichnungen gehören, sind mir folgende bekannt geworden. 
Floren^, Offizien. 

Rahmen 33 und 35 — 39, im ganzen 45 Blätter mit ganzen Figuren, Köpfen und 
Händen, unter »Scuola di Antonio Pollajuolo« neuerdings ausgestellt. 

R. 34 Nr. 57 F, 58 F, 85 F, 91 F desgleichen. 

R. 34 Nr. 275. (Unter Antonio Pollajuolo.) Stehender junger Mann mit aus- 
gebreiteten Armen, nach oben blickend. 

R. 30 Nr. 370. (Unter Antonio Pollajuolo.) Ein liegender und ein sitzender 
bekleideter Mann. 

R. 43 Nr. 100 F. (Unter Piero Pollajuolo.) Nackter liegender Mann. 

R. 25 Nr. II 27. (Unter Pesellino.) Stehender Mann in Turban. 

R. 25 Nr. 43 F. (Unter Maso Finiguerra.) Zwei knieende Heilige. Nr. 44 F. 
Vertreibung aus dem Paradies. Nr. 41 F und Nr. 42 F. David stehend über dem 
Haupte Goliaths. 

R. 20 Nr. 118F. (Unter Masaccio.) Stehender Jüngling mit Buch. Nr. 120 F. 
Sitzender Jüngling, zeichnend. 

R. 14 Nr. 65 F. (Unter P. Uccello.) Männlicher Kopf mit Capuccio in Profil. 
Nr. 27. Drei am Boden liegende Knaben. 

Nicht ausgestellt: Nr. 46. 47. 48. 83. 84. 86. 87. 94. 

33* 



246 BILDER UND ZEICHNUNGEN DER BRÜDER POLLAJUOLI 

Mailand, Bibl. Ambrosiana. 
Collect. Resta Fol. 10. Nackter stehender Mann mit Schild und Streitkolben. 

Paris, Louvre. 
Nr. 2004. Zwei nackte stehende Männer mit Schild und Keulen. 

Paris, Leon Bonnat. 
22 Zeichnungen. 

Rom, Bibl. Corsiniana. 
Col. 158 I. II. Nr. 130460. Stehender Mann mit einem Korb auf dem Rücken, 
worin ein Kind, daneben ein stehender Mann in langem Gewände mit Pilgerstab. 
Nr. 1305 19. Jünglingskopf mit Kappe in Profil. 

Die von Morelli (Die Galerie zu Berlin S. 358) Antonio zugeschriebene grofse 
Federzeichnung eines Weibes, das aus einem Nachen ans Ufer springt, in den Offizien 
(R. 87 Nr. 375 unter Piero di Cosimo) ist meiner Meinung nach ein höchst charakte- 
ristisches Blatt des Francesco di Giorgio und hat mit der florentinischen Schule überhaupt 
nichts zu thun. Zu diesem Zwecke vergleiche man den Kopf des Weibes mit dem 
Kopfe des Sebastian und einer Heiligen rechts oben auf Francescos Krönung der 
Mariae in der Akademie zu Siena, sowie mit dem äufsersten Engel links auf der Geburt 
Christi in S. Domenico und mit dem Engel auf dem kleinen Madonnenbilde in der 
Akademie. Man wird denselben Typus mit den gleich Flammenbüscheln gebildeten 
flatternden Haaren, mit der aufgestülpten Nase und dem Grübchen im runden Kinn 
finden. Den schlecht verkürzten breiten Fufs mit dem abgebogenen grofsen Zehen, 
das vom Wind gepeitschte eng an das Bein sich anlegende Gewand, die gekrallte 
Hand sehen wir bei allen seinen Gestalten, auch die Felsmassen sind auf der Zeichnung 
in gleicher Weise behandelt wie auf der Anbetung des Kindes in der Akademie zu 
Siena. Die Verwechselung kommt daher, dass Francesco di Giorgio in seinen maleri- 
schen Arbeiten und Zeichnungen sich an das Vorbild der grofsen florentinischen 
Zeitgenossen hält. Seine Werke gehen nicht selten unter den Namen florentinischer 
Meister, wie denn z.B. eine ftir ihn höchst charakteristische Federzeichnung mit der 
allegorischen Darstellung eines Triumphzuges in der CoUection His de la Salle im 
Louvre dem Botticelli zugeschrieben wird.*) 

Will man jedoch Antonio Pollajuolos Bedeutung als Zeichner und sein Kom- 
positionstalent völlig ermessen, so darf man nicht die nach seinen Entwürfen ausge- 
führten Stickereien mit Scenen aus dem Leben Johannis des Täufers unbeachtet lassen, 
die aus der Verborgenheit der Sakristeischränke des Battistero zu Florenz jetzt in das 
Museo der Opera del duomo gebracht und dort bequem zum Studium ausgestellt sind. 
In der Ausführung lassen sich kenntlich mehrere Hände scheiden — wissen wir doch, 
dass neben dem von Vasari hoch gerühmten Paolo di Verona noch dessen Landsmann 
Piero und der Florentiner Antonio di Giovanni, sowie zwei Fremde, Coppino di 
Giovanni da Malines und Niccolö di Jacopo Francese als Sticker an diesem Wunder- 
werk der Nadelkunst beschäftigt waren — die Vorzeichnung, die an einzelnen Stellen 



*) Das PoUajuolo ebenda unter No. 85 zugeschriebene Blatt rührt von Verrocchio her 
und ist der erste Entwurf dieses Meisters zu seinem Bilde mit der Reise des Tobias in der 
Akademie zu Florenz. Ein in der Dyce CoUection im South Kensington Museum auf 
Antonio getauftes Blatt mit einem Weibe, das Milch aus seiner Brust in ein Geßlfs drückt, 
einen Eros neben sich, ist eine schwache Zeichnung aus der Schule Mantegnas. 



VON HERMANN ULMANN 247 



auf dem Grund des Gewebes jetzt zum Vorschein gekommen ist, gehört dagegen 
durchgängig Antonio allein an. Diese Stickereien, die bereits 1470 in Arbeit waren, 
geben einen guten Anhaltspunkt für die Beurteilung des früheren Stiles des Meisters. 
Aus einer noch früheren Periode seines Schaffens stammen die ursprünglich mit Email 
ausgefüllten gravierten Darstellungen an der Basis des den Silberaltar aus S. Giovanni 
krönenden Kruzifixes, an der Antonio seit 1456 arbeitete. Sie zeigen an der Vorder- 
seite Moses thronend zwischen den Tugenden und darüber die Taufe Christi zwischen 
den Kirchenvätern. Auf letzterer gleicht der Täufer in der weitausholenden stürmischen 
Schrittstellung dem Herkules auf dem Kampf mit der Hydra in den Offizien. Für 
das Studium Antonios als Verfertiger von Niellen und Kupferstichen ist hier ein sicherer 
Ausgangspunkt gegeben. Seine Thätigkeit auf diesem Gebiete zu verfolgen, liegt 
jedoch aufserhalb des Rahmens unserer eng gesteckten Aufgabe. Enggesteckt im Ver- 
hältnis zu der Vielseitigkeit dieses Künstlers, den selbst ein verwöhnter Kenner wie 
Lorenzo de' Medici seinem Agenten in Rom mit den Wonen empfehlen durfte ^) : 
ytDetto Antonio e il pnncipale maestro di questa cittä e forse per avventura non ce 
ne fü mai; e questa e comune opinione di tutti gV intendenti,^. 



DIE ARCHITEKTONISCHE ENTWICKELUNG MICHELOZZOS UND SEIN 
ZUSAMMENWIRKEN MIT DONATELLO 

VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 

In nachfolgender Studie möchte ich die Aufmerksamkeit auf einige Punkte in 
der Wirksamkeit Michelozzos lenken, welche, wie mir scheint, in der Monographie 
dieses Meisters in der ^Architektur der Renaissance in Toscanaa^) keine befriedigende 
Darstellung und Lösung gefunden haben. Diese Arbeit sollte im wesentlichen die 
Schlussbetrachtung zu jener von Herrn Dr. Stegmann und mir verfassten, im Drucke 
eben erschienenen Monographie bilden. Da aber jene Schlussbetrachtung nicht mehr 
mit den Ansichten des Herrn C. von Stegmann, noch mit denen seines Herrn Sohnes 
über Michelozzo harmonierte, so schien infolge der eigentümlichen Stellung, in 
welcher ich mich zuletzt dem Toscanawerke gegenüber befand, die Billigkeit zu 
verlangen, dass sie unterbliebe. Ich kann nur mein Bedauern hierüber aussprechen, 
da ich die Verantwortung für den Text noch zu tragen hatte. 

Zum Verständnis der erörterten Fragen und entwickelten Ansichten ist es nötig 
zu erklären, wie jene Monographie sich allmählich aufbaute. 

Herr Dr. Stegmann ") als Verfasser einer Studie über Michelozzo hatte meine 
Einladung zur Mitarbeit an dieser Monographie bereitwillig angenommen und sollte 



*) Brief vom 12. November 1489 an Giovanni Lanfredini. Vergl. Gaye, Carteggio I. S. 341. 

") Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft, vormals Friedr. Bruckmann, begonnen 
von der Gesellschaft S. Giorgio, weitergeführt von H. C. von Stegmann. 

^) Michelozzo di Bartolomeo, eine kunstgeschichtliche Studie von Hans Stegmann. 
München 1888. 



248 DIE ARCHITEKT. ENTWICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO 

die historisch- dokumentarischen Teile der Arbeit liefern, mit denen ich frei verfahren 
konnte, wie mir am besten schien. An diese solhen sich meine architektonischen 
Betrachtungen reihen, in welchen ich selbstverständlich alle Elemente zu berück- 
sichtigen wünschte, die sich noch durch die Aufnahmen des Herrn C. von Stegmann 
ergeben würden. Endlich behielt ich mir vor, nach einer neuen Untersuchung der 
Werke an On und Stelle, in einer Schlussbetrachtung die Gesamtwürdigung der 
Persönlichkeit Michelozzos und seiner Thätigkeit darzustellen. 

Herr Dr. Stegmann hatte gehofft, mir sein Manuskript im August 1890 abliefern 
zu können. Seine Berufsthäügkeit gestattete ihm jedoch erst anfangs 1891 mir ein 
Drittel, die Fortsetzung ein Jahr später, den Schluss im Oktober 1893 zu schicken.') 

Obv^rohl ich nur etwa ein Viertel des Manuskripts in Händen hatte, und das 
Verhältnis der fertigen, mir zur Verfügung stehenden Textillustrationen und Aufnahmen 
kaum günstiger war, verlangte das regelmäfsige Erscheinen der Lieferungen, dass der 
Anfang der Monographie von mir sofort für den Druck ergänzt wurde. Er umfasste 
den gröfsten Teil der Periode des Zusammenwirkens Michelozzos mit Donatello, für 
welchen ich, um den Druck zu fördern, die Abhandlung über die Aufsenkanzel am 
Dome zu Prato allein herstellen musste. 

Gerade für die Periode der Kollaboration mit Donatello fand ich nun sowohl 
bei Herrn C. von Stegmann als bei Herrn Dr. Stegmann die Ansicht vertreten, dass 
in den Werken dieser Firma das Architektonische ausschliefslich das Verdienst Miche- 
lozzos sei. 

Obgleich diese Theorie, ich gestehe es, für mich ganz neu war, erkundigte 
ich mich einstweilen um so weniger nach ihrem Ursprung, als sie mir in der That 
manches für sich zu haben schien und ich die klare Begründung derselben in der 
Fortsetzung des Manuskriptes des Herrn Dr. Stegmann zu finden erwartete. 

Immerhin fand ich es nötig, einstweilen für Donatello das Verdienst der Er- 
findung der Gesamtdisposition zu reservieren und ebenso die Ausdrücke zu mäfsigen, 
welche Michelozzo in etwas zu absoluter Weise als den eigentlichen Erfinder der 
Renaissancedekoration verherrlichten, wobei ich mir vorbehielt, falls ich ihm hier 
unrecht gethan haben sollte, in der Schlussbetrachtung meinen Irrtum wieder gut 
zu machen. 

Aufserdem hatte ich an den hier besonders angeführten Stellen auf die Schluss- 
betrachtung hingewiesen, weil ich oft nicht die persönliche Überzeugung erlangen 
konnte, in unserer Darstellung auf sicherem Boden zu stehen. 

Die langen Unterbrechungen, mit welchen ich das Manuskript des Herrn 
Dr. Stegmann erhielt, das Nichtwissen, durch welche Dokumente er noch seine An- 
schauungsweise bekräftigen könne, sowie die unklare Empfindung einiger Widersprüche, 
die mir aus letzterer hervorzugehen schienen — dies alles hatte allmählich die Vor- 
stellung, die ich von der Persönlichkeit Michelozzos und von seinem Wirken besessen, 
in eigentümlicher Weise getrübt. 

Der Umstand , dass Michelozzo noch gemeinschaftlich mit der ersten Generation 
der Renaissance -Meister thätig ist, dass aber sein Wirken dann noch die ganze Dauer 



*) Inzwischen war für mich eine neue Schwierigkeit hinzugekommen. Ein halbes 
Jahr noch ehe ich den Beginn des Manuskriptes des Herrn Dr. Stegmann erhalten hatte, 
wurde ich ersucht, meine Stellung am Toskanawerk im Interesse desselben aufzugeben. Man 
bat mich jedoch, die begonnenen Monographien, sowie die Michelozzos, zu vollenden, 
während die Herren Stegmann die Weiterflihrung des Textes übernahmen. 



VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 249 

der zweiten Generation umfasst, bringt es mit sich, dass er eine Stilumwandlung 
durchgemacht hat, welche die richtige Beurteilung seiner Werke erschwert. Man wird 
dadurch aufserdem vor die Frage gestellt, in welchem Mafse Michelozzo in der Stil- 
umwandlung dieser Epoche eine führende Stellung eingenommen hat. 

Lange und zu wiederholten Malen trat wie ein Versucher die Frage an mich 
heran, ob Michelozzo als selbständiger Architekt wirklich d\Q künstlerische Eedtutung 
hat, die seiner geschäftlichen Thätigkeit und sozialen Stellung entspricht, auch dann 
noch, wenn man ihm neben Brunellesco und L. B. Alberti nur die zweite oder 
richtiger die dritte Stelle einräumt. 

Sollte er nicht etwa blofs von der bedeutenden Stellung, die ihm durch seine 
engen freundschaftlichen Beziehungen zum Hause Medici geschaffen wurde, Vorteil 
gezogen und sich die Früchte des Wirkens der führenden Meister wie Brunellesco, 
Donatello, Ghiberti, Luca della Robbia, L. B. Alberti, der beiden Rossellino und des 
Desiderio da Seltignano ohne besonderes persönliches Verdienst angeeignet haben? 
Sollte nicht etwa Michelozzo als »Hofbaumeister des Principates«, wie ihn Dr. Steg- 
mann treffend bezeichnet, weniger ein selbständiger Künstler, als der künstlerische 
Unternehmer im Dienste des Hauses Medici gewesen sein, der mit Geschmack und 
feinem Verständnis die Talente begabter, aber sozial minder glücklich gestellter Meister 
heranzuziehen und zu verwenden wusste? 

Was mich zuweilen auf diesen Gedanken fühne, der mir dann wieder wie 
eine Art Lästerung erscheinen wollte, war das mehrfache Wiederauftauchen in ver- 
schiedenen Werken Michelozzos von Meistern, über deren eigentlichen künstlerischen 
Wert, sowie über deren persönliche Beziehungen zu ihm ich noch kein mich be- 
friedigendes Licht besafs. An der Aufsenkanzel des Doms zu Prato und am Taber- 
nakel in S. Annunziata zu Florenz ist es Pagno di Lapo Portigiani; im Hof des 
Palazzo Medici-Riccardi, am vorgenannten Tabernakel, sowie an dem in S. Miniato 
und an der Kanzel zu Prato ist es die anziehende, wenig klare Persönlichkeit des 
Maso di Bartolommeo gen. Masaccio; endlich in der Kapelle neben dem Tabernakel in 
der Annunziata Giovanni di Bettino, 

Nach diesen zum Verständnis der Sachlage notwendigen Erläuterungen kann ich 
zur Aufzählung derjenigen Punkte übergehen, für die ich in der Monographie be- 
sonders auf die Schlussbetrachtung hingewiesen hatte. 

1. Wie hat Brunellesco auf Michelozzo einen Einfluss ausgeübt? (S.i n.2.) 

2. Wann und wie ging Michelozzo zur Architektur über? (S.2 n.4.) 

3. Wie ist die auffallende Reife der architektonischen Durchbildung an der 
Aufsenkanzel des Doms zu Prato zu erklären? (S. 5.) 

4 Wann wurde die Thür Michelozzos im rechten Kreuzschiff von S. Croce 
errichtet? (S.S.) 

5. Inwiefern und in welcher Weise ist der Palazzo Medici - Riccardi als erster 
moderner Palast anzusehen, und wann wurde der Bau begonnen? 

Die letzten Fragen sind eng miteinander verbunden und bilden sozusagen Teile 
der ersten. Wir werden am schnellsten zu einer Aufklärung gelangen, wenn wir 
mit der Beantwortung der dritten beginnen. Wie ist die auffallende Reife der archi- 
tektonischen Durchbildung an der Aufsenkans^el in Prato s[U erklären? Ich fühlte 
mich hier an der Quelle eines Widerspruchs, der mein ganzes Verständnis derThätig- 
keit Michelozzos trübte. 

Wie soll man erklären, dass derselbe Meister in der Kanzel von Prato, an- 
geblich als Architekt, die reifen edlen vortrefflichen Formen in den Jahren 1428 bis 



250 DIE ARCHITEKT. ENT WICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO 

1434 ausführte — die Dokumente hierüber sind ganz präzis — und fich dagegen in 
dem erft 1437 begonnenen, 1452 vollendeten Baue des Klosters S. Marco zu Florenz, 
stellenweise als einen noch unsicheren Künstler offenbart, bei dem manches Ankleben 
an gotische Formen, manche Unerfahrenheit in den Verhältnissen der antiken Profil- 
glieder an den Tag tritt? 

Wir glauben nicht, dass diese Erscheinung sich nur durch den Umstand er- 
klären lässt, dass die Verzierung des Klosters eine sehr einfache sein sollte, oder 
dass für die Ausführung die Details nicht von Michelozzo gezeichnet wurden, denn 
sie tragen oft seinen persönlichen Charakter. Wir glauben vielmehr, dass die Orna- 
mente oft von künstlerisch bescheideneren Kräften oder von ziemlich gewöhnhchen 
Steinmetzen ausgeführt worden sind und geben zu, dass der Ruf, welchen S. Marco 
als das Muster einer Klosteranlage im XV Jahrhundert genoss, mehr auf der Gesamt- 
anlage und deren Gliederung als auf der Detailbildung beruhen mochte. Der be- 
deutende Stilunterschied an beiden Monumenten muss auch dann noch, wenn nnan 
bedenkt, dass es sich in Prato um einen marmornen Zierbau und ein Werk der 
Skulptur handelte, auf eine andere tieferliegende Ursache zurückgeführt werden, die 
mit den beiden ersten Fragen eng zusammenhängt. 

Es ist eine wichtigere Thatsache, als man es zuerst glauben sollte, dass Herr 
Dr. Stegmann auf Grund seiner Nachforschungen klar heraus sagen konnte, dass wir 
über die zwei ersten Punkte rigor nichts wissen , ohne :{u Hypothesen :[u greifen a. 
Daher sehen wir uns auch weniger durch gewisse herrschende (?) Ansichten gefesselt, 
die näher betrachtet, auch nur Hypothesen waren. Und zu diesen, wenn mich nicht 
alles trügt, muss auch die Ansicht gerechnet werden, dass Michelozzo der alleinige 
Schöpfer der Architektur gewesen sei in denjenigen Werken, welche ihm in Gemein- 
schaft mit Donatello zugeschrieben werden. Wir können somit freier auf Thatsachen 
hinweisen, die sich aus der genauen Beobachtung der Denkmäler selbst ergeben. 

Die architektonischen Werke, die in der Monographie als von Michelozzo her- 
rührend beschrieben wurden, zerfallen auf Grund ihrer stilistischen Eigenschaften in 
drei Gruppen. 

Die erste enthält Werke, die neben gotischen, nicht immer als Zeichen der Unreife 
anzusehenden Motiven andere Erscheinungen zeigen, wie die im Kloster S. Marco 
geschilderten, oder wie jene an dem Bau al Bosco , wo an einzelnen Teilen Herr Dr. 
Stegmann »teilweise falsch und kleinlich aufgefasste Teile und wiederum eine höchst 
originelle Verquickung von Gotik und Antike« feststellt. 

Die zweite Gruppe bilden die drei Hauptwerke , die Donatello in Gemeinschaft 
mit Michelozzo ausführte, nämlich das Grabmal Coscia (seit 1424), das Grabmal 
Brancacci (seit 1427), und die Aufsenkanzel am Dome zu Prato (1428 bestellt und 
1434 gröfstenteils fertig). Sie bekunden namentlich in der Komposition, bei der Kanzel 
aber auch im Detail und der Profilierung, durchweg das Wirken und den Einfluss 
eines vorgeschritteneren Meisters. 

Die dritte Gruppe besteht aus den späteren, reiferen Werken des Meisters, die 
hinreichend sicher datiert sind. Sie beginnt mit den beiden Tabernakeln und braucht 
fürs erste hier nicht in Betracht gezogen zu werden. 

Wollte man nun für Michelozzo die Urheberschaft des architektonischen Anteils 
an den Werken der zweiten Gruppe festhalten, so hätte Michelozzo das interessante 
Kompositionsvermögen, das sich am Brancaccidenkmal und auch am Cosciagrabe 
offenbart, und das vorzügliche Verständnis für Details, welches wir an der Kanzel 
bewundern, sowie die damit zusammenhängende viel reifere Entwickelung während 



VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 25 1 

mehrerer Jahre ganz vergessen müssen, um zum etwas mühsam strebenden Anfänger 
wieder herabzusinken. 

Für eine solche Erscheinung giebt es wohl kein einziges Beispiel in der Kunst- 
geschichte und man wird daher zum Schlüsse genötigt, dass entweder das Kloster 
S. Marco nicht von Michelozzo sei, oder dass er nicht der Urheber der Architektur in 
den Werken der zweiten Gruppe ist Wir glauben unbedingt letzteren Schluss allein 
annehmen zu können. 

Die moderne Kunstforschung ist somit momentan auf einen Irrweg geraten, als 
sie zu der übrigens sehr nahe liegenden Ansicht gelangte, dass in der Verbindung 
Donatello-Michelozzo der letztere, den wir besonders als Architekten kennen, damals 
die architektonische Form dieser drei Denkmäler bestimmt habe. Nein, einfach als Bild- 
hauer und Erzgiefser hat er sich mit Donatello associiert. Wohl mochte er an der 
Ausführung der architektonischen Teile dieser Monumente Anteil genommen haben, 
vielleicht konnte er sogar in der Behandlung der ihm zur Verfügung gestellten Motive 
bereits Zeichen seiner eigenen künstlerischen Empfindungsweise an den Tag legen, 
aber sicherlich ist er nicht für die Erfindung der Komposition und Detaillierung als 
mafsgebender Meister aufgetreten. 

Sobald für diese erfinderische Mitwirkung Michelozzo beseitigt ist, würde für 
diejenigen, welche Donatello jede Bedeutung als Architekt absprechen, von einem 
Alleinwirken Donatellos in allem, was in diesen drei Werken über die allgemeine 
Anordnung der Gliederung hinausgeht, erst recht nicht die Rede sein dürfen. Wir 
müssen uns daher nach einem anderen architektonischen Ratgeber der Firma Dona- 
tello-Michelozzo umsehen. Dieser ist auch, wie mir scheint, sofort zu finden in 
Filippo di Ser Brunellesco selbst, obgleich noch nie auf ihn hierfür hingewiesen 
worden ist. 

Man erinnere sich nur der langjährigen Freundschaft beider Männer in Florenz 
und Rom, an die beabsichtigte Kollaboration für Orsanmichele (141 1) und an die 
für den Dom (141 5), unter anderem auch an ein gemeinsames Modell, das sie im 
September und Oktober 1418 mit Nanni d' Antonio di Banco für die Domkuppel aus- 
zuführen gehabt hatten. Ferner denke man an ihre gemeinsame Thätigkeit bei der 
Neuen Sakristei von S. Lorenzo, die in die Zeit der Monumente der angeblich zweiten 
Gruppe Michelozzos fällt, bevor die vielleicht nur momentane Erkaltung ihrer Freund- 
schaft infolge der Sakristeithüren in S. Lorenzo eingetreten war. *) So erklärt sich die 
auffallende Ähnlichkeit in der Komposition der Umrahmung des Brancaccidenkmals 
und der Bogen der VorhaUe an der Pazzikapelle erst recht, ohne dass man den 
Beginn der letzteren um einige Jahre vorrücken müsste, wie ich es in der Mono- 
graphie Brunellescos gethan, um diesen nicht zum Kopisten des beträchtlich jüngeren 
Michelozzos machen zu müssen. 

Nach dieser Lösung, die wir glauben vorschlagen zu müssen, werfen wir nun 
einen Blick auf die erste Frage: Wie hat Filippo auf Michelo:(:(o eingemrkt? Vom 
rein stilistischen Standpunkt aus, um so manches Echo der Werke Brunellescos in 
denen Michelozzos zu erklären, ist ein persönlicher Verkehr beider Meister nicht 
notwendig. Bei den Lebensverhältnissen in Florenz wäre es aber kaum denkbar, 
dass der jüngere Michelozzo nicht öfters mit dem älteren Meister in Berührung ge- 
kommen wäre. Die von uns vorgeschlagene Erklärung giebt erst recht Veranlassung 



*) Am ehesten dürfte die Errichtung der Thüren 1430 im Zusammenhang mit der Ab- 
wesenheit Filippos im Lager von Lucca denkbar erscheinen. 

34 



252 DIE ARCHITEKT. ENTWICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO 

ZU einer solchen, ja vielleicht zu allerlei technischen Anweisungen, mit denen 
Brunellesco die an Donatello gelieferten Kompositionen oder Angaben begleiten 
mochte, aus welchen für Michelozzo etwas wie eine Lehre entspringen konnte. 

Und nun zur zweiten Frage. Da die Feststellung der Modelle zu diesen Denk- 
mälern in die Jahre 1424 — 1428 fällt, so mag dies auch der Zeitpunkt sein, in welchem 
Michelozzo anfing, sich eingehender mit der Architektur zu beschäftigen. Hat er wirklich 
Cosimo in dessen Verbannung nach Venedig begleitet — wir werden auf diesen Punkt 
zurückkommen — und hat letzterer daselbst durch ihn eine Bibliothek errichten 
lassen, so vergesse man nicht, dass diese eine genHlena^ ein Geschenk Cosimos 
war, für welches in dem damals (1434) noch ganz gotischen Venedig der junge 
Florentiner immerhin ausreichen mochte. 

^ Unsere Annahme führt somit dazu, in den Zeitraum von 1424 — 1428 (in 
letzterem Jahre wurde das Modell zur Kanzel festgestellt) — statt Michelozzo als einen 
bereits gereiften Architekten zu betrachten — gerade die Verhältnisse zu legen, welche 
ihn veranlassten, an der Ausführung von architektonischen Teilen, deren Urheber 
Brunellesco damals allein sein konnte, teilzunehmen. Legt man in diese Zeit den 
näheren Beginn seines Übergangs zur Architektur in Renaissance -Formen — mit der 
spätgotischen mochte er seit längerer Zeit vertraut gewesen sein — so verschw^indet 
hinfort jeder stilistische Widerspruch in seiner architektonischen Entwickelung. 

Wir sind dadurch in der Lage, auf Grund von Vergleichen mit anderen dadenen 
Werken Michelozzos, Brunellescos, L. della Robbia, Buggianos, Donatellos u.a.m., 
für die Entstehungszeit der Tbür Michelozzos im Kreuzschiff von S. Croce jedenfalls 
ein späteres Datum als dasjenige der Entstehung des Tabernakels Donatellos an Orsan- 
michele anzunehmen. Es ist vielmehr der Zeitraum von 1445 — 1454 vorzuschlagen. 
Ersteres Jahr ist das Datum der Glocke der dortigen Cappella Medici. 

Die naturgemäfsere, später beginnende Entwickelung des Suis Michelozzos, die 
sich hieraus ergiebt, bestärkt uns in der Überzeugung, den Beginn des berühmten 
Palastes Medici -Riccardi frühestens ums Jahr 1440 zu setzen. Wir erinnern daran, 
dass frühere Erwähnungen des Palazzo oder der Casa Medici hinreichend durch das 
Vorhandensein des älteren, sozusagen neben dem neueren liegenden Palastes erklär- 
lich sind. Der Hof dürfte später, 1445 oder 1448 begonnen und erst kurz vor 1452 
fertig geworden sein. 

Da wir nach dem Gesagten keinen Augenblick annehmen können, dass Brunel- 
lesco in irgend einem seiner Werke sich genötigt sah, irgend etwas von Michelozzo 
zu entlehnen, so vermögen wir nichts an dem zu ändern, was wir über das Ver- 
hältnis des Palazzo Medici zum Palazzo Pitti im Toskanawerke gesagt haben. Was 
Filippo etwa in letzterem von ersterem zu entlehnen schien, mochte ihm ohnehin 
schon gehören, sei es durch das Modell, dass er zuerst für Cosimo geifiacht und 
dann zertrümmerte, sei es durch Vorbilder, die er an den jetzt untergegangenen Häusern 
für andere Familien wie die Barbadori, Quaraiesi und die beiden Brüder Busini auf- 
gestellt hatte und die Michelozzo am Palazzo Medici nur wiederholte. Nur das Ver- 
schwinden jener Vorbilder erweckt den Eindruck, dass Michellozzo diese Elemente 
zuerst angewandt habe. 

Es dürfte sich somit die Priorität Michelozzos im Palazzo Medici wahrscheinlich 
auf den einzigen Punkt beschränken, dass er das Glück gehabt, nach dem Rücktritte 
Brunellescos zuerst an einem so mächtigen Bau die Elemente zu vereinigen, die der 
wahre Altmeister der Renaissance im einzelnen anderswo, sowie im ganzen in seinem 
Modelle festgestellt hatte. 



VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 253 

Da mit dem Bau dieses Palastes zuweilen der angebliche Aufenthalt Michelozzos 
bei Cosimo während dessen Verbannung in Venedig in eine gewisse Beziehung ge- 
bracht worden ist, möchten wir auf eine Quelle aufmerksam machen, welche über 
den näheren Zeitraum dieser Abwesenheit etwas Licht werfen könnte. 

Die von Guasti (II pulpito di Donatello in Prato, S. 26) angeführten, an Donatello 
und Michelozzo verabfolgten Zahlungen für die Arbeiten an der äufseren Domkanzel 
stellen fest, dass Michelozzo bis zum 19. Dezember 1433 und vom 2. September 1434 
an für die Kanzel arbeitete, folglich nicht in Venedig sein konnte. In der Zwischen- 
zeit, die Donatello zum Teil in Rom zubrachte, erbalten die beiden Meister einmal 
4 Lire, und zwischen dem 17. April und 2. September in 5 Zahlungen 18 Lire 
15 Soldi. 

Es kann somit Michelozzo dem am 8. September 1434 verbannten Cosimo nicht 
sofort gefolgt sein und er war vor jenem wieder nach Florenz zurückgekehrt. Seine 
Abwesenheit könnte höchstens acht Monate gedauert haben. ^) 

Sahen wir uns genötigt, die Zahl der W^erke Michelozzos aus der ersten Zeit 
seiner Thätigkeit zu beschränken, so sind wir dafür, dank A. Schmarsow, in der 
Lage, eines seiner späteren, bisher unbekannten Werke in Dalmatien, den Palazzo 
Rettorale in Ragusa,*) anzuführen. 

Wie Schmarsow, vom Studium der Skulptur an der Thür von S. Agostino in 
Montepulciano ausgehend, dahin geführt wurde, Michelozzo für den Architekten der 
unteren Hälfte dieser Kirche zu halten, so bin auch ich, von der Architektur aus- 
gehend, auf diesen Gedanken geführt worden, weil die Bildung der Thür und der 
Kapitelle mit derjenigen derselben Teile im Vorhof der Annunziata in Florenz innig 
verwandt ist. (Wahrscheinlich zwischen 1433 und 1447 entstanden.) 

Das Schlussergebnis dieser Studie bekräftigt in uns die Erkenntnis, dass der 
Ruhm Michelozzos ein wohlverdienter war. Wir sehen allerdings den eigentlichen 
Schwerpunkt seiner Thätigkeit um ein Jahrzehnt etwa näher zu uns gerückt, und 
er wird dadurch vorwiegend ein Zeitgenosse Albertis, mit dem er wohl die Führer- 
schaft der zweiten Epoche der Renaissance in Florenz teilen dürfte, freilich nicht 
ohne mehrfach auch von ihm beeinflusst worden zu sein. 

Da wir durch den Bau in Ragusa auf die auswärtige Thätigkeit Michelozzos 
aufmerksam gemacht wurden, möchten wir hier den Gedanken aussprechen, dass 
seine mailändische Thätigkeit auf die dortige Renaissance vielleicht einen eher gröfse- 
ren Einfluss geübt hat, als man denkt, und dass einige seiner Formen auch auf 
Bramante eingewirkt haben. 

Vor allem war mir hier darum zu thun, diejenigen Punkte der Monographie 
Michelozzos zu besprechen, die infolge der Unterdrückung meiner Schlussbetrachtung 
einen unrichtigen Begriff von den Ansichten geben, zu welchen ich in jener Mono- 
graphie gelangt war. Es dürfte vielleicht nicht überflüssig sein, hier einige weitere 
Bemerkungen über die Rolle, welche die Architektur in den Werken Donatellos 
überhaupt spielt, zu wagen, ohne deshalb diese Frage hier erschöpfend behandeln 
zu wollen. 



1) Eine zu diesem Zwecke eigens angestellte Prüfung der von C. Guasti blofs sum- 
marisch angegebenen Zahlungen dürfte vielleicht bestimmtere Aufschlüsse geben. Sie sind 
enthalten in den Libri de* Debitori e Credilori, bezeichnet F und G im Archivio del Patri- 
monio Ecclesiastico di Prato. Carte dell* Opera del Cingolo. 

*) Archivio storico d eil' Arte, Roma, Anno VI. Fase. II I. 1893. 

34* 



254 DIE ARCHITEKT. ENTWICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO 

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr fühle ich mich geneigt, zu meiner 
ursprünglichen Anschauungsweise zurückzukehren. Ich gestehe, es hat mir nie ein- 
geleuchtet, dass unter allen damaligen Malern, Bildhauern, Scarpellini und Gold- 
schmieden der grofse vielseitige Meister Donatello der einzige gewesen sein sollte, 
der in der Architektur aber auch garnichts verstanden hätte. Es ist nicht zu leugnen, 
seine Thüren in der Sakristei von S. Lorenzo und einige andere Beispiele seiner archi- 
tektonischen Phantasie sind wenig erfreulich. Aber sind es denn etwa einige seiner 
echten Skulpturen viel mehr, sobald man sie von einem freieren Gesichtspunkte aus 
beurteilt, als demjenigen der ausschliefslichen »Charakterwiedergabe«, der zu Liebe 
Jetzt oft jeder Grad von Sünde gegen das einfachste Schönheitsgefühl verziehen wird? 
Und Donatello war dennoch Donatello! Mehrere Thatsachen wollen mich noch nicht 
mit der Theorie befreunden, es sei Donatello in der Architektur so ganz unwissend 
und unfähig gewesen, seine eigenen Gedanken zuweilen in gelungener Weise auszu- 
bilden. Und vor allem, wenn Donatello ganz ohne Kenntnisse in der Architektur ge- 
wesen wäre, wie sollte man es erklären, dass Brunellesco ihn als dritten Mitarbeiter 
an jenem Modelle für die Domkuppel im September und Oktober 141 8 heranzog. 

Ich muss gestehen , dass gerade bei Donatello die architektonischen Hintergründe 
oder sonstige Einzelheiten zuweilen ein ganz besonderes Interesse bieten, und zwar 
deshalb, weil sie Motive zeigen, welchen ich mich nicht erinnere in den Werken 
oder Hintergründen gleichzeitiger Meister begegnet zu haben. Ist diese Thatsache 
richtig, so ist somit bis auf weiteres erlaubt, in diesen Darstellungen einen Reflex von 
den architektonischen Kenntnissen 'Donatellos selbst zu erblicken, ebenso wie von 
den Vorbildern, die ihm »jfMÄ'ei/en« wenigstens besonders lieb waren. Und aus diesen 
wieder kann man sich von seiner Sinnesweise und Geschmacksrichtung in archi- 
tektonischen Dingen eine genauere Vorstellung bilden. 

Ich denke hierbei besonders an solche Darstellungen von antiken Gebäuden 
mit gewaltigen Bögen, welche eine Art Wiederherstellung des sogenannten Friedens- 
tempels (Basilika des Constantinus - Maxentius) sein dürften. Ich denke ferner an das 
sogenannte »Thermenmotiv«, eine Säulenordnung innerhalb einer Bogenöffnung ge- 
stellt, das wir bereits an der Hinterwand des Brancaccidenkmals sehen und in den 
Reliefs in S. Antonio zu Padua ausgesprochener wiederfinden. 

Nicht weniger interessant und von ganz verschiedener Art ist die Architektur 
des Tabernakels mit der Verkündigung in S. Croce. Wagt es jemand etwa auch nur 
einen Architekten der damaligen Zeit zu nennen, dem man einen entfernten Einfluss 
auf diese merkwürdige Erfindung zuschreiben möchte? Ich halte sie durch und durch 
für eine der verschiedenen subjektiven Auffassungs weisen, die Donatello für das Archi- 
tektonische in sich trug.') Als geschulter Architekt weifs ich ja sehr wohl, was vom 
Schulmeister- Standpunkt aus hier getadelt werden kann, bekenne aber zugleich, dass, 
als Mensch und Künstler, mir diese architektonische Begleitung viel angenehmer und 
erfreulicher ist als manche sogenannte korrekte Leistung eines wirklich schaffenden 
Architekten. r^C est plus drolem wie die französischen Künstler zu sagen pflegen. 

Denke ich an das architektonische Verständnis, welches dazu gehörte, den Bischofs- 
stab des heiligen Ludwig von Tolosa in S. Croce, oder die architektonische Umgebung 
mit einer sitzenden Figur in einem Relief zu Padua in grofsartige Auffassung mit 
letzterer zusammen zu komponieren, betrachte ich ebenfalls die Orgeltribüne für den 



*) Aus der Architektur allein einen Schluss auf das Datum der Verkündigung zu ziehen 
ist augenblicklich nicht leicht. Zunächst denke ich an die Periode zwischen 1424 und 1433. 



VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 255 



Dom, sowie die ebenso fein gezeichneten als ausgeführten Ornamente an der Rüstung 
des bronzenen David, und an dem Ärmel des Engels auf der Verkündigung in S. Croce, 
denke ich schliefslich an gewisse Details wie die Docken (Balusterstabe) an den Ecken 
des Piedestals der Judith — von einer Eleganz d^r Linie wie man sie vielleicht bis zu 
denen RafFaels in den Fenstern der Farnesina nicht wiederfindet — so glaube ich, dass 
Donatello auch wegen seiner architektonischen Ideen und Anschauungsweise eine 
durchaus bedeutende künstlerische und \war selbständige Erscheinung ist. 

Die oben erwähnten Motive hat Donatello entweder selbständig aus den antiken 
Denkmälern Roms entnommen und verwertet zu einer Zeit, da wir von ihnen bei 
seinen Zeitgenossen in ausgeführten Werken noch keine Spur finden, oder er ent- 
lehnte sie aus den Aufnahmen und Restaurationsversuchen, die sicherlich Brunellesco 
gemacht haben muss und die wir vielleicht noch finden werden. In dem einen Falle 
wie in dem anderen beweist das alles eine selbständigere weiterblickende Auffassungs- 
weise, als die der meisten seiner Zeitgenossen. 

Ich glaube daher, dass die Grofsartigkeit der Gefamtformen , ebenso wie die 
elegante Durchbildung der Details in der Architektur nicht aufser seinem Können 
lagen, wenn es ihm nur ernstlich darum \u thun war, sie nicht :(u vernachlässigen. 

Ebenso wie man vor mehreren Skulpturen Donatellos, die man geradezu als 
schlecht bezeichnen möchte, nicht den Schöpfer des herrlichen S. Giorgio, des Reliefe 
zu seinen FUfsen und so vieler anderer Juwele wiedererkennt und man annehmen 
muss, dass in Donatello sozusagen zwei oder drei verschiedene Künstlernaturen ver- 
eint waren, ebenso dürften sich diese Naturen in sehr verschiedener Weise und Rich- 
tung in dem zwar weniger wichtigen, aber immer noch interessanten Gebiete seiner 
architektonischen Thätigkeit widerspiegeln. Manchmal behandelt er das Ornament 
mit unglaublicher Nachlässigkeit, dann wieder mit einer Liebe und Feinheit der Durch- 
bildung, die von keinem seiner Zeitgenossen übertroffen wird. In seinen Motiven sehen 
wir ebenfalls zum mindesten zwei Richtungen. In einigen Werken ist er bestrebt, eine 
sozusagen freie Dekorationsweise auszubilden, in anderen hält er sich viel mehr an 
die Antike. 

Sollte es nach diesen verschiedenartigen Erscheinungen nicht richtiger sein, das 
Gesamtkönnen Donatellos auf dem Gebiete der Architektur nicht blofs nach den 
Thüren in der Sakristei von S. Lorenzo abschliefsend zu beuneilen , durch welche 
Brunellesco mit vollem Recht sich beleidigt fühlen konnte, und auch nicht nach der 
nachlässigen, aber interessanten Ausbildung des Tabernakels in Rom? Wäre es nicht 
möglich, dass, je nachdem Donatello sich der einen oder der anderen seiner Naturen 
hingab, er wohl imstande war, ein viel strengeres vollendeteres architektonisches 
Dekorationswerk auszuführen, als man es gewöhnlich denkt? 

Es rufen diese Betrachtungen zwei Gedanken hervor. Erstens ist es nicht un- 
denkbar, dass trotz des direkten Einflusses Brunellescos im Pulpito della Cintola in 
Prato ein Teil der erwähnten Vorzüge auf Donatellos eigenen Willen , sein Können 
und selbst seine Angaben zurückzuführen ist. Auch darf am Pulpito die Teilnahme 
des Pagno di Lapo Portigiani nicht vergessen werden. Seine vortreffliche weiche, 
dennoch feste, etwas fette Technik in der Behandlung der Marmorfläche, wie wir 
sie an seinem Grabtnal Chellini in S. Miniato al Tedesco und am Tabernakel Miche- 
lozzos in der Annunziata sehen, dürfte auch in Prato mitgeholfen haben, den Ein- 
druck reiferer Formen hervorzubringen. 

Der zweite Gedanke, zu dem ich geführt wurde, ist die Frage: Von wem rührt 
die Architektur des Tabernakels Donatellos an Orsanmichele her? Sollte man hier 



256 DIE ARCHITEKT. ENTWICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO 

vergessen haben, sich nach einem Beirat Donatellos umzusehen? Und doch ist es 
vielleicht das wichtigste architektonisch durchgebildete unter seinen Werken. 

Seine Entstehungszeit scheint mir zwischen 1435 und 1444^ vielleicht nicht 
später als 1440 zu liegen. 

So lange ich unter dem Drucke der Theorie stand, es könne Donatello seine 
Architekturen nicht allein komponiert haben, glaubte ich öfters an Alberti, der gerade 
damals viel in Florenz sich aufhielt und ebenfalls mit ihm befreundet war, denken 
zu müssen. Ich gebe jedoch zu, dass vieles auch hier wieder noch mehr an Brunellesco 
erinnert, aus welchem übrigens, wie Michelozzo, auch Alberti anfänglich und zum Teil 
hervorgegangen ist. 

Sollte man nun, nach allem was wir über Donatello erwähnt haben, gar den 
Gedanken äufsern dürfen, dass Donatello schliefslich vielleicht der alleinige Autor 
des Tabernakels gewesen sei? Dass die Vorbilder, die er bei Brunellesco, an Sarko- 
phagen und anderswo sah, verbunden mit dem ernsten Willen , sich hier alle Mühe 
zu geben, dazu ausgereicht haben, dies schöne Werk zu schaffen? Dass wie im hei- 
ligen Georg an Orsanmichele Donatello ein Wunder der Skulptur geschaffen habe, 
er hier auch in der Architektur besonders glücklich gewesen sein könnte? 

Zum Schluss noch ein Won über das Bronzekapitell in Prato. Was ich in der 
Monographie gegen die Guasti'sche Interpretation des Dokumentes und gegen die An- 
sicht meiner Mitarbeiter hervorgehoben, muss ich hier von neuem betonen : am Bronze- 
kapitell ist alles von Donatello, Michelozzo war blofs der Giefser. In der freien in der 
Architektur nicht gebräuchlichen Anordnung von mehrfach der unorganischen Welt 
entnommenen Motiven, im Auftreten von Engeln vier verschiedener Gröfse auf so 
beschränktem Räume, verbunden mit dem lebendigen Reiz der Köpfchen, sehen wir 
durchaus das Walten eines vorwiegend nicht architektonischen Geistes. Hier tritt nicht 
Michelozzo, sondern einer der Erzväter der Renaissance selber auf, in dessen Herzen 
aus einem Kelche die beiden Ströme der modernen Kunst gemeinsam fliefsen, der 
Zauber natürlicher ewig junger Schönheit und der Reiz männlicher Willkür und freier 
Phantasie. Durch letztere bildet Donatello das Gegengewicht zu seinem gesetzmäfsigeren 
Freunde Brunellesco und wird so der Grofsvater des Barocco. In den letzten Kapitellen 
seines Schülers Desiderio beginnt die Saat der Willkür bereits zu sprossen, bei Michel- 
angelo ist sie zum gewaltigen Stamme erstarkt, im Rokoko zu einem ganzen Stil- 
gesetz geworden. So spiegelt sich in diesem einzigen Kapitell der ganze und doppelte 
Charakter der Kunst Donatellos von ihrer architektonisch dekorativen Seite wieder. 

Ich fühle sehr wohl, dass meine Erklärungen nicht vermögen, alles wünschens- 
werte Licht auf die berührten Fragen zu werfen. Überhaupt möchte ich nicht den 
Gedanken erwecken, als glaubte ich endgültig und überall das Richtige getroffen zu 
haben — wohl aber hoffe ich zum Finden der Wahrheit hier etwas mitgeholfen zu 
haben. 



CHRONOLOGISCHE ZUSAMMENSTELLUNG DER WERKE MICHELOZZOS SOWIE 
EINIGER FÜR DEREN DATIERUNG WICHTIGER EREIGNISSE. 

1396. Geburt Michelozzos. 

1418. I.September — 22. Oktober. Brunellesco, Nanni di Antonio di Banco und Donatello 

stellen das gemeinschaftliche Modell für die Mauerung der Domkuppel her. 
1420. Erwerbung der Güter des Klosters al Bosco im Mugello durch Cosimo Pater Patriae. 
1424. ? M. beginnt mit Donatello das Monument Coscia. 



VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 257 

1425. M. beginnt in Gemeinschaft mit Donatello zu arbeiten (Denunzia del 1427). 

1427. Ghiberti war M. noch 13 fior. für Arbeit am S. Matheo schuldig (Denunzia del 1427). 

1427. M. wohnt in seinem eigenen Hause in Via Larga in Florenz (Denunzia del 1427). 

1427. Monument Brancacci {f 27. März 1427) für Neapel auf Kosten Cosimos in Arbeit. 

1427. M. ist noch Intagliatore dei ferri delle monete von 6 Monat zu 6 Monat (Denunzia 

del 1427). 

1427. Monument Coscia {f 141 9), noch in Arbeit, 1424 begonnen (v. Tschudi). 

1427. Monument Aragazzi für Montepulciano in Arbeit (Denunzia). 

1428. 14. Juli. Bestellung der Aufsenkanzel am Dom zu Prato. 

1430. Nach der Denunzia de* beni von 1430 ist M. von Florenz abwesend (Gaye I. 119). 
1430. ?? Palazzo Medici (Riccardi) für Cosimo P. P. begonnen — (Gotti Pal. Vecchio p. 80 u. a. m.) 

sehr unwahrscheinlich. 
1433. I.April. Pagno di Lapo Portigiani Scarpellatore erhält 16 L. fllr die Reise nach Rom 

(Guasti), um Donatello zu den Arbeiten an der Kanzel zu holen. 
1433. M. giefst zwischen August und 9. Dezember Donatellos Bronzekapitell der Aufsenkanzel 

zu Prato (Guasti il pulpito di Donatello). 

1433. M. ist noch in der Bottega Donatellos (Gaye i. 119). 

1434. ?? M. in Venedig zwischen 19. Dezember 1433 und September 1434. 

1434. ? Bau der Bibliothek von S. Giorgio Maggiore in Venedig auf Kosten Cosimos P. P. 

M. ist nicht genannt im Vertrag vom 27. Mai, betreffend die Kanzel in Prato (Do- 

natium et alios). 
1434. Am 2., 14., 22. Oktober kommt der Name M. in den Zahlungen für die Kanzel 

wieder vor. 
1436. Auflösung der Gemeinschaft zwischen Donatello und M. nach 1434. 

1436. Vollendung des Grabmals Aragazzi. 

1437. Beginn des Klosters S. Marco in Florenz. 

1438. September. Die Vergoldungen an der Kanzel in Prato werden an Donatello und 
M. bezahlt. 

1439. S. Marco, eine Kapelle, Chor und Tribuna fertig. 
Nach 1439. ^- Marco Bibliotheksaal begonnen. 

1440. ?? Vollendung des Palazzo Medici (nach v. Reumont; sehr unwahrscheinlich). 

1440. Wahrscheinlicher Beginn des Palazzo Medici (nach J. Burckhardt und H. v. Gey- 
müller). 

1440. 28. Februar. M. übernimmt mit L. della Robbia eine der ThUren der neuen Sakristei 
im Dom von Florenz (Vasari II. 401 No. i). 

1441. S. Marco, Vollendung der Bibliothek (v. Reumont, II. 575 aus Mehus, Ambr. Tra- 
versari Epistole I. 63). 

1442 — 1443. S. Marco, ansehnliche Teile des Klosters fertig (Vasari IL 411). 
Um 1443. ? AI Bosco im Mugello (siehe 1452). 

1444. 3. Oktober. M. ist Capomaestro della fabbrica della nuova chiesa de' Servi in Florenz 
(S. Annunziata), Disegnatore der Cappella grande, der Sakristei und vieler anderer 
Teile. (Archivio di Stato. Fir. Gono Soppr. No. 686). 

1445. ^^ Croce. Die Glocke der Cappella Medici mit Namensinschrift Cosimos. 

Vor 1446 S. Annunziata. Beginn der runden Tribuna (disegnata da Fil. Brunellesco biasimata) 

(G. Mancini L. B. Alberti S. 510). 
1444 — 46. S. Annunziata. Seitenkapellen unter M.'s Leitung. 

1446. Begonnener Neubau v. S. Girolamo di Vellesoli bei Volterra (Dr. H. Stegmann). 

1446. II. August. Ernannt zum Capomaestro des Doms zu Florenz (Milanesi, Vasari II 480). 

1447. 26. Februar. M. ist Vater von 4 Kindern (Denunzia). 

1447. Februar. Maso di Bartolommeo beginnt die Leuchter für das Gitter am Tabernakel 

der S. Annunziata. 
1447. 28. Februar. Bestellung des Bronzegitters um den Altar der Capella di S. Stefano in 

S. Maria del Fiore an M. (Rumohr II 362). 



258 DIE ARCHITEKT. ENT WICKEL. MICHELOZZOS U. S. ZUSAMMENWIRKEN M. DONATELLO 

1447. ^7. Juni. S. Miniato al Monte. Die Erlaubnis, das Tabernakel zu errichten, wird er- 
wähnt. (Berti, cenni Storici di S. M.) 

1447. November. S. Annunziata, Maso di Bartolommeo erhält die Bestellung der Thüren 
des Gitters um das Tabernacolo. (Yriarte Gaz. des Bx. Arts 1881.) 

1447. S« Annunziata. Beginn des Vorhofs (Antiporto) und Vorbogens. 

1448. 27. MUrz. S. Miniato al Monte, Maso di Bartolommeo giefst zwei Adler für das Gitter 
des Tabernakels (Yriarte, loc. cit.). 

1448. S. Annunziata. Pagno di Lapo Portigiani vollendet das Tabernacolo (inschriftl.). 

1449. S. Annunziata. Auf M.*s Anweisung wird ein Steinmetz bezahlt (Tonini). 

1431. Palazzo Vecchio. Maso di Bartolommeo giefst die Glocke der Uhr (Yriarte loc. cit.) 
(Milanesi -Vasari II 450 No. 3 Michelozzo getto la Campana del Palazzo 1453). 

1451. S. Annunziata. Bronzegitter um das Tabernakel angefertigt von verschiedenen Ktinst- 
lern (Michele di Buonconsiglio Sezi(?) und Banco(?), der Marmorrahmen dazu von 
Meo di Bitochio(?). 

1451. Dezember. S. Maria del Fiore, M. hört auf Capomaestro zu sein (Vasari II, S. 450). 

1451. Vollendung von S. Girolamo di Vellesoli bei Volterra (Dr. H. Stegmann). 

1452. 25. Dezember. S. Annunziata, Konsekration des Altars und des Tabernakels durch 
Kardinal d'Estouteville. 

1452. 21. Juni. S. Marco, Cosimo bestellt an Maso di Bartolommeo eine Bronze- Brunnen- 
einfassung (margelle). 
1452. S. Marco. Das ganze Kloster vollendet (v. Reumont). 
Um 1452. Beginn der Arbeiten im Mugello al Bosco (nel medesimo tempo che avera finito 

5. Marco) (V. Bisticci) siehe 1443. • 

1452. 27. April. Palazzo Medici (Riccardi). Maso di Bartolommeo macht Zeichnungen für 
Sgraffiti für den Hof (Yriarte loc. cit.). 

1452. S. Annunziata. Vollendung des Vorhofs (Antiporto). 

1453. ^' Annunziata. Die BauthStigkeit nimmt ab. 

1454. Palazzo della Signoria. Beginn des Neubaues des Hofes nach dem 6. Februar, am 

6. Oktober sind sie bereits im Gange. 

1455. S. Annunziata. M. bezeichnet als Intagliatore und Capomaestro a gualunque muraglia 
di detti frati (Mancini op. cit. 510), letzte Erwähnung. 

1456. Der Herzog von Mailand schenkt an Cosimo P. P. einen Palast in Mailand. 

1457. S. Feiice in Florenz. (Die Fassade wird zuweilen M. zugeschrieben.) 

1459. ^' Annunziata. Die Sakristei wird auf Kosten des Capitano di Parte Guelfa errichtet 

(Fantozzi). 
1459. Galeazzo Maria Sforza lobt die Gflrten in Careggi. 

1459. ^^^^ ^"^ September. Palazzo Medici. Benozzo Gozzoli malt an den Fresken der Ka- 
pelle (Gaye I. 191). 

1460. S. Marco, 2. Klosterhof. Thür hinter der Kirche mit Pilastern und Medici- Kugeln 
im Fries (Inschr.). 

1460. 13. Mai. S. Annunziata. Erste Erwähnung Manettis als Leiter des Rundbaues (Chor). 

146 1. Irrtümliche Angabe der Erbauung von Careggi. 

1461. S.Maria del Fiore. Reinigen der Bronzethür der Sakristei mit L. della Robbia (Cice- 
rone). 

1461. S. Miniato al Tedesco. Monument Chellini (*}- 1461) von Pagno di Lapo Portigiani 
(Vasari II. 447 No. 5). 

1462. M. Mitglied des Rats gen. CoUegio in Florenz (Vasari IL 438 No. 2). 
1462. Cappella Portinari in S. Eustorgio zu Mailand angeblich begonnen. 
1462. Careggi. Kamin des grofsen oberen Saals. 

1464. Florenz. Palazzo Medici (Riccardi). Filarete erwähnt die Kapelle als fertig. 
1464. Ragusa. Michelozzo und Giov. Orsini da Sabenico erhalten vom grofsen Rat in Ve- 
nedig den Auftrag, den Pal. Rettorale in Ragusa neu zu bauen (Gelcich und Schmarsow). 
1464. 16. Mai. Ragusa. Kontrakt M., um auf 6 Monate nach Scio zu gehen. 



VON HEINRICH VON GEYMÜLLER 259 



1464. 10. August. S. Maria del Fiore. Der Kontrakt für die Sakristeipforten des Doms 
erwähnt M. als für längere Zeit aus Florenz abwesend (v. Rumohr II. 371). 

1469. Bald nach dem 17. August. Florenz. Pal. della Signoria. Entwurf und Modell fUr 
die oberen Umbauten und Decken. 

1470. S. Annunziata. M. erwähnt die Schuld der frati für Arbeiten, die er vor längerer Zeit 
(piu tempo fä) für sie machte. 

1471. 3. Mai. Palazzo della Signoria. Giov. da Gaiole arbeitet bereits an der Decke für den 
Saal der 200. 

1472. 7. Oktober. Tod. Begraben in S. Marco (Milanesi Vasari II. 450). 



EIN STUDIENBLATT DES VITTORE PISANO ZU DEM FRESKO 
IN S. ANASTASIA ZU VERONA 

VON CAMPBELL DODGSON 

In der an kostbaren Zeichnungen überaus reichen Sammlung des verstorbenen 
Mr. John Malcolm of Poltalloch, die gegenwärtig im British Museum ausgestellt 
ist, befindet sich ein sehr beachtenswertes Blatt, welches Sir T. Lawrence einst besessen 
hat. Robinson beschreibt es unter Nr. 5 in seinem nicht für den Buchhandel be- 
stimmten Katalog und weist es dem Andrea del Castagno zu. Verführt durch einen 
Irrtum Vasaris brachte er die Darstellung in Beziehung zu der Verschwörung der Pazzi 
vom Jahre 1478 und wollte in den Erhängten zwei der Pazzi und Francesco Salviati, 
den Erzbischof von Pisa, erkennen. Indessen hätte Andrea niemals die Hinrichtung 
dieser berühmten Verschwörer malen können, weil er schon 1457 starb; die von ihm 
im Bargello ausgeführte ähnliche Scene, welche ihm bei seinen spottsüchtigen Lands- 
leuten den Spitznamen »degli Impiccati« einbrachte, schilderte den Tod der Albizzi 
und ihrer Mitverschworenen im Jahre 1434. Aber auch der Pazzi Bestrafung wurde 
in gleicher Weise dargestellt und zwar von Botticelli, während das Bildnis Bernardo 
Bandinis, des letzten erst am 21. Dezember 1479 hingerichteten Verschwörers, uns in 
einer Naturstudie Leonardos erhalten ist (bei L. Bonnat in Paris). 

Die Untersuchung, ob hier die Verschwörung der Pazzi oder der Albizzi gemeint 
sei, ist in diesem Fall gegenstandslos, da unsere Zeichnung keineswegs von einem 
Florentiner Künstler herrührt. Sowohl Gesichtstypus und Charakter der beiden Köpfe 
auf dem unteren Teil des Blattes, als auch die naturalistische Auffassung und minutiöse 
Durchführung sowie die Art des Zeichnens mit ihren kurzen, aufserordentlich feinen 
Federstrichen zeigen die Hand eines ganz andern Künstlers, nämlich die des Veronesers 
Vittore Pisano. Als sein Werk hat man die Zeichnung sofort erkannt, als sie nach 
dem British Museum überführt worden. Ich bin jetzt in der Lage, das Blatt näher 
zu bestimmen und in ihm die Originalstudie zu einem merkwürdigen Detail auf dem 
bedeutendsten der erhaltenen Werke des Meisters, dem Fresko an der Aufsenseite der 
cappella Pellegrini in Sant' Anastasia zu Verona nachzuweisen.^) 

^) Die linke Hälfte dieser Malereien ist fast völlig zu Grunde gegangen; der noch 
leidlich erhaltene Teil ist kürzlich von der Arundel Society farbig reproduziert nach einer 
vorzüglichen Zeichnung, welche Sgn. Constantini besorgt hat. 

35 



26o EIN STÜDIENBLATT DES VITTORE PISANO VON CAMPBELL DODGSON 

Es ist die Abreise Sankt Georgs dargestellt: der ritterliche Heilige befindet sich, 
den einen Fufs im Steigbügel, fast in der Mitte der Komposition, neben ihm rechts 
die Prinzessin, zwischen dem Pferde ihres Befreiers und dem seines Knappen, welcher 
schon aufgesessen ist, während daneben, nur zum Teil sichtbar, zwei Pferde ungeduldig 
an den Stangen kauen. Links im Mittelgrund sieht man eine Gruppe von Reitern, 
ganz vorn zu Füfsen des Heiligen zwei Hunde, weiter rechts einen Widder. Für die 
meisten der Tiere und einige der Menschen giebt es Studien in dem Skizzenbuch 
Pisanos, dem berühmten Codex Vallardi des Louvre. 

Was uns hier interessiert, ist nicht die Hauptgruppe, sondern der Hintergrund 
der Komposition : dort sieht man auf einer Anhöhe eine Stadt mit ihren Befestigungen 
und phantastisch geformten Türmen; vor den Mauern, unmittelbar hinter der Reiter- 
gruppe links, ist ein Galgen errichtet, an dem die Körper zweier Verbrecher hängen. 
Mit dieser Gruppe zeigt unser Blatt die auffallendste Verwandtschaft. Auf dem oberen 
Teil desselben sind drei Erhängte gezeichnet und zwar ist jeder zweimal von ver- 
schiedenen Seiten aufgenommen. Zwei, nämlich die erste und dritte dieser Figuren 
der oberen Reihe, findet man auf dem Fresko genau kopiert, mit geringen Abweichungen 
in der Kleidung. Die Bildnisse eines Knaben und einer Dame auf dem unteren Teile der 
Zeichnung haben offenbar keinen Zusammenhang mit jenen, während diese wiederum 
nur als Naturstudien anzusehen sind, ohne direkte Beziehung zu der Geschichte des 
heiligen Georg. In der That ist es nicht leicht, einen Grund für ihre Einfügung in 
das Fresko zu finden: die Legende selbst bietet keinen Anhalt dazu. Es scheint, der 
Künstler hat den Galgen als ein charakteristisches Zubehör der Landschaft betrachtet 
bei diesen unruhigen und gesetzlosen Zeiten; auch ist es wahrscheinlich, dass irgend 
welche Greuelscenen der Veroneser Geschichte ihm Gelegenheit zu solchen Naturstudien 
gegeben haben. 

Es ist beachtenswert, dass sich ein ähnliches Detail auch auf der Berliner 
Anbetung der Könige des Vittore Pisano befindet. Bode, welcher das Bild im VI Bande 
dieser Zeitschrift publiziert, sagt bei dieser Gelegenheit (S. 12 Anmerkung): ^Meines 
Wissens ist dies das einzige Mal, dass ein Galgen als blofses Beiwerk zur Cha- 
rakteristik des landschaftlichen Hintergrundes auf einem Gemälde des italienischen 
Quattrocento dargestellt ist.« 

Die Entstehungszeit des Fresko konnte bisher mit Sicherheit nicht festgestellt 
werden. M. Gruyer behauptet, es könnte wegen der offenbar nach der Natur ge- 
zeichneten Köpfe von Orientalen erst nach 1438 entstanden sein; denn nur auf dem 
Konzil von Ferrara, welches Eugen IV in diesem Jahre abhielt, hätte Pisano diese 
Studien machen können. 



DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM VON GEORG VOSS 26 1 



DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM 



VON GEORG VOSS 

In der kleinen, bisher kaum beachteten Kirche des Dörfchens Dahlem bei Berlin^ 
am Rande des Grunewaldes, ist am Ende des vorigen Jahres eine Reihe von Wand- 
gemälden zum Vorschein gekommen. Im Vergleich zu den spärlichen noch jetzt er- 
haltenen Resten von Wandmalereien des Mittelalters in der Mark Brandenburg gehören 
diese Gemälde nicht nur zu den umfangreichsten, sondern auch zu den ältesten Denk- 
mälern der Malerei in der Mark überhaupt. Die rein künstlerische Bedeutung der 
neu entdeckten Wandgemälde tritt freilich wesentlich zurück gegen die ausgedehnten 
Bildercyklen, welche in den älteren Kulturländern Deutschlands, namentlich am 
Niederrhein, zum Vorschein gekommen sind. Jedoch für die Geschichte der Ent- 
wickelung der bildenden Künste in der Mark sind die Dahlemer Gemälde von um so 
gröfserem Interesse. Da es zu befürchten ist, dass auch diese Malereien ähnlich wie 
viele andere Reste der mittelalterlichen Wandmalerei in der Mark bei der nächsten 
Gelegenheit rücksichtslos wieder übertüncht werden, so sei jetzt die Gelegenheit wahr- 
genommen, die Aufmerksamkeit der Kunstforschung auf sie hinzulenken. 

Die Kirche in Dahlem ist ein äufserst primitiver Bau, dessen ursprüngliche Teile 
der letzten Zeit des romanischen Stils angehören. Da über diesen ältesten Bau keinerlei 
Nachrichten überliefen sind, so lässt sich eine Vorstellung von der ursprünglichen 
Anlage nur durch eine nähere Untersuchung des Mauerwerkes gewinnen. Der ur- 
sprüngliche Bau war ein einschiffiger Raum von der Grundform eines länglichen Recht- 
eckes. An der Nordwand sind noch jetzt die schmalen, etwa 20cm weiten Fenster 
erhalten. Auch auf der Südwand zeigt sich ein ebensolches Fenster, das jedoch später 
vermauert ist. Dieser Raum war, nach den verhältnismäfsig schwachen Mauern zu ur- 
teilen, mit einer Balkendecke überdeckt. Der alte Chorabschluss ist bei einem späteren 
Umbau zu Grunde gegangen. In diesem durch die schmalen Fenster nur spärlich 
erleuchteten Räume waren die Wandflächen zwischen den Fenstern in ihrer vollen 
Breite mit Wandgemälden bedeckt, die noch jetzt auf der nördlichen Mauer zum 
grofsen Teil erhalten sind. Diese Wandgemälde bilden einen so integrierenden Teil 
des ursprünglichen Bauwerks, dass die Zeit der Ausmalung der Kirche wohl unmit- 
telbar mit der Bauzeit zusammenfallt. 

Bei einem späteren Umbau in der zweiten Hälfte des XV Jahrhundens wurde 
die Kirche überwölbt. Zu diesem Zwecke mussten die Mauern durch Strebepfeiler 
verstärkt werden. Diese wurden ohne Rücksicht auf die Wandgemälde in das Innere 
der Kirche hineingelegt, so dass die Gemälde zum Teil dadurch vernichtet sind. An 
der Südwand wurde ein grofses, breites gotisches Fenster in die Mauer hineingebrochen, 
ebenfalls ohne Rücksicht auf die alten Malereien. Aus der Zeit dieses Umbaues stammt. 

35* 



202 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM 

auch die Anlage des polygonal geschlossenen Ostchors. Eine weitere Zerstörung er- 
fuhren die Malereien beim Einbau der in den Formen der Spätrenaissance ausgeführten 
Kanzel und schliefslich bei der Anlage der Empore auf der Westseite der Kirche im 
Jahre 1679. 

Die noch jetzt erhaltenen Malereien zeigen folgende Darstellungen: 

I. An der Nordwand ^ von Westen beginnend: 

d) Ein breites Feld auf grünem Grunde, zerschnitten durch den Strebepfeiler. Ur- 
sprünglich drei lebensgrofse Gestalten von Heiligen, unter denen besonders eine 
sitzende Frauengestalt von edler Haltung mit Krone und Nimbus gut erhalten 
ist, s. Fig. I. Farbspuren zu ihren Füfsen, die auf den ersten Blick wie ein Rad 
aussehen, dürfen nicht auf die heilige Katharina gedeutet werden. Es sind die 
Reste eines viel späteren Weihekreuzes, das in derselben Weise neunmal in der 
Kirche, auch auf den spätgotischen Strebepfeilern, sichtbar ist. 

b) Auf einem roten Felde Maria und Christus mit der Weltkugel, auf breitem, ge- 
meinschaftlichem Thronsessel sitzend, beide gegen ein viereckiges Rückenkissen 
gelehnt. 

c) Auf einem roten Felde die heilige Anna, auf dem rechten Arm das Christkind, auf 
dem linken Arm die heilige Maria als etwa achtjähriges Kind haltend. Die letz- 
tere ist grofsenteils durch die eingebaute Kanzel verdeckt. Zu den Füfsen der 
heiligen Anna kniet eine weibliche Gestalt, in deren Kleidung besonders das den 
Hals verhüllende Riefsentuch auffällt, s. Fig. 2. Im Hintergrunde sind unter an- 
deren Gegenständen drei Paar Krücken aufgehängt, wohl Weihgaben zum Ge- 
dächtnis an wunderthätige Heilungen von Lahmen. 

II. An der Südu^and^ von Westen beginnend: Christus mit der Dornenkrone 
und dem Kreuznimbus. Sodann, durch das breite gotische Fenster zerschnitten, die 
Farbspuren einer lebensgrofsen Gestalt, die wahrscheinlich Christus bedeutet. 

III. Auf der Empore: Drei Halbfiguren, unter denen namentlich die Gestalt 
eines Königs mit dem Reichsapfel und dem Scepter, ferner die Gestalt eines Bischofs 
mit der Mitra und dem Bischofsstabe deutlich erkennbar sind. 

Die Bilder auf der Südwand sind so mangelhaft erhalten, dass dieselben sich in 
dem jetzigen Zustande zum Teil einer näheren kunstgeschichtlichen Untersuchung ent- 
ziehen. Auf der Nordwand dagegen sind wenigstens vier Figuren so deutlich erhalten, 
dass daraus wohl auf den Inhalt der ganzen Malereien geschlossen werden kann. Dass 
die Gesichter, die Hände und übrigen Fleischteile sämtlicher Gestalten jetzt schwarz 
erscheinen, ist natürlich nur auf eine chemische Zersetzung der Farbe zurückzuführen. 
Ein ähnliches Schwarzwerden der Gesichtszüge ist auch bei anderen mittelalterlichen 
Wandmalereien, namentlich bei denen in Obersten auf der Reichenau aus dem Ende 
des X Jahrhunderts, beobachtet worden. Noch besser würden diese Figuren zu er- 
kennen sein, wenn bei der Freilegung der Bilder die Tünche mit der gehörigen 
Sorgfalt abgenommen wäre. Statt die Tünche durch einen sachverständigen, in der- 
artigen Arbeiten geübten Gemälderestaurator mit einem Holzspan abblättern zu lassen, 
hat man die Freilegung durch Maurer vornehmen lassen, welche unverständigerweise 
mit schweren Hammerschlägen die Tünche abzuklopfen versucht haben. Die Tünche 
ist dadurch vielfach auf die Oberfläche festgeschlagen, auch machen diese Spuren der 
Hammerschläge die Malereien besonders schwer erkenntlich. Aber noch jetzt würde 
ein geschickter Restaurator dieselben leicht beseitigen können. Ungünstig ist ferner 
die Beleuchtung der Bilder zwischen dem grell einfallenden Licht der schmalen Fenster. 
Am besten sieht man die Bilder, wenn man das Licht dieser Fenster abblendet. 



VON GEORG VOSS 



263 



Die Gemälde deutlich zu photographieren , war nur bei zugedeckten Fenstern und 
mit Anwendung von Magnesiumlicht möglich. Die auf diese Weise gewonnenen 
photographischen Aufnahmen ergänzen den Anblick der Originale vielfach. 

Die künstlerische Auffassung, welche sich in den Hauptfiguren an der Nordwand 
zu erkennen giebt, weist unzweifelhaft auf die erste Zeit des frühgotischen Stiles. 
Noch liegt etwas von der ernsten Hoheit der romanischen Kunstauffassung in der 
Zeichnung der Gestalten. Von den schlanken Proportionen und den bewegten Stel- 
lungen^ welche der gotische Stil in die Zeichnung der menschlichen Figuren einführte, 
ist in den Gestalten der thronenden Frauen noch nicht die Rede. Künstlerisch am 
höchsten steht in dieser Beziehung die Frauengestalt zunächst der Empore (s. Fig. i ). Der 
edle Schnitt der Gesichts- 
züge, der harmonische Li- 
nienfluss der Haare weist 
trotz der flüchtigen Aus- 
führung auf die Hand eines 
tüchtigen Künstlers. Die 
Wellenlinien der Haare er- 
innern wohl an den Stil 
der Skulpturen im Dom zu 
Bamberg, an die Gestalten 
der Eva und der Kaiserin 
Kunigunde. Selbst in den 
primitiven breit hingesetz- 
ten Konturen, die ohne Ab- 
schattierung mit den Lo- 
kalfarben ausgefüllt sind, 
machen sich diese Anklänge 
bemerkbar. Der Versuch 

einer Schattierung durch die Farbe zeigt sich nur an dem Kopf dieser einen Frauengestalt 
zunächst der Empore. Stirn und Kinn sind hell beleuchtet, die übrigen Teile sind be- 
schattet dargestellt. Wenig zu dem edlen Schnitt dieser Gesichtszüge zu stimmen scheint 
der Ausdruck der vor der heiligen Anna knieenden Frau (s. Fig. 2). Der unedle Schnitt 
ihrer Gesichtszüge ist in diesem Falle wohl nur dadurch zu erklären, dass der Maler den 
Unterschied zwischen der Niedriggeborenen und den Heiligen hervorheben wolhe. Diese 
Auffassung entspricht durchaus den Traditionen der Kirche. In ganz ähnlicher Weise 
ist auf der Kreuzigung in der Kirche »Maria zur Höhe« in Soest neben der edlen 
Gestalt des römischen Hauptmanns Longinus der Kriegsknecht, welcher dem Heiland 
den Ysopstab mit dem Essigschwamm hinaufreicht, durch hässlich und unregelmäfsig 
geformte Gesichtszüge charakterisiert. Bei Bettlern und Krüppeln macht sich diese 
Auffassung noch in den Werken Raphaels und darüber hinaus geltend. Das den 
Hals verhüllende Riefsentuch der knieenden Frauengestalt aus kostümgeschichtlichen 
Gründen für die Datierung der Gemälde heranzuziehen, dürfte schwer halten, da 
dieses Tuch in ähnlicher Weise vom XII Jahrhundert ab das ganze Mittelalter hin- 
durch als Tracht der verheirateten Frauen in Gebrauch war. 

Bewegter und bewusster in die Traditionen des gotischen Stils einlenkend ist 
der thronende Christus gezeichnet. Das zeigt namentlich die lebhafte Wendung des 
Kopfes. Auch der Schnin der Haare erinnert deutlich an Porträtstatuen der früh- 
gotischen Zeit. Die Darstellung Christi und der Maria, auf einem gemeinsamen 





Fig. I. Fig. 2. 

Köpfe aus den Wandgemälden der Nordwand der Kirche zu Dahlem. 



204 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM 

Throne nebeneinander sitzend, kommt in dieser Zeit häufig vor, allerdings zumeist 
bei der Krönung der Maria. Ein gleichzeitiges Beispiel ist uns in den Kopien 
nach den Wandgemälden der Deutsch -Ordens -Kapelle zu Ramersdorf trhahen. 

In ikonographischer Beziehung bieten die Dahlemer Gemälde im übrigen wenig 
Bemerkenswertes. Zu deuten sind noch die kreisförmigen Scheiben, welche hinter 
der heiligen Anna rechts von den Krücken an der Wand hängend dargestellt sind, 
ebenso der Gegenstand links von diesen Krücken , der etwa wie ein Frauenrock aus- 
sieht. Da auch die Hauptfigur des treffiich erhaltenen spätgotischen Schnitzaltars im 
Chor der Kirche die heilige Anna darstellt, so haben wir in derselben wohl die 
Schutzpatronin der Kirche zu erkennen. 

Die Technik der Wandgemälde ist durchaus dieselbe wie in den niederrheinischen 
Arbeiten des XII und XIII Jahrhunderts: Breite, mit einer hellbraunen Farbe gezeich- 
nete Konturen und ein glatt die Zwischenräume ausfüllender Tempera -Farbenauftrag. 

Einen weiteren Beweis dafür, dass die Gemälde in das XIII Jahrhundert zu setzen 
sind, bietet die Untersuchung des alten Kirchenbaus. Das Mauerwerk, auf welchem 
die Gemälde ausgeführt sind, ist im unteren Teile aus roh gebrochenen Feldsteinen, 
im oberen aus Backsteinen ausgeführt. Die Einführung des Backsteinbaus in der 
Mark beginnt sofort nach der endgültigen Besitzergreifung des Landes unter Albrecht 
dem Bären durch damals eingewanderte niederländische Kolonisten. Dieselben waren 
durch den Bischof Anselm von Havelberg herbeigerufen, welcher von ihnen vor 
allen Dingen die Eindeichung der Elbe und die mit der Einführung des Christentums 
notwendigen Kirchenbauten ausführen liefs. Auf diesen beiden Gebieten mussten die 
niederländischen Werkleute für die Kolonisation in der Mark vorzüglich geeignet er- 
scheinen. Für die Verwendung der Niederländer zum Kirchenbau war deren Übung 
in der bis dahin in der Mark unbekannten Kunst des Ziegelbrennens von besonderer 
Wichtigkeit. Nur durch den Backsteinbau konnte die grofse Zahl von umfangreichen 
Kirchen für die Menge der plötzlich sich über das Land verbreitenden geistlichen 
Orden in der erforderlichen Schnelligkeit ausgeführt werden. Der Schutzbrief ist be- 
kannt geworden, durch welchen Bischof Anselm von Havelberg sich von König 
Konrad das Recht erteilen liefs, in die entvölkerten Gegenden seiner Diözese Kolo- 
nisten einzuführen, aus welchem Volksstamm er könne und wolle. Ausführlich be- 
richtet darüber der ehemals mit Unrecht angezweifehe Helmold, Geistlicher der Kirche 
zu Bosov unweit Plön, welcher in der Mitte des XII Jahrhunderts seine Chronik 
der Slaven niederschrieb. Nach Unterwerfung der Völker an der Havel und Elbe, 
so berichtet er, habe Markgraf Albrecht aus Holland, Seeland und Flandern, welche 
Provinzen damals durch heftige Überschwemmungen des Meeres litten, durch seine 
Abgesandten die Ansiedler herbeigezogen. Dieselben wären in grofser Anzahl in 
die Städte und Dörfer der Slaven eingewandert, wodurch die Bistümer Havelberg 
und Brandenburg sich sehr gehoben hätten. Das Bistum Brandenburg umfasste von 
Anfang an auch den Spreegau, also die Länder Barnim und Teltow. Die ganze 
Umgebung von Dahlem (der Ort selbst wird erst im Jahre 1375 im Landbuche Karls IV 
genannt) gehörte, wie jetzt nachgewiesen ist, zu den bereits von Markgraf Albrecht 
erworbenen, sogenannten »alten Landen«. In diesen am weitesten nach Osten vor- 
geschobenen Teilen der askanischen Herrschaft ist allerdings der Ziegelbau nicht 
sofort eingeführt. Bei der Abhängigkeit fast aller Werke der märkischen Kunst von 
fremden Vorbildern verdient die Ähnlichkeit zwischen den märkischen und den nieder- 
ländischen Backsteinbauten besondere Beachtung. Gerade in den ältesten, dem roma- 
nischen Stil angehörenden Backstein bauten tritt die Abhängigkeit von den Nieder- 



VON GEORG VOSS 265 



landen am deutlichsten hervor. Das früheste Beispiel der neuen niederländischen 
Backsteintechnik in dem Bistum Brandenburg ist der Neubau des Doms zu Branden- 
burg seit dem Jahre 1 170. Doch zunächst stand dieses Beispiel noch vereinzelt da. 

Im Kreise Teltow sind gerade die ältesten Kirchen, namentlich diejenigen des 
Templerordens in Tempelhof, Mariendorf und Marienfelde^ aus sorgfältig behauenen 
Feldsteinen errichtet. Dieser Granitquaderbau setzt einen sehr bedeutenden Aufwand 
an Arbeitskraft voraus, von dem bei den Kirchen der ärmeren Orden und namentlich 
bei entlegeneren Kirchen nicht die Rede sein konnte. Bei Dorf kirchen wurden die 
Steine vielfach so verwendet, wie man sie auf dem Felde unter dem Acker vorfand. 
Allenfalls wurden die gröfseren Steine roh zerschlagen. Als mit Beginn des XIII Jahr- 
hunderts der Ziegelbau auch in den östlichen Teilen der Mark sich verbreitete, wurde 
bei primitiven Bauausführungen der untere Teil der Mauern aus Feldsteinen, der 
obere aus Backsteinen hergestellt. In dieser Weise ist auch die Kirche zu Dahlem 
ausgeführt. 

Die überaus rohe nachlässige Bearbeitung der Feldsteine lässt keineswegs auf 
eine frühe Bauzeit schliefsen. Im Gegenteil zeigt sich fast überall in der Mark, dass 
gerade in den nachweislich ältesten Kirchen die Bearbeitung des Granits am sorg- 
fältigsten ist. Je mehr seit der Einwanderung der niederländischen Kolonisten der 
Ziegelbau die herrschende Bauweise wurde, desto mehr ging die Sorgfalt in der 
Bearbeitung des Granits verloren. In der Ordenskirche des 3/4 Meile von Dahlem ge- 
legenen Tempelhof sind die regelmäfsigen 0,27 m hohen Granitquadern von auf- 
fallend sorgfältiger Ausführung. In Dahlem begnügten sich die Werkleute damit, 
die Feldsteine unbehauen zu vermauern. Um wenigstens eine einigermafsen glane 
Fläche zu gewinnen, wurden die Steine gesprengt und so vermauert, dass die glane 
Fläche nach aufsen zu liegen kam. An den inneren Wandflächen wurde selbst diese 
Rücksicht fallen gelassen, und man begnügte sich mit den rohen Steinblöcken. Zur 
notdürftigen Ausgleichung der Unebenheiten diente der dick aufgetragene Kalkputz. 
Die roh geputzten Flächen nach Möglichkeit mit grofsen Wandmalereien zu bedecken, 
lag somit besonders nahe. Nach zahlreichen bei den verschiedensten Anlässen zu 
Tage getretenen Spuren zu urteilen, scheint die Bemalung die Regel gebildet zu 
haben. 

Einen Beweis dafür, dass der Bau der Kirche zu Dahlem nicht später als in 
das XIII Jahrhundert zu setzen ist, bieten die alten schmalen Fenster, deren Ab- 
messungen durchaus denen der Kirchen des romanischen Stils in der Mark entsprechen. 
Die innere Leibung zeigt den romanischen Rundbogen. Die Verdachung nach der 
Aufsenseite zu ist allerdings durch zwei schräg gestellte Ziegel bewirkt, ein Motiv, 
welches an gotische Bauweise erinnert. Nach der Mitte des XIII Jahrhunderts kommt 
der Rundbogen in der Mark nur noch in ganz vereinzelten Beispielen vor. Gegen 
Ende des XIII Jahrhunderts ist für Thür- und Fensterbogen der Spitzbogen die 
herrschende Form. 

Die völlige Kunstlosigkeit der Architektur einer deranigen Dorfkirche schliefst 
es indessen keineswegs aus, dass für die Malereien der Wände ein tüchtiger Künstler 
von auswärts herbeigeholt wurde. Denn fast alles, was wir von älteren Werken 
der Malerei und der Plastik in der Mark finden, ist importiert oder von eingewan- 
derten Arbeitern ausgeführt. So auch wahrscheinlich die Dahlemer Wandgemälde. 
Der Kreis Teltow war im XIII Jahrhundert keineswegs so kunstverlassen , wie man 
nach dem heutigen Zustande der Kirchen wohl anzunehmen geneigt ist. Die Tempel- 
herren besafsen in Tempelhof einen Komturhof und waren die Herren von Marien- 



266 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM 

dorfy Marienfelde und Richardsdorf ^ d. i. das heutige Rixdorf Nach der Aufhebung 
des Templerordens im Jahre 1312 sind diese Dörfer 13 18 an den Johanniterorden über- 
gegangen. Die Anwesenheit eines tüchtigen Künstlers in dieser Gegend, wenn auch 
nur vorübergehend, ist daher keineswegs unwahrscheinlich, zumal da Ähnliche Auf- 
gaben von kirchlichen Wandmalereien in der Mark häufig gestellt wurden. 

Eine Zusammenstellung der mir bekannt gewordenen Beispiele von mittelalter- 
lichen Wandmalereien der Mark vermag wenigstens einen Einblick in dieses bisher 
wenig beachtete Gebiet zu geben. Die Wandmalereien sind an folgenden Orten teils 
noch jetzt erhalten, teils bei den Restaurationsbauten zum Vorschein gekommen: 

1. Pec/ii//e bei Jüterbog, Backsteinkirche des XII Jahrhunderts : InderApsis ehemals 
Spuren alter Wandgemälde; jetzt mit neuem Kalkputz bedeckt. 

2. Mariendorf bei Berlin, Granitquaderbau des XIII Jahrhunderts: In der Apsis unter 
dem Putz alte Wandgemälde. 

3. Tempelhof ^ Kirche des Templerordens, Granitquaderbau des XIII Jahrhundens: 
Unter der Tünche, wie berichtet wird, an allen inneren Wänden Reste alter Wand- 
malerei, darunter ein jüngstes Gericht, zum Vorschein gekommen bei der Restau- 
ration der Kirche im Jahre 1848. Kopien der Malereien sind nicht erhalten. 

4. Lindenberg bei Berlin, romanische Kirche aus Granitquadern und Ziegeln: Ehe- 
mals Reste alter Bemalung. Die jetzige Ausmalung ist 1860 ausgeführt. In der 
runden Apsis, deren Mauerwerk mit den schmalen romanischen Fenstern un- 
verändert erhalten ist, dürften die alten Malereien noch vollständig unter dem 
Putz vorhanden sein. 

5. Rheinsberg ^ Kirche aus Granitquadern, XIV Jahrhundert: Alte Wandgemälde 
übertüncht. 

6. Preufsniti bei Beizig, romanische Kirche aus Granitquadern: In der Apsis unter 
der Tünche figürliche Wandmalereien. 

7. Crusson^ bei Angermünde, Kirche aus Granitquadem: An den Wänden die 
zwölf Apostel und ornamentale Malereien. 

8. Belit^y Wallfahrtskirche: Wandmalereien auf die Legende des hier im Jahre 1247 
aufgefundenen Wunderbluts bezüglich, seit 1570 übertüncht. 

9. Lehnin, romanische Cistercienserkirche aus dem XII und XIII Jahrhundert: Bei 
der Restauration von 1872 bis 1877 wurden im Innern viele Spuren von Male- 
reien gefunden, Reste noch jetzt erhalten. 

10. Zinna (Stadt) bei Jüterbog, romanische Cistercienserkirche, Granitbau des XIII Jahr- 
hunderts. In der Apsis wurden im August dieses Jahres auf der Nordwand und 
auf der Südwand durch Herrn Pastor Walkow figürliche Malereien, schwarze 
Konturenzeichnung auf braunem Grunde, blofsgelegt. Sehr zerstört. 

11. Chorin, gotische Cistercienserkirche des XIII Jahrhunderts : Verschiedene Spuren 
von Wandmalerei, namentlich im Fürstensaale des Klosters. 

12. Plane, frühgotische Backsteinkirche: Gemalter Fries von 70cm Breite. 

13. Riedebeck bei Luckau, spätromanische Kirche aus Feldsteinen und Eisenstein, er- 
baut II 94 — 1202: 

ä) Auf dem Gewölbe der halbrund geschlossenen Apsis: Das jüngste Gericht. 
Christus auf dem Regenbogen, vom Munde ausgehend Schwert und Lilie. 
Zu den Füfsen Christi knieen Maria und Johannes der Täufer. Links wird 
eine Gruppe unbekleideter Seliger von Petrus in das Paradies, ein hohes 
Bauwerk von kirchlichem Charakter geführt. Rechts Flammen. Oben zu 
beiden Seiten je ein Engel mit der Posaune. Spätgotisch. 



VON GEORG VOSS 267 



b) Auf der südlichen Chorwand: 6 quadratische Felder. Auf dem einen dar- 
gestellt eine Dame zu Pferde vom Teufel geholt. Diese Felder bildeten 
wohl einen Totentanz, der als Fortsetzung der HöUenscene des oben be- 
schriebenen Hauptbildes gedacht ist. Oberhalb dieser Felder auf einer 
früheren Putzschicht auf rotem Grunde einzelne Felder mit fast unkenntlich 
gewordenen Einzelfiguren von Heiligen. Dies wohl der Rest der ältesten 
Ausmalung aus der Zeit der Erbauung der Kirche. 

c) Zwischen den alten schmalen romanischen Fenstern der Apsis: Vier Gestalten 
von Heiligen. Eine weibliche Figur mit dem Kreuz deutet auf die heilige 
Helena. Spätgotisch. 

14. Eberswalde ^ Pfarrkirche, Anfang des XIV Jahrhunderts: Ein frühgotischer heiliger 
Christoph und Reste von Gemälden aus dem Jahre 1 500. 

15. Brandenburgs Dom: 

a) Hauptkrypta mit Spuren von Wandgemälden; 

b) bunte Kapelle, 3 runde Schildbögen mit spätgotischen figürlichen Scenen, 
fast erloschen; 

c) unter den Arkadenbögen: 3 Engel; 

rf) Ostchor, an den Deckengewölben 17 einzelne spätgotische Köpfe. 

16. Brandenburgs Sankt Paulskirche: Im Kreuzgang des Klosters mannigfache Reste 
von figürlichen Malereien. 

17. Brandenburgs Sankt Katharinenkirche, Sakristei: Wandgemälde, darstellend den 
leidenden Christus, noch 1740 vorhanden. 

18. Brandenburgs Sankt Johanniskirche: Wandgemälde mit der Jahreszahl 147 1, er- 
wähnt von Minutoli, seitdem übertüncht. 

19. Brandenburgs Rathaus der Neustadt: Dort einst ein runder Erker mit zwei 
Wandgemälden: 

a) die Fabel von Vater, Sohn und Esel; 

b] die Allegorie auf die Glückseligkeit eines wohlbestellten Regiments. Beide 
Gemälde übertüncht 1720. 

20. Jüterbogs Nikolaikirche, XV Jahrhundert. In der alten Sakristei: 

a) an den Wänden in den Schildbögen grofse figürliche Gemälde, z. B. dar- 
stellend die Geschichte des heiligen Sebastian und eine figurenreiche Pro- 
zession. Ferner vier Einzelgestalten. Spätgotisch. 

b) an den Kreuzgewölben die vier evangelischen Symbole und drei Propheten. 

c) Wandgemälde im Langhause, grofsenteils schon 1608 übertüncht. 

21. Königsberg in der Mark, Marienkirche, Anfang XV Jahrhundert: Reste mittel- 
alterlicher Wandmalereien. 

22. Madlow bei Kottbus, Backsteinkirche des XV Jahrhunderts: Die alten Wand- 
malereien bei der Restauration im Jahre 1879 übenüncht. 

23. PreriT^laUs Rathaus: An drei Kreuzgewölben, welche dem ursprünglichen Bau aus 
dem XIV Jahrhundert angehören, unter der Tünche Reste alter Wandgemälde, 
darstellend das Weltgericht. 

24. Münchebergs Marienkirche, mittelalterlicher Backsteinbau. Von den jetzt tiber- 
tünchten Wandmalereien sind in der historischen Sammlung des Rathauses Kopien 
erhalten. 

25. Berlins Nikolaikirche: 

a) Neben der Orgel eine grofse Darstellung des Weltgerichts in drei Zonen 
übereinander. Mitte des XV Jahrhunderts. 

36 



268 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM 

b) Bei der Restauration der siebziger Jahre wurden an Wänden und Gewölbe- 
rippen verschiedene Reste von Wandmalereien gefunden, seitdem übertüncht 
und übermalt. 

26. Berlin^ Marienkirche: Totentanz, wahrscheinlich 1470 entstanden. Im Jahre 1860 
sehr verblichen aufgedeckt und stark restauriert. 

27. Wilsnackj Wallfahrtskirche: Im Querschiff von 1470 bis 1480 ein Wandgemälde 
des heiligen Christoph. 

28. Perleberg ^ St. Jakobskirche: In dem um 1470 erbauten Langhause an den Pfeilern 
gemalte Apostelgestalten unter reichen gotischen Baldachinen. 

29. Bernau^ Marienkirche, ursprünglich Granitbäu, seit 1484 bedeutend erweitert: 
Im Innern noch vor einigen Jahren verschiedene Reste mittelalterlicher Wand- 
malerei. 

a) An der Nordwand, unter der Empore: Teufelsscenen. (Eine grofse Dar- 
stellung des ganzen jüngsten Gerichts aus beweglichen Figuren befand sich 
an der Westwand des Mittelschiffs). 

b) An der Westwand des nördlichen Seitenschiffs. Bei Versuchen, die jetzige 
Wandbekleidung abzubröckeln, kam von der alten Malerei ein Vogel zum 
Vorschein. 

c) An dem spät - gotischen gemauerten Sakramentshöuschen in dem breiten 
Bogenfeld auf die Mauer gemalt die Messe des heiligen Gregor (deutlich 
erhalten). 

30. Frankfurt a, O., Marienkirche, Sakristei von 1520 — 1521: Laubgewinde in den 
Bogenfeldern der Netzgewölbe. 

31. Frankfurt a. O., Nikolaikirche, Spätgotisch: Auf den Gewölbefeldern der 3 Schiffe 
des Langhauses naturalistische Blattornamente. Zum Teil erneuert. 

32. Strausbergs Marienkirche: An den Gewölben des Chors bedeutende Reste von 
Malereien, ausgeführt im Jahre 1524, z.B. Christus als Weltrichter, die Krönung 
der Maria, Johannes der Täufer, Maria Magdalena und andere Heilige; ferner 
musizierende Engel. 

Wenn wir nach Vorbildern für die frühesten märkischen Wandgemälde suchen, 
so muss sich unser Blick in erster Linie auf Brandenburg richten. Besonders scheint 
dies bei den Dahlemer Gemälden geboten. Schon in der von Otto dem Grofsen 
ausgestellten Stiftungsurkunde vom Jahre 949 wird der Zpriawani, d. i. der Spreegau 
ausdrücklich als zum Bismm Brandenburg gehörig genannt. Da dieses dem Erz- 
bischof von Magdeburg unterstellt war, so war Magdeburg der naturgemäfse On, aus 
welchem die geistlichen Körperschaften für ihre Kirchen und deren Ausstattung nicht 
nur die Vorbilder, sondern vielfach auch die fertigen Kunstwerke bezogen. Bei der 
Wiedereinführung des Christentums unter Pribislav (-j- 1150), dem letzten Wenden- 
fürsten, trat die Abhängigkeit von Magdeburg deutlich hervor. Der erste Bischof, 
welcher nach der anderthalb Jahrhunderte währenden Scheinherrschaft der Bischöfe 
in partibus wieder in Brandenburg einzog, war Wigger, der ehemalige Probst des 
Prämonstratenser Konvents der Marienkirche zu Magdeburg. Er war es, der durch 
seinen Einfluss auf Pribislav die thatsächliche Wiederherstellung des Bistums durch- 
setzte. Sein Werk war es auch, dass Pribislav öffentlich in der Kirche zu Leitzkau, 
wo Wigger von Magdeburg aus eine Niederlassung der Prämonstratenser gegründet 
hatte, zum Christentum übertrat. Neun Mönche dieser Prämonstratenser- Kolonie aus 
Leitzkau bildeten auch das erste Ordenskapiiel, welches in die von Pribislav neu 
gegründete Petrikirche (jetzt St. Godehard) zu Brandenburg einzog. Die künstlerische 



VON GEORG VOSS 269 



Abhängigkeit von Magdeburg zeigt sich in der neuerwachten kirchlichen Bauthätigkeit 
Brandenburgs keineswegs in allen Dingen. Der im Jahre 1 170 begonnene Neubau 
des Doms wurde, wie schon oben erwähnt, in der neuen niederländischen Backstein- 
technik ausgeführt. Aber bei der Verwendung der Bildwerke aus Sandstein ist der 
Einfluss Magdeburgs zu erkennen. Die schönen romanischen Kapitale in der alten 
Krypta sind um 1235 in Magdeburg gearbeitet. Ebenfalls aus sächsischen Sandstein- 
brüchen stammen die Kapitale der Krypta der Klosterkirche zu Jerichow. An den 
älteren Teilen des Domes zu Havelberg stammen die Steine aus den Sandsteinbrüchen 
zu Plötzke bei Magdeburg. Das Domkapitel zu Havelberg war im Jahre 11 50 durch 
eine Kolonie von Magdeburger Prämonstratensern gegründet. 

Die Abhängigkeit der künstlerischen Ausstattung der Kirchen von denjenigen 
Orten und Körperschaften, welche die vorgesetzte Behörde der betreffenden Kirchen 
bildeten, lässt sich häufig nachweisen, und es ist wohl anzunehmen, dass diese Ab- 
hängigkeit die Regel bildete. Allerdings darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben, 
dass durch die Verschiedenheit des an Ort und Stelle zur Verfügung stehenden Kunst- 
materials zuweilen mancherlei wichtige Veränderungen bedingt wurden. Das zeigt 
sich namentlich in der Bildhauerkunst und in der/ Baukunst. Da die Mark keine 
eigenen Brüche besitzt, in denen ein für feinere Arbeiten geeigneter Sandstein ge- 
wonnen wird, so war man darauf angewiesen, die Werksteine aus benachbarten 
Ländern, namentlich aus Sachsen, zu beziehen. Nur geringe Ausbeute lieferten der 
kleine, jetzt völlig erschöpfte Sandsteinbruch bei Freienwalde, ferner der Kalkstein- 
bruch bei Rüdersdorf und der Eisensteinbruch bei Dobrilugk. So kam es, dass es 
in der Mark an Arbeitern fehhe, welche für die edleren Aufgaben der Steinplastik, 
z. B. für die Ausführung von figürlichen Darstellungen, geschult gewesen wären. Die 
Vollendung, welche die märkischen Steinmetze gerade in der ältesten Zeit in der 
Bearbeitung des Granits der Feldsteine zeigen, äufsene sich in einer rein technischen 
Geschicklichkeit. Die höheren Aufgaben der Plastik in diesem sprödesten aller Werk- 
stoffe zu lösen, ist nirgends in der Mark versucht worden. Erst seit der Einführung 
des Sandsteins kommen in der Mark Arbeiten der Bildhauerkunst von reicherer Aus- 
führung vor, und man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass diese ältesten 
Sandsteinarbeiten entweder fertig eingefühn wurden oder dass mit dem importierten 
Stein zugleich auch die Werkleute herbeikamen, um die Bearbeitung am Orte der 
Aufstellung auszuführen. Bei Arbeiten von zierlicher Ausführung, wie z. B. den 
Sakramentshäuschen, ist dies wohl schon aus Rücksicht auf die Gefahren des Trans- 
ports anzunehmen. 

Bildwerke, welche für den Vergleich mit den Dahlemer Fresken heranzuziehen 
wären, sind wohl hauptsächlich in den Grabsteinen zu suchen. Zum Teil sind diese 
wahrscheinlich meist in den sächsischen Sandsteinbrüchen gleich vollendet worden. 
Der Charakter der Ornamente und architektonischen Gliederungen weist vielfach auf 
Magdeburg, zuweilen auch auf Süddeutschland hin. 

Die ältesten Grabsteine sind im Entwurf den Wandgemälden nahe verwandt. 
Die Hauptsache ist wie bei diesen die Konturzeichnung. Gerade unter den älteren 
Denkmälern kommt kaum eine andere Art der Ausführung vor als die breit und tief 
in den Sandstein hineingehauenen Umrisslinien. Von einem Versuche, die Zeichnung 
durch Schatten Wirkung zu beleben, ist in. diesen ältesten Werken nicht die Rede, 
weder durch Schraffierung noch durch Modellierung. Das Material dieser Grabplatten 
ist fast ausschliefslich Sandstein. Bezeichnend ist, dass sich dieselben am häufigsten 
in solchen Orten finden, welche an grofsen Wasserstrafsen liegen, z.B. in Branden- 

36* 



270 DIE NEU ENTDECKTEN WANDGEMÄLDE ZU DAHLEM 

bürg und in Havelberg. Die frühesten dieser Steine, von denen die Chroniken der 
Mark berichten, sind leider zu Grunde gegangen, nur die Inschriften sind uns durch 
Aufzeichnungen aus dem XVI Jahrhunden erhalten. Als Pribislav, der letzte Wenden- 
fürst, im Jahre 1 1 36 öffentlich zum Christentum übergetreten war, verwandelte er das 
wendische Heiligtum des Götzen Triglaff auf dem Harlunger Berge bei Brandenburg in 
eine christliche Kirche, das ist die mit reichem Ablass ausgestattete, weit in Deutschland 
als Wallfahrtskirche berühmte Marienkirche. Hier befanden sich noch im XVI Jahr- 
hundert die Grabsteine der nächsten Verwandten des Fürsten, die seiner Eltern Mein- 
fried (oder Meinhard) und Cythava, ferner die der Brüder seines Vaters, Hermann und 
Siegfried. Obwohl seine Verwandten damals bereits Jahre lang unter der Erde ruhten, 
liefs Pribislav deren Gebeine hier an geweihter Stätte beisetzen. Hier wurde 11 50 
auch Pribislav beigesetzt, etwas später seine Gemahlin Petrussa, ferner im Jahre 1 173 
Juditha, die Gemahlin Markgraf Ottos I. Von den Monumenten selbst ist nichts 
mehr aufzufinden. Der älteste Grabstein, den jetzt noch der Donft zu Brandenburg 
bewahrt, ist der des Kanonikus Peter von Thure, der im Jahre 1181 gestorben 
ist. Die schlanken Proportionen der Figur mögen zum Teil durch die altertüm- 
liche schmale Form des Grabsteins bedingt gewesen sein. Doch der Schnitt der 
Haare und die in feinen Brüchen geknitterten Falten des Gewandes zeigen bereits in 
bestimmter Weise den gotischen Stil. Von ähnlichen Zügen ist in den Malereien der 
Nordwand der Kirche zu Dahlem noch nicht die Rede. Bei dem nächstältesten Grab- 
stein des Doms von Brandenburg, dem des Propstes Heinrich von Gacersleben (•}• 1296), 
ist das Gesicht leider ganz abgetreten. Zu den ältesten Grabsteinen mit Darstellungen 
der Verstorbenen in eingravierten Umrissen oder auf flachem Relief gehören ferner 
die Grabmäler der beiden Askanischen Markgrafen Hermann (-}- 1291) und Johann 
(•f- 1292) im Dom zu Havelberg. 

Eher als in diesen Sandsteinplatten dürfte man die Hand eingeborener Künstler 
in den gebrannten Thonplatten erkennen, welche zuweilen für die Grabsteine verwendet 
wurden. Aber da das Brennen der grofsen Platten bedeutende technische Schwierig- 
keiten machte, so wurden dieselben nur selten ausgeführt und nur ganz vereinzelte 
Beispiele (in Brandenburg, Mohrin und Frankfurt) sind von diesen Werken erhalten. 

In MetaU gravierte Grabplatten kommen in der Mark erst wesentlich später vor. 
Das älteste Beispiel, welches dem Verfasser bekannt geworden ist, ist die Grabplatte 
des Bischofs Johannes von Deher im Dom zu Fürsten walde (-f- 1455). 

Auch die eingravierten figürlichen Darstellungen auf den Werken der Edel- 
schmiedekunst sind hier zur Vergleichung heranzuziehen. Kelche und Patenen des 
XII und XIII Jahrhunderts mit figürlichen Darstellungen sind in den Kirchen der Mark 
noch zahlreich erhalten. Vor der Zerstörung oder Verschleppung sind sie vielfach 
bewahrt geblieben, weil die protestantische Kirche dieselben wohl überall unbedenk- 
lich in Gebrauch nahm. Die Hauptstücke dieser An sind folgende: Der schöne 
romanische Kelch in der Pfarrkirche zu Rathenow mit figürlichen Darstellungen aus 
dem alten und neuen Testament, der romanische Kelch der Pfarrkirche zu Zehdenick^ 
der schöne Kelch der Nikolaikirche zu Berlin aus der Mitte des XIII Jahrhunderts; 
ferner die Reliefs des romanischen Kelches der Hauptpfarrkirche zu Pren^lau\ ferner 
der romanische Fufs des grofsen Kelches der Kirche zu Wusterhausen bei Neu- 
Ruppin mit den Darstellungen aus dem Leben der Maria. Niemand wird bei diesen 
Arbeiten ernstlich an märkische Provenienz denken, aber dass derartige, vom Rhein 
oder aus den sächsischen Landen eingeführte Arbeiten Malern die Anregung oder 
das direkte Vorbild gegeben haben können, liegt nahe. 



VON GEORG VOSS 27 I 



Figürliche Darstellungen auf Kirchengeraten in Bronzeguss sind aus dem Mittel- 
alter zahlreich in der Mark erhalten. Auch hier sind die ältesten Stücke aus den be- 
nachbarten Ländern eingefühn, hauptsächlich aus Sachsen, wo der Bronzeguss schon 
im frühen Mittelalter in Blüte stand. In Magdeburg, Erfurt, Braunschweig, auch 
Helmstedt, sind die Werkstätten der ähesten Glocken, Kirchenleuchter und Tauf- 
becken der Mark zu suchen. Das Hauptstück unter den älteren Taufbecken ist das 
frühromanische Becken in St. Godehard zu Brandenburg. Indessen noch im XIV 
und XV Jahrhundert finden wir unter den Giefsemamen keinen einzigen eines märkischen 
Werkmeisters. Namen märkischer Glockengiefser werden inschriftlich erst seit dem 
Jahre 1400 genannt. Die Glocken wurden entweder von anderen Städten bezogen 
oder die Giefser wurden von diesen Städten nach der Mark herbeigeholt, um den 
Glockenguss in nächster Nähe der Kirche selber auszuführen. 

Augenblicklich sind diese Werke noch zu ungenügend erforscht, die Abbil- 
dungen des über viele kleine Ortschaften verstreuten Materials noch zu selten zu be- 
schaffen, als dass jetzt schon die rechte Übersicht über die einzelnen Gebiete zu 
gewinnen wäre. Mehr als in den älteren Kulturländern unseres deutschen Vater- 
landes muss sich die Kunstgeschichte des Mittelalters in der Mark mit geringen Resten 
oder den fast zerstörten Spuren der ehemaligen Kunstwerke begnügen. Doch die 
fast überall in der Mark, selbst in entlegenen, kaum über die nächste Umgebung 
hinaus bekannten Dorfkirchen, erhaltenen Reste deuten darauf hin, dass die künst- 
lerische Ausstattung der Kirchen in ganz ähnlich ausgedehnter Weise wie in den be- 
nachbarten sächsischen Ländern oder am Niederrhein und in Süddeutschland den 
ganzen Kirchenraum und alle kirchlichen Geräte umfasste. Bei der Inventarisation 
der Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, welche im Jahre 1885 ihren freilich 
vielfach recht lückenhaften Abschluss gefunden hat, hat sich das Vorhandensein einer 
Fülle von interessanten, ja künstlerisch wertvollen Werken auf den verschiedensten 
Gebieten der kirchlichen Kunst gezeigt. Seit der endgültigen Eroberung der Mark 
durch die Askanier, also seit der Mitte des XII Jahrhunderts, sind alle Epochen 
der deutschen Kunst des Mittelalters in diesen Werken vertreten. Doch da die Mark 
als eines der frühesten Länder völlig geschlossen zur Reformation übertrat, so kam 
es, dass die vorhandenen Kunstwerke, soweit dieselben fUr den protestantischen 
Kultus ungeeignet waren, teils absichtlich zerstört, teils vernachlässigt und verschleppt 
wurden. Auch die Restaurationsbauten unseres Jahrhunderts haben an der Zerstörung 
des Vorhandenen einen grofsen Anteil. 

Gerade die Wandgemälde sind durch diese Restaurationen am meisten zerstört 
worden. Die unter der Tünche oder dem Wandputz aufgefundenen Malereien sind in 
den meisten Fällen kaum der Beachtung für wert gehalten worden. Ohne dass man 
Kopien von ihnen angefertigt hat, sind dieselben wieder übertüncht oder mit neuem 
Wandputz bedeckt. Vieles ist auch für immer durch Einbauten von Kanzeln oder 
Emporen sowie durch das Ausbrechen der neuen breiten Fenster zerstört worden, 
Bei den spärlichen Nachrichten ist unsere Kenntnis über diese Wandgemälde bis jetzt 
noch unvollständig. Doch auf Grund der oben angeführten Beispiele ist es wahr- 
scheinlich, dass die Ausmalung der wichtigsten Teile des Kirchenraumes, der Wand- 
flächen wie der Decken, das ganze Mittelalter hindurch die Regel in den Kirchen 
der Mark bildete. Gerade die älteste Zeit des Kirchen baues bietet verhältnismäfsig 
die meisten Beispiele. Unter diesen sind die neu entdeckten Dahlemer Wandgemälde 
eines der Wichtigsten. 



272 DIE MARMORBÜSTE DES ALESSO DI LUCA MINI VON MINO DA FIESOLE 



Eine verständig geleitete Fortführung der von Bergau seiner Zeit in Folge der 
Kränklichkeit des verdienten Forschers vielfach vorzeitig abgeschlossenen Inventari- 
sation der Kunstdenkmaler der Mark Brandenburg würde zur Erweiterung unserer 
Übersicht über dieses Gebiet am besten beitragen. Auf dem Gebiete der Architektur 
haben einige Forscher in dieser Beziehung hervorragende Beiträge geliefert. Dagegen 
ist für die Gebiete der Malerei, der Bildhauerkunst und der verschiedenen Zweige der 
Kleinkunst die Heranziehung von kunstgeschichtlich geschulten Fachmännern uner- 
lässlich, wenn die vorhandenen Denkmäler und die bei den Restaurationsarbeiten an 
den verschiedensten Orten zu Tage tretenden Reste von älteren Kunstwerken in der 
rechten Weise vor der Zerstörung geschützt werden sollen. 



DIE MARMORBÜSTE DES ALESSO DI LUCA MINI VON MINO DA FIESOLE 

EIN LEGAT DES HERRN O. HAINAUER AN DIE K. MUSEEN 
VON W. BODE 

Der vor wenigen Monaten im besten Mannesalter verstorbene Oscar Hainauer, 
unter den Sammlern Berlins der hervorragendste, hat ein paar der wertvollsten Kunst- 
werke seiner Sammlung, recht eigentliche Museumsstücke, unseren Museen durch 
seine Witwe als Geschenke überweisen lassen: dem Kunstgewerbe - Museum einen 
Bronzeleuchter mit dem Wappen der Strozzi, und der Abteilung der Bildwerke christ- 
licher Epoche die lebensgrofse Marmorbüste eines Florentiners im mittleren Alter. 

Der Bronzeleuchter, 0,87 m hoch und 0,37 m breit, ist eine gut aufgebaute, trefflich 
ciselierte Arbeit eines Florentiner Bildhauers aus der zweiten Hälfte des XVI Jahrhun- 
derts, wie aus den Kirchen Italiens nur einige wenige ins Ausland gekommen sind. 
Das Kunstgewerbe -Museum hat dadurch ein Gegenstück zu einem etwa hundert Jahre 
älteren (aus dem Besitz der Königlichen Museen stammenden) Florentiner Bronze- 
leuchter erhalten, der auch in Italien eine grofse Seltenheit sein würde. 

Die Büste, welche ihren Platz in der Abteilung der italienischen Bildwerke ge- 
funden hat, war 1883 auf der Ausstellung zur Feier der Silberhochzeit des Kronprinzen- 
paares mit ausgestellt und ist damals an dieser Stelle (IV S. 135, 136) bereits kurz be- 
sprochen worden. Dank den Nachforschungen des bekannten Florentiner Archivars 
Jodoco del Badia, welcher die Freundlichkeit hatte, für uns das Staatsarchiv in Florenz 
darauf durchzusehen, sind wir jetzt im Stande, den Dargestellten mit Wahrscheinlichkeit 
zu bestimmen und nähere Nachrichten über ihn zu geben. Unsere frühere Annahme, 
dass die Inschrift ALEXO DI LUCA MINI 1456 so zu interpretieren wäre, dass die 
ersten Worte »Alexo di Luca« den Namen des Dargestellten wiedergäben, und dass 
hinter »Mini« das Wort »Opus« zu ergänzen und darin der Künstlername zu finden 
sei, hat sich als irrtümlich erwiesen. Es gab in Florenz im XV Jahrhundert eine 
Familie Mini und ein Mitglied derselben, das im Jahre 1456 25 Jahre zählte, hiefs Alesso 
di Luca Mini. Dass dieser in der Büste wiedergegeben sei, ist daher wahrscheinlich 







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VON W. BODE 



273 



kaum zweifelhaft, obgleich der Stand desselben nicht annehmen liefse, dass sein Bildnis 
in einer MarmorbUste verewigt worden sei. Alesso di Luca Mini war Apotheker, 
der in einem kleinen Laden anfangs mit dem Bruder zusammen, später (seit 1469) 
allein, auf Piazza di S. Lorenzo Kräuter, Brühen, Spezereien u. dergl. feil hielt. 
Schon sein Vater Luca di Giovanni di Mino gehörte der Arte degli speziali an, war 
in der Apotheke von S. Maria Nuova an- 
gestellt und hatte einen kleinen Laden 
am Canto di Nello. Sein Bruder, Ales- 
sos Onkel, war Böttcher; Alessos Söhne 
waren Apotheker wie der Vater. Wir 
haben es hier also mit einem Manne 
aus dem unteren BUrgerstande zu thun. 
Dass ein solcher eine Büste, obenein 
in Marmor, von sich anfertigen liefs, ist 
allerdings ganz ungewöhnlich ; ich wüsste 
in der That kein zweites Beispiel aus 
dem Quanrocento dafür zu nennen. Die 
Marmorbüsten, deren Persönlichkeiten 
uns aus dieser Zeit bekannt sind, stellen 
ausnahmslos Mitglieder der vornehm- 
sten Familien dar; es kommen nicht 
einmal Büsten der Künstler selbst vor. 
Möglich, dass enge Freundschaft mit 
dem Künstler die Veranlassung zur Ent- 
stehung der Büste gegeben hat. 

Aber wie kam dieser dazu, dem klei- 
nen Trafikhändler ein antikes Kostüm 
zu geben? Abweichend von der son- 
stigen Florentiner Art, das Modell treu 
in der Tracht der Zeit wiederzugeben, 
hat nämlich der Künstler den Darge- 
stellten hier in eine antikisierende Tracht 
gekleidet. Über einem dünnen Unter- 
gewand, das vor der Brust und an den 
Ärmeln mit Knöpfen befestigt ist, ruht 
ein schweres Obergewand, das auf bei- 
den Schultern mit breiten Spangen zu- 
sammengehalten ist. Ähnlich ist das 
Kostüm einer Sieneser Frauenbüste, 
wahrscheinlich von Federighi, aufge- 

fasst, die unser Museum als Geschenk eines hohen Gönners schon seit einer Reihe 
von Jahren besitzt; in Oberitalien ist das »antikische« Kostüm in dieser Zeit häufiger, 
wie verschiedene Büsten im Museo Correr, im Kensington -Museum u. s. w. beweisen. 
Diese Anwendung antikisierender Tracht spricht jedoch keineswegs gegen die Ent- 
stehung der Büste in Florenz, für die, wie die Inschrift, so auch alle anderen Merkmale 
bezeichnend sind. Zunächst schon die Herkunft: die Büste befand sich, bis sie vor 
etwa fünfzehn Jahren von Herrn Hainauer gekauft wurde, im Handel in Florenz und 
war aus einer Villa vor Florenz, in der sie im Garten gestanden haue, erworben worden. 





Bronzeleuchter. 
Italien. Zweite Hfilfte XVI Jahrhundert 



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274 DIE MARMORBÜSTE DES ALESSO Dl LUCA MINI VON MINO DA FIESOLE VON W. BODE 

Auch der Künstler kann nur ein Florentiner sein: die ungesuchte und doch treue 
Wiedergabe der Persönlichkeit, die volle Belebung der fleischigen Formen sind durch- 
aus charakteristisch für die jüngere Generation der Florentiner Bildhauer des XV Jahr- 
hunderts, für die auch die Behandlung des Marmors ganz bezeichnend ist. Unter den 
Florentiner Marmorbildhauern der zweiten Hälfte des XV Jahrhunderts weisen die 
eckige Zeichnung der Falten, die scharfe Umränderung der Augen, die Art wie der 
Augenstern mit dem Bohrer vertieft und der Augapfel mit dem Zirkel geschlagen und . 
wie die Haare behandelt sind, auf Mino da Fiesole. Dass diese Eigentümlichkeiten 
nicht so stark ausgeprägt sind, wie in den meisten Werken Minos, dass die Faltengebung 
nicht so eckig und scharf, die Zeichnung von Mund und Augen, die Behandlung der 
Haare und Augenbrauen nicht so scharf und hart erscheinen, daran ist in der Haupt- 
sache die Verwitterung der Oberfläche schuld. Charakteristisch für Mino ist auch der 
Umstand, dass die Büste unterwärts ausgehöhlt ist und dass hier (wie auch bei der Büste 
des Niccolo Strozzi) ein Inschriftsband ausgearbeitet ist, in dem aber nur der Anfang, 
die Jahreszahl MCCCCLVI eingemeifselt, der Rest des Bandes freigelassen ist. Für 
Mino liefse sich auch der Umstand anführen, dass derselbe mit dem Dargestellten in 
demselben Jahre geboren und wie dieser dem kleinen Bürgerstand angehört, also sehr 
wohl ein Jugendfreund von ihm sein konnte. Auch die völlig einfache Auffassung 
des Dargestellten in seiner geraden Haltung, in der Ansicht ganz von vorn, in der 
fast nüchtern treuen Wiedergabe der unbedeutenden, treuherzigen Persönlichkeit 
scheint mir unverkennbar den Mino zu verraten, der durch diese Fähigkeit schlichter 
und treffender Darstellung gerade als Porträtbildhauer besonders begabt war. Wenn 
man die Photographie von Minos MarmorbUste des Giovanni dei Medici, Bruder 
Pieros, die etwa gleichzeitig mit unserer Büste entstand, neben dieselbe hält, so kann 
man nicht daran zweifeln, dass derselbe Künstler, dass Mino beide Büsten verfertigte. 

Den beiden Marmorbüsten, welche die Berliner Sammlung bereits von Mino 
besitzt: der köstlichen jugendfrischen Büste eines halbwachsenen Mädchens, und der 
energisch und grofs aufgefassten Büste des berühmten Bankherrn Niccolo Strozzi, fügt 
sich diese dritte Büste des Alesso di Luca Mini in ihrer schlichteren, aber fein natura- 
listischen und ansprechenden Auffassung^ ihrer fleifsigen, in der Wiedergabe der Haut 
wie der Haare vortrefflichen Behandlung ebenbürtig an. Sie wird eine würdige Er- 
innerung an den Sammler bleiben, der im Eifer und im Verständnis des Sammeins 
in Berlin allen andern vorangegangen ist und dessen Vorbild hier hoffentlich noch 
lange nachwirken wird. 



Gedruckt in der Reichsdruckerei. 



GEDRUCKT IN DER REICHSDRUCKEitEI 



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3 2044 039 395 702 



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DUEJAN 8 '66 FA